Zufall und Vision: Der Barcelona Pavillon von Mies van der Rohe 9783035619959, 9783035619799

Die komplexe Geschichte eines Gebäudes Die Geschichte des Barcelona Pavilons Mies van der Rohe entwarf mit dem tempo

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German Pages 192 Year 2020

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Table of contents :
Contents
Einführung
Barcelona 1929
Deutschland und die Weltausstellung
Mies van der Rohe
Der Bautyp
Entwurf und Konstruktion
Georg Kolbes Skulptur
Die deutschen Sektionen
Eröffnung und Nutzung
Die Fotografien
Auftraggeber und Architekt
Wiederaufbau
Wirkung
Dank
Bibliografie
Bildnachweis
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Zufall und Vision: Der Barcelona Pavillon von Mies van der Rohe
 9783035619959, 9783035619799

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4  

Zufall und Vision

Zufall und Vision Mies van der Rohes Barcelona Pavillon Dietrich Neumann mit David Caralt

Birkhäuser Basel

Abkürzungen AA ACB ANC AHCB AMAB BArchL BG CCA GKM GStA PK HHSA HoeA WaB MoMA LArchB LoC

Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin Arxiu Contemporani de Barcelona Arxiu Nacional de Catalunya Arxiu Històric de la Ciutat de Barcelona Arxiu Municipal Administratiu de Barcelona Bundesarchiv Lichterfelde, Berlin Berlinische Galerie Centre Canadien d’Architecture / Canadian Centre for Architecture, Montréal, CA Georg Kolbe Museum PK Geheimes Staatsarchiv Preussicher Kulturbesitz, Berlin Hessisches Hauptstaatsarchiv Firmenarchiv der Hoechst GmbH, Friedrichsdorf MoMA Museum of Modern Art, New York Landesarchiv Berlin Library of Congress, Washington, D.C.

12

Einführung

98

Die deutschen Sektionen

18

Barcelona 1929

112

Eröffnung und Nutzung

30

Deutschland und die Weltausstellung

130

Die Fotografien

42

Mies van der Rohe

144

Auftraggeber und Architekt

54

Der Bautyp

152

Wiederaufbau

66

Entwurf und Konstruktion

172

Wirkung

88

Georg Kolbes Skulptur

184

Dank

186

Bibliografie

189

Bildnachweis

Einführung

13

«Für mich war die Arbeit in Barcelona ein leuchtender Augenblick in meinem Leben.»1

Tage danach – am 14. April – begannen die Arbeiten auf der Bau-

stelle. Doch die Unterbrechung hatte zur Folge, dass keiner der

Ludwig Mies van der Rohe, 1957

offiziellen Pläne zur Weltausstellung den Standort des Deutschen

Pavillons auswies, und die meisten Besucher verpassten die deutsche Informationsabteilung, die man in der Zwischenzeit eilig in den zweiten Stock der Maschinenhalle verlegt hatte. Die Am 11. Juni 1929 bestiegen Ludwig Mies van der Rohe und seine Partnerin Lilly Reich einen Zug in Barcelonas neuem Bahnhof

Estació de França und kehrten der Stadt für immer den Rücken. Erschöpft und dringend erholungsbedürftig – Reich hatte hohes Fieber2 – fuhren sie nicht direkt zurück nach Berlin, sondern nach

Westen in die Seebäder Biarritz und San Sebastian für einen zweiwöchigen Urlaub. Während dieser Zeit muss Mies mit

gemischten Gefühlen an das Bauwerk gedacht haben, das sie in Barcelona zurückgelassen hatten.

Die vorangegangenen Monate waren die dramatischsten und

chaotischsten in Mies’ Berufsleben gewesen. Reich und Mies hatten alle auf acht verschiedene Gebäude verteilten Sektionen der

deutschen Industrie bei der Weltausstellung in Barcelona sowie einen eigenen Bau für die Elektroindustrie entworfen. Der sepa-

rate nationale Pavillon war als Herzstück und Höhepunkt der deutschen Präsenz in Barcelona gedacht. Mies war lange unent-

schlossen gewesen, was dessen Gestaltung anging, und hatte

die Vorstellung des Entwurfs beim Ausstellungskommissar bis 1  Mies van der Rohe, Brief an die Zeitschrift Arquitectura, Madrid 1957. Zi­ tiert nach: Josep Quetglas, Fear of Glass, Basel 2001, S. 181. 2  Anon. (Kaufmann), «Report about my visit at the International World’s Fair in Barcelona 1929», 19. Mai 1929, HoeA, WaB 1929 – 1930, S. 11. Siehe auch den Brief von Lilly Reich an Elisabeth Hahn und Grete Uhland, 26. Juni 1929, MoMA, MvdR-Nachlass, Barcelona-Pavillon, ­Ordner 8).

Anfang Februar hinausgezögert. Die Aufgabe war neu für ihn, und seine Lösung spiegelte sein zeitgleiches Interesse an Aus-

stellungsständen und Wohnarchitektur wider. Zu einem kritischen Zeitpunkt Mitte März, unmittelbar vor Baubeginn, war das

Zeitverzögerung bedeutete auch, dass der Bau des gesamten Pavillons vom Aushub des Fundaments bis zu seiner Fertigstel-

lung in nur sechs Wochen bewerkstelligt werden musste. Es gab Tag- und Nachtschichten, quälende Verzögerungen bei der Lie-

ferung der Materialien, zu wenig Arbeiter, Unstimmigkeiten mit

den deutschen Bevollmächtigten über die Verwendung der Gelder sowie heftige Streitereien unter Mies’ Mitarbeitern. Zum Teil wegen dieses gestrafften Zeitplans, doch hauptsächlich aufgrund

der unverhohlenen Extravaganz, den gesamten Bau mit Travertin und poliertem Marmor zu verkleiden, wurde er der mit Abstand

teuerste Pavillon der Weltausstellung und das kostspieligste Gebäude, das Mies bis dahin entworfen hatte. Als es am 27. Mai

1929 eingeweiht wurde (eine Woche nach der offiziellen Eröffnung der Weltausstellung), waren eine Reihe von unvollendeten Details und Kompromisslösungen unübersehbar. Auf der Rückseite ersetzte bemalter Stuck den polierten Marmor, und der klei-

ne Bau am südlichen Ende war noch nicht zugänglich, seine Front mit Gipskarton verkleidet. Der wandhohe dunkelrote Samtvorhang, ein Hauptelement des Innenraumkonzepts, war nicht

rechtzeitig geliefert worden, und die leuchtende Glaswand, die

einzige Lichtquelle bei Nacht, funktionierte nicht. Vor allem fehlte die Aufschrift «Alemania» an der Fassade, um den Bau als Länderpavillon zu kennzeichnen.

Geld ausgegangen und der Pavillon wurde offiziell aufgegeben.

Aber immerhin, das allgemeine Konzept war klar erkennbar: Auf

sich persönlich ein, um sein Missfallen zum Ausdruck zu bringen.

aus Marmor und Glas sowie acht kreuzförmige, vernickelte Stüt-

Spaniens protofaschistischer Diktator Primo de Rivera schaltete In Berlin suchte man daraufhin hektisch nach zusätzlichen Gel-

dern, die etwa zwei Wochen später zur Verfügung standen; zehn

einem rechteckigen Sockel bildeten ausgedehnte Wandflächen

zen eine Abfolge von frei miteinander verbundenen Räumen, einige unter einer dünnen, durchgehenden Dachplatte, andere

14  Einführung

unter freiem Himmel, abwechselnd hell und dunkel, geheimnis-

Aufrichtigkeit. Tatsächlich hat diese vereinfachende Gleichset-

ten leeren Baues bildeten eine freistehende Onyxwand, ein gro-

lischen Ambitionen seiner Zeit lange nachgewirkt und bis in

voll und einladend. Den eindrucksvollen Höhepunkt des ansonsßer, schwarzer Teppich und einige wenige eigens für den Pavillon

entworfene Möbelstücke. Es gab zwei seichte Wasserbecken:

das größere außen, flankiert von einer langen Wand und einer Travertinbank, das kleinere in einem Innenhof mit einer Frauenfigur des Bildhauers Georg Kolbe. Nichts auch nur entfernt Ver-

gleichbares gab es jemals zuvor als Länderpavillon bei einer Weltausstellung.

zung der Formensprache des Pavillons mit politischen und moraunsere heutige Zeit überdauert. Von Schnitzler hatte sowohl ein

allgemeines als auch ein persönliches Interesse an einer positiven Wahrnehmung des Pavillons in der Heimat, da er hoffte, einiges von dem Geld, das er in dessen Bau gesteckt hatte, von der

Regierung zurückzubekommen – ein Bestreben, das von etlichen

seiner Freunde, die begeisterte Berichte in wichtigen Zeitungen und Zeitschriften platzierten, unterstützt wurde.

Bei der kurzen Eröffnungszeremonie an einem bewölkten Mon-

Mies selbst schien sich hinsichtlich des künstlerischen Stellen-

sich ergehen lassen, der witzelte, er sei jeden Tag sorgenvoll an

satz zu seiner üblichen Gewohnheit bestellte er keine professio-

tagmorgen musste Mies den Spott von König Alfonso XIII über der Baustelle vorbeigefahren, um die Fortschritte zu sehen, bis es

ihm allmählich dämmerte, dass die Deutschen den Bau absichtlich verzögert hätten, um der Welt zu zeigen, wie viel sie in einer Woche bewerkstelligen könnten. Die niedrigen gepolsterten

Ledersessel auf einem Gestell aus flachem, diagonal verschweiß-

ten Chromstahl, die Mies für den König und die Königin von Spa-

nien entworfen hatte (und in letzter Minute für viel Geld hatte einfliegen lassen), wurden vom Königspaar ignoriert. Das allge3

meine Publikum der Weltausstellung scheint ähnlich ungerührt gewesen zu sein. Die meisten Besucher wussten nicht, worum es sich bei dem Gebäude handelte; einige dachten, es sei ein Aus-

stellungsstand der Marmorindustrie, andere baten das Wachpersonal um eine Erklärung.

Der deutsche Ausstellungskommissar Georg von Schnitzler

jedoch formulierte in seiner Eröffnungsansprache eine Erklä-

werts des Gebäudes nicht so sicher gewesen zu sein. Im Gegennellen Fotografien. Erst Ende Juni, mehrere Wochen, nachdem Mies abgereist war, kam ein professioneller Fotograf namens

Sasha Stone nach Barcelona, um im Auftrag der deutschen Sei-

denindustrie deren Exponate zu fotografieren. Da vom Pavillon keine Bilder existierten, fotografierte er diesen ebenfalls und ver-

kaufte danach seine Bilder an eine Nachrichtenagentur in Berlin. Die streng symmetrisch um eine horizontale Achse komponierten Fotos verliehen dem Pavillon eine schlichte Würde und präsentierten ihn als geheimnisvoll schöne, abstrakte Komposition

aus horizontalen und vertikalen Flächen – seine formale Klarheit wurde durch die völlige Abwesenheit von Besuchern noch

betont. Da offizielle Aufnahmen stark limitiert wurden, blieben dies fast die einzigen vom Pavillon erhältlichen Fotos, und so

illustrierten und prägten sie in den folgenden Monaten viele Artikel in Zeitungen und Architekturzeitschriften.

rung, die die Grundlage für viele zukünftige Interpretationen lie-

Die fast einhellige Begeisterung dieser Berichte muss Mies wirk-

schen Sektionen und des Pavillons als bewusste Reaktion auf die

Projekt und dessen schmerzvoller Geburt blieben bestehen. Als

fern sollte. Er beschrieb die Klarheit und Schlichtheit der deutwirtschaftlichen und sozialen Probleme der jungen Weimarer Republik und deren ernsten Wunsch nach Offenheit und

lich überrascht haben. Doch sein Unbehagen gegenüber dem von Schnitzler Mies einlud, an der «Deutschen Woche» der Welt-

ausstellung im Oktober 1929 teilzunehmen, um den Pavillon,

15

nun in allen Details vollendet, noch einmal zu sehen sowie eini-

plastisch greifbar ist. Mies selbst wandte die Formensprache des

lich ab. Es war seine letzte Gelegenheit, denn drei Monate später

in Brünn im Jahr 1930 und auf das Haus für ein kinderloses Ehe-

gen dort geplanten Festlichkeiten beizuwohnen, lehnte er höf-

wurde das Gebäude demontiert, sein Metallgerüst verschrottet und die Marmorplatten nach Hamburg verschifft, um bei staatlichen Bauprojekten Verwendung zu finden.

Was dann geschah, gehört zu den ungewöhnlichsten Erfolgsgeschichten der modernen Architektur: Trotz seiner kurzen Lebensdauer und zum Teil dank Stones großartiger Fotografien wuchs

der Ruf des Gebäudes in den folgenden Jahrzehnten stetig. Bald galt es als gebautes Manifest der Moderne, ihrer räumlichen und

«ideellen» Ambitionen, sowie als «ein Meilenstein der modernen Architektur». Der Pavillon wurde als «eines der großartigsten 4

Kunstwerke aller Zeiten»5 gepriesen, als «wirkliche Ur-Hütte»

oder «Tempel» der Moderne, als ein wahrhaftiger Archetyp wie 6

Bramantes Tempietto in Rom, der eine vergleichbare symboli-

sche Bedeutung für die Renaissance hatte. Gleichzeitig übernahmen Architekten auf der ganzen Welt das Formen- und Raumvokabular des Pavillons; in der Mitte des 20.  Jahrhunderts

avancierte es von Kalifornien bis zum Nachkriegsdeutschland zu

einem zentralen Strang in der DNA der Moderne, der noch heute

Pavillons nur auf zwei spätere Bauten an – auf die Villa Tugendhat paar bei der Berliner Bauausstellung 1931 –, doch sie klang in

seinen Skizzen und Atelierübungen bis in die 1940er-Jahre intensiv nach. Im Zuge der wachsenden Unzufriedenheit mit der

modernen Architektur kamen seit den 1960er-Jahren kritischere

und vielschichtigere Stimmen zu Wort. Der Pavillon diente manchen zur Verteidigung der Moderne, anderen als Musterbeispiel ihrer Mängel. Besonders italienische Kritiker nahmen die politischen Intentionen hinter dem Bau aufs Korn.

Der Pavillon, der mehr als ein halbes Jahrhundert lang nur durch

Stones Schwarz-Weiß-Fotografien bekannt war, wurde 1986, rechtzeitig zum Gedenken an Miesʼ hundertsten Geburtstag, am

Originalstandort wiedererrichtet. Da fast alle originalen Baupläne verloren gegangen waren, ist das neue Gebäude bestenfalls

eine Annäherung. Es regte lebhafte Diskussionen über den Wert

von Rekonstruktionen und die Bedeutung von «Authentizität» an. «Wie deutlich unterscheidet es sich von Disneyland?»,7 fragte

Rem Koolhaas, während Alison und Peter Smithson sich darüber

Gedanken machten, ob es, «seiner revolutionären Intention» beraubt, nun «lediglich eine Touristenattraktion» 8 würde.

Doch selbst diejenigen, denen angesichts dieser «Replik», dieses

«Faksimiles» oder dieser «Parodie» nicht wohl war, mussten

zugeben, dass die unmittelbare Erfahrung des Gebäudes in sei-

ner Dreidimensionalität und seinen Farben zahlreiche neue Ein-

sichten in sein architektonisches Konzept ermöglichte. Seine 3  Brief von Erich von Kettler an Georg von Schnitzler, 5. Juli 1929, HoA, WaB 1929 – 1930. 4  Philip Johnson, Mies van der Rohe, Ausst.-Kat. New York, MoMA, 16. Septem­ ber – 23. November 1947, New York 1947, S. 58, 60: «one of the milestones of mod­ ern architecture».

5  «Afterword: Conversation at 23 Beekman Place: Interview with Paul Rudolph by Peter Blake» (1996), in: Roberto de Alba, Paul Rudolph: The Late Work, New York 2003, S. 217. 6  George Dodds, «Body in Pieces: De­ siring the Barcelona Pavilion», in: Res, Nr. 39, 2001, S. 173: «a virtual ur-hut». Vincent

Scully, Moderne Architektur: Die Architektur der Demokratie, Ravensburg 1964, S. 27. 7  “Less is More”,: in Rem Koolhaas, Bruce Mau, S.M.L.XL. New York 1995, S. 48 – 61. 8  Alison Smithson, La Vanguardia (15 November 1985), S. 44.

Wiedergeburt fiel mit größeren Verschiebungen im Diskurs über historische Architektur zusammen – und wurde wahrscheinlich

auch durch diese befördert: besonders die Wiederentdeckung einer «Präsenz der Vergangenheit», wie Paolo Portoghesi die ers-

te Architekturbiennale in Venedig im Jahr 1980 betitelte, und das Aufkommen einer «postmodernen Architektur». In diesem

16  Einführung

Kontext half die sehr reale physische Präsenz des wiedererstan-

denen Barcelona-Pavillons paradoxerweise dabei, ein erneutes

Interesse an der Architektur der Moderne zu wecken, die die

lange Weg zu seiner Rekonstruktion von den 1950er-Jahren bis Mitte der 1980er-Jahre nachgezeichnet.

Postmoderne ja ablösen wollte. Der Pavillon erlangte niemals

Bei einer Installation am wiederaufgebauten Pavillon betonte

1920er-Jahre oder in der Nachkriegszeit bedacht wurde, als die

seitige Abhängigkeit der gebauten Struktur mit ihrem anderen,

wieder die politischen Konnotationen, mit denen er Ende der Architektur von Mies und seinen Kollegen als vermeintliches

Symbol von Demokratie und Freiheit nach Europa zurückkehrte. Seine subtilen Details, das Spiel mit Licht und Schatten und die

offenen Raumfolgen haben dennoch auf Generationen von

Architekten und Kritikern einen nachhaltigen Eindruck gemacht. Auf diese Weise avancierte er zum meistdiskutierten Bau der Moderne.

Abgesehen von Beschreibungen in praktisch jeder Geschichte der modernen Architektur und ausführlichen Abhandlungen in

jeder Biografie zu Mies sind bereits acht Monografien über den

Pavillon selbst erschienen.9 Warum also noch ein weiteres Buch über den Bau? Die Antwort ist, dass der vorliegende Band neue

der katalanische Künstler Antoni Muntadas 2010 die «wechselpapiernen Zustand – der Erinnerung, die durch das Archiv und seine zahlreichen Publikationen und Dokumente verkörpert

wird». Diese Erinnerung machte er durch die Ausstellung von

Archivmaterial im Pavillon und «die olfaktorische Erfahrung von

bedrucktem, gelagertem Papier»11 wahrnehmbar. Beatriz Colo-

mina bemerkte bei dieser Gelegenheit: «Der Geruch von Mies ist

der Geruch von Dokumenten.»12 Ähnlich beschrieb der Historiker Marco de Michelis, was die beeindruckende Rekonstruktion

mit dem verlorenen Originalgebäude verbindet: diese beiden unterschiedlichen und weit voneinander entfernten Stadien sei-

ner Geschichte sind «die Dokumente, die es uns ermöglichen, diese heute erneut zu erzählen».13

Forschungsergebnisse aus Archiven in den Vereinigten Staaten,

Gebäude wie Mies’ Barcelona-Pavillon, Le Corbusiers Villa

Gebäudes detailreich beleuchten.

komplizierte Art und Weise erlangt. Ruhm und Anerkennung sind

Spanien und Deutschland vorstellt, die die Entstehung des 10

Die Frage nach der Autor-

schaft ist zum Beispiel durch die Rolle mehrerer entscheidender Persönlichkeiten komplex. Während sich in den Archiven fast kei-

ne Entwurfs- oder Konstruktionszeichnungen erhalten haben, gibt es ergiebige Briefwechsel zum politischen Prozess, zur Finanzierung und Entstehungsgeschichte sowie umfangreiche Sammlungen zeitgenössischer kritischer Stimmen. Auf diese

Weise kann der Bau heute klarer in unterschiedlichen Zusam-

menhängen gesehen werden. Die folgenden Kapitel präsentie-

ren die politischen Bedingungen in Deutschland und Spanien, die zeitgenössischen Debatten zum Gebäudetyp, die Entwick-

Savoye oder Wrights Fallingwater haben ihre Bekanntheit auf

niemals nur das automatische Resultat bestimmter herausragen-

der Qualitäten, sondern entstehen durch komplexe, oft zufällige Beziehungen oder sind gar sorgfältig orchestriert.14 Unsere Wertschätzung jedes Gebäudes ist untrennbar mit der Entwicklung seiner Rezeption im Lauf der Zeit verbunden. Während früh

schon so etwas wie eine lehrbuchartige Interpretation des Pavil-

lons entstand und sich in vielen Publikationen niederschlug, existierten gleichzeitig immer auch andere, häufig widersprüchliche Auslegungen – insbesondere seit dem Wiederaufbau des Pavil-

lons 1986.15 Eine separat publizierte Anthologie von Texten zum

lung von Mies’ Werk, die Finanzierung, den Entwurf und den Bau

Pavillon bietet Einblick in die überraschend vielseitigen Heran-

und seine fotografische Dokumentation. Und schließlich wird der

ständigt so diese Untersuchung. Unsere detaillierte Darstellung

des Pavillons, Veranstaltungen während seiner kurzen Existenz

gehensweisen und Standpunkte der letzten 90 Jahre und vervoll-

17

der Entstehungsgeschichte und ihres politischen Umfelds mag

dabei helfen, einleuchtendere Interpretationen von allzu spekulativen Ansätzen oder Fehleinschätzungen zu unterscheiden und eine Sichtweise vorzuschlagen, die weniger heroisch, aber dafür realistischer und vielleicht sachlicher ist, indem sie die komple-

xen Bedingungen der Architekturpraxis mit ihren Kompromissen, Zwängen und Zufällen anerkennt.

9  Rosa Maria Subirana i Torrent (Hrsg.), Mies van der Rohe’s German Pavilion in Barcelona 1929 – 1986, Barcelona 1987; Ignasi de Solà-Morales, Cristian Cirici, Fernando Ramos, Mies: El Pabellón de Barcelona, Barcelona 1993. Josep Quet­ glas, Der gläserne Schrecken: Mies van der Rohes Pavillon in Barcelona, Basel 2001. Lluís Casals, Josep M. Rovira i Gimeno, Reflections. Mies van der Rohe Pavilion, Barcelona 2002. George Dodds, Building Desire: On the Barcelona Pavilion, London, New York 2005. Ursel Berger, Thomas Pavel (Hrsg.), Barcelona-Pavillon. Mies van der Rohe & Kolbe: Architektur und Plastik, Berlin 2006. José Vela Castillo, (De)gustaciones gratuitas: de la deconstrucción, la fotografia, Mies van der Rohe y el Pabellón de Barcelona, Madrid 2010. Valentín Trillo Martínez, Mies en Barcelona: Arquitectura, Representación y Memoria, Sevilla 2017. Juanjo Lahuerta, Celia Marín Vega (Hrsg.), Mies in Barcelona, 1929, Barcelona 2017. 10  Die wichtigsten sind der Mies-vander-Rohe-Nachlass im MoMA in New York und in der Library of Congress in Wash­ ington, das Archiv der Hoechst AG in

Friedrichsdorf bei Frankfurt am Main, das Politische Archiv des Außenministeriums in Berlin, das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK) in Berlin, das Bundesarchiv in Berlin, das Arxiu Nacional de Catalunya, das Arxiu Històric de la Ciutat de Barcelona sowie das Arxiu Municipal Administratiu de Barcelona. Außerdem hat die jüngste Digitalisierung historischer Zeitungen wie etwa ABC, La Vanguardia, Vossische Zeitung sowie von Architekturzeitschriften wie Wasmuths Monatshefte für Baukunst, Die Form und viele andere den Zugang zum aktuellen Diskurs beträchtlich erleichtert. 11  Xavier Costa, «The Pavilion and its Archive», in: Xavier Costa (Hrsg.), Muntadas: On Translation. Paper BP/MVDR, Bar­ celona 2010, S. 14 – 19. 12  Beatriz Colomina, «The Smell of Mies», in: Costa, Muntadas, S. 20 – 27 (siehe Fußnote 11). 13  Marco de Michelis, «The Smells of History», in: Costa, Muntadas. S. 28 – 31 (siehe Fußnote 11).

14  Beatriz Colomina hat häufig auf die bedeutende Rolle verwiesen, die die Medien für unser Verhältnis zur Architek­ tur Mies van der Rohes und anderer gespielt haben. Jüngst in: Beatriz Colomi­ na, Manifesto Architecture: The Ghost of Mies, Berlin 2014. 15  Rafael Moneo zufolge «konzentrier­ en sich [diese] abgegriffenen Interpreta­ tionen unweigerlich auf den fließenden Raum, den Einfluss des Neoplastizismus, die Unterscheidung zwischen strukturel­ len und formalen Elementen, die Selten­ heit und Qualität der Materialien und so weiter. Diesen Interpretationen zufolge ist der Barcelona-Pavillon das Paradigma reiner, abstrakter Architektur und macht die Prinzipien moderner Architektur mit derselben Klarheit offenbar, mit der Alber­ tis Kirche Sant’Andrea in Mantua einst die Prinzipien der Renaissancearchitektur präsentierte.» Rafael Moneo, «Vorwort», in: Quetglas, Der gläserne Schrecken, S. 9 – 13 (siehe Fußnote 9).

Barcelona 1929

19

Als die Bürger Barcelonas am Morgen des 13. September 1923

Doch Primo de Rivera konnte sich seiner anfänglichen Erfolge

Der Leiter des städtischen Militärkommandos, General Miguel

schien und der Militärkonflikt mit dem Berberführer Abd el-Krim

aufwachten, erwarteten sie besorgniserregende Nachrichten: Primo de Rivera (1870 – 1930)

ABB.  1,

hatte mit seinen Truppen

über Nacht einen Putsch durchgeführt. Der Gouverneur der Provinz Katalonien war abgesetzt worden, die Armee kontrollierte das Telefon- und Telegrafenamt und alle Regierungsbehörden. In

einer sorgsam abgestimmten Kampagne hatten gleichzeitig ähnliche Putschs in ganz Spanien stattgefunden. Primo de Rivera ver-

kündete am Morgen, dass der liberale Premierminister Manuel

García Prieto abgesetzt worden sei und das Militär die Regierung des Landes übernommen habe. Er verlas eine lange Liste von

Zielen und versprach, Recht und Gesetz wiederherzustellen,

­Korruption zu beseitigen, kommunistische und separatistische

Tendenzen zu unterdrücken, der Arbeiterschaft zu helfen und den Rifkrieg in Marokko zu einem siegreichen Ende zu bringen.

nicht lange erfreuen, obwohl die Wirtschaft sich zu erholen

in Nordmarokko 1927 dank starker militärischer Unterstützung

durch Frankreich schließlich zu Spaniens Gunsten gelöst wurde. Der Diktator erwies sich als glückloser Politiker ohne klare Vision

oder strategisches Talent. Seine großen öffentlichen Projekte, die

dadurch finanziert wurden, dass man zusätzliches Geld druckte, verringerten zwar anfänglich die Arbeitslosigkeit, schürten

jedoch längerfristig die Inflation. Seine drastischen Maßnahmen

zur Unterdrückung der katalonischen Unabhängigkeitsbewegung führten zu schwelender Unzufriedenheit in der Region, die schließlich 1928 in eine ­größere Welle von Streiks und öffentli-

chen Protesten mündete, als er die Steuern unterbezahlter Arbeiter erhöhte, und Steuersenkungen für die Reichen einführte.2

1

Kurz darauf sagte König Alfonso XIII ABB. 2 der Junta seine Unter-

stützung zu und ernannte Primo de Rivera zum Regierungschef. Die Mehrheit der Bevölkerung akzeptierte resigniert die Lage in

der Hoffnung auf Frieden und wirschaftlichen Aufschwung. Angespornt durch ein Treffen mit dem italienischen Diktator

Benito Mussolini, dessen Staatsstreich Rom im Jahr zuvor erschüttert hatte, löste Primo de Rivera das Parlament auf, setzte die Ver-

fassung außer Kraft, führte Zensur und Mili­tärgerichtsbar­keit ein, entließ die Stadtverwaltung und ließ politische und literarische

Vereine schließen.

Primo de Riveras sichtbarstes und teuerstes Unternehmen war die Weltausstellung in Barcelona und Sevilla im Jahr 1929. Als

ihn sein politisches Glück in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre

verließ, konzentrierte er seine ganzen Hoffnungen auf den Erfolg der Weltausstellung – vergebens: Sein Schicksal wurde durch sein wirtschaftliches Missmanagement sowie durch die mit dem Wall-Street-Crash im Oktober 1929 eingeleitete Weltwirtschaftskrise besiegelt. Nachdem er die Unterstützung sowohl des

Königs als auch der Bevölkerung verloren hatte, wurde Primo de

Rivera zum Rücktritt gezwungen, sobald die Weltausstellung im Januar 1930 ihre Pforten geschlossen hatte; einige Wochen spä-

ter starb er. Sein glückloses Regime hatte die spanische Gesellschaft aufgerüttelt und radikalisiert, und bei den folgenden Wahlen im Frühjahr 1931 erzielten die Republikaner im ganzen Land

1  Die unerwarteten Entwicklungen in Spanien gaben in ganz Europa Anlass zu großer Sorge. Siehe «Die Spanische Mili­ tär-Rebellion: Alle Provinzen ergriffen», in: Vossische Zeitung, Nr. 435, Morgenausga­ be, Freitag, 14. September 1923, S. 1.

2  «Der Streik in Barcelona», in: Vossische Zeitung, Nr. 55, Morgenaus­gabe, Donnerstag, 2. Februar 1928, S. 4. «StreikEnde in Barcelona», in: Vossische Zeitung, Nr. 76, Abendausgabe, Dienstag, 14. Feb­ ruar 1928, S. 1. Unter der ständigen

Bedrohung, ihre Arbeit zu verlieren, kapi­ tulierten die Arbeiter schließlich nach zwei Wochen.

haushohe Gewinne, was praktisch das Ende der Monarchie auf

der iberischen Halbinsel nach 1200 Jahren bedeutete. König

Alfonso verließ das Land und ließ sich in Rom nieder. Primo de

Riveras siebenjährige Diktatur war tragischerweise für die Spanier nur das Vorspiel zu Schlimmerem. Ab 1936 bekämpfte und

20  Barcelona 1929

1  General Miguel Primo de Rivera (1870–1930) 2  König Alfonso XIII. von Spanien (1886–1941) Fotograf: Antonio Cánovas del Castillo, auch bekannt als Dalton Kaulak (1862–1933). 3  Ansicht des Ausstellungsgeländes, 1915 (Architekten: Josep Puig i Cadafalch, Guillem Busquets) 4  Luftaufnahme des Ausstellungsgelän­ des ca. 1927 mit den im Bau befindli­ chen neuen Ausstellungshallen. 1

2

letztendlich besiegte General Francisco Franco im Spanischen

Bürgerkrieg die republikanischen Kräfte und deren Ziele: regio-

nale Autonomie, liberale und soziale Demokratie, freie Wahlen und Gleichberechtigung der Frauen. Seine faschistische Diktatur dauerte bis zu seinem Tod 1975 an.

Die Idee einer internationalen Handelsausstellung war nicht von Primo de Rivera gekommen. Die vorangegangene Weltausstellung in Barcelona im Jahr 1888 war ein großer Erfolg gewesen

und hatte nicht nur beträchtlichen Gewinn eingespielt, sondern auch die Stadtentwicklung angekurbelt, indem das Straßenbahn-

netz verbessert und nördlich des mittelalterlichen Stadtzentrums der Parc de la Ciutadella angelegt wurde.3 17  Jahre später –

1905 – begann der bekannte katalanische Architekt und Politiker Josep Puig i Cadafalch für die Idee einer neuen Weltausstellung

zu werben,4 in der Hoffnung das städtische Wachstum erneut zu

beflügeln.5 Zur Jahrhundertwende erlebte Katalonien einen außergewöhnlichen Wohlstand, da sich Barcelona zu einer wich-

tigen Metropole und einem bedeutenden Handelszentrum im

Mittelmeerraum entwickelte. Gleichzeitig erwachte wieder der Wunsch der Region nach Autonomie. 1913 hatte Puigs Kampagne Erfolg. Der Montjuïc, ein weithin sichtbarer Hügel südwestlich

des Stadtzentrums, auf dem sich Ackerland und Verteidigungs-

anlagen befanden, wurde zum Gelände für eine künftige Welt3

ausstellung bestimmt und etwa 291 Hektar Land zur Erschließung ausgewiesenen.

Puig i Cadafalch, Lluís Domènech i Montaner und andere Architekten entwarfen daraufhin detaillierte – und erstaunlich konservative – Pläne für ein Ausstellungsgelände am Fuß des Berges.6

Obwohl der Ausbruch des Ersten Weltkriegs die Pläne für eine große Ausstellung im Jahr 1917 vereitelte, liefen die Arbeiten

am Gelände weiter, da das neutrale Spanien nur am Rande von dem Konflikt betroffen war. Zwei große Ausstellungspaläste von

Puig i Cadafalch, die nach König Alfonso XIII und Königin Victoria

21

benannt wurden, wurden rechtzeitig für eine internationale

Möbelausstellung im Jahr 1923 fertig gestellt.7 ABB. 3 Beide hat-

ten großflächige Oberlichter und glatte, fensterlose Wände, die mit aufgemalten Barocksäulen geschmückt waren. Die Planung

für eine weitere Weltausstellung wurde nach dem Militärputsch kurz unterbrochen, doch Primo de Rivera beschloss, die Ausstellung voranzutreiben, da er ihren Propagandawert erkannte: ABB.  4

Während sie nach außen ein Bild der Stabilität und des

Wohlstands unter seiner neuen Herrschaft vermitteln konnte, würde sie auch, so hoffte er, als einheitsstiftendes, gemeinsames

Großprojekt der Unzufriedenheit in der Region und wachsenden

separatistischen Bewegungen entgegenwirken. Für viele Ob-­ dach­lose, die sich in den Elendsvierteln am Montjuïc

ABB. 5

und

im Stadtzentrum in der Nähe der Kirche Santa Maria del Mar nie-

dergelassen hatten, wurden am Fluss Bezos nördlich des Stadtzentrums mehr als 2.000 casas baratas (kostengünstige Wohneinheiten) gebaut.8

4

Um mehr als eine spanische Region einzubeziehen und den Eindruck einer Sonderstellung Kataloniens zu vermeiden, unterteil-

te Primo de Rivera die Ausstellung in zwei Sektionen – eine in Sevilla, wo Portugal, Lateinamerika und die Vereinigten Staaten

vertreten sein würden, und die andere in Barcelona für die europäischen Länder. Der aus Barcelona stammende Geschäftsmann 3  Zur Geschichte der Weltausstellung von 1888 siehe: Exposició Universal de Barcelona: Catálogo general oficial, Barce­ lona 1888; Exposició Universal de Barcelona: llibre del centenari, 1888 – 1988, Bar­ celona 1988. 4  Josep Puig i Cadafalch, «A votar per l‘Exposició Universal», in: La Veu de Catalunya, 1. November 1905, S. 3. 5  Der französische Raumplaner Léon Jaussely (1875 – 1932) hatte ein Entwick­ lungsmodell vorgeschlagen, das von der Stadt übernommen wurde. 6  Zur Umgestaltung des Berges siehe: J. Oriol, Jordi Calafell, Rafel Torrella, Montjuïc 1915, primera mirada, Barcelona

2007. Rafel Torrella, El registre fotogràfic de Montjuïc, 1915 – 1923: la metamorfosi d’una muntanya, Barcelona 2008. Laura Lizondo-Sevilla hat überzeugend argu­ mentiert, dass die Umgestaltung von Otto Wagners Artibus-Projekt für Wien beein­ flusst war, siehe Laura Lizondo-Sevilla, «Mies’ Opaque Cube: The Electric Utilities Pavilion at the 1929 Barcelona Internatio­ nal Exposition», in: Journal of the Society of Architectural Historians, Jg. 76, Nr. 2, Juni 2017, S. 197 – 217, hier: S. 201. 7  Für eine detaillierte Darstellung der Vorgeschichte der Weltausstellung 1929 und ihrer architektonischen und städte­ baulichen Entwürfe siehe: Ignasi de Solà-

Morales, La Exposición Internacional de Barcelona 1914 – 1929: Arquitectura y Ciudad, Feria de Barcelona 1985. 8  «El Patronato de la Habitación de Barcelona», in: ABC, 22. Juni 1928, S. 12. «Visita a los grupos de casas construídas», in: La Vanguardia, 20. Oktober 1929, S. 12. 9  Für einen kurzen biografischen Ab­ riss siehe seinen Nachruf: «Ha Muerto el Marqués de Foronda. Fue comisario regio en la Exposición Internacional de Barcelo­ na en 1929», in: ABC, 10. Juli 1961, S. 49 – 50.

Marqués Mariano de Foronda y González Bravo wurde zum

Direktor der Ausstellung ernannt.9 Als Chef der Straßenbahnver-

waltung war er mit komplexen Infrastrukturprojekten vertraut, und er machte ein neues U-Bahn-Netz zu seiner ersten Priorität

(ein erster Abschnitt wurde 1924 festlich eröffnet). Weitere Bauprojekte umfassten die Neugestaltung des Catalunya-Platzes im

Stadtzentrum sowie den Abriss großer Gebiete am Südende der

Gran Via, damit bei der Stierkampfarena ein neuer monumenta-

ler Platz am Haupteingang der Ausstellung errichtet werden konnte. Diese Plaça España

ABB.  6

feierte Spaniens vielfältige

Geografie, und in seinem Zentrum befand sich Josep Maria

22  Barcelona 1929

abwendete und ihre mediterranen Beziehungen mithilfe von Neorenaissance Architektur betonte.

Solche stilistischen Feinheiten wären Primo de Rivera sicherlich

entgangen, da er für kulturelle und künstlerische Fragen wenig

Sinn hatte. Anstatt Moderne und Fortschritt zu signalisieren, waren der neue Lageplan und die Formensprache am Montjuïc

am Ende genauso vorhersehbar und konventionell, wie es die

von Puig gewesen waren. Den Wettbewerb für einen neuen Nati-

onalpalast gewannen die Architekten Eugeni Cendonya, Enric Catà und Pere Domènech i Roura, deren überkuppelter Bau eine

deutliche Ähnlichkeit mit dem von Puig geplanten aufwies. Dank der Architekten Ramon Reventós i Farrarons und Francesc Folg-

uera avancierten die beiden Türme, die den Eingang zum Ausstellungsgelände flankierten, zu einer Doppelausgabe des Campanile in Venedig. Zusammen mit der kolonnadenartigen

Einfassung der Plaça España, die an den Petersplatz in Rom erinnert, ergab sich eine eigenartige Mischung italienischer Motive.

5

Der erfolgreichste Teil des Ausstellungsgeländes sollte das Poble

Espanyol (Spanisches Dorf) an seiner Nordostecke werden, das 5  Elendsviertel am Fuße des Montjuïc vor dem Bau des Weltausstellungs­ geländes 6  Die Plaza Espanya 1929 7  Der Fall der vier Säulen auf dem Ausstellungsgelände, Herbst 1928 8  Poble Espanyol

Jujols Brunnen, der die Meere um die iberische Halbinsel sowie deren Hauptflüsse Ebro, Tajo und Guadalquivir darstellte. ABB. 6

Sobald das neue Regime die Macht übernommen hatte, wurde

der Hauptplaner des Ausstellungsgeländes, Puig i Cadafalch, seines Postens enthoben – nicht aufgrund seiner Planungen, son-

dern weil Puig einer der entschiedensten Befürworter der Unabhängigkeit Kataloniens war.

10

Während Puigs einheitliches

Konzept für das Ausstellungsgelände offiziell fallengelassen wurde, überdauerten dennoch viele seiner zentralen Ideen, vor allem

die Vorliebe für den etwas nichtssagenden Noucentisme, der in den 1920er-Jahren in Barcelona zum vorherrschenden Stil wur-

de, als die Stadt sich vom einfallsreichen, opulenten Modernisme

ebenfalls von Reventós i Farrarons entworfen wurde.11 ABB. 8 Im

Rahmen früherer Weltausstellungen hatte es ähnliche Installationen gegeben, etwa die temporäre Rue du Caire oder Ville de

Paris 1889 und 1900 in Paris oder den noch bestehenden Borgo e Rocca Medievali der Turiner Ausstellung von 1911. In Barcelona handelte es sich um eine ummauerte Anlage auf einer Hügel-

kuppe mit 115 dicht gedrängten traditionellen Bauten aus allen Gegenden Spaniens, mit einem romanischen Kloster direkt

außerhalb der Mauern. Sorgsam ausgewählte Gebäude waren an ihren ursprünglichen Standorten vermessen und fotografiert

worden, und ihre Repliken in Barcelona wurden Teil einer pittoresken Folge von schmalen Straßen rund um einen zentralen

Platz. Handwerksläden und Restaurants boten regionale Pro­ dukte und Spezialitäten an. Puig i Cadafalch hatte das Dorf

23

ursprünglich Iberona nennen wollen, doch unter Primo de Rivera war es in Poble Espanyol umbenannt worden und entpuppte sich

als brillante Propaganda, in der die Vielfalt und die Gemeinsam­

keiten der spanischen Kultur eine deutliche Antwort auf separa­

tistische Tendenzen lieferten. Während das spanische Dorf eine

6

Art Rückzugsort von der Hektik der Stadt und des Ausstellungs­

geländes bot, strebte es – zeitgenössischen Beobachtern zu­­ folge – auch danach, «die jüngste Vergangenheit vergessen zu

lassen» – den Aufstand und die Proteste gegen Primo de Riveras Diktatur und für die Unabhängigkeit Kataloniens.12 Es war einer

der meistbesuchten und -kommentierten Teile der Ausstellung

und eine der wenigen Sektionen, die am Tag der Eröffnung kom­ plett fertiggestellt waren. Eine riesige Ausstellung zur «Kunst in

Spanien» im Nationalpalast erfüllte eine ähnliche Funktion und wurde am 19. Mai 1929 eröffnet.

Im Zentrum des Ausstellungsgeländes hatte Puig i Cadafalch vier

7

ionische Säulen errichtet ABB. 3, deren Bedeutung für jeden Kata­ lanen offenkundig war: Sie standen für die vier roten Streifen auf

gelbem Grund in der Flagge Kataloniens, der Senyera – ein Ver­

weis auf die Blutspuren, die die Finger König Karls des Kahlen 8

auf dem goldenen Schild Wilfried des Haarigen, Graf von Barce­

lona, hinterlassen hatten, der bei der Schlacht gegen Lobo Ibn Mohammed im Jahr 897 tödlich verwundet worden­ war. Einer

Legende aus dem 14. Jahrhundert zufolge tauchte der König sei­ ne Finger in das Blut des Grafen und schuf so das angeblich ers­ te heraldische Symbol. Doch die Verwendung der Senyera wurde

unter Primo de Rivera verboten, und der neue Direktor des Aus­ stellungsgeländes, Jaume Bayó i Font, bestand darauf, die Säu­

len abzureißen, um Platz für einen großen zentralen Brunnen zu 10  Einige Jahre lang war Puig Präsident des Regionalparlaments, des Mancomunitat, gewesen, das aufgelöst wurde, als Primo de Rivera die Macht ergriff. 11  Siehe Jordana Mendelson, Documenting Spain: Artists, Exhibition Culture,

and the Modern Nation, 1929 – 1939, University Park, Pennsylvania, 2005, S. 3 – 38. 12  Siehe Mendelson, Documenting Spain, S. 29 (siehe Fußnote 11).

schaffen. ABB. 7 Der Abriss der Säulen erfolgte so spät, dass einige

Werbebroschüren der Ausstellung bereits gedruckt worden

waren und in letzter Minute mit einer korrigierten Titelseite neu aufgelegt werden mussten.

ABB.  9

Die Symbolik ging nicht an

Mies van der Rohe und den Architekten der italienischen und

24  Barcelona 1929

schwedischen Pavillons, Portaluppi und Clason, vorbei, und sie protestierten gegen die Zerstörung der Säulen, allerdings ohne

Erfolg.13 Während die vier Säulen tatsächlich abgerissen wurden,

wurden ihre Steine beim Bau von zwei Reihen von je acht Säulen

an beiden Querseiten der länglichen Plaça de Bellas Artes wiederverwendet, in deren Zentrum sie zuvor gestanden hatten. Es ist verführerisch, diese Vervierfachung der Säulen als subtile Ges-

te des Widerstandes zu interpretieren, doch wurden Säulenreihen auf dem Ausstellungsgelände mehrfach eingesetzt, um Ein-

heitlichkeit herzustellen oder bestimmte Sektionen abzugrenzen. Am Ostende des Platzes, Richtung Stadtmitte, schirmten die Säu-

len den Ausstellungspalast der Stadt Barcelona (gestaltet vom Architekten José Goday) ab.

ABB. 12

Das Westende wurde zum

Standort des Deutschen Pavillons. Der freie, von diesen 16 Säu-

len eingerahmte Platz bot Erholung von der hektischen Betriebsamkeit des Ausstellungsgeländes. Baumgruppen – denen sich

bald Reihen von Leuchtstelen hinzugesellten – markierten die

Grenzen, und in der Mitte befand sich die Font Màgica, ein eindrucksvoll beleuchteter Springbrunnen.14 ABB. 10, 11

Darauf bedacht, die Ausstellung zu einem grandiosen nächtli-

chen Spektakel zu machen (was bei großen Industrieausstellun-

gen mittlerweile zur Tradition geworden war), investierten die Organisatoren in ein 250.000 Dollar teures, speziell angefertig9

tes Beleuchtungssystem der amerikanischen Westinghouse Corporation, das die Farbwechsel der 850 Flutlichtprojektoren

synchronisierte. Die Architekturbeleuchtung wurde durch 50 Springbrunnen und Kaskaden ergänzt, die in einer sorgsam

koordinierten, von dem katalanischen «Lichtmagier» Carles Buïgas (1898 – 1979) inszenierten Symphonie farbigen Lichts von

unten beleuchtet wurden. Diese Festbeleuchtung war «weitaus

umfangreicher als jede vergleichbare bislang produzierte Lichtinstallation».15 ABB. 13

25

10

11

9  Zwei Versionen einer Ausstellungsbroschüre mit und ohne die vier Säulen 10  Fontana Magica auf dem Ausstellungsgelände; Fotograf: Emili Godes 11  Ausstellungsgelände bei Nacht; Fotograf: Sebastia Jordi 12  Ausstellungspalast der Stadt Barcelona (Architekt: Jose Goday), 1929

12 13  Bonaventura Bassegoda, «Comentaris d’arquitectura», in: Ciència: Revista catalana de ciència i tecnologia, Jg. 4, Nr. 36, Barcelona 1930 [monogràfic dedicat a l’Exposició], S. 538 – 552 14  Während die 16 Säulen später ­abgerissen wurden, hat man 2010 die

­ rsprünglichen vier Säulen nur wenige u Meter von ihrem Originalstandort entfernt wieder aufgestellt. 15  C. J. Stahl, «The Colored Floodlighting of the International Exposition at Barcelona, Spain», in: Transactions of the Illuminating Engineering Society, Jg. 24,

Nr. 9, 1929, S. 876 – 889. Zur Beleuchtung der Weltausstellung in Barcelona siehe David Caralt, Agualuz. De Pirotecnias a mundos flotantes: visiones de Carles Buigas, Madrid 2010, S. 75 – 90. Dietrich Neumann, Architektur der Nacht, München u. a. 2002, S. 138 – 139.

26  Barcelona 1929

Eröffnung der Weltausstellung anordnete, wurde klar, dass sich

seine Geduld mit dem Diktator erschöpft hatte und der König nun bestrebt war, sich bei der Öffentlichkeit beliebt zu machen.17

Doch während die Stadt Barcelona sich auf die erwartete Besucherflut zur Weltausstellung einstellte, hätte sie kaum weniger

auf Mies van der Rohes radikalen Pavillon vorbereitet sein kön-

nen. Die Moderne – nördlich der Alpen und Pyrenäen in vollem Gange – hatte einen kaum merklichen Einfluss in Spanien, auch wenn ein paar bescheidene Wolkenkratzer von Barcelonas groß-

städtischen Ambitionen und amerikanischen Perspektiven kündeten. Doch Veränderung lag in der Luft: Die schlichte, schmuck-

lose Klarheit von Le Corbusiers Architektur hatte eine Reihe junger spanischer Architekten in ihren Bann gezogen – vor allem

Josep Lluís Sert (1901 – 1983), der Le Corbusiers Werk bei einer

Reise nach Paris im Frühjahr 1927 sah und ihn nach Barcelona

einlud.18 Im Mai 1928 hielt der Schweizer dort zwei Vorträge, die

großes Aufsehen erregten.19 Wenige Monate später begann Sert, 13

als unbezahlter Assistent in Le Corbusiers Pariser Atelier zu arbei-

14

ten, und entwarf das erste von zwei Appartementhäusern in Bar-

celona.20 ABB. 14 Im April 1929 organisierte Sert in der Galerie des

Kunsthändlers Josep Dalmau eine Ausstellung mit dem Titel

13  Ausstellungsgelände bei Nacht, zeitgenössische Postkarte 14  Mehrfamilienhaus, Barcelona, Calle Muntaner 342–348 (1929–1931), Architekten: Josep Lluís Sert, Sixto Illescas

Als die Unterstützung für Primo de Rivera zu schwinden begann, wurde das politische Klima in Barcelona zunehmend unbestän-

dig, und der Diktator entkam nur knapp einem Attentat, als er die Stadt im Juli 1926 besuchte. In den Monaten vor der Eröffnung

New Architecture. Die elf Teilnehmer (vier von ihnen waren noch

Studenten) präsentierten Entwürfe für moderne Bautypen wie

einen Flughafen oder ein Hotel, ganz deutlich von der Architektur Le Corbusiers beeinflusst.21 Einer der Teilnehmer, Sixte Ille-

scas (1903 – 1986), der erst drei Jahre zuvor sein Architekturstu-

der Weltausstellung fanden häufig Demonstrationen, zum Teil

dium abgeschlossen hatte, wandte Le Corbusiers Formensprache

15  Barcelona, Casa Vilaró, 1929 Architekt: Sixte Illescas

celona statt, was dazu führte, dass sie im März 1929 geschlossen

am Hausberg Tibidabo an.22 ABB. 15 Es ist fraglich, ob einer dieser

16  Zukunftsvision für Barcelona (Tudurí)

zutiefst enttäuscht von der Diktatur, die er anfänglich begrüßt

mit gewaltsamen Ausschreitungen, an den Universitäten von Bar-

auf eine von Barcelonas ersten modernen Villen, die Casa Vilaró

wurden. Aus Protest verlegte der Philosoph Ortega y Gasset –

jungen Architekten je von Mies van der Rohe gehört hatte oder

hatte – seine Vorlesungen in ein Filmtheater in der Calle Mayor

seinem Pavillon arbeitete.23 Im Oktober 1930 reiste die Gruppe

und lud die Öffentlichkeit zur Teilnahme ein. Als Alfonso XIII die 16

Wiederaufnahme des Lehrbetriebs an den Universitäten zur

wusste, dass er ganz in der Nähe unter großem Zeitdruck an

zum Auftakttreffen der Vereinigung spanischer Architekten und

Techniker für Fortschritt in der zeitgenössischen Architektur

27

15

16  Andrew Dobson, An Introduction to the Politics and Philosophy of José Ortega y Gasset, Cambridge, Massachusetts, 1989, S. 31. 17  Hans-Otto Glahn, «Die Ausstellun­ gen von Sevilla und Barcelona», in: Schwäbischer Merkur, 29. Mai 1929, S. 105. 18  Eine Zeitung aus Barcelona berich­ tet über Serts Rückkehr von dieser Reise, «De Sociedad. Notas informativas. Viajes», in: La Vanguardia, 12. April 1927, S. 15. Sert sollte einer der berühmtesten spani­ schen Architekten der Mitte des 20. Jahr­ hunderts werden und war von 1939 bis 1969 in den USA tätig, ab 1953 als Profes­ sor an der Harvard Graduate School of Design. 19  Für Berichte zu Le Corbusiers Be­ such siehe: «Le Corbusier vendrá a Barce­ lona», in: La Vanguardia, 2. Mai 1928, S. 6. «Conferencias ‹Le Corbusier›», in: La Vanguardia, 13. Mai 1928, S. 6. «Conferencias Le Corbusier», in: La Vanguardia, 15. Mai 1928, S. 10. «El arquitecto Le Corbusier», in: La Vanguardia, 16. Mai 1928, S. 6. «En la sala Mozart: Conferencia de M. Le Cor­ busier», in: La Vanguardia, 16. Mai 1928, S. 27 – 28. 20  Zu den Anfängen der modernen Ar­ chitektur in Barcelona siehe: Josep M. Ro­

vira, José Luis Sert, Mailand 2003, S. 14 – 27 und Josep M. Rovira (Hrsg.), Sert 1928 –  1979: medio siglo de arquitectura. Obra Completa, Barcelona 2005. Die katalani­ schen Zeitschriften Gaseta de les Artes (1925 – 1930), Mirador (1929 – 1937) und d'Ací i d'Allà veröffentlichten sporadisch Artikel zu moderner Architektur. Die Zei­ tung La Veu de Catalunya hatte eine Rub­ rik, die mit «Pàgina de la construcció» be­ titelt war, in der der Kritiker Rafael Benet einige Essays zu Le Corbusier und zur deutschen modernen Architektur publi­ zierte. Spanische Magazine wie Arquitectura, Hogar propio, La Construcción Moderna berichteten gelegentlich auch über den Internationalen Stil. 21 Siehe AA.VV. Arquitectura Nova, Ausst.-Kat. Barcelona, 13. – 27. April 1929. Die Teilnehmer waren: Antoni Puig Gairalt (hochrangiger Architekt, der zur Schau eingeladen wurde), Ricardo de Churruca, Francesc Fàbregas, Germán Rodríguez Arias, Cristòfol Alzamora, Enrique Pecourt, Pere Armengou, Francesc Perales, Sixte Illescas, Josep Lluís Sert und Josep Torres Clavé. 22  Siehe Albert Illescas, Manuel Brullet (Hrsg.), Sixte Illescas Arquitecte (1903 –  1986). De l’avantguarda a l’oblit / de la

vanguardia al olvido / from vanguard to obscurity, Barcelona 2008, S. 296 – 327. 23  Die in Madrid erscheinende Zeit­ schrift Arquitectura hatte 1926 Mies’ Glas­ hochhaus gezeigt und 1927 über die Weißenhofsiedlung berichtet. Paul Linder, «Tres ensayos sobre la nueva Arquitectura alemana. Los tectónicos (II)», in: Arquitectura 8, no. 86 (Juni 1926), S. 235 – 241. F. Garcia Mercadal, «La Exposición de la Vi­ vienda. Werkbundausstellung «Die Woh­ nung», Stuttgart, 1927, in: Arquitectura 9, no. 100 (August 1927), S. 295-298. Paul Linder, «La Exposición ‘Werkbund Ausstel­ lung’ en Stuttgart», in: Arquitectura 9, no. 103 (November 1927), S. 383-398. 24  Gruppe katalanischer Künstler und Techniker für den Fortschritt in der zeitge­ nössischen Architektur. 25  «Villa en Brünn. Ludwig Mies van der Rohe, arquitecto», in: A.C., Nr. 14, 1934, S. 30 – 33. Isac Saporta, «La labor ac­ tual de Mies van der Rohe», A.C. 14, 1934, S. 34, online unter: http://www.numeross­ ueltos.com/revistas/ac/ac-documentosde-actividad-contemporanea-14.html, letzter Zugriff am 15. August 2015. 26  Er existiert immer noch in der Car­ rer de Lleida Nr. 11.

16

(GATEPAC) nach Zaragoza und gründete einen katalanischen

Ableger namens GATCPAC.24 Ihr Magazin AC (Documents

d’Activitat Contemporània), das ab 1931 erschien, erwähnte kein einziges Mal den Barcelona-Pavillon, würdigte Mies jedoch

schließlich einige Jahre später, 1934, in einem Bericht über die Villa Tugendhat in Brünn und Mies’ Berliner Büro.25

Zwei wichtige Vertreter der Moderne unter Barcelonas Architek-

ten gehörten nicht zu dieser Gruppe und waren weniger dogmatisch in ihren Überzeugungen: Ramon Reventós i Farrarons hatte einen modernen Wohnblock direkt hinter dem Ausstellungsge-

lände entworfen, der fast fertiggestellt war, als die Ausstellung 1929 eröffnet wurde.26 Reventós i Farrarons war stilistisch nicht

festgelegt, er hatte auch die venezianischen Türme am Haupteingang der Ausstellung ABB. 6 und das vielgelobte Spanische Dorf

28  Barcelona 1929

(zusammen mit Francesc Folguera) entworfen. Sein Freund Nico-

erbeten, doch nie eine Antwort erhalten.32 1926 (zufälligerweise

lau M. Rubió i Tudurí (1891 – 1981) baute gleichzeitig ebenfalls

nur wenige Wochen vor Gaudís Tod) brachte die Deutsche Bau-

und er arbeitete mit dem französischen Stadtplaner und Land-

Família.33 ABB. 17 Doch insgesamt behandelte die deutsche Pres-

ein modernes Gebäude, einen Rundfunksender am Tibidabo, schaftsgestalter Jean Claude Nicolas Forestier (1861 – 1930) an

zeitung einen umfangreichen Bericht über den Bau der Sagrada

se Gaudís Werk eher als Kuriosität denn als seriöse Architektur.34

der Gartengestaltung im Ausstellungsgelände. Als einer der

Sein entschiedenster Kritiker in Deutschland war der berühmte

druckt geblieben waren, stellte Tudurì die formalistische «Corbu-

einer Reise nach Katalonien gesehen hatte und so entsetzt über

wenigen, die von Le Corbusiers Vorträgen in der Stadt unbeein-

sier-Doktrin» als «historistischen Stil» infrage. Er lernte Mies nie 27

kennen, doch sein Werk orientierte sich stärker an Mies’ Ansatz, und er schrieb 1930 einen klugen Aufsatz über den Deutschen Pavillon für Cahiers d’Art.28

Doch selbst Tudurì konnte dem Einfluss Le Corbusiers nicht gänz-

lich entgehen. In dem am anderen Ende des Platzes gegenüber

dem Mies-Pavillon gelegenen Ausstellungsbau der Stadt Barce-

lona, stellte er ein großes Diorama aus, das seine Vision für die

Zukunft der Stadt wiedergab – eine Vision im Stil des Plan Voisin mit endlosen Reihen von Wohnbauprojekten, einem neuen

Hafen an der Mündung des Llobregat-Flusses, mit Autobahnen und Türmen aus Glas und Stahl.

29

ABB. 16

Ebenso, wie Barcelonas Architekten nur wenig über die Entwick-

lung der Moderne im Rest von Europa wussten, kannten – trotz

des zunehmenden Mittelmeertourismus – die meisten deutschen Besucher der Stadt kaum deren Architekturgeschichte.30 Eine

offenkundige Ausnahme war Antoni Gaudí, dessen Werk in den

frühen 1920er-Jahren wegen seiner vermeintlichen Affinität zur

expressionistischen Architektur zur Kenntnis genommen wurde, und tatsächlich hatte Mies wahrscheinlich Bilder der Casa Milà

oder des Park Güell in Wasmuths Monatsheften für Baukunst oder in der expressionistischen Zeitschrift Frühlicht (in der auch Miesʼ eigenes Werk veröffentlicht worden war) gesehen.31 Der

Herausgeber Bruno Taut hatte Material von Gaudí (den er als

Seelenverwandten betrachtete) zur Veröffentlichung im Frühlicht

Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe, der Gaudís Werk 1908 bei dessen formalen Überschwang war, dass er ihn fortan nur noch

als «Monster von Barcelona» bezeichnete.35 Mies kannte Meier-

Graefe von einem Besuch in Paris im Jahr 1912, wo er um Unterstützung für sein Kröller-Müller-Projekt warb (und sich vielleicht

auch als geeigneter Architekt für ein Wohnhaus präsentierte, das der Kunsthistoriker in Berlin bauen wollte).36 Walter Gropius war

1908 nach Barcelona gereist und traf sich mit Puig i Cadafalch, nicht jedoch mit Gaudí. Gropius’ Studenten Ernst Neufert und

Paul Linder schafften es 1920, Gaudí zu sehen; sie berichteten, dass er sie ermahnt habe, besser die gotische katalanische Architektur zu studieren als sein eigenes Werk.37 Für die meisten deut-

schen Architekten damals blieb Barcelona jedoch eine Art terra incognita, und die Spanier galten vielen als das «künstlerisch konservativste […] europäische […] Volk».38:

29

17  Barcelona, La Sagrada Família (Architekt: Antoni Gaudí) im Jahr 1928

27  N. M. Rubió i Tudurí, «Enfront de Le Corbusier», in: La Nova Revista, 18. Juni 1928, S. 163 – 164. 28  Nicolau M. Rubió i Tudurí, «Le Pavil­ lon de l’Allemagne à l’Exposition de Bar­ celone par Mies van der Rohe,» in: Cahiers d’art, Nr. 8/9 (August/September 1929), S. 408 – 11. 1932 hatte Mies (oder viel­ leicht Lilly Reich, die Tudurí als «Mrs. Mies van der Rohe» anschrieb) durch einen Mit­ telsmann Interesse an Tudurís Architektur­ manifest Actar von 1931 bekunden lassen. Rubió i Tudurí an Mrs. Mies van der Rohe, 20. Dezember 1932, LoC, MvdR Papers. 29  Francisco Cañadas, «Barcelona futura. Visiones Barcelonesas», in: Diario Oficial de la Exposición Internacional Barcelona 1929, Nr. 37, 16. November 1929, S. 3 – 4. Anon., «Barcelona Futura», in: Diario Oficial de la Exposición Internacional Barcelona 1929, Nr. 46, 18. Januar 1930. N. M. Rubió i Tudurí, «Al Pavelló Municipal de l’Exposició. La Barcelona Futura», in: Mirador, Jg. 1, Nr. 44, 28. November 1929. «La Barcelona Futura», in: Bulletí de la Cambra Mercantil, Jg. 9, Nr. 100, Juli 1930.

30  «Spanische Reisen», in: Vossische Zeitung, Nr. 248, 25. Mai 1924, «Litauische Umschau», S. 2; die nach dem Ersten Weltkrieg eingeführten Reisebeschrän­ kungen wurden zu dieser Zeit gelockert, und der Tourismus aus Deutschland erhol­ te sich wieder. 31  «Beispiel jüngerer baukünstleri­ scher Bewegungen in Spanien», in: Wasmuths Monatshefte für Baukunst, Nr. 5, 1920/21, S. 244. «Neuere Baukunst in Spa­ nien», in: Frühlicht, Jg. 2, Nr. 3, 1922, S. 86. Siehe auch Wolfgang Weber, Barcelona: Das Gesicht der Städte, Berlin 1928, ein reich illustrierter Band, der im Vorfeld der Weltausstellung veröffentlicht wurde. Er beinhaltet auch Abbildungen von Gaudís Werk. 32  JoaquÍn Medina Warmburg, «Gaudí am Bauhaus», in: Rainer Stamm, Daniel Schreiber (Hrsg.), Gaudí in Deutschland: Lyrik des Raums, Köln 2004, S. 30 – 43. 33  A. Lambert, «Die Kirche der ‹Sagra­ da Familia› in Barcelona. Ein Werk von An­ tonio Gaudí, Architekt in Barcelona», in: Deutsche Bauzeitung, Jg. 60, Nr. 39, 15. Mai 1929, S. 321 – 327.

34  Siehe beispielsweise: «Merkwürdi­ ge Architektur in Spanien: Ein mosaik­ bedecktes Wohnhaus im Knusperhäus­ chenstil in Barcelona», in: Vossische Zeitung, Zeitbilder, Nr. 22, 30. Mai 1926, S. 3, wo ein Foto des Eingangspavillons des Park Güell gezeigt wurde. 35  Siehe Julius Meier-Graefes Text «Spanische Reise», in: Rainer Stamm, Daniel Schreiber (Hrsg.), Gaudí in Deutschland: Lyrik des Raums, Köln 2004, S. 144 – 147. 36  Franz Schulze, Mies van der Rohe: Leben und Werk, Berlin 1986, S. 62 – 63. 37  JoaquÍn Medina Warmburg, «Gaudí am Bauhaus», in: Rainer Stamm, Daniel Schreiber (Hrsg.), Gaudí in Deutschland: Lyrik des Raums, Köln 2004, S. 30 – 43. 38  Gustav Edmund Pazaurek, «Ist der Werkbund auf dem richtigen Wege?», in: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 83, Nr. 308, 12. November 1930, S. 1.

17

Deutschland und die Weltausstellung

31

Die Einladungen zur Teilnahme an der Weltausstellung 1929

und signalisierten internationales Prestige und Anerkennung. Als

Eröffnung, und kurz nachdem eine neue und unerfahrene deut-

schen Kollegen, dass das Grundstück gratis zur Verfügung

wurden im Februar 1927 verschickt, mehr als zwei Jahre vor der

sche Regierung vereidigt worden war. Die Reaktion Deutschlands auf die Einladung war nicht gerade überschwänglich – es

dauerte ein halbes Jahr, bis das spanische Organisationskomitee

Anreiz versicherten die spanischen Organisatoren ihren deut-

gestellt würde und dass die Kosten für den Pavillon 70.000 Reichsmark nicht überschreiten müssten.2

eine Rückmeldung aus Berlin erhielt, und selbst dann ging es nur

Einen großen Teil dieser anfänglichen Kommunikation über-

nach langem Zögern und dank der Überredungskunst der Spa-

an der Spanischen Botschaft in Berlin und ehrenhalber «Bevoll-

um die Klärung von Einzelheiten. Eine feste Zusage erfolgte erst nier.1 Von Anfang an wurden die Deutschen dazu gedrängt,

einen kleinen «repräsentativen Pavillon (300 – 700 Quadratme-

ter)» zu errichten – Länderpavillons galten als wichtig, um eine

Weltausstellung von einer Handelsausstellung zu unterscheiden,

nahm Enrique Dominguez Rodiño (1887 – 1974), Kulturattaché

mächtigter der Barcelona-Ausstellung in Deutschland». Nach einem Jahr gezielter Anstrengungen gelang es Rodiño schließ-

lich, am 22. Februar 1928 eine kleine und zögerliche Delegation deutscher Funktionäre nach Barcelona zu bringen.3 Der Marqués

de Foronda, der Chef des Organisationskomitees in Barcelona, lud die Gruppe persönlich zum Mittagessen ein.4 Eine offizielle

Zusage zur Beteiligung erfolgte dennoch nicht.5 Rodiño verstärk-

te seine Bemühungen, indem er sich direkt an einflussreiche Füh-

rungskräfte aus der Industrie wandte und Anzeigen auf den Titelseiten des Berliner Tageblatt und des Hamburger Fremdenblatt

platzierte. Hoch oben an der Fassade des Berliner Kaufhauses

Tietz ließ er eine Leuchtschrift anbringen, die einfach nur «1929» 1  Enrique Domínguez Rodiño hatte während des Ersten Weltkriegs (als erster Auslandskorrespondent Spaniens) für La Vanguardia – ausgewogen – aus Deutsch­ land berichtet, bevor er 1925 an die Spa­ nische Botschaft in Berlin kam. Siehe Jo­ sep Pla, «Records del periodisme», in: Notes disperses, Barcelona 2001. The Exe­ cutive Committee of the Exhibition to E.D. Rodiño, Barcelona, 31. August 1927, Arxiu Administration Municipal de Barce­ lona, Z102 Exposicíó Internacional de Bar­ celona 1913 – 34 (später AMAB, Z102), Karton 47132: Expediente relativo a la designacíon de D. Enrique Domínguez Rodiño como Agente de la Exposicíon en Alemania (Akte Rodiño), Ordner 1927. 2  Santiago Trias an Rodiño, Barcelona, 8. November 1927, AMAB, Z102, Karton 47132, Akte Rodiño, Ordner 1927.

Santiago Trias an Rodiño, Barcelona, 12. Dezember 1927, AMAB, Z102, Karton 47132, Akte Rodiño, Ordner 1927. Santiago Trias an Rodiño, Barcelona, 3. Februar 1928, AMAB, Z102, Karton 47132, Akte Rodiño, Ordner 1928. 3  Rodiño an Marqués de Foronda, Ber­ lin, 17. Februar 1928, AMAB, Z102, Karton 47132, Akte Rodiño, Ordner 1928. Mit­ glieder der Delegation waren Dr. Peter Mathies, Ernst Wagemann, Berater des Außenministers, und Generaldirektor Fritz Ter Meer als Vertreter der deutschen In­ dustrie. 4  «La Participación de Alemania en la Exposición de Barcelona», in: ABC, 24. Fe­ bruar 1928, S. 26. 5  AMAB, Z102, Karton 47040: Exposi­ ción 1929, Copias, Junta Directiva Actas, Ordner 25/2/1928: «Besuch der deut­

schen Gesandten, um sich über die Aus­ stellung zu erkundigen […], die ihren gu­ ten Eindruck bestätigten.» 6  Santiago Trias an Rodiño, Barcelona, 14., 17. und 24. April 1928, AMAB, Z102, Karton 47132, Akte Rodiño, Ordner 1928. 7  Bundesarchiv Berlin Lichterfelde (im Folgenden BArchL), Ausstellung Barcelo­ na, AA, Abteilung II, R 9.01, 40027, Nr. 174, 175, Dr. Mathies (Regierungsbe­ auftragter für Ausstellungen und Messen), 25. Februar 1928, Bericht über den Be­ such des Ausstellungsgeländes.

verkündete.6 Diese Taktik hatte den gewünschten Effekt und die

deutsche Regierung stimmte schließlich der Teilnahme zu. Am 27.  April 1928 berichtete Rodiño stolz in die Heimat, dass es «einmütige begeisterte Unterstützung für eine glanzvolle deut-

sche Teilnahme» auf «einer Fläche von ungefähr 10.000 m2» gebe. Er verschwieg dabei jedoch, dass die Teilnahme zwar

zugesagt worden war, das deutsche Außenministerium aber

kategorisch erklärt hatte, dass ein «Pavillon nicht in Betracht» komme.7

Die Suche nach einem deutschen Bevollmächtigten für die Ausstellung begann unmittelbar danach. Es musste jemand mit orga-

nisatorischen Fähigkeiten, diplomatischem Geschick, Beziehungen zu verschiedenen Industriezweigen und ausreichendem

32  Deutschland und die Weltausstellung

ben in Frankfurt engagiert und einen offenen Wettbewerb ein-

geleitet, den im August 1928 Hans Poelzig gewann.9 Von Schnitzler blieb bis zur Fertigstellung des Baues im Jahr 1931 in den Bauprozess involviert. Seine Frau Lilly war für die Kunst im

Gebäude verantwortlich und beauftragte Max Beckmanns Meisterschüler Georg Heck (1897 – 1982) mit einem großen Fresko im «Roten Salon» des Gebäudes.10

Von Schnitzler ernannte Ludwig Mies van der Rohe (1886 – 1969) und Lilly Reich (1885 – 1947) ABB. 3, 4 kurzentschlossen zu künstlerischen Leitern der deutschen Sektion. Diese Entscheidung

ging sicherlich auf den Einfluss seiner Frau Lilly zurück, einer

grande dame der Frankfurter Gesellschaft, die einen Salon führte, in dem sich herausragende Geschäftsleute, Politiker, Schauspie-

ler, Schriftsteller, Künstler und gelegentlich Architekten trafen. ABB. 2 1

Bei ihrem ersten Zusammentreffen mit Mies im Jahr 1925

war sie sofort von dessen starker Persönlichkeit beeindruckt. Drei

2

Jahre später drängte sie ihren Mann, ihn zu engagieren: «Ich sag-

te ihm ‹Mies ist unser bedeutendster Architekt, der Le Corbusier

von Deutschland› […]. Dann erhielt er den Auftrag und bat darum, Lilly Reich als seine Mitarbeiterin mitzubringen.»11 1  Georg von Schnitzler (1884–1962)

Die erhaltene Korrespondenz verrät, wie sich von Schnitzlers

2  Lilly von Schnitzler (1889–1981) 3  Ludwig Mies van der Rohe (1886– 1969) Fotograf: Werner Rohde 4  Lilly Reich (1885–1947) Foto: G. Engelhardt

Denken über die Frage eines separaten Pavillons entwickelte Privatvermögen sein, sodass er das Amt pro bono ausüben konn-

te. Georg von Schnitzler (1884 – 1962), ein 45-jähriger Frankfurter Industrieller, schien den Anforderungen zu entsprechen. Nach

einigen Verhandlungen übernahm er die Aufgabe am 28.  Mai 1928.

8

ABB. 1

Der ausgebildete Bankkaufmann und Anwalt war

vier Jahre zuvor in den Vorstand der Farbwerke Höchst aufge-

nommen worden, die schon bald in die IG Farben (den weltweit größten Chemie- und Pharmakonzern) eingegliedert wurden, wo er Vizepräsident für die Farbenproduktion wurde. Er hatte sich

kurz zuvor für den Bau eines neuen Stammsitzes für die IG Far-

und wie er sich bemühte, seine Absichten vor der Regierung zu

verheimlichen, die absolut dagegen war. Am 1. Juni informierte

von Schnitzler seine Kollegen bei der IG Farben über seine

Ernennung. In seinem Brief erwähnte er, dass ein «Deutsches Haus» nicht zur Debatte stünde, da andere Länder, insbesondere

Frankreich, auch kein eigenes nationales Gebäude hätten.12 Bald

darauf reisten Mies und von Schnitzler nach Barcelona, um sich

einen persönlichen Eindruck vom Ausstellungsgelände zu verschaffen.13 Dort mussten sie feststellen, dass Frankreich und etli-

che andere Länder inzwischen doch eingewilligt hatten, eigene Länderpavillons zu bauen.

33

Doch das politische Klima in Deutschland war instabil. Die gemä-

ßigte Koalition unter Kanzler Wilhelm Marx war gescheitert, und die Parlamentswahl vom 20. Mai 1928 – in der Woche vor von

Schnitzlers Ernennung zum Bevollmächtigten – hatte den Sozialdemokraten (SPD) große Gewinne beschert.14 Mit Hermann

­Müller als Kanzler bildete die SPD zusammen mit der Zentrumspartei,der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und – uner-

warteterweise – der konservativen Deutschen Volkspartei (DVP)

eine «große Koalition». Die neue Regierung tendierte weniger 4

3

dazu, Industrie und Unternehmen zu unterstützen, und legte

stattdessen größeres Gewicht auf nationale Sozialprogramme. Von der Teilnahme an der Weltausstellung in Barcelona war sie wenig begeistert. Die beiden am stärksten engagierten Minister waren Außenminister Gustav Stresemann (Mitglied des Deut-

schen Werkbundes) und der Wirtschaftsminister Julius Curtius –

beide von der DVP, die enge Verbindungen zur Industrie hatte und deutlich rechts der Mitte stand. Während die Vorgängerre-

gierung vorläufig ein Budget von zwei Millionen Reichsmark für 8  Intern wurde von Schnitzler bereits am 14. Mai bestätigt, wie aus einem vertraulichen Telegramm von Rodiño nach Madrid hervorgeht (14. Mai 1928). Ibid. Mies unterzeichnete am 2. Juni 1928 mit der deutschen Seidenindustrie einen ­separaten Vertrag für die Gestaltung von deren Sektion. Christiane Lange, Ludwig Mies van der Rohe. Architektur für die Seidenindustrie, Berlin 2011, S. 83. Notiz zu dem Treffen zwischen Herrn Rosenbaum, Mies van der Rohe und Lilly Reich am 2. Juni, 16 –18 Uhr, bezüglich der Kosten für die Teilnahme der Seidenindustrie in Barcelona. MoMA, MvdR, Barcelona Pavilion. 9  Teilnehmer waren Paul Bonatz, Fritz Höger, Jacob Koerfer, Hans Poelzig, Ernst May und Martin Elsässer, dazu kamen sechs Entwürfe der Planungsabteilung der IG Farben. Peter Cachola Schmal, «Der Kunde ist König – Zum Einfluß des Bauherrn I.G. Farbenindustrie AG auf die Entstehung der ‹Grüneburg›», in: Werner Meißner, Dieter Rebentisch, Wilfried Wang (Hrsg.), Der Poelzig-Bau. Vom IG-

Farben-Haus zur Goethe-Universität, Frankfurt 1999, S. 47 – 59. 10  Christiane Schilling, «Ein Wandgemälde in Frankfurts Universität. Das übertünchte Arkadien», in: Monumente 2007, Siehe auch: Monumente online Oktober 2007: https://www.monumente-online.de/ de/ausgaben/2007/5 11  Interview Ludwig Glaeser mit Lilly von Schnitzler, 6. September 1974, S. 2. Ludwig-Glaeser-Archiv, Karton 3, Nr. 5, Canadian Centre for Architecture, im Folgenden CCA. 12  Vertrauliches Schreiben, Georg von Schnitzler an den Vorstand von Union Quimica y Lluch S.A., Barcelona, 1. Juni 1929, HoeA, WaB 1927 – 1928. 13  In einem Telegramm vom 30. Mai an die spanischen Organisatoren wurde Mies als verantwortlicher Architekt genannt und sein Besuch in Barcelona für den 7. Juni angekündigt. Siehe: Ignasi de Solà-Morales, Mies. El Pavellon de Barcelona, Barcelona 1993, S. 8, Nr. 7.

14  Die vorherige Regierung unter Kanzler Wilhelm Marx von der Zentrumspartei war vom 1. Februar 1927 bis zum 28. Juni 1928 im Amt gewesen. Sie bestand aus Mitgliedern des Zentrums, der DVP (Deutschen Volkspartei), der DNVP (Deutschnationalen Volkspartei) und der BVP (Bayerischen Volkspartei). Diese Koalition rechts der Mitte war geschäftsfreundlicher als die nachfolgende «große Koalition» unter Kanzler Müller, bei der die Sozialdemokratische Partei als ein Hauptakteur miteinbezogen war. 15  GStA PK Berlin, HA Rep 120 Ministerium für Handel und Gewerbe E XVI Nr. 413, 1911 – 1929, S. 184; Notiz des Messefachausschusses beim Preußischen Handelsministerium, 9. Februar 1928. 16  Protokoll der Vorstands- und Ausschusssitzung des Deutschen Werkbundes vom 5. Juli 1928 in München, MoMA, MvdR papers. 17  Brief von Schnitzler an Curtius, 14. Juli 1928, HoeA, WaB 1927 – 1928.

die Beteiligung Deutschlands eingeplant hatte, kürzte die neue Regierung dieses auf 350.000 Reichsmark herunter.15

Anfang Juli 1928 berichtete Mies seinen Kollegen beim Werk-

bund, dessen Vizepräsident er war, dass er beauftragt worden sei, «die Industriesektionen» und «einen deutschen Repräsentationsraum» zu entwerfen.16 Dies konnte man als einen Versammlungsraum in einem bestehenden Gebäude verstehen, oder

auch als separaten Pavillon. Ein maschinenschriftlicher Brief von

Schnitzlers an Minister Curtius eine Woche später enthält ein aufschlussreiches Detail: Von Schnitzler schrieb, dass er Mies damit beauftragt habe, «einen würdigen Raum» zu entwerfen, doch

dann korrigierte er dies von Hand in «einen würdigen Rahmen».17

Er scheint sich sehr darum bemüht zu haben, das geplante Projekt so unauffällig wie möglich klingen zu lassen. Mitte August

wurde das spanische Organisationskomitee ungeduldig. Es umging von Schnitzler, drängte den deutschen Botschafter, die

34  Deutschland und die Weltausstellung

Angelegenheit mit Curtius weiterzuverfolgen, und bat Rodiño,

Es lohnt sich, einen Augenblick über diesen Schritt und die damit

von dem, was er bezweckt hatte: Ein Ministerialdirektor im

sung gegeben, keinen Pavillon zu bauen, und im Budget war er

ebenfalls am Ball zu bleiben.18 Das Ergebnis war das Gegenteil

Außenministerium informierte den spanischen Botschafter schriftlich, dass «die Frage eines deutschen Pavillons […] längst als nicht praktikabel verworfen» worden sei, da keine finanziellen

Mittel verfügbar waren, und dass außerdem «die verbleibenden acht Monate keinesfalls ausreichten», um «irgendetwas entfernt

Vergleichbares» mit den anderen Pavillons bei der Ausstellung

zu errichten.19 Mitte September kehrte von Schnitzler mit Dr. Peter Mathies, der generell für die Reichsausstellungen und Handelsmessen verantwortlich war, und Dr. Maiwald vom Wirtschaftsmi-

nisterium sowie mit Mies und Lilly Reich nach Barcelona zurück.

20

Bei einem «Herrenfrühstück» am 22. Juni 1928 im Hotel Ritz ver-

sprach von Schnitzler dem Bürgermeister von Barcelona, Barón

de Viver, und dem Ausstellungsdirektor Marqués de Foronda, dass «ein repräsentativer Pavillon seines Landes mit einer Größe von 200 – 300 m2» tatsächlich gebaut werden würde. Er nahm

wahrscheinlich an, dass er problemlos Unterstützung von Politi-

kern erhalten würde, die sich nicht von Deutschlands «Erzfeind» Frankreich überbieten lassen wollten.

21

Nach der offiziellen Ankündigung Anfang Oktober wurde in

einem Rundschreiben zur Weltausstellung jubelnd angemerkt: «Alle Einzelheiten bezüglich der deutschen Beteiligung an der

kommenden Ausstellung sind endgültig festgelegt worden. Die

verbundenen Risiken nachzudenken. Berlin hatte klare Anweiauch ganz offensichtlich nicht vorgesehen. Wir können über von

Schnitzlers Motive hinter dieser außerordentlichen Zusage nur spekulieren. Vielleicht hatte er Mies einen separaten Bau schon früh in Aussicht gestellt, in der Annahme, dass ein fotogener Pavillon eines Avantgarde-Architekten mehr für Deutschlands

Ansehen tun würde als nur die Ausstellungssektionen der Industrie. Oder er könnte dem Druck der spanischen Organisatoren

nachgegeben haben, die erpicht darauf waren, dass ihr Haupt-

handelspartner prominent in der Ausstellung vertreten war. Jedenfalls hatte von Schnitzler ganz klar die Schwierigkeiten

unterschätzt, das restliche Geld aufzubringen. Seine Erfahrungen als hochrangiger Manager bei der IG Farben hatten ihn nicht auf

die komplizierten Entscheidungsprozesse einer jungen Demo-

kratie vorbereitet. Daran gewöhnt, anderen Anweisungen zu

geben, hatte er wenig Verständnis für die Vorgaben der Politiker, insbesondere, da die instabile politische Lage der Weimarer Republik in den vergangenen neun Jahren 16 verschiedene

Regierungen hervorgebracht hatte. Vielleicht nahm er an, dass

die ständig wechselnden Koalitionen im Reichstag letztendlich

zu seinen Gunsten ausfallen würden und dass er durch das Eingehen vertraglicher Verpflichtungen die Regierung zwingen könnte, die nötigen finanziellen Mittel aufzubringen.

Arbeit am Bau des großartigen deutschen Pavillons und am Auf-

Als von Schnitzler Mitte Oktober mit dem Vertrag in der Hand

des werden in Kürze beginnen.»

dass sein Plan wohl kaum Erfolg haben werde.24 Unbeeindruckt

bau verschiedener Industrie- und Wirtschaftssektionen des Lan22

Barcelonas La Vanguardia

berichtete, dass der Pavillon in «modernem Stil gehalten [sei], der besonders gut zur zeitgenössischen Architektur in unserem Land passt». Das erleichterte Organisationskomitee ehrte die deutschen Gäste mit einem Bankett.

23

nach Hause zurückkehrte, warnte Geheimrat Dr. Mathies ihn, forderte von Schnitzler weitere 750.000  Reichsmark von der Regierung. Finanzminister Rudolf Hilferding sagte höflich zu, die

Summe in einen bevorstehenden Haushaltsantrag einzubeziehen.25 Zu diesem Zeitpunkt waren die veranschlagten Kosten für

die Teilnahme Deutschlands an der Weltausstellung in Barcelona

auf 1,1 Millionen Reichsmark gestiegen. Darin enthalten waren

35

die Kosten für den – nie offiziell bewilligten – Pavillon, die nun auf

müssen. Hinter den Kulissen war man besorgt: Friedrich Rügge-

noch von seinem Erfolg überzeugt war, sicherte potenziellen Teil-

schrieben von Schnitzler von ihrer «gewissen Befürchtung,» dass

150.000 Reichsmark geschätzt wurden. Von Schnitzler, der immer nehmern am 27. Oktober zu, dass «die finanzielle Grundlage für die deutsche Beteiligung […] als gesichert gelten kann». In der 26

Zwischenzeit hatten die Verhandlungen mit Mies van der Rohe über die Einzelheiten seines Vertrages begonnen, der auf demjenigen zwischen Hans Poelzig und der IG Farben für den Bau

der Firmenzentrale in Frankfurt basieren sollte. Mies erwies sich als gewiefter Verhandlungspartner. Er forderte zehn Prozent der

Gesamtsumme, deutlich mehr als die üblichen 6,4 bis 6,8 Prozent für Architekten, da er ja, wie er argumentierte, für die verschiedenen Industriezweige zusätzliche Arbeit werde leisten

berg, der deutsche Konsul in Barcelona, und Erich von Kettler

«Herr Mies van der Rohe – besonders unter der Einwirkung von Frau Reich – in mancher künstlerischer Hinsicht doch vielleicht zu weit gehen dürfte, besonders, da wir uns mit den letzten Arbeiten der beiden Künstler, besonders denen in Stuttgart, beschäf-

tigt haben». Während sie Mies «dabei noch für den ruhigeren» hielten, waren sie überzeugt, dass ihm unter dem Einfluss von Lilly Reich «künstlerische Experimente erwachsen werden, was er

für den Augenblick allerdings stets ableugnet».27 Die beiden

Beobachter rieten zu einer Klausel im Vertrag, die von Schnitzler

Kontrolle über alle künstlerischen Entscheidungen geben würde. Am 12.  November 1928 – immer noch ohne Nachricht über

Erfolg oder Scheitern seines Antrags – unterzeichnete von

Schnitzler einen großzügigen Vertrag mit Mies van der Rohe und

Lilly Reich auf der Grundlage einer überarbeiteten Kostenschät18  Santiago Trias an Rodiño, Barcelo­ na, 17. August 1928, AMAB, Z102, Box 47132, Rodiño Akte, Mappe 1928. «Es ist sehr dringlich, dass Deutschland den Bau eines Pavillons bei der Weltausstellung in Barcelona beschließt. In diesem Zusam­ menhang haben wir dem deutschen Bot­ schafter geschrieben und hoffen, dass V. sich bemühen wird, das zu erreichen, was wir wollen.» 19  Brief von Hans Posse, Ministerialdi­ rektor beim Außenministerium, als Reakti­ on auf eine Anfrage des spanischen Bot­ schafters durch seinen Presseattaché Rodiño, 17. August 1928, BArchL, Ausstel­ lung Barcelona, AA, Abteilung II, R 9.01, 40028, 49, 50. 20  «La participación de Alemania en la Exposición de Barcelona», in: ABC, Mad­ rid, 16. September 1928, S. 37. 21  Siehe die Anfangsbemerkungen in dem Vertrag zwischen von Schnitzler und dem Vorsitzenden des geschäftsführen­ den Ausschusses der Ausstellung in Bar­

celona, Santiago Trias, Oktober 1928, in BArchL, Ausstellung Barcelona, AA, Abtei­ lung II, R 9.01, 40028, 122; Vorvertrag zwi­ schen von Schnitzler und dem Vorsitzen­ den des geschäftsführenden Ausschusses der Ausstellung in Barcelona, Santiago Tri­ as, 26. September 1928, HoeA, WaB 1927 – 1928. Letztgültige Fassung vom Oktober 1928 in BArchL, Ausstellung Bar­ celona, AA, Abteilung II, R 9.01, 40028, 125; «Herrenfrühstück im Hotel Ritz», Samstag, 22. Juni 1928, HoeA, WaB 1927 – 1928. 22  Memoria Diaria, Año 1928, 16. Ok­ tober 1928, AMAB, Z102, Karton 47102. 23  «Gacetillas», in: La Vanguardia, 11. Oktober 1928, S. 10. 24  Brief von Dr. Peter Mathies an Georg von Schnitzler, 13. Oktober 1928, HoeA, WaB 1927 – 1928. 25  Brief von Dr. Peter Mathies an Georg von Schnitzler, 19. Oktober 1928, HoeA, WaB 1927 – 1928.

26  Brief von Schnitzlers an Vertreter der deutschen Industrie, 27. Oktober 1928, BArchL, Ausstellung Barcelona, AA, Abteilung II, R 9.01, 40028, S. 127 – 130. 27  Brief von Rüggeberg an von Schnitzler, 5. November 1928, HoeA, WaB 1927 – 1928. 28  Brief von Schnitzlers an Mies, 12. November 1928, BArchL, Ausstellung Barcelona, AA, Abteilung II, R 9.01, 40030, S. 101 – 103; von Schnitzler versprach, bis zu 150.000 Reichsmark aus eigenen finan­ ziellen Mitteln zu bezahlen, um alle Aus­ gaben im Zusammenhang mit seiner Funktion als deutscher Ausstellungskom­ missar wie etwa die der Büros in Berlin und in Barcelona zu decken. Von Schnitz­ ler an Maiwald, 2. März 1929, HoeA, WaB 1929 – 1930. 29  Magdalena Droste, «Lilly Reich: Her Career as an Artist», in: Matilda McQuaid (Hrsg.), Lilly Reich: Designer and Architect, New York 1996, S. 47 – 59, hier: S. 55.

zung von 1,35  Millionen Reichsmark – 200.000 mehr als seine

jüngste Budgetforderung. Einige der finanziellen Mittel, so nahm er an, würden von der ausstellenden Industrie bereitgestellt. Trotz Rüggebergs und von Kettlers Bedenken wurden Mies und

Reich völlige künstlerische Autonomie sowie ein großzügiges

Honorar von 125.000 Reichsmark zuzüglich aller Aufwendungen

für sie und ihr Team garantiert.28 Lilly Reich ging davon aus, dass

diese Aufgabe sie voll und ganz ausfüllen würde. Man hatte sie für die Leitung eines neuen Modeinstituts in München vorge-

schlagen, doch sie lehnte das am 6. Oktober 1928 wegen ihrer Zusage, an der Weltausstellung mitzuarbeiten, ab.29

Neben der Finanzierung war noch ein weiteres wichtiges Prob-

lem ungelöst: der Standort des Pavillons. Den anderen Länder-

pavillons waren lange zuvor Standorte in der internationalen Abteilung nahe des des Nationalpalastes auf dem Montjuïc

zugewiesen worden. Nur die Nachzügler Frankreich und Deutsch-

36  Deutschland und die Weltausstellung

5

6

land mussten noch einen Standort finden. Frankreich landete

ßeren Plaça de Bellas Artes für den Bau freizugeben. In Puigs

Flügel des Palacio Alfonso XIII an der Placa de Bellos Officios.

halbkreisförmige Exedren, die von niedrigen Mauern und

schließlich in der etwas ungünstigen inneren Ecke der beiden

Dieser Platz wurde mit vielen gewerblichen Pavillons, Essens-

ursprünglichem Plan bildeten die beiden Enden des Platzes Anpflanzungen eingerahmt waren.

ABB. 5–7

Inzwischen war das

ständen und Werbesäulen besetzt, und der kleine Kubus des

östliche Ende dem Ausstellungspalast der Stadt Barcelona zuge-

nicht konkurrieren.

­seine ursprünglichen halbkreisförmigen Mauern und Anpflan-

französischen Pavillons konnte mit diesen lauten Reklamebauten

Der deutschen Delegation bot man den gleichen Platz auf der

anderen Seite, in der inneren Ecke der beiden Flügel des Victoria-­ Eugenia-Palastes, an. Es kann kaum überraschen, dass weder

Mies noch von Schnitzler davon angetan waren. Sie drängten die Organisatoren, das westliche Ende der angrenzenden, viel grö-

wiesen worden, während das Westende leer blieb und noch

zungen besaß, die in der Mitte durch einen breiten Weg und eine Treppe unterteilt waren. Dieser Weg hatte strategische Bedeu-

tung, da er zum Poble Espanyol führen sollte, von dem man

annahm, dass es eine der wichtigsten Attraktionen für die Besucher werden würde. Das Potenzial der beiden Lokalitäten unter-

schied sich folglich enorm: Der von den beiden Palastflügeln

37

­eingefasste Bauplatz ließ nur einen kleinen Bau mit 200 – 300 Qua-

dratmetern zu (der Größe des französischen Pavillons entspre-

chend), während das größere Grundstück am westlichen Ende der Plaça de Bellas Artes eine wesentlich größere Fläche bot

(Mies’ Bau nahm schließlich 1.400 Quadratmeter ein). Während sich der Standort an der Plaça de Bellos Oficios mitten im Trubel des Ausstellungsgeländes befunden hätte, wo zwangsläufig

jeder vorbeikam, bot die ruhigere, abgelegenere Alternative einen Blick über die große Plaça de Bellas Artes mit ihrem riesigen beleuchteten Brunnen.

Die Zusage konnte nicht sofort gegeben werden, und so war im offiziellen Vertrag nur davon die Rede, dass Deutschland das

Grundstück an der Plaça de Bellas Artes deutlich bevorzugte. Grünes Licht erhielt Mies bei seinem nächsten Besuch in Barcelona am 25. November 1928 – exakt sechs Monate vor der Eröff-

nung.30 Dies war ein großzügiges Zugeständnis, denn einer der

Hauptverkehrswege der Ausstellung wurde in Mitleidenschaft gezogen. Aller Wahrscheinlichkeit nach überließ man Mies das

7

Grundstück unter der Bedingung, dass der Zugang zum beste5–7  Plaza de los Bellos Officios, Barcelona, 1926, Fotograf: Perez de Rozas

henden Weg und zur Treppe erhalten bliebe. Während später

gelegentlich behauptet wurde, Mies habe den Standort für den Pavillon selbst «ausgewählt» (der deutsche Kritiker Walther Genzmer nannte dies sogar «die wichtigste schöpferische Tat des

Architekten»),31 müssen wir berücksichtigen, dass zu diesem Zeit-

punkt nur zwei Grundstücke übrig geblieben waren. Die endgül-

tige Entscheidung lag bei der spanischen Ausstellungsleitung,32

die – wie Mies später klagte – «sich nicht entschließen konnte uns 30  Mies reiste am 18. November 1928 wieder nach Barcelona ab. Brief von Kettler an von Schnitzler, 19. November 1928; Brief von Maiwald an von Schnitzler, 26. November 1928, HoeA, WaB 1927 –  1928. 31  Walther Genzmer, «Der Deutsche Reichspavillon auf der Internationalen Ausstellung in Barcelona», in: Die

Bau­gilde, Jg. 11, Nr. 20, Oktober 1929, S. 1654 – 1655. 32  Die Vergabe der Grundstücke war generell ein komplizierter und langwieri­ ger Prozess. Das Grundstück für den italie­ nischen Pavillon beispielsweise wurde erst Mitte Dezember zugewiesen. Rubén Do­ mínguez Méndez, «El fascismo italiano y la Exposición Internacional de Barcelona de

1929», in: Diacronía: Studi di Storia Contemporanea, Nr. 14/2/2013. 33  Brief von Mies van der Rohe an Georg von Schnitzler, 24. März 1930, MoMA, MvdR Papers, Folder 2010 Material vom Eduard-Ludwig-Nachlass. 34  Brief von Maiwald an von Schnitzler, 11. Januar 1929, HoeA, WaB 1927 – 1928.

rechtzeitig den definitiven Platz für die Errichtung des Pavillons

anzuweisen».33 Unterdessen waren die meisten der offiziellen Lagepläne bereits ohne den Standort des deutschen Pavillons in Druck gegangen.

ABB. 8

Ende Januar, als sein Entwurf hinrei-

chend fortgeschritten war, reiste Mies noch einmal nach Barcelo-

na, und handelte eine Erweiterung seines Grundstücks Richtung

Süden und Osten aus.34 Dass den Wünschen bezüglich des Bau-

38  Deutschland und die Weltausstellung

8

platzes so wohlwollend entsprochen wurde, hatte sicherlich auch

Georg von Schnitzler hatte im Oktober 1928 seinen Antrag auf

Freundschaft mit dem Marqués de Foronda geschlossen hatte. In

ter Rudolf Hilferding gehörte dem marxistischen Flügel der SPD

Fahne auf dem Grundstück gehisst, das damit offiziell übergeben

Industrie ohne ersichtlichen Nutzen für die Arbeiterschaft

damit zu tun, dass Lilly von Schnitzler inzwischen eine intensive

einer kleinen Zeremonie am 7. Februar 1929 wurde die deutsche wurde. Lilly von Schnitzler war zutiefst enttäuscht, dass sie aufgrund einer Bronchitis nicht teilnehmen konnte, doch der Marqués de Foronda versicherte ihr in einem Telegramm, dass er bei der Flaggenzeremonie an sie denken werde.

35

zusätzliche 750.000 Reichsmark eingereicht.36 Doch Finanzminis-

an und mag die Teilnahme in Barcelona als Prestigeprojekt der

betrachtet haben. Wir wissen nicht, ob die lange verzögerte Einreichung des Gesuchs beim Finanzausschuss des Reichstags an

Hilferdings politischen Differenzen mit von Schnitzler lag oder dem Umstand, dass er, einigen Parteikollegen zufolge, ein «noto-

39

rischer Faulpelz» war.37 Als von Schnitzlers Antrag schließlich, vier

Monate später – am 26. Februar 1929 – beim Ausschuss eintraf, sorgte er jedenfalls für große Aufregung und wurde umgehend auf die nächste Tagesordnung gesetzt. Von Schnitzler hörte

gerüchteweise von den Bedenken der Parlamentarier, und er schickte, beunruhigt, einigen Politikern, die er im Reichstag kann-

te, dringende Telegramme. Er behauptete (zu Unrecht), dass Gelder, die man ihm versprochen hatte, nun zurückgehalten würden, und mahnte, dass das Ausbleiben zusätzlicher finanzieller Mittel die Teilnahme Deutschlands in Barcelona vereiteln und die Wirt-

9

schaftsbeziehungen zu Spanien beschädigen würde. Schließlich habe Spanien, so von Schnitzler, die Einführung zusätzlicher Zoll-

gebühren aufgeschoben, um die deutsche Teilnahme zu erleich-

8  Offizieller Plan des Ausstellungsge­ ländes ohne den Barcelona-Pavillon

tern.38 Von Schnitzlers Appell in letzter Minute half nichts – die

Beratungen im Finanzausschuss am 1. und 2. März 1929 hätten

9  «Eine lebhafte Sitzung des Finanzaus­ schusses des Reichstags», 1929, Fotograf: Erich Salomon

kaum dramatischer verlaufen können: Mitglieder des Ausschusses hielten mit ihrer Kritik an von Schnitzlers dreister Missachtung früherer Vereinbarungen und ausdrücklicher Ausgaben-

grenzen nicht hinterm Berg und empörten sich über seine späte Antragstellung und schlampigen Unterlagen.39 Trotz des persön-

lichen Erscheinens und Plädoyers sowohl des Wirtschaftsministers Julius Curtius als auch von Schnitzlers selbst40 nahmen die zweitägigen erregten Debatten kein positives Ende. ABB. 9 Wäh-

35  Telegramm des Marqués de Foronda an Lilly von Schnitzler, 7. Februar 1929, Privatarchiv. 36  Telegramm von Dr. Peter Mathies an Georg von Schnitzler, 19. Oktober 1928, HoeA, WaB 1927 – 1928. 37  Hagen Schulze, Weimar: Deutschland 1917 – 1933, München 1982, S. 305. 38  Telegramm von Schnitzlers an Lammers, von Raumer, Kalle und Hummel, 26. Februar 1929, HoeA, WaB 1929 – 1930. 39  Bericht über die Sitzung des parla­ mentarischen Haushaltsausschusses, 1. März 1929, BArchL, Ausstellung Barce­ lona, AA, Abteilung II, R 9.01, 40028, S. 265 – 268, 275, 278 – 279; «Die Weltaus­ stellung in Barcelona», in: Vossische Zei-

tung, Nr. 105, Samstag, 2. März 1929. Mies brach am 18. November 1928 wieder nach Barcelona auf. Brief von von Kettler an von Schnitzler, 19. November 1928. 40  Mies war ebenfalls zu dieser wichti­ gen Sitzung gebeten worden, doch er er­ schien nicht. Vgl. von Kettler an von Schnitzler, 25. Februar 1929, von-Schnitz­ ler-Korrespondenz, HoeA, WaB 1929 – 1930. 41  Memorandum vom 4. März 1929 des Finanzministeriums an das Wirt­ schaftsministerium. BArchL, Ausstellung Barcelona, AA, Abteilung II, R 9.01, 40028, S. 275; die gesamte Diskussion des parla­ mentarischen Haushaltsausschusses hat sich im BArchL erhalten. Siehe auch: «Der

Parteienstreit um Barcelona 1929», in: Berliner Börsen Zeitung, Nr. 104, 2. März 1929. «Die Beteiligung Deutsch­ lands an der Ausstellung in Barcelona», in: Frankfurter Zeitung, Nr. 163 (erste Morgen­ausgabe), 2. März 1929. «Blinder Eifer», in: Nationalliberale Correspondenz. Pressedienst der Deutschen Volkspartei, Jg. 56, Nr. 48, 5. März, 1929, S. 1. Das an­ gesehene Wirtschaftsjournal Der Deutsche Volkswirt argumentierte überzeu­ gend, dass der Reichstag alle zusätzlichen Gelder, die von Schnitzler in Spanien aus­ geben wollte, hätte genehmigen müssen. «Diese Woche», in: Der Deutsche Volkswirt: Zeitschrift für Politik und Wirtschaft, Nr. 23, 8. März 1929, S. 1 – 2.

rend die Sozialdemokraten und Kommunisten sich vehement dagegen aussprachen, von Schnitzler überhaupt zusätzliche

Unterstützung zu gewähren, plädierten die Abgeordneten der

DVP (der Deutschen Volkspartei, der von Schnitzler am nächsten stand) dafür, dass die in Spanien unterzeichneten Verträge aner-

kannt werden müssten. Die Kompromisslösung, die von der rechtsstehenden Bayerischen Volkspartei und der DVP ausge-

handelt wurde, bestand darin, von Schnitzler zusätzlich 150.000 Reichsmark zu bewilligen und somit das Gesamtbudget

auf 500.000 Reichsmark anzuheben, was weit von den 1,1 Millionen entfernt war, die er gefordert hatte.41

40  Deutschland und die Weltausstellung

Das war ein verhängnisvoller Schlag für von Schnitzlers Pläne. Verärgert reichte er seinen sofortigen Rücktritt ein, doch Curtius bat ihn zu bleiben.

42

In einem Memorandum vom 4. März 1929

stellte von Schnitzler dann ein stark reduziertes Programm vor und strich den Pavillon: «So schwer mir persönlich der Verzicht auf den Pavillon fällt, es ist der einzig mögliche Weg, dem

Beschluss des Haushaltausschusses des Reichtstages Rechnung

zu tragen und trotzdem die deutsche Beteiligung aufrecht zu erhalten.» Dass Deutschland die finanziellen Mittel fehlten und 43

es nicht zu seinen Zusagen stand, würde nun peinlicherweise

einer internationalen Öffentlichkeit offenbart, klagte er, und Materialien im Wert von ungefähr 100.000  Reichsmark seien

bereits für den Pavillon bestellt worden und müssten nun bezahlt

benachrichtigt.»45 Das Auswärtige Amt und der Wirtschaftsminis-

ter hatten einen Kredit von über 250.000 Reichsmark bereitgestellt, um die Fortsetzung der Arbeiten zu gewährleisten.46 Hauptgrund für diesen Sinneswandel war ein dringliches Telegramm des deutschen Botschafters in Madrid: Die spanische Regierung

hatte ihm unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sich Diktator Primo de Rivera von einer verlassenen Baustelle mitten auf dem Ausstellungsgelände – Symbol eines gebrochenen Ver-

sprechens von Seiten Deutschlands – persönlich beleidigt fühle.47 Ängstlich um das Wohlwollen seiner wichtigen europäischen

Handelspartner nach der Katastrophe des Krieges bemüht, lenkte die deutsche Regierung ein.

werden. Mies informierte seine Kollegen im Werkbund, dass

Während etliche deutsche Sektionen gestrichen (unter anderem

wahrscheinlich nicht zur Ausführung kommen».

wurden (eine ursprünglich für Deutschland reservierte Fläche

«der repräsentative Pavillon und die Sektion des Werkbunds 44

Was er nicht

sagte, war, dass er mit seinem Entwurf ohnehin weit hinter dem

Zeitplan gelegen hatte. Während am Südende des Geländes Erde abgetragen und die Straße davor um sieben Meter nach

Osten verlegt und neu gepflastert worden war, hatten die Bauarbeiten für den Pavillon noch nicht begonnen. Das Grundstück

lag nun brach inmitten der hektischen Bautätigkeit auf dem Aus-

stellungsgelände. Mies und Reich mussten die Gesamtorganisa-

tion neu überdenken. Falls es je Pläne für eine deutsche Informa-

die gesamte Werkbund-Abteilung) oder im Umfang reduziert von 1.000 Quadratmetern im Internationalen Ausstellungspalast blieb ganz leer), flossen die neuerlich freigegebenen Gelder zur

Gänze in den Pavillon. Die Arbeit wurde wieder aufgenommen, doch die Neubestellung von Materialien und Ausrüstung sowie

die Wiedereinstellung von Arbeitern nahmen 14 wertvolle Tage

in Anspruch. Berichten zufolge hatte Mies die Arbeitsunterbrechung im März für einen Urlaub in San Sebastián genutzt, was

zusätzlich zur Zeitverzögerung beitrug.48 Als sich abzeichnete,

tionsabteilung im Pavillon gegeben hatte, dann muss die

dass das Datum für die offizielle Eröffnung am 19. Mai unrealis-

unterzubringen, zu diesem Zeitpunkt gefallen sein. Es findet sich

25. Mai,49 und schließlich Montag, den 27. Mai, fest – der letzte

Entscheidung, sie in der schmalen Galerie der Maschinenhalle in der Korrespondenz jedenfalls kein Hinweis darauf, dass die

später oft gepriesene Leere des Pavillons einer konzeptionellen

Strategie entsprang. Wahrscheinlicher ist, dass sie ein Resultat der chaotischen Entstehungsgeschichte war.

tisch war, setzte man als neues Datum zunächst Samstag, den

Termin, an dem die Teilnahme des Königs und der Königin

gewährleistet war. Es blieben nur sechs Wochen bis zur Eröffnung, und das Arbeitstempo wurde aufgrund regelmäßiger Nacht- und Wochenendschichten äußerst strapaziös.

16 Tage später schließlich, am Abend des 20. März 1929, traf im

Doch während der Bau zwar Fortschritte machte, hatten sich

«Ausführung des Pavillons gesichert. Spanische Botschaft

gingen schneller zur Neige als erwartet, und nach drei Wochen –

deutschen Konsulat in Barcelona ein Telegramm aus Berlin ein:

von Schnitzlers Sorgen keineswegs erledigt. Die neuen Gelder

41

am 8. April – musste er erneut eingestehen, dass der Pavillon wieder gefährdet war: «... die finanzielle Sicherung für den PavillonBau ist im Augenblick nicht vorhanden. Den Kopf halte ich

persönlich in der Schlinge.»50 Mit großer Empörung berichtete er

in einem persönlichen Brief, dass Dr. Mathies vom Wirtschafts-

ministerium ihm vorgeschlagen habe, er solle unverzüglich nach Barcelona reisen und versuchen, den Pavillon schon jetzt den

Spaniern «möglichst teuer» zu verkaufen, damit dieser perma-

nent auf dem Ausstellungsgelände verbliebe – eine absurde Idee, zu einem Zeitpunkt, als die Spanier dessen Modell noch nicht einmal gesehen hätten. Von Schnitzler drängte seinen

Bevollmächtigten in Barcelona, Mies eindringlich an den engen

finanziellen Rahmen zu erinnern (insbesondere «wenn man weiß, wie Mies und Frau Reich bei aller künstlerischen und sonstigen

Tüchtigkeit verfahren, sobald es an die Ziffern geht.»)51 und er

suchte bei der Reichskreditbank händeringend um einen per42  «Generalkommissar von Schnitzler will zurücktreten», in: Vossische Zeitung, Nr. 105 (Abendausgabe), Samstag, 2. März 1929. 43  Memorandum vom 4. März, von Schnitzler, BArchL, Ausstellung Barcelona, AA, Abteilung II, R 9.01, 40029, S. 11. 44  Protokoll der Vorstandssitzung des DWB vom 4. März 1929 in Berlin, MoMA, MvdR Papers, Barcelona Pavillon, Ordner 4. 45  Die Möglichkeit einer Lösung hatte man bereits vertraulich am 10. Mai signali­ siert. Zu diesem Zeitpunkt waren 700.000 Reichsmark als Kredit zur Verfü­ gung gestellt worden, doch die Regierung suchte noch nach weiteren finanziellen Mitteln, um auch den Pavillon zu ermögli­ chen. Brief von Kettlers an von Schnitzler, 10. März 1929, HoeA, WaB 1929 – 1930; Telegramm des Berliner Auswärtigen Am­ tes an das deutsche Konsulat in Barce­ lona, 20. März 1929, BArchL, Ausstellung Barcelona, AA, Abteilung II, R 9.01, 40029, S. 30. 46  Brief von Schnitzlers an den Minis­ terialdirektor Ritter im Auswärtigen Amt,

25. Juli 1929, BArchL, Ausstellung Barce­ lona, AA, Abteilung II, R 9.01, 40029, S. 204 – 207. 47  Telegramm des deutschen Bot­ schafters in Madrid, 6. März 1929, BArchL, Ausstellung Barcelona, AA, Abteilung II, R 9.01, 40029, S. 14. Brief von Schnitzlers an Julius Curtius, 5. April 1929, BArchL, Aus­ stellung Barcelona, AA, Abteilung II, R 9.01, 40029, S. 61. 48  Interview mit Wilhelm Niemann, Werkbund-Archiv Berlin, um 1970, 13/14. Ich danke Matthias Horstmann für den Verweis auf dieses Dokument. 49  Brief von Schnitzlers an Graf ­Welczeck, 29. April 1929, HoeA, WaB 1929 – 1930. Die Verschiebung von Sams­ tag, 25. Mai, auf Montag, 27. Mai, die für Mies und sein Team eine willkommene Gnadenfrist von zwei Tagen darstellte, re­ sultierte aus Terminschwierigkeiten des spanischen Königs. Brief von Graf Welczeck an von Schnitzler, 7. Mai 1929, HoeA, WaB 1929 – 1930. 50  Brief von Schnitzlers an von Kettler, 8. April 1929, HoeA, WaB 1929 – 1930. Be­ reits zu diesem Zeitpunkt diskutierte man

über den Plan, den Pavillon an die spani­ sche Regierung zu verkaufen, um weitere finanzielle Mittel zu generieren, doch die Idee wurde bald fallen gelassen. Einer Auskunft von 1946 zufolge hatte von Schnitzler 1930 300.000 Reichsmark ver­ dient, und geringfügig weniger in den fol­ genden und vorangegangenen Jahren. Meldebogen auf Grund des Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5.3.1946, Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden. 51  Brief von Schnitzlers an Maiwald, 8. April 1929, HoeA, WaB 1929–1930. 52  «Wir nehmen zur Kenntnis dass der Kredit von Ihnen zurückgezahlt werden wird durch den künftigen Erlös des Ver­ kaufs des Pavillons in Barcelonas Park de Montjuic, der sich momentan noch im Bau befindet und der Ihnen allein gehört.» Brief der Reichskreditanstalt an von Schnitzler, 23. April 1929, BArchL, Ausstel­ lung Barcelona, AA, Abteilung II, R 9.01, 40029, S. 142–143.

sönlichen Kredit von weiteren 150.000 Reichsmark, wobei er den

Pavillon selbst als Sicherheit anbot. Aus dieser Korrespondenz erfahren wir, dass er den Pavillon vollständig aus eigener Tasche vorfinanziert hatte. Die Bank bestätigte, dass er zusammen mit dem Bauunternehmer der «alleinige Eigentümer» des Pavillons war.52

Mies van der Rohe

43

Mies van der Rohes Weg zur Avantgarde war keineswegs eine

Hochhausentwurf zu machen braucht, um sich die Begeisterung

konventionelle Vorstadtvillen gebaut, im Durchschnitt eine pro

sichern.»5 Anscheinend verstärkten sich Mies van der Rohes aris-

gradlinige Erfolgsstory gewesen. Von 1908 bis 1925 hatte er

der Jugend und die Leitung der Werkbund-Ausstellung 1927 zu

Jahr; kaum genug, um sein kleines Büro über Wasser zu halten.

tokratische Ambitionen noch, seit er Umgang mit den von

te, nutzte er seine Wohnung auch als Büro. Eine Reihe von Bau-

arbeiter Sergius Ruegenberg merkte an, dass Mies nach der

Nachdem er sich im Herbst 1921 von seiner Familie getrennt hat1

anträgen in dieser Zeit (für die Häuser Kempner, Eichstädt und

Feldmann) zeigen die schrittweise Einführung des Künstlernamens Mies (anfänglich Miës geschrieben) van der Rohe, in dem

er seinen Nachnamen mit dem Mädchennamen seiner Mutter verband.2 Das erfundene «van der» hatte einen niederländischen

Schnitzlers und dem Marqués de Foronda gehabt hatte. Sein MitRückkehr aus Barcelona ein Monokel und eine goldene Taschen-

uhr an einer langen Kette zu tragen begann. Er entließ seine Haushälterin und stellte stattdessen einen Butler ein. Sein Architektenkollege Hans Scharoun bezeichnete ihn als «Snob».6

Klang und für deutsche Ohren auch die Assoziation eines Adels-

Während er noch an unspektakulären Hausentwürfen arbeitete,

Dorothea später anmerkte. Wahrscheinlich sollte es ihm im Rah-

dank seiner fünf visionären Projekte, die weithin ausgestellt und

titels – «ein snobistischer Etikettenschwindel», wie seine Tochter 3

men seiner «konventionellen Bürotätigkeit für eine gehobene

Klientel ein sichtbares Zeichen von Prestige» verleihen. 1927 4

spottete Werner Hegemann, dass Mies «eines Morgens als hol-

ländischer Edelmann van der Rohe erwachte» und - «neugetauft» wie er war - feststellte, dass «man als deutscher Mies sehr anstän-

wurde Mies ab 1922 zu einer wichtigen Stimme der Avantgarde, veröffentlicht wurden.7 Jedes dieser Projekte war eine grundle-

gende Studie zu Materialien und Bautypen: zwei Glashochhäuser, ein Bürohaus aus Beton und zwei Landhäuser, eines davon

aus Backstein, das andere aus Eisenbeton. ABB. 1–4 Diese Projektstudien verwiesen auf neue Inspirationsquellen – während seine

dige Häuser mit schiefen Dächern bauen kann, ohne wesentli-

Hausentwürfe den Einfluss von Architekten wie Bruno Paul, Paul

schen Namen nur einen ganz unpraktischen, holländernden

Blick nun ins Ausland. Im Dezember 1923, als er an einem Ent-

ches Aufsehen zu erregen, während man mit einem holländi-

Mebes und Alfred Messel erkennen ließen, richtete er seinen wurf für ein Landhaus aus Backstein zu arbeiten begann, schrieb Mies an Hendrik Petrus Berlage und bat um Material zu Frank

Lloyd Wright.8 Mies kannte auch die Arbeiten der De-Stijl-Grup-

1  Franz Schulze, Mies van der Rohe. Leben und Werk, Berlin 1986, S. 94. 2  Andreas Marx und Paul Weber, «Von Ludwig Mies zu Mies van der Rohe: Woh­ nung und Atelier ‹Am Karlsbad 24› (1915 – 1939)», in: Helmut Reuter und Birgit Schulte (Hrsg.), Mies und das neue Wohnen. Räume, Möbel, Fotografie, Ostfil­ dern 2008, S. 24 – 39, hier: S. 36 – 37. 3  Das hielt sie jedoch nicht davon ab, den Namen auch für sich zu beanspru­ chen: Georgia van der Rohe, La donna è mobile. Mein bedingungsloses Leben, Berlin 2001, S. 14.

4  Marx und Weber, Von Ludwig Mies zu Mies van der Rohe, S. 36 – 37 (siehe Fußnote 2). 5  Werner Hegemann, «Schräges oder flaches Dach», in: Wasmuths Monatshefte für Baukunst, Jg. 11, Nr. 3, 1927, S. 120. 6  Sergius Ruegenberg, «Glashaus», un­ datiertes Manuskript, Berlinische Galerie, Ruegenberg-Nachlass. 7  Dietrich Neumann, «Three Early Pro­ jects by Mies van der Rohe», in: Perspecta: Journal of the Yale School of Architecture, Nr. 27, 1992, S. 76 – 97.

8  Mies an Berlage, 13. Dezember 1923, LoC, Mies-Nachlass, persönliche Korres­ pondenz 1923 – 1940. Der Originalbrief befindet sich in den Berlage-Dokumenten am Het Nieuwe Instituut (ehemals Nieder­ ländisches Architekturinstitut) in Rotter­ dam. 9  Ludwig Mies van der Rohe, «Vortrag (1924)», in: Fritz Neumeyer, Mies van der Rohe, das kunstlose Wort: Gedanken zur Baukunst, Berlin 1986, S. 308 – 311, hier S. 310.

pe, insbesondere Theo van Doesburgs, dessen Architekturanalysen und zeichnerische «Gegen-Konstruktionen» große Beachtung fanden. ABB. 5

Der Entwurf für ein Landhaus aus Backstein wurde von späteren

Kritikern als wichtiger Vorläufer für den Barcelona-Pavillon

betrachtet. Mies selbst beschrieb, wie er hier zum ersten Mal «das bisher übliche Prinzip der Raumumschliessung verlassen

und statt einer Reihe von Einzelräumen eine Folge von Raumwir-

kungen angestrebt» hat.9 Die drei Zeichnungen (ein Grundriss,

44  Mies van der Rohe

2

1

45

1  Hochhaus am Bahnhof Friedrich­ straße, 1922, Architekt: Ludwig Mies van der Rohe 2  Glashochhaus, 1922, Architekt: Ludwig Mies van der Rohe 3  Bürohaus aus Eisenbeton, 1923, Architekt: Ludwig Mies van der Rohe 4  Landhaus aus Eisenbeton, Architekt: Ludwig Mies van der Rohe 5  Theo van Doesburg, Gegen Konstruk­ tion, 1923

3

4

5

46  Mies van der Rohe

6

ein Aufriss und eine Skizze), die 1924 auf der jährlichen Großen Berliner Kunstausstellung gezeigt wurden

ABB.  6–7,

bescherten

ihm den bis dahin größten Erfolg bei den Kritikern. Der wichtigs-

te Topos der späteren Analysen des Pavillons – die innovative Behandlung des Raums durch offene Innenraumbezüge – tauchte hier erstmals auf. Etliche Autoren hatten den elegant-abstrakten und «knappen Umriß, [der] eine Gruppe von Räumen zusam-

men[faßt]»10 hervorgehoben, der Walter Curt Behrendt an ein

«Maschinenerzeugnis» erinnerte und den Hans Soeder als «die

stärkste, zukunftsreichste Leistung der Ausstellung» bezeichnete. Die Loblieder der späteren Kritiker des Pavillons vorwegneh-

mend schrieb Soeder: «Hier ist auf einer höheren Ebene der Weg der rationalen Rechnung überwunden, die Mathematik mit Musik

erfüllt …» Soeder gestand, seine «Begegnung mit diesem Ent-

wurf [nicht] in Worte fassen» zu können, und begnügte sich statt-

dessen damit, ihn «zu sehen, bezaubert zu sein, davon zu träu7

men und die Kühnheit dieser Raumfuge zu bewundern».11 Mies’

Freund Hans Richter reagierte wenige Monate später (in einem

sehr schmeichelhaften Porträt von Mies als dem Prototypen des

neuen «Baumeisters»), indem er den Fokus auf die Funktion des

Gebäudes lenkte. Der Grundriss des Landhauses aus Backstein, behauptete er, sei «keine mathematische Abstraktion», sondern demonstriere vielmehr den Prozess des Wohnens, da er die

«Wohn­ecke» und getrennte Räume zugunsten eines «zusammen­

hängenden Wohnkomplexes» aufgebe.12 Walter Curt Behrendt

kam in seinem 1927 veröffentlichten Buch Der Sieg des neuen

47

Baustils auf den Entwurf des Landhauses aus Backstein zurück und erklärte, dass die Räume in seinem Grundriss «unter nahezu völliger Auflösung ihrer Begrenzungen untereinander in Fluß gebracht [sind]»13 – das erste Mal, dass der Begriff des fließenden

Raumes auf Mies’ Architektur angewandt wurde.

Alfred Barr erklärte 1934, dass Mies’ Landhaus aus Backstein

vom De Stijl beeinflusst sei, und zwar als «ein direktes Ergebnis

von Doesburgs Berlin-Aufenthalt in den Jahren 1921 und 1922». Die Inspirationsquelle war Barr zufolge Doesburgs Gemälde Rhythmus eines russischen Tanzes von 1918

6  Landhaus in Backstein, 1924, Architekt: Ludwig Mies van der Rohe 7  Landhaus in Backstein, 1924, Architekt: Ludwig Mies van der Rohe 8  Theo van Doesburg, Rhythmus eines russischen Tanzes, 1918

ABB.  8,

das später

häufig als Anregung für den Barcelona-Pavillon bezeichnet wurde – und die Verbindung von Mies’ Grundriss mit Musik und

Bewegung durch die Kritiker zu bestätigen schien.14 Mies sollte

diese Vorstellung Jahre später kühl zurückweisen: «Ich glaube, das war ein Fehler, den das Museum of Modern Art gemacht hat […]. Ich male niemals ein Bild, wenn ich ein Haus bauen will. Wir

zeichnen unsere Pläne gerne sorgfältig, und daher werden sie dann als eine Art Gemälde betrachtet.»15

Trotz seines beachtlichen Erfolgs bei der Kritik hatte Mies nur wenige größere Aufträge und musste unbeteiligt zusehen, wie

Deutschland in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre dank amerikanischer Investitionen einen Bauboom erlebte. Miesʼ erstes

entschie­den modernes Haus – für die Hutfabrikanten Erich und

Elisabeth Wolf in Guben (heute Gubin, Polen) ABB. 9 – wandte das

10  Walter Curt Behrendt, «Die Archi­ tektur auf der Berliner Kunstausstellung 1924», in: Kunst und Künstler 22, Nr. 11, 1924, S. 351. 11  Hans Soeder, «Architektur auf der Berliner Kunstausstellung 1924», in: Der Neubau, Nr. 6, 1924, S. 153 – 158.

12  Hans Richter, «Der Neue Baumeis­ ter», in: Qualität, Jg. 4, Nr. 1/2, Januar/Fe­ bruar 1925, S. 3 – 9, hier S. 7. 13  Walter Curt Behrendt, Der Sieg des neuen Baustils, Stuttgart 1927, S. 51. 14  Alfred Barr, Cubism and Modern Art, New York 1934, S. 156 – 157.

15  Zit. nach Peter Carter, Mies van der Rohe bei der Arbeit, Berlin 2005, S. 180.

8

48  Mies van der Rohe

Im Sommer 1925 hatte Mies Lilly Reich kennengelernt, eine Ausstellungsgestalterin und Innenausstatterin, die seine Lebensgefährtin und enge Mitarbeiterin werden sollte.17 Sie hatte 1908 bei

Josef Hoffmann in Wien studiert und war 1912 eingeladen worden, dem Werkbund beizutreten. Bei der Berliner Modewoche im Jahr 1920 hatte sie die Sektion zum Kunsthandwerk in der

Mode organisiert.18 Einige Jahre bevor Mies selbst Mitglied wurde, war sie bereits Vorstandsmitglied des Werkbundes und verantwortlich für dessen erste Ausstellung in den Vereinigten Staaten.19 Zwischen 1924 und 1926 arbeitete sie im Messeamt der

Stadt Frankfurt und konzipierte vor ihrer Rückkehr nach Berlin

eine große Ausstellung mit dem Titel Von der Faser zum Gewebe für die Frankfurter Messe. Betrachtet man die Klarheit ihrer eigenen Werke vor der Zusammenarbeit mit Mies, so wird offenkundig, wie viel sie in die Partnerschaft einbrachte.

Während Bauaufträge weitgehend ausblieben, war Mies durch seine aktive Teilnahme an Organisationen wie dem Ring, der Novembergruppe und dem Bund Deutscher Architekten (BDA)

9

präsent. Er wurde 1925 Vizepräsident des Deutschen Werkbunds 1924 für sein Backsteinlandhaus vorgeschlagene Verbindungs-

prinzip auf eine Folge von vier Räumen auf der Gartenseite des 9  Haus für Erich und Elisabeth Wolf, Guben (Gubin), 1925 – 1927, Architekt: Ludwig Mies van der Rohe 10  Werkbund-Ausstellung Die Woh­ nung, Stuttgart, Weißenhofsiedlung, 1927, zeitgenössische Postkarte 11  Werkbund-Ausstellung Die Woh­ nung, Stuttgart, Weißenhof, 1927

Hauses an. Die traditionelle Enfilade von Bibliothek, Wohnraum

und Esszimmer, normalerweise entlang einer zentralen Achse aufgereiht, wurde stattdessen offen und diagonal miteinander

verbunden. Während einige Wurzeln dieser Idee in früheren De

Stijl-Entwürfen und im Werk Frank Lloyd Wrights zu finden sind, waren das äußere Erscheinungsbild des Hauses und die Materialbehandlung Projekten der holländischen Architekten Willem

Marinus Dudok und Johannes Bernardus van Loghem verpflichtet, die kurz zuvor in Deutschland publiziert worden waren. Das 16

Haus Wolf wiederum war entscheidend für die Erteilung zweier weiterer Aufträge, der Häuser Esters und Lange in Krefeld, die sich im Bau befanden, als der Barcelona-Pavillon entstand.

und mit der Leitung der Weißenhof-Ausstellung 1927 in Stuttgart betraut, wo er 17 europäische Architekten zusammenbrachte

(darunter Le Corbusier, J.  J.  P. Oud, Hans Scharoun und Peter

Behrens). Von den 21 für die Dauerausstellung errichteten Bauten war sein eigener Wohnblock ABB. 10, 11 der größte und nahm eine beherrschende, zentrale Position ein. Er war fotogener, aber

auch sorgfältiger detailliert und proportioniert als andere moderne Wohnungsbauprojekte, etwa die seiner Kollegen in Berlin

und Frankfurt. Dennoch folgten keine weiteren Aufträge im Wohnungsbau. Dank der Freundschaft und Zusammenarbeit mit Lilly

Reich entstanden Ausstellungsstände in Stuttgart, Berlin und Leipzig. Sie waren wahrscheinlich kaum lukrativ, aber sie boten Gelegenheiten für kreative Experimente und wurden viel publiziert. Diese Entwürfe stellten die unmittelbaren Vorgänger des Barcelona-Pavillons dar.

49

10

11

Der erste der drei Ausstellungsstände – Mies’ und Reichs Glas-

raum bei der Stuttgarter Werkbund-Ausstellung 1927 – war von der Glasindustrie in Auftrag gegeben worden, um neue techni-

sche Errungenschaften sowie Anwendungsgebiete jenseits der

üblichen Schaufensterscheiben vorzustellen. Der Glasraum 16  Heinrich de Fries (Hrsg.), Moderne Villen und Landhäuser, Berlin 1924, S. VI. 17  Die erste erhaltene Korrespondenz zwischen Lilly Reich und Mies stammt vom 10. Juni 1925. Während Lilly Reich Mies noch mit dem formalen «Sie» anspricht, erwähnt sie ein mögliches späteres Tref­ fen. Spätestens ab November scheinen sie eine romantische Beziehung gehabt zu haben. Im Herbst wählt Mies zwei Handta­ schen für sie aus einer Auswahl, die ihm das Werkbundmitglied Elisabeth Micha­

helles gesandt hatte. Reich schickte Mies im Gegenzug eine gelbe Hausjacke. Reich an Mies, 10. Juni 1925, MoMA, MiesNachlass; Elisabeth Michahelles, Ham­ burg, an Mies, 21. November 1925; John (Mies’ Büro) an Elisabeth Michahelles, 26. November 1925, LoC, Mies Papers, Private Correspondence, 1923 – 40, Folder M. Lilly Reich an Mies, 2. Dezember 1925. LoC, Mies Papers, Private Correspondence 1923 – 40, Folder R.

18  «Kunstnachrichten», in: Vossische Zeitung, Nr. 620, Abendausgabe, Freitag, 5. Dezember 1919. 19  «Bericht über die 11. Jahresver­ sammlung in Augsburg und München vom 29. Juni bis 1. Juli 1922», in: Mitteilungen des Deutschen Werkbundes (Bei­ blatt der Form), Nr. 4, 1924. Sie war auch in den Vorstand des Werkbundhauses in Frankfurt gewählt worden. «Deutsche Kunstgewerbe-Ausstellung in Amerika», in: Die Voss, Nr. 14, Samstag, 7. Mai 1921.

bestand aus einer Sequenz offen verbundener Räume zwischen

wandhohen, durchsichtigen und durchscheinenden Glasscheiben in verschiedenen Grauschattierungen, die als Wände, Fens-

ter und Raumteiler dienten. ABB. 12 Der Glasraum stand in einer

großen Ausstellungshalle, wurde von Hängeleuchten über einer

Decke aus weißem Leinentuch gleichmäßig beleuchtet und war mit einem farbigen Linoleumboden ausgestattet. Die Abfolge der nur spärlich möblierten Räume erinnerte entfernt an eine

Wohnung – allerdings eine recht ungemütliche. Es waren Innen-

50  Mies van der Rohe

12

13

und Außenbereiche (ohne Leinentuchdecke) erkennbar: In

einem kleinen Hof stand eine Skulptur von Wilhelm Lehmbruck,

Silhouetten, die durch die Luft schweben und sich mit den Spie-

gelbildern aus dem Glasraum selber vermischen. Die Beschwö-

und vom Wohnzimmer aus blickte man in einen zweiten Hof mit

rung dieses ungreifbaren gläsernen Spuks, der sich kaleidoskop-

fälligsten waren die Leichtigkeit der Konstruktion, die Reflexio-

neue Wohnhaus nicht eine letzte Erfüllung bedeutet.»20 Die Ver-

einer ominösen Ansammlung von Gummibäumen. Am augen-

artig wandelt wie die Lichtreflexe, ist ein Zeichen dafür, daß das

nen und verschiedenen Grade an Transparenz sowie die unwirk-

wendung von Begriffen wie «gläserner Spuk» und «Kaleidoskop»

Raum an einem hellen, wolkenverhangenen Tag im Freien erle-

einem Vergnügungspark gleich. Offensichtlich widerstrebten

liche Gleichmäßigkeit des Lichts von oben – als würde man den

ben. Der prominente Kulturkritiker Siegfried Kracauer beobach-

setzte den Ausstellungsstand mit einem Spiegelkabinett in Kracauer solche optischen Spielereien, die er als Effekthascherei

tete genau und skeptisch: «In der Hallen-Ausstellung befindet

empfand.

erdachter Raum. Seine Wände sind aus milchigen und dunkel-

Im Gegensatz dazu lobte Mies’ holländischer Kollege Theo van

scheinend, die Nachbarräume dringen herein. […] Jede Bewe-

von Raum und Fläche und in seinen Augen als das beste Beispiel

sich ein merkwürdiger von Mies van der Rohe und Lilly Reich farbigen Glasplatten zusammengesetzt. Ein Glaskasten, durch-

gung in ihnen zaubert Schattenspiele auf die Wand, körperlose

Doesburg die Arbeit von Mies und Reich – als eine Architektur von Innenarchitektur auf der Werkbundausstellung, die «das

51

12 Glasraum, Werkbund-Ausstellung Die Wohnung, Stuttgart, 1927, Ludwig Mies van der Rohe, Lilly Reich

Material und seine Eigenschaften - Schwere, Widerstand und

ten» zwischen dem Glasraum und dem Raum der Abstrakten, den

weiterreichende Auswirkungen: «Zum Wesen der neuen Archi-

richtet hatte.22

Vergänglichkeit» beherrscht. Dies hatte, van Doesburg zufolge,

13  «Café Samt und Seide» Stand der Deutschen Seidenindustrie auf der Messe Die Mode der Dame, Berlin 1927, Ludwig Mies van der Rohe und Lilly Reich

tektur gehört auf jeden Fall, die Energie und den Charakter ver-

El Lissitzky kurz zuvor in der Gemäldegalerie Hannover einge-

schiedener Materialien gegeneinander abzuwägen und sie ent-

Eine ähnliche Bevorzugung von Raum und Fläche gegenüber

Architektur erkennen, was sie an immanenter Schönheit zu bie-

schen Seide in der Ausstellung Die Mode der Dame in Berlin.

sprechend gut zu proportionieren. Nur so kann die moderne

ten hat […]. Das neue Ideal vom leeren Raum und der reinen

Fläche nähert sich der Realisierung.» Aber van Doesburg verwies auch auf ein konzeptionelles Problem in Mies’ Architektur (das spätere Kritiker des Pavillons ebenfalls verwirren sollte), indem er

den Wert der Oberfläche über den der Konstruktion stellte: «Die

Entwicklung einer vollkommenen Oberfläche ist zentral wichtig, vom ersten Stein bis zum letzten Pinselstrich. Jeder Architekt, der

einen Sinn für die optischen Qualitäten der Konstruktion hat, weiss das, und mit dieser Glas Ausstellung hat Mies van der Rohe gezeigt dass er dieses neue Problem im Griff hat […]. Nur die Oberfläche ist wichtig. Der Mensch lebt ja nicht innerhalb einer

Konstruktion oder einem architektonischen Gerüst, sondern

der Struktur erfolgte später im selben Jahr im Bereich der DeutDort entstanden offene Räume durch Seidenvorhänge an hori-

zontalen Metallstangen, die wiederum an Kabeln von der Decke

hingen. Die Vorhänge hatten verschiedene Farben, Höhen und Breiten, zwei von ihnen bildeten halbkreisförmig umschlossene

Räume, andere stellten das Äquivalent einer freistehenden Wand

dar – selbständig, ungebunden, an beiden Enden von offenem

Raum umgeben. Im Ausstellungsbereich befanden sich neue, von Mies und Reich entworfene Stühle und Tische, die einen

gelegentlichen Café-Betrieb erlaubten.23 ABB. 13 Die Verbindun-

gen zur Modeindustrie führten zu zwei wichtigen Aufträgen im selben Jahr: Die Krefelder Seidenfabrikanten Hermann Lange

und Josef Esters beauftragten Mies mit dem Entwurf zweier

erfasst Architektur im Wesentlichen über ihre Oberfläche […].

moderner Landhäuser auf benachbarten Grundstücken am

der Realisierung unaufhörlich näher.» In der Tat: Mies und Reich

gement der deutschen Seidenindustrie in Barcelona eine zentra-

in den Vordergrund gestellt und nicht die Struktur. Aufgrund die-

tion dort lange vor dessen offiziellen Vertrag mit von Schnitzler.

Das neue Ideal des leeren Raumes und der reinen Fläche kommt 21

hatten hier die Oberflächen von Wänden, Fenstern und Decken

ser Reduzierung sah Alexander Dorner «auffallende Ähnlichkei-

Stadtrand. ABB. 14, 15 Lange und Esters sollten später beim Enga-

le Rolle spielen; sie beauftragten Mies mit der Planung ihrer Sek-

Der unmittelbare Vorläufer des Pavillons in Mies’ Werk war jedoch ein wenig bekannter Ausstellungsstand für die Linoleum-

industrie auf der Leipziger Messe im März 1929, dessen Entwicklung mit der entscheidenden Planungsphase des Barcelona-

Pavillons zusammenfiel, bzw. dieser vorausging. Die Sektion zu 20  Siegfried Kracauer, «Das neue Bau­ en. Zur Stuttgarter Werkbund-Ausstellung: Die Wohnung», in: Frankfurter Zeitung, 31. Juli 1927, zit. nach: Siegfried Kracauer, Schriften: Aufsätze 1927 – 1931, Frankfurt am Main 1990, S. 68 – 74, hier: S. 74.

21  Theo van Doesburg, «The Dwelling, the famous Werkbund Exhibition», in: ders., Über europäische Architektur: ­Gesammelte Aufsätze aus Het Bouwbedrijf 1924 – 1931, Basel u. a. 1990, S. 164 – 172. 22  Alexander Dorner, «Zur Abstrakten Malerei. Erklärung zum Raum der Abstrak­

tion in der Hannoverschen Gemäldegale­ rie», in: Die Form, Nr. 3, 1928, S. 110 – 114, hier: S. 113. 23  Siehe Christiane Lange, Ludwig Mies van der Rohe. Architektur für die Seidenindustrie, Köln 2011, S. 71 ff.

Baumaterialien und -maschinen der Leipziger Messe war in der modernen Ausstellungshalle 19 untergebracht, einer Stahl- und

Glaskonstruktion des Leipziger Architekten Walter Gruner und der Berliner Stahlbaufirma Breest  &  Co. Beim Betreten konnte

der Besucher von Weitem die hoch aufragende Fassade von

52  Mies van der Rohe

14

14  Krefeld, Haus Josef Esters, 1927 – 1930, Architekt: Ludwig Mies van der Rohe 15  Krefeld, Haus Hermann Lange, 1927 – 1930, Architekt: Ludwig Mies van der Rohe 16  Linoleum-Informationsstand, Bau­ messe Leipzig, Frühjahr 1929, Ludwig Mies van der Rohe und Lilly Reich 17  Linoleum-Informationsstand, Bau­ messe Leipzig, Frühjahr 1929, Ludwig Mies van der Rohe und Lilly Reich 18  Linoleum-Informationsstand, Bau­ messe Leipzig, Frühjahr 1929, Ludwig Mies van der Rohe und Lilly Reich

15

Mies’ Pavillon mit der Aufschrift «Deutsche Linoleum-Werke» sehen.

24

Unterhalb des Schriftzugs befanden sich Schaufenster

von ähnlicher Größe wie diejenigen am späteren BarcelonaPavillon, zwei Fensterscheiben an der Schmal- und vier an der

ger und ihre Funktion besser erkennbar als beim Pavillon – sie

trugen die Stahlbalken über den Schaufenstern und dem offenen Eingangsbereich.

Längsseite, die zur Mitte der Halle hin ausgerichtet waren. Der

Zwei weitere Projekte beschäftigten Mies während der entschei-

Verschiedene Arten farbigen Linoleums bedeckten den Boden

gleiche Formensprache zur Anwendung. Eine erste Fassung des

offene Eingang war etwa so breit wie zwei der Glasscheiben.25

des Innenraums und waren wandhoch an den Seiten ausgestellt. Die Stahlrohrfreischwinger MR 10 und MR 20 von Mies waren in zwei Sitzecken gruppiert. Genau wie in Stuttgart sorgten Hänge-

leuchten oberhalb der Decke aus gespanntem weißen Leinen für

die Beleuchtung. Doch am wichtigsten war die Tatsache, dass der Stand die ersten Exemplare der kreuzförmigen vernickelten Stützen hatte, die ein prominentes Element im Barcelona-Pavillon

werden sollten. ABB. 16–18 Ihre Platzierung war jedoch eindeuti-

denden Planungsphase für Barcelona, und bei beiden kam die Entwurfs für die Villa Tugendhat in Brünn (heute Brno, Tschechien) war am 31. Dezember 1928 mit den Auftraggebern bespro-

chen worden und wurde überarbeitet, bevor man die Ausführungspläne anfertigte. Im Januar 1929 hatte Mies den Auftrag angenommen, ein Haus für den berühmten Maler Emil Nolde auf

einem Grundstück im wohlhabenden Berliner Vorort Dahlem zu

entwerfen. Anfang April 1929, gerade als der Bau des BarcelonaPavillons in Gang kam, kehrte Mies überstürzt für zwei Wochen

53

16

17

nach Berlin zurück, um den Entwurf einzureichen und die Baugenehmigung zu beantragen.26 Einige Schlüsselelemente, die für

Barcelona entwickelt worden waren, fanden auch hier Anwen-

dung: die freistehende Wand, offene Raumverbindungen, Fens-

ter vom Boden bis zur Decke und zehn kreuzförmige Stützen. Das Nolde-Projekt zeigt, wie leicht die Dinge in Barcelona hätten

schiefgehen können, da Mies ähnliche Regelverstöße beging – eine Kostenschätzung, die doppelt so hoch wie das vereinbarte

18

Limit war, eine Grundfläche, die das behördlich zulässige Maß

weit überstieg, Pläne, die wesentlich später als versprochen geliefert wurden –, doch hier standen die Sterne nicht so günstig 24  «Die Leipziger Frühjahrs-Baumesse 1929. Die Stände», in: Deutsches Bau­ wesen, Jg. 5, Nr. 4, April 1929, S. 90. 25  «Die Leipziger Baumesse», in: Bauwelt, Nr. 12, 1929, S. 292 ff. «L’Architectu­

re et L’Aménagement d’Expositions», in: La Cité, Jg. 8, Nr. 8, Februar 1930, S. 126. 26  Mies reiste am 5. April von Barcelo­ na nach Berlin, reichte am 15. April den Bauantrag ein und kehrte am 22. April

wieder nach Barcelona zurück. Von Schnitzler an Foronda, 6. April 1929, HoeA, WaB 1928 – 29.

wie in Barcelona: Der Bauantrag wurde abgelehnt, der Kunde konnte sich die zusätzlichen Kosten nicht leisten, und der Entwurf wurde nicht ausgeführt.

Der Bautyp

55

Mies erzählte später gerne, dass damals niemand gewusst habe,

Meier-Graefe, nachdem er die historistischen Gebäude auf der

nen er erfüllen sollte: «... als ich den Auftrag von der Regierung

villons bezogen sich bei solchen Gelegenheiten typischerweise

wie ein Deutscher Pavillon aussehen sollte oder was für Funktioerhielt, sagten die: ‹Wir brauchen einen Pavillon›. Ich erwiderte:

‹Was meinen Sie mit einem Pavillon?› Darauf hieß es: ‹Wir wissen

es nicht – wir haben so und so viel Geld dafür – bauen Sie ihn. Doch bitte nicht zu viel Glas›.»1 Während diese Version eine schö-

ne Anekdote war (und Mies’ Erinnerungen Jahrzehnte später

etwas ungenau gewesen sein mögen), ist es unwahrscheinlich, dass Mies mit dem lang etablierten Bautyp des Ausstellungs­ pavillons und insbesondere mit dessen wichtiger Rolle in der

damaligen Architekturdiskussion nicht vertraut war.2 Ausstel­

lungs­pavillons waren eines der Experimentierfelder für neue

Pariser Weltausstellung im Jahre 1900 gesehen hatte. Länderpa-

auf historische Bauten aus der Heimat mit politischer oder sym-

bolischer Bedeutung. Deutschland zum Beispiel hatte in Chicago 1893 und in Paris im Jahr 1900 Gebäude errichtet, die an Rat-

häuser der Gotik oder Renaissance erinnerten. Vier Jahre nach

Meier-Graefes Ermahnung wählte Deutschland in St. Louis 1904 den überkuppelten Mittelflügel des barocken Berliner Schlosses

Charlottenburg als Inspirationsquelle für seinen Länderpavillon, in dem Ausstellungsräume, ein Vortragssaal und ein Restaurant untergebracht waren.4 ABB. 1–2

Architekturideen geworden, und einige kurz zuvor entstandene

Doch Veränderungen kündigten sich an. Bei ebendieser Welt-

Mies’ Pavillon gelten. Mies’ Entwurf war keineswegs ein Bau

sitz eines Kunstfreundes genau das Aufsehen, auf das Meier-

Exemplare dürfen als wichtige Vorläufer und Gegenstücke zu ohne Vorgänger, sondern entstand vielmehr aus einer reichen

ausstellung in St. Louis erregte Joseph Maria Olbrichs SommerGraefe gehofft hatte.

ABB.  3

In einem idealisierten Wohnhaus

Vielfalt vergleichbarer Bauten.

waren moderne Räume von Olbrich und anderen um einen

«Das Land, dem es in den Sinn gekommen wäre, selbst die ein-

Loggia mit Dach auf freistehenden Stützen flankiert waren. Eine

fachste, aber rücksichtslos moderne Architektur zu zeigen, hätte das größte Aufsehen erregt, selbst wenn der Versuch nicht voll-

kommen gelungen wäre.»3 Das schrieb der Kunstkritiker Julius

Innenhof gruppiert, dessen zentrales Wasserbecken von einer Skulptur war in der Hauptachse platziert. Dem deutschen Bevoll-

mächtigten zufolge präsentierte der Pavillon «eine häusliche Kultur, die zuvor noch nicht vorhanden war»5, und er hinterließ einen

bleibenden Eindruck: «Die Inneneinrichter der Vereinigten Staaten reden nun über den Olbrich-Pavillon. Man bezeichnet ihn

bereits als eines der Elemente der Weltausstellung, die das ame1  Wortgetreue Mitschrift, Interview mit Mies van der Rohe, um 1967, aus: Mies (Dokumentarfilm von Michael Blackwood und Franz Schulze, 1986); ähnlich berich­ tete er der Journalistin Katherine Kuh, dass man ihm gesagt habe: «‹Wir brau­ chen einen Pavillon. Entwerfen Sie ihn, und nicht so viel Glas.› Es war die schwie­ rigste Aufgabe, mit der ich jemals kon­ frontiert war, weil ich mein eigener Auf­ traggeber war. Ich konnte tun, was immer ich wollte, doch ich wusste nicht, wie ein

Pavillon aussah.» Interview mit Mies im Jahr 1964, in: Katharina Kuh, «Mies van der Rohe: Modern Classicist», in: Saturday Review, Jg. 48, Nr. 4, 23. Januar 1965, S. 22 – 23 und S. 61. 2  Zur Geschichte deutscher Pavillons auf Weltausstellungen siehe Paul Sigel, Exponiert: Deutsche Pavillons auf Weltausstellungen, Berlin 2000. 3  Julius Meier-Graefe, Die Weltausstellung in Paris 1900, Paris/Leipzig 1900, S. 26.

4  Christoph Cornelißen, «Das Deut­ sche Reich auf den Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts», in: Wolkenkuckucksheim: Internationale Zeitschrift zur Theorie der Architektur, Jg. 5, Nr. 1, Juli 2000. 5  Leo Nachtlicht, Deutsches Kunstgewerbe St. Louis 1904, Berlin 1904, S. 11. 6  «Germany’s Wonderful New Art at the World’s Fair: The Famous Olbrich Pavi­ lion», in: Sunday Magazine of the St. Louis Post-Dispatch, 5. Juni 1904, S. 10.

rikanische Leben dauerhaft prägen werden.»6 Mies war mit diesem Gebäude sicher vertraut, da sein erster Lehrer und Arbeit-

geber in Berlin, Bruno Paul, einen Studienraum darin gestaltet hatte. Olbrichs Erfolg mag zur Idee beigetragen haben, Deutschland in Barcelona mit einem Bau zu repräsentieren, dessen Grö-

ße und Zuschnitt an ein kleines, erlesenes Wohnhaus erinnerten. Bei der nächsten Weltausstellung 1910 in Brüssel – der unmittelbaren Vorgängerin von Barcelona – erfolgte wiederum ein Durch-

56  Der Bautyp

1  Das Deutsche Haus auf der Weltausstellung in Paris, 1900, Architekt: Johannes Radke 2  Das Deutsche Haus auf der Weltausstellung in St. Louis, 1904, Architekt: Emil Boehl 3  Innenhof mit Wasserbecken im Haus eines Kunstfreundes auf der Weltausstellung in St. Louis, 1904, Architekt: Joseph Maria Olbrich 4  Das Deutsche Haus auf der Weltausstellung in Brüssel, 1910, Architekt: Emmanuel von Seidl 5  Monument des Eisens, Internationale Baufachausstellung in Leipzig, 1913, Architekt: Bruno Taut

2

6  Glaspavillon, Werkbund-Ausstellung Köln, 1914, Architekt: Bruno Taut

1

bruch:7 Das Deutsche Haus des Münchener Architekten Emanuel von Seidl ABB. 4 war ausgesprochen modern und entsprach, wie

Kritiker bemerkten, dem «allgemeinen europäischen Wunsch

nach einem Stil des 20. Jahrhunderts».8 Es erinnerte entfernt an

ein sogenanntes Volkshaus – einen neuen Bautypus in deutschen Städten, der Versammlungs- und Gesellschaftsräume für die

Arbeiterschaft bereitstellte – und bildete den Mittelpunkt einer Reihe von Hallen und Pavillons, in denen deutsche Errungen-

schaften etwa im Kunstgewerbe, in der Innenraumgestaltung und im Maschinen- und Transportwesen präsentiert wurden.9

Von Seidl, der für den deutschen Gesamtauftritt verantwortlich war (so wie Mies und Reich in Barcelona), präsentierte ein ein-

heitliches und ambitioniertes Bild deutscher Leistungen mit 3

Schwerpunkt auf der Industrie. Zwei Arbeiterhäuschen von Georg Metzendorf sowie Ausstellungshallen von Mies’ ehemali-

gen Lehrern Bruno Paul und Peter Behrens wurden gezeigt. Beh-

rens’ drei Hallen (für Ingenieurwesen, Schwermaschinenbau und Schienenfahrzeuge) kamen seiner berühmten Berliner Tur­

binenhalle sehr nahe und entstanden, als Mies in Behrens’ Büro

57

arbeitete. Ein deutscher Kritiker erkannte darin «einen neuen, zur Weltherrschaft bestimmten Geschmack».10

Während der 1920er-Jahre avancierten Ausstellungen und Han-

delsmessen dann zu wichtigen Laboratorien für Architekturexperimente und stilistische Neuerungen, insbesondere dort wo

5

Pavillons nicht mit der schwerwiegenden Aufgabe betraut waren, eine ganze Nation zu repräsentieren. Ähnlich wie Bühnenbilder erlaubten temporäre Ausstellungsbauten radikale und provoka-

tive Ansätze, die die Ambitionen einer Firma oder eines Indus­ triezweiges bezüglich Modernität und Weltoffenheit signalisierten. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte Bruno Tauts Monument des Eisens bei der Internationalen Baufach-Ausstellung in Leipzig 1913 einen Anfang gemacht, gefolgt von seinem Glashaus auf

der Werkbund-Ausstellung 1914 in Köln, das die Glasindustrie

repräsentierte und weithin als Vorbote einer neuen Architektur galt. ABB. 6, 7 Für die selbe Ausstellung baute Walter Gropius ein Bürohaus mit einer vorgehängten Glasfassade, und Henry van de

Velde demonstrierte mit seinem Theaterbau die flexible Form-

barkeit des Stahlbetons. 4

Im September 1924 entwarf Wilhelm Deffke, Grafiker und ange-

6

hender Architekt, der in den frühen 1920er-Jahren gelegentlich

mit Mies zusammengearbeitet hatte, einen Ausstellungsstand für den Zigarettenhersteller TESMA. Der Stand auf der Groß-Berli-

ner Tabakmesse bestand aus sechs wandhohen Glasscheiben, 7  Deutschland nahm an einer weiteren Weltausstellung in Turin im Jahr 1911 teil, doch dort wurde der Deutsche Pavillon vor Ort von einem italienischen Architek­ ten entworfen. 8  Robert Breuer, Deutschlands Raumkunst und Kunstgewerbe auf der Weltausstellung zu Brüssel 1910, Stuttgart 1910, o. S. 9  Paul Sigel, Exponiert. S. 62 – 99 (siehe Fußnote 2). 10  Robert Breuer, «Deutschland auf der Brüsseler Weltausstellung», in: Moder-

ne Bauformen, Jg. 9, Nr. 7, 1910, S. 301 – 302, hier: S. 301. Die deutsche Teilnahme, die im Wesentlichen von Ver­ tretern des deutschen Werksbundes be­ stritten wurde, machte die Ausstellung zum ersten Auftritt dieser Gruppe in inter­ nationalem Kontext. Zur Rolle des Werk­ bundes bei der Brüsseler Weltausstellung siehe Sigel, op. cit., S. 97 – 99 (siehe Fuß­ note 2). Siehe auch Werner Durth und Paul Sigel (Hrsg.), Baukultur. Spiegel gesellschaftlichen Wandels, Berlin 2010, S. 93. Eine britische Zeitung räumte ein,

dass die deutsche Ausstellung «selbstver­ ständlich in den ersten Rang unter den Nationen vorrückte», da «prächtige Säulen oder Architekturfanfaren» vermied. Daily Telegraph, zit. nach Durth und Sigel, op. cit., S. 91. 11  Zu Wilhelm Deffke, dem TESMAStand und seiner Zusammenarbeit mit Mies siehe Dietrich Neumann, «Mies’ Concrete Office Building and its Common Acquaintance», in: AA Files, Nr. 74, Juni 2017, S. 70 – 84.

die unter einer flach auskragenden Dachplatte so gegeneinander versetzt waren, dass zwischen ihnen Ausstellungsräume entstanden. ABB. 7 Dieser kaum bekannte Stand nahm zentrale Ideen

von Mies’ Glasraum von 1927 und seinem Barcelona-Pavillon vorweg.11

Die belgische Zeitschrift La Cité widmete 1930 zwei Ausgaben einer vergleichenden Studie über jüngst entstandene Ausstel-

lungspavillons und begrüßte begeistert deren Ideenreichtum.

58  Der Bautyp

wöhnliche Stuckwellen auf der Außenhaut mit einem lebhaften

Wechselspiel von Innen- und Außenräumen, raumhohen Fensteröffnungen und freistehenden Stützen, und gehört sicherlich zu

den Vorläufern und möglichen Vorbildern, mit denen Mies ver-

traut war. ABB. 8 Lilly Reich hatte in Wien für Hoffmann gearbeitet und blieb auch weiterhin an seinem Werk interessiert. Einer der

aufsehenerregendsten Bauten auf der Pariser Ausstellung war Konstantin Melnikows Sowjetischer Pavillon, eine zweigeschossi-

ge Halle aus Holz und Glas, dramatisch von einem Gang diagonal durchkreuzt.

ABB.  9

Seine Treppen führten in der Mitte zum

zweiten Stock hinauf und auf der anderen Seite wieder hinunter. Gegenständige Dachscheiben wiesen darüber dynamisch gen

Himmel. Über dem Treppenaufgang auf der einen Seite waren auf Hammer und Sichel angebracht; der jenige auf der anderen

Seite trug ein Gitterturm den Schriftzug «CCCR». Es war «das ers-

te kleine Gebäude, das von der Wiedergeburt unserer Architek-

tur zeugte», schrieb El Lissitzky wenige Jahre später.14 Hier wie

7

auch sonst in der Ausstellung gingen architektonische und poli-

tische Ambitionen Hand in Hand – nicht zuletzt bei dem Interieur

eines neuen Arbeiterklubs von Alexander Rodtschenko, das proPlötzlich, so erklärte die Zeitschrift, schien die konventionelle, am

französischen Beaux-Arts-Stil orientierte Herangehensweise völlig aus der Mode gekommen, sogar «völlig fremd» angesichts

der eindrucksvollen neuen Beispiele. Bilder von Ausstellungen 12

in Brüssel, Brünn, Barcelona, Posen, Paris und Mailand veran-

schaulichten die enorme Ausdrucksfreiheit und unbändige Kreativität, die bei diesen Gelegenheiten zu sehen waren.

Ein gutes Beispiel für solche Industriemessen war die Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes in Paris

1925, bei der die teilnehmenden Länder (Deutschland war nicht

minent präsentiert wurde. Le Corbusiers Pavillon de L’Esprit

Nouveau – dem Architekten selbst zufolge ein succès de scandale  – zeigte eine Einheit seines Immeuble-Villas-Wohnblocks, eines wesentlichen Bestandteils seines Plan Voisin für das Pariser Zentrum, der in einem Modell und großen Wandbildern in der

angrenzenden Panorama-Rotunde präsentiert wurde. Der zwei-

geschossige Wohnraum war von einer offenen Loggia flankiert und mit Le Corbusiers Möbeln und puristischen Gemälden ausgestattet.

ABB.  10

Der dänische Architekt Kai Fisker lieferte (in

Zusammenarbeit mit dem jungen Arne Jacobsen) mit seinem gestreiften Backsteinpavillon mit vier identischen Fassaden einen weiteren modernen Beitrag.

ABB.  11

Die Ausstellung erlaubte

darunter) aufgefordert waren, «moderne Inspiration und echte

auch Präsentationen jenseits der länderbezogenen Beiträge. So

manns Österreichischer Pavillon zum Beispiel verband unge-

Zukunft, die Raumstadt, deren dreidimensionales Modell mit ver-

Originalität»13 im Kunstgewerbe zu präsentieren. Josef Hoff-

zeigte Friedrich Kiesler seine spektakuläre Vision einer Stadt der

59

8

10

7  Messestand der Zigarettenfirma TESMA, 1924, Berlin, Gestalter: Wilhelm Deffke 8  Österreichischer Pavillon auf der Pariser Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes, 1925, Architekt: Josef Hoffmann 9  Russischer Pavillon auf der Pariser Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes, 1925, Architekt: Konstantin Melnikow 10  Pavillon de l’Esprit Nouveau auf der Pariser Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes, 1925, Architekt: Le Corbusier

12  «Cahier Spécial sur l’Architecture et l’Aménagement d’Expositions», in: La Cité: Urbanisme, Architecture, Art Public, Jg. 8, Nr. 7, Januar 1930, S. 101 – 120. «Second Cahier sur l’Architecture et L’Aménagement d’Expositions», in: La Cité: Urbanisme, Architecture, Art Public, Jg. 8, Nr. 8, Februar 1930, S. 121 – 132.

tikalen und horizontalen Flächen fundamentale Designmethoden Mies van der Rohes teilte. ABB. 12

1928 fand in Köln eine große, vielbeachtete Ausstellung der internationalen Druck- und Verlagsindustrie mit dem Namen

Pressa statt, auf der ebenfalls eine Reihe ausgesprochen avant-

gardistischer Gebäude zu sehen waren. Erich Mendelsohn entwarf einen eleganten Bau für das Verlagshaus Mosse – ganz aus

weißem Stuck, Stahl und Glas mit einer halbkreisförmigen gläser-

nen Aussichtsplattform auf der zweiten Etage, «eine famose Demonstration des modernen Geistes», laut der damaligen Kritik.15

ABB. 13

Der Kölner Architekt Hans Schumacher baute eine

13  Guillaume Jeanneau, L’Art décoratif moderne, formes nouvelles et programmes nouveaux, Paris 1925, o. S., zit. nach Helen Searing, «International Exhibition of Decorative Arts, Paris 1925», in: Stephen Sennott, Encyclopedia of Twentieth Century Architecture, New York/London 2003, S. 680 – 681.

14  El Lissitzky, «The Reconstruction of Architecture in the USSR (1929)», in: El Lissitzky, Russia: An Architecture for World Revolution, Cambridge 1970, S. 35 – 36. 15  Paul Ferdinand Schmidt, «Die Kunst auf der Pressa», in: Der Cicerone, Nr. 20, 1928, S. 589 – 592, hier: S. 591.

9

60  Der Bautyp

große Ausstellungshalle für die «Arbeiterpresse» (finanziert von

den örtlichen Gewerkschaften und der Sozialdemokratischen Partei), deren Hauptfassade auf verblüffende Weise Le Corbu-

siers Villa Savoye vorwegnahm, die erst zwei Jahre später entworfen wurde.

ABB.  14

Schumachers bemerkenswerter Ausstel-

lungspavillon wurde eingehend in La Cité publiziert und war Le

Corbusier sicherlich bekannt. Wilhelm Riphahns Haus für die Köl-

nische Zeitung mit seiner eindrucksvollen symmetrischen Fassa-

de und seinem von innen beleuchteten Turm avancierte zum berühmtesten Bau der Ausstellung. ABB. 15 Die Pressa wurde in der Werkbund-Zeitung Die Form im Sommer und Herbst 1928

ausführlich besprochen, genau zu dem Zeitpunkt, als Mies über

die Gestaltung des Barcelona-Pavillons nachzudenken begann. Der Herausgeber Walter Riezler verwies darauf, dass frühere 11

temporäre Ausstellungspavillons es «in der Regel nicht wert [waren], ernsthaft gewürdigt zu werden», doch die «eleganten

und geistreichen Lösungen» auf der Pressa könnten nun als Vorbilder für dauerhafte Architekturen dienen.16

12

Sogar Mies selbst betonte in einem seiner typisch vagen, jedoch

emphatischen kurzen Texte die Bedeutung von Ausstellungen und ihrer Forderung, «das zentrale Problem unserer Zeit», nämlich «die Intensivierung des Lebens» anzugehen. Sie hätten, so

Mies, das Potenzial «zu einer Revolutionierung des Denkens».17

Mies war nicht eingeladen worden, etwas auf der Pressa zu ent-

werfen, und es erscheint plausibel, seinen Barcelona-Pavillon als

einen Beitrag zu der aufkommenden Debatte über den Bautyp

zu interpretieren und nicht so sehr, wie Mies gerne behauptete, als Bau ohne Vorläufer. Wie im vorangegangenen Kapitel ausge-

führt, hatten Lilly Reich und Mies selbst zu den stilistischen, struk-

13

turellen und materiellen Innovationen im Bereich des Ausstellungsdesigns beigetragen.

In welcher Gesellschaft befand sich Mies in Barcelona? Wie zu 14

erwarten, folgten die meisten Länderpavillons auf der Weltaus-

61

stellung 1929 den üblichen Mustern und lehnten sich an berühm-

te historische Monumente oder traditionelle Architektur des Hei-

matlandes an, während sich mutigere, moderne Ansätze eher bei den gewerblichen Pavillons fanden.18 Mies’ Pavillon war sicher-

lich der radikalste Länderpavillon auf der Ausstellung, doch keineswegs der einzige, der eine zeitgenössische Gestaltung auf-

wies.19 Während er durch seine moderne Formensprache den vielen kommerziellen Pavillons näherstand, hoben die edlen

Materialien – vor allem Marmor und Travertin – ihn von gleichran-

gigen Bauten beider Kategorien ab, die im Hinblick auf ihre kurze Lebensdauer gewöhnlich aus Stuck über einem Metall- oder Holzgerüst bestanden.

Alle Länderpavillons (mit Ausnahme des französischen und des

deutschen) befanden sich in der internationalen Sektion auf dem 15

16

Hügel in der Nähe des Nationalpalastes und recht weit entfernt vom Zentrum der Ausstellung. Belgien errichtete ein großes Gebäude

11  Dänischer Pavillon auf der Pariser Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes, 1925, Architekt: Kai Fisker 12  Friedrich Kiesler, Raumstadt, Pariser Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes, 1925 13  Pavillon des Verlagshauses Mosse auf der Pressa, Köln, 1928 Architekt: Erich Mendelsohn

14  Haus der Arbeiterpresse auf der Pressa, Köln, 1928, Architekt: Hans Schumacher 15  Pavillon der Kölnischen Zeitung auf der Pressa, Köln, 1928, Architekt: Wilhelm Riphahn 16  Belgischer Pavillon auf der Weltausstellung in Barcelona, 1929, Architekt: Arthur Verhelle

ABB. 16

im Stil eines mittelalterlichen, von einem Turm

gekrönten Rathauses (Arthur Verhelle), und Ungarn war mit einem etwas ominösen, leicht präkolumbianisch anmutenden

Bau vertreten, den Dénes Györgyi entworfen hatte. Die Pavillons

von Dänemark (von Tyge Hvass), Norwegen (Ole Lind Schistad) und Rumänien (Duiliu Marcu) erinnerten an die heimischen Bautraditionen des jeweiligen Landes, wohingegen Frankreich, Itali-

en, Jugoslawien und Schweden ihre Architekten beauftragten, zeitgenössische Bauten zu entwerfen. Der Auftritt Frankreichs

war weitgehend von dem Industriellen André Gustave Citroën finanziert worden, der eine ähnliche Funktion innehatte wie

Georg von Schnitzler. Für den Pavillon seines Landes hatte Citro-

ën den kaum bekannten Architekten Georges Wybo verpflichtet, 16  Walter Riezler, «Die Sonderbauten der Pressa», in: Die Form, Nr. 3, 1928, S. 257 – 261, hier: S. 257. 17  Ludwig Mies van der Rohe, «Zum Thema: Ausstellungen», in: Die Form, Nr. 3, 1928, S. 121.

18  Laura Lizondo-Sevilla hat vor Kurzem die gleiche Meinung vertreten. Laura Lizondo-Sevilla, «Mies’ Opaque Cube: The Electric Utilities Pavilion at the 1929 Barcelona International Exposition, in: Journal of the Society of Architectural Historians,

Jg. 76, Nr. 2, Juni 2017, S. 197 – 217, hier: S. 205. 19  Für einen Überblick über die Architektur siehe Marius Gifreda, «L’arquitectura de l’Exposició», in: d'Ací i d'Allà, Dezember 1929, S. 89 – 93.

der für ihn eine Reihe von Automobilausstellungsräumen und Garagen geplant hatte. Der kleine, kubische Pavillon wurde diagonal in eine Ecke der zweiflügeligen Alfonso-XIII-Ausstellungs-

halle platziert. ABB. 17 Andernorts lieferte der kapriziöse italienische Avantgardist Piero Portaluppi in einem überbordenden

62  Der Bautyp

17  Französischer Pavillon, Weltausstellung Barcelona, 1929, Architekt: Georges Wybo 18  Italienischer Pavillon, Weltausstellung Barcelona, 1929, Architekt: Piero Portaluppi 19  Jugoslawischer Pavillon, Weltausstellung Barcelona, 1929, Architekt: Dragiša Brašovan 20  Schwedischer Pavillon, Weltausstellung Barcelona, 1929, Architekt: Peder Clason

Wie zu erwarten, waren Pavillons, die eine Industrie oder eine Firma repräsentierten, architektonisch kühner, und die meisten waren modern. Eindrucksvolle Beispiele waren der spanisch-

schweizerische Pavillon von Eusebi Bona i Puig, der CSHE (EbroWasserbehörde)-Pavillon von Regino Borobio, der Schokoladenpavillon von Nestlé Kohler und die Türme für Asland Cement

oder Rocalla-Baumaterialien. ABB. 21–23 Der Pavillon für die däni-

schen Schiffsbauer Burmeister & Wain war ebenfalls interessant, da er in jener Ecke der Alfonso-Ausstellungshalle zu stehen kam, an der ursprünglich der Barcelona-Pavillon seinen Platz finden sollte. ABB. 24 Zusammen mit dem französischen Pavillon blickte

er auf eine recht zusammengewürfelte Anhäufung kleiner Gewerbepavillons auf dem Platz davor. ABB. 25

Ein Gebäude entkam diesem geschäftigen Wirrwarr, indem es (wohl in letzter Minute) gegenüber der Südostecke des deut-

schen Pavillons im ruhigen Zentrum des Ausstellungsgeländes platziert wurde. Es warb für die berühmten Schweizer Maggi-

Bouillonwürfel,22 und bis spät in die Nacht wurden an dem Stand

Gratisproben heißer Suppe ausgeschenkt.

17

ABB.  26

Ein Ausstel-

lungsbesucher bemerkte, dass die zurückhaltende Formenspra-

che des Deutschen Pavillons einen Platz «von erhabener Ruhe

und erhebender Stille» bot, als «Zufluchtsort für jemand, der sich Novecento-Stil eine Neuinterpretation einer palladianischen Vil-

la20 ABB. 18 mit einem giebelbekrönten Mittelbau und zwei reich verzierten Seitenflügeln. An Radikalität und Modernität stand der

durch die am Eingang der Ausstellung in toller Hast und lautem Lärm sich durcheinander drängenden Gebäude, Türme und Brunnen erschlagen fühlt».23

Jugoslawische Pavillon des aus Zagreb stammenden Modernis-

Wie wir gesehen haben, entwickelte sich die Formensprache von

geschossige Gebäude hatte bewegte, hell-dunkel gestreifte Fas-

heren Entwürfen und hätte zu jeder der oben erwähnten Ausstel-

ten Dragiša Brašovan dem von Mies kaum nach. Das kleine, zwei-

saden, die an den Expressionismus der Nachkriegszeit erinnerten. ABB. 19

Der deutsche Kritiker Walther Genzmer fand jedenfalls,

dass neben Mies’ Pavillon der fenster- und schmucklose schwedische Pavillon von Peder Clason ABB. 20 der einzige erwähnenswerte moderne Bau sei.

21

Miesʼ Barcelona-Pavillon mit seinen Raumfolgen aus eigenen frülungen, in denen modernes Design oder etwa die zeitgenössi-

sche Druckindustrie Thema waren, perfekt gepasst (und hätte

weniger Aufsehen erregt). Im Gegensatz dazu waren Länderpavillons auf Weltausstellungen mit der Aufgabe belastet, ein Land

als Ganzes zu repräsentieren, und waren daher oft risikoscheu

63

18

20

20  Zu dem italienischen Pavillon und der faschistischen Repräsentation auf der Weltausstellung in Barcelona siehe Rubén Domínguez Méndez, «El fascismo italiano y la Exposición Internacional de Barcelona de 1929», in: Diacronie: Studi di Storia Contemporanea, Nr. 14/2/2013. 21  Walther Genzmer, «Der Deutsche Reichspavillon auf der Internationalen Ausstellung in Barcelona», in: Die Bau­ gilde, Jg. 11, Nr. 20, Oktober 1929, S. 1654 –1655. Der schwedische Pavillon wurde von der Regierung an die Stadt Barcelona verkauft, abgetragen und in der

katalanischen Stadt Berga als Schule wie­ dererrichtet. Später diente er als Militär­ baracke und verfiel danach zusehends. 2001 wurde er in leicht veränderter Form wiederaufgebaut. Derzeit laufen Bemü­ hungen, den dreieckigen Turm davor an seinem ursprünglichen Standort im Montjuïc-Park in der Nähe des Olympia­ stadions zu rekonstruieren. Siehe Gerardo García Ventosa, «Ochenta años de historia del pabellón de Suecia en la Exposición Internacional de Barcelona de 1929», in: Revista de Arquitectura, Nr. 17, 2015, S. 7 – 18.

22  Die Firma war 1872 in der Schweiz gegründet worden; seit 1897 hatte sie auch eine große Repräsentanz in Singen, Deutschland. Siehe ihre Werbung in der Schweizer Sonderausgabe des Diario Oficial de la Exposición Internacional Barcelona 1929, Nr. 30, 1. Oktober 1929, S. 4. 23  Eduard Foertsch, «Die Weltausstel­ lung in Barcelona», in: Vossische Zeitung, Nr. 270, 11. Juni 1929, S. 4.

19

64  Der Bautyp

21  Nestlé-Kohler-Pavillon, Weltausstel­ lung Barcelona, 1929 (links unten ist die horizontale Dachlinie von Mies’ Barcelona-Pavillon erkennbar) 22  Asland-Pavillon, Weltausstellung Barcelona, 1929 23  Rocalla-Pavillon, Weltausstellung Barcelona, 1929 24  Der Pavillon der dänischen Schiffs­ bauer Burmeister & Wain an der inneren Ecke des Victoria-Eugenia-Palastes 25  Josep M. Sagarra, Blick vom Dach des Victoria-Eugenia-Palastes auf die Ausstellungsstände, 1929 26  Maggi-Pavillon, Weltausstellung Barcelona, 1929

22

23

und vorsichtig, was die Formensprache der Moderne anging. Ein

Teil dessen, was den Deutschen Pavillon so bemerkenswert

machte, war eben auch, dass er so unerwartet, gar «deplatziert» erschien, als Repräsentant einer Nation und nicht nur eines

Industrie­zweigs oder einzelnen Unternehmens. Freilich war es

genau diese gewagte, provokative «Deplatziertheit», die für Mies 21

bei seiner Suche nach neuem architektonischen Ausdruck und öffentlicher Anerkennung zu einem wichtigen Mittel geworden war. Sei es die Verwendung von Nickel und Chrom bei eleganten

Möbeln (Materialien, die zuvor nur bei Fahrrädern und Autos

65

24

zum Einsatz gekommen waren), oder von Stahlbetonträgern, Schaufensterscheiben, Wänden aus Milchglas oder freistehen-

den Stützen mitten im Wohnraum – in jedem Fall wurde hier unerwartet Vokabular aus einem anderen Bereich, nämlich Handel

25

und Industrie, eingesetzt,24 was einen Überraschungseffekt erzeugte, der an Bertolt Brechts vieldiskutierten Verfremdungs-

effekt in dessen Theaterproduktionen in derselben Zeit erinnerte.

24  Walter Gropius hatte 1914 verkün­ det, dass «eine neue Formentwicklung» aus Werken von Industrie und Technolo­ gie entstehen müsse. Walter Gropius, «Der stilbildende Wert industrieller Bau­ formen», in: Jahrbuch des Deutschen Werkbunds 1914, Jena 1914, S. 29 – 32.

26

Entwurf und Konstruktion

67

Bevor Mies van der Rohe und Lilly Reich offiziell zu künstlerischen

farbiger Seide [bedeckt werden], die häufig ausgetauscht und

Leitern der deutschen Abteilung ernannt wurden, war Mies

fantastisch beleuchtet würden. Anscheinend sehr originell und

ausstellung in Barcelona 1929 verpflichtet worden, wahrschein-

celona, Santiago Trias, dass Mies bereit sei, den Entwurf bei sei-

bereits von der Seidenindustrie für deren Sektion auf der Weltlich dank seiner Verbindungen zu Joseph Esters und Hermann

Lange, den Auftraggebern der beiden Häuser, die gerade in Kre-

feld entstanden. Tatsächlich scheint man bereits im April 1928 mit Mies über Barcelona verhandelt zu haben, was zu einem fas-

zinierenden und bislang weitgehend unbekannten Projekt führ-

te, das den spanischen Organisatoren Ende April und Anfang

Mai 1928 präsentiert wurde. Mies hatte anfänglich gehofft, 1

überraschend.»3 Rodiño informierte seinen Amtskollegen in Barner ersten Reise nach Katalonien Anfang Juni zu besprechen: «Die Deutschen möchten mit diesem Turm gern ein wichtiges Zeichen setzen […]. Herr Mies van der Rohe wird die Gelegenheit

seiner Reise nutzen, um mit Ihnen darüber zu reden und zu sehen, ob eine Übereinkunft erzielt werden kann, so daß der Turm mit den erforderlichen Modifikationen gebaut wird, was

große Ersparnisse bedeuten würde.»4 Rodiño versicherte Trias,

einen der Türme auf dem Ausstellungsgelände für eine nächtli-

dass die Deutschen die Kosten für diese Veränderungen über-

Zeichen für eine Kooperation zwischen der deutschen Seiden-,

den könne, einen eigenen bauen würden.5

che Lichtinstallation nutzen zu können – als weithin sichtbares Glas- und Elektroindustrie.2 Der Turm, der zwischen den Ausstel-

nähmen oder dass sie, wenn dieser Turm nicht verwendet wer-

lungsgebäuden der Textilindustrie und der Kommunikations­

Wir wissen nicht, warum Mies’ Idee nicht realisiert wurde. Der

würde, sollte vollständig mit «Glasscheiben und ver­­schieden­-

neoklassischen Stil mit einer Verkleidung aus Stein, Gesimsen

industrie geplant war und die kleine Plaça de la Luz überragen

fragliche Turm selbst wurde, wie geplant, in einem gemäßigt

und einer Kuppel gebaut und im Rahmen des Beleuchtungskonzepts der Ausstellung auch farbig beleuchtet. Spät im Planungs-

1  Diese Information korrigiert Christiane Langes Spekulation über den Beginn der Gespräche zwischen Mies und Hermann Lange bezüglich Mies’ Teil­nahme in Barcelona. Siehe Christiane Lange, Ludwig Mies van der Rohe: Architektur für die Seidenindustrie, Berlin 2011, S. 84. 2  Valentín Trillo Martínez, Mies en Barcelona. Arquitectura, Representacíon y Memoria, Sevilla 2017. 3  Rodiño an Santiago Trias, Berlin, 5. Mai 1928, Arxiu Contemporani de Bar­ celona (ACB), Archivo de La Organización de la Exposición de Industrias Eléctricas en Barcelona, Barcelona, AOB 026. Ich möchte dem Architekten Valentín Trillo danken, der diesen Entwurf entdeckt und mich an dieser Information sowie dem In­ halt der Briefe hat teilhaben lassen. Siehe auch Valentín Trillo, Mies en Barcelona.

Arquitectura, Representacíon y Memoria, Sevilla 2017. 4  Rodiño an Santiago Trias, Berlin, 4. Juni 1928, ibid., AOB 054. 5  Rodiño an Santiago Trias, Berlin, 29. April 1928, ibid., AOBI 011. 6  Siehe Wolf Tegethoff, Die Villen und Landhausprojekte von Mies van der Rohe, Essen 1981, Textband, S. 74. Die folgen­ den Namen tauchen auf den Rechnungen für den Barcelona-Pavillon auf: Schluess­ ler, Karl Strauss, Clauss, Ernst Otto, Pabst, Willi Kaiser, Eggerstedt, Förster, Gutte, Sergius Ruegenberg, Ulsamer, Ernst Wal­ ther, Gerhard Severain (Aufschriften), Schmidt, Elisabeth Hahn, Grete Uhland, Else Lichtnau und Gabriele Seeger. Zu­ sätzlich zu Mies’ Team warb von Schnitzler Arthur Meyer-Gasters an, den Leiter des Baubüros der IG Farben, der deren Installation beaufsichtigte, aber in der

Endphase auch bei der Fertigstellung des Pavillons mithalf. Ein weiterer IG-FarbenMitarbeiter war der örtliche Bevollmäch­ tigte Erich von Kettler. Beide wurden wei­ terhin von der IG Farben bezahlt. Maiwald an von Schnitzler, 26. Juni 1928, HoeA, WaB 1927 – 1928. Ich danke Frau Cornelia Vilzmann, Frankfurt, für Informationen zu Arthur Meyer-Gasters. Brief von Arthur Meyer-Gasters an Lilly Reich, 22. Juli 1930, MoMA, MvdR Papers, Barcelona-Pavillon, Ordner 11; Memo vom 10. Juli 1929 von Schnitzlers an etliche Abteilungen der IG Farben, HoeA, WaB, Bd. 1927 – 1929. Brief von Meyer-Gasters an Krause, IG Farben, 14. August 1929, HoeA, Bd. 1929 – 1930. 7  Siehe zum Beispiel den Brief von See­ bohm und von Schnitzler an die IG Farben­ industrie Aktiengesellschaft, 12. Februar 1929, HoeA, WaB, Bd. 1929 – 1930.

prozess gesellte sich Mies’ weißer Kubus für die deutsche Elektroindustrie direkt daneben an der Plaça de la Luz hinzu. ABB. 1 Die

von Mies geplante Glasverkleidung hätte dem Turm eine modernere Anmutung verliehen. Es ist verlockend zu spekulieren, wie sehr solch ein kühner, durch transparente Seide gefärbter Leuchtturm unser Verständnis von Mies verändert hätte.

Noch vor der Unterzeichnung seines Vertrages im November 1928 stellte Mies mehr Personal ein und mietete zusätzlichen

Büroraum im Nachbarhaus neben seiner Wohnung Am Karlsbad

in Berlin an. Lohnabrechnungen zufolge arbeiteten 18 Mitarbei-

ter am deutschen Beitrag für die Weltausstellung in Barcelona.6 Viele Briefe zeigen, wie sehr Lilly Reich in alle Entscheidungen

hinsichtlich der deutschen Industriesektionen in den Ausstel-

lungsgebäuden eingebunden war,7 und die einflussreiche

68  Entwurf und Konstruktion

1  Turm auf dem Ausstellungsgelände, Barcelona 1929. Mies van der Rohe hatte für diesen Turm eine Lichtinstallation hinter Glas und farbiger Seide vorgese­ hen.

1

69

Vossische Zeitung zollte ihr allein Anerkennung für deren künstlerische Gestaltung.8

Vorrangige Aufmerksamkeit galt zunächst der Einrichtung der verschiedenen Sektionen, deren Gestaltung, Beschriftung und Vitrinen. Der Entwurf des Pavillons selbst wurde wahrscheinlich

erst begonnen, als der Standort Ende November gesichert war, da die Gestaltung stark von seiner Lage abhing. Mies hatte zuge-

vom Messeamt und der Reichskunstwart Edwin Redslob, ein Modell.11 Mies hielt sich bedeckt, was die möglichen Kosten anlangte, und die Anwesenden dürften sich kaum des vollen

Umfangs der geplanten Verwendung von Marmor und Travertin

bewusst gewesen sein. Wiederholt zu einer Kostenschätzung gedrängt, erklärte Mies, dass er mehr Zeit für seine Kalkulationen brauche.12

sichert, Lilly und Georg von Schnitzler seine Skizzen zum Pavillon

Der Kern jeden schöpferischen Prozesses mit seinen zahllosen

jedoch auf den 4. Januar 1929. Der Aufschub hatte wahrschein-

keln, selbst wenn man etliche stilistische Bezüge und potenzielle

am 22.  Dezember zu präsentieren, verschob diesen Termin 9

lich damit zu tun, dass sein Entwurf für die Villa Tugendhat große

Fortschritte machte, und er versprochen hatte, am 28. Dezember

1928 Grete und Fritz Tugendhat in ihrem Elternhaus in Brünn zu treffen.

Georg von Schnitzler musste bei einem Treffen des Großen Ausschusses des Deutschen Ausstellungs- und Messeamtes am

18. Januar vom allgemeinen Fortgang der Arbeiten berichten. Mies lieferte dafür einige Pläne der Industriesektionen, jedoch keine Zeichnungen zum Pavillon, mit der Begründung, dass dies «nicht ratsam» sei.

10

Am 4.  Februar 1929 schließlich zeigte er

einer kleinen Gruppe von Funktionären, darunter Dr. Mathies

kleinen und großen Entscheidungen bleibt in der Regel im DunEinflüsse ausmachen kann. Das Wechselspiel von Mut und Vorsicht, Wagnis und Akzeptanz, Erfindung und Erinnerung lässt sich

gewöhnlich nicht von außen ablesen, zumal bei einem Künstler, der so wortkarg war wie Mies. Wir wissen nicht, ob Erinnerungen

an Adolphe Appias Bühnenbilder mit ihre schlichten Treppen und Steinplattformen mitspielten, als er das Podest des Pavillons

entwarf, oder ob seine Begegnung mit van Doesburgs Zeichnun-

gen Spuren in den Grundrissen des Landhauses aus Backstein oder des Pavillons hinterließen. Hat Mies zuerst eine ausgewogene Linienzeichnung komponiert, oder eine Raumsequenz ent-

worfen? Wäre es von Bedeutung, wenn die Onyxwand dreißig

Zentimeter länger oder kürzer wäre, woanders platziert wäre oder aus einer anderen Marmorsorte bestünde? Die wenigen

erhaltenen Dokumente zum Entwurfsprozess werfen ebenso viele Fragen auf, wie sie Antworten nahelegen.

Mies’ Mitarbeiter Ruegenberg erinnerte sich später daran, dass

der Entwurf mit Hilfe eines Modells im Maßstab 1:50 entstand. Auf einer Basis von weißem Plastilin wurden sechs Zentimeter 8  Eduard Foertsch, «Die Weltausstel­ lung in Barcelona», in: Vossische Zeitung, Nr. 270, 11. Juni 1929, S. 4. 9  Brief von Maiwald an von Schnitzler, 21. Dezember 1928, HoeA, WaB 1927 – 1928.

10  Brief von Kettler an von Schnitzler, 14. Januar 1929, HoeA, WaB, Bd. 1929 –  1930. 11  Brief von Schnitzlers an von Kettler, 30. Januar 1929, ibid.

12  Brief von Kettlers an von Schnitzler, 14. Januar 1929, ibid.

breite Glasstreifen und mit marmoriertem Papier beklebter Kar-

ton hin- und hergeschoben, um Raumfolgen auszuprobieren. Dann folgte die Installation der Stützen und der leuchtenden Wand: «Als der Raum durch die Stellung der Wände ungefähr festlag, kam die Decke in Form einer Pappe darauf […]. Nun

70  Entwurf und Konstruktion

2

71

2, 3  Mies van der Rohe, frühe Entwurfs­ skizzen, Ende 1928. Die Metallstützen sind noch nicht Bestandteil des Entwurfs.

3

72  Entwurf und Konstruktion

4

4  Ludwig Mies van der Rohe, Deutscher Pavillon, Weltausstellung, Barcelona, Grundriss, vorläufiger Entwurf ohne Stützen, Ende 1928 5  Ludwig Mies van der Rohe, Deutscher Pavillon, Weltausstellung, Barcelona, Grundriss, zweiter vorläufiger Entwurf mit sechs Stützen, 1928–1929 6  Ludwig Mies van der Rohe, Deutscher Pavillon, Weltausstellung Barcelona, Grundriss, endgültige Fassung Frühjahr 1929

5

entstanden einige Skizzen, die Mies, sich bückend, vom Modell

Abfolge: Das kleine Becken mit der Skulptur ist nun von außen

anfertigte.»13 Drei dieser Skizzen sind erhalten.14 ABB. 2, 3 In zwei

unsichtbar, und die Treppe führt zuerst auf das Podest mit einem

sondern ruht nur auf den Marmorwänden. Eine hohe Wand auf

Drehung den Besucher in den Pavillon leitet.

pen – und versperrt die Sicht nicht nur auf das große Wasserbe­

Einer der fünf existierenden Grundrisse zeigt die allgemeine

der Rückseite. Diese Umfassungsmauer lässt bereits die Organi­

re Proportionen, es fehlt seine östliche Abschussmauer und es

von ihnen wird das Dach noch nicht von Metallstützen getragen, der linken Seite zieht sich bis zu den nach oben führenden Trep­

cken und die zentrale Freifläche, sondern auch auf den Weg auf

sation von Mies’ Hofhausentwürfen erahnen, an denen er in den folgenden Jahrzehnten immer wieder arbeitete und die er häufig

Blick auf das große Wasserbecken vorne, bevor eine 180-Grad-

Raumaufteilung noch ohne Stützen, das große Becken hat ande­

sind drei Standorte für Skulpturen vorgesehen.15 ABB. 4 Ein ande­

rer Plan dokumentiert ein Zwischenstadium mit sechs Stützen.

als Lehrübungen verwendete. Während sich die Anlage der

ABB. 5

(und vermutlich auch das kleine Wasserbecken) durch eine trans­

sprache mit dem Ingenieur Ernst Walther letztlich auf acht redu­

Fronttreppe in beiden Skizzen unterscheidet, ist die Skulptur parente Glasscheibe für den sich nähernden Besucher sichtbar. Sukzessive Veränderungen, möglicherweise darauf zurück­zu­ führen, dass der Organisator einen einsehbaren Zugang zum

Weg auf der Rückseite forderte, führten zu der ausgeführten

Sergius Ruegenberg erinnerte später daran, dass es auch

eine Version mit zwölf Stützen gegeben habe, die nach Rück­ ziert wurden.16 ABB. 6 Die anderen erhaltenen Zeichnungen sind

zwei schematische Bleistiftaufrisse und -schnitte, ein Grundriss

des Büros sowie vier Detailskizzen.17 Der Steinplan für die Gestal­

tung der Travertin-Bodenplatten des Marmorlieferanten Köstner

73

6

13  Die Erinnerungen wurden 1970 auf­ gezeichnet, mehr als 40 Jahre später. Zit. nach Eva-Maria Amberger, Sergius Ruegen­berg. Architekt zwischen Mies van der Rohe und Hans Scharoun, Berlin 2000, S. 78 – 81, hier: S. 78. 1972 erwähnte Rue­ genberg in einem Interview eine zweite Fassung des Modells mit 6 Millimeter di­ cken Marmorplatten und dünnen Glas­ wänden. Interview Ludwig Glaeser mit Sergius Ruegenberg, Berlin, 8. September 1972, Canadian Center of Architecture. Ruegenberg behauptete, dass es seine Idee gewesen sei, den Boden des kleinen Beckens mit schwarzem Glas zu versehen,

und dass er die Travertinbank vor der lan­ gen Wand, die das Hauptgebäude mit dem kleinen Büro am Ende verbindet, entworfen habe. Sergius Ruegenberg, «Worte: Mies van der Rohe zum Barcelona Pavillon», undatiertes Manuskript, um 1969, Ruegenberg-Nachlass, BG, Berlin. 14  Diese Skizzen von Mies stammten aus einem Skizzenbuch, das Sergius Rue­ genberg 1972 an die Berliner Kunstbiblio­ thek verkaufte. Siehe: Ekhart Bercken­ hagen, «Mies van der Rohe und Ruegenberg: Ein Skizzenbuch», in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz, Bd. 10, 1972, S. 274 – 280.

15  Für eine detaillierte Analyse der verschiedenen Grundrissversionen siehe Wolf Tegethoff, Mies van der Rohe. Die Villen und Landhausprojekte, Essen 1981, S. 71 – 83. Pere Joan Ravetllat, «The Barce­ lona Pavilion: the Walls Came First», in: Sites, Nr. 15, 1988, S. 36 – 43. 16  Sergius Ruegenberg, Mies van der Rohe. Einwirkungen auf Entwürfe und Bauten von 1908 bis 1939, in der Berlinischen Galerie, BG-AS 3.80 (um 1980), S. 3. 17  Arthur Drexler (Hrsg.), The Mies van der Rohe Archive II, New York 1986, S. 216 – 245.

74  Entwurf und Konstruktion

7

7  Deutscher Pavillon, Weltausstellung Barcelona, Köstner & Gottschalk Marmorwerke Berlin, Steinplan Frühjahr 1929 8  Ludwig Mies van der Rohe, Deutscher Pavillon, Weltausstellung Barcelona, Skizze von der Rückseite (mit den Metallstützen) Frühjahr 1929

8

& Gottschalk hat sich ebenfalls erhalten und spielte eine wichtige Rolle bei der Rekonstruktion in den 1980er-Jahren. ABB. 7

Als der deutschen Delegation der gewünschte Standort am Ende

der zentralen Querachse bewilligt wurde, geschah dies aller Wahrscheinlichkeit nach unter der Bedingung, dass der beste-

hende Weg in der Mitte mit seiner breiten Treppe erhalten bliebe. Für jeden Besucher innerhalb des geschlossenen Ausstel-

nicht, dass sein Bau als Durchgangsraum oder gar als eine Art

Eingangspavillon zum Poble Espanyol auf dem Hügel oberhalb

erscheinen würde. Während diese Ansammlung von Kopien historischer spanischer Bauten für die Organisatoren von großer

Wichtigkeit war und den erhofften Publikumserfolg erzielte, war sie für Mies wohl kaum von Belang – in der Tat hielten viele in Deutschland sie für «unerträglichen Kitsch».18

lungsgeländes war dies der direkteste Weg zum Poble Espanyol,

Obwohl die ausgeführte Fassung etwas offener war als in den

Weltausstellung. Wer annahm, dass Mies die großzügige Platz-

zum Weg von der zentralen Querachse des Platzes oder von der

dem Spanischen Dorf, einer der beliebtesten Attraktionen der vergabe mit einer Offenhaltung des Zugangswegs quittieren

würde, sah sich getäuscht. Mies schien fest dazu entschlossen, den Weg so unsichtbar wie möglich zu machen. Eine spätere

Skizze zeigt, wie der Pavillon (nun mit Stützen) den Weg von der Rückseite her völlig blockiert.

ABB.  8

Mies wollte offensichtlich

frühen Skizzen, blockierte Mies dennoch wirkungsvoll den Blick nördlich angrenzenden Straße her. Die grüne Marmorwand beim

Eingang stand auf der Südseite weit genug vor, um sich mit der Travertinwand dahinter zu überschneiden. Besucher, die die seitlich versetzte Treppe zum Podest hinaufstiegen, mussten ebenfalls um diese vorkragende Wand herumgehen, um den Weg auf

75

der Rückseite zu sehen. Die Treppe, die zum Podest hinaufführte, war genau halb so breit wie diejenige auf der Rückseite, auf dem

Weg zum Spanischen Dorf. Auf diese Weise bildete der Pavillon

der tektonischen Mittel und die Reinheit des Materials tragen den Glanz ursprünglicher Schönheit.»21

einen Engpass, um die Besucherströme zu bremsen, wenn sie

Die vielfältige räumliche, visuelle und sinnliche Erfahrung des

te später, dass «der Pavillon eher ein Filter als ein Damm war».

pragmatischer Beschreibung seines Entwurfsprozesses viele Jah-

vom Dorf hinunterkamen. Der Historiker Alan Colquhoun notier19

Eine der erstaunlichsten Qualitäten von Mies’ Entwurf war der große, sorgfältig geplante Außenraum. Keiner der anderen Pavillons hatte den Außenbereich in ähnlichem Maß in Anspruch

genommen, und Mies scheint instinktiv die örtlichen klimatischen Bedingungen erfasst zu haben. Er teilte sein Grundstück in zwei Teile: Im Norden befand sich das eigentliche Gebäude, und

im Süden das große reflektierende Wasserbecken mit der

angrenzenden langen, freistehenden Wand und der Bank davor. Dort, am Ende des Grundstücks, befand sich das kleine Nebengebäude mit Büro und Toilette. Im Inneren des Pavillons wurde der Besucher mit den wesentlichen Elementen der Architektur

konfrontiert – Boden, Decke, Wände, Stützen und Öffnungen

Pavillons steht in großem Gegensatz zu Mies’ lakonischer und

re später. 1956, lange nachdem der Pavillon als Meisterwerk der

modernen Architektur kanonisiert worden war, bemerkte er: «Als ich die Idee zu diesem Gebäude hatte, musste ich mich umschauen. Es blieb nicht viel Zeit, eigentlich sehr wenig Zeit. Es war tief

im Winter, und man kann Marmor im Winter nicht aus dem Stein-

bruch nach drinnen bringen, da er innen noch nass ist und leicht gefrieren und in mehrere Teile zerspringen würde. So mussten

wir also trockenes Material finden. Ich sah mich in riesigen Mar-

mordepots um, und in einem fand ich einen Onyxblock. Dieser Block hatte eine gewisse Größe und da mir nur die Möglichkeit

blieb, diesen Block zu nehmen, machte ich den Pavillon doppelt so hoch.»22

dazwischen, klar definiert und abgegrenzt, genau wie der ein-

Die betonte Nüchternheit dieser Beschreibung unterschlägt die

geschlagen hatte: «Bauen heißt: Alles auslassen, was nicht die

knapp 1.000 Quadratmetern mit Travertin und alle vertikalen Flä-

flussreiche Publizist und Kritiker Heinrich de Fries es 1924 vor-

innere Wesenhaftigkeit eines lebendigen Baukörpers zwangsläufig erfordert.»

20

«Jetzt zeigt sich wieder», bemerkte Mies

selbst wenige Jahre später, «was Wand und Öffnung ist, was

Boden und Decke. Die Einfachheit der Konstruktion, die Klarheit

Tragweite seiner Entscheidung, die gesamte Grundfläche von

chen mit Travertin oder poliertem Marmor zu verkleiden. Es war

eine Geste von solch unverfrorener, provokativer Extravaganz, dass man nicht umhin kommt, Mies’ Mut zu bewundern – und den

Leichtsinn, mit dem er dieses außerordentliche Risiko einging. Eine solche Demonstration von Luxus und technischer Raffinesse

hätte ihr Ziel leicht verfehlen und prahlerisch erscheinen können, zu einem Zeitpunkt, wo es darum ging, bescheiden Gemeinsam-

keiten mit den Nationen Europas zu demonstrieren, elf Jahre 18  Eduard Foertsch, «Die Weltausstel­ lung in Barcelona: Die Spanische Stadt», in: Vossische Zeitung, Nr. 270, Morgenaus­ gabe, Dienstag, 11. Juni 1929, S. 4. 19  Alan Colquhoun, Modern Architecture, Oxford 2002, S. 176 – 177.

20  Heinrich de Fries (Hrsg.), Moderne Villen und Landhäuser, Berlin 1924, S. XII. 21  Ludwig Mies van der Rohe, «Was wäre Beton, was Stahl ohne Spiegelglas?» [1930], in: Fritz Neumeyer, Mies van der Rohe. Das kunstlose Wort: Gedanken zur Baukunst, Berlin 1986, S. 378.

22  Interview mit Mies, auf Schallplatte veröffentlicht: Conversations Regarding the Future of Architecture, Kentucky 1956, zit. nach: Wolf Tegethoff, Mies van der Rohe. Die Villen und Landhausprojekte, Essen 1981, S. 77, Nr. 41.

nach dem Ende des Weltkriegs, der unter anderem Deutschlands

lautstarkem Geltungsanspruch geschuldet war. Finanziell und

politisch riskant, war es auch ein ästhetisches Wagnis – ein Schlag

ins Gesicht von Mies’ modernistischen Kollegen, die sich nicht zu

Prunk und Luxus, sondern zur Ethik des Neuen Bauens

76  Entwurf und Konstruktion

bekannten, das den Nachdruck auf Schlichtheit, strukturelle

Mies’ Verlautbarung unterschied sich radikal von seinen früheren

zahlte sich Mies’ Risikobereitschaft am Ende aus: Die Reaktion

ideologische und wirtschaftliche Bezugssysteme zu über­winden.

Offenheit, Wirtschaftlichkeit und Sachlichkeit legte. Jedenfalls auf seinen Pavillon war fast einhellige Begeisterung. Spätere

Kommentatoren folgerten daraus, dass der Pavillon «das ideologische Scheitern des modernen Projekts» bedeutete.

Aussagen und zeigt, wie die moderne Architektur sich anschickte, Ihre Verbindung mit der politischen Linken sowie der Ethik und Ästhetik der Arbeiterklasse neigte sich dem Ende zu.

23

Mies räumte in einem Interview zur Eröffnung freimütig die Bedeutung seiner Entwurfsentscheidungen ein:

«Moderne Architektur, die sich in Deutschland großer

Akzeptanz erfreut, tendiert dazu, Kunst mit Einfachheit zu verbinden. Es kann und sollte Kunst in der neuen

Architektur geben. Mit Hilfe von präzisen und einfachen Formen und glatten Flächen kann man das Problem der

Architektur lösen, ohne ihre Ästhetik zu beeinträchtigen.

Wenn Mies in späteren Jahren über den Pavillon sprach, betonte er häufig dessen räumliche Qualitäten. 1952 zum Beispiel erin-

nerte er an einen Schlüsselmoment im Entwurfsprozess: «Eines Abends, als ich noch spät an dem Gebäude arbeitete, skizzierte

ich eine freistehende Wand und war selbst schockiert. Ich sah, dass es ein neues Prinzip war.»25 Wenige Jahre später stellte er fest, dass der Pavillon genauso gut ein Backsteinbau hätte sein

können, doch fügte er hinzu: «Er wäre sicher nicht so erfolgreich gewesen wie mit Marmor, doch das hat mit der Idee selbst nichts

zu tun.»26 In den Jahrzehnten seit dem Entwurf haben zahllose

Dafür müssen wir prächtige Materialien verwenden.

Kritiker auf die «fließenden Räume» des Pavillons verwiesen und

unerlässliche Elemente des modernen Stils. Als ich den

Kommentare aus dieser Zeit lassen an das genaue Gegenteil

Marmor in verschiedenen Farben, Bronze und Glas sind Deutschen Pavillon auf der Weltausstellung in Barcelona errichtete, wurde mir völlige Freiheit gelassen. Nur dann kann ein Architekt seine Arbeit verrichten. Das Mobiliar

ergänzt meiner Meinung nach die Architektur. Ich habe einen neuen Möbeltyp aus Materialien entworfen, die

vorher nicht verwendet wurden. Sie sind sehr komfortabel und stehen im Einklang mit dem Gebäude.»24

Mit der Behauptung, dass «prächtige Materialien […] Marmor in verschiedenen Farben, Bronze und Glas [...] unerlässliche Ele-

mente des modernen Stils» seien, verabschiedete sich Mies kur-

zerhand von Begriffen wie Sparsamkeit, Rationalität und Effizi-

enz  – zentralen Schlagwörtern der modernen Architektur. Stattdessen schlug er vor, «das Problem der Architektur» mit for-

malen Mitteln zu «lösen», anstatt es als geradezu automatische Antwort auf die Bedürfnisse einer «neuen Zeit» aufzufassen.

auf die Notwendigkeit, diese in Bewegung zu erleben. Mies’ denken: In einem kaum bekannten Essay, der 1930 veröffentlicht (und wahrscheinlich 1929 verfasst) wurde, beschrieb er, wie die

moderne Architektur nach Ruhe und Stillstand suche, als Gegengewicht zur Dynamik und Unbeständigkeit des modernen Lebens:

«Die Römer bauten für die Ewigkeit: wir bauen für eine

Rast. Unsere Vorfahren bauten fest und verschlossen:

wir bauen leicht und aufgelockert. Wir bauen nur für eine kurze Zeitspanne – wie die Amerikaner, die ihre Bauten in 25 Jahren amortisiert haben – und wir können morgen

vielleicht das Haus wieder abbrechen und neu bauen, das

wir gestern aufgerichtet haben. Weil wir ständig unterwegs sind. – Wir bauen nicht für die Ewigkeit, sondern für das

Heute und Morgen: aber wir bauen für die Ruhe. Rast und Ausruhen sollen uns unsere Häuser bescheren. Das Auge

77

will ausruhen, will sich beruhigen, will sich sammeln

paar seltsam schwerelos und wenig einladend wirkenden Möbel-

die neuen Stahlmöbel, dafür die Stahlhäuser, dafür die

Raumfolge, auf halbem Weg zwischen dem Eingang und dem

können: dafür die neue Linie, dafür die betonte Linie, dafür neue Architektur.»27

Im Pavillon ging eine solch moderne Ruhe mit einem überra-

schend sinnlichen Reichtum einher. Helligkeit und Temperatur variierten beträchtlich zwischen dem blendend weißen Travertin

der Außenterrasse und dem dunkleren Innenraum. Der tiefe Dachüberstand sorgte für Schatten und Kühle, und das Lichterspiel an der Decke reflektierte die bewegte Wasserfläche der

zwei Becken, beide unter freiem Himmel – eines Teil der Außenterrasse, das andere Teil des Pavillons. Innen bot das Raumkontinuum Bereiche mit unterschiedlicher Anmutung – die Lichtflut

stücken. Dieser Bereich stellte den ruhigen Mittelpunkt der kleinen Wasserbecken dar. Aufmerksame Beobachter mögen die

akustischen Veränderungen bemerkt haben, das Echo im Raum wurde durch den weichen Teppich und Vorhang gedämpft. Zwei

sich überschneidende Gangbereiche hinter der Onyxmarmor-

wand waren viel dunkler und suggerierten Bewegung anstatt Stillstand. Die meisten Besucher verließen den Pavillon wohl

unwillkürlich über den westlichen Nebeneingang, wo sie in den

kleinen Bereich hinter der Leuchtwand gelangten, abgeschirmt vom Blick zum Ausstel­lungsgelände, aber direkt vor der Treppe zum Spanischen Dorf.

von Westen stand in deutlichem Kontrast zu den rückwärtig gele-

Manches an der Erscheinung des Pavillons war auf neue techni-

und Lichtintensität änderte.

und Schaufensterfronten zurückzuführen. Die drei Glasscheiben

genen dunkleren Bereichen – was sich natürlich mit der Tageszeit 28

Kaum möbliert, wirkten einige Teile des Pavillons karg und

unwohnlich, doch sein Zentrum verschmolz zu einer abstrakten

sche Errungenschaften, insbesondere im Bereich Glasvitrinen an der Vorderseite des Gebäudes, fast vier Meter breit und wand-

hoch, kamen so unerwartet, dass mehrere Besucher sie übersahen und sich am Glas stießen.29 Es gab vier verschiedene Glas-

Andeutung häuslichen Lebens – mit einem luxuriösen schwarzen

sorten: Klarglas zum Platz auf der Vorderseite hin, grünes Glas

zur Glaswand reichte, einem raumhohen roten Vorhang und ein

graues Glas an der Rückseite (wiederum den Blick zum Weg ver-

Teppich der von der freistehenden Wand aus Onyxmarmor bis

zum kleinen Wasserbecken mit der Kolbe-Skulptur hin, dunkel-

schleiernd) und lichtdurchlässiges milchiges Opalglas für die

Leuchtwand auf der Rückseite. Diese Palette wurde durch drei

Arten von Marmor ergänzt – onyx doré, timos und vert antique –, 23  Urtzi Grau, «Three Replications of the German Pavilion», in: Quaderns, Nr. 263, Herbst 2011, S. 58 – 63. 24  Anon., «El arquitecto Van der Roch (sic) creador del Pabellón de Alemania», in: Diario Oficial de la Exposición Internacional Barcelona 1929, Nr. 12, 2. Juni 1929, S. 25. 25  Interview, 13. Februar 1952, «Six Students Talk with Mies», in: Master Builder, student publication of the School of Design, North Carolina State College, Bd. 2, Nr. 3, Frühjahr 1952, S. 28.

26  «Conversations with Mies», in: John Peter, The Oral History of Modern Architecture: Interviews with the Greatest Architects of the Twentieth Century, New York 1994, wieder abgedruckt in Moisés Puente (Hrsg.), Conversations with Mies van der Rohe, New York 2008, S. 59. 27  Ludwig Mies van der Rohe, «Vom Neuen Bauen», in: Deutsche Kunst und Dekoration, Jg. 66, 1930, S. 180. 28  Lance Hosey verdeutlichte diesen Punkt besonders, nachdem er den Pavil­ lon zu unterschiedlichen Tageszeiten foto­

grafiert hatte: Lance Hosey, «The Ship of Theseus: Identity and the Barcelona Pavili­ on(s)», in: Journal of Architectural Education, Jg. 72, Nr. 2, Oktober 2018, S. 230 – 247. 29  Mies hatte genaue Angaben zur Po­ sition des roten Vorhangs gemacht. Er war von außen erst zu sehen, wenn man kurz davor stand, sodass sehr viel von der Glasfläche ungeschützt blieb. Brief von Kettlers an Lilly Reich, 19. September 1929, MoMA, MvdR Papers, Barcelona-­ Pavillon, Ordner 9.

die den Gesamteindruck einer sogfältig austarierten Komposition vermittelten.

Und dann waren da die Stützen: Niemals zuvor hatte Mies eine

Reihe frei im Raum stehender Stützen eingesetzt. Seine Häuser Esters und Lange in Krefeld, die sich damals ihrer Fertigstellung

näherten, hatten jeweils nur eine einzige quadratische Metall­

stütze für die Flachdächer über den Gartenterrassen. Es gab

jedoch bei Mies’ Kollegen Vorläufer für die Stützen: Le Corbusier

78  Entwurf und Konstruktion

hatte in seiner Skizze für das Domino-System 1914 freistehende

Stützen verwendet, und dann wieder bei seinem Doppelhaus in

der Weißenhofsiedlung in Stuttgart 1927 (von dem Mies sehr beeindruckt war30). Die Häuser der Brüder Luckhardt am Rupen-

horn in Berlin (1928) wiesen ebenfalls freistehende Metallstützen

im Hauptwohnraum auf. Mies’ Assistent Ruegenberg behauptete sogar, dass dünne Pfosten in afrikanischen Hütten als Inspirationsquelle gedient hätten, ebenso wie freistehende Wände für Kultzeremonien in Afrika die Onyxwand inspiriert hätten.31

Es ist verlockend zu spekulieren, ob die acht ionischen Säulen ABB. 9 gegenüber dem Pavillon die acht kreuzförmigen Stützen in

Mies’ Entwurf angeregt hatten – vier von ihnen sind von der Front

her sichtbar, die anderen vier sind auf der Rückseite versteckt. Schließlich war sich Mies der politischen Ikonografie der vier zerstörten Säulen im Zentrum des Ausstellungsgeländes sehr wohl bewusst. Frühe Versionen ohne Stützen legen nahe, dass er diese erst einführte, als der Entwurfsprozess im Winter 1928 voran-

schritt, er Barcelona seinen dritten Besuch abstattete und die

Errichtung der acht Säulen direkt vor dem Bauplatz miterlebte. Können wir uns Mies als listigen Unterstützer der katalonischen

Unabhängigkeitsbewegung vorstellen, der vier von der Straße 9

aus sichtbare, allerdings fast substanzlose Stützen als symbolische Darstellung der geliebten, aber verbotenen katalonischen

Flagge, der Senyera, einsetzte? Eine alternative, nicht ganz so 9  Deutscher Pavillon, Weltausstellung, Barcelona. Luftaufnahme, Sommer 1929. Man kann deutlich die acht Säulen und den Maggi Kiosk vor dem Pavillon erkennen.

weit hergeholte Erklärung könnte man im unmittelbaren räumlichen Umfeld finden: Die beiden südlichsten kreuzförmigen Stüt-

zen stehen genau im Zentrum des Grundstücks (mit 25 Bodenplatten zu jeder Seite), in der Achse mit dem «magischen

Brunnen» und dem mittleren Säulenzwischenraum der Kolonnade. Die Interkolumnien zwischen den Stützen des Pavillons korrespondierten mit ionischen Säulen auf der anderen Straßenseite.

Aber Spekulationen beiseite: Der wahrscheinlichste Grund für

die Einführung von Stützen war praktischer Natur. Verglichen

79

10

12

11

10 Barcelona Pavillon, International Exposition, Barcelona, Spain, Kreuz­ stütze, Horizontalschnitt, 1929 11 Mies van der Rohe, Sergius Ruegen­ berg, unfertige Materialperspektive des Innenraums, ca. 1929 30  Sergius Ruegenberg, Mies’ Assistent, behauptet in seinen Erinnerungen, dass Mies den Wohnraum in Le Corbusiers Haus in Stuttgart als den «einzigen sehenswerten» empfand. Sergius Ruegenberg, «Mies und Zeichnung», undatiertes Manu-

skript, um 1969, Ruegenberg-Dokumente, BG, Berlin. 31  Sergius Ruegenberg, «Mies und Zeichnung», undatiertes Manuskript, um 1969, Ruegenberg-Dokumente, BG, Berlin.

12 Mies van der Rohe's Büro, ca. 1932. Die Materialperspektive des Innenraums (Abb. 11) ist an der Wand rechts zu sehen.

80  Entwurf und Konstruktion

mit einem System unregelmäßig platzierter und sehr dünner

Spätere Kritiker haben gelegentlich spekuliert, dass sich das

konstruktion eines rechteckigen Stahlrahmens schneller und kos-

beziehe.37 Es ist richtig, dass deren drei Farben, als der leuchtend

Stützen innerhalb der hohlen Marmorwände ließ sich die Dach-

tengünstiger planen und bauen. Ein einfaches Raster von acht Stützen mit separaten Fundamenten konnte sehr viel leichter

errichtet werden. Es ist wahrscheinlich, dass die Stützen im Ent-

wurf auftauchten, als klar wurde, dass der Pavillon in sehr kurzer Zeit errichtet und größtenteils in Deutschland vorgefertigt werden müsste.

32

Sergius Ruegenberg berichtete, wie Ingenieur

Ernst Walther, «die Dünnheit und Feinheit der Stützen für den

Barcelona Pavillon durchgerechnet hat. Mies konnten sie gar nicht dünn genug werden, eigentlich wollte er nur eine schwe-

bende Platte als Dach haben. Die Stützen durften nur Zwischen-

glied sein, beinahe unsichtbar. Darum waren sie auch spiegelnd

verkleidet mit vernickeltem Blech.»33 Die Kombination von vier

L-förmigen, gleichseitigen Stahlträgern bildete eine starke Stütze auf kleinstmöglichster Grundfläche. ABB. 10

34

Die reflektierende

Oberfläche der vernickelten Überzüge trug außerdem zu ihrer

Entmaterialisierung bei, zumal ihr 90-Grad-Winkel frontale Spiegelungen verhinderte.35

Letztlich war der Bau eine Mischkonstruktion. Fotografien von der Baustelle zeigen, dass die Stahlrasterdecke zusätzliche Unter-

stützung benötigte, wo sie auf der Ost- und der Westseite über die zentralen acht Stützen hinausragte. Während des Baus erfolg-

te dies durch sechs A-förmige Tragwerke aus Holz; später sollten die Marmorwände (oder vielmehr jeweils das unsichtbare Stahlgerüst in deren Innerem) das übernehmen.

ABB. 19

Als die Ent-

Farbkonzept im Innern auf die Farben der deutschen Flagge rote Vorhang Anfang Juli endlich eintraf und neben dem schwar-

zen Teppich und der goldenen Onyxwand aufgehängt wurde, vertreten waren. Doch da die Farben nicht in ihrer entsprechen-

den Reihenfolge auftauchten, wäre diese Bezugnahme weniger

augenscheinlich gewesen und hätte ebenso gut auf die belgi-

sche Flagge zutreffen können. Ein wichtiges Detail kompliziert die Dinge: Die deutsche Flagge war erst 1919 mit der Gründung

der Weimarer Republik eingeführt worden. Viele Konservative jedoch, unter ihnen auch die Mitglieder der Deutschen Volkspar-

tei (DVP), zu denen Stresemann, Curtius und wahrscheinlich auch von Schnitzler gehörten, bevorzugten immer noch die Flagge der Vorgängerregierung mit ihren schwarzen, weißen und roten

Streifen, die für sie die Stärke und Stabilität des Kaiserreiches symbolisierte, das 1918 sein Ende gefunden hatte. Sie assoziierten die neue Flagge mit dem Verlust von Deutschlands Souverä-

nität und dem Vertrag von Versailles. Das Thema blieb in den Jahren der Weimarer Republik emotional sehr aufgeladen – im

Mai 1926 hatte sogar ein «Flaggenstreit» die Regierung von

Kanzler Hans Luther zu Fall gebracht, nachdem dieser gewagt

hatte, seine entschiedene Unterstützung für die neue Flagge kundzutun. In Barcelona flatterten beide (offensichtlich riesen-

großen) Flaggen vor dem deutschen Pavillon – zur Verwirrung

mancher Besucher, die sich fragten, «welches nun eigentlich die deutsche Fahne sei ...».38

scheidung für die schlanken Stützen gefallen war, untersuchte

Ein weiteres wichtiges Element im Inneren des Pavillons ist die

den verschiedenen Marmoroberflächen und Glasarten. Eine

des Hauptraumes bildet. Die aus zwei jeweils drei Meter breiten

Mies’ Büro deren optische und räumliche Wirkung gegenüber besonders einprägsame unvollendete Zeichnung von Sergius

Ruegenberg, die lange eine Wand in Mies’ Büro zierte, zeugt von diesen Bemühungen.36 ABB. 11, 12

lichtdurchlässige Milchglaswand, die den südlichen Abschluss

Scheiben aus weißlichem Glas gefertigte Wand reflektiert tags-

über das Licht, strahlt aber duch das längliche Oberlicht darüber

auch selbst Licht aus. In dem einen Meter tiefen Raum zwischen

den beiden Scheiben befanden sich 16 von der Decke hängende

81

Glühbirnen, die erst ab Mitte Juli 1927 funktionierten.39 Nachts

installiert werden könne, da «es nach Einbruch der Dämmerung

schirm, die einzige Lichtquelle im Pavillon. Abgesehen davon,

det, und das Licht von der Leuchtwand nicht so weit reicht».40

verwandelte sich diese mattweiße Wand in einen weißen Leuchtdass sie Erholung von der aufdringlichen bunten Beleuchtung außerhalb des Pavillons bot, integrierte die flache Leuchtwand

geschickt künstliches Licht in die Pavillonarchitektur der gegen-

Ruegenberg erinnerte sich später, dass Besucher das Licht von

der Wand auch als «psychologisch unangenehm» empfanden, da es sie zu reinen «Silhouetten» machte.41 Doch Mies wies den Vor-

einander versetzten Wandscheiben. Ein Briefwechsel Mitte Juli

schlag, mehr Licht anzubringen, entschieden zurück. Nach einem

celona zeigt, wie wichtig dem Architekten diese Funktion war.

temporäre Lichtquelle installiert, doch später auf Mies’ Geheiß

zwischen Mies’ Berliner Büro und dem örtlichen Verwalter in BarNachdem zwei Besucher nachts in das kleine Wasserbecken

gefallen waren, fragte Erich von Kettler, ob zusätzliches Licht

32  Der japanische Architekt und Kriti­ ker Hajime Yatsuka liefert eine ähnlich skeptische Interpretation. Hajime Yatsuka, «Mies and Japan», in: Cornell Journal of Architecture, Nr. 7, 2003, S. 52 – 62. 33  «Der Skelettbau ist keine Teigware: Sergius Ruegenberg berichtet von Mies van der Rohes Berliner Zeit», in: Bauwelt, 1986, S. 346 – 351, hier: S. 350. Ruegen­ berg betonote, dass die Stützen hier verni­ ckelt, aber bei der Villa Tugendhat ver­ chromt waren. Sergius Ruegenberg, «Worte: Mies van der Rohe zum Barcelona Pavillon», undatiertes Manuskript, um 1969, Ruegenberg-Dokumente, BG, Berlin. Siehe auch Bruno Reichlin, «Conjectures à propos des colonnes réfléchissantes de Mies van der Rohe», in: Robert Gargiani (Hrsg.), La Colonne Nouvelle Histoire de la construction, Lausanne 2008, S. 454 – 466. 34  Carl Kersten, Der Eisenhochbau. Ein Leitfaden für Schule und Praxis, Berlin 1920, S. 108. Sergius Ruegenberg erinner­ te sich, dass in Barcelona kleine Holzblö­ cke zwischen die L-Träger eingefügt wur­ den, um die Schrauben der Nickelver-­ kleidung aufzunehmen. Das störte Mies dermaßen, dass er später (in Chicago) die Zeichnung des Stützenquerschnitts abän­ derte und kleine T-förmige Metallstücke einfügte. Sergius Ruegenberg, «Worte: Mies van der Rohe zum Barcelona Pavil­

schwierig ist zu erkennen, dass sich Wasser in dem Becken befin-

lon», undatiertes Manuskript, um 1969, Ruegenberg-Dokumente, BG, Berlin. 35  Die galvanische Nickelbeschich­ tung der Stützen, Fensterrahmen und Strukturteile der Möbel war im 19. Jahr­ hundert entwickelt worden und wurde hauptsächlich bei Autos, Fahrrädern und Schaufenstervitrinen verwendet. 36  Die Zeichnung taucht auf Innen­ raumfotografien von Mies’ Büro auf, als dessen Team 1932 am Auftrag der Verei­ nigten Seidenwebereien (Verseidag) in Krefeld arbeitete; siehe Helmut Reuter, Katrina Schulte (Hrsg.), Mies und das neue Wohnen. Räume, Möbel, Fotografie, Berlin 2009. Siehe auch: Desley Luscombe, «Dra­ wing the Barcelon Pavilion: Mies van der Rohe and the Implications of Perspectival Space», in: Journal of Architecture, Jg. 21, Nr. 2, 2016, S. 210 – 243. 37  Franz Schulze, «The Barcelona Pavili­ on Returns», in: Art in America, Jg. 67, Nr. 7, 1979, S. 98 – 103. Mies van der Rohe: The Barcelona Pavilion: 50th Anniversary, Text von Ludwig Glaeser, hrsg. von den Freunden des Mies-van-derRohe-Archivs in Zusammenhang mit der Ausstellung Mies van der Rohe: The Barcelona Pavilion at the International Exposition in Barcelona, Spain, National Gallery of Art, Washington D.C., 14. Oktober – 2. Dezember 1979).

38  Wilhelm Hack, «Das Wunder der Ausstellung», in: Deutsche Tageszeitung Berlin, 11. Juni 1929. 39  Brief von Kettlers an Mies van der Rohe, 15. Juli 1929, MoMA, MvdR Papers, Barcelona-Pavillon, Ordner 2010, Material aus Eduard-Ludwig-Nachlass. 40  Es dauerte nach der Eröffnung sechs Wochen, bis die Leuchtwand end­ lich funktionsfähig war. Brief von Erich von Kettler an Lilly Reich, 10. September 1929. Brief von von Kettler an Reich, 29. Okto­ ber 1929, MoMA, MvdR Papers, Barcelo­ na-Pavillon, Ordner 9. Von Kettler berich­ tet, dass er von von Schnitzler beauftragt gewesen sei, eine zusätzliche Lichtquelle zur Beleuchtung der Kolbe-Statue zu ins­ tallieren, nachdem ein Delegierter bei der Konferenz der Europäischen Kulturgesell­ schaft in das kleine Becken gefallen war. 41  Sergius Ruegenberg, Interview, For­ schungsdokumente CCA, zit. nach Lutz Robbers, «Filmkämpfer Mies», in: Kerstin Plüm (Hrsg.), Mies van der Rohe im Diskurs, Bielefeld 2013, S. 63 – 95. 42  Eduard Förtsch, «Deutschland in Barcelona», in: Tempo, 6. Juni 1929. 43  In einem Brief an von Schnitzler im Mai 1929, zwei Wochen vor der Eröffnung, beklagt Mies den Umstand, dass etliche Warenlieferungen im Hafen aufgehalten wurden.

weiteren Unfall im Oktober wurde von den Messeverwaltern eine wieder abgeschaltet. Mies wollte unbedingt die Beleuchtung des Pavillons auf dieses eine Element und integrale Bauteil beschränken und die Reinheit des Innenraums weitmöglichst erhalten.

Zu den vielen erstaunlichen Eigenschaften des Pavillons gehört auch der Umstand, dass er größtenteils vorgefertigt war und in

Einzelteilen aus Deutschland per Schiff herantransportiert wurde. («Nur das Wasser scheint spanisch zu sein», spottete ein deutscher Reporter.42) Das bedeutete, dass er mit großer Präzision

vorab geplant sein musste und der Fortgang auf der Baustelle stark von reibungslosem Transport und einer funktionierenden

Infrastruktur vor Ort abhängig war. Was den Marmor anbelangt, so könnte ein Teil davon direkt aus einem Steinbruch nach Barcelona verschifft worden sein, doch es ist wahrscheinlicher, dass der

gesamte Marmor aus dem Marmordepot von Köstner & Gott-

schalk in Berlin-Weißensee kam.43 Mies erinnerte später daran, dass er seine Fähigkeiten als ausgebildeter Steinmetz zur Anwendung gebracht hatte, um die Farbe des Steins zu begutachten. «Ich sagte, gebt mir mal einen Hammer, dann werde ich

Euch zeigen, wie wir das gemacht haben zu Hause. Dann

brachten sie auch einen Hammer und waren neugierig, ob ich von dem Block da eine Ecke weghaue, nicht wahr. Ich habe das aber gar nicht. In der Mitte des Blocks ein ganz harter Schlag, und da kam so eine handgroße Scheibe,

ganz dünn. Ich sagte, poliert das mal schnell, damit ich das

82  Entwurf und Konstruktion

13

14

sehen kann. Und dann haben wir uns entschieden, dieses Material zu verwenden.»

44

13  Deutscher Pavillon, Weltausstellung Barcelona, Baustelle am 29. März, 1929 14  Deutscher Pavillon, Weltausstellung Barcelona, Baustelle am 30. März, 1929 15  Deutscher Pavillon, Weltausstellung Barcelona, Baustelle am 14. April, 1929 16  Deutscher Pavillon, Weltausstellung Barcelona, Baustelle am 14. April, 1929, Sergius Ruegenberg im Vordergrund

Der Marmor wurde per Bahn von Berlin nach Hamburg transpor-

tiert und von dort nach Barcelona verschifft. Dünne Marmorplat-

ten wurden auf beiden Seiten eines Stahlgerüsts angebracht, und kürzere, solide Stücke bildeten die Enden. Auf diese Weise

wurden das Gewicht und die benötigte Materialmenge reduziert, während dennoch ein durchweg stabiles Erscheinungsbild entstand. Im Innern des Stahlgerüsts waren flach ovale Rohre, die

das Regenwasser vom Dach ableiteten. Mies sorgte dafür, dass

die Maserung der Steinverblendung symmetrische Muster bildete. Zwei aufeinanderfolgende Schnitte wurden so nebeneinan-

zu kombinieren, die horizontal über mehrere Felder verliefen. Adolf Loos war einer der Ersten, der solche großformatigen Marmormuster in die moderne Architektur einführte, zum Beispiel in

seinem Café Capua von 1913 in Wien. Die Onyxwand im Zentrum des Barcelona-Pavillons bestand aus größeren Stücken von

235 x 149 x 30 Zentimetern. Den erhaltenen Fotografien zufolge, ergab sich hier ein Zufallsmuster – wahrscheinlich einfach ein Resultat der zur Verfügung stehenden Platten.

Es mag kaum überraschen, dass sich die Rechnung von Köstner

& Gottschalk auf 187.580 Reichsmark belief – mehr als die Hälfte der Gesamtkosten des Pavillons. Der nächstgrößte Posten war

80.000 Reichsmark für die Siemens-Bauunion, die die Bau­

der platziert, dass sich ihre Muster gegenseitig spiegelten (die

ausführung innehatte. An das Berliner Metallgewerbe, das die

aufeinanderfolgende Schnitte eine «Diamantmaserung» bilde-

gestellt und geliefert hatte, wurden 28.759 Reichsmark gezahlt,

sogenannte «spiegelsymmetrische Maserung»), während vier ten. Diamant- und spiegelsymmetrische Maserung sind deutlich

an der verde antique-Wand erkennbar, die einen Teil der Hauptfassade bildete und die um das kleine Becken nach hinten

weiterläuft. Hier gelang es Mies, zweifache Diamantmaserungen

vernickelten Stützen, Fensterrahmen und Barcelona-Sessel herwährend sich die Gesamtkosten für Glas einschließlich Transport

und Montage auf ungefähr 16.000 Reichsmark beliefen. Ein kleines Einfamilienhaus war zu dieser Zeit für 10.000 bis 30.000 Reichsmark zu bekommen.45

83

15

16

Einige wenige datierte Schnappschüsse dokumentieren den spä-

ten Baubeginn und den langsamen Baufortschritt. Das Grund-

stück war am 9. Februar 1929 zugeteilt worden ABB. 13, aber bis

zum 29. März 1929 geschah nichts. Es waren zwar am 20. März

zusätzliche Mittel bewilligt worden, doch wertvolle Zeit verstrich, bis erneut Arbeiter eingestellt werden konnten und Material geliefert wurde.46 Ein Foto zeigt Mies kurz danach auf der Bau-

stelle, als die Fundamente gegraben werden. ABB. 14 Am 3. April

44  «Mies in Berlin», Interview mit Ulrich Conrads und Horst Eifler (Aufnahme 1964). Bauwelt Schallplatte «Mies in Ber­ lin» (Berlin: RIAS & Ullstein, 1966). 45  Guido Harbers, Das freistehende Einfamilienhaus von 10000 – 30000 und über 30000 Mark, München 1932. 46  Mies war Ende März nach Barcelo­ na gereist, um den Baubeginn zu beauf­ sichtigen, und kehrte am 3. April wieder zurück. Brief von Schnitzlers an Marqués de Foronda, 6. April 1929, HoeA, WaB 1927 – 1929. 47  Lilly Reich traf am 24. April 1929 ein. Vergütungsanträge von Lilly Reich und Mies van der Rohe, 3. Juni und 10. Juni 1929, MoMA, MvdR Papers, Bar­ celona-Pavillon, Ordner 6. Siehe auch Brief von Lilly Reich an Elisabeth Hahn und Grete Uhland, 26. Juni 1929, ibid.

48  Diese Technik, die in der Region bis ins Mittelalter zurückverfolgt werden kann, erlebte seit den 1880er-Jahren eine Re­ naissance als besonders kostengünstige Gewölbeart und spielte eine wesentliche Rolle bei den häufig kurvenförmigen Ge­ wölbe- und Dachstrukturen in der katala­ nischen Architektur des Modernisme um die Jahrhundertwende. Zur gleichen Zeit wurde sie von der Guastavino Company in den USA eingeführt. Mithilfe eines sehr stark haftenden und schnell trocknenden Mörtels wurden Schichten aus flachen Zie­ geln ohne Schalung oder Gerüst zu Ge­ wölben, Kuppeln und geschwungenen Decken zusammengefügt. Die daraus re­ sultierenden Strukturen sind leicht und feuerbeständig. John Ochsendorf, Guastavino Vaulting: The Art of Structural Tile, New York 2010, S. 18 – 39. Joan Bergós y

Massó (1894 – 1974), der Werkmeister der örtlichen Baugesellschaft Sociedad Me­ tropolitana de Construcciones, hatte auf dieser Konstruktionstechnik beharrt, da sie gegenüber dem ursprünglich von Mies vorgeschlagenen Stahlbetonfunda­ ment Zeit sparte. Massó war ein Schüler von Gaudí und schrieb später eine Mono­ grafie über ihn. Ignasi de Solà-Morales, Cristian Cirici, Fernando Ramos, Mies. El Pabellón de Barcelona, Barcelona 1993, S. 15. Juan Bassegoda Nonell, «El pabel­ lón alemán de la exposición de 1929: His­ toria y anécdota de una obra de Mies van der Rohe», in: La Vanguardia, 6. Oktober 1979, S. 6.

kehrte er nach Berlin zurück, um sich um zwei dringende Ange-

legenheiten zu kümmern: den Entwurf und Bauantrag für das Berliner Haus des Malers Emil Nolde, die am 15. April fällig waren

und die Produktion des Barcelona-Sessels in der Metallwerkstatt. Am 22. April reiste Mies wieder nach Barcelona.47 Dort waren am

14. April die Fundamente und der Baugrund fertig geworden. ABB. 15–16

Sergius Ruegenberg war an diesem Tag angekommen,

um die Bauaufsicht zu übernehmen, und posierte stolz für Fotos auf der Baustelle. Grundmauern aus Backstein, Stahlträger und die flachen Ziegel der katalanische Gewölbe für die Fundamente sind im Vordergrund zu sehen.48 Die Marmor- und Glaswände

wurden später ohne separate Fundamente auf den Unterbau

gestellt, während die kreuzförmigen Stahlstützen ihre eigenen unabhängigen Auflager hatten.

84  Entwurf und Konstruktion

17

85

dem Spiel stand und welche Verantwortung ich zu tragen hatte.»50 Mies erklärte, dass Wochenend- und Nachtschichten nötig

gewesen seien (mehrere Fotos zeigen temporäre Lichtmasten), zusätzliche Arbeiter angeworben werden mussten und einiges

Material in letzter Minute von der Lufthansa aus Deutschland ein18

geflogen werden musste.51 Emotionen kochten hoch. Mies feuer-

19

te zwei seiner langjährigen Mitarbeiter, den Ingenieur Ernst Walther und den technischen Leiter Karl Strauss.52

17–19  Deutscher Pavillon, Baustelle, Mai 1929

Das Stahlgerüst, das das Dach auf seinen acht Stützen trug, wur-

Dennoch war der Pavillon für die Eröffnungsfeier am Montag,

wurden vorübergehend von Holzgerüsten unterstützt, bis die

Bürogebäude am Südende war mit Gipskartonplatten verdeckt

de zuerst errichtet. Die Kragträger auf der Ost- und Westseite

Eisenstruktur der Marmorwände stand und diesen Teil der Last

übernahm. ABB. 17 Wegen des allgemeinen Mangels an Bauaus-

rüstung auf dem Gelände der Weltausstellung wurde der Pavil-

lon weitgehend ohne Baugerüste montiert. Auf einem der Fotos

sieht man einen Maurer auf einem Stapel Transportkisten stehen. Das Stahlgerüst der Rohbaudecke wurde mit Brettern und Dachpappe gefüllt; die Unterseite aus Streckmetall wurde von spanischen Stuckateuren mit Gips überzogen.49

Das Drama der Wochen unmittelbar vor der verspäteten Eröff-

nung wird in Mies’ späterem Bericht an von Schnitzler greifbar, in dem er die erhöhten Kosten rechtfertigte: «Ich wusste, was auf

den 27. Mai 1929 einigermaßen vorzeigbar. Das unfertige kleine

worden; die Rückseite des Pavillons, an der die Marmorverkleidung fehlte, wurde verputzt und farbig angestrichen. Der südlich

angrenzende Garten war noch nicht bepflanzt, die Leuchtwand funktionierte nicht, und der rote Vorhang war noch nicht geliefert worden.53

Mies und sein Team entwickelten eigens für den deutschen Pavillon einige Möbelstücke: einen niedrigen Polsterhocker mit kreuzförmigen Beinen, einen kleinen, viereckigen Tisch und einen grö-

ßeren Serviertisch, beide mit Glasplatten. Das wichtigste Stück

war jedoch der «Barcelona Sessel» für den König und die Köni-

gin von Spanien, damit sie sich während der Eröffnungszeremo-

nie setzen konnten. ABB. 20 Das Königspaar machte zwar von dieser Gelegenheit keinen Gebrauch, doch der Sessel wurde zu

einem der berühmtesten Möbelstücke des 20.  Jahrhunderts. Nachdem Mies zuvor mit hohlem Stahlrohr experimentiert hatte, probierte er hier federnden Flachstahl aus, der dank seiner höhe49  Sergius Ruegenberg, «Worte: Mies van der Rohe zum Barcelona Pavillon», un­ datiertes Manuskript, um 1969, Ruegen­ berg Nachlass, BG, Berlin. 50  Brief von Mies an von Schnitzler, 22. August 1929, MoMA, MvdR Papers, Barcelona Pavillon.

51  «Deutschland in Barcelona», in: Dresdner Neueste Nachrichten, 22. Juni 1929, S. 1 – 2. 52  Briefe von Ernst Walther an Mies van der Rohe, 20. August und 7. Septem­ ber 1929, MoMA, MvdR Papers, Barcelona Pavillon, Mappe 2010 Material aus Eduard Ludwig Nachlass.

53  Ignasi de Solà-Morales, Cristian Cirici, Fernando Ramos, Mies. El Pabellón de Barcelona, Barcelona 1993, S. 14 – 15. 54  Robert Schwenke, «Die Verwen­ dung besserer Stahlsorten im Automobil­ bau», in: Zeitschrift des Mitteleuropäischen Motorwagen-Vereins, Nr. 15, 1904, S. 306 – 308.

ren und flexibleren Belastbarkeit normalerweise bei Stoßdämp-

fern in Zügen oder Autos zur Anwendung kam, dank seiner höheren und flexibleren Belastbarkeit.54 Wieder hatte Mies Technik

und Ästhetik eines Industrieprodukts auf den Wohnbereich

angewandt, genau wie bei den großen Schaufensterscheiben, dem Milchglas und den vernickelten Stützen. Seine Patent-

86  Entwurf und Konstruktion

anmeldung für den Barcelona-Sessel und den zugehörigen

Hocker wurde am 1. Mai 1929, nur Wochen vor der Eröffnung des Pavillons, eingereicht. Im Begleittext wurde der wesentliche

Unterschied zu einem Klappstuhl herausgestellt, der vielleicht ähnlich aussehen mochte, jedoch bewegliche Verbindungsstü-

cke anstelle einer festen Verbindung in der Mitte benötigte. Mies

wollte «die Federung von aus federndem Werkstoff bestehen-

den Metallschienen zur Erzielung eines elastischen Sitzes und auch einer elastischen Rückenlehne ausnutzen. […] Dann bilden 21

die einzelnen Arme des Schienenkreuzes federnde Kragarme, und es ergibt sich ein weicher, in gleichem Maße, wie es die Federung des Werkstoffs zulässt, nachgiebiger Sitz.»55 Der dar-

aus resultierende Sessel war eine Mischform – er hatte zwar keine

Armlehnen, bot jedoch den Sitzkomfort eines Polstersessels.56

Der Entwurf scheint eine Gemein­schaftsarbeit gewesen zu sein. Sergius Ruegenberg schrieb 1988: «Drei Tage vor meiner Abrei-

se als Bauleiter in Barcelona bat mich Mies, einen Sessel zu entwerfen. Der Stahlhocker war bereits realisiert worden. Einer meiner Entwürfe wurde von Kaiser zur Produktionsfirma gebracht. »57 20

Willi Kaiser, der ebenfalls in Mies’ Büro arbeitete, erinnerte sich

später, dass auch er an dem Sessel gearbeitet hatte, mit dem gleichen Metallbauer, der für die kreuzförmigen Stützen an dem

Pavillon verantwortlich war.58 Etliche Zeichnungen des Barcelo-

na-Sessels haben sich unter Ruegenbergs Dokumenten in Berlin

20–22  Sessel, Hocker und Tisch für den Barcelona Pavillon. Ludwig Mies van der Rohe, 1929

erhalten. Lilly Reich hatte wahrscheinlich ebenfalls einen wesentlichen Einfluss auf sein Design. Die flachen Lederkissen mit ihrer quadratisch gesteppten Polsterung erinnern stark an Josef Hoff-

manns Kubus-Fauteuil aus dem Jahr 1910, der entwickelt wurde, als Reich in seinem Büro arbeitete. Sie hatte bereits 1926 vergleichbare Lederpolsterungen für Möbel im Haus Wolf in Guben

vorgeschlagen. Mies arbeitete in den folgenden Monaten weiter an den zentralen Ideen hinter dem Barcelona-Sessel und legte dem Patentamt am 18. November 1930 eine neue, verbesserte

Version vor. Die schriftliche Dokumentation dieses «Sitzmöbels mit federndem Gestell» verdeutlicht die Intentionen des Sessels

87

und dessen ungewöhnliche Konstruktion unter Betonung der

«Blattfedern» und der Flexibilität des Gestells, damit die «Muskelanstrengung» beim Aufstehen «vermindert wird».59 Solch eine Unterstützung war vor allem für ältere oder schwergewichtige

Nutzer (wie Mies selbst) von Vorteil, insbesondere, da es keine Armlehnen zum Abstützen gab.

Dieses Argument sollte auch für den niederen Hocker mit kreuz-

förmigen Beinen gelten, allerdings in geringerem Maß, da die Leder­bänder unter dem Kissen die Elastizität der Beine ein-

schränkten. Den gleichen Typ auf einen Tisch anzuwenden, war

funktional wenig einleuchtend, da hier Stabilität gefordert war und nicht federnde Dynamik. Dennoch wurden zwei Tische pro-

duziert: Ein langer Tisch stand vor der Leuchtglaswand als Anrich-

te für Veranstaltungen, und auf einem quadratischen Tisch vor der Onyxwand lag das in Leder gebundene Gästebuch. Wie

durch ein Wunder hat sich der kleine Tisch erhalten und befindet sich heute in der Neuen Galerie in New York. ABB. 22

Mies verwendete die gleiche Art von Blattfeder für die Sessel

22

und Esszimmerstühle in der Villa Tugendhat in Brünn. Viele Zeichnungen und einige Patente für Varianten von Möbeln aus Metallbändern folgten in den nächsten Jahren, doch ohne nennenswerten Erfolg.

55  Ludwig Mies van der Rohe, «Stuhl», Patentschrift Nr. 486722, Deutsches Reich, veröffentlicht am 7. November 1929. Zum Barcelona-Sessel siehe Wolf Teget­hoff, «Der Pavillonsessel. Die Ausstattung des Deutschen Pavillons in Barcelona 1929 und ihre Bedeutung», in: Helmut Reuter, Katrina Schulte (Hrsg.), Mies und das neue Wohnen. Räume, Möbel, Fotografie, Berlin 2009, S. 144 – 173; auch: Christiane Lange,

«Barcelona Sessel», in: Christiane Lange, Ludwig Mies van der Rohe & Lilly Reich: Möbel und Räume, Berlin 2007, S. 174 –  176. 56  Ibid., S. 154. 57  Sergius Ruegenberg, Brief an Tecta, 4. Juni 1988, TECTA-Archiv. Siehe auch: Eva-Maria Amberger, Sergius Ruegenberg, Berlin 2000, S. 82 – 83.

58  Willi Kaiser, «Es war Mies, nicht Lilly», in: Der Spiegel, Nr. 19, 1977, o. S. 59  Ludwig Mies van der Rohe in Berlin, «Sitzmöbel mit federndem Gestell», Ös­ terreichisches Patentamt, Patentschrift Nr. 128771, eingereicht am 18. November 1930, veröffentlicht am 25. Juni 1932.

Georg Kolbes Skulptur

89

Während es bei modernen Architekten durchaus üblich war,

wenn man den Pavillon betritt – eine sehr ähnliche Gestaltung

eines Steinmetzes zu dieser Praxis eine besondere Affinität.

gen Standorte für drei solcher Skulpturen: je eine in den beiden

Skulpturen in ihre Arbeit einzubeziehen, hatte Mies als Sohn

Skulpturen waren in etliche seiner ungebauten frühen Entwürfe

wie 1927 beim Glasraum. Die beiden frühesten Grundrisse zeiWasser­becken als Blickpunkte für die Sichtachsen entlang der

integriert, wie etwa der Entwurf für ein Bismarck-Denkmal (1910),

vorderen und der rückseitigen Einfassung und eine dritte, die

lers vorsah, oder beim Kröller-Müller-Museum in den Niederlan-

schen Dorf hinunterkamen.

mit seiner riesigen heroischen Statue des deutschen Reichskanzden (1912), wo er eine Skulptur neben einem Außenbecken

geplant hatte. Im Glasraum, den er zwei Jahre vor dem Barcelo-

Besuchern zugewandt war, wenn sie die Treppen vom Spani-

Die Frauenfigur im Barcelona-Pavillon stammte von Georg Kolbe

na-Pavillon in Zusammenarbeit mit Lilly Reich entworfen hatte,

ABB. 1,

Beim Eintreten war er kurz hinter getöntem Glas zu sehen, dann

auf eine lange Zusammenarbeit mit anderen Vertretern der

war das Herzstück ein Frauentorso von Wilhelm Lehmbruck.

verlor man ihn aus dem Blick, bevor er wieder auftauchte und den Besucher in den zentralen Raum lockte, wobei er selbst in seinem eigenen Hof unerreichbar blieb.

Die Verwendung eines vergleichbaren Elements im Barcelona-

Pavillon war ebenso wichtig bei dessen Planung. Drei frühe Skiz-

zen zeigen in einem offenen Raum auf der rechten Seite eine liegende Skulptur, die für die herannahenden Besucher durch

Glas sichtbar ist und kurz hinter Marmorwänden verschwindet,

Deutschlands bekanntestem Bildhauer zu der Zeit und in

der Öffentlichkeit wohl bekannter als Mies selbst. Kolbe konnte

Moderne verweisen, wie etwa Walter Gropius, Bruno Taut und Hans Poelzig.1 Er war durch eine Reihe öffentlicher Aufträge2 zu genügend Wohlstand gekommen, um sich ein neues Haus und

Atelier in Berlins reichem Westend bauen zu lassen – einen kubi-

schen Backsteinbau, der im Januar 1929 fertiggestellt wurde. Fasziniert von moderner Architektur, legte Kolbe ein ausgeprägtes Interesse am Entwurfsprozess an den Tag und drängte seine

Architekten Ernst Rensch und Paul Linder zu schlichteren, einfa-

cheren Formen. ABB. 2 Das Ergebnis ähnelte Mies’ Haus Wolf in

Guben. ABB. 9, S. 42 Mies hatte Kolbe einige Jahre zuvor kennen-

gelernt – die beiden lebten in Berlin fußläufig voneinander entfernt im Bezirk Tiergarten, bevor Kolbe ins Westend zog.3 1930 unterzeichneten sie beide einen Appell, das berühmteste Objekt

in Berlins Ägyptischer Kunstsammlung, die Büste der Königin

1  Ursel Berger, «Georg Kolbe und die Architektur», in: Ursel Berger und Thomas Pavel (Hrsg.), Barcelona Pavillon, Berlin 2006, S. 126  –  131. 2  Kolbe hatte Porträtbüsten von Lud­ wig van Beethoven, Max Slevogt, Paul Cassirer, dem kurz zuvor verstorbenen Reichspräsidenten Friedrich Ebert und vielen anderen geschaffen. Letztere rief eine kleine cause célèbre hervor, da die Mitglieder des Reichstages sie für zu mo­ dern hielten. Siehe «Max Slevogt, Bronze­ bildnis von Georg Kolbe», in: Vossische

Zeitung, Zeitbilder, Nr. 43, 24. Oktober 1926, S. 3. «Aus der Nationalgalerie», in: Vossische Zeitung, Nr. 174, Morgenausga­ be, 13. April 1927, Ressort Unterhaltung, S. 2. «Die Ebert-Büste», in: Vossische Zeitung, Nr. 345, Abendausgabe, 23. Juli 1925, S. 2. «Kolbes ‹Beethoven›», in: Vossische Zeitung, Nr. 125, Morgenausgabe, 14. März 1928, S. 1. «Totenmaske Friedrich Eberts, abgenommen von Prof. Georg Kol­ be», in: Vossische Zeitung, Zeitbilder, Nr. 10, 8. März 1925, S. 7.

3  Kolbe lebte in der Von-der-Heydt-Stra­ ße 7, Mies Am Karlsbad 24. Kolbe behielt sein Atelier in der Von-der-Heydt-Straße bis 1932 hauptsächlich für die Lagerung von Gipsabgüssen. Siehe http://www.ge­ org-kolbe-museum.de/museum-2/archi­ tektur. 4  «Berliner Künstler zum NofreteteStreit», in: Vossische Zeitung, Nr. 244, Sonntag, 25. Mai 1930, Ressort «Sport/ Spiel und Turnen», S. 3  –  4. Hitler verhin­ derte schließlich die Rückgabe der Büste.

Nofretete (der illegal außer Landes gebracht worden war), an Ägypten zurückzugeben.4 Auch über den Bereich der Kunst hin-

aus mögen sie gewisse Überzeugungen geteilt haben: 1934

gehörten Kolbe und Mies zu 37 Künstlern, die Adolf Hitler in der

NSDAP-Zeitung Völkischer Beobachter öffentlich Treue und Gefolgschaft gelobten (siehe unten).

Kolbes wichtiges Verhältnis zur Architektur war einige Jahre

zuvor – 1927 – in München prominent demonstriert worden, als

90  Georg Kolbes Skulptur

1

91

er einen eigenen, von Wilhelm Kreis entworfenen Backsteinraum

in der jährlichen «Münchener Kunstausstellung» im Glaspalast erhielt.5

ABB. 5

Entlang der Wände des Raums stellte Kolbe die

beiden Skulpturenarten aus, für die er am bekanntesten war:

abwechselnd ruhige Büsten von bekannten Personen des öffent-

lichen Lebens und lebendige Aktfiguren. Als Herzstück, dramatisch von oben beleuchtet, wählte Kolbe die Skulptur einer jun-

gen Frau von ungefähr 2,5 Metern Höhe, die auf einer schrägen Plinthe stand. Ihre Füße waren geschlossen und die Knie ein

wenig gebeugt, ihr Torso leicht nach links gedreht und beide Arme über den Kopf erhoben, um das Gefälle unter ihren Füßen auszubalancieren.

ABB. 6

Die mit Bronzefarbe bemalte Skulptur

war in Wirklichkeit ein Gipsabguss einer von zwei Frauenfiguren in Bronze, die Kolbe für die zentrale Grünfläche der Wohnsied-

lung Ceciliengärten in Berlin (1922 – 1927) geschaffen hatte. ABB. 3, 4

2

Als die Ausstellung am 3. Oktober 1927 zu Ende ging,

kehrte der Gipsabguss der «Cecilie», wie Kolbe sie gern nannte, in das Atelier des Bildhauers in Berlin zurück. 1  Georg Kolbes Frauenskulptur im Barcelona-Pavillon, Foto: Camie Stone, 1929 2  Haus und Atelier von Georg Kolbe, Berlin, 1929, Architekten: Ernst Rensch und Paul Linder, Foto: Margrit Schwartz­ kopff

Wir können nicht mit Sicherheit sagen, wie die Skulptur für den Barcelona-Pavillon ausgewählt wurde, doch es weist viel darauf

hin, dass es sich um eine Art Zufallswahl in letzter Minute handel-

te, die unter enormem Zeitdruck und durch die Umstände

bedingt zustande kam. Wir wissen, dass Mies spätestens im Feb-

ruar 1929 davon sprach, «den maßgebenden Herren» Werke von

Lehmbruck6 oder Kolbe vorzuschlagen.7 Wegen der Unklarheit über das Schicksal des Pavillons – er war im März auf Anordnung

des Reichstages gestrichen worden und die Baustelle lag 16 Tage lang still – scheint die endgültige Entscheidung über die

Skulptur erst gefallen sein, nachdem die Arbeit am Pavillon wie5  Münchener Künstler-Genossenschaft und Verein Bildender Künstler Münchens «Secession» (Hrsg.), Münchener Kunstausstellung 1927 im Glaspalast: 1. Juni bis 3. Oktober 1927: amtlicher Katalog, Mün­ chen 1927. Siehe auch Claudia Beckmann, «The Statue Morgen in the Barcelona Pavi­

lion», in: Ursel Berger und Thomas Pavel (Hrsg.), Barcelona Pavillon: Mies van der Rohe und Kolbe. Architektur und Plastik, Berlin 2006,S. 34  –  51, hier: S. 46 und «Die unbekannte Nationalgalerie», in: Vossische Zeitung, Nr. 307, Abendausgabe, 1. Juli 1927, S. 3.

6  Wilhelm Lehmbruck, ein Bekannter von Mies, hatte sich 1919 das Leben ­genommen. 7  Telegramm von Mies an Lilly Reich, 22. Februar 1929, MoMA, MvdR Nachlass, Barcelona Pavillon, Akte 9.

der aufgenommen worden war, wahrscheinlich während Mies’

zweiwöchigen Aufenthalts in Berlin ab dem 3. April. Der Architekt Peter Blake, der Mies gut kannte, erinnerte sich, dass Mies eine Figur von Lehmbruck bevorzugt hätte, doch als sich dies als

unmöglich erwies, «schnappte er sich an einem seiner letzten

92  Georg Kolbes Skulptur

3

4

3  Georg Kolbe, Gipsmodelle von zwei weiblichen Figuren für die Wohnsied­ lung Ceciliengärten Berlin, 1925 4  Georg Kolbe, weibliche Figur in der Wohnsiedlung Ceciliengärten Berlin, 1925 5–6  Georg Kolbe, weibliche Figur in der Kunstausstellung im Münchener Kristallpalast 1927 in einem Raum von Wilhelm Kreis

93

5

94  Georg Kolbes Skulptur

Tage in Berlin vor seiner Abreise nach Barcelona ein Taxi, fuhr hinaus zu Kolbes Atelier und lieh sich den besten Ersatz, den er finden konnte».8 Dieser «beste Ersatz» war der Gipsabguss der

«Cecilie». Als Leihgebühr verlangte Kolbe den Herstellungspreis für den Abguss, was das Generalkommissariat glauben ließ, er sei eigens für die Weltausstellung angefertigt worden. Die Skulp-

tur wurde sofort verschifft und kam noch rechtzeitig zur Eröffnung in Barcelona an.

«Cecilie» war zuvor schon einmal auf Reisen gegangen (zur

Kunstausstellung 1927 im Münchner Glaspalast und wieder

zurück nach Berlin), doch die längere Fahrt nach Barcelona per Bahn und Schiff war komplizierter und riskanter. Tatsächlich wurde die relativ zerbrechliche Gipsfigur auf dem Weg von Barcelo-

na zurück nach Berlin «irreparabel» beschädigt9 – der rechte Arm war komplett zersplittert, die Hüfte hatte einen horizontalen

Sprung und der Sockel hatte etliche Risse bis hinauf zum Fuß (anscheinend das Ergebnis «mangelhafter» Verpackung).10 Kol-

be, der vorgehabt hatte, die Figur bei anderer Gelegenheit wiederzuverwenden, war nicht gerade glücklich darüber – und noch

verärgerter, als er erfuhr, dass die Versicherungsgesellschaft

unter dem Eindruck, der Abguss sei vollständig vom Kommissariat finanziert worden, argumentierte, ihre Zerstörung habe ihm keinen materiellen Schaden zugefügt.11

Auf der Weltausstellung reagierten die meisten Kritiker positiv

auf die «außergewöhnlich schöne»12 Figur und gingen davon

aus, dass sie eigens für diesen Standort im kleinen Wasserbecken

auf der Rückseite des Pavillons geschaffen worden sei. Heinrich

Simon etwa bezeichnete sie als Venus Anadyomene (eine aus

dem Meer aufsteigende Venus, in Anlehnung an das berühmte

Tizian-Gemälde von ca. 1520).13 Andere verwiesen auf die Figur als Badende14 oder merkten an, dass ihre erhobene Hand «der

Fülle des Lichts, die in den unbedeckten Hof dringt, zu wehren»15

6

schien. Einem späteren Besucher schien sie den Aufstieg eines

95

«neuen modernen Deutschland» zu symbolisieren.16 Einige

beschrieben sie als Tänzerin,17 doch die meisten Kritiker bezeichneten sie einfach als «weibliche Figur», ohne ihr einen Namen zu geben oder eine Assoziation mit ihr zu verknüpfen. Gelegentlich

wurde sie gar für einen jungen Mann gehalten.18 Namen wie

«Morgen» oder «Morgendämmerung», die heute häufig verwen-

det werden, kamen erst viel später auf. Als Vertreter der Moderne, der sich der Neuen Sachlichkeit verschrieben hatte, war Kol-

be am Wesen menschlicher Bewegungen interessiert und gab

seinen Skulpturen deskriptive Namen wie etwa Gehende Frau, Kauernde Frau, Stehender Junge, Tänzerin und so weiter. Er belastete seine Figuren nur selten mit dem Gemeinplatz von

Allegorien. Später jedoch, als er vom nationalsozialistischen Regime gefeiert wurde, gab er dessen Kultur inhaltsloser Bom-

bastik öfter nach und schuf Skulpturen wie etwa Große Verkün-

dung (1937) oder Großer Wächter (1937).19 Seltsamerweise 8  Peter Blake, The Master Builders, New York 1960, S. 208  –  212. 9  W. Marziller & Co. an Mies van der Rohe, 30. April 1930, MoMA, MvdR Nach­ lass, Barcelona Pavillon, Mappe «2010 Ma­ terial von Eduard-Ludwig-Nachlass» 2010, Material vom Eduard Ludwig Nachlass. Siehe auch: Helmut Reuter, «Georg Kolbes Morgen. Die Rückkehr aus Barcelona», in: Helmut Reuter und Birgit Schulte (Hrsg.), Mies und das neue Wohnen. Räume, Möbel, Fotografie, Ostfildern 2008, S. 282 – 283. 10  Brief von Jauch, Hübner & Co. an Georg von Schnitzler, 27. November 1930, MoMA, MvdR Nachlass, ibid. 11  Brief von Kettlers an Mies, 5. Februar 1931, MoMA, MvdR Nachlass, ibid. 12  Alfredo Baeschlin, «Barcelona und seine Weltausstellung», in: Deutsche Bauzeitung, Nr. 57, 1929, S. 497 – 504 und Nr. 77, 1929, S. 657 – 662. 13  Heinrich Simon, «Weltausstellung 1929. Deutsche Abteilung I», in: Frankfurter Zeitung, Nr. 410, 5. Juni 1929, S. 1. 14  Eduard Foertsch, «Die Weltausstel­ lung in Barcelona», in: Vossische Zeitung, Nr. 270, 11. Juni 1929, S. 4.

15  Justus Bier, «Mies van der Rohes Reichspavillon in Barcelona», in: Die Form. Zeitschrift für gestaltende Arbeit, Jg. 16, Nr. 4, 15. August 1929, S. 423 – 430, hier: S. 424. 16  Jan Maruhn, «Building for Art: Mies van der Rohe as the Architect for Art Col­ lectors», in: Terence Riley und Barry Berg­ doll (Hrsg.), Mies in Berlin, New York 2001, S. 318 – 323. 17  Guido Harbers, «Deutscher Reichs­ pavillon in Barcelona auf der Internationa­ len Ausstellung 1929», in: Der Baumeister, Bd. 27, Nr. 11, November 1929, S. 421 – 427; Kenneth Frampton, Modern Architecture: A Critical History, London 1980, S. 164 – 165. 18  Leonore Kühn, «Deutsche Arbeit auf der Internationalen Ausstellung in Bar­ celona», in: Der Auslandsdeutsche, Juni 1929, S. 400 – 402. Vincent Scully, Moderne Architektur. Die Architektur der Demokratie, Ravensburg 1964, S. 27. 19  Wilhelm Pinder, Georg Kolbe: Werke der letzten Jahre, Berlin 1937, S. 67, 75. 20  Claudia Beckmann, «The Statue Morgen in the Barcelona Pavilion», in: Ursel Berger und Thomas Pavel, Barcelona

Pavilion and Sculpture, Berlin 2006, S. 34 – 51, hier: S. 40. 21  Wolf Tegethoff, Die Villen und Landhausprojekte von Mies van der Rohe, Kre­ feld 1981, S. 80. 22  Franz Schulze, Mies van der Rohe: Leben und Werk, Berlin 1986, S. 155 – 158. K. Michael Hays, der 1984 Kolbes Statue als Tänzerin bezeichnet hatte, übernahm 1988 Schulzes Bezeichnung Abend. K. Michael Hays, «Reply to José Quetglas», in: Beatriz Colomina (Hrsg.), Architectureproduction, New York 1988, S. 240 – 243, Zitat auf S. 240. 23  Detlef Mertins, «Architecture of Be­ coming: Mies van der Rohe and the Avant-Garde», in: Terence Riley und Barry Bergdoll (Hrsg.), Mies in Berlin, New York 2001, S. 107 – 133. Robert McCarter und Juhani Pallasmaa führten 2012 stattdessen den Titel Sonnenaufgang ein. Robert McCarter und Juhani Pallasmaa, Under­ standing Architecture: A Primer on Architecture as Experience, London 2012, S. 103.

bewahrte Deutschlands Nachkriegskultur diese Neigung zu Sym-

bolismus, und irgendwann gaben Kolbes ehemalige Mitarbeiterin Margrit Schwartzkopff und seine Enkelin Maria von Tiesen-

hausen in diesem Zusammenhang wohl den beiden Statuen in

den Ceciliengärten nachträglich die Titel Morgen und Abend. Sie waren damit beschäftigt, ein Kolbe-Museum in seinem früheren Haus und Atelier im Berliner Westend einzurichten, und darauf

bedacht, Kolbes aktuelle Bedeutung zu betonen.20 Wolf Tege-

thoff scheint 1981 der Erste gewesen zu sein, der den Titel Morgen für Kolbes Skulptur im Pavillon verwendete vielleicht inspiriert von der nunmehr geläufigen Zuschreibung einer der beiden

Figuren in den Ceciliengärten.21 1985 griff der Historiker Franz Schulze ebenfalls diese Namensgebung auf, nannte jedoch die Skulptur im Barcelona-Pavillon Abend22 (wie die andere Figur in

den Ceciliengärten nachträglich genannt worden war). Seit der

großen Mies-Ausstellung im MoMA 2001 hat der Titel Morgendämmerung oder Morgen breite Akzeptanz gefunden.23 Angesichts des Standorts ist dieser Titel besonders überzeugend: In

dem kleinen reflektierenden Wasserbecken in der Nordwestecke

96  Georg Kolbes Skulptur

wird die Figur in der Tat vom ersten Morgenlicht gestreift, wenn

Barlach – waren in seinen Augen der neuen «plastischen Anschau-

ganzen Bau macht.

galten. « … diese Figuren stehen nicht mehr fest auf dem Boden

die Sonne im Osten sie zu einem leuchtenden Blickpunkt für den 24

In den Wochen unmittelbar nach der Eröffnung der Weltausstel-

lung nutzten etliche Autoren Kolbes Skulptur als Anregung, über

ung» näher, da für sie die «alten statischen Gesetze nicht mehr» sie scheinen auch da, wo das Motiv nichts mit dem Schweben zu tun hat, schwerelos zu schweben.»30

die Dekoration moderner Architektur nachzudenken.25 Dem

Viele Jahre später sollte auch Reyner Banham die auffallende

Skulptur hier die «Rolle, die in den neuen Interieurs bisher von

trakten Kontext bemerken – etwas, das er für so absurd hielt, dass

Schweizer Architekten Hans Bernoulli zufolge übernahm die der Blattpflanze gespielt worden ist», und sollte folglich genauso das «umgebende Gefüge […] bereichern und beleben […] und

als notwendig empfunden werden».26 Die amerikanische Kritike-

Diskrepanz zwischen der Haltung der Skulptur und ihrem abses ihm fast wie Dadaismus erschien. Man hätte, so erklärte er, etwas ganz anderes mitten in solcher «Mondrianesken abstrakt

logischen Konsistenz» erwartet.31 Vincent Scully störte sich nicht

rin Helen Appleton Read stimmte zu, dass «die Lebendigkeit, die

an dem Naturalismus der Skulptur und fand, dass sie den Pavillon

für der Einsatz von Skulptur in moderner Umgebung» darstelle.27

selbst [schaffe] und, hat man sie erst einmal gesehen, das Gebäu-

sie der Strenge des Plans verleiht, [...] eine Gebrauchsanweisung Der Architekt Paul Bonatz sah im Pavillon «das attraktivste Bei-

spiel einer Verbindung von Skulptur und Architektur. Eine bessere Umgebung als glatte Wände, eine spiegelnde Marmoroberfläche und das Wasserbecken» könne er sich nicht vorstellen.

28

Kolbe fand selbst, dass der Stil seiner Plastiken zur modernen Architektur besonders gut passe, da sie einen umgebenden

Raum bot und nicht nur eine Wand als Hintergrund. Er fand, rück-

blickend, seine Zusammenarbeit mit Mies «gegenseitig bereichernd».

29

Unter den wenigen zurückhaltenden Stimmen war die von Wal-

ter Riezler, Herausgeber der Werkbund-Zeitschrift Form, der die

«an sich sehr schöne plastische Figur» als nicht «eigentlich zuge-

perfekt ergänze, da sie «das konstruktivistische Umfeld um sich

de vollständig beherrschte. All die Flächen schienen sich von ihr

abzuleiten, von ihr angeordnet zu sein, während ihr erhobener Arm kaum noch von dem entfernten Ende der Plattform aus gesehen werden konnte. Folglich war die Verbindung optimis-

tisch und exakt: Bewegungsfreiheit und Eingrenzung waren in Einklang gebracht; die Architektur einer klaren, jedoch veränderlichen Umgebung wurde als durch menschliches Handeln

geschaffen dargestellt. Der Barcelona-Pavillon war somit das –

vielleicht passenderweise temporäre – Heiligtum des Internationalen Stils und verkörperte die idealen Symbole der europäi-

schen und amerikanischen Elemente, die in seine Gestaltung eingegangen waren.»32

hörig» empfand: «[S]ie stammte noch ganz aus der Welt des

Rudolf Arnheim, Professor für Kunstpsychologie in Harvard, argu-

zu der «neuen räumlichen Wirklichkeit» des Pavillons passte,

in «der fernen Ecke des Gebäudes der Architekt die streng

alten Raumes». Riezler, für den der Realismus der Skulptur nicht stellte fest, dass Kolbes Skulptur Stillstand repräsentiere und

lediglich die räumlichen Bedingungen von Renaissance und Barock fortführe. Andere Bildhauer – Kubisten etwa wie Archip-

enko und sein Kreis oder sogar Naturalisten wie Lehmbruck und

mentierte 1975 ähnlich, dass durch die Aufstellung der Skulptur

begrenzte Rechtwinkligkeit des gesamten Entwurfs heraushob und die diagonale Entsprechung zwischen dem großen Becken parallel zur Längsseite des Gebäudes nahe des offenen Eingangs

und dem kleinen, versteckten Becken an der kürzesten Seite und

97

dem entlegenen Ende des Gebäudes betonte. Wie dieses Bei-

Während Scully und Arnheim durch Stones Fotografien zu ihren

Objektes, sondern das Objekt modifiziert auch die Struktur des

der Architekt Paul Rudolph, als er den wiederaufgebauten Pavil-

spiel zeigt, bestimmt nicht nur das Umfeld den Standort des Umfeldes.»33

Ganz im Unterschied dazu vertieften Scullys Freunde Robert Ven-

turi und Denise Scott Brown, die 1966 den Schlachtruf für mehr «Komplexität und Widerspruch» in der zeitgenössischen Archi-

tektur ausgegeben hatten – 1968 ihr Argument, indem sie die

fehlende Einbeziehung von Kunst in die Architektur beklagen.

Wo moderne Architekten Kunst verwendeten, so schrieben sie, wurde sie üblicherweise «eingesetzt, um den architektonischen

Raum auf Kosten ihrer eigenen Wirkung zu stärken». Für sie war der Barcelona-Pavillon ein Paradebeispiel, in dem die Statue ein-

fach ein «Blickpunkt für die zielgerichteten Räume [war]: Die Botschaft war in erster Linie architektonisch.»

34

Einschätzungen der Rolle der Skulptur gelangt waren, empfand lon besuchte, «den Dialog zwischen Skulptur und Gebäude […]

anders als jeden anderen Dialog zwischen einem Kunstwerk und

einem Bau, den ich kenne». Rudolph war überzeugt, dass Kolbes Skulptur der Schlüssel für ein umfassendes Verständnis des Pavil-

lons gewesen sei –, dass Mies uns jedoch den Zugang zu diesem «tiefgründigen Geheimnis» verwehrt habe. Er erklärte, dass «der ganze Barcelona-Pavillon» von einem für uns unzugänglichen

Standort «am klarsten wird» – einem Standort «wo nicht einmal Narren Zugang haben» – nämlich «dem Ort der Skulptur». «Würde man stehen, wo die Skulptur steht […], dann würde man die Schichten von Transparenz und Transluzenz, Reflexionen des

Unsichtbaren und des Sichtbaren sehen und den angedeuteten, auf vielfältige Weise präsentierten Raum. […] man hätte diesen

mannigfaltigen Blick aller Dinge um einen herum – den Blick, von dem die Kubisten immer sprachen.»35

Als der Pavillon 1986 wiederaufgebaut wurde, stiftete die deut-

sche Regierung einen neuen Bronzeabguss der Skulptur. Das führte zu einem reizvollen Paradox: Im ursprünglichen Pavillon 24  Im Gegensatz dazu verläuft die zen­ trale Rasenfläche in den Berliner Cecilien­ gärten strikt von Norden nach Süden, und so sind sowohl der Morgen als auch der Abend zu allen Zeiten gleich beleuchtet. 25  Hans Bernoulli, «Der Pavillon des Deutschen Reiches an der internationalen Ausstellung Barcelona 1929», in: Das Werk, Jg. 16, Nr. 11, 1929, S. 350 – 351. 26 Ibid. 27  Helen Appleton Read, «Germany at the Barcelona World’s Fair», in: Arts, Okto­ ber 1929, S. 112 – 113. 28  Paul Bonatz, «Ein Baumeister spricht über die Bauplastik», in: Wasmuth’s Monatshefte für Baukunst und Städtebau, Jg. 16, Nr. 8,1932, S. 381.

29  Georg Kolbe, «Neues Bauen gegen Plastik. Ein Bildhauer spricht», in: Wasmuth’s Monatshefte für Baukunst und Städtebau, Jg. 16, Nr. 8, 1932, S. 381. 30  Walter Riezler, «Das neue Raumge­ fühl in bildender Kunst und Musik», in: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, Nr. 1, 1931, Beilageheft Vierter Kongress für Ästhetik und allge­ meine Kunstwissenschaft, Hamburg, 7. – 9. Oktober 1930, S. 179 – 216. 31  Reyner Banham, «On Trial 6. Mies van der Rohe: Almost Nothing is Too Much», in: The Architectural Review, 132, 1962, S. 125. 32  Vincent Scully, Moderne Architektur: Die Architektur der Demokratie, Ravens­ burg 1964, S. 27.

33  Rudolf Arnheim, Die Dynamik der architektonischen Form, Köln 1980, S. 22 – 24. 34  Robert Venturi und Denise Scott Brown, «A Significance for A&P Parking Lots or Learning from Las Vegas», in: Architectural Form, Jg. 128, Nr. 2, März 1968, S. 36 – 43, 91. Zit. in: Kate Nesbitt, Theorizing a new Agenda for Architecture. An Anthology of Architectural Theory 1965 – 1995, New York, 1996. S. 310 – 321. 35  Paul Rudolph, «Conversation at 23 Beekman Place : Interview with Peter Bla­ ke» [1986], in: Roberto de Alba, Paul Rudolph: The Late Work, New York 2003, S. 203 – 217.

war Kolbes Statue das einzige Element, das seiner materiellen Erscheinung nicht entsprach (ein Gipsabguss mit BronzeAnstrich), wohingegen im wiederaufgebauten Pavillon (der größ-

tenteils auf Sasha Stones Fotografien basiert und daher ungenau

ist) die Kolbe-Statue ein genauer Bronzeabguss des Originals ist und auf diese Weise dem Zustand von 1929 näher kommt als alles andere.

Die deutschen Sektionen

99

Mit mehr als 16.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche und

spanischen König und Georg von Schnitzler beim Besuch etli-

reich, den zweitgrößten Auftritt unter den ausländischen Natio-

widersprüchliche Berichte, was die Fertigstellung der deutschen

268 ausstellenden Unternehmen hatte Deutschland, nach Franknen.1 Es gab 25 deutsche  Industriesektionen in acht Ausstel-

lungshallen und einen eigenen Pavillon für die deutsche Elektroindustrie.

2

Der Aufbau der Sektionen in den verschiedenen Ausstel­lungs­

cher Sektionen am Eröffnungstag, doch in der Presse gab es

Ausstellungen anbelangte. Während Heinrich Simon, ein enger Freund von Lilly und Georg von Schnitzler, in der Frankfurter Zeitung berichtete, dass sie «bis auf Kleinigkeiten tatsächlich fix und

fertig dastanden»,3 befand die Rheinisch Westfälische Zeitung, dass sie «ihrer Vollendung entgegen gehen»4, und die weniger

hallen hatte früher begonnen als die Arbeiten am Pavillon und

wohlwollenden Leipziger Neueste Nachrichten notierte, dass

lons im März 1929 zum Stillstand kam – in beiden Fällen waren

fertig sind»5, während eine andere Zeitung schließlich schrieb,

wurde, wenn auch langsamer, fortgeführt, als der Bau des Pavildie letzten Wochen äußerst dramatisch. Fotos zeigen den

«von den deutschen Ständen ... leider noch bei weitem nicht alle dass man «vielfach erst ahnen» könne, welches die deutschen Stände sein und wo sie sich befinden würden.6

Fotografien der deutschen Sektionen wurden 1929 häufig publiziert, wobei das Diario Oficial ihnen sogar eine Sonderausgabe 1  Frankreich verfügte über 22.000 m2 Ausstellungsfläche. Stéphane Lauzanne, «A l’Exposition de Barcelone», in: Le Matin, 1. Juni 1929, S. 1. 2  Für eine kurze Beschreibung der Sektion siehe Dr. Maywald, «Alemania en la Exposición Internacional de Barcelona», in: Berliner Tageblatt, Spanische Monats­ ausgabe, Nr. 7, Juni 1929, S. 2 und «La aportación de Alemania a la Exposición de Barcelona», in: Diario Oficial de la Exposición Internacional de Barcelona 1929, Nr. 34, 26. Oktober 1929. 3  Heinrich Simon, «Weltausstellung 1929. Deutsche Abteilung I», in: Frankfurter Zeitung, Nr. 410, 5. Juni 1929, S. 1. 4  Dr. Paul Joseph Cremers, «Deutsch­ land auf der Weltausstellung Barcelona», in: Rheinisch Westfälische Zeitung 192, Nr. 267a, 28. Mai 1929. Siehe auch Paul Joseph Cremers, «Deutschland auf der Weltausstellung Barcelona», in: Essener Anzeiger, 29. Mai 1929. Cremers wies da­ rauf hin, dass die meisten anderen Sektio­ nen noch «fast unbelebt» seien. 5  Anon., «Der deutsche Pavillon in Bar­ celona. Einweihung der deutschen Abtei­ lung», in: Leipziger Neueste Nachrichten,

Nr. 152, 1. Juni 1929, S. 5. 6  Rudolf Friedmann, «Die Internationa­ le Ausstellung in Barcelona», in: Der Deutsche, 29. Mai 1929; «Die Deutsche Aus­ stellung», in: Hannoversches Tageblatt, 28. Mai 1929. 7  «La aportación de Alemania a la Ex­ posición de Barcelona», in: Diario Oficial de la Exposición Internacional de Barcelona 1929, Nr. 34, 26. Oktober 1929. 8  Exposición Internacional de Barcelona 1929: Catálogo Oficial de la Sección Alemana, Berlin 1929, Arxiu Històric de la Ciutat de Barcelona. Der Katalog wurde auch auf Deutsch veröffentlicht, vgl. Internationale Ausstellung Barcelona 1929: Deutsche Abteilung, Berlin 1929, Biblioteca de Catalunya. Da der Katalog eine der Fotografien beinhaltet, die für den Berliner Bild-Bericht aufgenommen wurden, wissen wir, dass er erst nach der letzten Juniwoche, in der diese Aufnahmen er­ folgten, produziert worden sein kann. 9  Vgl. Walter Genzmer, «Der Deutsche Reichspavillon auf der Internationalen Ausstellung Barcelona», in: Zentralblatt der Bauverwaltung, Jg. 49, Nr. 34, 21. Au­ gust 1929, S. 541 – 546, hier: S. 542. Siehe

auch den katalanischen Kritiker Rafael Be­ net: «Im Bereich des Kunstgewerbes hat mich nichts mehr begeistert als die Prä­ sentation der Abteilungen der deutschen Industrie. Ein gutes Beispiel, das es in der Zukunft zu vermeiden gilt, ist eine stärker individualistische, häufig dürftige und sinnlose Präsentation, die typisch ist für unsere eigenen Produkte.», «El parer de la crítica contemporània. Rafael Benet», in: d'Ací i d'Allà, Jg. 19, Nr. 151, Juli 1930, S. 106. Siehe auch den jüngsten Essay von Laura Martínez de Guereñu, «The Sequen­ ce of Mies van der Rohe in Barcelona: The German Pavilion as Part of a Much Larger Industrial Presence», in: Docomomo Journal, 56, Nr. 1, 2017, S. 57 – 63. 10  Brief von Ernst Raemisch an Mies van der Rohe, 21. Juni 1928, HoeA, WaB, 1928-29. 11  Gerhard Severain war für die ein­ heitliche Beschriftung und Beschilderung verantwortlich. Dietrich Neumann, «Haus Ryder in Wiesbaden und die Zusammen­ arbeit von Gerhard Severain und Ludwig Mies van der Rohe», in: Architectura, Nr. 2, 2006, S. 199 – 219.

widmete.7 Der offizielle deutsche Katalog, für den eine (wahr-

scheinlich von Miesʼ altem Freund Gerhard Severain entworfene)

elegante serifenlose Schrift verwendet wurde, wurde in Berlin gedruckt und erschien Anfang Juli.8

ABB. 1

Der darin enthaltene

Plan, der die Standorte der verschiedenen Abteilungen auswies ABB. 2, war

die einzige offizielle Publikation, in der der Barcelona-

Pavillon verzeichnet war.

Viele Kritiker bemerkten die Kontinuität zwischen der Klarheit

des Pavillons und dem einheitlichen Erscheinungsbild der deut-

schen Sektionen.9 Auf den Ratschlag von Ernst Raemisch,10 einem

hochrangigen Manager der deutschen Seidenindustrie, hin

hatten­ sich von Schnitzler und Mies das Recht erbeten, gegen jedes einzelne Ausstellungsstück ein Veto einlegen zu können und das Erscheinungsbild jeder Industrieabteilung festzulegen –

also deren Gesamtgestaltung, Beschriftung und Beschilderung.11 Das be­deu­­tete, dass jedes Unternehmen auf seine bewährte Cor­

porate Identity verzichten und stattdessen das einheitliche

Erscheinungsbild übernehmen musste, das die gemeinsamen

100  Die deutschen Sektionen

1

1  Katalog der deutschen Abteilung der Weltausstellung in Barcelona, 1929 2  Die Präsentation Deutschlands in verschiedenen Ausstellungshallen auf der Weltausstellung in Barcelona, 1929 3  Raumplan der Ausstellungshalle für Elektrizität, Motoren und Chemieindust­ rie auf der Weltausstellung in Barcelona, 1929. Die deutschen Maschinen waren auf der rechten Seite (im nördlichen Teil) ausgestellt, die Informationsabteilung befand sich oben auf einer Galerie. 4  Die Sektion der IG Farben auf der Weltausstellung in Barcelona, 1929

2

Qualitätsstandards eines Produktes «Made in Germany» erken-

kommentiert und gepriesen; ihre überraschte Begeisterung führ-

fenen Schweizer Abteilungen ein ähnliches Maß an gestalteri-

tiliensessel».14

nen ließ. In Barcelona legten nur die von Hans Hofmann entworscher Stringenz und Modernität an den Tag.12 Wie viele Kritiker

te mitunter zu Bezeichnungen wie «Stahlschlangen» oder «Rep-

bemerkten, waren die von Mies und Reich entworfenen Stahl-

In dieser vereinheitlichten Formensprache wandten Reich und

einige der MR1-Hocker – eine weitere charakteristische Referenz

lung 1927 in Stuttgart oder das Café Samt & Seide in Berlin ent-

rohrmöbel – insbesondere die Sessel MR10 und MR20 sowie

für alle deutschen Sektionen. Die strengen, halbkreisförmigen

Mies viele der Lösungen an, die sie für die Werkbund-Ausstel-

wickelt hatten15, etwa weiße Linoleumböden und hinterleuchtete

Rundungen der verchromten Stahlrohre mit ihren leder- oder

Segeltuchdecken, schwarze Lettern und Grafiken auf weißem

land mit Assoziationen von Hygiene, Leichtigkeit, Schlichtheit

fien. Die Glas- und Wandvitrinen, Tische, Tafeln und Rahmen für

stoffbezogenen Sitzen und Rückenlehnen verbanden Deutschund Eleganz.

13

Diese Stücke wurden von den Besuchern häufig

Grund sowie freistehende Tafeln mit großformatigen Fotograhängende Stoffe wurden allesamt von Lilly Reich entworfen.16

101

3

12  «Die Schweizer Abteilung der inter­ nationalen Ausstellung Barcelona 1929: Architekt Hans Hofmann», in: Das Werk: Architektur und Kunst = L’œuvre: architecture et art, Jg. 16, Nr. 11, 1929, S. 344 –  349. 13  Raimond Vayreda, «Els moderns seients metàllics», in: d'Ací i d'Allà, Jg. 19, Nr. 151, Juli 1930, S. 226 – 227. Francisco Marroquín, «El Pabellón de Alemania en la

4

exposición de Barcelona», in: ABC, 25. Ja­ nuar 1930, S. 13 – 14. 14  Marta Romaní Pseudonym für [Anna Murià], «Sillas Siglo XX», in: Diario Oficial de la Exposición Internacional Barcelona 1929, Nr. 35, 2. November 1929. Siehe auch Josep Mainar, «El mobiliari a l’Exposi­ ció (I)», in: Mirador, Jg. 2, Nr. 61, 27. März 1930, S. 8.

15  Wallis Miller, «Mies and Exhibi­ tions», in: Terence Riley und Barry Berg­ doll (Hrsg.), Mies in Berlin, New York 2001, S. 338 – 349. 16  Vgl. Genzmer, op. cit., S. 545 (siehe Fussnote 9). Siehe auch Matilda McQuaid, Lilly Reich: Designer and Architect, New York 1996, und Miller, (siehe Fussnote 15).

102  Die deutschen Sektionen

5

103

5  Die deutsche Maschinenabteilung auf der Weltausstellung in Barcelona 1929. Siehe die deutsche Informationsabteilung auf der Galerie im Hintergrund 6  Die deutsche Informationsabteilung auf der Galerie in der Maschinenabteilung

Die Ausstellungshalle für Metallurgie, Elektrizität und Motoren

mit ihren mächtigen Betongewölben und Oberlichtern befand sich an der Hauptachse des Geländes, der Avinguda de la Reina

Maria Cristina, in der Nähe des deutschen Pavillons. An einem Ende des Baus war die Chemieabteilung untergebracht.17 Die

Produkte der IG Farben, deren Vorstandsmitglied von Schnitzler

war, spielten erwartungsgemäß eine prominente Rolle; diese

6

Sektion war am Eröffnungstag fertiggestellt und konnte Besucher empfangen. ABB. 4, 6 Schwarz-Weiß-Fotografien werden der

wahrhaften Farbensymphonie nicht gerecht, die Lilly Reich mit

Pigmenten, Lacken und Farben des Unternehmens in bunten geometrischen Farbfeldern komponiert hatte. Die Wirkung wurde durch das gleichmäßige Licht von der abgehängten Leinwanddecke noch verstärkt.

Am anderen Ende des Gebäudes waren die 25 Aussteller der

deutschen Maschinenbauindustrie untergebracht. Schwere Maschinen standen wie Skulpturen auf einem fast unwirklich wei-

ßen Linoleumboden, als wollten sie dem berühmten Ratschlag 17  Für eine Beschreibung der Aussteller siehe S. de Llinas, «Apuntes para mi archivo [VI]: El Palacio de Metalurgia, Electricidad y Fuerza Motriz», in: La Vanguardia, 27. Juni 1929, S. 8.

18  Henning Rogge, «Ein Motor muß aussehen wie ein Geburtstagsgeschenk», in: Tilmann Buddensieg, Industriekultur: Peter Behrens und die AEG 1907 – 1914, Berlin 1979, S. 91 – 126.

des AEG-Direktors Paul Jordan an Peter Behrens folgen: «Ein Motor muß aussehen wie ein Geburtstagsgeschenk.»18 ABB. 5 Um

die Unternehmensnamen in der Nähe ihrer Exponate zu platzieren, ließ ein kaum wahrnehmbares System gespannter Drähte

104  Die deutschen Sektionen

7

105

die Illusion von im Raum schwebenden Lettern entstehen. Die deutsche Informationsabteilung befand sich ebenfalls in dieser

nördlich gelegenen Sektion, auf einer offenen Galerie im zweiten

Stock, die von beiden Seiten über eine schmale Treppe zugänglich war. Sie fiel von unten durch eine lange Reihe von Schwarz-

Weiß-Fotografien deutscher Landschaften und touristischer Denkmäler ins Auge (unter anderem vom römischen Stadttor Porta Nigra in Trier und vom Schloss Neuschwanstein). Der Raum war mit Sesseln der MR-Reihe auf einem Sisalteppich, einem

Informationsstand und zwei Tischen mit deutschen Zeitungen

8

und Informationsbroschüren ausgestattet. ABB. 6

Mit der oben beschriebenen hängenden Beschriftungstechnik

7  Deutsche Autos in der Transport Abteilung, Weltausstellung Barcelona, 1929

waren auch Namen wie «Daimler Benz» und «Adam Opel» über den ausgestellten Autos, Flugzeugen und Schiffen in der Halle

8  Deutsche Landmaschinen im Palast für Kommunikation und Transport, Weltaus­ stellung Barcelona, 1929

für Kommunikation und Transport auf der anderen Straßenseite

aufgehängt. Diese Halle hatte, eine wesentlich leichtere Struktur mit dünnen Metallstützen, auf denen mehrere Tonnengewölbe

lagerten. Hier war die deutsche Abteilung von riesigen, bis zu

28 Meter langen Fotowänden umgeben, die alle Transportmittel

vom Auto über das Flugzeug, die Eisenbahn, die Seilbahn und den Zeppelin bis hin zum Ozeandampfer zeigten.19 ABB. 7 Deut-

sche Landmaschinen wurden sowohl in einer Innenraum- als auch in einer Freiluftsektion präsentiert.

Eine der aufwendigsten Einrichtungen im benachbarten Textil-

ausstellungsgebäude war die deutsche Seidenausstellung,20 in

der auch Empfänge abgehalten werden konnten.21 Hier zeigte

sich die Formensprache des Barcelona-Pavillons in voller Ausprä19  Maywald, op. cit., S. 2 (siehe Fuß­ note 2). 20  Zum Verhältnis zwischen Mies und der Seidenindustrie siehe Christiane Lange, Ludwig Mies van der Rohe: Architektur für die Seidenindustrie, Berlin 2011, zur «Deutschen Seide» (1929) insbeson­ dere S. 83 – 98.

21  Am zweiten Tag der «Deutschen Woche» fand eine Teegesellschaft für die Mannschaft des Kreuzers Königsberg statt und es gab eine Abendveranstaltung mit Jazzmusik für Industrievertreter. Siehe «Semana Alemana: Te en la ‹Seda Alema­ na›», in: La Vanguardia, 22. Oktober 1929, S. 11.

gung, da Reich und Mies einen Raum im Raum geschaffen hatten, der aus Wänden mit eingebauten Vitrinen bestand und einen zentralen Platz umschloss, unterbrochen von vier Wandele­

menten aus Klar- und Mattglas, die die gleichen Dimensionen

wie diejenigen im Pavillon hatten und ursprünglich wohl für diesen hergestellt worden waren.

ABB.  9, 10

Ein Halbrund aus

106  Die deutschen Sektionen

schwarzem Glas nahm die Wand aus Makassarholz im Wohnzim-

mer der Villa Tugendhat vorweg, die Mies zur gleichen Zeit ent-

warf. Die IG Farben präsentierte in diesem Bereich ebenfalls eini-

ge Produkte.22 Das Bauhaus Dessau zeigte Stoffe für Vorhänge,

Tapeten und Sofabezüge.23 Deutsche Spielzeuge in der Gewerbeabteilung wurden «wegen ihres pädagogischen Wertes und

ihrer perfekten Fertigung»24 bewundert, insbesondere die Metallbausätze von Märklin (vertreten mit einem aufwendigen Schiffsmodell mit Ladekran), Margarete Steiffs berühmte Teddy-

bären,25 Anker-Steinbaukästen und das Bauhaus-Spielzeug.26

Diese Produkte wurden auf weißen Sockeln oder in Vitrinen, die an die freistehenden Wände gefügt waren, präsentiert. In der

deutschen Sektion zu Agrarerzeugnissen, Landmaschinen und Bier in der Ausstellungshalle für Landwirtschaft27 präsentierte die

Münchener Hacker-Pschorr-Brauerei hunderte von Bierflaschen auf von Mies entworfenen parallel verlaufenden Regalen, wie auf einem Förderband in einer modernen Abfüllanlage. ABB. 11

Erzeugnisse der deutschen Druckindustrie waren im Grafikzen­

10

trum zwischen freistehenden Metalltafeln, auf Auslagetischen

und in Glasvitrinen ausgestellt.28 ABB. 12 Dieser Bereich veranlass-

te die Journalistin des Diario Oficial Anna Murià schließlich, von üblichen Lobpreisungen abzuweichen und ihrem Verdruss über

die einheitliche Erscheinung der deutschen Abteilungen freien Lauf zu lassen: «Dieser glänzende und glatte Raum – wie alle

deutschen Räume in unserer Ausstellung – stört uns; die warme Ausstrahlung der Literatur und der Kunst genügt nicht, um die 9, 10  Ausstellung Deutsche Seide in der Halle für Textilkunst, Weltausstellung Barcelona, 1929

9

11  Hacker Pschorr Brauerei Abteilung, Brewery section, Halle für Landwirt­ schaft, Weltausstellung Barcelona, 1929 12  Ausstellungsvitrine des Deutschen Verlagswesens, Weltausstellung Barcelona, 1929

Kälte von Metall und Glas sowie der weißen Wände zu lindern;

man muss die Gedichtbände bemitleiden», schrieb sie, «sie wirken wie Gefangene in diesen Glaskästen, die normalerweise zur

Ablage von Skalpellen dienen. Nur die Maschinen erscheinen zufrieden und in ihrem Element.»29

Über den zweiten Pavillon, den Mies für die Weltausstellung in Barcelona entwarf – den Ausstellungsbau für die Elektroindustrie

107

11

22  Exposición Internacional de ­ arcelona 1929: Catálogo Oficial de la B Sección Alemana, op. cit., S. 50, 55 (siehe Fußnote 8). 23  Ibid., S. 50, 55. 24  Marta Romaní [Pseudonym für Anna Murià], «Los juguetes alemanes», in: Diario Oficial de la Exposición Internacional Barcelona 1929, Nr. 36, 9. November 1929. 25  Ibid.; siehe auch S. de Llinas, «Apuntes para mi archivo [XVI]: Palacio de las Artes Industriales», in: La Vanguardia, 22. August 1929, S. 4.

26  Exposición Internacional de ­ arcelona 1929: Catálogo Oficial de la B Sección Alemana, op. cit., S. 65, 69 (siehe Fußnote 8). 27  Epifanio de Fortuny, «Alemania en el Palacio de Agricultura», in: Diario Oficial de la Exposición Internacional Barcelona 1929, Nr. 34, 26. Oktober 1929. 28  Für einen Blick auf die Bücher sie­ he: «Libros alemanes sobre España», in: Diario Oficial de la Exposición Internacional Barcelona 1929, Nr. 34, 26. Oktober 1929.

29  Marta Romaní Pseudonym für [Anna Murià], «Una muestra en un Palacio», in: Diario Oficial de la Exposición Internacional Barcelona 1929, Nr. 23, 17. August 1929. Der katalanische Schriftsteller Josep Maria de Sagarra verband die Materialien im deutschen Pavillons ebenfalls mit Hygi­ ene und Kälte.

12

108  Die deutschen Sektionen

13

13 Luftaufnahme des Deutschen Elektropavillons, Weltausstellung Barcelona, 1929 14 Ludwig Mies van der Rohe, Deut­ scher Elektropavillon, Weltausstellung Barcelona, 1929

14

109

mit großen Modellen, Reliefkarten, Fotografien und Grafiken im Innern – wissen wir nach wie vor sehr wenig.30

ABB. 12

Es haben

sich keine Zeichnungen erhalten, und vom Äußeren existieren

industrie ins Auge gefasst worden war. Der Pavillon wurde als 15  Meter hoher weißer Kubus auf einer Grundfläche von

20 x 20 Metern errichtet.33 Er ragte mit einer schmucklosen Fas-

nur zwei Fotografien. Das Gebäude wird in der umfangreichen

sade, die lediglich durch das Rechteck des Eingangs unterbro-

Elektroindustrie im Ausstellungsgebäude für Metallurgie, Elekt-

Darüber stand in schwarzen Lettern «Pabellón del Suministro de

vertreten sein.

Deutschlands). An den Seiten trugen vier schwarze Pilaster die

Korrespondenz kaum erwähnt. Anfänglich sollte die deutsche

rizität und Motoren in der Avinguda de la Reina Maria Cristina 31

Die Entscheidung, ein separates Gebäude zu

errichten, wurde erst spät im Dezember 1928 nach einem Raumtausch mit den Spaniern, die in der Ausstellungshalle mehr Platz

benötigten, getroffen. Das Gebäude wurde an der Plaça de la

chen wurde , ohne Basis oder Sockel vom Erdboden auf. ABB. 14

Electricidad en Alemania» (Pavillon der Elektrizitätsversorger

Stahlstruktur des Daches; am oberen Rand befanden sich 12 viereckige Belüftungslöcher.

32

Luz errichtet, einem kleinen Platz hinter der Ausstellungshalle für

Planung und Bau liefen mit der gleichen Hektik ab wie beim offi-

vom Stadtzentrum mit der Straßenbahn die Gran Via erreichte.

und Wochenendschichten. Mies hatte sich spät für ein anspruchs-

Kommunikation und Transport, deutlich sichtbar für jeden, der ABB. 13

Es wurde von der Torre de la Luz überragt, die anfangs für

eine Lichtinstallation der deutschen Seiden-, Glas- und Elektro-

ziellen Pavillon und erforderten zum Schluss zahlreiche Nachtvolleres statisches Konzept entschieden, das eine Verstärkung der Fundamente erforderte. Die Struktur des Gebäudes verwan-

delte sich von «einer einfachen Konstruktion der Wände aus Zie-

geln und gewöhnlicher Zementmischung», mit einer Holzgerüst-

decke, die von den äußeren Backsteinmauern getragen wurde, zu einem Eisenskelett mit U-förmigen Trägern, einer Ummante-

lung aus Ziegeln und Portlandzement und einer komplizierten 30  Unsere Darstellung ergänzt einen Aufsatz von Laura Lizondo-Sevilla, «Mies’ Opaque Cube: The Electric Utilities Pavili­ on at the 1929 Barcelona International Ex­ position», in: Journal of the Society of Architectural Historians, Jg. 76, Nr. 2, Juni 2017, S. 197 – 217. Ihr Aufsatz liefert her­ vorragende Rekonstruktionszeichnungen von der Innengestaltung des Pavillons. Unabhängig davon stellte Valentín Trillo Martínez zur gleichen Zeit Rekonstrukti­ onszeichnungen vor: Valentín Trillo Martí­ nez, Mies en Barcelona: Arquitectura, Representación y Memoria, Sevilla 2017. Siehe auch: Matthias Horstmann, «Der elektrische Barcelona-Pavillon. Bildarchi­ tekturen 1929 – Berliner Riesenfotos in Barcelona», in: Die Vierte Wand, Nr. 007, Mai 2017, S. 80 – 85.

31  Santiago Trias an Rodiño, Barcelona, 6. Dezember 1928, AMAB, Z102, Schach­ tel 47132, Akte Rodiño, Ordner 1928. 32  Brief von Maiwald an von Schnitzler, 21. Dezember 1928; Brief von Kettlers an von Schnitzler, 9. Januar 1929, HoeA, WaB 1927–1928. Ursprünglich war geplant, auch Modelle aus der deutschen Luftfahrt­ industrie zu präsentieren. 33  Es gibt zwei unterschiedliche Aus­ sagen zu diesem Punkt: Ein Journalist der Vanguardia spricht von 13,3 Metern Höhe, während ein deutscher Reporter 15 Meter verzeichnete. Beide stimmen aber hin­ sichtlich der Grundfläche von 20 x 20 Me­ tern überein. Siehe S. de Llinás, «Apuntes para mi archivo (XIX). Pabellón de Sumi­ nistros Eléctricos de Alemania», in: La Vanguardia, 1. September 1929, S. 6. Willy Lesser, «Der Deutsche Anteil an der Welt­

ausstellung in Barcelona», in: Technische Rundschau, Nr. 30, 1929, zitiert in Miller, op. cit., S. 344 (siehe Fußnote 15). 34  Brief der deutschen Elektrobetriebe an von Schnitzler, 10. Juli 1929, HoeA, WaB 1929 – 1930. 35  Brief von Kettlers an von Schnitzler, 9. Januar 1929, HoeA, WaB 1927 – 1928. Brief der Sociedad Metropolitana de Construccíon Barcelona an von Schnitzler, 2. April 1929; MoMA, MvdR-Nachlass, Bar­ celona-Pavillon, Ordner 2010, Material vom Eduard-Ludwig-Nachlass, ohne Pagi­ nierung. 36  Mies an Fritz Schüler, 18. März 1933; Fritz Schüler an Mies, 13. März 1933, MoMA, MvdR-Nachlass, Barcelona-Ordner 10. Schüler arbeitete für das Bauamt der Berliner Elektrowerke AG (Freundliche Auskunft von Matthias Horstmann).

Stahldachkonstruktion, die in der Nacht vor der Eröffnung instal-

liert wurde und undicht war, sobald die ersten Regentropfen fielen.34 Mies hatte die Kosten anfänglich auf 40.000 – 50.000

Reichsmark geschätzt, während das spanische Bauunternehmen

Sociedad Metropolitana de Construccíon, weniger optimistisch, 65.540  Reichsmark veranschlagte. Beide Schätzungen lagen

weit daneben: Die endgültigen Kosten beliefen sich auf fast 140.000 Reichsmark.35

Mies zufolge war der Berliner Architekt Fritz Schüler für die Innenausstattung des Pavillons verantwortlich und hatte auch

die Bauaufsicht.36 Wenig wissen wir über die Rolle des Foto­ grafen Wilhelm Niemann, des Eigentümers der Berliner Bild-

Bericht-Agentur, der später behauptete, er habe die Fotowände

110  Die deutschen Sektionen

im Inneren geschaffen und die Baustelle von März 1929 an über-

industrie war dagegen ein Gebäude in Schwarz-Weiß, mit nur

hergestellt und gerade rechtzeitig zur Eröffnung nach Spanien

und mit einer Sequenz von zusammengesetzten Fotowänden

wacht.37 Die Modelle und Fotowände wurden in Deutschland verschifft.38 Zwei der erhaltenen Fotografien des Inneren wurden

von Sasha Stone für den Berliner Bild-Bericht aufgenommen; drei weitere stammen von einem unbekannten Fotografen für die Zeitschrift IBERICA.39

ABB.  15, 16

Das Innere wurde von elektri-

schen Lampen, oberhalb einer Segeltuchdecke zehn Meter über

dem Boden erleuchtet. Dank einer detaillierten Beschreibung in La Vanguardia40 wissen wir, dass sich in der Mitte ein großes

Landschaftsmodell (8 x 6 Meter) sowie weitere Modelle an jeder Wand befanden. Das Hauptausstellungsstück bestand aus einer

Umrisskarte Deutschlands mit kleinen Glühbirnen, die die ver-

schiedenen Arten der Energieproduktion anzeigten. Ein anderes

Modell zeigte einen Teil des Berliner Stadtraums, der von dem bekannten Elektrizitätswerk Klingenberg versorgt wurde. Zwei

weitere Modelle stellten fossile und erneuerbare Energien

einem hohen Raum, der von oben künstlich beleuchtet wurde, anstelle einer erkennbaren Verbindung zum Außenraum.42 Es ist auch Mies’ erstes Gebäude in weißem Gipsputz – der zur lingua

franca der Moderne avanciert war – sowie das erste Mal, dass er ein Außenskelett verwendete, wie sehr viel später in den USA bei

der Crown Hall am Illinois Institute of Technoloy oder dem Muse-

um of Fine Arts in Houston. Das einzige gemeinsame Element beider Pavillons sind die vier Stützen auf jeder Seite. Angesichts

der kühnen Erscheinung des Gebäudes ist es seltsam, dass es in all den verschiedenen Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln über

die Weltausstellung kaum Erwähnung findet. Ein spanischer Kritiker notierte lediglich, dass der «seltsame kubische[n] Pavillon [...] weise ein Übermaß an Nüchternheit im modernen teutonischen Stil» auf.43

gegenüber: ein Kohlekraftwerk (Golpa Zschornewitz) und einen

Obwohl Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg wirtschaftlich

von großen, auf viereckige Sperrholztafeln gezogenen Fotogra-

in ganz Europa. Für Besucher aus Spanien, wo die Städte noch

Staudamm (Edertal in der Nähe von Kassel). Drei Wände waren

fien bedeckt, deren zentrale Motive eine Verbindung zum jeweils davor aufgebauten Modell herstellten.

41

Eine Aufnahme zeigte

eine Assemblage von Berliner Gebäuden im Stil von Paul Citroens berühmten Metropolis-Collagen. Beim Hinausgehen blickte der Besucher auf die Eingangswand mit Grafiken und Statistiken zum Energieverbrauch verschiedener Nutzergruppen in Deutsch-

land. Der Boden war auch hier mit weißem Linoleum ausgelegt, und auf einer der Fotografien sind einige MR-Sessel, Hocker und ein Tisch zu sehen.

Es fällt schwer, dieses Gebäude nicht als bewusstes Gegenstück

zum Barcelona-Pavillon zu interpretieren. Dort zelebrierte Mies eine komplexe Raumabfolge, verschiedene Lichteffekte durch

das Wechselspiel von Innen- und Außenräumen sowie vielfältige Texturen und Farben von Materialien. Der Pavillon der Elektro-

am Boden lag, verfügte es über das beste Elektrizitätsnetzwerk

weithin mit Gaslicht beleuchtet wurden, verhieß Miesʼ geheimnisvoller weißer Kubus eine wahrhafte Reise in die Zukunft. Insofern ist ein Vergleich mit dem spanischen Palast für Elektrizität

und Licht auf der Weltausstellung aufschlussreich. Der Renais-

sancepalast war mit allegorischen Frauenfiguren verziert, die zur

Symbolisierung von Elektrizität Blitze hielten. Natürlich war die gesamte Weltausstellung – oder vielmehr ihre europäische Sek-

tion in Barcelona – eine Demonstration der Wunder der Elektrizität mit sprühenden bunten Flutlichtern und Lichtfontänen. Der

Kontrast zu Mies’ mysteriöser weißer «Kaaba» hätte kaum deut-

licher sein können: Die fröhliche Darstellung des Zaubers der Elektrizität traf auf die kühle und kontrollierte Beherrschung ihrer Macht.44

111

15

37  Interview mit Wilhelm Niemann Nachlass, Werkbundarchiv Berlin, um 1979, S. 17 – 18. Ich danke Matthias Horst­ mann für den Hinweis auf diesen Text. Laut Horstmann waren die Fotowände wahrscheinlich von Niemann auf der Grundlage von Fotografien Sasha Stones angefertigt und von einem Berliner Unter­ nehmen namens Blum hergestellt worden. E-Mail von Horstmann an den Autor, 7. Januar 2017. 38  Telegramm von Maiwald an Trias, 29. Dezember 1928, HoeA, Weltausstel­ lung Barcelona 1927 – 1928. Georg von Schnitzlers persönliche Akten enthalten einen anonymen Bericht über die Eröff­ nung mit vielen unvoreingenommenen Beobachtungen (der Autor war wahr­ scheinlich ein Generaldirektor Kauff­ mann – siehe Brief von Schnitzlers an die Elektroindustrie, 22. August 1929, Welt­

16

ausstellung Barcelona 1929 – 1930. Bericht über meinen Besuch der Inter­nationalen Weltausstellung Barcelona 1929, 19. Mai 1929, anonymes Typoskript. Brief von den Elektrowerken an von Schnitzler, 10. Juli 1929, HoeA, WaB 1929 – 30. 39  Ibid., S. 541 – 546 (Fotografie auf S. 546). 40  S. de Llinás, «Apuntes para mi archi­ vo (XIX). Pabellón de Suministros Eléctri­ cos de Alemania», in: La Vanguardia, 1. September 1929, S. 6. 41  Genzmer, op. cit., S. 546 (siehe Fuß­ note 9). 42  Miller, «Mies and Exhibitions», S. 344 (siehe FN 15). Dietrich Neumann, «‹… Eislandschaften zeigende Tape­ ten …›: Mies van der Rohes Patente zur Wandgestaltung und Drucktechnik von 1937 – 1950», in: Helmut Reuter und Birgit Schulte (Hrsg.), Mies und das neue Woh-

nen: Räume, Möbel, Fotografien, Berlin 2008, S. 264 – 279. 43  Eliseo Sanz Balza, Notas de un visitante, Barcelona 1930, S. 140. 44  Es wurde mehrfach berichtet, dass die spanische Delegation besonderes In­ teresse an diesem Pavillon und seinen Ex­ ponaten zeigte, und etliche Dokumente vermerkten eine abschätzige Geste des Königs, als er auf den «Polnischen Korri­ dor» auf der Deutschlandkarte zeigte – ein Ergebnis des Versailler Vertrags. Siehe Bericht über meinen Besuch der Internationalen Weltausstellung Barcelona 1929, 19. Mai 1929, anonymes Typoskript (wahr­ scheinlich von Generaldirektor Kauff­ mann). Brief der Elektrowerke an von Schnitzler, 10. Juli 1929, HoeA, Weltaus­ stellung Barcelona 1929 – 30.

15, 16  Ausstellungspavillon der deutschen Elektroindustrie auf der Weltausstellung in Barcelona 1929, Innenraumgestaltung: Fritz Schüler, Fotografien: Wilhelm Niemann

Eröffnung und Nutzung

113

Dank der ausführlichen Berichterstattung in der damaligen Presse sowie neu entdeckter Fotografien und Filmstreifen haben wir

ABB. 1 Auf

einem Foto erkennen wir links im Vordergrund Ludwig

Mies van der Rohe, der seinen Zylinder und seine Handschuhe in

eine gute Vorstellung davon, wer an der Eröffnungszeremonie

der linken Hand hält.2

abspielte. Mindestens fünf katalanische Fotojournalisten und

aus Berlin angereist waren. «Auf unsere Einladungen sind, was

am Montagmorgen, den 27. Mai 1929 teilnahm und wie sie sich zwei Dokumentarfilmer sowie etliche deutsche Journalisten waren vor Ort, jedoch offenbar keine deutschen Fotografen.1

König Alfonso XIII, seine Frau Victoria Eugenia, drei ihrer erwach-

senen Kinder und viele hochrangige Politiker – etwa der Diktator Primo de Rivera und Barón de Viver, der Bürgermeister von Barcelona – kamen um 11 Uhr vormittags im Wagen an und wurden auf den Treppen des Deutschen Pavillons von Lilly und Georg von Schnitzler sowie dem deutschen Botschafter in Madrid, Graf

Welczeck, begrüßt. Schaulustige drängten sich zwischen den

Autos und den ionischen Säulen auf der anderen Straßenseite.

ABB.  2

Aufmerksame Besucher mögen

bemerkt haben, dass keine hochrangigen Regierungsvertreter nicht anders zu erwarten war, fast nur Absagen eingelaufen.», musste ein resignierter von Schnitzler drei Wochen vor der Eröff-

nung feststellen.3 Zweifellos hatten die finanziellen Schwierigkeiten und die erbitterten Diskussionen ihren Tribut gefordert. Der

Umstand, dass das Gebäude vorgestellt wurde, als sei es von

Schnitzlers Pavillon und nicht der jenige der deutschen Regierung, entging der Handvoll untergeordneter Funktionäre, die für die Eröffnung nach Barcelona gekommen waren, nicht.4 «Unsere

Rolle als Vertreter der deutschen Regierung war nicht leicht zu

spielen, da es von Schnitzler war und nicht wir, der über alle finanziellen Mittel verfügte»,5 beklagte einer von ihnen.

Die Eröffnung selbst scheint eine kurze und informelle Angele-

genheit gewesen zu sein im Vergleich zu den Veranstaltungen anderer Länder. Die Italiener zum Beispiel boten eine Ehrengar-

de, eine Militärkapelle und einen Kinderchor auf 6, während die

Franzosen «zwei Minister, einen General und hundert Manne-

quins» aufbrachten und «ein rauschendes Fest» feierten, bei dem «Sekt und Geld […] in Strömen [flossen]», wie ein deutscher Kri-

tiker mit kaum verhohlenem Neid bemerkte.7 Georg von Schnitz1  Vier der katalanischen Fotojournalis­ ten waren Josep Brangulí i Soler, Gabriel Casas i Galobardes, Carlos Pérez de Rozas Masdeu und Josep Maria Sagarra i Plana; der fünfte Fotograf ist unbekannt («Foto Maymó»). 2  Der Fotograf war Josep Brangulí i Solers. Zu der bemerkenswerten katalani­ schen Fotografenfamilie Brangulí mit sei­ nen Söhnen Joaquim und Xavier siehe Brangulí, hrsg. von der Fundación Telefó­ nica, Madrid 2010. 3  von Schnitzler an Maiwald, 6. Mai 1929, HoeA, WaB 1929 – 1930.

4  Die deutsche Delegation traf am 16. Mai ein und bestand aus Georg von Schnitzler und seiner Ehefrau Lilly, Dr. Posse vom Wirtschaftsministerium, Dr. Mathies, Dr. Windel und Dr. Wage­ mann vom Außenministerium. «La representación de Alemania», in: La Vanguardia, 17. Mai 1929, S. 8. 5  Legationsrat Windel an den Minister­ rat in Berlin, 28. Mai 1929, BArchL, Aus­ stellung Barcelona, AA, Abteilung II, R 9.01, 40029, S. 188. Die Deutsche Allgemeine Zeitung berichtete ebenfalls, dass nur von Schnitzler zu dem

Eröffnungsbankett eingeladen war, jedoch nicht der Botschafter Welczek. «Deutsch­ land auf der Weltausstellung», in: Deutsche Allgemeine Zeitung, Nr. 239, 27. Mai 1929, S. 2. 6  Online unter: https://www.youtube. com/watch?v=OEbWEVuiguU. 7  Eduard Foertsch, «Die Weltausstel­ lung in Barcelona», in: Vossische Zeitung, Nr. 270, 11. Juni 1929, S. 4. 8  Anon., “Der deutsche Pavillon in Bar­ celona. Die feierliche Eröffnung,” , in: Münchner Neueste Nachrichten, 4. Juni 1929, S. 15.

ler und der spanische König hielten ihre Ansprachen im Inneren

des Pavillons vor einem kleinen Publikum, das auf Mies’ Stahlrohrstühlen Platz genommen hatte, die eigens für die Zeremonie aufgestellt worden waren. Das Königspaar trug sich dann in ein

ledergebundenes Ehrenbuch ein, das auf dem viereckigen Tisch mit der schwarzen Glasplatte vor der Onyxwand lag, und machte einen kurzen Rundgang durch das Gebäude.8

In seinen sorgfältig formulierten Äußerungen betonte von

Schnitzler den ‹bescheidenen Rahmen› des deutschen Auftritts,

114  Eröffnung und Nutzung

Von Schnitzler bezeichnete Mies als einen «unserer bedeutends-

ten und ideenreichsten jüngeren Architekten», nannte den Pavillon den «sichtbarsten Ausdruck […] der inneren Verfassung deut-

schen wirtschaftlichen Denken und Handelns.» Doch war er sich dessen Wirkung keineswegs sicher. «Solch einfache Formen

unter Ihren südlich blauen Himmel und in die Üppigkeit Ihrer

Vegetation zu stellen, mag vielleicht ein Wagnis gewesen sein. Vielleicht wirkt alles, was wir bieten, hier übermäßig schlicht und ungewollt asketisch.»9

1

Der letzte Punkt mag manchen Anwesenden paradox erschienen

sein, da sie von Mauern aus aufwendig poliertem Marmor, spiegelnd vernickelten Metallstützen und riesigen Glaswänden

1  Eröffnung des Deutschen Pavillons, 27. Mai 1929. Georg von Schnitzler begrüßt den König und die Königin von Spanien. 2  Eröffnung des Deutschen Pavillons, 27. Mai 1929, Mies van der Rohe auf der linken Seite, den Zylinder in der Hand 3  Eröffnung des Deutschen Pavillons, 27. Mai 1929, Georg von Schnitzler, König Alfonso XIII., Lilly von Schnitzler (in Weiß) 4  Eröffnung des Deutschen Pavillons, 27. Mai 1929, Mies van der Rohe und König Alfonso XIII 5 Eröffnung des Deutschen Pavillons, 27. May, 1929: Mies van der Rohe in der Mitte

umgeben waren. Schnitzler selbst kannte auch noch nicht den

vollen Kostenumfang des Pavillons. Die letzte Schätzung von den er als Antwort auf die «schweren wirtschaftlichen Sorgen»

Mies hatte sich auf ungefähr 150.000 Reichsmark belaufen.10

und die «harte Not» zu Hause bezeichnete. Dieser Ton wurde von

In seiner Rede vermied von Schnitzler jegliche Bezugnahme auf

chen einer neuen deutschen Geisteshaltung präsentierten:

zerbrechliche Demokratie oder auf seine eigenen politischen

den Reportern gut aufgenommen, die seine Sätze als Verspre-

Deutschlands Rolle im Ersten Weltkrieg, auf dessen junge und

Ansichten. Er nahm Rücksicht auf das Gastland, wo die Monar-

«In einem weniger wie dem Ihrigen von der Sonne begnadeten

chie die Militärdiktatur Primo de Riveras tolerierte. König Alfon-

hat sich ein neuer Zeitgeist durchgesetzt, der so viel an Helle und

davon in Kenntnis, dass er seit der Ausstellungseröffnung «täg-

Lande, das lange und dunkle Winter und viele Regentage kennt, Klarheit auffangen und wiedergeben will, als die natürlichen

Bedingungen nur eben gestatten. Wir lehnen alles Winkelige,

Dunkle, Schwülstige und Umständliche ab, wir wollen klar den-

ken und klar handeln und wollen uns daher auch mit klaren, geraden und reinen Dingen umgeben. Die harte Not, die wir durchmachten, hat uns gelehrt, das Einfachste als das Wesentlichste zu

so  XIII dankte von Schnitzler und setzte das Publikum launig lich [an dem Bau] vorübergefahren sei und sich gefragt habe, ob er fertig werde». Schlussendlich habe er begriffen, dass «dies

glänzende und bis ins Detail vollkommene Werk gewissermaßen

zu improvisieren [...] Absicht der deutschen Führung gewesen» sei.11

betrachten und alles nicht Notwendige als überflüssig auszu-

Nach der Zeremonie gingen die Besucher durch den Pavillon. Ein

hen, aber Sie wollen darin unseren Willen finden absolut wahr zu

des kleinen Beckens an der Kolbe-Statue vorbeibewegt. Der

deren Sinn und Ziel ist ‹Aufrichtigkeit.›

det sich der Seite von Königin Victoria Eugenia von Battenberg,

scheiden. […] Kein Schlagwort soll über unserem Programm stesein und dem Geist einer neuen Zeit Ausdruck zu verleihen,

Filmausschnitt zeigt die Gruppe, wie sie sich nach Osten entlang König und von Schnitzler sind ins Gespräch vertieft, Mies befin-

115

3

2

9  «La sección alemana en la Exposi­ ción Internacional de Barcelona 1929», in: Diario Oficial de la Exposición Internacional Barcelona 1929, Nr. 10, 25. Mai 1929, S. 18. Eine deutsche Fassung des Textes findet sich in den Akten Georg von Schnitzlers: «Bericht über meinen Besuch der Internationalen Weltausstellung Bar­ celona 1929», 19. Mai 1929. Anonymes ­Typoskript, HoeA, ZWA 209: WaB1929, S. 13. 10  Im Juli, zwei Monate nach der Eröff­ nung, nannte man von Schnitzler den

aktualisierten Betrag von 200.000 Reichs­ mark, doch erst Ende September erfuhr er das wirkliche Ausmaß der Kosten für den Pavillon: 338.422,18 Reichsmark. Mies an von Schnitzler, 28. September 1929, MoMA, MvdR Nachlass, Barcelona, Ord­ ner 7. Barcelona-Akte. 11  Lilly von Schnitzler, «Weltausstel­ lung Barcelona», in: Der Querschnitt, Jg. 9, Nr. 8, August 1929, S. 582 – 584, hier: S. 584. Lilly von Schnitzlers Paraphrasie­ rung der Äußerungen des Königs unter­ scheidet sich leicht vom offiziellen

Protokoll. Da sie bei der Zeremonie anwe­ send war, scheint ihr Bericht von den spontanen und leicht spöttischen Worten des Königs glaubhaft, insbesondere, da der König bekannt war für Bemerkungen jenseits des Protokolls. Siehe den offiziel­ len Bericht in: «Inauguración del Pabellón y Sección de Alemania», in: Diario Oficial de la Exposición Internacional Barcelona 1929, Nr. 12, 2. Juni 1929.

116  Eröffnung und Nutzung

5

4

einer Enkelin der britischen Königin Victoria. Einige Bilder zeigen die Gruppe zwischen dem großen Becken und der Opalglas-

wand, umringt von einer aufmerksamen Zuschauermenge.

Elektrizitätswerke und die deutsche Abteilung in der Halle für Textilgewerbe ABB. 6, 7

Hier sieht man Mies im Gespräch mit Alfonso XIII. Nach

Weitere Vorträge und Reden wurden am Abend bei einem gro-

großen Beckens zu dem noch unvollendeten kleinen Bürobau

verlas ein Telegramm des deutschen Präsidenten Paul von Hin-

ABB. 3, 4

diesem Rundgang setzten die Besucher ihren Weg entlang des

fort, wo Champagner und Kanapees gereicht wurden. ABB. 5 Die

Gruppe kehrte dann zu den Autos zurück und fuhr zu den ande-

ren deutschen Abteilungen. Sie besuchte die Ausstellungshalle für Metallurgie, Elektrizität und Maschinen, wo die Produkte der IG Farben prominent vertreten waren, sowie die Ausstellungs-

halle für Kommunikation und Transport, Mies’ Pavillon der

ßen Bankett im Festsaal des Hotel Ritz gehalten. Graf Welczeck

denburg an den spanischen König, das mit begeistertem Applaus

aufgenommen wurde.12 Primo de Rivera hielt eine kurze Rede, und beide Nationalhymnen erklangen. Es folgten weitere Ansprachen von Georg von Schnitzler und dem Marqués de

Foronda, Präsident des Organisationskomitees sowie neuer Freund und Bewunderer Lilly von Schnitzlers – «deren blaue

117

6

6  König Alfonso XIII in der deutschen Automobil Ausstellung 7  König Alfonso XIII und Georg von Schnitzler beim Rundgang über das Ausstellungsgelände. Mies van der Rohe ist hinter König Alfonso sichtbar.

12  Johannes Bernhard Graf von ­ elczeck war von 1925 bis 1936 deut­ W scher Botschafter in Madrid. Zusammen mit dem deutschen Marineoffizier und Spionagechef Wilhelm Canaris handelte er ein Geheimabkommen zwischen Deutschland, Spanien und dem baski­ schen Industriellen Horacio Echevarrieta (1870 – 1963) über die Herstellung

7

deutscher Unterseeboote in Cádiz aus und umging so das im Versailler Vertrag festgelegte Verbot einer Wiederbewaff­ nung Deutschlands. Das erste und einzige U-Boot, das auf Grundlage dieses Vertra­ ges entstand, wurde zu der Zeit produ­ ziert, als der Barcelona-Pavillon errichtet wurde, 1929 – 1930.

118  Eröffnung und Nutzung

8

Augen den spanischen Himmel widerspiegelten» –, der er dank-

Rolle wichtiger war, als es die Archivdokumente erkennen lassen.

[verteidigt hatte], wenn Spanien als zügellos und undiszipliniert

und Mies van der Rohe stolz lächelnd inmitten einiger hundert

te, dass sie unermüdlich «unser Land in deutschen Zeitschriften

dargestellt wurde».13 Lilly wurde in der nächsten Ausgabe des Diario Oficial mit einem ganzseitigen Porträt auf der Umschlag-

Das offizielle Foto des Banketts an diesem Abend zeigt Lilly Reich Gäste. ABB. 8

innenseite als «hervorragende und großartige Schriftstellerin»

Allen Berichten zufolge waren die Eröffnungsfeierlichkeiten ein

lung unendlich viel Dankbarkeit verdient».

dass der Pavillon noch nicht ganz fertiggestellt war und so weni-

geehrt, «deren Werk im Namen Spaniens und unserer Ausstel14

ABB. 2, S. 26

Wenige

(hauptsächlich hochrangige Politiker) wurden ähnlich geehrt – ihr

Ehemann Georg erhielt nur eine halbe Seite in einer späteren

Ausgabe ABB. 1, S. 26 –, und wir können nur spekulieren, dass ihre

großer Erfolg. Es schien kaum jemandem etwas auszumachen, ge Besucher auf dem Ausstellungsgelände unterwegs waren.15

Der kleine Kiosk am Nordwestende war noch im Bau, die Leuchtwand in der Mitte funktionierte noch nicht, der wichtige rote

119

Vorhang wurde erst sechs Wochen später geliefert, und mit der

8 Festliches Bankett im Ballsaal des Hotel Ritz am 27. Mai, 1929, anlässlich der Eröffnung der deutschen Abteilung. Mies van der Rohe und Lilly Reich vorne an dritter Stelle in der zweiten Tisch­ reihe von links.

Gartengestaltung auf der Rückseite war noch gar nicht begonnen worden.16

Die Arbeit am Pavillon und in einigen deutschen Abteilungen sollte noch etliche Wochen lang weitergehen, und viele Details

wurden erst kurz vor der Deutschen Woche im Oktober fertig.17

Deutschland machte insgesamt einen guten Eindruck18, zweifellos befördert durch den Umstand, dass nur wenige der anderen Länderpavillons und Ausstellungsbereiche rechtzeitig fertigge-

stellt waren – «Ausstellungs-Inseln in einem Meer von Kisten»,wie es die Frankfurter Zeitung beschrieb.19 Ein interner Regierungs-

13  Losada, «De la Exposición de ­Barcelona: El banquete de los alemanes a la Comisión organizadora», in: ABC (Ma­ drid), 28. Mai 1929, S. 45. 14  Diario Oficial de la Exposición Internacional Barcelona 1929, Nr. 12, 2. Juni 1929, S. 2. Rodiño hatte im Mai von Lilly und Georg von Schnitzler Fotos für diese Publikation angefordert: Rodiño an von Schnitzler, 4. Mai 1929, HoeA, WaB 1929 – 1930. Während ihrer Besuche in Barcelona entwickelte Lilly eine persönli­ che Freundschaft zu Marqués de Foronda, dem Leiter des Organisationskomitees der Weltausstellung von Barcelona, die über den Krieg hinaus Bestand hatte, als ihr Ehemann viele Jahre lang Präsident der Deutsch-Ibero-Amerikanischen Ge­ sellschaft war. Brigitte Salmen (Hrsg.), ­Bereitschaft zum Risiko. Lilly von Schnitzler, 1889 – 1981: Sammlerin und Mäzenin, Murnau 2011, S. 46 – 47. 15  Wilhelm Hack, «Das Wunder der Ausstellung», in: Deutsche Tageszeitung, Berlin, 11. Juni 1929. 16  von Kettler an Mies, 15. Juli 1929, MoMA, MvdR Nachlass, Barcelona-Pavil­ lon, Ordner 2010, Material aus dem ­Eduard-Ludwig-Nachlass. 17  Dies geht aus der Abschlusskosten­ rechnung von Mies’ Ingenieur Ernst Wal­ ther hervor, der die Arbeitsstunden bis zum 19. Juni auflistete. Offenbar hatten

Mies und er Meinungsverschiedenheiten auf der Baustelle, und er wurde entlassen. Der Architekt und technische Direktor Strauss händigte ihm am Tag vor der ­Eröffnung die Kündigung aus, doch er ar­ beitete im Juli weiterhin für Mies, um ihm bei der abschließenden Kostenabrech­ nung zu helfen. Siehe: Ernst Walther an Mies van der Rohe, 23. Mai 1929, 20. Au­ gust 1929; Mies an von Kettler, 22. August 1929, in: MvdR Nachlass, MoMA, Barcelo­ na-Pavillon, Ordner 9. 18  Etliche deutsche Industriezweige hatten Anfang Juli immer noch nicht alle ihre Exponate geschickt. Erich von Kettler an von Schnitzler, 5. Juli 1929, HoeA, WaB 1927 – 1928. 19  Heinrich Simon, «Barcelona Welt­ ausstellung 1929», Sonderdruck der Frankfurter Zeitung, 1929, S. 5. 20  «Bericht über meinen Besuch der Internationalen Weltausstellung Barcelona 1929», 19. Mai 1929. Anonymes Typo­ skript, HoeA, WaB 1927 – 1928. Vergleiche auch den Bericht über die Eröffnung der Pariser Exposition Internationale des Arts Décoratifs 1925: «Es ist das traditionelle Recht von Ausstellungen aller Art, nicht rechtzeitig fertig zu werden. […] Die Jour­ nalisten waren darüber verschnupft, daß sie bei der Premiere noch allenthalben durch Lehm und Latten steigen mußten und nicht viel mehr zu sehen bekamen als

Zäune und Baugerüste.» R. I., «Die Pariser Kunstgewerbe-Ausstellung: Das Gelände und die Bauten», in: Vossische Zeitung, Nr. 212, 6. Mai 1925, Das Unterhaltungsblatt, S. 1. 21  Siehe «El Infante Don Fernando ­Inauguro El Pabellón de Hungaria», in: Diario Oficial de la Exposición Internacional Barcelona 1929, Nr. 17, 7. Juli 1929, o. S.; Fernando Barangó-Solís, «Lo que sera el Pabellón de Rumanía», in: Diario Oficial de la Exposición Internacional ­Barcelona 1929, Nr. 24, 24. August 1929; «La Inauguración del pabellón de Ruma­ nia», in: Diario Oficial de la Exposición ­Internacional Barcelona 1929, Nr. 27, 14. September 1929, S. 30. 22  Lenore Kühn, «Auftakt in Barcelo­ na», in: Kissinger Saale Zeitung, 27. Mai 1929. Rudolf Friedmann, «Die Weltausstel­ lung in Barcelona: noch unfertig, aber ­imposant», in: Danziger Neueste Nachrichten, 28. Mai 1929. Die Frankfurter Zeitung berichtete Anfang November, dass «noch bis vor kurzem» einzelne Pavillons endlich eröffnet wurden. F. S., «Die Welt­ ausstellung in Barcelona. Eine Nachlese», in: Frankfurter Zeitung, Abendausgabe, Nr. 827, 5. November 1929. 23  «Visita a la Secció Alemanya», in: La Veu de Catalunya, Jg. 39, Nr. 10/291, 29. Mai 1929, S. 1.

bericht ging weiter ins Detail: «An sich ist man es […] gewöhnt, dass Weltausstellungen bei der Eröffnung nicht fertig sind, aber

dass eine Weltausstellung bei ihrer Eröffnung so unfertig sein

konnte wie diese, hatte man denn doch nicht erwartet. […] die unglücklichen Fußgänger [mussten] über die spitzen Schottersteine turnen […]. Große Reihen von Gebäuden waren über-

haupt kaum im Rohbau fertig.»20 Der Ungarische Pavillon wurde

Ende Juni eröffnet und der Rumänische Pavillon gar erst Anfang September.21 Der spanische Nationalpalast und das Poble Espa-

nyol waren hingegen am Tag der Eröffnung für die Besucher

empfangsbereit. Hier wurden das gemeinsame Erbe und die gesamte spanische Kultur betont und so den unruhigen Katalanen, die in diesen ersten Wochen die Mehrheit der Besucher ausmachten, eine wichtige Propagandabotschaft vermittelt.22

Während seines achtmonatigen Bestehens beherbergte der

Deutsche Pavillon relativ wenige Veranstaltungen. Am Morgen nach der Eröffnungszeremonie gab es einen Empfang für die

Presse. Mies sagte einige Worte zum Pavillon, und dann führten

er und von Schnitzler die versammelten Journalisten durch die deutschen Abteilungen.23 Am Nachmittag gab es Tee für eine

Gruppe Auslandsdeutscher. Gelegentlich wurden Empfänge für

hochrangige Besucher abgehalten. Der wichtigste unter ihnen

120  Eröffnung und Nutzung

Stresemann kam am Morgen an und unternahm im Auto eine kurze Stadtrundfahrt, auf der er die mittelalterliche Kathedrale

und die Baustelle von Gaudís Sagrada Família sah. Nach einer

kurzen Pause im Hotel Ritz ABB. 9.13 traf er am Barcelona-Pavillon

ein, wo er längere Zeit verweilte und sich in das Gästebuch ein-

trug, bevor er pflichtgemäß einen Rundgang durch die deutschen Ausstellungen absolvierte. Nach dem Mittagessen im Res-

taurant Miramar ABB. 9.15 kehrte er zum Bahnhof zurück , um den

Abendzug nach Paris zu nehmen, und schickte ein Glückwunsch-

telegramm an Georg von Schnitzler in Frankfurt.25 Als er nach

Deutschland zurückkam, war er gesundheitlich angeschlagen. Die Adern in seinem linken Bein waren entzündet, und die deut-

sche Presse schrieb dies eilfertig seinem Besuch auf der Weltausstellung zu, wo er viele Stunden lang auf den Beinen gewesen war. Gustav Stresemann starb drei Monate später im Alter von

51 Jahren.26 Der vorzeitige Tod dieses einflussreichen und ver-

söhnenden Politikers, der 1923 Reichskanzler und danach sechs Jahre lang Außenminister gewesen war und zusammen mit Aris-

tide Briand den Friedens­nobelpreis erhalten hatte, war ein Omen

9

für den heraufziehenden Verfall der politischen Kultur der Weimarer Republik.

In einem Brief an Mies vom 15. Juli 1929 berichtete Arthur von

Kettler, Assistent und Stellvertreter von Schnitzlers in Barcelona, war der deutsche Außenminister Gustav Stresemann, der entscheidend an der Bereitstellung finanzieller Mittel zur Vollen-

dung des Pavillons beteiligt gewesen war. Er kam am 18. Juni 1929 auf seinem Rückweg von einer diplomatischen Mission in

Madrid zu einem kurzen Besuch. Er war an zeitgenössischer

Architektur und Gestaltung interessiert und Mitglied des Deutschen Werkbundes. Ein großer Empfang und ein festliches Abendessen im Pavillon waren für ihn geplant, doch Terminzwän-

ge führten dazu, dass das Ganze wesentlich bescheidener ausfiel.

24

dass er «jeden Tag mehrere dutzendmal» nach «der Idee des

Pavillons» gefragt werde, und er bat um einige erklärende Worte

von Mies. Doch dieser blieb ihm offenbar die Antwort schuldig.27 Manche Besucher merkten anscheinend gar nicht, dass es sich

dabei um den Deutschen Pavillon handelte. Ein Reporter des amerikanischen Magazins Architectural Forum schrieb zum Bei-

spiel in seinem ausführlichen Bericht zur Weltausstellung: «Nur

Italien, Belgien und Frankreich haben eigene, konsequente Pavillons errichtet».28 Seine Unkenntnis mag sich durch den Umstand

erklären, dass durch die späte Zuweisung des Grundstücks und

den verzögerten Baubeginn keine der offiziellen Karten in den

121

10

9, 10  Konzert am Deutschen Pavillon am 23. Oktober 1929 während der Deutschen Woche. Die spät angebrachte Aufschrift Alemania befindet sich an der Treppenwange.

24  «Stressemann [sic] en Barcelona», in: La Vanguardia, 14. Juni 1929, S. 6. 25  «Politicos ilustres. El ministro de Negocios Extranjeros de Alemania, señor Stressemann [sic], llega a Barcelona dispensándosele un cariñoso recibimiento», in: La Vanguardia, 19. Juni 1929, S. 6. Von Kettler an von Schnitzler, 17. Juni 1929,

Maiwald an von Schnitzler, 19. Juni 1929, HoeA, WaB1927 – 1928. 26  «Stresemann über seine Erkrankung», in: Vossische Zeitung, Nr. 292, Sonntagsausgabe, 23. Juni 1929, S. 1. «Ha muerto el Dr. Stressemann!», in: Diario Oficial de la Exposición Internacional Barcelona 1929, Nr. 31, 5. Oktober 1929, S. 3.

27  Von Kettler an Mies, 15. Juli 1929, MoMA, MvdR Nachlass, Barcelona-Pavillon, Ordner 1. 28  William Francklyn Paris, «The Barcelona Exposition: A Splendid but Costly Effort of the Catalan People», in: Architectural Forum, November 1929, S. 481 – 496.

122  Eröffnung und Nutzung

Doch der Hauptgrund, warum der Pavillon so häufig übersehen

wurde, war in der Tat sicherlich der erstaunliche Umstand, dass nach der Eröffnung viereinhalb Monate lang keine Inschrift an

seiner Fassade zu finden war.30 Die berühmten Fotografien, die

Ende Juni aufgenommen wurden, zeigen den Pavillon ohne den Schriftzug «Alemania» (und daher fehlte er auch bei der Rekons-

truktion im Jahre 1986).31 Die Aufschrift wurde erst Mitte Okto-

ber 1929 angebracht, gerade rechtzeitig zur Deutschen Woche. So wurde der Pavillon schließlich an die deutschen Sektionen und das Gebäude der Elektroindustrie angeglichen, bei denen die Beschilderung in der speziellen Schrifttype, die Gerhard

Severain hierfür entwickelt hatte, immer eine wichtige Rolle

gespielt hatte. ABB. 10, 11 In einem Bericht über ein Konzert vor

dem Pavillon zur Deutschen Woche im Oktober veröffentlichte die Zeitung La Vanguardia ein Foto mit dem neu angebrachten schwarzen Schriftzug «Alemania» neben den Treppen zum

Podest.32 Ein anderes Foto in der Sammlung der Mies-van-der-

Rohe-Stiftung zeigt den rückwärtigen Eingang mit einer kleineren, wohl zeitgleich angebrachten Beschriftung. ABB. 11 Mies hat

11

beide nie gesehen.

Ausstellungsbroschüren den Standort des Pavillons verzeichnete (mit Ausnahme des deutschen Katalogs, der aber erst im Juli 11 Ansicht des Deutschen Pavillons von der Rückseite, Herbst 1929. Die Beschrif­ tung Alemania ist teilweise vom Schatten des Daches verdeckt.

erschien). Da das Grundstück von der internationalen Abteilung

auf dem Montjuïc weit entfernt war, erwarteten die Besucher hier keinen Länderpavillon. Andere Besucher hielten den Bau für

einen Ausstellungsstand der Marmorindustrie – ein verzeihlicher

Fehler, da bis zum Oktober die einzige Aufschrift den Marmor-

lieferanten Köstner & Gottschalk aus Berlin nannte , und schließ29

lich gab es die Tradition, kommerzielle Pavillons aus dem Mate-

rial herzustellen, für das sie warben – man denke an Bruno Tauts

Wir können nur spekulieren, warum es so lange dauerte, bis man dem Deutschen Pavillon seinen Namen gab. Es war sicherlich der

einzige auf dem Ausstellungsgelände, der nicht sein Herkunftsland auswies. War das ein schlichtes Versehen, ein Fehlen der finanziellen Mittel oder mangelndes Selbstvertrauen, weil der

Pavillon noch nicht ganz fertiggestellt war? Mies selbst mag viel-

leicht die klaren Linien des Gebäudes ohne irgendwelche Aufschriften bevorzugt haben, denn er hatte bekanntermaßen die

Bitte der Regierung, eine Skulptur des deutschen Adlers an der der Onyxwand im Innern anzubringen, abgewiesen.33

Pavillon für die Stahlindustrie in Leipzig 1913, sein Glashaus bei

Doch die triftigsten Gründe, die Beschriftung zurückzuhalten,

1927 in Stuttgart.

weigerte, für den Pavillon zu zahlen, war er immer noch dessen

der Werkbund-Ausstellung 1914 oder Mies’ eigenen Glasraum

hatte Georg von Schnitzler: Solange die deutsche Regierung sich

123

rechtmäßiger Besitzer. Schließlich hatte er das Gebäude in Auf-

verlegt, wo sie wahrscheinlich nur von denjenigen gesehen wur-

sungen. Während die finanziellen Probleme noch keineswegs

rell als bewusste Entscheidung von Mies interpretiert worden –

trag gegeben und finanziert – entgegen klarer Regierungsanweigeklärt waren, lenkte von Schnitzler möglicherweise rechtzeitig

zur Deutschen Woche ein, da man viele Besucher aus Deutschland und von in Spanien lebenden Deutschen erwartete.

Ein weiterer Grund für die Schwierigkeiten, den Deutschen Pavil-

lon als solchen zu identifizieren, war die Tatsache, dass es keine Exponate in seinem Inneren gab. Während alle anderen Länder-

pavillons etwa Reiseprospekte und Informationen über die

Schönheit des jeweiligen Landes, dessen Industrie, Kunst und Geschichte anboten, hatte Mies die gesamte Informationsabtei-

lung zu Deutschland in den zweiten Stock der Maschinenhalle

de, die eigens nach ihr suchten. Die Leere des Pavillons ist geneum die reine Raumdarstellung nicht zu beeinträchtigen –, doch

gibt es dafür keinerlei Anhaltspunkte. Es ist wahrscheinlicher, dass die unsichere Zukunft des Pavillons im März 1929 dazu führte, dass die Informationsabteilung verlegt wurde, und der drama-

tische Zeitmangel vor der Eröffnung die Planung einer Ausstel-

lung verhinderte. Tatsächlich erörterten Mies, Lilly von Schnitzler

und der Herausgeber der Frankfurter Zeitung, Heinrich Simon, Ideen für eine Ausstellung im Pavillon während der Deutschen

Woche im Oktober, ohne dass Mies je geltend gemacht hätte, dass diese sein Konzept ruinieren würden.

Zahlreiche kulturelle Veranstaltungen waren für die Deutsche

Woche geplant.34 ABB. 9.19 Zwar war das Budget nicht mehr ganz

so klein wie zu dem Zeitpunkt, als Georg von Schnitzler die Finanzdebatte des Reichstags am 2.  März verließ, doch alle zusätzlichen Mittel waren von den exorbitanten Kosten des Pavillons verschlungen worden. Von Schnitzler bezahlte schließlich 29  In einer der Ausstellungsbroschü­ ren wurde der Pavillon einfach als «Marmor­ausstellung» ausgewiesen. Paolo Amaldi und Annelle Curulla, «Chairs, Pos­ture, and Points of View: For an Exact Restitution of the Barcelona Pavilion», in: ­Fu­ture Anterior: Journal of Historic Preser­ vation, History, Theory, and Criticism, Jg. 2, Nr. 2, Winter 2005, S. 18. Aller Wahrschein­ lichkeit nach war der Schriftzug mit dem Namen des Marmorlieferanten Köstner &  Gottschalk neben der Eingangstreppe Teil eines Abkommens mit der Firma. Er wurde aus Sasha Stones Hauptansicht herausretuschiert, ist jedoch auf anderen Schnappschüssen von der Eröffnung zu sehen. 30  Zwei Fotografien mit der Beschrif­ tung wurden von David Caralt entdeckt, und die Aufschrift ist in der Korrespon­ denz zwischen dem Gestalter der Schrif­ ten, Gerhard Severain, und Mies’ Büro

­ rwähnt. Gerhard Severain an Mies, e 22. November 1929, MvdR Nachlass, MoMA, Ordner 8. Gerhard Severain an Lil­ ly Reich, Mies van der Rohe und Piet van Aken, 26. November 1929; Lilly Reich an Gerhard Severain, 22. November 1929; Lilly Reich an Severain, 5. Juli 1929; Lilly Reich an Gerhard Severain, 4. November 1929, MoMA, MvdR Nachlass, Barcelona, Ordner 8. Ein britischer Beobachter be­ merkte, dass «im Übrigen seine einzige Dekoration das Wort ‹Alemania› in schwarzen Lettern an seiner Front und die vier deutschen Fahnen an den Grenzen des Grundstücks waren», in: «A Visit to the Barcelona Exhibition», in: The Spectator, Nr. 5299, 18. Januar 1930, S. 84 – 85. 31  Bei einer Konferenz in Barcelona anlässlich des 30. Jahrestages des Wie­ deraufbaus des Pavillons bat Dietrich Neumann die Fundació Mies van der Rohe und deren Direktorin Anna Ramos

um die Anbringung der Aufschrift, denn diese war bei der Rekonstruktion des Pa­ villons im Jahr 1986 ebenfalls unterlassen worden. 32  «Notas Gráficas», in: La Vanguardia, 24. Oktober 1929, S. 3. David Caralt ist die Entdeckung dieses Fotos zu verdanken. 33  Aktennotiz Edwin Redslob, 4. Feb­ ruar 1929. Reichskunstwart, Weltausstel­ lung Barcelona BArchL R 32 1929. 34  «Hablando con el Dr. von Schnitzler. La participación de Alemania en nuestro certamen», in: Diario Oficial de la Exposición Internacional Barcelona 1929, Nr. 13, 9. Juni 1929. 35  «La Semana Alemana», in: La Vanguardia, 20. Oktober 1929, S. 11. 36  Köstner & Gottschalk an Mies, 26. September 1929, MvdR Nachlass, MoMA, Barcelona-Pavillon, Ordner 2010 Material aus dem Eduard-Ludwig-Nach­ lass.

etliche Teile des Unterhaltungsprogramms selbst. Der Beitrag

des deutschen Reiches – oder genauer, des Reichswehrministers Wilhelm Groener – bestand darin, das brandneue Kriegsschiff

Königsberg nach Barcelona zu schicken und dessen Militärkapel-

le bei der Eröffnung der Deutschen Woche am 19. Oktober den spanischen Marsch und die deutsche Nationalhymne spielen zu lassen.35 Zu diesem Zeitpunkt waren alle ausstehenden Arbeiten

am Pavillon erledigt, er war ordnungsgemäß als Deutscher Pavillon ausgewiesen, das Büro am Südende war mit einer Toilette und einer kleinen Küche versehen worden und geöffnet, die

Leuchtglaswand funktionierte, und der Garten auf der Rückseite

war bepflanzt. Wenige Wochen zuvor hatte von Schnitzler sogar einen Spezialisten von Köstner & Gottschalk gebeten, nach Barcelona zu kommen, um die Steinoberflächen des Pavillons nachzupolieren.36

124  Eröffnung und Nutzung

Offensichtlich an die Wirtschaftsvertreter gewandt, vor denen er seine Eröffnungsansprache hielt, und zweifellos beeinflusst von den inzwischen erschienenen Kritiken, verwies von Schnitzler auf

den Pavillon als «geistige Demonstration unseres ernsthaften Bemühens um Zusammenarbeit in der Weltwirtschaft». Er emp-

fahl seinen Gästen, «ihn am Ende eines Besuchs der verschiedenen deutschen Abteilungen [zu] betrachten, um die Eigenschaften, die jedes der Exponate veranschaulicht, in abstrakter Form

wiederzufinden».37 Seine Frau Lilly hatte unterdessen eine gänz-

lich andere Demonstration der Essenz des Pavillons geplant, und zwar als Teil und Ausdruck des umfassenden Projekts der Moderne, das von der Architektur bis hin zu Kunst, Tanz, Musik und

Technik reichte. Für einen Abend, am 23.  Oktober, sollte der

Pavillon die Hauptattraktion der Deutschen Woche sein.38 Lilly von Schnitzlers Gespräche mit Mies und Heinrich Simon über

eine Ausstellung zur Buchkunst oder eine «geschmackvolle Schau moderner grafischer Kunst» lassen erkennen, dass die Lee-

re des Pavillons nicht zwingend programmatisch war. Sie disku-

tierten auch darüber, einen Dokumentarfilm über Deutschland in Auftrag zu geben, der im Pavillon gezeigt werden sollte, oder ein klassisches Konzert des Busch-, Quarnieri- oder des modernen Hindemith-Quartetts zu veranstalten, oder aber eine Tanzauffüh-

rung der Laban-Schule.39 Rudolf Laban wäre eine besonders geeignete Wahl gewesen, da er nicht nur der prominenteste Vertreter der deutschen Ausdruckstanz-Bewegung war, sondern

auch an der École des Beaux-Arts in Paris Architektur studiert hatte und die Bewegung menschlicher Körper im gebauten Raum ihn sehr interessierte.40 Als sich herausstellte, dass Laban nicht

zur Verfügung stand, engagierte man zwei andere moderne Tän-

zer für eine Abendaufführung im Pavillon – Ernst Matray und dessen Frau Katta Sterna, die Max Reinhardts Ensemble angehörten

und zu den prominentesten progressiven Tänzern in der Weimarer Republik zählten.41 Eine berühmte Fotografie von Trude

Fleischmann, die ihre Silhouette vor einer Leuchtglaswand zeigt,

12

vermittelt uns eine ungefähre Vorstellung von ihrem Auftritt im

125

12  Der Tänzer Ernst Matray und seine Frau Katta Sterna, Foto: Trude Fleischmann

Pavillon. ABB. 12 Georg von Schnitzler bezahlte das Honorar sowie

Die moderne Tanzaufführung war die einzige für den Pavillon

zuwohnen: «Innerhalb dieser ‹Deutschen Woche› gebe ich am

sem Anlass angestrahlt – ihre erhobenen Arme und leicht

die Reisespesen der Tänzer und lud Mies ein, der Aufführung beiMittwoch den 23. Oktober ein kleines Fest im deutschen Pavillon, bei dem Herr Matray und Frau Katta Sterna tanzen werden. Es wäre nun wirklich ein großer Jammer, wenn Sie, der Schöpfer des

Pavillons, an diesem Tag fehlen sollten, und ich bitte Sie doch

sehr herzlich sich so einzurichten, wenigstens einige Tage und zwar gerade an diesem Mittwoch in Barcelona zu sein.» Von

Schnitzler legte nahe, dass Mies’ Reisespesen aus dem Erlös vom zukünftigen Verkauf des Pavillons gedeckt werden könnten.

Mies lehnte höflich ab.43

42

geplante abendliche Veranstaltung. Kolbes Statue wurde zu diegebeugten Knie ein stilles Echo der Bewegungen der Tänzer. Der

Tag der Aufführung war sorgsam gewählt, sodass er mit «dem glanzvollsten Ereigniss» im Rahmen der deutschen Feierlichkeiten von 1929 zusammenfiel: der Ankunft des berühmten Zeppe-

lin LZ 127, der am Nachmittag mehr als eine Stunde lang über Barcelona kreiste.44 Nach einer vielpublizierten Weltumrundung

hatte der Zeppelin eine Sonderreise in den Mittelmeerraum unternommen, insbesondere zu den Orten der Weltausstellung

Sevilla und Barcelona. Das Brummen seiner Triebwerke am Himmel lockte die Einwohner Barcelonas auf ihre Balkone und Dachterrassen. Sie winkten mit Taschentüchern und machten zahllose

Fotografien. Als eine Art Zugabe tauchte er nachts noch einmal auf und drehte drei Runden über dem Ausstellungsgelände. Die starken Scheinwerfer hinter dem Nationalpalast waren auf ihn

gerichtet und bezogen ihn in ihr Lichtspektakel ein. «Über den Lichtern der Ausstellung erinnerte der Zeppelin im Strahl der 37  «Inauguració Oficial de la Setmana al Pavelló Alemany», in: La Publicitat, Sonntag, 20. Oktober 1929, S. 5. 38  Von Schnitzler an von Kettler, 23. Juni 1929, BArchL, Ausstellung Barce­ lona, AA, Abteilung II, R 9.01, 40029, S. 169. 39  Paul Hindemith (1895 – 1963) war ein gefeierter zeitgenössischer Komponist und Professor an der Berliner Hochschule für Musik. Interne Notiz, Außenministeri­ um, 25. Juni 1929, BArchL, Ausstellung Barcelona, AA, Abteilung II, R 9.01, 40029, S. 179. 40  Siehe insbesondere: Rudolf Laban, Choreographie. Erstes Heft, Jena 1926. Vera Maletic, Body, Space, Expression: The Development of Rudolf Laban’s Movement and Dance Concepts, New York, Berlin, Amsterdam 1987. Holger Otten, «Archi­ tecture, Painting and Sculpture as a Crea­ tive Unity: Über das Verhältnis von Kunst und Architektur bei Mies van der Rohe»,

in: Andreas Beitin, Wolf Eiermann und Bri­ gitte Franzen (Hrsg.), Mies van der Rohe – Montage, Collage, Ausst.-Kat. Ludwig Fo­ rum für Internationale Kunst, Aachen, London 2017, S. 188 – 208. Leider haben sich keinerlei Spuren einer Choreografie Rudolf Labans für den Barcelona-Pavillon in den Archiven des Laban-Instituts in Lon­ don erhalten. 41  Von Schnitzler an Mies, 10. Oktober 1929, und Mies an von Schnitzler, 16. Ok­ tober 1929, MoMA, MvdR Nachlass, Bar­ celona-Pavillon, Ordner 2010, Material aus dem Eduard-Ludwig-Nachlass. Siehe auch den Brief von Heinrich Simon an von Schnitzler, in dem er berichtet, Lilly von Schnitzler, Mies und er selbst hätten das Programm diskutiert und empfohlen, ei­ nen Film zur deutschen Kultur in Auftrag zu geben, der während der Deutschen Woche gezeigt werden sollte, sowie die Tanzaufführung von Matray und Sterna. Heinrich Simon an von Schnitzler, 8. Juli

1929, HoeA, WaB1929 – 1930. 42  Von Schnitzler an Mies, 10. Oktober 1929, HoeA, WaB 1929 – 1930. 43  Mies an von Schnitzler, 16. Oktober 1929, MoMA, MvdR Nachlass, BarcelonaPavillon, Ordner 2010, Material aus dem Eduard-Ludwig-Nachlass. 44  «El Presidente del Club Germania, de Barcelona, señor Rüggeberg», in: Diario Oficial de la Exposición Internacional Barcelona 1929, Nr. 35, 2. November 1929. «El majestuoso vuelo del Conde Zeppelin», in: La Vanguardia, 28. Dezem­ ber 1991, S. 10. 45  «El Conde Zeppelin en Barcelona», in: La Vanguardia, 24. Oktober 1929, S. 6. 46  Dieser Augenblick wurde auch von einem Zeichner im Inneren des Zeppelins, Ludwig Dettmann, festgehalten: «Barcelo­ na! Niemals sah ich die Stadt von oben in solcher Schönheit; wie aus der See gebo­ ren.», Ludwig Dettmann, Mit dem Zeppelin nach Amerika, Berlin 1929.

Scheinwerfer an einen riesigen Fisch, der oben im bläulichen

Meer des Himmels schwamm», schwärmte ein Journalist.45 Die

geladenen Gäste der Tanzvorführung im Pavillon gingen nach

draußen, um das atemberaubende Spiel der Lichter am Himmel zu sehen, das sich im großen Wasserbecken spiegelte. Als der

Zeppelin schließlich auf dem Rückweg zum Flugplatz Prat langsam in der Ferne entschwand, wurde er plötzlich nochmals hell

angeleuchtet – dieses Mal von den Scheinwerfern des Kriegsschiffes Königsberg im nahegelegenen Hafen. ABB. 13 Ein perfekter Moment der Moderne.46

Das Auftauchen des Zeppelins und des Kriegsschiffes waren die herausragenden Ereignisse in einer ansonsten recht konventio-

nellen Deutschen Woche. Vier Wagner-Opern – Das Rheingold, Tannhäuser, Siegfried und Die Götterdämmerung – wurden im

Gran Teatre del  Liceu aufgeführt,und es gab Vorträge zu den

126  Eröffnung und Nutzung

13

13  Der Zeppelin LZ 127 über dem Ausstellungsgelände am Abend des 23. Oktober 1929

127

Wundern der deutschen Elektro- und Chemieindustrie und zu

Elsaessers Bildvortrag zu «Problemen der modernen Architek-

rem eingeladene Redner war nicht Mies, sondern Martin Elsaes-

wurde einen Vortragssaal verlegt. Elsaesser betonte darin, dass

moderner Architektur.47 Der von Georg von Schnitzler zu letzteser, Leiter des Frankfurter Hochbauamtes und ein erfolgreicher

moderner Architekt, der 1928 das Haus der von Schnitzlers am

Frankfurter Westendplatz umgestaltet hatte. Lilly von Schnitzler mag über den Unterschied zwischen Mies und Elsaesser nach-

gedacht haben, als sie in einem Buch zu Elsaessers Werk (das auch ihr eigenes Haus berücksichtigte) folgenden Kommentar

tur», der ursprünglich im Deutschen Pavillon stattfinden sollte, die – in Spanien noch weitgehend unbekannte – moderne Architektur nicht eine deutsche Erfindung, sondern vielmehr «übernational» sei und in mehreren Ländern gleichzeitig ihren

Ursprung habe. Sie suche, so Elsaesser, nach «Einheit, Wesensgehalt und Reinheit» in einem «engen Zusammenhang mit dem geistigen Leben unserer Zeit».49 Mies hätte dem sicher zuge-

schrieb: «Die großen Lehrer der Architektur, die an Zeitwenden

stimmt. Elsaesser zeigte dann einige seiner jüngsten Schulbau-

Stil seinen Elementen nach entwickeln. Erst ihre Schüler sind

Mobiliar und helle Klassenräume mit Blick in die umgebende

auftauchen, sind zunächst Theoretiker und Fanatiker, da sie den

Architekten der Praxis wie der Bauherr sie braucht, erst sie verwirklichen die großen Gedanken des Lehrers.»

ten in Frankfurt mit neuen Ideen zum Lehrbetrieb: bewegliches Natur.

48

Die Monate vergingen, und der Pavillon wurde weiterhin nur sel-

ten genutzt, während er nach wie vor große Beachtung in der Presse fand. Das Drama seiner Finanzierung setzte sich ebenfalls unvermindert fort: « […] sehr besorgt über mir unverständlich

hoher Außenstände […] bitte mich hierwegens gleich morgen

früh 9 Uhr in Hoechst anrufen.»50 Georg von Schnitzlers sorgen-

volles Telegramm an Mies von Mitte Juli 1929, mehr als sechs Wochen nach der Eröffnung, war charakteristisch für ihre Korres47  Geheimrat Dr. Wilhelm Lenzmann sprach im Pavillon für die Elektroindustrie, und der I.G.-Farben-Manager Franz Ahl­ grimm berichtete über «Stickstoff, seine Düngeeigenschaften und Bedeutung für die spanische Landwirtschaft» im Land­ wirtschaftszentrum. «Programa de la Se­ mana Alemana», in: Diario Oficial de la Exposición Internacional Barcelona 1929, Nr. 32, 12. Oktober 1929. 48  Martin Elsaesser war einer der Fina­ listen im Wettbewerb für das IG-FarbenHaus, das schließlich von Hans Poelzig ge­ staltet wurde und dessen Bau Georg von Schnitzler ebenfalls beaufsichtigte. Barbara C. Buenger, «Some Portraits from WeimarEra Frankfurt», in: Rose Carol Washton Long und Maria Makela (Hrsg.), Of «Truths Impossible to Put in Words»: Max Beck-

mann Contextualized, Bern 2009, S. 165 –  198, hier: S. 167. Lilly von Schnitzler, «Was erwarte ich von meinem Architekten?», in: Martin Elsaesser, Bauten und Entwürfe aus den Jahren 1924 – 1932, Berlin 1933, S. 6. 49  «Setmana Alemanya: Conferència del Doctor Martin Elsaesser», in: La Veu de Catalunya, Jg. 39, Nr. 10417, Dienstag, 22. Oktober 1929, S. 7. Elisabeth Elsaes­ ser, private Korrespondenz, 22. Oktober 1929, Martin-Elsaesser-Stiftung, Frankfurt. Ich danke Professor Thomas Elsaesser, Amsterdam, danken, der mir diesen Text zur Verfügung gestellt hat. Originalpro­ gramm siehe: von Schnitzler an Vertreter der Industrie mit einem vorläufigen Pro­ gramm für die Deutsche Woche, 7. Okto­ ber 1929, HoeA, Bd. II.

50  Telegramm von Schnitzlers an Mies, 14. Juli 1929, MoMA, MvdR Nachlass, Bar­ celona-Pavillon, Ordner 2010, Material aus dem Eduard-Ludwig-Nachlass. 51  Siehe zum Beispiel seine Anfragen im Juli, September, Oktober und Novem­ ber 1929: von Schnitzler an den Ministeri­ aldirektor Ritter im Auswärtigen Amt, 25. Juli 1929, BArchL, Ausstellung Barce­ lona, AA, Abteilung II, R 9.01, 40029, S. 204 – 207; von Schnitzler an Gustav Stre­ semann und Julius Curtius, 29. September 1929, BArchL, Ausstellung Barcelona, AA, Abteilung II, R 9.01, 40029, S. 175. 52  Ein gutes Beispiel für die komplexe Finanzsituation ist der sechsseitige Brief von Kettlers an von Schnitzler, 5. Juli 1929, HoeA, WaB 1929 – 1930.

pondenz, während von Schnitzler versuchte, die endgültigen

Kosten für die deutsche Teilnahme an der Weltausstellung zusammenzustellen und einige seiner persönlichen Darlehen

wieder hereinzuholen.51 Die Dokumente lassen keinen Zweifel an

den quälenden Komplikationen, die durch Mies’ unzuverlässige

Buchführung und seine saloppen Vereinbarungen mit den beteiligten Firmen verursacht wurden.52 Mies hatte auch sehr flexible Vorstellungen von Budgetgrenzen und Verbindlichkeiten und

stellte den Arbeitern zum Beispiel großzügig «Geld, Bier, Zigaretten und Essen» zur Verfügung – was er dann auf von Schnitzlers

Budget abwälzte. Bis zum 5.  Juli  – die Arbeiten waren einen

Monat nach der offiziellen Eröffnung noch in vollem Gange –

­hatten zusätzliche Rechnungen für Materialien, Reisen und

128  Eröffnung und Nutzung

andere organisatorische Ausgaben für Mies und sein Team die

Trotz des offenkundigen Erfolgs, dessen sich der Pavillon in der

mark getrieben, was bereits eine Kostenüberschreitung von etwa

tung vom Finanzausschuss des Reichstages im Herbst 1929

geschätzten Gesamtkosten des Pavillons auf 277.000  Reichs100.000 Reichsmark bedeutete. Weitere Ausgaben zeichneten sich ab.

Letzten Endes kostete die deutsche Teilnahme an der Weltausstellung 1.414.801 Reichsmark, wobei von Schnitzler mit Unter53

stützung der IG Farben etwa 740.000  Reichsmark vorstreckte, die an Lieferanten und Bauarbeiter gezahlt wurden (erheblich

mehr als die 150.000 Reichsmark, zu denen er sich anfänglich verpflichtet hatte).54 Der Pavillon allein kostete 338.422 Reichs-

mark (die heute ungefähr 1,35  Millionen Euro entsprechen). Demgegenüber hatte das im Vorjahr geplante Haus für Georg

und Lilly von Schnitzler in Frankfurt ungefähr 250.000  Reichsmark gekostet und Miesʼ Haus Esters in Krefeld etwa

Presse erfreute, wurden von Schnitzlers Gesuche um Rückvergü-

mehrfach abgelehnt.56 Die interne Korrespondenz zwischen ver-

schiedenen staatlichen Stellen zeigt, dass der Wirtschaftsminister von Schnitzler «Inkompetenz» vorwarf und andere sich über

Mies’ großzügigen Vertrag und die Verschwendungssucht der «jungen Architekten» ärgerten, die mit dem «Train Bleu» gereist waren und sich bei den erforderlichen Materialien massiv verkalkuliert hatten. Ein Beamter forderte einen parlamentarischen

Untersuchungsausschuss zur Misswirtschaft im Baubüro von Bar-

celona.57 Gerüchte über die enormen Mehrkosten erreichten auch den Sekretär des Werkbundes, Ernst Jäckh, der intern ver-

lauten ließ, Mies könne bei der nächsten, 1932 in Köln geplanten

Werkbund-Ausstellung nicht mit einer führenden Funktion

betraut werden.58 Als Mies von Jäckhs Bemerkung Wind bekam,

150.000  Reichsmark.55 Beide Häuser verfügten über erheblich

stellte er ihn verärgert zur Rede. Er forderte sogar Briefe von sei-

große, versenkbare Fenster. Selbst die Villa Tugendhat, deren

diese bestätigten, dass ihre Bauten unter strenger Einhaltung

mehr Grundfläche, eine große Küche, etliche Badezimmer und berühmte massive Onyxwand im Wohnraum allein mit 60.000  Reichsmark zu Buche schlug, kostete insgesamt

300.000 Reichsmark – bedeutend weniger als der viel kleinere

Barcelona-Pavillon. In ähnlicher Weise schossen die Kosten für den Pavillon der Elektrizitätsversorger von Mies’ anfänglicher

Schätzung von 40.000 Reichsmark auf etwa 140.000 Reichsmark. Mies schob diese gewaltigen Mehrkosten auf die örtliche Teuerung, die Unterbrechung der Arbeiten während des Budget-

nen damaligen Kunden Esters und Lange in Krefeld an, in denen des Budgets errichtet worden waren.59 Für jemanden, der Fertig-

stellungstermine, Budgets und Vereinbarungen nonchalant miss-

achtete und unbeirrt seiner Vision folgte, war Mies erstaunlich

dünnhäutig: Wurde er auf ungenaue Berechnungen hingewiesen oder mit seinen enormen Fehlkalkulationen bei Materialbe-

stellungen konfrontiert, reagierte er meist überheblich, mit weit hergeholten Gegenanklagen oder Verschwörungstheorien.60

streits im März, die zu einer großen Anzahl von Überstunden und

Mies war wenig hilfreich, als von Schnitzler die Regierung zuneh-

Probleme mit der spanischen Bürokratie. Während diese Aspekte

zum Beispiel ab, im September zu einem entscheidenden Treffen

Wochenendschichten führte, sowie auf die organisatorischen sicherlich zum finanziellen Desaster beitrugen, waren sie sicher

nicht die Hauptgründe. Erstaunlicherweise wurden Mies’ kühne Behauptungen in der Korrespondenz mit dem reservierten von

Schnitzler nie offen in Frage gestellt. Mies, der Konfrontationen nicht scheute, wusste, dass er damit durchkommen würde.

mend verzweifelt um weitere Finanzusagen bat, und lehnte es im Wirtschaftsministerium zu erscheinen, weil er seinen Urlaub auf der Insel Sylt nicht vorzeitig abbrechen wollte. 61 Am

15. Dezember drohte von Schnitzler damit, die deutsche Sektion vorzeitig zu schließen und allen Lieferanten zu raten, die deutsche Regierung zu verklagen. Diese Taktik funktionierte. Kurz

129

daraufhin traf ein vom Wirtschaftsminister unterschriebener

Scheck für ein Darlehen von über 550.000 Reichsmark ein.62 Die

Ausstellung blieb einen weiteren Monat geöffnet und schloss, wie ursprünglich geplant, am 15. Januar 1930. Der Pavillon wurde demontiert.63

53  Listen mit den aufgewendeten Kos­ ten im Anhang an einen Bericht von Mies, 3. Oktober 1929, BArchL, Ausstellung ­Barcelona, AA, Abteilung II, R 9.01, 40029, S. 110 – 113. 54  Von Schnitzler, 10. Oktober 1929, BArchL, Ausstellung Barcelona, AA, Abtei­ lung II, R 9.01, 40029, S. 175. 55  Hermann John an Mies, Privat­ sammlung. Zitiert in: Christiane Lange, Ludwig Mies van der Rohe: Architektur für die Seidenindustrie, Berlin 2011, S. 110. 56  Notiz über ein Treffen vom 14. No­ vember 1929 zwischen dem Reichskanzler und allen Parteivorsitzenden, die zusätzli­ che Gelder für Barcelona ablehnten. 57  Interne Notiz, 25. September 1929, BArchL, Ausstellung Barcelona, AA, Abtei­ lung II, R 9.01, 40030, S. 11; von Kettler an Mies, 15. Juli 1929, sowie Notiz über ein Treffen bezüglich der Finanzierung der Ausstellung, 22. August 1929, beide MoMA, MvdR Nachlass, Barcelona-Pavil­ lon, Ordner 1. 58  Die ambitionierte WerkbundAusstellung, die Ernst Jäckh für 1932 plante, musste wegen der Weltwirtschafts­ krise abgesagt werden. Während Jäckh auf Mies mit großem diplomatischen ­Geschick einging (ohne seine eigenen ­Bemerkungen zurücknehmen), muss er besonders enttäuscht darüber gewesen sein, dass diese Ausstellung im Rahmen der Kosteneinsparungsmaßnahmen im März aufgegeben und auch nicht wieder aufgenommen wurde, als die Mittel später zur Verfü­gung standen. Von Schnitzler an Foronda, 6. April 1929, HoeA, WaB 1929 – 1930. 59  Mies an Jäckh, 22. August 1929 (Kopie an von Schnitzler), MoMA, MvdR Nachlass, Ordner Barcelona 1929; ­Hoechst ZWA 209.

60  Als man ihm die Mehrkosten von 70.000 Reichsmark sowohl in der Seiden­ industrieabteilung als auch für den Pavil­ lon der Elektrizitätsversorger vorhielt, ­behauptete Mies, ohne Einzelheiten zu nennen, dass er seine «Verhandlungen nicht so naiv geführt habe, wie es die Do­ kumente nahelegen könnten», und dass ohnehin die Schuld für zusätzliche Kosten beim Generalbevollmächtigten und seiner Organisation läge. Mies an von Kettler, 25. Juli 1929; von Kettler an Mies, 15. Juli 1929, MoMA, MvdR Nachlass, Barcelona, Ordner 1.61.  Von Schnitzler an Mies, 19. September 1929, und Mies’ Antwort am 21. September 1929, MoMA, MvdR Nachlass, Barcelona-Pavillon, Ordner 2. Aufgrund von Meinungsverschiedenhei­ ten zwischen von Schnitzler und Mies wur­ de die Zahlung der letzten Rate von Mies’ Honorars bis Dezember hinausgezögert; von Kettler an Lilly Reich, 16. Dezember 1929, MoMA, MvdR Nachlass, BarcelonaPavillon, Ordner 7. 62  Wirtschaftsminister an von Schnitz­ ler, 15. Dezember 1929, MoMA, MvdR Nachlass, Barcelona, Ordner 3. 63  Eine kleinere «Nationalausstellung Barcelona 1930» lief weitere sechs Mona­ te und zeigte vornehmlich Exponate aus den verschiedenen spanischen Regionen, das Spanische Dorf und die Wasser- und Lichtspiele. Die Besucherzahlen schrumpf­ ten, und die Ausstellung endete schließ­ lich mit einem beachtlichen Defizit von 250 Millionen Peseten. Spanisches Gene­ ralkonsulat an das Auswärtige Amt in Ber­ lin, 24. Juli 1930, sowie Gaziel, «Pequeña elegía: Adiós, Exposición!», in: La Vanguardia, Nr. 20718, 18. Juli 1930, S. 3, Politi­ sches Archiv des Auswärtigen Amts, Be­ stand R 240.031, AA, Abteilung II, R.901, 40031, «Einzelausstellungen Spanien.

Internationale Ausstellung Barcelona 1929», Bd. 5, S. 69 – 74. 64  Maywald an von Schnitzler, 3. Januar 1930, HoeA, WaB 1929 – 1930. Eine Garnitur von zwei frühen BarcelonaSesseln aus dem Pavillon scheint im Haus von Gerhard Severain, einem alten Freund von Mies, der mit der Gestaltung und dem Anbringen der Beschriftungen betraut war, in Wiesbaden gelandet zu sein. Sie befinden sich immer noch im Besitz der Familie. 65  Mies an Graf Johannes von Welz­ ceck, deutscher Botschafter in Madrid, 18. März 1930, MoMA, MvdR Nachlass, Barcelona-Pavillon, Folder 2010, Material aus dem Eduard-Ludwig-Nachlass; G. Mainrath an Mies, 5. März 1930, MoMA, MvdR Nachlass, Ordner 9. 66  Die Reichs-Kredit-Gesellschaft an Ministerialdirektor Ritter, AA, 24. Februar 1930; von Schnitzler an die Reichs-KreditGesellschaft, 10. Februar 1930; von Schnitzler an den Ministerialdirektor Ritter im Auswärtigen Amt, 15. Februar 1932, Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Bestand R 240.031, AA, Abteilung II, R.901, 40031, «Einzelausstellungen ­Spanien. Internationale Ausstellung Barce­ lona 1929», Bd. 5, S. 25, 27, 113 – 115. 67  Von Schnitzler an den Ministerial­ direktor Ritter im Auswärtigen Amt, 15. Februar 1932, Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Bestand R 240.031, AA, Abteilung II, R.901, 40031, «Einzel­ ausstellungen Spanien. Internationale Ausstellung Barcelona 1929», Bd. 5, S. 113–115; Wirtschaftsministerium an das Auswärtige Amt, 29. Juli 1932.

Zur Deckung der Kosten versuchte man, die Materialien des

Pavillons, die von Mies entworfenen Möbel und viele der Waren

und Exponate zu verkaufen, die deutsche Firmen, häufig als Kompensation für geforderte Zahlungen, in Barcelona zurückgelassen hatten. Der Verkauf der Güter in Spanien erwies sich jedoch als schwierig und unrentabel, da hohe Zollabgaben anfie-

len. Von Schnitzler befand sich in der kuriosen Situation, plötzlich

eine beträchtliche Zahl von Spielzeugautos und mehrere große Teddybären und Stoff-Elefanten des berühmten deutschen Herstellers Steiff zu besitzen. Ein großes Caféhaus in Madrid und ein Sammler in Toulouse waren an Mies’ Stühlen interessiert, doch

kam kein Verkauf zustande. Ihr endgültiger Verbleib ist bis heute ein Rätsel.64

Von Schnitzlers Bemühungen, einen Teil der ausgelegten Kosten zurückzu erlangen, wurden durch den Ausbruch der Weltwirtschaftskrise und die erneuten politischen Unruhen in Spanien

zusätzlich erschwert. Primo de Rivera trat am 30. Januar 1930 als

Ministerpräsident zurück und starb wenige Wochen später. Nach-

dem aus einem Vorschlag, den Pavillon in Biarritz wiederaufzubauen, nichts geworden war, wurden seine Marmor- und Traver-

tinteile im März nach Hamburg verschifft.65 Als sich ihr Verkauf als unmöglich erwies, gingen sie in den Besitz der Wirtschafts- und

Finanzministerien über, die von Schnitzler dafür eine Bürgschaft gegeben hatten. Der Marmor und der Travertin wurden offenbar

bei Regierungsbauprojekten in Hamburg wiederverwendet.66

Erst im Juli 1932 waren alle finanziellen Angelegenheiten geklärt.67

Die Fotografien

131

Hat jemals eine Reihe von Fotos eine wichtigere Rolle in der

sich im Bau; Pläne für die Villa Tugendhat in Brünn und für das

Barcelona-Pavillons, die Sasha Stone Ende Juni 1929 aufgenom-

zweite Hochhauswettbewerb für die Friedrichstraße war ange-

Geschichte eines Baues gespielt als die 13 berühmten Bilder des

men hatte? In Abwesenheit des Gebäudes selbst und irgendwelcher anderer Abbildungen, war es die erstaunliche Kraft dieser

Bilder, die die kritische Rezeption und die Historiografie des

Pavillons über die nächsten fünf Jahrzehnte geprägt hat. Und als es an den Wiederaufbau ging, dienten diese Fotografien wiede-

rum als wichtigstes Zeugnis und Leitfaden für die Rekonstruktion, da sich fast keine Architekturzeichnungen erhalten hatten.

Entgegen seinem üblichen Vorgehen hatte Mies keinen Fotogra-

fen bestellt, um sein Werk nach der Fertigstellung zu dokumentieren. Es mag mit der Hektik vor der Eröffnung zu tun gehabt

haben oder mit seiner Abreise drei Wochen später oder auch mit

Haus für Emil Nolde in Berlin mussten ausgearbeitet werden; der laufen, und Mies entwickelte das Patent für den Barcelona-Sessel

weiter. Ein weiterer Grund für den Mangel an Fotos jedoch waren die hohen Kosten, die für die Erlaubnis offizieller Fotoaufnahmen auf der Weltausstellung erhoben wurden. Um sich politische Unterstützung zu erkaufen, hatte Primo de Rivera offensichtlich

gewisse Rechte vergeben – zum Beispiel das Erheben von

Gebühren für das Befahren des Ausstellungsgeländes mit Kraftfahrzeugen oder die Exklusivrechte für Fotoaufnahmen auf dem Ausstellungsgelände. Auf diese Weise erkaufte er sich die Gunst einflussreicher katalanischer Geschäftsleute, die seinem Regime gegenüber zunächst ablehnend gegenüber gestanden hatten.1

der Gewissheit, dass das Gebäude noch länger nicht fertig sein

Die ersten veröffentlichten Fotografien des Deutschen Pavillons

auch eine temporäre Struktur, die genau acht Monate später

schief und unscharf, mit ungleichmäßiger Belichtung.2 Sie

würde. Der Pavillon war sein bis dahin kostspieligster Bau, aber

waren denn auch Schnappschüsse eines Amateurs – ein wenig

schon wieder demontiert werden sollte. Mies war sich sicher

erschienen in der Wochenzeitschrift der Ausstellung Diario Ofici-

len würde. Gleichzeitig war er mit einer Reihe anderer Projekte

kann wohl davon ausgehen, dass jemand aus Mies’ Team sie auf-

nicht der herausragenden Rolle bewusst, die er in Zukunft spie-

beschäftigt: Die Häuser Esters und Lange in Krefeld befanden

al de la Exposición Internacional Barcelona 19293 ABB. 1, und man

genommen und Mies ihre Veröffentlichung genehmigt hatte. Sie

scheinen das Gebäude am 26. Mai, am Vorabend der Eröffnung4,

zu zeigen und sind ganz anders als die offiziellen Fotografien, die

Stone im Sommer aufnahm. Die Außenansicht ist von einem der

Blickwinkel aus aufgenommen, die in den folgenden Monaten 1  «Der Deutsche Pavillon in Barcelona. Einweihung der deutschen Abteilung», in: Leipziger Neueste Nachrichten, Nr. 152, 1. Juni 1929, S. 5. 2  Zu den Amateurschnappschüssen siehe David Caralt, «Pabellón cotidiano vs Pabellón mítico: Notas sobre las fotografí­ as casuales del Pabellón de Alemania en la Exposición Internacional de Barcelona 1929», in: R. Alcolea und J. Tárrago (Hrsg.), Congreso internacional: Inter photo arch «Interferencias», Pamplona 2016, S. 26 – 37, online unter: http://dadun.unav.edu/

handle/10171/42439; Dietrich Neumann, «Architektur der Reflexionen: Zur kriti­ schen Rezeption des Barcelona-Pavillons», in: Jan Maruhn und Wita Noack (Hrsg.), Spiegel: Mies van der Rohe und die Geschichte von Glanz und Abglanz, Berlin 2015, S. 97 – 117. 3 Siehe Diario Oficial de la Exposición Internacional Barcelona 1929, Nr. 12, 2. Juni 1929, o. S. 4  Sie haben sich in den Dokumenten von Mies’ Mitarbeiter Eduard Ludwig er­ halten und wurden erstmals veröffentlicht

in: Helmut Reuter und Birgit Schulte (Hrsg.), Mies und das neue Wohnen. Räume, Möbel, Fotografie, Ostfildern 2008, S. 54 – 55, 84 – 85, 280 – 281. Ludwig selbst kann nicht der Fotograf gewesen sein, da er zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Mies’ Büro tätig war und 1929 nicht nach Barce­ lona reiste. 5  Ibid., S. 53. Dr. von Kettler war der Bevollmächtigte des Generalkommissars. Die Aufschrift auf der Rückseite der Foto­ grafie lautet: «Mies u Kettler vor der Eröff­ nung».

beliebt wurden: von der Südostecke des großen Beckens mit

Blick auf den Pavillon, der sich im Wasser spiegelt. Auf der linken Seite ist eine Gruppe von Arbeitern damit beschäftigt, eine Reihe

von MR-Sesseln zu arrangieren. Andere gehen die Treppen hin-

auf oder hinunter. Blumentöpfe für die Eröffnung stehen bereits an ihrem Platz. Zwei Männer mit Hüten, einer deutlich größer als

der andere, beobachten das Stühlerücken. Auf der Rückseite des Abzugs sind sie als Mies und von Kettler, der örtlichen Repräsen-

tant, ausgewiesen.5 Die beiden Innenansichten thematisieren die

132  Die Fotografien

2

1  Drei Schnappschüsse des Barcelona-Pavil­ lons vom Abend vor der Eröffnung, unbekann­ ter Fotograf 2  Außenansicht des Barcelona-Pavillons, aufgenommen am Abend vor der Eröffnung, unbekannter Fotograf

1

133

Spiegelungen im Pavillon. Auf einer von ihnen begutachtet eine

Wie das Foto zeigt, war Mies anwesend, als die Bilder aufgenom-

dringt von rechts herein – der schützende rote Vorhang wurde

öffentlichung im Diario Oficial. Das Spiel der Reflexionen im Pavil-

Frau (wahrscheinlich Lilly Reich) den Innenraum; grelles Licht

erst Wochen später geliefert. Die Frau steht vor einer Glasschei-

be, in der wir das Spiegelbild einiger Besucher sowie den Fotografen mit seinem Stativ vor der Leuchtwand erkennen können.

6

Dank des dunklen Marmors hinter dem Glas sind die Reflexionen

men wurden, und höchstwahrscheinlich genehmigte er ihre Ver-

lon war zweifellos eine Qualität, derer sich Mies und sein Team bewusst waren. Doch wir wissen nicht, ob dieser Effekt einfach nur toleriert wurde oder das Ergebnis bewusster Planung war.

besonders wirkungsvoll, und wir können die Tiefe des Pavillons

Aufnahmen, die der dem Pavillon eigenen visuellen und räumli-

fen, die helle Travertinwand am Ende und darüber den angren-

trierten sich auf bestimmte Ansichten, während sie andere mie-

auf seiner Westseite, die sonnige Terrasse hinter dem Fotograzenden Palast Alfonsos XIII erkennen. Der Fotograf beteiligte die Spiegelungen an der räumlichen Komplexität des Gebäudes. Die

zweite Innenansicht, die noch schiefer und auch überbelichtet ist, zeigt ebenfalls das Wechselspiel von Reflexionen: Das schwarze

Wasserbecken verschmilzt mit dem dunklen Teppich im Innenraum, und die Glaswand zeigt die Kolonnade außen, und dieselbe Besuchergruppe auf dem Podium im Licht der untergehenden Sonne.7

chen Ordnung entsprechen, tauchten schon früh auf und konzen-

den. Mehrere Versionen des Blicks von der Südostecke über das Wasserbecken zum Hauptgebäude, die Außenansicht von Norden, der Hauptraum mit Blick zum kleinen Wasserbecken und eine Ansicht von Kolbes Statue erschienen in der Presse, in einem Bildband und auf Postkarten spanischer Fotografen.8 ABB. 2

Der Umstand, dass es eine Reihe häufig wiederholter Ansichten gab, hatte mit Eigenschaften des Gebäudes und dessen Lage zu tun. Die spiegelnden Oberflächen erschwerten gewisse Stand-

punkte, wenn der Fotograf seine eigenen Umrisse im Bild ver-

meiden wollte. Die Kolonnade auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand Frontalansichten von außen im Weg und ver6  Diese drei Bilder sind jedoch mit ­einer Kleinbildkamera und nicht mit der Plattenkamera aufgenommen worden, die auf dem Bild zu sehen ist. (Ich danke Helmut Reuter, Berlin, für diesen Hinweis.) Sie wurden auch ohne Stativ gemacht. Dies wirft die Frage auf, was mit den Fotos passiert sein mag, die an diesem Abend mit der Plattenkamera aufgenommen ­wurden. (Ich danke Helmut Reuter, Berlin, für diesen Hinweis). 7  Am 26. Mai geht die Sonne in Barce­ lona um 21,13 Uhr unter. Die Position der Schatten legt eine tiefstehende Sonne im Westen um ungefähr 19 Uhr nahe. 8  Spanische Profi-Fotografen nahmen den Barcelona-Pavillon im Oktober und September für eine Reihe von Postkarten auf. Brief von Kettlers an Lilly Reich,

10. September 1929, MoMA, MvdR Nach­ lass, Barcelona-Pavillon, Ordner 9. Siehe auch die Fotografie des Beckens und der Kolbe-Statue in einer offiziellen Publikati­ on mit von unbekannten Fotografen auf­ genommenen Bildern der meisten Pavil­ lons: Catálogo con 56 Huecograbados, Exposición Internacional de Barcelona 1929, Barcelona 1929. Der Vertreter von von Schnitzlers Kommissariat, von Kettler, schrieb am 29. Oktober an Lilly Reich, dass die Postkarten des Barcelona-­ Pavillons von einem spanischen Fotogra­ fen sich einer regen Nachfrage erfreuten: Brief von Kettlers an Reich, 29. Oktober 1929, MoMA, MvdR Nachlass, BarcelonaPavillon, Ordner 9. 9  Birgit Hammers, «Vom Dokument zur Legende: Zur Autorenschaft der Fotogra­

fien des Barcelona-Pavillons», in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, Jg. 72, Nr. 4, 2009, S. 545 – 556. «Da die ganzen Fotos, die ich bisher aus Barcelona bekommen habe, nichts geworden sind, habe ich in der vergangenen Woche Stone nach B. Verfrachtet, der dort etwa 40 bis 50 Auf­ nahmen von unserer Abteilung, aber wohl auch vom Reichs-Pavillon und den ande­ ren deutschen Ständen, gemacht hat und gleichfalls morgen wieder in Berlin ein­ treffen soll, was man aber bei ihm nie so bestimmt weiss. Wie mir Herr Zimmern berichtet, sollen die Aufnahmen sehr gut geworden sein, sdass wir dann endlich gutes Material bekämen. Hier lechzt auch alles danach.» Brief von Raemisch an Lilly Reich, 2. Juli 1929, MoMA, MvdR Nach­ lass, Barcelona-Pavillon, Ordner 11.

hinderte Fotos aus dem Inneren in diese Richtung. Die großen

Öffnungen, die Reflexionen des Travertinbodens außen und die Stärke der Mittelmeersonne führten zu besonders starken Kont-

rasten, die Aufnahmen von innen nach außen unmöglich mach-

ten. All die frühen Fotografen vermieden die Bereiche, die noch nicht fertig waren, etwa den Büropavillon am Südende, die Außenwände oder den Garten im rückwärtigen Teil.

Sechs Wochen nach der Eröffnung (Mies und Reich waren längst abgereist) beauftragte Ernst Raemisch, ein Manager der deut-

schen Seidenindustrie den Fotografen Sasha Stone, die Seidenabteilung und die anderen deutschen Ausstellungen zu foto­

grafieren.9 Der in St.  Petersburg als Alexander Sergejewitsch

134  Die Fotografien

3 – 7  Deutscher Pavillon, Juli 1929, Fotograf: Sasha Stone

3

4

Steinsapir geborene Stone arbeitete zu dieser Zeit als Fotograf in Berlin. Er hatte für führende Zeitschriften Mode-, Wissenschafts-

und Theaterfotos aufgenommen, oft mit einem Schuss Humor. Seine bis dahin bekannteste Studie eines einzelnen Gebäudes

war eine Serie zu Erich Mendelsohns Einsteinturm, die im Vorjahr

in der Berliner Illustrierten Zeitung erschienen war.10 Auch diese

Fotos zeichneten sich durch visuellen Einfallsreichtum und Witz

aus. Der Turm wurde zum Beispiel in geisterhafter Beleuchtung bei Nacht gezeigt oder aus der Wurmperspektive zwischen den Grashalmen des umliegenden Rasens heraus. Stone hatte auch

Aufträge von Bruno Taut erhalten und 1927 die Weißenhofsiedlung in Stuttgart fotografiert.11 Vielleicht war es sein jüngster Bild-

band über Berlin,12 der Erich Raemisch bewegte, ihn und nicht

etwa einen etablierten Architekturfotografen wie Arthur Koester, Lux Feininger oder Lucia Moholy anzuwerben. Die Stadtszenen

in Berlin in Bildern zeigen, einfühlsam portätiert, gewöhnliche Berliner, die Straßen kehren, sich um einen Verkäufer scharen oder im Regen eine dichtbefahrene Straße überqueren. Wenn

Raemisch sich etwas ähnlich Lebendiges vorgestellt hatte, dann 5

muss er von den Ergebnissen überrascht gewesen sein.

135

6

10  Sie waren für einen Essay in einer der Berliner Zeitschriften in Auftrag gegeben worden. «Das große Turmteleskop in Potsdam. Ein Besuch im Einstein-Turm», in: Berliner Illustrierte Zeitung, Jg. 37, Nr. 51,2, 16. Dezember 1928, S. 196.

7

Die Zeitschrift wurde vom Ullstein-Verlagshaus herausgegeben, und die Fotografien, die Stone für den Artikel aufgenommen hat (nicht alle von ihnen waren verwendet worden), sind noch in dessen Archiv zugänglich.

11  Birgit Hammers, Sasha Stone sieht noch mehr. Ein Fotograf zwischen Kommerz und Kunst, Petersberg 2014, S. 109 – 122. 12  Adolf Behne (Hrsg.), Berlin in ­Bildern, Berlin 1929.

136  Die Fotografien

8

9

Stones Fotografien des Barcelona-Pavillons von Juni 1929

Mittellinie der Onyxwand platziert war, 1,50  Meter über dem

hatte. Vielleicht beeindruckt von der offiziellen Funktion des

Horizontlinie in der Mitte und eine einprägsame Spiegelsymme-

ABB. 212, 14–17 waren völlig anders als alles, was er zuvor gemacht

Gebäudes oder angeregt von den Bildern des Stuttgarter Glasraums zwei Jahre zuvor, präsentierte er das Gebäude menschen-

Boden. Auf diese Weise hatte jede Innenaufnahme eine perfekte trie von Boden und Decke.

leer und – im Gegensatz zu seinem üblichen Ansatz – mit ernster

Als Ludwig Glaeser 1978 den Designer Massimo Vignelli bat,

großen Wasserbeckens aufgenommen und eine andere von der

Pavillons in der National Gallery in Washington zu gestalten, griff

Würde. Eine der Außenansichten wurde vom äußeren Rand des Nordostecke aus, die Schatten der angrenzenden Kolonnade scharf umrissen durch die Morgensonne. Im Inneren fügte sich Stone der zwingenden Choreografie des Gebäudes. In seinen

konventionellen Zentralperspektiven und Ansichten mit zwei

eine schmale Ausstellungsbroschüre für die 50-Jahr-Feier des

dieser genau dieses Merkmal der Fotografien auf. Er ordnete

den Inhalt im Querformat an, sodass der Falz genau in die Mitte von Stones ikonischen Fotos fiel – entlang der zentralen Horizont-

linie an den Fugen zwischen den Marmorplatten. Die Broschüre

Fluchtpunkten vermied er sorgfältig jede Spiegelung seiner

verdeutlichte mühelos Robin Evans’ Argument zehn Jahre später,

Reflexion ganzer Raumsegmente. Doch am wichtigsten war ihm,

ein unregelmäßiges Gebäude «einschmuggelte» und damit in

eigenen Figur in Glasscheiben und Marmorplatten oder die dass die Kamera streng horizontal blieb und genau in Höhe der

dass die Spiegelbildlichkeit von Boden und Decke Symmetrie in einen Stil, der die Symmetrie weitgehend aufgegeben hatte.13

137

8–10  Deutscher Pavillon, Juli 1929, Fotograf: Sasha Stone

13  Franz Schulze, «The Barcelona Pavi­ lion Returns», in: Art in America, Jg. 67, Nr. 7, 1979, S. 98 – 103. Siehe auch Ludwig Glaeser, Mies van der Rohe: The Barcelona Pavilion. 50th Anniversary, Freunde des Mies-van-der-Rohe-Archivs in Zusammen­ hang mit der Ausstellung «Mies van der Rohe: The Barcelona Pavilion», National Gallery of Art, Washington, D.C., 14. Okto­ ber – 2. Dezember 1979. Robin Evans, «Mies van der Rohe’s Paradoxical Symme­ tries», in: AA Files, Nr. 19, 1990, S. 56 – 68.

10

138  Die Fotografien

Angebot des Schweizer Suppenwürfeln Herstellers auf der ande-

ren Straßenseite. ABB. 16 Dieses Bild, damals kaum veröffentlicht,

wurde ebenfalls retuschiert, wenn auch Jahrzehnte später: Bevor Hans Maria Wingler, der damalige Direktor des Bauhaus-Muse-

ums, es 1962 in eine größere Publikation aufnahm, hatte er sorgsam alle Spiegelungen entfernen lassen.14 ABB. 17

Claire Zimmerman interpretierte 2014 den Pavillon als eine Art

«fotografische Architektur», deren «räumliche Anordnung» bewusst im Hinblick auf Fotografien entworfen wurde. Stone, so

ihre Vermutung, habe dann auf die «offenkundige» Kraft der

Raumkomposition reagiert und die «visuellen Bilder» geliefert, die Mies im Kopf hatte, als er seine «Raumchoreografien» entwarf.15 In Anbetracht der erwartungsgemäß kurzen Lebensdauer

des Gebäudes ist die Annahme plausibel, dass Mies erpicht darauf war, etwas Fotogenes für Schwarz-Weiß-Reproduktionen zu schaffen. Seinen frühen Skizzen nach zu urteilen, könnte er sich

jedoch andere Bilder vorgestellt haben als diejenigen, die Stone

letztlich machte. Und natürlich hinderte ihn das Chaos bei der

Entstehungsgeschichte des Baus daran, überhaupt Aufnahmen

12

in Auftrag zu geben.

Zweimal jedoch ließ Stone seinen üblichen Humor und visuellen

Einfallsreichtum aufblitzen: Eine Westansicht auf von Kolbes Sta-

tue im kleinen Wasserbecken – von anderen Fotografen bereits

kanonisiert und sogar schon als Postkarte erhältlich – spiegelt gerade so viel von der Skulptur in der Glaswand links wider, dass eine körperlose Hand geisterhaft ins Bild reicht.

ABB.  14

Leider

wurde Stones Sinn für Humor nicht von den Herausgebern des

Berliner Bild-Bericht geteilt, die das Bild retuschiert verschickten. ABB. 15 11

In einer Innenansicht derselben Glaswand erscheint Kol-

bes Figur lediglich fragmentiert auf der Onyxwand. Rechts kön-

nen wir einige Buchstaben entziffern, deren Spiegelbild für «MAG»GI und [DE]«GUSTACIONES GRATUITAS» wirbt – ein

Ein zweiter professioneller Fotograf kam Ende Oktober aus

Deutschland – Wilhelm Niemann, der Eigentümer der Agentur Berliner Bild-Bericht, dem Stone seine Fotos verkauft hatte. Wie

bereits erwähnt, behauptete er später, bereits im März und April 1929 in Barcelona gewesen zu sein, um die Ausführung des

Pavillons der Elektrizitätsversorger zu beaufsichtigen. Eine Zuschreibung der Fotos ist schwierig, da die Agentur für gewöhn-

lich nur ihren Stempel auf die Rückseite der Abzüge drückte, ohne jedoch den Fotografen auszuweisen. Da jedoch bekannt

ist, wann sich die Fotografen jeweils in Barcelona aufhielten können die vom Berliner Bild-Bericht verbreiteten und vor Ende

Oktober weithin verwendeten Aufnahmen Stone zugeschrieben werden16 und das nächtliche Bild von der Rückseite

ABB.  18

139

11–12  Deutscher Pavillon, Juli 1929, Fotograf: Sasha Stone 13  Mies van der Rohe, 1934 mit einer Aufnahme des Barcelona Pavillions von Sasha Stone im Hintergrund, Fotograf: Werner Rohde 14, 15  Der Pavillion 1929, Abb. 14 zeigt noch das Spiegelbild der Hand am linken Rand, auf der Abb 15 ist diese retuschiert.

14

13

14  Hans Maria Wingler, Das Bauhaus: 1919 – 1933, Köln 1962. 15  Claire Zimmerman, Photographic Architecture, Minneapolis 2014, S. 53, 56, 70. 16  Brief von Dr. Erich Raemisch an ­ Lilly Reich, 2. Juli 1929, MoMA, MvdR Nachlass, Barcelona-Ordner 11. Siehe ­Birgit Hammers, «Vom Dokument zur Legende: Zur Autorschaft der Fotografien des Barcelona-Pavillons», in: Zeitschrift für

Kunstgeschichte, Nr. 72, 2009, S. 545 – 556. Ich danke Birgit Hammers für zusätzliche Informationen per E-Mail vom 12. November 2013. Niemann wird in Briefen von ­Lilly Reich an von Kettler erwähnt: 4. und 8. November 1929, MoMA, MvdR Nachlass, Barcelona-Pavillon, Ordner 3 und 9. Die Stone-Fotografien waren wahrscheinlich diejenigen, die Mies’ Büro Ende Juli an einige Teilnehmer in Barcelona schickte. Brief von Mies van der Rohes Büro an

Georg Kolbe, 24. Juli 1929; Brief von A. Meyer-Gasters an Lilly Reich, 22. Juli 1929, MoMA, MvdR Nachlass, BarcelonaPavillon, Ordner 9. Der Berliner Bild-­ Bericht schickte am 25. August 25 Fotos von der Ausstellung in Barcelona und am 28. Dezember 1929 weitere zwölf Abzüge an Georg von Schnitzler, HoeA, WaB 1929 – 30.

15

140  Die Fotografien

17

16

18

141

16  Innenansicht, Juni 1929, Fotograf: Sasha Stone

Niemann, da die Leuchtwand noch nicht funktionierte, als Stone in Barcelona war.

17  Retuschierte Version von 1961 18  Nachtaufnahme der Rückseite: Wilhelm Niemann, Oktober 1929

Die erhaltene Korrespondenz verdeutlicht, dass die visuelle

Gegen Ende November drängte von Kettler Reich (offensichtlich

vergebens), «den Pavillon [...] verewigen zu lassen», zum Beispiel

in Form einer Postkartenserie wie die des rumänischen Pavillons, die er seinem Brief beilegte.18 Wenn Mies auch selbst keine Fotos

Dokumentation des Pavillons kaum als dringlich empfunden wur-

in Auftrag gab, so scheint er doch zufrieden mit denen von Stone

hatten auch einmal daran gedacht, ein kleines Bilderbuch zusam-

Zeitschriften sandte, mitunter mit der Bitte, sie in einem entspre-

de. Anfang November 1929 berichtete Lilly Reich «Mies und ich menstellen zu lassen, aber dann war uns daran wieder die Lust

vergangen.» Doch gleichzeitig war sie gespannt, ob Niemanns Besuch in Barcelona Ende Oktober «uns noch gute Aufnahmen bringt».

17

gewesen zu sein, die er an die Ausstellungsteilnehmer sowie an chend großen Format abzubilden oder an prominenter Stelle zu

zeigen.19 Ein großer Abzug des direkten Blicks in die Längsachse

hin zur Kolbe-Figur im Hintergrund

ABB. 12

zierte eine Wand in

Mies’ Büro, und 1934 stellte Werner Rhode Mies vor dieses Bild, als er dessen Porträtfoto aufnahm. ABB. 13 Es war das einzige Bild des Pavillons, das Mies (in einer wandhohen Vergrößerung) 1947 in seine Ausstellung im Museum of Modern Art aufnahm.

Zweifellos erwies sich Stone als einer von Mies’ wichtigsten Verbündeten. Der Fotograf verkaufte seine Fotos an Wilhelm Niemanns Berliner Bild-Bericht-Agentur, die sie in Publikationen

weithin verbreitete.20 Ohne die visuelle Kohärenz dieser 13 Fotos hätte der kurzlebige Pavillon wohl kaum seinen fast mythischen

Status erlangt.21 Die Stärke und Stringenz von Stones Sichtweise wird deutlich, wenn man seine Aufnahmen mit den drei anfangs

17  Von Kettler hatte schon am 10. Sep­ tember vergeblich bezüglich einer Postkartenserie eines spanischen Foto­ grafen angefragt, der eine exklusive Foto­ lizenz erworben hatte. Von Kettler an Lilly Reich, 10. September 1929, MoMA, MvdR Nachlass, Barcelona-Pavillon, Ordner 9; Lilly Reich an von Kettler, 4. und 8. Novem­ ber 1929, MoMA, MvdR Nachlass, Barce­ lona-Pavillon, Ordner 3 und 9. 18  Brief von Kettler an Reich, 26. No­ vember 1929, MoMA, MvdR Papers, Barcelona-Pavillon, Ordner 4. Von Kettler hatte schon am 10. September vergeglich bezüglich einer Postkartenserie eines spa­ nischen Fotografen angefragt, der eine exklusive Fotolizenz erworben hatte. Von Kettler an Lilly Reich, 10. September 1929,

MoMA, MvdR Papers, Barcelona-Pavillon, Ordner 9. 19  «Die außergewöhnliche Art und Schönheit des Bauwerks veranlasste uns, den Wunsch des Architekten nach mög­ lichst großem Maßstab der Bilder und au­ ßergewöhnlicher Anordnung zu erfüllen.». In: «Der Pavillon des Deutschen Reiches auf der Ausstellung in Barcelona. Archi­ tekt Ludwig Mies van der Rohe», in: Stein Holz Eisen, Nr. 39, 26. September 1929, S. 609 – 613. 20  Eine genauere Betrachtung von Stones kanonischen Bildern legt nahe, dass sie zu verschiedenen Zeiten und viel­ leicht auch an verschiedenen Tagen auf­ genommen wurden. Auf einigen, jedoch nicht allen von ihnen säumen Blumentöp­

fe das Äußere des Pavillons wie am Eröff­ nungstag. Die Anordnung der Möbel im Inneren variiert. Für die Innenaufnahmen war es schwer, ein Gleichgewicht zwi­ schen der Helligkeit draußen und der Dunkelheit drinnen herzustellen. 21  Teilserien von Stones Fotografien haben sich in der Stiftung Bauhaus Des­ sau, im Museum of Modern Art in New York und in der Fundació Mies van der Rohe in Barcelona erhalten. Die Bedeu­ tung von Stones Fotos für den Erfolg des Pavillons wurde von Birgit Hammers, George Dodd und Wolf Tegethoff sowie in Ursula Berger und Thomas Pavel (Hrsg.), Barcelona Pavillon: Mies van der Rohe, Architektur und Plastik, Berlin 2006, diskutiert.

erörterten Amateurschnappschüssen sowie mit einigen ande-

ren Fotografien vergleicht, die zur gleichen Zeit aufgenommen wurden.

Sasha Stones Ehefrau Camie hat ihren Mann auf der Reise nach Barcelona begleitet, und zwei ihrer eigenen Fotos haben sich erhalten. Sie liefern einen erfrischenden Gegensatz zur ernsten

Arbeit ihres Mannes. Eine Aufnahme zeigt die Kolbe-Statue in dem kleinen Becken ohne Wasser

ABB. 1, S. 84.

Die zweite fängt

das Spiel der Reflexionen ein, was ihr Ehemann tunlichst zu ver-

meiden suchte. Leicht gekippt und offenbar ohne Stativ aufgenommen, zeigt ihre Fotografie den Blick vom Hauptraum zur Kol-

be-Figur bei heller Mittagssonne. Auch hier ist kein Wasser im

142  Die Fotografien

Becken. Das Glas, das uns von der Figur trennt, überlagert Spie-

zeigt, wie der Pavillon an einem normalen Tag ausgesehen haben

uns sehen. Zwei vernickelte Ständer, die wahrscheinlich zur

celona-Sessel (zwei schwarze, drei weiße) und ein weißer Polster-

gelungen vom Hintergrund des Pavillons mit dem, was wir vor

Absperrung einzelner Bereichen dienten und wohl von Mies und dessen Team entworfen worden waren, stehen im Vordergrund.

Gabriel Casas i Galobardes (1892 – 1973), einer der offiziellen Fotografen auf der Weltausstellung und einer der bedeutends19

mag, ohne für Aufnahmen hergerichtet worden zu sein. Fünf Barhocker stehen in einem unregelmäßigen Kreis im Vordergrund. Fünf Polsterhocker stehen links an der Glasfront und ein kleiner

Glastisch vor der Onyxwand, während zwei weiße BarcelonaSessel und ein weiterer Polsterhocker den großen Glastisch und die Opalglaswand im Hintergrund flankieren, wo ein Stapel Kis-

ten spanischen Fotografen seiner Zeit, war von den dynamischen

sen in einer Ecke zu sehen ist. Der schwarze Teppich fehlt, und

gonalen, unerwarteten Bildfassungen, langgezogenen Schatten,

korridor – vielleicht wollte der Fotograf das von links einströmen-

Fotos der Avantgarde (mit steilen Blickwinkeln, auffälligen Dia-

starken Kontrasten usw.) fasziniert – alles Dinge, die Stone gewissenhaft vermieden hatte.

22

Er machte nur ein (damals unveröf-

fentlichtes) Foto des Pavillons von einem niedrigen Blickpunkt

aus entlang des Sockels zur Haupttreppe und zur leeren Wand der Alfonso  XIII.-Ausstellungshalle hin.

ABB.  21

Während Casas

die ionischen Säulen und das Maggi-Gebäude auf der anderen

Straßenseite bewusst vermied, betonte Stone die dynamische Interaktion zwischen den horizontalen Flächen, der Marmorwand und den Glasumgrenzungen des Pavillons. Stone scheint

der rote Vorhang ist zugezogen und verdunkelt den Eingangsde Licht dämpfen. Der Raum wirkt wenig einladend, schlecht beleuchtet und etwas vernachlässigt. Wahrscheinlich hat der Schweizer Architekt Alfredo Baeschlin, der seit 1928 in Spanien lebte, das Foto aufgenommen, um damit seinen Aufsatz in der Deutschen Bauzeitung zu illustrieren. Er war seinerzeit eine der

wenigen kritischen Rezensenten, und das Foto unterstützte

Baeschlins Meinung, der Pavillon wirke unvollendet und verwirrend, es mangele ihm an einer zentralen «Idee» und er sei als

Repräsentant Deutschlands «nicht recht überzeugend» sei.24 Man

sich auch an der leichten Absurdität der überdimensionierten,

kann wohl zu Recht davon ausgehen, dass der Barcelona-Pavillon

haben. Diese Blumentöpfe sollten im Übrigen nicht die Schlicht-

zielle Fotograf gewesen wäre.

mit Astern bepflanzten Blumentöpfe im Vordergrund erfreut zu

heit von Mies’ Gebäude überspielen, sondern wurden bei der Eröffnung vieler Pavillons aufgestellt.

Einige weitere Schnappschüsse haben sich über die Zeit erhal-

ten, wie etwa das Stereofoto eines unbekannten Fotografen, das in einem Betrachtungsgerät eine eindringlich dreidimensionale Wirkung entfaltet. In der Nähe des kleinen Bürogebäudes auf-

genommen, zeigt es die Terrasse des Pavillons nach einem Regenschauer, mit Besuchern, die auf ihrem Weg zurück vom Spanischen Dorf hastig vorbeieilen und offensichtlich vom Deut-

schen Pavillon kaum Notiz nehmen.23 Ein anderes Amateurfoto, später im Sommer aufgenommen, ist noch aufschlussreicher. Es

bedeutend weniger Erfolg gehabt hätte, wenn Baeschlin der offi-

143

21

20 22

22  Casas hatte für die Gestaltung des Spanischen Dorfes historische Bauten in ganz Spanien dokumentiert. Zu Casas’ Biografie siehe Gabriel Casas, Fotomuntatges, Barcelona 2002. Seine Arbeiten tauchten oftmals in der Tageszeitung La Vanguardia sowie in Zeitschriften wie Mirador, d'Ací i d'Allà oder Barcelona Gráfica auf. Die Anordnung der Blumentöpfe ent-

lang des Gebäudes ist die gleiche wie auf der oben erwähnten Fotografie von Gerhard Severain. Deshalb ist es wahrscheinlich, dass die beiden Fotos ungefähr zur gleichen Zeit, nämlich am Vortag der ­Eröffnung, aufgenommen wurden. 23  Dieses Bild befindet sich in der Sammlung von Juanjo Lahuerta in Barcelona, siehe Juan José Lahuerta, Photogra-

phy or Life: Popular Mies (Columns of Smoke, Bd. 1), Barcelona 2015. 24  Alfredo Baeschlin, «Barcelona und seine Weltausstellung», in: Deutsche Bauzeitung, Jg. 63, Nr. 57, 1929, S. 497 – 504; Nr. 77, S. 657 – 662 (Zitat auf S. 658).

19  Der Barcelona-Pavillon am Abend vor der Eröffnung, 26. Mai 1929. Man beachte die alte deutsche Reichsflagge in Schwarz-Weiß-Rot, Fotograf: Gabriel Casas y Galobardes 20  Camie Stone, Barcelona-Pavillon, 1929 21  Stereoskopie, 1929, anonymer Fotograf 22  Alfredo Baeschlin, Barcelona Pavillon, Fotografie, 1929

Auftraggeber und Architekt

145

Da der Barcelona-Pavillon ohne die Zielstrebigkeit, den Mut und

5. März bat. Die Gruppe der Industriellen kam der Bitte nach und

Schnitzler nicht existiert hätte, sollen diese beiden Mäzene, ihr

September 1933 – dreieinhalb Jahre, nachdem der Barcelona-

tet werden. ABB. 1, 2, S. 26 Georg von Schnitzler stand wahrschein-

der nationalsozialistischen SA (Sturmabteilung).2 Archivunterla-

die beträchtlichen finanziellen Opfer von Lilly und Georg von

Umfeld und ihre politische Orientierung etwas genauer betrach-

lich der Deutschen Volkspartei (DVP) nahe, der der Außenminis-

ter Gustav Stresemann und der Wirtschaftsminister Julius Curtius

angehörten. Industrielle schlossen sich üblicherweise dieser Partei rechts der Mitte an, die ursprünglich das neue politische Sys-

tem der Weimarer Republik abgelehnt und für die Wiedereinset-

sagte ihm eine Summe von drei Millionen Reichsmark zu.1 Im

Pavillon demontiert worden war – wurde von Schnitzler Mitglied

gen kann man entnehmen, dass er schnell aufstieg und 1941 den Rang eines Hauptsturmführers innehatte.3 Im November 1933 wurde er Mitglied des Außenhandelsrats der Regierung, der

gemeinschaftlich vom Außen- und Wirtschaftsministerium eingerichtet worden war.4 Sein Beitritt zur Nationalsozialistischen

zung der Monarchie geworben hatte. Curtius und Stresemann

Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) folgte dreieinhalb Jahre spä-

Rettung des Pavillons auszuhandeln, und Curtius stellte im

nente Industrielle für die Sache der Nationalsozialisten anzuwer-

hatten geholfen, den finanziellen Kompromiss im März 1929 zur Dezember 1929 eine weitere große Summe bereit, um von Schnitzlers Ausgaben zu decken.

Am 20. Februar 1933, sechs Wochen nach Adolf Hitlers Ernennung zum Reichskanzler, hatte von Schnitzler mit anderen Indus-

triellen an einem geheimen Treffen in Hermann Görings Büro

teilgenommen, bei dem Hitler die Ziele seiner Partei vorstellte und um finanzielle Unterstützung für die Parlamentswahlen am

ter – am 1. Mai 1937 – im Rahmen einer Parteikampagne, promiben.

Trotz seines raschen Aufstiegs in der nationalsozialistischen Hierarchie kann man nur schwer beurteilen, wie loyal von Schnitzler

dem Regime gegenüber war. In geheimen Parteidokumenten

wird er als «politisch zuverlässig» bewertet, trotz eines Vorfalls aus dem Jahr 1939, als die Gestapo ihn rügte, einer Rede Görings nicht genug Beachtung geschenkt zu haben.5 1940 veröffentlich-

te er einen Essay in der amerikanischen Monatszeitschrift Atlantic, in dem er den Wunsch Deutschlands nach Frieden und wirtschaftlichem Wohlstand nach dem Ende des Krieges betonte

1  Wolfgang Klötzer (Hrsg.), Frankfurter Biographie, Bd. 2, Frankfurt 1996 (Veröf­ fentlichungen der Frankfurter Historischen Kommission XIX/2), S. 320. Siehe auch: James Pool, Hitler and his Secret Partners: Contributions, Loot, and Rewards, 1933 –  45, New York 1997, S. 31. In diesen bei­ den Quellen wird behauptet, dass von Schnitzler bei dieser Gelegenheit einen Scheck über 400.000 Reichsmark von der IG Farben für die NSDAP vorlegte, doch die Protokolle der Aussage von Schnitzlers bei den Nürnberger Prozessen bestätigen dies nicht. Siehe: Trials of War Criminals Before the Nuremberg Military Tribunals, Bd. VII, Washington, D.C., 1953, S. 555.

2  Siehe persönliche Akten in der Wiesbadener Aktenabteilung der US-Mili­ tärregierung in Hessen (Dept. 649), in: Hessisches Hauptstaatsarchiv, Wiesbaden. Gelegentliche Berichte, von Schnitzler sei bereits 1930 ein hochrangiges Mitglied der SA gewesen, werden durch das Quel­ lenmaterial im Hessischen Hauptstaatsar­ chiv nicht bestätigt. Das falsche Datum wird zum Beispiel zitiert in Klötzer, op. cit., S. 320, (siehe Fussnote 1), und Jens Ulrich Heine, Verstand & Schicksal: Die Männer der I.G. Farbenindustrie A.G. (1925 – 1945) in 161 Kurzbiographien, Weinheim 1990, S. 133 – 136.

3  Dies entsprach einem «Captain» in der US-Armee oder einem «Flight Lieute­ nant» in der Royal Air Force. In der SA war das der elfte Rang über dem Einstiegs­ rang «SA-Sturmmann» und der achte un­ ter dem Stabsführer. 4  «Die Mitglieder des Außenhandels­ rats», in: Vossische Zeitung, Nr. 541, Frei­ tag, 24. November 1933, S. 13. 5  Siehe Dokument der NSDAP-Kreis­ leitung, Großraum Frankfurt, aus dem Jahr 1941 (Abt. 483, Nr. 10572) im Hessischen Hauptstaatsarchiv, Wiesbaden. 6  Georg von Schnitzler, «Germany and World Trade after the War», in: The Atlantic Nr. 165, Juni 1940, S. 817 – 821.

und sich für eine starke Rolle der Industrie in diesem Prozess aussprach.6

Dank ihrer Publikationen, Briefe und gesellschaftlichen Aktivitä-

ten wissen wir mehr über Lilly von Schnitzlers kulturelle und politische Interessen. Zu diesen Aktivitäten gehörten viele Abendver-

anstaltungen, die sie in ihrer Frankfurter Wohnung ausrichtete; bei einer dieser Gelegenheiten traf sie 1925 erstmals Mies van

der Rohe. Andere prominente Gäste zu dieser Zeit waren etwa

die Schriftsteller Rudolf Binding und Hermann Graf Keyserling, der Afrikaforscher Leo Frobenius, der Schauspieler Heinrich

146  Auftraggeber und Architekt

George und der Journalist Heinrich Simon, Chefredakteur der

sen, in der er seine Befürchtung beschrieb, das «Mittelmaß» der

auch die wichtigste Unterstützerin des Malers Max Beckmann

totalitäre Einflüsse. Rohans Vision (die er auch mit seiner Freun-

liberalen Frankfurter Zeitung. Von 1924 an war Lilly von Schnitzler und trug eine beachtliche Sammlung seiner Werke zusammen.7

Vor dem Hintergrund dieses kulturellen Mäzenatentums wurde

ihr Ehemann, wie Lilly von Schnitzler selbst in einem Interview 1974 andeutete, für die Rolle des deutschen Bevollmächtigten für die Weltausstellung in Barcelona auserkoren. Ebenfalls klar

ist, dass sie nicht nur bei der Ernennung von Mies zum künstleri-

schen Leiter der deutschen Abteilung eine entscheidende Rolle spielte, sondern auch bei seiner späteren Beauftragung mit der

von ihm als «unhaltbar» abgelehnt.9 Er schloss sich der NSDAP

an, sobald sie in Deutschland die Macht erlangte, war jedoch 1938 tief enttäuscht, als sein Heimatland Österreich annektiert wurde.

in Paris, Mailand, Wien, Heidelberg, Frankfurt und Prag ab. Le Cor-

servativen Literatur- und Politikmagazin Europäische Revue, das sie 1924 zusammen mit ihrem engen Freund, dem österreichi-

schen Schriftsteller Karl Anton Prinz Rohan (1898 – 1975) gegrün-

det hatte. ABB. 1, 2 Dank ihres Ehemanns wurde die Publikation

anfänglich aus dem Kulturfonds der IG Farben finanziert. Die Lis8

te der Autoren war beeindruckend, unter ihnen befanden sich

Theodor Heuss, Thomas Mann, Paul Valéry, Winston Churchill,

3  Konferenz des Europäischen Kultur­ bundes in Barcelona, 16.–19. Oktober 1929. Prinz Karl Rohan steht vorne in der Mitte, der Architekt Martin Elsaesser drei Reihen hinter ihm, Foto: Josep Brangulí

parlamentarische Demokratie, Gleichheit und Freiheit – wurden

Lilly von Schnitzler veröffentlichte zwei Essays über Mies’ Pavillon

tation des Gebäudes zu schaffen. Ein Artikel erschien in dem kon-

2  Karl Anton Prinz Rohan, um 1936, Foto: Lichtbild Fayer, Wien

war ausgesprochen antidemokratisch. Die «Ideen von 1789» –

Die größere Organisation hinter der Europäischen Revue – der

die Voraussetzungen für die bis heute vorherrschende Interpre-

1  Europäische Revue, 1929

din und passionierten Unterstützerin Lilly von Schnitzler teilte)

Gestaltung des Deutschen Pavillons.

und die deutsche Teilnahme in Barcelona, die dazu beitrugen,

1

Massen mache diese in gefährlichem Ausmaß empfänglich für

Max Beckmann und Le Corbusier. Für Rohan war die Zeitschrift

Teil der Vision einer paneuropäischen intellektuellen Elite – von erfolgreichen Schriftstellern, Künstlern, Geschäftsleuten und Poli-

Europäische Kulturbund – hielt von 1924 an jährlich Konferenzen busier hielt bei der Prager Konferenz im Jahr 1928 einen Vortrag über die «Neue Gesinnung in der Baukunst», der einige Monate

später in der Zeitschrift publiziert wurde. In einem seiner höchst ambitionierten und inhaltlich ausgreifenden Essays schloss er sich Rohans Vision an und stellte den «sehenden Menschen» als

neue «Elite» im Gegensatz zu dem «Mann auf der Straße» heraus. Diese neue Elite, so behauptete er, definiere die Kunst der Architektur neu und nähere sich einem umfassenden Gestaltungsbe-

griff, der alle Bereiche des Lebens umfasse und eine neue Ord-

nung herbeiführe.10 Nach dem Krieg revanchierte sich Rohan für

diese Unterstützung und veröffentlichte ein überraschend einfühlsames Buch zu Le Corbusiers Kapelle in Ronchamp.11

tikern –, die nationale, ­Klassen- und Religionsunterschiede über-

Die Konferenz des Europäischen Kulturbundes im Jahr 1929 fand

Kommunismus und Amerikas zügellosem Kapitalismus bilden

Woche auf der Weltausstellung, auf dem Universitätscampus in

winden und ein Bollwerk gegen den Einfluss des sowjetischen

würde. Die Inspiration kam von Persönlichkeiten wie dem öster-

vom 16. bis zum 19.  Oktober, unmittelbar vor der Deutschen Barcelonas statt. ABB. 3 Unter den Rednern waren Carl Schmitt (der

reichischen Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal, der den

einflussreiche deutsche Jurist, Philosoph, Staatstheoretiker und

oder auch von dem spanischen Philosophen Ortega y Gasset,

gie) sowie der italienische Faschist Giuseppe Bottai (der für die

Begriff einer «Konservativen Revolution» bekannt gemacht hatte, dem Autor der 1930 erschienenen Schrift Der Aufstand der Mas-

bald einer der Hauptvertreter der nationalsozialistischen IdeoloPlanung der Weltausstellung verantwortlich war, die 1942 in Rom

147

stattfinden sollte), außerdem viele andere Intellektuelle, die meisten von ihnen – jedoch nicht alle – aus dem konservativen Lager.12

Die Schriftsteller Aldous Huxley aus England, Jean Guéhenno aus

Frankreich und Rudolf Binding aus Deutschland nahmen eben-

falls an den Sitzungen teil, wie auch der Architekt Martin Elsaes-

ser. Das Thema der Konferenz – «Le problème sociale de la vulga-

risation de la culture» – spielte auf die Vision des Organisators einer konservativen Aristokratie von Intellektuellen als Alternati-

ve zu einer Kultur und einer Regierung an, die von einer Demo2

kratie der Massen beherrscht werden. Wie Rohan in seinen

3

abschließenden Äußerungen zur Konferenz herausstellte, ging es um den Fortbestand eines «europäischen Willens zur Kultur», der durch die Unterwanderung durch simplifizierende Ideologien aus den USA und der UdSSR bedroht war. Georg und Lilly von

Schnitzler nutzten den ersten Abend, um den Konferenzteilnehmern «ihren» Pavillon zu zeigen.13 Mit seinem Marmor aus Grie7  Wolfgang Klötzer, Frankfurter Biographie 2, Frankfurt 1996 (Veröffentlichun­ gen der Frankfurter Historischen Kommis­ sion XIX/2), S. 321 – 322. 8  Brief von D. Duisberg an G. von Schnitzler, 10. Januar 1925, HoeA, Ordner «Spenden & Beiträge E-Gem» H0090098. Diesem Brief zufolge gab die IG Farben Werbung im Wert von 3.000 Reichsmark in Auftrag, um dem Magazin in Deutsch­ land «den Weg zu ebnen». Seine erste Auf­ lage sollte 10.000 Exemplare umfassen. 9  Mehr zu Rohan und dem europäi­ schen Kulturbund siehe Guido Müller, ­Europäische Gesellschaftsbeziehungen nach dem Ersten Weltkrieg, München 2005, S. 331, 351. 10  Le Corbusier, «Neue Gesinnung in der Baukunst», in: Europäische Revue, Jg. 4, Nr. 9, Dezember 1928, S. 689 – 700. 11  Karl Anton Prinz Rohan, Besuch in Ronchamp, Nürnberg 1958. 12  Max Clauss, «Kultur als soziales Problem: Europäische Revue in Barcelo­ na», in: Vossische Zeitung, Nr. 259, Don­ nerstag, 5. November 1929, Das Unterhaltungsblatt. Der Autor Max Clauss war ein

deutscher Journalist und Übersetzer von Malraux’ Werk ins Deutsche. Mit Rohan gab er die Europäische Revue bis 1932 heraus, bis Meinungsverschiedenheiten über die politische Richtung des Magazins zu seiner Entlassung führten. 1933 trat er der NSDAP bei. 13  Nach dem Pavillon stellten sie die übrigen deutschen Abteilungen vor. «Avui comença el VI Congrés de la Federació ­Internacional d’Unions Intellectuals», in: La Publicitat, 16. Oktober 1929, S. 4; «VI Congrés de la Federació Internacional d’Unions Intellectuals», in: La Veu de Catalunya, 16. Oktober 1929, S. 1. Federico Enriques, «La síntesis intellectual de Euro­ pa», in: Diario Oficial de la Exposición ­Internacional Barcelona 1929, Nr. 31, 5. Oktober 1929, S. 15. Rohans Magazin Europäische Revue druckte in den drei ­folgenden Nummern einige der Vorträge und eine Zusammenfassung der Sitzun­ gen ab: Carl Schmitt, «Die europäische Kultur in Zwischenstadien der Neutralisie­ rung», in: Europäische Revue, Jg. 5, Nr. 8, November 1929, S. 517 – 530; Giuseppe Bottai, «Kultur und Masse», in: Europäi-

sche Revue, Jg. 5, Nr. 9, Dezember 1929, S. 585 – 599; Prinz Karl Rohan, «Kultur als Soziales Problem (VI. Jahrestagung des ­Internationalen Verbandes für kulturelle Zusammenarbeit in Barcelona vom 16. – 20. Oktober 1929. Diskussion von Jean Guéhenno, Emil Wolff, Albert Glei­ zes, Luigi Valli, Pierre de Lanux, Richard von Kühlmann), in: Europäische Revue Jg. 6, Nr. 1, Januar 1930, S. 62. 14  Heinrich Simon, «Präludium», in: Frankfurter Zeitung, Jg. 73, Nr. 403, 2. Juni 1929, S. 1. Heinrich Simon, «Weltausstel­ lung 1929. Deutsche Abteilung I», in: Frankfurter Zeitung, Jg. 73, Nr. 410, 5. Juni 1929. Als Jude musste Simon 1934 die Zeitschrift verlassen und emi­grierte über Paris und Tel Aviv nach Washington, D.C., wo er einige Jahre später bei einem Raub­ überfall ermordet wurde. 15  Eduard Foertsch, «Die Weltausstel­ lung in Barcelona», in: Vossische Zeitung, Nr. 270, 11. Juni 1929, S. 4. 16  Francisco Marroquin, «Hacia una nueva arquitectura. El Pabellón de Alema­ nia en la Exposición de Barcelona», in: ABC, 26. Januar 1930, S. 13 – 14.

chenland, Italien und Marokko sowie einer Formensprache, die gediegene und moderne Materialien, Askese und verschwende-

rischen Überfluss zu verbinden schien, mag ihnen der Pavillon als Sinnbild für ihr gemeinsames Ziel einer konservativen paneuro-

päischen Union erschienen sein. Man kommt auch nicht umhin, an die vielen Kritiker zu denken, die fanden, der Pavillon erschlös-

se sich nur einer gebildeten Elite, nämlich «den für Zeitgenössi-

sches aufgeschlossenen Gemütern.»14 Er sei «für den harmlosen

Besichtiger völlig unfaßbar, dem modern-künstlerisch Empfindenden aber ein Erlebnis»,15 «ein Armer hätte ihn nicht bauen

und ein Dummer ihn nicht erfinden können; er ist der Ausdruck eines höheren Geistes».16

Lilly von Schnitzlers Artikel von 1929 über den Barcelona-Pavillon in der Europäischen Revue bemühte lyrische Formulierun-

gen, um Mies’ Errungenschaft zu preisen: «Wie ein Märchen, aber nicht aus Tausendundeiner Nacht, sondern von jener fast übersinnlich beschwingten Musik des ewigen Raums, steht Mies’ Werk da, nicht als Haus zu bezeichnen, nur eine Linienführung

148  Auftraggeber und Architekt

auszutreiben, ist daher für uns alle ein ungeheuer spannendes

Wagnis, dessen Ergebnis auch für uns verbindlich werden kann.»19 Knapp zwei Jahre später, als der Europäische Kulturbund noch

weiter nach rechts gedriftet war und einige seiner prominenten Mitglieder verloren hatte, malte Lilly von Schnitzlers Freund und

Protegé Max Beckmann etliche Mitglieder ihres konservativen Kreises bei einer Soiree. Das Bild selbst wurde über ein unvoll-

endetes Gruppenporträt von 1925 aus der Frankfurter Gesellschaft gemalt – auf dem höchstwahrscheinlich bereits die von

Schnitzlers auftauchten. Auf dem Gemälde scheint Georg von Schnitzler der Einzige zu sein, der sich amüsiert und mit einer

Frau in einem roten Kleid links im Vordergrund flirtet. Seine blon-

de Ehefrau Lilly sieht mit strengem Blick über die Szene hinweg, die Karl Anton Rohan in der Mitte jedoch aufmerksam und kri-

tisch beobachtet. Der französische Politiker Anatole de Monzie, der Frankfurter Bankier Albert Hahn und der deutsche Botschafter Leopold von Hoesch (unten rechts, den Kopf auf die Hände gestützt) sind ebenfalls auf dem Bild dargestellt.20 ABB. 4

4

Die Europäische Revue erschien noch bis 1944 und wurde stillschweigend von Joseph Goebbels Propagandaministerium finan4  Max Beckmann, Pariser Gesellschaft, 1931

eben in jenem Raum, als eine menschliche Hand, die die Begrenzung des Menschlichen in das Endlose hineingezeichnet.» Mies

habe, so behauptete sie, «unsere geistige Situation [...] zu gestalten vermocht.»

17

Sie schloss mit einer Bemerkung, die man als

kaum verhüllte Bezugnahme auf die Militärdiktatur Primo de

Riveras und die eigene Bereitschaft, eine ähnliche Wendung der Ereignisse in Deutschland zu tolerieren, lesen kann:

18

«Spanien

scheint der letzte europäische Hort an Gesinnung, Haltung, Charakter, Metaphysik. – Werte durch deren Wiedergewinnung das

ziert. 1937 veröffentlichte Rohan das Buch Schicksalsstunde Europas, eine umfassende philosophische Studie, deren Themen von menschlichen Beziehungen bis zu Politik und Innenraumgestal-

tung reichen. In Bezug auf moderne Architektur und Design scheinen Rohans Äußerungen – «der neue Stil schafft eine Atmosphäre uneingeschränkter Spiritualität und mentaler Freiheit» –

die kritische Rezeption des Barcelona-Pavillons wiederzugeben. Trotz seiner Abneigung gegen Massenkultur verteidigte er den

italienischen Faschismus als «Wiedergeburt des europäischen

Erbes» und als «Revolution des Geistes».21 Mit ähnlichem Über-

übrige Europa allein gesunden und [dem] Amerikanismus wider-

schwang begrüßte er den Nationalsozialismus und verteidigte

für das ganze heutige Spanien, den Teufel mit dem Beelzebub

von Schnitzler liebte dieses Buch und empfahl es wiederholt ihren

stehen kann. Spaniens Experiment in Barcelona, symptomatisch

den Antisemitismus sowie die Nürnberger Rassengesetze. Lilly

149

Freunden, unter ihnen der einflussreiche jüdische Industrielle

Die Nationalsozialisten gliederten den Europäischen Kulturbund

indem er einige der besonders offensiven antisemitischen Passa-

1933 in die kulturelle Arbeit ihrer Partei ein. Lilly von Schnitzler

Richard Merton, der resigniert auf ihre Empfehlungen antwortete, gen zitierte.22

Ihre enge Freundschaft mit etlichen jüdischen Intellektuellen, darunter Merton und Heinrich Simon, verhinderte, dass die von

Schnitzlers eifrige Nazis oder radikale Antisemiten wurden. Andererseits fiel es ihnen nicht schwer, sich mit dem neuen

Regime zu arrangieren. Lilly von Schnitzler insbesondere passte ihren Frankfurter «Salon» den geänderten Zeiten an: «Es schien

– umbenannt in Deutsch-Europäischer Kulturbund – im Sommer wurde Vizepräsidentin. Sie schloss sich auch der NS-Frauen-

schaft24 und einigen anderen staatlich kontrollierten Gruppen an.

Um Adolf Hitler ihre Loyalität zu versichern, schlug sie 1942 vor, gemeinsam mit ihrer örtlichen Rotkreuz-Gruppe einen großen

Teppich mit rotem Kreuz in der Mitte als Geschenk für Hitler zu

knüpfen. Doch als er über diese Absicht in Kenntnis gesetzt wurde, ließ er sie wissen, dass er «bereits genug Teppiche» habe.25

mir, dass die wichtige Aufgabe darin bestand, sich um eine Ver-

Was wissen wir über Mies van der Rohes politische Tendenzen?

die man nicht ignorieren konnte, und den Traditionsträgern zu

erklärte der Historiker Richard Pommer sarkastisch in Anspielung

mittlerrolle zwischen den neu entstehenden politischen Kräften, bemühen, den früheren schöpferischen Kräften in der Stadt.»23

«Politisch war Mies der Talleyrand der modernen Architektur»,26

auf den bekanntermaßen opportunistischen französischen Diplomaten Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord (1754 – 1838), der unter verschiedenen Herrschern vor, während und nach der

Revolution aktiv war. Und tatsächlich scheint eine Reihe von Mies’

Projekten auf seine indifferente politische Haltung hinzuweisen, wie etwa das Bismarck-Denkmal, das Liebknecht-Luxemburg-

Denkmal, der Barcelona-Pavillon oder die Entwürfe für den Pavil17  L. S. M. (Lilly von Schnitzler), «Welt­ ausstellung Barcelona», in: Europäische Revue, Jg. 5, Nr. 4, Juli 1929, S. 286 – 288. 18  Guido Müller, «Von Hugo von Hof­ mannsthals Traum des Reiches zum Euro­ pa unter nationalsozialistischer Herrschaft: Die ‹Europäische Revue› 1925 – 1936/44», in: Hans-Christof Kraus (Hrsg.), Konservative Zeitschriften zwischen Kaiserreich und Diktatur, Berlin 2003, S. 155 – 186. 19  L. S. M., «Weltausstellung Barce­ lona», in: Europäische Revue, Jg. 4, Juli 1929, S. 286 – 288. 20  Ich danke Prof. Barbara «Suzy» ­Buenger für die vielen Diskussionen über dieses Gemälde und Lilly von Schnitzlers Kreis. Guido Müller gebührt Dank dafür, dass er als Erster Lilly und Georg von Schnitzler in diesem Gruppenporträt überzeugend identifiziert hat. Weder

Beckmann noch dessen Frau Quappi ­haben jemals einen Hinweis auf eine ­Identifizierung der Protagonisten geliefert. Guido Müller, Europäische Gesellschaftsbeziehungen nach dem Ersten Weltkrieg, München 2005, S. 309 ff. 21  Karl Anton Rohan, Schicksalsstunde Europas: Erkenntnisse und Bekenntnisse, Wirklichkeiten und Möglichkeiten, Graz 1937, S. 322. 22  Brief von Richard Merton an Lilly von Schnitzler, 31. Dezember 1936, ­Richard-Merton-Nachlassdokumente, ­Hessisches Wirtschaftsarchiv, Abt. 2000. Ich danke Professor Suzy Buenger, Univer­ sity of Madison, WI, für diesen Hinweis. 23  Lilly von Schnitzler, «Frankfurt zwi­ schen den beiden Weltkriegen … ­Erinnerungen von Lilly von Schnitzler Mallinck­rodt», Tonbandaufnahme für das

Stadtarchiv Frankfurt, 5. März 1962, Stadt­ archiv Frankfurt. Prof. Buenger sei ge­ dankt, dass sie mir Zugang zu dieser Tonbandaufnahme gewährt hat. 24  Persönliche Akten in der Samm­ lung der Wiesbadener Dokumentabtei­ lung der US-Militärregierung in Hessen (Division 649). 25  Bernd Biege, Helfer unter Hitler, Hamburg 2000, S. 47 – 48. 26  Richard Pommer, «Mies van der Rohe and the Political Ideology of the ­Modern Movement in Architecture», in: Franz Schulze (Hrsg.), Mies van der Rohe: Critical Essays, New York 1986, S. 96 – 145, hier: S. 96. 27  Peter Hahn (Hrsg.), Bauhaus Berlin, Berlin 1985, S. 142 – 144.

lon des nationalsozialistischen Regimes an der Brüsseler Welt-

ausstellung. Ende 1928 scheint Mies einer Gruppe von Künstlern

angehört zu haben, die in Barcelona gegen die Entscheidung von Primo de Riveras protofaschistischer und zentralistischer Regierung protestierten, die vier Säulen im Zentrum des Ausstellungs-

geländes – ein Symbol katalanischer Unabhängigkeit – zu demontieren. Als er 1930 Direktor des Bauhauses wurde, entpolitisierte

er die Schule deutlich, und 1933, nachdem die Gestapo das Ber-

liner Bauhaus geschlossen hatte, stimmte er zu, seine Kollegen

Ludwig Hilberseimer und Wassily Kandinsky, deren Präsenz im Lehrkörper den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge war, zu

opfern, sodass die Schule wieder öffnen konnte. Eine unnötige Geste, wie sich herausstellte, da kurz darauf die Finanzmittel ver-

siegten und die Schule nicht mehr zu retten war.27 Eine Gruppe

150  Auftraggeber und Architekt

von Bauhausstudenten, wahrscheinlich von Mies mobilisiert,

entscheidende Rolle bei der Schließung des Bauhauses unter

den des Kampfbundes für Deutsche Kultur, an den sich Mies mit

Skulptur im Deutschen Pavillon in Barcelona, unterzeichnete

schrieb einen offenen Brief an Alfred Rosenberg, den Vorsitzender Bitte um Unterstützung gewandt hatte. Sie verpflichteten sich

zu Loyalität gegenüber dem neuen Regime und baten um die

Wiedereröffnung der Schule.28 Mies könnte auch um die Unter-

Zwei Jahre später veröffentlichte Sergius Ruegenberg, der in Bar-

celona Mies’ engster Mitarbeiter gewesen war, einen Beitrag in

unmittelbar nach der Schließung des Bauhauses einen Artikel

tagswünschen an Mies versuchte, dessen Werk dem Regime

publizierte, in dem er argumentierte, dass der Barcelona-Pavillon – und im weiteren Sinne die moderne Architektur – ebenso «eine

deutsche Ausdrucksform» sei wie die traditionellen Häuser mit Satteldächern von Paul Schmitthenner. Ein Jahr später war Mies 29

einer von 37 zumeist konservativen Schriftstellern, Künstlern und Architekten, die eine öffentliche Loyalitätserklärung gegenüber Adolf Hitler in der NSDAP-Zeitung Völkischer Beobachter unter-

zeichneten: «Wir glauben an diesen Führer, der unsern heißen

Wunsch nach Eintracht erfüllt hat. Wir vertrauen seinem Werk, das Hingabe fordert jenseits aller krittelnden Vernünftelei, wir

setzen unsere Hoffnung auf den Mann, der über Mensch und Din-

ge hinaus in Gottes Vorsehung gläubig ist.» Diese Unterschrift 30

ist vielleicht die unverzeihlichste von Mies wenigen politischen

Gesten, weil sie so überflüssig scheint. Mies’ Hoffnung, einen

Regierungsauftrag zu erhalten, hatte sich zuvor zerschlagen, als

sein Entwurf für den Deutschen Pavillon für die Weltausstellung 5  Georg von Schnitzler bei den Nürnberger Prozessen, 1947

ebenfalls.

stützung des Architekten Ernst Neufert gebeten haben, der sich

des Vertrauens der Nationalsozialisten erfreute und im April 1933

5

Mies’ Leitung gespielt hatte. Georg Kolbe, der Schöpfer der

in Brüssel 1935 nicht ausgewählt wurde. Reichspropagandami-

nister Joseph Goebbels, der den Text des Aufrufs verfasst hatte,

einer Architekturzeitschrift, der unter dem Vorwand von Geburts-

näherzubringen und ihn für größere Aufträge zu empfehlen. Während Ruegenberg vorsichtig die Rückkehr zum Klassizismus

in der jüngsten Architektur kritisierte, betonte er, dass Mies ohnehin den gleichen Stil vertrete und zwar von Karl Friedrich Schin-

kels Charlottenhof in Potsdam inspiriert worden sei – doch nicht von seinen «klassischen Formen, Profilen, Kapitälen», sondern

von seinem innersten Wesen, das er mit seinen eigenen Mitteln

umgesetzt habe. Dies habe direkt zum Barcelona-Pavillon geführt als «Mies’ erste[m] Werk in diesem Geist» – einer «nordische Auffassung in der südlichen Sonne, erfüllt vom Willen, deutschem

Geiste die Form zu geben. Ein starker Sinn für Schönheit lässt die Zweckmäßigkeit nicht vortreten. Sorgsame Ausführung geht mit Fortschrittlichkeit in der Bauweise überein […]».32 Dieser Ver-

such, an das Kunstverständnis des neuen Regimes zu appellieren, war das erste Mal, dass Mies als verborgener Neoklassizist dargestellt wurde – eine Einschätzung, die in den folgenden Jahrzehnten oftmals wiederholt wurde.

drängte anscheinend eine Reihe von progressiven Künstlern zur

Später in ihrem Leben erinnerte sich Lilly von Schnitzler, dass

onales Referendum zur Stärkung von Hitlers Position am

len zu lassen und ihm zu helfen, Arbeit zu finden. Als sie bald

Unterzeichnung des Briefes, um breite Unterstützung für ein nati19. August 1934, zu erzielen (Hitler erhielt 89,9 % der Stimmen). Mies willigte ein zu unterzeichnen, entschuldigte sich jedoch

unverzüglich bei seinen Freunden. Nur vier Architekten insge31

samt setzten ihre Unterschrift unter die Erklärung. Einer von ihnen

war der leidenschaftliche Nazi Paul Schultze-Naumburg, der eine

Mies sie 1937 gebeten hatte, ihre politischen Beziehungen spiedanach Joseph Goebbels bei einem Abendessen traf, fragte sie ihn, ob er Mies kenne und etwas für ihn tun könne, er sei «mate-

riell am Ende.» Goebbels antwortete: «Ja, das ist ja unser bedeutendster deutscher Architekt neben dem Troost.»33 Trotz dieses

Lobes sah er sich nicht in der Lage, ihm einen Auftrag zu erteilen,

151

und erklärte: «Frau von Schnitzler, Sie scheinen noch nicht zu wissen dass die totalitären Staaten von der Gunst der Masse abhängen. Wir tanzen mühsam auf einer Welle. Wenn uns die nicht

mehr trägt, dann verschwinden wir über Nacht. Ich kann für den Mies nichts tun denn die Masse die hinter mir steht ist ganz von

anderen Vorstellungen erfüllt und wenn ich Mies vorschlage

späteren Erinnerungen deuten an, dass es sich um eine amouröse Beziehung gehandelt haben könnte.35

Wegen seiner Position als hochrangiger IG-Farben-Manager in

einigen besetzten Ländern während des Krieges wurde Georg

von Schnitzler 1947 als Kriegsverbrecher vor das Nürnberger

dann komme ich nicht an.»34 Als Mies einsah, dass er für einen

Militärtribunal gestellt ABB. 5 und dort zu einer fünfjährigen Haft-

ne hart erkämpfte Position als angesehener Avantgardist aufgä-

der einflussreiche amerikanische Anwalt, Bankier und Politikbe-

offiziellen Auftrag nur in Erwägung gezogen würde, wenn er sei-

be, nahm er schließlich das Angebot an, in Chicago zu lehren. Bis zu seiner Abreise in die USA blieb Lilly von Schnitzler eine enge

Freundin und besuchte ihn gelegentlich in Berlin. Nach dem

Krieg sah sie ihn bei einem Besuch in Chicago 1954 wieder, sowie auf einer seiner späteren Reisen nach Deutschland. Ihre

strafe verurteilt. Doch der neue Hochkommissar für Deutschland, rater John J. McCloy, erreichte vor Gericht, dass von Schnitzlers

Strafe auf nur fünf Tage Haft pro Monat herabgesetzt wurde, bevor man sie schließlich ganz aussetzte.36 McCloy kannte von Schnitzler persönlich, da er während der NS-Herrschaft der inter-

nationale Rechtsberater der IG Farben gewesen war. Verheiratet mit einer Frau mit deutschen Wurzeln, hatte er ein großes Inter-

esse an deutschem Design und deutscher Architektur entwickelt, und zweifellos schätzte er von Schnitzlers fundamentale Rolle in

Barcelona.37 McCloy wurde zu einer zentralen Figur bei der Gründung und anfänglichen Finanzierung der Hochschule für Gestal-

tung in Ulm, der Nachfolgeinstitution des Bauhauses in West28  Sie schrieben, dass durch die «Ent­ politisierung [durch Mies] jene Grundla­ gen geschaffen wurden, die unbedingte Voraussetzung für eine positive Mitarbeit im neuen Deutschland sind. […] Das Bau­ haus ist gewillt […], all seine Kräfte in den Dienst der Sache zu stellen.» «Bauhaus und Kampfbund. Ein Brief der Bauhaus­ schüler», in: Deutsche Allgemeine Zeitung, 15. April 1933, zit. nach Hahn, op. cit., S. 131. 29  Ernst Neufert, «Das Deutsche Wohnhaus», in: Zentralblatt der Bauverwaltung, Jg. 53, Nr. 17, 19. April 1933, S. 200 – 201. 1936 erschien erstmals Neu­ ferts enorm populäre Bauentwurfslehre. Die Publikation enthielt Musterlösungen und detaillierte Aufmaße für alle Baube­ reiche. Neufert zeigte einen Grundriss und eine Perspektive von Mies’ Haus für ein Paar auf der Berliner Bauausstellung (der unmittelbare Vorläufer des Barcelo­

na-Pavillons) als das «Haus im Jahr 2000» und stellte dessen räumliche Offenheit dank der Trennung von Stützen und Mau­ ern heraus. Ernst Neufert, Bauentwurfslehre, Berlin 1936, S. 33. 30  «Aufruf der Kulturschaffenden», in: Völkischer Beobachter, 18. August 1934, zit. nach: Peter Hahn (Hrsg.), Bauhaus Berlin, Berlin 1985, S. 148. 31  Ibid. Siehe auch den Brief von Ro­ senberg an Goebbels, 20. Oktober 1934, in: Ernst Piper, Nationalsozialistische Kunstpolitik, Frankfurt 1987, S. 116 – 118. 32  Sergius Ruegenberg, «Ein Fünfzig­ jähriger», in: Bauwelt, Nr. 14, 1936, S. 346. 33  Wenn sich dieses Gespräch so zu­ trug, wie sich Lilly von Schnitzler erinnerte, dann bezog sich Goebbels vermutlich auf Albert Speer, da Paul Ludwig Troost be­ reits im Januar 1934 verstorben war. 34  Interview Ludwig Glaesers mit Lilly von Schnitzler, 6. September 1974,

Transkript, S. 11. Ludwig-Glaeser-Akten, Kasten 3, Nummer 5, CCA, Montreal. 35  Interview Ludwig Glaesers mit Lilly von Schnitzler, 6. September 1974, Transkript, S. 9, 14. Ludwig-Glaeser-Akten, Kasten 3, Nummer 5, CCA, Montreal. 36  Kevin John Heller, The Nuremberg Military Tribunals and the Origins of International Criminal Law, Oxford 2011, S. 343. 37  Dietrich Neumann, «Politik und Ar­ chitektur: Der Bau der Ford Foundation in New York», in: Uwe Kiessler (Hrsg.), Winfried Nerdinger: Architektur im Museum 1977 – 2012, München 2012, S. 182 – 195. 38  G. K., «Die Ulmer Hochschule für Gestaltung eröffnet», in: Bauwelt, Nr. 41,1955, S. 809. 39  Siehe Lilly von Schnitzler: Brigitte Salmen und Christian Lenz (Hrsg.), Bereitschaft zum Risiko: Lilly von Schnitzler 1889 – 1981. Sammlerin und Mäzenin, Murnau 2011.

deutschland. Mies erhielt eine Einladung in das Kuratorium der Hochschule.38

Nach dem Krieg spielten die von Schnitzlers weiterhin eine wichtige Rolle in den einflussreichen gesellschaftlichen Kreisen Frankfurts. Georg von Schnitzler, wurde Präsident der Deutschen Ibero-Amerikanischen Gesellschaft. Er starb 1962. Lilly von Schnitzler

gründete 1951 die Max Beckmann Gesellschaft und übergab 1957 einen großen Teil ihrer Sammlung dem Kölner WallrafRichartz-Museum als Dauerleihgabe. Sie starb 1981, nachdem sie ihre letzten 30 Jahre hauptsächlich in Murnau verbracht hatte.39

Wiederaufbau

153

Am 22. Januar 1957 erhielt Mies van der Rohe einen Brief von

könne.2 Mies bestätigte dies, als ihm kurze Zeit später ein

einem jungen Architekten aus Barcelona, Oriol Bohigas, der ihn

Gesandter aus Barcelona, der Architekt Francesc Bassó Birulés,

für Mies als «Führungspersönlichkeit einer ganzen Generation»

1954 mehrfach über seine Idee geschrieben,4 doch nun hielt er

das Verschwinden» des Barcelona-Pavillons, und schlugen vor,

keit geheim, um mehr Unterstützung zu gewinnen. Im April 1958

mit «hochverehrter Meister» ansprach und seinen tiefen Respekt

bekundete. Spanische Architekten, so schrieb er, «bedauerten

dass dieser «im Montjuïc-Park wiederaufgebaut werden [solle]. […]. Wenn Sie die Idee für praktikabel halten, teilen Sie uns bitte

Ihre Bedingungen mit, damit Sie selbst die Leitung der ganzen

Sache übernehmen können […]. Sowohl der Stadtrat als auch die Führungskräfte der Ausstellung sind aufgeschlossen und würden jedwede Bedingungen Ihrerseits akzeptieren.»1 Mies antwortete

mit untypischer Schnelligkeit eine Woche später: «Haben Sie vielen Dank für Ihren Brief. Es war eine Überraschung und eine Freu-

de.» Er wies darauf hin, dass die originalen Bauzeichnungen in Deutschland verlorengegangen oder verlegt worden seien, dass

er jedoch «diese Arbeit zum Selbstkostenpreis wieder machen»

ein Freund Bohigas, einen Besuch abstattete.3 Bohigas hatte seit

die Neuigkeiten von Mies’ positiver Antwort vor der Öffentlich-

verkündete er schließlich die «sensationellen Neuigkeiten» von

Mies’ Angebot, den berühmten Pavillon wieder aufzubauen, und drängte den Bürgermeister von Barcelona, die Angelegenheit zu beschleunigen: «Die Bürger, die sich der Erhabenheit des Werks bewusst sind, haben bereits Stellung bezogen und stehen alle

hinter der Idee. […] Barcelona hat nun die einzigartige Gelegen-

heit, etwas zu machen, was in dreifacher Hinsicht interessant ist: die Rekonstruktion eines der besten Kunstwerke, die das Land je besessen hat, eine Anerkennung des großartigen deutschen

Meisters, der in großzügiger Weise den Namen unserer Stadt in die Künstlerkreise der ganzen Welt getragen hat, und die Errich-

tung eines Monuments, das eine dauerhafte Erinnerung an die Weltausstellung von 1929 wäre, derer man heute noch nicht einmal in Barcelona gedenkt.»5 Bohigas wählte die Plattform für seinen Appell sorgsam aus: Destino war eine illustrierte Wochen-

schrift mit Autoren von «höchstem intellektuellem Kaliber», die 1  Brief von Oriol Bohigas an Mies van der Rohe, 20. Dezember 1956, Akte Bohigas in LoC, Mies-Nachlassdokumente, Zentraldatei. 2  Brief von Mies van der Rohe an Bohigas, 30. Januar 1956, ibid. 3  Oriol Bohigas, «Una Noticia Sensacional. Mies van der Rohe Se Ofrece A Reconstruir El Famoso Pabellón de 1929», in: Destino, Nr. 1080, 19. April 1959, S. 36 – 37, online unter: http://mdc2. cbuc.cat/cdm/compoundobject/collecti­ on/destino/id/256636/rec/4. Englische Übersetzung in: Rosa Maria Subirana i Torrent, Mies van der Rohe’s German Pavilion in Barcelona, 1929 – 1986, Barcelona 1987, S. 58 – 59. Francesc Bassó Birulés (1919 – 2014) war genau wie

Bohigas ein Mitglied der Gruppe R, einer Vereinigung progressiver Architekten in Barcelona, und Professor für Architektur an der dortigen Hochschule. 4  Oriol Bohigas, «A los 25 años. La obra maestra de la Exposición del 29», in: Destino, Nr. 896, 9. Oktober 1954, S. 27 – 28, online unter: http://mdc2.cbuc. cat/cdm/compoundobject/collection/de­ stino/id/246741/show/246592/rec/10. Englische Übersetzung in: Rosa Maria Subirana i Torrent, Mies van der Rohe’s German Pavilion in Barcelona, 1929 – 1986, Barcelona 1987, S. 56 – 57. Oriol Bohigas, «La obra barcelonesa de Mies van der Rohe», in: Cuadernos de arquitectura, Nr. 21, 1955, S. 17 – 20.

5  Bohigas, «Una Noticia Sensacional…», siehe Fußnote 3. 6  Francesc Vilanova, «The position of Barcelona’s Destino group and other regime sympathizers with regard to the Second World War: the example of Britain», in: Journal of Catalan Intellectual History, Nr. 5, 2013, S. 35 – 62, online ­unter: http://revistes.iec.cat/index.php/ JOCIH/article/view/72876/72630. 7  Brief von Sergius Ruegenberg an Mies van der Rohe, 23. März 1958, LoC, MvdR Nachlass, Personal Corres­ pondence, Ruegenberg.

1937 von der faschistischen Falange-Bewegung gegründet worden war, «um die katalanische Bürgerseele mit dem Wesensge-

halt Spaniens zu durchdringen» und die noch immer «die wir-

kungsvollste politische und kulturelle Plattform des Regimes in Katalonien» war.6

Mies’ ehemaliger Mitarbeiter Sergius Ruegenberg hatte von Bohigas Plänen gehört und nahm unverzüglich Kontakt zu Mies

auf. Er erwähnte, dass er noch ein Skizzenbuch mit Details sowie einen einzelnen Grundriss des Gebäudes habe: «Es würde mich

sehr glücklich machen, Ihnen beim Wiederaufbau des Pavillons

zu helfen.»7 Mies, der damals mitten in der Fertigstellung des Seagram Building in New York war, antwortete nicht.

154  Wiederaufbau

Es lohnt sich den Kontext von Bohigas Initiative zu würdigen. Anfänglich hatte das Franco-Regime das offizielle Bild der spani-

schen Architektur streng kontrolliert, indem es routinemäßig progressive Organisationen wie GATEPAC und GATCPAC sowie

deren Mitglieder wie Josep Lluís Sert und Sixte Illescas, der wäh-

rend des Bürgerkrieges die Republikaner unterstützt hatte, zensierte und behinderte.8 Doch in den 1950er-Jahren begannen

sich die Dinge langsam zu ändern. Bohigas schloss sich einer freien Gruppe katalanischer Architekten an, der Grup R (Grupo R

auf Spanisch), die zwischen 1951 und 1961 einen Diskurs in Bewegung setzte, der über den vom Regime favorisierten Monu-

mentalismus und Neoklassizismus hinausging und stattdessen für eine Wiederentdeckung der Ethik und Ästhetik der spani1

schen Vorkriegsmoderne eintrat. Andere Mitglieder waren etwa

der oben erwähnte Francesc Bassó Birulés sowie Josep Antoni Coderch und Manuel Valls, die alle im Zusammenhang mit der

Escuela Técnica Superior de Arquitectura de Barcelona standen. Durch den Wiederaufbau von Mies’ Pavillon hofften sie, nicht nur

ein wichtiges Element der architektonischen Vergangenheit der

Stadt wiederherzustellen, sondern sich auch der Kulturpolitik Francos zu widersetzen.

Nach Mies’ erster enthusiastischer Antwort hörte Bohigas nichts mehr von ihm. Und so schrieb er ihm im November 1959 erneut

und berichtete, dass «eine große Bewegung in Spanien zuguns-

ten einer Rekonstruktion des Pavillons entstanden» sei, und bat um Zeichnungen, um eine Kostenschätzung zu veranlassen. Mies

antwortete schließlich im März 1960, er habe einen ehemaligen

Mitarbeiter (er bezog sich damit wahrscheinlich auf Ruegenberg) nach den Plänen gefragt, doch er habe keine Rückmeldung 2

erhalten. Mies hatte Ruegenberg in der Tat im Januar kontaktiert. Offensichtlich erinnerte er sich nicht mehr an Ruegenbergs Brief

vom März 1958 und bat darum, sich seinen «vollständige Satz von Werkzeichnungen» für den Pavillon ausleihen zu dürfen.9

Doch alles, was Ruegenberg besaß, waren einige Skizzen und ein

155

3

1–3  Sergius Ruegenberg, Bauzeichnun­ gen für den Barcelona-Pavillon, aus der Erinnerung heraus neu gezeichnet, um 1975

Grundriss. Bohigas erhielt dann im Oktober 1960 einen weiteren

Gebäude selbst ist ein teurer Bau. Es tut mir leid, ein solch düste-

darüber informierte, da die Pläne noch nicht gefunden worden

soll, dann muss das richtig gemacht werden.»10 Es ist unklar, war-

Brief, dieses Mal von Mies’ Mitarbeiter Gene Summers, der ihn seien, sei «der einzige mögliche Weg» für Mies die Zeichnungen, wie versprochen, zum Selbstkostenpreis neu zu erstellen, was

aber dennoch etwa $ 55.000 – 60.000 US Dollar (heute ca.

$ 450.000) kosten würde. Zur Rechtfertigung dieser exorbitanten

Summe fügte Summers noch hinzu: «Sie müssen wissen, das

res Bild zu malen, doch wenn das Gebäude rekonstruiert werden um Mies beschloss, einen solch hohen Preis für das Anfertigen neuer Zeichnungen zu verlangen; damit endete im Grunde

genommen jede Hoffnung auf die Rekonstruktion des Pavillons. Vielleicht hatte der internationale Erfolg des Seagram Building, dazu geführt, dass er die Situation überdachte, oder vielleicht

fürchtete er, das Gebäude könnte die hohen Erwartungen ent-

täuschen, die im Lauf der Jahre durch die ikonischen Fotografien

entstanden waren. Jedenfalls hörte man nach diesem Austausch 8  Grupo de Artistas y Técnicos Españoles para el Progreso de la Arquitectura Contemporánea und das ka­ talanische Pendant «Grup d’Arquitectes i Tècnics Catalans per al Progrés de l’Arqui­ tectura Contemporània». Bohigas erinnert sich daran, wie er um 1950 einen Artikel für die Zeitschrift Destino über GATCPAC schrieb, der ihm von der Zensur mit der Äußerung zurückgeschickt wurde: «Nein. Moderne Architektur ist rot und separatis­ tisch.» Oriol Bohigas, Modernidad en la

Arquitectura de la España republicana, Barcelona 1998, S. 13. 9  Brief von Mies van der Rohe an Sergius Ruegenberg, 15. Januar 1960, LoC, MvdR Nachlass, Personal Correspondence. Mario Ciamitti, «Note sur la construction du Pavillon de Barcelona», in: Roberto Gargiani, La colonne. Nouvelle histoire de la construction, Lausanne 2008, S. 467 – 471. 10  Gene Summers an Oriol Bohigas October 25, 1960. LoC, MvdR Nachlass, General Office File, Bohigas.

11  Siehe Joan Bassegoda i Nonell, «Historia y anécdota de una obra de Mies van der Rohe», in: La Vanguardia, 6. Oktober 1979, S. 6. Für einen detaillier­ teren Überblick siehe: Remei CapdevilaWerning, «Construing Reconstruction: The Barcelona Pavilion and Nelson Goodman’s Aesthetic Philosophy», Masterarbeit, MIT, Juni 2007, S. 45, online unter: https:// dspace.mit.edu/handle/1721.1/39307.

lange Zeit nichts mehr von dem Projekt. Ein anderer Architekt aus

Barcelona, der Denkmalpfleger und Gaudí-Experte Joan Bass-

egoda i Nonell, versuchte es 1964 und 1967 wiederzubeleben, doch ebenfalls ohne Erfolg.11

Mies’ früherer Assistent Sergius Ruegenberg machte sich in der Zwischenzeit daran einen neuen Satz aus dem Gedächtnis anfertigte und sie zu verkaufen versuchte. «Ruegenberg sitzt auf

einem Satz von Werkzeichnungen […], die er so ungefähr für ein

156  Wiederaufbau

4  Links: Instituto Nacional de Industria (INI), 1973, Architekten: Juan Paradinas, Luis Garcia-German und Jose Ignacio Casanova Fernandez 5  Im Hintergrund Instituto Nacional de Industria (INI), 1973, Architekten: Juan Paradinas, Luis Garcia-German und Jose Ignacio Casanova Fernandez, Blick vom Pavillon aus, Foto: Sergius Ruegenberg

paar Millionen Dollar verkaufen will»,12 bemerkte Mies’ Freund

Bohigas übertrug drei seiner Kollegen die Verantwortung für die

dem Museum of Modern Art in New York angeboten hatte, das

Ramos Gallino und Ignasi de Solà-Morales. Sie hatten nie zuvor

Werner Graeff 1972 amüsiert. Nachdem er seine Zeichnungen

ihm eine Absage erteilte, verkaufte Ruegenberg Sätze seiner Skizzen und Pläne an das Bauhaus-Archiv in Berlin, an die Zeich-

Rekonstruktion des Pavillons: Cristian Cirici i Alomar, Fernando zusammengearbeitet, doch brachten sie ihre jeweilige Expertise in Gestaltung, Struktur und Geschichte in das Projekt ein.17 1983

nungssammlung der Berliner Kunstbibliothek, an die Berlinische

wurde eine Stiftung zur Einwerbung von Geldmitteln gegründet,

anscheinend deklariert als «originale» Mies-Zeichnungen, was

ben Jahr die Arbeit an der Baustelle.18 Die spanische Presse

Galerie und an die Architekturhochschule der Universität Tokio13 von anderen ehemaligen Mies-Mitarbeitern konsterniert zur Kenntnis genommen wurde.

14

ABB. 1–3 Ein anderer Satz landete in

den Händen des italienischen Ingenieurs Mario Ciamitti, der 1977 an Ruegenberg herangetreten war, um sich nach der Mög-

lichkeit zu erkundigen, eine Kopie des Barcelona-Pavillons in Bologna zu errichten, wo Le Corbusiers Pavillon de l’Esprit Nouveau von 1925 gerade wieder aufgebaut worden war.15

Der 50. Geburtstag des Barcelona-Pavillons im Jahr 1979 erregte größeres Interesse in der spanischen Presse und brachte weitere Initiativen in Gang, wie etwa Ludwig Glaesers oben erwähnte Wanderausstellung, die von der National Gallery of Art in

und nach der Grundsteinlegung am 10. Oktober begann im sel-

berichtete regelmäßig über die Fortschritte.19 Etliche spanische

und internationale Firmen beteiligten sich an den Kosten der Rekonstruktion, und die deutsche Regierung stiftete eine Bronzereplik von Kolbes Statue.

Mies war inzwischen gestorben, und die Frage, wie weit man ihn einbeziehen oder Zeichnungen von seinem Büro erwerben sollte, hatte sich erübrigt. Stattdessen vertrauten die spanischen Architekten auf eine enge Zusammenarbeit mit dem Museum of

Modern Art, obwohl sich nur fünf Versionen des Grundrisses (in

einem kaum verwendbaren Maßstab 1:100) und eine Handvoll

Detailskizzen unter Mies’ Nachlassdokumenten erhalten hatten.

Washington organisiert wurde. Ein Jahr später, als Bohigas Pla-

Ruegenbergs Zeichnungen wurden mit der Begründung abge-

sofort wieder auf. Das politische und kulturelle Klima hatte sich

tion des Baues, als eine originalgetreue Darstellung der Material-

16

nungsleiter der Stadt Barcelona wurde, griff er seine alte Idee

maßgeblich gewandelt. General Franco war 1975 gestorben, die

Demokratie war in Form einer konstitutionellen Monarchie unter Juan Carlos wiederhergestellt worden, und eine neue Generati-

lehnt, sie seien «eher ein persönlicher Vorschlag zur Neukonstruk­ eigenschaften des Gebäudes das 1929 in Barcelona enstanden war».20

on spanischer Architekten suchte Anschluss an internationale

Als wesentliche Informationsquelle erwies sich der Steinplan des

«kritischen Regionalismus». Gleichzeitig hatte sich eine ent-

Köstner & Gottschalk in Berlin hergestellt worden war. ABB. 7, S. 74

Entwicklungen und schuf gleichzeitig ihre eigene Version eines

Bodenbelags aus Travertin, der von dem Marmorlieferanten

spanntere Haltung gegenüber Gebäuden der Vergangenheit

Es stellte sich heraus, dass das Raster leicht unregelmäßig gewe-

hauptsächlich Architekten und Schriftstellern wie Aldo Rossi und

Glücklicherweise fanden die Architekten auch noch die origina-

und ihrer Nutzung als Inspirationsquellen durchgesetzt, was Robert Venturi zu verdanken war.

sen war und die acht Stützen nicht dem Raster gefolgt waren. len Fundamente im Boden und sogar die Stümpfe der kreuzför-

migen Stützen 50 Zentimeter unter dem Straßenniveau, wodurch der Pavillon genau am Originalstandort wiedererrichtet werden

157

konnte. Man entschied sich für Travertin aus zwei Steinbrüchen in Tivoli nahe Rom: Eine körnigere Variante mit einer raueren Ober-

fläche für die Wände und eine weniger poröse Variante mit einer feineren Oberflächenbehandlung für den Boden, die Treppen

und die lange Bank kamen aus dem nahegelegenen SibillaSteinbruch. Der Verde-Alpi-Marmor kam aus der Region Aosta in den Dolomiten, der Verde Antiqua aus Larissa in Ostgriechen-

land. Der algerische Steinbruch, aus dem man den ursprüng­ 4

lichen Onyx doré bezogen hatte, war inzwischen geschlossen

5

worden, doch einen ähnlichen Stein fand man in einem anderen Steinbruch im algerischen Atlasgebirge in Bou Hanifia nahe

Mascara.

Das Tragwerksystem, das bei dem ursprünglichen Bau zu allerhand Spekulationen und Missverständnissen geführt hatte, wur-

de nun noch deutlicher zu einem Hybrid. Das ursprüngliche Dachraster hatte hauptsächlich auf den acht Stahlstützen gelas-

tet, wobei die Enden der Ausleger von den Metallstäben innerhalb der Marmorwände zusätzlich unterstützt wurden. Das neue

Dach dagegen wälzte mehr Last auf diese unsichtbare Struktur innerhalb der Marmorwände ab. Bei dem neuen Bau spielen die 12  Ludwig Glaeser, Interview mit Werner Graef, 17. September 1972, S. 12 – 14, Zitat S. 12. CCA, Montréal, Glaeser-Akten. Willi Kaiser, ein weiterer Mitarbeiter, erinnert sich an die Summe von 100.000 US-Dollar. Ludwig Glaeser, Interview mit Willi Kaiser in Köln, 25. Juli 1978, CCA, Montréal, Glaeser-Akten. 13  Siehe Hajime Yatsuka, «Mies and Japan», in: Cornell Journal of Architecture, Nr. 7, 2003, S. 52 – 62. 14  Glaeser, Interview mit Willi Kaiser, op. cit. 15  Das Projekt führte zu nichts, doch Ciamitti erhielt 1983 von Ruegenberg ei­ nen Satz Zeichnungen. Siehe Mario Ciamitti, «Note sur la construction du Pavillon de Barcelone», in: Roberto Gargiani, La colonne. Nouvelle histoire de la construction, Lausanne 2008,

S. 467 – 471. Zusammen mit entsprechen­ der Korrespondenz wurden sie bei der Designwoche in Bologna im Herbst 2015 ausgestellt. «Il Padiglione Barcellona a Bologna. Una storia di disegni da Mies van der Rohe a Ruegenberg», in: Area, 21. September 2015. 16  Franz Schulze, «The Barcelona Pavilion Returns», in: Art in America, Jg. 67, Nr. 7 (1979), S. 98 – 103. Siehe auch: Ludwig Glaeser, Ludwig Mies van der Rohe. The Barcelona Pavilion. Fiftieth Anniversary, Washington, D.C., 1979; «Para el cincuentenario de la Exposición. Se Pide la reconstucción del ‹Pabellón Barcelona›», in: La Vanguardia, 27. September 1979, S. 15. 17  Cristian Cirisi, «Der Barcelona Pavillon», in: Der Architekt, Nr. 9, 1. September 1985, S. 373 – 375.

18  Jordi Bordas, «Barcelona volverá a tener el pabellón más importante de la Exposición de 1929», in: La Vanguardia, Dienstag, 11. Oktober 1983, S. 17. 19  Olga Spiegel, «Barcelona celebrará el centenario del nacimiento de Mies van der Rohe inaugurando su pabellón», in: La Vanguardia, Samstag, 14. September 1985, S. 2. Marta Ricard, «El Pabellón Mies Van der Rohe de Montjuïc será utilizado como sede de actos culturales», in: La Vanguardia, Sonntag, 10. Dezember 1985, S. 20; Ignasi de Solà-Morales, «La recons­ trucción del pabellón alemán de Barcelona», in: La Vanguardia, Sonntag, 2. März 1986, S. 44. 20  Ignasi de Solà-Morales, Cristian Cirici und Fernando Ramos, Mies van der Rohe: Barcelona Pavilion, Barcelona 1993, S. 6.

Stützen folglich eine weniger wichtige Rolle als Träger des

Daches als beim Original. Das massive Betondach, mit eingelas-

senen Heizschlangen, weist durchgehend eine Dicke von 20 Zentimetern auf, während das alte Dach an den Rändern 20 Zentimeter dick war, jedoch zur Mitte hin auf eine Stärke von 30 Zentimetern anwuchs. Die originale Asphaltbedachung und

die verputzten Unterseiten wurden durch Polyester ersetzt. In den Marmorwänden wurden sechs zusätzliche Drainagepunkte installiert. Alle Marmorverkleidungen haben offene Fugen und

Metallaufhängungen anstelle von mit Mörtel versiegelten Fugen

und erstrecken sich nun auch auf die Rück- und Seitenwände, die ursprünglich nur farbig angestrichen waren. Wir wissen nicht, wie nahe die Färbungen des Glases dem Original kommen, doch

es hatte ursprünglich andere Zusatzstoffe, sicherlich mehr

158  Wiederaufbau

6  Der Onyxblock für die freistehende Wand in dem Pavillon, bevor er in Scheiben geschnitten wurde, um 1984, Foto: Francesc Catalá-Roca 7–8  Der Barcelona-Pavillon im Bau, um 1985, Foto: Francesc Catalá-Roca 9  Der Barcelona-Pavillon im Bau, um 1985, Foto: Sergius Ruegenberg

6

7

159

Unreinheiten und Gussfehler und, den Fotos nach zu urteilen, eine geringere Lichtdurchlässigkeit, was die Wirkung des Haupt-

raumes veränderte. Die unregelmäßigen Größen der Bodenplat-

ten werden auf ein Raster von 1,09 Metern vereinheitlich, und die Stützstruktur darunter sorgt für einen besseren Wasserabfluss. Die Fensterrahmen und Stützen sind aus poliertem Edelstahl statt

aus verchromtem Stahl. In der Leuchtwand waren Neonleuchten anstelle von Glühbirnen installiert. Die flachen katalanischen

Gewölbe unter dem Boden wurden durch eine Kassettendecke

aus Beton ersetzt, die die Decke des Untergeschosses bildet. Die Kolbe-Skulptur, ursprünglich ein Gipsabguss, der auf dem Weg

zurück nach Deutschland beschädigt wurde, wurde durch einen neuen Bronzeguss ersetzt. Die Wasserbecken sind nunmehr fla-

cher als die ursprünglichen, es gibt keine Seerosen in dem großen Becken und auch keine Blumenkästen mit rankenden

Gewächsen auf der Südmauer. Die Gestaltung des kleinen Büropavillons auf der Rückseite wurde verändert um einen kleine

Museumsladen unterzubringen. Den Garten hinter dem Pavillon hat man eingezäunt, den Weg hinauf zum ehemaligen Spani-

schen Dorf beseitigt. Statt zweier deutscher Fahnen wehen heute

8

9

160  Wiederaufbau

die spanische und die europäische Flagge, und die Schriftzüge

des Marmorlieferanten Köstner & Gottschalk und «Alemania» wurden nicht wieder montiert.

Das Endergebnis ist also zweifellos eine Annäherung, die dem Original jedoch nahe genug kommt, um dem Besucher ein gutes Gespür für den «Raumfluss», die Beleuchtung und die Materialbeschaffenheit zu vermitteln. Glücklicherweise war das Grund-

stück all die Jahre unbebaut geblieben. Der Bouillon-Stand von Maggi war am Ende der Weltausstellung zusammen mit dem

Pavillon abgerissen worden, die acht Säulen gegenüber in den

10 10, 11  Mies van der Rohe-Ausstellung in der Fundació Joan Miró in Barcelona, 1986, Foto: Francesc Catalá-Roca

11

161

frühen 1970er-Jahren, um Platz für die Ausstellungshalle des Instituto Nacional de Industria (INI) zu schaffen.

ABB.  4, 5

Diese

staatliche Finanz- und Industriebeteiligungsgesellschaft war

1941 als Teil des faschistischen Wirtschaftssystems gegründet

worden, um die Entwicklung und die nationale wirtschaftliche Unabhängigkeit zu fördern. 1973 schufen die Architekten Juan

Paradinas, Luis García-Germán und José Ignacio Casanova Fernandez eine imposante und ausdrucksstarke, 3.000 Quadratmeter große brutalistische Ausstellungshalle.

Der Grundstein für den neuen Pavillon wurde am 10. Oktober 1983 gelegt, und der Stiftungsrat der neuen Fundació Mies van

der Rohe – darunter Arthur Drexler vom Museum of Modern Art, Mies’ Enkelsohn Dirk Lohan und der Architekturhistoriker Julius Posener – unterzeichnete die Statuten. Die Bauarbeiten began-

nen zwei Monate später.24 Die Stadt Barcelona beauftragte den

prominenten Fotografen Francesc Català-Roca (1922 – 1998), den Bauprozess zu dokumentieren. Wir verdanken Català-Roca

Obwohl Spaniens

viele einzigartige und spektakuläre Aufnahmen etwa vom Aus-

ursprünglichen Daseinsberechtigung beraubte, wurde die Halle

Onyxblocks, bevor er für die zentrale Wand des Pavillons in dün-

21

Rückkehr zur Demokratie und zur Marktwirtschaft das INI seiner auch weiterhin zu Ausstellungszwecken genutzt. So standen

Fotografen, die den neuen Pavillon 1986 dokumentierten, vor einem ähnlichen Problem wie ihre Vorgänger 1929 – sie konnten keine orthogonalen Ansichten der Hauptfassade des Pavillons in

hub des Fundaments oder von der Untersuchung der großen

ne Scheiben geschnitten wurde. ABB. 6–8 Der damals 82-jährige

Sergius Ruegenberg kehrte ebenfalls zur Baustelle zurück und machte einige Fotos des fast vollendeten Gebäudes. ABB. 9

ihrer Gesamtheit machen und verzichteten bei ihren Aufnahmen

19 Monate und 120 Millionen Peseten später wurde der Pavillon

gebäude.22 Bei der Eröffnung des neuen Pavillons sprach einer

tage des Originalbaus, 17 Jahre nach Mies’ Tod und 100 Jahre

meistens auf den Blick nach Osten mit dem schwerfälligen Betonseiner Architekten, Cristian Cirisi i Alomar, die Hoffnung aus, dass

das Betongebäude irgendwann abgerissen würde. Sein Wunsch wurde 1993 nach dem Ende der Olympischen Spiele, deren

Orga­nisationszentrale darin untergebracht worden war, Wirklichkeit.23

im Frühjahr 1986 fertiggestellt – etwa 56 Jahre nach der Demonnach dessen Geburt. Eine große Mies-van-der-Rohe-Ausstellung fand im Museum Fundació Joan Miró auf dem Montjuïc statt

ABB. 10, 11, und bei einer Vortragsreihe Mitte April sprachen unter

anderem der Schweizer Architekt Werner Blaser und die deut-

schen Architekturhistoriker Wolf Tegethoff und Julius Posener. Die offizielle Eröffnung wurde am 2.  Juni 1986 gefeiert. Nach

einer Pressekonferenz im Pavillon fanden sich geladene Gäste

und Honoratioren in der berühmten Saló de Cent ein, der Halle, in der sich seit dem 14. Jahrhundert die 100 Stadtverordneten

versammelten. Die Wahl dieser geschichtsträchtigen Örtlichkeit, 21  «Pabellón de exposiciones del I.N.I. Barcelona», in: Informes de la Construcción, Jg. 27, Nr. 267, Januar/ Februar 1975, online unter: http://infor­ mesdelaconstruccion.revistas.csic.es/in­ dex.php/informesdelaconstruccion/artic­ le/viewFile/2902/3209. Ich danke Juanjo Romero und dem Architekten José Zabala, Barcelona, für die freundliche Bereitstellung dieser Information.

22  Siehe beispielsweise die Foto­ grafien von Francesc Català-Roca in: Ignasi de Solà-Morales, «La reconstrucci­ ón del pabellón alemán de Barcelona», in: La Vanguardia, 2. März 1986, S. 2. 23  Cristian Cirisi, «Der Barcelona Pavillon», in: Der Architekt, Nr. 9, 1. September 1985, S. 373 – 375. Ich danke Juanjo Romero, Barcelona, für diese Information. Siehe auch: http://barcelofi­

lia.blogspot.com.es/2011/04/pavello-delini-de-la-fira-de-barcelona.html?m=1. 24  Jordi Bordas, «Barcelona volverá a tener el pabellón más importante de la Exposición de 1929», in: La Vanguardia, 11. Oktober 1983, S. 17. Jordi Bordas, «La reconstrucción del pabellón de Van der Rohe se iniciará en diciembre», in: La Vanguardia, 17. November 1983, S. 25.

deren Wände von den horizontalen roten und goldenen Streifen

der Senyera, der katalanischen Flagge, an den Wänden, machte deutlich, dass das Ereignis als Erfolg katalanischenr Kultur und

Autonomie gefeiert wurde – ganz im Gegensatz zur Entstehung des ersten Pavillons unter Primo de Riveras protofaschistischem Regime.

162  Wiederaufbau

Pasqual Maragall, der Bürgermeister von Barcelona, der Archi-

Koolhaas hatte den «Klon von Mies’ Pavillon» von Anfang an kri-

Enkelsohn Dirk Lohan, der deutsche Botschafter Guido Brunner

gleisigen Intervention: Er trat der «Fiktion» der Rekonstruktion

gen bei der Eröffnung machten deutlich, dass die nostalgische

mit seiner eigenen fiktionalen Darstellung «im Namen einer

werk nicht der einzige Grund für den Wiederaufbau des Pavillons

folgte er mit einer Art Fotoroman die Gebäudeteile nach dem

tekt Oriol Bohigas, Mies’ Tochter Georgia van der Rohe, sein

und örtliche Honoratioren verlasen Erklärungen.25 Die ÄußerunSehnsucht einiger Architekten nach einem verlorenen Meister-

gewesen war. Der wiedererrichtete Pavillon passte vielmehr per-

fekt zu einer Reihe von Initiativen, die Barcelona auf den Weg, zu

einem weltweit gefragten Touristenziel brachten. Die Stadt war 1982 Gastgeber des FIFA-Weltcups gewesen und hatte im Zuge

dessen einen internationalen Besucherstrom erlebt. Unter ihrem umtriebigen Bürgermeister Pasqual Maragall i Mira (1982 – 1997

im Amt) leistete die Stadt Barcelona erfolgreiche Lobbyarbeit,

Ende der Weltausstellung, wie sie in die politischen Umwälzun-

gen der kommenden Jahrzehnte verwickelt wurden. Bei der

Mailänder Triennale von 1986 zwang Koolhaas eine Kopie des

Pavillons in die «bogenförmige Exedra des faschistischen Trien-

nale-Baus» und stellte dann die «leblose, leere, puritanische und unbewohnbare» Modernität des Originals mit «Körperkultur im

weitesten Sinne», einschließlich «projizierter Bilder, Beleuch-

baute Barcelona-Pavillon eine Ankurbelung des Kulturtourismus

infrage.29 Koolhaas fügte sogar ein unscharfes Foto von sich bei,

abstrakten Soundtracks unter Einsatz der menschlichen Stimme»

auf dem er knieend, das kleine Wasserbecken in seiner Installa-

Spanien am 1. Januar 1986 der Europäischen Union bei, und im

tion säubert

tragungsort für die Olympischen Spiele 1992. In ihren Reden zur

mir.»30 Vielleicht angeregt durch Koolhaas’ geistreiche Reaktion,

Herbst desselben Jahres erhielt Barcelona den Zuschlag als Aus-

ABB. 12:

«Ja, ich habe sogar Mies geputzt. Doch da

ich Mies nicht vergöttere, tun sich seine Bewunderer schwer mit

Eröffnung des Pavillons hatten sowohl Bürgermeister Maragall

initiierte die Fundació Mies van der Rohe einige Jahre später

der Rohe, ihrer Hoffnung Ausdruck verliehen, dass die Olympi-

von denen viele die zahlreichen existierenden Interpretationen

als auch Josep Figueras, Vizepräsident der Fundació Mies van schen Wettkämpfe und Feierlichkeiten sich in der Nähe des

Montjuïc abspielen würden.26 Beide Ereignisse brachten einen

eine Folge von Interventionen durch Künstler und Architekten,31

des Pavillons noch einmal überraschend vertieften, wenn sie sich

mit seiner Geschichte einließen, mit der Erfahrung am Ort, oder

Zuwachs an Finanzhilfen sowie größere Infrastrukturprojekte mit

den theoretischen Diskussionen.

sowie seinen Finanzmitteln aus Deutschland, der EU und Spani-

Der kanadische Fotograf Jeff Wall beispielsweise hat Rem Kool-

als den neuen Pavillon. Manch einer bedauerte jedoch dessen

als er Morning Cleaning, Mies van der Rohe Foundation Barcelo-

sich. Mit seinem Stein aus Italien, Griechenland und Nordafrika

12  Rem Koolhaas beim Säubern der Replik des Barcelona Pavillons auf der Triennale Mailand 1986

höheren Authentizität» entgegen.28 In der Zeitschrift Arch+ ver-

tungseffekten», Dampf, Wind, Geruch, Turngeräten und «eines

als wichtiger Faktor für das Wirtschaftswachstum. Außerdem trat

12

sowie begleitenden Berichten über die Bedeutung des Pavillons

um das Werk Antoni Gaudís zum UNESCO-Welterbe erklären zu

lassen. In diesem Zusammenhang versprach der wiederaufge-

13

tisch gesehen. Er reagierte auf dessen Eröffnung mit einer zwei-

en konnte man sich kaum ein wirkmächtigeres Symbol vorstellen Instrumentalisierung: «Wurde Mies im Namen des Stadtmarketings ausgebeutet?», fragte Rem Koolhaas 2002 wehmütig.

27

haas’ Selbstporträt beim Säubern seines Pavillons aufgegriffen, na 1999 konzipierte. ABB. 12a Wie viele seiner Bilder präsentierte

Wall die Fotografie als großes Farbdia (206 x 370 cm) in einem

hinterleuchteten Aluminiumrahmen. Sie zeigt einen Mann, der die Glaswand an dem kleinen Wasserbecken mit einem

163

12a

12a  Jeff Wall, Morning Cleaning, Fundació Mies van der Rohe, Barcelona, 1999, Dia in Lichtbox, 187 x 351 cm

13  Kay Fingerle, 2001

Fensterabzieher putzt – eine tägliche Prozedur, die besonders bei

Mies’ präziser Architektur notwendig ist, aber die die Öffentlichkeit normalerweise nicht zu Gesicht bekommt. Für einen kurzen

25  Victor A. Amela, «Inaugurando en Barcelona el pabellón alemán de Mies van der Rohe con la presencia de su hija», in: La Vanguardia, 3. Juni 1986, S. 52. Rosa Maria Subirana i Torrent, Mies van der Rohe’s German Pavilion in Barcelona, 1929 – 1986, Barcelona 1987, S. 8 – 21. 26  Subirana i Torrent, op. cit. 27  Rem Koolhaas, «Miesverständnisse», in: Arch+, Nr. 161, Juni 2002, S. 78 – 83. 28  Office for Metropolitan Architecture, «Body-building Home:

La Casa Palestra», in: Georges Teyssot, Il Progetto domestico: la casa dell’uomo: archetipi e prototipi, Mailand 1986, S. 52. Office for Metropolitan Architecture, «La Casa Palestra», in: AA Files, Nr. 13, Herbst 1986, S. 8 – 12. Rem Koolhaas, «Miesverständnisse», op. cit. 29  Office for Metropolitan Architecture, «Body-building Home: La Casa Palestra», in: Georges Teyssot, Il Progetto domestico: la casa dell’uomo: archetipi e prototipi, Mailand 1986, S. 52. Office for

Metropolitan Architecture, «La Casa Palestra», in: AA Files, Nr. 13, Herbst 1986, S. 8 – 12. Rem Koolhaas, «Miesverständnisse», in: Arch+, Nr. 161, Juni 2002, S. 78 – 83. 30  Rem Koolhaas, ibid. 31  Xavier Costa, «Activating the Pavilion», in: ders. (Hrsg.), SANAA, Kazuyo Sejima and Ryue Nishizawa: Intervention in the Mies van der Rohe Pavilion, Barcelona 2010, S. 4 – 7.

Moment wird die dem Pavillon innewohnende Ordnung unter-

graben: Das Glas ist mit Seifenlauge bedeckt, ein gelber Putzei-

mer auf Rollen zerstört das sorgsam komponierte Farbschema, der schwarze Teppich ist schmutzig und zurückgerollt, und die

weißen Ledersessel stehen unregelmäßig im Raum verteilt. In einem Gespräch mit dem Kritiker Michael Fried erzählte Wall, wie

sorgfältig er seine Fotografien über den Zeitraum von mehreren Wochen geplant und ausgeführt hat – es gab nur ein sehr kleines Zeitfenster am Morgen, in dem das Licht optimal war. Die

164  Wiederaufbau

14

165

14  Thomas Ruff, 2001, D.B.P.02, 2000/2004, Barcelona-Pavillon aus der L.M.V.D.R, Ludwig Mies van der Rohe-Serie, Farb-C-Print auf Alu-Dibond 15  Ai Weiwei, With Milk_find something everybody can use, Installation im Barce­ lona-Pavillon, 2009

Darstellung eines scheinbar unbeobachteten Moments, bevor die Besucher eintreffen, das tägliche Putzen, das den Kunstgriff

zeitloser Perfektion des Pavillons erst möglich macht, erweist sich als höchst inszeniertes und ausgeklügeltes Konstrukt, eine digitale Montage aus einer Reihe von Fotos, die an verschiedenen Tagen aufgenommen wurden.32

Unabhängig von der Reihe der künstlerischen Interventionen an der Fundació Mies van der Rohe bat man auch andere Foto­

grafen um einen neuen Blick auf den Pavillon, vor allem als das Museum of Modern Art in New York 2001 seine große Mies-

van-der-Rohe-Ausstellung zeigte. Die Berliner Fotografin Kay

Fingerle fand eine Perspektive, an die niemand zuvor gedacht hatte: Sie machte ein Foto aus dem Inneren des kleinen Wasser-

15

beckens heraus, aus der der Kolbe-Skulptur gegenüberliegenden Ecke – ein schiefes Bild, als wäre es schnell und hastig mit

einer kleinen, billigen Touristenkamera aufgenommen worden. Es war der Ort, «den nicht einmal Narren betreten können», wie

Paul Rudolph es ausgedrückt hatte, doch von dem aus der Bau 33

und seine räumliche Tiefe am augenscheinlichsten waren. ABB. 13

Entgegen der üblicher Konventionen platzierte man in der

Verwendung von Archivmaterial. Die mit Abstand gelungenste Aufnahme war eine Ansicht des Barcelona-Pavillons mit einem

farblich verfälschten Himmel, der pinkfarbener Limonade glich, die das Katalogcover zierte und von dem frechen, postmodernen

Ansatz der Ausstellung kündete. ABB. 14 Das Bild zeigt die Front

MoMA-Ausstellung zwischen Mies’ Zeichnungen großformatige

des Pavillons mit horizontalen Unschärfen, als bewegte sich der

jekte von Mies zeigten – einige neu aufgenommen, andere unter

keit. «Als Mies’ deutscher Pavillon für die Weltausstellung 1929

Fotografien von Thomas Ruff ein, die Studien einiger früher Pro-

Betrachter (oder sogar das Gebäude) mit hoher Geschwindiggebaut wurde, muss er wie ein in Barcelona gelandetes UFO erschienen sein», so Ruff. «Geschwindigkeit in der Fotografie ist

immer unscharf, und mein Bild von dem Deutschen Pavillon sieht aus wie eine Schnellzuglokomotive – Moderne, die im Bahnhof

der Gegenwart (allerdings der Gegenwart von 1929) ankommt».34 32  Michael Fried, «Jeff Wall, Wittgenstein, and the Everyday», in: Critical Inquiry, Jg. 33, Nr. 3, Frühjahr 2007, S. 495 – 526. Christine Conley, «Morning Cleaning: Jeff Wall and the Large Glass», in: Art History, Jg. 32, Nr. 5, Dezember 2009, S. 996 – 1015.

33  Paul Rudolph, «Conversation at 23 Beekman Place», Interview mit Peter Blake (1986), in: Roberto de Alba, Paul Rudolph: The Late Work, New York 2003, S. 203 – 217. 34  Ronald Jones, «A Thousand Words: Thomas Ruff Talks About ‹l.m.v.d.r.›», in:

Artforum, Nr. 10 2001, S. 159, und Julian Heynen (Hrsg.), Thomas Ruff, Krefeld 2000, o. S.

Hier machte sich Ruff einen Gedanken aus dem frühen 20. Jahr-

hundert zunutze: 1910 hatte Mies’ wichtigster Lehrer Peter Behrens eine künftige Architektur beschrieben, die unter dem Ein-

druck der Wahrnehmung aus einem fahrenden Auto gestaltet ist: «Wenn wir im überschnellen Gefährt durch die Straßen unserer

166  Wiederaufbau

Großstadt jagen, können wir nicht mehr die Details der Gebäude

16  Andrés Jaque / Office for Political Innovation, Phantom: Mies as Rendered Society

gewahren. […] Einer solchen Betrachtungsweise der Außenwelt, die uns bereits zur steten Gewohnheit geworden ist, kommt nur

17  Andrés Jaque / Office for Political Innovation, Phantom: Mies as Rendered Society, 2013, Lagerraum im Kellerge­ schoss unter dem Pavillon

eine Architektur entgegen, die möglichst geschlossene, ruhige Flächen zeigt, die durch ihre Bündigkeit keine Hindernisse bie-

tet.»35 Doch Ruff zelebrierte natürlich auch den Umstand, dass Fotografen des Pavillons endlich Zugang zur orthogonalen

18  SANAA (Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa), 2008

Ansicht hatten, die ihnen so lange verwehrt geblieben war – 1929

standen acht Säulen und der Maggi-Pavillon im Weg und von

1986 bis zu seinem Abriss versperrte das INI-Gebäude die Sicht.

16

17

167

Nun war diese Ansicht möglich, nicht nur von einer sorgsam gewählten Position aus, sondern über die volle Länge des Gebäudes, das wie bei einem «Drive-by Shooting» im Vorbeifahren erfasst werden konnte.

Andere von der Fundació Mies van der Rohe eingeladene Künstler haben sich mit der verwirrenden Tatsache beschäftigt, dass

man «nicht die kleinste Spur der verstrichenen Zeit finden kann, den Verschleiß durch den Lauf der Jahre […] Rost, der an den Chromflächen nagt»36 – ein Bild der Zeitlosigkeit, das nicht auf

natürliche Weise entsteht, sondern das Ergebnis sorgsamer

Instandhaltung ist. Im Dezember 2009 füllte Ai Weiwei in der Ins-

tallation With Milk_find something everybody can use, Milch in

das große Wasserbecken und Kaffee in das kleine – Flüssigkeiten, deren schnelles Verderben beobachtet werden kann. Während das Wasser in den beiden Becken «die ganze Zeit, unbe-

merkt von den Besuchern, ersetzt» wurde, war nun ein «anspruchsvolles Bemühen» erforderlich, um den Zustand der

Flüssigkeiten «vor Licht, Luft, Wärme […] allem, [was] Wachstum und Veränderung fördert» zu schützen.37 ABB. 15 18

Der spanische Architekt Andrés Jaque untersuchte 2013 ein ver-

wandtes Thema in einer Arbeit mit dem Titel Phantom: Mies as Rendered Society. Alle für die Instandhaltung des Gebäudes notwendigen Gegenstände waren im Pavillon ausgestellt, seien es

Reinigungsgeräte oder Chemikalien, Ersatzglas oder Marmor-

muster – eine Archäologie, die die Geschichten hinter den Kulissen, die für den Besucher normalerweise unsichtbar und in dem 35  Peter Behrens, «Kunst und Technik» (1910), zit. in: Fritz Neumeyer (Hrsg.), Quellentexte zur Architekturtheorie, München 2002, S. 358. Als Behrens dies schrieb, war Mies Mitarbeiter in seinem Büro. Siegfried Kracauer äußert sich ähn­ lich zu der Fassade von Mies’ Gebäude für die Weißenhofsiedlung in Stuttgart (1927), siehe: Siegfried Kracauer, «Das neue Bauen. Zur Stuttgarter Werkbund-

Ausstellung ‹Die Wohnung›», in: Frankfurter Zeitung, 31. Juli 1927. 36  Marco de Michelis, «The Smells of History», in: Xavier Costa (Hrsg.), MUNTADAS. On Translation: PAPER/BP MVDR, Barcelona 2010, S. 28 – 31. 37  Ai Weiwei, With Milk_find something everybody can use, online unter: http://miesbcn.com/project/ai-weiwei-in­ tervention.

38  Ethel Baraona Pohl, «The Value of the Infra-ordinary», in: Domus, 23. Januar 2013, online unter: http://www.domus­ web.it/en/architecture/2013/01/23/thevalue-of-the-infra-ordinary.html. Siehe auch: «PHANTOM: Mies as Rendered Society by Andrés Jacque», http:// miesbcn.com/project/jaque-intervention.

Lagerraum unter dem Pavillon weggesperrt blieben, dokumen-

tierten. Dieses Kellergeschoss wurde als der «Geist des Pavillons

(PHANTOM)» präsentiert, unbekannt und schwer zu erreichen, aber dennoch bedeutsam für die Instandhaltung und Bewirt-

schaftung des Gebäudes und zur Erhaltung seines makellosen, zeitlosen Zustands.38 ABB. 16, 17

168  Wiederaufbau

19

169

19  Luis-Martínez Santa-María, Madrid, Spanien, I don’t want to change the world. I only want to express it, Siegerbeitrag für den Wettbewerb zu Fear of Columns im Barcelona-Pavillon, 2017

2008 installierte das japanische Architekturbüro SANAA (Kazuyo

die Bedeutung von Materialität bei der Wahrnehmung des Rau-

zusätzliche Reflexionen und räumliche Komplexität im Inneren

der viel diskutierten Kostbarkeit seiner Materialien und ihrer

die Wand Bezug auf den Grundriss von Mies’ Glashochhaus von

porären Haus näher, das Mies auf der Berliner Bauausstellung

Sejima und Ryue Nishizawa)39 eine gebogene Acrylwand, die für

des Pavillons sorgte. ABB. 18 Durch ihre kurvilineare Form nahm

1922, während ihr Titel – «transparenter Vorhang» – auch an Mies’ und Lilly Reichs Café Samt und Seide von 1927 erinnerte.

Zur Feier des 30.  Geburtstags des neuen Pavillons schrieb die Fundació Mies van der Rohe einen neuen Wettbewerb für eine

Intervention mit dem Titel Fear of Columns aus. Der katalanische

Architekt Luis Martínez Santa-María wurde aus einer Shortlist von

mes nahelegt»,40 schrieben die Künstler. So wurde der Pavillon

polierten spiegelnden Oberflächen beraubt und kam dem tem1931 errichtet hatte. ABB. 20

2018 stellte Spencer Finch durch eine Geste von überzeugender

Schlichtheit einen Zusammenhang zu Mies’ häufig erklärter Affinität zur japanischen Architektur her: Seine Installation Fifteen

Stones (Ryōan-ji) verwandelte das große Wasserbecken in einen meditativen Zen-Garten mit sorgsam platzierten Steinen. ABB. 21

26  Architekten, Designern und Künstlern ausgewählt, und am

Der Garten (karenasui) im Ryōan-ji-Kloster in Kyoto («Der Tempel

Pavillons, wurde seine Installation enthüllt. Acht Säulen aus

(das mit 25 x 10 Metern ähnlich groß ist wie das große Wasser-

2. Juni 2016, genau 30 Jahre nach der Einweihung des neuen

100 ausrangierten Stahltonnen erinnerten an die acht Säulen, die vor dem ursprünglichen Pavillon standen, wobei ihr etwas abgenutztes und gealtertes Aussehen einer Hochdruckwasserbehandlung geschuldet war. ABB. 19

Im November 2017 nahmen Anna & Eugeni Bach den vielleicht

radikalsten Eingriff am Pavillon vor – Mies Missing Materiality –, indem sie all seine Wände für eine Woche mit weißen Vinylplatten bedeckten. «Diese einfache Handlung verwandelt den Pavil-

lon in eine Attrappe im Maßstab 1:1, eine Darstellung seiner selbst, welche Interpretationen über Aspekte wie den Wert des

Originals, die Rolle der weißen Fläche als Bild der Moderne und

des Friedensdrachens») besteht aus einem weißen Kieselfeld becken im Pavillon), auf dem 15 Steine so platziert sind, dass man

sie aus keinem Blickwinkel alle gleichzeitig sehen kann. Der Betrachter ist gezwungen, sich zu bewegen, um die Wirkung zu erfahren. Finch schrieb: «Der Ryōan-ji-Garten in Kyoto und der

Mies-van-der-Rohe-Pavillon in Barcelona sind zwei meiner Lieb-

lingsplätze auf der Welt. Trotz ihrer vielen Unterschiede sind sie für mich unglaublich ähnlich bezüglich der Art und Weise, wie sie

uns daran erinnern dass wir Menschen sind die Raum wahrnehmen und sich darin bewegen.»41

In Anerkennung der zentralen Rolle, die die Fotografie in der Geschichte des alten und neuen Pavillons spielte, brachte der

deutsche Fotograf Michael Wesely 2018 eine Kamera an, die im Lauf von 365 Tagen ein einzelnes Foto aufnahm. Das dabei ent-

standene Bild, vergrößert im Maßstab 1:1 und im Herbst 2019 im 39  «SANAA: Intervention in the Pavillon», http://miesbcn.com/project/sa­ naa-intervention. 40  «Anna & Eugeni Bach: mies missing materiality», http://miesbcn.com/project/ mies-missing-materiality/.

41  «Artist Spencer Finch Evokes Kyoto‘s Ryoan-ji Garden at the Mies Pavilion», in: ArchDaily, 3. Oktober 2018, online unter: https://www.archdaily.com/­ 902857/artist-spencer-finch-evokes-kyo­ tos-ryoan-ji-garden-at-the-mies-pavilion.

Pavillon installiert, zeigt die Überlagerung vieler Bewegungen und Lichtverhältnisse, die während dieses Jahres zu sehen gewe-

sen waren. Es vermischt Kontinuität und Wandel, Materialien und

Spiegelungen – und erinnert uns an alte und neue Blickwinkel und an die bestechende Macht von Bildern.

170  Wiederaufbau

20  Anna & Eugeni Bach, Mies missing materiality, Installation am Barcelo­ na-Pavillon, 2017 21  Spencer Finch, Fifteen stones (Ryōan-ji), Installation am BarcelonaPavillon, 2018

20

171

21

Wirkung

173

Wenn man eine Rangliste moderner Gebäude erstellen würde,

bewusste Bezugnahme auf den hoffnungsvollen Neuanfang in

haben, dann stünde Mies van der Rohes Pavillon auf der Weltaus-

einer hastigen und zufallsbedingten Entscheidung in letzter

geordnet nach der Anzahl begeisterter Kritiken, die sie erhalten stellung 1929 in Barcelona sicherlich nahe an der Spitze. Wie kam es dazu, dass ein kurzlebiger Ausstellungspavillon – in letzter

Minute notdürftig fertiggestellt, in den Augen seines Architekten

nicht wert, professionell fotografiert zu werden, und zunächst von den meisten Ausstellungsbesuchern übersehen – zu einem der wirkmächtigsten Gebäude des 20. Jahrhunderts wurde? Dieser

Band stellt den Pavillon in die mannigfaltigen Zusammenhänge seiner Zeit, so, als befände er sich im Zentrum der sich über-

schneidenden Kreise eines Mengen-Diagramms. Je mehr Kontexte man erforscht, desto komplizierter und widersprüchlicher wird die Geschichte des Pavillons und unterminiert etablierte

Urteile. Die sozialdemokratische Regierung des deutschen Reiches hatte beispielsweise keinerlei Interesse daran, einen modernen Pavillon als Symbol für die Ambitionen einer jungen Demo-

kratie einzusetzen. Stattdessen wurde das Gebäude entgegen klarer Regierungs­direktiven vom konservativen Geschäftsmann Georg von Schnitzler vorfinanziert und realisiert, der wenige Jahre später mit den Nationalsozialisten zusammen arbeitete und schließlich bei den Nürnberger Prozessen als Kriegsverbrecher

angeklagt wurde. Wenn der protofaschistische spanische Diktator Primo de Rivera nicht eingegriffen hätte, wäre der Pavillon überhaupt nicht zustande gekommen. Dessen viel gepriesene

Deutschland –, und war auch keinre bedachte Auswahl, sondern Minute geschuldet. Die Existenz des Pavillons und sein Erfolg bei

der Kritik hingen von vielen Akteuren ab. Neben Mies waren dies in erster Linie Georg und Lilly von Schnitzler als Mäzene, aber auch der Marqués de Foronda, der als Leiter des Exekutivaus-

schusses der Weltausstellung die Nutzung des Geländes bewil-

ligte; der spanische Diktator Miguel Primo de Rivera, der sich darum bemühte, die Entscheidung der deutschen Regierung, auf

den Pavillon zu verzichten, rückgängig zu machen; der deutsche

Wirtschaftsminister Julius Curtius, der in letzter Minute einen beträchtlichen Kredit gewährte; einflussreiche Journalisten wie

Heinrich Simon, der bei der Etablierung des entsprechenden Diskurses eine wichtige Rolle spielte; Erich Raemisch, ein Manager der deutschen Seidenindustrie, der die Fotoarbeiten in Auftrag gab, und schließlich Sasha Stone, der ikonische Bilder von sol-

cher Prägnanz schuf, dass sie letztlich dem Gebäude, das wenig

später nicht mehr existieren sollte, seinen Platz in der Geschichte der modernen Architektur sicherten. In Anbetracht der fortwährenden Unsicherheiten bei der Gestaltung und dem Bauprozess

muss man die Standhaftigkeit, ja Starrköpfigkeit anerkennen, mit der Mies an seiner Vision festhielt, so nervenaufreibend und finanziell verantwortungslos sie auch gewesen sein mag.

Leere war wohl viel eher das Ergebnis seiner verfahrenen Entste-

Der Komplexität dieser Entstehungsgeschichte entspricht die

sche Entscheidung. Als Gebäudetyp gehörte der Pavillon zur

ten Kritiker und Kunsthistoriker hätten sicher keine Bedenken

hungsgeschichte als eine bewusste und konsequente gestalteriMode architektonisch origineller Messegebäude, doch seine

provokative Deplatzierheit als Länderpavillon auf einer Weltausstellung bescherte ihm Aufmerksamkeit und tiefschürfende Inter-

pretationen. Wenngleich Mies Sasha Stones Schwarz-Weiß-Fotografien gerne verwendete, hatte er mit ihrer Entstehung nicht das

Geringste zu tun. Die im Pavillon aufgestellte Skulptur von Georg

Kolbe hieß auch nicht Morgen, wie häufig erklärt wurde – als

Vielfalt der Stimmen in der Rezeption des Bauwerks1. Die meis-

gehabt, den Pavillon als «Meisterwerk» zu bezeichnen – doch über die Gründe gingen die Meinungen weit auseinander. Einige

Autoren priesen seine Räume als offen, andere als geschlossen, einige meinten, verkörperte Bewegung, andere Stillstand zu

erkennen, einige entdeckten erstarrte Musik, andere Stille, für etliche Kritiker spiegelten sich im Bau die Folgen des Ersten Weltkrieges wider, für andere eine Vorahnung des Zweiten

174  Wirkung

Weltkrieges. Ebenso wie ein Kritiker Mies’ «geistreiches Spiel»

für «Klarheit» und «Offenheit» stünden und dies ein Hinweis auf

tionen verwiesen, war ein anderer davon überzeugt, dass Mies

tische Haltung Deutschlands sei. Spanische Kritiker sahen eben-

mit Oberflächeneigenschaften beobachtete, die auf Raumsituadamit eine didaktische Demonstration des strukturellen Unter-

schiedes zwischen Wänden und Stützen unternommen habe; einer pries die Klarheit des Pavillons, ein anderer erlebte ihn als «Labyrinth». Mit der gleichen Ernsthaftigkeit wurde er mit einer

falls im Pavillon «die Seele des neuen Deutschland» – nicht jedoch in seiner Klarheit, sondern in den verwirrenden Reflexionen seiner Glas- und polierten Oberflächen – «eine reiche Mischung von

Lichtstrahlen, die sich beliebig durchkreuzen»2. Reyner Banham,

frühmodernen Wunderkammer und mit einem Aquarium vergli-

Manfredo Tafuri und andere Architekturkritiker sahen den Pavil-

spiegelungen heimlich Symmetrien in eine unsymmetrische

offen Deutschlands politisches System verspottet hatten, und

chen. Ein Kritiker war der Überzeugung, dass die Oberflächen-

1

eine neue, weniger lautstarke und vielleicht sogar demütige poli-

Struktur einschmuggeln sollten, ein zweiter sah eine dreidimensionale Wiedergabe der platonischen Ideenlehre, ein dritter

erlebte das Drama des «Heiligen Grals» und ein vierter die «Tra-

gödie moderner Architektur». Die politische Dimension wurde anfänglich mit dem etwas oberflächlichen Vergleich beschrie-

ben, den Georg von Schnitzler bei der Eröffnung ins Spiel

gebracht hatte – nämlich, dass die klaren Linien des Gebäudes

lon durch diejenigen künstlerischen Kräfte inspiriert, die ganz verwiesen dabei auf seine dadaeske Collage gegensätzlicher Materialien oder die Nebeneinanderstellung der naturalistischen

Skulptur Georg Kolbes und ihrer abstrakten Umgebung. Spätere

Kritiker sahen im Pavillon wiederum einen realitätsfernen Raum, perfekt isoliert von der Gewalt und der Unsicherheit der Weima-

rer Republik.3 Wie kann ein einziges Gebäude solch unterschied-

liche Reaktionen hervorrufen? Was sagt das über den Zustand

der Architekturkritik oder über die Moderne im Allgemeinen aus? Sicher begünstigten die Leere des Pavillons und seine programmatische «Stille» (wie manche Kritiker es nannten) mannig-

faltige Interpretationen, und er bot sich als Versuchsfeld für verschiedene Theorien an. 1  Miller House, Palm Springs, Florida, 1937, Architekt: Richard Neutra, Foto: Julius Shulman 2  Conger Goodyear House, Old Westbury, New York, 1938, Architekt: Edward Durell Stone

Stellt man der kritischen Rezeption detaillierte historische Befun-

de gegenüber – lässt man sozusagen die Historiker gegen die Kritiker antreten –, dann führt das nicht unbedingt zu eindeutige-

ren Ergebnissen, sondern es wirft vielmehr neue Fragen auf. So kann etwa die These, der Pavillon sei von der deutschen Regie-

rung als Symbol für die junge Demokratie des Landes und als

Sanktionierung der Moderne in der Architektur beabsichtigt gewesen, klar widerlegt werden. Doch überrascht es nicht, dass

sich diese Darstellung lange hielt – schließlich war das Gebäude der offizielle Deutsche Pavillon auf der Weltausstellung. Damals

wurde die deutsche Regierung von Sozialdemokraten angeführt, und von Schnitzlers vage formulierte Rede bei der Eröffnung des 2

175

Pavillons lehnte die Vorstellung des Gebäudes als Staatsarchi-

tektur keineswegs ab. Die Affinität linksgerichteter Politik zur modernen Architektur hatte in der Weimarer Republik eine lange

dienen sollte, nämlich die Arbeiterschicht, war von Beginn an ein Problem der Avantgarde gewesen. Anstatt also die offiziell sank-

Vorgeschichte. So wurde die aufkommende Lesart des Pavillons

tionierte Formensprache fortschrittlicher Politik zu werden, hörte

langen Nachlebens erfreut, ungeachtet der Intentionen von

eines der meistdiskutierten und einflussreichsten Gebäude der

sofort als überzeugend akzeptiert und hat sich bis heute eines

Architekt und Auftraggeber. Ein Teil des Einflusses, den der Pavillon auf andere Gebäude ausgeübt hat, lässt sich sicher, vor allem

in Deutschland, durch diese Assoziation erklären. Für die Rezeption in den Vereinigten Staaten spielte der vermeintliche Zusam-

menhang des formalen Vokabulars mit linker Politik keine Rolle. Ganz im Gegenteil, Philip Johnson entpolitisierte den Pavillon in

seinen Beschreibungen ganz entschieden. Er mag durch seine Begegnungen mit Mies den durchaus zutreffenden Eindruck

gewonnen haben, dass der Pavillon in den Augen derer, die ihn

möglich gemacht hatten, für das genaue Gegenteil von linker

die Moderne in Barcelona auf, politisch zu sein. So präsentiert modernen Architektur, die «Ur-Hütte» oder «Mutter» der Bewe-

gung, ein erstaunliches Paradox: In einer Freudʼschen «Wiederkehr des Verdrängten» vereinte es das genaue Gegenteil der

Merkmale, für die die Moderne gestanden hatte: Es war funktionslos, luxuriös, strukturell unklar, formalistisch, elitär und ohne

gesellschaftliche oder politische Mission. Es demonstrierte perfekt Jürgen Habermas’ Beobachtung, dass «die […] Eigenschaf-

ten moderner Bauten das Ergebnis einer konsequent verfolgten ästhetischen Eigengesetzlichkeit sind», anstatt «die Formen der

Benutzung auszudrücken, für die ein Bau geschaffen wird».5

Politik stand. Seine Formensprache war annehmbar geworden

Demzufolge, so Jonathan Hill, implizierte er «Kontemplation» als

lich, jedoch politisch konservativ mit einer Abneigung gegen-

des Architekten und nicht die des Nutzers».6 Während der Pavil-

für Leute wie die von Schnitzlers: begütert, kulturell fortschritt-

angemessenste Reaktion darauf und bestätigte so «die Autorität

über Demokratie und Massenkultur und einer ausgeprägten Vor-

lon selbst wegen seiner außergewöhnlichen Rolle und seiner

bediente diese Sicht perfekt. Die häufig notierte Tatsache, dass

blieb, wurde bald danach klar, wie sehr die politische Linke diese

stellung von aristokratischer, elitärer Überlegenheit. Der Pavillon die meisten Besucher der Ausstellung mit dem Pavillon nichts

anfangen konnten, war Teil seines Konzepts. Er sprach nur Betrachter mit einem sehr spezifischem Wissen und Verständnis von zeitgenössischer Kunst und Architektur an, den «Bildungs-

adel», wie Pierre Bourdieu ihn nannte. Diese Unzugänglichkeit 4

1  Siehe Dietrich Neumann, Der Barcelona-Pavillon von Mies van der Rohe. Hundert Texte seit 1929, Basel 2020 2  Ángel Marsà and Luís Marsillach, La montaña iluminada: Itinerario espiritual de la Exposición de Barcelona 1929 – 1930. (Barcelona: Ed. Horizonte, 1930): 11, 14. 3  Robin Evans, «Mies van der Rohe’s

der Ästhetik der Moderne für diejenigen, denen sie angeblich

Paradoxical Symmetries», in: AA Files, Nr. 19, 1990, S. 56 – 68. 4  Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede: Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt am Main 2003, S. 31 – 114. 5  Jürgen Habermas, «Moderne und postmoderne Architektur», in: Arch+,

Nr. 61, 1982, S. 54 – 59, hier: S. 57. 6  Jonathan Hill, «Weather Architectu­ re», in: ders. (Hrsg.), Architecture: The Subject is Matter, London/New York 2001, S. 58 – 71. 7  Peter Blake, The Master Builders, New York 1960, S. 208 – 212.

verwirrenden Leere von direkter Kritik größtenteils verschont Wendung als Verrat wahrnahm: Als Mies die Formensprache des

Pavillons auf die Villa Tugendhat und auf das Haus für ein kinder-

loses Paar auf der Berliner Bauausstellung übertrug, wurde er scharf angegriffen. Letztlich jedoch war es genau der Mangel an politischen Bezügen, der seine Rezeption in den USA und die weltweite Verbreitung seiner Formensprache erlaubte.

1960 erkannte der Architekt Peter Blake als Erster an, welch bedeutenden Einfluss der Barcelona-Pavillon auf praktizierende

Architekten hatte. Er stellte eine Liste von Gebäuden zusammen, an denen dieser Einfluss sichtbar wurde, darunter Wrights Uso-

nia-Häuser, I. M. Peis Penthousebüro für Willam Zeckendorf und

Paul Rudolphs frühe Häuser in Florida.7 Tatsächlich konnte man

176  Wirkung

3

4

Häuser, die Schlüsselelemente des Pavillons übernahmen, wie

Art»-Gebäude von Harrison & Fouilhoux auf der New Yorker

Fenster, freistehenden Stützen, offenen Raumzusammenhänge

widerspiegelte, sondern auch dessen Typologie und Plan. ABB. 5

etwa das Flachdach, die breiten Auskragungen, die wandhohen und so weiter, bald in den USA und dann auch in Europa finden – im Preis erstaunlich variabel und an regionale und kulturelle Unterschiede angepasst. 3  Jacobs House, Madison, Wisconsin, 1937, Architekt: Frank Lloyd Wright

Thomas Hines zum Beispiel beschrieb Richard Neutras Miller House in Palm Springs (1937)

als eine «Miniaturausgabe

Weltausstellung 1939, das nicht nur die Form des Originals

Nach dem Erfolg seiner MoMA-Ausstellung zum International

Style im Jahr 1932 auf den Geschmack gekommen, beschloss Philip Johnson, Architektur zu studieren. Sein erster Studenten-

entwurf 1940, ein Haus an der Küste, «sah aus wie der BarcelonaPavillon», wie er zugab,9 und seine späteren Entwürfe in Harvard

4  Rosenbaum House, Florence, Alabama, 1938 – 1940, Architekt: Frank Lloyd Wright

von Mies’ Barcelona-Pavillon».8 Ein Jahr später war Edward Durell

5  Weltausstellung in New York, 1939, «Masterpieces of Art»-Gebäude, Architekten: Harrison & Fouilhoux

Pavillon, den der Architekt Stone 1929 auf einer Europareise

er, wie viele andere, die Stützen in dem Pavillon als lediglich

rationsquellen erwähnte, schienen seine Häuser Jacobs, Goetsch-

Mies war nicht beeindruckt: «Wenn wir solche Atriumhäuser ent-

7  Revere Quality House, Siesta Key, Florida, 1948, Architekten: Ralph Twitchell, Paul Rudolph

ABB. 1

Stones Haus in Old Westbury, New York, für A. Conger Goodyear

ABB. 2

eine noch offenkundigere Hommage an den Barcelona-

gesehen hatte. Und während Frank Lloyd Wright nie seine InspiWinkler und Rosenbaum (1939/40) in Michigan und Alabama ABB. 3, 4

eine Umsetzung von Mies' Vokabular in Holz und Back-

stein zu sein, auch wenn Wright die durchgehenden Glasschei-

ben des Originals vermied und stattdessen lange Abfolgen schmaler Fenster anwandte, die vom Boden bis zur Decke reich-

ten. Die vielleicht offenkundigste Imitation des Barcelona-Pavillons in den USA der 1930er-Jahre war das «Masterpieces of

gingen auch nicht weit darüber hinaus. Sein eigenes Haus in

9 Ash Street in Cambridge, das ebenfalls auf dem Pavillon basier-

te, wurde 1942 seine Abschlussarbeit. ABB. 6 Anscheinend hatte

dekorativ angesehen und setzte sie mit großer Begeisterung ein. werfen, dann tun wir nicht ganz so viele Stützen hinein», sagte er, wie sich Johnson erinnerte. Johnson reduzierte die Anzahl der

Stützen auf nur drei entlang der Glasfront zum Garten hin, und

das Haus wurde schließlich durchaus elegant. Mies jedoch lehnte es ab, nach Cambridge zu kommen, um es sich anzusehen.10 Johnsons zylindrische Holzstützen waren an beiden Enden mit Metallhüllen versehen, die sie mit der Decken- und Boden-

177

struktur verbanden und ihnen so das Aussehen einer vereinfach-

ten Basis und eines Kapitells gaben – genau das, was Mies’ konservative Kritiker einst gefordert hatten. Mies’ Werk in Barcelona

war schnell zu einer erkennbaren modernen Konvention avanciert, die sowohl auf kostengünstige, industriell herstellbare Häuser als auch auf Luxusvillen anwendbar war.

Das viel diskutierte Revere Quality House, das Ralph Twitchell 5

1948 mit seinem jungen Partner Paul Rudolph entwarf, war als

7

billiger Prototyp für die Florida Keys gedacht.

ABB. 7

Das Haus

wurde als Beispiel eines modernen Regionalismus gepriesen, das «speziell für tropische Wetterverhältnisse geeignet war»,11

mit einer vor Schimmel, Feuer, Termiten und Wirbelstürmen schützenden Betonstruktur und einem auskragenden Dach, das

Schutz vor der Sonne bot.12 Donald Wexlers Stahlhäuser in Palm Springs (1961/62) für die Bauunternehmer George und Robert Alexander sind ebenfalls eindeutig auf Mies zurückzuführen.

Die Häuser des bereits erwähnten Richard Neutra in Kalifornien behielten ihren visuellen Bezug zum Barcelona Pavillon lange

bei, gipfelnd in seinem Kaufmann House in Palm Springs (1946). ABB. 8

Das Case-Study-House-Programm, das 1945 von dem kali-

fornischen Magazin Arts & Architecture ins Leben gerufen wurde, enthält ebenfalls viele Fälle offenkundiger Bezugnahmen. Das bedeutendste Beispiel ist zweifellos Nr. 22 – Pierre Koenigs Stahl

House (1960) ABB. 9, zu dem Daniel Dunham schreibt:

«Die überzeugendsten poetischen und pragmatischen Echos des Pavillons scheinen hier anzuklingen. […]. Vielleicht sind die

8  Thomas S. Hines, Richard Neutra and the Search for Modern Architecture: A Biography and History, Berkeley 1994, S. 121 – 123. 9  Kazys Varnelis (Hrsg.), The Philip Johnson Tapes: Interviews by Robert A. M. Stern, New York 2008, S. 85. 10  Ibid., S. 94. 11  «House in Florida», in: Architectural Review, Juni 1949, S. 287 – 290.

12  Andere Gebäude von Twitchell/Ru­ dolph hätten sich ebenfalls für Peter Bla­ kes Liste von Nachfolgern des BarcelonaPavillons geeignet, wie etwa das Miller Guest House auf Casey Key (1949), das Cocoon House auf Siesta Key (1950) oder das Bennet House in Bradenton, Florida, von 1950, das später ein ähnliches Schick­ sal erleiden sollte wie der Pavillon, da 2015 eine maßstäbliche Kopie auf dem

Gelände der Sarasota Architectural Foun­ dation und des Ringling Museum errichtet wurde. Auch Peter Blakes eigenes Pinwheel House in Water Mill, New York, gehört in diese Reihe (1954). 13  Daniel Dunham, «Beyond the Red Curtain: Less is More Utopia», in: Utopian Studies, Jg. 25, Nr. 1, 2014, S. 150 – 173, hier: S. 166.

einzigen wirklichen Abweichungen vom Barcelona-Prototyp das Fehlen des üppigen Materials (was im Allgemeinen auch für

andere Case-Study-Projekte zutrifft) sowie seiner tektonischen Kraft.»13

178  Wirkung

Ähnlich eindrucksvoll ist das 1961 – 1963 von Nicos Valsamakis entworfene Wochenendhaus für den Bauunternehmer Alekos

Lanaras außerhalb von Anavissos in Ostattika südlich von Athen. ABB.  10

Seine offenkundigen Bezugnahmen auf Pierre Koenigs

Stahl House und im weiteren Sinne auf den Barcelona-Pavillon

signalisieren eine programmatische Verpflichtung gegenüber

dem Internationalen Stil als Antwort auf die Entstehung eines

modernen griechischen Regionalismus unter Dimitris Pikionis, Aris Konstantinidis und anderen. Insbesondere Konstantinidis’ gleichzeitiges und in der Nähe gelegenes rustikales Wochen-

endhaus mit seinen Steinmauern und seinem flachen, schweren Betondach lieferte ein perfektes Gegenstück.14

Architekturdebatten waren nirgends so sehr mit der Sorge belastet, Fehler der Vergangenheit zu wiederholen, wie im West6

deutschland der Nachkriegszeit. Die Architektur unter den Natio-

nalsozialisten wurde natürlich einstimmig und lautstark abge­lehnt,

doch gab es kein rechtes Einvernehmen über die architektonischen Errungenschaften der Weimarer Republik. Einzig der Bar-

celona-Pavillon war ein Gebäude, dem jeder als positivem Modell zustimmen konnte, und wann immer es heraufbeschwo-

ren wurde, geschah dies mit einem klaren Blick auf dessen vermeintliche politische Rolle. Kritiker priesen ihn als «ein Stück

absoluter Architektur, ein Meisterwerk» und Schlüssel zu «einer

neuen Haltung, zu einer neuen Art von Repräsentation»15, für

andere symbolisierte er «den menschlichen Widerstand gegen Bedrohungen, Dunkelheit und bevorstehendes Chaos».16 Für die Weltausstellung in Brüssel 1958 gab der deutsche Ausstellungs-

kommissar, der Architekt Hans Schwippert ein ebenerdiges Atriumhaus bei Eduard Ludwig, Mies’ letztem engen Mitarbeiter vor

seiner Abreise in die USA, in Auftrag. Es erinnerte an den Barce-

lona-Pavillon und Mies’ nachfolgende Hofhausentwürfe und hatte eines der fünf Häuser zum Vorbild, die Ludwig 1957 für die

Interbau-Ausstellung in Berlin errichtet hatte.17 8

ABB.  11

Solche

L-förmigen Atriumhäuser mit Fenstern, die vom Boden bis zur

179

6  Ash Street House, Cambridge, Massachusetts, 1942, Architekt: Philip Johnson 8  Kaufmann House, Palm Springs, Florida, 1946, Architekt: Richard Neutra

Decke reichten, und offenen Raumverbindungen avancierten zu

einem Hauptelement des deutschen Einfamilienhausbooms nach dem Krieg.

Die Fassade des Kanzlerbungalows bestand wie die des Barcelona-Pavillons aus wandhohen Glasscheiben unter dem tiefen Vorsprung eines Flachdaches. Ruf sorgte für mehr Wohnraum im

Inneren, indem er den Grundriss aus zwei sich überschneiden-

Zwei Jahre später pries der sozialdemokratische Politiker Adolf

Arndt den Pavillon als das bislang einzige Beispiel einer staatlich finanzierten, wahrhaft «demokratischen» Architektur18 und schuf

so die Voraussetzungen für eine «Diskussion über moderne

Architektur und Staatsrepräsentation, wie sie in Deutschland

zuvor nie geführt worden war».19 Der Pavillon wurde zum Modell für die offizielle Residenz des zweiten deutschen Nachkriegskanzlers Ludwig Erhard in Bonn. Die lange Freundschaft des

Architekten Sep Ruf mit Erhard hatte ihm den Auftrag gesichert.20

den Quadraten entwickelte – halböffentliche, repräsentative Räume befanden sich im großen Viereck, Privaträume im kleineren.21 ABB. 12

Anfangs wies der Entwurf 32 freistehende kreuzförmige

Stützen (16 in jedem Viereck) auf, doch der endgültige Plan kam

ohne Stützen aus. Architekturkritiker lobten die «Paraphrase» des Pavillons «als potentielles Bild des 20. Jahrhunderts in ihrer bes-

ten Form»,22 insbesondere dank der «Durchdringung von Innen-

und Außenraum», der Mies den Weg bereitet hatte.23 Diskussio-

nen in der Boulevardpresse und in der Öffentlichkeit waren allerdings weniger wohlwollend und zeigten, wie wenig das

positive Image, das Mies’ Pavillon in Architekturkreisen genoss,

zu breiteren Bevölkerungsschichten durchgedrungen war, geschweige denn einen allgemeinen Konsens darstelle. «Erhard wohnt wie ein Maulwurf!», befand die Boulevardzeitung Bild und 14  Stylianos Giamarelos, «The Art of Building Reception: Aris Konstantinidis behind the Global Published Life of his Weekend House in Anavyssos (1962 – 2014)», in: Architectural Histories, Jg. 2, Nr. 1, 2014, Art. 22. DOI: http://doi.org/­ 10.5334/­ah.bx, online unter: https://jour­ nal.eahn.org/articles/10.5334/ah.bx/. 15  Ulrich Conrads, «Von ausgestellten Bauten zu Ausstellungsbauten», in: Bauwelt, Jg. 48, Nr. 31, 5. August 1957, S. 777. 16  Hans Schwippert, Vortragsmanu­ skript, 1958, Schwippert-Archiv, Deut­ sches Nationalmuseum, Nürnberg. Ich danke Deborah Ascher Barnstone für­ ­diesen freundlichen Hinweis. 17  Paul Sigel, Exponiert: Deutsche Pavillons auf Weltausstellungen, Berlin 2000, S. 196 – 197. 18  Adolf Arndt, «Die Demokratie als Bauherr», in: Bauwelt, Nr.1, 1961, S. 7 – 13. Adolf Arndt war zwischen 1964 und 1969 Präsident des Deutschen Werkbundes. 19  Irene Meissner, Sep Ruf, 1908 – 1982, Berlin 2013, S. 280.

20  Ludwig Erhard kannte Sep Ruf schon lange und teilte seinen architekto­ nischen Geschmack. Zehn Jahre zuvor hatte Ruf zwei Flachdach-Wochenendhäu­ ser (die ebenfalls deutlich von Mies’ Pavil­ lon inspiriert waren) für sich selbst und für Erhard (damals Wirtschaftsminister) in den bayerischen Voralpen entworfen. Sie stie­ ßen bei konservativen Mitgliedern der Ortsgemeinde auf heftigen Widerstand, die sie «Tankstellen» nannten und die Bau­ genehmigung um zwei Jahre verzögerten. Irene Meissner, Sep Ruf, 1908 – 1982, ­Berlin 2013, S. 154 – 169. 21  Burkhard Körner hat den Kanzler­ bungalow und seine Rezeption ausführli­ cher untersucht. Siehe Burkhard Körner, «Der Kanzlerbungalow von Sep Ruf in Bonn», in: Bonner Geschichtsblätter, Nr. 49/50, 1999/2000, S. 507 – 613. Ich danke Burkhard Körner dafür, dass er mir eine Kopie des Manuskripts zur Verfügung ge­ stellt hat. 22  Hans Wichmann (Hrsg.), Sep Ruf: Bauten und Projekte, Stuttgart 1986, S. 20.

23  Erich Steingräber und Paul Swiridoff (Hrsg.), Der Bungalow: Wohn- und Empfangsgebäude für den Bundeskanzler in Bonn, Pfullingen 1967, S. 52. 24  Mk, «Erhard wohnt wie ein Maul­ wurf!, in: Bild, 21. Mai 1964, S. 1, 3. 25  Adenauer sprach Kiesinger sein Be­ dauern aus, dass dieser nun darin leben müsse, spekulierte über die Frage, ob der Bungalow möglicherweise brennbar sein könnte und schlug vor, den Architekten für zehn Jahre hinter Gitter zu sperren. Kiesinger verglich die Zimmer mit einem Schlafwagen. Ulrich Kremer, «Der ge­ schmähte Kanzler-Bungalow», in: Süddeutsche Zeitung, 28./29. Januar 1967, siehe Meissner, op. cit., S. 280 – 281. 26  Meissner, op. cit., S. 283. 27  Brief von Walter Gropius an ­Günther Neske, 1967, zit. in Körner, ­ op. cit., S. 507.

erklärte, die Zimmer seien zu klein und das Gebäude nicht reprä-

sentativ genug.24 Erhards Vorgänger (Konrad Adenauer) als auch

sein Nachfolger (Kurt Georg Kiesinger) machten sich öffentlich über das offizielles Domizil lustig.25 Daraufhin folgten in allen

größeren Tageszeitungen polemische Äußerungen über moderne Architektur und Repräsentation. Architekten beklagten den Spott, dem kulturelle Errungenschaften ausgesetzt seien, die sich

im Ausland großer Anerkennung erfreuten. Egon Eiermann behauptete sogar, die die harsche Kritik deute auf eine mögliche

Rückkehr zum Nationalsozialismus hin.26 Walter Gropius schloss

sich der Debatte aus der Ferne an und verteidigte den Kanzler-

bungalow, der «der Welt den Fortschrittsgeist des deutschen Volkes und seine moderne kulturelle Haltung» vor Augen führe.27 In

der Zwischenzeit hatte Kanzler Kiesinger die Herman-MillerMöbel entfernt und eine Neugestaltung initiiert, um das Innere

«gemütlicher» zu machen. Sein Nachfolger Willy Brandt weigerte sich, überhaupt einzuziehen. Kanzler Helmut Schmidt hingegen

180  Wirkung

Es wäre leicht, auf zahllose weitere Beispiele für den Einfluss des Pavillons auf moderne Gestalter zu verweisen. Zwei jüngere Beispiele wie etwa Sarah Wallers Doonan Glass House in Queens-

land, Australien, ABB. 13 oder Deborah Berkes North Penn House

in Indianapolis, beide aus dem Jahr 2016, ABB. 14 dürften genügen, um seine anhaltende Bedeutung zu demonstrieren.

Warum also – trotz gelegentlicher Missverständnisse und häufi-

ger Überinterpretation – «fasziniert [der Barcelona-Pavillon]

immer noch Architekten und Architekturhistoriker? Was treibt uns nach solch langer Zeit dazu, über ein Werk zu lesen und zu schreiben, das nur so kurz existierte und demgegenüber sein

Schöpfer zunächst gemischten Gefühle zu haben schien?» Diese Fragen warf George Dodds 2001 auf. Wir könnten ebenso fra-

gen, warum die Hauptgestaltungselemente des Pavillons so häu-

fig als Modell für zeitgenössische Architektur gedient haben. Wie lässt sich die erstaunlich beständige Wirkmacht dieses Gebäu-

des und seiner Symbolik erklären? Für Dodds liegt die Antwort in der besonderen Rolle, die Sasha Stones ikonische Fotografien

als Hauptinformationsquelle über das kurzlebige Originalgebäude und als Grundlage seiner Rekonstruktion spielten. Durch die-

se Darstellung, die «ebenso sehr das Bild eines Baues ist, wie der Bau eines Bildes [ist] […], führt uns der Barcelona-Pavillon jedes

9

Mal in die Zukunft, wenn wir den Traum, den er verkörpert, als

einen Teil unserer Gegenwart akzeptieren».29 Allgemeiner könn-

te man formulieren, er profitiert von der mit der Zeit erfolgten

9  Case Study House Nr. 22, Los Angeles, Kalifornien,1960, Architekt: Pierre Koenig, Foto: Julius Shulman 10  Haus für Alekos Lanaras, Anavissos, Griechenland, 1961 – 1963, Architekt: Nikos Valsamakis

Akkumulation von Assoziationen und Symbolik, die sich nicht nur schätzte die Modernität des Gebäudes sowie seine offene Verbindung zu dem umgebenden Park und wohnte acht Jahre im

Bungalow.28 Durch den Umzug der Regierung nach Berlin nach

an den Barcelona-Pavillon anlagern, sondern auch an seine Nachfolge- und Nachahmerbauten, die immer wieder Begriffe

wie Luxus, Freiheit, Moderne und kulturelle Raffinesse heraufbeschworen haben. Julius Shulmans Fotografien von Richard Neu-

der Wiedervereinigung verlor das Gebäude seine ursprüngliche

tras Kaufmann House und Pierre Keonigs Stahl House sind eben-

nalzustand versetzt, als Museum.

30 Jahre zuvor waren.

Funktion; heute dient es, restauriert und wieder in seinen Origi-

so an dieser Geschichte beteiligt, wie es Sasha Stones Fotos

181

10

28  Meissner, op. cit., S. 283. 29  George Dodds, «Body in Pieces: Desiring the Barcelona Pavilion», in: RES: Anthropology and Aesthetics 39, Frühjahr 2001, S. 168 – 191. Vier Jahre später erwei­

terte Dodds diesen Essay zu einem subs­ tanziellen Buch mit dem Titel Building Desire: On the Barcelona Pavilion, London/ New York 2005.

182  Wirkung

13

183

11

14

11  Atriumhaus, Weltausstellung Brüssel, 1958, Architekt: Eduard Ludwig 12  Kanzlerbungalow, Bonn, 1963 – 1966, Architekt: Sep Ruf 13  Doonan Glass House in Queensland, Australien, 2016, Architektin: Sarah Waller 14  North Penn House in Indianapolis, 2016, Architektin: Deborah Berke

Der Pavillon hat die elitäre, aristokratische Weltsicht seiner

«Warum sollen wir uns mit den Schwierigkeiten, der Komplexität,

Zeitgenossen wahrnahmen, nie ganz überwunden. Ein Doku-

abgeben, wenn wir uns stattdessen einer Neuinterpretation des

Auftraggeber Lilly und Georg von Schnitzler, die auch manche

mentarfilm des Jahres 2019, der deutlich von Pierre Bourdieus sorgfältiger Untersuchung von Geschmack und dessen Abhängigkeit von Bildung und sozialem Status des Betrachters inspi-

riert ist, ließ Touristen zu Wort kommen, die zufällig vorbeikamen. «Ich habe überhaupt keine Notiz von ihm genommen», sagte

einer, andere kommentierten: «Er ist zu modern…», «Er passt nicht in seine Umgebung», «Ich verstehe nicht, warum er als

Meisterwerk gilt». Der katalanische Philosoph und Professor für 30

Ästhetik an der Polytechnischen Universität in Barcelona, Xavier

Rubert de Ventós (*1939), bemerkte: «Manchmal bin ich Leuten auf Zehenspitzen bei Mies begegnet, nicht in dem Sinn, dass sie

keinen Schmutz hinterlassen wollen, sondern auf kulturellen Zehenspitzen. Sie versuchen zu erraten, ob er gut ist. […]. Die

Leute wissen es nicht, denn nur wenn sie gebildet sind, können sie etwas darüber sagen, womit er Ähnlichkeit hat, wozu er im

Gegensatz steht, was er vorwegnimmt […]. Ohne diese Art von

Hilfsgerüst ist es schwer zu sagen.» Und wir müssen die Tatsache

anerkennen, dass von den Hunderttausenden Touristen, die 30  Xavi Campreciós & Pep Martín (Regisseure), Mies en Scene. Barcelona in Two Acts, Dokumentarfilm, Spanien 2018.

12

Antoni Gaudís fast zeitgleich entstandene Bauten in der Nähe

besichtigen, nur ein ganz kleiner Teil auch den Weg zum Barcelona-Pavillon findet.

den Kompromissen und Schwächen des Großteils der Baupraxis Barcelona-Pavillons widmen können?», ermahnte der Architekturhistoriker Iain Boyd Whyte seine Kollegen, die nur zu oft die

Alltagsarchitektur zugunsten belangloser Neuinterpretationen von Meisterwerken vernachlässigten. Um auf Boyd Whyte zu ant-

worten – der Barcelona Pavillon sollte eben nicht als «Meisterwerk» gelesen werden, sondern als ein Ergebnis von genau die-

sen Schwierigkeiten, Kompromissen und Zufällen der Baupraxis

und den politischen Bedingungen die sie prägen. Das Resultat stellt zwangsläufig viele der Interpretationen, die der Pavillon im Laufe der Jahre angeregt hat, in Frage. Doch seine ergiebige und

verwirrende Rezeptionsgeschichte kann als Wegweiser durch das uneinheitliche Terrain unserer wechselnden und konkurrierenden Auffassungen von moderner Architektur dienen, von the-

oretischen und politischen Vorlieben, von Vorurteilen und Scheuklappen. Wenn die vergangenen 90 Jahre ein Urteil erlauben, dann wird der Bau auch weiterhin neue, kritische Interpretatio-

nen provozieren, die unsere sich verändernde diskursive Landschaft widerspiegeln und hinterfragen.

184  

Dank

Weltausstellung selbst und die Rezeption des Baus in Spanien

anbelangt, sowie etliche unbekannte Fotografien. Wir hatten beide zuvor bereits zur nächtlichen Beleuchtung auf der Weltaus­

stellung publiziert1 und haben ausgewählte Aspekte zur Ge­­

schichte des Barcelona-Pavillons veröffentlicht, während wir an

der Fertigstellung dieses Buches arbeiteten.2 Die Unterhaltung zwischen David Caralt und mir über den

Von den vielen Kollegen, die während des langen Entstehungs-

einem Café unter den schattigen Bäumen der Plaça de Sant Felip

zu nennen, der mir bei vielen Gelegenheiten mit Informationen,

Barcelona-Pavillon begann eines Nachmittags im Jahre 2014 in

Neri im Herzen Barcelonas. David hatte per E-Mail den Kontakt aufgenommen, und nun saßen wir mit unseren Laptops da, verglichen Fotos und Archivdokumente und fanden, dass es so viel bedeutendes, noch unbekanntes Material zum Barcelona-

Pavillon gab, dass sich eine eigene Publikation lohnen würde. Wir stellten auch fest, dass wir eine ähnliche Auffassung von

Forschung haben – eine Begeisterung für Archive, empirische

Belege und Zusammenhänge im weitesten Sinne sowie ein Desinteresse an spekulativer Argumentation oder modischem Jargon. Der Tatsache, dass wir beide ausgebildete Architekten

sind, verdanken wir eine gesunde Skepsis gegenüber Vereinfachungen oder Glorifizierungen des schöpferischen Prozesses, von Urheberschaft und Wirkungseffekt in der

Architektur. Bald nach unserem Treffen nahm David eine

Dozentenstelle an der Universidad San Sebastián in Concepción, Chile, an. Wir führten das Gespräch per E-Mail fort, indem wir

Texte und Bilder austauschten. Wie so oft, dauerte das Projekt viel länger und sah schließlich ganz anders aus, als anfänglich erwartet, denn es tauchten immer neue Archivfunde und neue Blickwinkel auf.

Während ich für den Text (und seine Defizite) verantwortlich zeichne, förderte Davids intensive Recherche in katalanischen

Archiven viele neue Details zutage, was die Unterstützung Spaniens für die deutsche Teilnahme an der Weltausstellung, die

prozesses dieses Buches halfen, ist an erster Stelle Helmut Reuter

Kommentaren und Bilddateien zur Seite stand. Barbar Buenger

stellte mir seltenes Material zu Lilly von Schnitzler und Max Beckmann zur Verfügung und führte mit mir viele anregende Diskussionen über Beckmanns Verhältnis zu Mies’ Auftraggebern

Georg und Lilly von Schnitzler. Der leider kürzlich verstorbene Thomas Elsaesser überraschte uns mit der völlig unerwarteten Zusendung eines Briefes, den seine Großmutter über ihren

Besuch des Pavillons im Jahr 1929 geschrieben hatte, als sie

ihren Ehemann Martin Elsaesser nach Barcelona begleitete. Den Enkeln Georg und Lilly von Schnitzlers, Graf Seefried und Gräfin Hoyos, bin ich ebenfalls zu großem Dank verpflichtet. Paul

Galloway am Museum of Modern Art beantwortete mit großer Geduld alle Anfragen zu Fotos und Archivmaterial, Pamela

Popeson am MoMA ermöglichte den Zugang zu einigen

Originalzeichnungen von Mies, und viele andere unterstützten

uns schnell und unkompliziert bei der Beschaffung von Fotomaterial, der Bewilligung von Publikationsrechten etc. Ich denke an Jeff Wall, Kai Fingerle, Andrés Jaque und Paola Pardo-

Castillo beim Office for Political Innovation sowie Núria Gil Pujol

am Arxiu Fotogràfic des Collegi d’Arquitectes de Catalunya. Jean-Louis Cohen, George Dodds, Rudolf Fischer, Matthias

Horstmann, Armin Homburg, Phyllis Lambert, der verstorbene

Detlef Mertins, Wallis Miller, Wolf Tegethoff, Claire Zimmerman,

Polly Seidler, Reto Geiser, Birgit Hammers, Hermann Kühn, Deborah Ascher Barnstone, Lynnette Widder, Hans-Georg

185

Lippert, Katherine James-Chakraborty, Robert Wojtowicz, Lutz

Robbers und viele andere beteiligten sich an Diskussionen über

das Gebäude und lieferten hilfreiche Hinweise und Ratschläge.

George Semler teilte mit mir einen unvergesslichen Abend lang seine Liebe zur Stadt Barcelona. Die Konferenz der Fundació

Mies van der Rohe 2016 zu dem wiederaufgebauten Pavillon

brachte intensive Gespräche mit vielen an Mies interessierten

Kollegen wie etwa Fritz Neumeyer, Anna Ramos, Fernand Ramos, Juanjo Laherta, Laura Martínez de Guereñu und Valentín Trillo

Martínez. Carol Krinsky hat einen Teil unserer Arbeit gelesen und hilfreiche Kritik beigesteuert. Barry Bergdoll und Eeva Liisa

Pelkonen halfen, die zentralen Argumente des Buches zu formulieren. Meine Schwester Elisabeth Neumann machte viele Dokumente und Buchtitel in deutschen Archiven ausfindig und war mir mit zusätzlichen Recherchen und beim Korrekturlesen

eine unschätzbare Hilfe. Annette Gref und Katharina Kulke vom Birkhäuser Verlag haben das Projekt mit großer Geduld und per-

sönlichem Engagement betreut. Ich bin dankbar für die Zeit, die ich an der American Academy in Berlin und der jeningen in Rom

verbringen konnte, wo große Teile dieses Textes entstanden. Und schließlich danke ich meiner Frau Vivian für ihre Geduld und

anhaltende Begeisterung für das Projekt, insbesondere als die immer «kurz bevorstehende» Fertigstellung des Manuskripts bedeutend länger dauerte, als versprochen.

1  David Caralts Buch Agualuz, Madrid 2010, ist das ausführlichste Dokument zu diesem Thema. Siehe auch: Dietrich Neu­ mann, Architektur der Nacht, München 2002, S. 138–139. 2  Einige von Dietrich Neumanns bis­ herigen Untersuchungen zum BarcelonaPavillon sind erschienen in: William H. Robinson, Jordi Falgas, Carmen Belen Lord (Hrsg.), Barcelona and Modernity:

Picasso, Gaudí, Miró, Dalí, Ausst.-Kat. Metropolitan Museum of Art, New York, 7. März – 3. Juni 2007; Cleveland Museum of Art, Cleveland, 15. Oktober 2006 – 7. Januar 2007, New Haven u. a. 2006, S. 390–399; und eine längere deutsche Fassung in: Anja Baumhoff, Magdalena Droste (Hrsg.), Mythos Bauhaus, Berlin 2009, S. 227–243. Dietrich Neumann, «Mies, Dada, Montage: Anmerkungen

zur Rezeptionsgeschichte», in: Mies van der Rohe Montage Collage, Aachen/ London 2017, S. 54 – 67; Dietrich Neumann, «‹What do you mean by a pavil­ ion?› Mies van der Rohe and the Genesis of the Barcelona Pavilion», in: Juan José Lahuerta, Celia Marín (Hrsg.), Mies van der Rohe: Barcelona 1929, Barcelona 2017, S. 78–101.

186  

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Bildnachweis

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