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German Pages 244 [248] Year 1992
Zur Philosophie des Zeichens Herausgegeben von Tilman Borsche und Werner Stegmaier
w DE
G Walter de Gruyter · Berlin · New York 1992
® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme
Zur Philosophie des Zeichens / hrsg. von Tilman Borsche und Werner Stegmaier. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1992 ISBN 3-11-013638-4 NE: Borsche, Tilman [Hrsg.]
© Copyright 1992 by Walter de Gruyter & Co., D-10QO Berlin 30 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz und Druck: Arthur Collignon GmbH, D-1000 Berlin 30 Buchbindearbeiten: Dieter Mikolai, D-1000 Berlin 10
Inhalt Vorwort der Herausgeber
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I. Zeichen und Wort EUGENIO COSERIU (Tübingen) Zeichen, Symbol, Wort
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ANA AGUD (Salamanca) Zeichenphilosophie und Sprachwissenschaft
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MARCO OLIVETTI (Rom) Wort, Schrift, Religion
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II. Zeichen und Sein STANLEY ROSEN (Penn State) Kann die Freiheit ein Zeichen sein?
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WOLFRAM HOGREBE (Düsseldorf) Metafisica Povera
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PHILIPPE FORGET (Paris) Vor dem Zeichen
102
III. Zeichen und Geschichte GÜNTER WOHLFART (Wuppertal) A. Mantik. Konjekturen zum Zeichen-Begriff Nietzsches 119 B. Wittgenstein und Simon zum Zeichen 132 KURT FLASCH (Bochum) Historische Arbeit an Zeichen
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Inhalt
IV. Zeichen und Interpretation HANS POSER (Berlin) Sprache, Zeichen, Wissenschaft
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GÜNTER ABEL (Berlin) Zeichen und Interpretation
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V. Antworten der Zeichenphilosophie JOSEF SIMON (Bonn) Bemerkungen 2u den Beiträgen zur Philosophie des Zeichens 195 Personenregister
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Sachregister
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Stellenregister
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Vorwort Josef Simons Philosophie des Zeichens gibt eine zeit-gemäße Antwort auf die alte philosophische Frage nach der Wahrheit. Sie wurde in einer langen Auseinandersetzung zunächst mit Hegel, sodann mit Hamann, Herder, Humboldt und dem ganzen Feld der späteren Sprachphilosophie und schließlich mit Peirce, Nietzsche, Derrida und vor allem Kant entwickelt. Dabei geht sie von der Erfahrung aus, daß eine Philosophie der Sprache, ohne Metaphysik zu werden, nur im Horizont einer Philosophie des Zeichens gedacht werden kann, daß in einer solchen Philosophie des Zeichens aber Zeichen und Bedeutung indifferent sind, d. h. daß Zeichen immer nur durch Zeichen verdeutlicht werden und niemals zur Sache kommen. Zeichen verdeutlichen individuell, für jeden anders. Sie folgen nicht a priori unbedingten Vorgaben, wohl aber bedingten Vorgaben a prioribus. Simon nimmt damit eine radikale Position in den Problemen der Sprache, des Zeichens und der Kommunikation ein. Die Philosophie des Zeichens versteht sich als eine kritische Form der Ersten Philosophie. Sie sagt nicht, ,alles ist Zeichen*. Denn in der Annahme, daß alles, was überhaupt etwas ist, unabhängig von uns und unseren Fragen das ist, was es ist, lag ja gerade die Voraussetzung der alten Metaphysik. Zwar hatte die neuere Metaphysik ,alles' nur noch relativ auf unser Denken definiert, doch hatte sie dieses dabei immer noch zeitlos, als metaphysisches Ich oder als transzendentales Subjekt usw., bestimmt. In der Philosophie des Zeichens hingegen ist ,alles' bezogen auf uns als auf vielfältiges, endliches, individuelles Denken, das aus seiner jeweiligen historischen Lage heraus konkrete Probleme hat und konkrete Fragen stellt. Dieser veränderte Ausgangspunkt führt zu einer Neuformulierung des fundamentalphilosophischen Anfangs: Alles, was wir versieben, d. h. alles, was in den Horizont unseres Fragens eintreten kann, ist Zeichen.
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Vorwort
Es zeigt sich, daß sich der — gegebene und geläufige — Begriff des Zeichens besser als andere für diesen Versuch einer Rücknahme der jeweils letzten Hypostasierungen von Leitbegriffen des Denkens eignet, zumal dann, wenn seine erneute Vergegenständlichung bewußt vermieden wird. Denn der Begriff des Zeichens enthält nichts anderes als den Verweis auf anderes. Nun wird das, worauf ein Zeichen als solches verweist, seine Bedeutung genannt. Zu dem Grundsatz, daß alles, was wir verstehen, Zeichen sei, gehört daher als erstes corollarium ein neuer Begriff der Bedeutung: Danach ,gibt es* Bedeutung nicht unabhängig von oder vor einem konkreten Zeichenverstehen. Bedeutung ist vielmehr entweder das fraglos verstandene Zeichen selbst oder das, was an einem Zeichen, das als Zeichen verstanden wird, im Moment nicht verstanden wird. Bedeutung läßt sich also vom Zeichen nur dann unterscheiden, wenn sich eine Differenz am Zeichen auftut, die die Frage nach seiner Bedeutung zu stellen nötigt. Denken ist ,Arbeit an Zeichen' mit dem Ziel der konkreten, momentanen Wiederherstellung des Verstehens. Erkennen ist die gelingende, d. h. die das Fragen zur Ruhe bringende, Verständnis evozierende ,Variation von Zeichen', die in diesem Sinn stets „ad melius esse" (Kant) geschieht. Nicht das Verstehen ist erklärungsbedürftig, sondern das jeweilige Nicht verstehen. Dieses ist das Faktum der Vernunft, ihr bewegendes Moment; Denken ist folglich nur in der Differenz von Verstehen und Nichtverstehen wirklich. Alle Erklärungen, die wir suchen und geben können, dienen einer — jeweiligen und möglichst dauerhaften, aber stets endlichen — Überwindung dieser Differenz. Die Philosophie des Zeichens steht in der Tradition der Transzendentalphilosophie. Auf die Frage nach den Formen aller Erkenntnis, was etwas sei, gibt sie die Antwort, daß es Zeichen sind, die, wenn sie fraglich werden, in andere Zeichen übersetzt werden können, und versteht diesen Prozeß der verdeutlichenden Übersetzung als das »Transzendentale' in aller Erkenntnis. Zeitlichkeit und Individualität des Denkens sind damit als die zentralen Bestimmungen einer Philosophie des Zeichens bestimmt. In ihr tritt „die Differenz zwischen dem unmittelbaren Zeichenverstehen und der diskursiven Zeicheninterpretation an die Stelle der transzendental-philosophischen Differenz zwischen Sinnlichkeit und Verstand" (Josef Simon, Philosophie des Zeichens, Berlin/New York 1989
Vorwort
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[= PZ], 68). Doch sind die Grenzen der Transzendentalphilosophie damit auch ausdrücklich überschritten. Der radikal metaphysikkritische Zug der Philosophie des Zeichens kommt in folgendem Grundsatz zum Ausdruck: „Im Sinne von Aussagen, ,was' etwas definitiv sei, z. B. was ,Erkenntnis' zuletzt und eigentlich, also in einer Realdefinition sei oder wie sie möglich sei, sagt die Philosophie des Zeichens nichts. Sie besagt nur die Vorläufigkeit und Bedingtheit aller solcher Aussagen und ist in diesem umfassenden Sinne selbst transzendental" (PZ 150). Sie reflektiert als Bedingung aller Wahrheit das „Erfülltsein der Zeit, in der, ohne daran zweifeln zu können, gedacht werden kann, daß etwas zu aller Zeit gelte" (ebd.). Von der so entwickelten Grundlage aus werden traditionelle philosophische Probleme neu betrachtet und konkurrierende philosophische Grundpositionen kritisch diskutiert. Form und Stil bleiben bewußt aphoristisch: Die Sätze zeigen mehr, als sie sagen, indem sie ungewohnte Verbindungen in der Form kategorischer Urteile präsentieren. Dabei setzt jeder der sechzig Abschnitte neu an. Diese Form und dieser Stil ergeben sich aus dem Versuch einer „Überwindung der Dichotomic von Methodenzwang und Beliebigkeit", jener unfruchtbaren Scheinalternative, die die Diskussionen um das Problem einer radikalen Metaphysikkritik seit Nietzsche zu belasten pflegt. Die Absicht, die Sache endgültig auf den Begriff zu bringen, ist aufgegeben. Stattdessen sucht die Philosophie des Zeichens methodische Angemessenheit an ihren Gegenstand dadurch, daß sie sich „in den Prozeß der Zeichen einläßt". Darin versteht sie sich als „Weg der Sache selbst" (PZ 34). Die Herausgeber haben das Erscheinen der Philosophie des Zeichens und zugleich Josef Simons 60. Geburtstag zum Anlaß genommen, Wissenschaftler mit unterschiedlichen Zugängen zu den Fragen des Zeichens zu einem Symposion am 2. und 3. November 1990 nach Bonn einzuladen und sie um eine kritische Auseinandersetzung mit Simons Gedanken zu bitten. Die Beiträge des Symposions sind in diesem Band abgedruckt. Er gliedert sich wie das Symposion in vier Teile. Der /. Teil: Zeichen und Wort ist dem Verhältnis der Zeichenphilosophie zur Sprachphilosophie und Sprachwissenschaft gewidmet. Das Sprachzeichen eröffnet den Spielraum zwischen Wort, Schrift,
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Vorwort
Symbol und Offenbarung, und so reicht die Spannweite der Erörterungen bis in die Religionsphilosophie hinein. Ist es die Arbeit der Linguistik auf der einen Seite, das Wort zum Gegenstand zu machen und in möglichst strenge Definitionen seines Gebrauchs einzuschließen, so lebt die Religion auf der anderen Seite von Zeichen, die durch ihre Vergegenständlichung verfälscht würden und in denen das Wort als Zeichen für Inkommensurables zu einer äußersten Möglichkeit kommt. Da sich die Simonsche Zeichenphilosophie bewußt einer Vergegenständlichung des Zeichens enthält, öffnet sie sich auch für religionsphilosophische Überlegungen. Eugenio Coseriu, von Hause aus Romanist, dann immer mehr Allgemeiner Sprachwissenschaftler, verbindet in seiner Arbeit die ganze Breite konkreter linguistischer Forschung mit einer systematischen Vertiefung der Sprachphilosophie und ihrer Geschichte; Ana Agud, Schülerin zugleich von Coseriu und Simon, von Hause aus Indogermanistin, sucht die Allgemeine Sprachwissenschaft von der Zeichenphilosophie her neu in Bewegung zu bringen, Marco Olivetti geht es darum, die Sprachphilosophie in Anthropologie und Religionsphilosophie einzufügen. In kritischer Auseinandersetzung mit poststrukturalistischen Denkmotiven spürt er den polyästhetischen Valenzen des Zeichenverstehens in menschlicher Anrede und Antwort nach. Im //. Teil: Zeichen und Sein werden kritische Anfragen an Simons Philosophie des Zeichens aus einer ontologischen, einer metaphysischen und einer dekonstruktivistischen Perspektive gestellt. Können Zeichen nur auf Zeichen oder müssen sie nicht zuletzt doch auf Dinge verweisen? Muß sich eine Philosophie des Zeichens, auch wenn sie zeigen kann, daß die Metaphysik ihre Zeit gehabt hat, nicht notwendig doch wieder an metaphysische Spuren heften, wenn sie zu neuen Zeichen kommen will, mögen auch diese Spuren durch Kritik fast nichtssagend geworden sein? Oder haftet umgekehrt Simons Philosophie des Zeichens selbst noch an metaphysischen Spuren, deren sie sich nur nicht gewahr wird, aber durch Dekonstruktivismus gewahr werden könnte und sollte? Stanley Rosen, dessen Beitrag um die erste Frage kreist, ist selbst nahe an Simons Philosophie des Zeichens herangerückt, indem er in seinen Büchern einerseits Platon aus dem Platonismus zu lösen, andererseits die Grenzen der Analytischen Philosophie zu bestimmen versuchte. Wolfram Hogrebe entwirft das Konzept
Vorwort
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einer ihrer ererbten Gegenstände beraubten und doch als Horizont alles Denkens fortwirkenden Metaphysik, die, so verarmt, nun nicht nur der Kritik Kants, sondern auch der Kritik Wittgensteins und Simons gewachsen sein könne. Hogrebe hat Kant seinerseits sprachphilosophisch gedeutet und aus dessen Kritiken eine transzendentale Semantik entwickelt, die den Finitismus der Bedeutung auf einen Meliorismus einschränkt, wonach Zeichen nie etwas, sondern nur etwas besser als andere Zeichen bezeichnen. Philippe Forget schließlich, dem es gelungen ist, Hermeneutik und Dekonstruktivismus in eine aufschlußreiche Auseinandersetzung zu bringen, versucht Simons Anspruch, mit Hilfe der Zeichenphilosophie Grenzen von Derridas Philosophie der Schrift und des verschiebbaren Sinns aufzeigen zu können, wiederum aus der Sicht Derridas zu begrenzen. Im ///. Teil: Zeichen und Geschichte wird Simons Philosophie des Zeichens im Blick auf die Geschichte der Philosophie beleuchtet, zum einen von den Standpunkten Nietzsches und Wittgensteins her, die ihr besonders nahekommen, zum ändern aus der Sicht der Arbeit des Philosophiehistorikers selbst. Schon Nietzsche, der seinerseits auf Heraklit zurückgriff, hat in vermeintlichen Dingen und ihren Geschichten nicht mehr als ,fortgesetzte Zeichen-Ketten von immer neuen Interpretationen und Zurechtmachungen' erkannt; Wittgenstein hat Versuche einer logisch-positivistischen Erklärung der Bedeutung von Worten und Zeichen durch Gegenstände und Vorstellungen vollends abgeschnitten und in eine ästhetisch-pragmatistische Deutung aufgehoben. Günter Wohlfart macht es sich seit langem zur Aufgabe, die Übergänge von Logischem zu Ästhetischem in der Geschichte der Philosophie zu erkunden; sein Weg führte ihn von Hegel über Nietzsche und das 20. Jahrhundert über viele Zwischenstationen seinerseits zurück zu Heraklit. — Philosophiehistoriker werden sich im ganzen weit stärker als Systematiker dessen bewußt, daß sie es nur mit Zeichen zu tun haben, die sie aus ihrem Verstehenshorizont zu deuten und zu ordnen versuchen, und daß sie dabei nicht nach schon vorgegebenen Regeln vorgehen dürfen, wenn sie sich das Andere der Geschichte nicht von vornherein verstellen wollen. Sie müssen frei, dürfen aber auch nicht beliebig vorgehen; Zeichen der Geschichte sagen nichts Definitives, aber auch nichts Indifferentes, sondern Signifikantes. Sie fordern Arbeit; Arbeit, die
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Vorwort
das Signifikante herausarbeitet und dabei Zeichen umstellt und verändert, doch immer nur so, wie die Zeichen es zulassen, und nur so, daß sie immer Zeichen bleiben; Geschichte, wie sie heute verstanden werden kann, sträubt sich gegen jedes abschließende Denken, jeden Finitismus. Die Zeichenphilosophie kann der Philosophiegeschichte, aber auch der Geschichte im allgemeinen, Begriffe an die Hand geben, ihre Abwendung vom Finitismus nicht als Resignation, sondern im Gegenteil als Bedingung ihrer Möglichkeit zu verstehen, ihrer Möglichkeit, dem vergangenen Anderen als einem unwiederholbar Anderen gerecht zu werden. Kurt Flasch hat seinerseits in der Arbeit an der Geschichte der Philosophie des Mittelalters im ganzen und im einzelnen, besonders an Neuinterpretationen des Werks von Nikolaus von Kues und von Augustin, eine Methodologie des historischen Übergehens von Zeichen zu Zeichen entwickelt, die die bloße Übergängigkeit von Zeichen in Zeichen, wie sie Simons Zeichenphilosophie, für viele provokativ, postuliert, in geschichtliche Prozesse einzubinden erlaubt. Philosophiegeschichte ist ein Zeichengeschehen, ein philosophisches Zeichengeschehen aber immer auch Philosophiegeschichte. Die Differenz von Zeichengeschehen und Zeichengeschichte macht die Differenz von Indifferentem und Signifikantem methodologisch operabel. Philosophiegeschichte gewinnt auf diese Weise selbst systematische Bedeutung und führt so zur Systematik zurück. Im /K Teil: Zeichen und Interpretation wird Simons Philosophie des Zeichens zuerst mit einer Philosophie der Wissenschaft, die ihrerseits bereits durch eine umfassende Kritik der wissenschaftlichen Vernunft hindurchgegangen ist, dann mit einer an Nietzsche entwickelten Philosophie der Interpretation konfrontiert. Hans Poser hat, ausgehend von der Logik und ihrer Gestaltung bei Leibniz, die Enge der Wissenschaftstheorie für eine Philosophie der Wissenschaft geöffnet, die die Diskontinuitäten und Inkommensurabilitäten ihrer Entwicklung mitbedenkt, und versucht hier nun, die Grenzen der Vernunft überhaupt am Mythos einerseits und am alltäglichen Handeln andererseits auszutasten. Günter Abel\\at zunächst über die Entstehungsgeschichte des modernen Denkens im Feld von Ethik und Politik, dann ausführlich über Nietzsche gearbeitet und ist dabei, in Auseinandersetzung mit den reflektiertesten Strömungen der Analytischen Philosophie eine Philosophie der
Vorwort
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Interpretation auszuarbeiten. Zeichenphilosophie und Interpretationsphilosophie greifen eng ineinander: Zeichen werden interpretiert durch immer neue Zeichen, Interpretationen sind Anlässe und darum Zeichen für immer neue Interpretationen. Die Nähe von Zeichenphilosophie und Interpretationsphilosophie macht gerade ihre Distanz interessant. Der systematische Ansatz Simons beim Zeichen sollte also mit verwandten systematischen Ansätzen aus dem Bereich, der heute die Fragen der Ersten Philosophie behandelt, ins Gespräch gebracht werden, mit Ansätzen besonders bei der Sprache, der Religion, der Geschichte, der Evolution der Wissenschaften und, sofern all dies Interpretationen unseres Weltverstehens sind, bei der Interpretation überhaupt. Sie mußten, näher oder ferner, mit der Zeichenphilosophie verwandt sein und mit ihr sympathisieren, wenn ein fruchtbarer Dialog entstehen sollte. Und der Rückblick bestätigt, daß ein solcher in der Tat entstanden ist. Wie fruchtbar er wurde, zeigt im V. Teil Josef Simons eigener Beitrag, in dem er mit neuen Zeichen auf die Zeichen der anderen antwortet. Den einzelnen Vorträgen folgten Diskussionen, das Symposion endete mit einer Abschlußdiskussion zur Philosophie des Zeichens. Die Vortragenden erhielten die Möglichkeit, Anregungen aus den Diskussionen in die Druckversion ihrer Texte einzuarbeiten. Zwei umfangreichere Beiträge zur Abschlußdiskussion von A. Agud und Ph. Forget wurden zu Abhandlungen erweitert, die Antworten Josef Simons sind im Rückblick verfaßt. Dank gebührt an dieser Stelle dem Rektor der Rheinischen Friedrich Wilhelms-Universität und dem Dekan der Philosophischen Fakultät für ihre wohlwollende Unterstützung des Symposions sowie insbesondere Hans-Michael Baumgartner, dem Geschäftsführenden Direktor des Philosophischen Seminars A, der das Symposion eröffnete und durch seine Diskussionsbeiträge auf vielfältige Weise bereicherte. — Die Fritz Thyssen Stiftung hat dem Symposion unbürokratisch und großzügig finanzielle Unterstützung gewährt, dafür sei ihr auch an dieser Stelle gebührend gedankt. Hildesheim und Bonn, im Oktober 1991 Tilman Borsche
Werner Stegmaier
I. Zeichen und Wort
EUGENIO COSERIU (Tübingen) Zeichen, Symbol, Wort 1.1. Es ist vielleicht hilfreich, wenn ich von Anfang an meinen doppelten Hintergrund offenlege. Einerseits handelt es sich im wesentlichen um die Sprachphilosophie von Aristoteles, Hegel und Humboldt, die ich als eine fortschreitende Bemühung um dasselbe und in derselben Richtung ansehe, auch wenn die Sprachphilosophie von Humboldt weit weniger fachmännisch und weit weniger eindeutig als diejenige von Hegel formuliert wurde. Damit meine ich allerdings nicht, daß wir einfach zu Hegel zurückkehren oder bei Hegel bleiben sollten; auch Hegel hätte es sicherlich nicht so gemeint noch so gewollt. Ich meine vielmehr, daß wir mit Hegel über Hegel hinausgehen müssen, in der Sprachphilosophie und auch in der Philosophie des Zeichens. Andererseits werde ich als Sprachtheoretiker sprechen, d. h. aus der Sicht der linguistischen Semiotik und der wissenschaftlichen Sprachtheorie. Ich glaube nicht, daß man in der Philosophie von den Unterscheidungen und Ergebnissen der Einzelwissenschaften absehen, noch, daß man ihre Ergebnisse und Antworten als außerhalb der Philosophie liegend einstufen darf. Es stimmt zwar, daß die Einzelwissenschaften ihre Fragen innerhalb bestimmter Grenzen stellen und beantworten, aber gerade zu diesem Zweck müssen sie ihre jeweiligen Gegenstände gegenüber anderen Gegenständen schon abgegrenzt haben. Diese Abgrenzung aber schließt ein Schauen über die Grenzen hinaus und dadurch auch eine philosophische Stellungnahme schon ein. Es gibt keine Wissenschaft, die frei von jeder Philosophie wäre. Außerdem geht es in den Einzelwissenschaften und in der Philosophie im Grunde um dasselbe: um das Sein der Dinge. Nur ist das, was in der
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Eugenic Coseriu
Wissenschaft Antwort ist, in der Philosophie Gegenstand der Frage; in ihr wird das wissenschaftliche Objekt auf neue Weise problematisiert. Die Wissenschaft fragt z. B. in Bezug auf die Bäume nach dem Sein der Bäume und stellt das „Baumsein" der Bäume fest. Die Philosophie fragt in bezug auf das (so erkannte) Baumsein nach dem Sein des Baumseins, d. h. nach dem Sinn dieses Seins. Einerseits haben wir die Frage ,Was ist ein Baum?' und die Antwort ,Ein Baum ist dieses und jenes', andererseits die Frage ,Was ist Baumsein?', und die Antwort will den Sinn des Baumseins im Rahmen des Seins überhaupt feststellen. Der Unterschied ist also nicht bloß ein Unterschied des Gesichtskreises, des Horizonts, sondern ein Unterschied des Niveaus des Fragens und des Ziels der Fragen. Man kann auch sagen, daß die Wissenschaft nach dem unmittelbaren Sein der Dinge, die Philosophie hingegen nach dem Wesen bzw. nach dem Grund dieses Seins fragt. 1.2. So muß auch im Falle der Sprache und der Zeichen die Antwort der Sprachtheorie und der Sprachwissenschaft jeweils das Objekt der philosophischen Frage sein. Was ist ein Zeichen? Die Antwort stellt das Zeichensein, die Zeichenhaftigkeit als solche fest, sie sagt uns, was die Zeichen sind und wie sie funktionieren. Und was ist nun eigentlich Zeichensein? Die Antwort hierzu erklärt und begründet den Sinn des Zeichenseins. Freilich kann man die philosophische Frage auch direkt stellen, d. h. man kann ,Was ist ein Wort?' fragen und ,Was ist Wortsein?' meinen, ,Was ist ein Zeichen?' fragen und ,Was ist die Zeichenhaftigkeit?' meinen oder ,Was ist ein Schiff?' fragen und ,Was ist die Schiffheit?' meinen. Dies bedeutet aber, daß der Philosoph dann doppelte Arbeit leisten muß. Und als Nichtfachmann auf dem Gebiet der Einzelwissenschaften läuft er Gefahr, sich eben auf diesem Gebiet zu irren, wichtige Unterschiede zu verkennen, Unwesentliches für wesentlich zu halten und umgekehrt. Im Falle der Zeichen und der Sprache neigen vor allem Sprachphilosophen — reine Sprachphilosophen, nicht auch sprachtheoretisch und sprachwissenschaftlich geschulte Sprachphilosophen — dazu, Sprache mit allem Semiotischen, mit dem Zeichenhaften schlechthin, und das Zeichenhafte mit allem, was (für einen Ausleger) „Zeichen" (Anzeichen!) sein k a n n , zu identifizieren. In diesem Fall wird die Sphäre der Zeichen und dadurch der Sprache bis
Zeichen, Symbol, Wort
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ins Unendliche erweitert, so daß dann Sprache nicht mehr von Nichtsprache, Zeichenhaftes im eigentlichen Sinn nicht mehr von Nichtzeichenhaftem zu trennen sind. Wenn aber alles Zeichen und Sprache ist, dann ist nichts Zeichen und Sprache, und wir befinden uns vor der bewußten schwarzen Kuh in einem dunklen Raum, in dem es sie überhaupt nicht gibt. Denn Etwas-Sein ist nicht nur Identität, es ist immer und notwendigerweise auch Differenz, wenn es nicht um das Sein schlechthin geht. Man kann wohl akzeptieren, daß alles, was wir interpretieren, in gewisser Hinsicht „Zeichen" ist und daß die Interpretation stets über „Zeichen" erfolgt. Man muß sich aber darüber im klaren sein, daß man dabei die Bezeichnung „Zeichen" doppeldeutig verwendet, da die (ausdrücklichen) „Interpretatoren" tatsächlich stets Zeichen sind, die Interpretanda hingegen keineswegs von vornherein und an sich schon Zeichen sein müssen. Wenn dem so wäre, gäbe es auch keine Zeichen als für sich selbst erkennbare, von anderen Seinsarten trennbare „Dinge". Und man könnte nicht nach dem den Zeichen eigenen Sein fragen: die Zeichenhaftigkeit wäre nichts anderes als ein Status im Interpretationsprozeß. Andererseits neigen die Philosophen dazu, die Sprache schlechthin — das Sprechen im allgemeinen — und die Einzelsprache gleichzusetzen; ferner die Sprache als Fachsprache zu interpretieren und dadurch die B e z e i c h n u n g mit der B e d e u t u n g zu identifizieren; darüber hinaus auch noch die Einzelsprache mit dem Text bzw. mit dem Diskurs sowie den Diskurs meist mit dem Aussagesatz gleichzusetzen. Das tun sie, weil sie eigentlich am Sein aller Dinge über die Sprache hinaus interessiert sind und daher auch nur am erkenntnistheoretischen Wert der Sprache und des Sagens durch Sprache als Aussage. 1.3. Wir wollen deshalb im folgenden den Bereich der Zeichen näher bestimmen, um dadurch auch ihr eigentliches Verhältnis zur Sprache klarzumachen. Seit Locke — in Deutschland insbesondere seit Lambert — betrachtet man nämlich auch die Sprache, und die Sprache sogar an erster Stelle, als ein semiotisches System, als eine Sektion der Welt der Zeichen. (Ich sage „seit Locke", weil wir in den meisten Fällen die ältere, mittelalterliche und scholastische Semiotik fast gänzlich vergessen haben, z. B. diejenige von Johannes a Sancto Thoma; wir entdecken diese ältere
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Eugenio Coseriu
Semiotik erst zu unserer Zeit wieder, und das auch nur teilweise und nur mühsam). Auch in der Sprachwissenschaft betrachtet man die Sprache als ein semiotisches System, und man spricht von „sprachlichen Zeichen". Das gilt im Falle von Saussure, der die Sprachwissenschaft als einen Teil der Semiologie ansieht; ebenso, wenn auch mit einer sehr wichtigen Einschränkung, im Falle von Hjelmslev, der die Sprache als „Semiotik" (= semiotisches System) definiert. Die Einschränkung ist folgende: Die Sprache ist für Hjelmslev eine ganz besondere, eigenartige Semiotik. Man hat die wichtige These von Hjelmslev meines Erachtens bisher nicht genug reflektiert, daß nämlich die Sprache diejenige Semiotik ist, in die alle übrigen Semiotiken übertragen werden können, die aber in keine andere Semiotik im ganzen übertragen werden kann. 2.1. Zuerst aber zum Begriff „Zeichen" im allgemeinen. Die verschiedenen Definitionen, mit denen wir arbeiten, sind unvollständig in bezug auf ihren Gegenstand (und zwar unvollständig auch in ihrem eigenen Sinne) und beziehen sich nicht genau auf denselben Faktenbereich, betreffen also nicht genau dieselbe Zeichenhaftigkeit. So etwa: (1) „Ein Zeichen ist eine ,Sache' bzw. eine Erscheinung, die auf etwas anderes, als sie selbst [in ihrer Materialität] ist, hinweist"; oder: (2) „Ein Zeichen ist eine Erscheinung, die für etwas anderes, als sie selbst ist, steht"; oder schließlich: (3) „Ein Zeichen ist Ausdruck mit Inhalt (bzw. Bedeutung), ein Ausdruck, der sich auf eine Bedeutung bezieht, eine Bedeutung vertritt bzw. hervorruft, oder — einfacher — eine Bedeutung hat". Diese Definitionen enthalten zwar die wesentlichen Bestimmungen „auf etwas anderes hinweisen", „für etwas anderes stehen", „eine Bedeutung haben", sie sind aber (insbesondere die beiden ersten; auf die dritte kommen wir im Zusammenhang mit dem Wort zurück) unvollständig, weil sie nicht sagen, für wen und durch wen die gemeinten Erscheinungen „auf etwas anderes hinweisen" oder „für etwas anderes stehen": Es wird nur stillschweigend für alle Zeichen (für alles, was ,Zeichen' genannt werden kann) die Bedingung vorausgesetzt, daß sie für jemanden, für einen Ausleger, d. h. für denjenigen, der sie interpretiert, als „Zeichen" gelten (bzw. zu Zeichen werden). Zugleich betreffen unsere Definitionen deshalb nicht denselben Faktenbereich, weil
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einerseits „für jemanden Zeichen sein" und „an und für sich Zeichen sein" (bzw. „als Zeichen gelten" und „als Zeichen produziert werden") zwei verschiedene Bestimmungen darstellen, und weil andererseits „auf etwas anderes hinweisen", „für etwas anderes stehen" und „eine Bedeutung haben" keineswegs synonym sind. 2.2. Die erste Definition bezieht sich eigentlich nicht auf die Zeichen, die als solche gegeben sind, sondern auf etwas anderes, wofür wir nur vorläufig die umgangssprachliche Bezeichnung Zeichen verwenden: sie bezieht sich nämlich auf diejenigen „Zeichen", die erst durch die Interpretation als solche zustande kommen, auf „Zeichen" also, bei denen nur eine Intentionaütät vorausgesetzt wird, und zwar diejenige des Auslegers, der sie als Hinweise deutet und dadurch zu Hinweisen macht. Es handelt sich um Erscheinungen, die mit anderen Erscheinungen in einem bestimmten, bekannten oder auch nur geahnten existentiellen Kontext stehen, so daß man aus der Feststellung einer dieser Erscheinungen, die man als Hinweis annimmt, auf das Vorhandensein bzw. auf das Vorkommen anderer, in demselben Kontext damit erfahrungsgemäß zusammenhängenden Erscheinungen inferieren kann. So interpretiert man Wolken als „Zeichen" von möglichem Regen, Fieber als „Zeichen" von Krankheit. Es sind also Karl Bühlers Symptome^ die man besser und allgemeiner Anzeichen nennen würde. Die Anzeichen werden nicht intentionell als Zeichen erzeugt, d. h. nicht, damit sie als Zeichen interpretiert werden. Die Anzeichen haben keinen „Inhalt", keine „Bedeutung", und sie stehen auch nicht für „etwas anderes", als sie sind. Was hier auf „etwas anderes" schließen läßt, ist nur die vorgegebene Kenntnis der Position des Anzeichens in einem bestimmten Zusammenhang. Hier ist die Interpretation immer nur Inferenz, Zurückführung auf Zusammenhänge. Gewiß können Anzeichen auch intentionell produziert, d. h. „simuliert" werden. Doch geschieht das gerade, damit sie als Anzeichen, als nicht-intentionell produziert, interpretiert werden; sonst verfehlen sie ihr Ziel. Auch sprachliche Zeichen (besser: Sprechhandlungen) können als Anzeichen funktionieren, aber auch in diesem Fall ist ihre Funktion als Anzeichen nicht ihre „Bedeutung"; und wenn sie nur als Anzeichen funktionieren, haben sie keine „Bedeutung"
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und sind auch keine sprachlichen Zeichen mehr. Die An2eichen spielen eine sehr wichtige Rolle in der Interpretation auf den verschiedensten Gebieten der Erfahrung und der Wissenschaft; es ist aber trotzdem äußerst fraglich, ob wir sie deshalb der Welt der Zeichen zuordnen dürfen. 2.3. Anders verhält es sich mit den Zeichen im eigentlichen Sinne oder Zeichen schlechthin, die als Zeichen — d. h. als auf etwas hinweisend bzw. als für etwas stehend — produziert werden, damit sie als solche von einem Ausleger aufgenommen und interpretiert werden. Hier haben wir es mit einer doppelten Intentionalität zu tun, und zwar mit einer offenen produktiven Intentionalität bei demjenigen, der das Zeichen erzeugt, und mit einer nicht „zeichenproduzierenden" Intentionalität beim Ausleger, die sich auf die Bereitschaft beschränkt, das Zeichen als Zeichen aufzunehmen und es zu interpretieren. Diese Unterscheidung ist m. E. zur Abgrenzung der Welt der Zeichen wesentlich. Denn der Satz „Alles kann Zeichen sein" bedeutet nicht dasselbe in dem einen und in dem anderen Fall. Im Falle der Anzeichen bedeutet das Alles in diesem Satz tatsächlich „alles": alles befindet sich ja in einem gegebenen oder möglichen oder vermuteten Zusammenhang, und alles kann deshalb „Anzeichen", d. h. Anlaß für eine Inferenz sein. Im Falle der Zeichen im eigentlichen Sinne bedeutet hingegen der Satz „Alles kann Zeichen sein" nur, daß die materielle Seite des Zeichens eine beliebige sein kann, d. h. daß der Stoff des Zeichens grundsätzlich gleichgültig ist. Zeichen sind aber in diesem Fall nur diejenigen, die als solche erzeugt werden. Das bedeutet u. a., daß auch Bilder Zeichen sein können, wenn sie dazu bestimmt sind (z. B. wenn das Bild eines Baumes für den Inhalt „Baum" steht), daß sie aber als bloße Darstellungen von Gegenständen keineswegs Zeichen sind (in diesem Fall könnten sie höchstens Anzeichen sein). 3.1. Um die Leistung der Zeichen im eigentlichen Sinne richtig einzuschätzen und sie in der „Welt der Zeichen" genauer einzuordnen, müssen wir jedoch von dem „Modell aller Semiotiken" (im Sinne Hjelmslevs), d. h. von der Sprache und vom sprachlichen Zeichen ausgehen. „Sprachliches Zeichen" ist an erster Stelle das, was wir normalerweise Wort nennen. Vom Wort wird gesagt, daß
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es „etwas bedeutet", daß es „eine Bedeutung hat". Beim Wort (und bei der Sprache überhaupt) müssen wir jedoch in dem, was meist pauschal „Bedeutung" genannt wird, drei Arten von Inhalt — Bezeichnung, Bedeutung und Sinn — unterscheiden, die allerdings beim verwendeten Wort alle drei zugleich gegeben sind. Denn die Sprache selbst ist erstens „Sprache im allgemeinen" — auf das Außersprachliche bezogene Tätigkeit — , zweitens ist sie immer „Einzelsprache" — eine bestimmte Sprache (Deutsch, Englisch, Französisch usw.) —, und drittens ist die im Sprechen konkret realisierte Sprache immer „Text" oder „Diskurs" mit Einheiten wie: Aussage, Feststellung, Frage, Befehl, Unterstellung, Anweisung, Antwort, Einwand usw. (den der Stoiker). Die Bezeichnung entspricht der Ebene der Sprache im allgemeinen, die Bedeutung (in diesem Sinne) der jeweiligen Einzelsprache, der Sinn der Ebene des Textes. Die Bezeichnung ist die sogenannte „Referenz", das Sich-aufetwas-anderes [auf etwas außerhalb des Zeichens]-Beziehen: auf Außersprachliches (Gegenstände, Handlungen, Sachverhalte) oder auch auf Sprachliches als „Sache", als Erscheinung in der Welt. Die Bedeutung ist der im Zeichen selbst einzelsprachlich gegebene Inhalt, die einzelsprachlich abgegrenzte Bezeichnungsmöglichkeit, durch die die Bezeichnung als solche erfolgt.1 Man 1
In der Diskussion wurde gefragt, ob Bedeutung gleichbedeutend mit engl. meaning sei. Nein: In der hier vorgeschlagenen Terminologie ist Bedeutung ausschließlich der durch die Einzelsprache bzw. das Sprachsystem als solches gegebene Inhalt, das, was man als Kenner einer bestimmten Sprache versteht. Meaning hingegen ist (in der angelsächsischen Linguistik) meist ein komplexer oder ein undifferenzierter Begriff: er umfaßt in der Regel unsere „Bedeutung" und „Bezeichnung", jedoch mit Hervorhebung der Bezeichnung und bisweilen sogar des Bezeichneten. Im Deutschen aber habe Bedeutung immer auch den Sinn von momentum, bei Frege etwa ausschließlich: Er unterscheide bekanntlich „Bedeutung" und „Sinn" und meine mit „Bedeutung" den bezeichneten Gegenstand, so daß Tragelaphos überhaupt keine „Bedeutung", wohl aber einen „Sinn" habe. Müßte man da nicht eine sehr scharfe Differenzierung vornehmen? Darauf wird erwidert: Gerade eine solche Differenzierung wurde hier vorgenommen. Bei Frege handelt es sich, was die Terminologie betrifft, um einen eher unglücklichen Einfall. Seine Unterscheidung ist zwar als solche sinnvoll. Er nennt aber „Bedeutung" — gerade n i c h t wie im Deutschen, sondern e n t g e -
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kann diese Unterscheidung mit Hilfe eines sehr einfachen Beispiels verdeutlichen: Die kurzen Sätze Viene im Spanischen und Viene gen dem üblichen deutschen Sprachgebrauch — das, was in der deutschen Tradition „das Bezeichnete", „der bezeichnete Gegenstand" u. ä. genannt wird, und „Sinn" das, was man eher „Bedeutung" nennen würde, nämlich „die Art des Gegebenseins" (des bezeichneten Gegenstandes). Seine Terminologie hat deshalb auch vielen Schwierigkeiten bereitet und hat viel Verwirrung gestiftet. In meiner Terminologie versuche ich (in diesem Fall wie überhaupt), so weit wie möglich der Tradition zu entsprechen und zugleich mich nicht allzu sehr vom alltäglichen Sprachgebrauch in der jeweiligen Sprache (in diesem Fall im Deutschen) zu entfernen. D. h., ich versuche als genau definierte Fachtermini diejenigen Wörter einer Sprache zu verwenden, die wenigstens meist (wenn auch natürlich nicht immer) gerade das nennen, was auch ich mit meinen Termini meine. So soll Bedeutung als T e r m i n u s stets das bezeichnen, was auch sonst im Deutschen meist damit gemeint ist, wenn man von der Sprache spricht, nämlich: den Inhalt eines Ausdrucks in einer Sprache; man fragt ja im Deutschen nach der „Bedeutung" (nicht z. B. nach der „Bezeichnung") eines Wortes im Lateinischen, im Griechischen usw. (bei „Bezeichnung" würde man verstehen, daß das Wort bezeichnet wird). Ähnliches gilt für bezeichnen, Bezeichnung: man sagt z. B. auch sonst „bezeichneter Gegenstand", „damit bezeichnen wir folgendes", usw., d. h. man meint eben damit die Anwendung eines Zeichens auf etwas (obwohl „Bezeichnung", im Gegensatz zu „Bedeutung", auch für den Ausdruck gebraucht wird). Und Sinn entspricht dem Usus von lat. sensus in der alten Übersetzungstheorie, insbesondere bei Hieronymus, und ebenfalls mehr oder weniger dem alltäglichen deutschen Sprachgebrauch; denn „Sinn", auf Sprachliches angewandt, wird eben als eine weitere Bestimmung der Bedeutung verstanden und wird vorzugsweise vom Sagen gesagt (vgl. „In welchem Sinn sagen Sie das?", „Wie soll ich den Sinn Ihrer Frage verstehen?"). Es handelt sich aber in jedem Fall um konsequent verwendete Termini, nicht um die Wörter der alltäglichen Sprache als solche, die auch viele andere Verwendungen zulassen. Die wirkliche Schwierigkeit bei diesen Termini ist vielmehr, daß wir nicht in jedem Fall über genau „homologe" Verben und Verbalableitungen verfügen. Man hat bezeichnen—Bezeichnung—Bezeichnendes—Bezeichnetes; bedeuten —Bedeutung, dazu noch, wenn auch nicht ohne Einschränkung, Bedeutetes, es fällt aber schon schwer, in nicht völlig eindeutigen Kontexten Bedeutendes zu gebrauchen (Saussures signifiant—signifie wurden deshalb mit Bezeichnendes—Bezeichnetes übersetzt, was irreführend ist); und bei Sinn verfügt man über kein Verb und folglich auch über keine Verbalableitung; man muß, wie die alltägliche Sprache, auf meinen zurückgreifen und entsprechend Gemeintes, das Gemeinte sagen, Meinendes, das Meinende sind aber kaum annehmbar.
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im Italienischen k nnen u. U. genau den gleichen Tatbestand bezeichnen, sie k nnen sich auf die Tatsache, da Jemand in diesem Augenblick kommt', beziehen; sie bedeuten aber nicht dasselbe und w ren deshalb in anderen Situationen nicht austauschbar („ bersetzungs quivalent"), da die Bezeichnung eben ber die einzelsprachliche Bedeutung erfolgt. Im Italienischen bedeutet n mlich venire „sich in Richtung auf den Ort der ersten und der zweiten Person bewegen", im Spanischen hingegen bedeutet venir ausschlie lich „sich in Richtung auf den Ort der ersten Person bewegen". Man kann im Spanischen deshalb (z. B. am Telefon) f r „Ich komme morgen zu dir" nicht Vengo ntanana a verte sagen, da das Ziel der Bewegung in dieser Situation nicht mit dem Ort der ersten Person im Augenblick des Sprechens zusammenf llt; in diesem Fall mu man ein anderes Verb (/r), d. h. eine andere Bedeutung anwenden. Der Sinn schlie lich ist die im jeweiligen Sagen intendierte Art des Meinens, der dem Sagen eigene Inhalt (Sinn — sprachlich ausgedr ckt — gibt es nur im Sagen, d. h. im „Text" oder „Diskurs"). Die schon erw hnten „Texteinheiten" — Aussage, Feststellung, Frage, Befehl, Unterstellung, Anweisung usw. — sind Einheiten von Sinn. 3.2.1. Die Unterscheidung zwischen Bedeutung und Bezeichnung, zwischen dem Inhalt, der im Wort selbst gegeben ist, und dem Bezug des Wortes auf „Sachen" und Sachverhalte, ist sehr alt. Schon Aristoteles macht sie mehr oder weniger ausdr cklich, zuerst durch die Bestimmung der Bedeutung als solcher. Am Anfang von Pert Hermeneias (l6 a, 3 ff.) steht bekanntlich, da „die sprachlichen Laute Symbole der Inhalte der Seele sind": "Εστί μεν οΰν τα εν τη φωνή των εν τη ψυχή παθημάτων σύμβολα. Von einem πράγμα, das bezeichnet werden k nnte, ist dort berhaupt nicht die Rede, denn das Wort als solches setzt nicht einmal die Existenz der der Bedeutung entsprechenden „Sachen" voraus. Tragelaphos bedeutet etwas, σημαίνει μεν τι, sagt jedoch nicht, ob der Tragelaphos existiert oder nicht. Man k nnte einwenden, in diesem Fall gehe es um ein Fabelwesen, und deshalb sei es auch vern nftig anzunehmen, da es ein solches nicht gibt. Aristoteles sagt jedoch genau das gleiche vom Wort άνθρωπος. Auch άνθρωπος, „Mensch", schlie t nicht die Existenz des Menschen ein, sondern bedeutet nur eine Art Sein, eine virtuelle Modalit t des
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Seins. Im Grunde ist es bei Aristoteles nicht viel anders als bei Plato. Auch bei Aristoteles ist die Bedeutung von τράπεζα eigentlich doch τραπεζότης, die Bedeutung von Tisch nichts anderes als „Tisch-sein". Dies wird in Metaphysik Γ sogar ausdr cklich gesagt, und zwar dort, wo Aristoteles meines Wissens zum ersten Mal in der Geschichte eben diese Unterscheidung zwischen Bedeutung und Bezeichnung macht und wo er f r „Bedeutung" den Terminus εν σημαίνειν, „ein Unikum bedeuten", verwendet: έτι εί το άνθρωπος σημαίνει εν, έστω τούτο το ζωον δίπουν. λέγω δε το εν σημαίνειν τούτο· εί τουτ' εστίν άνθρωπος, αν ή τι άνθρωπος, τουτ' εσται το άνθρώπφ είναι (1006 a, 31 ff.). D. h. etwa: „Ferner, wenn άνθρωπος, Mensch, Eines [ein Unikum] bedeutet, darf man annehmen, da dies z. B. ,zweibeiniges Tier' ist. ,Eines bedeuten' [eine einheitliche Bedeutung haben] nenne ich folgendes: F r die (genannte) Bedeutung von άνθρωπος, Mensch, gilt: Wenn etwas als άνθρωπος, ,Mensch', vorkommt [d. h. wenn wir etwas άνθρωπος, Mensch, nennen], so besteht dies [das ,Eines-Bedeuten'] in der Tatsache, da dies etwas eben zu άνθρωπος, ,Mensch', geh rt [d. h. ein άνθρωπος, ,Mensch', ist, dieses Sein aufweist]." Nach jahrhundertelanger Diskussion ist man sogar in der behavioristischen Semiologie zu der gleichen Unterscheidung und sogar zu einer analogen Formulierung gekommen. In der Tat entspricht die Formel, durch die Charles W. Morris sein „Signiflcatum" definiert (dieses sei ,die Gesamtheit der Bedingungen, die ein Denotatum erf llen mu , um Denotatum eines Zeichens zu sein'), genau dem, was Aristoteles vom Eines-Bedeuten sagt. In der Antike haben brigens die Stoiker dieselbe Unterscheidung von Aristoteles noch deutlicher herausgearbeitet und durch eindeutige Termini — σημαίνον, „das Bedeutende", und σημαινόμενον, „das Bedeutete" (bzw. λεκτόν, „das zu Sagende"), und πράγμα, „Sache", oder τυγχάνον, „das Jeweilige" (d. h. „das jeweils Bezeichnete") — befestigt. Augustinus hat f r dieselben Begriffe verbum (= σημαίνον), dicibile (cf. λεκτόν) und res (cf. πράγμα). Und noch in unserer Zeit kommt Saussure sogar auf dieselben Termini der Stoiker, nur ins Franz sische bertragen: signifiant, signi e und chose. In allen diesen F llen befindet sich die (bezeichnete) „Sache" au erhalb der Zeichenrelation, die aber die Bedeutung einschlie t. Nur die Einzelsprachlichkeit der Bedeutung (obwohl sicherlich stillschweigend angenommen, da es stets um W rter b e s t i m m -
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ter Sprachen geht) wird in der lteren Sprachtheorie nicht ausdr cklich vertreten. 3.2.2. Wichtig ist ferner bei dieser Unterscheidung, da dadurch zugleich die Doppeldeutigkeit des Terminus „Zeichen" (auf sprachliche Zeichen bezogen) klar wird. Denn „Zeichen" nennt man einerseits — umgangssprachlich sogar meist — das signi ant bzw. σημαίνον allein, das verbum von Augustinus, andererseits aber auch — und zwar besser, bzw. streng fachsprachlich — die Einheit von σημαίνον und σημαινόμενον, von verbum und dicibile, von signi ant und signi e (so schon bei den Stoikern, die eben das Ganze σήμα oder σημεϊον nennen, und bei Augustinus, der daf r dictio verwendet; ebenso, v llig eindeutig, bei Hegel, in der Enzyklop die, wo das Zeichen als Einheit von selbst ndiger Vorstellung und Anschauung dargestellt wird, und bei Saussure, f r den signe die unaufl sbare Einheit von signi ant und signi e ist). In Hegels Enzyklop die wird zudem noch deutlich gemacht, da der Stoff des signi ant als solcher in funktioneller Hinsicht (f r die Zeichenfunktion) belanglos ist, da die Materialit t des Zeichens in der Interpretation aufgehoben wird: Dieses Aufgehobenwerdenk nnen, d. h. die Tatsache, da kein kausal notwendiges Verh ltnis zwischen der Materialit t des Zeichens und seiner Bedeutung besteht, ist das, was wir — insbesondere nach Saussure (bzw. nach Saussure so gut wie allgemein) — „Arbitrarit t" des Zeichens nennen, und was auch Hegel eben „Willk r" nannte. 3.3.1. Erst angesichts dieser Komplexit t des sprachlichen Zeichens, das an sich schon B e d e u t u n g „hat" (bzw. „enth lt") und dadurch bezeichnen und zum Sinn beitragen kann, sowie der Doppeldeutigkeit des Terminus k nnen wir uns sinnvoll fragen, wie es sich mit den brigen „Zeichen", zuerst mit dem sogenannten Symbol, verh lt. Bei Aristoteles sind σημεϊον und σύμβολον anscheinend synonym: Schon mehrmals, und zwar seit der Antike, wurde die Meinung vertreten, er w rde beide Termini einfach unterschiedslos verwenden; und die j ngsten Bem hungen, in ihrer Verwendung doch eindeutige Unterschiede festzustellen, sind bisher ergebnislos geblieben. Nur was die Perspektive betrifft, kann man vielleicht eine gewisse Nuance identifizieren: σημεϊον nennt Aristoteles das Zeichen in seiner Funktion, σύμβο-
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λον hingegen eher das Zeichen als das intentionell mit dieser Funktion Gemachte („Eingerichtete"). Er sagt n mlich, da kein „Name" von Natur aus ein solcher ist: er ist es nur als φωνή σημαντική κατά συνθήκην, d. h., wenn er zu einem S y m b o l wird, anders gesagt, wenn er intentionell zu einem Zeichen gemacht (als Zeichen „eingerichtet") wird (De Interpr., 16 a, 26 — 29). Hegel und Saussure — und zwar, wie ich glaube, Saussure mit implizitem, wenn auch wahrscheinlich nur indirektem Bezug auf Hegel — unterscheiden Zeichen und Symbol nur im Hinblick auf das Willk rliche des signifiant. F r Hegel ist eben das Zeichen „vom Symbol verschieden, einer Anschauung, deren eigene Bestimmtheit ihrem Wesen und Begriffe nach mehr oder weniger der Inhalt ist, den sie als Symbol ausdr ckt; beim Zeichen als solchem hingegen geht der eigene Inhalt der Anschauung und der, dessen Zeichen sie ist, einander nichts an. Als bezeichnend beweist daher die Intelligenz eine freiere Willk r und Herrschaft im Gebrauch der Anschauung denn als symbolisierend" (En^ykl., § 458). Ein Symbol, z. B. die Waage als Symbol der Gerechtigkeit, hat doch etwas mit dem Symbolisierten zu tun: die Waage stellt bildlich ein Charakteristikum der Gerechtigkeit — das zu erwartende Gleichgewicht, die zu erwartende Gleichbehandlung der Parteien usw. — dar. Ebenso hat die Tatsache, da man dem Eroberer die Schl ssel der Stadt aush ndigt, durchaus etwas mit dem Geschehen im Ganzen zu tun: man bergibt dem Eroberer „symbolisch" die Stadt, indem man ihm einen kleinen, aber wichtigen Teil der Stadt selbst (das Werkzeug, das ihre Tore ffnet) aush ndigt. Diese Bestimmung erm glicht uns nun sicherlich, die Symbole von den brigen Zeichen, bzw. von den „Zeichen im engeren Sinne" (zu denen auch die sprachlichen Zeichen geh ren w rden) zu trennen. Sie reicht aber nicht aus, um die Symbole auch vom sprachlichen Zeichen als solchem, vom Wort, zu unterscheiden. Kennzeichnend in dieser Hinsicht ist vielmehr das Verh ltnis der Symbole zur Bedeutung. Gewisse „symbolische" Zeichen haben berhaupt keine prim re, ihnen eigene, sondern nur eine von der Sprache geliehene und von der Sprache losgel ste, universalisierte Wortbedeutung (als Bezeichnungsfunktion). So die „symbolischen" (nicht-willk rlichen) Zeichen, denen nur B hlers „Darstellungsfunktion" zukommt — z. B. die in der Astronomie verwendeten oder die Zodiakalzeichen (als Bilder) — und die B hler
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eben zu seinen „Symbolen" rechnet. Und die Symbole im üblicheren Sinne (so auch die von Hegel und von Saussure gemeinten) haben überhaupt keine Wortbedeutung, sondern nur eine Art „Satzbedeutung" und einen bestimmten Sinn und bezeichnen deshalb auch nicht „Sachen" oder „Klassen von Sachen", sondern nur Tatbestände, Sachverhalte u. ä., was sich in jeder Sprache (mit Hilfe von verschiedenen Wortbedeutungen) interpretieren läßt. Die Waage als Symbol der Gerechtigkeit bedeutet nicht „Gerechtigkeit" und bezeichnet deshalb auch nicht die Gerechtigkeit schlechthin; sie sagt vielmehr etwas wie: „Die Gerechtigkeit ist wie eine Waage" bzw. „soll wie eine Waage sein". Ein Symbol in dieser Hinsicht, von der Sprache her gesehen, ist wie ein chiffrierter Redeakt oder Text. 3.3.2. Ähnliches gilt für die übrigen konventionellen und traditionellen nicht-sprachlichen Zeichen und Zeichensysteme: Sie sind entweder partieller Ersatz für die Wörter, von jeder Einzelsprache losgelöste und dadurch universalisierte Bezeichnungen, oder sie entsprechen Redeakten und Texten. So die Zeichen, die Karl Bühler „Signale" nennt (z. B. rot, gelb, grün bei den Verkehrsampeln, die Verhaltensanweisungen darstellen), und die Gebärden, die ganze Welt der „konventionellen", d. h. freien (nicht spontanen) Gestik. Eine bestimmte Gebärde bedeutet z. B. nicht „hungrig", „Hunger", und bezeichnet auch nicht den Hunger schlechthin (in jeder beliebigen Situation); sie drückt nur etwas wie „Ich bin hungrig" aus, und auch dies nur „deiktisch", nicht mittels dieser Bedeutungen. Anders gesagt: die Gebärde weist auf einen konkreten Hunger in einer konkreten Situation hin, man kann aber mit ihr nicht vom Hunger im allgemeinen sprechen noch den Hunger beschreiben oder analysieren. 3.3.3. In allen diesen Fällen kann man mit Recht sagen, daß die Zeichen auf etwas anderes, als sie selbst sind, hinweisen, daß sie für etwas anderes „stehen". Sie stehen für Einheiten von Sinn (konkrete Ausdrucksabsichten), für Tatbestände und Sachverhalte, ja — im Falle der „Ersatzzeichen" (d. h. der nach dem Muster der Sprache nachgebildeten Universalbezeichnungen) sogar für „Sachen" und für Begriffe bzw. Klassen von „Sachen". Hervorzuheben ist jedoch, daß diese Zeichen — im Gegensatz
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zu den sprachlichen Zeichen — entweder sich auf das Sein der „Sachen", auf die sie hinweisen, überhaupt nicht beziehen oder, im besten Fall (demjenigen der „Ersatzzeichen"), dieses Sein als schon abgegrenzt und als abgegrenzt vorgegeben voraussetzen. 4.1. Der Unterschied ist so radikal, daß man sich berechtigterweise fragen kann, ob die nicht-sprachlichen und die sprachlichen Zeichen als Spezies (und sogar als gleichrangige Spezies) ein und derselben Gattung anzusehen sind, d. h. ob das sprachliche Zeichen — das Wort — in demselben Sinne „Zeichen" ist, in dem es die übrigen Zeichen sind. Denn — verweist eigentlich das Wort auf etwas anderes, als es selbst ist? Und steht das Wort für etwas anderes als das, was es selbst ist und darstellt? Man wird sich fragen müssen, warum sich Humboldt — und zwar von Anfang seiner Beschäftigung mit der Sprache an — dagegen sträubt, die Sprache als Zeichensystem anzusehen. Schon in der Ankündigung einer Schrift über die vaskische Sprache und Nation (1812), d. h. in seiner ersten Schrift zur Sprache, die zugleich einen bemerkenswerten Entwurf seiner Sprachauffassung und seiner Sprachphilosophie enthält, schreibt Humboldt: „Man muss sich nur durchaus von der Idee losmachen, dass sie [die Sprache] sich so von demjenigen, was sie bezeichnet, absondern lasse, wie z. B. der Name eines Menschen von seiner Person, und dass sie, gleich einem verabredeten Chiffre, ein Erzeugniss der Reflexion und der Übereinkunft ... sey" (Akademie-Ausgabe, III, S. 296). Dies zuerst deshalb, weil man strenggenommen nicht sagen kann, daß das Wort auf seine Bedeutung hinweist. Denn dadurch betrachtet man das Wort als reinen Wortlaut oder Ausdruck, nicht als das, was das Wort eigentlich ist. Das Wort, in der Sprache, ist immer Ausdruck und Bedeutung zugleich; und es ist „Wort" nur als diese Vereinigung von signifiant und signifie. Man kann zwar beim Wort künstlich, im Sprechen — insbesondere, wenn man über Wörter spricht — , Ausdruck und Inhalt, signifiant und signifie., voneinander trennen (sie als getrennt denken und getrennt besprechen bzw. untersuchen); aber eben nur künstlich, d. h. indem man die gegenseitige Beziehung von signifiant und signifie nur operationell aufhebt, indem man von dieser Beziehung absieht, ohne sie aufzulösen. Ebenso, wenn man mit der Sprache spielt: die meisten Wortspiele beruhen nämlich darauf, daß man
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diese Beziehung aufhebt und zugleich bejaht. Sonst ist der von der Worteinheit losgelöste Ausdruck kein Ausdruck mehr, sondern nur eine materielle Erscheinung; und auch die Bedeutung ist keine Bedeutung mehr, sondern nur Vorstellung bzw. formloser, verschwommener Denkinhalt. Man kann also sagen — um eine schöne Formulierung von Josef Simon (allerdings in einem anderen Sinn) zu verwenden —, daß ein Wort [als Wortlaut bzw. signifiant\ nur dann „Zeichen" für eine Bedeutung ist, wenn man nach seiner Bedeutung fragt, d. h. — für uns — wenn es noch kein Wort im eigentlichen Sinne ist und der Wortlaut (als materielle Erscheinung) nur als „Anzeichen" für einen Zusammenhang mit einer Bedeutung interpretiert wird. Gleiches gilt übrigens für alle Zeichen, denen eine „Bedeutung" (auch als universelle Bezeichnungsmöglichkeit) zugeschrieben wird. Für das Wort bedeutet dies aber nach Humboldt zugleich, daß es sich , dem, was es bezeichnet2, nicht absondern läßt', eine These, die ihre Begründung in Humboldts Auffassung von der Sprache als „Vermittlung" findet. Die „Sachen", die die Sprache bezeichnet, sind nicht etwa vorgegebene, in ihrem Sinn schon im voraus abgegrenzte, sondern erst (und stets!) durch die Sprache „vermittelte" Sachen. Es gehört nun zum Wesen der Vermittlung, daß das Vermittelnde nur in der Vermittlung selbst „vermittelnd" ist. Auch das Wort ist folglich nur in der Vermittlung des Bezeichneten „Wort". Wenn es nicht vermittelt, wenn es von dem, was es vermittelt, getrennt und zu einem bloßen „Zeichen" gemacht wird, ist es auch kein Wort mehr. Wir würden eher — Hegel folgend — sagen, daß die „Sachen" (als dies oder jenes seiend) nicht von der Sprache getrennt werden können; denn in der Beziehung Sprache—Sachen ist eben die Sprache der bestimmende Faktor: die Sprache bestimmt das Sein der Sachen, nicht umgekehrt. So kann die Sache „Baum" als Spezies (Art des Seins) nicht von derjenigen Sprache getrennt werden, in der sie so genannt, d. h. durch die Bedeutung „Baum" bezeichnet wird, zumal die Bedeutung des Wortes Baum (die die 2
Unter „Bezeichnung" versteht Humboldt nicht die leere Referenz, das „Hinweisen auf", sondern den Inhalt selbst des Wortes in seiner „objektiven" Dimension: das durch das Wort in den Sachen selbst Gemeinte. Wir werden deshalb von (bezeichneten) „Sachen" sprechen.
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Abgrenzung der Klasse „Baum" rechtfertigt) gerade „Baum-sein" ist. In einer anderen Sprache könnte die Gestaltung der Bedeutungen völlig anders sein und eine völlig andere Abgrenzung der Sachen bedingen, wodurch auch die Bäume keine Bäume mehr wären. 4.2. Verhält es sich denn nun nicht ebenso bei allen Zeichen oder wenigstens bei allen Zeichen mit Bedeutung? Nein. Für andere Zeichen gelten die zu bezeichnenden Sachen als schon abgegrenzt, als schon nach ihren Arten eingeteilt, bzw. die Abgrenzungen werden mit Bezug auf die Sachen selbst vorgenommen, so daß bei diesen Zeichen das zu Bezeichnende primär ist, die Bedeutung (Möglichkeit der Bezeichnung) hingegen sekundär und von der Abgrenzung des zu Bezeichnenden her bestimmt. Im Falle der primären (nicht fachsprachlichen) Wörter sind dagegen die Arten der Sachen nicht als solche vorgegeben, sondern sie werden aufgrund der Bedeutungen abgegrenzt; bei diesen „Zeichen" ist also die Bedeutung (als intuitive Erfassung einer Möglichkeit des Seins) primär, und die Arten der Sachen sind diejenigen, die den Wortbedeutungen entsprechen. Zwar stellt die Bedeutung in jedem Fall die unendliche Möglichkeit der Bezeichnung von einzelnen Daseienden dar, und die Bezeichnung selbst erfolgt jeweils auf dieselbe Weise, nämlich durch Partikularisierung bzw. durch Kreuzung von Universalien (z. B. im Falle von „dieser Löwe": durch das Universale „Löwe" und die ebenfalls universelle Relation der „Diesheit" in einer bestimmten Situation). Auch ist die Benennung einer Sache („Das ist ein x") in jedem Fall Zurückführung der Sache auf eine Bedeutung: Erkennen einer Art von Sein bzw. der „Bedingungen eines Signiflcatum" (auch in der Benennung „steht" also in jedem Fall das Wort bzw. das „Zeichen mit Bedeutung" für seine Bedeutung, d. h. für sich selbst). Trotzdem, d. h. trotz aller möglichen Analogien in der Anwendung, sind die „natürliche" Sprache und die übrigen Zeichensysteme (bzw. die „künstlichen Sprachen") ihrer Natur nach radikal verschieden: die Sprache geht von den Bedeutungen, die übrigen Zeichensysteme von den Sachen aus. Die „natürliche" Sprache (oder Sprache schlechthin, Sprache als solche) ist primär kein Bezeichnungssystem, sondern ein System von Bedeutungen. Die dem Menschen eigene Welt, so wie die Sprache sie schafft
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(d. h. die geistige Welt, die der Mensch sich selbst schafft), ist an sich eine Welt von Möglichkeiten des Seins, nicht eine Welt von Daseienden. Und erst von dieser geistigen Welt her können wir auch unsere sinnliche Welt ordnen, Daseiende als solche identifizieren, Arten von „Sachen" abgrenzen, feststellen, daß es solche Wesen wie die Pferde gibt und solche Wesen wie die Tragelaphoi in der Welt nicht vorkommen. 4.3. Die Folgerungen, die man daraus ziehen kann, sind, auch für die Sprachphilosophie und für die Philosophie des Zeichens unübersehbar. Es sei hier nur einiges kurz erwähnt. Erstens muß die oft wiederholte These, die „Artikuliertheit" der Sprache setze eine Artikuliertheit der Welt voraus, entschieden abgelehnt werden. Denn die Gestaltung durch die Sprache ist die primäre Gestaltung der Welt, die keine andere voraussetzt und der keine andere vorausgeht. Erst die Sprache verleiht den Sachen ein bestimmtes Sein und schafft „Spezies". Natürlich schafft die Sprache nicht die Spezies im materiellen Sinn, aber sie macht sie eben zu Spezies; sie schafft nicht etwa Bäume als Dinge (Daseiende), schafft aber das Baum-Sein. Die Sprache ist nicht Abbild oder passive Wiedergabe, sondern ursprüngliche und intentionelle Gestaltung. Und die Tatsache, daß die sprachlichen Spezies oft mit den naturgegebenen Spezies zusammenfallen, ist für die Einschätzung der Leistung der Sprache belanglos; denn dies kann erst im nachhinein festgestellt werden und ist auch keineswegs notwendig: Ein und derselben naturgegebenen Spezies können mehrere sprachliche Spezies entsprechen und umgekehrt. Außerdem schafft die Sprache auch in der Welt überhaupt nicht existierende Spezies (was ebenfalls erst im nachhinein festgestellt werden muß), da sie der Unterscheidung selbst von existierend und nicht existierend vorausgeht: und Pferd sind in der Sprache gleichberechtigte Wörter, die gleichberechtigte sprachliche Spezies bezeichnen. Zweitens ist angesichts der Tatsache, daß jede Sprache ein ihr eigenes System von Bedeutungen aufweist und dadurch eine eigentümliche Gestaltung der Welt darstellt, die Behauptung, jede Sprache sei doch grundsätzlich in jede andere Sprache übersetzbar, in dieser Form nicht annehmbar; und noch weniger als Argument dafür, daß die Artikuliertheit der Sprache eine Artikuliertheit der Welt voraussetzen würde. Eine Sprache als solche ist überhaupt
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nicht übersetzbar und wird auch nie übersetzt; und die inhaltliche Verschiedenheit der Sprachen kann nicht auf der Ebene der Sprachen selbst aufgehoben werden. Was man mit dieser Behauptung sinnvollerweise sagen will, ist etwas anderes: daß nämlich dieselbe durch eine bestimmte Sprache gestaltete Welt auch anders gestaltet werden kann, was aber nicht bedeutet, daß die Bedeutungen einer Sprache als solche übertragen werden können, sondern nur, daß man mit verschiedenen Bedeutungen in verschiedenen Sprachen dasselbe „sagen" und dieselben Sachen bezeichnen kann3. 3
In der Diskussion wurden Zweifel geäußert in Bezug auf Unterscheidungen, die mit Hilfe von Bedeutungen einer Einzelsprache, und sogar einer besonderen Verwendungsweise (der sprachwissenschaftlichen) innerhalb einer Einzelsprache (in diesem Fall, innerhalb des Deutschen), vorgenommen werden. Wie könne man von einer besonderen Redeweise aus ontologische Ansprüche stellen? Wenn man die Einbindung der Bedeutungen in die Einzelsprache betone, dann müsse das auch für die Bedeutung von [deutsch] Bedeutung gelten. Und wenn man im Englischen meaning sagt und „Bedeutung" gar nicht sagen kann, so entstehen doch hier bestimmte Schwierigkeiten in bezug auf das, was man in der Philosophie ,die objektive Gültigkeit der Redeweise' nennt. Die aufgeworfenen Fragen sind äußerst wichtig und erfordern eine etwas detailliertere Stellungnahme. Also: Erstens wurde hier nicht die allgemeine Einbindung der Bedeutungen in die Einzelsprachen vertreten (was tatsächlich ein unbegründeter „ontologischer" Anspruch wäre), sondern nur die Einzelsprachlichkeit der einzelsprachlichen Bedeutungen (auch, natürlich, der Bedeutung des deutschen Wortes Bedeutung], was tautologisch und deshalb unbestreitbar ist; demgegenüber wurde aber die Universalität (wenigstens die intendierte Universalität) der Bedeutung der Fachtermini hervorgehoben. Und Bedeutung, in dem hier definierten Sinn, ist eben ein Fachterminus, der mit dem deutschen Wort Bedeutung nur, sozusagen, „etymologisch" eng verwandt ist. Zweitens ging es mir an erster Stelle nicht um den Gegensatz „einzelsprachlich"/„nicht einzelsprachlich", sondern um die Unterscheidung Bedeutung—Be^eichnung—Sinn. „Bedeutung" nenne ich den zum Zeichen als solchem (im Zeichensystem) gehörenden Inhalt; insoweit es sich nun dabei um ein einzelsprachliches System (auch um ein partielles) handelt, sind auch die entsprechenden Bedeutungen natürlich „einzelsprachlich". Es handelt sich also nicht um die Bedeutung bzw. um das Sein der Bedeutung schlechthin (was auch immer das sein mag) und auch nicht um die Bedeutung von Bedeutung im Deutschen oder „innerhalb einer Verwendungsweise der deutschen Sprache", sondern um die in der Fachsprache der Sprachwissen-
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5.1. Letzteres führt uns in eine scheinbare Aporie. Denn was kann „dieselben Sachen" heißen, wenn die Sachen in verschiedenen Sprachen verschieden gestaltet sind? Es heißt „dieselben Sachen" als außersprachlich (bzw. außereinzelsprachlich) bestehend. Die von uns vertretene These ist nämlich nicht etwa, daß die Sachen schaft (und der Sprachtheorie) definierte Bedeutung. Eine Fachsprache ist nun nicht „Verwendungsweise einer Einzelsprache", sondern, was ihre Termini betrifft, „Universalsprache" mit signifiants einer Einzelsprache oder mit willkürlich gesetzten signifiants. Warum dann gerade Bedeutung? Nicht unüberlegt. Ich halte es nämlich für angebracht, im Einvernehmen mit der Tradition und im Interesse der Kontinuität der Forschung mit schon vorhandenen einzelsprachlichen signifiants zu arbeiten und auch inhaltlich nahe an den in den Einzelsprachen gegebenen intuitiven Abgrenzungen zu bleiben (zu diesen ist Wichtiges bei Hegel, in der Vorrede zur zweiten Ausgabe der Wissenschaft der Logik zu lesen). Das hat freilich seine Risiken, an erster Stelle das Risiko, daß die Termini, wie in diesem Fall, mit den Wörtern der Einzelsprachen verwechselt werden. In einer Humanwissenschaft ziehe ich es aber vor und halte es sogar für eine gesellschaftliche Verpflichtung, dieses Risiko in Kauf zu nehmen, um auch von Laien und von Fachleuten auf anderen Gebieten (einschließlich der Philosophen) wenigstens teilweise verstanden zu werden, statt eine esoterische und deshalb den meisten unverständliche Terminologie und Formalisierungen anzuwenden, die oft Gedankentiefe nur vortäuschen und in Wirklichkeit Gedankenleere verbergen. Dies erlaubt mir u. a., in den Schriften — nach demselben Grundsatz und ebenfalls durch ausdrückliche Setzung — für genau denselben Inhalt signifiants der jeweils gebrauchten Sprachen zu verwenden, so, für Bedeutung und Bezeichnung, im Französischen: signifie und designation, im Italienischen: significato und designa^ione, im Spanischen: significado und designacion usw. Die Fachtermini lassen nämlich diese Eins-zu-eins-Übertragung zu. Auch im Englischen ist es natürlich ohne weiteres möglich, fachsprachlich genau dieselbe Unterscheidung zu treffen, und sie wird auch gemacht, oft sogar unter Verwendung eines ausdrücklich definierten meaning. So unterscheidet der große, heute — außerhalb der Ägyptologie — leider weitgehend vergessene englische Linguist Alan S. Gardiner, The Theory of Speech and Language, 1932, meaning („Bedeutung") und thing meant („Bezeichnetes"). Seine Unterscheidung entspricht etwa derjenigen von Frege zwischen Sinn und Bedeutung, mit dem Unterschied, daß Gardiner sinnvollerweise meaning das nennt, was bei Frege als Sinn erscheint, und für Freges „Bedeutung" thing meant verwendet, und daß sein thing meant, in Übereinstimmung mit jeder „natürlichen" Sprache, nicht der Existenzbedingung untersteht (sprachlich bezeichnet man ja unterschiedslos Existierendes und Nichtexistierendes). Andere Autoren, in der Linguistik und in der Logik, verwenden meaning und
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nur sprachlich gegeben sind, sondern daß sie erst durch die Sprache als „Sachen" und als diese und j e n e Sachen gegeben sind; nicht etwa, daß es eine außersprachliche Artikuliertheit der Welt überhaupt nicht gibt und daß wir in einer nur einzelsprachlich gegebenen Welt hoffnungslos eingeschlossen leben und überhaupt keinen Zugang zu anderen einzelsprachlichen Welten oder zu einer außersprachlichen Welt schlechthin haben, sondern, daß es eine vorsprachliche, der Sprache vorgegebene und unabhängig von der Sprache erkennbare Artikuliertheit der Welt nicht gibt und daß eine solche Artikuliertheit erst nach und jenseits der Sprache (aber nur über die Sprache) erreicht und erkannt wird. Deshalb sind auch die Zeichensysteme, die von den Sachen als schon gegeben ausgehen, und die Fachsprachen nicht etwa, wie man oft glaubt, „vorsprachlich" bzw. von der Sprache unabhängig, sondern „nachsprachlich" und von der Sprache abgeleitet. Die Sprache geht zwar nicht von den Sachen aus, da ihr überhaupt keine Sachen als solche vorgegeben sind, sie gelangt aber zu den Sachen: sie macht die Sachen zu Sachen und ist somit auch Zugang zu den Sachen selbst, soweit diese von dem Menschen erfaßt werden können. denotation, meaning und reference etc. Und wenn man Verwechslungen mit dem einzelsprachlichen meaning vermeiden will, kann man ausschließlich lateinische Wörter bzw. lateinisch-romanische Bildungen verwenden; so, für die inhaltliche „Substanz" beim Zeichen, significatum und denotatum (wie bei Ch. W. Morris), für die Funktionen, signification und denotation. Was die „ontologischen" Ansprüche betrifft: Jede Fachsprache (auch die volkstümliche Fachsprache als solche) darf „ontologische", d. h. ObjektivitätsAnsprüche stellen, da sie die bezeichneten Gegenstände „zeigt", d. h., weil sie zuerst ihre Abgrenzungen objektiv, „in den Sachen selbst", vornimmt und erst dann benennt (nicht umgekehrt), so daß sich die Frage nach der „objektiven Gültigkeit" in diesem Fall überhaupt nicht stellen kann (von einem ausdrücklich gesetzten Terminus kann man nicht sagen, daß er nicht das bedeutet, was er bedeuten will). Ob diese Ansprüche auch immer vernünftig sind und ob sie auch anders als in logischer Hinsicht berechtigt sind, ist eine andere Frage. Übrigens ist eine Philosophie, die von Sprachverwendungsweisen spricht, die — irrtümlich — auch die Fachsprachen für Verwendungsweisen der Einzelsprachen hält und die Frage nach der objektiven Gültigkeit der Redeweise in diesem Rahmen stellt, nicht die Philosophie, sondern eine besondere Philosophie, und sie ist m. E. in verschiedener Hinsicht widersprüchlich und zirkulär.
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5.2. Außersprachlich („objektiv") sind übrigens die sprachlich erfaßten Sachen, unabhängig von ihrer Einteilung, schon ursprünglich, und zwar dank der Sprache selbst. Die sprachlich erfaßte Sache ist nie private Bedeutung oder subjektive Sachvorstellung; denn schon in der Sprachschöpfung werden die bezeichneten Sachen als Sachen in der Welt dargestellt. Die sprachliche Vermittlung erfolgt in der Tat ursprünglich schon im Medium der Intersubjektivität (da die Sprache auch Vermittlung zwischen dem Ich und dem Du ist), und durch die intersubjektive Referenz werden die Sachen in die Objektivität gerückt: auch die Tragelaphoi suchen wir in der Welt, wenn wir sie suchen wollen, nicht in der Sprache, wo sie ja zweifellos existieren. Schon in der einzelsprachlich gestalteten Welt sind die Sachen als solche identifizierbar und erkennbar und können als von der Sprache getrennt betrachtet werden. Dies erfolgt im Sprechen, wo die Sachen eindeutig von der Sprache getrennt werden und ihre volle Autonomie erhalten (bzw. wiedererhalten): die Sprache ist hier das Bezeichnende und Besprechende, die Sachen sind das Bezeichnete und Besprochene; gegenüber der Einheitlichkeit der Bedeutungen steht jetzt die Differenziertheit der Arten und Klassen von Daseienden. Von der Sprache her gesehen sieht das wie eine Spaltung und ein Austausch von Rollen aus: die sprachlich eingeteilte Welt wird zum Objekt von Sprache als Sprechen. Wenn man die Sprache statisch und abstrakt nur als Einteilung der Welt betrachtet, läuft man deshalb Gefahr, die Sprache als eine Art Klassifikationssystem anzusehen und die eigentliche Leistung der Sprache in ihrer Ganzheit aus den Augen zu verlieren. Das heißt: man läuft Gefahr, davon abzusehen, daß die doppelte Vermittlung durch die Sprache eine ständige und unendliche und die Sprache von Anfang an und stets und , Benennen u n d Sprechen oder Sagen ist. Die Sachen werden durch die Sprache zu (bzw. als) Bedeutungen gemacht, um mit ihnen mental operieren zu können, um sie in Beziehung zueinander zu bringen, zu analysieren und „mitzuteilen", d. h. im Rahmen des Miteinanderseins des Menschen zu besprechen. Oder, in erkenntnistheoretischer Hinsicht: Die Sprache bedeutet, damit wir deuten können. Besprochen und gedeutet werden aber — über die Bedeutungen — die Sachen selbst; mit den Bedeutungen spricht man von
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den Sachen. Im Sprechen — anders als in der Sprache als Einteilung der Welt (bzw. im Sprachsystem) und anders als in der bloßen Benennung (bzw. aufgrund einer impliziten, schon erfolgten Benennung) — bezeichnen die Bedeutungen die Sachen und „stehen" tatsächlich für die Sachen und deren Eigenschaften, oder, besser, v e r t r e t e n die Sachen und ihre Eigenschaften. Das sprachlich erfaßte Sein steht jeweils für Daseiende, die dieses Sein aufweisen, und vertritt das Sein dieser Daseienden als solcher. Diese Vertretung schließt jedoch keine Identität ein. Die Bedeutung als solche grenzt zwar das Sein der Sachen ab und kann es deshalb im Sprechen vertreten, stellt aber nur die Einheit des Seins der Sachen, nicht auch dessen innere Differenziertheit dar; und als unmittelbare Vertretung sagt sie über dieses Sein nichts aus und expliziert es auch nicht. Sie enthält nur das, was genügt, um eine Art Sein von anderen Arten von Sein zu unterscheiden und als abgegrenzt festzuhalten. Sie ist : zeigt, welches ein bestimmtes Sein ist, sagt aber nicht, wie es im ganzen und im einzelnen ist. Erst im Sprechen wird etwas über das Sein der Sachen ausgesagt, und dieses Sein wird analysiert, expliziert und als differenziert — d. h. so wie es in den Sachen gegeben ist und in Erscheinung tritt — dargestellt. Außerdem spricht man nicht nur mit den Bedeutungen, sondern zugleich mit der Kenntnis der Sachen und unter situationell und kontextuell gegebenen Bedingungen. Eine lange Reihe von Erscheinungen der Sprachverwendung hängt mit der Kenntnis der Sachen zusammen, sowohl im Sprechen als auch in der Interpretation des Gesprochenen. Das gleiche gilt für die Übersetzung, da das Übersetzen nichts anderes ist als ein Sprechen in zwei verschiedenen Sprachen mit einem virtuell identischen Inhalt. Man übersetzt nicht Sprachen, sondern Sprechen und Sagen; nicht das, was die Einzelsprache als solche sagt, sondern das, was man mit der Sprache sagt, d. h. nicht Bedeutungen, sondern grundsätzlich das durch Bedeutungen Bezeichnete. Die Bedeutungen sind Instrument, nicht Gegenstand der Übersetzung, so wie sie Instrument, nicht Gegenstand des Sprechens sind. Es gibt keinen direkten Übergang von den Bedeutungen der Ausgangssprache zu den Bedeutungen der Zielsprache; der Weg führt notwendigerweise über das außersprach-
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lieh Bezeichnete. Die Übersetzung ist deshalb immer zuerst „Entsprachlichung" und dann „Versprachlichung". Das Allerwichtigste für unser Anliegen ist jedoch, daß die Sprache durch ihre Einteilungen und Verfahren auch der Wissenschaft und der Philosophie Gegenstände und Instrumente zur Verfügung stellt. Sobald man weiß, w e l c h e s eine Art Sein ist und wie man das Sein der Sachen besprechen kann, kann der unendliche Prozeß der Gewinnung von Wissen in bezug auf dieses Sein beginnen. Jede Wissenschaft beginnt notwendigerweise mit Fragen in bezug auf die durch die Sprache in der Welt abgegrenzten Sachen. Sie bleibt aber nicht bei den einzelsprachlichen Abgrenzungen; sie kann aufgrund des in den Sachen selbst Erkannten diese Abgrenzungen modifizieren oder gar aufheben, sie kann andere Abgrenzungen vornehmen und neue Sachen und Sachbereiche entdecken, zu einer auch radikal verschiedenen Gestaltung des Seins auf ihrem Gebiet gelangen. Und dafür schafft sie sich auch neue, objektiv — d. h. von den Sachen her — begründete Bedeutungen; sie schafft Fachsprache. Jede Fachsprache (auch schon die volkstümliche Fachsprache, die der volkstümlichen Wissenschaft und Technik entspricht) ist nun ihrer Natur nach ausdrücklich oder stillschweigend „universell", d. h. inhaltlich von der Einzelsprache losgelöst und objektiv motiviert. Damit ist die Fachsprache stets Überwindung der Einzelsprachlichkeit, wenigstens im lexikalischen Bereich (d. h. gerade in dem Bereich, der unmittelbar die erste Gestaltung der Welt betrifft). 5.3.1. Unsere Welt ist also primär eine sprachlich gegebene und sprachlich geordnete, jedoch durch die Sprache selbst als außersprachlich und „objektiv" vermittelte Welt; auch bietet die Sprache selbst die Mittel zur Überwindung der ursprünglichen „Einzelsprachlichkeit" dieser Welt. Als intuitive Erfassung des Seins der „Sachen" ist die Sprache zugleich Zugang zu den Sachen selbst und dadurch Grundlage und Ausgangspunkt für die Wissenschaften und die Philosophie als Formen des reflexiven Denkens (wie für das reflexive Denken schlechthin), die notwendigerweise bei den von der Sprache durch ihre Bedeutungen abgegrenzten „Sachen" einsetzen und sogar dabei bleiben können. In keinem Fall ist aber das Objekt des reflexiven Denkens ein nur sprachliches, eine Bedeutung in der Sprache. Nicht die Bedeutung von
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Pflanze ist Objekt der Botanik, sondern die Pflanze selbst; nicht die Bedeutung von öv oder von Sein, in dieser oder jener Sprache, sondern das Sein selbst ist Objekt der Ontologie. Auch erfolgt die Besprechung und Deutung der „Sachen" notwendigerweise mit Hilfe von Zeichen, besser gesagt, von Bedeutungen. Dabei sind aber die Bedeutungen Instrumente, nicht Objekte der Interpretation. Das, was das reflexive Denken deutet, erkennt und versteht, ist immer das „Sein der Sachen", das Sein und der Sinn des Bezeichneten, nicht des Bezeichnenden. Nicht einmal im Falle desjenigen Wortes, das den Gegenstand der Untersuchung oder der Reflexion bezeichnet, kann man strenggenommen sagen, daß es darum geht, die sprachliche Bedeutung dieses Wortes zu verstehen. Im Gegenteil: das Verstehen dieses Wortes ist Voraussetzung für die Beschäftigung mit der Sache. Die sprachliche Bedeutung von Baum muß man verstanden haben, bevor man sich mit den Bäumen und mit ihrem Sein befassen kann. Denn diese Bedeutung grenzt das Sein der Sache nur ab, zeigt, welches es ist, und vertritt es als Einheit, stellt es aber nicht in seiner ganzen Differenziertheit und mit allen seinen Bestimmungen dar, um die es eigentlich in der Deutung und beim Verstehen geht. Daß das verstandene Sein wiederum auf „Zeichen", d. h. auf Bedeutungen zurückgeführt werden muß, ist nicht zu bestreiten, hängt aber damit zusammen, daß das verstandene Sein nicht anders als durch Bedeutungen festgehalten, ausgedrückt und mitgeteilt werden kann und daß gerade dies — für den Menschen das Sein ausdrücklich zu vertreten — die wesentliche Funktion der Sprache ist. Andernfalls müßte man sagen, daß man unter „Bedeutung" gerade das tatsächliche Objekt der Interpretation, d. h. das Sein des Bezeichneten mit allen seinen Bestimmungen und Zusammenhängen auf verschiedenen Ebenen versteht (was natürlich nicht unzulässig ist). Das ist aber nicht die Bedeutung der sprachlichen Zeichen. „Pferd" und „Tragelaphos" sind gleichberechtigte sprachliche Bedeutungen, von den Pferden wissen wir aber unendlich viel mehr als von den Tragelaphoi, gerade weil wir sie nicht nur als Bedeutung kennen. Etwas anderes ist, zu sagen — wie wir es in der Einleitung versucht haben —, daß die „Bedeutung" eines Zeichens in der Sprache und für die Wissenschaft und die Philosophie nicht dasselbe ist: in der Sprache ist es die bloße Abgrenzung und Vertretung des Seins der Sachen; für die Wissen-
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schaft ist es das Sein der Sachen; und für die Philosophie der Sinn dieses Seins. In diesem Fall müßte man aber zugeben, daß in der Wissenschaft und in der Philosophie kein einziges Zeichen als restlos verstanden gelten kann, auch die in der Geschichte des Denkens aufgegebenen oder ersetzten nicht. 5.3.2. Dies alles gilt auch für die Sprache und für die Zeichen: Nicht die sprachliche Bedeutung der Wörter Sprache und Zeichen, sondern das jeweils Bezeichnete (die Sprache selbst, die Zeichen selbst) ist Gegenstand der Interpretation. Und schon wenn man sagt, daß man immer „nur Zeichen" (oder „Zeichen durch Zeichen") interpretiert, spricht man von den Zeichen selbst (von den Sachen „Zeichen" und vom Sein der Zeichen), nicht von der Bedeutung „Zeichen" in einer Sprache oder in einer Fachsprache. 6. Der unmittelbare Anlaß und der ständige, wenn auch implizite Bezugsrahmen dieser Überlegungen war Josef Simons Philosophie des Zeichens. Das war für mich selbstverständlich: Es ist heute schon nicht mehr zulässig, und es wird immer schwieriger werden, von den Zeichen und von der Sprache sinnvoll zu sprechen, ohne sich auf Simon zu beziehen und zu seinen Thesen Stellung zu nehmen. Er wird deshalb auch in meinen Ausführungen am leichtesten erkennen, worin wir uns schon im voraus einig waren und worin wir uns einig werden können, ohne daß der eine oder der andere auf seinen eigenen Standpunkt verzichtet; in welchen Fällen es sich nur um einen Unterschied in der Perspektive bzw. in der Formulierung handelt und in welchen Fällen ich ihm nicht folgen kann; vielleicht auch, wo genau ich den advocatus diaboli gespielt habe.
ANA AGUD (Salamanca) Zeichenphilosophie und Sprachwissenschaft Eine bestimmte Sprache ist die in ihrer Widerständigkeit gegenüber dem Ausdruck des Gedankens bzw. dem Verstehen erfahrene, fremde Sprache. J. Simon, Philosophie des Zeichens, 226
Die deutsche Sprache macht keinen Unterschied zwischen dem, was z. B. in den romanischen Sprachen langage und langue, knguaje und lengua usw. heißt. Ihr liegt es dadurch näher als anderen europäischen Sprachen, Sprachliches überhaupt als den Ort der Fremdheit und der Individualisierung zu betrachten, da in dieser Begrifflichkeit eine Nationalsprache leichter als eine bloß historische und ephemere Kristallisierung eines gewissen Grads von Gleichförmigkeit aufgefaßt werden kann. Für eine Philosophie des Zeichens ist dies ein Vorteil. Nichts arbeitet in der deutschen Sprache der Metaphorik entgegen, jede bestimmte Form des Ausdrucks gleich eine Sprache zu nennen — die Sprache einer Wissenschaft, einer Kaste, einer Moral, eines Landes — , während Anderssprachige die Sprache einer Nation zunächst als ein Wesen für sich zu betrachten haben und erst nachträglich, durch Reflexion — die auch anders laufen könnte — , möglicherweise zum höchst vermittelten Schluß kommen können, Einzelsprachen seien eine der vielen möglichen Einteilungen des Sprachlichen. Für Ferdinand de Saussure wäre dies ein völlig verkehrter Zugriff: le langage war für ihn kein möglicher Gegenstand der Wissenschaft, la langm dagegen der ausgezeichnete Gegenstand einer erst noch zu gründenden, aber sehr notwendigen Wissenschaft „der Sprache für oder an sich"1. 1
F. DE SAUSSURE, Curso de Lingüistica General, Buenos Aires 1945 (Genf '1915), Kap. III, 1.
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Etwa vom Beginn des Humanismus an wurden die Einzelsprachen als die erste natürliche Einteilung des Begriffs „die Sprache" betrachtet. Zur Natürlichkeit dieser Einteilung trug später ohne Zweifel eine großartige Entdeckung der Indogermanisten bei, die der Lautgesetze, einer Regelmäßigkeit der Klangseite der Sprachen, die den Naturgesetzen ähnlich genug war, um die Hoffnung zu erwecken, es sei eine Wissenschaft von Sprache nach dem Paradigma der empirischen Wissenschaften möglich. Die Einzelsprache wurde dann entsprechend als verifi^ierbarer Anwendungsbereich bestimmter Lautgesetze umdeßniert. In früheren Zeiten war das Wissenschaftliche an der Grammatik als reine Rationalität derselben begriffen worden. In der mittelalterlichen Sprachtheorie war scientia in der Behandlung des sermo dasjenige, was sich aus den ewigen Prinzipien der Denkinhalte für deren Äußerung spekulativ deduzieren ließ. Und in der Aufklärungszeit war faire par science ce que les autres font par coutume2· mehr oder weniger das gleiche: aus den Denknotwendigkeiten das Universell-Sprachliche zu deduzieren. Demgegenüber ist der Ansatz der sog. modernen Linguistik völlig anders. Als Folge der phonetischen Definition der Forschungseinheit „L· langue" wurde das „Formale", d. h. hier das sinnlich Wahrnehmbare und experimentell Verifizierbare, d. h. wiederum die Lautseite, zum Maßstab der Wissenschaftlichkeit der Forschung. Nicht alles am Klanglichen wurde aber zum Gegenstand, sondern nur das, was sich an ihm dem Denkparadigma des Lautgesetzes fügte, dessen synchronische Entsprechung das phonologische System darstellt. Dies war schon eine einseitige Vorentscheidung. Weil aber am Sprachlichen außerhalb des sehr begrenzten Bereichs der Lautgesetze keine einzige Verifizierung von Hypothesen ohne Zugriff auf Inhalte möglich ist, wurde eine Disziplinierung dieses Zugriffs gefordert: Jede Frage nach der Bedeutung sollte die Form „ergibt dies eine Inhaltsunterscheidung, ja oder nein?" haben. Dies war die folgerichtige Fortsetzung jener anfänglichen Entscheidung, beim Lautgesetzlichen, beim Zeichensystem als Lautsystem anzusetzen. Um den lautlichen Gegenstand in seiner — nicht nur akustischen — Eigenart begrifflich festzulegen, griff man zum Oberbe2
ARNAULD-LANCELOT, Grammaire generale et raisonnee (1660), Paris 1830.
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griff „das Zeichen", dessen eine Seite eben dieser Gegenstand sein sollte. Sprache sei ein System von Zeichen, und ihre wissenschaftliche Erforschung müßte Teil einer allgemeineren Wissenschaft der Zeichen sein. Der Zeichenbegriff sollte somit den allgemeinen Denkrahmen für die Kategorisierung des lautlichen Gegenstands liefern. Seine begriffliche Gliederung sollte auch diesen letzten konstitutiv mitdefinieren. Und es war nur eine Selbstverständlichkeit, daß man als erstes zwischen dem Zeichen und seinem Gebrauch unterschied. Es wurde dadurch zwischen Zeichenrealität und Zeichenvirtualität unterschieden, und zum Zwecke der Forschung kam dem zweiten das ontische Primat zu. Alles, was dem System in dieser begrifflichen Abgrenzung nicht entsprach, wurde an das Randgebiet des nur Faktischen gerückt, als Sache eines kontingenten Benutzers, von dem das Zeichen streng zu unterscheiden und zu trennen war. Das Schicksal der Linguistik unseres Jahrhunderts wurde von diesen Voraussetzungen aus bestimmt. Ihr haftet insofern eine zweifache metaphysische Natur an: Als Wissenschaft verdankt sie sich, wie jede andere auch, der begrifflich-terminologischen Stabilisierung praktisch erfolgreicher Orientierungen und fußt auf bestimmten ontologischen Festlegungen, die alle einmal eine ordnende Antwort auf eine sich aufdrängende praktische Frage gewesen sind. Aber andererseits — und dies führt sie, über die übliche hinaus, in eine sozusagen verstärkte Metaphysik — hat sie in ihrem Ursprung eine rein metaphysische, gerade nicht praktisch begründete Intention: die Bestimmung des Sprachlichen an und für sich. An diesem Punkt, und gerade in der Absicht, sich möglichst den herkömmlichen, maßgebenden Wissenschaften anzugleichen, übernahm die Linguistik eine eigenartige Aufgabe, nämlich die Definition der Sprache, ihre Wesensbestimmung. Die logische Zirkularität dieses Unternehmens ist öfter bemerkt worden. Sie erstreckt sich auf alle partiellen Gegenstandsdefinitionen in der Linguistik: etwa zu erklären, was Bedeuten oder Bedeutung ist, impliziert, daß man Bedeutung als Defmiendum für erklärungsbedürftig, als Teil des Defmiens dagegen für „hinreichend deutlich" hält. Josef Simons Zeichenphilosophie ist eine prima philosophia, von der aus dieser Hintergrund der Linguistik selbst kritisch in den Blick gebracht werden kann. Sie geht davon aus, atäjede Eintei-
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lung in Begriffen bereits eine bestimmte Zeichenstrategie darstellt. Der Glaube an die Konsistenz der ihnen entsprechenden Realitäten ist ein Verhalten, das sich nur so lange hält, wie es sich als praktisch erfolgreich betrachten kann. Dies erstreckt sich natürlich auch auf die Einteilungen der Linguistik, auf ihre Grundunterscheidungen zwischen Zeichen und Bezeichnetem, zwischen Wort und Bedeutung, zwischen Sprachsystem und Sprecher. Von einer anderen, noch nicht operativ begrenzten Perspektive aus zeigt Simon, daß das menschliche Subjekt schwer von seinen Zeichen zu unterscheiden ist, daß sogar in strenger Logik, wie sie etwa im Rahmen der abendländischen kritischen Philosophie möglich geworden ist, diese Unterscheidung unmöglich ist. Was das Subjekt sagt oder zu verstehen gibt, ist eine dichte Verwebung verschiedener Zeichenebenen: Stimme, Gestik, tun und lassen, schreiben, schweigen, handeln, warten. Durch unsere Zeichen haben wir es mit Sachen, mit anderen Menschen und mit uns selbst zu tun. Diese Zeichen mögen hochstrukturiert und systematisch gegliedert oder auch sehr individuell und nur in der Situation verständlich sein — dies alles ist für uns das faktische Kontinuum, dessen Teile wir, unsere Gedankengänge und Handlungen, unsere Erkenntnis, unser Verhalten und unsere Wörter sind, aber so, daß „wir", „Gedanke", „Handlung", „Wort" auch nur weitere Zeichen und Einteilungen sind, für die anderen und für uns selber: dies ist die einzige Grundlage alles weiteren Denkens. Daß etwas ein Gegenstand und jemand das Subjekt von dessen Erkenntnis sei, ist ebenfalls ein Zeichengeschehen, das sich nur dann ereignet, wenn eine gewisse kontingente Situation dies als sinnvolle, weiterführende Antwort auf eine entstandene Frage, als gute Lösung eines entstandenen Problems erscheinen läßt. Die „Arbeit an der Erhaltung stabiler Bedingungen des Verstehens" macht nach Simon die praktische Grundlage der wissenschaftlichen Theorie aus. Diese hält sich so lange, wie die für ihre Erhaltung zu investierende Arbeit und Energie noch erträglich erscheinen. Wie z. B. Platon die parmenideischen Denkkategorien an dem Punkt aufgibt, an dem sie vor dem lebenswichtigen Begriff der Bewegung versagen,3 oder wie auch die Quantenmechanik die PLATON, Sophistes 249.
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klassische Mechanik an dem Punkt ersetzt, an dem letztere mehr Probleme verursacht als löst, so ist auch z. B. die Geschichte der generativen Transformationsgrammatik die einer zunächst steigenden Begeisterung für die Möglichkeit, Sprache auf einen bestimmten Formalismus zu reduzieren. Irgendwann aber, bei zunehmender Annäherung an die Feinheiten des tatsächlich Gesagten und Gemeinten, wurde die Formalisierungsarbeit so überwältigend komplex und schwer, daß die Kraft versagte. Das Ziel dieser Formalisierung verlor seine Anziehungskraft, und andere, verheißungsvollere Ziele drängten sich auf und zogen das Interesse auf sich. Die moderne Linguistik versteht sich selber weitgehend als den Versuch, eine Antwort auf die Frage „Was ist Sprache?" zu geben. Zeichenphilosophisch geht es im Grunde um das Verständnis der Umstände, unter denen das Zeichen „Sprache" einmal so fraglich geworden ist, daß seine Klärung zur ausgezeichneten Aufgabe einer Wissenschaft werden konnte. Als gewordene Disziplin, als eine Tradition des Fragens, die sich als solche im wissenschaftlichen Betrieb verfestigt hat, stellt sich jetzt die Linguistik die Frage nach der Sprache „an sich", weil ältere Fragen doch zu einer gewissen Ratlosigkeit innerhalb der Disziplin geführt haben. Der Weg zu einer solchen verspäteten Metaphysik des Dings an sich, als bis jetzt letztem Versuch zur Rettung der Linguistik als Wissenschaft, läßt sich geschichtlich gut verfolgen. Der Sprachunterricht im klassischen Griechenland bestand schlicht darin, daß man die Werke der alten Poeten las und zu ihrem Verständnis erzogen wurde. Erst die tatsächlichen Verständnisschwierigkeiten bei älteren Dialekten im Epos und bei den nichtattischen Dichtern erzeugten das Bedürfnis einer gewissen Kategorisierung der Redeteile und der unterschiedlichen Regelmäßigkeiten ihrer syntaktischen Verknüpfung. Allerdings verband sich mit dieser praktischen Notwendigkeit bereits bei Aristoteles die Vorstellung der systematischen Wissenschaft, welche in anderen Bereichen einer lebensnotwendigen Stabilisierung der Umstände diente. Die spätere Geschichte der Linguistik ist durchgehend von der Spannung zwischen diesen beiden Momenten bestimmt: dem Moment der tatsächlichen praktischen Bedürfnisse im Umgang mit dem Sprachlichen — Verständnis anderer Sprachen, Erziehung zur Kultursprache, Rezeption der Literatur und Erstel-
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lung ihrer Texte — und dem Moment des Anspruchs auf „wissenschaftliche" Systematik. Es ist auch die Spannung zwischen einer natürlich erfahrenen Historizität der Aufgaben und Lösungen einer Disziplin und einer metaphysischen Neigung zur Festlegung bestimmter zeitloser Entitäten als grundsätzlicher Bestandteile eines sprachlichen „Gegenstands an sich"; im Laufe der Zeit verursachte die Gegensätzlichkeit dieser beiden Denkanstöße einen theoretischen Konflikt, der, auch wenn er immer wieder in empirische Sackgassen führte, dennoch kaum je ins Bewußtsein kam. Das zweite jener Momente dient einem diffuseren, aber auch tieferen Stabilitätsbedürfnis. Mit dem Aufkommen der spekulativen Reflexion in den verschiedensten Kulturen ist eine wahre Obsession der Identifizierung verknüpft. Der Weg der Gleichung, des „dieses ist jenes", scheint der einzige zu sein, der genügend Sicherheit verleiht. Dabei ist die allgemeine Reduktion des Verschiedenen auf Gleiches an sich selber aporetisch, und irgendwann versagt die Kraft zur Erhaltung einer solchen Künstlichkeit. Die Ansätze zur Systematik ändern sich ständig: der Aufbruch des anderen läßt dem identischen System keine bleibende Ruhe. Die mittelalterliche Hierarchisierung der Wissenschaften versuchte die sprachliche Unruhe dadurch zu neutralisieren, daß sie der Sprache einen festen Platz als ancilla veritatis zuschrieb und die für die Wahrheit belanglosen Momente an das Randgebiet des usus und der ars abschob. Dem Aufbrechen des Bewußtseins der Sprachverschiedenheit in der Moderne war aber diese Strategie freilich nicht mehr gewachsen. Man versuchte sozusagen den entgegengesetzten Weg: Sprache als universelles Kategoriensystem zu betrachten, als unmittelbare, grundsätzlich konstante Widerspiegelung der Logik; die Verschiedenheit der Sprachen wurde so zur kontingenten Trübung der reinen Relationen, die es galt durch Reflexion zu überwinden.4 Die so entstandene gratnmatica universalis, deren vielleicht letzter systematischer Versuch jenes Kuriosum der „kantischen" Gram4
Vgl. N. BEAUZEE, Grammaire generate ou exposition raisonnee des elements necessaires du langage: pour servir de fondement a l'etude de toutes les langues, Paris 1767.
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matik Hermanns 5 darstellt, entsprach mit der Zeit nicht mehr der herrschenden Vorstellung einer wissenschaftlichen Systematik. Einerseits arbeiteten die empirischen Wissenschaften mit einer nur noch formalen, mathematischen Allgemeinheit, in produktiver, von der Einbildungskraft hergestellter Synthese mit der sinnlichen Erfahrung. Andererseits war die prägende Rolle der Sprache in der Ausbildung der Subjektivität des Subjekts durch Psychologie, Philosophie und Philologie erkannt worden, so daß ihre begriffliche Bewältigung zum Kern der Erhaltung einer „sachlichen" Identität des Subjekts mit sich selber wurde. Dies ist ein spekulativer, kein praktischer Zusammenhang: es ging nicht darum, Sprache besser zu benutzen und zu verstehen (dies war nun eine nur praktische Angelegenheit}, sondern darum, sich selber durch theoretische Bewältigung des eigenen Sprechens in den Griff zu bringen. Die Sprache als einen wohlabgegren^ten Teil seiner selbst zu betrachten, bedeutete die Möglichkeit, sich selbst als ein ebenfalls wohlabgegrenztes, objektivierbares Ganzes zu erhalten und der eigenen Undurchsichtigkeit, mit der damit verbundenen Unbestimmtheit und Unsicherheit, zu entkommen. Von Simons Zeichenphilosophie aus gesehen ist dies nur eine neue Strategie gegen die Zeit. Die Zeit ist für ihn die Dimension der Fragezeichen, die uns jeweils über unseren Standpunkt hinausbewegen. Die Bewegung ist nach wie vor die Aporie des Identitätsdenkens, die Unsicherheit des Standpunktes. Simon bejaht diese Unsicherheit als das im Grunde einzig noch Anziehende und Interessante. Er bejaht sie aber auch als einzige (logische) Möglichkeit, mit dem Denken nicht in ständigen Konflikt mit der Wirklichkeit der eigenen und der fremden Geschichte, mit der Faktizität des Zeichengebens und -verstehens, mit der Tatsache, daß die Zeit alle kategoriale Stabilisierung sprengt, zu geraten. Unter dem Druck jenes Identitätsdenkens war eine Linguistik entstanden, die das Sprechen als Projektion paradigmatischer Muster, als Anwendung virtueller Systeme, als Beispiel einer Kategorie betrachtete. Die kontingente Einmaligkeit des tatsächlich Gesagten und Geschriebenen mußte in dieser Auffassung Randerscheinung, „Kontext" bleiben. In der Loslösung von Dis5
E. HERMANN, Sprache und Erkenntnistheorie, Göttingen 1940.
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ziplinen, in deren Dienst die Sprachwissenschaft eine eigene Systematik der Einteilungen zu bestimmten Zwecken und sich selber als praktisch relevante Disziplin entwickelt hatte — Philologie, Spracherziehung —, versuchte sie eine Verabsolutierung einer bestimmten Abstraktion, die ihren kategorialen Voraussetzungen entsprechend dazu führte, daß wir in dem Bewußtsein Rettung suchen, bloß Beispiel eines bestimmten Begriffs des Menschen, bloß linguistic device zur Produktion wohlgeformter Zeichenketten, bloß Benutzer an sich seiender Zeichen zu sein. Eine dürftige Erlösung im Wesen, in der Tat. Wie wäre aber anders eine Sprachwissenschaft denkbar? Die vielen vorliegenden Sprachwissenschaften können in ihren geschichtlich aufeinander folgenden Phasen und synchronischen Alternativen der Gegenwart als ebensoviele Zeichen von Zeiten betrachtet werden, die möglicherweise auch zum Teil unsere eigenen sind. Wir leben-in einer Pluralität von Zeiten, wenn Zeit erfahrene Dimension der Fragen ist, die uns über unseren Standpunkt hinausbewegen, und auch Fragen, die sich uns plötzlich aus einem alten Zusammenhang aufdrängen und ein für uns Fragloses in ein Fragliches verwandeln, sind Fragen einer Zeit, die die Zeit unsrer Bewegung ist. Die Begegnung mit der syntaktischen Theorie des Apollonios Dyscholos kann eine Relativierung des Urteils als Grundparadigma der Syntax bewirken und Fragen aufwerfen, die der (späteren) Zeit des Satzes als Paradigma des Sprachlichen ein Ende setzen. Humboldts kopernikanische Wendung in der Betrachtung der Relation zwischen virtuellem System und jedesmaligem Sprechen stellt an die Linguistik des 20. Jahrhunderts immer noch Fragen, die diese kaum zu beantworten imstande ist. Jeder wissenschaftliche Zugriff auf Sprachliches ist eben nur Systematisierung bestimmter begrifflicher Strategien in Bezug auf das Zeichengeschehen, und zwar auf der Grundlage einer gewaltigen Reduktion dieses Geschehens, denn Wissenschaft ist an sich selber eine höchst restriktive Zeichenstrategie. Sie verdankt sich dem praktischen Interesse an der Stabilisierung von Umständen, deren Unvorhersehbarkeit Gefahr und Angst erzeugt und jeder Freiheit physische Grenzen setzt. Dieses konstitutive Interesse muß sie aber blind machen für das gegensätzliche Interesse an der unbestimmbaren Individualität, die freies Zeichen ist,
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in freien Zeichen besteht und so erkannt, gewollt und verstanden wird. Die Sprachwissenschaft begann ja auch als Versuch systematischer Beantwortung von Fragen, die literarische Texte den Philologen stellten. Diese Fragen sind ernste, tatsächliche Probleme des Verständnisses zwischen Individuen unter den spezifischen Bedingungen der literarischen Kommunikation, und es geht dabei darum, den möglichen Sinn konkreter Sprachereignisse zu verstehen und dieses Verständnis im Dienste des Verstehens weiterer Äußerungen als „systematische Möglichkeit" zu objektivieren, ab esse ad posse. Philologische Grammatiken und Wörterbücher und gute Lernmethoden bleiben nach wie vor das Muster des guten grammatischen Handwerks. Darüber hinaus aber eine Grammatik ohne Ziel und Interesse, als reine Erfassung eines Gegenstands an sich zu wollen, als reine linguistische Theorie, bleibt in der Perspektive der „Philosophie des Zeichens" eine bestenfalls unschuldige naive Illusion. Theoretische Antworten auf theoretische Fragen des Sprechens, sollen sie die Fragen und Antworten der eigenen Zeit sein, müssen den Standpunkt zu überwinden versuchen, für den etwas irgendwann als natürliche Grenze des sprachlichen Gegenstands gegolten haben mag. Das Sprachliche hat keine natürliche Grenze, weder im Systembegriff noch sonst. Es ist die Quelle und der Ursprung aller Grenzziehung. Unsere Zeit weiß das. Für viele konkrete und sinnvolle Zwecke können und müssen sprachliche Gegenstände abgegrenzt und systematisch erforscht werden; in einer Epoche sprechender Geräte ist dies gar zu einer zentralen Aufgabe der Technologie geworden. Formalistische Linguistiken sind hierzu auch das geeignete Instrument. Sich aber von ihnen die Entdekkung der inneren Struktur des Menschen zu erhoffen, als wären solche Forschungen Teilanalysen des Gesamtobjekts „Mensch", bleibt eine unbegründete Vorstellung. Solange die Sprachwissenschaft Erforschung faszinierender Entdeckungen war, wie etwa in der großen Blütezeit der Indogermanistik, gelang es ihr auch ohne Zweifel, dem Selbstbewußtsein des homo intellectualis handfeste Daten von höchstem Interesse zu liefern. Wir haben viel über uns selber von den Linguisten gelernt, die uns jenes große Strukturmoment der Individualität, welches die Sprachen darstellen, als Mittel der Relativierung tief angesie-
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delter Vorurteile verfügbar gemacht haben. Die vergleichende Sprachwissenschaft stellt eine ausgezeichnete Gelegenheit dar, dem „Unwillen an subjektiver Identität", der „gewollten Auflösung eines erreichten Zustandes, einer gelungenen Selbstheit"6 zu folgen und durch empirische Kenntnis des Andersartigen auch sich selbst nur als andersartig und durch Nachvollzug des historischen Wandels der Sprachen selbst nur als Zeitgeschehen zu erfahren. Auch in diesem Gedanken steckt Erlösung. Das suum esse conservare legt die Freiheit der produktiven Einbildungskraft in enge und harte Fesseln. Man wird sie gerne los. Man wird sie aber nur dann los, wenn die linguistische Analyse sich selbst als Suche nach der Andersheit begreift und dementsprechend ihr Instrumentarium gestaltet. Z. B. haben Coserius Kritik am Gegensatz von Synchronie und Diachronie7 und seine eigenen Vorschläge für die Kategorisierung vieler Strukturmomente des Sprachlichen dem Strukturalismus völlig neue Möglichkeiten der Erfahrung sprachlicher Erscheinungen und ihrer begrifflichen Erfassung eröffnet. Tesnieres Valenzmodell der Syntax8 war ein imponierender Versuch, durch erneute Abstraktion den logizistischen Rahmen der traditionellen Subjekt-Prädikat-Syntax zu sprengen und andere Momente der Fügung des Sprechens zu Wort kommen zu lassen. Mitte des vorigen Jahrhunderts versuchte Theodor Kumpel9 für die Beschreibung der altgriechischen Satzstruktur bestimmte neue Begriffe Humboldts als grammatische Beschreibungskategorien zu verwenden und begründete so einen frühen Strukturalismus, der gegenüber den geltenden Fragestellungen revolutionär war; es bedurfte noch vieler Jahrzehnte, bis seine Gedanken eine angemessene Rezeption finden konnten. Aber auch schon vor ihm hatte Condillac10 den Blick auf das Sprachliche durch seine Einsicht, daß Sprachen methodes analytiques sind, entscheidend verändert und erweitert. In solchen Versuchen, dem fortschreitenden Sprachbewußtsein eine neue Sprache — 6 7 8 9 10
J. SIMON, Philosophie des Zeichens, 152. E. COSERIU, Sincronia, diacronia e historia, Montevideo 1956, et passim. L. TESNIERE, Elements de syntaxe structurale, Paris 1959. Th. KUMPEL, Die Casuslehre, Halle 1845. E. B. DE CONDILLAC, La grammaire. Cours d'etudes pour l'instruction du Prince de Parme, Paris 1798.
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nicht nur eine neue Terminologie — zur Verfügung zu stellen, erfahrt die Sprachwissenschaft ihre eigene Zeitlichkeit. Sie wird dadurch über den Standpunkt hinaus bewegt. Wenn aber die Sprache der Linguistik bloß Mittel für die Isolierung bestimmter Dimensionen des Sprachlichen zum Zwecke ihrer technischen oder begrifflichen Bewältigung liefert, dient sie nur der Verfestigung geltender Abgrenzungen. Sind damit keine tatsächlichen Entdeckungen neuer sprachlicher Erscheinungen verbunden, verfällt die Linguistik in Trivialität. Die Erforschung der Zeit als grammatische Kategorie liefert ein anschauliches Beispiel dafür.11 Die Dreiteilung der Zeit in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft — eine eher grobe Vereinfachung morphologischer Gliederungen des Zeitlichen, die aber einer bestimmten Ontologie eine nützliche Einteilung geliefert hat — wird immer wieder wie selbstverständlich als Beschreibungsrahmen für die einzelsprachlichen Gliederungen benutzt, und die Vielfältigkeit der sprachlichen Tempora und Aspekte wird auf sie hin analysiert und reduziert. Die Forschung versperrt sich dadurch weitgehend den Weg zur Wahrnehmung andersartiger Zeitauffassungen und arbeitet aktiv so der Möglichkeit eines historischen Selbstbewußtseins der Linguistik gerade entgegen, die dann nur glaubt, durch jene Kategorisierung die Zeit, einschließlich der eigenen, im Griff zu haben. Die sog. „absoluten Zeitstufen" sind der Reflex einer Verabsolutierung eines Zeitbegriffs, dem die Bewegung in der Zeit und die zeitliche Pluralität rätselhaft und unverständlich bleiben müssen. Ein solcher Empirismus verhindert mögliche Erfahrung. Wenn sich dagegen die Linguistik selbst als Zeichengeschehen in der Zeit begreift und ihre Begegnung mit dem Sprachlichen nicht als technische Bewältigung des Eigenen, sondern als offene Erfahrung des Fremden gestaltet, trägt sie ohne Zweifel zur Erkenntnis des Menschlichen entscheidend bei. Der philologische Gesichtspunkt, aus dem die wichtigsten Impulse dazu kommen, übernimmt gegenüber den Texten den Kompromiß eines uneingeschränkten Versuchs des Verstehens, und die linguistische Arbeit 11
Vgl. A. AGUD, Sobre el aspecto verbal indoeuropeo, in: Symbolae L. Mitxelena septuagenario oblatae, Vitoria 1985.
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besteht dann in der begrifflichen Unterscheidung möglichst vieler Dimensionen jenes Verstehens und ihrer Operationalisierung zum Zwecke der empirischen Bearbeitung der Texte. Eine allgemeine Methode läßt sich dabei sachgemäß nicht entwerfen: es kommt darauf an, was man wozu erfahren möchte. Die typologische Untersuchung der Vokalsysteme in den Sprachen der Welt ist nicht nur eine andere konkrete Aufgabe der Linguistik als die Untersuchung der Rolle der Präverbien im Rigveda: es sind andere Disziplinen, die von anderen Gegenständen handeln. So ist auch ein Vokalsystem kein Teil eines Gesamtobjekts „Sprache S", sondern eine Vergegenständlichung für sich, die von ihren spezifischen Zielen abhängt, ebenso wie eine „Sprache S" kein Gegenstand für sich ist, sondern eine Abstraktion für bestimmte Forschungszwecke. Die Rettung der Linguistik als Wissenschaft hängt nicht von einer homogenen Gesamtformalisierung von Gegenstand und Methode ab, sondern von ihrem tatsächlichen Nutzen als Tradition der Antworten auf die vielen theoretischen und praktischen Fragen, die unsere eigene Sprachlichkeit uns immer wieder und immer anders aufwirft.
MARCO M. OLIVETTI (Rom) Wort, Schrift, Religion Als Hamann schrieb: „Rede, daß ich Dich sehe!"1, drückte er eine Gleichung aus, die eine besondere und eigene Bedeutung für denjenigen gewinnt, der, durch die Wechselfalle der Phänomenologie — ihre hermeneutische Transformation zuerst, ihre Dekonstruktion sodann — belehrt, jenen Ausdruck mit den Augen der Eule der Minerva liest. Wenn man sich weigert, durch edle spekulative Hinweise — und welcher Hinweis wäre edler als der auf den Vogel der Göttin der Weltweisheit bzw. des Abendlandes?! — wenn man sich also weigert, durch eine Geschichtsphilosophie eine Lektüre zu beglaubigen, die man einfach als gewagt und skrupellos beurteilen könnte, weil sie dem genauen geschichtlichen Kontext, in dem Hamann schrieb, keine Rechnung trägt, so kann man doch immerhin anmerken, daß die Möglichkeit oder gar die Notwendigkeit der Entkontextualisierung gerade eines der wichtigsten differenziellen Merkmale der Schrift gegenüber der Rede darstellt, also auch dessen, was Hamann selbst über die Rede schrieb. In der Tat ist der von Hamann zwischen Stimme und Erscheinung gesetzte Zusammenhang keine einfache, unmittelbare Gleichung. Für den Magus im Norden — das ist wohlbekannt — ist '„Reden ... übersetzen — aus einer Engelsprache in eine Menschensprache"2. Und es fällt nicht leicht, diese enigmatische „Engelsprache" einfach und restlos mit dem in einen Ausdruck übersetzten Begriff zu identifizieren. Vor allem erweist es sich als unmöglich, die Position Hamanns noch als eine Version des abendländischen Vorurteils vom Vorrang der Stimme anzuse1 2
Johann Georg HAMANN, Sämtliche Werke, hg. Josef Nadler, Bd. 2, 1950, 198. a. O., 199.
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hen, zumal die Schrift für Hamann kein der Rede untergeordnetes, sondern vielmehr ein ihr koordiniertes Element darstellt. Indem Simon gegen die gängige Auffassung polemisiert, die die Schrift der Rede unterordnet, kann er deshalb auch Hamann zitieren: „Wenn die Schrift Zeichen für den Laut sein soll, dann muß auch ,die Aussprache der Buchstaben auf einen so allgemeinen Richterthron über die Rechtschreibung erhoben werden, als sich die sogenannte Menschenvernunft über die Religion unter dem Deckmantel der Freyheit anmaaßt'".3 Durch dieses Zitat im Zitat haben wir also auch den dritten Terminus der für das vorliegende Referat als Titel fungierenden Konstellation erwähnt: neben dem „Wort" — als gesprochenem Wort, als Rede — und der „Schrift" nun also auch die „Religion". Ob und wie dieser dritte Terminus nicht bloß äußerlich in die Konstellation hineingehört, ob er dazu beiträgt, ihre Figur auszugestalten, indem er eine für das philosophische Verständnis auch der zwei anderen Termini wesentliche Frage benennt, das soll selbstverständlich weiterhin erörtert werden. Denn Hamann ist ein besonderer Fall, und man könnte bezweifeln, ob diesem Fall die beispielhafte Bedeutung zukommen kann, die erforderlich wäre, um seine Erwähnung am Anfang eines Beitrags über Wort, Schrift und Religion zu rechtfertigen. Doch wer wollte bezweifeln — und zwar über das einleitende Beispiel hinaus, das hier gleichwohl, aufgrund der wichtigen Stelle, die Simon dem Denken Hamanns innerhalb seiner Meditation der klassischen deutschen Philosophie immer eingeräumt hat, bedeutungsvoll ist — wer also wollte bezweifeln, daß die abendländische Geschichte im Wort logos ein Zeichen ihres Schicksals bzw. Geschicks gefunden hat?! (Ein deutliches Zeichen, möchte man sagen, wenngleich die Zweideutigkeit des Wortes „logos" — zugleich Wort und Vernunft — die krisis jedweder eindeutigen Deutlichkeit ausmacht, und zwar auch das zweideutigerweise: krisis nämlich als Krise und als Kriterium; mehr darüber im folgenden). Weiter: wer wollte bezweifeln, daß das Schicksal der abendländischen Tradition einen Zusammenhang zwischen Wort und Schrift hat 3
J. SIMON, Philosophie des Zeichens, Berlin/New York 1989, 250; das Zitat Hamanns, a. O. (1), Bd. 3, 94.
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entstehen lassen, der so eng ist, daß die Göttlichkeit des Wortes in der Schrift bewahrt bleibt, so eng, daß die Schrift selbst geheiligt aus dieser Verbindung hervorgeht?! Zwar bietet die Religionswissenschaft recht viele Beispiele für die Wichtigkeit, die dem Wort und der Schrift — getrennt und in ihrer Verbindung — bei der Ausgestaltung des Religiösen zukommt; von diesem Gesichtspunkt aus gehört die abendländische Verbindung von Wort und Schrift in eine weiterreichende „Religionsphänomenologie" hinein (wie man mit einem höchst fraglichen Ausdruck zu sagen pflegt), in eine Religionsphänomenologie, die heutzutage weiter und anders erforscht werden kann als bisher dank des Umstands, daß sich eine aus der Sprachtheorie hervorgegangene Theorie der Schrift zu bilden begonnen hat. In der Tat hat das sozusagen „platonische" Verständnis der Schrift als eines Zeichens für das gesprochene Wort und ihre damit verbundene Degradierung gegenüber der mündlichen Rede seine Zeit gehabt: der Derrida der „Grammatologie" und der Simon der „Philosophie des Zeichens" zählen in dieser Hinsicht sicherlich zu den bedeutendsten Namen von einem philosophischen Gesichtspunkt aus betrachtet; aber auch vom Gesichtspunkt eines empirisch-wissenschaftlichen Ansatzes her kann mancher Name erwähnt werden: zum Beispiel der des früh verstorbenen italienischen Kollegen G. R. Cardona, Verfasser, unter anderem, einer „Anthropologie der Schrift", in der eben für die Koordinierung statt für die Unterordnung eines an der Schrift orientierten Kulturmodells gegenüber einem an der mündlichen Sprache orientierten plädiert wird4. Hat aber auch die platonische Auffassung der Schrift ihre Zeit gehabt, so darf man doch auch nicht vergessen, daß sich das die Schrift der Sprache unterordnende Verständnis paradoxerweise — oder vielleicht auf eine nur scheinbar paradoxe Weise — nur in Einem geltend gemacht hat, und zwar in einer Art von Selbstaufopferung des übergeordneten Ranges der Sprachtheorie: die Verselbständigung einer Theorie der Schrift von der der Sprache ist ja durch die Entwicklung der Sprachwissenschaften selbst erst ermöglicht worden. Der Vorrang und die besondere Aufmerksam4
G. R. CARDONA, Antropologia della scrittura, Turin 1981,
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keit, die jenen Wissenschaften eingeräumt wurde, hat zur Spezialisierung, zur Ausdifferenzierung und zur Verselbständigung des wissenschaftlichen Denkens über die Schrift geführt. Eine ähnliche Folge des Prozesses der Ausdifferenzierung der anfänglich privilegierten Sprachwissenschaften hat auch im Fall der Semiologie stattgefunden (jedenfalls gilt das mit Rücksicht auf Saussure, während der Fall von Peirce sicherlich komplizierter liegt). In vielem scheint ja die Semiologie heutzutage hinsichtlich der Theorie der Schrift und der Theorie der Sprache eben den übergeordneten Rang einzunehmen, der anfanglich die Sprachtheorie kennzeichnete, jene Sprachtheorie also, von der her die Semiologie durch Ausdifferenzierung entstanden ist. Man muß aber auch sagen, daß das Inklusionsverhältnis der Theorie der Schrift innerhalb der Theorie des Zeichens ziemlich fraglich erscheint, wenn man bloß radikal und aufmerksam genug dazu ist, „Schrift" nicht nur als Lautschrift zu verstehen; denn im Fall einer solchen Radikalität neigen beide Theorien dazu, koextensiv zu sein (als Beispiel kann eine bestimmte Ausdrucksweise von Simon gelten, der von der „Lesart" des Zeichens spricht).5 Die paradoxe Selbstaufopferung des verbum-logos und seines in vielfachem Sinn „archaischen" Vorrangs räumt also der abendländischen Geschichte eine Sonderstellung innerhalb jener wohl sehr weitreichenden Religionsphänomenologie ein, die die Wichtigkeit der Konstellation Wort—Schrift—Religion belegt: eine Sonderstellung, meine ich, wenigstens vom empirischen Standpunkt der Entstehung der die infrage stehenden Objekte erforschenden Wissenschaften aus betrachtet; selbstverständlich aber ist die Art und Weise, wie man das Objekt der Forschung angeht, nicht irrelevant für die Erscheinung bzw. der Konstitution des Objekts selbst! Letzten Endes — und das ist kaum verwunderlich — ist der Standpunkt selber das, was die Besonderheit der von einem kulturellen Geschehen selbst bezogenen Stellung im Verhältnis zu den anderen von jener ersten Stellung aus beobachteten kulturellen Sicht- und Verhaltensweisen ausmacht. Der Standpunkt wird reflexiv und selbstbeobachtend nur, indem er sich ver-ändert, 5
SIMON, a. O. (3), 61 u. passim.
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nur indem er zu einem anderen als er selbst und zu Anderem als Selbst wird, wenngleich gerade diese Alteration, diese Veränderung, es ihm erst ermöglicht, sich selbst zu verstehen und sich als Selbst, als Standpunkt, zu begreifen. Der Standpunkt wird erst dann zu einem Selbst, wenn er sich wie die anderen und somit als Anderes ansieht: so wird er dann zu „Wissenschaft", ja zu „ver-gleichender" Wissenschaft, in unserem Fall: zu Sprachtheorie, Theorie der Schrift, Theorie des Zeichens, usw.; aber auch zu Religionsgeschichte, Philosophiegeschichte, usw. Der zu Wissenschaft gewordene Standpunkt findet sich in diejenige Wissenschaft selbst über-setzt, um-gestellt bzw. ent-stellt, in der ihm erstmals eine Stelle, und zwar eine eigene Stelle, eigentlich zukommt. Die Sonderstelle des Standpunkts ist seine Universalität, bzw. Allgemeinheit selbst, die als Sonderstelle ihm und allenanderen besonderen Stellen eben gemeinsam ist. Es handelt sich um eine dem abendländischen logos bei seiner Selbstumstellung wohl bekannte-erkannte Bewegung, sei es, daß man dieser Bewegung den Namen „Dialektik" zuschreibt, sei es, daß man ihr durch eine weitere, also ver-ändernde Über-setzung den modernen Namen „Autopoiese selbstbeobachtender Systeme" oder welchen Namen auch immer zuschreibt. Der Selbstaufopferung des verbum-logos als Selbstaufopferung der Theorie der Sprache in die Theorie des Zeichens und/oder der Schrift hinein kommt aber eine Besonderheit im Vergleich mit der bekannten Bewegung zu, eine Besonderheit, die zu „erkennen" sich lohnt, wenngleich — und man wird die Rekursivität entschuldigen, die aber zur Sache selbst bzw. zur Fraglichkeit der Frage gehört — wenngleich also solche Besonderheit die Allgemeinheit selbst des in die neue Wissenschaft über-setzten Standpunkts ist, und zwar: bei jener besonderen Wiederholung der Umstellung, bei der die Theorie der Sprache zur Theorie der Schrift wird, offenbart das im abend-ländischen Untergang Fleisch- bzw. Leib- bzw. Zeichenwerden des verbum das irgendwie „anarchische" Frühersein des Buchstabens und läßt es zutagetreten. Aber solches scheinbare, erscheinende, im Abendland zutagetretende Frühersein hat eine Ergänzung, die nicht erscheint und nicht sichtbar sein soll (bzw. die nicht erscheint, wenn nicht ent-stellt und selbst vcr-änäerf): den Blick, der den Buchstaben anschaut und ihn belebt, indem er ihm den Geist gibt oder
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zurückgibt, und zwar deswegen, weil der Blick — das theorem — selbst geistig ist, insofern er nicht erscheint. Ohne solche Gleichzeitigkeit von Buchstaben und Lektüre, von Zeichen und Blick, ohne diese Ergänzung, wobei die Gegenwart immer zusammengesetzt, zweifach und nie einfach ist, spricht der Buchstabe nicht an, bzw. ist er keine „Frage" (um die Ausdrücke von Simon wiederzuholen). Kein Zeichen /// Zeichen (wir sagen hier das von Simon immer wieder hervorgehobene, metaphysische „ist", und das nicht ohne Grund: ganz im Gegenteil, um Grund zu haben und ihn zu erreichen), kein Zeichen also ist Zeichen, wenn nicht für den geistigen Blick, der es wiederum und gleich-zeitig zum ersten Mal zu logos werden läßt. Das Verlassen des Logozentrismus ist die Umstellung —Entstellung selbst, die es ermöglicht, das Zeichen und seine Anrede zu erkennen. Die Gleichzeitigkeit ist Mitgegenwart und aequi-vocatio: wer ruft, wer antwortet? In der Tat lautet die vox, d. h. die Stimme, die vocat und clamat, nie in der Wüste, sondern immer erst in dem Zwischenraum und in der Zwischenzeit, in und zu einer Zeit also, die läuft und deswegen nicht verbleibt, weil sie selbst als Mitgegenwart und Gleichzeitigkeit zusammengesetzt ist. Es gibt verbum^ das Wort geschieht, ereignet sich nur als solche Zusammensetzung. Das Wort ist kom-plex, kom-pliziert: die Zwie-falt der Mitgegenwart bzw. der Gleichzeitigkeit ist Vervielfältigung und Kommunikation, Kommunion. Aber solche Kommunikation und Kommunion, solche Einheit aus Duplizität, aus Zwiefalt also, und aus Gemeinschaft ist nie einfach geistig, als ob sie sinnhaft sein könnte, ohne sinnlich und leiblich zu sein. Ganz im Gegenteil. Die Sprache — wie es von Herder angemerkt wurde und wie es heutzutage, von Gehlen bis Apel etwa, wiederholt wird — die Sprache ermöglicht es, in der Befriedigung des Bedürfnisses und in der Selbsterhaltung den Mangel an Instinkt zu kompensieren, der jenes besondere Tier be-zeichnet, das %pon logon ecbon „ist"; und eben deswegen stellt die Sprache nichts anderes dar als die Fortsetzung jenes primären Instinkts, der das einverleibende und wiedervereinigende Saugen des Säuglings ist. Der Säugling ist — etymologisch — in-fans, d. h. der (noch) Nicht-Redende. Die Sprache ist die Fortsetzung dieser ernährenden Einverleibung bzw. Inkorporation bzw. Kommunion, also dieser leiblichen Ein-Zwei-Vielheit.
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Wenn wir sagen, das Wort sei eine in der Zusammensetzung von Geist und Buchstabe, von Blick und Zeichen geschehende Einheit, so bedeutet das auf keine Weise, gegenüber der Vielheit der Sinne gleichgültig zu sein oder sie auszugleichen und als gleich gelten zu lassen (eine Gleichgültigkeit, die von Simon treffend kritisiert wird).6 Denn die Ernährung, schon die instinktive Ernährung durch Saugen und, allgemeiner, die Befriedigung der primären Bedürfnisse setzen vor allem und notwendigerweise den Tastsinn, sodann den Geschmacks- und den Geruchssinn voraus (die beiden letzten sind evolutiv und kulturell rezessive Sinne); erst nachher und nicht notwendigerweise verlangt die Befriedigung des Ernährungsbedürfnisses das Gehör und das Gesicht, die bei nicht ganz gelungenen Fällen der menschlichen Gattung auch fehlen können. Trotzdem sind „Geist" und „Buchstabe" zwei Namen, die geschichtlich den beiden Grenzen dessen gegeben wurden, was im Intervall bzw. im interim statt-findet; diese geschichtliche Tatsache entspricht dem in der Kultur des Lichtes, d. h. in der Kultur des Abendlandes, dem Gesichtssinn zugeschriebenen Vorrang. Die Theorie kann verschiedene Erklärungen dieses Vorrangs, von den spekulativsten bis zu den empirischsten angeben und im letzteren Fall etwa die Tatsache anführen, das Gesicht sei der am meisten kortikalisierte Sinn. Nachdem die Befriedigung des Bedürfnisses und die Art und Weise, wie es befriedigt wird, einmal zu logos geworden ist, d. h. nachdem die Befriedigung des Bedürfnisses sowohl in evolutionstheoretischer und phylogenetischer wie auch in entwicklungstheoretischer und ontogenetischer Hinsicht einmal rational und sprachlich geworden ist (logos, legein, lingua, d. h. Zunge, langue, oder Bewegung der Zunge language), wird das orale Saugen vergessen; dann kommt zunächst dem Gehör der Vorrang zu — jedes Glauben und jedes Sich-anvertrauen ex auditu — sodann dem Gesicht; nicht mehr also das Vertrauen und das Sichanvertrauen des Glaubens, sondern die Sicherheit des Sehens, die wiederum ermöglicht bzw. in den Stand versetzt, zu „begreifen" und mit der Hand zu greifen, wohl nach dem nunmehr vom Auge abgeschätzten und berechneten Abstand (die Rechnung als 6
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reor, also als ratio, nach der von Heidegger hervorgehobenen Etymologie). So findet sich der logos im Zwischenraum und in der Zwischenzeit, im Intervall zwischen Blick und Zeichen eingeschrieben; er wird zum Fleisch, d. h. er findet sich einfach hineingeschrieben, er wird selbst zum Zeichen. Factum infectum fieri nequit\ man kann nur vergessen und verdrängen mit der Folge, daß das Verdrängte um so mächtiger wirkt, je weniger es erkannt ist. Das ist es, was — wie mir scheint — im Fall der gegenwärtigen Grammatologen geschieht (nicht dagegen im Fall der „Philosophie des Zeichens" von Simon). Sehen wir aber näher zu. Es stimmt, daß der Stimme, im Unterschied zum Gesicht, die Eigenschaft zukommt, „autophonisch" zu sein, insofern sie den Redenden zur gleichen Zeit affiziert, da sie auch die Hörenden affiziert (das ist zum ersten Mal von G. H. Mead bemerkt worden; nachher ist es, unabhängig von Mead, von Derrida verstanden und kürzlich von C. Sini tief bedacht worden7). Der Standpunkt wird also anders festgesetzt, je nachdem ob er mit Rücksicht auf das Gehör oder auf das Gesicht festgesetzt wird: Während im ersten Fall der Sprechende sich hört und sich also als Standpunkt von außen her erkennt, d. h. vom Intervall her, in dem seine Stimme tönt, stellt im Fall des Standpunkts als Gesichtspunkts die Lokalisierung den Nullpunkt des Raumes dar, und eben deswegen kann sie nur durch die ver-ändernde, ent-stellende Umstellung reflexiv werden. Das gilt übrigens auch, mutatis mutandis, hinsichtlich des Gesichtspunkts des Anderen; denn auch im Fall, in dem alter ego als solcher, d. h. als Gesichtspunkt verstanden wird, geschieht das nur unter der Bedingung, daß er als ein anderer Nullpunkt analogisiert, und somit selbst umgestellt und bis zur (anderen) Grenze des Intervalls verschoben wird. Wir werden darauf zurückkommen. Dank der Eigenschaft der „Autophonie" — wie man sie genannt hat — kommt dem Gehör eigentliche Reflexivität zu. Eine solche Eigenschaft ist unter sämtlichen Sinnen nur dem Gehör und dem Tastsinn gemeinsam. Denn der Geschmack kommt 7
Vgl. C. SINI, La destrutturazione del discorso, in: Archivio di Filosofia 55 (1987), 39-49.
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nicht in Frage, weil man sich nicht von sich selbst ernährt; jede Autophagie widerspricht der Selbsterhaltung und dem conatus in stto esse perseverandi. Der Geruch aber ist stark abgestumpft in Bezug auf sich selbst; das Sprichwort sagt unicuiqm suum bene redolet^ doch das ist nur eine Redeweise, die besagt, daß in Bezug auf sich selbst Geruch nicht bzw. wenig funktioniert, so wie übrigens ebenfalls in Bezug auf das, woran man gewöhnt ist und worin man wohnt; der Geruch erfüllt also nicht bzw. kaum die selektive und dadurch sinnhafte Funktion der Sinne (hier könnte man an die Luhmannsche Rede vom Sinn als Komplexitätsreduktion denken), dank welcher Funktion man sich bei dem aufhält, was befriedigt, und sich von dem entfernt, was nicht befriedigt; man kann nicht nicht bei sich selbst bleiben, insofern wenigstens als man sich erhalten will, und das ist der wahre Sinn des „bene" redolere des lateinischen Sprichwortes. Das Gesicht endlich ermöglicht es wohl, einen Teil des eigenen Leibes zu sehen, nicht aber das eigene Antlitz oder — eben — Gesicht; die Reflexion kann dann nur durch einen Reflex im Anderen geschehen: im Spiegel etwa, aber das nur im nachhinein; zuerst ist es notwendig, vom anderen Sehenden, vom anderen Gesicht erkannt und anerkannt worden zu sein. Nur das Gehör und der Tastsinn sind eigentlich selbstreflexiv; so, daß man sich fühlt, im Grenzfall auch, ohne sich zu berühren und ohne zu rühren, und daß man sich hört, im Grenzfall auch, ohne zu reden, durch den inneren Monolog, die „Stimme des Gewissens", das „du sollst" usw., also durch keine wirklich gehörte, sondern nur „eingebildete" Stimme, wie man mit einer nochmaligen Sehmetapher zu sagen pflegt. Warum aber diese wiederkehrende Metaphorik, dieser alle anderen Empfindungen umgreifende Gipfel, von dem her sämtliche darauffolgende sinnliche und sinnhafte Metaphorik wiederholt wird, aber dann immer im Lichte oder — wenn man so sagen möchte — innerhalb der „Lichtung" einer vorausgesetzten Sehmetaphorik? Die Antwort leuchtet ein, sie ist e-vident und ermöglicht eine Kritik jeder angeblichen Phänomenologie des Sinnlichen, die die Sinne voneinander absondern würde, wie es allzuoft geschieht und bei einer ersten Analyse auch wohl notwendig ist. Eine erste Analyse — im etymologischen Sinn des Wortes „Analyse" — ist zweifelsohne unumgänglich, will man in die Phänomenologie des
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Sinnlichen hineinsehen; aber eine solche Analyse ist nur das Messer des eine Leiche zerlegenden Anatomen, wenn sie nicht zur ursprünglichen Synästhesie des lebendigen Leibes zurückkehrt. Es ist gerade solche Synästhesie, solches Mitspielen der Sinne, was in der umgreifenden und wiedereinholenden Eigenschaft der Sehmetaphorik Ausdruck findet, und somit höchst bedeutungsvoll den Vorrang des Gesichts in jener Sprache bzw. in jener Kultur nochmals bestätigt, die sich eben durch solche Metaphorik ausdrückt. Der Verweis auf die Synästhesie und auf die Rolle des Gesichts darin stellt aber nur dann keine Banalität dar, wenn man sich auf die Bedingungen ihrer Aktivierung besinnt: schließlich sind die Sinne rezeptiv und passiv — der Überlieferung nach —, und sie fühlen sich als solche. Die Reflexivität, durch die sie sich als solche fühlen, ist eine Grenzsinnlichkeit und stellt somit die Grenze der Reflexivität dar, wie es sich aus dem paradoxen Ausdruck „sich rezeptiv bzw. passiv fühlen" ergibt. In der Tat, bei der De-finition der Sinne als passiver greift nochmals die ratio bzw. der logos ein: eine ratio, die über die Empirie hinaus und an der Grenze der Empirie arbeitet. Von der sinnlichen Grenze her kommt der logos auf sich selbst zurück mit einer kreishaften Bewegung, die ihn als Selbst definiert und nicht als Anderes, obgleich er sich ohne das Andere bzw. ohne Begrenzung hinsichtlich des Anderen nicht als Selbst de-finieren könnte. Diese Reflexivität nun, die die synästhetische Grenze voraussetzt und nur von dieser her zu ihrer Rückkehr ansetzt, diese Reflexivität des logos also ist die Reflexivität des zwischen Buchstaben und Lektüre eingeschriebenen Wortes. Denn die synästhetische Aktivierung der Sinne geschieht durch die Anrede des Erwachsenen an das Kleinkind; nur durch diese Aktivierung werden die beiden reflexiven Sinne, der Tastsinn und das Gehör, wirklich reflexiv. Würde das Kleinkind nicht zum Adressaten des Wortes des Anderen gemacht, wäre dieser dadurch nicht als Grenze, als die andere Grenze des Intervalls zwischen Frage und Antwort konstituiert — bestimmt —, käme das Kleinkind nie dazu, sich als Selbst zu identifizieren (auch wenn, mit der bedeutungsvollen Ironie des Wortes, ein sich in einer solchen Lage befindendes Subjekt „autistisch" genannt wird). Wenn aber die zugleich in der Mit-gegenwart ego und alter ego affizierende
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Stimme verteilt und mitgeteilt werden kann, wenn sie endlich wechselseitig auf den einen oder auf den anderen, als meinige und deinige, als Frage und Antwort, bezogen werden kann, so ergibt sich das aus dem Gesicht, das das andere anredende Gesicht sieht. Das Wort, das insofern verteilt ist, als es mitgeteilt ist, das insofern Kommunikation ist, als es sozusagen Kommunion und Gemeinschaft ist, das insofern reflexiv ist, als es beiden, ego und alter ego, gemeinsam ist, als es gleichzeitig Selbst und Anderes, Mitgegenwart ist, das Wort also ist die zeitliche und gezeitigte Fortsetzung der Reflexivität des Tastsinns, ja des Kon-takts des sich an der Brust ernährenden Mundes. Auf diese Weise wird die Sprache zur Kompensation des Mangels an Instinkt und ermöglicht es, die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, nachdem sie von dem sprechenden Erwachsenen befriedigt wurden, der sein Gesicht auf das Kleinkind richtete und es ansprach und für es sorgte und es von einem Nichtredenden — in-fans — zu einem Redenden werden ließ, indem er bzw. sie es stillte. Auf diese Weise aber — d. h. durch solche Interaktion von Erwachsenem und Säugling — nimmt das Gesicht seine hinsichtlich der anderen Sinne umgreifende Rolle an. Lautet das Wort im Intervall, im interim., innerhalb der Mitgegenwart von ego und alter (ego), dann deswegen, weil das Gesicht im Gesicht des anredenden und mitteilenden und sich mitteilenden Anderen eben das Zeichen von all dem erblickt. Der Gesichtspunkt, der sich selbst nicht sieht, stellt den gesehenen Anderen in einen Abstand in Bezug auf sich selbst und ermöglicht es dadurch, die draußen lautende Stimme als im Intervall der Mitgegenwart lautende Stimme zu begreifen, d. h. als wechselseitig eigene und des Anderen Stimme, je nachdem ob die sie bezeichnende Gemeinschaft von dem sich auf den Gesichtspunkt richtenden Gesicht des Anderen oder aber von dem sich auf das Gesicht des Anderen richtenden Gesichtspunkt herkommt. Freilich: daß das Gesicht des Anderen ein solches sei, wird empirisch gefolgert, etwa daraus, daß der Gesichtspunkt sieht, daß der Andere sich wendet und sein Gesicht auf den Anredenden richtet, wenn er angesprochen wird. Eine solche Empirie ist aber eine einmalige Empirie, die die Grenze der Erfahrung und des Erfahrbaren zu gleicher Zeit bzw. in dem gleichen Augen-blick überschreitet, indem sie jede Erfahrung ermöglicht und wirklich
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zustande kommen läßt und alles Notwendige bzw. alles notwendig bestimmt. Solche einmalige Empirie ist, sozusagen, eine „Analogie der Erfahrung", wo aber der Genitiv nicht nur subjektiv, wie im kantischen Ausdruck, sondern auch — nochmals aequi-voce: gleich-zeitig und zweideutig — objektiv verstanden werden sollte, d. h. auch als etwas, das nur analogisch „Erfahrung" genannt werden kann; denn das Sehen des Anderen wird so wenig gesehen wie der eigene Gesichtspunkt. Es geht also um eine „anarchische" Analogie, um keine eigentliche, eigene und zugeeignete Analogie, um eine „Analogie", die nur analogisch bzw. metaphorisch als eine solche verstanden werden kann, obwohl nicht deswegen, weil sie von der eigentlichen Analogie abgeleitet wäre, sondern eben umgekehrt, \veil sie ursprünglicher ist als jedwede Analogie und somit der uneinholbare, anarchische, antiphrastische „Ursprung" des logos ist. Von der Einschreibung des Wortes zwischen Gesichtspunkt und Zeichen, zwischen Lektüre und Buchstaben her geschieht sämtliche synästhetische Wiederholung der anderen Sinne, des ursprünglichen Tastsinnes insbesondere, sowohl bei der Ausstrekkung der Hand, um zu zeigen oder um zu begreifen, als auch im Be-greifen des Zeichens von selten des interiorisierten und zum eigenen bzw. allgemeinen gemachten logos (insofern eigen als allgemein, und insofern allgemein als eigen). Wenn aber die Schrift bzw. das Zeichen nur in dem Maße ein solches ist, als es abgelesen wird, dann stellt jede weitere, den Logozentrismus abzubauen verlangende, also entstellende Umstellung des logos nichts anderes dar, als eine weitere Verteilung und Mitteilung der Ernährung des eingeschriebenen, fleisch- bzw. zeichengewordenen Wortes. Dessen dürfte sich Derrida wohl bewußt sein: Man denke nur an das fiktive Gespräch zwischen Heidegger und den Theologen am Ende seiner Schrift De l'esprit. Heidegger et la question (Paris 1987), wo die Theologen sprechen, ohne daß der Widerspruch von Heidegger anderes als eine Erwiderung sein kann. Dennoch, wenn auch das espacement der Stimme von Derrida selbst ausdrücklich behauptet wird, auch wenn die Grammatologie prinzipiell nicht darauf abzielt, einen Graphozentrismus an die Stelle des Logozentrismus zu setzen, so bleibt es doch dabei, daß in dem Versuch, den Buchstaben als das mortuum zu verstehen, das der Geist belebt, tatsächlich und gegen alle
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Absichten eine Art unbewußter, verdrängter und desto wirksamerer Spiritualismus liegt. Die Schrift bzw. das Zeichen als solches zu erkennen, ist ausgerechnet die Tat des Geistes, nicht des Fleisches und des Blutes. Zu unterstellen, daß der Buchstabe tot sei und daß er nur im Augenblick der Anschauung zum Leben wiedererweckt werden kann — zu einem Leben, hinsichtlich dessen es auf keine Weise möglich ist, zu behaupten, es sei sein ursprüngliches Leben; denn der Ursprung ist schon immer in der Spur verwischt — das also zu unterstellen, heißt, die leibliche Ernährung des Geistes (genitivus objectivus) zu übersehen; es heißt, die leibliche Ernährung des Gesichts durch das Opfer des sich im Intervall verteilenden und mitteilenden Wortes zu verkennen. Solches Verkennen und Übersehen ist durchaus geistig und phänomenologisch, und zwar in dem strengen Sinn, daß es den logos zur Sehdimension zurückführt und auf sie reduziert, d. h. seine Geistigkeit ergibt sich allein aus der Irreflexivität des Gesichts, das sich selbst nicht sieht und sich eben deshalb anmaßt, sich als Selbst und als Identität im Unterschied zu den empirischen Erscheinungen festzusetzen. Die empirischen Erscheinungen sind in allen Sinnen unterschieden bzw. differenziert; sie sind von der geistigen und sehenden Identität unterschieden; sie sind voneinander verschieden; sie unterscheiden „sich in sich selbst" — wie man antiphrastisch sagen muß —, weil sie keine sub-stantia sind bzw. haben und eben deswegen auf andere Zeichen bzw. auf andere Sinne verweisen. Gerade gegen solche Unterscheidungen in allen Sinnen zielt die phänomenologische Reduktion ab: die phänomeno-logische Zurückführung und Reduktion möchte die sich unterscheidende Erscheinung in die sehende Identität hereinholen. Aber die Vielheit der fortschreitenden Reduktionen ist bedeutungsvoll: die „phänomenologische" Reduktion im engeren Sinn, die „eidetische" Reduktion und schließlich weitere „Reduktionen in den Reduktionen" auf einem Weg, der selbst das Zeichen einer Unbeständigkeit ist, die sich bewegt: von dem Traum geleitet, die Erscheinungen endlich festsetzen und sie zur Identität des Standpunkts verankern zu können. Am Ende des Traumes kehrt sich diese Bewegung um, und zwar in die Undurchsichtigkeit der Lebenswelt hinein oder — wie man vielleicht auch sagen dürfte —
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in den Versuch eines „Schrittes 2urück" nach dem „Ungedachten im Gedachten". Wir kennen eigentlich keinen Geist ohne die Vermittlung des Fleisches bzw. des eingeschriebenen, sich verteilend und sich mitteilend ernährenden Wortes. Wird es dann nicht radikaler sein, zu erkennen, daß jedes espacement des Wortes und jede ihm zukommende graphische Eigenschaft immer schon voraussetzt, daß man sich durch Analogie den „anderen" Gesichtspunkt eingebildet hat?! Es geht darum, zu erkennen, daß der logos eben im analogischen, einverleibten, zeitlichen, geschichtlichen, sprachlichen, worthaften Sinn be-zeichnet ist; es geht darum, seinen unvordenklichen, uneinholbaren analogischen Ursprung zu erkennen (wobei das Wort „Ursprung" freilich nochmals analogisch, ja antiphrastisch vorkommt), statt seine bekannte Geistigkeit und Geistlichkeit etwa anzugeben. Deswegen habe ich vorher von der analogischen Umstellung des Anderen als Blickpunkt auf die andere Grenze des von der Mitgegenwart zweier Gesichter erschlossenen Intervalls hin gesprochen. Freilich ist solche zusammengesetzte Gegenwart radikal und konstitutiv diachronisch; sie ist ein interim zwischen den beiden durch die Anrede, ja durch die aequi-vocatio analogisierten, metaphorisierten, übersetzten Gesichtern. Dank der zweideutigen, aequivoken Anrede werden die Gesichter analogisiert, obwohl das eine der Gesichtspunkt und das andere das Zeichen ist: ein anredendes Zeichen, das dank seiner Anrede vom Gesichtspunkt als jenes Zeichen gelesen wird, das selbst Gesichtspunkt ist. Das Wort setzt die geteilte, verteilte und mitgeteilte Identität fort, die vor der Zeitigung des in/ans vom stillenden Tastsinn ausgemacht wurde; durch die gesehene-gehörte Anrede wieder-holt die unsichtbare Hand des Blickpunkts den mündlichen, oralen Kontakt, sie knüpft immer wieder an ihn an und holt ihn immer wieder ein. Die Bedeutung, die Simon im gegenwärtigen Auftauchen einer Berührungsmetaphorik erkennt, von welcher Metaphorik her selbst die Metaphorik des Lichts „als solche bewußt" wird8, kann schwerlich überschätzt werden. Besonders aber kann die Transformation der Transzendentalphilosophie in eine Philosophie des Zeichens schwerlich über8
SIMON, a. O., 267.
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schätzt werden und auch nicht die Weise, wie sie sich — meinem Verständnis nach — im Intervall der Kommunikation abspielt. „Selbstverständlich erhebt sie [die Philosophie des Zeichens] selbst Geltungsansprüche, doch im Bewußtsein, selbst ,ihre Zeit* zu haben, d. h. nicht ohne kommunikative Selbstreflexion."9 Daß solche kommunikative Selbstreflexion „menschlich" sei, d. h. daß sie zwischen dem Interpretanten als „Mensch" und dem „anderen Menschen" stattfinde, ist freilich eine besondere Deutung, die aber eben in solcher Besonderheit die Spur des Transzendentalen zeigt: denn die Lesart von Zeichen — sagt Simon — schließt sich erst dann auf, wenn der Interpretant als „menschliches Subjekt" interpretiert wird, „wenn sie zugleich als nur besondere Lesart durch einen Menschen verstanden wird".10 Diese besondere Lesart findet nun nur dann statt, wenn der so aufgeschlossene, reflexive Raum des Bewußtseins gleich-zeitig kommunikativ verstanden wird, d. h. wenn er zusammen mit dem Intervall des lautenden Wortes erschlossen wird, an dessen Grenze der „andere" Mensch ana-logisch über-setzt wird. Die Spur der Transzendentalphilosophie in der Philosophie des Zeichens bleibt bzw. verschwindet in eine „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht", wo das kategorische „Du sollst" der Ernährung des Anderen reflexiv-kommunikativ erklingt. Der Mensch wird somit — und zwar in ethisch-pragmatischer Hinsicht — zum archetypischen Zeichen.11 Das Ende der Ontotheologie vollendet sich irgendwie wiederum einmal in der Ethikotheologie, aber nur irgendwie, d. h. nicht in eine abermalige „theokratische" Theorie der ethischen Gemeinschaft: was Simon zur Theorie der ethischen Gemeinschaft in seiner Philosophie des Zeichens wiederholt anmerkt, wäre mit dem in Verbindung zu setzen, was er in Wahrheit als Freiheit zur Kantischen Theorie der ethischen Gemeinschaft sagt,12 und mit der systematischen Stellung, die dem Recht in beiden Werken zukommt. 9 10 11 12
a. O., 150. a. O., 278. a. O., 279. J. SIMON, Wahrheit als Freiheit, Berlin/New York 1978, 347 ff.
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Das Ende der Ontotheologie bzw. Metaphysik voll-endet sich vielmehr in einer besonderen Lesart des „Typus Jesu", der gemäß der Tod — und zwar als Tod des Zeichens „Mensch" für die „anderen Menschen" — „nur ein Zeichen mehr" zur Verdeutlichung — d. h. zur Mitteilung — des Lebens ist.13 Bestimmt impliziert ein solches Verständnis des archetypischen Zeichens „Mensch", daß der Buchstabe, schon deswegen, weil er als solcher erkannt wird, worthaft ist. Jede Theorie — jedes theorein —, die das übersieht, indem sie den Buchstaben einfach als mortuum versteht und nicht zweideutig, aequivoce auch als Verdeutlichung und Mitteilung des Lebens, verkehrt sich in eine zum äußersten getriebene Art von Spiritualismus, der gerade deswegen ihn übersieht, weil er alles von seinem Gesichtspunkt her übersieht.
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SIMON, Philosophie des Zeichens, 206.
II. Zeichen und Sein
STANLEY ROSEN (Penn State University) Kann die Freiheit ein Zeichen sein? 1. Es ist nicht nur eine Art möglich, das Werk eines Denkers zu würdigen. Ich werde die philosophische Bedeutung Josef Simons nicht anzuerkennen versuchen, indem ich seine Erfolge aufliste oder zusammenfasse, und schon gar nicht, indem ich bestimmte Texte aus seinen Schriften analysiere, sondern indem ich das Thema anspreche, das er in seinen Büchern Wahrheit als Freiheit und Philosophic des Zeichens so scharfsinnig zur Sprache gebracht hat. Im Rahmen eines Beitrags kann ich dennoch nur zeigen, wie sein Denken mir Schwierigkeiten gemacht, mir aber auch bei meiner Auseinandersetzung mit den Schwierigkeiten, die meines Erachtens der zeitgenössischen Sprachphilosophie innewohnen, sehr geholfen hat. Hier scheint mir eine Beschränkung auf den ersten Schritt in der Fragestellung der Philosophie des Zeichens methodologisch vorteilhaft. Vielleicht würde mir auch Simon darin zustimmen, daß dem ersten Schritt jeder Untersuchung eine entscheidende Bedeutung beizumessen ist. Denn man kann, wie ich mich zu zeigen bemühen werde, das Ziel einer Untersuchung schon von Anfang an wahrnehmen, ihr letzter Schritt bleibt aber offen: Philosophieren kennt — wie ich mit Simon meine — kein Ende (PZ 35). Wir mögen vielleicht in der Frage nach der besten Formulierung des ersten Schrittes weniger übereinstimmen, aber diese Nicht-Übereinstimmung bietet — sollte sie tatsächlich vorhanden sein — Anlaß zu weiteren Auseinandersetzungen. Philosophen sind ja keine Rechtsanwälte, die unbedingt eine Widerlegung der Argumente des Gegners anstreben, sondern Richter in der gemeinsamen Hingabe an die Suche nach der Wahrheit. Simons erster Schritt scheint mir seine These zu sein, das Bewußtsein sei syntaktisch (PZ 51). Später (PZ 198 f.) taucht diese
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Stanley Rosen
These in einer in etwas erweiterten Fassung erneut auf, und zwar im Hinweis auf Nietzsches Gedanken, Grammatik sei das Schema einer „auf Denken ausgerichtete (n) Einbildungskraft". Wir sähen aufgrund dieses Schemas, über dieses Schema hinaussehen aber könnten wir nicht: „Aufgrund der Struktur einer besonderen, historisch entwickelten Grammatik denken wir überhaupt und %ugleich in einer bestimmten Form (...). Denn es gibt kein ,Denken überhaupt', das nicht einer bestimmten, als bestimmte aber doch auch wieder nur vorausgesetzten Grammatik folgte". Dieser Abschnitt hebt ein Dreifaches hervor: Zunächst seien Denken und Sprache koextensiv. Sodann manifestiere sich Sprache nur historisch oder kontingent. (Demnach würde Simon transzendentale Kategorien oder ontisch getrennte regulierende Formen ablehnen.) Zum dritten wäre die kontingente oder geschichtliche Grammatik das die Tätigkeit der Einbildungskraft gliedernde Schema. Dieser dritte Punkt wird später wieder aufgegriffen und weiter erläutert: „Zeichen werden, wenn nicht .unmittelbar' [wie im Falle von natürlichen Zeichen (102) oder einfach der Annahme zufolge, Zeichen seien zunächst einmal unproblematisch (195 — 196)], dann durch Interpretation verstanden, d. h. im Übergang zu anderen Zeichen. Dieser Übergang ist in der Intention ,besserer' Versionen gegenüber den ,gegebenen* nicht willkürlich, aber frei. Er geschieht durch Einbildungskraft." (PZ 218)
Hier setzt Simon — wenn ich ihn richtig verstehe — seine Lehre der Interpretation mit der Kantischen Lehre der Einbildungskraft in Verbindung. Die Kantische Einbildungskraft ist als produktive und freie vorausgesetzt, in dem Sinne, daß sie bei einer neuen Zusammenstellung der Phänomene jeden mit der Sprache gegebenen Gesichtskreis übersteigen kann. Wie jedoch aus Simons allgemeiner Darstellung hervorgeht, lehnt er jede transzendentale Kategorienstruktur ab. Dementsprechend kann die Einbildungskraft hier im Gegensatz zu Kant, bei dem sie durch die Einheit der Urteilskraft gebunden ist, eine gewisse Willkürlichkeit nicht umgehen, sondern sie bleibt, wie ich im Schlußabschnitt meines Beitrages zeigen werde, auf die „Energie" ihrer Interpretation angewiesen: hierbei folgt Simon Nietzsche. Simons letztes Werk darf daher als Ausbau von in seinem früheren Werk, Wahrheit als Freiheit, schon angesprochenen The-
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men verstanden werden. Eine nähere Behandlung dieses Werkes würde den Rahmen meines Beitrages sprengen; dennoch möchte ich an eine der wichtigsten Schlußfolgerungen, die dort gezogen werden, erinnern. Simon setzt Wahrheit und Freiheit gleich und definiert Wahrheit als das Recht auf Individualität (392). Wahrheit wird damit eher als eine Tätigkeit oder Lebensweise denn als eine objektive Struktur oder als etwas Ontisches verstanden. Dies steht mit den subjektivistischen Überlegungen zur Beschränktheit aller objektivistischen Wahrheitsdefinitionen im Einklang. Diese subjektivistischen Überlegungen sind semantischer Natur: die Semantik ersetzt die Ontologie. In der Philosophie des Zeichens wird die Semantik lapidar als eine umfassende Zeichenlehre dargelegt. Dementsprechend wird Freiheit als Freiheit der Interpretation oder der fiktionalen Schöpfung von jeweils neuen Zeichen verstanden. Mein eigener Gesichtspunkt dazu ist ein etwas verschiedener. Ich bestreite, daß Sprache und Denken koextensiv sind. Somit darf ich annehmen, daß jede Sprache ein historisches Geschöpf ist, ohne zugeben zu müssen, daß jedes Denken von einer geschichtlichen Grammatik gesteuert wird. Und unterschieden haben möchte ich auch zwischen und auf der einen Seite und Vorstellungskraft und Phantasie auf der anderen. Es ist nämlich die Einbildungskraft, die Zeichen frei hervorbringt, aber indem sie der und der gehorcht oder von ihnen kontrolliert wird. So wird eine Unterscheidung zwischen Einbildungskraft und Phantasie erst möglich. Nun stellt sich die Frage: wie lassen sich im gegebenen Rahmen diese Meinungsverschiedenheiten zwischen Simon und mir am besten herausarbeiten? Nachdem ich mir manche historische Bezugnahme erlaubt habe — teils weil auch Simon sich deren bedient, teils aber auch zur Klärung des eigentlichen quid quaestionis —, möchte ich nun etwas direkter vorgehen, indem ich „zur Sache selbst" komme. Nahegelegt werden soll in der Folge auf Grund eines einfachen Hinweises auf alltägliche Erfahrungen die Grundunterscheidung zwischen Denken und Sprechen, aber auch zwischen Zeichen und Dingen. Um diese letzte vorab etwas näher zu bestimmen: Ich möchte daran festhalten, daß Dinge als Zeichen dienen können, aber nicht behaupten, daß ihre semiotische Funktion onto logisch fundamental sei.
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Als Vorbemerkung sei folgendes gestattet: Wären Denken und Sprache koextensiv, dann wäre nicht nur die Welt ein Text, sondern die Ontologie sogar ein Werk der Fiktion. Die Gründe, weshalb ich dies als unmöglich betrachte, werde ich weiter unten angeben. Ferner darf die Neigung des Bewußtseins, sich einer Syntax anzupassen, gerade nicht als Beweis für die Identität von Denken und Sprache gelten, denn eben die Fähigkeit des Bewußtseins, sich jeder Syntax anzupassen, legt vielmehr nahe, daß Denken transzendental, gleichsam in einer vor-sprachlichen Dimension, erfolgt. Um nun den springenden Punkt festzuhalten: wäre Denken gänzlich diskursiv, dann könnten wir nie zu denken anfangen, denn wir wären unfähig, die Sprache, deren wir uns bedienen, von Anfang an zu verstehen. Wir müßten eine Sprache im voraus beherrschen, um überhaupt in der Lage zu sein, die nämliche Sprache zu verstehen anzufangen. Dies „Transzendentale" läßt sich durch gewöhnliche Erfahrung immer wieder neu bestätigen, etwa wenn uns bewußt wird, worüber die Leute gerade reden, oder — was noch entscheidender ist — wenn uns bewußt wird, was wir zu sagen im Begriffe sind. Es muß ein vor-sprachliches Erkenntnisvermögen gegeben sein, welches zum Verständnis der ersten Aussage einer historischen Sprache verhelfen kann, oder besser: es überhaupt erst möglich macht. Es ist aber dasselbe vorsprachliche Erkenntnisvermögen, was das Denken in die Lage versetzt, sich in jeder Phase der Erfahrung sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten anzueignen. Soviel zur Einführung und zur Klärung meiner eigenen Position. Nun wende ich mich der Darlegung des ersten Schrittes zu. 2. Eine unter den für unser Zeitalter charakteristischen Auflösungen ist die der Beziehung zwischen Zeichen beziehungsweise Bezeichnendem und Bezeichnetem. Einst wurde als sicher empfunden, daß ein Zeichen auf etwas hinweist, etwas zeigt, das, wenn es auch seinerseits wieder als ein — und zwar anderes — Zeichen fungieren kann, doch als ein Bezeichnetes eine identifizierbare Entität und somit ein sicherer Bezugspunkt ist. Rauch ist etwa ein Zeichen für Feuer, selbst wenn Feuer seinerseits unter anderem als Zeichen für Gefahr, Nachlässigkeit, Wärme oder Beleuchtung gebraucht werden kann. Rauch und Feuer sind im
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Netzwerk der Intelligibilität identifizierbare Elemente: die tatsächliche Natur beider ermöglicht ihren Gebrauch als Anfang oder Ende eines ebenso tatsächlich dingbezogenen Schlusses. Das Bezeichnendes und Bezeichnetes verbindende Band lockert sich durch die Einfügung des Begriffs zwischen beide. Dementsprechend wurde behauptet, das Wort „Rauch" bedeute nicht Feuer und nicht einmal Rauch, sondern den Begriff „Rauch". Ein Begriff aber ist ein menschliches Kunstprodukt, welches keine natürliche, sondern bloß eine konventionelle Bedeutung hat. Das Wort „Rauch" bedeutet danach also alles, was wir damit meinen mögen oder zu meinen beabsichtigen. Dennoch sind Wünsche und Absichten nichts Dingliches, sondern Zeichen für etwas anderes, etwas, was sich von Individuum zu Individuum ändert, etwas, was durch Umstände modifiziert wird. Ein Wunsch oder eine Absicht ist wiederum Zeichen für ein Begehren, und Begehren ist sozusagen .vielfältig pervers'. Der Begriff, sprich das, womit zur genaueren Bestimmung des Bezeichneten die Bedeutung des Wortes fixiert werden sollte, führt stattdessen zur Negation des Bezeichneten und zur Vervielfältigung der Bedeutung. Der Sieg der Semiotik ist die Niederlage der Philosophie. Während Philosophie ursprünglich als der Versuch verstanden wurde, Begehren zu erfüllen, ist sie nun zu einem bloßen Pseudonym für Begehren geworden. Philosophie, verstanden als Semiotik, wird zum Studium von Zeichen als Begriffen. Begriffe aber sind Produkte von Wünschen: Wir können nach Wunsch Begriffe bilden, die für jeden Anlaß passend sind. Doch unsere Wünsche sind nicht unmittelbar gesteuert durch die bezeichneten Dinge, und die Philosophie verliert den Bezug zum Seienden. Dieser Auflösungvorgang wird durch das Denken selber eingeleitet, das sich einer inneren Notwendigkeit zufolge von der Intuition zur Analyse bewegt. Die genaue Bestimmung dessen, was wir eben gesehen haben, wird dabei zu unserem Wunsch: die Analyse ersetzt möglicherweise die anfangs kohärente Schau durch eine Vielfalt von Teilperspektiven. Auf die Vielfalt hin reagieren wir mit einer Synthese; aber die Synthese wirkt selber eher her- denn wiederherstellend. Der Intellekt bringt zusammen, was er selber vorher auseinandergebracht hat. Die Gestaltung erfolgt jedoch nicht auf Grund der anfänglichen Intuition, welche
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Intuition wir als impressionistisch oder vortheoretisch zurückgewiesen hatten, sondern auf Grund dessen, was wir als das Ergebnis unserer Analyse jeweils festgestellt haben wollen. Das besagt jedoch nicht, daß die Intuition zu sein aufhörte. Im Gegenteil: Intuition meint hier buchstäblich die Ein-Sicht, und diese ist mit Analyse eng verbunden, welche Analyse uns ja wiederum in die Struktur von etwas hineinversetzt, indem wir dessen Elemente identifizieren. Diese analytische Identifizierung ist jedoch nicht blind, denn die Elemente werden in ein Denkgebäude hineingeordnet. Das naturgemäße Voneinandergetrenntsein der Elemente erfolgt kraft ihres Zusammenseins in einem Ganzen. Intuition zeigt uns das zu Analysierende; Analyse verschafft uns die Bestandteile zu einer Synthese. Von daher könnte man also annehmen, Synthese führe uns zur Intuition — diesmal aber auf einer höheren Ebene — zurück, zu einer artikulierten Einsicht, zur Einsicht in die Natur von etwas, ohne daß hierbei die Identität von diesem Etwas als eben diesem Etwas aufgegeben würde. Aus Erfahrung wissen wir jedoch, daß derartiges nicht immer oder vielleicht sogar nie der Fall ist. Was stattdessen geschieht, ist, daß die analytische Verfeinerung unserer wegweisenden Intuitionen uns dazu bringt, diese durch etwas anderes zu ersetzen. Und die unmittelbar darauffolgende Synthese ist selber eine vorübergehende Phase der Analyse. Wir sind daran gewöhnt, dieses Geschehen für eine Vertiefung unseres Verständnisses zu halten, für eine Zunahme an Reife oder eine Verfeinerung, und sicherlich gehen wir oft sogar richtig in dieser Annahme. Dabei melden sich aber auch Schwierigkeiten. Ein einfaches Beispiel: Ein anfänglicher Glaube an Gott wird einer sorgfältigen Analyse unterzogen. Die Intuition eines allmächtigen und barmherzigen Schöpfers — ich meine die Einsicht in ihn — wird durch Reihen von Begriffen von göttlichen Eigenschaften ersetzt. Die Intuition selber führt uns zur Analyse ihrer eigenen Bestandteile: dazu, uns das Geschehene näher und somit auch genauer anzusehen. Ersetzt wird dann die anfängliche Intuition zunächst durch die Überzeugung, daß das ursprünglich Gesichtete den Ergebnissen unserer Analyse gleich ist, und sodann durch das Versinken ins Meer der Ergebnisse, welches Versinken einen neuen Horizont entstehen läßt, den Wunsch nämlich, all
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die analytisch erhaltenen Elemente in die Einheit einer weiteren, „höheren" Synthese wiederum analytisch zusammenzubringen. Die höhere Synthese ist ein Kunstprodukt, und zwar eines unseres analytischen Denkvermögens. Das mit dem Wort „Gott" nunmehr Gemeinte ist eine Funktion unserer begrifflichen Verfeinerung, welche auch die Auffassung dessen, was als reifes Denken zu gelten habe, entsprechend ändert. Diese Verfeinerung wird dann gar dem Gott beigemessen, von dem ja gesagt wird, er spreche ad captum vulgi, das heißt, er spreche durch Seine Propheten zu den Verstehenden aus der Masse und daher — dürfen wir annehmen — etwas ganz anderes als zu den Wenigen. Wir machen aus Gott einen Esoteriker. Sicherlich können zwingende Gründe für diese Selbstverbergung oder Selbstspaltung angeführt werden, aber um sie brauchen wir uns hier nicht weiter zu kümmern. Denn der springende Punkt für uns ist Gottes Zwiespalt oder seine Vervielfältigung: die Vielen haben ihren Gottesbegriff und „wir" unseren. Aber „Wir" ist schon eine Vielheit von Ichs. Somit ist die Bahn für ein Gottesverständnis aufgrund eines persönlichen Begriffs schon gebrochen. Die monotheistische Intuition wird durch eine polytheistische ersetzt. Die Götter sind Ausdruck unseres persönlichen Begehrens. „Gott" meint das, was wir darunter verstehen möchten. Gott ist tot, denn wir begehren ihn nicht mehr. Es gibt auch keine Götter, sondern nur weitere Bedeutungen bedeutende Bedeutungen. Die aufgelöste Harmonie wird zur Auflösung überhaupt. Nichts von dem, was ich gesagt habe, sollte als eine Verwerfung der analytischen Vernunft verstanden werden. Der Punkt ist vielmehr folgender: Das Notwendige und Wünschenswerte der Analyse ist sowohl eine Vervielfältigungs- oder Auflösungstendenz als auch ein unentbehrlicher Drang nach Verfeinerung. Die Philosophie trennt uns im Prozeß der Vereinigung. Und das ist notwendig, weil das anfängliche Begehren selbst ein Zeichen der Auflösung oder der fehlenden Einheit ist. Es ist auch nicht meine Absicht gewesen, in diesen Anfangsbemerkungen die Wichtigkeit oder — in unserem Zusammenhang — die Allgegenwart von Zeichen zu leugnen. Wo auch immer Intelligenz gegeben sein oder Zusammenhänge wahrgenommen werden sollen, ist das Sein von Zeichen ein notwendiges.
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Ein Ding weist den aufmerksamen Beobachter auf das nächste hin, und während selbstverständlich zahlreiche natürliche Zeichen gegeben sind, gibt es vielleicht noch viel mehr künstliche Zeichenfolgen, welche die Einbildungskraft im Hinblick auf die verschiedenen Muster ihrer Erfahrung aufstellt. Um dies auf eine andere Art und Weise zu formulieren und so dem Hauptpunkt meines Vertrags näherzukommen: Zeichen sind beides, etwas zu etwas Zwingendes und zugleich etwas Freies. Donner und Blitz zwingen uns, an Regen zu denken. Wir können diese Zeichen nur auf unsere eigene Gefahr mißachten. Wir sind aber auch frei, Donner und Blitz als Zeichen göttlichen Zornes aufzufassen. Ich denke, daß sich aus dieser einfachen Unterscheidung eine wichtige Folgerung ziehen läßt. Donner ist — oder kann sein — ein Zeichen für etwas anderes, genauso wie eine gewisse Verdunkelung des Himmels zusammen mit zunehmender Hitze und Luftfeuchtigkeit ein Zeichen für ein unmittelbar bevorstehendes Donnern und so auch für in Gott sich steigernde Rachegefühle gelten kann. Aber Donner ist nicht „nur" oder nicht „gänzlich" ein Zeichen. Er hat auch eine eigene Natur, freilich in keiner Weise eine starre oder mathematisch genaue, sondern eine mit einer ausreichenden Flexibilität versehene, um einige von den eben angesprochenen meteorologischen Symptomen als ihr semiotisches Beiwerk einzuschließen. Um all dies mit der wünschenswerten Ungenauigkeit auszudrücken, die sich exakt als die bei derartigen Auseinandersetzungen erwünschte Art von Genauigkeit erweisen könnte: Donner gehört eben in die Kategorie der Dinge, die auf kommenden Regen hinweisen. Die hoch in einem heiteren, flockig weiß bewölkten Himmel scheinende Sonne kann dagegen ebenso wenig als ein Zeichen von Regen gelten, wie sie mit irgendwelcher Plausibilität als ein Zeichen für den Zorn der Götter gedeutet werden könnte. Wir sind frei, uns die Sonne samt heiterem Himmel als Hinweis auf viele Vorkommnisse vorzustellen, doch manche Vorkommnisse sind naturgemäß ausgeschlossen. Allgemeiner formuliert: Wir sind frei — jedoch nicht absolut frei — , Dinge, Vorgänge und Vorkommnisse als Zeichen zu interpretieren. Wie sehr wir uns auch nach einer Distanzierung vom herkömmlichen Platonismus sehnen mögen: die Natur — mit allem Respekt vor ihrer Flexibilität — interveniert. Zur
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genauen Einschätzung dieser Problematik ist es kaum notwendig, ins metaphysische Extrem zu gehen und nach Platons Ideen zu greifen. Eine ähnliche Einschränkung hat jedoch auch in Bezug auf Begriffe zu erfolgen: Der Donner ist kein Zeichen für den Begriff „Donner", aber auch keines für den Begriff „Regen". Donner ist ein Zeichen für Regen. Wir vergreifen uns aber beim Versuch, den Prozeß zu überdenken oder zu analysieren, durch welchen wir die Verbindung zwischen Donner und Regen mittels der Sprache zum Ausdruck bringen. Ich habe meine kritische Haltung gegenüber der Gleichsetzung von Denken und Sprache schon erwähnt. Hier soll es genügen zu sagen, daß die Art und Weise, wie wir auf diskursiver Ebene den Verweis des Donners auf den Regen ausdrücken, sich vollkommen von der natürlichen Verbindung zwischen Donner und Regen unterscheidet. Und so wie die natürliche Verbindung eine sprachlich stumme ist, ist es auch unser Denken, wenn es dieses stumme Intelligibilitätsmoment begreift. Verhielte sich dies nämlich nicht so, dann wäre sogar dieses Moment ein Produkt der diskursiven Vorstellungskraft: ein sich auflösendes Spinnennetz. Das deutsche Wort „Donner" ist ein konventionelles Symbol für das Naturphänomen Donner. Es ist auch ein konventionelles Symbol für den Begriff „Donner", wobei der Begriff etwas vom Naturphänomen Donner Verschiedenes ist. Ich halte es für einen Grundirrtum, das Wort als ein Zeichen für den Begriff zu verstehen und anschließend aus dem konventionellen Charakter beider zu folgern, Zeichen seien freie Erfindungen der menschlichen Vorstellungskraft. Das Wort ist ein Symbol, nicht aber ein Zeichen. Wir gehen von der Überzeugung aus, daß wir, wenn wir Deutsch sprechen, dieses Naturphänomen mittels der Verlautbarung „Donner" nennen. Aber wir hätten ebenso übereinkunftsgemäß auch zu einer ganz anderen Verlautbarung kommen können, wenn sich die deutsche Sprache anders entwickelt hätte. Wir können jedoch zu keiner annehmbaren oder — wie ich doch sagen möchte — vernünftigen Übereinkunft gelangen, die besagte, das Naturphänomen Donner sei eben ein ganz anderes Naturphänomen, sagen wir Sonnenschein. Die Verbindung von Naturphänomenen übt zwar einen offensichtlichen Einfluß auf die Verbindung zwischen
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Wort und Begriff aus, zwischen diesen läßt sich jedoch eine viel größere Flexibilität feststellen. Die größere Flexibilität wird deutlich, wenn wir uns von der Beobachtung der Naturphänomene ab- und dem Bereich der Wechselwirkung von Vernunft und Vorstellungskraft zuwenden. Der Begriff „Donner" wäre wertlos, leitete sich seine Urbedeutung nicht von den Eigenschaften des Naturphänomens her. Diese Eigenschaften müssen wir in ihrem meteorologischen Zusammenhang sehen, hören und des weiteren auch tasten oder gar schmekken. Nichts aber verbietet uns, auf dem Wege der Einbildung diese Eigenschaften mit Dingen, Vorgängen oder Vorkommnissen in Verbindung zu setzen, die man nicht wahrnimmt. Wenn diese Assoziationen von einem ausreichend breiten Kreis von native speakers angenommen werden, fangen sie an, als eine Bedeutung des Begriffs „Donner" betrachtet zu werden. Niemand kann im voraus sagen, wo die äußerste Grenze für diese Assoziationen liegt. Daraus läßt sich jedoch nicht folgern, der Begriff „Donner" sei vollkommen unbestimmt oder — wie viele heute sagen würden — ein Zwischenmoment in der unabzählbaren Reihe der Zeichen, von denen keines einen unbeweglichen Bedeutungskern habe, es sei denn nach der rein konventionellen oder historischen Perspektive einer Sprache betrachtet. Kurz: Deutsch ist eine historische Sprache, und die mit den Wörtern dieser Sprache assoziierten Begriffe sind ebenso geschichtliche beziehungsweise perspektivisch veränderliche Entitäten. Der Donner aber ist ein Naturphänomen; genauso wie er nicht mit einem sonnigen Himmel verwechselt werden kann, so sind auch die annehmbaren Perspektiven oder Bedeutungsebenen begrenzt, die sich dem semantischen Kern des Begriffs „Donner" hinzufügen lassen. Sogar diejenigen, die darauf bestehen, Denken könne vom Diskurs nicht losgelöst werden, sind nicht imstande, uns davon zu überzeugen, daß der Diskurs unlöslich mit den Naturphänomenen verbunden sei. Das zuletzt Gesagte muß nun zweifach differenziert werden. Zum einen läßt sich feststellen, daß wir oft genötigt sind, unsere Vorstellungskraft im Dienste der Identifizierung von Naturphänomenen einzusetzen. Von Beispielen dieser Art wimmelt es in der zeitgenössischen Physik oder in Wissenschaften, in denen hauptsächlich nach Modellen verfahren wird. Zum anderen läßt
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sich aber feststellen, daß auch imaginäre oder künstliche Entitäten den semiotischen Perspektiven, welche zu ihrer Betrachtung oder gar Deutung dienen können, eine Grenze ziehen. Beides zusammen schützt meine Ausführungen gegen den Einwand, die Beobachtung von Naturphänomenen sei doch nicht auf Sinneswahrnehmung und Wahrnehmung durch den Intellekt beschränkt. Die Eigenschaften der Materie sind anfänglich wahrnehmbar. Unser Wahrnehmungsvermögen aber unterliegt seinerseits der Interpretation durch den Verstand. Bei der Vertiefung der naturwissenschaftlichen Studien spielt die Vorstellungskraft im Hinblick auf die Interpretation der Phänomene eine immer größere Rolle. Dem möchte ich zustimmen, obgleich ich auch vor einem zu lockeren Gebrauch der Termini Einbildungs- bzw. Vorstellungskraft warnen muß. Die Einsicht in die möglichen Folgen von vorfmdlichen Phänomenen ist nicht dasselbe wie phantasievolle Erfindung oder das Zur-Geltung-Bringen eines persönlichen Standpunktes. Aber sogar die phantasievolle Erfindung weist eigene Grenzen auf, und zwar unabhängig davon, ob wir fähig sind oder nicht, annehmbare Regeln zur Feststellung dieser Grenzen zu formulieren. Wir können unmöglich im voraus wissen, welche Einsicht oder welcher Entwurf der Vorstellungskraft annehmbar, das heißt überzeugend oder brauchbar sein wird. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß in jedem Falle Einsicht oder Vorstellungskraft realitätsbezogen, sprich auf ein Ding, einen Vorgang oder ein Vorkommnis welcher Art auch immer bezogen wirken. Und dies ist auch der Grund, weshalb ich die Aussage, Einsicht und Vorstellungskraft wirkten auf Zeichen, für irreführend halte. Denn es muß klar gemacht werden, daß Einsicht und Vorstellungskraft auf Wörter und Begriffe, nicht auf Dinge, Vorgänge oder Vorkommnisse, geschweige denn auf Naturphänomene wirken. Wir erweitern den Begriff „Donner", nicht aber die Natur des Donners selbst. Selbstverständlich kann der Donner, wie ein jedes Naturphänomen, durch die Anwendung von wissenschaftlicher Technologie verändert werden. Diese Veränderungen aber erfolgen auf der Grundlage von Naturgesetzen, wenn der Ausdruck nicht zu altmodisch ist. Und in diesem Fall ist Donner nicht ein
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Zeichen dafür, daß man Regen künstlich herbeiführt, genauso wie das Atom auch kein Zeichen für die Atombombe ist. Behauptet werden könnte vielleicht, all das, was ich Naturphänomene — oder Dinge, Vorgänge und Vorkommnisse — genannt habe, sei selber Zeichen, und zwar in dem Sinne, daß seine Interpretation keine Grenze kenne. Denn niemand könne je sagen, die Möglichkeiten der Interpretation etwa des Donners seien nun einmal erschöpft, auch nicht wenn der Donner selbst als Grundlage der Einschätzung der Annehmbarkeit von vorgeschlagenen Interpretationen zu dienen hat. Ich bin bereit, diesen Punkt, in dem ich mit Simon übereinstimme, in folgender Weise zu akzeptieren: Jede vorgeschlagene Interpretation des Begriffs „Donner" muß im Hinblick auf ihren eigenen Wert abgewogen werden, insbesondere aber muß des weiteren entschieden werden, ob die vorgeschlagene Interpretation sich der faktischen Natur des Donners derart anpaßt, daß sie all die Denkverbindungen, die wir auf Grund des Phänomens herzustellen fähig sind, auch anbietet. Das Bestimmende dabei ist jedoch die Natur des Donners: denn eine Interpretation, die von uns die Leugnung der natürlichen Eigenschaften des Phänomens fordern würde, wäre nicht annehmbar. Wie ich mir anzumerken schon erlaubt habe, können neue Eigenschaften sicherlich entdeckt werden — wie im Fall etwa der Luftströmungen oder der Feuchtigkeitstropfen durch die statistische Mechanik. Aber diese Eigenschaften sind keine Erfindungen oder phantasievollen Interpretationen. Sie sind nämlich Entdeckungen'. Wir erfahren etwas über die Natur des Donners, was wir früher nicht wußten. Der Donner selbst ändert sich jedoch nicht durch diese Interpretationen: was sich ändert, ist der Begriff „Donner". Es wird heute oft behauptet, naturwissenschaftliche Theorien seien selber Interpretationen im Sinn von perspektivischen und somit historischen Sprachprodukten. Schlicht formuliert wäre dann das augenscheinliche Naturphänomen Donner faktisch ein Kunstprodukt der Sprache und somit auch ein historisches: ein Zeichen, ohne eine bestimmte, endgültige Natur, sondern unendlich für neue Interpretationen offen. Nähme man das buchstäblich, so liefe es wiederum auf die These hinaus, die Welt sei ein Text oder unsere Wahrnehmungs- und Erkenntniserfahrung sei ein
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Lesen aus einem Buche ohne einen bestimmten Inhalt und ohne einen identifizierbaren Verfasser. Ich halte in diesem Falle eine ausführliche Widerlegung für unnötig: ohne Zweifel bin ich leider gegen zeitgenössische hermeneutische Moden immun. Die Gründe meiner Widerspenstigkeit sind die folgenden: Erstens gibt es einen grundsätzlichen und unmittelbaren Unterschied zwischen der Erfahrung eines Gewitters und dem Sprechen oder Lesen darüber. Bedürfte es weiterer Spezifizierung, so könnten wir sagen: Wir hören das Donnern, und es ist durch die damit verbundenen Luftbewegungen kalt und durch den anschließenden Regen naß geworden. Nicht einmal Marcel Proust hätte diese körperlichen Empfindungen durch bloßes Lesen ersetzen können. Ich weiß: der erste Grund wird von überklugen Vertretern der nach-ontologischen Lehre, Sein sei Lesen und Gelesenwerden, wohl für naiv gehalten werden. Aber Naivität ist keine selbstevidente philosophische Untugend, vor allem wenn sie einen vor unfreundlichem Wetter schützt. Was den zweiten Grund betrifft, so besteht eine Interpretation jeweils darin, daß man Rechenschaft ablegt, was die Griechen nannten, und zwar von etwas Bestimmtem oder — aristotelisch gesprochen — von einem , von einem Dieses-da, das zugleich ein so Beschaffenes ist. Wäre dies nicht der Fall, wären also Interpretationen wirklich bloß Interpretationen von unbestimmten Zeichen, dann existierte keine Grundlage für einen Vergleich der Interpretationen untereinander oder für die Annahme einer von ihnen als der plausiblen und der anderen als der absurden. Es ist nicht einfach nur so, daß Interpretationen von Zeichen zeitbedingt wären oder weiteren Infragestellungen unterlägen: in diesem Falle gäbe es überhaupt keine Deutung, denn es gäbe nichts Identifizierbares zu deuten. Glücklicherweise bin ich in der Lage, diese Frage in etwas „modernerer" Terminologie zur Sprache zu bringen. Wenn Lesen Interpretieren ist, dann ist zweckgerechtes Schreiben offensichtlich unmöglich: jeder Versuch, einen Text zu „lesen", würde nämlich zur Entstehung eines Metatextes führen — man könnte nicht einmal das „richtig" lesen, was man selber geschrieben hat. Texte weisen die Stabilität von Naturphänomenen auf; ihre Zeichenhaftigkeit ist eher eine Funktion von deren Stabilität als
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eine der fortschrittlichen Theorie, Stabilität sei eine metaphysische Illusion. Einerseits stimme ich daher zu, daß wir nie Bezeichnetes erreichen können, welches seiner Fähigkeit, als Zeichen zu fungieren (über seinen Begriff — möchte ich hinzufügen), auf immer verlustig gegangen wäre. In diesem Sinne gibt es kein „endgültiges" Ersetzen eines Zeichens durch seinen Referenten. Auf der anderen Seite aber ist jede Bezeichnung endgültig: Es ist nämlich immer dieses Bezeichnete hier, welches durch dieses Zeichen hier bezeichnet wird. Jede Bezeichnung ist, auch wenn sie Zweideutigkeiten implizieren mag, — d. h. sofern und solange sie als Bezeichnung fungiert — ausreichend bestimmt, um als Grundlage für eine anschließende Verdeutlichung zu dienen. Ich möchte nun kurz einen früheren Punkt nochmals aufgreifen, der nach meinem Dafürhalten ins Herz der Sache führt: Wir dürfen nämlich Sprache, zu der Zeichen gehören, und Dinge nicht miteinander verwechseln. Zwar gibt es keinen Zweifel, daß unsere Konzeptualisierung von Dingen sprachlich durchdrungen und somit historisch oder perspektivisch ist. Die Dinge werden jedoch nicht durch unsere Rede über sie ins Sein gerufen. Der Donner ist im allgemeinen nicht Zeichen eines Gewitters, sondern er wird es nur für ein Sinnenwesen oder für das Erzeugnis eines Sinnenwesens wie einen Thermostat. Da die Unterscheidung zwischen Dingen und Begriffen Zeichen ja erst möglich macht oder da — mit anderen Worten — Zeichen Interpretationen sind (und in diesem Falle Interpretationen durch Menschen), sehe ich mich in der Lage, Simon darin zuzustimmen, daß ein menschliches Lebewesen frei ist, und zwar genau als ein Schöpfer von Zeichen. Diese Freiheit hängt aber von der unabhängigen Existenz dessen ab, was die Semiotik Bezeichnetes nennt, was ich jedoch Dinge zu nennen bevorzuge. Meine Freiheit ist eine gesetzmäßige, und zwar in einem zweifachen Sinne: Erstens orientiert sie sich immer und jeweils an gegenwärtigen Dingen dieser oder jener Art. Zweitens verwirklicht sie sich selber gesetzmäßig: Die Gesetze dieser Verwirklichung können zwar nicht im voraus angegeben werden (oder vielleicht nur ganz allgemein und platt), sie tauchen aber zusammen mit der Ausübung der Freiheit und — in unserem Falle — auch zusammen mit dem neuen Zeichen oder der neuen Interpretation auf.
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Ich kann mich hier nicht mit der Frage beschäftigen, ob diese beiden Kriterien von Gesetzmäßigkeit in Wirklichkeit nicht doch eines sind oder ob sie von Kants Freiheitslehre abweichen. Meine Absicht ist hier keine philologische, sondern eine philosophische. Ich vertrete die These, daß Philosophie unmöglich wird, wenn sie nicht ihre freie Projektion von Interpretationen (oder die Vervielfältigung von Zeichen) durch das Gewesen- und durch das Gerade-zum-Sein-Gelangt-Seiende reguliert. Eine Interpretation von Donner ist keine von Sonnenschein. Und die Extension des Begriffs „Donner", wenn er etwa den Zorn der Götter mit einschließen soll, bringt zusätzliche Gesetze ins Spiel, die auf der Natur der Götter und den Folgen ihres Zornes beruhen. Selbstverständlich sind wir in einem Sinne frei, die Götter nach Belieben aufzufassen; jn einem anderen, vielleicht doch tieferen werden wir aber von Überlegungen über die Natur der Elemente dieser Interpretationen selbst geleitet, wobei jene Überlegungen — weitgehend, jedoch nicht ganz — erst dann greifbar werden, wenn die neue Interpretation selbst hervortritt. 3. Simon schreibt in der Philosophie des Zeichens: „Die Freiheit der Interpretation (nicht die Beliebigkeit) ist das fundamentale Naturrecht, weil sie im Zeichenverstehen als solchem gründet. Alles, was wir verstehen, ist Zeichen und Zeicheninterpretation. Die Freiheit der Interpretation ist die Voraussetzung jeder Interpretation (...)." (294 f.)
Hieran kann ich noch einmal klar bezeichnen, worin ich mit Simon übereinstimme und worin nicht. Simon unterstreicht das Wort „Alles". Das geht meines Erachtens zu weit. Der Text unterscheidet nicht deutlich zwischen Zeichen als sprachlichen Kunstprodukten und Dingen, die die sprachlichen Kunstprodukte einschließen, sich auf diese jedoch nicht beschränken und die wiederum als Zeichen dienen können, aber nicht müssen. Wenn ich den Donner als ein Zeichen für Regen verstehe, ist es doch der Donner selbst, den ich meine, der Donner, zu dem der Begriff „Zeichen für Regen" gehört. Es ist also richtig, daß der Donner ein Zeichen für Regen ist, nicht jedoch, weil Donner ein Zeichen wäre, sondern weil er die Fähigkeit besitzt, als Zeichen zu dienen. Dieses „Dienen" ermöglicht die Entsprechung von Donner und diskursiver Intelligenz.
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Ich halte dies für eine grundlegende Unterscheidung. Wäre Donner bloß ein Zeichen, so wäre er auch nur ein sprachliches Kunstobjekt im Sinne einer diskursiven Interpretation, bezogen auf ein vorübergehendes Stadium der Sprachgeschichte und durch die in einem geographischen Raum festzustellende gemeinsame Denkweise, durch die allgemein bekannte Entwicklung der Naturwissenschaft, durch die zugänglichen Schemata der Konzeptualisierung und so weiter artikuliert. Es ist dies aber gar nicht das, was Donner ist. Es ist vielmehr das oder ein Teil von dem, was wir über Donner denken. Als solches könnte es auf verschiedene Weisen durch weiteres Denken und das heißt auch durch weiteres Ausüben der Vorstellungskraft modifiziert werden. Aber nichts von alledem würde sich im geringsten auf den Donner selbst auswirken (mindestens soweit wir unser Denken noch nicht in eine adäquate Technologie umgesetzt haben). Wir sind des weiteren nicht gänzlich frei bei der Interpretation von Zeichen beziehungsweise — etwas akkurater — bei dem Gebrauche von Dingen als Zeichen, und zwar aus den schon genannten Gründen. Danach müßte Simons Behauptung, „die Freiheit der Interpretation ist die Voraussetzung jeder Interpretation", eingeschränkt werden: Wenn Freiheit der Interpretation das fundamentale Naturrecht ist, dann hat wiederum als wahr zu gelten, daß das Naturrecht sich durch die Natur und nicht durch die Freiheit bestimmt. Die Natur der Dinge gibt uns das Recht zur Interpretation — mit „Recht" meine ich hier, daß die Dinge diese Fähigkeit auf unserer Seite nicht ausschließen. Dieses Recht strukturiert sich gemäß den Arten von Dingen, die wir für unsere Interpretationen wählen, auch gemäß dem, was wir über sie auszusagen wünschen und schließlich auch gemäß dem Modus, wie diese Aussage uns selber und unseren Mitmenschen verständlich gemacht werden kann. Meine Einschränkung von Simons Text mag von seiner Unterscheidung zwischen Freiheit und Beliebigkeit angeregt sein — als Kommentar zu den Worten „nicht die Beliebigkeit". Aber dazu hätte ich noch weiteres anzumerken. Zunächst eine zusätzliche Anführung. Auf Seite 262 hatte Simon behauptet: „Alles ist Zeichen, indem alles Sein für anderes (und nicht Gegenstand für ein Subjekt) ist." Der Absatz läßt eine Vielfalt von Deutungen zu. Hier möchte ich mich jedoch auf genau eine beschränken,
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auch wenn diese von der Unterscheidung zwischen „anderes" und „ein Subjekt" absieht. Simon will meines Erachtens allgemein behaupten, daß jedes Verstehen die Interpretation eines Zeichens ist, und darüber hinaus: »Jede Interpretation des Interpretanten als etwas (als Seiendes unter einer Bestimmtheit) kann selbst nur ein pragmatisches Ende finden, zu einer Zeit, zu der ein gegebenes Verstehen sich nur durch sie hinreichend verstehen läßt (...)" (279). Anders formuliert: Sein ist Zeichensein; Verstandenwerden ist Interpretiertwerden; und Interpretationen sind historische Kunstobjekte. Nun will ich mich in dieser Hinsicht also festlegen: Mögen auch Zeichen für Freiheit vorhanden sein, so doch in dem Nebensinn, daß die Interpretierenden und somit vielfältig Bezeichnenden in ihren Zwecken frei sind: die Freiheit selbst ist kein Zeichen^ keine Deutung. Wenn ich Simon richtig verstanden habe, ist die Aussage, eine Interpretation des Menschen könne nicht legitim sein, wenn sie ihn seiner Freiheit beraube, genauso grundlegend für ihn wie für mich. Menschen können zwar versklavt werden, solange eine tyrannische Ideologie die Vorstellungskraft der Menschen oder des Volkes in ihrer Macht hat. Wenn dies aber auch eine illegitime Interpretation der menschlichen Natur ist, so ist sie doch in Übereinstimmung mit dem, was Simon „Naturrecht" nennt. Meine Frage wäre also: Wie wollen wir Tyrannei als eine falsche Interpretation des menschlichen Daseins abweisen? Warum sollte Hitler nicht so frei wie Jürgen Habermas oder — in unserer Hinsicht — wie Kant sein, eine Interpretation der menschlichen Natur anzubieten? Könnte nicht auch die Interpretation durch den Tyrannen, rein pragmatisch gesehen, zu einer Zeit dienlich sein, wenn sie — und sie alleine — einen breiten Kreis von Sprechern einer gemeinsamen Sprache zum Verständnis der eigenen menschlichen Existenz bringt? Ich kann diesen Einwand auch abstrakter formulieren: Da Freiheit kein Etwas oder Sein für anderes sein kann, kann sie nach Simon auch kein Zeichen sein; oder noch radikaler ausgedrückt: Freiheit ist die Quelle, der Urgrund für die gesetzmäßige Spontaneität — eine Ausdrucksweise Kants — der Interpretationen. Vorhanden ist also ein Zeichen dafür, daß wir frei sind, aber nicht ein Zeichen für Freiheit selber als die Quelle von Zeichen. Und die Zeichen dafür, daß wir frei sind, sind in dem Sinne pervers,
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daß sie sowohl von Diktatoren als auch von Philosophen hervorgebracht werden können. Ich denke, daß die Freiheit der Interpretation deshalb nicht das fundamentale Naturrecht sein kann, weil sie die pragmatische Abschaffung von Freiheit und insonderheit die Aufhebung der Interpretationsfreiheit gerade zulassen würde. Diese Schwierigkeit ist schon in Kants Spontaneitätslehre vorgebildet. Die Behauptung, Freiheit verwirkliche sich spontan als Gesetz, vermag nichts an dem Faktum zu ändern, daß der Status eines gegebenen Gesetzes, eben weil spontan, auch kontingent ist. Ich werde diese Frage, einen Topos der Kantforschung, hier nicht verfolgen; ich erwähne sie lediglich als Hintergrund unserer aktuellen Diskussion. Die Gleichsetzung von Sein und Zeichen einerseits und von Verstehen und Deutung andererseits räumt der Spontaneität die Priorität ein. Ich bestreite also, daß Spontaneität als der wirkliche Grund für Freiheit dienen könnte. Anderenfalls könnte zwischen Freiheit und Sklaverei nicht effektiv unterschieden werden. Diese Problematik taucht auf Seite 94 der Philosophie des Zeichens auf, wo Simon sich zur Frage nach der Wahrscheinlichkeit einer Interpretation folgendermaßen ausspricht: „Diese Wahrscheinlichkeit bestimmt sich in Abhängigkeit von der Energie, die dafür aufgewendet wird, denn es gibt keine absolut definitiven Interpretationen. Es gibt nur das Verhältnis des Erfolges zur aufgewandten Mühe." Ich vermute hier einen Querverweis auf die Lehre vom ,Willen zur Macht' beziehungsweise auf das, was sich als eine hermeneutische Version der These, Macht schaffe Recht, bezeichnen läßt. Meinerseits halte ich dafür, daß es nicht die Energie, sondern die oder die Anwesenheit des von uns gerade Gedeuteten ist, was trotz aller Unvollkommenheit oder allem Helldunkel als Wahrscheinlichkeitskriterium fungiert. Aus meinem bescheidenen Aristotelismus darf jedoch nicht gefolgert werden, daß Interpretationen absolut gälten. In dem Maße, in dem ich die aristotelische These der Einheit von Intellekt und Form akzeptiere, verstehe ich diese Einheit als eine der Orientierung, nicht als eine der epistemischen Genauigkeit. Mit anderen Worten: ist die Beschränkung der Spontaneität, so wie man auch sagen könnte, die Kategorienstruktur sei die kantische Beschränkung der Spontaneität. Hinzuzufügen hätte ich
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dennoch, daß diese Analogie zu Kant nicht in Bezug auf die Kategorien selber, sondern in Bezug auf die Notwendigkeit eines Kriteriums für Ordnung und Intelligibilität zu gelten hat. Natürlich möchte ich in keiner Weise dem Menschen Spontaneität absprechen. Es ist ein Teil unserer Natur, spontan zu sein. Aber wir regulieren unsere Spontaneität durch andere Eigenschaften unserer Natur. Das läuft darauf hinaus zu sagen, wir seien keine Zeichen. Zwar mögen wir als solche dienen, indem wir unser natürliches Selbstverständnis durch einfallsreiche oder spontane Interpretationen erweitern. Diese werden aber auf Grund unserer Natur bewertet — und nicht umgekehrt. Durch spontane Interpretationen vermögen wir uns nicht als das zu bestimmen, was wir sind. Spontaneität ähnelt einem Abgrund oder Riß in der menschlichen Natur, aus dem die Zeichen und Interpretationen des um uns herum Seienden entstehen. Ich möchte die Analogie nicht zu weit treiben, doch man könnte diesen Abgrund mit dem Nichtsein ( oder nihil absolutum) vergleichen, das, weit entfernt, Darstellung eines falschen Begriffes oder einer falschen Hypostase der Negation zu sein, den notwendigen Hintergrund für das gestaltet und somit für das überhaupt wahrnehmbar Seiende bildet. Über das Nichtsein läßt sich nichts, ohne es aber ließe sich absolut nichts sagen. In gleicher Weise läßt sich nichts über Freiheit sagen. Worüber wir reden, sind Zeichen für Freisein, wie etwa unsere Anstrengungen, Argumente zu basteln, die beweisen sollen, daß wir frei sind. Meines Erachtens aber ist es die Freiheit, die das Formulieren von Argumenten selbst erlaubt. Argumente über Freiheit sind Zeichen, sprachliche Kunstprodukte, Interpretationen aus dem — und somit auch über den — Abgrund oder die Disjunktion zwischen Bewußt- und Seiendsein. Solange aber dieser Abgrund weiter gähnt, wird es kein Ende für die Schöpfung von Zeichen und Interpretationen geben. Und hierin befinde ich mich in Übereinstimmung mit Simon. So wäre meine Schlußfolgerung, daß die Entstehung von Zeichen und Interpretationen — und so auch von Philosophie — als eine Schöpfung aus eben jenem Abgrunde auch von dem abhängt, worin der Abgrund begegnet. Ein Etwas gelangt tatsächlich aus dem Nichts zum Sein, aber nur weil Sein und Nichtsein als
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unabdingbare Koordinaten aller Gestaltetheit des Seienden fungieren. Dies aber ist, wie unsere Generation nicht ganz verstanden zu haben scheint, eine fundamentale Wahrheit des Platonismus — in dessen urspr nglichem, nicht in dessen herk mmlichem oder „metaphysischem" Sinne. Eros ist der Abgrund: deshalb nennt ihn Diotima ein Deutendes (ερμήνευαν) zwischen G ttern und Sterblichen (Symp. 202 e 3). Mit diesen Bemerkungen m chte ich meine Ausf hrungen beschlie en, die zeigen sollten, wie sehr mir die Schriften von Josef Simon stets ein Ansporn waren, mich der st ndig sich entziehenden Beziehung von Sein und Denken denkerisch zuzuwenden.
WOLFRAM HOGREBE (Düsseldorf) Metafisica Povera 0. Metafisica povera Auf die einfache Frage, was die Philosophie der Menschheit verspricht, lautet eine alte, ebenso plausible wie lapidare Antwort: Beratung (consilium).1 Freilich suchen wir diese Beratung aus unterschiedlichen Motiven und Veranlassungen und können es eben deshalb auch nicht verhindern, daß wir sie immer auch als das finden, als was uns unsere Veranlassungen sie haben suchen lassen. Die Voraussetzungen, aus denen wir Zugänge zur Philosophie suchen, gehen in die Begriffe ihres consiliaren Geschäftes also stets mit ein. Ein immer noch lehrreiches Beispiel für die Kontraste, die sich von unterschiedlichen Zugangsveranlassungen auf das intendierte Projekt der Philosophie selbst verlagern und vererben, ist die Differenz zwischen Dante und Petrarca. Dante sucht und findet die Philosophie aus der schmerzlichen Erfahrung des Verlustes der geliebten Beatrice. Der Sog dieser offenbar tröstlichen Begegnung mit dem zeitgenössischen Denken vor allem aristotelischer Provenienz stimuliert ihn, auf eine ferne Philosophie noch zuzudichten, die Beatrice ein allegorisches Überleben sichert. Beatrice mag buchstäblich ein sterbliches Wesen aus Fleisch und Blut gewesen sein, aber ihr Name steht auch noch für Anderes und Höheres (quo tendas). In dieser Steigerung ist sie ,ftglia di Dio' und verschmilzt als ,donna gentilissima' mit der ,donna gentilissima Filosofia', ist als ,regina di tutto' zugleich ,nobilissima e bellissima Filosofia4.2 1 2
SENECA, Ad Luc. 48, 7. DANTE, II Convivio, II, XII, 9; II, XV, 1.
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Im Kontrast zu dieser Hochform sucht Petrarca in der römischen Antike nach den Spuren einer Philosophie, die gerade im Unterschied zum aristotelisch-scholastischen Schulbetrieb seiner Zeit eine größere Nähe zum Leben aufweist und bloß den bescheidenen Adel einer epikureischen Authentizität verlangt. Petrarca stellt seinen Zugang zur Philosophie so unter die projektive Veranlassung, sie als das zu finden, was der ciceronischen Formel einer ,philosophia* als ,ars vitae' genügt.3 Einer Philosophie also, die nicht nur in Büchern (non in libris tantum), sondern in den Seelen und Herzen wohnt (sed in animis), die sich nicht in Worten (non in verbis), sondern in der Sache selbst (in rebus) findet.4 Denn nur in dieser habitualisierungsfahigen und sachständigen Gestalt ist die Philosophie bescheiden genug, um der hier für Petrarca verbindlichen Forderung Senecas nach Armut im Geiste als Voraussetzung der Freiheit des Geistes gewachsen zu sein.5 Tatsächlich verteidigt Petrarca eine in dieser Bescheidenheit auftretende Philosophie ausdrücklich gegen diejenigen, die von materiellen Interessen benommen, der Philosophie ihre Armseligkeit herablassend vorwerfen und sagen: ,Povera e nuda vai, Filosofia'.6 Die Differenz zwischen Dante und Petrarca in ihrem Zugang zu Philosophie könnte nicht größer sein, obwohl es gewiß und ansonsten Verbindendes, Gemeinsames gibt. Auch Dante betont, daß die Philosophie trotz ihrer sachlichen Nobilität schon dem Wortsinn nach alle Anmaßung außer sich hat und bescheiden auftritt.7 Petrarca wiederum scheint sich die Formel ,povera e nuda' von Dante aus anderem Kontext entlehnt zu haben8, ob3 4
5
6 7 8
CICERO, De fin. Ill, 4/2. CICERO, Ep. fam. XII, 3, 10: (...) philosophiam amo; non illam loquacem scolasticam ventosam qua ridiculum in modum literatores nostri superbiunt, sed veram et non in libris tantum sed in animis habitantem, atque in rebus positam non in verbis. Cf. SENECA, Ad Luc. 17,5: Si vis vacare animo, aut pauper sis oportet aut pauperi similis. PETRARCA, Ganz. VII, 10. Cf. DANTE, Conv. 111,11. Cf. DANTE, Vita Nuova XXXIII. Diesen Nachweis (nach M. Schirillo (ed.), F. PETRARCA, II Canzoniere, Milano 1925, 118 Anm. zu VII, 10) verdanke ich R. KLESCZWESKI.
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wohl er ebenso in einer untergründigen platonischen Tradition steht, die die Philosophie als Eros und diesen als arm ( ) und barfuß ( ) auf den Straßen herumstreunend zu verstehen gibt.9 Gleichviel: Für uns ist Petrarcas Charakterisierung der Philosophie als ,filosofia povera e nuda* gerade im Kontrast zur ,filosofia nobilissima e bellissima' Dantes nur Anstoß, auch die Metaphysik in ihrer äußersten Ärmlichkeit aufzusuchen, die ihr nach ihrer systematischen Pauperisierung durch Kant, Nietzsche und die Philosophie unseres Jahrhunderts allenfalls noch geblieben ist, sofern sie in diesem Verelendungsgeschehen nicht tatsächlich schon zugrundegegangen sein sollte, wie manche behaupten. Die Idee dieses Zugangs zur Metaphysik ist einfach die, daß sie in ihrer dantesken Steigerungsform als ,nobilissima Metafisica' zu Recht der Erosion einer kritischen Pauperisierung ausgeliefert wurde, daß sie aber in einer petrarcistischen Bescheidenheitsform, eben als ,Metafisica povera', vielleicht eine ungebrochene authentische Lebendigkeit besitzt, die bloß gute Chancen hatte, unbemerkt zu bleiben. Dieser Intuition folgend werden wir uns einen Zugang zu dieser vielleicht noch überlebenden Metaphysik nur verschaffen können, wenn wir uns in epistemischen Notstandsgebieten umsehen. Wir dürfen uns also nicht scheuen, die semantische Unterwelt aufzusuchen, die wir nicht nur in Zonen des Unverständlichen, der Stimmung, Ahnung und Mutmaßung finden, sondern sogar an den Rändern besten Wissens der Wissenschaften. Aus der Tiefe der semantischen Unterwelt dringt, wenn wir nur recht zu hören verstehen, sogleich die Stimme der Sibylle von Cumae, die Schreckliches (horrendas) und Rätselvolles (ambages) verkündet: Wahres, wie Vergil erläutert, in Dunkles verhüllend (obscuris vera involvens).w Wer immer in solchen Situationen auf ein cartesisches Equipment dare et distincte setzt, dem wird eine solche sibyllinische Wahrheit nicht zugänglich sein. Wir jedoch werden Leibniz folgen und für eine solche Wahrheit in der Tiefe semantischer Rätselhaftigkeit empfindlich bleiben, weil uns sonst viel9 10
PLATON, Symp. 203 c—e. VERGIL, Aen. VI, 98-101.
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leicht a limine das Medium verloren ginge, in dem die ,Metafisica povera' hinreichend unbemerkt überleben konnte. Unseren Aufenthalt in der semantischen Unterwelt werden wir auf zwei Kreise des Infernos der Referenz beschränken, um schließlich mit einem Ausblick in das Purgatorium des reinen Simonismus zu schließen. So werden wir uns zunächst von Mallarme durch den Kreis der unheimlichen Analogie führen lassen, dann mit Milton Munitz den Kreis des korrupten Begriffs der ungebundenen Existenz betreten, um schließlich einen tröstlichen Ausblick auf das Purgatorium eines geläuterten Zeichenbegriffs nach Art des reinen Simonismus zu wagen.
1. Erster Kreis der semantischen Unterwelt: Die Hasard-Theorie der Referenz Unsere Empfindlichkeit für Wahres in der Tiefe semantischer Rätselhaftigkeit werden wir sogleich auf eine harte Probe stellen, wenn wir uns entschließen, in der semantischen Unterwelt Informationen zuzulassen, die wir normalerweise, also im Lichte der semantischen Oberwelt, einfach als sinnlos bezeichnen würden. Wir beginnen also mit der ,Tätigkeit des Sinnlosen' (Hegel). Gewiß haben wir auch in der semantischen Oberwelt in der Regel vertraute Bekanntschaft zumindest mit jenen unschuldigen Kindern der Sinnlosigkeit, die wir unabsichtlich selbst erzeugen, indem wir bloß vor uns hinmurmeln und die Semantik der Worte ihrem Klang, der bloß Seinesgleichen aufruft, anheimgeben. Auf diese Erfahrung zielt Mallarme, wenn er den Leser fragt: „Erklangen von deinen Lippen schon einmal unbekannte Worte, unwillkommene Fetzen eines sinnlosen Satzes?"11 So leicht wir diese Frage, eine hinreichende Phantasie-Ausstattung vorausgesetzt, auch bejahen mögen, aufregender bis zur Verstörung sind offenbar Situationen, in denen sinnlosen Wortfolgen und Satzfetzen plötzlich doch Sinn zuwächst, wenn wir gewahren, daß ihnen in unvermuteter Weise etwas entspricht. Einen Bericht über eine 11
S. MALLARME, Le Demon de l'Analogie, hier und im folgenden zit. nach der Übertragung von C. Fischer (Stephane Mallarme, Sämtliche Gedichte, Heidelberg 1957, 210/11 ff.).
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solche Erfahrung der geradezu unheimlichen Kontingenz der Referenz bietet uns Mallarme unter dem Titel ,Der Dämon der Analogie'. So hatte er eines Morgens, als er seine Wohnung verließ, „die eigentümliche Empfindung eines Fittichs, der über die Saiten eines Instrumentes streicht". Dazu vernahm er eine Stimme, die die Worte sang: ,Penultima ist tot'. Dieser Satz und die ihn begleitende eigentümliche Empfindung werden nun für den Dichter geradezu eine Obsession, die er nicht mehr los wird. Er geht durch die Straßen und murmelt diesen sinnlosen Satz vor sich hin: „Penultima ist tot, sie ist tot, ganz tot, die arme Penultima". Nun geschieht jedoch etwas, was Mallarme als Eingreifen des Übernatürlichen (intervention du surnaturel) bezeichnet: „ich sah, als ich die Augen hob, daß ich in Gedanken in die Straße der Antiquitätenhändler gelangt war und vor dem Geschäft eines Instrumentenmachers stand, der alte an der Wand hängende Musikinstrumente, am Boden liegende Palmzweige und ins Dunkle geflüchtete Fittiche feilbot. Ich floh betroffen, möglicherweise dazu verdammt, um eine unerklärliche Penultima zu trauern." Man verkennt die Botschaft dieses kleinen Prosa-Textes, wenn man Mallarmes These von der Kontingenz der Referenz in ihrer Gültigkeit auf die semantische Unterwelt beschränkt sähe. Die Pointe ist lediglich die, daß gerade hier diese Kontingenz spektakulär erfahren wird, obwohl sie der Sache nach für alle unsere Verlautbarungen gegeben ist. Ob unsere Sätze insgesamt, nicht nur sinnlose Satzfetzen, in eine Korrespondenz zu einem Sachverhalt einrücken, also referentielles Gewicht erlangen und so vielleicht wahr werden, dieses Geschehen ist für Mallarme in der Tat ein übernatürliches Ereignis in dem unschuldigen Sinn, daß unsere Sätze ihre Wahrheit nicht erzwingen können, daß auch die Welt unsere Sätze nicht erzwingt, sondern daß sich zwischen beidem, zwischen Satz und Welt, ein unaufhebbar zufälliges Korrespondenzereignis einstellen muß. Diese Hasard-Theorie der Referenz ist auch die Botschaft des wohl berühmtesten und letzten Gedichtes von Mallarme Un Coup de Des aus dem Jahre 1897.12 Das Gedicht endet bezeichnenderweise mit dem Satz: „Toute 12
a. O., trad. C. Fischer, 157/177 ff.
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Pensee emet un Coup de Des", jeder Gedanke ist ein Würfelwurf. Diese Universalisierung der Hasard-Semantik ist das letzte Wort Mallarmes. Ob also allgemein unsere Sätze ein Modell in der Welt haben, das liegt nicht in der Macht der Sprecher, nicht in der Macht der Sprache, nicht in der Macht der Welt, sondern in der Macht eines kontingenten Korrespondenzereignisses. Was sich hierin zeigt, ist ein Gelingen, für das wir zwar kriterielle Anhaltspunkte haben, die aber niemals ein garantierendes Niveau erreichen, sondern immer nur ein autorisierendes (Rescher). Eben wegen dieser irreduziblen Restkontingenz wird Wahrheit zuletzt als Freiheit begriffen, wie J. Simon vorgeschlagen hat.13 Wenn wir daher gehalten sind, die Restkontingenz des Wahrheitsgeschehens jenseits der semantischen Kraft unserer Sätze, jenseits der physischen Kraft möglicher Sachlagen anzusiedeln, dann haben wir hier ein metasemantisch-metaphysisches Ereignis vor uns, das so kärglich ist, daß es sich schon in jeder gelingenden Referenz dokumentiert, das so nackt ist, daß wir über dieses Ereignis in seiner nicht wegzubringenden Kontingenz nichts weiter sagen können. Keine Frage, daß wir damit ein Ereignis ausfindig gemacht haben, das in besonderer Weise die Armutsanforderungen erfüllt, die an Gegenstände einer ,Metafisica povera' zu stellen sind. So rettet dieses Ereignis auch unsere Intuition, daß gerade in prima vista Dunklem und Rätselhaftem tiefe Wahrheit schlafen könnte, rettet die von Vergil postulierte Möglichkeit sibyllinischer Wahrheit: obscuris vera involvens. Und wenn unsere kognitive Kompetenz normalerweise auf die Registratur von Invarianten und Konstanten geeicht ist, auf die Wahrnehmung sich durchhaltender Strukturen, dann verdankt sich unser Gewahren des kontingenten Geschehens der Referenz offenbar einer eigenen Sensibilität, einer Empfänglichkeit für Gelingendes, kurz: einem sensus contingentiae, der sich letztlich als die Seele der Referenz zu erkennen gibt. Aber wir dürfen bei der Konstatierung unseres Kontingenzorgans nicht stehenbleiben, sondern müssen uns auch fragen, wie es möglich ist, daß unsere mentale Verfassung einer Registratur kontingenter Ereignisse überhaupt fähig ist. 13
J. SIMON, Wahrheit als Freiheit, Berlin/New York 1978.
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2. Zweiter Kreis der semantischen Unterwelt: Ungebundene Existenz In der semantischen Unterwelt haben wir es nicht nur mit Unverständlichem auf sprachlicher Seite zu tun, sondern auch auf der Seite der Gegenstände. Dinge können uns unbekannt sein, merkwürdig vorkommen, rätselhaft. Paradox wird die Situation jedoch, wenn wir den Fall studieren, in dem wir mit einem Gegenstand konfrontiert sind, von dem wir bestes Wissen vom Typ seriöser Wissenschaft haben, der sich einer davon unabhängigen Zugänglichkeit aber vollkommen entzieht. Der Gegenstand hinter diesem Wissen bleibt opak, sackt in die semantische Unterwelt ab, obwohl die Theorien von ihm so gut sind, wie sie in der semantischen Oberwelt nur sein können. Dieser Gegenstand ist z. B. das Universum als Gegenstand kosmologischer Theorien. Milton Munitz hat dieser paradoxen Situation eine Analyse gewidmet, die ihn dazu nötigt, einen bizarren Existenzbegriff einzuführen, der auch in den dunkelsten Regionen der semantischen Unterwelt noch trägt, obwohl er nichts Informatives an sich hat. Der Gedankengang von Munitz läßt sich so zusammenfassen:14 In der Kosmologie mögen wir das begriffliche Werkzeug für die Beschreibung und Erklärung der Eigenschaften des Universums als eines maximal intelligiblen Systems ein kosmologisches Modell nennen. Jedes kosmologische Modell kann nun charakterisiert werden durch eine gewisse Menge genereller Terme, die innerhalb eines Modells miteinander konsistent sein müssen. Einige kosmologische Modelle machen so Gebrauch von Termen, die der Partikel-Physik entnommen sind, andere nicht. Einige interpretieren eine modifizierte Variante der Relativitätstheorie Einsteins, andere verwenden seine ursprüngliche Version. So unterscheiden sich die kosmologischen Modelle vor allem auch durch die charakteristische Menge jener generellen Terme, aber jedes Modell beansprucht doch, Modell dessen zu sein, was das maximal intelligible Ganze ist, jedes Modell definiert seine eigene 14
Cf. zum folgenden M. MUNITZ, Cosmic Understanding, Princeton 1968, chap. 6: The Boundless, insbesondere den Abschnitt: Boundless Existence (228 ff.).
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Version des Universums als eines Ganzen. Wenn es sich nun zeigt, daß unter konkurrierenden kosmologischen Modellen eine Variante Vorzüge vor den anderen aufweist, dann können wir den Statuswandel hier so ausdrücken: es gibt ein derart, daß es gerade solche Eigenschaften aufweist, die von dem bevorzugten Modell postuliert werden. Die Entitätj die diese prädikativen Erfordernisse erfüllt, der Individuenwert von x, ist gerade das Universum als Gegenstand unserer kosmologischen Erkenntnis. Es ist so jenes Existierende, das die Prädikate des bevorzugten kosmologischen Modells instantiiert oder exemplifiziert. Insoweit gibt es noch keine Unterschiede zu unserem Verständnis von Existenz in sonstigen Fällen. Es handelt sich regulär um die Existenz von Individuen, die einen oder mehrere generelle Terme exemplifizieren. Allerdings gibt es doch einen gravierenden Unterschied in der Art und Weise des Exemplifizierens. Normalerweise ist die Allgemeinheit von generellen Termen an das Phänomen der wiederholten Anwendbarkeit geknüpft, und gerade das ist bei einem kosmologischen Modell nicht der Fall. Bei allen Wissenschaften außer der Kosmologie stehen die generellen Terme für die Möglichkeit, daß es mehr als eine Instantiierung gibt, daß es mehrere Exemplifikate gibt. Selbst wenn es bislang nur ein bekanntes Beispiel für eine Gesetzmäßigkeit gibt, wird es doch möglicherweise mehrere geben. Denn jedes Individuum, das existiert, ist normalerweise in einen Kontext anderer Individuen eingebettet, die existieren und mit ihm Eigenschaften gemeinsam haben. In dieser Weise ist das Universum als singulärer Gegenstand offenbar nicht gegeben, z. B. als etwas, das in den Kontext anderer Universen eingebettet ist. Tatsächlich ist das Universum in diesem Sinne überhaupt nicht ,gegeben', da es nur im Lichte eines kosmologischen Modells zugänglich ist. Und da das Universum nach Definition das maximal intelligible System heißen möge, kann es nicht mehr als ein Universum geben. Es gibt hiernach offenbar nur eins, das auf einem bestimmten Stand der kosmologischen Forschung durch ein bevorzugtes Modell repräsentiert wird. Insofern differiert der Gegenstand der Kosmologie von den Gegenständen aller anderen Wissenschaften, da er einzig ist. Und da die Erkennbarkeit dieses einzigen Gegenstandes nur durch das Modell gegeben ist, ist das Universum als Gegenstand des Wissens
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geradezu Produkt des Wissens. Die Existenz des Universums ist hiernach also begrifflich gebunden. Allerdings provoziert die begriffliche Gebundenheit auch Versuche, den kosmologischen Verstehenshorizont als solchen abzutasten. So fragt man sich beinahe unwillkürlich: wenn jeder Stand der kosmologischen Forschung ein in diesem Sinne begrifflich gebundenes Verständnis des existierenden Universums liefert und wenn die Grenzen dieser begrifflichen Bindung nur überschritten werden können durch Bereitstellung eines anderen, überlegenen kosmologischen Modells, gibt es dann überhaupt die Möglichkeit eines ,Ausbruchs' aus dieser epistemischen Gebundenheit der Existenz des kosmologischen Gegenstandes? Die Frage ist natürlich, wie uns eine modelltranszendente Realität überhaupt zugänglich sein kann. Denn es ist klar, daß diese nicht wieder durch ein begriffliches Modell vermittelt sein kann, sondern irgendwie direkter Art sein muß. Läßt sich hier überhaupt noch etwas einigermaßen Nachvollziehbares ausmachen, würde dies auch Licht auf einen Existenz,begriff' werfen, der mit Existenz unabhängig von generellen Termen zu rechnen hat, mit prädikativ ungebundener Existenz, die Munitz ,Boundless Existence' nennt. Ein solcher Existenzbegriff, der von aller Begrifflichkeit emanzipiert ist, droht uns allerdings unter unseren Händen wegzugleiten, verflüchtigt sich nach seiner prädikativen Pauperisierung gleichsam ins tiefste Dunkel der semantischen Unterwelt. Es liegt auf der Hand, daß Munitz mit seinem Hinweis auf das Gewahren der unbegrenzten Existenz sich schließlich explizit in eine Tradition stellt, die an der Konzeption des bei Anaximander und Kants Lehre vom Ding an sich anknüpft. Tatsächlich sieht Munitz in dem von ihm explizierten Gegensatz von ungebundener und gebundener Existenz auch die Fortführung der von Heidegger namhaft gemachten ontologischen Differenz von Sein und Seiendem. Munitz hält an der Gewahrung der ungebundenen Existenz, an der Erfahrbarkeit des Seins fest, gibt jedoch seine Erkennbarkeit preis. Man kann seine Strategie hier auch so formulieren: gerade durch epistemische Pauperisierung wird das metaphysische Vorphänomen, die ungebundene Präexistenz gerettet. Allerdings bleibt Munitz dann bei Charakteristika der ungebundenen Existenz im Stile einer west-östlichen Mystik stehen und befindet, daß man sie nach Art einer negativen Theolo-
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gie letztlich nur verneinend andeuten kann und empfiehlt: „to say constantly ,not this, not that'."15 Zwar kann man sagen, daß im gewöhnlichen Sinne Existierendes (ordinary existents) insgesamt die ungebundene Existenz ,exemplifiziere', an ihr ,teilhabe' oder daß die ungebundene Existenz ,unausschöpfbar', ,infinit' sei oder daß die ungebundene Existenz eine ,infinit kreative Quelle' sei. Aber alle diese Umschreibungen und Analogien sind kognitiv wertlos bis auf ihre maieutische Kraft, der Erfahrung der ungebundenen Existenz zur Geburt zu verhelfen. So verschenkt Munitz an dieser Nahtstelle von Nicht-Sinn und Sinn, an der Nahtstelle des Abgrunds der semantischen Unterwelt und der explizierbaren Gründe der semantischen Oberwelt die Chance, die Erfahrung der ungebundenen Existenz aus der Eigenart unserer mentalen Verfassung heraus zu erklären, damit sie nicht als ein bloß bizarres Phänomen stehenbleibt. Zwar sieht Munitz, daß unsere Existenzaussagen im üblichen Sinn irgendwie die postulierte ungebundene Existenz exemplifizieren, aber warum das so ist bzw. woraus sich das erklärt in einem Sinne, daß das so sein muß, damit uns der Sinn auch nur gebundener Existenz klar wird, das sieht er nicht. So ist zunächst und durchaus noch im Sinne von Munitz festzuhalten, daß wir ohne die Annahme einer modelltranszendenten Realität in der Kosmologie eine realistische Option in dieser Wissenschaft preisgeben müßten. Denn wenn wir die Annahme einer modelltranszendenten Realität fallen lassen, dann würden wir nicht mehr sagen können, daß diese Modelle Repräsentationen des Universums sind, weil wir sie dann nur als Präsentationen von Universen zulassen könnten. Die Einheitlichkeit des Universums macht offenbar ohne die Annahme einer modelltranszendenten Realität keinen rechten Sinn mehr, jedes Modell kreiert dann gewissermaßen sein eigenes Universum. Für diesen Fall würden wir uns also auf einen Modell-Phänomenalismus festlegen, der nur einen semantisch und sensorisch gebundenen Existenzbegriff zuläßt. Das bedeutet, daß es für uns in dieser Konzeption nichts sonst geben kann, was sich nicht semantisch und sensorisch ausweisen läßt. Diese Konsequenz steht allerdings dem Faktum 15
MUNITZ, a. O. 233.
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entgegen, daß wir durchaus geneigt sind mit etwas, das existiert, zu rechnen, für das wir z. B. zur Zeit noch kein geeignetes semantisches Modell zur Verfügung haben. Ebenso sind wir sicher bereit, etwas als möglicherweise existierend zu akzeptieren, was unseren Sensoren nicht zugänglich ist. D. h. wir verfügen zweifellos über die erörterungsbedürftige Intuition eines Existenzverständnisses, das von der Existenz einer registrierenden Instanz, d. h. von der Existenz unserer semantischen und sensorischen Registratur, völlig unabhängig ist. Die Intuition dieses Existenzverständnisses nehmen wir nun keineswegs nur in der Kosmologie in Anspruch, sondern schon dann, wenn wir uns Gedanken über die Welt vor und nach uns machen. Aber auch jede normale semantisch und sensorisch gebundene Existenzzuschreibung nimmt diese Intuition in Anspruch: wir unterstellen nicht, daß die Existenz desjenigen, worauf wir als ein existierendes Soundso hinweisen, in unserem Hinweis oder unserer Beschreibung aufgeht. Auch dieser kommunikative Sinn von Existenz ist getragen von der Anerkennung einer transkommunikativen Realität, die allerdings völlig unbestimmt bleibt. Dieser Unbestimmtheit tragen wir Rechnung mittels des Pronomens ,irgendetwas', mit dem stets eine ebenso unbestimmte Existenzannahme verbunden ist. So hören wir bei der nächtlichen Wache am Feuer ein Geräusch im Dunklen und teilen flüsternd mit: da ist irgendetwas. Gerade in solchen Szenen unseres Sicherungsverhaltens ist uns unser pronominaler Bezug wohlvertraut. Aber er bleibt auch erhalten, wenn er hinter einem reichen Informationsstand unseres Kommunizierens kaum mehr merklich ist. So tritt er erst dann wieder deutlich hervor, wenn wir uns verirren, in aporetischen Situationen, oder wenn wir auf einen Gegenstand Bezug nehmen, zu dem wir nur Zugang durch konkurrierende Modelle haben wie z. B. auch in der Teilchen-Physik. Entsprechend sind eben auch kosmologische Theorien Repräsentationen des Universums als irgendetwas, das unabhängig von Modellen und Theorien, die wir uns von ihm machen, existiert. So sorgt der pronominale Bezug dafür, daß unsere Modell-Welten transparent bleiben, nicht in dem Sinne, daß uns dadurch ein Durchblick auf das modelltranszendente Universum gewährt würde, sondern nur in dem Sinne, daß jede Modell-Welt auf irgendetwas hin transparent bleibt.
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Der Terminus Angebundene Existenz' von Milton Munitz steht so für unsere elementare pronominale Ausrichtung auf irgendetwas, steht für unseren mentalen Transfinitismus, der sich als Gerichtetheit mit Focus ins Unbestimmte, d. h. als Apeirotropismus bezeichnen läßt. Und diese mentale Ausrichtung auf irgendetwas Unbestimmtes ist auch überall da wirksam, wo wir externen Reizen irgendeine Bedeutung zuerkennen, d. h. als Zeichen auffassen. Ohne diese pronominale Ausrichtung gäbe es keine Zeichen, aber mit ihr wird alles Zeichen. Sie erst sorgt dafür, daß es kein registratum tantum gibt, weil jedes registratum durch unsere pronominale Ausrichtung sofort einen Schatten auf irgendetwas hin wirft, durch den seine Bedeutungshaltigkeit aufgebaut wird. Im Focus unseres pronominalen Bezuges wirft alles Schatten, in denen Bedeutungen wachsen können. Sie verschaffen uns erst die Möglichkeit, ein semantisches Feld aufzubauen, ohne das wir zeichenlos wären. So ist ,irgendetwas' in seiner ganzen Ärmlichkeit und Nacktheit der metaphysische Prinzengegenstand eines sich aufbauenden Geistes, ist unsere Sache, die wir nicht verlieren dürfen, um zu uns kommen zu können: cosa nostra povera e nuda. Aber warum rechnen wir diesen pronominalen Gegenstand der Metaphysik zu? Ist er nicht eher ein Gegenstand der Logik, nämlich als Variable? Gewiß können wir unsere mentale Ausrichtung auf irgendetwas nach Art einer Intention auf die natürliche Variable ,irgendetwas' beschreiben, vielleicht mit Husserl als jLeerintention*, aber nur dank dieser pronominalen Bezüglichkeit können wir dann auch in künstlichen Zeichensystemen Stellvertreter-Zeichen nach Art der üblichen Variablen einführen. Die natürliche Variable als Gegenstand der Metaphysik liegt jenseits aller Muster, aller Prädikate, aller Beschreibungen und Erklärungen, so daß wir eben diese dem Konkurrenzdruck auf dem freien epistemischen Markt überhaupt aussetzen können, weil der Anschluß an das intendierte Objekt der Beschreibungen, Prädikate, Muster per pronominaler Ausrichtung unbestimmt erhalten bleibt. Nun ist diese Charakteristik insofern sachlich unzureichend, als wir uns bloß auf eine gleichsam eindimensionale Ausrichtung und Bezüglichkeit konzentriert haben. Faktisch ergeben sich, wenn wir unsere Ausrichtungsnatur auf der Folie unserer Fraglich-
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keitserfahrungen spezifizieren, sofort ebensoviele Zersetzungen des pronominalen Gegenstandes, wie es Fraglichkeitsdimensionen gibt. So fühlen wir uns bedroht und wollen fliehen: irgendwohin. So müssen wir handeln, fragen uns wie, wissen nicht wie, aber irgendwie muß es gehen. So sind wir insgesamt schon irgendwer und kommen irgendwoher, sind stets irgendwann irgendwo, haben irgendetwas vor, entscheiden uns unter mehrerem für irgendeins und handeln irgendwie. In diesem indefiniten pronominalen Raum organisieren wir, organisiert sich unser mentales Existieren, dem Heidegger eben deshalb die pronominalisierte Existenzbezeichnung ,Dasein' gibt. Dieser Raum kann nicht abgemessen werden, sondern hat vektoriellen Charakter, den wir durch indefinite Pronomina bloß anzeigen. In einem prägnant metaphysischen Sinn ist dieser pronominale Raum unsere Welt, ohne die es für uns keine sonstige gäbe. Nur weil wir in dieser pronominalen Welt leben, werden uns die sonstigen Welten, sensorische und semantische, transparent. In diesem vektoriellen Raum erst können wir Kontingenzen wahrnehmen, erst in ihm werden Sinneffekte vom Typ ,unheimliche Analogie' im Stile Mallarmes möglich, erst in diesem vektoriellen Raum können wir auch flüchtigste Ähnlichkeiten registrieren, ohne die es keine intelligiblen Kontexte gäbe. Denn auf „die Wahrnehmung vager Ähnlichkeiten eingestellt zu sein", so bemerkt D. Hofstadter zu Recht, „ist das Kennzeichen der Intelligenz, ob uns das nun paßt oder nicht."16 In diesem vektoriellen Raum können wir daher plötzlich Ähnlichkeiten wahrnehmen, wo andere keine sehen und erst sehen lernen müssen. Und diese Ähnlichkeitsvirtuosität ist möglich für diejenigen, die dem pronominalen Vektor einer Fraglichkeitsdimension weiter folgen können als andere, für diejenigen, die in der Lage sind, der Transparenz eines gegebenen semantischen oder sensorischen Equipments in höherem Maße Rechnung zu tragen als andere. Abstraktive 16
D. R. HOFSTADTER, Metamagicum. Fragen nach der Essenz von Geist und Struktur. Aus dem Amerik. v. U. Enderwitz u. a., Stuttgart 1988, 599. — J. Simon machte in einem Diskussionsbeitrag den Vorschlag, die pronominale Transparenz in eine Theorie unseres Zeigfeldes einzubinden. Er verwies in diesem Zusammenhang auf die Auffassung Hegels, daß die Auslegung des Absoluten eben nur ein Zeigen ist und nicht mehr ein Bestimmen.
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Leistungen beruhen nicht auf einem Absehen von, sondern auf einem Hindurchsehen auf Unbestimmtheit hin. Der pronominalen Welt verdanken wir so die Transparenz der Welten, aber nur diese Transparent Sie gibt uns keinen Durchblick auf eine wahre Welt frei, sondern nur einen Durchblick durch jede Welt. In diesem Sinne ist die Metaphysik nicht, wie Paul Valery bemerkt, „die Übertreibung einer Wahrnehmungsweise"17, sondern die Übertreibung jeder Wahrnehmungsweise. Ohne diese metaphysische Hypertrophie gäbe es keine semantischen Trophäen. Paul Valery, der Dichter unserer Pronominalität, hat dies geahnt: „Das Pronomen entstand nicht nach dem Nomen, sondern davor — (,..)."18 Und: „Jenseits, diesseits der Namen, der Nomina sind die Pronomina, die — wahrer sind und näher der Quelle,
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Man darf nun nicht den apeirotropen Transfinitismus unserer mentalen Ausrichtung dadurch stillstellen oder begrenzen, daß man die Pronomina im Stile einer mißverstandenen Substanzontologie als Bezeichnungen von Entitäten deutet, das heißt: sie als Endpunkte unserer vektoriellen Ausrichtung ontologisiert. Solche Endpunkte gibt es nicht, Pronomina bezeichnen im strikten Sinne nichts, sondern deuten, wie Frege sagt, nur unbestimmt an, sind nur Bezeichnungen unserer indefiniten Bezüglichkeit, und diese hängt nicht an einer Form der Grammatik oder, wie Valery gelegentlich mit Nietzsche annahm, an der „Form der indoeuropäischen Sprache."20
3. Purgatorium der Referenz: Der reine Simonismus Unser Gang durch die semantische Unterwelt hat uns mit metaphysischen Ereignissen vertraut gemacht, die sich in gelingender Referenz, in der Transparenz der Welten, und, was hier nicht 17
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P. VALERY, Cahiers/Hefte, ed. H. Köhler/J. Schmidt-Radefeldt, Bd. 2, Frankfurt/M. 1988, 46. a. O., Bd. l, Frankfurt/M. 1987, 524. a. O., Bd. 2, 599. a. O., Bd. 2, 265.
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mehr ausgeführt werden kann,21 in unserer Arbeit an der großen Kohären2 manifestieren. Nur ein unbescheidener Erinnerungsanfall erkennt in diesen fragilen Gebilden die alten Themen der Metaphysik — Seele, Welt, Gott — verschwommen wieder, ohne daß uns dadurch viel geholfen wäre. Dagegen ergibt sich aus Voraussetzungen unserer ,Metafisica povera' ein Blick aus der semantischen Unterwelt hinauf in das Purgatorium geläuterter Sinnbezüge, ein Blick, der viel fruchtbarer ist, als es uns hier die Einsammlung alter Verpuppungsreste der Metaphysik sein könnte, obwohl von diesen gerade auch im Hinblick auf unsere pronominale Verfassung zu lernen ist.22 So werden wir an dieser Stelle die Perspektive auf eine gereinigte Theorie des Verstehens ausziehen, die sich wie folgt charakterisieren läßt: nichts sonst dürfen wir mehr zulassen als etwas, was lediglich ein in seiner Fraglichkeit oder Selbstverständlichkeit Gegebenes ist, nichts sonst mehr, was sich nicht als Kondensat dieses Verstehens oder Nicht-Verstehens greifen läßt. Wir erhalten so Einblick in eine Dimension, die von Annahmen verstehens-externer Realität gereinigt ist, in der nur Substrate zugelassen sind, die im Focus pronominaler Unbestimmtheit signitiven Charakter haben. Das heißt: unsere alltagssprachliche Ontologie, die zwischen Zeichen und Sachen differenziert, ist in dieser Dimension kollabiert. Diese These eines signitiv purgierten Realitätsverständnisses will ich die These des reinen Simonismus nennen. ,Rein* deshalb, weil diese These in einer Option terminiert, die keine Sachverschmutzungen mehr zuläßt und den Inbegriff der Realität als signum tantum faßt. Nun wird seit alters der Zeichenbegriff stets im Kontrast zum Sachbegriff eingeführt, das signum der res entgegengesetzt. Die 21
22
Cf. hierzu demnächst W. HOGREBE, Metaphysik und Mantik. Die Deutungsnatur des Menschen (ersch. 1992). — In diese Arbeit geht auch dieser Beitrag in einer erweiterten Fassung ein. Schon deshalb, weil das Niveau z. B. der mittelalterlichen Metaphysik anschlußfähig für heutiges Argumentieren ist. Cf. L. HONNEFELDER, .Einheit der Realität* oder ,Realität als Einheit' — Metaphysik als Frage nach der Welt im Ganzen, in: O. Marquard (Hg.), Einheit und Vielheit: XIV. Deutscher Kongreß für Philosophie, Hamburg 1990, 72—85; ders., Scientia transcendens, Hamburg 1990.
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Hintergrundthese dieser Entgegensetzung ist z. B. bei Augustinus die, daß letztlich alles Sache ist, auch Zeichen. So versteht er unter Zeichen bloß jene Sachen, die signitiv verwendet werden: „Daher ist jedes Zeichen auch irgendwie eine Sache; denn was keine Sache ist, das ist ganz und gar nichts: aber nicht jede Sache ist auch ein Zeichen."23 Formal gesehen plädiert Augustinus so für folgendes Konditional: (1)
Zeichen —>·
Sache
Der Kontrast zwischen Zeichen und Sache wird hier zugunsten der Sache als res tantum für abkünftig erklärt. Umgekehrt verfährt der reine Simonismus. Er transformiert den Kontrast von signum und res in das Medium des Verstehens, so daß er dort als Kontrast zwischen Verstandenem, das übergangen wird (res), und Nicht-Verstandenem, das fraglich bleibt (signum), erscheint. Da nun im Prinzip alles Schon-Verstandene erneut fraglich werden kann, ist letztlich alles Zeichen. Aus der Perspektive der unendlichen Interpretierbarkeit, in die wir dank pronominaler Ausrichtung hingestellt sind, hat für uns daher nur das signum inquantum est signum Realität. Wenn etwas nicht Zeichen ist, dann kann es für uns auch nicht Sache werden. Der reine Simonismus plädiert so für folgendes Konditional: (2)
Sache ->
Zeichen
Aus dieser Perspektive eines signitiven Phänomenalismus versteht sich der reine Simonismus auch ausdrücklich als Kritik der Metaphysik, insofern sie für eine zeichentranszendente Realität optiert. Ihr vergeblicher Anspruch wird als Fehlschluß rekonstruiert: das unbegrenzte Verfahren interpretierenden Verstehens wird in der Metaphysik als Näherungsverfahren an ein ideales transsignitives Ziel mißverstanden. Metaphysik und Ontotogie dieses Typs suggerieren Endpunkte unserer vektoriellen Ausrichtung, wo es nur diese indefinite Ausrichtung selbst gibt. Sie setzt ein „Ziel als 23
AUGUSTINUS, De doctrina christiana I, 2. — H. M. Baumgartner wies in einem Diskussionsbeitrag darauf hin, daß man den Zeichenbegriff (sowohl in diesem Beitrag als auch in der Philosophie des Zeichens von J. Simon) differenzieren müsse, sozusagen aus Gründen der Kontrasterhaltung signitiver Differenzen z. B. zwischen Zeichen für Existenz und Zeichen für prädikative Substanzen.
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Überwindung der Endlichkeit, damit es nicht zu einem Weg , * komme."24 Die Metaphysik-Kritik des reinen Simonismus ergibt sich so ganz zwanglos aus der These des Apeirotropismus unserer pronominalen Ausrichtung. Die Metaphysik, die der reine Simonismus kritisiert, ist also nicht die petrarcistische Metaphysik, die wir in der semantischen Unterwelt als ,Metafisica povera' kennengelernt hatten, sondern entspricht eher einer dantesken Steigerungsform der Metaphysik, die von einem illusionären ,Wunsch zum Ende'25 beseelt ist. So ist der reine Simonismus durchaus verträglich mit der Annahme einer Metaphysik, die an jeder endlichen Substanz des Verstehens die Herkunft aus und die Behaglichkeit auf Unbestimmtheit zum Problem macht. Dieses prozessuale Verdrängen und Gewahren der Unbestimmtheit im aktuellen Verstehen verleiht unseren Interpretationen ja gerade den unaufhebbaren Index der Unabgeschlossenheit. Sie gehören in eine unendliche Geschichte des Interpretierens, aber nur dank dieser Unendlichkeit ist überhaupt eine Interpretation möglich, weil erst diese Unendlichkeit jene universale Transparenz freigibt, ohne die es keine Zeichen gäbe. So ist auch die Unabgeschlossenheit unserer interpretatorischen Bemühungen kein Index ihres Mangels, sondern Voraussetzung ihrer Möglichkeit. Diese Unabgeschlossenheit steht gewiß für die Relativität unserer interpretatorischen Ergebnisse, aber diese Relativität ist auch für den reinen Simonismus nicht gleichzusetzen mit einer Option für einen interpretatorischen Relativismus.26 Zwar denken wir stets im Übergang von Zeichen zu Zeichen, ohne daß dieser Übergang determiniert ist,27 aber diese Übergänge können gleichwohl ein Niveau sich selbst organisierender Kohärenzbildung erreichen, also eine „Güte",28 die sich gegen konkurrierende Interpretationen zu behaupten hat: „Die Wahrheit liegt in der je besseren Version von Zeichen, nicht in der Transzendenz der Zeichen zu einer,Sache selbst'."29 Kriterium 24 25
26 27 28
29
J. SIMON, Philosophie des Zeichens, Berlin/New York 1989, 6. a. O. 190. a. O. 135. a. O. 257. a. O. 237. Cf. auch die Option für gelingende Konsistenz, a. O. 214. a. O. 236.
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für die Güte einer Interpretation ist ihre hinreichende Deutlichkeit, und sie ist zugleich auch Kriterium für ein immer überholbares Ende unserer interpretatorischen Bemühungen. Der Geltungsbegriff des reinen Simonismus läßt sich so unter den Titel eines Meliorismus der Deutlichkeit fassen.30 So kommt unsere interpretatorische Bemühung faktisch immer an ein beurteilbares Ende, das aber nie ein prinzipielles ist. Ein faktisches Ende unserer Verstehensbemühungen benötigen wir auch immer dann, wenn wir schließlich handeln wollen und es auf der Basis unserer Interpretationen auch tun: „Im Augenblick des Handelns (...) kommt die Interpretation (...) notwendig zum Schluß." Die „Interpretation von etwas als etwas wird sozusagen ,für den Augenblick' ontologisch hart."31 Das gilt für alle Handlungstypen, auch für kommunikatives Handeln. Man kann diesen Umstand dann auch so formulieren: Während der Produktion von Zeichenketten treten wir aus der Dimension ihrer Fraglichkeit heraus. Im Akt der Zeichensetzung, als kommunikativ Handelnde, sind wir epistemisch blind, aber nur in diesem Akt: „Das Urteil optiert für den Augenblick ontologisch."32 Diese 30
31 32
a. O. 143 mit Verweis auf Kant (KrV B 759 Anm.): „Die Philosophie macht keine Begriffe ,ad esse', sondern nur ,ad melius esse1, und der Verstand ist der Ort, in dem das neue Zeichen als besser erscheint, (...)·" — L· Honnefelder unterstrich in seinem Diskussionsbeitrag die Notwendigkeit eines Geltungskriteriums für die Simonsche Position und fragte, ob die im Vortrag gelieferte Version eines Meliorismus der Deutlichkeit ohne zusätzliche Bestimmungen nicht zu schwach sei, um den Geltungsbegriff retten zu können. Ich denke, die Dinge liegen hier so: Die Debatte um den Geltungsbegriff wird in der Regel auf dem Hintergrund einer These geführt, die ich die Deutsche These nennen möchte. Sie besagt: Wenn nicht etwas absolut sicher ist, dann ist überhaupt nichts sicher. Diese These unterschreiben jedenfalls die Letztbegründer (Apel) ebenso wie kurioserweise auch die Relativisten (Feyerabend). Die Deutsche These ist jedoch falsch. Selbst wenn man keine absolute Sicherheit hat oder haben kann, schließt das sonstige Grade an Sicherheit nicht aus. Wir bleiben komparativ kompetent auch dann, wenn wir eines Superlativs nicht fähig sind. Ein Autohändler kann sehr wohl die Vor- und Nachteile zweier gegebenen Modelle erläutern, ohne daß er Bezug nehmen müßte auf ein ideales Modell. Insofern reicht ein Meliorismus für die Absicherung einer nicht-relativistischen Position völlig aus. a. O. 283/4. a. O. 284.
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Augenblicks-Ontologie des reinen Simonismus macht unsere Artikulationen zu ontologischen Sternschnuppen, für die die Formel gilt: esse in actu. Aber es ist klar, daß ihr ontologischer Status als ein verglühender hier nicht Zeichen eines epistemischen Triumphes ist, sondern Zeichen einer transitorischen Absenz, die sich gut durch die paradoxe Wendung verdeutlichen läßt: Wer urteilt, denkt nicht, und wer denkt, urteilt nicht. Natürlich kann man diesem Satz mit dem größeren Recht eines üblichen Verständnisses auch den anderen entgegensetzen: Nur wer urteilt, denkt, und nur wer denkt, urteilt. Gleichwohl macht uns gerade die paradoxe erste Formulierung dafür sensibel, daß in den Zeichengebrauch auch Energien eingehen und wirksam werden, die in einer üblichen Erkenntnistheorie nicht vorkommen. Die Absenzen im Vollzug der Zeichenproduktion erhalten hier die Bedeutung, daß der Zeichengebrauch immer auch ein Phänomen nicht-epistemischer Energie ist, Phänomen eines Willens zum Zeichen, durch den wir uns selbst anzeigen. In der Zeichengebung ist das Individuum in seiner Subjektivität per Selbstanzeige gewollt präsent. Und in dieser Zeichenpräsenz der Subjektivität gründet auch die ethische Potenz des reinen Simonismus. Wir sind frei, uns zu Worte zu melden, und wir sind frei darin, welche wir finden. Eben weil die Übergänge von Zeichen zu Zeichen nicht determiniert sind, ist die Zeichenfmdung immer kreativ. Und wenn die Subjektivität nur Zeichenpräsenz hat, kreiert sie sich in Zeichen selbst. Deshalb gründet alle Freiheit zuletzt in unserer Zeichennatur, ist ein „semiotisches Faktum",33 und kann als Freiheit des Interpretierens zugleich als „das fundamentale Naturrecht" bezeichnet werden, eben „weil sie im Zeichenverstehen als solchem gründet."34 Rechtssysteme haben daher dieser Freiheit Rechnung zu tragen, d. h. „für freie Räume der Interpretation" zu sorgen, vor allem „gegenüber anderen Mächten, die erschöpfende Interpretationen für sich beanspruchen."35 Gegenüber einer normativen Ethik aus Prinzipien der Verallgemeinerbarkeit, gegenüber Verantwortungsethiken aus Prinzipien 33 34 35
a. O. 203. a. O. 294/95. a. O. 294.
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eines idealen Konsensus gewinnen im reinen Simonismus gegenläufige Tendenzen Konturen, die sich unter dem Titel einer Dissidentenethik bündeln lassen, eine Ethik, die es bislang so nicht gab, aber hätte geben sollen.36 Ihr Prinzip läßt sich nach kantischer Manier vielleicht so fassen: Interpretiere so, daß die Maxime deiner Interpretation jederzeit abweichenden Interpretationen Raum läßt. Anders ausgedrückt: Halte deine Interpretationen anschlußfahig für andere! Jede Option für eine geschlossene Interpretation verkennt daher nicht nur die Möglichkeit des Interpretierens aus Freiheit, sondern ist eben deshalb auch moralisch verwerflich. Jede Option für geschlossene Interpretationen ist eine Option für Gewalt oder für Mauern, die erst wieder fallen müssen. In dieser subjektivitätssichernden Funktion wurde der reine Simonismus 1989 selber zum Zeichen der Zeit. Die Stärke des reinen Simonismus ist zweifellos seine radikale Betonung der unüberholbaren Individualität interpretatorischer Prozesse. Obwohl schon darauf hingewiesen wurde, daß diese Focussierung nicht zu einem Relativismus führen muß, ist die Allgemeinheitsfähigkeit unserer interpretatorischen Bemühungen auf dem Hintergrund dieser Stärke doch erläuterungsbedürftig, damit unsere Möglichkeit eines Handelns aus gemeinschaftlich verpflichtenden Prämissen überhaupt einsichtig wird. Die Tradition optiert zur Absicherung dieser Möglichkeit z. B. mit der starken Investition eines Bewußtseins, in das alle versammelt sind und das jeder bloß raumzeitlich individuiert. Dieser transindividuelle Ort einer vorgängigen Allgemeinheit im universalen Bewußtsein wird allerdings — wie z. B. bei Fichte — mehr postuliert als aus Mechanismen symbolischen Handelns einsichtig gemacht. Ein solcher überindividueller Ort eines pfmgstlichen Bewußtseins wäre auch wahrhaft das Paradiso der Referen^, wie wir es allenfalls idealsprachlich in formalen Systemen simulieren können, aber auch hier nur dann, wenn wir von den limitativen Theoremen der Logik (vor allem von K. Gödel) bewußt absehen, die kein
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Eine solche Dissidentenethik ließe sich gut in eine Identitäts-Ethik einbinden. Cf. hierzu O. SCHWEMMER, Moralität und Identität, in: ders., Die Philosophie und die Wissenschaften, Frankfurt/M. 1990, 154 ff.
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maximal kohärentes «Wgeschlossenes formales System zulassen.37 Wenn wir auf diesem Fuße die Möglichkeit der Allgemeinheit also nicht einsichtig machen können oder wollen, wie dann? Der reine Simonismus liefert hier eine Lösung, die man beinahe als parlamentarische Theorie interfraktioneller Fraglosigkeit bezeichnen möchte. Hiernach ergibt sich nämlich die Möglichkeit einer gemeinschaftlich verpflichtenden Allgemeinheit daraus, daß man sich gemeinsam auf Zeichen bezieht, „ohne daß gefragt würde, wie jeder sie versteht. Dies Negative ist das ,Gemeinsame'."38 Fraglosigkeit wird so zum Index von Gemeinsamkeit und es ist klar, daß wir damit über einen transitorischen Begriff der Allgemeinheit und Allgemeingültigkeit nicht hinauskommen, da wir dem purgierenden Prozeß des Fraglichwerdens nichts entziehen können. Und doch: obwohl wir prinzipiell alles in Frage stellen können, können wir doch nicht alles gleichzeitig in Frage stellen. Auf diese Weise bleibt in Lebensvollzügen für die meisten das meiste fraglos und ist so als fundamentum concussum Substanz einer lebensweltlichen Gemeinsamkeit. Auch im Durchgang durch interpretatorische Bemühungen können wir ebenso auf diskursivem Niveau in hohen Graden einer schließlich hinreichenden Deutlichkeit die Qualität einer transitorischen Allgemeingültigkeit erreichen, wenn wir die Ergebnisse unserer interpretatorischen Bemühungen nicht mehr in Frage stellen. An dieser Stelle ergibt sich für den reinen Simonismus allerdings ein Problem. Wenn wir das Bewußtsein als Raum unserer suchenden Energie, der Energie unserer Fraglichkeitsnatur fassen und damit als stehende Option für Alternativen und Variationen in unserer „Arbeit an Zeichen",39 dann kommen diese Energien an Substanzen der Fraglosigkeit zum Stillstand mit der Konsequenz, daß wir gerade vor hinreichend Deutlichem, das ebenso allgemein wie ineins bedeutungslos geworden ist, auch unbewußt sind. Fragloses emigriert jedenfalls aus dem Raum des Bewußt37
38 39
SIMON, Philosophie des Zeichens, 182/83: „Eine .Gemeinschaft des Bewußtseins' wäre nur möglich, wenn die Sprache formal, d. h. ein geschlossenes System von sich gegenseitig interpretierenden Zeichen ohne Bezug auf weitere, .außersprachliche* Zeichen wäre (...)." a. O. 182. a. O. 41.
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seins, selbst wenn es jederzeit wieder immigrieren kann, eben wenn es erneut fraglich wird. Das Problematische dieser Konsequenz verschwindet allerdings sofort, wenn wir das Abtauchen fragloser Substanzen aus dem Bewußtsein und ihr Wiederauftauchen bei erneuter Fraglichkeit als das Geschehen der Erinnerung deuten. Dann können wir sogar sagen, daß es für die Möglichkeit des Erinnerns eines Zeichens in der Tat wesentlich ist, daß seine Bedeutung in die Energien der Zeichenbewegung selber zurückgegangen und also am Zeichen verschwunden ist, indem die Bedeutung auf diese Weise ganz mein geworden ist. Eben dieses fordert Hegels'Theorie der Erinnerung, die in einer Theorie des mechanisch gewordenen Gedächtnisses terminiert, kraft dessen wir etwas herzusagen verstehen, womit wir keinerlei Bedeutung mehr verbinden, weil die Ordnung der Zeichen ganz in die Energie ihrer Erzeugung zurückgegangen ist. „Je vertrauter ich mit der Bedeutung des Wortes werde, desto mehr kann (...) die Bestimmtheit der Bedeutung desselben verschwinden, desto mehr folglich das Gedächtnis selber, mit dem Worte zugleich, zu etwas Geistverlassenem werden."40 Hegel illustriert diese These durch den uns geläufigen Befund, daß man „bekanntlich einen Aufsatz erst dann recht auswendig [weiß], wenn man keinen Sinn bei den Worten hat; (...)."« Tatsächlich mündet auch der reine Simonismus auf dieser Schiene und mitten in seiner ,Arbeit an Zeichen', wie wiederum Hegel sagt, in „eine Tätigkeit des Sinnlosen".42 Von einer solchen Tätigkeit ging unser Gang durch die semantische Unterwelt aus. Hier erscheint die Tätigkeit des Sinnlosen allerdings nicht als eines kontingenten Geschehens bedürftiger Mangel, sondern als Punkt der Fülle, an dem die Bedeutung der Zeichen vollständig in die zeichenbewegende Energie zurückgeflossen ist, mein geworden ist, so daß die Zeichen nach mechanischer Ordnung abgestoßen werden können. Hier sind wir mit dem Sinn so sehr eins geworden, daß uns die Zeichen gleichgültig geworden sind. In diesem 40
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G. W. F. HEGEL, Enzyklopädie, Werke (Hgg. Moldenhauer/Michel, Frankfurt/M.), Bd. 10, § 462 Zusatz, S. 280. a. O. §463, S. 281. a. O. § 463, S. 282.
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Moment mutiert der reine Simonismus sozusagen in einen SaintSimonismus der Zeichen^ denn wir Arbeiter an Zeichen (industriels) kommen auswendig zur Ruhe, wir werden zu semiotisch Müßigen (oisifs). Freilich ist auch diese Müßigkeit und unsere Gleichgültigkeit gegenüber Zeichen nur eine transitorische und wirft vor allem die Frage auf, welche Bedeutung die Meinigkeit für die Philosophie des Zeichens und eine Theorie des Bewußtseins überhaupt hat.43 Aber das ist ein anderes Thema.
43
Cf. hierzu W. HOGREBE, Bewußtsein und Eigentum, in: Annali della Facolta di Lettere e Filosofia Dell'Universita di Napoli 27 (1984/85) 49-69.
PHILIPPE FORGET (Paris/Seattle) Vor dem Zeichen Daß „an die Stelle" eines Zeichens letzten Endes etwas anderes als ein anderes Zeichen treten könnte, ist der eschatologische Grundzug der Metaphysik. Josef Simon, Philosophie des Zeichens, 6.
Der folgende Text gliedert sich nach drei Schwerpunkten: Zuerst wird gezeigt, daß Rosens Bekenntnis zum Verhältnis zwischen Zeichen und Freiheit praktisch zu einem Verhalten führt, gegen das durchaus ethische Bedenken erhoben werden können. Eine solche Diagnose soll die voreilige Kritik erschweren, nach der die Dekonstruktion — oder diejenigen, die strategisch mit ihr identifiziert werden — unfähig seien, sich ethischen Fragen zu stellen. Es wird vielmehr deutlich werden, daß die Mißachtung des ethischen Potentials der Dekonstruktion im Grunde nur ein Zeichen des Bedauerns darüber ist, daß sie nicht den festgefahrenen Bahnen des althergebrachten Humanismus folgt und dennoch nicht des Antihumanismus überführt werden kann. Dann wird in der grundsätzlichen Auseinandersetzung mit Eugenio Coseriu die tut jede Philosophie des Zeichens grundlegende Problematik von Intentionalität und Idealität erörtert. Diese Problematik führt zum „Quasi-Begriff" (Derrida) der Iterabilität (Nietzsche/Derrida), dessen Notwendigkeit im ersten Teil bereits angedeutet wird. Schließlich wird dieser Quasi-Begriff im dritten Teil, dem Hauptteil, der direkt und ausschließlich Simons Philosophie des Zeichens gewidmet ist, erneut zur Geltung gebracht. Dort wird Übereinstimmung mit Simons Grundthesen konstatiert, zugleich aber am Leitfaden des Verhältnisses zu Derrida, wie es sich in der Philosophie des Zeichens darstellt, die Frage gestellt, ob die Metaphysikkritik, die diese Philosophie des Zeichens auch sein will bzw. sein
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soll, aufgrund ihrer eigenen Voraussetzungen wirklich durchgeführt werden kann. l. Rosen geht davon aus, daß es zwar Zeichen der Freiheit gebe, die Freiheit selbst aber kein Zeichen sei. Aber gerade diese Position ist in meinen Augen höchst problematisch. Für Rosen gilt offenbar der Satz: Die Freiheit ist — absolut — kein Zeichen. Mit anderen Worten: Diese Auffassung wiederholt — ohne neue Argumente ins Feld zu führen — die alte metaphysische Überzeugung, daß Zeichen letzten Endes auf Nicht-Zeichen zurückverweisen können bzw. müssen, die Überzeugung also, gegen die das Buch von Josef Simon angeht. Aber man muß weder simonistisch noch dekonstruktiv vorgehen, um geltend zu machen, daß gerade die Freiheit nichts anderes sein kann als die Taten, zu denen sich ein jeder entscheidet, und daß diese Taten eben die Zeichen der Freiheit sind, d. h. die Freiheit als Zeichen. Sie kann nicht als Abstraktum verabsolutiert werden — diesen Standpunkt vertritt schon Sartre in L'existentialisme est un humanisme, einem Text, von dem wir wissen, daß er von der Gewißheit des „Cogito" her argumentiert und schon deshalb von der Dekonstruktion denkbar weit entfernt ist. Sartres grundlegende Aussage „rhomme est libre, rhomme est liberte" bedeutet bekanntlich, daß es keine apriorische Essenz des Menschen gebe, sondern daß der Mensch lediglich durch den freien Entwurf seiner selbst zum Menschen werde. Der Mensch sei nichts als das Ganze seiner Taten, für die er als freier Mensch verantwortlich zeichne. Demzufolge kann auch die Freiheit nicht als selbstherrliches Abstraktum präsentiert — d. h. gedeutet — werden. Eben das tut aber Rosen, der die Freiheit dadurch gerade zu dem macht, was sie in seiner Sicht auf keinen Fall sein kann, nämlich ein Zeichen — denn nur Zeichen können gedeutet werden. Ja, er macht die Freiheit, die kein Zeichen sein soll, zum apriorischen Superzeichen, zu dem er Zuflucht nimmt, um entgegengesetzte Standpunkte abzuweisen. Dabei fällt er aber wiederum unter Sartres Kritik, der im erwähnten Traktat auch sagt, daß der Rekurs auf ein Zeichen unmöglich eine (letzte) Orientierungshilfe sein könne; der Mensch interpretiere nämlich auch die Zeichen, wie es ihm gerade beliebe. Daß die Taten, in denen sich Freiheit kundgibt, nur als Zeichen verstanden werden sollen, scheint mir der einzige Weg zu sein,
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um einer apriorischen, d. h. auch dogmatischen Auffassung der Freiheit aus dem Weg zu gehen: Es wäre eine sehr aporetische Freiheit, die im voraus bestimmen würde, wie man sich zu verhalten habe! Gerade das aber ist die Grundlage einer „Ethik", in deren Namen jeder Versuch, die Ethik anders zu denken, apriorisch zurückgewiesen wird. Daß Freiheit jedoch im Übergang von Zeichen zu Zeichen, im Erfinden von Zeichen als Antwort auf Zeichen, erfahrbar wird (Sartre: „II faut inventer"), entzieht sich Rosens pragmatischer Ontologie, die andrerseits am urklassischen Zeichenbegriff — und seinen bekannten Aporien — festhalten muß. Bei Josef Simon finden wir den denkwürdigen Satz: „Nach einer Philosophie des Zeichens vollzieht sich Freiheit im Zeichenverstehen" (201), wobei ich mir allerdings die Freiheit vorbehalte, auf die Relevanz des Verstehens als einziger Möglichkeit der Vollzugsweise kritisch einzugehen. Vor dem Horizont solcher Ontologie behauptet Rosen, daß nur „Identifiziertes"" (also: die Sache als Sache) es ermögliche, eine Interpretation gegen eine andere auszuspielen. Wäre das der Fall, dann hätte man nur das Wahre auf der einen Seite (die Interpretation, die sich am ehesten mit dem „Identifizierten" identifizieren läßt) und auf der anderen alles Abweichende, das nun das Falsche wäre. Das Schema aber, nach dem das Abweichende, Andersartige a priori als das Falsche (das Nicht-Wahre) hingestellt werden kann, ist ein sehr altes, wohlbekanntes, und ist nicht ohne ethisch-politische — also auch pragmatische — Konsequenzen: Es ist das Grundschema der Intoleranz und des Dogmatismus. Wenn aber Freiheit grundsätzlich ein Recht auf Andersheit einschließt, so kann sie eben nichts „Identifiziertes" sein. Für eine Differenzphilosophie kann eine „difference" überhaupt nicht etwas sein-, sie ist nichts außerhalb dessen, was sie ermöglicht, und das ist die Iterabilität von Zeichen (Wiederholung und Veränderung, ja, Wiederholung als Veränderung). 2. Coseriu wirft ähnliche Probleme auf, wenn er sagt, daß im Satz „der Löwe ist ein wildes Tier" das Zeichen ,Löwe' den Löwen bezeichnet, wenn auch nicht in jedem Satz. Dem ist aber schon die Bemerkung von Josef Simon entgegenzuhalten: „Keine Bezeichnung zielt nur aufs Objekt. Jede ist in ihrer Zeit auch für
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den bezeichnend, der sie vornimmt." (214) Hier ist zu fragen, was es möglich macht, daß es diese verschiedenen Möglichkeiten überhaupt gibt. Ich behaupte, daß die Zeichenstruktur, mit der Coseriu arbeitet (das Zeichen sei ein Bezeichnendes, das auf ein Bezeichnetes verweise), einfach nicht ausreicht, um das Prinzip der intentionalen Bezeichnung theoretisch-allgemein herauszuarbeiten. Der Einwand, ob es das Außersprachliche gibt oder nicht, löst das Problem nicht, jedenfalls dann nicht, wenn zugleich bestritten wird, daß „wir Zeichen" seien (auch an dieser Stelle wird die Gemeinsamkeit mit den ideologischen Voraussetzungen von Rosen deutlich). Auch wenn „wir" keine Zeichen sein können, obwohl es Zeichen gibt, muß es doch das „Außersprachliche" geben, sofern Sprache semiotischer Natur ist. Das führt aber logischerweise zu der irritierenden Konsequenz, daß gerade „wir" das „Außersprachliche" wären. Da wir aber empirisch-performativ eine solche Folgerung unmittelbar widerlegen, heißt das, daß es wohl auch für Coseriu das Außersprachliche nicht gibt, was aber nun dem ersten Teil des Gedankengangs widerspricht. Coserius Unentschiedenheit hat demnach mit einer Unentscheidbarkeit des Zeichens nichts zu tun, sie ist nur die zirkuläre Selbstwiderlegung einer Auffassung, die ihre eigenen Vorurteile nicht mitreflektiert, also etwa einer gegensatzpaarbezogenen „Grammatik" folgt, die fraglos angenommen wird und schließlich aus uns Menschen ein ziemlich beliebiges Zeichen macht. Denn diese Grammatik bestimmt die Denkweise durch und durch, so daß die Denkweise die Grammatik gar nicht reflektieren kann. Auch dieses Schema gehört zu den Grundaporien der Metaphysik, die sich immer wieder durch ihre eigenen Schliche — die immer allzu direkte Wege sind — irritieren läßt. Meine These ist hier, daß die Verbindungslogik zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem die Bezugssystematik der Metaphysik aus den Fugen bringt, daß sie sich, anders gesagt, nicht mit den gewohnten Gegensatzpaaren verträgt, die dem Zeichenbegriff in allen Abwandlungen innewohnen von Aristoteles an über Saussure bis hin zu Coseriu — und das heißt hier eigentlich zurück zu Aristoteles, da Coseriu sich abschließend mit Nachdruck auf ihn berufen hat. Meine Antwort auf die von Coseriu nicht gestellte Frage formuliere ich zunächst in der Form einer Frage, die sich am Simonschen
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Zeichenbegriff orientiert, wenn er hervorhebt, daß „Zeichen nicht Sachen (sind), sie stehen für Sachen, zu denen man ,über' sie nicht kommt" (33). Was ist die Bedingungsmöglichkeit eines solchen Paradoxons? Die Frage fordert zunächst zu einer Zwischenantwort auf: Gerade weil man über die Zeichen nicht zu den Sachen kommt, können Zeichen für Sachen stehen, die ihrerseits auch erst dadurch zu Sachen werden, daß sie über Zeichen gedeutet werden (z. B. das Tier „Löwe", aber auch der Mann, der bei Victor Hugo als „mon lion süperbe et genereux" bezeichnet wird), also an Zeichen erkennbar werden, wobei dasselbe Zeichen durchaus Verschiedenes bedeuten und bezeichnen kann. Was das Zeichen also primär konstituiert, ist nicht seine sogenannte innere Struktur (die ja unterschiedlich dargestellt werden kann), sondern seine „innere Struktur" verdankt sich einem eigenartigen Wirklichkeitsbezug, der nicht einfach einem binären Antagonismus oder einer binären Komplizenschaft entspricht. Mein Vorschlag wäre nun, daß die Form des Bezugs, die vom Gegensatzpaar Bezeichnendes/Bezeichnetes vorausgesetzt werden muß, aber nicht befragt werden kann, ein double-bind aktualisiert, das die Möglichkeiten des nur metaphysischen Denkens überfordert. Sagen wir es so: Die intentionale Bezeichnung muß zugleich ihre restlose Erfüllung anstreben und sich dieser Erfüllung nicht weniger radikal entziehen, wobei sich die ganze Schwierigkeit, die alle klaren Grenzlinien der binären Logik problematisch macht — etwa zwischen einer idealen und einer materiellen Welt, aber auch zwischen Sprache und Wirklichkeit —, sich eben in diesem ^ugleich1 verdichtet. Eine solche Problematisierung hat aber nichts zu tun mit dem Bekenntnis zu einem Unwissen über Existenz oder Nicht-Existenz des Außersprachlichen. Der Unterschied ist so radikal wie zwischen zwei Formen des (Un-)Glaubens, wenn einerseits behauptet wird, man wüßte ja gar nicht, ob es Gott gäbe oder nicht, wobei man sich jeden Zugang zu den theoretischen und praktischen Konsequenzen der Stellungnahme von vornherein versperrt, und andrerseits Gott als Sprache (langage) erkennt, d. h. auch beschreibbar macht (was ja auch konsequenterweise in ein erneutes double-bind mündet: Sprache ist Gott, also gibt es nicht „Gott", oder: Sprache ist Gott und nicht Gott zugleich). In Simons Beschreibung des ontologischen Gottesbeweises heißt es — in offensichtlicher Anlehnung an die Formulie-
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rung des Heiligen Anseimus: „Gott ist das, demgegenüber Größeres nicht gedacht werden kann" (139) — wobei Gott doch noch als ein — wenn auch inkommensurables — Objekt gedacht wird. „Veränderung, nicht Sein", ist dagegen „das Erste" (und wohl auch Letzte?) der Philosophie des Zeichens (154), weil es nach ihr so ist, daß man „von Zeichen zu Zeichen übergeh(t), statt auf ein einzelnes fixiert zu sein" (138). Das ist ein wichtiger Schritt in die Richtung des Iterabilitätsdenkens. 3. Die Frage ist nun allerdings, auf welche Weise und vor welchem Hintergrund die Veränderung sich vollzieht. Ich habe mich bis jetzt bemüht, Simons Grundthese indirekt dadurch zu belegen, daß ich versucht habe, die konträren Thesen auf ihre Aporien oder Unzulänglichkeiten zurückzuführen, gegen die die Philosophie des Zeichens gerade angeht. Wenn ich mich jetzt direkter auf die Philosophie des Zeichens einlasse — die etwas anderes sein soll als eine Philosophie des Zeichens und u. a. die vorgängige Definition des Zeichens überflüssig macht (4) — , geschieht das natürlich aus einer anderen Perspektive heraus. Die Bemerkungen und Fragen entspringen dem Bedürfnis, mehr zu erfahren über einen „Versuch" (4), den ich bis zu einem gewissen Punkt nachvollziehen kann. Meine Schwierigkeiten beginnen mit der Frage, ob Simon in seiner kritischen Lektüre der Metaphysik des Zeichens das System der Metaphysik genügend erschüttert, um in der Sprache der Metaphysik etwas anderes zu sagen als das, was die Sprache der Metaphysik erlaubt. Da ich mich aus ökonomischen Gründen auf eine bestimmte Perspektive beschränken muß und doch auch nach Möglichkeit aufs Ganze gehen soll, will ich mich an dem orientieren, was Simon in seinem Buch zur französischen Szene sagt, und das deckt sich weitgehend mit dem Namen ,Derrida'. An der Behandlung dieses Namens nämlich läßt sich am ehesten sichtbar machen, was ich als die Janusköpfigkeit des Versuchs empfunden habe. Um einem möglichen Mißverständnis vorzubeugen, möchte ich gleich betonen, daß es mir überhaupt nicht daran gelegen ist, Simon den „Vorwurf zu machen, er hätte Derrida nicht genug gelesen. Ganz im Gegenteil: Nachdem sich Simon wiederholt auf Derrida bezieht (wenn ich recht gelesen habe, wird unter den Franzosen nur Descartes öfter zitiert), gehe ich eher davon aus, daß er ihn ziemlich genau
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gelesen haben muß. Gerade mit dieser Lektüre bzw. Lesestrategie aber habe ich einige Schwierigkeiten, die für mich mit dem Grundanliegen des Buches zusammenhängen, und das ist der Grund, warum sie hier zur Darstellung kommen sollen. Der Eindruck der Janusköpfigkeit entsteht wohl dadurch, daß der Versuch teilweise genau dem entspricht, was Derrida schon in De la Grammatologie (1967 erschienen) zum Zeichen geschrieben hat, wozu sich aber auch ein Literaturwissenschaftler bekennt, der sich etwa mit Kafkas Arbeit am Zeichen, z. B. in der Erzählung Eine kaiserliche Botschaft\ beschäftigt hat. Ferner sind sich Derrida und Simon dessen bewußt, daß die an der Metaphysik geübte Kritik noch in der Sprache der Metaphysik formuliert werden muß. In Lesfins de P komme setzt Derrida „die Metaphysik" mit „unserer Sprache" gleich (Marges de la philosophie, 144, Anm. 11, in der deutschen Übersetzung 103, Anm. 1), und bei Simon lesen wir: „Eine Philosophie des Zeichens ist heute allerdings nur in der Sprache der Metaphysik möglich" (5), wobei der eine wie der andere das System der Metaphysik erschüttern will1. 1
Noch deutlicher und ausführlicher heißt es bei Derrida in einem vielzitierten Text aus L'ecriture et la difference: „il n'j a aucun sens a se passer des concepts de la metaphysique pour ebranler la metaphysique; nous ne disposons d'aucun langage — d'aucune syntaxe et d'aucun lexique — qui soit etranger a cette histoire" (La structure, le signe et lejeu, in: L'ecriture et la difference, Paris 1967, 412). Anschließend bezieht sich Derrida auf „ein Beispiel unter anderen", nämlich das Zeichen, von dem aus die Metaphysik der Präsenz erschüttert werden könne. Wenn man dabei aber zeigen wolle, daß es kein „transzendentales Signifikat" gebe, so daß dem Feld bzw. dem Spiel der Bedeutung keine Grenze mehr gesetzt werden könne, dann müsse man auch auf den Begriff .Zeichen' verzichten, der ja immer schon vom Begriffspaar Signifikat/Signifikant lebe. Man muß Simon zugutehalten, daß er sich tatsächlich nicht mehr an dieser Definition des Zeichens orientiert. Dann verweist Derrida aber auf eine Argumentationsgebärde von Claude Levi-Strauss, der im Vorwort zu Le Cru et le Cuit behauptet, er habe versucht, den Gegensatz von Sinnlichem und Intelligiblem dadurch zu überwinden, daß er sich auf Anhieb an der Zeichen-Ebene orientiere. Derridas Gegenargumentation läßt nicht auf sich warten: Wie könnte man einen solchen Gegensatz auf diese Weise überwinden, da gerade der Zeichenbegriff selbst von ihm lebe: „II est determine par cette Opposition: de part en part et ä travers la totalite de son histoire. II n'a vecu que d'elle et de son Systeme." (412 f.) Die Frage, die ich weiter unten ausführe,
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Die Frage ist jetzt, wie sich beide diese Möglichkeit vorstellen, oder, nachdem sich Simon doch überwiegend negativ auf Derrida bezieht: ob Derrida für ein solches Unternehmen nicht doch ein effizienterer Partner ist als die Autoren, auf die sich Simon gegen Derrida beruft. Nach Derrida wurde das Zeichen immer wieder nach dem Grundschema Idealität/Materialität gedacht. Das Eigentümliche an seinen Überlegungen ist aber wohl, daß er immer wieder das Risiko beschreibt, das ein Denken des Zeichens eingehen müsse, weil es immer schon auf die Gegenseite angewiesen sei, ob es nun von der Idealität oder von der Materialität ausgehe. Schon damit verwischt Derrida die klassischen Grenzen (etwa zwischen Signifikat und Signifikant). Dadurch, daß er die Unmöglichkeit einer strengen Unterscheidung zwischen Signifikat (Idealität) und Signifikant (Materialität) betont, erschüttert er zwar den metaphysischen Zeichenbegriff, ohne jedoch auf das Zeichen selbst zu verzichten; er verteidigt es vielmehr gegen die systembedingte Herabsetzung, die es im Namen der Idealität durch die Metaphysik erfährt. Auch Simon verzichtet, wie schon erwähnt, auf die klassische Definition des Zeichens, und die Frage ist hier, ob die Neuorientierung, die er damit versucht, eine kritikfähige Position darstellt. Unterscheidet sich also Simons Neudefmition des Zeichens grundsätzlich von den Voraussetzungen der Metaphysik? Löst das Prinzip des Wechsels von Zeichen zu Zeichen im Horizont des Verstehens, zu dem Simon sich offenbar bekennt, die metaphysische Herrschaft der Idealität? Dem gemeinsamen Ansatz entsprechend wird Derrida im ersten Teil der Philosophie des Zeichens freilich zustimmend herangezogen. Und das kann man auch gut verstehen, aus einem sehr einfachen ist im Grunde genommen folgende: Ist die Privilegierung des Verstehens als Horizont von Simons Zeichentheorie nicht ein Symptom dafür, daß hier keine echte Überwindung geschehen kann, da ein kontinuierlicher Verstehensprozeß selbst oder schon allein der Begriff des Verstehens der Ebene des Intelligiblen angehört und demnach dem Gegensatz zwischen Materialität (Sinnlichem) und Idealität (Intelligiblem) gar nicht ausweichen kann? Die zwei Seiten aus L'ecriture et difference, auf die ich hier verwiesen habe, scheinen mir von Simon nicht genügend berücksichtigt zu sein, obwohl sie den Horizont gerade seines Anliegens ziemlich genau beschreiben.
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Grund: Es gibt in der Metaphysik eine unübersehbare Parallele zwischen dem Diskurs über das Zeichen und dem über die Schrift. So, wie die Schrift gegenüber dem Ideal der lebendigen Rede immer wieder herabgesetzt worden ist, weil sie für etwas stehe, für das sie unmöglich einstehen könne, lebt das Zeichen in der metaphysischen Tradition nur von seinem Verschwinden: Das Zeichen ist insofern von der Sache abgelöst, als es an ihre Stelle treten soll, wenn sie abwesend ist, und es ist zugleich an sie gebunden, um seine Verweisungsfunktion zu erfüllen. Wenn die Sache aber anwesend ist, verschwindet das Zeichen. Gerade in bezug auf die Schrift aber erweist sich Simons Lektüre als problematisch, wo er sich noch nicht negativ auf Derrida bezieht. Er zitiert hier Derrida: „Wir studieren die Sokratischen Dialoge, eines Menschen, ,der nicht schrieb' (Derrida)" (249). Es ist aber die Tradition, die Derrida hier zitiert, und nicht seine eigene Auffassung von Sokrates. Für den Leser von La pharmacie de Platon (ich habe schon vor Jahren bedauert, daß dieser wichtige Text nicht in deutscher Übersetzung vorliegt) leuchtet es aber ein, daß Derridas These eine ganz andere ist: Sokrates ist Toth (= Teuth auf französisch), heißt es einmal in einer ironischen Zusammenfassung (La carte postale), und das bedeutet, daß der angeblich nur in lebendiger Rede formulierende Sokrates ein wesentliches Verhältnis zum Tode und damit auch zur Schrift hat (die ja ein System von Zeichen ist, das über meinen Tod hinaus wirkt, also das Leben (la vie), aber auch die Intention (l'avis) des Autors grundsätzlich entbehrlich macht). Und in La carte postale wird die Umdeutung so radikaüsiert, daß Sokrates als der Schreibende und Plato als der in seinem Rücken Redende dargestellt werden. Freilich wäre das eine ziemlich beliebige Umkehrung, wenn hier nicht zugleich eine abweichende Auffassung von der Schrift zum Zuge käme, die den metaphysischen Gegensatz (der immer aufgrund einer vorgegebenen Hierarchie funktioniert) auflöste; dieser abweichenden Auffassung trägt aber Simon nicht Rechnung, wenn er Derrida nur anerkennt als den, der „auf die Eigenständigkeit der Schrift gegenüber ihrer Auffassung als Zeichen für Lautzeichen aufmerksam" gemacht habe (15). Damit verbleibt er im metaphysischen Gegensatz und verfehlt eine wesentliche Dimension der Dekonstruktion, die darin besteht, alte metaphysische Begriffe aufzugreifen und sie zugleich so umzuprä-
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gen, daß sie nicht mehr im alten, gegensatzpaarbezogenen System der Metaphysik aufgehen (das ist der Sinn der sog. „Paläonymie"). Wenn nun Sokrates zum Schreibenden umgedeutet wird, so soll das auch heißen, daß Schrift, wie Derrida sie umprägt (ohne die gängige Bedeutung aufzugeben), auch in der Stimme am Werk ist, soweit das Sich-selbst-Hören als Illusion der Selbstpräsenz, des Bei-sich-Seins des Bewußtseins entlarvt worden ist. Vor dem Hintergrund dieser Lektüre wird verständlich, daß gerade dort, wo die Vorstellung von der Überwindung der Metaphysik akut wird, die (immer noch pauschal formulierten) Hinweise unversöhnlicher werden, wobei der Hintergedanke der ist, daß „Derrida selbst im Denken der Metaphysik bleibt" (252). Es dürfte aber jetzt schon klar geworden sein, daß diese Diagnose, die einen gängigen Vorwurf der deutschen Derrida-Rezeption wiederholt — und auch das macht die Beschäftigung mit diesem Motiv wichtig — , nur darin besteht, er wolle außerhalb der Metaphysik argumentieren, was ein gängiges Mißverständnis über den wahren Impetus der Dekonstruktion darstellt. Simons Derrida ist zugegebenermaßen ein sehr verbreiteter Derrida, aber die Frage ist, welcher Strategie oder welcher Logik er dabei nutzbar gemacht wird. Ich stelle das kurz dar, indem ich mich an den drei Namen orientiere, mit denen Simon — nicht ohne Grund — negativ auf Derrida eingeht: Heidegger, Husserl, Hegel. A. Auf Seite 194 wird Heideggers grundsätzliche Position gegen die Tradition erwähnt, „von der wohl auch Derrida sich zu sehr inspirieren läßt". Derrida wird tatsächlich oft eine solche Position nachgesagt, und manchmal wird sie sogar noch als Anti-Position systematisiert. Das heißt aber eben seine Schreibweise verkennen, die sich dem Strategem verdankt, mit der (Sprache der) Tradition gegen die Tradition anzugehen, und das heißt ferner verkennen, daß die Tradition selbst ohne die Schrift, der Derrida einige Aufmerksamkeit schenkt, unmöglich wäre, und das heißt vor allem die Grundgebärde der Dekonstruktion verkennen, die immer wieder bemüht ist zu zeigen, daß man — aus bereits erwähnten Gründen — die Metaphysik nicht von außen, sondern nur von innen her kritisch beleuchten kann, ja, daß die Metaphysik von sich aus aus den Fugen gerät, wenn man ihr bis ins Ungedachte ihrer eigenen Logik folgt. All das wäre undenkbar, wenn
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Derrida einfach nur gegen die Tradition anginge. Daß dies nicht der Fall ist, erklärt auch, warum er sich von Heideggers interpretativen Gewaltakten nicht inspirieren zu lassen braucht, um seine dekonstruktive Stimme an den Texten der Tradition hörbar zu machen. B. Von „der metaphysischen Tradition" ist auch die Rede, wenn es auf Seite 190 f. heißt, daß in ihr „Erkenntnis vorherrschend als nach mathematischer Methode %u Ende kommendes^ sich in der Präsenz von ,Sachen selbst' restlos erfüllendes (intentionales) Denken" gilt, „als sich in solcher Präsenz als wunschlosem Glück aufhebende Repräsentation. Darin sollen sich seiende (statt nur verweisende) Beziehungen präsentieren". Und anschließend heißt es: „Derrida vereinfacht allerdings diese Tradition, wenn er sie mit Husserl auf den Begriff gebracht sieht", wobei Simon sich auf eine Lektüre von La voix et le phenomene bezieht. Das Schlußurteil lautet: „Er (= Derrida) wird ihr darin, wie alles subsumierende Begreifen mit definitivem Anspruch, nicht gerecht'." Ganz abgesehen davon, daß Derridas Texte wohl nur aufgrund eines solchen subsumierenden Begreifens mit definitivem Anspruch so beurteilt werden können (auch eine solche Diagnose verwahrt sich ja gegen das, was ich seine Schreibdenkweise oder seine Schreibgebärde nennen möchte), scheint mir Simons Lektüre von La voix et le phenomene ziemlich einseitig. Unterstellt sie doch Derrida eine vereinfachende Lektüre von Husserl — sonst könnte Derrida die metaphysische Tradition aufgrund seiner Husserl-Lektüre ja nicht „vereinfachen". Kann man das aber wirklich behaupten? Ohne ins Detail der Interpretation zu gehen (in der es grundsätzlich um die problematische Verbindung von Idealität und Wiederholbarkeit geht, was die Bedeutung dieses Buches gerade für eine Philosophie des Zeichens tatsächlich hinreichend belegt), läßt sich vielleicht folgendes sagen: Die Aporie der Metaphysik besteht nach Derrida darin, daß sie die Präsenz privilegiere, ja verabsolutiere, und dabei doch die Notwendigkeit der Wiederholung anerkennen müsse. Husserls Leistung bestehe nun aber darin, daß in seinem Modell die Notwendigkeit der Wiederholung (die Wiederholbarkeit) stärker erscheine als der Anspruch auf Präsenz. Gerade diese neue Gewichtung mache die Bedeutung von Husserl aus, von dem aus die Vollendung der Metaphysik in
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ihrer wahren Komplexität lesbar werde, denn Husserl bleibe auch insofern der Metaphysik verhaftet, als die Idealität für ihn zum Telos der Sprache erhoben werde, was die Wahrheit als Idee von einem unendlichen Fortschritt voraussetze, während eine konsequente Lektüre des Wiederholbarkeitsprinzips (das Derrida „Iterabilität" nennt) die Endlichkeit allen Bewußtseins nach sich ziehe. Ich vermag in dieser Lektüre keine Vereinfachung der metaphysischen Tradition zu erkennen; vielmehr sehe ich eine solche Vereinfachung bei den Vertretern der Tradition am Werk, die es gerade für möglich halten, auf die Lektüre von Husserl zu verzichten — wofür Searle ein zwar besonders eindrucksvolles, aber keineswegs isoliertes Beispiel ist. Wohl aber sehe ich, wie der gemeinsame Ansatz bei Simon und Derrida auch hier in radikal unterschiedliche Wege führt. Während die Wiederholbarkeit als Iterabilität für Derrida jede Form der Grundlegung und damit auch der binären Unterscheidung parasitär affiziert, bekennt sich Simon zwar auch zur grundsätzlichen Wiederholbarkeit des Zeichens — „Zeichen sind das Wiederholbare" (101) — , findet aber in der Wiederholung desselben Zeichens nur seine Konventionalisierung: „Sie (die Zeichen, Ph. F.) werden in der Wiederholung konventionell" (101). Während für Derrida die Wiederholung desselben Zeichens immer schon Veränderung ist, verändert sich ein Zeichen für Simon nur, „indem es verstanden wird, d. h. indem für es ein anderes Zeichen, seine ,Interpretation', gesetzt wird" (153). So versteht man, daß Derridas Denken von der Iterabilität radikaler ist als das von Simon, auch wenn Simon an Nietzsche anschließt, bei dem es heißt, daß es „kein zweites Mal" gebe, während uns Derrida auf die viel irritierendere Diagnose aufmerksam macht, daß es kein erstes Mal gebe, weil das erste Mal erst im Nachhinein als solches festgestellt werden kann, vom zweiten Mal her, so daß das erste Mal in Wahrheit ein drittes Mal sei. Diese unterschiedliche Interpretation der Wiederholbarkeit und die Überbietung des Nietzscheschen Paradoxons durch Derrida macht die Frage akut, ob Simon über die Mittel verfügt, der Metaphysik Zeichen abzugewinnen, die sich nicht einfach mit den Aussagemöglichkeiten der Metaphysik decken. Das ist der Sinn der Frage, die ich an Simon stelle, sofern seine Auffassung von der Veränderlichkeit von Zeichen, wie bereits erinnert wurde,
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auf den Horizont des Verstehens angewiesen ist. Die Frage lautet: Genügt es, daß philosophische Systeme als Versuche, das Verstehen zu verstehen, dazu Zeichen erzeugen, um die Sprache zu verändern (vgl. 203)? ,Verstehen' wird in der Logik der Philosophie des Zeichens zwar als Sich-auf-die-Zeichen-Einlassen definiert (153), was auch nach sich zieht, daß Verstehen „Anstrengung bleibt" und „nie definitiv in eine Einheit des Bildes (mündet)" (152); andrerseits wird es immer wieder als „Verdeutlichung", „bessere Interpretation", „Übersetzung ins Verstehbare" usw. bezeichnet, kurz, in ein Sinnkontinuum aufgehoben, in dem Verstehen als Interpretation (diese Gleichsetzung, die für die traditionelle Hermeneutik konstitutiv ist, muß von Simon bestätigt werden, vgl. 127), als Ersetzung von Zeichen durch andere, besser zu verstehende Zeichen beschrieben wird. Die Zitate ließen sich hier vermehren: „Die Bedeutung eines Zeichens ist das Zeichen, das, weil es zugegebener Zeit besser als das zuerst gegebene erscheint, an dessen Stelle gesetzt wird." (143) — „Alle Transformation von Zeichen in andere Zeichen geschieht (...) auch unter der Voraussetzung, daß das Resultat der Transformation allgemein besser sei als das Ausgangszeichen." (232) Eine solche Perspektive wiederholt aber und verabsolutiert m. E. das Wahrheitstelos der Metaphysik, indem sie es auf das Ideal der Harmonie als Verständlichmachung von Sinn reduziert: „Die Disharmonie ist das Gesicht einer Zeichenfolge, die ihre Bedeutung sucht." (91) Das entspricht aber ziemlich genau dem, was Derrida in Signatur Ereignis Kontext „eine Art homogenen Raumes der Kommunikation" nennt, was die Voraussetzung der metaphysischen Interpretation der Interpretation sei, nach der „der Sinn, der Inhalt der semantischen Botschaft ... mitgeteilt (würde), jedoch in einem durchaus kontinuierlichen, sich selbst gleichen Milieu, in einem homogenen Element, in dem die Einheit, die Integrität des Sinns nicht wesentlich beeinträchtigt wäre" (Marges de la Philosophie, 127 in der deutschen Übersetzung). Ist es nicht notwendig, den Horizont gerade dieses hermeneutischen Verstehens zu durchbrechen, um dem Anspruch der Philosophie des Zeichens auf kritisches Ausloten der Metaphysik gerecht zu werden? Simons Verdeutlichungsideal verdankt sich der Metapher der Klarheit (die ohne die Metapher der Dunkelheit nicht denkbar ist). Ob sie zum besseren Verstehen eben dieser Perspektive verhilft, ist fraglich, wenn wir
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uns mit Simons Lektüre von Nietzsches Wort befassen, nach dem „das Leben nur eine Art des Toten (ist), und eine sehr seltene Art" (206). Es ist klar, daß das Leben hier vom Toten her interpretiert oder gewertet wird (also: das Leben als Verdeutlichung des Todes, wenn man diese Terminologie einmal gelten läßt), während Simon diese Aussage Nietzsches gerade vor dem Horizont des Todes als „Verdeutlichung des Lebens" verstanden wissen will, womit er einer im Diskurs der Metaphysik häufig vorkommenden gewaltsamen Entschärfung Nietzsches nicht ganz entgehen kann. C. Simons Äußerungen zum Methodenbegriff ergeben sich ebenfalls aus seinem Verstehenskonzept. So wie Verstehen Sich-aufdie-Zeichen-Einlassen ist, findet Philosophie „die methodische Angemessenheit an ihren ,Gegenstand', die Zeichen, indem sie sich in deren Bewegung, d. . in den Prozeß der Zeichen einläßt" (34). Man erkennt hier Hegels Rede von der Methode als Weg, Bewegung oder auch noch als Tun der Sache selbst, die Simon schlicht als „die Überwindung des metaphysischen Methodenbegriffs" bezeichnet (34). Gerade aber weil die Vorstellung von der Überwindung selbst noch eine durch und durch metaphysische ist, nämlich die Vorstellung vom metaphysischen Wahrheitstelos als Überwindung, müßten hier die Zeichen verdeutlicht werden, die Simon im Sprung zwischen dem Hegeischen Methodenbegriff und der Überwindung des metaphysischen Methodenbegriffs offenbar als Selbstverständlichkeit voraussetzt: Vollendet nicht die dialektische Beziehung zwischen Methode und Sache, die Aufhebung der Sache selbst in die Methode und der Methode in die Sache selbst das Wesen der Metaphysik überhaupt? Und die Frage kann man noch in andere Zeichen übersetzen: Ist nicht Derrida, sofern die Dekonstruktion teilweise als Versuch beschrieben werden kann, die Logik der Aufhebung zu durchbrechen und ein Nicht-Dialektisierbares als ungedachte Möglichkeitsbedingung der Hegeischen Metaphysik zu pointieren, gerade für das Anliegen der Philosophie des Zeichens eher ein ernst zu nehmender Partner als ein Gegner, der weitgehend aufgrund von unkritisch angenommenen Vorurteilen abgewiesen wird? Gerade mit Hegel verbindet Simon ein drittes Vorurteil gegen Derrida, und zwar das Vorurteil der Vernachlässigung von „histo-
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rischen Kontexten", ein Vorurteil, das manchmal bekanntlich als A- bzw. Antihistorismus radikalisiert wird: „und so kommt auch Hegel zu seiner Zeichentheorie, nach der das Tonzeichen das eigentliche, weil sein vorzeichenhaftes ,Sein' an ihm selbst aufhebende Zeichen ist. In Derridas ,Dekonstruktionen' werden solche historischen Kontexte zu wenig bedacht" (168). Daß Hegel für Simon der entscheidende Name und Partner ist, dazu hat er sich selbst bekannt, als er einmal behauptete, Hegel (und Nietzsche) „etwas besser zu kennen, als er Derrida kennt", aber auch, „als Derrida sie kennt". Da sehe ich aber zunächst einen Widerspruch: Wie kann man das von sich und dem anderen behaupten, ohne davon auszugehen, daß man den anderen genug kennt, um gerade das von sich und ihm behaupten zu können?! Und wie kann man das behaupten, ohne sich kritisch mit den Texten auseinanderzusetzen, die Derrida nicht nur Hegel, sondern gerade der Zeichentheorie Hegels gewidmet hat? (Bekanntlich war gerade dieses Thema ein Habilitationsprojekt von Derrida, das zwar als solches aufgegeben wurde, dessen Spuren immerhin in verschiedenen Texten und namentlich in Le puits et la pyramide. Introduction a la semiologie de Hegel nachzulesen sind). Man muß sich nicht mit Derrida auseinandersetzen, wenn man aus einer anderen Tradition zu kommen glaubt (ich glaube aber, daß die Namen Kant —Hegel—Nietzsche—Husserl—Heidegger durchaus auch für Derridas Tradition konstitutiv sind); sollte man es aber nicht tun, wenn man sich gegen ihn wendet? Und entspricht das nicht dem Geiste Nietzsches, auf den Simon ebensowenig wie Derrida verzichten will? Bei Nietzsche heißt es nämlich einmal: „Nur aus der höchsten Kraft der Gegenwart dürft ihr das Vergangene deuten". Verträgt sich nicht ein solches Wort gerade mit Simons Interpretation von Zeichen als Zeichen der Zeit?
III. Zeichen und Geschichte
GÜNTER WOHLFART (Wuppertal)
A. Mantik. Konjekturen zum Zeichen-Begriff Nietzsches „Bevor ,gedacht' wird, muß schon ,gedichtet' worden sein ..." Nietzsche KSA 12, 550 (VIII 10 [159] (265))1
Im folgenden möchte ich einige Mutmaßungen zum ZeichenBegriff anstellen, und zwar ausgehend von Nietzsches Rezeption der Heraklit-Fragmente B 92 und B 93. B 93 ist sozusagen das ,Urwort' der Semantik bzw. Semiotik, ein Fragment, in dem es um den zeichengebenden Gott des delphischen ,Manteion', des delphischen Orakels geht. Bevor ich nun auf den zeichengebenden Apoll eingehe, möchte ich zunächst einige Bemerkungen zum Verhältnis des Apoll zu Dionysos aus Nietzschescher Sicht machen, die für meine Schlußüberlegungen von Bedeutung sind. Nietzsche, der „letzte Jünger des Philosophen Dionysos", der „Lehrer der ewigen Wiederkunft"2, stellt sich in seiner tragischdionysischen Spätphilosophie — wie er selbst bemerkt — wieder zurück auf den Boden seines Frühwerks über die Geburt der Tragödie aufgrund des ,geheimnisvollen Ehebündnisses'3 der bei1
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Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um eine veränderte Fassung des 2. Teils des 4. Kapitels „Mittags. Zeit und Zeichen bei Nietzsche" meines Buches „Artisten-Metaphysik". Er wurde beim Symposion „Zeichen und Zeit" der Academic du Midi vom 4.— 8. Juni 1990 in Lagrasse/Südfrankreich zuerst vorgetragen. F. NIETZSCHE, Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bdn., hg. G. Colli/M. Montinari, München/Berlin/New York 1980, KSA 6, 160.28 ff. Cf. KSA 1,42.10.
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den ,Kunsttriebe' des Apollinischen und des Dionysischen. Sich mit ,kühnem Anlauf — bei Heraklit — in seine ,Metaphysik der Kunst* hineinschwingend4, spricht er am Ende seines Tragödienbuches von dem ,dionysischen Phänomen', „das uns immer von Neuem wieder das spielende Aufbauen und Zertrümmern der Individualwelt als den Ausfluss einer Urlust offenbart, in einer ähnlichen Weise, wie wenn von Heraklit dem Dunklen die weltbildende Kraft einem Kinde verglichen wird, das spielend Steine hin und her set2t und Sandhaufen aufbaut und wieder einwirft."5 Wie ich an anderer Stelle zu zeigen versucht habe6, folgt Nietzsche hier offenbar der Zellerschen Version von Bernays' B 52-Interpretation7. In Unkenntnis der 1850 noch nicht bekannten Hauptquelle von Heraklits Fragment 52 bei Hippolyt, Refutatio IX, 98, unterstellt Bernays — insbesondere ausgehend von den bei Plutarch9 und Philo10 angegebenen B 52-Quellen11, daß Heraklits Fragment 52, in dem der Aion mit einem spielenden Knaben verglichen wird, eine Anspielung auf ein Homerisches Gleichnis in Ilias 15, 362 ff., enthält. In diesem Gleichnis wird das Tun Apolls mit dem eines Knaben verglichen, der am Meeresufer spielend Sandhaufen aufbaut und wieder zusammenschüttet. Nietzsche übernimmt — mit welchem Recht, kann hier nicht diskutiert werden12 — offenbar diese B 52-Deutung mutatis mu4 5 6
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Cf. KSA l, 152.17f. KSA 1,153.12-17. Cf. vom Verfasser: Also sprach Herakleitos, Freiburg 1991, den Anfang von Kapitel 2.11. Cf. E. ZELLER, Die Philosophie der Griechen, 31869, 535 f. (Die 3. Auflage des 1. Teils findet sich in Nietzsches Bibliothek.) In der Anm. S. 536 verweist Zeller zustimmend auf Bernays. Die fast wörtliche Übereinstimmung des Nietzsche- und des Zeller-Textes ist bisher — soweit ich sehe — nicht bemerkt worden. Cf. J. BERNAYS, Heraklitische Studien, RhM 7 (1850) 108 ff. Die Bücher IV —X wurden 1842 in einem Manuskript auf dem Berg Athos gefunden, 1851 in Oxford und 1859 in deutscher Sprache in Göttingen publiziert. Cf. PLUTARCH, de E apud Delphos, 393. Cf. PHILO, de aetern. mundi 42. Cf. BERNAYS, a. O., 110 f. Cf. Verf., Also sprach Herakleitos, 1.22341-1.22342.
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tandis von seinem Hauptgewährsmann13 Bernays, die von der frühen Zeit des Tragödienbuches bis in die Spätzeit der dionysischen Philosophie sein Denken entscheidend beeinflußt. Bemerkenswert ist hierbei nun, daß Nietzsche auf Bernays' Spuren von einer B 52-Deutung ausgeht, in deren Zentrum nicht — wie der Kontext der herangezogenen Stelle vom Ende des Tragödienbuches erwarten ließe — Dionysos steht — wie etwa auch bei Lassalle14, dessen Deutung Nietzsche ja ebenfalls bekannt war15 und ihn wohl auch beeinflußt hat — , sondern Apollo, denn in dem Homerischen Gleichnis, auf das Bernays bei seiner B 52Deutung rekurriert, ist es ja — wie gesagt — Apollo, der mit dem spielenden Knaben verglichen wird. 13
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Auf die Bedeutung von Bernays für Nietzsche haben bereits U. KÖLSCHER (Die Wiedergewinnung des antiken Bodens. Nietzsches Rückgriff auf Heraklit, in: neue hefte für philosophic 15/16 (1979) 168 f.) und T. BORSCHE (Nietzsches Erfindung der Vorsokratiker, in: Nietzsche und die philosophische Tradition, Bd. I, hg. J. Simon, Würzburg 1985, 73) hingewiesen. Ein Beispiel für den bisher noch zu wenig beachteten Einfluß von Bernays auf Nietzsche: Bernays behauptet, ganz im Unterschied zu Creuzer, Lassalle und Gladisch, eine Beziehung tiefgreifender Opposition zwischen dem historischen Zoroaster und Heraklit. Nietzsche folgt Bernays, dessen Ansicht maßgebend wird für Nietzsches Einschätzung des Verhältnisses seines Zarathustra zu Heraklit, denn Nietzsches Zarathustra steht wie Bernays' Heraklit in Opposition zum historischen Zoroaster. Gerade diese gemeinsame präsumtive Opposition gegen den historischen Zoroaster verbindet Bernays' und Nietzsches Heraklit — als AntiZoroaster — mit Nietzsches Zarathustra — als Anti-Zoroaster. Viele zentrale Passagen aus A/so sprach Zarathustra und anderen Spätschriften, die insbesondere die Wiederkunftslehre und den Spielbegriff betreffen, werden erst auf dem Hintergrund von Nietzsches Heraklit-Rezeption verständlich (Cf. G. ABEL, Nietzsche, Berlin/New York, 1984, Kap. X, u. M. DJURIC, Nietzsche und die Metaphysik, Berlin/New York, 1985, Kap. III). Ich denke: Der Text von Nietzsches Zarathustra ist in entscheidenden Passagen ein Palimpsest. Bei genauerem Zusehen erkennt man darin Nietzsches Heraklit-Bild, ein Bild, dessen Grundzüge er in der Zeit seiner Basler Vorsokratiker-Vorlesungen vor allem von Bernays übernahm. Dies gilt insbesondere für Fragment B 52, das geradezu eine Schlüsselrolle für Nietzsches Philosophie spielt. Cf. F. LASSALLE, Die Philosophie Herakleitos des Dunklen von Ephesos, a. O., I, 262 ff. Cf. F. NIETZSCHE, Basler Vorlesungen, Großoktav-Ausgabe, Bd. XIX, 171 u. 182.
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In den letzten Worten der Geburt der Tragödie sagt Nietzsche offensichtlich im Blick auf das Ende der Eumeniden des Aischylos: „Sage aber auch dies, du wunderlicher Fremdling: wie viel musste dies Volk leiden, um so schön werden zu können! Jetzt aber folge mir zur Tragödie und opfere mit mir im Tempel beider Gottheiten!"16 Die beiden Gottheiten sind Apoll und Dionysos. Trotz der bereits im Tragödienbuch17 erkennbaren und sich beim späten Nietzsche verstärkenden Präponderanz des Dionysischen über das Apollinische ist dort, wo Nietzsche vom ,tragischdionysischen Zustand' spricht, immer auch ein apollinisches Moment mitzudenken. Bei Dionysos denkt Nietzsche vor allem an den von Apoll wieder zusammengefügten, ,aus seiner asiatischen Zerreißung geretteten' Dionysos Zagreus.™ Kurzum: Nietzsches Dio16 17
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NIETZSCHE, KSA l ,156. Cf. die zitierte Stelle KSA l, 153, an der Nietzsche vom .dionysischen Phänomen' spricht. Cf. KSA l, 72, 559 u. 587, sowie KSA 7, 176ff. (III 7 [123]) u. dazu Kap. l, ,Der dionysische Apoll', meines Buches Artisien-Metaphysik sowie meinen Vortrag mit gleichem Titel auf dem 15. Deutschen Kongreß für Philosophie vom 24.—28. Sept. 1990 in Hamburg. Hier habe ich im einzelnen zu zeigen versucht, daß Nietzsche, angefangen von der frühen Abhandlung Die dionysische Weltanschauung, in der er das Gegensatzpaar .apollinisch/dionysisch' als Schlüssel zur Deutung der griechischen Tragödie einführt, über verschiedene Vorstudien — aufschlußreich ist insbesondere das Nachlaßfragment III 7 [123] (cf. KSA 7, 176 ff.) — bis hin zum Tragödienbuch bei seiner Gegenüberstellung der beiden .Kunstgottheiten' Apoll und Dionysos vom orphischen Zagreus-Mythos beeinflußt wurde, der ihm vor allem durch Clemens Alexandrinus, Creuzer und Lassalle bekannt war. Das Gegensatzpaar apollinisch/ dionysisch ist also mitnichten eine Erfindung Nietzsches. Die Vorstudien zum Tragödienbuch zeigen, daß Nietzsche sowohl die antiken Quellen selbst, als auch deren Rezeption insbesondere durch Creuzer kannte, den er höchstwahrscheinlich schon durch seinen Lehrer Ritschi kennenlernte. Dies läßt sich in den Basler Vorlesungen bis ins Detail nachweisen. Dort kann man auch die Spur aufnehmen, die zu Lassalle führt, der seinerseits auf Creuzer rekurriert. Die Inspiration des Bernays-Gefolgsmannes und Schopenhauerianers Nietzsche durch den Bernays-Gegner und Hegelianer Lassalle schien mir zunächst so abwegig zu sein, daß ich auf den ersten Blick fälschlicherweise eine umgekehrte Abhängigkeit Lassalles von Nietzsche unterstellte, was freilich allein aus chronologischen Gründen unmöglich ist. Lassalles Heraklit-Buch erschien 1858, als Nietzsche gerade Gymnasiast in Schulpforta geworden war!
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nysos ist — wie man in Umkehrung eines Wortes von Pausanias, der von einem dionysischen Apoll spricht19, sagen k nnte — ein apollinischer Dionysos. Obgleich das Moment des Apollinischen in Nietzsches tragischdionysischem Zustand unterbelichtet ist, mu deshalb der Augenblick ,pl tzlicher Ewigkeit'20, in dem ,die Sonne der Erkenntnis im Mittag steht·',21 strenggenommen als n chfern-ttunkener Augenblick der sthetischen Epiphanie eines apollinischen Dionysos gefa t werden. Nicht auf die μέθη, die Trunkenheit als solche, kommt es an, sondern auf die νηφάλιος μέθη, die n chterne Trunkenheit, von der bei Philo 1.16 die Rede ist. Der ,Sonnen-Blick' der ,Mittags'-Zeit als ,Augen-Blick' des tragischen Aushaltens der ewigen Wiederkunft ist der Augenblick des apollinisch-dionysischen Zustands. Was bedeutet es nun genauer, den Mittags-Augenblick des k rzesten Schattens nicht nur als Augenblick der Epiphanie des Dionysos, sondern ineins damit zugleich als Augenblick der Epiphanie Apollos zu betrachten? Wie begreift Nietzsche den Gott mit dem ,sonnenhaften' Auge?22 „Er [seil. Apollo, G. W.], der seiner Wurzel nach der ,Scheinende', die Lichtgottheit ist [23],
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In Buch I, 31.4 von PAUSANIAS' Reisen in Griechenland ist von einem ,Apollon Dionysodotos', also einem von Dionysos gegebenen Apollo die Rede. Dem Altphilologen Nietzsche d rfte das ebenso bekannt gewesen sein wie seinem lteren Basler Kollegen, dem Althistoriker Burckhardt, der in seiner Griechischen Kulturgeschichte ebenfalls die Zusammengeh rigkeit der beiden Gottheiten behandelt. — Als Quelle interessant ist brigens auch der Gr zist Anselm FEUERBACH (der Vater des Malers und Bruder des Philosophen), der in seinem Buch Der vatikanische Apoll den Gegensatz zwischen dionysischem Rausch und plastischem Ma herausarbeitete. Im November 1869 hat Nietzsche das Buch aus der Basler Universit tsbibliothek entliehen. KSA 14, 338. Cf. KSA 9, 519.18 (V 11[196]). Cf. KSA l, 28.6. f. Nach dem Griechischen Etymologischen W rterbuch von H. FRISK ist die Etymologie unbekannt. Die Versuche, ,ΑρόΙΙοη' aus dem Indogermanischen zu erkl ren, haben zu keinem berzeugenden Ergebnis gef hrt. Cf. Der Kleine Pauly, Bd. l, 441 ff., Apollon.
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beherrscht auch den sch nen Schein ,..".24 Es ist hinl nglich bekannt, da Nietzsche Apollo in der Geburt der Trag die als Gott des Scheins begreift. Dies f gt sich auch mit den vorangegangenen Ausf hrungen ber den ,Sonnen-Blick' sthetischer Epiphanie eines apollinischen Dionysos zusammen. Soweit meine Vorbemerkungen zum dionysischen Apoll. Hier kommt es mir jedoch vor allem auf ein anderes Attribut Apollos an, das Nietzsche in der soeben zitierten Passage der Geburt der Trag die nur en passant streift — und damit komme ich zum Thema im engeren Sinne —: „Apollo, als der Gott aller bildnerischen Kr fte, ist zugleich der wahrsagende Gott".25 Heraklits Fragment 93 ist das erste Bruchst ck einer Philosophie des Zeichens. Es lautet: Ό άναξ o το μαντεΐόν εστί το εν Δελφοΐς, ούτε λέγει ούτε κρύπτει άλλα σημαίνει.26 ,Der Gebieter, dem das Manteion in Delphi ist, der Herr des delphischen Orakels, sagt nicht und verbirgt nicht, sondern bedeutet'27, er gibt Zeichen.2* 24
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KSA l, 27.27T. Einen Hinweis darauf, da Nietzsche auch in Heraklits Fragment 52 nicht nur dionysische, sondern ebensosehr apollinische Momente erblickte, enth lt z. B. eine Bemerkung in Fragment III 23[8] vom Winter 1872/73: „Heraklit: apollinisches Ideal, alles Schein und Spiel." (KSA 7, 540.26). KSA I, 27.26 f. Cf. dazu B. SNELL, Die Sprache Heraklits, in: ders., Gesammelte Schriften, G ttingen 1966, 143 f. Zu dieser bersetzung von Snell, Schadewaldt, Diels u. a. denke man zuerst an die transitive Bedeutung von .bedeuten', wie sie z. B. erhalten ist in der Wendung ,Er bedeutete mir zu gehen'. Die bersetzung von σημαίνει durch ,gibt Zeichen' findet sich u. a. bei Snell, Heidegger, H lscher, Deichgr ber und Fr nkel sowie bei Kirk, Marcovich, Guthrie etc.; Cf. Liddell/Scott/Jones, Greek-English Lexicon [LSJ], σημαίνω: ,show by a sign, indicate, point out'. HEIDEGGER bersetzt „Der Hohe, dessen Ort der weisenden Sage der in Delphi ist, weder entbirgt er (nur), noch verbirgt er (nur), sondern er gibt Zeichen." (Heidegger, GA, Bd. 55, 177). Sollte sich Heidegger brigens bei der gesuchten bersetzung von ,δναξ' durch ,der Hohe' von einer gewissen hnlichkeit von ,άνά', ,hinauf, entlang' und ,δνα', dem Vokativ von ,δναξ' (cf. LSJ ανά) zur Verschmelzung dieser beiden etymologisch keineswegs verwandten W rter (cf. H. FRISK, a. Ο., άνα und δναξ) haben verf hren lassen? Mit Heideggers eigenen Worten w re dann zu sagen: „H nde weg von allen leeren und zuf lligen Etymologien ..." (Heidegger, G A 55, 195). — N chterner ist hier die bersetzung GUTHRIES: „The Lord who owns the oracle at Delphi neither speaks nor hides his
A. Mantik. Konjekturen zum Zeichen-Begriff Nietzsches
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Apoll, der delphische Gott, „verbirgt nicht und verk ndet nicht, sondern zeigt nur hin"29 — wie Nietzsche in der Zweiten Un^eitge· m en Betrachtung bersetzt. Apoll, der Gott des Scheins, ist auch der geigende, der ^eichengebende Gott. Er ist der Gott der Semantik, wie der — sit venia verbo — Semiotik.^ Apoll bringt ans Licht (φαίνει)31, indem er zeigt (σημαίνει). Interessant im Hinblick auf die vom Nietzsche der Basler Zeit betonte Affinit t bzw. harmonische Entgegensetzung von Apoll und Dionysos scheint mir nun der Kontext zu sein, in dem Nietzsche Fragment B 93 sieht. Sowohl im achten Teil der Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen*1 als auch in der Basler Vorsokratiker-Vorlesung sieht er B 93 zusammen mit B 92: „Die Sibylle mit rasendem Munde Ungelachtes und Ungeschminktes und Ungesalbtes hinausrufend dringt durch Jahrtausende mit der Stimme, getrieben vom Gott."33 In der Basler Vorlesung sagt Nietzsche — bereits hier brigens eigene Z ge in sein Heraklit-Portr t einzeichnend —: „Von dem Gef hl der Einsamkeit, das ihn [seil. Heraklit, G. W.] durchdrang, kann man sich schwerlich eine Vorstellung machen: vielleicht macht sein Stil dies noch am deutlichsten, den er selbst mit Orakelspr chen und mit der Sprache der Sibylle vergleicht, [seq. B 93 u. B 92] Denn er, als Grieche, verzichtet auf Helligkeit und k nstlerischen Schmuck, einmal aus Menschenverachtung und trotzigem Gef hl seiner Ewigkeit: dann aber redet er in der Verz ckung wie die Pythia und die Sibylle, aber Wahrheit. Es ist n mlich nicht der Stolz der logischen Erkenntnis, sondern der intuitiven Erfassung des Wahren: wir m ssen das Enthusiastische
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meaning but indicates it by a sign." (W. K. C. Guthrie, A History of Greek Philosophy, Cambridge 1962, 414.) KSA1, 333.3 f. Was Locke sp ter als .doctrine of signs' bestimmte, die σημειωτική (Essay IV 21) war urspr nglich vor allem die Lehre von den Kennzeichen der Krankheiten (ή σημειωτική τέχνη); το σημειωτικόν war die Wissenschaft der Symptome in der Medizin, d. h. die Diagnostik; (cf. e. g. GALENUS 14. 689 u. SORANUS 1.124.) Cf. LSJ Ι. ν. φαίνω. Cf. KSA l, 835.10-18, sowie die entsprechende Passage KSA l, 759.1-9. B. SNELL, Heraklit, Fragmente, M nchen/Z rich 81983, 29.
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und Verz ckte in seiner Natur beachten."34 R hrt die Zusammenstellung von B 92 und B 93 nur daher, da beide Fragmente bekanntlich aus derselben Quelle bei Plutarch35 stammen und bereits von Schleiermacher36, Lasalle37 und Zeller38 zusammengebracht worden waren? Hat es gewisserma en nur doxographische bzw. rezeptionsgeschichtliche Gr nde, da Nietzsche Heraklits Sprache mit der Apolls, des Gebieters des Delphischen Manteion wie auch mit der Verz ckung der mit,sch umendem Munde'39 — μαινομένω στόματι — redenden Sibylle vergleicht, oder hat dieser Vergleich auch eine sachliche Berechtigung? Ich denke, da er eine solche hat. Ich denke, da die Zusammenstellung des M nadischSibyllinischen, Enthusiastisch-Verz ckten bzw. ,Dionysischen' in B 92 mit dem M an tiscb-Apollinischen in B 93 nicht nur u erliche Gr nde hat, sondern etymologisch wie mythologisch gerechtfertigt ist. Ein Wort zur Rechtfertigung: Was die Interpretation von B 93 angeht, m chte ich zun chst Bollack/Wismann zustimmen, wenn sie in ihrer Interpretation von B 93 sagen, „Manteion est complete et corrige a la fin en se-manteion".40 Bei der Deutung des Schl sselwortes σημαίνει am Ende von B 93 sollte man noch einmal auf das — etymologisch damit allerdings nicht verwandte — manteion am Anfang von B 93 zur ckkommen. Die etymologische Betrachtung des Wortes μαντεΐον, Orakel, ergibt nun eine eindeutige Verwandtschaft mit dem Verb μαίνομαι, ,bin verz ckt, rase', das uns in Fragment B 92 begegnet.41 34 35 36 37
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NIETZSCHE, GA XIX, 169 f. B 92: Plut. de Pyth. or. 6 p. 397 A; B 93: Plut. de Pyth. or. 18 p. 404 D. Cf. F. SCHLEIERMACHER, S mtliche Werke, 3. Abt., 2. Bd., Berlin 1838, 14 f. Cf. LASSALLE, Die Philosophie Herakleitos des Dunklen von Ephesos, a. O. 1,20-30. Cf. E. ZELLER, Die Philosophie der Griechen, 31869, 527 u. 592 Anm. 3. Cf. KSAl.835.16f. J. BOLLACK/H. WISMANN, Heraclitc ou la separation, Paris 1972, 274. Cf. H. FRISK, a. O., Bd. 2, 173 μάντις: „Jedenfalls geh rt μάντις zu μαίνομαι, μανήναι"; cf. ebenso J. B. HOFMANN, Etymologisches W rterbuch des Griechischen, μάντις u. μαίνομαι. Das Wort μαίνομαι geht zur ck auf eine Wurzel *men-, zu der u. a. auch die W rter ,μένος, Geist, Mut, Zorn; Kraft, Drang', ,μανία, Tollheit, Wahnsinn* sowie ,μαινάς, άδος, die Verz ckte' geh ren (siel). Der μάντις, der Seher, ist mit der μαινάς, der M nade, etymologisch verwandt, und insofern ist von der Wortherkunft her eine indirekte Verbindung herge-
A. Mantik. Konjekturen zum Zeichen-Begriff Nietzsches
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Was die mythologische Seite betrifft, scheint der Mythos von einer delphischen Sibylle als Tochter Apollos42 eine Best tigung der Verbindung der heraklitischen Fragmente B 92 und B 93 zu sein.43 Wie dem auch sei: Begriffs- wie problemgeschichtlich ist es keineswegs als eine blo e Willk r Nietzsches anzusehen, wenn er eine Verbindung zwischen dem M nadisch-Sibyllinischen und dem Mantisch-Apollinischen herstellt, indem er B 92 und B 93 verkn pft. Der Altphilologe Nietzsche hat sich zweifellos einige philosophische Freiheiten bei seiner Heraklit-Interpretation herausgenommen. Aber Vorsicht: auf eine unkritische Begeisterung ber Nietzsches Genie folgt mitunter eine ebenso unkritische Entgeisterung ber die Genealogie seiner Texte. Es gilt genau zu differenzieren und zum Geist unvoreingenommener, trockener Textkritik durchzudringeh. Denen, die Nietzsche das Alte im Neuen vorrechnen und nicht bedenken, da es ihm vor allem um das Neue im Alten ging, h lt er entgegen: „Schlimm! Schlimm! Wie? geht er nicht — zur ck?" — „Ja! Aber ihr versteht ihn schlecht, wenn ihr dar ber klagt. Er geht zur ck, wie jeder, der £i44 einen grossen Sprung thun will. Daf r, da Nietzsche, f r den der orphische Zagreus-Mythos, in dem Apoll und Dionysos in engster Verbindung miteinander erscheinen, bei der Konzeption seines ,Trag dienbuches' wie gesagt eine entscheidende Rolle spielte, die beiden Heraklit-Frag-
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stellt zwischen Apoll, dem Gebieter des delphischen μαντεϊον (Β 93) und der μαινομένω στόματι redenden Sibylle. Fragment 92 ist nach H. FR NKEL (cf. Diels-Kranz, Die Fragmente der Vorsokratiker, Bd. l, 172, Anm. zu B 92) auf die Worte μαινομένω στόματι zu beschr nken, die allein auch HIPPOLYT zitiert, wohingegen der Rest durch Stil und Inhalt in den plutarchischen Zusammenhang zu verweisen ist (cf. U. H LSCHER, Der Logos bei Heraklit, in: Varia Variorum. Festschrift f r K. Reinhardt, M nster/K ln 1952, 81 Anm. 28). Cf. G. RADKE, Sibyllen, in: Der Kleine Pauly 5, 159; cf. dazu K. HELD, Heraklit, Parmenides und der Anfang von Philosophie und Wissenschaft, Berlin/New York 1980, 442, der die Sibylle in B 92 ebenfalls als delphische Sibylle begreift. W. FAUTH, Pythia, in: Der Kleine Pauly 4, 1275, sagt unter Hinweis auf K. LATTE, Harv. Theol. Rev. 38 (1940) 9 ff.: „Rel. hist, ist zu beachten, da der kleinasiat. Apollon Ber hrung mit dem weibl. Sehertyp der Sibylle aufweist ...". KSA 5,229.
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mente vom zeichengebenden Apoll und der mit rasendem Mund rufenden Sibylle zusammenbrachte — sei es nun mit oder ohne Kenntnis begriffs- bzw. problemgeschichtlicher Einzelheiten — , lassen sich durchaus gute Gr nde anf hren. Es zeigt sich auch hier die N he, in der sich f r die Alten wie f r den auf sie zur ckkommenden Nietzsche der Musaget Apollo zu Dionysos und seinen mythischen Begleiterinnen, den M naden, offenbar befand. Es zeigt sich — anders gesagt —, und dies ist in unserem Zusammenhang von besonderem Interesse, die Verwandtschaft des Zeichen gebenden Mantikers mit der m nadisch rufenden Sibylle. Im Blick auf Nietzsches sp tere ,Artisten-Metaphysikc der Stunde des vollkommenen Mittags und des Augenblicks pl tzlicher Ewigkeit bedeutet dies: Der Augenblick der sthetischen Epiphanie des apollinischen Dionysos ist der Augenblick des tragisch-dionysischen resp. apo/tiniscb-dionysischen Zustands. Er ist der h chste Zustand, den ein Philosoph nach Nietzsche erreichen kann. Dieser , sthetische Zustand' ist n her zu bestimmen als der «#Yv&/£r«-trunkene Zustand der νηφάλιος μέθη, als der w»j7J^-m nadische Zustand der μανία Μουσών.45 Der sthetische Zustand ist der w^»//j-, sondern um 'Le.ich&nphilosophie und IntefptetzuonsphHosophie geht. Zeichentheoretiker fragen, was ein Zeichen, Interpretationstheoretiker, was eine Interpretation sei, und sie betonen dann mit schöner Regelmäßigkeit, daß sie dies leider immer noch nicht wüßten. In der Philosophie ist dies aber gar nicht die Frage. Entscheidend ist nicht, was genau ein Zeichen und eine Interpretation sind, sondern wann etwas als ein symbolisierendes Interpretationszeichen fungiert und was es heißt, das Welt- und Selbstverständnis am Leitfaden von Zeichen- und Interpretationsprozessen zu verstehen. Zeichen- und Interpretationstheorien gehen bereits von einer Unterscheidung nach Gattung und Art aus, nehmen Zeichen und Interpretation als Gat6 7
SIMON, a. O., 303. a. O., 298.
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tungsausdrücke (d. h.: Zeichen als alles, was für etwas anderes steht, Interpretation als Verdeutlichung gegebener Zeichen) und unterscheiden dann Arten von Zeichen (z. B. Anzeichen, Signale, Hinweise, Richtungen, Symptome) und Arten von Interpretationen (z. B. Kommentare, Erläuterungen, Paraphrasen, Übersetzungen, Transkriptionen). Auftretende Zeichen und Interpretationen werden dann als Arten der Gattung Zeichen bzw. Interpretation gefaßt. Der Witz einer zeichen- und mtztpTet'Ziuons-philosopbischen Betrachtung besteht nun aber einfach darin, daß sie die Unterscheidung von Gattung und Art selbst bereits als das Resultat eines Zeichen- und Interpretations-Geschehens auffaßt. Unter anderem zeigt sich gerade an der Unterscheidung von Gattung und Art, d. h. daran, daß durch sie, gleichsam wie in Dedekindschen Schnitten, zunächst kontinuierliche Verhältnisse aufgetrennt werden, daß wir es hier mit kategorialisierenden InterpretationiProzessen zu tun haben. Dies ist ein in epistemologischer Hinsicht zentraler Befund. Die Einteilung nach Gattungen und dieser wiederum nach Arten sowie die Beziehungen von Gattungen zueinander und von Arten zueinander (einschließlich der Ausschlüsse von Beziehungen, wie z. B. zwischen meinem Schreibtisch, Julius Caesars Kopfschmuck und der Primzahl Sieben), dies sind bereits Effekte von Interpretationsprozessen. Das interpretatorische Element sitzt nicht erst in der Subsumtion einzelner Vorkommnisse unter Arten und dieser unter Gattungen. Es sitzt zum einen bereits in der Genesis der Gattungen und Arten selbst, deren Bildung darin zugleich als eine Reaktion auf den Fluß der Zeichen, als ein Versuch erscheint, das zunächst kontinuierliche Ineinanderübergehen der Interpretationszeichen zu segmentieren und zu fixieren. Die natürlichen Arten zum Beispiel sind offenkundig Interpretationskonstrukte. Da nicht die Welt sich selbst, sondern wir sie mit Hilfe unserer sprach- und grundbegrifflichen Schematisierungen einteilen, bleiben andere Einteilungen jederzeit möglich8. Zum anderen sitzt das interpretatorische Element 8
Michel FOUCAULT, Die Ordnung der Dinge, Frankfurt a. M. 1971, 17, zitiert den schönen Passus aus Jorge Luis BORGES: Das Eine und die Vielen, München 1966, 212, der „eine gewisse chinesische Enzyklopädie" erwähnt, in der es heißt, daß „die Tiere sich wie folgt gruppieren: a) Tiere, die dem Kaiser
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in der Unterscheidung zwischen Gattung und Art sowie zwischen Art und Art kraft der spezifischen Differenz als desjenigen Begriffs, der die da zunächst bestehenden Kontinuitäten zwischen Gattung und Art (d. h. den Zustand, in dem eine Gattung für eine Art und eine Art für die Gattung sowie Arten füreinander stehen können) durch ein explizites Dazwischen-Treten auftrennt.9 Und die Weise, wie wir mit Hilfe anderer Zeichen die Grenzen ziehen, einteilen und klassifizieren, d. h. „Abkürzungen der Zeichen"10 mit Hilfe anderer Zeichen vornehmen, klassifiziert uns, die Interpreten, zugleich als die Jo-»»i/-j-ö-Interpretierenden, d. h. sie zeigt eine Menge über uns selbst. Mithin haben wir es mit drei Zusammenhängen zu tun: wir interpretieren aus unseren Interpretations-Horizonten heraus so, wie wir nun einmal interpretieren; indem wir so interpretieren, wie wir dies tun, interpretieren wir uns zugleich selbst; und wir wären nicht die interpretierenden Wesen, die wir sind, wenn nicht auch all das, was das So-und-so-Interpretieren bedingt, vom Charakter des Interpretierens wäre. Solch dreifältiges Interpretations-Geschehen kann nicht mehr nur auf Interpretation im Sinne aneignender Deutung und nicht mehr nur auf die nachträgliche Prozedur des Auslegens und Erkennens eingegrenzt werden. Es ist vielmehr umfassend und ursprünglich, nicht Option, sondern Kondition. Und von hier aus können dann die Unterscheidungen, wie z. B. die zwischen einem Interpretation3-Vorgang und dem Referenten solcher Interpretation, als interpretations-/«/!?;·»* Unterscheidungen reformuliert werden. Das Verhältnis der drei Zusammenhänge des Interpretierens ist zirkelhaft, und man kann
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gehören, b) einbalsamierte Tiere, c) gezähmte, d) Milchschweine, e) Sirenen, f) Fabeltiere, g) herrenlose Hunde, h) in diese Gruppierung gehörige, i) die sich wie Tolle gebärden, k) die mit einem ganz feinen Pinsel aus Kamelhaar gezeichnet sind, 1) und so weiter, m) die den Wasserkrug zerbrochen haben, n) die von weitem wie Fliegen aussehen". SIMON, a. O., 264, verweist in diesem Zusammenhang auf KANTS Maxime der „Kontinuität der Formen" (Kritik der reinen Vernunft, B 686) begrifflich durchgeführter Spezifizierungen. Gattungen und Arten liegen dieser Maxime zufolge „beliebig dicht aneinander, so daß ihre Unterscheidung im Grenzfall schwer wird" (SIMON, a. O.). Friedrich NIETZSCHE, Kritische Gesamtausgabe (hg. G. Colli/M. Montinari), Bd. VIII, l, Nachlaßfragment l [28].
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vom Zirkel des Interpretations-Geschehens, bzw. vom geschehens-logischen Interpretations-Zirkel11 sprechen. Dieser greift über das enge Verständnis von Interpretation als aneignender Deutung hinaus. Wird diese Erweiterung und Tieferlegung der beiden Grundworte „Zeichen" und „Interpretation" angenommen, dann kann die ältere Architektonik der zeichen- und interpretations-philosophischen Problemlagen zurückgelassen werden. Zugespitzt bestand diese in der Auffassung, daß ein Zeichen der Stellvertreter von etwas sei („aliquid pro aliquo") und daß Interpretation als der Vorgang aneignender Verdeutlichung eines nicht mehr verstandenen Zeichens durch andere Zeichen gefaßt wird. Das einzige jedoch, für das ein Zeichen stehen kann, ist ein anderes Zeichen. Und wenn ein Zeichen für „etwas" steht, so muß dies bereits ein später, ein derivativer Begriff des Zeichens sein. Denn nur mit Hilfe von Zeichen-Zeichen-Beziehungen läßt sich überhaupt angeben, wofür ein Zeichen Zeichen sein soll. Und der Interpretationscharakter beschränkt sich nicht auf die nachträgliche aneignende Verdeutlichung eines Zeichens durch sein Folgezeichen. Er reicht vielmehr bis in die Zeichenfunktionen selbst. Zum einen können diese, eben weil sie Zeichen/#»^//0«£» sind, selbst (und zwar bis hinein noch ins unmittelbare Verstehen von Zeichen) als interpretatorisch qualifiziert werden. Zum anderen steckt im (unmittelbar) verstandenen Zeichen mehr, als man (unmittelbar) versteht. Unmittelbare Applikation ebenso wie unmittelbares Verstehen von Zeichen können als Grenzfälle einer eingespielten Interpretations-Praxis behandelt werden, in der gar nicht mehr eigens bemerkt wird, daß man sich in InterpretationsSpielen bewegt und von diesen bewegt wird. 3. Empfinden, Wahrnehmen, Denken Daß jeder Einteilung nach Gattungen und Arten sowie nach Arten und Arten Interpretationsprozesse bereits im Rücken lie11
Vgl. dazu Günter ABEL, Nietesche. Die Dynamik der Willen zur Macht und die ewige Wiederkehr, Berlin/New York 1984, 162—184; und ders., Nominalismus und Interpretation, in: J. Simon (Hg), Nietzsche und die philosophische Tradition, Bd. II, Würzburg 1985, insbesondere 60 ff.
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gen, war oben der in epistemologischer Hinsicht entscheidende Befund. Daß das Interpretieren auch in ontologischer Hinsicht grundlegend ist, zeigt nicht nur die einfache Überlegung, daß ontologische Argumente interpretations- und sprachabhängig sind, sondern auch ein Blick auf das Empfinden, Wahrnehmen und Denken. Kant spricht vom „Realen der Empfindung".12 Darin geht es nicht um die Empfindung von etwas vorfabriziert Fertigem, und nicht die Empfindung, sondern deren Gegenstand wird als das Reale angesehen. Ersteres kann kritisch gegen einen metaphysischen Realismus, zweiteres kritisch gegen eine Sinnesdatentheorie gelesen werden, derzufolge die Sinnesdaten sich zwischen uns und unsere Gegenstände schieben. Erst wenn diese beiden Auffassungen vom Empfinden und Wahrnehmen zurückgelassen sind, tritt der ursprüngliche Interpretationscharakter der Empfindung und der Wahrnehmung hervor. „Wir haben schon immer interpretiert, wenn wir Empfindungen haben" Eine „uninterpretierte Empfindung ist gegenstandslos und in diesem Sinne die Empfindung von nichts."13 Am Beispiel der Schmerzempfindung läßt sich zeigen, daß und warum Interpretation den Tiefensitz einnimmt, der ihr hier zugesprochen wird. Wenn ich einen Schmerz habe, dann sind der Schmerz und das Schmerzzeichen „dasselbe". Im Falle des Schmerzhabens wird also nicht erst von einem gegebenen Zeichen auf den zugehörigen Zustand geschlossen'. Es liegt keine inferentielle Interpretation vor. Aber, und das ist entscheidend, der Schmerz ist ein Zeichen, „sobald er als Schmerz bewußt ist".14 Nun ist aber gerade dieses Etwas-^/j-Etwas-Haben das grundlegende Kennzeichen von Interpretation, d. h. der Interpretationscharakter besteht vornehmlich in solchem ursprünglichen (und nicht erst abgeleiteten, schlußfolgernden oder begrifflich subsumierenden) Haben- und Ansehen-^4/r. Danach erst ist relevant, ob ich das dann p< und >~ip< in der Verbindung > ( . )< eine Tautologie ergeben, zeigt, daß sie einander widersprechen."
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ob Übereinstimmung vorliegt oder nicht, nicht ihrerseits wiederum begrifflich entschieden, nicht durch die verwendete Sprache selbst ausgedrückt werden kann, sondern sich an der Form des Satzes zeigt41); (c) im Sinne der auf das symbolisierende Zeichen selbst bezüglichen Kraft des „Ausdrucks" (z. B. eines Gemäldes ocjer eines Musikstücks); und (d) in dem Sinne, daß sich in einem zukünftigen Handeln und in der weiteren Zeichenverwendung erst herausstellen, eben erst zeigen muß, wie etwas zu verstehen und ob eine gegebene Interpretation eines Zeichens gelungen ist. Wichtig ist, das Sich-Zeigen nicht als einen Vorgang anzusehen, in dem zeichen- und intetpTetSiuons-traris^eadente Elemente den Sprung in den wirklichen Gebrauch der Interpretations-Zeichen schaffen. Im Zeigen manifestiert sich vielmehr, so können wir sagen, die Form unserer diesseitigen Praxis des Gebrauchs der Interpretationszeichen. Wie dies zu verstehen ist, sei knapp skizziert. Wenn ein mit symbolisierender Kraft auftretendes Zeichen etwas zeigt, das nicht gesagt, nicht ausgesagt werden kann, dann läßt sich dies, im Sinne der allgemeinen Symboltheorie Nelson Goodmans wie folgt umschreiben:42 Das symbolisierende Zeichen besitzt dann (buchstäblich oder metaphorisch) Eigenschaften (bzw. ihm kommen die entsprechenden Prädikate und/oder nichtsprachlichen Kennzeichen zu), und es bezieht sich zugleich auf eben diese Eigenschaften bzw. Prädikate und Kennzeichen. Wir haben es dann mit einer besonderen Weise des Bezugnehmens zu tun. Sie wird „Exemplifikation" genannt. Ein einfaches Beispiel wären die Stoffproben eines Schneiders. Vor allem zwei Aspekte sind in unserem Zusammenhang wichtig: (a) im Zeigen/Exemplifizieren geht es nicht um Repräsentation-von-etwas, sondern eben um Darstellung und/oder Ausdruck dessen, was das Symbol als Eigenschaft besitzt und worauf es sich zugleich auch bezieht; das exemplifizierende und dann vor allem das sich-selbst-exemplifizierende Zeichen bleibt darin gleichsam ganz bei sich selbst; (b) im Zeigen/Exemplifizieren verläuft die Symbolisierung nicht, wie bei der Denotation, vom Zeichen auf das Denotat hin, sondern 41 42
Vgl. Tractatus, 4.121. Vgl. dazu Nelson GOODMAN, Languages of Art. An Approach to a Theory of Symbols, Indianapolis 21981, Kap. II.
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umgekehrt vom Denotierten auf das es denotierende Kennzeichen zu, — wenn z. B. eine musikalische Klangfolge wie von Ferne Heiterkeit ausdrückt. In dieser exempliflkatorischen und expressiven Verfassung und Wirkung von Zeichen ist eine eingespielte Interpretations-Praxis immer schon in Anspruch genommen. Die wichtigsten Aspekte sind: (a) Exemplifikation ist eine selbst-referenziale Beziehung, und alle referenzialen Funktionen eines Zeichens können als interpretatorisch qualifiziert und reformuliert werden, (b) Wenn Exemplifikation erfahren wird, dann muß bereits auch eine Kenntnis davon vorliegen, welches sprachliche Prädikat und/ oder nicht-sprachliche Kennzeichen (z. B. welches Färb- oder Gefühlskennzeichen) exemplifiziert wird. Wäre dies überhaupt nicht der Fall, dann würde man gar nicht bemerken, daß ein SichZeigen vorliegt. Auch unvertraute und unerhörte Zeichen müssen eben, soll die durch sie erfolgende Affizierung bewegen, in Berührung mit meinem Interpretationen-Corpus und meiner Interpretations-Praxis stehen, (c) Welche Prädikate und/oder nicht-sprachlichen Kennzeichen instantiiert, exemplifiziert und ausgedrückt werden, hängt von dem Interpretationssystem ab, das in Kraft ist. (d) Ein symbolisierendes Zeichen kann unbegrenzt viele Eigenschaften bzw. Prädikate und Kennzeichen instantiieren. Aber nicht alle werden auch exemplifiziert. Dazu ist erforderlich, daß das Zeichen als ein Symbol für das instantiierte Kennzeichen fungiert.43 Zu den instantiierten Eigenschaften kann z. B. gehören, daß ein auftretendes Zeichen jetzt am Samstag, neben meinem Schreibtisch, oberhalb der niedergeschriebenen Primzahl 3 auftritt. Aber das, was das Zeichen exemplifiziert und wodurch es für mich relevant wird, mich ,mitnimmt' und mir ,zu denken gibt', kann z. B. darin bestehen, daß es ein heiteres Zeichen ist. Mithin ist eine Grenze zwischen den unbegrenzt vielen instantiierten und den exemplifizierten und unter diesen wiederum den expressiven, den ausgedrückten Kennzeichen immer schon gezogen, wenn ein Zeichen als Exemplifikations- und weiter dann als Ausdrucks-Zeichen angenommen wird, (e) Den exemplifizierenden und ausdrückenden Zeichen sind bereits obere Reichweiten 43
Vgl. GOODMAN, a. O., 53.
Zeichen und Interpretation
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sowie untere Grenzen des Kennzeichnens gezogen, wenn ein Zeichen dies, und nicht jenes, z. B. Heiterkeit und nicht Traurigkeit, ausdrückt und ich es darin unmittelbar verstehe, (f) Innerhalb .dieses Horizonts sind dann Ambiguität, multiple Referenz und Vagheit möglich, und jeder Schritt zu deren Abbau, mithin jeder Schritt zunehmender Bestimmtheit des Zeichens, kann als ein Interpretationssclnntt angesehen werden. Im Zeigen %eigt sich die Form unserer Interpretations-/^*//. Dies mag auch verdeutlichen, was es heißt, sich von Zeichen ,bewegen', ,mitnehmen' und ,zu denken geben' zu lassen. Interpretationszeichen affizieren uns in einem Interpretations-^»//*///*/, den wir nicht erst wählen, sondern selbst sind. In Bewegung geraten können so die bisherigen Konfigurationen der Kennzeichen, auf die die Symbolisierungen exemplifizierender Zeichen zulaufen. Es können dann Verschiebungen im Geflecht der weltund sinn-erschließenden Interpretationen, Um-Interpretationen, Verlagerungen bisheriger Schwerpunkte, stattfinden. Sofern dies in besonderem Maße bei Zeichen mit „Ausdruck", mithin im metaphorischen Zeigen der Fall ist, tritt hier zugleich die Verschränkung von Sich-Zeigen und Metapher in den Blick. Und Metaphern sind in ihren beiden Grundcharakterisierungen interpretatorisch: als Auftrennung der zunächst noch kontinuierlichen Verhältnisse nach Gattung und Art; und als Übertragung eines Kennzeichens von einem Gebiet in ein anderes (z. B. der Anwendung von Temperaturprädikaten auf Farben, um dann etwa von einer „kalten Farbe" zu sprechen). — In alldem zeigt sich auch hier wiederum das interne Zusammenspiel von Zeichen und Interpretation. Denn gerade im Sich-Zeigen und darin, wie dieses uns affizieren und bewegen kann oder nicht, zeigt sich, um eine Wendung Nietzsches zu gebrauchen, vieles von unserem „Gesamtzustande in Zeichen"44.
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Nietzsche, Nachlaßfragment VII 38 [1], KGW VII/3, S. 324.
V. Antworten der Zeichenphilosophie
JOSEF SIMON (Bonn)
Bemerkungen zu den Beiträgen zur Philosophie des Zeichens Die Metaphysik denkt „das Seiende als das Seiende".1 Damit denkt sie nach Heidegger eigentlich nicht. Sie stellt die Frage nach dem Sinn von Sein nicht ernsthaft, weil sie gedankenlos auf eine ihr selbstverständliche Antwort zurückgreift. So kommt sie nicht über sich selbst hinaus. Die Hauptpunkte der Kritik an der „Philosophie des Zeichens" in diesem Band beziehen sich darauf, daß etwas doch zunächst Seiendes, „Sache" sei, um dann Zeichen „sein" und als Zeichen verwendet werden zu können.2 Auch Heideggers Bestimmung des Zeichens als „Zeug" ist davon nicht vollkommen abgelöst.3 Der „Philosophie des Zeichens" liegt dagegen die Frage zugrunde, ob wir nicht immer schon einer „gemeinsamen Philosophie der Grammatik"4 folgen, wenn wir den Inbegriff von allem in seinem Seiendsein sehen. Auch wenn wir sagen, „alles" sei Zeichen, folgen wir ihr. Wir folgen damit schon Zeichen in einem besonderen syntaktischen Zusammenhang unserer Sprache. Mit dem metaphysischen Seinsbegriff ist z. B. der Rekurs auf eine „Substanz" verbunden, die sich gegenüber einem sich unmittelbar geigenden Wechsel von „Eigenschaften" oder einem „Gebrauch" der Sache, z. B. „als" Zeichen, durchhalte. Die Substanz, als das uns unmittelbar nicht Betreffende, soll in diesem Denken das „Eigentliche", das eigent-
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Vgl. M. HEIDEGGER, Was ist Metaphysik?, Frankfurt a. M. 1960, 7. Vgl. AUGUSTINUS, De doctrina christiana I, 2. Vgl. M. HEIDEGGER, Sein und Zeit, § 17. Vgl. F. NIETZSCHE, Jenseits von Gut und Böse, Nr. 20.
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Josef Simon
lieh „Seiende" sein. Es ist aber doch immer schon eine bestimmte Auslegung, verschiedene Erscheinungen einer Substanz zuzuordnen und andere Erscheinungen einer anderen Substanz. Der entsprechende metaphysische Seinsbegriff versteht sich weder von selbst noch aus sich selbst. Alles sprachliche Verstehen ist, über sein „inneres" grammatisches System hinaus, in ein unüberschaubares, außersprachliches „System" von Zeichen eingebettet. Dazu gehören das Verstehen des Umfeldes, der begleitenden Gebärden, der Zeichen für Emotionen und vieles andere, für das es weder Grammatiken noch Wörterbücher gibt. Wir sprechen hier von einem „System" lediglich insofern, als wir den Begriff eines grammatischen Systems, „innerhalb" dessen wir jeweils mit Zeichenversionen zum Schluß und damit zu einem Bezug zu „Seiendem" zu kommen scheinen, als ein Produkt gegenständlicher Sprachbetrachtung auf „etwas" übertragen, das wir prinzipiell nicht als ein „Ganzes" bestimmen können. In dieser „Metaphorik" ist ontologisches Denken „begründet". Wir wissen somit nicht, „welchen" Zeichen und Regeln wir zuletzt und auch dann folgen, wenn wir über Zeichen als über Seiendes und von seienden „Arten" von Zeichen sprechen. Das Verstehen oder Nichtverstehen geht verstandenen oder nicht verstandenen Sachen oder Sachverhalten voraus. Schon nach Kant folgen wir „regulativen Ideen", wenn wir uns vergegenständlichend und damit ontologisierend auf eine Totalität von Bestimmungen beziehen wollen. So ist es auch nur eine Idee, „die" Zeichen systematisch als einen „Verweisungszusammenhang" bestimmen zu wollen, die in unserem sprachlichen Zeichengebrauch „von außen her" mit im Spiel sind und ihn somit der Übersicht und also auch der wissenschaftlichen Bestimmung entziehen. Der metaphysische Zeichenbegriff, nach dem Zeichen zunächst „sind" und „für" anderes Seiendes stehen sollen, so daß Zeichen wie Bezeichnetes zunächst einmal als Seiende gedacht sind, ohne daß dieses „erste" Denken selbst schon an Zeichen orientiert sein soll, ist als die Grundlage des wissenschaftlichen Zeichenbegriffs von ihm nicht ablösbar. Die Idee, alles, bevor es als Zeichen verstanden ist, als Seiendes zu denken, greift in einer Ausdehnung des vergegenständlichenden Denkens über dessen wesentlich beschränkte Möglichkeit hinaus.
Bemerkungen zu den Beiträgen zur Philosophie des Zeichens
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Die Frage nach dem Seiendsein erscheint der Metaphysik als die allgemeinste, noch nicht an Vorbegriffen orientierte, „anfängliche" Frage oder als „erste" Philosophie. Aber auch sie orientiert sich in und an „etwas" — z. B. an einer vorgegebenen Sprache und zum konkreten Verständnis dieser Sprache in einer bestimmten Situation an „außersprachlichen" Zeichen — , ehe sie eigentlich fragt. Hinter dieser Sicht der Metaphysik steht also die These, Philosophie müsse nicht Metaphysik sein; sie könne es sogar nicht, weil sie nicht un-bedingt beim Seiendsein als dem Allgemeinsten ansetzen kann und sich zu jeder Zeit selbst „innerhalb" eines umfassenderen Zeichenverstehens befindet. Die Philosophie des Zeichens geht davon aus, daß keine Bestimmung die erste, aber auch keine die letzte ist, ihre eigenen Bestimmungen eingeschlossen, und so bin ich dankbar für die Möglichkeit, auf die einzelnen Beiträge einzugehen und den eigenen Ansatz dadurch weiter zu verdeutlichen. Eugenio Coseriu hält im Sinne der Metaphysik und der auf ihr beruhenden Wissenschaft daran fest, daß Zeichen als für sich selbst erkennbare, von anderen Seinsarten trennbare Dinge seien. Die spezifische Differenz zwischen Zeichen im allgemeinen und Sprache sieht er mit Hjelmslev darin, daß Sprache „diejenige Semiotik ist, in die alle übrigen Semiotiken übertragen werden können, die aber in keine andere Semiotik im ganzen übertragen werden kann" (Coseriu, s. o. S. 6). Das ist plausibel, wenn vom „Seiendsein" von allem ausgegangen wird und die Sprache (der Logos) als Medium gilt, in dem dies geschieht und in dem dann auch von allem gesagt wird, „was" es sei, so daß in ihr auch von der Eigenart der anderen, nichtsprachlichen Zeichen die Rede sein muß. Etwas „ist" im metaphysischen Denken das, wovon der Logos die Definition ist5, d. h. es „ist" das, als was es von einer Gattung her über die Angabe einer spezifischen Differenz näher bestimmt ist, als es zuvor bestimmt war. Hier wird innerhalb der Metaphysik deutlich, daß sie selbst nicht voraussetzungslos ist. Sie begreift das Seiende in einem Prozeß näherer Bestimmung oder Verdeutlichung. Das Sein ist nicht die oberste Gattung von allem, sondern das, was im Über5
ARISTOTELES, Metaphysik, Z 4.
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gang von einer Gattung zu einer Art deutlich wird. So „ist" auch das Zeichen nicht eine „Art" von „Seiendem"; wenn man fragen wollte, „was" es „sei", müßte man es von einer allgemeineren Gattung her bestimmen, die im selben Bestimmungsakt als hinreichend bestimmt vorausgesetzt wird, „im Prinzip" aber auch selbst zum Gegenstand der Bestimmung werden könnte und also nicht das „Seiendsein" sein kann. Man wird für das Zeichen — im Unterschied zur Sprache, die man sinnvoll als Art von Zeichen bestimmen kann — kaum eine solche höhere Gattung finden. Die Philosophie des Zeichens muß sich natürlich mit dem Einwand auseinandersetzen, daß dann, wenn „alles" Zeichen sei, der Begriff des Zeichens jegliche differenzierende Funktion verliere und insofern bedeutungslos werde. Daß „alles" Zeichen sei, soll aber sagen, daß alles, „was wir verstehen"6, Zeichen sei, und was wir nicht (als etwas) verstehen, ist für uns nichts. Wir haben „damit" nichts zu tun. Was wir als „seiend" verstehen, verstehen wir als bestimmtes Seiendes, in der Antwort auf die Frage, „was" es sei. Sie kommt auf, wenn etwas nicht (mehr) „ohne weiteres" hinreichend verstanden wurde. Die meisten Zeichen verstehen wir aber „ohne weiteres" hinreichend, z. B. die Zeichen, die uns bei der Beantwortung der Frage nach der Bedeutung anderer Zeichen als deutlich genug erscheinen. Insofern ist das Zeichenverstehen umfassender als das metaphysische Verständnis des Seienden „als solches". Ehe wir mit der Aussicht auf eine Antwort fragen können, „was" etwas sei, haben wir immer schon das meiste verstanden. Sonst könnten wir mit dem metaphysischen Fragen — d. h. damit, „alles" unter essentiellen, begrifflich-spezifizierenden Bestimmungen und damit erst als Seiendes zu denken — nicht anfangen. Wir schließen uns in die Metaphysik ein und aus einem umfassenderen Verständnis aus, wenn wir die Grammatik, nach der „alles" „zuerst" als Seiendes und „anderes" als nähere Bestimmung „daran" oder als Funktion davon zu denken ist, als universale Bestimmung festhalten und nicht daran denken, daß eben dies „unsere", also selbst eine bestimmte Grammatik des Denkens ist. Sie hat ihren Sinn erst dann, wenn das unmittelbare Verstehen ausgesetzt hat. Erst dann fragen wir, „was" etwas „sei". 6
Philosophie des Zeichens, 39.
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Nur dadurch, daß man über die Zeichen noch die Pseudogattung „Seiendes" setzt, werden Zeichen zu einer „Art" von Seiendem, die man dann auch noch weiter in „seiende" Zeichenarten einteilen kann, z. B. in „Anzeichen" als „Dinge", die „normalerweise" nicht Zeichen sind, und Dinge, die erst als Zeichen erzeugt werden (vgl. 7 ff.). Wie immer man aber auch einteilen will, man macht die Einteilungen, indem man sie bezeichnet. Das muß nicht unbedingt sprachlich geschehen. Man denke an Grenzsteine und an all die Merkmale, auf deren Setzung die Sprache sich bei ihren eigenen Einteilungen bezieht. Man geht immer von schon vorausliegenden Zeichen aus und kann nicht bei einem nicht zeichenhaften „Sein" anfangen, das man quasi in einem zweiten Zugang als Zeichen „verstehe".7 Wir sprechen in der Tradition der Metaphysik zwar von „Sein" oder „Wesen" auch des Zeichens, aber im Versuch, über Zeichen als Seiendes nachzudenken, denken wir gegen diese Tradition an: Es „ist" nichts „am" Zeichen, das seine „seiende" Grundlage sein könnte. Zeichen „sind" nur in der Reflexion auf ihr „Wesen", nur in der Trennung von Zeichen und Bezeichnetem „etwas", d. h. insofern sie nicht mehr (hinreichend) bezeichnen. Die Philosophie hat in diesem Jahrhundert die Sprache in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen gestellt. Alle anderen Zeichen sollen in sie übertragen werden können, sie selbst aber nicht in andere Zeichen. Das trifft zu, insofern Zeichen zum Gegenstand der metaphysisch fundierten Wissenschaft werden sollen. Aber kann z. B. Musik oder Tanz in Sprache übertragen werden? Man wird sagen, hier werde nicht „etwas" bezeichnet. Das ist trivial, denn „etwas" ist etwas nur in seiner sprachlichen Bestimmung. Die Metaphysik mit dem Ansatz beim Seiendsein verdankt sich einem „Logozentrismus". Coseriu bestätigt dies, wenn er sagt, daß alles in seiner Bestimmung im Wort vermittelt sei, aber doch als etwas, was nicht nur im Wort „sei". Es gehört zum Wort, daß es uns Seiendes als Seiendes (in einer Bestimmung) vorstellt und dabei selbst nicht als Seiendes in Erscheinung tritt. Weil Humboldt den metaphysischen Zeichenbegriff zugrunde legte, wollte er das 7
Vgl. das Problem des „Anfangs" in HEGELS Wissenschaft der Logik, ed, Lasson, I 51 ff.
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sprachliche Wort nicht als Zeichen verstehen, d. h. nicht als etwas, das „zunächst" nur Laut „sei" und dann erst Zeichen. Als funktionierendes Zeichen „ist" ein Wort sowenig „etwas" wie jedes andere funktionierende Zeichen. Die Artikuliertheit der Sprache ist die Artikuliertheit der Welt (vgl. 19 f.). Die Sprache „schafft" die Sachen (und auch die „Fachsprachen") so, wie sie und vermittelst ihrer „Sachen" begriffen sind, z. B. die Sprache selbst in der Fachsprache der Sprachwissenschaft. Sprachen „bilden" nicht ein vorausliegendes Sein nur auf verschiedene Weise „ab"; sie sind deshalb auch nicht „ohne weiteres" ineinander übersetzbar; jede Übersetzung legt sie auch „weiter" aus. Seiendes bestimmt sich je im Übergang von einer schon vorgegebenen Einteilung der Welt zu einer als besser oder deutlicher erachteten, und dieser Übergang vollzieht sich im „jedesmaligen Sprechen" (Humboldt) in einer besonderen Sprache. Seiendes gehört zur Sprache und nicht zum Zeichen als solchem. Zum Zeichen gehört es nur, wenn man „über" Zeichen spricht, zur Verdeutlichung dessen, „was" es sei; z. B. innerhalb einer semiotischen oder sprachwissenschaftlichen „Fachsprache". Das Bewußtsein ist „syntaktisch". Es besteht im Übergang von gegebenen Zeichen zu deutlicheren. Darin ist es sowohl gebunden als auch frei: Es ist an seinen Ausgang von „gegebenen" Zeichen gebunden, die ihm als nicht (mehr) hinreichend deutlich erscheinen, so daß es nach anderen Zeichen als ihrer Bedeutung fragt, und es ist insofern frei, als die zuerst gegebenen und diese anderen Zeichen „einander nichts" angehen (Hegel). Die Zeichenbeziehung ist in keinem übergreifenden Sein verankert. Denn was dem Bewußtsein fraglich erscheint, wie es verdeutlicht und was dann wieder als deutlich genug erscheint, hängt von seinen selbstgeset^ten Zwecken ab, für die die Verdeutlichung als notwendig erscheint. Die „Syntax" besteht in den Formen, in denen sich dieser Übergang vollzieht. Sie ist nicht „transzendental" im Kantischen Sinn und auch nicht notwendigerweise sprachlich. Die sprachliche Syntax ist nur ein Spezialfall, und auch nur in einigen Sprachen tritt eine Kopula „ist" in Erscheinung. So müssen Denken und Sprache, wie Stanley Rosen sagt, nicht „koextensiv" sein, wohl aber vollzieht sich Denken als Version von Zeichen in einer (syntaktischen) Form, deren Verständnis mit zum Verständnis der Zei-
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chen in ihrer Verweisung aufeinander als einander verdeutlichende Zeichen gehört. Schon bei Kant sind „transzendentale" Formen nicht ontologisch zu verstehen, sondern als die allgemeinen Formen der Konstitution der „Erscheinungen", d. h. als Formen, in denen ein Subjekt seine Vorstellungen als bestimmt ansieht. Auch hier schon sind es Formen der subjektiven Freiheit in diesem „Ansehen". Das als bestimmt Angesehene ist der Gegenstand. Rosen möchte zwischen Denken auf der einen und Vorstellungskraft und Phantasie auf der anderen Seite so unterscheiden, daß das Denken im Unterschied zu diesen nicht frei, sondern Denken des Gedachten sei. Dies seien die „Dinge", und wenn sie sicherlich auch „als Zeichen dienen" könnten, so könne man doch „nicht behaupten, daß ihre semiotische Funktion ontologisch fundamental sei" (Rosen, s. o. S. 61). Denken soll sich demnach als solches auf Seiendes beziehen, und in der „Fähigkeit des Bewußtseins, sich jeder Syntax anzupassen", zeige sich, daß es „gleichsam in einer vor-sprachlichen Dimension" transzendental und ein „vor-sprachliches Erkenntnisvermögen" sei (S. 62). Das Seiende sei in seiner jeweiligen „tatsächlichen Natur" ein „sicherer Bezugspunkt" aller Zeichen (S. 62). Ein Ding weise „den aufmerksamen Beobachter auf das nächste hin" (S. 66), z. B. der Rauch auf das Feuer, und in solch einem Nachvollzug seien wir nicht frei. Rosen wehrt sich dagegen, „Naturphänomene — oder Dinge, Vorgänge und Vorkommnisse" selber als Zeichen in dem Sinn aufzufassen, „daß seine Interpretation keine Grenze kenne" (S. 70). Sie habe ihre Grenze an der „faktischen Natur" (ebd.), z. B. des Donners als Folge des Blitzes. Aber wir seien darin frei, z. B. „Donner und Blitz als Zeichen göttlichen Zornes zu denken" (S. 66). Dies wird zugestanden, weil er darin kein „Naturphänomen" sieht. Eine bestimmte Interpretation der Natur macht demnach den Unterschied aus. Ich sehe dagegen die Grenzen der Freiheit im Zeichengebrauch darin, daß wir unsere (Um-)Deutungen nicht ohne Not vornehmen. Wenn wir sagen wollen, „was" Donner in seiner „faktischen Natur" „sei", gehen wir vom Zeichen „Donner" zu anderen Zeichen über. Im Unterschied zum Mythos, der vom „göttlichen Zorn" sprechen und somit auf Donner auch in Zeichen der Emotion reagieren mag, ist Naturwissenschaft „logozentristisch"
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und „weiß", was Donner in Wahrheit ist. Sie sagt es in aller Ruhe. Die Wesensbestimmung sagt es und beruhigt die Affektion. Sie sagt es so, daß ihr Sprechen und vor allem seine „Art" als „unwesentlich" erscheint und sie sich unvermittelt auf „Seiendes" gerichtet weiß. Wenn alles „nur" (freie) Interpretation ist, gibt es gewiß „keine Grundlage für einen Vergleich der Interpretationen untereinander oder für die Annahme einer von ihnen als der plausiblen und der anderen als der absurden" (S. 71). Eine Interpretation kann aber doch nur „unter Umständen" und für unsetejewei/ige Orientierung „besser" und deshalb „plausibler" sein als eine andere, und so gibt es keine absolut privilegierte oder definitive Ausdeutung. Selbst in der wissenschaftlichen Bestimmung können die explizierenden Begriffe ^ur gleichen Zeit nicht auch selbst „adäquat" expliziert sein. So muß ^u jeder Zeit eine Bezeichnung temporär als „endgültige" (S. 72) genommen werden können, und die Freiheit dazu muß gegenüber aller Übereinstimmung mit „Seiendem" erhalten bleiben. Die Freiheit in der Auslegung ist auch dadurch nicht Beliebigkeit, daß in den auszulegenden Zeichen immer schon frühere Auslegungen überliefert sind, an die man sich halten muß, wenn man überhaupt verstehen will, „was" nicht (mehr) deutlich genug ist und deshalb als in weiteren Zeichen auslegungsbedürftig erscheint. Zeichenauslegung vollzieht sich in umfassenderen Zeichenpro^essen. Im Prinzip kann wohl alles zum weiter %u deutenden Zeichen werden, auch alle Bestimmung, „was" etwas in „definitiver" Bestimmung seiner „Natur" „sei" (vgl. S. 73), wenn auch nicht alles zur gleichen Zeit. Die Ontologie ist von der Philosophie des Zeichens in die „Fachsprachen" (s. o.) verwiesen, in denen bestimmte Sprachregelungen „axiomatisch" vorausgesetzt bleiben sollen. Die Freiheit der Interpretation ist fundamental für alle Lebensorientierung und in jedem Zeichen mitbezeichnet. Ich kann Rosen also darin zustimmen, daß es wohl Freiheit in der Interpretation gebe, daß aber die Freiheit selbst kein (besonderes) Zeichen, keine Deutung sei (S. 75), wenngleich ich Kants Satz aufgegriffen habe, daß der Mensch sich „als frei" denkt und „eo ipso" frei ist. Er denkt sich in allem Denken als frei, weil er frei denkt, und so ist „Freiheit" die sich im Unterschied zu allen anderen „Wesensbe-
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Stimmungen" durchhaltende Bestimmung des Menschen. Die Frage nach einer „Interpretation der menschlichen Natur" (S. 75) setzt nicht voraus, daß es „die" richtige, definitive Interpretation vor allen anderen Interpretationen geben könne. Die Tyrannis liegt weniger in einer besonderen Interpretation als darin, daß die eigene die richtige, auf das Sein des Menschen bezogene, „menschliche" Interpretation sei. Ich stimme Rosen also auch darin zu, daß es kein besonderes Zeichen für Freiheit gebe. Sie erscheint in allen Zeichen so lange mit, wie nicht beansprucht wird, Zeichen an ihrer Adäquatheit zu „den Dingen" zu messen. Der Mensch ist, als (unausdeutbares) Zeichen verstanden, wie jedes Zeichen Zeichen der Freiheit. Zwar können und müssen Zeichen in bestimmten Orientierungszusammenhängen als definitiv ausgelegt gelten, d. h. als Zeichen dafür, wie es „ist". Der andere Mensch ist aber wie „die Menschheit in eigener Person" Zeichen dafür, daß er in keinem Fall „nur" als Mittel der Orientierung in einer „letzten" Ausdeutung verstanden werden darf, auch wenn wir, anthropologisch gesehen, eine „Natur" (S. 77) haben, die unsere Spontaneität regelt. Diese „Natur" wird uns aber immer nur in Interpretationen deutlich, die uns für gewisse Zwecke, in „pragmatischer Hinsicht" (Kant), als hinreichend deutlich erscheinen mögen, von denen wir aber zugleich wissen, daß sie nicht ein „Wesen" des Menschen für alle Zeit festschreiben können. Auch die menschliche Gestalt ist kein besonderes Zeichen der Freiheit. Sie ist es nur im Kontext mit anderen Zeichen und nur in Verbindung damit, daß eben „alles" weiter deutbares Zeichen ist. So läßt sich nichts „über" Freiheit sagen (S. 77), d. h.: nichts Definitives. Denn alles, was sich sagen läßt, bleibt für weitere freie, aber nicht willkürliche Interpretationen offen. Wir können, bei aller Notwendigkeit temporären Ansehens von etwas als bestimmt im Gespräch über alles bleiben und damit den „Gemeinsinn" (Kant) erhalten. Wolfram Hogrebe nennt die Philosophie des Zeichens eine „arme Metaphysik", die nicht mehr sagen möchte, „was" etwas und „was" alles „ist". „Alles ist Zeichen" klingt nach Metaphysik, bedeutet aber im Zusammenhang der Philosophie des Zeichens, daß von nichts, auch nicht vom „Zeichen", in einer privilegierten Auslegung gesagt werden kann, „was" es „sei". „Armut im Gei-
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ste" wird zur „Freiheit des Geistes" (Hogrebe, s. o. S. 80). Wahrheit ereignet sich im Übergang von nicht (mehr) hinreichend deutlichen zu deutlicheren Zeichen: „obscuris vera involvens" (S. 81). Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der Verweis auf das „apeiron" bei Anaximander und das „Ding an sich" bei Kant (S. 87). Letzteres ist zu verstehen als die „regulative" Idee, daß keine Bestimmung von etwas eine letzte sei. Wenn das eine „Erfahrung" des (unbestimmten) Seins unter Preisgabe der Erkennbarkeit sein soll, möchte ich doch gerne eine weitere Verdeutlichung anbringen. Als unbestimmte Erfahrung verstehe ich dann die Erfahrung des offenen Gesprächs über „alles", insofern es immer schon in Bestimmungen vorgestellt oder „als bestimmt angesehen" ist. Es ist die Erfahrung des unendlichen Zeichenprozesses. „Erkennbarkeit" ist dabei aber nur insofern preisgegeben, als es die der „Dinge an sich" sein soll; die war aber schon im Begriff eines „Dinges an sich" preisgegeben: Wir können „Dinge an sich" nicht erkennen, weil die Vorstellung von „etwas" Bestimmtem „hinter" den jeweils %ukt%t getroffenen Bestimmungen der Vorstellungen in sich widersprüchlich ist. Wir brauchen Dinge an sich auch nicht zu erkennen, denn Unbestimmtes kommt uns nicht „vor" und braucht deshalb auch nicht (besser) bestimmt zu werden.8 Was wir bestimmen, ist immer eine frühere, nun nicht mehr zureichende Bestimmung und nicht „das Unbestimmte". Die Annahme, daß unsere „Modelle Repräsentationen des Universums" seien (S. 88), ist, zumindest allgemein und damit philosophisch, nicht nötig. Denn „Universum" ist auch eine Bestimmung, und ob wir sie treffen, hängt davon ab, ob und wann wir sie nötig haben. Gewiß haben wir sie „nicht immer nötig"9, sondern nur unter Umständen in konkreten Kontexten unserer Orientierung. Die Annahme einer „transkommunikativen Realität" als Unbestimmtes (S. 89) ist deshalb immer noch eine zu „reiche" Metaphysik, weil auch „Unbestimmtheit" nur als Unterbestimmtheit des „gegebenen" Zeichens im Verhältnis zu seiner besseren Bestimmung „vorkommt". Das Zeichen „das absolut 8 9
Vgl. I. KANT, Kritik der reinen Vernunft, B 332 f. Vgl. I. KANT, Kritik der Urteilskraft, § 10.
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Unbestimmte" bedeutet in dieser Reflexion dasselbe wie das Zeichen „nichts", und zu „nichts" läßt sich auch „weiter" nichts sagen. Der Gedanke einer „pronominalen Ausrichtung" auf „irgend etwas" (Unbestimmtes) (S. 90 f.) vor aller „nominalen" ist zwar bestechend, aber auch „irgend etwas" kann eine verdeutlichende Bestimmung gegenüber einer zuvor getroffenen „nominalen" sein, z. B. dann, wenn die nominale als zu konkret und damit als unangemessen erscheint. Der Gedanke, aller Bestimmung müsse doch wenigstens (im Sinne einer denkbar „ärmsten" Metaphysik) „irgend etwas" zu Bestimmendes vorausliegen, bleibt am metaphysischen Zeichenbegriff ausgerichtet. Nicht „irgend etwas" muß vorausliegen, sondern ein Zeichen, das aus der Sicht eines bestimmten Verständnisses heraus „besser" zu bestimmen ist, als es bestimmt ist. Auch wir selbst sind nicht „irgendwer", wenn wir das Bedürfnis haben, uns selbst zu bestimmen; wir sind uns selbst in einer nunmehr als unzureichend erscheinenden Bestimmung, d. h. als „Erscheinung" gegeben. Was auch immer „vorkommt", kommt in einer zu verdeutlichenden Bestimmung vor. Ob wir die bessere finden, muß sich zeigen, aber wenn sie sich findet, geht die alte unmittelbar in die neue über. Allerdings gewahren wir in allem Bestimmen insofern Unbestimmtheit, als sich das kritische Bewußtsein erhält, daß keine Bestimmung „definitiv" sein kann, d. h. insofern sich Zeitlichkeit an ihr mitzeigt. Daß jede Bestimmung „ihre Zeit" hat, ist „zu jeder Zeit" so lange „verdrängt", wie die Notwendigkeit besteht, es mit einer bestimmten Bestimmung genug sein zu lassen, entweder weil sie zur Zeit als „hinreichend" erscheint oder weil es zur Zeit keine bessere gibt. So ergibt sich der „Meliorismus der Deutlichkeit" (S. 96) als „Augenblicks-Ontologie". Es ist der Augenblick, in dem ein Subjekt seine Zeichen, z. B. im Sinne eines „besseren" Naturverständnisses, „öffentlich" aufstellt10, so daß es „erfahren" kann, ob sie so stehenbleiben können, ohne daß, weil jeder sie hinreichend versteht, gefragt würde, „wie" sie zu verstehen seien (vgl. S. 99). Die so erreichte Allgemeingültigkeit bleibt insofern „transitorisch" (S. 99), als nach aller Erfahrung doch bald irgend jemand nachfragen wird, weil ihm die aufgestell10
Vgl. I. KANT, Anthropologie, AA VII 219.
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ten Zeichen für sein eigenes Orientierungsbedürfnis problematisch geworden sind. Er fragt dann nach der Bedeutung und erschüttert damit die bestehende „Allgemeingültigkeit". Marco M. Olivetti begreift die Zeichenphilosophie von einem synästhetischen Ansatz her. Ich versuche, diesen Gedanken von mir aus zu verstehen. Die Transformation einer sich als Erste Philosophie verstehenden Sprachphilosophie in eine Philosophie des Zeichens wird zunächst durch die Kritik an einem einseitigen „Phonozentrismus" und einer entsprechenden Vorherrschaft des Gehörsinns im Vernehmen der Zeichen verdeutlicht. Die Stimme, als Trägerin der Sprache, hatte in der Tradition vor allem seit Herder den Vorzug, in ihrer nur zeitlichen Dimension unmittelbar zu verklingen und damit ganz hinter der Bedeutung zu verschwinden. — Dieser Zeitlichkeit wurde die Räumlichkeit der als Zeichen bleibenden „Schrift" gegenübergesetzt. Damit war ein wichtiger Gesichtspunkt hinzugekommen: zum Gehör als Sinn für den Laut das Gesicht als Sinn für die „Schrift". Olivetti bringt nun alle Sinne ins Spiel, und er betont, daß dabei zwar zunächst eine „analytische" Abgrenzung verschiedener Sinne vorzunehmen sei, um dann aber ihr synästhetisches Zusammenwirken im Zeichenverstehen hervorzuheben. Wir teilen unser ästhetisches Vermögen in Sinne ein und halten die Teile dadurch als für sich Seiende fest, daß wir sie an Bezeichnungen festmachen. Wir teilen dabei so ein, wie es uns als zweckmäßig erscheint, aber in einer Philosophie des Zeichens reflektieren wir das Zeichenhafte der Einteilungen, d. h. ihren nichtontischen Charakter. Das führt zum Begriff einer Synästhese, demgemäß es keinen bevorzugten Sinn „gibt". Olivetti legt dies genetisch-analytisch auseinander. Das zeitlich Erste ist dabei der Saugsinn des Säuglings, der sich saugend vom anderen her ernährt und erst dann Sinne so entwickelt, daß sich getrennte Objekte herausbilden, auf die sie sich beziehen. Der nicht sich von „etwas" ablösende, ernährende Bezug werde dabei zugleich erhalten: Im Hören der eigenen Stimme erfahre die Person ^ugleich sich selbst. Diese unmittelbare Reflexivität werde erst im Sehen aufgehoben, so daß sich gegenüber dem Gehör die Differen^ der Personen darstelle. Die Abhängigkeit vom anderen in der Ernährung bilde sich so zu einer wechselseitigen heraus. Auch die Reflexivität des Akustischen könne sich erst so entfalten: Man
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hat „sich" gehört, aber erst in der Vermittlung über das selbst nicht unmittelbar reflexive Gesicht. Im Antlitz des anderen bildet sich ein „festes" Gegenüber, und damit bildet sich auch erst der Selbstcharakter des hörenden und sehenden Subjekts. Von hier aus wird der Buchstabe, der in traditionellem Verständnis „tötet" und vom „Geist" wiederbelebt werden muß, wichtig als das gegenüberstehende und gegenüberbleibende Zeichen. Geist ist nicht mehr als das Unkörperliche verstanden, das sich selbst — im phonozentristisch verstandenen Verschwinden des Lautes — genug sei und keiner Ernährung bedürfe. Er bedarf der ständigen Ernährung durch den „Buchstaben". Das Zeichen muß erhalten bleiben, damit der Geist „selbst" allen vermeintlichen Aus-Deutungen gegenüber am Leben bleibt. Olivetti wendet sich damit gegen die Ablösung des bisherigen „Phonozentrismus" durch einen „Grammozentrismus". Der Laut behält, wie schon das Saugen, seine eigene Funktion in der Synästhesie der Zeichen, in der auch die bleibenden Grammata nur Moment sind. Subjektivität läßt sich nicht mehr unter der Idee ihrer Einheit fassen. Man kann nicht „einfach", als das eine Subjekt des Verstehens und damit definitiv verstehen wollen, ohne sich die „ernährende" Lebensgrundlage selbst zu nehmen. Man muß das Verstandene im Verstehen für anderes, weiteres Verstandenwerden „stehen lassen". Der „in-fans, d. h. der (noch) Nicht-Redende" (Olivetti, s. o. S. 45) erhält sich im späteren Reden- und Verstehenkönnen in seinem vorsprachlichen „Gesichtspunkt", weil im Vernehmen des anderen Gesichtspunktes sich das scheinbar autarke Selbstsein relativiert. Das „Intervall zwischen Blick und Zeichen", d. h. der Zeichencharakter des Zeichens, sein Nichtaufgehen im „stare pro aliquo", bleibt bestehen, aber so, daß das Gehör und sein „Phonozentrismus" der Selbstbezüglichkeit nicht „verdrängt" wird (vgl. S. 47). Dem Gehör kommt die „eigentliche Reflexivität" zu (S. 47) und dem Gesicht nur dies, daß Reflexivität nicht in sich selbst versinkt. Olivetti kritisiert die Einseitigkeit einer jeden Metaphorik aus dem Bereich der Sinne zur Verdeutlichung „geistiger" Prozesse. Eigentlich wendet er sich dagegen, „das Geistige" „metaphorisch" zu begreifen, denn er wendet sich gegen seine Trennung von den Zeichen, denen es um des Lebens willen essentiell verhaftet bleibt.
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Das Logische erfüllt und erhält sich in der Ana-logie als dem Zugeständnis des anderen Gesichts(-punktes) (vgl. S. 51). Es erhält damit das, woraus es sich ernährt, also auch sich selbst, „d. h. seine Geistigkeit ergibt sich allein aus der Irreflexivität des Gesichts, das sich selbst nicht sieht" (S. 52), wenn es ein anderes Gesicht sieht, und das deshalb nicht von sich aus zum (Verständnis des) anderen kommt, sondern von dessen Andersheit erst zu „sich" (als selbst anderem). Zum „inneren", zeitlichen Sich-selbstZuhören gesellt sich als dessen eigene Möglichkeit das „espacement des Wortes" (S. 53), und dabei ist „das eine der Gesichtspunkt und das andere das Zeichen" (S. 53), aber eben so, daß auch der eine sich als Zeichen im Gesichtsfeld des anderen versteht. Auch dem anderen bleibt sein „Recht" (S. 54) auf Ernährung, d. h. auf eine nicht zum Ende, nicht zum Tode führende AusDeutung der Zeichen „ad esse". Die rechtlich-ethische Komponente der Zeichenphilosophie in ihrer Wendung gegen das metaphysische Grundverständnis von allem „als Seiendem"11 wird hier besonders deutlich. Die Differenz zur Metaphysik mit ihren rechtlich-ethischen Konsequenzen liegt darin, daß „Seiendes" nicht, wie der Satz der Identität es nahelegt, „als Seiendes" (mit dem Anspruch auf Defmitheit) begriffen, sondern als Zeichen so verstanden wird, daß das Zeichen und der Abstand des Verstehens zu ihm zugleich bestehenbleiben. So wird auch der Zusammenhang von „Sein und Zeit" mit verstanden. Es wird verstanden, daß alles Verstehen von etwas als etwas (unter einem Begriff) Seiendem „seine Zeit" und seine zeitbedingte Notwendigkeit hat. Der Beitrag von Günter Wohlfart bietet die Gelegenheit, die Philosophie des Zeichens aus der Sicht zweier Autoren zu verdeutlichen, von denen einer, Heraklit, als vormetaphysisch gelten darf, während der andere, Nietzsche, an ihrem Ende steht. Nietzsche denkt in der Unterscheidung des Apollinischen und des Dionysischen. Apoll ist aus zeichenphilosophischer Sicht der Gott der hinreichenden, sich selbst genügenden Klarheit, des temporären Zuendekommens im Zenit des Verstehens, Dionysos der Gott der ständigen (Wieder-)Auflösung des Scheins der Klarheit. So 11
Vgl. M. HEIDEGGER, Was ist Metaphysik?, a. O., 7: Die Metaphysik „denkt das Seiende als das Seiende".
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steht Apoll für eine „plötzliche Ewigkeit" (Wohlfart, s. o. S. 123). Er ist der „wahrsagende Gott", aber er „verbirgt nicht und verkündet nicht, sondern zeigt nur hin" (Übersetzung Nietzsches). Nach Wohlfart ist dieses Fragment 93 „das erste Bruchstück einer Philosophie des Zeichens" (S. 124). Apoll „bedeutet" als „Herrscher" ( ), er hat oder nimmt sich das Recht der Ausdeutung. Das geschieht in der herrschaftlichen Geste der Macht des sich behauptenden Gesichtspunkts, aber der „Zustand", aus dem heraus dies geschieht, ist in sich instabil. Er ist „nüchtern-trunken" (S. 128), das in ihm als wahr Erfaßte „ist" und ist zugleich nicht. Die Deutung ist nicht eindeutig. Apoll als der zeichengebende Gott bedeutet, indem er weder ausspricht noch verbirgt oder sowohl ausspricht als (damit zugleich) auch verbirgt. Insofern schafft er den Schein des Seins. Was er als wahr und als seiend bestimmt, hat in Wahrheit seine Zeit. Dem entspricht das, was Wohlfart im Anschluß an den späteren Wittgenstein „Intransitivität" nennt: „Die Bedeutung eines Wortes ist eben nicht der Gegenstand, für welchen das Wort steht, sondern ,die Bedeutung eines Wortes ist das, was die Erklärung der Bedeutung erklärt'" (Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 560)" (S. 133). Sie ist ein anderes Wort, ein anderes Zeichen, dessen „Bedeutung" in wieder anderen Zeichen besteht, ohne daß man definitiv zum „Sein der Sache" kommen könnte. Wittgenstein deckt damit den metaphysischen Schein des Seins wieder auf (wie es, zumindest in deutlichen Ansätzen, schon andere, Kant und Hegel etwa, getan hatten). „Das Sein ist Schein."^2 Es „ist" nicht, sondern scheint in dem „Augenblick" zu sein, in dem es — unter unbekümmertem Ausschluß anderen Verstehens und damit weiterer Zeichen als der Bedeutung der gegenwärtigen — für wahr gehalten wird. Der „ästhetische" Augenblick ist frei davon, das Seiende „herrschend" als Seiendes verstehen zu wollen, und insofern ist er apollinisch und dionysisch zugleich. Ihm ist jeweils der Schein „hinreichend". Für Kurt Flasch lassen sich auch Geschichte und Philosophiegeschichte nicht aus einem Gesichtspunkt heraus verstehen. Er ver1?
- Vgl. G. W. F. HEGEL, Wissenschaft der Logik, ed. Lasson, II 9.
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steht „Philosophie als gestreute, zeit-zerdehnte historische Breitenerfahrung, nicht als punktuelle Helle nach langdauernder Nacht" und bedenkt, daß man „Vorurteilen nicht schon dadurch entgeht, daß jemand, wenn sie massenhaft auftreten, sich innerhalb ihrer des Konsenses versichert" (Flasch, s.o. S. 136f.). Die Aufhebung der Vorurteile wäre mit der Gewinnung eines einheitlichen Gesichtspunktes ihrer nunmehr vorurteilsfreien Beurteilung erreicht. Das aber wäre nur unter „herrschendem" Ausschluß anderen Urteilens oder des eigenen, verstanden als auch nur „anderen", möglich. Konsensustheorien der Wahrheit betrachten den Gesichtspunkt, aus dem heraus Konsens festgestellt wird, als wahren, zum „Sein" der Sache durchkommenden. Aber viele Gesichtspunkte interpretieren die Welt, und es bleiben auch viele. Was als Weltorientierung „für den einen ausreicht", reicht „für den anderen nicht", und dies ist nicht nur eine Differenz der Zeit. Als „ZeitErscheinung" ist das Zeichen gemeinsames Vorurteil von „Zeitgenossen", die sich aber immer auch zur gleichen Zeit noch als Individuen gegenüberstehen. „Die Metaphysiker geben den Philosophiehistorikern Arbeitsfelder zurück" (S. 137 f.), aber nur, wenn die Historiker nicht zugleich Metaphysiker bleiben, die nun einen jeweiligen „Zeitgeist" als das Herrschende ansehen. Was man „den Geist der Zeiten heißt", ist der Geist der „Herren",13 die eine Zeit von sich aus auf ihren Begriff bringen wollen. Jede geltende Einteilung, auch die der Zeiten, hat ihre Zeit. Die Geschichte hebt ihre Einteilungen in Zeiten „mit der Zeit" wieder auf, d. h. ihre Erscheinungen bleiben selbst unausdeutbare Zeichen. Es ist einsichtig, daß wir „Einteilungen, die wir fraglos vollziehen", zu gleicher Zeit „nicht historisieren können". Der Historismus gibt keinen Halt, wir brauchen Feststellungen gerade im Verstehen der Geschichte. Aber wir brauchen „ebensogut" Lockerungen, d. h. das Einräumen anderer Geschichtsverständnisse gegenüber unseren eigenen. So gesehen ist die in einer bestimmten Weise und von uns selbst her konstruierte Geschichte kein Seiendes, sondern bleibendes Zeichen. Sie ist nicht auf „ihre", nicht 13
J. W. GOETHE, Faust I 577.
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auf eine — vielleicht noch zu findende — Bedeutung hin auslegbar, etwa in dem Verständnis der Philosophiegeschichte als Fortschritt „auf einer objektiven Skala zu immer hellerem Licht" (S. 141 f.). Das wäre immer noch ein metaphysisches Geschichtsbild. Es schließt andere Gesichtspunkte aus, etwa den der unter diesem „Fortschritt" Leidenden. Flasch gibt aber doch zu bedenken, daß es nicht nur verschiedene Ansätze der Interpretation, sondern wirklich „Ungenauigkeiten und Mißverständnisse" bei dem Versuch, eine andere philosophische Position zu verstehen, gebe, und dementsprechend außer „geistreichem Gestichel" (S. 145) auch „triftige" Einwände gegen bestimmte Interpretationen. Gegenüber jedem Verständnis, das sich von einer Position ein Bild zu machen versucht, sind aber triftige Einwände möglich. Wenn sie erhoben werden, ist die Triftigkeit in der ernstgenommenen Andersheit anderen Verstehens jederzeit hinreichend begründet. Von einer an sich falschen Interpretation ist die Rede, wenn von einem Vorbegriff der Sache als einem Blick für das „Wesentliche" her verstanden wird und von daher „subjektive" Auffassungsnuancen von einer „objektiven" Sicht unterschieden werden können. Wenn sich der Unterscheidungsgrund nicht unmittelbar von einem vorausgesetzten Sinn „der" Geschichte im ganzen her begreift, ergeben sich „scharf umgrenzte Arbeitsfelder" als „epistemische Komplexe mittlerer temporärer und lokaler Erstreckung". Zeiten werden, wie Flasch hervorhebt, nicht nur durch zeitbedingte gemeinsame Grundbegriffe, sondern auch „durch ,äußere' Faktoren wie Bildungsorganisation, Vorhandensein bestimmter Bücher, Förderung und Hemmung durch Autoritäten (Zensur) und praktische Bedürfnisse" bestimmt. Auch hat eine Zeit „oft mehrere, zuweilen in Konflikt stehende Grundbegriffe" (S. 146). Aber „hat" „die Zeit" all dies? Ist es nicht wieder der Historiker, der all dies als etwas für die Zeit Wichtiges ansieht? Er stellt' seine Darstellung öffentlich gegen andere auf und zieht schon allein damit Kritiker an, ohne daß zum Schluß „die wahre" Geschichte selbst erschiene. So wird das geschichtsschreibende Individuum aus seiner ontologischen „Zufriedenheit" aufgejagt. Dazu muß es zunächst einmal mit seinem Werk selbst so zufrieden gewesen sein, daß es es veröffentlicht und damit Position bezogen hatte.
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Josef Simon
Die Kritiker werden „Widersprüche" (S. 147) im Werk entdekken, weil sie sich im Verstehen vom Autor unterscheiden. In mündlicher Rede könnte der Autor immer noch zu erklären versuchen, wie er zu verstehen sei, damit keine Widersprüche in sein Werk hineingelesen werden. Da Werke auf Werke antworten, kommt es „zu immer spitzfindigeren Distinktionen" (S. 147), so lange, bis sich das Interesse daran verliert, weil die Arbeit an den Zeichen nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zur Wichtigkeit gesehen wird. Hans Poser verweist auf eine „für die Wissenschaften unverzichtbare Intersubjektivität", die nicht „anders als über Zeichen" festzustellen sei, „denn fremdes Wissen erfahre ich nur durch Zeichen" (Poser, s. o. S. 156). Ich möchte ergänzen: auch eigenes erfahre ich nur durch Zeichen, denn ich erfahre fremdes als Differen^ zum eigenen. Ich erfahre nicht „Intersubjektivität", sondern die Differenz im Verstehen. Das ist identisch damit, daß „wir immer im Bereich der Zeichen verharren" und „im Erkenntnisbemühen immer nur ein Zeichen durch ein anderes ersetzen" (S. 157). Wenn ich geschrieben habe, die Sprache der Wissenschaft sei „intersubjektiv"14, dann sollte dies heißen, sie gelte als „intersubjektiv" oder halte sich selbst dafür. Sie wird gebraucht, als ob sie es sei, und diese Voraussetzung wird durch das Verhalten der Wissenschaftler unterstützt, z. B. dadurch, daß Meßanweisungen praktisch befolgt und in diesem Sinne dann auch „verstanden" werden, oder, wo „nicht quantitativ" (S. 158) verfahren wird, durch anderes „übereinstimmendes" Verhalten als Zeichen eines übereinstimmenden Verstehens. Wenn etwas „direkt" gemessen wird, ist die Differenz im Interpretieren „derzeit" dadurch ausgeschlossen, daß die Interpretation sich nicht auf ein einzelnes Meßergebnis, sondern auf „den Gesamtrahmen der Festsetzungen" bezieht, der dabei selbst nicht mehr im problematisierenden Blick ist. Interpretationsspielräume werden dadurch „verkleinert" (S. 159), daß solch ein Gesamtrahmen als „intersubjektiv" gilt, d. h. daß die Subjektivität der beteiligten Personen insofern ausgeschlossen ist, als sie ein diszipliniertes Verhalten gelernt haben,
14
Vgl. Philosophie des Zeichens, 113.
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das keine Fragen nach dem „Gesamtrahmen der Festsetzungen" aufkommen läßt. Dieses Verhalten ist dann die Interpretation, als (praktischer) Ausschluß der Frage nach der Bedeutung. Das Nichtgestelltwerden der Frage ist die „Intersubjektivität". Die dazu gegenläufige Forderung nach (neuer) „Interpretierbarkeit" ist also zu keiner Zeit ausgeschlossen. Der springende Punkt ist in der Tat, wie Poser betont, die „Handlung als Interpretation" (S. 161). „Handlung" ist „Interpretation", und „Interpretation" ist auch „Handlung", wenn diese auslegenden Bestimmungen jeweils als zweckmäßige Verdeutlichungen erscheinen. Ich denke nicht, daß die Freiheit, die in der Interpretation als solcher liegt, definitiv zu eliminieren ist.15 Daß dies zur Beliebigkeit und zum Chaos führte, wird eben dadurch vermieden, daß bestimmte Handlungen ohne Reflexion erfolgen, ohne Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit dessen, als was sie sich verstehen, z. B. als „Erkenntnis", und daß daran ein mehr oder weniger gemeinschaftliches Interesse besteht. Es besteht mithin auch immer ein Interesse an verkleinerten „Interpretationsspielräumen", denn ein Zeichen ist verstanden, solange nach seiner Bedeutung, nach anderen Zeichen an seiner statt, nicht gefragt werden muß. Ohne Not stellt sich diese Frage und damit auch die Frage nach einem „intersubjektiven" Verstehen nicht. In der Not ist es ein Glück, wenn eine möglichst alle Beteiligten befriedigende Version gefunden wird. Es ergibt sich damit ein Risiko, das nur die Not eingeht. Wer immer interpretiert, möchte seine Interpretation so lange wie möglich als (wahre) Bedeutung festhalten, und dem entspringt auch die (metaphysische) Redeweise von Bedeutungen gegenüber „bloßen" Zeichen (S. 163). Die „bloßen" Zeichen sind immer die %u interpretierenden, nicht die zu einer Zeit allseits befriedigend interpretierenden Zeichen. „Bedingungen" (S. 164) dafür, daß Zeichen als interpretationsbedürftig erscheinen und andere nicht, d. h. daß diese anderen als Bedeutungen der ersteren fungieren können, können nicht nach allgemeinen Regeln als erfüllt oder nicht erfüllt gelten. Es muß sich jeweils steigen. „Die" (d. h. alle) Bedingungen der „Gegenstände" der Erkenntnis sind auch nach Kant nicht reflektierbar. Es ist 15
Vgl. vom Vf. Wahrheit als Freiheit, Berlin/New York 1978.
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schon nicht reflektierbar, wieso wir (in unserer Überzeugung) affiziert werden oder nicht und also auch nicht, wieso wir uns ein Urteil über die bisherige Bestimmung von etwas hinaus bilden wollen. Eine „regulative Idee" (S. 165) im Sinne Kants kann nur bedeuten, daß kein Zeichen, das uns %u einer gewissen Zeit als nicht weiter interpretationsbedürftig erscheint, so daß wir in ihm zum Urteil über die Sache kommen, ein letztes sein kann. Günter Abel geht es um eine Zusammenführung von Zeichenphilosophie und Interpretationsphilosophie. Eine Differenz zwischen beiden Ansätzen besteht zunächst darin, daß die Zeichenphilosophie neben den interpretationsbedürftigen Zeichen auch von Zeichen spricht, die keiner Interpretation bedürfen, und entsprechend auch von einem Verstehen ohne jede Interpretation, die Interpretationsphilosophie aber „das Verhältnis primär von den Interpretationsprozessen her" auffaßt (Abel, s.o. S. 168). — Das Verstehen ohne Interpretation ist aus der Sicht der Interpretationsphilosophie Abels ein „Grenzfall"; es ist die Interpretation, die wir je „sind". Abel geht es vor allem darum, daß Zeichen „nicht nur nachträglich" interpretiert werden, sondern in ihrer ursprünglichen Funktion bereits „interpretatorisch" sind (S. 169). In diesem Zusammenhang unterscheidet er drei Stufen der Interpretation: 1. „kategorialisierende Funktionen", sozusagen eine „gemeinsame Philosophie" der Grammatik im Sinne Nietzsches, 2. „Gleichförmigkeitsmuster und die Gewohnheiten unseres Welt-, Fremd- und Selbstverhältnisses" und 3. „aneignende Deutungen" des jeweiligen Individuums (S. 169 f.). (Kant unterscheidet entsprechend verschieden weit zu fassende „Horizonte", aus denen jeweils geurteilt wird.16 Scheint ein Zeichen etwa nach der dritten Stufe ohne Interpretation verstanden zu werden, weil nicht weiter nach seiner Bedeutung gefragt wird, so partizipiert es dennoch an den Stufen 2 und l und ist von daher interpretiert. Wenn „Interpretation" so weit gefaßt wird, daß alles Verstehen „Interpretation" genannt wird, dann ist kein Zeichen ohne Interpretation zu verstehen. Ich stimme Abel darin zu, daß „Interpretation nicht eine zusätzliche Prozedur des Erkennens meint" (S. 170), möchte aber doch 16
Vgl. I. KANT, Logik, AA IX 43.
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festhalten, daß wir gerade zum „Erkennen" ein Verstehen ohne Interpretation „benötigen" (und sei es auch nur auf der Stufe 3), damit wir zumindest temporär mit der Deutung zu Ende kommen und uns ein Urteil bilden können. Sonst wäre nicht zu verstehen, warum Urteile überhaupt, wenn auch nur für eine bestimmte Zeit, gelten können, so daß man sich im Handeln darauf „glaubt" verlassen zu können. — Wenn aber schon „die natürlichen Arten ... offenkundig Interpretationskonstrukte" sind (S. 172), dann ist natürlich auch die Einteilung in drei Stufen der Interpretation ein solches Konstrukt, und es stellt sich die Frage, wieso sie zumindest zu einer bestimmten Zeit als so zweckmäßig und verläßlich erscheint, daß man sich an ihr praktisch orientiert. Eigentlich teilen auch nicht „wir" (ebd.) entsprechend ein, wenn wir uns an Einteilungen „halten", sondern wir folgen einem Schema überkommener Einteilungen, die uns gerade dienlich sind und die wir zur Zeit nicht als weiter interpretationsbedürftig erfahren. Das macht ihre „Natürlichkeit" aus. Der Schmerz (S. 175) ist z. B. ein Zeichen, sobald er als Schmerz bewußt ist, aber ein weiter zu interpretierendes — und nicht „unmittelbar" verstandenes — Zeichen ist er nur, wenn etwa wegen einer Therapie nach der „Art" des Schmerzes gefragt wird und damit gerade nicht, ob es überhaupt „ein Schmerz" sei. Daran ist kein Zweifel, wenn es wirklich schmerzt. Die Abelsche Interpretationsphilosophie und die Philosophie des Zeichens stehen einander so nahe, daß es hier nur um Akzente geht, die der jeweiligen Zwecksetzung entstammen. Die Philosophie des Zeichens verweist auf das faktische Verstehen ohne Interpretation, um verständlich zu machen, wieso es überhaupt zu temporären Beendigungen des Interpretationsprozesses kommt und wieso in einer bestimmten Sicht Zeichen und Bedeutung „essentiell" unterschieden werden. Die bedingte Geltung des metaphysischen Zeichenbegriffs wird so aus dem Gesichtspunkt einer Philosophie des Zeichens erklärt. Daß es zu einem Verstehen ohne (weitere) Interpretation oder zu einem Fürwahrhalten einer „letzten" Version tatsächlich kommt, ist auch nach der Philosophie des Zeichens in vorausliegenden Interpretationen begründet und sozusagen nur in deren „Rahmen" möglich. Die Zeichenphilosophie reflektiert dies auch für ihr eigenes „Zuendekommen".
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Philippe Forget konstatiert eine „unübersehbare Parallele zwischen dem Diskurs über das Zeichen und dem über die Schrift" (Forget, s.o. S. 110). Die Schrift wurde vom metaphysischen Zeichenbegriff her als Stehen für den Laut verstanden, so wie dieser als Stehen für die Bedeutung. So wie der Laut in seinem Verschwinden „hinter" der Bedeutung seine Tugend haben sollte, so sollte auch die Schrift nur „für etwas" stehen, „für das sie unmöglich einstehen" kann, nämlich für die „lebendige Rede" (ebd.). Sie bleibt über den verklingenden Laut und das selbstpräsente Leben des Sprechenden hinaus stehen und gegenüber jeder aktual vollzogenen Interpretation anders interpretierbar. So wie Derrida Schrift versteht, soll sie „auch in der Stimme am Werk" sein, „soweit das Sich-selbst-Hören als Illusion der Selbstpräsenz ... entlarvt worden" sei (S. 111). Wenn es in der Philosophie des Zeichens heißt17, Derrida bleibe mit seiner Feststellung, daß die Zeit des Buches vorbei sei, einer Metaphysik verhaftet, die „Wahrheit" als „Überwindung einer Illusion", als Weg vom Schein zum Sein versteht, kann das nicht eine Polemik von einem Standpunkt aus sein wollen, der sich selbst näher an „der" Wahrheit sieht. Es verweist nur auf eine Schwierigkeit der „Dekonstruktion", die sich doch jederzeit selbst als anderes abwehrenden „Standpunkt" verstehen muß, auch wenn sie dies nicht will. Die Philosophie des Zeichens will die Not-wendigkeit des Standpunktes, des temporären Zum-StehenKommens des Spiels der Signifikanten in der Illusion eines Durchbruchs zum Sein einbeziehen. Natürlich versteht auch sie „die Wiederholung desselben Zeichens immer schon" als „Veränderung" (S. 113). Aber auch Forget spricht in diesem Zusammenhang vom „selben" Zeichen, d. h. er spricht von einer bleibenden Substanz der Veränderung und damit unausweichlich metaphysisch. Wenn es kein „zweites Mal" gibt, dann gibt es natürlich auch kein erstes „Mal" (S. 113). Aber es bleibt zu bedenken, warum dennoch so gesprochen werden muß, wie die Metaphysik spricht, d. h. warum es zu der Illusion eines Stillstandes im Spiel der Signifikanten jeweils kommt. Das ist scheinbar das metaphysische 17
Philosophie des Zeichens, 252.
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Thema vom Sein des Scheins. Aber es ist doch, spätestens seit Hegels Logik, das Thema vom Schein des Seins. Die Philosophie des Zeichens arbeitet hier mit dem Begriff einer „besseren" Deutlichkeit, also scheinbar mit einem metaphysischen Ideal, aber sie zielt damit nicht auf ein „Wahrheitstelos der Metaphysik" (S. 114). Dem Komparativ der „besseren" Deutlichkeit entspricht kein absoluter Superlativ, kein Bestes, in das der Weg ad melius esse als in ein esse münden könnte. Der als solcher unaufhebbare jeweilige Standpunkt und nicht eine erreichbare maximale Deutlichkeit läßt verdeutlichende Zeichenversionen subjektiv oder ästhetisch als temporär hinreichend erscheinen, und nur seine Kriterien dafür sind auch das Bewegende der Versionen. Damit ist die unaufhebbare Zeitlicbkeit oder das Illusionäre der Illusion eines Schritts zu einem seienden Signifikat, das sich in allem Ist-Sagen „bezeichnender Weise" ausdrückt, einbezogen. Es ist reflektiert, wieso es überhaupt zum „SeinsVerständnis" kommt. Sein unvermeidliches „ewiges" Wiederkommen ist bedacht, und darin ist erst die Metaphysik bestimmt, die auch noch im Heideggerschen Denken der Differen^ von Sein und Seiendem „Seinsverständnis" absolut nimmt. Aussagen darüber, ob eine bestimmte Lektüre, etwa ein bestimmtes Verständnis der Texte Derridas, den Texten angemessen sei oder nicht, können sich nicht auf einen Text „an sich" berufen. Der Autor muß es ertragen, in einer Weise verstanden zu werden, die er selbst nicht versteht, wenn er seinen Text öffentlich „aufstellt". Er muß es ertragen, wenn er aus seiner Sicht nicht „angemessen" gelesen wird, denn er „behält" kein Privileg der Auslegung. „Was" im Text steht, sagt die jeweilige Auslegung, auch die des Autors, der seinen Text „selbst" zu anderer Zeit „noch einmal" liest. Sowohl von anderen wie von uns selbst haben wir immer nur die Zeichen.18 Ana Agud kommt noch einmal auf das Verhältnis von Zeichenphilosophie und Sprachwissenschaft zurück. Sie reflektiert Voraussetzungen einer Sprachwissenschaft aus dem Gesichtspunkt einer Philosophie des Zeichens. Solche Voraussetzungen sind selbst immer auch einzelsprachlich bedingt. So hat die deutsche 18
Vgl. L. WITTGENSTEIN, Philosophische Untersuchungen, Nr. 504.
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Sprache den Vorzug, „jede bestimmte Form des Ausdrucks gleich eine Sprache" nennen zu können (Agud, s. o. S. 28). War „in früheren Zeiten ... das Wissenschaftliche an der Grammatik als reine Rationalität derselben begriffen worden", so kam später eine Orientierung „am Klanglichen" dazu (S. 29). „Bedeutung" wurde, „als Defmiendum", von daher „erklärungsbedürftig" (S. 30), und „der Glaube an ... Realitäten", die dem wissenschaftlichen Sprach begriff korrespondierten, konnte jeweils nur solange andauern, wie er „praktisch erfolgreich" war (S. 31) und die für seine Festigung aufzuwendende Energie „noch erträglich" (S. 31) schien. Es bildete sich eine permanente „Spannung" zwischen „tatsächlichen praktischen Bedürfnissen" im Umgang mit einem Gegenstand „Sprache" und „dem Moment des Anspruchs auf , wissenschaftliche' Systematik" heraus (S. 32 f.), und „die Ansätze zur Systematik" änderten sich ständig (S. 33). Die „vielen vorliegenden Sprachwissenschaften", die sich von daher ergaben, können von daher „als ebensoviele Zeichen von Zeiten betrachtet werden" (S. 35). Es wird nicht mehr von dem (metaphysischen) Wissenschaftsbegriff ausgegangen, nach dem die Wissenschaft „erkennen" soll, wie „es" wirklich sei, so daß ihre Zeichen als etwas Seiendes „für" anderes Seiende „stehen" könnten. Es wird auch nicht bedauert, daß dies schon nach einem im Kantischen Sinn kritischen Wissenschaftsbegriff so nicht sein kann. Vielmehr wird darin, daß die Linguistik sich „selbst als Zeichengeschehen in der Zeit begreift und ihre Begegnung mit dem Sprachlichen nicht als technische Bewältigung des Eigenen, sondern als offene Erfahrung des Fremden gestaltet" (S. 38), etwas Positives gesehen. In solch einer Offenheit nimmt die Wissenschaft sich jeweils selbst vor der Erfahrung ihres Gegenstandes in einer Weise zurück, in der sie vorweg noch hiebt weiß, „was" die Zeichen, mit denen Sprachwissenschaft es zu tun hat, bedeuten und für „was", am Eigenen gemessen, sie „stehen" sollen. Sie läßt sich auf die fremden Zeichen in ihrer Fremdheit ein und überläßt sich und den eigenen Ansatz dem Verstehen, das nun auch als ein Sich-Mitnehmenlassen gegenüber dem Vorverständnis, „was" etwas in Wahrheit sei, verstanden ist. Das Seinsverständnis, das sich in der Frage, „was" etwas „in Wahrheit" „sei", artikuliert, löst sich im Zeichenverstehen auf.
Bemerkungen zu den Beiträgen zur Philosophie des Zeichens
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Von hier aus können wir zum Ausgangspunkt zurückkehren: „Sein" ist zunächst ein Zeichen im Sinne „unserer" besonderen Grammatik, ein „Verhältniswörtchen", das auf die „Art" zielt, „gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen".19 Dies ist die Art, in der jeweils ein Subjekt im Ausgang vom „Gegebenen" sich vorstellt, wie und was etwas sei.20 Es tut dies immer im Zusammenhang einer umfassenderen Geschichte, in der es sich vorgibt, „was" es selbst, „was" „Erkennen" und schließlich auch, „was" „Zeichen" und „was" „Interpretation" „sei", z. B. ob „Geschehen" oder „Handlung". Alle Aussagen dieser Art sind Auslegungen „ad melius esse" im Horizont eines Subjekts, und natürlich ist auch diese Feststellung eine Auslegung. Es muß sich jeweils Beigen, ob sie wirklich „ad melius esse", zu einem nunmehr besseren Orientiertsein führt.
19 20
I. KANT, Kritik der reinen Vernunft, B 141. Zur Interpretation der urteilsbildenden Kategorien als „Modifikationen" von „ist" vgl. J. SIMON, Kategorien der Freiheit und der Natur, in: D. Koch/ K. Bort (Hgg), Kategorie und Kategorialität, Festschrift für K. Hartmann, Würzburg 1990.
Personenregister Abel, G. XII f., 121, 168, 170, 174 f., 185, 187, 214 f. Agud, A. X, XIII, 38, 217 f. Aischylos 122, 128 Anaximander 87, 204 Anselm von Canterbury 107 Apel, K. O. 45, 96 Apollonios Dyscholos 35 Aristophanes 128 Aristoteles 3, 11 f., 32, 71, 76, 79 f., 105, 144 f., 197 Arnauld, A. 29 Augustinus XII, 12 f., 94, 144 f., 195 Austin, L. 181-184 Averroes 144 Baumgartner, H. M. XIII, 94 Bayle, P. 142 Beauzee, N. 33 Bernays, J. 120-22 Bollack, G. 126, 129 Borges, J. L. 172 Borsche, T. 121 Bossuet, J. B. 139 Bühler, K. 7, 14 f. Burckhardt, J. 123 Cardona, G. R. 42 Carnap, R. 151 f. Cassirer, E. 130, 142 Cicero 80 Clemens Alexandrinus 122 Condillac, E. B. de 37
Coseriu, E. X, 37, 102, 104-106, 197-200 Creuzer, F. 121 f. Dante 79-81, 95 Davidson, D. 183 f. Dedekind, R. 172 Derrida, J. VII, XI, 42, 47, 51, 102, 107-116, 216f. Descartes, R. 81, 107 Dilthey, W. 136 Djuric, M. 121 Eckhart 144 Elkana, Y. 153 Epikur 80 Eriugena 139 Eucken, R. 140 Fauth, W. 127 Fenelon 139 Feuerbach, A. 123 Feyerabend, P. 96, 155 Fichte, J. G. 98 Flasch, K. XII, 136, 209-211 Forget, Ph. XI, XIII, 216 f. Foucault, M. 172 Fraenkel, H. 127, 129 Frege, G. 9, 21, 92 Frisk, H. 123 f., 126 Gadamer, H.-G. 170 Galenus 125 Gardiner, A. S. 21
222
Personenregister
Gehlen, A. 45 Güson, E. 143 Gladisch, A. 121 Gödel, K. 98 Goethe, J. W. von 137, 210 Goodman, N. 163, 189 f. Gottschalk von Orbais 139 Grabmann, M. 143 Grice, H. P. 183 f. Guthrie, W. K. C. 124 f. Habermas, J. 75 Hallet, G. 134 Hamann, J. G. VII, 40 f. Harnack, A. von 142 Hartmann, N. 142 Hegel, G. W. F. VII, XI, 3, 13-15, 17,21, 82, 91, 100, 111, 115f., 139, 145, 199 f., 209, 217 Heidegger, M. 47, 51, 87, 91, 111 f., 124, 140, 195, 208 Heraklit XI, 119-122, 124-31, 208 Herder, J. G. VII, 45, 140, 206 Hermann, E. 34 Held, K. 127 Herodot130 Hieronymus 10 Hippolyt 120 Hitler, A. 75 Hjelmslev, L. 6, 8, 197 Kölscher, U. 121, 124, 127, 130 Hofmann, J. B. 126 Hofstadter, D. 91 Hogrebe, W. 93, 101, 203-206 Homer 120 f. Honnefelder, L. 93, 96 Hübner, K. 153 Hugo, V. 106 Humboldt, W. von VII, 3, 16 f., 35, 37, 135, 199 f. Husserl, E. 90, 111-113, 116, 140
Jelden, E. 161 Johannes A Sancto Thoma 5 Jung, C. G. 151 Kafka, F. 108 Kant, I. VII f., IX, 33, 51, 54, 60, 73, 75-77, 81, 87, 96, 116, 145, 151, 157, 160, 165, 173, 175, 196, 200-205,209, 213f., 218f. Kepler, J. 158f. Körner, St. 153 Kopernikus, N, 158 Krings, H. 160 Kühn, Th. S. 152 f. Lambert, J. H. 5 Lancelot, C. 29 Lassalle, F. 121 f., 126 Latte, K. 127 Laudan, L. 157 Leibniz, G. W. XII, 81, 151, 156, 160 Lenk, H. 152, 168 Lessing, G. E. 142 Levi-Strauss, C. 108 Locke, J. 5, 125 Luhmann, N. 48 Lukian 129 Magritte, R. 134 Mallarme, St. 82-84, 91 Marcovich, M. 128 f. Margolis, J. 165 Marx, K. 145 Mead, G. H. 47 Morris, Ch. W. 12, 22 Munitz, M. 82, 85-90 Neuplatoniker 144 Newton, I. 159 Nietzsche, F. VII, IX, XI, XII, 60, 81, 92, 102, 113, 115f., 119-132, 135, 173, 181, 185, 187, 191, 195, 214 Nikolaus von Kues XII
Personenregister Olivetti, M. M. X, 206-208 Parmenides 31, 138, 140 Pausanias 122 f. Peirce, Ch. S. VII, 43, 133, 167, 169 Petrarca 79-81, 95 Philo 120, 123 Platon X, 12, 31, 42, 67, 78, 81, 110, 128, 144 f. Plutarch 120, 126 Popper, K. 152, 163 Poser, H. XII, 212-214 Proust, M. 71 Ptolemäus 158 Putnam, H. 158 f., 162, 164 Quine, W. V. O. 163 Radke, G. 127 Rescher, N. 84 Rickert, H. 142 Ritschi, A. 122 Rosen, St. X, 102-105, 200-203 Rothacker, E. 140 Rumpel, Th. 37 Sartre, J. P. 103 f. Saussure, F. de 6, 10, 12-15, 28, 43, 105 Schiffer, St. 183 f. Schiller, F. 137 Schleiermacher, F. D. E. 126 Schwemmer, O. 98
223
Searle, J. R. 113 Seneca 79 f. Simon, J. VII-XIII, 17, 27, 30f., 34, 41-43, 45-47, 53-55, 5961, 70, 72-78, 84, 91, 94-116, 132-48, 152, 155-160, 163, 167-71, 173, 175-77, 180, 183, 198, 212f., 216, 219 Sini, C. 47 Snell, B. 124 f., 129 Sokrates 110 f. Soranus 125 Stegmüller, W. 152 Stoiker 9, 12 f., 144 Tesniere, L. 37 Thomas von Aquin 145 Toulmin, St. 154 Tycho de Brahe 158 f. Vatery, Paul 92 Vergil 81, 84 Warburg, A. 142 Windelband, W. 142 Wismann, H. 126, 129 Wittgenstein, L. XI, 132-135, 151, 161, 178-185, 187f., 208, 217 Wohlfart, G. XI, 119-122, 208 f. Zeller, E. 120, 126 Zoroaster 121
Sachregister Abstraktion 91 f. Affektion 203 - Affizieren 185, 188-191 — Affizierung 190 alter ego 47, 49 f. Alteration s. Ver nderung Analogie 51, 53, 83 f., 91 Analogie der Erfahrung 51 Analyse 63—65 Analytische Philosophie Xf., 168 Andersheit 104, 147, 208, 211 Anthropologie X, 42, 54, 203 Antlitz s, Gesicht Anzeichen 7 f., 17, 172, 199 Άπειρον 87, 204 Apoll 119-32, 208 f. Apperzeption 219 — Einheit der Apperzeption 219 Artikuliertheit 19, 22, 200 Aufkl rung 29, 142 Augenblick 50 — sthetischer Augenblick 123 f., 128, 209 Ausdruck 40, 138, 186, 189-191, 218 Auslegung 173, 196, 202f., 217, 219 Bedeutung VI, XI, 5, 9-13, 16-21, 24-27, 29-31, 63, 68, 99, 133, 175, 180-188, 209, 213, 216, 218 — Bedeutungstheorie (Theorie der Bedeutung) 181-185 Begriff 67-70, 137 f., 142
Beobachtung 153, 159 Bewu tsein 54, 59, 62, 77, 98-101, 111, 113, 200f. Bezeichnendes — Bezeichnetes s. Signifikant — Signifikat Bezeichnung 5, 9-13 Bild 8, 134, 142, 156 f. - Weltbild 154, 158 Blick 45-47, 207 Definition 170, 197 Deixis/deiktisch 15 Dekonstruktion Xf., 40, 102f., 110 f., 115 f., 216 — Dekonstruktivismus XI Denken VIIf., 31, 34, 60-63, 65, 74, 97, 174-78, 200 f. Deutlichkeit 99, 217 — Meliorismus der Deutlichkeit XI, 96, 205, 217 - Verdeutlichung VII, 55, 72, 114f., 168, 172, 197f., 200f., 204, 213 Deutung 69, 71, 75 f., 163 f., 169 f., 173f., 176-185, 201, 207-209, 214 f. Dialektik 44 Ding 61, 66, 69 f., 72 f., 85, 171, 197, 199, 201 - Ding an sich 87, 178, 204 Dionysos 119-132, 208f. Diskurs 5, 9, 11, 68, 216 - diskursiv VIII, 67, 73 f., 176
Sachregister Einbildungskraft 34, 37, 60 f., 66, 69 f., 201 Einteilung 30 f., 38, 140 f., 172 f., 199 f., 206, 210, 215 Einzelsprache 9, 15, 20-22, 24f., 28 f., 68 - Einzelsprachlichkeit 20, 25, 217 f. Empfindung 71, 157, 162, 175-177 76 Energie 31, 60, 76, 97, 99 f. Entdeckung 38, 70 Epiphanie, ästhetische s. Augenblick, ästhetischer Epistemologie 167, 172, 175 Erfahrung 66, 70 f., 162, 204 f., 218 Erfindung 70 Erinnerung 100 Erkennen/Erkenntnis VIII, 31, 70, 112, 151, 153 f., 157, 162, 165 f., 170, 173, 212, 214 f., 219 — Erkenntnistheorie 97 Erscheinung 52, 199, 201, 205, 210 espacement 51, 53 Ethik/ethisch XII, 54, 97 f., 102, 104, 147, 154, 186, 188, 208 Existenz 72, 86-90 — ungebundene Existenz 87—90 Extension 73, 162 Fachsprache 5, 21 f., 25, 27, 200, 202 Fiktion 62 Freiheit 35, 61, 72-77, 84, 97f.,
102-104, 165f., 201-203 — Freiheit der Interpretation 61, 73-77, 97, 202 — Freiheit des Geistes 80 — Freiheit im Zeichengebrauch 201 — Freiheit im Zeichenverstehen 104, 165 Fürwahrhalten 215
225
Gedanke 83 f. Gehör 46-48, 207 f. Gegenstand 33, 39, 85-89, 157, 165, 176 f. — Gegenstandskonstitution 165 Geist 44-46, 51-53, 207 f. — Geist und Buchstabe 44—46, 51-53, 207 Gemeinschaft — ethische Gemeinschaft 54 — Gemeinschaft des Bewußtseins 99 Gemeinsinn 203 Gesetz 72, 186 — Gesetzmäßigkeit 72 f. Gesicht 46-53, 132, 135, 206f. Gesichtspunkt 42, 47, 50-53, 55, 207 f., 210 Gott 66, 106 f. grammatica universalis 33 Grammatik 29, 33 f., 36, 60, 92, 105, 171, 182, 195f., 198, 214, 218f. Grammatologic 47, 51 Grundbegriff 137, 146, 155, 172, 211 Handeln XII, 96, 185, 188 f., 215 - Handlung 31, 96, 152, 161, 164, 177, 186 f., 213, 219 Hermeneutik/hermeneutisch XI, 40, 71, 76, 79, 114, 167, 170 Historismus 210 Horizont VII, 87, 109, 114, 170, 191, 214, 219 Humanismus 29, 102 f. Hypothese 29, 147, 186 f. — Hypothesenbildung 147 Idealität — Materialität 109, 112 f. Idee 67, 151, 165 - regulative Idee 165, 196, 204, 214 Individuum 36, 63, 97, 137 f., 144147, 163, 210 f. - Individualität VIII, 35 f., 61, 98, 137 f., 143, 147
226
Sachregister
Intentionalität 7 f., 102, 105, 166 Interpretation XI, XII, 5, 7, 13, 60 f., 69-77, 159-164, 167-191, 202 f., 211-215 — Interpretationsgeschehen 170, 172-174 — Interpretationshorizont 173, 186 f. — Interpretationsphilosophie XII f., 168-191, 214f. — Interpretationspraxis 174, 179— 183, 189-191 — Interpretationsprozeß 168, 171 f., 174, 178, 214 — Interpretationsspielraum 159, 163, 212 f. Intersubjektivität/intersubjektiv 23, 151, 156, 158, 212 f. Intuition 63-65, 89 — intuitio mystica 131 Kategorie 60, 77, 151, 165 Kohärenz 160, 162 f., 165, 178 Kommunikation VII, 36, 45, 50, 54 Kontext 34, 145 f. - historischer Kontext 40, 116, 139 Korrespondenz 83 f., 160, 165 — Korrespondenzereignis 83 f. langue — langage 28 f. Laut 29, 41, 206 f., 216 Leben 52, 55, 110, 115, 207 Leib 44 f. Lesen 71 — Lesart 43, 54 f. Licht 46, 48, 53 Linguistik X, 22, 29-32, 34-39, 218 Logik XII, 22, 31, 33, 90, 98, 106, 155, 167, 185, 188, 208 logos 41, 43-52, 197 Logozentrismus/logozentrisch 45, 51, 199, 201
Mantik 119-132 Mathematik/mathematisch 34, 66, 112, 151, 155f., 167 Mensch 35f., 72f., 103-105, 136f., 202 f. Metapher 191 Metaphysik/metaphysisch VII, X f., 30, 32 f., 45, 55, 72, 78, 81 f., 84, 87, 90, 92-95, 105-115, 133, 137 f., 151, 155 f., 175, 183, 195199, 203-205, 210£, 213, 216 - metafisica povera 79-82, 84, 90, 93, 203-205 — Metaphysikkritik/-kritisch IX, 95, 102, 107 f., 111, 114, 175 — metaphysischer Seinsbegriff 196-98, 208 — metaphysischer Zeichenbegriff 133, 196, 199, 205, 215 f. Methode 39, 112, 115, 160, 162 f. Modell 68 — kosmologisches Modell 85 — 89 Natur 63, 66 f., 70, 74, 77, 136, 140, 154f., 157f., 160, 163, 201-203, 205 — Naturgesetz 69 — Naturphänomen 67 — 71, 201
— Naturwissenschaft 69 f., 74, 151, 154, 157 f., 201 f. Objektivität 22 f., 156 Ontologie/ontologisch VIII, 20, 22, 26, 30, 38, 61 f., 71, 92-97, 104, 156, 165, 175, 196,202,211 — pragmatische Ontologie 104 Ontotheologie 54 f. Ortientierung 30, 76, 103, 155, 202 f., 210, 215, 219 — Orientierungsbedürfnis 206 Operationalismus 152, 155, 158 Paradigmenwechsel 155, 162 Person 137 f., 203, 206 f., 212 Perspektive 68-70, 145
Sachregister Phänomenologie 40, 48 f., 52, 168 — Phänomenologie des Sinnlichen 48 f. — phänomenologische Reduktion 52 Phantasie 61, 70, 82, 201 Philologie 34-36, 73, 158 Philosophie 3 f., 22, 25, 27, 31, 41 f., 59, 63, 65, 73, 77, 79-81, 197, 210 — kritische Philosophie 81 — prima philosophia VII, XIII, 30, 197, 206 Philosophiegeschichte (Geschichte der Philosophie) XIf., 44, ISOUS, 209-211 Phonozentrismus 206 f. Physik 68, 153, 157 Platonismus X, 66, 78, 143 Position 139, 211 Präsenz 108, 112 — Selbstpräsenz 111 pragmatisch 54, 74f., 104, 183, 186 Pronomen 92 — pronominale Ausrichtung 90, 205 — pronominaler Bezug 89 — 92 — pronominaler Raum 91 Psychologie 34, 137 ratio 49 Raum 47 — Räumlichkeit 206 — Verräumlichung s. espacement Realität 31, 69, 87-89, 93f., 204, 218 Recht 54, 74, 208 - .Naturrecht' 65 f., 73-76, 97 Referenz 9, 82-84, 92, 98, 162, 177, 185, 191 Reflexion 33, 48, 166, 187, 199 Reflexivität (Autophonie) 47 — 50, 206 f.
227
Regel 69, 154f., 157, 160, 162-64, 178-80, 182, 196, 213 - Regelmodifikation 154 f., 163 f., 166 Relativismus 95, 98, 140, 142, 144, 166 Religion X, XI, 41-43 — Religionsphänomenologie 42 f. — Religionsphilosophie X — Religionswissenschaft 42 f. Repräsentation 112, 167, 189 Satz 35, 82-84, 133f., 171, 185, 188 f. Schein 123-125, 208f., 216 f. Scholastik 80, 143, 148 Schreiben 71, 110 f. - Schrift IX, XI, 40-44, 51 f., 110 f., 206, 216 — Theorie der Schrift 42 — 44 Sein 3 f., 15 f., 24-27, 71, 75, 77 f., 107, 140, 143, 195-201, 209, 216-218 Selbstreflexion, kommunikative 54 Semantik/semantisch XI, 61, 81 f., 119, 125, 128-32 Semiologie 6, 12, 43 — behavioristische Semiologie 12 Semiotik/semiotische 3, 5 f., 63, 66, 69, 70, 72, 119, 125, 156, 167, 171, 197 — mittelalterliche Semiotik 5 f. sensus contingentiae 84 Signal 15, 172 signifiant — signifie 13, 16, 21 Signifikant - Signifikat 31, 62 f., 72, 105 f., 108 f., 156 — Spiel der Signifikanten 216 Simonismus, reiner 82, 92—101 Sinn XI, 9-13, 15, 20f., 53, 88, 129, 171 Sinnlichkeit VIII, 176 Spontaneität 75-77, 165, 203
228
Sachregister
Sprache VII, XIII, 4-6, 8f., 1722, 28-39, 42-46, 50, 60-62, 67 f., 70, 72, 84, 105 f., 130, 132, 151 f., 183, 188f., 197-200, 206, 218 — Sprachphilosophie (Philosophie der Sprache) VII, IX f., 3 f., 19, 59, 167, 171, 206 — Sprachspiel 161 — Sprachtheorie (Theorie der Sprache) 3 f., 42 f. — antike Sprachtheorie 11 — 13 — mittelalterl. Sprachtheorie 29 — Sprachwissenschaft IX f., 4, 6, 28-39, 42 f., 200, 217 f. - Sprechen 34, 36 f., 47, 61, 71, 185 — Sprachhandlung 7 Spur X, 52, 54 Standpunkt 34, 36, 38, 43 f., 47, 52, 216 — Identität des Standpunkts 52 Stimme 31, 40f., 45, 47-50, 111, 206, 216 Strukturalismus 37 Subjekt 31, 48, 54, 74 f., 142, 144, 166, 201, 205, 207 — transzendentales Subjekt VII, 142 Subjektivität 34, 97, 144, 166, 207, 212 — transzendentale Subjektivität 142 Substanz 52, 95, 99, 195 f., 216 Symbol X, 11, 13-15, 67, 189-191 Symptom 7, 66, 172 Synästhesie 49, 51, 206 f. Syntax 37, 59, 62, 195, 200 f. Synthese 34, 63—65 System 33, 143, 151, 154, 160 f. Text 5, 9, 11, 15, 70f., 217 Theorie 31, 36, 44-46, 55, 70, 138140, 145-147, 153 f., 159, 161, 177 f., 184 - Theoriebildung 147, 153 Tod 55, 110, 115
71, 77 transzendental VIII f., 60, 62 — transzendentale Bedingungen 164-166 — Transzendentalphilosophie VIII f., 53 f., 166, 168, 200 f. Typus Jesu 55
Übergang XII, 60, 95, 104, 197 f., 200 f., 204 Übersetzbarkeit 182 — Übersetzen 40 - Übersetzung 10 f., 20, 24, 114 — Übersetzungstheorie 10 Universum 85-89, 204 Urteil 96 f., 177, 214 f. — Urteilsbildung 214 f. Urteilskraft 60, 166 — reflektierende Urteilskraft 166 Veränderung 44, 107, 140 verbum 44 f. Vernunft VIII, X, 41, 65, 68, 143, 153 f., 166 Verstand VIII, 69 Verstehen VIII, 31, 36, 38 f., 75 f., 93f., 104, 109, 113-115, 134136, 140£, 160, 164-166, 185188, 196-198, 207-209, 212214, 218 Vorstellungskraft 61, 67-69, 74f., 201 Wahrheit VII, IX, 33, 59-61, 8184, 95, 125, 130, 143, 165, 185, 204, 216 f. - Wahrheit als Freiheit 61, 84 - Wahrheitskriterium 95 f., 137, 217 - Wahrheitstelos 114 f. Wahrnehmung 69, 157, 174-78 — Wahrnehmungsurteil 157, 176 Wahrscheinlichkeit 76 — Wahrscheinlichkeitskriterium 76
Sachregister Wiederholbarkeit, Wiederholung s. Iterabilität der Zeichen Wille zur Macht 76 Wissen 81, 85, 151 f., 155 f., 160162 Wissenschaft XII f., 32-35, 42 f., 68, 81, 85, 136, 140f., 151-166, 178, 187, 197, 199, 218 — Wissenschaftsphilosophie (Philosophie der Wissenschaft XII, 152, 157 — Wissenschaftssprache 151—59 - Wissenschaftstheorie XII, 159 Wort IX f., 8f., 14, 16 f., 31, 41-46, 50f., 53, 67-69, 177, 199 f., 208 Zeichen — Zeichengeschehen 31, 35, 38, 171, 218 — Zeichenphilosophie (Philosophie des Zeichens) 3, 19, 53, 30, 34, 101 f., 134, 168-191, 197 f., 208 f., 214 f., 217 - Zeichenprozeß 197, 202, 204 - Zeichensystem 15, 18, 22, 29 f., 99, 140, 160, 182, 196 — Zeichentheorie s. Semiotik - Zeichenversion 95, 133, 196, 200, 215, 217 — Zeichenverstehen VIII, 34, 165, 168, 174, 196-198, 206-208, 214 f., 218 - ästhetisches 132-135, 209 — Arbitrarität der 13 — Intransitivität der 133 f., 209
229
- Iterabilität der 102, 104, 107, 112 f. — Konventionalisierung der 67, 113 — Vervielfältigung der 45, 73 - und Bedeutung VII f., 6f., 9-13, 18 f., 24f., 63, 68, 99, 114, 130, 133, 146, 181, 198, 209, 215 - und Begriff 63, 67, 137 f. - und Ding 61, 66, 69f., 72f., 197199, 201, 203 — und Interpretation VIII, Xf., 5, 60, 66, 70-77, 161-164, 167191, 214 f. — und Referent 72 - und Sache VII, 6, 11 f., 17-19, 93-95, 106, 110, 137, 155-157, 195 f. - und Sein VII, 3 f., 15 f., 24 f., 31, 65, 74-76, 133, 195-198, 200, 209, 218 f. - und Sprache 4-6, 15, 18, 27, 171, 197 f. - und Symbol 67, 189-191 - und Wort 8 f., 14, 16 f., 67 f. Zeit IX, 34 f., 38, 45, 53, 75, 131, 136-148, 155, 157, 159, 163, 205 f., 208 f., 211, 215 — Zeitbedingtheit/-bedingung 137, 142, 144 f. - Zeit-Erscheinung 138-140, 210 - Zeitlichkeit VIII, 38, 145 Zustand — ästhetischer Zustand 128, 130 — 32 Zweck 36, 166, 203, 215 - Zweckmäßigkeit 206, 213, 215
Stellenregister Aus der Philosophie des Zeichens [PZ] zitierte Stellen in Zur Philosophie des Zeichens [ZPZ]:
PZ 4, Z. 27 5, Z. 1-2 6, Z. 23-25 Z. 9-11 8, Z. 9-14 15, Z. 4-6 19, Z. 19 22, Z. 6-8 25, Z. 6-8 26, Z. 1-3 32, Z. 35-36 33, Z. 30-32 34, Z. 2-12 Z. 2-4 u. 16-17 Z. 11-12 35, Z. l 39, Z. l Z. 7-9 41, Z. 11 Z. 18-19 43, Z. 3 44, Z. 4 51, Z. 20 57, Z. 16 61, Z. 24 Z. 33 67, Z. 8-9 Z. 23-25 68, Z. 25-28
ZPZ 107 108 94-95 102 155 110 156 156-57 156 157 160 106 VII 115 160 59 198 133 99 180 132 132 59 143 43 132 137 138 VI
PZ 77, Z. 13-14 Z. 21-22 u. Z. 25-26 u. Z. 31-32 78, Z. 2 Z. 30-31 79, Z. 26-27 80, Z. 6-7 91, Z. 7-8 93, Z. 7-9 94, Z. 1-4 98, Z. 4-8 101, Z. 19-20 102, Z. 1-3 105, Z. 11-15 106, Z. 4-9 Z. 34-37 111, Z. 5-7 u. Z. 15-16 112, Z. 24-31 113, Z. 5-6 117 Z. 3 Z. 25-27 127, Z. 23-26 135, Z. 32 138, Z, 26-27 Z. 29 139, Z. 8-9
ZPZ 157
175 175 176 177 177 114 132 76 144 113 60 142 147 182f. 157 158 158,212 145 136 146 114 95 107 143 107
Stellenregister PZ 143.Z. 21-23 Z. 23-25 150, Z. 13-18 u. Z. 23-25 Z. 25-27 151, Z. 13-16 152, Z. 4-5 Z. 28-20 ι ςα ·/ o
Z 26-28 ,54, Z. 33-34 155, Z. 15-17 157, Z. 21-23 168, Z. 10-14 172 Z 7-10 Z. 10-12 Z. 16-17 179, Z. 19-20 182, Z. 30-31 182, Z. 35 - 183, Z. 2 190, Z. 10-11 190, Z. 36 - 191, Z. 5 192, Z. 34-35 194, Z. 4-5 196, Z. 23 ο«7 198, Z. 35-36 199 7 ivv, z,, 4 i—fio uu. Z. 11-13 201, Z. 24-26 202, Z. 11-12 203, Z. 2
Z. 33-35 205, Z. 20-21
ZPZ 114 96 VII 54 147 114 37 114 113 107, 140 138, 140 141 116 138 139 145 133 99 99 95 112 133 111 /\0 OVJ
60 60 104 132 97 114 143
231
PZ 206, Z. 1-4 Z. 15-16 207, Z. 30-32 214, Z. 17 Z. 35-36 218, Z. 1-5 226, Z. 22-24 232, Z. 9-12
ΖΡΖ 55 115 143 95 105 60 28 114
9V 7 97 90 ' ' ~ 237, Z. 7 u. o.
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95
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1 Γ\
250, Ζ. 8-12 Ζ. 26-31 252, Ζ. 24-25 257, Ζ. 33-34 262, Ζ. 8-10 264, Ζ. 13-16 267, Ζ. 12-19 278, Ζ. 11-14 279, Ζ. 3-8 Ζ. 20-23 283, Ζ. 27 - 284, Ζ. 2 284, Ζ. 16 294, Ζ. 35-37 294, Ζ. 38 - 295, Ζ. 3 294, Ζ. 38 - 295, Ζ. 1 296, Ζ. 1-2 Ζ. 7-11 289, Ζ. 12 303, Ζ. 1 -4 308, Ζ. 1-4 309, Ζ. 1-2
41 46 111, 216
95 74 173 53 54 54 75 96 96 97 73 97 133 161 171 171 166 132
W DE
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Walter de Gfuyter Berlin · New York
JOSEF SIMON Philosophie des Zeichens Oktav. X, 320 Seiten. 1989. Gebunden DM 88,ISBN3 110114410 Kartoniert DM 38,- ISBN 3 11 012345 2
Wahrheit als Freiheit Zur Entwicklung der Wahrheit in der neueren Philosophie Groß-Oktav. XII, 432 Seiten. 1978. Ganzleinen DM 133,1SBN 3 11 007414 l
Philosophie und linguistische Theorie Oktav. X, 129 Seiten. 1971. Kartoniert DM 38,ISBN3 11 0035693
Sprache und Raum Philosophische Untersuchungen zum Verhältnis zwischen Wahrheit und
Bestimmtheit von Sätzen Groß-Oktav. XVI, 327 Seiten. 1969. Ganzleinen DM 67,ISBN3 11 0025440 Prcisänderungen vorbehalten
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FRANZ VON KUTSCHERA Grundlagen der Ethik Oktav. XIV, 374 Seiten. 1982. Kartoniert DM 46,ISBN 3 11 008748 0 de Gruyter Studienbuch Ganzleinen DM 78,- ISBN 3 11 008913 0
Grundfragen der Erkenntnistheorie Oktav. XVIII, 546 Seiten. 1981. Ganzleinen DM 78,ISBN3 11 0086638 Kartoniert DM 48,- ISBN 3 11 008777 4
Einführung in die intensionale Semantik Oktav. XII, 187 Seiten. 1976. Kartoniert DM 32,ISBN 311 006684 X de Gruyter Studienbuch
Gottlob Frege Eine Einführung in sein Werk Oktav. X, 207 Seiten. 1989. Kartoniert DM 42,ISBN 3 11 012129 8 de Gruyter Studienbuch
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