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German Pages 193 Year 1980
Schriftenreihe zur Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung
Band 46
Zur Reform des Armenrechts Von
Dr. Stefan Franke
Duncker & Humblot · Berlin
STEFAN FRANKE
Zur Reform des Armenrechts
Schriftenreihe zur Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung Herausgegeben von Ernst E. Hirsch und Manfred Rehbinder
Band 46
Zur Reform des Armenrechts
Von
Dr. Stefan Franke
DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN
Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1980 bei Buchdruckerei A. Sayffaerth - E. L. Krohn, Berlin 61 Printed in Germany
© 1980 Duncker
ISBN 3 428 04595 5
V orwort des Herausgebers Das Thema "Reform des Armenrechts" ideologiefrei zu behandeln, kann nur demjenigen gelingen, der versucht, als juristischer Kenner der Materie Rechtstatsachenforschung zu treiben, d. h. das fragliche Rechtsinstitut als Stück der Zivilrechtspflege in seiner tatsächlichen Handhabung durch die Beteiligten zu erfassen und das erhobene Datenmater~al auf Ursache Wirkung - Zusammenhänge zu überprüfen. Diese Methode, die auf die Aufstellung von vorläufigen Arbeitshypothesen im Sinne von Bender / Wax verzichtet und als sog. offene Methode der Rechtstatsachenforschung bez.eichnet wird, ist in dem vorliegenden Werk, das sich der besonderen Betreuung von Prof. Dr. Bruno Rimmelspacher zu erfreuen hatte, in vorbildlicher Weise angewandt worden. Das Hauptgewicht der Untersuchung liegt auf der Auswertung von Gerichtsakten. Ergänzend sind Fragebogen an Praktiker, die mit der Materie befaßt sind, versandt und ausgewertet worden. Die Daten beziehen sich regional auf das Gebiet Bayerns mit 72 Amtsgerichten und 21 Landgerichten. Erhebung, Aufbereitung und Auswertung des Materials erfolgten im Laufe des Jahres 1977 auf der Grundlage von ca. 500 Gerichtsakten, die im Stichprobenverfahren aus der Gesamtzahl der im Jahre 1976 in Bayern erledigten 16786 Arrnenrechtsanträge ausgewählt wurden. In drei umfangreichen Kapiteln werd'en die Notwendigkeit der Reform des Armenrechts, die Voraussetzungen der ArmenrechtsgewähTUng im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Gesuchstellers und die Vorprüfung der Hauptsache jeweils zunächst in rechtstatsächlicher Hinsicht auf der Grundlage der erhobenen Daten mit Hilfe klarer und aussagekräftiger Tabellen untersucht und aus den gewonnenen Ergebnissen Konsequenzen für eine gesetzliche Neugestaltung gezogen. Die diesbezüglichen Vorschläge sind von erfrischendem Realitätssinn getragen. Darüber hinaus ist das Werk, dessen Schrifttumsverzeichnis 9 Seiten umfaßt, ein wahres Kompendium der von den Gerichten geübten praktischen Anwendung der §§ 114 - 127 a ZPO, und es enthüllt die Relativität des berühmten Satzes: ius est ars boni et aequi. Denn wenn beispielsweise ein Vergleich der Einkommens- und Vermögensverhältnisse
6
Vorwort des Herausgebers
von Gesuchstel1ern ergibt, daß oftmals nahezu identische Voraussetzungen in einem Falle zur Bewilligung, im anderen zur Versagung des Armenrechts führen, so liegt das zum Teil dal'an, daß die vom Gesetz als Beurteilungsmaßstäbe angegehenen Umstände innerhalb eines räumlichen Gebiets vom Ausmaß des Freistaates Bayern nicht (mehr) einheitlich sind und deshalb als Anknüpfungsgesichtspunkte heutzutage nicht mehr taugen. Die zum Teil gl'av1ierenden regionalen Ungleichheiten beruhen aber auch auf der Art und Weise der Handhabung. Die Aussicht, einstweilige Kostenbefl'eiung zu erlangen, ist abhängig von den Gepflogenheiten, die bei dem zuständigen Gericht herrschen. "Ohne übertreibung kann von bewilligungsfreundlichen und deutlich restriktiv agierenden Gerichten gesprochen werden" (S.181). Unter diesen Umständen sollte man den Vorschlägen, die der Verfasser über die gesetzliche Neugestaltung macht (vgl. z. B. S. 69 ff., 99 ff., 153 ff.), besondere Aufmerksamkeit zukommen lassen. Königsfeld im Schwarzwald, Februar 1980 Ernst E. Hirsch
Inhaltsverzeichnis § 1 Einleitung .........................................................
15
1. Rechtfertigung der Arbeit ...................................... 2. Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Grenzen der Neugestaltung ....................................
15 16 16
Kapitel I
Zur Methode der Arbeit § 2 Die Rechtstatsachenforschung ......................................
18
I. Der Standort der Rechtstatsachenforschung ........................
18
11. Die Methoden der Justizforschung ................................ 1. Die Auffassung von Bender/Wax .............................. 2. Die Ansicht BaumgärteIs .......................................
19 19 20
II1. Die Wahl der Methode. . ... . . . . . . .. .... . . . ... . .. ... . . . . .. . . ... . ...
20
§ 3 Die methodischen Grundlagen der Arbeit ..........................
21
1. Die Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes ...................
21
H. Methodische Mittel, regionale und zeitliche Abgrenzung ............ 1. Die Erhebungsmethoden ........................................ a) Auswertung von Gerichtsakten .............................. b) (Indirekte) Befragung ....................................... c) Aufgliederung der amtlichen Justizstatistik .................. 2. Regionale und zeitliche Abgrenzung ............................ a) Räumliche Beschränkung auf Bayern ........................ b) Erhebungszeitraum ..........................................
22 22 22 23 23 24 24 24
III. Die Durchführung der Erhebungen ................................ 1. Die Auswertung von Gerichtsakten ............................ a) Die leitenden Gesichtspunkte ................................ b) Das Auswertungsverfahren .................................. c) Die Auswahl der Gerichte und Akten ...................... d) Die Verarbeitung der Ergebnisse............................ 2. Die Befragung ................................................. a) Die Ziele der Befragung .................................... b) Das Verfahren .............................................. c) Die Auswahl der Befragten - Ergebnisverarbeitung ........ 3. Die Justizstatistik ..............................................
24 24 24 24 25 27 27 27 28 28 29
8
Inhaltsverzeichnis
Anhang zu § 3: Erhebungsbogen für die Auswertung der Gerichtsakten
30
1. Teil I (zur Verwendung für alle Verfahren) .................... 2. Teil II a (zur Verwendung für die Verfahren mit Bewilligung) .. 3. Teil II b (zur Verwendung für die Verfahren mit Versagung) .... 4. Teil II c (zur Verwendung für die Verfahren mit Erledigung im Prüfungsverfahren) ............................................
30 32 34 35
Kapitel II
Die Notwendigkeit der Reform des Armenrechts I. Das System der Prozeßkosten .................................... 1. Begriffsbestimmung .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Die Grundsätze des Kostenrechts .............................. 3. Die Funktion der Prozeßkosten ................................
37 37 37 37 38
II. Prozeßkosten und rechtsstaatlicher Gerichtsschutz .................. 1. Die Gefährdung des Anspruchs auf Justizgewährung .......... 2. Die Problematik der geltenden Gebührenregelungen .......... a) Mißverhältnis von Prozeßkosten und Hauptsachestreitwert .. b) Absolute Höhe der Prozeßkosten .... ,. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39 39 40 40 41
III. Das Korrektiv des Armenrechts .................................... 1. Die Funktion des Armenrechts ................................ 2. Das Problem der Dunkelziffer ................................
41 41 42
§ 5 Die Struktur der Armenrechtsstreitigkeiten ........................
I. Die statistische Entwicklung und die Verteilung .................. 1. Der Anteil an der Gesamtzahl gerichtlicher Verfahren .......... a) Amtsgerichte ................................................ b) Landgerichte ................................................ 2. Die Verteilung auf die einzelnen Gerichte ...................... a) Amtsgerichte ................................................ b) Landgerichte ................................................
44 44 44 44 45 46 46 47
II. Die Zusammensetzung der Armenrechtsstreitigkeiten .............. 1. Zusammensetzung nach Streitgegenständen ... . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Ehe-, Unterhalts- und Kindschaftssachen .................... b) Die sonstgen (,gewöhnlichen') Streitgegenstände ............. 2. Zuordnung nach dem - sozialen - Entstehungsgrund .......... 3. Zusammensetzung nach Streitwertgruppen ...................... a) Amtsgerichte ................................................ b) Landgerichte (ohne Ehesachen) .............................. 4. Zusammensetzung nach Kriterien der Gesuchstellung ............ a) Die Parteirolle der Gesuchsteller ............................ b) Die Art und Weise der Gesuchstellung ...................... 5. Die sozialen Verhältnisse der Gesuchsteller .................... a) Die Art der Einkommen .................................... b) Das monatliche Nettodurchschnittseinkommen ................
48 48 48 49 50 50 50 51 53 53 54 55 55 57
§ 4 Prozeßkosten und Armenrecht .....................................
Inhaltsverzeichnis
9
§ 6 Analyse der Daten ................................................
58
1. Die Bedeutung des Armenrechts in der gerichtlichen Praxis ........ 1. Seine quantitative Entwicklung auf Landesebene ................
58 58 59
2. Die Handhabung durch die einzelnen Gerichte .................. II. Strukturanalyse der Armenrechtssachen ........ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Streitgegenstände .......................................... a) Der Anteil von Ehe-, Unterhalts- und Kindschaftssachen .... b) Die übrigen Rechtsstreitigkeiten ............................ c) Schlußfolgerung ............................................. 2. Die Streitwerte ................................................ a) Im Vergleich zu den durchschnittlichen Streitwerten der Amtsgerichte .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Im Vergleich zu den Streitwerten der Landgerichte. .. . .... .. c) Ergebnis .................................................... 3. Die Parteirolle der Gesuchsteller und die Form der Antragstellung .......................................................... a) Aktiv- und Passivgesuche .................................. b) Die Arten der GesuchsteIlung ................................ 4. Der soziale Hintergrund der Armenrechtsgesuche ................
60 60 60 61 62 62
64 64 65 66
III. Ergebnis der Strukturanalyse ....................................
67
62 63 63
IV. Konsequenzen für die Neugestaltung des Armenrechts ............ 69 1. Notwendigkeit der Reform .................................... 69 2. Anforderungen an das Armenrecht de lege ferenda ............ 71 a) Systemkonformität .......................................... 71 b) Abgestufte Milderung des Prozeßkostenrisikos und Garantie gleichmäßiger Handhabung .................................. 72 KapitelIII
Die Voraussetzungen der Armenrechtsgewährung im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Gesuchstellers § 7 Das geltende Armenrecht.. . ... ... . ..... . . . . ... . .... .. . . . ... .. .. . ..
74
1. Die materielle Voraussetzung Armut .............................. 1. Gesetzliche Grundlagen ........................................
74 74 75 75 75 76 76 78
2. Die Konkretisierung der Bewilligungsvoraussetzungen ..........
a) Notwendiger Unterhalt ......................................
aa) Notwendiger Unterhalt i. S. von § 850 d ZPO ............ bb) Angemessener und billiger Unterhalt (§§ 1610, 1611 BGB) ce) Pfändungsfreigrenzen (§ 850 c ZPO) ...................... b) Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ........................ c) Die Maßgeblichkeit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Dritter...................................................... aa) Der Prozeßkostenvorschuß nach § 1360 a Abs.4 BGB ...... a) Anwendungsbereich .................................. ß) Bedeutung für das Armenrecht ...................... y) Entwicklung ......................................... bb) Die Geltendmachung fremder Rechte im eigenen Namen..
78 78 79 79 79 82
10
Inhaltsverzeichnis
11. Die formellen Bewilligungserfordernisse ........................... a) Gesuch und Armutszeugnis .................................. b) Die Zuständigkeit für die Erteilung des Armutszeugnisses ., c) Die Funktion des Zeugnisses ................................
83 83 83 84
§ 8 Die Praxis der Gerichte und Kommunalbehörden ..................
85
1. Die Bedeutung eines systematischen Einblicks ......................
35
11. Das Armutszeugnis ............................................... 1. Der Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit .......... a) Die historische Berechtigung der gemeindlichen Zuständigkeit b) Das Armutszeugnis als Vermögensbekenntnis ................ 2. Die Schlußaussage im Armutszeugnis .......................... a) Inhalt ...................................................... b) Die Auswirkungen auf die Armenrechtsentscheidung ........ 3. Zuständigkeitsverlagerung ...................................... 4. Zusammenfassende Beurteilung ................................
85 85 85 86 87 87 88 89 89
III. Die Maßstäbe der Gerichte ........................................ 1. Armenrechtsbewilligung und Versagung ........................ a) Volle Bewilligung .......................................... b) Vollständige Versagung ..................................... c) Vergleich der Daten ........................................ 2. Teilbewilligungen .............................................. a) Das Bruchteilsarmenrecht (§ 115 Abs. 2 ZPO) ................ aa) Begriffsbestimmung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Daten und Bewertung.................................. b) Das Ratenarmenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Das Urteil der Praktiker .................................... 3. Die Prozeßkostenvorschußpflicht ................................ a) Daten land gerichtlicher Verfahren. .... . ... . ..... . . .. . . . . .. .. b) Daten amts gerichtlicher Verfahren .......................... c) Bewertung .................................................. 4. Ergänzungen ................................................... a) Rückschluß auf die Effektivität des Armutszeugnisses ........ b) Die Begründung der ablehnenden Beschlüsse ................ c) Einzelfälle .................................................. 5. Zusammenfassung ..............................................
89 89 89 91 93 94 94 94 94 95 96 96 96 97 97 97 98 98 98 99
§ 9 Die gesetzliche Neugestaltung .....................................
99
1. Grundanliegen und Möglichkeiten ................................ 1. Aufgabe der Reform ................................... , . ... . . .. a) Konkretisierung der Voraussetzungen ....................... b) Gegenseitige Abhängigkeit von materiellen Anforderungen und formellem Nachweis der Leistungsfähigkeit .............. c) Respektierung der politischen Entscheidung ................ 2. Die bisher diskutierten Lösungsmöglichkeiten .................. a) Maßstäbe für die direkte oder indirekte Prozeßkostensubvention ........................................................
99 99 99 100 100 100 100
Inhaltsverzeichnis
11
aa) Änderung der Pfändungsfreigrenzen der ZPO ............ bb) Bundessozialhilfegesetz .................................. cc) Streitwertherabsetzung .................................. dd) Die direkte Prozeßkostensubvention .................... b) Der Nachweis der Leistungsfähigkeit ........................
100 101 102 103 103
H. Die Ausgestaltung des Tabellensystems ............................ 1. Die Rahmenbedingungen ....................................... a) Voraussetzungen des Anspruchs auf Prozeßkostenhilfe ...... b) Ratenzahlung oder einmalige Eigenbeteiligung ..............
103 103 104 104
2. Das Tabellensystem ............................................ a) Die streitwertunabhängige Tabelle .......................... b) Die streitwertabhängige Progressionstabelle .................. aa) Die Eckdaten der Tabelle ................................ bb) Systematische Darstellung .............................. 3. Prozeßkostenhilfe für Gewerbetreibende und Unternehmen ....
105 105 106 106 109 110
III. Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit .................. 110 1. Bedeutung des Nachweises .................................... 110 2. Ausgestaltung des Nachweisverfahrens 111 Kapitel IV
Die Vorprüfung der Hauptsache § 10 Das geltende Recht .............................................. 112 1. Die gesetzliche Regelung der Vorprüfung .......................... 112
1. Gegenstand und Ziel der Vorprüfung .......................... a) Die hinreichende Aussicht auf Erfolg ........................ b) Der Begriff der Mutwilligkeit ............................... c) Das Teilbetragsarmenrecht .................................. 2. Zur historischen Entwicklung .................................. a) Reichskammergerichtsordnungen und Partikularrechte . . . . . . .. b) Die Zivilprozeßordnung von 1877 ............................ c) Änderungen der Zivilprozeßordnung ........................
112 112 114 115 116 116 116 117 II. Das Verfahren der Vorprüfung .................................... 119 1. Verfahrens rechtliches Korrelat .................................. 2. Rechtsnatur und Struktur des Verfahrens ...................... 3. Der Verfahrensablauf .......................................... a) Darstellung des Hauptsachestreits .......................... b) Nachprüfung der Darstellung .............................. aa) Anhörung des Gegners .................................. bb) Durchführung von Erhebungen ..........................
4. Kosten und Beiordnung ........................................ a) Kosten ................................................. . . .. b) Beiordnung ................................................. 5. Rechtsbehelfe ..................................................
119 120 120 120 121 121 122 123 123 124 124
III. Vorprüfungs- und Hauptsacheverfahren ............................ 125
12
Inhaltsverzeichnis 1. Die Einleitung des Verfahrens .................................. a) Verbindung von Armenrechtsgesuch und Klage .............. b) Armenrechtsgesuch und privatrechtliche Wirkungen der Klageerhebung ................................................... 2. Die Durchführung des Verfahrens .............................. a) Unterschiedliche Verfahrensmaximen ........................ b) Verwertbarkeit der Vorprüfungsergebnisse .................. c) antezipierte Beweiswürdigung .............................. d) Gefahr der Befangenheit .................................... 3. Vorteile und Gefahren der Vorprüfung ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
125 125 127 128 128 129 130 130 131
§ 11 Die Effektivität des Armenrechtsprüfungsverfahrens .............. 132
I. Maßstäbe für die Verfahrensökonomie ............................ 132
11. Daten und Bewertung ............................................ 1. Die Verfahrensdauer .......................................... a) überblick ................. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Besondere Aspekte der Verfahrensdauer .................... c) Die Verfahrensdauer im Urteil von Richtern und Rechtsanwälten ......................................................... 2. Der verfahrenstechnische Aufwand ............................ a) Maßstäbe .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Daten .................. '" ........................... " ..... c) Bewertung .................................................. 3. Die Ergebnisse der Vorprüfung ................................ a) Die Filterwirkung des Vorprüfungsverfahrens ................ b) Vorprüfungsergebnis und Verfahrensdauer .................. c) Die überzeugungskraft der Armenrechtsentscheidungen ...... 4. Vorprüfung und Hauptsacheverfahren .......................... a) Schnittpunkte von Armenrechtsprüfungsverfahren und Prozeß b) Ausgang des Hauptsacheverfahrens .......................... c) Prozeßdauer ................................................ 5. Zusammenfassung ........................................... . 111. Ursachen ......................................................... 1. Die formelle Verfahrensleitung ................................ a) Die erste Anhörung des Gegners ............................ b) Fristsetzung im Laufe des Verfahrens ...................... 2. Die sachliche Behandlung der Gesuche .......................... a) Verzögerte rechtliche Prüfung .............................. b) Das Armenrecht als Instrument zur Verfahrensbeendigung .. 3. Zusammenfassung ..............................................
133 133 133 136 139 140 140 140 141 141 141 142 144 145 145 145 146 147 148 148 151 151 151 152 152
§ 12 Die gesetzliche Neuregelung ...................................... 153
I. Verzicht auf die Vorprüfung ...................................... 153
1. 2. 3. 4.
Gründe und Voraussetzungen für einen Verzicht ................ Die ersetzenden Wirkungen der Prozeßkostenbeteiligung ........ Die kostenfreie Prozeßführung ................................ Rechtliches Gehör des Gegners ..................................
153 153 155 155
Inhaltsverzeichnis
13
II. Beibehaltung der Vorprüfung .................................... 156 1. Rechtspolitische Perspektiven .................................. 156 2. Maßnahmen zur Beschleunigung ................................ 157 III. Zusammenfassung
............... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 158 Kapitel V
Varia § 13 Wirkungen des Armenrechts ...................................... 159
I. Gegenständlicher und zeitlicher Umfang ........................... , 1. Das geltende Recht ............................................ a) Sachlicher Umfang des Armenrechts ........................ b) Die zeitliche Wirkung ....................................... 2. Rechtstatsächliche Beobachtungen .............................. 3. Die künftige Prozeßkostenhilfe ................................
159 159 159 161 161 162
11. Die Beiordnung .................................................. 1. Notwendigkeit und Ausgestaltung .............................. a) Bedürfnis für die Beiordnung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Voraussetzungen und Wirkungen ............................ 2. Die Beiordnungspraxis der Gerichte ............................ 3. Die Neugestaltung der Beiordnung ., ............................ a) Verbesserung der Anwaltsentschädigung .................... b) Beibehaltung des Instituts ..................................
163 163 163 164 167 169 169 170
III. Armenrecht und Gegner .......................................... 170 § 14 Die unberechtigte Inanspruchnahme des Armenrechts ..... ......... 171
I. Das Fehlen oder der Wegfall von Bewilligungsvoraussetzungen .... 171 H. Die Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse ................ 1. Das Prinzip der Prozeßkostenstundung .......................... 2. Die Nachzahlungsanordnung ................................... 3. Die gerichtliche Praxis ........................................ 4. Nachzahlung und Prozeßkostenhilfe ............................ a) Ersatzloser Wegfall ......................................... b) Mindestanforderungen an die Stundung .................... ,.
173 173 173 175 177 177 178
III. Mißbräuchliche Inanspruchnahme des Armenrechts ................ 178 § 15 Zusammenfassung ................................................ 180
Ergebnisse und verfassungsgerichtliche Anforderungen ............ 1. Die wichtigsten Untersuchungsergebnisse ........................ 2. Aussagen des Bundesverfassungsgerichts ...................... 3. Rechtspolitische Perspektiven ..................................
180 180 182 183
Literaturverzeichnis
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§ 1 Einleitung 1. Rechtfertigung der Arbeit
Mancher wird fragen, ob zu dem Thema ,Reform des Armenrechts' überhaupt noch etwas Neues oder gar Wichtiges gesagt werden kann. Die zahlreichen Stellungnahmen im wissenschaftlichen Schrifttum hierzu zeigen überdies, daß das Problem im Grunde nicht sehr umstritten ist1 • Die Notwendigkeit gesetzgeberischer Maßnahmen zur Verbesserung der Chancengleichheit wirtschaftlich Bedürftiger wird überwiegend bejaht, wenngleich die vorgeschlagenen Wege sehr vielfältig, wenig aufeinander abgestimmt und teilweise auch ohne Chance auf Realisierung sind 2• Auf welch breite Resonanz das Thema stößt, wird nicht zuletzt dadurch unterstrichen, daß es wiederholt Gegenstand der Berichterstattung in Presse, Funk und Fernsehen gewesen ist3 • Die erneute Bearbeitung einer so viel behandelten Thematik bedarf der Rechtfertigung. Sie liegt hauptsächlich darin, daß für den Bereich des zivilprozessualen Armenrechts - anders als auf dem Gebiet der außergerichtlichen Rechtshilfe - eine umfangreiche gerichtliche Praxis existiert, deren Auswertung nach den Methoden der Rechtstatsachen1 Stellvertretend für die fast unüberschaubare Zahl von Veröffentlichungen: Bergerfurth, Das Armenrecht; Baumgärtet, Gleicher Zugang zum Recht für alle; dersetbe, Chancengleichheit vor Gericht - Utopien und Möglichkeiten, in der Festschrift für Richard Lange zum 70. Geburtstag, S. 943 ff.; Heimerich, Das überlebte Armenrecht, BB 1960, S. 1071 ff.; Röht, Zur Reform des Armenrechts, ZRP 1970, S. 274 f.; Herrmann, Probleme des Prozeßkostenrisikos unter besonderer Berücksichtigung des Armenrechts; Gottwatd, Armenrecht in Westeuropa und die Reform des deutschen Rechts, ZZP Bd 89 (1976), S. 136 ff. 2 Neue Aktualität hat die Frage der Reform des Armenrechts durch zwei Gesetzesänderungen der jüngsten Zeit erlangt: durch das "Gesetz zur Änderung des Gerichtskostengesetzes, des Gesetzes über die Kosten der Gerichtsvollzieher, der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte und anderer Vorschriften" vom 20.8.1975 (BGEl I S.2189), das eine erhebliche allgemeine Verteuerung der Rechtsstreitigkeiten gebracht hat, und durch das "Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG)" vom 14. 6. 1976 (BGBl I S. 1421), das - vor allem durch die Einführung des sog. Scheidungsverbundes - zu einer wesentlichen Erhöhung der Kosten des Scheidungsverfahrens geführt hat. 3 Süddeutsche Zeitung vom 6. Februar 1976, S. 9, "Anstoß zur Reform des Armenrechts - Mehr Chancen mit dem Armutszeugnis"; Der Spieget vom 25. Oktober 1976 (Nr.44), S. 68 ff., "Arm dran"; Bayerischer Rundfunk, "Aktuelles am Abend", 14. September 1976; ARD, "Gerechtigkeit in Saal 101", 2. Juni 1977.
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§ 1 Einleitung
forschung durchaus nützliche Beiträge zur Reformdiskussion liefern kann. Einer Analyse der Gerichtspraxis kommt besondere Bedeutung auch deshalb zu, weil die geltenden Armenrechtsbestimmungen der §§ 114 ff. ZPO die Voraussetzungen des Anspruchs auf einstweilige Kostenbefreiung in vielerlei Hinsicht nur sehr unscharf formulieren und den Gerichten einen weiten Entscheidungs- und Ermessensspielraum einräumen. Wie die Gerichte diese Voraussetzungen konkretisieren, ist von Interesse nicht nur für die Beurteilung des geltenden Rechts, sondern auch für die Ausformung einer gesetzlichen Neuregelung. 2. Ziel der Untersuchung
In einigen der vorliegenden Diskussionsbeiträge wird das Fehlen rechtstatsächlicher Erkenntnisse über das geltende Armenrecht als wesentlicher Mangel erkannt und beklagt4 • Nennenswerte Ansätze zu seiner Behebung sind - soweit ersichtlich - bisher nicht unternommen worden. Diese Lücke zu schließen, will die vorliegende Arbeit einen Anfang machen. Die gegenwärtige Praxis des Armenrechts soll möglichst vollständig erfaßt werden. Auf der Grundlage einer solchen Bestandsaufnahme wird es möglich sein, die bisher entwickelten Reformvorschläge auf ihre praktische Relevanz hin zu überprüfen. Ferner ist zu erwarten, daß Mängel des geltenden Rechts zutage treten, die bislang nicht oder nicht in ihrer vollen Bedeutung gesehen worden sind. Schließlich soll auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse ein eigenes geschlossenes Reformkonzept entwickelt werden 5• 3. Grenzen der Neugestaltung
Die Bemühungen um Neugestaltung des Armenrechts sollten nicht mit zu hohen Erwartungen verknüpft werden. Das ,magische Dreieck' von Chancengleichheit, Kostenbelastung für den Fiskus und Gefahr 4 Trocker, Gutachten B für den 51. Deutschen Juristentag, Abteilung Rechtspflege und Kostenlast, S. B 3 ff.; Bross, Diskussionsbeitrag auf dem 51. Deutschen Juristentag, Abteilung Rechtspflege und Kostenlast, Sitzungsberichte zum 51. Deutschen Juristentag, S. L 50; Trescher, auf einer Tagung in Bad Boll vom 7. - 9.6.1974, Referat: Besserer Rechtsschutz durch allgemeine Rechtsschutzversicherung, Bericht, S. 2 und 5 (zitiert nach Baumgärtel, Chancengleichheit vor Gericht, S.943, Fußn. 2). 5 Zu lange hat es die Rechtswissenschaft vernachlässigt, auf die Gestaltung des Rechts de lege ferenda Einfluß zu nehmen; sie sah ihre ausschließliche und vornehmste Aufgabe in der dogmatischen Durchdringung des Rechtsstoffes (vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 72 ff.). Erst die Entwicklung und das Vordringen der Sozialwissenschaften hat zur überwindung des vermeintlichen Gegensatzes von Recht und Politik beigetragen. Die Rechtswirklichkeit zu beobachten, Mängel festzustellen und daraus rechtspolitische Vorschläge abzuleiten, ist nicht bloße Ergänzung der Rechtswissenschaft, sondern muß einer ihrer elementaren Bestandteile sein (vgl. Eike Schmidt, JZ 1972, S.679, 680; Baur, Wege zu einer Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß, S. 3).
§ 1 Einleitung
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mißbräuchlichen Prozessierens kann nicht durch ein Patentrezept aufgelöst werden; gäbe es dieses, wäre es sicherlich längst gefunden 6• Es könnte aber wohl der Nachweis gelingen, daß die Art und Weise, in der das geltende Recht den Zielkonflikt zu lösen versucht, angesichts der gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen nicht mehr angemessen ist. Es könnten ferner Grundlinien dafür gefunden werden, in welche Richtung eine Verschiebung der Schwerpunkte notwendig und möglich ist. Auch verhältnismäßig kleine Schritte der Verbesserung stellen auf einem Gebiet sozialstaatlicher Leistung, das jahrzehntelang immun gegen wesentliche Veränderungen war, einen Erfolg dar.
8 Grunsky, Gutachten A für den 51. Deutschen Juristentag, Abteilung Rechtspflege und Kostenlast, S. A 10.
2 Franke
Kapitel I
Zur Methode der Arbeit
§ 2 Die RedttstatsadtenforsdlUng I. Der Standort der Rechtstatsachenforschung Nach wie vor begegnet die Rechtstatsachen- oder Justizforschung bei Juristen, insbesondere den praktisch tätigen, einer deutlich spürbaren Skepsis. Sie wird nicht selten als ein modisches 1 Attribut soziologisierender Juristen angesehen 2 • Zu dieser abwertenden Einschätzung haben mehrere Umstände beigetragen: Zunächst die von ihrem Betätigungsfeld her enge Beziehung der Rechtstatsachenforschung zu anderen empirischen Wissenschaften. Sie muß sich - wenn auch in modifizierter Form - der Erfahrungen und Methoden der Soziologie, der Statistik und neuerdings auch des Einsatzes elektronischer Datenverarbeitung bedienen; allesamt Gebiete, die traditionell nicht geeignet sind, die Phantasie des Juristen zu beflügeln. Ferner dürfte eine Reihe rein theoretisch-kritischer Untersuchungen:! zu dieser zurückhaltenden Einschätzung beigetragen haben4 • Auch das unterschwellige Gefühl, 1 Der Versuch, Ursachen für bestimmte Erscheinungen empirisch zu erforschen, ist in der Rechtswissenschaft jedoch keineswegs neu. Bereits vor der Jahrhundertwende haben Wach und Weismann einen Fragebogen an alle deutschen Landgerichte versandt, um zu erforschen, wie sich die Mündlichkeit des Verfahrens in der Praxis entwickelt und bewährt hat. Vgl. Wach, ZZP Bd 10 (1887), S. 181 ff. (Vorwort zu der Untersuchung); Weismann, ZZP Bd 10 (1887), S. 188 ff. (Fragebogen); Weismann, ZZP Bd 11 (1887), Ergänzungsheft (Auswertung der Fragebogen). Vgl. auch Nußbaum, Die Rechtstatsachenforschung, erschienen 1914. 2 In diesem Sinne haben Simitis und Wiethölter die allgemeine Einschätzung der Justizforschung umschrieben (Referate auf dem 49. Deutschen Juristentag; Verhandlungen des 49. Deutschen Juristentages, Band II, Sitzungsberichte - Arbeitsgruppe Justizforschung). Vorbehalte gegenüber der Rechtstatsachenforschung äußern auch Menne und Ritter in ihren Diskussionsbeiträgen auf dem 49. Deutschen Juristentag, S. R 74 ff. und R 82 f. 3 R. Dahrendorf, Deutsche Richter. Ein Beitrag zur Soziologie der Oberschicht, in "Gesellschaft und Freiheit", 1961, S.194; Kaupen / Rasehorn, Das Verhältnis der Bevölkerung zur Rechtspflege, NJW 1971, S. 497 - 499; W. Richter, Die Oberlandesgerichte in der Bundesrepublik. Eine berufs- und sozialstatistische Analyse, in Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 5. Jahr, 1960, S. 241 - 259.
H. Die Methoden der Justizforschung
19
empirische Untersuchungen seien sowohl in ihrer methodischen Anlage als auch in bezug auf ihre Ergebnisse manipulierbar und sehr stark subjektiven Einflüssen ausgesetzt, mag eine Rolle spielen5 • Erst einige jüngere Untersuchungen haben der Justizforschung breite Anerkennung verschafft. Es handelt sich überwiegend um Arbeiten im Vorfeld gesetzgeberischer Maßnahmen 6 • Zum Teil sind Erkenntnisse dieser Untersuchungen bereits bei der Novellierung gesetzlicher Vorschriften verwertet worden. Zu der gesteigerten Wertschätzung haben auch Bemühungen beigetragen, spezielle Methoden für die Rechtstatsachenforschung zu erarbeiten7 •
11. Die Methoden der Justizforschung 1. Die Auffassung von Bender/Wax
In starker Anlehnung an die empirische Soziologie haben Bender / Wax 8 methodische Grundlagen der Rechtstatsachenforschung entwickelt.
Nach ihrer Auffassung setzt jede Tatsachenforschung die Aufstellung von Arbeitshypothesen zu dem jeweiligen Problemkreis der Untersuchung voraus. Inhalt jeder Arbeitshypothese müsse eine vermutete Gesetzmäßigkeit sein. Regelmäßig werde es notwendig sein, die "Leithypothese" durch einen Katalog spezieller Hypothesen zu ergänzen. Für jede der Thesen müßten dann Indikatoren bestimmt werden. Diese wiederum gelte es zu operationalisieren. Mit Hilfe der gewonnenen quantitativen Daten müsse jede der Ausgangsthesen überprüft, d. h. bestätigt oder verworfen werden. Großen Wert legen Bender / Wax dabei auf die mathematische überprüfung festgestellter Zusammenhänge9 • 4 Diese Untersuchungen, die einseitig soziologische Aspekte der Richterschaft zum Gegenstand hatten, wurden von den Betroffenen nicht selten als Angriff auf ihren Berufsstand empfunden. 5 Unabdingbare Voraussetzung für jede Rechtstatsachenforschung ist daher ihre volle methodische Transparenz. 6 Für den Bereich des Strafrechts: Karl Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß; für den Bereich des Zivilprozeßrechts: Baumgärtel / Mes, Rechtstatsachen zur Dauer des Zivilprozesses (erste Instanz); Baumgärtel / Hohmann, Rechtstatsachen zur Dauer des Zivilprozesses (zweite Instanz); Tatsachen zur Reform der Zivilgerichtsbarkeit (2 Bände), herausgegeben von der Bun-
desrechtsanwaltskammer.
7 Zur Situation und zur Problematik der Rechtstatsachenforschung insgesamt: Röhl, Das Dilemma der Rechtstatsachenforschung. 8 Bender / Wax, Einführung in die Methoden der Tatsachenforschung, in: Tatsachenforschung in der Justiz, Band 1, S. 17 ff. v Dabei geht es um zwei Fragen: Mit welcher Sicherheit (Signifikanz) kann ein Zusammenhang festgestellt werden und wie stark ist ein festgestellter Zusammenhang (Korrelation). Die Frage nach dem Grad der Sicherheit kann mit dem Chi-Quadrat-Test geprüft werden. Die Stärke eines Zusammenhangs
2'
20
§ 2 Die Rechtstatsachenforschung
2. Die Auffassung Baumgärteis
BaumgärtePO plädiert - jedenfalls für die Untersuchung komplexer Gegenstände - für eine offene Methode der Rechtstatsachenforschung. Ausgangspunkt der Untersuchung soll nicht die Hypothese eines Ursachenzusammenhanges sein, sondern das offene Bemühen, einen Untersuchungsgegenstand in tatsächlicher Hinsicht vollständig zu erfassen. Diese Methode leitet sich aus dem Verständnis Baumgärtels von der Aufgabe der Rechtstatsachenforschung ab: durch Bestandsaufnahme einer erkennbaren Wirklichkeit, Isttatbestände, eine Entscheidungshilfe für eine Sollforderung zu liefern, die sich an den Gesetzgeber richtet 11 • Selbstverständlich enthält auch eine solche Bestandsaufnahme - je nach Untersuchungsgegenstand - als wichtiges Element die Ermittlung und den Nachweis von Kausalzusammenhängen, doch will Baumgärtel nicht mathematisch errechneten Signifikanzen und Korrelationen den Vorzug geben, sondern logischen, psychologischen und anderen Plausibilitätserklärungen. Der Grund hierfür ist einleuchtend: Die Ursachen rechtstatsächlicher Zusammenhänge sind äußerst vielschichtig, teilweise werden bestimmte Umstände gar nicht als Ursachen erkannt, teilweise liegen sie im nicht operablen (meßbaren) Bereich. Solche qualitativen Werte können in Korrelationen, die nur zwischen quantitativen Größen herstellbar sind, nicht einfließen 12 •
III. Die Wahl der Methode Der Unterschied zwischen den dargestellten Meinungen mag auf den ersten Blick gravierend erscheinen, er ist es in Wirklichkeit nicht in diesem Maße. Auch bei der offenen Methode BaumgärteIs muß und wird ein Anlaß für die Untersuchung bestehen. Dieser aber wird sich, über ein allgemeines Unbehagen hinaus, auf bestimmte Problemkreise konkretisiert haben. Von hier ist der Weg zur Formulierung einer Hypothese nicht mehr weit. Dennoch, die strenge Festlegung von Arbeitshypothesen birgt Gefahren für die Objektivität der Ergebnisse in sich. Hypothesen müssen kann mittels Korrelationskoeffizienten errechnet werden. Ob der Zusammenhang zwischen zwei Variablen ein echter oder nur ein scheinbarer ist, soll durch Einführung von Testvariablen geprüft werden. Zeigt sich, daß die als unabhängig gedachte Variable überhaupt keinen Einfluß auf die als abhängig gedachte Variable ausübt, sondern der Einfluß von der Testvariablen ausgeht, besteht eine Schein korrelation, andernfalls eine echte Korrelation (vgl. hierzu: Bender I Wax, S. 32 ff., insbesondere S. 36 ff.). 10 Baumgärtel, Aufgaben, Grenzen und Methoden der Rechtstatsachenforschung im Bereich der Justizreform, ZZP Bd 86 (1973), S. 164 ff. 11 Baumgärtel, S. 175. 12 Baumgärtel, S. 171.
I. Die Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes
21
notwendigerweise einen vermuteten Zusammenhang positiv oder negativ formulieren. Die Auswahl der zur Bestätigung oder Verwerfung einer Hypothese benötigten Indikatoren kann zu leicht (auch unbewußt) vom vermuteten Ergebnis her beeinftußt werden. Deshalb ist der offenen Methode Baumgärtels der Vorzug einzuräumen l3 • Eines kommt noch hinzu: Es ist eine vielfach bestätigte Erkenntnis empirischer Untersuchungen, daß das sog. Erfahrungswissen selten mit dem exakt erhobenen Datenmaterial übereinstimmt. Es wäre daher verfehlt, das Erfahrungswissen in Form von Arbeitshypothesen stärker als unbedingt notwendig zur Grundlage und zum Ausgangspunkt einer Untersuchung zu machen.
§ 3 Die methodischen Grundlagen der Arbeit I. Die Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes Gegenstand der Arbeit ist das zivilprozessuale Armenrecht (§§ 114 ff. ZPO). Das bedeutet, daß einerseits der Bereich der außergerichtlichen Rechtshilfe 14 keine Berücksichtigung findet 15 und andererseits die Bedeutung und Praxis np" Armenrechts in den übrigen gerichtlichen Verfahren außer Betracht bleiben. Diese Beschränkung der Arbeit ist sachlich notwendig und auch gerechtfertigt. Für die außergerichtliche Rechtshilfe, die lange Zeit auf die Tätigkeit der gerichtlichen Rechtsauskunftsstellen und die, von der Anwaltschaft eingerichteten Rechtsberatungsdienste für Minderbemittelte beschränkt war, sind in jüngster Zeit zahlreiche Reformmodelle entwickelt worden, die zum Teil schon in der praktischen Erprobung stehenl6 • Hier müssen - bevor umfangreiche rechtstatsächliche Aus13 Für einfach gelagerte Fälle räumt Baumgärtel der Methode von Bender / Wax einen Bereich sinnvoller Anwendbarkeit ein (BaumgärteI, Aufgaben,
Grenzen und Methoden der Rechtstatsachenforschung, S. 170). 14 Eine (auch rechtsvergleichende) Darstellung der Problematik der außergerichtlichen Rechtshilfe findet sich bei BaumgärteI, Gleicher Zugang zum Recht für alle, Teil 1 und S. 175 ff. Einen Diskussionsentwurf für ein Gesetz über die außergerichtliche Rechtshilfe für Minderbemittelte hat der Deutsche Anwaltsverein (DAV) vorgelegt, AnwBI 1974, S. 254. Hauptsächlich zu Fragen der außergerichtlichen Rechtshilfe auch: v. Aulock, Rechtshilfe für untere soziale Schichten. 15 Soweit sich allerdings Probleme der gerichtlichen Rechtshilfe mit solchen der außergerichtlichen berühren, wird selbstverständlich darauf eingegangen. 16 In Bayern werden seit dem Januar 1975 zwei Rechtsberatungsmodelle in der Praxis erprobt. Modell I wird in Form einer Rechtsberatungsstelle betrieben. Modell 11 basiert auf der Ausgabe von Berechtigungsscheinen zur Inanspruchnahme anwaltschaftlicher Beratung. Beide Modellversuche werden eingehend von Herbst (ZRP 1975, S. 219 ff.) erläutert. Eine bereits lange
22
§ 3 Die methodischen Grundlagen der Arbeit
wertungen sinnvoll sind werden.
längerfristige Erfahrungen abgewartet
Was die Verfahrens ordnungen neben der ZPO anbetrifft, so verweisen diese bezüglich des Armenrechts ausnahmslos auf die Zivilprozeßordnung17 . Das ArbGG enthält in § 11 a Abs.l eine die Beiordnung erleichternde Vorschrift18 . So interessant ein Vergleich gerade mit der Praxis dieser über die Regelung der ZPO hinausgehenden Vorschrift gewesen wäre 19 , so würde doch eine in diese Richtung vergleichende Ausdehnung den Rahmen der Arbeit sprengen. Innerhalb des zivilprozessualen Armenrechts beschränkt sich die Untersuchung auf Gesuche in streitigen Verfahren erster Instanz 20 •
11. Methodische Mittel, regionale und zeitliche Abgrenzung 1. Die Erhebungsmethoden
Von den der Rechtstatsachenforschung zur Verfügung stehenden Methoden der Datengewinnung21 fanden für die Untersuchung folgende Anwendung: a) Die Auswertung von Gerichtsakten. Hierauf liegt aus systematischen und praktischen Gründen das Hauptgewicht der Untersuchung. Gerichtsakten enthalten für zahlreiche zur Beurteilung des Armenrechts wichtige Gesichtspunkte objektive und exakte Daten. So lassen sich beispielsweise die Anforderungen, die im Einzelfall an die wirtschaftliche Bedürftigkeit der armen Partei gestellt werden, genau ermitteln. Ebenso sind die den äußeren Ablauf des Armenrechtsprüfungsverfahrens markierenden Daten exakt feststellbar. Nicht mit derselben absoluten Genauigkeit können dagegen Begründungen in Schriftsätzen oder gerichtlichen Entscheidungen ausgewertet werden, weil zum einen Tradition hat die Öffentliche Rechtsauskunfts- und Vergleichs stelle in Hamburg (vgl. Herrmann, S. 69 ff.). 17 § 46 Abs.2 ArbGG enthält eine Generalverweisung auf die Zivilprozeßordnung; § 166 Abs. 1 VwGO, § 144 Abs. 1 FGO, § 167 Abs. 2 SGG enthalten Spezial verweisungen auf die Armenrechtsvorschriften der ZPO. 18 Nach § 11 a Abs.l ArbGG muß einer armen Partei ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn die Gegenpartei anwaltlich vertreten ist. 19 Das Problem des Prozeßkostenrisikos ist jedoch in arbeits- und sozialgerichtlichen Streitigkeiten nicht so virulent wie in Zivilprozessen. Zum einen besteht die Möglichkeit qualifizierter Prozeßvertretung durch Mitglieder von Interessenverbänden, zum anderen sind die Verfahren insgesamt billiger (§ 12 ArbGG und Anlagen) bzw. völlig kostenfrei (§ 183 SGG). 20 Nicht erfaßt sind damit auch die Fälle von Armenrechtsbewilligungen, die durch den Rechtspfleger erfolgen (§ 20 Nr. 5 RPflG), insbesondere im Rahmen der Zwangsvollstreckung. U Im einzelnen werden unterschieden: (1) Beobachtung (direkt oder indirekt), (2) Befragung (direkt oder indirekt), (3) Inhaltsanalyse, (4) Experimente, (5) Einzelfallstudien.
H . Methodische Mittel, regionale und zeitliche Abgrenzung
23
nicht sicher ist, daß eine Begründung auch alle in die Entscheidung tatsächlich einfließenden Gründe wiedergibt22 , und zum anderen die Vielfalt möglicher Gründe katalogisiert werden muß, was zwangsläufig nur durch subjektiven Einflüssen ausgesetzte Wertungen möglich ist. Die praktischen Vorteile der Aktenauswertung liegen in der relativen Unabhängigkeit von der Mitwirkung Dritter23 • Ausfälle einzelner Akten lassen sich beliebig ergänzen. b) Die (indirekte) Befragung. Diese Methode hat für die Untersuchung lediglich ergänzenden Charakter. Der Grund liegt in den Schwächen der Methode. Soweit Fragen auf die Angabe von Tatsachen gerichtet sind, können sie nur aus dem Erfahrungswissen des Befragten heraus beantwortet werden. Insoweit können mehr oder weniger starke Verzerrungen bei den Interviewten auftreten. Soweit Meinungen oder Einschätzungen zu einem bestimmten Untersuchungspunkt ermittelt werden sollen, liegen die Probleme in der Einordnung und Abgrenzung der denkbaren Vielfalt von Ansichten 24 • Trotz dieser Nachteile wird die Umfrage in die Untersuchung einbezogen, weil sie - wenn auch mit Zurückhaltung zu interpretierende - Daten und Stellungnahmen verspricht, die auf andere Weise nicht zu erlangen wären. Insgesamt werden vier, mit Entscheidungen im Armenrecht befaßte Personengruppen befragt: (a) (b) (c) (d)
Richter an Amts- und Landgerichten, Rechtsanwälte, Bezirksrevisoren und Rechtpfleger und Verwaltungsbeamte kommunaler Behörden25 •
c) Ebenfalls nur ergänzende Funktion für die Untersuchung hat eine Aufgliederung der amtlichen bayerischen Justizstatistik 26 • 22 Auf die Gefahr der Lückenhaftigkeit von Aktienmaterial weist Peters hin, Untersuchungen zum Fehlurteil im Strafprozeß, S. 7. 23 Jedenfalls, soweit die Auswertungsarbeit selbst betroffen ist. 24 Eikenberg, Voraussetzungen und Schwierigkeiten der empirischen Erfassung richterlicher Entscheidungsgrundlagen, in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Band 1, S.369. 25 Zu einer Spezialfrage, die das Bedürfnis für eine Ausdehnung des Armenrechts betrifft, wurden 18 Industrie- und Handelskammern bzw. Handwerkskammern in Bayern befragt. 26 Nach der Entscheidung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 21. 12. 1967 (Nr.1441-VI-3552/67) und der Genehmigung vom Stat. Genehmigungsausschuß (IIIl/68) sowie der Anordnung über die Durchführung der Zählkartenerhebung auf dem Gebiet der Zivilsachen mit Ausnahme der Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit des Amtsgerichts vom 6.11. 1967 wird in Bayern die Justizstatistik erstellt. Die Durchführung liegt beim Bayerischen Statistischen Landesamt. Grundlage bildet die vom Gericht für jedes Verfahren anzulegende Zählkarte.
24
§ 3 Die methodischen Grundlagen der Arbeit
2. Regionale und zeitliche Abgrenzung
a) Die Erhebung sämtlicher Daten ist auf das Gebiet Bayerns beschränkt. Für die Auswertung von Gerichtsakten stand damit das Material von 72 Amtsgerichten und 21 Landgerichten zur Verfügung27. Diese regionale Begrenzung der Erhebung war aus organisatorischen und praktischen Gründen unerläßlich. Der Anfall einschlägigen Aktenmaterials bei den bayerischen Gerichten ist andererseits groß genug, eine differenzierte und repräsentative Auswahl zu ermöglichen. Eine regionale Beschränkung der Befragungen wäre nicht notwendig gewesen, wurde aber zur Wahrung einer gewissen Konkordanz aller Erhebungen gleichfalls vorgenommen; sie waren auf Bayern begrenzt. b) Die Aktenauswertung erfolgte im 2. Quartal 1977, die Befragungen wurden im 4. Quartal 1977 durchgeführt. Die zur Auswertung herangezogenen Akten sind ausschließlich solche, die im 2. Halbjahr 1976 von den Gerichten mittels Zählkarte dem Bayerischen Statistischen Landesamt als erledigt gemeldet worden sind. Die technische Aufbereitung des gesamten Datenmaterials erfolgte im 2. Halbjahr 1977 und war Ende 1977 abgeschlossen. III. Die Durchführung der Erhebungen 1. Die Auswertung von Gerichtsakten
a) Wie eingangs dargelegt, soll die Untersuchung eine umfassende Bestandsaufnahme des Armenrechts erbringen. Deshalb kam es zunächst darauf an, den historischen Ablauf der Armenrechtsprüfungsverfahren zu erfassen. Von der Einleitung des Verfahrens über die Behandlung der Gesuche durch die Gerichte in formeller und materieller Hinsicht, den Eintritt von Verzögerungen bis hin zum Verfahrensausgang. Sofern sich an das Prüfungsverfahren ein Hauptverfahren anschloß, ist es wichtig, den Einfluß des Armenrechtsverfahrens auf Ablauf und Ausgang des Hauptsacheverfahrens festzustellen. Schließlich soll - soweit das aus dem Akteninhalt überhaupt möglich ist die Struktur der Armensachen und ihr sozialer Hintergrund erhellt werden. b) Diese Ziele haben Eingang in einen bei der Durchsicht jedes Gerichtsaktes verwendeten Erhebungsbogen gefunden. Der Erhebungsbogen gliedert sich in zwei Teile: Im ersten Teil werden allgemeine Daten eines jeden Verfahrens er faßt, im zweiten spezielle Daten, je nach Ausgang des Bewilligungsverfahrens - Bewilligung des Armen27 Vgl. Art. 5 und Art. 6 des Gesetzes über die Organisation der ordentlichen Gerichte im Freistaat Bayern, vom 25. April 1973 (GVBl. S. 189).
HI. Die Durchführung der Erhebungen
25
rechts, Versagung des Armenrechts oder Erledigung im Prüfungsverfahren. Ein Muster des Auswertungsbogens ist als Anlage diesem Abschnitt angefügt28. c) Die Auswahl der zur Auswertung herangezogenen Verfahren. Bei den bayerischen Amts- und Landgerichten wurde im Jahre 1976 für insgesamt 16786 29 Rechtsstreitigkeiten die Gewährung des Armenrechts beantragt. Selbstverständlich konnte nur ein kleiner Teil dieser Verfahren der Untersuchung zugrunde gelegt werden. Die im zeitlichen Rahmen der Arbeit zu bewältigende und für tragfähige Aussagen ausreichende Gesamtzahl von Akten wurde auf ca. 500 festgesetzt. Die Auswahl dieser Gerichtsakten (Stichprobe) mußte so gestaltet werden, daß die Erhebungsergebnisse alle Armenrechtsverfahren (Gesamtgrundmenge) bestmöglich repräsentieren 30 • Dabei war allerdings auf die sehr große Heterogenität der Gesamtgrundmenge Rücksicht zu nehmen. Eine Reihe von Elementen (Armenrechtsverfahren) der Gesamtmenge weist Merkmale auf, die eine gesonderte Beurteilung dieser Verfahren im Rahmen der Untersuchung erforderlich machen. So kann es für die eine oder andere Frage von Interesse sein, ob es sich um Kindschafts-, Unterhalts- oder Ehesachen, um klägerische oder Beklagten-Gesuche handelt, oder ob das Verfahren mit der Bewilligung oder Versagung des Armenrechts endet. Verfahren dieser speziellen Merkmale mußten in der Stichprobe in ausreichender Anzahl vertreten sein. Schließlich konnte die Auswahl einige organisatorische Probleme nicht außer acht lassen. Die Genehmigung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz zur Akteneinsicht war darauf beschränkt, die Akten bei den Gerichten einzusehen. Wirtschaftliche Erwägungen verboten es deshalb, ein Gericht aufzusuchen, um lediglich eine sehr geringe Anzahl von Akten auszuwerten. Als ,rentables' Minimum wurde eine Zahl von zehn Prozeßakten angesehen. Andererseits durfte die Hilfsbereitschaft, insbesondere die großer Gerichte, nicht überspannt werden. Das Bereitstellen abgelegter Akten ist gerade bei verzweigt organisierten Gerichten mit einem nicht unerheblichen Arbeitsaufwand verbunden. Als vertretbare Maximalbelastung pro Gericht wurden 75 Prozeßakten angesehen. Zunächst waren die Amts- und Landgerichte zu bestimmen, bei denen die Erhebung durchgeführt werden sollte. Zur Erreichung einer größtmöglichen Repräsentativität der Ergebnisse wurde eine regional breite Streuung angestrebt. Nach Auswahl der Gerichte war aus der Gesamtzahl der dort vorhandenen Armenrechtsverfahren nach den Anhang zu § 3 IH. BJMABl 1977, S. 117 ff. 30 Grundsätzliche Ausführungen zur Erstellung eines Stichprobenplanes finden sich bei Baumgärtel /Mes, S. 83 ff.; vgl. auch Bode, Grundwissen in Statistik, S. 113 ff. 28
29
26
§ 3 Die methodischen Grundlagen der Arbeit
dargestellten Prämissen die endgültige Stichprobe zu ziehen. Die Auswahl führte zu folgendem Ergebnis:
Amtsgerichte: Amtsgericht Altötting Ausgburg Bayreuth Deggendorf Freising Fürstenfeldbruck Ingolstadt Miesbach Neuburg Nürnberg Pfaffenhofen insgesamt
Zahl der ausgewählten Akten Kindschaft I Unterhalt I sonstige 3 6 1 3 0 2 1 3 3 3 2
8 25 10 7 7 9 14 7 9 27 5
4 10 3 4 4 2 7 8 5 6 4
27
128
57
I
insgesamt 15 41 14 14 11 13 22 18 17 36
I
11
212
Landgerichte: Zahl der ausgewählten Akten Landgericht Amberg Ansbach Ausgburg Bamberg Bayreuth Deggendorf Kempten Landshut Nürnberg-Fürth Passau Regensburg Traunstein Weiden insgesamt
Ehesachena)
I
sonstige
I
insgesamt
5 7 8 10 15 8 16 5 9
15 6 31 14 7 7 9 13 35 12 23 15 17
24 16 40 22 12 14 17 23 50 20 39 20 26
119
204
323
9 10 9 8
a) Ehesachen wurden in die Untersuchung einbezogen, obgleich das 1. EheRG vom 14. Juni 1976 (BGBI I S. 1421) mittelbar auch für das Armenrecht erhebliche Änderungen gebracht hat. Dennoch dürften die Grundprobleme dieselben bleiben (vgl. Einleitung, Fußn. 2). Die Praxis des Armenrechts nach dem bisherigen Recht kann daher nicht als überholt aus der Untersuchung ausgeklammert werden.
!lI. Die Durchführung der Erhebungen
27
ParteiroHe der GesuchsteHer und Verfahrensausgang Gesuchsteller : Zahl der ausgewählten Akten Landgerichte Amtsgerichte Ehesachen sonstige I Kläger Beklagter
187 25
insgesamt
212
I
insgesamt
95 24
153 51
435 100
119
204
535
VerfahTensausgang: Zahl der ausgewählten Akten Landgerichte Amtsgerichte I Ehesachen I sonstige Bewilligung Versagung sonstige Erledigungen insgesamt
I
134 64 14
67 47 5
118 79 7
212
119
204
insgesamt 319 190 26
I
535
d) Die Vielzahl der im Auswertungsbogen erfaßten Daten machte angesichts der Gesamtzahl von über 500 Akten eine maschinelle Auswertung erforderlich. Die Angaben der Auswertungsbogen wurden deshalb codiert, die Codierungen auf Lochkarten übertragen und schließlich nach sachlichen Gesichtspunkten unter Einführung einzelner oder mehrerer Bedingungen sortiert. 2. Die Befragung
a) Die für die Befragung der einzelnen Personengruppen leitenden Gesichtspunkte waren nicht einheitlich. Bei der Befragung von Richtern und Rechtsanwälten stand das Bemühen im Vordergrund, subjektive Einschätzungen zu ermitteln sowie festzustellen, worin die Praxis die Hauptmängel und auch die Vorteile des geltenden Rechts sieht. Schließlich wurden zu einer Reihe von Einzelfragen Aussagen erbeten. Hauptmotiv für die Befragung von Bezirksrevisoren, Rechtspflegern und Kommunalbeamten war das Fehlen jeglicher offizieller Statistik über die Praxis der Nachzahlungsanordnungen und der Erteilung von Armutszeugnissen. Die Befragung sollte neben Daten dieser Art Aufschluß darüber geben, welche Kriterien für Entscheidungen auf die-
28
§ 3 Die methodischen Grundlagen der Arbeit
sem Gebiet eine Rolle spielen und welche Maßstäbe den Entscheidungen zugrunde gelegt werden. b) Praktikabel war allein ein schriftliches (indirektes) Befragungsverfahren. Die Problematik eines solchen Verfahrens ist bekannt31 • Zwar bestehen bei dem angesprochenen Personenkreis keine Bedenken hinsichtlich der Gewandtheit im Umgang mit Fragebogenmaterial, doch liegt allein schon in der Auswahl rücklaufender Fragebogen die Gefahr selektiv verfälschter Ergebnisse. Um die Rücklaufchance der Fragebogen zu erhöhen, wurde auf die Formulierung offener Fragen fast gänzlich verzichtet. Die gewisse Schematisierung geschlossener Fragen und die Notwendigkeit, graduelle Unterschiede in der Beurteilung eines Tatbestandes verbal auszudrücken, kann freilich im Einzelfall zu Mißverständnissen und Wertungsdivergenzen führen. Nicht eindeutige Ergebnisse bedürfen daher zurückhaltender Interpretation. c) Da die Adressatengruppen - jedenfalls für den Zweck dieser Befragung - als homogen angesehen werden können, war eine reine Zufallsauswahl möglich. Die Gefahr, dabei auf Richter und Rechtsanwälte zu treffen, die aufgrund spezialisierter Tätigkeit keine Erfahrung hinsichtlich der Praxis des Armenrechts haben, mußte in Kauf genommen werden. Dieser Umstand wird bei der Beurteilung der Rücklaufquoten eine Rolle spielen. Für die Befragung von Kommunalbeamten wurden Gemeinden mit weniger als ca. 5 000 Einwohnern ausgespart:t2. Die Gesamtzahl befragter Personen jeder Gruppe betrug: Richter
150 davon Richter am Amtsgericht 85 Richter am Landgericht 65
Rechtsanwälte
200
Bezirksrevisoren und Rechtspfleger
40 davon Bezirksrevisoren Rechtspfleger
Kommunalbeamte
40
insgesamt
430
10 30
a)
a) In Bayern waren 1976 an Amts- und Landgerichten 1 361 Richter (ohne Richter auf Probe) tätig (Handbuch der Justiz 1976, S. 41 ff. - Stand 1. 1. 1976). Die Zahl der zugelassenen Rechtsanwälte betrug in Bayern Ende 1977 ca. 6 000. Bezirksrevisoren sind als Vertreter der Staatskasse an jedem Landgericht tätig. Am 31. 12. 1976 gab es in Bayern 136 Gemeinden mit mehr als 10 000 Einwohnern und weitere 219 Gemeinden mit mehr als 5000 Einwohnern. (Quelle: Einwohnerzahlen der Gemeinden, Kreise und Regierungsbezirke in Bayern, Stand 31. 12. 1976, S.5, hrsg. vom Bayerischen Statistischen Landesamt.) 31
Vgl. Fußnote 24.
29
IIr. Die Durchführung der Erhebungen Es ergaben sich folgende Rücklaufquoten: Richter
75
entspricht
50 Ofo
Rechtsanwälte
94
entspricht
47 Ofo
Bezirksrevisoren und Rechtspfleger
30
entspricht
75 Ofo
Kommunalbeamte
38
entspricht
95 Ofo
237
entspricht
55 Ofo
insgesamt
Die Quote zurückgesandter Bogen entspricht in etwa der, die bei ähnlichen Umfragen zu verzeichnen war33. Sie erfüllt insbesondere deshalb voll die Erwartungen, weil davon auszugehen ist, daß ein nicht unerheblicher Teil der angeschriebenen Personen keine einschlägigen praktischen Erfahrungen besitzt. Die nach Gesamtzahl und Einzeldaten umfangreichen Richter- und Anwaltsfragebogen wurden technisch ebenso aufbereitet wie die bei der Aktenauswertung gewonnenen Daten. Für die Erfassung der übrigen Fragebogen erwies sich ein manuelles Verfahren als ausreichend. 3. Die Justizstatistik
Die amtliche Justizzählkartenstatistik Bayerns weist die Gesamtzahl der Armenrechtsgesuche in erster Instanz getrennt nach Amts- und Landgerichten aus. Weiter wird danach untergliedert, ob dem Kläger oder dem Beklagten das Armenrecht bewilligt oder versagt worden ist. Da die Statistik in einem gestaffelten Verfahren - zunächst für Amts- und Landgericht - aufgestellt wird, war es möglich, die Statistik nach Gerichten aufzugliedern und die das Armenrecht betreffenden Daten der einzelnen Gerichte einander gegenüberzustellen. Durch die Erstreckung dieses Verfahrens auf die Jahre 1976, 1975 und 1974 wurde ein Vergleich auffälliger Tendenzen über einen längeren Zeitraum hinweg möglich. 32 Dort, wo nicht hauptberuflich tätiges Personal mit der Ausstellung der Armutszeugnisse befaßt ist, ist eine verwertbare Beantwortung des Fragebogens nicht zu erwarten. 33 Ähnlich die Antwortquote bei Horn, Der befangene Richter, S. 76 (Fußn.7).
30
Anhang
Die Durchsicht der Zählkarten der ausgewählten Gerichte für die zweite Jahreshälfte 1976 gab genauen Aufschluß über die Anteile der Kindschafts-, Unterhalts- und Ehesachen an der Gesamtzahl von Armenrechtssachen.
Anhang zu § 3 Erhebungsbogen für die Auswertung der Gerichtsakten 1. Teil I (zur Verwendung für alle Verfahren) 1) Allgemeine Daten
Lfd. Nr. d. Verfahrens Aktenzeichen Gericht - Amtsgericht Landgericht Sitz des Gerichts Hauptsachegegenstand Tag der Klageerhebung 2) Armenrechtsgesuch
Gesuchsteller - Kläger Beklagter beide Art der Gesuchstellung Rechtsanwalt Partei Niederschrift Jugendamt sonstige Eingang des Gesuchs (Tag) Gesuchstellung zugleich mit Klage bzw. erster Erwiderung im weiteren Verlauf des Verfahrens Daten aus dem Armutszeugnis Art des Einkommens Einkommen (in DM/mtl.) Vermögensart Vermögen( in DM) Schulden (in DM) Unterhaltsberecht. (Zahl) Einkommensnachweise Schlußaussagea) Streitwert
ja nein
a) Der amtliche Vordruck des Armutszeugnisses enthält eine Rubrik, in der die ausstellende Behörde bescheinigt, ob der Gesuchsteller ganz oder teilweise zur Tragung der Prozeßkosten in der Lage ist (dazu näher unter Kap. III).
31
Anhang 3) ATmenTechtspTü!ungsveT!ahTen
Art der 1. Anhörung schriftlich mündlich zur Niederschrift keine Anhörung Terminliche Ausgestaltung der 1. Anhörung (in Tagen) (form.) Ergebnis der 1. Anhörung sachliche Stellungnahme keine sachliche Stellungnahme Ankündigung eines Anwalts keine Reaktion (sachl.) Ergebnis der 1. Anhörung Bestreiten der Armut Rechtsgründe gegen den Klageanspruch tatsächliche Gründe gegen den Anspruch 1 bis 3 kombiniert Anerkenn tnis bereitschaft Vergleichs bereitschaft Reaktion des Gerichts auf die 1. Anhörung sofortige Entscheidung Entscheidungsverkündungstermin Aufforderung zur Stellungnahme Durchführung von Erhebungen Anberaumung eines Termins 1 bis 5 kombiniert Zuwartenb) Aussetzung des Prüfverfahrens Gesamtzahl der gew. Schriftsätze Gesamtzahl gerichtl. Anordnungen Falls Erhebungen - welche Vertretung im Prüfungsverfahren Gesuchsteller durch RA vertreten Antragsgegner durch RA vertreten Beiordnung im Prüfungsverfahren
ja nein ja nein ja nein
b) Darunter fallen solche Verfahren, in denen das Gericht mehr als eine Woche verstreichen ließ, bevor eine neue Maßnahme oder Entscheidung getroffen wurde (vgl. hierzu Kap. V, § 13 sowie § 119 Abs.l ZPO).
32
Anhang Falls Beiordnung - Beigeordneter Rechtsanwalt Justizbeamter Referendar sonstige Falls Beiordnung - Gründe rechtliche Schwierigkeit tatsächliche Schwierigkeit Verfahrens beendigung sonstige 4) Entscheidung im Armenrechtsverjahren
Tag der Entscheidung (Erled.) Art der Entscheidung (Erled.) Bewilligung Versagung Vergleich Rücknahme des Gesuchs sonstige 2. Teil II a (zur Verwendung für die Verfahren mit Bewilligung) 1) Bewilligung
Art der Bewilligung volle Gewährung Bruchteilsgewährung Teilbetragsgewährung Ratenarmenrecht Befreiung von bestimmten Kosten Falls Teilbewilligung - Grund teilweise Leistungsfähigkeit teilweise Erfolgsaussicht unbezifferter Klageantrag Verfahrens beendigung sonstiger Umfang der Bewilligungc) nur für Erkenntnisverfahren auch für Vollstreckungsverfahren Beiordnung für das Hauptsacheverfahren Beigeordneter - Rechtsanwalt Justizbeamter Referendar c) vgl. hierzu Kap. V. § 13 sowie § 119 Abs. 1 ZPO.
ja nein
ss
Anhang Jugendamt sonstige Auswahl des beigeordneten Anwalts gesuchsteIlender Rechtsanwalt gesuchst. RA und KorrespondRA von Partei gewählter Rechtsanwalt vom Gericht gewählter Rechtsanwalt sonstige 2) Hauptsacheverfahren
Tag der Erledigung der Hauptsache Art der Erledigung - streitiges Endurteil Vergleich Anerkenntnisurteil Versäumnisurteil Klagerücknahme sonstige Ausgang des Hauptsachverfahrens für den Gesuchsteller volles Obsiegen annäherndes Obsiegen teils/teils annäherndes Unterliegen volles Unterliegen Kostenregelung - Kläger ganz Beklagte ganz Aufhebung Verteilung Kostenregelung verfahrensfördernd
ja nein
Gründe der Hauptsacheentscheidung voll übereinstimmend mit 1. Anhörung teilweise übereinstimmend nicht übereinstimmend Falls Beendigung durch Vergleich im wievielten Termin Bestand des Vergleichs
ja nein
3) Berufung
Berufung gegen das erstinst. Urteil
ja nein
Falls Berufung Zurückweisung Teilaufhebung Aufhebung Bemerkungen: .............................._.........._ ......... __...._ ....................................................................... 3 Franke
34
Anhang
3. Teil II b (zur Verwendung für die Verfahren mit Versagung) 1) Versagung
Versagungsgründe zu hohes Einkommen (Vermögen) Anspruch auf Prozeßkostenvorschuß Klage unschlüssig Klage (rechtl.) unbegründet Beweisnot (wahrscheinlich) Beweisnot (festgestellt) 1 bis 6 kombiniert unzureichend. Gesuch Mißbrauch Kenntnis der Versagungsgründe aus dem Vortrag des Antragstellers aus dem Vortrag des Antragsgegners aufgrund recht!. Prüfung aufgrund von Erhebungen im Laufe des Verfahrens entstanden nicht ersichtlich Begründung der Versagung eingehend formelhaft Qualifizierung des Gesuchs tend. querulatorisch eindeutig querulatorisch 2) Beschwerde
Beschwerde gegen Versagung
ja nein
Beschwerdegründe Armut Erfolgsaussicht Abhilfe
ja nein
Beschwerdeentscheidung übereinstimmend teilweise übereinstimmend aufhebend Regelung der Hauptsache 3) Hauptsacheverjahren
Fortgang der Hauptsache
ja nein
35
Anhang Falls Fortgang Art der Hauptsacheentscheidung streitiges Endurteil Vergleich Anerkenntnisurteil Versäumnisurteil Klagerücknahme sonstige Ausgang der Hauptsache für Gesuchsteller volles Obsiegen annäher. Obsiegen teils/teils annäher. Unterliegen volles Unterliegen Falls Beendigung durch Vergleich im wievielt. Termin Bestand des Vergleichs
ja
nein
4) Berufung
Berufung gegen das erstinst. Urteil
ja
nein
Falls Berufung Zurückweisung Teilaufhebung Aufhebung Bemerkungen: .............................................................................................................................................. .. 4. Teil II c (zur Verwendung für die Verfahren mit Erledigung im Prüfungsverfahren) 1) Vergleich
Zeitpunkt des Vergleichs (wievielt. Termin) Einstufung des Vergleichs für GesuchSt voller Erfolg annäher. voller Erfolg teilslteils annäher. ohne Erfolg ohne Erfolg Kostenregelung - dem Verfahrensausgang entspr. beendigungsfördernd 2) Zurücknahme
Nach Erörterung zur Sache wegen fehlender Bedürftigkeit wegen fehlender Erfolgsaussichten 3·
Anhang
36
Vor Erörterung zur Sache Gründe (soweit ersichtlich) Begründung:
Kapitel II
Die Notwendigkeit der Reform des Armenrechts
§ 4 Prozeßkosten und Armenremt I. Das System der Prozeßkosten 1. Begriffsbestimmung Prozeßkosten sind alle Geldmittel, die eine Partei aufwenden muß, um einen Rechtsstreit zu führen 1 • Sie setzen sich zusammen aus Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten. Die Gerichtskosten wiederum bestehen aus Gebühren, die als öffentlich-rechtliche Abgaben für die Tätigkeit der staatlichen Rechtspflegeorgane erhoben werden, und Auslagen, die einen Ersatz der unmittelbar in Geld erfolgten gerichtlichen Aufwendungen darstellen (§ 1 Abs.1 GKG)2. Außergerichtliche Kosten sind Aufwendungen für die Zu ziehung von Hilfspersonen, insbesondere von Rechtsanwälten 3, ferner Reisekosten der Parteien und andere Entschädigungen in Geld 4 • 2. Die Grundsätze des Kostenrechts
Die Grundsätze des geltenden Kostenrechts betreffen zum einen die Kostentragung, zum anderen die Gebührenbemessung. Daneben wird das Kostenrecht von anderen, nicht unmittelbar kostenrechtlichen Regelungen beeinflußt. Für die Kostentragung gilt das Prinzip, daß die unterliegende Partei die gesamten Kosten eines Rechtsstreits zu tragen hat (§ 91 Abs. 1 ZPO). Dieser Regelung liegt der Verursachungsgedanke5 zugrunde. Eine Prozeßführung, die sich - aus welchen Gründen auch immer - als erfolglos erweist, wird als unberechtigt angesehenil• Der Möglichkeit, ohne RGZ 150, 37. Insbesondere Entschädigungen für Zeugen und Sachverständige (§§ 2, 3 ZSEG). 3 Die Anwaltskosen zerfallen in Gebühren und Auslagen (§ 1 Abs. 1 BRAGebO; §§ 25 ff. BRAGebO). 4 Zum Ganzen vgl. Thomas I Putzo, Vorbem. vor § 91 Anm.lI; Stein I Jonas / Pohle, vor § 91 Anm. 11; Rosenberg / Schwab, § 86, S. 432 ff. 5 Stein / Jonas / Pohle, vor § 91 Anm.lI. 1
2
38
§ 4 Prozeßkosten und Armenrecht
besondere Voraussetzungen Klage erheben zu können, steht der Zwang gegenüber, die dem Beklagten für seine Verteidigung erwachsenden Lasten zu übernelunen 7 • Für die Gebührenbemessung gilt das System der Pauschalgebühren. Weder die Höhe der Gerichts- noch der Anwaltsgebühren hängt vom Maß der im konkreten Rechtsstreit geleisteten Arbeit ab 8 , sondern allein von der Höhe des Gebührenstreitwerts (§ 11 Abs.2 GKG)9. Diese Art der Gebührenbemessung soll einen sozialen Ausgleich bewirken. Die höheren Streitwerte mit relativ geringem Arbeitsaufwand schaffen mutmaßlich eine Entschädigung für die niedrigeren Streitwerte mit relativ höherem Aufwand 10 • Im Gegensatz zur Kostentragung hat die Pflicht zur Zahlung des Prozeßkostenvorschusses nur vorläufigen Charakter. Die Einleitung eines Zivilprozesses hängt grundsätzlich von der Entrichtung eines Teils der Pro2leßkosten ab (§ 65 GKG)l1. Indirekt wird das Kostenrecht auch vom Erfordernis anwaltschaftlicher Vertretung in den Verfahren vor dem Land- und Familiengericht (§ 78 ZP0)12 beeinflußt. Der Anwaltszwang ist neben der Kostenerstattungspflicht und den gesetzlichen Gebühren Element des sog. Kostenverbundes13• 3. Die Funktion der Prozeßkosten
Der mit der Einforderung von Gebühren für die Inanspruchnahme gerichtlicher Tätigkeit verfolgte Zweck hat sich mit der Entwicklung des Gerichtswesens geändert14 • Heute besteht die Funktion der Prozeß8 Gegen das Prinzip, die Pflicht zur Kostentragung generell an das Unterliegen bzw. Obsiegen zu knüpfen, haben sich Seetzen (ZRP 1971, S. 35 ff.) und Ehrig (ZRP 1971, S. 252 ff.) gewandt. 7 Die Ausnahmevorschriften zu § 91 Abs. 1 ZPO setzen diesen Grundgedanken fort: vgl. §§ 93 - 96,97 Abs. 2 u. 3, 281 Abs.3, 344 ZPO. 8 Dem mutmaßlich höheren bzw. niedrigeren Arbeitsaufwand tragen die Bestimmungen über die Anzahl fällig werdender Gebühren zum Teil (aber nur sehr eingeschränkt) Rechnung (§§ 31 ff. BRAGebO; § 11 Abs.l i. V. m. Anlage 1 Nr. 1005 ff. GKG). 9 Der Gebührenstreitwert berechnet sich grungsätzlich nach dem Wert des Streitgegenstandes (§ 12 Abs.l GKG i. V. m. §§ 3 ff. ZPO), Ausnahmen: §§ 12 Abs.2, 16, 17, 17 a GKG. 10 Schumann / Geißinger, Einleitung RdNr.8; Grunsky bezeichnet es als System der Subventionierung kleinerer und mittlerer Prozesse durch große, Gutachten, S. A 19. 11 Gemäß § 65 Abs. 2 GKG kann die klagende Partei in bestimmten Fällen hiervon befreit werden. 12 Für Streitigkeiten vor dem Familiengericht besteht der Anwaltszwang nicht uneingeschränkt (vgl. Thomas / Putzo, § 78 Anm. 3). 13 Baumgärtel, Gleicher Zugang zum Recht, S. 125. 14 Die im Mittelalter erhobenen Sporteln waren persönliches Entgelt für die Tätigkeit des jeweiligen Inhabers der richterlichen Gewalt. Als später die Gerichtsbarkeit auf die entstehenden Territorialstaaten überging, hatten die Abgaben in erster Linie den Zweck, den Gerichtsapparat zu finanzieren (vgl. Schott, Das Armenrecht der deutschen Zivilprozeßordnung, S. 18 ff.).
II. Prozeßkosten und rechts staatlicher Gerichtsschutz
39
kosten zum einen in der Finanzierung des Rechtspflegeapparates, zum anderen darin, einer übertriebenen Prozeßfreudigkeit entgegenzuwirken 15• Bei den wichtigsten außergerichtlichen Prozeßkosten, den Anwaltsgebühren, ist die Finanzierungsfunktion noch voll erhalten, während sie bei den Gerichtsgebühren an Bedeutung eingebüßt hat16 • Die prozeßprophylaktische Funktion der Verfahrenskosten besteht auf der einen Seite darin, von der Geltendmachung unberechtigter Ansprüche abzuhalten, auf der anderen Seite in der Sanktionierung unpünktlicher Erfüllung von Leistungspflichten17• ß. Prozeßkosten und rechtsstaatlicher Gerichtsschutz 1. Die Gefährdung des Anspruclls auf Justizgewährung
Kennzeichen jeder entwickelten Rechtsordnung ist das Verbot der Selbsthilfe18 • Zur Durchsetzung privater Rechtspositionen ist an die Stelle des Privatzwanges ein geregeltes staatliches Verfahren getreten 19• Aus dem Verbot der Selbsthilfe folgt für den Staat die Verpflichtung und für den Bürger der Anspruch auf Rechtspflege oder Justizgewährung20 • Der Anspruch besteht nach Maßgabe der Gesetze. Es bedarf keiner Begründung, daß gesetzliche Bestimmungen, die die Rechtsverfolgung an finanzielle Voraussetzungen oder Folgen knüpfen - je nach dem Umfang der Belastung - den Justizanspruch faktisch auszuhöhlen vermögen21 • Die Rechtfertigung, Prozeßkosten überhaupt zu erheben, wird darin gesehen, daß die Durchführung eines Zivilrechtsstreites nicht nur im Allgemeininteresse - Wahrung des Rechtsfriedens liege, sondern auch ganz wesentlich im Individualinteresse22. Baumgärtel, Gleicher Zugang zum Recht, S. 125. Die Kostendeckungsquote (das Verhältnis von Sach- und Personalaufwendungen zum Gebührenaufkommen) schwankt bei den Länderjustizverwaltungen um 40 Prozen und ist in der Tendenz fallend (vgl.: Herrmann, S. 13 f .). 17 Baumgärtel, JZ 1975, S. 425 ff.; Pawlowski, JZ 1975, S. 197 ff. 18 Zur Entwicklung des Selbsthilferechts: Kuhlenbeck, Das Recht der Selbsthilfe, S.12; ferner: Helmreich, Das Selbsthilfeverbot, Schriften zum Prozeßrecht, Band VI, S. 39. 19 Stein / Jonas / Pohle, Einleitung C 11; Brunn er, Land und Herrschaft, S.17; Schmidt, Lehrkommentar, Teil I Rdnr.2, 5, 35. 20 Stein //Jonas / Pohle, Einleitung E I 2; Vollkommer, ZZP Bd 81 (1968), S.102; Baumgärtel, ZZP Bd 75 (1962), S.385; zur verfassungsrechtlichen Grundlage des Justizgewährungsanspruchs: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte, Band III, S.559; Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz im Privatrecht, S. 59 ff., 111, 137; BaUT, AcP Bd. 153 (1954), S.393. 21 Zum Verhältnis von Gebührenrecht und Grundgesetz: Wilke, Gebührenrecht und Grundgesetz - ein Beitrag zum allgemeinen Abgabenrecht, S. 159 ff.; LOTenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, S. 256 ff.; BaueT, Gerichtsschutz als Verfassungsgarantie - Zur Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG, Schriften zum Öffentlichen Recht, Bd. 214, S. 87 ff. 15
16
§ 4 Prozeßkosten und Armenrecht
40
2. Die Problematik der geltenden Gebührenregelungen
a) Die Entscheidung über die Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens können Prozeßkosten dann über Gebühr beeinflussen, wenn die anfallenden Kosten sich der Höhe des Hauptsachestreitwertes nähern. Eine abschreckende Wirkung in dieser Beziehung besteht nach geltendem Recht besonders bei niedrigen Streitwerten23 • Legt man einen normalen Verfahrensablauf zugrunde, d. h. daß das Verfahren durch Urteil abgeschlossen wird, eine Beweisaufnahme erforderlich ist und beide Parteien durch einen Rechtsanwalt vertreten werden, so betragen die Gerichts- und Anwaltsgebühren - ohne Berücksichtigung von Auslagen24 - für die erste Instanz bei Streitwerten bis zu 300 DM 75 Prozent des Streitwertes. Erst bei einem Streitwert von 1 000 DM liegen sie knapp unter 50 Prozent und fallen bei einem Gegenstandswert von 7500 DM auf etwa ein Drittel dieses Betrages. Noch ungünstiger ist die Relation, wenn man von zwei Tatsacheninstanzen ausgeht. Hier unterschreiten die Gebühren erst bei einem Streitwert von 1000 DM geringfügig den Hauptsachewert, sie betragen bei einem Streitwert von 10000 DM noch immer mehr als zwei Drittel des Wertes der Hauptsache. Eine übersicht über die Streitwert-Kostenrelation niedriger Streitwerte vermittelt folgende Tabelle: Streitwert in DM 200 300 500 1000 3000 5000 7500 10000
Betrag der Gerichts- und Anwaltsgebührena) 1. Instanz 1. und 2. Instanz absolute absolute in °/0 in Ofo I d. StrW.b) I d.StrW.b) Höhe Höhe 165 225 309 477
1119 1764 2520 3366
82,5 75,0 61,8 47,7 37,3 35,3 33,6 33,6
338 458 630 974 2279 3586 5116 6823
169,0 152,7 125,9 97,4 75,9 71,7 68,2 68,2
a) vgl. Kostenverzeichnis Anlage 1 zu § 11 Abs.1 GKG Nr.1010, 1016, 1020, 1026 und Tabelle Anlage 2 zu § 11 Abs. 2 GKG. b) StrW = Streitwert.
Vgl. Nachweise Fußn. 17. Grunsky, Gutachten, S. A 8. 24 Vor allem die Kosten für Sachverständigengutachten vermögen die Prozeßkosten im Einzelfall nochmals erheblich zu erhöhen. 22 23
IH. Das Korrektiv des Annenrechts
41
b) Neben der Relation zum Streitwert kann auch die absolute Höhe der Prozeßkosten Anlaß sein, von einer Prozeßführung Abstand zu nehmen 25 • Sowohl die Tabelle der Gerichts- als auch der Anwaltsgebühren ist nach oben offen. Zwar überschreiten die Gebühren für eine Instanz bei Streitwerten über 25 000 DM nicht mehr 25 Prozent des Hauptsachewertes und fallen bei 1 Mio. DM gar auf 5,3 Prozent, doch ist ihre absolute Höhe beträchtlich, sie reicht für die genannten Streitwerte von fast 6 000 DM bis über 50 000 DM26. Für zwei Tatsacheninstanzen liegen die Beträge gut doppelt so hoch. Eine übersicht liefert folgende Tabelle: Streitwert in DM
Betrag der Gerichts- und Anwaltsgebührena) 1. und 2. Instanz 1. Instanz I d. StrW.b) in Ufo absolute I d. StrW.b) in Ufo absolute Höhe Höhe
25000
5841
23,4
11825
47,3
50000 100000 200000
7866 11 016 17016
15,7 11,0 8,5
15963 22438
500000 1000000
31776
6,4
53016
5,3
65160 107740
31,9 22,4 17,4 13,0
34738
10,8
a) vgl. Nachweis unter a) der vorhergehenden Tabelle. b) StrW = Streitwert.
Ein Sonderproblem stellen die Vorschriften über die Festsetzung des Gebührenstreitwerts bei Statusverfahren (vor allem Ehesachen) und bei Klagen auf wiederkehrende Leistungen dar. Der Regelstreitwert und die Verzwölffachung des jeweiligen Monatsbetrages der wiederkehrenden Leistung führen zu erheblich hohen Streitwerten und Prozeßkosten (§§ 12 Abs.2, 16, 17 GKG). III. Das Korrektiv des Armenrechts 1. Die Funktion des Armenrechts
Die aktuelle Ausgestaltung des Gebührenrechts legt die Frage nahe, ob die Prozeßkosten nicht bereits eine über ihren legitimen Zweck hinausgehende, allgemein prozeßhindernde Wirkung entfalten. Dem 25
28
Grunsky, Gutachten, S. A 8. Zugrundegelegt ist wiederum ein typischer Verfahrensablauf (vgl. § 4
11 2 a).
42
§ 4 Prozeßkosten und Armenrecht
kann nicht ohne weiteres entgegengehalten werden, niemand brauche vor der Führung berechtigter Rechtsstreite aus Kostengründen zurückschrecken; denn, als schließlich obsiegender Teil werde er ja mit den Verfahrenskosten nicht belastet. Der Anteil derjenigen Rechtsstreite, deren Ausgang eindeutig vorhersehbar ist, dürfte gering sein - mag dies im Einzelfall an ungeklärten und diffizilen Rechtsfragen oder an Unwägbarkeiten der Beweissituation liegen. Selbst wenn ein Erfolg ex ante als sicher erscheint, kann er im Verlauf des Verfahrens wieder fragwürdig werden und sich gar in den Prozeßverlust umkehren 27 • Schon eher ließe sich der Wortlaut des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO gegen die Vermutung anführen, Prozesse unterblieben allein oder vor allem aus Kostengründen. Die Vorschrift scheint - von ihren einschränkenden Erfordernissen einmal abgesehen - im Grundsatz zu garantieren, daß mit Hilfe des Armenrechts jede untragbare Prozeßkostenlast behoben werden kann und behoben wird. Dennoch wird allenthalben eine Reform des Armenrechts gefordert. Erfüllt es seine Funktion im System der Prozeßkosten etwa nicht? 2. Das Problem der Dunkelziffer
Für die Reform des Armenrechts lassen sich zahlreiche Ansatzpunkte finden, seien es Fragen der Nachzahlung, des Bewilligungsverfahrens oder anderer Detailbestimmungen. Keiner dieser Punkte ist im Rahmen einer ausgewogenen Gesamtregelung bedeutungslos. Die Dringlichkeit einer umfassenden Neugestaltung jedoch hängt ganz entscheidend davon ab, in welchem Maße das geltende Kostenrecht eine Chancengleichheit aller Rechtssuchenden schafft, ob mit anderen Worten nichtaussichtslose Rechtsstreite in einem nennenswerten Umfang vor allem aus Kostengründen unterbleiben. Dabei darf die Fragestellung nicht von vornherein auf die Prozeßführung wirtschaftlich Bedürftiger - etwa nach den Kategorien der Sozialhilfe - verengt werden, wenngleich bei den Bevölkerungsschichten mit geringen und mittleren Einkommen das Schwergewicht der Problematik zu vermuten ist. Der überblick über das Gebührenrecht hat die Abhängigkeit zwischen Streitwert und Prozeßkosten veranschaulicht. Da sich die Gegenstandswerte potentieller Rechtsstreite selbstverständlich nicht streng proportional zu den Einkommensverhältnissen der Verfahrensbeteiligten verhalten, ist das Problem einer verfahrenssperrenden Wirkung der Prozeßkosten im Grunde eines aller Bevölkerungsschichten; ja nicht nur von Privatpersonen, sondern auch von Gewerbetreibenden und Wirtschaftsunternehmen. 27
Ehrig, ZRP 1971, S. 252 ff.
III. Das Korrektiv des Armenrechts
43
Es ist das Verdienst von Fechner 28 und Däubler29 , zuerst und sehr eindringlich auf die Möglichkeit einer faktischen Rechtswegsperre durch die Prozeßkosten, namentlich auch unter wirtschaftlichen Aspekten, hingewiesen zu haben oo . Freilich besteht die Schwäche vor allem der Ausführungen Däublers s1 darin, daß er sich ausschließlich auf fiktive Sachverhaltenskonstellationen stützt. Sie sind zwar geeignet, Einzelprobleme abstrakt aufzuzeigen, vermögen aber über ihre praktische Relevanz nichts auszusagen. Gelänge der Nachweis, daß eine faktische Rechtswegsperre allgemein oder in bestimmten Bereichen tatsächlich besteht, so wäre die Reform des Armenrechts nicht länger aufzuschieben; sie müßte dann auch ungleich umfassenderer und von grundsätzlicher Art sein.
BaumgärteP'2 hat nur bedingt recht, wenn er die Notwendigkeit gesetzlicher Neugestaltung allein aus dem Vergleich der gegenwärtigen Prozeßkostenhöhe und dem Durchschnittseinkommen der Bevölkerung ableiten will. Zwar ist der kraft Verfassungsauftrages sozial verpflichtete Staat stets gehalten, wirtschaftlich bedingte Benachteiligungen abzubauen, doch bekäme diese Verpflichtung eine ganz andere, nicht nur sozial-, sondern auch rechtsstaatliche Dimension, ließe sich tatsächlich eine Rechtswegsperre durch Prozeßkosten nachweisen33• Freilich ist die Dunkelziffer vorwiegend aus Kostengründen unterbleibender, nichtaussichtsloser Rechtsstreite äußerst schwer zu bestimmen. Eine groß angelegte demoskopische Befragung verspräche, abgesehen davon, daß sie im Rahmen dieser Arbeit nicht realisierbar wäre, keine verläßlichen Ergebnisse. Die Einschätzung einer Rechtsangelegenheit durch den Betroffenen selbst würde der Sachkunde und Objektivität entbehren. Zuverlässige Erkenntnisse könnte allenfalls eine langfristig angelegte rechtskundige Beobachtung darüber liefern, wie einzelne Bevölkerungsschichten ihre Rechtsangelegenheiten zu regeln bzw. ungeregelt zu lassen pflegen. Die Schwierigkeiten, eine solche Untersuchung praktisch durchzuführen, sind offenkundig. Deshalb soll hier der Versuch unternommen werden, Hinweise auf die Dunkelziffer aus den im Armenrecht geführten Verfahren zu gewinnen. Speziell soll dazu eine Analyse der statistischen Entwicklung der Armensachen Fechner, JZ 1969, S. 349 ff. Däubler, BB 1969, S. 545 ff. 30 Vgl. auch Rehbinder, Die Kosten der Rechtsverfolgung als Rechtswegsperre, in: Jahrbuch der Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd.4, S. 395 ff.; Bokelmann, ZRP 1973, S.164. 31 Däubler, BB 1969, S. 545 ff. 32 Baumgärtel, Gleicher Zugang zum Recht, S. 118 f. 33 Meents, Das Armenrecht im sozialen Rechtsstaat des Grundgesetzes, S. 304 ff.; Schulz, MDR 1969, S. 820 f.; Röhl, ZRP 1970, S. 274. 28 29
44
§ 5 Die Struktur der Armenrechtsstreitigkeiten
und ihrer Struktur dienen. Ferner sollen der soziale Hintergrund der Gesuche sowie die Einschätzungen von Praktikern einbezogen werden. Selbstverständlich darf von diesem Verfahren nicht der Nachweis exakter Größen gefordert werden. Lediglich die Feststellung von Tatsachen, welche ihrerseits Rückschlüsse auf das Vorhandensein einer Dunkelziffer und ihrer eventuellen Größenordnung zulassen, ist zu erwarten.
§ 5 Die Struktur der Armenremtsstreitigkeiten I. Die statistische Entwicklung und die Verteilung 1. Der Anteil an der Gesamtzahl gerichtlicher Verfahren
:3
a) Amtsgerichte
erled. Verfahren Anzahl
Armenrechtsgesuche An-I in zahl %b) 14669 10662
12,6
8230 8647 8674
6,7 7,5 7,5
119497
8130 7819
6,8 6,5
132938 136424
7986 8720
6,4
1968 1969 1970
115876 119296 121756
1971
114153
1972 1973
114505 118129
1974 1975 1976
8,9
6,0
demKläger be- I
dem Beklagten in
in
be-
will.
vers.
o/Oc)
12500 8520 6270
850 803 634
6,3 8,6
425 454
6401 6570
711 627
9,1 10,0 8,7
424 502 469
6159
632
5795 5678 5940
673 755
9,3 10,4
479 457
11,7 12,8
660
108 123
858
206
879
will. I vers. I Ofod)
131 119 121 109 109 120
23,5 20,7 22,2 17,8 18,8 20,0 19,1 15,7 19,3
a) Die Daten sind entnommen: Für das Jahr 1968 den Unterlagen des Bayerlschen Statistischen Landesamtes; für 1969 dem BJMABI 1970, 105 ff.; für 1970 dem BJMABI 1971, 49 ff.; für 1971 dem BJMABI 1972, 109 ff.; für 1972 dem BJMABI 1973, 169 ff.; für 1973 dem BJMABI 1974, 53 ff.; für 1974 dem BJMABI 1975, 95 ff.; für 1975 dem BJMABI 1976, 135 ff.; für 1976 dem BJMABI 1977, 117 ff. b) Der Vonhundertsatz gibt den Anteil der Armenrechtsgesuche an allen erledigten Verfahren an. c) Die Prozentangabe bezieht sich auf den Anteil von Versagungen bei klägerlschen Gesuchen. d) Wie c), jedoch bezogen auf die Gesuche Beklagter.
I. Die statistische Entwicklung und die Verteilung
45
b) Landgerichte
Jahra)
erled. Verfahren Anzahl
Armenrechtsgesuche An-I in zahl 0/0
demKläger be- : I in will. I vers. I Ofo
dem Beklagten
I
bewill. , vers.
I
in 0/0
1968
48746
8022
16,4
4225
761
15,2
1935
238
10,9
1969
52659
8394
15,9
4269
926
17,8
1971
251
11,3
1970
56111
8017
14,2
4261
828
16,2
1903
231
10,8
1971
60592
6924
11,4
3648
775
17,5
1611
204
11,2 12,2
1972
64549
6193
9,5
3363
700
17,2
1346
187
1973
71800
6113
8,5
3265
742
18,6
1337
166
11,0
1974
82717
6118
7,4
3314
662
16,6
1368
169
11,0
1975
82738 72211
6992
8,3
3728
726
16,3
1727
212
10,9
8066
11,1
4381
780
15,1
2067
245
10,6
1976
a) Zur Quelle der Daten und zum Verständnis der Tabelle: vgl. Anmerkungen zur vorstehenden Tabelle Amtsgerichte.
46
§ 5 Die Struktur der Armenrechtsstreitigkeiten
2. Die Verteilung auf die einzelnen Gerichte
a) Amtsgerichte
Gerichta)
I
1975b) 1974b)
1976
Arerld. menrecht ver-I fah- geren I suche
in
in
Ofo
Ofo
in
Ufo
2,1 17,4
0,6 12,4
1404
19 145 162 246
12,6 17,5
13,8 14,6
13,5 10,6 13,3
5519
507
9,1
4,1
Bamberg Bayreuth
1417 2082
143 140
Deggendorf Erlangen
667 1818
95 139
10,0 6,7 14,2 7,6
2332
54
1016 2262 789
37 244
872
Aichach Altötting Amberg
830 1284
Ansbach Augsburg
Fürstenfeldbruck GarmischPartenk. Kempten Kulmbach Landsberg Memmingen München Neuburg Nürnberg
851
bewill. 15 139
vers.
in
in
in
0/.
oto
Ufo
80,0 7,2
22,2
4
21,0
3 18
2,1 11,5
39
8,4 8,5
18,2
13,2 13,7
6,1
138 175 341
109
24,2
14,2
8,4 7,0
11,1 6,7
124 74
8 26
6,0 26,0
3,8 21,7
13,7
11,4
9 9
8,3
7,3
56 130
13,8
6,5
6,4
15,7
14,7 9,8
2,3
3,6
2,4
37
9
19,5
13,9
60,8
3,6 10,7 4,5
5,0 8,6 5,4
6,2 10,6 7,0
30 195
7 21 1
18,9 9,7
13,3 13,0
2,9
18,8 14,0 0,0
1,4
1,5
3,2
5
71,4
66,6
40,0
2,8 3,1
5,4 3,4
2,8 3,5
8,2 9,1 9,9
8,0 6,7 11,4
9,8 5,8 10,2
10,1
9,4 11,6 11,1
40
6,7
5,8
196
6,5
6,1
36 12
43 1493 39439 1236 53 642 842 9218
Passau 2212 Schwandorf 1184 Viechtach 921 Weiden 1229 Weißenburg 592 Würzburg 3007
3,0
1975b) 1974b) 1976 dem Kläger bzw. Bekl.
220 146 78 132
12,3 8,4
33 2
14,8 13,8 6,5 13,1
3,7
32
5
13,5
5,9
17,5
1056 34
133 17 122 21
9,3 27,9 16,6
7,1 5,7 14,0
7,9 13,5 12,2
569 194 114 61 110
11,8 33,3 17,6 9,7 20,2
8,2 16,8 14,7 15,3
23,6 8,6 20,5
10,7 5,2
32
4
11,1
148
35
19,1
13,5 22,0
11,9 24,8
29 13 13
17,5 10,5
8,1
a) Die Tabelle enthält aus Raumgründen nur eine (willkürliche) Auswahl bayerischer Amtsgerichte (24 von insgesamt 72 Amtsgerichten). Die Daten sind den für die einzelnen Gerichte erstellten amtlichen Statistiken entnommen (vgl. § 3 111 3). Zum Verständnis der Tabelle: vgl. die Anmerkungen zur Tabelle Amtsgerichte unter § 5 I 1 a. b) Für die Jahre 1975 und 1974 wurde auf die Angabe der absoluten Zahlen verzichtet und lediglich der Anteil von Armenrechtsverfahren an der Gesamtzahl erledigter Verfahren wiedergegeben.
1. Die statistische Entwicklung und die Verteilung
47
b) Landgerichte I
1976
Gerichta)
er- I Ar- ! led. i menVer- :rechtfah-I ge- I %in ren sucher
Amberg 1185 389 Ansbach 895 176 Aschaffenb. 1890 80 Augsburg 4493 822 Bamberg 1336 322 Bayreuth 1060 99 Coburg 1090 261 Deggendorf 683 105 Hof 1057 224 Kempten 2386 256 Landshut 1329 296 Memmingen 1986 236 München! ~3136 698 München II 8872 579 Nürnberg-F. 9359 1362 Passau 1197 261 Regensburg 2781 692 Schweinfurt 1201 183 Traunstein 3140 414 Weiden 909 268 Würzburg 2226 296
1974
! 1975
!
1976
1975
1974 ·
dem Kläger bzw. Bekl. in
I °/0
I
in Ofo
in in be- I vers. I Ofo will. I °/0 5,9
in Ofo
32,8
18,0
20,5
359
21
5,5
19,6
14,1
14,5
129
23
17,8
6,9
21,4
4,2
3,0
2,7
28
23
45,0
32,3
59,3
701 277
92
11,6
7,8
11,0
27
8,8
13,6
14,2
4,8
18,2
14,1
13,0
24,1
15,1
14,9
9,3
4,7
7,7
77
13
14,4
23,2
11,1
20,2
16,4
216
26
10,7
8,1
6,5
23,9 15,3
22,3
16,7
66
22
25,0
30,5
28,0
21,1
12,7
11,4
173
36
17,2
40,7
10,0
10,7
11,2
10,4
207
26
11,1
13,6
14,4
22,2
21,0
19,3
250
39
13,4
9,8
9,6
11,8
11,4
10,3
177
39
18,0
15,4
25,0
3,0
2,7
2,2
434
162
27,1
25,1
24,5
6,5
4,0
3,6
456
15,3
20,0
15,1
14,5
9,7
9,8
1187
83 139
10,4
14,3
12,7
21,8
20,3
15,2
213
37
14,8
11,4
9,7
24,8
18,5
18,1
606
52
7,9
7,6
10,8
15,2
8,1
4,7
166
10
5,6
10,3
12,0
13,1
9,8
308
78
20,1
34,2
28,8
29,4
27,2
9,5 25,1
221
28
11,2
5,4
4,4
13,2
11,1
10,7
231
46
16,6
13,9
12,1
a) Die Tabelle enthält die Daten sämtlicher bayerischer Landgerichte. Zur Quelle der Daten und zum Verständnis der Tabelle: vgl. die Anmerkungen zur vorstehenden Tabelle Amtsgerichte.
48
§ 5 Die Struktur der Armenrechtsstreitigkeiten
11. Die Zusammensetzung der Armenrechtsstreitigkeiten 1. Zusammensetzung nach Streitgegenständen
a) Ehe-, Unterhalts- und Kindschaftssachen Der Anteil von Ehesachen an der Gesamtzahl der landgerichtlichen Verfahren: Verfahrena)
Gesamtzahl
erled. Verf. Ehesachen sonst. Verf.
15376 5869 9407
davon im Armenrecht
Anteil der jeweil. Verfahren an allen in Ofo
I
i ,I
Anteil an allen Armensachen in Ofo I
1606 405
27,3 4,3
I I
79,9 20,1 100,0
I
a) Der Tabelle liegen sämtliche in der zweiten Jahreshälfte 1976 bei den ausgewählten Landgerichten (vgl. § 3 III 1 d) erledigten Verfahren zugrunde.
Der Anteil von Unterhalts- und Kindschaftssachen an der Gesamtzahl amts gerichtlicher Verfahren: Verfahrena)
Gesamtzahl
erled. Verf. Unterhalt Kindschaft sonst. Verf.
19611
davon im Armenrecht
Anteil der jeweil. Verfahren an allen in Ofo 65,4
Anteil an allen Armensachen in Ofo
1195 521
782 384
73,7
52,0 25,6
17895
336
1,9
22,4 100,0
a) Der Tabelle liegen sämtliche in der zweiten Jahreshälfte 1976 bei den ausgewählten Amtsgerichten (vgl. § 3 111 1 d) erledigten Verfahren zugrunde.
II. Die Zusammensetzung der Armenrechtsstreitigkeiten
49
b) Die sonstigen (,gewöhnlichen') Streitgegenstände34 Art des Hauptsachegegenstandes Ansprüche aus schuldrechtl. Verträgen aus Kaufverträgen aus Mietverträgen aus Werkverträgen aus Darlehen Ansprüche aus sonst. schuldrechtl. Verträgen Ansprüche aus unerlaubter Handlung Ansprüche aus Sachenrecht Herausgabe sonstige Ansprüche aus Familienrecht Zugewinnausgleich sonstige Ansprüche aus Erbrecht sonstige Gegenstände Summe
Amtsgericht Anteil in O/oa)
37
Landgericht Anteil in Ofob)
17 10 21 4 2
20 18 12 4
7 5 2
4 2 4 7 14 28 12
2 10
17 11 6
2
4 5
9
100
100
3
a) Der Anteil bezieht sich auf die Zahl von Armenrechtssachen, die nicht Unterhaltsoder KIndschaftssachen sind. b) Der Anteil bezieht sich auf die Zahl von Armenrechtssachen, die nicht Ehescheidungen zum Gegenstand haben.
84 Diese Daten beruhen auf der Auswertung der ausgewählten Gerichtsakten (§ 3 III 1 d). Dasselbe gilt für alle folgenden Tabellen und übersichten, sofern kein besonderer Hinweis gegeben ist.
4 Franke
50
§ 5 Die Struktur der Armenrechtsstreitigkeiten
2. Zuordnung nach dem -
sozialen -
Entstehungsgrund
Prüft man die nicht unmittelbar auf familien- oder erbrechtliche Ansprüche gerichteten im Armenrecht geführten Rechtsstreitigkeiten auf ihren Entstehungsgrund, so ergibt sich folgendes Bild: Den Entstehungsgrund haben in verwandtschaftlichen Beziehungen (nicht Ehe) mittelbar in der Auflösung einer Ehe in eheähnlichen Gemeinschaften in gewerblicher Betätigung Summe
Amtsgericht Anteil an den gewöhnlichen Armensachen in Ufo
Landgericht Anteil an den gewöhnlichen Armensachen in Ufo
5
3
19
7
2
6
4
10
30
26
Die Rechtsstreitigkeiten, die Ansprüche aus unerlaubter Handlung zum Gegenstand haben, gliedern sich nach Entstehungsgrund und begehrter Rechtsfolge: Entstehungsgrund
Amtsgericht Anteil an allen Streitigk. aus u. H. in Ufo
Landgericht Anteil an allen Streitigk. aus u. H. in Ufo
in Straßenverkehrsunfällen in Tätlichkeiten sonstige unerlaubte Handlungen
30 10
41 17
60
42
Anspruch auf Schmerzensgeld
10
70
3. Zusammensetzung nach Streitwertgruppen
a) Amtsgerichte Der Anteil einzelner Streitwertgruppen an der Gesamtzahl von Armenrechtsstreitigkeiten:
H. Die Zusammensetzung der Armenrechtsstreitigkeiten
51
Anteil in Ofo - an allen Kindschafts-I sonstigen Unterhalts,gewöhnlichen' Armensachen sachen Verfahren
Streitwertgruppe in DM bis 500 501 -1 000 1001- 2 000 2001- 3000 3001- 5 000 5001-7000 7001 und mehr
12
8 16 17 27 13 15
100
100
18 18 21 11
Summe
23 18 26 22
4
9 11
4
5 2 100
Die Verteilung der Streitwerte bei Annensachen im Vergleich zur Gesamtheit der Verfahren (in 0/0): 31
bis
i
500 DM
32
35
31
501·1500 DM
1501·3000 DM
3001·5000 DM
5000
DM und mehr
Normalverteilung (Justizstatistik)a) Unterhalts· und Kindschaftssachen (im Armenrecht) 'gewöhnliche' Verfahren (im Armenrecht)
a) Die Werte für die Normalverteilung sind der amtlichen bayerischen Justizstatistik entnommen, BJMABl1977, 8.117 ff.
b) Landgerichte (ohne Ehesachen) Der Anteil der einzelnen Streitwertgruppen an der Gesamtzahl von Armenrechtsstreitigkeiten:
52
§ 5 Die Struktur der Armenrechtsstreitigkeiten
Anteil in Ofo an allen ,gewöhnlichen' Armensachen
Streitwertgruppe in DM bis
3000a )
5 23
3001- 5000 5001- 7000
11
7001 -10000
16
10 001 - 20 000 20 001 - 50 000 50001 und mehr
18
Summe
95
45
13 9
40 95b)
a) Die Verfahren mit Streitwerten von weniger als 3 000 DM sind zumeist vor Anhebung des Zuständigkeitsstreitwerts (§ 23 Nr. 1 GVG) im Jahre 1975 eingeleitet worden. b) Der offene Anteil von 5 '/, beruht darauf, daß bei Schmerzensgeldklagen häufig unbezifferte Anträge gestellt werden. Soweit der Akteninhalt keinen Hinweis auf die Höhe des Streitwerts enthielt, mußte diese Position für die Untersuchung offenbleiben.
Die Verteilung der Streitwerte bei Armensachen im Vergleich zur Gesamtheit der Verfahren (in %):
r:-' I 30 I 23 I I
29
,'261
21
14
o [IIIII
DM 3001·5000
22 18
20
16
7
bis DM 3000
31
27
DM 5001·10000
DM 10001·20000 DM 20001 und mehr
Normalverteilung (Justizstatistik)a) 'gewöhnliche'Verfahren (im Armenrecht)
a) Die Quoten der Normalverteilung sind um den Anteil der Ehesachen bereinigt, da die Regelstreitwerte im Bereich bis 10 000 DM zu erheblichen Verzerrungen führen würden. Die schraffierten Linien deuten die Verteilung unter Einschluß der Ehesachen an.
Die Verteilung der höheren Streitwerte nach Streitgegenständen im Armenrecht: Der Anteil von Verfahren mit einem Streitwert von mehr als 10000 DM bei:
II. Die Zusammensetzung der Armenrechtsstreitigkeiten
53
in Ufo aller Verfahren des jeweiligen Gegenstandes
Hauptsachegegenstände familienrechtliche Streitigkeiten Streitigkeiten aus schuldrechtlichen Verträgen erbrechtliche Streitigkeiten
65 44 43
4. Zusammensetzung nach Kriterien der GesuchsteIlung
a) Die Parteirolle der Gesuchsteller Für das Verhältnis von klägerischen und Beklagten-Gesuchen ergibt sich: Amtsgerichte
Gesuchsteller
Hauptsachegegenstand
Unterhalts-/Kindschaftssachen gewöhnliche Verfahren insgesamt (alle Verfahren)
I
I
(davon) Kläger Beklagter beide in Ufo aller Gesuche des jeweil. Gegenst. 91 75
9
5
25
5
14
86
Landgerichte
Gesuchsteller
Hauptsachegegenstand
Ehesachen gewöhnliche Verfahren insgesamt (alle Verfahren)
I
I
(davon) Kläger Beklagter beide in Ufo aller Gesuche des jeweil. Gegenst. 68 73 69
32
23
27
5
31
Nach einzelnen Streitgegenständen, Entstehungsgründen und Streitwertgruppen (amts- und land gerichtliche Verfahren zusammengefaßt, aber ohne Unterhalts-, Kindschafts- und Ehesachen) ergibt sich folgendes Bild:
54
§ 5 Die Struktur der Armenrechtsstreitigkeiten
Gesuchsteller Kläger Beklagter in Ufo in Ufo
Hauptsachegegenstand Anspruche aus schuldrechtl. Verträgen Ansprüche aus unerlaubter Handlung Ansprüche aus Sachenrecht Ansprüche aus Familienrecht Ansprüche aus Erbrecht
61
39
88 76 91 75
12 24
59
41
87 86 82
13 14 18 29 23
9 25
Entstehungsgrund Ansprüche im Zusammenh. m. gewerblicher Betätigung Streitwert bis 1500DM 1501- 3 000 DM 3001- 5 000 DM 5001-10000DM 10001 DM und mehr
71
77
b) Die Art und Weise der Gesuchstellung
Amtsgerichte Gesuch durch Rechtsanwalt durch Jugendamt zu Protokoll d. Geschäftsst. durch die Partei selbst Summe
Anteil an allen Gesuchen in Ufo
davon Gesuche des Beklagten Klägers (in 0/0) (in %)
I
60 20
84 100
16 0
16 4
100 66
0 34
100
H. Die Zusammensetzung der Armenrechtsstreitigkeiten
55
Landgerichte (ohne Ehesachen) Anteil an allen Gesuchen in Ufo
Gesuch durch Rechtsanwalt durch Jugendamt zu Protokoll d. Geschäftsst. durch die Partei selbst Summe
davon Gesuche des Klägers Beklagten (in Ufo) (in %)
I
88 1
75 100
25 0
5
70 75
30 25
6
100
Landgerichte (Ehesachen) Anteil an allen Gesuchen in Ufo
Gesuch durch Rechtsanwalt zu Protokoll d. Geschäftsst. durch die Partei selbst Summe
davon Gesuche des Klägers Beklagten (in Ufo) (in Ufo)
I
93
78
7 0
100 0
22
I
I
0 0
100 5. Die sozialen Verhältnisse der Gesuchsteller35
a) Die Art der Einkommen Die Gesuche zu den Amtsgerichten Art des Einkommens keine Angaben bzw. kein Einkommen aus selbständiger Tätigkeit aus nichtselbständiger Tätigkeit Arbeitslosenunterstützung Sozialrente (pension) Unterhaltszahlungen Ausbildungsförderung Sozialhilfe Summe
Anteil an allen Armenrechtsgesuchen in Ofo
41 0,5 16
7,5 16
10 2 7
100,0
56
§ 5 Die Struktur der Armenrechtsstreitigkeiten
Die Gesuche zu den Landgerichten (ohne Ehesachen) Art des Einkommens keine Angaben bzw. kein Einkommen aus selbständiger Tätigkeit aus nichtselbständiger Tätigkeit Arbeitslosenunterstützung Sozialrente (pension) Sozialhilfe Unterhaltszahlungen Ausbildungsförderung Summe
Anteil an allen Armenrechtsgesuchen in Ufo
33 2
31 10
17 2 4
1 100
Die Gesuche zu den Landgerichten (Ehesachen) Art des Einkommens keine Angaben bzw. kein Einkommen aus selbständiger Tätigkeit aus nichtselbständiger Tätigkeit Arbeitslosenunterstützung Sozialrente (pension) Unterhaltszahlungen Sozialhilfe Ausbildungsförderung Summe
Anteil an allen Armenrechtsgesuchen in Ufo
28
o
45 8 7
3 8 1
100
35 Die Angaben über die Art und die Höhe des Einkommens der Gesuchsteller sind den Armutszeugnissen entnommen. Soweit sie im Laufe des Verfahrens korrigiert worden sind, wurden die abgeänderten Werte verwendet.
H. Die Zusammensetzung der Armenrechtsstreitigkeiten
57
b) Das monatliche Netto(durchschnitts)einkommen Die Gesuche zu den Amtsgerichten Einkommensgruppe in DM keine Angaben kein Einkommen bis
Anteil an allen Armenrechtsgesuchen in Ufo 14 27
41
250 500
6 16
501 - 1 000
28
50
8 1
9
100
100
251-
1001 - 1 500 1 501 und mehr Summe
Die Gesuche zu den Landgerichten (ohne Ehesachen) Einkommensgruppe in DM keine Angaben kein Einkommen bis
250
251 - 500 501 -1 000 1001 - 1 500 1 501 und mehr Summe
Anteil an allen Armenrechtsgesuchen in Ufo 7 27
34
4 13 30
47
15 4
19
100
100
58
§ 6 Analyse der Daten
Die Gesuche zu den Landgerichten (Ehesachen) Einkommensgruppe in DM keine Angaben kein Einkommen bis
2 26
28
5 16
250
251 - 500 501-1000
36
1001 - 1 500 1 501 und mehr Summe
Anteil an allen Armenrechtsgesuchen in Ofo
57
14 1
15
100
100
§ 6 Analyse der Daten I. Die Bedeutung des Armenrechts in der gerichtlichen Praxis 1. Seine quantitative Entwicklung auf Landesebene Die Zahlen der in den Jahren 1968 -1976 bei den Amts- und Landgerichten eingereichten Armenrechtsgesuche weisen sowohl hinsichtlich ihrer absoluten Größe als auch bezüglich ihrer Relation zur Gesamtzahl erledigter Verfahren bis zum Jahre 1974 eine fast ausnahmslos fallende Tendenz auf36 • Für die Jahre 1975 und 1976 dagegen ist ein sehr erheblicher Anstieg an Gesuchen zu verzeichnen:f7. Die Zahlen stellen insoweit ein exaktes Spiegelbild der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung dar. Mit dem Ende der Hochkonjunktur (1973/74) fällt eine deutliche Vermehrung der Armenrechtsgesuche zusammen. Daß der Anstieg in der Statistik erst 1975 und noch deutlicher 1976 zu Buche schlägt, liegt an der zeitlichen Verzögerung, mit der eine auf erledigte Verfahren abstellende Statistik verfahrenseinleitende Veränderungen registriert. Diese in Parallelität zur Wirtschaftsentwicklung verlaufenden Veränderungen könnten als Beweis für die Funktionstüchtigkeit 36 Bei den Amtsgerichten fallen lediglich die Werte für das Jahr 1970 aus dem Rahmen dieser kontinuierlichen Entwicklung (§ 5 I 1 a). Bei den Landgerichten ist zwar die absolute Zahl 1968 niedriger als 1969, der prozentuale Anteil an der Gesamtzahl erledigter Verfahren aber höher (§ 5 I 1 b). 37 Dies drückt sich bei den Amtsgerichten für das Jahr 1975 nur in der absoluten Zahl aus, da die Gesamtzahl erledigter Verfahren infolge der Anhebung des Zuständigkeitsstreitswertes (§ 23 Nr.l GVG) unverhältnismäßig anwuchs.
1. Die Bedeutung des Armenrechts in der gerichtlichen Praxis
59
des Annenrechts gewertet werden. Die Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen verhält sich naturgemäß antizyklisch zur allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung, insbesondere dann, wenn diese Leistungen sozialen Randgruppen zugute kommen. Der Eindruck vom Armenrecht als einem wohlfunktionierenden Institut wird durch einen Blick auf das Verhältnis von Bewilligungen und Versagungen noch bestärkt. So ist die Schwankungsbreite des prozentualen Anteils an Versagungen bei den Landgerichten mit 3,5 010 für klägerische Gesuche 3'B und 1,6 Ofo für Beklagtengesuche39 gering. Etwas größer ist sie bei den Amtsgerichten mit 6,5 Ofo für klägerische Gesuche 40 und 7,8 Ofo für Beklagtengesuche 41 • Auffallend ist der gleichmäßig steigende Anteil von Versagungen bei klägerischen Gesuchen zum Amtsgericht. Dies läßt auf eine allmähliche Verschärfung der Bewilligungsvoraussetzungen schließen. Insgesamt aber scheinen die Versagungsquoten eine sichere und gleichmäßige Handhabung des Armenrechts durch die Gerichte zu belegen. 2. Die Handhabung durch die einzelnen Gerichte
Der erste positive Eindruck vom Funktionieren des Armenrechts wird empfindlich gestört, betrachtet man die Zahl der Gesuche und die Versagungsquoten gesondert nach einzelnen Gerichten. Bei den Amtsgerichten 42 reicht, gemessen an der Gesamtzahl erledigter Verfahren, der Anteil der Annenrechtsgesuche von 1,4 010 als niedrigstem Wert bis 17,5010 als HöchstwerV3 • Noch weiter klaffen die Quoten bei den Landgerichten auseinander. Sie reichen hier von 3,0 bis 32,80/044 • Ebenfalls ganz erhebliche Unterschiede weisen die Versagungsquoten auf. Bei den Amtsgerichten liegt die niedrigste Quote bei 2,1 010 und die höchste bei 71,4010 45 . Prinzipiell nicht anders ist die Situation bei den Landgerichten. Hier variieren die Anteile der Versagungen zwischen 5,5 und 450/0 46 • Die Abweichungen mögen in Einzelfällen auf besonderen örtlichen Gegebenheiten beruhen 47 , die Extremwerte mögen auch von ZufälligNiedrigster Wert: 1976 (15,1 % ); höchster Wert: 1973 (18,6 %). Niedrigster Wert: 1976 (10,6 %); höchster Wert: 1972 (12,2 %). 40 Niedrigster Wert: 1976 (6,3 %); höchster Wert: 1976 (12,5 %). 41 Niedrigster Wert: 1975 (15,7 %); höchster Wert: 1968 (23,5 %). 42 Soweit die Amtsgerichte in der Auswahl unter § 5 I 2 a enthalten sind. 43 Vgl. Zeilen 4 und 14 der unter § 5 I 2 a abgedruckten Tabelle. 44 Vgl. Zeilen 1 und 13 der unter § 5 I 2 b abgedruckten Tabelle. 45 Vgl. Zeilen 2 und 14 der unter § 5 I 2 a abgedruckten Tabelle. 48 Vgl. Zeilen 1 und 3 der unter § 5 I 2 b abgedruckten Tabelle. 47 So muß z. B. der Anteil von Armenrechtsgesuchen am Landgericht München I wegen der Bedeutung Münchens als Wirtschaftszentrum und als Gerichtsstand für daraus entstehende Streitigkeiten zwangsläufig niedriger sein. 38 39
60
§
6 Analyse der Daten
keiten beeinflußt sein. Die gravierenden Unterschiede insgesamt aber lassen auf eine regional stark divergierende Anwendung des Armenrechts schließen. Lediglich statistisch werden diese Divergenzen auf Landesebene wieder ausgeglichen. Daß der Zufall nur eine sehr unvollkommene Erklärung für die auffälligen Diskrepanzen ist, beweist ein Mehrjahresvergleich. Sowohl der Anteil der Armensachen an der Gesamtzahl erledigter Verfahren als auch die Versagungsquoten halten sich fast ausnahmslos im Rahmen einer tendenziell gleichmäßigen Entwicklung48. Meist korrespondiert eine überdurchschnittlich hohe Zahl von Armenrechtsgesuchen mit einer unter dem Durchschnitt liegenden Versagungsquote 49 • Allein das Gegenteil aber wäre plausibel: Dort wo viele Anträge gestellt werden, müßte die Möglichkeit unbegründeter Gesuche wachsen. Auf welche Mängel der gesetzlichen Regelung die nachgewiesene unterschiedliche Handhabung zurückzuführen ist, muß bei den einzelnen Abschnitten des Bewilligungsverfahrens untersucht werden. Soviel aber kann festgehalten werden: Die gegenwärtige gesetzliche Ausgestaltung des Armenrechts läßt in großem Ausmaß regionale Unterschiede zu, sowohl in der Häufigkeit, mit der Gesuche überhaupt gestellt werden als auch hinsichtlich der Aussicht, einstweilige Kostenbefreiung schließlich zu erlangen50 • Es kann im Verhältnis der Gerichte zueinander von einer mehr oder weniger großen Bewilligungsfreundlichkeit gesprochen werden. Diese wiederum wirkt im Laufe der Zeit auf die Anzahl der Gesuche zurück. Die Frage drängt sich auf, ob Rechtssuchende im Zuständigkeitsbereich eines Gerichts mit geringen Armenrechtsquoten, die Verfahren, die sie andernorts im Armenrecht führen könnten, unter pekuniären Opfern selbst finanzieren oder etwa ganz unterlassen. 11. Strukturanalyse der Armenrechtssachen 1. Die Streitgegenstände
a) Es ist keine neue Feststellung, daß ein erheblicher Teil der Armenrechtssachen auf Ehe-, Unterhalts- und Kindschaftssachen entfällt51 • 48 Die Quote der Armenrechtsgesuche schwankt bei keinem Amtsgericht und bei nur zwei Landgerichten im Dreijahresvergleich um mehr als 10 % , die Versagungsquote variiert bei sieben Amts- und sechs Landgerichten um mehr als 10 Ofo (vgl. die Tabellen unter § 5 I 2 a und b). 49 Das Amtsgericht mit der niedrigsten Armenrechtsquote weist die höchste Versagungsquote auf, umgekehrt hat das Amtsgericht mit der zweithöchsten Quote an Gesuchen die niedrigste an Versagungen. Ähnliches gilt bei den Landgerichten (vgl. die Tabellen unter § 5 I 2 a und b). 60 Eine Vermutung in diese Richtung hat Heimerich, BB 1960, S.1071, geäußert.
H. Strukturanalyse der Armenrechtssachen
61
Ihr Anteil liegt im Untersuchungszeitraum bei annähernd 80 % aller Armensachen52 • Sucht man nach Merkmalen, die diese Streitgegenstände von denen ,gewöhnlicher' Zivilprozesse unterscheiden, so läßt sich zunächst feststellen, daß der Verfahrensausgang bei Ehe-, Unterhalts- und Kindschaftssachen für die betroffenen Parteien von ungleich nachhaltigerem Einfluß auf ihre künftige Lebensgestaltung ist als beispielsweise das Ergebnis eines Rechtsstreits über Gewährleistungsansprüche im Rahmen eines Kauf- oder Werkvertrages. Besonders deutlich ist das bei Scheidungssachen, wo überhaupt nur im Wege des gerichtlichen Verfahrens eine materiell-rechtliche (Neu-)Gestaltung erfolgen kann. Bei Unterhalts streitigkeiten sind es die langen Zeiträume finanzieller Verpflichtung, die den Verfahrensausgang für die Betroffenen so bedeutsam machen, bei Kindschaftssachen die an die gerichtliche Feststellung anknüpfenden status-, unterhalts- und erbrechtlichen Folgen. Gemeinsam ist diesen Streitgegenständen auch ein in ideeller oder materieller Hinsicht existenzieller Bezug für die Parteien. Ferner sind sie - im Geg~nsatz zu ,gewöhnlichen' Streitigkeiten in der Mehrzahl rechtlich und tatsächlich einfach, zumeist auch für den Laien juristisch durchschaubar. Ehe-, Unterhalts- und Kindschaftssachen weisen darüber hinaus eine starke persönlich~ Komponente auf. Menschliche Enttäuschungen und Unzulänglichkeiten sind entweder Hauptursache der Konflikte oder spielen wenigstens am Rande eine Rolle. Weil die Streitigkeiten ihre Ursache überwiegend in persönlichen Beziehungen haben, besteht zwischen den Parteien gewöhnlich auch keine wesentliche soziale oder wirtschaftliche Ungleichheit. b) Es wäre freilich voreilig, zu folgern, daß der in Rede stehende Personenkreis Rechtsstreitigkeiten, die diese Kennzeichen nicht aufweisen, in der Mehrzahl unter läßt, die Dunkelziffer unterbleibender und nichtaussichtsloser Zivilprozesse also beachtlich sei. Das hängt selbstverständlich ganz entscheidend davon ab, ob d~r Teil der Bevölkerung, der gegenwärtig um die Gewährung des Armenrechts nachsucht, überhaupt zu einem größeren Teil als es der Restanteil von 20 % Armensachen ausweist, von ,gewöhnlichen' Rechtskonflikten tangiert wird. Der Einwand liegt nahe, es seien erfahrungsgemäß nun einmal die Gebiete des Familienrechts und des hier ausgeklammerten Arbeitsrechts, auf denen der Durchschnittsbürger seine rechtlichen Aktivitäten entfaltet. So gesehen sei die Restquote von Armensachen eine beachtliche, nicht auf eine nennenswerte Zahl unterbleibender Rechtsstreite hindeutende Größe. Betrachtet man aber die ,gewöhnlichen' Prozesse im Armenrecht genauer, so fällt auf, daß auch ein erheblicher Teil dieser 51
Ohne exakten Nachweis die Feststellung von Eike Schmidt, JZ 1972,
52
Vgl. § 5 H 1 a.
S.679.
§ 6 Analyse der Daten
62
Verfahren die Merkmale der typischen Armensachen (Ehe, Unterhalt, Kindschaft) aufweist. Von den ,gewöhnlichen' amtsgerichtlichen Streitigkeiten haben 9 %, von den landgerichtlichen 26 % einen Anspruch aus Familien- oder Erbrecht zum Gegenstand 53 • Erweitert man beide Gruppen um die Zahl der Verfahren mit Ansprüchen aus unerlaubter Handlung, auf die die herausgearbeiteten Kennzeichen mit geringen Einschränkungen ebenfalls zutreffen, so ergeben sich für das Amtsgericht insgesamt 27 %, für das Landgericht 54 Ofo ,gewöhnlicher' Rechtsstreite, die die beschriebenen Merkmale aufweisen54 • Prüft man die nicht unmittelbar familien- oder erb rechtlichen Verfahren auf ihren Entstehungsgrund, so zeigt sich, daß weitere 26 Ofo (Amtsgericht) bzw. 16 Ofo (Landgericht) mittelbar auf familienrechtlichen oder ähnlichen Rechtsverhältnissen (nichteheliche Gemeinschaften) beruhen55• Der Rest echter ,gewöhnlicher' Streitigkeiten ist klein. Dies trifft besonders für die typischen schuldrechtlichen Verträge Kauf und Miete zu. Bei den landgerichtlichen Verfahren übertrifft die Zahl der Streitigkeiten aus Darlehen sogar diejenige aus Kauf- oder Werkvertrag deutlich56 • Die Ursache hierfür paßt in das Schema: Wie sich aus den Prozeßakten ergibt, sind in der Tat überwiegend Darlehen, die zwischen Verwandten gewährt wurden. c) Die Zusammensetzung der Streitgegenstände macht deutlich, daß das Institut des Armenrechts in erster Linie zur Lösung familienrechtlicher Streitigkeiten im weiteren Sinne dient. Die in subjektiver und objektiver Hinsicht besondere Situation dieser Konflikte indiziert die Möglichkeit, daß dort, wo eine solche Situation nicht in demselben Maße besteht, die Inanspruchnahme des Armenrechts und damit die Führung von Zivilprozessen in einem nicht unerheblichen Umfang unterbleibt. Die geringe Anzahl echter ,gewöhnlicher' Armensachen spricht dafür. Diese vorläufige Schlußfolgerung bedarf jedoch der weiteren Überprüfung. 2. Die Streitwerte
a) Angesichts des hohen Anteils von Unterhalts- und Kindschaftssachen an den amtsgerichtlichen Armenrechtssachen verwundert es nicht, daß bei fast der Hälfte aller Armensachen der Streitwert 3 000 DM überschreitetli 7 • Durch die Art der Gebührenbemessung nach dem Jah53 54 55 56
Vgl. § 5 II 1 b. Vgl. § 5 II 1 b. Vgl. § 5 II 2. Vgl. § 5 II 1 b.
67 Die Streitwertgrenze von 3000 DM überschreiten insgesamt 44 % aller amtsgerichtlichen Armensachen (§ 5 II 3 a).
11. Strukturanalyse der Armenrechtssachen
63
resbetrag der wiederkehrenden Leistung (§ 17 Abs. 1 GKG) bzw. nach einem Regelstreitwert (§ 12 Abs.2 Satz 3 GKG) entstehen zwangsläufig hohe Gegenstandswerte58 • Aufschlußreicher und interessanter ist die Streitwertverteilung der ,gewöhnlichen' Armensachen im Vergleich zur Normalverteilung der Streitwerte bei den Amtsgerichten. In der untersten Streitwertgruppe (bis 500 DM) liegt der Anteil der Armensachen deutlich unter der Normalverteilung, in der folgenden Gruppe (501 - 1 500 DM) erreichen die Armensachen fast gleiches prozentuales Niveau, um schließlich im Bereich zwischen 1 501 - 3 000 DM die Normalverteilung sehr erheblich zu übertreffen 59 • Hieraus ließe sich die These ableiten, daß bedürftige Parteien sich um so eher zur gerichtlichen Durchsetzung oder Verteidigung ihrer Rechtsposition entschließen, je einschneidender sie die Folgen eines rechtlichen Konfliktes treffen. Mit anderen Worten: je weniger materiell auf dem Spiele steht, desto wahrscheinlicher ist es, daß ein wirtschaftlich Schwacher davon Abstand nimmt, einen Rechtsstreit zu führen. Selbstverständlich muß diese Feststellung in engem Zusammenhang mit dem Ergebnis der die Streitgegenstände betreffenden Analyse gesehen werden. Die dort bei den ,gewöhnlichen' Armensachen dominierenden Streitigkeiten tendieren von ihrem Gegenstand her zu höheren Streitwerten. Die eine Erscheinung bedingt somit die andere. b) Diese Ausgangsthese wird dadurch untermauert, daß sich der Trend zu überdurchschnittlich hohen Streitwerten - gemessen an der Normalverteilung - auch bei den ,gewöhnlichen' landgerichtlichen Verfahren fortsetzt. Bis zu einem Streitwert von 10000 DM liegt der Anteil von Armensachen - mit abnehmender Tendenz - über der Normalverteilun~o. Erst danach fällt er hinter die Quote der Gesamtheit landgerichtlicher Verfahren zurück, bleibt aber in allen Streitwertgruppen beachtlich hoch61 • c) Damit wird das vorläufige, aus der Streitwertanalyse gewonnene Ergebnis62 gestützt. Gleichzeitig ist ein Anhaltspunkt dafür gefunden, daß unterlassene Rechtsstreite eher in den niedrigen Streitwertbereichen zu suchen sein werden.
Vgl. § 4 II 2 C. Vgl. § 5 II 3 a. 60 Vgl. § 5 II 3 b. 61 Zusammen machen die Streitigkeiten mit Streitwerten über 10000 DM immerhin 40 Ofo aller ,gewöhnlichen' landgerichtlichen Armenrechtsstreitigkeiten aus. 62 Vgl. § 6 II 1 c. 58
59
64
§ 6 Analyse der Daten
3. Die Parteirolle der Gesuchsteller und die Form der AntragsteIlung
a) Für die Frage der Dunkelziffer unterlassener Rechtsstreite verspricht auch die nähere Betrachtung der Parteirolle, in der Antragsteller im Armenrecht auftreten, Aufschluß. Dabei sind zunächst wiederum die typischen Armenrechtsstreitigkeiten (Ehe-, Unterhalts- und Kindschaftssachen) auszuklammern. Unterhalts- und Kindschaftssachen sind aus der Sicht des Bedürftigen in aller Regel Aktivprozesse 63 • Abgeschwächt trifft dies auch für die Ehesachen zu, da in der Mehrzahl aller Fälle die Initiative zur Ehescheidung von der nicht oder weniger verdienenden Ehefrau ausgeht6 4 • Aber auch bei den ,gewöhnlichen' Armensachen überwiegen die klägerischen Gesuche die Beklagtengesuche um fast das Dreifache65 • Ein Grund dafür dürfte wiederum in der Zusammensetzung der Streitgegenstände zu suchen sein. Es sind zum großen Teil Streitigkeiten, bei denen nicht ein wirtschaftlich Stärkerer die Verbesserung seiner Rechtsposition begehrt, sondern es umgekehrt an dem wirtschaftlich Schwächeren liegt, sein Recht erst durchzusetzen: so bei Ansprüchen auf Zugewinnausgleich oder bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen aus unerlaubter Handlung (einschließlich Schmerzensgeld), wenn Anspruchsgegner eine Versicherungsgesellschaft ist. Dieser Beobachtung entsprechend verändern sich die Quoten der Kläger- bzw. Beklagtengesuche bei den einzelnen Streitgegenständen. Sie liegen für die familienrechtlichen Gegenstände und diejenigen aus unerlaubter Handlung mit 91 und 88 % klägerischer Gesuche am weitesten auseinander, erreichen bei Ansprüchen aus Sachen- und Erbrecht etwa ein Verhältnis von drei zu eins und nähern sich bei Ansprüchen aus schuldrechtlichen Verträgen einander am weitesten66 • Aber auch hier entspricht das Verhältnis von 61 zu 39 % nicht dem, was man für Gegenstände erwarten würde, bei denen man den Bedürftigen typischerweise in der Passivrolle vermutet. Diese Erscheinung ließe sich verallgemeinernd dahingehend interpretieren, daß Bedürftige eher dazu bereit sind, mit Hilfe des Armenrechts ihre Rechte aktiv durchzusetzen als sie gegen rechtliche Angriffe zu verteidigen. Mit dieser Folgerung steht die prozentuale Zunahme von Beklagtengesuchen bei steigendem Gegenstandswert im Einklan~1. Was schon 63 Ausnahmen bilden die Klagen auf Abänderung eines Unterhaltstitels und die Verfahren, die die Anfechtung der Ehelichkeit eines Kindes bzw. die Anfechtung der Anerkennung der Vaterschaft zum Gegenstand haben (§ 640 Abs. 2 Nr. 2 und 3 ZPO). In diesen Fällen hat sich meist der Bedürftige als Beklagter gegen die Beeinträchtigung seiner Rechtsposition zu wehren. 84 Von den 119 untersuchten Ehescheidungsverfahren hat in 82 Fällen die bedürftige Ehefrau das Scheidungsverfahren eingeleitet. 65 Vgl. § 5 11 4 a. 88 Vgl. § 5 II4a.
II. Strukturanalyse der Armenrechtssachen
65
für die Abhängigkeit von Streitwert und Armenrechtsgesuchen allgemein festgestellt worden ist68 , trifft in besonderem Maße für die Inanspruchnahme des Armenrechts durch Beklagte zu. Dies ist ein weiteres, spezielles Indiz dafür, daß zunehmende materielle Belastung Bedürftige geneigter macht, einen Konflikt gerichtlicher Klärung zuzuführen. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, daß dort, wo die Rechtsstreite einer gewerblichen Betätigung des Antragstellers entspringen, das Verhältnis von Aktiv- und Passivgesuchen am ausgeglichensten ist69 • Die Ursache hierfür mag in einer größeren - wenn auch beschränkten - Vertrautheit dieses Personenkreises mit rechtlichen Problemen liegen. Die bisher gewonnenen Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Dunkelziffer unterlassener Rechtsstreite lassen sich dahin ergänzen, daß Bedürftige als potentielle Beklagte der Führung eines Rechtsstreites eher aus dem Wege gehen. b) Der Frage, wie Bedürftige Gesuche auf Gewährung einstweiliger Kostenbefreiung stellen, kommt besondere Bedeutung zu. Die Untersuchungen zur außergerichtlichen Rechtshilfe widmen dem Problem der Schwellenangst breiten Raum 70 • Gemeint ist damit eine psychologische Barriere, die insbesondere sozial schwache Schichten daran hindert, ihre Rechtskonfiikte überhaupt einem fachlich kompetenten Organ, wie einem Rechtsanwalt, zu unterbreiten. Man unterscheidet näher zwischen Kosten- und Sprachbarriere71 • Der überragend hohe Anteil von Armenrechtsgesuchen, die durch Rechtsanwälte eingereicht werden 72 , läßt zwei Interpretationen zu: Einmal ließe er sich als Nachweis dafür werten, daß das Problem der Schwellenangst lediglich konstruiert ist und - sofern es überhaupt besteht - im Konfiiktsfall von den Betroffenen durch Konsultation eines Anwalts überwunden wird. Andererseits könnte der Anteil anwaltlicher Gesuche einen Hinweis dafür liefern, daß - sofern die bedeutendste Kosten- und Sprachschwelle Rechtsanwalt nicht genommen wird - die alternativen Schwellen zur Erlangung des Armenrechts, wie eigenhändiges Gesuch oder Gesuch zu Protokoll der GeVgl. §5II4a. Der Vergleich der Anteile von Armensachen an den einzelnen Streitwertgruppen hat gezeigt, daß ihr Anteil an höheren Streitwertgruppen gegenüber der Normalverteilung größer ist (§ 6 II 2 a). 69 Vgl. § 5 11 4 a. 70 v. Aulock, S. 75 f.; Grunsky, Gutachten, S. A 22; BaumgärteI, Chancengleichheit, S. 945. 71 BaumgärteI, Gleicher Zugang zum Recht, S.2, 4, 114; unter dem Gesichtspunkt der Prozeßökonomie: Menne, ZZP Bd 88 (1975), S. 263 ff.; Blankenburg, ZRP 1976, S. 93 ff. 72 Vgl. § 5 11 4 b. 67
68
5 Franke
§ 6 Analyse der Daten
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schäftsstelle, schon gar nicht mehr betreten werden. Welche der beiden Deutungen der Wirklichkeit näher kommt, kann nur unter Einbeziehung der bisher gewonnenen Teilergebnisse entschieden werden. Diese aber sprechen für die zweite Alternative. Ein sicherer Hinweis dürfte sich aus den Zahlen über die Arten der GesuchsteIlung ableiten lassen. Die deutliche Präferenz, die Bedürftige der anwaltlichen Beratung im Anfangsstadium eines Rechtsstreits einräumen, spricht, was die künftige Ausgestaltung der außergerichtlichen Rechtshilfe angeht, sehr eindeutig für das sogenannte Anwaltsmodell. Bekanntlich steht diesem Vorschlag der öffentlicher Beratungsstellen, in wiederum unterschiedlichen Varianten, gegenüber73 • 4. Der soziale Hintergrund der Armenrechtsgesuche
Die begrenzte soziale Funktion des geltenden Armenrechts veranschaulichen die Daten zu den Einkommensverhältnissen der Antragsteller74 • Ein ganz erheblicher Teil der Gesuchsteller ist völlig ohne Einkommen. Es sind in erster Linie auf Unterhaltsleistung oder Feststellung der Vaterschaft klagende Kinder und nicht verdienende, die Scheidung begehrende Ehefrauen. Unter denjenigen Antragstellern, die über Einkommen verfügen, dominieren die Empfänger der verschiedenen Arten von Sozialleistungen. Allein bei den Gesuchen im Rahmen von Ehesachen überwiegen mit einem Anteil von 45 Ofo die Erwerbstätigen 75 • Angesichts der Struktur der Einkommensquellen ist es nur folgerichtig, daß die monatlichen Durchschnittsnettoeinkommen der Antragsteller äußerst niedrig sind. Mit Ausnahme der Ehesachen verfügen mehr als die Hälfte der Antragsteller über ein Einkommen von unter 500 DM. Bei den Ehesachen liegt der Anteil mit 49 Ofo knapp darunter. Einkommen von mehr als 1500 DM stellen in allen Verfahrensarten die absolute Ausnahme dar 76 • Dabei bleibt zunächst die Frage offen, inwieweit in Fällen relativ hoher Einkommen die Gesuche wegen mangelnder Bedürftigkeit schließlich zurückgewiesen worden sind. Damit zeigt sich, daß das geltende Recht weit davon entfernt ist, eine von der konkreten Prozeßkostenlast abhängige, nicht strikt auf Schoreit, ZRP 1975, S. 62 ff. und Nachweise in Kapitel I § 3 I, Fußnote 16. Vgl. § 5 II 4. 75 § 5 II 4 a. An der Gesamtbevölkerung betrug 1976 die Quote der Erwerbstätigen 38,4 %; 0,9 % waren arbeitslos, 18,4 % Bezieher von Renten u. ä.; 42,1 % waren Angehörige ohne eigenes Einkommen (Angaben des Statistischen Bundesamtes für das Jahr 1976, Statistisches Jahrbuch 1977, S.93). 76 Vgl. § 5 II 4 b. Nach Erhebungen des Statistischen Bundesamtes betrugen die Nettomonatseinkommen der Erwerbstätigen im Jahre 1976: unter 600 DM 14,3 0/0, 600 - 1 000 DM 18,4 Ofo, 1 000 - 1 400 DM 30,9 0/0, 1 400 - 1800 DM 32,2 0/0, 1800 - 2 500 DM 11,8 Ofo, über 2500 DM 7,6 Ofo (Statistisches Jahrbuch 1977, S.98). 73 74
III. Ergebnis der Strukturanalyse
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unterste Einkommensgruppen beschränkte, relative finanzielle Hilfe zur Prozeßführung zu gewähren. Die beständig restriktive Interpretation der Bedürftigkeitsgrenzen durch die Rechtsprechung77 hat dem Armenrecht seinen ursprünglichen Charakter als Teil der klassischen Armenfürsorge - einer Hilfe, die auf Fälle absoluter wirtschaftlicher Not beschränkt ist - nahezu vollständig erhalten. Dieser eingeschränkte Wirkungsbereich des Armenrechts muß sich zwangsläufig besonders belastend auf diejenigen Bevölkerungsschichten auswirken, deren Einkommen nicht wesentlich über den Grenzen liegt, innerhalb derer die Gerichte gegenwärtig das Armenrecht zu bewilligen pflegen. Dieser Personenkreis hat die Prozeßkosten in vollem Umfang selbst zu tragen 78, was angesichts der ebenfalls noch beschränkten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sehr viel leichter dazu führen kann, daß die legitime Funktion der Prozeßkosten79 in eine prozeßverhindernde Wirkung umschlägt, daß nichtaussichtslose Rechtsstreite unterbleiben. Speziell im Bereich dieser nicht mehr armenrechtsfähigen wirtschaftlichen Verhältnisse muß sich die Ignoranz von Praxis und geltendem Recht gegenüber dem Umstand, daß die Fähigkeit zur Tragung von Prozeßkosten wegen deren relativer Höhe nicht absolut bestimmt werden kann, negativ auswirken. III. Ergebnis der Strukturanalyse Nach dem geltenden Kostenrecht ist das mit der Führung eines Zivilprozesses verbundene finanzielle Risiko eminent hoch. Das hat dazu geführt, daß die Kostenfrage bei der Entscheidung über die Durchführung eines Zivilprozesses einen unverhältnismäßig großen, weithin vorrangigen Stellenwert erlangt hat. Wenn die Aufgabe der Prozeßkosten aber u. a. darin besteht, unberechtigte Prozeßführung zu verhindern, so dürfte ihr bei der überlegung, einen Rechtsstreit zu führen oder zu unterlassen, keine vorrangige Bedeutung zukommen. Nur wenn aus anderen Gründen eine Prozeßführung nicht angezeigt erscheint, kann das Kostenrisiko legitimerweise den Ausschlag dazu geben, von der Durchführung eines Prozesses Abstand zu nehmen. Dieser objektive Befund wird prinzipiell auch durch die Erfahrungen und Einschätzungen der Praktiker bestätigt. Die Rechtsanwälte, die von Berufs wegen mit den Motiven und überlegungen, die die Entscheidung eines Rechtssuchenden, einen Prozeß zu führen oder zu unterlassen, am vertrautesten sind, messen mehrheitlich dem KostenZu den Bedürftigkeitsgrenzen in der gerichtlichen Praxis vgl. Kapitel III. Inwieweit die Institute teilweiser Armenrechtsbewilligung Milderung verschaffen, wird noch zu untersuchen sein (vgl. Kapitel III, § 8 III 2). 79 Zur Funktion der Prozeßkosten ausführlich unter § 4 I 3. 77
78
5'
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§ 6 Analyse der Daten
risiko - neben anderen entscheidungs erheblichen Faktoren - eine vorrangige Bedeutung bei80 • Ein ähnliches, wenn auch nicht im gleichen Maße eindeutiges Bild zeichnen die Äußerungen der Richterschaft. Insgesamt messen fast ebensoviele Richter wie Rechtsanwälte der Frage des Kostenrisikos für die Entscheidung in puncto Prozeßführung erhebliche Bedeutung bei. Freilich besteht eine graduelle Verschiebung hinsichtlich der Stärke des fraglichen Einftusses81 • Der Einfluß des Prozeßkostenrisikos auf die Entscheidung über eine Prozeßführung erscheint aber keineswegs auf extreme Konstellationen von Streitwert (Prozeßkostenhöhe) und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit beschränkt. 48 Ofo der befragten Rechtsanwälte und 38 Ofo der Richter sehen keine deutliche Abnahme eines solchen Einflusses bei steigender finanzieller Leistungskraft eines Mandanten bzw. einer Partei. Freilich dürfte die Frage der übernahme eines Prozeßkostenrisikos bei höheren Einkommen auch von der größeren Fähigkeit, auf die Geltendmachung eines Rechts ganz verzichten zu können, überlagert werden. Nicht so eindeutig läßt sich nachweisen, inwieweit Kosten auch Gewerbetreibende und Wirtschaftsunternehmen in der Prozeßführung beschränken. In diesem Punkt differieren die verfügbaren Einschätzungen. Während 80 Ofo der befragten Rechtsanwälte das Problem als nicht oder nur von geringer Bedeutung einstufen, räumen ihm 45 Ofo der befragten Industrie- und Handelskammern einen beachtlichen Stellenwert ein; lediglich 10 Ofo halten es für gänzlich unbedeutend. Dabei spielen - erwartungsgemäß - Wettbewerbs-, Patent- und Warenzeichensachen eine besondere Rolle, aber auch gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten und solche aus Werkvertrag - insbesondere Gewährleistung - werden genannt. Neuerdings gewinnen auch AGB-Klagen an Bedeutung. Diese - zugegeben vagen - Daten lassen wenigstens folgende Feststellung zu: Auch für den Bereich der Wirtschaft ist eine prozeßsperrende Wirkung des Kostenrechts nicht von vornherein auszuschließen. Das Armenrecht, das als Instrument zum Ausgleich übermäßiger Prozeßkostenlast konzipiert ist, vermag dieser Aufgabe nicht gerecht zu werden. Sein Anwendungsbereich beschränkt sich - von der wirtschaftlichen Lage der Antragsteller her betrachtet - auf eine relativ kleine soziale Randgruppe. Selbst innerhalb dieses schmalen Anwendungsbereichs herrscht eine regional sehr unterschiedliche Handhabung. Die Analyse der im Armenrecht geführten Verfahren läßt weiter den Schluß zu, daß nicht einmal von den gegenwärtig (Armenrechts-)Anspruchsberechtigten alle auftretenden Rechtskonftikte einer gerichtlichen Klärung zugeführt werden. Die unterlassenen potentiel80 Von den befragten Rechtsanwälten schätzen 53 Ofo den Einfluß neben anderen Faktoren als stärker und 27 Ofo (insgesamt 80 Ofo) als gleich groß ein. 81 42 Ofo der Richter (gegenüber 53 Ofo der Anwälte) halten den Einfluß für vorrangig, 35 Ofo (gegenüber 27 Ofo) für gleichrangig (ingsesamt 77 Ofo gegenüber 80 Ofo).
IV. Konsequenzen für die Neugestaltung des Armenrechts
69
len Rechtsstreitigkeiten werden vor allem im Bereich schuldrechtlicher Verträge, niedriger Streitwerte und bei Passivverfahren zu lokalisieren sein. Die bei der Bewilligung des Armenrechts von der Praxis strikt eingehaltenen Bedürftigkeitsgrenzen führen dazu, daß Bevölkerungsgruppen, deren Einkommen diese Grenzwerte auch nur geringfügig überschreiten, der Prozeßkostenlast voll ausgesetzt sind. Die Folgerung ist zulässig, daß die Dunkelziffer unterlassener Rechtsstreite hier höher liegt als im Bereich des Armenrechts selbst. Diese Schlußfolgerung wird - wenn auch mit Zurückhaltung - durch die befragten Praktiker gestützt. Die Richter gehen ganz überwiegend 82 vom Vorhandensein einer Zahl vorwiegend aus Gründen des Prozeßkostenrisikos unterbleibender nichtaussichtsloser Rechtsstreite aus. Bei näherer Präzisierung schätzt sie etwa ein gleich großer Teil für eine beachtliche oder eine zwar vorhandene, aber nicht bedeutende Größe83• Für den Bereich der Wirtschaft äußern 42 % der Anwälte, daß Prozesse des öfteren, 21 %, daß sie häufig in erster Linie aus Gründen der Prozeßkosten unterbleiben. Am deutlichsten scheint sich eine Dunkelziffer unterbleibender Rechtsstreitigkeiten aus der Sicht der Kammern abzuzeichnen; 60 % halten die Zahl für beachtlich, 40 Ofo stufen sie als gering ein.
IV. Konsequenzen für die Neugestaltung des Armenrechts 1. Notwendigkeit der Reform
Nach dem Ergebnis, das die Analyse der gegenwärtig im Armenrecht geführten Rechtsstreitigkeiten erbracht hat, ist die Notwendigkeit und das Bedürfnis für eine gesetzliche Neugestaltung nachhaltig zu unterstreichen. Dem kann begründeterweise auch nicht der Einwand entgegengehalten werden, es sei verfehlt, aus der Struktur der nach geltendem Recht im Armenrecht geführten Prozesse zwingende Gründe für eine weitere Herabsetzung der Prozeßkostenlast ableiten zu wollen; denn wenn es schon die gegenwärtig Anspruchsberechtigten unterlassen, nichtaussichtslose Rechtsstreitigkeiten zu führen, so werde auch eine Ausdehnung des Kreises der Berechtigten keine grundsätzliche Änderung dieses Zustandes bewirken können. Eine sachliche Ausdehnung des Armenrechts käme in erster Linie den Einkommensgruppen zugute, die gegenwärtig dem Prozeßkostenrisiko voll ausgesetzt sind und angesichts ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse dadurch erheblich belastet werden. Hier wäre eine Reduzie82
83
Zu exakt 77 Ofo. 40 Ofo bzw. 37 Ofo.
70
§ 6 Analyse der Daten
rung der konstatierten Dunkelziffer jedenfalls zu erwarten. Aber auch für den Bereich des geltenden Armenrechts trifft der Einwand nicht zu. Hierzu nur zwei vorläufige Hinweise: Mit der Bewilligung erlangt der Gesuchsteller lediglich einstweilige Kostenbefreiung. Nach § 125 ZPO kann bei Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse jederzeit Nachzahlung angeordnet werden. Ferner hat die Bewilligung des Armenrechts keinen Einfluß auf die Pflicht der armen Partei, die dem Gegner erwachsenden Kosten zu erstatten (§ 117 ZPO). Derjenige, den das Damoklesschwert der Erstattung einmal getroffen hat, wird sich eine erneute Prozeßführung nicht erst bei zweifelhaften Erfolgsaussichten reiflich überlegen und möglicherweise davon Abstand nehmen. Gegen die Notwendigkeit einer Ausdehnung des Armenrechts kann auch nicht das Fehlen einer nennenswerten Anzahl von Gesuchen, denen mittlere und höhere Einkommen zugrunde liegen, ins Feld geführt werden. Eine permanent restriktive Handhabung des Armenrechts bleibt selbstverständlich nicht ohne Rückwirkung auf die Quantität der Gesuche überhaupt. Anträge, denen die Ablehnung absolut sicher wäre, werden verständlicherweise nicht gestellt. Daß eine derartige Rückkoppelung besteht, beweisen die Daten des Mehrjahresvergleichs8 4, obgleich dort nur ein kurzer Zeitraum von drei Jahren erfaßt wird. Eine hohe Versagungsquote hat zur Folge, daß die Zahl der Gesuche absolut zurückgeht. Umgekehrt bewirkt eine Bewilligungsfreundlichkeit im Laufe einer durchaus überschaubaren Zeitspanne eine spürbare Zunahme von Armenrechtsgesuchen85 • Eines sollte freilich nicht verkannt werden: Bei aller Bedeutung, die den Prozeßkosten bei der Frage der Rechtsdurchsetzung zukommt, sie sind nicht der einzige Faktor, der dazu beitragen kann, daß Betroffene von der gerichtlichen Verfolgung ihrer Rechte Abstand nehmen oder Abstand nehmen müssen. Eine essentielle Rolle spielt das materielle Recht. Je nachdem, in welchem Maße es beispielsweise der Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen und damit der Disposition gesetzlicher Vorschriften Raum gibt, drohen Vertragsparteien von vornherein in aussichtslose Rechtspositionen gedrängt zu werden 86 • Daneben ist es Aufgabe einer effektiv ausgestalteten außergerichtlichen Rechtshilfe, den Betroffenen die rechtliche Relevanz von Konflikten überhaupt erkennbar zu machen. Gegenüber diesem eindeutigen rechtstatsächlichen Befund für die Reform des Armenrechts, muß die Auffassung der befragten Richter Vgl. § 5 I 2 a und b sowie die Ausführungen unter § 6 I 2. Vgl. Z. B. die Entwicklung der Daten der Amtsgerichte und Landgerichte (Tabellen unter § 5 I 2 a und b). 86 Jüngste und wichtigste gesetzgeberische Maßnahme zur Verbesserung auf diesem Gebiet ist das "Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz)" vom 9. 12. 1976 (BGBl I, S.3317). 84
85
IV. Konsequenzen für die Neugestaltung des Armenrechts
71
und Rechtsanwälte überraschen; sie steht zum einen in Widerspruch zum bisherigen Ergebnis der Reformdiskussion 87 und ist zum anderen nicht voll vereinbar mit ihren eigenen Einschätzungen zu Problemen des Prozeßkostenrisikos sowie zur Frage einer Dunkelziffer unterlassener Rechtsstreite 88 • Die prinzipielle Notwendigkeit, das geltende Armenrecht zu ändern, bejahen 52 % der Rechtsanwälte, aber nur 23 0/0 der befragten Richter. Dabei will keine der beiden Gruppen auf eine Ausdehnung des Kreises der Anspruchsberechtigten vorrangiges Gewicht legen. Die Richter halten etwa in gleichem Maße eine Änderung der Kostenfolgen und des Bewilligungsverfahrens für notwendig. Die Rechtsanwälte betrachten zu fast 50 Ofo das Bewilligungsverfahren als vordringliches Reformziel. Diejenigen, die das Bedürfnis einer Reform gänzlich verneinen, betonen zumeist als positiv am geltenden Recht seine ausreichende Flexibilität, in Fällen echter Bedürftigkeit die Rechtsverfolgung zu ermöglichen. 2. Anforderungen an das Armenrecht de lege ferenda
a) Die Reform des Armenrechts darf - will sie nicht von vornherein die Chance auf Realisierung preisgeben - das System des geltenden Prozeßkostenrechts nicht sprengen89 • Daraus leitet sich die Folgerung ab, daß die unter den Stichworten Nulltarif90 und Pflichtrechtsschutzversicherung 91 diskutierten m. E. systemwidrigen Vorschläge endgültig ad acta gelegt werden können. Einen allgemeinen oder auch nur wesentliche Teile der Gerichtsverfahren erfassenden Nulltarif zu fordern, ist nach der gegenwärtigen Situation der Staatsfinanzen utopisch und wird es auf absehbare Zeit auch bleiben92 • Zudem ist zweifelhaft, ob eine solche Lösung überhaupt wünschenswert wäre, da sie auf die positive und durchaus berechtigte Funktion93 der Prozeßkosten gänzlich verzichtete. Unter demselben Mangel litte - abgeschwächt zwarVgl. Einleitung, § 11. Vgl. die Daten unter III dieses Paragraphen. 89 Was freilich Randkorrekturen auf dem Gebiet des Kosten- und Gebührenrechts nicht ausschließt. 90 Der Vorschlag des Nulltarifs liegt in verschiedenen Varianten vor. Es wird vereinzelt die völlige Kostenfreiheit (Gerichtskosten und Anwaltskosten) gefordert, teilweise die Abschaffung der Gerichtskosten oder die Kostenfreiheit für bestimmte Verfahren. Vgl. Schneider, JurA 1971, S.I11; Isala, Recht und Politik 1974, S.67; Kissel, DRiZ 1971, S.285; Baumgärtel, Gleicher Zugang zum Recht, S. 128 ff.; Grunsky, Gutachten, S. A 22 ff.; Demuth, DRiZ 1972, S.27. 91 Der Vorschlag stammt von Baur: Baur, JZ 1972, S. 75 ff.; derselbe NJW 1976, S. 1380 ff.; vgl. auch Sieg, BB 1972, S. 1377; Röper, ZRP 1975, S. 252 ff.; Andre, ZRP 1976, S. 177; Bauer, VersR 1973, S. 110 ff.; Baumgärtel, JZ 1975, 87 88
S.425. 92 Grunsky, Gutachten, S. A 28. 93
Zur Funktion der Prozeßkosten ausführlich § 4 I 3.
72
§
6 Analyse der Daten
auch die Pflichtversicherungslösung. Der Vorschlag einer obligatorischen Rechtsschutzsicherung ist darüber hinaus nur eine Scheinlösung; denn er verteilt die Prozeßkostenlast auf dem Umweg über die Pflichtversicherung auf die Allgemeinheit, was direkter und vermutlich auch gerechter über die allgemeinen Steuern geschehen könnte. Außerdem ist die Situation einer Pflichtrechtsschutzversicherung nicht vergleichbar mit der anderer Pflichtversicherungen. Pflichtversicherungen knüpfen regelmäßig an das Vorliegen eines besonderen Tatbestandes beim Versicherungspflichtigen an, der den Eintritt des Versicherungsfalles sicher oder zumindest wahrscheinlich erscheinen läßt. In einen Zivilrechtsstreit verwickelt zu werden, ist für einen Großteil der Bürger weder sicher noch wahrscheinlich. Zum Teil ist es auch das Interesse möglicher Geschädigter, das die Versicherungspflicht fordert 94 - so in Fällen gesetzlicher Haftpflichtversicherung. b) Ziel der Armenrechtsreform muß es sein, das Institut aus dem Bereich der Armenpflege herauszuführen95 • Das bedeutet, daß in den Genuß verbilligter Prozeßführung nicht lediglich eine soziale Randgruppe kommen darf, sondern grundsätzlich jedermann, je nach dem Verhältnis seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und den konkret anfallenden Prozeßkosten. Das Prozeßkostenrisiko muß entsprechend der Einkommensverhältnisse der Prozeßparteien relativiert werden. Die Limitierung der Anspruchsberechtigung auf eine bestimmte Einkommensgrenze entspricht nicht den Erfordernissen eines streitwertabhängigen Gebührensystems. Ein solcher relativer Prozeßkostenpreis besitzt zahlreiche Vergleichsbeispiele auf dem Gebiet staatlicher und nichtstaatlicher Dienst- und Sachleistungen. Dies ist mehr noch als auf jenen Gebieten für die Prozeßkosten erforderlich, da es dem Rechtssuchenden in puncto Finanzierung eines Rechtsstreits nicht möglich ist, seine Bedürfnisse nach seinem finanziellen Leistungsvermögen auszurichten. Es bleibt ihm allein die Alternative, dem Bedürfnis Prozeßführung ganz zu entsagen. Die Ohnmacht, eigene Rechtspositionen aus materiellen Gründen nicht oder nur unter erheblichen Entbehrungen durchsetzen zu können, ist von so fundamentaler und unmittelbarer Rückwirkung auf das Verhältnis des rechtssuchenden Bürgers zum Staat selbst, daß befriedigende Lösungen gefunden werden müssen96 • Ferner wäre bei der Reform des Armenrechts dafür Sorge zu tragen, daß eine gleichmäßige Handhabung gewährleistet ist. Was auf anderen GTunsky, Gutachten, S. A 58. Diese Forderung hat Schott, Das Armenrecht der deutschen Zivilprozeßordnung, S.164, - allerdings vergeblich - bereits zu Beginn des Jahrhunderts erhoben. 96 Vgl. LaTenz, Allgemeiner Teil, S. 31 unter Berufung auf IheTing. 14
95
IV. Konsequenzen für die Neugestaltung des Armenrechts
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Gebieten sozialstaatlicher Leistungen eine Selbstverständlichkeit ist, muß es auch auf dem Gebiet des Armenrechts werden. Wo dabei im einzelnen anzusetzen sein wird, kann erst nach Untersuchung der Ursachen für die gegenwärtig zu beobachtenden Ungleichheiten entschieden werden. Eine solche erweiterte finanzielle Hilfe zur Prozeßführung sollte freilich auch auf den Begriff Armenrecht verzichten97• Schließlich dürfte eine Reform des Armenrechts das Problem der Prozeßkosten in der gewerblichen Wirtschaft nicht von vornherein aus der Betrachtung ausschließen. Zwar trifft es im Grundsatz zu, daß ein Unternehmen (gleich welcher Größe) aus seinen Erträgen auch die aus der gewerblichen Betätigung erwachsenden Rechtsstreite zu finanzieren in der Lage sein muß; doch darf nicht übersehen werden, daß die Belastungen hieraus temporär auch die Leistungsfähigkeit vor allem kleiner Unternehmen übersteigen können. Die Untersuchung hat die Existenz dieses Problems freilich nur andeutungsweise belegt.
97 Schon den Begriff Armenrecht sieht v. Aulock als diskriminierend und abschreckend an (v. Aulock, S.179). Er schlägt die Bezeichnung Kostenbefreiung vor. Der Deutsche Juristentag hat in seiner Empfehlung (Sitzungsberichte des 51. Deutschen Juristentages, S. L 160) die Bezeichnung Rechts(kosten-)hUfe als richtungsweisend formuliert.
KapitelIII
Die Voraussetzungen der Armenrechtsgewährung im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Gesuchstellers
§ 7 Das geltende Armenremt I. Die materielle Voraussetzung Armut 1. Gesetzliche Grundlagen
Wie die wirtschaftlichen Verhältnisse einer natürlichen Person beschaffen sein müssen, damit sie Anspruch auf Gewährung des Armenrechts besitzt, bestimmt § 114 Abs.l Satz 1 1. Halbsatz ZP01. Für die Bewilligung zugunsten einer Partei kraft Amtes oder einer inländischen juristischen Person nehmen § 114 Abs.3 und 4 ZPO auf Absatz 1 Bezug und erweitern die dort normierten Voraussetzungen für den jeweils speziellen Fall. Eine ergänzende und klarstellende Regelung trifft § 115 Abs.2 ZP02, wonach die Bewilligung des Armenrechts zu einem Bruchteil erfolgen kann, wenn der Gesuchsteller in der Lage ist, die Prozeßkosten teilweise zu tragen. Durch Zulassung einer im Gesetz selbst nicht vorgesehenen Variante hat der BGIP die Formen der Armenrechtsbewilligung erweitert. Er hat es für zulässig angesehen, 1 Daß § 114 Abs. 1 ZPO nur den Anspruch einer natürlichen Person auf Gewährung des Armenrechts regelt, ergibt sich aus der Sonderregelung für inländische juristische Personen (§ 114 Abs.4 ZPO). Absatz 4 wurde - wie auch Absatz 3 - durch das "Gesetz zur "Änderung des Verfahrens in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten" vom 27. Oktober 1933 (RGBI I S.780) in die ZPO eingefügt. Bis dahin entnahm man die Beschränkung auf natürliche Personen der Anknüpfung des Gesetzes an den Begriff notwendiger Unterhalt. 2 § 115 Abs. 2 ist durch das "Gesetz über Teuerungszuschläge zu den Gebühren der Rechtsanwälte und Gerichtsvollzieher" vom 18. Dezember 1919 (RGBI II S. 2113 ff. - Artikel III) in die ZPO eingefügt worden. Der Anwendungsbereich der Vorschrift war zunächst beschränkt auf vermögensrechtliche Streitigkeiten und wurde durch die "Dritte Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen" vom 6. Oktober 1931 (RGBI I S. 537 ff. Sechster Teil, Rechtspflege, Kapitel I, § 11 IV) auf alle - auch nicht vermögensrechtliche - Streitigkeiten ausgedehnt. s BGHZ 10, 139, 144 f.; anders noch BGH MDR 1951, S.732.
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eine uneingeschränkte Bewilligung mit der Anordnung ratenweiser Nachzahlung (§ 125 ZPO) zu verbinden, wenn die Partei die Prozeßkosten nur in laufenden Teilbeträgen aufzubringen vermag. Mit den genannten gesetzlichen Bestimmungen und der durch die Rechtsprechung geschaffenen Ergänzung, sind die für die Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse der armen Partei maßgeblichen Rechtsgrundlagen erschöpft. Nicht erst ein Vergleich mit anderen Gesetzen sozialer Zielrichtung - etwa dem Bundessozialhilfegesetz oder dem Bundesausbildungsförderungsgesetz - macht offenkundig, daß dem ZPO-Gesetzgeber in diesem Punkt kein übertriebener Gesetzesperfektionismus vorgeworfen werden kann 4 . Die drei zentralen Begriffe in § 114 Abs.1 ZPO, von denen die Gewährung des Armenrechts abhängig ist, sind: Die Höhe der anfallenden Prozeßkosten, der notwendige Unterhalt und die finanzielle Leistungsfähigkeit der Partei5 • § 115 Abs.2 ZPO stellt klar, daß es für den Umfang des Anspruchs auf Armenrecht auf die Relation dieser drei Größen ankommt. Die Höhe der Prozeßkosten läßt sich nach den einschlägigen Kostengesetzen (GKG, BRAGebO, ZSEG6) bestimmen (in aller Regel wenigstens annäherungsweise auch im voraus). Für die Bemessung des notwendigen Unterhalts enthalten die Armenrechtsvorschriften keine Regelung. Die Spannweite des Begriffes reicht negativ vom Existenzminimum bis positiv zum Bedarf für eine übliche oder angemessene Lebensführung. Ebensowenig enthalten die §§ 114 ff. ZPO Hinweise darauf, wovon die Beurteilung der finanziellen Leistungsfähigkeit einer Partei abhängen soll. Folglich fehlen auch jegliche gesetzlichen Kriterien für die Bewilligung des Bruchteils- oder Ratenarmenrechts. 2. Die Konkretisierung der Bewillignngsvoraussetzungen
a) Anhaltspunkte für die Konkretisierung des notwendigen Unterhalts könnten die Vorschriften der §§ 850 d ZPO, 1610 und 1611 BGB liefern. In § 850 d ZPO ist - wie in § 114 Abs. 1 ZPO - von notwendigem Unterhalt die Rede. Die §§ 1610 und 1611 BGB sprechen von angemessenem und billigem Unterhalt. aa) Trotz der terminologischen Parallelität besteht weitgehend Einigkeit darüber, daß die (engen) Grenzen des notwendigen Unterhalts in 4 Das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) z. B. regelt in Abschnitt 4 unter dem Titel "Einsatz des Einkommens und Vermögens" in den §§ 76 - 89 die Voraussetzungen der Sozialhilfe im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit des Empfängers. 5 Diese Voraussetzung enthält die Formulierung "Eine Partei, die außerstande ist, ... " in § 114 Abs. 1 ZPO. 6 Vgl. § 4 H.
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§ 7 Das geltende Armenrecht
§ 850 d ZPO im Rahmen von § 114 Abs.1 ZPO keine Anwendung finden können 7 • § 850 d ZPO mutet wegen der Art der zu vollstreckenden Forderung - Unterhaltsanspruch - dem Schuldner ein besonders hohes Maß an materieller Einschränkung zu. Eine vergleichbare Situation liegt bei der Aufbringung der Kosten zur Führung eines Zivilrechtsstreits nicht vor. bb) Die herrschende Meinung will deshalb den notwendigen Unterhalt zwischen dem angemessenen (i. S. von § 1610 BGB) und dem billigen (i. S. von § 1611 BGB) ansiedeln 8 • Diese Auffassung geht zurück auf Planck9 und wurde ausführlich von Schott 10 begründet. Bei nähe-
rem Hinsehen jedoch zeigt sich, daß diese Art der Bestimmung des
notwendigen Unterhalts eine bloß begriffliche und deshalb wenig trag-
fähige Gedankenbrucke ist. Konsequent befolgt würde diese Auffassung bedeuten, daß bei jeder Entscheidung über ein Armenrechtsgesuch zunächst der angemessene und dann der billige Unterhalt festzulegen wäre. Schließlich müßte ein Mittelwert gefunden werden. Da der Umfang der Unterhaltsanspruche nach §§ 1610, 1611 BGB aber auch von Voraussetzungen abhängt (§ 1611 BGB: vom sittlichen Verschulden des Unterhaltsberechtigten an der Bedürftigkeit; von der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten - § 1581 BGB), für die es beim Antragsteller nach § 114 ZPO regelmäßig keine Vergleichstatbestände gibt, bliebe nichts anderes übrig, als diese Tatbestandsmerkmale mit fiktiven Werten auszufüllen. Dies allein zeigt, daß die Formel der herrschenden Meinung zur Findung konkreter Maßstäbe ungeeignet ist. Eine gerichtliche Entscheidung, die dieses Verfahren angewendet hätte, ist nicht bekannt.
ce) Diese Schwierigkeiten machen die Bereitschaft der Rechtsprechung verständlich, auch unpassende, konkrete Maßstäbe zur Bestimmung des notwendigen Unterhalts zu akzeptieren. Unter Berufung auf Stein / Jonas ll hat das Kammergericht 12 festgestellt, daß der notwendige Unterhalt nie über den Pfändungsfreigrenzen der Lohnpfändungsverordnung13 liegen könne. Ein Teil der Kommentarliteratur bestimmt 7 Stein I Jonas I Pohle, § 114 Anm. II 1 a. Dennoch finden sich vereinzelt Entscheidungen, die die engen Grenzen des § 850 b ZPO angewendet haben: OLG Schleswig, SchlHA 1953, S.55; LG Detmold, JMBl NRW 1954, S. 286 f.; OVG Lüneburg, FamRZ 1957, S. 323 f. 8 Thomas I Putzo, § 114 Anm.1; Baumbach I Lauterbach, § 114 Anm.2; Zäller, § 114 Anm. 1 a. 8 PZanck, Lehrbuch, S. 169, Fußn.27. 10 Schott, S. 75 ff. 11 Stein I Jonas hatten in der 17. Auflage ihres Kommentars auf die Lohnpfändungsverordnung hingewiesen. 12 KG JR 1951, S. 184. 13 Durch das "Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiete der Zwangsvollstreckung" vom 20. August 1953 (BGBI I S. 952 ff.) trat die Lohnpfändungs-
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seither den notwendigen Unterhalt "in Anlehnung"14 an § 850 c ZPO. Eine sachliche Begründung dafür, was der zwischen angemessenem und billigem Unterhalt liegende notwendige Unterhalt gerade mit den Pfändungs freigrenzen gemein hat, sucht man vergeblich. Als entscheidend muß der Umstand angesehen werden, daß § 850 c die einzige konkrete Bemessungsgrundlage innerhalb der ZPO überhaupt liefert. Ferner garantieren die geringen Pfändungsfreigrenzen eine schonende Inanspruchnahme des Justizfiskus. Zwar ist einzuräumen, daß § 850 c ZPO wenigstens einen festen Maßstab an die Hand gibtlS und damit die Bewilligung der reinen Willkür16 entzieht; dennoch, § 850 c ZPO läßt einige Fragen offen: Der die Pfändungsfreigrenze übersteigende Betrag wird dem Schuldner in der Zwangsvollstreckung bis zur völligen Tilgung des zu vollstreckenden Anspruchs entzogen; also grundsätzlich unbefristet. Sollen die Prozeßkosten insoweit einer Gläubigerforderung gleichstehen? Sicher nicht, aber wo ist die Grenze zu ziehen? Durch die Regelung über den pfändungsfreien Mehrlohn (§ 850 c Abs. 2 ZPO) wird der wenig Verdienende bis an die Grenze des Existenzminimums belastet, während dem besser Verdienenden noch ein erheblicher Teil seiner Bezüge verbleibt1 7 • Diese Konzeption ist sachgerecht im Verhältnis von Schuldner und Gläubiger; denn die Umstände, die zur Entstehung eines zu vollstreckenden Anspruchs führen, sind stets in irgendeiner Weise vom Schuldner verursacht, sei es durch rechtsgeschäftliches, deliktisches oder anderweitig rechtlich relevantes Handeln. Das Interesse des Gläubigers, einen solchermaßen entstandenen Anspruch in angemessener Zeit zu realisieren, rechtfertigt eine relativ stärkere Inanspruchnahme frei verfügbarer Einkommensteile auch beim wenig verdienenden Schuldner 18 • Dagegen ist es abwegig, diese Interessenabwägung als Entscheidungsgrundlage für die Frage heranzuziehen, ob jemand zur Tilgung oder Tragung von Prozeßkosten in der Lage ist; denn die legitime Funktion der Prozeßkosten19 potenziert sich auf verordnung vom 25. Juni 1919 (RGBl I S.589) außer Kraft und wurde inhaltlich in die §§ 850 ff. ZPO eingefügt. 14 So Stein I Jonas I Pohle, § 114 Anm. II 1 a; ähnlich ZäHer, § 114 Anm. 1 a; Baumbach I Lauterbach, § 114 Anm.2. Darauf, einen konkreten Maßstab anzugeben, verzichten Thomas I Putzo, § 114 Anm. 1 und Rosenberg I Schwab, § 90 II 1 a, S. 460. 15 Rosental (Anmerkung zum Anschluß des Kammergerichts vom 2. 9. 1950, JR 1951, S. 184 f.) sieht ferner den Vorzug angemessener Rücksichtnahme auf höhere Einkommen. 16 Zwar nicht die Willkürlichkeit der Festsetzung, wohl aber das völlig freie Ermessen der Gerichte betonen ältere Kommentare (z. B. Stein, 11. Auflage (1913), § 114 Anm. 12). 17 Vgl. Anlage zu § 850 c ZPO. 18 Auch rechtspädagogische Gründe führen Stein I Jonas I Pohle (§ 850 c Anm. 1) für diese Regelung ins Feld. 19 Vgl. § 4 I 3.
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diese Weise beim schwach Verdienenden, statt für alle Einkommensgruppen relativ gleichmäßig zu wirken. Auf die Bedenken, die sich aus der grundsätzlichen Unterschiedlichkeit beider Regelungsbereiche für die übertragbarkeit des einen auf den anderen ergeben, weist in allgemeiner Form auch Meents2° hin. Um so erstaunlicher ist es, daß sich bisher gegen die Bemessung des notwendigen Unterhalts nach Pfändungsfreigrenzen nur sehr vereinzelt Stimmen erhoben haben 21 • b) Auf noch unsicherem Boden bewegt sich die herrschende Meinung bei der Konkretisierung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Antragstellers. Zwar sind die Schwierigkeiten verhältnismäßig gering, wenn - wie in der Mehrzahl der Fälle - die Leistungsfähigkeit allein nach Arbeitseinkünften oder sonstigen laufenden Bezügen zu beurteilen ist22 , doch sind dem freien richterlichen Ermessen kaum Grenzen gesetzt, wenn Vermögen des Antragstellers, sei es auch nur in geringem Umfange, vorhanden ist. Kapital muß, soweit verfügbar, angegriffen werden 23 , auch der Vermögens stamm wird vom Justizfiskus nicht verschont24 • Selbstverständlich kann der Rückgriff auf vorhandenes Vermögen gerechtfertigt sein, der Mangel aber liegt im Fehlen einheitlicher Richtlinien für die Inanspruchnahme 25 • c) Nicht ausschließlich auf die Leistungsfähigkeit des Gesuchstellers kommt es an, wenn ·er einen Anspruch auf Prozeßkostenvorschuß besitzt oder ein fremdes Recht in eigenem Namen geltend macht. aa) Einzige materiell-rechtliche Grundlage für den Prozeßkostenvorschuß ist § 1360 a Abs. 4 BGB. Ergänzt wird diese Bestimmung durch Meents, S. 82 f. Neben Meents, S. 85 f., Koebel, NJW 1964, S. 392 f.; Däubler, BB 1969, S. 545; LAG Frankfurt, NJW 1965, S.1550. 22 Hier kann auf § 850 e ZPO zurückgegriffen werden, wenngleich das Problem des maßgeblichen Zeitraums für die Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ungelöst bleibt (vgl. Ziff. 2 a cc a. E. dieses Abschnitts). Als leistungsfähig wurde von der Rechtsprechung eine Partei angesehen, die sich die Mittel zur Prozeßführung in angemessener Frist beschaffen kann (KG NJW 1974, S.1337; OLG Frankfurt, MDR 1962, S.138). Sogar der Weg über eine Kreditaufnahme wurde Antragstellern gewiesen (OLG Hamm, NJW 1960, S.344; mit ablehnender Anmerkung von 20 21
Tschischgale).
23 OLG Karlsruhe, NJW 1959, S.1373; selbst wenn das Kapital aus der Zahlung von Schmerzensgeld stammt. Anders für Schmerzensgeldzahlungen: z. B. OLG Oldenburg, NJW 1968, S. 2150. 24 KG, JW 1930, S. 1520. 25 Auf das Problem der Liquidität an sich vermögender Antragsteller hat bereits Cohn, JW 1932, S. 94 ff. hingewiesen. Er sieht eine gewisse Besserstellung der Inhaber von Sachwerten, insbesondere von Haus- und Grundeigentümern.
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die verfahrensrechtlichen Vorschriften der §§ 620 S.l Nr.9, 621 fund 127 a ZP026. IX.) § 1360 a Abs. 4 BGB begründet für den Ehegatten, der außerstande ist, die Kosten eines Rechtsstreits selbst zu tragen, einen Anspruch gegen den anderen Ehegatten auf Vorschuß der Prozeßkosten, sofern der Rechtsstreit eine persönliche Angelegenheit27 betrifft und die Inanspruchnahme billig ist. Zwischen Verwandten schafft § 1360 a Abs.4 BGB keine Vorschußpflicht. Dennoch haben Rechtslehre und Rechtsprechung einen solchen Anspruch auch zwischen Verwandten, insbesondere zwischen Eltern und Kindern anerkannt28 • Zur Begründung wird angeführt: die systematische Stellung des § 1360 a Abs.4 BGB lasse erkennen, daß der Gesetzgeber die Pflicht zum Vorschuß von Prozeßkosten als Bestandteil der Unterhaltspflicht auffasse 29 •
Die Vorschußpflicht wird überwiegend an die weitere Voraussetzung geknüpft, daß die Prozeßführung eine lebenswichtige Angelegenheit betrifft und weder mutwillig noch offensichtlich aussichtslos ist 30 • ß) Für den Anwendungsbereich des Armenrechts ist die Statuierung und der Umfang einer Prozeßkostenvorschußpflicht von außerordentlich großer Tragweite. In dem Maß, in dem eine Pflicht zum Vorschuß der Prozeßkosten ausgedehnt oder eingeschränkt wird, wächst oder verringert sich das Wirkungsfeld des Armenrechts. Persönliche und lebenswichtige Rechtsangelegenheiten sind alle Scheidungs- und Unterhaltssachen. Die Analyse der Streitgegenstände im Armenrecht hat gezeigt, daß sie nahezu vier Fünftel aller Armensachen ausmachen31 • Sofern in diesen Fällen ein leistungsfähiger Ehegatte oder Unterhaltspflichtiger vorhanden wäre, müßte dieser in Anspruch genommen werden und die Bewilligung des Armenrechts schiede aus. y) Aber nicht nur das aktuelle Verhältnis zur Prozeßkostenvorschußpflicht ist für die Einschätzung des Armenrechts von Interesse, sondern auch der Einfluß, den beide Institute seit Inkrafttreten des BGB aufeinander ausgeübt haben 32 • Schon bei den Vorarbeiten zum BGB hat 26 Geändert und eingefügt durch das 1. EheReformG vom 14. Juni 1976 (BGBI I S. 1421), in Kraft getreten am 1. Juli 1977. 27 Palandt I Diederichsen, § 1360 a Anm. 3 b; Finke, lYIDR 1957, S.449, 453; Koch, NJW 1974, S.87. 28 Palandt I Diederichsen, § 1610 Anm.3 c; Stein I Jonas I Pohle, § 114 Anm. 11 1 c; OLG Bamberg MDR 1953, S. 556; OLG Düsseldorf FamRZ 1959, S.292; LG Bielefeld NJW 1965, S. 1279; Pastor, FamRZ 1958, S.298, 300; einschränkend bzw. ganz ablehnend: Beitzke, Lehrbuch, § 12 IV 5; Arnold, FamRZ 1956, S. 5; Pohlmann NJW 1956, S. 1404. 29 Palandt I Diederichsen, § 1610 Anm. 3 c; Roth-Stielow, NJW 1965, S. 2046 ff. 30 OLG Darmstadt NJW 1974, S. 1712; OLG Düsseldorf FamRZ 1975, S.45; BGH NJW 1964, S. 2152; BVerwG FamRZ 1974, S. 370. 31 Vgl. § 6 11 1.
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die Frage eine Rolle gespielt, ob die Unterhaltspflicht auch die Finanzierung von Prozessen des Unterhaltsberechtigten umfassen solle. Die Motive haben darauf eine eindeutige Antwort gegeben. Weil eine derartige Ausdehnung der Unterhaltspflicht nicht den unmittelbar Unterhaltsberechtigten, sondern dem Fiskus bzw. dem Anwalt zugute käme, bestehe dafür kein genügender Grund33 • Die Kosten der Ausbildung, deren Zugehörigkeit zum Unterhalt gleichfalls umstritten war34, wurden in § 1610 Abs.2 BGB ausdrücklich als Teil des Unterhalts aufgenommen. In § 1387 35 und § 1654 36 enthielt das BGB ursprünglich eine allerdings rein güterrechtlich begründete Pflicht des Ehemannes, unter den Voraussetzungen der Vorschriften, die Kosten für Rechtsstreite der Ehefrau bzw. des minderjährigen Kindes zu tragen. Heftig umstritten war nach Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches, ob diese Kostentragungspflicht des Mannes auch eine Kostenvorschußpflicht enthalte37 • Der 4. Zivilsenat des Reichsgerichts hat die Vorschußpflicht in einer Reihe von Entscheidungen bejaht:t8 • Die Auffassung der Instanzgerichte war nicht einheitlich39 • Der Versuch, die Pflicht zur Kostentragung bzw. zum Kostenvorschuß aus der Verpflichtung des Mannes zur Gewährung des Unterhalts (der frühere § 1360 BGB) oder allgemein aus dem ehelichen Verhältnis abzuleiten, wurde nur ganz vereinzelt unternommen 40 , der Anspruch wurde vielmehr als ausschließlich güterrecht32 Pastor, Prozeßkostenvorschuß und Prozeßkostentragung, Dissertation, Bonn 1962, S. 8 ff. 33 Motive zum BGB IV, § 1488, S. 696 f. 34 Motive zum BGB IV, § 1488, S. 696. 35 Wortlaut des früheren § 1387 BGB: "Der Mann ist der Frau gegenüber verpflichtet, zu tragen: 1. die Kosten eines Rechtsstreits, in welchem er ein zum eingebrachten Gute gehörendes Recht geltend macht, sowie die Kosten eines Rechtsstreits, den die Frau führt, sofern nicht die Kosten dem Vorbehaltsgute zur Last fallen; 2. die Kosten der Verteidigung der Frau in einem gegen sie gerichteten Strafverfahren, sofern die Aufwendungen der Kosten den Umständen nach geboten sind oder mit Zustimmung des Mannes erfolgen, vorbehaltlich der Ersatzpflicht der Frau im Falle der Verurteilung." 36 Wortlaut des früheren § 1654 BGB: "Der Vater hat die Last des seiner Nutznießung unterliegenden Vermögens zu tragen. Seine Haftung bestimmt sich nach den für den Güterstand der Verwaltung und Nutznießung geltenden Vorschriften der §§ 1384 - 1386, 1388. Zu den Lasten gehören auch die Kosten eines Rechtsstreits, der für das Kind geführt wird, sofern sie nicht dem freien Vermögen zur Last fallen, sowie die Kosten der Verteidigung des Kindes in einem gegen das Kind gerichteten Strafverfahren, vorbehaltlich der Ersatzpflicht des Kindes im Falle seiner Verurteilung." 37 Bejahend z. B. Planck, Lehrbuch, § 1387 Anm. 6; Opet, Das Familienrecht, § 1387 Anm. 8; verneinend Ullmann, AcP Bd. 92 (1902), S. 288 ff.; Staudinger / Engelmann, § 1387 Anm. 3; Bürck, JW 1900, S. 269 ff. 38 RGZ 47, 72 ff.; RG JW 1900, S.850; RG JW 1901, S.274; RG JW 1906, S.356. 89 Nachweise bei Staudinger / Engelmann, § 1387 Anm. 3. 40 Soweit ersichtlich nur Meyerhoff, JW 1900, S. 690 ff. und Schäfer, BayZ 1906, S. 91 ff.
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licher und damit beschränkt auf den gesetzlichen Güterstand der Gütergemeinschaft begriffen.
Palandt setzte sich 1939 in der ersten Auflage seines Kommentars 41 über diese gefestigte Auffassung hinweg und leitete aus der Unterhaltspflicht nach § 1610 BGB eine allgemeine Verpflichtung ab, den Kindern die Kosten für "lebenswichtige" Prozesse vorzuschießen 42 • Die Abwendung von der bis dahin herrschenden Meinung wurde lediglich mit folgendem Satz begründet: "Warum die allgemeine Meinung die Prozeßkosten der Tochter eines vermögenden Vaters, die z. B. von der Ehe mit einem verbrecherischen Mann loskommen will, der Staatskasse, § 114 ZPO, noch in heutiger Zeit aufbürdet, bleibt unverständlichu ." Das Oberlandesgericht Köln hat die Ansicht Palandts mit folgender Begründung in die Rechtsprechung übertragen: "Die Hilfe, die der Staat den Armen durch Vbernahme der Anwaltskosten und der Auslagen und durch die Befreiung von Gebühren gewährt, ist ein Ausfluß der Volksgemeinschaft. Es widerspricht aber dem Wesen dieser Gemeinschaft, daß ihre Hilfe da in Anspruch genommen wird, wo die nächsten unterhaltspflichtigen Verwandten helfen können 44 ."
Das Bestreben, den Anwendungsbereich des Armenrechts einzuschränken, führte in der Folgezeit auch dazu, daß die Auffassung an Boden gewann, § 627 ZP045 gebe seit seiner Neufassung im Jahre 193848 eine selbständige Anspruchsgrundlage, vom Ehemann einen Prozeßkostenvorschuß zu verlangen, wenn - wie bei der Gütertrennung keinesfalls eine materiell-rechtlich zu begründende Vorschußpflicht besteht41 • Nach dem Kriege hielt die Rechtsprechung zunächst - freilich nicht geschlossen - an der Vorschußpflicht fest4 8 • Diese relative Rechtssicherheit machte ab 1. April 1953 einer "Wirrnis und Widersprüchlichkeit"49 41 Im Vorwort dieser Auflage war die "Berücksichtigung der nationalsozialistischen Rechts- und Lebensauffassung" angekündigt worden. 42 § 1610 Anm. 3. 43 Das Beispiel blieb nicht ohne Beachtung. Eingrenzend: Lent, DR 1941, S. 2257,2260; vgl. auch Günther, NJW 1952, S. 68 f. 44 DR 1941. S. 937 f.; ebenso OLG Danzig DR 1942, S. 1025. 46 Die §§ 627 ff. ZPO regelten bis zum Inkrafttreten des 1. EheRefomG vom 14. Juni 1976 die einstweilige Anordnung im Eheverfahren. 46 Durch die 1. DVO zu EheG vom 27. 7. 1938 (RGBI I S. 923). 47 Scanzoni, DR 1939, S.1598 und DR 1940, S. 711 ff.; Krönig, DR 1942, S. 68, 69; Gaedeke, DR 1942, S. 1727 f. 48 Sämtliche veröffentlichten Entscheidungen finden sich bei Schmidtearre, Freiheit und Individualität der richterlichen Entscheidungsfindung dargestellt insbesondere anhand der Konkretisierung der Gleichberechtigung durch die Rechtsprechung zu den Art. 3 Abs. 2, 117 GG, Dissertation, Münster 1977, S. 114ff.
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beachtlichen Ausmaßes Platz. Gemäß Art. 117 Abs. 1 GG trat das dem Gleichberechtigungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 2 GG) entgegenstehende Recht zum 31. März 1953 außer Kraft. Darunter fiel auch das bis dahin geltende gesetzliche Güterrecht. In der Literatur wurde für den neuen gesetzlichen Güterstand der Gütertrennung einerseits eine Prozeßkostenvorschußpflicht strikt abgelehnt50 , andererseits mit einer, im einzelnen divergierenden, modifizierten Argumentation aufrechterhalten51 • Die Begründungen der Rechtsprechung zur Bejahung der Vorschußpflicht reichten von der ehelichen Fürsorgepflicht bis hin zur Unterhaltspflicht. Die eine Prozeßkostenvorschußpflicht bejahenden - veröffentlichten - Entscheidungen verhielten sich zu den sie verneinenden etwa wie drei zu eins52 • Parallel zu dem Streit um die Vorschußpflicht zwischen Ehegatten wurde die Frage einer entsprechenden Pflicht zwischen Verwandten weiterhin kontrovers erörtert53'. Durch das Gleichberechtigungsgesetz54 schließlich wurde erstmals eine eindeutige positiv rechtliche Grundlage für die Pflicht zum Vorschuß der Prozeßkosten geschaffen. § 1360 a Abs.4 BGB ist die Kodifizierung der auf dem dargestellten Weg entstandenen vorherrschenden Meinung. Die Vorschußpflicht zwischen Verwandten blieb weiterhin ungeregelt. Allerdings lieferte die systematische Stellung des § 1360 a Abs.4 BGB ein Argument, auch im Rahmen des § 1610 BGB die Prozeßkostenvorschußpflicht als Bestandteil der Unterhaltspflicht aufzufassen 55 • Das juristische Tauziehen über das Verhältnis von Unterhaltspflicht, Prozeßkostenvorschußpflicht und Armenrecht ist heute beendet56 , womit freilich nicht gesagt ist, daß mit der theoretischen Klärung auch eine entsprechende einheitliche Praxis korrespondiert. Die rechts tatsächliche Erfassung der Versagungsgründe wird zeigen, inwieweit Relikte des dargestellten Streits die Gerichte noch beeinfiussen57 • bb) Nicht nur die wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers, sondern die eines Dritten sind für die Bewilligung dann maßgeblich, wenn der um die Gewährung des Armenrechts Nachsuchende ein fremSo die Formulierung von Schmidt-Carre, S. 119. Lauterbach, NJW 1965, S. 1538 ff.; Fünfstück, MDR 1953, S. 264 ff. 51 Scheffler, DRiZ 1953, S. 85; Dölle, JZ 1953, S.353; Breetzke, NJW 1953, S. 614; SeideZ, JR 1953, S. 373. 52 Zusammenstellung bei Schmidt-Carre, S. 127 ff. 53 Bauer, NJW 1965, S. 1139 f. 49
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54 "Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts (Gleichberechtigungsgesetz)" vom 18. Juni 1957 (BGBI I S. 609). 55 Vgl. § 7 I 2 c aa. 56 Jedenfalls insoweit, als es sich um ,lebenswichtige' Prozesse des Unterhaltsberechtigten handelt; vgl. Stein / Jonas / PohZe, § 114 II I c; Baumbach / Lauterbach, § 114 Anm. B; Thomas / Putzo, § 114 Anm.1. 57 Vgl. dazu KapitelllI, § 8 III 3.
II. Die formellen Bewilligungserfordernisse
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des Recht in eigenem Namen geltend macht. Häufig erfolgte die Abtretung eines Anspruchs allein zum Zwecke der prozessualen Geltendmachung durch einen Bedürftigen. Die Rechtsprechung hat solche Abtretungen als sittenwidrig (§ 138 BGB) qualifiziert58 • Die Nichtigkeit hat zur Folge, daß der das Gesuch stellende Zessionar gar nicht Inhaber der Forderung wird, sein Gesuch also wegen Aussichtslosigkeit der Hauptsache abzulehnen ist (§ 114 Abs. 1 ZPO).
11. Die formellen Bewilligungserfordernisse a) Die Bewilligung des Armenrechts setzt einen Antrag (Gesuch) des wirtschaftlich Bedürftigen voraus (§§ 114 Abs.1, 118 Abs.1 ZPO)59. Dem Gesuch ist ein das Unvermögen zur Bestreitung der Prozeßkosten ausdrücklich bestätigendes Zeugnis (Armutszeugnis)60 beizufügen61 . Das Erfordernis entfällt bei der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen durch unverheiratete minderjährige Kinder&2 und der Klage auf Feststellung der Vaterschaft6:t. b) Die Zuständigkeit für die Erteilung des Zeugnisses richtet sich nach Landesrecht. Soweit ersichtlich, sind in allen Bundesländern die Kommunen zuständig&4. In Bayern ist Rechtsgrundlage die "Bekanntmachung der Staatsministerien der Justiz und des Innern" vom 26. November 1931 65 . Die Bekanntmachung enthält ferner das Muster des bis heute verwendeten Formblatts zur Bescheinigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers (Zeugnis zur Erlangung des Armenrechts). RGZ 81, S. 175 ff.; BGH LM § 138 Nr.4. Da das Gesuch zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden kann (§ 118 Abs. 1, 2. Halbsatz ZPO), besteht auch dann kein Anwaltszwang, wenn die Gewährung des Armenrechts für einen Anwaltsprozeß begehrt wird (§ 78 Abs. 2 ZPO). 60 Diese Bezeichnung ist kein Terminus des Gesetzes, ist aber allgemein gebräuchlich (Thomas I Putzo, § 118 Anm.2; Stein I Jonas I Pohle, § 118 Anm. II). 61 Es ist allerdings nicht unbedingtes Formalerfordernis (OLG Karlsruhe, ZZP Bd 54 (1929) S.85 mit Anmerkung von Friederichs). Stein I Jonas I Pohle weisen zu Recht darauf hin, daß die zuständigen Behörden zur Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse juristischer Personen und Parteien kraft Amtes überhaupt nicht in der Lage seien und in diesen Fällen das Erfordernis entfallen könne (§ 118 Anm. II a). 62 In diesem Punkt ist § 118 Abs. 2 ZPO durch das 1. EheRG vom 14. Juni 1976 erweitert worden. 63 Eines Zeugnisses bedarf es auch nicht für Verfahren in höherer Instanz, wenn das Armenrecht in der vorherigen Instanz bewilligt war (§ 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO). 64 Stein I Jonas I Pohle, § 118 Anm. II a. 65 GVBl1931, S. 336 ff. 58 59
6·
84
§ 7 Das geltende Armenrecht
c) Nach dem Wortlaut von § 118 Abs. 2 Satz 1 ZPO besteht die Funktion des Armutszeugnisses nicht lediglich in der Bestätigung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Gesuchstellers, sondern vorrangig in der Bezeugung des Unvermögens, die Prozeßkosten zu bestreiten. Die zu erwartenden Prozeßkosten sind also von der Behörde in Relation zum Einkommen und Vermögen des Antragstellers zu setzen, und es ist eine abschließende Beurteilung durch sie gefordert. Die Statusangaben und die Daten der wirtschaftlichen Verhältnisse sind als Grundlagen der behördlichen Schlußfolgerung, der Antragsteller sei zur Tragung der Prozeßkosten nicht in der Lage, Bestandteil des Zeugnisses. Dies hat in erster Linie den Zweck, die Entscheidung der gerichtlichen Nachprüfung zugänglich zu machen; denn eine Bindung des Gerichts an die Beurteilung der Verwaltungsbehörde tritt nicht ein. Das Gericht kann vielmehr positiv oder negativ davon abweichen 66 • Wie die Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse zu erfolgen hat und wann die Schlußfolgerung der Armut zu ziehen ist, überläßt nicht nur die Zivilprozeßordnung, sondern auch die genannte Bekanntmachung den kommunalen Behörden. Die Bekanntmachung enthält jedoch den ausdrücklichen Hinweis auf die Notwendigkeit strenger Prüfung der Armut67 sowie auf die Möglichkeit, das Armenrecht zu einem Bruchteil zu bewilligen68 •
66 Thomas I Putzo, § 118 Anm.2; Stein I Jonas I Pohle, § 118 Anm. 2 a. Nach einem Beschluß des RG (JW 1936, S. 2465) bedarf es aber der Darlegung besonderer Gründe, wenn das Gericht im Widerspruch mit dem Zeugnis das Unvermögenen nicht als nachgewiesen erachten will. 67 § 3 Abs.l der Bekanntmachung: "Bei dem bedrohlich steigenden Aufwand für Gebühren und Auslagen, die im Falle der Bewilligung des Armenrechts aus der Staatskasse gezahlt werden müssen, und bei der ernsten Lage des Staatshaushalts ist es dringend geboten, bei der Behandlung der Gesuche um Bewilligung des Armenrechts mit äußerster Sorgfalt zu verfahren. Die Zeugnisse zur Erlangung des Armenrechts dürfen nur aufgrund eingehender und gewissenhafter Erhebungen ausgestellt werden." (GVBI 1931, S.336.) 68 § 3 Abs.2 der Bekanntmachung: "Besondere Beachtung verdient es, daß nach § 115 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung ... die Möglichkeit besteht, das Armenrecht zu einem Bruchteil zu gewähren. Eine große Zahl minderbemittelter Rechtssuchender ist in der Lage, wenigstens einen Teil der Rechtsstreitkosten selbst aufzubringen. Die Verhältnisse des Antragstellers sind in dieser Richtung zu prüfen." (GVBI 1931, S. 336.)
11. Das Armutszeugnis
85
§ 8 Die Praxis der Geridde und Kommunalbehörden I. Die Bedeutung eines systematischen Einblicks Die Dürftigkeit, mit der die Zivilprozeßordnung die Voraussetzungen für die Bewilligung des Armenrechts im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Gesuchstellers regelt, könnte die Mühe überflüssig erscheinen lassen, zu diesem Fragenkreis Rechtstatsachen zu ermitteln und zu analysieren. Zwar muß der gegenwärtige Rechtszustand69 für sich als bedenklich und eine Reform der Vorschriften rechtfertigend angesehen werden; dennoch sind es gerade Daten und Zahlen, die das rechtliche Unbehagen aus dem Bereich des Theoretischen herauszuheben und die Auswirkungen gesetzlich unzureichend normierter Anspruchsvoraussetzungen plastisch zu machen vermögen. Dabei gilt es herauszufinden, in welchem Maß die in der Rechtslehre und einigen obergerichtlichen Entscheidungen konkretisierten Bewilligungsvoraussetzungen'O Grundlage der Masse von Armenrechtsentscheidungen sind und was gegebenenfalls in der Praxis an deren Stelle tritt. Ferner ist von Interesse, ob das Armutszeugnis die ihm vom Gesetzgeber zugedachte Funktion auch tatsächlich erfüllt.
11. Das Armutszeugnis 1. Der Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
a) Es läßt sich nicht genau ermitteln, welches die maßgeblichen Erwägungen waren, für die Erteilung des Armutszeugnisses die Zuständigkeit der Gemeindebehörden zu begründen. Es liegt jedoch die Vermutung nahe, daß eine wesentliche Rolle dabei die Nähe der Gemeindeverwaltung zum antragstellennpn Bürger gespielt hat. Diese Nähe, verbunden mit der aus der Tätigkeit der Gemeinden in der allgemeinen Armenpflege resultierenden unmittelbaren Kenntnis der wirtschaftlichen Verhältnisse eines Großteils der Bevölkerung, mag dazu bewogen haben, in der Hauptsache die Kommunen und nicht etwa die Gerichte mit der Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse zu befassen. Maßgebend war wohl auch die, im Verhältnis zur heutigen Situation, völlig andere Erwerbsstruktur. Ein weit größerer Teil der Bevölkerung war selbständig tätig. Für sehr viele abhängig Beschäftigte insbesondere in der Landwirtschaft - bestand die Entlohnung ausschließlich oder überwiegend aus Naturalleistungen. Eine einigermaßen 89 70
Vgl. § 7, insbesondere 12. Vgl. § 7 I 2 a und b.
86
§ 8 Die Praxis der Gerichte und Kommunalbehörden
zuverlässige Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit dieses Personenkreises konnte am ehesten durch die Gemeinden erfolgen. Im Vergleich zu dieser - nur bruchstückhaft angerissenen - Situation haben sich die Erwerbsverhältnisse grundlegend geändert. Das entgeltliche Arbeitsverhältnis ist - und wird immer mehr - die Regelerwerbstätigkeit. Hand in Hand damit geht die fast ausnahmslose steuerliche Erfassung der Erwerbstätigen. Auch der Großteil der nicht erwerbstätigen Bevölkerung empfängt exakt nachweisbare öffentliche oder zumindest öffentlich-rechtlich kontrollierte Leistungen. Diese Veränderungen haben zur Folge, daß die ursprünglich bedingt vorhandene sachliche Kompetenz der Gemeinden zur Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Antragstellers mehr und mehr entfallen ist. b) Es überrascht deshalb nicht, daß das Armutszeugnis in der Praxis weithin zu einem bloßen Vermögensbekenntnis 71 geworden ist, in dem die Angaben des Antragstellers zwar bestätigt, aber keiner Nachprüfung unterzogen werden. Von den befragten Gemeindebeamten spielt für 33 010 die persönliche Kenntnis der wirtschaftlichen Verhältnisse des Gesuchstellers nie eine Rolle, für weitere 40 0/0 sehr selten oder selten. Die tatsächlich eingeschränkte Funktion des Armutszeugnisses wird auch durch die geringe Quote förmlicher Einkommens- oder Vermögensnachweise belegt: 68 010 enthalten keine derartige Bescheinigung, in lediglich 32 0/0 der Fälle liegt sie vor72• Bei einer Reihe von Kommunen hat sich die übung herausgebildet, die Erteilung des Armutszeugnisses von der Vorlage eines Negativattests des Finanzamtes abhängig zu machen. Darin hat der Antragsteller nachzuweisen, daß er weder einer Veranlagung zur Einkommenssteuer noch zur Vermögenssteuer unterliegt. Bei 23 Ofo der erteilten Armutszeugnisse lag eine solche Bescheinigung zugrunde. Die geringsten Anforderungen an den Nachweis der Angaben im Armutszeugnis stellen offenbar kleine Gemeinden; denn von den befragten Kommunen 73 erklärten immerhin drei Viertel, die Erteilung des Zeugnisses regelmäßig an die Vorlage formeller Nachweise zu binden, ein Viertel tut dies nicht oder nur in Einzelfällen. In der Natur einer Bestätigung liegt es, daß ihr Wert in dem Maße wächst, in dem die materielle Richtigkeit der Aussage zunimmt. Bei 71 Vor Inkrafttreten der ZPO bestand der alleinige Nachweis der Armut in einem vom Antragsteller zu leistenden Eid (sog. Armeneid) ; vgl. Schott, S. 24 ff. Zur Problematik des Armeneides, Atbrecht, ZCP, Bd. 11 (1837) S. 89 ff. 72 Erfaßt sind hier nur diejenigen Verfahren, in den der Antragsteller überhaupt über Einkommen verfügt. 73 Zur Beschränkung der Umfrage auf Kommunen mit mehr als 5 000 Einwohnern: vgl. Kapitel I, Fußn. 32.
II. Das Armutszeugnis
87
der gegenwärtigen Nachweispraxis sind Zweifel an der Richtigkeitsgewähr der Armutszeugnisse berechtigt. Mitursächlich hierfür ist die sehr verbreitete Auffassung der Gemeindebehörden, von Gesetzes wegen gar keine maßgebliche Prüfungsfunktion wahrzunehmen. Eine Reihe von befragten Beamten hat ausdrücklich betont, daß sie ihre Aufgabe lediglich als eine bestätigende und nicht als prüfende verstehen und daß die Verantwortung für die Bewilligung des Armenrechts ausschließlich beim Gericht liege. Dieses unrichtige Verständnis der eigenen Aufgabe trägt zu einer tendenziell nachlässigen Prüfung bei. Die Skepsis der Richter gegenüber den Aussagen der Armutszeugnisse drücken folgende Zahlen aus: 29 % halten die bestätigten Tatsachen für vollständig und richtig, 44 Ufo für zwar richtig, aber unvollständig und 27 % haben Bedenken hinsichtlich der Richtigkeit. Etwa ein Drittel der Richter unterzieht die Angaben regelmäßig einer überprüfung, zwei Drittel verzichten hierauf entweder generell oder zum überwiegenden Teil. 2. Die Schlußaussage im Armutszeugnis
a) Der amtliche Vordruck des Armutszeugnisses verlangt -- entsprechend § 118 Abs.2 Satz 1 ZPO - eine abschließende Beurteilung durch die ausstellende Behörde, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Antragsteller in der Lage ist, die Prozeßkosten zu tragen 7'. Mit dieser Diagnose aber sind die Kommunalbehörden regelmäßig überfordert. Das kommt formal schon darin zum Ausdruck, daß sie fast uni sono dem Antragsteller das vollständige Unvermögen zur Tragung der Prozeßkosten bescheinigen. Mit dieser Beurteilung schließen 85 Ufo aller Zeugnisse ab, lediglich in 6 Ufo der Fälle kommt die Behörde zu dem Ergebnis, der Gesuchsteller sei zu raten- oder bruchteilsweiser Bezahlung der Prozeßkosten in der Lage. Ihr Unvermögen, eine fundierte Schlußaussage zu treffen, erkennen diejenigen Gemeindeverwaltungen immerhin, die sich abschließend über das Leistungsvermögen der Antragsteller überhaupt nicht äußern (6 Ufo) oder die Beurteilung ausdrücklich dem Gericht überlassen (2 0/0)15. Dem Selbstverständnis der Kommunalbehörden, nur bestätigend, nicht aber prüfend tätig zu sein, entspricht der äußerst geringe Anteil wegen ausreichender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit nicht erteilter Zeugnisse76 • Die Hälfte der befragten Beamten schätzt diesen Anteil Vgl. § 7 II c. Der Additionsrest von einem Prozent beruht auf Abrundungsverlusten. 76 Hier wenden eine Reihe von Befragten ein, die Versagung sei ausschließlich Sache des Gerichts. Es wird also nicht zwischen Erteilung des Zeugnisses und Bewilligung des Armenrechts unterschieden. 74
75
88
§ 8 Die Praxis der Gerichte und Kommunalbehörden
auf weniger als 2 Ofo, fast ebensoviele meinen, er liege zwischen 2 und 5 Ofo. Der wohl deutlichste Beweis dafür, daß den Gemeinden gar nicht bewußt ist, worüber sie mit der Erteilung des Annutszeugnisses entscheiden oder mitentscheiden könnten, wird aus der Bedeutung ersichtlich, die sie dem Streitwert - dem wesentlichen Faktor für die Höhe der Prozeßkosten also - bei der Schlußbeurteilung im Annutszeugnis beimessen. Für gänzlich unmaßgeblich halten den Streitwert 79 Ofo der Befragten, 11 Ofo stufen seine Bedeutung als untergeordnet ein und lediglich 7 Ofo scheinen zu erkennen, worum es geht und halten die Höhe des Streitwerts für entscheidend. Daß dieses Ergebnis in den kleinen und Kleinstgemeinden noch ungünstiger ist, dürfte eine nicht unbegründete Vermutung sein 71 • Folglich fehlen in 94 Ofo aller Armutszeugnisse Angaben zum Streitwert überhaupt. Die von Rechtsprechung und Rechtslehre herausgearbeiteten Kriterien zur Konkretisierung der Bewilligungsvoraussetzung notwendiger UnterhaWB finden bei den Kommunalbehörden nur mehr geringe Beachtung. Die größere Vertrautheit mit der Materie der Sozialhelferechts macht den Reückgriff auf die Richtsätze des BSGH verständlich. Nach Angaben von 80 Ofo der Befragten dienen sie und nicht die Pfändungsfreigrenzen der Zivilprozeßordnung als Orientierungsmaßstab. Die Annutszeugnisse zeigen jedoch, daß auch die BSHG-Sätze nur ungefähre Richtschnur sind. Eine exakte Berechnung lag den erteilten Zeugnissen nur ganz vereinzelt zugrunde 79 • Aus der Befragung wird auch deutlich, daß die Behörden in sehr unterschiedlichem Maße besondere Umstände des Einzelfalles, wie Zahl der Unterhaltsberechtigten, temporäre finanzielle Belastungen oder Art des Streitgegenstandes, berücksichtigen. b) Da den Kommunalbehörden die Bewilligung des Armenrechts selbst nicht obliegt, könnte man der Meinung sein, die dargestellte Praxis sei trotz ihrer Fragwürdigkeit nicht sonderlich schädlich. Dem ist jedoch nicht so; die Annutszeugnisse erfahren eine sehr unterschiedliche Behandlung durch die bewilligenden Gerichte. Von den befragten Richtern machen nämlich 49 Ofo die Schlußbeurteilung im Armutszeugnis grundsätzlich unbesehen oder nach überprüfung nur in besonderen Einzelfällen zrur Grundlage ihrer Annenrechtsentscheidung, während 47 Ofo die Schluß aussage immer oder fast immer einer Nachprüfung unterziehen Bo • Dieser Verteilung entspricht die allgemeine WertschätVgl. Fußn. 73. Vgl. § 7 I 2 a. 79 So aber sämtliche von der Stadtverwaltung einer größeren Gemeinde ausgestellten Zeugnisse. 77
78
III. Die Maßstäbe der Gerichte
89
zung des Zeugnisses; für wenig hilfreich oder überflüssig halten es 45 0/ 0, für sehr hilfreich bis unentbehrlich 54 % der Richter. 3. Zuständigkeitsverlagerung
Den gegenwärtigen Rechtszustand empfinden die zuständigen Beamten der Gemeinden fast einhellig als unbefriedigend. Deshalb befürworten 97 % eine Verlagerung der Zuständigkeit. Einige Beamte haben ausdrücklich angefügt, daß die Belege und Unterlagen, soweit sie ihnen gegenwärtig vorgelegt werden, ebensogut dem Gericht unterbreitet werden könnten. An zu großer Arbeitsbelastung durch die Zeugniserteilung kann dies nicht liegen; denn im gleichen Umfang wie eine Zuständigkeitsverlagerung wird der Arbeitsaufwand als gering bis spürbar eingestuft. 4. Zusammenfassende Beurteilung
Die Untersuchung eines Querschnittes von Armutszeugnissen zeigt, daß es seiner vom Gesetz vorgegebenen Funktion als zwar das Gericht nicht bindender, so doch zumindest im Regelfall verläßlicher Nachweis der Fähigkeit zur Prozeßkostentragung nicht gerecht wird. Die Ursachen dafür liegen in dem Fehlverständnis der Kommunalbehörden bezüglich ihrer Aufgabe im Bewilligungsverfahren sowie in den völlig konturenlosen Maßstäben für die Beurteilung der wirtschaftlichen Bedürftigkeit; schließlich auch in der unzureichenden Vertrautheit mit den Grundlagen des Kostenrechts. Die negativen Folgen dieser sachlichen Inkompetenz für den Rechtssuchenden lassen sich dahingehend zusammenfassen: Der Gesuchsteller wird mit einem weitgehend ineffektiven Teilverfahren81 belastet und - was besonders gravierend ist es werden ungleiche Voraussetzungen für die Bewilligung geschaffen. je nachdem, ob das entscheidende Gericht eine eigene nachprüfende Beurteilung vornimmt oder sie unterläßt. 111. Die Maßstäbe der Gerichte 1. Armenrechtsbewilligung und Versagung
a) Volle Bewilligung. Stellt man aus der Gesamtzahl der untersuchten Armenrechtssachen diejenigen zusammen, in denen das nachge80 Und wie die Höhe der Versagungsquoten und vor allem die Zusammensetzung der Gründe zeigt, gelangen die Gerichte nicht selten zu einer abweichenden Beurteilung (vgl. dazu unter Kapitel IV, insbesondere § 11). 81 Verstärkt wird diese Belastung noch, wenn innerhalb des Verfahrens der Zeugniserteilung weitere behördlichen Bescheinigungen (z. B. des Finanzamts) vom Gesuchsteller beizubringen sind.
§ 8 Die Praxis der Gerichte und Kommunalbehörden
90
wiesene monatliche Nettoeinkommen des Antragstellers mehr als 1 000 DM betrug und das Armenrecht uneingeschränkt bewilligt worden ist, so ergibt sich nachfolgende ÜbersichtS2 : mt!. Nettoeinkommen in DM 2140 1840 1467 1328 1275 1228 1205 1200 1118 1100 1070 1040 1025 1015 1000
Vermögen AktivSchulden verm. inDM in DM 70000
-
80000 -
-
-
50000
18000 67000
-
3200 6000
16500
Zahl der unterhaltsberechtigt. Personena) 8 2 2 1 6 0 2 4 3 0 0 2 0 1 0
(131) (512) (362) (429) ( 44) (621) (258) ( 92) (140) (533) (512) (192) (481) (274) (463)
Streitwert inDMb)
4160 2862 21 750 10959 4000 6240 20 000 4000 2900 4000 12771 133 6000 12720 1800
(1626) (1227) (5 718) (3 747) (1503) (2268) (5 376) (1503) (1227) (1503) (3743) ( 165) (2250) (4149) ( 846)
c)
12,4 2,4 15,8 8,7 33,9 3,7 20,8 16,4 8,8 2,8 7,3 0,9 4,7 15,2 1,8
a) In Klammern ist der pfändbare Teil des Einkommens angegeben, wie er sich nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung bemißt (Anlage zu § 850 c ZPO; in der z. Z. der Armenrechtsentscheidung maßgeblichen Fassung des Gesetzes vom 1. 3. 1972 BGBl. I S. 221). b) Dem Streitwert sind in Klammern die Kosten des Verfahrens angefügt, ausgehend von einem normalen Verfahrensablauf (vgl. § 4 II 2 a). c) In dieser Rubrik ist angegeben, das Wievielfache des pfändbaren Monatseinkommens der Antragsteller aufwenden müßte, um die Prozeßkosten zu bestreiten.
Die Bewilligung mit einem zugrunde liegenden Einkommen von mehr als 1 000 DM weisen bezüglich des Anteils an den verschiedenen Streitwertgruppen und Streitgegenständen gegenüber der Normalverteilung keine Signifikanzen auf. Mit hohen Einkommen korrespondieren keineswegs auffällig hohe Streitwerte oder bestimmte Hauptsachegegenstände s3• Die Anteile entsprechen grob denen, die sich bei der 82 Insgesamt lag in 29 der untersuchten Verfahren das Einkommen des Antragstellers über 1 000 DM. Aus Gründen größerer übersichtlichkeit wurde nur jedes zweite Verfahren in die Tabelle aufgenommen. Da der Bewilligungsmaßstab nicht ausschließlich nach der Höhe des Einkommens beurteilt werden kann, sind - soweit vorhanden - die korrespondierenden Daten (Aktivvermögen, Schulden, Zahl der unterhaltsberechtigten Personen sowie Streitwert) mit angefügt.
91
III. Die Maßstäbe der Gerichte
Katalogisierung aller untersuchten Verfahren ergeben haben84 • Allenfalls erkennbar ist eine Tendenz, in Ehesachen großzügigere Bewilligungsmaßstäbe anzulegen. Ehesachen sind an der Gesamtzahl untersuchter Verfahren mit 22 % vertreten85 , an den Bewilligungen mit hohen Einkommen jedoch zu 280/0. Diese Beobachtung ist aber auf bestimmte Gerichte beschränkt. Interessant ist, daß sich unter den 29 Verfahren allein sechs des Landgerichts befinden, das unter allen bayerischen Landgerichten die höchste Bewilligungsquote aufweist. Von maßgeblichem Einfluß auf die Bewilligungsquote eines Gerichts ist somit dessen strenge oder großzügige Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Gesuchstellers. Die Zusammenstellung der fünf mit uneingeschränkter Bewilligung endenden Verfahren nach Höchstbeträgen des Aktivvermögens ergibt folgendes Bild86 : Aktivvermögen inDM
mtl. Nettoeinkommen inDM
Schulden in DM
Zahl der unterhaltsberecht. Personen
Streitwert in DM
80000 80000 80000 70000 60000
1200 800 1275 2140 810
57000 0 67000 50000 33000
4 0 6 8 3
1500 9678 4000 4160 10110
Die aufgeführten Aktivvermögen repräsentieren durchweg Immobiliarsachwerte (Eigenheime), die fast ausnahmslos mit hohen Verbindlichkeiten und Tilgungsverpflichtungen belastet sind. Sie wurden daher zu Recht nicht zur Grundlage einer positiven Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gemacht. b) Die Fälle vollständiger Versagung des Armenrechts: Zunächst sind die für die Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit maßgebenden Daten derjenigen Armenrechtsverfahren zusammengeVgl. § 5 II 1 und 3. Anteil an den Streitwertgruppen (ausgehend von 29 Verfahren): bis 3000 DM 7 (24 Ofo); von 3001 - 5 000 DM 7 (24 Ofo); von 5001 - 10000 DM 6 (21 Ofo); von 10 001 - 20 000 DM 5 (17 Ofo); über 20 001 DM 4 (14 Ofo). Anteil an den einzelnen Hauptsachengegenständen (ausgehend von 29 Verfahren): Unterhaltssachen: 7 (24 Ofo); Ehesachen: 8 (28 Ofo); schuldrechtliche Verträge: 8 (28 Ofo); unerlaubte Handlung: 2 (7 Ofo); Sachenrecht: 2 (7 %); Familienrecht (ohne Ehesachen): 2 (7 Ofo). 85 Vgl. § 3 III 1 d. 86 Auch hier sind die zur Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit notwendigen Daten angefügt (vg. Fußn. 82). 83
84
92
§ 8 Die Praxis der Gerichte und Kommunalbehörden
stellt, bei denen eine Gewährung einstweiliger Kostenbefreiung ganz oder überwiegend mit der Begründung zu hohen Einkommens abgelehnt worden ist. mtl. Nettoeinkommen in DM 700 745 820 840 849 968 992 1000 1054 1120 1189 1200
Vermögen AktivSchulden verm. inDM in DM
67000
25000
-
60900
-
1230
100000
1263 1335 1523
102000
1567 1869
-
39600 7400 -
Zahl der unterhaltsberechtigt. Personena)
Streitwert inDMb)
e)
3250
1
( 97)
5000 (1872)
20000
(285)
19,2
0 0
(337)
6000 (2250) 1000 ( 561) 5190 (1890)
7,9 1,7 99,4
8000 (2766) 4200 (1626) 6000 (2250) 5000 (1872)
7,8 10,1 13,1 10,6
4000 (1503) 1200 ( 579) 5000 (1872)
5,2 1,1 3,2
6600 (2484)
15,1 2,4
-
2900
-
5000
-
7000 2600
-
1252000
-
150000 6000
3 ( 19) 0 (355) 2 (160) 2 (172) 2 (176) 1 0
(291) (547)
0 (593) 3 (165) 0 (624) 1 2
(397)
2
(384)
0 2
(698)
4000 (1503) 4000 (1503) 900000 (
_)d)
3,8
-
(859)
22 753 (5 799) 38325 (7215)
15,1 8,4
(522)
4000 (1503)
2,9
a) In Klammern ist der pfändbare Teil des Einkommens angegeben, wie er sich nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung bemißt (Anlage zu § 850 e ZPO; in der z. Z. der Armenrechtsentscheidung maßgeblichen Fassung des Gesetzes vom 1. 3. 1972 BGBL I S. 221). b) Dem Streitwert sind in Klammern die Kosten des Verfahrens angefügt, ausgehend von einem normalen Verfahrensablauf (vgl. § 4 II 2 a). e) In dieser Rubrik ist angegeben, das Wievielfache des pfändbaren Monatseinkommens der Antragsteller aufwenden müßte, um die Prozeßkosten zu bestreiten. d) Hier wurden die Werte nicht ermittelt, da der Fall sowohl nach der Höhe des Streitwerts als auch nach den sonstigen Umständen als atypisch zu bezeichnen ist.
In bezug auf bestimmte Streitwertgruppen ist die Verteilung der Versagungen in einem Punkte auffälliger als die der Bewilligungen. Streitwerte zwischen 3- und 5 000 DM sind überproportional vertreten. Dies beruht auf dem hohen Anteil an Ehesachen (45 % der Versagungen). Offenbar steht der örtlich beobachteten großzügigeren Bemessung andernorts eine besonders restriktive gegenüber. Es gibt eine Reihe von Gerichten, die es offensichtlich zu vermeiden suchen, gerade Ehe-
93
IIr. Die Maßstäbe der Gerichte
sachen durch die Staatskasse zu finanzieren. Weltanschauliche Aspekte spielen hierbei gewiß eine Rolle 87 • Zu hohes Vermögen des Antragstellers führte in folgenden Fällen zur Versagung des Armenrechts: Aktivvermögen inDMa)
mt!. Nettoeinkommen in DM
Schulden in DM
Zahl der unterhaltsberecht. Personen
Streitwert in DM
6000 17000 18400 20000 21900 40000
672 430 610 350 130 395
-
0 0 0 0 0 0
742 4000 500 1800 7000 70000
a) Zur Hälfte handelte es sich um Barvermögen der Antragsteller (Zeile 1, 2 und 4), in den übrigen Fällen bestand das Aktivvermögen aus Immobiliarwerten.
c) Vergleicht man die Daten der Armenrechtsverfahren, die mit Bewilligung endeten, mit denen vollständiger Ablehnung des Antrags, so ist kein durchgehender wesentlicher Unterschied im Hinblick auf die Inanspruchnahme laufender Einkünfte feststellbar. Bei den elf in der Tabelle Bewilligung aufgeführten Verfahren88 hätten die Gesuchsteller in je drei Fällen den pfändbaren Teil ihres Monatseinkommens bis zum Fünffachen, zwischen dem Fünf- und Zehnfachen sowie zwischen dem Zehn- und Zwanzigfachen zur Finanzierung des Prozesses in Anspruch nehmen müssen, wenn eine Bewilligung nicht erfolgt wäre. In weiteren zwei Fällen wären mehr als zwanzig pfändbare Monatseinkommen erforderlich gewesen. Eine entsprechende Katalogisierung der Versagungsfälle ergibt nur geringfügig abweichende Anteile. In sechs Fällen war der Antragsteller in der Lage, die gesamten Verfahrenskosten mit dem pfändbaren Teil von fünf Monatseinkommen zu finanzieren, in vier Verfahren waren Aufwendungen zwischen dem Fünfund Zehnfachen notwendig, sechsmal zwischen dem Zehn- und Zwanzigfachen; in einem Fall wäre das Zwanzigfache erforderlich gewesen. Auch die korrespondierenden Angaben zu den Vermögensverhältnissen weisen nur in Nuancen Unterschiede auf. Sowohl bei den Bewilligungen als auch bei den Versagungen finden sich Verfahren, bei denen das Aktivvermögen die Schulden übersteigt oder nur Verbindlichkeiten nachgewiesen sind89 • 87 Dazu, daß es nicht Aufgabe des Kostenrechts sein kann, fehlgeschlagene Ehen aufrecht zu erhalten: Grunsky, Gutachten, S. 48 f. 88 Unter III 1 a dieses Paragraphen.
94
§ 8 Die Praxis der Gerichte und Kommunalbehörden
Deutlichere Divergenzen sind bei einem Vergleich der aus Gründen zu hohen Vermögens ergangenen Versagungen mit den Bewilligungen trotz hohen Aktivvermögens feststellbar. Bei den Bewilligungen korrelieren in nahezu allen Fällen mit hohen Aktivwerten beträchtliche Verbindlichkeiten. Bei den Versagungen dagegen sind in keinem Falle Schulden nachgewiesen. Das Problem liegt indes nicht in der Höhe der Vermögen, sondern in den Schwierigkeiten, sie zur Finanzierung eines Rechtsstreits zu verwerten. Das Ansinnen, Immobiliarvermögen zu belasten, bedeutet regelmäßig, die Prozeßführung von einer Hürde abhängig zu machen, deren Überwindung zusätzliche Kosten verursacht. Bei den durchweg bescheidenen Vermögenswerten der Antragsteller ist eine Verweisung auf das Vermögen bedenklich. Die theoretisch scheinbar ausreichend konkretisierten Bewilligungsmaßstäbe sind für die Masse der Bewilligungsverfahren nicht Grundlage der Entscheidung. Vielmehr hängt es innerhalb eines breiten Spektrums wirtschaftlicher Verhältnisse vom Zufall ab, ob ein Gesuchsteller in den Genuß des Armenrechts gelangt. Zum Teil spielt für die Strenge der vom Gericht gestellten Anforderungen bereits die Erfolgsaussicht der Hauptsache und die Art des Hauptsachegegenstandes eine Rolle. Für etwa ein Drittel der befragten Richter sind diese Gesichtspunkte Grund, die Anforderungen an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit herauf- bzw. herabzusetzen. 2. Teilbewilligungen
a) Das Bruchteilsarmenrecht (§ 115 Abs. 2 ZPO) aa) Unter Bruchteilsarmenrecht wird für die nachstehende Erörterung nur die Bewilligung verstanden, die gemäß § 115 Abs.2 ZPO erfolgen kann, wenn der Antragsteller in der Lage ist, die Prozeßkosten teilweise zu tragen. Nicht hierunter fällt die Bewilligung für nur einen Teil der Hauptsacheforderung - beispielsweise wegen mangelnder Erfolgsaussicht im übrigen. Für diese Art der Gewährung hat sich die Bezeichnung Teilbetragsarmenrecht herausgebildet. bb) In allen untersuchten Verfahren wurde nur in einem einzigen Falle von der Möglichkeit des § 115 Abs. 2 ZPO Gebrauch gemacht.
89 Bei allen Berechnungen sind lediglich die Gebühren nach dem Gerichtskostengesetz und der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung zugrunde gelegt. Auslagen in unterschiedlicher Höhe werden regelmäßig hinzukommen.
III. Die Maßstäbe der Gerichte
95
Die maßgeblichen Daten lauteten: mtl. Nettoeinkommen in DM 1200
Vermögen Aktiv- Schulverm. den inDM in DM
-
20000
Zahl der unterhaltsberecht. Personena) 2
(264)
Streitwert inDMb)
e)
20 000 (5 376)
20,4
a) In Klammern ist der pfändbare Teil des Einkommens angegeben, WIe er SIch nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung bemißt (Anlage zu § 850 c ZPO; in der z. Z. der Armenrechtsentscheidung maßgeblichen Fassung des Gesetzes vom 1. 3. 1972 BGBl. I S. 221). b) Dem Streitwert sind in Klammern die Kosten des Verfahrens angefügt, ausgehend von einem normalen Verfahrensablauf (vgl. § 4 II 2 a). e) In dieser Rubrik ist angegeben, das Wievielfache des pfändbaren Monatseinkommens der Antragsteller aufwenden müßte, um die Prozeßkosten zu bestreiten.
Der Bruchteil der Bewilligung betrug ein Halb. Geht man von den insgesamt 319 Bewilligungen bei den untersuchten Verfahren aus, so ist das Bruchteilsarmenrecht in weniger als einem halben Prozent aller Bewilligungen praktisch geworden. Damit ist diese Möglichkeit, auf die die ministerielle Bekanntmachung von 1932 90 so eindringlich hingewiesen hat, nicht nur bei den Kommunalbehörden, sondern auch bei den Gerichten in fast völlige Vergessenheit geraten. Von bestimmten Gebühren wurde in insgesamt fünf Fällen Befreiung gewährt.
b) Das Ratenarmenrecht
Etwas größerer Beliebtheit als das Bruchteilsarmenrecht erfreut sich das Ratenarmenrecht. Insgesamt aber ist auch seine praktische Bedeutung verschwindend klein. In sechs Verfahren wurde die volle Bewilligung mit ratenweiser Nachzahlung verbunden. mtl. Nettoeinkommen inDM
Vermögen Aktiv- Schulverm. den inDM in DM
Zahl der unterhaltsberechtigt. Personena)
Streitwert inDMb)
c)
416
8000
2000
0
( 54)
4000
(1503)
27,9
527
0
0
1
(
6)
4000
(1503)
263,7
846
0
856
0
1046 1200
-
0
10000
1
(189)
4000
(1503)
8,0
0
(362)
8300
(3 051)
8,4
1
(288)
6300
(2268)
7,9
2
(256)
4000
(1503)
5,9
a) In Klammern ist der pfändbare Teil des Einkommens angegeben, wie er sich nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung bemißt (Anlage zu § 850 e ZPO; in der z. Z. der Armenrechtsentscheidung maßgeblichen Fassung des Gesetzes vom 1. 3. 1972 BGBl. I S. 22U. b) Dem Streitwert sind in Klammern die Kosten des Verfahrens angefügt, ausgehend von einem normalen Verfahrensablauf (vgl. § 4 II 2 a). e) In dieser Rubrik ist angegeben, das Wievielfache des pfändbaren Monatseinkommens der Antragsteller aufwenden müßte, um die Prozeßkosten zu bestreiten. 90
Vgl. § 7 II b, Fußn. 67, 68.
96
§ 8 Die Praxis der Gerichte und Kommunalbehörden
Die Quoten über die Anzahl der für die anfallenden Prozeßkosten aufzuwendenden pfändbaren Monatseinkommen ließen sich, ohne daß ein auffälliger Unterschied zutage träte, sowohl in die entsprechende Rubrik der Tabelle Bewilligungen als auch in die der Tabelle Versagungen einfügen. Damit ist nachgewiesen, daß für die Gewährung des Ratenarmenrechts nicht eine besondere "mittlere" wirtschaftliche Situation des Antragstellers maßgeblich ist, sondern kaum fixierbare Zufälligkeiten. Eine maßgebliche Rolle spielt auch hier die örtliche übung. Zwei Drittel der angeführten Ratenbewilligungen verteilen sich auf geographisch benachbarte Gerichte. Zwei Gerichte bringen ihre Bereitschaft zu ratenweiser Bewilligung durch Einführung und Verwendung entsprechender Formblätter zum Ausdruck. c) Das Urteil der Praktiker
Die Antworten der Richter und Rechtsanwälte zu Fragen des Bruchteils- oder Ratenarmenrechts zeigen deutlich, daß diese Institute ohne exakte gesetzliche Ausgestaltung nicht zu beleben sind. Die geringe praktische Bedeutung, die Richter und Anwälte den beiden Arten der Bewilligung bescheinigen, wird auf die unterschiedlichsten Gründe zurückgeführt. Zwar überwiegt bei den genannten Ursachen die mangels konkreter Maßstäbe schwierige Bemessung (Richter: 33 %, Rechtsanwälte: 63 %). Zu einem erheblichen Teil aber wird bereits ein sachliches Bedürfnis für Teilbewilligungen verneint (Richter: 30 %, Rechtsanwälte: 37 %). Die Richter benennen ferner als Gründe: keine oder wenig entsprechende Gesuche (30 Ofo) und unangemessener Verwaltungsaufwand bei der Rückzahlung von Raten (7 Ofo). Das eingefahrene Schwarz-Weiß-Schema, über ein Armenrechtsgesuch entweder in Form voller Bewilligung oder voller Versagung des Armenrechts zu entscheiden, wird unter dem geltenden Recht nicht befriedigend durch eine modifizierte und gestaffelte Lösung zu ersetzen sein. 3. Die Prozeßkostenvorschußpflicht
Der Anspruch auf Vorschuß der Prozeßkosten ist zwar nicht auf Ehe- und Unterhalts sachen beschränkt, doch liegt in diesen Fällen eine Verweisung auf den Vorschuß deshalb nahe, weil Gegner im Prozeß gerade der möglicherweise Vorschußpflichtige ist. In Unterhaltssachen ist die Leistungsfähigkeit des Beklagten obendrein Voraussetzung sowohl für die Begründetheit der Hauptsache als auch für den Anspruch auf Prozeßkostenvorschuß. a) Von den untersuchten land gerichtlichen Verfahren wurde in 24 Fällen das Armenrechtsgesuch mit dem Hinweis auf die Vorschußpflicht eines Dritten abgelehnt. Nahezu ausnahmslos handelte es sich
IH. Die Maßstäbe der Gerichte
97
um Ehesachen (23 Verfahren). In Ehesachen scheinen alle Gerichte von dieser Ablehnungsmöglichkeit Gebrauch zu machen. Nur bei einem Gericht lag keine Ablehnung dieser Art vor. Allerdings sind Unterschiede in der Häufigkeit, mit der auf den Prozeßkostenvorschuß verwiesen wird, feststellbar. So erreicht der höchste Anteil bei einem Gericht 43 0/0, der niedrigste bei einem anderen knapp 7 0/0. b) Daß das eigentliche Problem einer Ausdehnung der Unterhaltspflicht auf den Vorschuß von Prozeßkosten nicht in der dogmatischen Begründbarkeit, sondern in den Rückwirkungen auf das Armenrecht liegt, zeigen die Zahlen über die Anwendung des Instituts als Mittel zur Versagung des Armenrechts bei den Amtsgerichten. Insgesamt wurde bei 15 Unterhaltsstreitigkeiten das Gesuch unter Verweisung auf die Vorschußpflicht abgelehnt. Allein zehn dieser 15 Fälle entfallen auf ein bayerisches Amtsgericht, die übrigen fünf verteilen sich auf drei weitere Gerichte. Sieben von elf Amtsgerichten haben danach im Untersuchungszeitraum das Instrument überhaupt nicht eingesetzt. c) Die von Gericht zu Gericht differierende Berücksichtigung der Prozeßkostenvorschußpflicht beweist, welch willkürliche Auswirkungen eine Negativvoraussetzung auf die Bewilligung des Armenrechts entfalten kann. Ob dabei für den einzelnen Richter das Bestreben, die Staatskasse zu schonen oder das Verfahren einer - zumindest vorläufig - schnellen Beendigung zuzuführen, im Vordergrund steht, kann offenbleiben. Für den Rechtssuchenden ist es unerträglich, je nach Übung des örtlich zuständigen Gerichts entweder den noch halbwegs direkten Zugang zum Hauptsacheverfahren über das Armenrecht eröffnet zu bekommen oder den beschwerlichen Umweg über die Beitreibung des Prozeßkostenvorschusses beschreiten zu müssen. Ganz abgesehen von den prozeßpsychologischen Bedenken, die dagegen bestehen, die Rechtsdurchsetzung gegen einen Beklagten von gerade seinem finanziellen Vorschuß abhängig zu machen D1 • Mit der mehr oder weniger intensiven Berücksichtigung der Vorschußpflicht ist zugleich eine weitere Ursache nachgewiesen, die die Versagungs- bzw. Bewilligungsquote eines Gerichts maßgeblich beeinflußt. 4. Ergänzungen
a) Die dargestellte Untersuchung der Versagungsgründe läßt noch eine ergänzende Bemerkung zur Effektivität des behördlichen Verfahrens der Zeugniserteilung notwendig erscheinen. Von insgesamt 39 Versagungen wegen zu hohen Einkommens des Antragstellers erfolgte in 35 Fällen die Ablehnung allein aufgrund der Angaben im 81
Hierzu ausführlich Meents, S. 120 ff.
7 Franke
§ 8 Die Praxis der Gerichte und Kommunalbehörden
98
Armutszeugnis. Erhebungen oder sonstige Ereignisse im Laufe des Prüfungsverfahrens schufen nur in vier Verfahren die Grundlage für die Versagung. Damit wird der oben92 bereits angedeutete Befund einer beschränkten Effektivität des behördlichen Verfahrens der Zeugniserteilung zusätzlich belegt9 :t. Bei den sechs Versagungen wegen zu hohen Vermögens lagen in keinem Falle Erkenntnisse vor, die über die Angaben des Zeugnisses hinausgingen. b) Eine Erklärung dafür, daß die Anforderungen an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bei Bewilligungen und Versagungen im Durchschnitt der Fälle sich nicht deutlich voneinander abheben, dürfte darin liegen, daß sich die Gerichte nur sehr selten eine exakte Vorstellung über die konkret entstehenden Prozeßkosten verschaffen. In den ablehnenden Beschlüssen werden die voraussichtlichen Kosten nur vereinzelt ausdrücklich in Relation zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen gesetzt. Es überwiegen die formelhaften Begründungen: "dem Antragsteller ist zumutbar", "der Antragsteller ist in der Lage, ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts", "der Antragsteller verfügt über lastenfreies Grundeigentum", usw. c) Aus der Fülle von Einzelerscheinungen, die bei Auswertung des Aktenmaterials beobachtet worden sind, sollen an dieser Stelle zwei genannt werden, da sie typisch sind für extreme Positionen gegenüber dem Institut des Armenrechts. (1) über die Wirkungen seines erfolglosen Gesuchs mag der Antragsteller in folgendem Fall erstaunt gewesen sein: Die im Armutszeugnis nachgewiesenen Angaben zu seinen Einkommensverhältnissen94 erschienen dem Gericht zu hoch für die Bewilligung des Armenrechts. Daraus wurde aber nicht nur die Konsequenz der Versagung gezogen, sondern auch die einer Heraufsetzung - es handelte sich um ein Ehescheidungsverfahren - des Regelstreitwerts. (2) An einem Landgericht findet ein Formblatt Verwendung, das jeder zuzustellenden Klage beigefügt wird. Darin wird der Beklagte auf die Möglichkeit hingewiesen, daß er - falls er außerstande sei, die Prozeßkosten zu tragen - das Armenrecht beantragen könne. Sicher ist es kein Zufall, daß gerade dieses Gericht die höchste Armenrechts- und Bewilligungsquote in Bayern aufzuweisen hat. Vgl. unter II dieses Paragraphen. Die Kommunalbehörden treffen praktisch keine ablehnenden Entscheidungen. Damit entfällt jede Entlastung der Gerichte. Für sie verwertbar bleibt allein die Vermögensbescheinigung. 94 Das Nettomonatseinkommen betrug etwa 1 000 DM monatlich. In der Ehe waren zwei minderjährige Kinder vorhanden. 92
93
I. Grundanliegen und Möglichkeiten
99
5. Zusammenfassung
Die geltenden Armenrechtsvorschriften vermögen nicht zu gewährleisten, daß an die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Antragsteller auch nur annähernd gleiche Anforderungen gestellt werden. Vielmehr überschneiden sich in einem weiten Bereich von Einkommens- und Vermögensverhältnissen Bewilligungen und Versagungen willkürlich. Die unzureichend konkretisierten Maßstäbe lassen es außerdem zu, daß in die Entscheidung sachfremde Erwägungen einfließen. Das Raten- und Bruchteilsarmenrecht spielt eine völlig untergeordnete Rolle. Die Fälle der Gewährung heben sich hinsichtlich der materiellen Voraussetzungen nicht deutlich von denen voller Bewilligung oder voller Versagung ab. Einen weiteren bedenklichen Ungleichheitsfaktor für die Behandlung von Armenrechtsgesuchen stellt die Prozeßkostenvorschußpflicht dar.
§ 9 Die gesetzlime Neugestaltung I. Grundanliegen und Möglichkeiten 1. Aufgabe der Reform
a) In der Konkretisierung des Begriffs der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit liegt eine wesentliche Aufgabe der Reform des Armenrechts. Die Erfüllung der oben herausgearbeiteten Grundanforderungen, denen die Reform genügen sollte95 , hängt ganz wesentlich vom Gelingen dieses Teilaspektes der Neugestaltung ab. Die Untersuchung der Bewilligungspraxis hat gezeigt, daß eine der hauptsächlichen Ursachen für die große regionale Unterschiedlichkeit der Armenrechtsquoten und die stark differierende Bewilligungshäufigkeit das Fehlen konkreter Maßstäbe für die Beurteilung der finanziellen Leistungsfähigkeit ist. Das freie richterliche Ermessen - selbst wenn es in jedem Einzelfall vom intensiven Bemühen um Gleichbehandlung getragen ist - vermag zu befriedigenden Ergebnissen nicht zu führen. Die von der Zivilprozeßordnung selbst angedeutete Relativierung der Prozeßkostenlast mit Hilfe des Armenrechts96 kann nur dann breite praktische Bedeutung erlangen, wenn die Relationen vom Gesetz verbindlich festgelegt werden. Vor allem auch unter dem Gesichtspunkt einer Ausdehnung 95 Vgl. § 6 IV 2 a und b. Zusammengefaßt: Garantie einer gleichmäßigen Handhabung sowie abgestufte Milderung des Prozeßkostenrisikos für einen größeren Personenkreis als den nach dem geltenden Recht in Betracht kommenden. 96 § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO; deutlich kommt die Relativität in § 115 Abs.2 ZPO zum Ausdruck (vgl. § 7 I 1).
7·
§ 9 Die gesetzliche Neugestaltung
100
des Kreises der Anspruchsberechtigten und einer Umgestaltung des geltenden Armenrechts zu einem System abgestufter Milderung des Prozeßkostenrisikos ist die Festlegung konkreter Maßstäbe unerläßlich. b) Eine enge gegenseitige Abhängigkeit besteht zwischen den materiellen Anforderungen an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Antragstellers und dem - formellen - Nachweis dieses Leistungsvermögens. Werden die materiellen Voraussetzungen einem groben Maßstab unterworfen, so sinkt die Bedeutung eines exakten (formellen) Nachweises; Zweifel an der Richtigkeit des Nachweises beeinflussen dann nicht selten den materiellen Maßstab und umgekehrt. Je differenzierter dagegen die Anspruchsvoraussetzungen ausgestaltet sind, desto größere Bedeutung kommt der Richtigkeitsgewähr des Nachweises zu, da bereits verhältnismäßig geringe Unterschiede in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Art und Umfang der Bewilligung spürbar beeinflussen. Die gegenwärtige Nachweis- und Bewilligungspraxis97 bestätigt diese Abhängigkeit in negativer Hinsicht. Das Armutszeugnis hat nicht zuletzt deswegen an Funktionalität und Aussagekraft verloren, weil die Gerichte sich vom Entweder-Oder voller Versagtmg oder Bewilligung im Grunde nicht zu lösen vermögen. Diesen Zusammenhang muß die Reform berücksichtigen. c) Die Festlegung von Maßstäben für die Bewilligung einer künftigen Prozeßkostenhilfe hat weittragende fiskalische Konsequenzen98 • Daher ist die Fixierung exakter Werte keine rechtspolitische Aufgabenstellung mehr, sondern eine ausschließlich politische; hierfür ist im Rahmen dieser Arbeit kein Raum. Bei voller Respektierung der politischen Entscheidung können und müssen jedoch die Grundlinien eines Systems aufgezeigt werden, das in der Lage ist, die rechtlich und tatsächlich belegten Mängel des geltenden Rechts zu überwinden. 2. Die bisher diskutierten Lösungsmöglichkeiten
a) Maßstäbe für die direkte oder indirekte Frozeßkostensubvention aal Soweit ersichtlich, ist bisher nicht der Versuch unternommen worden, den von der herrschenden Meinung herangezogenen Maßstab der Pfändungs freigrenzen in der Zwangsvollstreckung für Zwecke des Armenrechts neu zu beleben. Die Untauglichkeit dieses Instruments wurde ausführlich nachgewiesen99 • Auch die jüngste beträchtliche AnVgl. § 8 II und III, insbesondere II 1 b, 2 bund III 1 C. Eine Modellrechnung - allerdings auf der Grundlage eines Nulltarifs - hat Grunsky aufgestellt. Er beziffert die Gesamtkosten allein für Ehescheidungs- und Kindschaftsverfahren auf 500 Mio. DM jährlich (Grunsky, Gutachten, S. A 50). 99 Vgl. § 7 I 2 cc und § 8 III. 97
98
I. Grundanliegen und Möglichkeiten
101
hebung der Pfändungsfreigrenzen100 ist aus zwei Gründen nicht geeignet, die Praxis des Armenrechts nachhaltig positiv zu beeinflussen. Erstens ist der Einfluß der Pfändungsfreigrenzen auf die Entscheidung der Gerichte ohnehin wenig konkret t01 und zweitens hat auch die Neufestlegung der Pfändungsfreigrenzen nichts am System jener Vorschriften geändert; sie passen so wenig wie zuvor für den Regelungsbereich des Armenrechts. bb) Vereinzelt wurde ein Rückgriff auf die einschlägigen Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes als geeignet angesehen, die aus dem gegenwärtigen Rechtszustand resultierenden Unsicherheiten zu beheben oder wenigstens zu mildern 102 • Insbesondere die Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes über die Hilfe in besonderen Lebenslagen 103 sollten als konkreter Maßstab für die Entscheidung dienen, ob der Antragsteller zur Tragung der Prozeßkosten in der Lage ist oder nicht. Der vorgeschlagene Weg hätte den Vorteil, daß aufgrund des Regelungsmechanismus im Bundessozialhilfegesetz der Bedarf des Hilfesuchenden - anders als bei Anwendung der Pfändungsfreigrenzen in striktem Bezug zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gesetzt würde. Auf das Armenrecht übertragen hieße das, daß sich eine strenge Relation zwischen Umfang der Bewilligung einerseits und den zu erwartenden Prozeßkosten und der Leistungsfähigkeit des Antragstellers andererseits herstellen ließe. Gegen den Gedanken, die Maßstäbe des Sozialhilferechts auf das Armenrecht zu transponieren spricht jedoch, daß ein daran orientiertes Armenrecht keinesfalls zu einem System abgestufter Milderung des Prozeßkostenrisikos entwickelt werden könnte. Die Hilfe in besonderen Lebenslagen ist grundsätzlich an eine starre Einkommensgrenze gebunden104 • Diese Grenze würde vom weitaus größten Teil des Personenkreises überschritten, der in den Genuß einer abgestuften Prozeßkostenhilfe kommen sollte. Für diesen großen Personenkreis bliebe nur § 84 BSHG, um den Umfang des An100 Durch das "Vierte Gesetz zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen" vom 28. Febr. 1978 (BGBl 1978 I S.333), in Kraft getreten am 1. April 1978; vgl. auch Hartmann, NJW 1978, S. 609 ff. 101 Vgl. § 8!II 1. 102 Hillermeier, BayVBl 1972, S. 408 ff., bezugnehmend auf den Beschluß des OVG Berlin vom 30. Nov. 1971, DVBI 1971, S.428. HiHermeier hält aber eine ausdrückliche gesetzliche Vorschrift für notwendig. Der Richter ist nach seiner Auffassung nicht ohne weiteres befugt, die Maßstäbe des Sozialhilferechts bei der Armenrechtsentscheidung anzuwenden. Die Möglichkeit eines Rückgriffs auf das Sozialhilferecht deutet auch Röper an (ZRP 1975, S. 253). 103 § 27 Abs. 2 BSGH enthält im Anschluß an die enumerativ aufgeführten Fälle einer Hilfe in besonderen Lebenslagen eine Generalklausel. Die §§ 79 ff. BSGH legen die Einkommensgrenzen für die Gewährung der Hilfe fest. 10e § 79 Abs. 1 BSHG.
§ 9 Die gesetzliche Neugestaltung
102
spruchs zu bemessen. Diese Generalklausel aber normiert die Anspruchsvoraussetzungen nicht wesentlich konkreter als die einschlägigen Bestimmungen der Zivilprozeßordnung105 • Offensichtlich ungeeignet ist das Sozialhilferecht für die Bemessung einer Prozeßkostenhilfe zugunsten gewerblicher Unternehmen. cc) Auf Rechtsgebieten mit naturgemäß hohen Streitwerten und folglich hohen Prozeßkosten hat der Gesetzgeber einer möglicherweise rechtswegsperrenden Wirkung der Verfahrenskosten die Spitze dadurch genommen, daß er dem Gericht die Möglichkeit einräumt auf Antrag einer Partei den Streitwert herabzusetzen und damit die Prozeßkostenlast für diese Partei mittelbar zu mindern106 • Vor allem Däubler 107 hat einer allgemeinen Ausdehnung dieser mittelbaren Proz'eßkostenminderung - unter dem Aspekt einer Verbesserung des Armenrechts - das Wort geredet. Sie ist aber aus mehreren Gründen keine geeignete Lösung des Prozeßkostenproblems. Die Vorteile der Streitwertherabsetzung werden zum weitaus größeren Teil durch Belastung der im Rechtsstreit tätigen Anwälte erkauft 108 • Diese Belastung mag zumutbar und tragbar sein bei extrem hohen Streitwerten, wo auch die am herabgesetzten Streitwert bemessenen Gebühren noch ausreichend für den Arbeitsaufwand entschädigen. Die Gebühren niedriger Streitwerte sind aber bereits heute für die Anwaltschaft nicht mehr kostendeckend 109 ; in diesem Bereich ist eine Streitwertherabsetzung ausgeschlossen. Eine ins Ermessen des Gerichts gestellte Streitwertherabsetzung ließe außerdem dieselbe örtlich unterschiedliche Handhabung zu, die gegenwärtig beim Armenrecht zu beobachten ist. Akzeptabel wäre eine allgemeine Streitwertherabsetzung nur in Verbindung mit einem anwaltsinternen GebÜhrenausgleich 110 • Wenn einerseits die streiiwertabhängige Gebührenbemessung ihre innere Rechtfertigung in dem Bestreben hat, einen sozialen Ausgleich zwischen rentablen und unrentablen Rechtsstreiten herzustellen, und wenn andererseits feststeht, daß die Anteile an den rentablen und unrentablen 105 106
§§ 114 Abs. 1, 115 Abs. 2 ZPO. § 53 Abs.1 PatG; § 247 AktG; § 23 a Abs.1 UWG; § 31 a Abs.1 WZG;
§ 17 a Abs. 1 GebrMG.
107 BB 1969, S. 551; ferner Andresen, JZ 1973, S.519 (Anmerkung); ablehnend: Erdsiek, NJW 1964, S. 912 f., Eike Schmidt, JZ 1972, S.680. 108 Die Anwaltsgebühren für die Anwälte bei der Parteien - betragen ein Mehrfaches der Gerichtsgebühren. Hierzu auch Schroeder-Hohenwarth, Das Armenrecht in der Bundesrepublik und seine Reform unter besonderer Berücksichtigung wirtschaftlicher und rechtsvergleichender Aspekte, S.141. 109 v. Aulock, S. 185; Franzen, NJW 1973, S.2054. 110 Wassermann, RuP 1975, S.6; Baumgärtel, Gleicher Zugang zum Recht, 8.134.
H. Die Ausgestaltung des Tabellensystems
103
Rechtsstreiten innerhalb der Anwaltschaft sehr ungleich verteilt sind, wäre eine solche Ausgleichung die gerechte Konsequenz. Dieser Vorschlag ist jedoch - ganz abgesehen von den Problemen der technischen Realisierung - ohne Chance, die breite Zustimmung der Anwaltschaft zu finden. dd) Eine sachgerechte Lösung verspricht allein die unmittelbare Prozeßkostensubvention nach dem Muster des geltenden Rechts. Das Ziel einer differenziert abgestuften Prozeßkostenhilfe kann nur durch Entwicklung und Einführung eines Tabellensystems erreicht werden, das ausgehend von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Antragstellers dessen Anspruch auf Prozeßkostenhilfe exakt festlegt. Damit wäre zugleich für eine weitestgehend einheitliche Handhabung Sorge getragen. Die Mehrheit der rechtspolitischen Vorschläge konzentriert sich deshalb auch hierauflli. Über Art und Ausgestaltung des Tabellensystems fehlen aber grundsätzliche Erörterungen und diskussionsreife Vorschläge. b) Der Nachweis der Leistungsfähigkeit Die fast ausschließlich theoretisch angelegten Abhandlungen zur Reform des Armenrechts widmen sich verständlicherweise selten der überwiegend praktischen Frage, ob und gegebenenfalls auf welche Art und Weise ein Antragsteller seine wirtschaftlichen Verhältnisse künftig nachzuweisen haben soll. Soweit Bemerkungen hierzu vorhanden sind, ist die Tendenz feststellbar, die Bedeutung des Armutszeugnisses oder eines entsprechenden Nachweises zu unterschätzen. Die Vorschläge reichen von einer allgemeinen Liberalisierung bis zum völligen Wegfall des Zeugnisses oder seiner Ersetzung durch ein reines Vermögensbekenntnis, verbunden mit Sanktionen für den Fall unrichtiger tatsächlicher Angaben 112 • 11. Die Ausgestaltung des Tabellensystems 1. Die Rahmenbedingungen
Vor Ausarbeitung eines Tabellensystems sind eInIge grundlegende Entscheidungen hinsichtlich der künftigen Prozeßkostenhilfe zu treffen. 111 Schroeder-Hohenwarth, S. 275 ff.; de With, Prozeßkostenhilfe und außergerichtliche Rechtshilfe - Vortrag vor dem Bundesvorstand der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen in München am 27. 6. 1974, AnwBl 1974, S. 304 f.; 51. Deutscher Juristentag, Abteilung Rechtspflege und Kostenlast, Beschlüsse I 8, S. L 174. 112
Schroeder-Hohenwarth, S. 286.
104
§ 9 Die gesetzliche Neugestaltung
a) Auf seiten der Voraussetzungen für den Anspruch müssen die für die Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit maßgebenden Faktoren bestimmt werden. Wesentliche Grundlage werden die laufenden Einkünfte des Antragstellers sein müssen, gekürzt um die zu entrichtenden Steuern und um angemessene Vorsorgeaufwendungen. Es wäre im einzelnen zu prüfen, inwieweit zur exakten Bestimmung auf Vorschriften des Einkommenssteuerrechts Bezug genommen werden kann 113• Vermögen sollte unmittelbar nur in sehr engen Grenzen in die Bemessung einbezogen werden. Erstens werden größere Vermögen regelmäßig die Höhe der laufenden Einkünfte beeinflussen und zweitens bestehen erhebliche Schwierigkeiten, Vermögen - mit Ausnahme von Barvermögen - wirtschaftlich sinnvoll zur Prozeßfinanzierung einzusetzen. Ferner ist eine gewisse Unbilligkeit nicht zu übersehen, die entstünde, wollte man auch unter Hinweis auf kleine Vermögen die Prozeßkostenhilfe versagen; derjenige, der bescheidenes Vermögen gebildet hat, würde gegenüber demjenigen benachteiligt, der die Notwendigkeit einer wirtschaftlichen Zukunfts sicherung völlig ignoriert. Als Grenzwerte, innerhalb derer ein Rückgriff auf das Vermögen jedenfalls ausscheiden müßte, könnten die Freigrenzen nach dem Vermögenssteuergesetz dienen114. Die so ermittelten Werte der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Antragstellers wären noch um angemessene Abschläge zu kürzen, je nach der Zahl der Personen, denen der Antragsteller Unterhalt zu leisten hat. Das Negativerfordernis Anspruch auf Prozeßkostenvorschuß sollte künftig als Bewilligungsvoraussetzung gänzlich entfallen. Der materiellrechtliche Bestand des Instituts würde hierdurch nicht tangiert, es schiede lediglich als Versagungsgrund aus. Für den Fall, daß der Antragsteller Prozeßkostenhilfe bewilligt erhalten hat und die Prozeßkosten ganz oder teilweise dem Justizfiskus zur Last gefallen sind, wäre eine überleitung des Anspruchs auf die. Staatskasse vorzusehen. Damit wäre einerseits der psychologisch unbefriedigende Zustand für den Vorschußberechtigten behoben und eine Ursache erheblicher Ungleichheit bei der Bewilligung beseitigt, andererseits entstünde dem Fiskus keine finanzielle Einbuße. Eine solche Anspruchsüberleitung stünde außerdem in Parallelität zu den Vorschriften anderer Gesetze mit sozialer Zielrichtung t15 • h) Auf der Rechtsfolgenseite muß entschieden werden, ob der vom Antragsteller zu tragende Teil der Prozeßkosten in der Regel raten113 Insbesondere die Vorschriften des Ir. Abschnittes und die des IV. Abschnittes des Einkommenssteuergesetzes. 114 § 6 VStG, Freibetrag für eine unbeschränkt steuerpflichtige natürliche Person derzeit 70 000 DM.
115
§ 90 BSHG; § 37 BAFöG.
H. Die Ausgestaltung des Tabellensystems
105
weise (gegebenenfalls über einen längeren Zeitraum) oder in Form einer einmaligen Zahlung geleistet werden soll. Vor allem wenn die Eigenbeteiligung die Regelform der Bewilligung wird, kommt dieser Frage große praktische Bedeutung zu. Gegen eine Ausgestaltung als Ratensystem spricht vor allem der nicht abzuschätzende zusätzliche Verwaltungsaufwand, den die überwachung und Beitreibung der Raten erfordern würde. Ferner wäre die Zahlungsmoral eines Betroffenen auf eine harte Probe gestellt, verlangte man von ihm die u. U. monatelange Abtragung von Kosten für einen längst verlorenen Rechtsstreit; denn nur dann würde normalerweise die Ratenzahlung Platz greifen. Zudem wird die Funktion der Prozeßkosten besser aufrechterhalten, wenn sich ein Antragsteller dem gesamten verbleibenden Kostenrisiko en bloc gegenübersieht, als wenn es durch zeitliche Perspektiven verzerrt wird. Ratenzahlung und Stundung sollten selbstverständlich nach genauer zu bestimmenden Kriterien für Einzelfälle zugelassen werden, gegebenenfalls verbunden mit einer mäßigen Erhöhung der Gesamtbelastung. Auch an die Möglichkeit eines vollständigen Erlasses ist zu denken. 2. Das Tabellensystem
a) Zwei Arten von Tabellensystemen - mit jeweils wiederum zwei weiteren Varianten - lassen sich unterscheiden: Bei der streitwertunabhängigen Tabelle ist die aus dem Gegenstandswert sich ergebende konkrete Höhe der Prozeßkosten ohne Einfluß auf die Höhe der Prozeßkostenhilfe. Der Umfang bestimmt sich allein nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Antragstellers. Die Leistungsfähigkeit kann nun je nach ihrer Höhe zur Bestreitung der Prozeßkosten mit einem prozentual gleichbleibenden (proportionalen) oder einem steigenden (progressiven) Anteil in Anspruch genommen werden. Die streitwertabhängige Tabelle würde für die Bemessung der vom Antragsteller selbst aufzubringenden Prozeßkosten neben seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auch die Höhe des Streitwerts berücksichtigen und vom Antragsteller eine um so größere finanzielle Leistungsanspannung verlangen, je größer sein materielles Interesse an einem Rechtsstreit ist. Je nachdem, ob auf der Ebene der Leistungsfähigkeit eine Proportionalität oder eine Progression zugrunde gelegt wird, ergäbe sich bei Einbeziehung des Streitwerts ein einfaches oder doppeltes Progressionss1/stem. Für die Frage, welches von beiden Systemen vorzugswürdig ist und Bestandteil der gesetzlichen Neuregelung werden sollte, ist von folgender Überlegung auszugehen: Die Fähigkeit, finanzielle Aufwendungen aus den laufenden Einkünften zu bestreiten, wächst mit zuneh-
106
§ 9 Die gesetzliche Neugestaltung
mendem Einkommen überproportional. Stehen beispielsweise bei einem Einkommen von X 20 % zur Bestreitung besonderer Aufwendungen zur freien Verfügung, so steigt der freie Anteil bei einem Einkommen von 2 X auf vielleicht 40 - 60 0/0. Eine einfache Proportionaltabelle würde somit höhere Einkommen ohne Grund schonen. Diesen Nachteil weist die Progressionstabelle nicht auf. Was die Einbeziehung des Streitwerts (doppelte Progression) anbetrifft, ist vom Ziel des zur Prozeßkostenhilfe entwickelten Armenrechts auszugehen: Die Prozeßführung soll für einen möglichst großen Teil der Rechtssuchenden mit einem relativ gleich hohen Opfer verbunden sein. Da das streitwertabhängige G€bührensystem die finanzielle Opferbereitschaft auch relativ Vermögender je nach dem materiellen Interesse unterschiedlich stark beansprucht, sollte diese Relativität auch in das System der Prozeßkostenhilfe einbezogen werden. Mit Hilfe der streitwertabhängigen Progressionstabelle (doppeltes Progressionssystem) würden die Prozeßkosten ihre legitime Wirkung115a gegenüber allen Rechtssuchenden mit gleicher oder nahezu gleicher Intensität entfalten. b) Die streitwertabhängige Progressionstabelle.
aal Zunächst ist es notwendig, die Eckdaten der Tabelle festzulegen. Dies sind: die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die Höhe des Streitwerts bzw. der Prozeßkosten sowie das Maß der Eigenbeteiligung an den anfallenden Prozeßkosten. (1) Welche Kriterien bei der Bestimmung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Prozeßkostenhilfe begehrenden Antragstellers Berücksichtigung finden müssen, wurde bereits dargelegt116. Für die Tabelle wären Gruppen unterschiedlicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zu bilden. In den unteren Gruppen könnte und sollte die Abstufung feiner sein als in den oberen. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit müßte auf einen einheitlich'en, mittelfristigen Zeitraum (etwa ein Jahr) bezogen werden.
(2) Der zweite Faktor, von dem das Maß der Eigenbeteiligung bzw. der Prozeßkostenhilfe abhinge, ist der jeweilige Bedarf eines Antragstellers - die zur Führung eines Rechtsstreits notwendigen finanziellen Aufwendungen. Da sich die Aufwendungen (Kosten) nach dem Streitwert richten, ließen sich für die Tabelle Streitwertgruppen bilden. Sie würden das materielle Interesse des Rechtssuchenden an dem Prozeß in nahezu reiner Form widerspiegeln, allerdings außer acht lassen, daß im Einzelfall die Prozeßkosten durch Auslagen beträchtlich erhöht 115a Vgl. § 4 I 3. 118 Vgl. 1 a dieses Abschnitts.
H. Die Ausgestaltung des Tabellensystems
107
werden können. Auch eine solche eventuelle Verteuerung der Prozeßführung sollte die Höhe der Eigenbeteiligung beeinflussen. Deshalb wären in die Tabelle nicht Streitwertgruppen, sondern Gruppen unterschiedlich hoher Prozeßkosten einzustellen. (3) Für jedes denkbare Zusammentreffen der vorstehend genannten Faktoren (wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Prozeßkostenhöhe) muß die Tabelle das Maß der Eigenbeteiligung festlegen. Bestimmend für die Ausgestaltung ist der Zweck der angestrebten Prozeßkostenbeteiligung: einerseits Rechtssuchende mit geringer wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zu einer - wenn auch niedrigen - Selbstbeteiligung heranzuziehen, andererseits auch relativ Leistungsfähige bei entsprechend hohen Prozeßkosten teilweise in den Genuß der Prozeßkostenhilfe gelangen zu lassen. Außerdem sollte der Grad der Eigenbeteiligung für jede Gruppe wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit mit dem sachlichen Interesse - das in aller Regel in der Höhe der Prozeßkosten bzw. des Streitwerts seinen Ausdruck findet - zunehmen. Zunächst ist es erforderlich, für jede Leistungsgruppe die maximale Eigenbeteiligung zu bestimmen. d. h. zu welchem Höchstmaß (prozentualer Anteil) sie ihr Leistungsvermögen zur Tragung der Kosten eines Rechtsstreits einsetzen muß, und bei welchem Bedarf (Prozeßkostenhöhe) diese Maximalbeteiligung gefordert werden soll. Dieser Maximal anteil wird bei geringer Leistungsfähigkeit absolut und relativ niedrig sein und schon bei geringer Prozeßkostenhöhe erreicht werden, während er bei hoher Lei~tungsfähigkeit erheblich steigt, dann aber auch ein starkes materielles Interesse (hohe Prozeßkosten) voraussetzt. Bevor dieses Tabellensystem abstrakt dargestellt wird, soll der Versuch einer ausschnittsweisen konkreten Erläuterung gemacht werden; zunächst am Beispiel des übergangs von der völlig kostenfreien Prozeßführung zur mäßigen Eigenbeteiligung. Selbstverständlich ist, daß Rechtssuchende ohne jedes Einkommen oder mit äußerst geringen Einkommen keine Eigenbeteiligung leisten können. Daher würde die Tabelle bei einer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von angenommen 200 117 , bezogen auf den maßgeblichen Zeitraum, einsetzen. Von einem Rechtssuchenden dieser Gruppe könnte ein maximaler Einsatz seiner Leistungsfähigkeit von beispielsweise 10 Prozent verlangt werden. Dieser Anteil wäre bereits bei der denkbar niedrigsten Prozeßkostenstufe zu tragen. Da eine höhere Eigenbeteiligung auch bei zunehmender Prozeßkostenhöhe nicht zu vertreten wäre, blieben Maximalbelastung und Minimaleigenheteiligung gleich hoch. Legt man einen 117 Dieser Wert ist nicht als Geldwert zu verstehen. Er ist so gewählt, um das System der zunehmenden Eigenbeteiligung plastischer zu machen. Der Wert drückt nicht das Einkommen schlechthin, sondern nur dessen frei verfügbaren Teil aus.
108
§ 9 Die gesetzliche Neugestaltung
Wert höherer wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit von angenommen 250 zugrunde, könnte die Maximalbelastung auf 15 Prozent steigen, das jedoch erst in einer höheren (zweiten oder dritten) Gruppe von Prozeßkosten. In der niedrigsten Prozeßkostengruppe würde von diesem Rechtssuchenden nicht eine proportionale Eigenbeteiligung von 10 Prozent verlangt, sondern - progressiv steigend - von beispielsweise 12 Prozent. Bei einer Leistungsfähigkeit von angenommen 3000 könnte eine maximale Eigenbeteiligung auf einen Anteil von 50 Prozent anwachsen, jedoch erst für eine erheblich höhere Prozeßkostengruppe. Die Mindestbeteiligung würde ebenfalls gestiegen sein und bereits in einer Reihe denkbarer Fälle niedrige und mittlere Prozeßkosten ganz decken. Um es noch konkreter zu sagen: das monatliche Durchschnittsbruttoeinkommen eines Industriefacharbeiters in der Bundesrepublik betrug 1976 1937 DM118. Gelangte man zu dem Ergebnis, daß - durchschnittliche Lebensverhältnisse unterstellt - ungefähr ein Sechstel dieses Betrages, also 300 DM, frei verfügbar sind, so wäre von dem jährlich freien Betrag (3 600 DM) der Anteil zu bestimmen, dessen Einsatz zur Bestreitung von Prozeßkosten maximal zumutbar ist, um einerseits das Prozeßkostenrisiko nicht über Gebühr zu erhöhen, andererseits aber die legitime Funktion der Prozeßkosten noch relativ zu erhalten. Wollte man 100 Ofo des frei verfügbaren Betrages als vertretbare Höchstbeteiligung ansehen, so wäre die Stufe des materiellen Interesses (Streitwert/Prozeßkosten) festzulegen, bei der das Höchstmaß der Eigenbeteiligung einsetzen soll. Angesichts der erheblichen Belastung käme nur ein sehr hohes Interesse, etwa das eines Streitwerts von 50 000 DM, in Betracht. Die Mindestbeteiligung ließe sich auf ein Drittel des freien Betrages festlegen (1 200 DM). Damit könnten die erstinstanzlichen Prozeßkosten bis zu einem Streitwert von 3 000 DM in aller Regel gedeckt werden 119. Zwischen der Mindest- und Maximalbeteiligung hätte eine gleichmäßige Progression zu gelten. Für alle übrigen Gruppen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit müßten entsprechende Werte bestimmt werden. Die Tabelle könnte endlos konzipiert werden, d. h. für jede denkbare Größe wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und Prozeßkostenhöhe anwendbar sein. Allerdings würde sie bei einer hohen Leistungsfähigkeit nur im Falle extrem teurer Verfahren zu einer Prozeßkostenhilfe führen. Sie im einzelnen auszuformen, abzustimmen und gegebenenfalls in eine mathematische Funktion zu gießen, ist eine rechnerisch118 Jahrbuch des Statistischen Bundesamtes 1977, S.438. Das Durchschnittsbruttoeinkommen kaufmännischer bzw. technischer Angestellter in Industrie und Handel lag im gleichen Zeitraum bei 2476 DM bzw. 2847 DM (S.444). 119 Einen typischen Verfahrensverlauf vorausgesetzt. Vgl. übersicht über die Prozeßkosten bei verschieden hohen Streitwerten unter § 4 II 2 a.
H. Die Ausgestaltung des Tabellensystems
109
mathematische Filigranarheit, die an dieser Stelle nicht vorgenommen werden kann. Dagegen soll das System der Tabelle noch in einem überblick dargestellt werden 120 • bb) Systematisch dargestellt hätte die Tabelle folgende Gestalt: 0
1
2
3
4
8
9
10
16
17
1 2 3 4
0 0 0 0
10 12 14 16
12
14 16 18 20
16 18 20 22
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
28 30
30 32
X
X
X
34
X
X
9
0 0 0 0 0 0
40 42 44 46 48 50
42 44 46 48 50 52
44 46 48 50 52 54
54 56 58 60 62 64
56 58 60 62 64 66
84 86 88 90
86 88 90 92
10 11 12 13 14
o
25 26 27 28
o o o
26
14
16 18
M
28 30 32
M
M
30 32 34 36 38
M
M
M
32 34 36 38 40 42
M
M
M
M M M M
M
M
M
M
76
M
M M
M M
M M
M
M M
M
M
M
M
M M
M
M M
Erläuterung der Tabelle: Auf der waagerechten Leiste der Tabelle sind diejenigen Daten (als abstrakte Werte) aufgeführt, die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Antragstellers umschreiben; auf der senkrechten Leiste die konkreten, vom Streitwert abhängigen Kosten des Verfahrens. Die Werte innerhalb der Tabelle bezeichnen den prozentualen Anteil, zu dem der Antragsteller seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit (Wert der waagerechten Leiste) zur Bestreitung der Prozeßkosten 121 einsetzen muß. Dieser Anteil erhöht sich für jede Dazu unter bb) im Anschluß an diesen Abschnitt. Dadurch, daß die Tabelle auf die Prozeßkosten und nicht den Streitwert abhebt, läßt sich der Umfang der Prozeßkostenhilfe endgültig und exakt erst nach Verfahrensende bestimmen. Für untypische Fälle, in denen die Prozeßkosten durch hohe Auslagen oder Kosten, beispielsweise für Sach120
121
110
§ 9 Die gesetzliche Neugestaltung
Gruppe wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit mit dem Zunehmen der Prozeßkosten bis zu einer Maximalbelastung, die dann unabhängig von Streitwert und Kosten konstant bleibt. Bei gleicher Prozeßkostenhöhe (gleichem Streitwert) nimmt der vom Antragsteller beanspruchte Teil der Eigenleistung ebenfalls kontinuierlich zu. Die Maximalbelastung wächst mit zunehmender Leistungsfähigkeit prozentual und absolut. Antragsteller, deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unterhalb der Grenze liegt, an der die Tabelle einsetzt, führen einen Rechtsstreit völlig ohne eigene Kostenbeteiligung (Spalte 1 der Tabelle). Die mit X gekennzeichneten Rubriken deuten den Bereich an, in dem die Eigenbeteiligung die entstehenden Prozeßkosten voll deckt; hier entfällt eine Prozeßkostenhilfe. Der mit M bezeichnete Bereich zeigt an, daß die Maximalbelastung nicht mehr zunimmt. An den Zahlenbeispielen der Tabelle verdeutlicht heißt das: Bei Prozeßkosten von 4 müßte ein Antragsteller mit einer Leistungsfähigkeit der Meßzahl 3 20 Prozent dieses auf einen bestimmten Zeitraum bezogenen Leistungsvermögens zur Bestreitung der Prozeßkosten einsetzen, maximal werden von ihm 38 Prozent verlangt, dies aber erst bei anfallenden Kosten des Wertes 13. 3. Prozeßkostenhilfe für Gewerbetreibende und Unternehmen
Vom System her ist die Tabelle auch auf eine Prozeßkostenhilfe in diesem Bereich übertragbar. Das würde aber die Grundsatzentscheidung voraussetzen, auch hier die Hilfe als verlorenen Zuschuß und nicht etwa als ratenweise Tilgungsmöglichkeit zu gewähren. Angemessen erschiene ein gemischtes System, das für einen weiten Bereich an der vollen Prozeßkostentragung festhält, in besonderen Einzelfällen ratenweise Begleichung ermöglicht und für Fälle eines großen Mißverhältnisses zwischen Prozeßkosten und Leistungsfähigkeit des Unternehmens eine Kostenhilfe nach dem dargestellten Tabellensystem freilich mit anderen Eckdaten - gewährt. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß Unternehmen hinsichtlich der Tragung von Prozeßkosten schon indirekt begünstigt sind; Prozeßkosten sind Betriebsausgaben 122 und mindern als solche den steuerpflichtigen Gewinn.
III. Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 1. Angesichts des sehr differenzierten und je nach Prozeßkostenhöhe einen potentiell sehr weiten Personenkreis erfassenden Tabellensystems
verständigengutachten, überdurchschnittlich aufgebläht werden, könnte eine Billigkeitsregelung Ausgleich schaffen. 122 § 4 Abs. 4 EStG.
III. Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
111
gewinnt ein exakter Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit wesentlich an Bedeutung. Das bloße Vermögensbekenntnis - wenn auch mit entsprechenden Sanktionen verbunden - erfüllt diese Anforderungen nicht. Andererseits sollte vom gegenwärtigen kommunalbehördlichen Zeugnis wegen dessen völliger Untauglichkeit abgegangen werden. 2. Von den in Betracht kommenden Behörden erscheinen die Finanzämter am geeignetsten, maßgeblich am Nachweisverfahren mitzuwirken. Das heute verbreitete Negativattest des zuständigen Finanzamtes könnte in Form eines Positiv- oder Negativattestes als zwingender Bestandteil des Nachweises ausgestaltet werden. Im übrigen sollte die Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse ausschließlich beim Gericht liegen. Dort sollte sie einem auch mit Kostenfragen vertrauten Beamten übertragen werden. Fiele das finanzamtliche Attest positiv aus - es könnte im Wege der Amtshilfe eingeholt werden - , würde sich die Einholung weiterer Nachweise erübrigen. Mit dieser Verlagerung des Nachweisverfahrens wäre nicht nur eine sachgerechte re Behandlung als bisher gewährleistet, sondern es träte auch eine Entlastung des Richters von einer an sich nicht richterlichen Aufgabe ein l23•
123 Die Problematik des Nachweises der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Antragstellers ist bei gerichtlicher und außergerichtlicher Rechtshilfe dieselbe. Daher sollten auch die Voraussetzungen nach dem dargestellten System für beide Bereiche einheitlich geregelt werden.
Kapitel IV
Die Vorprüfung der Hauptsache
§ 10 Das geltende Recht I. Die gesetzliche Regelung der Vorprüfung 1. Gegenstand und Ziel der Vorprüfung
Neben der wirtschaftlichen Bedürftigkeit des Antragstellers 1 ist Voraussetzung für die Gewährung des Armenrechts, daß die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 114 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz ZPO). Während das erste der beiden kumulativen Bewilligungserfordernisse eine auf den Hauptsachestreit beschränkte Beurteilung verlangt, geht die Frage der Mutwilligkeit hierüber hinaus und macht die Berücksichtigung außerhalb des Rechtsstreits liegender Umstände, Motive und Absichten notwendig. a) Der gesetzliche Terminus hinreichende Aussicht auf Erfolg verdeutlicht einerseits, daß eine Erfolgsgewißheit in bezug auf die beabsichtigte Rechtsverfolgung für die Bewilligung des Armenrechts nicht konstatiert zu werden braucht, daß andererseits aber auch nicht erst die völlige Aussichtslosigkeit eine Versagung rechtfertigt. Die Wahl der positiven Formulierung Aussicht läßt jedoch erkennen, daß die Prognose nicht irgendwo in dem weiten Bereich zwischen Erfolg und Mißerfolg liegen kann, sondern sich dem Erfolg nähern muß2. Dies wird durch die adjektivische Beifügung hinreichend noch präziziert; es genügt nicht nur die dem Erfolg zuneigende, vage Aussicht, sondern die Erwartung muß einigermaßen, nämlich hinreichend konkret sein. Das Gesetz fixiert also auf einer denkbaren begrifflichen Stufenfolge aussichtslos-nichtaussichtslos-aussichtsreich-hinreichend aussichts1 Vgl. hierzu Kapitel III; zur gesetzlichen Grundlage und deren Konkretisierung, insbesondere § 7. 2 Der positive Ausdruck aussichtsreich ist nach unserem Sprachgefühl stärker als die Negation des negativen Ausdrucks aussichtslos (vgl. Bendix,
JW 1931, S. 3525).
1. Die gesetzliche Regelung der Vorprüfung
113
reich-absolut aussichtsreich eine Mindestqualität, der die Hauptsache-
prognose zu entsprechen hat, soll ein Rechtsstreit mit Hilfe des Armenrechts geführt werden könnens. Läßt sich der gesetzliche Begriff rein sprachlich-logisch noch halbwegs abgrenzen, so erweist er sich doch als reichlich unscharf, wenn es darum geht, ein rechtlich und tatsächlich vielschichtiges Streitverhältnis darunter zu subsumieren. Das Bemühen, den differenzierten begrifflichen Ansatz des Gesetzes praktikabel zu machen, spiegeln die einschlägigen Ausführungen in den Kommentaren4 und Lehrbüchern5 wider. Ausdrücklich oder umschrieben taucht häufig der Begriff der Erfolgswahrscheinlichkeit auf8 • Mit der Beurteilung einer Rechtssache als hinreichend oder wahrscheinlich aussichtsreich aber wird vom Richter ein Verdikt verlangt, das vom vertrauten aut-aut der Begründetheit oder Unbegründetheit einer Sache abweicht. Es darf deshalb nicht wundernehmen, wenn die gerichtliche Praxis bei Armenrechtsentscheidungen in die eine oder die andere Richtung abgleitet.
Die Erfolgsprognose weist einen rechtlichen und einen tatsächlichen Aspekt auf. In rechtlicher Hinsicht wird die Zulässigkeit und Begründetheit eines Vorbringens geprüft. Nur wenn das Gericht - einen vertretbaren Rechtsstandpunkt des Antragstellers zugrundegelegt7 - das Vorbringen für begründet hält, hat die beabsichtigte Prozeßführung Aussicht auf Erfolg. Grundsätzlich ist auch über schwierige Rechtsfragen im Rahmen der Vorprüfung zu entscheiden8 • Eine Ausnahme soll allerdings dann gelten, wenn es auf nicht nur schwierige, sondern zweifelhafte und bislang ungeklärte Rechtsfragen ankommt9 • In tat3
Paul, Das Armenrechts-Prüfungsverfahren, Dissertation Dresden (1935),
S. 13 ff.
4 Stein I Jonas I Pohle, § 114 Anm. II 2: "Das Gericht soll weder nach der negativen noch nach der positiven Seite zu weit gehen." Zöller, § 114 Anm. 1 b: "Die Anforderungen an die rechtlichen und tatsächlichen Erfolgsaussichten dürfen nicht überspannt werden." Baumbach I Lauterbach, § 114 Anm. 2 C: "Es muß der Erfolg zwar nicht gewiß sein, aber immerhin nach den vorhandenen Gegebenheiten eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich haben, wofür die Anforderungen aber nicht überspannt werden dürfen." 5 Rosenberg I Schwab, § 90 2 a: "Nicht nötig ist eine völlige Gewißheit des Erfolges, sondern eine hinreichende Gewißheit, die auch eine zahlungsfähige Partei nach sorgfältiger und gewissenhafter Prüfung veranlassen könnte, die Gefahr eines Prozesses auf sich zu nehmen." Weniger streng: Blomeyer, § 130 I 2 a: " ... muß eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Obsiegens genügen." 8 Vgl. die Zitate unter Fußn. 4 und 5. 7 Stein I Jonas I Pohle, § 114 Anm. II 2. 8 So ausdrücklich: BVerfGE 6, 257 ff.; KG NJW 1972, S. 1005 f. 9 Stein I Jonas I Pohle, § 114 Anm. II 2; Thomas I Putzo, § 114 Anm. 2 a; Baumbach I Lauterbach, § 114 Anm. 2 C; Rosenberg I Schwab, § 90 II 2 a (Fußn.17); OLG Schleswig NJW 1949, S.312; KG NJW 1953, S. 29 f.; OLG Stuttgart MDR 1965, S. 492 mit Anm. von Schneider, MDR 1965, S. 753. Da-
8 Franke
114
§ 10 Das geltende Recht
sächlicher Hinsicht wird geprüft, ob die vom Antragsteller erhobenen Tatsachenbehauptungen im Prozeß auch bewiesen werden können. Die Prozeßführung hat Aussicht auf Erfolg nur, wenn die Chance erfolgreicher Beweisführung besteht10 • b) Mit dem Begriff der Mutwilligkeit in § 114 Abs.l Satz 1 letzter Halbsatz ZPO soll nicht in erster Linie - wie es der gesetzliche Terminus nahelegen könnte - eine Prozeßführung aus dem Bereich des Armenrechts ausgeschieden werden, bei der ein Gesuchsteller nicht bestehende Rechte wider besseres Wissen oder in schikanöser Absicht verfolgen will l l einer solchen Rechtsverfolgung fehlt bereits die notwendige hinreichende Erfolgsaussicht, sie ist allein aus diesem Grunde nicht armenrechtsfähig l2 • Vielmehr soll mit dem Negativerfordernis der Mutwilligkeit die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit einer Prozeßführung mit zur Bewilligungsvoraussetzung erhoben werden. Das wird aus § 114 Abs.l Satz 2 ZPO deutlich, wo mit der fehlenden Realisierungsmöglichkeit eines Anspruchs ein BeispieP3 dafür benannt ist, wann das Gesetz das Instrument des Armenrechts - trotz positiver Aussichten in der Hauptsache selbst - nicht zur Verfügung stellen will 14 . Kriterium ist die Wertung, die eine nicht das Armenrecht beanspruchende Partei vornehmen würde. Verallgemeinernd wird dem § 114 Abs. 1 Satz 2 ZPO entnommen, daß Mutwilligkeit dann vorliege, wenn eine verständige, nichtarme Partei ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde l5 • Das ist beispielsweise der Fall, wenn ein billigerer als der eingeschlagene Weg zur Verfügung steht1 6 oder wenn aus der Erlangung des Urteils auf absehbare Zeit kein nennenswerter wirtschaftlicher Vorteil für den Antragsteller erwachsen kann l7 • gegen hat eine Klärung im Prüfungsverfahren auch für diesen Fall das Kammergericht (NJW 1970, S.476) verlangt. 10 Thomas / Putzo, § 114 Anm. 2. Ein schwächerer Maßstab soll in Vaterschaftsfeststellungsverfahren gelten, wenn die Einholung eines erbbiologischen Gutachtens beantragt ist. Das Ergebnis des Gutachtens kann im vorhinein nicht abgeschätzt werden (Stein / Jonas / Pohle, § 114 Anm. II 6 b). 11 Doloses oder frivoles Verhalten wird nicht vorausgesetzt (Stein / Jonas / Pohle, § 114 Anm. II 3). 12 Insoweit sind die Begriffe hinreichende Aussicht auf Erfolg und nicht mutwillig deckungsgleich (Meents, S.136). 13 Thomas / Putzo, § 114 Anm. 2 b; Baumbach / Lauterbach, § 114 Anm. 2 D. 14 Schroeder-Hohenwarth (S. 57) sieht in § 114 Abs. 1 Satz 2 ZPO eine "verbale Fiktion". Gemeint ist, daß eigentlich kein Beispielsfall vorliege, sondern die fehlende Beitreibungsaussicht lediglich der Mutwilligkeit gleichgestellt wird. Ähnlich: Meents (S.138). 15 Thomas / Putzo, § 114 Anm. 2 b; Baumbach / Lauterbach, § 114 Anm. 2 D; ZäHer, § 114 Anm. 1 c. 16 Insoweit besteht eine gewisse Deckungsgleichheit mit der allgemeinen Prozeßvoraussetzung des Rechtsschutzbedürfnisses. Ihr Fehlen läßt die hinreichende Erfolgsaussicht entfallen (vgl. Thomas / Putzo, vor § 253 Anm. III A 1 m). 17 Stein / Jonas / Pohle, § 114 Anm. II 3.
1. Die gesetzliche Regelung der Vorprüfung
115
Die Verhaltensweise der nichtarmen Partei als Vergleichstatbestand für das angemessene Verhalten der armen Partei zu statuieren, ist freilich nicht unproblematisch. Das prozessuale Verhalten wird sowohl im Hinblick auf die Möglichkeiten, eine rechtliche Minimalchance gerichtlich durchzusetzen, als auch in bezug auf die Erwägung, auf eine rechtliche Geltendmachung ganz zu verzichten, eben entscheidend vom finanziellen Leistungsvermögen einer Partei beeinfiußt18 . Eine besonders große praktische Bedeutung dürfte der Armenrechtsversagung aus dem Gesichtspunkt der Mutwilligkeit aber schon deshalb nicht zukommen, weil die sie begründenden Umstände außerhalb des Streitverhältnisses liegen und dem Gericht zumeist unbekannt bleiben werden 19 . c) Ergibt die Vorprüfung, daß für das beabsichtigte Hauptsacheverfahren nur zu einem Teil eine hinreichende Aussicht des Obsiegens besteht, so erfolgt die Bewilligung des Armenrechts nur zu diesem Teil (Teilbetragsarmenrecht)20. Handelt es sich um eine vermögensrechtliche Streitigkeit, so läßt sich die Teilbewilligung durch ziffemmäßige Beschränkung auf einen Teil des Streitwerts ausdrücken; ist die Streitigkeit nichtvermögensrechtlicher Art, so verbleibt nur die Möglichkeit, die Teilbewilligung auf den erfolgversprechenden Teilaspekt des Rechtsstreits ausdrücklich zu beziehen. Ein weiterer Anwendungsfall des Teilbetragsarmenrechts ist dann gegeben, wenn die "verständige, nichtarme Partei"21 zunächst auf die Geltendmachung der Gesamtforderung verzichten und nur einen Teilbetrag einklagen würde. Ein solches Vergleichsverhalten wird man aber nur dann unterstellen können, wenn feststeht, daß ein Urteil über den Teilbetrag für den Schuldner Veranlassung sein wird, die gesamte Schuld zu begleichen 22• Schroeder-Hohenwarth, S. 57 f. Sucht eine inländische juristische Person um die Gewährung des Armenrechts nach, so ist der Hauptsachestreit auch daraufhin zu prüfen, ob die Durchführung mit den allgemeinen Interessen im Einklang steht (§ 114 Abs. 4 ZPO). Das ist nach herrschender Auffassung dann der Fall, wenn die Entscheidung für einen größeren Personenkreis Bedeutung hat oder soziale Wirkungen (Arbeitsentlassungen) nach sich zöge (BGHZ 25, 183). Es reicht nicht aus, daß lediglich eine allgemein interessierende Rechtsfrage zur Klärung steht (BGH NJW 1965, S. 585). Bei ausländischen Antragstellern kommt zu den bereits genannten Bewilligungsvoraussetzungen die Verbürgung der Gegenseitigkeit hinzu (vgl. Baumbach / Lauterbach, Anhang nach § 114). 20 ZöHer, § 114 Anm. 1 e. Im Unterschied zum BruchteHsarmenrecht (§ 115 Abs. 2 ZPO) ist maßgeblich für die Beschränkung nicht die partielle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Antragstellers, sondern die teilweise Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung (vgl. § 8 III 2 a aal. 21 Baumbach / Lauterbach, § 114 Anm. 2 D. 22 Stein / Jonas / Pohle, § 114 Anm. II 5; OLG Celle NdsRpfl 1951, S.200; OLG Köln NJW 1961, S.610. In weiterem Umfang hält dagegen Rasehorn eine Verweisung auf die Geltendmachung des Teilbetrages für zulässig (NJW 1961, S. 591, 593). 18
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§ 10 Das geltende Recht
2. Zur historischen Entwicklung
a) Die materielle Vorprüfung bei Inanspruchnahme kostenloser oder verbilligter Prozeßführung ist so alt wie das Institut des Armenrechts selbst. Die verschiedensten Einflüsse haben jedoch im Laufe der prozeßrechtIichen Entwicklung immer wieder Änderungen bewirkt2!r. Bereits die Reichskammergerichtsordnungen kannten eine richterliche Vorprüfung; die Sache durfte nicht mutwillig oder aussichtslos sein24 • Die Regelung fand Eingang in einen großen Teil der Partikularprozeßordnungen des 17. und 18. Jahrhunderts. Teilweise wurde an der richterlichen Vorprüfung uneingeschränkt festgehalten 2S , teilweise wurde die Vorprüfung der Staatsanwaltschaft übertragen 26 • Als Ausnahmen müssen die Prozeßordnungen gewertet werden, die auf eine materielle Vorprüfung gänzlich verzichteten 27 • b) Als im Jahre 1862 die Kommission zur Ausarbeitung einer allgemeinen Zivilprozeßordnung für die deutschen Bundesstaaten ihre Arbeit aufnahm, mußte wegen der unterschiedlichen partikularrechtlichen Regelungen über das Ob und das Wie der Vorprüfung neu entschieden werden. Der Entwurf für die Zivilprozeßordnung sah vor, daß eine irgendwie geartete Hauptsacheprognose bei der Entscheidung über das Armenrechtsgesuch nicht mehr gestellt werden sollte. Allein die Unfähigkeit, die Prozeßkosten selbst aufzubringen, sollte für die Partei den Anspruch auf Bewilligung des Armenrechts begründen 28 • Der Verzicht auf die Vorprüfung wurde von der Kommission damit begründet, daß eine summarische Vorprüfung, weil ohne die Garantien des prozessualen Verfahrens vorgenommen, stets nur ein unsicheres Ergebnis zeitigen könne. Ferner sei eine Vorprüfung durch das Prozeßgericht in hohem Maße geeignet, die Unbefangenheit des Gerichts für 23 Mit liberalen politischen Strömungen ging zumeist auch eine Entschärfung der Vorprüfung einher, während umgekehrt vor allem fiskalische Krisen Restriktionen auslösten (vgl. Meents, S. 45 ff.). 24 Schwartz, Vierhundert Jahre deutscher Civilprozeß-Gesetzgebung, S. 68 ff.; auch Schott, S. 24 ff. 25 So der Entwurf für die Staaten des Norddeutschen Bundes von 1870 (§ 170); der sächsische Entwurf von 1864 (§ 286) und der Preußens von 1864 § 115); vgl. Schott, S.29. 26 Generell in Braunschweig, Prozeßordnung von 1850 (§ 143) und Hannover, Prozeßordnung von 1850 (§ 62). Nur für die Kollegialgerichte: Der sog. Hannoversche Entwurf von 1864 (§ 82) und die Prozeßordnung Oldenburgs von 1857 (Art. 60 § 1). Die Bayerische Prozeßordnung von 1869 (Art. 133) übertrug die materiell-rechtliche Vorprüfung der Staatsanwaltschaft, die Feststellung der Armut dagegen dem Gericht (vgl. Schott, S. 28). 27 Die Preußische Allgemeine Gerichtsordnung (23. Titel, §§ 30 ff.), ebenso noch der preußische Entwurf von 1838; die badische Prozeßordnung von 1864 (§§ 160 H.) und die württembergische von 1868 (Art. 163 ff.) (vgl. Schott, S. 28). 28 § 103 des Entwurfs, abgedruckt: Hahn, Die gesamten Materialien zur Civilprozeßordnung, 2. Band, 1. Abteilung, S. 16.
1. Die gesetzliche Regelung der Vorprüfung
117
den nachfolgenden Rechtsstreit zu gefährden. Schließlich wurde auf den Widerspruch zur grundsätzlichen Abschaffung der sachlichen Klageprüfung hingewiesen 29 • Die Justizkommission des Reichstages hat diese Bedenken nicht geteilt und die Armenrechtsbewilligung von der Feststellung abhängig gemacht, daß die beabsichtigte Prozeßführung nicht muthwillig oder völlig aussichtslos erscheint3o • Der Abgeordnete Struckmann begründete seinen dahingehenden Antrag damit, daß nicht die Gefahr bestehen dürfe, "Wohlhabende der Chikane von prozeßsüchtigen Armen auszusetzen, die ohne Vorprüfung nicht gehindert wären, gegen andere Leute mit den nutzlosesten Prozessen vorzugehen"31. In der zweiten Lesung schließlich hat die Kommission auf Antrag des Abgeordneten Reichensperger das Wort völlig gestrichen, da andernfalls der Gedanke der Vorprüfung "ungebührlich abgeschwächt" werde32• In dieser Form wurde die materiell-rechtliche Vorprüfung mit der Zivilprozeßordnung von 1877 Gesetz33 • Trotz der gesetzlichen Regelung war es freilich der Rechtsprechung vorbehalten, die Intensität der Vorprüfung konkret zu bestimmen. In einer richtungsweisenden und viel beachteten Entscheidung hat das Reichsgericht im Jahre 1881 ausgeführF4, daß Mutwilligkeit oder Aussichtslosigkeit einer Sache nur dann angenommen werden könne, wenn die "Haltlosigkeit des von dem Nachsuchenden eingenommenen Rechtsstandpunktes von vornherein ganz auf der Hand liegt". Andernfalls, so das Reichsgericht, würde man für solche Fälle "statt der prozeßordnungsgemäßen Verhandlung und Entscheidung der Sache eine höchst summarische Aburteilung ohne ausreichendes Gehör der armen Partei einführen, da ihr mit Versagung des Armenrechts häufig zugleich die Rechtsverfolgung oder -verteidigung abgeschnitten wird". c) Die dargestellte gesetzliche Regelung der Vorprüfung blieb jahrzehntelang unverändert35 • Durch die Notverordnung der Reichsregie29 Begründung zu § 103 des Entwurfs bei Hahn, Materialien, S. 207. Die Versuche, die Vorprüfung der Staatsanwaltschaft zu übertragen (vgl. Fußn. 26), beurteilte die Kommission negativ. Die Staatsanwaltschaft sei prinzipiell aus dem Zivilprozeß fernzuhalten. Auch die übertragung auf andere Behörden (nach französischem Recht war das bureau d'assistence mit der Vorprüfung betraut) erschien der Kommisison wegen des rechtspftegerischen Charakters der Tätigkeit nicht sachdienlich (S. 207 f.). 30 Protokolle der Kommission, 1. Lesung, Hahn, Materialien, S. 554. Der entsprechende Antrag des Abgeordneten Struckmann wurde mit 21 gegen eine Stimme angenommen. Gegen die Vorprüfung hatte sich der Abgeordnete Kurlbaum ausgesprochen. Er hielt die Möglichkeit für ausreichend, daß völlig unhaltbare Gesuche bereits von den Anwälten zurückgewiesen werden könnten (Hahn, Materialien, S.555). 31 Protokolle der Kommission, 1. Lesung; Hahn, Materialien, S.554. 32 Protokolle der Kommission, 2. Lesung; Hahn, Materialien, S.986. 33 Als § 106 Abs. 1 (Hahn, Materialien, S. 1327). 34 RGZ 4, 416 f. (Beschluß vom 6. April 1881); vgl. Schott, S.96.
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§ 10 Das geltende Recht
rung Brüning vom 6. Oktober 193136 - gestützt auf Artikel 48 Abs.2 der Weimarer Reichsverfassung - wurden die Bewilligungsvoraussetzungen einschneidend verschärft. Hinfort reichte nicht mehr jeder Negativnachweis aus, daß die Rechtsverfolgung nicht aussichtslos sei, sondern es mußte vom Antragsteller positiv dargelegt werden, daß in der Hauptsache Aussicht auf Erfolg bestehe37 • Mit der Erschwerung der Armenrechtsbewilligung wurde eine quantitative Zurückdrängung der Armenrechtsgesuche erstreb~. Die Ursache für das starke Anwachsen der Zahl von Gesuchen lag in der wirtschaftlich prekären Situation zu Beginn der dreißiger Jahre39. Die Wirtschaftskrise hatte auf der anderen Seite eine erheblich reduzierte staatliche Finanzkraft zur Folge, so daß die vermehrten Armenrechtsanträge für den Fiskus um so spürbarer waren 40 . Der Boden für eine Einschränkung war zudem von dem 1931 veröffentlichten Entwurf einer Zivilprozeßordnung vorbereitet worden. In § 117 des Entwurfs war eine Erschwerung der Bewilligung vorgesehen41 . Die Bestimmungen der Notverordnung wurden im Rahmen der Zivilprozeßnovelle vom 27. Oktober 1933 in die ZPO eingefügt42. Allerdings brauchte nach der Novellierung die Vorprüfung nicht mehr die uneingeschränkte Erfolgsaussicht zu ergeben, sondern es genügte die hinreichende Aussicht auf Erfolg. Damit sollte auf die überharte Praxis der Gerichte im Anschluß an die Notverordnung reagiert werden. Die Novellierungen der Zivilprozeßordnung seit Gründung der Bundesrepublik43 haben trotz einer im Vergleich zu den frühen dreißiger 35 Die umfassende Novellierung der ZPO durch das Gesetz vom 17. Mai 1898 machte die Armenrechtsvorschriften der §§ 106 - 118 ZPO inhaltlich unverändert (mit Ausnahme einer die Beiordnung betreffenden Regelung) zu den §§ 114 - 127 ZPO (RGBl 1898 S.410, 431). Durch die Verordnung vom 13. Februar 1924 (RGBl 1924 I S. 135, 136) wurde § 118 a eingefügt, der die Möglichkeit zur gerichtlichen Protokollierung eines im Armenrechtsverfahren geschlossenen Vergleichs legalisierte (Votkmar, JW 1924, S.345, 353). 36 "Dritte Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen", vom 6. Oktober 1931 (RGBl 1931 I S. 537). 37 § 11 I der NotVO, S.564; durch § 11 II der NotVO wurde § 114 Abs.1 Satz 2 ZPO als Beispiel mutwilliger Prozeßführung eingefügt. 38 Votkmar, JW 1931, S.2289, 2290. 39 In Deutschland waren in den Jahren 1930 bis 1932 zwischen viereinhalb und sechs Millionen Menschen arbeitslos. 40 Verschiedentlich wurde auch ein nicht näher erkennbares Interesse der Wirtschaft an einer eingeschränkteren Inanspruchnahme des Armenrechts ins Feld geführt (vgl. Jonas, JW 1931, S.3519 und Jessen, JW 1931, S.3524). 41 Entwurf einer Zivilprozeßordnung, veröffentlicht durch das Reichsjustizministerium, S. 29 f., 296. 42 RGBl 1933 I S.780, 784; Bekanntmachung der Neufassung: 8. November 1933 (RGBI 1933 I S. 821 ff.). 43 Baumbach I Lauterbach, Einleitung I.
11. Das Verfahren der Vorprüfung
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Jahren beispiellosen Prosperität auch der öffentlichen Hand bislang keinen Grund gesehen, den Umfang der materiellen Vorprüfung wieder auf das ursprüngliche gesetzliche Maß zurückzuschraubenu.
11. Das Verfahren der Vorprüfung45 1. Verfahrensrechtliches Korrelat
Staatliche Leistungen und Eingriffe46 sind an gesetzliche Voraussetzungen geknüpft. Deshalb müssen den materiellen Eingriffs- oder Leistungsnormen Regelungen an die Seite gestellt werden, die Art und Umfang der Prüfung und des Nachweises der sachlichen Voraussetzungen bestimmen. Für die Gewährung des Armenrechts sind die maßgeblichen Verfahrensvorschriften die §§ 118, 118 a ZP047. In ihrer Fassung von 1877 traf die Zivilprozeßordnung keine nähere Bestimmung für die Ausgestaltung eines Armenrechtsprüfungsverfahrens. In § 109 war lediglich das Erfordernis eines mit Armutszeugnis und Streitdarstellung versehenen Antrags normiert. Diese anfängliche Lücke des Gesetzes ist darauf zurückzuführen, daß der Entwurf eine materielle Vorprüfung überhaupt nicht vorsah. Zudem reichte für die Bewilligung anfangs eine einfache Negativprüfung - die Sache durfte nicht mutwillig ader aussichtslos sein - aus. Erst mit dem übergang von der Negativzur Positivprüfung durch die Notverordnung von 1931 48 wurde mit § 118 a ZPO das Armenrechtsprüfungsverfahren in seiner heutigen Form institutionalisiert.
Kritisch dazu: Meents, S. 77 f. 45 Das Armenrechtsprüfungsverfahren wird deshalb in dem Abschnitt über die Vorprüfung der Hauptsache behandelt, weil die Beurteilung der Erfolgsaussichten den wesentlichen Teil des Prüfungs verfahrens ausmacht. Selbstverständlich kann und wird im Rahmen des Armenrechtsverfahrens auch die wirtschaftliche Bedürftigkeit des Antragsstellers (vgl. KapitelllI) einer Nachprüfung unterzogen. Dieser Aspekt des Verfahrens tritt jedoch sowohl sachlich als auch zeitlich hinter den der materiellen Prüfung zurück. (In einem weiteren Sinne ließe sich auch die behördliche Zeugniserteilung zum Prüfungsverfahren rechnen.) Soweit die Bewilligungsvoraussetzung wirtschaftliche Bedürftigkeit das Prüfungsverfahren beeinftußt, erfolgt die Behandlung in diesem Abschnitt. Das gilt insbesondere für die Daten der Untersuchung (vgl. § 11). 46 Für Eingriffe besteht der Vorbehalt des Gesetzes (Art. 20 GG). Ob auch die staatliche Leistungsverwaltung nur aufgrund Gesetzes erfolgen darf, ist nicht unstreitig, wird jedoch zunehmend bejaht (Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Grundgesetz, Art. 20, Rdnr. 129). 47 Insbesondere § 118 Abs. 2 ZPO wurde bereits unter § 7 II angesprochen. 48 Vgl. 12 c dieses Paragraphen. 44
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§ 10 Das geltende Recht
2. Rechtsnatur und Struktur des Verfahrens
Gegenstand des Armenrechtsprüfungsverfahrens ist der öffentlichrechtliche Anspruch des Bürgers auf Befreiung von den Gerichtskosten und auf übernahme der außergerichtlichen Kosten 49 • In dem Verfahren stehen sich also nicht wie im Prozeß zwei Private gegenüber, sondern der antragstellende Bürger auf der einen und der Fiskus auf der anderen Seite50 • Das Armenrechtsprüfungsverfahren ist daher der Sache nach kein Zivilgerichtsverfahren, sondern ein Verwaltungsverfahren51 • Das Verfahren wird durch Antrag (Gesuch, § 118 Abs.1 ZPO) eingeleitet. Die Entscheidung ergeht durch Beschluß (§ 126 ZPO); einer mündlichen Verhandlung bedarf es nicht. Für den Fall einer ablehnenden Entscheidung ist eine Darlegung der Gründe nicht vorgeschrieben, § 126 Abs.2 ZPO empfiehlt jedoch eine "kurze Begründung". 3. Der Verfahrensablauf
a) In dem verfahrenseinleitenden Gesuch muß der Antragsteller, um überhaupt eine Grundlage für die materielle richterliche Vorprüfung zu schaffen, den Hauptsachestreit darlegen und die Beweismittel angeben (§ 118 Abs. 3 ZPO). So unentbehrlich diese Darlegung für die Durchführung der Vorprüfung ist, so bedenklich ist sie, berücksichtigt man den Zweck des Armenrechts: die wirtschaftlich bedingten Nachteile des Bedürftigen in puncto gerichtlicher Rechtsverfolgung auszugleichen. Zu diesen Nachteilen zählt insbesondere das Unvermögen des wirtschaftlich Schwachen, eine rechtskundige Unterstützung durch einen Rechtsanwalt zu finanzieren. Ein Ziel des Armenrechts, die Erlangung kostenfreier oder verbilligter anwaltlicher Unterstützung, wäre an sich schon Voraussetzung für eine erfolgversprechende Abfassung des Armenrechtsgesuchs. Ein zivilrechtliches Streitverhältnis, einschließlich der Beweismittel, selbst schriftlich darzulegen, stellt nicht nur Bedürftige in aller Regel vor eine schwer lösbare Aufgabe. Die Möglichkeit, das Gesuch zu Protokoll der Geschäftsstelle anzubringen (§ 118 Abs. 1 2. Halbsatz ZPO), ist nur eine unzureichende Alternative. Sie setzt seitens des Bedürftigen zunächst voraus, daß er die Schwelle zum Gericht überschreitet und daß sein Vertrauensvorschuß gegenüber dem protokollierenden Beamten ebenso groß ist wie gegenüber einem Anwalt5!. Beides erscheint zwei49 Stein / Jonas I Pohle, § 118 a Anm. 1; Bettermann, JZ 1962, S. 675; Brüggemann, ZZP Bd.81 (1968) S.459, 474; Stötter, NJW 1968, S.1786. 60 Paul. S. 33 f. Deshalb ist die Bezeichnung Gegner in § 118 a ZPO nicht
auf die verfahrensrechtliche Stellung im Prüfungsverfahren, sondern auf das nachfolgende Hauptsacheverfahren bezogen. 51 VgI. zum Begriff des Justizverwaltungsverfahrens: Baumbach / Lauterbach. Anh. zu § 21 GVG; Zöller, GVG, EinI. II 3 a. 62 Vgl. § 6 II 3 b.
H. Das Verfahren der Vorprüfung
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felhaft. Als gangbarer Ausweg bleibt dem Bedürftigen nur, unter Inkaufnahme eines nicht unbeträchtlichen Kostenrisikos, bereits für die GesuchsteIlung einen Anwalt zu konsultieren53• b) Jede Darstellung eines Streitverhältnisses durch eine Seite steht freilich in der Gefahr, unrichtig oder unvollständig zu sein. Deshalb ist es unmöglich, die Prognose hinreichender Erfolgsaussicht allein auf der Grundlage der Darstellung des Gesuchstellers vorzunehmen. Zusätzliche aus dem Vortrag nur einer Seite nicht zu erschließende Unsicherheiten können sich aus der Beweislage ergeben. Die Zivilprozeßordnung hat daher dem Gericht in § 118 a Abs. 1 ZPO Möglichkeiten an die Hand gegeben, das Streitverhältnis auch in tatsächlicher Hinsicht einer Vorprüfung zu unterziehen. aa) Der Gegner des Hauptsacheverfahrens soll gehört werden (§ 118 a Abs.l Satz 2 ZPO)54. Die Anhörung bedarf der Betrachtung unter zwei rechtlichen Gesichtspunkten: Einmal als Mittel zur Aufklärung der Sache selbst und zum zweiten als Gewährung des verfassungsmäßig garantierten rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Der Aufklärungswert der Anhörung ist nur ein beschränkter. Von den Extremfällen einmal abgesehen, daß entweder eine völlig unhaltbare Darstellung des Gesuchstellers offengelegt wird oder die behaupteten Tatsachen in vollem Umfang zugestanden werden, dürften gewöhnlich die Tatsachenbehauptungen des Antragstellers vom Gegner bestritten werden. Damit aber ist noch keine Aufklärung an sich erzielt, sondern lediglich Richtung und Umfang notwendiger weiterer Aufklärung festgelegt. Der Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs macht nach überwiegender Ansicht - trotz des eingeschränkten Wortlauts von § 118 a Abs. 1 Satz 2 ZPO - die Anhörung des Gegners praktisch unentbehrlich. Im Anschluß an eine Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes aus dem Jahre 1962 55 wird angenommen, der Gegner habe einen Anspruch, bereits im Armenrechtsverfahren gehört zu werden 56 • Der 53 Die Daten zur Antragstellung (§ 5 H 4 b sowie Nachweis unter Fußn. 52 dieses Abschnittes) beweisen, daß die überwiegende Zahl der Antragsteller diesen Ausweg wählt. Dem Bedürftigen an dieser Stelle den Zugang zum Recht zu erleichtern, ist wesentliche Aufgabe der außergerichtlichen Rechtshilfe. 54 Ausreichend ist jede Form der Anhörung mündlich, schriftlich oder zur Niederschrift (Thomas / Putzo, § 118 a Anm. 1 a). Allerdings kann eine Anhörung dann unterbleiben, wenn das Gericht den Antrag ohnehin ablehnen will (Baumbach / Lauterbach, § 118 a Anm. C). 55 Beschluß vom 2. Februar 1962, JZ 1962, S. 673 ff. 56 Rosenberg / Schwab, § 90 V 1 c; Baumbach / Lauterhach, § 118 a Anm. 1 C; Thomas / Putzo, § 118 a Anm. 1; Wieczorek, § 118 a Anrn. B H; OLG Frankfurt, NJW 1966, S. 455 ff.; Räht, NJW 1964, S.273, 275; ebenso schon kurz nach Einführung der Vorschrift: Votkmar, JW 1933, S.2427, 2434.
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§ 10 Das geltende Recht
Bayerische Verfassungsgerichtshof begründet den Anspruch auf rechtliches Gehör damit, daß es bereits im Armenrechtsprüfungsverfahren auch um Belange des Gegners gehe. Er stehe im Prüfungsverfahren, das teilweise schon dieselben Fragen wie der Prozeß behandele, der armen Partei als Beteiligter gegenüber und habe vor Gericht seinen Standpunkt zu vertreten. Er habe außerdem ein schutzwürdiges Interesse daran, daß ein Prozeß durch die Versagung des Armenrechts verhindert werde, wenn die Prozeßführung der armen Partei nicht zu rechtfertigen sei57 • Insbesondere Bettermann 58 hat sich gegen einen Anspruch auf rechtliches Gehör im Prüfungsverfahren gewandt. Nach seiner Ansicht kommt es für die Frage des Anspruchs auf rechtliches Gehör allein darauf an, ob eine Armenrechtsbewilligung unmittelbar rechtliche Auswirkungen auf den Gegner habe. Das aber sei zu verneinen. Die Befreiung von den Gerichtskosten und die Beiordnung eines Anwalts betreffe ausschließlich das Verhältnis zwischen Antragsteller und Staat59 • Demgegenüber ist immerhin zu bedenken, daß die Gewährung des Armenrechts und die daran anschließende Prozeßführung die Gegenpartei im Falle ihres Obsiegens in die Lage bringen kann, ihren Kostenerstattungsanspruch (§ 117 ZPO)60 wegen der Mittellosigkeit des unterlegenen Armen nicht realisieren zu können. Diesen Umstand spielt Meents 61 unzulässig herunter, wenn er meint, niemand sei dahingehend geschützt, Kostenerstattungsansprüche auch verwirklichen zu können. Die Gefahr des Fehlschlagens der Ansprüche ist im Verhältnis zu einem Bedürftigen eben wesentlich größer als gewöhnlich. Solange eine materielle Vorprüfung überhaupt besteht, kommt der Frage eines Anspruchs auf rechtliches Gehör im Armenrechtsverfahren keine große praktische Bedeutung zu. Regelmäßig wird der Gegner des Hauptsacheverfahrens für eine Vorklärung die nächstliegende Auskunftsquelle sein, so daß mit der Anhörung zugleich rechtliches Gehör gewährt ist. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß in der Anhörung die Gefahr einer quasi-kontradiktorischen Ausgestaltung des Prüfungsverfahrens liegt62. bb) Zur Ermittlung des Sachverhalts kann das Gericht vom Gesuchsteller auch die Glaubhaftmachung seiner tatsächlichen Angaben verJZ 1962, S. 673 f. JZ 1962, S. 675 ff.; vgl. auch Dunz, NJW 1962, S. 814 f. 59 In die Rechte des Gegners wird nach Bettermann nur dann eingegriffen, wenn ein Ausländer, der gemäß § 110 ZPO Sicherheit für die Prozeßkosten leisten müßte, nach § 115 Abs. 1 Nr. 2 ZPO hiervon befreit wird (JZ 1962, S. 678). 60 Dazu näher in Kapitel V. 61 Meents, S. 179. 62 Gottwald, ZZP Bd.89 (1976), S. 136, 150; dazu näher unter § 11. 57
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H. Das Verfahren der Vorprüfung
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langen und Erhebungen durchführen (§ 118 Abs.l Satz 1 und 3 ZPO). Der Glaubhaftmachung63 kommt praktische Bedeutung nur zu, soweit Urkunden und andere Schriftstücke vorgelegt werden können; eidesstattliche Versicherungen werden wegen der späteren Parteistellung des Gesuchstellers als Mittel der Glaubhaftmachung nicht für zweckmäßig gehalten64 • Bei den Erhebungen im Armenrechtsverfahren handelt es sich nicht um eine der prozessualen Beweisaufnahme (§§ 355 ff. ZPO) vergleichbare Tatsachenermittlung, sondern um ein formloses Verfahren, dessen Ausgestaltung im Ermessen des Gerichts liegt65. Das Gesetz nennt zwei Beispiele möglicher Erhebungen: Die Anordnung, Urkunden vorzulegen und die Einholung behördlicher Auskünfte (§ 118 a Abs. 1 Satz 3 ZPO). Hinzu kommt die Möglichkeit, Auskünfte von Privatpersonen einzuholen. Um einer Vorwegnahme des Hauptsacheverfahrens vorzubeugen, zieht § 118 Abs.l ZPO aber zugleich eine Grenze für die Vornahme von Erhebungen. In zeitlicher Hinsicht sollen sie ohne erhebliche Verzögerungen möglich sein (§ 118 a Abs.l Satz 3 1. Halbsatz ZPO), in sachlicher Hinsicht sollen Zeugen- oder Sachverständigenvernehmungen nur ausnahmsweise erfolgen (§ 118 a Abs.l Satz 4 1. Halbsatz ZPO). Die Schwierigkeit für das Gericht besteht nun darin, mit diesen begrenzten prozessualen Mitteln eine verhältnismäßig sichere Erfolgsprognose stellen zu müssen. 4. Kosten und Beiordnung
a) Das Armenrechtsverfahren ist gerichtsgebührenfrei, gleichgültig, ob das Gesuch positiv oder negativ beschieden wird oder ob das Verfahren mit einem Vergleich (§ 118 Abs.3 ZPO) den Hauptsachestreit erledigt6 6. Insoweit entsteht dem Gesuchsteller kein Kostenrisiko. Anders verhält es sich mit Auslagen, die im Verfahren etwa infolge der Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen entstehen. Diese trägt zwar zunächst die Staatskasse, jedoch haftet der Gesuchsteller nach § 49 GKG67. Diese Haftung bleibt die einzige, wenn das Gesuch 63
Thomas / Putzo, § 294 Anm. 1. Baumbach / Lauterbach, § 118 a
Anm. 1 B; Thomas / Putzo, § 118 a Anm.1 c. 65 BGH NJW 1960, S. 98; Stein / Jonas / Pohle, § 118 a Anm. I 3. 66 Stein / Jonas / Pohle, § 118 a Anm. IH 1 a; Thomas / Putzo, § 118 a Anm. 3 a; Hartmann, Kostengesetze, GKG, Kostenverzeichnis A IX Anm.2. Zwar ist das Armenrechtsverfahren ein Verfahren nach der Zivilprozeßordnung (§ 1 Abs. 1 a GKG), jedoch ist im Gebührenverzeichnis keine Gebühr dafür vorgesehen (vgl. Kostenverzeichnis A). 67 Die Haftung nach § 49 GKG auf das Armenrechtsverfahren auszudehnen, ist herrschende Meinung (vgl. Hartmann, GKG, § 49 Anm.2; Lappe, Gerichtskostengesetz, § 49 Rdnr. 10; OLG Celle NJW 1966, S. 114 mit weiteren Nachw.). Die abweichende Auffassung des OLG Karlsruhe (JW 1935, S.3171), 64
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§ 10 Das geltende Recht
abgelehnt oder zurückgenommen wird; im Falle des Vergleichs kann eine übernahmehaftung (§ 54 Nr.2 GKG) hinzutreten. Eine Belastung des Antragstellers mit Kosten, die dem Gegner aus Anlaß der Anhörung entstehen, ist positivrechtlich ausgeschlossen (§ 118 Abs.4 Satz 1 ZPO). So sehr diese Regelung mit dem Ziel eines kostenrechtlich risikofreien Armenrechtsverfahrens im Einklang steht, so wenig dürfen die Konsequenzen für den Gegner übersehen werden. Er wird häufig seinerseits gezwungen sein, bereits für die Anhörung einen Anwalt zu konsultieren. Ist die Zuziehung des Anwalts aus seiner Sicht vom Erfolg gekrönt - wird das Armenrecht versagt oder der Antrag zurückgenommen -, so hat er die Anwaltskosten selbst zu tragen6B • Deshalb war es vornehmlich die Anwaltschaft, die auf eine gesetzliche Änderung in diesem Punkt drängte69 • b) Bereits die Einleitung des Armenrechtsverfahrens stellt in rechtlicher und formaler Hinsicht so erhebliche Anforderungen an den Antragsteller, daß die Zuziehung eines Anwalts oftmals unumgänglich isFo. Mehr noch als die Verfahrenseinleitung läßt die prozeßähnliche Ausgestaltung des Prüfungsverfahrens und die Möglichkeit vergleichsweiser Beendigung die Mitwirkung eines Anwalts sinnvoll und notwendig erscheinen. Dagegen wurde vor allem in den Jahren unmittelbar nach Einführung des Prüfungsverfahrens eine Beiordnung für das Armenrechtsverfahren grundsätzlich für unzulässig gehalten 71 • Heute geht die fast einhellige Meinung dahin, für den Vergleichsabschluß die Beiordnung zuzulassen 72 , sie im übrigen auf besondere Ausnahmefälle, wie Unbeholfenheit des Antragstellers oder die besondere Schwierigkeit in der Sache, zu beschränken73'. 5. Rechtsbehelfe
Der Beschluß, durch den das Armenrecht bewilligt wird, ist unanfechtbar (§ 127 Satz 1 ZPO). Weder dem Hauptsachegegner noch der das kurz nach Verschärfung des Prüfungsverfahrens eine Haftung mit der Erwägung, das Armenrechtsverfahren dürfe nicht mit einem Kostenrisiko verbunden sein, abgelehnt hat, konnte sich nicht durchsetzen. 6B Nach § 51 Abs.l BRGebO betragen sie 5/ 10 der Gebühren nach § 31 BRGebO. Die Minderung bezieht sich nur auf die Höhe, so daß je nach Gang des Verfahrens jede Art von Gebühr anfallen kann (vgl. Riedel / Sußbauer, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, § 51 Anm. 1). 69 Carstens, JW 1932, S.3572 (mit zahlreichen Nachw.); Conrads, DRiZ 1929, S.145; Friedlaender, JW 1931, S.2381; LG Braunschweig, RPtl 1964, S.183, 184; Koch, JW 1934, S. 1629; ablehnend: Gaedeke, JW 1936, S.3288. 70 Vgl. unter 3 a dieses Abschnitts. 71 Gaedeke, JW 1935, S.2865, 2866; Lindemann, JW 1936, S.3288; OLG Jena JW 1937, S.253. 72 Stein / Jonas / Pohle, § 118 a Anm. II 2 mit weiteren Nachweisen. 73 Stein / Jonas / Pohle, § 118 a Anm. 16; Thomas / Putzo, § 118 Anm. 1 c.
UI. Vorprüfungs- und Hauptsacheverfahren
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Staatskasse steht in diesem Falle ein Beschwerderecht ZU74 • Insoweit hat das Gesetz dem Interesse des Gegners, nicht mit einem unbegründeten Prozeß überzogen zu werden, und dem Interesse des Fiskus, nicht unnötige Kosten tragen zu müssen, eine eindeutige Grenze gezogen76 • Gegen den das Armenrecht ganz oder teilweise versagenden Beschluß ist die Beschwerde des Antragstellers statthaft76 • Durch § 127 Satz 3 ZPO ist die weitere Beschwerde generell ausgeschlossen. Diese gegenüber den §§ 567 ff. ZPO einschränkende Regelung wurde erst nachträglich und zwar durch die Notverordnung vom 6. Oktober 1931 77 in die Armenrechtsvorschriften eingefügt. In dieser Beschränkung der Kontrolle auf nur eine Instanz und dem hierdurch bedingten Ausschluß des Bundesgerichtshofs in Armenrechtsentscheidungen mag eine Ursache für die oben konstatierte mangelnde Einheitlichkeit der Armenrechtspraxis liegen 78 • Eine kostenrechtliche Inkonsequenz stellt es dar, wenn die herrschende Meinung dem beschwerdeführenden Antragsteller die Beschwerdegebühren auferlegt7 9 • Die Beiordnung im Beschwerdeverfahren steht unter denselben Vorbehalten wie im Prüfungsverfahren selbst.
HI. Vorprüfungs- und Hauptsacheverfahren 1. Die Einleitung des Verfahrens
a) Armenrechtsverfahren und Hauptsacheverfahren sind formal voneinander getrennte Verfahren 80 • Materiell aber sind ihre Ziele weitgehend identisch. Das Erkenntnisverfahren hat ein Urteil zum Ziel, welches das Bestehen oder Nichtbestehen des von der Klage behaup74 Etwas anderes gilt zugunsten der Staatskasse, wenn die Anordnung der Nachzahlung abgelehnt wird (vgl. dazu unter Kapitel V). 75 Bergerfurth, S. 44. 76 Dasselbe gilt gemäß § 127 Satz 2 ZPO für den das Armenrecht entziehenden Beschluß (§ 121 ZPO) und die Anordnung der Nachzahlung (§ 126 Abs.3 ZPO). 77 RGBI 1931 I S.564 (Sechster Teil, Kapitel J, § 11 V). 78 Vgl. Kapitel U, insbesondere § 6 I. 79 Vgl. zu § 46 GKG a. F.: OLG Nürnberg RPtl 1963, S. 180; Lauterbach / Hartmann, Kostengesetze (17. Auflage), § 46 GKG Anm. 1 C; Mielke, Gerichtskostengesetz, § 46 Anm.7. Die Neufassung des GKG nimmt die Beschwerde gegen die Versagung des Armenrechts ebenfalls nicht von der Gebührenpflicht aus, so daß die bisherige Rechtslage unverändert ist (Hartmann, GKG, Kostenverzeichnis, A XI Nr. 1180 Anm. B). 80 Die äußerliche Trennung besteht in vollem Umfang, wenn der spätere Kläger vor Durchführung des Prozesses um die Gewährung des Armenrechts nachsucht, sie tritt dann zurück, wenn das Armenrecht während eines Prozesses vom Kläger oder Beklagten begehrt wird.
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teten oder verneinten Rechts bzw. Rechtsverhältnisses feststellt 81 • Nicht auf die definitive Feststellung eines Rechts ist das Armenrechtsverfahren gerichtet, aber immerhin soll in seinem Rahmen die Wahrscheinlichkeit des Bestehens (die hinreichende Erfolgsaussicht) nachgewiesen werden. Deshalb besteht hinsichtlich der formellen Anforderungen eine weitgehende Parallelität zwischen Klageerhebung und Einleitung des Armenrechtsprüfungsverfahrens. Die nach § 118 Abs.3 ZPO erforderliche Angabe des Streitverhältnisses unter Einschluß der Beweismittel im Armenrechtsgesuch ist nichts wesentlich anderes als der nach § 253 ZPO geforderte Inhalt der Klageschrift. Diese Konkordanz hat zur Folge, daß nach erfolgreichem Armenrechtsgesuch dessen Inhalt sachlich nahezu unverändert noch einmal zum Gegenstand der Klageschrift gemacht werden muß. Dies führt zu einer erheblichen formalen Doppelbelastung, insbesondere für einen die arme Partei in beiden Verfahren vertretenden Rechtsanwalt82• Zur Milderung der Doppelbelastung hat sich eine - im einzelnen unterschiedliche - Praxis der Verbindung von Klage und Armenrechtsgesuch herausgebildet8:f. Es ist üblich geworden, die vollständig ausgearbeitete Klageschrift zur Begründung dem Armenrechtsgesuch beizufügen, sie aber als Entwurf84 oder als beabsichtigte Klage 85 zu bezeichnen. Liegt eine Klarstellung dieses Inhalts vor, dann wird das Hauptsacheverfahren zunächst nicht in Gang gesetzt. Fehlt eine Klarstellung, so werden nebeneinander Armenrechtsprüfungsverfahren und Hauptsacheverfahren eingeleitet8ft • Unzweckmäßig ist eine Klageerhebung unter der Bedingung, daß das Armenrecht bewilligt werde. Da eine bedingte Einleitung des Klageverfahrens grundsätzlich unzulässig ist87 , kann die beabsichtigte automatische Anhängigkeit der Sache nach erfolgter Armenrechtsbewilligung nicht eintreten. Eine Verbindung dieser Art wird aber dahin auszulegen sein, daß vorab über das Armenrechtsgesuch entschieden werden soll und Klage zunächst nicht erhoben ist88 • Es liegt auf der Hand, daß die im Bestreben der Vereinfachung vorgenommene Verbindung beider Verfahren sehr leicht die Grundlage 81
.Rosenberg I Schwab, § 1 I.
Die Doppelbelastung ist nur dann erheblich geringer, wenn das Gesuch - sei es vom Kläger oder Beklagten - während des anhängigen Hauptsachverfahrens gestellt wird. In diesen Fällen kann zur Begründung der hinreichenden Erfolgsaussicht auf den Streitstand Bezug genommen werden (vgl. auch Fußn. 80). 83 H.-U. Schmidt, Die mit dem Armenrechtsgesuch verbundene Klage, Dissertation München (1953); BGH NJW 1972, S. 1373 f.; Zeiß, JR 1973, S. 67 f. 84 H.-U. Schmidt, S. 16 ff.; Schwieren, NJW 1951, S.946; so auch der Vorschlag des Deutschen Anwaltsvereins, AnwBl 1952, Heft 3, S. 39. 85 H.-U. Schmidt, S. 18; OLG Celle, MDR 1963, S. 687 f. 86 BGHZ 4, 328, 333. 87 Rosenberg I Schwab, § 65 IV. 88 H.-U. Schmidt, S. 33. 82
IIr. Vorprüfungs- und Hauptsacheverfahren
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für Unklarheiten und Versehen bilden kann. Unsorgfältige Handhabung durch den Anwalt oder das Gericht können zur Entstehung von Gerichts- und gegnerischen Anwaltskosten führen, von denen die arme Partei durch ihren Antrag gerade Entlastung suchte 89 • b) Die Trennung von Armenrechtsverfahren und Hauptsacheverfahren hat weiter zur Folge, daß die mit dem formellen Akt der Klageerhebung verbundenen privatrechtlichen Wirkungen zugunsten eines klägerischen Antragstellers erst mit der dem Prüfungsverfahren nachfolgenden Klageerhebung eintreten können 9o • So entsteht der Anspruch auf Prozeßzinsen (§ 291 BGB) nicht schon mit Einleitung des Armenrechtsprüfungsverfahrens, sondern erst mit Rechtshängigkeit der Hauptsache. Ebensowenig reicht für die Übertragbarkeit eines Schmerzensgeldanspruches (§ 847 BGB) das auf die prozessuale Geltendmachung gerichtete Armenrechtsgesuch aus, erforderlich ist auch hier die Klageerhebung91 • Grundsätzlich vermag das Armenrechtsgesuch auch die Verjährung nicht zu unterbrechen 92 • Lediglich bei rechtzeitig (d. h. vor Ablauf der Verjährungsfrist) eingereichtem Gesuch ist anerkannt, daß eine verzögerliche Behandlung durch das Gericht höher'e Gewalt im Sinne von § 203 Abs.2 BGB ist und den Verjährungsablauf hemmt. Probleme ergeben sich auch für die Rechtzeitigkeit der Einlegung von Rechtsmitteln, soweit der Rechtsmittelführer seine Entscheidung auch von der Bewilligung des Armenrechts abhängig machen will. Vor allem wenn der Antragsteller die Rechtsmittelfrist auch nur teilweise nutzt, wird vor deren Ablauf eine Entscheidung über das Gesuch zumeist nicht möglich sein. Die herrschende Meinung hilft in diesem Fall mit dem systematisch unpassenden, weil für Ausnahmefälle konzipierten 89 Die zeitliche Geltung des Armenrechts beginnt mit Wirksamwerden des bewilligenden Beschlusses. Rückwirkende Kraft kann dem Beschluß nur ausnahmsweise beigegeben werden (vgl. OLG Hamm, NJW 1969, S. 1355 f.; Diederichsen, DRiZ 1963, S. 400 ff.; Stein / Jonas / Pohle, § 119 Anm. IV). 90 Vgl. § 261 ZPO. Die privatrechtlichen Wirkungen der Rechtshängigkeit sind entweder rechts erhalt end (z. B. §§ 209, 210, 941, 804 BGB), rechtsvermehrend (z. B. §§ 291, 292, 347, 818 Abs.4, 987, 989 BGB) oder rechtsstärkend (insbesondere § 847 Abs. 1 Satz 2 BGB). Vgl. zum Ganzen Rosenberg / Schwab, § 101 IV). 91 Die Tendenz, die Vererblichkeit von Schmerzensgeldansprüchen durch eine nicht streng verfahrensrechtliche Interpretation des Begriffs der Rechtshängigkeit zu begünstigen, ist im wesentlichen auf das Prozeßverfahren beschränkt geblieben und hat keine uneingeschränkte Ausdehnung auf das Armenrechtsprüfungsverfahren gefunden (vgl. OLG Nürnberg NJW 1968, S.1430; dort wird zwar erwogen, auch die Einleitung des Armenrechtsverfahrens für die Vererblichkeit ausreichen zu lassen, in der Sache selbst aber hatte das Gericht nur über die hinreichende Erfolgsaussicht einer Schmerzensgeldklage von Erben zu befinden, bei der der Erblasser lediglich die Klage eingereicht hatte und die Zustellung nicht erfolgt war. Ferner: OLG Frankfurt, VersR 1960, S.836; zurückhaltend: BGH NJW 1974, S. 493, 494). 92 Palandt / Heinrichs, § 209 Anm.4 und § 203 Anm.l.
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§
10 Das geltende Recht
Instrument der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 233 ff. ZPO)93. 2. Die Durchführung des Verfahrens
a) Armenrechtsverfahren und Hauptsacheverfahren stehen unter der Herrschaft zweier unterschiedlicher Verfahrensmaximen. Für das Früfungsverfahren als Verwaltungsverfahren 94 gilt der Untersuchungsgrundsatz95 , für das prozessuale Verfahren gilt der Verhandlungsoder Beibringungsgrundsatz96 • Für die Untersuchung im Vorverfahren steht dem Gericht das Instrumentarium des § 118 a Abs.l ZPO zur Verfügung91. Erhebungen und Auskünfte können vom Gericht direkt und mit Aussicht auf endgültige Aufklärung erhoben werden, was das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen für die wirtschaftliche Bedürftigkeit des Antragstellers anbetrifft 98 • Was die wichtigere, da schwierigere Frage der Hauptsacheprognose, also die Sachaufklärung des Streitverhältnisses anbelangt, steht dem Gericht in der Praxis des Prüfungsverfahrens zunächst kein anderes verfahrensrechtliches Mittel zur Verfügung, als es die Verhandlungsmaxime für die Sachaufklärung im Prozeß vorsieht: Nämlich die Stellungnahme des Hauptsachegegners zu den Behauptungen des Gesuchstellers einzuholen. Der Grundgedanke der Verhandlungsmaxime, daß eine staatliche Untersuchungstätigkeit zur Aufklärung privatrechtlicher Rechtsverhältnisse nicht geeignet, ja undurchführbar sei, und daß eine vom Interessengegensatz bestimmte Sachverhaltsermittlung durch die Parteien eine ebenfalls große Richtigkeitsgewähr biete, trifft der Sache nach auch auf das Armenrechtsprüfungsverfahren zu. Bedenkt man außerdem, daß die Zivilprozeßordnung auch im Rahmen der Verhandlungsmaxime nicht unerhebliche Mitwirkungsrechte und -pflichten des Gerichts vorsieht99 , dürften die praktischen Auswirkungen der Geltung unterschiedlicher Verfahrensgrundsätze an sich nicht groß sein. Die Probleme dieses unterschiedlichen Nebeneinanders von Vorprüfungs- und Hauptsacheverfahren liegen auch nicht so sehr darin, daß 93 BGHZ 16, 1 ff.; Lüderitz, ZZP Bd.78 (1965) S.131, 134; Thomas / Putzo,
§ 233 Anm. 6 g (mit weiteren Nachw.).
94 Vgl. unter II 2 dieses Paragraphen. 95 Paul, S. 35. 96 Rosenberg / Schwab, § 78 II. Ausnahmen sieht die Zivilprozeßordnung für Verfahren vor, deren Gegenstand das öffentliche Interesse tangiert (z. B. in §§ 616 Abs. 1, 640 Abs. 1, 653 Abs. 1 ZPO). 91 Vgl. unter II 3 dieses Paragraphen. 98 Vgl. zur unterschiedlichen Intensität der gerichtlichen Prüfung in diesem Punkt: § 8 II 2 b. 99 Das Fragerecht bzw. die Fragepfiicht (§ 139 ZPO), die Anordnung des persönlichen Erscheinens der Parteien (§ 141 ZPO) und die Beweiserhebung von Amts wegen (§§ 144, 273 ZPO).
III. Vorprüfungs- und Hauptsacheverfahren
129
die Ermittlungen im Verfahren nach dem Untersuchungsgrundsatz Ergebnisse liefern könnten, d~e auf der Grundlage der Verhandlungsmaxime nicht zu gewinnen gewesen wären; sie sind vielmehr darin begründet, daß die Instrumentarien für das Vorprüfungsverfahren in dem Bemühen, den Prozeß nicht in das Armenrechtsverfahren zu verlagern, in sich selbst beschränkt sind 10o • Daraus ergibt sich für das entscheidende Gericht das Dilemma, einerseits eine hinreichende Erfolgsaussicht der Hauptsache prognostizieren zu müssen, andererseits aber eine endgültige Sachverhaltsaufklärung vermeiden zu sollen. Hierin liegt die eigentliche und - wie sich 2leigen wird - folgenschwere crux des Verhältnisses von Prüfungs- und Hauptsacheverfahren. b) Das Nebeneinander beider Verfahren böte dann relativ wenig Anstoß zu rechtspolitischen überlegungen, wenn der zeitliche und sachliche Aufwand für das Vorverfahren wenigstens zum Teil Niederschlag in einer Abkürzung des Hauptsacheverfahrens fände. Eine Verwertung tatsächlicher Erkenntnisse aus dem Vorprüfungsverfahren kommt im Hauptsacheverfahren jedoch deshalb nicht in Betracht, weil die Erhebungen nach § 118 a Abs.l ZPO keine förmliche Beweisaufnahme im Sinne der §§ 355 ff. ZPO sind. Sie müssen nach Bewilligung des Armenrechts im Prozeß erneut vorgenommen werden. Das hat zur Folge, daß sich der zeitliche Aufwand für Bewilligungsverfahren und für den Prozeß zumindest teilweise summieren. Dem Hauptsacheverfahren kommt lediglich eine allgemeine rechtliche Vorklärung des Streits zugute. Einer der Hauptansatzpunkte der Kritik am geltenden Armenrecht ist daher die auf der Vorprüfung beruhende Verzögerung beim Zugang zum gerichtlichen Verfahren 101 • Bedenkt man, daß ein erheblicher Teil der zivilprozeßrechtlichen Diskussion in den letzten Jahren sich mit Fragen der Verfahrensbeschleunigung beschäftigte l02 , daß das Be100 Nach § 118 a Abs. 1 Satz 4 ZPO ist die endgültige Sachverhalts aufklärung durch Zeugen- oder Sachverständigenvernehmung nur ausnahmsweise zulässig (vgl. II 3 dieses Paragraphen). 101 Bereits kurz nach der Institutionalisierung des Vorprüfungsverfahrens erhoben sich mahnende Stimmen gegen eine zeitlich überlange Ausdehnung des Verfahrens (vgl. Roquette, JW 1936, S.27; Gaedeke, JW 1936, S.2774). Das Problem ist unverändert aktuell, wenngleich exakte Zahlen über die Dauer des Prüfungsverfahrens bislang nicht vorhanden sind (vgl. Jacobs-Martini, NJW 1953, S.246; Tribian, DRiZ 1962, S.416; Gottwald, S.150; Trocker, Gutachten, S. B 73; Koebel, NJW 1964, S. 392 f.; Strutz, NJW 1973, S. 272 f.; auch schon der Bericht der Kommission zur Vorbereitung einer Reform der Zivilgerichtsbarkeit [1961], S.269). 102 Statt vieler: Baur, Wege zur Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß; Arens, Mündlichkeitsprinzip und Prozeßbeschleunigung im Zivilprozeß; Baumann / Fezer, Beschleunigung des Zivilprozesses; Stötter, NJW 1968, S. 521 ff.; VoHkommer, ZZP Bd.81 (1968), S. 102 ff.; Baumgärtell
9 Franke
130
§ 10 Das geltende Recht
mühen um Konzentration des Zivilprozesses zu einem der einschneidendsten Eingriffe in die Zivilprozeßordnung überhaupt geführt hat103, dann sollte auch die Problematik der Dauer des Armenrechtsverfahrens nicht länger nur vereinzelte kritische Beachtung im Schrifttum finden, sondern für den Gesetzgeber Anstoß sein, wirksame Abhilfe zu schaffen. c) Die Feststellung der hinreichenden Erfolgsaussicht einerseits und der weitgehende Verzicht auf das Aufklärungsmittel der Zeugenvernehmung andererseits stellt das entscheidende Gericht vor die schwierige, an sich nicht lösbare Aufgabe, ein Beweismittel vor bzw. ohne seine Erhebung würdigen zu müssen. Eine solche antezipierte Beweiswürdigung ist im Prozeßverfahren unzulässig104 • Im Armenrechtsverfahren ist sie von der Anlage des Verfahrens her vorgesehen. Mehr noch: das Gesetz hat mit der Positivprüfung und den beschränkten Aufklärungsmitteln des § 118 a ZPO im Grunde Unvereinbares miteinander verbunden. In der Praxis bleiben dem Gericht zwei Auswege, es entweder mit der hinreichenden Erfolgsaussicht nicht so ernst zu nehmen, wie es der Wortlaut des Gesetzes meint oder aber, einer Verlagerung des Hauptsacheverfahrens in das Vorverfahren Raum zu geben. d) Mit der Intensivierung der Vorprüfung ist eine weitere auch wesentlich von der Persönlichkeit des entscheidenden Richters abhängige Gefahr verbunden. Durch die Tätigkeit des Hauptsachegerichts im Vorverfahren kann eine gewisse Festlegung oder Befangenheit im Hinblick auf das Prozeßverfahren eintreten; sei es, daß die Gefahr der Befangenheit nach bewilligtem Armenrecht zuungunsten des Gegners besteht oder daß eine Voreingenommenheit gegenüber der armen Partei dann eintritt, wenn diese nach abgelehntem Armenrechtsgesuch das Verfahren als zahlende Partei betreibtl ll5 • Bei genauerem Hinsehen ist der Raum für eine solche Befangenheit freilich nicht allzu groß. Was rechtliche Zweifelsfragen anbelangt, wird ein Richter im Hauptverfahren nur selten allein aus Gründen der Konsistenz des ErgebHohmann, Rechtstatsachen zur Dauer des Zivilprozesses (erste Instanz); Baumgärtel / Mes, Rechtstatsachen zur Dauer des Zivilprozesses (zweite Instanz). Zum verfassungsrechtlichen Aspekt der Verfahrensdauer: Kloepfer,
JZ 1979, S. 209. 103 Gesetz zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren vom 3. Dezember 1976, BGBI 1976 I S.3281. Putzo (NJW 1977, S.I) nennt die Novelle "Jahrhundertgesetz". 104 Thomas / Putzo, § 285 Anm. 3 d. 105 Vgl. Trocker, Gutachten, S. B 74; Schott, S. 170 ff., trat auf der Grundlage der ursprünglichen Fassung des § 114 Abs.l ZPO nachhaltig für eine bloße Negativprüfung ein. Von der Positivprüfung befürchtet er eine mögliche Befangenheit des Richters im Prozeß. Ferner: Neumann, JW 1935, S. 979 f.; Nöldeke, DJZ 1901, S.150, 152, verneint eine Gefahr der Befangenheit gänzlich; Schroeder-Hohenwarth, S.73; v. Aulock, S.178; G. Schmidt, NJW 1958, S.1574; M. Schmidt, NJW 1974, S.729, 731; Diemer, Die Gewährung des Armenrechts im Zivilprozeß, S. 36 f.
III. Vorprüfungs- und Hauptsacheverfahren
131
nisses wie im Vorverfahren entscheiden. Vielmehr wird die übereinstimmung ihre Ursache darin haben, daß die richterliche Rechtsauffassung zwischen Vor- und Hauptverfahren keinen eine Änderung bewirkenden Einflüssen und Erkenntnissen ausgesetzt ist. Allein was die Würdigung der tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung anbelangt, könnte die antezipierte Beweiswürdigung aus dem Vorverfahren auf die Hauptsacheentscheidung ausstrahlen. Einige Rechtsordnungen haben dem Gesichtspunkt der Befangenheit immerhin ein solch großes Gewicht beigemessen, daß sie die materielle Vorprüfung aus der Zuständigkeit des Hauptsachegerichts ausgegliedert und auf Verwaltungsbehörden übertragen haben106 • Allerdings steht diese Regelung in Gefahr, die Vermeidung möglicher Befangenheit mit abermals verlängerter Verfahrensdauer zu erkaufen101• 3. Vorteile und Gefahren der Vorprüfung
Bei allen Mängeln des Vorprüfungsverfahrens sollte nicht übersehen werden, daß es - zumindest vom Standpunkt eines potentiellen Gesuchstellers aus betrachtet - auch Vorzüge aufweist. Der Gesuchsteller kann seinen Rechtsstreit, ohne das gewöhnliche Kostenrisiko 108 auf sich nehmen zu müssen, gewissermaßen einem gerichtlichen Test unterwerfen. Hinzu kommt die Möglichkeit, im Vorverfahren die Hauptsache durch Vergleich billiger regeln zu können (§ 118 a Abs.3 ZPO). Die im Verhältnis zum Prozeßverfahren günstigeren Kostenfolgen mögen auch für den Antragsgegner Anreiz zu größerer Vergleichsbereitschaft sein. Die Vergleichsmöglichkeit im Armenrechtsverfahren ist jedoch nur dann eine echte Chance für den Gesuchsteller, wenn damit nicht die Gefahr leichtfertiger Preisgabe von Rechten verbunden ist. Dieser Gefahr wird in erster Linie durch anwaltliche Vertretung zu begegnen sein. Auf der anderen Seite kann das verhältnismäßig niedrige Kostenrisiko im Prüfungsverfahren bewußt oder unbewußt Anlaß für eine unsorgfältige Gesuchstellung von Rechtsanwälten sein, sowohl was die Schlüssigkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung als auch die Höhe der geltendgemachten Ansprüche angeht. Dies dürfte insbesondere bei Unterhalts- und unbezifferten Schmerzensgeldforderungen gelten. 106 So z. B. in Frankreich auf das bureaux d'aide judicaire; in Schweden auf sog. Rechtshilfeausschüsse. 101 Trocker, Gutachten, S. B 74. 108 Vgl. zu den kostenrechtlichen Fragen des Armenrechtsprüfungsverfahrens unter II 4 a dieses Paragraphen. Schließt sich an das Vorverfahren ein Hauptsacheverfahren an, so sind die Auslagen des Vorverfahrens Gerichtskosten, die vom unterliegenden Teil zu tragen sind (§ 118 a Abs.4 Satz 2 ZPO). Anwaltskosten des Antragstellers zählen nach herrschender Meinung dazu nur, wenn sie notwendig waren (vgl. Baumbach / Lauterbach, § 91 Anm.5).
9"
132
§ 11 Die Effektivität des Armenrechtsprüfungsverfahrens
§ 11 Die Effektivität des Armenreclltsprüfungsverfahrens I. Maßstäbe für die Verfahrensökonomie Rahmen und wichtigstes Kriterium für die Effektivität eines auf eine rechtliche Entscheidung gerichteten Verfahrens ist seine Dauer 109 • Nicht ohne Grund ist die gegenwärtig übliche ~eitliche Ausdehnung des Armenrechtsprufungsverfahrens Hauptansatzpunkt rechtspolitischer Kritik 110 • Die kurze oder lange Dauer eines Verfahrens ist für sich gesehen freilich noch kein uneingeschränktes Positivum oder Negativum. Ob der zeitliche Aufwand für ein Verfahren angemessen ist, hängt auch von der Art des Verfahrens, seinem rechtlichen Ziel und nicht zuletzt vom individuellen Verfahrensgegenstand ab. Bezogen auf das Armenrechtsprüfungsverfahren 111 heißt das: die Verfahrensdauer muß auch unter dem Aspekt betrachtet werden, daß es nicht Aufgabe des Verfahrens ist, einen rechtlichen Konflikt einer endgültigen oder auch nur vorläufigen materiellen Klärung zuzuführen, sondern lediglich über die Voraussetzungen einstweiliger Kostenbefreiung - zunächst verbindlich ll2 - zu befinden. So gesehen wären die Grenzen der tolerierbaren Verfahrensdauer eng gezogen. Dadurch allerdings, daß § 114 Abs.l ZPO die hinreichende Erfolgsaussicht in der Hauptsache zur Bewilligungsvoraussetzung erhebt, wird das Armenrechtsverfahren in die Nähe eines materiellen Vorverfahrens gerückt. Daher muß die Frage nach der Effektivität auch den verfahrenstechnischen Aufwand sowie die Ergebnisse des Verfahrens mit in die Betrachtung einbeziehen. Ein hoher prozessualer Aufwand verbunden mit langer Verfahrensdauer wäre dann nicht zu rechtfertigen, wenn nur wenig differenzierte Ergebnisse erzielt würden. Auf der anderen Seite wäre eine lange Verfahrensdauer ohne eine gewisse Quantität verfahrensleitender Maßnahmen aus verfahrensökonomischer Sicht nicht weniger bedenklich. 109
Vgl. die Untersuchungen zur Verfahrensdauer des Zivilprozesses:
Baumgärtel / Mes, Rechtstatsachen zur Dauer des Zivilprozesses (erste Instanz); Baumgärtel / Hohmann, Rechtstatsachen zur Dauer des Zivilprozesses (zweite Instanz); Bender / Wax, Einführung in die Methoden der Tatsachen-
forschung - anhand von Daten zur Verfahrensbeschleunigung im ZivilprozeB, in: Bender, Tatsachenforschung in der Justiz. 110 Vgl. § 10 III 2 b. 111 Die Bedeutung der Frage nach der bislang nicht untersuchten Effektivität des Armenrechtsprüfungsverfahrens stellt Trocker heraus (Gutachten, S. B 71). Rechtstatsächliche Erhebungen in diese Richtung hat Schott (S.169) bereits um die Jahrhundertwende angeregt. 112 Zur Möglichkeit der nachträglichen Entziehung des Armenrechts und der Nachzahlungsanordnung vgl. auch unter Kapitel V.
H. Daten und Bewertung
133
Da sich an eine positive Armenrechtsentscheidung in der Regel ein Hauptsacheverfahren anschließt113 , weist die Frage der Effektivität einen weiteren interessanten Aspekt auf, nämlich den des Ausgangs und des Verlaufs des Hauptsacheverfahrens. Bei hohem prozessualen und zeitlichen Aufwand für das Prüfungsverfahren wäre die Erwartung berechtigt, daß die positive Prognose des Armenrechtsverfahrens in der überwiegenden Zahl der Fälle durch das Ergebnis des Rechtsstreits bestätigt wird. Der Wert der Vorprüfung stünde dann in Frage, wenn die Prozesse zu abweichenden Ergebnissen in größerem Umfang führten. Eine weitere positive Wirkung könnte die Vorprüfung insofern haben, als von ihr eine spürbare Beschleunigung des Hauptsacheverfahrens ausgehen könnte 114 • 11. Daten und Bewertung115 1. Die Verfahrensdauer
a) Zunächst sollen die untersuchten Verfahren nach ihrer Dauer zusammengestellt werden, um einen Eindruck von der praktischen Relevanz der vielfach kritisierten Ausdehnung des Armenrechtsverfahrens 116 zu gewinnen. Hierfür genügt zunächst eine grobe Aufschlüsselung nach amts- und landgerichtlichen Verfahren sowie nach Ehesachen. Diese Unterscheidung ist andererseits notwendig, um verfahrensspezifische Abweichungen nicht zu verwischen und um zugleich Schwerpunkte der Problematik zu erkennen.
113 Auch im Falle der Versagung wird das Hauptverfahren regelmäßig durchgeführt, wenn es sich um ein Gesuch des Beklagten handelt. Bei klägerischen Gesuchen hängt die Fortsetzung in der Hauptsache sehr von der Fähigkeit und Bereitschaft des Gesuchstellers ab, als zahlende Partei aufzutreten (vgl. dazu unter 11, 4 dieses Paragraphen). 114 Auch die Möglichkeit, den Rechtsstreit im Prüfungsverfahren (z. B. durch Vergleich) zu erledigen, berührt das Problem der Verfahrenseffektivität. Zur besonderen Problematik der vergleichsweisen Regelung, vgl. § 10 111 3. 115 In diesem Abschnitt sollen Erhebungs- und Auswertungsergebnisse dargestellt und einer Wertung unterzogen werden. Erst im folgenden Abschnitt (111) liegt das Schwergewicht darauf, Erklärungen und mögliche Ursachen für die jeweiligen Erscheinungen zu finden und nachzuweisen. 116 Jacobs-Martini (NJW 1953, S.246, 247) spricht von einer Dauer, die häufig bis zu einem Jahr betrage.
134
§ 11 Die Effektivität des Armenrechtsprüfungsverfahrens
Es wurden abgeschlossen im Zeitrauma) der ersten zehn Tage von einem Monat von zwei Monaten von drei Monaten von einem halben Jahr von einem Jahr von mehr als einem Jahr Summe
Anteil der Verfahren (in °/0) amb) Landgericht Landgericht Amtsgericht (ohne (Ehesachen) Ehesachen) 14 35 27 10 9 4 1 100
(49) (76) (86) (95) (99) c)
12 25 22 15 18 6 2 100
(37) (59) (74) (92) (98)
18 44 21 8 8 1
(62) (83) (91) (99)
-
100
a) Maßgeblich für die Berechnung der Verfahrensdauer ist der Tag der Einreichung des Gesuchs bei Gericht auf der einen und der Tag der Bewilligung, Versagung oder sonstigen Erledigung auf der anderen Seite. b) Die in den Rubriken der Tabelle in Klammern gesetzten Zahlen geben die Summe der im Zeitraum der jeweiligen Zeile und in den kürzeren Zeiträumen abgeschlossenen Verfahren an. c) Diese Zahl ist wie alle Zahlen der Tabelle nach den allgemeinen Regeln auf- bzw. abgerundet. Der exakte Wert liegt niedriger. und zwar bei 0,7 0/0.
Ob man den durch die Daten der Tabelle widergespiegelten Rechtszustand für befriedigend oder für eine schwerwiegende Benachteiligung Bedürftiger beim Zugang zum gerichtlichen Verfahren hält, hängt von dem Anspruch ab, den man an eine beschleunigte Abwicklung des Armenrechtsprufungsverfahrens stellen will; die Bandbreite von Auffassungen hierzu wird gewiß groß sein. Zudem ist es schwierig für die Dauer eines gerichtlichen oder gerichtsähnlichen Verfahrens Grenzwerte festzuschreiben, die es im Regelfall einzuhalten gelte. Der lange Weg gesetzgeberischer Maßnahmen zur Beschleunigung des Zivilprozesses zeigt117 , wie schwer Anspruch und Realität auf diesem Gebiet in Einklang zu bringen sind. Für das Armenrechtsprüfungsverfahren freilich liegt die Problematik der Konzentration eindeutiger und auch einfacher. Aus seiner Funktion heraus, den Zugang zum gerichtlichen Verfahren überhaupt zu eröffnen, wird man strengere und absolutere Maßstäbe hinsichtlich der zeitlichen Maximalausdehnung ableiten müssen. Hinzu kommt, daß vorwiegend fiskalische Interessen auf dem Spiele stehen118 und nicht 117
Er führte von den Prozeßrechtsnovellen der Jahre 1924 und 1934 (vgl.
BaUT, Wege zu einer Konzentration der mündlichen Verhandlung im Pro-
zeß, S. 2 f.) über das "Gesetz zur Entlastung der Landgerichte und zur Vereinfachung des Protokolls" vom 20.12.1974, EGBl I S.3651, zur Vereinfachungsnovelle des Jahres 1977 (vgl. Nachweise unter Fußn. 103), um nur die wichtigsten Stationen zu nennen.
135
H. Daten und Bewertung
ein Rechtskonflikt verbindlich entschieden zu werden braucht. Danach müßte als Orientierungswert für die Höchstdauer des Verfahrens ein Monat allgemein akzeptabel sein. Mißt man die ermittelten Werte hieran, so kann als befriedigend allenfalls die Prüfungsdauer in Ehesachen bezeichnet werden, wo in annähernd zwei Drittel aller Fälle innerhalb eines Monats die Armenrechtsentscheidung ergeht. Bei den amtsgerichtlichen Verfahren liegt der Anteil binnen Monatsfrist entschiedener Sachen bei knapp der Hälfte, während er bei den ,gewöhnlichen'H9 landgerichtlichen Verfahren auf etwas mehr als ein Drittel ab sinkt. Besonders ausgeprägt ist in dieser Kategorie von Streitigkeiten mit 26 Ofo der Anteil von Verfahren, die länger als drei Monate dauern. Die Problematik der Verfahrensdauer verschärft und konzentriert sich, unterscheidet man bei der Aufgliederung nach klägerischen Gesuchen und nach Gesuchen Beklagter. Dann nämlich zeigt sich, daß im Durchschnitt über ein Gesuch erheblich schneller entschieden wird, wenn es vom Beklagten gestellt wird, sich die Erledigung aber noch mehr verzögert, wenn ein klägerisches Gesuch zur Entscheidung ansteht. Es wurden abgeschlossen im Zeitrauma) der ersten zehn Tage von einem Monat von zwei Monaten von drei Monaten von einem halben Jahr von einem Jahr von mehr als einem Jahr Summe
Amtsgericht Kläg.
Bekl.
Verfahren (in 0/0) amb ) Landgericht Landgericht (ohne Ehesachen) (Ehesachen) Kläg. Kläg. Bekl. Bekl.
11
36
39
12
38
37 (48)
24 (60)
19 (22)
29 (68)
50 (62)
37 (75)
26 (74)
28 (88)
29 (51)
8 (76)
21 (83)
17 (92)
11 (85)
8 (96)
16 (67)
12 (88)
8 (91)
4
21 (88)
12
8 (99)
10 (95) 4 (99) 1 100
-
100
3
9 (97) 3 100
-
-
100
1
-
100
8
-
-
100
a) Maßgeblich für die Berechnung der Verfahrensdauer ist der Tag der Einreichung des Gesuchs bei Gericht auf der einen und der Tag der Bewilligung, Versagung oder sonstigen Erledigung auf der anderen Seite. b) Die in den Rubriken der Tabelle in Klammern gesetzten Zahlen geben die Summe der im Zeitraum der jeweiligen Zeile und in den kürzeren Zeiträumen abgeschlossenen Verfahren an. 118 Womit die fiskalische Komponente des Armenrechts keineswegs unterschätzt, sondern nur ihrer relativen Bedeutung gemäß eingestuft werden soll (vgl. § 1 Ziff. 3). 119 Gemeint sind die landgerichtlichen Verfahren, die nicht Ehescheidungen sind (zur Terminologie siehe auch Kapitel II).
136
§ 11 Die Effektivität des Armenrechtsprüfungsverfahrens
Von den Ehesachen einmal abgesehen, wird von den Amtsgerichten nur jedes zweite klägerische Gesuch innerhalb des ersten Monats entschieden, vor den Landgerichten gar nur jedes fünfte Gesuch. Von den Antragstellern bei Amtsgerichten warten 15 % länger als drei Monate auf das Plazet, den beabsichtigten Rechtsstreit mit Hilfe des Armenrechts führen zu können; vor den Landgerichten steigt der Anteil auf exakt ein Drittel. Der oben herausgearbeitete Grenzwert einer anzustrebenden Verfahrensdauer von einem Monat wird gegenwärtig nur in einem kleinen Teil der problematischen Verfahren 120 erreicht. Damit aber ist zugleich nachgewiesen, daß die Verfahrensdauer im Armenrecht kein bloß akademisches Problem ist, sondern eine immens praktische Bedeutung besitzt und - was entscheidend ist - für die betroffenen Rechtssuchenden eine erhebliche Erschwernis und Benachteiligung darstellen kann. Hinzu kommt, daß dem gerichtlichen Prüfungsverfahren regelmäßig das behördliche Verfahren der Erteilung des Armutszeugnisses vorangeht121 , das - wenn auch in wesentlich geringerem Umfang - zusätzlich zeitlichen Aufwand erfordert. Im Verhältnis zur Gesamtzahl untersuchter Armenrechtsverfahren haben die beobachteten Maximalwerte lang dauernder Verfahren nur marginale Bedeutung. Dennoch sind auch sie ein wenig symptomatisch für den gegenwärtigen Rechtszustand. Eines der untersuchten Armenrechtsverfahren dauerte drei .Jahre und 110 Tage. Die Tatsache, daß der Antragsteller während des Verfahrens verstorben ist, ließe sich ironisch kommentieren. Freilich wird die negative Ausnahmestellung dieses Verfahrens durch die nächsthöheren Werte deutlich, aber auch sie überschreiten die Jahresfrist deutlich - um 115 und 99 Tage. b) Unterzieht man die Verfahren unter dem Gesichtspunkt der Dauer weiteren Einzeluntersuchungen, so ergeben sich eine Reihe von Auffälligkei ten 12'2. Die Unterhaltsstreitigkeiten und insbesondere die Kindschaftssachen tendieren - ebenso wice die Ehesachen - zu einer beschleunigten Behandlung im Armenrechtsprüfungsverfahren 12:r. Die Vorprüfung sachen-, familien- 124 und erbrechtlicher Streitigkeiten dauert im DurchNämlich den klägerischen, verfahrenseinleitenden Gesuchen. Vgl. § 8 H. 122 Hierfür werden nur die klägerischen Gesuche herangezogen, weil nur bei diesen die Problematik der Vorprüfung in vollem Umfang besteht (vgl. a) dieses Abschnitts). 123 Zur Verfahrensdauer in Ehesachen, vgl. die Tabelle unter a) dieses Abschnitts. Von den Armenrechtsgesuchen, die zur Führung von Unterhalts- und Kindschaftsprozessen eingereicht werden, finden 47 Ufo im ersten, weitere 38 Ufo im zweiten Monat Erledigung. 124 Ohne die Ehescheidungsverfahren. 120 121
11. Daten und Bewertung
137
schnitt am längsten1~, der Anteil von Verfahren, die bereits im ersten Monat entschieden werden, ist bei den familienrechtlichen Gegenständen am geringsten 126 . Bei den Ansprüchen aus unerlaubter Handlung liegt ein auffälliges Schwergewicht bei Verfahren mittlerer Dauer (zwei und drei Monate)127, während in vergleichsweise wenigen Verfahren mehr als drei Monate bis zur Entscheidung verstreichen 128 . Durchschnittlich schnell wird über Gesuche mit schuldrechtlichem Verfahrensgegenstand entschieden 129 . Ein sehr auffälliger Zusammenhang besteht zwischen der Verfahrensdauer und der Streitwerthöhe. Mit zunehmendem Streitwert nimmt der Anteil zeitiger Erledigungen ab, während sich umgekehrt lange Verfahren bei hohen Streitwerten häufen. Eine übersicht vermittelt nachfolgende Tabelle. Allerdings muß im Streitwertbereich von 3 001 bis 5 000 DM die Einschränkung gemacht werden, daß wegen der hohen Anzahl von Ehescheidungen, die - wie festgestellt - eine überdurchschnittlich rasche Erledigung finden, die beschriebene Tendenz unterbrochen ist13o . Es wurden erledigt im Zeitraum von einem Monat zwei u. drei Monaten mehr als drei Monaten Summe
Anteil der Verfahren am Streitwert (in Ofo) bis DM 1000
I
DM 1-3000
DM
3-5000
DM
DM
5-10000 10-20000
DM
20000
49
45
21
17
40
36
45
41
11
19
34
42
100
100
100
100
Diese Zahlen scheinen die Vermutung zu bestätigen, Richter würden sich bei der Entscheidung über das Armenrechtsgesuch, sei es bewußt 125 Länger als drei Monate dauern 29, 30 bzw. 28 Ofo in der jeweiligen Kategorie. (Da nicht zwischen amts- und landgerichtlichen Verfahren unterschieden ist - amtsgerichtliche aber allgemein schneller abgewickelt werden -, liegen die Werte zwischen denen der Rubriken eins und zwei der Tabelle 2 unter a) dieses Abschnitts.) 126 Er beträgt nur 28 Ofo. 127 Der Anteil beträgt 46 Ofo. 128 Ihr Anteil beläuft sich auf 22 Ofo. 129 Im ersten Monat 35 Ofo, im zweiten 39 Ofo und danach 26 Ofo. 130 Dieser Bereich ist in der nachstehenden Tabelle durch Schraffierung gekennzeichnet.
138
§ 11 Die Effektivität des Armenrechtsprüfungsverfahrens
oder unbewußt, stärker von fiskalischen Erwägungen und Bedenken leiten lassen als vom Interesse des rechtssuchenden Bürgers, schnellstmöglichen finanziellen Zugang zum Prozeßverfahren zu erhalten. Zweifel an der hinreichenden Erfolgsaussicht eines Rechtsstreits sind für die Gerichte offenbar um so schwerer in Richtung einer Entscheidung überwindbar, je mehr im Falle einer Armenrechtsbewilligung die Kostenübernahme den Justizfiskus belasten könnte. Was die Art der AntragsteIlung angeht, so ist bemerkenswert, daß diejenigen Gesuche die längste Verfahrensdauer beanspruchen, die die Antragsteller selbst schriftlich abfassen und einreichen. Eine mittlere Stellung nimmt hierbei die große Mehrheit der von Rechtsanwälten eingereichten Anträge ein. Vergleichsweise am schnellsten werden Gesuche der Jugendämter erledigt und solche, die zur Niederschrift erklärt werden131 . Die oben festgestellte Erscheinung beschleunigter Erledigung der Gesuche Beklagter132 setzt sich innerhalb der klägerischen Gesuche fort. Werden Anträge nicht zum Zwecke der Verfahrenseinleitung, sondern im Laufe eines Prozesses gestellt, so liegt die Quote von Erledigungen im ersten Monat annähernd doppelt so hoch wie bei verfahrenseinleitenden Gesuchen. Eine Erklärung dafür liegt auf der Hand: die Vorklärung im Hauptsacheverfahren wirkt sich beschleunigend aus. Aber auch folgende prozeßpsychologische Erwägung mag etwas für sich haben: derjenige, der unter Einsatz eigener Mittel ein Verfahren in Gang gesetzt hat, steht für die Gerichte weniger in dem "Verdacht", einen aussichtslosen Prozeß auf Kosten der Staatskasse führen zu wollen. Wegen der relativ geringen Zahl untersuchter Verfahren bei den einzelnen Gerichten ist es problematisch, die Verfahrensdauer auf besondere örtliche übung hin zu untersuchen133• Außerdem ist - wie bereits eingangs erwähnt - eine kurze Dauer des Prufungsverfahrens kein Wert an sich. Eine routinemäßige Versagung des Armenrechts wegen Anspruchs auf Prozeßkostenvorschuß134 wird regelmäßig nicht viel Zeit in Anspruch nehmen, entspricht aber dennoch nicht dem Sinn einer rechtverstandenen Prozeßkostenhilfe. Immerhin fällt es auf, wenn einzelne Gerichte zu einem Anteil von zwei Dritteln und mehr ihre Verfahren innerhalb eines Monats abschließen l3S • Andererseits kann 131 Freilich haben diese Gesuche überwiegend schnell zu erledigende Unterhalts- und Kindschaftssachen zum Gegenstand. 132 Vgl. dazu unter a) dieses Abschnittes. 133 § 3 III 1 d. 134 § 8 III 3. Auf diese Weise erledigt ein bayerisches Amtsgericht 61 010 seiner Armenrechtsverfahren im ersten Monat nach Antragstellung. 135 Zwei Amtsgerichte weisen Werte von 64 010 bzw. 80 010 auf; zwei Landgerichte 75 010 bzw. 67 010.
H. Daten und Bewertung
139
nicht lediglich im Zufall die Begründung dafür gesucht werden, wenn an einzelnen Gerichten ein Viertel bis ein Drittel der Verfahren, unter Einschluß der typischerweise schnell erledigten Ehe- und Unterhaltssachen, länger als drei Monate dauert136 • c) Neben dem Instrumentarium, welches das Gesetz zur Durchführung eines Verfahrens bereitstellt, spielt für die Verfahrenskonzentration die Initiative und das Engagement aller Beteiligten - der verfahrensleitenden Richter und der mitwirkenden Anwälte - eine ausschlaggebende Rolle. Voraussetzung für eine Aktivität in dieser Richtung ist allerdings, daß ein vorhandener Zustand zunächst einmal als negativ oder verbesserungsbedürftig erkannt worden ist. Damit aber steht es gegenwärtig nicht zum Besten. Die Aussagen der Richter spiegeln eine nahezu volle Zufriedenheit mit dem gegenwärtigen Rechtszustand wider; von den Befragten halten 83 % das Armenrechtsverfahren für ausreichend kurz, nur 17 % meinen, es dauere in Einzelfällen, aber nicht generell zu lang. Noch mehr als dieses Ergebnis muß die Stellungnahme der Rechtsanwälte verwundern, wenngleich die Quote der eine gewisse Unzufriedenheit signalisierenden Aussagen etwas größer ist. Sie, die als Vertreter der armen Parteien ein vitales Interesse an einer schnellen Vorprüfung haben müßten, bringen ebenfalls eine weitgehende Zufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen zum Ausdruck. Von ihnen hält nur ein Viertel das Verfahren für zu lang. Bei der Durchsicht der Gerichtsakten fiel auf, daß nur wenige Anwälte sich mit Entschiedenheit gegen eine verzögerliche Behandlung von Gesuchen wenden. Die Gründe für diese Einschätzung dürften weniger darin liegen, daß Richter und Rechtsanwälte die hier ermittelten Verfahrenszeiten für positiv halten würden, als vielmehr darin, daß die Armenrechtsverfahren in der Masse gerichtlicher Verfahren untergehen und damit auch seine kritischen Punkte nicht in ausreichendem Maße bewußt werden. Es mögen aber auch die gesetzlichen Anforderungen an die Hauptsacheprognose dazu beitragen, daß Richter und Rechtsanwälte den tatsächlichen zeitlichen Aufwand für gerechtfertigt halten. Nicht zuletzt wird auch die Einschätzung der Verfahrensdauer eine Folge der bereits mehrfach konstatierten Zurückhaltung gegenüber dem Institut des Armenrechts sein 131 • Ein Institut, dessen tatsächliche Auswirkungen zufriedenstellen, ist nicht dringend änderungsbedürftig138 • Werte an Landgerichten: 30 %, 29 %,24 %; an einem Amtsgericht: 36 %. Vgl. insbesondere § 6 IV l. 138 Die positive Einschätzung setzt sich fort bei der Frage nach etwaigen regionalen Unterschieden in der gerichtlichen Praxis. Vier Fünftel der Richter verneinen nennenswerte Unterschiede, die Anwälte - offensichtlich mit einem größeren regionalen überblick ausgestattet - sind dieser Auffassung nur zu 60 Ofo. 136
137
140
§ 11 Die Effektivität des Armenrechtsprüfungsverfahrens
2. Der verfahrenstechnische Aufwand
a) Der verfahrensmäßige Aufwand für das Armenrechtsprüfungsverfahren läßt sich daran messen, in welchem Umfang Gerichte von den ihnen gesetzlich zur Verfügung gestellten Instrumentarien Gebrauch machen 139 ; in welchem Ausmaß sie mündliche Termine anberaumen, wieviel und welche Erhebungen sie durchführen. Weitere charakteristische Kriterien sind die Gesamtzahl gerichtlicher Anordnungen sowie die Anzahl gewechselter Schriftsätze. Freilich ist diese rechtstatsächliche Auswertung für sich nur wenig aussagekräftig ein hoher Aufwand an verfahrensleitenden Maßnahmen muß zwangsläufig verfahrensverzögernd zu Buche schlagen 140 - , sie ist aber im Gesamtbild der Verfahrens effektivität unerläßlich. b) Ohne die Entscheidung im Armenrechtsverfahren (bewilligender oder versagender Beschluß, Vergleich u. a.) mitzuzählen, wurde in etwa der Hälfte aller Verfahren nur eine gerichtliche Anordnung141 getroffen 142 • In einem Viertel der Fälle genügten zwei Anordnungen143 und in den restlichen Verfahren waren drei und mehr Anordnungen notwendig144 • Hinter der Zahl begrifflich weit gefaßter Anordnungen bleibt die der eigentlichen Erhebungen 145 naturgemäß zurück. In der Mehrzahl verzichten die Gerichte darauf, überhaupt Erhebungen durchzuführen 146 • In dem kleinen Teil von Verfahren mit Erhebungen handelt es sich zu 62 % um die Einholung schriftlicher Auskünfte - oftmals ausschließlich zu dem Zweck, die Bedürftigkeit eines Antragstellers zu klären 147 - Urkunden wurden in 22 % der Verfahren vorgelegt, während die unmittelbare Einvernahme von Zeugen oder Sachverständigen mit acht bzw. drei Prozent die Ausnahme bildetel~. Ent§ 10 II 3 b. Wenngleich damit noch nicht festgestellt ist, welchen Maßnahmen im einzelnen eher beschleunigend oder verzögernd wirken. 141 Anordnungen in diesem Sinne sind: Die Anhörung des Gegners; die Aufforderung an den Antragsteller oder den Gegner zur Stellungnahme; die Einholung von Auskünften; die Aufforderung, Unterlagen vorzulegen; usw. Der Begriff geht über den der Erhebung (vgl. § 10 II 3 b bb) hinaus, schließt Erhebungen aber mit ein. 142 In 12 % der Fälle erging keine, in 38 Ofo eine Anordnung. 143 In gen au 26 % der Verfahren. 144 Drei Anordnungen in 14 0/0, vier Anordnungen in 6 Ofo und mehr als vier Anordnungen in 4 % der Fälle. 145 Vgl. § 10 II 3 b bb. 146 In 83 % der untersuchten Verfahren wurden weder Auskünfte eingeholt, Urkunden verlangt noch Zeugen oder Sachverständige gehört. 147 Ein Vorgang, der an sich mit dem behördlichen Zeugniserteilungsverfahren abgeschlossen sein sollte (§ 8 II). 148 In einigen Verfahren (50/0) wurden gleichzeitig Erhebungen verschiedener Art vorgenommen. 139
140
11. Daten und Bewertung
141
sprechend gering ist die Zahl der mündlichen Termine im Prüfungsverfahren. Nur in 18 % der Verfahren wurde ein Termin anberaumt, sehr selten kam es im Laufe des Vorverfahrens zu mehr als einem Terminl49 . Im Vergleich dazu deutet die Häufigkeit der gewechselten Schriftsätze an, daß das Armenrechtsprüfungsverfahren in der gerichtlichen Praxis vornehmlich schriftlich geführt wird. In 35 Ofo der Verfahren werden bis zur Entscheidung drei und mehr Schriftsätze gewechse1t1 50 , in jedem vierten Verfahren reichten zwei Schriftsätze aus l51 . Allein aufgrund des Gesuchs wurde in 410f0 der Fälle entschieden i52 . c) Unterzieht man die Daten einer zusammenfassenden Bewertung, so läßt sich - mit einer gewissen Einschränkung hinsichtlich der Quoten gewechselter Schriftsätze - eine ausgesprochen geringe prozessuale Aktivität im Prüfungsverfahren konstatieren. Auch erweist sich, daß die vielfach geäußerte Kritik einer Verlagerung des Hauptsacheprozesses in das Armenrechtsverfahren l53 sich nicht in vollem Umfang oder jedenfalls nicht in dem Sinne erhärten läßt, daß das, was Gegenstand der Beweisaufnahme im Prozeß ist, ins Bewilligungsverfahren vorverlagert wird. Zu den ermittelten Daten über die Dauer der Armenrechtsverfahren stehen die Feststellungen über die prozessuale Intensität in grobem Mißverhältnis. Auf die Gründe hierfür wird noch einzugehen sein 154 . Was die Frage der Verfahrenseffektivität angeht, deutet sich ein nicht unerheblicher prozessualer Leerlauf an. 3. Die Ergebnisse der Vorprüfung
a) Die Bewilligungs- und Versagungsquoten im Armenrecht sind bekannt. Auf ganz Bayern bezogen schwankt der Anteil der Versagungen zwischen 10 und 20 Prozentiss. Das Armenrechtsverfahren hat somit insgesamt eine verhältnismäßig geringe Filterwirkung. Zudem hat die Untersuchung gezeigt, daß ein beachtlicher Teil der Versagungenim Gegensatz zur Aussage des Armutszeugnisses - auf der Feststel149 Zweit- und Dritt-Termine dienen häufig zur vergleichsweisen Regelung des Rechtsstreits. 150 Drei Schriftsätze in 14 %, vier in 11 Ofo, fünf in 4 Ofo, sechs und mehr Schriftsätze in 6 Ofo der Armenrechtsverfahren. 151 Exakt 24 Ofo der Verfahren. 152 Zumeist Verfahren, in denen das Gesuch - vom Kläger oder Beklagten - während des laufenden Hauptsacheverfahrens gestellt wurde, der Antragsgegner sein Recht zur Stellungnahme im Vorverfahren nach § 118 a Abs. 1 ZPO nicht wahrnahm oder das Gericht allein aufgrund des Gesuchs zu einer ablehnenden Entscheidung gelangte. 153 Vgl. § 10 III 2 bund Fußn. 101. 154 Unter III dieses Paragraphen. 155 Das trifft uneingeschränkt zu für die Jahre 1974, 1975 und 1976, vgl. die Tabellen unter § 5 I 1 a und b.
142
§ 11 Die Effektivität des Armenrechtsprüfungsverfahrens
lung mangelnder Bedürftigkeit beruht156, das Gericht also eine Funktion wahrnimmt, die bereits der Verwaltungsbehörde zukäme. Unter dem Gesichtspunkt der Effektivität des Verfahrens ist eine Untersuchung der Versagungen vor allem im Hinblick darauf von Interesse, ob lang dauernde Prüfungsverfahren zu differenzierteren Ergebnissen führen als kurzzeitige Verfahren. Interessant ist auch festzustellen, ob bestimmte Versagungsgründe typischerweise auf einer ausgedehnten Vorprüfung beruhen. b) Ein zeitlich hoher Aufwand für die Vorprüfung wäre - mit Einschränkungen - legitim, wenn sich hierdurch eher die Aussichtslosigkeit eines Rechtsstreits herausstellen würde und erfolglose Prozeßverfahren den betroffenen Antragstellern und den Gerichten erspart blieben. In der Tat besteht eine leichte Tendenz zunehmender Versagungen bei wachsender Verfahrensdauer. Dieser Zusammenhang ist allerdings nicht so signifikant, daß er die zeitliche Ausdehnung des Verfahrens in vollem Umfang rechtfertigen könnte. Der Anteil von Versagungen an den untersuchten Verfahren beträgt 36 0101 57 • Dieser Anteil verschiebt sich bei den nach Gesichtspunkten der Dauer gebildeten Verfahrensgruppen folgendermaßen: Dauer des Armenrechtsprüfungsverfahrens (in Tagen) Anteil der Versagungen (in %)
0-9
I
10-19 20-29 '0-59 '
60-"1
90-179
180u.m.
38
48
44
II
38
29
25
37
I
I
Eine deutlichere Verschiebung tritt innerhalb der beiden großen Gruppen von Versagungsgründen aufISS. Bei den kürzeren Verfahren überwiegt die Verneinung der Bedürftigkeit, bei den längeren tritt dieser Versagungsgrund zurück und die Verfahren mit unzureichender Erfolgsaussicht gewinnen ein deutlicheres Übergewicht. Dauer des Armenrechtsprüfungsverfahrens (in Tagen) Anteil der Versagung wegen Verneinung der Bedürftigkeit (in %) Anteil an Versagungen wegen unzureichender Erfolgsaussicht (in %) --
0-29
I
30 - 59
60 - 89
59
49
30
17
41
51
70
83
I
90u.m.
156 44 Ofo aller Versagungen beruhen auf zu hohen Einkommens- bzw. Vermögensverhältnissen des Antragstellers oder auf der Verweisung auf einen Anspruch auf Prozeßkostenvorschuß.
11. Daten und Bewertung
143
Betrachtet man die Versagungen mangels hinreichender Erfolgsaussicht näher, so wird deutlich, daß es sich nur zum geringsten Teil 159 um Beweislastentscheidungen160 handelt. Dabei begnügt sich das Gericht in drei Viertel dieser Fälle mit der Feststellung, der Beweis werde wahrscheinlich nicht gelingen. In lediglich jedem vierten Fall einer Beweislastentscheidung geht eine Beweiserhebung voran. Somit spielt die sog. Beweisantizipation 161 in dieser Gruppe von Versagungen - die absolut gesehen freilich klein ist - eine praktisch nicht zu vernachlässigende Rolle. Der weitaus größere Teil - nämlich 70 Ofo - der Versagungen wegen fehlender Erfolgsaussicht sind Rechtsentscheidungen. Dabei überwiegen diejenigen Fälle leicht, in denen bereits das Vorbringen des Gesuchstellers unschlüssig ist l62 . Im übrigen beruht die rechtliche Unbegründetheit auf Einwendungen des GegnersI63.164. Gerade bei den Rechtsentscheidungen liegt der Anteil der länger als drei Monate dauernden Verfahren sehr hoch. Eine Erscheinung, die auf den ersten Blick nicht erklärbar ist. Ein einsehbarer Zusammenhang von Verfahrensdauer und Ausgang des Prufungsverfahrens besteht am deutlichsten bei den Teilbetragsbewilligungenl65 . Zwar machen die Gerichte hiervon - ebenso wie vom Raten- bzw. Bruchteilsarmenrecht - nur geringen Gebrauch l66 , 151 Zusammenstellung unter § 3 111 1 d. 158 Zum Verhältnis der Versagungen wegen fehlender Bedürftigkeit und unzureichender Erfolgsaussicht, vgl. Fußn. 156. 159 In 19 Ofo der Versagungen wegen fehlender Erfolgsaussicht. 160 Wenn nach Auffassung des Gerichts die tatsächlichen Voraussetzungen der Rechtsverfolgung oder Verteidigung im Hauptsacheverfahren nicht bewiesen werden können - Beweislastentscheidung in einem übertragenen Sinn also. 161 Zur Beweisantezipation: § 10111 2 C. 162 Bisweilen freilich muten die Versagungsbegründungen und die weitere Entwicklung der Verfahren bizarr an. In einer beabsichtigten Unterhaltsabänderungsklage wurde ein über den bisherigen Unterhaltsbetrag von 150 DM hinausgehender Betrag verlangt. Das Gericht versagte das Armenrecht für die Klage mit der Begründung, daß Sparsamkeit und Bescheidenheit (hohe) Erziehungsziele seien. Ihre Erreichung ist nach Auffassung des Gerichts bei einem Unterhalt von 150 DM offenbar sicherer gewährleistet. Auch im Beschwerdeverfahren hatte der Antragsteller keinen Erfolg. In dem anschließend als zahlende Partei eingeleiteten Hauptsacheverfahren zeigte sich der Unterhaltspflichtige einsichtiger und verglich sich umgehend bei 180 DM. 163 Das Verhältnis beträgt genau: 52 zu 48 Prozent. 164 Die Summe der im Text und in Fußn. 159 genannten Anteile von Versagungen wegen fehlender Erfolgsaussicht erreicht lediglich 89 Prozent. Der Rest beruht auf Versagungen wegen mutwilliger Gesuchstellung (4 Ofo), formal unzureichenden Gesuchen, u. a. Bisweilen werden mehrere Versagungsgründe kumuliert. Beliebt ist es, einer Versagung aus Gründen geringer Erfolgsaussicht anzufügen, daß der Antragsteller darüber hinaus nicht wirklich arm i. S. von § 114 ZPO sei. 165 Zum Terminus: § 10 11 c, dort Fußn.20.
144
§ 11 Die Effektivität des Armenrechtsprüfungsverfahrens
doch geht einer solchen Entscheidung zumeist eine weitgehende Sachaufklärung voraus. Die Teilbetragsbewilligungen erfolgen häufig in Unterhaltssachen, für Schmerzensgeldklagen und auch bei der Forderung von Zugewinnausgleich. In all diesen Fällen spielen für die Beurteilung der Erfolgsaussicht Fragen der Leistungsfähigkeit der Unterhaltsverpfiichteten, des Ausmaßes von Verletzungen, des Verschuldens bzw. Mitverschuldens, sowie des Vermögensbestandes eine Rolle; sie lassen sich durch Einholung von Auskünften oder Aktenbeiziehung oftmals hinreichend klären. c) Die Frage, ob das Armenrechtsprüfungsverfahren angesichts seiner wenig differenzierten Ergebnisse auf der einen und seiner durchschnittlich langen Dauer auf der anderen Seite in seiner gegenwärtigen Form zu rechtfertigen ist, stellt sich abermals, wirft man einen Blick darauf, in welchem Maße ablehn~mde Armenrechtsentscheidungen die Antragsteller überzeugen. Die Quote eingelegter Rechtsmittel ist gewiß kein absoluter, doch wohl ein indizieller Gradmesser für die überzeugungskraft einer gerichtlichen Entscheidung. Beim Armenrechtsprüfungsverfahren ist sie danach außerordentlich gering. In einem Drittel aller wegen fehlender Erfolgsaussicht ergangener Versagungen hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt. Dabei läßt sich die Tatsache der Beschwerdeeinlegung nicht zwingend auf rechtliche Unwissenheit oder Uneinsichtigkeit zurückführen; denn der Anteil von Beschwerden, die von Rechtsanwälten eingelegt werden, ist ebenso hoch wie der von den Parteien selbst erhobener Rechtsmittel. Dadurch, daß den Beschwerden nur zu 15 %l66a voller oder teilweiser Erfolg beschieden ist, kommt allerdings auch zum Ausdruck, daß die Zahl der Fälle gering ist, in denen nach abgelehntem Armenrechtsgesuch die weitere Rechtsverfolgung unterlassen wird, obwohl in der Hauptsache ein Erfolg oder Teilerfolg möglich gewesen wäre 167 , Freilich steht das Beschwerdeverfahren unter denselben angreifbaren Prämissen wie das Armenrechtsprüfungsverfahren selbst.
166 In 3,3 Ofo aller Bewilligungen war sie auf einen Teilbetrag des ursprünglichen Klageanspruchs beschränkt. 166a Als Abhilfeentscheidung 6 Ofo, als Beschwerdeentscheidung 9 Ofo. 167 Anders verhält es sich bei den Gesuchen, die abgelehnt werden, weil die Bedürftigkeit des Antragstellers verneint wird. Hier ist die Rechtsmittelquote wesentlich niedriger (15 Ofo), diejenige erfolgreicher Rechtsmittel relativ höher (7 Ofo im Wege der Abhilfe, 310f0 durch Entscheidung der Beschwerdeinstanz). Im Bereich dieses Versagungsgrundes kann folglich auch weit weniger ausgeschlossen werden, daß eine nennenswerte Zahl von Antragstellern die beabsichtigte Rechtsverfolgung unterläßt, obgleich sie nach Auffassung der Beschwerdeinstanz durchaus anspruchsberechtigt gewesen wäre (vgl. zum Problem der unterschiedlichen Bedürftigkeitsmaßstäbe,
§ Sill).
II. Daten und Bewertung
145
4. Vorprüfung und Hauptsacheverfahren
a) Die Untersuchung der Vorprüfungsergebnisse hat gezeigtl68, daß wohl ein gewisser Zusammenhang zwischen langer Verfahrensdauer und der Unbegründetheit eines Gesuchs besteht, daß aber auch eine große Anzahl lang dauernder Vorprüfungsverfahren in das Hauptsacheverfahren einmündet. Obwohl der Wert der Vorprüfung angesichts des geringen Einsatzes prozessualer MitteP69 von vornherein mit Zurückhaltung eingeschätzt werden muß, so sollen doch zwei Punkte des Verhältnisses von Vorprüfung und Hauptsache einer näheren Betrachtung unterzogen werden: die Erfolgsquote, mit der Antragsteller aus dem Hauptsachestreit hervorgehen und der Einfluß der Vorprüfung auf die Prozeßdauer. b) Da die Erfolgsprognose der Vorprüfung für die Bewilligung keine absolut sichere zu sein braucht17O, wird man nicht für alle Fälle der Bewilligung des Armenrechts ein Obsiegen des Antragstellers im Hauptsachestreit erwarten dürfen. Doch sollte die Vorprüfung - insbesondere auch im Hinblick auf die Kostenerstattungspflicht des unterliegenden Antragstellers nach § 117 ZPOl7l - eine gewisse Gewähr der Richtigkeit aufweisen. Teilt man die mit Hilfe des Armenrechts betriebenen Prozesse je nach dem Grad des Obsiegens oder Unterliegens in fünf Kategorien ein 172 , so ergibt sich folgendes Bild: Kategorie des Obsiegens bzw. Unterliegens a)
I
II
III
IV
V
Anteil an allen Verfahren (in Ofo)
36
25
19
8
12
a) vgl. zu den einzelnen Spalten der Tabelle: Fußn.172.
Diese Anteile verändern sich vor allem zur mittleren Kategorie hin, betrachtet man allein die Verfahren, die die Antragsteller, nach Versagung des Armenrechts mangels Bedürftigkeit, als zahlende Parteien eingeleitet haben173• Unter Zugrundelegung derselben Kategorien wie oben lauten sie: Kategorie des Obsiegens bzw. Unterliegens a )
I
II
III
IV
V
Anteil an allen Verfahren (in Ofo)
31
10
33
6
20
a) vgl. zu den einzelnen Spalten der Tabelle: Fußn. 172.
168 Vgl. 3 b dieses Abschnitts. 169 Vgl. 2 dieses Abschnitts. 170 Hierzu § 10 I 1 a. 10 Franke
146
§ 11 Die Effektivität des Armenrechtsprüfungsverfahrens
Erstaunlich ist, daß auch den Versagungen wegen fehlender Erfolgsaussicht - sofern die Verfahren weiterbetrieben werden 174 - keine generelle Erfolglosigkeit im Prozeß beschieden ist. Zwar findet sich kein Verfahren, in dem ein vollständiges Obsiegen festzustellen ist, doch sind die Anteile nicht völlig erfolgloser Verfahren beachtlich. Kategorie des Ob siegens bzw. Unterliegens a)
I
11
111
IV
V
Anteil an allen Verfahren (in Ofo)
0
29
19
10
42
a) vgl. zu den einzelnen Spalten der Tabelle: Fußn.172.
Vor allem die Daten in den ersten beiden Tabellen zeigen, daß sich eine These, arme Parteien neigten wegen des fehlenden Kostenrisikos zu einer leichtfertigeren Rechtsverfolgung als zahlende Parteien, in dieser Allgemeinheit nicht halten läßt175 • Ist der Anteil an Versagungen schon nicht hoch176 , so ist es auch die Zahl der reinen Mißerfolge im Prozeß nicht. Die hohen Quoten teilweiser Erfolge zeigen andererseits aber, daß eine Neigung nicht auszuschließen ist, in der sicheren Aussicht der Befreiung von jedwedem Kostenrisiko, eine dem Betrag nach nicht von vornherein feststehende Forderung zu hoch ansetzen oder zu weitgehend zu bestreiten. Dieser Tendenz vermag das Armenrechtsprüfungsverfahren nicht zu steuern. Von den Streitgegenständen her besteht die Gefahr der Geltendmachung im Grunde berechtigter, aber überhöhter Forderungen vor allem bei Unterhaltssachen, Schmerzensgeld- und Zugewinnklagen 177 • Ob auch ein Gebühreninteresse der Anwälte mitspielt, muß als Frage offen bleiben. c) Kein einheitlich positiver Einfluß auf die Prozeßdauer geht von langen Vorprüfungsverfahren aus. Das belegt folgende grobe übersicht: Dazu unter Kapitel V; vgl. Thomas / Putzo, § 117 Anmerkung. Die Kategorien ließen sich wie folgt bezeichnen: Kategorie I: volles Obsiegen; Kategorie 11: dem Obsiegen zuneigender Verfahrensausgang; Kategorie III: Teilerfolg, zwischen Obsiegen und Unterliegen; Kategorie IV: dem Unterliegen zuneigender Verfahrensausgang; Kategorie V: vollständiges 171 172
Unterliegen.
Etwa ein Drittel der Verfahren wird nicht weiterbetrieben. Das ist der Fall in der Größenordnung von etwa einem Fünftel dieser Streitigkeiten. Wird dem Beklagten oder dem Kläger ein im Laufe des Prozesses gestelltes Gesuch abgelehnt, wird allerdings der Hauptsacheprozeß ohne Rücksicht auf den Ausgang des Armenrechtsverfahrens fortgesetzt. 175 Schott, S. 169. 176 Vgl. Fußn. 155. 177 Bei Unterhaltsstreitigkeiten ist die Zuvielforderung oftmals auch Bestandteil der Prozeßstrategie. 173
174
II!. Ursachen Dauer des Armenrechtsprüfungsverfahrens a ) Anteil der Hauptsacheverfahren, die im ersten Quartal nach Bewilligung abgeschlossen wurden (in Ofo) Anteil der Hauptsacheverfahren, die im zweiten Quartal und später nach Bewilligung abgeschlossen wurden (in Ofo)
147 I
1
2
3
6
länger
Monat
Monate
Monate
Monate
18
14
37
24
7
82
86
63
76
93
100
100
100
100
100
I
a) Die von der Bundesrechtsanwaltskammer herausgegebene Untersuchung Tatsachen zur Reform der Zivitgerichtsbarkeit hat für amtsgerichtliche Prozesse eine durchschnittliche Verfahrensdauer bis zu drei Monaten in 29,8 'I, der Verfahren ermittelt (Band I, Tabelle S. 119); für landgerichtliche Verfahren 10,7 'I, (Band I, Tabelle S. 120).
Der vorübergehend günstige Einfluß ausgedehnter Vorprüfungsverfahren (dritte Rubrik der Tabelle) verliert sich wieder bei den Verfahren mit einer Dauer bis zu sechs Monaten, um schließlich bei den länger als ein halbes Jahr währenden sogar die Werte der beschleunigt erledigten wieder zu übersteigen. 5. Zusammenfassung
Das Armenrechtsprüfungsverfahren überschreitet in der gerichtlichen Praxis weithin eine von seinem Zweck her vertretbare vernünftige Dauer. Trotz dieses erheblichen Zeitaufwandes ist die aufklärende prozessuale Arbeit gering. Folglich führt das Verfahren zu wenig differenzierten Ergebnissen, einer unsicheren Hauptsacheprognose und keinen durchweg beschleunigenden Auswirkungen auf den Prozeß. Da das Verfahren Gerichte und vor allem Anwälte während seiner gesamten Dauer doch spürbar beschäftigt, verdient es - auch im Hinblick auf die rechtlich nachteiligen Wirkungen für den Antragsteller in seiner gegenwärtigen Form schwerlich ein anderes Prädikat als ineffektiv.
111. Ursachen Die gesetzliche Anforderung an das Armenrechtsprüfungsverfahren auf der einen Seite eine positive Erfolgsprognose zu stellen, auf der anderen Seite eine endgültige Sachverhaltsaufklärung durch Zeugenund Sachverständigenvernehmung nur ausnahmsweise vorzunehmen10·
148
§ 11 Die Effektivität des Armenrechtsprüfungsverfahrens
birgt in sich die latente Gefahr eines unökonomischen Verfahrensablaufs 17B• Da das Gesetz der richterlichen Verfahrensgestaltung im übrigen weitestgehend freie Hand läßt, hängt das Maß, in dem sich die Gefahr der Verzögerung manifestiert, von der individuellen richterlichen Verfahrensleitung ab. Eines hat die Untersuchung bereits gezeigt: Die vielfach beschworene materielle Verlagerung des Hauptsacheprozesses in das Armenrechtsverfahren findet in der Praxis nicht statt179 • Einige weitere Aspekte der geringen Effektivität (wenig differenzierte Vorprüfungsergebnisse und geringer Einfluß auf das Hauptsacheverfahren) sind unmittelbar auf die zurückhaltende Sachaufklärung zurückzuführen. Warum die Verfahren im Durchschnitt dennoch lange dauern, soll unter den Gesichtspunkten der formellen und materiellen Behandlung von Armenrechtsgesuchen näher geprüft werden. 1. Die formelle Verfahrensleitung
a) Nach herrschender Auffassung ist die Anhörung des Antragsgegners im Prüfungsverfahren unerläßlich180 • Doch weder die Art und Weise noch die terminliche Ausgestaltung der Anhörung ist vom Gesetz vorgeschrieben. Die Anhörung hat eine Parallele in der Klageerwiderung. Berücksichtigt man den Zweck der Armenrechtsbewilligung und das Interesse des Gegners an der Entscheidung, so scheint für die Anhörung eine wesentlich kürzere Frist als für die Klageerwiderung ausreichend. Der Gegner kann eine Rechtseinbuße im Armenrechtsverfahren unmittelbar nicht erleiden, der Antragsteller aber hat ein vehementes Interesse an einem schnellstmöglichen Zugang zum Hauptsacheverfahren. Bei den Gerichten herrscht eine sehr unterschiedliche übung; die Fristen, die dem Antragsgegner zur Äußerung (Anhörung) gesetzt werden, reichen von einer Woche bis zu drei und vier Wochen. Sie betragen im einzelnen: Frist zur Anhörung (in Tagen)
bis 7
8 -10
11-14
15 - 21
22 - 30
31u.m.
Anteil an allen Verfahren (in 0/0)
10
22
33
18
9
8
Die unterschiedliche Ausgestaltung der Fristsetzung entspringt keineswegs einer wohlabgewogenen Dosierung je nach den mutmaßlichen Hierzu ausführlich § 10 III 2 a. Zur geringeren Zahl sachverhaltsaufklärender Erhebungen: II 2 dieses Paragraphen. 180 Vgl. § 10 II 3 b aa. 178
179
149
III. Ursachen
rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten einer Sache, sondern ist ausschließlich das Ergebnis einer starren gerichtlichen Routine. Zahlreiche Gerichte machen überhaupt keinen Unterschied bei der Fristsetzung zwischen Armenrechtsanhörung und Klageerwiderung181 • Die Gestaltung der Fristen bei der Anhörung ist symptomatisch für die Intensität, mit der das Armenrechtsverfahren insgesamt betrieben wird. Bereits die Anhörungsfrist hat nachweisbare Auswirkungen auf die Verfahrensdauer. Je kürzer die Frist der Anhörung bemessen ist, desto größer ist der Anteil von Verfahren, die innerhalb eines Monats nach Antragstellung zum Abschluß gelangen; umgekehrt wächst der Anteil von Erledigungen nach Ablauf des ersten Quartals mit zeitlicher Ausdehnung der Anhörungsfrist. Frist zur Anhörung (in Tagen) Anteil an allen Verfahren (in Ufo), bei Erledigung im. I. Monat im 2. oder 3. Monat danach Summe
bis 7
8 -10
64
47
24 12 100
11 -14
I
15 - 21
i
I
22 - 30 I 31u.m.
37
38
20
-
40 13
43 20
41 21
49 31
47 53
100
100
100
100
100
I
Was die Art der Anhörung betrifft, hat sich ebenfalls eine vorherrschende Praxis herausgebildet, die der Verfahrensbeschleunigung nicht dient. Von der Anhörung im Termin - unter Anwesenheit auch des Antragstellers - wird nur wenig Gebrauch gemacht. Sieht man von den Verfahren ab, in denen das Gesuch ohnehin erst in einem Hauptsachetermin gestellt wird, so beträgt der Anteil mündlicher, gerichtlicher Anhörungen knapp 4 0 / 0, derjenige von Anhörungen zur Niederschrift des Rechtspflegers 12 %, während mit 83 Ufo die schriftlichen Anhörungen dominieren. Geeignet für eine entscheidungsvorbereitende Aufklärung ist die mündliche Anhörung im Termin jedoch mehr als alle anderen Arten. Sie bietet die Möglichkeit, widersprechende Ausführungen ohne zeitliche Verzögerung einander gegenüberzustellen und so eine unmittelbare Grundlage für die Erfolgsprognose zu gewinnen. Demgegenüber 181 Die detaillierten Bestimmungen, die die Vereinfachungsnovelle für das schriftliche Vorverfahren vorsieht (§§ 275 ff. ZPO), haben die Abwicklung der untersuchten Verfahren mittelbar noch nicht beeinflußt, da diese sämtlich vor Inkrafttreten der Novelle abgeschlossen waren.
150
§ 11 Die Effektivität des Armenrechtsprufungsverfahrens
ist die Anhörung zur Niederschrift nichts anderes als eine unter rechtskundiger Leitung angefertigte schriftliche Stellungnahme. Wie die schriftliche Anhörung leidet auch sie unter dem Manko, daß nahezu ein Drittel der Anzuhörenden von ihrem Recht zur Äußerung überhaupt keinen Gebrauch macht1 8z, ein weiterer beachtlicher Teil sich auf unsachliche Äußerungen 18:t oder die Ankündigung, einen Rechtsanwalt beauftragen zu wollen184, beschränkt. Will man der Anhörung nicht nur eine Schutzfunktion für den Antragsgegner, sondern auch eine Aufklärungsfunktion zuschreiben, so liegt der Nachteil jeder Art von Anhörung darin, daß sie seitens des Gerichts nicht mit Sanktionen verknüpft werden kann. Einziges sanktionsähnliches Instrument für das Unterlassen jedweder Stellungnahme ist die Bewilligung des Armenrechts zugunsten des Antragstellers. Die sanktionierende Kraft der Bewilligung ist freilich äußerst gering; abgesehen von der Einleitung des Prozesses hat der Antragsgegner keine Nachteile aus der Bewilligung. Die Gründe, die bereits zur Versagung des Armenrechts hätten führen können, kann er ohne Schaden im Prozeß vorbringen und dort obsiegen. Allein die faktische Durchsetzung seines Kostenerstattungsanspruchs gegen die arme Partei kann sich erschweren 185 • Hierin liegt beispielsweise ein wesentlicher Unterschied zum schriftlichen Vorverfahren nach der Vereinfachungsnovelle. Dieses Institut lebt gerade von massiven prozessualen Sanktionen für den Fall der Verletzung von Prozeßförderungspfiichten186 ,187. Das Instrument der Armenrechtsbewilligung als Sanktion gegen eine unterlassene Anhörung zu benutzen, steht freilich nicht im Einklang mit dem Interesse des Fiskus. Wohl auch deshalb machen zahlreiche Richter bei erfolgloser Anhörung nur zögernd von einer sofortigen Bewilligung Gebrauch. Sie wiederholen entweder die Aufforderung zur Stellungnahme oder verzögern die Entscheidung nach Ablauf der Anhörungsfrist - offensichtlich in der Erwartung, eine Stellungnahme werde noch eingehen. 182 Und somit zur Aufklärung überhaupt nichts beiträgt. Der Anteil derjenigen Antragsgegner, die von ihrem Recht keinen Gebrauch machen, beträgt gen au 30 Ofo. 183 Genau 15 Ofo der Anzuhörenden. 184 Genau 5 Ofo der Anzuhörenden. 185 Vgl. § 1011 3 b aa. 186 Vgl. §§ 296 und 527 ff. ZPO; Knöringer, NJW 1978, S.2336. Zur Präklusion im Dienste der Verfahrensbeschleunigung allgemein: Baur, Wege zu einer Konzentration, S. 13 ff. 187 Mit dem Hinweis auf die Vereinfachungsnovelle soll selbstverständlich nicht der Einführung ähnlicher Präklusionsvorschriften im Armenrechtsverfahren das Wort geredet werden, sondern lediglich auf den grundlegenden Zusammenhang von prozessualer Frist und Sanktion hingewiesen werden.
IU. Ursachen
151
b) Die im Zusammenhang mit der (ersten) Anhörung des Gegners dargestellten Usancen bestimmen das Armenrechtsprüfungsverfahren auch dann, wenn sich weitere gerichtliche Anordnungen anschließen. Kennzeichnend ist die großzügige Bemessung von Fristen; oftmals wird von der - anwaltlich beratenen - Gegenseite Verlängerung begehrt und gewährt. In einem Viertel aller untersuchten Verfahren läßt sich feststellen, daß das Gericht nach Eingang der ersten Stellungnahme des Antragsgegners oder nach fruchtlosem Ablauf der Frist ohne sachliche N otwendigkeit mehr als eine Woche bis zur Entscheidung oder dem Erlaß einer neuen Anordnung zuwartet. Vielfach erkennt das Gericht auch erst zu diesem Zeitpunkt, daß das Ergebnis eines mündlichen Termins die Erfolgsprognose erleichtern könnte. Auffälligerweise ist eine Verzögerung der gerichtlichen Folgernaßnahmen vor allem dort zu verzeichnen, wo schon die Anhörungsfrist großzügig bemessen wird und weniger bei den Gerichten, die schon in der Bestimmung einer kurzen Anhörungsfrist den Willen zu beschleunigter Verfahrensabwicklung erkennen lassen. 2. Die sachliche Behandlung der Gesuche
a) Die Untersuchung der Versagungen wegen unzureichender Erfolgsaussicht hat ergeben, daß eine erstaunlich hohe Zahl langdauernder Verfahren mit einer Ablehnung aus Rechtsgründen endet, wobei die Fälle unschlüssiger beabsichtigter Klagen einen beachtlichen Teil ausmachen l88 • Der Grund für diese Erscheinung liegt in einer betont routinemäßigen und technischen Behandlung von Armenrechtsgesuchen sowie in der Vernachlässigung rechtlicher Prüfung. Die Gerichte verfügen Anhörungen und Stellungnahmen, obgleich eine rechtzeitige exakte Prüfung die Unschlüssigkeit der Sache würde erkennen lassen. In rechtlich schwierigen Fällen gewinnt man häufig den Eindruck, daß die Gerichte - offenbar in der Hoffnung auf eine Selbstklärung des Rechtsstreits - die rechtliche Prüfung zunächst unterlassen und den Streit auf ein Gleis wechselseitiger Stellungnahmen schieben. Erst wenn alle Beteiligten dieses zeitraubenden und spätestens nach dem dritten Schriftsatz unergiebigen Hin und Hers überdrüssig zu werden drohen, ringen sich manche Gerichte zu einer Entscheidung durch; diese hätte oft ebenso gut - positiv oder negativ - früher getroffen werden können. Nicht selten wird auch die Sachaufklärung sich selbst überlassen. Nach widersprechender Stellungnahme des Antragsgegners wird die 188
Vgl. II 3 dieses Paragraphen.
152
§ 11 Die Effektivität des Armenrechtsprüfungsverfahrens
Stellungnahme des Antragstellers gefordert. Beharren beide Beteiligten auf ihren Behauptungen, kann sich dieses ping-pong-Spiel mehrmals wiederholen. In all diesen Fällen ist nicht die Vernachlässigung rechtzeitiger rechtlicher Prüfung für die Verfahrensausdehnung ursächlich, sondern das Dilemma, einerseits eine hinreichende Erfolgsaussicht auch in tatsächlicher Hinsicht bejahen zu sollen, andererseits aber die endgültige Sachverhaltsaufklärung möglichst dem Hauptsacheverfahren vorzubehalten. Hier wird die eingangs skizzierte, in der Konzeption des Armenrechtsprüfungsverfahrens angelegte Gefahr in vollem Umfang wirksam. b) Eine nicht unbedeutende Rolle spielt das Armenrecht als Instrument zur Beilegung eines Rechtsstreits. Insbesondere wenn sich im Armenrechtsverfahren die Möglichkeit einer vergleichsweisen Regelung abzeichnet, ist die volle Bewilligung oftmals ausschlaggebender Impuls für den Vergleichsschluß. Die vergleichsfördernde Wirkung liegt darin, daß die mit dem Armenrecht ausgestattete Partei - da sie selbst Kosten nicht zu tragen braucht - einen im Verhältnis zum gegenseitigen Nachgeben überproportionalen Teil der Kosten übernehmen kann. In etwa jedem sechsten Verfahren, das in der Hauptsache entschieden wird, läßt sich eine mehr oder weniger starke Abweichung zwischen Kostenentscheidung und materiellem Verfahrensausgang feststellen. Nicht in allen, aber in einem Teil der Verfahren beruht dies auf einem bewußten Einsatz des Armenrechts im beschriebenen Sinne l89 • Die Preisgabe materiell-rechtlicher Positionen allein oder vor allem aufgrund kostenrechtlicher Verlockungen ist nicht problemlos. Eine solche Praxis setzt überdies voraus, daß das Fiskalinteresse zugunsten einer schnellen Verfahrensbeendigung zurückgestellt wird; sie ist nach den oben getroffenen Feststellungen sicher keine einheitliche. 3. Zusammenfassung
Daß Armenrechtsprüfungsverfahren trotz geringer Sachaufklärung durchschnittlich sehr lange dauern, hat die Ursache in einer formell wenig gestrafften Verfahrensleitung, in einer übermäßigen Schriftlichkeit des Verfahrens und in der Schwerfälligkeit der Gerichte, rechtlich und tatsächlich schwierigere Entscheidungen unter den Bedingungen des Armenrechtsprüfungsverfahrens in angemessener Zeit zu treffen. lS9 Eigenartige Blüten treibt die Vergleichsförderung durch Armenrecht allerdings dann, wenn die Staatskasse - nachdem sie die Kosten für den Berechtigten übernommen hat - versucht, diese vom Gegner unter Berufung auf dessen Zweitschuldnerhaftung (§ 58 Abs.2 GKG) einzutreiben.
I. Verzicht auf die Vorprüfung
153
§ 12 Die gesetzlirhe Neuregelung I. Verzicht auf die Vorprüfung 1. Gründe und Voraussetzungen für einen Verzieht
Nach den Ergebnissen der Untersuchung ist die Filterwirkung des Vorprüfungsverfahrens gering. Nur zwischen zehn und zwanzig Prozent der Anträge auf Gewährung des Armenrechts werden überhaupt ablehnend beschieden 19o • Ein erheblicher Teil davon, weil nach Auffassung des Gerichts der Antragsteller nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen in der Lage ist, die Prozeßkosten zu tragen. Ein weiterer beachtlicher Teil an Versagungen ist auf die Unschlüssigkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung zurückzuführen. Lediglich ein verhältnismäßig kleiner Rest von Ablehnungen beruht auf einer mehr oder weniger eingehenden rechtlichen oder tatsächlichen Aufklärung der Hauptsache. Stellt man diese Ergebnisse dem zeitlichen und sachlichen Aufwand 191 gegenüber, den die Vorprüfung dennoch verlangt, so liegt die Frage nach einem generellen Verzicht auf eine materielle Vorprüfung nahe. Allerdings müßte bei ersatzlosem Wegfall des Prüfungsverfahrens gewährleistet sein, daß seine derzeit vorhandene - beschränkte Filterwirkung zumindest teilweise von anderen Instrumentarien einer künftigen Prozeßkostenhilfe übernommen werden kann. Dabei fällt der Blick in erster Linie auf die anzustrebende Prozeßkostenbeteiligung192• 2. Die ersetzenden Wirkungen der Prozeßkostenbeteiligung
Die Einführung einer progressiven Eigenbeteiligung an den Prozeßkosten ist notwendig mit der Ausarbeitung eines Tabellensystems verbunden, aus dem sich für jede Stufe wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit das Maß der Eigenbeteiligung ergibt. Das aber bedeutet - den ordnungsgemäßen Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit vorausgesetzt -, daß sich das Gericht mit Fragen der Bedürftigkeit nicht mehr zu befassen braucht, daß folglich eine große Zahl versagender 190 Bezogen auf den Landesdurchschnitt (vgl. § 5 I 1 a und b). Bei den einzelnen Gerichten weichen die Quoten indes erheblich von den Durchschnittswerten ab (vgl. § 5 I 2 a und b). 191 Der sachliche und personelle Aufwand der Gerichte ist noch relativ gering, wenngleich auch die Leitung des zumeist schriftlich gestalteten Verfahrens in ihrer Summe eine spürbare Belastung des Gerichtsapparates darstellt. Wesentlich schwerer wiegt die Belastung der Parteien des künftigen Rechtsstreits und ihrer Vertreter. 192 Vgl. Kapitel III, insbesondere § 9.
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§ 12 Die gesetzliche Neuregelung
Armenrechtsentscheidungen und die damit verbundene gerichtliche Tätigkeit von vornherein entfällt. Jeder Antragsteller vermag sich selbst, mit Hilfe eines Rechtsanwalts oder bei entsprechenden Rechtsberatungseinrichtungen zuverlässige Auskunft über die Höhe der von ihm geforderten Eigenbeteiligung zu verschaffen. Da die Prozeßkostenbeteiligung die finanzielle Leistungskraft des Antragstellers in vertretbarem Umfang, aber spürbar, beansprucht, wird sie zugleich die Wirkung entfalten, die die wesentliche der Prozeßkosten überhaupt ist: nämlich offensichtlich unbegründetes und leichtfertiges Prozessieren zu verhindern 19:t. Das Bewußtsein, daß das Armenrecht nicht mehr zur Einholung einer kostenlosen, aber kompetenten Erfolgsprognose benutzt werden kann, wird die Anwälte und Antragsteller veranlassen, die Erfolgsaussichten einer Sache selbst sorgfältig abzuwägen 194 • Außerdem wird die Eigenbeteiligung einer Versuchung vorbeugen, zwar dem Grunde nach berechtigte, in der Höhe aber überzogene Ansprüche geltend zu machen. Es bliebe der geringe Teil von Versagungen, die auf (rechtlichen) Einwendungen oder auf aussichtsloser Beweislage beruhen. Insoweit könnte die Prozeßkostenbeteiligung die Filterfunktion der Vorprüfung nur sehr begrenzt übernehmen, was freilich angesichts der Problematik, vor allem der vorweggenommenen Beweiswürdigung195 eher einen Gewinn denn einen Verlust darstellen würde. Auch die mit dem Armenrecht stets in Beziehung gebrachte und gewöhnlich stark überschätzte Frage des Mißbrauchs 196 würde sich für das System der Prozeßkostenbeteiligung nicht mehr stellen. Wer unter Tragung des seinen wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechenden Prozeßkostenanteils dennoch aus vorwiegend anderen Motiven, als begründete eigene Rechte durchzusetzen, einen Rechtsstreit führt, tut im Grunde nichts anderes als das, was nicht selten auch bei voll bezahlenden Parteien zu beobachten ist. Bislang aber wurde noch von keiner Seite die Forderung erhoben, die vielfältigen prozeßtaktischen und wirtschaftlichen Motive zahlender Prozeßparteien einer Mißbrauchskontrolle zu unterwerfen, obgleich bekanntlich auch die vollen Gerichtskosten den sachlichen und personellen Aufwand für ein Verfahren nur in Ausnahmefällen decken. Was im Bereich voller Prozeßkostentragung toleriert wird, kann zwar nicht Ziel der Reform des Vgl. § 4 I 3. Der hohe Anteil von Versagungen aus Rechtsgründen deutet auf eine großzügige Praxis hin. Immerhin 49 Ofo der befragten Anwälte sehen eine solche Gefahr allgemein oder in Einzelfällen als gegeben. Ähnlich die Antworten zur Frage der übereinstimmung von eigenem und gerichtlichem Vorprüfungsergebnis. 45 Ofo bejahen eine gelegentliche oder häufige Abweichung. 195 Vgl. § 10 III 2 c. 196 Hierzu eingehend unter Kapitel V. 193
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I. Verzicht auf die Vorprüfung
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Armenrechts sein, muß und kann jedoch in Kauf genommen werden, wenn aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse nur eine Prozeßkostenbeteiligung in Betracht kommt. Der denkbare Einwand, die Prozeßkostenbeteiligung ohne sachliche Vorprüfung entziehe dem Armenrecht eine wesentliche Funktion, Bedürftige in ihrem eigenen Interesse vor aussichtslosen Prozeßabenteuern zu schützen, ist nicht stichhaltig. Wie die Untersuchung ergeben hat, ist dieser Schutz auch nach geltendem Recht gering. Trotz stattgefundener Vorprüfung obsiegt die arme Partei keineswegs immer 197• Außerdem wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Neuordnung der gerichtlichen Rechtshilfe nicht isoliert gesehen werden darf, sondern der Ergänzung durch eine verbesserte außergerichtliche Rechtshilfe bedarf. Bei der Möglichkeit vorprozessualer Rechtsberatung wird das Risiko für den Bedürftigen auch bei Verzicht auf die materielle Vorprüfung der Sache nicht über Gebühr erhöht. 3. Die kostenfreie Prozeßführung
Die Prozeßkostenbeteiligung ist ihrem Anwendungsbereich nach begrenzt. Bei extrem schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen scheidet jede Eigenbeteiligung aus. An ihre Stelle tritt die nach gegenwärtigem Recht übliche vollständige Kostenbefreiung. Für diese Fälle könnte an einer Vorprüfung, freilich in Form einer einfachen Negativprüfung, festgehalten werden198 • 4. Rechtliches Gehör für den Gegner
Nach herrschender Auffassung verlangt das Grundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs.1 GG) die Anhörung des Gegners im Armenrechtsprüfungsverfahren 199 • Begründet wird dies u. a. damit, daß es bereits im Vorverfahren um den Hauptsachestreit gehe und daß deshalb dem Gegner des Hauptsachestreits Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden müsse. Dieses Argument für die Anhörung entfiele, wenn eine materielle Vorprüfung der Hauptsache nicht mehr stattfände 20o ; ihm wäre der Boden vollends entzogen, wenn die Prozeßkostenhilfe nachteilige Folgen für eine eventuelle Realisierung gegnerischer Kostenerstattungsansprüche a usschlösse201 • Vgl. § 11 II 4. Zur näheren Ausgestaltung unter II dieses Paragraphen. 199 § 10 II 3 b aa. 200 Abgesehen von den Fällen der völligen Kostenbefreiung, in denen eine Negativprüfung beibehalten werden könnte (Ziff.3 dieses Abschnitts). 201 Zur Kostenerstattungspflicht: Kapitel V. 197
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§ 12 Die gesetzliche Neuregelung
11. Beibehaltung der Vorprüfung 1. Rechtspolitische Perspektiven
Ein völliger Verzicht auf das Armenrechtsprüfungsverfahren ist zwar rechtspolitisch wünschenswert, erscheint jedoch aus zwei Gründen schwer realisierbar: Die Praxis ist von der Notwendigkeit des Verfahrens - allerdings unter den Bedingungen des geltenden Rechts überzeugt. Nur wenige der befragten Richter und Rechtsanwälte halten die materielle Vorprüfung für entbehrlich20!. Ein vollständiger Verzicht auf die Vorprüfung wäre zudem ein Novum im internationalen Vergleich. Die meisten vergleichbaren Rechtsordnungen verlangen eine - wenn auch sehr abgeschwächte - Hauptsacheprognose203 • Deshalb entspräche es einer rechtspolitischen Minimalforderung, das Armenrechtsprüfungsverfahren durch wirksame Maßnahmen zu beschleunigen. Obgleich die der Untersuchung zugrundeliegenden Verfahren vor Inkrafttreten der Vereinfachungsnovelle 204 abgewickelt worden sind und somit eine mittelbare beschleunigende Rückwirkung ihrer Bestimmungen auf das Armenrechtsverfahren ausgeschlossen ist, muß es fraglich erscheinen, ob ein solcher indirekter beschleunigender Einfluß in Zukunft eintreten kann. Einmal ist das Präklusionsinstrumentarium der Vereinfachungsnovelle im Armenrechtsverfahren selbstverständlich ohne Wirkung, zum anderen ist es auf ein schriftliches (Vor-) Verfahren zugeschnitten, das sich im Armenrechtsverfahren als Ursache besonderer Verzögerung erwiesen hat 205 • So bliebe lediglich die Möglichkeit, daß die nach der Vereinfachungsnovelle vom Richter geforderte verstärkte verfahrensleitende Aktivität auch auf die Gestaltung des Armenrechtsprüfungsverfahrens durchschlägt. Freilich ist auch das Umgekehrte nicht auszuschließen, daß nämlich die erhöhte richterliche Anspannung im Prozeßverfahren das Schattendasein des Armenrechtsverfahrens noch verstärkt. Aber auch bei einer grundsätzlichen Beibehaltung der materiellen Vorprüfung wäre zu erwägen, ob sie nicht für einzelne Hauptsachegegenstände verzichtbar ist. In Betracht kämen solche, in denen Bedürftige typischerweise obsiegen oder solche, die auf eine richterliche 202 Für entbehrlich halten die Vorprüfung weniger als 10 Ufo der Richter und Rechtsanwälte. Die Möglichkeit, auf die Vorprüfung teilweise zu verzichten oder sie zu modifizieren, räumt etwa die Hälfte der Befragten ein. Eine Entlastung von der materiellen Vorprüfung wünschten 17 Ofo der Richter, dagegen wollen 83 Ufo sie nicht aus der Hand geben. 203 Gottwald, ZZP Bd.89 (1976), 136, 147 ff.; Trocker, Gutachten, S. B 28 ff., B 53 f., B 59 f., B 64 f.; Schroeder-Hohenwarth, S. 236. 204 Gesetz zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren vom 3. Dez. 1976, BGBl I S. 3289. 205 Vgl. § 11 III 1.
11. Beibehaltung der Vorprüfung
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Rechtsgestaltung gerichtet sind. Dasselbe könnte für Gesuche Beklagter gelten206. 2. Maßnahmen zur Beschleunigung
Entstehungsgeschichtlich ist die Positivprüfung das Ergebnis einer wirtschaftlich-politischen Ausnahmesituation zwischen den beiden Weltkriegen207 . Sie ist eine rechtliche und psychologische Sperre gegen eine Handhabung des Armenrechts im Zweifel für den Antragsteller, sie zwingt außerdem zur rechtlich bedenklichen Beweisantezipation und schafft die Gefahr einer Selbstbindung des Gerichts im Prozeß208. Deshalb sollte die Rückkehr zur Negativprüfung den Rahmen einer kleinen Reform bilden. Für die Konzentrationsmaßnahmen selbst kann die Vereinfachungsnovelle Anregung und Leitbild sein. Die richterliche Gestaltungsfreiheit des Verfahrens müßte, so wie für das Prozeßverfahren, mit dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung eingeschränkt werden. Als Regelverfahrensgestaltung eignet sich freilich nicht das schriftliche Vorverfahren (§ 272 Abs. 1 ZPO), da die flankierenden Sanktionen (§ 296 ZPO) auf das Prüfungsverfahren nicht übertragbar sind. Nach den Erkenntnissen der Untersuchung muß ein obligatorischer früher erster Termin zur mündlichen Anhörung209 als geeignet angesehen werden, die offenbare Aussichtslosigkeit einer beabsichtigten Rechtsverfolgung aufzudecken. Ähnlich der Klageerwiderungsfrist der §§ 276, 277 ZPO wäre für die Anberaumung des Anhörungstermins eine gesetzliche Maximalfrist vorzusehen 210 . Binnen einer weiteren Höchstfrist211 nach dem mündlichen Termin hätte zwingend die Entscheidung über das Gesuch zu erfolgen. Um eine Entscheidung innerhalb der Frist zu gewährleisten, ließe sich an eine Bewilligungsfiktion212 denken, die dann eintritt, wenn innerhalb der Frist eine positive oder negative Entscheidung seitens des Gerichts nicht getroffen wird. Um den Aufklärungswert des mündlichen Termins zu erhöhen, sollten dem Antragsgegner kostenrechtliche Nachteile für den Fall drohen, daß er Gründe, die gegen die Begründetheit der Prozeßführung des Antragstellers spre206 So der Vorschlag GottwaIds, ZZP Bd.89 (1976), 136, 150. 207 Vgl. § 10 I 2 b. 208 Die Möglichkeit einer - wenn auch schwachen - Bindung räumt fast ein Drittel der Richter ein (32 Ofo). Der Anteil der Anwälte mit entsprechender Beobachtung ist verständlicherweise mehr als doppelt so hoch (68 Ofo). 209 In Anlehnung an §§ 272 Abs. 2, 275 ZPO. 210 Eine ein- bis zweiwöchige Frist erschiene ausreichend (vgl. § 11 111 1). 211 Von weiteren etwa zwei Wochen Dauer. Dadurch ließe sich das Armenrechtsprüfungsverfahren in der Regel auf höchstens einen Monat Dauer begrenzen. 212 Nach dem Vorbild von § 19 Abs. 5 Satz 5 Bundesbaugesetz. Der dort angeordneten Genehmigungsfiktion liegt ein vergleichbares Interesse des Betroffenen an einer beschleunigten Sachbehandlung zugrunde.
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§ 12 Die gesetzliche Neuregelung
chen, nicht im Vorverfahren vorträgt, obgleich ihm das möglich gewesen wäre213 • Die skizzierten Maßnahmen scheinen geeignet, das Armenrechtsprüfungsverfahren nicht nur auf eine angemessene Dauer zurückzuführen, sondern auch seine Effektivität zu erhöhen.
111. Zusammenfassung Folgerichtige Konsequenzen aus der Einführung einer abgestuften Prozeßkostenbeteiligung wäre ein völliger Verzicht auf die materielle Vorprüfung der Hauptsache, die den Hauptbestandteil des gegenwärtigen Armenrechtsprüfungsverfahrens bildet. Selbst wenn dieser rigoros erscheinende Schritt nicht zu vollziehen wäre, sollte die Beschränkung des Verfahrens auf eine Negativprüfung, kombiniert mit eindeutigen verfahrensbeschleunigenden Regelungen, Mindestinhalt der Reform des Armenrechts sein.
213 In Form einer Beschränkung von Erstattungsansprüchen, wenn der Antragsteller nach bewilligter Prozeßkostenhilfe im Hauptsacheverfahren unterliegt.
Kapitel V
Varial § 13 Wirkungen des Armenrechts I. Gegenständlicher und zeitlicher Umfang 1. Das geltende Recht
a) Innerhalb der zivilprozessualen Armenrechtsvorschriften sind diejenigen über den gegenständlichen Umfang einer Bewilligung vergleichsweise 2 eindeutig und bieten wenig Anhaltspunkte zu rechtlichen Zweifelsfragen. Die an die Armenrechtsbewilligung anknüpfenden Wirkungen treten nur für einen Rechtszug ein (§ 119 Abs.l 1. Halbsatz ZPO)~. Für 1 Unter diesem Stichwort sollen einige Gesichtspunkte des Armenrechts behandelt werden, die nicht die Voraussetzungen der Gewährung betreffen, sondern unmittelbare und mittelbare Folgen seiner Bewilligung sind. Als unmittelbare Folgen lassen sich die Armenrechtswirkungen bezeichnen, die - sei es positiv oder negativ - mit jeder Bewilligung verbunden sind. Mittelbare Folgen in diesem Sinne sind Wirkungen, die nicht aufgrund der Bewilligung selbst eintreten, sondern eine weitere - gerichtliche - Entscheidung erfordern. Schließlich soll unter rechtstatsächlichen Aspekten auf die schon mehrfach angesprochene Problematik mißbräuchlicher Inanspruchnahme des Armenrechts eingegangen werden. 2 Im Vergleich zur völlig unzureichenden Konkretisierung des notwendigen Unterhalts in § 114 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz ZPO sowie zur begrifflich schwierigen Differenzierung der hinreichenden Erfolgsaussicht nach § 114 Abs.l Satz 1 2. Halbsatz ZPO; vgl. § 7 I und § 10 I 1 a. S Auch in diesem Punkt ging der ZPO-Entwurf von 1874 weiter. § 107 sah vor, daß die Bewilligung des Armenrechts für den ganzen Rechtsstreit erfolgt. Diese gegenüber anderen Gesetzgebungen weitergehende Wirkung begründete die Kommission mit dem Wegfall der Notwendigkeitsprüfung bei Rechtsmitteln (vgl. Hahn, Materialien, S.208). Die Vorschrift wurde aber bereits in der ersten Lesung der Reichstagskommission auf Antrag des Abgeordneten Struckmann dahingehend gefaßt, daß die Bewilligung für jede Instanz gesondert erfolgt (Hahn, S. 557). Als § 110 wurde diese Fassung Gesetz. Der Begriff Instanz wurde im Zuge kostenrechtlicher Vereinheitlichungen im Jahre 1950 durch den Ausdruck Rechtszug ersetzt (Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts, BGBl 1950 S. 455 ff., Anlage 2, § 119, S. 545). Nicht zu belegen ist die Auffassung Schroeder-Hohenwarths (S.102), der die terminologische Ände-
§ 13 Wirkungen des Armenrechts
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den Fall, daß ein in erster Instanz mit Hilfe des Armenrechts geführter Rechtsstreit in einer höheren Instanz anhängig wird, sieht § 119 Abs.2 ZPO einige Erleichterungen für den Gesuchsteller vor. Eine erneute Bedürftigkeitsprüfung findet in keinem Falle mehr statt; desgleichen scheidet eine materielle Vorprüfung aus, wenn der Gegner der armen Partei das Rechtsmittel einlegt. Dagegen ist eine erneute positive Erfolgsprognose notwendig, wenn der - unterlegene - Bedürftige die überprüfung der Entscheidung durch eine höhere Instanz herbeiführen will. Diese Beschränkung des Armenrechts auf eine Instanz ist u. a. eine Konsequenz des Erfordernisses hinreichender Erfolgsaussicht der Sache. Die einmal gestellte Erfolgsprognose kann nicht mehr ohne weiteres aufrechterhalten werden, wenn ein Gericht nach Durchführung des Hauptsacheverfahrens die Unbegründetheit der Klage festgestellt hat4. Innerhalb des jeweiligen Rechtszuges gewährt das Armenrecht dem Berechtigten einstweilige Befreiung5 von den Gerichtskosten sowie das Recht zur vorläufig unentgeltlichen Inanspruchnahme der Tätigkeit eines Gerichtsvollziehers oder - im Anwaltsprozeß - zur Beiordnung eines Rechtsanwalts (§ 115 Abs.l Nr.3)6. Mit der Befreiung von den Gerichtskosten entfällt zugleich die Verpflichtung, Vorschußleistungen auf Gerichtsgebühren und -auslagen erbringen zu müssen 7• Nicht völlig zweifelsfrei ergibt sich aus § 119 ZPO die Reichweite der Armenrechtsbewilligung innerhalb eines Rechtszuges. So sagt das Gesetz beispielsweise nichts darüber, ob das bewilligte Armenrecht eine Klageerweiterung, eine Widerklage oder flankierende Verfahren wie Arrest und einstweilige Verfügung deckt. Ein Hinweis läßt sich jedoch aus der nach geltendem Recht erforderlichen positiven Hauptsacheprognose ableiten: die Wirkungen des Armenrechts können sich nicht auf einen prozessualen Anspruch (Widerklage, Klageerweiterung) erstrecken, der nicht Gegenstand der materiellen Vorprüfung gewesen ist. Aus der ausdrücklichen Einbeziehung des Zwangsvollstreckungsverfahrens in die erstinstanzliche Armenrechtsbewilligung wird man ferner entnehmen müssen, daß andere selbständige Nebenverfahren (Arrest und einstweilige Verfügung) eine gesonderte Armenrechtsentscheidung voraussetzen8 • Daraus kann vor allem in Unterhalts-, Eherung auf Eindeutschungsbestrebungen während des Dritten Reiches zurückführt. 4
Meents, S. 228.
Zum Prinzip der Stundung im geltenden Armenrecht, vgl. unter § 14. 6 Von praktisch geringer Bedeutung ist die Befreiung von der Pflicht, Sicherheit für die Prozeßkosten zu leisten (§ 115 Abs. 1 Nr. 2 ZPO). 7 Für die Gerichtsgebühren: § 65 GKG; für Auslagen: §§ 379, 402 ZPO; 68 GKG. Diese Wirkung kommt auch dem Gegner einer armen Partei zugute (§ 120 ZPO). 5
I. Gegenständlicher und zeitlicher Umfang
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und Kindschaftssachen eine nicht gerechtfertigte Doppelbelastung entstehen. b) Die Wirkungen des Armenrechts treten mit Existenz des bewilligenden Beschlusses ein (§§ 126 Abs. 1, 329 Abs. 2 ZPO). Keine kostenrechtlichen Probleme ergeben sich folglich für die Klagen, die erst nach Bewilligung des Armenrechts anhängig gemacht werden. Anders, wenn das Prozeßverfahren bereits in Gang gekommen ist, Kosten entrichtet oder angefallen sind; dann stellt sich die Frage, ob das Gericht seinem Beschluß rückwirkende Kraft beilegen kann. Selbst nach Beendigung einer Instanz kann die - rückwirkende - Bewilligung des Armenrechts noch beantragt werden. In beiden Fällen besteht nach einer Reihe obergerichtlicher Entscheidungen die Möglichkeit, die Armenrechtswirkungen rückzubeziehen. Vor Abschluß der Instanz soll es genügen, daß das Gesuch rechtzeitig gestellt, aber eine umgehende Entscheidung aus Gründen, die der Gesuchsteller nicht zu vertreten hat, unterblieben ist9 • Eine Bewilligung nach Beendigung der Instanz ist nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen möglich: Bei Unterliegen des Gesuchstellers kann ex post die hinreichende Erfolgsaussicht einer beabsichtigten RechtSverfolgung schwerlich bejaht werden, so daß eine rückwirkende Bewilligung in erster Linie beim Prozeßerfolg des Antragstellers in Betracht zu ziehen ist; dann allerdings kann sie an dem bereits fällig gewordenen Gebührenanspruch des Vertrauensanwalts lO scheitern11 • Obsiegt der Antragsteller nach Verweigerung des Armenrechts im Prozeß, so soll dies die rückwirkende Bewilligung nicht rechtfertigen l2 • In allen Fällen rückwirkend erfolgter Armenrechtsbewilligung besteht Anspruch auf Erstattung der nach dem Rückwirkungszeitpunkt geleisteten Gerichtskosten. 2. Rechtstatsäcbliche Beobachtungen
Angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelung bietet der gegenständliche Umfang des Armenrechts kaum Raum für bemerkenswerte 8 Stein I Jonas I Pohle, § 119 Anm. II 1 und 2; Baumbach I Lauterbach, § 119 Anm. C; Thomas I Putzo, § 119 Anm.2. Zum alten Eherecht: Ehescheidung und Auseinandersetzungsvergleich, OLG München, NJW 1973, S. 1052 f.; Ehescheidung und Unterhaltsvergleich, OLG Hamm, NJW 1970, S. 2116 f.; Ehescheidung und einstweilige Anordnung nach § 627 ZPO a. F., OLG Düsseldorf, NJW 1975, S.937. Ferner: v. Stosch-Diebitsch, NJW 1975, S. 152 f. 9 RGZ 126, 300, 301; RGZ 152, 221 f.; OLG Hamm, NJW 1969, S. 1355 f.; Stein I Jonas I Pohle, § 119 Anm. IV, 2; Bergerjurth, S.40; Diederichsen, DRiZ, 1963, S.400; Greuner, AnwBl 1960, S.18; Friedlaender, JW 1930, S. 2026; Schmidt, JW 1931, S. 1058 f. 10 Voraussetzung für eine rückwirkende Bewilligung wäre ein Verzicht des Vertrauens anwalts auf die höheren gesetzlichen Gebühren. 11 OLG Stuttgart, AnwBl1954, S. 183 f.; mit zustimmender Anmerkung von Schub art, AnwBl 1954, S. 184; a. A. OLG Stuttgart, MDR 1952, S.685. 12 LG Freiburg, JZ 1953, S. 53.
11 Franke
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§ 13 Wirkungen des Armenrechts
rechtstatsächliche Feststellungen. Der hohe Anteil von Ehe-, Unterhalts- und Kindschaftssachen macht allerdings deutlich, daß der Frage einer Erstreckung des Armenrechts zumindest auf das Nebenverfahren der einstweiligen Anordnung eine beachtliche praktische Bedeutung zukommt. Eine Reihe von Armenrechtsentscheidungen läßt auf eine gewisse Unsicherheit in puncto Bewilligungsumfang schließen; anders ist es nicht erklärbar, daß zahlreiche Gerichte Bewilligungen ausdrücklich auf die Zwangsvollstreckung erstrecken1:r. Freilich gereicht diese unnötige Ausdehnung des Bewilligungsbeschlusses dem Gesuchsteller nicht zum Nachteil. Anders wäre es, wenn die Unklarheit über den Umfang des Armenrechts auf der anderen Seite dazu führen würde, daß arme Parteien bei Vorliegen einer schlichten erstinstanzlichen Bewilligung für den Fall der Zwangsvollstreckung erneut zunächst in ein Armenrechtsverfahren verwiesen würden. Die angeführten obergerichtlichen Entscheidungen zur rückwirkenden Bewilligung besitzen eine breite Basis in den Verfahren des ersten Rechtszuges. Erstaunlich oft wird eine rückwirkende Armenrechtsgewährung während des Verfahrens oder nach Abschluß der Instanz beantragt. Insbesondere in Fällen, in denen dem Antragsteller zunächst das Armenrecht versagt wurde und er später mit Erfolg aus einem Hauptsacheverfahren hervorgeht, fehlt es zumeist an der Einsicht, daß nur, weil das Verfahren abgeschlossen ist, eine positive Armenrechtsentscheidung ausgeschlossen sein soll. Insgesamt gewinnt man den Eindruck, daß die Untergerichte mit dem Instrument der rückwirkenden Bewilligung weit zurückhaltender umgehen als es nach Inhalt und Zahl positiver obergerichtlicher Entscheidungen möglich erschiene 14 • 3. Die künftige Prozeßkostenhilfe
Was den gegenständlichen Umfang anbelangt, so sollten Neben- und Hauptverfahren - sofern ein Zusammenhang zwischen ihnen besteht für den Anspruch auf Prozeßkostenhilfe als Einheit betrachtet werden. Ein solcher Zusammenhang wäre insbesondere dann anzunehmen, wenn im Nebenverfahren (einstweiliger Rechtsschutz) das sachliche Begehren des Hauptsacheprozesses einer vorläufigen Regelung unterworfen werden soll. Andernfalls wäre die Prozeßkosteneigenbeteiligung in beiden 13 Etwa ein Viertel aller untersuchten (erstinstanzlichen) Bewilligungen. Ausdrücklich auch auf die Zwangsvollstreckung muß die Beiordnung eines Rechtsanwalts erstreckt werden. Andernfalls ist sie gemäß §§ 78, 115 Abs. 1 Nr.3 ZPO beschränkt (Stein / Jonas / Pohle, § 115 Anm. V 4 a. E. mit Nachw.). 14 Vgl. die Nachweise unter Fußn.9 und 11 sowie Stein / Jonas / Pohle, § 119 Fußn. 33.
H. Die Beiordnung
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Verfahren getrennt zu fordern und würde dadurch eine relativ größere, sachlich nicht gerechtfertigte Höhe erreichen. Etwas schwieriger stellt sich die Frage nach der instanziellen Erstreckung der Prozeßkostenhilfe. Konsequenterweise müßte das dargestellte System der Eigenbeteiligung mit dem geltenden Recht brechen und über die jeweilige Instanz hinaus gelten. Das Maß der Eigenbeteiligung würde sich - wie für die begüterte Partei - durch die Prozeßkosten der weiteren Instanz erhöhen. Freilich wäre weit öfter als bei Inanspruchnahme nur einer Instanz die maximale Eigenbeteiligung erreicht, so daß jede weitere Erhöhung ausschiede. Die Einführung einer materiellen Vorprüfung (Negativprufung) hätte in diesen Fällen angesichts der Existenz des erstinstanzlichen Urteils keinen Sinn. Die zeitliche Geltung der Prozeßkostenhilfe würde keine Probleme aufwerfen. Da eine Erfolgsprüfung nicht mehr gefordert wäre, eine nachträgliche Bewilligung somit nicht begrifflich an der beabsichtigten Rechtsverfolgung scheiterte, könnte jederzeit über den Anspruch auf Prozeßkostenhilfe befunden werden. Eine zeitliche Grenze sollte jedoch bestehen; hierfür böte sich der Zeitpunkt der Verfahrensbeendigung an.
11. Die Beiordnung 1. Notwendigkeit und Ausgestaltung
a) Aus mehreren Gründen muß das Armenrecht die Möglichkeit vorsehen, Rechtspflegeorgane l5 durch öffentlich-rechtlichen Zwang l6 zur Wahrnehmung der Rechte Bedürftiger verpflichten zu können (Beiordnung)17. Hauptgrund ist das Unvermögen Mittelloser, zu den Konditionen der Gebührenordnungen die in Betracht kommenden Organe mit der Wahrnehmung ihrer Rechte zu beauftragen. Die Mitwirkung dieser Organe kann aber andererseits conditio sine qua non für die Rechtsverfolgung sein. Hinzu kommt, daß das Armenrecht dieses Unvermögen nicht vollständig behebt; denn auch die Bewilligung bewirkt nicht, daß ein Anwalt oder Gerichtsvollzieher an der Rechtssache eines Bedürftigen dieselben Gebühren verdient, wie das bei Vertretung eines nichtbedürftigen Auftraggebers der Fall wäre lB • Somit ist ein 15 Praktisch am wichtigsten ist die Beiordnung von Rechtsanwälten. In Betracht kommen ferner Referendare und Justizbeamte; für Zustellungsund Vollstreckungshandlungen Gerichtsvollzieher (§§ 115 Abs.l Nr.3, 116 Abs.2 ZPO). 16 Stein / Jonas / Pohle, § 115 Anm. V 2. 17 Zur Vereinbarkeit der Beiordnung von Rechtsanwälten mit der Menschenrechtskonven tion: Europäische Menschenrech tskommission, En tscheidung vom 1. 4. 74, AnwBl 1975, S. 137.
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§ 13 Wirkungen des Armenrechts
Bedürftiger auch de facto nicht in die Lage gesetzt, einen Rechtsanwalt frei zu wählen. Schließlich muß die Möglichkeit der Beiordnung auch dort bestehen, wo der Bedürftige seine Rechte zwar ohne Unterstützung eines Rechtsanwalts verfolgen könnte, aber aus subjektiven oder objektiven Gründen überfordert wäre. b) Unerläßlich ist die Beiordnung im Anwaltsprozeß. Deshalb begründet § 115 Abs.l Nr.3 ZPO für diesen Fall ein Recht auf vorläufig unentgeltliche Tätigkeit eines Rechtsanwalts. Im Parteiprozeß hat die arme Partei lediglich das Recht, die Beiordnung zu beantragen. Der Antrag kann positiv beschieden werden, wenn sich die Vertretung als erforderlich erweist (§ 116 Abs.l ZP0)19. Ein Bedürfnis wird dann bejaht, wenn die Rechtsangelegenheit tatsächlich oder rechtlich schwierig ist, wobei die persönlichen Fähigkeiten der Partei zu berücksichtigen sind 20 • Eine Beiordnung wird nicht schon dann als erforderlich angesehen, wenn der Gegner anwaltlich vertreten ist (was aber nach § 11 a ArbGG zwingend die Beiordnung zur Folge hat21 ). Die Schwelle der Erforderlichkeit wird zusätzlich durch die Möglichkeit des § 116 Abs.2 Satz 1 ZPO angehoben, einen Referendar oder Justizbeamten beiordnen zu können22 • Dieser Weg erspart dem Fiskus zwar die Armenanwaltsgebühren, ist aber im Hinblick auf eine wirksame Interessenwahrung der armen Partei äußerst bedenklich. Für eine Beiordnung kommen nur Justizbeamte des zuständigen Gerichts oder diesem Gericht zur Ausbildung zugewiesene Referendare in Be18 Zu den eingeschränkten Gebührenansprüchen des Armenanwalts, vgl. unter b) dieses Abschnitts. Zu den Gebühren des Gerichtsvollziehers: § 7 i. V. mit § 13 Abs. 1 (sowie Anlage) GvKostG. 19 Ursprünglich sah die ZPO eine Beiordnungsmöglichkeit überhaupt nicht vor (Hahn, Materialien, S. 1328). Durch § 34 Rechtsanwaltsordnung vom 1. Juli 1878 (RGBl S. 177, 184) wurde sie geschaffen und durch die ZPO-Novelle vom 17. Mai 1898 (RGBl S.256) als § 107 a (RGBl S. 261) - später § 116 - auf die Beiordnung von Justizbeamten und Referendaren erstreckt. Durch die Neufassung der Bundesrechtsanwaltsordnung vom 1. Aug. 1959 (BGBl I S. 565, 606 f.) wurde § 34 Rechtsanwaltsordnung gestrichen und inhaltlich als § 116 Abs. 1 in die Zivilprozeßordnung übernommen. 20 Stein I Jonas I Pohle, § 116 Anm. II 4; Thomas I Putzo, § 116 Anm. a; OLG Hamburg, MDR 1964, S.418; OLG Celle, MDR 1969, S.577. 21 Die mit der Einführung der Vorschrift verbundene gesetzgeberische Intention war nicht so sehr die einer Verbesserung der Rechtsstellung Bedürftiger im Prozeß, als vielmehr die, einem mittelbaren Verbands zwang auch im Hinblick auf Art. 9 Abs. 3 GG zu wehren. Vgl. Dietz, NJW 1953, S.1489, 1490. Poelmann, BB 1953, S.949, 950; Tschischgale, JR 1954, S. 89 f.; LAG Hannover, NJW 1953, S. 1808. 22 Baumbach I Lauterbach (§ 116 Anm. 2 A) schließen die Erforderlichkeit anwaltlicher Vertretung dann aus, wenn die Vertretung durch Justizbeamte oder Referendare ausreichend ist. Umgekehrt will Meents (8. 235 ff.) vorgehen: Nur wenn eine anwaltliche Vertretung nicht geboten wäre, soll als rechtliche Unterstützung eine Beiordnung nach § 116 Abs. 2 ZPO möglich sein. Der Wortlaut der Vorschrift spricht für die Auffassung von Meents. Praxis ist sie jedoch nicht.
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tracht; beiden Personengruppen aber fehlt eine dem Anwalt vergleichbare Unabhängigkeit gegenüber dem Gericht23• Die Beiordnung hat zur Folge, daß der anwaltliche Gebührenanspruch nicht als privatrechtlicher gegenüber der vertretenen Partei entsteht, sondern als öffentlich-rechtlicher gegenüber der Staatskasse (§ 121 BRAGebO). Der zahlungskräftige Schuldner Staat ist freilich nicht in demseblen Maße zahlungswiIIig, wie es eine nichtbedürftige Partei sein muß. Die Gebühren des Armenanwalts bleiben hinter den vollen Rechtsanwaltsgebühren - unterschiedlich stark - zurück. Die Höhe dieser reduzierten Gebühren war und ist Gegenstand eines ständigen Tauziehens zwischen Fiskus und Anwaltschaft. Lange Zeit besaß der beigeordnete Anwalt überhaupt keinen Anspruch auf eine Vergütung24 • Ihm standen weder Gebühren zu noch konnte er die entstandenen Auslagen ersetzt verIangen 25 • Die unentgeltliche Vertretung Bedürftiger wurde als nobile officium der Anwaltschaft begriffen. Die wirtschaftliche Not der Jahre nach dem ersten Weltkrieg mit vermehrten Armenrechtsgesuchen auf der einen und verschlechterten Anwaltseinkommen auf der anderen Seite, ließ den Ruf der Anwaltschaft nach einer Verbesserung der Gebührenregelung im Armenrecht so laut werden 26 , daß der Gesetzgeber für Verbesserungen sorgen mußte. Zunächst wurde den Anwälten ein Recht auf Erstattung ihrer Auslagen durch die Staatskasse eingeräumt27 • Ein vergleichsweise mutiger Schritt wurde 1923 mit der vollen Gleichstellung von Armenanwaltsgebühren und Normalgebühren vollzogen 28 • Sehr schnell sollte sich jedoch erweisen, daß die volle Gebührenerstattung nicht durchgehalten werden konnte; die wirtschaftlich bewegte Zeit tat ein übriges dazu. Bereits sechs Monate nach der bahnbrechenden Gleichstellung wurde die volle Erstattungsfähigkeit der Anwaltsgebühren durch eine Streitwertobergrenze eingeschränkt29 • Dieses System gilt - mehrfach modifiziert - seither. Kritisch zur Vertretung durch Referendare und Justizbeamte: TschischJR 1954, S. 89 f. Ähnlich und mit Hinweis auf eine sehr restriktive Beiordnungspraxis zu jener Zeit: HiendZ, NJW 1960, S.1749. 24 Zum ursprünglichen Rechtszustand im Hinblick auf Gebühren und Auslagen des Anwalts, vgl. Schott, S. 125 ff. 25 Es sei denn, der Prozeß wurde gewonnen. Dies freilich konnte das Risiko bei übernahme der Vertreter nicht beseitigen. 26 Ostler, Die deutschen Rechtsanwälte, S. 155 und 160 (Forderungen des außerordentlichen Anwaltstages 1919 in Leipzig); Schott, S. 163 f. mit weiteren Nachw. 27 Gesetz über die Teuerungszuschläge zu den Gebühren der Rechtsanwälte und Gerichtsvollzieher vom 18. Dez. 1919, Art. H (RGBI S. 2113, 2114). 28 Gesetz über die Erstattung von Rechtsanwaltsgebühren in Armensachen vom 6. Febr. 1923, § 1 (RGBl I S. 103). 29 Gesetz über die Gebühren der Rechtsanwälte und Gerichtskosten vom 18. Aug. 1923, Art. V (RGBl S. 813, 815). Die Begrenzung setzte bei einem Rtreitwert von 200 Millionen Mark ein, wurde im Verordnungswege kaum 23
gaZe,
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Die Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung'l° wurde in puncto Armenanwaltsgebühren bisher fünfmal geändert31• Zunächst sah sie bis zu einem Gegenstandswert von 2000 DM einen gegenüber der Normalgebühr herabgesetzten Gebührensatz vor. Die für den Gegenstandswert von 2 000 DM ausgewiesene Gebühr war zugleich Höchstgebühr. Im Jahre 1961 trat wieder eine teilweise Gleichstellung von Armenanwalts- und Normalgebühren ein:tz. In einem Bereich niedriger Gegenstandswerte bestand Anspruch auf die Normalgebühren33, in einem mittleren Bereich waren die Gebühren zunehmend reduzierF4, während für höhere Streitwerte keine Gebührensteigerung mehr eintrat35 • Diese Grenzwerte wurden noch mehrfach verschoben. Gegenwärtig erhält ein Rechtsanwalt bis zu einem Gegenstandswert von 3200 DM die Normalgebühren, bei höheren Streitwerten bleibt die Armenanwaltsgebühr zunächst mäßig, dann stärker hinter den Normalgebühren zurück. Von einem Hauptsachewert von 20000 DM an tritt keine Steigerung mehr ein (§ 123 BRAGebO)36. Die herabgesetzten Anwaltsgebühren wurden stets damit gerechtfertigt, daß sie einen billigen Ausgleich zwischen den Belangen der Allgemeinheit und denen der Anwaltschaft darstellten 37• Die Frage nach den Belangen der armen Partei wurde gar nicht erst gestellt38 • Dabei liegt der Zusammenhang zwischen Höhe der Bezahlung und Qualität der Arbeit auf der Hand. Die Gefahr, daß der finanzielllukrativen Sache größere Sorgfalt zugewendet wird als der weniger ertragreichen, ist dem streitwertabhängigen Gebührenrecht immanent. Sie wird im Bereich der Armenanwaltsgebühren noch verstärkt. Ein zweieinen Monat später auf fünf Milliarden Mark erhöht, bis schließlich im Zuge der Währungsreform mit 2 000 Goldmark eine relativ stabile Grenze eingeführt wurde (13. Verordnung über die Gebühren der Rechtsanwälte vom 13. Dez. 1923, RGBI S. 1188, 1189). 30 Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte vom 26. Juli 1957 (BGBl I S.907).
31 Änderungsgesetze vom 29. Juni 1961 (BGBI I S. 769), 30. Juni 1965 (BGBl I S. 577), 29. Okt. 1969 (BGBl I S. 2049), 24. Okt. 1972 (BGBI I S. 2013), 20. Aug. 1975 (BGBl. I S. 2189). 32 Gesetz zur Änderung der BRAGebO und des GKG vom 19. Juni 1961 (BGBl I S. 769). 33 Bis zu einem Gegenstandswert von 500 DM. 34 Von einem Gegenstandswert von 501 DM bis zu 6000 DM. 35 Bei einem Gegenstandswert von mehr als 6 000 DM. 36 Bei einem Gegenstandswert von beispielsweise 4 100 DM bleibt eine volle Gebühr gegenüber der Normalgebühr um 11 Prozent zurück, bei dem Wert von 20000 DM dagegen um 53,5 Prozent. 37 Bundestagsdrucksache II/2545 Anlage I, S. 271.
38 Auch das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsmäßigkeit der Armenanwaltsgebühr bislang allein unter dem Gesichtspunkt des anwaltlichen Vergütungsanspruchs untersucht; Beschluß vom 27. Juli 1970, NJW
1971, S. 187.
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tes kommt hinzu: durch die herabgesetzte Vergütung sind Armenrechtsvertretungen für eine Reihe von Rechtsanwälten von vornherein uninteressant, während für schlecht situierte Anwälte selbst die Armenanwaltsgebühren helfen können, das wirtschaftliche überleben zu sichern. Der weitere Schluß von den wirtschaftlichen Verhältnissen auf die Qualifikation ist - von Berufsanfängern einmal abgesehen - in aller Regel nicht falsch. Da die Auswahl des beizuordnenden Anwalts ins Ermessen des Gerichts gestellt ist (§ 116 b Abs. 1 ZPO) und die wirtschaftlichen Verhältnisse der Anwälte zulässiges Auswahlkriterium sind 39 , liegt die Möglichkeit einer Benachteiligung armer Parteien durch qualitativ unterdurchschnittliche Vertretungen nahe 40 • 2. Die Beiordnungspraxis der Gerichte
Unterzieht man die Beiordnung im Armenrechtsverfahren einer rechtstatsächlichen Betrachtung, so zeigt sich, daß sie lediglich ein Randproblem des Armenrechts darstellt und bei weitem nicht von der rechtspolitischen Brisanz ist wie andere Aspekte des Armenrechts. Weder die Anwaltsauswahl allgemein noch die Beiordnung im Parteiprozeß leidet gegenwärtig in dem Maße unter den Mängeln, wie sie im Schrifttum wiederholt kritisiert worden sind und wie sie sich von der gesetzlichen Ausgestaltung her durchaus aufdrängen. Die Ursache hierfür ist die hohe Quote von Armenrechtsgesuchen, die nicht von der Partei selbst eingereicht oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden, sondern die von einem Anwalt der Wahl gestellt werden 41 • Die armen Parteien suchen einen Rechtsanwalt ihrer Wahl bereits vor Beginn des Verfahrens auf, dieser betreibt für sie das Armenrechtsprüfungsverfahren und wird schließlich - sofern das Gesuch Erfolg hat - auch beigeordnet42 • Nur ausnahmsweise wird ein anderer als der antragstellende Anwalt beigeordnet43 • Auch im Parteiprozeß ist die Anwaltsbeiordnung nicht die Ausnahme (§ 116 ZPO), sondern die Regel. Sieht man von den Kindschaftssachen einmal ab, bei denen wegen der ausschließlichen Maßgeblichkeit des SachverständigengutStein I Jonas I Pohle, § 116 b Anm. H 2; Thomas I Putzo, § 116 b Anm. b. Gelegentlich wird von einer Negativauslese gesprochen, vgl. Meents, S.250; Trocker, Gutachten, S. B 80; Pohlmeyer, AnwBI 1971, S.84. 41 Vgl. § 5 II 4 b (an Amtsgerichten 60 %, an Landgerichten etwa 90010). 39
40
42 Im Dunkeln bleibt freilich, nach welchen Gesichtspunkten die Parteien ihre Auswahl treffen - dies kann hier nicht ermittelt werden. Zu vermuten ist allerdings, daß in kleineren Gemeinden eine freie Wahl die Regel ist, während in Großstädten das Spektrum für eine Armenrechtsvertretung in Betracht kommender Anwälte eng sein dürfte. 43 In weniger als 2 010 der Fälle. Hauptfall, daß der gesuchstellende Anwalt am zuständigen Gericht nicht postulationsfähig ist. Es kommt praktisch nicht vor, daß Rechtsanwälte, die ein Gesuch einreichen, nicht zugleich ihr Einverständnis mit einer Beiordnung erklären - oft wird die Anrechnung auf den Beiordnungsturnus zur Bedingung gemacht.
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achtens eine anwaltliche Vertretung entbehrlich ist, so unterbleibt in lediglich 9,7 Ufo aller amts gerichtlichen Verfahren eine Beiordnung. Dabei dominiert ganz eindeutig die Beiordnung von Rechtsanwälten. Referendare wurden in keinem der untersuchten Verfahren, Justizbeamte des zuständigen Gerichts in 11 Ufo der Fälle beigeordnet. Sowohl was die Beiordnung überhaupt als auch die von Justizbeamten anbelangt, wird eine bereits bekannte Erscheinung erneut sichtbar: Soweit das Gesetz Armenrechtsentscheidungen in das Ermessen des Gerichts stellt, sind für die Art und Weise der Ermessensausübung nicht sachliche Gesichtspunkte - hier die Schwierigkeit des Rechtsstreits oder die mangelnde Gewandtheit des Gesuchstellers - ausschlaggebend, sondern die örtliche Gerichtsübung und -routine. Von den Verfahren ohne Beiordnung (ohne Kindschaftssachen) entfallen 70 Ufo allein auf zwei Amtsgerichte. Eine ebenso speziell lokale Erscheinung ist die Beiordnung von Justizbeamten, 92 Ufo dieser Fälle verteilen sich auf drei Amtsgerichte. In etwa drei Viertel der durch die Partei oder zur Niederschrift erklärten Gesuche 44 erfolgt eine Beiordnung. Soweit ein Anwalt beigeordnet werden soll oder muß, stellt sich die Frage der Auswahl. Allein die geringe Quote nichtanwaltlicher Gesuche reduziert das Problem der sog. Negativauslese von Rechtsanwälten für Armenrechtsvertretungen auf ein potentiell geringes Maß. Hinsichtlich der Auswahl selbst herrschen in der Praxis die unterschiedlichsten Gepflogenheiten. Insbesondere in Großstädten existieren bei den Gerichten Listen solcher Anwälte, die zur Übernahme von Armenrechtsvertretungen bereit sind; dort sind sie Grundlage der Auswahl. Allerdings scheinen nicht nur schlecht verdienende Rechtsanwälte Aufnahme in diese Listen zu begehren, was bisweilen angenommen wird. Die befragten Rechtsanwälte sind überwiegend in entsprechende vorhandene Listen eingetragen 45 • Die Gründe sind unterschiedlich; es geht u. a. auch darum, daß Anwälte nicht den Eindruck erwecken wollen, nur zur Vertretung begüterter Parteien bereit zu sein. Angesichts der hohen Zahlen von Anwälten, die als Wahlanwälte im Armenrecht tätig werden, ist es folgerichtig, daß die befragten Richter eine qualitativ schlechtere Vertretung im Armenrecht oder eine Negativauslese kaum festzustellen vermögen 46 • Soweit dies vereinzelt der Fall ist, glauben sie nach § 139 ZPO für Ausgleich sorgen zu können. 44 Exakt 76,3010 (der Verfahren, die über das Stadium des ArmenrechtspfÜfungsverfahrens hinausgelangen). 45 Dort wo Listen geführt werden, sind nach eigenen Angaben 73 010 der Rechtsanwälte eingetragen. 46 Eine in der Tendenz negative Auslese bejahen 16010, eine qualitativ geringfügige schlechtere Vertretung armer Parteien 27010 der befragten Richter.
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An manchen kleineren Gerichten werden die am Ort zugelassenen Rechtsanwälte in alphabetischer Reihenfolge herangezogen oder es wird auf andere Weise auf eine gleichmäßige Belastung geachtet. Die zwangsweise Tätigkeit im Armenrecht stellt für das Gros der Anwälte kein Problem dar, weder was die Heranziehung überhaupt anbelangt, noch was die mit der Tätigkeit verbundene Arbeitsbelastung betrifft47, Für ähnlich angemessen halten die Anwälte die Häufigkeit ihrer Beiordnung48. 3. Die Neugestaltung der Beiordnung
a) Die eigentlich fiskalische Dimension erlangt das Armenrecht durch den Vergütungsanspruch des beigeordneten Anwalts. Da nur ein sehr geringer Teil der Armenrechtsstreitigkeiten innerhalb des Bereichs liegt, in dem eine Gebührengleichstellung gilt 49 , ist die potentielle Ersparnis der Staatskasse durch die reduzierten Gebühren in der Tat beachtlich50 • Die Beseitigung oder weitere Verringerung des Unterschieds zwischen Armenanwaltsgebühren und Normalgebühren würde die gegenwärtig ohnehin geringen Probleme der Beiordnung vollends beheben. Dem Prozeßkostenhilfeberechtigten stünde dann in demselben oder annähernd demselben Maße wie dem Bemittelten auch faktisch die freie Wahl des Anwalts offen; finanziell begründete Einflüsse auf die Qualität der Vertretung wären nahezu ausgeschlossen. Eine Gebührenangleichung sollte zumindest bis zu den Streitwertbereichen erfolgen, bei denen im Durchschnitt der Fälle die Vergütung für den Anwalt rentabel zu werden beginnt51 • Eine weitergehende Gleichstellung als bisher ist unumgänglich für eine Prozeßkostenhilfe, die - je nach Höhe der Prozeßkosten - auch besser Verdienenden zugute kommt. Die gebotene Verbesserung des Rechtsschutzes breiter Schichten muß von der Anwaltschaft mitgetragen werden und darf wirtschaftlich nicht auf ihrem Rücken durchgesetzt werden. Freilich entstünde in jedem 47 Als nicht ins Gewicht fallend stufen 64 % die Gesamtbelastung in Armensachen ein, als erheblich 28 Ofo und als an der Grenze des wirtschaftlich Zumutbaren 8 Ofo. 48 Durchschnittliche Häufigkeit nennen 68 Ofo der Befragten, unterdurchschnittliche 32 Ofo. 49 Vgl. zur Zusammensetzung der Armensachen nach Streitwerten, § 5 II 3. Die landgerichtlichen Streitigkeiten liegen schon wegen § 23 Nr. 1 GVG höher, die Ehesachen wegen § 12 GKG. Selbst bei den amtsgerichtlichen Verfahren liegt der Anteil von Verfahren mit einem Streitwert von mehr als 3 000 DM bei 43 Ofo. 50 Wenngleich die Entlastung wegen der gleichmäßig regressiven Gebühren keineswegs eine vollständige ist. 51 Vgl. Franzen, NJW 1973, S. 2054 ff. Franzen kommt auf der Grundlage der Gebührensätze von 1973 zu dem Ergebnis, daß je nach Schwierigkeit und Aufwand für eine Sache Streitwerte zwischen 5000 DM und 275000 DM erforderlich seien (S. 2056).
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Einzelfall eine Belastung der Staatskasse nur soweit, wie die geforderte Eigenbeteiligung zur Bestreitung der Kosten nicht ausreicht. b) Das Institut der Beiordnung müßte als rechtliche Grundlage des anwaltlichen Erstattungsanspruchs gegen die Staatskasse erhalten bleiben. Die verbesserten Anwaltsgebühren würden zusammen mit einem System effektiver außergerichtlicher Rechtshilfe die Notwendigkeit gerichtlicher Anwaltsauswahl - noch weiter als bisher - auf ein verschwindend geringes Maß reduzieren. Die Möglichkeit, Justizbeamte und Referendare beizuordnen, sollte - der jetzt schon überwiegenden Praxis entsprechend - ersatzlos entfallen52 • Im Parteiverfahren könnte sich die Eigenbeteiligung an den Prozeßkosten auch als geeignetes Regulativ für die Beiordnung erweisen. Im Falle der Tätigkeit eines Anwalts erhöhten sich die Prozeßkosten und damit auch der Grad der Eigenleistung. Wer allerdings die höhere (angemesene) Eigenbeteiligung zu tragen bereit ist, müßte - ähnlich der Vorschrift des § 11 a ArbGG - einen Anspruch auf Beiordnung eines Rechtsanwalts haben. IH. Armenrecht und Gegner Aus der Darlegung zum gegenständlichen Umfang des Armenrechts folgt, daß die Bewilligung keine kostenrechtlichen Auswirkungen auf das Verhältnis der armen Partei zur Gegenpartei hat. Unterliegt die arme Partei im Prozeß, so ist Schuldner des gegnerischen Kostenerstattungsanspruchs 53 nicht etwa die Staatskasse - obgleich die gerichtliche Armenrechtsbewilligung die Prozeßführung erst ermöglicht hat - , sondern die arme Partei (§ 117 ZPO). Der Erstattungsanspruch des Gegners umfaßt nicht immer nur die Anwaltskosten, sondern kann sich auch auf bereits entrichtete Gerichtskosten erstrecken54 • Die Vorschrift des § 117 ZPO ist seit dem Entwurf von 1874 55 unverändert Bestandteil der Armenrechtsvorschriften. Zwar fehlt im Entwurf eine ausdrückliche Begründung der Vorschrift 56 , doch wird aus der Begründung zu § 103 deutlich, daß die Bestimmung als Mißbrauchssicherung gedacht war5 7 • 52 Diese Art der Beiordnung halten Richter überwiegend (nämlich zu 90 0(0) nur in Einzelfällen oder überhaupt nicht für geeignet. 53 Nach den Grundsätzen der §§ 91 ff. ZPO. 54 Nach Bewilligung des Armenrechts ist auch der Gegner von der Entrichtung der in § 115 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bezeichneten Kosten befreit (§ 120 ZPO), so daß in der Regel nur bei einer Bewilligung im laufenden Verfahren eine Erstattung von Gerichtskosten in Betracht kommt. 55 Dort als § 105. 58 Hahn, Materialien, S. 208.
II!. Armenrecht und Gegner
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Dafür allerdings ist die Erstattungspflicht nach der Ausgestaltung, die das Annenrecht mittlerweile im übrigen erfahren hat, denkbar ungeeignet. Den meisten Antragstellern wird diese mit der Bewilligung potentiell verbundene (In-)Konsequenz des Gesetzes unbekannt sein58 , zumindest aber werden sie zu Verfahrensbeginn, in der überzeugung vom Erfolg der Prozeßführung, nicht mit einer Erstattungspflicht rechnen. Darüber hinaus ist fraglich, wie die angestrebte Wirkung der Kostenerstattung überhaupt funktionieren soll, wenn der Kreis der Armenrechtsberechtigten durch die Pfändungsfreigrenzen der Zwangsvollstreckung 59 limitiert wird. Bei den solchermaßen bestimmten Armenrechtsberechtigten dürfte die Vollstreckung des gegnerischen Kostenerstattungsanspruchs niemals Erfolg haben. Anders ausgedrückt, kein Anspruchsberechtigter bräuchte die Nachteile einer Kostenerstattung real je zu fürchten. Freilich ließe sich angesichts dieser Sachlage aus § 117 ZPO auch ein Argument dafür ableiten, daß die herrschende Auffassung, wonach der notwendige Unterhalt nach § 114 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz den Pfändungsfreigrenzen entspreche, unzutreffend ist. Dem zutreffenden Grundgedanken einer finanziellen Mißbrauchssicherung vermag nur die angemessene Eigenbeteiligung - die im Falle des Unterliegens manifestiert wird - im Rahmen eines System abgestufter Prozeßkostenhilfe zu verwirklichen. Sie richtete sich einerseits nach der finanziellen Leistungsfähigkeit des Berechtigten und würde daher den Verhältnissen des Einzelfalles angemessen wirken, sie wäre zudem abhängig vom materiellen Interesse am Hauptsachestreit und würde so das finanzielle Risiko einer Prozeßführung nicht überdehnen.
§ 14 Die unberechtigte Inanspruchnahme des Armenrechts I. Das Fehlen oder der Wegfall der Bewilligungsvoraussetzungen Fester Grundsatz des Allgemeinen Verwaltungsrechts ist, daß begünstigende Verwaltungsakte dann aufgehoben werden können, wenn die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung von Anfang an nicht vorgelegen haben oder nachträglich weggefallen sind 60 • Nicht anders 57 Hahn, Materialien, S. 208. Dies hatte nach der Konzeption des Entwurfs durchaus Berechtigung. Wie dargelegt (vgl. § 10 I 2 b) wollte der Entwurf auf die materielle Vorprüfung gänzlich verzichten. 58 Darauf weisen zahlreich die befragten Anwälte hin. 59 Freilich hat die Untersuchung ergeben, daß diese Vorschriften in den wenigsten Fällen der Praxis exakte Richtschnur sind (vgl. § 8 III 1). 60 Vgl. §§ 48, 49 VwVfG; Stelkens / Bank / Leonhardt, Kommentar zum Verwaltungs verfahrens gesetz, § 48 Rdnr. 5; Forsthojj, Verwaltungsrecht, § 12, S.220, 227.
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§
14 Die unberechtigte Inanspruchnahme des Armenrechts
im Armenrecht: § 121 ZPO stellt die Entziehung des Armenrechts in das Ermessen des Gerichts, falls sich herausstellt, daß die Bewilligungsvoraussetzungen nicht oder nicht mehr gegeben sind. Freilich gilt das nur solange, als das Armenrecht seine Wirkung einstweiliger Kostenbefreiung noch entfalten kann, also bis zum Abschluß des Verfahrens 61 • Was den Wegfall der Bewilligungsvoraussetzung Armut anbetrifft, besteht - abgesehen von den Unwägbarkeiten des Bedürftigkeitsmaßstabes62 - Klarheit. Ist sie nicht mehr gegeben oder hat sie nie vorgelegen, so ist die weitere Inanspruchnahme des Armenrechts nicht gerechtfertigt. Problematischer dagegen ist die Entziehung des Armenrechts wegen Wegfalls der zweiten Voraussetzung, der hinreichenden Erfolgsaussicht. Der Rechtsstreit, zu dessen Durchführung das Armenrecht bewilligt worden ist, hat die Aufgabe, die ursprüngliche Erfolgsprognose endgültig zu bestätigen oder zu widerlegen. Wollte man bei sich abzeichnender Erfolglosigkeit in der Hauptsache die Entziehung zulassen, so würde das Armenrecht tatsächlich nur die absolute erfolgreiche Prozeßführung ermöglichen63 • Der Wortlaut des Gesetzes schlösse ein solches Vorgehen nicht völlig aus 64 • Allerdings schränkt die herrschende Meinung den Anwendungsbereich des § 121 ZPO insoweit erheblich ein 65 • Auch in der Praxis stellt die Armenrechtsentziehung aufgrund fortschreitender Klärung des Rechtsstreits kein nennenswertes Problem dar. Häufiger schon kommt es beim nichtverfahrenseinleitenden Gesuch zu einer Verschleppung der Armenrechtsentscheidung, bis die zwischenzeitlich eingetretene Entscheidungsreife eine Versagung rechtfertigt. Bei einem Wegfall der Erfolgsprüfung de lege ferenda würde sich das Problem einer Entziehung des Armenrechts wegen nicht mehr vorhandener hinreichender Erfolgsaussicht nicht mehr stellen. Auch bei einfacher Negativprüfung sollte eine dahingehende gesetzliche Klarstellung erfolgen.
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Stein / Jonas / Pohle, § 121 Anm. H. Vgl. Kapitel III, insbesondere § 7 I 2 und § 8 IH 1.
63 Ein nur aus der Sicht der Staatskasse erfreuliches Ergebnis; sie wäre stets in der Lage, die Armenanwalts- und Gerichtskosten vom Gegner beizutreiben (§§ 123, 130 Abs. 1 BRAGebO). Sie hätte nur die vor der Entziehung angefallenen Kosten zu tragen (Stein / Jonas / Pohle, § 121 Anm. I 1). 64 Stein / Jonas / Pohle, § 121 Anm. I 1. 65 Stein / Jonas / Pohle weisen zu Recht darauf hin, daß es nicht Aufgabe des § 121 ZPO sein könne, angesichts der fortschreitenden Klärung der Sachund Rechtslage entsprechend der besseren Kenntnis des Gerichts das Armenrecht zu entziehen und damit den Parteien u. U. eine rechtsmittelfähige oder jedenfalls kontradiktorische Entscheidung zu versagen (§ 118 Anm. 14). Vgl. ferner: Thomas / Putzo, § 121 Anm.1.
H. Die Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse
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11. Die Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse 1. Das Prinzip der Prozeßkostenstundung
Die Bewilligung des Armenrechts hat gemäß § 115 Abs. 1 ZPO nicht schlechthin eine Kostenbefreiung, sondern lediglich eine einstweilige Freistellung von der Kostentragung zur Folge66 . Die Dauer der Stundung ist nicht fristabhängig, sondern endet mit einer Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Gesuchstellers, die ihn in die Lage versetzt, die angefallenen Prozeßkosten nunmehr zu tragen (§ 125 ZPO). Das System der vorläufigen Kostenbefreiung hat von den Reichskammergerichtsordnungen aus über die Partikulargesetzgebungen Eingang in die ZPO gefunden67 . Auch das Stundungsprinzip war historisch als Mißbrauchssicherung gedacht 68 . Formell wird die Stundung mit Anordnung der Nachzahlung beendet; die Inanspruchnahme des Armenrechts erweist sich ex post als unberechtigt.
2. Die Nacbzahlungsanordnung Voraussetzung für eine Nachzahlungsanordnung ist die Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse in einem Ausmaß, das die Entrichtung der Prozeßkosten den notwendigen Unterhalt des Antragstellers und seiner Familie nicht mehr gefährdet. Was notwendiger Unterhalt ist, steht genauso wenig fest wie im Rahmen des § 114 Abs.1 Satz 1 ZP069, 70. Eine Erleichterung gegenüber der Bewilligung besteht nur insofern, als zumindest die Veränderung der Verhältnisse eindeutig feststellbar ist. Die Grenze zum notwendigen Unterhalt muß jedoch stets bestimmt werden. Weiter ist zweifelhaft, ob alle Umstände, die objektiv zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse beigetragen haben, auch für die Nachzahlungsentscheidung maßgeblich sein sollen. Fraglich ist insbesondere, ob Mittel aus einem Zuspruch im Prozeß sogleich wieder Vgl. § 13 I 1. Trocker, Gutachten, S. B 80 f.; Gottwald, ZZP Bd.89 (1976) S.169; Schott, S. 24 ff. Wie Schott nachgewiesen hat, ist das Stundungsprinzip eine 66
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selbständige Entwicklung der Reichsgesetzgebung, die wohl durch verwandte Bestimmungen des römischen und kanonischen Rechts beeinflußt worden sein dürfte, nicht aber auf direkte Vorbilder in diesen Rechtsordnungen zurückgeht (S. 26 f.). Vgl. auch § 112 des Entwurfs von 1874 (Hahn, Materialien, S.17 und 209); Gaedeke, JW 1936, S.1634ff.; Tschischgale, RPfl 1952, S. 166 f. 68 Trocker, Gutachten, S. B 81; ähnlich der Kostenerstattung nach § 117 ZPO, vgl. § 13 IH. 69 Vgl. KapitelIH, insbesondere § 7 I 2 und § 8 IH 1. 70 Stellt sich während des Prozesses oder danach heraus, daß die Angaben des Antragstellers bezüglich seiner Vermögensverhältnisse unrichtig waren, so wird § 125 ZPO entsprechend angewendet (Stein / Jonas / Pohle, Anm. I).
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§ 14 Die unberechtigte Inanspruchnahme des Armenrechts
zur - vollen oder teilweisen - Tilgung der Prozeßkosten herangezogen werden können oder müssen. Grundsätzlich stellen auch sie eine für § 125 ZPO maßgebliche Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse dar, doch hat die Rechtsprechung eine Reihe spezieller Klageforderungen (Unterhalt7 1 , Kapitalabfindungen 72 , Schmerzensgeld 73 und in anderer Weise zweckgebundene Beträge 74 ) in Einzelfällen oder generell ausgenommen. Der Nachzahlungsanordnung aus Anlaß des Prozeßgewinns kommt vor allem deshalb praktische Bedeutung zu, weil von dieser Art der Verbesserung der wirtschaftlichen Situation das Gericht zwingend Kenntnis erlangt, während für die Kenntniserlangung späterer sonstiger Verbesserungen keine systematische, sondern nur zufällige Aussicht besteht. Eine routinemäßige Überwachung der wirtschaftlichen Verhältnisse sehen die Armenrechtsbestimmungen selbst nicht vor 75 , sie wäre angesichts der zeitlichen Unbegrenztheit der Nachzahlungspflicht auch mit einem enormen Verwaltungsaufwand verbunden 76 • Die Entscheidung über die Nachzahlung kann nicht nur von Amts wegen erfolgen, sie kann auch von der Staatskasse77 oder dem beigeordneten Rechtsanwalt beantragt werden (§ 126 Abs.3 Satz 1 1. Halbsatz ZPO)1B. Die Nachzahlungsanordnung ist für den beigeordneten Anwalt vor allem deshalb interessant, weil sie ihm Zugang zu den vollen gesetzlichen Rechtsanwaltsgebühren (Differenzgebühren) verschafft. Zuständig für die Anordnung der Nachzahlung ist der Rechtspfleger (§ 20 Nr.6 RPflG). Die Diskussion der Nachzahlungsproblematik darf allerdings nicht außer acht lassen, daß der Raum für solche Anordnungen tatsächlich sehr eng ist. Obsiegt nämlich die arme Partei im Hauptsacheverfahren79 , so hat die Kosten letztlich der Gegner zu tragen (§ 91 ZPO). Der Armenanwalt wird seine Gebühren zunächst nach §§ 121 ff. BRAGebO 125 Anm. I; OLG Düsseldorf, RPfl 1956, S.213. Insbesondere bei Körperverletzungen, vgl. Thomas / Putzo, § 125 Anm. 1 a; OLG Schleswig, MDR 1954, S.752. 73 OLG Saarbrücken, NJW 1975, S. 2301 f.; OLG Koblenz, RPfl 1956, S.148. 74 Beispielsweise bei Ausgleichszahlungen für zukünftig erwachsende Schäden; OLG Hamm, MDR 1956, S. 33; OLG Koblenz, NJW 1955, S.I116. 75 Nach § 9 Abs.4 DVKostG sollen die Einkommens- und Vermögensverhältnisse eines Kostenschuldners "von Zeit zu Zeit" nachgeprüft werden, wenn "Grund zu der Annahme besteht, daß er in absehbarer Zeit imstande sein werde, die Kosten ... ganz oder teilweise zu zahlen". 76 Die Stundung hemmt (§ 202 BGB) die Verjährung des Anspruchs der Staatskasse. 77 Durch die Bezirksrevisoren als Vertreter der Staatskasse. 78 Das Antragsrecht der Rechtsanwälte wurde durch Gesetz vom 26. Juli 1957 (BGBl I S. 861) eingefügt. 79 Ein volles Obsiegen wurde in 36 Ufo der durchgeführten Hauptsacheverfahren festgestellt (vgl. § 11 II 4 b). 71
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Stein / Jonas / Pohle, §
11. Die Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse
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gegenüber der Staatskasse liquidieren. Bleiben die Gebühren hinter den Normalgebühren zurück, so ist der Anwalt gemäß § 124 ZPO befugt, die Differenz vom Kostenschuldner einzuziehen 80 • Von diesem wird auch die Staatskasse die Kosten erstattet verlangen, von denen sie die arme Partei befreit hat 81 • Unterliegt82 die arme Partei im Prozeß und sind ihr die Kosten auferlegt (§ 91 ZPO), so ist sie den Erstattungsansprüchen des Gegners ausgesetzt (§ 117 ZPO), hinsichtlich der Gerichtskosten und der Entschädigung für den beigeordneten Anwalt gilt zunächst die einstweilige Kostenbefreiung. Die Staatskasse gilt den beigeordneten Anwalt in Höhe der Armenanwaltsgebühren ab. Ein Nachzahlungsinteresse besteht in diesem Fall für den Armenanwalt bezüglich eventueller Differenzgebühren und für die Staatskasse in Höhe der Beträge, von deren Begleichung die arme Partei einstweilen befreit war. Als Grundlage für eine Nachzahlung kommt - wegen des Unterliegens - in diesem Fall vor allem eine spätere nichtprozeßbedingte Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse in Betracht. Die Frage der Nachzahlung infolge Besserung aufgrund des Prozeßausgangs kann nur dann akut werden, wenn die arme Partei trotz eines Erfolges Kosten zu tragen hat, sei es, daß sie ihr wegen teilweisen Unterliegens auferlegt worden sind, sei es daß sie im Rahmen eines Vergleichs Kosten übernommen hat83 • 3. Die gerichtliche Praxis
Die Darstellung der Fallgestaltungen, in denen eine Nachzahlung überhaupt in Betracht kommt, legt den Schluß nahe, daß die praktische Bedeutung des Instituts gering ist. Andererseits räumen die Armenrechtsbestimmungen auch in puncto Nachzahlung dem Gericht ein weites Ermessen ein, das möglicherweise eine weitere Einbruchstelle für Ungleichheiten auf dem Gebiet des Armenrechts ist. Freilich bereitet es Schwierigkeiten, die Gerichtspraxis zu erfassen: Offizielle Statistiken, die ihrerseits den Zugang zu einzelnen Nachzahlungsverfahren eröffnen könnten, existieren nicht. Ein Bild der Rechtswirk80 Riedel / Sußbauer, Kommentar zur Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung, § 130 Rdnr. 20 ff.; Neuhaus, Der Kostenerstattungsanspruch des Armenanwalts nach § 124 der Zivilprozeßordnung, Dissertation Köln 1937, S.51. Zum Beitreibungsrecht des Anwalts ferner: Gaedeke, Das Beitreibungsrecht des Armenanwalts, S.13, 49; Habscheid / Schlosser, Das Beitreibungsrecht des Armenanwalts. Zugleich ein Beitrag zur Rechtsnatur des prozessualen Kostenerstattungsanspruchs, ZZP Bd. 75 (1962) S. 302 ff. 81 überleitung von Ansprüchen auf die Staatskasse kraft Gesetzes gemäß § 130 Abs. 1 BRAGebO. 82 Die Verfahren völligen Unterliegens seitens der armen Partei machen 12 Ufo aus, vgl. § 11 II 4 b. 83 Was angesichts der Armenrechtsbewilligung mit dem Ziel, die Verfahrensbeendigung zu fördern, nicht selten vorkommt, vgl. § 11 III 2 b.
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§ 14 Die unberechtigte Inanspruchnahme des Armenrechts
lichkeit kann somit nur durch die Befragung von Rechtspflegern, Bezirksrevisoren und Rechtsanwälten gewonnen werden. Um es vorwegzunehmen: bei keinem anderen Teil der Untersuchung war das Spektrum von Angaben, Daten und Einschätzungen so breit und vielfältig wie bei dem der Nachzahlung. Was die allgemeine Bedeutung und die Häufigkeit der Nachzahlung angeht, so übertreffen diese die Erwartungen nicht; andererseits ist es aber keineswegs so, daß sich sämtliche Gerichte der Möglichkeit, Nachzahlungen anzuordnen völlig enthielten. Knapp zwei Drittel der befragten Rechtspfleger und Bezirksrevisoren stufen die Anzahl der Nachzahlungsverfahren als völlig unbedeutend ein, während 30 Ofo die Bedeutung als gering ansehen; nur der geringe Rest von 5 Ofo bezeichnet die Zahl als nennenswert. Von denjenigen, die die Häufigkeit als völlig gering einstufen, präzisiert knapp die Hälfte ihre Aussage dahin, daß sie Nachzahlungsanordnungen während ihrer gesamten Amtszeit überhaupt nicht vorgenommen hätten. Bei den für die Einleitung des Nachzahlungsverfahrens maßgeblichen Gründen überwiegt die Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse infolge Prozeßausgangs die allgemeine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation leicht. Eine nur untergeordnete Rolle spielen Nachzahlungen wegen ursprünglich unrichtiger Angaben oder sonstiger Gründe. Diese Erscheinung wird verständlich, wenn man bedenkt, daß gegenwärtig ein bewilligendes Gericht nicht gehalten ist, die Entwicklung der Vermögensverhältnisse einer Partei zu überwachen und somit Änderungen aufgrund des Verfahrensausgangs die einzigen sind, die dem Gericht einigermaßen sicher zur Kenntnis gelangen84 • Die Mehrzahl der eingeleiteten Verfahren endet mit Anordnung der Nachzahlung, wenngleich die Maßstäbe für Voraussetzungen und Folgen des Beschlusses weit auseinanderklaffen. So reichen die Angaben für das notwendige Ausmaß der Verbesserung der wirtschaftlichen Situation von fühlbar über deutlich und wesentlich bis zu erheblich. Einige nennen - insbesondere für Vermögensmehrungen auf grund des Verfahrens - den Grenzwert von 10000 DM. Hinsichtlich der Ausgestaltung der Nachzahlung lehnt ein Teil der Befragten ratenweise Zahlung wegen des hohen Verwaltungsaufwandes vollkommen ab, wohingegen der andere Teil Erleichterungen dieser 84 Damit wiederum hängt es zusammen, daß drei Viertel aller Nachzahlungsverfahren vom zuständigen Gericht initiiert werden und nur wenige von den Vertretern der Staatskasse oder von Rechtsanwälten. Der Befragung zufolge regen die Anwälte zu mehr als drei Viertel praktisch nie, im übrigen selten ein Nachzahlungsverfahren an. Falls die Nachzahlungsanordnung beantragt wird, beruht die Kenntnis der Gründe zu 80 % auf Zufall und nicht auf der irgendwie gearteten systematischen überwachung.
II. Die Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse
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Art einzuräumen versucht. Auch die zeitliche Unbegrenztheit der Nachzahlungspflicht wird durchaus genutzt. Die Anordnung aufgrund positiven Verfahrensausgangs liegt naturgemäß stets nahe beim Verfahrensende. Aber auch vier und mehr Jahre nach Abschluß eines Verfahrens kommen Anordnungen noch vor. Die zur Nachzahlung ausgesetzten Beträge gehen in der Regel pünktlich oder mit geringer Verzögerung nahezu vollständig ein. Diese wenigen - zugegeben nicht exakten85 - Eindrücke über die Praxis der Nachzahlung machen eines deutlich: nicht nur bei den Voraussetzungen des Armenrechts ist der Bedürftige zahlreichen Unwägbarkeiten ausgesetzt; auch bis hin zu den mittelbaren Wirkungen ist Ungleichbehandlung nicht nur von den vagen gesetzlichen Bestimmungen her möglich, sondern Realität. 4. Nachzahlung und Prozeßkostenhilfe
a) Aus zwei Gründen sollte die Nachzahlung künftig entfallen: Eine Nachzahlungsregelung, die jede eintretende Verbesserung der Vermögensverhältnisse des Rechtssuchenden erfassen will, würde - soll sie gerecht gehandhabt werden - einen unverhältnismäßig großen Verwaltungs- und Kontrollapparat erfordern86 • Vor allem aber stünde ein Abgehen vom Stundungsprinzip im Einklang mit den Grundsätzen der modernen Sozialhilfe, wonach ein Hilfsbedürftiger auch dann nicht der Rückforderung empfangener Leistungen ausgesetzt ist, wenn er seine Notlage überwunden hat 87 • Die Ausdehnung dieser Grundsätze auf die Prozeßkostenhilfe dürfte auch rechtspolitisch durchsetzbar sein, weil die Beträge, die der Staatskasse aus Nachzahlungen zufließen, sehr gering sind88 • Eine Nachzahlungsverpflichtung hätte selbstredend immer dann Platz zu greifen, wenn die Gewährung der Prozeßkostenhilfe auf unrichtigen Angaben des Antragstellers beruht. 85 Sehr exakt sind die Angaben einer gerichtsinternen Untersuchung, die einer der Befragten übermittelte. Danach wurden an jenem Gericht im Verlauf von zehn Jahren 41 Nachzahlungsbeschlüsse erlassen (im Gesamtvolumen von 12 159 DM). Elf der Beschlüsse ergingen im ersten, fünfzehn im zweiten und dritten und fünfzehn weitere im vierten Jahr nach Verfahrensende oder später. Die Untersuchung beklagt den oftmals unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand bei Festsetzung und Beitreibung der Nachzahlungsbeträge. 86 Aus denselben Gründen wurde bereits der einmaligen Eigenbeteiligung des Rechtssuchenden gegenüber der Regel-Ratenzahlung der Vorzug gegeben (vgl. § 9 II 1 b). 87 Trocker, Gutachten, S. B 81. Vergleichbare Rechtsordnungen haben neuerdings das Stundungsprinzip durch ein Prinzip endgültiger Kostenbefreiung ersetzt (Trocker, a.a.O.; eingehend: Gottwald, ZZP Bd.89 (1976) S. 136, 171 f.). Zum engen Rahmen eines Kostenersatzes im Bundessozialhilfegesetz: §§ 92 ff. BSGH. 88 Vgl. oben Ziff.3 dieses Abschnitts und Fußn.85.
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§ 14 Die unberechtigte Inanspruchnahme des Armenrechts
b) Die Beibehaltung des Stundungsgrundsatzes müßte zumindest zwei gesetzliche Klarstellungen treffen: Die eine betrifft die Zeitspanne, während der eine Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse eine Nachzahlung höchstens auslösen kann - ein Zeitraum von zwei bis höchstens vier Jahren nach Verfahrensbeendigung erschiene vertretbar. Die andere sollte klarstellen, ob und in welchem Umfang Vermögensverbesserungen aus dem Verfahrensausgang Grundlage der Nachzahlungsanordnung sein können. Der Sache nach hätte sich diese Regelung an den heute bereits von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Grundsätzen zu orientieren89 , wobei diese um eine Bestimmung zu ergänzen wären, die die Inanspruchnahme anteilig begrenzt90 • Maxime sollte sein, daß sich eine Prozeßführung nicht wegen der Nachzahlung im nachhinein als wirtschaftlich sinnlos erweisen darf.
III. Mißbräuchliche Inanspruchnahme des Armenrechts In der Diskussion um das Armenrecht spielen von jeher die Stimmen eine bedeutende Rolle, die die hohe Quote von Fällen mißbräuchlicher Inanspruchnahme des Armenrechts betonen oder zumindest auf die erheblichen Gefahren kostenfreier Prozeßführung hinweisen. Auf die Qualifizierung des Armenrechts als ein beliebtes Instrument für Narren und Quengler in einem der führenden Zivilprozeßrechtskommentare 91 sei nur am Rande hingewiesen92 • Das Mißbrauchsargument war auch u. a. Vehikel zur Begründung der Armenrechtsrestriktionen durch die Dritte Notverordnung vom 6. Oktober 1931 93 • Selbst vor der Jahrhundertwende finden sich entsprechende, wenn auch nicht widerspruchslos gebliebene Äußerungen94 • Welche Rolle spielen nun Narren und Quengler in der Praxis des Armenrechts? Um diese Frage zu klären, ist es zunächst erforderlich, sich über die Schattierungen des Begriffs Mißbrauch Klarheit zu verschaffen. In einem weiten Sinne ließe sich darunter jede von den Vermögensverhältnissen eines Antragstellers her nicht gerechtfertigte Inanspruchnahme des Instituts verstehen. In einem engeren Sinne müßte man darunter diejenige Rechtsverfolgung erfassen, bei der von den Vgl. oben Ziff.2 dieses Abschnitts. Der Maximalanteil könnte mit steigendem Zufluß ähnlich der Eigenbeteiligung (vgl. § 9 II 2 b) wachsen. V1 Baumbach / Lauterbach, vor § 114 Anm. 1 B (bis zur neuesten Auflage). 92 Dazu, ein ablehnendes Gesuch gegenüber einem Querulanten besser nicht zu begründen, Stein / Jonas / Pohle, § 126 Anm. 1I. 93 Scholz, JW 1934, S.146; Jonas, JW 1931, S.3519; differenzierend: Held, JW 1931, S.3053, 3054. 94 Vgl. Krückmann (AcP Bd. 82 [1894] S. 72 ff.) und Cohn (DJZ 1896, S. 377) auf der einen sowie Schott, S. 167 f. auf der anderen Seite. 89
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III. Mißbräuchliche Inanspruchnahme des Armenrechts
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Beweggründen des Antragstellers her nicht die Erlangung eines günstigen Urteils im Vordergrund steht, sondern das Bestreben, für erlittene echte oder vermeintliche Unbill Revanche zu nehmen oder eine Art Vergeltung zu üben. Ferner gehörten hierher die Fälle, in denen die grobe Uneinsichtigkeit einen Gesuchsteller - trotz vorangegangener rechtlicher Behandlung einer Sache - zu fortgesetzter Rechtsverfolgung treibt. Schließlich ließen sich als teilweise mißbräuchlich auch Fälle bezeichnen, bei denen angesichts der vorläufigen Kostenfreiheit extrem überhöhte Klageforderungen geltend gemacht werden 95 • Sieht man von den Versagungen aufgrund zu positiver Vermögensverhältnisse ab, wo die Grenze zum Mißbrauch schon wegen der Unbestimmtheit der gesetzlichen Voraussetzungen nicht deutlich zu ziehen ist96 , so liegt der Anteil von Verfahren97 , die sich nach den angegebenen Kriterien als mißbräuchlich einstufen lassen, bei 5,301098 • Unterscheidet man weiter nach einer leichteren und einer eindeutigeren Mißbräuchlichkeit, so ergeben sich Werte von 4,1 bzw. 1,2 Ofo. Interessant ist, daß weniger als ein Drittel99 der als mißbräuchlich qualifizierten Gesuche von Anwälten eingereicht werden und dies ausschließlich im Bereich leichteren Mißbrauchs. Dagegen sind die Gesuche zur Niederschrift oder durch die Partei überproportional vertreten 100 • Bei den Streitgegenständen überwiegen in der Kategorie tendenziell mißbräuchlich Gesuche - Aspekt der Zuvilforderung - die Schadensersatz- und Schmerzensgeldklagen. Ferner spielen eine Rolle sachen-, familienund erbrechtliche Streitigkeiten (Wohnrechte, Zugewinnausgleich). Die Aussagen der befragten Praktiker zum Problem des Mißbrauchs decken sich in etwa mit den bei der Aktenauswertung gefundenen Ergebnissen, wenngleich sie untereinander eine auffallende und interessante Abweichung aufweisen. Der Anteil von Richtern, der die Fälle offensichtlichen Mißbrauchs auf weniger als 5 010 schätzt, beträgt 79 010 101 • 95 Der Sache nach würden hierzu auch Armenrechtsgesuche in Ehesachen zählen, denen keine eigentliche Scheidungsabsicht zugrunde liegt, sondern die nur zum Zwecke einer ernsten Mahnung gestellt werden. Da solche Beweggründe nicht zu ermitteln sind, bleiben Ehesachen für die nachstehenden Ausführungen außer Betracht. 96 Vgl. § 7 11. übrig blieben lediglich die Fälle vorsätzlicher Verschleierung der wahren Vermögensverhältnisse. 97 An der Gesamtzahl der der Untersuchung zugrundeliegenden Verfahren - ohne Ehesachen - von 416 (vgl. Kapitel I). 98 Der berechnete Anteil bezieht sich auf die hier untersuchten und im Hinblick auf die angegebenen Kriterien auswertbaren Armenrechtsverfahren (Gesamtzahl 535, vgl. Kapitel I, § 3 III 1 d). 99 Die genaue Quote beträgt 31 0/0. 100 37 bzw. 32 0/0. Die Parteigesuche zeichnen sich meist durch eine Diktion aus, die erkennen läßt, daß der Antragsteller im Umgang mit Behörden und Gerichten bereits erhebliche übung besitzt. 101 Auf 5 bis 10 Ofo schätzen 15 % der befragten Richter den Anteil offensichtlich mißbräuchlicher Gesuche, auf über 10 Ofo 6 Ofo.
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§ 15 Zusammenfassung
Diese Quote sinkt deutlich, nämlich auf 62 %, wenn die Frage nach einem Mißbrauchsverdacht gestellt wird 102 . Die Antwortquoten der Rechtsanwälte weichen auffallend hiervon ab: bis 5010 mißbräuchlicher Gesuche nehmen 37 010, 5 bis 10010 32 Ofo und über 10 010 31 Ofo der Anwälte an. Erklärbar ist diese Erscheinung u. a. damit, daß die Anwaltschaft eine beachtliche Zahl tendenziell mißbräuchlicher Armenrechtsfälle ausschaltet, die dann auch nicht als Parteigesuche oder Gesuche zur Niederschrift vor Gericht gelangen. Diese Filterfunktion bestätigen ausdrücklich, wenn auch graduell unterschiedlich, die Richter. Zu 61 Ofo halten sie den Anteil mißbräuchlicher Anwaltsgesuche für unterdurchschnittlich großl03. Den Gesuchstellern kann freilich zugute gehalten werden, daß sie überwiegend nicht wider besseres Wissen handeln, sondern mangels Einsicht in die Chancen ihrer Rechtsverfolgung104. Die vielschichtigen Gründe für ein solches Verhalten können an dieser Stelle nicht untersucht werden. Das System der Prozeßkosteneigenbeteiligung könnte in einem Teil der ohnehin nicht sehr zahlreichen Fälle mißbräuchlichen Prozessierens Abhilfe schaffen. Die Daten zum Mißbrauch machen zugleich deutlich, daß das Mißbrauchsargument höchst untauglich ist, um gegen eine Reform des Armenrechts ins Feld geführt zu werden.
§ 15 Zusammenfassung Ergebnisse und verfassungsgerichtliche Anfordemngen 1. Die wichtigsten Untersuchungsergebnisse (1) Die verschiedenen Versuche, die Voraussetzungen der Armenrechtsgewährung im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Gesuchstellers zu konkretisieren und damit brauchbare Maßstäbe für die Masse der Armenrechtsentscheidungen zu finden, sind ohne Erfolg geblieben. Ein Vergleich der Einkommens- und Vermögensverhältnisse von Armenrechtsgesuchstellern ergibt, daß oftmals nahezu identische Voraussetzungen in einem Fall zur Bewilligung, im anderen zur Versagung des Armenrechts führen.
102 Auf 5 bis 10 % schätzen 23 % der befragten Richter den Anteil offensitlich mißbräuchlicher Gesuche, auf über 10 % 15 %. lOS Die exakten Ergebnisse lauten: Keine mißbräuchlichen Gesuche, 9 %; deutlich weniger, 25 %; weniger, 27 %; kein Unterschied, 37 % (sonstige, 2 %). 104 So die Einschätzung der Richter. Wider besseres Wissen handeln danach 21 Ufo der Gesuchsteller. Auch die Anwälte bringen zu einem erheblien Teil (26 %) zum Ausdruck, es sei überdurchschnittlich schwer eine arme Partei von der Aussichtslosigkeit einer Angelegenheit zu überzeugen.
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(2) Das Fehlen konkreter Maßstäbe impliziert weiter, daß modifizierte Bewilligungsformen, wie Bruchteils- oder Ratenarmenrecht, von den Gerichten so gut wie nicht genutzt werden. Das ausschließliche Festhalten an den beiden Extremen, volle Bewilligung oder vollständige Versagung, hat zur Folge, daß das Kostenrisiko zwar für absolut Bedürftige gemindert wird, es im Bereich unterer und mittlerer wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit Rechtssuchende jedoch in ganzer Schärfe trifft. (3) Das Armenrechtsbewilligungsverfahren ist sowohl in seinem gerichtlichen als auch verwaltungsbehördlichen Teil in hohem Maße ineffektiv. (4) Die Kommunalbehörden sind durch die im Armenrechtszeugnis geforderten Angaben und Schlußfolgerungen zumeist überfordert. Die Zeugnisse sind für das entscheidende Gericht folglich eine nur sehr unzureichende Entscheidungshilfe, ihre Einholung aber ist für den Gesuchsteller eine zusätzliche verfahrensmäßige Belastung. (5) Das gerichtliche Armenrechtsprüfungsverfahren nimmt im Durchschnitt der Fälle erhebliche Zeit in Anspruch. Der Zwiespalt, einerseits eine hinreichende Erfolgsaussicht prognostizieren zu müssen, andererseits den Hauptsachestreit nicht ins Armenrechtsprüfungsverfahren verlagern zu sollen, verhindert eine ausreichende Sachaufklärung. Die Hauptsacheprognose - sei sie positiv oder negativ - findet daher im Prozeß auffällig häufig keine Bestätigung. (6) In fast allen Bereichen des Armenrechts lassen sich gravierende regionale Ungleichheiten in der Handhabung nachweisen. Sie reichen von der Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen über die Gestaltung des Prüfungsverfahrens bis hin zu den mittelbaren Wirkungen des Armenrechts. Für den Rechtssuchenden ist somit die Aussicht, einstweilige Kostenbefreiung - ohne wesentliche zeitliche Verzögerung - zu erlangen, abhängig von den Gepflogenheiten, die beim zuständigen Gericht herrschen. Ohne übertreibung kann von bewilligungsfreundlichen und deutlich restriktiv agierenden Gerichten gesprochen werden. (7) Die Struktur der Armensachen liefert Anhaltspunkte dafür, daß von Bedürftigen vor allem besonders einschneidende Rechtsangelegenheiten der gerichtlichen Klärung zugeführt werden. Das läßt den Schluß auf eine Dunkelziffer ungeführter Rechtsstreite in diesem Bereich und erst recht dort zu, wo die Prozeßkostenlast unvermindert wirkt.
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§ 15 Zusammenfassung
2. Aussagen des Bundesverfassungsgerichts Wie beinahe jede Materie mit sozialstaatlich-politischem Aspekt. so ist auch das Armenrecht Gegenstand verfassungsgerichtlicher Rechtsbehelfe und Entscheidungen gewesen; allerdings waren es stets nur Ausschnitte und Einzelfragen des Armenrechts, über die das Bundesverfassungsgericht zu befinden hatte. Eine umfassende Stellungnahme zum geltenden Recht fehlt bislang105 • Am deutlichsten konkretisierte das Bundesverfassungsgericht im Beschluß vom 22. Januar 1959108 die verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Armenrecht. Danach fordere der Gerechtigkeitsgedanke nicht mehr, als daß der Unbemittelte wenigstens einigermaßen in der gleichen Weise Rechtsschutz in Anspruch nehmen könne, wie das ein seine Prozeßaussichten vernünftig erwägender Begüterter tun könnte. Eine volle formelle Gleichstellung könne und solle nicht erfolgen. Eine weitgehende Angleichung der Rechtsschutzsituation von Bemittelten und Unbemittelten sei durch den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs.1 GG) in Verbindung mit der Sozialpflicht des Staates (Art. 20 Abs.1 GG) geboten. Diesen Anforderungen entspricht nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts die Regelung der §§ 114 ff. ZPO. Mißt man freilich nicht die - offene - Regelung der Zivilprozeßordnung an diesen Grundsätzen, sondern die auf der Grundlage der genannten Vorschrift entstandene Rechtswirklichkeit, so erscheint das uneingeschränkt positive Urteil des Bundesverfassungsgerichts durchaus angreifbar. Die Geeignetheit von Regelungen, die nicht einmal eine Gleichstellung der Bedürftigen untereinander zu gewährleisten in der Lage sind, im Verhältnis von Begüterten und Bedürftigen Ausgleich zu schaffen, muß angezweifelt werden.
Es wäre wünschenswert, wenn das Bundesverfassungsgericht Gelegenheit erhielte, seine Grundsätze aus dem genannten Urteil unter Einbeziehung der Rechtswirklichkeit zu überprüfen. Dies um so mehr, 105 Im unveröffentlichten Beschluß vom 6. März 1952 1 BvR 392/51 wurde erstmals die Vereinbarkeit der Anforderungen des § 114 ZPO mit Art. 3 Abs. 3 und 103 Abs. 1 GG festgestellt. In der Entscheidung BVerfGE 2, 336, 341 ging es um die Armenrechtsbewilligung zur Durchführung eines Klageerzwingungsverfahrens gemäß § 172 StPO. Das Bundesverfassungsgericht entschied, einem Minderbemittelten dürfe nicht allein wegen seines finanziellen Unvermögens die Beschreitung eines gesetzlich vorgesehenen Rechtsweges verschlossen bleiben. In BVerfGE 7, 55, 57 wurde es für verfassungswidrig angesehen, ein Armenrechtsgesuch mit der Erwägung zurückzuweisen, der für ein Verfahren geltende Untersuchungsgrundsatz erübrige eine Armenrechtsbewilligung - und Beiordnung - für den Beklagten in einem solchen Verfahren. 108 BVerfGE 9, 124, 130 f. Im Kern der Entscheidung ging es um die Vereinbarkeit der §§ 183, 167 Abs. 1 SGG mit dem Grundgesetz. Danach ist die Anwaltsbeiordnung im sozialgerichtlichen Verfahren (vor dem Sozialgericht und Landessozialgericht) ausgeschlossen.
Ergebnisse und verfassungsgerichtliche Anforderungen
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als das Gericht sich zwischenzeitlich nicht gescheut hat, auch Entscheidungen von großer finanzieller Tragweite durchaus nicht immer vorbehaltlos schonend für den Fiskus zu treffen107 • 3. Rechtspolitische Perspektiven
Eine weitgehende Gleichstellung aller Einkommensgruppen im Hinblick auf die Möglichkeiten, Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, vermag nur eine Prozeßkostenhilfe mit abgestufter Eigenbeteiligung zu leisten. Sie wäre zu ergänzen um ein System effektiver außergerichtlicher Rechtshilfe. Beide Gebiete sollten zusammengefaßt und verselbständigt Niederschlag in einem Rechtshilfegesetz finden.
107
Stellvertretend für viele: die numerus clausus-Urteile (BVerfGE 33,
303 ff.; 39, 258 ff.) sowie die Entscheidung zur Verfassungs konformität der Witwenrente (BVerfG NJW 1975, S. 919 ff.).
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