Zur Entstehung und Entwicklung eines persönlichen Geheimsphärenschutzes vom Spätabsolutismus bis zur Gesetzgebung des Deutschen Reiches [1 ed.] 9783428506545, 9783428106547


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German Pages 215 Year 2002

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Zur Entstehung und Entwicklung eines persönlichen Geheimsphärenschutzes vom Spätabsolutismus bis zur Gesetzgebung des Deutschen Reiches [1 ed.]
 9783428506545, 9783428106547

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GISA A U S T E R M Ü H L E

Zur Entstehung und Entwicklung eines persönlichen Geheimsphärenschutzes vom Spätabsolutismus bis zur Gesetzgebung des Deutschen Reiches

Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 91

Zur Entstehung und Entwicklung eines persönlichen Geheimsphärenschutzes vom Spätabsolutismus bis zur Gesetzgebung des Deutschen Reiches

Von

Gisa Austermühle

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Austermühle, Gisa: Zur Entstehung und Entwicklung eines persönlichen Geheimsphärenschutzes vom Spätabsolutismus bis zur Gesetzgebung des Deutschen Reiches / von Gisa Austermühle. - Berlin : Duncker und Humblot, 2002 (Schriften zur Rechtsgeschichte ; H. 91) Zugl.: Dresden, Techn. Univ., Diss., 2000 ISBN 3-428-10654-7

Alle Rechte vorbehalten © 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 3-428-10654-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Technischen Universität Dresden i m Sommersemester 2000 als Dissertation angenommen. A n dieser Stelle möchte ich mich bei allen bedanken, die mir auf dem Weg bis zu ihrer Veröffentlichung behilflich waren. Die Wahl des Themas geht zurück auf die Lektüre des Aufsatzes „Grundrechtstheoretische Aspekte der Entwicklung des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung" von Professor Dr. Knut Amelung in dem von Professor Dr. Günter Birtsch herausgegebenen Buch „Grund- und Freiheitsrechte von der ständischen zur spätbürgerlichen Gesellschaft". Der Aufsatz enthält den Hinweis, daß bislang bedauerlicherweise keine in Deutschland erschienene monographische Darstellung zur geschichtlichen Entwicklung des Wohnungsgrundrechts existiert, obgleich dieses zum klassischen Bestand unserer Freiheitsrechte zählt. Dieses Thema habe ich i m Einvernehmen mit meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Amelung, inhaltlich ausgedehnt vom Wohnungsgrundrecht als räumlich abgesicherter Geheimsphäre auf weitere private Geheimsphären und den zeitlichen Rahmen der Untersuchung beschränkt auf den für die öffentlich-rechtlichen Aspekte des persönlichen Geheimsphärenschutzes in Deutschland maßgeblichen Zeitraum vom deutschen Spätabsolutismus in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis zur Gesetzgebung des Deutschen Reiches nach 1871. Den Fortgang der Arbeit hat Herr Professor Dr. Amelung durch seine Zuversicht hinsichtlich des Gelingens dieser Arbeit, seine Offenheit zum Gespräch und vielfältige Anregungen beständig gefördert. Hierfür möchte ich mich bei ihm an dieser Stelle ganz herzlich bedanken. Ebenfalls danke ich Herrn Professor Dr. Dieter Wyduckel und Herrn Professor Dr. Diethelm Klippel für die Übernahme der M i t begutachtung. Erfreut bin ich schließlich darüber, daß meine Dissertation in die Reihe „Schriften zur Rechtsgeschichte" des Verlages Duncker & Humblot aufgenommen worden ist. M e i n Quellenstudium habe ich i m wesentlichen mit Hilfe der Bestände der ehemaligen Sächsischen Landesbibliothek in der Marienallee i n Dresden bestritten. Die angenehme Arbeitsatmosphäre und die hilfsbereite Unterstützung der dortigen Mitarbeiter haben ebenfalls zum Gelingen meiner Arbeit beigetragen. Die Arbeit widme ich meinen Eltern als Dankeschön für deren beständige Unterstützung. Dresden, Dezember 2001

Gisa Austermühle

Inhaltsverzeichnis Einleitung

19

L Teil

Entstehung und Entwicklung eines Geheimsphärenschutzes in der Zeit des deutschen Spätabsolutismus

24

1. Abschnitt Die persönliche Geheimsphäre in der Staatsrechtslehre und in der Polizeiwissenschaft A. Die Staatsrechtslehre des aufgeklärten Absolutismus (1750-1806) I. Einführung

24 24 24

II. Das „ius inspectionis" des Fürsten

28

1. Seine Herkunft; das „ius inspectionis" als Bestandteil des Jus maiestaticum circa sacra"

28

2. Exkurs: Das „ius inspectionis" und die „Geheimen Gesellschaften"

30

3. Wesen, Inhalt und Umfang des „ius inspectionis"

32

ΠΙ. Die Grenzen des Jus inspectionis": Der Schutz einer persönlichen Geheimsphäre 1. Die Reichsstaatsrechtslehre

36 36

a) J. S. Pütter

36

aa) Das Jus inspectionis" und die „wohlerworbenen Rechte"

36

bb) Die Bindung des Fürsten an den Staatszweck als objektive Grenze ...

37

cc) Die formelle Garantie: Die Mitwirkung der Reichs- und Landstände

38

b) K. F. Häberlin

39

aa) Die Bindung des Fürsten an den Staatszweck

39

bb) Der Privatbereich

39

cc) Die formelle Garantie: Mitwirkungsrecht der stände

Reichs- und Land-

c) Τ. v. Schmalz, J. C. Leist und N. T. Gönner in der Spätphase der Reichsstaatsrechtslehre

40 40

nsverzeichnis 2. Die natürliche Staatsrechtslehre

41

a) Die persönliche Geheimsphäre als Grenze des „ius inspectionis" bei D. Nettelbladt, G. Hufeland, H. G. Scheidemantel, T. v. Schmalz, Κ. A. v. Martini u. a

41

b) Das Haus als „Grenzscheidung" der Staatsaufsicht bei J. G. Fichte

43

B. Die Polizeiwissenschaft der Aufklärung I. Einführung

44 44

II. Die Unverletzlichkeit des Hausfriedens bei J. H. G. v. Justi und J. F. v. Pfeiffer III. Haus und Familie bei G. H. v. Berg und K. H. L. Pölitz

46 47

2. Abschnitt Ansätze eines persönlichen Geheimnisschutzes im Strafprozeßrecht A. Die Gesetzgebung

49 50

I. Die Zeugnisverweigerungsrechte

51

II. Die Durchsuchung

52

B. Die Wissenschaft

54

I. Die Zeugnisverweigerungsrechte

54

II. Die Urkundenedition

55

III. Die Hausdurchsuchung

56

1. Die allgemeine Hausdurchsuchung

56

2. Die spezielle Hausdurchsuchung

57

3. Abschnitt Ansätze eines persönlichen Geheimnisschutzes im Strafrecht A. Die Gesetzgebung

58 59

I. Rechtsquellen des Gemeinen Deutschen Strafrechts

59

1. Die Verletzung des Post-und Briefgeheimnisses

59

a) Die Verletzung des Postgeheimnisses

59

b) Die Verletzung des Briefgeheimnisses durch Private

61

nsverzeichnis

9

2. Die Verletzung des Berufsgeheimnisses

62

3. Der Hausfriedensbruch

63

II. Die Rechtsquellen der Aufklärung

64

1. Die Verletzung des Post-und Briefgeheimnisses

64

a) Die Verletzung des Postgeheimnisses

64

b) Die Verletzung des Briefgeheimnisses durch Private

64

2. Die Verletzung des Berufsgeheimnisses

65

3. Der Hausfriedensbruch

65

B. Die Strafrechtswissenschaft

66

I. Die Verletzung des Briefgeheimnisses

67

II. Die Verletzung des Berufsgeheimnisses

67

II. Der Hausfriedensbruch

68

Ergebnisse des Ersten Teils

69

2. Teil

Der Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert bis zur Gesetzgebung des Deutschen Reiches 72 1. Abschnitt Die persönliche Geheimsphäre in der Staatsrechtslehre, in der Polizeiwissenschaft und in der Verwaltungsrechtswissenschaft A. Die Staatsrechtslehre des Deutschen Bundes (J. L. Klüber, H. Zoepfl, R. Maurenbrecher, H.A. Zachariä, K.E. Weiss) I. Das Oberaufsichtsrecht

72

72 73

II. Die persönliche Geheimsphäre als Grenze

74

III. Kritik am Oberaufsichtsrecht im Vormärz

76

B. Die natürliche Staatsrechtslehre I. Die natürliche Staatsrechtslehre im Vormärz

77 78

nsverzeichnis

10

1. Das Recht auf ein „abgeschlossenes, individuelles Selbstleben" bei K. C. F. Krause und H. Ahrens

78

a) K. C. F. Krause

79

b) H. Ahrens

80

2. Die Garantien einer persönlichen Geheimsphäre als Freiheitsrechte im süddeutschen Liberalismus

81

a) Die Verwerfung des Jus inspectionis"

81

b) Geheimnisschutz bei R. v. Mohl

83

c) Geheimnisschutz bei C. Welcker

83

aa) Die Gedankenfreiheit

84

bb) Der Hausfrieden

85

II. Die natürliche Staatsrechtslehre nach 1848/49

85

1. J. C. Bluntschli

86

2. F. Walter

87

C. Die Polizeiwissenschaft und die Verwaltungsrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts

88

I. Die Polizeiwissenschaft bis 1850: Der polizeiliche Wohnungsschutz und das Briefrecht bei R. v. Mohl

88

II. Die Verwaltungsrechtswissenschaft ab 1850

89

1. Anfänge eines Verwaltungsrechts

89

2. Das polizeiliche Hausrecht bei L. v. Stein

90

2. Abschnitt Die persönliche Geheimsphäre im Verfassungsrecht

91

A. Die verfassungsrechtliche Situation vor 1848

91

B. Die Frankfurter Reichsverfassung vom 28. 3. 1849

94

I. Der Schutz der Wohnung (§ 140 FRV) 1. Die Erste Lesung im Verfassungsausschuß 2. Die Diskussionen im Plenum der Nationalversammlung (1. Lesung)

94 95 96

a) Richtervorbehalt oder Gesetzesvorbehalt

96

b) Weitere Verhandlungsgegenstände

99

3. Die Zweite Lesung im Verfassungsausschuß 4. Bewertung des § 140 FRV in seiner endgültigen Fassung

99 100

nsverzeichnis II. Das Briefgeheimnis (§ 142 FRV)

11 101

1. Das Briefgeheimnis und die persönliche Geheimsphäre 2. Beschränkungen des Briefgeheimnisses

101 102

a) Die Erste Lesung im Verfassungsausschuß

102

b) Die Diskussionen im Plenum der Nationalversammlung (1. und 2. Lesung)

103

aa) Exkurs: Brief-oder Postgeheimnis

103

bb) Beschränkungen des Briefgeheimnisses

105

3. Die Zweite Lesung im Verfassungsausschuß

106

4. Bewertung des § 142 FRV in seiner endgültigen Fassung

107

III. Die allgemeine Beschlagnahme von Briefen und Papieren (§ 141 FRV)

107

C. Die verfassungsrechtliche Situation in den Partikularstaaten nach 1848/49

108

I. Der Wohnungsschutz

108

1. Die Verfassungsurkunden der Länder außer Preußen

108

2. Die Preußischen Verfassungsurkunden

109

a) Die „Charte Waldeck"

109

b) Die oktroyierte Verfassung vom 5. 12. 1848

110

c) Die revidierte Verfassung

110

II. Das Briefgeheimnis und das Verbot der Brief- und Papierbeschlagnahme

111

1. Die Verfassungsurkunden der Länder außer Preußen

111

2. Die Preußischen Verfassungsurkunden

112

a) Die „Charte Waldeck"

112

b) Die oktroyierte Verfassung

112

c) Die revidierte Verfassung

113

3. Abschnitt Die persönliche Geheimsphäre im Strafprozeßrecht A. Die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts I. Die Gesetzgebung

114 114 114

1. Die Zeugnisverweigerungsrechte

115

2. Die Urkundenedition

116

3. Die Hausdurchsuchung

117

nsverzeichnis II. Die Wissenschaft

119

1. Die Zeugnisverweigerungsrechte

119

2. Die Urkundenedition

120

3. Die Hausdurchsuchung

120

B. Das Strafprozeßrecht ab dem 5. Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts I. Die Wissenschaft

122 122

1. Die Zeugnisverweigerungsrechte

122

2. Die Urkundenedition

123

3. Die Beschlagnahme von Briefen und Papieren

124

4. Die Beschlagnahme von Briefen auf der Post

126

5. Die Durchsuchung

127

II. Die Gesetzgebung

129

1. Exkurs: Überblick über die Rechtsquellen des reformierten Strafprozesses ... 129 2. Die Zeugnisverweigerungsrechte und andere Bestimmungen zum Zeugenschutz 131 a) Die Strafprozeßordnung Württembergs von 1843

132

b) Die Strafprozeßordnung Badens von 1845

133

c) Die Entwicklung in den übrigen Territorialstaaten

133

aa) Die von der Zeugnispflicht befreiten Personengruppen

133

bb) Die Arten von Zeugnisverweigerungsrechten

134

cc) Die Belehrungspflicht

135

dd) Die Eidesverweigerungsrechte bzw. Vereidigungsverbote

135

ee) Unzulässige Fragen

135

3. Die Herausgabe und Beschlagnahme von Briefen und Papieren

136

a) Die Pflicht zur Herausgabe von Schriftstücken

136

b) Die Beschlagnahme von Schriftstücken

137

aa) Materielle Voraussetzungen

137

bb) Zuständigkeits-, Verfahrens- und Formvorschriften

138

cc) Die Beschlagnahmeverbote

140

(1) Beschlagnahmeverbote bis zur Strafprozeßordnung Württembergs von 1868 (2) Beschlagnahme- und Verwertungsverbot in der Strafprozeßordnung Württembergs von 1868 c) Die Beschlagnahme von Briefen auf der Post 4. Die Beschlagnahme sonstiger Beweismittel

140 141 143 144

nsverzeichnis

13

5. Die Durchsuchung (Wohnungs-, Personen- und sonstige Durchsuchungen) ... 145 a) Die allgemeine Hausdurchsuchung

145

b) Die spezielle Durchsuchung

147

aa) Die Durchsuchungsobjekte

147

bb) Die Durchsuchung beim Beschuldigten

147

cc) Die Durchsuchung bei Dritten

148

dd) Die Durchsuchung der Person

149

c) Der ,,Erforderlichkeitsgrundsatz"

150

d) Speziell: Das Nachtzeitverbot bei Hausdurchsuchungen

151

e) Die Anordnungszuständigkeit

152

f) Die Form-und Verfahrensvorschriften

152

4. Abschnitt Die persönliche Geheimsphäre im Strafrecht A. Die Gesetzgebung

154 155

I. Die Verletzung des Brief- bzw. Postgeheimnisses

155

1. Die Gesetzgebung in den Ländern bis zum Strafgesetzbuch Badens von 1845 155 a) Die Verletzung des Postgeheimnisses

155

b) Die Verletzung des Briefgeheimnisses durch Private

156

2. Das Strafgesetzbuch Badens von 1845

158

3. Das Strafgesetzbuch Preußens von 1851

159

II. Die Verletzung des Berufsgeheimnisses

160

1. Die Gesetzgebung in den Ländern bis zum Strafgesetzbuch Badens von 1845 160 a) Der Verrat von Amtsgeheimnissen

160

b) Die Verletzung des Berufsgeheimnisses durch private Vertrauenspersonen

160

2. Das Strafgesetzbuch Badens von 1845

161

3. Das Strafgesetzbuch Preußens von 1851

162

4. Das Strafgesetzbuch Bayerns von 1861

162

III. Der Hausfriedensbruch 1. Die Strafgesetzbücher von Bayern (1813), Oldenburg (1840) und Österreich (1852)

163 (1814), Hannover 163

14

nsverzeichnis 2. Der Hausfriedensbruch in den Strafgesetzbüchern ab dem Strafgesetzbuch Württembergs von 1839

164

3. Das Strafgesetzbuch Preußens von 1851

165

a) Der Hausfriedensbruch im Amt

165

b) Der einfache Hausfriedensbruch

165

B. Die Strafrechtswissenschaft

166

I. Die Verletzung des Briefgeheimnisses

166

Π. Die Verletzung des Berufsgeheimnisses

167

III. Der Hausfriedensbruch

168

Ergebnisse des Zweiten Teils

168

3. Teil

Der Schutz der persönlichen Geheimsphäre in der Reichsstrafprozeßordnung und im Reichsstrafgesetzbuch

173

1. Abschnitt Einführung: Kein Grundrechtsschutz im Kaiserreich

173

2. Abschnitt Persönlicher Geheimnisschutz in der Reichsstrafprozeßordnung

175

A. Die Zeugnisverweigerungsrechte

175

B. Die Beschlagnahme von Beweismitteln

177

I. Die allgemeine Beschlagnahme Π. Die Beschlagnahme von Briefen auf der Post

177 180

C. Die Durchsuchung (der Person, der Wohnung bzw. anderer Räumlichkeiten und beweglicher Sachen) 181 I. Keine Privilegierung der allgemeinen Durchsuchung Π. Die Zulässigkeit einer Durchsuchung

181 181

1. Materielle Voraussetzungen

181

2. Zuständigkeits-und Verfahrensvorschriften

182

3. Die Papierdurchsuchung

184

Inhaltsverzeichnis

15

3. Abschnitt Persönlicher Geheimnisschutz im Reichsstrafgesetzbuch von 1871 A. Die Verletzung des Brief- bzw. Postgeheimnisses I. Die Verletzung des Postgeheimnisses II. Die Verletzung des Briefgeheimnisses durch Private

184 184 184 185

B. Die Verletzung des Berufsgeheimnisses

186

C. Der Hausfriedensbruch

186

I. Der Hausfriedensbruch im Amt

186

II. Der einfache Hausfriedensbruch

187

Ergebnisse des Dritten Teils

188

Schlußbetrachtung

190

Literaturverzeichnis

194

Personenverzeichnis

207

Sachwortverzeichnis

210

Abkürzungsverzeichnis a. Α.

andere Ansicht

Abt.

Abteilung

AcP

Archiv diir die civilistische Praxis

AdCR

Archiv des Criminalrechts

Anm.

Anmerkung

AÖR

Archiv für Öffentliches Recht

APL

Preußisches Allgemeines Landrecht

Art.

Artikel

Aufl.

Auflage

Bd.

Band

Bde.

Bände

betr.

betreffend

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGH

Bundesgerichtshof

BT

Besonderer Teil

BT-Ds.

Bundestagsdrucksachen

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

ders.

derselbe

d. h.

das heißt

diss. iur.

Juristische Dissertation

DVP FRV

Deutsche Verwaltungspraxis Frankfurter Reichsverfassung

FS

Festschrift

GVG

Gerichtsverfassungsgesetz

h. M.

herrschende Meinung

Hrsg.

Herausgeber

hrsg. v.

herausgegeben von

JZ

Juristenzeitung

Kap.

Kapitel

NAdCR

Neues Archiv des Criminalrechts

ND

Neudruck

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

Nr.

Nummer

RN

Randnummer

RStGB

Reichsstrafgesetzbuch

RStPO

Reichsstrafjprozeßordnung

Abkürzungsverzeichnis St

Strafsachen

StGB

Strafgesetzbuch

StPO

Strafprozeßordnung

st. Rspr.

Ständige Rechsprechung

Teilbd.

Teilband

V.

von

vgl.

vergleiche

vo

Verordnung

Vol.

Volume

Vorbem.

Vorbemerkung

VU

Verfassungsurkunde

WRV

Weimarer Reichsverfassung

Ζ

Zivilsachen

ζ. Β.

zum Beispiel

ZStW

Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

2 Austermühle

17

Einleitung Die Forderung nach Schutz einer persönlichen Geheimsphäre entspringt dem Bedürfnis des Menschen nach einem der öffentlichen Einsichtnahme verschlossenen Eigenraum, einem abgeschirmten Rückzugsbereich, in dem er sich seiner individuellen Eigenart und Besonderheit entsprechend entfalten kann.1 Durch ein Ausforschen des privaten Lebens fühlt sich der Einzelne belästigt, bedrängt, in seinem Schamgefühl und seiner persönlichen Freiheit verletzt. Der Schutzraum, der mit der persönlichen Geheimsphäre bezeichnet ist, läßt sich kaum abschließend beschreiben, weil er in allen Lebensbereichen relevant werden kann und jederzeit neue Gefahrensituationen entstehen können.2 Um die persönliche Geheimsphäre zu bewahren, sind Sicherungen erforderlich gegen die unumschränkte Erhebung von Informationen aus diesem Bereich, die sich auf die verschiedenste Art und Weise vollziehen kann (Ausforschen, Beobachten, Kenntnisnahme, Auskunftsverlangen etc.). Im Grundgesetz ist die persönliche Geheimsphäre Bestandteil der Privatsphäre, die als Ausformung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistet wird. Letzteres garantiert „dem einzelnen Bürger einen unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung, der der Einwirkung der öffentlichen Gewalt entzogen ist. " 3 Als Spezialgewährleistungen können vor allem Art. 13 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung) und Art. 10 GG (Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis) angesehen werden. Ist eine dieser Spezialgewährleistungen nicht einschlägig, kommt Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Auffangfunktion zu. Das Bundesverfassungsgericht spricht im Hinblick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht von einem „unbenannten" Freiheitsrecht, das die speziellen „benannten" Freiheitsrechte ergänzt.4 Das Grundgesetz schützt die Privatsphäre lückenlos und in allen ihren Ausprägungen. Die Überwachungsfreiheit privater Kommunikation ist auch durch die Europäische Menschenrechtskonvention garantiert. 5 Art. 8 EMRK sichert jedermann den

1

L. Kruse, Privatheit als Problem und Gegenstand der Psychologie, S. 147 ff.; H. Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 268 ff. 2 H.-JJ. Ever s, Privatsphäre und Amter für Verfassungsschutz, S. 8. 3 BVerfG E 27,1 (6); auch schon BVerfG E 6, 32 (41); BVerfG E 389 (432 ff.). 4 BVerfG E 54, 148 (153); BVerfG E 51, 97 (105); BVerfG E 65 (140 f.); BVerfG E 67, 157 (171); G. Dürig, Gesammelte Schriften, S. 127 ff. (139 f.). 5 J. M. Bergmann, Das Menschenbild der Europäischen Menschenrechtskonvention, S. 162. 2*

20

Einleitung

Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs zu. Im allgemeinen geht man davon aus, daß der Privatsphärenschutz seinen historischen Ursprung im ausgehenden 19. Jahrhundert im Zivilrecht hat, weil mit der fortschreitenden Technisierung und der Ausweitung des Pressewesens die bis dahin für unangreifbar gehaltenen Schutzräume des privaten Lebens in Gefahr gerieten.6 Vor diesem Zeitraum, so nimmt man an, waren Eingriffe kaum zu befürchten, so daß folglich keine Notwendigkeit für eine rechtliche Absicherung bestand. Gelegentlich werden, auf den angelsächsischen Rechtsraum bezogen, die Abhandlungen J. S. Mills in seinem Werk „On Liberty" (1859) als frühe Beispiele für die Forderung nach Trennung zwischen Öffentlichem und Privatem und nach rechtlicher Sicherung der Privatsphäre angeführt. 7 Überwiegend wird als Auftakt einer intensiveren Beschäftigung mit der Privatsphäre aber der von den beiden Bostoner Anwälten Samuel D. Warren und Louis B. Brandeis verfaßte Aufsatz „Right to Privacy" 8 zitiert 9 , der wesentlich zur Durchsetzung des Privatsphärenschutzes („right to privacy", „right to be let alone") im amerikanischen Torts Law beitrug 10 und der mitunter als Auslöser für eine Beschäftigung mit der Privatsphäre in der deutschen Zivilrechtsliteratur des 19. Jahrhunderts angesehen wird. Hier waren es J. Kohler und O. Gierke, die erste Ansätze für eine Lehre vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht fanden. 11 Allerdings entstand die einschlägige Arbeit J. Kohlers 12 zeitlich früher als der Aufsatz von 6

H.-U. Evers, Privatsphäre und Ämter für Verfassungsschutz, S. 14; M. Mallmann, Zielfunktionen des Datenschutzes, S. 20 ff.; W. Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre; in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hisg.), Handbuch des Staatsrechts, 4. Bd., RN 11, S. 47 f. Vor Aufkommen der Technisierung sieht Schmitt Glaeser die Privatsphäre nur als räumlichen, auf die Wohnung begrenzten Schutzraum gewährleistet. 7 J. S. Mill , Über die Freiheit, 4. Kap.: „Über die Grenzen der Autorität der Gesellschaft über den Einzelnen", S. 102 ff.; vgl. die Kommentierung v. B. Gräfrath, J.S. Mill: „Über die Freiheit", S. 89 f.; ebenso: F. Olsen, Art.: „Privacy"; in: E. Craig (Hrsg.), Routledge Encyclopedia of Philosophy, S. 690. s S. Warren/L. D. Brandeis, „The Right to Privacy"; in: Harvard Law Review 1890, S. 193 ff. 9 Art.: „Rights of Privacy"; in: The New Encyclopaedia Britannica, Vol. 9, S. 712; F. Olsen, Art.: „Privacy"; in: E. Craig (Hrsg.), Routledge Encyclopedia of Philosophy, S. 691; M. Mallmann, Zielfunktionen des Datenschutzes, S. 23. 10 Ausführlich zum Right of Privacy in den USA: H.-P. Gotting, Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte, S. 168 ff. 11 Als früher Vorläufer wird bereits die aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammende, innerhalb der Literatur nur eine Minderheit bildende Richtung in der Privatrechtslehre angesehen, die das Urheberrecht als ein persönliches im Unterschied zum Eigentumsrecht bezeichnet hatte. Zuerst /. Kant, Die Metaphysik der Sitten, 1. Teil: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, S. 128 f.; J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, S. 109 f.; F. Dahn, Deutsches Rechtsbuch, S. 111 f.; L. J. Neustetel, Der Büchernachdruck nach Römischem Recht betrachtet, S. 48, 50; vgl. hierzu D. Le uze, Die Entwicklung des Persönlichkeitsrechts im 19. Jahrhundert, S. 80 ff.; H. Coing , Europäisches Privatrecht, 2. Bd., S. 298.

Einleitung

Warren und Brandeis, so daß die Annahme H. Ehmanns nicht von der Hand zu weisen ist, der das amerikanische „right to privacy" oder „right to be let alone" als einen Reimportartikel bezeichnet unter Hinweis auf die Lebensgeschichte von Brandeis, der mit der deutschen Rechtsliteratur offensichtlich vertraut war. 13 Nach Auffassung Kohlers sollte das Zivilrecht die Persönlichkeit nicht länger nur ausschnittweise, vielmehr die Gesamtheit der persönlichen Güter schützen.14 Bei Gierke schließlich bildete einen wesentlichen Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts das „Heiligtum des geistigen Innenlebens", vor allem das Briefund Schriftengeheimnis sowie der Hausfrieden. 15 Die Wurzeln unseres heutigen Privatsphärenschutzes liegen jedoch zeitlich sehr viel früher, und zwar - bezogen auf das Postgeheimnis bereits im 17. Jahrhundert - hinsichtlich der sonstigen Garantien einer persönlichen Geheimsphäre in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in der deutschen Staatsrechtslehre des Spätabsolutismus, deren Ziel es war, individuelle Freiräume gegen den Zugriff des absolutistischen Staates zu verteidigen, und die sich speziell auch mit einem schutzbedürftigem Privatbereich beschäftigte. Die Bezeichnung „Privatsphäre" wurde bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein noch nicht verwendet. Die Rede war von einem Schutz der Familienund sonstigen privaten Geheimnisse bzw. einem Recht auf Geheimsphäre, weshalb die Arbeit mit diesem Titel überschrieben wurde und im folgenden überwiegend dieser Begriff verwendet wird. Ziel der Arbeit soll es sein, die historischen Wurzeln eines Privatsphärenschutzes auf den verschiedenen Rechtsgebieten vom deutschen Spätabsolutismus bis hin zur Gesetzgebung des Deutschen Reiches nach 1871 aufzuzeigen. In diesem Zeitraum erblickte man die Hauptform der Privatheitsbeeinträchtigung in dem unerwünschten Überwachen und Ausforschen des persönlichen Lebensbereichs durch den Staat. Privatsphäre äußerte sich vorwiegend als persönlicher Geheimnisschutz, konzentriert auf die engere private Lebenssphäre, vor allem den häuslichen, familiären Bereich. Übergriffe befürchtete man sehr viel mehr von Seiten des Staates als von Seiten privater Dritter. Die persönliche Geheimsphäre bezeichnete einen Schutzraum, mit dem der einzelne Freiheit vom Staat begehrte. Sie wurde als eine gegen staatliche Überwachung gerichtete Rechtsposition begriffen.

12 J. Kohler, Das Autorrecht; in: Jahrbücher für die Dogmatik, 18. Bd. (1880), S. 129 ff. 13

H. Ehmann, Informationsschutz und Informationsverkehr im Zivilrecht, AcP 188 (1988), S. 233. u J. Kohler,, Das Autorrecht; in: Jahrbücher für die Dogmatik, 18. Bd. (1880), S. 257; ders., Bürgerliches Recht; in: J. Kohler (Hrsg.), Encyclopädie der Rechtswissenschaft, 1. Bd., S. 587; ders., Recht an Briefen; in: Deutsche-Juristen-Zeitung (1906), S. 51 ff. 15 O. Gierke , Deutsches Privatrecht, 1. Bd., S. 702.

22

Einleitung

Der Schwerpunkt der Untersuchung wird deshalb auf dem Gebiet der Staatsrechtslehre, des Verfassungsrechts und des Strafprozeßrechts liegen. Auch das Strafrecht ist in die Untersuchung einzubeziehen, weil den Amtsstraftatbeständen in diesem Zeitraum - mitunter bereits im 18. Jahrhundert - die Funktion zukam, persönliche Geheimhaltungsinteressen der Untertanen gegenüber rechtswidrig handelnden Amtsträgern, d. h. gegenüber dem Staat, zu schützen. Der erste Teil bezieht sich auf die Zeit des deutschen Spätabsolutismus. Auf dem Gebiet der Staatswissenschaften war dies die Phase des aufgeklärten Absolutismus, dessen Entwicklung schwerpunktmäßig in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts anzusiedeln ist, der jedoch auch im frühen 19. Jahrhundert noch seine Nachwirkungen zeigte. Hier sind vor allem die Staatsrechtler J. S. Pütter, K. F. Häberlin, G. Hufeland, H. G. Scheidemantel und K.A. v. Martini von Bedeutung. Während sie einerseits von einem umfassenden Überwachungs- und Beaufsichtigungsrecht des Fürsten, einem „ius inspectionis", als Inbegriff der Allgewalt des absolutistischen Staates auf seinem Höhepunkt ausgingen, beschäftigten sie sich andererseits intensiv - ganz im Sinne des spätabsolutistischen Bemühens um Machtbegrenzung - mit den Grenzen dieses Rechts. Man war sich bewußt, daß ein solches Überwachungsrecht in der Hand des absoluten Fürsten, selbst wenn es in den Dienst der Wohlfahrtsförderung in einem aufgeklärten Staat gestellt wurde, leicht in Despotie und Bevormundung ausarten konnte. Es ging darum, die natürliche Freiheit des einzelnen - speziell einen privaten Geheimbereich - gegen ein „ius inspectionis" des Staates so gut wie möglich zur verteidigen. Aus der Beschäftigung mit der Grenze zwischen staatlicher Überwachung und privatem Geheimbereich erwuchsen auf bestimmte Lebensbereiche bezogene Teilgarantien einer persönlichen Geheimsphäre. Während in den Staatswissenschaften des ausgehenden 18. Jahrhunderts somit bereits eine recht genaue Vorstellung von der Bedeutung einer persönlichen Geheimsphäre existierte, schützten das Strafrecht und vor allem das noch ganz im Zeichen des Inquisitionsverfahrens stehende Strafprozeßrecht in diesem Zeitraum Geheimhaltungsinteressen nur bruchstückhaft. Der zweite Teil beschäftigt sich mit dem Schutz von individuellen Geheimhaltungsinteressen in Wissenschaft und Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts bis zur Gesetzgebung des Deutschen Reiches. Der maßgebende Einfluß ging wiederum von den Staatswissenschaften aus, wobei sich in der Allgemeinen Staatslehre des Vormärz eine subjektive Betrachtungsweise, die die einzelnen Bereiche der Geheimsphäre nicht länger als selbst gesetzte Grenzen souveräner Herrschaftsgewalt, sondern als subjektive Freiheitsrechte begriff, durchzusetzen begann. Mit dem staatsrechtlichen Liberalismus wurden von Autoren wie C. Welcker, C. v. Rotteck und R.v. Mohl die abstrakten Grundsätze in konkrete politische Forderungen an den Gesetzgeber umgewandelt. Diese Ideen mündeten in der Schaffung entsprechender verfassungsrechtlicher, strafprozessualer und auch strafrechtlicher Bestimmungen.

Einleitung

Im einzelnen soll beschrieben werden, wie sich mit immer präziser werdenden Gesetzen über die Durchsuchung, die Brief- und Papierbeschlagnahmen und die Zeugnisverweigerungsrechte im Strafprozeßrecht sowie über die Verletzung des Brief- bzw. Postgeheimnisses, des Berufsgeheimnisses und den Hausfriedensbruch im Strafrecht allmählich ein gesetzlicher Geheimnisschutz in den Ländern herausbildete. Der dritte Teil bezieht sich auf die Gesetzgebung nach der Gründung des Deutschen Reiches. Nach dem Scheitern der Frankfurter Nationalversammlung setzte sich die verfassungsrechtliche Entwicklungslinie noch einige Zeit in den nach 1848/49 erlassenen Verfassungen der Einzelstaaten fort. Die Regelungen in der revidierten preußischen Verfassungsurkunde von 1850 erreichten jedoch nicht mehr den mit der Frankfurter Reichsverfassung hinsichtlich der persönlichen Geheimsphäre erreichten Schutzstandard. Die Reichsverfassung von 1871 enthielt überhaupt keinen Grundrechtsteil mehr. Auch in der Staatsrechtslehre erkannte man vorstaatliche Grundrechte nicht mehr an. Die bis dahin in Wissenschaft und Gesetzgebung der Länder hinsichtlich des Geheimsphärenschutzes erreichten Ergebnisse flössen aber ein in das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 und in die Reichsstrafprozeßordnung von 1879. Mit den Reichsjustizgesetzen (RStPO/RStGB) war die Entwicklung eines persönlichen Geheimnisschutzes auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts abgeschlossen. Die Forderungen nach Wahrung der Familiengeheimnisse, vor allem des Wohnungsschutzes, der Unverletzlichkeit des Postgeheimnisses, des Briefgeheimnisses und ähnlicher Garantien waren einfachgesetzlich umgesetzt. Von da an lag der Schwerpunkt der weiteren Entwicklung auf dem Gebiet des Privatrechts. In den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wurde mit der Lehre vom „allgemeinen Persönlichkeitsrecht" in der Privatrechtswissenschaft eine neue Entwicklungslinie eingeleitet.

7. Teil

Entstehung und Entwicklung eines Geheimsphärenschutzes in der Zeit des deutschen Spätabsolutismus 1. Abschnitt

Die persönliche Geheimsphäre in der Staatsrechtslehre und in der Polizeiwissenschaft A. Die Staatsrechtslehre des aufgeklärten Absolutismus (1750-1806) I . Einführung

Gegenstand der Untersuchung im folgenden ist die Staatsrechtslehre des aufgeklärten Absolutismus, die ihren Anfang in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nahm, bis in das frühe 19. Jahrhundert hinein fortwirkte und die die Grundlage bildete für die frühkonstitutionelle Staatsrechtslehre des Vormärz und die Staatsrechtslehre des Liberalismus. Sie enthielt die Wurzeln des heutigen durch die Verfassung garantierten Rechts auf Privatsphäre im Sinne eines persönlichen Geheimsphärenschutzes. Die Geheimsphäre als ein allgemeines, alle denkbaren Lebensbereiche erfassendes Recht war allerdings noch unbekannt. Vorerst beschäftigte sich das staatsrechtliche Schrifttum nur mit Teilgarantien einer solchen, vor allem dem Schutz der Familiengeheimnisse, der Unverletzlichkeit des Hauses, dem Brief- und Postgeheimnis, dem Berufsgeheimnis, ζ. B. von Ärzten und Rechtsanwälten, sowie dem Recht, die Ablegung des Zeugnisses zu verweigern. Die Zeugnispflicht im Sinne eines staatlichen Auskunftsverlangens begriff man als Eingriff in den persönlichen Geheimbereich, vor allem dann, wenn sie sich auf nahe Angehörige bezog. Diese Garantien besaßen noch nicht die Qualität von positiv rechtlich anerkannten Rechtspositionen der Untertanen. Abgesehen von dem gesetzlich bereits verbrieften Postgeheimnis zählten sie nicht zu den „wohlerworbenen Rechten", d. h. zu den durch gesetzliche Regelungen oder durch Herkommen erworbenen Rechtspositionen. Die Staatsrechtslehre behandelte die oben aufgezählten Teilgarantien

1. Abschn.: Geheimsphäre in Staatsrechtslehre und Polizeiwissenschaft

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im Abschnitt über die Majestätsrechte des Souveräns. Sie bezeichneten dort die objektiven Grenzen staatlicher Machtausübung, speziell der Ausübung des Oberaufsichtsrechts des Staates bzw. des „ius inspectionis", das in der Staatsrechtslehre des aufgeklärten Absolutismus eine zentrale Rolle spielte. Das „ius inspectionis" wurde mitunter als eigenständiges Majestätsrecht neben den „klassischen" Regierungsrechten verstanden. Es war sowohl Bestandteil der Reichs- als auch der Landeshoheit. Seine Ausübung wurde gleichermaßen dem Kaiser wie jedem Landesfürsten zugebilligt. Es beinhaltete im wesentlichen das Recht des Souveräns, über alles, was im Staat vor sich ging, Erkundigungen einzuziehen. Hauptsächlich umfaßte es also Maßnahmen zum Zweck der Informationsbeschaffung. Daneben ordnete man ihm eine beschränkte Anzahl von „Zubehörrechten" 1 zu, ζ. B. das Erteilen und Verweigern von Genehmigungen, insbesondere die Bestätigung von gesellschaftlichen Zusammenschlüssen im Staat sowie solcher Rechtsgeschäfte, die Einfluß auf das Allgemeinwohl haben konnten. So verstanden, war das „ius supremae inspectionis" der „Inbegriff aller behördlichen Aufsichts-y Informations- und Uberwachungsrechte gegenüber der Gesellschaft, im Dienste der Schutzpflicht und der Wohlfahrtsförderung " 2. Dem Souverän war damit zugleich ein Mittel an die Hand gegeben, um unter dem Vorwand der Wohlfahrtsförderung weitreichend in den privaten Lebensbereich einzugreifen. Die Gefahr, die vom „ius supremae inspectionis" ausging, wurde von den Staatsrechtlern erkannt. Infolgedessen beschäftigte man sich intensiv mit den Grenzen eines solchen Oberaufsichtsrechts. 3 Hierbei spielte die Selbstbindung des Souveräns an den Staatszweck, das Grundprinzip aufgeklärter Staatstheorie, eine besondere Rolle. Außerhalb der wenigen gesicherten, dem staatlichen Zugriff entzogenen Rechtspositionen der Untertanen war es der Staatszweck, der in der staatsrechtlichen Literatur der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Grenze zwischen Freiheit und Unfreiheit zog und den Umfang der Freiheit festlegte, der dem Einzelnen innerhalb der staatlichen Gemeinschaft verblieb. In die Freiheitssphäre des Einzelnen durfte der Staat nur in dem Umfang eingreifen, in dem der Staatszweck es konkret erforderte. Zur Freiheitssphäre des Untertanen zählten alle solchen Lebensbereiche, die man für staatszweckneutral, d. h. für die Erreichung des Staatszwecks irrelevant, erachtete.4 Noch war die so definierte Freiheit unsicher, da sie im vollkommenen Abhängigkeitsverhältnis stand zum Inhalt des Staatszweckbegriffs. Je extensiver man die1 v. Bosse, Art.: „Aufsicht", in: J. S. Ersch/J. G. Gruber (Hrsg.), Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Künste, 6. Teil, S. 330. 2 C. Link, Art.: „Johann Stephan Pütter"; in: M. Stolleis (Hrsg.), Staatsdenker in der frühen Neuzeit, S. 326. 3 Wie die oberaufsehende Gewalt zu begrenzen sei, war in Göttingen Inhalt einer Preisfrage. Aufgrund dessen entstand die Arbeit von C. A. Tittmann, De ambitu et limitibus iuris supremae inspectionis, Göttingen 1796. 4 D. Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte, S. 60 ff.

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1. Teil: Entstehung und Entwicklung eines Geheimsphärenschutzes

sen definierte, desto geringer war der Freiraum, der dem Einzelnen verblieb. 5 C. Wolff hatte - für die Epoche des Absolutismus maßgebend - den Staatszweck noch bestimmt als „Beförderung der gemeinen Wohlfahrt und Erhaltung der Sicherheit". 6 Wohlfahrt bedeutete nicht nur die materielle Versorgung, sondern ebenso sehr die Sorge für die Bequemlichkeit (commoditas) und die Annehmlichkeit (iucunditas) der Untertanen. Solange der absolutistische Wohlfahrtstaat sich anmaßte, über das private Glück seiner Bürger zu bestimmen, war eine Argumentation mit dem Staatszweck wenig erfolgversprechend, um private Freiräume zu schaffen. Es bedurfte hierzu einer Beschränkung auf die Abwehr von Rechtsverletzungen. In dieser Hinsicht lieferte die staatsrechtliche Literatur ab der Mitte des 18. Jahrhunderts erste Ansätze und ebnete damit den Weg für die Anerkennung von staatsfernen privaten Schutzräumen.7 Durch die auf bestimmte Lebensbereiche bezogene intensive Beschäftigung mit der Grenze zwischen Freiheit und Unfreiheit gelangte man zu präzisen Aussagen über den Inhalt der privaten Freiheitssphäre. Diese lieferten der späteren Staatsrechtslehre den Ansatzpunkt, um aus noch ungesicherten Freiräumen subjektive Rechtspositionen zu formen. Ausgehend von einem neu definierten Staatszweck arbeitete man für den Bereich des „ius inspectionis" die Voraussetzungen heraus, unter denen es ausgeübt werden durfte. Aus der Grenzziehung heraus entstand ein Geheimsphärenschutz, der als Vorstufe eines modernen Grundrechtsschutzes der persönlichen Geheimsphäre angesehen werden kann.8 Die im folgenden zitierten Staatsrechtler sind verschiedenen Richtungen zuzuordnen. In der Staatsrechtslehre des aufgeklärten Absolutismus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts lassen sich zwei Grundrichtungen voneinander unterscheiden, die beide jeweils bis in das frühe 19. Jahrhundert hinein fortwirkten: eine reichspublizistische und eine naturrechtliche Entwicklungslinie, wobei letztere am Ende des 18. Jahrhunderts unter dem Einfluß der französischen Revolution stand. Die Reichsstaatsrechtler sahen ihre Aufgabe darin, das gesamte im Reich und in den Territorien geltende Rechtsquellenmaterial zu sammeln und zu systematisieren, während auf naturrechtliche Begründungsversuche weitgehend verzichtet wurde. 9 Im 18. Jahrhundert zählte zu den bekanntesten Vertretern einer streng am 5

D. Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte, S. 62. C. Wolff, Vernünftige Gedanken von dem Gesellschaftlichem Leben der Menschen und insonderheit dem gemeinen Wesen, §§ 214 ff. 7 Zur Ablehnung der Glückseligkeit als Staatszweck in der Naturrechtslehre des ausgehenden 18. Jahrhunderts vgl. auch D. Klippel, Naturrecht als politische Theorie, in: H. E. Bodeker/U. Herrmann (Hrsg.), Aufklärung als Politisierung, Politisierung der Aufklärung, S. 274. 8 C. Link, Art.: »Johann Stephan Pütter"; in: Af. Stolleis (Hrsg.), Staatsdenker der frühen Neuzeit, S. 326; ders., Naturrechtliche Grundlagen des Grundrechtsdenkens; in: D. MayerMaly/P. M. Simons (Hrsg.), Das Naturrechtsdenken heute und morgen, S. 93. 9 Vgl. im Hinblick auf J.S. Pütter: D. Wyduckel, lus publicum, S. 202 ff.; M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 1. Bd., S. 258 ff. 6

1. Abschn.: Geheimsphäre in Staatsrechtslehre und Polizeiwissenschaft

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geltenden Recht orientierten Reichspublizistik Johann Jacob Moser (1701 -1785). Für das Thema eines Geheimsphärenschutzes sind seine Werke 10 allerdings nicht ergiebig, weil das Oberaufsichtsrecht des Souveräns und die persönliche Geheimsphäre als Grenze nur in der Theorie der Staatswissenschaften existierten, hingegen keinen Niederschlag in den geltenden Rechtsquellen gefunden hatten. Eine Ausnahme stellte insoweit nur das Postgeheimnis dar, das im deutschen Reich zu dieser Zeit bereits zum Teil gesetzlich verbrieft war. Aber auch dieses fand bei Moser zumindest keine spezielle Erwähnung. 11 Sehr viel wichtiger für die Lehre vom Oberaufsichtsrecht und dessen Grenzen war der Göttinger Professor J.S. Pütter 12, der in seinen Werken immer wieder auf naturrechtliche Begründungen zurückgriff, wo es an Regelungen im geltenden Recht fehlte. 13 Dadurch bot sich Raum für eine theoretische Auseinandersetzung mit dem „ius inspectionis" und seinen Grenzen. Weitere Vertreter der reichspublizistischen Linie, deren Werke noch im 18. Jahrhundert erschienen, waren K. F. Häberlin (1720-1787), Schüler Pütters und ebenfalls noch Vertreter der alten Reichsstaatsrechtslehre 14 sowie schließlich der Historiker A. L. Schlözer (1735-1809). 15 Die Zeit zwischen 1800 und 1806 bildete die Spätphase der Reichspublizistik, die ihrer Struktur und ihrem Inhalt nach jedoch der älteren Reichsstaatsrechtlehre des 18. Jahrhunderts glich. Wieder ging es um Beschreibung und Systematisierung des Verfassungsgefüges. 16 Zu den Staatsrechtlern, die im Zeitraum zwischen 1800 und 1806 noch entsprechende Lehrbücher veröffentlichten, gehörten T. v. Schmalz (1760-1831), der im Anschluß an seine natürliche Staatsrechtslehre von 1795, von der noch die Rede sein wird, im Jahr 10 Hauptwerke: Teutsches Staatsrecht, 53 Bde. (1737-1754); Neues Teutsches Staatsrecht (1766-1775), 43 Bde. (1766-1782); Grundriß des heutigen Staats- und Verfassungsrechts des Teutschen Reiches, 1731. 11 Das Postgeheimnis war zunächst Gegenstand der Wahlkapitulation von 1690. Von Beginn des 18. Jahrhunderts an wurden Verletzungen des Postgeheimnisses in den Preußischen Postordnungen strafrechtlich sanktioniert. Der 5. Band von Mosers Teutschem Staatsrecht beschäftigte sich mit der Materie des Postwesens. Es handelt sich um eine Schilderung der Entstehungsgeschichte des Postwesens im Kampf zwischen Kaiser und Reichsständen, der allmählichen Beschränkung des kaiserlichen Postregals und der Errichtung von Landespostanstalten durch die Territorialfürstentümer. J. J. Moser, Teutsches Staatsrecht, 5. Teil (Worinnen sonderlich die Materie von dem Postwesen enthalten. ..),§§ 182, 184,185. 12 Die in Göttingen gelehrte Staatsrechtslehre wird von M. Stolleis wegen ihrer Erstrekkung auf historische und polizeiwissenschaftliche Fächer als eigenständige, d. h. dritte Entwicklungslinie des ausgehenden 18. Jahrhunderts, behandelt: M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 1. Bd., S. 267. 13 C. Link, Art.: »Johann Stephan Pütter", in: M. Stolleis (Hrsg.), Staatsdenker in der frühen Neuzeit, S. 316; H. Mohnhaupt, Art.: „Pütter, Johann Stephan"; in: M. Stolleis (Hrsg.), Juristen, S. 505. 14 E. Schmidt-Aßmann, Der Verfassungsbegriff in der deutschen Staatslehre der Aufklärung und des Historismus, S. 40 ff. 15 Hauptwerk: Allgemeines Staatsrecht und Staatsverfassungslehre, 1793; vgl. die Einordnung Schlözers bei M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 2. Bd., S. 56 f. 16 M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 2. Bd., S. 53 ff.

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1. Teil: Entstehung und Entwicklung eines Geheimsphärenschutzes

1805 ein reichspublizistisches Werk verfaßte 17, sowie Ν. T. Gönner (1764-1827) 18 und der Göttinger Professor J. C. Leist (1770-1858). 19 In der Behandlung eines persönlichen Geheimsphärenschutzes unterschieden sich diese Lehrbücher nur geringfügig von der Reichsstaatsrechtslehre des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Die zweite Strömung bildeten das Naturrecht und seine Spezialdisziplin20, das „ius publicum universale" oder natürliche Staatsrecht. Dieser Entwicklungslinie der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die bis in das frühe 19. Jahrhundert hinein fortlebte und schließlich in die Allgemeine Staatslehre einmündete, sind J.C. Darjes (1714-1791) 21 , D. Nettelbladt (1719-1791) 22 und H.G. Scheidemantel (1739-1788) 23 von den älteren sowie L. J. F. Höpfner (1743-1797) 24 , G. H. Hufeland (1760-1817) 25 , T. v. Schmalz (1760-1831) 26 und J. C. Hoffbauer (17661827) von den jüngeren Naturrechtlern zuzuordnen. In Osterreich wurde die natürliche Staatsrechtslehre vor allem durch Κ. A. v. Martini (1726-1800) repräsentiert. 27 Daneben wurden einige weniger bedeutende Naturrechtslehrbücher verfaßt, die die bereits zuvor gewonnenen Erkenntnisse zum Thema eines persönlichen Geheimnisschutzes zusammenfaßten. 28

II. Das „ius inspectionis" des Fürsten 1. Seine Herkunft; das „ius inspectionis" als Bestandteil des „ius maiestaticum circa sacra"

In der Staatsrechtslehre beschäftigte man sich mit dem „ius inspectionis" oder Oberaufsichtsrecht als einem umfassenden Überwachungs- und Beaufsichtigungs17

T. v. Schmalz, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, 1805. is N. T. Gönner, Teutsches Staatsrecht, 1804. 19 J. C. Leist, Lehrbuch des Teutschen Staatsrechts, 1803. 20

M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 1. Bd. S. 267. 21 Discours über sein Natur- und Völkerrecht, 1762. 22 Versuch einer Anleitung zu der ganzen Practischen Rechtsgelahrtheit, 1767; Systema elementare universae jurisprudentia naturalis, 1762. 23 Hauptwerke: Repertorium des teutschen Staats- und Lehnrechts, 1. und 2. Bd., 1783; Das allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, 1775. 24 Naturrecht des einzelnen Menschen, der Gesellschaften und der Völker, 1790. 25 Hauptwerke: Lehrsätze des Naturrechts und der damit verbundenen Wissenschaften, 1795; Versuch über den Grundsatz des Naturrechts, 1785. 26 Hauptwerk: Das natürliche Staatsrecht, 1. Aufl. 1794; vgl. die Einordnung bei M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 1. Bd, S. 296. 27 Hauptwerk: Erklärung der Lehrsätze über das Allgemeine Staats- und Völkerrecht, 1791; vgl. die Einordnung bei M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 1. Bd., S. 295. 28 Z. B.: J.G. Buhle (1763-1821), Lehrbuch des Naturrechts, 1798; J.C.G. Schaumann (1763-1821), Wissenschaftliches Naturrecht, 1792.

1. Abschn.: Geheimsphäre in Staatsrechtslehre und Polizeiwissenschaft

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recht erst ab der Mitte des 18. Jahrhunderts. Vor diesem Zeitpunkt war in der staatsrechtlichen Literatur nur von einzelnen Bestandteilen eines solchen Rechts die Rede 29 , so ζ. B. vom Recht des Herrschers, Besichtigungen im Land durchzuführen 30, oder vom Recht, Konzessionen zu erteilen 31 oder Rechtsgeschäfte zu bestätigen.32 Vor 1750 war das „ius supremae inspectionis" nur im Kirchenrecht ein Begriff. Die Bezeichnung des kirchlichen Inspektionsrechts war bereits ab dem 16. Jahrhundert in Gebrauch, nachdem die kirchenregimentlichen Befugnisse allmählich in die Hand des Landesherrn gelangten.33 Hintergrund war die durch die Reformation begünstigte Herausbildung - zunächst in den evangelischen Gebieten - eines territorialen Kirchenwesens, in dem der Territorialherr zugleich Oberhaupt der Kirche war. Das kirchliche Inspektionsrecht war eines der Instrumente, mit denen der Landesfürst seine Machtposition befestigte und den Aufbau des absolutistischen Territorialstaates in die Wege leitete. Vom Kirchenrecht wurde der Begriff ab 1750 ins Staatsrecht übernommen und zu einem umfassenden Beaufsichtigungs- und Uberwachungsrecht des Fürsten in weltlichen Angelegenheiten ausgebaut.34 Nebenbei setzte sich seine Entwicklung in der staatskirchenrechtlichen Literaur fort. Auf diese parallele Entwicklungslinie, die bis in das 19. Jahrhundert hinein fortwirkte, soll an dieser Stelle hingewiesen werden. In den Kirchenrechtslehrbüchern beider Konfessionen spielte das „ius supremae inspectionis" eine zentrale Rolle. Als Bestandteil des „ius maiestaticum circa sacra", d. h. des landesobrigkeitlichen Kirchenregiments, berechtigte es den Staat dazu, sich genaue Kenntnis von dem Zustand der Kirche, ihrer Einrichtungen und Tätigkeiten zu verschaffen. 35 Zweck war es, die Kirche in ihren Schranken zu halten und mit dem Staatswohl in Enklang zu bringen. Ausflüsse dieses Rechts waren das „ius placiti regii", d. h. das Recht, die öffentlichen Erlasse und Anordnun29 Vgl. die Literaturübersicht bei J. S. Pütter, Litteratur des Teutschen Staatsrechts, 3. Bd., S. 300 ff. 30 A. Fritsch, De visitationibus provincialibus utiliter instituendis, 1671. 31 G. Engelbrecht, Dissertatio de clausulis concessionum principis, 1678. 32 /. C. Falkner, De confirmatione iudiciali contractuum aliorumque actuum, 1669; J. S. Stryck, Dissertatio de confirmatione principis, 1695. 33 O. Mejer, Lehrbuch des Deutschen Kirchenrechts, S. 175 f. (176). 34 v. Bosse, Art.: „Aufsicht", in: J. S. Ersch/J. G. Gruber (Hrsg.), Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Künste, 6. Teil, S. 330; eine frühe Bearbeitung fand das Thema in der juristischen Dissertation von D. E. I. F. Mantzel, De principum protestantium iure supremae inspectionis generali in sacra et politica Germanice: Von der landesherrlichen Oberaufsicht, diss, iur., Rostock 1757. 35 Es wurden beispielhaft einige in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verfaßte Kirchenrechtslehrbücher ausgewertet: F. Walter, Lehrbuch des Kirchenrechts aller christlichen Confessionen, S. 106; A. L. Richter, Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchenrechts, S. 103; K. F. Eichhorn, Grundsätze des Kirchenrechts der Katholischen und Evangelischen Religionspartei in Deutschland, S. 188 ff.; G. Wiese, Grundsätze des Gemeinen in Deutschland üblichen Kirchenrechts, S. 149.

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1. Teil: Entstehung und Entwicklung eines Geheimsphärenschutzes

gen der Kirchenbehörden zu kontrollieren, das Bestätigungrecht bei der Anstellung kirchlicher Beamter und das Recht des „recursus ab abusu", wonach bei einem Mißbrauch der geistlichen Amtsgewalt der Schutz der weltlichen Obrigkeit angerufen werden konnte. 36 Das „ius inspectionis", das ab 1750 in die Staatsrechtslehre Eingang fand, bezog sich auf die Beaufsichtigung der einzelnen Untertanen in weltlichen Angelegenheiten. Ein religiöser Bezug blieb aber auch beim Oberaufsichtsrecht in weltlichen Sachen zunnächst bestehen. So sollte es dazu dienen, die sich im 18. Jahrhundert in Deutschland ausbreitenden Geheimbünde zu überwachen. Hinter diesen gleichermaßen politische wie religiöse Ziele verfolgenden Gesellschaften vermutete man sowohl staatsfeindliche als auch freidenkerische, mit der christlichen Religion nicht vereinbare Absichten.

2. Exkurs: Das „ius inspectionis" und die „Geheimen Gesellschaften"

Den Anlaß zur Erfindung dieses neuen Majestätsrechts lieferten die im 18. Jahrhundert in Deutschland entstehenden sogenannten „Geheimen Gesellschaften", insbesondere die Freimaurerlogen. Der Argwohn gegenüber den geheimen Gesellschaften trat bei fast allen Staatsrechtlern, die sich mit dem „ius inspectionis" beschäftigten, zutage. Man hielt das Thema für so wichtig, daß man mitunter im Kapitel über das Oberaufsichtsrecht der Beschäftigung mit den „Geheimen Gesellschaften" einen eigenen Abschnitt widmete. „Da auch unter der Decke der Religion die größten Meutereien und Staatsverbrechen versteckt worden sind, so ist auch solchen heilig scheinenden Privatzusammenkünften unter keinem Vorwand zu trauen ... Eine vernünftige Verfassung erlaubt keine heimlichen Zusammenkünfte, sie erkennt keine Gesellschaften für rechtmäßig als diejenigen, welche ausdrücklich oder stillschweigend von der Majestät bewilligt worden sind." 37

Vor allem in diesem Bereich sollte das Oberaufsichtsrecht des Staates wirksam werden und Mittel zur Aufsicht und Kontrolle sein. In Deutschland verbreiteten sich die „Geheimen Gesellschaften" erst im 18. Jahrhundert. Während sie in einigen Territorien staatlich geduldet waren, waren sie in

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F. Bluhme, System des in Deutschland geltenden Kirchenrechts, S. 29 f. H G. Scheidemantel, Repertorium des Staatsrechts, 1. Teil, S. 239 f.; vgl. auch J. G. Darjes, Discours über sein Natur - und Völkerrecht, 2. Bd., S. 978; G. Hufeland, Lehrsätze des Naturrechts, 2. Teil, § 476, S. 250 f.; K. F. Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, § 216, S. 145; J. S. Pütter, Institutiones iuris publici Germanici, nach der von C.A.F. Graf von Hohental übersetzten, von F. W. Grimm mit einer Vorrede und Anmerkungen versehenen deutschen Ausgabe mit dem Titel „Anleitung zum Teutschen Staatsrechte", 2. Bd., § 219, S. 8 f.; K. A. v. Martini, Erklärung der Lehrsätze über das allgemeine Staats - und Völkerrecht, § 98, S. 120 f.; J. C. G. Schaumann: Wissenschaftliches Naturrecht, § 587, S. 326 f. 37

1. Abschn.: Geheimsphäre in Staatsrechtslehre und Polizeiwissenschaft

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anderen verboten. Ihre gemeinsamen Postulate lassen sich zusammengefaßt als sozial, antiständisch und in religiöser Hinsicht tolerant bezeichnen.38 Charakteristisch für Gesellschaften dieser Art war vor allem der strenge Verschwiegenheitskodex, an den sich ihre Mitglieder zu halten hatten. „Die übrige innere Verfassung dieser Gesellschaften und deren eigentliche Absicht aber solle vor dem Publico ein unerforschliches Geheimnis seyn und bleiben." 39

Über Mitglieder, Satzung und Tätigkeiten hatten die Angehörigen eines Bundes Stillschweigen zu bewahren. In der absolutistischen, ständisch gegliederten Gesellschaft des 18. Jahrhunderts war ein Praktizieren der Ideen der Bünde nur in deren Innenbereich denkbar, was ein Abschließen nach außen, d. h. die Schaffung eines geschützten Geheimbereichs, erforderlich machte.40 Gerade der strenge Verschwiegenheitskodex machte die „Geheimen Gesellschaften" zur Zielscheibe zahlreicher Spekulationen und Befürchtungen. Man glaubte, daß der „äußerst scharfe Eyd der Verschwiegenheit, welchen alle Eintretenden ablegen müssen, allerdings einen gegründeten Verdacht an die Hand gebe, daß notwendiger Weise Dinge vorgehen müssen, bey denen man das Licht scheue."41

Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde in der öffentlich-rechtlichen Literatur heftig über Nutzen und Schaden der Gesellschaften diskutiert. Die Meinungen waren gespalten. Einige hielten die Geheimbünde für unschädlich und befürworteten eine Tolerierung durch die Regenten42, weil „die größte Weisheit des Staats darin besteht, ... die Menschen machen zu lassen, so lange sie nicht die öffentliche Ruhe oder das Recht des Dritten stören. " 4 3 Andere hingegen verlangten die unbedingte Offenlegung der inneren Verhältnisse jedes Bundes und ein staatliches Verbot bei Nichtbefolgung. 44 Dabei stammten die skeptischen Stimmen ausgerechnet auch von im Sinne der Aufklärung denkenden Staatsrechtlern wie J. J. Moser, J. S. Pütter 45 , G. Hufeland 46, H. G. Scheidemantel47 oder K. F. 38

M. Wiswe, Freimaurer in ihrer Zeit, S. 7 f. J. J. Moser: Von Geduldung der Freymaurergesellschaften, S. 13. 40 M. Wiswe, Freimaurer in ihrer Zeit, S. 8. 41 J. J. Moser, Von Geduldung der Freymaurergesellschaften, S. 18. 42 /. A. O. Gehler, De inspectione suprema in societates occultas prudenter exercenda, C. H. L. v. Plumenoeck, Geoffenbarter Einfluß in das allgemeine Wohl der Staaten der ächten Freymäurerey, A. L. Schlözer, Etwas über geheime Verbindungen, in: Staatsanzeigen, Heft XXXI, S. 289 ff. 43 A. L. Schlözer, Etwas über geheime Verbindungen; in: Staatsanzeigen, Heft XXXI, S. 290. 44 J. J. Moser, Von Geduldung der Freymaurergesellschaften, S. 33 ff. « J. S. Pütter, Anleitung zum Teutschen Staatsrechte (vgl. Anm. 25), 2. Bd., § 219, S. 8 f. 4 6 G. Hufeland, Lehrsätze des Naturrechts, 2. Teil, § 476, S. 250 f. 39

H. G. Scheidemantel, Repertorium des Staatsrechts, 1. Teil, S. 239 f.

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1. Teil: Entstehung und Entwicklung eines Geheimsphärenschutzes

Häberlin. 48 Dies stellte keinen Widerspruch dar, weil sich ihre Kritik nicht gegen die aufklärerischen, staatskritischen Programme der Gesellschaften richtete, sondern in erster Linie gegen deren strengen Verschwiegenheitskodex. „ . . . es ist eine unverwerfliche Regel des natürlichen und allgemeinen Staatsrechts, daß kein Regent verbunden ist, eine förmliche Gesellschaft in seinem Staat zu gedulden, deren Verfassung ihm nicht bekannt ist, ja gar vor ihm geheim gehalten, und er also dadurch außer Stand gesetzt wird, beurtheilen zu können, ob solche Gesellschaften dem gemeinen Wesen nützlich oder wenigstens nicht schädlich und insofern gleichgültig sey oder nicht." 49

Nicht ihre möglichen Programme, sondern die Tatsache, daß sich die Gesellschaften durch ihren Charakter als Geheimbünde von vornherein jeglicher Kontrolle durch den Staat entzogen, wurde als unhaltbar angesehen. Eine Kontrolle konnte nur ausgeübt werden, wenn man Informationen besaß über Mitglieder, Satzungen, Aktivitäten. Ein Recht des Fürsten, jederzeit aus allen Bereichen der Gesellschaft Nachrichten einzuziehen, wie es das „ius inspectionis" darstellte, war das passende Mittel, um sich Einblick in das „Innenleben" einer solchen Gesellschaft zu verschaffen.

3. Wesen, Inhalt und Umfang des „ius inspectionis"

Sowohl die publizistische als auch die naturrechtliche Staatsrechtslehre rechneten das Oberaufsichtsrecht zum Bestand der Majestätsrechte des Souveräns. Man hielt es für so wichtig, daß man es als eigenständige Wirkungsart der Staatsgewalt neben die „klassischen" Regierungsrechte der gesetzgebenden, der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt stellte. Einige unterteilten die Staatsgewalt des Fürsten in vier, andere in drei Regierungsrechte. J. S. Pütter zählte das „Recht der höchsten Aufsicht" zu den Regalien, d. h. den Regierungs-, Hoheits- oder Majestätsrechten des Fürsten. 50 Unter den sonstigen Regierungsrechten der Gesetzgebung, der Rechtsprechung und der vollziehenden Gewalt stand das „Recht der höchsten Aufsicht" bei Pütter seiner Funktion und Bedeutung entsprechend an erster Stelle. Bei Hufeland wurde es im Allgemeinen Staatsrecht und zwar im 2. Abschnitt („Rechte der Oberherren im Staate") behandelt. Als Recht der Aufsicht (ius inspectionis) oder aufsehenden Gewalt (potestas inspectoria) zählte es zu den Majestätsrechten (ius maiestaticum) des Staatsoberhauptes, wobei unter diesen die oberaufsehende Gewalt wiederum an erster Stelle stand.51 Daneben wurden weitere drei Gewalten, nämlich die gesetzgebende, die beurteilende und die vollstreckende Gewalt unterschieden. Die 48 K. F. Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, § 216, S. 145. 49

J. J. Moser, Von Geduldung der Freymaurergesellschaften, S. 36 f. so J. S. Pütter, Anleitung zum Teutschen Staatsrechte, 2. Bd., § 215, S. 1. 5i G. Hufeland, Lehrsätze des Naturrechts, 2. Teil, § 470, S. 247 f.

1. Abschn.: Geheimsphäre in Staatsrechtslehre und Polizeiwissenschaft

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beurteilende Gewalt umfaßte im wesentlichen die Rechtsprechung.52 Die vier Gewalten im Staat wurden verglichen mit den vier Gemütskräften des Menschen, dem Verstand, der Vernunft, der Urteilskraft und dem Willen. Das Oberaufsichtsrecht wurde gleichgesetzt mit dem beobachtenden Verstand. 53 Auch zahlreiche der sonst verfaßten Staatsrechtslehrbücher verwendeten diese Aufteilung. 54 D. Nettelbladt55, J. C. Hoffbauer 56, H. G. Scheidemantel57, K. F. Häberlin 58 , T. v. Schmalz sowohl in seinem naturrechtlichen 59 als auch in seinem späteren reichspublizistischen60 Werk, L. J. F. Höpfner 61 , der Österreicher K. A. v. Martini 62 sowie der späte Reichsstaatsrechtler J. C. Leist 63 unterschieden drei Majestätsrechte voneinander. Bei v. Schmalz war die aufsehende Gewalt (potestas inspectiva) als Analogon des Verstandes ein Majestätsrecht neben der gesetzgebenden und der vollstreckenden Gewalt. In gleicher Weise wurde bei Scheidemantel, Häberlin, v. Martini und Leist unterschieden. Eine Ausnahme in dieser Hinsicht machte nur der späte Reichspublizist Ν. T. Gönner, der elf verschiedene Äußerungsformen der Herrschaftsgewalt aufzählte, wozu ebenfalls die oberaufsehende Gewalt gehörte. 64 Das „ius inspectionis" bestand im wesentlichen im Einziehen von Nachrichten durch den Staat. Es berechtigte den Fürsten, „ von allem, was im Staate vorgeht, Einsicht zu verlangen. " Es handelte sich um ein Recht auf Informationsbeschaffiing, das der Fürst benötigte, um zum Wohl seiner Untertanen regieren zu können. „Der Fürst muß seinen Staat kennen; er würde sonst von dem Gegenstand seiner Regierung keine hinreichende Wissenschaft haben... " 6 5 . T. v. Schmalz definierte

52 G. Hufeland, Lehrsätze des Naturrechts, 2. Teil, § 473, S. 249. 53 G. Hufeland, Lehrsätze des Nautrrechts, 2. Teil, 2. Teil, § 474, S. 249 f. 54 J. G. Buhle, Lehrbuch des Naturrechts, § 364, S. 234 f.; A. L. Schlözer zählte fünf verschiedene Regierungsrechte auf: potestas legislativa, potestas executiva, potestas inspectiva, potestas repraesentativa, potestas cameralis: Allgemeines Staatsrecht und Staatsverwaltungslehre, S. 100 f. 55 D. Nettelbladt, Systema elementare, § 1304, S. 537; ders., Versuch einer Anleitung, § 42, S. 22; § 55, S. 26. 56 J. C. Hoffbauer, Naturrecht aus dem Begriffe des Rechts entwickelt, § 487, S. 199. 57 H. G. Scheidemantel, Das allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, § 79, S. 82; ders.: Repertorium des Staatsrechts, l.Teil, S. 238. 58 K. F. Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, § 216, S. 142. 59 T. v. Schmalz, Das natürliche Staatsrecht, § 100, S. 60 f. 60 τ. V. Schmalz, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, § 223, S. 185 f. 61 L. J. F. Höpfner, Naturrecht des einzelnen Menschen, § 193, S. 188. 62 Κ. A. v. Martini, Erklärung der Lehrsätze über das Allgemeine Staats - und Völkerrecht, § 95, S. 117. 63 J. C. Leist, Lehrbuch des Teutschen Staatsrechts, § 82, S. 248 ff. M

N.T. Gönner, Teutsches Staatsrecht, § 275, S. 422 ff. 65 H. G. Scheidemantel, Das allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, § 77, S. 81; vgl. auch ders., Die Oberaufsicht in der Staatsverfassung, eine Vorlesung am 15. Februar in dem öffentlichen juristischen Hörsaal zu Jena, S. 9, S. 18; L.J.F Höpfner, 3 Austermühle

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1. Teil: Entstehung und Entwicklung eines Geheimsphärenschutzes

in seinem reichsstaatsrechtlichen Lehrbuch die aufsehende Gewalt als das „Recht der Regierung, von allem, was sich auf den Zweck des Staates bezieht, Erkundigungen einzuziehen. Jeder im Staat ist also verbunden, auf Befehl der Regierung ihm Nachrichten von den Tatsachen zu geben, welche er weiß. u66 Der Fürst sollte über alles informiert sein, was dem Staat zum Schaden gereichen konnte, und andererseits die Mittel kennen, die dem Gemeinwohl förderlich waren. Das Aufsichtsrecht war dabei immer nur Mittel, niemals Zweck, da es nur dazu diente, die Tätigkeit der anderen Gewalten, vor allem der Gesetzgebung und der vollziehenden Gewalt, vorzubereiten. 67 Bereits darin lag eine Begrenzung, weil seine Bedeutung auf eine Hilfsfunktion reduziert war. 68 Nur soweit legislative oder administrative Entscheidungen es erforderlich machten, durfte das „ius inspectionis" ausgeübt werden. Das Einziehen von Informationen konnte allgemeiner oder spezieller Art sein. Als allgemeines, die Freiheit des einzelnen Untertanen nicht beschränkendes Recht verstanden, beinhaltete es vor allem die Befugnis des Herrschers, Visitationen im Land (ius visitationis) durchzuführen. 69 Diese Funktion kam dem ius inspectionis vor allem zu, soweit es Bestandteil der Reichshoheit war. Der Kaiser sollte sich einen Überblick über den Zustand des Reichs verschaffen können.70 Auch die Erstellung von Bevölkerungsstatistike η zählte hierzu. 71 Erfaßt waren aber auch konkrete Ausforschungseingriffe, die nur einzelne Personen in ihrer Freiheit beschränkten. Insoweit handelte es sich um ein spezielles Recht. Hierzu gehörte ζ. B. die Durchführung von Hausdurchsuchungen (ius perscrutationis domesticae)72, die Pflicht der Untertanen, Zeugnis abzulegen etc. „.. .auf Befehl des Richters muß er sein Zeugnis ablegen, um die Wahrheit rechtlicher Begebenheiten zu berichten; er zeigt die ihm bekannten Gefahren bei der Behörde an, er läßt die erforderliche Besichtigung anstellen.. . " 7 3 Naturrecht des einzelnen Menschen, § 193, S. 188; J. G. Buhle, Lehrbuch des Naturrechts, § 365, S. 235 f.; J. C. G. Schaumann, Wissenschaftliches Naturrecht, § 587, S. 326 f. 66 T. v. Schmalz, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, § 229, S. 189. 67 J. S. Pütter, Anleitung zum Teutschen Staatsrechte, 2. Bd., § 216, S. 4; Κ. E Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, § 216, S. 142; G. Hufeland, Lehrsätze des Naturrechts, 2. Teil, § 471, S. 248; T. v. Schmalz, Das natürliche Staatsrecht, §§ 100, 101, S. 60 f.; K.A. v. Martini, Erklärung der Lehrsätze über das Allgemeine Staats - und Völkerrecht, § 95, S. 118; Ebenso die späte reichsstaatsrechtliche Literatur: T. v. Schmalz, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, §§ 230, 231, S. 190 ff.; J. C. Leist, Lehrbuch des Teutschen Staatsrechts, § 88, S. 267 ff.; Ν. T. Gönner, Teutsches Staatsrecht, §§ 285, 286, S. 447 ff. 68 C. Link, Herrschaftsordnung und politische Freiheit, S. 150. 69 D. Nettelbladt, Systema elementare, § 1317, S. 542. 70

D. Nettelbladt, Versuch einer Anleitung, § 44, S. 22. 71 H. G. Scheidemantel, Repertorium des Staatsrechts, 1. Teil, S. 240 f.; ders., Die Oberaufsicht in der Staatsverfassung, S. 9 ff.; K. F. Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, § 217, S. 150; K.A. v.Martini, Erklärung der Lehrsätze über das Allgemeine Staatsund Völkerrecht, § 96, S. 118 f. 72 D. Nettelbladt, Systema elementare, § 1317, S. 542.

1. Abschn.: Geheimsphäre in Staatsrechtslehre und Polizeiwissenschaft

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Bei Scheidemantel, Pütter und Häberlin flössen aus dem „ius inspectionis" ferner die bereits erwähnten „Zubehörrechte" des Souveräns, die dieses zu einem umfassenden „Aufsichts-, Informations- und Uberwachungsrecht gegenüber der Gesellschaft" 74 abrundeten. Es handelte sich um das Recht, Ge- und Verbote auszusprechen, Genehmigungen zu erteilen oder zu verweigern. 75 Sinn dieser Zubehörrechte war es, dem Staat ein Eingriffsinstrumentarium an die Hand zu geben, um aus den durch die Informationssammlung gewonnenen Einsichten zugleich Konsequenzen zu ziehen. Eine genaue Grenze zwischen dem „ius inspectionis" und der vollziehenden bzw. vollstreckenden Gewalt war damit nicht mehr auszumachen. Allerdings waren die Zubehörrechte nur für einzelne bestimmte Bereiche konzipiert, in denen man eine Ausübung der aufsehenden Gewalt für besonders wichtig hielt. In der Hauptsache bestanden sie im Genehmigen bzw. Verbieten von gesellschaftlichen Zusammenschlüssen im Staat.76 Hinsichtlich des Umfangs der zugelassenen Informationsbeschaffung sollte sich das „ius inspectionis" auf solche Tätigkeiten der Untertanen erstrecken, die geeignet waren, sich auf das Gemeinwohl auszuwirken. Beaufsichtigt werden durfte, „was nur immer auf des Staates Wohl Einfluß haben kann, daß daher jeder Untertan und Bürger sich die Aufmerksamkeit der Regierung auf seine Person gefallen lassen und solcher von seinen Handlungen, sofern sie einigen Einfluß auf den Staat haben, Rechenschaft geben muß." 77

In dieser Hinsicht erfuhr das „ius inspectionis" in der Spätphase der Reichspublizistik zwischen 1800 und 1806 eine Ausweitung. Ν. T. Gönner und J. C. Leist dehnten seinen Anwendungsbereich weiter als bisher üblich aus. Zu der allgmeinen oder speziellen Informationsbeschaffung aus dem Bereich des gesellschaftlichen Lebens trat ein bisher weniger bekannter Bestandteil hinzu. Während früher im wesentlichen nur natürliche Personen und Personenvereinigungen vom Oberaufsichtsrecht betroffen waren, sollten diesem nun auch nachgeordnete Behörden und selbständige Träger von Hoheitsgewalt (ζ. B. Gemeinden, öffentliche Stiftungen und Anstalten) unterliegen. 78 Damit begann sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts langsam der Anwendungsbereich des Oberaufsichtsrechts von einem Beauf73 H. G. Scheidemantel, Die Oberaufsicht in der Staatsverfassung, S. 23; ders., Repertorium des Staatsrechts, 1. Teil, S. 242, K. F. Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, § 217, S. 150. 74 C. Link, Art.: , Johann Stephan Pütter"; in: M. Stolleis (Hrsg.), Staatsdenker in der frühen Neuzeit, S. 326; ders., Herrschaftsordnung und politische Freiheit, S. 150; ders., Naturrechtliche Grundlagen des Naturrechtsdenkens; in: D. Mayer-Maly/ P. M. Simons (Hrsg.), Das Naturrechtsdenken heute und morgen, S. 93. 7 5 J. S. Pütter, Anleitung zum Teutschen Staatsrechte 2. Bd., § 216, S. 4. 76 H. G. Scheidemantel, Repertorium des Staatsrechts, 1. Teil, S. 241, K. F. Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, § 218, S. 150 ff. 77

J. S. Pütter, Anleitung zum Teutschen Staatsrechte, 2. Bd., § 216, S. 5. 78 Ν. T. Gönner, Teutsches Staatsrecht, § 284, S. 447; J. C. Leist, Lehrbuch des Teutschen Staatsrechts, § 88, S. 267 ff. 3'

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1. Teil: Entstehung und Entwicklung eines Geheimsphärenschutzes

sichtigungsrecht über Privatpersonen hin zu einem Aufsichtsrecht über selbständige Träger von Hoheitsgewalt zu verschieben.

I I I . Die Grenzen des „ius inspectionis": Der Schutz einer persönlichen Geheimsphäre Die Möglichkeit, über alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens Erkundigungen einzuziehen, wurde als Gefahr für die bürgerliche Freiheit erkannt. So hieß es bei T. v. Schmalz: „ . . . die Souveränität darf dies für die Ruhe und Sicherheit so gefährliche Recht nicht anwenden als da, wo sie Pflicht dazu hat... Der Vorwand des öffentlichen Wohls steht der Tyranney stets zu Gebot." 79

Die Grenzen wurden unterschiedlich und mehr oder weniger detailliert gezogen. 1. Die Reichsstaatsrechtslehre

In den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts konkretisierten die Reichsstaatsrechtler J. S. Pütter und K. F. Häberlin die Staatszweckbindung des Souveräns für den Bereich des Oberaufsichtsrechts und gelangten auf diese Weise zu detaillierten Aussagen hinsichtlich einer schutzwürdigen persönlichen Geheimsphäre. a)J. S. Pütter aa) Das „ius inspectionis" und die „wohlerworbenen Rechte" Vorab ist zu bemerken, daß der Geheimbereich bzw. Teilbereiche davon keinesfalls zu den „iura quaesita", d. h. zu den durch Gesetz oder Herkommen wohlerworbenen Rechten, zählten. Die natürliche Freiheit der Untertanen durfte zwar eingeschränkt, „aber keinem sein wohl erworbenes Recht (ius quaesitum), worunter man ohne Zweifel ein Recht versteht, welches nicht bloß auf der natürlichen Freiheit beruht, sondern nach einem besonderen Rechtsgrund erworben wurde, benommen werden kann" so. Diese galten grundsätzlich als gesetzesfest. Sie durften nur mittels des kaiserlichen oder landesherrlichen Rechts der Machtvollkommenheit (ius eminens) im außergewöhnlichen Notfall, „wenn sonst der ganze Staat, oder der größere Theil desselben nicht erhalten werden kann und nur gegen Entschädigung aufgeopfert werden. 81 79 T. v. Schmalz, Das natürliche Staatsrecht, § 102, S. 61 f. 80

J. S. Pütter, Anleitung zum Teutschen Staatsrechte 1. Bd., § 119, S. 151; zu den „iura quaesita" vgl. D. Pirson, Art.: „Jura quaesita", in: A. Erler/E. Kaufmann (Hrsg.), Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, 5. Bd., S. 472 ff. si J. S. Pütter, Anleitung zum Teutschen Staatsrechte, 2. Bd., § 260, S. 79 ff.

1. Abschn.: Geheimsphäre in Staatsrechtslehre und Polizeiwissenschaft

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Der Ausübung des „ius inspectionis" hingegen standen keine gesicherten Rechtspositionen der Untertanen entgegen. Beschränkungen der persönlichen Freiheit waren hier grundsätzlich erlaubt, weil in die allgemeine natürliche Freiheit, die sich nicht zu einem wohlerworbenen Recht verdichtet hatte, eingegriffen werden durfte. Keinesfalls aber ging Pütter davon aus, daß freiheitsbeschränkende Maßnahmen auf diesem Gebiet ins Belieben des Fürsten gestellt waren. 82 bb) Die Bindung des Fürsten an den Staatszweck als objektive Grenze Die höchste Aufsicht sollte „nur zum gemeinen Wohl mit möglichster Schonung der natürlichen Freyheit ausgeübt" werden dürfen. 83 Beaufsichtigend durfte der Staat infolgedessen nur tätig werden, wenn die Maßnahme geeignet war, den Staatszweck zu fördern, und so wenig wie möglich die natürliche Freiheit beeinträchtigte. Der Staatszweck bildete allerdings nur dann eine wirkungsvolle Schranke, wenn von der wohlfahrtsstaatlichen Definition abgerückt wurde. Durfte das ius inspectionis mit dem Ziel ausgeübt werden, die private Glückseligkeit des einzelnen zu befördern, boten sich für die Errichtung einer persönlichen Geheimsphäre wenig Chancen. Mit seiner bekannt gewordenen Formulierung: „Ea supremae potestatis pars qua exerceatur cura avertendi mala futura in statu rei publicae interno in commune metuendo, dicitur politiae" 84

legte Pütter den Zweck des Staates auf die Abwendung künftiger Übel fest. Wohlfahrtsförderung war nur noch mittelbar erlaubt, d. h. in den Fällen, in denen die Verfolgung wohlfahrtsstaatlicher Ziele im Dienst der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit stand.85 War dies bei einer Beaufsichtigungsmaßnahme der Fall, mußte weiter gewährleistet sein, daß die natürliche Freiheit des einzelnen nicht weiter beschränkt wurde, als dies zur Erreichung des angestrebten Ziels unbedingt erforderlich war. Dies kann als frühe Formulierung eines Übermaßverbotes angesehen werden. 86 Pütter zog aus diesem Grundsatz zwei wichtige Schlußfolgerungen: 82 Zu negativ bewertet P. Preu die außerhalb der, jura quaesita" stehenden Lebensbereiche, wenn er sie als „rechtsfreie" Räume bezeichnet, die schon aus bloßen Zweckmäßigkeitserwägungen zur Disposition des Fürsten gestellt waren. Vielemhr war es hier die Bindung an den Staatszweck, die den Fürsten in seiner Machtausübung beschränkte, P. Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, S. 190 ff.; vgl. auch H. Kuriki, Die Rolle des Allgemeinen Staatsrechts in Deutschland von der Mitte des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, in: AÖR 99 ( 1974), S. 571. 83 Die zitierte Stelle stammt aus den Anmerkungen F. W. Grimms in der „Anleitung zum Teutschen Staatsrechte", erfolgte aber der Vorrede zufolge mit der Billigung Pütters. w J. S. Pütter, Institutions Juris Publici Germanici (3. Aufl.), § 331, S. 353 ff. 85

H. Lisken/E. Denninger, Handbuch des Polizeirechts, S. 9. 86 C. Link, Art.: ,Johann Stephan Pütter"; in: M. Stolleis (Hrsg.), Staatsdenker in der frühen Neuzeit, S. 326.

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1. Teil: Entstehung und Entwicklung eines Geheimsphärenschutzes

Zwangsläufig mußte der engere private Lebensbereich einer staatlichen Überwachung gänzlich entzogen sein, weil eine Kontrolle dieses Bereichs der Ansicht Pütters nach für die Förderung des Staatszwecks irrelevant war. Alles „dasjenige, was sich nicht ins Publicum erstreckt konnte auch der Aufsicht nicht unterworfen sein, weil Tätigkeiten, die nur im Privaten wirkten, dem Gemeinwohl weder schädlich noch nützlich waren. Von staatlicher Überwachung gänzlich verschont blieben demnach: die Gedanken („arcana mentis"), alles, was „bloß inter privates parietes" vorging sowie „ eine Gesellschaft, die bloß im Haus eines Privatmanns zusammenkommt, nicht außerhalb desselben, nicht im Staate en corps agirt, oder was zwar über die vier Wände des Privatmanns hinausgeht, aber ohne ins Publicum zu wirken, z. B. Briefe... " , 8 7 Staatlicher Beaufsichtigung entzogen sollten somit die Gedanken, der familiäre, häusliche Bereich sowie der Briefverkehr sein. Aber selbst wenn der private Lebensbereich überschritten war und öffentliche Belange berührt wurden, sorgte der zweite Bestandteil des oben aufgestellten Grundsatzes, nämlich die Beschränkung jedes Eingriffs auf das unbedingt Erforderliche, dafür, daß auch außerhalb der engeren privaten Individualsphäre Geheimhaltungsinteressen soweit wie möglich geschützt wurden.

cc) Die formelle Garantie: Die Mitwirkung der Reichs- und Landstände Pütter als Reichsstaatsrechtler ließ es nicht bei den theoretischen Aussagen zur Begrenzung des Aufsichtsrechts bewenden, sondern beschäftigte sich ebenfalls mit der Ausübung dieses Rechts durch die verschiedenen Organe im Verfassungsgefüge des Deutschen Reiches. Neben den bereits erwähnten inhaltlichen Grenzen fügte er eine weitere formelle Garantie hinzu. Die Ausübung der höchsten Aufsicht im Staat sollte unter bestimmten Voraussetzungen an die Mitwirkung der Stände gebunden sein. 88 Auf Reichsebene hinderte die Autonomie der Stände den Kaiser daran, sein Aufsichtsrecht unbeschränkt auszuüben. Sollten Informationen über die Bevölkerung eines bestimmten Territoriums erhoben werden, mußten die Landeshoheiten einwilligen. Auf Landesebene mußte unter bestimmten Voraussetzungen die Zustimmung der Landstände eingeholt werden. Dies hing davon ab, welchen Zweck eine Beaufsichtigungsmaßnahme verfolgte. Gehörte der Zweck zu einem Bereich, in dem der Fürst nicht ohne Mitwirkung der Stände handeln durfte, so war auch die Aufsichtsmaßnahme an die Einwilligung der Stände gebunden. Ging es allerdings um die hier vor allem interessierenden Bereiche der Strafverfolgung oder der Polizeihoheit, die vom Landesfürsten allein ausgeübt wurden, durfte dieser auch allein über die Ausübung des Aufsichtsrechts entscheiden. War z. B. über 87 J. S. Pütter, Anleitung zum Teutschen Staatsrechte, 2. Bd., § 216, S. 5. 88 J. S. Pütter, Anleitung zum Teutschen Staatsrechte, 2. Bd., § 218, S. 7 f.

1. Abschn.: Geheimsphäre in Staatsrechtslehre und Polizeiwissenschaft

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die Zulässigkeit von Hausvisitationen zum Zweck der Strafverfolgung oder der Abwendung einer Gefahr zu entscheiden, so sollte eine Zustimmung der Stände entbehrlich sein, weil hier der Souverän bzw. seine Beamten die alleinige Entscheidungsbefugnis besaßen.

b) K. F. Häberlin aa) Die Bindung des Fürsten an den Staatszweck Wie Pütter verwies auch Häberlin zunächst auf den Staatszweck als Grenze jeder Beaufsichtigung. Sie war nur erlaubt, „wenn das Wohl des Staates es erforderte. Aus bloßer Neugierde, um hinter Familienangelegenheiten zu kommen, darf es nicht ausgeübt werdenImmer war „bey der Ausübung selbst die möglichste Schonung der natürlichen Freyheit zu beachten. " 89

bb) Der Privatbereich Anders als Pütter erkannte Häberlin aber, daß eine Beaufsichtigung des privaten, familiären Bereichs nicht von vornherein irrelevant für die Verfolgung öffentlicher Interessen sein konnte und deshalb staatlichen Eingriffen auch nicht gänzlich verschlossen sein durfte. Auch aus diesem Bereich sollte sich der Staat u.U. Informationen beschaffen dürfen. Dies war allerdings anders als im gesellschaftlich-sozialen Bereich, der in die Öffentlichkeit hineinwirkte, an erschwerte Voraussetzungen geknüpft. „In jenem Fall (im öffentlichen Bereich) kann der Regent ungleich weiter gehen, als in diesem. In jenem ist schon die Beförderung des Besten des Staates zur Ausübung des Rechts der höchsten Aufsicht hinreichend, in diesem aber nicht.. ," 9 0 .

Eine Beaufsichtigung des privaten Bereichs sollte nur zulässig sein, wenn die Sicherheit des Staatsganzen oder eines Teils davon entweder durch Straftaten oder durch staatsfeindliche Betätigungen gefährdet war und bezüglich der Gefahr ein starker und auf Tatsachen gestützter Verdacht vorlag. Es mußte also „1) der Fall so beschaffen seyn, daß die Sicherheit oder Erhaltung des Ganzen oder eines Theils desselben auf dem Spiel ist, und 2) wird noch eine ganz besondere Veranlassung und vorzüglich ein starker Verdacht erfordert, welches alles im ersten Fall nicht nöthig ist. So hat es an und für sich keinen Zweifel, daß Polizeybedienstete öfter in Wirthshäuser und andere öffentliche Orte gehen können, um zu sehen, was daselbst vorgeht, aber aus Privathäusern oder Gesellschaften müssen sie sich entfernt halten. Eben so können Druckereyen, Apotheken visitiert werden, aber meine Schreibereyen darf niemand durchsehen oder 89 K. F. Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, § 216, S. 143. 90 K. F. Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, § 216, S. 143 ff.

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1. Teil: Entstehung und Entwicklung eines Geheimsphärenschutzes meine Briefe erbrechen. Doch wenn gegründeter Verdacht vorhanden ist, daß in meinem Hause verbotene, dem Staat schädliche Zusammenkünfte gehalten werden, daß gestohlene Sachen darin verborgen sind, daß ich die Geheimnisse des Staates dem Feinde in meinen Briefen verrathe, daß man durch Erbrechung der Briefe ein begangenes oder auch erst zu begehendes Verbrechen entdecken kann, so hat es keinen Zweifel, daß in solchen Fällen auch meine Wohnung durchsucht und meine Briefe geöffnet werden können." 91

cc) Die formelle Garantie: Mitwirkungsrecht der Reichs- und Landstände Wie Pütter kannte auch Häberlin eine weitere formelle Garantie gegen Mißbrauch des Aufsichtsrechts. Soweit es von den Landesfürsten ausgeübt wurde, sollte mitunter die Mitwirkung der Landstände erforderlich sein. Sahen die Landesgrundgesetze eines Territoriums oder das Gewohnheitsrecht bezüglich des Oberaufsichtsrechts keine Regelung vor, wie dies wohl regelmäßig der Fall war, kam es an „auf den Zweck oder die Absicht, welche man bey der Ausübung dieses Rechts zu erreichen sucht. Liegt diese einzig und allein in der Gewalt des Regenten, so bedarf es keiner Zuziehung der Landschaft, wohl aber in dem umgekehrten Falle. Denn ist der Regent allein zum Zweck berechtigt, so muß er auch allein zu den Mitteln, die zu diesem Zweck führen, oder wodurch er in den Stand gesetzt wird, denselben desto besser zu erreichen, berechtigt seyn. Ist aber jenes nicht der Fall, müssen die Stände zugezogen werden .. ." 9 2 .

c)T.v. Schmalz, J. C. Leist und Ν. T. Gönner in der Spätphase der Reichsstaatsrechtslehre In der Behandlung des Themas einer persönlichen Geheimsphäre unterschied sich die späte Reichsstaatsrechtslehre zwischen 1800 und dem Untergang des Reiches im Jahr 1806 wenig von der älteren Reichspublizistik des 18. Jahrhunderts. Noch immer bezeichnete die Geheimsphäre in ihren einzelnen Ausprägungen die selbst gesetzte Grenze, die der Souverän bei der Ausübung seines Oberaufsichstrechts einzuhalten hatte. Ihre Grenze sollte die Inspektivgewalt des Staates wiederum an der Erreichung des Staatszwecks finden, der nunmehr definiert wurde als die Erhaltung der Sicherheit der Untertanenrechte. 93 Ν. T. Gönner führte hinsichtlich der Grenzen aus: „Das Oberaufsichtsrecht ist I. im allgemeinen dahin begrenzt, daß es sich nur auf jenes erstreckt, was auf den Staat im Ganzen oder öffentlich wirkt, und so wie II. das Amt eines Spions tief unter der Würde der Staatsgewalt steht, so kann dasjenige, was ohne öffentliche 91 K. F. Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, § 216, S. 144. 92 K. F. Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, § 216, S. 147 f. 93 T. v. Schmalz, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, § 224, S. 186.

1. Abschn.: Geheimsphäre in Staatsrechtslehre und Polizeiwissenschaft

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Äußerungen nur ein Individuum betrifft, nicht eigentlich vermöge der oberaufsehenden Gewalt, sondern nur in Voraussetzung besonderer Verdachtsgriinde vermöge der Polizei oder Strafgewalt zur Untersuchung gezogen werden." 94

Grundsätzlich unterlagen nur solche Handlungen, mit denen die Individualsphäre überschritten wurde und die öffentliche Interessen berührten, einer Überwachung. Nur bei diesen war - so argumentierte man noch immer - die Verletzung von Rechten Dritter oder der Allgemeinheit denkbar. Von staatlicher Beaufsichtigung verschont blieb der staatszweckneutrale engere private Lebensraum. Dieser sollte nur ausnahmsweise unter besonderen Umständen, namentlich wenn besondere Verdachtsgründe gegeben waren, einer Überwachung unterzogen werden. Wie bereits J. S. Pütter und K. L. Häberlin befürworteten auch J. C. Leist und T. Schmalz ein Mitwirkungsrecht der Landstände bei der Ausübung des Oberaufsichtsrechts, das sich gegebenenfalls aus den Partikulargesetzen der Länder ergab. 95 Im Unterschied hierzu bestand für N.T. Gönner keine Konkurrenz zur Befugnis der Landstände. Ein zusätzlicher verfahrensrechtlicher Schutz gegenüber der aufsehenden Gewalt entfiel damit. Ein Mitwirkungsrecht sollten die Landstände selbst dann nicht beanspruchen können, wenn der Zweck der Beaufsichtigung eine Angelegenheit betraf, zu der sie eigentlich ihren Konsens erteilen mußten.96

2. Die natürliche Staatsrechtslehre

a) Die persönliche Geheimsphäre als Grenze des „ ius inspectionis " bei D. Nettelbladt, G. Hufeland, H. G. Scheidemantel, T. v. Schmalz , Κ. A. v. Martini u. a. J.C. Darjes, D. Nettelbladt, H. G. Scheidemantel, Κ. A. v. Martini, G. Hufeland, T. v. Schmalz und J. C. Hoffbauer zählten zu den Repräsentanten der natürlichen Staatsrechtslehre in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die in den letzten beiden Jahrzehnten zunehmend unter den Einfluß der französischen Menschenrechtserklärungen geriet. Aber weder die persönliche Geheimsphäre insgesamt noch Teilgarantien davon gehörten bei ihnen zu den vorstaatlichen Naturrechten. Hierzu zählten vorerst nur das Recht auf Leben und Gesundheit von Körper und Geist, die Handlungsfreiheit, das Recht auf den freien Gebrauch der Sachen etc. 97 Gegenüber 94 Ν. T. Gönner, Teutsches Staatsrecht, § 284, S. 446 f. 95 J. C. Leist, Lehrbuch des Teutschen Staatsrechts, § 88, S. 267 ff.; T. v. Schmalz, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, §§ 230, 231, S. 190 f. 96 Ν. T. Gönner, Teutsches Staatsrecht, § 286, S. 449 f. 97 τ. v. Schmalz, Das reine Naturrecht (2. Aufl.): „Urrechte der Menschheit", §§ 47-52, S. 46 ff.; G. Hufeland, Lehrsätze des Naturrechts: 2. Hauptstück (Absolutes oder ursprüngliches Naturrecht), §§ 116-140; 7. C. Hoffbauer, Allgemeines Staatsrecht, 1. Bd., 12. Absch.: „Ursprüngliche Rechte der Menschen", S. 136-174.

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1. Teil: Entstehung und Entwicklung eines Geheimsphärenschutzes

staatlicher Beaufsichtigung aufgrund des „ius inspectionis" war der einzelne vorerst geschützt durch die Selbstbindung des Souveräns an den Staatszweck als (objektive) Grenze. Von staatlicher Überwachung verschont blieb er, soweit sich seine Handlungen im Bereich des staatszweckneutralen Verhaltens bewegten. „Die oberaufsehende Gewalt erstreckt sich nicht auf solche Handlungen und Verhältnisse des Bürgers, welche mit dem Zweck des Staats nicht in Verbindung stehen.. . " 9 8

Im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts unternahm man in der natürlichen Staatsrechtslehre den Versuch, sich vom absolutistischen Wohlfahrtsstaatsbegriff zu lösen und den Staatszweck enger zu definieren. Die Sicherheit bzw. der Schutz der angeborenen Rechte der Untertanen sollten den Hauptzweck" des Staates bilden, dem alle anderen Zwecke untergeordnet wurden. Mitunter wurde die Garantie der Rechtssicherheit sogar zum ausschließlichen Zweck des Staates erklärt. 100 , JDemnach kann der Staat als Staat nur Legalität, nicht Moralität der Handlungen fordern... Folglich ist nie Glückseligkeit, nie Vervollkommnung etc. der Zweck des Staates."101

Auf die Ausübung des „ius inspectionis" bezogen bedeutete dies, daß, „dabey nie ein Recht gekränkt werden (durfte)..., dessen sich der Berechtigte nicht verlustig gemacht hat. Es hat aber jeder das Recht, alle Handlungen geheim zu halten, die niemandes Recht kränken. " 1 0 2 Nur um Rechtsverletzungen abzuwenden, sollte also in den persönlichen Geheimbereich eingegriffen werden dürfen. H. G. Scheidemantel konkretisierte die Beschränkung der Staatsgewalt des Souveräns für den Bereich des „ius inspectionis": „ . . . Familieninteresse und dergleichen kann er (der Untertan) mit Recht verschweigen; der Advocat entdeckt nicht das Geheimnis seines Clienten und der Beichtvater verschweigt die Beichte. Beides darf aber nicht fortdauernde oder zukünftige Beleidigungen betreffen, weil weder die Kirche noch die Gerechtigkeit den Mitschuldigen zum Gesellschafter annehmen."103

Auch bei ihm sollten bestimmte Bereiche des privaten Lebens, die für öffentliche Interessen nicht wichtig waren, frei von staatlicher Beaufsichtigung sein, ζ. B. das Familienleben, die Beichte, berufsbedingte Vertrauensbeziehungen, vor allem das Vertrauensverhältnis zwischen Advokat und Klient, wobei er allerdings andeutete, daß auch hier in Ausnahmefällen, ζ. B. zum Zweck der Verfolgung von Straftaten, eine Aufsicht nötig werden könnte. 98 7. C. Hoffbauer, Naturrecht aus dem Begriff des Rechts entwickelt, § 501, S. 204; vgl. auch D. Nettelbladt, Systema elementare, § 1318, S. 542. 99 Κ. A. v. Martini, Erklärung des Natur - , Staats - und Völkerrechts, 3. Bd., S. 10. 100 τ. v. Schmalz, Das natürliche Staatsrecht (2. Aufl.1804), § 41, S. 28; G. Hufeland, Lehrsätze des Naturrechts, §§ 430,431, S. 227 ff. ιοί G. Hufeland, Lehrsätze des Naturrechts, § 431, S. 228 f. 102 G. Hufeland, Lehrsätze des Naturrechts, § 477, S. 251. 103 H. G. Scheidemantel, Repertorium des Staatsrechts, 1. Teil, S. 242; ders., Die Oberaufsicht in der Staatsverfassung, S. 23 f.

1. Abschn.: Geheimsphäre in Staatsrechtslehre und Polizeiwissenschaft

43

Ähnliche Ausführungen findet man bei Κ. A. v. Martini („Indessen ist dieses Recht bloß auf den Endzweck der bürgerlichen Gesellschaft beschränkt. Wenn daher der Regent aus Neu - oder Rachgier die Familien in Untersuchung brächte, Familiengeheimnisse ohne Noth aufdeckte oder gehäßige Mittel brauchte, die die Freyheit im Denken störten, so wäre es Mißbrauch der Gewalt" 104) und weiteren in diesem Zeitraum entstandenen Naturrechtslehrbüchern. 105

b) Das Haus als „ Grenzscheidung " der Staatsaufsicht bei 7. G. Fichte In der Naturrechtslehre J. G. Fichtes spielte unter den geheimsphärenrelevanten Garantien nur die Unverletzlichkeit des Hauses eine Rolle. Dem Haus kam vorrangig die Bedeutung zu, den Privatbereich von der Aufsicht des Staates abzuschirmen. „Die Aufsicht des Staats geht bis zum Schloße, und von da an fängt die meinige an. Das Schloß ist die Grenzscheidung der Staatsgewalt von der Privatgewalt." 106

Anders als bei den bereits genannten Naturrechtlern war in der Naturrechtsphilosophie Fichtes nicht die Rede vom „ius inspectionis" und dessen Beschränkung durch den Staatszweck. Insoweit nahm Fichte in der Art und Weise, wie er dieses Thema behandelte, eine Sonderstellung ein. Gleichwohl klang in der zitierten Stelle - auch wenn sich Fichte nicht der gleichen Begriffe bediente wie andere Naturrechtler dieser Zeit - die Vorstellung an von einem staatlichen Aufsichtsrecht, das seine Grenze fand am Herrschaftstenitorium des Privatmanns, speziell an seiner Wohnstätte. Der Begriff des Hauses ist bei Fichte im weitesten Sinne zu verstehen. Zunächst brachte er es mit dem Eigentumsrecht in Verbindung. Das Haus war „Inbegriff alles absoluten, dem Staate selbst unverletzlichen und seiner Aufsicht gänzlich entzogenen Eigentums" 101. In der gesamten Staatsphilosophie Fichtes nahm das Eigentumsrecht eine zentrale Stellung ein. Auf dem Weg zur Bildung einer staatlichen Gemeinschaft schlossen die Bürger zuerst einen Eigentumsvertrag ab. Hierin verpflichteten sie sich, das Eigentum des anderen anzuerkennen und Angriffe auf dieses zu unterlassen. 108 104 K.A .v. Martini, Erklärung der Lehrsätze über das allgemeine Staats - und Völkerrecht, § 97, S. 120. los j; G. Buhle, Lehrbuch des Naturrechts, §§ 366,367, S. 236, L. J. F. Höpfner, Naturrecht des einzelnen Menschen, § 193, S. 188. 106 J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, 2. Teil, S. 236. 107 J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, 2. Teil, S. 235. 108 J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, S. 190 ff.; K. Diehl, Art.: „ F i c h t e " , in: L. Elster/A. Weber/F. Wieser, Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 3. Bd., S. 991 f.

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1. Teil: Entstehung und Entwicklung eines Geheimsphärenschutzes

Das Haus als ein nach außen umgrenzter Schutzraum stellte für Fichte das geeignete Mittel dar, das Eigentum des einen vom Eigentum des anderen abzugrenzen. Nur wenn eine solche Unterscheidbarkeit gewährleistet war, war der Staat zum Schutz des privaten Eigentums imstande. In der Regel sollte der menschliche Körper diese Abgrenzungsfunktion erfüllen. Hinsichtlich solcher Gegenstände, die jemand in den Händen hielt oder die er am Körper trug, bestand grundsätzlich eine Vermutung dafür, daß sie sich auch in seinem Eigentum befanden. Darüber hinaus sollte das Haus diese Aufgabe erfüllen. Insoweit ersetzte das Haus den Körper, war Surrogat des Leibes. „Es muß demnach ein Surrogat des Leibes geben, durch welches das, was damit verknüpft ist, als mein Eigentum bezeichnet werde. So etwas nennen wir das Haus." 109

Falsch wäre es indessen, anzunehmen, daß Fichte die Bedeutung des Hauses auf eine räumliche Eigentumssphäre reduzierte. Dem Eigentumsbegriff kam bei Fichte eine sehr viel weitreichendere Bedeutung zu. Eigentum war für ihn das sichtbare Produkt menschlicher Arbeitsleistung, die wiederum die allgemeine Handlungsfreiheit der Person voraussetzte. 110 Das Eigentum symbolisierte bei Fichte die menschliche Handlungsfreiheit, das Haus, welches das gesamte Eigentum einer Person umfaßte, repräsentierte das Herrschaftsterritorium des Privatmannes. Dementsprechend hieß es an anderer Stelle: „Wenn ich absoluter Herr und Beschützer bin in meinem Hause,... so steht alles, was hinein kommt, unter meiner Herrschaft und unter meinem Schutze" 111 .

Um der Aufgabe, die individuelle Handlungsfreiheit im häuslichen Kreis zu ermöglichen, gerecht zu werden, sollte das Haus speziell auch Geheimbereich sein {„Aber der Staat weiß nicht und soll nicht wissen, was darinnen ist. " 1 1 2 ) und das Privatleben gegenüber staatlicher Überwachung abschirmen.

B. Die Polizeiwissenschaft der Aufklärung I . Einführung

Auch die spätabsolutistische Polizeiwissenschaft erlangte Bedeutung im Hinblick auf die Herausbildung eines Geheimsphärenschutzes, beschränkt allerdings auf die Unverletzlichkeit des Hausfriedens. 109

J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, S. 236. J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, S. 127 ff.; I. Staff, Lehren vom Staat, S. 170; K. Schilling, Art.: „Fichte", in: Geschichte der Philosophie, 2. Bd., S. 292. 110

111

J.G. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, S. 237. J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, S. 235 f. 112

1. Abschn.: Geheimsphäre in Staatsrechtslehre und Polizeiwissenschaft

45

Eine Polizeiwissenschaft, die nicht nur von der Praxis, sondern von den Universitäten aus betrieben wurde, entstand erst ab dem 18. Jahrhundert. 113 Dabei zählten die polizeiwissenschaftlichen Unterrichtsfächer noch nicht zum Kanon der Rechtsfächer, weil gesetzliche Grundlagen für die Verwaltung so gut wie noch nicht existierten. Der Inhalt der polizeiwissenschaftlichen Lehrbücher bestand darin, Anleitungen zu geben für eine effektive Erledigung der alltäglichen praktischen Verwaltungsarbeit auf den verschiedenen Gebieten. Dabei spielten juristische Fragen allenfalls am Rande eine Rolle. Gleichwohl ordnete man im ausgehenden 18. Jahrhundert die Polizeiwissenschaften den Staatswissenschaften zu, weil es der Sache nach um die Art und Weise der Herrschaftsausübung ging. 1 1 4 Ihrem Inhalt nach umfaßten die Lehrbücher die gesamte innere Verwaltungstätigkeit.115 Als im Zuge der Aufklärung Gedanken der natürlichen Staatsrechtslehre und der aufgeklärten Reichsstaatsrechtslehre in die Polizeiwissenschaft eindrangen, begann man sich in den letzten vier Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts um eine Begrenzung der Polizeigewalt und die Errichtung von polizeilichen Eingriffen entzogenen Freiräumen zu bemühen.116 In jedem einzelnen Kapitel, das sich mit den polizeilichen Zuständgkeiten beschäftigte, versuchte man, die gegenläufigen privaten Interessen zu beschreiben und polizeiliche wie private Belange im Einzelfall in ein angemessenes Verhältnis zu bringen. 117 Besonders vordringlich mußte in diesem Zusammenhang die Beschäftigung mit einer Eindämmung der Polizeigewalt auf dem Gebiet der Sittenpolizei, vor allem die Aufsicht über die häusliche Ordnung, erscheinen. Diese Gedanken der spätabsolutistischen Polizeiwissenschaft wirkten bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts hinein fort. Mit der Unverletzlichkeit des Hausfriedens beschäftigten sich von den Polizeiwissenschaftlern des 18. Jahrhunderts vor allem J. H. G. v. Justi (1717-1771) und J. F. v.Pfeiffer (1718-1787). 113 Die beiden ersten Lehrstühle für „Ökonomische Policey - und Cameralwissenschaften" wurden 1727 in Preußen (Halle, Frankfurt/Oder) gegründet. 114 V. Hentschel, Die Staatswissenschaften an den Deutschen Universitäten im 18. und 19. Jahrhundert; in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 1 (1978), S. 181. 115 H. Lisken/E. Denninger, Handbuch des Polizeirechts, S. 4 ff.; M Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 1. Bd., S. 378. 116

Repräsentativ für diese Entwicklung sind die folgenden Werke: J. H. G. v. Justi, Die Grundfeste zu der Macht und Glückseligkeit der Staaten oder ausführliche Vorstellung der gesamten Policey Wissenschaft, Königsberg 1760/61; J. F. v. Pfeiffer, Natürliche, aus dem Endzweck der Gesellschaft entstehende allgemeine Policey Wissenschaft, Frankfurt a.M. 1779. 117 J. F. v. Pfeiffer, Natürliche aus dem Endzweck der Gesellschaft entstehende allgemeine PolizeyWissenschaft, 1. Bd., S. 8 f., J.H.G v. Justi, Die Grundfeste zu der Macht und Glückseligkeit der Staaten, 1. Bd., S. 9; vgl. hierzu H. Maier, Die ältere deutsche Staats - und Verwaltungslehre, S. 185.

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1. Teil: Entstehung und Entwicklung eines Geheimsphärenschutzes

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden das hausväterliche Regiment, der Hausfrieden und der Schutz von Familiengeheimnissen noch einmal ausführlich von G. Η. v. Berg (1765-1843) und K. H. L. Pölitz (1772-1838) thematisiert.

Π. Die Unverletzlichkeit des Hausfriedens bei J. H. G. v. Justi und J. F. v. Pfeiffer Der polizeilichen Fürsorge für die häusliche Ordnung setzten v. Justi und v. Pfeiffer die Unverletzlichkeit des Hausfriedens entgegen. Hiermit meinten sie allerdings vorwiegend das Selbstbestimmungsrecht des Hausvaters in häuslichen Angelegenheiten. Diesem stand das Recht zu, sich gegen Angriffe auf den Hausfrieden sowohl durch Private als auch durch den Staat zu verteidigen. Seine Befugnis war Bestandteil eines umfassenden Rechts auf Ausübung des häuslichen Regiments. Der Grund dafür, daß man der Herrschaft des Hausvaters eine solche Bedeutung beimaß, war auch historischer Art. Man knüpfte damit an die ältere Verwaltungslehre von der „guten Policey" aus dem 16. und 17. Jahrhundert, speziell an die Hausväterliteratur, an. 1 1 8 Da zu dieser Zeit der Hausvater noch eine Art ständische Partikulargewalt über Familie und Gesinde ausgeübt hatte 119 , war es angebracht gewesen, ihm Ratschläge für eine gute Leitung des Hauswesens zu erteilen. Anknüpfend an die aristotelische Oikonomia oder Lehre vom „ganzen Haus" hatte man die häusliche Gemeinschaft als Vorbild für die gute Staatsverwaltung betrachtet. Da sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die alte Staatsordnung allmählich auflöste und die ständerechtlich-politische Funktion des Hauses erlöschte, sah die spätabsolutistische Polizeiwissenschaft ihre Aufgabe nunmehr darin, die Autonomie der Privatfamilie gegen den polizeilichen Zugriff zu verteidigen. 120 Der Hausvater sollte das Recht haben, die inneren Verhältnisse seiner Familie autonom, d. h. unabhängig vom Staat, zu regeln. Man begriff dieses Recht als ein vorstaatliches. So führte J. H. G. v. Justi aus, es könne nicht „der Endzweck und die Absicht der einzelnen Familien bey ihrem Eintritt in die bürgerlichen Verfassungen gewesen seyn, sich ihrer häuslichen Gewalt zu begeben. Folglich muß der Staat die innere Regierung der Familien den Familien selbst überlassen." 121

us M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 1. Bd., S. 338 ff. i19

K. Amelung, Grundrechtstheoretische Aspekte der Entwicklung des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung, in: G. Birtsch (Hrsg.), Grund - und Freiheitsrechte von der ständischen zur spätbürgerlichen Gesellschaft, S. 314 f. ι20 H. Rabe, Art.: Haus, in: J. Ritter (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, 3. Bd., S. 1018. 121 J. H. G. v. Justi, Die Grundfeste zu der Macht und Glückseligkeit der Staaten, 2. Bd., § 127, S. 122; ebenso: J. F. v. Pfeiffer, Natürliche, aus dem Endzweck der Gesellschaft entstehende allgemeine Polizei Wissenschaft, 1. Bd., S. 440 ff.

1. Abschn.: Geheimsphäre in Staatsrechtslehre und Polizeiwissenschaft

47

Das Recht, über die Wahrung des Hausfriedens zu wachen, gehörte ebenfalls zur Autonomie des Hausvaters. Ein unberechtigtes Eindringen oder Verweilen durfte dieser notfalls mit Gewalt abwehren. 122 Daneben klang hin und wieder auch die Vorstellung vom Haus und der Familie als einem geschützten Geheimbereich an. Das Ausforschen der inneren Angelegenheiten der Familie bezeichnete v. Justi als eine „verhaßte Sache", die „zu tausend Ungerechtigkeiten und Tyranneyen von Seiten der Regierung und ihrer Bedienten" Anlaß gab. Überwiegend war mit der Unverletzlichkeit des Hausfriedens aber die Autonomie des Hausvaters gemeint. Nur sein Recht, nicht dasjenige sonstiger Familienmitglieder, konnte verletzt sein. Dennoch ist die Unverletzlichkeit des Hausfriedens in der polizeiwissenschaftlichen Literatur des 18. Jahrhunderts nicht ohne Bedeutung geblieben. Im 19. Jahrhundert diente sie der Wissenschaft, vor allem der Allgemeinen Staatslehre als Anknüpfungspunkt für die Entwicklung eines frühmodernen Wohnungsschutzes.123

I I I . Haus und Familie bei G. H. v. Berg und K. H. L. Pölitz Das „Handbuch des Teutschen Policeyrechts" von G.H. v. Berg stellte sich seinem Inhalt nach als Fortsetzung der spätabsolutistischen Polizeiwissenschaft des 18. Jahrhunderts im Übergang zur Polizeiwissenschaft v. Mohls auf der Grundlage des Rechtsstaates dar. 124 Die Arbeit „Die Staatswissenschaften im Lichte unserer Zeit" von K. H. L. Pölitz stand für den gemäßigten Liberalismus der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts. 125 Die Polizei des Hauswesens bildete bei beiden weiterhin einen festen Bestandteil polizeilicher Kompetenzen.126 Als Ehe-, Erziehungs-, Vormundschafts-, Gesinde- und Hauswirtschaftspolizei hatte sie die Macht, beaufsichtigend und regelnd in die inneren Beziehungen zwischen den Mitgliedern eines Hausstandes sowie selbst in die Vermögensverhältnisse einzugreifen, sobald der Schutz des Rechts und der Wohlfahrt es verlangten. 127

122 J. H. G. v. Justi, Die Grundfeste zu der Macht und Glückseligkeit der Staaten, 2. Bd., §§ 153 ff., S. 185 ff.; J.F.v. Pfeiffer, Natürliche, aus dem Endzweck der Gesellschaft entstehende allgemeine Polizeiwissenschaft, 1. Bd., S. 497 ff. ι 2 3 Vgl. 2. Teil, 1. Abschn., Β LI.a). 124 Η. Maier, Die ältere deutsche Staats - und Verwaltungslehre, S. 207; M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 2. Bd., S. 247. 125 M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 2. Bd., S. 257. 126 K. H. L. Pölitz, Die Staatswissenschaften im Lichte unserer Zeit, 2. Bd., S. 543 ff., G. Η. v. Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 2. Bd., S. 212 ff.

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1. Teil: Entstehung und Entwicklung eines Geheimsphärenschutzes

Der Grund hierfür war, daß sowohl v. Berg als auch Pölitz wie bisher von der Notwendigkeit staatlicher Wohlfahrtssorge ausgingen, „...in allen Staaten wird von der höchsten Gewalt nicht bloß Sorge fiir die Sicherheit, sondern auch fiir die Wohlfahrt der Staats genossen gefordert." 12* Zwar machte man mittlerweile Einschränkungen. 129 Im Unterschied zur Polizei Wissenschaft des ausgehenden 18. Jahrhunderts wurde nun exakt zwischen der Sicherheitspolizei, die für die öffentliche Sicherheit sowie den Schutz privater Rechte Sorge zu tragen hatte, und der Wohlfahrtspolizei unterschieden. 130 Die Sicherheit der Gesellschaft, d. h. die Abwehr von Rechtsverletzungen von der Allgemeinheit und dem einzelnen, bildete nun den Hauptzweck, dem die Sorge für die Wohlfahrt und Glückseligkeit der Bürger bloß untergeordnet war. 131 Wohlfahrtssorge sollte nur in dem Umfang erlaubt sein, wie sie dem Hauptzweck der Sicherheit dienlich war. 1 3 2 Dessen ungeachtet erhielt sich in den zitierten Lehrbüchern - zumindest in seinen wesentlichen Bestandteilen133 - der überkommene Katalog polizeilicher Zuständigkeiten auf dem Gebiet der Wohlfahrtspolizei 134, so in den meisten Lehrbüchern auch die polizeiliche Fürsorge für die häusliche Ordnung. 135 Allerdings war man wie bereits im Spätabsolutismus um Machtbegrenzung und Mäßigung bemüht. Pölitz schrieb der Polizei Zurückhaltung vor, wenn es um die Ordnung häuslicher Angelegenheiten ging. „Einer der schwierigsten Gegenstände ist die Polizei des Hauswesens, denn schon nach der philosophischen Rechtslehre besteht ein Hausrecht, wonach weder eine öffentliche Behörde noch ein Dritter in die inneren Angelegenheiten eines Hauswesens sich mischen darf." 1 3 6

Zusammen mit ihren Kompetenzen behandelte man zugleich die Grenzen einer Hauspolizei. Das „Recht, in das Innere der Häuser spionagemäßig sich einzu-

127 K. H. L. v. Pölitz, Die Staatswissenschaften im Lichte unserer Zeit, 2. Bd., S. 543 ff.; G. Η. v. Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 2. Bd., S. 212 ff. 128 G. H. V. Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 2. Bd., S. 2; ebenso: K.H.L. v. Pölitz, Die Staatswissenschaften im Lichte unserer Zeit, 2. Bd., S. 557 ff. 129 M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 2. Bd., S. 247, 257. 130 G. Η. v. Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 1. Bd., S. 205 ff. (Sicherheitspolizei); 2. Bd., S. 1 ff. (Wohlfahrtspolizei).

131 G. Η. v. Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 2. Bd., S. 1 f. 132 G.H.v. Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 2. Bd., S. 5. 133 Einzelne Gegenstände der Wohlfahrtspolizei klammerte man nun aus: G. H. v. Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 2. Bd., S. 9. 134 K. H. L. Pölitz, Die Staatwissenschaften im Lichte unserer Zeit, 2. Bd., S. 557 ff.; G. Η. v. Berg, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, 2. Bd., S. 8. 135 In einigen polizeiwissenschaftlichen Werken wurde die Polizei des Hauswesens nicht mehr erwähnt. Vgl. z. B. J.D.A. Höck, Grundlinien der Polizeiwissenschaft; L. H. Jakob, Grundsätze der Policeygesetzgebung und der Policeyanstalten, 1. Bd. 136 K. H. L. Pölitz, Die Staatswissenschaften im Lichte unserer Zeit, 2. Bd., S. 543 ff.

2. Abschn.: Ansätze eines Geheimnisschutzes im Strafprozeßrecht

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schleichen " wollte man der Hauspolizei keinesfalls zuerkennen; vor „despotischer Einmischung " 1 3 7 in die häuslichen Angelegenheiten der Bürger hatte sie sich zu hüten. Wieder war es die private Herrschaftsgewalt des Hausvaters über Familie und Gesinde einschließlich des Rechts, den Hausfrieden zu verteidigen, die man in erster Linie von einer Polizei des Hauswesens betroffen glaubte. Hier galt es, die gegenläufigen privaten und staatlichen Interessen in ein angemessenes Verhältnis zu bringen. Die Polizei durfte „nie vergessen, daß auch sie jeden Hausvater als Herrn in seinem Hause zu ehren verbunden ist" l3S. Neben seiner Funktion als Herrschaftsterritorium des Hausvaters sollte das Haus im begrenzten Umfang auch räumlicher Geheimbereich der ganzen Familie sein. Nur sachliche Gründe, niemals private Neugier der Herrschenden sollten eine Überwachung der inneren Angelegenheiten des Hauswesens rechtfertigen dürfen. Ein Ausspionieren von Familiengeheimnissen hielt man im Ergebnis für sehr viel schädlicher als nützlich für das Gemeinwesen. „Nur wissen zu wollen, was in Privathäusern vorgeht, ist in der That schon unter der Würde eines Regenten und setzt ihn in Gefahr,... die Liebe und das Vertrauen der Untertanen zu verlieren." 139

2. Abschnitt

Ansätze eines persönlichen Geheimnisschutzes im Strafprozeßrecht Unter allen denkbaren staatlichen Eingriffen zum Zweck der Strafverfolgung weisen einen Bezug zur persönlichen Geheimsphäre die verschiedenen Formen der Durchsuchung, die Verpflichtung zur Herausgabe sowie die Beschlagnahme von Papieren, Briefen und sonstigen Gegenständen des privaten Lebensbereichs sowie die Zeugenvernehmung auf. Hinsichtlich letzterer sind vor allem die Zeugnisverweigerungsrechte von Bedeutung. Es wird die Auffassung vertreten, daß sich der Schutzzweck der Zeugnisverweigerungsrechte in der Vermeidung eines Konflikts in der Person des Zeugen erschöpft. 140 Es trifft zu, daß ζ. B. das Zeugnisverweigerungsrecht von nahen Angehörigen des Beschuldigten diese vor einer Pflichtenkollision zwischen der Rechts-

137 G. Η. v. Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 2. Bd., S. 212, 223. 138 G. Η. v. Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 2. Bd., S. 213. 139 G. Η. v. Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 2. Bd., S. 213. 140 BGH St 2, S. 351; 11, S. 213, 217; 22, S. 35, 36; 27, S. 231; gleiches gilt für die Zeugnisverweigerüngsrechte bestimmter Berufsgruppen: BGH St 9, S. 59, 61. 4 Austermühle

50

1. Teil: Entstehung und Entwicklung eines Geheimsphärenschutzes

pflicht, eine wahre Aussage machen zu müssen einerseits und der persönlichen Bindung an eine nahestehende Person andererseits schützen soll. Die Zeugnispflicht als Pflicht, über Gegenstände der eigenen Wahrnehmung Auskunft zu geben, kann aber zugleich Geheimhaltungsinteressen verletzen. Betroffen ist das persönliche Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigten und dem Zeugen, das nur funktionieren kann, wenn keiner der Beteiligten damit rechnen muß, daß die zur Sprache kommenden Privatangelegenheiten später gegenüber den Strafverfolgungsorganen preisgegeben werden müssen. Insoweit konkretisieren die Zeugnisverweigerungsrechte den Schutz einer persönlichen Geheimsphäre. 141 Von diesen Strafverfolgungsmaßnahmen spielten im ausgehenden 18. Jahrhundert überhaupt nur die „Haussuchung", die Pflicht zur Urkundenedition und die Zeugnisverweigerungsrechte eine Rolle. In Deutschland galt zu dieser Zeit allerdings noch immer das Inquisitionsverfahren. Entsprechend schwach war der Gedanke des Individualrechtsschutzes im Strafprozeß ausgeprägt. 142

A. Die Gesetzgebung In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kam es noch einmal in verschiedenen Ländern zu umfassenden Strafgesetzgebungswerken, die auch das Kriminalverfahren regelten. Dazu gehörten der 1751 von W. X. A. Kreittmayr (1705-1790) für Bayern verfaßte Codex Juris Bavarici Criminalis 143 und die Constitutio Criminalis Theresiana von 1769 144 für Österreich. Die Gesetzbücher brachten keine wesentlichen Neuerungen, sondern bestätigten nur den ohnehin herrschenden Inquisitionsprozeß. 145 Erst die 1788 unter dem aufklärerischen Einfluß des österreichischen Professors Joseph Sonnenfels (1733-1817) zustande gekommene Allgemeine Gerichtsordnung Josephs Π. von Österreich, die in Ergänzung zum Allgemeinen Gesetz141 R. Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte im geltenden und künftigen Strafverfahrensrecht, S. 8 ff.; H. Dünnebier, Zur Tagebuchentscheidung des Bundesgerichtshofs, in: MDR 1964, S. 965 ff.; G. Grünwald, Beweisverbote und Verwertungsverbote im Strafverfahren, in: JZ 1966, S. 489 ff. 142 Ζ. B. Preußische Criminalordnung vom März 1717, übergegangen in das verbesserte Preußische Landrecht von 1721; Hessen-Darmstädtische Criminal- und peinliche Gerichtsordnung von 1726; Württembergische Criminalordnung von 1732; Criminal-Instruction von Hannover vom 30. April 1736. 143 Abdruck: W. Schmid (Hrsg.), Codex Juris Bavarici Criminalis des Anno MDCCLI, Frankfurt a. M. 1988. 144 Abdruck: Constitutio Criminalis Theresiana, Peinliche Gerichtsordnung, Wien 1769. 145 H. A. Zachariae, Handbuch des deutschen Strafprozesses, 1. Bd., S. 5 ff.; H. Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, S. 72; E. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 197 f.

2. Abschn.: Ansätze eines Geheimnisschutzes im Strafprozeßrecht

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buch über Verbrechen und derselben Bestrafung von 1787, das das materielle Strafrecht enthielt, das Prozeßrecht neu regelte, führte zu einigen Verbesse146

rungen. I. Die Zeugnisverweigerüngsrechte Die Rechtsquellen des 18. Jahrhunderts kannten bereits Zeugnisverweigerungsrechte. Zugunsten der nahen Angehörigen des Beschuldigten einschließlich des Ehegatten, des Beichtvaters sowie des Vasallen im Verhältnis zu seinem Lehnsherrn. Die Befreiung des Vasallen bezweckte nicht den Schutz von Vertrauensbeziehungen, sondern trug dem Abhängigkeitsverhältnis zum Lehnsherrn Rechnung. Bei den Angehörigen des Beschuldigten und dem Beichtvater ging es hingegen um den Schutz des Vertrauensverhältnisses. Der Mangel dieser Zeugnisverweigerungsrechte bestand darin, daß sie nicht ausnahmslos galten. Zur Aufklärung besonders schwerer Straftaten, wenn die Wahrheit anders nicht zu ermitteln war, oder zur Entlastung des Beschuldigten konnten auch Personen, die eigentlich von der Zeugnispflicht befreit waren, zur Aussage gezwungen werden. In diesen Fällen mußte das geschützte Vertrauensverhältnis hinter das Interesse an der Wahrheitsfindung zurücktreten. Der Codex Juris Bavarici Criminalis befreite in § 9 des 5. Kapitels des 2. Teils die „Exceptionsmäßigen" Zeugen von der Zeugnispflicht. Zu dieser Gruppe zählten auch solche Personen, die wegen ihrer persönlichen Beziehung zum Beschuldigten befangen waren (Personen, die einen Nutzen oder Schaden wegen ihrer Aussage erwarteten, mit dem Beschuldigten verfeindete Personen und schließlich die Verwandten und Verschwägerten, der Ehegatte, Personen, die in „gebrödeten Diensten „Bey stand-, Vormund- und Hausgenossenschaft" standen, der Advokat). In Ausnahmefällen, bei schweren Straftaten (delieta atrocissima) und wenn die Wahrheit auf andere Weise nicht zu erlangen war (2. Teil, 5. Kapitel, § 9 Anm. 14), waren auch diese Personen zur Aussage verpflichtet. Allerdings machte man dann im 8. Kapitel in § 24 die Einschränkung, daß sie zumindest nicht mittels der Tortur zur Aussage gezwungen werden durften. Mit den anderen in Frage kommenden Zwangsmitteln sollte es sein Bewenden haben. § 4 des 8. Kapitels der Criminal-Instrucion 147 von Hannover ließ die Vernehmung auch von Verwandten zu, wenn anders die Wahrheit nicht zu ermitteln war, und bei Kapitalverbrechen. Bei der Zeugnisverweigerung drohte eine Inverwahrungnahme (8. Kapitel, § 10), wobei zugunsten der Angehörigen nur eingeräumt 146

Abdruck: Allgemeine Kriminal-Gerichtsordnung, Wien 1788; HRüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, S. 72; Andere Bewertung durch E. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 220. 147

E. A. W. B. Nieper, Quellen des Criminal-Processes bei den Civil-Gerichten des Königreichs Hannover, S. 45. 4*

52

1. Teil: Entstehung und Entwicklung eines Geheimsphärenschutzes

wurde, daß sie zumindest so lange von der Anwendung von Zwang verschont bleiben mußten, bis die „Jusitz-Canzley" darüber entschieden hatte. In gleicher Weise schränkte die Constitutio Criminalis Theresiana die Zeugnisverweigerungsrechte ein. Gemäß Art. 33 § 6 waren von der Zeugnispflicht von Rechts wegen enthoben die Blutsverwandten bis zum dritten, die Verschwägerten bis zum vierten Grad, der Ehegatte, der Rechtsbeistand, der Vormund, die „Hausund Brodgenossen, Unterthanen oder sonst mit Pflichten zugethane Leute". § 7 enthielt dann die schon bekannten Ausnahmeregelungen. Eine Zeugnispflicht bestand auch für diese Personen bei schweren Straftaten, einem Beweisnotstand und in Fällen, in denen die Aussage zur Entlastung des Beschuldigten diente. 148 In diesen Fällen konnte die Zeugnispflicht mit den Zwangsmitteln der Geldbuße und des Gefängnisses (Art. 33 § 16, § 19 Ziff. 4) durchgesetzt werden. Die Tortur als Zwangsmittel sah die Theresiana ohnehin nicht mehr vor. Die Allgemeine Gerichtsordnung Josephs II. von 1788 begrenzte diese weite Ausnahmeregelung auf einige wenige Sonderfälle. Nicht mehr jedes schwere Verbrechen reichte aus, um die eigentlich von der Zeugnispflicht befreiten Personen (§ 123) „ bei Geld oder körperlicher Strafe " zur Zeugenaussage zu zwingen. Hierfür mußte nun immerhin der Verdacht der Majestätsbeleidigung oder des Landesverrats gegeben sein.

I I . Die Durchsuchung

Die Kriminalordnungen dieser Zeit erwähnten die Durchsuchung entweder gar nicht oder nur beiläufig. In der Regel existierten Generalklauseln, die die Polizei pauschal zur Einnahme eines Augenscheins ermächtigten, worunter dann auch die Vornahme von Visitationen fiel. Der Codex Juris Bavarici Criminalis enthielt eine solche Generalklausel in § 1 des 3. Kapitels des 2. Teils. Darin wurde der Kriminalobrigkeit pauschal das Recht eingeräumt, Strafverfolgungsmaßnahmen vorzunehmen. Zur Aufklärung von Straftaten, die äußerlich Spuren hinterlassen hatten, durfte sich die Polizei vor allem der Einnahme des Augenscheins bedienen, wozu auch die Durchführung von Visitationen gehörte. § 9 desselben Kapitels behandelte die „Visitationsvornehmung " als unselbständigen Anwendungsfall der Augenscheinseinnahme. 148 „... es leidet doch diese Regel den Abfall, daß in schweren Verbrechen, wo die Wahrheit und Umstände der That in anderweg nicht erhoben werden können, auch solche Leute, die den Rechten nach sonst untüchtig oder befreyet sind, zu Zeugen können gebrauchet werden und dazu angehalten werden;... ist zu merken, daß, wo es lediglich um Rett- und Darthuung der Unschuld eines Inquisitens zu thun ist, die Eigenschaft und Tadel der Zeugen... nicht so genau in Acht zu nehmen, sondern auch die Brod- und Hausgenossen, ja die Eltern zu ihrer Kinder und die Kinder zu ihrer Eltern Vertheidigung, auch sonst untüchtige Zeugen bewandten Umständen nach zugelassen werden können. "

2. Abschn.: Ansätze eines Geheimnisschutzes im Strafprozeßrecht

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Die Obrigkeit durfte „ allzeit " entweder selbst oder „wegen Gefahr des Unterschubs oder Verhehlung " durch Beauftragte („peritos in arte "), niemals aber durch „Schergen oder Gerichtsdiener", eine Haus- oder andere Visitation vornehmen. Es fehlte an einer Umschreibung des gesetzlichen Zwecks und der Voraussetzungen einer Durchsuchung 149 sowie ferner an sichernden Form- und Verfahrensvorschriften. Die Criminal-Instruction von Hannover erwähnte zwar im 8. Kapitel, daß bei Diebstählen und Münzfälschereien Häuser, Zimmer und Sonstiges durchsucht werden durften (§ 3), und ließ sogar die „Nachsuchung der bey dem Inquisitor vorhandenen Briefschaften" zu (§ 2) 1 5 0 , bestimmte Voraussetzungen für solche Maßnahmen wurden aber nicht aufgestellt. Auch die Constitutio Criminalis Theresiana von 1769 kannte mit Art. 26 (§§ 5, 6) nur eine allgemeine Vorschrift, die zur Erforschung des corpus delicti zu Strafverfolgungsmaßnahmen ermächtigte, ohne dabei die Visitationen ausdrücklich zu erwähnen. Auf der Grundlage solcher Gesetze waren willkürliche Hausdurchsuchungen auch solche von erheblicher Ausdehnung - bei gegebenem Anlaß vorprogrammiert. Erst die Allgemeine Gerichtsordnung Josephs II. von 1788 enthielt in den §§ 9 ff. des Ersten Hauptstückes erstmals eine selbständige gesetzliche Regelung der Hausdurchsuchung in mehreren Vorschriften. § 9 wies die Kriminalobrigkeit an, an allen Orten, „wo sie es nöthigfindet, Nachsuchung zu halten ". Durchsuchungen im Inneren des Hauses durften nur vorgenommen werden, wenn eine „bestimmte glaubwürdige Anzeige, ein gegründeter Verdacht, oder allgemeiner durch Umstände wahrscheinlich gemachter Ruf vorhanden " war, damit die häusliche Ruhe nicht mehr als nötig gestört wurde. Für eine ganze Reihe von Orten sah die Gerichtsordnung allerdings Erleichterungen vor. „Öfters und unvermuthet" durfte die Polizei Häuser, in denen starker Zugang und Abgang herrschte, vor allem Wirtshäuser, oder auch Häuser von Personen, die bereits früher einmal die „obrigkeitliche Aufmerksamkeit" auf sich gezogen hatten, durchsuchen (§ 10). Auch die besonders drückende Maßnahme der „allgemeinen Nachsuchung ", die sich über einen Bezirk oder sogar einen ganzen Ort erstreckte, durfte sie vornehmen, wenn der Verdacht bestand, daß sich eine ganze „Rotte von Kriminalverbrechern " in dem Ort aufhielt, oder wenn bereits früher einmal in dem Ort Straftaten vorgekommen waren oder wenn ein Gefangener entlaufen war (§ 12). Mit der unbestimmten Anweisung der Polizei, „ Vorsicht und Bescheidenheit" zu gebrauchen, sollte der ordnungsgemäße Ablauf einer Durchsuchung sichergestellt 149 N u r in den Anmerkungen zu dem Gesetz hieß es: „Die Obrigkeit selbst kann sich dessen nicht ermächtigen, wo keine genügsame und solche Indicia voraus gehen... W. Schmid (Hrsg.), Anmerkungen über den Codicem Juris Bavarici Criminalis, Anm. zu § 9, 3. Kap., 2. Teil. 150 E. A. W. B. Nieper, Quellen des Criminalprozesses bei den Criminalgerichten des Königreichs Hannover, S. 44 f.

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1. Teil: Entstehung und Entwicklung eines Geheimsphärenschutzes

werden. Die einzige ausdrückliche Verfahrensbestimmung war die Pflicht zur Erstellung eines Protokolls, das Zeit, Ort und beteiligte Personen aufzuführen hatte. Noch wurden diese mangelhaften Rechtszustände im Deutschen Reich von der Bevölkerung hingenommen. Ein Vergleich mit dem Ausland, vor allem mit England und den Vereinigten Staaten, zeigt, daß hier auf Grund der historischen Gegebenheiten bereits eine sehr viel geringere Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung vorhanden war. Hier waren es gerade die willkürlichen Durchsuchungen von Privathäusern, die den erbitterten Widerstand der Bevölkerung hervorriefen. 151 So wurden ζ. B. während desselben Zeitraumes in den nordamerikanischen Kolonien die „general warrants", die vagen Durchsuchungsbefehle ohne jegliche Konkretisierung der zu durchsuchenden Gegenstände und Personen, die den Finanzbehörden zur Durchsetzung britischer Steuergesetze dienten, zum Gegenstand der amerikanischen Revolution. Gleichermaßen stießen die zwangsweisen Einquartierungen von Militärs in Privathäusern auf Grund der Quartering Acts von 1765 und 1774 auf erbitterten Widerstand in der Bevölkerung und führten dazu, daß die Einquartierungen zum ersten Anklagepunkt gegen den König in der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 wurden. In England war der Kampf der Bevölkerung gegen Ubergriffe des Königs auf Privathäuser sogar noch älter. Bereits in der Regierungszeit Charles I. wurden in der Petition of Rights aus dem Jahr 1628 die Belastungen der Bevölkerung durch die Einquartierungen offiziell vom Parlament angeklagt. Ebenfalls unter Charles I. kam es im Zuge des Kampfes zwischen Parlament und König um von diesem veranlaßte, vom Parlament nicht genehmigte Steuererhebungen zu ausgedehnten Durchsuchungen, die den Widerstand der Bevölkerung auf den Plan riefen. Nach der Glorious Revolution erklärte die Bill of Rights von 1689 die zwangsweisen Einquartierungen als Rechtsverstöße, die Grund für die Absetzung des Königs gewesen waren.

152

B. Die Wissenschaft I. Die Zeugnisverweigerüngsrechte Die Wissenschaft erkannte bereits im 18. Jahrhundert Zeugnisverweigerungsrechte an. 1 5 3 Zu den von der Zeugnispflicht befreiten Personen gehörten die nahen 151

K. Amelung, Grundrechtstheoretische Aspekte der Entwicklung des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung; in: G. Birtsch (Hrsg.), Grund- und Freiheitsrechte von der ständischen zur spätbürgerlichen Gesellschaft, 2. Bd., S. 302 ff. 152 Nachweise für England und Nordamerika bei Nelson B. Lasson, The History and Development of the Forth Amendment to the Unites States Constitution, Baltimore 1977, S. 34, Anm. 78. 153 Art.: „Zeuge;" in: J. H. Zedier (Hrsg.), Großes vollständiges Universal-Lexikon aller Wissenschaften und Künste, 62. Bd., S. 63.

2. Abschn.: Ansätze eines Geheimnisschutzes im Strafprozeßrecht

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Angehörigen des Beschuldigten einschließlich des Ehegatten, der Beichtvater sowie der Vasall im Verhältnis zu seinem Lehnsherrn. In Anlehnung an die Gesetzgebung ging man aber davon aus, daß die Zeugnisverweigerungsrechte nicht ausnahmslos galten. 154 Vielmehr sollten die eigentlich befreiten Personen zur Ablegung des Zeugnisses verpflichtet sein, wenn es sich um besonders schwere Straftaten handelte, wenn die Wahrheit nicht anders zu ermitteln war oder wenn die Zeugenvernehmung zum Zweck, die Unschuld des Inquisiten zu beweisen, erfolgen sollte. In diesen Fällen sollte die Zeugnispflicht sogar mit dem Zwangsmittel der Tortur durchgesetzt werden können. Die Bedeutung der umfangreichen Kataloge mit Zeugnisverweigerungsrechten wurde dadurch zu einem Teil wieder entwertet.

II. Die Urkundenedition Dem Wesen des Inquisitionsprozesses entsprach das gesetzlich kaum fixierte, aber zum allgemeinen Gerichtsgebrauch gehörende 155 und in der Wissenschaft verbreitete Prinzip, daß jeder Untertan unumschränkt zur Herausgabe von Urkunden verpflichtet war. 1 5 6 In Bezug auf den Beschuldigten war dies die Konsequenz aus dem Recht des Inquirenten, vom Beschuldigten die Ablegung eines Geständnisses zu verlangen. Hinsichtlich dritter Personen war es Folge der jedermann treffenden Pflicht, Zeugnis abzulegen und so an der Aufklärung einer Straftat mitzuwirken. Wurde die Herausgabe vom Besitzer der Urkunde verweigert, durfte die Herausgabepflicht zwangsweise entweder mit Geld- oder mit Gefängnisstrafen oder sogleich mittels Hausdurchsuchung und gewaltsamer Wegnahme durchgesetzt werden. Gegenüber tatunverächtigen Dritten war auch die vorherige Abforderung eines Editionseides gebräuchlich. Der Strafprozeßlehre der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war ein Schutz des Beschuldigten durch ein Verbot des Selbstbelastungszwangs ebensowenig geläufig wie eine Entlastung seiner Vertrauenspersonen von der Pflicht zur Urkundenedition. Obwohl die Wissenschaft bereits ein Zeugnisverweigerungsrecht der nahen Angehörigen des Beschuldigten und des Geistlichen anerkannte, zog sie noch nicht die Schlußfolgerung, daß eine von der Zeugnispflicht befreite Person auch zur Verweigerung der noch nachteiligeren Urkundenherausgabe befugt sein müsse.

154

J. A. Zedier (Hrsg.), Art.: „Zeuge"; in: Großes vollständiges Universallexikon aller Wissenschaften und Künste, 62. Bd., S. 63; vgl. hierzu auch A. Geyer, Lehrbuch des gemeinen deutschen Strafjprozeßrechts, S. 516 f.; H. A. Zachariä, Handbuch des deutschen Strafprozesses, S. 187 ff. 155 Vgl. c. J. A. Mittermaier, Das Deutsche Strafverfahren (1827), § 64, S. 249. 156 Hinweise auf die ältere Literatur des gemeinen Strafprozesses hierzu bei C. J. A. Mittermaier, Das Deutsche Strafverfahren (1839), § 68, S. 349; C. C. Stiibel, Das Criminalver-

fahren, 5. Bd., §§ 2683 ff., S. 18 ff.

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1. Teil: Entstehung und Entwicklung eines Geheimsphärenschutzes

I I I . Die Hausdurchsuchung In der strafprozeßrechtlichen Literatur beschäftigte man sich nur mit der „Haussuchung". 157 Mit anderen Formen der Durchsuchung, ζ. B. mit der Durchsuchung der Person oder derjenigen beweglicher Gegenstände, vor allem mit der besonders intensiv Geheimhaltungsinteressen betreffenden Brief- und Papierdurchsuchung, befaßte man sich nicht. In der Hausdurchsuchung sah man weniger einen Eingriff in den räumlich geschützten Privatbereich, als vielmehr einen Angriff auf die Ehre des Betroffenen. Vor dem Hintergrund dieser Vorstellung definierte man die Voraussetzungen einer Hausdurchsuchung.

1. Die allgemeine Hausdurchsuchung

Man unterschied die allgemeine von der speziellen Hausdurchsuchung. 158 Die allgemeine „Haussuchung" erlaubte die Durchsuchung ganzer Gerichtsbezirke und war unter erleichterten Voraussetzungen zulässig, während sich die spezielle Haussuchung nur gegen bestimmte Personen richtete und an erschwerte Voraussetzungen geknüpft war. Für eine allgemeine Hausdurchsuchung war ein auf konkrete Tatsachen gestützter Tatverdacht entbehrlich. Sie konnte angeordnet werden, um einen Verdächtigen überhaupt erst zu ermitteln. Ferner reichte bereits jede Vermutung aus, daß sich Beweisgegenstände in dem durchsuchten Bezirk befanden oder sich der mögliche Täter darin aufhielt. So hieß es ζ. B. bei Quistorp, daß der Richter die allgemeine Haussuchung, „ohne deshalb Vorwürfe zu besorgen, so oft veranstalten kann, als er vermuthen kann, daß ihm solche entweder zur Entdeckung des Urhebers, oder der Complicen, oder der Umstände des Verbrechens, dienen kann." 1 5 9

Der Grund für die großzügige Zulassung dieser Form der Hausdurchsuchung bestand darin, daß sie alle durchsuchten Personen in gleicher Weise traf und nicht den Verdacht auf eine bestimmte Person lenkte, so daß kein Schaden für ihren guten Ruf entstand. Durch die Durchsuchung bei einer einzelnen Person dagegen wurde diese öffentlich dargestellt als eine Person, der man die Begehung einer Straftat zutraute. Die allgemeine Hausdurchsuchung wurde, obwohl sie eine große Zahl völlig unschuldiger Personen in ihrer häuslichen Ruhe störte, im Vergleich zur speziellen Hausdurchsuchung als die weniger einschneidende Maßnahme 157

Z. B. J. G. Ohlenroth, Juristische Abhandlung von der Haussuchung, 1759. J. G. Ohlenroth, Juristische Abhandlung von der Haussuchung, S. 17 f.; J. C. E. v. Quistorp s, Grundsätze des deutschen Peinlichen Rechts, 2. Teil, § 610, S. 131; K.Grolmann, Grundsätze der Criminalrechtswissenschaft, § 612, S. 411; G.J.F. Meister, Principia iuris criminalis, § 383, S. 329; J. C. Koch, Anfangsgründe des Peinlichen Rechts, § 731, S. 497. 159 c. Ε. v. Quistorp, Grundsätze des deutschen Peinlichen Rechts, 2. Teil, § 610, S. 131; E. F. Klein, Grundsätze des Gemeinen Deutschen und Preussischen Peinlichen Rechts, § 556, S. 413. 158

2. Abschn.: Ansätze eines Geheimnisschutzes im Strafprozeßrecht

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empfunden, weil sie die Ehre nicht in gleicher Weise verletzte. 160 Noch spielte die Vorstellung vom Haus als einem schutzwürdigem Privatbereich eine untergeordnete Rolle.

2. Die spezielle Hausdurchsuchung

Für die spezielle Hausdurchsuchung bei einer einzelnen Person galten in der Regel strengere Voraussetzungen. Während ältere Kriminalisten sich hier noch unbestimmter Formulierungen bedienten und die „ eine und andere Vermuthung, Indicien und Argumente" 161 ausreichen ließen, knüpfte man aber im ausgehenden 18. Jahrhundert durchgehend die spezielle Hausdurchsuchung an erschwerte Bedingungen. Traf sie eine bisher für „ehrlich und unbescholten gehaltene Person" 162, so durfte sie nur angeordnet werden, wenn gegen diese Person „ halber Beweis " 163 der Tat vorlag oder die Voraussetzungen für die Einleitung der Spezialinquisition gegeben waren. 164 Anders als im 19. Jahrhundert spielte die Beziehung des Durchsuchten zur Tat allerdings noch keine Rolle, weshalb keine Unterscheidung getroffen wurde zwischen der Durchsuchung beim Tatverdächtigen und derjenigen bei tatunbeteiligten Dritten. Das Kriterium bei der Prüfung, ob eine spezielle Durchsuchung erlaubt war, war ausschließlich der Umfang, in dem jeweils der gute Ruf der durchsuchten Person Schaden nehmen konnte. In Fällen, in denen der Schaden für die Ehre geringer eingeschätzt wurde, konnte schneller zur Hausdurchsuchung geschritten werden. Dies führte zu einer Reihe von Ausnahmen und Erleichterungen: Bei einer Person, gegen die bereits ein förmlicher Untersuchungsprozeß eingeleitet war, durfte ohne weitere Voraussetzungen immer wieder durchsucht werden, weil eine Rufschädigung ohnehin schon eingetreten war. 165 160

K. Amelung, Kommentar zur Strafjprozeßordnung. Reihe Alternativkommentare, Vorbem. zu § 102, 2. Bd., 1. Teilbd., RN 9, S. 94. 161 J. G. Ohlenroth, Juristische Abhandlung von der Haussuchung, S. 21; G.J.F. Meister, Principia iuris criminalis, § 383, S. 329. 162 c. Ε. v. Quistorp, Rechtliche Bemerkungen, XXXI. Bemerkung, S. 125. 163 j, C. Ε. v. Quistorp, Grundsätze des deutschen Peinlichen Rechts, 2. Teil, § 610, S. 132. „Halber Beweis" der Tat lag vor, wenn ein klassischer Zeuge die Tat in ihrem ganzen Umfang bekundet hatte; vgl. L. v. Jagemann, Die Vorbedingungen der Haussuchung; in: NAdCR (1837), S. 134 f. 164 K. Grolmann, Grundsätze der Criminalrechtswissenschaft, § 612, S. 411; die Voraussetzungen für eine Spezialinquisition lagen vor, wenn die Untersuchung schon eine geraume Zeit geführt wurde, das Beweismaterial gesammelt war und nur noch im Detail verarbeitet werden mußte; vgl. hierzu L.v. Jagemann, Die Vorbedingungen der Haussuchung, NAdCR (1837), S. 135 f. 165 J. C. Ε. v. Quistorp, Grundsätze des deutschen Peinlichen Rechts, 2. Teil, § 610, S. 132; ders., Rechtliche Bemerkungen, XXXI. Bemerkung, S. 124.

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1. Teil: Entstehung und Entwicklung eines Geheimsphärenschutzes

Bei „Leuten geringen Standes, zu denen man sich ihrer Lebensart oder Gewerbes halben eines solchen Verbrechens, als wovon die Rede ist f wohl versehen kann" 166, bedurfte es keines begründeten Tatverdachts. Hier konnte „ohne Bedenken" 167 schon in einem sehr viel früheren Stadium des Verfahrens zur Hausdurchsuchung geschritten werden. Gleiches sollte für „Leute, von deren Herkunft, Lebensart oder eigentlichem Gewerbe man nichts weiß", gelten. 168 Durchsuchungen des Tatorts selbst, um „ von dem corpore delicti nähere Wissenschaft zu erlangen", hielt man für neutral, weshalb der Richter sie nach seinem billigem Ermessen anordnen durfte. 169 Form- und Verfahrensregeln zu dem Zweck, einen gesetzmäßigen Ablauf der Hausdurchsuchung zu garantieren, wurden ganz selten 170 aufgestellt. „Was bei dem Haussuchen zu mercken und auf welche Art solche zu verrichten: Davon ist keine gewisse Regel zu geben. Denn es kommt damit größten Theils auf die Willkür an und ist vor allen Dingen jedes Orts, Herkommen und Gerichtsgebrauch in acht zu nehmen." 171

3. Abschnitt

Ansätze eines persönlichen Geheimnisschutzes im Strafrecht Unser geltendes Strafgesetzbuch stellt im 15. Abschnitt in den §§ 201-206 verschiedene Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs unter Strafe. Hierzu zählen ζ. B. die Verletzung des nichtöffentlich gesprochenen Wortes (§ 201 StGB), die Verletzung des Briefgeheimnisses (§ 202 StGB) und des Berufsgeheimnisses durch besonders verpflichtete Vertrauenspersonen (§ 203 StGB). Geschützt wird das Individualrechtsgut der Geheimsphäre als selbständiges Rechtsgut des StGB. Schutzgut des Hausfriedensbruchs (§ 123 StGB), der an anderer Stelle, nämlich im 7. Abschnitt über die Straftaten gegen die öffentliche Ordnung, seinen Platz gefunden hat, ist erst in zweiter Linie die öffentliche Ordnung, in erster Linie aber das freie Betätigen des eigenen Willens in der Wohnung und den umfriedeten Bezirken, also die freie Entfaltung der Persönlichkeit in einem räumlich umgrenzten Privatbereich. 172 166 y. c. Ε. v. Quistorp, Rechtliche Bemerkungen, XXXI. Bemerkung, S. 124 f. 167 J. Claproth, Einleitung in sämtliche summarische Processe, § 531, S. 757. 168 j; c. Ε. v. Quistorp, Rechtliche Bemerkungen, XXXI. Bemerkung, S. 124. 169 J. C. Ε. v. Quistorp, Grundsätze des deutschen Peinlichen Rechts, 2. Teil, § 610, S. 132. 1 70 J. G. Ohlenroth, Juristische Abhandlung von der Haussuchung, S. 50; J. C. Koch, Anfangsgründe des Peinlichen Rechts, § 731, S. 498; G.J.F. Meister, Principia iuris criminalis, § 383, S. 329. 171 J. G. Ohlenroth, Juristische Abhandlung von der Haussuchung, S. 49. 172 H. Tröndle, Strafgesetzbuch, Anm. zu § 123, RN 1.

. Abschn.: Ansätze eines Geheimnisschutzes im Strafrecht

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Bis zum Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 spielte der Geheimnisschutz im Strafrecht eine untergeordnete Rolle. Eine Ausnahme bildeten allerdings die durch Amtsträger begangenen Geheimnisverletzungen. Auf diesem Gebiet existierten schon früh selbständige Amtsstraftatbestände. So wies die Entwicklung des Postbeamtendelikts als ein gegen den Staat gerichteter Straftatbestand bereits ins 17. Jahrhundert zurück und vollzog sich kontinuierlich bis zum Preußischen Allgemeinen Landrecht.

A. Die Gesetzgebung I. Rechtsquellen des Gemeinen Deutschen Strafrechts Mit dem Gemeinen Recht ist das in Deutschland im 15. und 16. Jahrhundert durch Rezeption aufgenommene und fortentwickelte Römische und Kanonische Recht bezeichnet. Als ein durch wissenschaftliche Beschäftigung entstandenes einheitliches Recht stand es im Gegensatz zu der Vielzahl partikularer Rechte. 173 Auf das Strafverfahren bezogen, handelte es sich um die Phase des Inquisitionsprozesses, der im Anschluß an die Constitutio Criminalis Theresiana von 1532 immer extensiver ausgestaltet wurde. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kam es zu Kodifikationen, die auch das Strafrecht erfaßten. Der unten zitierte Codex Juris Bavarici Criminalis und die Constitutio Criminalis Theresiana in Österreich stellten den Versuch einer umfassenden Neugestaltung dar, blieben aber rückwärtsgewandt und brachten die Phase des Gemeinen Strafrechts zum Abschluß. 174

1. Die Verletzung des Post- und Briefgeheimnisses

a) Die Verletzung des Postgeheimnisses Es muß unterschieden werden zwischen der Verletzung des Briefgeheimnisses durch Postbeamte und derjenigen durch Privatpersonen. Das Delikt der unbefugten Brieferöffnung entwickelte sich in Deutschland zuerst als Postbeamtendelikt, d. h. als ein gegen staatlichen Mißbrauch gerichteter Straftatbestand. 175 Hierüber fanden sich strafrechtliche Bestimmungen bereits im frühen 18. Jahrhundert, während es 173 u. Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 253. 174 H. Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, S. 71. 175 W. Eberhardt, Ursprung und Entwicklung des Brief- und Postgeheimnisses im weiteren Sinne, S. 17; E. Gerhard, Der strafrechtliche Schutz des Briefes; in: Freiburger Abhandlungen aus dem Gebiete des öffentlichen Rechts, Heft 4,1905, S. 6 ff., S. 15 ff.

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1. Teil: Entstehung und Entwicklung eines Geheimsphärenschutzes

einen einschlägigen Deliktstatbestand für Verletzungen des Briefgeheimnisses durch Private bis zum Preußischen Allgemeinen Landrecht nicht gab. Das Postbeamtendelikt weist eine spezifisch deutsche Entstehungsgeschichte auf. Während ζ. B. in den Vereinigten Staaten von Amerika die ersten rechtlichen Verbürgungen des Wohnungsschutzes und des Verbots der Beschlagnahme von Papieren außerhalb des Postverkehrs neben anderen Grundrechten das Ergebnis lang andauernder revolutionärer Auseinandersetzungen waren 176 , nahm das Postgeheimnis in Deutschland eine gänzlich andere Entwicklung. Es wurde nicht von der Bevölkerung eingefordert, sondern von den Regierungen freiwillig gewährleistet und diente zunächst ausschließlich öffentlichen Interessen. 177 Bereits die Wahlkapitulatien Josephs I. von 1690 hatte eine Bestimmung über das Postgeheimnis enthalten. Nachdem es in den Wirren des Dreißgjährigen Krieges des öfteren zu mißbräuchlichen Übergriffen der Fürstenhöfe auf den Postverkehr gekommen war, mußte sich der Kaiser in Art. 34 § 2 verpflichten, den Generalpostmeister anzuhalten, für die „getreue und richtige Briefbestellung" zu sorgen. 178 Bei diesem Artikel handelte es sich allerdings nicht um eine Strafvorschrift, sondern um eine Reichsverfassungsbestimmung, die als historischer Vorläufer des Grundrechts auf Unverletzlichkeit des Briefgeheimnisses anzusehen ist. 1 7 9 Auf jeden Fall waren Begünstigte dieser Bestimmung nicht die einzelnen Postbenutzer, sondern ausschließlich Träger hoheitlicher Gewalt. Im Hintergrund dieses Artikels der Wahlkapitulation stand das Interesse der deutschen Territorialfürsten, ihren eigenen Briefverkehr vor dem Zugriff der Reichsgewalt zu sichern. Als eine Art Ausführungsbestimmung zur Wahlkapitulatien von 1690 erging 1698 die Reichspostordnung (8. Kapitel, § 18), die ebenfalls vorerst nur Obrigkeiten und sonstige Beamte („Obrigkeiten in Städt, Märckt und Flecken, aufKayserlichen, Churfiirstlichen, Fürstlichen und anderen Beamten "), nicht jedoch die allgemeine Bevölkerung vor Eingriffen in das Postgeheimnis schützte. Eine Erweiterung des Kreises der geschützten Personen nahm erst die Preußische Postordnung von 1712 vor, in der die Verletzung des Postgeheimnisses erstmals als Straftatbestand ausgestaltet war. § 4 des 8. Kapitels lautete:

176

So mündeten diese bereits in den letzten drei Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts in den „Bill of Rights" der Verfassungen der amerikanischen Einzelstaaten und schließlich im 4. Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung von 1789; vgl. im einzelnen hierzu 2. Teil, 2. Abschn., A. 177 K. Amelung, Kommentar zur Strafprozeßordnung. Reihe Alternativ-Kommentare, Vorbem. zu §§ 99 und 100, 2. Bd., 1. Teilbd., RN 6, S. 63. 178 Der Artikel fand auch in sämtliche späteren Wahlkapitulationen Aufnahme. Genaue Gesetzesangaben bei A. Friedländer, Die Verletzung des Briefgeheimnisses; in: ZStW 16. Bd., 1896, S. 767. 179 W. Eberhardt, Ursprung und Entwicklung des Brief- und Postgeheimnisses im weiteren Sinne, S. 24.

. Abschn.: Ansätze eines Geheimnisschutzes im Strafrecht

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„Gleichwie der Reputation der Posten, nicht weniger als deren Correspondenten selbst, daran gelegen ist, daß kein zur Post gegebener Brief unterschlagen oder aufgehalten, erbrochen oder einer Unrechten Hand abgefolgt werde; Als soll derjenige Postbediente, so der vorsetzlichen und unbefugten Vorenthaltung oder auch der Unterschlag - und Erbrechung der Briefe überführt wird, ersternfalls zu Ersetzung des Schadens angehalten, und über das mit einer Geldstrafe von 100 Talern angesehen, letzternfalls aber gar cassiret und infam erkläret... werden."

Nunmehr löste jede Verletzung des Postgeheimnisses, ganz gleich wessen Briefe hierduch betroffen waren, eine Sanktion aus. Eine vergleichbare Bestimmung enthielt auch die erweiterte und erneuerte allgemeine Postordnung für sämtliche Königlich Preußischen Provinzen von 1782 (5. Abschnitt, § 5). 1 8 0 Als man diese Bestimmungen in Preußen einführte, waren wiederum in nicht unerheblichem Umfang staatliche Interessen im Spiel. Einerseits ging es darum, das Vertrauen der Bevölkerung in eine ordnungsgemäße Briefbeförderung zu stärken und damit die Funktionsfähigkeit der staatlichen Postanstalt zu verbessern. Andererseits war es dem preußischen absolutistischen Staat ein Anliegen, mittels des Postbeamtendelikts sowie weiteren Amtsstraftatbeständen seine Beamten zu disziplinieren. 181 Dennoch waren die genannten Bestimmungen nicht mehr ausschließlich staatsschützend. Mit den Preußischen Postordnungen des 18. Jahrhunderts kam die individualrechtsschützende Komponente des Postgeheimnisses ins Spiel. Trotz erheblicher öffentlicher Interessen kamen die Vorschriften letztendlich den Interessen des einzelnen an einer vertraulichen Kommunikation zugute. Spätere Strafgesetze des 19. Jahrhunderts konnten bei der Bestrafung staatlicher Übergriffe auf den Postverkehr an diese deutsche Tradition eines Postbeamtendelikts anknüpfen.

b) Die Verletzung des Briefgeheimnisses

durch Private

Die einfache Verletzung des Briefgeheimnisses durch Private hingegen wurde in den Rechtsquellen bis zum Preußischen Allgemeinen Landrecht entweder gar nicht erwähnt oder bloß als einer von mehreren Anwendungsfällen des „crimen falsi-Deliktes" behandelt. Die Einordnung bei den Fälschungsdelikten war bereits vor dem hier behandelten Zeitraum üblich gewesen.182 Beim gemeinrechtlichen Fälschungstatbestand handelte es sich um ein Delikt von generalklauselartiger Weite. 183 Erfaßt wurden zum größten Teil Schadenszufügungen aufgrund einer Täuschung, die 180 A. Friedländer, Die Verletzung des Briefgeheimnisses; in: ZStW (1896), 16. Bd., S. 767 f. 181 K. Amelung, Die Zulässigkeit der Einwilligung bei den Amtsdelikten; in: FS für Dünnebier, S. 487 ff. 182 Z. B. § 6,6. Buch, 8. Titel des Churfürstlich Brandenburgischen revidierten Landrechts von 1685 und Art. 1, § 9, 6. Buch, 9. Titel des Preußischen Landrechts von 1721. 183 F. Schaffstein, Studien zur Entwicklung der Deliktstatbestände, S. 152 ff.

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1. Teil: Entstehung und Entwicklung eines Geheimsphärenschutzes

nicht in einer speziellen Vorschrift geregelt waren. Das Falsum wurde definiert als die „arglistige Veränderung sichtlicher Kennzeichen" oder ohne eine solche als „böslicher Mißbrauch der Wahrheit ohne actuelle Fälschung. " 184 Als Beispiele können hier der Codex Juris Bavarici Criminalis von 1751 sowie die österreichische Constitutio Theresiana von 1769 herangezogen werden. Im Codex Juris Bavarici Criminalis war die Fälschung in § 2 des 9. Kapitels des 1. Teils geregelt und erfaßte so unterschiedliche Tatbestände wie die Anmaßung falscher Titel oder Würden, die Falschaussage, die Strafvereitelung sowie schließlich das unbefugte Öffnen, Lesen oder Unterschlagen fremder Briefe. Nach den offiziellen Anmerkungen zum Gesetzbuch wurde außerdem beim Täter in der Regel vorausgesetzt, daß er „in der bösen Absicht, den Inhalt zum Schaden des anderen zu verrathen oder die dadurch entdeckte Wahrheit zu unterschlagen" handelte. Das bloße Eindringen in den Briefinhalt genügte grundsätzlich noch nicht, um die Strafbarkeit zu begründen. Es mußte die Absicht einer darüber hinausgehenden Schädigung vorliegen. In gleicher Weise behandelte die Theresiana die unbefugte Brieferöffnung durch Private. Die Fälschung befand sich im 72. Artikel („Von denen, die allerhand Falsch begehen").185 Art. 72 § 1 definierte sie als eine bewußte Verdrehung der Wahrheit, durch die einem Dritten ein Schaden entstand. Art. 72 § 6 zählte dann allerhand Beispielsfälle auf, u. a. auch die Verletzung des Briefgeheimnisses. 186

2. Die Verletzung des Berufsgeheimnisses

Der Verrat von Amtsgeheimnissen durch Staatsbedienstete bildete bereits einen selbständigen Straftatbestand, so in der Theresiana (Art. 66: „Von Verrathung der Raths- und Amtsgeheimnisse"). Hingegen existierte bis zum Preußischen Allgemeinen Landrecht kein Straftatbestand, der die Verletzung des Berufsgeheimnisses durch private Vertrauenspersonen, vor allem durch Ärzte, Rechtsanwälte und Geistliche, bestrafte. 187 Ein früher Vorläufer der späteren Bestimmung des Preußischen Allgemeinen Landrechts war

im c. J. L. Steltzer, Lehrbuch des teutschen Criminalrechts, § 662, S. 330. 185 Abdruck: Constitutio Criminalis Theresiana. Peinliche Gerichtsordnung, Wien 1769. 1 86 Einen selbständigen Tatbestand über die Verletzung des Briefgeheimnisses durch Postbeamte enthielt die Theresiana nicht. Die Begehung eines Fälschungsdelikts in Ausübung eines Amtes stellte aber allgemein einen Erschwerungsgrund dar (Art. 72 § 15). 1 87 Die strafrechtliche Verantwortlichkeit wegen Verletzung des Berufsgeheimnisses spielte nur im Römischen Recht in bezug auf den Depositar eines Testaments, wenn er dessen Inhalt an Unbefugte weitergab, und in bezug auf den Sachwalter im Prozeß sowie später im Kanonischen Recht in bezug auf die Geistlichen eine Rolle; hierzu L. Seréxhe, Die Verletzung fremder Geheimnisse; in: Freiburger Abhandlungen aus dem Gebiete des öffentlichen Rechts, Heft 7,1906, S. 1 ff.

. Abschn.: Ansätze eines Geheimnisschutzes im Strafrecht

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das Preußische Medizinal-Edikt vom 27. 9. 1725, das die Verschwiegenheit der Arzte zur gesetzlichen Pflicht erhob. Im übrigen wurde die Offenbarung von Privatgeheimnissen als unselbständiger Anwendungsfall des Fälschungsdelikts behandelt, so in § 2 des 9. Kapitels des 1. Teils des Codex Juris Bavarici Criminalis. Die Theresiana erwähnte diesen Rechtsverstoß überhaupt nicht, auch nicht bei den „Injurien" - wie dies die meisten der Strafrechtslehrbücher taten.

3. Der Hausfriedensbruch

Die Strafgesetze behandelten den Hausfriedensbruch zumeist als Unterfall des „crimen vis" - Deliktes. Dieses stellte ebenso wie das „Falsum" oder die „Injurie" einen unscharfen Tatbestand dar, der als Auffangtatbestand für alle nicht durch spezielle Vorschriften geregelten Fälle von Gewaltdelikten diente. Bei den spezialgesetzlich geregelten Gewaltdelikten handelte es sich ζ. B. um Landfriedensbruch, Landzwang, Wegelagerei und Aufruhr. 188 Gehörte er nicht zu den Gewaltdelikten, pflegte die Praxis ihn im Rahmen der Strafzumessung als Strafschärfungsgrund zu berücksichtigen, sofern zugleich eine andere Straftat begangen worden war. 1 8 9 Der Codex Juris Bavarici Criminalis stellte in § 6 des 8. Kapitels des 1. Teils „schwere Vergewaltigungen, wodurch die Leut in ihren Wohnungen überfallen" wurden, unter Strafe. Die Gewaltanwendung mußte im Hinblick auf die gesamten Umstände der Tat und die Persönlichkeit des Täters so schwer wiegen, daß die öffentliche Sicherheit und Ordnung betroffen waren. 190 Strafbar war der Hausfriedensbruch also nur bei einer schweren Gewaltanwendung, wenn die Gewalt den Grad der „vis publica" erreicht hatte. § 6 Schloß sich der Majestätsbeleidigung (§ 4) und dem Landfriedensbruch (§ 5) an. Dabei handelte es sich um Spezialgesetze des crimen vis publicae. Gem. Art. 73 § 3 der Constitutio Criminalis Theresiana machte sich nur derjenige strafbar, der „ mit gewaffneter Hand in jemandes Haus oder Wohnstatt vorsätzlich einbricht und ihn daselbst mit Schlägen oder Verwundungen oder in anderweg mißhandelt oder vergewaltiget. " Es handelte sich wiederum um einen Unterfall des crimen vis publicae, das in Art. 73 § 1 als Gewalttätigkeit, die die gemeine Ruhe und Sicherheit verletzte, definiert war. Ohne die geschilderte Gewaltanwendung war das bloße Eindringen in eine fremde Wohnung als Angriff auf den persönlichen Privatbereich nicht strafbar. 188 M. Weber, Die Hausbesetzung als strafbarer Hausfriedensbruch, S. 113. 189 j. c. Ε. v. Quistorp, Grundsätze des deutschen Peinlichen Rechts, § 191, S. 277. 1 90 W. Schmid (Hrsg.), Anmerkungen über den Codicem Juris Bavarici Criminalis, Anm. zu § 6, 8. Kap., 1. Teil, S. 112.

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1. Teil: Entstehung und Entwicklung eines Geheimsphärenschutzes

II. Die Rechtsquellen der Aufklärung Noch im 18. Jahrhundert kam es zu umfassenden Strafrechtskodifikationen, die Gedanken der Aufklärung umsetzten. Hierzu gehörten das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, das unter dem 20. Titel des 2. Teils in 1577 Paragraphen das Strafrecht behandelte, sowie in Österreich das von Joseph II. erlassene Allgemeine Gesetz über Verbrechen und derselben Bestrafung vom 13. 1. 1787 (Josephina).191

1. Die Verletzung des Post- und Briefgeheimnisses

Das Preußische Allgemeine Landrecht 192 kannte die einfache wie die qualifizierte Form dieses Tatbestandes. Die einfache durch Private begangene Verletzung des Briefgeheimnisses bildete damit zum ersten Mal einen selbständigen Straftatbestand.193 a) Die Verletzung des Postgeheimnisses § 204, Teil II, 15. Abschnitt („Vom Postregal") wies die Postbediensteten an, „ die ankommende und abgehende Korrespondenz verschwiegen " zu halten. § 205 enthielt dann allerdings keine selbständige Strafbestimmung, sondern sah nur eine Schadensersatzpflicht vor und drohte die Amtsenthebung an, verwies aber bezüglich der Bestrafung auf die Straftat, die mit der Verletzung des Postgeheimnisses beabsichtigt war.

b) Die Verletzung des Briefgeheimnisses

durch Private

Die unbefugte Öffnung fremder Briefe durch Privatpersonen wurde in § 1370 des 15. Abschnitts des 20. Titels („Beschädigung des Vermögens durch strafbaren Eigennutz und Betrug") mit Strafe bedroht. Danach machte sich strafbar, „werdie Briefe eines anderen ohne dessen Willen und ohne besondere Befugnis öffnet Wie aus der Stellung des § 1370 im Abschnitt über die Beschädigungen des Vermögens folgte, wurde dieser als ein gegen Vermögensinteressen gerichteter Straftatbestand begriffen. Das persönliche Interesse an einer vertraulichen Kommunika191 Abdruck: Allgemeines Gesetz über Verbrechen und derselben Bestrafung, Wien 1787; vgl. U. Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 263. 192 Abdruck: G. Bernert (Hrsg.), Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, Neuwied 1996. 193 Die Josephina hingegen erwähnte weder die durch Private noch die durch Postbeamte begangene Verletzung des Briefgeheimnisses.

3. Abschn.: Ansätze eines Geheimnisschutzes im Strafrecht

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tion stand noch nicht im Vordergrund. Der Strafgrund einer unbefugten Brieferöffnung wurde wohl darin gesehen, daß in ihr zumeist - ζ. B. in Fällen, in denen der Täter beabsichtigte, den Wertinhalt einer Sendung zu entnehmen - die Vorbereitung einer Vermögensschädigung lag.

2. Die Verletzung des Berufsgeheimnisses

Den Verrat von Amtsgeheimnissen regelte das Preußische Allgemeine Landrecht in den §§ 357-359 (2. Teil, 20. Titel, 8. Abschnitt: „Von den Verbrechen der Diener des Staats"). Sogar aus Leichtsinn begangene Geheimnis Verletzungen ohne Vorsatz, gewinnsüchtige Absicht und ohne Eintritt eines Schadens sollten strafbar sein. Die Verletzung des Berufsgeheimnisses durch private Vertrauenspersonen bildete in den §§ 505-508 des Preußischen Allgemeinen Landrechts erstmals einen selbständigen Straftatbestand (1. Teil, 20. Titel, 8. Abschnitt „Von den Verbrechen der Diener des Staats") Strafbar machten sich Arzte und Wundärzte, die ihnen bekannt gewordene Gebrechen und Familiengeheimnisse offenbarten. Der Täterkreis war beschränkt auf Angehörige von Heilberufen. Für andere Berufsgruppen, ζ. B. für Rechtspflegeberufe, bestand noch keine gesetzliche Pflicht zur Verschwiegenheit. § 508 verwies hinsichtlich der Bestrafung anderer Berufsangehöriger, die zwar nicht unmittelbar im Dienst des Staates standen, diesem aber vermöge ihres Standes besonders verpflichtet waren, auf den späteren Erlaß einer entsprechenden Verordnung. Da sich die §§ 505-508 am Ende des 8. Abschnitts befanden, traten sie als amtsdeliktsähnliche Tatbestände194 in Erscheinung. 195

3. Der Hausfriedensbruch

In der Josephina von 1787 bildete der Hausfriedensbruch immer noch einen unselbständigen Unterfall des Kriminalverbrechens der öffentlichen Gewalt, das zum 3. Kapitel „Von Verbrechen, die auf den Landesfürsten und den Staat unmittelbar Beziehung haben" gehörte. Es handelte sich um ein gegen die öffentliche Sicherheit gerichtetes Gewaltdelikt. Strafbar machte sich gemäß § 54, wer „mit gesammelten mehreren Leuten gewaltsam in das Gebiet, Haus oder Wohnung eines anderen dringet und daselbst an dessen Person, Hab und Gut Gewalt ausübt... " 196 194 R. Maurach/F.-C.

Schweden Strafrecht BT, 1. Teilbd., S. 282.

1 95 Die Josephina erwähnte die Verletzung des Amts- bzw. sonstigen Berufsgeheimnisses nicht. 1 96 Einen weiteren Anwendungsfall des öffentlichen Gewaltverbrechens stellte ζ. B. der Widerstand gegen Amtspersonen in Amtssachen gem. § 56 dar. 5 Austermühle

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1. Teil: Entstehung und Entwicklung eines Geheimsphärenschutzes

Im Preußischen Allgemeinen Landrecht bildete der Hausfriedensbruch erstmals einen selbständigen Straftatbestand und trat - damit in die Zukunft weisend - als Privatvergehen, d. h. als gegen Individualrechte gerichtete Straftat, in Erscheinung. Er war in den §§ 525 ff. des 9. Abschnitts („Von Privatverbrechen") des 2. Teils geregelt. Die Abschnitte 9 bis 16 enthielten Straftaten gegen Individualrechtsgüter, während die Abschnitte 2 bis 8 die Staatsdelikte enthielten. Der Kreis der geschützten Orte war im Preußischen Allgemeinen Landrecht weit gefaßt. Geschützt wurden neben dem Haus und der Wohnung auch mit „Mauern, Planken oder Zäunen umgebene Plätze" (§531) sowie das freie Feld, „soweit der Eigenthümer durch Anbau oder besondere Merkmale andere davon ausgeschlossen hat" (§ 532). Einen Zusammenhang zu einem Wohngebäude mußten die Grundstücke nicht aufweisen. Als Abgrenzung zu anderen Grundstücken war nicht einmal wie später im StGB Preußen 1851 eine Einfriedung erforderlich. Es genügten „Merkmale", also Grenzen symbolischer Art. 1 9 7 Strafbar machte sich, wer in eines anderen Haus, Wohnung, sonstigen Aufenthaltsort oder einen mit Mauern, Planken oder Zäunen umgebenen Platz (§531) wider dessen Willen eindrang. Das Einverständnis des Hausrechtsinhabers Schloß eine Strafbarkeit aus. Rechtswidrige Angriffe auf das Hausrecht berechtigten zur Notwehr (§§ 527, 528). Die Stellung der Vorschriften im Abschnitt über die Privatverbrechen, die Ausgestaltung der Tatbestände, die keine Gewaltanwendung mehr voraussetzten, das Abstellen auf den Willen des Hausrechtsinhabers und die Einräumung eines Notstandsrechts bei Angriffen auf den Hausfrieden sprachen eindeutig dafür, daß der Hausfriedensbruch nun verstanden wurde als eine Straftat gegen das Individualrecht auf einen räumlich geschützten Privatbereich und nicht mehr als ein Angriff auf die „securitas publica". 198

B. Die Strafrechtswissenschaft Die Strafrechtswissenschaft blieb hinter den Entwicklungen in der Gesetzgebung zurück. Ungeachtet der mittlerweile in Preußen und Österreich erlassenen Strafgesetze über die Verletzung des Briefgeheimnisses, des Berufsgeheimnisses und des Hausfriedens sahen selbst die Kriminalisten der letzten beiden Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts wie G.J.F. Meister (der jüngere), C. J. L. Steltzer und J. C. E. v. Quistorp in diesen Rechtsverstößen nur unselbständige Anwendungsfälle anderer Delikte.

197 K. Amelung, Hausfriedensbruch, in: ZStW 98. Bd., 1986, S. 371. 198 M. Weber, Die Hausbesetzung als strafbarer Hausfriedensbruch, S. 134 ff.

3. Abschn.: Ansätze eines Geheimnisschutzes im Strafrecht

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I. Die Verletzung des Briefgeheimnisses Die Verletzung des Postgeheimnisses durch Postbeamte fand in den Lehrbüchern gar keine Erwähnung. Die einfache Form der unbefugten Brieferöffnung behandelte man bis zum Ende des 18. Jahrhunderts als einen Anwendungsfall des Fälschungsdelikts.199 Zudem sollte das Eindringen in das Briefgeheimnis an sich noch nicht ausreichen, um eine Strafbarkeit zu begründen. Erst die Absicht einer dadurch verursachten weitergehenden Schädigung des Absenders oder Adressaten, die vermögensrechtlicher wie nicht vermögensrechtlicher Art sein konnte, löste die Strafbarkeit aus. 200 Die strafbaren Formen des Eindringens in fremde Geheimnisse wurden sogar noch über die Verletzung des Briefgeheimnisses hinaus ausgedehnt. So sollte ζ. B. das bloße Belauschen von Gesprächen, sofern für die Betroffenen dadurch ein Schaden eintrat, bestraft werden. 201

II. Die Verletzung des Berufsgeheimnisses Dieses Delikt wurde dem Injurientatbestand, der im wesentlichen die Ehrverletzungen erfaßte, zugeordnet und trat damit als Delikt nicht gegen die Geheimsphäre, sondern gegen die Ehre in Erscheinung. Der Grund für die Behandlung als Injurie war historischer Art, weil bereits im Römischen Recht gegen denjenigen, der ein bei ihm hinterlegtes Testament widerrechtlich bekannt gemacht und damit ein anvertrautes Geheimnis offenbart hatte, mit der Injurienklage vorgegangen werden konnte 202 . Wie das „Falsum" war die Injurie ein generalklauselartiger Tatbestand, der eine Auffangfunktion erfüllte, wenn eine spezielle Regelung nicht existierte. Anwendungsfälle waren die Beleidigung und Verleumdung als „Verbalinjurien" sowie die „Realinjurien", die die tätlichen Beleidigungen erfaßten 203. Die Preisgabe anvertrauter Privatgeheimnisse begriff man als Anwendungsfall der Verleumdung. Eigentlich erfaßte die Verleumdung nur das Verbreiten unwahrer, ehrenrühriger Tatsachen. Die Strafbarkeit sollte immer dann entfallen, wenn sich die Unwahrheit der Tatsachen nicht nachweisen ließ. Ausnahmsweise konnte aber auch das Verbreiten wahrer Tatsachen strafbar 199 C. F. G. Meister, Principia Iuris Criminalis, § 206, S. 121: „ . . . litteras ... in aliorum detrimentum corrumpunt"; C. J. L. Steltzer, Lehrbuch des teutschen Criminalrechts, § 662, S. 331. 200 J. C. Ε. v. Quistorp, Grundsätze des deutschen peinlichen Rechts, § 410, S. 622. 201 J. C. Ε. v. Quistorp, Grundsätze des deutschen peinlichen Rechts, § 410, S. 622. 202 E. Henke, Handbuch des Criminalrechts, 2. Bd., § 130, S. 318. 2 03 C. J. L. Steltzer, Lehrbuch des teutschen Criminalrechts, § 411, S. 186 f.; F. Schaffstein, Studien zur Entwicklung der Deliktstatbestände, S. 156 f.; K. Bartels, Die Dogmatik der Ehrverletzungen, S. 72 ff. (S. 124).

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1. Teil: Entstehung und Entwicklung eines Geheimsphärenschutzes

sein. Dies sollte ζ. B. dann der Fall sein, wenn Umstände offenbart wurden, die jemandem im Vertrauen auf seine Verschwiegenheit mitgeteilt worden waren 204 . Strafbar machte sich, wer „eines anderen anvertraute oder sonst in Erfahrung gebrachte Geheimnisse , die eine Beziehung auf desselben guten Namen haben, ausschwatzet und unter die Leute bringet. " 205 Die preisgegebenen Tatsachen mußten also ihrem Inhalt nach geeignet sein, dem guten Ruf des Betroffenen zu schaden. Der Umstand allein, daß die Mitteilung aus dem Privatbereich stammte und aus diesem Grund ein Geheimhaltungsinteresse bestand, genügte nicht. Schutzgut war die Ehre, d. h. die äußere soziale Wertschätzung, nicht aber die Geheimsphäre.

I I I . Der Hausfriedensbruch Den Hausfriedensbruch behandelte die Mehrzahl der Kriminalisten - abgesehen von denjenigen, die ihn nur bei Gelegenheit der Begehung eines anderen Delikts berücksichtigen wollten 2 0 6 - als einen Unterfall des aus dem Römischen Recht stammenden „crimen vis"- Deliktes 207 , d. h. er war nur strafbar, wenn er mit einer Gewaltausübung einherging, die so erheblich sein mußte, daß der öffentliche Rechtsfrieden gestört war. Das bloße widerrechtliche Eindringen in eine geschützte Räumlichkeit reichte nicht aus. Nicht der Angriff auf den Hausfrieden als Privatrechtsgut, sondern die Störung des öffentlichen Rechtsfriedens wurde mit diesem Straftatbestand geahndet. Zwar unterschied man in der Literatur beim „crimen vis" die „vis privata" von der „vis publica". Während erstere nur schwerere Formen der Gewalt erfaßte (z. B. den Gebrauch von Waffen), durch die die öffentliche Sicherheit und Ordnung gestört wurden, beinhaltete letztere auch eine schwächere Gewaltanwendung, die über den privaten Bereich hinaus keine Wirkung zeigte 208 . Allerdings behandelte man den Hausfriedensbruch meistens gerade als Unterfall der „vis publica" 209 . Die Gewaltausübung mußte also so erheblich sein, daß öffentliche Belange berührt wurden.

204 κ. Grolmann, Grundsätze der Criminalrechtswissenschaft (1798), § 345, S. 205 f. 205

J. C. Ε. v. Quistorp, Grundsätze des deutschen peinlichen Rechts, § 305, S. 451. K. Grolmann, Grundsätze der Criminalrechtswissenschaft (1805), § 231. 207 J. S. F. Böhmer, Elementa Iurisprudentiae Criminalis, § 99, S. 334: „qui aedes privatorum innadunt... G. J. F. Meister, Principia Iuris Criminalis, § 348, S. 300 f.; G. J. F. Meister, Principia Iuris Criminalis, § 399, S. 139; E. F. Klein, Grundsätze des Gemeinen Deutschen und Preussischen Peinlichen Rechts, § 202, S. 148; J. C. Koch, Anfangsgründe des Peinlichen Rechts, § 611, S. 418. 208 Vgl. Z ur Unterscheidung vis privata/vis publica: G.J..F. Meister, Principia Iuris Criminalis, § 344, 345, S. 297 f.; C. F. G. Meister: Principia Iuris Criminalis, § 415, S. 246; E. F. Klein, Grundsätze des Gemeinen Deutschen und Preussischen Peinlichen Rechts, § 190, S. 139 f.; J. S. F. Böhmer, Elementa Iurisprudentiae Criminalis, §§ 98 ff., S. 332 ff. 206

Ergebnisse des Ersten Teils

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Ergebnisse des Ersten Teils 1. Abschließend läßt sich festhalten, daß die Idee eines schutzbedürftigen persönlichen Geheimbereichs erstmals in der staatsrechtlichen Literatur des deutschen Spätabsolutismus - sowohl in der reichspublizistischen als auch in der natürlichen Staatsrechtslehre - thematisiert wurde. Hier liegen die Wurzeln unseres heutigen Privatsphärenschutzes. Zu den Postulaten zählten Teilgarantien einer persönlichen Geheimsphäre, so vor allem der Schutz des Familienlebens vor einem staatlichen Ausforschen, das Briefgeheimnis, der Schutz des Berufsgeheimnisses gegenüber staatlichem Auskunftsverlangen, das Recht, die Ablegung des Zeugnisses zu verweigern etc. Sie bildeten die Grenze der Ausübung des „ius inspectionis" durch den Fürsten. Einerseits billigte man dem Souverän - ganz im Sinne des absolutistischen Machtstaates - dieses umfassende, aus dem Kirchenrecht stammende Überwachungs- und Beaufsichtigungsrecht neben den anderen Hoheitsrechten zu. Vor allem die sich ausbreitenden Geheimbünde wollte man mittels dieses Rechts einer wirksamen Kontrolle unterwerfen. Andererseits beschäftigte man sich im Zuge des allgemeinen Bemühens der Aufklärung um Machtbegrenzung mit dessen Grenzen. Noch besaßen die aufgezählten Garantien nicht den Charakter subjektiver Rechtspositionen. Man zählte sie weder zu den durch Gesetz oder Herkommen „wohlerworbenen Rechten" noch zum Katalog der vorstaatlichen natürlichen Rechte in den Naturrechtslehrbüchern. Vielmehr erwuchsen sie dem Untertanen aus der Bindung des Fürsten an den Staatszweck, der im ausgehenden 18. Jahrhundert unter Aufgabe wohlfahrtsstaatlicher Staatszielbestimmungen zunehmend enger formuliert wurde. Eine weitere Entwicklungslinie innerhalb der staatswissenschaftlichen Literatur leitete die aufgeklärte Polizei Wissenschaft ab 1750 ein, beschränkt allerdings auf die Unverletzlichkeit des Hausfriedens. Der wohlfahrtsstaatlichen Fürsorge der Polizei für die häusliche Ordnung setzten v. Justi und v. Pfeiffer als privaten Schutzraum die hausväterliche Gewalt, speziell den Hausfrieden entgegen. Uber den Hausfrieden wachte der Hausvater, der das Recht zur alleinigen Ausübung des Hausrechts besaß. Im frühen 19. Jahrhundert thematisierten G.H. v. Berg und Κ. H. L. Pölitz unter Anknüpfung an diese im 18. Jahrhundert entstandene Lehre noch einmal ausführlich die Grenze zwischen wohlfahrtsstaatlicher Fürsorge der Polizei für die häusliche Ordnung und dem Herrschaftsterritorium des Privatmannes. Ging es hierbei auch weniger um einen häuslichen Geheimbereich für die ganze Familie als vielmehr um das Selbstbestimmungsrecht des Hausvaters, so dienten die hier entwickelten Grundsätze der Allgemeinen Staatslehre im 19. Jahrhundert doch als Ansatzpunkte für ein jedermann zustehendes Recht auf einen räumlich abgegrenzten Geheimbereich als Ort der freien Persönlichkeitsentfaltung. 209 G. D. F. Meister, Principia Iuris Criminalis, § 348, S. 300 f.; J. C. Koch, Anfangsgründe des Peinlichen Rechts, § 606, S. 415; § 611, S. 418; J. S. F. Böhmer, Elementa Iurisprudentiae Criminalis, § 99, S. 334.

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1. Teil: Entstehung und Entwicklung eines Geheimsphärenschutzes

2. In der Strafprozeßgesetzgebung existierten zunächst so gut wie keine Schutzbestimmungen zugunsten einer persönlichen Geheimsphäre. Dies hing damit zusammen, daß im ausgehenden 18. Jahrhundert in Deutschland noch immer der Inquisitionsprozeß vorherrschte. Entsprechend schwach war der Schutz von Individualrechten ausgestaltet. Es existierten Generalklauseln, die neben anderen Strafverfolgungsmaßnahmen auch zur Einnahme des Augenscheins ermächtigten. Einen Anwendungsfall bildete die Durchführung von Visitationen, ohne daß jedoch Zweck, Voraussetzungen und Umfang solcher Visitationen näher umschrieben worden wären. Die umfangreichen Kataloge mit Zeugnisverweigerungsrechten wurden durch Ausnahmebestimmungen zu einem Teil wieder entwertet. Zu einzelnen Verbesserungen kam es erst mit der neuen, im Zeichen der Aufklärung stehenden Gesetzgebung, ζ. B. in Österreich mit der Allgemeinen Gerichtsordnung Josephs Π. von 1788. Erstmals wurde die Hausdurchsuchung in mehreren Vorschriften einer gesetzlichen Regelung unterworfen. Die Zeugnisverweigerungsrechte wurden hier beinahe ausnahmslos zugebilligt. Im Schrifttum war der Gedanke verbreitet, daß jedermann unumschränkt zur Herausgabe von für die Untersuchung wesentlichen Urkunden verpflichtet war. Weder erkannte man einen Schutz des Beschuldigten vor einem Zwang zur Selbstbelastung an, noch blieben seine Vertrauenspersonen von der Pflicht zur Urkundenedition befreit. Ausführlich beschäftigte man sich ferner mit der „Haussuchung", allerdings sah man in ihr nicht einen Eingriff in eine räumliche Privatsphäre, sondern einen Angriff auf die Ehre. Daraus resultierte die großzügige Zulassung der allgemeinen, sich über ganze Orte erstreckenden Hausdurchsuchung, die man im Vergleich zur speziellen Durchsuchung als die weniger einschneidende Maßnahme empfand. 3. Bessere Ansätze für einen Geheimnisschutz bot das Strafrecht in diesem Zeitraum. Zwar erwies sich die Strafrechtsliteratur insoweit als wenig ergiebig, weil sie Geheimnisverletzungen noch nicht als selbständige Straftatbestände behandelte. Die Verletzung des Briefgeheimnisses stellte eine Untergruppe des Falsum, die Preisgabe fremder Geheimnisse eine solche der Injurien, d. h. der Ehrverletzungen, und der Hausfriedensbruch einen Anwendungsfall des „crimen vis publica", d. h. des gegen den öffentlichen Rechtsfrieden gerichteten Gewaltdelikts, dar. Dagegen wurde in der Gesetzgebung schon frühzeitig die Verletzung fremder Geheimnisse bestraft, zumindest soweit diese durch Amtsträger begangen wurde. In der Folge der Wahlkapitulation von 1690 und der Reichspostordnung von 1698, die deutsche Landesfürsten und andere Obrigkeiten vor Übergriffen der Reichsgewalt auf ihren Postverkehr bewahren sollten, wurden in Preußen mit Beginn des 19. Jahrhunderts Postordnungen erlassen, die bei Verletzungen des Postgeheimnisses erstmals strafrechtliche Sanktionen vorsahen und zwar unabhängig davon, ob der Briefinhaber ein Träger von Hoheitsgewalt oder ein Privatmann war. Auch der Verrat von Amtsgeheimnissen war gesetzlich bereits geregelt. Handelte es sich hierbei auch um Amtsvergehen zur Erreichung öffentlicher Interessen, so bewirkten sie letztendlich einen Schutz des einzelnen Untertanen vor staatlichem Miß-

Ergebnisse des Ersten Teils

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brauch durch Verletzung des Briefgeheimnisses und sonstiger Geheimnisse. Diese Schutzwirkung der Amtsstraftatbestände war von besonderer Bedeutung im Hinblick darauf, daß es an anderen rechtlichen Verbürgungen, ζ. B. auf der Ebene des Verfassungsrechts, noch fehlte. Im Verhältnis zwischen Privatpersonen untereinander spielte der Privatsphärenschutz hingegen nur eine untergeordnete Rolle. Die Rechtsquellen behandelten die einfache Verletzung des Briefgeheimnisses sowie die Preisgabe anvertrauter Geheimnisse als Fälschung, den Hausfriedensbruch als „crimen vis" Delikt. Mit dem Preußischen Allgemeinen Landrecht wurden diese Rechtsverstöße zu eigenständigen Delikten. Ihrem Schutzzweck nach handelte es sich jedoch nicht um Straftaten gegen den persönlichen Geheimbereich. Die Verletzung des Briefgeheimnisses durch Private wurde als Vermögensgefährdungsdelikt, der Verstoß gegen das Berufsgeheimnis durch Ärzte und sonstige Angehörige von Heilberufen als eine Gefährdung des öffentlichen Gesundheitswesens und nicht als Verletzung eines privaten Vertrauensverhältnisses begriffen. Eine Ausnahme bildete insoweit nur der Hausfriedensbruch, der in Preußen bereits ein gegen einen räumlich umgrenzten Privatbereich gerichtetes Privatvergehen darstellte.

2. Teil

Der Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert bis zur Gesetzgebung des Deutschen Reiches 1. Abschnitt

Die persönliche Geheimsphäre in der Staatsrechtslehre, in der Polizeiwissenschaft und in der Verwaltungsrechtswissenschaft A. Die Staatsrechtslehre des Deutschen Bundes (J. L. Klüber, H . Zoepfl, R. Maurenbrecher, H . A. Zachariä, Κ . E. Weiss) Bei der Staatsrechtslehre des Deutschen Bundes ab 1815 handelte es sich um eine Rechtslehre, die ihre Aufgabe darin sah, auf der Grundlage einer konstitutionellen Staats Vorstellung die neuen Rechtsgrundlagen des im Juni 1815 ins Leben gerufenen Deutschen Bundes sowie das sonstige bereits geltende öffentliche Recht dazurstellen und zu systematisieren.1 Zu den Staatsrechtlerrn des Deutschen Bundes gehörten J. L. Klüber (1762-1837) 2 , H. Zoepfl (1807-1877) 3 , R. Maurenbrecher (1803-1843) 4 , H. A. Zachariä (1806-1875) 5 sowie der Gießener Professor Κ. E. Weiss.6 Obgleich die Staatsrechtslehre des Deutschen Bundes aufgrund ihrer Zielstellung am positiven Recht orientiert war, werden die in ihr zu findenden Bemerkungen zum Thema einer persönlichen Geheimsphäre bereits an dieser Stelle und nicht ι M. Stolleis, Geschichte des Öffentlichen Rechts, 2. Bd., S. 83 ff. Hauptwerk: Öffentliches Recht des Teutschen Bundes und der Bundesstaaten (1817, 1823, 1831,1840). 3 Hauptwerk: Grundsätze des Gemeinen Deutschen Staatsrechts (mit jeweils abweichenden Titeln: 1841,1846, 1855,1863). 4 Hauptwerk: Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts, Frankfurt (1836, 1837, 1847). 5 Hauptwerk: Deutsches Staats- und Bundesrecht, 1. und 2. Teil (1841/42; 1853/54; 1865/67). 2

6

Hauptwerk: System des deutschen Staatsrechts, 1843.

1. Abschn.: Staatsrechtslehre, Polizei- und Verwaltungsrechtswissenschaft

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erst im Anschluß an das positive Verfassungsrecht behandelt. Denn die Absicht, lediglich den positiven Rechtsstoff darzustellen, ließ sich angesichts der mangelhaften Rechtszustände, vor allem des weitgehenden Fehlens von Verfassungsgesetzen in den Bundesstaaten, nicht vollständig verwirklichen. Immer wieder mußten dort, wo es an gesetzlichen Verbürgungen noch fehlte, Lücken gefüllt und Rechtsfortbildung betrieben werden.7 Außerdem setzte die Staatsrechtslehre des Deutschen Bundes - obwohl der politische Kontext seit dem Untergang des alten Reiches nun ein grundlegend anderer war - die reichsstaatsrechtliche Tradition aus dem 18. und dem frühen 19. Jahrhundert fort. J. L. Klüber war beispielsweise ein Schüler J. S. Pütters gewesen. Aber auch im Hinblick auf die angewendete Methode der Sammlung und Systematisierung des geltenden Rechts war eine Kontinuität gegeben.8 Was das Thema des „ius inspectionis" und seiner Grenzen anbetrifft, schließen sich die einschlägigen Ausführungen nahtlos an die entsprechenden Untersuchungen der späten Reichsstaatsrechtler T. v. Schmalz, Ν. T. Gönner und J. C. Leist an. Auch der Standort, an dem dieses Thema behandelt wurde, wurde beibehalten. Die persönlichen Geheimnisse der Untertanen stellten weiterhin die selbst auferlegte Grenze dar, die der jeweilige Landesfürst bei der Ausübung seines Oberaufsichtsrechts zu respektieren hatte. Die Grenzen des „ius inspectionis" wurden nun ζ. T. sehr genau umschrieben. Zu den Garantien zählten das Briefgeheimnis, der Schutz des Privat- und Familienlebens, das Beichtgeheimnis, das Berufsgeheimnis von Ärzten und Rechtsanwälten und die Anerkennung von Zeugnisverweigerungsrechten. Allerdings wurden in der staatsrechtlichen Literatur des Deutschen Bundes auch kritische Stimmen laut. Der bisher herrschende Konsens hinsichtlich der Anerkennung eines staatlichen Oberaufsichtsrechts kam abhanden. Einige Autoren warnten davor, daß ein solches umfassendes Überwachungsrecht dazu mißbraucht werden könne, um Befugnisse anderer Verfassungsorgane zu unterlaufen oder Bürgerrechte zu verletzen.

I. Das Oberaufsichtsrecht Nach dem Untergang des alten Reiches stand das Oberaufsichtsrecht nur noch dem Landesfürsten zu. Die Lehrbücher behandelten es demgemäß im Territorialstaatsrecht im Anschluß an die Darstellung des Bundesrechts. Beim Territorial7

M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 2. Bd., S. 82. E. Schmidt-Aßmann, Der Verfassungsbegriff in der deutschen Staatslehre der Aufklärung und des Historismus, S. 98 f.; E.-W. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. S. 84; R. Smend, Der Einfluß der deutschen Staats- und Verwaltungsrechtslehre des 19. Jahrhunderts auf das Leben in Verfassung und Verwaltung, in: Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 326 ff. (328). 8

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2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

staatsrecht handelte es sich um ein fiktives, durch Rechtsvergleichung gewonnenes gemeindeutsches Staatsrecht, mit dessen Hilfe man nach der fehlgeschlagenen nationalen Einigung wenigstens auf der Ebene des Staatsrechts eine Einheit herstellen wollte. 9 Nach wie vor war das Oberaufsichtsrecht ein selbständiges Regierungsrecht neben der gesetzgebenden und vollziehenden Gewalt. 10 Es wurde als umfassendes Aufsichts- und Kontrollrecht verstanden, wobei sein Anwendungsbereich - wie sich dies bereits in der Reichspublizistik ab 1800 angekündigt hatte - auf die staatsinterne Aufsicht über nachgeordnete Behörden und Träger von Hoheitsgewalt ausgedehnt wurde. So sollten die Staatsbediensteten verpflichtet sein, regelmäßig über den Gang der Geschäftsführung Bericht zu erstatten 11. Solange sich das Aufsichtsrecht aber auch noch auf natürliche Personen und Personenvereinigungen erstreckte, stellte sich die Frage nach seiner Begrenzung.

II. Die persönliche Geheimsphäre als Grenze Wieder wurden die Grenzen des Oberaufsichtsrechts abgesteckt. So hieß es bei Klüber: „Die Regierung innerhalb ihrer Grenzen fordert nicht Nachrichten ein, die des Bürgers Freiheit gefährden und dem Despotismus fröhnen. Glück zu mehren, Elend zu mindern, sey der Canon der aufsehenden Gewalt, nicht die Sucht, alles wissen zu wollen. Der Staat habe die Augen auf alles, nicht die Hände in allem." 12

Aus der Grenzziehung heraus entstand ein persönlicher Geheimnisschutz. Neu war dabei die Unterscheidung zwischen den natürlichen und den positiv rechtlichen Grenzen des Oberaufsichtsrechts. Während positiv - rechtliche Grenzen die wenigen, bereits existierenden gesetzlichen Bestimmungen in den Territorien waren, die Geheimhaltungsinteressen schützten, waren mit den natürlichen Grenzen die vorgegebenen Grundsätze gemeint, die auch dann beachtet werden sollten, wenn es noch keine entsprechenden gesetzlichen Schutzvorschriften gab.

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M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 2. Bd., S. 84. J. L. Klüber: „aufsehende Gewalt" oder „ius supremae inspectionisÖffentliches Recht des Teutschen Bundes (1817), 2. Teil, § 278, S. 444; H. A. Zachariä: „Oberaufsichtsrecht" oder „ ius supremae inspectionisDeutsches Staats - und Bundesrecht (1853/54), 2.Teil, § 165, S. 192; R. Maurenbrecher: „jus supremae inspectionisGrundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts (1847), § 177, S. 310; Κ. E. Weiss, „Jus supremae inspectionis", System des deutschen Staatsrechts, § 320, S. 700 ff. 11 R. Maurenbrecher, Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts, § 179, S. 312 f.; H. A. Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht, § 165, S. 192 f.; Κ. E. Weiss, System des deutschen Staatsrechts, § 326, S. 701 f. 12 J. L Klüber, Öffentliches Recht des Teutschen Bundes, § 280, S. 446. 10

1. Abschn.: Staatsrechtslehre, Polizei- und Verwaltungsrechtswissenschaft

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Als natürliche Grenze jeder Aufsicht diente Klüber, Maurenbrecher, Zachariä und Weiss die Bindung an den Staatszweck. Nur wenn durch eine Beaufsichtigungsmaßnahme der Staatszweck befördert werden konnte, war sie zulässig. Auch in der Staatsrechtsliteratur des Deutschen Bundes begann man, den Begriff des Staatszweckes eng auszulegen. Es war die Ansicht vorherrschend, daß die Hauptaufgabe des Staates in der Aufrechterhaltung der Sicherheit bestand. Erziehungsund wohlfahrtsstaatliche Aufgaben waren nach wie vor nicht vollkommen eliminiert. Man ordnete sie aber meistens den Sicherheitsaufgaben unter, so daß sie zum Staatszweck nur noch in einem mittelbaren Verhältnis standen.13 Im Bereich des Oberaufsichtsrechts wirkte sich die Bindung an den Staatszweck dahingehend aus, daß der private, familiäre Bereich einer Beaufsichtigung weitgehend entzogen blieb, weil hier nur selten öffentliche Interessen berührt sein konnten.14 So hieß es bei H. A. Zachariä : „ Über Umstände aus diesem Bereich müssen die Untertanen keinerlei Mitteilungen machen. " 15 Bei bestimmten Lebensbereichen verlangten höhere Gebote des Sittengesetzes, deren Verletzung „das allgemeine Vertrauen der Bürger unter sich nothwendig zunichte" 16 machte, einen Schutz vor unrechtmäßiger staatlicher Ausforschung. 17 Hierzu zählten das private häusliche Leben, die Wahrung des Briefgeheimnisses und des Berufsgeheimnisses von Ärzten, Rechtsanwälten und dem Beichtvater. Den Einsatz einer geheimen Polizei 18 sowie eine allgemeine Denunziationspflicht für alle Untertanen 19 bezeichnete man in diesem Zusammenhang als sittenwidrig. Unter den positiv rechtlichen Grenzen wurden alle geltenden verfassungsrechtlichen und einfach gesetzlichen Bestimmungen, sofern es solche bereits gab, aufgezählt, die dem Schutz der Geheimsphäre dienten. So war ζ. B. das Briefgeheimnis in § 38 der Kurhessischen Verfassungsurkunde von 1831 und einfachgesetzlich in den Postordnungen der Territorien festgeschrieben. Zu den subjektiven Untertanenrechten zählten die Garantien eines Geheimnisschutzes noch immer nicht in den Staatsrechtslehrbüchern. Zum klassischen Be-

13 H. A. Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht (1852/54), 1. Teil, § 13, S. 42 f.; J. L. Klüber, Öffentliches Recht des Teutschen Bundes (1831), § 381. 14

R. Maurenbrecher, Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts, § 177, S. 310 f.; H. A. Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht (1853/54), 2. Teil § 166, S. 194 f.; J. L. Klüber, Öffentliches Recht des Teutschen Bundes, § 280, S. 446 ff.; Κ. E. Weiss, System des deutschen Staatsrechts, § 321, S. 702. 15 H. A. Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht, 2. Teil, § 166, S. 194; R. Maurenbrecher, Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts, § 177, S. 311. 16

H.A. Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht, § 166, S. 195. 17 R. Maurenbrecher, System des deutschen Staatsrechts, § 177, S. 310; H. A. Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht, 2. Teil, § 166, S. 194. is R. Maurenbrecher, Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts, § 177, S. 310 f. 19 H. A. Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht, 2. Teil, § 166, S. 195.

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2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

stand der Freiheitsrechte 20 gehörten nur die Unverletzlichkeit von Leib und Leben, das Recht auf Ehre, das Recht der freien Gedankenäußerung einschließlich der Pressefreiheit, die Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Freizügigkeit und Auswanderungsfreiheit, das Recht, Berufs- und Ausbildungsstelle frei zu wählen, die Freiheit von Leibeigenschaft 21, die Vereinigungsfreiheit, die Gleichheit, das Eigentum und die allgemeine Handlungsfreiheit. 22

I I I . Kritik am Oberaufsichtsrecht im Vormärz Auch wenn dem Oberaufsichtsrecht Schranken gesetzt waren, wurde an dieser Lehre Kritik geübt. So bestritt H. Zoepfl den Charakter des „ius inspectionis" als eines formellen Hoheitsrechts. 23 Vielmehr handele es sich nur um eine Äußerungsform der vollziehenden Gewalt. 24 Diese umfasse das „ius supremae inspectionis", ferner die Vollziehung der Gesetze und die Rechtsprechung. Die Unterscheidung von selbständigen politischen Regierungsrechten sei praktisch nur dann sinnvoll, wenn diese auch tatsächlich von verschiedenen Organen wahrgenommen würden. Beaufsichtigend wirke die Staatsgewalt aber nur durch die Organe der Gesetzgebung und der Vollziehung. In den allermeisten Fällen würden Maßnahmen zur Informationsbeschaffung von den Exekutivorganen durchgeführt. Dann müsse das Oberaufsichtsrecht auch Teil der vollziehenden Gewalt sein.25 Es waren nicht nur Gründe der Praktikabilität, die Zoepfl dazu veranlaßten, die Oberaufsicht nicht mehr als selbständiges Hoheitsrecht zu behandeln. Das Oberaufsichtsrecht des Staates, verstanden als selbständiges Hoheitsrecht in der Hand des Souveräns, war der Kontrolle durch die Gesetzgebungsorgane entzogen. Nur die Kontrolle der vollziehenden Gewalt durch die Gesetzgebung war als allgemeiner Grundsatz anerkannt. Andererseits berechtigte das „ius inspectionis" zu weitgehenden Beaufsichtigungs- und Überwachungsmaßnahmen. Um eine Umgehung des Kontrollsystems im Staat zu vermeiden, durfte „in einem wohlgeordneten Staat auch die Beaufsichtigung nur in gesetzlich bestimmter Weise durch die Organe der Vollziehung geschehen. " 26 20 K. E. Weiss, System des deutschen Staatsrechts, §§ 273-277, S. 572 ff.; H. A. Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht (1841/42), 1. Teil, §§ 64, 65, S. 227 ff.; H. Zoepfl, Grundriß zu Vorlesungen, §§ 32-40, S. 85 ff. 21 Κ. E. Weiss, System des deutschen Staatsrechts, § 275, S. 576.; H. A. Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht (1841/42), 1. Teil, § 65, S. 239. 22 Κ. E. Weiss, System des deutschen Staatsrechts, § 276, S. 578; H. A. Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht (1841/42), 1. Teil, § 65, S. 241 f. 23 H. Zoepfl, Art.: „Hoheitsrechte"; in: J. Weiske (Hrsg.), Rechtslexikon für Juristen aller teutschen Staaten, 5. Bd., S. 331 f. 24

H. Zoepfl, Grundsätze des Gemeinen Deutschen Staatsrechts, § 276, S. 769 f. 25 H. Zoepfl, Art.: „Hoheitsrechte"; in: J. Weiske (Hrsg.), Rechtslexikon für Juristen aller teutschen Staaten, 5. Bd., S. 332.

1. Abschn.: Staatsrechtslehre, Polizei- und Verwaltungsrechtswissenschaft

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In diesen Äußerungen wird offenbar, daß sich die Lehre vom Oberaufsichtsrecht mit dem konstitutionellen Staatsbegriff des Vormärz kaum mehr vereinbaren ließ. Zu diesem gehörte es, daß Eingriffe in Freiheit und Eigentum einer gesetzlichen Grundlage bedurften, die unter Mitwirkung der Volksvertretung zustande gekommen war. 27 Die Gesetzgebungsgewalt war insofern zwischen Monarch und Volksvertretung aufgeteilt. Durch die Anerkennung eines dritten Hoheitsrechts neben Vollziehung und Gesetzgebung drohte die Gefahr, daß das System der gegenseitigen Kontrolle unterlaufen wurde und der Souverän unter dem Vorwand, von seinem Oberaufsichtsrecht Gebrauch zu machen, weitreichend in die Rechte der Untertanen eingriff. Es wurde gefordert, die Informationsbeschaffung durch den Staat zu den Aufgaben der vollziehenden und gesetzgebenden Gewalt zu zählen mit der Folge, daß Aufsichtsmaßnahmen, die in individuelle Rechte des einzelnen eingriffen, nur aufgrund eines unter Mitwirkung der Volksvertretung zustande gekommenen Gesetzes erfolgen durften.

B. Die natürliche Staatsrechtslehre Mit der natürlichen Staatsrechtslehre ist im 19. Jahrhundert die naturrechtliche, vom positiven Recht gelöste im Gegensatz zu der an den geltenden Rechtsgrundlagen orientierten Staatsrechtslehre des Deutschen Bundes bezeichnet. Sie setzte die von G. Hufeland, H. G. Scheidemantel und T. v. Schmalz repräsentierte natürliche Staatsrechtslehre des ausgehenden 18. Jahrhunderts fort. 28 Auch im 19. Jahrhundert wurde diese Wissenschaftsrichtung weiterhin als „natürliches Staatsrecht", „Staatsrecht nach der Vernunft" oder auch „Allgemeines Staatsrecht bezeichnet.29 Erst am Ende des 19. Jahrhunderts ging aus dem natürlichen Staatsrecht die vom geltenden Recht abgesetzte philosophische „Allgemeine Staatslehre" hervor. 30 Die Lehre vom „ius inspectionis" und seinen objektiven Grenzen, wie sie in der natürlichen Staatsrechtslehre des 18. Jahrhunderts vertreten worden war, tauchte 26

H. Zoepfl, Art.: „Hoheitsrechte"; in: J. Weiske (Hrsg.), Rechtslexikon für Juristen aller Teutschen Staaten, 5. Bd., S. 332. 27 E.-W. Böckenförde, Der Verfassungstyp der deutschen konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert, in: E.-W. Böckenförde (Hrsg.), Moderne deutsche Verfassungsgeschichte (1815-1914), S. 151. 28 M. Stolleis, Die Allgemeine Staatslehre im 19. Jahrhundert; in: D. Klippel (Hrsg.), Naturrecht im 19. Jahrhundert. Kontinuität - Inhalt - Funktion - Wirkung, S. 3 f.; M. Stolleis, Die Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 2. Bd., S. 122 f. 2 9 AT. Stolleis, Die Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 2. Bd., S. 122 f. 30 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde dann die Vorlesung über Allgemeines Staatsrecht durch die Vorlesung Allgemeine Staatslehre abgelöst, so in Heidelberg im Wintersemester 1898/1899, in Leipzig erst im Sommersemester 1908. Vgl. hierzu H. Kuriki, Die Rolle des Allgemeinen Staatsrechts in Deutschland von der Mitte des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, in: AÖR, 99. Bd., 1974, S. 558 ff.

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2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

hin und wieder noch in den einschlägigen Lehrbüchern auf, verlor aber zunehmend ihre Bedeutung. Autoren wie ζ. Β. A. Bauer, G. W. Gerlach, L. v. Dresch hielten weiterhin an der Aufteilung der Herrschaftsgewalt in die Oberaufsicht, die Gesetzgebung und die Vollziehung fest. Die oberaufsehende Gewalt berechtigte zum Einziehen von Informationen über einzelne wie über Gesellschaften auf allen Gebieten der Staatstätigkeit und fand ihre Grenze in der Erreichung des Staatszwecks, der inneren und äußeren Rechtssicherheit31. Weit überwiegend änderte sich nun aber der Standort, an dem das Thema Geheimnisschutz behandelt wurde. Bereits in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts begann sich unter den Vertretern der natürlichen Staatsrechtslehre die Auffassung durchzusetzen, daß es sich bei der Unverletzlichkeit der Wohnung, dem Briefgeheimnis und dem Beschlagnahmeverbot in bezug auf Briefe und Papiere um aus dem Recht der Persönlichkeit abgeleitete Einzelfreiheiten handele.

I. Die natürliche Staatsrechtslehre im Vormärz 1. Das Recht auf ein „abgeschlossenes, individuelles Selbstleben" bei K. C. F. Krause und H. Ahrens

Die Rechtslehre K. C. F. Krauses (1781-1832) und seines Schülers H. Ahrens wird mitunter der Spätphase des Naturrechts ab 1850 zugeordnet 32; sie entstand jedoch bereits in der Phase des Vormärz. K. C. F. Krause entwickelte seine Rechtslehre erstmals in seiner Schrift „Das Urbild der Menschheit, vorzüglich Freimaurern gewidmet" von 1811. Den Arbeiten Krauses und Ahrens 33 fehlten die Merkmale einer streng durchstrukturierten Staatslehre, wie sie von ihren Zeitgenossen praktiziert wurde. Vielmehr handelte es sich um eine „humanitäre Lebenslehre" 34, die gerade für Sinn und Bedeutung einer persönlichen Geheimsphäre für den einzelnen besonders einprägsame Formulierungen fand.

31 A. Bauer, Lehrbuch des Naturrechts, § 216, S. 278 f., § 219, S. 282 f.; G. W. Gerlach, Grundriß der philosophischen Rechtslehre, § 68, S. 355 ff.; Lv. Dresch, Naturrecht, § 57, S. 147 f. 32 M. Stolleis, Die Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 2. Bd., S. 426 ff. 33 Mit seinen Werken „Cours de philosophie" (1836-1838) und „Cours de droit naturel" (1838) vermittelte Ahrens die Lehre Krauses in den spanisch-südamerikanischen Raum, die sich dort unter der Bezeichnung Krausismo ausbreitete. M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 2. Bd., S. 428; G. Klaus/M. Buhr (Hrsg.), Philosophisches Wörterbuch, 2. Bd., S. 612-623. 34 M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 2. Bd., S. 428.

1. Abschn.: Staatsrechtslehre, Polizei- und Verwaltungsrechtswissenschaft

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a) K. C. F. Krause Krause behandelte die Geheimsphäre im Abschnitt über „Das Recht des Einzelmenschen"35. Jedem Menschen sollte das Recht auf alles zustehen, was Bedingung für ein ungestörtes Leben war. Hierzu zählten für ihn die Unantastbarkeit des Leibes, der freie Gebrauch der Glieder und Kräfte, also die körperliche Fortbewegungsfreiheit, schließlich das Recht auf eine „abgeschlossene, sein Selbstleben beliebig absondernde und schirmende Wohnung" sowie ganz allgemein das Recht, „sein Selbstleben beliebig geheim zu halten, und es nur in Liebe frei zu offenbaren .. , " 3 6

Vor allem die Wohnung als räumliche Privatsphäre spielte bei K. C. F. Krause eine besondere Rolle. Bereits in seinem frühen Werk „Das Urbild der Menschheit, vorzüglich Freimaurern gewidmet" von 1811 setzte er sich mit der Funktion des Hauses auseinander. „Die Familie hat einen gemeinsamen Altar, gemeinsame tugendhafte Sitte, gemeinsame Gerechtigkeit und Rechtspflege, gemeinsame Wissenschaft und Kunst, gemeinsame freie und kunstreiche Geselligkeit ... soll dies so sein, so muß der Familie eine bestimmte ... räumliche Sphäre eigen und unverletzlich überlassen seyn .. , " 3 7

In diesen Ausführungen klang allerdings noch die aus dem 18. Jahrhundert stammende Vorstellung an vom Haus als selbständige Herrschaftseinheit, vor allem als Stätte der hausväterlichen Partikulargewalt über Familie und Gesinde. Erst in späteren seiner Werke gewann das Haus bzw. die Wohnung Bedeutung als Ort der individuellen Persönlichkeitsentfaltung. So hieß es später, daß jeder das Recht besitze, seine Persönlichkeit „in dem inneren Heiligthume der eigenen Wohnung oder des Hauses zu hegen und in ungestörter, geschirmter Abgeschlossenheit zu feiern und auszuleben. Daher ist die Wohnung, welche wesentlich Haus, Hof und Garten umfaßt, überhaupt und insbesondere auch durch das Recht so zu bestimmen und einzurichten, daß sie der Kraftort (der dynamische Ort) der freien Durchdringung ... des individuellen persönlichen Lebens in Vertrauen und Liebe nach allen seinen Gebieten, Arten und Stufen sey und werde." 38

Von in die Zukunft weisender Bedeutung ist, daß Krause den Schutz der Wohnung nur als Ausprägung eines umfassenderen Rechts, „sein Selbstleben beliebig geheim zu halten ...", begriff. Wenn er auch darauf verzichtete, dieses Recht weiter zu konkretisieren, so geht schon aus diesem Zitat hervor, daß er das Recht des einzelnen, sein privates Legen geheim zu halten, als eine inhaltlich offene Gewährleistung begriff, die sich nicht in einzelnen Teilgarantien erschöpfen sollte.

35 36 37 38

K. Κ K. Κ

C. F. C. F. C. F. C. F.

Krause, Krause, Krause, Krause,

Abriß des Systèmes, S. 163-171. Abriß des Systèmes, S. 166. Das Urbild der Menschheit, S. 148. Abriß des Systèmes, S. 166 f.

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2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

b) H. Ahrens Auch bei Ahrens flöß das Recht auf Geheimnis aus dem Recht der Persönlichkeit. Letzteres wurde begriffen als die Gesamtheit der rechtlichen „Bedingungen, von welchen die Darbildung, Verwirklichung, Bezeugung und die Achtung der Individualität abhängt. " 39 Zu diesen Bedingungen gehörte an erster Stelle das „Recht auf ein abgeschlossenes, individuelles Selbstleben, in welchem ein jeder frei nach seinen Ansichten, Neigungen, sein Leben gestaltet, sich in irgend einer Richtung bethätigt, ausbildet, und welches er nur in Freiheit, Liebe oder Zuneigung anderen öffnet und mittheilt." 40 Geschützt wurde mit diesem Recht eine Geheimsphäre, also das Recht, selbst darüber zu bestimmen, wem Einblick in den persönlichen Lebensbereich gewährt wurde, als Voraussetzung für die freie Entfaltung der Persönlichkeit.

Ahrens unterschied zwischen einem physischen und einem geistigen Selbstleben. Die physische Seite des Rechts auf Geheimsphäre ergab sich bereits aus der natürlichen Schamhaftigkeit des Menschen. Die andere Seite des Rechts bildete das geistige Gebiet.41 Hierzu gehörten die Gedankenfreiheit und das Recht am gesprochenen und geschriebenen Wort einschließlich des Rechts an den eigenen Briefen und Papieren. Das Briefgeheimnis war unverletzt zu halten, „so lange nicht aus gewissen Thatsachen erhellt, daß dieses Recht zur Verletzung anderer wichtiger, gesellschaftlicher oder politischer Rechte und Pflichten angewandt wird. " 42 Der räumlichen Absicherung des Rechts auf individuelles Selbstleben diente die Unverletzlichkeit der Wohnung. Eingriffe waren nur erlaubt, wenn „aus Thatsachen hervorgeht, daß dieselbe ein rechtswidriges oder verbrecherisches rhalten schützen soll. " 4 3 Aber auch dann sollten die Eingriffsfälle in einem Gesetz vorherbestimmt sein. Erwähnenswert ist wiederum, daß mit dem „Recht auf ein abgeschlossenes, individuelles Selbstleben" der Geheimsphärenschutz durchaus weit gefaßt war und die Unverletzlichkeit der Wohnung, das Briefgeheimnis und das Recht an den eigenen Papieren nur als einzelne Beispiele begriffen wurden. Mit der Wahl dieser unbestimmten Formulierung wurden noch viel mehr Lebensbereiche als die erwähnten in den Schutzbereich einbezogen. Es klang die Vorstellung von der Geheimsphäre als einer umfassenden Rechtsposition ohne klar umgrenzbaren Schutzbereich an.

39 H. Ahrens, Deutsches Naturrecht, S. 353 f. 40 H. Ahrens, Deutsches Naturrecht, S. 353 f. 41 H. Ahrens, Deutsches Naturrecht, S. 353. 42 H. Ahrens, Deutsches Naturrecht, S. 354. 43 H. Ahrens, Deutsches Naturrecht, S. 353.

1.Abschn.: Staatsrechtslehre, Polizei- und Verwaltungsrechtswissenschaft

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2. Die Garantien einer persönlichen Geheimsphäre als Freiheitsrechte im süddeutschen Liberalismus

In den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts entwickelte sich von den süddeutschen Staaten Baden und Württemberg aus die liberale Bewegung u. a. mit den beiden Freiburger Professoren C. v. Rotteck (1770-1840), C. Welcker (17301869) sowie P. A. Pfizer (1801-1867), dem Württemberger R. v. Mohl (17991875) sowie in Bayern mit W. J. Behr (1775-1851). Den süddeutschen Liberalen ging es nicht um die Ordnung des geltenden Rechts und auch nicht darum, umfassende Naturrechtssysteme aufzustellen. Der Staatsrechtslehre des Deutschen Bundes und der Naturrechtslehre setzten sie entschiedenere, vom Mißtrauen gegen die Staatsgewalt getragene politische Programme entgegen. Auf dem Boden einer konstitutionellen Staatsvorstellung setzten sie sich ein für konkrete politische Verbesserungen, wobei sich die Hoffnungen auf die Parlamente richteten. Mehr Freiheiten sollten im Wege von Gesetzgebungsreformen realisiert werden, vor allem im Presserecht sowie im Straf- und Strafprozeßrecht.

a) Die Verwerfung

des „ius inspectionis"

Während von den Staatsrechtlern des Deutschen Bundes und in einigen Naturrechtslehrbüchern die Lehre vom „ius inspectionis" noch vertreten wurde, behandelten die süddeutschen Liberalen ein solches Überwachungsrecht mit Argwohn. Ein sich auf alle Lebensbereiche beziehendes Recht der Beobachtung und Informationssammlung setzte notwendigerweise - zumindest in den meisten Fällen Heimlichkeit des Vorgehens voraus. Wegen der Erfahrungen, die einige Liberale im Zuge eigener politischer Verfolgung mittels Bespitzelung durch Polizeispione, Hausdurchsuchungen und Papierbeschlagnahmen gemacht hatten, mißtraute man solchen Heimlichkeiten. So verlangte W. J. Behr, „ . . . die Beobachtung strenger Wahrheit und vertrauensvoller Offenheit in allen Funktionen der Staatsverwaltung unter die ersten und wesentlichen Regierungsmaximen zu zählen." 44

Im Hinblick auf das „ius inspectionis" bestritt man dessen Charakter als eigenständiges Hoheitsrecht. Man befürchtete, mit dem wenig konkreten Oberaufsichtsrecht der Regierung ein Mittel an die Hand zu geben, um Freiheitsrechte des Bürgers beliebig weit zu beschränken. Beaufsichtigungsmaßnahmen durch den Staat sollten vielmehr Aufgabe der gesetzgebenden und vollziehenden Gewalt sein und den von diesen einzuhaltenden Grenzen unterliegen. Welcker wandte sich im „Staatslexikon" in seinem Artikel „Aufsehende Gewalt/Aufsicht" entschieden gegen die Anerkennung des Oberaufsichtsrechts als selbständige Hoheitsgewalt. 44

W. J. Behr, System der angewandten allgemeinen Staatslehre, 2. Abt., § 348, S. 27; 3. Abt., § 604, S. 233; vgl. zur Lebensgeschichte W. J. Behrs: Heigel, Art.: „Behr", in: Allgemeine Deutsche Biographie, 2. Bd., S. 286. 6 Austermühle

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2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

Vielmehr war dieses „wesentlicher Bestandteil der Ausübung aller Hoheitsrechte". Er warnte sogar ausdrücklich vor den Gefahren, die von einer solchen dritten bzw. vierten Gewalt ausgehen konnten. „Man darf nicht etwa mit dem Namen dieses falschen Schulbegriffs oder unter dem Vorwand des Aufsichtsrechts die Befungis materieller beliebiger Beschränkungen der Freiheitsrechte der Bürger ... einführen wollen. Denn jedes Zugeständnis rechtlicher verfassungsmäßiger Freiheit, der politischen, der persönlichen, der Eigentumsfreiheit würde ja dadurch zur wahren Lüge." 45

Der Begriff vom „ius supremae inspectionis" tauchte hin und wieder auf, erhielt aber einen anderen Bedeutungsgehalt. Mitunter wurden nur noch zwei Gewalten, nämlich die beschließende oder gesetzgebende Gewalt und die exekutive Gewalt anerkannt. Eine oberaufsehende Gewalt als dritte Gewalt lehnte man ab. Diese war vielmehr „bald Moment der gesetzgebenden, bald solche der Regierungsgewalt" 46. Die Informationsbeschaffung gehörte daher zu den Aufgaben der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt und unterlag den für diese geltenden Schranken. Zwar kannte Schmitthenner auch ein „ius supremae inspectionis". Soweit vom „ius supremae inspectionis" noch die Rede war, handelte sich nunmehr ausschließlich um ein Aufsichtsrecht über nachgeordnete Behörden und Selbstverwaltungskörperschaften, die berichts- und rechenschaftspflichtig waren. 47 Der Bezug des „ius inspectionis" zur persönlichen Geheimsphäre war damit verloren gegangen.48 Indem die süddeutschen Liberalen ein Oberaufsichtsrecht des Fürsten verwarfen, unterschätzten sie die Bedeutung, die es für die Herausbildung eines Schutzes der persönlichen Geheimsphäre gehabt hatte. Denn erst durch das Herausarbeiten der objektiven Grenzen des „ius inspectionis" waren die älteren Staatsrechtler zur Anerkennung verschiedener einer staatlichen Einflußnahme entzogener Geheimbereiche gelangt. Der Wohnungsschutz, das Briefgeheimnis und verwandte Garantien wurden von dieser Staatsrechtslehre fast überall als aus dem Recht der Persönlichkeit fließende Freiheitsrechte behandelt. Anders als früher blieb es nicht bei einer Aufzählung allgemeiner Prinzipien. In der Hoffnung, der Gesetzgeber werde liberale Positionen in geltendes Recht umsetzen, arbeitete man - wie im folgenden zu zeigen ist - im einzelnen die Voraus45 C. Welcher, Art.: „Aufsehende Gewalt/Aufsicht", in: C. v. Rotteck/C. Das Staatslexikon, 1. Bd., S. 779 f. 46

Welcker (Hrsg.),

F. Schmitthenner, Grundlinien des allgemeinen oder idealen Staatsrechts, § 70, S. 294. F. Schmitthenner, Grundlinien des allgemeinen oder idealen Staatsrechts, § 70, S. 294; § 105, S. 369 ff. 48 Im Gegensatz zu den meisten anderen Liberalen behandelte Schmitthenner den Wohnungsschutz, das Briefgeheimnis, das Beichtgeheimnis etc. noch nicht als Freiheitsrechte, sondern als objektive Schranken der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt: F. Schmitthenner, Grundlinien des allgemeinen oder idealen Staatsrechts, § 69, S. 290. 47

1. Abschn.: Staatsrechtslehre, Polizei- und Verwaltungsrechtswissenschaft

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Setzungen heraus, die Eingriffsgesetze zu erfüllen hatten. Auch eine Aufnahme ins Verfassungsrecht wurde gefordert.

b) Geheimnisschutz bei R. v. Mohl R. v. Mohl beschäftigte sich mit dem Wohnungsschutz und dem Briefgeheimnis. Beides gehörte bei ihm zum Katalog der Untertanenrechte. Er unterschied die politischen von den staatsbürgerlichen Rechten der Untertanen. Zu letzteren zählten das Recht auf Teilnahme am Staat, d. h. das Recht, im Staat zu leben und seine Anstalten zu benutzen, ferner das Recht der ungestörten Entwicklung der Persönlichkeit, d. h. der Schutz der geistigen und körperlichen Kräfte, die Freiheit von Leibeigenschaft und Sklaverei, die freie Gedankenäußerung, die Vereinigungsfreiheit, die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit, das Recht der freien Beschäftigung und schließlich das Recht auf ein „schonendes Verfahren der Staatsbehörden in Beziehung auf Verhaftung, Haussuchung und Beschlagnahme von Briefen. " 4 9 Eingriffe dieser Art begriff er als „Beschränkungen der persönlichen Freiheit" 50. Der Schutz des Hauses und Briefgeheimnisses wurden als Ausprägungen der persönlichen Freiheit des Bürgers begriffen. Sie standen gleichberechtigt neben den üblichen zum Bestand der Freiheitsrechte zählenden Gewährleistungen. Die Gesetze, die Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmen von Briefen und Papieren in Ausnahmefällen zuließen, sollten inhaltlich so ausgestaltet sein, daß nur „ in den durch eine Staatsnothwendigkeit gebotenen Fällen " und „ in dem mit der Erreichung des Zwecks vereinbarlichen mildesten Grade vorgenommen wurden." Im übrigen bedurfte es für jeden Eingriff eines Gesetzes, in dem die „berechtigenden Veranlassungen" und „schützenden Formen" 51 geregelt sein mußten.

c) Geheimnisschutz bei C. Welcker C. Welcker hat kein zusammenfassendes Werk zur Staatsrechtslehre verfaßt. Seine Abhandlungen in dem von ihm zusammen mit C. v. Rotteck herausgegebenen „Staatslexikon" enthielten aber unter der Überschrift „Hausfriede" 52 bzw. „Beschlagnahme"53 ausführliche Stellungnahmen zu Bedeutung und Inhalt des Hausfriedens, des Rechts am geschriebenen Wort, speziell des Briefgeheimnisses.

49 R. v. Mohl, Encyklopädie der Staatswissenschaften, § 31, S. 223 ff. (228). 50

R. v. Mohl, Encyklopädie der Staatswissenschaften, § 31, S. 228. R.v. Mohl, Encyklopädie der Staats Wissenschaften, S. 228. 52 C. Welcker, Art.: „Hausfriede"; in: C. v. Rotteck/C. Welcker (Hrsg.), Staatslexikon, 6. Bd., S. 510 ff. 53 C. Welcker, Art.: „Beschlagnahme"; in: C. v. Rotteck/C. Welcker (Hrsg.), Staatslexikon, 2. Bd., S. 364 ff. 51

6*

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2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

aa) Die Gedankenfreiheit Zum Recht auf Gedankenfreiheit zählte Welcker das Recht, eigene Gedanken geheim zu halten, bzw. das Recht, darüber zu bestimmen, wem gegenüber sie preisgegeben wurden. Es handelte sich um ein umfassendes Recht am gesprochenen und geschriebenen Wort. Nur bei erwiesenen Rechtsverletzungen sollten Eingriffe in diesen Bereich erlaubt sein. Die Gedankenfreiheit flöß aus dem Recht der freien individuellen Persönlichkeit und war ein im Privat-, genauso wie im Völkerund im Staatsrecht anerkannter Grundsatz. So hatte „jede freie Person schon unmittelbar durch dieses anerkannte Recht einer selbständigen, freien individuellen Persönlichkeit und das darin enthaltene Recht der Gedankenfreiheit ein unstreitiges Recht, ihre eigenen Gedanken und Gefühle für sich zu haben und zu behalten, ohne daß man ihr die Mittheilung derselben abzwingen darf." 54 „Nur ausnahmsweise wird der verbrecherische und schimpfliche Charakter der Geheimnisverletzung durch eine besondere entgegenstehende Berechtigung aufgehoben." 55

Ausnahmen waren erlaubt, wenn eine „erweislich gegenwärtige Gefahr für die ganze Existenz des Einzelnen oder des Staates und der Regierung vorhanden war und die verletzende Maßregel als das Mittel der Rettung erscheint." 56

Wichtigste Ausprägung des Rechts auf Gedankenfreiheit waren das Recht an den eigenen Papieren und das Brief- bzw. Postgeheimnis. Papierdurchsuchungen sollten im Vergleich zu Hausdurchsuchungen an strengere Voraussetzungen geknüpft sein. Sie sollten nur erlaubt sein, wenn „ dringend wahrscheinlich " war, daß etwas für die Untersuchung Wesentliches gefunden wurde. In das Briefgeheimnis durfte nur in Kriegszeiten sowie bei Kriminaluntersuchungen, sofern der Beschuldigte in Haft war, eingegriffen werden. 57 Diese Maßnahmen durften niemals durch die Polizei, sondern nur durch den Richter angeordnet werden. Sie waren auf schwere Verbrechen zu beschränken und erst ab dem Zeitpunkt, zu dem der Angeschuldigte förmlich in den Anklagestand versetzt worden war, zulässig. Mit dem einfachgesetzlichen Schutz sollte es noch nicht sein Bewenden haben. Welcker forderte auch einen unmittelbaren Schutz des Briefgeheimnisses durch die Verfassung, wie dies in der Kurhessischen Verfassung (§ 38) schon geschehen war.

54 55 56 57

C. C. C. C.

Welcker, Welcker, Welcker, Welcker,

Art.: Art.: Art.: Art.:

„Beschlagnahme" „Beschlagnahme" „Beschlagnahme" „Beschlagnahme"

(Anm. (Anm. (Anm. (Anm.

53, 2. Teil), 53, 2. Teil), 53, 2. Teil), 53, 2. Teil),

S. 377. S. 378. S. 378. S. 378 ff.

1. Abschn.: Staatsrechtslehre, Polizei- und Verwaltungsrechtswissenschaft

85

bb) Der Hausfrieden Der Hausfrieden bzw. das Hausrecht bestand für Welcker im Recht des Bürgers, „den Eintritt und das Verweilen in seiner Wohnung jedem Unberechtigten zu unter„„„

«58

sagen... Wichtig war, daß bei Welcker diese Garantie aus dem Recht der Persönlichkeit flöß. Das Hausrecht schützte die persönliche Freiheit des Bürgers. Es war sogar deren „wichtigstes Territorium" und deren „Grundfeste". 59 Allerdings erschöpfte sich für Welcker die Wahrung des Hausfriedens nicht in der Schaffung eines privaten, räumlichen Rückzugsbereichs. Vielmehr besaß die häusliche Ungestörtheit eine politische Bedeutung. Innerhalb der häuslichen Gemeinschaft wurden die sozialen Werte vermittelt und die Pflichten erlernt, die für ein Leben in der Gemeinschaft notwendig waren. So waren Haus und Familie „natürliche Vorbilder" und „Erziehungsanstalten" für den Staat, die „Pflanzschule menschlicher und bürgerlicher Gesinnung". 60 Aus dem Recht auf Hausfrieden zog Welcker verschiedene Folgerungen für die Gesetzgebung. Beschränkungen dieses Rechts in Form von Hausdurchsuchungen durften nur in den „schwersten und äußersten Fällen" vorgenommen werden. In Gesetzen waren Formvorschriften gegen Mißbräuche aufzunehmen (ζ. B. Hinzuziehung von Beiständen und Verwandten). 61

II. Die natürliche Staatsrechtslehre nach 1848/49 Mit dem Scheitern der Paulskirchenverfassung ließ die Bedeutung der naturrechtlichen Allgemeinen Staatsrechtslehre nach. Da sich die mit ihr beabsichtigten politischen Forderungen nicht hatten realisieren lassen, war ihre Berechtigung nach 1848/49 fragwürdig geworden. Dennoch brach auch nach diesem Zeitpunkt die naturrechtliche Entwicklungslinie des Staatsrechts nicht ganz ab. In der Phase zwischen dem Scheitern der Paulskirchenverfassung und der Deutschen Reichsgründung wurden eine Reihe von Lehrbüchern veröffentlicht, die diese Tradition noch eine Weile aufrechterhielten. 62 Unter ihnen sollen im folgenden die Arbeiten des Schweizer Professors J. C. Bluntschli (1808-1881), der später in München Staats- und Völkerrecht lehrte, sowie des Professors F. Walter (1794-1879) im Hinblick auf einen persönlichen Geheimnisschutz untersucht werden. Während im Vormärz in Lehrbüchern der Allge58 c. Welcker, 59 C. Welcker, 60 C. Welcker,

Art.: „Hausfriede" (Anm. 52, 2. Teil), S. 511. Art.: „Hausfriede" (Anm. 52, 2. Teil), S. 510. Art.: „Hausfriede" (Anm. 52, 2. Teil), S. 515.

61 C. Welcker, Art.: „Hausfriede" (Anm. 52, 2. Teil), S. 512. 62 M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 2. Bd., S. 426 ff.

86

2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

meinen Staatsrechtslehre noch hin und wieder die Lehre vom „ius inspectionis" und seinen Grenzen aufgetaucht war, wurden nun die Unverletzlichkeit der Wohnung, das Briefgeheimnis und damit verwandte Rechte durchgehend zu den persönlichen Freiheitsrechten gezählt. Die Lehre von der Inspektivgewalt des Staates wurde nicht mehr vertreten.

1. J. C. Bluntschli

Bei Bluntschli gehörten zu den Freiheitsrechten neben den „klassischen" Freiheitsrechten - der körperlichen Fortbewegungsfreiheit, der Freizügigkeit einschließlich der Auswanderungsfreiheit, der Meinungsäußerungs- und der Pressefreiheit - auch der „Schutz des Hausfriedens und des freien Verkehrs". 63 Unter der Überschrift dieses Abschnitts wurden verschiedene Garantien zusammengefaßt. An erster Stelle stand der Hausfrieden selbst. Das Haus wurde verglichen mit dem Körper, der die Seele schützte. ,»Das Haus umgibt und schützt das Individuum und seine Familie ähnlich wie der Leib die Seele; es ist gewissermaßen der künstlich erweiterte Leib des Menschen."64

Die Organe der Staatsgewalt durften „nur unter gewissen Voraussetzungen und nur mit großer Schonung der Freiheit und Ruhe des Hausherrn sein Haus betreten und darin theils Nachforschungen vornehmen, teils überhaupt amtliche Handlungen vornehmen .. . " 6 5

In demselben Abschnitt wurde das mit dem Hausfrieden verwandte Recht an den eigenen Papieren behandelt. „Eine Beschlagnahme läszt sich daher nur rechtfertigen, wenn ein erheblicher Verdacht eines Verbrechens vorhanden ist und unter Beachtung schonender Formen." 66

Dabei unterschied er klar zwischen dem dinglichen Eigentumsrecht an den Papieren, das hier nicht maßgeblich war, und deren Inhalt. Das Recht an den eigenen Papieren war ein persönliches Recht. Es ging allein um den geistigen Inhalt der Papiere. „.. .viel wichtiger ist der Inhalt derselben, welcher gewissermaßen zu der geistigen Atmosphäre des Menschen gehört." 67

Auch das Briefgeheimnis bezüglich der der Post anvertrauten Sendungen war zu schützen. Ausnahmen sollten nur im Krieg und bei gerichtlichen Untersuchungen zugelassen sein. 63 64 65 66

J. C. Bluntschli, 7. C. Bluntschli, J. C. Bluntschli, J. C. Bluntschli,

Allgemeines Staatsrecht, S. 651 ff. Allgemeines Staatsrecht, S. 651. Allgemeines Staatsrecht, S. 651 f. Allgemeines Staatsrecht, S. 654.

67 J. C. Bluntschli, Allgemeines Staatsrecht, S. 654.

1. Abschn.: Staatsrechtslehre, Polizei- und Verwaltungsrechtswissenschaft

87

Schließlich sollten auch jegliche Privatgespräche vor einem Ausspionieren geschützt sein. Bluntschli wies am Ende des Abschnitts darauf hin, daß die Aufzählung nicht abschließend war. Vielmehr konnte das Recht der Persönlichkeit insoweit „in den mannichfaltigen Erscheinungen des praktischen Lebens zur Wahrheit werden so daß es nicht möglich war, „alle Verstöße gegen das Recht der Persönlichkeit durch die Gesetzgebung im voraus zu untersagen. " 68 Wieder deutete sich an, daß man die im Abschnitt „Schutz des Hausfriedens und des freien Verkehrs" aufgezählten Rechte als nicht abschließend begriff, sondern von einem offenen Schutzbereich ausging.

2. F. Walter

Der Wohnungsschutz gehörte bei Walter zu den Freiheitsrechten der Person, die aus seiner Eigenschaft als Rechtssubjekt entstanden. Neben der Wohnung waren das Recht auf Schutz vor unberechtigter Verhaftung, d. h. die körperliche Fortbewegungsfreiheit, sowie das Eigentum geschützt.69 Die genannten Einzelfreiheiten verstand er als subjektive, gegen den Staat gerichtete Abwehrrechte. Die Wohnung war für ihn „die unmittelbarste Werkstätte der menschlichen Thätigkeit und der Mittelpunkt ihrer den Augen entzogenen Leiden und Freuden. " 7 0 Hausdurchsuchungen sollten nur bei Vorliegen dringender Gründe und unter größter Schonung der Freiheit vorgenommen werden. Ferner erkannte er das Brief- sowie das Beichtgeheimnis an. Sie traten als Rechte auf Respektierung eines bestehenden Vertrauensverhältnisses in Erscheinung. So war das Briefgeheimnis zu schützen, „weil es die unbefugte Anmaßung ist, sich in das Vertrauen zwischen zweien einzudrängen. " 71 Die Verletzung der Verschwiegenheitspflicht durch den Beichtvater sollte strafrechtliche Folgen nach sich ziehen. In gerichtlichen Verfahren sollte jegliche Befragung über das, was in der Beichte gesagt worden war, ausgeschlossen sein. 72

68

J. C. Bluntschli, Allgemeines Staatsrecht, S. 655. 69 F. Walter, Naturrecht und Politik, S. 82 ff. 70 F. Walter, Naturrecht und Politik, S. 85. 71 F. Walter, Naturrecht und Politik, S. 102. 72 F. Walter, Naturrecht \ind Politik, S. 102.

88

2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

C. Die Polizeiwissenschaft und die Verwaltungsrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts Beide Wissenschaftsdisziplinen erlangten Bedeutung im Hinblick auf einen Geheimnisschutz, beschränkt allerdings auf eine räumliche Geheimsphäre, d. h. die Wohnung, und auf das Briefgeheimnis. Wie im Ersten Teil beschrieben, lehrte vor allem G.H. v. Berg in den ersten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts eine Polizeiwissenschaft, die sich als Fortsetzung der spätabsolutistischen Verwaltungsund Polizeilehre des 18. Jahrhunderts im Übergang zu einer rechtsstaatlichen Polizeiwissenschaft darstellte. R. v. Mohls Werk „Die Polizeiwissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaates" von 1832/1833 stellte den Höhepunkt und zugleich den Abschluß dieser Polizeiwissenschaft dar. Wie v. Berg und Pölitz hielt auch er an der Existenz einer „Hülfs-Polizei" neben der „Rechts-Polizei" fest, womit der ganze Katalog wohlfahrtsstaatlicher Fürsorgeaufgaben bezeichnet war. 73 Im Unterschied zu seinen Vorgängern war er es jedoch, der erstmals den Rechtsstaatsbegriff in die Polizeiwissenschaften einbrachte. 74 Von einer Verwaltungs- bzw. Polizeirec/itewissenschaft konnte überhaupt erst von dem Zeitpunkt an die Rede sein, von dem ab man klar zwischen dem Bereich der Strafverfolgung und der polizeilichen Gefahrenabwehr unterschied und Polizeigesetze existierten. Vor 1850 war nur der repressive Bereich, d. h. die Strafverfolgung, durch die Strafprozeßordnungen gesetzlich geregelt. Um 1850 begannen sich gesetzliche Grundlagen für vorbeugende Polizeitätigkeiten herauszubilden.75

I. Die Polizeiwissenschaft bis 1850: Der polizeiliche Wohnungsschutz und das Briefrecht bei R. v. Mohl Ausgehend von seinem Rechtsstaatsbegriff sollten nach Auffassung v. Mohls Eingriffe in Rechtspositionen der Bürger und somit auch in das Hausrecht und in vergleichbare Garantien einer im verfassungsmäßigen Verfahren zustande gekommenen Gesetzesgrundlage bedürfen. 76 Da zu diesem Zeitpunkt bei weitem noch keine ausreichenden Gesetze für das Handeln der Polizei existierten, begann v. Mohl die rechtlichen Bedingungen entsprechender Eingriffe in formeller wie materieller Hinsicht herauszuarbeiten.

73

M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 2. Bd., S. 259. H. Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, S. 220. 75 H. Lisken/E. Denninger, Handbuch des Polizeirechts, S. 19 f. 76 R. v. Mohl, Die Polizeiwissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaates, 1. Bd., § 5, S. 23 f. 74

1. Abschn.: Staatsrechtslehre, Polizei- und Verwaltungsrechtswissenschaft

89

Hinsichtlich der Informationsbeschaffung gestand v. Mohl der Polizei das Recht zu, „sich beständig über alle Umstände, welche für irgend einen Theil ihres Geschäftskreises von Wichtigkeit seyn oder werden können, zu unterrichten. " Als eine Bürgerpflicht sah er es an, Nachforschungen zu dulden und abverlangte Auskünfte zu erteilen. Schutzbedürftig seien allerdings das „Heiligthum des Hauses" und „das FamilienlebenAllerdings sollte das polizeiliche Handeln insofern an bestimmte Voraussetzungen gebunden sein. So durfte gegen den Willen des Eigentümers eine Wohnung nur im dringenden Notfall (Hilferuf aus dem Inneren, Feuerausbruch, Verfolgung eines Verbrechers) oder nach schriftlicher, mit Beweggründen versehener Aufforderung der Bezirksregierung betreten werden. Da seiner Vorstellung nach die Polizei der Justiz nicht untergeordnet war, hielt v. Mohl einen rechtlichen Befehl hingegen für entbehrlich. 77 Das Briefgeheimnis behandelte v. Mohl im Abschnitt über die Förderung des Handels durch Erleichterung der Kommunikation. Auch die Errichtung von Postanstalten zählte hierzu. Allerdings mußte die Polizei das Briefgeheimnis wahren. Zur Verfolgung von Straftaten sollten die Postbehörden Sendungen öffnen oder weiterleiten dürfen, aber nur aufgrund förmlichen Befehls eines Gerichts oder nach ministerieller Anordnung. 78

II. Die Verwaltungsrechtswissenschaft ab 1850 1. Anfänge eines Verwaltungsrechts

Um 1850 entwickelten sich in den Ländern Ansätze eines selbständigen Verwaltungsrechts.79 Das Prinzip von der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, das bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts von W.J. Behr in seinem „System der allgemeinen angewandten Staatslehre" von 1810 formuliert und von den frühliberalen Verfassungen in deren Grundrechtskataloge aufgenommen worden war, zog die Schaffung gesetzlicher Eingriffsgrundlagen auch für den Bereich der Gefahrenabwehr nach sich, die bis dahin noch nicht existierten. So stützte man ζ. B. das Betreten einer Wohnung zur Abwendung polizeiwidriger Zustände entweder auf Gewohnheitsrecht, die unbestrittene Aufgabenstellung der Polizei 80 oder sogar auf die Strafprozeßordnungen 81, da 77

R. v. Mohl, Die Polizei Wissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaates, 2. Bd., § 173, S. 488 f. 78 R. v. Mohl, Die Polizeiwissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaates, 2. Bd., § 157, S. 390 f. 79 H Lisken/ E. Denninger, Handbuch des Polizeirechts, S. 19 f. 80 H. Lisken/E. Denninger, Handbuch des Polizeirechts, S. 20. 81

Dies galt in zahlreichen Ländern auch noch für die Zeit nach 1850. Das österreichische Gesetz vom 27. 10. 1862 schrieb ausdrücklich vor, daß „Haussuchungen zum Zweck der

90

2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

eine klare Trennung zwischen Strafverfolgung und Gefahrenabwehr bis zur RStPO und zum GVG nicht stattfand. Ab 1850 bildete sich in den einzelnen Ländern für bestimmte hoheitliche Befugnisse ein eigenständiges Verwaltungsrecht heraus, wobei es sich um Polizeirecht handelte, weil die Verwaltung des liberalen Rechtsstaates des 19. Jahrhunderts vor allem in der Gefahrenabwehr bestand. Das erste Gesetz in diesem Zusammenhang war das Preußische Gesetz vom 12. 2. 1850 zum Schutz der persönlichen Freiheit, 82 das sowohl repressive als auch präventive Eingriffe in die Wohnungsfreiheit ermöglichte (§ 9: Fälle einer Feuers- oder Wassersnoth, einer Lebensgefahr oder eines aus dem Innern der Wohnung hervorgegangenen Ansuchens). Die Sonderregelungen für die Hausdurchsuchung (Nachtzeitverbot, Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften) werden im einzelnen weiter unten im strafprozessualen Teil behandelt.83 Außerhalb solcher Spezialbestimmungen verwiesen die §§ 7 und 11 auf gesetzliche Ermächtigungen, die es für präventive Akte allerdings noch nicht gab, so daß für polizeiliche Eingriffe in die Wohnungsfreiheit auch hier auf allgemeine Rechtsgrundsätze, vor allem auf die polizeiliche Generalklausel der §§ 10 H, 17 APL zurückgegriffen werden mußte.84 In den süddeutschen Ländern wurden nacheinander Polizeistrafgesetzbücher erlassen, so in Bayern 1861 85 , in Baden 1863 86 und in Württemberg 1871, die auch besondere Polizeibefugnisse, von den geheimsphärenrelevanten das Betreten eines Hauses und die Beschlagnahme behandelten.

2. Das polizeiliche Hausrecht bei L. v. Stein

Bei L. v. Stein bahnte sich die Unterscheidung zwischen Strafverfolgung und Gefahrenabwehr an. Eingriffe in die Wohnungsfreiheit und das Briefgeheimnis zum Zweck der Aufklärung einer Straftat stellten gerichtliche Akte bzw. Akte der gerichtlichen Polizei dar und sollten der Regelung durch die Strafprozeßordnungen - wie dies bereits in zahlreichen Ländern geschehen war - überlassen bleiben. Die Durchsuchung einer Wohnung, die Beschlagnahme von Briefen und anderen Gegenständen hielt er nur für denkbar im Hinblick auf die Aufklärung einer Straftat. Sie bildeten daher Gegenstände des Strafjprozeßrechts. 87 Das Eindringen in eine polizeilichen Aufsicht" nach den Vorschriften der Strafprozeßordnungen zu geschehen haben; vgl. L v. Stein, Die Verwaltungslehre, 4. Bd., S. 158. 82 E. R. Huber, Dokumente zur Deutschen Verfasssungsgeschichte, 1. Bd., S. 517 ff. 83 2. Teil, 3. Abschnitt, Β. II. 5. d), e), f). 84 G. Anschütz, Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat vom 31.1. 1850, Anm. zu Art. 6, S. 146. 85 Abdruck: Polizeistrafgesetzbuch für das Königreich Bayern. Mit leichtfaßlichen Anmerkungen für den Bürger und Landsmann, Würzburg 1862. 86 Abdruck: Justizgesetze für das Großherzogthum Baden, 5. Abt., Mannheim 1880.

87 L. v. Stein, Die Verwaltungslehre, 4. Bd., S. 156 f.

2. Abschn.: Die Geheimshpäre im Verfassungsrecht

91

fremde Wohnung hingegen konnte auch zur Abwendung polizeiwidriger Umstände erforderlich werden und gehörte damit zum Bereich der Sicherheitspolizei, den die Polizei selbständig, d. h. unabhängig vom Gericht, wahrzunehmen hatte.88 Er bemängelte, daß bis dahin nur strafprozessuale Gesetze existierten und eine klare Unterscheidung zwischen gerichtlichem und polizeilichem Recht - außer in dem bereits erwähnten Preußischen Gesetz vom 12. 2. 1850 zum Schutz der persönlichen Freiheit - nicht vorgenommen wurde. 89 Hinsichtlich des sicherheitspolizeilichen Rechts umriß er selbst die rechtlichen Voraussetzungen seiner Ausübung. Die Polizei durfte eine fremde Wohnung nur betreten, wenn „elementare Gefahren fur die persönliche oder allgemeine Sicherheit unverkennbar vorlagen wie Feuer, Wasser und Einsturz". Der Umfang des Eingriffs war strengstens zu beschränken auf solche Handlungen, die einen Bezug zur Gefahrbeseitigung aufwiesen. Die Polizei sollte haftbar gemacht werden können für alle Handlungen, die die rechtlichen Grenzen überschritten. 90 2. Abschnitt

Die persönliche Geheimsphäre im Verfassungsrecht Ein allgemeines, alle Lebensbereiche umfassendes Recht einer persönlichen Geheimsphäre, wie es das Grundgesetz heute durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts garantiert, existierte im Verfassungsrecht des 19. Jahrhunderts nicht. Verfassungsrechtlich geschützt waren nur Teilgarantien eines solchen Rechts, die Unverletzlichkeit der Wohnung, das Briefbzw. Postgeheimnis sowie das allgemeine Verbot der Brief- und Papierbeschlagnahme.

A. Die verfassungsrechtliche Situation vor 1848 Während in den USA und in Frankreich die Verfassungsurkunden bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert die Garantie der Wohnungsfreiheit sowie das Verbot der Papierbeschlagnahme aufgenommen hatten91, kannten die deutschen konstitutio-

88 L. v. Stein, Die Verwaltungslehre, 4. Bd., S. 152. 89 L. v. Stein, Die Verwaltungslehre, 4. Bd., S. 157 f. 90 L. v. Stein, Die Verwaltungslehre, 4. Bd., S. 152 f. 91 In den USA wurden die Unverletzlichkeit der Wohnung und das Verbot der Papierbeschlagnahme durch den 4. Zusatzartikel von 1789 der amerikanischen Verfassung aus dem Jahr 1791 verbürgt. „The right of the people to be secure in their persons, houses, papers and effects against unreasonable searches and seizures shall not be violated, and no warrants

92

2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

nellen Verfassungen bis 1848 so gut wie keine entsprechenden Gewährleistungen. Als einzige garantierte die Kurhessische Verfassung vom 5. 1. 1831 9 2 die Unverletzlichkeit der Wohnung (§ 117) sowie das Briefgeheimnis (§ 38). Letzteres wurde damit erstmalig auf der Ebene des Verfassungsrechts verbürgt. Die anderen Territorialstaaten boten insoweit keinen Schutz - zumindest nicht auf der Ebene des Verfassungsrechts. Die Unverletzlichkeit der der Post anvertrauten Briefe wurde in einigen Ländern vor 1848 durch Postverordnungen gegenüber staatlichen Übergriffen geschützt. 93 § 38 der Kurhessischen Verfassungsurkunde lautete: „Das Briefgeheimnis ist auch künftig unverletzt zu halten. Die absichtliche unmittelbare oder mittelbare Verletzung desselben bei der Postverwaltung soll peinlich bestraft werden."

shall issue but upon probable cause supported by oath or affirmation and particularly describing the place to be searched and the person or things to be seized. " Diese Garantien hatten bereits zahlreiche „bills of rights" der Verfassungen der amerikanischen Einzelstaaten enthalten. Art. 10 der Erklärung der Menschenrechte von Virginia von 1776 hatte die „ general warrants ", d. h. die allgemeinen Hausdurchsuchungen, für unzulässig erklärt. „ Unreasonable searches and seizures d. h. rechtswidrige Durchsuchungen und Papierbeschlagnahmen, hatten Art. 10 des 1. Teils der Verfassung von Pennsylvania von 1776, Art. 11 des 1. Kapitels der Verfassung von Vermont von 1777, Art. 14 des 1. Teils der Verfassung von Massachussets von 1780 und Art. 19des 1. Teils der Verfassung von New Hampshire von 1783 verboten. In Frankreich wurde bereits in der Direktoratsverfassung von 1795 die Unverletzlichkeit der Wohnung umfassend geregelt „La maison de chaque citoyen est un asile inviolable: pendant la nuit , nul n'a le droit d'y entrer que dans le cas d'incendie, d'inondation, ou de réclamation venant de l'interieur de la maison. Pendant la jour, on peut y exécuter les ordres des autorités constituées. Aucune visite domiciliaire ne peut avoir lieu qu'en vertu d'une loi, et pour la personne ou l'objet expressément designé dans l'acte qui ordonne la visite. " Entsprechende Bestimmungen fanden Eingang in die Verfassung von 1799 (Art. 76) und in die Constitution Républicaine (Art. 3). Vgl. hierzu K. Amelung, Grundrechtstheoretische Aspekte der Entwicklung des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung, in: G. Birtsch (Hrsg.), Grund- und Freiheitsrechte, S. 310 ff. Das Postgeheimnis fand keine Aufnahme in die amerikanischen und französischen Verfassungsurkunden des 18. und 19. Jahrhunderts. Verfassungsrechtlich verbürgt war wie erwähnt nur das Verbot der Beschlagnahme von Papieren, d. h. von zu Hause aufbewahrten Schriftstücken außerhalb des Postverkehrs. Dafür war das Postgeheimnis Gegenstand zahlreicher Dekrete der Revolutionsversammlungen (z. B. Décrets de l'Assemblée Constituante aus dem Jahr 1789 und Décrets de l'Assemblée Constituante aus den Jahren 1790 und 1794); vgl. hierzu W. Eberhardt, Ursprung und Entwicklung des Brief- und Postgeheimnisses im weiteren Sinne, S. 37 f. 92

Abdruck: Kurhessens Verfassungsurkunde v. 5. Jan. 1831 nebst den 1848 und 1849 eingetretenen Änderungen derselben, gegenübergestellt der Verfassungsurkunde vom 13. April 1852, Kassel 1852. 93 Z. B. Art. 3, 13, 18, 101, 146 der königlich westphälischen Postordnung vom 31. 10. 1803; königlich bayerische Pflichtformel für die Postbeamten; in: Bayerisches Regierungsblatt 1806, Nr. 34; zitiert bei J. L. Klüber, Öffentliches Recht des Teutschen Bundes und der Bundesstaaten, § 358, S. 591 f.

2. Abschn.: Die Geheimshpäre im Verfassungsrecht

93

Hiermit wurde das Briefgeheimnis erstmals in Verfassungsrang erhoben und nicht mehr nureinfach gesetzlich geschützt. Jeder Postbeamte, aber auch jeder Polizei· oder sonstige Beamte94, der hiergegen verstieß, machte sich wegen Verletzung der Verfassung schuldig und konnte dafür gem. § 62 der Verfassungsurkunde gerichtlich wegen Mißbrauchs der Amtsgewalt zur Verantwortung gezogen werden. 95 Die Unvollständigkeit der Vorschrift im Vergleich zu entsprechenden Bestimmungen späterer Verfassungsurkunden bestand darin, daß sie keine Aussage machte, ob und in welchen Fällen Beschränkungen des Briefgeheimnisses erlaubt waren. Weil es hier an inhaltlichen Vorgaben für Gesetzgebung und Verwaltung fehlte, waren keine Vorkehrungen gegen eine Aushöhlung dieser Verfassungsgarantie getroffen. § 117 schützte den Hausfrieden vor rechtswidrigen Beschränkungen. Er lautete: „Die Haussuchung findet nur auf Verfügung des zuständigen Gerichts oder der Ortsobrigkeit in den gesetzlichen Fällen und Formen statt".

Diese Vorschrift bot Schutz in mehrerlei Hinsicht. Zunächst galt ein einfacher Gesetzesvorbehalt. Hausdurchsuchungen durften nur aufgrund eines Gesetzes vorgenommen werden, wobei solche Gesetze von Verfassungs wegen schützende Formvorschriften enthalten mußten. Ferner sollte die Zuständigkeit zur Anordnung von Hausdurchsuchungen nur das Gericht oder die Ortsobrigkeit besitzen. Zweck war, die Willkür von Polizei- und sonstigen Beamten so weit wie möglich auszuschalten. „Man müßte in der That in einem konstitutionellen Staate sehr klare Begriffe von der Heiligkeit des Hausrechts haben, wenn man jedem Polzeioffizianten das Recht einräumen wollte, ohne daß er durch eine klare gesetzliche Vorschrift dazu ermächtigt wäre, in die Häuser zu dringen und ohne Wissen des Eigenthümers dessen Sachen zu durchsuchen .. , " 9 6 Anders als später die Frankfurter Reichsverfassung legte man aber die Entscheidung über die Hausdurchsuchung noch nicht ausschließlich in die Hände des Richters, sondern räumte auch der Ortsobrigkeit eine Zuständigkeit ein. Dabei war der Begriff „Ortsobrigkeit" wenig bestimmt. Gemeint sein konnte entweder der Bürgermeister oder auch eine obere Polizeibehörde. 97

94 F. Murhard, § 38, S. 375. 95 F. Murhard, § 117, S. 498. 96 F. Murhard, § 117, S. 498. 97 F. Murhard, § 117, S. 499.

Grundlage des jetzigen Staatsrechts des Kurfürstenthums Hessen, Anm. zu Grundlage des jetzigen Staatsrechts des Kurfürstenthums Hessen, Anm. zu Grundlage des jetzigen Staatsrechts des Kurfürstenthums Hessen, Anm. zu Grundlage des jetzigen Staatsrechts des Kurfürstenthums Hessen, Anm. zu

94

2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

B. Die Frankfurter Reichsverfassung vom 28.3.184998 I. Der Schutz der Wohnung (§ 140 FRV) § 140 lautete: „Die Wohnung ist unverletzlich. Eine Haussuchung ist nur zulässig: 1) in Kraft eines richterlichen, mit Gründen versehenen Befehls, welcher sofort oder innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden dem Beteiligten zugestellt werden soll, 2) im Falle der Verfolgung auf frischer Tat, durch den gesetzlich berechtigten Beamten, 3) in den Fällen und Formen, in welchen das Gesetz ausnahmsweise bestimmten Beamten auch ohne richterlichen Befehl dieselbe gestattet. Die Haussuchung muß, wenn thunlich, mit Zuziehung von Hausgenossen erfolgen. Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist kein Hindernis für die Verhaftung eines gerichtlich Verfolgten."

Im folgenden soll der Inhalt des § 140 FRV untersucht werden. Um den genauen Inhalt des § 140 FRV ermitteln und seine Bedeutung für die weitere Entwicklung des Wohnungsschutzes einschätzen zu können, ist es erforderlich, die damaligen Diskussionen im Verfassungsausschuß und im Plenum der Nationalversammlung in bezug auf die einzelnen Streitpunkte zu verfolgen. Die Debatten kreisten um Fragen, die auch heute unter dem Grundgesetz noch Aktualität besitzen. So hat man sich auch bei Erlaß des Grundgesetzes mit der Frage beschäftigt, ob das Wohnungsgrundrecht verstärkt durch einen Richtervorbehalt oder nur durch einen einfachen Gesetzesvorbehalt zu sichern sei. Bei der Beurteilung der Diskussion darf allerdings nicht vom heutigen Verfassungssystem ausgegangen werden. Die gegenläufigen Positionen der Abgeordneten lassen sich richtig nur vor dem Hintergrund der damaligen Rechtszustände und eines anderen Verfassungsverständnisses bewerten. Die Fassung des § 140 FRV wurde in mehreren Beratungen erarbeitet." Dabei wurde in den Entwürfen der siebzehn Vertrauensleute und der Vorkommission des Verfassungsausschusses noch keine Regelung über den Wohnungsschutz getroffen, weil diese zusammen mit einer Regelung über die Verhaftung in einer Habeas-Corpus Akte erfolgen sollte. Erst der Verfassungsausschuß erarbeitete einen differenzierten Entwurf. 100 Im Plenum wurde dieser in der Lesung vom 17. 8. 1848 bera98 Abdruck. E. R. Huber, Dokumente zur Deutschen Verfasssungsgeschichte, 1. Bd., S. 375 ff. 99 Uberblick über die Verfassungsgebung der Paulskirche bei N. Schmauck, 150 Jahre Paulskirchen - Verfassung. Der Verlauf der Verfassungsgebung von 1848; in: DVP 1999, S. 97. 100

J. G. Droysen (Hrsg.), Die Verhandlungen des Verfassungsausschusses der Deutschen Nationalversammlung, S. 374 ff.

2. Abschn.: Die Geheimshpäre im Verfassungsrecht

95

ten. 101 Eine Zweite Lesung im Verfassungsausschuß fand in der 91. Sitzung vom 6. 11. 1848 statt. 102 Am 12. 12. 1848 stand der Wohnungsschutz ein zweites Mal auf der Tagesordnung des Plenums der Nationalversammlung. Hier wurde allerdings nicht mehr beraten, sondern nur noch über die Anträge des Verfassungsausschusses abgestimmt.103 Bei sämtlichen Beratungen bestand unter den Abgeordneten Einigkeit darüber, daß die Unverletzlichkeit der Wohnung keinen schrankenlosen Schutz bedeutete, daß vielmehr Ausnahmen zuzulassen waren. 104 Streitig war allerdings, wie willkürliche Beschränkungen am wirkungsvollsten verhindert werden konnten.

1. Die Erste Lesung im Verfassungsausschuß

Noch der erste Entwurf des Ausschusses ordnete an, daß vor jeder Hausdurchsuchung ohne Ausnahme ein richterlicher Befehl ergehen müsse. 105 In der endgültigen Fassung des Ausschußentwurfs, der an das Plenum der Nationalversammlung zur Ersten Lesung berichtet wurde, wurde dann allerdings bestimmt, daß die richterliche Anordnung auch innerhalb von 24 Stunden nach Durchführung der Maßnahme nachgeholt werden könne. Ausweislich der Motive des Entwurfs sollte es dadurch der Polizei gestattet sein, in dringenden Fällen, in denen ein Abwarten des richterlichen Befehls den Zweck der Maßnahme vereitelt hätte, sofort einzugreifen und erst nachträglich die richterliche Zustimmung einzuholen. Immerhin mußte auch nach dieser schließlich im Ausschuß angenommenen Fassung bei jeder Hausdurchsuchung eine richterliche Entscheidung, wenn auch nachträglich, eingeholt werden. Dies diente dazu, die Polizeiwillkür zu beschränken. 106 Ein Polizeibeamter, der nicht Gefahr laufen wollte, später die Verantwortung für eine rechtswidrige Hausdurchsuchung zu tragen, weil der Richter nachträglich den Befehl nicht erteilte, sollte gezwungen sein, sich vor ihrer Durchführung zumindest mündlich die Erlaubnis des Richters zu verschaffen. 107

101

F. Wigard, Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der deutschen constituierenden Nationalversammlung zu Frankfurt a.M., 3. Bd. (im folgenden zitiert als Wigard III), S. 1575 ff. 102 J. G. Droysen, Actenstücke und Aufzeichnungen, S. 189 ff. 103 Wigard V, S. 3963 ff. 104 Vgl. zu den Diskussionen im einzelnen A. C. Limbach, Das Strafrecht der Paulskirchenverfassung 1848/49. 105 H. Scholler, Die Grundrechtsdiskussion in der Paulskirche, S. 68. 106 J. G. Droysen (Hrsg.), Die Verhandlungen des Verfassungsausschusses der Deutschen Nationalversammlung, S. 374 ff. 107 T. Mommsen, Die Grundrechte des Deutschen Volkes, S. 34 f.; Spatz, Wigard III, S. 1584.

96

2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

Die 24-Stunden-Frist, deren Zweck es war, Ausnahmen vom Richtervorbehalt für eine effektive und flexible Arbeit der Behörden im Interesse der öffentlichen Sicherheit zu ermöglichen, wurde im Plenum mehrfach falsch ausgelegt und im Sinne einer bloß formellen Regelung mit dem Inhalt, daß ein bereits erlassener Befehl des Richters erst nachträglich dem Betroffenen vorgewiesen werden müsse, mißverstanden. 108 § 8 des Ausschußentwurfs enthielt noch den Zusatz, daß für die Verhaftung in einer Wohnung keine besonderen Beschränkungen galten. Gemeint war damit, daß die Polizei bei Vorliegen eines Haftbefehls auch eine Hausdurchsuchung zum Zweck der Verhaftung vornehmen durfte, ohne daß insoweit noch eine zusätzliche richterliche Anordnung beantragt werden mußte.

2. Die Diskussionen im Plenum der Nationalversammlung (1. Lesung)

a) Richtervorbehalt

oder Gesetzesvorbehalt

Auch die Diskussionen im Plenum der Nationalversammlung kreisten in erster Linie um die Frage, wie willkürliche Beschränkungen des Wohnungsgrundrechts durch Polizei und Behörden zu verhindern seien. Eine im wesentlichen dem linken Flügel angehörige Juristengruppe forderte, daß die Entscheidung über eine Hausdurchsuchung grundsätzlich vom Richter zu treffen sei. Gerade darin glaubte man eine Garantie gefunden zu haben gegen die bisherige Polizei- und Administrativwillkür. Der Richter sei nach oben hin sicherer gestellt als der Polizeibeamte. Er genieße richterliche Unabhängigkeit, während der Polizeibeamte die Weisungen der vorgeordneten Behörde zu befolgen habe. 109 Keine Einigkeit herrschte unter diesen Abgeordneten über die Frage, ob und in welchem Umfang von dem Grundsatz Ausnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit vorzusehen seien. Manche forderten, daß ausnahmslos jeder Hausdurchsuchung eine richterliche Anordnung vorauszugehen habe. Dabei wurde unter Fehlinterpretation des Ausschußantrages vertreten, daß die 24-Stunden-Frist dann keinen Sinn mehr mache, da ein bereits erlassener Befehl in aller Regel auch sogleich dem Betroffenen vorgewiesen werden könne, sie müsse daher aus dem Entwurf gestrichen werden. 110 Andere forderten im Interesse einer effektiven Verfolgung von Straftaten eine Ausnahme vom Grundsatz des Richtervorbehalts, wenn die Polizei jemanden auf frischer Tat ertappe. 111 108 Dazu klärend Scheller, Wigard III, S. 1581; auch noch in der Zweiten Lesung der Grundrechte im Verfassungsausschuß: J. G. Droysen, Actenstücke und Aufzeichnungen, S. 193. 109 Wigard III, S. 1584. no Schlösset (Partei: Donnersberg), Wigard III, S. 1578.

2. Abschn.: Die Geheimshpäre im Verfassungsrecht

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Wieder andere schlossen sich dem Entwurf des Verfassungsausschusses an. Durch die Regelung, daß der richterliche Befehl auch binnen 24 Stunden nach erfolgter Hausdurchsuchung erwirkt und dem Betroffenen vorgewiesen werden könne, würden die staatlichen Belange (ζ. B. in Fällen, in denen ein schnelles Tätigwerden erforderlich sei, vor allem bei der Verfolgung von Straftaten, bei Zollund Steuervergehen) hinreichend gewahrt. 112 Die Abgeordneten Mittermaier, Leue und Adams lehnten den Richtervorbehalt ab und hielten die Einführung eines einfachen Gesetzesvorbehalts für ausreichend. Der Antrag des Verfassungsausschusses, wonach ein richterlicher Befehl, selbst wenn er nachgeholt werden könne, grundsätzlich erforderlich sei, trage den Bedürfnissen der Praxis nicht genügend Rechnung. Wenn an dieser Regelung festgehalten werde, sei die Polizei in vielen Fällen - ζ. B. bei der Verfolgung von Straftaten, vor allem bei Holzdiebstählen und Zollvergehen - daran gehindert, ihre Aufgaben effektiv wahrzunehmen und die öffentliche Sicherheit gebührend zu schützen. 113 Die Unverletzlichkeit der Wohnung sei vielmehr durch einen einfachen Gesetzesvorbehalt zu garantieren, wonach eine Hausdurchsuchung nur von dem gesetzlich dazu ermächtigten Beamten in den Fällen und Formen angeordnet werden dürfe, welche das Gesetz bestimme. Damit seien von der Polizei nach eigenem Belieben vorgenommene Hausdurchsuchungen ohne gesetzliche Eingriffsgrundlage unzulässig. Solche dürften nur aufgrund eines Gesetzes angeordnet werden. Für den Wohnungsschutz sollte damit ein sogenannter Spezialvorbehalt gelten, der sowohl die Ermächtigungsbedürftigkeit der staatlichen Eingriffe als auch eine Bindung an die vorhandenen Gesetze bedeutete. Es wurde damit eine umfassende Gesetzesbindung der Behörden bei Eingriffen in das Wohnungsgrundrecht angestrebt. 114 Dabei sollte es sich um einen einfachen Gesetzesvorbehalt handeln. Zweck und Voraussetzungen des Eingriffs seien nicht bereits in der Verfassung vorherzubestimmen, sondern erst von den Gesetzgebungskörperschaften zu definieren. Setze die Verfassung diese bereits im voraus fest, sei der Gesetzbgeber gebunden und könne auf unvorhergesehene Fälle, in denen das öffentliche Interesse ein Eingreifen verlange, nicht reagieren. 115 Die gegenläufigen Positionen lassen sich nur richtig bewerten, wenn man sie vor dem Hintergrund der Rechtsverhältnisse der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf dem Gebiet des Verfassungsrechts sieht.

m Osterrath, WigardIII,S. 1579\Reichensperger, WigardIII,S. 1591 (Partei: beide Casino). 112 Scheller (Partei: Casino), Wigard III, S. 1581 f.; Spatz (Partei: Deutscher Hof), Wigard III, S. 1584; Freudentheil (Partei: Westendhall), Wigard, S. 1585 f. h 3 Mittermaier (Partei: gemäßigt linke Fraktion des Württemberger Hofes), Wigard III, S. 1576; Adams (fraktionslos), Wigard III, S. 1582; Grävell, Wigard III, S. 1585. 114 Adams, Wigard ΙΠ, S. 1582. 115 Beseler, Wigard III, S. 1576; Mittermaier, Wigard ÌU, S. 1576. 7 Austermühle

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2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

Auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts gab es zu dieser Zeit noch keine umfassende Gesetzesbindung der Exekutiven. Der Vorrang des Gesetzes, d. h. die Bindung der vollziehenden Gewalt an die geltenden Gesetze, war als Grundsatz anerkannt, nicht aber der Gesetzesvorbehalt, wonach Eingriffe in Freiheitsrechte nur aufgrund eines Gesetzes erfolgen durften. 116 Die vollziehende Gewalt konnte u. U. auch ohne gesetzliche Grundlage rechtmäßig handeln. Etwas anderes galt nur dann, wenn im Verfassungstext ausdrücklich ein Gesetzesvorbehalt - ein sogenannter Spezialvorbehalt - enthalten war. Nur so läßt sich erklären, daß die Frage der Einführung eines Gesetzesvorbehalts beim Wohnungsschutz so eingehender Diskussionen bedurfte. Die Ermächtigungsbedürfigkeit von Einzeleingriffen der Staatsgewalt war kein allgemein gültiges, auch ohne ausdrückliche Erwähnung zu beachtendes Verfassungsprinzip, sondern mußte bei dem jeweiligen Grundrecht ausdrücklich festgesetzt werden. Die Abgeordneten Mittermaier, Leue und Adams forderten nun für den Bereich des Wohnungsschutzes die Einführung eines solchen Spezialvorbehalts. Die Polizei sollte nur noch aufgrund eines Gesetzes und nicht mehr nach eigenem Belieben einschreiten dürfen. Dabei wurden an den Inhalt der Gesetze bestimmte Anforderungen gestellt: Sie sollten die Fälle und Formen bestimmen, in denen Eingriffe zulässig waren. Ein Gesetz mußte also mit anderen Worten hinreichend bestimmt sein. Verboten sollten Generalklauseln sein, wie sie zu dieser Zeit in weiten Teilen Deutschlands noch in Kraft waren. So waren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die strafprozessualen Eingriffsgrundlagen in den einzelnen Ländern vollkommen unzureichend, weil sie die Eingriffsvoraussetzungen nicht exakt bestimmten und der vollziehenden Gewalt einen umfassenden Entscheidungsspielraum eröffneten. 117 Die Abgeordneten des linken Flügels der Nationalversammlung forderten hingegen die Einführung eines Richtervorbehalts und verzichteten auf einen Spezialvorbehalt. Sie hatten dabei die Erfahrungen in der Vergangenheit sowie die herrschenden Rechtszustände im Blick. Spezialvorbehalte waren auch in früheren Verfassungsurkunden enthalten gewesen, hatten aber keinerlei praktische Bedeutung erlangt, weil die Gesetzgebungskörperschaften untätig geblieben waren. In diesen Ländern bewegte sich die Polizei weitgehend im rechtsfreien Raum. Im Hinblick auf diese Situation hielt man es für sinnvoller, einem Richter die Entscheidungsgewalt zu übertragen. In der Ersten Lesung der Grundrechte im Plenum fanden nur die Vorschläge, die einen Richtervorbehalt zum Inhalt hatten, eine Mehrheit. So wurden die Anträge, daß für eine Hausdurchsuchung ein richterlicher Befehl erforderlich war, der binnen 24 Stunden nachgeholt werden konnte 118 , sowie der Antrag, daß bei Verfal-

l t D. Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 156 ff. 117 D. Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 156 ff. us Wigard ΙΠ, S. 1590.

2. Abschn.: Die Geheimshpäre im Verfassungsrecht

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gung auf frischer Tat eine richterliche Anordnung entbehrlich war 1 1 9 , beide angenommen. Dagegen fanden die Alternativvorschläge von Adams, Leue und Mittermaier, die den Richtervorbehalt ablehnten und das Wohnungsgrundrecht durch einen Gesetzes vorbehält sichern wollten, keine Mehrheit im Plenum. 120

b) Weitere Verhandlungsgegenstände Auf Vorschlag des Abgeordneten v. Jordan 121 wurde schließlich noch beschlossen 122 , daß zu jeder Hausdurchsuchung Hausgenossen als Zeugen hinzuzuziehen waren. Diese formelle Regelung sollte eine ordnungsgemäße Durchführung der Durchsuchung garantieren, z. B. Diebstähle durch die Beamten verhindern. Der Vorschlag von Wesendonck123 und Heisterbergk 124, wonach der Durchsuchungsbefehl schriftlich abgefaßt, mit Gründen versehen und dem Betroffenen zugestellt werden sollte, konnte sich im Plenum dagegen nicht durchsetzen. 125

3. Die Zweite Lesung im Verfassungsausschuß

Bei der erneuten Verhandlung im Verfassungsausschuß wurde eine neue Fassung des Paragraphen beschlossen, weil aus praktischen Erwägungen heraus immer noch Bedenken gegen den Richtervorbehalt geäußert wurden. Man einigte sich auf Vorschlag der Abgeordneten Mittermaier und Deiters, die Regelung der Ausnahmen, in denen die Einholung einer richterlichen Entscheidung entbehrlich war, weiter zu fassen und außer bei Ergreifung auf frischer Tat auch in sonstigen gesetzlich bestimmten Fällen und Formen Ausnahmen zuzulassen.126 Damit war es nun dem Gesetzgeber möglich, die erforderlichen Ausnahmefälle festzulegen. Wie aus den Verhandlungen des Verfassungsausschusses hervorgeht, sollten jedoch nur dann Ausnahmen zugelassen werden, wenn wegen der Dringlichkeit der Maßnahme ein Abwarten des richterlichen Befehls nicht möglich war. Die Absicht der verfassunggebenden Versammlung war darauf gerichtet, den Gesetzgeber bei der Bestimmung der Ausnahmen durch die Verfassung festzulegen und ein Unterlaufen des Richtervorbehalts durch den Landesgesetzgeber zu verhindem. 1 2 7 H9 Wigard ΙΠ, S. 1591. 120 Wigard ΠΙ, S. 1590 f. 121 Wigard ΙΠ, S. 1576. 122 Wigard III, S. 1591. 123 Wesendonck, Wigard ΙΠ, S. 1580. 124 Heisterbergk, Wigard Ul, S. 1586. 125 Wigard ΙΠ, S. 1591. 126 J. G. Droysen, Actenstiicke und Aufzeichnungen, S. 192, 197. 127 7.-D. Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, S. 335. 7*

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2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

Ferner setzte sich der Antrag durch, daß der Durchsuchungsbefehl schriftlich abzufassen, mit Gründen zu versehen und dem Betroffenen zuzustellen war. Hinsichtlich der Verhaftung wurde nun doch noch die Bestimmung angefügt, daß die Unverletzlichkeit der Wohnung kein Hindernis bei einer Verhaftung war. Gemeint war, daß ein Haftbefehl auch das Eindringen in eine Wohnung zum Zweck der Verhaftung rechtfertigte. Wenn also ein richterlicher Befehl vorlag, konnte die Polizei in die Wohnung des Beschuldigten eindringen, um ihn zu verhaften oder um Spuren und Beweismittel zu suchen. Einer erneuten richterlichen Anordnung bedurfte es hierfür nicht. 128 Die dem Verfassungsausschuß unterbreitete neue Fassung des § 140 FRV wurde vom Plenum in der Zweiten Lesung angenommen.

4. Bewertung des § 140 FRV in seiner endgültigen Fassung

Richtungweisend für die weitere Entwicklung war die Einführung eines Richtervorbehalts für Eingriffe in das Wohnungsgrundrecht. Zugleich wurde die Wohnung auch durch einen Gesetzesvorbehalt geschützt. Jeder Eingriff in das Wohnungsgrundrecht durfte nur durch oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen. Allerdings konnten sich die Maximalforderungen des linken Rügeis, wonach der richterliche Befehl immer, entweder schon vor der Hausdurchsuchung oder spätestens 24 Stunden danach erlassen werden mußte, nicht durchsetzen. Es wurden im öffentlichen Interesse Ausnahmen zugelassen. Eine dem § 138 Abs. 3 FRV (Habeas-Corpus) vergleichbare Sicherung mit dem Inhalt, daß der richterliche Befehl zumindest nachgeholt werden mußte, gelang damit für den Wohnungsschutz nicht. Man einigte sich darauf, daß im Interesse der Strafrechtspflege bei Verfolgung auf frischer Tat, außerdem in Fällen und Formen, die der Landesgesetzgeber definierte, ein richterlicher Befehl entbehrlich sein sollte. Die Ausnahmeregelung war zurückzuführen auf Stimmen des rechten Flügels, die gegen den Richtervorbehalt vor allem eingewandt hatten, er verhindere in Eilfällen, insbesondere bei der Verfolgung von Straftaten, ein schnelles und effektives Tätigwerden der Behörden. Trotz der relativ unbestimmten Fassung des § 140 ergab sich aus den Verhandlungen eine Konkretisierung. Nur bei Gefahr in Verzug, im Rahmen dessen vor allem bei Zoll-, Steuer- und Forstvergehen, sollte ausnahmsweise eine Hausdurchsuchung ohne richterlichen Befehl erlaubt sein. 129 Es sollte sich nach dem Willen des Gesetzgebers nur um eng begrenzte Ausnahmefälle handeln. 130 128

T. Mommsen, Die Grundrechte des Deutschen Volkes, S. 33. T. Mommsen, Die Grundrechte des Deutschen Volkes, S. 36. 130 Auf die Gefahr einer Aushöhlung des Richtervorbehalts durch den Gesetzgeber wies vor allem T. Mommsen hin, Die Grundrechte des Deutschen Volkes, S. 36 f.: „Freilich 129

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Neben dem Richtervorbehalt war ferner von Bedeutung, daß § 140 zum ersten Mal die Bedeutung von verfahrensrechtlichen Garantien für das Wohnungsgrundrecht herausstellte. Die vom Gesetzgeber erlassenen Form - und Verfahrensvorschriften hatten Verfassungsrang („in den Fällen und Formen"), und jede Verletzung dieser Regeln stellte zugleich eine Verletzung von Verfassungsrecht dar. Speziell geregelt waren in dieser Hinsicht die Schriftlichkeits-, Begründungs- und Zustellungspflicht des Durchsuchungsbefehls sowie die Pflicht, „wenn thunlich", Hausgenossen zur Durchsuchung hinzuzuziehen.

II. Das Briefgeheimnis (§ 142 FRV) § 142 FRV lautete: „Das Briefgeheimnis ist gewährleistet. Die bei strafgerichtlichen Untersuchungen und in Kriegsfällen nothwendigen Beschränkungen sind durch die Gesetzgebung festzustellen."

Um Schutzzweck und Inhalt der einschlägigen Artikel bestimmen zu können, ist wiederum der Gang der Verhandlungen im Verfassungsausschuß und im Plenum der Nationalversammlung nachzuvollziehen.

1. Das Briefgeheimnis und die persönliche Geheimsphäre

Anläßlich der Diskussionen um das Briefgeheimnis beschäftigte man sich intensiv mit dem Wert einer persönlichen Geheimsphäre. Jeder sollte das Recht haben, schriftliche Gedankenäußerungen entweder geheimzuhalten oder nur bestimmten Personen anzuvertrauen. Zu schützen war die Geheimsphäre des einzelnen als das „Heiligthume seines geheimsten Inneren" vor einem Ausforschen durch den Staat. 131 Aus den Verhandlungen geht hervor, daß bis zu diesem Zeitpunkt Verletzungen des Briefgeheimnisses rechtliche Sanktionen vor allem im Zivilrecht auslösten. Auf diesem Gebiet wurde das Thema unter dem Aspekt des geistigen Eigentums diskutiert. 132 Dabei ging es weniger um das geistige Interesse an einer vertraulichen Kommunikation, als vielmehr um den Schutz von wirtschaftlichen Interessen. Schadensersatzansprüche wurden gewährt, wenn Geheimnisse offenbart wurden, können sie (die Ausnahmen) eine Quelle für polizeiliche Plackereien sein, und wollen wir wünschen, daß auch bei der Erlassung dieser besonderen Gesetze die Unverletzlichkeit der Wohnung so weit irgend möglich gewahrt werden... " 131 Cnyrim, Wigard III, S. 1600; Eisenstuck, Wigard III, S. 1602; vgl. auch P. Badura, in: Bonner Kommentar (1965), Anm. zu Art. 10 GG, RN 26, S. 16; H. Scholler, Die Grundrechtsdiskussion in der Paulskirche, S. 20. 132 Cnyrim, Wigard III, S. 1602; Eisenstuck, Wigard III, S. 1602.

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die für den Absender oder den Empfänger des Briefes wirtschaftlichen Wert besaßen, d. h. durch die Brieferbrechung ein wirtschaftlicher Schaden eingetreten war. In der Paulskirchendiskussion wurde nun der zivilrechtliche Schutz des Briefgeheimnisses als unzureichend bezeichnet. So äußerte der Abgeordnete Cnyrim in der Plenardiskussion, daß in der bisherigen Gesetzgebung hinsichtlich des Briefgeheimnisses Lücken bestünden. Bisher habe man Eingriffe in das Briefgeheimnis durch die Post als Vertragsverletzungen aufgefaßt, die Schadensersatzansprüche begründeten. Da bei Verletzungen des Briefgeheimnisses aber nur sehr selten ein Schaden eintrete, der sich in Geld veranschlagen ließe, sei das Briefgeheimnis nicht zureichend garantiert. 133 Auch der Abgeordnete Eisenstuck vertrat die Meinung, daß das Briefgeheimnis „aus einem doppelten Gesichtspunkte" gewährleistet werden müsse. Es gelte „ . . . nicht allein dem Schutze des geistigen Eigentums, sondern der Sicherheit des geistigen Lebens überhauptDas Briefgeheimnis müsse „auch überhaupt als Heiligthum gelten in Bezug auf das gesamte geistige Leben des Menschen. " 134

2. Beschränkungen des Briefgeheimnisses

Vorab ist zu bemerken, daß das Briefgeheimnis (§ 142 FRV) im Zusammenhang mit dem Verbot der Brief- und Papierbeschlagnahme (§ 141 FRV) zu sehen ist. Das Briefgeheimnis bezog sich nur auf Briefe, die sich auf dem Postweg befanden. Eingriffe stellten das Anhalten, Offnen, Ausliefern sowie schließlich die förmliche Beschlagnahme von Sendungen durch die Post selbst oder durch sonstige Behörden dar. Dabei stellte die Beschlagnahme die intensivste Eingriffsform dar. § 141 FRV knüpfte deshalb die Beschlagnahme von Briefen und Papieren an besondere Voraussetzungen. Sein Anwendungsbereich ging allerdings über den von der Post vermittelten Briefverkehr hinaus. § 141 FRV bezog sich zusätzlich auf Papierbeschlagnahmen, die außerhalb der Post, ζ. B. im Zuge einer Verhaftung oder Hausdurchsuchung, stattfanden.

a) Die Erste Lesung im Verfassungsausschuß

135

Der Verfassungsausschuß faßte beide Regelungen noch in einem Paragraphen zusammen. Nach § 9 Abs. 1 des Entwurfs war das Briefgeheimnis gewährleistet. Nach Abs. 2 durften nur durch Gesetz bei strafgerichtlichen Untersuchungen und im Kriegsfall Beschränkungen vorgenommen werden. Die Beschlagnahme von 133 Cnyrim, Wigard Ul, S. 1600. 134 Eistenstuck, Wigard III, 1602. 135 J. G. Droysen (Hrsg.), Die Verhandlungen des Verfassungsausschusses der Deutschen Nationalversammlung, S. 378 ff.

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Briefen und Papieren als intensivster Eingriff durfte nach Abs. 3 nur aufgrund eines richterlichen Befehls vorgenommen werden. Von allen später vorgeschlagenen Fassungen entsprach § 9 des Entwurfs am ehesten dem späteren § 142 FRV. Sollte daher die förmliche Beschlagnahme von Sendungen auf der Post angeordnet werden, so war dies nur nach richterlicher Anordnung, aufgrund eines Gesetzes und nur zum Zweck der Strafverfolgung und in Kriegszeiten erlaubt.

b) Die Diskussionen im Plenum der Nationalversammlung (L und 2. Lesung) aa) Exkurs: Brief- oder Postgeheimnis In der Plenardiskussion beschäftigte man sich ausführlich mit der Schutzrichtung des Briefgeheimnisses. Es wurde der Antrag gestellt, den in § 9 des Entwurfs des Verfassungsausschusses verwendeten Ausdruck „Briefgeheimnis" durch „Postgeheimnis" zu ersetzen 1 3 6 , um klarzustellen, daß nur die von der Post beförderten Briefe geschützt seien. Nicht in den Schutzbereich fielen dagegen die von privaten Boten übermittelten Briefe. Die Vorschrift schütze nur vor Eingriffen durch die Post als staatliche Behörde, nicht vor Eingriffen durch private Dritte. Dies müsse die Fassung des Artikels klar zum Ausdruck bringen. Der Zweck der Garantie bestünde darin, die mißbräuchliche Einflußnahme auf die Post als Staatsanstalt durch andere staatliche Behörden, vor allem durch die Regierung, zu verhindern. Wegen der Einflußmöglichkeiten der Staatsbehörden auf die Post sei hier die Gefahr staatlicher Übergriffe auf den Briefverkehr besonders hoch. 137 Die Schutzbedürftigkeit des durch die Post vermittelten Briefverkehrs werde noch dadurch erhöht, daß die Post eine Monopolstellung besäße und der einzelne auf ihre Dienste angewiesen sei. 138 Die Vertreter dieser Auffassung hatten vor allem die Erfahrungen in der Vergangenheit vor Augen, wo die Postbehörden auf Weisung der Regierung sogenannte „cabinets noirs" errichten mußten, deren Aufgabe darin bestand, den Briefverkehr politisch verdächtiger Personen zu kontrollieren. 139 Die Abgeordneten Beseler und Francke teilten zwar diese Auffassung, lehnten aber eine Änderung von „Briefgeheimnis" in „Postgeheimnis" ab. Der Ausdruck „Briefgeheimnis" bilde bereits einen festen Begriff und umfasse ohne Zweifel nur die von der Post beförderten Briefe. 140 Es sei selbstverständlich, daß der Artikel 136 Antrag der Abgeordneten Riesser, ν. Nierstein, ν. Koblenz, Stedmann, Wigard S. 1600. 137 Riesser, Wigard TU, S. 1601; Francke, Wigard ΠΙ, S. 1605. »8 Riesser, Wigard ΙΠ, S. 1601.

139 Nerreter, Wigard Hl, S. 1603. 140 Francke, Wigard 111, S. 1604.

ΙΠ,

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nicht eine umfassende Garantie des Briefgeheimnisses enthalte, sondern nur Schutz gegen staatliche Übergriffe biete. 141 Eine Minderheit von Abgeordneten vertrat die Ansicht, daß die Vorschrift eine umfassende Garantie des Briefgeheimnisses enthalte, also auch vor Brieferbrechungen durch Privatpersonen schütze.142 Deshalb sei an der vom Verfassungsausschuß gewählten Bezeichnung „Briefgeheimnis" festzuhalten. Im Ergebnis fand weder im Plenum der Nationalversammlung noch im Verfassungsausschuß bei der Zweiten Lesung der Vorschlag, „Briefgeheimnis" durch „Postgeheimnis" zu ersetzen, eine Mehrheit. 143 Dies geschah allerdings nicht, weil man einen umfassenden Schutz des Briefverkehrs gegenüber jedermann anstrebte, sondern weil man an einer bereits gefestigten Terminologie festhalten wollte. 1 4 4 Hinsichtlich der Schutzrichtung des § 142 FRV war man sich nahezu einig, daß die Vorschrift ein gegen den Staat gerichtetes Abwehrrecht darstellte. Alle Versuche, den Adressatenkreis der Vorschrift über die hoheitliche Gewalt hinaus auf Privatpersonen auszudehnen, fanden keine Mehrheit. 145 Die Post war nur deshalb Adressat der Bestimmung, weil sie Staatsanstalt war. 1 4 6 Rechtsverletzungen durch Privatpersonen waren nur durch das Strafrecht sanktioniert, verstießen aber nicht gegen Grundrechte. 147 Der Charakter dieser Vorschrift machte es außerdem erforderlich, in jedem Fall einer Brieferbrechung zunächst zu prüfen, ob der Postbedienstete nur im privaten Interesse, ζ. B. aus persönlicher Neugier oder aus Erwerbssucht, oder aber als Organwalter in Ausübung seines öffentlichen Amtes gehandelt hatte. Das im persönlichen Interesse liegende Handeln eines Postbediensteten war privatrechtlicher Natur und wurde durch Vorschriften des Dienst- bzw. des Strafrechts sanktioniert; es fiel aber nicht in den Schutzbereich des Grundrechts. 148

141 Beseler, Wigard III, S. 1605. 142 Osterrath, Wigard III, S. 1601; Eisenstuck Wigard III, S. 1602; Nerreter, Wigard III, S. 1603. 143 Wigard III, S. 1607; J. G. Droysen, Actenstücke und Aufzeichnungen, S. 194. 144 2. Lesung der Grundrechte im Verfassungsausschuß, J. G. Droysen, Actenstücke und Aufzeichnungen, S. 194 f.; vgl. auch P. Badura; in: Bonner Kommentar (1965), Anm. zu Art. 10 GG, Rn 7, S. 9. 145 H. Scholler, Die Grundrechtsdiskussion in der Paulskirche, S. 21. 146 Riesser, Wigard III, S. 1601. 147

H. Scholler, Die Grundrechtsdiskussion in der Paulskirche, S. 20. 148 Cnyrim, Wigard III, S. 1599; Badura; in: Bonner Kommentar (1965), Anm. zu Art. 10 GG, RN 22, S. 15.; T. Mommsen, Die Grundrechte des deutschen Volkes, S. 38.

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bb) Beschränkungen des Briefgeheimnisses Zentrales Thema der Plenardiskussion bei der Ersten Lesung der Grundrechte am 17. 8. 1848 war die Frage, ob Beschränkungen des Briefgeheimnisses zugunsten des Gesamtinteresses an Sicherheit und Ordnung zulässig sein sollten. 149 Eine Reihe von Rednern sprach sich gegen solche Ausnahmeregelungen aus. Das Brief- bzw. Postgeheimnis solle unverletzlich sein. 150 Wenn man Einschränkungen des Briefgeheimnisses durch Gesetz verfassungsrechtlich zulasse, die Bestimmung der konkreten Ausnahmefälle aber dem Gesetzgeber überlasse, bestünde die Gefahr, daß das Grundrecht durch zahllose Ausnahmegesetze ausgehöhlt werde und leerlaufe. 151 Die Erfahrung in der Vergangenheit habe gezeigt, daß „zahllose Ausnahmegesetze das ganze Grundrecht aufheben können". „Es könne geschehen, daß bei Vertretern des Volkes die Furcht vor einer freien Volksbewegung ... überhand nehmen kann, und dann Gesetze von ihnen ausgehen, welche wahrhaft die Freiheit in Unfreiheit, den gesetzlichen Zustand in einen gewissermaßen gesetzlosen verwandeln." 152

Ein einfacher Gesetzesvorbehalt biete keine Gewähr für freiheitssichernde Gesetze. Andere wollten Beschränkungen zulassen, aber nur aufgrund einer richterlichen Anordnung. Von der Polizei vorgenommene Eingriffe in das Briefgeheimnis, auch wenn sie aufgrund eines Gesetzes erfolgten, seien nicht erlaubt. 153 In diesen Auffassungen kam neben dem Bestreben, Polizeiwillkür auszuschalten, auch das Mißtrauen gegenüber dem Gesetzgeber zum Ausdruck. In der Bindung der Beamten an die Gesetze wurde allein noch keine ausreichende Sicherheit gesehen. Die Landesgesetze, sofern es solche schon gab, hielt man für unzureichend, so daß man es vorzog, die Entscheidung auf den Richter zu übertragen. Von den Befürwortern einer Ausnahmeregelung ausschließlich in Form eines Gesetzesvorbehalts sprach sich ein Teil dafür aus, die Ausnahmefälle bereits im voraus in der Verfassung festzusetzen - wie dies in § 9 des Ausschußantrages geschehen war - andere wollten dies der Konkretisierung durch den Gesetzgeber überlassen. § 9 des Ausschußantrages ließ Beschränkungen des Briefgeheimnisses bei strafgerichtlichen Untersuchungen und in Kriegszeiten zu. Zugunsten des Ausschußantrages wurde geltend gemacht, daß nur eine Festsetzung der Ausnahmen in der Verfassung eine Aushöhlung des Grundrechts verhindere, die bei einem einfachen Gesetzesvorbehalt drohe. 154 149 Beseler, Wigard III, S. 1605. 150 So der Minoritätsantrag des volkswirtschaftlichen Ausschusses: Wigard ΙΠ, S. 1599; Eisenstuck, Wigard III, S. 1602; Nerreter, Wigard 1U, S. 1603. 151 Nerreter, Wigard II I, S. 1603; Eisenstuck, Wigard m, S. 1602. 152 Nerreter, Wigard III, S. 1603. 153 Riesser, Wigard III, S. 1601. 154 Nerreter, Wigard III, S. 1603; Eisenstuck, Wigard ΙΠ, S. 1602.

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Nach der anderen Auffassung sollte die Bestimmung der Ausnahmen dem Gesetzgeber überlassen bleiben, wobei es sich bei dem Ausnahmegesetz aber aus Gründen der Einheitlichkeit um ein Reichsgesetz und nicht bloß um ein Landesgesetz handeln müsse. 155 Im Ergebnis fanden in der Ersten Lesung im Plenum die Anträge, das Briefgeheimnis „nur" durch einen Gesetzesvorbehalt zu sichern, nicht die erforderliche Mehrheit. Man einigte sich auf eine enge Fassung, wonach nur der Richter die Beschlagnahme von Briefen anordnen durfte. 156

3. Die Zweite Lesung im Verfassungsausschuß

Hier entfernte man sich wieder von der engen Fassung, wie sie das Plenum beschlossen hatte und näherte sich der „kombinierten" Regelung an, wie sie der Verfassungsausschuß während der Ersten Lesung schon einmal vorgeschlagen hatte: Beschränkungen des Briefgeheimnisses waren nur aufgrund eines Gesetzes zum Zweck der Strafverfolgung oder in Kriegszeiten zulässig. Die Beschlagnahme bedurfte zusätzlich der richterlichen Anordnung 157 . Dies bedeutete im Vergleich zu den Beschlüssen des Plenums eine gewisse Lockerung. Von allen denkbaren Eingriffen in das Briefgeheimnis war nur für die Beschlagnahme eine richterliche Anordnung erforderlich. Im übrigen wurde das Briefgeheimnis durch einen Gesetzesvorbehalt geschützt. Es wurde schließlich vorgeschlagen, dem richterlichen Befehl hinzuzufügen, daß dieser bei Gefahr im Verzug auch innerhalb von 24 Stunden zugestellt werden könne. Dieser Vorschlag löste im Verfassungsausschuß heftige Diskussionen aus. Gegen ihn wurde vor allem angeführt, daß eine Brief- und Papierbeschlagnahme hauptsächlich bei politischen Verbrechen in Betracht komme. Hier gelte es, polizeiliche Willkür so weit wie möglich auszuschalten. Mittermaier erinnerte vor allem an die 1819 von den Regierungen angeordneten Papierbeschlagnahmen, die die geistigen Führer der Volksbewegung getroffen hatten, und warnte davor, der Polizei eine selbständige Entscheidungsbefugnis einzuräumen. 158 Im Interesse einer effektiven Strafverfolgung wurde aber schließlich doch die 24-Stunden-Frist zur Nachreichung bzw. Zustellung des richterlichen Befehls beschlossen.159

155 So der Antrag der Majorität des Volkswirtschaftlichen Ausschusses, Wigard S. 1598.

156 Wigard ΠΙ, S. 1608.

157

G. Droysen, Actenstücke und Aufzeichnungen, S. 198.

158 J. G. Droysen, Actenstücke und Aufzeichnungen, S. 198. 159 J. G. Droysen, Actenstücke und Aufzeichnungen, S. 199.

ΙΠ,

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Zugleich einigte man sich auf Vorschlag des Abgeordneten Scheller 160 , die Bestimmung über die Beschlagnahme von Briefen und Papieren in einem gesonderten Paragraphen zu regeln, um klarzustellen, daß eine richterliche Anordnung bei jeder Beschlagnahme von Briefen erforderlich war und nicht nur dann, wenn sich die Briefe auf dem Postweg befanden.

4. Bewertung des § 142 FRV in seiner endgültigen Fassung

In der Paulskirche machte man sich erstmals ausführlich Gedanken über Inhalt und Grenzen des Briefgeheimnisses. Es wurde in Zusammenhang gebracht mit dem Recht auf Gedankenfreiheit und dem Recht auf eine persönliche Geheimsphäre. In rechtlicher Hinsicht wurde durch § 142 FRV ein weitreichender Schutz gewährleistet. Aufgrund des vorangestellten § 141 FRV war für die Beschlagnahme von Briefen, die durch die Post befördert wurden, immer eine richterliche Anordnung erforderlich. In Fällen von Gefahr in Verzug konnte die Polizei zwar selbständig tätig werden. Die richterliche Anordnung mußte jedoch binnen 24 Stunden nach erfolgter Beschlagnahme nachgeholt werden. Sämtliche Eingriffe in den Postverkehr waren nur aufgrund eines Gesetzes und in den in der Verfassung vorherbestimmten Ausnahmefällen, nämlich zum Zweck der Strafverfolgung und in Kriegszeiten, erlaubt.

ΙΠ. Die allgemeine Beschlagnahme von Briefen und Papieren (§ 141 FRV) § 141 lautete: „Die Beschlagnahme von Briefen oder Papieren darf, außer bei einer Verhaftung oder Haussuchung, nur in Kraft eines richterlichen, mit Gründen versehenen Befehls vorgenommen werden, welcher sofort oder innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden den Betheiligten zugestellt werden soll."

Wie oben dargestellt, bestimmte § 9 des Antrags des Verfassungsausschusses im Anschluß an die Gewährung des Briefgeheimnisses, daß vor jeder Beschlagnahme von Briefen und Papieren ohne Ausnahmen eine richterliche Anordnung erforderlich sei. In der Ersten Lesung der Grundrechte in der Nationalversammlung wurden gegen diese Fassung keine Einwände erhoben. In der Zweiten Lesung im Verfassungsausschuß beschloß man - wie erwähnt - Briefgeheimnis und Beschlagnahme räumlich auseinanderzuziehen und in zwei selbständigen Paragraphen zu regeln. 160

J. G. Droysen, Actenstücke und Aufzeichnungen, S. 198.

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Ferner wurde beschlossen, im Interesse der Strafverfolgung eine 24-Stunden-Frist zur Nachholung der richterlichen Anordnung aufzunehmen. Zur Erleichterung der Strafrechtspflege wurde eine weitere Ausnahme für Beschlagnahmen im Rahmen von Hausdurchsuchungen und Verhaftungen gemacht. Für Brief- und Papierbeschlagnahmen, die im Zuge einer Verhaftung oder während einer Hausdurchsuchung erfolgten, war keine besondere richterliche Anordnung erforderlich. Solche unterlagen den für diese Maßnahmen geltenden Voraussetzungen. Somit war § 141 FRV im wesentlichen nur auf Postbeschlagnahmen, d. h. auf Beschlagnahmen von Sendungen, die sich auf dem Postweg befanden, anwendbar.

C. Die verfassungsrechtliche Situation in den Partikularstaaten nach 1848/49 Mit dem Scheitern der Frankfurter Nationalversammlung und der Restituierung des Deutschen Bundes ab 1850 setzte in Deutschland eine Phase der Reaktion ein. Dennoch wurde in einigen deutschen Staaten nach 1848/49 noch der Ubergang zum Verfassungsstaat vollzogen. 161 Von diesen „späten" Verfassungsurkunden knüpften einige an den mit der Frankfurter Reichsverfassung erreichten Grundrechtsstandard an, indem die einschlägigen Artikel - mitunter wörtlich - übernommen wurden. In anderen Länderverfassungen hingegen wurden die 1848/49 bereits einmal erreichten Garantien wieder eingeschränkt oder sogar ganz zurückgenommen. Besonders einzugehen ist auf die Preußischen Verfassungsurkunden von 1848 und 1850. Der Ausgang der preußischen Verfassungsarbeiten sollte von maßgebendem Einfluß auf die Verfassungsentwicklung in ganz Deutschland sein, da sich Reichsgründung und die Erarbeitung einer Reichsverfassung unter der Führung Preußens vollzogen. Am Beispiel des Wohnungsschutzes, des Briefgeheimnisses und des Beschlagnahmeverbots läßt sich verfolgen, wie sich im Verlauf der Verfassungsarbeiten der stückweise Abbau von Grundrechtsgarantien vollzog.

I. Der Wohnungsschutz 1. Die Verfassungsurkunden der Länder außer Preußen

a) Hinsichtlich des Wohnungsschutzes übernahmen das Revidierte Staatsgrundgesetz Oldenburgs vom 22. 11. 1852 (Art. 40), das Landesverfassungsgesetz für das Herzogtum Anhalt-Bernburg vom 28. 2. 1850 (§ 6), das Verfassungsgesetz für das Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen vom 12. 12. 1849 (§ 13) sowie das 161 Eine Zusammenstellung sämtlicher vor und nach 1848 / 49 erlassenen Verfassungsurkunden findet sich bei H. A. Zachariä, Die deutschen Verfassungsgesetze der Gegenwart, 1. Bd.

2. Abschn.: Die Geheimshpäre im Verfassungsrecht

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Gesetz, die individuellen Personenrechte betreffend, der Landgrafschaft HessenHomburg vom 20. 4. 1852 (Art. 3) § 140 der Frankfurter Reichsverfassung im Wortlaut. Somit durfte eine Hausdurchsuchung in der Regel nur aufgrund eines schriftlichen und mit Gründen versehenen Durchsuchungsbefehls vorgenommen weden, der sofort oder spätestens 24 Stunden danach zugestellt sein mußte. Ausnahmen hiervon waren nur bei Verfolgung auf frischer Tat sowie in den Fällen, die der Gesetzgeber festlegte, zugelassen. Die Durchsuchung mußte, wenn möglich, unter Hinzuziehung von Hausgenosseen erfolgen. Indem Art. 40 § 2 Ziffer 3, der die Regelung der Ausnahmefälle dem Gesetzgeber zuwies, zusätzlich bestimmte, daß die bestehenden Gesetze einer Prüfung zu unterziehen seien, ging das Staatsgrundgesetz Oldenburgs sogar noch über den durch die Frankfurter Reichsverfassung gewährten Schutz hinaus. Es wurde den mangelhaften Gesetzen Rechnung getragen, die nicht in der Lage waren, einen ausreichenden Wohnungsschutz zu garantieren. Eine reformierte Strafprozeßordnung trat in Oldenburg erst im Jahr 1857 in Kraft. b) In zahlreichen anderen Länderverfassungen - so in den Verfassungen des Großherzogtums Luxemburg 162 , des Fürstentums Reuß, des Herzogtums Coburg und Gotha sowie des Fürstentums Waldeck - wurde der weitreichende Wohnungsschutz der Frankfurter Reichsverfassung erheblich zurückgenommen, indem für Eingriffe nur noch ein einfacher Gesetzesvorbehalt galt und in formeller Hinsicht (schriftlicher, mit Gründen versehener Durchsuchungsbefehl, Hinzuziehung von Zeugen) keinerlei Anordnungen getroffen wurden. Vielmehr waren das Eindringen in die Wohnung und Hausdurchsuchungen „in den gesetzlich bestimmten Fällen und Formen " zugelassen.163

2. Die Preußischen Verfassungsurkunden

a) Die „Charte Waldeck" Der unter Leitung des demokratischen Abgeordneten Waldeck erarbeitete liberale Kommissionsentwurf („Charte Waldeck") 164 regelte den Wohnungsschutz in Art. 7. Dieser lautete: 162 Das Großherzogtum Luxemburg, das zum Deutschen Bund gehörte, wurde zunächst aufgrund der Wiener Kongreßakte nach der Niederländischen Verfassung von 1815 regiert. Nachdem 1830 Belgien vom Königreich der Niederlande getrennt wurde, wurde ein Teil des Großherzogtums Luxemburg mit dem Königreich Belgien vereinigt. Der bei Deutschland verbliebene kleinere Teil Luxemburgs erhielt am 12. Oktober 1841 eine landständische Verfassung. Die Verfassung wurde im Jahr 1848 durch ein neues umfassenderes Grundgesetz vom 9. Juli 1848 ersetzt. Vgl. hierzu H. A. Zachariä, Die deutschen Verfassungsgesetze der Gegenwart, 1. Bd., S. 454 ff. 163 Art. 16 Verfassung des Großherzogtums Luxemburg v. 9. 7. 1848; § 12 Revidiertes Staatsgrundgesetz für das Fürstentum Reuß Jüngere Linie v. 14. 4. 1852; § 29 Verfassungsurkunde des Fürstentums Waldeck v. 17. 8. 1852; § 32 Staatsgrundgesetz für die Herzogtümer Coburg und Gotha v. 3. 5. 1852.

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2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

„Die Wohnung ist unverletzlich. Haussuchungen dürfen nur unter Mitwirkung des Richters oder der gerichtlichen Polizei in den Fällen und nach den Formen des Gesetzes vorgenommen werden." 165

Damit sollte zum einen für Eingriffe in die Wohnungsfreiheit ein einfacher Gesetzesvorbehalt gelten. In formeller Hinsicht war außerdem vorgeschrieben, daß die Hausdurchsuchung nur in Gegenwart eines Richters oder der gerichtlichen Polizei erfolgen durfte. Aus dieser Fassung wurde das Bestreben erkennbar, soweit wie möglich Schutz gegenüber der Willkür der Polizeibehörden zu bieten.

b) Die oktroyierte

Verfassung vom 5. 12. 1848

Bereits durch die nach Auflösung der Nationalversammlung am 5. 12. 1848 hoheitlich oktroyierte Verfassung wurde die mit dem Kommissionsentwurf erreichte Sicherung zum Teil wieder aufgegeben. Art. 6 Abs. 1 dieser Verfassungsurkunde lautete: „Die Wohnung ist unverletzlich. Das Eindringen in dieselbe und Haussuchungen sind nur in den gesetzlich bestimmten Fällen und Formen gestattet."

Damit stand die Wohnung nur noch unter einfachem Gesetzesvorbehalt. Nunmehr durften auch untere Polizeibeamte, zwar nur aufgrund eines Gesetzes, allerdings ohne Mitwirkung des Richter oder der gerichtlichen Polizei, Hausdurchsuchungen vornehmen. c) Die revidierte

Verfassung

An dieser Fassung wurde auch während der Revisionsarbeiten festgehalten, die die aufgrund der oktroyierten Verfassung neu gewählten beiden Kammern durchführten. 166 Art. 6 der revidierten preußischen Verfassungsurkunde vom 31.1. 1850 schützte die Wohnung daher nur noch durch einen einfachen Gesetzesvorbehalt. Damit blieb die Vorschrift hinter dem mit Art. 140 FRV erreichten Standard, der für Eingriffe in das Wohnungsgrundrecht zumindest grundsätzlich einen richterlichen Befehl vorgeschrieben, ferner dessen Schriftlichkeit, Begründung und Zustellung sowie schließlich die Hinzuziehung von Zeugen verlangt hatte, erheblich zurück.

164

Vgl. zum geschichtlichen Hintergrund der preußischen Verfassungsentwicklung: E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, 3. Bd., S. 35 ff.; M.Kotulla, Die revidierte preußische Verfassungsurkunde vom 31. 01. 1850, S. 12 ff. 165 Vgl. die Übersicht über den Gang der Verfassungsarbeiten: L. v. Rönne, Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat, Anm. zu Art. 6, S. 26 f. 166 L. v. Rönne, Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat, Anm. zu Art. 6, S. 26 f.

2. Abschn.: Die Geheimshpäre im Verfassungsrecht

111

II. Das Briefgeheimnis und das Verbot der Brief- und Papierbeschlagnahme Wie schon im Zusammenhang mit der Paulskirchenverfassung beschrieben, unterschieden sich das Briefgeheimnis und das Beschlagnahmeverbot, soweit eine Verfassungsurkunde beide Garantien enthielt, in bezug auf ihren Anwendungsbereich. Das Briefgeheimnis schützte vor Eingriffen in den durch die Post vermittelten Briefverkehr ζ. B. durch das Anhalten, Öffnen, Weiterleiten sowie schließlich durch die Beschlagnahme von Sendungen auf dem Postweg. Die Beschlagnahme von Briefen und Papieren als intensivster Eingriff wurde in der Regel gesondert behandelt und bezog sich neben dem Postverkehr auch auf Beschlagnahmen außerhalb der Post, ζ. B. im Zuge einer Hausdurchsuchung oder einer Verhaftung.

1. Die Verfassungsurkunden der Länder außer Preußen

a) Einige Länderverfassungen übernahmen auch hier wörtlich die Regelungen der §§ 141 und 142 der Frankfurter Reichsverfassung. Art. 42 des Staatsgrundgesetzes von Oldenburg lautete: „(1) Das Briefgeheimnis ist gewährleistet. (2) Die bei strafgerichtlichen Untersuchungen und in Kriegsfällen notwendigen Beschränkungen sind durch die Gesetzgebung festzustellen."

Art. 41 § 1 regelte die Beschlagnahme von Briefen und Papieren: „Die Beschlagnahme von Briefen und Papieren darf außer bei einer Verhaftung oder Haussuchung nur in Kraft eines richterlichen, mit Gründen versehenen Befehls vorgenommen werden, welcher sofort oder innerhalb der nächsten 24 Stunden dem Betheiligten zugestellt werden soll."

Identische Bestimmungen enthielten § 12 Abs. 1 und 2 des Landesverfassungsgesetzes für das Herzogtum Anhalt-Bernburg und § 14 und § 15 des Verfassungsgesetzes für das Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen. b) Die Verfassungen der anderen Länder sahen bei Eingriffen in das Briefgeheimnis und bei Beschlagnahmen von Briefen und Papieren lediglich einfache Gesetzesvorbehalte vor. Damit war der grundsätzliche Richtervorbehalt bei Beschlagnahmen von Schriftstücken innerhalb wie außerhalb des Postverkehrs, wie § 141 FRV ihn vorgesehen hatte, aufgegeben. Art. 29 der Verfassung des Großherzogtums Luxemburg lautete: „Das Briefgeheimnis ist unverletzlich. Das Gesetz bestimmt die Beamten, welche für die Verletzungen des Geheimnisses der der Post anvertrauten Briefe verantwortlich sind."

§ 13 des Staatsgrundgesetzes für das Fürstentum Reuß bestimmte: ,»Das Briefgeheimnis ist gewährleistet. Die absichtliche unmittelbare oder mittelbare Verletzung desselben soll peinlich bestraft werden. Die bei strafgerichtlichen Untersuchungen oder in Kriegsfällen notwendigen Beschränkungen bestimmt das Gesetz."

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2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

Keine dieser beiden Verfassungen erwähnte neben den Briefen auch die Papiere. Dies bedeutete, daß die Beschlagnahme von Papieren außerhalb des Postverkehrs keiner verfassungsrechtlichen Regelung - noch nicht einmal einem einfachen Gesetzesvorbehalt - unterworfen war. Nach § 29 der Verfassungsurkunde des Fürstentums Waldeck durften sowohl Beschlagnahmen von Briefen und Papieren als auch Verletzungen des Briefgeheimnisses nur in den gesetzlich benannten Fällen und Formen stattfinden. Das Staatsgrundgesetz für die Herzogtümer Coburg und Gotha stellten allgemein die Beschlagnahme und Durchsuchung von Briefen und Papieren unter Gesetzesvorbehalt, ohne sich speziell mit dem Postgeheimnis zu beschäftigen.

2. Die Preußischen Verfassungsurkunden

a) Die „ Charte Waldeck " Nach Art. 17 Abs. 1 des Kommissionsentwurfs war das Briefgeheimnis unverletzlich. Beschränkungen waren nur bei strafgerichtlichen Untersuchungen und in Kriegsfällen durch die Gesetzgebung zulässig. Art. 17 Abs. 2 erlaubte förmliche Beschlagnahmen von Briefen und Papieren nur nach richterlicher Anordnung. 167 Der Artikel bot Schutz in zweierlei Hinsicht. Eingriffe in das Briefgeheimnis, d. h. in den durch die Post vermittelten Briefverkehr, waren nur aufgrund eines Gesetzes in Kriegszeiten oder zum Zweck der Strafverfolgung erlaubt. Ausgeschlossen waren dagegen ζ. B. Eingriffe im Rahmen eines Zivil- oder Disziplinarverfahrens. 168 Sollte eine Beschlagnahme erfolgen, bedurfte es hierzu ohne Ausnahme und unabhängig davon, ob sich die Papiere und Briefe auf der Post oder an einem anderen Orte befanden, einer vorherigen richterlichen Anordnung. b) Die oktroyierte

Verfassung

Gem. Art. 31 der Verfassungsurkunde vom 5. 12. 1848 stand das Briefgeheimnis - insoweit gleichlautend mit dem Kommissionsentwurf - in Kriegszeiten und bei der Strafverfolgung unter Gesetzesvorbehalt. Die Beschlagnahme wurde an anderer Stelle zusammen mit dem Wohnungsschutz in Art. 6 geregelt, der jetzt lautete: „Die Wohnung ist unverletzlich. Das Eindringen in dieselbe und Haussuchungen sind nur in den gesetzlich bestimmten Fällen und Formen gestattet. Die Beschlagnahme von Briefen und Papieren darf außer bei einer Verhaftung und Haussuchung nur aufgrund eines richterlichen Befehls vorgenommen werden." 167

L. v. Rönne, Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat, Anm. zu Art. 6 und Art. 33, S. 26 und S. 73. 168 G. Anschütz, Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat, 1. Bd., Anm. zu Art. 33, S. 555.

2. Abschn.: Die Geheimshpäre im Verfassungsrecht

113

Damit galt für die Beschlagnahme von Sendungen auf der Post nach wie vor der Richtervorbehalt, nicht aber für die im Zuge einer Hausdurchsuchung oder einer Verhaftung vorgenommenen Beschlagnahmen. Weil für Verhaftung (Art. 5) und Hausdurchsuchung (Art. 6) bloß ein einfacher Gesetzesvorbehalt galt, war ein großer Teil der in der Praxis vorkommenden Brief- und Papierbeschlagnahmen vom Erfordernis des Richtervorbehalts ausgenommen.

c) Die revidierte

Verfassung

An der Regelung des Briefgeheimnisses (Art. 33) wurde bei den Revisionsarbeiten nichts mehr geändert 169 („Das Briefgeheimnis ist unverletzlich. Die bei strafgerichtlichen Untersuchungen und in Kriegsfällen notwendigen Beschränkungen sind durch die Gesetzgebung festzustellen "). Der Beschlagnahmeschutz wurde allerdings noch weiter aufgeweicht. 170 Art. 6 der oktroyierten Verfassung gelangte zuerst in der 1. Kammer zur Revision. Deren Zentralausschuß schlug die folgende Fassung vor: „Die Wohnung ist unverletzlich. Das Eindringen in dieselbe und Haussuchungen sowie die Beschlagnahme von Briefen und Papieren sind nur in den gesetzlich bestimmten Fällen und Formen gestattet."171

Damit war Satz 3 des Art. 6 der Verfassung vom 5. 12. 1848, der den richterlichen Befehl für Brief- und Papierbeschlagnahmen außerhalb einer Verhaftung oder Hausdurchsuchung vorgeschrieben hatte, gestrichen und die Brief- und Papierbeschlagnahme in Satz 2 des Art. 6 der oktroyierten Verfassung eingestellt worden. Das bedeutete, daß nun in allen Fällen einer Brief- und Papierbeschlagnahme nur noch ein einfacher Gesetzesvorbehalt galt. Der Richtervorbehalt war endgültig aufgegeben. Er galt auch nicht mehr für Beschlagnahmen außerhalb einer Hausdurchsuchung oder Verhaftung, vor allem nicht mehr für Postbeschlagnahmen. Als Begründung für die geänderte Fassung führte der Zentralausschuß der 1. Kammer an, daß durch diese das Prinzip des Art. 6 gewahrt sei, indem nun der einfache Gesetzesvorbehalt nicht nur für Eingriffe in die Wohnung, sondern auch für sämtliche Brief- und Papierbeschlagnahmen gelte. Trotz in der Debatte vereinzelt erhobener Bedenken wurde diese Fassung in der Ersten und Zweiten Lesung im Plenum der 1. Kammer angenommen. In der am 17. 07. 1849 auf der Basis des Dreiklassenwahlrechts neu gewählten 2. Kammer wurde noch bemerkt, daß eigentlich „keine Gründe mitgeteilt worden 169

L. v. Rönne, Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat, Anm. zu Art. 33,

S. 73 f. 170 Anders: M. Kotulla, Die Tragweite der Grundrechte der revidierten preußischen Verfassung vom 31.1. 1850, S. 42 ff. 171 L. v. Rönne, Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat, Anm. zu Art. 6, S. 26

8 Austermühle

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2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

seien " für die geänderte Fassung. Schließlich Schloß man sich aber der 1. Kammer an, so daß nun mit der revidierten Verfassung von 1850 sowohl bei Eingriffen in das Briefgeheimnis als auch bei sämtlichen Brief- und Papierbeschlagnahmen nur noch einfache Gesetzesvorbehalte galten. 172

3. Abschnitt

Die persönliche Geheimsphäre im Strafprozeßrecht A. Die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts Die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts führten auf dem Gebiet des Strafprozeßrechts weder in der Lehre noch in der Gesetzgebung zu wesentlichen Neuerungen. Auch im Hinblick auf die Strafverfolgungsmaßnahmen der Durchsuchung, der Pflicht zur Herausgabe bzw. der Beschlagnahme von Briefen und Papieren sowie bezüglich der Zeugnisverweigerungsrechte waren nur vereinzelt Verbesserungen zu verzeichnen. Der durchgreifende Wandel vollzog sich - angestoßen durch die politischen Ereignisse - im 5. Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts.

I. Die Gesetzgebung Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde der Versuch unternommen, die schlimmsten Mängel des Inquisitionsverfahrens zu beseitigen, ohne jedoch seine Grundprinzipien zu ändern. Zu diesem Zweck erließ man in einigen Ländern Verordnungen, die in Teilbereichen einzelne besonders drückende Mängel beseitigen sollten 1 7 3 , während im übrigen die Rechtsgrundlagen des gemeinen Kriminalprozesses in Geltung blieben. 174 In anderen Staaten wurden neue, das ganze Strafverfahren erfassende Prozeßordnungen geschaffen. Dazu gehörten die Preußische Kriminalordnung von 1805 175 sowie in Österreich das Gesetzbuch über Verbrechen und schwere Polizeyübertretungen von 1803. 176 Diese Gesetze bedeuteten - von einigen Neuerun172 Zum Ganzen: L. v. Rönne, Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat, Anm. zu Art. 6, S. 26 f. 173 Ζ. B. Abschaffung der Ungehorsamsstrafen, Zulassung einer Rechtsmittelinstanz, einzelne Änderungen im Beweissystem. 174 H. A. Zachariä, Handbuch des deutschen Strafprozesses, S. 7 ff.; mit einem Überblick zu den einzelnen Verordnungen in den Territorialstaaten. 175 Abdruck: Allgemeines Criminalrecht für die Preußischen Staaten, 1. Teil: Criminalordnung, 1806; P. Liman: Der Preußische Strafprozeß, Berlin 1859. 176

Abdruck: Gesetzbuch über Verbrechen und schwere Polizeyübertretungen, Wien 1815.

3. Abschn.: Die Geheimsphäre im Strafprozeßrecht

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gen abgesehen177 - nicht mehr als eine Neuregelung des Inquisitionsverfahrens. 178 Im Unterschied zu den einschlägigen Strafgesetzen des 18. Jahrhunderts, die überwiegend Generalklauseln gekannt hatten, enthielten die neuen Kriminalordnungen besondere gesetzliche Regelungen für Strafverfolgungsmaßnahmen, so ζ. B. für die Hausdurchsuchung. Das auf einem Entwurf Feuerbachs beruhende StGB Bayern 1813 179 , welches 1814 auch in Oldenburg eingeführt wurde 180 , wird im allgemeinen als das erste reformierte Strafgesetzbuch des 19. Jahrhunderts bezeichnet.181 Auch das in dessen zweiten Teil behandelte Strafverfahren wies erste Ansätze eines reformierten Strafprozesses auf. Hinsichtlich der hier interessierenden Strafverfolgungsmaßnahmen führte es allerdings nur zu einigen wenigen Verbesserungen.

1. Die Zeugnisverweigerüngsrechte

§ 313 CrimO Preußen 1805 befreite von den Vertrauenspersonen des Beschuldigten nur die Geistlichen, während die Verwandten und der Ehegatte weiterhin zur Zeugnisablegung verpflichtet blieben. Erwähnenswert ist an dieser Stelle allerdings, daß § 313 Ziff. 4 CrimO Preußen 1805 jeden Zeugen dazu berechtigte, im Rahmen einer Vernehmung solche Fragen zurückzuweisen, die in keinem Zusammenhang mit dem Gegenstand der Vernehmung standen und deren Beantwortung für seine Person nachteilige Folgen hatte. Es handelte sich hierbei um einen frühen Vorläufer des § 68 a StPO. 182 Anders als später in den Ländern erlassene Vorschriften dieser Art war die Bestimmung noch nicht auf einen Ehrenschutz beschränkt. Zweck des § 313 Ziff. 4 war es, den Zeugen vor unangenehmen, nicht zur Sache gehörenden Fragen, ζ. B. solchen, die sein Privatleben betrafen, zu schützen und einen Mißbrauch des Fragerechts durch die Verhörsperson zu vermeiden. 183

177 Ermittlung und Urteilsfällung waren nun auf verschiedene Personen übertragen: während die Untersuchung beim Inquirenten lag, oblag die Urteilsfällung einem Richterkollegium. Rechtsmittel waren zugelassen. 178 Noch immer galten gesetzliche Beweisregeln und es durften Lügen- und Verdachtsstrafen verhängt werden: H. A. Zachariä, Handbuch des deutschen Strafprozesses, S. 7 ff.; E.Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, § 254, S. 271 ff.

1 79 Abdruck: Strafgesetzbuch für das Königreich Baiern, 2. Teil („Von dem Prozeß in Strafsachen"), München 1813; vgl. hierzu: E. Schmidt, Einführung in die Geschichte der Deutschen Strafrechtspflege, §§ 248 ff., S. 261 ff.; H. Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, S. 85. 180 Abdruck: Strafgesetzbuch für die Herzoglich Holstein - Oldenburgischen Lande, Oldenburg 1814. 181 Vgl. hierzu: E. Schmidt, Einführung in die Geschichte der Deutschen Strafrechtspflege, §§ 248 ff., S. 261 ff.; H. Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, S. 85. 182 A. Geyer, Lehrbuch des gemeinen deutschen Strafprozeßrechts, § 134, S. 518. 8*

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2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

§ 377 des österreichischen Gesetzbuchs über Verbrechen und schwere Polizeyübertretungen verpflichtete die Verwandten und den Ehegatten des Beschuldigten immerhin noch in Fällen des Hochverrats zur Zeugnisablegung. Erst zwei Jahrzehnte später wurde das Zeugnisverweigerungsrecht durch Verordnung 184 auch auf diese Art von Straftaten ausgedehnt. Die Strafgesetzbücher von Bayern und von Oldenburg gewährten zum ersten Mal Zeugnisverweigerungsrechte ohne die bis dahin üblichen Ausnahmen für schwere Straftaten. Befreit von der Zeugnispflicht waren gem. Art. 204 StGB Bayern 1813/Art. 687 StGB Oldenburg 1814 die Angehörigen des Beschuldigten sowie die Geistlichen hinsichtlich der ihnen in der Beichte anvertrauten Tatsachen. Dies stellte einen erheblichen Fortschritt dar. Der Mangel im Vergleich zu späteren Vorschriften des reformierten Strafprozesses bestand aber darin, daß der Kreis der geschützten Personen eng begrenzt blieb auf die nahen Angehörigen des Beschuldigten. Noch nicht von der Zeugnispflicht befreit waren ζ. B. die Ärzte und Rechtsanwälte des Beschuldigten, die ebenfalls in einer engen Vertrauensbeziehung zum Beschuldigten standen. Ferner existierte kein mit der Befreiung von der Zeugnispflicht korrespondierendes Eidesverweigerungsrecht. Zur Ablegung eines Eides blieb deshalb jeder Zeuge verpflichtet, der eine Aussage - wenn auch freiwillig - gemacht hatte.

2. Die Urkundenedition

Noch einmal wurde die bereits im 18. Jahrhundert allgemein anerkannte Pflicht zur Urkundenedition gesetzlich festgeschrieben. Jedermann, selbst der Beschuldigte und Personen, die ein Zeugnisverweigerungsrecht besaßen - soweit ein solches bereits anerkannt war - mußte die für die Untersuchung wesentlichen Schriftstücke an die Strafverfolgungsorgane herausgeben. So bestimmte § 305 CrimO Preußen 1805: „Ein Jeder ist verbunden, die in seinen Händen befindlichen Schriften, welche auf die Untersuchung und Entscheidung Einfluß haben, dem Richter auf Verlangen vorzulegen."

Nur beim Umgang mit den auf diese Weise herbeigeschafften Urkunden schrieb das Gesetz dem Richter vor, Privatgeheimnhisse möglichst zu schonen und jederzeit dafür zu sorgen, „daß von solchen Urkunden, welche andere zur Sache nicht gehörende Nachrichten enthalten, nur dasjenige, was zur Entscheidung der Sache erforderlich ist, zu den Akten komme."

183 C. L. Paalzow, Commentar zur Preußischen Criminalordnung von 1805, Anm. zu §§314,315. ι» 4 Hofkanzlei-Decret vom 23. März 1826.

3. Abschn.: Die Geheimsphäre im Strafprozeßrecht

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Eine unbedingte Herausgabepflicht enthielt auch Art. 246 StGB Bayern 1813, wodurch die in diesem Gesetz bereits anerkannten Zeugnisverweigerungsrechte zugunsten der Angehörigen und des Beichtvaters unterlaufen wurden. Einzelne Einschränkungen machten die Gesetze nun in Bezug auf die zwangsweise Durchsetzung der Pflicht im Fall einer Verweigerung der Herausgabe. Soweit gegen tatunverdächtige Dritte vorgegangen werden sollte, wurde der Kreis der anwendbaren Zwangsmittel beschränkt. So mußte sich gem. § 306 CrimO Preußen 1805 „der Richter bei Ableistung des Editionseides beruhigenwenn der Besitzer der Urkunde Dritter war. Das bedeutete, daß die sonst üblichen Zwangsmittel (Geld- und Gefängnisstrafe, Hausdurchsuchung) in diesem Fall nicht erlaubt waren. Art. 246 StGB Bayern 1813 schrieb bei Dritten im Unterschied zum Verdächtigen einen richterlichen Auslieferungsbefehl vor, wenn die Urkunden nicht herausgegeben wurden, während beim Verdächtigen sofort zur Hausdurchsuchung geschritten werden durfte. Für die Beschlagnahme von Briefen und Papieren gab es kaum - weder in formeller noch in materieller Hinsicht - Sondervorschriften. Art. 251 Abs. 1 StGB Bayern 1813/Art. 734 Abs. 1 StGB Oldenburg 1814 stellten klar, daß die Hausdurchsuchung beim Verdächtigen zugleich zur Durchsuchung und Beschlagnahme seiner sämtlichen Papiere berechtigte, ohne daß zusätzliche Voraussetzungen galten. Da schon die Herausgabe schriftlicher Beweismittel gegenüber jedermann erzwungen werden konnte, durften diese erst recht ohne Ausnahmen zwangsweise weggenommen werden.

3. Die Hausdurchsuchung

Nach wie vor privilegierte man die allgemeine Hausdurchsuchung, die sich über eine Vielzahl von Häusern oder eine ganze Ortschaft erstreckte (§ 126 CrimO Preußen 1805). Im Gegensatz zur speziellen Hausdurchsuchung, die sich gegen bestimmte Personen richtete und nur bei einem auf Tatsachen beruhenden und auf diese Person konkretisierten Tatverdacht zulässig war, reichten für die allgemeine Durchsuchung eines ganzen Bezirks oder die Durchsuchung in öffentlichen Häusern bereits bloße Vermutungen aus. „Eine allgemeine Haussuchung, die sich über alle Orter und Personen des Gerichtswanges erstreckt, kann der Richter, ohne deshalb Vorwürfe zu besorgen, so oft veranstalten, als er vermuthen kann, daß ihm solche entweder zur Entdeckung des Urhebers oder der Complicen oder der Umstände des Verbrechens dienen kann ... Die specielle Haussuchung wirft den Verdacht des verübten Verbrechens auf denjenigen, bei welchem sie vorgenommen wird, und sie erfordert also Indicien, welche diesen Verdacht rechtfertigen." 185

185

C. L. Paalzow, Commentar zur Preußischen Criminalordnung von 1805, S. 94 f.

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2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

Noch immer begriff man die Hausdurchsuchung als eine vor allem die Ehre kränkende Maßnahme, während die Vorstellung von der Schutzbedürftigkeit einer räumlichen Privatsphäre noch nicht ins Bewußtsein gelangt war. Bei der Durchsuchung im Haus des Tatverdächtigen stellten alle Gesetze besondere Anforderungen an den Grad des Tatverdachts (§ 125 CrimO Preußen 1805: „hinreichende Gründe"; § 271 Gesetzbuch über Verbrechen und schwere PolizeyÜbertretungen 1803: „Anzeigungen auf einen bestimmten Thäter"; Art. 251 Abs. 2 StGB Bayern 1813 und Art. 734 Abs. 2 StGB Oldenburg 1814 verlangten sogar, daß der Verdächtige bereits „der Spezialinquisition unterworfen", mindestens „durch bestimmte Anzeigungen eines Verbrechens" verdächtig war, wobei beide Gesetzbücher bereits zwischen Verbrechen und Vergehen unterschieden). Wie bereits im 18. Jahrhundert ermöglichten die Gesetze jedoch Lockerungen in bestimmten Ausnahmefällen. Einige Orte hielt man für weniger schutzwürdig als andere. Gem. § 126 CrimO Preußen 1805 hatte der Richter bei der Prüfung, ob „hinreichende Gründe" vorlagen, den bisherigen Ruf und Lebenswandel des Betroffenen zu beachten. Je geringer das Ansehen war, das eine Person genoß, desto schneller sollte offensichtlich zu einer Hausdurchsuchung geschritten werden dürfen. War der Beschuldigte „nach seinem Charakter und Lebenswandel" eine Person, „zu welcher man sich der That versehen kann", durfte gem. Art. 251 Abs. 2 StGB Bayern 1813/Art. 734 Abs. 2 StGB Oldenburg 1814 von den sonst erforderlichen Voraussetzungen abgesehen werden. Eine Unterscheidung zwischen der Hausdurchsuchung beim Tatverdächtigen und derjenigen bei einem tatunverdächtigen Dritten trafen zuerst die Strafprozeßordnungen Bayerns und Oldenburgs. Bei Dritten durfte nur „mit Bewilligung des Hauseigenthümers oder Bewohners oder in vorzüglich wichtigen Fällen auf besonderen Befehl des Kriminalgerichts" durchsucht werden (Art. 253 StGB Bayern 1813/Art. 736 Abs. 1 StGB Oldenburg 1814). Die formellen Bestimmungen über die Art und Weise einer Durchsuchung waren in der CrimO Preußen 1805 noch völlig unzureichend. § 128 schrieb vor, daß der Richter bei jeder Hausdurchsuchung anwesend sein müsse. Bereits bei „überhäuften Geschäfteneinem großen Gerichtsbezirk oder „bei nicht sehr wichtigen Fällen" konnten die Gerichte mit Erlaubnis des Obergerichts die Durchsuchung auf Unterbedienstete übertragen. Zu dieser Vorschrift merkte Paalzow in seinem Kommentar an, daß hier eine „nähere Bestimmung der wichtigen und unwichtigen Fälle zu wünschen gewesen wäre. " 186 § 127 enthielt die wenig bestimmte Forderung, die Hausdurchsuchung „mit möglichster Schonung gegen den bloß Verdächtigen" durchzuführen. § 128 schrieb vor, „jede unnöthige Gewaltthätigkeit und Beschädigung" zu vermeiden. Die einzige ausdrückliche Vorschrift in dieser Richtung war bezeichnenderweise § 130, wonach dem Betroffenen ein ,,Negativattest" für den Fall auszustellen war, daß bei 186

C. L Paalzow, Commentar zur Preußischen Criminalordnung von 1805, S. 95.

3. Abschn.: Die Geheimsphäre im Strafprozeßrecht

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der Hausdurchsuchung nichts gefunden wurde. Die Bescheinigung diente in erster Linie der Rechtfertigung des Betroffenen, d. h. der Wiederherstellung seiner Ehre. § 272 des Österreichischen Gesetzbuchs über Verbrechen und schwere Polizeyübertretungen schrieb lediglich vor, daß der Richter „ Anständigkeit, Behutsamkeit und Vorsicht nicht außer acht lassen dürfe. " Die Strafgesetzbücher von Bayern und Oldenburg enthielten im Vergleich hierzu schon mehr Verfahrensregelungen (Art. 254 Abs. 1 StGB Bayern 1813/Art. 737 Abs. 1 StGB Oldenburg 1814: Anwesenheit des Richters und eines Aktuars; Hinzuziehung des Betroffenen, eines Familienangehörigen oder eines Nachbarn; Art. 255 StGB Bayern 1813/Art. 738 StGB Oldenburg 1814: Erstellung eines Durchsuchungsprotokolls).

II. Die Wissenschaft 1. Die Zeugnisverweigerüngsrechte

Hinsichtlich der Zeugnisverweigerungsrechte setzte sich mit Beginn des 19. Jahrhunderts allmählich die Auffassung durch, daß es Ausnahmen von den Zeugnisverweigerungsrechten nicht geben dürfe. Die Ansicht, daß bereits bei jedem Beweisnotstand sowie bei schweren Verbrechen auch die eigentlich befreiten Personen zum Zeugnis verpflichtet waren, wurde nur noch vereinzelt vertreten 187 . Im allgemeinen sollten mit Rücksicht auf die besondere Pflichtenbindung zum Beschuldigten die sonst gebräuchlichen Zwangsmittel gegenüber den zur Zeugnisverweigerung berechtigten Personen niemals zur Anwendung kommen. Zulässig war nur eine rein informatorische Befragung ohne Aussagepflicht und ohne die Pflicht, gegebenenfalls einen Eid abzulegen. C. C. Stübel zählte zu den befreiten Zeugen die Eltern und Kinder des Beschuldigten, den Ehegatten, den Vormund und den Beichtvater. Die Befreiten sollten niemals, auch nicht ausnahmsweise, mit den sonst üblichen Zwangsmitteln der Geldbuße, des Gefängnisses oder der Tortur zur Aussage gezwungen werden dürfen. 188 Der Kreis der geschützten Personen war allerdings noch immer beschränkt auf die engsten Vertrauenspersonen des Beschuldigten, d. h. auf seine nahen Angehörigen sowie den Beichtvater. Erst einige Jahrzehnte später erweiterte sich der Kreis um die Angehörigen bestimmter Berufsgruppen, ζ. B. um den Rechtsanwalt, vor allem den Verteidiger, und den Arzt.

187 A. Bauer, Grundsätze des Criminalprozesses (1805), § 148, S. 231. 188 C. C. Stübel, Das Criminalverfahren, § 2437, S. 353.

120

2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert 2. Die Urkundenedition

Hinsichtlich der Pflicht zur Herausgabe von Urkunden sind in der Wissenschaft der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts nur einzelne Fortschritte zu verzeichnen. Vielmehr hielt man meistens an dem im Inquisitionsverfahren angewendeten Prinzip fest, daß jedermann zur Mitwirkung bei der Aufklärung einer Straftat - in diesem Fall mittels der Urkundenedition - verbunden war. Nach der Auffassung C. Martins und C. A. Tittmanns traf die Pflicht den Beschuldigten gleichermaßen wie jeden Dritten einschließlich der zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Personen. Insoweit ging die Editionspflicht in ihrem Umfang sogar noch über die Zeugnispflicht hinaus. Im Falle einer Verweigerung der Herausgabe sollten die bei einer Verweigerung des Zeugnisses gebräuchlichen Zwangsmittel zur Anwendung kommen (Geldoder Gefängnisstrafe, Hausdurchsuchung). 189 Nur bei C. C. Stübel findet man Einschränkungen der unumschränkten Editionspflicht. Zwar ging auch er weiterhin von einer zwangsweise durchsetzbaren Herausgabepflicht des Beschuldigten aus: „ Von dem Inculpanten ein aufrichtiges Bekenntnis zu fordern, begreift auch das Recht in sich, demselben aufzuerlegen, daß er, ungeachtet er die Stelle des Beklagten vertritt, eigene Urkunden edire. " 19° Allerdings sollten Personen, die ein Zeugnisverweigerungsrecht besaßen (z. B. nahe Blutsverwandte, der Ehegatte, der Beichtvater) auch zur Verweigerung der Urkundenedition berechtigt sein. Da die Editionspflicht eine Analogie der Zeugnispflicht darstellte, mußten auch die für jene geltenden Ausnahmen zur Anwendung kommen. 191 Die Lehrbücher der ersten Jahrhzehnte des 19. Jahrhunderts enthielten keine Sondervorschriften über die Beschlagnahme von Briefen und Papieren. So wie der Beschuldigte und jeder Zeuge einschränkungslos Schriftstücke herauszugeben hatten, waren sie auch ohne gesetzliche Beschränkungen zur Duldung der zwangsweisen Wegnahme vepflichtet.

3. Die Hausdurchsuchung

Anders als bisher wurde nun von manchen die gesetzliche Beschränkung der allgemeinen Hausdurchsuchung gefordert. Kriminalisten wie G. A. Kleinschrod, C. C. Stübel, A. Bauer und C. Martin bezeichneten es als Mißstand, daß der Richter, wie bis dahin üblich, berechtigt sein sollte, ganze Bezirke nach freiem Ermes-

189

C. Martin, Lehrbuch des Teutschen gemeinen Criminalprocesses (1812), § 99, S. 193 f.; C. A. Tittmann, Handbuch des gemeinen deutschen Peinlichen Rechts, 4. Teil, § 814, S. 601. i*> c C. Stübel, Das Criminalverfahren, 5. Bd., § 2684, S. 19. 191 c. C. Stübel, Das Criminalverfahren, 5. Bd., § 2690, S. 21.

3. Abschn.: Die Geheimsphäre im Strafprozeßrecht

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sen und so oft er wollte, zu durchsuchen. Durch eine solche Maßnahme werde die häusliche Ruhe einer Vielzahl unschuldiger Personen gestört. Jede Hausdurchsuchung, ganz gleich ob es sich um eine allgemeine oder um eine spezielle handelte, sollte erst stattfinden, wenn hinsichtlich der Straftat ein Verdachtsgrad von der Größe eines „ halben Beweises " der Tat erreicht war und Gründe vorlagen, daß die Durchsuchung etwas Beweiserhebliches zu Tage förderte. 192 Trotz dieser Einschränkungen hielt man unverändert an den schon früher gebräuchlichen Lockerungen in bestimmten Ausnahmefällen fest. Für eine ganze Reihe von Personen, die man für weniger schutzwürdig hielt, sollten Erleichterungen gelten. Noch immer hieß es, daß bei Leuten niederen Standes schon bei einem geringeren Tatverdacht als sonst zur Hausdurchsuchung geschritten werden durfte. „Gemeine Leute besitzen in der Regel theils weniger und werden insofern durch das Verfahren weniger beschwert, theils leiden sie auch durch die darinnen enthaltene Entehrung weniger als Standespersonen."193

Gegen jemanden, gegen den ein Ermittlungsverfahren bereits eingeleitet war, sollte jederzeit zur Hausdurchsuchung geschritten werden dürfen, wenn sie „zur Ausmittlung der Sache etwas bey zutragen scheinet." 194 Eine weitergehende Rufschädigung als ohnehin bereits eingetreten, war hier nicht mehr zu befürchten. 195 Richtete sich die Hausdurchsuchung nicht gegen den Verdächtigen, sondern wurde sie z. B. bei tatunverdächtigen Dritten vorgenommen, um die Tat durch Spurensicherung, Auffinden von Beweismitteln etc. aufzuklären, so sollte bereits die entfernte Wahrscheinlichkeit, daß etwas Beweiserhebliches gefunden wurde, ausreichen. 196 Eine Rufschädigung hielt man in diesem Fall offensichtlich für ausgeschlossen, weil hier nicht gegen den möglichen Täter, sondern gegen andere Personen ermittelt wurde. Noch immer wurden die Bedingungen einer Hausdurchsuchung vom Schutzgut der Ehre aus definiert. Ausführlicher als bisher, aber noch nicht mit der gleichen Vollständigkeit wie einige Jahrzehnte später, beschäftigte man sich mit der Art und Weise, in der eine Hausdurchsuchung vorzunehmen war. Sie sollte ausschließlich in Gegenwart des Richters und eines Urkundsbeamten sowie unter Anwesenheit des Hausbesitzers durchgeführt werden. 197 Die aufgefundenen Gegenstände waren in ein Inventar192 c C. Stübel, Das Criminalverfahren, §§ 1886 ff., S. 116 ff.; G. A. Kleinschrod, Über die Haussuchung, AdCR (1800), 2. Bd., 3. Stück, S. 51. 193 C. C. Stübel, Das Criminalverfahren, § 1887, S. 118. 194 C. C. Stübel, Das Criminalverfahren, § 1888, S. 119. 195 G. A. Kleinschrod, Über die Haussuchung, in: AdCR, 1800, 2. Bd., 3. Stück, S. 52; C. C. Stübel, Das Criminalverfahren, § 1888, S. 119. 196 G. A. Kleinschrod, Über die Haussuchung, in: AdCR, 1800, 2. Bd., 3. Stück, S. 59; C. C. Stübel, Das Criminalverfahren, § 1885, S. 116. 197 G. A. Kleinschrod, Über die Haussuchung, in: AdCR, 1800, 2. Bd., 3. Stück, S. 58; A. Bauer, Grundsätze des Criminalprozesses (1805), § 99, S. 155; C. Martin, Lehrbuch des deutschen gemeinen Criminalprozesses (1812), § 97, S. 189; C. C. Stübel, Das Criminalverfahren, §§ 1874,1875, S. 111 f.

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2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

Verzeichnis aufzunehmen. Über den gesamten Ablauf der Haussuchung mußte ein Protokoll erstellt werden. 198 Von allen denkbaren Arten einer Durchsuchung beschäftigte man sich ausschließlich mit der „Haussuchung". Damit blieb die Frage unbeantwortet, ob und in welchen Fällen eine Personendurchsuchung und eine Durchsuchung beweglicher Gegenstände erlaubt sein sollten.

B. Das Strafprozeßrecht ab dem 5. Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts Die Wende des deutschen Strafprozesses vollzog sich im 5. Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts. Sie führte nicht nur zu einer allgemeinen Umstrukturierung des Verfahrens mit Einführung neuer Verfahrensgrundsätze, sondern wirkte sich ζ. B. auch auf die Ausgestaltung der strafprozessualen Zwangsmaßnahmen aus. Wesentliche Verbesserungen wurden so für den Bereich der Durchsuchung, der Herausgabe bzw. Beschlagnahme von Briefen und Papieren erreicht. Aber auch die Regelungen über die Zeugnisverweigerungsrechte änderten sich. In der Gesetzgebung setzte der Wandel bereits mit den Strafprozeßordnungen von Württemberg (1843) und von Baden (1845) ein. In der Wissenschaft waren es vor allem C. J. A. Mittermaier und ihm folgend Autoren wie A. Bauer und C. Martin in späteren Auflagen ihrer Lehrbücher, die die Entwicklung voranbrachten.

I. Die Wissenschaft 1. Die Zeugnisverweigerüngsrechte

Die Ansicht, daß die Befreiung von der Zeugnispflicht bei schweren Verbrechen und dem Mangel anderer Beweismittel wegfalle, wurde bereits mit Beginn des 19. Jahrhunderts seltener, ab dem 5. Jahrzehnt von niemandem mehr vertreten. 199 Die geschützten Personen konnten nun ausnahmslos das Zeugnis verweigern. Andererseits durften sie freiwillig eine Aussage machen. Die früher vertretene Meinung, daß die nahen Angehörigen des Beschuldigten als Zeugen mangels Glaubwürdigkeit nicht zugelassen waren, wurde nicht mehr vertreten. 200 Mittlerweile 198 G. A. Kleinschrod, Über die Haussuchung, in: AdCR, 1800, 2. Bd., 3. Stück, S. 62; C. Martin, Lehrbuch des deutschen gemeinen Criminalprozesses (1812), § 97, S. 190; Α. Bauer, Grundsätze des Criminalprozesses (1805), § 99, S. 155 f.; C. C. Stübel, Das Criminalverfahren, § 1882, S. 114. 199 C. J. A. Mittermaier, 200

Das Deutsche Strafverfahren (1845/46), 1. Teil, § 67, S. 438.

So hieß es ζ. B. bei C. J. A. Mittermaier: „ Wollte man Verwandte unbedingt als untüchtige Zeugen ansehen, so würde man häufig auf alle Beweise in dem einzelnen Fall verzichten

3. Abschn.: Die Geheimsphäre im Strafprozeßrecht

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hatte sich der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung durchgesetzt, der die Aufstellung solcher Beweisregeln nicht mehr zuließ. 201 Allerdings zählte man die Zeugnisverweigerungsberechtigten zu den verdächtigen Zeugen, deren Glaubwürdigkeit im Einzelfall besonders sorgfältig zu prüfen war. 2 0 2 Zu den geschützten Personen zählte man wie bisher die nahen Angehörigen des Beschuldigten, die über ihr Recht, das Zeugnis zu verweigern, belehrt werden sollten. 203 Der Personenkreis erweiterte sich nun um Angehörige bestimmter Berufsgruppen, die wegen des Vertrauensverhältnisses zum Beschuldigten und ihrer gesetzlich sanktionierten Verschwiegenheitspflicht ihm gegenüber zum Zeugnis nicht verpflichtet werden konnten. Hierzu zählten neben der bereits früher geschützten Person des Beichtvaters der Rechtsanwalt204, vor allem der Verteidiger 2 0 5 Dabei wurde der Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts bei diesen Personen genau festgelegt. So sollten Rechtsanwälte die Aussage nur hinsichtlich solcher Tatsachen verweigern dürfen, die sie vom Beschuldigten selbst im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit über die in Frage stehende Tat erfahren hatten. Im übrigen sollten auch sie zur Ablegung des Zeugnisses verpflichtet sein. 206

2. Die Urkundenedition

Allmählich gab man die bis dahin allgemein verbreitete Meinung auf, daß jedermann unumschränkt zur Herausgabe von Urkunden verpflichtet sei. Einschränkungen machten die Strafprozeßrechtler allerdings zunächst nur zögerlich. 207 So vertrat A. Bauer in seinem Lehrbuch aus dem Jahr 1835 noch die Auffassung, daß, so wie der Untersuchungsrichter vom Beschuldigten ein Geständnis verlangen konnte, dieser auch zur Herausgabe ihn belastender Urkunden verpflichtet sei. Eine Einschränkung machte er jetzt hinsichtlich der von der Zeugnispflicht befreiten Personen. So wie jene nicht zum Zeugnis gegen den Beschuldigten gezwungen müssen. " Es handelte sich dabei um eine Besonderheit des deutschen Strafprozesses, die dem französischen und englischen System entgegengesetzt war. Hier durften diese Personen überhaupt nicht als Zeugen vernommen werden. Vgl. hierzu: C. J. A. Mittermaier, Das Deutsche Strafverfahren (1839/40), 2. Teil, § 170, S. 299. 201 A. Bauer, Lehrbuch des Strafprozesses (1835), § 141, S. 229 ff.; A. W. Heffter, Lehrbuch des gemeinen deutschen Criminalrechts, § 619, S. 620. 202 c. J. A. Mittermaier, Das deutsche Strafverfahren (1845/46), 1. Teil, § 67, S. 438 ff. 203 C. J. A. Mittermaier, Das deutsche Strafverfahren (1845/46), 1. Teil, § 67, S. 438; J. W. Planck, Systematische Darstellung des deutschen Strafverfahrens, § 88, S. 234 f. 204 c. J. A. Mittermaier, Das deutsche Strafverfahren (1839), § 67, S. 847. 205 Λ. Bauer, Lehrbuch des Strafprozesses (1835), § 141, S. 229 ff.; A. W. Heffter, Lehrbuch des gemeinen deutschen Criminalrechts, § 618, S. 619. 206 C. J. A. Mittermaier, Das deutsche Strafverfahren (1845/46), § 67, S. 440. 207 K. Amelung, Kommentar zur Strafprozeßordnung. Reihe Alternativkommentare, Vorbem. zu §§ 94-98, 2. Bd., 1. Teilbd., RN 9.

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2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

werden konnten, sollten sie auch nicht zur Edition verpflichtet sein. 208 Ähnliche Unterscheidungen traf auch C. Martin. 209 Eine konsequente Durchsetzung des Schutzes von Zeugnisverweigerungsberechtigten und Beschuldigtem findet man erst bei C. J. A. Mittermaier. 210 Wie bereits im Römischen Recht sollte es keine Pflicht des Beschuldigten geben dürfen, belastende Urkunden an den Staat herauszugeben. Ebensowenig waren Personen, die gesetzlich von der Zeugenpflicht befreit waren, zur Herausgabe verpflichtet. In diesen Ausnahmefällen sollte jede Art von Zwangsanwendung ausscheiden, auch die Hausdurchsuchung zur Auffindung von Urkunden. Soweit sich der Beschuldigte im Besitz beweiserheblicher Urkunden befand, durften diese zwangsweise weggenommen, nicht jedoch ihre Herausgabe durch den Beschuldigten selbst mit Zwangsmitteln erwirkt werden.Voraussetzung war, daß der Beschuldigte bereits der Begehung einer bestimmten Straftat verdächtig war und der Verdacht des böswilligen Leugnens des Besitzes der Urkunde bestand. Soweit gegenüber dritten Personen eine Herausgabepflicht bestand, war in einem stufenweisen Verfahren unter Anwendung des jeweils mildesten Mittels vorzugehen. Zunächst sollte der Dritte über den Besitz der Urkunden vernommen und zur Herausgabe aufgefordert werden, beschränkt auf die für die Untersuchung relevanten Urkunden. Zur zwangsweisen Durchsuchung der Papiere durfte erst geschritten werden, wenn der Verdacht der Mitschuld oder des böswilligen Leugnens des Besitzes bestand.

3. Die Beschlagnahme von Briefen und Papieren

a) Da mittlerweile der Gedanke einer persönlichen Geheimsphäre in den Vordergrund gerückt war, war es konsequent, wenn man die Papierbeschlagnahme als den intensivsten Eingriff in diesen Bereich an ganz besonders strenge Voraussetzungen binden wollte. 211 Gegen den Inhaber der Papiere mußte ein auf konkrete Tatsachen gestützter dringender 212 Tatverdacht vorliegen. Bauer verlangte den „hohen Grad" eines schweren Verbrechens. 213 Niemals durften Papiere zu dem Zweck weggenommen werden, um festzustellen, ob überhaupt eine Straftat begangen worden war. Unwe208 A. Bauer, Lehrbuch des Strafprozesses (1835), § 89, S. 133 f. 209 c. Martin, Lehrbuch des Teutschen Gemeinen Criminalprozesses (1857), § 105, S. 335 ff. 210 c. J. A. Mittermaier, Das deutsche Strafverfahren (1839), § 68, S. 340 ff.; ders., Über Zwang zur Herausgabe von Urkunden, in: NAdCR, 5. Bd., S. 321 f. 211 C. J. A. Mittermaier, Das deutsche Strafverfahren (1839), § 66, S. 339 ff.; L. v. Jagemann, Handbuch der gerichtlichen Untersuchungskunde, § 100, S. 114 f.; E. Henke, Handbuch des Criminalrechts und der Criminalpolitik, 4. Teil, § 95, S. 616 ff. 212 C. J. A. Mittermaier, Über Zwang zur Herausgabe von Urkunden im Strafprozesse, in: NAdCR, 5. Bd., S. 316. 213 A. Bauer, Lehrbuch des Strafprozesses (1835), § 90, S. 135.

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sentliche Papiere und solche, die ihrem Besitzer nicht gehörten, sollten sofort ausgesondert werden. Das Recht zur Beschlagnahme wurde nur dem Richter, niemals den Polizeibehörden zugebilligt. Im übrigen waren die auch für die Hausdurchsuchung geltenden Verfahrensvorschriften einzuhalten, insbesondere mußte ein Protokoll erstellt werden und der Betroffene bzw. Nachbar mußte zur Beschlagnahme hinzugezogen werden. 214 Bevor zur zwangsweisen Wegnahme geschritten wurde, sollte der Besitzer zunächst zur freiwilligen Herausgabe aufgefordert werden. 215 Bei tatunverdächtigen Dritten sollten Briefe und Papiere nicht ohne weiteres gewaltsam weggenommen werden dürfen. 216 „In keinem Fall aber darf, wenn der Inquirent bei einem Dritten nicht selbst Angeschuldigten den Besitz wichtiger Papiere vermutet, mit der Hausdurchsuchung angefangen werden..."217

Vielmehr war die Beschlagnahme nur im Rahmen der Durchsetzung der noch zu behandelnden Pflicht zur Urkundenedition erlaubt. Das bedeutete, daß der Dritte zunächst als Zeuge über den Besitz der Papiere zu befragen und zu ihrer Herausgabe aufzufordern war. Verneinte er den Besitz, konnte er zur Ableistung eines Editionseides aufgefordert werden. Erst wenn der Verdacht des böswilligen Leugnens oder der Mitschuld bestand, sollte zur Hausdurchsuchung und Beschlagnahme geschritten werden dürfen. 218 b) Ab den Fünfziger Jahren wurden einige dieser Grundsätze in Anlehnung an die mittlerweile ergangenen Gesetze nochmals korrigiert. Die Papierbeschlagnahme sollte nur bei dringendem, auf eine bestimmte Person konzentriertem Tatverdacht zulässig, bei geringeren Vergehen hingegen gänzlich ausgeschlossen sein. Wenn der Inhaber die Herausgabe verweigerte, wurde ein Kollegialbeschluß des Untersuchungsgerichts verlangt. 219 Anders als noch bei Mittermaier sollte die Papierbeschlagnahme bei Dritten aus Gründen der Praktikabilität in aller Regel zulässig sein. Für sie sollten aber erschwerte Voraussetzungen gelten. Man forderte in diesem Fall dringende Verdachtsgründe hinsichtlich des AufFindens von Beweismitteln. 220 214

C. J. A. Mittermaier, Über Zwang zur Herausgabe von Urkunden im Strafprozesse; in: NAdCR, 5. Bd., 318 f.; L. v. Jagemann, Handbuch der gerichtlichen Untersuchungskunde, § 103, S. 118. 215 c. J. A. Mittermaier, Das deutsche Strafverfahren (1839), § 68, S. 349 f. 2

16 C. J. A. Mittermaier, Das deutsche Strafverfahren (1839), § 66, S. 339 ff.; nicht ganz eindeutig A. Bauer, Lehrbuch des Strafprozesses (1835), § 90, S. 135 f. 217 C. J. A. Mittermaier, Über Zwang zur Herausgabe von Urkunden, in: NAdCR, 5. Bd., S. 321. 2 18 C. J. A. Mittermaier, Das deutsche Strafverfahren (1839), § 66, S. 342; ders., Über Zwang zur Herausgabe von Urkunden im Strafjprozesse, in: NAdCR, 5. Bd., S. 322. 219 H. A. Zachariä, Handbuch des deutschen Strafprozesses, § 97 S. 177; J. E. v. Waser, Die Haussuchung und die Beschlagnahme der Papiere; in: Der Gerichtssaal (1853), 1. Bd., S. 82; J. W. Planck, Systematische Darstellung des deutschen Strafverfahrens, § 86, S. 226. 220 J. Ε. v. Waser, Die Haussuchung und die Beschlagnahme der Papiere, in: Der Gerichtssaal (1853), 1. Bd., S. 82; J. W. Planck, Systematische Darstellung des deutschen Strafverfahrens, § 86, S. 226.

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Ferner wurde nun die Anerkennung von Beschlagnahmeverboten zum Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Beschuldigten und zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Personen befürwortet. Bei Briefen, die zwischen dem Beschuldigten und zur Zeugnisverweigerung berechtigten Personen gewechselt wurden, sollte nicht nur die erzwungene Wegnahme ausgeschlossen sein. Konkret bezog sich dies auf die Korrespondenz, die zwischen dem Beschuldigten und seinen nahen Angehörigen sowie solchen Personen, die durch ihren Beruf zur Verschwiegenheit verpflichtet waren (Beichtvater, Rechtsbeistand), gewechselt wurde. 221

4. Die Beschlagnahme von Briefen auf der Post

Nochmals andere Regelungen sollten für die „Brieferbrechung" gelten, womit die Beschlagnahme von Briefen auf der Post gemeint war. 2 2 2 Als Angriff auf die Vertraulichkeit der Kommunikation sollte die Postbeschlagnahme an engere Voraussetzungen gebunden sein als die sonstigen Papierbeschlagnahmen außerhalb des Postverkehrs. Mittermaier verlangte, daß der Beschuldigte schon verhaftet oder ein Haftbefehl erlassen war. Zumindest mußten die Voraussetzungen für den Erlaß eines solchen vorliegen. Im Gefängnis war die Kommunikation des Verdächtigen mit der Außenwelt ohnehin abgeschnitten. Es sollte deshalb auch der Briefwechsel unterbunden bzw. kontrolliert werden dürfen. 223 Man ging offensichtlich davon aus, daß gerade während der Haft die Gefahr, daß der Verdächtige den Briefverkehr dazu benutzte, um auf Zeugen einzuwirken oder die Vernichtung von Beweismitteln zu veranlassen, besonders hoch war. Das Recht zur Öffnung sollte nur dem Richter zustehen. Anderer Ansicht nach sollte die Postbeschlagnahme nicht vom Vorliegen der Voraussetzungen für einen Haftbefehl abhängig sein. Auch außerhalb der Haft sollte die Postbeschlagnahme angeordnet werden dürfen. Beim Verdacht einer schweren Straftat und wenn andere Beweismittel nicht zur Verfügung standen, sollte es erlaubt sein, Sendungen, die mit dem Beschuldigten gewechselt wurden, auf der Post anzuhalten und zu beschlagnahmen.224 221 J. W. Planck, Systematische Darstellung des deutschen Strafverfahrens, S. 238; ebenso unter Bezugnahme auf die Landesgesetze, die bereits Beschlagnahmeverbote kannten H. A. Zachariä, Handbuch des deutschen Strafpozesses, 2. Bd., § 97, S. 176. 222 C. J. A. Mittermaier, Das deutsche Strafverfahren (1839), 1. Teil, § 66, S. 341 ff.; ders., Über das Recht des Criminalrichters, die Brieferbrechung als Wahrheitserforschungsmittel anzuwenden; in: NAdCR, 1818, 2. Bd., S. 452 ff.; A. Bauer, Lehrbuch des Strafprozesses (1835), § 91, S. 136 f. 223 C. J. A. Mittermaier, Über das Recht des Criminalrichters, Brieferbrechung als Wahrheitserforschungsmittel anzuwenden, in: NAdCR, 1818, 2. Bd., 4. Teil, S. 458. 224 E. Henke, Handbuch des Criminalrechts und der Criminalpolitik, 4. Teil, § 94, S. 616 ff.; L. v. Jagemann, Handbuch der gerichtlichen Untersuchungskunde, § 106, S. 121 f.

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Nach H. A. Zachariä sollten Briefe des Beschuldigten innerhalb wie außerhalb der Haft bereits dann beschlagnahmt und geöffnet werden dürfen, wenn Anhaltspunkte für eine mögliche Beweisbedeutung der Briefe gegeben waren. Die bloße Beschlagnahme der ungeöffneten Briefe eines Verhafteten durfte sogar unabhängig von ihrer möglichen Beweisbedeutung erfolgen, da sie durch das allgemeine Recht der Verhinderung des Verkehrs des Beschuldigten mit der Außenwelt gerechtfertigt war. 225 Zwischen tatunverdächtigen Personen gewechselte Briefe unterlagen nach allen Auffassungen nicht der Postbeschlagnahme.226 Nur bei Straftaten, niemals bei bloßen Polizeivergehen sollte die Postbeschlagnahme zulässig sein. 227

5. Die Durchsuchung

a) Zunächst erweiterte man den Anwendungsbereich der für Durchsuchungen geltenden Regelungen. Er wurde ausgedehnt auf andere Objekte neben der Wohnung. Die Schutzvorschriften sollten gleichermaßen für sonstige Räumlichkeiten, bewegliche Gegenstände und Personen gelten. 228 Damit wurde im größeren Umfang als bisher Schutz geboten. Zum ersten mal trat nun als geschütztes Rechtsgut die persönliche Geheimsphäre, vor allem der Hausfriede als Bestandteil der individuellen Freiheit der Person 229 , gleichberechtigt neben den Schutz der Ehre. So wurde ζ. B. der Richter angewiesen, vor jeder Hausdurchsuchung sorgfältig zu prüfen, wie intensiv der Hausfriede durch sie beeinträchtigt wurde. Vor allem die nächtliche Ruhe sollte ungestört bleiben. 230 An der (erleichterten) Zulässigkeit einer allgemeinen Hausdurchsuchung, die sich über einen ganzen Distrikt erstreckte, wurde von manchen unverändert festgehalten. 231 Allerdings äußerten sich vermehrt kritische Stimmen. Man wies darauf 225 H. A. Zachariä, Handbuch des Strafjprozesses, 2. Bd., S. 180. 226 E. Henke, Handbuch des Criminalrechts und der Criminalpolitik, 4. Teil, § 95, S. 618; C. J. A. Mittermaier, Über das Recht des Criminalrichters, Brieferbrechung als Wahrheitserforschungsmittel anzuwenden, in: NAdCR, 1818, 2. Bd., S. 460; L. v. Jagemann, Handbuch der gerichtlichen Untersuchungskunde, § 112, S. 128 ; Η. Α. Zachariä, Handbuch des deutschen Strafprozesses, 2. Bd., S. 179. 227 Η. A. Zachariä, Handbuch des deutschen Strafprozesses, 2. Bd., S. 179. 228 c. Martin, Lehrbuch des deutschen gemeinen Criminalprozesses (1836), § 103, S. 258; C. J. A. Mittermaier, Das deutsche Strafverfahren (1839) 1. Teil, § 65, S. 333; E. Henke, Handbuch des Criminalrechts und der Criminalpolitik, 4. Teil, § 94, S. 608. 229 c. J. A. Mittermaier, Das deutsche Strafverfahren (1839), 1. Teil, § 65, S. 335; E. Henke, Handbuch des Criminalrechts und der Criminalpolitik, 4. Teil, § 94, S. 608. 230 C. J. A. Mittermaier, Das deutsche Strafverfahren (1839), 1. Teil, § 65, S. 334; A. Bauer, Lehrbuch des Strafprozesses (1835), § 87, S. 131. 231 C. J. A. Mittermaier, Das deutsche Strafverfahren, § 65, S. 335; A. Bauer, Lehrbuch des Strafprozesses (1835), § 87, S. 131; C. Martin, Lehrbuch des deutschen gemeinen Criminal-

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hin, daß die generelle Hausdurchsuchung im sehr viel größeren Umfang als die spezielle die häusliche Ruhe unschuldiger Personen störe und überdies nachteilig für deren guten Ruf sei. Häufige Durchsuchungen in einem Distrikt hätten zur Folge, daß dieser später als „Diebes- und Räuberhöhle" verschrien sei. 232 Es wurde vorgebracht, daß die generelle Hausdurchsuchung zeitraubend und unpraktikabel sei, weil sie so viel öffentliches Aufsehen errege, daß der wirkliche Täter bereits vorgewarnt sei. 233 Man riet der Praxis, die spezielle Hausdurchsuchung als die Regel und die generelle als die Ausnahme zu betrachten. 234 Hinsichtlich der speziellen Durchsuchung bei einer bestimmten Person hatte man schon vorher gefordert, daß ein auf Indizien gestützter Tatverdacht gegen eine Person vorliegen und die Wahrscheinlichkeit bestehen müsse, daß Beweisgegenstände gefunden oder der Tatverdächtige ergriffen werde. 235 Ein Fortschritt lag aber darin, daß man die bis dahin gemachten Einschränkungen aufgab: der schlechte Leumund einer Person konnte die genaue Prüfung dieser Voraussetzungen nicht mehr entbehrlich machen. 236 Ebensowenig durften Erleichterungen für Durchsuchungen am Tatort selbst oder bei tatunverdächtigen Dritten gelten. Zum Katalog der einzuhaltenden Verfahrensvorschriften 237 zählten die persönliche Vornahme durch den Richter zusammen mit einem Gerichtsschreiber 238, die Hinzuziehung des Wohnungsinhabers, die Erstellung eines Protokolls, in dem die aufgefundenen Gegenstände verzeichnet sein mußten, und die Versiegelung der Beweismittel. Ferner verlangte man, daß der Umfang der Hausdurchsuchung nur so weit reichen durfte, wie ihr konkreter Zweck es erforderte.

prozesses (1836), § 103, S. 259; E. Henke, Handbuch des Criminalrechts und der Criminalpolitik, 4. Teil, § 94, S. 609 f. 232 L. v. Jagemann, Die Vorbedingungen der Haussuchung, in: NAdCR, 1837, S. 128. 233 L. v. Jagemann, Die Vorbedingungen der Haussuchung, in: NAdCR, 1837, S. 130 ff. 234 L. v. Jagemann, Die Vorbedingungen der Haussuchung, in: NAdCR, 1837, S. 132. 23 5 C. J. A. Mittermaier, Das deutsche Strafverfahren (1839), l.Teil, § 65, S. 335 f. 23 6 C. J. A. Mittermaier, Das deutsche Strafverfahren (1839), 1. Teil, § 65, S. 336; nur von Seiten der Praxis wurde weiterhin aus kriminalpolitischen Gründen die Ansicht vertreten, daß auch der schlechte Leumund einer Person, vor allem Vorstrafen, eine Durchsuchung ohne weiteres rechtfertigten: L. v. Jagemann, Handbuch der gerichtlichen Untersuchungskunde, § 88, S. 100 f. 237 c. J. A. Mittermaier, Das deutsche Strafverfahren (1839), § 65, S. 337 f.; C. Martin, Lehrbuch des deutschen gemeinen Criminalprocesses, § 103, S. 259 f.; A. Bauer, Lehrbuch des Strafprozesses, § 88, S. 132 f.; E. Henke, Handbuch des Criminalrechts und der Criminalpolitik, § 94, S. 610; L. v. Jagemann, Handbuch der gerichtlichen Untersuchungskunde, § 90 ff., S. 103 ff. 238 Eine abweichende Ansicht unter dem Blickwinkel der Praxis vertrat hier wiederum L. v. Jagemann, Handbuch der gerichtlichen Untersuchungskunde, § 89, S. 101 f.

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b) Ab den Fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts waren nochmals Veränderungen zu verzeichnen. Die Lehrbücher orientierten sich dabei in ihren Darstellungen an den mittlerweile in den Ländern erlassenen Strafprozeßordnungen. In Anlehnung an die neuen Strafprozeßordnungen wurde bei der speziellen Durchsuchung erstmals differenziert zwischen der Durchsuchung beim Tatverdächtigen und derjenigen bei unverdächtigen Dritten. Letztere sollte an erschwerte Voraussetzungen geknüpft sein. Anders als beim Verdächtigen genügte hier eine einfache Wahrscheinlichkeit, daß Beweisgegenstände oder der Verdächtige selbst gefunden wurden, nicht. Es mußte gewiß oder sehr wahrscheinlich sein, daß die Maßnahme zum Erfolg führte. Außerdem sollte nur nach bestimmten, im voraus zu bezeichnenden Gegenständen und erst, nachdem der Inhaber zur freiwilligen Herausgabe aufgefordert worden war, gesucht werden dürfen. 239 In formeller Hinsicht vertrat man nun unter dem Eindruck des § 140 FRV und der mittlerweile in den Ländern geltenden gesetzlichen Bestimmungen die Ansicht, daß jeder Durchsuchung eine richterliche Anordnung vorauszugehen habe. Der Befehl sollte schriftlich abgefaßt, mit Gründen versehen und dem Betroffenen binnen 24 Stunden zugestellt werden. Von diesen Voraussetzungen sollte nur in Ausnahmefällen, namentlich bei Gefahr in Verzug und bei Verfolgung auf frischer Tat, abgesehen werden. 240

II. Die Gesetzgebung 1. Exkurs: Überblick über die Rechtsquellen des reformierten Strafprozesses

Vor 1848 wurden nur in Württemberg (1843) 241 und in Baden (1845) 242 neue Strafprozeßordnungen erlassen. In den übrigen Territorialstaaten beschränkte sich die Reformgesetzgebung darauf, einzelne Gesetze zu erlassen, mit denen das öffentliche, mündliche Verfahren und die Schwurgerichte eingeführt wurden, während im übrigen die alten Kriminalordnungen als Rechtsgrundlagen fortgalten. 243 239 H. A. Zachariä, Handbuch des deutschen Strafjprozesses, § 96, S. 167 f.; J. E. v. Waser, Die Haussuchung und die Beschlagnahme der Papiere, in: Der Gerichtssaal , 1853, 1. Bd., S. 75 f.; W. Planck, Systematische Darstellung des deutschen Strafverfahrens, § 86, S. 226. 240 H. A. Zachariä, Handbuch des deutschen Strafprozesses, § 96, S. 169 f.; J. E. v. Waser, Die Haussuchung und die Beschlagnahme von Papieren, in: Der Gerichtssaal, 1853, 1. Bd., S. 64 ff.; J. W. Planck, Systematische Darstellung des deutschen Strafverfahrens, § 86, S. 227 f. 241 Abdruck: C. F. W. J. Haeberlin, Sammlung der neuen deutschen Strafprozeßordnungen, S. 525 ff. 242 Abdruck: C. F. W. J. Haeberlin, Sammlung der neuen deutschen Strafprozeßordnungen, S. 370 ff. 243 Ζ. B. in: Preußen: VO vom 3. 1. 1849 über die Einführung des mündlichen und öffentlichen Verfahrens in Geschworenen- und in Untersuchungssachen; Bayern: Provisorisches

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2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

Die Strafprozeßordnung Badens von 1845 stellte einen ganz wesentlichen Schritt auf dem Weg der Reformgesetzgebung d a r . 2 4 4 Allerdings war das Gesetz in seiner Wirksamkeit suspendiert, weil es eine Umbildung des gesamten geltenden Strafprozesses nach sich zog und daher vorherige Anpassungsmaßnahmen erforderlich machte. 2 4 5 Auch wenn das Gesetz nur in Teilen und nie vollständig in Kraft trat, hatten seine Vorschriften doch Modellcharakter und dienten in der Folgezeit als Vorbild für zahlreiche Gesetzesentwürfe i n den Territorialstaaten. 246 Die Frankfurter Nationalversammlung und die revolutionären Ereignisse des Jahres 1848 sorgten für einen neuen Entwicklungsschub. Nach 1848 kam es in einer Vielzahl von deutschen Ländern zum Erlaß neuer Strafprozeßordnungen 247 (1849 Braunschweig 2 4 8 (1859 neu publiziert); 1850 Thüringische Länder (Sachsen-Weimar, Sachsen-Meiningen, Schwarzburg-Rudolfstadt, Schwarzburg-Sondershausen, Anhalt-Dessau-Köthen, galt seit 1858 in Coburg-Gotha) 2 4 9 ; 1850 Hann o v e r 2 5 0 (revidiert 1 8 5 9 2 5 1 ) ; 1854 Sachsen-Altenburg 252 ; 1855 Sachsen 2 5 3 ; 1856 Freie Stadt Frankfurt; 1857 Oldenburg 2 5 4 ; 1862 Freie und Hansestadt Lübeck; 1864 Baden 2 5 5 ; 1868 Württemberg 2 5 6 ; 1865 Provinzen Starkenburg und Oberhessen 2 5 7 ). Gesetz über das öffentliche, mündliche Verfahren vom 10. 11. 1848; Kurhessen: Gesetz vom 31. 10. 1848 betr. die Einrichtung der Gerichte und der Staatsbehörden bei den Gerichten und die Umbildung des Strafverfahrens; Nassau: Gesetz vom 14. 5. 1849 über die Einführung des öffentlichen, mündlichen Verfahrens mit Schwurgerichten; vgl. auch E. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, § 293, S. 336. 244 Als erstes zusammenfassendes Gesetz verwirklichte sie die Grundsätze der Öffentlichkeit, Mündlichkeit, des Anklageprinzips und der freien Beseiswürdigung für das Hauptverfahren sowie des effektiven Rechtsschutzes durch Zulassung von Beweismitteln. Vgl. hierzu H. A. Zachariä, Handbuch des deutschen Strafprozesses, S. 15. 245 Zuerst traten 1849 der XI. Titel („Von der Hausdurchsuchung und der Beschlagnahme von Briefen") und der XIV. Titel („Von der Vorladung des Beschuldigten, von Vorführung und Verhaftung desselben") in Kraft. 1851 folgten einige weitere Titel. Am 18. 3.1864 schließlich wurde die Strafprozeßordnung von 1845 durch eine neue Strafprozeßordnung ersetzt. 246

H. A. Zachariä, Die Gebrechen und die Reform des deutschen Strafverfahrens, S. 287. Vgl. den Überblick über die Partikulargesetzgebung bei H. A. Zachariä, Handbuch des deutschen Strafprozesses, S. 18 ff. 248 Abdruck: C. E W. J. Haeberlin, Sammlung der neuen deutschen Strafprozeßordnungen, S. 725 ff. 249 Abdruck: C. F. Müller,, Die Strafjprozeßordnung für Sachsen-Weimar-Eisenach, Sachsen-Meiningen, Anhalt-Dessau-Köthen, Schwarzburg-Rudolfstadt und Schwarzburg-Sondershausen, Schleiz 1856. 250 Abdruck: C. F. W. J. Haeberlin, Sammlung der neuen deutschen Strafprozeßordnungen, S. 279 ff. 251 Abdruck: P. Sundelin (Hrsg.), Sammlung der neuern deutschen Gesetze, S. 117 ff. 252 Abdruck: P. Sundelin (Hrsg.), Sammlung der neuern deutschen Gesetze, S. 389 ff. 253 Abdruck: P. Sundelin (Hrsg.), Sammlung der neuem deutschen Gesetze, S. 637 ff. 254 Abdruck: P. Sundelin (Hrsg.), Sammlung der neuern deutschen Gesetze, S. 494 ff. 2 55 Abdruck: Großherzoglich Badisches Regierungs-Blatt (1864), Nr. XXIII, S. 225 ff. 247

3. Abschn.: Die Geheimsphäre im Strafprozeßrecht

131

In Preußen bestand ein Nebeneinander verschiedener älterer und neuerer Gesetze, die den Strafprozeß regelten. In den 1815 hinzugewonnenen ehemals französischen Provinzen galt der Code d'instruction criminelle (Art. 35-39; 87-90) fort. Am 12. 2. 1850 wurde als Ausführung zu Art. 5 und 6 der Preußischen Verfassung das Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit 258 erlassen, das für Eingriffe in die Wohnungsfreiheit eine gesetzliche Ermächtigung verlangte. Dies bedeutete in den alten preußischen Landesteilen einen ergänzenden Rückgriff auf die Kriminalordnung von 1805. 1867 schließlich wurde für die neuen, durch den Krieg im Jahr 1866 hinzugewonnenen preußischen Landesteile 259 eine Strafprozeßordnung erlassen. Hierzu sah man sich genötigt, weil es bis dahin in Preußen kein einheitliches Strafprozeßrecht gab. 260 Die StPO von 1867 beruhte wiederum auf dem Entwurf einer StPO für ganz Preußen aus dem Jahr 1865, an dem bereits von zeitgenössischen Kritikern bemängelt worden war, daß man bei seiner Erarbeitung zu wenig die gesamtdeutsche Strafrechtswissenschaft und den durch die bisherige Entwicklung in manchen Territorialstaaten erreichten Standard berücksichtigt habe. Dies erklärt wohl auch, daß die Bestimmungen über die Durchsuchung, Postbeschlagnahme und sonstige Beschlagnahmen in vielerlei Hinsicht von den gemeinsamen Grundsätzen der übrigen Strafprozeßordnungen abwichen. Zum nochmaligen Erlaß einer Strafprozeßordnung für Baden im Jahr 1864 war es gekommen, weil diejenige von 1845 in den sechziger Jahren noch immer nicht vollständig in Kraft getreten war und mittlerweile als in Teilen überholt angesehen wurde. Die neue StPO trat am 28. 3. 1864 in Kraft. 261

2. Die Zeugnisverweigerungsrechte und andere Bestimmungen zum Zeugenschutz

Die reformierten Strafprozeßordnungen, zuerst die württembergische (1843) und die badische (1845), brachten hinsichtlich der Zeugnisverweigerungsrechte Besserungen. Während die Prozeßordnungen aus den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wie die Preußische Kriminalordnung und das Österreichische Gesetzbuch über Verbrechen und schwere Polizeyübertretungen noch die Verneh256 Abdruck: Die Strafprozeßordnung für das Königreich Württemberg, Stuttgart 1868. 257 Abdruck: Strafprozeßordnung für die Provinzen Starkenburg und Oberhessen nebst den damit zusammenhängenden Gesetzen und Verordnungen, Darmstadt 1865. 2 58 Abdruck: P. Sunde lin, Sammlung der neuern deutschen Gesetze, S. 102 ff. 259

Strafprozeßordnung für die durch das Gesetz vom 20. September 1866 und die beiden Gesetze vom 24. Dezember 1866 mit der Monarchie vereinigten Landestheile; Abdruck: Gesetzsammlung für die Königlich Preußischen Staaten, Berlin 1867. 2 60 C. v. Stemann, Einige Bemerkungen über die Strafprozeßordnung vom 25. Juli 1867; in: Archiv des Preußischen Criminalrechts, 1867, S. 649 ff. 261 Sie übernahm zahlreiche Vorschriften der StPO von 1845 im Wortlaut, zeichnete sich aber durch eine konsequentere Verwirklichung des Anklagegrundsatzes und wesentlich verbesserte Vorschriften hinsichtlich der Rechtsstellung des Angeklagten aus.

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2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

mung von nahen Angehörigen des Beschuldigten entweder generell oder in Ausnahmefällen zugelassen hatten, bestanden die Zeugnisverweigerungsrechte nun ohne Einschränkungen. Der Katalog der geschützten Personen wurde weiter ausgedehnt. Während bis dahin vor allem die nahen Verwandten und der Ehegatte zur Gruppe der befreiten Personen gezählt hatten, wurden nun bestimmte Berufsgruppen einbezogen, die in einer schutzwürdigen Vertrauensbeziehung zum Beschuldigten standen und ihm gegenüber aufgrund ihres Berufes zur Verschwiegenheit verpflichtet waren. Neu war vor allem die gesetzliche Festschreibung von Belehrungspflichten. Das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen wurde mitunter ergänzt durch ein Recht, die Ablegung eines Eides zu verweigern. Manche Gesetze enthielten sogar ausdrückliche Verwertungsverbote, die Verstöße gegen die genannten Vorschriften sanktionierten. Der Zeugenschutz wurde ergänzt durch das gesetzliche Verbot unzulässiger Fragen, d. h. solcher Fragen, die die Persönlichkeit des Zeugen, vor allem seine Ehre, berührten.

a) Die Strafprozeßordnung

Württembergs

von 1843

Gem. Art. 195 durften Verwandte und Verschwägerte bis zu einem gewissen Grad sowie der Ehegatte des Beschuldigten (Ziff. 1), Geistliche (Ziff. 2) und schließlich zum ersten Mal der Verteidiger des Beschuldigten (Ziff. 3) das Zeugnis verweigern. Dessen Zeugnisverweigerungsrecht war beschränkt auf die Tatsachen, die ihm in seiner Eigenschaft als Verteidiger vom Beschuldigten selbst über die Tat anvertraut worden waren. Ausgenommen waren daher die selbst in Erfahrung gebrachten oder von anderen Personen mitgeteilten Tätsachen sowie Mitteilungen des Beschuldigten über Straftaten anderer 262. Art. 195 Abs. 2 schrieb ferner vor, daß die Personen im Sinne von Ziff. 1 über ihr Recht, das Zeugnis zu verweigern, belehrt werden mußten und ihre Erklärung hierzu im Protokoll zu vermerken war. Nicht ausdrücklich bestimmt wurde, ob eine Zeugenaussage, die ein Verteidiger unter Verstoß gegen seine Schweigepflicht gemacht hatte, zulässig war und verwertet werden durfte. Das Gesetz kannte noch kein mit dem Zeugnisverweigerungsrecht korrespondierendes Recht, die Ablegung des Eides zu verweigern. Als einziges Zugeständnis entband Art. 213 Abs. 3 den Richter von der Pflicht, den Zeugen zu vereidigen. Die Vereidigung war in diesen Fällen in sein Ermessen gestellt. Ein Recht des Zeugen, die Beeidigung der (freiwillig) gemachten Aussage abzulehnen, bestand noch nicht.

262 H. Knapp, Die Strafprozeßordnung für das Königreich Württemberg, Anm. zu Art. 195.

3. Abschn.: Die Geheimsphäre im Strafprozeßrecht

b) Die Strafprozeßordnung

133

Badens von 1845

Die Badische Strafprozeßordnung trennte zum ersten Mal deutlich zwischen Personen, die das Zeugnis verweigern durften, aber jederzeit freiwillig aussagen konnten (§ 149), und solchen Personen, die aufgrund ihrer Verschwiegenheitspflicht gegenüber dem Beschuldigten gar nicht aussagen durften und als Zeugen nicht zugelassen waren (§ 150). Zur Zeugnisverweigerung berechtigt waren Verwandte und Verschwägerte bis zu einem bestimmten Grad und der Ehegatte des Beschuldigten (§ 149). Ein Zeugnisverweigerungsrecht des Ehegatten bestand auch dann, wenn er im Verfahren gegen einen Mitbeschuldigten aussagen sollte. § 149 S. 2 enthielt die Pflicht, über das Zeugnisverweigerungsrecht zu belehren. § 149 S. 3 ergänzte zum ersten Mal das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen um ein Eidesverweigerungsrecht. § 150 verbot die Vernehmung der Geistlichen sowie des Sachwalters und Verteidigers des Beschuldigten als Zeugen, solange diese nicht durch den Beschuldigten von ihrer Schweigepflicht entbunden worden waren. Daraus folgte, daß eine trotz bestehender Schweigepflicht gleichwohl gemachte Aussage unzulässig war und nicht verwertet werden durfte. § 156 enthielt dann schließlich die bereits aus der StPO Preußen 1805 (§ 313 Ziff. 4) bekannte Beschränkung des Fragerechts der Verhörsperson zum Schutz des Zeugen. Während § 313 Ziff. 4 CrimO 1805 noch ganz allgemein sämtliche Fragen verboten hatte, deren Beantwortung für den Zeugen nachteilige Folgen haben konnte, beschränkte sich die entsprechende Vorschrift der Badischen Strafprozeßordnung auf solche Fragen, deren Beantwortung entweder dem Zeugen selbst oder dessen Angehörigen „zur Schande " gereicht hätte. Der Zweck war nun endgültig auf einen Ehrenschutz beschränkt. Der Zeuge sollte solche Umstände nicht offenbaren müssen, die für seinen guten Ruf nachteilig waren. Persönliche Geheimhaltungsinteressen waren damit auch, aber nur noch mittelbar geschützt.

c) Die Entwicklung in den übrigen Territorialstaaten aa) Die von der Zeugnispflicht befreiten Personengruppen Zum Katalog derjenigen Personen, die zur Ablegung des Zeugnisses nicht verpflichtet waren, gehörten in allen Strafprozeßordnungen die Angehörigen des Angeschuldigten, d. h. die Verwandten und Verschwägerten bis zu einem bestimmten Grad, der Ehegatte - in den Prozeßordnungen von Oldenburg, Starkenburg / Oberhessen, Lübeck und Württemberg (1868) auch nach der Scheidung - 2 6 3 und 263 §§ 113 I a) StPO Österreich 1853; Art. 213 III StPO Sachsen 1855; Art. 107 § 1 Ziff. 4 StPO Oldenburg 1857; Art. 130 StPO Starkenburg/Oberhessen 1865; Art. 176 Ziff. 1 StPO Thüringen 1850; § 87 Ziff. 4 StPO Lübeck 1862; Art. 143 I Ziff. 1 StPO Württemberg 1868; § 155 I I StPO Preußen 1867.

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2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

schließlich der Verteidiger hinsichtlich der Tatsachen, die ihm in seiner Eigenschaft als Verteidiger des Beschuldigten anvertraut worden waren. 264 Die Prozeßordnung Württembergs von 1868 befreite als einzige den Verteidiger unabhängig davon, ob er die Mitteilung vom Beschuldigten selbst oder einem Dritten erfahren hatte. Die Prozeßordnungen von Sachsen, Starkenburg / Oberhessen, Thüringen und Württemberg (1868) stellten nicht nur den Verteidiger, sondern allgemein den Rechtsanwalt von der Zeugnispflicht frei. Einige Länder befreiten auch die bei einem Verteidiger bzw. Anwalt angestellten Personen von der Zeugnispflicht. 265 Nur in einer einzigen Strafprozeßordnung fanden unter den zeugnisverweigerungsberechtigen Personen auch die Ärzte Erwähnung, nämlich in Art. 176 Ziff. 4 StPO Thüringen 1850 in der für Dessau-Köthen geltenden Fassung. Mit Art. 143 Abs. 1 Ziff. 2 StPO Württemberg 1868 wurden erstmals Presseangehörige von der Zeugenpflicht befreit. Es ging hierbei allerdings nicht um das persönliche Interesse an der Wahrung einer Geheimsphäre, sondern darum, das Funktionieren der Pressefreiheit im öffentlichen Interesse zu sichern. 266

bb) Die Arten von Zeugnisverweigerungsrechten Die Mehrzahl der Staaten unterschied zwei Gruppen von Zeugnisverweigerungsrechten: Geistlicher, Verteidiger, Rechtsanwalt und Arzt waren als Zeugen überhaupt nicht zugelassen, durften also auch freiwillig nicht vernommen werden, solange sie nicht von ihrer Schweigepflicht durch den Beschuldigten entbunden waren. Damit war klargestellt, daß Aussagen, die diese Personen entgegen ihrer Schweigepflicht gemacht hatten, nicht verwertet werden durften. 267 Die Angehörigen hingegen durften zwar das Zeugnis verweigern, konnten aber jederzeit freiwillig eine Aussage machen. 268

264 § 113 I b) StPO Österreich 1853; Art. 107 Ziff. 3 StPO Oldenburg 1857; Art. 213 I StPO Sachsen 1855; Art. 129 Ziff. 3 StPO Starkenburg/Oberhessen 1865; Art. 176 Ziff. 4 StPO Thüringen 1850; Art. 87 Ziff. 3 StPO Lübeck 1862; Art. 142 Ziff. 2 StPO Württemberg 1868; § 155 ΙΠ StPO Preußen 1867. 265 Art. 213 I StPO Sachsen 1855; Art. 1291 Ziff. 3 StPO Starkenburg/Oberhessen 1865. 266 Befreit waren Drucker, Verleger, Redakteure in bezug auf die Person des Verfassers, Herausgebers oder Einsenders von Druckschriften oder sonstigen Veröffentlichungen durch die Presse. Der Artikel war Gegenstand heftiger Kontroversen während der Vorarbeiten gewesen. Sein Zweck bestand darin, die Beziehung zwischen Presseangehörigen und Informanten und damit die Pressefreiheit zu schützen. 267 Anders die heute h. M.: Eine Aussage unter Bruch des Berufsgeheimnisses darf im Prozeß verwertet werden (st. Rspr.: BGH St 9, 59, 62; BGH St 15, 200, 202; BGH Urteil v. 24. 11. 1970/1 StR 342/70); a. Α.: F. Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß (1977), S. 138 ff.; W. Beulke, Strafprozeßrecht, RN 209; R. Rengier, Die Zeugnis verweigerungsrechte im geltenden und künftigen Strafverfahrensrecht, S. 328 ff. 268 Art. 213 I (Geistliche, Rechtsanwalt, Verteidiger), Art. 213 ΙΠ (Angehörige) StPO Sachsen 1855; Art. 129 (Geistliche, Verteidiger, Rechtsanwälte), Art. 130 (Angehörige) StPO

3. Abschn.: Die Geheimsphäre im Strafprozeßrecht

135

Die übrigen Strafprozeßordnungen enthielten eine solche Trennung nicht. Alle zeugnisverweigerungsberechtigten Personen wurden hier in derselben Vorschrift aufgeführt, so daß nicht klar ersichtlich war, ob die Berufsangehörigen auch dann aussagen durften, wenn eine Entbindung von der Schweigepflicht durch den Beschuldigten nicht stattgefunden hatte. 269

cc) Die Belehrungspflicht Die überwiegende Anzahl der Strafprozeßordnungen schrieb die Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht gesetzlich vor. Mitunter bestand die Pflicht gegenüber sämtlichen berechtigten Personen, ζ. T. nur gegenüber den Angehörigen, weil man davon ausging, daß Rechtsanwälte, Ärzte und Geistliche ihr Recht, im Prozeß die Aussage zu verweigern, kannten. Die Erklärung der Betroffenen auf die Belehrung hin mußte im Protokoll vermerkt werden. 270 § 113 Abs. 2 S. 2 StPO Österreich 1853 enthielt ein ausdrückliches Verwertungsverbot für den Fall, daß die vorgeschriebene Belehrung der Zeugen unterblieben war.

dd) Die Eidesverweigerungsrechte bzw. Vereidigungsverbote In einigen Gesetzen wurde das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen ergänzt durch ein Recht, die Ablegung eines Eides zu verweigern. Zum Teil galt hinsichtlich dieser Personengruppe sogar ein Vereidigungsverbot. 271

ee) Unzulässige Fragen Eine Vielzahl von Strafprozeßordnungen schrieb vor, daß ein Zeuge solche Fragen nicht beantworten mußte, die er zu seiner eigenen oder zur Schande eines Angehörigen hätte aussagen müssen.272 Dabei wurde ζ. T. klargestellt, daß dies nicht Starkenburg/Oberhessen 1865; Art. 142 I (Geistliche, Verteidiger, Rechtsanwälte), Art. 143 (Angehörige, Drucker, Verleger, Redakteure) StPO Württemberg 1868. 269 Art. 107 § 1 Ziff. 1 - 3 StPO Oldenburg 1857; Art. 176 Ziff. 1 - 4 StPO Thüringen 1850; § 87 Ziff. 1 - 4 StPO Lübeck 1862; § 155 Π, ΙΠ StPO Preußen 1867. 270 § 113 I I StPO Österreich 1853, Art. 213 IV StPO Sachsen 1855, Art. 107 § 1 StPO Oldenburg 1857, Art. 143 Π StPO Württemberg 1868. 271 Eidesverweigerungsrecht: § 88 StPO Hannover 1850; Art. 224 Π StPO Sachsen 1855: der Zeuge mußte hier auch über sein Recht, den Eid zu verweigern, belehrt werden; Art. 190 I StPO Thüringen 1850; Vereidigungsverbot: Art. 131 Ziff. 2 StPO Starkenburg /Oberhessen 1865; § 881 StPO Ziff. 2 Lübeck 1862. 272 Art. 222 V StPO Sachsen 1855; Art. 107 § 2 StPO Oldenburg 1857; Art. 142 I I StPO Starkenburg/Oberhessen 1865; Art. 177 I StPO Thüringen 1850; Art. 87 III StPO Lübeck 1862.

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2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

die Frage nach anhängigen Untersuchungen, verhängten und verbüßten Strafen betraf. 273 Die zitierten Bestimmungen dienten unmittelbar dem Ehrenschutz und zumindest mittelbar einem persönlichen Geheimnisschutz. Die später erlassenen Strafprozeßordnungen untersagten zusätzlich solche Fragen, durch deren Beantwortung dem Zeugen ein Vermögensnachteil drohte. 274 Art. 145 StPO Württemberg 1868 verbot ausschließlich solche Fragen, mit denen ein unmittelbarer und schwerer Vermögensnachteil entstehen konnte und war daher für einen Privatsphärenschutz irrelevant. Damit veränderte sich allmählich der Charakter dieser Vorschrift von einer Persönlichkeitsinteressen wahrenden zu einer das Vermögen schützenden Bestimmung. Offensichtlich sah man Schwierigkeiten bei ihrer praktischen Anwendbarkeit, solange sie sich auf Fragen nach persönlichen Umständen bezog. In die Reichsstrafprozeßordnung sollte sie keinen Eingang mehr finden.

3. Die Herausgabe und Beschlagnahme von Briefen und Papieren

a) Die Pflicht zur Herausgabe von Schriftstücken Allmählich schränkten die Länderstrafprozeßordnungen die bis dahin für unumschränkt gehaltene Pflicht zur Herausgabe von für die Untersuchung wesentlichen Urkunden ein. Die StPO Württemberg 1843 ließ in Art. 229 noch die im Falle einer verweigerten Ablegung des Zeugnisses gebräuchlichen Zwangsmittel auch gegenüber den von der Zeugnispflicht befreiten Personen zu, sofern diese die Vorlage der gesuchten Urkunden verweigerten. Allerdings war zuvor die weniger belastende Hinwegnahme zu versuchen. Auch der Beschuldigte selbst war aufgrund von Art. 228 Abs. 1 grundsätzlich zur Vorlage ihn belastender Urkunden verpflichtet. Ihm gegenüber sollte die Herausgabe aber nicht mit Zwangsmitteln erzwungen, vielmehr die gesuchte Urkunde im Rahmen einer Hausdurchsuchung weggenommen werden (Art. 228 Abs. 2). Die StPO Baden 1845 erwähnte die Pflicht zur Urkundenedition gar nicht mehr, sondern regelte lediglich die Voraussetzungen einer Hausdurchsuchung und Urkundenbeschlagnahme. Auch gegen tatunverdächtige dritte Personen, die - über den Besitz einer Urkunde befragt - diesen leugneten oder die Herausgabe verweigerten, durfte nur mittels der Hausdurchsuchung und zwangsweisen Wegnahme, nicht aber mit den bei einer Zeugnisverweigerung anzuwendenden Zwangsmitteln vorgegangen werden. Die StPO Baden 1845 enthielt in § 130 bereits ein noch zu behandelndes Beschlagnahmeverbot hinsichtlich der mit Angehörigen des Beschuldigten gewechselten Korrespondenz. 273 Art. 107 § 2 StPO Oldenburg 1857; Art. 177 StPO Thüringen 1850; § 87 III StPO Lübeck 1862. 274 Art. 222 V I StPO Sachsen 1855; Art. 142 III StPO Starkenburg/Oberhessen 1865.

3. Abschn.: Die Geheimsphäre im Strafprozeßrecht

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Die nach 1848/49 erlassenen Strafprozeßordnungen enthielten zum Teil ausdrückliche Bestimmungen, die die Pflicht zur Herausgabe von Urkunden bzw. deren Durchsetzbarkeit zugunsten des Beschuldigten sowie der Zeugnisverweigerungsberechtigten einschränkten. Die Regelungen brachten Erleichterungen für die Betroffenen, obgleich sie nicht in voller Konsequenz den Schutz des Beschuldigten und der von der Zeugnispflicht Befreiten verwirklichten. So schrieb Art. 198 StPO Sachsen 1855 eine Pflicht für jedermann vor, für die Untersuchung erhebliche Schriften vorzulegen. Allerdings durfte gemäß Art. 200 Abs. 4 gegen Angehörige des Beschuldigten, dessen Beichtvater und Verteidiger nicht mittels des im Falle der Zeugnisverweigerung üblichen Zwangsverfahrens oder der Abforderung eines Editionseides vorgegangen werden. Die Herausgabepflicht war ihnen gegenüber somit nicht durchsetzbar. Auch der Beschuldigte blieb von Zwangsmaßregeln verschont, durfte allerdings ermahnt und auf die negativen Konsequenzen seines Verhaltens hingewiesen, im schlimmsten Fall sogar in Untersuchungshaft genommen werden (Art. 171). Art. 130 StPO Oldenburg 1857 beschränkte die Herausgabepflicht von vornherein auf tatunverdächtige Dritte. Nicht herausgegeben werden mußten von diesen solche Gegenstände, die dem noch zu behandelnden Beschlagnahmeverbot (Art. 102) unterfielen. Dies betraf die zwischen dem Beschuldigten und seinem Beichtvater oder Rechtsbeistand gewechselte Korrespondenz. Im Fall einer verweigerten Herausgabe durften gegenüber Angehörigen des Beschuldigten Zwangsmittel nicht zur Anwendung kommen. Ausgeschlossen von dieser Befreiungsregelung blieben allerdings die sonstigen von der Zeugnispflicht befreiten Personen (ζ. B. der Geistliche und der Verteidiger).

b) Die Beschlagnahme von Schriftstücken Die Beschlagnahme von Briefen und sonstigen Schriftstücken regelten die meisten Strafprozeßordnungen in mehreren Sondervorschriften. Die erhebliche Bedeutung, die man der Papierbeschlagnahme beimaß, hatte ihren Grund in der politischen Relevanz des Themas.

aa) Materielle Voraussetzungen Mitunter galten bereits in materieller Hinsicht strengere Voraussetzungen als für andere Formen der Durchsuchung. Für eine Durchsicht der Papiere mußten sowohl beim Verdächtigen als auch bei dritten Personen „besondere Verdachtsgründe" vorliegen 275 oder „Gründe" 216, daß 275 § 121 StPO Baden 1845/§ 139 StPO Baden 1864. 276 Art. 197 I StPO Sachsen 1855; Art. 113, 114 StPO Starkenburg/Oberhessen 1865.

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2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

Beweiserhebliches gefunden wurde, während ζ. B. für eine Wohnungsdurchsuchung beim Beschuldigten insoweit schon die bloße Wahrscheinlichkeit oder Vermutung ausreichte. Vorausgesetzt wurde daher ein auf tatsächliche Anhaltspunkte gestützter Verdacht, während eine einfache Wahrscheinlichkeit bzw. Vermutung nicht genügte. In einigen Strafprozeßordnungen wurden die besonderen Verdachtsgründe nur gefordert, wenn dritte Personen betroffen waren. 277 Art. 133 Abs. 2 StPO Württemberg 1868 schränkte die Durchsuchung der Papiere Dritter noch weiter ein, indem hierfür aufgrund besonderer Anzeigen wahrscheinlich sein mußte, daß Gegenstände, Werkzeuge oder Erzeugnisse der strafbaren Tat aufgefunden wurden. Art. 130 Abs. 2 des Entwurfs hatte diese Einschränkung noch nicht gemacht, sondern die Durchsuchung aller Papiere zugelassen und nur einen höheren Grad der Wahrscheinlichkeit verlangt, wenn tatunbeteiligte Dritte betroffen waren. In den Kommissionsberatungen wurde angesichts der Intensität einer Papierbeschlagnahme die Fassung als nicht ausreichend zum Schutz Dritter bewertet. 278 Gesucht werden durfte nur noch nach „corpora delictiBeschlagnahmefrei blieben alle solchen Gegenstände, die in keinem objektiven Zusammenhang zur Straftat standen, ζ. B. Briefe, Handelsbücher, Tagebücher etc. Hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, daß solche Gegenstände aufgefunden wurden, waren gemäß Art. 133 Abs. 2 „besondere Anzeigen" erforderlich. Dazu mußten Umstände vorliegen, die auf das Vorhandensein ganz gestimmter Gegenstände bei dem Dritten hindeuteten. Bei geringeren Verfehlungen, d. h. solchen, die nur mit Geldbuße oder Bezirksgefängnis bedroht waren, wurde die Papierdurchsuchung mitunter für unzulässig da unverhältnismäßig - erklärt. 279 Art. 134 Abs. 1 StPO Württemberg 1868 dehnte diese Befreiung sogar noch aus auf alle oberamtsgerichtlichen Strafsachen. Vergleichsweise schwach ausgestaltet war der Schutz in den Strafprozeßordnungen, in denen mit der Anordnung der Hausdurchsuchung zugleich die Befugnis verbunden war, sämtliche Briefe und Papiere ohne weitere Voraussetzungen durchzusehen (§ 110 Abs. 2 StPO Hannover 1859).

bb) Zuständigkeits-, Verfahrens- und Formvorschriften Hinsichtlich der Anordnungszuständigkeit enthielten die StPO Württemberg 1843 und die StPO Baden 1845 noch keine Sondervorschriften. Es galten insoweit die allgemeinen Vorschriften mit der Folge, daß in Fällen von Gefahr in Verzug 277 Art. 146 StPO Thüringen 1850. 278 Kommissionsbericht zu Art. 130; in: Die Neue Justizgesetzgebung des Königreiches Württemberg, 3. Bd., S. 186 f. 279 § 134 StPO Baden 1845; § 148 StPO Baden 1864.

3. Abschn.: Die Geheimsphäre im Strafprozeßrecht

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auch Staatsanwaltschaft (§ 43 Nr. 4 StPO Baden 1845) und Polizei (Art. 19 StPO Württemberg 1843; § 51 StPO Baden 1845) selbständig die Beschlagnahme von Papieren anordnen konnten. Dies änderte sich erst mit den nach 1848 neu erlassenen Strafprozeßordnungen. Diese bestimmten nun meistens, daß Beschlagnahme und Durchsicht der Papiere, die außerhalb einer Hausdurchsuchung oder Verhaftung erfolgten, eines richterlichen Befehls, der entweder sofort oder aber spätestens 24 Stunden danach zugestellt werden mußte, bedurften. 280 Dabei genügte in Fällen, in denen der Betroffene der Durchsuchung seiner Papiere widersprach, ein Befehl des Untersuchungsrichters nicht, sondern es mußte die Entscheidung des erkennenden Gerichts eingeholt werden. 281 Für jede Papierbeschlagnahme mußte im Ergebnis eine richterliche Entscheidung, wenn auch nachträglich, herbeigeführt werden. Diese Bestimmungen setzten § 141 FRV um, der vorgeschrieben hatte, daß Briefe und Papiere außerhalb einer Hausdurchsuchung und Verhaftung nur aufgrund eines richterlichen Befehls beschlagnahmt werden durften, der sofort oder binnen 24 Stunden zugestellt werden mußte. 282 Wurden Papiere im Zuge einer Hausdurchsuchung oder Verhaftung aufgefunden, richtete sich die Zuständigkeit nach den für diese Maßnahmen geltenden Vorschriften. Polizei und Staatsanwaltschaft besaßen eine selbständige Entscheidungszuständigkeit.283 Allerdings bestimmte die Mehrzahl der Strafprozeßordnungen hinsichtlich der Papiere, daß Staatsanwaltschaft und Polizei diese zwar beschlagnahmen, sie aber nicht selbst durchsehen durften, sie vielmehr ungeöffnet an den Richter weiterleiten mußten. Nur der Richter war zur Entsiegelung und Durchsicht von Schriftstücken berechtigt. 284 Zu dieser Tätigkeit hatte er im übrigen einen Protokollführer und zwei Urkundspersonen hinzuzuziehen. Uber die Person der ausgewählten Urkundsperson mußte der Beschuldigte zuvor vernommen werden, wenn kein Nachteil für die Untersuchung zu befürchten war. 285 Im übrigen mußten alle Form- und Verfahrensvorschriften eingehalten werden, wie sie für die allgemeine Durchsuchung (vor allem Hinzuziehung des Betroffenen, d. h. des Inhabers der Papiere) galten. Eine spezielle Vorschrift für die Papierdurchsuchung stellte die Pflicht dar, in Verwahrung genommene Papiere (und an280 Art. 147 I StPO Thüringen 1850; Art. 101 StPO Oldenburg 1857; § 141 StPO Baden 1864; Art. 135 StPO Württemberg 1868. 281 Art. 146 ΠΙ StPO Thüringen 1850; § 140 StPO Baden 1864; Art. 133 III StPO Württemberg 1868. 282 /.-£>. Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, S. 341. 283 Vgl. oben 2. Teil, 3. Abschnitt B. I.12. e). 284 § 108 Π StPO Österreich 1853; § 40 StPO Lübeck 1862; § 139 StPO Baden 1864; Art. 131IV StPO Württemberg 1868. 285 § 139 StPO Baden 1864.

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dere Beweisgegenstände) in ein Verzeichnis aufzunehmen. 286 Die Papiere waren ferner in einen versiegelten Umschlag zu bringen, wobei der Inhaber sein Siegel beidrücken durfte. Später durfte der versiegelte Umschlag nur in Gegenwart des Inhabers geöffnet werden. 287 Den staatlichen Stellen wurde schließlich die Schonung von Privatgeheimnissen eingeschärft. Diese bestand ζ. B. darin, daß von mehreren Schriftstücken diejenigen, die erkennbar nichts für die Untersuchung Wesentliches enthalten konnten, von vornherein ausgesondert wurden. Enthielt ein Schriftstück verschiedene Mitteilungen, durften nur die verfahrenserheblichen Nachrichten in Abschrift zu den Akten genommen werden. Die Einsichtnahme Unbefugter war so weit wie möglich zu verhindern. 288 cc) Die Beschlagnahmeverbote ( 1) Beschlagnahmeverbote bis zur Strafprozeßordnung Württembergs

von 1868

Zum Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Beschuldigten und zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Personen nahmen die Länderstrafprozeßordnungen zunehmend Durchsuchungs- und Beschlagnahmeverbote auf. Mit ihnen wurde die Korrespondenz zwischen dem Angeschuldigten und Personen, die nicht zur Ablegung des Zeugnisses verpflichtet waren (ζ. B. den Angehörigen, dem Beichtvater oder dem Rechtsbeistand) von der Beschlagnahme und Durchsuchung befreit. Die erste Strafprozeßordnung, die ein Beschlagnahmeverbot zugunsten von Angehörigen des Beschuldigten aufnahm, war die StPO Baden 1845, die in § 130 Briefe, die zwischen Angehörigen des Beschuldigten und anderen Personen - einschließlich dem Beschuldigten selbst - gewechselt worden waren, von der Beschlagnahme ausschloß.289 Beschlagnahmefrei war die gesamte mit einem Angehörigen gewechselte Korrespondenz, nicht nur diejenige zwischen dem Beschuldigten selbst und seinen Angehörigen. 286 § 122 StPO Baden 1845/§ 142 StPO Baden 1864; Art. 148 StPO Thüringen 1850; Art. 121 StPO Starkenburg 1865; Art. 131 StPO Württemberg 1868; § 99 StPO Preußen 1867. 287 Art. 148 StPO Thüringen 1850; § 108 StPO Österreich 1853; Art. 206 StPO Sachsen 1855; § 122 StPO Baden 1845/§ 142 StPO Baden 1864; Art. 121/122 StPO Starkenburg/ Oberhessen 1865; § 49 StPO Lübeck 1862; Art. 244 StPO Württemberg 1843/Art. 131 StPO Württemberg 1868. 288 Art. 207 StPO Sachsen 1855; Art. 123 StPO Starkenburg/Oberhessen 1865; § 121 II StPO Baden 1845/§ 142 StPO Baden 1864; Art. 231 StPO Württemberg 1843, 6. Kap. „Von dem Verfahren bei Urkunden"/ Art. 136 StPO Württemberg 1868. 289 w. Thilo, Die Strafprozeßordnung für das Großherzogthum Baden, Anm. zu § 130, S. 103 f.

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Beschlagnahmeverbote fanden vor allem in die nach 1848 erlassenen Strafprozeßordnungen Eingang. Diese beschränkten einerseits das Beschlagnahmeverbot auf die mit dem Beschuldigten selbst gewechselten Briefe, erweiterten andererseits aber den Kreis der geschützten Vertrauenspersonen. Als erste setzte die StPO Hannover 1850 in § 105 Abs. 2 ein Beschlagnahmeverbot für die Korrespondenz zwischen dem Angeschuldigten und seinem Beichtvater sowie seinem Rechtsbeistand fest. Befreit war gleichfalls die Korrespondenz mit den Verwandten auf- oder absteigender Linie und dem Ehegatten. Vorausgesetzt wurde, daß sich die Briefe noch im Besitz der zeugnisverweigerungsberechtigten Personen befanden. Diese Vorschrift fand auch Eingang in die revidierte StPO Hannover 1859 (§112 Abs. 2). Eine entsprechende Vorschrift enthielt die StPO Starkenburg / Oberhessen 1865 (Art. 115). Die StPO Lübeck 1862 beschränkte das Beschlagnahmeverbot auf die Korrespondenz mit dem Beichtvater und dem Verteidiger. Ehegatte und Verwandte wurden nicht erwähnt. Voraussetzung war auch hier, daß sich die Briefe im Besitz der zeugnisverweigerungsberechtigten Personen befanden. Auch die StPO Preußen 1867 (§ 92) verbot die Beschlagnahme von Briefen, die mit dem Beichtvater oder Verteidiger gewechselt worden waren. Voraussetzung war hier, daß sich die Briefe beim Adressaten oder auf der Post befanden. Die StPO Baden 1864 (§ 147) enthielt als einzige Prozeßordnung keine Bestimmung darüber, in wessen Gewahrsam sich die Briefe befinden mußten, um beschlagnahmefrei zu sein. Hier waren Durchsuchung und Beschlagnahme immer ausgeschlossen, gleichgültig in wessen Besitz sich die Briefe befanden. (2) Beschlagnahme- und Verwertungsverbot in der Strafprozeßordnung Württembergs

von 1868

Während der Vorarbeiten zur StPO Württemberg 1968 waren die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeverbote Gegenstand ausführlicher Beratungen. Im Ergebnis erfuhr der Beschlagnahmeschutz mit Art. 134 Abs. 2 StPO Württemberg 1868 eine Ausdehnung zugunsten der persönlichen Vertrauensbeziehungen des Beschuldigten. Beschlagnahmefrei war nicht nur die zwischen dem Beschuldigten und seinen zeugnisverweigerungsberechtigten Angehörigen, seinem Verteidiger und seinem Beichtvater gewechselte Korrespondenz, sondern in beschränktem Umfang auch von Dritten an Dritte gerichtete Briefe, und zwar der Briefverkehr zwischen dem Verteidiger bzw. Beichtvater des Beschuldigten und dessen Angehörigen. Voraussetzung war jeweils, daß der Briefempfänger noch Gewahrsamsinhaber war. Bereits Art. 131 Abs. 2 des Entwurfs hatte die Briefe des Beichtvaters bzw. Verteidigers befreit, beschränkt allerdings auf die vom Beschuldigten oder dessen Angehörigen empfangenen Briefe. 290

290 Kommissionsbericht zu Art. 130; in: Die Neue Justizgesetzgebung des Königreiches Württemberg, 3. Bd., S. 184.

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Ferner wurde während der Beratungen in der Kommission die Frage diskutiert, welche verfahrensrechtlichen Folgen der Verstoß gegen ein solches Beschlagnahmeverbot haben sollte. Man bezeichnete es als eine Selbstverständlichkeit, daß auf eine Verletzung der Beschlagnahmeverbote in der Weise reagiert werden müsse, daß die dadurch rechtswidrig erlangten Kenntnisse im Strafverfahren keine weitere Verwendung finden dürften. Den Inhalt von unter Verstoß gegen Art. 134 StPO Württemberg 1868 beschlagnahmten Briefen sollte der Richter daher bei der Urteilsfällung nicht zu Grunde legen dürfen. Gedacht war an eine rechtliche Sanktionsmöglichkeit, die einige Zeit später mit Verwertungsverbot bezeichnet wurde. So hieß es in den Kommissionsberichten der Württembergischen Strafprozeßordnung, daß es „sich von selbst versteht, daß solche Correspondenzen, wenn je davon gelegentlich der Beschlagnahme von Papieren jener Personen Einsicht genommen wurde, in der Untersuchung nicht benutzbar sind." 291

Damit erweist sich die Annahme, der Gedanke eines Beweisverwertungsverbots sei erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Strafprozeßrechtslehre entstanden, als unzutreffend. Die Beweisverbotslehre wird im allgemeinen E. Beling zugerechnet 2 9 2 , der in seiner Schrift „Die Beweisverbote als Grenzen der Wahrheitserforschung im Strafprozeß" aus dem Jahr 1903 die prozessualen Wirkungen eines Beweisverbotes darin erblickte, daß aus verbotenen Beweismitteln keinerlei Erkenntnisse gewonnen werden durften, soweit dies dennoch verbotswidrig geschehen war, die Kenntnisse im Urteil keine Berücksichtigung finden sollten und ein in dieser Hinsicht fehlerhaftes Urteil anfechtbar war. 293 Bereits vor diesem Zeitpunkt war in der Rechtsprechung anerkannt, daß ein Beweisverbot ein Verwertungsverbot nach sich ziehen müsse. Im 20. Band leitete das Reichsgericht aus § 97 RStPO ein Verwertungsverbot ab mit der Folge, daß auf gesetzwidrige Weise erlangte Beweismittel bei der Urteilsfällung nicht berücksichtigt werden durften. 294 Schließlich haben die Gesetzgebungsarbeiten zur StPO Württemberg 1868 gezeigt, daß der Aspekt, daß Beweisverbote durch Verwertungsverbote sanktioniert sein müssen, um nicht leerzulaufen, schon in einer partikularen Strafprozeßordnung vor Erlaß der Reichsstrafprozeßordnung thematisiert wurde. 291 Kommissionsbericht zu Art. 131; in: Die Neue Justizgesetzgebung des Königreichs Württemberg, 3. Bd., S. 190. 292 Ζ. Β. K. Rogali, Gegenwärtiger Stand und Entwicklungstendenzen der Lehre von den strafprozessualen Beweisverboten, in: ZStW 91 Bd., 1979, S. 10, 23,44. 293 E. Beling, Die Beweisverbote als Grenzen der Wahrheitserforschung im Strafprozess, in: Strafrechtliche Abhandlungen, Heft 46, S. 30 f. 294 Urteil v. 7. November 1889, RG St 20, 91 ff.; daran anknüpfend RG St 47, 196; vgl. K. Amelung, Kommentar zur Strafprozeßordnung, 2. Bd., 1. Teilbd., Anm. zu § 97 StPO, RN 34; ders., Grundfragen der Verwertungsverbote bei beweissichernden Haussuchungen im Strafverfahren, in: NJW 1991, S. 2533.

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c) Die Beschlagnahme von Briefen auf der Post Wiederum in Sondervorschriften wurde in allen Prozeßordnungen die Beschlagnahme von Briefen auf der Post behandelt, d. h. solchen Sendungen, die bereits abgesandt, aber dem Empfanger noch nicht zugegangen waren, sich also noch auf dem Beförderungsweg befanden. 295 Beschlagnahmeobjekte waren nur die vom Angeschuldigten herrührenden und die an ihn gerichteten Sendungen.296 Wenn Anhaltspunkte dafür bestanden, daß Sendungen, die von Dritten an Dritte gerichtet waren, in Wirklichkeit vom Beschuldigten herrührten, in seinem Auftrag abgesandt worden waren oder für ihn bestimmt waren, durften auch diese beschlagnahmt werden. 297 Alle übrigen Sendungen, d. h. solche, die von Dritten abgesandt und an Dritte gerichtet waren, durften niemals beschlagnahmt werden. Art. 248 StPO Württemberg 1843 schrieb dies ausdrücklich vor. Wenn der Verdacht bestand, daß solche Sendungen Beweiserhebliches enthielten, war es nur möglich, ihren Absender oder Empfänger als Zeuge über den Inhalt zu vernehmen. 298 In der Mehrzahl der Partikularstaaten waren die Verhaftung bzw. vorläufige Festnahme des Angeschuldigten oder zumindest der Erlaß eines Haft- oder Vorführungsbefehls die Voraussetzung für die Anordnung einer Postbeschlagnahme.299 Andere Prozeßordnungen erlaubten die Postbeschlagnahme unabhängig von einer Verhaftung oder vorläufigen Festnahme schon dann, wenn der Verdächtige in den Anschuldigungsstand versetzt war und die betreffenden Sendungen als Beweismittel in Frage kamen. 300

295

H. Knapp, Die Strafprozeßordnung für das Königreich Württemberg, Anm. zu Art. 246, S. 127 f. 29 * § 113 I StPO Hannover 1859; Art. 152 I StPO Thüringen 1850; § 110 StPO Österreich 1853; Art. 209 I StPO Sachsen 1855; Art. 126 I StPO Starkenburg/Oberhessen 1865; § 125 StPO Baden 1845/§ 143 StPO Baden 1864; § 51 StPO Lübeck 1862; Art. 246 I StPO Württemberg 1843/Art. 1371 StPO Württemberg 1868; § 104 StPO Preußen 1867. 291 Art. 209 I, S. 2 StPO Sachsen 1855; Art. 246 ΙΠ StPO Württemberg 1843/Art. 137 ΙΠ StPO Württemberg 1868; Art. 1261, S. 2 StPO Starkenburg/Oberhessen 1865. 298 H. Knapp, Die Strafprozeßordnung für das Königreich Württemberg, Anm. zu Art. 248, S. 129 f. 299 § 125 I StPO Baden 1845/§ 143 StPO Baden 1864; Art. 152 I StPO Thüringen 1850; Art. 209 StPO Sachsen 1855; Art. 126 I StPO Starkenburg/Oberhessen 1865; Art. 137 I StPO Württemberg 1868. 300 Art. 246 I StPO Württemberg 1843; § 113 I StPO Hannover 1859; § 110 Österreich StPO 1853; Art. 103 StPO Oldenburg 1857; § 51 i.V.m. § 50 StPO Lübeck 1862; § 104 i.V.m. § 91 StPO Preußen 1867: wenn es sich bei den Briefen um „Überführungsstücke" handelt, die „den Gegenstand der Untersuchung bilden oder über denselben Aufschluß gewähren. "

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Die Strafprozeßordnungen von Baden (1864) und von Württemberg (1868) schlossen eine Postbeschlagnahmebeschlagnahme bei leichteren Vergehen wegen UnVerhältnismäßigkeit ganz aus. 301 Wie bereits im Zusammenhang mit der Papierdurchsuchung erwähnt, galt in einer Vielzahl von Staaten in formeller Hinsicht auch für Postbeschlagnahmen der Richtervorbehalt. 302 Anders als bei Wohnungsdurchsuchungen mußte hier selbst bei Fällen von Gefahr in Verzug zumindest nachträglich ein richterlicher Befehl erteilt werden. Das einzige Zugeständnis, das man im Interesse einer effektiven Strafverfolgung machte, war die 24-Stunden-Frist zur Nachholung des Befehls. Art. 152 Abs. 2 StPO Thüringen 1850 und § 110 StPO Österreich 1853 billigten nur der Staatsanwaltschaft eine Eilzuständigkeit zu. Sie durfte die Postbehörden zum Anhalten von Sendungen bzw. zur Auslieferung der ungeöffneten Briefe an den Richter anweisen, mußte aber binnen 24 Stunden eine Entscheidung des Untersuchungsrichters einholen. In Preußen allerdings konnte die Staatsanwaltschaft selbständig Postbeschlagnahmen anordnen und die Sendungen auch öffnen (§ 104 i.V.m. § 62 StPO Preußen 1867). Ein Nachholen der richterlichen Entscheidung war nicht vorgesehen. Nur auf Verlangen des Betroffenen wurde gem. § 105 eine richterliche Entscheidung herbeigeführt. Erst 14 Tage nach Antragstellung mußte die Staatsanwaltschaft die Sache dem Gericht zur Beschlußfassung vorlegen. Fast alle Prozeßordnungen schrieben mit geringen Abweichungen vor, daß den Beteiligten von der Beschlagnahme Mitteilung zu machen war, sofern daraus keine Nachteile für die Untersuchung entstanden. Briefe, die nicht geöffnet wurden, waren an den Adressaten oder an den Absender, bei deren Abwesenheit an den Bevollmächtigten oder einen Familienangehörigen, zurückzugeben. Gleiches galt, wenn nach der Eröffnung festgestellt wurde, daß die Briefe überhaupt keinen oder nur teilweise einen verfahrenserheblichen Inhalt hatten. Dann waren sie entweder an die Beteiligten zurückzusenden oder es mußte ihnen der unverfängliche Teil des Briefes mitgeteilt werden. 303 4. Die Beschlagnahme sonstiger Beweismittel

Die Mehrzahl der Strafprozeßordnungen enthielt gesetzliche Bestimmungen nur für die Beschlagnahme von Briefen und Papieren einschließlich der Postbeschlag301 § 134 StPO Baden 1845/§ 148 StPO Baden 1864; Art. 246 StPO Württemberg 1843: es mußte ein „ nicht bloß mit Geldbuße oder Bezirksgefängnis bedrohtes Vergehen " vorliegen/Art. 137 StPO Württemberg 1868: „vor die höheren Gerichte gehörige Straßare Handlungen 302 § 141 StPO Baden 1864; Art. 125 StPO Württemberg 1868; Art. 147 StPO Thüringen 1850; Art. 101 Oldenburg 1857. 303 Art. 154 StPO Thüringen 1850; § 111 StPO Österreich 1853; Art. 210 StPO Sachsen 1855; §§ 125 II, 129 StPO Baden 1845/§§ 144, 145, 146 StPO Baden 1864; § 51 StPO Lübeck 1862; Art. 250 StPO Württemberg 1843/Art. 1391 StPO Württemberg 1868.

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nähme, da es sich hierbei um ein politisch besonders brisantes Thema handelte, während die Beschlagnahme sonstiger Beweismittel nicht erwähnt wurde. Hier ließ sich nur aus den Vorschriften über die Durchsuchung schließen, daß die im Zuge einer Durchsuchung aufgefundenen Beweisgegenstände auch in amtliche Verwahrung genommen werden durften. 304 Diese Art von strafprozessualem Beschlagnahmeschutz ist ein Produkt des Liberalismus. Maßgeblich ging es um den Schutz der geistigen Inhalte, nicht um das bei einer Papierbeschlagnahme regelmäßig auch betroffene Eigentumsrecht. Hinsichtlich der sonstigen Beweisgegenstände blieb es bei dem aus dem Inquisitionsverfahren stammenden Grundsatz, daß jedermann ohne Einschränkungen zur Herausgabe und Duldung der zwangsweisen Wegnahme von Beweisstücken verpflichtet war. Eine Reihe der späteren, nach 1848/49 erlassenen Strafprozeßordnungen - allerdings unter allen Strafprozeßordnungen die geringere Zahl - enthielt selbständige Bestimmungen über die allgemeine Beschlagnahme von Beweismitteln. Allerdings erschöpfte sich hier der gesetzliche Beschlagnahmeschutz weitgehend in der Festlegung, daß nur Gegenstände mit einer möglichen Beweisbedeutung beschlagnahmt werden durften. Ein der Regelung in der späteren Reichsstrafprozeßordnung vergleichbarer Schutz, wonach ein richterlicher Beschlagnahmebefehl grundsätzlich erforderlich war, mindestens vom Betroffenen erwirkt werden konnte, war in keiner dieser Länderstrafprozeßordnungen zu finden. 305 Der Abschnitt über die Beschlagnahme befand sich in den genannten Strafprozeßordnungen meistens im Anschluß an die Wohnungsdurchsuchung und bildete auf diese Weise einen bloßen Annex zu jener. 306 Es schlossen sich die behandelten Beschlagnahmeverbote an. Nur die StPO Preußen 1867 zog wie später die Reichsstrafprozeßordnung die Bestimmungen über die Beschlagnahme räumlich vor die Durchsuchung.

5. Die Durchsuchung (Wohnungs-, Personenund sonstige Durchsuchungen)

a) Die allgemeine Hausdurchsuchung Auch in den reformierten Strafprozeßordnungen blieben die allgemeine Hausdurchsuchung und die Durchsuchung von Orten, die der Öffentlichkeit zugänglich waren, erhalten. Erst die Reichsstrafprozeßordnung schaffte die Privilegierung der allgemeinen Hausdurchsuchung und der Durchsuchung von öffentlichen Gebäuden ab. 3 0 7 304 §§ 121-134 StPO Baden 1845/§§ 139-148 StPO Baden 1864; Art. 240, Art. 246250 StPO Württemberg 1843; Art. 146-155 StPO Thüringen 1850; §§ 108 ff. StPO Österreich 1853; Art. 197-210 StPO Sachsen 1855; Art. 113-115, Art. 126, 127 StPO Starkenburg/Oberhessen 1865; vgl. auch R.-J. Freyberg, Über die Beschlagnahme, S. 62. 305 § 112 StPO Hannover 1859; § 50 StPO Lübeck 1862; Art. 131 StPO Württemberg 1868; Art. 100 StPO Oldenburg 1857; Art. 91 StPO Preußen 1867. 306 R..J; Freyberg, Über die Beschlagnahme, S. 64. 10 Austermühle

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Die für die Thüringischen Länder erlassene StPO erlaubte in Art. 144 Abs. 3 die allgemeine Hausdurchsuchung in einem ganzen Ort oder in einem Ortsteil sowie in „ öffentlichen Lokalitäten mit Einschluß der Gasthäuserwenn „aus Umständen wahrscheinlich " war, daß irgendwelche Beweismittel aufgefunden wurden. Im Vergleich hierzu war die Durchsuchung im Haus eines einzelnen Tatunverdächtigen gem. Art. 144 Abs. 2 an strengere Voraussetzungen gebunden, da in diesem Fall nur nach ganz bestimmten Gegenständen gesucht werden durfte, der Hausinhaber zunächst nach dem Besitz der Gegenstände zu befragen war und erst im Fall des Leugnens oder der Verweigerung der Herausgabe zur Hausdurchsuchung geschritten werden durfte. Die Strafprozeßordnungen von Sachsen (Art. 203 Abs. 2 StPO Sachsen 1855) und von Starkenburg (Art. 118 StPO Starkenburg/Oberhessen 1865) enthielten eine entsprechende Regelung. Zusätzlich stellten sie die im Zuge einer allgemeinen Hausdurchsuchung vorgenommenen Brief- und Papierbeschlagnahmen von den sonst für die spezielle Durchsuchung bei Dritten geltenden Bedingungen frei. Auch die StPO Baden privilegierte die allgemeine Hausdurchsuchung (§ 116 StPO Baden 1845/§ 133 StPO Baden 1864) und die Durchsuchung in „Häusern, welche dem Publikum offenstehen, namentlich in Gasthäusern" (§112 StPO Baden 1845/ § 130 StPO Baden 1864). Es genügte in beiden Fällen, wenn „aus Umständen wahrscheinlich" war, daß die Durchsuchung zur Ergreifung des Täters oder zum Auffinden von Beweismitteln führte. Dabei reichte es schon aus, wenn wegen der Natur des Verbrechens oder der persönlichen Verhältnisse des Täters eine Durchsuchung erfahrungsgemäß zum Erfolg führte. Konkrete Anhaltspunkte, die den Verdacht stützten, wurden nicht gefordert. 308 Sollte hingegen bei einem bestimmten Dritten durchsucht werden, wurde „dringende Wahrscheinlichkeit" y daß der Täter oder Beweismittel gefunden wurden, verlangt (§115 Abs. 1). Ferner mußte der Dritte zunächst zur freiwilligen Herausgabe bestimmter Beweismittel aufgefordert werden, bevor zur zwangsweisen Durchsuchung in Form der Hausdurchsuchung geschritten werden durfte (§ 115 Abs. 2). Nach der StPO Württemberg 1868 genügte für eine Hausdurchsuchung „in Häusern, zu welchen jeder Zutritt hat" sowie in „ganzen Ortschaften und bestimmten Abtheilungen derselben" (Art. 122) die Vermutung, daß sie zum Erfolg führte, während bei einer einzelnen, nicht beschuldigten Person „dringende Wahrscheinlichkeit" erforderlich und die Durchsuchung erst nach Aufforderung zur freiwilligen Herausgabe erlaubt war (Art. 123 Abs. 2).

307

EO. Schwarze, Commentar zur Deutschen Strafprozeßordnung, Anm. zu § 102, RN 5, S. 235. 308 w. Brauer/L. v. Jagemann (Hrsg.), Beiträge zur Erläuterung der neuen Strafgesetzgebung im Großherzogthum Baden, 1. Bd., S. 320.

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Die großzügige Zulassung der allgemeinen Hausdurchsuchung und der Durchsuchung von öffentlichen Orten läßt sich nur damit erklären, daß man in ihr nach wie vor die weniger einschneidende Maßnahme sah, weil sie den Verdacht nicht auf eine bestimmte Person lenkte und das öffentliche Ansehen nicht beeinträchtigte. So hieß es im Hinblick auf die allgemeine Hausdurchsuchung: „Bei allgemeinen Haussuchungen wird keine bestimmte Person verdächtigt. Hier mag ein geringerer Grad des Verdachts genügen. Gleiches ist der Fall bei Häusern, welche dem Publikum offenstehen. Wegen der einkehrenden, dem Wirthe oft unbekannten Personen wird auf denselben kein Verdacht geworfen." 309

b) Die spezielle Durchsuchung aa) Die Durchsuchungsobjekte Während in früheren Strafprozeßordnungen nur von „Haussuchungen" die Rede war und somit nur Wohnungsdurchsuchungen erfaßt wurden, erweiterten die reformierten Strafprozeßordnungen die Durchsuchungsobjekte und dehnten damit den gesetzlichen Schutz aus. Der Anwendungsbereich bezog sich nun auch auf andere Räumlichkeiten, bewegliche Gegenstände sowie schließlich auf Personen. Als erste Strafprozeßordnung erweiterte die StPO Osterreich 1853 die Durchsuchungsobjekte auf andere Räumlichkeiten außerhalb der Wohnung sowie auf die Person und deren Kleidungsstücke (§ 104). Auch die StPO Sachsen 1855 kannte neben der Wohnungsdurchsuchung die Durchsuchung „sonstiger Räumlichkeiten" (Art. 196 Abs. 1) sowie die Personendurchsuchung (Art. 196 Abs. 3). Zur Klarstellung war die Bezeichnung „Aussuchung" statt „Haussuchung" gewählt. Vergleichbare Regelungen enthielten die Strafprozeßordnungen von Baden (1864), von Starkenburg und von Württemberg (1868). 310

bb) Die Durchsuchung beim Beschuldigten Die überwiegende Zahl der Strafprozeßordnungen unterschied nun zwischen der Durchsuchung beim Beschuldigten und derjenigen bei einem nicht verdächtigen Dritten. 311 Für letztere galten strengere Voraussetzungen.

309 W. Thilo, Strafprozeßordnung für das Großherzogthum Baden, Vorbem. zum XI. Titel, S. 95. 310 § 134 StPO Baden 1864: andere Räumlichkeiten und Personen; StPO Starkenburg/ Oberhessen 1865: Art. I l l I: andere Räumlichkeiten; Art. 111 ΙΠ: Personen; StPO Württemberg 1868: Art. 124: andere Räumlichkeiten; Art. 130: Personen.

311 StPO Sachsen 1855, StPO Starkenburg/Oberhessen 1865, StPO Preußen 1867, StPO Baden 1864, StPO Württemberg 1868. 1*

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Für die Durchsuchung beim Beschuldigten verlangten alle Prozeßordnungen, daß dieser bereits die Eigenschaft eines „ Angeschuldigten " besaß, d. h. ein förmliches Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet war. Ferner mußte der Verdacht bestehen, daß durch die Durchsuchung beim Angeschuldigten entweder Beweismittel gefunden oder der Beschuldigte aufgegriffen wurde. An diesen Verdacht wurden unterschiedliche Anforderungen gestellt. Mitunter reichte insoweit schon eine Vermutung aus. 312 In anderen Prozeßordnungen wurde Wahrscheinlichkeit verlangt. 313 Die StPO von Hannover von 1859 verlangte insoweit „dringende Wahrscheinlichkeit Mitunter regelten die Vorschriften nunmehr ganz präzise, worauf sich der erforderliche Verdacht beziehen mußte. Gem. § 114 StPO Baden 1845/§ 131 StPO Baden 1864 durfte nur nach solchen Beweismitteln gesucht werden, „die zum Beweis des Thatbestandes des Verbrechens, worauf die Untersuchung geht, oder zur Überweisung des Angeschuldigten dienen. " Der Eingriff war damit durch den Untersuchungsgegenstand, d. h. die konkrete Tat, begrenzt. Andere Gesetze enthielten ähnlich genaue Bestimmungen.314

cc) Die Durchsuchung bei Dritten Die Strafprozeßordnungen, die zwischen der Durchsuchung beim Verdächtigen und bei unverdächtigen dritten Personen unterschieden, knüpften letztere an strengere Voraussetzungen. Mitunter wurde ein im Vergleich zur Durchsuchung beim Verdächtigen höherer Grad an Wahrscheinlichkeit verlangt, daß diese zum Erfolg führte. § 115 StPO Baden 1845/§ 132 StPO Baden 1864 verlangten für die Durchsuchung bei Dritten „ dringende Wahrscheinlichkeitwobei nach StPO Baden 1845 diese Wahrscheinlichkeit auf besonderen Verdachtsmomenten beruhen mußte (ζ. B. auf einer Äußerung des Beschuldigten, einer Zeugenaussage etc.) 315 . Eine entsprechende Regelung enthielt die StPO Württemberg 1868 (Art. 123 Abs. 1: „ wenn dringend wahrscheinlich gemacht ist, daß ...")· Die überwiegende Zahl der Strafprozeßordnungen ließ die Hausdurchsuchung bei Dritten erst zu, wenn diese zuvor erfolglos zur Herausgabe aufgefordert wor312 Art. 238 StPO Württemberg 1843: „hinreichender Grund zu der Vermuthung"; Art. 144 I Thüringen: „wenn zu vermuthen ist"; Art. 196 I StPO Sachsen 1855: „wenn zu vermuthen ist"; Art. 92 I StPO Oldenburg 1857: „hinreichende Gründe zu der Vermuthung"; Art. 1111 StPO Starkenburg/Oberhessen 1865: „wenn zu vermuthen ist". 313 § 93 I StPO Preußen 1867: „mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen"; § 114 StPO Baden 1845/§ 131 StPO Baden 1864: „wenn wahrscheinlich ist"; StPO Württemberg 1868: „eine auf bestimmten Tatsachen beruhende Wahrscheinlichkeit"; § 104 StPO Österreich 1853: „wenn gegründeter Verdacht vorliegt". 314 Z. B. § 104 StPO Österreich 1853; § 196 I StPO Sachsen 1855; Art. 123 I StPO Württemberg 1868. 315 W. Brauer/L. v. Jagemann (Hrsg.), Beiträge zur Erläuterung der neuen Strafgesetzgebung im Großherzogthum Baden, S. 324.

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den waren. Der Betroffene sollte die Möglichkeit haben, ein drohendes gewaltsames Einschreiten in Form der Hausdurchsuchung durch die freiwillige Herausgabe abzuwenden. Erst wenn er den Besitz leugnete oder die Herausgabe verweigerte, durfte zur Hausdurchsuchung geschritten werden. In der StPO Württemberg 1843, die noch keine Sondervorschrift über die Durchsuchung bei Dritten kannte, ergab sich dies aus der analogen Anwendung des Art. 226 des 6. Kapitels, das „Won dem Verfahren bei Urkunden" handelte. Die Vorschrift wurde entsprechend auch auf andere Beweismittel angewendet.316 Die späteren Strafprozeßordnungen regelten dies ausdrücklich. 317 Allerdings ließen einige Strafprozeßordnungen - mitunter im beträchtlichen Umfang - Ausnahmen zu, in denen von einer vorherigen Aufforderung zur Herausgabe abgesehen und sofort zur Hausdurchsuchung geschritten werden durfte. Es galten dann wiederum die Voraussetzungen einer Hausdurchsuchung beim Angeschuldigten. Es handelte sich hierbei ζ. T. um Fälle von Gefahr in Verzug. 318 Die weitreichendsten Ausnahmen ließ dagegen die StPO Preußen 1867 in § 94 zu. Danach galten die für die Hausdurchsuchung bei Dritten geltenden Beschränkungen nicht für Wohnungen oder Räume, in denen der Beschuldigte ergriffen wurde, oder welche er betreten hatte, nachdem er bei Ausführung der strafbaren Tat oder gleich nach derselben angetroffen worden war. Sie galt ferner nicht bei Personen, die unter Polizeiaufsicht standen, und nicht für „Orte, welche der Polizei als Schlupfwinkel des Hazardspiels, als Herbergen und Versammlungsorte von Verbrechern, als Niederlagen gestohlener und auf ähnliche Weise erlangter Sachen oder als Aufenthaltsorte liederlicher Frauenzimmer bekannt sind",

sowie schließlich für Orte, „in welchen das Publikum ohne Unterschied zugelassen wird, solange diese Orte dem Publikum zum ferneren Verweilen geöffnet sind."

Mit diesen Regelungen wurde aus Gründen der effektiven Strafverfolgung eine große Gruppe von Orten von dem besonderen Schutz, den man sonst Tatunbeteiligten zubilligte, ausgeschlossen.

dd) Die Durchsuchung der Person Wie bereits erwähnt, erweiterten spätere Strafprozeßordnungen die Durchsuchungsobjekte auf weitere Räumlichkeiten neben der Wohnung, auf bewegliche

316 H. Knapp, Die Strafprozeßordnung für das Königreich Württemberg, Anm. zu Art. 238, S. 122. 317 Art. 196 II StPO Sachsen 1855, Art. I l l I I StPO Starkenburg/Oberhessen 1865; § 115 I I StPO Baden 1845/§ 132 StPO Baden 1864; Art. 123 I I StPO Württemberg 1868; § 93 I I StPO Preußen 1867. 318 Art. 203 I I StPO Sachsen 1855, Art. 118 StPO Starkenburg/Oberhessen 1865.

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Gegenstände sowie schließlich auf die Person und deren Kleidung. Dabei wurde nach der Intensität des Eingriffs in die persönliche Geheimsphäre differenziert. Die Personendurchsuchung, die in die Körpersphäre eingriff und im Vergleich zu anderen Formen der Durchsuchung die einschneidendere Maßnahme darstellte, wurde strengeren Voraussetzungen unterstellt als ζ. B. die Hausdurchsuchung. In der Regel unterwarf man sie den Bedingungen, die sonst für die Hausdurchsuchung bei Dritten galten. Das bedeutete, daß die Durchsuchung von Kleidung und Person erst dann gestattet war, wenn nach ganz bestimmten Gegenständen gesucht wurde und die betreffende Person nach der Aufforderung zur freiwilligen Herausgabe von Beweisgegenständen deren Besitz leugnete oder die Herausgabe verweigerte. 319 Art. 111 Abs. 3 S. 2 bestimmte außerdem, daß die Durchsuchung „durch eine nötigenfalls zu beeidigende, ehrbare Frau vorgenommen " werden mußte, wenn es sich bei der betreffenden Person um eine Frau handelte.

c) Der „Erforderlichkeitsgrundsatz" Eine große Anzahl von Strafprozeßordnungen schrieb nun in einer besonderen Vorschrift die Wahrung einer Art von Erforderlichkeitsgrundsatz" vor. Gem. § 120 StPO Baden 1845/§ 137 Abs. 1 StPO Baden 1864 war alles zu vermeiden, „ was eine nicht durch den Zweck der Handlung im einzelnen Fall gebotene Belästigung der Hausbewohner" bedeutet hätte. Vergleichbare Bestimmungen enthielten die StPO Sachsen 1855 in Art. 207 Abs. 1, die StPO Starkenburg/Oberhessen 1865 in Art. 123 Abs. 1 und die StPO Württemberg 1868 in Art. 127 Abs. 1. Eine Durchsuchung durfte immer nur in dem Umfang vorgenommen werden, in dem dies zur Erreichung des konkreten Zwecks erforderlich war. Die Vorschrift enthielt einen allgemeinen Grundsatz, der in verschiedenen Vorschriften eine Konkretisierung gefunden hatte. Das Gebot, Dritte zur freiwilligen Herausgabe der gesuchten Gegenstände aufzufordern sowie das Verbot, Hausdurchsuchungen zur Nachtzeit vorzunehmen, wurden als spezielle Ausprägung dieses Grundsatzes begriffen. 320 Begrenzungsfunktion hatte die Vorschrift aber auch, wenn es an einer solchen speziellen Vorschrift fehlte. So sollte die Durchsuchung von Orten oder Gegenständen, welche für den zu erreichenden Zweck nicht erheblich sein konnte, unterbleiben. Nicht jede Wohnungsdurchsuchung berechtigte ζ. B. zugleich auch zur Durchsicht sämtlicher Briefe und Papiere. 321

319 Art. 196 ΙΠ StPO Sachsen 1855; § 104 StPO Österreich 1853; Art. 111 m StPO Starkenburg / Oberhessen 1865. 320 w. Brauer/L. v. Jagemann (Hrsg.), Beiträge zur Erläuterung der neuen Strafgesetzgebung im Großherzogthum Baden, S. 318. 321 H. Knapp, Die Strafprozeßordnung für das Königreich Württemberg, S. 122; W. Brauer/ L. v. Jagemann (Hrsg.), Beiträge zur Erläuterung der neuen Strafgesetzgebung für das Großherzogthum Baden, S. 318.

3. Abschn.: Die Geheimsphäre im Strafprozeßrecht

d) Speziell: Das Nachtzeitverbot

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bei Hausdurchsuchungen

Eine ganze Reihe von Strafprozeßordnungen verbot nun ausdrücklich, die Hausdurchsuchung zur Nachtzeit durchzuführen. 322 Von diesem Grundsatz durfte aber - mitunter im beträchtlichen Umfang - abgewichen werden. Baden, Thüringen, Österreich und Württemberg erlaubten Ausnahmen in dringenden Fällen. 323 Das Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit für Preußen von 1850 und die StPO Preußen 1867 enthielten dann allerdings einen ganzen Katalog von Ausnahmen, in denen auch zur Nachtzeit ein Haus durchsucht oder zumindest betreten werden durfte. Das Gesetz vom 12. 2. 1850 unterschied das bloße Betreten einer fremden Wohnung (§§ 7 - 1 0 ) von ihrer Durchsuchung (§11 und § 12), wobei in beiden Fällen sowohl präventive als auch repressive Maßnahmen erfaßt wurden. Im folgenden sollen nur die Eingriffe zum Zweck der Strafverfolgung Berücksichtigung finden. Das Betreten der Wohnung zur Nachtzeit war in verschiedenen Fällen von Gefahr in Verzug erlaubt (§ 10: zum Zweck der vorläufigen Ergreifung oder Festnahme einer Person, wenn sie auf frischer Tat verfolgt wurde, oder zur Wiederergreifung eines entwichenen Gefangenen). Eine Reihe von Orten war generell auch ohne Gefahr in Verzug von der Schutzbestimmung ausgenommen. Dazu gehörten Orte, die der Öffentlichkeit auch nachts zugänglich waren (§ 9). Zusätzlich zu den Ausnahmen des § 9 war ein Durchsuchen der Wohnung zur Nachtzeit auch in den Fällen des § 12 Ziff. 1 - 3 erlaubt. Dies galt für Wohnungen von Personen, die unter Polizeiaufsicht standen (Ziff. 1), Orte des unerlaubten Glücksspiels und der Prostitution, Orte, die der Polizei als „ Versammlungsorte von Verbrechern" und „Niederlagen verbrecherisch erworbener Sachen " bekannt waren (Ziff. 2). Der Grund für den Ausschluß dieser Orte vom Nachtzeitverbot bestand wohl darin, daß entweder hier eine Störung der Nachtruhe nicht in Betracht kam, wie ζ. B. bei Orten, die auch nachts noch der Allgemeinheit zugänglich waren, oder eine Durchsuchung gerade zur Nachtzeit für besonders erfolgversprechend gehalten wurde. Die StPO Preußen 1867 übernahm den Katalog weitgehend. § 96 erlaubte Hausdurchsuchungen zur Nachtzeit in Wohnungen von Personen, die der Polizeiaufsicht unterstanden, an Orten des unerlaubten Glücksspiels und der Prostitution, in Versammlungsorten des Verbrechens und Niederlagen von durch strafbare Handlungen erlangten Gegenständen.

322 § 120 I I StPO Baden 1845/§ 137 I StPO Baden 1864; Art. 145 IV StPO Thüringen 1856; § 107 S. 2 StPO Österreich 1853; Art. 127 I StPO Württemberg 1868; § 6 Gesetz vom 12. 2. 1850 zum Schutz der persönlichen Freiheit für Preußen; § 96 StPO Preußen 1867. 323 § 120 StPO Baden 1845/§ 137 Π StPO Baden 1864; Art. 145 IV StPO Thüringen 1850; § 107 I, S. 2 StPO Österreich 1853; Art. 1271 StPO Württemberg 1868.

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2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

e) Die Anordnungszuständigkeit In der Mehrzahl der deutschen Territorialstaaten galt für Hausdurchsuchungen im Grundsatz der Richtervorbehalt. 324 Nur in Ausnahmefällen bei Gefahr in Verzug besaßen auch Staatsanwaltschaft oder Polizei die Entscheidungsbefugnis. 325 In der Mehrzahl der Länder wurde deshalb der durch § 140 FRV gesetzte Standard erreicht. 326 Nur in Preußen galten wiederum abweichende Bestimmungen. § 11 des Gesetzes vom 12. 2. 1850 erlaubte zwar die Wohnungsdurchsuchung grundsätzlich nur unter Mitwirkung des Richters oder der Polizei. Die Wohnung zu betreten, war hingegen auch der Polizei erlaubt, sofern sie von einer gesetzlich ermächtigten Behörde hierzu einen Auftrag erhalten hatte (§ 7). 3 2 7 In der StPO Preußen 1867 war dann die von Polizei oder Staatsanwaltschaft selbständig durchgefühlte Durchsuchung nicht mehr eindeutig auf Ausnahmefälle begrenzt. § 95 erlaubte Staatsanwaltschaft und Polizei, „nach Bewandtnis des Falles" eine Hausdurchsuchung vorzunehmen. 328

f) Die Form- und Verfahrensvorschriften aa) Die in § 140 FRV für den Durchsuchungsbefehl angeordnete Schriftlichkeits-, Begründungs- und Zustellungspflicht wurde nur in zwei Strafprozeßordnungen vollständig umgesetzt: Art. 145 Abs. 1 StPO Thüringen 1850 ordnete an, daß der schriftlich abgefaßte und mit Gründen versehene Befehl dem Betroffenen sofort oder spätestens 24 Stunden danach zugestellt werden mußte. § 105 StPO Österreich 1853 enthielt eine entsprechende Regelung. § 110 Abs. 1 S. 2 StPO Hannover 1859 und Art. 125 StPO Württemberg 1868 sahen die Zustellung eines schriftlichen Befehls nur in den Fällen vor, in denen der Richter die Hausdurch324 Art. 145 I StPO Thüringen 1850; § 110 StPO Hannover 1859; § 105 I StPO Österreich 1853; Art. 93 StPO Oldenburg 1857; § 118 StPO Baden 1845/§ 135 StPO Baden 1864; Art. 125 StPO Württemberg 1868. 325 Art. 145 III StPO Thüringen 1850: bei Verfolgung auf frischer Tat und Gefahr in Verzug, bei Jagd - und Forstvergehen sogar die Forstbeamten; § 55 StPO Hannover 1859: bei Verfolgung auf frischer Tat Staatsanwaltschaft, Polizeibeamte und Forstaufseher; § 106 StPO Österreich 1853, Art. 94 StPO Oldenburg 1857 und §§ 41 Nr. 4, 51 StPO Baden 1845/§ 53 StPO Baden 1864: bei Verfolgung auf frischer Tat oder Gefahr in Verzug die Staatsanwaltschaft und Polizei; Art. 126 StPO Württemberg 1868: zum Zweck der Wiederverhaftung eines entwichenen Gefangenen, bei Personen, die unter Polzeiaufsicht standen, bei Verfolgung auf frischer Tat sowie bei Gefahr in Verzug. 326 J.-D. Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, S. 340. 327 G. Anschütz, Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat, 1. Bd., Anm. zu Art. 6, S. 146. 328 Kritisch hierzu: C. v. Stemann, Einige Bemerkungen über die Strafprozeßordnung vom 25. Juni 1867; in: Archiv des Preußischen Criminalrechts , 1867, S. 649 ff.

3. Abschn.: Die Geheimsphäre im Strafprozeßrecht

153

suchung auf die Polizei oder Gemeindebeamte delegiert hatte. In Hannover mußte zusätzlich ein entsprechender Antrag des Betroffenen gestellt worden sein. 329 bb) In den meisten Strafprozeßordnungen war vorgeschrieben, daß die Hausdurchsuchung, sofern sie vom Richter angeordnet worden war, grundsätzlich auch unter dessen persönlicher Leitung stattzufinden hatte. Dabei wurde der Untersuchungsrichter verpflichtet, Urkundenpersonen als Zeugen oder einen Protokollführer hinzuzuziehen.330 Von dem Grundsatz der richterlichen Durchführung wurden Ausnahmen zugelassen. Diese waren mitunter eng begrenzt auf Fälle, in denen die Hausdurchsuchung in einem anderen Gerichtsbezirk vorzunehmen war, oder auf Fälle von geringerer Bedeutung.331 In anderen Ländern war der Schutz in dieser Hinsicht schwächer ausgestaltet. Hier konnte die Hausdurchsuchung ohne besondere Voraussetzungen „nach Befinden" des Untersuchungsrichters oder bereits „in geeigneten Fällen" 3 3 4 auf eine andere Person, ζ. B. die Polizei oder auf Gerichtsbeamte, übertragen werden. Für diese Fälle wurde wenigstens teilweise verlangt, daß dann zwei Urkundspersonen hinzuzuziehen waren 335 oder die beauftragten Personen wenigstens einen schriftlichen Befehl vorweisen mußten. 336 cc) Uberall mußte der Durchsuchung der Wohnungsinhaber - ganz gleich, ob es sich um den Tatverdächtigen oder einen Dritten handelte - hinzugezogen werden, bei seiner Abwesenheit ein Familienangehöriger oder ein Nachbar. 337

329

Anders noch § 103 I StPO Hannover 1850, der für die Zustellung eines schriftlichen Befehls noch nicht ein Verlangen des Betrofffenen gefordert hatte. 330 Art. 241 StPO Württemberg 1843: zwei Gerichtszeugen; § 118 StPO Baden 1845/ § 135 StPO Baden 1864: ein Protokollführer und ein oder zwei Urkundenpersonen. 331 Art. 241 StPO Württemberg 1843: „in minder wichtigen Fällen" und wenn die Hausdurchsuchung „an einem Orte außerhalb des Amtssitzes vorzunehmen ist". Es konnte der Orts Vorsteher beauftragt werden, der dann zwei Gemeinderäte hinzuziehen mußte; § 118 StPO Baden 1845: „in geringeren Fällen" konnte die Hausdurchsuchung auf den Bürgermeister, den Polizeibeamten oder den Protokollführer, aber nur kraft schriftlichen Auftrags übertragen werden, der dann aber ein oder zwei Urkundspersonen hinzuzuziehen hatte; Art. 125 StPO Württemberg 1868: „wenn sie an einem Ort außerhalb des Gerichtsbezirk vor sich gehen soll" und „ in minder wichtigen Fällen " konnte der Gemeindevorsteher beauftragt werden. 332 Art. 203 StPO Sachsen 1855; Art. 116 StPO Starkenburg/Oberhessen 1865; § 44 StPO Lübeck 1862. 333 Art. 145 StPO Thüringen 1850. 334 Art. 93 StPO Oldenburg 1857. 335 Art. 145 I StPO Thüringen 1850; Art. 116 StPO Starkenburg/Oberhessen 1865. 336 Art. 125 StPO Württemberg 1868; Art. 93 StPO Oldenburg 1857. 337 § H Gesetz Preußens vom 12. 2. 1850 zum Schutz der persönlichen Freiheit; Art. 145 IV S. 2 StPO Thüringen 1850; § 110 StPO Hannover 1859; § 107 StPO Österreich 1853; Art. 204 StPO Sachsen 1855; Art. 96 II StPO Oldenburg 1857; Art. 119 StPO Starkenburg 1865; § 119 StPO Baden 1845/§ 136 I StPO Baden 1864; § 46 I I StPO Lübeck 1862; Art. 242 StPO Württemberg 1843/Art. 127 I I StPO Württemberg 1868.

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2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

In den Strafprozeßordnungen von Thüringen, Sachsen, Oldenburg, Starkenburg, Baden (1864) und Württemberg (1868) wurde die Hinzuziehung des Wohnungsinhabers davon abhängig gemacht, daß der Untersuchungszweck nicht gefährdet wurde. War dies der Fall, mußte wenigstens ein Familienangehöriger oder Nachbar hinzugezogen werden. § 140 Abs. 2 FRV, wonach Hausgenossen als Zeugen jeder Hausdurchsuchung hinzuzuziehen waren, wurde insoweit in den meisten Staaten Genüge geleistet. dd) Art. 241 StPO Württemberg 1843 schrieb vor, daß über den Ablauf einer Durchsuchung ein Protokoll zu erstellen war. Die Pflicht zur Protokollerstellung präzisierte die StPO Baden 1845 in § 117 dahingehend, daß das Protokoll Auskunft über „ Veranlassung " und „Gründe d. h. den Zweck und die gesetzlichen Voraussetzungen der Durchsuchung, geben mußte. Dies sollte den Richter zu einer sorgfältigen Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen veranlassen und vor Übereilung schützten338. Diese Bestimmungen fanden so gut wie keine Aufnahme in die späteren nach 1848 erlassenen Strafprozeßordnungen. Allein Art. 123 Abs. 3 StPO Starkenburg/Oberhessen 1865 verlangte, daß „ Gründe " und „Ausdehnung " der Maßnahme in einem Protokoll anzugeben seien. ee) Schließlich wurde in einer Reihe von Prozeßordnungen verlangt, daß für den Fall, daß keine Beweisgegenstände gefunden wurden, dem Wohnungsinhaber auf Verlangen hierüber eine Bescheinigung auszustellen sei. 339

4. Abschnitt

Die persönliche Geheimsphäre im Strafrecht Die Partikularstrafgesetze des 19. Jahrhunderts schützten persönliche Geheimnisverletzungen zunächst nur gegenüber Eingriffen durch Träger staatlicher Ämter. Dies galt vor allem für Bereiche, bei denen typischerweise die Gefahr staatlicher Übergriffe drohte. Rechtsgrundlagen zum Schutz des Postgeheimnisses hatten bereits im 17. und 18. Jahrhundert in Deutschland existiert und fanden schließlich Eingang in die Strafgesetze des 19. Jahrhunderts. Noch hielt man persönliche Geheimnisse für sehr viel mehr durch den Staat gefährdet als durch Privatpersonen. Bis zum StGB Baden 1845 trat die Verletzung des Briefgeheimnisses durch Private hingegen als Vermögensgefährdungsdelikt und die Verletzung des Berufsgeheimnisses durch Ärzte, Rechtsanwälte und Geistliche als amts338

W. Brauer/L v. Jagemann (Hrsg.), Beiträge zur Erläuterung der neuen Strafgesetzgebung im Großherzogthum Baden, S. 314 f. 339 § 110 m S. 2 StPO Hannover 1859; § 205 StPO Sachsen 1855; Art. 92 I I StPO Oldenburg 1857; Art. 120 I StPO Starkenburg/Oberhessen 1865, Art. 123 ΠΙ StPO Württemberg 1868; § 136 IV StPO Baden 1864: hier konnte nur der tatunbeteiligte Dritte eine Bescheinigung verlangen und auch nur, wenn es sich um eine spezielle Hausdurchsuchung handelte.

. Abschn.: Die Geheimsphäre im Strafrecht

155

deliktsähnlicher Tatbestand in Erscheinung. Den Hausfriedensbruch begriff man noch lange Zeit als gewaltsamen Angriff auf Besitz und Eigentum. Erst mit den Strafgesetzbüchern von Baden und Württemberg vollzog sich allmählich eine Wende hin zu einem persönlichen Geheimnisschutz auch im Verhältnis zwischen Privatpersonen untereinander.

A. Die Gesetzgebung I. Die Verletzung des Brief- bzw. Postgeheimnisses 1. Die Gesetzgebung in den Ländern bis zum Strafgesetzbuch Badens von 1845

a) Die Verletzung des Postgeheimnisses Wie bereits im 18. Jahrhundert muß auch im 19. Jahrhundert zwischen der Verletzung des Briefgeheimnisses durch Privatpersonen und derjenigen durch Postbedienstete unterschieden werden. Bereits ab Beginn des 18. Jahrhunderts existierten Postbeamtendelikte, während die einfache Form der unbefugten Brieferöffnung noch keinen selbständigen Straftatbestand bildete. In den dreißiger und vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts bekam die Verletzung des Briefgeheimnisses unter dem Eindruck der Ereignisse eine besondere politische Färbung. Aufgrund der Übergriffe der Regierungen auf den Postverkehr in der Restaurationsperiode zwischen 1819 und 1848 nahmen zahlreiche Strafgesetzbücher, zuerst das StGB Württemberg 1839, im Abschnitt über die Amtsvergehen ein Sonderdelikt auf, das die unbefugte Eröffnung bzw. Weiterleitung von Postsendungen durch Postbeamte unter Strafe stellte. 340 Art. 443 Abs. 1 StGB Württemberg 1839 bedrohte das Erbrechen von der Post anvertrauten Briefen, Paketen oder anderen verschlossenen Sendungen durch Postbeamte sowie das Überliefern solcher Sendungen an unberechtigte Dritte mit dem Verlust der bürgerlichen Ehren- und Dienstrechte. Die Unterschlagung zog die Dienstentlassung nach sich (Art. 443 Abs. 2). Eine entsprechende Regelung enthielt das Strafgesetzbuch für das Großherzogtum Hessen vom 18. 10. 1841 (Art. 474 StGB Hessen).341 340 Art. 443 I StGB Württemberg 1839: 4. Kap. „Von Verletzung besonderer Dienstpflichten der Verwaltungs- und Gemeindebeamten"; Art. 474 StGB Hessen 1841 /Art. 470 StGB Hessen - Nassau 1849: 56./54. Titel „Von den besonderen Verbrechen und Vergehen der Staatsbeamten und öffentlichen Diener". 341 Das StGB für das Großherzogtum Hessen (im folgenden StGB Hessen 1841) galt seit dem 1. Juli 1849 auch in Hessen - Nassau und seit dem 1. Januar 1857 auch in Frankfurt a. M.. Durch Gesetz vom 22. März 1859 wurde es ferner in Hessen - Homburg eingeführt; vgl. hierzu E. Schmidt, Einführung in die Geschichte der Deutschen Strafrechtspflege, S. 321 f.

156

2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

Während die einfache Verletzung des Briefgeheimnisses durch Private in diesen Gesetzen noch als Vermögensgefährdungsdelikt in Erscheinung trat, sollten die Postbeamtendelikte bereits Geheimhaltunginteressen schützen. Bereits die Verletzung des fremden Geheimnisses an sich durch das Öffnen, Unterschlagen oder unbefugte Weiterleiten genügte, um die Strafbarkeit zu begründen. Nicht erforderlich war daneben eine Vermögensschädigungs- bzw. Vermögensvorteilsabsicht beim Täter. Obwohl es sich bei den genannten Bestimmungen um Amtsvergehen handelte, stand der Schutz des Postgeheimnisses als Individualrecht im Vordergrund. Übergriffe von Amtsträgern auf den Postverkehr strafrechtlich zu ahnden, hatte in Deutschland bereits eine längere Tradition, die ihren Ausgangspunkt zu Beginn des 18. Jahrhunderts hatte. Dank der französischen Verfassungsbewegung des 18. Jahrhunderts erhielt die individualrechtsschützende Komponente des Amtsstrafrechts nochmals ein besonderes Gewicht. Die Verfassungen der französischen Revolution hatten in verschiedenen Grundrechtsartikeln auf das Strafrecht verwiesen, dem die Aufgabe zukam, hoheitliche Übergriffe auf Grundrechte zu sanktionieren. Gerade mittels des (Amts)strafrechts sollte mangels anderweitiger Rechtsschutzmöglichkeiten ein Grundrechtsschutz erzielt werden. 342 Daran anknüpfend hatte der Code pénal von 1810 in den §§ 184-187 unter der Überschrift „Abus d'autorité contre les particuliers" verschiedene Grundrechtsverletzungen, darunter auch Eingriffe in das Postgeheimnis, unter Strafe gestellt. Der Code pénal wirkte als Vorbild aiif die Strafrechtsreform im Großherzogtum Hessen ein. 3 4 3 Das Strafgesetzbuch für das Großherzogtum Hessen von 1841 enthielt dann ebenfalls ein solches Postbeamtendelikt.

b) Die Verletzung des Briefgeheimnisses

durch Private

Seit dem Preußischen Allgemeinen Landrecht kannten nun fast alle Partikularstrafgesetze einen Tatbestand, der die einfache Verletzung des Briefgeheimnisses unter Strafe stellte. Allerdings besaß dieser bis zum StGB Baden 1845 überall den Charakter eines Vermögensgefährdungsdelikts. Nach den Strafgesetzbüchern von Bayern (1813), Oldenburg (1814), Württemberg (1839), Braunschweig (1840), Hannover (1840), Hessen/Hessen - Nassau (1841/1849) machte sich nur derjenige wegen Verletzung des Briefgeheimnisses schuldig, der in der Absicht handelte, einen anderen zu schädigen oder sich oder einem Dritten einen Vorteil zu verschaffen. 344 342

K. Amelung, Strafrechtlicher Grundrechtsschutz gegen die Polizei; in: Kriminologisches Journal, Heft 4, 1992, S. 168 ff.; ders., Die Zulässigkeit der Einwilligung bei den Amtsdelikten, in: FS für Dünnebier, S. 502 ff. 343 E. Schmidt, Einführung in die Geschichte der Deutschen Strafrechtspflege, S. 321. 344

Die im folgenden zitierten Gesetze sind abgedruckt bei M. Stenglein (Hrsg.), Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher, 1.-3. Bd., Art. 396 StGB Bayern 1813, 3. Kap. „Von

. Abschn.: Die Geheimsphäre im Strafrecht

157

Der beabsichtigte Schaden bzw. Vorteil mußte vermögensrechtlicher Art sein. Dies ergab sich sowohl aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift als auch aus ihrer Stellung im Kapitel über Betrug, Fälschung, Bankrott und andere Vermögensdelikte und wurde bestätigt durch einschlägige Kommentierungen. 345 In den Motiven zu Art. 351 des Entwurfs zum StGB Württemberg 1839 hieß es ζ. B., daß die strafrechtliche Verfolgung der Verletzung des Briefgeheimnisses aus denselben Gründen geboten sei, „ welche dafiir sprechen, daß das Eigentum gegen bezügliche, boshafte oder muthwillige Angriffe durch Strafgesetze gesichert wird. " 346 In den Vorarbeiten zu den Gesetzbüchern war mitunter der Versuch unternommen worden, der unbefugten Brieferöffnung den Charakter eines Vermögensdelikts zu nehmen. So sollte gem. Art. 332 des Entwurfs zum StGB Bayern 1813 auch die aus bloßer Neugier ohne Schädigungs- oder Bereicherungsabsicht erfolgende Brieferöffnung unter Strafe gestellt werden. 347 Der Artikel wurde nicht übernommen, weil man die aus anderen als aus wirtschaftlichen Gründen begangene Brieferöffnung mehr dem Bereich der Sittlichkeit zuordnete, aber nicht für strafwürdig hielt. In den Diskussionen um den Entwurf des StGB Württemberg 1839 war gefordert worden, die Absicht des Täters, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, zu streichen, weil in der Verletzung des Briefgeheimnisses, „auch wenn kein materieller Schaden dadurch bezweckt wird, immerhin ein unbefugter und meist empfindlicher Eingriff in die Rechtssphäre des andern liegt. " 3 4 8 Diese Ansichten konnten sich allerdings nicht durchsetzen. Die Verletzung des Briefgeheimnisses blieb vorerst Vermögensgefährdungsdelikt. Bezeichnenderweise trafen die Strafgesetzbücher von Bayern, Oldenburg, Württemberg, Braunschweig, Hannover und Thüringen auch keinerlei Unterscheidung Beeinträchtigung fremder Rechte durch Betrug und durch unbefugte Anmaßung"; Art. 413 StGB Oldenbug 1814, 3. Kap. „Von Beeinträchtigung fremder Rechte durch Betrug, Ehrenbeleidigung und durch unbefugte Anmaßung"; Art. 369 StGB Württemberg 1839, 8. Kap. „Vom Betrüge, von der Fälschung, vom Bankerotte und von der Verletzung fremder Geheimnisse"; § 237 StGB Braunschweig 1840, 3. Kap. „Betrug und Fälschung"; Art. 218 StGB Hannover 1840, 6. Kap. „Von Verbrechen wider öffentliche Treue und Glauben"; Art. 285 StGB Thüringen 1850, 15. Kap. „Von verschiedenen Beeinträchtigungen fremden Eigentums" (hier war die Schädigungs - bzw. Vorteilssicherungsabsicht allerdings nur ein Erschwerungsgrund); Art. 410 StGB Hessen 1841 / Art. 404 StGB Hessen - Nassau 1849, 49./ 47. Titel „Von Verletzung fremder Geheimnisse": entgegen der Uberschrift waren die Tatbestände auch hier als Vermögensdelikte ausgestaltet; Art. 373 StGB Sachsen stellte ohne nähere Differenzierung das Eindringen in fremde Geheimnisse auf unerlaubte Weise unter Strafe. 345 C. F. Hufnagel, Commentar über das Strafgesetzbuch für das Königreich Württemberg, 2. Bd., Anm. zu Art. 369, S. 662. 346

Entwurf eines Strafgesetzbuches für das Königreich Württemberg mit Motiven, Anm. zu Art. 351, 352, S. 291. 347 Anmerkungen zum Strafgesetzbuch für das Königreich Baiern, 3. Bd., Anm. zu Art. 396, S. 259 f. 34 8 H. Knapp, Beiträge zur Strafgesetzgebung, Anm. zu Art. 351, S. 300.

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2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

zwischen offenen und verschlossenen Schriftstücken. 349 Neben dem Erbrechen verschlossener Schriftstücke waren auch das Lesen und Abschreiben offener Briefe, Urkunden, Handelsbücher etc. strafbar. Die nach 1850 erlassenen Partikularstrafgesetze - zuerst das StGB Preußen 1851 - hingegen bedrohten nur noch das unbefugte Eröffnen verschlossener Briefe mit Strafe, weil hier der durch den Verschluß zum Ausdruck kommende Wille des Berechtigten zur Geheimhaltung des Briefinhalts verletzt wurde. Den davor erlassenen Strafgesetzbüchern ging es eben nicht so sehr um den Schutz von Geheimhaltungsinteressen als vielmehr darum, die dem unbefugten Lesen eines offenen oder verschlossenen Schriftstückes wahrscheinlich nachfolgende, weitergehende Schädigung durch Verwendung seines Inhalts abzuwenden.

2. Das Strafgesetzbuch Badens von 1845 350

Das Gesetz regelte in den §§ 700-702 zunächst wieder die Verletzung des Briefgeheimnisses durch Postbedienstete als Amtsvergehen. Hinsichtlich der einfachen Verletzung des Briefgeheimnisses enthielt das StGB Baden 1845 eine Neuerung, da § 545 (des 37. Titels) von seinen Tatbestandsvoraussetzungen her kein Vermögensdelikt mehr darstellte. Die Absicht, sich oder einem Dritten einen Vermögensvorteil zu verschaffen bzw. einem anderen einen Vermögensschaden zuzufügen, gehörte nicht mehr zum Tatbestand. Das Vorliegen dieser Absicht beim Täter und ihr vollständiges oder teilweises Erreichen stellten nur noch einen Qualifikationsgrund dar. Erstmals unterschied das Gesetz nun auch zwischen verschlossenen und unverschlossenen Briefen und Urkunden. War ein Schriftstück offen, so machte sich nur derjenige strafbar, der es sich mittels List oder Gewalt verschaffte. Die Strafbarkeit trat bei offenen Schriftstücken daher nur in solchen Fällen ein, in denen sich der Täter noch über ein Hindernis hinwegsetzen mußte, mit dem der Berechtigte seinen Willen, den Inhalt geheim zu halten, nach außen kundgetan hatte. Der 37. Titel trug die Uberschrift „Beschädigung fremder Rechte durch Untreue, Verrat, Verletzung von Geheimnissen und Mißbrauch öffentlicher Berechtigungen". Der Abschnitt enthielt eine Ansammlung verschiedener Tatbestände vermögensrechtlicher wie nicht vermögensrechtlicher Art, die in keinem inneren Zusammenhang standen.

349

A. Friedländer unterteilte die Partikularstrafgesetze hinsichtlich der Verletzung des Briefgeheimnisses in Gruppen und ordnete die aufgezählten Gesetze der zweiten Gruppe zu, die verschlossene und unverschlossene Schriftstücke nicht unterschied und beim Täter die Schädigungs- bzw. Vorteilssicherungsabsicht verlangte: A. Friedländer, Die Verletzung des Briefgeheimnisses, in: ZStW 16. Bd., 1896, S. 769 ff. 350

S. 434.

Abdruck: M. Stenglein (Hrsg.), Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher, 2. Bd.,

. Abschn.: Die Geheimsphäre im Strafrecht

159

3. Das Strafgesetzbuch Preußens von 1851 351

Das Gesetz enthielt wiederum bei den Amtsdelikten einen Tatbestand über die Verletzung des Postgeheimnisses (§ 328, 28. Titel: „Verbrechen und Vergehen im Amte"). Seit 1849 wurde in Preußen ferner bereits das Telegraphengeheimnis geschützt. Schon durch die Verordnung, betreffend die Bestrafung der Vergehen gegen die Telegraphenanstalten vom 15. Juni 1849 war mit § 4 der Verordnung eine Regelung geschaffen worden, mit der Geheimnisverletzungen durch Telegraphenbeamten strafrechtlich geandet werden konnten. 352 Eine entsprechende Bestimmung fand Eingang in das Preußische Strafgesetzbuch von 1851. Gemäß § 298 machten sich die zur Beaufsichtigung und Bedienung der Telegraphenanstalten angestellten Personen (Telegraphenbeamten) strafbar, wenn sie durch Vernachlässigung der ihnen obliegenden Pflichten die Benutzung der Anstalt verhinderten oder störten. 353 Die mit dem StGB von Baden eingeleitete Entwicklung hin zu einem strafrechtlichen Schutz der Geheimsphäre auch im Verhältnis zwischen Privatpersonen wurde mit dem Preußischen StGB von 1851 fortgesetzt. Gem. § 280 war nur noch das unbefugte Eröffnen versiegelter Briefe oder Urkunden strafbar. Unverschlossene Schriftstücke blieben damit aus dem Schutzbereich ausgeklammert. 354 Der Schutzzweck war endgültig beschränkt auf den Schutz des Geheimhaltungswillens des Berechtigten, der durch den Verschluß zum Ausdruck kam. Infolgedessen gehörte auch die Schädigungs- bzw. eigen- oder fremdnützige Vorteilsabsicht nicht mehr zur den Tatbestandsvoraussetzungen. Die preußische Fassung wurde von den im Anschluß erlassenen Strafgesetzbüchern übernommen 355 und fand schließlich Eingang in § 299 RStGB, der wiederum die Grundlage des § 202 des heutigen Strafgesetzbuches bildete. § 280 befand sich im 25. Titel, der die Überschrift „Strafbarer Eigennutz" trug. Dieser Standort sprach nicht gegen das ermittelte Schutzgut einer persönlichen Geheimsphäre. Überhaupt besaß in den Partikularstrafgesetzen und auch noch im RStGB die systematische Stellung einer Vorschrift oft keinen allzu großen Beweis351

Abdruck: M. Stenglein (Hrsg.), Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher, 3. Bd. Verordnung Nr. 3136, betreffend die Bestrafung der Vergehen gegen die Telegraphenanstalten v. 15. Juni 1849; Abdruck: Gesetz-Sammlung für die Königlich Preußischen Staaten, Berlin 1849, S. 217 ff. 352

353

F. C. Oppenhoff\

Das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten, Anm. zu § 298,

S. 516. 354

Die Materialien zum Strafgesetzbuche für die Preußischen Staaten, 2. Bd., Anm. zu § 280, S. 625. 355 § 280 StGB Anhalt-Bernburg 1852, § 260 StGB Waldeck-Pyrmont 1855; Art. 257 StGB Oldenburg 1858; Art. 337 ΙΠ StGB Bayern 1861, 21. Hauptstück: „Untreue, strafbarer Eigennutz, unbefugte Anmaßung und Verletzung fremder Geheimnisse"; Das StGB Bayern 1861 ist abgedruckt bei M. Stenglein, Commentar über das Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern, 1. u. 2. Bd., München 1861/62.

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2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

wert, wenn es um die Ermittlung des geschützten Rechtsgutes ging. Die Tatbestände waren noch nicht streng systematisch im Hinblick auf die geschützten Rechtsgüter angeordnet. Oft faßte man Vorschriften ganz unterschiedlicher Schutzrichtung nur deshalb in einem Abschnitt zusammen, weil sie in andere Abschnitte nicht gepaßt hätten. Als sehr viel wichtiger für die Ermittlung eines Schutzgutes waren deshalb Wortlaut und Entstehungsgeschichte einer Strafnorm anzusehen.356

II. Die Verletzung des Berufsgeheimnisses 1. Die Gesetzgebung in den Ländern bis zum Strafgesetzbuch Badens von 1845

a) Der Verrat von Amtsgeheimnissen Einen Tatbestand, der den Verrat von Amtsgeheimnissen mit Strafe bedrohte, enthielten alle Partikularstrafgesetze. 357 Allerdings genügte in der Mehrzahl der Strafgesetzbücher 358 die bloße Preisgabe des fremden Geheimnisses noch nicht. Erst der „dolus malus", d. h. eine eigen- oder fremdnützige Begünstigungsabsicht, oder der Eintritt eines über die Geheimnisverletzung an sich hinausgehenden Schadens begründeten die Strafbarkeit. Anderenfalls konnte die Tat nur auf disziplinarrechtlichem Weg verfolgt werden.

b) Die Verletzung des Berufsgeheimnisses durch private Vertrauenspersonen Im Anschluß an das Preußische Allgemeine Landrecht enthielt die Mehrzahl der Partikularstrafgesetze einen solchen Tatbestand.359

356 L. Seréxhe, Die Verletzung fremder Geheimnisse; in: Freiburger Abhandlungen aus dem Gebiet des öffentlichen Rechts, Heft 7, 1906, S. 48 ff. 3 57 Art. 441 StGB Bayern 1813; Art. 470 StGB Oldenburg 1814; Art. 323 StGB SachsenAltenburg 1841; Art. 406 I, I I StGB Württemberg 1839; § 265 StGB Braunschweig 1840; Art. 366 StGB Hannover 1840; Art. 448/449 StGB Hessen 1841/Art. 443/444 StGB Hessen- Nassau 1849; Art. 320 StGB Thüringen 1850; Art. 362 StGB Sachsen 1855 bedrohte allgemein Pflichtverletzungen durch Staatsdiener mit Strafe, wozu auch der Verrat von Amtsgeheimnissen zählte. 358

So in Bayern, Oldenburg, Württemberg, Braunschweig und Hannover. 359 Art. 414 StGB Oldenburg 1814, 3. Kap. „Von Beeinträchtigung fremder Rechte durch Betrug, Ehrenbeledigung und durch unbefugte Anmaßung"; Art. 321 i.V.m. 323 StGB Sachsen-Altenburg 1841, 17. Kap. „Von Pflichtverletzungen in besonderen Verhältnissen"; Art. 218 I I StGB Hannover 1840, 6. Kap. „Von Verbrechen wider öffentliche Treue und Glauben"; Art. 479 StGB Hessen 1841/Art. 475 StGB Hessen-Nassau 1849, 57./55. Titel „Von besonderen Pflichtverletzungen gewisser, zu öffentlichen Verrichtungen angestellter Per-

. Abschn.: Die Geheimsphäre im Strafrecht

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Die meisten dieser Gesetze legten nur bestimmten Personen die Wahrung des Berufsgeheimnisses auf. 3 6 0 Wahrend das Preußische Allgemeine Landrecht ausschließlich die Angehörigen medizinischer Berufe gesetzlich zur Verschwiegenheit verpflichtet hatte, dehnten die Strafgesetze im 19. Jahrhundert den Taterkreis auf die Rechtspflegeberufe (Rechtsanwälte, Verteidiger, Notare) und die Geistlichen aus. 361 Wie schon beim Verrat von Amtsgeheimnissen war häufig das bloße Mitteilen der anvertrauten Tatsachen allein noch nicht strafbar. Der Täter mußte in der Absicht handeln, einen anderen zu schädigen oder sich einen Vorteil zu verschaffen. In diesen Ländern war die Offenbarung von Privatgeheimnissen daher nur deshalb strafbar, weil sie der Vorbereitung einer weitergehenden Schädigung diente. 362 Im übrigen behandelten die einschlägigen Gesetze das Delikt, anknüpfend an das Preußische Landrecht, als einen amtsdeliktsähnlichen Tatbestand.

2. Das Strafgesetzbuch Badens von 1845

Dieses Gesetz verzichtete zunächst auf eine Schädigungs- bzw. Vorteilssicherungsabsicht beim Täter. Strafbar war gem. § 541 das unbefugte Offenbaren von Privatgeheimnissen. Der Täterkreis war beschränkt auf die Heilberufe {„Ärzte, Wundärzte, Hebärzte, Apotheker, Hebammen, Wundarzneidiener oder andere Personen, welche zur Ausübung eines Zweigs der Heilkunde öffentlich ermächtigt sind"). Andere Berufsgruppen wie Rechtsanwälte, insbesondere der Verteidiger und Notare, fehlten. Die Vorschrift wurde räumlich erstmals mit der Verletzung des Briefgeheimnisses (§ 545) unter dem 37. Titel zusammengezogen. Damit verlor die Bestimmung ihren amtsdeliktsähnlichen Charakter und es wurde betont, daß hinsichtlich des Schutzgutes eine Verwandtschaft zwischen beiden Bestimmungen bestand.

sonen"; Art. 455 StGB Württemberg 1839, 6. Kap. „Von besonderen Pflichtverletzungen der zu öffentlichen Verrichtungen angestellten Personen"; Art. 318 i.V.m. 320 StGB Thüringen 1850, 17. Kap. „Von Pflichtverletzungen in besonderen Verhältnissen"; Art. 362 StGB Sachsen 1855, 18. Kap. „Von Pflichtverletzungen in besonderen Verhältnissen", stellte allgemein Pflichtverletzungen durch in öffentlichen Pflichten stehenden Personen unter Strafe und erfaßte die Geheimnisverletzungen mit. 360 Nur gem. Art. 218 I I StGB Hannover 1840 kam jede Person, der vermöge ihres Berufs Privatgeheimnisse anvertraut wurden, als Tater in Betracht. Zusätzlich mußte der Täter allerdings in Schädigungs- oder Bereicherungsabsicht handeln. 361 Art. 323 i.V.m. 321 StGB Sachsen-Altenburg 1841: „Geistliche, Advokaten, Notare"; Art. 479 StGB Hessen 1841/Art. 475 StGB Hessen-Nassau 1849: „Rechtsanwälte"; Art. 318 i.V.m. 320 StGB Thüringen 1850: „Geistliche, Advokaten, Notare". 362 Art. 218 I I StGB Hannover 1840; Art. 479 StGB Hessen 1841 / Art. 475 StGB HessenNassau 1849. 11 Austermühle

162

2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert 3. Das Strafgesetzbuch Preußens von 1851

§ 155 dieses Gesetzes dehnte die Strafbarkeit zum ersten Mal auf sämtliche Personen aus, die in unbefugter Weise Privatgeheimnisse offenbarten, die ihnen kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes anvertraut waren. Die fehlende Beschränkung auf bestimmte Berufsgruppen bewirkte eine erhebliche Ausdehnung des Strafrechtsschutzes. Eine Schädigungs- oder Vorteilsabsicht war daneben nicht erforderlich. Die Verletzung der Schweigepflicht und das Briefgeheimnis (§ 280) wurden räumlich wieder auseinandergezogen. Die Preisgabe fremder Geheimnisse wurde diesmal den Ehrdelikten zugewiesen. Sie fand ihren Standort im 13. Titel („Verletzungen der Ehre"). Entgegen der systematischen Stellung des § 155 im Gesetz sollte nicht erforderlich sein, daß die preisgegebenen Geheimnisse ehrenrührige Mitteilungen über eine Person enthielten. Es reichte aus, wenn die betroffene Person ein nachweisliches Interesse an der Geheimhaltung dieser Tatsachen hatte und dies der Vertrauensperson bekannt war 3 6 3 . Wie schon bei der Verletzung des Briefgeheimnisses im StGB Preußen erwies sich der systematische Standort als wenig ergiebig für die Bestimmung des Schutzzwecks.364 Die Plazierung des § 155 bei den Ehrdelikten hatte vor allem historische Gründe. Als Vorbild hatte Art. 378 des französischen Code pénal von 18 1 0 3 6 5 gedient, der den Tatbestand gleichfalls bei den Ehrdelikten einreihte. In Deutschland hatten bereits die verschiedenen Rechtsgrundlagen des Gemeinen Deutschen Strafrechts die Offenbarung fremder Geheimnisse als „Injurie", und zwar speziell als Unterfall der Verleumdung, behandelt.366 Eine gewisse Beziehung des Tatbestandes zu den Ehrdelikten ist auch heute noch gegeben. Die §§ 201 ff. des heutigen Strafgesetzbuches regeln die Verletzungen des Geheimbereichs im 15. Abschnitt im Anschluß an die Beleidigung.

4. Das Strafgesetzbuch Bayerns von 1861

Dieses Gesetz bedrohte die Verletzung des Amtsgeheimnisses in Art. 365 unabhängig vom Vorliegen eines dolus malus, d. h. einer eigen- oder fremdnützigen Vorteils- oder Schädigungsabsicht, mit Strafe.

363

F. C. Oppenhoff,

Das Strafgesetzbuch für die preußischen Staaten, Anm. zu § 155,

S. 260. 364 Goltdammer, Die Materialien zum Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten, 2. Bd., Anm. zu § 155, S. 327. 36 5 In der Übersetzung von T. Hartleben, Napoleons Peinliches und Polizey-Strafgesetzbuch. 366

Auch die §§ 201 ff. des heutigen Strafgesetzbuches regeln die Verletzungen des Geheimbereichs im 15. Abschnitt im Anschluß an die Beleidigung.

. Abschn.: Die Geheimsphäre im Strafrecht

163

Die Verletzung des Berufsgeheimnisses durch Rechtsanwälte, Ärzte, Hebammen und Apotheker (Art. 339) wurde mit der Verletzung des Briefgeheimnisses (Art. 337) im 21. Hauptstück, das die Überschrift „Untreue, strafbarer Eigennutz, unbefugte Anmaßung und Verletzung fremder Geheimnisse" trug, zusammengezogen. Es kam nicht auf eine Schädigungs-oder Vorteilsabsicht als Motiv an. 3 6 7 Maßgeblich war nur die Verletzung des fremden Geheimnisses.

I I I . Der Hausfriedensbruch 1. Die Strafgesetzbücher von Bayern (1813), Oldenburg (1814), Hannover (1840) und Österreich (1852)

Während der Hausfriedensbruch im Preußischen Allgemeinen Landrecht bereits ein Privatvergehen dargestellt hatte, behandelten ihn die Partikularstrafgesetze Bayerns, Oldenburgs, Hannovers und sogar noch Österreichs wieder - insoweit rückschrittlich - als Straftat gegen den öffentlichen Rechtsfrieden. 368 Der Kreis der geschützten Orte war weit gefaßt. Er beinhaltete nicht nur Wohngebäude und die dazu gehörigen Bezirke. Bereits das Preußische Allgemeine Landrecht hatte neben den Wohnungen auch die mit Mauern, Planken und Zäunen umgebenen Plätze (§ 531 APL) sowie das „freie Feld" (§ 532) geschützt. Art. 422 StGB Bayern 1813 und Art. 451 StGB Oldenburg 1814 zogen neben den Häusern und Wohnungen auch „liegende Gründe" in den Schutzbereich ein. Liegende Gründe waren ζ. B. Äcker, Gärten und Wiesen 369 , d. h. bebaute wie unbebaute Grundstücksflächen, die keinerlei Zusammenhang zu einem Wohngebäude aufweisen mußten. 370 Die Ausdehnung des Schutzbereiches läßt darauf schließen, daß es weniger um die Wahrung des Hausfriedens als einer räumlich abgesicherten Privatsphäre als vielmehr darum ging, einen gewaltsamen Angriff auf Besitz und Eigentum abzuwehren. Der Hausfriedensbruch in Bayern, Oldenburg, Österreich und Hannover setzte die Anwendung von Gewalt voraus. In Bayern, Oldenburg und Hannover genügte es, wenn Gewalt zum Zweck des Eindringens angewendet wurde. Im StGB von

367 M. Stenglein, Commentar über das Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern, 2. Bd., Anm. zu Art. 339 RN 4, S. 514. 368 Art. 422, 423 StGB Bayern 1813, 3. Kap. „Von den Vergehen wider den öfffentlichen Rechtsfrieden im Staate"; Art. 451, 452 StGB Oldenburg 1814, 3. Kap. „Von den Vergehen wider den öffentlichen Rechtsfrieden im Staate"; Art. 180 StGB Hannover 1840, 4. Kap. „Von Verbrechen wider die öffentliche Sicherheit im Staate"; Art. 151 StGB Österreich 1852, 3. Kap. „Von Auflehnungen gegen die öffentliche Autorität und von Friedensstörungen". 3 69 Anmerkungen zum Strafgesetzbuch für das Königreich Baiern, 3. Bd., Anm. zu Art. 422, S. 287. 37

11*

0 C.F.W.J. Haeberlin, Grundsätze des Criminalrechts, 2. Bd., S. 286 f.

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2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

Österreich mußten kumulativ ein bewaffnetes Eindringen und die anschließende Gewaltanwendung gegen Personen oder Sachen vorliegen. In den Strafgesetzbüchern von Bayern und Oldenburg wurde beim Täter die Absicht, entweder den ruhigen Besitz zu stören, Rache zu nehmen oder ein eigenes Recht eigenmächtig durchzusetzen, vorausgesetzt. Der Hausfriedensbruch konnte in diesen Ländern folglich auch als Fall der unerlaubten Selbsthilfe in Erscheinung treten. 371 Zum Schutzzweck der Abwehr von gewaltsamen Angriffen auf Besitz und Eigentum trat zweitens die Erhaltung des staatlichen Gewaltmonopols hinzu. In allen aufgeführten Gesetzen erfolgte die Strafverfolgung wegen Hausfriedensbruchs - weil es sich um eine Straftat gegen das öffentliche Interesse handelte - von Amts wegen.

2. Der Hausfriedensbruch in den Strafgesetzbüchern ab dem Strafgesetzbuch Württembergs von 1839

In diesem Gesetz sowie in den im Anschluß erlassenen Strafgesetzbüchern war der Hausfriedensbruch - im Widerspruch allerdings zu seiner Plazierung bei den Straftaten gegen den öffentlichen Rechtsfrieden - im Hinblick auf seine Tatbestandsvoraussetzungen als Delikt gegen die räumliche Privatsphäre ausgestaltet. Zunächst wurde der Schutzbereich beschränkt. Erfaßt wurden nur noch Wohngebäude und die dazu gehörigen geschlossenen Bezirke. 372 Bei Grundstücken und unbewohnten Gebäuden war folglich die enge Verbindung zu einem Wohnhaus erforderlich. 373 Der Besitz- und Eigentumsschutz trat nunmehr in den Hintergrund, der Hausfriede als räumlich abgesicherte Privatsphäre in den Vordergrund. Das Verüben von Gewalt an Personen oder Sachen war nicht mehr Tatbestandsvoraussetzung. Es genügte das bloße Eindringen in den räumlich geschützten Bereich. Dabei wurde der Begriff „Eindringen" als das gewaltlose, widerrechtliche Betreten eines geschützten Bezirkes ausgelegt. Anderenfalls wären auch die Qualifika371

Anmerkungen zum Strafgesetzbuche für das Königreich Baiern, Anm. zu Art. 422,

S. 287. 372

Art. 193 StGB Württemberg 1839, 4. Kap. „Von Friedensstörungen"; Art. 165 StGB Hessen 1841, 17. Titel „Von Gewalttätigkeiten und Drohungen"; Art. 119 StGB SachsenAltenburg 1841, 3. Kap. „Von Auflehnung gegen die öffentlichen Behörden und von Friedensstörungen"; Art. 117 StGB Thüringen 1850, 3. Kap. „Von Auflehnung und Ungehorsam gegen die öffentlichen Behörden und von Friedensstörungen"; Art. 151 StGB Sachsen 1855, 3. Kap. „Von Auflehnungen gegen die öffentliche Autorität und von Friedensstörungen"; Art. 156, 157 StGB Bayern 1861, 2. Abt., 6. Hauptstück „Friedensstörungen und Eigenmacht". Als einziges StGB plazierte das StGB Braunschweig 1840 den Hausfriedensbruch an ,»richtiger" Stelle in § 180 im 4. Kap. „Verbrechen wider die Freiheit der Person". Das StGB Baden 1845 überging die Vorschrift ganz. 373

C.F.W.J. Haeberlin, Grundsätze des Criminalrechts, 2. Bd., § 82, S. 286 f.

. Abschn.: Die Geheimsphäre im Strafrecht

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tionsfälle - das Eindringen mit Waffen unter VerÜbung von Gewalt gegen Personen oder Sachen - nicht zu erklären gewesen. Die Tat stellte fast überall ein Antragsdelikt dar. Die Verfolgung hing also vom Willen des Hausrechtsinhabers ab.

3. Das Strafgesetzbuch Preußens von 1851

a) Der Hausfriedensbruch

im Amt

Dieses Gesetz enthielt in § 318 (2. Teil, 28. Titel: „Verbrechen und Vergehen im Amte") zum ersten Mal den qualifizierten Fall des Hausfriedensbruchs durch Beamte. Strafbar war das vorsätzliche, rechtswidrige Eindringen eines Beamten in eine fremde Wohnung. Gehörte die Vorschrift auch zu den Amtsstraftaten, so bestand ihr Zweck doch vor allem darin, den Schutz der Wohnungsfreiheit als Grundrecht mit Mitteln des Strafrechts zu verstärken. § 318 war § 184 des französischen Code pénal von 1810 nachempfunden, der zum Abschnitt „Abus d'autorité contre les particuliers", d. h. zu den speziell Rechte der Bürger schützenden Amtsstraftaten, gehörte. In den Materialien zum StGB Preußen 1851 bezog man sich im übrigen auf die §§ 7 - 9 des Gesetzes vom 12. 2. 1850 zum Schutz der persönlichen Freiheit 375 , welches wiederum eine Art Ausführungsgesetz 376 zur Preußischen Verfassungsurkunde von 1850 darstellte, die in Art. 6 der revidierten Fassung die Unverletzlichkeit der Wohnung garantierte. b) Der einfache Hausfriedensbruch Diesen regelte das Gesetz einmal als Straftat in § 214 des 17. Titels („Verbrechen und Vergehen wider die Freiheit") des 2. Teils und einmal als Übertretung in § 346 unter dem 3. Titel („Übertretung in Beziehung auf die persönliche Freiheit") des 3. Teils. Im Unterschied zu den vorangegangenen Partikularstrafgesetzen dehnte das Gesetz den Schutzbereich wieder aus. Geschützt wurden neben der Wohnung erstmals auch das Geschäftszimmer sowie das „befriedete Besitztum". 377 Unter diesem verstand man jede Vorrichtung, die den Zweck hatte, das Besitztum von anderen angrenzenden Liegenschaften abzugrenzen, und die sich gleichzeitig als dieser Be374 C. F.W. J. Haeberlin, Grundsätze des Criminalrechts, 2. Bd., § 82, S. 287 ff. 375 Die Materialien zum Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten, 2. Bd., Anm. zu § 318, S. 684; G. Beseler, Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten, Anm. zu §318, S. 556 f. 376 K. Amelung, Die Zulässigkeit der Einwilligung bei den Amtsdelikten; in: FS für Dünnebier, S. 504. 377 Bereits der Entwurf zum StGB Preußen von 1828 schützte das „befriedete Besitztum". Zur historischen Entwicklung des Merkmals „befriedetes Besitztum": K. Amelung, Bemerkungen zum Schutz des „befriedeten Besitztum" in § 123, in: NJW 1986, S. 2075 ff.

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2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

Stimmung dienend äußerlich darstellte. 378 Anders als in den oben behandelten Strafgesetzbüchern wurde ein Zusammenhang zwischen Grundstück und Wohngebäude nicht verlangt. Der Gedanke des Besitz- und Eigentumsschutzes wurde wieder wichtiger. Mit dem Merkmal der Einfriedung war der Schutzbereich allerdings enger gezogen als im Allgemeinen Preußischen Landrecht, das als Begrenzung freier Grundstücke nur „Anbau oder besondere Merkmale " verlangt hatte. 379 Tathandlung des § 214 war das Eindringen durch mehrere Personen, die sich zusammengerottet hatten. In bezug auf seinen Standort bei den Straftaten gegen die persönliche Freiheit stellte der Hausfriedensbruch - anknüpfend an das Preußische Allgemeine Landrecht - ein Privatvergehen dar. Das durch eine einzelne Person als Täter begangene widerrechtliche Eindringen in die geschützten Orte und das Nichtentfernen auf geschehene Aufforderung hin bildeten gem. § 346 eine bloße Übertretung.

B. Die Strafrechtswissenschaft I. Die Verletzung des Briefgeheimnisses Während bereits das Preußische Allgemeine Landrecht die einfache wie die qualifizierte Form der Verletzung des Briefgeheimnisses gekannt hatte, wurden auf der Ebene der Gemeinen Deutschen Strafrechtswissenschaft diese Rechtsverstöße lange Zeit nicht als selbständige Straftatbestände anerkannt. Entweder man erwähnte sie überhaupt nicht oder man hielt an der Betrachtungsweise fest, daß das unbefugte Eröffnen fremder Briefe zum generalklauselartigen Tatbestand des „Falsum" oder der „Injurie" zu zählen sei, auf jeden Fall kein selbständiges Vergehen bilde. Erst bei A. v. Feuerbach hieß es dann: „Die Verletzung eines Geheimnisses ist nicht als Injurie aufzufassen, sondern begründet unter Umständen ein eigenes Vergehen" 382.

Zu diesen Geheimnisverletzungen zählte er auch die unbefugte Brieferöffnung als „ Verletzung eines auf unerlaubte Weise erlangten Geheimnisses 378

F. C. Oppenhoff,

Das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten, Anm. zu § 214,

S. 322. 379 38

K. Amelung, Hausfriedensbruch, in: ZStW, 98 Bd., 1986, S. 370 f.

T. Marezoll, Das gemeine deutsche Criminalrecht, § 167, S. 569. 38 1 A. W. Heffter, Lehrbuch des gemeinen deutschen Criminalrechts, § 398, S. 418 f.; J. F. H. Ahegg, Lehrbuch der Strafrechtswissenschaft, § 204, S. 296; C. G. Wächter, Lehrbuch des Römisch Teutschen Strafrechts, 2. Bd., § 181, S. 231 f. 382 A. v. Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen Peinlichen Rechts (1847), § 287, S. 469.

. Abschn.: Die Geheimsphäre im Strafrecht

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Im Anschluß an A. v. Feuerbach behandelte nun die Mehrzahl der Strafrechtler die Verletzung des Briefgeheimnisses als einen selbständigen Straftatbestand, der allerdings noch nicht als ein ausschließlich gegen die persönliche Geheimsphäre gerichtetes Delikt begriffen wurde. Vielfach wurde der Tatbestand zusammen in einem Kapitel mit der Untreue behandelt.383 Das bloße Öffnen oder Lesen eines fremden Briefes sollte noch nicht ausreichen. Hinzukommen mußte eine Schädigungs· bzw. eine eigen- oder fremdnützige Vorteilsabsicht. Die Geheimnisverletzung an sich hielt man für ungenügend, um die Strafbarkeit zu begründen. 384

II. Die Verletzung des Berufsgeheimnisses Auch dieser Rechtsverstoß wurde in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in den Lehrbüchern entweder gar nicht erwähnt oder es erfolgte wie bereits im 18. Jahrhundert eine Unterordnung unter den Tatbestand der „Injurie". 3* 5 Dabei bemühte man sich nicht, den Täterkreis genau zu bestimmen, sondern erklärte pauschal jegliches Offenbaren von Berufsgeheimnissen für strafbar. 386 Einzelne Strafrechtler wie E. Henke und C. A. Tittmann kritisierten bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Behandlung als „Injurie". Sie bemängelten, daß es in den Regel gerade nicht die Ehre sei, die hier betroffen war. Durch die Preisgabe fremder Geheimnisse durch Rechtsanwälte, Ärzte etc. trete eine Rechtsverletzung auch dann ein, wenn die preisgegebenen Tatsachen nichts für die Ehre Nachteiliges enthielten. So hieß es ζ. B. bei C. A. Tittmann: „Geheimnisse, zu deren Verschweigung eine bürgerliche Verbindlichkeit vorhanden ist, beziehen sich auf andere Rechte als die Ehre, und ihre Bekanntmachung wird wegen Verletzung dieser Rechte strafbar." 387

A. v. Feuerbach sprach sich dann erstmals dafür aus, die „ Verletzung des den Ärzten, Hebammen, Apothekern in Rücksicht auf ihren Beruf anvertrauten Geheimnisses" als selbständigen Straftatbestand zu behandeln.388 Im Anschluß an A. v. Feuerbach trat der Rechtsverstoß in den Lehrbüchern dann tatsächlich als ein selbständiges Vergehen in Erscheinung. Seinen Standort 383 C. F.W. J. Haeberlin, Grundsätze des Criminalrechts, 4. Bd., § 179, S. 311 ff. 3

& C.F.W. J. Haeberlin, Grundsätze des Criminalrechts, 4. Bd., § 179, S. 312 f. 385 C. Martin, Lehrbuch des Criminalrechts, § 167, S. 396 f.; J. F. H. Abegg, Lehrbuch der Strafrechtswissenschaft, § 297, S. 409; A. Bauer, Lehrbuch des Strafrechts, § 210, S. 306; C. G. Wächter, Lehrbuch des Römisch Teutschen Strafrechts, 2. Bd., § 152, S. 85. 386

Kritisch hierzu: A. W. Heffter,

Lehrbuch des gemeinen deutschen Criminalrechts, § 300,

S. 326. 387

C. A. 7ittmann, Handbuch des gemeinen deutschen Peinlichen Rechts, 3. Bd., § 396, S. 42; E. Henke, Handbuch des Criminalrechts, 2. Bd., § 130, S. 318 f. 388 A. v. Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen Peinlichen Rechts (1847), § 287, S. 469.

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2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

fand er allerdings - anknüpfend an das Allgemeine Preußische Landrecht - bei den Amtsdelikten. Die Wahrung des Berufsgeheimnisses betrachtete man noch hauptsächlich als eine Angelegenheit von öffentlichem und weniger von privatem Interesse. 389 I I I . Der Hausfriedensbruch Ungeachtet der mittlerweile in zahlreichen Ländern bestehenden ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen bildete der Hausfriedensbruch weiterhin einen Anwendungsfall des „crimen vis" - Deliktes, stellte also ein Gewaltdelikt dar. 390 Andere wollten den Hausfriedensbruch als „Injurie " oder als Delikt gegen die öffentliche oder private Eigenmacht bestrafen. 391 Wurde über das unbefugte Eindringen hinaus eine „ verletzende, ruhestörende oder sonst verbrecherische " Handlung vorgenommen, sollte sich die Strafbarkeit nach dieser Handlung richten, wobei jedoch die Strafe aufgrund der Verletzung des Hausrechts zu schärfen war. 3 9 2 Auch hinsichtlich des Hausfriedensbruches begann sich erst ab den vierziger Jahren die Vorstellung durchzusetzen, daß es sich hierbei um einen selbständigen Straftatbestand handeln müsse. Es setzte sich nun die Ansicht durch, daß auch das gewaltlose Eindringen in einen räumlich geschützten Bereich als Angriff auf die häusliche Ruhe strafbar sei. 393 Damit orientierte man sich allerdings nur an den mittlerweile in den Ländern erlassenen Strafvorschriften, da beginnend mit dem StGB Württemberg 1839 der Hausfriedensbruch hinsichtlich seiner Tatbestandsmerkmale als Delikt gegen den privaten Hausfrieden ausgestaltet war.

Ergebnisse des Zweiten Teils 1. Auch im 19. Jahrhundert ging der wesentliche Einfluß auf die Entwicklung eines persönlichen Geheimnisschutzes von der staatswissenschaftlichen Literatur aus. 389 C. F.W. J. Haeberlin, 21. Kap.: „Von den besonderen Verbrechen öffentlicher Diener", § 220 „Verletzung fremder Geheimnisse"; in: Grundsätze des Criminalrechts, 4. Bd., S. 455 ff. 390 J. C. Salchow, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts, §§ 451, 452, S. 431 ff.; A. Bauer, Lehrbuch des Strafrechts, § 290, S. 422. 391 A. W. Hejfter, Lehrbuch des gemeinen deutschen Criminalrechts, § 358, S. 383; J. F. H. Ahegg, Lehrbuch der Strafrechtswissenschaft, § 393, S. 514 f. 392 A. W. Hejfter, Lehrbuch des gemeinen deutschen Criminalrechts, § 358, S. 383; J. F. H. Ahegg, Lehrbuch der Strafrechtswissenschaft, § 393, S. 514. 393 C. FW. J. Haeberlin, Grundsätze des Criminalrechts, 2. Bd., § 82, S. 285 ff.; H. Hälschner, Das preußische Strafrecht, 3. Bd., § 34, S. 192 ff.; T. Marezoll, Das gemeine deutsche Criminalrecht, § 70, S. 266 f.; C. A. Tittmann, Handbuch des Gemeinen deutschen Peinlichen Rechts, 3. Bd., § 546, S. 500 ff.

Ergebnisse des Zweiten Teils

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In der Staatsrechtslehre des Deutschen Bundes, die sich methodisch als Fortsetzung der Alten Reichsstaatsrechtslehre darstellte, wurde der Schutz von Geheimnissen weiterhin im Zusammenhang mit der Begrenzung des Oberaufsichtsrechts das nunmehr alleinige Angelegenheit des Landesfürsten war - durch den Staatszweck behandelt. Nicht um Untertanenrechte handelte es sich, sondern um Garantien, die dem einzelnen durch die Bindung des Souveräns an den - zunehmend enger formulierten - Staatszweck erwuchsen. Allerdings wurde bereits unter den Staatsrechtlern des Deutschen Bundes Kritik am Oberaufsichtsrecht als einem selbständigem Regierungsrecht geübt. Es sollte nur noch als Teil der gesetzgebenden und vollziehenden Gewalt behandelt werden und den von diesen einzuhaltenden Grenzen unterliegen. In der natürlichen Staatsrechtslehre des 19. Jahrhunderts begann sich eine subjektive Betrachtungsweise durchzusetzen. Dies galt bereits für die idealistische Rechtslehre K. C. F. Krauses und seines Schülers H. Ahrens. Die körperliche Intimsphäre, die Gedankenfreiheit, das Recht am gesprochenen und geschriebenen Wort, der Schutz des Hauses bildeten für sie aus dem Recht der Persönlichkeit fließende Einzelfreiheiten. Die Teilgarantien führten sie zurück auf ein allgemeines, nicht abschließend bestimmbares Recht auf Geheimhaltung der eigenen Individualität. Im süddeutschen Liberalismus verwarf man die Lehre vom Oberaufsichtsrecht endgültig. Man befürchtete den Mißbrauch dieses Rechts zum Zweck beliebiger Freiheitsbeschränkungen außerhalb der Kontrolle durch die Volksvertretung. F. Schmitthenner behielt den Begriff des „ius supremae inspectionis" bei, bezeichnete aber mit ihm nur noch ein staatsinternes Aufsichtsrecht ohne Bezug zur persönlichen Geheimsphäre. Aufgrund der politischen Ereignisse des Vormärz erschien eine Beschäftigung mit dem Wohnungsschutz, der Gedankenfreiheit, insbesondere mit dem Recht an Briefen und Papieren besonders vordringlich. R. v. Mohl und C. Welcker stellten - an die Gesetzgebungskörperschaften gewandt - die rechtlichen Bedingungen auf, denen einschränkende Gesetze zu genügen hatten. Auch eine verfassungsrechtliche Verbürgung wurde gefordert. Auf dem Gebiet der Polizeiwissenschaft führte R. v. Mohl 1832 den Rechtsstaatsbegriff ein und entwickelte, bezogen auf den Hausfrieden und das Briefgeheimnis, die rechtlichen Bedingungen für Eingriffe durch die Polizei. 2. Von der liberalen Staatsrechtslehre gingen Impulse für die Verfassungsbewegung aus, die ihren Höhepunkt erreichte mit den Diskussionen um die Frankfurter Reichsverfassung. Mit den §§ 140-142 FRV war zum ersten mal eine umfassende Absicherung der Unverletzlichkeit der Wohnung, des Brief- bzw. Postgeheimnisses und des Verbots der Papierbeschlagnahme auf der Ebene des Verfassungsrechts vorgesehen. Richtungweisend für die spätere Gesetzgebung in den Ländern waren die Einführung des Richtervorbehalts für Hausdurchsuchung, Brief- und Papierbeschlagnahme und des Gesetzesvorbehalts sowie die verfassungsrechtliche Festschreibung von Verfahrensvorschriften.

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2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

Mit dem Scheitern der Frankfurter Reichsverfassung war die verfassungsrechtliche Entwicklung in Deutschland nicht sofort beendet. Vielmehr gaben sich zahlreiche Länder nach 1848/49 eine eigene Verfassung. Von ihnen übernahmen einige die Regelungen der §§ 140-142 FRV. Andere blieben erheblich hinter dem durch die FRV erreichten Schutzstandard zurück. Art. 6 und Art. 33 der re vidierten Preußischen Verfassung z. B. sahen für die Hausdurchsuchung und die Brief- und Papierbeschlagnahme jeweils nur noch einfache Gesetzesvorbehalte vor. In der staatsrechtlichen Literatur bis zur Reichsgründung, vor allem in den spätidealistischen Werken J. C. Bluntschlis und F. Walters, lebten die liberalen Positionen noch eine Weile fort. Ab 1850 wurde speziell die Unverletzlichkeit des Hausfriedens dank L. v. Steins zum Thema der Verwaltungsrechtswissenschaft. 3. Im Strafprozeß vollzog sich der durchgreifende Wandel erst im fünften Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts. Er wurde vorbereitet im Schrifttum der vierziger Jahre. Hier wertete man nun erstmals die Herausgabe bzw. Beschlagnahme von Briefen und Papieren sowie die Durchsuchung als intensive Eingriffe in die persönliche Geheimsphäre und definierte vor diesem Hintergrund die gesetzlichen Voraussetzungen. Der bis dahin - vor allem bei der Hausdurchsuchung - maßgebliche Ehrenschutz trat in den Hintergrund. Die ab dem fünften Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts erlassenen Strafprozeßordnungen enthielten wesentlich verbesserte Bestimmungen zum Schutz des Hausfriedens, des Briefgeheimnisses sowie von bestehenden Vertrauensverhältnissen. Auch wenn sich keine Strafprozeßordnung nennen läßt, die sämtliche der damals erlassenen Schutzvorschriften vollständig enthielt, so gelangt man dennoch durch eine Gesamtschau zu den folgenden Grundsätzen, die für den reformierten Strafprozeß in dem hier interessierenden Bereich typisch waren: 394 Zum Schutz von Vertrauensbeziehungen des Beschuldigten wurde der Katalog der zeugnisverweigerungsberechtigten Personen auf die Angehörigen bestimmter Berufsgruppen, den Rechtsanwalt, vor allem den Verteidiger, und in einer einzigen Prozeßordnung auch auf den Arzt ausgedehnt. Zur Sicherung der verschiedenen Zeugnisverweigerungsrechte wurden Belehrungspflichten gesetzlich festgeschrieben. Eidesverweigerungsrechte und Vereidigungsverbote ergänzten das Zeugnisverweigerungsrecht. Die aus politischen Gründen problematische Brief- und Papierbeschlagnahme wurde überall in materieller wie formeller Hinsicht an besondere Voraussetzungen geknüpft. Die Mehrzahl der Prozeßordnungen verlangte - diesmal ohne Ausnahmen - für die Beschlagnahme eine richterliche Anordnung und setzte damit § 141 FRV in geltendes Recht um. Hinsichtlich der Durchsuchung bewirkte die ausdrückliche Erweiterung der Durchsuchungsobjekte zunächst eine Ausdehnung des gesetzlichen Schutzes auf 394 P. Sundelin, Die Habeas-Corpus-Acte und Vorschriften zum Schutz der Person in den deutschen Strafprozeßgesetzen, S. 40 ff.

Ergebnisse des Zweiten Teils

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sämtliche Durchsuchungsformen. Dabei wurde abgestuft nach der Intensität, mit der die persönliche Geheimsphäre betroffen war. Die Durchsuchung der Person als Eingriff in die Körpersphäre knüpfte man an strengere Voraussetzungen als andere Formen der Durchsuchung. Fast überall wurde unterschieden zwischen der Durchsuchung beim Beschuldigten und derjenigen bei Dritten. Tatunverdächtige wurden für schutzwürdiger gehalten; ein Eingriff wurde daher an erschwerte Bedingungen gebunden. Anders als in früheren Gesetzen waren nun Zweck und Voraussetzungen des Eingriffs präzise vorherbestimmt, um polizeilicher Willkür vorzubeugen. Insbesondere wurde klargestellt, daß der Zweck einer Durchsuchung streng zu begrenzen war auf die den Untersuchungsgegenstand bildende Tat. Begrenzungsfunktion kam außerdem dem gesetzlich festgeschriebenen „Erforderlichkeitsgrundsatz" zu, wonach Durchsuchungen nur in dem Umfang erlaubt waren, wie es ihr konkreter Zweck erforderte. Für einen neuen Entwicklungsschub sorgte die Frankfurter Reichsverfassung. Der in § 140 FRV vorgeschriebene Richtervorbehalt wurde in der Mehrzahl der partikularen Strafprozeßordnungen umgesetzt. Form- und Verfahrensvorschriften mit dem Ziel, den gesetzmäßigen Ablauf der Durchsuchung sicherzustellen, enthielt die Mehrzahl der Strafprozeßordnungen im ausreichenden Umfang (Hinzuziehung von Zeugen, insbesondere - wie in § 140 FRV vorgeschrieben - die Hinzuziehung des Wohnungsinhabers bzw. anderer Hausgenossen, Protokollerstellung und Anfertigung eines „Negativattests"). Allein die ebenfalls in § 140 FRV vorgeschriebene Schriftlichkeits-, Begründungs-, und Zustellungspflicht hinsichtlich des Durchsuchungsbefehls wurde nur in zwei Staaten vollständig, in anderen hingegen teilweise oder überhaupt nicht umgesetzt. Eine Sonderstellung nahmen insofern nur das Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit für Preußen von 1850 und die Preußische Strafprozeßordnung von 1867 ein. Hier durften bestimmte „berüchtigte" Orte unter formell wie materiell erleichterten Voraussetzungen durchsucht werden und wurden damit im Vergleich zu anderen Räumlichkeiten bewußt schlechter gestellt. 4. Auch im Strafrecht gelangte der Geheimnisschutz mehr und mehr zu selbständiger Bedeutung. Die Strafrechtswissenschaft der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts blieb allerdings zunächst in den Vorstellungen der Kriminalisten aus dem 18. Jahrhundert verhaftet, die in der Verletzung des Briefgeheimnisses, der Verschwiegenheit sowie im Hausfriedensbruch keine eigenständigen Delikte gesehen, sondern diese als bloße Unterfälle des „Falsum", des „crimen vis" oder der „Injurien" behandelt hatten. Erst mit A. v. Feuerbach begann sich überhaupt die Auffassung durchzusetzen, daß diese Rechtsverstöße eigenständige Straftatbestände bilden müßten. Die Strafgesetzgebung gewährte Geheimnisschutz zunächst gegenüber Amtspersonen. Das Postbeamtendelikt hatte in Deutschland bereits eine längere Tradition,

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2. Teil: Schutz der persönlichen Geheimsphäre im 19. Jahrhundert

die mit der Wahlkapitulation von 1690 ihren Anfang genommen hatte. Waren zunächst nur Träger von Hoheitsgewalt Begünstigte dieser Verbürgungen gewesen, hatte man bereits im 18. Jahrhundert in Preußen Amtsstraftatbestände geschaffen, die den Postverkehr für jedermann schützten. Im 19. Jahrhundert geriet die Entwicklung unter französischen Einfluß. Ab den Vierziger Jahren nahmen die Strafgesetzbücher Postbeamtendelikte auf. Infolge der französischen Verfassungsbewegung, die mittels des Amtsstrafrechts Grundrechtsschutz hatte erzielen wollen, und infolge des Einflusses der §§ 184 ff. des Code Pénal von 1810 besaßen diese Tatbestände eine stark individualrechtsschützende Komponente. Im Verhältnis zwischen Privatpersonen untereinander formierte sich die persönliche Geheimsphäre erheblich langsamer - erstmals in den Strafgesetzbüchern von Württemberg (1839) und Baden (1845) - zu einem selbständigen Schutzgut. Von nun an verzichtete man bei der unbefugten Brieferöffnung auf die Vermögensschädigungsabsicht, bei der Verletzung des Berufsgeheimnisses auf das Vorliegen einer besonderen Absicht und beim Hausfriedensbruch auf die Anwendung von Gewalt. Noch bestanden Unklarheiten hinsichtlich der systematischen Einordnung der Geheimnisverletzungen in das Gesetz. So reihte das StGB Preußen 1851 die Verletzung des Briefgeheimnisses in das Kapitel über den „Strafbaren Eigennutz", die Offenbarung fremder Geheimnisse bei den „Verletzungen der Ehre" ein. Da die Gesetze die Tatbestände aber insgesamt noch nicht streng nach dem Kriterium der geschützten Rechtsgüter systematisierten, besagte die Plazierung einer Bestimmung wenig aus über deren Schutzzweck.

3. Teil

Der Schutz der persönlichen Geheimsphäre in der Reichsstrafprozeßordnung und im Reichsstrafgesetzbuch 1. Abschnitt

Einführung: Kein Grundrechtsschutz im Kaiserreich Mit den §§ 140-142 FRV hatte der verfassungsrechtliche Geheimnisschutz in der Form der Unverletzlichkeit der Wohnung, des Briefgeheimnisses und des Beschlagnahmeverbots für rund 100 Jahre seinen Höhepunkt erreicht. 1 Bereits die in der Phase der Reaktion zustande gekommene Preußische Verfassungsurkunde von 1850 hatte die Gewährleistungen der Frankfurter Reichsverfassung erheblich zurückgenommen. Die Reichsverfassung von 1871 enthielt keine Grundrechte mehr. Grundrechte assoziierte man mit der Paulskirchenverfassung und deren Scheitern. Man hielt sie für vage und abstrakte Rechtssätze, die von den staatlichen Organen jederzeit umgangen werden konnten. Die Diskussionen um sie hatten, wie man glaubte, den Abschluß der Verfassungsarbeiten der Paulskirche verzögert und letztlich zu deren Scheitern beigetragen.2 Man hielt sie zudem für praktisch überholt, weil mittlerweile viele liberale Forderungen unabhängig von Grundrechtskatalogen von den Landesgesetzgebern, ζ. B. durch das Straf- und Strafprozeßrecht, verwirklicht worden waren. In der Zukunft sollte der Reichsgesetzgeber solche Garantien in geltendes Recht umsetzen. Die Wohnung, das Postgeheimnis und verwandte Rechte wurden fortan nur noch einfach gesetzlich durch die RStPO, das RStGB und durch Nebengesetze geschützt. So schrieb z. B. § 5 des Gesetzes über das Postwesen des Deutschen Reiches vom 28. 10. 1871 vor, daß Eingriffe in das Briefgeheimnis bei strafgerichtlichen Untersuchungen und in Konkurs- und zivilprozessualen Fällen durch ein Reichsgesetz festzustellen seien. Hintergrund dieser Auffassungen war ein Wandel im staatstheoretischen Denken hin zum juristischen Positivismus. Die Wende vollzog sich mit C. F. v. Gerber (1823-1891) und dessen Schrift aus dem Jahr 1852 „Über öffentliche Rechte". 1 K. Amelung, Grundrechtstheoretische Aspekte der Entwicklung des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung; in: G. Birtsch (Hrsg.), Grund- und Freiheitsrechte von der ständischen zur spätbürgerlichen Gesellschaft, S. 318. 2

L. v. Rönne, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1. Bd., S. 107.

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3. Teil: Reichsstrafprozeßordnung und Reichsstrafgesetzbuch

Ferner sind in diesem Zusammenhang P. Laband, G. Meyer, H. Schulze und G. Anschütz zu nennen. Nur noch das vom Gesetzgeber gesetzte Recht bzw. das geltende Gewohnheits- oder Richterrecht waren als Rechtsquellen anerkannt, während dem Staat vor- und übergeordnete Rechtsgrundsätze verneint wurden. 3 Vor allem erkannte man keine vorstaatlichen Grundrechte mehr an. Die Rede war nun von den, sich von den Grundrechten wesentlich unterscheidenden subjektiv öffentlichen Rechten. Es handelte sich dabei um durch Rechtsakt verliehene Rechtspositionen. Zur Beschreibung ihrer Entstehungsweise griff man auf den aus dem 18. Jahrhundert stammenden, von J. S. Pütter geprägten Begriff der „wohlerworbenen Rechte" zurück. 4 Anders als diesen mangelte es den subjektiv öffentlichen Rechten des 19. Jahrhunderts aber an der „Gesetzesfestigkeit". Sie sollten durch einfaches Recht entzogen werden dürfen, wogegen der einzelne keinen Rechtsschutz in Anspruch nehmen konnte.5 Rechtsschutzmöglichkeiten bestanden nur gegenüber gesetzwidrigem staatlichem Handeln der vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt.6 Die Rechtsstellung des einzelnen war damit in die Hände des Gesetzgebers gelegt. Nicht als Subjekt, sondern als Objekt der Staatsherrschaft begriff man das Individuum. Es stand zum Staat im Verhältnis der Unterwerfung 7 und war ihm in erster Linie durch Pflichten verbunden.8 „Die staatsrechtliche Stellung eines Unterthanen ist die eines staatlich Beherrschten und mit diesem Begriffe vollständig bezeichnet."9

Zu Garantien einer persönlichen Geheimsphäre machten die staatsrechtlichen Werke der Zeit kaum Aussagen. Eine oberaufsehende Gewalt neben der Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung wurde abgelehnt, weil sie nur eine, die Tätigkeiten der anderen Gewalten vorbereitende Funktion habe und ihr deshalb keine selbständige Bedeutung zukomme.10 Infolgedessen erübrigte sich auch eine Auseinandersetzung mit ihren Grenzen. Auch Grundrechte lehnte man in der Staatsrechtsliteratur ab. Die Ausgestaltung des subjektiven Rechtskreises des einzelnen sollte in den Händen des Gesetzgebers liegen. In der Gesetzgebung nach der Reichsgründung flössen dann in der Tat im wesentlichen die Ergebnisse ein, zu denen man in den Gesetzen der Länder und in der

3

K. Kröger, Einführung in die jüngere deutsche Verfassungsgeschichte, S. 99 ff. C. F. v. Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 201. 5 C. F. v. Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 207; G. Anschütz, Deutsches Staatsrecht, in: Encyklopädie der Rechtswissenschaft, 2. Bd., S. 532. 6 G. Anschütz, Deutsches Staatsrecht; in: Encyklopädie der Rechtswissenschaft, 2. Bd., S. 535. 7 G. Meyer, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 25. 8 G. Meyer, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 645. 9 C. F. v. Gerber, Über öffentliche Rechte, S. 63. 4

!0 C. F. v. Gerber, Grundzüge des Deutschen Staatsrechts, S. 30.

2. Abschn.: Geheimnisschutz in der Reichsstrafprozeßordnung

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Frankfurter Reichsverfassung gelangt war. Dies galt auch für die Bestimmungen, die dem Schutz einer persönlichen Geheimsphäre dienten. Am 15. Mai 1871 wurde das Reichsstrafgesetzbuch verkündet. Am Ol. 10. 1879 traten dann die vier Reichsjustizgesetze in Kraft, zu denen auch die Reichsstrafprozeßordnung gehörte.

2. Abschnitt

Persönlicher Geheimnisschutz in der Reichsstrafprozeßordnung Die Reichsstrafprozeßordnung wurde durch insgesamt drei zwischen 1873 und 1874 erarbeitete Entwürfe vorbereitet. 11 Der erste und für die weiteren Beratungen maßgebliche Entwurf wurde nach einer entsprechenden Aufforderung durch Bismarck im Preußischen Justizministerium erarbeitet. Damit war vorprogrammiert, daß die ebenfalls in diesem Ministerium entstandene Strafprozeßordnung für die neuen preußischen Landesteile von 1867 und der Entwurf für eine preußische Strafprozeßordnung aus dem Jahr 1865 sich als einflußreich erweisen mußten, was sich auch bei den hier interessierenden Vorschriften bemerkbar machte.

A. Die Zeugnisverweigerüngsrechte Auch hinsichtlich der Zeugnisverweigerungrechte knüpfte die RStPO im wesentlichen an die Ergebnisse der vorausgegangenen Jahrzehnte an. Zum Kreis der Zeugnisverweigerungsberechtigten gehörten die üblichen Personen (§ 51 Ziff. 1: Verlobter; § 52 Ziff. 2: Ehegatte, auch nach Scheidung; § 51 Ziff. 3: Verwandte, Verschwägerte, § 52 Ziff. 1: Geistlicher; § 52 Ziff. 2: Verteidiger; § 52 Ziff. 3: Rechtsanwälte). Das bereits in der StPO Württemberg 1868 enthaltene Zeugnisverweigerungsrecht zugunsten von Presseangehörigen wurde nicht übernommen. Eine Neuerung stellte allerdings die Befreiung der Ärzte von der Zeugnispflicht dar. Fast keine der Strafprozeßordnungen hatte eine solche Regelung enthalten.12 In den Beratungen von Kommission und Plenum bildete die Befreiung der Ärzte ein äußerst umstrittenes Thema.13 Die Gegner einer Aufnahme befürchteten den 11

Vgl. zur Gesetzgebungsgeschichte: E. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, § 299, S. 345 f. 12 Nur Art. 176 Ziff. 4 StPO Thüringen 1850 in der Fassung für Dessau-Köthen hatte auch die Ärzte von der Zeugnispflicht befreit. 13 E. Stegmann/C. Hahn (Hrsg.), Die gesamten Materialien, 3. Bd., 1. Abt., S. 582 ff. (Erste Lesung in der Kommission); 3. Bd., 2. Abt., S. 1234 ff. (Zweite Lesung in der Kommis-

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3. Teil: Reichsstrafprozeßordnung und Reichsstrafgesetzbuch

Verlust wichtiger Erkenntnisquellen gerade bei schweren Straftaten. Man befürchtete eine Ausuferung der berufsbedingten Zeugnisverweigerungsrechte. Wenn man die Arzte in den Katalog aufnehme, müßten konsequenterweise auch die Apotheker, Notare, Hebammen und deren Gehilfen befreit werden, weil § 300 RStGB auch sie unter Androhung von Strafe zur Verschwiegenheit verpflichte. 14 Schließlich einigte man sich dennoch auf die Befreiung der Ärzte. 15 Die Konfliktsituation sei die gleiche wie bei einem Rechtsanwalt. Durch Eid sei der Arzt zur Wahrung von Diskretion verpflichtet. Seine Schweigepflicht sei zudem gem. § 300 RStGB strafbewehrt. Im übrigen wende sich an den Verteidiger oder Anwalt derjenige, der Rat benötige zum Schutz seiner persönlichen Freiheit oder seiner Vermögenswerte, an den Arzt aber derjenige, der Hilfe suche, um Leben und Gesundheit, also wichtigere Rechtsgüter, zu bewahren. 16 § 51 Abs. 2 RStPO schrieb die Belehrung der Angehörigen über ihr Zeugnisverweigerungrecht vor, § 57 Abs. 2 RStPO ergänzte das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen im Sinne von § 51 um das früher bereits bekannte Eidesverweigerungsrecht entsprechend dem § 63 der geltenden StPO. § 52 Abs. 2 schrieb vor, daß, sobald der Verteidiger, der Anwalt und der Arzt durch den Beschuldigten von ihrer Schweigepflicht entbunden waren, diese Personen zur Ablegung des Zeugnisses verpflichtet waren. Anders als dies noch eine Reihe von Territorialgesetzen getan hatte, erklärte die Reichsstrafprozeßordnung die Aussage von Personen i. S. d. § 52, die sich unter Verstoß gegen ihre Schweigepflicht als Zeugen hatten vernehmen lassen, nicht mehr ausdrücklich für unzulässig. Es blieb offen, ob auf diese Weise erlangte Aussagen verwertet werden durften oder nicht. Eine Beschränkung des Fragerechts der Verhörsperson zum Schutz der Ehre des Zeugen, die bereits die meisten partikularen Strafprozeßordnungen vorgesehen hatten, fand keinen Eingang in die Reichsstrafprozeßordnung. Ausweislich der Motive des Ersten Entwurfs befürchtete man, wichtige Beweismittel zu verlieren und manche Straftaten, ohne die Möglichkeit, solche Fragen zu stellen, gar nicht aufklären zu können. Den Begriff der „Schande" oder „Unehre" hielt man für dehnbar und zu unbestimmt, die Vorschrift insgesamt für unpraktikabel, weil die Beurteilung, ob eine in diesem Sinn verbotene Frage vorliege, ihre Beantwortung voraussetze.17 In den Kommissionsberatungen wurden nochmals Anträge gestellt, in Übereinstimmung mit den älteren Strafprozeßordnungen eine solche Regelung wieder einzufühsion); 3. Bd., 2. Abt., S. 1543 ff. (Bericht der Kommission); 3. Bd., 2. Abt., S. 1753 ff. (Zweite Beratung im Plenum). 14 E. Stegmann/C. Hahn (Hrsg.), Die Gesamten Materialien, 3. Bd., 1. Abt., S. 582 ff.; 3. Bd., 2. Abt., S. 1234 ff.; 3. Bd., 2. Abt., S. 1753 ff. 15 E. Stegmann/C. Hahn (Hrsg.), Die Gesamten Materialien, 3. Bd., 2. Abt., S. 1759. 16 E. Stegmann/C. Hahn (Hrsg.), Die Gesamten Materialien, 3. Bd., 2. Abt., S. 1543 (Bericht der Kommission). 17 E. Stegmann/C. Hahn (Hrsg.),: Die Gesamten Materialien, 3. Bd., 1. Abt. (Motive des Entwurfs), S. 107.

2. Abschn.: Geheimnisschutz in der Reichsstrafprozeßordnung

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ren, um den guten Namen und die persönlichen Verhältnisse des Zeugen zu schützen. 18 Die Anträge wurden allerdings mit den Argumenten des Entwurfs abgelehnt. 19 Die Vorschrift wurde erst durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Einschränkung der Eide im Strafverfahren vom 24. 11. 1933 wieder eingefügt. 20 und mit dem Opferschutzgesetz vom 18. 12. 1986 zu einer Vorschrift, die allgemein den „persönlichen Lebensbereich" des Zeugen schützen sollte, ausgebaut.21

B. Die Beschlagnahme von Beweismitteln I. Die allgemeine Beschlagnahme 1. Im Gegensatz zu den meisten Partikulargesetzen der vorausgegangenen Jahrzehnte, die nur die Beschlagnahme von Briefen und Papieren einschließlich der Postbeschlagnahme als besonders intensiv Geheimhaltungsinteressen betreffende Maßnahmen einer gesetzlichen Regelung unterworfen hatten, enthielt die RStPO selbständige Bestimmungen über die allgemeine Beschlagnahme von Beweismitteln (§§ 94-101), die räumlich - wie in der StPO Preußen 1867 und anders als in einigen anderen partikularen Strafprozeßordnungen - vor die Bestimmungen über die Durchsuchungen gezogen wurden. Damit verlor die Beschlagnahme den Charakter eines Annexes zur Durchsuchung. In der RStPO wurde sie erstmals als ein selbständiges Zwangsmittel anerkannt. 22 Die Ausdehnung des Beschlagnahmeschutzes läßt sich damit erklären, daß nun der Gedanke des Eigentumsschutzes gegenüber einem „bloßen" Geheimnisschutz an Gewicht gewann. Die folgende Darstellung orientiert sich am Aufbau des Gesetzes und beginnt mit der Beschlagnahme von Beweismitteln. Die Vorschriften erfaßten sowohl die Beschlagnahme von im Rahmen einer Durchsuchung aufgefundenen Gegenständen als auch die unabhängig von einer solchen erfolgenden Beschlagnahmen einschließlich der Beschlagnahme von Briefen auf der Post. § 94 StPO entsprach dem § 94 der geltenden StPO. Unterschieden wurde zwischen der Inverwahrungnahme als formloser (§ 94 Abs. 1) und der Beschlagnahme als förmlicher Sicherstellung (§ 94 Abs. 2). Der Beschlagnahme bedurfte es, wenn durch sie in Privatrechte eingegriffen wurde, was namentlich dann der Fall war, wenn sich die betreffende Sache im Gewahrsam einer Person befand und diese der amtlichen Inbesitznahme widersprach. 23 § 95 RStPO, der die Herausgabepflicht regelte, entsprach § 95 StPO. 18 Anträge Dr. Grimm und Hauck, E. Stegmann /C. Hahn (Hrsg.), Die Gesamten Materialien, 3. Bd., l.Abt., S. 588 ff. ( Erste Lesung in der Kommission). 19 E. Stegmann/C. Hahn (Hrsg.), Die Gesamten Materialien, 3. Bd., 1. Abt., S. 591. 20 RGBl. I, S. 1008.

21 BT-Drucksache 10/5385, S. 8 ff. 22 R. -J. Freyberg, Über die Beschlagnahme, S. 64. 12 Austermühle

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3. Teil : Reichsstrafprozeßordnung und Reichsstrafgesetzbuch

Eine Herausgabepflicht bestand für Dritte, nicht für den Beschuldigten.24 Gegenüber zeugnisverweigerungsberechtigten Personen konnte die Herausgabepflicht nicht durchgesetzt werden gem. § 95 Abs. 2 RStPO. Allerdings waren diese zur Duldung der Beschlagnahme verpflichtet, soweit § 97 RStPO nicht entgegenstand, weil es sich hierbei um einen Akt handelte, an dessen Realisierung der Zeuge nicht mitwirken mußte.25 2. Auch hinsichtlich der Anordnungszuständigkeit verstärkte die RStPO den Beschlagnahmeschutz gegenüber den Länderstrafprozeßordnungen. Während die Territorialgesetze nur die Beschlagnahme von Papieren und Briefen von einem richterlichen Befehl abhängig gemacht hatten, verlangte die Reichsstrafprozeßordnung nun bei allen Arten von Beschlagnahmen und fast ohne Ausnahmen eine richterliche Entscheidung. Sofern die Staatsanwaltschaft oder deren Hilfsbeamte (§ 153 GVG), die eine Ausnahmezuständigkeit bei Gefahr in Verzug besaßen, die Beschlagnahme von Beweismitteln angeordnet hatten, mußte binnen drei Tagen um die richterliche Bestätigung nachgesucht werden (§ 98 Abs. 2, Abs. 3), sofern bei der Beschlagnahme weder der davon Betroffene noch ein erwachsener Angehöriger anwesend gewesen waren oder wenn diese der Beschlagnahme ausdrücklich widersprochen hatten. Unabhängig davon konnte der Betroffene jederzeit die richterliche Entscheidung verlangen (§ 98 Abs. 2 S. 2). Dies war dahingehend auszulegen, daß der Betroffene eine richterliche Nachprüfung auch dann verlangen konnte, wenn er den Gegenstand zunächst freiwillig herausgegeben hatte oder wenn eine richterliche Entscheidung bereits ergangen war. 26 Die Fassung des § 98 war Gegenstand lebhafter Diskussionen. Noch der Entwurf hatte eine richterliche Bestätigung auf Antrag des Berechtigten vorgesehen.27 Die Kommission ging noch darüber hinaus und beschloß, daß eine richterliche Bestätigung in den genannten Fällen zusätzlich von Amts wegen herbeizuführen sei. Durch den grundsätzlichen Richtervorbehalt wurde die fehlende Möglichkeit des Betroffenen, sich gegen den Eingriff in seine Privatsphäre und sein Eigentum vor Vollzug der Beschlagnahme zur Wehr zu setzen, kompensiert. Wenigstens sollte die vorherige Rechtmäßigkeitsprüfung durch eine neutrale Instanz sichergestellt sein.28 Im Falle einer nicht - richterlichen Beschlagnahme, die ohne oder gegen den Willen des Betroffenen erfolgt war, mußte der Richter nachträglich betei23

Vgl. Motive zu § 85 des Entwurfs: E. Stegmann/C. Hahn (Hrsg.), Die Gesamten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, 3. Bd., 1. Abt., S. 123. 24 F. Ο. v. Schwarze, Commentar zur Deutschen Strafprozeßordnung, Anm. zu § 95 RN 4, S. 226. 25

F. Ο. v. Schwarze, Commentar zur Deutschen Strafprozeßordnung , Anm. zu § 95 RN 6, S. 226. 26 E. Löwe, Die Strafprozeßordnung für das Deutsche Reich, Anm. zu § 98, RN la. 27 § 89 I I des Entwurfs, E. Stegmann/C. Hahn (Hrsg.), Die Gesamten Materialien, 3. Bd., 2. Abt., S. 2178. 28 Vgl. zum Regelungsgehalt des § 98 StPO K. Amelung, Kommentar zur Strafprozeßordnung. Reihe Alternativkommentare, Anm. zu § 98, 2. Bd., 1. Teilbd., R 2, S. 53.

2. Abschn.: Geheimnisschutz in der Reichsstrafprozeßordnung

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ligt werden. Auf diese Weise wurden die Strafverfolgungsbeamten zu einer sorgfältigen Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen angehalten. Schließlich konnte jeder Betroffene selbst eine richterliche Nachprüfung seiner fortdauernden Rechtsbeeinträchtigung herbeiführen. Gegen einen erfolgten richterlichen Beschlagnahmebefehl war eine weitere Rechtsschutzmöglichkeit eröffnet. Der Betroffene konnte gem. § 346 RStPO hiergegen Beschwerde einlegen. 3. Anknüpfend an die Vielzahl der nach 1848 erlassenen Strafprozeßordnungen, die zum Schutz der vertraulichen Kommunikation zwischen dem Beschuldigten und bestimmten Bezugspersonen Beschlagnahmeverbote aufgenommen hatten, erklärte § 97 RStPO schriftliche Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und zeugnisverweigerungsberechtigten Personen für beschlagnahmefrei. Im Vergleich zu den meisten Partikulargesetzen wurde der Kreis der geschützten Personen ausgedehnt. Das Beschlagnahmeverbot erfaßte die Korrespondenz des Beschuldigten mit allen zeugnisverweigerungsberechtigten Personen i. S. v. §§ 51, 52 RStPO, d. h. mit dem Verlobten (§51 Ziff. 1), dem Ehegatten, auch nach Auflösung der Ehe (§ 51 Ziff. 2), den Verwandten (§ 51 Ziff. 3), dem Geistlichen (§ 52 Ziff. 1), dem Verteidiger (§ 52 Ziff. 2), sowie mit den Rechtsanwälten und Ärzten (§ 52 Ziff. 3). Voraussetzung war allerdings, daß sich die Mitteilungen noch im Gewahrsam jener Personen befanden und diese nicht teilnahmeverdächtig waren. Geschützt waren nur Mitteilungen. Hinter § 97 der heutigen Strafprozeßordnung blieb der Beschlagnahmeschutz der RStPO allerdings zurück. Nicht beschlagnahmefrei waren ζ. B. Aufzeichnungen, die Ärzte oder Rechtsanwälte über ihnen vom Beschuldigten anvertraute Mitteilungen gemacht hatten, oder sonstige Gegenstände in ihrem Besitz, die einen Zusammenhang zu ihrem Zeugnisverweigerungsrecht aufwiesen. Man befürchtete, daß der Beschuldigte sonst in der Lage wäre, jedes seiner Uberführung dienliche Schriftstück dadurch der Beschlagnahme zu entziehen, daß er es an eine Person i. S. v. § 97 RStPO übergab. 29 Wie bereits erwähnt leitete das Reichsgericht einige Zeit später aus § 97 RStPO ein Verwertungsverbot ab mit der Folge, daß ein auf gesetzwidrige Weise erlangtes Beweismittel bei der Urteilsfällung keine Berücksichtigung finden durfte. 30 In dem zu entscheidenen Fall war unter Verstoß gegen § 97 RStPO ein Brief beschlagnahmt worden, dessen Inhalt für die Untersuchung zwar bedeutungslos war, der in der Hauptverhandlung jedoch zwecks Schriftvergleichung benutzt worden war. Das Reichsgericht urteilte, daß die Beschlagnahme des Briefes überhaupt unzulässig gewesen war und der Brief nach keiner Richtung als Beweismittel, insbesondere auch nicht durch Schriftvergleichung, bei der Entscheidung in der Hauptsache verwertet werden durfte.

29 E. Löwe: Die Strafprozeßordnung für das Deutsche Reich, Anm. zu § 97 RN 2, S. 359. 30 RG St 20, 91 ff.; daran anknüpfend RG St 47,195 ff. 12*

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3. Teil: Reichsstrafprozeßordnung und Reichsstrafgesetzbuch

II. Die Beschlagnahme von Briefen auf der Post § 99 RStPO entsprach § 99 der heutigen Strafprozeßordnung. Auf der Post beschlagnahmt werden durften vom Beschuldigten abgesandte oder an ihn adressierte Sendungen. Von Dritten an Dritte gerichtete Briefe waren nur dann Gegenstand einer Beschlagnahme, wenn konkrete Tatsachen vorlagen, daß sie dennoch vom Beschuldigten herrührten oder für ihn bestimmt waren, die Adresse also der Verdekkung diente, und daß sie Verfahrenserhebliches enthielten. Eine Beschränkung der Postbeschlagnahme auf Straftaten von einigem Gewicht, wie sie manche Partikulargesetze enthalten hatten, war nicht vorgesehen. Bei Verdacht bloßer Übertretungen und geringer Vergehen durfte ebenfalls beschlagnahmt werden. Eine Ausnahme war in der Kommission zunächst beschlossen31, später aber wieder beseitigt worden. § 100 enthielt eine von den allgemeinen Beschlagnahmevorschriften abweichende Zuständigkeitsregelung, die im wesentlichen § 100 der geltenden StPO entsprach. Nur der Staatsanwalt hatte in Ausnahmefällen, d. h. bei Gefahr in Verzug, neben dem Richter eine Anordnungszuständigkeit und auch nur bei Verbrechen und Vergehen, nicht bei bloßen Übertretungen. Offnen durfte nur der Richter die Sendungen. Eine dem § 100 Abs. 3 S. 2 StPO entsprechende Übertragungsbefugnis des Richters sah die RStPO noch nicht vor. Binnen drei Tagen mußte der Staatsanwalt eine richterliche Bestätigung gem. § 100 Abs. 2 RStPO einholen. Anderenfalls trat die Beschlagnahme außer Kraft, und die Post mußte die Briefe weiterbefördern. Mit § 101 Abs. 1 - 3 übernahm die RStPO die aus früheren Länderstrafprozeßordnungen bereits bekannten Benachrichtigungs- und Mitteilungspflichten bei Postbeschlagnahmen. Gem. § 101 Abs. 1 waren Absender und Adressat von der Beschlagnahme zu unterrichten. 32 Briefe, die nicht geöffnet worden waren bzw. die nach der Öffnung nichts Verfahrenserhebliches ergeben hatten, mußten an die Beteiligten zurückgegeben werden (§ 101 Abs. 2). Enthielt der Brief nur ζ. T. wesentliche Informationen, waren die übrigen Nachrichten dem Adressaten schriftlich mitzuteilen (§101 Abs. 3).

31

F. O.v. Schwarze, Commentar zur Deutschen Strafprozeßordnung, Anm. zu § 99, RN 4, S. 231. 32 M. Stenglein, Die Strafprozeßordnung für das Deutsche Reich, Anm. zu § 101, RN 2, S. 241.

2. Abschn.: Geheimnisschutz in der Reichsstrafprozeßordnung

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C. Die Durchsuchung (der Person, der Wohnung bzw. anderer Räumlichkeiten und beweglicher Sachen) I. Keine Privilegierung der allgemeinen Durchsuchung Anders als noch viele Territorialstrafprozeßordnungen privilegierte die RStPO die allgemeine Durchsuchung nicht mehr gegenüber der speziellen Durchsuchung. Das Gesetz kannte nur die Hausdurchsuchung beim Verdächtigen (§ 102) und diejenige bei unverdächtigen Dritten (§ 103). Nach wie vor sollte dadurch die Durchsuchung eines ganzen Bezirks nicht ausgeschlossen sein. Es mußten aber in einem solchen Fall in bezug auf jedes einzelne Haus die Voraussetzungen des § 102 bzw. § 103 gegeben sein.33

II. Die Zulässigkeit einer Durchsuchung 1. Materielle Voraussetzungen

Das Gesetz knüpfte auch hier an die Grundsätze der Länderstrafprozeßordnungen an. Als Durchsuchungsobjekte kamen neben der Person alle beweglichen und unbeweglichen Gegenstände in Betracht. Damit waren alle Arten von Durchsuchungen an die gesetzlichen Voraussetzungen gebunden. Im übrigen wurde zwischen der Durchsuchung beim Verdächtigen einer strafbaren Handlung und derjenigen bei unbeteiligten Personen differenziert, wobei letztere an erschwerte Voraussetzungen geknüpft wurde. Sollte bei einer tatunbeteiligten Person durchsucht werden, mußten konkrete Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen war, daß die gesuchte Person, Sache oder Spur sich in den Räumlichkeiten befanden (§ 103 RStPO). Bei der Durchsuchung in der Wohnung des Beschuldigten reichte insoweit eine bloße Vermutung aus (§ 102 RStPO). Bei tatunverdächtigen Personen erschien die Durchsuchung nur als ein Mittel, die Herausgabepflicht zu erzwingen. Es durfte daher nur nach ganz bestimmten, individualisierten Gegenständen gesucht werden. 34 Von den Voraussetzungen des § 103 wurden in Abs. 2 allerdings Ausnahmen zugelassen. Als Vorbild hatte § 94 Abs. 1 und Abs. 2 Ziff. 1 der StPO für die mit Preußen vereinigten Landesteile von 1867 gedient. Räume, in denen der Beschuldigte ergriffen worden war oder welche er während der Verfolgung betreten hatte, wurden den erleichterten Voraussetzungen des § 102 RStPO unterstellt. Einen kon33

F. Ο. v. Schwarze, Commentar zur Deutschen Strafprozeßordnung, Anm. zu § 102, RN 5, S. 235. 34 E. Löwe, Die Strafprozeßordnung für das Deutsche Reich, Anm. zu § 102, RN 1, S. 372.

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3. Teil: Reichsstrafprozeßordnung und Reichsstrafgesetzbuch

kreten, auf bestimmte Gegenstände bezogenen Verdacht setzte man hier nicht voraus. Grund der Schlechterstellung war, daß bei solchen Räumen eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestand, daß Beweismittel aufgefunden wurden, ζ. B. solche, die der Beschuldigte während der Verfolgung von sich geworfen hatte.35 Die Ausnahmebestimmung erhielt sich bis heute (§ 103 Abs. 2 StPO). Die Durchsuchung war nicht auf schwerere Straftaten beschränkt, sondern bei allen Verbrechen, Vergehen und auch bloßen Übertretungen erlaubt. Ein entsprechender Antrag in der Kommission 3 6 konnte sich nicht durchsetzen. Das Gesetz verbot es, Hausdurchsuchungen zur Nachtzeit in Wohnungen, Geschäftsräumen oder dem befriedeten Besitztum durchzuführen (§104 RStPO). Das Verbot war mit einem ganzen Katalog von Ausnahmen versehen, die dem Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit für Preußen von 1850 bzw. der StPO für die mit Preußen vereinigten Landesteile von 1867 entnommen worden waren und nun Eingang in die RStPO gefunden hatten. § 104 Abs. 2 RStPO schloß die bereits bekannte Gruppe der „besonders berüchtigten" Orte vom Schutz des § 104 Abs. 1 RStPO aus: Nachts durchsucht werden durften der Öffentlichkeit zugängliche Orte, vor allem Gasthäuser, sowie Orte, die der Polizei als Versammlungsorte des Verbrechens oder als Niederlagen von durch strafbare Handlung erlangten Sachen bekannt waren, Orte des unerlaubten Glücksspiels und der Prostitution. Bei den auch zur Nachtzeit allgemein zugänglichen Gasthäusern ging der Gesetzgeber davon aus, daß hier eine Störung der nächtlichen Ruhe nicht in Betracht kam. 37 Bei den anderen Räumlichkeiten nahm man an, daß sie vorzugsweise nachts von straffällig gewordenen Personen besucht wurden und gerade von nächtlichen Durchsuchungen Erfolg zu erwarten war.

2. Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften

Wie in allen Strafprozeßordnungen der Länder mußte grundsätzlich der Untersuchungsrichter - von Fällen der Gefahr in Verzug abgesehen - die Durchsuchung gem. § 105 Abs. 1 anordnen. Die RStPO ging nicht so weit wie einige Partikulargesetzgebungen, daß sie sofort oder binnen 24 Stunden danach die Zustellung eines schriftlichen und mit Gründen versehenen Durchsuchungsbefehls verlangte. Eine schriftliche Legitimation wurde gem. § 107 S. 1 RStPO dem Betroffenen nur auf sein Verlangen hin und erst nach Beendigung der Durchsuchung ausge35 Motive zu § 93, 94 des Entwurfs, E. Stegmann/C. Hahn (Hrsg.), Die Gesamten Materialien, 3. Bd., 1. Abt., S. 125 f. 36

F.O. v. Schwarze, Commentar zur Deutschen Strafprozeßordnung, Anm. zu § 102, RN 2, S. 234. 37 Motive zu § 95 des Entwurfs: E. Stegmann/C. Hahn (Hrsg.), Die Gesamten Materialien, 3. Bd., 1. Abt., S. 126.

2. Abschn.: Geheimnisschutz in der Reichsstrafprozeßordnung

183

stellt. Diese mußte über den Grund der Durchsuchung sowie im Falle des § 102 über die strafbare Handlung, deren der Betroffene verdächtigt wurde, Auskunft geben.38 Wurde bei einem tatunverdächtigen Dritten durchsucht, war diesem nur kurz vor der Durchsuchung der Zweck bekannt zu machen (§106 Abs. 2) und mitzuteilen, nach welchen Gegenständen gesucht wurde 39 . Dies ermöglichte es, die Durchsuchung auf bestimmte Räume oder Gegenstände zu beschränken. Durch eine Herausgabe konnte der Betroffene die Durchsuchung ganz abwenden. Für Räumlichkeiten i. S. v. § 104 Abs. 2 galt diese Regelung wiederum nicht. Im Gegensatz zu den meisten Strafprozeßordnungen der Partikularstaaten waren Zeugen gem. § 105 Abs. 2, der dem § 105 Abs. 2 der heutigen StPO entsprach, nur bei polizeilichen Durchsuchungen hinzuzuziehen. Nur in diesem Fall mußten ein Gemeindebeamter oder zwei Mitglieder der Gemeinde, die keine Polizisten sein durften, als Zeugen anwesend sein. Bereits § 95 StPO Preußen 1867 hatte die Hinzuziehung von Beamten der Gemeinde- oder Ortspolizeibehörde nur dann vorgesehen, wenn Polizeibeamte die Durchsuchung vornahmen. Als Grund für die Beschränkung der Zeugenregelung auf die polizeilichen Durchsuchungen wurde angeführt, daß bei Polizisten „ nicht schlechthin diejenige Kenntnis der Gesetze, welche dem Rechtsverständigen beiwohnt, voraussgesetzt werden kann. u40 Sämtliche der genannten Zuständigkeits- und Formvorschriften galten aufgrund von § 105 Abs. 3, der in der geltenden StPO nicht mehr enthalten ist, nicht bei Räumlichkeiten i.S.v. § 104 Abs. 2: Auch ohne daß Gefahr in Verzug vorlag, konnte von Staatsanwaltschaft oder Polizei die Durchsuchung angeordnet werden. Sofern Polizisten tätig wurden, brauchten diese keine Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft zu sein. Selbst in Fällen einer polizeilichen Durchsuchung, mußten keine Zeugen hinzugezogen werden. Die Befreiung von Zuständigkeits- und Formvorschriften bei Räumlichkeiten i. S. v. § 104 Abs. 2 war angreifbar. Eine Schlechterstellung dieser Orte war sinnvoll im Zusammenhang mit dem,»Nachtzeitverbot", weil hier Durchsuchungen zur Nachtzeit besonders erfolgversprechend waren bzw. eine Störung der Nachtruhe nicht in Betracht kam. Die Räumlichkeiten durften aber nicht als schlechthin weniger schutzwürdig angesehen werden. Um gesetzwidrige Eingriffe zu vermeiden, wäre die Einhaltung der im übrigen geltenden Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften in gleicher Weise geboten gewesen. 38 M. Stenglein, Die Strafprozeßordnung für das Deutsche Reich, Anm. zu § 107, RN 1, S. 248; F.O. v. Schwarze, Commentar zur Deutschen Strafprozeßordnung, Anm. zu § 107, RN 3, S. 240. 39 M. Stenglein, Die Strafprozeßordnung für das Deutsche Reich, Anm. zu § 106, RN 4, S. 247 f. 40 Motive zu § 96 des Entwurfs: E. Stegmann/C. Hahn (Hrsg.), Die Gesamten Materialien, 3. Bd., 1. Abt., S. 127.

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3. Teil: Reichsstrafprozeßordnung und Reichsstrafgesetzbuch 3. Die Papierdurchsuchung

Abweichend von § 110 der geltenden StPO bestimmte § 110 RStPO, daß die Durchsicht von Papieren nur dem Richter zustand. Nach dem Entwurf sollte sie dem Richter und den Beamten der Staatsanwaltschaft zustehen, weil von beiden in gleicher Weise die erforderliche Diskretion erwartet werden könne.41 Diese Fassung konnte sich aber nicht durchsetzen. Die Befugnis zur Durchsicht sollte nur dem Richter gewährt sein. 42 Die Vorschrift war nur anwendbar auf die im Rahmen einer Durchsuchung vorgenommenen Papierdurchsuchungen. Die Beschlagnahme und Durchsuchung von Papieren, die sich auf der Post befanden, unterlag den Sonderbestimmungen der §§ 99-101; die Beschlagnahme von Papieren, die an öffentlichen Orten aufgefunden worden waren, erfolgte nach den §§ 94-98. 4 3 Seine praktische Bedeutung hatte § 110, wenn nicht der Richter, sondern die Staatsanwaltschaft oder die Polizei die Durchsuchung vornahmen. Sie durften die aufgefundenen Papiere zwar beschlagnahmen, aber nicht durchsehen (§110 Abs. 2). Vielmehr mußten sie sie ungelesen in einem versiegelten Umschlag an den Richter weiterleiten.

3. Abschnitt

Persönlicher Geheimnisschutz im Reichsstrafgesetzbuch von 1871 A. Die Verletzung des Brief- bzw. Postgeheimnisses I. Die Verletzung des Postgeheimnisses Den qualifizierten Fall der Verletzung des Postgeheimnisses durch Post- und Telegraphenbeamten regelten die §§ 354, 355 RStGB im 28. Abschnitt („Verbrechen und Vergehen im Amte"). Die Paragraphen stellten eine Kombination aus echtem und unechtem Amtsdelikt dar. 44 Wegen des unbefugten Öffnens von Paketen und Sendungen konnten sich auch Privatpersonen gem. § 299 RStGB strafbar machen, während hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals des Unterdrückens eine Strafbar41 Motive zu § 99 des Entwurfs: E. Stegmann/C. Hahn (Hrsg.), Die Gesamten Materialien, 3. Bd., 1. Abt.,S. 127. 42

F.O. v. Schwarze, Commentar zur Deutschen Strafprozeßordnung, Anm. zu § 110, RN 2, S. 241. 43 M. Stenglein, Die Strafprozeßordnung für das Deutsche Reich, Anm. zu § 110, RN 2, S. 250 f. 44 E. Gerhard, Der strafrechtliche Schutz des Briefes, in: Freiburger Abhandlungen auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts, Heft 4, S. 39 ff.

3. Abschn. : Geheimnisschutz im Reichsstrafgesetzbuch von 1871

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keit nur dann in Betracht kam, wenn es von einem Post- bzw. Telegraphenbeamten begangen wurde. Die Vorschriften beruhten auf § 328 StGB Preußen 185145, den man seinerseits aus dem unter dem Einfluß des Code Pénal zustande gekommenen StGB Hessen 1841 entnommen hatte. Ihrer Entstehungsgeschichte nach waren sie deshalb liberal beeinflußt und bezweckten vorwiegend den Schutz des Bürgers vor staatlichen Übergriffen auf den Postverkehr.

II. Die Verletzung des Briefgeheimnisses durch Private Die Verletzung des Briefgeheimnisses durch Privatpersonen (§ 299 RStGB) regelte das RStGB im 25. Abschnitt „Strafbarer Eigennutz". 46 Während frühere Partikularstrafgesetze häufig das Lesen oder Abschreiben offener Schriftstücke unter Strafe gestellt hatten, beschränkte das RStGB die Strafbarkeit auf das Offnen verschlossener Urkunden. Auch auf die früher häufig verlangte gewinnsüchtige Absicht beim Offnen verzichtete das Gesetz. Als Vorbild hatte § 280 StGB Preußen 1851 gedient. Wie diese Vorschrift bereits schützte auch § 299 RStGB den „ Verschlußwillen und die willensmäßige Bestimmung des Schriftstükkes zur ausschließlichen Kenntnisnahme bestimmter Destinatäre " 4 7 , d. h. die durch den Briefverschluß zum Ausdruck kommenden Geheimhaltunginteressen der Berechtigten. Der Annahme dieses Schutzgutes stand auch die Überschrift des 25. Abschnitts „Strafbarer Eigennutz" nicht entgegen. Es ließ sich aus ihr nicht ableiten, daß die Verletzung des Briefgeheimnisses als Vorbereitung einer Vermögensgefährdung begriffen wurde. 48 Zu den Vermögensdelikten in diesem Abschnitt bildeten die Geheimnis Verletzungen nur einen „willkürlichen Anhang". 49 Geschützt werden sollte das „persönliche Interesse an der Achtung des Privatgeheimnisses".50 Die im 25. Abschnitt zusammengefaßten Delikte wiesen keinen einheitlichen Charakter auf, sondern besaßen ganz unterschiedliche Schutzrichtungen.51 Auch für das RStGB galt noch, daß die Stellung der Vorschriften im Gesetz bei 45 J. Olshausen, Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 2. Bd., Anm. zu § 354, S. 1414. 46 An dieser Fassung wurde lange Zeit nichts mehr geändert. Erst durch das EGStGB wurde der Anwendungsbereich erheblich ausgeweitet. 47 K. Binding , Lehrbuch des Gemeinen Deutschen Strafrechts, BT, 1. Bd., S. 128. 48 J. Olshausen, Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 2. Bd., Einl. 25. Abschnitt, S. 1203. 49 A. F. Berner, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, S. 616. 50 F. v. Holtzendorff, Handbuch des Deutschen Strafrechts, 3. Bd., S. 826. 51

Eine ganze Reihe von Tatbeständen richtete sich gegen fremde Vermögensinteressen (§§ 289-296), die §§ 284-286 (unerlaubtes Glücksspiel und Lotterie) gehörten in den Bereich der Sittenpolizei; F. v. Holtzendorff, Handbuch des Deutschen Strafrechts, 3. Bd., S. 826 f.

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3. Teil: Reichsstrafprozeßordnung und Reichsstrafgesetzbuch

der Ermittlung des Schutzgutes einen geringen Stellenwert besaß, weil die Tatbestände nicht streng systematisch unter dem Gesichtspunkt des geschützten Rechtsguts angeordnet waren.

B. Die Verletzung des Berufsgeheimnisses § 300 RStGB wich von § 155 StGB Preußen 1851 wieder ab, der die Strafbarkeit erheblich ausgedehnt hatte, indem er sämtliche Personen, die ihnen kraft ihres Amtes oder Gewerbes anvertraute Privatgeheimnisse offenbarten, für strafbar erklärt hatte. § 300 RStGB zählte die möglichen Täter abschließend auf. Es handelte sich um die Angehörigen von Rechtspflegeberufen (Rechtsanwälte, Notare, Strafverteidiger) und Heilpflegeberufen (Arzte, Wundärzte, Hebammen, Apotheker) sowie jeweils die Gehilfen dieser Personen. Im übrigen wurde in § 300 RStGB bewußt auf eine Schädigungsabsicht beim Täter verzichtet, weil die Geheimnisverletzung an sich und nicht die Vorbereitung einer Vermögens- oder anderweitigen Schädigung bestraft werden sollte. 52 Hinsichtlich der Eingruppierung des § 300 RStGB im Abschnitt über den „Strafbaren Eigennutz" gilt das zur Verletzung des Briefgeheimnisses Ausgeführte. Die Überschrift ließ keinerlei Schlußfolgerungen dahingehend zu, daß Vermögensinteressen geschützt werden sollten.53 Der Grund für die Wahl des Standortes bestand lediglich darin, daß man einen passenderen Standort nicht gefunden hatte und man insbesondere die Vorschrift aus dem Abschnitt über die Ehrverletzungen herausnehmen wollte, wo das StGB Preußen 1851 sie noch eingeordnet hatte.

C. Der Hausfriedensbruch I. Der Hausfriedensbruch im Amt Im 28. Abschnitt „Verbrechen und Vergehen im Amte" enthielt das RStGB eine Sondervorschrift über die Begehung eines Hausfriedensbruchs durch Beamte in Ausübung ihres Amtes (§ 342). Die Vorschrift orientierte sich an § 318 StGB Preußen 1851 54 , der seinerseits an § 184 des Code pénal von 1810 anknüpfte. Der Zweck dieser Bestimmung hatte darin bestanden, das verfassungsrechtlich ver52 Insoweit kann auf die Motive des mit § 300 RStGB wörtlich übereinstimmenden § 296 des Entwurfs zum StGB des Norddeutschen Bundes zurückgegriffen werden: W. Schubert (Hrsg.), Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund, Anm. zu § 296, S. 82. 53 W. Schubert (Hrsg.), Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund, Anm. zu § 296, S. 82. 54 J. Olshausen, Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 2. Bd., Anm. zu § 342, S.1379.

3. Abschn.: Geheimnisschutz im Reichsstrafgesetzbuch von 1871

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briefte Grundrecht der Wohnungsfreiheit mit Mitteln des Strafrechts zu schützen. Aufgrund dieser Entstehungsgeschichte war § 342 RStGB mehr individualrechtsschützender als staatsschützender Natur.

II. Der einfache Hausfriedensbruch Die einfache Form des Hausfriedensbruchs regelte § 123 Abs. 1 des 7. Abschnitts („Verbrechen und Vergehen wider die öffentliche Ordnung"). Hinsichtlich seiner Tatbestandsvoraussetzungen entsprach er § 123 Abs. 1 des geltenden Strafgesetzbuches. Zu den geschützten Räumlichkeiten zählten neben der Wohnung, den Geschäftsräumen sowie den abgeschlossenen Räumen, welche zum öffentlichen Dienst bestimmt waren, auch das „befriedete Besitztum". Damit lehnte sich das RStGB an §§ 214, 346 StGB Preußen 1851 an. Den Begriff des „befriedigten Besitztums" ersetzte das RStGB allerdings durch den Begriff des „befriedeten Besitztums". Den Grund für diesen Unterschied herauszufinden, war wichtig für die Ermittlung des durch § 123 Abs. 1 RStGB geschützten Rechtsguts. Bereits das StGB für den Norddeutschen Bund hatte die Änderung vorgenommen, wobei die Motive keinerlei Auskunft über den Grund hierfür gaben. In der Folgezeit nach Erlaß des RStGB war die Auslegung des Begriffs „befriedetes Besitztum" in Rechtsprechung und Literatur äußerst umstritten. 55 Aus den Vorarbeiten zu § 214, 346 StGB Preußen 1851 war eindeutig hervorgegangen, daß hier auch Grundstücke und Gebäude, die keinen Zusammenhang zu einem Wohnhaus aufwiesen, also das gesamte umhegte Besitztum, in den Schutzbereich fielen. 56 Ein Teil der Literatur und die frühe Rechtsprechung zu diesem Thema sahen in der Verwendung des Begriffs des „befriedeten" statt des „befriedigten Besitztums" eine beabsichtigte inhaltliche Änderung. Man glaubte, daß der Gesetzgeber hinsichtlich des Schutzbereichs bewußt vom StGB Preußen 1851 abgewichen sei. § 123 Abs. 1 schütze den Hausfrieden und nicht das Eigentum. Erfaßt sei nur das zur Wohnung gehörende, den Zwecken des häuslichen Lebens dienende Besitztum.57 Dann könne auch auf das Erfordernis einer Einfriedung verzichtet werden, wenn ein äußerlich erkennbarer Zusammenhang zu einem Wohngebäude gegeben sei. 58

55 Vgl. hierzu im einzelnen M. Weber, Hausbesetzung als strafbarer Hausfriedensbruch, S. 182 ff. 56 Die Materialien zum Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten, 2. Bd., Anm. zu § 214, S. 455 f. 57 H. Hälschner, Das gemeine deutsche Strafrecht, 2. Bd., S. 144 ff.; RG 1, S. 547, Urteil vom 6.4. 1880.

58 RG St 3, S. 143, Urteil vom 16. 3. 1881.

188

3. Teil: Reichsstrafprozeßordnung und Reichsstrafgesetzbuch

Der überwiegende Teil der Literatur hingegen hielt die Begriffe für ethymologisch gleichbedeutend. Das RStGB knüpfe hinsichtlich des Schutzbereiches an das StGB Preußen 1851 an und schütze deshalb nicht nur den Hausfrieden, sondern das gesamte Besitztum, wobei am Erfordernis der Einfriedung allerdings bei allen Orten festzuhalten sei. 59 Die spätere Rechtsprechung des Reichsgerichts legte den Schutzbereich des „befriedeten Besitztums" weit aus, indem es sämtliche Grundstücke, auch wenn kein Zusammenhang zu einem Wohngebäude bestand, in den Schutzbereich einbezog. Für diesen Fall verlangte es allerdings eine Einhegung als Voraussetzung der Befriedung, während bei Grundstücken und Gebäuden des Wohnbereiches ein äußerlich erkennbarer Zusammenhang genügen sollte. 60 Ganz überwiegend wurde der Hausfriedensbruch daher weit ausgelegt, so daß er sich darstellte als eine Mischung aus Besitz- bzw. Eigentumsschutz und der Wahrung des häuslichen Friedens. In systematischer Hinsicht hatte der Hausfriedensbruch seinen Platz gefunden bei den Straftaten gegen die öffentliche Ordnung, obwohl bereits das StGB Preußen 1851 ihn bei den Delikten gegen die persönliche Freiheit und Sicherheit eingeordnet hatte. Ausweislich der Motive sollte damit der einfachen Form des Hausfriedensbruches keinesfalls der private Charakter genommen werden. 61

Ergebnisse des Dritten Teils Die Reichsverfassung von 1871 enthielt keinen Grundrechtsteil mehr, da man glaubte, daß sich die Grundrechte als praktisch wirkungslos erwiesen hätten. Fortan sollte es Aufgabe des Reichsgesetzgebers sein, persönliche Rechte der Untertanen einfachgesetzlich zu schützen. Dabei konnte an die Ergebnisse der vorausgegangenen Jahrzehnte angeknüpft werden. Was den Geheimnisschutz anging, fanden die wesentlichen Entwicklungen in den Partikulargesetzen Eingang in die Reichsstrafprozeßordnung und in das Reichsstrafgesetzbuch. 1. Die Reichsstrafprozeßordnung blieb in einigen Punkten hinter dem mit den Länderstrafprozeßordnungen erreichten Standard zurück. Der Einfluß der vorausgegangenen preußischen Gesetzgebung auf diesem Gebiet war nicht zu übersehen. Dies betraf vor allem die Schlechterstellung einzelner „berüchtigter" Orte sowie die Ausnahmen bei der Pflicht, neutrale Zeugen zur Durchsuchung hinzuzuziehen, 59 J. v. Olshausen, Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 1. Bd., Anm. zu § 123, S. 509. 60 RG St 20, 150, 155 Urteil v. 28.1./3.12. 1889. 61

W. Schubert (Hrsg.), Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund, Anm. zu §§ 121 — 129, S. 62.

Ergebnisse des i t e n Teils

189

und den Verzicht auf die Schriftlichkeits- und Begründungspflicht des Durchsuchungsbefehls. Hinsichtlich der Zeugenvernehmung fehlte die Vorschrift zur Beschränkung des Fragerechts der Verhörsperson zum Schutz der Ehre und der persönlichen Verhältnisse des Zeugen. Im wesentlichen wurden die gemeinsamen Grundsätze der Länderstrafprozeßordnungen aber übernommen. Dies galt zum einen für die Durchsuchung und Beschlagnahme (Unterscheidung zwischen Durchsuchung beim Beschuldigten und bei Dritten, Nachtzeitverbot, Richtervorschaltung, Hinzuziehung des Betroffenen, Sondervorschriften für die Papierdurchsicht, Beschlagnahmeverbote für die Korrespondenz zwischen dem Beschuldigten und Vertrauenspersonen, strenge Zuständigkeitsregeln für die Beschlagnahme von Briefen auf der Post), aber auch für die Zeugnisverweigerungsrechte (Befreiung von der Zeugnispflicht nicht nur für Angehörige, sondern auch für Rechtsanwälte, Verteidiger, Ärzte). Hinsichtlich des Beschlagnahmeschutzes ging die Reichsstrafprozeßordnung über die frühere Landesgesetzgebung hinaus. Während die FRV und die Mehrzahl der Länderstrafprozeßordnungen Sonderregelungen nur für die Beschlagnahme von Briefen und Papieren vorgesehen hatten, dehnte die Reichsstrafprozeßordnung diese auf sämtliche Beschlagnahmen aus. Während es früher ausschließlich um den Schutz von Geheimhaltungsinteressen gegangen war, gewann nun der Gedanke des Eigentumsschutzes an Gewicht. 2. Wie bereits die partikularen Strafgesetze ab 1845 sicherte das Reichsstrafgesetzbuch die Bewahrung fremder Geheimnisse als eigenständige Schutzinteressen neben anderen Rechtsgütern. Einige Bestimmungen orientierten sich an den einschlägigen Vorschriften des Strafgesetzbuchs Preußens von 1851, die wiederum unter französischem Einfluß zustandegekommen waren. Die Amtsstraftatbestände der Verletzung des Postgeheimnisses und des Hausfriedensbruchs im Amt besaßen deshalb eine stark individualrechtsschützende Komponente. Auch im Verhältnis zwischen Privatpersonen genügte nun anknüpfend an die Entwicklung der vorausgegangenen Jahrzehnte die Verletzung des fremden Geheimnisses bzw. das Eindringen in einen räumlich umgrenzten Geheimbereich an sich, um die Strafbarkeit zu begründen. Noch wurden die geheimsphärenrelevanten Tatbestände nicht in einem Abschnitt zusammengefaßt. Die Verletzung des Postgeheimnisses und der Hausfriedensbruch im Amt gehörten zu den Amtsstraftaten, die Verletzung des Briefgeheimnisses und des Berufsgeheimnisses wurden in den Abschnitt über den „Strafbaren Eigennutz" eingeordnet, und den Hausfriedensbruch hatte man bei den „Verbrechen und Vergehen wider die öffentliche Ordnung" untergebracht. Wie bereits in den Länderstrafgesetzen besagte die Stellung einer Vorschrift nicht viel, wenn es um die Ermittlung der Schutzrichtung ging, weil eine streng systematische Ordnung der Tatbestände nach den geschützten Rechtsgütern auch im Reichsstrafgesetzbuch noch unbekannt war.

Schlußbetrachtung Ein Bewußtsein für die Schutzbedürftigkeit einer Privatsphäre erwuchs nicht erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Folge neu entwickelter Techniken der Überwachung des Privatlebens. In Deutschland entstand ein solches bereits ab der Mitte des 18. Jahrhunderts aus dem Gefühl des Bedrohtseins persönlicher Freiheit durch den unumschränkten Machtanspruch des absolutistischen Staates. Im Zuge des allgemeinen Bemühens um die Verteidigung individueller Freiheit hatte man erkannt, wie eng der Zusammenhang zwischen freier Entfaltung der Persönlichkeit und der Bewahrung eines privaten Rückzugsbereichs war. Zu sichern galt es einen persönlichen Bereich, der von staatlicher Einblicknahme abgeschirmt war und in dem der einzelne sein Leben seinen eigenen Vorstellungen entsprechend führen konnte. Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein bildete der Schutz des privaten Lebens infolgedessen ein Thema des öffentlichen Rechts. Das Haus als Ort der Familiengeheimnisse, die Beziehungen zwischen Familienangehörigen und anderen Vertrauenspersonen, die eigenen Briefe und Papiere gehörten zu einer staatsfernen Eigensphäre, die es vor staatlichem Machtmißbrauch zu schützen galt. Unser heutiger durch das Grundgesetz garantierte Privatsphärenschutz hat seine Wurzeln speziell in der staatswissenschaftlichen Literatur der deutschen Aufklärung. Hier war der Ort, wo man sich intensiv Gedanken machte, wie Kernbereiche des privaten Lebens gegenüber dem alles überwachenden Staat zu verteidigen seien. Die Gefahr erblickte man im staatlich initiierten Beobachten, Überwachen, Ausforschen und Auskunftsverlangen. Privatsphärenschutz äußerte sich demnach als Geheimnisschutz. Auf den Gebieten des Strafprozeßrechts und des Strafrechts spielte der Geheimnisschutz noch keine wesentliche Rolle im 18. Jahrhundert. So war vor allem der Strafprozeß noch ganz von den Maximen des Inquisitionsverfahrens beherrscht, die für einen Individualrechtsschutz wenig Raum ließen. Das Strafrecht bot erste Ansätze in Gestalt von Amtsstraftatbeständen, die ζ. B. das Postgeheimnis gegen rechtswidrig handelnde Amtsträger schützen sollten. Hintergrund für die staatswissenschaftlichen Diskussionen war die Furcht vor einem Ausufern des „ius inspectionis" oder Oberaufsichtsrechts des Staates, welches man ab 1750 dem Souverän als ein selbständiges Regierungsrecht zuerkannt hatte und das diesem ermöglichte, Informationen aus allen Teilen der Gesellschaft einzuziehen. Ein so weit reichendes Majestätsrecht verlangte nach einer Begrenzung, die man in der selbst auferlegten Bindung des Souveräns an den Staatszweck

Schlußbetrachtung

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fand. Wie alle sonstigen Freiheiten auch blieb der private Geheimnisschutz auf das Gebiet staatszweckneutralen Verhaltens begrenzt. Es handelte sich um den Restbereich einer Privatsphäre, der übrig blieb, nachdem allen staatlichen Belangen in ausreichendem Umfang Rechnung getragen war. Verschont bleiben sollten sonach der engere persönliche Lebenskreis, die häuslichen, familiären Angelegenheiten, der Briefverkehr und die Beziehung zu bestimmten Vertrauenspersonen. Noch war der Bestand des so definierten Freiraums unsicher. Die staatsfreie Geheimsphäre mußte um so begrenzter ausfallen, je extensiver man den Begriff des Staatszwecks auslegte. Bei Zugrundelegung eines wohlfahrtsstaatlichen Staatszweckbegriffs erschien eine Reglementierung selbst der persönlichsten Angelegenheiten nicht ausgeschlossen. Nachdem aber die Sorge für die private Glückseligkeit der Untertanen längst nicht mehr von allen Staatsrechtlern für den Hauptzweck des Staates gehalten wurde, ergaben sich Chancen, daß den Untertanen aus der Begrenzung staatlicher Machtausübung durch den Staatszweck ein Freiraum für ihre private Lebensgestaltung erwuchs. In der polizeiwissenschaftlichen Literatur der letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts und des frühen 19. Jahrhunderts wurde in bezug auf die Unverletzlichkeit der Wohnung eine im Vergleich zur Lehre vom ius inspectionis und dessen Grenzen selbständige Entwicklungslinie eingeleitet, wobei mit Hausfrieden zunächst die Partikulargewalt des Hausvaters gemeint war, die die Polizei bei ihrer wohlfahrtsstaatlichen Sorge für die Ordnung des Hauswesens zu respektieren hatte. Auch im 19. Jahrhundert wurde das Thema weiterhin schwerpunktmäßig in den Staatswissenschaften behandelt. In der Staatsrechtslehre des Deutschen Bundes bildeten die Familiengeheimnisse, das Brief- und das Postgeheimnis und das Berufsgeheimnis Teilgarantien eines persönlichen Geheimnisschutzes, die dem einzelnen dann verblieben, wenn sich der Souverän bei der Ausübung des Oberaufsichtsrechts auf die Verfolgung des Staatszwecks beschränkte. Insoweit wurde im Verhältnis zur Staatsrechtslehre des 18. Jahrhunderts die Kontinuität gewahrt. Erst die natürliche Staatsrechtslehre im Vormärz distanzierte sich von dieser Sichtweise. Sie stellte das „Recht auf ein abgeschlossenes, individuelles Selbstleben" gleichberechtigt neben die sonstigen Freiheiten der Person und rückte es damit in die Nähe vorgegebener, unantastbarer Freiheitsrechte. Außerdem begrenzte man den Geheimnisschutz nicht länger auf Teilgarantien, sondern bezog sich nur noch auf die persönliche Geheimsphäre schlechthin als ein grundsätzlich alle denkbaren Seiten der Persönlichkeit erfassendes Recht, dessen inhaltliche Bestimmung im einzelnen man erst gar nicht versuchte. Der süddeutsche Liberalismus verwarf die Lehre vom „ius inspectionis" endgültig. Man mißtraute der Heimlichkeit, die mit solcher Art von Staatstätigkeit notwendigerweise verbunden schien. Im übrigen fürchtete man, daß ein solches Recht dem Souverän dazu dienen könne, das konstitutionelle Staatsgefüge zu unterlaufen. Nur noch unselbständiger Bestandteil der gesetzgebenden und der vollziehen1 H. Ahrens, Deutsches Naturrecht, S. 353.

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Schlußbetrachtung

den Gewalt durfte das Recht zum Einziehen, Sammeln und Verwerten von Informationen sein mit der Folge, daß es fortan nur noch durch oder aufgrund eines Gesetzes ausgeübt werden sollte. Die südddeutschen liberalen Staatsrechtler waren es auch, die auf den öffentlichen Bezug des privaten Lebens hinwiesen. Nicht mehr nur staatsferner Rückzugsbereich, wo die im Gesellschaftlichen bis dahin weitgehend versagt gebliebene Freiheit wahrgenommen werden durfte, sondern Ort der Erneuerung als Voraussetzung für ein an öffentlichen Angelegenheiten Anteil nehmendes Leben, schließlich sogar Erziehungseinrichtung für den Staat sollte der private Lebenskreis sein. Im Schrifttum des süddeutschen Liberalismus verschärften sich zugleich die Forderungen nach rechtlichen Sicherungen des Privatbereichs. Als erste Verfassung gewährleistete die Kurhessische Verfassung von 1831 das Briefgeheimnis und die Unverletzlichkeit der Wohnung. Ihren Höhepunkt erreichte die verfassungsrechtliche Entwicklungsschiene mit den §§ 140-142 FRV hinsichtlich des Wohnungsschutzes, des Brief- bzw. Postgeheimnisses und des Beschlagnahmeverbots. Von einem strafprozessualen Geheimnisschutz konnte erst ab dem 5. Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts die Rede sein. Erst die reformierten Strafprozeßordnungen ließen einen Individualrechtsschutz zur Wirklichkeit werden. Die Diskussionen kreisten intensiv um die Frage, an welche Bedingungen die Durchsuchung der Person selbst, ihrer Wohnung, der ihr gehörenden Sachen, die Beschlagnahme ihrer Papiere, ihre Vernehmung als Zeuge im Strafverfahren etc. gebunden sein sollten. Die entsprechenden Prinzipien wurden im Schrifttum unter dem maßgeblichen Einfluß von C. J. A. Mittermaier vorbereitet und in den Länderstrafprozeßordnungen in geltendes Recht umgewandelt. Mit immer ausgedehnteren und präziser werdenden Bestimmungen bildete sich Schritt für Schritt ein strafprozessualer Geheimnisschutz heraus. Unter dem Einfluß der französischen Verfassungsbewegung und des Code pénal schützten verschiedene Länderstrafgesetze des 19. Jahrhunderts Geheimhaltungsinteressen zuerst gegenüber staatlichem Mißbrauch. In nicht unerheblichem Umfang sollten die einschlägigen Amtsvergehen Individualrechtsschutz gegenüber dem Staat bieten. Erst später setzte sich die Ansicht durch, daß auch durch Privatpersonen begangene Geheimnisverletzungen strafwürdiges Verhalten darstellten. Die Reichsstrafprozeßordnung und das Reichsstrafgesetzbuch knüpften an die in den Ländergesetzen über mehrere Jahrzehnte hinweg vorbereitete Entwicklung an. In den wesentlichen Punkten flössen alle bis dahin erreichten Ergebnisse in die Reichsgesetze ein. Das Reichsstrafgesetzbuch ordnete in systematischer Hinsicht die Verletzung des Post - bzw. des Briefgeheimnisses, des Berufsgeheimnisses und den Hausfriedensbruch an unpassender Stelle ein. Einigkeit bestand nun aber, daß die Tatbestände die Bewahrung eines privaten Geheimbereichs im Sinne eines selbständigen Schutzgutes des Strafrechts bezweckten.

Schlußbetrachtung

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Mit der Ausgestaltung im Reichsstrafgesetzbuch und in der Reichsstrafprozeßordnung hatte die Entwicklung eines persönlichen Geheimnisschutzes sein vorläufiges Ende gefunden. Das ursprünglich gegen den Staat gerichtete Bestreben der Staatsrechtler, dem einzelnen um der Entfaltung seiner Persönlichkeit willen einen der Einwirkung durch die öffentliche Gewalt entzogenen Bereich privater Lebensgestaltung zu gewähren, war zwar nicht auf der Ebene des Verfassungsrechts verwirklicht worden, aber immerhin eingemündet in einfachgesetzliche Garantien. Somit war die dem öffentlichen Recht zuzurechnende Entwicklung bereits abgeschlossen, als in den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts eine neue, eigenständige Entwicklungslinie des Geheim- bzw. Privatsphärenschutzes im Zivilrecht, für lange Zeit beschränkt auf die Privatrechtswissenschaft, einsetzte.

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Dresch, J. G. 78 Droysen, J. G. 94; 95; 96; 99; 102; 104; 106; 107 Dünnebier, H. 50; 61; 156; 165 Dürig, G. 19

Badura, P. 101; 104 Bartels, K. 67 Bauer, A. 77; 78; 119; 120; 121; 122; 123; 124; 125; 126; 127; 128; 167;168 Behr, W. J. 81; 89 Beling, E. 142 Berg, G. H. v. 46; 47; 48; 69; 88 Bergmann, J. M. 19 Bemer, A. F. 185 Bernert, G. 64 Beseler, G. 97; 103; 104; 105; 165 Binding, Κ. 185 Birtsch, G. 46; 54; 92; 173 Bluhme, F. 30 Bluntschli, J. C. 20; 85; 86; 87; 170 Böckenförde, E.-W. 73; 77 Bödeker, H. E. 26 Böhmer, J. S. F. 68; 69 Bosse, v. 25; 29 Brandeis, L. D. 20; 21 Brauer, W. 146; 148; 150; 154 Buhle, J. G. 28; 33; 34; 43 Buhr, M. 78

Eberhardt, W. 59; 60; 92 Ehmann, H. 21 Eichhorn, K.F. 29 Eisenhardt, U. 59; 64 Engelbrecht, G. 29 Erler, A. 36 Ersch, J. S. 25; 29 Evers, H.-U. 19; 20

Claproth, J. 58 Coing, H. 20 Craig, E. 20 Dahn, F. 20 Daijes, J. G. 28; 30; 41 Dencker, F. 134 Denninger, E. 37; 45; 89 Diehl, K. 43

Falkner, I. C. 29 Feuerbach, A. v. 115; 166; 167; 171 Fichte, J. G. 43; 44 Freyberg, R.-J. 145; 177 Friedländer, A. 60; 61; 158 Fritsch, A. 29 Gehler, I. Α. Ο. 31 Gerber, C. F. v. 173; 174 Gerhard, E. 59; 184 Gerlach, G. W. 77; 78 Geyer, A. 55; 115 Gierke, 0.20; 21 Goltdammer 162 Gönner, Ν. T. 28; 33; 34; 35; 40; 41; 73 Gotting, H.-P. 20 Gräfrath, Β. 20 Grimm, F. W. 30; 37; 177 Grolmann, Κ. 56; 57; 68 Gruber, J. G. 25; 29 Grünwald, G. 50 Häberlin, K. F. 22; 27; 30; 31; 32; 33; 34; 35; 36; 39; 40; 41

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ererzeichnis

Haeberlin, C. F. W. J. 129; 130; 163; 164; 165;167; 168 Hahn, C. 175; 176; 177; 178; 181; 182; 183; 184 Hälschner, H. 168; 187 Hartleben, T. 162 Heffter, A. W. 123; 166; 167; 168 Heigel 81 Henke, E. 67; 124; 126; 127; 128; 167 Hentschel, V. 45 Herrmann, U. 26 Höck, J. D. H. 48 Hoffbauer, J. C. 28; 33; 41; 42 Hohental, J.A.F. Graf von 30 Holtzendorff, F. v. 185 Höpfner, L. J. F. 28; 33; 43 Huber, E. R. 90; 93; 94 Hubmann, H. 19 Hufeland, G. 22; 28; 30; 31; 32; 33; 34; 41; 42; 77 Hufnagel, C. F. 157 Isensee, J. 20 Jagemann, L. v. 57; 124; 125; 126; 127; 128;146; 149; 150; 154 Jakob, L. H. 48 Jesch, D. 98 Justi, J. H. G. v. 45; 46; 47; 69; 138; 140; 141;142 Kant, I. 20 Kaufmann, E. 36 Kirchhof, P. 20 Klaus, G. 78 Klein, E. F. 56; 68 Kleinschrod, G. A. 120 Klippel, D. 25; 26; 77 Klüber, J. L. 72; 73; 74; 75; 92 Knapp, H. 132; 143; 149; 150; 157 Koch, J. C. 56; 58; 68; 69 Kohler, J. 20; 21 Kotulla, M. 110; 113 Krause, K. C. F. 78; 79; 169 Kröger, K. 174 Kruse, L. 19 Kühne, J.-D. 99; 139; 152 Kuriki, H. 37; 77

Laband, P. 174 Lasson, Nelson B. 54 Leist, J. C. 28; 33; 34; 35; 40; 41; 73 Leuze, D. 20 Liman, P. 114 Limbach, A. C. 95 Link, C. 25; 26; 27; 34; 35; 37 Lisken, H. 37; 45; 89 Löwe, E. 178; 179; 181 Maier, H. 46; 47; 88 Mallmann, O. 20 Mantzel, D. E. I. F. 29 Marezoll, T. 166; 168 Martin, C. 30; 33; 34; 42; 43; 120; 121; 122; 124; 127; 128; 167 Martini, Κ. A. v. 22; 28; 33; 41; 43 Maurach, R. 65 Maurenbrecher, R. 72; 74; 75 Mayer-Maly, D. 26; 35 Meister, C. F. G. 66; 67; 68 Meister, G. J. F. 56; 57; 58; 66; 68 Mejer, O. 29 Meyer, G. 174 Mill, J. S. 20 Mittermaier, C. J. A. 55; 97; 98; 99; 106; 122; 123; 124; 125; 126; 127; 128;192 Mohl, R. v. 22; 47; 81; 83; 88; 89; 169 Mohnhaupt, H. 27 Mommsen, T. 95; 100; 104 Moser, J. J. 27; 31; 32 Müller, C. F. 130 Murhard, F. 93 Nettelbladt, D. 28; 33; 34; 41; 42 Neustetel, L. J. 20 Nieper, E. A. W. B. 51; 53 Ohlenroth, J. G. 56; 57; 58 Olsen, F. 20 Olshausen, J. 185; 186; 188 Oppenhoff, F. C. 159 Paalzow, C. L. 116; 117; 118 Pfeiffer, J. F. v. 45; 46; 47; 69 Pfizer, P. A. 81 Pirson, D. 36 Planck, J. W. 123; 125; 126; 129

Personenverzeichnis Plumenoeck, C. H. L. v. 31 Pölitz, J. H. L. 46; 47; 48; 69; 88 Preu, P. 37 Pütter, J. S. 22; 25; 26; 27; 29; 30; 31; 32; 34; 35; 36; 37; 38; 39; 40; 41; 73; 174 Quistorp, J. C. Ε. v. 56; 57; 58; 63; 66; 67;

68 Rabe, H. 46 Rengier, R. 50; 134 Richter, A.L. 29 Ritter, J. 46 Rogali, Κ. 142 Rönne, L. v. 110; 112; 113; 114; 173 Rotteck, C. v. 22; 81; 83 Rüping, H. 50; 51; 59; 115 Salchow, J. C. 168 Schaffstein, F. 61; 67 Schaumann, J.C.G. 28 Scheidemantel, H. G. 22; 28; 30; 31; 33; 34; 35; 41; 42; 77 Schilling, K. 44 Schlözer, A. L. 27; 31; 33 Schmalz, T. v. 27; 28; 33; 34; 36; 40; 41; 42; 73; 77 Schmauck, N. 94 Schmid, W. 50; 53; 63; 115 Schmidt, E. 50; 51; 115; 130; 155; 156; 175 Schmidt-Aßmann, E. 27; 73 Schmitt Glaeser, W. 20 Schmitthenner, F. 81; 82; 169 Scholler, H. 95; 101; 104 Schroeder, F.-C. 65 Schubert, W. 186; 188 Schulze, H. 174 Seréxhe, L. 62; 160 Simons, P. M. 26; 35

14 Austermühle

209

Smend, R. 73 Sonnenfels, J. 50 Staff, I. 44 Stegmann, E. 175; 176; 177; 178; 181; 182; 183;184 Stein, L. v. 90; 91; 170 Steltzer, C. J. L. 62; 66; 67 Stemann, C. v. 131; 152 Stenglein, M. 156; 158; 159; 162; 163; 180; 183;184 Stolleis, M. 25; 26; 27; 28; 35; 37; 45; 46; 47; 48; 72; 73; 74; 77; 78; 85; 88 Stryck, J.S. 29 Stübel, C. C. 55; 119; 120; 121; 122 Sundelin, P. 130; 131; 170 Thilo, W. 140; 147 Tittmann, C. A. 167 Tröndle, H. 58 Wächter, C. G. 166; 167 Walter, F. 29; 85; 87; 170 Warren, S. 20; 21 Waser, J. E. 125; 128; 129 Weber, M. 43; 63; 66; 187 Weiss, Κ. E. 72; 74; 75; 76 Welcker, C. 22; 81; 83; 84; 85; 169 Wiese, G. 29; 43; 163 Wigard, F. 95; 96; 97; 98; 99; 101; 102; 103; 104; 105; 106 Wiswe, M. 31 Wolff, C. 26 Zachariä, Η. A. 55; 72; 74; 75; 76; 108; 109; 114; 115; 125; 126; 127; 128; 129; 130 Zedier, J. H. 54; 55 Zoepfl, H. 72; 76; 77

arverzeichnis allgemeine Hausdurchsuchung 56; 92; 117; 120; 127; 145; 146; 147; 181 Allgemeines Gesetz über Verbrechen und derselben Bestrafung v. 1787 64 allgemeines Persönlichkeitsrecht 19 Amerikanische Unabhängigkeitserklärung 54 amerikanische Verfassungsurkunden 92 Amtsdelikt siehe Amtsstrafrecht Amtsgeheimnisse 62; 65; 70; 160; 161; 162 Amtsstrafrecht 156; 172 Amtsstraftatbestand 22; 59; 61; 71; 172; 189;190 Anklageprinzip 130 Apotheker 161; 163; 167; 176; 186 Arzt 24; 73; 75; 167; 179 aufsehende Gewalt 32; 35; 41; 74; 81; 82 Aufsicht 25; 29; 30; 32; 34; 35; 36; 37; 38; 39; 40; 42; 43; 45; 74; 75; 77; 81; 82; 90; 169 Autorrecht 21 befriedetes Besitztum 165; 187 Beichtgeheimnis 73; 82; 87 Beichtvater 42; 51; 55; 75; 87; 117; 119; 120; 123; 126; 137; 140; 141 Belehrungspflicht 132; 135; 170 Beleidigung 42; 67; 162 Berufsgeheimnis 23; 24; 58; 62; 65; 66; 67; 69; 71; 73; 75; 134; 154; 160; 161; 163; 167;168; 172; 186; 189; 192 Beschlagnahme 49; 60; 78; 83; 84; 86; 90; 92; 102; 106; 107; 108; 111; 112; 113; 114; 117; 120; 122; 125; 126; 127; 129; 130; 131; 136; 137; 138; 139; 140; 141; 142; 143; 144; 145; 170; 173; 177; 178; 179; 180; 184; 189; 192 Beschlagnahme von Briefen auf der Post 107; 111; 126; 143; 144; 180

Beschlagnahmeverbot 140; 141; 142; 145; 189 Besitz- und Eigentumsschutz 166 Bevölkerungsstatistik 34 Beweisregeln 115; 123 Beweisverbot 50; 142 Bill of Rights 54; 60 Briefgeheimnis 23; 24; 58; 59; 60; 61; 62; 64; 66; 67; 69; 70; 71; 73; 75; 78; 80; 82; 83; 84; 86; 87; 88; 89; 90; 92; 93; 101; 102; 103; 104; 105; 106; 107; 108; 111; 112; 113; 114; 136; 154; 155; 156; 157; 158; 161; 162; 163; 166; 167; 169; 170; 171; 172; 173; 181; 185; 186; 189; 191; 192 cabinets noir 103 Charte Waldeck 109; 112 Code d'instruction criminelle 131 Code pénal ν. 1810 156; 162; 165; 186 Codex Juris Bavarici Criminalis 50; 51; 52; 53; 59; 62; 63 Constitutio Criminalis Theresiana von 1769 50; 53 crimen falsi-Delikt 61 Criminal-Instrucion von Hannover 51 Deutscher Bund 72; 73; 75; 81; 108; 169; 191 Dreiklassenwahlrecht 113 Durchsuchung 23; 49; 52; 53; 54; 56; 57; 58; 70; 90; 92; 99; 100; 101; 109; 112; 114; 117; 118; 119; 122; 124; 127; 128; 129; 131; 137; 138; 139; 141; 145; 146; 147; 148; 149; 150; 151; 152; 154; 170; 171; 177; 181; 182; 183; 184; 188; 189; 192; siehe auch Wohnungsdurchsuchung Durchsuchung der Person 122; 149 Durchsuchungsbefehl 54; 99; 152; 189 Durchsuchungsobjekte 147

Sachwortverzeichnis Editionseid 55; 117; 125; 137 Ehegatte 51; 52; 55; 115; 116; 119; 120; 132;133;141;175; 179 Ehre 56; 57; 67; 68; 70; 76; 117; 118; 119; 121; 127; 132; 133; 136; 155; 157; 160; 162;167;170;172; 176;189 Eidesverweigerungsrecht 116; 133; 135; 170; 176 Eigentum 20; 43; 44; 76; 77; 82; 86; 87; 101; 102; 145; 155; 157; 163; 164; 177; 178;187;188;189 England 54 Erforderlichkeitsgrundsatz 150 Europäische Menschenrechtskonvention 19 Fälschung 61; 62; 63; 67; 71; 157 Falsum 62; 63; 67; 70; 166; 171 Familie 20; 21; 23; 39; 42; 43; 45; 46; 47; 49; 69; 79; 85; 86; 119; 144; 153; 190 Familiengeheimnisse 23; 24; 43; 46; 49; 65; 190; 191 Familienleben 20; 42; 69; 73; 89 Frankfurter Reichsverfassung 94 französische Menschenrechtserklärungen 41 französische Verfassungsurkunde 92 freie richterliche Beweiswürdigung 123 Freimaurerlogen 30 Gedankenfreiheit 80; 84; 107; 169 Gefahrenabwehr 88; 89; 90 Geheime Gesellschaften 30; 31 Geistliche 55; 62; 115; 116; 132; 133; 134; 135; 137; 154; 161; 175;179 Gemeines Strafrechts 59 general warrants 54; 92 Geschäftszimmer 165 Gesetz, die individuellen Personenrechte betreffend, der Landgrafschaft HessenHomburg v. 20.4. 1852 109 Gesetzbuch über Verbrechen und schwere Polizeyübertretungen v. 1803 114 Gesetzesvorbehalt 93; 94; 97; 98; 99; 100; 105; 106; 109; 110; 111; 112; 113; 114; 169; 170 gesetzgebende Gewalt 77 Gesetzmäßigkeit der Verwaltung 89 Glorious Revolution 54 Glückseligkeit 26; 37; 42; 46; 47; 48; 191 14»

211

Grundrechte 23; 60; 95; 96; 98; 100; 104; 105; 107; 113; 156; 173;174;188 gute Policey 46 Habeas-Corpus 94; 100; 170 Handlungsfreiheit 41; 44; 76 Haus 38; 40; 43; 44; 46; 47; 48; 51; 52; 53; 63; 66; 79; 85; 88; 89; 90; 127; 150; 163; 164; 165; 169; 171; 187; 190 Hausdurchsuchung 34; 53; 55; 56; 57; 58; 70; 81; 83; 84; 85; 87; 90; 93; 95; 96; 97; 98; 99; 100; 102; 108; 109; 110; 111; 113; 115; 117; 118; 119; 120; 121; 124; 125; 127; 128; 130; 136; 138; 139; 145; 146; 147; 148; 149; 150; 151; 152; 153; 154; 169;170;181;182 Hausfrieden 21; 44; 45; 46; 47; 49; 66; 68; 69; 83; 85; 86; 93; 127; 168; 169; 170; 187;188;191 Hausfriedensbruch 23; 58; 63; 65; 66; 68; 70; 71; 155; 163; 164; 165; 166; 168; 171; 172; 186; 187; 188; 189; 192 Hausfriedensbruch im Amt 165; 186; 189 Hauspolizei 48; 49 Hausrecht 48; 66; 69; 85; 90; 93; 168 Haussuchung 50; 56; 57; 58; 83; 89; 93; 94; 107; 110; 111; 112; 113; 117; 121; 122; 125;128;129;142; 147 Hausvater 46; 47; 49; 69; 191 Hausväterliteratur 46 Hebamme 161; 163; 167; 176; 186 Herausgabe von Schriftstücken 136 Hoheitsrecht 69; 76; 77; 81 Information 19; 32; 34; 38; 39; 78; 180; 190;192 Informationsschutz 21 Injurie 63; 67; 70; 162; 166; 167; 168; 171 Inquisitionsprozeß 50; 70 Inspektivgewalt 40; 86 Inverwahrungnahme 52; 177 iura quaesita 36 ius eminens 36 ius inspectionis 22; 25; 26; 27; 28; 30; 32; 33; 34; 35; 36; 37; 41; 42; 43; 69; 73; 76; 77; 81; 82; 86; 190; 191 ius maiestaticum 32 ius maiestaticum circa sacra 28; 29

212

arverzeichnis

ius perscrutationis domesticae 34 ius visitationis 34 Kaiserreich 173 Kanonisches Recht 59 Kirchenrecht 29; 30; 69 konstitutioneller Staatsbegriff 77 Kurhessische Verfassungsurkunde v. 1831 75; 92 landesobrigkeitliches Kirchenregiment 29 Landesverfassungsgesetz für das Herzogtum Anhalt-Bernburg v. 28. 2. 1850 108 Landstände 38; 40; 41 Lehnsherr 51; 55 Leumund 128 Liberalismus 22; 24; 47; 81; 145; 169; 191; 192 Majestätsrecht 25; 30; 32; 33; 190 Mündlichkeit 130 Nachbar 119; 125; 153 Nachtruhe 151; 183 Nachtzeitverbot 90; 151; 183; 189 Nachtzeitverbot bei Hausdurchsuchungen 151 Nationalversammlung 23; 94; 95; 96; 98; 101; 102; 103; 104;107;108;110; 130 natürliche Staatsrechtslehre 27; 28; 41; 77; 78; 85; 191 Notar 161; 176; 186 Oberaufsichtsrecht 25; 27; 28; 30; 32; 33; 35; 36; 40; 41; 73; 74; 75; 76; 77; 81; 82; 169;190;191 öffentliche Sicherheit 37; 96 öffentlicher Rechtsfrieden 68; 70; 163; 164 Öffentlichkeit 39; 130; 145; 151; 182 Oikonomia 46 Opferschutzgesetz v. 18. 12. 1986 177 Petition of Rights 54 Polizei 37; 38; 41; 45; 48; 49; 52; 53; 75; 81; 84; 88; 89; 90; 91; 92; 93; 95; 96; 97; 98; 100; 105; 106; 107; 110; 125; 127; 139; 149; 151; 152; 153; 156; 182; 183; 184; 191

Polizei des Hauswesens 47; 49 Polizeirechtswissenschaft 88 Polizeistrafgesetzbücher 90 Polizeiwissenschaft 44; 45; 46; 47; 48; 69; 72; 88; 89; 169 Positivismus 173 Post 59; 60; 61; 62; 64; 70; 75; 86; 89; 92; 102; 103; 104; 107; 108; 111; 112; 113; 126; 141; 143; 144; 155; 156; 158; 171; 177;180; 184;189 Postbeschlagnahme 126; 127; 144; 177; 180 Postgeheimnis 21; 23; 24; 27; 59; 60; 61; 64; 67; 70; 84; 91; 92; 103; 104; 105; 112; 126; 143; 154; 155; 156; 159; 169; 173; 180; 184; 189;190;191;192 Pressefreiheit 76; 86; 134 Preußische Kriminalordnung v. 1805 114 Preußische Postordnung 60 Preußische Verfassungsurkunden v. 5. 12. 1848 und v. 31. 1. 1850 108; 109; 112 Preußisches Allgemeines Landrecht 59; 60; 61; 62; 64; 65; 66; 71; 156; 160; 161; 163; 166 Preußisches Gesetz v. 12. 2. 1850 zum Schutz der persönlichen Freiheit 90 Preußisches Medizinal-Edikt v. 1725 62; 63 Privatrecht 20; 21; 23; 68; 177; 193 Privatsphäre 19; 20; 21; 24; 69; 70; 71; 79; 118; 136; 163; 164; 178; 190;191;193 Privatvergehen 66; 71; 163; 166 Protokoll 54; 122; 125; 128; 132; 135; 139; 153;154; 171 Psychologie 19 Quartering Acts 54 Recht am gesprochenen und geschriebenen Wort 80; 84; 169 Recht an den eigenen Papieren 80; 84; 86 Recht der Persönlichkeit 78; 80; 82; 85; 87; 169 Rechtsanwalt 24; 62; 73; 75; 116; 123; 134; 135; 154; 161; 163; 167; 175; 179; 186; 189 Reformierter Strafprozeß 129 Regierungsrechte 25; 32; 76 Reichsgericht 142; 179; 188 Reichshoheit 34

overzeichnis Reichspublizistik 27; 35; 40; 74 Reichsstaatsrechtlehre 27 Reichsstände 38; 40 Reichsstrafgesetzbuch v. 1871 23; 175; 184 Reichsstrafprozeßordnung v. 1879 175 Revidiertes Staatsgrundgesetz für das Fürstentum Reuß Jüngere Linie v. 14. 4. 1852 109 richterliche Bestätigung 178; 180 Richtervorbehalt 94; 96; 97; 98; 99; 100; 101;111; 113; 144; 152; 169; 171; 178 Right to Privacy 20 Römisches Recht 59; 62; 67; 68; 124 Sachwalter 62; 133 Schadensersatzansprüche 101 Scheidung 133; 175 securitas publica 66 Sicherheitspolizei 48; 91 Sicherstellung 177 Spezialvorbehalt 97; 98 spezielle Hausdurchsuchung 56; 57; 117; 128;147;154 Staatsanwaltschaft 139; 144; 152; 178; 183; 184 Staatsgrundgesetz für die Herzogtümer Coburg und Gotha v. 3. 5. 1852 109 Staatsgrundgesetz Oldenburgs v. 22.11.1852 108 Staatsrechtslehre des Deutschen Bundes 72; 77; 81; 169; 191 Staatszweck 25; 37; 39; 75 StGB Baden 1845 154; 156; 158; 164 StGB Bayern 1813 115; 116; 117; 118; 119; 156; 157; 160;163 Strafgesetzbuch Badens v. 1845 155; 158; 161 Strafgesetzbuch für das Großherzogtum Hessen v. 1841 156 Strafgesetzbuch Preußens v. 1851 159; 162; 165 Strafprozeßordnung Badens v. 1845 130; 133;131 Strafprozeßordnung für das Königreich Württemberg v. 1868 131 Strafprozeßordnung Württembergs v. 1843 129

213

Strafverfolgung 38; 49; 50; 52; 53; 70; 88; 90; 103; 106; 107; 108; 112; 114; 115; 116; 144; 149; 151; 164; 179 subjektiv öffentliche Rechte 174 Tortur 51; 52; 55; 119 Übermaßverbot 37 Unverletzlichkeit des Hauses 24; 45; 46; 85; 90 unzulässige Fragen 132; 135 Urkundenedition 50; 55; 70; 116; 120; 123; 125;136 Urkundsperson 139; 153 Vasall 51; 55 Vereidigungsverbot 135; 170 Vereinigte Staaten 54; 60 Verfassung des Großherzogtums Luxemburg v. 9. 7. 1848 109 Verfassungsgesetz für das Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen v. 12. 12. 1849 108 Verfassungsurkunde des Fürstentums Waldeck v. 17. 8. 1852 109 Verhaftung 83; 87; 94; 96; 100; 102; 107; 108; 111; 112; 113; 130; 139;143 Verschwägerte 51; 52; 132; 133; 175 Verteidiger 119; 123; 132; 133; 134; 137; 141;161;170;175; 176;179;189 Verwaltungsrecht 73; 89; 90; 170 Verwaltungsrechtswissenschaft 72; 88; 89; 170 Verwandte 51; 85; 115; 116; 122; 132; 133; 141;175; 179 Verwertungsverbot 50; 132; 134; 135; 141; 142; 179 vis privata 68 vis publica 63; 68; 70 Visitation 34; 52; 53; 70 Volksvertretung 77; 169 vollziehende Gewalt 32; 34; 74; 76; 81; 82; 98; 169;192 Vormärz 22; 24; 76; 77; 78; 85; 169; 191 Vorrang des Gesetzes 98 Wahlkapitulation 27; 60; 70; 172 wohlerworbene Rechte 24; 36; 69; 174

214

arverzeichnis

Wohlfahrtsförderung 22; 25; 37 Wohlfahrtspolizei 48 Wohlfahrtsstaatsbegriff 42 Wohnung 19; 20; 40; 46; 54; 58; 60; 63; 65; 66; 78; 79; 80; 85; 86; 88; 89; 90; 91; 94; 95; 96; 97; 99; 100; 101; 110; 113; 127; 128; 131; 145; 147; 149; 151; 154; 163; 165; 169; 171; 173; 187; 191; 192 Wohnungsdurchsuchung 138; 147; 150; 152;153;181;182 Wohnungsinhaber 153

Wohnungsschutz 23; 47; 60; 82; 83; 87; 88; 94; 97; 98; 100; 108; 109; 112; 169; 192 Zeugenschutz 131; 132 Zeugnispflicht 24; 50; 51; 52; 54; 55; 116; 120; 122; 123;133;134;136;137;175;189 Zeugnisverweigerungsrechte 23; 49; 50; 51; 52; 54; 55; 70; 73; 114; 115; 116; 117; 119; 122; 131; 132; 134; 170; 176; 189 Zwangsmittel 51; 52; 55; 117; 119; 120; 124;136; 137; 177