Zufall oder Schicksal: Der vorzeitige Tod entscheidender Männer der deutschen Geschichte [Reprint 2019 ed.] 9783486770315, 9783486770308

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German Pages 219 [220] Year 1935

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Inhalt
Einführung
Otto II
Heinrich III
Heinrich VI
Albrecht I
Albrecht II
Moritz von Sachsen
Albrecht von Wallenstein
Zusammenfassung und Ergebnis
Bemerkungen und Literatur
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Zufall oder Schicksal: Der vorzeitige Tod entscheidender Männer der deutschen Geschichte [Reprint 2019 ed.]
 9783486770315, 9783486770308

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ZUFALL ODER

SCHICKSAL Der vorzeitige Tod entscheidender Männer der deutschen Geschichte Von

C.H.von Eckartsberg

München und Berlin 1935

Verlag von R.Oldenbourg

Druck von R. Oldenbourg, München

Inhalt Einführung: Die Aufgabe 5, Wahl der Beispiele 8, Methode 16. Otto II., 20: Das überkommene Reich 20, Süditalien 22, Die Kirche 24, Deutsch­ land 27, Der Osten 30. Heinrich III. 33: Die ersten Salier und die Kirche 33, Der Zusammenstoß 35, Heinrich I I I. 40, Das Papsttum 41, Das Reich 44, Der Osten 45. Heinrich VI. 47: Die anderen Nationen 47, Lothar 48, Friedrich I. 49, Die Ministerialen 49, Die Lombardei, Sizilien und der Papst 50, Heinrich der Löwe und das Stammesherzogtum 54, Lehnsrecht und Erbfolge 57, Pläne Heinrichs VI. 59, Innozenz III. 60, Friedrich II. 63, Sizilien 64, Deutsch­ land 65, Frankreich und England 67, Der Orient 68, Italien, der Papst, Heinrich und sein Sohn 70, Gregor IX. und Innozenz IV. 72, Die Versuchung der Kirche 74, Der Sturz Friedrichs I I. 76, Die Kaiserpolitik 78, Die Ver­ fassungskrise der Stauferzeit 79, Die Chance Philipps von Schwaben 80, Der „kaiserliche Weg" 81. Albrecht I. 82: Universal- und Hausmachtkaiser 82, Die Landesstaaten 83, Der Amtscharakter 83, Neue Dynastien 84, Albrecht I. 85, Adolf von Nassau 86, Politik Albrechts 1.88, Die beiden Wege 90, Landeshoheit und Kurkolleg 91, Die Urkantone 93, Die Erbmassen im Osten 95, Das Haus Wettin 97, Der Weg über Böhmen nach Mittel- und Ostdeutschland 100. Albrecht II. 104: Westfranken und Luxemburger 105, Karl IV. 105, Die Goldene Bulle 106, Das tschechische Böhmen 107, Schlesien und Brandenburg 108, Renaissance und Kirchenreform 109, Hussiten, Sigmund und Albrecht von Österreich 110, Der Stand der Institutionen ui. Die politische Reformidee 113, Die neue Stunde für Habsburg 114, Albrecht und Böhmen 115, Polen und Tür­ ken 117, Albrecht und das Reich 118, Friedrich III. 121, Papst und Konzil 124, Österreich 126, Georg Kunstadt von Podiebrad 127, Hunyadi und Corvinus 129. Moritz von Sachsen 150: Das 16. Jahrhundert 131, Ernestiner und Albertiner 132, Carlowitz und Philipp von Hessen 133, Die Habsburger Brüder 134, Die Braunschweiger Fehde 136, Der Schmalkaldische Krieg 137, Mühlberg, Wittenberg und Halle 139, Karl und Moritz 140, Die drei Kaiser 142, Die Möglichkeiten 145, Fürsten und Reformation 146, Weltlage 149, Das Haus Wettin 152.

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Inhalt.

Albrecht von Wallenstein 155: Gegenreformation 155, Die Linien Wittels­ bach 156, Frankreich 157, Union und Liga 157, Brandenburg 158, Spanien und die Rheinlinie 159, Osteuropa 160, Wallenstein 162, Kaiser Ferdinand 166, Die Verhandlungen 168, Die Armee 171, Der Absolutismus und die Staaten 17z, England 174, Spanien, Frankreich 175, Wallenstein und Richelieu 176, Wallenstein und das Reich 176, Militärgeographie und Pläne 178, Die Politik in Wien 180, Eger 181. Zusammenfassung und Ergebnis 183: Das Ausleseprinzip in der Ge­ schichte 184, Die Lehre des Mittelmaßes geschichtlicher Gestalten 185, Die Einzelergebniffe: Otto II. 185, Heinrich III. 185, Heinrich VI. 186, Albrecht I. 188, Albrecht II., Moritz von Sachsen 189, A. v. Wallenstein 190, Allgemeine Folgerungen 191s. Bemerkungen und Literatur 203.

Einführung. Der Gegenstand, der im folgenden behandelt werden soll, ist nicht gleichbedeutend mit der weitergefaßten Frage nach der grundlegenden Bedeutung der Persönlichkeit für den Verlauf der Weltgeschichte. Besonders die drängende Frage nach dem Anteil der genialen, schöpferischen Führer der Menschheit in Tat und Gedanken, beziehungsweise das Urteil darüber, inwieweit sich diese auch wieder als ausführende Organe unbenannter geistiger oder phystscher, bewußter oder unbewußter Massenströmungen erweisen mögen, soll hier nicht ausführlich behandelt werden. Jene große Prinzipfrage ist von verschiedenen grundsätzlichen Gesichtspunkten aufgegriffen worden. Philosophisch hat man gefragt nach der Freiheit menschlicher Entschlüsse überhaupt, nach der Zurechnungsfähigkeit demnach von Schuld und Verdienst der Protagonisten menschlicher Taten, nach ihrem innersten Anteil an dem Geschehen des geschichtlichen Vordergrundes, sei es durch ihren direkten Eingriff oder indirekt durch ihre Wirkung auf beein­ flußte Gehirne und berührte Interessen. Mit zunehmendem Umfang unseres naturwissenschaftlichen Könnens sind sodann die philosophischen Betrachtungen psychologisch-physiologisch unter­ baut worden. Das Verhältnis der einzelnen Psyche und ihre Reaktionen zur Umwelt hat man genauer studiert, ohne doch die alte Rätselfrage nach der Willensfreiheit zweifelsfrei klären zu können. Ein schärferes Eindringen in die Probleme der Gesell­ schaftswissenschaften, in den Einfluß der sozialen Lage, der wirt­ schaftlichen Interessen auf Handeln und Denken der Individuen hat für das alte Problem neue Ausgangsstellungen ergeben. Von verschiedenen Seiten und auf stets neuen Ebenen hat man den Raum abzustecken sich bemüht, auf welchem einer selbstwilligen Entscheidung, der eigen wägenden Vernunft und dem zwar

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Einführung.

fühlenden aber willensgelenkten Affekt ein selbständiges Gewicht zugesprochen werden fatttt1). Neben diesen Bemühungen anderer Wissenschaften zum Problem des Verhältnisses des Einzelnen zur Masse — deren Ver­ lauf und Ergebnisse die engere Geschichtswissenschaft stets mit reg­ stem Interesse und Eifer verfolgen wird — geht doch auch ihre eigene Arbeit her mit eigenen Zielen und besonderer Methode. Nicht von dem Allgemeinen philosophischer Betrachtung darf sie ausgehen, sondern von den konkreten Tatsachen, welche und insoweit sie ihr die zur Verfügung stehenden Quellen überliefern. Sie wird sich auch bei Verfolgung naturalistischer Arbeitswege stets bewußt sein müssen, daß die Arbeit mit den Überresten verblichenen menschlichen Fühlens und Wollens doch stets etwas anderes ist als die an Versuchsobjekten sonstiger organischer und unorganischer Natur; Linien geistigen Verständnisses, die sich exakter Feststellung entziehen, aber dennoch wertvollste Erkenntnisse liefern können, verbinden hier den Forscher mit seinem Stoff. Die Leichtigkeit des Mißbrauchs und der Wert des zu Erreichenden steigern gleicher­ maßen die Verantwortung und die Würde seiner Arbeit. Nicht die Aufstellung von Gesetzen der Materie, des Geistes, der Wirtschaft oder des Raumes ist seine vornehmste Aufgabe, sondern der Auf­ bau eines Bildes des Vergangenen aus Wahrheitsliebe und Nach­ empfindung. Er selbst wird aus dem Gefundenen das lernen, was seinem Geiste gemäß ist und andere Disziplinen werden aus seiner Arbeit entnehmen, was ihnen zukommt. Aus ähnlichem Grunde wird auch der Historiker die theo­ logische Problematik einer göttlichen übermenschlichen Weltleitung^) aus seinen Betrachtungen ausschließen, seien nun deren Angriffs­ punkte gedacht wo sie wollen, seien sie auch in das innerste Leben der Einzelpsyche hineingelegt und so doppelt dem prüfenden Ein­ blicke entzogen. Das Leben und der Tod von Einzelnen in Rückwirkung zum Leben der Gesamtheit soll behandelt werden. Stets wird es sich dabei um ein Zusammenwirken handeln mit den anonymen Kräften, die alles empirische Geschehen, wenn schon nicht durchaus, so doch weitgehend beherrschen. Einen großen Teil dieser Kräfte

Einführung.

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glauben wir heute zu verstehen und wir sind meistens sehr geneigt, ihnen zwingende Kraft auf die Richtung alles Geschehens zuzu­ sprechen; die Vorliebe nun schon mehrerer Geschlechterfolgen für das naturalistische Bild der Entwicklung mag das beweisen. Eine Verschiebung materieller und politischer Macht von einer Klasse oder Nation zu einer anderen, Auffindung etwa von neuen See­ wegen, die jene Häfen stillegen und diese bevölkern, psychologische Massenwandlungen, etwa im Wege des Generationenproblems oder einer Stufenfolge typischer Zustände und Übergänge, erschei­ nen als Erklärungsgrund einleuchtender, wissenschaftlicher und einem statistisch-rationellen Denken befriedigender als Hinweise auf leitende Einzelwesen, die vielfach nur als Punkte einer Welle, wenn nicht als betrogene Betrüger betrachtet werden. Selbst bei den ersten Menschheitsführern, nach deren Erschei­ nen oder Abtreten ganze Epochen der Welt- und Geistesgeschichte ihr Zeichen tragen, erscheint der Gedanke, daß eine zeitgewollte Tat oder ein die Sachlage treffendes Wort, die Kombination von Kraftlinien, die einer positiven oder negativen Auseinandersetzung zustrebten, zwangsläufig in die Erscheinung treten mußte, auch wenn der Einzelne, dessen Name in der tatsächlichen Vergangen­ heit mit dem Vorgänge verbunden ist, in seinen einmaligen Eigen­ schaften, allen Gegebenheiten seiner Person und Stellung und allen Wechselwirkungen mit seiner Umwelt nicht existiert hätte. Eine kollektivistische Geschichtsbetrachtung — und wer wollte heute deren Anteil an seinem eigenen Denken leugnen wollen? — glaubt ungern an die Unersetzlichkeit menschlicher Individuen, so wenig wie an deren Selbstbestimmung. Dieselben Faktoren, die das Handeln dieses oder jenes Mannes materiell oder geistig zwingend bestimmten, hätten bei seinem Ausscheiden einen anderen zu gleichen Taten oder Überlegungen führen müssen — „Gott kann dem Abraham auch aus Steinen Kinder erwecken!" — und diese würden dann auch auf Um- und Nachwelt die gleichen Reak­ tionen ausgeübt und zu den gleichen Ergebnissen geführt haben. Es soll hier nicht abstrakt gehandelt werden. An ganz be­ stimmte» Gestalten der Reichsgeschichte soll der gewagte Versuch unternommen werden, zu fragen, was wohl geschehen wäre und

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Einführung.

wieweit das Gekräusel der Oberfläche sich in die Tiefe fortgesetzt hätte, wenn bei diesen Versnchspersonen ein ganz bestimmtes physiologisches und in unseren» Verstand zufälliges Ereignis, nämlich das Ableben in einem kritischen Augenblick der Gesamtsitnation, nicht eingetreten wäre. Absichtlich sind für diesen Versuch nicht Menschen jener höchsten Art gewählt worden, in denen die Geschichte sich zu erfüllen und zu kulminieren scheint. So deutlich und unwiderlegbar deren Unersetzlichkeit sich aufdrängt, so leicht bietet sich doch gerade hier die Gegenargumentation, daß ihr Auftreten eben doch so tiefliegenden allgemeinen Notwendigkeiten entsprach, daß aus gleichen Voraus­ setzungen gleiche Wirkungen entstehen mußten, nur eben mit Hilfe eines anderen Werkzeuges aus dem großen Ersatzvorrat vorhandener und sonst ungenutzt vergehender genialer Begabun­ gen. Gleichzeitig verführt aber das Außerordentliche solcher Fälle zu subjektiver Willkür des Betrachters und letzten Endes zweck­ loser rückwärts gerichteter Prophezeiung. Wer wollte heute sagen, ob ein Tod Luthers etwa im Jahre 1510, die Reformation^), die Kirchenspaltung oder doch ihre politischen Folgen für Mitteleuropa verhindert haben würde? Auch daun wären doch geblieben: die religiöse Not des Einzel­ wesens in der Ansialtskirche, die Auseinandersetzungsnotwendig­ keit von Scholastik und Humanismus, die Verweltlichung der geistlichen Institutionen, das Problem der Universal- oder Landes­ kirche, der Monokratie des Papsttums, der Oligarchie der Kardinäle, Bischöfe und Konzilien, oder der Massenelemente in den demokra­ tischen Bettelorden und spirituellen Zirkeln. Es bliebe ferner die staatliche Gegebenheit der sich immer fester kristallisierenden Territorialwelt und ihre interessenmäßig gefärbte Anteilnahme an der seit langem gewünschten Reichsreform, die Geldwirtschaft der Städte mit den zwischen ihnen und den Territorien einge­ engten Reichsrittern, und die unterste soziale Stufe, die Bauern, welche von einem echten Kaiser Schutz und Eingliederung in seinen deutschen Staat verlangten. Es blieb der junge Kaiser mit seinen burgundischen Räten und spanischen Truppen, der riesigen aber vom Magnetismus der Grenzen auseinander getriebenen

Einführung.

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Hausmacht und der ihr inhärierenden Belastung durch äußere Feinde. Würde da nicht aus der Masse der gärenden Volkskraft ein Ersatzmann herausgetreten sein und das Losungswort für das sich vorbereitende Drama gesprochen haben? Und selbst wenn die mannigfachen Kräfte und Funktionen, die wir heute unter dem Namen „Luther" zusammenverstehen, in mehreren Einzel­ menschen gesondert erschienen wären, so brauchten wir uns nicht davon überzeugen lassen, daß ihre Gesamtwirkung auf den Gang der Ereignisse nicht eine sehr ähnliche gewesen wäre. So widersinnig es erscheint, so ist es doch sehr glaublich, daß die Unersetzlichkeit eines großen Mannes durchaus nicht im Ver­ hältnis steht zu seiner tatsächlichen Rolle im Geschichtsverlaufe. Gerade das Maß der Vollkommenheit, mit welchem er den Be­ dürfnissen der Lage entsprach und die Einmaligkeit, mit der er geistig formulierte und politisch wirkte, beweisen doch zugleich in etwas die Unausweichlichkeit dieses Geschehens, welche sich daher auch in einem anderen physischen Wesen ein Organ hätte bilden können. Es muß auch beachtet werden, daß die geistiggeschichtlichen Richtunggeber anderen Gesetzen folgen als die politischen Führer. Diese müssen selbst zur Stelle sein, um zu wirken. Ihre vornehmste Eigenschaft, der Sinn für Wirklichkeit, läßt sich nicht übertragen oder vererben und selbst getreueste Schüler haben schon historisch enttäuscht. Das Wirken der formulierten Idee dagegen ist nicht an Zeit und Raum gebunden; das geschaffene Werk, der mensch­ liche Eindruck löst sich von dem sterblichen Menschen; mit oder ohne Massenwirkung — wer liest tatsächlich Dante oder Homer? — ist ihres Lebens Frucht unverlierbar. Wenn wir daher »ach der Bedeutung des Ablebens eines Mannes geschichtlich fragen wollen, so werden wir gut tun, unsere Beispiele in einer Schicht zu suchen, wo zwar Eigengewicht und selbständige Haltung festzustellen ist, wo aber doch das Element der Einmaligkeit und verhältnismäßigen Unersetzlichkeit dadurch ver­ stärkt wird, daß besondere Ausschließungsmomente den Umkreis möglichen Ersatzes einengen. Ein Amt, besonders ein Fürstenamt, entspricht diesem Ansprüche. Indem es seinen Träger zunächst rein

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äußerlich aus der Masse hervorhebt uud ihm ein Handeln auf erhöhter Ebene ermöglicht und aufnötigt, steigert und entfaltet es alle seine Anlagen, die wünschenswerten und die geringeren. Dabei ist die Nachfolge entweder auf bestimmte, eng umschriebene Perso­ nen eingeschränkt und oft ganz ohne Beziehung zu deren charak­ terlicher Eignung oder vollkommen dem Zufall einer zugreifenden Hand oder besonderer Sachlage preisgegeben. Einige weitere Anlässe hatten wir, unsere Beispiele in der Reichsgeschichte und besonders unter den deutschen Kaisern und Königen zu suchen. Abgesehen von dem sachlichen Interesse, das hier schon der Stoff erweckt und der entsprechenden weiteren Ver­ breitung klarer Vorstellungen, schuf doch gerade hier der Wechsel von Erbfolge und Wahlprinzip beziehungsweise ihre gleichzeitige und nie einander ausschließende Anwendung besonders lehrreiche Abwandlungen des Ersatzes einer entfallenden Persönlichkeit. Zwischen Söhnen und nähere» Verwandten war der Kreis der möglichen Anwärter hinreichend beschränkt, um eine Fortsetzung der Regierung in Händen eines dem verstorbenen Monarchen wesensgleichen Fürsten sehr unwahrscheinlich zu machen. Anderer­ seits ermöglichten Fälle der Willkür, des Ehrgeizes oder selbst der unsachlichen Ausnutzung des Wahlrechtes jähen Wechsel, Bürger­ krieg und völliges Versagen. Daß das Erbrecht wiederholt gerade dann Anerkennung fand, wenn der Berechtigte ein hilfloses Kind war und somit dem Willkürmomente der anderen nicht wehren konnte, trägt ebenfalls dazu bei, die Untersuchung dieser Todes­ fälle interessant und lehrreich zu machen. Man darf dabei auch daran erinnern, daß es kaum ein anderes Volk gibt, dessen Geschichte so reich ist an frühen und oft verhäng­ nisvollen Todesfällen seiner Herrscher. In einigen von ihnen ist der Mord offenbar oder hat man Gift wenigstens vermutet, weil politische und psychologische Möglichkeiten dafür sprachen. In anderen mag der italienische Sommer, der rasche Klima­ wechsel, den Tod herbeigeführt haben. Tatsache ist jedenfalls, daß eine erstaunliche Zahl deutscher Könige in jungen oder doch nicht alten Zähren und meist in sehr entscheidungsvollen Augenblicken ihrer persönlichen und der Reichsgeschichte abberufen wurden.

Wir erstreben in dieser Hinsicht keine Vollständigkeit; wenn wir es täten, oder wenn wir auch nur Otto HL, Philipp von Schwaben, Konrad IV., Heinrich V11. ergänzend in unsere Reihe aufnähmen, so würde vom io. bis zum 17. Jahrhundert, in Ab­ ständen von ein oder zwei menschlichen Generationen stets ein Todesfall zu verzeichnen sein, der den Gang der Ereignisse maß­ gebend, oft auch umstürzend, beeinflußte. Es ist kaum zuviel gesagt, daß man die meisten Probleme, deren Sonderentwicklung die Reichsgeschichte begleitet und bildet, im wechselnden Lichte dieser Unterbrechungen der Kontinuität sehen könnte, die oft zu­ gleich verfehlte Gelegenheiten bedeuteten, Verlust und Aufgabe eines hart umkämpften und blutig bezahlten Bodens. Wir möchten diesen Gedanken nicht überspannen und beschränken uns daher in Stoff und Ausdehnung, allerdings in der Annahme, daß auch in diesem engeren Rahmen die wichtigsten Krisenpuvkte unserer Geschichte in dieser Darstellung erscheinen werden. Wir gestehen sogar, daß diese Erwartung für unsere Auswahl der Bei­ spiele nicht ganz bedeutungslos war. Sie war es um so weniger, als wir ihr zuliebe von einer methodischen Beschränkung auf jungverstorbene deutsche Könige abgesehen haben. Von unseren sieben Beispielen sind zwei, Albrecht I. und Wallenstein im Zeitpunkte ihres Todes nicht als jung zu bezeichnen, der eine war alt, der andere abgelebt und einem natürlichen Lebensende vermutlich sehr nahe. Trotzdem passen sie in den Zusammenhang. Bei Albrecht I. traf die Mord­ waffe einen älteren aber durchaus rüstigen Mann in vollster Tätigkeit und Vorbereitung großer Pläne — auch unabhängig von seinem persönlichen Befinden oder Verhalten —, am Vor­ abend größter Entscheidungen für ihn, sein Haus und das Reich, wie näher darzulegen sein wird. Bei Wallenstein dagegen mag die Überlegung gelten, daß es an sich doch schon ein zufälliges, be­ stimmt kein geschichtsimmanentes Geschehen ist, wenn ein Mann im Anfang der fünfziger Jahre gesundheitlich bereits derart er­ schüttert ist, daß vernünftigerweise kaum noch mit ihm zu rechnen war — tatsächlich aber von Freund und Feind doch sehr intensiv noch gerechnet wurde. Es waren ferner die Monate, welche seiner

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Einführung.

Ermordung vorausgingen und ihr folgten, so kritisch und große Umschläge so aktuell, daß auch in diesem Falle es sehr lohnend erscheint, das Gewicht dieses Mannes auf der Waage seiner Zeit nachzuprüfen. Es mag sodann auffallen, daß von unserer Reihe zwei Männer keine deutschen Könige waren. Moritz war Kurfürst von Sachsen — zur Empörung vieler Deutscher — und der Fried­ länder ein umstrittener Reichsfürst und vor allem kaiserlicher General. Cs darf hierzu gesagt werden, daß wir erst in zweiter Linie dazu gelangten, unsere Beispiele in der Reihe der deutschen Kaiser zu suchen und daß wir primär die Absicht hatten, überhaupt unter unseren Gesichtspunkten bemerkenswerte Todesfälle auf ihre Wirkung auf das Gesamtgeschehen zu untersuchen. Sodann aber darf schon hier angedeutet werden — es wird näher zu behan­ deln sein —, daß beide auch in einem tieferen Sinne in unsere Reihe hineingehören. Die allgemeine Zersplitterung des deutschen politischen Lebens, die Zurückziehung beziehungsweise Verdrängung der Kaiser auf ihre Hausmacht, die konfessionelle Spaltung und nicht zuletzt die dynastisch, konfessionell oder national gefärbte Teilnahme fremder Fürsten, Staaten und Truppen in den deutschen Dingen, hatten es mit sich gebracht, daß der Begriff eines deutschen Kaisers entweder sehr leer, weil zu allgemein, oder auch sehr voll und damit sehr vielgestaltig aufgefaßt werden konnte. Die ein­ zelnen Funktionen konnten demnach auseinandertreten. Die Uni­ versalität des Begriffes mochte mit der nationalen Pflicht des deutschen Königs kollidieren oder der Wortführer der Protestanten, welcher damit zweitweise unzweifelhaft die große Mehrheit des Volkes hinter sich hatte, konnte auch dem Kaiser gegenüber eine Stellung gewinnen, welche das Reichs recht nicht kannte, welche aber — ganz unabhängig von Wille oder Bewußtsein ihres Inhabers — hinter der kaiserlichen an Bedeutung kaum nach­ stand und der man eine sonderbare Art innerer Legitimation nicht absprechen möchte. So möchte der „Judas von Meißen", der die erst von ihm gefährdete Sache der Reformation mit ausländischer und auch katholisch-ständischer Hilfe gegen Karl und seine Spanier vertrat, in den letzten Jahren seines Lebens den späteren Dualismus

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Nordostdeutschlands gegen Österreich andeutend vorwegnehmen, so wie wir in dem Namen seines Stammlandes die Erinnerung an den großen Sachsenherzog, an Heinrich den Löwen, auch einen heimlichen Kaiser, anklingen hören. Und auch der Herzog von Friedland, „zu groß um abhängig und zu schwach um Rebell zu fein"4), hat in aller konfessionellen und nationalen Gleichgültigkeit sich zeitweise nicht nur bewußt mit dem Kaiser und dessen Stellung identifiziert, sondern darüber hin­ ausgehend in seinen Friedensbemühungen, die den Kern seiner undeutlich dämmernden Geheimpolitik bildeten, das eminenteste Interesse des Reichsgebietes vertreten — selbst gegen den Kaiser und dessen spanisch-habsburgische Verbindungen und gegen Schweden und Frankreich, die recht wenig selbstlosen Helfer der innerdeutschen konfessionell-ständischen Opposition. Es gibt noch einige Momente, welche uns die gewählten Beispiele bemerkenswert und lehrreich machen. Sie sind nicht allen gemeinsam, aber doch von über den Einzelfall hinausgehender sachlicher Bedeutung. So sehr nämlich das Deutsche Reich als Einheit unter der Kurzlebigkeit seiner Dynastien, der daraus folgenden Schwäche des Erbprinzips und der Ausbildung der Macht der territorialen Fürsten gelitten hat, so ist es doch den wichtigeren Häusern der Reichsgeschichte möglich gewesen, eine oder zwei Generationen hindurch am Bau zu arbeiten und die Grundmauern abzustecken, bevor eine der von uns zu behandeln­ den Katastrophen die Mauern wieder umstürzte und die Pläne durcheinanderwarf. Erst wenn der Vater und manchmal auch noch der Sohn ein Leben am Werke verbracht hatten, traf den Enkel oder Urenkel das Schicksal frühen Todes. Es ist also zu beachten, daß die jeweils durch den Tod gerissene Lücke nicht nur deshalb so weit klaffte, weil der Verschiedene in Amt und Wesen nicht zu ersetzen war, sondern weil mit ihm eine wachsende Tradition in ihrem Festwerden unterbrochen wurde. Heinrich I. und Otto l. hatten nach Auseinanderbruch des für seine Zeit viel zu weitfassenden Karolingerreiches das eigent­ lich Deutsche Reich begründet und ihm, dessen schwankender Begriff und unsichere Begrenzung ihm gleichsam als dauerndes Kenn-

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reichen verblieben sind, gegenüber den geistigen und politischen Mächten der Zeit ein eigenes Gepräge gegeben. Otto I l. lebt in der Geschichte trotz seiner Eigenart und fast schon karolingischen Ehr­ geizes doch vor allem als Fortsetzer seines größeren Vaters. Auch Heinrich III. war es zugefallen, der Sohn eines be­ deutenden, nach Ranke vielleicht des bedeutendsten unter den deut­ schen Kaisern^), zu sein und Heinrich V I. folgte auf Friedrich I. Barbarossa, den „eigentlichen Kaiserkoloß des Mittelalters"«) (Gregorovius), dessen Geschichte bei aller Ergriffenheit von der juristischen Härte des römischen und byzantinischen Kaiserbegriffs ungleich mehr Schmiegsamkeit und Elastizität aufweist als die seines düsteren und hybriden Zielen folgenden Sohnes. Albrecht I. war nicht im Purpur geboren; er war schon ein erwachsener Mann, als sein Vater in die höchste Würde des Reiches berufen wurde, und hat ihm als neubelehnter Herzog von Öster­ reich zur Seite gestanden. In der Kaiserwürde ist er ihm nicht als Erbe gefolgt; er hat sie selbst erworben nach Niederkämpfung des Gegenkönigs, den ihm die Abneigung der maßgebenden Kurfürsten gesetzt hatte. Aber er war doch schon die zweite Generation, bei Lebzeiten seines Vaters hatte er sich bereits gewöhnt, seine Nach­ folge als ein Recht zu betrachten und er hat demnach in Adolf von Nassau kaum mehr als einen Usurpator gesehen — man hat sein Verhältnis zu diesem mit dem Ottokars zu Rudolf verglichen. Als Kaiser und als Herzog von Österreich hatte er eine Tradition zu wahre», und seine Geschichte enthält die nachträglichsten Bemühun­ gen diese doppelte Stellung auch seinen Söhnen zu erhalten und in wichtigen Richtungen zu erweitern. Im höchsten Amte blieb ihm dieser Erfolg versagt, zwischen ihn und den nächsten Kaiser seines Hauses treten alle Luxemburger und Ludwig der Bayer. In Österreich aber wächst der einmal gepflanzte Baum kräftig weiter, um mit Albrecht 11. zugleich die Erbschaft Luxemburgs zu übernehmen. Dieser hatte dann also das doppelte Schicksalgut beider Dynastien zu tragen und gleichzeitig in Böhmen und Un­ garn die schwere Verantwortung für einen großen Teil des mitt­ leren Ostens. Obwohl Sigismund an Person und Taten nicht neben Otto I., Friedrich I. und Rudolf I. bestehen kann, ist er.

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Schwiegervater Albrechts II., doch ein recht beachtlicher Mann in der Reichsgeschichte, nicht nur durch Dauer der Regierungszeit und den ihn hebenden Gegensatz zu Wenzel, als auch durch seine Verknüpfung mit dem Baseler Reformkonzil, den schließlich doch glücklich bestandenen Hussitenkriegen und die sich an seinen Namen heftende dauernde Neuordnung der Kurwürden von Branden­ burg und Sachsen. Daß Moritz und Wallenstein in diesem Betracht ausfallen, kann nicht überraschen, sind sie uns hier doch nicht als Fürsten von Familientradition wichtig, sondern als Feldherren und Staatsmänner in einmaliger und nur aus dieser Einmaligkeit heraus ihnen Gewicht verleihender Lage. Gemeinsam wie die starken Gestalten der Vorgänger ist den fünf Kaisern unserer Reihe die Schwäche des unmündigen Nach­ folgers oder mangelnde Einigung der für seine Berufung be­ mühten Wahlfürsten. Eine weitere Gemeinsamkeit finden wir darin, daß diese unmündigen oder nicht anerkannten, in einem Falle sogar noch ungeborenen Söhne an sich durchaus Männer von Wert und Gewicht wurden. Wo sie etwa in ihrem späteren Leben durch unkluge Exzentrizität sündigten, da lassen sich diese Mängel ihrer Motivierung nach unschwer mit einer zu früh be­ lasteten Jugend und Reaktion auf peinliche Jugenderinnerungen in Verbindung bringen. Die Unausgeglichenheit Ottos III. und die Reizbarkeit des einer schier übermenschlichen Aufgabe gegenüber­ gestellten Heinrichs IV. legen solche Gedanken sehr nahe. Und wäre nicht auch Friedrich I I. — falls ihn seine geniale Sprung­ haftigkeit nicht etwa schon früh in einem Konflikt mit dem unbeug­ samen Vater vernichtet hätte — bei längerem Leben Heinrichs ein anderer Mensch geworden? Die habsburgischen Brüder Friedrich und Leopold hatten bei Lebzeiten Albrechts, ihres Vaters, die kurfürstlichen Stimmen nicht gewinnen können. Beide aber, und besonders Leopold, waren überdurchschnittliche Menschen und hatten sich als solche in vielen, großenteils unfruchtbaren Kämpfen zu bewähren. Und schließlich hat Ladislaus Postumus, der nach­ geborene Sohn Albrechts II., der schon als halber Knabe als Erbe eines riefigen fast den ganzen späteren Habsburgerstaat umfassen-

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Einführuag.

den Komplexes starb, vor den Söhnen Hunyadis in Belgrad vnd Dudapest eine eigene machiavelleske Staatskunst gezeigt, die man mit der Tat von Sinigaglia verglichen hat. Zn der Einzelbehandlung wird es sich vor allem empfehlen, sich der Besonderheiten jeder Einzellage bewußt zu bleiben, die nur für diese eine, ganz abgegrenzte Zeit geltende Fülle der Einzel­ probleme und ihrer Verschlingungen, den Sondergeist der Epochen und das Spezifische der einzelnen Menschen — soweit uns das die Quellen erlauben — im Auge zu behalten. Dabei werden wir aber auch bemüht sein müssen, ohne der Lagerung der Tatsachen Gewalt anzutun, die Betrachtung allgemeineren Richtlinien folgen zu lassen, die ihrerseits wieder materieller und formaler Art sein können. In beidem Betracht werden uns diese Linien den Vergleich der Erscheinungen erleichtern und den Gewinn endgültiger Er­ gebnisse vorbereiten. Als materielle Anhaltspunkte für unsere Arbeit betrachten wir dabei die Entwicklung der zwar von den Menschen bewegten aber doch in der prüfenden Rückschau gleichsam ein eigenes Leben führenden Probleme. Die schwerwiegendsten von ihnen sind in mannigfachen Aspekten, in immer erneuten Abstufungen der Ver­ wicklung oder gar Hoffnungslosigkeit fast jedem Kronenträger entgegengetreten. Das Wesen des Kaiseramtes selbst, seine Verbindung mit dem deutschen Königtum, sein geistlicher oder weltlicher Charakter, somit die Lebevsgrundlage jedes einzelnen Kaisers, wird an erster Stelle zu nennen sein. Das Verhältnis zu den Untertanen — damit also auch die Frage nach Wahlrecht und Erbprinzip und überhaupt die Gewaltenteilung zwischen Haupt und Gliedern — kommt an zweiter Stelle. Die Beziehungen zur Kirche und zum Papste als dem anderen Haupte der Christenheit, hiermit auch zu Italien, als Herrschaftsgebiet, als Weg zum Papste und nach Rom, und als Schutzobjekt gegen Angriffe von Osten und Süden, wird uns drittens zu befassen haben. Feindschaft, Freundschaft oder Indifferenz gegen die anderen Teilreiche des Karolingerstaates, Abgrenzung beziehungsweise Ausdehnung nach Norden und vor allem nach Osten, ist ein weiteres Tätigkeitsfeld fast jeden Kaisers

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gewesen. Und schließlich «nd in immer wachsendem Maße, als der Eigenbesitz des Reiches sich erschöpfte, haben die Kaiser dem Erwerb einer Hausmacht besonderes Interesse widmen müssen. Wenn es diesen Aufgabengebieten gemeinsam war, daß die Einzelinitiative in ihnen einen verhältnismäßig weiten Spielraum fand, so daß der Lebende sich in gewissen Grenzen frei entscheiden und auch selbst noch manches Ergebnis des Entschlusses sehen konnte, so wuchsen dahinter die langsamen wirtschaftlichen, kulturellen und geistigen Strukturwandlungen. Mit diesen Hintergründen änderte sich zugleich die Lebenslust und mit ihr die eigene körperliche und seelische Gestalt der Kämpfenden. Auch in diesen großen Veränderungen hatte ein jeder seinen Ort und mit der dem Sterblichen ziemenden Bescheidenheit seine Wirkens Möglichkeit. Auch hier riß sein Ausscheiden Lücken, deren Ausmaß freilich um so schwerer abzugrenzen ist, als auf diesem Gebiete die wirksamsten personellen Potenzen durchaus nicht identisch, oft sogar durchaus andere sind als die Protagonisten des politischen Vordergrundes. Wenige Heilige sind zugleich Päpste gewesen und von keinem der uns hier beschäftigenden Männer besitzen wir geistige Schöpfungen von nennenswertem Belang. Wie schwer ist es doch über das Seelen­ leben und somit über die eigentlichen Quellgründe individuellen Wollens bei Gestalten des Mittelalters etwas auszusagen! Man kann heute nicht abschließend feststellen, aus welchen Quellen dieser oder jener Kaiser seine geistige Nahrung zog, welchen Wert er selbst diesem oder jenen Bildungsmittel beilegte, wer und welcher Art diejenigen seiner Berater waren, die seinen Ent­ schlüssen und seiner Charakterbildung am nächsten standen und welcher Art ihr direkter Anteil und Einwirkung auf diese Ent­ schlüsse gewesen ist. Für den eigentlichen Biographen gewiß ein nicht zu schätzender Verlust, über den wir uns aber im Rahmen unserer engeren Aufgabe doch getrösten dürfen. Hier handelt es sich nicht um ein intimstes Eindringen in die psychische Persönlichkeit, sondern nur um die Frage nach den Folgen ihres Abscheidens. Da nun aber der Tod eines Kaisers in einer Monarchie mit unklar geregelter Nachfolge, mit Schwanken von Erb- und Wahlprinzip, zumal bei Vorhandensein eines unmündigen Erben und Einv. Eckartsberg, Zufall oder Schicksal.

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setzung einer Regentschaft, auch im Rahmen der engeren Berater der Krone große Änderungen bringen mußte und tatsächlich ge­ bracht hat, so ist es für unsere Fragestellung ziemlich irrelevant, ob es tatsächlich immer der Kaiser selbst war, der diese oder jene Entscheidung selbst getroffen, über diese oder jene Frage so oder so gedacht hat; der Wechsel der Regierung stellte doch auch seine Ratgeber, selbst wenn sie an ihren Stellen verblieben, vor eine neue Situation und ließ sie Menschen und Dinge unter neuen Gesichts­ punkten sehen. In formaler Hinsicht werden wir die Ausgangsposition, von der die zu prüfende Lebensarbeit ausging, mit der Endlage, die an den Nachfolger überging, in urteilende Beziehung setzen müssen, um so die Richtung dieses Lebenswerkes festzustellen. Die davon etwa abweichende Entwicklung der folgenden ein bis zwei Generationen anzuzeigen und zu überlegen, welcher Teil des Abweichungswinkels mit dem speziellen Todesfälle in eine ver­ nünftige Kausalverbindung gebracht werden kann, dies ist der Kern unseres Themas. Zu den formalen Gesichtspunkten ist es auch zu rechnen, daß jeweils die gleichzeitigen Ereignisse im sonstigen Abendlande nicht außer acht bleiben dürfen, auch wenn eine unmittelbare Verbin­ dung mit der Reichsgeschichte nicht augenfällig ist. Solche Be­ trachtungen können dafür außerordentlich fruchtbar sein für die Klarstellung der im Augenblick objektiv bestehenden Varianten­ möglichkeiten, etwa in der Verfassungsgeschichte. Als andeutendes Beispiel mag etwa auf das Lehns wesen verwiesen werden, das in Deutschland, England und Frankreich, um nur diese zu nennen, ganz verschiedene Wege gegangen ist. Sicherlich wurde dieses für die Jnstitutionengeschichte des Mittelalters vielleicht wesent­ lichste Phänomen in Deutschland durch die häufigen Dynastien­ wechsel stark mitbestimmt; mehr als einmal hat in geschichtlichen Momenten die Möglichkeit bestanden, willens mäßig in diese Ent­ wicklung einzugreifen und dann sicherlich nicht ohne Hinblick auf ausländische Muster. Ebenso kann das Verhalten der geistlichen zur weltlichen Gewalt niemals bloß von der Polarität Kaiser/Papst ausgehend verstanden werden, auch die Varianten dieses Verhält-

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nisses in den anderen europäischen Ländern bedürfen der Berück­ sichtigung. Endlich werden im 16. und 17. Jahrhundert, mit dem wir unsere Betrachtung abschließen, die Befestigung der franzö­ sischen Königs macht unter den letzten Valois und ersten Bourbonen, die straffe Linienführung einer gallikanischen und doch katholischen Kirche und in England das Verwaltungsgenie der Tudors und die Kämpfe der Stuarts herangezogen werden müssen, wenn man die Lage Karls V. und Moritz" und dann vollends die so verwickelte Stellung Wallensteins zwischen Kaiser und Fürsten, Konfessionen und Nationen würdigen will.

Otto II, „Vorausverordnet §at der König der Himmel und aller Zeiten einen starken, vorausschauenden, eifervollen König, nicht weither sondern nahebei.. Lebuins Sachsenpredigt nach Rosenstock. ?)

Otto IL, „ein junger Mann, nicht sehr ansehnlich von Ge­ stalt, aber von kraftvoller Leibesbeschaffenheit und geistiger Lebens­ kraft, von einem Mut, der mit den Schwierigkeiten wuchs"^), hatte von seinem Vater ein Erbe übernommen, das, wie groß es auch war, seinem Ehrgeiz und seiner jugendlichen Kraft eine nicht nur erhaltende sondern darüber eine erweiternde und vertiefende Aufgabe zu stellen schien. Die Begründung des sächsischen, des eigentlich deutschen Kaisertums, hatte dem östlichen Teilreich der Karolinger für Jahrhunderte einen Vorsprung vor anderen Teilen des Kontinents gegeben. In Francien°) besonders waren die letzten Karolinger noch von keinem stärkeren Stamme beiseite­ geschoben worden. Die Normannen verheerten das Land und drangen längs der Flußläufe tief ins Innere, sich im Norden eine eigene staatliche Existenz aufbauend. Das Lehnswesen unter­ grub die Macht der Krone, die ihrerseits nur durch einen zündenden Appell an gemeinsame Gefühle der noch ungeformten Nation zu einer zentralen Kraftquelle hätte werden können. Otto I. hatte das deutsche Königtum mit der Kaiserwürde in einem neuen Sinne verbunden. Damit war er zugleich in engste Verbindung zum Papsttum getreten und darüber hinaus zur Kirche überhaupt, was zur Dominante vieler Abschnitte in der deutschen Geschichte geworden ist. Als einst Karl der Große aus den Händen des Papstes t>ie10) neue Kaiserkrone erhalten hatte, da war dies der Idee nach die alte römische Herrschaftsgewalt im Sinne des abendländischen Universalreiches, geweiht und geheiligt durch die Schutzherrschaft über die Kirche als Staatskirche. Diesen gewaltigen Anspruch hatte

das Reich Ottos I. bei weitem nicht"). Schon räumlich fehlte zum Vergleich mit dem altrömischen Britannien, Spanien und Afrika und im Vergleich zum karolingischen Francien und die spanische Mark. Der Kirche gegenüber war die Stellung des Kaisers nicht schwächer geworden; auch Karl hatte sie durchaus als Reichskirche betrachten können mit Ernennung der Bischöfe durch die staatliche Gewalt und ihre Beschränkung auf die geistlichen Pflichten; inzwischen war aber das Papsttum in schweren sittlichen und Ansehensverfall geraten und erst durch Otto l. wieder zu einem Bewußtsein der eigenen Würde erweckt worden. Um 900 hatte die abendländische Kultur zwischen Völkerwanderung und Mittelalter den Tiefpunkt ihrer Auflösung erreicht. Indem nun das ottonische Königtum in treuem Zusammenhalten mit seinem Episkopat zuerst wieder räumlich und der Intensität der Macht­ entfaltung nach zu einer innerlich legitimierten Zentralgewalt ge­ langte, Kaisertum und Papsttum erneuerte, hatte es von den Päpsten der Zeit trotz formellen Aufrechterhaltens aller Ansprüche Nikolaus I., doch noch keine grundsätzliche Gegnerstellung zu be­ fürchten. Otto I. konnte es wagen, das in der Kirche ruhende Geistesgut der Antike von Organisationskraft und sachlicher Hingabe in den Dienst seines Staates zu stellen. Unter den Ottonen bildete sich die geistliche Fürstengewalt aus — von höchster Trag­ weite in ihren weiteren Folgerungen — zunächst aber eine stärkste Stütze des Staates, solange die Ernennung fest in den Händen des Königs lag. Er konnte dann über Gefolgleute verfügen, welche gegen den staats auflösenden Faktor des Feudalismus, die Tendenz zur Erblichkeit, immun waren und nicht nur wie die welt­ lichen Herren über kräftige Arme ihrer Hintersassen und gute Waf­ fen, sondern auch über geschulte Köpfe und eingearbeitete Kanzleien verfügten. Wohl war das Reich Karls seiner Essenz nach geist­ licher gewesen; die kirchliche Weihe und Übertragung der Würde hatte — neben der Waffengewalt der Eroberer — als einzige Bindung die amorphen Völker- und Ländermassen aneinander gebunden. Dafür war nun aber der neue geistliche Fürst in die Organisation selbst hineingebaut worden. Hierin lag bereits die später akut werdende Gefahr, daß der erstarkende päpstliche Wille im

Kern der weltlichen Gewalt selbst einmal einen Angriffspunkt finden könne und ein weiterer Schwächepunkt scheint dem Rückwärtsschauenden sehr deutlich darin ju liegen, daß eben die Uni­ versalität des karolingischen Reiches nicht hatte hergestellt werden können und daß, wie Ranke es ausdrückt, auch der kaiserlichen Ge­ walt nicht an einer „Nullifizierung" des Papstes gelegen sein konnte. Wenn die päpstliche Gewalt im Gegensatz zu der terri­ torial beschränkteren kaiserlichen die universalere blieb, so war auch schon der Grund dafür gelegt, daß mächtigere und anspruchs­ vollere jukünftige Päpste einmal gegen oder ohne den Kaiser andere auch weltliche Hilfe finden würden. Wenn fie ihrerseits der Christen­ heit neue gemeinsame Ziele und Richtungspunkte einheitlichen Wollens zu zeigen hatten, so mußte das ihre Stellung über die kaiserliche hinausheben; in den Kreuzzügen ist das dann in Er­ scheinung getreten. Das Reich Ottos I. unterschied sich also von dem Karls vor allem durch eine Einschränkung der Universalität. Entsprechend mußte sein Nachfolger den natürlichen Wunsch und die Auf­ forderung empfinden, diesen Verlust wieder auszugleichen, denn „die Idee einer allgemeinen Gewalt und des Übergewichtes über die christliche Welt war eben dem Deutschen Reiche durch Karl den Großen unvertilgbar eingepflanzt"^). Dem Papsttum gegen­ über ist Otto II. über die Linie seines Vorgängers nicht hinaus­ gegangen; einen Aufstand der römischen Crescentier gegen den kaiserlichen Papst Benedikt V I I. hat er niedergeworfen und über­ haupt die Herrschaft über die Kirche streng und selbstverständlich festgehalten. Den Bischöfe» mehr vertrauend als dem Stammesherzog hat er die bayrische Kirche vom Herzogtum gelöst und an das Königtum gebunden"). In enger Beziehung zur Behandlung der römischen Kirche stand seine Mittelmeerpolitik"), die ihn nach Süditalien führte, wo noch byzantinische Truppen standen, aber die Sarazenen aus Sizilien und Nordafrika das bei weitem gefährlichere Moment dar­ stellten. Als Feinde des Papstes waren sie gleichsam an Stelle der Langobarden getreten, vor deren Bedrängungen einst die römische Kirche bei den Frankenkönigen Schutz und Hilfe gesucht

hatte. Darüber hinaus waren sie aber sehr viel gefährlicher für alle Küsten Italiens, da sie doch ein durchaus fremdes Element waren und als Bekenner des Islam erbitterte Feinde des Christen­ tums überhaupt. Ganz abgesehen von dem Einfluß der Theophanu, der auf Ottos Politik gewiß bestanden hat, mußte er der Kirche und Italien zu Hilfe kommen, wenn seine religiös-politische Schutzherrschaft einen inhaltlichen Sinn habe» (böte15). Hatte doch schon Kaiser Ludwig jahrzehntelang gegen diesen Feind gerungen und war zeitweise von ihm gefangen worden. Da war es denn nun ein Ereignis größter Tragweite, daß der junge Kaiser, der bisher an allen Fronten des Reiches mit Erfolg gefochten hatte, gegen die Sarazenen einen schweren Rückschlag erlitt, selbst kaum der Gefangenschaft entging und den Süden der Halbinsel zunächst räumen mußte. In Verona, das mit Istrien und Friaul schon 952 durch Otto I. an Bayern gebracht worden war, so daß die deutsche Machtstellung über den Brenner hinaus nach Süden vorverlegt wurde, sammelte er seine Kräfte zu neuem Vorstoßt), sicherte den Erbgang, bestimmte seine Mutter Adelheid zur even­ tuellen Regentin von Italien, und ging mit einem vorzugsweise italienischen Heere wiederum nach Süden. In Rom bewies er neuerdings seine ungebrochene Herrschaft über das Papsttum durch Einsetzung eines neuen Papstes, Petrus von Pavia als Jo­ hann XIV., des ersten Nicht-Römers, der zu dieser Würde ge­ langte. Bald darauf ist er vor Eröffnung neuer Kämpfe gestorben und als einziger deutscher König in der Peterskirche begraben worden. Sein Kampf um Süditalien fand keinen Fortgang, der kaiser­ liche Papst wurde von seinen Feinden gefangengenommen und starb in ihren Händen. Crescentius erlangte wiederum die Ge­ walt in Rom und mußte von Theophanu als Patrizius anerkannt werden. Mangels eines Kaisers, denn Otto III. war noch unge­ krönt, regierte Theophanu kraft eigenen Rechtes in Italien und führte selbst den Kaisertitel. Wenn auch Otto III. später nach Benevent, Kapua und Neapel gelangte und sich dort huldigen ließ, so konnte doch er sowenig wie seine Mutter die väterlichen Pläne in Süditalien durchführen.

Sei» früher Tod im Jahre 1002 muß mit dem seines Vaters zusammen gesehen werden. Erst die rasche Aufeinanderfolge beider Ereignisse hatte die Gesamtwirkung einer allgemeinen fremdfeind­ lichen Bewegung in Italien. Zwar hatten die Sarazenen den Erfolg von Rossano nicht ausgebeutet, im Gegenteil sogar Kalabrien und Apulien wieder an Byzanz verloren, aber gegen beide fehlte eine einheitliche Leitung seitens des Kaisers, des Papstes oder einer anderen italienischen Gewalt. Auch Heinrich II. unterstellte zwar die langobardischen Fürstentümer einer gewissen Obergewalt, gelangte aber doch nicht zu einer Aufnahme der eigentlichen Mittelmeerpolitik Ottos 11. Inzwischen aber zeigten sich die ersten Vertreter desjenigen Volkselements, welches in den kommenden Jahrhunderten die Herrschaft in Süditalien und Sizilien erlangen sollte, der Normannen. Zwischen Griechen, Sarazenen, Päpsten, langobardischen Teilfürsten und gelegentlicher Geltendmachung kaiserlicher Ansprüche erbauten sie sich hier aus kleinen Anfängen ihren Normannenstaat, der von kaiserlicher zu päpstlicher Lehns­ mannschaft wechselnd, in den höchsten Punkten seiner Eigenpolitik ein Gewicht für den Papst gegen den Kaiser in die Waage zu legen vermochte. Gewiß ist sein Entstehen nicht unmittelbar bedingt durch die Niederlage von Rossano und den nicht mehr erfolgenden Gegenschlag; trotzdem darf angenommen werden, daß eine feste Ordnung der Dinge, die in Italien zu errichten den beiden letzten Ottone» etwa vergönnt gewesen wäre, dem staatlichen Ausbau der ersten Normannen-Niederlassungen, die sich wie Spaltpilze zwischen den anderen niederließen, sehr abträglich gewesen wäre17). Weniger groß war die Bedeutung von Ottos I I. Tode für das Verhältnis des Kaisers zum Papste. Die Zustände in Rom waren in jener Zeit doch so labil, daß die geistliche Gewalt in ihrer irdischen, päpstlichen Verkörperung einer eigenen Möglichkeit zur Machtentfaltung, ja auch nur zum Selbstschutze völlig entbehrte. Weder ihr Ansehen, noch der Klerus, noch etwa das Volk von Rom, schützte sie gegen die Willkür des Adels der Campagna, besonders der Tuskulaner Grafen. Es hatte dabei gar nicht allzuviel zu bedeuten, wenn etwa nach Abzug eines Kaisers der von ihm eingesetzte oder begünstigte Papst schleunigst gefangen oder von

einem Parteigänger ersetzt wurde — sobald dann derselbe oder auch ein anderer Kaiser wieder erschien, duckten sich die weltlichen Re­ bellen oder verschwanden aus den städtischen Burgen in die Berg­ schlösser und die alte Lage der Dinge war provisorisch wieder her­ gestellt. Darin brachte auch Ottos 111. tatsächliche Machtergreifung nach seiner Mündigkeit keine grundsätzliche Änderung. Es han­ delte sich eher um eine Vertiefung oder besser Potenzierung der weltlich-geistlichen Grundidee des ottonischen Reiches. Gerade auf spirituellem Gebiet, weit mehr als auf dem politischer Machtaus­ breitung, suchte Otto III. die volle Wiederverwirklichung des Reiches des großen Karl, in einer ihm eigentümlichen Verbin­ dung imperialer und mystischer Gedankengänge^), aufgebaut auf einem so hohenpriesterlich-idealen Mit- und Jneinanderwirkev beider Gewalten, daß in der rauhen Wirklichkeit nur in seltenen Ausnahmefällen mit den dazu nötigen Menschen hätte gerechnet werden können. Als er daher geistig in mystischer Phantastik und sein Körper in vorzeitiger Erschöpfung zugrunde gegangen war, da war es durchaus seine eigene und nicht etwa die Papstpolitik seines Vaters, die einem erneuten Umsichgreifen der Tuskulaner Grafen den Platz räumen mußtet). Der Tod Ottos 11. kann für dieses Ergebnis nur insoweit als Veranlassung herangezogen werden, als eben die jugendliche Unreife seines Sohnes im an­ deren Falle gar keine Gelegenheit gefunden haben würde, in ein so gefährliches Spiel mit ungeübten Händen einzugreifen. Das 10. Jahrhundert ist noch nicht die Zeit eines wirklich geistigen Verhältnisses von Kaiser und Papst, weder im Sinne des erbit­ terten Kampfes wie später unter Gregor V I I. und Friedrich I I., noch etwa eines leib-seelischen Hohenpriestertums, wie es der hohen aber getrübten Seele Ottos III. vorschweben mochte und auch später höchstens in der kurzen Zeit, als Innozenz III. zugleich der „verus Imperator“ war, verwirklicht wurde. Die Verschmel­ zung von Christentum, Antike und germanischen Völkern, die nach Hampe^) zu einer hierarchischen Oberleitung des Abendlandes führen mußte und also auch zur Klärung der Leitung in dieser Hierarchie, war noch nicht weit genug vorgeschritten. Der Vorrang lag noch beim Schwerte und den Zufällen der jeweiligen, oft zeit-

lich und räumlich eng begrenzten Überlegenheit. Erfolge und Miß­ erfolge waren unter diesen Umständen kurzlebig, wenn auch in der Unterströmung das Papsttum bereits den Vorteil der nicht dem Tode unterworfene Organisation genoß, „seine sooft in der Geschichte bewährte Eigenart, daß das, was seine größten Ver­ treter geleistet hatten, trotzdem auf die Dauer nicht verloren und vergessen todt"21). In einer geistigen Bewegung pflegt die auf rationalpraktische Verwirklichung bedachte Epoche der gedanklich schwärmenden mit einiger Verspätung nachzufolgen; man denke etwa an das Verhält­ nis von utopischem und rationalistischem Sozialismus im 19. Jahr­ hundert oder in einem natürlichen Bilde an das Wachstum junger Bäume, wo mit der Verholzung die Biegsamkeit und Frische des Stoffes verlorengeht zugunsten der Tragkraft und Festigkeit. Die noch zu geringe Durchgeistigung der Institutionen erklärt es wohl auch, daß die geistlichen Resormbeweguvgen der Zeit noch nicht in die volle Öffentlichkeit der politischen Körper hinaustraten und im Klosierleben verschlossen blieben, vor allem die vom Kloster Cluny22) ausgehenden und im folgenden Jahr­ hundert zu Weltgeltung aufsteigenden Tendenzen. Diese stark überwiegend romanische Bewegung erfaßte in ottonischer Zeit Deutschland noch nicht, und selbst der schwärmerische Otto III. war religiös eher den italienischen Eremiten Romuald und Nilus verhaftet oder der ethischen Askese Woytech-Adalberts als einer die religiöse Idee bewußt-rational in die politische Wirklichkeit einführenden Richtung. Nur in der Person des Gerbert von Reims, als Papst Silvester II., dem „klügsten Manne seines Zeitalters"22) und der engen Freundschaft, welche ihn mit Otto III.24) verband, mag man einen Ansatz sehen zum Ausbau eines geistig betonten zentralistischen Rom-Reiches, dessen geistliche Komponente wohl schon in der überlegenen Person Sylvesters zum Ausdruck kam und in weiterer Fortsetzung gewiß noch stärkere Geltung erlangt hätte. Und trotzdem konnten weder Kaiser noch Papst sich in Rom halten. Die kleinen lokalen Baronal- und Brachialgewalten, die den großen Vorteil genossen dauernd in relativer Stärke zur

Stelle zu sein, erweisen sich kräftiger als der gute Wille des abend­ ländischen Kaisers und die Weisheit des klugen Papstes; die geisti­ gen Konzeptionen der Folgezeit waren dem Tageslichte der Wirk­ lichkeit noch nicht gewachsen. Ungeistigen und mehr dynastischen oder stammesbewußten Gefühlen als klarer Richtungsnahme oder gar Verfassungsentwicklung gehorchte auch das politische Leben in Deutschland. In einem Rückschläge auf die Westrichtung der Völkerwanderungs­ zeit war das fränkische Reich der Merowinger und besonders Karls des Großen wieder nach Osten vorgestoßen und hatte in langen Kämpfen die deutschen Stämme, vor allem Sachsen, Thüringer und Bayern in dev Reichsorganismus eingefügt. Mit Kolonisationen und Deportationen hatte man im Anschluß an das altfränkische Gebiet des mittleren Rheintals vor allem in der Maingegend ein neues fränkisches Gebiet geschaffen als stammverwandtes Machtzentrum in Mitte der neuen Landschaften. Nach dem Erlöschen der Karolinger hatte Konrad, Herzog der Franken, die partikularen Gewalten doch nicht zähmen und also die karolingische Politik nicht fortführen können. Und doch genoß er die Unterstützung des Episkopats; Salomo von Konstanz, Hatto von Mainz, und ihm selbst fehlte es nicht an zugreifender Energie, wie er es bewies mit der Hinrichtung der Kammerboten. Er selbst zog auf dem Sterbebette die Folgerung und designierte als Nachfolger Heinrich von Sachsen, das Haupt der partikularen Opposition und Angehörigen des Stammes, der hundert Jahre vorher den Franken die größten Blutopfer abgefordert und sie selbst gebracht hatte. In der neuesten Geschichte — der Verbin­ dung der Burenrepubliken mit dem englischen Kaplande — finden wir dazu ein Analogon, und doch bleibt es erstaunlich, daß dieser Übergang der höchsten Würde von dem erobernden zum unter­ worfenen Stamme reibungslos erfolgte. Außer dem mildernden Einflüsse der Zeit mag man es teils der Zeitgegebenheit des Vor­ ganges, teils der Indifferenz der Volksmassen, die solche Fragen beruhigt den Führergeschlechtern überließen, teils auch einem neuen Gemeinschaftsgefühl des jungen Reiches zuschreiben, das von der Ungarngefahr gefordert wurde. Bemerkenswert ist es gewiß, daß

sich keine Partei für einen westfränkischen Anwärter bildete, so wenig wie schon nach dem Aussterben der deutschen Karolinger. Gewisse Erinnerungen einstiger Vorherrschaft blieben bestehen, so lebte der König auch in Zukunft für seine Person nach fränkischem Stammes­ recht, und überhaupt erscheinen nun Franken und Sachsen ge­ meinsam als Träger des ottonischen Reiches. Nun war also ein sächsischer Stammesherzog, der außerdem durch den dauernd nötigen Schutz seiner engeren Heimat gegen die Ungarngefahr gerade auf diese Pflichten verwiesen wvrde, der Erbe der universalen Karolinger geworden. Deren große Männer waren mit Kraft und Erfolg bemüht gewesen, die alten Stammesbindungen in ihrem Gesamtreiche zu zerreißen und in einem allgemeinen staats­ rational gedachten Netz technischer Beamter dem Reichs- und Staatsbegriff vor dem landschaftlichen den Vorrang zu verschaffen. Die ältere und entwickeltere Staatlichkeit Westfranziens und Italiens hatte ihnen Vorbilder geliefert, die sie mit altgermanischen Begriffen und Ämtern verbanden. Nun schlugen die alten Wurzeln neu aus, besonders in Bayern, schwächer in Schwaben. Dabei machten sich lokale Vorherrschaften und besttzrechtliche Verhältnisse ebenso geltend wie die Notwendigkeiten des Grenzschutzes, beson­ ders bei versagender Königsmacht; mit dem allgemeinen Zuge zur Erblichwerdung der Ämter, vor allem des Grafen- und Mark­ grafenamtes, vollzog sich die das 9. und 10. Jahrhundert kenn­ zeichnende Feudalisierung. Es erwies sich, daß die Vorbedingungen für eine zentrali­ sierte Beamtenverwaltung in vieler Hinsicht nicht vorlagen, tech­ nisch versagte die Verkehrsmöglichkeit zur raschen und wirksamen Mitteilung und Durchsetzung von Maßnahmen der Exekutive; wirt­ schaftlich das System der Naturaleinkünfte des Staates und der Fürsten, welches weder die Besoldung von Beamten und Soldaten noch überhaupt Konzentrierung von Geldmitteln in Staatshand gestattete, und kulturell wirkte sich das Bildungsmopol des Klerus dahin aus, daß zwar für den Kanzleibetrieb Schreiber zur Verfügung standen, daß man aber zu äußerer und innerer Macht­ aufwendung doch auf die Angebote der örtlich versippten und schon in den Lehnsnexus^) eingewachsenen Grafen zurückgreifen mußte.

Nur mit Stammeskräften konnte also der König sich gegen unotmäßige andere Stämme und deren Fürsten durchsetzen. Daher haben denn die Sachsenkaiser, besonders Otto I., sich be­ müht, die Stammesherjogtümer in eigenen Händen oder in denen ihrer nächsten Familie zu erhalten oder auch das besonders ungebär­ dige Bayern durch Abtrennung seiner Wachstumsspitzen Öster­ reich und Kärnten zu schwächen^), die es bald nach Abwehrder Un­ garn rasch und energisch bis etwa zu den modernen Volkstums­ grenzen vorgetrieben hatte. Trotz alledem bewiesen dauernde Auf­ stände und Verschwörungen, wie schwer sich das Sonderleben der Stämme, ihre partikularen Nöte und Wünsche, vor allem natür­ lich die dynastischen Interessen der Herzöge, in den Rahmen des Reiches spannen ließen. Auch auf staatlichem Gebiete also, ähn­ lich wie auf dem der Kirche, ist die Epoche weit davon entfernt, be­ reits zu begrifflicher Klarheit und Abgrenzung der Definitionen ge­ langt zu sein. Es gab keine feste Trennung von öffentlichem und privatem Recht und selbst das Lehnswesen, die rechtliche Dominante der Zeit, war noch nicht zu reifer Kristallisation gediehen, besonders nicht in der Frage der Erblichkeit und der nach der Gehorsamspflicht der Aftervasallen. Daß in solcher Zeit der König nur wirkte soweit er auch schlagen konnte, liegt auf der Hand. Da war nun Otto II. ein mächtiger und erfolgreicher Monarch gewesen. Mit alleiniger Ausnahme von Süditalien hatte er an allen Fronten glücklich gefochten, seine Waffen bis vor Paris und zum Danewerk ge­ tragen und im Inneren seinen Vetter, Heinrich von Bayern nieder­ geworfen, abgesetzt und sein Land durch Abtrennung von Kärnten verkleinert. Von hier aus erhob sich bald nach seinem Tode ein ernster Gegensatz. Heinrich der Zänker, alsbald frei geworden, forderte als Verwandter zunächst die Vormundschaft über seinen Neffen, den jungen Otto III., und dann die Krone für sich selbst. Er fand vielen Anhang, unter anderem bei Polen und Frankreich, ver­ stand sich schließlich aber doch zu einem Vergleich, der ihm wenig­ stens sein Herzogtum wiedergab. Erzbischof Willigis von Mainz hatte daran das Hauptverdievst und die nächsten Jahre gehören dem

Einfluß der Theophanu, Ottos Witwe, „einer Erscheinung, die nur zu bald vorüberging"^), deren mit Bescheidenheit gepaartes Selbstvertrauen „gleichsam das ganze Reich wie mit einer Kette vereinigte", wobei sie dem eigentlichen ottonischen System folgte und imperialen Ideen entsagte. War es somit gelungen, eine nach dem Tode des Kaisers sehr wohl mögliche ernste Erschütterung des Reichsinneren zu ver­ meiden und dann auch während der Regentschaft Adelheids und der Herrschaft ihres Enkels Ottos III. trotz einiger Unzufrieden­ heit die Ruhe zu wahren, so folgte doch an sehr wichtiger Stelle, im slawischen Osten und an der Dänengrenze nach der Niederlage und dem Tode Ottos H. ein ganz schwerer Rückschlag, der das ganze Kolonisationswerk östlich der Elbe vernichtete, Hamburg, Havel­ berg und Brandenburg in Trümmer legte und im Sinne der deutschen Politik ein Unglück von säkulären Ausmaßen darstellte. Daß dabei der Tod des Kaisers wohl nur der letzte Anlaß zum Ausbruch einer sich lange vorbereitenden Gärung war, ändert nichts an der Tatsache, daß dieser Ausbruch eben jetzt erfolgte, wo die ErfolgsMöglichkeiten günstiger erschienen. Im Spiel von actio und reactio konnte es nicht gleichgültig sein, daß diese Ver­ hältnisse nun wieder ganz aufs Schwert gestellt wurden^). Otto I. und mit und nach ihm die Kirche hatte eine verhältnismäßig milde Christianisierungslinie eingehalten, die mehr durch Mission als durch Gewalt zu wirken suchte. Nun, unter dem Eindruck der Ver­ heerungen, erhielten die Kriegsinstinkte des sächsischen Adels wieder freiere Hand, an Stelle von Bekehrung und friedlicher Unterwerfung trat wieder Ausrottung und die vergiftende Wir­ kung rücksichtsloser Feindschaft. Wie groß die Wirkung dieser Methodenveränderung auf die schließliche Eindeutschung der Elb­ slawen gewesen ist, wird sich exakt kaum sagen lassen; ganz ist jedenfalls auch der Weg des Zusammengehens nicht verschüttet worden, schon Heinrich II. finden wir im Bündnis mit den Liutizen gegen Polen. Überhaupt wäre es falsch, die Elbslawen im Bilde einer panslawistischen Vorhut sehen zu wollen. Diese Masse verhältnismäßig kleiner und zielunbewußter Stämme ohne den Anschein einer entwicklungsfähigen eigenen Kultur, wurde viel-

mehr zerrieben zwischen den Blöcken des deutschen und des pol­ nischen Reiches33) — insofern eine Vorwegnähme des polnischen Staates im i8. Jahrhundert zwischen Rußland und den sich formierenden Staaten im östlichen deutschen Volksgebiete und im Donaubecken. Es soll nicht behauptet werden, daß Otto II. bei längerem Leben den Slawenaufstand hätte verhindern können. Man kann sogar mit Fug darauf hinweisen, daß eine noch stärkere Verflech­ tung in die italienischen Händel, zu der er ansetzte, ihn mit großer Wahrscheinlichkeit so fesseln mußte, daß ihm für den deutschen Osten so wenig Kräfte und Muße blieb wie später einigen Staufern. Trotz der großen Bedeutung, die das kriegerische Ansehen eines stets — und dann vielleicht auch in Unteritalien — siegreichen Heerfürsten gerade in rauhen Zeiten vor dem Frauen- und Kinderregimente voraus hat, hätte das Schwergewicht seiner Existenz für den deutschen Osten doch wohl nicht in militärischen Aktionen gelegen. Mit großer Wahrscheinlichkeit aber kann gesagt werden, daß er nicht wie sein Sohn mit innerer Begeisterung die Kirchenpolitif30) getrieben hätte, die Polen von dem es missionierenden Reiche loslöste. Es trat dadurch in ein sehr enges und unmittel­ bares Verhältnis zur Kurie, welches sich als eine Potenz von eminenter Dauerwirkung erwiesen hat. Gerade in dem Kampf der beiden Universalmächte um Ausdehnung und Intensität ihrer Ansprüche sollte es sich doch bald zeigen, wie groß für das Papst­ tum der Vorteil war, daß es, vornehmlich im Süden und Westen Einfluß über Gebiete besaß, die dem Kaiser relativ unzugänglich waren. Um so begreiflicher sein schon jetzt erkennbares, in der Rich­ tung gegen den Kaiser wohl noch unbewußtes Bestreben, sich auch im Osten eine ähnliche Sonderstellung zu verschaffen. Auch Ungarn und Böhmen3*) sind in den nächsten beiden Dezennien nach Ottos II. Tode, das eine durch Christianisierung und staat­ liche Konsolidierung mit Hilfe des Papstes, das andere durch Ermordung der letzten inländischen Rivalen der Premysliden, in den Kreis mitteleuropäischer Staaten von wechselnder Selb­ ständigkeit aber doch in sich einheitlicher monarchischer Staaten eingetreten. Ob Otto I I. nach Wesen, Machtstellung und Willens-

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richtrmg hier eine Möglichkeit jum Eingreifen, Förderung oder Behinderung gefunden hätte, wird nicht zu sagen sein. Gleichgültig konnten ihn diese Vorgänge kaum lassen, allein schon wegen der guten Beziehungen seines alten Feindes, Heinrich des Zänkers, zu Böhmen, wo dieser mehrfach Hilfe und Bündnis gegen den Kaiser gefunden hatte. Wenn Ranke von Otto II. sagt, „er würde, wenn man Königtum und Kaisertum scheiden wollte, den Ansprüchen des ersten genügt haben; er hätte die größten Weltelemente, das slawische, westfränkisch-karolingische und das normännische, meist mit Hilfe der Reichsfürsien, niedergeworfen"^), so möchten wir das Ausmaß seines Wollens, zugleich aber seine Tragik, darin sehen, daß ihm dieses Werk, das wohl ein Herrscherleben füllen konnte, noch nicht genügte. Wenn er persönlich darüber zugrunde ging, so wurde es dem Reiche, in welchem damals noch die Hauptlebevslinien des Abendlandes zusammenliefen, zum Schicksal, daß er durch sein Leben und die Wahl seiner Gattin, den Kampf um den Süden und die Blutmischung mit Byzanz, seinem Sohne die Richtung seines Lebens wies, ihn aber zu früh verlassen mußte, so daß auch dessen ungeschulte Kraft ins Leere stieß. Als dann auch dieser Sohn früh vergangen war, da war die Lage fast wieder so wie 80 Jahre vorher, als man Heinrich den Finkler der Sage nach vom Vogelherde auf den Thron berief. Wie einst der Sachse dem letzten Frankenherzog, der Opponent dem Legitimen, so folgte nun der bayrische Sohn Heinrichs des Zänkers dem Sohn des Mannes, der seinen Vater als König aus seinem Herzogtume hatte verweisen müssen.

Heinrich III. .. immer denkwürdig, wie dieser große Herrscher der erste und einzige war, der die beiden großen Kräfte der Kirche und des Papsttums auf ihre letzten Ideen zurückführte und ihre Auseinandersetzung auf geistiges Gebiet zu verlegen suchte". Fedor Schneider*').

Immer wieder finden wir in der Reichsgeschichte Reihen von Gestalten, die nach Werk und Familie zusammengehören, mögen auch diese Menschen, von deren eigenstem Sein wir so wenig wissen, für uns nicht Individuen sein in psychologischem Sinn, sondern Repräsentanten von allem, was in ihrem Namen ge­ schah, zugleich aber doch auch ihres eigenen Maßes und Tempera­ mentes. Immer wieder hebt sich die Kurve in zwei oder drei Ge­ schlechterfolgen, um dann wieder niederzusinken. Wie Karl Martell, Pipin und Karl der Große, so gehören Heinrich I., Otto I. und Otto II. zusammen, mag auch der Höhepunkt der ersten Reihe am Ende liegen und der der zweiten in der Mitte. Und eine dritte Linie sehen wir nun in Heinrich II., Konrad II. und Hein­ rich III., deren Regierungszeit uns ganz nahe heranführt an einen der zwei oder drei größten Katarakte unserer Geschichte, den ersten großen Zusammenstoß des deutschen Königs mit dem Papste, noch nicht ein Kampf des Volkes um seinen Glauben wie in der Reformation, aber des Königs um die Selbständigkeit der Reichs­ kirche als Organ des deutschen Staates, um ihre Bestimmbar­ keit vom königlich-weltlich-national-episkopalen oder vom päpstlichgeisilich-universal-monokratischen Pol ihres Wesens aus. Es war zugleich der Kampf um den Priesiergedanken im König- und Kaiser­ tum selbst, der allein es ihm ermöglicht hatte, seinen Herrschafts­ anspruch über Papst und Kirche zu legitimieren. Wie Konstantin über sein Konzil, so hatten Karl und die Ottonen und auch noch Heinrich 111. über die Tiara verfügt und vollends über die Bistümer. Wenn nun das Papsttum in weiterer v. Eckartsberg, Zufall oder Schicksal.

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Verfolgung kluniazensischer Ideen, aber auch dem immanenten Wachstum seines machtliebenden Organismus und den tiefsten Einflüsterungen des römischen Bodens3^) folgend, dieses Kaiser­ tum, das es selbst geschaffen zu haben behauptete, aus seiner ange­ maßten spirituellen Würde hinauszuweisen beanspruchte, so möchten wir wohl aus einem gewissen Wunsche nach Gerechtig­ keit oder auch aus der menschlichen Freude am Kampf gleich­ gewachsener Gegner, dessen Ergebnis uns zugleich eine Gewähr biete» könnte für die Sachgewolltheit des Ausgangs, daß einem Papste wie Gregor VII., dem „Heiligen Satan" des Petrus Damiani, für den „der hierarchische ^Begriff35) sein inneres Leben" bedeutete, ein „heiliger Kaiser"33) entgegengetreten wäre, ein Mann, der die Kraft Karls oder Ottos verbunden hätte mit der mystischen Ergriffenheit Ottos III. und der besonnenen Kirchlich­ keit Heinrichs II.; — eines Mannes, wie ihn viele in Heinrich 111. zu erblicken glaubten, dem „Daniel" unter den Fürsten, dem Sieger in vielen Kämpfen, der nacheinander mehrere deutsche Päpste nach Rom führte und der trotzdem den demütigen Schwung besaß und den Glauben an die Kraft der Seele, daß er den Ge­ danken des Gottes friedens3?), wie er aus Frankreich kam, nicht durch Gebot und Zwang, sondern durch die sittliche Kraft des Guten verwirklichen wollte. Aber Heinrich III. war 1056 im Alter von 39 Jahren ge­ storben mit Hinterlassung eines unmündigen Sohnes unter der Regentschaft der Kaiserin Agnes und dem überwiegenden Einfluß einiger großer Kirchenfürsien, die gerade wegen ihrer persönlichen Bedeutung nicht zu gedeihlicher Zusammenarbeit gelangten. So brach schließlich der Konflikt aus in den ersten Regierungs­ jahren des mündig gewordenen Heinrichs IV., der sich mit Stolz und Kraft, auch List und Diplomatie, gegen diesen Gegner schlug, mehrere Gegenkönige überwand, sich in Rom die Krone holte und den großen Papst in der Verbannung sterben ließ; der aber doch nur dessen sterblichen Leib und nicht den geistigen Nerv seiner Kraft zu verstehen und zu treffen wußte, dem die Reichs kirche seiner Vorgänger unter den Händen zerbröckelte, unter dem zum ersten Male im Reiche das Wahlrecht der Fürsten, herbeigeführt durch

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das Eingreifen des Papstes, über das Erbrecht einen klaren Sieg errang, der Italien verlor, vom Adel und seinem Sohne verlassen und gefangen, von den Städten unzureichend unterstützt, bei noch währendem Kriege gestorben ist. Der Zusammenstoß der beiden Gewalten des Kaisertums und des Papsttums, der zugleich, wie Brackmann38) kürzlich gezeigt hat, von einer geistigen und politischen Wandlung Europas im ii. und i2. Jahrhundert begleitet gewesen ist, kulminierte erstmals in den Jahrzehnten nach Heinrichs III. Tod und wenn wir uns ein Urteil darüber bilden wollen, inwieweit dieser bei längerem Leben auf den Gang der Ereignisse hätte einwirken können, so müssen wir uns das Aufeinanderzuwachsen beider Kräfte und die Notwendigkeit der Auseinandersetzung vor Augen stellen. Die Statik, die Verteidigung, lag dabei auf seiten des Kaiser­ tums, das, von den Erfordernissen des Augenblicks jeweils in Anspruch genommen und erklärlicherweise durch die wechselnden Willensrichtungen seiner Träger nach verschiedenen Zielen orien­ tiert, dem Wesen der Kirche und des Papsttums, wie wir es als eigenstrebiges und besonderen Gesetzen folgendes geschichtliches Phänomen zu erkennen glauben, weder tieferes Verständnis noch gleichbleibendes Interesse entgegenbrachte. Wenn man die Haltung der Kaiser seit Karl zu den Problemen der Kirche betrachtet, so sieht man, daß zwischen klarer Trennung der Wirkenssphären und Verwischung von deren Grenzlinien verschiedene Haltungen beobachtet wurden. Die sehr nüchterne und doch durchaus souveräne Laienpolitik Konrads II. kann da als der äußerste Gegensatz zu der hohenpriesterlichen Auffassung Ottos III. gelten, eine Antithese, die man mit etwas geringerem Pendelausschlag wohl auch zwischen Otto I I. und Heinrich III.38) feststellen könnte. Wenn wir sehen, daß die Kaiser immer wieder ihre vertrautesten Berater, oft Führer der episkopalen Richtung gegen den Papst, zur Tiara beriefen, in der oft getäuschten Hoff­ nung, daß jener zugleich ein guter Papst und ein treuer Diener des weltlichen Staates werde sein können, so glauben wir darin ein geradezu leidensvolles Bemühen zu spüren, sich selbst aus dieser

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Bindung spiritueller und weltlicher Pflichten zu befreien, einem alter ego das Fernerliegende zu überlassen und so den lei­ digen Zwiespalt zu überwinden. Was bei so vielen Bischöfen möglich war, das schien doch auch bei dem Papste angängig zu sein; man verkannte dabei die diesem Amte nun einmal ein­ geborene und in keiner Weise zu verleugnende Grundrichtung, die jeden aufrichtigen Träger der Würde in eine der beiden Pflichten, die spirituelle Verinnerlichung oder den kirchenpoli­ tischen Universalismus hineinzwang. In abgeschwächter Form wiederholte sich das nämliche bei den ersten Erzbischöfen Frank­ reichs und Englands als Primaten ihrer Landeskirchen. Das bekannteste Beispiel ist da der Konflikt des Thomas Decket mit Heinrich II. von England^). So sehr auch das Kaisertum als eine priesierliche, eine heilige Würde betrachtet wurde, so wenig konnten doch seine Träger der praktischen Notwendigkeit entgehen, sich überwiegend den welt­ lichen Aufgaben zu widmen. Daß sie dabei der Hilfe der gebildeten, von ihnen selbst maßgebend ernannten und im Vergleich zu den feudalen Gewalten zuverlässigen Bischöfe nicht entraten konnten, war staatspolitisch der Ansatzpunkt des Konfliktes. In der denkbar gehorsamen und loyalen Erfüllung ihrer Pflichten dem Staate gegenüber durch Bischof und auch Papst lag für den Kaiser das größte Interesse. Was er darüber für die Kirche tat an materieller und spiritueller Anteilnahme und Förderung, das war einmal ein Ausfluß der ganzheitlichen Auffassung des Kaisertums, außerdem aber auch Sache des um die eigene Seele und Pflicht­ erfüllung sorgenden Menschen und insofern nicht Dienst am eigen­ sten Werke sondern Eindringen in ein fremdes Gebiet, das zu­ nehmend wieder geräumt wurde, je mehr der Papst den vollen Kreis seiner Wirkensmöglichkeiten erfaßte und auch wohl mächtig darüber hinausgriff. In diesem Sinne ist Heinrich 111. der letzte Kaiser gewesen, der gleichsam von innen heraus, aus eigener seelischer Verantwortung an der Kirche arbeitete. Alle seine Nachfolger, ob kirchlich gesinnt oder nicht, traten als Willensträger ihres politischen Amtes von außen an sie heran, unbeschadet ihrer privaten Eigenschaft als gläubige Christen.

Wenn somit die Kaiser, mehr dem Wesen als der zeitgenös­ sischen Auffassung vom Wesen ihres Amtes nach, weltliche Po­ tenzen waren, die sich zeitweise auf weltliches Gebiet begaben, so be­ fand sich das Papsttum gleichfalls im Banne differenter und widerspruchsvoller Aufgaben. Aus dem Bischofsamts von Rom entstanden, mußte der Kern seiner Tätigkeit in der Seelsorge, im Lehramt und der Gemeindefürsorge liegen, Aufgaben, die sich unter den Wandlungen der Zeitgeschichte gewaltig ausdehnten. Als das weströmische Kaisertum verschwand, da gingen beide Gotenstämme über Italien hinweg. Zwei Jahrhunderte hin­ durch folgten ihnen Langobarden und Byzantiner als Herren des Landes und denen wieder die Franken. Schließlich beanspruchten nun die Deutschen als Volk des Kaisers eine Ober- und Schutz­ herrschaft sehr wechselnden Aspektes, während zugleich an Stelle der allmählich weichenden Byzantiner die neuen Kräfte der Sara­ zenen und Normannen auf dem Schauplatze erschienen. Wohl bedurfte es da kaum eines besonderen eigenen Ehrgeizes, wenn er auch gewiß vorhanden war, um die Bischöfe von Rom zum Bewußtsein ihrer auch politischen Stellung zu bringen. Hatten sie sich doch alle diese Zeit hindurch als das Moment von größter Beharrungskraft erwiesen, das wohl Zeiten der Verfinsterung erleben konnte, das aber in seiner Lehre, in der nicht sterbenden Organisation, in der ihm auch von so rauhen Kriegern wie etwa den langobardischen Königen stets erwiesenen Achtung eine Kraft in sich trug, deren Überlegenheit über die rohe Gewalt der Eroberer zu augenfällig war, um nicht auch von ihnen bemerkt zu werden. Außer den spezifisch christlichen Elementen half dabei das Erbe der Antike, mochte es auch nur in einer sehr veräußerlichten und abgeänderten Bildung und Verwaltungstradition sich darstellen, und besonders die Idee und der Anspruch einer allchristlichen oder mindestens abendländischen Universalität. Die Kirche vertrat das, was von der Seele der römischen Kultur noch geblieben war in dem äußeren Kleide des weströmischen Staatsgebietes und Staatskörpers und beides bildete ihren Einschluß in der Verbindung mit dem Fran­ kenkönig. Die Kirche brachte zu diesem Bunde die göttliche Weihe, die geistliche und geistige Legitimation, der König die gesunde und

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bildungsfähige Kraft seiner Völker; zwischen die antike Bildung der christlichen Seele und den zu weit gewordenen Mantel des Staatsgebietes wuchs das frische Fleisch und die festen Knochen der Eroberer. Über zwei Jahrhunderte dauerte es, bis die Keime der Unver­ einbarkeit beider Elemente die Oberfläche von innen heraus zer­ setzt hatten. Bis dahin hatten beide Gewalten auch Zeiten des Niederganges durchgemacht und lange hatte es geschienen, daß der alte Bund überhaupt zerrissen und neuen Bindungen gewichen sei. Zn Nikolaus l. hatte bereits ein ausgesprochen kirchevpolitischhierarchischer Papst die Tiara getragen, dann aber war das Papst­ tum durch Niederungen gegangen und auch unter den Ottonen erst wieder zu sekundärer Bedeutung aufgestiegen. Um 900 liegt der Tiefpunkt der Kirche wie der westlichen Kultur, etwa gleichzeitig mit dem Ende der Karolinger in Deutschland, den Angriffen der Normannen auf die atlantischen Küsten und dem Erscheinen der Ungarn an den östlichen Grenzen der Christenheit. Die äußeren Bedingungen für den Wiederaufstieg der Kirche schufen die ottovischen Kaiser, die aber doch ein fremdes Element darstellten, die innere Reinigung kam durch das Mönchtum. Eng mit diesem verbunden wirkten die ersten Anfänge eines italienischen Nationalbewußtseins, darüber hinaus eines romani­ schen Gemeinempfindens und schließlich der Traum einer vom Papste repräsentierten Universalität, welche das Reich zwar ein­ schloß, sich ihm aber auch entgegenstellen konnte, in dem Maße wie eben das Kaisertum nicht mehr universal war, sondern ein politischer Staat unter anderen und dabei germanisch und deutsch wurde. Vom Mönchtum, welches seinem Begriffe nach die spirituell­ christlichen Ideen am reinsten vertreten mußte, nahm die neue Bewegung ihren Anfang. Solange die reinigende Kraft sich auf den kirchlichen Menschen beschränkte, die Klöster reformierte und vollends nach Deutschland nicht vor dem 11. Jahrhundert Übergriff, brauchte für die weltliche Gewalt kein Grund zur Be­ unruhigung zu bestehen. Zu ersten Ansätzen einer Richtungsände­ rung der Reform kam es, als die reformierten Klöster das Bestreben

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zeigten, sich der Obergewalt der Bischöfe zu entziehen und direkt unter den Papst zu treten. Immerhin konnte auch das die Staatstreue der Bischöfe festigen, wenn sie Grund hatten Unzufriedenheit mit der Kurie zu empfinden. Entscheidend war es dann aber, als im ii. Jahrhundert die Reformgedanken aus dem Kreis der Klostergeistlichkeit in den anderen Klerus drangen und sich auf kirchenpolitischem Gebiet neue Ziele suchten. Simonie und Nikolaitismus wurden zum Zielpunkte der besten und stärksten Kräfte und diese Richtung der Energien bewies eine geniale Sicherheit in Erkenntnis der wirksamsten Hebel zur Schwächung des Gegners und Heranziehung eines unbedingt ergebenen, von allen Familien­ rücksichten losgelösten und nur mit überpersönlichen, die Genera­ tionen überbrückenden Wünschen an kirchliche Ziele gebundenen Klerus. Um so als Sprengstoff gegen die Festen der weltlichen Gewalt dienen zu können, bedurfte der Begriff der ©irnome41) einer mehr­ fach verschärften Fassung. Erst nur den Verkauf der priesterlichen Ordination umfassend, erweiterte ihn schon das io. Jahrhundert auf jede Übertragung einer kirchlichen Stelle gegen Geldzahlung, womit nun auch Laien sich ihrer schuldig machen konnten, und schließlich dehnte Kardinal Humbert, Hildebrands Mitführer der extremen Kardinalspartei, sie aus auf jede Laieninvesiitur, mit oder ohne Geldzahlung. In diesem Punkte mußte die neue Bewegung zwangsläufig mit jeder weltlichen Gewalt zusammenstoßen, die bisher Kleriker als tragende Glieder in ihrer eigenen Organisation verwendet, durch Verleihung von Kirchengut und Immunitäten begabt und sich dadurch treue Diener gesichert hatte — es sei denn, sie hätte sich bereit gefunden, vor einem stärkeren Willen sich zu ergeben. Auch England") und Frankreich haben ihre Jnvestiturstreite gehabt, die aber zeitlich erst nach dem deutschen ausbrachen und, bei geringerer Intensität bei weitem nicht die Ausmaße annahmen, wie in Deutschland und Reichsitalien. Hier erschütterten die kämp­ fenden Mächte gegenseitig die Grundlagen ihrer Existenz, in dem Maße wie eben Kaiser und Papst bisher auf das engste verbunden gewesen und in dem gemeinsamen Universalitätsanspruche auch

in Zukunft mehr aufeinander angewiesen waren als der Papst im Verhältnis zu anderen Mächten. Auch die gleiche geographische Grundlage beider Potenzen machte ihre Auseinandersetzung schwerer und dringender. Die Gestalt Heinrichs III. steht in überragender Weise am Eingang dieser Zeit kirchen- und staatspolitischer Kämpfe, und zwar gerade deswegen, weil dieser Kaiser seine aus der Realisierung des ottonischen Systems fließenden Verpflichtungen innerlichst an­ erkannte und sich nicht wie sein Vater auf seine weltlichen Funk­ tionen wesentlich beschränkte. Ein neuerlicher Macht- und Sitten­ verfall in Rom gab ihm Gelegenheit und kaum zu umgehende Veranlassung, seine Gesinnung tätig zu fawifett43). Verstärkend wirkte die Hinneigung seiner Gemahlin Agnes von Poitou zu den Kluniazensern. Es gelang ihm, das Papsttum aus dem alten Kräftespiel der Tuskulaner und Crescentier herauszuführen und eine Reform, wie er sie verstand, mit einer Reihe von ihm be­ stimmter deutscher Päpste in Angriff zu nehmen. Die zehn Jahre nach den Synoden zu Sutri sind der Höhepunkt des deutschen Einflusses auf die Kirche, zugleich aber die Inkubationszeit44) einer innerkirchlichen Gegevbewegung gegen das, was an diesem Eingriff als Schande für die Kirche empfunden wurde. Schon mit dem Pontifikate Leos IX., Brunos von ToulEgisheim, begann die Leitung der Reform aus den Händen des Kaisers in die der Kirche zu gleiten und Heinrich ließ dies in dem­ selben Sinne geschehen, in dem er schon 1046 in Pavia auf Aus­ übung der Simonie — in der zweiten Fassung dieses Begriffes — verzichtet hatte. Der Gedanke an die so viel weiter gehende dritte Auslegung lag ihm natürlich fern; im Gegenteil ließ er sich durch die Römer das Patriziat übertragen und damit auch rechtlich die entscheidende Stimme bei der Papstwahl. Durch Angebot der Tiara zuerst an Adalbert von Bremen, dann an Suidger von Bam­ berg, ließ er deutlich erkennen, welch großen Wert er auf Berufung eines Mitgliedes der Reichskirche lege, „je priesterlicher er selbst43) seines Königtums waltete, desto fester glaubte er an den Rechten eines Oberherrn über die Kirche festhalten zu müssen". Alle von Otto I. erworbenen Rechte waren voll wieder hergestellt und

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4r darüber hinaus auch die stadtrömische Mittelsgewalt ausgeschal­ tet, „das jetzt geradezu noch in einer Steigerung gehandhabte Regierungssystem Ottos des Großen hatte über alle Schwan­ kungen hinweg nahezu ein volles Jahrhundert seine Kraft be­ wahrt" ^46). Zwar mißlang Leos IX. Versuch, sich in Unteritalien gegen und mit den Normannen4^) eine eigene Machtgrundlage zu schaf­ fen. Er wurde von ihnen geschlagen und sogar gefangen und hat dies selbst als die Katastrophe seines Lebens empfunden. Einge­ leitet wurde aber damit doch der Übergang dieser kriegstüchtigen Macht aus der Lehnshoheit des Kaisers in die des Papstes, die 1059, bald nach Heinrichs Tode, wirklich wurde. Wesentlicher aber als diese militärischen Versuche und als Leos viele Reisen nach Frankreich und Deutschland, wo er nicht allzuviel Erfolg und viel Mißtrauen erntete, war seine Reform des römi­ schen Stadtklerus, die Begründung des Kardinalats, Sammlung führender Geister der Reformbewegung in Rom, Bekämpfung simonistischer Bischöfe und Ausbildung des kanonischen Rechtes. Hildebrand wurde unter ihm Subdiakon. Leos Nachfolger, Viktor II., Gebhard von Eichstätt, war der letzte von Heinrich designierte Papst und in weit höherem Maße als Leo blieb er auch in dieser Eigenschaft ein ergebener Bischof der Reichskirche. So wie er seinerzeit bereits verhindert hatte, daß Leo zu seinem Zuge gegen die Normannen, der doch letztlich gegen den Kaiser gerichtet war, mit kaiserlichen Truppen unterstützt wurde, so lehnte er es auch als Papst ab, Leos Normannenpolitik weiterzuführen und war Heinrichs Reichsvikar für Italien. Als er bald nach dem Kaiser 1057 gestorben war, da öffnete sich die Bahn für eine Reihe entschlossener Männer der kirchen­ politischen Reform und Gegner des Königshauses. Sie begannen mit Stephan IX., Friedrich von Lothringen und Nikolaus II., Gerhard von Florenz. Dieser wurde zwar im Einverständnis mit dem deutschen Hofe gewählt, übertrug aber unter Hildebrands nun rasch wachsendem Einflüsse 1059 die Papstwahl auf das Kardinalskollegium unter tatsächlicher Verletzung der Kronrechte und nahm die Normannen in die päpstliche Lehnsmannschaft auf.

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Alexander I I. mußte sich gegen einen vom Hofe, dem deutschen und italienischen Episkopat und dem römischen Adel berufenen Gegen­ papst durchsetzen. Dies gelang ihm gegen den durchaus desorgani­ sierten Hof mit Hilfe der Normannen, des Herzogtums Tuscien und der lombardischen Pataria. Nach ihm berief dann Volk und Klerus in tumultuarischer Erwählung Hildebrand/Gregor VI I. und in ihm den eigentlichen Leiter der letztvorhergehenden Päpste und den führenden Geist der gesamten Bewegung. Die Einzelheiten der weiteren Kämpfe haben wir nicht zu verfolge». Es kam erstmals zur Exkommunikation eines deutschen Königs und gegenseitiger Absetzung von Kaiser und Papst, zu Anfechtung des bisher effektiv beachteten Erbrechtes im Reiche, Empörung zweier Söhne Heinrichs IV. gegen ihren Vater und Monarchen und dann erst 1122 zu dem Wormser Konkordat. Es brachte zwar keine völlige Niederlage des Reiches, aber doch eine sehr starke Erschütterung des ottonischen Systems; das deutsche Episkopat wurde dem Einfluß der Krone weitgehend entzogen und auch das Laienfürstentum hatte in dev Kampfzeiten an Be­ sitz und Rechten mehr gewonnen als sich mit wirksamer Oberhoheit des Königs hätte vertragen können. Dabei hatten sich geistliche und weltliche Fürsten in ihrer gemeinsamen lehnsrechtlichen Situa­ tion als Territorialherren gefunden und so auch ihre gemein­ samen Interessen gegenüber dem Oberhaupte kennengelernt. Ist es nun wohl anzunehmen, daß Heinrich in. bei längerem Leben eine für die von ihm vertretene Sache des Kaisertums gün­ stigere Entwicklung hätte erreichen können? Die Frage ist deshalb schwer zu beantworten, weil wir es dabei doch mit einem eminent innerlichen Problem zu tun haben. Der Kaiser war nicht nur ein Krieger und Politiker, der Macht gegen Macht, List gegen List und Rechte gegen Ansprüche setzen konnte und mußte; er war zugleich ein sehr gläubiger Christ, der, wie wir nicht zu bezweifeln haben, um seine persönliche Seligkeit bangte und dem die würdige und von irdischen Makeln befreite Stellung der Kirche ebensogut Herzens­ sache war wie einem Mönch oder Kleriker. Wie sein Verhalten bei mehreren Gelegenheiten zeigt, etwa bei der Wahl Leos IX., bei dessen Unterstützung gegen die Normannen, die erst von Gebhard

verhindert wurde, und auch bei seinen Zusagen an diesen, der seine Besteigung des päpstlichen Stuhles von der Restitution gewisser der Kirche entfremdeter Güter abhängig machte, fiel es Heinrich nicht leicht, sich gegen kirchliche Anforderungen hart zu zeigen, schwerer jedenfalls als seinem weltlicheren und auch moralisch ungehemmteren Sohn, der in dieser Hinficht nur die Macht kannte, und dem auch die kirchliche Unterwerfung in Canossa als Waffe gegen gerade den Papst recht war, um dessen Absolution er sich bemühte. Und doch ist es zweierlei, ob ein Kaiser auf der Höhe seiner Macht der von ihm gleichzeitig gedemütigten und gereinigten Kirche, deren religiöser Aufstieg ihm selbst am Herzen liegt, die Hand entgegenstreckt und dem von ihm selbst berufenen Oberhaupte dieselben Erfolge gönnt und ermöglicht, oder ob unter der Füh­ rung genialer aber verbissener und im tiefsten feindlich gesinnter Fanatiker ein Kardinalskollegium von Schritt zu Schritt vor­ wärtsdrängend systematisch des Kaisers Rechte in Frage stellt und beiseiteschiebt und damit nicht nur seine kaiserliche Stellung herab­ setzt sondern zugleich auch sein inneres Bild von einer reinen Kirche Christi. Um die Mitte des n. Jahrhunderts erfolgte die schroffe Wandlung der Ansichten der Kirche über die Gewaltenteilung innerhalb der civitas dei, zutage tretend in dem Unterschiede zwischen Petrus Damiani, der Simonisienpredigt des Kardinals Humbert und zwanzig Jahre später dem Dictatus Papae Gregors. Die Wirkung einer solchen Wandlung auf einen noch lebenden Heinrich III. kann man nur gefühlsmäßig nachempfinden; sie hätte analog sein müssen etwa den Gedanken eines modernen Sozialpolitikers, der mit enttäuschter Bestürzung da der nackten Theorie und Praxis des Klassenkampfes entgegenträte, wo sein Gewissen ihn von Härte und Unbelehrbarkeit freisprach. Jenseits aber von seinen subjektiven Empfindungen hätte Heinrich IIl. rein objektiv und machtmäßig eine Stellungnahme gar nicht vermeiden können und nach allem, was wir von ihm zu denken Anlaß haben, wäre die Haltung seines Königtums eine an­ dere gewesen als die der Regentschaft, „der schmählichsten Jahre der deutsche» Geschichte ..., welche die Kövigsmacht tief gesenkt haben"^). Ob die Machtergreifung durch die kirchenpolitischen

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Extremisten in Rom, besonders Hildebrand, hätte vermieden werden können, soll nicht entschieden werden. Gewiß aber ge­ wöhnten die Jahre der Minderheitsregierung die Kurie an eine Nachgiebigkeit der weltlichen Gewalt, welche dann die angreifende Brandung um so höher aufschäumen ließ, als unerwartet doch ein jäher und jugendlich unbesonnener Widerstand sich ihr entgegen­ stellte. Hätte eine feste und doch verständnisvolle Hand nicht eine Synthese finden können, wie sie in anderen Ländern später gefunden wurde? Auch die kirchenpolitische Fraktion der Reformpartei war doch nicht die einzige, die Leben und Zukunft in sich hatte. Auch der mönchisch-asketische Gedanke lebte noch; in Paschalis II. erstem Abkommen mit Heinrich V., weltfremd wie es auch sein mochte, nachdem schon so viel Blut um die Kirchenherrschaft geflossen war, kam doch der Gedanke einer Kirche, die nicht von dieser Welt zu sein braucht, zur Darstellung. Und noch etwas später vertrat Bern­ hard von Clairvaux zugleich den Begriff der geistlichen Herrschaft und der mönchischen Askese. Was die innere deutsche Politik angeht, so darf man nicht übersehen, daß schon unter Heinrich I I I. sich mancher Zündstoff an­ gesammelt hatte^), dessen Auswirkungen auch er bei längerer Regierung hätte die Stirn bieten müssen. Obwohl die hochkirch­ lichen Kreisen auch schon unter ihm gegen die königliche Investitur opponierten, waren es doch besonders der Adel und die Laienfür­ sten, die sich durch Bevorzugung der Geistlichen zurückgesetzt fühlten und auch schon durch den wachsenden Einfluß der Dienst­ mannen im Rate des Königs. Auch die Friedenswahrung Hein­ richs störte den Adel, dem Krieg und Fehde Lebensbedürfnis war, und wenn man auch geneigt sein wird, hier den höheren Stand­ punkt des Königs anzuerkennen, so geschahen doch auch Ungerech­ tigkeiten und Willkürakte, Konfiskationen und Neubelehnungen, die böses Blut machten. Auch der beginnende Geld- und Handels­ verkehr, der den Städten als neuen Wirtschafts mächten günstig war, schädigte den Adel, der hier nicht mittun konnte, und machte ihn unzufrieden. Besonders in Sachsen hatte sich ein Gegensatz des seinem nordischen Patriarchate nachstrebenden Erzbischof Adalberts von

Bremen55) zum Herzoghause der Billunger und überhaupt dem sächsischen Adel herausgebildet. Wenn Heinrich den Erzbischof darin auch nicht gerade unterstützte, so erregte sein Wohlwollen gegen ihn doch viel Mißtrauen, das sich 1047 sogar zu einem Mordversuche steigerte. Auch in Bayern kam es zu Unruhen und Verschwörungen und vollends ist es Heinrich in Lothringen nicht gelungen, das Übergreifen eines dem Königtum entschieden feindlichen Herzog­ tums nach Tuscien zu verhindern. Das Wiederaufleben der partikulären Gewalten, welche durch Konrad II.51) erfolgreich gedämpft worden waren, in den Zeiten der Regentschaft, war demnach unter Heinrich I I I. bereits vorbereitet und nur die Tat hätte zeigen können, wie er diesen rebellierenden Kräften entgegen­ getreten wäre. Besser als die Regentschaft — besser im Sinne einer einheitlichen Zentralmacht, ohne welche kein staatliches Leben möglich ist, und vollends kein Großstaat des Mittelalters — würde er auch dieser Prüfung gewiß entsprochen haben. Vielleicht unter Kämpfen würde er die Gesamtposition des Königtums gewiß nicht schlechter behauptet haben55), als später sein begabter aber jähzorniger Sohn, der mit dem Papst allein und mit den Fürsten allein vermutlich fertig geworden wäre und nur an deren Zusam­ menwirken scheiterte, das sich erst in den anderthalb Jahrzehnten eines tatsächlichen Interregnums hatte einspielen können. Wie wertvoll es gerade für diesen ungebärdigen aber nicht unedlen Menschen — man denke daran, wie er bei Kaiserwerth ins Wasser sprang um sich nicht entführen zu lassen — gewesen wäre, wenn er unter den Augen des Vaters hätte heranwachsen können, das mag nur erwähnt werden. Nach außen hin hatte Heinrich die Bildung eines böhmisch­ polnischen55) Gesamtstaates zu verhindern gewußt und diese Wirkung blieb auch nach seinem Tode erhalten. In Ungarn hatte er mehrfach in die Thronwirren eingegriffen und sogar zeitweise die Oberhoheit gewonnen, was Konrad nicht gelungen war. Später hatte er sie aber wieder verloren. In dieser Richtung errang sogar 1063 der junge König dank Adalbert und Otto von Nord­ heim einen Schlachtenerfolg, der aber auch kein bleibendes Er-

gebnis hatte. Hier wie im Westen kündete sich das Bewnßtwerde» der Nationalitäten an. Diese große Entwicklung anfjnhalten, dazu reichten keine militärischen Augenblickserfolge ans und auch wohl keine Persönlichkeiten von nicht ganz außerordentlichen Maßen. Die Bedeutung von Heinrichs III. frühem Tode besteht also in seiner sonst möglichen Betätigung in dem Verhältnis zur Kirche, zur inneren Politik und zu seinem Sohne Heinrich. Sie genau abzuschätzen ist nicht möglich, aber alles spricht dafür, daß sie sehr beachtlich hätte werden müssen.

Heinrich VI „ ul Romani imperii celsitudo in pristinum suae excellentiae robur reformetur“.

Vorsatz Barbarossas nach Joh. Haller").

In der Zeit zwischen Heinrich III. und Heinrich VI. ist das Bild Europas ein sehr viel reicheres und differenzierteres geworden. Die Gesamtbühne des Geschehens ist heller erleuchtet, Partien, die damals noch im Dunkel waren, treten ins Licht und es bilden sich Beziehungen aus, die vorher nicht vorhanden oder doch unbe­ deutend waren. Kaiser und Papst sind lange nicht mehr so „allein" innerhalb der christlichen Welt. Die Normannen, die England mit päpstlichem Beifall erobert haben, stehen nun in einer großen Stellung beiderseits des Kanals und sind Frankreich gegenüber zu einer großen Rolle berufen, werden aber durch die welfische Verwandtschaft auch für Deutschland bedeutsam. Frankreich hat nunmehr den Nullpunkt politischer Schwäche, den es dem ver­ späteten Aussterben der Karolinger, den normännischen Angriffen und einem ungezügelten Feudalismus zu danken hatte, über­ wunden. Das höhere Alter geistiger Kultur auf seinem Boden, das kirchlich bereits in der raschen Ausbreitung der Reform­ bewegung sich ausgedrückt hatte, und die Anregungen durch die Kreuzzüge, welche besonders von dem französischen und normän­ nischen Adel getragen wurden, begannen sich in einem rascheren geistigen Reifen geltend zu machen. Dieser Blüte der Kultur ent­ sprach unter Ludwig VII., noch mehr unter Philipp August, eine dem Reich gegenüber verspätete, dafür aber dauerhaftere politische Erstarkung. In Spanien war der Höhepunkt der maurischen Erfolge überschritten, die christlichen Königreiche gewannen lang­ sam an Boden^). In Italien hatten die letzten byzantinischen und sarazenischen Reste den Normannen weichen müssen, deren König Roger I I. ein Reich begründet hatte, das als „der staatsmännische

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Sauerteig im feudalen Europa"^) bezeichnet worden ist. Vor diesen geänderten Hintergründen hatten sich auch die Potenzen des Kaisertums und des Papsttums gewandelt, deren Wechsel­ verhältnis auch in diesem Jahrhundert der Reichsgeschichte do­ miniert. Das Kaisertum hatte im Kampfe mit den Gregorianern schwere Verluste erlitten, war aber doch von Heinrich V. noch in ziemlicher Machtfülle erhalten worden. Kaiser Lothar hatte ver­ sucht, sowohl die päpstlichen Rechte wie auch die des Fürstentums mit der eigenen Zentralstellung in Einklang zu bringen; er erscheint „als das Haupt einer fürstlichen Genossenschaft, in der es ihm genügt, die anderen zum Frieden zu nötigen"^). Ranke ist der Meinung, daß Lothar Lob verdiene, weil er dem Kaisertum der späteren Zeit gleichsam den Weg gezeigt habe. Der Versuchung aus der selbstverschuldeten Notlage des Papsttums Nutzen zu ziehen, habe er widerstanden; allerdings würde er auch die öffent­ liche Meinung gegen sich gehabt haben, „welche damals fast kräftiger als das Papsttum selbst die geistlichen Ideen repräsen­ tierte". War er somit keine hervorragende aber doch eine eigenes Profil wahrende Herrschergestalt, so war es Konrad III., dem ersten Staufer, nicht gegeben, zu dem bestehenden politischen Bilde eine neue Linie hinzufügen und es damit zu rechtfertigen, daß seine Wahl den Aufstieg Heinrichs des Stolzen verhindert hatte, von dem eine ausgeprägtere Wirkung zu erwarten gewesen wäre. Die kaiserliche Stellung des 12. Jahrhunderts beruht vor allem auf der Lebensarbeit Friedrichs I. und seines Sohnes Heinrich, die in einem ähnlichen Sinne zusammengehören wie Otto I. und I I. oder Konrad II. und Heinrich III. Mit ihm wurde die Idee des Kaisertums noch einmal in ihrer größten Tragweite aufgestellt und seine Fähigkeiten und Eigenschaften verhalfen ihr zu einer sehr weitgehenden Verwirklichung. Und doch gab es auch in seinem langen Leben sehr viele schwere Rückschläge und Ent­ täuschungen und lange sträubte er sich gegen die Kompromisse, die er schließlich doch machen mußte und denen er in seinem späteren Leben seine größten Erfolge verdankte. „Er ist dadurch für die Geschichte des Reichs der entscheidende Mann geworden. Er hat

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die alten Ideen so lange festgehalten, so weit getrieben als nur immer möglich. Als es unmöglich ward, hat er sich in sein Schicksal gefönten"58).

Aber auch schon am Eingang seiner Regierung

finden wir ein weitherjiges Entgegenkommen gegen den Welfen Heinrich den Löwen58), dem noch Konrad die beiden großen Herzogtümer Bayern und Sachsen nicht hatte lassen wollen. Friedrich hat während fast dreißig Jahren diesen Doppelbesttz in Deutschland geduldet und damit eine so starke Macht neben der seinen in Deutschland zugelassen, daß man darin einen der mehrfachen Gründe für eine betontere Italien-Politik gesehen hat: tatsächlich seien die Staufer durch die Tatsache der neben ihnen stehenden Welfenmacht bis zu einem gewissen Grade aus dem Reiche heraus­ gedrängt worden.

Außerdem habe ihr Bestreben, sich in Süd­

deutschland eine Hausmacht zu gründen, das teils durch Erb­ schaften begünstigt wurde, teils aber nur durch Ankäufe zu ver­ wirklichen war, so große Geldmittel erfordert, wie sie nur in dem wirtschaftlich entwickelteren Oberitalien zu beschaffen waren. Daher Friedrichs besonderes Interesse an Herstellung der kaiserlichen Regalienrechte. Eine besondere Stütze, die den Sachsenkaisern noch gefehlt hatte und erst unter den letzten Saliern bedeutender geworden war, war nun der Dienstmannenstand, besonders die Reichsministerialität, die den Kaiser von den großen Vasallen unabhängiger machte88) und auch die alte Monopolstellung der Bischöfe als gebildeter Reichsbeamte einengte.

Dieser neue Stand in seiner

erhöhten Reichstreue und Bildung stand wieder in Verbindung mit der allgemeinen Kulturentwicklung, welche im Gefolge der Kreuzzüge und als Reaktion der sehr starken Kirchlichkeit der Vor­ zeit, eine Laienkultur begünstigte.

In diesem Stande begegnet

uns das waffenfreudige, für adelige Ehre, Gefolgstreue, höfisches Leben, Frauendienst empfängliche Rittertum. Wenn dieses neue Element Friedrich I. und seinem Sohne treue Diener und gute Soldaten stellte, so fand er dagegen in einem anderen neuaufsteigenden Stande und auch einem Träger der Laienkultur, den italienischen Städten, erbitterte Feinde, die er nur durch Kompromisse gewinnen konnte. v. EckartSberg, Zufall oder Schicksal.

Sie durchbrachen

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bereits die alte Struktur der feudalen Gesellschaftsordnung, die ursprünglich als Verfallsprodukt und Notorganisation die abend­ ländischen Teile des Römerreiches überjogen hatte, als im Norden Rittertum und Ritters art jener Ordnung in ihrem Treue- und Minnediensi erst eine sittliche Rechtfertigung und poetische Ver­ klärung ju verleihen begannen, welche später immer wieder von Zeit zu Zeit das Bild des Mittelalters romantisch gefärbt hat. Das Bestreben der Städte eine sachlich und räumlich möglichst umfassende Autonomie zu gewinnen, die durch Befestigungsrecht und Schwureinungen zu Schutz und auch wohl Trutz fähige Konsistenz hätte, ist in Italien früher aufgetreten als in Deutsch­ land. Hierhin gelangte die Bewegung erst auf dem Umwege über Süd- und Nordostfrankreich, vornehmlich nach dem Rheinlands. Zn Italien hatten die Städte großen Nutzen gezogen aus den Kreuzzügen und den daraus erstehenden Waren- und Truppen­ transporten, die sich auch gerade in den jahrzehntelangen Ruhe­ zeiten zwischen den Expeditionen durch Anknüpfung gewinn­ bringender Verbindungen fruchtbar erwiesen. Dadurch nahmen die Bürgerschaften zu an Weitläufigkeit, geistiger Freiheit und Überlegenheit auch den Fürsten gegenüber, welche für die Trans­ porte und Truppenwerbungen des Geldes und der Schiffe drin­ gend bedurften. Um die Frage der Reichsrechte in Italien und be­ sonders die einträglichen Regalien hat Friedrich I. lange und wieder­ holt zu kämpfen gehabt. Im Frieden von Konstanz 1183 hat er sehr weit nachgeben müssen und trotzdem blieb ihm der Ertrag aus beträchtlichen Zahlungen und örtliche Stützpunkte — leicht nach Mittelitalien verschoben — die eines weiteren Ausbaues fähig waren. Besonders waren sie das in Zusammenwirkung mit der in den Bereich baldiger Möglichkeit gerückten Erwerbung von Si­ zilien. Um dieses Land hat sich dann das Leben Heinrichs VI. be­ wegt und aller späteren Staufer außer Philipp von Schwaben, ja überhaupt das Schicksal der deutschen Herrschaft in Italien und da­ mit die Basis des altenKaiserbegriffes ist damit verbunden worden. Das Papsttum hatte sich seit den Tagen Gregors VII. nicht gleichmäßig fortentwickelt. Urban II. hatte den ersten Kreuzzug veranlaßt und durch erfolgreiche Zurückdrängung Heinrichs IV.

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in Italien das Papsttum an die Spitze des Abendlandes geführt. Unter seinen Nachfolgern war aber die kirchenpolitische hierarchische Linie nicht folgerichtig durchgeführt worden. Paschalis II. war im bereit gewesen, der kanonischen Reinheit der Investitur zu­ liebe auf alle weltlichen Güter und Rechte der Kirche zu verzichten; ein Entschluß freilich, der im vielseitigen Widerstande, der sich dagegensetzte, seine Unvereinbarkeit mit der Lage der Dinge deut­ lich offenbarte. Weder das Wormser Konkordat noch auch der Ausgang der englischen Kämpfe und französischen Auseinander­ setzungen gaben den Päpsten eine volle Herrschaft über die Bischofs­ wahlen, so daß die persönlichen Beziehungen und das individuelle Gewicht der jeweiligen Träger der geistlichen und weltlichen Ge­ walt im einzelnen den Ausschlag gaben. Lothars abgeklärte Nachgiebigkeit war einem Ausgleich mit Papsttum und Fürstentum sehr nahegekommen; allerdings hatte er in Sachen der Mathildischen Güter und zeremonieller — extensiv ausgelegter — Formalitätett61), ebenso in Fragen kirchlicher Gerichtsbarkeit und Aus­ schluß von Laien bei den Bischofswahlen Konzessionen gemacht, die für die Gesamtsttvation bedenklich waren. Hampe vergleicht ihn mit Otto I., dessen Ziele in Norden und Osten wieder aufge­ nommen wurden; auch Lothar war in erster Linie Sachsenherzog mit Blickrichtung auf die Räume, in denen, ebenfalls nach Hampe, „weitaus der gesündeste und zukunftsvollste Teil der deutschen Gesamtentwicklung jener Tage lag"62). Es darf in diesem Zu­ sammenhang darauf verwiesen werden, daß der letzte aus dem Norden Deutschlands stammende Kaiser des alten Reiches über­ haupt, Otto IV., der einzige Welfe, in der Speierer Urkunde von 1209, welche „endgültig das Band zwischen Königtum und Bischofs­ kirche zerschnitt«2)", ebenfalls eine besondere Nachgiebigkeit gegen die Kirche zeigte, wenn auch sein weiteres Verhalten gegen In­ nozenz an der Aufrichtigkeit jenes Entgegenkommens zweifeln ließ. Ohne dessen Handeln zu hohen Maßstäben unterwerfen zu wollen, darf gefragt werden, ob nicht etwa der deutsche Norden dem Kaiser/Papst-Problem überhaupt fernerstand und diese Haltung deshalb bei den wenigen aus dem Norden stammenden Kaisern übereinstimmend in Erscheinung trat.

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Der Milde Lothars hatte aber auch ein weniger inkonzilianter Geist in der Kirche entsprochen; die letzten Jahrzehnte vor der Stauferzeit standen kirchlich unter dem Zeichen des Bernhard von Clairvaux, in dessen Geist sich das kirchenpolitische Ideal mit dem der inneren Heiligung vereinigte. So wie die Verfassung seines Ordens, der Zisterzienser, vom „Geiste der Freiheit und Genossen­ schaft"") berührt war und die Mitte hielt zwischen der Isolierung der einzelnen Benediktinerklöster und der monarchischen Autorität des Abtes von Cluny, so kämpfte er in seinem „Testamente" durchaus ungregorianisch gegen die Einmischung der Kirche in die weltlichen Geschäfte bei aller Aufrechterhaltung der Hoheit des Papstes, der auch das zweite, kaiserliche, Schwert zu vergeben habe. Allerdings litt Bernhards Autorität durch den Mißerfolg des zweiten Kreuzzuges, den seine Rednergabe so besonders ge­ fördert hatte. Die sich ausbreitende Laienkultur, welche als solche die Alleingeltung und die geistigen Grundlagen rein-kirchlicher Problemstellungen unterspülte, konnte ebenfalls auf die Kirche nicht ohne Wirkung bleiben. Dann aber entzündete sich bei der Wahl Alexanders III. doch wieder ein 18 Jahre währender Krieg gegen den Kaiser, in welchem der Papst „mehr mit kirchlichen als mit kriegerischen Mitteln... im ganzen mit würdevollem Anstand und einem Mindestmaß persönlicher Verunglimpfung"") sich schließlich be­ hauptet hat. Der bekannte Streit um das Wort „beneficium“ auf dem Reichstage von Besan?on 1157 und der Anspruch des Kaisers gegen den Papst ein allgemeines, auch die Bischöfe der anderen Reiche umfassendes Konzil berufen zu dürfen, zeigt die grundsätzliche Schärfe der beiderseitigen Ausgangsstellungen, nicht anders als zu Zeiten Heinrichs IV. und Gregors. Neu da­ gegen war die festgefügte Bundesgenossenschaft der Lombarden und die hohe Bedeutung, welche der Stellungnahme der beiden Westmächte, England und Frankreich, nunmehr zukam. Beide Teile bemühten sich um deren Hilfe, der Papst, der selbst in Frank­ reich Residenz nahm, aber doch mit größerem Erfolge. Auch schon Gregor hatte gegen den Kaiser bewaffnete Hilfe gefunden; bei dev Normannen in Süditalien, die ihm ähnlich wie Frankreich nun

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Alexander III. einen annähernd unangreifbaren Aufenthaltsort gewährten. Im Gegensatze zu ihnen waren nun aber doch die lombardischen Freunde den kaiserlichen Waffen sehr viel stärker ausgesetzt und trotz ihres Erfolges bei Legnano, bei dem ihnen auch nicht wohl wurde, waren sie keine durchaus verläßliche Stütze. „Das ist nun deutlich, daß ohne die deutschen Fürsten das Papsttum niemals emporgekommen wäre. Die Macht eines Kaisers in voller Entwicklung war Heinrich dem Löwen unerträg­ lich, wie sie früher den deutschen Fürsten unerträglich gewesen todt"66. Papst und Lombarden konnte es nicht verborgen sein, wie sehr die Haltung des Welfen den Kaiser geschwächt hatte; um so mehr aber mußten sie eine spätere Einigung fürchten. Ähnlich wie der Friede mit den Lombarden von 1083 war der zeitlich vorausgehende, aber durch einen Waffenstillstand damit verbundene Ausgleich mit dem Papst ein die Einsicht beider Teile ehrender Vertrag, der beiden Teilen gewiß auch als neue Ausgangs­ stellung dienen sollte, aber doch bis zu Heinrichs VI. Tode einen im ganzen dauerhaften Zustand geschaffen hat. Ein Vorstoß Urbans III. — motiviert durch die sich anbahnende staufische Er­ werbung Siziliens und hervorgerufen durch eine Trierer Doppel­ wahl — endete 1186 in Gelnhausen mit einem Treuebekenntnis der deutschen Bischöfe an den Kaiser. Auch Cölestin III., Zeit­ genosse Heinrichs VI., in dessen Regierungszeit und nur durch die verschiedenen deutschen und Mischen Aufstände vor der vollen Zangenwirkung der süditalienischen und der Reichsgewalt ge­ schützt, beschränkte sich auf passiven aber doch recht wirksamen Widerstand, so in macht- und besitzrechtlichen Fragen, vornehmlich aber in Behandlung der Heinrich so am Herzen liegenden Frage der Nachfolge und des Erbkaisertums. Es zeigte sich dabei deut­ lich, wie sehr das erreichte Gleichgewicht doch ein labiles war, welches durch das Gewicht dieser oder jener hinzutretender oder fortfallender Faktoren im tiefsten Grunde verändert werden konnte. Der Tod Heinrichs mit seinen Konsequenzen und die Nachfolgeschaft Innozenz' — man kann diesen durchaus als Nachfolger Heinrichs in seiner weltgeschichtlichen Stellung an­ sehen — erfüllten diese Bedingungen in vollstem Maße.

Es wurde gesagt, wie eng der Ablauf der italienischen Kämpfe beider Staufer durch die innerdeutschen Zustände und Geschehnisse mit veranlaßt wurde, und diese innere Lage wieder stand weit­ gehend im Zeichen des Verhältnisses zu Heinrich dem Löwen und dem Bemühen Friedrichs um Stärkung der Reichsmacht und des Hausbesttzes, dessen Unumgänglichkeit gerade die welfische Riesen­ macht so deutlich vor Augen führte. Diese Macht, von der schon Heinrich der Stolze — Schwiegersohn Lothars und nach lehns­ rechtlichem Gewohnheitsrecht und dynastischem Prinzip dessen Erbe — geprahlt hatte, daß sie von einem zum anderen Meere reiche, beruhte sowohl auf Erbrecht wie auf dem Herzogtum, in dem sich dann wieder kaiserliche, von der höchsten Gewalt delegierte Rechte verbanden mit gefühlsmäßiger Repräsentation der Rechte und Traditionen des betreffenden Stammes. Ranke macht daher sehr deutlich, daß die Vereinigung zweier Herzogtümer^) kraft Erbrechts das eigentliche Wesen dieser Macht selbst untergrabe und damit auch ihre Ausübung selbst erschwert habe. Anderer­ seits ist darauf hingewiesen worden, daß gerade diese Ausdehnung der Macht, die über das Gebiet eines einzige» Stammes hinaus­ ging, zwangsläufig ihren Inhaber an neue Aufgaben herangeführt habe, die an sich wohl dem obersten Führer des Gesamtvolkes zugestanden hätten und deren Lösung der Nation auf lange Sicht förderlicher gewesen wäre und, im verengerten Rahmen, auch geworden ist als die Verfolgung der Reichs- und Italienpolitik mit ihrer Fehlleitung wertvoller Kräfte und Hervorrufung stärkster Gegenwirkungen. Diese verhinderten nicht nur die Erreichung des erstrebten Zieles, sondern zogen da­ rüber hinaus im Reiche und der Nation selbst die zentrifugalen und partikularen Kräfte groß. Die anderen, nicht mit solchen Schwergewichten beladenen Völker Europas gelangten dadurch zu einem immer fühlbareren machtpolitischen und dann auch kulturellen Vorsprung, bis schließlich die Säfte des alten Reiches überhaupt stockten und erst auf dem Jahrhunderte verbrau­ chenden Umweg über die Territorien ein neuer staatlicher Körper für die sich selbst suchende Seele der Nation gefunden werden konnte.

Geradezu den Exponenten einer solchen anderen „möglichen" Politik der bewußten Abkehr von Reichsitalien und der völkischen Konsolidierung auf deutschem, zeitweise in der Völkerwanderung geräumten Boden hat man in Heinrich dem Löwen sehen wollen und einen Vorgang höchster Symbolkraft in dessen Zusammen­ kunft in Chiavenna mit Kaiser Friedrich und der Abkehr von ihm, deren negative Folge für die lombardischen Kämpfe in der Nieder­ lage von Legnano lag. Sicherlich wäre es falsch, dem „strengen Heinrich, der sein Lebtag nur nach realer, unmittelbarer Macht getrachtet, gewaltsam, habsüchtig, der nur das Recht des Stär­ keren kannte"^), eine über die persönlichen und dynastischen Ziele hinausgreifende staatspolitische oder gar nationale Grundtendenz beizulegen oder ihn danach zu beurteilen. Ebenso darf man nicht vergessen, daß auch Friedrich l. im Osten gegen Polen gefochten hat und daß man seinen Zug von 1157 „in manchem Betracht den wichtigsten von allen" genannt hat, die er ausführte. Und dennoch braucht die tatsächliche historische Bedeutung eines Menschen, die wir heute aus zeitlicher Entfernung und besserer Überschau erkennen können, durchaus nicht übereinzu­ stimmen mit dem eigenen Bewußtsein oder gar der klaren Absicht des Handelnden. Bei der riesigen Ausdehnung des Welfenbesitzes und dem seltenen Zusammenfallen dieser Macht mit persönlichen Eigenschaften, die hohen Anforderungen gewachsen waren, und einer politischen Situation, welche den Kaiser und Oberherrn auswärts band und geneigt machte, dem großen Va­ sallen bis zur äußersten Grenze freie Hand zu lassen, mußte die geschlossene Masse des Herzogtums Sachsen, neben dem das seiner östlichen Wachstumsspitzen beraubte Bayern uninteressant er­ scheint, bei seiner im Verhältnis zu der Wirtschaftsentwicklung beginnenden Übervölkerung zu einer Ausdehnung nach dem kulturell, macht- und wirtschaftspolitisch unterlegenen Ostgebiet drängen. Für den Herrn dieses Gebietes mußte es dabei ein wei­ terer Antrieb sein, daß die neuen Gebiete sich einer straffen Landes­ herrschaft viel leichter unterwarfen. Ihre Beamtenschaft und die Besatzungen der neuen, nach militärischen Rücksichten angelegten Städte boten dem Herrn — darauf beruhte doch später auch die

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Stärke Preußens — einen Rückhalt gegen territoriale Eigen­ willigkeiten in den älteren westlichen Gebieten, wo die Vasallen zu dem Herzog ähnlich standen wie dieser selbst zum Kaiser, ohne aber doch, wie es uns scheinen will, in ihrer Stellung selbst und der Art, wie sie sie ausfüllten, eine gleiche Berechtigung zur Eigen­ willigkeit zu besitzen. Tatsächlich und unabhängig von dem Willen und Erkennen des Löwen, stehen wir doch hier vor dem ersten Ansatz zur Bildung einer spezifisch und überwiegend norddeutschen Macht mit der Tendenz, die Ostkolonisation, das bleibende deutsche Werk des 12. und 13. Jahrhunderts zum Inhalt des eigenen Staats­ willens zu machen und zu den daraus fließenden Folgen zu stehen. Daß diese Macht nicht die kaiserliche war, obwohl sie es hätte sein können, mußte sie mit jener in Konflikt bringen. Objektiv, wenn schon nicht subjektiv, das heißt nicht mit voller Einsicht der Handelnden, war es daher von ungeheurer Bedeutung, daß diese wesentlich deutsche Macht — deutsch, weil sie nur auf Boden arbeitete, der deutsch war oder es werden konnte — dem Kaiser unterlag, der zwar nach allen Zeugnissen ein ebenso großer und dabei hellerer und reinerer Mensch war als der Welfe, der aber in seiner Bindung an die in dem Europa der sich trennenden Nationen, der verweltlichenden Kultur und der sich abgesondert organi­ sierenden Kirche immer anachronistischer werdenden Idee des heiligen und universalen Kaisers einen Weg ging, der alles, was ihm folgte, in wenigen Geschlechterfolgen in den Abgrund ge­ führt hat und auch wohl führen mußte. Der nordische Raum selbst aber wurde zerschlagen und seine große Aufgabe, die Koloni­ sation Ostelbiens, blieb kleineren Gewalten von lange nur terri­ torialer Bedeutung ausgeliefert, bis die Zeit Neubildungen hervorbrachte^). Wichtig aber ist, daß von Otto IV. bis zu Wilhelm von Preußen aus Norddeutschland kein Kaiser mehr kam und daß die größere» Mächte des Gebietes — Ernesiiner und Albertiner der Reformationszeit, der niedersächsische Kreis im 17. Jahr­ hundert, manchmal Sachsen und seit dem Großen Kurfürsten meistens Brandenburg-Preußen zu der sich immer ausschließlicher

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im Süden und Südosien zentrierenden Reichsgewalt in einer Rivalitäts- oder Gegensatzstellung standen, die dann im klein­ deutschen Raume ihr volles Gewicht geltend machte und so ein Reich bildete, dessen räumliches Gewicht eben dort lag, wo Heinrich von Sachsen-Bayern gekämpft hatte. Dem Freunde historischer Gerechtigkeit mag dabei die Tatsache nicht ganz wertlos sein, daß Friedrich Wilhelm I. und Friedrich der Große von Preußen wie vor ihnen Friedrich Barbarossa beide wölfische Mütter hatten. Für die Reichsgeschichte der Stauferzeit aber — und auch hier hat Heinrich VI. das Werk seines Vaters fortgesetzt — ist es von aktueller Wichtigkeit, daß der Sturz Heinrichs des Löwen das Ende des stärksten Stammesherzogtums bedeutete und damit, wenn nicht formell-institutionell, so doch tatsächlich einen Akzentpunkt in der Verfassungsgeschichte. Bayern — weiter verkleinert durch Ab­ trennung der Steiermark— kam an das Haus Wittelsbach; eine der stärksten und dauerndsten Territorialdynastien überhaupt wurde damit in den Sattel gesetzt. Noch viel stärker wurde das alte Sachsen vermindert und hier besonders eine kleinere reichs­ unmittelbare Territorialwelt ins Leben gerufen, die unter straffer kaiserlicher Führung — aber doch nur unter dieser Voraussetzung — lehnrechtlicher Eingliederung fähig schein. Ranke macht darauf aufmerksam, daß durch diesen Vorgang, der aus der vorausgegangenen Hilfe der kleinen Vasallen zum Sturze des großen resultierte, der Begriff des Lehens gleichsam lebendiger'") wurde. Etwa wie an einem Jndustrieorte hundert kleine Unter­ nehmerfamilien mit ihren Haushalten und Lebensformen ein typischeres soziologisches Bild der kapitalistischen Gesellschaft bieten mögen als ein einziger Großindustrieller. In diesem Zu­ sammenhange muß die Haltung Heinrichs VI. zu Erbgedanken und Lehnsbegriff gesehen werden. Obwohl es im Reiche nicht, wie etwa im normännischen England, gelungen war, dem Landrechte vor dem Lehnrechte den entschiedenen Vorzug zu sichern, so folgte, wie Hampe meint, „das Lehnrecht doch dem Drucke der Macht und hätte sich auch in Deutschland noch wieder zugunsten des Königs rückbilden können")". Wie denn Heinrich sich gelegentlich auch über den Leihezwang, einen Hauptpfeiler des ganzen Systems,

einfach hinwegsetzte^). Friedrich I. war es bereits gelungen, auch die Bischöfe wieder fest in den Lehnstaat einzuspannen und die Ausbildung des weltlichen Ministerialenstandes, dessen Festigung und Heranziehung zum Königsdienst eine Besonderheit der Stauferzeit bildete und ihr den aller Romantik so teueren „ritter­ lichen" Charakter gab, war ebenfalls geeignet, an die mögliche Zukunft einer organischeren Feudalpolitik glauben zu machen. Hintze hat neuerdings nachgewiesen, daß der Feudalismus nicht unbedingt als Verfallserscheinung zu verstehen ist, sondern staat­ lichen Aufbaus fähig war. Die Gefahr, welche ein Erblichwerden aller Lehen für die Staatseinheit unzweifelhaft in sich trug, wollte Heinrich dadurch überwinden, daß auch das Kaisertum erblich werden sollte, und zwar in dauernder Verbindung mit Neapel und Sizilien. Den geistlichen Fürsten, für welche die Erblichkeit kein Reiz sein konnte, wurde kaiserlicher Verzicht auf das Regalienund Spolienrecht in Aussicht gestellt und dem Papste bot er ver­ mutlich — der genaue Inhalt steht nicht fest — in Verbindung mit besttzrechtlichen Verhandlungen finanzielle Vorteile in Form von Überlassung von bischöflichen und erzbischöfliche« Domherren­ pfründen an seine Verfügung und sonstige Ausstattung der kurialen Geistlichkeit. Den passiven Widerstand gegen dieses Projekt, in welchem „die Politik der Hohenstaufen kulminierte"^), hat Heinrich nicht brechen, immerhin doch 1196 die Königswahl seines Sohnes erreichen können. Nach menschlichem Ermessen wurde dadurch für eine Reihe von Jahrzehnten die Kontinuität der Re­ gierung gesichert und ein Wahlkampf um die Krone schien nicht aktuell. Die tatsächlich nach Heinrichs Tode ausgebrochenen Kämpfe zeigen auf das deutlichste, wie wesentlich es gewesen sein würde, den Anlaß dazu auszuschalten. Wäre Friedrich II. bei seines Vaters Tode auch nur 10 oder 15 Jahre älter gewesen, so würde es die siaufische Partei vermutlich nicht nötig gehabt haben, um sich der erneuten Opposition des englisch beeinflußten welfischen Nordwestens zu erwehren, in Philipp von Schwabe» einen neuen Kaiser zu wählen und damit selbst die Verbindung mit dem durch Erbrecht an Friedrich gefallenen Sizilien zu zerreißen, die Heinrich

selbst noch in seinem Testamente durch große Opfer an die Kurie hatte retten wollen. Es half da auch wenig, daß Philipp ausdrück­ lich zum Kaiser und nicht zum König gewählt wurde, um so das Festhalten am staufischen Reichsgedanken zu versinnbildlichen. Man kann sagen, daß Heinrichs ganze Herrschertätigkeit bis zu seinem Tode, wobei er die Willenskraft seines Vaters mit noch erhöhter Härte und Rücksichtslosigkeit, aber ohne seine Liebens­ würdigkeit und innere Vornehmheit gezeigt hatte, nur eine Vor­ bereitung gewesen war für weiterreichende Pläne. Ob diese Pläne im Rahmen des möglichen blieben, darüber sind verschiedene Ur­ teile laut geworden. Ranke nennt ihn: „eine Erscheinung, die in weitgreifenden, aber auch unhaltbaren Entwürfen an Otto III. streift"74), meint aber doch auch, „er hätte der Welt noch viel zu schaffen gemacht, schon war ihm ein Sohn geboren, der die Natur gehabt hätte, ihn bei reifen Jahren kräftig fortzusetzen", und er fährt an anderer Stelle fort: „dieser Kaiser repräsentierte noch einmal die deutsche Weltherrschaft, mit der es nun für immer vorbei war. Sein eigentlicher Nachfolger war Lothar Conti, Innozenz III."75). Und Hampe nennt seinen Tod „für das deutsche Reich die größte Katastrophe seiner mittelalterlichen Ge­ schichte"7^. Derselbe Autor ist dabei auch der Meinung, daß die vorhandenen Nachrichten doch nicht ausreichten, um Heinrich bereits ein uferloses Schwärmen in imperialen Plänen zuzu­ schreiben. Der theoretische Anspruch auf universale Weltherrschaft und Oberhoheit über die anderen christlichen Reiche — „die armen Könige drängen dich" — lag dem Kaiserbegriff an sich zugrunde. Daß er ihn England gegenüber tatsächlich hatte durchsetzen können, verdankte er dem Zufall der Gefangennahme Richard Löwenherz', den er skrupellos ausbeutete und daraus nicht nur den Sieg über die von jenem unterstützten Welfen, sondern auch die formelle, wohl kaum auf die Dauer haltbare, Lehnhoheit über England gewann. Durch den Kampf dieses „Lehnsmannes" mit Frank­ reich hoffte er auch dort an Boden für seine Ansprüche zu gewinnen, vielleicht der unbegründetste seiner Pläne, denn wie leicht hätten sich beide gegen den anmaßenden Oberherrn vereinigen können. In seinen Hauptabstchten aber, welche sich im Zeitpunkte seines

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Todes auf den Orient richteten, folgte er außer der allgemeinen Tendenz des Abendlandes in der Kreuzzugszeit der besonderen der Könige von Sizilien, die in Byzanz ihren großen Feind ge­ sehen hatten. Ranke ist sogar der Meinung, daß sein Krenzzug „sich ohne Zweifel auch gegen Konstantinopel gewendet haben würbe77)"« Wenn man nun bedenkt, daß wenige Jahre darauf der vierte Krenzzug sich tatsächlich Konstantinopel zum Ziele nahm und es auch ohne große Schwierigkeiten eroberte, und daß weiter dreißig Jahre später des Verstorbenen Sohn Friedrich — aller­ dings mit zeitbedingter Ausnutzung der Spannung Kairo/Da­ maskus — mit sehr viel geringerer Macht und im Banne des Papstes das andere Ziel, Jerusalem, ebenfalls in seine Gewalt brachte, so darf man die Absichten Heinrichs wohl nicht als utopisch bezeichnen und wird Hampe darin beistimmen, daß der schwache Punkt seines Systems eben vor allem darin lag, „daß es einen genialen Leiter an der Spitze unbedingt nötig hatte und... daß es eine Minderjährigkeitsregierung schlechterdings nicht vertrug7^". Gerade dieses Schicksal aber mußte sein Werk treffen und seine letzten Vorkehrungen waren unmächtig, seine Gefahren abzu­ wehren. Sizilien fiel durch Erbrecht an Friedrich, wo seine Mutter — schon zu Lebzeiten ihres Gatten hatte man ihrer Teilnahme an der Verschwörung gegen diesen Schuld gegeben — zunächst die Regentschaft führte, die Deutschen verbannte und die Lehnshoheit des Papstes über das Königreich wieder anerkannte. Auch sie starb nach einem Jahre und in ihrem Testamente übertrug sie Regentschaft und Vormundschaft dem neuen Papste Innozenz III. Daß gerade dieser Papst, in welchem seine Würde ihre höchste Machtstellung erreichte, nicht nur weil das Glück ihm günstig war und seiner Geschicklichkeit in den meisten Ländern Eingriffs Mög­ lichkeiten bot, sondern auch weil er selbst eine Gestalt von Eigen­ wert war, die als Priester, Diplomat, Theologe und großer Herr die verschiedenen Seiten seines Amtes auf das glücklichste darstellte, in der Zäsur zwischen den beiden großen Staufern und mit be­ sonderer Verfügungsmacht über den jüngeren von ihnen die Bühne betrat7^), ist neben dem negativen Faktor des Verschwindens

61 Heinrichs VI. ein weiterer positiver Beweis für die mächtige Spannweite des Raumes, den auch eine rationale Geschichts­ betrachtung dem physiologischen Momente der Einzelpersönlichkeit zugestehen muß. Nicht daß er in Süditalien ein ungetrever Vormund gewesen wäre. Im Gegenteil hat es Friedrich vielleicht nur ihm zu danken, daß er später die Herrschaft dort wirklich antreten konnte, und die dauernden Kämpfe der schwäbischen und normännischen Barone machten ihm viel zu schaffen. Diese Einzelheiten aber traten doch für ihn weit zurück hinter dem Interesse, die gefährliche Verbin­ dung des Reiches mit Sizilien nicht wieder Wirklichkeit werden zn lassen. Unter diesem beherrschenden Gesichtspunkte betrachtete und nutzte er die Wechselfälle des deutschen Thronstreites, in denen das Land sich zerriß „in dem Momente, in dem Deutschland sich vollauf befähigt zeigte, der Hegemoniestellung der Macht, die ein Heinrich VI. wiederum eingenommen hatte, auch die kulturelle Berechtigung zur Führung hinzuzufügen"^). In dem deutschen Thronkampfe trat noch einmal der deutsche Nordwesten in typischer Bundesstellung mit dem England des Richard Löwenherz als Be­ werber auf um die Macht des Gesamtreiches. Obwohl aber auch der Papst nach einigem Schwanken für den Welfen Stellung nahm, war doch die siaufische Grundgesinnung des Landes und besonders die Zuneigung der Ministerialen für dieses Herrscherhaus stark genug, Philipp das Übergewicht zu geben. Richards Interessen lagen doch weit stärker in Frankreich, verschiedene seiner nieder­ rheinischen Anhänger ließen Otto im Stich und schließlich fügte sich auch Innozenz den Tatsachen, wenn nur Sizilien vom Reiche getrennt blieb. Da war es wieder ein Todesfall, die Ermordung Philipps, der das Reich in neue Unsicherheit zurückstieß, bis Otto nun auch von staufischer Seite anerkannt und damit vorübergehend eine Einigung erzielt wurde. Ja, seine Verlobung mit der staufischen Erbtochter Beatrix eröffnete sogar die erstaunliche Aussicht auf eine Verschmelzung beider Häuser, nicht unähnlich der Lage von 1152, wo Friedrich I. als Sohn einer welfischen Mutter und JugendHeinrich VI.

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freund des Löwen zu einer Versöhnung befähigt schien, und eher noch hoffnungsvoller, weil nun doch ein möglicher staufischer Bewerber nur noch im fernen Süden lebte, erst 14 Jahre alt, und, wie man Grund hatte anzunehmen, auch dem Papste niemals als deutscher Thronerbe angenehm. Aber auch dieses Band wurde, ehe es seine Festigkeit zeigen konnte, durch den Tod zerschnitten. Unmittelbar nach Beatrix^ Tode verließen Schwaben und Bayern heimlich Ottos Lager, damit bekundend, daß sie sich nur der Staufentochter verbunden gefühlt hatten, in einem Augenblick freilich, als sich das Schicksal in Italien bereits entschieden hatte. Man schildert uns Otto als schroff, ungefüge, hochmütig, einen halb englischen Ritter von der Art des Löwenherzes, der auch mit seinem starken Arm selten die Schäden hatte heilen können, die sein harter Kopf ihm und anderen zugefügt hatte. „Sein ganzes Wesen war nur transitorischer Natur; man sollte denken, er hätte eine Stellung einnehmen sollen wie Lothar, aber dazu waren die Zeiten nicht angetan""). Obwohl er dem Papste in der Speyerer Urkunde die Bischofswahlen freigab und somit weiter entgegen­ kam als irgendein Kaiser vor ihm, hatte Innozenz bald Anlaß zu bereuen, „daß er diesen Menschen gemacht hatte", denn kaum in Italien angelangt, übernahm der Welfe die staufische Politik mit merklicher Vergröberung, mißachtete eigene Zusagen, rüstete trotz Abratens der deutschen Fürsten gegen Sizilien, alles in offenbarer Verkennung der auf diesem Schauplatze wirkenden Kräfte, deren sich ein intimerer Feind nicht schuldig gemacht haben würde. Nun faßte die staufische Partei in Deutschland wieder Boden unter den Füßen. Friedrich, Heinrichs VI. Sohn, das „Kind von Pulle", kaum ein Jüngling, erschien selbst Innozenz nach Vor­ nahme einer Sicherung gegen die Vereinigung mit Sizilien, als annehmbarerer Thronbewerber wie der inzwischen gebannte Welfe, der nun nach Deutschland zurück mußte und dort mit bemerkenswerter Entschlossenheit seine Kräfte gegen den „Pfaffen­ könig" zusammenzog. Man weiß, daß seine Niederlage dann wesentlich herbei­ geführt wurde durch die Schlacht von Bouvines, in welcher Otto

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als Führer einer englisch-niederländisch-welfischen Allianz von Philipp August von Frankreich geschlagen wurde, dem Manne, „der die Reihe der eigentlichen Gründer der franzöfischen Mon­ archie"^) eröffnete und mit „diesem ersten großen Lage natio­ nalen Ruhms"88) dem französischen Selbstgefühl Substanz ver­ lieh. Gewiß eine erstaunliche Folge des frühen Todes Hein­ richs VI., des Lehnsherrn von England und Herren des Welt­ reiches, daß sein schon als Kind gekrönter Sohn den Thron erst besteigen konnte auf Grund eines französischen Sieges über einen deutschen König und folgenschwerster Konzessionen an den Papst. Natürlich verschlingen sich bei solchen Betrachtungen die Probleme in exakt nicht zu trennender Verbindung. So wichtig ein Mensch nach Stellung und subjektiven Eigenschaften auch sein mag, so ist seine jeweilige Einwirkung auf das sich dauernd ver­ schiebende Kraftfeld der tätigen Mächte doch nur teilweise abhängig von seiner persönlichen Entscheidung. Und auch diese wieder ent­ stammt nicht einer konstanten Seelenhaltung, sondern sie ändert sich mit den rein-individuellen Faktoren wachsender Reife oder Er­ schlaffung, mit dem Zutreten dieser oder jener Ratgeber, Krankheit und Alter. Nur mit dieser sehr starken Einschränkung kann man überhaupt ein persönliches Ereignis als Ursache oder besser Vor­ bedingung, Komponente, historischer Begebnisse bezeichnen. Auf der Basis aber dieser Einsicht in die unvermeidliche Relativität solcher Feststellungen, darf gesagt werden, daß der Charakter, die Ausgangsstellung und das ganze Lebenswerk Friedrichs II.84) durch die Tatsache des frühen Todes seines Vaters tiefstens be­ stimmt wurden. So wenig wir es also vermeiden konnten, das Werden der Tatbestände und Probleme, die Heinrich bei seinem Leben beschäftigten und die er in einem konkret feststellbaren Zu­ stande hinterließ, auch schon unter seinen nächsten Vorgängern zu betrachten, so wenig und noch weniger dürfen wir es unter­ lassen, den durch sein Werk und seinen Tod mit veranlaßten Unter­ gang der Staufer zu behandeln; nicht natürlich in Einzelheiten, aber doch in Unterteilung auf Sizilien, das Reich, den Orient, Italien und das Papst-Kaiserproblem.

Während Heinrich VI. keine persönliche, durch Abstammung bedingte Beziehungen zu Land und Volk in Sizilien gehabt hatte und dem durch Heirat an ihn gekommenen Staate, den er sich mehrfach selbst erst hatte erobern müssen, als Fremder gegenüber­ trat, der nicht den Eigenwert, sondern für weitere Zwecke den Nutzungswert der neuen Erwerbung mit so kühlem Blicke abmaß und mit so hartem Griffe sicherte, daß selbst seine Gattin in ihrem national-normännischen Empfinden verletzt und ihrem Manne und dessen Landleuten entfremdet wurde, war Friedrich gerade durch den Mangel eines väterlichen Hofes, der ihm eine von oben vorgezeichnete Erziehung geboten und ihn von populärer Umgebung abgesperrt hätte, auf enge Fühlungnahme mit Men­ schen und Kreise angewiesen, die ihm sonst bestimmt ferngeblieben wären. Seine Stellung als König und Waise, Mündel des Papstes, Schützling oder Geisel der alten Gefolgsleute seines Vaters mußte für sein ganzes Leben wichtig werden. Diese Um­ stände lassen es daher als sicher erscheinen, daß seine große Ver­ fassungsreform Siziliens von den Assisen von Capua bis zu den Konstitutionen von Melfi 1231, die bei aller persönlichen Geniali­ tät Friedrichs und auch dem wirkenden Vorbild der kirchlichen Organisation Innozenz' III. und besonderer Hineinarbeitung geldwirtschaftlich-monopolistischer Momente doch deutlich an seine normännischen Vorgänger anknüpft, besonders an Roger II. und sein Werk, das nordische Feudalität und griechisches und arabisches Beamtentum verbunden hatte, von seinem Vater nicht in gleicher Weise hätte geschaffen werden können. Gewiß hätte auch für diesen, wie später für Karl von Anjou, die Not­ wendigkeit bestanden, lokalen Aufgaben mit ortsgemäßen Mitteln zu entsprechen — „Sizilien ist der Tyrannen Mutter" —, die dazu nötige Härte brauchten beide nicht erst zu lernen, aber er hätte es nicht mit angeborenem Gefühl und bei der weiteren Spannung seiner Ziele, deren Schwerpunkt für ihn doch noch in Deutschland lag, auch nicht mit gleicher Hingabe von Zeit und Kräften tun können. Trotz der inneren Kämpfe, die auch das süditalienische Königreich nach Heinrichs Tode zerrissen, gewann es doch durch sein Hinscheiden und den Übergang an Friedrich dauernd eine

größere Berücksichtigung seiner Eigenart. Ob dann freilich Fried­ richs langer Kampf mit der Kurie, der von allen seinen Be­ sitzungen das Letzte forderte, diese Vorteile wieder aufwog, dürfte kaum zu beantworten sein, jedenfalls nicht ohne Bejahung der Vorfrage, ob dieser Kampf denn Heinrich VI. erspart geblieben wäre. Gerade nach Frieden sahen seine Anstalten gewiß nicht aus und wenn er etwa in äußeren Kriegen Mißerfolge gehabt hätte, so würden sich auch alle reichlich vorhandenen Spannungen in seinen Erblanden mit neuen Ausbrüchen entladen haben. Sehr viel ernster als für Sizilien waren unzweifelhaft die Folgen von Heinrichs VI. Tode für Deutschland als den Kern des Reiches^). Für den Zeitraum bis zur Niederkämpfung Ottos IV. haben wir das bereits festgestellt. Die fast zwanzig Jahre der Un­ sicherheit und Kämpfe hatten die Macht der Zentrale stark erschüt­ tert. Besonders waren auch Reichsgut und Hausmacht durch Philipp stark vermindert worden, da er für den Bürgerkrieg Ver­ gabungen hatte machen müssen. Alle tatsächlich oder rechtlich etablierten Gewalten — und gerade das Gewohnheitsrecht ist doch die Mutter des Lehnswesens — hatten sich inzwischen be­ festigt. Jede territoriale Dynastie hatte in einer neuen Generation an Gewicht ihres Besitzrechtes gewonnen und jeder Zeitablauf ist günstig für den Besitz und feindlich dem Anspruch. Den Bischöfen aber in ihrer Zwischenstellung binnen Papst und Kaiser konnte es nicht verborgen bleiben, wie imponierend Innozenz diese Würde vertrat im Verhältnis zu dem Wechsel in weltlichen Dingen. Auch der junge Kaiser aber hatte, im Drange anderer Geschäfte und auch innerer Fremdheit für die Länder nördlich der Alpen, für Neubefestigung der Reichsgewalt weder Kraft noch Zeit. Einmal möchte man an seinem Ernste zweifeln, wenn man hört, „er wolle diejenigen befördern, die ihn selbst befördert hätten"^), und dann wieder vermutet man, sein gewaltiger Verstand habe ihm bereits die Aussichtslosigkeit eines Zentralisieren-Wollens gezeigt, wie es doch sein sizilisches Werk so auszeichnet, er habe sich mit dem geringen Reste der königlichen Rechte abgefunden^) und dem, was die Fürsten etwa freiwillig zu liefern geneigt waren. Jeden­ falls machte er keinen ernsthaften Versuch, etwa die Macht der v. Eckartsberg, Zufall oder Schicksal.

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damals allerorten mächtig emporkommenden Städte für die Reichsidee zu gewinnen oder etwa ein ministeriales Beamtentum in Deutschland auszubauen. Die kraftvolle Leitung des Erz­ bischofs Engelbert von Köln überdeckte noch die Gefahr innerer Zerrüttung, der Ludwig von Bayern und der dann mehr hervor­ tretende junge König Heinrich nicht mehr zu steuern vermochten. Gewiß ist Heinrich (V11.) neben seinem Vater ohne großes Gewicht und sein Verhältnis zu den Lombarden ist nicht zu entschuldigen; aber die Eigenmacht der Fürsten suchte er einzudämmen, die Städte zu fördern und sich der Ausdehnung der Ketzerverfolgungen auf Deutschland entgegenzusetzen. Friedrich hat das im Sinne seiner Gesamtpolitik nicht geduldet. Nachdem er den geistlichen Fürsten bereits 1220 landesherrliche Rechte zugestanden hatte, ließ er es zu, daß auch die weltlichen Fürsten seinem Sohne 1231/32 weit­ gehende Rechte abzwangen, die er selbst bestätigte^). Jene hatten 1230 zwischen ihm und dem Papst vermittelt und sich dadurch ein Recht auf seine Dankbarkeit erworben. Den aufständischen Sohn hat er dann verhaften und nach Apulien bringen lassen, wo er einige Jahre später gestorben ist. Das große Reichsgesetz, das älteste in deutscher Sprache, das auf dem Mainzer Reichstage von 1235 erlassen wurde, und das vor allem dem Landfrieden dienen sollte und eine Sammlung aller Reichsgesetze vorsah, konnte als hoffnungsvoller Auftakt zu einer eingehenderen Befassung mit den deutschen Angelegenheiten gelten, ebenso wie die Versöhnung mit den Welfen. Auf dem gleichen Reichstage wurde aber auch der Krieg gegen die Lom­ barden beschlossen und damit die zweite Epoche der italienischen Kämpfe eröffnet, von der Friedrich bis an seinen Tod nicht wieder frei kam. Die weitere deutsche Entwicklung berührt uns hier nicht, da sie mit Heinrichs VI. Tod — allein schon zeitlich — nicht mehr ohne Künstelei in unmittelbare Verbindung gebracht werden kann. Abschließend ist nur zu sagen, daß die Auflösung des deut­ schen Stammesherzogtums, die Freigabe der Bischofswahlen an die Kirche, die rechtliche Anerkennung der landesherrlichen Stel­ lung der geistlichen und dann auch der weltlichen Fürsten durch das Königtum, mithin also der entscheidende Übergang des

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Akzentes von einer monokratischen zu einer aristokratischen Re­ gierungsform in dieselbe Zeit fällt, in welcher das universale Kaisertum Friedrichs I. und Heinrichs VI. ein letztes mal blühte, dann in der Epoche des Bürgerkrieges zusammenfiel und sich schließlich unter Friedrich II. zum Todeskampfe zusammenraffte. In der gleichen Zeit verdoppelte Philipp August den französi­ schen Kronbesitz und gewann mit seinem Netz von Landeshaupt­ mannschaften, welche der feudalen Willkür auf dem Krongut ein Ende machten, einen gewaltigen Vorsprung vor den noch ver­ bleibenden großen Lehnsfürsten. Er förderte die Städte, die da­ mals zuerst in provinziellen, wenn auch noch nicht in den General­ ständen erscheinen, konnte päpstlichen Einfluß auf die Bischofs­ wahlen nicht ganz unterbinden, verstand es aber, die Kirche zu militärischen und finanziellen Lasten ausgiebig heranzuziehen und seinem obersten Gericht zu unterstellen. In England war die große königliche Stellung Heinrichs 11. durch den Unverstand und die Uneinigkeit seiner Söhne vertan worden. Päpstliche Legaten und Mitregierung der Stände, vor allem der Barone, hinderten eine der französischen ähnliche Entwicklung. Trotzdem hatten es schon die ersten Normannenkönige verstanden, eine territoriale Zersplitterung im Keime zu verhindern; die päpstliche Lehnshoheit wirkte wenigstens im Sinne der Landeseinheit und gegen die Aus­ bildung geistlicher Teilfürstentümer. Positiv und negativ bewies also auch das französische und englische Beispiel der Zeit, wie sehr es gerade in diesem Zeitpunkte der abendländischen Gesamt­ entwicklung, auf der Wende von Lehnsstaat zu Ständestaat auf denjenigen Mann ankam, der an der Spitze eines jeden Landes stand, und welchen Verlust es ausmachte, wenn ein geeigneter Fürst ausfiel. Heinrichs VI. Tod unterbrach die sehr ernsten und umfassen­ den Vorbereitungen für den Kreuzzug und die Unterwerfung wenn nicht Eroberung von Byzanz und Teilen von Afrika, wo früher bereits Roger II. Tunis und Tripolis erworben hatte. In Ostrom vertrat Heinrich Ansprüche seiner Schwägerin Irene, Gemahlin Philipps von Schwaben und Tochter des von seinem Bruder Alexios III. vertriebenen und geblendeten Isaak Angelos.

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Anralrich von Lusignan/Zypern und Leo von Armenien hatten von ihm Belehnung erbeten und erhalten. Mit dem Papst Cölestin hatte er sich über den Kreuzzug geeinigt, obwohl er dessen Lehnshoheit über Sizilien nicht anerkannte. Niederdeutsche, die zur See kamen, trafen sich mit Süddeutschen in Messina und ge­ wannen bereits Berytus an der syrischen Küste. Alle diese An­ stalten verloren mit seinem Abscheiden zunächst ihren Sinn und ihre Wirkenskraft. Was er im Orient erreicht haben würde und ob ihn nicht vielleicht bald heimische Verwirrungen zurückberufen haben würden, können wir nicht wissen. Die hohe Anspannung eines umfassenden Geistes, welche allein seine weiten Pläne vor dem Vor­ wurf des Utopischen bewahren konnte, hätte ja auch mitten in der Ausführung versagen und dann noch sehr viel schlimmere Folgen hervorrufen können, wie schon der Tod seines Vaters im Flusse Saleph, der sein Heer ohne Führer gelassen und dessen spärliche Reste zu einem bloßen Anhängsel der englischen und französischen Truppen vor Akkon gemacht hatte. Auch der orientalischen Mächte waren zu viele und ihre Kraftrelationen waren zu wechselnd, als daß man aus ihrer rückblickenden Abwägung feste Schlüsse über Erfolg oder Mißerfolg eines geplanten Unternehmens ziehen könnte. Die in den nächsten Jahrzehnten unternommenen Orient­ züge verfolgten jedenfalls Ziele, deren örtliche Begrenztheit sie von seinen Absichten stark unterschied. Der vierte Kreuzzug führte unter venezianischer Mitleitung zur Eroberung von Konstanti­ nopel, Errichtung des lateinschen Kaisertums und Schaffung jener merkwürdigen Feudalwelt auf dem Boden des alten Hellas und der Balkanhalbinsel, die uns die alten großen Namen wie Sparta und Athen in sonderbarem Mummenschanz als Herzog­ tümer, Markgrafschaften usw. vor Augen führte, bevor sie in der türkischen Welle untergingen. Eine päpstlich inspirierte und von dem Legaten Pelagius geleitete Expedition ging nach Ägypten, das nach Saladins Hingang sich wieder von Damaskus getrennt und damit geschwächt hatte; es kam aber doch nur zu der ersten Kapitulation eines Kreuzheeres in der Hafenstadt Damiette. Schließlich gelangte Heinrichs Sohn 1228/29 wirklich nach Jeru-

salem, aber doch in anderer Weise, als der Vater es sich gedacht hatte; auf Grund eines sehr persönlichen Vertrages mit dem ägyptischen Sultan El Kamil, mit geringen Streitkräften und groteskerweise sogar gegen den Willen des Papstes Gregors IX. Dieser hatte doch den Kaiser sogar mit dem Banne belegt und benutzte nun seine Abwesenheit, ihm seine Reiche abzusprechen, sich mit allen seinen Feinden zu verbinden und mit Truppen in den süditalienischen Staat einzufallen. Friedrich II. hat später nicht mehr Muße gefunden, auf seines Vaters und seine eigenen orientalischen Pläne zurückzukommen. Man weiß aber, wie bleibend die Eindrücke waren, die er auf seiner Kreuzfahrt gewann oder die schon aus seiner Kindheit stammten, da die Sarazenen lange in Sizilien geherrscht hatten und dort in sichtbaren Zeugen ihrer Werke und Teilen ihres Volkes noch vertreten waren. Seine künstlerischen und wissenschaftlichen Neigungen, die in dieser Richtung gingen, unterschieden ihn deutlich von seinem Vater, ebenso die Verwendung sarazenischer Truppen in Italien, deren gegen Bannsprüche gefeite Treue jener mangels ernsterer Streitig­ keiten mit dem Papste auch nicht benötigt hatte. Dieser ganze bunte orientalische Einschlag in Friedrichs Auftreten, Denken und Kämpfen würde seinem Vater fremd geblieben sein. Wenn Heinrich in späteren Jahren mit dem Papste hätte um Italien kämpfen müssen, so würde er es nicht als ein zweiter Hannibal mit numidisch-sarazenischen Truppen getan haben. Selbst mit Sizilien/Apulien als Basis — wie nahe liegt Foggia bei Cannae! — würde er dem Italiener nicht als Führer des Nordund des Südbarbaren (Gallier und Numider — Deutsche und Sarazenen) erschienen sein; der Schatten Hannibals wäre Rom weniger fühlbar gewesen. Als die Bolognesen Enzio, Friedrichs deutschen Sohn, fingen, war das nicht vergleichbar mit der Schlacht am Metaurus, nach der man dem Barkiden seines Bruders Kopf als Vorzeichen eigenen Unterganges in das Lager warf? Die Beziehungen Friedrichs zu Italien und dem Papsttum und ihre sich von den Heinrichschen unterscheidenden Linien werden wir zweckmäßig zusammen untersuchen, da sie sich exakt kaum

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trennen lassen. Die Verhältnisse hatten es mit sich gebracht, daß Heinrich während seiner kurzen Regierung von den welfischen Unruhen am nördlichen Pole seiner Herrschaft und andererseits von dem Kampf um Neapel und Sizilien so in Anspruch genom­ men war, daß er das diese Schauplätze verbindende Reichsitalien, da es ihm mit dem entscheidenden Siege dort doch auch zufallen mußte, eher vernachlässigen konnte. Zn gleich eingeengter Lage zwischen den beide» Machtpolen konnte der gleichzeitige Papst Cölestin III. über etwaigen passiven Widerstand nicht hinausgehen. In Sachen des Erbreichsplans konnte das freilich schon peinlich genug sein und während des sizilischen Gegevkönigtums Tancreds ließ sich der Papst sogar herbei, mit diesem ein Konkordat abzu­ schließen. Sollte Heinrich wirklich, wie Haller^) wohl zu Unrecht vermutet, bereit gewesen sein, das Kaisertum vom Papste zu Lehen zu nehmen, so würde das die späteren Konzessionen seines Sohnes noch weit übertroffen und eine grundsätzlich neue Haltung in dem Verhältnis der beiden Gewalten gezeigt haben. In der Lombardei wurde die Lage für Heinrich dadurch erleichtert, daß die führenden Städte, besonders Mailand und Cremona, sich gegenseitig bekämpften, ein Zustand, den er 1196 bei seinem letzten Aufenthalte in Oberitalien planmäßig in der Schwebe ließ. Be­ stimmte Hinweise auf die für die Dauer von ihm zu erwartende Politik liegen also nicht vor. Nur aus der Tatsache seines nach außen hin weitgreifenden Planes darf man wohl schließen, daß ihm bei voller Wahrung der kaiserlichen Rechte an einer Änderung der Lage in Reichsitalien, die jene Pläne doch nur gefährden konnte, nichts gelegen war. Als nun sein Sohn nach fünfzehnjährigem Schleifen der Zügel des Reiches auch in die italienischen Verhältnisse, die Be­ ziehungen zur Kurie bewußt eingriff, da waren in der Zwischenzeit auf diesen beiden Gebieten so große Veränderungen eingetreten, daß man unmöglich mehr feststellen kann, ob Heinrich in diesem oder jenem Falle anders als sein Sohn gehandelt haben würde. Zwischen beiden hatte sich eine Wand von Tatsachen und Wir­ kungen erhoben und Innozenz III. war in vielem Betracht deren Baumeister gewesen.

Eine Überlegung, inwieweit wohl der große Papst durch einen kaiserlichen Gegenspieler wie Heinrich in seinen Vollbrin­ gungen gehindert worden wäre, ist besonders reizvoll, aber eigentlich doch hoffnungslos, denn nichts entzieht sich stärker der wiederherstellenden Betrachtung als der Umkreis von Hilfsquellen, welche eine große Persönlichkeit in sich selber findet oder die ihm von der Mitwelt derart entgegengetragen werden, daß nur er, nicht aber ein anderer, Steine in Brot zu verwandeln weiß. Unmittelbar nach Heinrichs Tode ging zunächst fast ganz Mittel- und Oberitalien für das Reich verloren. Auch die kaiser­ freundlichen Städte okkupierten den ihnen naheliegenden Reichs­ besitz, noch Cölestin beteiligte sich an diesen Rekuperationen und Innozenz betrieb sie bald darauf planmäßig und unter bewußter Verwendung des erwachenden italienischen Nationalgefühls, das nach Rankes Meinung für Innozenz eine gleiche Stütze bedeutete wie für Alexander Hl. der Gedanke der oberitalienischen Städte­ freiheit. Er sprach es aus, daß Italien der Prinzipat der Welt gebühre; es zeigte sich, daß die Kreuzzüge zwar eine Gemein­ unternehmung des Abendlandes gewesen waren, daß sie aber den Völkern doch auch in näherer Berührung ihre Besonderheiten gezeigt hatten und gerade auch den Italienern als den Mittlern des Verkehrs und Besitzern ihres schönen, fruchtbaren und er­ innerungsreichen Landes, zu einem besonderen Selbstgefühl verholfen hatten. Indem die Kirche unter Innozenz, bevor er noch darauf ausging, die hierarchisch-universal beanspruchte Ober­ hoheit auszuüben, sich zunächst in Italien selbst machtmäßig konsolidierte, was ihr Heinrich nicht gestattet haben würde, schuf sie doch erst die Grundlage und den tragenden Körper für das nun zu organisierende Gebilde. Ohne die gesetzgeberische, jurisdiktionelle, verwaltungsmäßige und finanzielle Ausbildung eines das ganze Abendland einbeziehenden Kurialsystems würde das Papsttum kaum die kommenden Kampfjahre überstanden haben, als es aus dem heimischen Boden wie mit einer Riesenfaust losgerissen, jenseits der Westalpen einen neuen Punkt der Erde suchen mußte, von wo es auch nur den Wortkampf und den des Geldes und der mittelbaren Verbindungen gegen seinen Feind führen könnte.

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Dieser Papst, welcher selbst für seine Würde in Anspruch nahm, daß sie geringer als Gott sei, aber größer als ein Mensch, hat geradezu abergläubische Verehrung gefunden. Ranke sagt von ihm: „man wird nichts eigentlich Kleines an ihm finden"99). Wenn er auch unter den großen Päpsten derjenige ist, welchem das Glück am meisten zu Hilfe kam, so hat man ihn doch mit Recht als ihren größten Staatsmann bezeichnet, „mit dem das Jahr­ hundert der päpstlichen Weltmacht emfe^fe91). Mit der Ausge­ glichenheit wahrer Souveränität war er zugleich ein eindrucks­ voller Theologe, ohne doch hier den ersten Rang ganz zu erreichen, denn") „er verachtete die Welt nur insoweit, als sich mit der Ab­ sicht und der Fähigkeit vertrug, sie zu beherrschen". Und damit ist doch schon ein tiefes Wort gesagt über die ganze Papstauffassung des Mittelalters auf der Höhe ihres Glanzes und ihrer Formvollendung, von der sie schon bald abgleiten sollte in die Abhängigkeit von Mächten, die seiner Idee nicht würdig waren: vom Gelde, der schmählichsten Materie; vom Schwerte, das in blutiger Verfolgung der Ketzerei im Dienste von Kirche und Fürsten sich selbst und seine Träger beschmutzte, von Dogmatik und Haarspalterei, die weit abführend von dem harmonischen System des Thomas, das Offenbarung und Vernunft vereinigen wollte, in jene Niederungen führte, in denen die mittelalterliche Kirche ihrer Verjüngung und Reinigung zu warten hatte. Gregor IX. (1227—1241) und Innozenz IV. waren die Gegenspieler Friedrichs 11. und Fortsetzer des Werkes Innozenz 111-, aus dessen vielseitiger und harmonischer Begabung sie jeweils nur Teile zu verkörpern wußten. Gregor war von ihnen der tiefere, „der die Unlöslichkeit des Knotens zuerst in voller Klarheit er­ kannte""). In der Einheitlichkeit seiner Weltanschauung ließ er sich weder durch die Persönlichkeit des Kaisers bestechen, noch von den größten Anerbietungen rühren; ja nicht einmal durch die Wiedergewinnung des Heiligen Grabes oder auch durch die tödliche Gefahr des Mongolensturmes ließ er sich von dem Kampfe gegen das Element abbringen, „das ihm das Innere störte". Gleicher- und erstaunlicherweise war er der Mann, der noch als Kardinal Franz von Assisi behilflich war, sein Ideal in die Wirk-

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lichkeit zu überführen und der ihn dabei doch zu verstimmtem Rückzüge in die Einsamkeit veranlaßte. Die päpstliche Armee der Bettelmönche, deren Beitrag zum Siege des Papsttums nicht hoch genug angeschlagen werden kann, da sie vor allem in die großen Städte drangen und diese in ihrem Hasse gegen den Kaiser bestärkten und ermunterten, ist besonders auf diesen Papst zurück­ zuführen, denn auch die Dominikaner, denen er als Prediger­ mönchen die schon von Innozenz III. geschaffene Inquisition 1233 verschärfend übertrug, sind mit seinem Namen eng verbunden. Er regte auch die Prüfung der aristotelischen Physik und Meta­ physik in arabischer und hebräischer Übersetzung, die damals be­ kannt wurden, durch die in die akademischen Lehrstühle eindrin­ genden Predigermönche an und half damit der Kirche zu einer neuen geistigen Rüstung. Im Vergleich zu ihm ist Innozenz IV.94) mit seiner eis­ kalten Klugheit und geschäftigem Weltsinn mehr Händler als Held oder Priester, aber doch ein Mann, der die Waffen, die ihm Ort, Zeit und Kenntnis der Menschen und Kräfte boten, mit aller Skrupellosigkeit und doch auch Hingabe zu benutzen wagte, welche nötig waren, um einem Friedrich II. die Spitze zu bieten. Beide Parteien kämpften in Friedrichs letzten Jahren mit allen Mitteln der Grausamkeit und Gewalt, Verschwörungen und Mordplänen; die Kirche außerdem mit allen Hilfen ihres geist­ lichen Amtes, wie man sagen kann, mit Himmel und Hölle. Der merkwürdig schwebende Libertinismus des Kaisers, der sich doch mit Ketzerverfolgung so seltsam fügte, bot der Kirche Handhaben, die sie mit Leidenschaft benutzte, wohl in der Erkenntnis, daß jenseits aller Macht und Wirkenskraft materieller Mittel sie doch in dem Glauben der Massen ihren stärksten Rückhalt finden mußte. Weltliche Skepsis, in genialer Leichtigkeit von einem hinreißenden Menschen ausgesprochen und von lachenden Rittern und Welt­ kindern verbreitet, mußte diesem Rückhalt am gefährlichsten wer­ den, war aber auch am ehesten angetan, dem Gläubigen das Höllische und Unheimlich-Drohende dieses Antichrist-Fürsten deutlich zu machen.

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Diese tiefste Vergiftung, welche aus dem Machtkämpfe zugleich eine» konfessionellen, ja weit mehr noch ein Ringen von Glauben und Weltsinn, Autorität und Zweifel, Tradition und Genialitätszauber machte, ist allen sonstigen Streitigkeiten fern­ geblieben, welche die mittelalterliche Kirche mit weltlichen Fürsten zu führen hatte. Für unsere Aufgabe ist es da nun von Wichtig­ keit, daß diese letzte satanische Verbitterung vermutlich auch nicht eingetreten wäre, wenn etwa Heinrich V I. bei längerem Leben mit dem aufsteigenden Innozenz III. in einen ähnlichen Entscheidungs­ kampf hätte treten müssen, denn bei aller Härte und auch Grausam­ keit des Kaisers fehlte ihm nach allen Nachrichten jenes persönlich Verführerische, die sprühende, ehrfurchtslose Geistigkeit, die spirituelle Interessiertheit und dabei Vorurteilslosigkeit, die Friedrich 11. eben auf diesem Grenzgebiete kirchlicher Frömmigkeit und weltlicher Weisheit entfaltete und die ihn in päpstlichen Augen zu einem das Innerste der Seelen gefährdenden Menschen machte. Ob Innozenz einem Heinrich gegenüber imstande gewesen wäre, seine großen Werke um die weltliche Erhöhung der Kirche und ihren inneren Ausbau zu vollführen, kann bezweifelt aber auch nicht exakt geleugnet werden. Mit großer Sicherheit aber kann man sagen, daß der vermutlich unvermeidbare Kampf mit anderen Waffen und in einem anderen Geiste, damit aber auch mit anderen Rückwirkungen auf das tiefste Wesen des siegreichen beziehungs­ weise allein übrigbleibenden Teiles geführt worden wäre. Denn wie man auch immer subjektiv die beiden Parteien werten möge, ob man seiner eigenen Haltung nach mehr Guelfe oder Ghibelline sein mag, und es wäre selbst heute eine Illusion, wenn man sich über dieses Urteil erhaben glaubte, so kann doch gesagt werden, daß der Papst mit der erhöhten Wirkungskraft seiner Waffen, die auch das Jenseits in den Kampf hineinzogen und die Seelen als das wahre Kampfziel statuierten, auch die Verpflichtung hätte empfinden müssen, diese Waffen rein zu erhalten. Man kann nicht Statthalter Gottes und Seelevhirt des Abendlandes, Hüter aller sittlichen Werte sein wollen, und sich doch aller irdischen Mittel skrupellos bedienen, zu denen der arme Sohn des Staubes in den

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Nöten seiner Einzelexistenz greifen und sich dabei klug und weise fühlen mag. Es will uns scheinen, daß die Kirche unter Jnnojenz IV. dieser Versuchung erlegen ist und daß sie damit mehr »och als später durch ihre einseitige Verhaftung an die Anjous und Frank­ reich — materielle Folgen eines allzu absoluten Sieges, wie wir in der Weltgeschichte so viele kennen — ihren besten Hort an Ver­ trauen der Völker in ihre Heiligkeit und sittliche Würde verwirt­ schaftet hatte. Insofern Friedrich II. diese tiefste Versuchung — wirklich die Reiche der Welt gegen Hingabe an die niederen Doktri­ nen irdischer Herrschaft — an die Kirche herantrug, wozu sein Vater nach Charakter und Lage der Dinge nie imstande gewesen wäre, hat er mehr zur Unterhöhlung der päpstlichen Weltherrschaft getan, als selbst ein gegen Innozenz III. siegreicher Heinrich VI. hätte tun können. Selbst unter dem Stiefel eines weltlichen Cäsaren, und gerade unter ihm, hätte die Kirche ihre sittliche und spirituelle Hoheit bewahren und die Herzen der Gläubigen gewinnen können, einige Jahrzehnte später würde der äußere Glanz dem innerlichen gefolgt sein. Indem Friedrich durch die Heftigkeit seines Kampfes und die Seelenhaltung, in der er ihn führte, sie aus ihrer Heilig­ keit herauslockte, sie mit weltlichem Siege bestach und jener Ver­ achtung preisgab, welche der Lohn bewußter oder unbewußter Heuchelei in der Geschichte ist, hat er den tiefsten Nerv des mittel­ alterlichen Papsttums tödlich getroffen. Als ein halbes Jahr­ hundert später der Albigensersproß Nogaret und Sciarra Colonna den nun aus allen Himmeln stürzenden Bonifaz in Anagni ver­ hafteten im Dienste eines sehr weltlichen Nationalkönigs, da sah die Welt mit Staunen, noch ohne die Tatsache ganz zu begreifen, daß die eine Universalmacht in ihrer Niederlage die andere mit sich gezogen hatte, so wie eine Brücke einstürzt, deren eines Widerlager gesprengt wird. Die Welt differenzierte sich und aus der Einheit entfaltete sich eine Vielheit nationaler Staaten, die nun auch religiös und spirituell sehr andere Wege zu gehen vermochten, wie es erst die Schismen und dann die konfessionellen Spaltungen deutlich machten. Die Einheit des Mittelalters brach auseinander und wir können nicht glauben, daß es ein Zufall war, daß Dante,

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sein größter Sohn, in dem es über sich selbst zu Gericht saß, das Gewissen der letztvergangenen Jahrhunderte, jugleich ein Italiener und ein Ghibelline war. Mit oder kur; nach dem Untergange des staufischen Kaiser­ tums verging auch das staufische Reich in Italien. Was Fried­ rich II. nicht vermocht hatte, das hätte unseres Erachtens auch weder Konrad I V. noch Manfred, noch Konradin erreichen können, obwohl es zeitweise schien, daß Manfred als kleineres Wild dem Grimme des Jägers vielleicht entgehen würbe95). Der horror vacui der geschichtlichen Räume, die bei fehlender Kraft zur Selbstverteidigung neue Fremdherren anziehen, sobald ein alter gefallen ist, verband den französischen und dynastischen Ehrgeiz Karls von Anjou mit dem politischen und mystischen Grauen des Papstes vor der Brut der Drachen. Indem aber der Sturz Friedrichs auch den aller seiner Nach­ kommen in sich schloß und die Tiefe des klaffenden Abgrundes auf­ deckte, scheint er uns jugleich auch zu bestätigen, daß auch Heinrich VI. bei allen Entfaltungsmöglichkeiten seines neugewonnenen Reiches und seines jungen herrschbegierigen und herrschgewaltigen Lebens doch schon auf verlorenem Posten stand. Trotz aller in Ent­ täuschungen gewonnenen Lebensklugheit Friedrichs I., seinem Entgegenkommen an Papst und Lombarden, der Niederkämpfung des größten Vasallen, dem Gewinn Siziliens und damit der normännischen Flotte und der Vorherrschaft im Mittelmeer, waren doch die grundlegendsten Schwächen von beider Herrschaft nicht behoben, sondern im Gegenteil durch die in falscher Richtung er­ rungenen Erfolge noch betont worden. Das Abendland wollte keine Universalgewalt mehr, keine weltliche und wie sich etwas später zeigen sollte, auch keine geistliche; der Kaiser aber hatte in Italien nur etwas zu suchen als Nachfolger der weströmischen Imperatoren. Der Papst beanspruchte, wenn nicht Herrschaft, zum mindesten Freiheit vom Kaiser; er wollte nicht zwischen dessen Reichen eingesperrt sitzen wie ein Vogel in der Hand eines neu­ gierigen Kindes. Die Sizilier wollten nicht die Kraft und den Reichtum ihres geformten Staates für fremde Belange verwendet sehen, nicht in Italien und vollends nicht als Haus macht eines

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hyperboreischen Monarchen. Die reichen Kommunen und Handels­ städte Mittel-- und Oberitaliens, deren Reichtum der Handel war, die sich ihrer Vor- und Sonderstellung in der wirtschaftlich rück­ ständigen Welt bewußt waren und in deren Blutadern die Prediger­ mönche trieben als Träger romanisch-italienischer Geistigkeit, wollten nichts wissen von sizilischen Justitiaren oder General­ vikaren oder schwäbischen Ministerialen und Feudalherren. Und andererseits konnte auch Deutschland nicht dauernd Nebenland eines Mittelmeerreiches sein und wertvolle Kräfte dorthin ab­ geben, mochten sie dort Wurzel schlagen oder als gehaßte Fremd­ körper verkommen, ohne selbst daran Schaden zu leiden, daß die Pflege der ihm eingeborenen Formgesetze und Entwicklungsmög­ lichkeiten dem Zufall gewohnheitsrechtlicher Ausbildung oder dem Chaos lokaler Hegemonien und Willkürlichkeiten der zeitweise und nur halb verantwortlichen Regenten und Statthalter über­ lassen wurde. Mit einer eindrucksvollen Gleichzeitigkeit, die aber bei aller durch geringen Verkehr, schwache Bildung der Massen und man­ gelnde Staatsintensität bedingte Isolierung der west- und mittel­ europäischen Staaten, uns immanente Geschichtskräfte ahnen und spüren läßt, auch wenn wir die Werkzeuge ihres Wirkens nicht einzeln nachzuweisen vermögen, stellt sich uns das 12. und 13. Jahrhundert als die Zeit dar, in welcher der Feudalismus seine Lebenskräfte erschöpfte und nun neuen Bildungen zustrebte^«). Für das ganze Schicksal dieser Staaten mußte es geradezu entscheidend sein, ob die ihnen derzeit herrschenden Personen in­ reichend frei und klug, ihre Institutionen ausreichend bildungs­ fähig, die Völker genügend gesichert in ihrer äußeren Existenz und doch auch aufnahmefähig und reif genug waren, das Leben der neuen Formen zu fördern oder wenigstens nicht zu hindern, die da aus innerer Klugheit der Dinge und doch auch so ein­ schneidend wandlungsfähig durch Zufall, Fügung oder Schicksal sich vorbereiteten. Es soll und kann hier nicht entschieden werden, ob Deutsch­ land im ganzen aus der jahrhundertelangen Symbiose mit Italien mehr Vorteile als Nachteile materieller oder geistiger Art

gezogen hat. Der Nutze» gegenseitiger Berührung und Durch, dringung im Grundsatz ist offensichtlich und geschichtlich erwiesen. Die Geburt des englischen Reiches aus angelsächsischen und vor, männischen Elementen beweist ihn ebenso wie das Aufblühen der französischen Kultur und der italienischen Seestädte im Gefolge der Kreuzzüge oder die sich vorbereitende Erstehung Jberiens aus maurisch,gotischer Haßliebe. Ebenso wurde es von größter Be, deutung für die Heranbildung von Deutschlands geistiger, politi, scher und wirtschaftlicher Gestalt, daß die enge Verbindung mit Italien und dem Papsttum und so mit allem, was das warme Mittelmeer an altem Kulturgut wahrte, an fremden Organi, sationsformen des Handels und Verkehrs befruchtend hervorrief, an fremden Waren heranführte, ohne die ideelle und machtpoli­ tische Kaderpolitik^) kaum denkbar gewesen wäre. Otto I. hatte richtungweisend diesen Weg eingeschlagen. Ost, lich war damals nichts, woher eine kulturelle Einwirkung hätte kommen können, zwischen ihm und Ostrom standen die noch halb, barbarischen Ungarn. Was nördlich von ihm lebte, Skandinavier, Dänen, war noch weit davon entfernt, seine großen Anlagen, die erst in den wärmeren Klimaten Englands, der Normandie, Si, ziliens und Südrußlands reifen sollten, bereits zu Gebilden eigen­ gesetzlicher Formung entwickelt zu haben. Zm Westen verkamen die letzten Karolinger zwischen Normannen und Feudalherren. Ob Ottos sächsisch,fränkisches Reich damals nach Süden gehen mußte? Ob es aus der Tatsache seiner errungenen inneren Einheit, der Abwehr der Ungarn und den Aufgaben der Christianisierung des Nordens und Ostens und Kolonisierung des Ostens auch die Kraft hätte ziehen können, ein rein nordalpines Reich dauernd zu be, festigen? Ob seine inneren Anlagen, ohne die Befruchtung aus dem Süden, eine gleich- oder höherwertige Kultur als die tat­ sächlich erwachsende hätten erzeugen können? Der Beweis dafür ist historisch nicht erbracht worden und daß die Gelegenheit dazu sich nicht bot, mag man persönlich bedauern — eine schlüssige Ant­ wort auf obige Fragen wird man nicht finden. Es darf aber gesagt werden, daß um die Wende des 12. zum 13. Jahrhundert, also eben damals als Heinrich VI. starb, der

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Augenblick eingetreten war, in dem Deutschland sich für lange Zeit entschließen mußte, ob es den Weg des einheitlichen Reiches einschlagen wollte, in welchem alle partikularen Gewalten, soweit sie das Prinzip der Arbeitsteilung und die unausgebildete Derwaltungstechnik nötig machte, grundsätzlich der Einheit unter­ geordnet blieben als treue und gegebenenfalls auch absetzbare Diener, oder ob unter dem sich mehr und mehr aushöhlenden Mantel der Reichsgewalt mit eigenem Lebenswillen und, je mehr die Aushöhlung fortschritt, auch eigenem Lebensrecht die Terrifotie«98) heranwachsen sollten. In ihnen pulsierte das Sonder­ leben der Stämme, alle Verwaltungsausgaben waren leichter zu lösen und in späteren Zeiten erwuchs eine sich glücklich ergänzende kulturelle Mannigfaltigkeit. Beides aber wurde bezahlt mit dem politischen Elend langer Jahrhunderte und dem Absplittern wert­ voller Volksteile, die dem Magnetismus der Grenzen nicht zu widerstehen vermochten. So wenig wie bei der Otto I. betreffen­ den Frage werden wir hier mit Sicherheit sagen können, was ge­ schehen wäre, wenn die Entwicklung dev anderen Weg eingeschlagen hätte, wenn also, um konkret zu sprechen, die Reichsgesetze von 1220 und 1232 das gewohnheitsrechtlich Entstehende nicht sank­ tioniert99) hätten und auch der königliche Einfluß auf die Bischofs­ wahlen nicht geopfert worden wäre. Alle diese Daten liegen inner­ halb des zeitlichen Rahmens von Heinrichs VI. möglicher physischer Existenz. Würde er sie bewilligt haben? Zum mindesten sehen wir nicht den Anlaß, der ihn dazu hätte zwingen können und können uns nicht vorstellen, warum er es freiwillig hätte tun sollen, es sei denn, ihm und dem Königtum hätte ein gleichwertiger Preis dafür bezahlt werden können. Die Daten liegen auch sämtlich nach Philipps von Schwaben Ermordung, und hier mag erwähnt werden, daß sich diesem — der doch erst durch seines Bruders Tod und die Unmündigkeit seines Neffen zum Thron gelangt war — noch einmal die Möglich­ keit^") geboten hatte, das Reich zu konsolidieren ohne zu tief in den italisch-universalen Wirbel hineingezogen zu werden. Gewiß hatte er wie seine Ausgleichsverhandlungen mit Innozenz zeigen, nicht die Absicht, auf Italien und das Kaisertum zu verzichten,

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seine Partei würde das gar nicht geduldet haben. Andererseits blieben Sizilien und das Reich getrennt101); der Papst befand sich also nicht in jener beängstigenden Drucklage, die ihn fast unvermeid­ lich zu hartnäckiger Feindschaft treiben mußte. Hätte nicht Philipp weniger als der Welfe Otto die Versuchung empfunden, seinen Neffen von Sizilien, dem er umständehalber schon die Krone hatte nehmen müssen, nun auch seines mütterlichen Erbes zu berauben? Aus Innozenz" Deliberatio wissen wir, daß Philipp selbst an dem Unrecht litt, das er seinem Neffen hatte antun müssen; ist es glaub­ lich, daß er es durch Streben nach Sizilien noch vermehrt haben würde, auch wenn staufische Anhänger in Süditalien für den An­ schluß selbst an das welfische Reich agitiert haben? Philipp war eine liebenswürdige und dabei doch nicht kraftlose Persönlichkeit — in ihm und seinem Bruder waren die Eigenschaften Barbarossas gleichsam auseinandergetreten. Man möchte einmal dem Ge­ danken nachgehen, er hätte in dem Jahrzehnt, das dem gewaltigen, aber in seiner geistigen Souveränität einfichtsvollen Innozenz noch vergönnt war, es vielleicht vermocht, allzu exponierte Stellun­ gen zu räumen, das Kaiser/Papsi-Problem aus seiner Verkramp­ fung zu lösen und die große moralische Autorität des staufischen Hauses, welches der ritterlich-laikalen Ministerialenkultur gerade in dieser Herrschergesialt so gut entsprach — W. v. d. Vogelweide! — für die nicht mehr mit Nutzen zu verschiebende Neugestaltung der Reichsinstitutionen freizumachen. Man möchte vermuten, daß eine eingehendere Befassung mit inneren Reichsangelegenheiten ihn zwangsläufig von aktiver Intervention in Italien abgehalten hätte, so wie ja auch Friedrich 11. in den Jahren als er Sizilien organisierte, für anderes nicht Zeit fand. Je geformter und orga­ nischer ein Staat ist, desto weniger verträgt er willkürlichen An­ schluß wesensfremder Glieder — am anderen Pole können Horden­ führer erobern, soweit ihr Säbel reicht. Philipps persönliche An­ ziehungskraft würde auch eine Gewähr dagegen geboten haben, daß nicht etwa der heranwachsende Friedrich von Sizilien auch gegen ihn sein Erbrecht geltend gemacht hätte. So wie erst der frühe Hingang Ottos III. alle Folgen des Todes Ottos II. reifen ließ und veranlaßte, daß seiner Lehrzeit

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keine Zeit endgültiger Erprobung mehr folgen konnte, so gehören die Lebensschicksale der beiden Brüder Heinrich und Philipp zu­ sammen in ihrer tiefen und überwiegend verhängnisvollen Ein­ wirkung auf das Reich der Deutschen. Heinrichs Tod unterbrach den größten und letzten Versuch zu voller universaler Gestaltung des Kaisertums, der zwar sehr viele zukunftsvolle Elemente gegen sich, aber doch auch einige für sich hatte und zum mindesten von einem der kampffähigsten deutschen Kaiser und seinem ihn noch übertreffenden Sohn geleitet worden wäre. Die Unterbrechung erfolgte außerdem in einem Zeitpunkte, wo durch sie der Erfolg unmöglich gemacht und zugleich auch nur der Rückzug in ge­ sicherte Ausgangsstellungen auf das äußerste erschwert wurde. Der Tod Philipps und nach dem kurzen Intermezzo des Welfenkaisers die Thronbesteigung Friedrichs eröffnete noch einmal den „kaiserlichen Weg", der über Rom in alle Weiten des Südens und des Mittelalters führte, der aber jetzt nach Konsolidierung der Kirche und als Italien und Frankreich eigene Individualität zu gewinnen begannen, trotz der Genialität des Kaisers unter noch ungünstigeren Vorzeichen beschritten wurde und folgerichtig diese Politik als unmöglich herausstellte. Gleichzeitig erzwang die erneute Beschreitung dieses Weges für die innerdeutsche Jnstitutionengeschichte Entscheidungen, welche das gewohnheitsrechtlich Gewachsene sanktionierten und damit die Richtung zu den Landes­ staaten festlegten, wie sie nur noch durch einen Kaiser in vollster Fülle der Reichsmacht — oder aber durch den Herrn einer er­ drückenden Hausmacht — zu ändern gewesen wäre. Die Zeit der universalen Kaiser ging mit Friedrich H. zu Ende; die Zeit der Hausmacht-Kaiser setzte ein.

Albrecht I „Niemals hatte noch ein König diese mächtige« geistlichen Magnaten so entschieden j« Paare« getrieben". Ranke.102)

Gewiß ist der Wunsch der Kaiser, sich selbst und ihrem Hause, unabhängig von ihrem angezweifelten Erbrecht und dem mit starken Auflagen belasteten Reichsgute eine eigene Hausmacht jv sichern, sehr viel älter als die Zeit, der wir uns jetzt nähern, inner­ halb deren das Ringen der Herrscherhäuser um eine eigene, der Willkür des Wahlrechts entzogene Machtbasis in einem erhöhten Sinne typisch und wesentlich ist. Ohne ihren reichen austrasischen Besitz würden schon die Karolinger nur auf Grund des Majordomats nicht über die Merowinger hinausgewachsen sein, und als der sterbende Konrad I. den oppositionellen Sachsenherzog als seinen Nachfolger designierte, da geschah es in der richtigen Ein­ sicht, daß dieses rechtsrheinische Reich nicht nur auf den Ostfranken beruhen könne und der König dieses Reiches eines erweiterten Stammesrückhaltes bedürfe. Unter Merowingern und Karo­ lingern ist Haus- und Krongut nicht streng unterschieden worden. Diese Auffassung wirkte auch noch im Hochmittelalter, als z. B. nach Aussterben der Salier deren Erbgut 1125 den staufischen Privaterben vorenthalten wurde. Das staufische Hausgut selbst, das dann auch das salische Erbgut in sich schloß, ist später wieder zu Reichsgut ausgewachsen, was freilich nicht hinderte, daß der jeweilige König die Einnahmen daraus auch seinen dynastischen Zwecken dienstbar machte. So lange die Krone, wenn auch nicht der Theorie, so doch der Übung nach, vom Vater auf den Sohn überging, mochten sich daraus in den wirtschaftlich unentwickelten Zuständen des Mittelalters noch keine großen Schwierigkeiten ergeben. Dazu kam, daß die großen Ämter, vor allem die Stammes­ herzogtümer — man denke an die Familienpolitik der Ottonen und Salier — noch ziemlich leicht ihren Inhaber wechselten, weil

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ihr landrechtlicher Amtscharakter noch mit dem lehnsrechtlichen im Kampfe lag, also auch die Vererbung, besonders in weiblicher Linie, noch nicht festes Dogma war. Auch der Umfang der Herzog­ tümer — man denke an Bayern und Sachsen — konnte ziemlich leicht durch den König geändert werden. Der Abschluß des Reichsfürstenstandes 1180 nach dem Sturze des Löwen und die Formierung der Landeshoheit in der letzten Stauferzeit brachten hier große Änderungen der tatsächlichen Zustände und auch der darüber geltenden Anschauungen. Indem sich nun feste Landesstaaten bildeten unter teilweise neuen oder neubereicherten Dynastien — Wittelsbach, Askanien, Wettin —, die in der Zeit der regelmäßigen Abwesenheit oder gar des Fehlens eines Kaisers sich von Jahr zu Jahr in ihrem Besitze festigten und vollends bei jedem Generationenwechsel in den Augen loyaler Untertanen an Heiligkeit der Legitimität gewannen, da geriet ihren Inhabern gegenüber der Wahlkaiser — der seit dem Inter­ regnum bis zu Albrecht I. überhaupt nur die Würde eines römi­ schen Königs erlangte — sehr leicht in eine neben-, wenn nicht untergeordnete Stellung. Es sei denn, es gelang ihm, sich auch auf der Ebene individuellen Hausbesitzes den größten unter seinen Untertanen gleichzustellen. Der Amts- oder Organcharakter^) ist es denn auch, welcher das neue Kaisertum Rudolfs I. von demjenigen der Staufer trennt, welche zwar auch bei weitem nicht die Machtfülle der Ottonen erreicht, aber doch anspruchsmäßig und tatsächlich noch die Hoheit über alle ihre Untertanen behauptet hatten. Als nun Rudolf I. „für das Kaisertum zu retten suchte, was zu retten war""H, mußte er — sein eigenes Emporkommen konnte es ihm beweisen — sich der gänzlich veränderten Sachlage bewußt werden. Der ver­ hältnismäßig leichte Ausgleich mit dem Papste konnte es ihm weiter zeigen, daß die Aufgaben des deutschen Königs, mochte er nun die Kaiserkrone tragen oder nicht — grundsätzlich andere^) geworden waren. Nicht etwa ein Kreuzzug war seine erste große Aufgabe, Dämpfung eines Lombardenaufstandes oder Abwehr eines päpst­ lichen Angriffs auf die deutsche Kirche; derlei Themen waren über­ holt, denn das heilige Land war nunmehr fest in mohammedani-

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schen Händen, Italien in denen des Papstes, der Kommunen oder der Anjous und Aragons, und fragte nicht viel nach dem Kaiser oder dem Reiche und was die deutsche Kirche betraf, so fehlte mangels eines Kaisers auch für den Papst ein Anlaß zu macht­ politischem Eingreifen, so lange sein im iz. Jahrhundert ausge­ bildetes Finanzsystem, das ihn zur ersten Geldmacht der Zeit machte, nicht ernstlich gefährdet war. Statt alles dessen war der erste Gegner, an welchem Rudolf sich die Würde seiner Stellung zu verdienen hatte, Ottokar von Böhmen, der große Landesherr und Besitzer einer gewaltigen Hausmacht, der gerade aus diesem Grunde sein Mitbewerber um die Krone gewesen war, aber auch gerade deshalb sein Ziel nicht erreicht hatte. So groß seine Macht war, so hatte sie doch noch nicht ausgereicht, seine Wahl zu erzwingen, hatte sogar, ähnlich wie bei Heinrich dem Stolzen, der sogar als Schwiegersohn Lothars noch ein halbes Erbrecht für sich hatte anführen können, das Haupt­ argument gegen ihn gebildet. Bevor das neue Prinzip, das Kaisertum in Händen der stärksten territorialen Dynastie auch nur

via facti erblich zu machen, zur allgemeinen Anerkennung ge­ langte, verging noch lange Zeit und der jeweilige Sohn eines Kaisers hatte eben deshalb weniger als andere Bewerber Aus­ sichten auf die Krone, wie Albrecht selbst an sich erfahren mußte^). Habsburg, Wittelsbach und Luxemburg, kleinere Häuser wie Nassau und Schwarzburg seien nur eben genannt, waren die Ri­ valen in diesem Wettstreit und es ist eigenartig zu sehen, daß Wittelsbach, welches doch schon seit über einem Jahrhundert eine machtvolle reichsfürstliche Stellung einnahm, mit nur einem Kaiser von Bedeutung und dauernder Zersplitterung in zwei Hauptlinien, sehr viel schlechter abschnitt, als es seiner ziemlich zentralen Lage im Reiche angestanden hätte. Luxemburg dagegen, das vom äußersten Westen kam und nach dem äußersten Osten ging, erlangte schon mit seinem ersten Kaiser trotz dessen kurzer Regierungsdauer und verfehlter Jtalienpolitik das gewaltige böhmische Erbe für dessen Sohn, und daraus folgte wieder das Kaisertum seines Enkels und noch zweier Urenkel fast schon selbst­ tätig, bis dann der Mannesstamm erlosch und nun doch Habsburg

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alles an sich brachte, was Luxemburg gesät hatte, was freilich auch schon in deutlichster Handgreiflichkeit vor ihm gelegen hatte, als Albrecht I. am i. Mai 1308 von der Hand eines unzufriedenen Neffen ermordet würbe107). Als Rudolf I. 1276 gegen Ottokar zu Felde zog, um das Babenberger Erbe als heimgefallenes Lehen an das Reich zurück­ zubringen, mit der Absicht, es seinem Sohne wieder auszüleihen, da folgte er den Spuren Kaiser Friedrichs I I., der Friedrich den Streitbaren, den letzten Babenberger, geächtet und seine Länder ans Reich gezogen hatte. Albrecht, der spätere König, war damals schon ein erwachsener und erfahrener Krieger, der im Feldzugsplane von 1276108), als Rudolf selbst über den Böhmerwald Ottokar in Prag aufsuchen wollte, die später entscheidende Stoß­ richtung im Donautale verfolgen sollte. Weihnachten 1282 wurde er durch seinen Vater Herzog von Österreich, dessen innere Festi­ gung als Kern der alten und neu erworbenen habsburgischen Besitzungen er bis zu seinem Tode als sein Hauptinteresse be­ trachtet hat, so weit darüber hinaus auch seine Pläne noch gereicht haben mögen100). Es wird uns von ihm gesagt, „er sei hart gewesen wie ein Diamant und sein Herz wie ein Turm, wie ein glühendes Eisen. Er war keusch und beherrschte sich selbst, er konnte schweigen"110). Wenn man die Zeugnisse über seinen Charakter liest und dabei bedenkt, daß er in den zehn Jahren seines Königtums in Deutsch­ land eine Stellung errang, wie kein König seit Heinrich VI., so möchte man sagen, daß in der Person Albrechts das Schicksal zweimal und beidemal verhängnisvoll in die deutsche Geschichte eingriff, einmal, indem es ihn vor der Zeit sterben ließ, und vorher schon, indem es ihm die Nachfolge Rudolfs versagte, auf die er, wenn je ein Sohn, ein inneres Anrecht hatte. Freilich war er selbst sein eigener Feind; hart, rücksichtslos, niemals beliebt oder volkstümlich, und wie ihm diese Eigenschaften seinen Neffen derart verfeindeten, daß jener zur Waffe griff, so stand er sich auch nicht mit seinem Schwager Wenzel. Dieser war ihm als Mensch weit unterlegen, aber als Sohn Ottokars eben doch der Herr des reichen Böhmen, das die Kriegsleidev bald überwunden hatte und da-

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mals durch die Ergiebigkeit der Kuttenberger und anderer Silber­ minen das bei weitem erste weltliche Kurfürstentum des Reiches war. Schon Rudolf hatte sich eifrig, aber vergeblich bemüht, diese sich so rasch herstellende Macht seinem Hause günstig zu stimmen; statt dessen griff Wenzel mächtig aus nach Meißen, Schlesien, Polen und erhob sogar Anspruch auf Kärnten und fand Freunde in Brandenburg, Sachsen und dann auch bei den geist­ lichen Kurfürsten. Aus diesen Bemühungen ergab sich dann die Wahl des Grafen Adolf von Nassau, etwas wie eine Wiederholung der Wahl Rudolfs, nur noch abwegiger in bezug auf den Machtbesitz des Gewählten, denn Rudolf war doch schon ein reicher Graf gewesen uud mächtiger als mancher Reichs fürst; Adolf war das nicht und um so begieriger, es zu werden. Ihm gegenüber aber stand Albrecht wie einst Ottokar vor seinem Vater; nur noch ungünstiger, denn seine Machtmittel waren, wenn jener etwa die Hilfe Böhmens gewann, sehr viel geringer und seine Beliebtheit in Österreichs) nicht größer, weder bei den Landherren, die zu Adolf neigten, noch bei der Stadt Wien, um deren Reichsunmittelbarkeit er sie bedrängte. Es ist Albrecht nicht leicht geworden, sich in diesen Nöten zu halten und zu diesem Zwecke sich sogar einmal vor seinem Schwager Wenzel kniefällig zu demütigen. Dann aber half ihm der Gegen­ könig Adolf selbst, denn er war „nicht sehr besonnen und einsichtig. Er ging immer gerade auf sein Ziel lo$"112). Und da nun dieses Ziel des armen Grafen positiv doch nur darin bestand, auszu­ schauen, wo er sich und seinem Hause zu festem Besitz verhelfen konnte, um so dauernd unter den Großen des Reiches Fuß zu fassen, und negativ in dauernder und nicht unbegründeter Furcht vor dem Ehrgeiz Albrechts und dem Wunsche, diesen zu schädigen, so begann Albrecht allmählich an Freunden und Hoffnung zu überwiegen. Adolfs Schwäche und sein niederrheimscher Anhang hatte diesen veranlaßt, sich in Abhängigkeit von England zu be­ geben und dann sogar von dort für einen französischen Feldzug erhaltenes Geld für die eigenen thüringischen und meißnerischen Händel zu verwenden. Nach allen Seiten hin, besonders auch an

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die geistlichen Kurfürsten hatte er gewichtige Versprechungen ein­ gehen müssen, auch gegenüber Wenzel von EB^rnen113), dem et zu einem günstigen Abkommen mit Albrecht verhelfen sollte. In gleicher Zeit war Albrecht in Wien von den Ungarn belagert, im Elsaß, in Salzburg und Kärnten stand Adolfs Einfluß gegen den habsbvrgischen in den Waffen und eifrig bemühte sich Adolf um das Haus Wittelsbach. In der ständischen Frage und in Sachen der Reichsinstitutionen verfolgte er keine feste Linie als seine ursprünglichen Wähler seiner müde wurden, fehlten gegen den entschlossenen Willen seines Feindes so Macht inneres Recht; nur unter dem niederen Adel der Rheinlande

und ihm wie und

bei dev Städten hatte er Anhang; von Großen hielten noch zu ihm Niederbayern und Pfalz. Die Absetzung Adolfs durch die Kurfürsten und die durch das Schwert herbeigeführte Entscheidung von Göllheim gaben den Ausschlag für Albrecht, der sich nun noch zehn Jahre dem widmen konnte, was sein ganzes Leben hätte füllen können und müssen. Die Zahl und Bedeutung der Probleme und Konflikte, in die er geriet, und der Zustand, in dem er sie verließ, werden uns seine Bedeutung für die Reichsgeschichte zeigen, besonders im Vergleich zu dem, was sich nach ihm auf diesem Schauplatze ereignete. Wir sprachen bereits von der großen Veränderung, welche das Kaisertum dadurch erlitten hatte, daß Papst und Fürsten die Oberhand über es behalten hatten. Beide Sieger hatten keinerlei Interesse daran, dieses Amt, welches von ihnen beiden gemeinsam übertragen, nur noch formal die alte Würde des Reiches und außerdem den öffentlichen Frieden erhalten sollte, erblich werden zu lassen, wodurch sie es aus den Händen verloren hätten. Ein großer Fortschritt lag dagegen darin, daß „die höchste Gewalt nun auf deutschem Grund und Boden fixiert und hier die Idee des Reiches in einem nationalen, in dieser Gestalt doch neuen Sinne aufrechterhalten worbe114). Seiner Entstehung nach trug es nunmehr aristokratisch-geistlichen Charakter und jeder neue König hatte sich mit diesen beiden Mächten auseinanderzusetzen, denen er seine Bestallung zu danken hatte. Es entsprach der hohen Stellung der Kurie vor ihrer Demütigung durch Philipp den

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Schönen, daß Albrecht bei Bonifa; um seine Bestätigung nachsuchte. Als bisherigem Freunde Frankreichs — gegen den englandfreundlichen Adolf — und nach des Papstes Meinung Aufrührer gegen den rechtmäßigen König, wurde sie ihm zuerst versagt, dann aber 1303 bei zunehmender Beängstigung des Papstes doch be­ willigt, freilich gegen Zugeständnisse, wie sie keiner seiner Vor­ gänger bisher gemacht hatte. Er verstand sich dazu hauptsächlich in der Hoffnung, den Papst für die auch von ihm gehegten Erb­ rechtspläne gewinnen zu können. Der bald darauf erfolgende Zusammenbruch der päpstlichen Macht und der Tod des Papstes zerstörte aber diese Hoffnungen, zumal dessen Nachfolger bald ganz unter französischen Einfluß gerieten, der nur in direktem Kampfe gegen diese Macht hätte beseitigt werden können. Ob Albrecht als Krönung seines Lebens einen Entscheidungs­ kampf gegen beide Mächte und vielleicht eine Erneuerung der kaiserlichen Stellung in Italien geplant hat, ist ungewiß. Man hat gesagt, „daß solche Absichten zu Albrechts Persönlichkeit gepaßt"*^) haben würde, aber man hat auch zugleich daran gezweifelt, ob er allen Widerständen im Reich hinreichend hätte Herr werden können, um alle Kräfte Deutschlands einheitlich außenpolitisch einsetzen zu können. In praktischer Tätigkeit unternahm Albrecht jedenfalls keine Vorbereitungen zu einem solchen Ziele; im Gegenteil duldete er im Weste», daß Philipp durch Pensionszahlungen an geistliche und weltliche Fürsten die Zahl der ihm Verpflichteten erhöhte. Für Italien ernannte er entsprechend seinen Abmachungen mit dem Papst keinen Reichsvikar und fand sich ab mit der Macht Karls II. von Anjou, bet in Fortsetzung der Stellung seines Vaters, wenn auch ohne Sizilien, das Oberhaupt der Guelfen der ganzen Halbinsel war und eine Zeitlang sogar Florenz be­ herrschte. Würde Albrecht nach Erreichung seiner innerdeutschen Ab­ sichten in Italien mehr Erfolg gehabt haben als Heinrich VII., von dem Ranke klassisch formuliert: „er sei universalgeschichtlich... insofern von Wichtigkeit, als er, die Rechte des Kaisertums wahr­ nehmend, doch auch zugleich die Unmöglichkeit, sie zur Geltung zu bringen, zur Anschauung brachte?" Unbedingt zwingend mag

NUN freilich das Beispiel Heinrichs VII. doch nicht sein117). Er war doch eine ganz andere Art Mensch als Albrecht, vielleicht Heinrich 111. nicht unähnlich in seiner Anrufung der Versöhnlich­ keit der italienischen Parteien und in seinem Glauben an die Macht eines aufrichtigen Friedenswillens. Er war dabei, auch wie Heinrich III., durchaus kein Träumer und verstand zu kämpfen, wenn es sein mußte, man kann auch nicht sagen, daß er alle seine Mittel bereits verbraucht hatte, als ihn, von dem Dante die Rettung der Welt erhoffte, ebenfalls ein früher Tod hinwegnahm. Von Albrecht ist es nicht zu glauben, daß er ohne solidesten Macht­ rückhalt ein solches Unternehmen begonnen haben toMe118) und dann auch bestimmt nicht in der vagen Hoffnung auf die gut­ willige Versöhnung von Guelfen und Ghibellinen. Er wäre aber auch nicht wie der halbfranzöfische Luxemburger, der seine Wahl größtenteils Frankreichs Einfluß und dem des päpstlichen Hofes auf die deutschen Dinge verdankt hatte, mit teilweiser, wenn auch wechselnder Billigung dieser Mächte in Italien erschienen. Ein Erfolg dort hätte also nicht nur eine vorherige absolute und höchsten Belastungen gewachsene Einigung Deutschlands zur Voraussetzung gehabt, sondern auch Kraft und Mut zu einer Aus­ einandersetzung mit dem Frankreich Philipps des Schönen. Das aber war, nach Philipp August und Ludwig dem Heiligen, der dritte große französische König, der soeben über den Papst gesiegt hatte, und von dem Ranke sagt: „unter ihm habe Westfrancien aufgehört und Frankreich vom Atlantischen Ozean bis zu den Alpen begonnen'"78). Seine Bischöfe hatten ihre Staatstreue erprobt120), seine Städte erschienen neben den anderen Ständen auf der Reichsversammlung, seine Legisten fanden im römischen Rechte gute Gründe für alle Machtbedürfnisse seiner Krone, er selbst war „geistreich und ruhig, verschlagen und unbedenklich"121) und das französische Lehnsheer war trotz des blutigen Unsinns von Kortrijk, wo sich die Ritter in sumpfigen Gräben hatten um­ bringen lassen, keinem anderen nachstehend. Freilich fehlte es auch nicht an Schatten in diesem Bilde der französischen Größe: Neben den Flamen, die sich eben tapfer und siegreich gegen die Übermacht geschlagen hatten, mußte Frankreich in jedem großen Kriege mit

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der Geneigtheit Englands rechnen, sich seine Nöte zunutze zu machen. So fest das französische Königtum auf seinen neuen Fundamenten zu ruhen schien, so zeigte doch schon zwei Jahrzehnte darauf das Aussterben der Capetinger gerader Linie, die seit 987 regiert hatten — wie viele Dynastien hatte Deutschland inzwischen ver­ gehen sehen! — daß auch dieser mächtige und moderne National­ staat durch aus der Region der zufällig-physiologischen Störungszone stammende Verwirrungen aus seiner Bahn geworfen werden konnte. Freilich geschah das erst zwanzig Jahre nach Albrechts Tode und dieser selbst war, als er starb, schon sechzig Jahre alt und noch sehr weit davon entfernt, Deutschland unter Habsbürg zu einigen — beschränken wir uns darauf, ihn auf dem Wege zu diesem näheren Ziele zu begleiten! Die Wegrichtuvg konnte dabei an sich eine doppelte sein und entweder über die Reichsreform, eine dem erstrebten Erbreich an­ gepaßte Änderung der Institutionen führen oder über die Haus­ macht, die dann so gewaltig und überwältigend sein mußte, daß auch die anderen Potenzen vor ihr trotz formeller Weiterexisienz verstummen mußten, so groß wie Habs bürg sie in späteren Ge­ schlechtern, aber für die Reichsreform zu spät, tatsächlich erreicht hat. Auf den beiden Wegen ist der zweite Habsburger ein gut Stück vorwärtsgekommen und besonders auf dem zweiten waren schwerwiegende Entscheidungen im Augenblick seiner Ermordung überfällig. Was zunächst die Reichsreform betrifft, so war die Territorialbildung schon recht weit vorgeschritten. Der Begriff der Landeshoheit hatte sich, seit der Ausdruck „dominus terrae“ nach dem Sturz des Stammesherzogtums erstmals erschienen^22) war und die Sache sich in statutum und confoederatio sanktio­ niert hatte, nun in weiteren drei bis vier Generationen weiter­ entwickelt, mit ihm das Ansehen der großen und kleinen Dynafitett123), denen der Zerfall des staufischen Ministerialenreiches in den vom Kaiser nicht beschäftigten Dienstmannen geeignete Diener für Krieg und Frieden überlassen hatte, denen gegenüber sich der Landesherr auch nicht an die für ihn ungünstigeren Regeln des Lehnrechtes gebunden fühlte. Auch der „Spaltpilz des Kurkollegs"^), gewachsen auf dem Sumpfboden des staufischen

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Bürgerkrieges, wie man es genannt hat, hatte nach allmählichem Ausschluß der anderen Reichsfürsten 1273 seine Bildung beendet, fast 200 Jahre nachdem erstmals zu Forchheim das Wahlprinzip gegen einen regierenden König angewendet wurde. Von Rudolf I. bis zu Albrecht und weiter bis zu Karl IV. haben die Kurfürsten, wie einem Grundsatz folgend, niemals den Erben des verstorbenen Königs zu seinem Nachfolger gewählt. Als dann der zweite Luxemburger ihnen zuliebe in der Goldenen Bulle von 1356 den Wahlcharakter des Reiches ebenso verbriefte wie die sehr weit­ gehenden Rechte der Kurfürsten in ihren Territorien, an denen die anderen Fürsten sich ihr Muster nahmen, da verzichteten die Kur­ fürsten auf die auch für sie unbequeme Beobachtung jenes Grund­ satzes — der doch sonst zwangsläufig zur Bildung immer neuer Herrschergeschlechter und zu steter Gefährdung schwach werdender älterer geführt hätte — und hielten sich nunmehr mit wenigen Ausnahmen an den Herrn der jeweils stärksten Hausmacht, damit er mit dieser das Reich decke und dessen sonstigen Mitgliedern den Genuß ihrer „Libertär" erlaube. Der endlich erreichte Zustand unterschied sich also gar nicht so stark von Albrechts Erbreichsplan, der auf der Stellung Habsburgs als Inhaberin der größten Haus­ macht errichtet werden sollte, nur daß eben auch das formelle Wahlrecht ausgeschaltet werden und damit die Zentrale gegen die partikularen Gewalten eine sehr viel kräftigere Stellung haben sollte. Wenn man in Betracht zieht, daß die Kurfürsten jener Zeit für die Bedürfnisse des Reiches so wenig Interesse und Verant­ wortung empfanden, daß man von ihnen gesagt hat: „Überhaupt war es beinahe, als wählten die Fürsten einen König nur in der Absicht, um sich die Rechte des Reiches auf legale Weise von ihm abtreten zu lassen125)", eine Übung, der sich Albrecht bei seiner Wahl nicht weniger als Adolf hatte fügen müssen, so wird man Albrechts Kampf gegen die rheinischen Kurfürsten nicht ohne Sympathie betrachten. Bald nachdem sie seine unbequemen Ab­ sichten erkannt hatten, versuchten die geistlichen Magnaten am Rhein, das alte Spiel der Absetzung wieder gegen ihn in Gang zu bringen, fanden aber keinen Prätendenten dafür, der den Kampf gewagt hätte. Nach förmlichem Kriege mußten sie Frieden suchen

und verloren zugunsten der Städte alle Zollrechte, die seit Fried­ rich II. den Erzbischöfen am Rhein verliehen worden waren. Freilich war der Erfolg kein endgültiger; am Ende seines Lebens, als er in Böhmen und Meißen in schwere Konflikte verstrickt war, regte sich auch die kurfürstliche Opposition von neuem und die Wahl eines seiner Söhne zu sichern, war ihm noch nicht gelungen. Ob er das bei längerem Leben erreicht hätte, scheint abhängig von dem weiteren Verlauf seiner Hausmachtkämpfe, die demnach auch unter diesem Gesichtspunkte in dev Vordergrund des Inter­ esses treten. Man hat von ihm gesagt, daß der Gegensatz von Königtum und Kurfürstenkolleg unter ihm seine schärfste Zu­ spitzung erfahren habe, sehr verständlich, weil er der mächtigste König der Epoche zwischen 1273 und 1356 war, in welcher das Kollegium von erstmaliger geschlossener Funktion zu reichsgesetz­ licher Sanktion gelangte, welche letztere fast einer Abdikation des Kronenträgers nahekam. In dieser Übergangszeit hätte also wohl ein starker König, dem entweder ein langes Leben oder eine gesicherte Nachfolge eines Sohnes geholfen hätte, das Pendel zum Ausschlag nach seiner Seite bringen können. Es soll dabei nicht vergessen werden, daß das Kurkolleg, dem später Karl IV. seine faktischen Rechte formell bestätigte, sich in der Zwischenzeit um das Gesamtleben der Nation beachtliche Setbienfle126) erwarb, die es zu Albrechts Zeit noch nicht hatte. Als Ludwig der Bayer nach langem Ringen mit der Kurie in seinen letzten Jahren ihr gegenüber eine Nachgiebigkeit zeigte, die gerade wegen der päpstlichen Abhängigkeit von Frank­ reich national nicht tragbar war, da zeigten sich doch die Kurfürsten als die vornehmste Macht des Reiches, um jene Ansprüche in Rense und Frankfurt zurückzuweisen. Beinahe hätte das zu einer Teil­ nahme Ludwigs an dem englisch-französischen Kriege geführt, und zwar auf englischer Seite, während die Luxemburger, Johann und Karl, bekanntlich auf französischer daran teilnahmen. Indem die Kurfürsten so dem Kaiser die Stelle als Führer der Nation vorwegnahmen, befestigten sie ihren Anspruch auf die tatsächliche Vormacht; einem durch seine Hausmacht so mächtigen Könige gegenüber, wie einer der Söhne Albrechts es zu werden alle Aus-

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sicht hatte, würde sich ihnen diese Chance vermutlich nicht geboten haben. Inwieweit Albrechts Tod auf die Lage in den eidgenös­ sischen Urkantonen, einen der älteren Teile des Habsburger Haus­ besitzes Einfluß hatte, darüber kann man verschiedener Ansicht sein. Klar ist natürlich die gewaltige Bedeutung der sich aus der Ablehnung der Habsburgischen Landesherrschaft hier schrittweise entwickelnden Loslösung vom Reiche. Abgesehen davon, daß ein Teil des alemannischen Sprachgebietes verloren ging, entstanden eigengesetzliche Staatsgebilde auf der schnellsten Verbindung vom Bodensee nach Italien, ebenso zwischen dem älteren alemannischen und neuen donau- und innländischen Hausbesitz, wie auch später zwischen dem burgundisch-spanischen und deutsch-österreichischen Besitz der habsburgischen Hauptlinien. Politisch, militärisch und wirtschaftlich mußten sich die Folgen zeigen. Als dann aber diese Staatswesen in einer monarchisch betonten Umwelt einen autonom­ demokratischen und in weiterer Fortsetzung zwischen sprachlich fast homogenen Nationen einen gemischt-sprachlichen Nationalstil herausstellten, da mußte der Seltenheitswert dieser Erscheinung der Quantität zu Hilfe kommen und der Eidgenossenschaft kul­ turell und weltanschaulich zu einem Eigengewicht verhelfen, das über die geographischen Gegebenheiten noch hinausging. Würde Albrecht bei längerem Leben das Einlenken in diese Bahn haben verhindern können? Ranke geht tatsächlich so weit, die schweizerische Unabhängigkeit „recht eigentlich ein Produkt des Streites zwischen Ludwig dem Bayern und Friedrich dem Schö­ nen""^) zu nennen. Nach ihm regten sich hier nach dem Tode Albrechts „Tendenzen, die sonst nicht hervorgetreten wären, alle Anfänge der Landeshoheit abzuschütteln". Auf dem Reichstage zu Nürnberg sei Österreich, als ihm die Königswürde nicht mehr zur Seite stand, als Reichsfeind betrachtet worden und das Reich habe für die Schweizer Partei genommen. Tatsächlich haben Hein­ rich VII. und Ludwig der Bayer, ersterer 1309 die Reichsunmittel­ barkeit der Eidgenossen anerkannt und letzterer aus der Niederlage Leopolds bei Morgarten 1315 unzweifelhaften Nutzen gezogen. War aber nicht dieser ganze Konflikt doch schon zu langwierig und

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gleichsam konstitutionell geworden, als daß das Leben eines ein­ zelnen Mannes darin entscheidend werden konnte, besonders eines Mannes, für den diese Fragen nur ein Teilinteresse haben konnten? Gerade 1308 stand doch Albrecht am Vorabend großer Rüstungen und ungewisser Kämpfe, die ihn in weit entfernten Gegenden be­ schäftigten und ihm vielleicht doch auch große Mißerfolge eintragen konnten. Würde er da für einen Nebenkriegsschauplatz nennens­ werte Kräfte übrig behalten haben, wesentlich mehr als Herzog Leopold, der zwar nicht die Macht aber auch nicht die Last des Ge­ samtreiches auf seiner Seite hatte? Gewiß hatten die Eidgenossen, selbst tapfer und waffengeübt, auf schwer zugänglichem, leicht abzusperrendem und zu alar­ mierendem Gebiet in den Haupttalschaftev eng zusammen­ wohnend, von diesem Terrain und ihrer intimen Kenntnis davon großen Vorteil. Die habsburgischen Ritter dagegen — weniger schlecht geführt als durch die Bedingtheit ihrer Waffe behindert wie damals viele Lehnsheere in Bürger- und Bauernschlachten — gingen an ihre militärische Aufgabe heran mit einer Verständnis­ losigkeit, die nur in ihrem in der Ebene vielleicht gerechtfertigten Selbstvertrauen ihresgleichen fand. Man könnte sich wohl denken, daß auch ein königliches Heer das Schicksal von Morgarten erlit­ ten haben würde, falls die Bauern die vermutlich etwas größere Scheu überwunden hätten, sich ihm zu stellen. Erst mit Erlangung der vollkommensten und auch durch äußere Feinde nicht mehr in Frage gestellten Hegemonie im Reich, würde sich die habsburgische Position dann auch wohl in den innerschweizerischen Kantonen dauernd konsolidiert haben. Auch hier also eine Rückbeziehung zu dem Hausmachtkampf Albrechts, der recht eigentlich das Leitmotiv seines Lebens war. Die eigenartige Tatsache, daß schon unter den ersten tzabsburgern sich Möglichkeiten zu dem Erwerb aller Herrschaften ankündig­ ten, welche später die Macht des Hauses in Mitteleuropa aus­ machten, mag hier angemerkt sein. Zu den alten Besitzungen im Einzugsgebiet des oberen Rheins, der Reuß und der Aare, waren die österreichischen Alpenländer getreten, die zum neuen Kernbesitz des Hauses wurden. Dazu kamen schon unter Rudolf l. sehr ernst-

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lich gemeinte Ansprüche auf Ungarn, wo das Haus der Arpaden seinem Ende juging in sonderbarem jeitlichen Übereinstimmen mit den anderen Häusern, welche im io. Jahrhundert die Reiche des mittleren Ostens staatlich formiert hatten: den Piasten in Polen, den Przemysliden in Böhmen, den Babenbergern in Oster, reich, die alle zwischen 1250 und 1350 an das Ende ihrer Lebens­ kraft gelangt sind. Im Erwerbe des Babenberger Erbes sind die Habsburger Erben der Staufer gewesen, welche das erledigte Lehen für sich eingezogen hatten; Ottokar hatte nur einen kurzen und angefochtenen Zwischenbesitz. Indem die Habsburger hier wie im Reiche an Stelle der Staufer traten, erwies es sich als not­ wendig, einen Ausgleich mit den Anjous herbeizuführen als der­ zeitigen Inhabern der staufischen Macht in Italien, an deren Wiedergewinnung man doch nicht ernstlich denken konnte, schon mit Rücksicht auf den Papst und dessen Anteil an der Wahl Rudolfs. Und nicht einmal in Ungarn konnte man es hindern, daß Anjou den Arpaden nachfolgte. Rudolfs Anspruch gründete sich darauf, daß Bela IV. in der Tatarennot Lehnsmann Friedrichs II. geworden war. Aber dagegen stand die These Nikolaus IV., daß niemandem als dem römischen Stuhle die Entscheidung über das Recht an Ungarn zustehe. Beide konnten es nicht hindern, daß zunächst Andreas der Venezianer, letzter Arpade aus einer Seiten­ linie sich in Besitz setzte, und dann bald darauf Anjous seinen Anspruch verwirklichte, den bereits der erste Karl durch Verheira­ tung eines Sohnes mit einer arpadischen Erbtochter vorbereitet hatte. Indessen war Albrecht doch einmal von seinem Vater mit Ungarn belehnt worden und dieser Streitgegenstand war einer der Punkte gewesen, die ihn mit seinem Schwager Wenzel entzweit hatten. Gegen dessen gewaltige Masse annehmende und noch mehr für die Zukunft verheißende Macht — 1300 war er König von Polen geworden und für seinen gleichnamigen Sohn gewann er die ungarische Krone — haben Albrecht und der Papst den Prin­ zen von Neapel, Karl Robert, unterstützt und tatsächlich den Anjous in den Sattel geholfen. Wie bald auch das große Przemyslidenerbe frei werden und wie große Aussichten sich daraus für Habsburg ergeben sollten, konnte Albrecht noch nicht wissen, sonst

Albrecht I. 96 würde er sich gehütet haben, zur Jnthronisierung eines Hauses Hilfe zu leisten, das — vergleichbar dem Aufstieg Luxemburgs — im 14. Jahrhundert eine gewaltige Stellung im europäischen Südosten erreichte, außer Neapel und Ungarn 1370 auch Polen an sich brachte, dann aber jäh erlosch. Jagellonen und Luxemburg traten in Polen und Ungarn die Herrschaft an; ein habsburgischer Mitbewerber um die Hand der polnischen Erbin wurde ausge­ schaltet. I» jener Zeit, als so viele Reiche in andere Hände übergingen und die erstaunlichsten Kombinationen auftraten um ebenso schnell wieder zu verschwinden, mag eS festgehalten werden, daß Rudolf auch das Reich Arelat einem seiner Söhne zugedacht hatte, so der späteren Stellung in Burgund in Gedanken vorgreifend. Und noch nach einem weiteren Bestandteil des Reiches Karls des Kühnen, nach Holland, richtete diesmal Albrecht I. seine Blicke, da dort nach Aussterben der alten Grafen der an sich erbberechtigte Henneberger Graf gegen das Reichsrecht nicht um königliche Be­ lehnung nachsuchte und sich so feindlichen Maßnahmen aussetzte, die 1302 geplant, dann aber nicht ausgeführt wurden. Auf einem anderen Gebiete folgte Albrecht dev Spuren Adolfs und erlitt mehr noch als jener einen ernsten Mißerfolg, den auszugleichen ihm nicht mehr vergönnt war. Es war für das mittlere Deutschland ein großes Ereignis gewesen, daß mit dem Gegenkönig Heinrich Raspe 1247 die Landgrafschaft Thüringen erledigt worden war, wodurch eine ganze Reihe von Erbforde­ rungen zur Anmeldung gelangten, vor allem seitens Brabants und Meißen. Die Brabanter wurden damit abgefunden, daß die erbberechtigte Herzogin Sophie und ihr Sohn nach einer Schlachtentscheidung 1263 die Gebiete erhielten, welche dann als Landgrafschaft Hessen zu einer selbständigen Rolle in der deutschen Geschichte berufen waren. Die Meißner Wettiner behaupteten Thüringen. Ihr Heinrich der Erlauchte kann als der eigentliche Begründer der späteren Macht seines Hauses betrachtet werden. Es war nun bemerkenswert, daß die Wettiner mit den letzten Staufen sich eng verbunden hatten — Kovradin war mit einer Wettinerin verlobt gewesen —, so daß sie geradezu von der

ghibellinischen Partei als deren Fortsetzer angesehen werden fottttfett129). Daher rührte auch ein natürliches Bündnis mit Ottokar von Böhmen, dem Sohn einer Staufin, und eine gewisse Feindschaft j» Rudolf als dem Vertreter einer mehr kirchlichen Richtung, die im Reiche zur Herrschaft gekommen war. Rudolf erkannte daher die wettinischen Erwerbungen nicht an und betrach­ tete sie als erledigte Reichslehen. Der Tod Heinrichs des Erlauchten 1289 und innere Wirren des Wettiner Hauses, bei denen besonders Albrecht der Entartete durch sein Verhalten viele Eingriffspunkte bot, zeigten sodann Adolf die erwünschte Gelegenheit, um für sich und sein Haus eine dauerhaftere Grundlage als die so unerwartete Reichswürde fie bieten konnte, zu gewinnen. Er forderte Meißen und Osterland für das Reich und schloß mit Albrecht dem Entarteten über Thüringen einen Kaufvertrag, der die Rechte von dessen legitimen Kindern in recht zweifelhafter Weise außer acht ließ. Über seinen Versuchen, die drei Gebiete nun auch tatsächlich, in Besitz zu nehmen, ist Adolf abgesetzt und von seinem Gegner per­ sönlich bei Göllheim getötet worden; für Albrecht sehr im rechten Augenblick, da ein Erfolg Adolfs in Mitteldeutschland ihm bereits Mut machte, seinen Feind Albrecht in dessen eigenstem Bereiche, in Österreich, anzugreifen und ihm sein Herzogtum abzufordern. Der Tod setzte diesen Absichten ein Ende und erlaubte zugleich Albrecht in seiner neuen königlichen Stellung, auch die Erwer­ bungen und Ansprüche des Toten in Mitteldeutschland, Meißen und Thüringen, an das Reich zu ziehen und Teile davon zunächst an seinen derzeitigen Verbündeten und Schwager Wenzel zu verpfänden. Während er aber dann in Westdeutschland beschäftigt war und Wenzel Meißen im Besitz hatte, verschlechterte sich wieder beider Verhältnis infolge der böhmischen, polnischen und ungarischen Erwerbungen. Obwohl Albrecht Kuttenberg vergeblich belagerte — das Übergewicht der kriegerischen Defensive über die Offensive war selten so groß wie in jenen Zeiten — wurde er doch 1305 durch Wenzels Tod endgültig von diesem Nebenbuhler befreit. Im Frieden von Nürnberg verzichtete dessen gleichnamiger Sohn auf v. Eckartsberg, Zufall oder Schicksal.

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das Egerland und die Reichsverweserschaft über Meißen. Als er bald darauf selbst ermordet und damit das gewaltige Problem der przemyslidischen Erbschaft überhaupt aufgerollt wurde, das Albrechts Macht unerhört steigern konnte, da griff dieser auch gewaltsam nach Meißen und Thüringen. Seine Sendlings wurden von den beiden Wettinern Friedrich und Diezmann bei Lucka 1307 geschlagen. Obwohl das nach menschlichem Ermessen kaum mehr sein konnte als ein Aufschub der unvermeidlichen Besitz­ nahme, half, wie sooft in der Geschichte, dem Kühnen, der den Widerstand gewagt hatte, das Glück. Weder verlief die Erwer­ bung Böhmens nach Albrechts Wunsch, wo sein eben belehnter Sohn Rudolf schon im Juli 1307 gestorben war, und der von den Böhmen berufene Heinrich von Kärnten trotz persönlichen Ungenügens sich doch lange genug hielt, um sich später von Luxemburg abfinden zu lassen, noch durfte er selbst die Unternehmung gegen den Kärntner und die Wettiner zu Ende führen, die er in großem Maßstabe plante. Die an sich unbedeutende Kriegs Handlung von Lucka, die aber doch ein Sieg einer lokalen Gewalt gegen ein könig­ liches Heer gewesen war und insofern auch den Schweizern eine Ermutigung sein konnte — falls sie deren bedurften —, reichte in ihren Folgen hin, dem Landesfürstentum über im Namen des Reiches erhobene Ansprüche einen klaren und dauerhaften Sieg zu verschaffen. Heinrich VII. schloß mit dem Wettiner Grafen Friedrich dem Freidigen einen Vertrag, in dem er Friedrich mit der Landgrafschaft Thüringen und der Markgrafschaft Meißen endgültig belehnte und auf die sonstigen Ansprüche des Reiches verzichtete. Die nunmehr konsolidierte Stellung der Wettiner zog eine im großen nie mehr gefährdete Grenzlinie zum Königreich Böhmen und legte den Grund für eine der stärksten Territorial­ mächte Deutschlands, die in allen folgenden Jahrhunderten von großem und oft auch entscheidendem Gewicht gewesen ist, so in der Zeit der Reformation und in der ersten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges. Als dann seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts der deutsche Dualismus Nordosideutschlands gegen Habsburg immer deutlicher wurde, da konnte es zeitweilig zweifelhaft sein, ob Brandenburg oder das wettinische Sachsen dessen Träger würde.

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Die Verbindung mit Polen schien da Aussichten zu bieten — das Problem eines „Korridors" von Sachsen nach Polen, der zugleich Brandenburg dauernd von Schlesien ferngehalten hätte, ist zeit­ weise interessant gewesen —, litt aber an inneren Unstimmig­ keiten, der Inkongruenz der Nationalitäten, der monströsen pol­ nischen Verfassung und auch dem Ungenügen der regierenden Personen und ihrer Minister. Vermutlich hatte Wettin seine Aus­ sichten auf Führung in Norddeutschland schon dadurch verloren, daß es am Ende des 15. Jahrhunderts die selbstmörderische Tei­ lung in ernestinische und albertinische Lande vornahm und in der Folgezeit versäumt hatte Magdeburg, den Schlüssel der Mittel­ elbe und — von Osten gesehen — den Weg nach Nordwestdeutsch­ land in seine Hand zu bringen und damit Brandenburg zu ver­ schließen. Wegen des engen Zusammenhanges, der zwischen der für ganz Kleindeutschland schicksalsvoll gewordenen Entwicklung der nord­ deutschen Territorien zu den grundlegenden HausMachtbildungen des 14. Jahrhunderts besteht, mag es gestattet sein, zu diesem Gegenstände ausführlicher zu werden, gerade weil ein längeres Leben Albrechts I. von umstürzender Bedeutung dafür hätte werden können. Der alte Machtkomplex Heinrichs des Löwen war 1180 aus­ einandergerissen worden und bis in das 19. Jahrhundert hinein ist keine Macht an seine Stelle getreten, die an Einheitlichkeit, Um­ fang und Zukunftsmöglichkeiten ihn hätte ersetzen können. Geist­ licher und kleinerer weltlicher Territorialbesitz teilten sich in den Westen des alten Herzogtums Sachsen; der Osten mit seinen ent­ wicklungsfähigen Wachstumsspitzen zerfiel in mehrere reichs­ unmittelbare Teile. Die den alten Namen weitertragenden Reste kamen an Askanien, damit also in Familiengemeinschaft mit Brandenburg. Der alte welfische Allodbesitz Braunschweig erhielt die Welfendynastie wohl über die Jahrhunderte am Leben, ge­ stattete ihr aber — in mehrere Linie zerfallen — fast nie einen größeren Einfluß. Trotzdem war das Schwergewicht des zentral gelegenen und reichen Landes immer noch groß genug um ihm 1692 zu einer neugeschaffenen Kurwürde und 1814 zur Anecken-

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nung als Königtum ju verhelfen. Die enge Verbindung mit England hatte das Land Hannover aber tatsächlich jum Neben­ lande einer außerdeutschen Macht werden lassen und wie anderen Territorien in ähnlicher Lage wurde dies seiner innerdeutschen Zu­ kunft verhängnisvoll. Als jenes Band 1837 gelöst wurde, waren die Würfel über die Einigung Norddeutschlands unter Preußen im Grunde schon gefallen und die Ereignisse von 1866 vollzogen ein formales Unrecht mit dem inneren Recht eines überlegenen Formgedankens. Die Einheit der norddeutschen Tiefebene, die geopolitisch Basis und Rechtfertigung des alten Herzogtums Sachsens gewesen war und ihm damals bereits eine Zukunft versprochen hatte, wurde im 19. Jahrhundert vollzogen, nur nicht von Westen sondern von Osten aus und nicht durch die Welfen sondern gegen sie. Wenn Albrechts I. Haus machtpläne diese nordwestlichen Teile Deutschlands nicht betrafen und erst noch weiter nach Westen, in Holland, wie wir gesehen haben, zeitweise anknüpften, so bot Habsburg einer mögliche Festsetzung in Meißen und Thüringen einen Hebelpunkt, der für die ganze Zukunft Norddeutschlands nicht minder hätte entscheidend werden können und beinahe müssen. Das Land nördlich des Erzgebirges, wenn auch nicht so stark wie das östlich der Sudeten, hatte doch immer wenigstens zum Einflußgebiete eines starken Böhmen gehört und die zwi­ schen Schlesien und Sachsen gelagerte Lausitz war mit Böhmen noch auf lange hinaus verbunden. Wenn es Albrecht und seinen Söhnen gelungen wäre, sich in Böhmen, Schlesien, Sachsen und Thüringen dauernd festzusetzen, so würden diese Länder mit Österreich zusammen einen gewaltigen und dabei abgerundeten Block gebildet haben. Da dieser Block überwiegend deutsch gewesen wäre und die Deutschen in einem dichten Ringe um die tschechische Mitte gesessen hätten, innerhalb deren die Städte wieder noch deutsche Inseln waren, so ist es sehr zweifel­ haft, ob die erst unter den Luxemburgern einsetzende national­ tschechische Bewegung — Dalimil, Strybrny, Prager Erzbistum und Universität — überhaupt einen Ansatzpunkt gefunden hätte

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und nicht vielleicht die Tschechen den Weg der Elbslawen ge­ gangen wären. Und dieser Block hätte sich, wie man sich vorstellen kann ohne ins Phantasieren zu geraten, wenn nicht zu Lebzeiten Albrechts, so doch seiner Söhne, noch sehr ausdehnen können. Auch die Askanier in Brandenburg erloschen 1319. So wie damals Wittelsbach dieses Land an sich zog, um es später an Karl I V. von Luxemburg-Böhmen zu verlieren, so würde es auch ein habsburgischer Kaiser gewonnen und kaum wieder verloren haben. Ein Blick auf die Karte zeigt, daß damit auf längere Sicht sich auch der Weg nach Pommern geöffnet hätte, den später die Hohenzollern gingen, und es ist klar, daß auch für das Reich des Deutschen Ordens sich eine grundlegend andere Situation ergeben hätte, wenn seine westliche Flanke, statt an das verhältnismäßig kleine Brandenburg, sich an eine deutsch-habsburgische Großmacht hätte anlehnen können, die Polen in der ganzen Länge der schlesisch­ polnischen Grenze umklammerte. Schlesien selbst kam in einzelnen Stücken im Laufe des 14. Jahrhunderts an Böhmen. Es ist schwer vorstellbar, wie das polnische Reich130), in dem damals die Piasten zu Ende gingen und so schwach waren, daß sie den Verlust Schlesiens an Johann und Karl von BöhmenLuxemburg nicht hindern konnten, auf den Aufbau einer ge­ schlossenen Habsburg-Ordens-Front an seiner ganzen Westflanke reagiert hätte. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts regierte dort Kasimir III., noch einmal ein gewaltiger Mann, dessen Regierung sich gerade dadurch hervorhebt, daß er sich mit dem Orden, Bran­ denburg und Böhmen vertrug, um sich dagegen nach Osten weit auszudehnen, Galizien und Rotrußland zu gewinnen. Im Inneren zog er bewußt wirtschaftlich und kulturell deutsche Elemente heran, ohne sie sich politisch über den Kopf wachsen zu lassen. Würde er jener großen Front gegenüber anders gehandelt haben? Würde jene gewaltige Macht ihn veranlaßt haben, sich noch entschlossener dem Osten zuzuwenden, würde die innere polnische Entwicklung noch ausgeprägter unter westliche Aspekte getreten sein? Oder würde er vielleicht jene Macht als überwältigende Gefahr empfunden, den Kampf gewagt, den deutschen innerpolitischen Einfluß unter-

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drückt und sich mit allen Feinden der Habsburger im Reich und in Europa verbunden (Ktfceit131)?

Seine diesbezüglichen Entschlüsse

hätten sehr wohl die Gesamtgeschicke des deutsch-polnischen Raumes bestimmen können. — Und weiter: Würde der ungarische Anjou auch dann auf den polnischen Thron gelangt sein? Hätte sich damit gegen die Habsburg-Ordens-Front eine (litauisch-?) polnisch-ungarische erhoben? Hätte sich dann der Übergang Polens an die Jagellonen ohne Einmischung Habsburgs vollziehen können?

Hätte Polen den

Orden schlagen und von ihm Pommerellen gewinnen können? Es muß dem Leser überlassen bleiben, wie weit er uns auf diesem Wege folgen will. Auch wir verkennen nicht, daß bei dem Anknüpfen jedes weiteren Kettengliedes — gerade auch aus der Zone der personell-dynastischen Veränderungen — die unerwartet­ sten Hindernisse, Gegenbünde und ganz neue Einflußfaktoren herausspringen

konnten.

Wir wollen

auch

kein leichtfertiges

Urteil darüber fällen, ob jene skizzierte Entwicklung eine letztens wünschenswertere gewesen wäre als diejenige, die in die Wirk­ lichkeit getreten ist. Es will uns aber scheinen, daß zum mindesten die ersten Glieder jener Kette eine sehr starke Erfolgsmöglichkeit in sich trugen — wenn eben nicht Albrecht damals gestorben wäre, bevor er noch wenigstens Böhmen für sein Haus gesichert und auch die Thronfolge im Reiche für einen seiner Söhne gewonnen hätte. Mit dieser Hausmachterweiterung und zunächst der Aus­ schaltung des kurfürstlichen Wahlrechts für ein weiteres Menschen­ leben würde die königliche Stellung den Kurfürsten und überhaupt den Reichsinstitutionen gegenüber eine kaum geringere, und wie uns scheinen will, gesündere gewesen sein als die Heinrichs VI., denn die inzwischen eingetretene Verhärtung des inneren Reichs­ körpers wäre durch die nationale Geschlossenheit der Hausmacht und

des

Reiches,

verringerte

geopolitische Zerrung

und vor

allem Fortfall des Papst/Kaiser-Komplexes reichlich ausgewogen worden. Ob die so entstandene größere Macht den habsburgischen Kaiser dann vielleicht auch wieder verlockt hätte, italienischen oder

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französischen Abenteuern nachzugehen? Die Möglichkeit dazu soll hier ebensowenig behauptet oder bestritten werden, wie die letzten Glieder jener oben angedeuteten, nach Norden und Osten gerich­ teten Gedankenkette. Im großen Kraftfelde der Geschichte — viel stärker als etwa im Schachspiele — folgen sich doch die Va­ rianten in hundertfacher Potenzierung. Abschließend glauben wir, daß die Bedeutung des gewaltsamen Todes Albrechts vielleicht mit der Heinrichs VI. verglichen werden kann und wahrscheinlich größer war als im Falle Ottos II. und Heinrichs III.

Albrecht II „Nun stehe fest, wie das Gewölbe steht, weil seiner Blöcke jeder stürzen will!" Kleist---).

Nach dem Hingange Albrechts triumphierten die Potenzen, in deren Bekämpfung er gelebt hatte. Getreu ihrer Politik der letzten Jahrzehnte dachten die Kurfürsten nicht daran, einen seiner Söhne zur Nachfolge zu berufen, und es war schon viel, daß mehr ihre Abneigung gegen eine starke Zentralgewalt als etwa nationale Bedenken die Kandidatur verhinderten, die Philipp IV. von Frankreich mit Hilfe des Papstes für seinen Bruder Karl von Valois eifrig fcetriefc133). Soll man es vielleicht rückschauend bedauern, daß hier wie zweihundert Jahre später bei der Wahl Karls V. gegen Franz I. eine Möglichkeit verbaut wurde, die alten Hauptbestandteile von Karls des Großen Reich neu zu verbinden? Abgesehen von der natürlich-nationalen Abneigung von uns heutigen Deutschen, uns eine solche Vereinigung, die doch nach Lage der Dinge nur eine societas leonina sein konnte, rückblickend vorzustellen, schrecken auch die Spuren, die wir von ähnlichen Kombinationen in der Geschichte finden. Nicht nur hat unsere eigene Schicksalsgemein­ schaft mit Italien, mögen ihre kulturellen Folgen wie immer ge­ wesen sein, für uns eine Verkümmerung der politisch unentbehr­ lichen Zentralgewalt und für Italien langdauervde Fremdherr­ schaft zur traurigen Folge gehabt. Auch die Symbiose Frankreichs und Englands, die immerhin noch durch das beiden gemeinsame normännische Element gemildert worden war, ist schließlich nach langen blutigen Kämpfen zusammengebrochen, und vollends das Verhältnis der Goten/Spanier zu den Mauren in Jberien, das mit der Vernichtung des einen Teiles endete, konnte jenen Ver­ suchen Philipps IV. und Karls von Valois keine günstigen Vor-

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zeichen stellen. Die Individualisierung beider Nationen war schon zuweit vorgeschritten, das fränkische Blut im gallo-romanischen aufgegangen und die kulturelle Romanisierung zu weit gediehen. Es ist außerdem der Geschichte eigen, daß ganz starke staatliche Organisationen sich nur dadurch dauernd halten, daß ein Druck von außen sie zusammenbindet. Wenn ein solcher nicht da ist — manch­ mal erzeugen sie ihn selbst wie in einer sonderbaren Art des Selbst­ schutzes"^) —, so fallen sie wieder auseinander an ihren inneren Spannungen. Der Versuch, einem Franzosen die deutsche Krone zu verschaf­ fen, mißlang. Das Schwergewicht des Romanentums im dama­ ligen Europa, begründet durch den Sieg des Papstes über die Staufer, dann wieder des Franzosenkönigs über den Papst, tieferliegend aber auch durch die nun schon mehr als ein Jahr­ hundert währende kulturelle Vormacht Frankreichs und die lang­ sam, aber den Besten schon hörbar werdende Stimme des jungen Italiens135), wirkte sich für Deutschland zunächst nur aus in der Berufung des halbfranzösischen Heinrichs V11. Wichtiger als seine rasch vorübergehende Erscheinung war die Befestigung des Hauses Luxemburg im przemyslidischen Erbe. Im Vergleich zu diesem Blocke, mächtig durch Größe, Bevölkerung und Reichtum wie auch durch seine Lage inmitten von Habsburg, Wittelsbach, Wettin, Askanien, Piasten und ungarischen Anjous, verlor zunächst alles an Bedeutung, was die anderen Kaiser­ dynastien nach dem Interregnum für sich gewonnen hatten, ebenso wie auch die luxemburgischen Stammlande im Westen. Die Zeit dieser Luxemburger, besonders Karl IV., ist für das Reich von kaum zu überschätzender Bedeutung geworden. Wenn einerseits die Verweltlichung des Papsttums — im Sinne einer Einschränkung der großen universalen Linie auf die Gewinnung kleinerer, besonders finanzieller Vorteile — und die französischen inneren Wirren beim Übergang der Herrschaft von Capetingern zu Valois, mächtig verschärft durch den Krieg mit den Engländern, es dem deutschen Reiche gestatteten, sich von größeren äußeren Verwicklungen fernzuhalten — nachdem schon Ludwigs des Bayern Kämpfe mit der Kurie doch lange nicht so an das Mark der

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Nation griffen wie die Kämpfe der Salier und der Staufer —, vollzogen sich im Inneren tiefgreifende Veränderungen der staat­ lichen Form und auch des Lebensgefühls und der Sinnesart. In beidem ist der Luxemburger Karl aus der deutschen Ge­ schichte nicht fortzudenken, der „Freund der im stillen zu erraffen­ den @tfolge"136), „eine jener Persönlichkeiten, die uns die hohe ge­ schichtliche Bedeutung gerade derjenigen zeigen, die tief unter dem Genius zu stehen scheinen", ein Mann von behutsamer Berech­ nung, wenig fest gegen sich zeigenden Widerstand, ein „Mann von Studien und Gelehrsamkeit, nicht ohne einen gewissen Tief­ sinn"131), hat er doch endgültig mit der italienischen Kaiserpolitik gebrochen, als erster deutscher König eine feste Residenz gewählt und mit seinem großen Verfassungsgesetz, der Goldenen Bulle von 1356, das Gewordene anerkannt und durch diese Anerkennung der Gesetzlichkeit unterworfen. Indem er nun aber das Wahlrecht der Kurfürsten sanktionierte und darüber hinaus ihren Territorien, die allen anderen kleinen Herren zum erstrebenswerten Vorbild wurden, einen so festen Rechtskörper verlieh, daß weder er noch ein etwa später kommender Kaiser viel Anhalt zu verfassungsmäßigem Eingreifen mehr finden konnte, hat er — dem Effekte nach endgültig — den Weg auf­ gegeben, der etwa noch über eine zentralistische Reichsreform136) zu einer stabilisierten Erbmonarchie hätte führen können. Sein reger Verstand — es ist bemerkenswert, daß eben die entschei­ denden Gesetze von 1220, 1232 und 1356 gerade von geistes­ mächtigen Kaisern erlassen wurden, die zudem beide, auch Karl IV. nicht, keine Schwächlinge waren — mochte ihm sagen, daß es doch zu nichts führe, sich mit ungenügenden Kräften gegen etwas zu stemmen, was seine Lebenskraft nun doch schon im Lichte des Tages erhärtet hatte, und daß seine Haus macht zwar nicht stark genug war, um die Landesstaaten zu zwingen, wohl aber aus­ reiche, um ihnen zu imponieren und gütlich von ihnen das Erfor­ derliche zu erreichen. Auch für ihn wurde somit die Hausmacht das Primäre, mußte es auch logischerweise sein, da nach Stabili­ sierung des Wahlcharakters des Reiches auch der persönlich mäch­ tigste Kaiser doch immer damit rechnen mußte, daß seine Nach-

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folger früher oder später einem Kaiser aus anderem Hause als bloße Landesherren gegenüberstehen müßten. Da nun das Zentrum seiner Macht in einem Lande lag, das im Grunde undeutsch von einem wachsenden Zorn gegen die zeit­ weise drohende volle Germanisierung erfüllt war, und er selbst weder von seinem Vater noch von der Mutter her blutmäßige Veranlassung hatte, sich als Deutscher zu fühlen, und von der Kaiserwürde zwar die universale Macht abgefallen, aber von keiner empfundenen deutschen Verpflichtung ersetzt worden war, so wurde er durch die Macht dieser Tatsachen ein tschechischer König, der heute noch mehr als fast alle Przemysliden in der Er­ innerung dieses Volkes lebt. Tatsächlich hat er ihm durch die Er­ hebung Prags zum Erzbistum und mehr noch durch die Schaf­ fung der dortigen Universität — der ersten im Gebiete der „natio Germanica“ im alten ©inne139) — zu einer Epoche des Glanzes verholfen, die lange nachwirkte und der nationalen Erregung der Hussttenzeit zum gefühlsmäßigen Nährboden wurde. Jenes über den Norden und Böhmen hinausgreifende Habsburgerreich, das Albrecht I. und seinen Söhnen so greifbar nahe gelegen hatte, wurde nun erst in einem tieferen Sinne un­ möglich: Dynastische Verschiebungen und Kombinationen mochten auch später noch eintreten und sind auch tatsächlich in einer Habsburgs kühnste Wünsche übertreffenden Weise Wirklichkeit ge­ worden; die einmal ihres allgemein-slawischen und speziell­ tschechischen Charakters bewußt gewordene Bevölkerung des ElbMoldaubecken würde sich doch niemals mehr anders als zeitweise und mit hartem Zwange in einen andersgearteten Staatskörper einfügen lassen. Dies war der dauernde Pfahl, den Luxemburg auch nach seinem Verschwinden im Fleische des kommenden Habs­ burgischen Großstaates zurückließ. Gewiß aber war sich Karl IV. selbst durchaus nicht klar über diese Folgen seines Handelns. Er ging vielmehr ruhig und behut­ sam und ohne nennenswerte Rücksicht auf die Nationalität der Bewohner eben jenen Weg, den wir spekulativ für ein sich aus­ breitendes Habsburg skizziert haben. Mit Wettin freilich hatte sich schon sein Großvater im Namen des Reiches vertragen, und das

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alte Herzogtum Sachsen der Witteubergischen Askanier wurde erst ein halbes Jahrhundert nach ihm frei für eine neue Dynastie und damit eine größere Zukunft, aber nach dem germanisiierten Schlesien der piasiischen Teilfürsten, dieser Schütterzone zwischen den großen westslawischen Völkern, griff er mächtig aus wie schon vor ihm sein Vater Johann, er verband das Land für vierhundert Jahre mit der Krone Böhmen. Und auch in Brandenburg setzte er sich fest, das nach dem Aus­ sterben der dortigen Askanier Wittelsbach für sich genommen hatte, ohne es doch bei der großen räumlichen Entfernung von Bayern gegen den, teilweise in grotesken Formen"") sich äußernden Widerstand der heimischen Gewalten und gegen Luxemburg halten zu können. Einem schwachen Nachklang jenes möglichen Ostreiches, welches die österreichische donauländische Ostmark mit der Mark Brandenburg und darüber hinaus dem Ordensstaate hätte ver­ binden können, begegnen wir zeitweise in der Politik Sigmunds gegen Hussiten und Polen unter Benutzung der Kräfte Öster­ reichs und des Ordens, ebenso wie später in seines Schwieger­ sohnes Zug nach Schlesien, als er dort entschlossenen polnischen Widerstand voraussah und seine Freunde von Wettin, Zollern und den Hochmeister zu gemeinsamem Angriffe auf Polen heran­ rieft"). Wie Karl IV. die Hausmachtpolitik in der zielbewußten Weise führte, die dem Jahrhundert entsprach, so hatte er auch ein feines Ohr für das Neue, das aus Italien kam. Seine romanisch­ slawische Herkunft und Erziehung mochte ihm dafür ein geschärftes Ohr verliehen haben. Seine Beziehungen zu Rienzo und Pe­ trarca und allem, was man als böhmische Renaissance kennt, würden mit seiner großen Bedeutung für den deutschen Humanis­ mus und die Geistesgeschichte überhaupt kaum möglich gewesen sein, wenn ein Habsburger damals König in Prag und Herr im Reiche gewesen wäre. Er und sein Haus"?) waren somit mächtig wirkende Klammern und Kanäle, welche den Raum des deutschen Reiches bei weitgehender politischer Fernhaltung vom Süden und Westen mit der romanischen Welt und der europäischen Gesamt-

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entwicklung verbunden hielten, nicht zum wenigsten auch mit der Kirche und den in ihrem Rahmen oder in geistig bemühten Laienkreisen reifenden Entscheidungen. Man ist heute geneigt, den damaligen großen geistigen Ver­ änderungen, die aus der Seele stammend nicht nur die Religion, sondern auch Politik, Kunst, Wissenschaft und Lebensform aus dem Mittelalter herausführten, vor allem einen religiösen Antrieb zuzugestehen und die Berufung auf die wiedererweckte Antike erst an späterer Stelle anzuführen. Da ist es nun entscheidend ge­ wesen, daß die ersten Spuren dieser Bewegung, für die man später den so vieldeutigen und auch angegriffenen Namen der Renaissance gefunden hat, in Namen wie Joachim von Fiore, Franz von Assisi und anderen noch weit in die Zeit der staufischen Papsi-Kaiserkämpfe hineinreichen, daß aber dann schon ©ante143), mit welchem ästhetische, politische und allgemein-geistesgeschicht­ liche Elemente hinzutreten, selbst nicht mehr in diesem Wirbel stand und trotz seiner ghibellinischen Kaiserverehrung, in welcher wir die Enttäuschung vieler Edlen über den depravierenden Ein­ fluß eines allzu schrankenlosen Sieges glauben fühlen zu können, dem jungen Italien seine Sprache schenkte und das Mittelalter zusammenfaßte, um es zu vollenden. Es kann nicht unsere Absicht sein hier die Gründe auf­ führen zu wollen, welche zu den Reformkonzilien führten als den großen Versuchen, die in Äußerlichkeiten, übersteigerter Organi­ sation und spiritueller Ohnmacht erstarrende Papstkirche auf dem Wege eines Rückgriffs auf die episkopale Wurzel der Kirche und des alten Konziliengedankens zu reinigen und zu beleben. Man weiß, daß diese Versuche immer notwendiger wurden, als selbst der formale Körper der Kirche, gipfelnd in der einzigen Gestalt des Papstes, der nationalen und geistigen Differenzierung des dama­ ligen Europa nicht mehr standhielt, so daß mehrere Päpste im Schisma nebeneinander traten, die Christenheit in ihre Obedienzen zerrissen und sogar mit Kreuzfahrt und Ablaß gegeneinander kämpften. Aus dem böhmischen Kessel, aus dem Schoß der dort von Karl IV. gestifteten Universität und letztens aus dem durch ihn

gesteigerten Selbstgefühl des tschechischen Volkes, angeregt durch die allgemeine kirchenpolitische Lage und das Gedankengut Wiclefs, erstand die Gestalt des Johann Hus und nach dessen Untergang im Kampf mit dem Konzil die ungeheuere Bewegung der Hussitenkriege; die erste große Volksbewegung der mittel­ europäischen Geschichte, die gleichzeitig religiöse, politische, nationale und soziale Motive hatte. Indem dieser große Brand als greller Bild-Hintergrund die religiösen Diskussionen in Basel begleitete, stellte er das deutsche Reich"4) und das System der Luxemburger auf die schwerste Probe. Ein einzelnes Territorium, freilich das größte und ge­ wichtigste, aber doch auch in sich gespalten und in Ausnutzung seiner natürlichen Reichtümer behindert, trotzte fast zwei Jahrzehnte hindurch den vereinigten Anstrengungen des Reiches und der Kirche, schlug die großen Jnvasionsheere in verheerendster und schimpflichster Weise und trug seine Waffen in allen Richtungen zeitweise weit über seine eigenen Grenzen hinaus. Tatsächlich seit dem großen Interregnum und verfassungs­ mäßig seit der Goldenen Bulle beruhte die Macht des Reiches auf den Hauptfaktoren des Königs und des Kurfürstenkollegs, anders ausgedrückt auf der Zusammenarbeit der mit den restlichen Rechten der Krone geschmückten königlichen Hausmacht mit den wichtigsten Territorien. Das weitgehende Versagen dieser Zusammenarbeit, wie es gerade in den Hussitenkriegen offenbar wurde, braucht dabei nicht auf persönliche Schwächen zurückgeführt zu werden, denn weder Sigismund noch etwa die Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen4") oder auch der uns hier angehende Herzog Albrecht von Österreich waren Männer, die solche Zusammenbrüche erwarten ließen. Es lag das vielmehr an den innersten Mängeln des herangewachsenen Territorialsystems146). In vieler Hinsicht waren diese neuen Landesstaaten dem alten großen Lehnsstaate, dessen Teilen sie entwachsen waren, gewiß überlegen, und der feudale Geist, der jenen gesprengt hatte, zeigte in ihnen seine aufbauende« Fähigkeiten in einem kleineren Maß­ stabe. Ihr geringerer Umfang gestattete ein verständnisvolleres Eingehen auf die lokalen Bedürfnisse, die Bildung und Pflege eines

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in

intimeren landsmannschaftlichen Charakters, ein engeres Ver­ hältnis von Volk und Herrscher, eine straffere Durchführung der von oben kommenden Weisungen, die sich nicht auf einem mehrstufigen Jnstanzenzuge und auch auf geographisch langen Wegen abzuschwächen brauchten. Die Heranziehung eines pflichtbewußten, juristisch und sachlich geschulten und nur dem Oberhaupte ergebenen Beamtentums erwies sich in diesem engeren Rahmen als eher möglich als in den weiten und schon verschwimmenden Verhält­ nissen des Reiches"?). In der Teilnahme der Stände, des Adels und der landsässigen Städte an Zweigen der Verwaltung, be­ sonders im Finanz- und Steuerwesen, konnte sich der einheimische Geist an staatlichen Aufgaben üben und so allmählich aus dem bloßen Mechanismus, den rein-dynastische Politik zusammen­ gefügt haben mochte, ein organisch belebtes und für sich selbst interesfiertes Wesen machen. Es liegt auf der Hand, daß diese neuen Staatskörper einer sehr langen Werdezeit bedurften, um die Cntwicklungskeime, die in ihnen lagen, zur vollen Reife zu bringen. Einige von ihnen und auch diese erst im 17. und 18. Jahrhundert find zu voller Entfal­ tung gelangt, meist durch Verdrängung des ständischen Ein­ flusses zugunsten der absoluten Fürsten. Der Dualismus von Ständen und Fürst, wie wir seit Gierke dies Verhältnis nennen, hatte sich seit dem 14. Jahrhundert angebahnt und bestimmte das 15., 16. und großenteils auch noch das 17. und 18. Jahrhundert. Er wurde mit einem inneren Rechte von derjenigen der beiden Potenzen überwunden, welche sich trotz aller Mängel doch als die weniger kurzsichtige erwiesen hatte"^. Aber diese Gestaltungen gehören einer späteren Zeit an; die Landesstaaten der Hussitenzeit entbehrten noch der späteren Durch­ bildung und Organisierung, also der positiveren Werte, zeigten aber negativ schon kleinstaatliche Begrenztheit und Unfähigkeit zur Verfolgung größerer und über die engsten Interessen hinausgehen­ der Ziele. Zwischen dem alten Lehnsstaat, dessen Macht, wenn sie sich schon einmal versammelt hatte, der jeweilige Herrscher zu be­ liebigen, wenn auch stets nur kurzen Kraftanstrengungen verwenden konnte, und dem späteren absoluten Staat, der dem Monarchen

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Wiederum, und diesmal iu unendlich feinerer und potenzierter Form, außer den rein-militärischen auch die wirtschaftlichen Hilfs­ mittel zur Verfügung stellte, ist es das Kennzeichen des StändeStaates, zum wenigsten im ausgehenden Mittelalter, daß er die Macht des Staates nach außen weitgehend lähmt und daß wich­ tige und eines besseren Schicksals würdige Kräfte von Fürst und Ständen sich in unfruchtbaren Zwistigkeiten zerreiben. Wenn die Not dringend war und der Feind schon vor den Toren stand, dann fand sich wohl auch der Wille zur Verteidigung; nicht aber wenn die Gefahr noch entfernt, durch andere dazwischenliegende Landes­ staaten getrennt und nur dem Einsichtigen bewußt war. Wie das Reich im größten Maßstabe, so litt natürlich auch schon eine zusammengestellte Territorialmacht, vor allem der Hausbesitz des Königs, an diesen Übeln, nicht etwa nur, wenn sie Reiche einschloß, wie etwa Ungarn oder Böhmen, die ihrer Na­ tionalität nach nicht dazugehörten, sondern auch bei Bestehen aus national gleichartigen Bestandteilen. Bis da der gemeinsame Herrscher eine gleichgestimmte Willensrichtung und die für sie nötigen finanziellen und sonstigen Bewilligungen erzielte, mochte der nützliche Augenblick verpaßt und wohl auch eine Katastrophe eingetreten fein149). So wie diese Lähmung in denjenigen Staaten, die im 17. und 18. Jahrhundert nicht zum Absolutismus gelangten, fast durch­ gängig zu schwersten Störungen führte, am eindruckvollsten im alten Polen, so behinderte sie bereits in ihren Anfängen zur Zeit Sigismunds dessen Hausmacht in ihrem Kampfe gegen die Hussiten von innen und die Türken von außen. Daß vollends der 1410 von den Polen geschlagene Orden von ihr keine Hilfe erwarten konnte, ist leicht zu verstehen; ebenso auch, daß Sigismund in solchen Nöten keine Zeit übrig behielt, um auch im Inneren des Reiches zu arbeiten und eine den allgemeinen Bedürfnissen besser entsprechende Gesamtform zu suchen. Das Reich, besonders auch die Kurfürsten verdachten ihm diese geringe Hingabe an die Reichsgeschäfte und planten wohl gar seine Absetzung. Er selbst suchte gelegentlich die Städte für sich zu gewinnen oder auch die Ritter, über einzelne Programme zur

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Verbesserung der Polizei, Sicherung des Landfriedens, Einteilung in Kreise,Ordnung derMünze usw. kam man aber nicht hinaus, und die zu ihrer Beratung bestimmten Reichstage kamen wohl gar nicht zustande. Indessen ist es doch von großer und symptomatischer Bedeutuvg, daß eigentlich niemand mit der bestehenden Lage der Dinge zufrieden war und die öffentliche Meinung bereits zu Propagierung so radikaler Neuerungen gelangte, wie sie etwa in der „Reformation König Sigismunds" zutage traten. Es war doch nicht nur die Kirche, mit deren Organisation und Trägern man unzufrieden war und über die man auf Reformkonzilien mit Leidenschaft und Sachkenntnis debattierte, wobei die klügsten und für das Geistes­ leben der Zeit maßgebenden Männer auf seiten der Reformer standen; auch auf dem Gebiete des Staates mußte das Königtum sich entweder mit neuem Leben füllen oder endgültig die wichtigsten Sachbezirke des öffentlichen Lebens der landesstaatlichen Regelung freigeben. Im besonderen bedurfte die Frage einer besseren Ge­ richtsverfassung und Zuständigkeitsregelung zwischen Landes- und Reichsgerichten einer vernünftigen Klärung, nachdem auch Not­ behelfe wie die westfälische Feme an ihren Übergriffen gescheitert waren. Die wirtschaftlichen Wandlungen, die Durchdringung des städtischen Lebens mit kapitalistischem Geiste, die Ansammlung von Reichtümern in Händen von Bürgern, deren soziales Geachtet­ sein diesem Vermögen zunächst nicht entsprach und sie dadurch veranlaßte, den Adel im Luxus auszustechen, erregten nun wieder dessen Eifersucht und das Bemühen, die eigenen Güter intensiver zu nutzen, was ohne verstärkten Druck auf die bäuerlichen Hintersassen nicht möglich erschien. Von der Bedarfsdeckungswirtschaft, die sich mit Ablieferung von Naturalien im wesentlichen genügen ließ, gelangte man zur Forderung von Geldabgaben und zwang damit dem flachen Lande die Notwendigkeit auf, für den Markt zu produ­ zieren. Der Bauer entzog sich dem ihn quälenden Grundherrn, wenn irgend angängig, durch Flucht in die Städte, wo nun wieder ein Zunft- und Gesellenproletariat die öffentliche Ruhe zu gefähr­ den drohte. v. Eckartsberg, Zufall oder Schicksal.

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Man konnte daher ernstlich es als eine Gefahr empfinden, daß die propagandistische Wirkung der Hussitenbewegung auch das Reich ergreifen könnte, und wer will sagen, wozu es hätte kommen können, wenn damals etwa schon die Druckerpresse solche Gedanken hätte in die Massen tragen können. Dazu kam es nun aber nicht, die analoge deutsche Revolution von 1525 — auch der englischen von 1381 in vielem vergleichbar — kam erst im 16. Jahr­ hundert zum Ausbruche. Neben der unentwickelten Propaganda und der nationalen Besonderheit der militanten Böhmen trugen auch die barbarischen Formen der Hussttenzüge dazu bei, eine allgemeine Begeisterung für sie hintanzuhalten. Religiöse Sym­ pathien und ähnliche soziale Lage der Unterschichten vermochten über die trennenden Momente der nationalen Verschiedenheit und des rein-tierischen Kampfes um Habe und Leben nicht hinwegzuhelfen. Don seiten der kirchlichen, staatlichen, sozialen und geistigen Situation ist das 15. Jahrhundert eine. Zeit des Überganges und der sich anbahnenden Entscheidungen. Die Besetzung der großen Throne mußte daher jetzt von besonderer Erheblichkeit sein. Da nun geschah es, daß Kaiser Sigismunds Leben und in ihm das Haus Luxemburg 1437 zu Ende ging. In seinen letzten Lebens­ jahren hatte er noch die große persönliche Genugtuung genießen können, daß die böhmische Nation sich ihm endlich mit großen Vor­ behalten und Sicherungen doch ergeben hatte. Als er 1419 das dortige Erbe seines Bruders Wenzel hatte antreten wollen, hatte man ihn als Mörder des Huß mit den Waffen von seiner Haupt­ stadt Prag hinweggetrieben; siebzehn Jahre hatte er mit stets wechselndem Erfolge, von allen Seiten aus, mit allerlei Bundes­ genossen um seine Anerkennung gerungen; ein Jahr nach seinem Erfolge mußte er sterben. Sein Nachfolger in allen seinen Reichen wurde Albrecht V. von Habsburg-Hsterreich, als deutscher König Albrecht II. Seit Albrecht I. 1308 seinem Mörder erlegen war und seine Söhne Friedrich und Leopold glücklos gegen Ludwig den Bayern und die Schweizer gekämpft hatten, war das Haus darauf ange­ wiesen gewesen, sich in einiger Entfernung von der großen Politik in der neuen Heimat einzurichten, die Rudolf I. als Gründer

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seiner historischen Stellung ihm erworben hatte. Aber auch in diesem kleineren Bezirke verlief das Wachstum durchaus nicht ein­ deutig im Sinne der Vereinheitlichung und Befestigung^"). Noch lange blieben Kärnten (bis 1335) und Tirol (bis 1363) außer­ halb ihrer Besitzungen. Der Erwerb Tirols gelang Rudolf IV., der überhaupt eine hervortretende Kraft ist in der Reihe der Habsburgischen Landes­ fürsten, der möglichste Unabhängigkeit von der Reichsgewalt er­ strebte, Primogeniturerbfolge für das ungeteilte Ganze der Haus­ länder und Sicherung der fürstlichen Gewalt nach innen. Das in seiner Kanzlei gefälschte privilegium majus als Ausdruck solcher Gedanken wurde zwar von Karl IV. nicht anerkannt, wohl aber später von Friedrich I I I., womit es geltendes Recht wurde. Seine Erbverträge mit Luxemburg, den ungarischen Anjous und den Grafen von Görz wiesen schon wieder in die Weite. Dann aber folgten Zersplitterungen. Einer leopoldinischen und einer albertinischen Linie traten die Stände, die nach ihrer ersten Glanzzeit unter und gegen Albrecht I. nun einen neuen Aufschwung erlebten, als Vertreter der staatlichen Einheit gegen dynastische Teilungen gegenüber. Daneben liefen immer wieder Zusammenstöße mit den Schweizer Eidgenossen. Durch die Habs­ burger war die Gesamtbelehnung des Geschlechtes in das Thron­ folgerecht eingedrungen. Man hatte dabei die Absicht, auf diese Weise die Unteilbarkeit des Landes zu sichern, ohne doch damit alle Teilungen wirklich vermeiden zu können. Albrecht besaß Erbansprüche auf Böhmen nicht erst durch seine Heirat mit Sigismunds Tochter Elisabeth. Sein Vormund hatte 1404 für den Minderjährigen den alten Erbvertrag zwischen Böhmen und Österreich erneuert, damals sogar mit Vorrang vor dem Ungarnkönig Sigismund. In den Hussitenjahren hatte sich Albrecht dann an der Seite seines Schwiegervaters bewährt und gegen diese allgemein gefürchteten wilden Krieger sehr beachtliche Erfolge davongetragen. Mähren und Budweis waren außer Österreich seinem Schutze überwiesen worden, und der in Ungarn festgehaltene Sigismund lud auf ihn gleichsam die ganze Last dieses Krieges ab. Er widmete sich dieser Aufgabe als „der «n-

ermüdliche Hammer über den Ketzern"*^), wie man ihn genannt hat, oder als ein Spiegel der Ritterschaft, wie Sigismund ihn bezeichnete. Als ernst und fest im Denken, eher strenge als mild, mehr gerecht als gut152) im Handeln kennzeichneten ihn Zeit­ genossen. Das gleiche Urteil könnte man wohl auch auf Albrecht I. anwenden, scheint es doch überhaupt, daß einige stark ausgeprägte Typen in dieser Familie öfters wiederkehren. Selbst in Böhmen fand er nicht nur Feinde, „er war gut, trotzdem er ein Deutscher war, kühn und mitleidig", heißt es bei dem Chronisten Bartoschek von Drahonitz^2) mit einer fast über die anderen Stimmen hinausgehenden Milde. Das Kennzeichnende der historischen Einmaligkeit Albrechts II. ist es nun, daß mit dem gezeichneten leistungsfähigen und erprobten Charakter, vollster Mavneskraft — er stand 1437 im vierzigsten Jahre — und allen Wirkensmöglichkeiten und Entscheidungen, welche die Lage der Welt demjenigen bot und von ihm forderte, der in diesen Jahren zur Krone des Reiches gelangte, eine Erbmasse von Ländern zusammenkam, die im ganzen noch über alles hinaus­ ging, was sich Albrecht I. in seinen letzten Lebensjahren als erreich­ bar geboten hatte. Das Königreich Böhmen, das eben erst Sigismund hatte anerkennen müssen, unterwarf sich verhältnismäßig leicht seinem Nachfolger, da die Kräfte der Abwehr durch den Krieg noch er­ schöpft waren und eine slawophile Polenpartei nicht in Aufnahme zu kommen vermochte. Auch in Ungarn gelangte er 1438 zur Krönung in Stuhlweißenburg, und seine einmütige Wahl zum deutschen Könige erfolgte am 18. März 1438. Wenn man die Verluste abstreicht, die Habsburg seit Albrecht I. in den Alpen­ ländern erlitten hatte, und das holländische Erbe außer acht läßt, das zu erwerben jener doch nicht einmal ernstlich hatte planen können, so übertraf die Stellung des Nachkommen die des Vor­ fahren in der Ausdehnung auf Ungarn, stand ihm dagegen nach im Verzicht auf Meißen und Thüringen, wo die Wettiner nun fest und unangefochten saßen. Zwei andere Länder von größter Zukunft, von denen wir oben auch gesprochen haben, hatte Sigismund in der Hand gehabt

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ii 7 und wieder fortgegeben; vielleicht aus sachlichen Gründen, viel­ leicht auch deshalb, weil ihm Söhne fehlten, um sie in seinem Hause festzuhalten, und gerade aus diesen Ländern sollten dem südost­ deutschen Hausmacht-Kaisertum die ernstesten Gegner kommen, Sachsen und Brandenburg. Das eine war nach Aussterben der wittenbergischen Askanier mit der Kurwürde des sächsischen Stammes an Wettin gekommen, das andere — wieviel Mühe hatte sich Karl IV. darum gegeben! — an Hohenzollern. Beides hat, wie wir heute sehen, eine Ausdehnung Habsburgs nach Norden endgültig abgeriegelt, eine große ostdeutsche Landesmacht, welche das Donaubecken und Ostelbien vereinigt hätte, hat sich nicht mehr bilden können. Wohl aber ging Schlesien mit Böhmen an Habsburg über — die Einheit des Odertales wurde erst 300 Jahre später herge­ stellt—, und in der sächsischen Geschichte bis 1866 wechseln immer wieder die Perioden, in denen Sachsen eine selbständige, mehr oder weniger deutlich antihabsburgische Politik trieb, mit den anderen, in welchen es im Wettbewerb um den nordöstlichen Raum gegen Brandenburg-Preußen stieß und dann — um so entschiedener mit der wachsenden Aussichtslosgkeit seines Führungsanspruches — sich auch wieder an Habsburg lehnte. Gewiß sind Gebirge im allgemeinen eine natürlichere Grenze als Flüsse, aber die Nord­ grenze Böhmens, das Erzgebirge, so wenig wie die östliche der Sudeten, am ehesten noch die westliche des Böhmerwaldes haben doch ein Hin- und Hergreifen der Machtansprüche und Lebens­ gemeinschaften nie ganz unterbinden können. Als Freund oder Feind haben Böhmen und Sachsen immer miteinander zu tun gehabt, und die gemeinsame Berührung mit dem jagellonischen Polen — knapp dreißig Jahre nach Tannenberg — hat Albrecht auch mit Brandenburg und darüber hinaus mit dem Orden zu gemeinsamer Abwehrstellung veranlaßt. Im Reiche traf Albrecht I I. auf eine seit seinem ersten Na­ mensverwandten grundsätzlich geänderte Situation. Seine Wahl war einstimmig gewesen, die Kurfürsten waren der eigenen Stellung und ihrer nun schon seit 100 Jahren verbrieften Rechte hinläng­ lich sicher, um mißtrauischer Vorsicht gegen den Herrn der größten

118

Albrecht I I.

Hausmacht nicht mehr zu bedürfen. Die dort auf ihn wartenden Probleme waren groß, aber für den Augenblick nicht so dringend, daß sie seine persönliche Anwesenheit sogleich erfordert hätten. Diese war vielmehr nötig zur Erwerbung und Sicherung des neuen Hausbesttzes. Die Krone Böhmen war sich ihres Wertes voll bewußt und ihre ständischen Vertreter weit davon entfernt, sich einem fremden Fürsten, mochte auch das Erbrecht für ihn sprechen, bedingungslos zu ergeben; lange wurde geradezu darüber ver­ handelt, ob Albrecht nicht gehalten sein sollte, sein österreichisches Herzogtum der Wenzelskrone dauernd zu übergeben und es zu deren Nebenland herabzusetzen. Außerdem regte sich die polnische Partei. Schon 1438 brachen polnische Truppen in Böhmen ein, die Albrecht in Tabor vergeblich belagerte. Nach seinem Abzüge wichen freilich auch die Polen, die sich mangels Rückhalt im Lande doch nicht dauernd halten konnten. Nach einiger Sicherung Böhmens mit Hilfe böhmischer und österreichischer, aber auch ungarischer und reichsstädtischer Kon­ tingente zog Albrecht über die Lausitz nach Schlesien, wo er schwere Kämpfe mit den eingebrochenen Polen erwartete. Wettiner und Brandenburger beider Linien zog er unterwegs an sich, fand aber dann in Schlesien nicht mehr den vermuteten Feind, da dieser sein Kommen nicht erst abgewartet hatte. In Breslau ließ er sich huldigen. Anschließende Verhandlungen mit Polen führten wenigstens zu einer halbjährigen Waffenruhe. Inzwischen war in Ungarn die Lage kritisch geworden, Sieben­ bürgen wurde von dev Türken verheert, in Serbien bedrängten sie Georg Brankowitsch, im Inneren Ungarns gab es wie in Böhmen eine polenfreundliche Partei, die Barbara von Cilli, die Witwe Sigismunds, mit Wladislaw vermählen und so beide Reiche an ihn bringen wollte. Im April 1439 war Albrecht in Preßburg und rüstete zum Kriege. Vorher, und um seine Lage im Reiche zu sichern, verlobte er eine Tochter mit dem Bruder des wettinischen Kur­ fürsten. In Böhmen drohten neue Unruhen; in Ungarn war die Einigkeit gegen die Türken geringer als das Mißtrauen gegen dev König. Von einem Hilfsaufgebot aus dem Reiche wollte man nichts wissen; dabei war man selbst nicht imstande, Semendria

Albrecht

II.

119

gegen die Türken zu halten. Nach Fall der Festung am 27. August und Überschreitung des Grenzflusses verließen Teile des unga­ rischen Aufgebotes kampflos ihre Stellungen und zogen nach

Hause*"). In umfangreichen Vorbereitungen für den Feldzug des nächsten Jahres ist Albrecht an der Ruhr erkrankt und auf der Rück­ reise nach Wien, wohin er sehnlich verlangte, am 27. Oktober 1439 ohne Hinterlassung eines lebenden männlichen Erben verstorben. Wenn wir prüfen wollen, was sein Tod in dieser Weltlage zu bedeuten hatte, so werden wir zu untersuchen haben, was er in den kurzen zwei Jahren seiner Regierung geleistet hat und was man demnach noch von ihm zu erwarten hatte.

Gerade bei ihm

ist besonders zu trennen, welche Folgen der Fortfall des in seiner Person verkörperten einigenden Prinzips für die einzelnen Teile seiner Herrschaft hatte. Was ein Mann noch hätte leisten und welche Richtung er den großen Problemen noch hätte geben können, das nachträglich festzustellen, wird stets eine undankbare und unstchere Aufgabe sein. Sicherer aber und exakter kann man die tatsächlich erfolgten Ereignisse daraufhin beurteilen, welche von ihnen sich bei längerem Leben des Verstorbenen nicht hätten zutragen können. In Albrechts Falle traten nun die vier Hauptbestandteile seines

Machtbereichs,

Deutschland,

Österreich,

Böhmen

und

Ungarn, mit seinem Tode weit auseinander. Alle vier erlebten in den nächsten Jahrzehnten einschneidende und aus ihrem geschicht­ lichen Leben nicht fortzudenkende Ereignisse. Die noch andauernde Verbindung einiger von ihnen unter seinem nachgeborenen Sohne Ladislaus, dessen formelle Herrschaft sich doch nur wie ein durchsich­ tiger Schleier über die Kämpfe der Machtfaktoren legte und unheimlich-unwirklich zu Ende ging, wie sie bestanden hatte, erhöhte die Verwirrung, denn die bloße Existenz dieses Scheinkönigs ver­ hinderte doch zunächst die Festsetzung der erbfreudigen Jagellonen in Böhmen und Ungarn.

Dadurch wurden die nationalen Re­

gierungen des Georg von Kunstadt/Podiebrad*") in Böhmen und der beiden Hunyadi in Ungarn erst möglich, beides Zeiten nationa­ len Aufschwunges, die zur Bildung der Volkscharaktere unend­ lich viel beigetragen haben.

Die Rolle Albrechts 11. in der Reichsgeschichte hat nur klein sein können. Trotz seiner vorhergehenden Bewährung als öster­ reichischer Landesherr würde es viel zu kühn sein, ihm daraufhin und auf Grund bester Absichten, die er gewiß gehabt hat, nach­ trägliche Lobeserhebungen spenden zu wollen. Ranke selbst warnt davor und berichtet, daß Albrecht doch nie persönlich auch nur im engeren Reiche sich aufgehalten ßaf156). Als Herr mehrerer und in sich so verschiedener Länder und demnach Kenner ihres Sonder­ lebens und ihrer Aufgaben konnte Albrecht gewiß nicht als Ver­ treter eines absoluten königlichen Machtanspruchs, auch nur im Sinne Albrechts l., in das Reich kommen. Er hatte zu lange Kaiser Sigismund als Landesherr eigenen Rechtes zur Seite gestanden, um dieses Verhältnis nun etwa von der anderen Seite her gründlich zu verkennen. Wettin, Hohenzollern und Hessen, die ihm 1438 bereits in Schlesien zur Seite gestanden hatten, waren seine engeren Freunde im Reiche. Indessen war er doch auch nicht gewillt, die Großen schrankenlos gewähren zu lassen. Den kur­ fürstlichen Entwurf für den Nürnberger Reichstag von 1438, welcher vollständige Beseitigung der Fehde, feste Gerichtsordnung, Dezentralisierung der Rechtsprechung, Urteilsvollstreckung und Landfriedenshegung durch Einteilung des Reiches in vier Kreise vorsah, ließ er durch seine Vertreter dahin umgestalten, daß die Gewalt des Königs in ihrem derzeitigen Umfange und die Selb­ ständigkeit des niederen Reichsadels und der Reichsstädte gewahrt ßließ157). Wenn somit seine Willensrichtung wohl dokumentiert ist, so ist doch dieser erste Versuch einer gründlichen Neuordnung bereits Oktober 1438 auf dem Reichstage vollkommen gescheitert, gerade auch an dem Versagen der Reichsstädte. Zu weiteren Schritten in dieser Hinsicht ist es dann unter Albrecht nicht mehr gekommen. Sein Nachfolger aber als deutscher König wurde nun mit Friedrich I I I. eine so merkwürdige und in ihren Anlagen von allem, was wir von Albrecht wissen, so durchaus verschiedene Persönlichkeit, daß wir zwar nicht im Einzelpunkt es nachweisen, aber doch für das Gesamtergebnis mit großer Wahrscheinlichkeit behaupten können, daß Albrecht sehr anders gehandelt haben würde.

Wo der eine energisch und kriegerisch, war der andere zögernd und friedfertig, wo Albrecht über einen Besitz verfügte, der in einigen Jahren in seiner Hand zu einer mächtigen Waffe hätte werden können, war der andere nicht einmal Österreichs unbe­ stritten mächtig, wo Albrechts Möglichkeiten materieller und per­ sönlicher Art immer wieder zu geschichtlichen Spekulationen und auch wohl zu Bedauern über versäumte Gelegenheiten europäischer Geschichte geführt haben, hat man Friedrich III. erst kürzlich wieder mit gutem Recht „einen der uninteressantesten Herrscher"^) nennen können. Und doch ist der eine gestorben nach einem mißlungenen Feldzuge in einem Lande, dessen König er zwar war, das ihn aber kaum mehr liebte als den türkischen Landesfeind, ohne Böhmen innerlich beruhigt und im Reiche durchgreifende Maßnahmen wirklich ge­ fördert zu haben, ohne Erben und gesicherte Zukunft seines Ge­ schlechtes; der andere aber hinterließ einen, wenn schon nicht genialen, so doch glänzenden Sohn, mit dem zusammen er die für ganz Europa schicksalsvolle burgundische Heirat Maximilians hatte vorbereiten können; in Böhmen und Ungarn hatten die großen Nationalkönige, der listige Podiebrad und der glanzvolle Corvine, sich gegenseitig vernichtet oder geschwächt, das Jagellonenhaus erhielt ihren Nachlaß und Maximilian sehr aussichtsreiche Erbansprüche. Österreich selbst hatte der in Wien 1490 gestorbene Mathias nicht für Ungarn erhalten können, durch Aussterben der Tiroler Linie vereinigte sich dieses Land wieder mit dem Haupt­ stamm. Wenn man den Geist der ganzen Epoche bedenkt, die Viel­ seitigkeit und Zersplitterung und doch auch Lebensfrische der überall sich regenden Kräfte bei aller Unabgeschlossenheit — nach oben und unten — der sich formierenden Autonomien, wenn man dem­ entsprechend die Gefahr richtig einschätzt, die aus falschen gewalt­ samen Lösungen, die ebensogut schaden wie nutzen konnten, erfolgen konnte, so kann man ernstlich zweifeln, ob nicht etwa die Art Friedrichs diesem Zustande der Reichsdinge letztlich angepaßter war als die Albrechts159). Sehr anders wären die Erfordernisse an einen deutschen König gewesen und dementsprechend unser Urteil über Albrechts

Verlust für das Reich, wenn außenpolitisch ganz hohe Anforde­ rungen an ihn gestellt worden wären. Das war aber im größten Ausmaße doch nicht der galt160). Seit das Reich selbst seine Kraft nicht mehr nach Italien richtete und auch die Ostkolonisation im engeren Reichsgebiet zum Stehen gekommen war, war Deutsch­ land kein aktiver Partner mehr in der europäischen Politik, konnte es ohne sehr tiefgehende Reichsreform auch kaum wieder werden. Andererseits waren auch die Zeiten noch nicht da, in denen fremde Mächte ihre Kämpfe auf deutschem Boden zum Austrag brachten. Seit den Tagen von Bouvines, als England und Frankreich zu­ gleich auch um dev maßgebenden Einfluß auf die deutsche Krone fochten, oder denen Philipps le Bel und seiner nächsten Nach­ folger, denen der Sieg über den Papst zugleich auch die Be­ stimmung über die jenem unterlegene deutsche Köuigsmacht ein­ gebracht zu haben schien, war im Gefolge des französisch-englischen ivojährigen Krieges, daran anschließend der Rosenkriege in Eng­ land und der innerfranzösischen Sonderstellung Burgunds eine Schwächung der fremden Mächte an der deutschen Westfront ein­ getreten. Gewiß hätte Karl von Burgund161) auch für seinen östlichen Nachbar ein ebenso gefährlicher Nebenbuhler sein können wie für den westlichen, und wirklich griff er schon aus nach unbe­ strittenem Reichsgebiet, aber Frankreich und dem Reiche zur Freude brach er sich den Hals an den €ti>gettofiett162) und Lothringen, und gerade auf dem Gebiete dieses Nachlasses lag dann Friedrichs großer dynastischer Erfolg für seinen Sohn und die Grundlegung zur weltgeschichtlichen Antithese Habsburg—Valois/Bourbon. Im Osten allerdings gingen im zweiten Thorner Frieden

Pommerellen"»)

verloren und andere Gebiete, die heute im wesentlichen den polnischen Korridor bilden, der Hochmeister selbst wurde polnischer Vasall. Wenn man sich der Kombinationen während Albrechts Feldzug in Schlesien erinnert und des dauern­ den Zwanges für jeden Nicht-Jagelloven, als Herrn Böhmens/ Schlesiens sich gegen Polen vorzusehen, so wird man bestimmt annehmen dürfen, daß Albrecht, wenn nicht als König, dann als Landesherr, dem Orden tätige und vielleicht auf lange entscheidende Hilfe gebracht haben würde.

Ob er auch der Hanse hätte helfen können, mag füglich be­ zweifelt werden. Insoweit deren Nöte auf inneren Zwist, etwa der preußischen und wendischen Orte oder Kölns mit den Ostseestädten oder binnenländischer Städte mit den erstarkten Landesherren, zu­ rückzuführen waren, hätten sie sich entweder Albrechts Eingriff entzogen, oder sie wären mit dem allgemeinen Problem der Reichs­ reform zusammengefallen. Verluste aber wie etwa den Nowgo­ rods 164) an Moskau hätte auch ein aktiverer deutscher König schwerlich verhindern können. Das durchaus beherrschende Moment der damaligen deutschen Geschichte blieb doch die Reichsreform in ihren verschiedenen Aspekten, besonders im Zusammenhange mit dem letzten Aus­ klingen der konziliare» Bewegung und seiner Auswirkung auf das Verhältnis des Reiches zur Kirche und zum Papste. So wie die Lage war, daß mannigfaltigste geistige, politische und soziale Kräfte um ihren Anteil an der Gestaltung der deutschen Zukunft rangen, ohne daß klar vor Augen liegende innere Berechtigung dem einen vor den anderen einen deutlichen Vorzug gegeben hätte, hätte es wohl eines wirklichen Genius bedurft — der Albrecht sicherlich nicht war —, um hier die wirklich synthetische, dauerhafte und vor allem einmal mögliche Lösung zu finden. Wohl aber darf man annehmen, daß ein Mann wie er imstande gewesen wäre, den Landfrieden zu bewahren, und das allein wäre wahrhaftig nicht wenig gewesen in diesem Jahrhunderte der überall aufflackernden Städte- und Fürstenfehden, die als konstitutiver Faktor der Landes­ staaten geradezu ein kaum zu ersetzendes Mittel der kleinstaat­ lichen Hauspolitik fcilMen165). Und dann die Kirche! Die große konziliare Bewegung hatte es zwar vermocht, das Schisma zu überwinden und — mit ein­ ziger Ausnahme Felix V. — dem römischen Papst wieder zu allge­ meiner Obedienz zu helfen. In Konstanz und dann in Basel war es auch gelungen, der ausbrechenden Volks-Reformation in Böhmen, die leicht sich hätte ausbreiten können, zunächst den Führer zu nehmen und sie dann selbst einzudämmen. Zeitweise schien es sogar, als ob der große Riß zwischen der westlichen und der östlichen Kirche sich wieder schließen könnte.

Eine allgemeine kirchliche Reform aber weder der Lehre noch der Organisation noch des Lebens wurde nicht erreicht, und der mit neuer Macht bekleidete und seiner Gegenpäpste entledigte römische Papst wuchs über die im Konzil versammelte Opposition mehr und mehr hinaus, zumal deren geistige Führer versagten oder zum Papste übergingen*««). Die weltlichen Mächte selbst bekamen es satt, sich durch die Jntransigenz der Konzilspartei von einer Verständigung mit Rom abhalten zu lassen. Auf Eugen IV., der noch mit dem Konzil zu kämpfen hatte, folgte in Nikolaus V. der erste Renaissancepapst, dessen ganze Haltung beweist, wie sehr sich nun doch schon der Akzent innerhalb der Kirche verschoben hatte und wie wenig das nun in allen Prächten der Kunst aufblühende Rom — das finanziell doch so sehr von seiner Umwelt abhängig war und wurde — von fühlen­ den oder rechnenden Eigenbrötlern im sonstigen Europa zur Zeit zu fürchten hatte. Freilich hatte das Papsttum, um die universale Opposition zu spalten, den Landeskirchen Zugeständnisse machen müssen. Vor allem hatte sich Frankreich in der Pragmatischen Sanktion von Bourges 1438 die „gallikanischen Freiheiten" sichern können, die dann im Konkordat von 1516 im wesentlichen bestätigt wurden. England hatte bereits 1399 die Kirche zu einem Bestandteil des nationalen Staates machen können und den Papst, der früher fast absolut in England geherrscht hatte, eines großen Teiles seiner Macht entkleidet. In Deutschland blieb die Sache noch lange in der Schwebe. Die Kurfürsten waren jetzt, wie schon vor 100 Jahren, dem Papste gegenüber ein Element der nationalen Unabhängigkeit. Sie hatten lange zwischen diesem und dem Konzil eine neutrale Sdtmtg167) beobachtet und auch Albrecht schließlich vermocht, sich ihnen darin anzuschließen; in gleichem Sinn wirkten sie auf Fried­ rich ein. Da ist es nun entscheidend geworden, daß dieser nach einigem Abwarten sich doch für den Papst aussprach und unter dem Ein­ flüsse seines Sekretärs Enea Silvio Piccolomini, des späteren Pius II. und früheren Oppositionsführers in Basel, seinen Frieden mit Eugen machte*««). Das zog dann auch die anderen

Reichssiände schließlich nach sich. Wie überhaupt die Entwicklung dahin ging, im Rahmen der allgemeinen Kirche sich doch beschränkte Landeskirchen ausbilden zu lassen, deren weltliche Beeinflussung in Deutschland freilich nicht dem König, sondern einzelnen Landes­ fürsten zugute kam, so hat Friedrich sich seine Zustimmung als König mit kirchlichen Zugeständnissen an seine Stellung als öster­ reichischer Landesherr bezahlen lassen. Das Wiener Konkordat von 1448 wird daher vom Standpunkt des Reiches aus als klarer Sieg des Papsttums betrachtet und als Einleitung zu dem ent­ scheidenden Siege Pius ll. über die Konzilsidee, indem er die Lehre, wonach die Konzilien über dem Papste stünden, sogar als häretisch verdammen lassen konnte. Nach Ranke ist die deutsche Nation durch dieses Konkordat „dem römischen Stuhle abermals ebenso tributpflichtig wie unterwürfig""») geworden, er glaubt aber auch, daß die Reformation des 16. Jahrhunderts die Stärke ihrer Impulse teilweise aus dem Umstande gezogen habe, daß man im 15. eine Abstellung der Mißbräuche nicht hatte erzielen können. Würde nun Albrecht in diesem Falle anders gehandelt haben? Seine Haltung als König war zunächst dilatorisch gewesen, als Herr von Österreich hätten ihm seine landesherrlichen Interessen eine ähnliche Nachgiebigkeit nahelegen können, und in seinem Kampfe gegen die hussttischen Ketzer findet man Anzeichen kirch­ licher Jntransigenz — die sich freilich ebenso gegen den Papst wie das Konzil hätte wenden können — neben der Entschlossenheit des seine Rechte wahrenden weltlichen Herrschers. Würde aber sein sehr viel aktiverer Charakter und besonders auch die Rücksicht auf seine anderen Staaten ihm nicht doch eine andere Haltung nahe­ gelegt haben? Das Land Böhmen war doch sehr weit davon ent­ fernt, seine Unterwerfung unter Sigismund und dessen Eidam zugleich auch als Unterwerfung unter die römische Kirche zu be­ trachten""). Die bei Lipan geschlagenen Taboriten haben sich in den folgenden Jahren wiederholt geregt, und wenn nicht ihr Kampf­ geist, so doch ihr religiöser Eifer ist auf die mährischen Brüder über­ gegangen. Die Katholiken waren fast mehr königstreue Aristo­ kraten als etwa überzeugte Anhänger des Papstes, und vollends die eigentlich herrschende Partei, die Calixtiner, die Sieger von

Lipan, waren sich ihrer Verantwortung als Hüter der Kompaktaten durchaus bewußt, konnten sich in dieser Hinsicht auch vollkommen darauf verlassen, daß die Volksmassen sie darin unterstützen würden. Die Erlebnisse des Kardinals Carvajal in Prag zeigen das ebensogut wie der allgemeine Unwille gegen den so beliebten König Georg, als er dem Papste seinen Eid erfüllen und die Kompaktaten opfern wollte. Für ein so volles Versagen vor den römischen Anforderungen, wie Friedrich es sich zuschulden kommen ließ, hätten also bei Albrecht die Voraussetzungen nicht vorgelegen. Eine Verbesserung des Konkordats aber vom deutsch-staat­ lichen Standpunkte aus würde, wie bereits angedeutet, den Un­ willen des Volkes im folgenden Jahrhundert gewiß vermindert haben. Ob dann innerhalb der reformatorischen Kreise die an sich doch noch lange vorhandene Strömung für einen gütlichen Aus­ gleich mit Rom nicht doch gesiegt hätte, kann nicht mit Gewißheit behauptet oder bestritten werden. Außerdem würde auch eine positivere Lösung der Reichsreformfrage in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Stellung der Landesfürsten institutionell oder de facto berührt haben, deren Belange zu den stärksten politischen Triebfedern der reformatorischen Bewegung gehören sollten. Die Jmportanz von Albrechts frühem Hingang für die deutsche und europäische politische und Kirchengeschichte darf also behauptet werden, auch wenn man sich hüten muß über Richtung, Ausmaß und Erfolg seiner Handlungen etwas Bestimmtes auszusagen. Sehr deutlich ist ferner die ungeheuere Veränderung, die sein Tod in das engere Leben seiner Erbländer hineingetragen hat. Zunächst Österreichs), das soeben erst nach Sigismunds Ableben erneut in die erste Stellung im Reiche und in europäische Bedeu­ tung hineingelangt war, die es einst durch Luxenburg verloren hatte. Nun begann für es eine neue Periode der Unsicherheit, wenn auch der nach einigen Monaten für das Reich erwählte Friedrich von Steiermark, mit seinem Bruder Albrecht zusammen, über Jnner-Osterreich und als Vormund Sigismunds über Tirol und Vorderösterreich, schließlich als Vormund des erwarteten

Erben des toten Kaisers über dessen großen Erbbesitz rechtlich hätte verfügen können. Aber seine Kraft war bei weitem zu schwach für solche Aufgaben. Von ungarischen Kräften angegriffen, von böhmischen teils bekämpft, teils unterstützt, mit seinem eigenen Bruder Albrecht zeitweise in Fehde, von ihm und den öster­ reichischen Ständen sogar belagert und von Podiebrad heraus­ gehauen, dabei in Ulrich von Cilli und Ulrich Eizing noch weitere sehr ehrgeizige innere Gegner findend, verlor er schließlich Osterreich an Mathias, der damit seinerseits der Verwirklichung eines großen Ostreiches sehr nahekam. Freilich ließ dann Habsburgs traditionelles Glück diesen Widersacher 1490 sterben, und Maxi­ milian nahm wieder Besitz von den Erblanden. Besonders ernst wurde die Lage in Böhmen. So erschöpft und ruhebedürftig dieses Land sein mochte, wo sich gerade deshalb die Kräfte gegeneinander abrangen wie die eines Fieberkranken auf dem Krankenbett, hatte doch Albrechts kurze Herrschaft noch lange keine Beruhigung erzielen können. Selbst mit Polen war 1438 erst eine provisorische Regelung erzielt worden. Jetzt lebten die polnischen Ansprüche wieder auf und sollten durch eine polnische Heirat der Witwe Albrechts verstärkt werden. Wenn demgegen­ über doch des erwarteten und endlich geborenen Erben Ladislaus legitime Rechte Anerkennung fanden, so lag das vor allem in den Interessen des Hochadels, des wahren Siegers der Hussiten­ kriege, der unter sich „auf eigene Faust gegeneinander kämpfte, und wer den anderen übermannte, den machte er untertänig, nahm ihm seinen Besitz, soweit er ihn nicht verdarb, und das dauerte genau bis zur Verwaltung Herrn Georgs von Podiebrad^)". Wie im Reiche im großen, so zog man auch in Böhmen den machtlosen Herrn dem umbequemen Starken vor, fiel dann freilich doch dem Stärksten zur Beute. Manches spricht dafür, daß Ladislaus das hätte werden können; in Österreich und Ungarn zeigte er über­ raschende Eigenschaften, und solange er nicht mit Podiebrad zu­ sammenstieß, ihn im Gegenteil wie einen Vater ehrte, beruhigte sich Böhmen unter beider Hand und schien einer nahen glücklichen Zukunft entgegenzugehen. Aber das gute Verhältnis trübte sich bald. Ladislaus starb, wie immer wieder behauptet, aber nicht

unzweifelhaft bewiesen wurde, durch Gift, und auf die Verwaltung Podiebrads173) folgte nun seine offene Königsherrschaft. Es war das ein Sieg der Persönlichkeit über die Legitimität, des Wahlrechts über das Erbprinzip, des Tschechen über den Fremden, des Calixtiners über den Katholiken. Dieser Gegensätze waren zu viele, als daß man einen friedlichen Fortgang hätte erwarten können. Eine neue Epoche der Hussitenkriege brach aus, wenn auch ohne den brausenden Schwung der alten Volksbewegung, und endlich endete das mit einemKampf des Ungarnkönigs mit den Jagellonen, deren Erbrecht Georg kurz vor seinem Tode zum Schaden der eigenen Söhne hatte anerkennen müssen, um Böhmen und seine Nebenländer, von denen dann Böhmen an Wladislaw, Schlesien^) und Mähren an Mathias kamen. Die zwanzig Jahre der Herrschaft Georgs aber, für welche bei Lebzeiten Albrechts die Voraussetzungen gefehlt hätten, haben über Böhmen hinaus das nationale, ständische und reformatorische Prinzip gestärkt, indem sie gegen die universale Kirche und die über­ nationalen geschichtlichen Dynastien einen lebhaften Widerstand lei­ steten, welcher auf die Geschichte Mittel- und Osteuropas im 15. bis 17. Jahrhundert von großem Einfluß gewesen ist. Darüber hinaus ist es dann gerade die durch Podiebrad verstärkte hussitische Tradition, in Verbindung mit den Ereignissen von 1547 und 1618 — um nur diese Daten zu nennen —, welche die innere Haltung der nationalen und politischen Wiedergeburt des tschechischen Volkes und sein eigenes Wunschbild von sich selbst vom 18. bis zum 20. Jahrhundert maßgebend bestimmte. Wenn es in Böhmen so gewesen war, daß Albrecht in einem Augenblick zur Herrschaft gelangte, als das Land ein halbes Menschenalter gewaltigster Anstrengungen und kriegerischen Glan­ zes hinter sich hatte, kann man umgekehrt von Ungarn sagen, daß es in seinem langen und wechselvollen Kampfe mit den Osmanen sich nunmehr der Periode näherte, in welcher es aus eigener Kraft die größten Erfolge und für einige Jahrzehnte fast eine europäische Großmachtstellung erlangen sollte. Bald nach Sigmunds Nieder­ lage bei Nicopolis hatte die osmanische Macht einen furchtbaren Rückschlag erlitten. Aus den Steppen Hochasiens hervorbrechend

Albrecht II.

I2Y

hatte Timur 1403 bei Angora den Sultan Bajesid geschlagen und gefangen. Damit erhielt das christliche Konstantinopel eine letzte Frist von 50 Jahren, auf dem Balkan trat vorübergehend ein Stillstand in der türkischen Vorwärtsbewegung ein, und wir sahen bereits, daß Aussichten bestanden, durch eine Vereinigung der östlichen und der westlichen Kirche die Einheit der christlichen Welt wiederherjustellen. So wie aber diese Bemühungen keinen Er­ folg hatten, so unterschätzte man in Ungarn die trotz Angora fortdauernde Gefahr; Albrecht mußte sich in seinem Türkenkriege der geringen Unterstützung durch das eigene Land bewußt werden. Sein Sohn Ladislaus wurde als dreimonatiges Kind 1440 ge­ krönt. Dann aber siegte über ihn das Jagellonenhaus; Wladislaw verdrängte ihn, übernahm seinerseits den Türkenkrieg, anfangs nicht ohne Erfolge. 1444 aber wurde er bei Warna vernichtend ge­ schlagen und getötet. Sein Ratgeber war jener Kardinal Julian Cesarini gewesen, der mit seinen Kreuzpredigten vor Taus 1430 schon einmal ein Kreuzheer ins Verderben geschickt hatte. 1445 wurde nun doch Ladislaus als König von Ungarn ange­ nommen, von seinem Vormund Friedrich aber ebensowenig den Ungarn wie den Böhmen persönlich übergeben. Friedrichs Wün­ schen entgegen wurde nun auch hier ein bewährter Held der Nation, Johann Hunyadi, zum Gobernator bestellt, der nicht ohne Rück­ schläge, im ganzen aber doch mit hohem Ruhme gegen die Türken focht. Als er tot war, folgte eine kurze Zwischenzeit, in welcher König Ladislaus sich in Ungarn durchzusetzen suchte und sogar einen von Hunyadis Söhnen hinrichten ließ. Der andere, Mathias 17S), war eine Zeitlang gefangen, wurde aber nach Ladislaus' Tode sogleich von Podiebrad freigelassen und seiner Bestimmung, Un­ garns größter Nationalkönig der neueren Zeiten zu werden, zu­ rückgegeben. Ob seine spätere Großmachtpolitik letztlich tragbar war und nicht bei längerem Bestehen an inneren Schwächen zu­ grunde gehen mußte, haben wir hier nicht zu fragen, wohl aber dürfen wir auch von ihm sagen, daß bei längerem Leben Albrechts er wie vor ihm sein Vater schwerlich über die Rollen dienender Feldherren hinausgewachsen wären. v. Eckartsberg, Zufall oder Schicksal.

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Albrecht II.

Es will uns somit scheinen, daß selten in der Geschichte ein Mann in eine Stellung hineingeboren wurde, die vielseitiger war und ebensowohl gefährliche wie aussichtsreiche Aspekte zeigte, wie Albrecht II. Keines seiner Arbeitsfelder, das nicht bestritten und von außen wie von innen bedrängt gewesen wäre, keines aber auch, in dem nicht in den nächsten Jahrzehnten und Jahren akute und konstitutionelle Entscheidungen fällig wurden, in denen ein kluger Kopf und eine feste ruhige Hand vieles, wenn nicht alles ausrichten konnten. So groß die Zahl der Feinde auch war, so waren ihre Richtungen und Ziele doch so divergierend, daß sie niemals zu einer einheitlichen Politik sich vereinigen konnten. Man bedenke nur, um das einzusehen, daß in manchem Betracht der römische Papst dazu ebenso gehörte wie die Türken, hussitische Extremisten in Böhmen, polnische Parteigänger in Böhmen und Ungarn, Karl von Burgund oder etwa sich bildende Oppositionen im Reiche. So groß demnach Albrechts Aufgabe war, so war sie doch vielleicht nicht unmöglich; ein Zweifel daran, ob sie gerade ihm möglich war, wird freilich nie ganz zu überwinden sein.

Moritz von Sachsen „Gott wird kommen" Letzte Worte M. v. ®.176)

Mit der Behandlung des sechsten Mannes unserer Reihe treten wir in den Bereich einer ganz anderen Zeit und nun schon wesentlich gewandelter Formen des öffentlichen, politischen und geistigen Lebens. Es bleibe dahingestellt, ob wir uns im 16. Jahr­ hundert noch im Mittelalter oder schon in der Neuzeit befinden, und es kommt uns nicht zu, das Wesen der Reformation, der Renaissance und des Humanismus, in deren Zeichen diese Zeit stand, in unzureichenden Worten zu umschreiben. Wie sehr doch die allgemeine Lebenslust sich geändert hatte, das erkennt man viel­ leicht am deutlichsten an der durch Buchdruck und Hebung der Bil­ dung in Schulen und Universitäten mächtig gesteigerten Bedeu­ tung der öffentlichen Meinung. Das allgemeine geistige und reli­ giöse Interesse und die neuen Mittel, es zu befriedigen, veränderten die Luft, in der die Menschen atmeten und wirkten, sie verschob das Kraftverhältnis der geschichtlichen Komponenten und läßt uns jene Tage doch schon unendlich näher erscheinen, als es noch das 15. Jahrhundert je werden kann. Um die Mitte des Jahrhunderts der Reformation hat der albertinische Wettiner Herzog, dann Kurfürst, Moritz von Sachfeit177) wenige Jahre hindurch eine bedeutungsvolle und in einem Augenblick providentiell entscheidende Rolle gespielt, um dann in einer sehr bemerkenswerten Fürstenfehde zu versinken77^. Die beiden Anlässe seines welthistorischen Auftretens, 1546/47 und 1552, waren so aufsehenerregend, seine Handlungsweise so aus dem Rahmen fallend, so wechselnd zwischen den Fronten und demnach so angefochten und scharf kritisiert von den Zeitgenossen, offenbar so frei von Skrupeln und Hemmungen des Gewissens und doch wieder scheinbare Anzeichen eines überlegenen politischen Sinnes

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Moritz von Sachsen.

und eines in tieferem Sinne auch wieder berechtigten Wirklich­ keitsgefühls, daß es diesem Fürsten an Interesse nie gefehlt hat und daß sein jähes Verschwinden aus der Zeitgeschichte, in welcher er sich einen so überragenden Platz gesichert hatte, sehr wohl ju der Frage berechtigt, was bei weiterem Leben von ihm zu erwarten gewesen wäre. Wie schon bei anderen unserer Beispiele werden wir uns davor hüten müssen, aus einer mehr oder weniger zutreffenden Einsicht in den Charakter auf künftige Taten schließen zu wollen. Gewiß ist diese Versuchung größer bei einer uns zeitlich und verständnismäßig näherstehenden Persönlichkeit, zu deren Erkenntnis uns zudem auch eingehendere Quellen zur Verfügung stehen würden als bei den Kaisern des Mittelalters und außerdem haben wir es hier mit einer so komplexen und unsere Anteilnahme, wenn schon kaum unsere Sympathie fesselnde Gestalt zu tun. Andererseits ist es aber auch wieder die Sprunghaftigkeit Moritz', welche es unfrucht­ bar erscheinen läßt, aus seinem Wesen mögliche oder wahrschein­ liche Reaktionen auf zu erwartende Lagen konstruieren zu wollen, und vollends ist die Zeit so reich an plötzlichen Umschlägen, die Zahl der wirkenden Faktoren in der deutschen Territorialwelt und der von Spanien, Frankreich, Papst und Türken nun wieder stark auch von außen her bestimmten Gesamtentwicklung eine so große, daß wir auf die lockende psychologische Aufgabe verzichten müssen. Es hat uns zu genüge», wenn wir Moritz' Wirken und das Gewicht seines Todes auf den vier Sachgebieten betrachten, auf denen er historisch hervortrat: als Fürst im Verhältnis zum Kaiser und überhaupt im Kraftfelde des Reiches, als Protestant innerhalb der Reformationsbewegung und des Kampfes um sie; als Albertiner innerhalb des wettinischen Gesamthauses und seiner deutschen Möglichkeiten und als Territorialherr auf dem Arbeits­ felde der innerstaatlichen und kulturpolitischen Organisation. Die Teilung*^) des wettinischen Besitzes zwischen Ernestinern und Albertinern 1485 hatte die Gesamtstellung des Hauses schwer erschüttert und eine Menge von Reibungsflächen innerhalb des bestehenden Besitzes und noch mehr der vor den Toren liegen­ den Ziele entstehen lassen.

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Weder das in Wittenberg und Torgau — dem alten askanischen Ostsachsen — herrschende aber auch mit meißnischen und thüringischen Gebieten bedachte Kurfürstentum noch das Herzog­ tum mit den Städten Leipzig, Freiberg und Dresden konnte als eine Macht von starkem Eigengewicht angesehen werden. Freilich genoß Kurfürst Friedrich der Weise eines hohen persönlichen An­ sehens dank seiner Würde und Besonnenheit und seiner eifrigen Teilnahme an den Reichsreformplänen des Erzbischofs Berthold von Mainz; im Gegensatz zu Herzog Albrecht folgte er mehr der kurfürstlichen als der kaiserlichen politischen Linie. Man weiß, daß er zeitweise als möglicher Nachfolger Maximilians genannt wurde, eine Würde, auf die er selbst keinen Anspruch erhob, und man kennt seine große Rolle als Beschützer Luthers und Schirmherr der Universität Wittenberg, in welcher ihm sein Bruder Johann und dessen Neffe Johann Friedrich, der Unterlegene von Mühlberg, getreulich folgten. Albrechts Söhne dagegen, Georg der Bärtige in DresdenLeipzig und Heinrich mit seinem kleinen Hofe in Freiberg, ver­ blieben bei dem katholischen Glauben. In Freiberg ist Moritz 1521 zur Welt gekommen. Von zuerst sehr geringen Erbaus­ sichten, die sich durch Ausfall der Söhne seines Oheims Georg sehr bald verbesserten, erhielt er eine Erziehung, auf welche Georg Ein­ fluß nahm, in der deutlichen Absicht, sie in katholischem Sinne ver­ laufen zu lassen. So kam er 1532 nach Halle an den Hof Erz­ bischofs Albrechts, wo humanistische Strömungen sehr stark waren. Diese berührten ihn hauptsächlich durch den jungen Christoph von Carlowitz^»), der ihm später politisch diente und der in seiner Jugend in Basel ein Schüler des Erasmns gewesen war. Von 1534 an lebte er drei Jahre in Dresden, wo der ältere Staats­ mann Georg von Carlowitz in sich einen toleranten und zu Nach­ giebigkeit geneigten Katholizismus verkörperte. Moritz war daher sehr wenig voreingenommen, als er nach dem durch seine prote­ stantische Mutter veranlaßten Glaubenswechsel des Vaters in seinem 16. Jahre nach Wittenberg kam, wo man ihn nunmehr zu einem überzeugten Anhänger der neuen Lehre zu machen gedachte. Freilich hatte man damit keinen großen Erfolg. So wie ihm schon

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in seiner Mutter der Protestantismus in wenig bezwingender Gestalt entgegengetreten war, so gewannen weder sein Vetter, der regierende Kurfürst, noch Luther selbst und die Männer seines Kreises einen Zugang zu seinem inneren Wesen. Am ehesten verband ihn mit den Führern der Reformation sein Schwieger­ vater Philipp von Hessen. Dessen Tochter hatte er gegen den Willen seiner Eltern geheiratet, in allen Lagen seines früh begonnenen und doch kurzen Herrscherlebens stand er mit ihm in freundschaft­ licher Verbindung, ohne doch jemals seinem Rate kritiklos zu folgen. Philipp und Johann Friedrich waren die Häupter des Schmalkaldener Bundes; ihr begreiflicher Wunsch war es, ihren jungen Verwandten und Glaubensgenossen, der seinem Oheim Georg (gest. 1539) und seinem Vater (gest. 1541) als Haupt der Alber­ tiner gefolgt war, ebenfalls in diese Verbindung hineinzuziehen. Dem hat sich Moritz mit Erfolg widersetzt. Persönlich mochte dabei der Gegensatz zu den Ernestinern, besonders seinem nicht gerade geliebten regierenden Vetter — „Hans Dickwanst" — dabei im Spiele sein. Außerdem wirkten seine religiöse Gleichgültigkeit und auch katholische Neigungen, die bei dem meißnischen Adel noch ziemlich rege waren, und überhaupt der albertinische Grundsatz, daß man in weltlichen Dingen nicht gegen, sondern mit dem Kaiser gehen müsse, eine Ansicht, die besonders von den beiden Carlowitz, Oheim und Neffe, vertreten, aber auch sonst von den führenden Räten des Dresdener Hofes geteilt wurde. Es hat geradezu eine Art von Rivalität bestanden zwischen Philipp und dem älteren Carlowitz^) um den Einfluß auf den jungen Herzog; auch Moritz' junge Gemahlin Agnes hat es nicht vermocht, ihn bindend auf die Seite ihres Vaters und der Schmalkaldener herüberzuziehen. An diesem Kampfe um die Stellungnahme des Herrn des albertinischen Sachsen beteiligte sich aber auch noch eine andere Macht mit allem Raffinement von Drohung und Versprechen, dem auf den jungen geltungsdurstigen Mann sehr wirkungsvollen Mittel äußeren Glanzes und allen Künsten einer romanischen und in hoher Politik geschulten Menschenbehandlung. Das war der Kaiser Karl V. selbst, sein Berater Granvella und sein Bruder

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Ferdinand, Herr der deutschen Erblande und Böhmens und „alter ego“ seines kaiserlichen Bruders. Es hat einige Zeit ge­ dauert, bis Moritz sich in die inneren Geschäfte seines Landes so weit eingearbeitet hatte, um seines alten Mentors Carlowitz ent­ behren zu können. Seine begabte, lebhafte, genußsüchtige Natur machte ihn außerdem zu stetiger Arbeit weniger geeignet und ließ ihn militärische Tätigkeit im Heere der Habsburger suchen. Seine diesbezüglichen Verhandlungen mit den beiden Brüdern und deren Verhalten zu ihm sind sehr bezeichnend. Bei allem Wohl­ wollen, dessen ein junger Fürst von gewissen Aussichten und in den Zeitverhältnissen schwankender Haltung von seiten des regierenden Oberherrn gewiß sein konnte, erkennt man doch zuerst sehr deut­ lich eine gewisse Distanz des Weltherrn zu dem Kleinfürsten; man will gleichsam dem jüngeren Standesgenossen, der einem später wohl auch einmal nützlich werden kann, den Weg zu einer größeren militärischen und politischen Zukunft nicht verschließen, ist aber doch weit davon entfernt, nun etwa dessen von einem recht ge­ sunden Erwerbstrieb diktierten Soldforderungen zu entsprechen und kommt ihm nur so weit entgegen, als es sachlich nötig er­ scheint. Moritz hat sich dadurch nicht abschrecken lassen, sein Streben nach größeren Verhältnissen und auch sein militärischer Taten­ drang, der stets in ihm wirkte und auch schließlich seinen über­ flüssigen Tod verursachte, war zu lebhaft, als daß er sich durch nicht berücksichtigte Forderungen davon hätte abhalten lassen, Kaiser Karl in Frankreichs) und seinem Bruder in Ungarn zu dienen. Seine bereits einer engeren Familientradition und seiner persönlichen politischen Erziehung durch Carlowitz entsprechenden Beziehungen zum Kaiser wurden durch das menschlichere Band gemeinsamer Kriegserlebnisse verstärkt und noch sind die Beziehun­ gen des Kaisers zu den Schmalkaldenern nicht so gespannte, daß eine entschlossene Wahl von Moritz gefordert wurde. Freilich spitzen sich die Dinge zu, und in dem Maße, wie die Polarität wächst, verstärkt sich das Interesse beider Teile, das kleine, aber auf der Waage der Entscheidungen doch zählende Herzogtum Sachsen für sich zu gewinnen. Mit den Ernestinern freilich bestehen manche Anlässe zu Reibungen, die wir hier nicht

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verfolgen können: die Wurzener Fehde, die Besetzung der Stifter, besonders die von Magdeburg/Halle, dessen Besitz auch in einem weiteren Rahmen bedeutend werden kann; ganz ohne Neid wird auch die Kurwürde des Ernestiners von Moritz nicht gesehen worden sein, und die Lage verwickelt sich weiter dadurch, daß im Falle eines großen Konfliktes auch wohl noch andere Bewerber da sind, die, wenn man selbst nicht aufpaßt und zur Stelle ist, einem zuvorkommen können. Brandenburg etwa zielt auch auf Magde­ burg und hinter dem Gebirge nach Böhmen hin hat König Fer­ dinand jene alten, bereits erwähnten Bindungen auch noch nicht vergessen: die Bergstädte zum mindesten mit ihren noch ergiebigen Silberadern würden sich nicht übel mit dem böhmischen Joachimstal vereinigen lassen; die Sechssiädte der Lausitz gehören noch zu Böhmen und ihr Gebiet wäre der Erweiterung fähig. Ein Sieg der Habsburger ohne Moritz könnte also für diesen sehr bedenkliche Folgen haben. Ein erster Anlaß zur Bestätigung praktischerStaatskunst im Grenzgebiete zwischenKaiser undSchmalkaldenern ist die Braunschweiger Fehde. Hier war Heinrich der Jüngere von Braunschweig-Wolfenbüttel, Hauptvertreter des Katholizismus in Norddeutschland, mit den Schmalkaldenern in ernste Schwierigkeiten geraten; rein geographisch ist klar, wie sehr diesen bei einem etwaigen Konflikte mit dem Kaiser ein entschlos­ sener Feind im Rücken gefährlich sein mußte, wie sehr andererseits der Kaiser zu wünschen hatte, daß dieser Mann nicht vernichtet wurde. Moritz sollte in seinem Auftrage vermitteln, wobei der Nebengedanke, den Vermittler selbst sich näher zu verbinden, auf der Hand lag. Zunächst aber gelang es doch Moritz" Ver­ wandten, Philipp und dem Kurfürsten, diesen zu bewaffneter Hilfe zu gewinnen. In der Schlacht von Kalefeld am 21. Oktober 1545 stand Moritz mit seinen Truppen tatsächlich auf seiten der Schmalkaldener, auf seinen Rat ergab sich Heinrich seinem Feinde Philipp; trotzdem erklärte Moritz laut, daß er nur den Verwandten, nicht etwa aber dem Schmalkaldener Bunde Hilfe geleistet habe. Nach Meinung seines Biographen Brandenburg benahm sich Moritz in dieser Sache „völlig planlos und unpolitisch""^). Der Braun­ schweiger und die Katholiken schrien über Verrat, der Kurfürst

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war entrüstet über die Heimlichkeiten zwischen den drei anderen, der Kaiser konnte mit der Festsetzung des Braunschweigers unmög­ lich zufrieden sein. So näherte man sich den Entscheidungen: Moritz' Haltung im einzelnen darzustellen ist nicht unsere Aufgabe, das Wesentliche darf vorausgesetzt werden. Den Augen der Zeitgenossen, welchen jeder Krieg, in welchem über Dinge des Glaubens gestritten wurde, als ein Kampf von Gott und Satan erschien, auch wenn etwa der Kaiser trotz seines Bundes mit dem Papste und der allgemein an seinen Zug geknüpften Erwartungen den religiösen Charakter des Krieges mit einigem Rechte leugnete, erschien Moritz' Ver­ halten als ein schwarzer Verrat an seinem Glauben, seinen Ver­ wandten und der protestantischen Mehrheit seiner Untertanen. Brandenburg glaubt nicht^) an das Vorhandensein vorgefaßter so schwarzer Pläne, vielmehr an die langsam und schrittweise sich herausstellende Unmöglichkeit für einen Menschen seines Charak­ ters und seiner politischen Stellung, in diesem religiösen und politi­ schen Prinzipienkampfe neutral zu bleiben. Hätte es ihm einerlei sein können, wenn eine der Parteien ohne sein Zutun restlos ge­ siegt hätte? und dann ohne ihn über die Siegesbeute verfügte? Siegte» die Schmalkaldener, so sank das Herzogtum gegenüber dem Kurfürstentum in Bedeutungslosigkeit und die Verfügungen über die Stifter wurden ohne Moritz getroffen. Siegte der Kaiser und verlor Johann Friedrich Land und Kurwürde — die jetzt Moritz beide von den Habsburger» lockend vor Augen gehalten wurden —, so entging ihm das eine wie das andere und mög­ licherweise würde ihn dann Ferdinands Macht mit vollkommenster Überlegenheit umklammert haben. Seine Räte wurde» nicht müde, ihm die kaiserliche Übermacht vor Augen zu stellen, ein Sieg der Gegenpartei sei vollkommen unmöglich. Und mußte es nicht sogar im religiösen Interesse, wenn nicht seiner Person, dann seiner protestantischen Untertanen liegen, daß die zweifelhafte Fiktion, es handelte sich nicht um einen Glaubenskrieg, aufrechterhalten wurde? Als Helfer des Siegers konnte er mehr tun, diese Fiktion zu einer Wirklichkeit zu machen und die Religionsfreiheit zu schützen, wie als entwerteter Neutraler oder ausgeschalteter Besiegter.

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Eine Möglichkeit hätte noch darin liegen können, mit Hilfe anderer Fürsten eine dritte Partei zu bilden, um so zwischen den Kämpfenden eine Macht der Ruhe z« schaffen und allzu über­ wältigende Siege zu verhindern. Tatsächlich hat Moritz so etwas unternommen und besonders mit Joachim von Brandenburg dahinzielende Verhandlungen gepflogen. Der jeweilige Sieger des zu erwartenden Krieges sollte von den Verbündeten aufgefordert werden, ihre Gebiete und Gerechtsame zu achten, widrigenfalls man sich wechselseitig helfen sollte. Durch Brandenburg sollte ver­ sucht werden, auch Polen, Pommern und Mecklenburg an diese dritte Partei heranzubringen. Moritz hoffte — erstaunlicherweise — auf Böhmen^«), wenn nicht auf den König, so doch auf die protestantenfreundlichen böhmischen Stände, die dann später ja auch wirklich gegen ihren König ins Feld rückten, ohne dabei die Ent­ schlossenheit aufzubringen, die ihnen allein Erfolg und im Falle des Mißlingens Straflostgkeit hätte sichern können. Auch jener Plan einer großen dritten Partei scheiterte; nur äußerste Festigkeit zu allem entschlossener Partner hätte ihn durchführen können. Sachsen und Brandenburg aber waren doch zugleich Nebenbuhler in Magdeburg, Moritz stand zugleich in Verhandlungen mit Habs­ burg und Brandenburg konnte mit einigem Grunde der Auffassung sein, daß es selbst von dem Schauplatz der deutschen Entscheidungen in Süd- und Südwestdeutschland doch noch sehr weit entfernt war. Es ist überhaupt ein Kennzeichen von Moritz' Haltung im Schmalkaldener Kriege, daß er dauernd mit beiden Parteien in Verbindung blieb. So wie selbst seine Besetzung von des Vetters Land in dem Lichte dargestellt werden konnte, daß des Abwesenden Hab und Gut vor Dritten zu schützen sei — eine Behauptung, die tatsächlich etwas für sich hatte —, so ist auch wieder verhandelt worden, als der eiligst von der Donau heranziehende Kurfürst den zweideutigen Vetter in dessen eigenem Lande angriff und seinen Verbündeten, Markgraf Albrecht, bei Rochlitz bereits ge­ schlagen hatte. Noch immer unterließ es Moritz, die ihm vom Kaiser bereits zugesprochene Kurwürde tatsächlich zu tragen und damit die endgültige Entscheidung zu treffen, zu der man ihn drängen wollte. Auch Joachim hat sich da nochmals in die Ver-

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Sachsen.

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Handlungen der Wettiner unter sich und mit dem Kaiser einge­ schaltet. Dann erfolgte des Kaisers Zug aus Nürnberg nach Eger und seine dortige Vereinigung mit Ferdinand und Moritz. Die Trup­ pen der böhmischen Stände, die zu lange gewartet hatten, wagten nicht mehr"?) nach Sachsen Johann Friedrich zujujiehen und auch für Moritz konnte es nun keine Wahl mehr geben, wohin er und seine Leute gehörten. Da hat er mit seiner Macht und auch seiner Person nicht länger gemarktet; mit Albas Reitern ist er bei Mühlberg unter den ersten durch die Furt geritten, bevor noch die Schiffbrücke für das Heer fertig geworden war.

„Wir wollen dem Krieg ein Loch

machen""«) soll

er dabei gerufen haben. Schon aber während des Kampfes, dessen Ausgang und Folgen kaum zweifelhaft sein konnten, schickte er einen Boten zu seinem Vetter, riet zur Erge­ bung und bot seine Vermittlung an. Aber Johann Friedrich ließ es darauf ankommen, sich gefangennehmen zu lassen. Vor seiner noch haltenden Festung Wittenberg wurde er zum Tode verurteilt und nur nach Eingehung der Wittenberger Kapitulation zur Ge­ fangenschaft begnadigt. Die Kurwürde und ein Großteil des Land­ besitzes ging von den Ernestinern auf den Albertiner Moritz über, nach allgemeiner Auffassung erhielt der Judas seinen Lohn. Mit Johann Friedrich hatte Moritz sich niemals verstanden und in vielen Einzelheiten war er sein Gegner gewesen. Mit Philipp von Hessen dagegen, dem zweiten Haupte der Schmalkaldener, dem es nunmehr ans Leben ging, vereinigten ihn enge per­ sönliche außer den verwandtschaftlichen Banden. Noch während des Krieges hatte sich Moritz mehrfach für ihn bemüht, Sonder­ friedensvorschläge gemacht, die jener zurückwies, teilweise einfach ohne Antwort ließ. Nun hatten sich die Zeiten geändert, ein wei­ terer Widerstand konnte kaum noch Nutzen bringen, und jetzt nahm Philipp das an, was Moritz und Joachim von Brandenburg für ihn mit Karl beziehungsweise dem Bischof von Arras vereinbart hatten. Viel Günstiges war es nicht, immerhin glaubten die Ver­ mittler ihrem Verwandten seine persönliche Freiheit dem Sinne der Abmachung nach gesichert zu haben. Der Kaiser aber und seine

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Räte bestanden auf dem Buchstaben und Philipp wurde fest­ gesetzt; Joachim aber und namentlich Moritz fühlten sich durch diese Auslegung betrogen und dem Gefangenen gegenüber in ihrer Ehre verletzt^»).

Man hat keine Veranlassung an der Aufrich­

tigkeit dieser Gefühle zu zweifeln. Einem so ehrgeizigen und rasch auffassenden Kopfe wie Moritz, der in den letzten Jahren schon manches Pröbchen spanisch-burgundischerStaatskunst gesehen hatte, mochte dieses neue Stück eine weitere und in manchem Betracht ausschlaggebende Lehre sein. Zunächst freilich schien Karl auf der Höhe seiner Ziele und Erfolge angelangt""). Wie einst Barbarossa mit italienischen Gel­ dern und dort geschulten Truppen über Heinrich den Löwen gesiegt, Norddeutschland unter sich gebracht hatte, so hatte nun Karl mit spanischen Truppen aus Italien und den Niederlanden, mit Hilfe des Geldes der neuen Welt und des Papstes, auch mit Unterstützung seines Bruders und der deutschen Erblande seines Hauses, den ständisch-protestantischen Widerstand niedergeworfen. Fast dreißig Jahre hindurch hatte er dem Ergebnis zugestrebt, das ihm nun greifbar vor Augen lag, alle in ihm liegenden An­ lagen, deren Ausmaß beträchtlich war, hatte er in den Dienst seiner Ideen gestellt und in dieser steten Schulung und Anpassung waren sie so hart wie zäh geworden. Er war habgierig, berechnend, unversöhnlich, national indif­ ferent, schonungslos, dabei aber doch ein nicht unritterlicher Geist, der erhabener Ruhe, Schwunges der Gedanken und Seelenstärke fähig war. Er erschöpfte sich nicht in Familienstolz und kleinlicher Sammlung von Ländern. Er erfaßte seine Aufgaben von innen: er wollte ein Kaiser sein im alten universalen Sinne, gleichzeitig das weltliche Oberhaupt der Christenheit und der Vogt ihrer Kirche, trotz seiner Wahlkapitulation wollte er keine Puppe der Reichsstände sein, sondern der Herr des Reiches; weder die Fürsten sollten mit ihm spielen, noch sollten sich Papst und Kirche im Schutze seines Schwertes

den nötigen Reformen entziehen dürfen; insofern

sollten auch die Protestanten seinen Zwecken dienen. Er war kalt und nachtragend und doch hat er 1521 das gegebene Wort höher gestellt als die kirchliche Satzung — Ranke"*) nennt das seine uni-

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141 versalhistorisch größte Handlung — und als alter Mann hat er sich selbst seiner Würden entkleidet und sich in halbe Einsamkeit zu­ rückgezogen. So war der Mann, der die spanische Krone über ihre Stände erhöht hatte, während ihm Cortez ein transatlantisches Kaiser­ reich eroberte, der bei Pavia gesiegt und das Rom der Renaissance zerstört hatte, der von Osten und Südosten weiter in Frankreich eingedrungen war als irgendein Kaiser seit Otto 11. und der nun nach Mühlberg das Schicksal der Reichsverfassung und der Kirchenreform in seinen Händen zu tragen schien. Es hat viele Deutsche gegeben, und nicht nur Katholiken, die noch nachträglich sein Scheitern bedauert haben und für das Positivum einer organischen Reichsreform und einer erneuerten katholischen Landeskirche mit ähnlicher Unabhängigkeit von der Kurie, wie die französische oder englische sie sich hatte sichern können, selbst einen Untergang der spezifisch deutschen Reformation in den Kauf gegeben haben würden. Es ist die historische Stunde für Moritz von Sachsen gewesen, daß er die Schwächepunkte des neuen Weltherrn erkannte und seine in bitteren Erfahrungen gewonnenen Einsichten und Kräfte, derengleichen in ihrer Eigenart wir sonst in Deutschland nicht finden, scharfe Erfassung des Naheliegenden bei Wahrung geheimer Pläne, eine Art praktischer Zweideutigkeit und Meisterschaft in der Ver­ stellung, im richtigsten Augenblicke mit der Eingebung und dem Mute eines begnadeten Kavallerieführers zur Geltung brachte und das neue Weltgebäude zerschlug, ehe es sich noch hatte festigen können — oder wie manche glauben, es in seiner bereits be­ stehenden „Nullität" ^2) offenbarte. Und tatsächlich waren doch die Schwächen von Karls Stellung gewaltig und liegen uns heute deutlich vor Augen. Wir wollen ganz absehen von seinen äußeren Feinden, die zahlreich und mächtig waren. Frankreich und die Türken, verschiedene Mächte kleineren Maßes in Italien und mehrfach mit besonderer, uns merkwürdig anmutender Erbitterung die Päpste, haben immer wieder gegen ihn gekämpft und sich jeder inneren Opposition, die sich mit ihnen verband, gern bedient. Hat doch der Papst selbst im

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Winter 1546/47 seine Freude geäußert über die Erfolge Johann Friedrichs gegen Moritz und die Hoffnung, er werde sich auch gegen den Kaiser halten können. „Er glaubt das, weil er es wünscht", hat sich ein venezianischer Gesandter dazu