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German Pages 142 [141] Year 2012
Hamid Reza Yousefi und Ina Braun
Interkulturalität Eine interdisziplinäre Einführung
Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Einbandgestaltung: Peter Lohse, Büttelborn
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. i 2011 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe dieses Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Redaktion: Dirk Michel, Mannheim Satz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach Einbandgestaltung: schreiberVIS, Seeheim Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN 978-3-534-23824-8 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-70985-4 eBook (epub): 978-3-534-70986-1
Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Moderne Theorien des Kulturbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Theorien zur Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Vier Konzepte des Kulturbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1. Normativ orientiertes Kulturkonzept . . . . . . . . . 1.2.2. Totalitätsorientiertes Kulturkonzept . . . . . . . . . 1.2.3. Differenzierungstheoretisches Kulturkonzept . . . . 1.2.4. Bedeutungs- und wissensorientiertes Kulturkonzept. 1.3. Interne Eigendynamik der Kulturen . . . . . . . . . . . . .
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10 10 12 13 15 19 21 23
2. Interkulturalität: eine akademische Disziplin . 2.1. Struktur der Interkulturalität . . . . . . . 2.2. Interkulturelle Forschung. . . . . . . . . 2.3. Methodische Ausrichtung . . . . . . . .
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27 27 32 37
3. Interkulturelle Theorie der Kommunikation. . . . . . 3.1. Neuere Konzepte der Kommunikation. . . . . . 3.2. Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation 3.2.1. Das Eigene und das Andere. . . . . . . . 3.2.2. Interkulturelle Kompetenz . . . . . . . . 3.2.3. Interkulturelle Semantik . . . . . . . . . 3.2.4. Interkulturelle Hermeneutik . . . . . . . 3.2.5. Interkulturelle Komparatistik . . . . . . . 3.2.6. Interkulturelle Toleranz . . . . . . . . . . 3.2.7. Interkulturelle Ethik . . . . . . . . . . . .
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40 40 42 46 51 55 60 68 74 85
4. Strukturelle Probleme interkultureller Kommunikation. 4.1. Strukturen interkultureller Kommunikation . . . . 4.2. Zu Inklusivität und Exklusivität. . . . . . . . . . . 4.3. Zur Rolle der Vorurteile . . . . . . . . . . . . . . 4.4. Zur ablehnenden Anerkennung . . . . . . . . . .
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93 93 94 95 99
5. Interkulturalität – Multikulturalität – Transkulturalität: ein Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1. Zugänge zur Interkulturalität . . . . . . . . . . . 5.2. Zugänge zur Multikulturalität . . . . . . . . . . 5.3. Zugänge zur Transkulturalität . . . . . . . . . .
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6. Machtproblematik und kulturelle Konflikte . . . . . . . . . . . . . 6.1. Geographisierung des Denkens . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2. Funktionen der Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
110 110 114
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6
Inhalt
Abschlussbemerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Anhang Begriffserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Anmerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts wird in unterschiedlichen kulturvergleichenden und interkulturellen Studien der Versuch unternommen, Theorien zu entwickeln, um den gewandelten kulturellen Kontexten Rechnung zu tragen. Betrachten wir die Bandbreite der Theorien zum Thema „Interkulturalität“, so wird dieser Ausdruck unterschiedlich definiert: Interkulturalität als „Ende des Kolonialismus“, als „eine Folge der Migrationswelle“, als „eine Beziehung zwischen mehr als zwei Kulturen“, als „Voraussetzung einer dritten gemeinsamen Kultur“, als „eine Folge der Globalisierung“ oder als „ein Denk- und Lebensweg“.
Eine Einführung zum Thema „Interkulturalität“ zu schreiben, wie es mit dem vorliegenden Studienbuch unternommen wird, ist deshalb keine leichte Aufgabe, weil sich die Ansätze zu diesem Gegenstandsbereich unterschiedlich darstellen lassen, ergänzen oder widersprechen, kreuzen oder begleiten, befruchten oder ignorieren. Einigen dieser Theorien zufolge ist Interkulturalität eine „Modeerscheinung“ oder eine „vorübergehende Geisteshaltung“. Vertreter anderer Konzepte werfen ihr vor, sie sei „eine kulturdogmatische Richtung“, die „Kulturen als Kugelgestalten und separate Einheiten betrachtet“, oder ein „kulturrelativierendes Modell“, nach dem alles gleich gültig und gleich richtig zu sein scheint. Einige Vertreter solcher Konzepte schlagen Multi- oder Transkulturalität als mögliche Alternativen zur Interkulturalität vor. Auch diese Theorien haben Konzepte entwickelt, um mit den gewandelten kulturellen Kontexten umzugehen. Von den Befürwortern der Interkulturalität werden diese als homogenisierend und leitkulturorientiert abgelehnt. Zudem gibt es eine Reihe von Konzepten zu interkulturellem Training, interkulturellem Marketing oder zu interkultureller Kommunikation und interkultureller Kompetenz, um die Praxis des „Dialogs der Kulturen“ auf unterschiedlichen Ebenen zu erleichtern. Auf die Fülle dieser oder ähnlicher Theorien soll nur am Rande eingegangen werden.1 Unser Anliegen ist es, eine Theorie der Interkulturalität erstmals, hier zunächst in der Form einer Einführung, umfassend zu formulieren und ihre Teilbereiche zu einem akademischen Fach zusammenzuführen. Dieses Fach hat eine klare erkenntnistheoretische Basis und erfüllt damit die Voraussetzung, systematisch in Lehre und Forschung einbezogen zu werden. Die Notwendigkeit eines solchen Unternehmens gründet darin, dass Interkulturalität, und damit die interkulturelle Kommunikation, seit ihrer Entstehung im Kontext verschiedener Disziplinen thematisiert wird, die unter-
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Einleitung
schiedlichen Voraussetzungen unterliegen. Zu erwähnen sind hier allen voran Soziologie, Ethnologie, Medienwissenschaft, Theologie, Psychologie, Germanistik (Deutsch als Fremdsprache) sowie Sprachwissenschaften, Pädagogik und Philosophie. Die Wahrnehmung und Anerkennung der Interkulturalität als eines in sich zusammenhängenden Phänomens ermöglichen es, ihre akademische Heimatlosigkeit zu beenden und in der Zusammenführung der teils beachtlichen Leistungen unterschiedlicher Disziplinen oder Teildisziplinen eine Programmatik zu formulieren, die der Verständigung zwischen und innerhalb kultureller Kontexte und Traditionen theoretisch wie auch praktisch förderlich sein kann. Interkulturalität umfasst als eine wissenschaftliche Disziplin unterschiedliche Teildisziplinen, vor allem die Theorie der interkulturellen Kommunikation, die selbst unterschiedliche Teilbereiche in sich vereint.
Die Analyse und Erläuterung dieser Teildisziplinen bildet ein Hauptanliegen dieses Studienbuches. Zuerst soll ein kurzer Überblick über das gegeben werden, was zu erwarten ist: Dieses Studienbuch besteht aus fünf Themenbereichen. Zum Verständnis dessen, was Kultur ist, werden zunächst einige moderne Kulturkonzepte analysiert. Anschließend soll in die Struktur der Interkulturalität als akademischer Disziplin eingeführt werden. Es folgt die umfassende Erläuterung der Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation, Begriffe, die miteinander in Wechselbeziehung stehen. Zur Positionierung der Interkulturalität in der aktuellen Diskussion werden die Ansätze der Trans- und Multikulturalität vorgestellt. Eine solche Analyse soll deutlich machen, wo Konvergenzen und Divergenzen sowie Überlappungen zwischen den Theorien liegen und wie diese miteinander in Beziehung stehen. Abschließend wird der Frage nachgegangen, warum interkulturelle Kommunikation oft nicht zum erhofften Ziel führt und mit einer Reihe von theoretischen und praktischen Hindernissen einhergeht. Erörtert werden Themen wie Funktionen von Macht und Gewalt oder die Geographisierung des Denkens, der zufolge das rationale Denken europäisch-westlich wird, während das mystisch-holistische Denken in anderen Regionen der Welt zu Hause sein soll. Diese Einführung wendet sich vorwiegend an die Studierenden der Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften, zu denen nicht zuletzt auch die Philosophie gehört, sowie an die kommunikations- und sprachwissenschaftlichen Disziplinen, die mit den Diskursfeldern der Interkulturalität in einem Zusammenhang stehen. Sie wendet sich aber auch an den interessierten Laien, der beruflich oder privat seine Kenntnisse über das kulturell Andere erweitern und vertiefen möchte. Das Arbeiten mit diesem Buch Dieses Studienbuch kann helfen, die theoretischen und praktischen Dimensionen der Interkulturalität kennenzulernen und mit diesem Wissen die Begegnung mit dem Anderen angemessen zu meistern.
Einleitung
Für die Verdeutlichung der Gesamtproblematik der interkulturellen Kommunikation haben wir zwei Familien miteinander vermischt, die aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten stammen. Diese als Tauschfamilien gekennzeichneten Patchworkgruppen begleiten uns durch das gesamte Lehrwerk hindurch. Weil nicht alle Dimensionen der Begegnung dieser Tauschfamilien diskutiert werden können, wird eine wichtige Aufgabe der Leserinnen und Leser darin bestehen, sich in die Situation entweder der einen oder der anderen Tauschfamilie hineinzuversetzen sowie in diesem Sinn Partei zu ergreifen und zu argumentieren. Für die Studierenden ist es erforderlich, sich in ihrem Kurs in zwei Gruppen zu unterteilen und dabei die Rolle der Tauschfamilien einzunehmen. Dies setzt eine aktive Auseinandersetzung mit den Kulturregionen unserer Patchworkgruppen voraus. Um die Inhalte übersichtlich zu gestalten, wird der Text durch Orientierungskästen mit Definitionen, Hervorhebungen, Beispielen, Fragen, Zusammenfassungen und Übungsaufgaben sowie mit Abbildungen und Marginalien strukturiert. Die Abbildungen sind unterschiedlich gerastert bzw. ungerastert:
Die gerasterten Begrenzungslinien, wie bei Kultur A, visualisieren die Offenheit einzelner Sachverhalte und artikulieren die interne Pluralität einzelner Bereiche sowie ihre teilweisen Durchdringungen und deren externe und interne Antagonismen. Wo hingegen, wie bei Kultur B, keine Rasterung verwendet wurde, wird auf eine geschlossene Abgrenzung verwiesen. Für wertvolle Anregungen und Hinweise wissenschaftlicher, methodischer sowie didaktischer Art bleiben wir Heinz Kimmerle, Dieter Senghaas und Dieter Gernert zu Dank verpflichtet. Unser Dank gilt auch Michael Klemm, der uns Impulse für die Realisierung dieses Buchprojektes gegeben hat, und den Studenten, die uns motiviert haben, dieses Studienbuch zu schreiben, und die uns mit ihren kritischen und weiterführenden Kommentaren manch guten Hinweis zur Abfassung dieses Buches gegeben haben. Für die gute Zusammenarbeit mit dem Verlag, vor allem mit Frau Stephanie von Liebenstein, möchten wir an dieser Stelle herzlich danken. Hamid Reza Yousefi und Ina Braun Koblenz, im Oktober 2010
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1. Moderne Theorien des Kulturbegriffs 1.1. Theorien zur Kultur Dimensionen des Kulturbegriffs
Erfassung des Kulturbegriffs
Geschlossener Kulturbegriff
Offener Kulturbegriff
Beschäftigen wir uns mit dem Phänomen „Kultur“ in all seinen Erscheinungsformen, so werden wir mit einer beinahe unüberschaubaren Literatur konfrontiert, die Kultur aus unterschiedlichen Perspektiven heraus betrachtet und eine breite Vielfalt von Dimensionen des Kulturbegriffs präsentiert. Beispiele hierfür sind die differierenden Kulturbegriffe der Psychologen, Soziologen, Ethnologen, Anthropologen, Pädagogen oder Philosophen.1 Spannend und zugleich problematisch sind dabei interne Konflikte innerhalb der einzelnen Fachgebiete, die – trotz ihrer offensichtlichen Ergänzungs- und Revisionsbedürftigkeit – bisweilen einen verbindlichen Anspruch erheben. Dabei verfolgen alle Theorien gemeinsame Erkenntnisziele. Sie wollen erfassen, was Kultur ist bzw. was sie nicht ist, welche symbolischen Formen, Sitten, Gebräuche sowie Normen und Werte bestimmend sind oder welche Stellung und Funktion dem Menschen innerhalb einer „Kultur“ oder „Subkultur“ im Kontext einer bestimmten Gesellschaft, Gruppe oder Gemeinschaft zukommt. Es geht um die Frage, inwieweit der Mensch Kultur hervorbringt und zugleich von ihr selbst beeinflusst wird. Zur Debatte steht auch, wie sich Subkulturen innerhalb einer Kultur oder mehrere Kulturen zueinander verhalten. Lange wurde die Ansicht vertreten, einzelne Kulturen seien in sich abgeschlossene Gebilde, die gewissermaßen wie Billardkugeln aufeinanderprallen. Ein solches Verständnis, das nicht vom Menschen, sondern von Kulturen als in sich abgeschlossenen Universen mit konstanten, unveränderbaren Merkmalen ausgeht, ist empirisch inadäquat, weil hier eine Realität konstruiert wird, die es so nicht gibt. Trotz bestehender Divergenzen und Konvergenzen scheint das folgende, einigermaßen offen formulierte Kulturverständnis alle Theorien zumindest teilweise anzusprechen: Definition: Kultur impliziert als ein offenes und dynamisch-veränderbares Sinnund Orientierungssystem, wie die Beziehungen innerhalb einer Gruppe sowie deren Außenbeziehungen strukturiert sind und wie diese erfahren, verstanden und interpretiert werden. Kultur stiftet soziale Ordnungsrahmen und umfasst unter anderem politische Organisationen, Wirtschaftsformen, moralische Traditionen und das Streben nach Wissen und Kunst.
Ausgehend von diesem Vorverständnis als Arbeitshypothese besteht die Aufgabe der folgenden Überlegungen darin, zunächst das Mensch-Kultur-Verhältnis zu erläutern und in gebotener Kürze diskurshistorisch verschiedene Theorien vorzustellen.
1.1. Theorien zur Kultur
Mensch-Kultur-Verhältnis Als ein Lebewesen ist der Mensch mit allen seinen biologischen Funktionen ein Bestandteil der Natur, der in ein bestimmtes kulturelles Milieu hineingeboren und hineinsozialisiert wird, das sein Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Handeln, sein Menschenbild, seine Werte, Sprache, Toleranz sowie die Begegnung mit dem Anderen in vielerlei Hinsicht prägt. Nach erfolgter Primärsozialisation ist der Einzelne dazu fähig, den kulturellen Prozess mitzugestalten und das System, in dem er lebt, maßgeblich mitzubestimmen oder gar zu verändern.
Mensch als kulturstiftendes Wesen
Kulturen sind keine vorgegebenen Größen, sondern sie werden als menschliche Produkte gebildet. Der handelnde und gestaltende Mensch ist ein naturhaftes und kulturstiftendes Wesen. Der Mensch ist zwar ein Teil der Natur, steht ihr aber auch leibhaftig gegenüber und reflektiert über sie.
Wie Menschen insgesamt über eine ähnliche kognitive Ausstattung verfügen, sind auch ihre kulturellen Fähigkeiten in unterschiedlichen Kulturregionen ähnlich. Beispiele hierfür sind Denken, Handeln, Sprechen und Schreiben, Fühlen, Sicherinnern, Vergessen, Heiraten, Trauern, symbolische Formen, Tabubereiche oder Freude empfinden. Vom menschlichen Standpunkt aus ist Kultur ein endlicher Ausschnitt aus der nicht erfassbaren Unendlichkeit des Weltgeschehens, der mit Sinn und Bedeutung bedacht ist.2 Kulturen beeinflussen die Innen- und Außenperspektive unseres Denkens, Wahrnehmens, Handelns und die Empathiefähigkeit, die für die zwischenmenschliche Kommunikation wesentlich ist. Die Kultur einer Gemeinschaft spezifiziert sich durch eine Reihe von Adjektiven wie „religiös“, „politisch“, „weltanschaulich“, „wissenschaftlich“ usw., ohne in einem dieser Adjektive restlos aufzugehen. Intern verändert sich Kultur durch Austausch- und Überlappungsprozesse kontinuierlich. Das folgende Schaubild zeigt ihre zentralen Einflussbereiche:
Kultureller Einfluss auf den Menschen
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1. Moderne Theorien des Kulturbegriffs Kulturelle Komponenten
Die Kultur besteht aus einer Reihe von Komponenten, die Stellung und Funktion des Menschen und sein Verhältnis zu sich und seiner Umwelt beeinflussen. Dementsprechend lässt sie sich folgendermaßen auffassen: Kultur ist ein offenes und dynamisch veränderbares Sinn- und Orientierungssystem, das 1. sich entwicklungsgeschichtlich vor allem durch Religion und Wissenschaft sowie im Medium der Kunst ausprägt; 2. es uns ermöglicht, eigenes Verhalten so zu planen, dass es von anderen Angehörigen unserer Kultur verstanden und interpretiert werden kann; 3. uns zugleich die Möglichkeit einräumt, das Verhalten anderer Menschen, welcher Herkunft und Hautfarbe auch immer, einzuschätzen und entsprechend zu bewerten; 4. kollektive Identitäten, vornehmlich durch Ausbildung kultureller Traditionen, konstituiert.
Zusammenfassung
Die Mannigfaltigkeit kultureller Prozesse stellt die traditionellen Formen des Kulturbegriffs in ein neues Licht. René König hat darauf hingewiesen, dass es die Kultur nicht gebe, dass sie nicht „allgemein und einheitlich sei. […] Es gibt in Wahrheit so starke kulturelle Unterschiede innerhalb einer Gesellschaft zwischen ihren unterschiedlichen Teilen, dass sie unter Umständen größer sind als die Unterschiede zwischen verschiedenen Kulturen“.3 Kulturen sind weder in sich homogene Gebilde noch Bereiche, die hermetisch voneinander abgeriegelt sind. Sie können als offene Sinn- und Orientierungssysteme angesehen werden, die sich gegenseitig durch Austausch- und Überlappungsprozesse kontinuierlich verändern. Übungsaufgaben: 1. Was bedeutet „Kultur“ und welche Argumente sprechen für oder gegen den Gebrauch der explizierten Wortbedeutung? 2. Wie definiert sich für Sie Kultur und wie macht sie sich in Ihrem sozialen Umfeld bemerkbar? 3. Bestimmen Sie die Rolle des Menschen im Kontext der Kultur und nennen Sie erklärend ihre Einflussbereiche.
1.2. Vier Konzepte des Kulturbegriffs Konzepte des Kulturbegriffs
Die dargestellte Auffassung von Kultur ist das Ergebnis einer langen Entwicklung von Kulturtheorien, die aufeinander aufbauen und sich stetig wandelten, die sich ergänzen oder widersprechen, begleiten oder ignorieren. Aus heutiger Sicht weisen viele frühen Kulturtheorien Defizite auf, weil sie vorwiegend aus zweiter Hand sind und auf den Berichten von Missionaren oder Weltreisenden beruhen. Die Fortentwicklung trug zur Ausräumung erkannter Defizite bei, häufig verfielen sie jedoch den Vorstellungen und damit zusammenhängenden Unzulänglichkeiten ihrer eigenen Zeit. Während meist die frühen Kulturtheorien von einer statischen sich selbst gleichbleibenden Kultur ausgehen, betrachten spätere Forscher Kultur als ein Sinnund Orientierungssystem. Im Folgenden sollen Kulturkonzepte vorgestellt
1.2. Vier Konzepte des Kulturbegriffs
werden, deren Klassifizierung von Andreas Reckwitz vorgeschlagen wurde.4 Es handelt sich um a) normative Kulturkonzepte, die eine bestimmte Lebensweise unter bestimmten Normen für kultiviert halten, b) totalitätsorientierte Kulturkonzepte, die Kulturen essentialisieren, d.h. als monolithische Ganzheiten mit konstanten Merkmalen betrachten und den Berührungen der Kulturen untereinander keinerlei Bedeutung beimessen, c) differenzierungstheoretische Kulturkonzepte, die intellektuell ausgerichtet sind und d) bedeutungs- und wissensorientierte Kulturkonzepte, die für das Verstehen einer Kultur von symbolischen Sinnsystemen ausgehen.
Im Folgenden werden solche und ähnliche Kulturbegriffe vier Kulturkonzepten zugeordnet und kritisch erläutert. Die folgende Abbildung fasst diese Kulturkonzepte zusammen.
1.2.1. Normativ orientiertes Kulturkonzept Insbesondere ältere Kulturtheorien, aus der Zeit der Aufklärung und des Idealismus, sind normativ ausgerichtet. Definition: Der normative Kulturbegriff ist ein nach festen Regeln beurteilendes und wertendes Konzept. Es setzt einen Lebensentwurf nach idealistischen Prinzipien voraus, der einen universalistischen Anspruch erheben kann, es aber nicht muss.
Aufgrund seiner affirmativen Grundhaltung ist das Hauptmerkmal bzw. die Hauptfunktion des normativen Kulturkonzepts ein Selbstbild, das häufig die „Fremdkritik“ zur Folge hat. Weil hier eine bestimmte Handlungsart für
Normative Kulturtheorie
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1. Moderne Theorien des Kulturbegriffs
erstrebenswert gehalten wird, werden andere Lebensentwürfe notgedrungen entweder nicht zur Kenntnis genommen oder als nicht erstrebenswert zurückgewiesen. Heuristische Verfahren, mit denen aufgezeigt wird, auf welchem Weg Erkenntnisse entdeckt und weitergeführt worden sind, decken dieses Merkmal auf.5
Kants Kulturbegriff
Orientkritik
Elias’ Zivilisationstheorie
Hierzu ein Beispiel: Immanuel Kant (1724–1804) und Norbert Elias (1897–1990) sind zwei herausragende Vertreter dieses Kulturkonzepts. Nach Kants Verständnis besteht der erste wahre Schritt „aus der Rohigkeit zur Cultur […] in dem gesellschaftlichen Wert des Menschen“ als Gattung, die als „Naturbegebenheit“ existiert.6 Der Kultur kommt in diesem Kontext die Aufgabe zu, zwischen der „sinnlichen Natur“ des Individuums und seiner „Moralität“ zu vermitteln: „Wir sind zivilisiert bis zum Überlästigen, zu allerlei gesellschaftlicher Artigkeit und Anständigkeit. Aber uns schon für moralisiert zu halten, daran fehlt noch sehr viel. Denn die Idee der Moralität gehört noch zur Cultur; der Gebrauch dieser Idee aber, welcher nur auf das Sittenähnliche in der Ehrliebe und der äußeren Anständigkeit hinausläuft, macht blos die Zivilisierung aus.“7 Der Bezug auf die „Idee“ der Moral in Kants normativem Kulturkonzept verweist auf einen idealisierenden Zug. Hier wird eine Form der Daseinsführung favorisiert, die nicht immer den realen Umständen des Lebens entspricht. Kant kommt ferner zu dem Ergebnis, „daß der Europäer einzig und allein das Geheimnis gefunden hat, sinnlichen Reiz einer mächtigen Neigung mit so viel […] Moralischem zu durchflechten […]. Der Bewohner des Orients ist in diesem Punkte von sehr falschem Geschmacke. Indem er keinen Begriff hat von dem sittlich Schönen […], so büßt er auch sogar den Werth des sinnlichen Vergnügens ein“.8 Indem er einen bestimmten Lebensentwurf für geboten oder gut hält, tendiert Kant zu einer Theorie der kulturellen Überlegenheit. Hierzu ist zu bemerken, dass der Königsberger Philosoph seine Heimatstadt bekanntlich nie verlassen und seine Urteile lediglich aufgrund der Kenntnis indirekter Quellen – etwa Reiseberichte von Händlern und Missionaren oder Berichte der Kolonialverwaltung – gebildet hat. Kants Kulturauffassung bestätigt das Normgebende und Beurteilende von Kulturauffassungen, die in der Literatur als europazentrisch kritisiert werden. Derartige Theorien übersehen, dass die Grenzen zwischen Vernunft und Neigung in vielerlei Hinsicht fließend sind. Eine solche Verankerung setzt voraus, dass alle Menschen, weil sie „vernunftbegabt“ sind, aus der reinen Vernunft heraus handeln müssen. Auch hier wird vernachlässigt, dass es zwar eine universale Vernunft gibt, zugleich aber die Existenz vieler Denkformen im Vergleich und Verständnis kultureller Kontexte nicht zu leugnen ist. Elias, der dem Inhalt nach wie Kant argumentiert, geht bei seinem Entwurf von einer „Theorie der Zivilisation“ von einer „abendländisch zivilisierten Verhaltensweise“ aus, die universal auf die gesamte Welt übertragen werden könne: „Von der abendländischen Gesellschaft – als einer Art Oberschicht – breiten sich heute, sei es durch die Besiedlung mit Occidentalen, sei es
1.2. Vier Konzepte des Kulturbegriffs
durch die Assimilierung von Oberschichten anderer Völkergruppen, abendländisch „zivilisierte“ Verhaltensweisen über weite Räume jenseits des Abendlandes hin aus, wie sich ehemals innerhalb des Abendlandes selbst von dieser oder jener gehobenen Schicht, von bestimmten, höfischen oder kaufmännischen Zentren her Verhaltensmodelle ausbreiteten.“9 Elias misst dem „Abendland als Ganzem“ im Weltkontext eine Oberschichtfunktion zu. Die zivilisierten Konkurrenzkämpfe der abendländischen Nationen bilden, ihm zufolge, einen „globalen Königshof“ der Weltgesellschaft, zu dem lediglich die Oberschicht anderer Gesellschaften „als untere, aufsteigende Schicht“ Zugang erhält. Für ihn nähern sich die orientalischen und afrikanischen Bevölkerungsschichten den „abendländischen Verhaltensstandards“10, deren ehemalige Oberschicht repräsentiere im Vergleich zur abendländischen Oberschicht nun die aufsteigende Unterschicht. Obwohl der Kulturbegriff bei Elias als Kontrast zum Terminus „Zivilisation“ eine Rolle spielt, hat er für seine Theorie keine Bedeutung. Es bleibt eine offene Frage, ob Elias seine These in diesem Zusammenhang als deskriptiv oder normsetzend auffasst. Elias lässt als wertende Frage bewusst offen, inwieweit der von ihm beschriebene „Figurationswandel“, den der Prozess der „Zivilisation“ darstellt, als Fortschritt anzusehen ist. Alle Vergleiche zwischen Epochen oder Regionen bleiben daher relational, da zwar im Untersuchungsbereich des Sozialwissenschaftlers Andere als inferior, weil „unzivilisiert“, bewertet werden, diese Verknüpfung von deskriptiven und normativen Begriffsanteilen zugleich aber für den Sozialwissenschaftler unstatthaft ist. Normative Kulturverständnisse gehen in der Regel mit den Imperativen „Ihr sollt“ bzw. „Ihr müsst“ einher. Inhalte der Kultur werden an moralische Forderungen gebunden, die die Maximen von Handlungen steuern wollen. Mit der Theorie von Elias verhält es sich insofern nicht anders, als auch dieser von Voraussetzungen ausgeht, die zur Kulturhierarchie neigen. Normative Kulturkonzepte sind in der Regel eindimensional, weil sie nur eine bestimmte Lebensform favorisieren und damit jede Interdependenz übersehen oder vernachlässigen.
Europa als globaler Königshof
Zusammenfassung
Übungsaufgaben: 1. Diskutieren Sie die normative Kulturauffassung und zählen Sie deren Vor- und Nachteile auf. 2. Wie macht sich ein solcher Kulturbegriff in Ihrem sozialen Umfeld bemerkbar? 3. Analysieren Sie Kants Argumentationsstrukturen und setzen Sie diese mit der Selbst- und Fremdwahrnehmung von Elias in Beziehung. 4. Arbeiten Sie die zentralen Unterschiede heraus und belegen Sie sie mit einem Beispiel. 5. Besprechen Sie Vor- und Nachteile einer solchen Kulturtheorie für die Gestaltung interkultureller Kommunikation.
1.2.2. Totalitätsorientiertes Kulturkonzept Eine Reihe von Wissenschaftlern, die die historisch-spezifische Lebensweise einer sozialen Gruppe im Vergleich zu anderen Gruppen in den Mittelpunkt stellen, vertritt ein totalitätsorientiertes Kulturkonzept.
Totalitäre Kulturtheorie
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1. Moderne Theorien des Kulturbegriffs
Definition: Der totalitätsorientierte Kulturbegriff ist ein regionalisierendes und nationalisierendes Konzept, das die spezifische Lebensform eines Kollektivs in einer bestimmten historischen Epoche in den Vordergrund stellt und nach dem Kulturen wie Kugeln, die aufeinanderprallen und ohne Bezug zueinander sind, aufgefasst werden.
Unter Kultur wird hier die spezifische Lebensform eines Kollektivs bzw. die Totalität der kollektiven Lebensformen einer Nation oder einer Gemeinschaft verstanden. Hierbei wird von der grundsätzlichen Verschiedenartigkeit der Kulturen ausgegangen, wobei Kultur und Gesellschaft miteinander identifiziert werden.
Herders geschlossener Kulturbegriff
Kultur als homogenes Gefüge
Malinowskis ethnographischer Realismus
Hierzu einige Beispiele: Johann Gottfried Herder (1744–1803), Bronislaw Malinowski (1884–1942), Oswald Spengler (1880–1936) und Arnold Joseph Toynbee (1889–1975) gehören zu den prominenten Vertretern eines totalitätsorientierten Kulturkonzepts. In seinen „Briefen zur Beförderung der Humanität“ definiert Herder seinen Kulturbegriff und meint, Kultur gedeihe einzig „auf dem eigenen Boden der Nation, in ihrer ererbten und sich forterbenden Mundart“.11 Eine Mischung von Kulturen bedeutet für ihn Verlust an „Eindrang, Tiefe und Bestimmtheit“.12 Dabei betrachtet Herder die Kulturen als in sich abgeschlossene Sphären, gewissermaßen als einheitlich-unveränderbare Kugeln. Diese Sphären teilt er, in der Tradition normativer Kulturkonzepte, in „rohe“ und „andere“ Völker auf. Für ihn ist die Kultur eines Volkes „die Blüte seines Daseins, mit welcher es sich zwar angenehm, aber hinfällig offenbaret. Wie der Mensch, der auf die Welt kommt, nichts weiss – er muss, was er wissen will, lernen –, so lernt ein rohes Volk durch Übung für sich oder durch Umgang mit anderen. Nun aber hat jede Art der menschlichen Kenntnisse ihren eigenen Kreis, d.i. ihre Natur, Zeit, Stelle und Lebensperiode“.13 Herder stützte sich mit seinen Urteilen, wie Kant, vorwiegend auf indirekte Reiseberichte Anderer. Ethnologen des 19. Jahrhunderts untersuchten traditionell Stammesgesellschaften oder außereuropäische, schriftlose Völker, die selbstredend als „rohe“ Völker galten, und betrachteten Kulturen im Geist von Herders totalitärer Kulturauffassung in der Regel als statische Gebilde und homogene Gefüge. Eine solche reine eigene oder eine reine andere Kultur existiert jedoch nur als Privatanthropologie, d.h. als ein privat erdachtes Menschenbild. Wir sprechen zwar über Kultur oder Kulturen, es geht dabei aber immer um Menschen als Träger unterschiedlicher Sinn- und Orientierungssysteme. Reckwitz zufolge ist das Interesse dieses Kulturverständnisses die „Totalität der kollektiv geteilten Lebensformen eines Volkes, einer Nation, einer Gemeinschaft“.14 Malinowski steht mit seiner Auffassung, Kulturen seien Sphären, die an Nationen gebunden sind, in der Tradition Herders. Aufgrund verbesserter verkehrstechnischer Mittel und Wege bereiste er jedoch die Kulturgebiete, über die er berichtete, persönlich, und führte im Rahmen seines „ethnographischen Realismus“ die Praxis der „Feldforschung“ ein. Hier erschloss der
1.2. Vier Konzepte des Kulturbegriffs
Forscher die Lebenswelt des Anderen durch Erfahrung und Empathie erstmals unmittelbar.15 Für Malinowski ist Kultur „ein umfassendes Ganze[s]“.16 Er ist der Ansicht, dass der instrumentelle Apparat von Kultur – worunter er Wissens-, Moralund Glaubenssysteme wie auch Erziehung und Wirtschaft versteht – entstanden sei, um menschliche Bedürfnisse zu befriedigen und Probleme zu lösen. Jeglichem menschlichen Handeln unterstellt er radikale Kulturabhängigkeit. Kulturen werden nach diesem Verständnis als Organismen, als geschlossene statische Kreise, aufgefasst. Trotz der neuartigen Feldforschung erhebt Malinowski, wie seine Vorgänger, eigenkulturelle Erfahrungen zum Maßstab und vergleicht sie mit der Praxis der Anderen. Er macht das Andere ausschließlich zum Objekt seiner Forschung, ohne dieses zu Wort kommen zu lassen. Obwohl er nun sein Erleben aus „erster Hand“ berichtet, verharrt der Forscher in der Rolle einer Art des Vormundes des Anderen. Spengler betrachtet in seiner Theorie die Kulturen und ihre Beziehungen zueinander. Die „einzelnen Kulturen“ sind für ihn „Organismen“ und die „Weltgeschichte […] ihre Gesamtbiographie“.17 Er vertritt den in seiner Zeit entstehenden darwinistischen Kulturbegriff in Anlehnung an den Begriff des „Typus“ von Wilhelm Dilthey (1833–1911) und Max Weber (1864–1920), den er zur These der „totalen Andersartigkeit der Kulturen“ weiterentwickelt. Jede Kultur besitze eine „Seele“, die in ihrem Stil und ihrer Denkweise zum Ausdruck komme. Folglich entstünden Kulturen unabhängig voneinander und seien untereinander wesensfremd. Wie ein Mensch durchliefen sie mehrere Lebensstadien und am Ende stehe unweigerlich ihr Verfall und damit ihre Ablösung durch eine neue Kultur. Die Weltgeschichte sieht Spengler als einen ewigen Kreislauf von Kulturen, die in Abfolge entstehen und vergehen. Der Mensch sei als Träger der Welt ein Glied der Geschichte, in der es „um das Leben und immer nur um das Leben, die Rasse, den Triumph des Willens zur Macht“ gehe, „und nicht um den Sieg von Wahrheiten, Erfindungen oder Geld. Die Weltgeschichte ist das Weltgericht: sie hat immer dem stärksten, volleren, seiner selbst gewisseren Leben Recht gegeben, Recht nämlich auf das Dasein“.18 Spengler sieht den „westeuropäisch-amerikanischen Kulturraum“ seiner Zeit als den machtvollsten Raum an und will an diesem „das Schicksal einer Kultur, und zwar der einzigen, die heute auf diesem Planeten in Vollendung begriffen ist, […] in den noch nicht abgelaufenen Stadien […] verfolgen“.19 Auch die deutsche Kultur als Repräsentantin eines „Herrenvolkes“ sieht er berufen zur Macht. Mit diesem Konzept verschaffte Spengler den Kriegen und Kolonialisierungsabsichten seiner Zeit die Legitimation des Naturnotwendigen. Toynbee argumentiert mit einer anderen Intensität und Schwerpunktsetzung ähnlich. Er verfolgt das Ziel, eine philosophische Deutung der großen Entwicklungslinien der Menschheitsgeschichte herauszuarbeiten. Er analysiert Kulturbegegnungen, Bedingungen der Entstehung, des Aufstiegs und Verfalls von Kulturen und geht grundsätzlich von einer Interdependenz von Kulturen aus, die keinen Zweifel daran lässt, dass das „Verstehen“ der einen Kultur die fundierte Kenntnis der anderen zur Voraussetzung hat. Geschichte
Kulturen als Organismen bei Spengler
Weltgeschichte als Weltgericht
Toynbees rhythmischer Ablauf von Kulturen
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1. Moderne Theorien des Kulturbegriffs
Kritik Schelers
Zusammenfassung
verläuft ihm zufolge im Wechsel dynamischer Zeiten und Phasen des „Beharrens“. Dabei widmet Toynbee, in Abkehr von einer euro- bzw. ethnozentrischen Geschichtsschreibung, außereuropäischen Kulturen ebenso viel Aufmerksamkeit wie der europäischen.20 Diese innovative innere Logik der universalgeschichtlichen Auffassung offenbart jedoch eine weitere Einseitigkeit: Sie ist ausschließlich christlich motiviert. Die Darstellung außereuropäischer Länder erfolgt aus dieser Perspektive, was häufig zu solchen Einseitigkeiten verleitet. Toynbee, wie auch Spengler, gehört zu den spekulativen Geschichtsphilosophen wie Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831), die eine teleologische Totale in Form einer geschichtsdeterministischen Auffassung vertreten. Die Weltgeschichte besteht dieser Auffassung zufolge aus einem „rhythmisch geordneten Ablauf“.21 Die Bewertung von Kulturen kann jedoch nicht aus einer „kontinuierlichen Bewegung“ mit einer a priori bestimmten Zielgerichtetheit aufgefasst werden. Max Scheler (1874–1928) bezeichnet solche Sichtweisen, bezogen auf Europa, als europäisch eingeengte Geschichtsauffassungen. Die weltgeschichtliche Struktur gleiche vielmehr – in einem noch immer totalitätsorientierten Verständnis – „einem Flusssystem, in dem eine große Anzahl von Flüssen Jahrhunderte ihren besonderen Lauf verfolgen, die sich aber, von unzähligen Nebenflüssen gespeist, schließlich in steigendem Neigungswinkel zueinander zu einem großen Strome zu vereinen streben“.22 Der totalitätsorientierte Kulturbegriff definiert sich im Gegensatz zum normativen Kulturkonzept nicht mehr als eine für „jedermann“ erstrebenswerte Lebensform, sondern als mannigfaltige und spezifische Lebensformen verschiedener Kollektive an diversen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten. Totalitätsorientierte Kulturkonzepte sind problematisch, weil sie zu Kulturfundamentalismus und der Forderung nach der Reinheit einer Rasse verleiten können. Dass hier stufentheoretisch verfahren werden muss, ist eine Folge der inneren Logik des totalitären Orientierungssystems. Ein totalitätsorientiertes Kulturverständnis unterliegt, wie das normative, einem Imperativ, weil Kultur als eine bestimmte unverwechselbare Lebensform betrachtet wird und mit anderen Kulturen in Konkurrenz tritt.
Übungsaufgaben: 1. Diskutieren Sie das totalitätsorientierte Kulturkonzept und analysieren Sie seine Vor- und Nachteile. 2. Besprechen Sie die Kulturtheorien von Herder, Malinowski, Spengler und Toynbee. Diskutieren Sie hierbei die Haltung Schelers. 3. Arbeiten Sie die zentralen Unterschiede heraus und belegen Sie sie mit jeweils einem Beispiel aus Ihrem sozialen Umfeld. 4. Beantworten Sie die Frage, ob und inwieweit Herders Kulturbegriff oder ähnliche Konzepte für die Begegnung von Menschen aus unterschiedlichen Kontexten förderlich sind. 5. Stellen Sie sich einmal vor, Sie wollen einen Dialog zwischen Menschen organisieren, die aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten stammen. Wie sieht der Dialog aus, wenn nicht alle Diskurspartner von einem totalitätsorientierten Kulturbegriff ausgehen?
1.2. Vier Konzepte des Kulturbegriffs
1.2.3. Differenzierungstheoretisches Kulturkonzept Das differenzierungstheoretische Kulturkonzept unterteilt die Bereiche, die vorher unter dem Sammelbegriff „Kultur“ vereint waren, und bezieht sich auf einzelne Aspekte. Im Vergleich zu den dargestellten Ansätzen geht es in eine offenere Richtung.
Differenzorientierte Kulturtheorie
Definition: Ein differenzierungstheoretischer Kulturbegriff wird von seinem Bezug „auf ganze Lebensweisen“ bzw. die gesamten Erscheinungen des Lebens abgekoppelt und hauptsächlich auf „intellektuelle und künstlerische“ Aktivitäten bezogen. Er ist intellektualistisch in der Theorie beheimatet, kann aber praktisch unter normativen Aspekten gedeutet werden.
Der Schwerpunkt dieses Konzepts liegt auf Kunst, Bildung oder Wissenschaft.23 Dies bleibt eine „wertneutrale“ „Identifikation von Kultur mit jenem gesellschaftlichen Handlungsfeld, in dem die Produktion, Verteilung und Verwaltung von „Weltdeutungen“ intellektueller, künstlerischer, religiöser oder massenmedialer Art stattfindet“.24 Dementsprechend wird Kultur als ein „soziales Teilsystem“ betrachtet, das sich auf einem Umweg mit Weltdeutungen befasst. Hierzu einige Beispiele: Friedrich Tenbruck (1919–1994) und Niklas Luhmann (1927–1998) vertreten einen derartigen Kulturbegriff. Tenbruck strebt eine Neubesinnung der Rolle der Sozialwissenschaften gegenüber dem Szientismus der 1970er-Jahre an, d.h. die Beantwortbarkeit aller menschlichen Fragen durch die Wissenschaft und den „gesellschaftlichen Machbarkeitswahn“, der der Wissenschaft alles erlaubt. Für ihn steht die Wissenschaft nach wie vor im Dienst der Aufklärung. Sein Streben gilt, die deutsche Kultursoziologie empirisch auszurichten. Tenbruck steht unter dem Eindruck Georg Simmels (1858–1918) und Webers. Er unterscheidet zwischen Kultur als „Erbe von Fertigkeiten, Einrichtungen, Kenntnissen und Werten, das über Generationen hinweg entstanden ist und weitergegeben wird“, gewissermaßen einer „Basiskultur“ und einer „geistigen Kultur“, die sich in Religion, Mythos, Kunst, Literatur, Musik, Philosophie und Ideologie ausdrückt.25 Er verweist auf die Asymmetrie zwischen Kulturproduzenten und Kulturkonsumenten der Gegenwart und bezeichnet die „moderne Kultur“ als eine „repräsentative Kultur“, die die Kulturintelligenz kreiert und über die Massenmedien verbreitet. Tenbruck erkennt hellsichtig, dass deren Weltdeutung nicht das Produkt aller sozialen Gruppen gleichermaßen ist und dass in den Medien eine verzerrte Kultursicht vertreten wird.26 Tenbrucks Denken war darauf ausgerichtet, die Soziologie von der Verabsolutierung der Rollentheorie zu befreien. Mit der Ablehnung des in seiner Zeit geltenden Begriffs von Kultur gilt er als ein Modernisierer der Kultursoziologie. Luhmann geht noch weiter und distanziert sich sogar förmlich von dem vor seiner Zeit gebräuchlichen Kulturbegriff. Er bezeichnet diesen als „einen der schlimmsten Begriffe, die je gebildet worden sind […]. Die Erfindung von „Kultur“ am Ende des 18. Jahrhunderts, die Erfindung einer Form der
Tenbrucks Soziologie der Kultur
Luhmanns geschlossene Systemtheorie
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1. Moderne Theorien des Kulturbegriffs
Zusammenfassung
Reflexion, die alles, was nicht Natur ist, als Kultur reflektiert […], diente historischen oder nationalen Kulturvergleichen – eine Veranstaltung des „gebildeten Europas“ […], bei aller vergleichenden Relativierung blieb Kultur ein Gegenstand für Seinsaussagen“.27 Dieses Unbehagen hängt damit zusammen, dass ein statischer Kulturbegriff zur Legitimierung kolonialistischer Expansion und Machtdemonstration führte. Vergleiche seien meist kulturspezifisch angelegt, „und je differenzierter der Vergleich ausfällt, um so deutlicher wird, dass die eigene Kultur nicht auf allen Dimensionen als überlegene gelten kann. Kultur motiviert kritische Selbstreflexion, nostalgische Rückblicke oder auch Artikulation von Problemen, die für eine künftige Lösung anstehen“.28 Sein eigenes Verständnis von Kultur knüpft an seiner gesellschaftlichen „Systemtheorie“ an. Für den Prozess der Entstehung von Systemen verwendet Luhmann den Begriff des „sozialen Gedächtnisses“, indem er die anhand neurophysiologischer Befunde entwickelte Gedächtnistheorie der allgemeinen Systemtheorie auf Sozialsysteme überträgt. Kultur bedeutet für ihn also das Gedächtnis sozialer Systeme bzw. Gesellschaftssysteme oder die „Sinnform der Rekursivität (Rückbezogenheit) sozialer Kommunikation“.29 Die Möglichkeit von Erinnern und Vergessen wird zur Reflexion der Gegenwart über Vergangenes. Für Luhmann bringen sich Systeme selbst hervor und sind im Kontext der Gesellschaft real, weil sie mithilfe semantischer Unterscheidungen in unterschiedlichen Kontexten über ein Thema kommunizieren. Die Kultur sei in diesem Zusammenhang ein Nebenprodukt der kommunikativen Autopoiesis und verfüge über keinen spezifischen Operationsmodus, der sie zum real ausdifferenzierten System werden ließe. Das Novum von Luhmanns Theorie liegt in der Abkehr von einem statischen, hierarchischen Kulturbegriff. Die allzu starke Bindung von Kulturen an Gesellschaften als Systeme lässt jedoch den Menschen in den Hintergrund treten und räumt ihm lediglich einen Platz als funktionierendes Element in einem System ein. Das differenzierungstheoretische Kulturkonzept verweist erstmals auf die mit Kulturtheorien verbundenen Machtverhältnisse. Im Unterschied zum normativen und totalitätsorientierten Kulturkonzept, die von zwei unterschiedlichen Imperativen ausgehen, entspricht es eher den Grundpositionen der Interkulturalität. Insgesamt ist aber auch dieses Kulturkonzept recht eng gehalten, es besteht die Gefahr, dem Menschen als Teil eines Systems ohne eigene Initiative zu wenig Raum zu geben.
Übungsaufgaben: 1. Diskutieren Sie den differenzierungstheoretischen Kulturbegriff und arbeiten Sie die zentralen Aussagen heraus. 2. Nehmen Sie Stellung zu der Aussage: „Kulturen sind geschlossene Systeme und Menschen sind funktionierende Teile dieses Systems“. 3. Analysieren Sie vergleichend die Kulturkonzepte von Tenbruck und Luhmann. 4. Beschreiben Sie mittelbare und unmittelbare Auswirkungen eines differenzierungstheoretischen Kulturkonzeptes auf die theoretische und praktische Gestaltung einer interkulturellen Kommunikation.
1.2. Vier Konzepte des Kulturbegriffs
1.2.4. Bedeutungs- und wissensorientiertes Kulturkonzept Das bedeutungs- und wissensorientierte Kulturkonzept verweist auf einen weiteren Kulturbegriff und besteht aus unterschiedlichen Komponenten:
Bedeutungs- und wissensorientierte Kulturtheorie
Definition: Der bedeutungs- und wissensorientierte Kulturbegriff umfasst ein Konzept, nach dem Akteure die Bedeutung ihrer Handlungen mit symbolischen Ordnungen identifizieren und die Bedeutung dieser Handlung auf Strukturen beschränken.
Dieses Konzept betrachtet Kultur als „Komplex von Sinnsystemen“ oder von „symbolischen Ordnungen, mit denen sich die Handelnden ihre Wirklichkeit als bedeutungsvoll erschaffen und die in Form von Wissensordnungen ihr Handeln ermöglichen und beschränken“.30 Hierzu einige Beispiele: Clifford Geertz (1926–2006) und Mohammad Ali Mehimani sind Befürworter dieser Kulturtheorie. Nach Geertz ist Kultur eine dynamische und überdauernde Gesamtheit aller von den Mitgliedern eines Kollektivs geteilten Bedeutungen, die für sie als Deutungsweise und Handlungsmuster verhaltensbestimmend sind.31 Für ihn bedeutet Kultur „ein historisch überliefertes System von Bedeutungen, die in symbolischer Gestalt auftreten, ein System überkommener Vorstellungen, die sich in symbolischen Formen ausdrücken, ein System, mit dessen Hilfe die Menschen ihr Wissen vom Leben und ihre Einstellungen zum Leben mitteilen, erhalten und weiterentwickeln“.32 Fahnen oder Nationalhymnen sind Beispiele solcher symbolischer Systembedeutungen. Mit der Deutung von Symbolsystemen und semiotischen Mitteln, die einer Kultur zur Wahrnehmung und Beschreibung der Welt dienen, löst Geertz in einer hermeneutischen Wende den ethnographischen Realismus Malinowskis ab. Nicht nur grundlegende Werte, Normen oder Welt- und Menschenbilder werden berücksichtigt, sondern auch Muster und Standards des alltäglichen Wahrnehmens, Fühlens, Denkens und Handelns. Ferner sieht Geertz Sinnmuster als ein Kollektivphänomen, das sich in „öffentlich“ wahrnehmbaren Symbolen zeigt, die in eine gemeinsame soziale Handlungspraxis eingehen. Mit diesem Ansatz betreibt er eine „Historisierung“ und „Entindividualisierung“ der Kulturanalyse, indem er weltanschauliches Orientierungswissen religiöser oder politisch-ideologischer Art herausarbeitet. Auch befasst sich Geertz mit kultureller Ordnung und Stabilität und hält kulturelle Interferenzen und Mehrdeutigkeiten für normale Gegebenheiten. Diese Auffassung neigt gelegentlich zu einer interpretativ-hermeneutischen Version eines „Textualismus“, in dem den öffentlich produzierten symbolischen Praktiken unmittelbar ein „objektiver Sinn“ zugeschrieben wird. Dieser existiere unabhängig von subjektiven Sinnzuschreibungen und dem Hintergrundwissen der Teilnehmer. Dieser kulturtheoretische Ansatz ist hermeneutisch orientiert und basiert
Geertz’ Kulturbegriff als überliefertes System
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1. Moderne Theorien des Kulturbegriffs Hermeneutische Ausrichtung
Logik der Zande
auf dem Verständnis einer interpretativ-verstehenden Sozialwissenschaft, die einen Standpunkt „aus der Sicht des Handelnden“33 einnimmt. Aber auch sie kann sich der Problematik nicht erwehren, die mit der Einnahme der Eigenperspektive verbunden ist, und macht teilweise das Andere zum Objekt der Betrachtungen eines vermeintlich überlegenen Subjekts. Die folgenden Beispiele sollen die damit verbundene Problematik verdeutlichen und zeigen, dass a) jedes kulturelle System teilweise den Regeln eigener Logik gehorcht, b) diese Logik zwar in sich stimmig ist, sich häufig von außen betrachtet jedoch als pure Willkür erweist.
Westliche Logik
Differenz der Denkweisen
Mehimanis angewandter Kulturbegriff
Die Zande, eine zentralafrikanische Bevölkerungsgruppe, sind der Auffassung, dass es Menschen mit übersinnlichen Fähigkeiten, also „Hexer“, gibt und sich die Anlage zur Hexerei auf männliche Nachfahren vererbt. Demnach müssten sie anerkennen, dass alle männlichen, miteinander verwandten Mitglieder ihres Stammes ipso facto Hexer sind. Da dies in der Praxis aber nicht der Fall ist, lehnen sie diesen logischen Schluss, der eine ihrer wichtigsten sozialen Institutionen unhaltbar machen würde, ab.34 Dass nicht der gesamte Stamm aus Hexern besteht, erklären sie sich dadurch, dass manche zwar das Potenzial zum Hexer haben, es in ihnen aber nicht aktiviert ist. Innerhalb ihrer Grenzen bildet diese Logik ein sich selbst genügendes Ganzes, das nur dann verfälscht wird, wenn es als Bruchstück eines größeren oder eines anderen Ganzen angesehen wird. In der westlichen „Welt“ ist die Anwendung logischer Schemata kaum anders. So gilt als ein Mörder jemand, der einen anderen Menschen absichtlich tötet. Ein Bomberpilot wird hingegen nicht als Mörder angesehen. Zur Rechtfertigung hierfür dient eine Fülle an Unterscheidungen und logischen Argumenten. Die Infragestellung der institutionell sanktionierten „Arbeit“ eines Bomberpiloten käme nämlich einer Revolution gleich. David Bloor resümiert, die Anwendung von Logik unterliege immer und überall unlogischen Motiven. Grenzen und Gehalt logischer Begriffe würden nicht entdeckt, sondern geschaffen werden. Der Aufbau logischer Schemata sei nur ein Weg, um Gedanken nachträglich zu ordnen. Sie seien als Verhandlungsgegenstand anzusehen, der durch andere, ebenso logisch erscheinende Strukturen ersetzt werden könne. Um zu Geertz zurückzukehren: Dieser verfährt ähnlich wie Malinowski, indem er unter gleichen Voraussetzungen symbolische Ordnungen anderer Kulturen betrachtet, die er letzten Endes nach eigenem Vergleichsmaßstab miteinander in Beziehung setzt. Ein System kann jedoch nur, innerhalb seiner eigenen sozialen Hintergründe und traditionellen Vorstellungen, die ihm zugrunde liegende Logik offenbaren. Mehimani geht im Vergleich zu Malinowski und Geertz von einer offeneren Kulturtheorie aus. Er thematisiert die Struktur und Bedeutungsvielfalt des Zivilisations- und Kulturbegriffs im Kontext des westöstlichen Verständnisses. Mehimani unterscheidet zwischen tamaddon, Zivilisation, und farhang, Kultur, aus der die Zivilisation hervorgeht. Wie Geertz hält er Kulturen für dynamisch. Diese Dynamik ermöglicht, Vergangenheit und Gegenwart zu verbinden.
1.3. Interne Eigendynamik der Kulturen
Mehimani unterscheidet drei Kulturformen: farhange karbordi, musei, und armani, angewandte, museale und idealistische Kulturform.35 Angewandte Kulturformen beziehen sich auf die aktuellen Anwendungen kultureller Erscheinungen wie Autos, Mode, Architektur, Handwerk usw. Museale Kulturformen bezeichnen die archäologisierten Erscheinungen von Kultur wie Kunstwerke oder Monumente der Vergangenheit, die in dieser Form nicht mehr dieselbe Bedeutung haben. Idealistische Kulturformen sind zukunftsorientiert. Ihr Ziel besteht darin, Herrschaftsfreiheit anzustreben, in der ein Dialog zwischen Kulturen und Zivilisationen auf gleicher Augenhöhe ermöglicht wird.36 Nach Mehimani geht Zivilisation aus der Kultur hervor und stellt eine säkularisierte Kultur dar: Ohne Kultur keine Zivilisation, lautet sein Fazit.37 Dieses Konzept will dazu beitragen, verschiedene Sinngebungen und Sinnfindungen im Rahmen eines polyphonen Dialogs gleichermaßen zum Tragen zu bringen. Mehimani sucht diese Praxis weder in der Moderne noch in der Postmoderne, sondern in einer dialogischen Toleranz gegenüber unterschiedlichen Kontexten. Die Kulturtheorien von Geertz und Mehimani sind im Vergleich zu den dargestellten Konzeptionen offener, weil sie Kulturen als unterschiedliche Sinnsysteme betrachten, obschon die Methode von Geertz kulturessenzialistische Dimensionen aufweist. Das Verständnis Mehimanis macht deutlich, dass nicht alle Kulturbegriffe in den europäisch-westlichen Kulturbegriffen restlos aufgehen. Kulturelle Zugehörigkeiten sind zufällig und zeigen Differenzen auf.
Zusammenfassung
Übungsaufgaben: 1. Was zeichnet ein bedeutungs- und wissensorientiertes Kulturkonzept aus? Erläutern Sie die Strukturebene. 2. Beschreiben Sie das Verständnis von „Logik“ der Zande und suchen Sie weitere Beispiele für solche Begründungen. 3. Diskutieren Sie die Begründungsstrukturen von Geertz und Mehimani. 4. Analysieren Sie nun alle vier vorgestellten Kulturtheorien und arbeiten Sie ihre Divergenzen und Konvergenzen heraus. 5. Wenn Sie dieses und die weiteren dargestellten Kulturkonzepte zusammendenken, welcher Kulturbegriff entspricht den Gegebenheiten Ihres eigenen sozialen Systems? 6. Arbeiten Sie heraus, welche Konsequenzen die Wahl der vorgestellten Kulturkonzepte auf eine interkulturelle Kommunikation hat. Untermauern Sie Ihre Auffassung mit einem Beispiel.
1.3. Interne Eigendynamik der Kulturen Obwohl die vier vorgestellten Kulturtheorien zahlreiche Dimensionen und Strukturen der Kulturen beschreiben, vernachlässigen alle eine zentrale Dimension des Sachverhaltes: Sie betrachten Kulturen vorwiegend als „eigenständige Sozialsphären“, monolithische Gebilde oder „Großakteure
Interne Pluralität der Kulturen
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1. Moderne Theorien des Kulturbegriffs
Senghaas’ Konfigurationstheorie
Dichotomisierung der Kulturen
Wider die Dichotomisierung der Kulturen
der internationalen Politik“. Diese wird in Fernsehdiskussionen, aber auch in Einzelstudien, dann vertreten, wenn mit dem Begriff „Deutschland“ der Monolith „Christentum“ und „Technokratie“ verbunden wird, mit dem Begriff „Iran“ hingegen der Monolith „Islam“ und „Theokratie“. Auch zeigt sie sich, wenn über „asiatische“ und „islamische“ oder über „europäischwestliche Werte“ in Form von „Kulturkreisen“ gesprochen wird. Dieter Senghaas greift diese Denk- und Wahrnehmungsform auf und bezeichnet Theorien, die mit solchen Ausdrücken operieren, als „kulturessentialistisch“, weil sie in großem Maß den Diskurs über „Kultur“ bestimmen, indem „homogene und kohärente Kulturprofile einander gegenübergestellt und in aller Regel gegeneinander ausgespielt“38 werden. Ein solches Vorgehen widerspreche jedoch der konfliktiven Vielfalt kultureller Formationen, die seit Menschengedenken ein fester Bestandteil der Kulturerrungenschaften gewesen ist. Senghaas entwickelt eine Konfigurationstheorie, um auf die interne Pluralität und Konflikthaftigkeit in Kulturen hinzuweisen. In gängigen Diskussionen erscheint Deutschland als ein Bestandteil des Westens, als eine Kultur, „für die immer schon Aufklärung, Individualismus, Demokratie, Menschenrechte, Religionsfreiheit, Pluralismus, freie Meinungsäußerung, die Gleichheit der Geschlechter u.Ä. repräsentativ und selbstverständlich gewesen sein sollen“39, und der Iran als ein Bestandteil des Ostens, d.h. als eine Kultur, für die immer schon Rückständigkeit, Kollektivismus, Tyrannei, Menschenrechtsverletzungen, Religionsunfreiheit, Einparteienherrschaft, Zensur, Ungleichheit der Geschlechter u.Ä. repräsentativ und selbstverständlich gewesen sein sollen. Beide Interpretationen hält Senghaas für falsch, weil die vielgerühmten westlichen Errungenschaften das Ergebnis langer und harter Kämpfe waren, in denen sich Parteien mit unterschiedlichen „kulturprägenden“ Auffassungen gegenüberstanden. Die Aufklärung war von gegenaufklärerischen Strömungen begleitet, soziale Verbesserungen wurden gegen heftige Widerstände ausgefochten und gerade heute zeigt sich auf dem Gebiet der harten sozialpolitischen Einschnitte, dass diese nicht unumkehrbar sind. Unterschiede politischer oder weltanschaulicher Auffassungen widersprechen der monolithartigen Auffassung einer Kultur. Sie gehen bis in Familien hinein – man betrachte etwa die Brüder Thomas Mann (1875–1955) und Heinrich Mann (1871–1950), die einst zumindest, in ihrer frühen Zeit, unterschiedliche Wertvorstellungen pflegten. Im Hinblick auf den Iran lässt sich der gleiche Sachverhalt beobachten. Spätestens ab Mitte des 8. Jahrhunderts, also etwa zweihundert Jahre nach der Entstehung des Islam, entwickelten sich fünf Rechtsschulen: die Hanafiten, die Malikiten, die Shafiiten, die Hanbaliten und die Djafariten, die sich teilweise radikal widersprechen, weil sie von unterschiedlichen gesellschaftlichen Ordnungen ausgehen. Seit der enqelabe-mashrute, der Verfassungsrevolution im Iran von 1907, herrscht bis in unsere Tage hinein eine heftige Kontroverse um die mardomsalarije eslami, also die islamisch-demokratische Ausgestaltung des Landes. Konflikte vergleichbarer Stoßrichtung lassen sich in vielen Gesellschaften in der Folge eines tiefgreifenden sozialen Wandels beobachten, so auch in China seit dem späten 19. Jahrhundert.
1.3. Interne Eigendynamik der Kulturen
Senghaas führt mit seiner auf innere Differenzen ausgerichteten Konfigurationstheorie vor Augen, dass interne Unterschiede von Kulturen häufig gravierender sind als Divergenzen zwischen den Kulturen. Das folgende Schaubild zeigt diverse Subkulturen innerhalb einer Kulturregion, die kontextuell unterschiedlich heterogen sind:
Senghaas lenkt die Aufmerksamkeit, wie dieses Schaubild demonstriert, auf die interne Diversität von Kulturen, die für alle Formen der Kommunikation innerhalb und zwischen unterschiedlichen Traditionen grundlegend ist. Dies hängt damit zusammen, dass bei einer monolithhaften Selbst- und Fremdwahrnehmung die „innere Differenzierung“ der Kulturen, der „Kulturkampf“ unterschiedlicher Denkformen vor Ort, übersehen wird. Ein realistisches Selbst- und Fremdbild ist jedoch die Grundvoraussetzung einer fruchtbaren Kommunikation. Die Konfigurationstheorie von Senghaas weist darauf hin, dass Kulturwandel stets eine Folge tiefgreifenden sozialen Wandels darstellt. Betrachtet man die Französische Revolution als zugespitzten, d.h. besonders virulenten Kulturkonflikt, so ist festzustellen, dass die jeweilige Verankerung der Menschen- und Staatsrechte, die heute als europäisch-westlich gelten, vor 1789 keineswegs Bestandteil oder gar Inbegriff der Kultur in westlichen Gesellschaften war. Ähnliche interne Umbrüche sind gegenwärtig in Ländern wie China und dem Iran zu beobachten. Diese hinterfragen, erschüttern und bekämpfen die politisch-öffentliche Ordnung. Ein weiteres Ziel der Konfigurationstheorie besteht darin, die Aufmerksamkeit der Diskurse auf die Frage zu richten, ob und inwieweit die Kulturen ihre Fehlentwicklungen offenlegen und ihre Erfahrungen der anderen Kultur zur Verfügung stellen. Darin sieht Senghaas die produktive Ausrichtung einer Erfolg versprechenden interkulturellen Kommunikation. Die Konfigurationstheorie von Senghaas lenkt die Aufmerksamkeit auf die interne Diversität von Kulturen und fordert dazu auf, von einer Monolithhaftigkeit Abstand zu nehmen, die auf politischer Ebene als Instrument der Spaltung eingesetzt wird.
Interne Differenzierung der Kulturen
Zusammenfassung
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1. Moderne Theorien des Kulturbegriffs
Übungsaufgaben: 1. Diskutieren Sie die zentrale Überlegung der Konfigurationstheorie von Senghaas. 2. Wie beurteilen Sie die Konfigurationstheorie von Senghaas, wenn Sie diese mit eigenen Erfahrungen in Beziehung setzen, die Sie in Ihrem sozialen Umfeld und bei Begegnungen außerhalb Deutschlands gemacht haben? 3. Setzen Sie die Konfigurationstheorie mit den dargestellten vier Kulturtheorien in Beziehung. Arbeiten Sie Konvergenzen und Divergenzen heraus. Was ändert sich in unserer Selbst- und Fremdwahrnehmung? 4. Erläutern Sie Vor- und Nachteile der Konfigurationstheorie für eine interkulturell ausgerichtete Kommunikation. Führen Sie ein Beispiel aus eigener Erfahrung an.
2. Interkulturalität: eine akademische Disziplin Das Thema „Interkulturalität“ wird unter mannigfaltigen Voraussetzungen betrachtet. Dazu gehören religiöse, ethnologische, soziologische sowie pädagogische, psychologische, linguistische, philosophische und auch politische, wirtschaftliche, historische und kulturelle Komponenten. Die bestehenden Theorien spiegeln solch unterschiedliche Richtungen. Von historischer Warte aus wird die Entstehung der Interkulturalität mit Ereignissen und Erscheinungen wie der Auflösung der Sowjetunion, der Gastarbeiterbewegung, der Migrationswelle, der Globalisierung oder der rasanten Entwicklung von Kommunikationssystemen seit Mitte des 20. Jahrhunderts verknüpft.1 Gesellschaftswissenschaftliche Theorien stellen interkulturelle Kontroversen in den Horizont ausländerpädagogischer und -politischer Problemstellungen. Sind einige der Auffassung, Interkulturalität komme ohne eine „rationale Grundlage“ nicht aus2, charakterisieren andere Richtungen diese als eine neuzeitliche Zwischenperspektive, die den kulturellen Zerstörungs- und Verschmelzungstendenzen sozialer Gruppen und Gesellschaften Einhalt gebieten soll.3 Interkulturalität, als eine Realität, die in allen Gesellschaften seit Menschengedenken anzutreffen ist, lässt sich aus vielerlei Gründen kaum auf weltweite Migrationsbewegungen und die Berührung mit dem kulturell Anderen beschränken. Eine solche Annahme würde die grundsätzliche Homogenität aller Kulturen als geschlossener Gebilde voraussetzen oder zur Folge haben. Indes gibt es, wie wir gesehen haben, innerhalb eines Landes oder einer Kulturregion auch Subkulturen und kulturelle Kontexte, die sich gegenseitig ausschließen, weil deren Divergenzen größer sind als die der „kulturell Anderen“. Die Aufgabe besteht nun darin, den Gegenstandsbereich der Interkulturalität festzulegen und eine eigenständige Disziplin der Interkulturalität zu entfalten.
Entstehung der Interkulturalität
2.1. Struktur der Interkulturalität Bei einer Reise ins Ausland, aber auch bei Begegnungen im eigenen Land, haben Sie sich bestimmt schon einmal im Gespräch mit dem Anderen in Situationen befunden, in denen Sie Ihr Verständnis oder Unverständnis zu einer Einstellung oder Überzeugung zustimmend oder mit Kopfschütteln zum Ausdruck gebracht haben. Möglicherweise gab es auch Momente, in denen Sie der Auffassung eines Ausländers näherstanden als der eines Deutschen. Situationen der einen wie der anderen Art weisen starke Differenzen in Einstellungen oder Überzeugungen auf. Um das Anliegen der Interkulturalität zu verdeutlichen, stellen wir unseren Überlegungen folgendes Beispiel voran:
Begegnung des Eigenen und Anderen
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2. Interkulturalität: eine akademische Disziplin
Beispiel: Einige Menschen bekommen zum ersten Mal ein Hängebauchschwein zu Gesicht. Zunächst sind sie verblüfft, doch dann behauptet einer von ihnen selbstbewusst, es handele sich hierbei um eine Ratte, die zu viel gefressen habe. Ein anderer meint ebenso selbstbewusst, dies sei ein Elefant, der vor Hunger geschrumpft sei.
Was geschieht hier? Diese Geschichte vermittelt uns eine Situation, in der zwei Gruppen von Menschen unterschiedlicher „Kultur“ bzw. Wahrnehmung mit einem Sachverhalt konfrontiert werden, der offensichtlich beiden Parteien unbekannt ist. Beide sind bestrebt, diesen in das eigene Bezugssystem zu stellen und aus dessen innerer Logik heraus zu bestimmen. Die folgende Abbildung visualisiert den kommunikativen Charakter einer solchen Sehenslogik:
Eigene und andere Bezugssysteme
Interkulturell als Zwischenraum
In beiden Fällen ist ein vordefiniertes Verständnis bestimmend. Dies hat zur Folge, dass auch die Sichtweise des Anderen auf der Grundlage des eigenen Bezugssystems beurteilt wird. Das heißt: Man entscheidet für den Anderen mit und unterstellt ihm zugleich, er habe das Phänomen falsch verstanden. In dieser Begegnungssituation, in der unterschiedliche Formen des Wahrnehmens und Bewertens aufeinandertreffen, nehmen die Urteilenden nicht wahr, dass es sich bei der Erscheinung „Hängebauchschwein“ um eine völlig neue Erfahrung handeln könnte. Darüber hinaus ignorieren beide, dass diese Erfahrung mit ihrem eigenen Bezugssystem nicht unbedingt angemessen beurteilt werden kann. Eine solche dichotomisierende Struktur ist in weiten Bereichen des menschlichen Lebens anzutreffen. Sie zeigt sich in unterschiedlichen wissenschaftlichen Vorgehensweisen, die zwar ein gemeinsames Ziel verfolgen, aber in ihren methodischen Ausrichtungen differieren, oder in unterschiedlichen Konzepten zur Bekämpfung gesellschaftlicher Missstände sowie in internationalen Beziehungen, die einer unterschiedlichen Logik der beteiligten Nationen unterliegen. Dieses Verhalten verweist auf ein Problem, das eine unmittelbare Auswirkung auf die Kommunikation als Ausgangsposition der Interkulturalität hat. Wir werden nun die Frage beantworten, was das Adjektiv „interkulturell“ und was das Substantiv „Interkulturalität“ bedeutet:
2.1. Struktur der Interkulturalität
Definition: Das Adjektiv „interkulturell“ bezeichnet einen Raum, in dem ein Austauschprozess stattfindet, durch den Menschen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund miteinander in Kontakt treten.
Der kulturelle Hintergrund umfasst vor allem religiös-kulturelle Zugehörigkeiten, mystisch-philosophische Wahrnehmungen, Sprachkunst und Rechtssysteme sowie unterschiedliche Denk- und Lebenswege. Hierzu gehört auch die Praxis im Umgang mit dem Anderen, die erheblich differieren kann. Dieser Themenkomplex wird später noch weiter dargestellt werden. Wir wenden uns zunächst der Vorstellung von Interkulturalität zu:
Was ist Interkulturalität?
Definition: Interkulturalität ist der Name einer Theorie und Praxis, die sich mit dem historischen und gegenwärtigen Verhältnis aller Kulturen und der Menschen als deren Träger auf der Grundlage ihrer völligen Gleichwertigkeit beschäftigt. Sie ist eine wissenschaftliche Disziplin, sofern sie diese Theorie und Praxis methodisch untersucht.
Interkulturalität als eine wissenschaftliche Disziplin ist für jede Form von Phänomenologie, Anthropologie, Soziologie und Kulturphilosophie relevant. Wenn wir im Kontext der Interkulturalität von Kultur oder Kulturen reden, so haben wir ein Verständnis vor Augen, das den Kulturbegriff als ein dynamisch-veränderbares Sinn- und Orientierungssystem mit offenen Grenzen versteht. Dies schließt im Sinn der Konfigurationstheorie von Senghaas auch ihre inneren Differenzierungen ein.
Um dem Gegenstandsbereich der Interkulturalität eine klare Struktur zu verleihen, unterscheiden wir zwischen drei miteinander verschränkten Orientierungsrahmen: historischer, systematischer und vergleichender Interkulturalität. Definition: Historische Interkulturalität untersucht im Kontext der sozial-, geistesund kulturwissenschaftlichen Geschichtsschreibungen interkulturelle Begegnungen und analysiert ihre Kontinuität und Diskontinuität.
Dabei geht es bspw. um die Beantwortung der Frage, wie sich historische Begegnungen ereignet haben und wie sie für die gegenwärtige Situation fruchtbar gemacht werden können. Von Bedeutung ist dabei die Staatsführung des persischen Königs Kyros (559–529 v.u.Z.) oder des kastilischen Königs Alfons X. (1221–1284). Kyros war mithilfe seiner Ethikkommissionen stets darauf bedacht, im persischen Vielvölkerstaat unterschiedliche Nationen, unter Berücksichtigung ihrer Riten und kulturellen Eigentümlichkeiten, zu einer gewaltlosen politischen und sozialen Koexistenz zu motivieren. Alfons X. gab der Übersetzerschule von Toledo wegweisende Impulse und
Kultur als offenes Sinn- und Orientierungssystem
Historische Interkulturalität
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2. Interkulturalität: eine akademische Disziplin
Systematische Interkulturalität
unter seiner Herrschaft übersetzten Christen, Moslems und Juden zusammen alte Schriften aus dem Griechischen, Sanskrit, Arabischen und Hebräischen. Definition: Systematische Interkulturalität umfasst „Korrelatbegriffe“, die die Bereiche des Eigenen und des Anderen, der Kompetenz, der Toleranz, Semantik, Hermeneutik und Komparatistik sowie der Ethik und ihre Terminologien, also Begriffsapparate, zum Gegenstand haben. Alle genannten Begriffe dienen zur Herstellung gelungener interkultureller Kommunikation, die wiederum eine Teildisziplin der Interkulturalität darstellt.
Vergleichende Interkulturalität
Neben diesen genannten Korrelatbegriffen sind weitere Bereiche denkbar. Insofern handelt es sich um eine Auswahl der wichtigsten Begriffe. Definition: Vergleichende Interkulturalität untersucht nicht nur Divergenzen und Konvergenzen in sozial-, geistes- und kulturwissenschaftlichenr Geschichtsschreibungen, sondern sie setzt auch Theorien und Überlegungen miteinander in Beziehung, die sich mit den Themenfeldern der Interkulturalität befassen, oder Bereiche, die für die Interkulturalitätsforschung relevant sind.
Unverfügbarkeit des Individuums
Dabei geht es darum, Beziehungen, typische Entwicklungen und charakteristische Eigentümlichkeiten samt ihren Lösungsansätzen zu beleuchten. Dazu gehören, neben den Ansätzen der Trans- und Multikulturaliät, interdisziplinäre Studien, in denen die für die Interkulturalität relevanten Themenfelder wie die Soziologie der Kulturen diskutiert werden. Die tragenden Säulen dieser Disziplinen bilden das Prinzip der Unverfügbarkeit des Individuums und die Unantastbarkeit seiner Würde, jenseits kultureller, religiöser und nationaler Grenzen.
Vermeidung von Verabsolutierung
Aufgaben der Interkulturalität
Interkulturalität hält jede Form von Verabsolutierung eigener Auffassungen für unfruchtbar, die das eigene Verhältnis zu anderen Gruppen ausschließlich durch das eigene Referenzsystem bestimmt.4 Deshalb ist sie mit keinem Namen und keiner Epoche, wie der europäischen oder einer außereuropäischen, verknüpft, gewissermaßen eine „kontextgebundene Ortsungebundenheit“. Interkulturalität erstrebt durch ihre Methode einen kritisch-argumentativen Dialog zwischen und innerhalb unterschiedlicher Denkstrukturen und Weltanschauungen in unterschiedlichen kulturellen Kontexten, um den Weg zu reziproken Plänen, Modellen und Lösungen zu bahnen. Interkulturalität will bestehende Diskurse aus ihrer Monokausalität befreien und einen Paradigmenwechsel und eine Bewusstseinserweiterung im Wahrnehmen und Begegnen der Individuen in allen kulturellen Kontexten herbeiführen. Mit ihr wird eine interkulturelle Kommunikation angestrebt, in der sich Verstehenwollen und Verstanden-werden-Wollen des Eigenen und des Anderen bedingen.
2.1. Struktur der Interkulturalität
Interkulturalität vollzieht sich durch eine Vielzahl von Dialogen zwischen und innerhalb der „Kulturen“ und Traditionen.
Polyphone Formen interkulturellen Dialogs
Interkulturelle Dialoge lassen sich unterscheiden in 1. kulturelle, die keine Tradition bevorzugen, aber eine wechselseitige Bereicherung durch Kommunikation und Interaktion intendieren, 2. philosophische, die die Einsicht kultivieren, dass die „Wahrheit“ von allen gesucht wird, aber niemandes Besitz allein ist, 3. philosophiegeschichtliche, die von einer Pluralität der Geschichten ausgehen und jede Privilegierung oder Verabsolutierung einer bestimmten Geschichte zurückweisen, 4. religiöse, die aufzeigen, dass Erleuchtung unabhängig von der jeweiligen Gottesvorstellung oder Antwort auf die Gottesfrage möglich ist, 5. religionswissenschaftliche, die beinhalten, dass Religionen und Kulturen in gemeinsamen „Lebenswelten“ verwurzelt sind, die sie miteinander verbinden, 6. geschichtliche, die sich mit den Folgen gewaltsamer Auseinandersetzungen beschäftigen und darauf ausgerichtet sind, Überlappungen und Differenzen in Geschichte und Gegenwart der Kulturen herauszuarbeiten, 7. wirtschaftliche mit dem Ziel, Grundprobleme wie das der Globalisierung und einer Wirtschaftsethik wie vor allem die Lösung der Verteilungskonflikte im Kontext der Weltwirtschaft darzustellen, 8. pädagogische mit dem Ziel, vom Kindergarten bis zur Erwachsenenbildung eine Einstellung wechselseitiger Toleranz zu fördern, 9. psychologische, die die Grundzüge des seelischen Verhaltens der Menschen und ihrer verschiedenen Erscheinungsformen auf der Ebene der Gleichheit analysieren wollen, 10. soziologische, die die Soziologie der Kulturen und die Auswirkungen intraund interkulturellen Verhaltens auf gesellschaftliche Strukturen untersuchen.
Der Prozess solcher Dialoge verläuft oft nicht kontinuierlich, denn er wird stets von einer Vielzahl von systemstrukturellen und kontextuellen Bezugsfeldern, Problemen und Hindernissen begleitet, die ihn und seine Zielrichtung beeinflussen. Interkulturalität bildet die Grundlage zahlreicher geistes-, sozial- und kulturwissenschaftlicher Teilbereiche, die mit dem Adjektiv „interkulturell“ gekennzeichnet sind. Diesen werden bspw. folgenden Disziplinen zugeordnet: Einige Fächer der Interkulturalität: Interkulturelle Philosophie, Interkulturelle Theologie, Interkulturelle Soziologie, Interkulturelle Pädagogik, Interkulturelle Ethnologie, Interkulturelle Religionswissenschaft, Interkulturelle Rechts- und Politikwissenschaften, Interkulturelle Germanistik, Interkulturelle Sprachwissenschaften oder Interkulturelle Kommunikation samt ihrer Teildisziplinen.
Die Bezüge zwischen diesen Fachgebieten und ähnlichen Teilgebieten lässt sich wie folgt visualisieren:
Interkulturelle Teildisziplinen
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2. Interkulturalität: eine akademische Disziplin
Zusammenfassung
Diese Fachgebiete unterscheiden sich von traditionellen Formen durch ihren Umgang mit dem Anderen. Wurde die Äußerung des Anderen bisher vernachlässigt, so lassen sie das Andere im vollen Sinn zu Wort kommen. Ein wesentliches Merkmal dieser Fachgebiete ist ihre Interdisziplinarität. Interkulturalität ist als eine akademische Disziplin eine erkenntnistheoretische Antwort auf die gewandelten kulturellen Kontexte, die nicht hermetisch voneinander abgeriegelt sind. Sie umfasst eine Reihe von Teildisziplinen, die eine offene und kritikorientierte Kommunikation innerhalb und zwischen diesen Kontexten methodisch wie didaktisch erleichtern sollen. Übungsaufgaben: 1. Bestimmen Sie die Rolle des Kulturbegriffs im Rahmen der Interkulturalität. 2. Diskutieren Sie die Frage „Wozu Interkulturalität?“ und bestimmen Sie ihre Ziele und Aufgaben. 3. Auf welchen Gebieten vollziehen sich interkulturelle Dialoge? 4. Welche Fachgebiete umfasst Interkulturalität? Versuchen Sie diese zu ergänzen. 5. Wie würden Sie Interkulturalität Ihren eigenen Erfahrungen nach betrachten? Belegen Sie dies mit Beispielen.
2.2. Interkulturelle Forschung Veränderte globale Voraussetzungen
Was bedeutet interkulturelle Forschung?
Im „ZeiWeltalter der Globalisierungen“ bedürfen wir im Kontext der Wissenschaften neuer Methoden, mit denen wir andere Denk- und Handlungsformen so erfassen, dass diese sich darin wiederfinden. Die Bezeichnung „Weltalter“ ist besser als die des „Zeitalters“, weil ersterer den weltumfassenden Charakter der Globalisierungen, die viele Dimensionen des menschlichen Lebens beeinflussen, treffend zum Ausdruck bringt. Eine Möglichkeit ist, die vorhandenen Begrifflichkeiten interkulturell neu zu durchdenken, die bereits teilweise Eingang in die Forschung und Lehre gefunden haben. Wir beginnen mit einer Arbeitsdefinition interkultureller Forschung:
2.2. Interkulturelle Forschung
Definition: Interkulturelle Forschung ist der Name einer Tätigkeit mit einem dialogtheoretischen und dialogpraktischen Charakter, die darauf ausgerichtet ist, traditionelle Methoden und Theorienansätze, die außereuropäische Traditionen nicht angemessen kritisch gewürdigt haben, interkulturell neu zu durchdenken, um neue Wege in Aussicht zu stellen.
Nun stellt sich die Frage, ob und inwieweit eine interkulturelle Modifikation auch von der Verwendung von Begriffen Abstand nehmen muss, die im Zuge des Kolonialismus oder der Abwertung von Kulturgebieten entstanden sind und denen bereits seit ihrer Entstehung eine negative Konnotation anhaftet. Mit Begriffen wie „Neger“ oder „Zigeuner“ ist dies bereits geschehen. Neben der Entkolonialisierung und Neusemantisierung vieler Begriffsapparate ist von Bedeutung, die unterschiedlichen Stimmen aus jeweils eigener Perspektive heraus zu Wort kommen zu lassen. Begriffe und ihre innere Logik formen in vielfacher Hinsicht unsere Weltbilder und bestimmen unser Wahrnehmen und Handeln. Die Grenzbestimmung und der eingegrenzte Bedeutungsgehalt sind im Rahmen dieser Logik aufeinander abgestimmt.5 Dies erschwert eine weitgefasste Klärung von Begriffen oder Begriffsapparaten beim Definieren:
Entkolonialisierung und Neusemantisierung
Definitionen lösen in uns nicht nur diverse Konnotationen und Verbindungen aus, sondern sie rufen eine Reihe von emotionalen Reaktionen hervor, die unsere Einstellung und damit auch unser Verhalten als Mensch und Forscher unterschiedlich beeinflussen können.
Nehmen wir als Beispiel den Begriff „Mount Everest“, des höchsten Berges der Welt im Grenzgebiet von Nepal und Tibet, der nach dem britischen Landvermesser Sir George Everest benannt wurde. Dieser Ausdruck ist mit zwei verschiedenen Geschichten verbunden: Während wir dessen Bezeichnung mit den Erfolgen der Engländer bei der Eroberung der letzten unberührten Flecken auf der Welt verbinden, lautet die tibetische Eigenbezeichnung „Tschomulungma“ und hat einen mythologischen, tiefreligiösen Charakter. Für die Buddhisten in Nepal befindet sich auf diesem Berg der Wohnsitz der Göttin Chomo Miyo Langsangma, für die Tibeter residiert auf der Ostseite die Göttin Tshe-Ring-Ma. Solche europäisch-westlichen Benennungen stehen der Kommunikation und Verständigung im Weg, da hierdurch die betreffende Kulturregion bereits semantisch zum Objekt der Eroberung gemacht wird. Die interkulturelle Forschung sieht eine ihrer Aufgaben darin, Begriffsapparate zu verwenden, die den Bezeichnungen entsprechen, die die betreffenden Kulturregionen selbst verwenden.6 Auch Ausdrücke wie „Erste, Zweite, Dritte“ Welt sind wertend und drücken eine gewisse Herren-Untertanen-Kultur aus. Solche Begriffsapparate, wie auch „kultiviert“ bzw. „zivilisiert“ oder „primitiv“, „exotisch“, „vorgeschichtlich“ usw., die im Zuge des Kolonialismus gebildet wurden, sind ebenfalls zu entkolonisieren und durch andere Begriffe zu ersetzen, weil diese nicht nur einseitig, sondern auch empirisch nicht stichhaltig sind. Mit den bisherigen Forschungsmethoden wurde ausschließlich das „Frem-
Koloniale Benennungen
Paradigmenwechsel
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2. Interkulturalität: eine akademische Disziplin
Interkulturelle Begriffskonkordanz
Eigene und andere Stimmen
de“ als Objekt eigener Forschung betrachtet. Auch wurde weniger der Versuch unternommen, den ethnologischen Blick auf die eigene Kulturregion zu richten. Forschungen aus einer eigenen Perspektive, die zudem häufig einen europazentrischen Charakter besitzen, haben zu Ergebnissen geführt, denen allzu häufig Einseitigkeit und eine gewisse Überheblichkeit anhaftet. Interkulturelle Forschung bildet die konzeptionelle Grundlage der Entwicklung einer interkulturellen Begriffskonkordanz, um zu einer reziproken Verständigung konstruktiv beizutragen. Eine Konkordanz in diesem Sinn umfasst ein alphabetisches Verzeichnis von Wörtern und Themen zum Vergleich ihres Vorkommens und Sinngehaltes. Dies trägt dem Anliegen interkultureller Forschung Rechnung, die bislang verwendeten und weitverbreiteten „Schlüsselwörter“ der kulturanthropologischen und -philosophischen Diskurse zum Thema „das Eigene und das Fremde“ infrage zu stellen, die den „Fremden“ bzw. das „Fremde“ wissenschaftlich zu objektivieren versuchten und es damit auch lebenspraktisch auf Distanz gehalten haben. Diese Erkenntnisse verweisen darauf, dass es zu einer reziproken Ergänzung und Erweiterung der Horizonte und ihrer Korrektur beiträgt, wenn wir das Andere aus seiner eigenen Perspektive umfassend zu Wort kommen lassen und dies mit der eigenen Perspektive in Beziehung setzen. In diesem „Zu-Wort-kommen-Lassen“ liegt ein kommunikatives Potenzial, das nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine neue Perspektive bedeutet, aus der sich eine jede Form interkultureller Kommunikation speist. Interkulturelle Forschung zielt auf das Verstehen der Kulturschöpfungen ab und reduziert nicht „alle Arten von Dyaden und Polaritäten auf einen einzigen fundamentalen Typ“.7 In einem solchen Prozess stehen mehrere Diskursteilnehmer, trotz irreduzibler Unterschiede, miteinander in einer ergebnisreichen Verständigung. Wichtige Werke zu Kulturtheorien weisen ein solches Defizit auf. Beispiel: Außereuropäische Kulturtheorien werden im Kontext europäisch-westlicher Forschung kaum zur Kenntnis genommen.8 Dieses Defizit lässt sich an dem dreibändigen „Handbuch der Kulturwissenschaft“ verdeutlichen, dessen programmatische Haltung im Eingangsartikel des ersten Bandes ihre Verankerung findet. Der Kulturbegriff wird aus dem Lateinischen abgeleitet, die Folgerung aus dieser etymologischen Herleitung ist eine Fokussierung des Kulturbegriffs auf die vom Lateinischen beeinflussten westeuropäischen Kulturgebiete.
Vielfalt der Sichtweisen und Methoden
In diesem und weiteren Bänden des Handbuches kommen Vertreter außereuropäischer Kulturregionen wie Asien, Afrika oder islamische Länder nicht zu Wort. Eine solche, als „eurozentrisch“ kritisierte Sichtweise ist normativ irreführend und empirisch inadäquat, weil hier vorausgesetzt wird, dass alle Völker von diesem Begriffsverständnis der Kultur ausgehen und darunter das Gleiche verstehen. Interkulturelle Forschung blickt möglichst nach allen Seiten und fragt nach den Konsequenzen solcher Betrachtungsweisen für die Zielsetzung im Inneren. Sie verweist auf die Pluralität unterschiedlicher Geschichten, Sichtweisen, Zugänge und methodischer Ausrichtungen, die sich ergänzen, überlappen oder bekämpfen. Ihre Notwendigkeit besteht in der veränderten Verfassung kultureller Kontexte und immer intensiverer Begegnung von Kulturen
2.2. Interkulturelle Forschung
und Weltanschauungen, die über unterschiedliche Vernunftmodelle sowie deren jeweils mannigfaltige Begründungen verfügen. Sowohl die Überschreitung der Grenzen verschiedener Disziplinen als auch die daraus resultierende interdisziplinäre Forschungstätigkeit „erfordert eine gemeinsame Sprache, die über die Fächergrenzen hinweg verständlich ist und es ermöglicht, Anschlussstellen zu bilden und die Einsichten und Ergebnisse anderer Fächer produktiv in die eigene Arbeit aufzunehmen“.9 Dies geht mit dem Prinzip einher, dass interkulturelle Forschung keinen bestimmten „Kulturstandard“ ab ovo privilegiert, und dies sowohl in der Theorie als auch in der Praxis. Im Rahmen einer interkulturellen Forschung ist eine Aufstellung von Meinungen, Äußerungen und Interpretationen historischer und gegenwärtiger Gestalten sowie Sachverhalte nicht endgültig. In weit größerem Maß als in anderen Forschungsgebieten muss hier darauf geachtet werden, dass sie gegenüber ihren Ergebnissen offen bleibt. Eine solche Bestimmung der Funktion und Praxis der Forschung ist ein Hilfsmittel, historisch und gegenwärtig Tiefe und Breite in unterschiedliche Problematiken und Fragestellungen einzubringen. Interkulturelle Forschung geht von neuen Voraussetzungen aus, die Umstellungen im Denken und Handeln nach sich ziehen. Sie ist stets der Kommunikation zwischen und innerhalb unterschiedlicher Denk- und Begründungsformen, Wert- und Weltorientierungen auf der Grundlage weitgehender Unparteilichkeit verpflichtet. Dies bedeutet, dass man als Forscher und zugleich als Angehöriger einer Kultur, Religion oder Philosophie ein Kritiker dieser Traditionszusammenhänge sein kann. Fremd- und Selbstkritik sind im Kontext einer jeden Forschung zwei Seiten derselben Medaille. Insofern bedeutet interkulturelle Forschung, durch das wissenschaftliche Vorgehen, Freiheit von essentialistischen und teleologischen Denksystemen. Dabei geht es nicht nur um die Berücksichtigung der gegenwärtigen Entwicklungen, sondern auch um die Aufklärung historischer Bedingtheiten der Wirklichkeitsauffassungen und der unterschiedlichen erkenntnisleitenden Motive und Wege, die diesen zugrunde liegen. Die folgende Abbildung artikuliert ein Verhältnis im Vergleich und Verständnis der Individuen, die einen Sachverhalt aus eigenkultureller Sicht heraus betrachten, ohne sich dessen bewusst zu sein, dass es einen Standpunkt jenseits ihrer eigenen Wahrnehmung gibt. Das folgende Schaubild zeigt die Möglichkeit eines gemeinsam erarbeiteten Standpunktes, in dem die Haltungen und Interessen beider Parteien integriert sind:
Interkulturelle Forschung und Ergebnisoffenheit
Überlappung unterschiedlicher Sichtweisen
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2. Interkulturalität: eine akademische Disziplin
Offenheit der Definitionen
Das Ergebnis einer aktiven Reziprozität kann durchaus ein anderes sein; ein Ergebnis, das auf mehr als eine Quelle zurückgeht. Wir können nicht Phänomene, die uns offensichtlich unbekannt sind, für unsere eingefahrenen Denkwege vereinnahmen. Zu den zentralen Aufgaben eines interkulturellen Forschungsverfahrens gehört es deshalb, unerwartete und bis dahin unbekannte Phänomene sowie disparate Haltungen, unterschiedliche Geschichten, Traditionen und die ihnen zugrunde liegenden erkenntnisleitenden Motive zunächst wahrzunehmen, sie dann in den Blick zu nehmen und kritisch zu analysieren. Der Sinn interkultureller Forschung besteht gerade darin, inhaltliche Vielfalt und methodischen Pluralismus anzustreben und das Prinzip „Reziprozität“ im Auge zu behalten. Es gibt gute Gründe, weshalb im Kontext der Interkulturalität eine grundsätzliche Definitionsoffenheit bevorzugt wird: Definition: Der Begriff „Definition“ bedeutet den offenen Versuch, die inhaltliche Bedeutung eines Ausdrucks, eines Systems oder einer Reihe von Ereignissen so klar wie möglich und eindeutig wie nötig auf eine Formel zu bringen.
Interdisziplinarität interkultureller Forschung
Zusammenfassung
Eine gute Definition umfasst möglichst alle Merkmale des zu Definierenden. Ihre Form und ihre Bestandteile werden stets durch mannigfaltige Intentionen des Autors getragen, die mit den gewählten Begriffen verbunden sind.10 Die Widerspruchs- und Zirkularitätsfreiheit einer Definition ist zwar eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung. Von Bedeutung ist auch ihre praktische Relevanz. Eine interkulturell ausgerichtete Forschung, die Konvergenzen und Divergenzen gleichermaßen sucht, verfährt interdisziplinär. Sie beschreibt, begründet und erklärt Beobachtungen, Erlebnisse, Erfahrungen, Erkenntnisse und Strukturen sowie Theorien, um Schnittmengen und neue Dimensionen in unterschiedlichen Kontexten festzustellen und diese für eine interkulturelle Kommunikation fruchtbar zu machen. Das folgende Schaubild demonstriert diesen dialogischen Prozess (s. Schema S. 37 oben). Interkulturelle Forschung ist methodisch darauf ausgerichtet, die bisherigen sozial-, geistes- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen, die das „Fremde“ ausschließlich als Objekt eigener Forschung betrachten, intern auf struktureller Ebene und extern auf begrifflicher Ebene als eigenständige Phänomene wahrzunehmen. Weil das Eigene und das Andere die gleichwertigen Seiten derselben Medaille „Mensch“ darstellen, ist es der interkulturellen Kommunikation förderlich, nicht vom „Eigenen“ und „Fremden“, sondern vom „Eigenen“ und „Anderen“ auszugehen. Übungsaufgaben: 1. Was bedeutet interkulturelle Forschung und was sind ihre Ziele und Aufgaben? 2. Was heißt „Definition“? Beschreiben Sie Ihre Rolle und analysieren Sie, warum traditionelle Forschung intern und extern interkulturell neu zu durchdenken ist. 3. Wie lässt sich ein Plädoyer für das interkulturelle Forschen begründen? 4. Diskutieren Sie die Konsequenzen einer einseitigen Forschung für die interkulturelle Kommunikation und belegen Sie Ihre These aus eigener Erfahrung.
2.3. Methodische Ausrichtung
2.3. Methodische Ausrichtung Die Methode der Interkulturalität findet ihre systematischen Entfaltungs- und Gestaltungsmöglichkeiten in unterschiedlichen Diskurs- und Forschungsfeldern dieser Disziplin. Bevor wir uns der Methodenfrage zuwenden, soll erläutert werden, was der Begriff der „Methode“ bedeutet: Definition: Methode ist eine strukturierte Verfahrensweise. Sie bringt zum Ausdruck, wie eine Klasse von Aufgaben formuliert und mit Aussicht auf Erfolg angegangen werden kann, und befähigt dazu, Erkenntnisse zu gewinnen, zu sammeln, auszuwerten, einzeln zu verstehen, zu analysieren, zu kontrollieren und schließlich in einem planvollen Vorgehen in den Kontext einzuordnen.
Die Auswahl und das Zusammenfügen der Methoden zu einem planvollen Vorgehen sind derart vorzunehmen, dass zweckdienliche Aspekte anderer Methoden ebenfalls in die Gesamtstruktur integriert werden. Sicherlich kennen Sie aus eigener Erfahrung, dass Streit entstehen kann, wenn zwei Parteien für die Lösung eines Problems unterschiedliche Methoden und Lösungswege vorschlagen. Wichtig ist das Wissen darum, dass die Richtigkeit der eigenen Methode nicht mit der Falschheit anderer Methoden gleichzusetzen ist. Bei interpersonaler Kommunikation, intertextueller Analyse oder der Ausarbeitung interkultureller Studien ermöglicht uns die Wahl einer Reihe zusammenhängender Methoden die Konstruktion von Zusammenhangs-
Methoden der Interkulturalität
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2. Interkulturalität: eine akademische Disziplin
strukturen, um die Informationen als solche zu erfassen, zu systematisieren und zu interpretieren. Das folgende Schaubild visualisiert diese Komposition:
Die aufgeführten Methoden der Interkulturalität sind ergänzbar und lassen sich auch auf andere Teilbereiche ausdehnen. Sie können wie folgt zusammengefasst werden: Analytisch vorgehen bedeutet, das Untersuchungsobjekt gedanklich in seine Bestandteile zu zerlegen, um es zu verstehen. Historisch vorgehen bedeutet, das Untersuchungsobjekt in einen historischen Zusammenhang zu stellen und es aus dieser Perspektive heraus zu erfassen. Phänomenologisch vorgehen bedeutet, unterschiedliche Formen der Selbstwahrnehmung und der Wahrnehmung des Anderen zu beschreiben, um dadurch dialogische Aspekte zu gewinnen. Komparatistisch vorgehen bedeutet, unterschiedliche Modelle miteinander in Beziehung zu setzen, Übereinstimmungen und Unterschiede zu konstatieren, ohne diese gegenseitig aufeinander zu reduzieren oder gegeneinander auszuspielen. Semantisch vorgehen heißt, Begriffsbedeutungen einzelner sprachlicher Äußerungen zu klären und miteinander in einen reziproken Zusammenhang zu setzen. Enzyklisch vorgehen bedeutet, das Untersuchungsobjekt umfassend in den Blick zu nehmen und verstehend zu begreifen. Empirisch vorgehen bedeutet, von Erfahrungen auszugehen, dabei Wertungen zu vermeiden und bemüht zu sein, gewonnene Erfahrungen systematisch zu erfassen und auszuwerten. Wissenschaftstheoretisch vorgehen bedeutet, den Fragen nach Theoriebildung, der Bestimmung von Begriffsapparaten und der Explikation von Vorannahmen nachzugehen. Normativ vorgehen bedeutet, den Untersuchungsgegenstand vor dem Hintergrund der Wertvorstellungen zu untersuchen, auf denen er beruht. Epistemisch vorgehen bedeutet, das Untersuchungsobjekt auf eine erkenntnistheoretische Grundlage zu heben und logische Strukturen herauszuarbeiten. Rationalistisch vorgehen bedeutet, die Fähigkeiten der Vernunft zu benutzen und zu beachten, welche unterschiedlichen Argumentationsformen diese im Vergleich und Verständnis der Kulturen hervorbringen. Dialektisch vorgehen bedeutet, die internen Gegensätze in einem Untersuchungsobjekt aufzuspüren und die darin enthaltene Dynamik im Rahmen eines umfassenden Ganzen herauszustellen.
2.3. Methodische Ausrichtung
Das Zusammenspiel dieser Komponenten bietet die Grundlage einer gemeinsamen Lernkultur, die a) strukturelle und korrelative Zusammenhänge identifiziert, die b) eine mannigfaltige Analyse dieser Zusammenhänge erleichtert und die c) Überprüfbarkeit des Sachverhaltes auf dem Weg zur interkulturellen Kommunikation und Verständigung ermöglicht. Die bevorzugte Methode der Interkulturalität ist grundsätzlich pluralistisch, aus den unterschiedlichen aufgeführten Komponenten zusammengesetzt, die aufeinander aufbauen und ineinander verflochten sind. Sie ist aufgrund ihrer Beschaffenheit geeignet, um den Boden zur Aneignung von unterschiedlichen „Faktoren der kulturspezifischen und individuell geprägten Lebenserfahrung und Lerngeschichte“11 des Eigenen und des Anderen sowie des Wissens über diverse Denk- und Lerntraditionen kommunikativ zu ebnen. Sie hat einen responsiven, antwortenden Charakter, der Verstehen-Wollen und Verstanden-werden-Wollen des Eigenen und des Anderen gleichermaßen berücksichtigt.
Kompositorische Methode
Wir nennen die Methode der Interkulturalität „kompositorische Methode“, weil sie aus unterschiedlichen Komponenten besteht.
Die kompositorische Methode der Interkulturalität fußt auf den Erkenntnissen interkultureller Forschung. Zu ihrem Selbstverständnis gehört eine Erweiterung der Wahrnehmungsstruktur in Begegnung und Bewertung des Eigenen und des Anderen. Übungsaufgaben: 1. Klären Sie, was „Methode“ ist und warum die Auswahl einer Methode für die Bewältigung einer Aufgabe von Nutzen sein kann. 2. Diskutieren Sie die möglichen Folgen einer bestimmten Methode, die verabsolutiert wird. Führen Sie Beispiele aus eigener Erfahrung an. 3. Nennen und diskutieren Sie die Methode der Interkulturalität. 4. Erarbeiten Sie Vor- und Nachteile dieser Methode. Führen Sie ein Beispiel an, das für Sie dies dokumentiert!
Zusammenfassung
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3. Interkulturelle Theorie der Kommunikation 3.1. Neuere Konzepte der Kommunikation Theorien der Kommunikation
Herrschaftsfreier Diskurs von Habermas
Gleichheit der Diskursteilnehmer
Gemeinsame Bestimmung des Diskursrahmens
Eine Reihe von Theorien ist entwickelt worden, um Hindernisse in der Kommunikation zu beheben. Diskurs- und sprachliche Äußerungsformen lassen sich unter verschiedenen Aspekten aus unterschiedlichen Perspektiven heraus thematisieren. Dazu gehören vor allem linguistisch-empirische oder diskursanalytische Verfahrensweisen. Hier können wir auf diese Konzepte im Einzelnen nicht eingehen und beschränken uns deshalb auf einige für uns relevante Ansätze, die den Unterschied zwischen einer traditionellen und interkulturellen Theorie der Kommunikation deutlich machen.1 Zu nennen sind vor allem die Theorien von Jürgen Habermas und Friedemann Schulz von Thun. Während Habermas von einer idealen Gesprächssituation ausgeht, ist Schulz von Thun bemüht, eine Theorie des Dekodierungsprozesses zu formulieren. Zur Beschreibung der reziproken Funktionalität der Kommunikation entwickelt Habermas eine „Theorie des kommunikativen Handelns“.2 Im Rahmen des praktischen Handelns unterscheidet er zwischen einer strategischen und einer kommunikativen Handlungsform. Während Erstere nur ihr eigenes Ziel vor Augen hat, berücksichtigt Letztere umfassend viele Faktoren und deren gegenseitige Beeinflussungen, die den interkulturellen Dialog als eine ethische Qualität implizieren und eine „theoretisch-praktische Haltung bestimmen“.3 Um eine kommunikative Einstellung im Gespräch zu pflegen, müssen nach Habermas erstens alle Teilnehmer eines Diskurses die gleiche Chance haben, verschiedene Sprechakte in kommunikativer Absicht zu verwenden, sodass sie jederzeit Diskurse eröffnen sowie durch Rede und Gegenrede, Frage und Antwort den Diskurs offenhalten können. Zweitens müssen alle Diskursteilnehmer die gleiche Chance haben, Deutungen, Behauptungen, Empfehlungen, Erklärungen und Rechtfertigungen aufzustellen und deren Geltungsanspruch zu problematisieren, zu begründen oder zu widerlegen, sodass keine Vormeinung auf Dauer der Thematisierung und Kritik entzogen bleibt. Habermas legt zwei weitere Diskursvoraussetzungen fest, die Haltungen ausschließen sollen, die einem kommunikativen Dialog willentlich oder unbewusst im Weg stehen. Im Kontext kommunikativen Handelns, das Verzerrungen und erzwungenen Konsensus ausschließen soll, sind zugelassen: 1. Menschen, „die als Handelnde die gleiche Chance haben, repräsentative Sprechakte zu verwenden, d.h. ihre Einstellungen, Gefühle und Wünsche zum Ausdruck zu bringen. Denn nur das reziproke Zusammenstimmen individueller Äußerungen und das komplementäre Einpendeln von Nähe und Distanz in Handlungszusammenhängen bietet die Garantie dafür, dass die Handelnden als Diskursteilnehmer sich selbst gegenüber wahrhaftig sind und ihre innere Natur transparent machen“.
3.1. Neuere Konzepte der Kommunikation 2. Menschen, „die als Handelnde die gleiche Chance haben, regulative Sprechakte zu verwenden, d.h. zu befehlen und sich zu widersetzen, zu erlauben und zu verbieten, Versprechen zu geben und abzunehmen, Rechenschaft abzulegen und zu verlangen usf. Denn nur die vollständige Reziprozität der Verhaltenserwartungen, die Privilegierungen im Sinne einseitig verpflichtender Handlungs- und Bewertungsnormen ausschließen, bieten die Gewähr dafür, dass die formale Gleichverteilung der Chancen, eine Rede zu eröffnen oder fortzusetzen, auch faktisch dazu benutzt werden kann, Realitätszwänge zu suspendieren und in den erfahrungsfreien und handlungsentlasteten Kommunikationsbereich des Diskurses überzutreten“.4
Die Forderung dieser beiden Voraussetzungen erklärt sich dadurch, dass viele zwar meinen, einen Dialog zu führen, in Wirklichkeit aber unter Handlungszwängen stets verkappte Monologe führen, da sie nicht offen für die Ausführungen des Anderen sind oder im Kreis denken. Schulz von Thun stellt in seinem Kommunikationsquadrat, das auch als „Vier-Ohren-Modell“ bekannt geworden ist, vier Seiten des miteinander Redens dar.5 Bekannt geworden ist sein Modell mit dem Beispiel eines autofahrenden Paares: Der Mann weist die am Steuer sitzende Frau darauf hin: „Du, da vorn ist rot“, während die Frau antwortet: „Fährst du oder ich?“ Die Seite des „Sachinhaltes“ klärt, was auf sachlicher Ebene gemeint ist (hier: Da ist eine Ampel, die rot ist), die „Selbstoffenbarung“ gibt Auskunft über den Sprecher, seine Bedürfnisse, Werte, Überzeugungen und Gefühle (etwa: Ich habe Angst, dass du diese übersiehst und uns in Gefahr bringst), die „Appellebene“ bringt zum Ausdruck, zu welcher Handlung der Sender den Empfänger bewegen will (hier: Bremse bitte!), und der „Beziehungsinhalt“ gibt an, wie der Sender zum Empfänger steht (etwa: Ich als dein Mann und besserer Autofahrer darf dir solche Ratschläge erteilen). Störungen ergeben sich hauptsächlich, wenn sachliche Aussagen auf Beziehungsebene verstanden werden (hier z.B. die Verärgerung der Frau über die vermeintliche Zurechtweisung des Mannes). Für die Anwendbarkeit dieser Theorie im Kontext interkultureller Kommunikation ist eine Reihe von weiteren Komponenten zu berücksichtigen. Von Bedeutung ist eine argumentative Hermeneutik, von der weiter unten die Rede sein wird. Es geht hier konkret darum, a) wie ich meine eigene Denkform betrachte, b) wie ich die andere Denkformen betrachte, c) wie die anderen Denkformen ihre eigene Denkform betrachten und d) wie die anderen Denkformen meine Denkform betrachten. Die theoretische und praktische Verschränkung dieser Komplementaritätstheorie lassen sich folgendermaßen visualisieren:
Das Vier-OhrenModell von Schulz von Thun
Erweiterung des Vier-Ohren-Modells
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3. Interkulturelle Theorie der Kommunikation
Zusammenfassung
Der Weg zur interkulturellen Kommunikation nach diesem Muster, wo sich die Horizonte des Senders und Empfängers überlappen, wird wesentlich von der Analyse der Vorverständnisse geleitet.6 Diese dominiert alle genannten Ebenen, besonders jedoch die Beziehungsebene. Die Analyse der Vorverständnisse geht einher mit der Bewusstmachung der Relativität des eigenen Blickes und dem Ablegen ethnozentrischer Perspektiven. Ziel ist es, den Einfluss der eigenen kulturellen Prägungen auf die Wahrnehmungen, Situationseinschätzungen und Verhaltensweisen gegenüber dem Anderen bewusst zu machen. Hierzu gehört das Aufzeigen von Haltungen, die durch Stereotype, Klischees oder Vorurteile geprägt sind. Die dargelegten Kommunikationstheorien lassen sich über eine Erweiterung auf unterschiedlichem Weg für den Ansatz interkultureller Kommunikation fruchtbar machen. Von besonderer Bedeutung ist die Schaffung einer Kommunikationssituation der Gleichberechtigung, verbunden mit einem Perspektivwechsel der Gesprächspartner, der zur Entlarvung von Vorurteilen führt. Übungsaufgaben: 1. Diskutieren Sie die Kommunikationstheorie von Habermas und arbeiten Sie heraus, wie er diese begründet und welchen Verhaltensweisen er ablehnend gegenübersteht. 2. Analysieren Sie den Ansatz von Schulz von Thun und vergleichen Sie ihn mit dem von Habermas. 3. Wie lassen sich diese Theorien erweitern? 4. Führen Sie Beispiele aus Ihrem sozialen Umfeld an, welche dieser Theorien in der Praxis besser anwendbar ist: Berücksichtigen Sie dabei den „herrschaftsfreien Diskurs“ von Habermas.
3.2. Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation7 Tauschfamilien zur Verdeutlichung interkultureller Kommunikation
Zur Herausbildung und Analyse der theoretischen und praktischen Probleme interkultureller Kommunikation stellen sich zwei vierköpfige Familien aus Deutschland und aus dem Iran zur Verfügung, die ihre Umgebung vertauschen und eine Vermischung mit den Teilen der jeweils anderen Familie ein-
3.2. Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation
gehen. Der Tausch sieht so aus: Die deutsche Familie lebt in Berlin, die iranische Familie lebt in Teheran, beide bestehen jeweils aus Vater, Mutter, Sohn (17) und Tochter (15). Nach Berlin kommen die iranische Mutter und der iranische Sohn. Diese Familie nennen wir Familie A. Nach Teheran hingegen kommen die deutsche Mutter und der deutsche Sohn. Diese Familie nennen wir Familie B.
Das Ziel der Analyse besteht darin, die Befindlichkeit der Tauschfamilien und ihre Erfolge wie auch ihre Schwierigkeiten praktisch zu diagnostizieren, um diese Ergebnisse in Umgangsregeln für eine effektive interkulturelle Kommunikation einfließen zu lassen. Wir haben im Gegensatz zu gängigen Theorien interkultureller Kommunikation auf eine Stereotypisierung und Kulturalisierung der Tauschfamilien verzichtet, damit sich der Betrachter gemäß eigener Erfahrungen in die jeweiligen Gesprächssituationen hineinversetzen kann. Dieser Weg wurde deshalb gewählt, weil die meisten „empirischen Einzelstudien“ über interkulturelle Kommunikation und ihre Diskursfelder stark generalisierende Charaktereigenschaften pflegen. Sie schließen vom Einzelfall auf das Ganze. Eine Folge solcher Ansätze ist, dass man bspw. nicht mehr im Singular von dem „Türken“, „Deutschen“, „Araber“, „Afrikaner“ oder „Iraner“ spricht, sondern nur noch im Plural von „den Türken“ usw. Nun befinden sich beide Familien in einer jeweils neuen Situation und den Tauschpartnern geht sicherlich vieles durch den Kopf, Angst, Neugierde, Freude usw., wenn sie sich auf diese Begegnung vorbereiten. Sie fragen sich bestimmt auch: 1. Wie sind die Menschen dort? 2. In welcher Sprache werden wir uns verständigen? 3. Wie werden wir dort wahrgenommen und behandelt? 4. Was müssen wir über Land, Leute und die Familie wissen, worauf müssen wir verzichten? 5. Richten wir uns nach deutschen oder nach iranischen Grundsätzen? 6. Welche Religion und welche Wertvorstellungen haben die Menschen dort? 7. Welche Gewohnheiten haben sie? 8. Wie wird das Ablegen oder das Tragen eines Kopftuches bewertet werden?
Wider die Kulturalisierung
Situation der Tauschfamilien
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3. Interkulturelle Theorie der Kommunikation
9. Wie sollen wir uns verständigen, wenn zwei Welten aufeinandertreffen? 10. Wie werden die Kinder von ihrer unterschiedlichen Mentalität her miteinander auskommen?
Kultursensibilisierung
Im „Weltalter der Globalisierung“ werden die Tauschfamilien vielleicht im Internet recherchieren, bei Freunden oder Bekannten nachfragen, ob sie mit Land und Leuten dieser Reiseziele Erfahrungen gesammelt haben, oder sie besorgen sich Bücher und Reiseführer über Deutschland und den Iran, lesen gezielt Zeitungen und hören bewusster Radio, sie befassen sich mit der Sprache oder machen sich über das politische Verhältnis zwischen beiden Ländern kundig. Erfahrungsgemäß werden die Tauschfamilien zu diesem Zeitpunkt bewusster ihre Umwelt in Bezug auf die Reiseziele wahrnehmen und für jede Information sensibilisiert und dankbar sein. Plötzlich wird ihnen alles wichtig, was mit diesen Reisezielen zu tun hat. Spätestens hier werden den Tauschfamilien die unterschiedlichen Selbstverständlichkeiten bewusst, die wir oft unreflektiert pflegen, beginnend mit den subjektiven Meinungen von Bekannten und Freunden bis hin zu unterschiedlichen Formen der Berichterstattung von Medien oder Darstellungen in Büchern.
Die methodisch-systematische Analyse solcher und ähnlicher Begegnungsformen auf der Ebene des Inter- und Intrakulturellen bildet die zentrale Aufgabe interkultureller Kommunikation.
Theorie und Praxis einer Lernkultur
Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation
Nun stellt sich die Frage, wie die Tauschfamilien mit dieser spannenden Begegnung und zugleich mannigfaltigen Herausforderung kommunikativ umgehen können. Sicher dürfte sein, dass sie nicht mehr mit herkömmlichen Kommunikationsmethoden in der Lage sein werden, den Familientausch zu meistern, sondern sie benötigen ein Instrumentarium, das ihnen Wege und Umwege bereitstellt, um ein reibungsloses Zusammensein zu gewährleisten. Es geht um die Theorie und Praxis einer Lernkultur, die derart ausgerichtet ist, mit den Konvergenzen und Divergenzen in der Pluralität der Einstellungen und Überzeugungen umzugehen. Diese Lernkultur besteht aus einer Reihe von Techniken, die systematisch aufeinander aufbauen und sich gegenseitig bedingen, sie korrelieren also miteinander. Ohne eine solche Verschränkung der Komponenten ist keine echte Verständigung möglich. Zur Bezeichnung der Techniken existiert eine Reihe von Komposita, die wir hier als „Korrelatbegriffe“ einführen werden. Damit meinen wir Begriffe, die einander bedingen und miteinander in Wechselbeziehung stehen.
Die Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation basieren auf der Grundlage des weiter oben formulierten Kulturbegriffs als eines offenen Sinn- und Orientierungssystems sowie der Konfigurationstheorie von Senghaas.
3.2. Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation
Der Ausdruck „Interkulturelle Kommunikation“ dient als Ausgangsposition der Korrelatbegriffe, weil der Mensch, als ein kommunikatives Wesen, ohne Kommunikation nicht auskommen kann. Das folgende Schaubild zeigt die Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation, auf die wir im Folgenden ausführlich eingehen werden:
Was ist nun Ihre Aufgabe als Leserin und Leser? Die Aufgabe bei diesem Lernweg besteht darin, wenn Sie mehr als zwei Personen sind, die Rolle der Tauschfamilien einzunehmen und für die Dispositionen der Partner Argumente und Gegenargumente zu bringen. Hierbei mögen unsere Tauschfamilien Ihnen helfen, sich selbst in einer Interaktion mit dem Anderen zu beobachten und sich praktisch gegenseitig den Spiegel vorzuhalten. Durch den Tausch der Rollen lässt sich situationsadäquat nachvollziehen, mit welchen Problemen zwischenmenschlicher Kommunikationen die Begegnungen mit dem Anderen verbunden sind und wo Verständigung schwierig oder von internen und externen Herausforderungen begleitet wird. Gleichzeitig werden Sie merken, dass es einen Königsweg für die Bewältigung dieser Herausforderungen und Dissonanzen nicht gibt, sondern stets der Einzelfall zu beobachten ist, von dem nicht auf das Ganze geschlossen werden kann. Interkulturelle Kommunikation ist eine Teildisziplin der Interkulturalität. Sie ist darauf ausgerichtet, einen kritikoffenen Dialog zwischen unterschiedlichen Einstellungen und Überzeugungen auf gleicher Augenhöhe in Gang zu bringen. Ihre Korrelatbegriffe dienen als Instrumentarium, interkulturelle Situationen angemessen zu meistern.
Tauschfamilien und die Aufgabe der Lesenden
Zusammenfassung
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3. Interkulturelle Theorie der Kommunikation
Übungsaufgaben: 1. Nennen Sie die Korrelatbegriffe der Interkulturalität und diskutieren Sie, ob und inwieweit diese erweitert werden sollten. 2. Beschreiben Sie die Zusammensetzung und Situation der Tauschfamilien und versuchen Sie nachzuvollziehen, welchen Herausforderungen sie im Iran und Deutschland begegnen werden. Führen Sie Beispiele aus Ihrem sozialen Umfeld oder aus ähnlichen Kontexten an. 3. Stellen Sie Bedingungen zusammen, unter denen die Familien ihrem Ziel der gelungenen interkulturellen Kommunikation näherkommen könnten.
3.2.1. Das Eigene und das Andere Dimensionen des Eigenen und des Anderen
„Fremd“- und Eigengruppe
Was bedeutet das Eigene und das Andere?
Bereiche des Eigenen und des Anderen
Nicht nur die Klärung des Eigenen und des Anderen, sondern auch ihr Wechselverhältnis tangiert die Grundwirklichkeit des menschlichen Lebens. Insofern bildet die Frage nach dem Eigenen und dem Anderen den ersten Korrelatbegriff interkultureller Kommunikation, mit dem wir beginnen. Im Folgenden wird der Ausdruck des „Fremden“ grundsätzlich durch den des „Anderen“ ersetzt. Ersterer ist als traditionelle Ausdrucksform mit einer pejorativen Bedeutung verbunden, letzterer artikuliert eine vertraute Nähe. Der Terminus „Fremdgruppe“ umschreibt in diesem Zusammenhang eine Gemeinschaft, zu der eine Person nicht gehört oder nicht dazuzugehören glaubt, während „Eigengruppe“ einen Zusammenschluss bezeichnet, dem eine Person angehört oder anzugehören glaubt.8 Wir beginnen mit der Erklärung dessen, was das Eigene und das Andere ist: Definitionen: Als Anderes wird in der Regel das bezeichnet, 1. was wir nicht oder noch nicht kennen und deshalb nicht adäquat einordnen können, 2. wofür wir noch keinen Begriff gefunden haben und 3. was noch keinem der alltäglich verfügbaren Begriffe zugeordnet werden kann, mit dem wir nicht bekannt oder vertraut sind. Dies sind Eigenschaften, die wir, in Unterscheidung zum Eigenen, dem Fremden zuschreiben. Das Eigene ist das Vertraute und uns Bekannte, das das Umgekehrte des Anderen darstellt.
Die Korrelatbegriffe „das Eigene“ und „das Andere“ bilden einen integralen Bestandteil interkultureller Kommunikation insgesamt, die auf Gebieten wie der Ethnologie, Psychologie, Pädagogik, Soziologie, Theologie und Philosophie unter verschiedenen Voraussetzungen diskutiert werden. Wer beruflich oder familiär mit dem Anderen aus eigenkulturellem oder fremdkulturellem Kontext in Kommunikation steht, weiß aus eigener Erfahrung, dass das Andere in der Regel dort beginnt, wo ich „mit meinem Latein am Ende bin und sich ein anderes Latein in mein Leben einschleicht“, wo die für mich vertraute Umgebung ihre Grenze in Begegnung mit dem anderen erreicht. Das Gleiche gilt auch für das Andere in seiner Begegnung mit mir. Die Konfrontation mit diesem Grenzbereich begegnet und begleitet Menschen
3.2. Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation
in vielen Schritten ihres Lebens. Es entsteht ein Raum des Verstehens und der Kommunikation, in dem Veränderungen möglich gemacht werden können. Im Kontrast mit dem Anderen wird die Selbstverständlichkeit des Eigenen in seiner scheinbar gegebenen Alleingültigkeit aufgebrochen, infrage gestellt und kommunikativ verfügbar gemacht. Das Andere bedeutet meist Unruhe, Bedrohung von Identität und Störung der bestehenden Tradition, während das Vertraute oder „Heimat“ in der Regel eine fixierte Zugehörigkeit, Identität und damit Kontinuität stiftet bzw. stiften kann. Es ist keine homogene Kategorie, sondern eine anthropologisch-historische Wirklichkeit, die in Religionen, Kulturen, Philosophien, Sprachen, Traditionen und verschiedensten Verstehenshorizonten zu beobachten ist.
Die Frage nach dem Eigenen schließt also die Frage nach der Identität ein, die unterschiedliche Dimensionen und Formen kennt. Zwei Formen lassen sich hier vor allem ausmachen: eine Ich- und eine Wir-Identität.9 Die Ich-Identität umfasst besondere Eigenschaften eines Individuums; sie ist das Bild eines Menschen, das ihn einzigartig macht. Die Wir-Identität umfasst im „Wir-Bild“ besondere Eigenschaften, mit denen sich die Mitglieder einer Gruppe bewusst oder unbewusst identifizieren.
Identität besteht aus unterschiedlichen Komponenten, die ineinandergreifen und einen wesentlichen Teil der Primärsozialisation ausmachen. Hierzu gehören vor allem Religion, Kultur, Tradition und Zivilisation als vier Komponenten, die die vielen eigenkulturellen Wahrnehmungen der Individuen beeinflussen, wobei Familie und Gesellschaft Bestandteile der Kultur sind. Anzumerken ist, dass Identität in keinem dieser Bereiche restlos aufgeht. Identitäten sind somit keine Festungen mit konstanten Merkmalen. Die folgende Abbildung visualisiert wesentliche Komponenten der Identität:
Formen von Identität
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3. Interkulturelle Theorie der Kommunikation
Begegnungsformen
Das gleiche Bild und die gleiche Wahrnehmungsweise, im Hinblick auf das Eigene, lässt sich in umgekehrter Form für das Andere geltend machen, weil das Andere weder ein Produkt unserer Fantasie ist, noch ein unmündiges Wesen darstellt, das zu bevormunden ist. Weil die Grundlage des Eigenen und des Anderen das Menschsein ist, das verbindet, sind Divergenzen und Konvergenzen des Eigenen und des Anderen abhängig von anthropologischen Faktoren. Fremdheit beginnt somit nicht außerhalb, sondern im Menschen, in seiner Denkform und Wahrnehmung selbst. Die Tauschfamilien werden in faktischen Begegnungen erfahren, dass die Gründe der Divergenzen und Konvergenzen zwischen dem Eigenen und dem Anderen religiöse, kulturelle, zivilisatorische, traditionsbedingte oder gruppenorientierte sein können, die zumeist eine theoretische und praktische Absetzung des Eigenen vom Anderen zur Folge haben. Sie werden auch erleben, dass das Eigene und das Andere keine unüberbrückbaren Gegensätze sind, wie dies in einigen Medien, Studien oder von manchen Politikern unterstellt wird. Hans Jürgen Heinrichs bezeichnet Ausdrücke wie „das Eigene und das Fremde, der Europäer und der Fremde“ als Erfindungen und Projektionen, als Identitätsfixierungen, Wunsch- und Negativbilder der Zivilisation.10 Der aus unserer Sicht gesehene „Fremde“ ist für sich ein „Eigener“ und jeder, der sich als „Eigener“ betrachtet, ist auch ein „Anderer“.
Identität und Differenz
Exotisierung und ihre Folgen
Die ausschließliche Orientierung an einem Identitäts- oder Differenzmodell als endgültig verhindert den spezifischen Charakter, Eigenes im Anderen und Anderes im Eigenen zu erkennen und zu verstehen. Wer so verfährt, stigmatisiert in der Regel das Andere unmittelbar zum Exoten, ohne sich dessen bewusst zu sein, von der anderen Seite selbst als Exot bezeichnet werden zu können. Diesem Phänomen geht eine von endgültiger Identität und Differenz geleitete Kategorie voraus und stellt eine Wunschwelt dar, die sich im Eigenen und Anderen gleichermaßen findet, und sie ist seit ihren Anfängen „eine unauflösbare Vermischung von Vereinnahmung und Aufklärung des Anderen, von Fremd- und Selbstverständnis, von Beobachtung, Beschreibung, Reflexion und Projektion, von Phantasie und Modellbildung“.11 Definition: Exotismus bedeutet, den Anderen nicht in dessen Bezugssystem zu erfahren, sondern ihn mit eigenen Idealen vergleichend zu betrachten und ihn in ethnozentrischer Ausschmückung als radikal verschieden zu interpretieren.
Hier kommen wir ohne eine Umkehr im Denken und Handeln nicht weiter, wenn ernsthaft angestrebt wird, mit dem Anderen ins Gespräch zu kommen. Erst wenn der Mensch in sich selbst erkennt, dass auch er von Anderen als Exot bezeichnet wird oder werden könnte, kommt er dem Anderen näher. Gehen wir von einem normativen Kulturbegriff und einer bestimmten
3.2. Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation
Lebensweise aus, so ist nicht auszuschließen, dass das eigene Selbstbild das Andere in den Schatten zu stellen glaubt. Wenn wir alle wissenschaftlichen Theorien für einen Augenblick vernachlässigen, so werden wir merken, dass viele von uns in der Regel unterschwellig ein konstrukthaft-fixiertes Bild vom Eigenen und vom Anderen pflegen. Echte interkulturelle Kommunikation speist sich aber von der Bestimmung und Wechselwirkung des Eigenen und des Anderen sowie der Suche nach dem Eigenen im Anderen und dem Anderen im Eigenen. Die Kunst besteht darin, diese Korrelationen miteinander ins Gespräch zu bringen. Ein Lerneffekt der Tauschfamilien würde sich in diesem Fall dann einstellen, wenn sie versuchten, die entsprechenden Familienteile in ihrer eigenen Ordnung verstehen zu wollen. Edmund Husserl ist hier ein Beispiel, weil er in Europa „etwas Einzigartiges“ zu erkennen meint, „das auch allen anderen Menschheitsgruppen an uns empfindlich ist als etwas, das, abgesehen von allen Erwägungen der Nützlichkeit, ein Motiv für sie wird, sich im ungebrochenen Willen zu geistiger Selbsterhaltung doch immer zu europäisieren“. Er hält es für selbstverständlich, „daß unserem europäischen Menschentum eine Entelechie eingeboren ist, die den europäischen Gestaltenwandel durchherrscht und ihm den Sinn einer Entwicklung auf eine ideale Lebens- und Seinsgestalt als einen ewigen Pol verleiht“.12 Husserls Annahme ist deswegen problematisch, weil er von seinem eigenen Standpunkt als Maßstab ausgeht, den er zugleich verabsolutiert.
Husserl und die Welteuropäisierung
Wie würde die deutsche Familie A im Iran reagieren, wenn die iranische Familie B behauptete, dem Iran sei eine Entelechie und Vollendung angeboren, die alle außeriranischen Menschen hoffen ließe, den Iranern gleich zu werden? Was wäre die Antwort Husserls?
In diesem Zusammenhang ist die Idee des Samoa-Reisenden Erich Scheuermann (1878–1957) mit seinem „Papalagi“ als Gegenentwurf zu Husserls Entelechiegedanken interessant. Scheuermanns Protagonist, ein Südseehäuptling, kann den Wert der europäischen Errungenschaften nicht erkennen. Er sieht nur, dass sie den Menschen von sich selbst abziehen, ihn unecht, unnatürlich und schlecht machen. Dabei deckt er scheinbare Diskrepanzen zwischen der sogenannten naturgebundenen polynesischen Lebensart und einer wissenschaftlich geprägten Kultur auf. Scheuermann beschreibt zwei lebensweltliche Selbstverständlichkeiten, die sich gegenseitig relativieren.13 Es ist deshalb förderlich, das Eigene und das Andere nicht voneinander getrennt zu betrachten, sondern diese sich in der Theorie und wie die Tauschfamilien in der Praxis „voneinander beunruhigen zu lassen“14, ohne das Andere zu hypostasieren. Die folgende Abbildung stellt die weiter oben angezeigten Religionen, Kulturen, Traditionen und Zivilisationen dar, die zwar einzeln aufgeführt werden, jedoch die eigenkulturellen Wahrnehmungen des Eigenen und des Anderen in vielerlei Hinsicht beeinflussen. Sie verweist auch auf die Interdependenz zwischen dem Eigenen und dem Anderen, die sich in ihren überschneidenden Teilen gegenseitig bereichern:
Scheuermanns Kritik
Interdependenz des Eigenen und des Anderen
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3. Interkulturelle Theorie der Kommunikation
Zusammenfassung
Dieses Schaubild macht unter anderem deutlich, dass die Annahme einer reinen und endgültigen Identität weder das Intrakulturelle noch das Interkulturelle in Betracht zieht, weil sie im Sinn des totalitätsorientierten Kulturbegriffs Herders jede Mischung als Verlust an „Eindrang, Tiefe und Bestimmtheit“ oder sogar „Verunreinigung des Eigenen“ wahrnimmt. Für die reziproke Verständigung der Tauschfamilien ist grundlegend, sich zunächst gemeinsam die Frage zu stellen und zu beantworten, wie sie sich selbst betrachten: Was heißt für die eine Familie iranisch sein und für die andere Familie deutsch sein? Sie werden bald merken, dass es in beiden Ländern, wie die Konfigurationstheorie von Senghaas zeigt, auch heterogene Formen gibt und einige unaufhebbare Interdependenzen bestehen. Diese Erfahrung bildet die Grundlage von Versuchen für die Tauschfamilien, um den reziproken Verständigungshorizont korrigierend zu erweitern. Grundsätzlich greifen das Eigene und das Andere ineinander, ergänzen sich, setzen sich voneinander ab oder unterscheiden sich. Alle Identitätsformen haben einen hybriden Charakter; sie erzeugen nicht nur Stolz, Freude, Selbst- und Gruppenvertrauen, sondern können auch – und dies ist häufig der Fall – zur Überbetonung und radikalen Ab- und Ausgrenzungen führen, die in praktischer Gewalt gegen andere Identitäten enden und eine interkulturelle Kommunikation im Vorfeld gefährden. Im Rahmen interkultureller Kommunikation kann weder das Eigene und das Andere noch Divergenzen, die aus unterschiedlichen Kontexten hervorgehen, problemlos verselbstständigt oder hypostasiert werden. Übungsaufgaben: 1. Bestimmen Sie das Eigene und das Andere und führen Sie Beispiele aus eigener Erfahrung an. 2. Problematisieren Sie, wo das Andere anfängt und wo das Eigene aufhört. 3. Wie macht sich das Eigene und das Andere in Ihrem Freundeskreis bemerkbar? 4. Was sind die Konsequenzen einer Unterteilung des sozialen Umfeldes oder der Gesellschaft in ein Eigenes und ein Fremdes? 5. Beschreiben Sie die Rolle der Identität und ihre Komponenten und diskutieren Sie ihre Auswirkungen für die Wahrnehmung des Anderen.
3.2. Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation
6. Erläutern Sie den Ausdruck „Exotismus“, suchen Sie Beispiele aus ihrem sozialen Umfeld und setzen Sie diese mit der Situation der Tauschfamilien in Verbindung. 7. Analysieren Sie die Haltungen Husserls und Scheuermanns. 8. Welche Gründe sprechen dafür, dass das Eigene und das Andere Teile eines Ganzen sind?
3.2.2. Interkulturelle Kompetenz Interkulturelle Kompetenz ist der zweite Korrelatbegriff interkultureller Kommunikation. Stellen Sie sich einmal vor, was die Tauschfamilien, die sich nun in zwei unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten bewegen, zu unternehmen haben werden, um eine reziproke Integration zu ermöglichen. Sicher ist, dass die Tauschfamilien nicht gemäß eigener kultureller Vorprägungen und Vorstellungen in die neue Heimat einreisen können. Hier muss über Anpassungstechniken und Handlungsformen nachgedacht werden. Dies umfasst den Gegenstandsbereich der interkulturellen Kompetenz, zu der es eine Reihe von Definitionen und Erklärungsansätzen gibt, die soziale Bereiche, politische und kulturelle Vorstellungen betreffen.15 Zunächst ist zu klären, was in unserem Zusammenhang interkulturelle Kompetenz bedeutet: Definition: Interkulturelle Kompetenz ist eine Fähigkeit, die einen Aneignungsprozess von Informationen und Verhaltensweisen beschreibt, die uns dazu verhelfen, eine Aufgabe zu meistern, einer Herausforderung zu begegnen oder eine Tätigkeit in interkulturellen Kontexten auszuführen. Die Aneignung von Kompetenzen wird erforderlich, wenn unterschiedliche Denkformen, Handlungsmuster oder Lebensentwürfe miteinander in Berührung kommen. Damit sind auch Werte- und Normenorientierung sowie begriffliche und theoretische Bezugssysteme gemeint, die nicht immer expliziert sind.
Dies sind Anpassungsprozesse, die unsere Tauschfamilien auf dem Weg der Begegnungen durchlaufen haben. Wie sind nun die Strukturen interkultureller Kompetenz zu verstehen? Interkulturelle Kompetenz hat eine Innen- und eine Außenperspektive: Erstere bezieht sich auf das Intrakulturelle, auf innergesellschaftliche Handlungskompetenzen, Letztere bezieht sich auf das Interkulturelle, auf zwischenkulturelle Handlungskompetenzen, wobei die Grenzen zwischen Innen- und Außenperspektive stets fließend sind. Die Tauschfamilien werden hautnah erfahren, dass interkulturelle Kompetenz notwendig wird, wenn unterschiedliche Weltanschauungen, Gesinnungen und Meinungen aufeinandertreffen. Es geht konkret um die Suche nach Möglichkeiten, die helfen, dass Tauschfamilien im Gespräch oder in ihren Begegnungen diese und ähnliche Eigenheiten kennen und zu respektieren lernen. Die Aneignung von Kompetenzen bedeutet in diesem Sinn, „den interkulturellen Handlungsprozess“ so zu gestalten, dass Missverständnisse zunehmend vermieden oder aufgeklärt und „gemeinsame Problemlösun-
Dimensionen interkultureller Kompetenz
Was bedeutet interkulturelle Kompetenz?
Innen- und Außenperspektive
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3. Interkulturelle Theorie der Kommunikation
Funktionen interkultureller Kompetenzen
gen“16 angestrebt werden können, die die Zustimmung der Tauschfamilien finden. Ein angemessener Umgang mit verschiedenen kulturellen Kontexten erfordert die Anwendung von variablen Kompetenzen, weil kulturelle Kompetenzen nicht wie ein „Werkzeugkasten“ oder ein „Kompetenzkatalog“ in jedem Fall gleich bzw. gleich erfolgreich angewendet werden können. Die Tauschfamilien werden auch erfahren, dass interkulturelle Kompetenz das Bewusstsein voraussetzt, dass das eigenkulturelle Sinn- und Orientierungssystem nur eines von vielen ist, dass auch in anderen Kulturregionen eigene Vorstellungen davon existieren, was „real“ oder was „normal“ ist und was Menschen unausgesprochen voneinander erwarten können. Die Aufgabe besteht darin, diese Kompetenzen miteinander in Beziehung zu setzen, die für die interkulturelle Kommunikation grundlegend sind. Von Bedeutung ist dabei das Wissen über Divergenzen und Konvergenzen zwischen dem Eigenen und dem Anderen. Häufig sind Darstellungen von Funktion und Bedeutung interkultureller Kompetenz von Listen- oder Strukturmodellen bestimmt, wobei die Listenmodelle relevante Teilkompetenzen wie Empathie und Ähnliches erhalten, die Strukturmodelle hingegen eher systemisch-prozessual orientiert sind und Einzelfähigkeiten bestimmten Dimensionen zuordnen. Diese Schlüsselqualifikation, die einmal als eine kulturspezifische, einmal als universelle Schlüsselkompetenz gesehen wird, ist in gesellschaftlicher, religiöser wie auch in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht von Bedeutung. Als Fertigkeit zielt die interkulturelle Kompetenz auf die Anwendung dieser Fähigkeit auf unterschiedlichen Gebieten des menschlichen Lebens und Herbeiführung von Transformation. Die Begegnung mit dem kulturell Anderen wird ohne fundierte Kenntnis über seine Gewohnheiten, Sitten und viele andere anthropologische Faktoren als das gewünschte Ziel nicht erreichbar sein.
Vor-Urteil und Vorurteil im Vergleich
Nun stellt sich die Frage, wie wir uns Informationen über das Andere aneignen können. Wie das Beispiel der Tauschfamilien deutlich macht, sind zunächst die erreichbaren Informationen der erste Schritt zur Kenntnis des Anderen. Sie bilden die Grundlage unserer Wahrnehmung. Wir müssen uns aber dessen bewusst werden, dass Informationen aus mangelnder Kenntnis der Sachlage heraus schief oder übertrieben oder aus politischer Motivation sogar vorsätzlich falsch gefasst sein können. Unser erstes „Vor-Urteil“ wird demnach voraussichtlich revidiert werden müssen, aber mangels besserer Informationen müssen wir unsere Handlungen in der neuen Umgebung zunächst hierauf stützen. Im Land selbst besteht erstmals die Möglichkeit, aus eigener Anschauung zu überprüfen, ob die gewonnenen Eindrücke aus den Büchern und Medien authentisch und verlässlich sind. Die Tauschfamilien werden in Berlin und Teheran sehen, wie die Menschen vor Ort ihren Alltag gestalten, wie sich Männer und Frauen insgesamt und in bestimmten Milieus bewegen und verhalten. Die Tauschfamilie im Iran wird, wenn auch zunächst befremdend, zur Kenntnis nehmen, dass sich Männer bei der Begrüßung auf die Wangen
3.2. Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation
küssen, was hier vorwiegend in homosexuellen Kreisen oder unter Frauen üblich ist. Bald werden sie merken, dass dies ein Bestandteil dieser Kultur ist und lediglich soziale Nähe und ein Zusammengehörigkeitsgefühl artikuliert. Die Tauschfamilien werden auf weiteres für sie zunächst befremdendes Verhalten stoßen, dessen Bedeutung sich ihnen erst nach und nach erschließen wird. Gefragt sind hier im Wesentlichen unser sozialer und politischer Sinn sowie unsere eigene Urteilskraft, ferner auch das zugrunde gelegte Verständnis von Kulturen und ihren Interdependenzen. Sie vollziehen eine Reihe von Phasen: Schritte zum Selbst- und Fremdverstehen und zur Kommunikation führen durch „interkulturelles Lernen“ zu „interkultureller Kompetenz“. In einem Prozess von individuellen, selbstreflexiven und kommunikativen Phasen werden soziale Erfahrungen gemacht und reflektiert. Vorhandene, biographisch überlieferte und bewährte Welterklärungen werden durch kommunikativen Vergleich und die Erfahrung neuer Deutungsmuster zu neuen Interpretationen entwickelt. In dieser Begegnung entsteht eine hermeneutische Situation, die sie befähigt, Gemeinsamkeiten festzustellen, Unterschiede wahrzunehmen, Probleme zu präzisieren und Erwartungen zu formulieren, die den bisherigen Selbstverständlichkeiten diametral widersprechen können. Dabei werden Situationen entstehen, die bei der Begegnung der Menschen aus anderen kulturellen Kontexten ein Unbehagen hervorrufen. Die Familien sollen darin unterstützt werden, Vieldeutigkeiten auszuhalten und sogenannte Ambiguitätstoleranz zu entwickeln. Dies ist vor allem die Fähigkeit, komplexe, unterschiedlich interpretierbare und in ihrer Entwicklung offene Situationen zu ertragen.17 Die Tauschfamilien lernen, dass die „Wahrheit“ niemandes Besitz allein ist. Eine Wahrheit, die gelehrt werden könnte, kann es nur auf Kosten des Kommunikationsabbruchs geben.
Selbst- und Fremdverstehen
Ambiguitätstoleranz
Die Wahrheit „in“ meiner Tradition kann nicht problemlos gleichgesetzt werden mit „der“ Wahrheit meiner Tradition. Eine so gewonnene Erkenntnis ist eine notwendige Bedingung für interkulturelle Begegnungen.
Auf der Grundlage dieser Annahme bilden drei Kompetenzformen den Prozess und die Basis eines toleranten und zugleich dialogisch-kritischen Umgangs mit anderen Anschauungsformen: 1. Selbstkompetenz, die nach dem Erwerben eigenkultureller Mannigfaltigkeit fragt. 2. Fremdkompetenz, die eine Aneignung fremdkultureller Vielfalt bedeutet. 3. Sachkompetenz, die darin besteht, dass wir den Gegenstand des Diskurses ausreichend kennen.
Eine kommunikative Begegnung unterschiedlicher Denkmodelle und Wertorientierungen bleibt ohne diese Kernkompetenzen eine Wunschvorstellung. Das folgende Schaubild zeigt einige zusammengefasste Dimensionen interkultureller Kompetenz:
Drei Kompetenzformen
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3. Interkulturelle Theorie der Kommunikation Merkmale interkultureller Kompetenz
Aufgaben interkultureller Kompetenz
Zusammenfassung
Der plurale Charakter interkultureller Kompetenz besteht darin, allen Lesarten, die die Würde des Menschen schützen, das gleiche Recht einzuräumen. Davon unberührt bleibt das „distanzierte Engagement“ für die jeweils eigene konkrete Lesart. Insofern setzt interkulturelle Kompetenz die Realisierung und Anwendung der spirituellen Tugend einer freiwilligen Selbstbescheidung und -begrenzung voraus, verbunden mit Rücksichtnahme. Sie bedeutet „die dauerhafte Fähigkeit, mit Angehörigen anderer Kulturen erfolgreich und kultursensibel interagieren zu können“.18 Die Tauschfamilien werden bei der Erweiterung ihres Verständigungshorizontes darüber nachdenken müssen, wie sie sich gegenseitig diese Fähigkeiten und Fertigkeiten aneignen können. Interkulturelle Kompetenz ist eine conditio sine qua non für interkulturelle Verständigung und Kommunikation. Dabei handelt es sich in erster Linie um das reziproke Kennen-lernen-Wollen des Welt- und Menschenbildes, der historischen Bedingtheit vieler Gepflogenheiten und der religiösen Gewohnheiten im Kontext orientalisch-iranischer und europäisch-deutscher Traditionen, Kulturen, Religionen und Zivilisationen. Übungsaufgaben: 1. Definieren und diskutieren Sie die interkulturelle Kompetenz und führen Sie Beispiele aus Ihrem eigenen Leben aus dem In- und Ausland an.
3.2. Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation
2. Wie können sich die Tauschfamilien solche Kompetenzen aneignen? Machen Sie einen Vorschlag. 3. Besprechen Sie die Innen- und Außenperspektive des Kompetenzbegriffs und analysieren Sie einige Kompetenzformen mit jeweils einem Beispiel aus eigener Erfahrung. 4. Arbeiten Sie die möglichen Konsequenzen der Nichtbeachtung dieser Kompetenzen für die Tauschfamilien heraus.
3.2.3. Interkulturelle Semantik Interkulturelle Semantik ist der dritte Korrelatbegriff interkultureller Kommunikation. Er hängt mit interkultureller Kompetenz eng zusammen, befasst sich aber speziell mit sprachlichen Dimensionen kultureller Kontexte und ihren symbolischen Formen sowie Aussagestrukturen, die empirisch wie hermeneutisch zu berücksichtigen sind. Das Themenfeld interkultureller Semantik, im Kontext interkultureller Kommunikation, ist weitgehend Neuland. Sie hat als eine linguistische Teildisziplin die Analyse und Beschreibung der Bedeutungen sprachlicher Ausdrücke zum Gegenstand. Bevor wir auf Strukturen und Dimensionen dieses Korrelatbegriffs eingehen, fragen wir danach, was interkulturelle Semantik ist:
Dimensionen interkultureller Semantik
Was bedeutet interkulturelle Semantik?
Definition: Interkulturelle Semantik beschäftigt sich mit kulturell und kontextuell bedingten Äußerungsformen und den daraus hervorgehenden Missverständnissen in der interkulturellen Kommunikation. Sie bezieht sich auf einen Ausschnitt interkultureller Kommunikationsvorgänge, nämlich die Beschreibung kulturspezifischer Wortbedeutungen. Interkulturelle Semantik verweist auf den Kompetenzbereich interkultureller Begegnungen.
War die traditionelle Semantik vorwiegend auf die interne Bedeutungsstruktur sprachlicher Ausdrücke konzentriert, so diskutiert die interkulturelle Semantik interne und externe Bedeutungsstrukturen sowie Bedeutungspostulate im Vergleich und Verständnis unterschiedlicher Sprachkulturen. Sie analysiert interkulturell bedingte Störungen, Missverständnisse und Konflikte, die durch einen kontextspezifischen Wortgebrauch verursacht werden bzw. verursacht werden können. Für eine gelungene interkulturelle Kommunikation ist es wichtig, die semantischen Ebenen und soziokulturellen Dimensionen der jeweils kulturell Anderen zu beachten und respektieren zu lernen. Weil Sinn, Zeichen und Bedeutung mit unterschiedlichen Vorstellungen verknüpft sind, ist stets danach zu fragen, in welchem Kontext sie verwendet werden. Dabei ist die Distributionsanalyse, d.h. die Kontext- und Feldanalyse wesentlich. Erstere stellt ein Zeichen in seinen Gesamtkontext, Letztere bettet es aufgrund von Ähnlichkeiten in Felder ähnlicher Wörter ein, um paradigmatische Relationen zwischen Kontexten herzustellen. Die folgende Abbildung visualisiert das inhaltliche Verhältnis dieser Ebenen, die sich in vielerlei Hinsicht überlappen:
Formen der Semantik
Ebenen der Semantik
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3. Interkulturelle Theorie der Kommunikation
Semantik der „Hotwords“
Soziokulturelle Ebene
Politische Ebene
Missverständnisse auf der Ebene von Begriffen und Bedeutungen ergeben sich in jeder Kommunikation; besonders störanfällig sind die Bereiche der Höflichkeits- und Grußfloskeln und sogenannte Hotwords, Wörter, die je nach Situation und Wortauswahl stark positive oder negative Emotionen hervorrufen. Mit der Bezeichnung „damaqet tschaqe?“ im Persischen soll dies demonstriert werden, die zwei verschiedene Bedeutungen hat: Als medizinischer Fachausdruck steht „damaq“ für „Gehirn“, umgangssprachlich ist es die Bezeichnung für „Nase“, „tschaqe“ heißt wörtlich „ist dick“. In der Redewendung „Damaqet tschaqe?“ erhält das Wort „damaq“ die Bedeutung „Gemüt“ oder „Gefühl“. Der Ausdruck „damaqet tschaqe?“ wird im Sinn der deutschen Floskeln „Na, wie gehts?“, „Wie stehts?“ oder „Wie fühlst du dich?“ verwendet. Was geschieht, wenn die eingereisten Deutschen diese Wendung wortwörtlich verstehen und nicht wissen, warum sie gefragt werden, „was ihr Gehirn mache?“ Dieses Beispiel ist nicht erfunden, sondern wurde von einem französischen Schriftsteller so geschildert. Er zeigt sein Unverständnis, wenn er berichtet, er sei im Iran immer wieder gefragt worden, was seine „Nase“ mache, und immer habe er sich unwohl gefühlt, da er nicht wusste, ob sich die Perser mit ihm einen Scherz erlaubten. Auch Höflichkeitsfloskeln, die in manchen Kontexten gepflegt werden, sind von sachlichen Haltungen zu unterscheiden. Wenn im Iran einem Gast ein Gemälde im Haus des Gastgebers gefällt, fragt dieser „Wollen Sie das Bild haben?“. Der Gast sollte sich hüten, hierauf bejahend zu antworten, da diese Floskel als Wortspiel der Höflichkeit und Gastfreundlichkeit nicht ernst zu nehmen ist. Weitere Beispiele finden sich bei Yong Liang, der die Problematik der Höflichkeit in europäisch-chinesischen Begegnungen aufgreift und exemplarisch zeigt, wie wichtig die Kenntnis entsprechender Formen im Kontext interkultureller Kommunikation sind.19 In den Ausführungen zum Thema „interkulturelle Forschung“ wurde bereits darauf verwiesen, dass die Ausdrücke „Erste, Zweite und Dritte“ Welt fraglich und deshalb interkulturell neu zu durchdenken sind, weil diese in unterschiedlichen kulturellen Kontexten mit verschiedenen Bedeutungen verknüpft sind. Während im Westen im Allgemeinen darunter eine Hierarchisierung der Welthemisphären – Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer – verstanden wird, bringen diese Ausdrücke in den betroffenen Län-
3.2. Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation
dern koloniale Erinnerung zum Ausdruck und sind ein Symbol der Unterdrückung. Ein weiteres Beispiel: Zur Wahrung der „Political Correctness“ ist es einem Deutschen verwehrt, bestimmte Bezeichnungen wie „Neger“ oder „Zigeuner“ zu verwenden, während Angehörige anderer kultureller Gemeinschaften völlig unbekümmert mit solchen Begriffen umgehen. Auch die Bedeutung und der Gebrauch des Wortes „arisch“ im Persischen und Deutschen zeugt von unterschiedlicher Semantik. Dieser Begriff bezeichnet ursprünglich einen der Stämme, die im Zuge der indoeuropäischen Wanderung in das Gebiet des heutigen Iran einwanderten. Während dieser Begriff im Persischen eine Selbstverständlichkeit darstellt und mit einer positiven Erinnerungskultur verbunden ist, wird er im Deutschen weitgehend mit der nationalsozialistisch entlehnten Idee von einer Reinheit der Rasse verbunden, die mit einer negativen Erinnerungskultur verknüpft ist. Deshalb ist die Verwendung dieses Wortes im Deutschen problematisch. Im Rahmen interkultureller Semantik ist es sinnvoll, Homonymie, d.h. die lautliche Übereinstimmung von Wörtern mit verschiedener Bedeutung und Herkunft, und Polysemie, d.h. das Vorhandensein mehrerer Bedeutungen zu einem Wort, zu identifizieren und dafür zu sensibilisieren. Auf diesem Weg können unterschiedliche Bedeutungsebenen festgestellt, erweitert oder richtiggestellt werden. Ein Frageraster für den Begriff „Café“, das durch die Beachtung verschiedener Perspektiven das Interesse insbesondere auf Historisches, die Alltagsbedeutung und die Bewertung lenkt, soll dies verdeutlichen:20 1. Bei der Betrachtung der Innen- und Außenperspektive ist abzuklären, ob es sich um einen Begriff aus dem privaten oder öffentlichen Leben handelt. 2. Die soziologische Bedeutung klärt die Frage nach den sozialen Schichten, die mit dem Begriff „Café“ in Verbindung gebracht werden. 3. Die Distributionsperspektive gibt Antwort auf Häufigkeit und Vorkommen des zur Diskussion stehenden Begriffs. 4. Die historische Perspektive richtet den Blick auf Entstehung und evolutionären Fortbestand des Begriffs. 5. Die Emotionsperspektive fragt danach, welche positiven oder negativen Emotionen mit dem Begriff verbunden sind. 6. Die intrakulturelle und intrareligiöse Vergleichsperspektive setzt den infrage stehenden Begriff in Kontrast zu ähnlichen Phänomenen in der gleichen Kultur, während die interkulturelle Perspektive ihn mit Begriffen einer Zweit- oder Drittkultur vergleicht. Bei solchen Vergleichen können Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet werden. Es wird auch deutlich, dass eine „reine“ Kultur oder Religion nicht existiert. 7. Die Interessenperspektive, von der das Korrelat von Habermas die kommunikativen versus strategischen Diskursziele sind, klärt die Frage nach den Intentionen, die die Teilnehmer mit der Verwendung des Begriffs verbinden. 8. Die Symbolperspektive gibt Auskunft darüber, welcher symbolische Wert einem Begriff in den jeweiligen Kulturen beigemessen wird.
In einem Zirkel von Selbst- und Fremdhermeneutik vollzieht sich eine Annäherung an die Begriffsbedeutung, die viel aufschlussreicher ist als die bloße Übersetzung.
Kontextgebundene Wortbedeutungen
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3. Interkulturelle Theorie der Kommunikation Kontextgebundene Missverständnisse
Auch das folgende Beispiel zeigt die grundlegende Bedeutung der Rolle und Relevanz interkultureller Semantik bei der Gesprächsführung:21 Beispiel: „Ein Cowboy und ein Indianer treffen sich in der Prärie. Der Indianer zeigt mit dem Zeigefinger auf den Cowboy. Der hebt als Antwort Zeigefinger und Mittelfinger gespitzt hoch. Der Indianer faltet die Hände vor dem Gesicht. Da schüttelt der Cowboy locker seine rechte Hand. Beide reiten davon. Der Cowboy kommt heim zu seiner Frau und erzählt: „Stell’ dir vor, ich habe heute eine Rothaut getroffen. Sie hat mit dem Zeigefinger gedroht, mich zu erschießen. Da habe ich dem Indianer mit der Hand bedeutet, dass ich ihn zweimal erschießen würde. Und weil er mich prompt um Gnade gebeten hat, habe ich ihm zu verstehen gegeben, er solle verschwinden.“ Einige Meilen westlich, im Wigwam, erzählt der Indianer seiner Squaw: „Stell’ dir vor, ich habe heute ein Bleichgesicht getroffen. Ich habe ihn gefragt: „Wie heißt du?“ Da hat er mir geantwortet: „Ziege“. Da hab’ ich ihn gefragt: „Bergziege?“ Und da hat er geantwortet: „Nein, Flussziege“.“
Kühns Theorie der Semantik
Auftreten von Missverständnissen
Mängel in Wörterbüchern
Es wird deutlich, mit welcher Selbstverständlichkeit man sich missverstehen kann, wenn man die Semantik des artikulierten Sinnes nicht dekodieren kann. Hier wird das Wechselverhältnis zwischen Zeichen, Bedeutung und Sinn expliziert, die kontextuell mit unterschiedlichen Vorstellungen zusammenhängen oder solche hervorrufen. Dieses Beispiel führt ferner vor Augen, dass die Verständigung über (Wort-)Bedeutungen für Kommunikation grundlegend und warum die Praxis der Wahl einzelner Lemmata oder Stichwörter zu studieren ist. Die Analyse der Vorverständnisse ist hierbei eine Bedingung, um hinter die Oberfläche von Wahrgenommenem zu dringen und die Bedeutung eines Begriffs mit allen möglichen Konnotationen zu erfassen.22 Peter Kühn gehört zu den Ersten, der die wenigen bestehenden Theorien in einen umfassenden Zusammenhang stellt und sich aus sprachwissenschaftlicher Sicht mit dem Verhältnis zwischen der Semantik und interkulturellen Verstehens- und Verständigungsproblemen beschäftigt. Das Feld „interkulturelle Semantik“ ordnet Kühn dem Forschungsgebiet der „interkulturellen Kommunikation“ zu. Ein Grundproblem interkultureller Kommunikation liegt für ihn in ihrer Vielfältigkeit, die in der Komplexität kultureller Zusammenhänge begründet sei.23 Für die Analyse solcher Kommunikationssituationen gelten prinzipiell die gleichen sprachpragmatischen Analysekategorien wie für diejenigen, die zur Beschreibung eigenkultureller Interaktionssituationen herangezogen werden. Interkulturelle Semantik birgt ein Missverständnispotenzial, „weil die Kommunikationspartner in einer interkulturellen Kommunikationssituation die Wörter so gebrauchen, wie sie diese im Laufe ihrer Sozialisation in einem spezifischen kulturellen Kontext erlernt haben“24 und wie sie für eine Sprach- und Kulturgemeinschaft gemeinhin in Wörterbüchern festgeschrieben sind. Dabei kann es zu semantisch bedingten Störungen, Missverständnissen oder Konflikten kommen. Diese treten immer dann auf, „wenn die Kommunikationsbeteiligten auf der Basis unterschiedlicher soziokulturell geprägter Bedeutungskonventionen miteinander interagieren, bzw. unterschiedliche Begriffssysteme aufeinander treffen“.25 Kühn beklagt, dass der Wortschatz in deutschen Wörterbüchern selten kultursensitiv dargestellt wird, d.h., dass soziokulturell eingespielte Einstel-
3.2. Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation
lungen, Wertungen, Stereotypen, Ideologien usw. kaum Erwähnung finden. Er macht es sich zur Aufgabe, kulturspezifische semantische Probleme zu erläutern. Er analysiert die erwähnten „Hotwords“ wie Heimat, Moschee, Kopftuch, Familie in „Critical-Incident-Situationen“ wie bei Begrüßungen, Anreden, persönliche Fragen, Gesprächsführung oder Kritiküben. „Hotwords“ sind in Wörterbüchern und Lexika schwer zu fassen und zu beschreiben, da sie in der Geschichte oder im gesellschaftlichen Leben eine besondere Rolle spielen und ihr Gebrauch sich permanent verschiebt. Eine kultursensitive Wörterbuchkritik habe folgende Aspekte zu berücksichtigen:26
Lösungsvorschläge
1. Welcher kultursensitive Wortschatz in Wörterbüchern dokumentiert ist, wobei die Anwendung der Grundform des Wortes (Lemmatisierungspraxis) Beachtung finden sollte, 2. Wie sich die Kultursensitivität in den Erläuterungen der Wortbedeutung in Wörterbüchern niederschlagen sollte.
Kühn ist ferner der Auffassung, nicht das antrainierte Verhindern von Konflikten aufgrund von Interkulturalitätstrainings stehe im Vordergrund, sondern vielmehr sei „der Diskurs über Konflikte dazu geeignet […], gegenseitige Verstehensprozesse in Gang zu bringen“.27 Das Plädoyer für eine interkulturelle Semantik könnte als indirekte Forderung von Kulturessentialismus missverstanden werden, in dem das Verstehen allein durch die Semantik gestaltet werden soll. Der Sache nach geht es hierbei jedoch um die Beachtung unterschiedlicher kultureller Kontexte, die intern von Mannigfaltigkeit geprägt sind. Die geistige Analyse ermöglicht das Nachvollziehen der jeweiligen Grunderfahrung mit dem Anderen. Hier erfolgt die Einsicht, dass Werte und Normen unterschiedlich besetzt sind und eine Verlagerung der eigenen Ansichten oder Wünsche auf den Anderen Widerstand hervorrufen kann. Der Beachtung der semantischen Dimensionen in Begegnung unserer Tauschfamilien kommt eine verhältnisbestimmende Rolle zu. Die Vernachlässigung dieser Dimensionen kann zu massiven Störungen und/oder sogar zum Abbruch des Familientausches führen. Daher wären die Tauschfamilien gut beraten, die Konnotationen und Denotationen eines Wortes kontextvariierend zu beachten. Interkulturelle Semantik beschäftigt sich mit den unterschiedlichen Bedeutungen von Wörtern im Vergleich und Verständnis der Völker, die die Vorstellung des Betrachters aufgrund seiner soziokulturellen Vorprägungen beeinflussen. Interkulturelle Semantik ist als Instrumentarium für Konfliktmanagement und Krisenprävention von Bedeutung, weil wir mit deren Hilfe Konflikte genauer einschätzen und sie für die Ausrichtung des eigenen Handelns unmittelbar einsetzen können. Übungsaufgaben: 1. Was bedeutet interkulturelle Semantik? Thematisieren Sie ihre Ebenen. 2. Diskutieren Sie anhand eines Beispiels aus eigener Erfahrung, warum interkulturelle Semantik von Bedeutung ist. 3. Welche Thesen vertritt Peter Kühn und wie begründet er sie?
Wider den Kulturessentialismus
Zusammenfassung
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3. Interkulturelle Theorie der Kommunikation
4. Analysieren Sie Sinn und Funktion interkultureller Semantik und beachten Sie dabei die Situation der Tauschfamilien. 5. Suchen Sie einen Begriff, der in besonderem Maß interkulturelle Bedeutungsverschiebungen aufweist und interpretieren Sie diesen nach dem oben vorgegebenen Frageraster.
3.2.4. Interkulturelle Hermeneutik Dimensionen interkultureller Hermeneutik
Was bedeutet interkulturelle Hermeneutik?
Konvergenzen und Divergenzen von Sehensweisen
Interkulturelle Hermeneutik ist der vierte Korrelatbegriff interkultureller Kommunikation. Dieser Bereich ist deshalb bedeutsam, weil alle zwischenmenschlichen Kommunikationsbereiche mit individuellem Verstehen und Auslegen von Handlungen und Denkweisen sowie Wahrnehmungen zusammenhängen. Dies haben Sie sicherlich zu Hause, im Berufsleben oder in der Gesellschaft oft erlebt, wo Sie im Gespräch meinen: „das, was er sagt, ist nicht zu verstehen“, „das, was er sagt, versteht keiner“, „er hat doch etwas gegen mich“, „den muss man kleinhalten“ oder „ich weiß nicht, warum sie das nicht verstehen“. Mit derartigen Äußerungen werden auch unsere Tauschfamilien unmittelbar konfrontiert. Sie werden erfahren, dass dies alle Kommunikationsformen beeinflussen kann. Wissenschaften, die sich mit solchen und ähnlichen Äußerungsformen beschäftigen, sind allen voran die Kommunikationspsychologie oder -soziologie, die Strukturen, Prozesse, Bedeutungen und Störungen im Gespräch dieser Welten unter verschiedenen Gesichtspunkten analysieren. Zur Verdeutlichung der Aufgabe der Hermeneutik fangen wir mit einer Arbeitsdefinition an: Definition: Interkulturelle Hermeneutik ist ein methodisches Regelwerk des Verstehens, der Auslegung und der Erklärung von Texten, Kunstwerken und Zusammenhangsstrukturen in unterschiedlichen kulturellen Kontexten, in denen es um das Wechselverhältnis zwischen dem Eigenen und dem Anderen geht.
Ein Sachverhalt kann gemäß diesem Vorverständnis aus graduell unterschiedlichen hermeneutischen Perspektiven heraus betrachtet werden: sprachlich, religionswissenschaftlich, soziologisch oder pädagogisch. Diese manifestieren sich in wissenschaftlichen und politischen Theorien wie in Alltagskommunikation. Um die Situation der Tauschfamilien in unterschiedlichen Kontexten zu verdeutlichen, stellen wir uns das berühmte „Hasen-Enten-Bild“ vor.28 Dies lässt sich wie folgt demonstrieren:
3.2. Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation
Diese Zeichnung lässt sich bei der Betrachtung von der linken Seite her als Ente erkennen, von der rechten Seite her nimmt man einen Hasenkopf wahr. Angenommen, es gäbe eine Kultur, in der Enten alltäglich sind, Hasen jedoch nicht vorkommen. In einer zweiten Kultur sind Hasen verbreitet, Enten gibt es jedoch nicht. Nun stellen sich folgende Fragen: 1. Welches Bild ist richtig: Hase, Ente oder beides? 2. Wird jede Kultur nicht nur das Tierbild wahrnehmen, das ihr bekannt ist? 3. Hat nicht jede Gruppe mit ihrer Deutung recht? 4. Wenn ja, bedeutet dies nicht, dass auch die anderen recht haben können? 5. Wird die Abbildung nicht immer auf die Art und Weise gesehen, in der der Betrachter kulturell vorgeprägt ist?
Dieses Beispiel zeigt den Tauschfamilien eines der wichtigsten Probleme des Verstehens und Auslegens. Die „Mehrdeutigkeit von Umklappfiguren bzw. Kippbildern“ verdeutlicht auch, dass das, was eine Partei als richtig zu erkennen glaubt, nicht die einzig mögliche Interpretation oder Sichtweise eines Phänomens sein muss. Grundlegend ist hier, dass das eigene Selbstund Fremdbild mit dem Selbst- und Fremdbild des Anderen korreliert und zugleich konfrontiert wird: Dimensionen, die jederzeit explosiv sind. Hermeneutik kennt unterschiedliche Wege. Sie kann auf den eigenen Horizont beschränkt bleiben oder den Horizont des Anderen einbeziehen und damit dialogisch gestaltet werden. Innerhalb der interkulturellen Hermeneutik als eines Oberbegriffs lässt sich zwischen einer apozyklischen und einer enzyklischen Hermeneutik unterscheiden. Zur apozyklischen Hermeneutik Definition: Die apozyklische Hermeneutik ist eine Interpretations- und Verstehensmethode, die restaurativ-reduktiv verfährt. Sie beschränkt sich auf Selbsthermeneutik und betrachtet andere Denkformen und Weltsichten nur aus der eigenen Perspektive heraus. Sie fragt danach, 1. wie ich meine eigene Denkform betrachte und 2. wie ich andere Denkarten wahrnehme und deute.
Schematisch lässt sich dies wie folgt darstellen:
Formen der Hermeneutik
Apozyklische Hermeneutik
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3. Interkulturelle Theorie der Kommunikation
Bedeutung der apozylischen Hermeneutik
Enzyklische Hermeneutik
Die Abbildung zeigt, dass Individuen, die sich in unterschiedlichen Kulturräumen bewegen, einen geschlossen Kulturbegriff pflegen. Hier geht es um eine Horizontenverschmelzung, die aus zwei oder mehreren Handlungen, Denkweisen und Wahrnehmungen eine einzige machen will. Es wird ausschließlich das Ziel verfolgt, eigene und andere Denkformen zu betrachten und zu beurteilen. Wie die anderen Denkformen sich selbst und meine Denk- und Argumentationsform betrachten, wird in der Regel vernachlässigt. Tendenziell verabsolutiert diese Wahrnehmungsstruktur Differenzen und läuft darauf hinaus, eigenes Verstehen zum archimedischen Punkt allen Verstehens zu erheben. Die apozyklische Hermeneutik besitzt einen reduktionistischen und damit einen vernachlässigenden Charakter, der sich darin artikuliert, das Andere in seiner Andersheit nicht angemessen wahrzunehmen. Die Unzulänglichkeit dieser traditionellen Methode der Hermeneutik besteht in ihrer Zweidimensionalität, weil hier die eigene Sichtweise in den Vordergrund gestellt wird. Sie kann aufgrund ihrer inneren Logik und strukturellen Beschaffenheit nicht den internen und externen Herausforderungen einer interkulturellen Kommunikation Rechnung tragen. Fallbeispiel I: Debattieren die Mitglieder der Familie A und B miteinander nach dem Prinzip der apozyklischen Hermeneutik, so gehen sie jeweils ausschließlich von ihrem eigenen Verständnis als Deutsche oder Iraner aus. Beiden geht es darum, wie sie sich selbst als Iraner oder Deutsche betrachten. Typische Bemerkungen solcher Art beginnen mit: „Bei uns ist das aber so … / Bei euch ist das aber seltsam … / Bei uns isst man zur Hauptmahlzeit aber kein Brot … / Bei uns zieht man in der Kirche nicht die Schuhe aus …“ In diesem Zusammenhang lässt sich die Debatte um das Kopftuch nennen, da sicher auch dies in beiden Familien in Berlin und Teheran ein Thema der Diskussion ist. Bei einer Unterredung spricht der deutsche Vater aus der Tauschfamilie A die Mutter direkt an und fragt nach den Gründen, warum sie Kopftuch trage, dies sei doch „ein Symbol der Unterdrückung oder der individuellen Freiheitsberaubung“. Er zitiert dabei Alice Schwarzer. Hier liegt der explosive Ort, an dem das Andersverstehen der Iraner oder Deutschen mit dem Nicht- oder Falschverstehen des jeweils Anderen verwechselt wird. Zur enzyklischen Hermeneutik Definition: Die enzyklische Hermeneutik versteht sich als eine argumentative Methode, die darauf ausgerichtet ist, durch vielfaches Hin- und Hergehen das beziehungslose Nebeneinander des Eigenen und des Anderen in ein interaktives Miteinander zu verwandeln. Sie fragt danach, 1. wie ich meine eigene Denkform betrachte, 2. wie ich andere Denkformen betrachte, 3. wie andere Denkformen ihre eigene Denkform betrachten, 4. wie die anderen Denkformen meine Denkform betrachten.
3.2. Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation
Schematisch kann dieses Wechselverhältnis wie folgt visualisiert werden:
Diese Abbildung zeigt unterschiedliche Begrenzungslinien, die darauf verweisen, dass Kulturen nicht hermetisch voneinander abgeriegelt sind, sondern offene Sinn- und Orientierungssysteme darstellen. Die enzyklische Hermeneutik verwirft eine reduktionistische Horizontenverschmelzung, besitzt einen responsiven, antwortenden Charakter und beschreibt einen Reflexionsweg zur Veränderung der Auffassungen in unterschiedlichen Kontexten, ob politisch, philosophisch, wissenschaftlich oder sozial. Ihre Responsivität artikuliert sich in der Bereitschaft, das Andere in seiner Andersheit wahrzunehmen und sich kommunikativ zu ihm zu verhalten. Dies besagt, dass wir ein Ganzes nicht verstehen können, ohne die Teile zu verstehen, und auch die Teile nicht erfassen, ohne das Ganze, soweit es möglich ist, in den Blick zu bekommen. Im Gegensatz zur apozyklischen Position schaut die enzyklische Hermeneutik möglichst nach allen Seiten und fragt nach den Konsequenzen solcher Betrachtungsweisen für die Zielsetzung im Inneren. Sie sieht von jeder Hypostasierung ab und ist stets ein Hinweis darauf, dass es einen absoluten Text und absolutes Verstehen nicht gibt, mit denen eine absolute Interpretation einhergeht. Diese Verstehensform weist radikale Konvergenz ebenso wie radikale Divergenz zurück. Sie verbindet durch das Überlappende die unvermeidbare Kulturgebundenheit der Hermeneutik mit ihrer Universalität. Wir werden beobachten, dass unsere Tauschfamilien ohne das Instrumentarium einer enzyklischen Verstehensform in den jeweiligen Gesellschaften nicht auskommen können. Hier geht es nicht darum, ob und inwieweit der Andere mich versteht, sondern es kommen eine Reihe von Komponenten zusammen, die die Tauschfamilien zu berücksichtigen haben.
Bedeutung der enzyklischen Hermeneutik
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3. Interkulturelle Theorie der Kommunikation
Paradigmatischer Perspektivwechsel
Verstehen-Wollen und Verstanden-werden-Wollen
Fallbeispiel II: Debattieren die Mitglieder der Familie A und B nach dem Prinzip der enzyklischen Hermeneutik, so fragen sich die Iraner und Deutschen danach, wie sie sich selbst und wie sie sich gegenseitig betrachten. Die Konversation liefe dann eher folgendermaßen: „Warum ist das bei Euch so? / Ist das Brot bei den Hauptmahlzeiten unseren Beilagen ähnlich? / Hat das Schuheausziehen in der Moschee eine tiefere religiöse Bedeutung?“ Hier liegt der responsive Ort, an dem sich das Verstehenwollen und Verstanden-werden-Wollen kommunikativ ergänzen. Um auf das Beispiel mit dem Kopftuch zurückzukommen, wird die iranische Mutter dieses Mal schmunzeln und erklären, Frau Schwarzer sei kaum freier als sie, weil sie kein Kopftuch trägt. Deshalb ist nicht das Urteil von Frau Schwarzer maßgeblich, sondern das derjenigen, die ein Kopftuch tragen. Ihre Erklärung ist: Viele moslemische Frauen tragen gern Kopftuch, dies sei für sie ein Symbol der Individualität und Freiheit. Frau Schwarzer könne sich dafür oder dagegen entscheiden, dies sei ihre Haltung, die zu respektieren ist. Aber sie soll auch respektieren, dass es viele Lebensformen gibt und diese eine unter vielen ist. Aus islamischer Sicht, die sehr heterogen ist, könne man aber auch Frauen, die kein Kopftuch tragen, als Objekte der Begierde einer Gesellschaft bezeichnen, die sich für offen halten, was kurzsichtig und unter dem Blickwinkel der weiblichen Würde bedenklich sei. Hier wird deutlich, warum es wichtig ist, das Andere nicht ausschließlich aus eigener Sicht zu beurteilen, sondern stets darum bemüht zu sein, die Perspektive des Anderen einzunehmen, die oft kontrovers ist. Es wird bald deutlich, dass die Tauschfamilien sich dessen bewusst werden, inwiefern Themen wie das Kopftuch auch und vor allem im Iran kontrovers diskutiert werden. Die enzyklische Hermeneutik hilft uns einzusehen, dass wir verschieden sind und lernen müssen, mit diesen Unterschieden umzugehen. Auf diesem schwierigen Weg erweist sich diese Verstehensform als hilfreich, sofern überhaupt Interesse an einer argumentativen Kommunikation auf gleicher Augenhöhe besteht. Das ist die unverzichtbare Voraussetzung einer jeden Form von Kommunikation, die gegenseitige Integration nicht nur ernst nimmt, sondern umzusetzen gewillt ist. Die enzyklische Form des Verstehens ist der interkulturellen Kommunikation förderlich, weil das Prinzip „Reziprozität“ berücksichtigt wird. Unter diesen hermeneutischen Voraussetzungen bedienen sich das eigene und das andere Verstehenwollen und Verstanden-werden-Wollen diverser Begründungsinstrumentarien, im Vergleich und Verständnis der Kulturen, Traditionen, Zivilisationen und Religionen. Es gibt Gründe wie Unkenntnis und gegenseitige Belehrungsgewohnheiten, die solche Versuche verhindern: Für die Praxis einer enzyklischen Hermeneutik gilt es stets zu fragen, wie wir kommunizieren, verstehen und vergleichen, welche Methoden wir benutzen, welche Ziele wir verfolgen und wo wir das tertium comparationis, also den Vergleichsmaßstab, verankern.
3.2. Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation
Auf dem Weg zur Verständigung geht es in den Tauschfamilien konkret um Folgendes: 1. um ein Selbstverständnis des Iran, durch den Iran, 2. um das iranische Verstehen der nicht iranischen Eigenheiten, 3. um ein Selbstverständnis Deutschlands, durch Deutschland, 4. um das deutsche Verstehen nicht deutscher Eigenheiten.
Die enzyklische Hermeneutik ermöglicht den Tauschfamilien, Schnittmengen und Übergänge in unterschiedlichen Kontexten der iranisch-deutschen Gesellschaften zu suchen, um gemeinsam die Grundlage einer Verständigung herbeizuführen. Sie werden bei ihren Erkundungen bald merken, dass es weder den Iran noch das Deutschland gibt. Für die Gestaltung interkultureller Dialoge ist diese Erkenntnis von zentraler Bedeutung. Durch diese Erfahrung werden sie in die Lage versetzt, durch ein offenes und dialogisches Sinnverstehen eine echte Selbst- und Fremdkritik in Gang zu bringen. Ein klassisches literarisches Beispiel enzyklischer Kommunikation stammt aus Goethes „West-östlichem Divan“. Mit dem Abschnitt „Hafis Nameh“ verband Goethe das Bestreben, sich in die Tradition des von ihm verehrten persischen Dichters aus dem 9. Jahrhundert, Mohammad Dschamal-ed-Din, genannt Hafis, zu stellen, das Gedankengut der persischen Kultur zu durchdringen und es seinen Lesern näherzubringen. Im vorliegenden Gedicht ging es Goethe darum, die religiöse Bedeutung des Beinamens „Hafis“ zu erklären. Anstelle einer bloßen Erläuterung hat Goethe sein Gedicht in einem Frage-Antwort-Spiel gestaltet:29 Beispiel: „Dichter: Mohamed Schemseddin sage, Warum hat dein Volk, das hehre, Hafis dich genannt? Hafis: Ich erwiedre [sic!] deine Frage. Weil, in glücklichem Gedächtniß Des Corans geweiht Vermächtniß Unverändert ich verwahre Und damit so fromm gebahre Daß gemeinen Tages Schlechtniß weder mich noch die berührtet Die Prophetenwort und Saamen Schätzen wie es sich gebühret, Darum gab man mir den Namen.“
In der Manier eines echten Dialogs richtet Goethe eine offene Frage an seinen Gesprächspartner und lässt diesen selbst zu Wort kommen. Der Angesprochene erhält Gelegenheit, die Herkunft seines Namens aus seinem eigenen Bezugssystem heraus zu erklären.30 Hiermit zeichnet sich
Ziel der enzyklischen Hermeneutik
Fragendes Verstehen statt Belehren
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3. Interkulturelle Theorie der Kommunikation
Dimensionen der enzyklischen Hermeneutik
der Altmeister, lange vor deren programmatischer Fassung, als ein musterhafter Vorreiter auf dem Gebiet der interkulturellen Hermeneutik aus. Nicht das Belehren, sondern das fragende Verstehen steht bei ihm im Vordergrund.31 Die enzyklische Hermeneutik berücksichtigt im Diskurs einige komplementäre Dimensionen: Einige Dimensionen enzyklischer Hermeneutik Die kontextuelle Dimension beschreibt den sachlichen oder situativen Zusammenhang eines Sachverhaltes, um die mannigfaltigen Bedeutungen von Begriffen, Theorien und Systemen zu erklären. Die kognitive Dimension geht der Frage nach, wie der Diskurspartner sich und die anderen betrachtet, aus welcher Motivation heraus er handelt und wie er seine Handlungen begründet. Dabei berücksichtigt sie Machtfaktoren, die in den idealisierten oder idealtypischen Diskursformen von Karl-Otto Apel und Habermas ausgeblendet werden. Die sprachliche Dimension umfasst das, was das Gesagte, Gedachte und Geschriebene artikuliert. Zu erwähnen sind Ausdrucksformen und Bedeutungsveränderungen in einer Sprache und ihre Übertragung in eine andere Sprache, auch Metaphern, die häufig stark differieren. Die philosophische Dimension verweist auf den Verzicht, andere philosophische Traditionen oder Theorien ausschließlich durch eigene Begriffsapparate zu verstehen und zu erklären. Die historische Dimension beantwortet die Frage nach der Entwicklung eines Gedankens oder Gedankengebäudes, sucht nach Zusammenhangsstrukturen und deren Verflechtungen mit anderen Traditionen, ohne eine bestimmte Tradition zu privilegieren. Die kulturelle Dimension fragt nach dem Welt- und Menschenbild und studiert die kulturelle Bedingtheit vieler Gepflogenheiten. Dies umfasst neben ethisch-moralischen Fragestellungen auch die Dimensionen Kunst, Literatur und Musik. Die soziologische Dimension untersucht im Sinn der Theorie von Senghaas nicht nur die Unterschiede zwischen den Kulturen, sondern auch die innere Differenzierung der Kulturen, die häufig größer ist und kontroverser diskutiert wird als der Unterschied zwischen den Kulturen. Die religiöse Dimension nimmt die ethnisch-religiösen Vorstellungen der Völker, Personen, Gruppen oder Gemeinschaften ernst. Zu erwähnen ist die Kategorie des Heiligen und die Diversität seiner Erscheinungsformen. Die soziale Dimension analysiert das Verhältnis zwischen den und innerhalb der Gruppen und Gemeinschaften sowie ihre internen Konflikte.
Gefahren einer Identitätshermeneutik
Enzyklische Hermeneutik
Eine reine Identitätshermeneutik, die alles der eigenen Denk- und Lebensform anpassen will, ist als zu eng abzulehnen, weil sie darauf hinausläuft, dass sich die Kommunizierenden nur dann verstehen würden, wenn sie die gleichen Anschauungen hätten, also wenn eine völlige Isomorphie, eine Entsprechung, in Einstellungen und Überzeugungen der Theorien, Meinungen, Überzeugungen und Einstellungen vorliegt. Das Verstehen wird aber ermöglicht durch die zwischen allen Kulturen bestehenden „Überlappungen“ trotz unleugbarer Differenzen.32 Das folgende Schaubild demonstriert die Zusammenhänge interkulturellen Verstehens noch einmal insgesamt:
3.2. Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation
Den Tauschfamilien führt dies vor Augen, warum es wichtig ist, in allen Kontexten der Kommunikation gemeinsam zu fragen und zu antworten, wie jeder sich selbst und die Anderen wahrnimmt und versteht. Keine der Familien wird ohne Widerspruch behaupten können, im Besitz der einzig richtigen Sichtweise zu sein, sondern es gibt unterschiedliche Betrachtungsweisen gemäß kultureller und individueller Vorprägungen. Enzyklische Hermeneutik ist im Vergleich zu traditionellen Theorien eine responsive und wechselseitig ausgerichtete Form, das Eigene und das Andere miteinander kritisch in Beziehung zu setzen. Sie beschreibt einen Prozess, in dem zwei oder mehrere Menschen trotz irreduzibler Unterschiede in eine ergebnisreiche Verständigung miteinander treten können. Dies ist möglich, da sich in der menschlichen Kommunikation Welten mit unterschiedlichen Bezugssystemen, Betrachtungsformen und Argumentationsweisen treffen, die sich ergänzen, erweitern, bekämpfen oder überlappen. Übungsaufgaben: 1. Was heißt interkulturelle Hermeneutik und wie unterscheidet sie sich von der traditionellen Hermeneutik? 2. Was geschieht, wenn Sie sich ausschließlich gemäß eigenem Verständnis mit dem Anderen in Beziehung setzen? Führen Sie Beispiele aus eigener Erfahrung an. 3. Worin besteht die Responsivität enzyklischer Hermeneutik? Diskutieren Sie Gründe im Vergleich zur apozyklischen Hermeneutik.
Zusammenfassung
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3. Interkulturelle Theorie der Kommunikation
4. Besprechen Sie die Debatte um das Kopftuch und beschreiben Sie Ihre eigene Sicht der Dinge. 5. Nennen Sie die wichtigsten Dimensionen der enzyklischen Hermeneutik und nehmen Sie die Position der Tauschfamilien ein. Belegen Sie Ihre Auffassung mit einem Beispiel.
3.2.5. Interkulturelle Komparatistik Dimensionen interkultureller Komparatistik
Was bedeutet interkulturelle Komparatistik?
Komparatistik gehört als fünfter Korrelatbegriff interkultureller Kommunikation nicht nur zu den zentralen Teildisziplinen der Kultur-, Sozial-, Geistesund Naturwissenschaften, sondern sie spielt im menschlichen Denken und Handeln eine bestimmende Rolle. Dies hängt damit zusammen, dass der Mensch als ein fragendes und antwortendes Wesen in unterschiedlichen Situationen seines Lebens darum bestrebt ist, sein Denken und Handeln bewusst oder unbewusst im Vergleich mit dem Anderen zu positionieren. Das ist so, wenn Sie bspw. sagen: „Heute fühle ich mich besser als gestern“, „Iran gefällt mir genauso gut wie Deutschland, ich lebe aber lieber dort“ oder „Warum ist bei denen alles nicht so wie bei uns?“ Wir sehen, dass der Ausdruck „bei uns“ stark differenzorientiert ist und stets von Vergleichsformen ausgeht, in deren Zentrum die eigene Haltung steht. Es wäre nicht unbegründet festzuhalten, dass der Mensch ein Vergleichswesen ist, das mithilfe dieser Fähigkeiten dazu imstande ist, unbekannte Sachverhalte zunächst in das eigene vorhandene Bezugssystem einzuordnen. Diese Fähigkeit ist, wie die Bildung von Vor-Urteilen, zur ersten Orientierung von großer Bedeutung. Dies werden unsere Tauschfamilien bald erfahren, weil auch sie sich in unterschiedlichen Situationen vergleichend, also nach dem Motto „bei uns …“, mit dem Anderen in Beziehung setzen müssen. Komparatistik ist folglich für das Verstehen und die Analyse eines Sachverhaltes unverzichtbar. Die Frage ist, wie wir vergleichen, welche Methoden wir benutzen, welche Ziele wir verfolgen und welche Maßstäbe wir verwenden. Dabei kommt es stets auf den Einzelfall an, weil es den Iraner oder den Deutschen nicht gibt. Kritik an komparatistischen Untersuchungen zielt zumeist auf die Auswahl der Methoden, die eine Reihe von Unzulänglichkeiten auslösen können. Hierzu gehört die Auswahl der zu vergleichenden Begriffe und der damit einhergehenden Kriterien. Um die Frage nach der Komparatistik zu beantworten, stellen wir unseren Überlegungen eine Arbeitsdefinition voran und unterscheiden zwischen einer interkulturellen und einer reduktiven Komparatistik. Zur interkulturellen Komparatistik Definition: Interkulturelle Komparatistik ist eine wissenschaftliche Methode, um Denksysteme, Verhaltensweisen, Theorien, symbolische Ordnungen, historische Gestalten, Philosophien oder Religionen miteinander vergleichend in Beziehung zu setzen. Dabei geht es um die Darstellung der Einflüsse philosophischer, religiö-
3.2. Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation
ser, literarischer, künstlerischer und sonstiger Geisteshaltungen. Sie vergleicht Sachverhalte aus kulturell unterschiedlichen Kontexten gemäß ihrer inneren Logik und setzt diese mit anderen Themen, Themenbereichen oder Problemen in Beziehung und zieht hieraus einen Schluss. Das tertium comparationis wird nicht ausschließlich in einer Tradition verankert.
Der Ausdruck „ausschließlich“ ist hier wesentlich, weil eine solche Verankerung für das Wahrnehmen und Beurteilen des Anderen ausschlaggebend ist. Dieses Andere kann eine Theorie, eine Meinung, eine bestimmte Weltanschauung, Überzeugung oder Einstellung sein. Eine einseitige Fixierung des tertium comparationis hat in der Regel zur Folge, dass nur eine Sichtweise oder Theorie als richtig angesehen wird, nämlich die eigene. Die komparative Beobachtung und Erklärung kultureller Zusammenhänge kann von innen oder außen erfolgen. Ein nach innen ausgerichteter Vergleich geht von Eindrücken aus, die aus dem unmittelbaren Kennenlernen kultureller Zusammenhänge von innen heraus entstanden sind. Es geht um das Innenleben eines Sachverhaltes. Was unsere Tauschfamilien tun, ist das reziproke Kennenlernen des Innenlebens in Berlin und Teheran. Die interkulturelle Komparatistik ist bemüht, vergleichbare Konzepte miteinander in Beziehung zu setzen und einen kommunikativen Austausch zwischen Begründungen zu erzielen. Ein Vergleichsversuch von außen nach innen beruht in der Regel auf indirekten Quellen wie den bereits erwähnten Reise- und Missionsberichten oder auf Literatur, bestehenden Ergebnissen und ähnlichen Erfahrungen, die Kulturen in der Regel als statische Gebilde betrachten. Ein Ziel interkultureller Komparatistik ist nicht nur die Konstatierung von Unterschieden, sondern vielmehr die Herausbildung von Interdependenzen, Überlappungen und Übergängen sowie erhellenden Differenzen in einem umfassenden Strukturzusammenhang. Die „Überlappung“ der Positionen verbindet und duldet keinen Endgültigkeitsanspruch. Kommunikation lebt von „Überlappungen“33 jenseits einer strengen Isomorphie zwischen Sprach- und Kulturräumen. Diese Situation ermöglicht einen Kommunikationsraum, in dem sich eine historisch-kritische Kontroverse vollziehen kann. Sie setzt ferner Möglichkeiten frei, um komplexere Diskurskulturen im Rahmen unterschiedlicher Denkformen gemeinsam zu bewältigen. Kulturelle Divergenzen und Konvergenzen offenbaren sich durch Phänomene, die in vier Kategorien gruppiert werden können: Symbole, Vorbilder, Rituale und Werte. Mit Symbolen ist eine bestimmte Bedeutung verknüpft, die häufig nur für die Angehörigen der jeweiligen Kontexte erkennbar oder zumindest erkennbarer ist. Vorbilder haben Qualitäten, die für die Gruppe als bedeutsam gelten. Rituale sind konventionalisierte Verhaltensmuster, die neben religiösen Vollzugsformen bspw. auch Etikette oder gutes Benehmen signalisieren. Werte bilden den roten Faden der Lebensorientierung einer Kultur. Es gibt stets Überlappungen zwischen diversen Weltanschauungen, aber diese bieten nur die Möglichkeit, nicht die Gewähr gelingender Verständigung. Auf einem methodischen Weg unter Berücksichtigung kontextueller
tertium comparationis: Vergleichsmaßstab
Vergleich von innen heraus
Vergleich von außen
Differenzen und Überlappungen
Symbole, Vorbilder, Rituale und Werte
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3. Interkulturelle Theorie der Kommunikation
Offene Grenzen von Kulturen
Formen von Selbstverständlichkeiten ist es möglich, eine Abwertung und/ oder „romantische Verklärung […] fremder Kulturen“ zu vermeiden, wenn versucht wird, andere wie auch „eigene Kulturphänomene zunächst aus ihrem jeweiligen gesellschaftlichen Kontext heraus zu erklären und zu verstehen und in einem weiteren Schritt, unter Darstellung der Beurteilungskriterien, zu bewerten“.34 Hier wird im Sinn der Konfigurationstheorie von Senghaas ersichtlich, dass die Unterschiede zwischen den Subkulturen der eigenen Kultur häufig größer sind als diejenigen zwischen unterschiedlichen Kulturen. Mit den Worten von Elmar Holenstein paart sich bei allen Kulturvergleichen „die Bestreitung von interkulturellen Invarianten mit einem konsequenten Übersehen von intrakulturellen Varianten“.35 Auch der zugrunde gelegte Kulturbegriff ist ein offener: Kulturen stellen keine in sich abgeschlossenen Einheiten dar. Ihre Grenzen sind unterschiedlich fließend und beeinflussen einander. So entstehen Überlappungen und es bleiben eigen- bzw. anderskulturelle Vorprägungen. Schematisch dargestellt sieht dies folgendermaßen aus:
Komparatistik im Rahmen der Interkulturalität heißt, aus einer bestimmten kulturellen Perspektive heraus zu vergleichen, ohne aber diese zu verabsolutieren oder den Anderen ausschließlich als Objekt der eigenen Forschung zu betrachten.
Was bedeutet reduktive Komparatistik?
Zur reduktiven Komparatistik Die reduktive Komparatistik verfährt methodisch und strukturell anders als die interkulturelle Art derselben. Definition: Reduktive Komparatistik reißt einen bestimmten Aspekt aus dem Zusammenhang heraus, variiert und vergleicht ihn und verallgemeinert ihn schließlich. Das tertium comparationis wird ausschließlich in einer einzigen Tradition, meist der eigenen, verankert. Reduktive Vergleichsanalysen gehen zentristisch vor, indem sie alles vom eigenen Standpunkt heraus betrachten, bewerten und interpretieren.
3.2. Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation
Reduktive Komparatistik führt häufig zu falschen, vorurteilshaften oder einseitigen Annahmen oder zur Exotisierung anderer Denksysteme, wenn diese ausschließlich nach den Maßstäben des eigenen Klassifikationssystems verglichen werden. Ein Problem reduktiver Komparatistik besteht darin, dass ein Teilaspekt aus dem Kontext herausgenommen und mit dem eigenen Selbstverständnis verglichen wird. In vielen Fällen werden „fremde“ Praktiken mit der „eigenen“ Theorie verglichen. In diesem Rahmen spielen zwei Begriffe eine wesentliche Rolle, die sich auf Kommunikationen auswirken: die „Kommensurabilität“ oder Vergleichbarkeit und die „Inkommensurabilität“, die Unvergleichbarkeit.
Inkonvenienzen reduktiver Komparatistik
Was bedeutet Kommensurabilität?
Definition: Kommensurabilität bedeutet, dass eine These in gleicher Art „messbar“ ist wie eine andere These. Gibt es ein gemeinsames gedankliches Bezugssystem zwischen zwei oder mehreren Thesen, das Vergleichbarkeit garantiert, so sind sie kommensurabel. Fehlt dieses gemeinsame Bezugssystem, so sind sie inkommensurabel.
Im Rahmen von Diskursen um das Thema „Eurozentrismus“ werden Vergleiche in der Regel ausschließlich auf der Grundlage kultureller Differenzen vorgenommen. In einem solchen Kontext bezeichnet „Inkommensurabilität […] eine Situation, in der im Kommunikationsprozess die üblichen Konventionen ihre Gültigkeit verloren haben“.36 Dieses Phänomen kann als ein „semantische[r] Bruch im gemeinsamen Vokabular“37 betrachtet werden. Interkulturelle Studien zeigen, dass radikale Identitäts- oder Differenzbehauptungen von einer extremen Vergleichbarkeit oder Unvergleichbarkeit ausgehen, die eine interkulturelle Kommunikation verhindern. Hierzu einige Beispiele: Die Studien von Ethnologen wie Malinowski und teilweise auch von Geertz weisen derartige Tendenzen auf. Beide waren in ihrer Zeit Pioniere und sie verbesserten, jeder auf seine Weise, erheblich die bestehende ethnologische Praxis. Im Kontext heutiger Komparatistik sind die Forschungsmethoden von beiden jedoch eher fraglich, da beide auf unterschiedlichem Weg kulturessentialistisch vorgehen. Malinowski beschreibt in einer Studie das Geschlechtsleben der, wie er sie nennt, „Wilden“ in Nordwestmelanesien und die soziale Organisation der Sexualität der Bevölkerungsgruppe der Trobriander im Südpazifik. Dabei stellt er die alltägliche Praxis fest, dass die Jugendlichen in sogenannten Jugendhäusern sexuelle Akte vollziehen können und dieser Lernprozess von der Gemeinschaft ausdrücklich gebilligt wird. Malinowski beschränkt sich auf die Trobriander und macht sie faktisch zum Gegenstand der Forschung.38 Es stellt sich die Frage, ob es nicht auch in Europa Häuser gibt, die wir als „Freudenhäuser“ bezeichnen und für die zum größten Teil die gleichen Prinzipien bestehen, nämlich die Nutzung durch Jugendliche sowie ältere Männer und letztlich deren gesellschaftliche Anerkennung. Geertz berichtet in einer Studie über das blutige Ritual des balinesischen Hahnenkampfes und seine herausragende Bedeutung für die Balinesen
Einseitigkeit Malinowskis
Verallgemeinerung von Geertz
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3. Interkulturelle Theorie der Kommunikation
Unergründlichkeit oder die offene Frage
„Othering“ oder das gemachte Andere
Vermittlungsproblem
schlechthin.39 Das Problem dieser Beschreibung besteht darin, dass er seine Erkenntnisse auf „alle Balinesen“ überträgt, ohne darauf hinzuweisen oder sich dessen bewusst zu sein, dass diese Praxis in intrakulturellen Kontexten sehr unterschiedlich gesehen wird. Das gleiche Phänomen gilt auch für Stierkämpfe in Spanien, die wir nicht als ein blutiges Ritual für die gesamte spanische Kultur deklarieren können. Auf der Ebene des Individuellen stellen wir bald fest, dass es sich um eine kleine Gruppe innerhalb eines bestimmten Kontextes handelt, die dem Ritual des Stierkampfes huldigt. Zur Revidierung von Denk- und Umgangsformen schlägt Helmuth Plessner (1892–1985) eine Umkehr vor: „Nur sofern wir uns unergründlich nehmen, geben wir die Suprematiestellung gegen andere Kulturen als Barbaren und bloße Fremde, geben wir auch die Stellung der Mission gegen die fremde als die noch unerlöste unmündige Welt auf und entschränken damit den Horizont der eigenen Vergangenheit und Gegenwart auf die zu den heterogensten Perspektiven aufgebrochene Geschichte.“40 Unter dieser Voraussetzung vollzieht sich, Plessner zufolge, der Abbau der Vorstellung eines einlinigen „Fortschritts“, der den Blick der Forscher von vornherein auf das Abendland fixiert hält. Hier expliziert sich die praktische Problematik normativer und bedeutungsorientierter Kulturbegriffe, die der Heterogenität von Kulturen und kulturellen Kontexten nicht gerecht werden. Johannes Fabian bezeichnet solche Vorgehensweisen wie die von Malinowski und Geertz als „Othering“. Ihm zufolge sind „die Anderen nicht einfach gegeben“, sondern „sie werden gemacht“.41 Folglich sind für ihn reduktiv-komparatistische Untersuchungsformen künstliche Produkte, die nur individuelle Erfahrungen widerspiegeln, also subjektive und autobiographische Produktionen der Anthropologie. Fabian schlägt eine Arbeitsweise zur Konstruktion von Differenz vor, die danach fragt, wer mit welcher Absicht Fremdforschung betreibt. Diese Methode geht von einer reziproken Subjekt-Objekt-Relation aus, die besagt, „daß wir sowohl Eigenes im Fremden wie auch Fremdes im Eigenen finden. Eine Konsequenz daraus wäre, dass wir nicht nur Ethnologen einer anderen, sondern auch Ethnologen unserer eigenen Kultur werden können“42, weil wir uns spätestens hier bewusst werden, zu welchen Konsequenzen es führen kann, wenn wir das Andere ausschließlich nach eigenem Maßstab beurteilen. Dieter Gernert verweist mit seiner Studie zum „internen Beobachter“ auf eine weitere Unzulänglichkeit, nämlich die Problematik der Weitervermittlung gewonnener Erkenntnisse. Dieser Begriff kennzeichnet einen Forscher, der in ein System „weitab unserer Alltagserfahrung“ eintritt – physisch oder gedanklich. Solche Systeme umfassen nicht nur das klassische Berufsfeld des Ethnologen, sondern auch schwer erkundbare politische Strukturen und Subkulturen sowie Gebiete wie Mikrophysik, Nanotechnologie und Astrophysik, wo die Notwendigkeit einer jeweils angepassten Wissensrepräsentation und einer eigenen Logik besonders deutlich wird. Selbst wenn es gelingt, den fraglichen Problembereich korrekt zu beschreiben und selbst aufzunehmen, besteht dennoch das Problem, die Ergebnisse, die in einer angepassten, also ungewohnten Darstellungsform vorliegen, den „Zuhausegebliebenen“ zu vermitteln, wobei abermals Brüche und Informationsverluste die Regel sind.43
3.2. Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation
Malinowskis Theorie ist nach dem Prinzip des „internen Beobachters“ in zweifacher Hinsicht problematisch: zum einen wegen der gewonnenen Erkenntnisse, die Einseitigkeiten aufweisen, zum anderen wegen der Vermittlungsproblematik, die die Information erneut inhaltlich verschieben kann. Gernert zeigt mit seinem Beispiel, dass geschlossene Vergleichsanalysen bereits eine Anlage zur theoretischen Gewalttätigkeit besitzen, weil das Andere reduktiv behandelt wird. In Wahrheit aber wird das „Fremde“ in solchen Analysen nicht „gemacht“, sondern es ist da, ebenso wie das Eigene da ist. Auf zwei Gefahren ist im Rahmen der Bestimmung des Eigenen und des Anderen zu achten: Solipsismus und Ausschließlichkeitsanspruch. Während Ersterer nur sich selbst hervorhebt und das Andere nicht als solches wahrnimmt, schließt Letzterer die Möglichkeit eines Dialogs schon im Vorfeld aus.
Solipsismus und Ausschließlichkeitsanspruch
Die Kritik des Zentrismus setzt bei kulturalistischen Tendenzen an, die den Vergleichsmaßstab des Eigenen auf allen fachwissenschaftlichen Gebieten von vornherein für alle Vergleiche und für alle Kommunikationen festlegen.
Dies gilt mutatis mutandis für jede Art von Komparatistik. Ein erklärtes Hindernis jeder Form von Vergleichen ist die Verabsolutierung und die damit verbundene Hypostasierung der eigenen Auffassung, weil solche Einstellungen jeden Dialog unmöglich machen. Weil der Mensch bewusst oder unbewusst vergleicht, werden sich auch die Tauschfamilien fragen müssen, wann, wo, warum und wie sie vergleichen. Sie werden in vielerlei Hinsicht überrascht sein, weil sie nicht nur Divergenzen und Konvergenzen feststellen, sondern auch verblüffenden Überlappungen, die sie mehr verbinden als trennen. Sinn und Zweck interkulturellen Vergleichens besteht nicht nur in der Feststellung von radikalen Differenzen und Gemeinsamkeiten im Hinblick auf Methoden, Fragen, Themen- und Problemstellungen sowie diversen anderen Überlappungen und kulturell disparaten Einstellungen, sondern vielmehr in der Hervorhebung unterschiedlicher Akzente und Aspekte sowie mannigfaltigen Umgangsweisen mit der Vernunft. Interkultureller Vergleich erleichtert die Möglichkeit der Kommunikation, weil das Vergleichskriterium interkulturell beschaffen ist. Übungsaufgaben: 1. Definieren und diskutieren Sie Sinn und Zweck der Komparatistik und analysieren Sie Vor- und Nachteile der reduktiven und interkulturellen Hermeneutik. Führen Sie ein Beispiel aus Ihrem sozialen Umfeld an. 2. Nennen Sie einige Probleme von geschlossenen Vergleichsanalysen. 3. Welche Konsequenzen haben diese für die Tauschfamilien und was geschieht, wenn jede das tertium comparationis ausschließlich in ihrem eigenen Herkunftsland verankert? Wie würden Sie verfahren? 4. Worauf ist beim Vergleich zu verzichten und worauf kommt es an? Begründen Sie dies mit einem Beispiel aus eigener Erfahrung.
Gefahren des Zentrismus
Zusammenfassung
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3. Interkulturelle Theorie der Kommunikation
5. Erläutern Sie in diesem Zusammenhang die Ansätze von Malinowski und Geertz und setzen Sie sie mit der Kritik von Fabian in Beziehung. 6. Was heißt Zentrismus und welche Rolle spielt er bei der Begegnung der Tauschfamilien? Diskutieren Sie dabei mehrere mögliche Formen des Zentrismus und erläutern Sie ihre Auswirkung auf die Gestaltungsmöglichkeiten einer interkulturellen Kommunikation.
3.2.6. Interkulturelle Toleranz Dimensionen interkultureller Toleranz
Diskussions- und Forschungsfelder
Was bedeutet Toleranz?
Interkulturelle Toleranz ist der sechste Korrelatbegriff interkultureller Kommunikation. Toleranz ist für das Zwischenmenschliche grundlegend, weil der Mensch das einzige Wesen ist, das eine Meinung oder eine Überzeugung entwickelt, besitzt und verteidigt. Der Umgang mit diesen Divergenzen in der Pluralität unterschiedlicher Denk- und Lebensformen macht die Frage nach Toleranz zu einer Notwendigkeit gesellschaftlichen Zusammenlebens: betrachten wir allein die religiösen Gemeinschaften wie Islam, Christentum, Judentum, Buddhismus oder Hinduismus, die ohne Toleranz kaum miteinander ins Gespräch kommen können. Das Gleiche gilt auch für diverse Konfessionen und Lehrmeinungen innerhalb dieser Religionen, die sich oft gegenseitig ausschließen oder in manchen Fällen bekämpfen. Analoges gilt für politische Parteien mit unterschiedlichen Ideologien, die sich ebenfalls im Besitz der Wahrheit wähnen. Auch in der Arbeitswelt und Wissenschaft gibt es unterschiedliche Theorien, die mit bestimmten Überzeugungen oder Einstellungen verbunden sind, die Toleranz benötigen. Die Begegnung und die Kollision unterschiedlicher Geltungsansprüche, ob im Kontext des Interkulturellen oder Intrakulturellen, gehen zumeist mit Konfliktformen einher, die mit Gewalt und Ausschlussverfahren verbunden sind. Dies sind Gründe, warum der Toleranz in Gesellschaft und Politik sowie Wissenschaft und Religion eine wesentliche Rolle und Funktion zukommt. Aus diesen Gründen beschäftigt sich eine Reihe von Studien aus den Gebieten der Ethik, der Theologie, der Religions- und Kulturwissenschaft, der politischen Philosophie und aus anderen Disziplinen mit dem Thema „Toleranz“. Auch die Sozial- und die historischen Wissenschaften befassen sich zunehmend mit der Toleranz in allen ihren Formen und dem ihnen jeweils zugrunde liegenden menschlichen Handeln in Geschichte und Gesellschaft. Die Sozialpsychologie analysiert bspw. die kognitiven Mechanismen, die entweder zu einem aggressiven und konfliktgeladenen oder eher zu einem konsens- oder verhandlungsorientierten Verhalten führen. Ihre Forschungen sind Schritte zu einem besseren Verständnis von Funktionen, Erscheinungsformen, strukturellen Bedingungen, Störungen, kognitiven Grundlagen, geistesgeschichtlicher Bedeutung und normativer Basis der Toleranz. Wir möchten weder auf diese Theorien eingehen noch Toleranz im Kontext der Geschichte thematisieren44, sondern in die Theorie und Praxis interkultureller Toleranz und ihre Relevanz für die interkulturelle Kommunikation einführen. Dabei schicken wir unseren Ausführungen ein allgemeines Verständnis von Toleranz voraus:
3.2. Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation
Definition: Toleranz ist ein Streitbegriff, der eine schöpferische Haltung beschreibt, die bei der Bewertung einer Sache oder einer Streitfrage als das weise Maß angesehen werden kann, um das Nebeneinander in ein Miteinander zu überführen.
Toleranz ist somit eine Haltung, die für die Regulierung der menschlichen Lebensformen von Bedeutung ist. Sie birgt auch Probleme, mit denen auch unsere Tauschfamilien konfrontiert werden, weil es in beiden Ländern unterschiedliche Regierungsformen gibt, die für sie ungewohnt, problematisch oder vielleicht teilweise als abzulehnen erscheinen mögen, und vor allem verschiedene Religionen, die ebenfalls unterschiedlich wahrgenommen und praktiziert werden. Indes gibt es unterschiedliche Traditionen in beiden Ländern, die mannigfaltig sind. Vor den weiteren Ausführungen sollen exemplarisch die Toleranzkonzeptionen Gustav Menschings und Rainer Forsts vorgestellt und anschließend soll verdeutlicht werden, warum interkulturelle Toleranz eine Zwischenposition einnimmt. Zu Gustav Mensching (1901–1978) Mensching entwirft seine Toleranzkonzeption insbesondere für die Religionen. Sein Religionsverständnis basiert auf einem kommunikativen Symbolverstehen, weil Religionen ihre Inhalte über Symbole artikulieren. Wenn wir bspw. das Wesen des Judentums, des Buddhismus, des Christentums und des Islam verstehen wollen, müssen wir die symbolischen Inhalte dieser Religionen zu verstehen versuchen.
Wir müssen wissen, dass das Judentum durch den Davidstern symbolisiert wird, weil David als Stammvater des Volkes Israel eine bedeutende Rolle spielt. Das Rad oder Mandala des Buddhismus symbolisiert den achtfachen Pfad zur Selbstfindung. Das christliche Kreuz symbolisiert die Hinrichtung Jesu und die Überwindung des Todes durch die Auferstehung. Der islamische Halbmond erlangt seine Bedeutung für die astronomische Berechnung von Anlässen wie den Beginn des Ramadans. Im Hinblick auf das Christentum und den Islam müssen unsere Tauschfamilien viel mehr wissen, nicht nur die Bedeutungen der Symbole, sondern auch die gesellschaftliche Relevanz der Religionen im Iran und in Deutschland. Basierend auf dem beschriebenen religiösen Symbolverstehen unterscheidet Mensching zwischen – formaler Toleranz und Intoleranz, – inhaltlicher Toleranz und Intoleranz sowie – äußerer Toleranz und Intoleranz und – innerer Toleranz und Intoleranz.45
Toleranz im Vergleich Toleranztheorie Menschings
Formen der Toleranz
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3. Interkulturelle Theorie der Kommunikation Formale Toleranz
Formale Toleranz bedeutet „das bloße Unangetastetlassen fremder Glaubensüberzeugungen“.46 Eine solche Haltung kann aus verschiedenen Gründen eingenommen werden, z.B. aus Gleichgültigkeit. Ein Beispiel für formale Toleranz ist die Gewährung von Glaubensfreiheit in einem Staat, der verschiedene Glaubensformen nebeneinander bestehen lässt. Sie kommt in Organisationsformen vor, wie Staaten oder Kirchen, in denen formale Toleranz geübt wird, solange diese Organisationsformen durch eine andere Religion nicht gefährdet werden. Ist dies aber zu befürchten, dann schlägt formale Toleranz zumeist in formale Intoleranz um. Beispiel: Formale Toleranz ist in vielen Verfassungen als staatlich garantierte Glaubensfreiheit verankert: in Art. 55c der Charta der Vereinten Nationen von 1945 oder in Art. 18 der Menschenrechtserklärung von 1948.
Formale Intoleranz
Formale Intoleranz hebt die Religionsfreiheit auf, weil diese durch eine abweichende Haltung die Einheit des Staates gefährden könnte. Sie liegt immer dann vor, wenn die Gewissensfreiheit durch Staatszwang, wegen der Bedrohung innerer Einheit, aufgehoben wird. Beispiel: Metin Kaplan, bekannt als „Kalif von Köln“, genoss trotz seiner theoretisch radikalen Predigten in Deutschland so lange Religionsfreiheit, bis er mit dem Ausruf eines „Gottesstaates in Deutschland“ verfassungswidrig handelte und dadurch die Einheit des Staates gefährdete. Kaplans Abschiebung ist eine Folge des Umschlagens von formaler Toleranz in formale Intoleranz.
Inhaltliche Toleranz
Inhaltliche Intoleranz
Inhaltliche Toleranz: Sie beschränkt sich nicht auf ein bloßes Unangetastetlassen anderer Religionen, sondern bedeutet ihre positive Anerkennung als echte und berechtigte religiöse Möglichkeit der Begegnung mit dem Heiligen.47 Mensching unterscheidet zwischen „Toleranz echter Religiosität“ und „Toleranz der Aufklärung“.48 Während Toleranz der Aufklärung auf eine Vernunftreligion hinausläuft, setzt Mensching auf echte Religiosität, die ihre Kulmination in der inhaltlichen Toleranz erfährt. Inhaltliche Intoleranz bekämpft hingegen andere Überzeugungen, um der vermeintlichen Wahrheit willen oder im Namen einer bestimmten Ideologie. In diesem Kontext erscheinen die Inhalte der anderen Religion als unwahr und abwegig und sie werden abgelehnt, bekämpft oder verfolgt. Intoleranz formaler oder inhaltlicher Art erscheint in der Religionsgeschichte als Verfolgung oder Inquisition. Beispiel: Sie sind ein gläubiger Christ, der zwar das Christentum für die einzig wahre Religion hält, der aber zugleich bemüht ist, dem Islam gegenüber aktiv offen zu sein, indem Sie ihn als eine andere wahre Form des Glaubens akzeptieren und anerkennen. Dieser Maxime nach sind Sie dem Islam gegenüber inhaltlich tolerant. Die umgekehrte Haltung gilt als Beispiel für inhaltliche Intoleranz.
Äußere Toleranz
Äußere Toleranz bezieht sich „auf die außerhalb der eigenen Religion stehenden Religionen“.49 Sie erkennt die Echtheit und den Gültigkeitsanspruch
3.2. Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation
von Verhaltensweisen an, deren Motive nicht in der eigenen Religion verankert sind. Träger dieser Haltung sind der Einzelne oder die Religionsgemeinschaften. Der Gemeinschaft als kollektivem Gebilde kommt große Bedeutung zu, da sie in besonderem Maß die „Gleichstimmigkeit des Einzelnen mit der übergeordneten Gemeinschaft“50 herstellt. Äußere Intoleranz verlangt die Einhaltung bestimmter Formalien einer anderen Religion. Die Auffassung von der Welt und die Vorstellung von moralischem Verhalten werden im Religionsvollzug in Form von Symbolen wie Kleidung und Ritus stabilisiert. Sie zeigt die hierarchische Ordnung der Gesellschaft an, die eingehalten werden muss, und ist Ausprägung der latenten Funktionen der Religion, die sich in weltlichen Dingen manifestiert. Werden diese Ordnungsvorstellungen von einer Person, die der infrage stehenden Religionsgemeinschaft nicht angehört, verletzt, so ist mit harter äußerer Intoleranz zu rechnen.
Äußere Intoleranz
Beispiel: Die christlichen Gemeinschaften im Iran reichen einen Antrag bei der Regierung für den Bau einer Kirche in Teheran ein. Die Regierung genehmigt den Bau mit der Begründung: Auch unsere christlichen Mitbrüder brauchen ein Gotteshaus. Dies wäre eine äußere Toleranz gegenüber den Christen. Das umgekehrte Verhalten wäre ein Beispiel für äußere Intoleranz.
Innere Toleranz spielt sich innerhalb der eigenen Religionsgemeinschaft ab. Sie betont den Unterschied zwischen formaler und inhaltlicher Haltung durch „formale Duldung oder positive Anerkennung von Divergenzen […] innerhalb der eigenen Religion bzw. des eigenen Religionsorganismus“.51 Mensching bezeichnet dies als Duldung sektiererischer Lehr- und Kultabweichungen innerhalb der eigenen Religion. Innere Intoleranz ist die entsprechende negative Einstellung. Sie äußert sich, indem dann Abweichungen vom eigenen offiziellen Glauben als Häresie oder Ketzerei bezeichnet werden. Ein Beispiel hierfür ist das Verhältnis zwischen dem Katholizismus und dem Protestantismus.
Innere Toleranz
Innere Intoleranz
Beispiel: Papst Johannes Paul II. (1920–2005) verordnete in seiner 14. Enzyklika, dass Katholiken nicht am protestantischen Abendmahl teilnehmen dürfen. Auch Papst Benedikt XVI. hält hieran fest und lehnt eine Eucharistiefeier mit Protestanten ab. Dies ist ein Akt innerer Intoleranz. Das umgekehrte Verhalten gilt als Beispiel für innere Toleranz.
Zu Rainer Forst Forst geht bei seiner Toleranztheorie von einer vierfachen Konzeption aus, um Geschichte, Gehalt und Gegenwart der Toleranz auf eine Formel zu bringen. Es handelt sich um eine Erlaubnis-Konzeption, eine Koexistenz-Konzeption, eine Respektkonzeption sowie eine Wertschätzungskonzeption.52 Die Erlaubnis-Konzeption ermöglicht einer Minderheit, nach eigenen Überzeugungen zu leben, ohne die Vorherrschaft der Autorität infrage zu stellen.
Toleranztheorie Forsts
ErlaubnisKonzeption
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3. Interkulturelle Theorie der Kommunikation KoexistenzKonzeption
Respekt-Konzeption
WertschätzungsKonzeption
Vergleich Mensching – Forst
Europäische Vereinnahmung der Toleranz
Die Koexistenz-Konzeption ist pragmatisch-instrumentell begründet. Hier stehen sich zwei ungefähr gleich starke Gruppen gegenüber, die einsehen, dass sie um des sozialen Friedens und ihres eigenen Interesses willen Toleranz üben sollen. Die Respekt-Konzeption geht von einer moralisch begründeten Form der wechselseitigen Achtung der sich tolerierenden Individuen bzw. Gruppen einer rechtstaatlich verfassten politischen Gemeinschaft aus. Die Wertschätzungs-Konzeption schätzt in einer anspruchsvolleren Form wechselseitiger Anerkennung als die der Respektkonzeption die Überzeugungen und Praktiken der Mitglieder anderer Gemeinschaften als ethisch wertvoll ein. Vergleichen wir Menschings und Forsts Toleranztheorien, so sind inhaltliche Überschneidungen festzustellen. Beide suchen das weise Maß, um das menschliche Nebeneinander auf religiöser und politischer Ebene in ein aktives Miteinander umzustrukturieren, wobei Mensching eher religiöse Aspekte vor Augen hat. Die Sprache Menschings ist religionswissenschaftlich, während Forst für die Darbietung seines Ansatzes eine sozialwissenschaftliche Sprache mit entsprechenden Methoden verwendet. Genauer betrachtet, entsprechen die drei ersten Konzeptionen Forsts, mit verschiedenen Nuancen, der formalen Toleranz Menschings. Die „Wertschätzungskonzeption“ entspricht der „inhaltlichen Toleranz“. Dabei reduziert Forst, im Gegensatz zu Mensching, die Toleranz auf eine pragmatisch begründete Duldung und vernachlässigt dadurch Anerkennungskomponenten, die für Mensching grundlegend sind.53 Die Argumentationsstruktur von Menschings Konzeption ist christozentrisch, die von Forst eurozentrisch. Beide denken und argumentieren aus einer spezifischen Form der europäisch-westlichen Perspektive, beide gehen vom lateinischen Wort „tolerantia“ als geschichtlicher Grundlage aus und verankern ihren Vergleichsmaßstab in der christlich-abendländischen Tradition. Die angewandte Verstehensmethode von Mensching und Forst entspricht der apozyklischen Hermeneutik. Ähnlich verfährt Richard Gramlich (1925–2006), dessen Toleranzverständnis einen wesentlichen Unterschied zwischen der traditionellen und interkulturellen Toleranz auf eine Formel bringt. Er hält es für problematisch, im Islam „einen autochthonen [selbstständigen; Anm. d. Verfasser] Begriff der Toleranz zu finden“54: „Wie drückt man Toleranz im Persischen oder Arabischen aus? Der Begriff in dieser Form existiert dort nicht; er wurde bei uns geschaffen.“
Der Ausdruck „tasamoh“ im Arabischen oder „ravadari“ bzw. „bordbari“ im Persischen sind begriffsgeschichtlich älter als „tolerantia“ im Lateinischen. Deshalb wird eine differenzierte Achtung und Berücksichtigung kultureller Eigenheiten im Rahmen der interkulturellen Toleranz als eine Forderung der kommunikativen Vernunft betrachtet, die darauf ausgerichtet ist, Divergenzen nicht mit diskriminierenden Konsequenzen zu begegnen. Solche Theorien gehen in der Regel von einem normativen oder totalitäts-
3.2. Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation
orientierten Kulturbegriff aus, in denen Kulturen als monolithhafte Gebilde oder Kugeln betrachtet werden. Zur interkulturellen Toleranz Mit einer interkulturellen Theorie der Toleranz wird die aufgezeigte Lücke methodisch und didaktisch geschlossen und ihre Dimensionen werden auf der Grundlage eines offenen Kulturbegriffs kritisch erweitert. Dabei ist zunächst die Frage zu beantworten, was interkulturelle Toleranz ist und wonach sie strebt:
Was bedeutet interkulturelle Toleranz?
Definition: Interkulturelle Toleranz ist eine Fähigkeit, Konvergenzen, Divergenzen und Überlappungen im Vergleich und Verständnis der Kulturen und kulturellen Kontexte zu suchen, um gemeinsame Regeln für den Umgang miteinander zu formulieren. Ihre Funktion ist die kritisch-dialogische Begegnung unterschiedlicher Denksysteme und Verhaltensregeln als auch die aktive Forderung interkultureller Kommunikation. Sie kennt vor allem eine religiöse, eine pädagogische, eine politische und eine wissenschaftliche Dimension.
Bei der Debatte um die Toleranz sprechen wir häufig von „tolerant sein“ und „Toleranz üben“, was wie folgt zu verstehen ist:
Tolerant sein
Definition: Tolerant sein stellt eine grundsätzliche Einstellung dar, die anderen Formen des religiösen oder politischen Denkens und Handelns nicht ablehnend gegenübersteht, sondern diese in ihrem eigenen Recht gelten lässt.
Toleranz üben hat mit Konflikten zwischen Werten, Verhaltensregeln, Weltsichten und unterschiedlichen Formen des Wahrheitsanspruchs im interkulturellen und interreligiösen Kontext zu tun. Sie enthält Momente von Skepsis, Kritik, Ablehnung und Gleichgültigkeit. Tolerant sein hat zumeist einen passiven Charakter. Wird die Haltung in ein aktives Geschehen verwandelt, so sprechen wir davon, Toleranz zu üben. Definition: Toleranz üben ist eine Haltung, die einen kommunikativen Charakter hat und durch aktive Anteilnahme zur Anerkennung führen will.
Diese Toleranzform bezieht sich sowohl auf Strukturen des Zusammenlebens, auf Prinzipien und Praktiken von sakralen oder profanen Institutionen als auch auf die Einstellung und das Verhalten von Individuen. Für den Umgang mit Andersdenkenden und Anderserzogenen kann es keine allgemeingültige Regel geben: Zu komplex sind die jeweiligen Situationen, zu singulär die jeweils handelnden Personen und zu unterschiedlich die kulturellen und traditionellen Kontexte. Deshalb sind vor allem drei Momente für die theoretische und praktische Ausrichtung der Toleranz wesentlich. Diese Zusammenhangsstruktur lässt sich wie folgt visualisieren:
Toleranz üben
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3. Interkulturelle Theorie der Kommunikation
Komponenten interkultureller Toleranz
Wer sich diesem Muster nach Rezepte für eine garantiert wirkungsvolle Toleranzpraxis erhofft, wird enttäuscht werden. Dies hängt damit zusammen, dass es Lebensentwürfe innerhalb der Kontexte gibt, denen viele Lesarten zugrunde liegen, über die man trefflich diskutieren kann. Eine Voraussetzung des Toleranzübens ist somit der Mut zur Bereitschaft, interkulturelle und interreligiöse Differenzen im Diskurs mit dem Anderen gemeinsam wahrzunehmen und gemeinsam zu pflegen, ohne erhellende Konvergenzen zu vernachlässigen. Mit einer solchen Tugend lassen sich kulturelle, religiöse oder politische Konflikte und kognitive Dissonanzen minimieren oder gar vermeiden. Die folgende Abbildung zeigt Dimensionen interkultureller Toleranz:
3.2. Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation
Interkulturelle Toleranz hält Konfliktsituationen für eine verständliche Folge der Koexistenz. Mit einer totalen Ablehnung oder einer radikalen Anerkennung kommen wir nicht weiter. Der Maßstab für die Abgrenzung liegt in der Beibehaltung der eigenen Position. Wir bedürfen einer konstruktiven Toleranzkonzeption, die nicht von „wahr“ oder „falsch“ ausgeht, sondern von unterschiedlichen Lebens- und Denkwegen, und die einen offenen und kritischen Dialog zwischen diversen Stimmen aufrechterhält. Durch die Berücksichtigung handlungspraktischer Grenzen und systembedingter Kontingenzen kann eine anwendungsfähige Struktur entwickelt werden, die sich in eine interkulturelle Praxis umsetzen lässt. Auch hier zeigt die Konfigurationstheorie von Senghaas ihre Berechtigung. Die interne Eigendynamik der Kulturen bedeutet nicht, ein Konzept, bspw. der Toleranz, für die gesamte Kultur zu entwickeln. Dies wäre ohnehin nicht umsetzbar. Aufgabe wäre, eine Toleranztheorie zu formulieren, die die kontextbedingten Strukturen mit Menschen als unterschiedlichen Akteuren berücksichtigt. Die Anerkennung bezieht sich nicht nur auf Beziehungen zwischen Angehörigen zweier kultureller Kontexte, sie umfasst auch das Verhältnis der Individuen, die sich innerhalb von Kulturgemeinschaften bewegen. Weil Toleranz eine ausschließlich anthropologische Verankerung hat, ist faktisch nicht zu vermeiden, dass es immer Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Überzeugungen und Einstellungen bei Menschen gibt. Dies besagt, dass dem Begriff der „Toleranz“ unterschiedliche Formen der Gewalt inhärent sind. Um die Gewaltdimension der Toleranz zu artikulieren, unterscheiden wir zwischen interkultureller Toleranz und Dialog sowie zwischen „Gehäusetoleranz“ und „Gehäusedialog“. Diese Begriffe bezeichnen den Menschen, der einer Religion oder ideologischen Richtung verbunden ist und sich mental in dieser einnistet, wie in ein „Gehäuse“. Dies gibt ihm Schutz, Zuversicht und Halt im Leben. In diesem Sinn fragen wir zunächst, was Gehäusetoleranz ist und wie sie funktioniert:
Neue Wege
Konfigurationstheorie von Senghaas
Gehäuseformen von Toleranz und Dialog
Gehäusetoleranz
Definition: Gehäusetoleranz ist eine Scheintoleranz, die eine verabsolutierte Meinung von vornherein und unhinterfragt praktiziert und nur eine bestimmte Form von Toleranzverständnis akzeptiert, nämlich das eigene.
Gehäusetoleranz ist eine im Grund intolerante und latent fundamentalistische Haltung, die häufig auf Ignoranz und Arroganz beruht. Sie ist darauf ausgerichtet, das Andere theoretisch wie praktisch als Last oder Problem zu erdulden. Eine Kommunikation wird für relevant gehalten, wenn Andere ausschließlich der eigenen Auffassung entsprechen. Deshalb ist der mit dieser Toleranz verbundene Dialog ein Gehäusedialog: Definition: Gehäusedialog ist ein Scheindialog, der von vornherein eine verabsolutierte Meinung pflegt und letzten Endes die eigene Auffassung von Dialog durchsetzen will.
Gehäusedialog
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3. Interkulturelle Theorie der Kommunikation
Wechselverhältnis Gehäusetoleranz und -dialog
Interkulturelle Toleranz und Gehäuseformen
Grenzen der Toleranz
Insofern ist der Gehäusedialog ebenfalls eine latent fundamentalistische Dialogform, in der die Zielrichtung im Vorfeld bestimmt ist. Sie ist wie die Gehäusetoleranz eine Haltung, die mit einer bestimmten Ideologie verbunden ist. Gehäusetoleranz und Gehäusedialog treten in unterschiedlichen Formen in Erscheinung: in politischer, wissenschaftlicher, sozialer, kultureller oder religiöser. Gehäusetoleranz ist vertikal ausgerichtet, weil sie a) die eigene Position für den Maßstab der Begegnung hält, häufig ohne dass diese ausgesprochen wird, und weil sie b) ein Verhältnis der Über- und Unterordnung voraussetzt. Das Gleiche gilt auch für den Gehäusedialog. Interkulture Toleranz ist im Gegensatz zur Gehäusetoleranz horizontal ausgerichtet, weil sie kontextuell intersystemische Begründungsformen und Lösungsansätze sucht, um einen kommunikativen Weg für das Minimieren oder gar das Beilegen von Konflikten in der Pluralität der Differenzen in Aussicht zu stellen. Die Tauschfamilien werden diese Feststellung im Hinblick auf die Art und Weise der Toleranzübung in unterschiedlichen Kontexten in Deutschland und Iran selbst erfahren. Sie werden die Eigendynamik und innere Differenzierung kultureller Kontexte hautnah erleben und lernen, dass die Art und Weise des Toleranzübens stets kontextgebunden ist: Was in einem Kontext hilft, kann in einem anderen Kontext das Gegenteil bewirken. Die Frage nach den Grenzen der Toleranz Der Begriff der Toleranz muss aufgrund der Unverfügbarkeit des Menschen jenseits aller kulturellen Kontexte die Möglichkeit beinhalten, Grenzen gegenüber der Gehäusetoleranz und allen Formen der Intoleranz zu ziehen, sonst ist sie bedeutungslos. Dies geht mit Schwierigkeiten einher, denn es ist nicht leicht zu bestimmen, wo Toleranz aufhört und wer ihre Grenzen festlegt. Folgende Fragen sind hier von Bedeutung: 1. Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, eine festgelegte Grenze der Toleranz auch demjenigen gegenüber zu rechtfertigen, dessen Standpunkt jenseits dieser Grenze liegt? 2. Welche Formen der Konfliktaustragung und der Bekämpfung von Intoleranz sind tragbar, welche nicht? 3. Wie sieht die Grenze der Toleranz im Vergleich der Kulturen und Religionen aus? 4. Wo liegt der Referenzmaßstab für die Spannbreite an Ideen und Praktiken, die wir tolerieren wollen, und wo wird er verletzt? 5. Wer definiert diesen Maßstab und wer beeinflusst ihn? 6. In welcher Staatsform und nach welcher Verfassung wird diese Frage gestellt und beantwortet?
Voraussetzungen der Grenzbestimmung
Bei der Bestimmung von Toleranzgrenzen können wir nicht auf soziokulturelle und ethnologische Gesichtspunkte verzichten. Jede exklusivistische Durchsetzung des eigenen Standpunktes, der die Beseitigung und damit Verletzung der Elementarrechte des Anderen umgeht oder vernachlässigt, wird vermieden. Gewaltlosigkeit und individuelle Betrachtung bildet hier die zentrale Säule interkultureller Toleranz.
3.2. Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation
In diesem Zusammenhang ist zu klären, wie Religions- und Meinungsfreiheit in unterschiedlichen Rechtssystemen zustande gekommen ist, definiert und vor allem praktiziert werden. Von Bedeutung ist für sie, sich vor Ort zu informieren, wie die Grenzen der Toleranz in unterschiedlichen Kontexten des Christentums und Islam bestimmt werden. Dies setzt das Studium der Entfaltungsmöglichkeiten der Toleranz innerhalb dieser Religionen und die daraus hervorgehenden Kontroversen wie die Aufklärung im Islam oder Christentum voraus. Es geht um die Beantwortung der Frage, ob Toleranz in der jeweiligen Religion gegeben ist oder ob sie errungen werden musste. Die Tauschfamilien werden abwägen müssen, was für sie tolerierbar oder was nicht tolerierbar ist und in welchem Kontext sie sich am besten bewegen und wohlfühlen können. Auf der Grundlage dieser Erkenntnis können sie diese zu ihren eigenen Antworten in Beziehung setzen. Beispiel: Die Tauschfamilien können untersuchen, was im Islam und Christentum für Diebstahl als Strafe vorgesehen ist, was die Verfassungen sagen, was Kontrahenten und Befürworter aus beiden Religionen davon halten. Der Referenzmaßstab liegt dort, wo die Würde des Menschen unmittelbar verletzt wird.
Viele Grenzbestimmungen der Toleranz mögen zwar, vom Idealzustand ausgehend, als tragfähig erscheinen, sie scheitern aber, wenn wir die Praxis unterschiedlicher Religionen und Kulturen mit diesen Theorien vergleichen oder in Beziehung setzen. Deshalb können wir unsere Theorie nicht mit der Praxis des Anderen vergleichen. Der Referenzmaßstab wird im Diskurs mit den Vertretern dieser Religionen ausgehandelt werden müssen. Wenn jeder nach eigener Verfassung das Verhalten des Anderen beurteilt, tadelt und verurteilt, so verurteilen sich wahrscheinlich fast alle gegenseitig. Ein geeigneter Weg zur Bestimmung von Toleranzgrenzen ist die Anwendung der enzyklischen Hermeneutik im Rahmen eines argumentativen Diskurses. Wer gewissermaßen in einer Einbahnstraße eine allgemeinverbindliche Theorie der Toleranz und ihrer Grenzen formuliert, fordert den Widerstand des Anderen theoretisch wie praktisch heraus. Eine solche einseitige Bestimmung würde die Einheitlichkeit und Ungeschichtlichkeit menschlicher Handlungen, ein einheitliches Menschenbild und eine einheitliche Ethik voraussetzen. Wie der Streit um die Mohammad-Karikaturen zeigt, ist das Studium einer Reihe von ethnologischen, religiösen, kulturellen und sozialen „Selbstverständlichkeiten“ in kulturellen Kontexten von Bedeutung, weil sich Kulturdifferenzen in den genannten Symbolen, Vorbildern, Ritualen und Werten unterschiedlich niederschlagen. Weil Völker unterschiedliche Welt- und Wertvorstellungen kennen, schlagen wir die Theorie einer „Verschiebbarkeit von Toleranzgrenzen“ vor. Bei der Festlegung sind das Welt- und Menschenbild, die historische Bedingtheit vieler Gepflogenheiten und die religiösen Vorstellungen eines Volkes in einem argumentativen Diskurs mit seinen Vertretern zu berücksichtigen, um überhaupt urteilen zu können.
Idealtypische Grenzbestimmungen
Enzyklische Hermeneutik und Grenzen der Toleranz
Verschiebbarkeit von Toleranzgrenzen
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3. Interkulturelle Theorie der Kommunikation Macht und Grenzen der Toleranz
Zusammenfassung
Die Klärung der Toleranzgrenze im Kontext des Politischen, Wissenschaftlichen, Religiösen, Kulturellen und Sozialen geht untrennbar mit der Klärung der Machtfrage einher. Gibt es Machtverschiebungen, so verschieben sich auch die Möglichkeiten der Grenzbestimmungen der Toleranz. Ein Beispiel aus der Politik soll dies verdeutlichen: Die UNO ist eine weltumfassende Institution, die sich der Kommunikation mit jedem und der Gerechtigkeit für alle verpflichtet weiß. Bei genauerem Hinsehen stoßen ihre Kontrollmechanismen dennoch an Grenzen55, betrachten wir allein, aus welchen Ländern der Weltsicherheitsrat besteht, wer über Vetorechte verfügt, wer Druck ausübt, wer Sanktionen ausspricht und wer sie in die Praxis umsetzt. Bereits Karl Jaspers (1883–1969) kritisierte die Zusammensetzung und die Kommunikationsstruktur der UNO und bezeichnete sie als „eine Bühne, auf der ein unverbindliches Spiel eingeschaltet ist zwischen die realen Aktionen der Großmächte. Sie stellt die Scheinkommunikation dar, in der die Großmächte verbergen, was sie tun wollen, indem sie sich unter die […] kleineren Staaten stellen und die Gleichberechtigung aller anerkennen. […] Die Staaten benutzen diese Bühne, um sich ein Gesicht für die Weltöffentlichkeit zu geben und den Gegner durch dieses Spiel zu überlisten. Das Ganze ist ein Schleier, hinter dem jeder tut, was er will, wenn seine Gewalt und die Chance der Situation es ihm gestatten“.56 Wer sich mit den Strukturen der Weltpolitik sowie mit Wirtschafts- und Finanzstrukturen befasst, wird bestätigen können, dass diese Mächte letztlich alle Grenzen der Toleranz und Intoleranz bestimmen. Dass dies Einfluss auf das Verhältnis der Länder nimmt, bedarf keines weiteren Kommentars. Im Hinblick auf unsere Tauschfamilien ist anzumerken, dass sie Toleranz zwar als Akzeptanz anderer Überzeugungen und Einstellungen, aber nicht als Preisgabe eigener Überzeugungen und Einstellungen aufzufassen haben. Es wird gefordert, dass die christlichen und moslemischen Familienteile sich durch Empathie in das religiöse System des Anderen hineinversetzen und versuchen, dieses kommunikativ zu verstehen. Toleranz ist und bleibt eine Angelegenheit, die in Theorie und Praxis eine Fähigkeit und eine Fertigkeit darstellt. „Interkulturelle Toleranz“ besagt dementsprechend, dass die Geschichte der Toleranz in allen Kulturregionen eine feste Verankerung kennt. Auf diesem Weg können die Selbst- und „Fremd“-Hermeneutik mit meiner Selbst- und „Fremd“-Hermeneutik in Beziehung gesetzt und miteinander verglichen werden. Im Rahmen dieser hermeneutischen Begegnung können sich die Selbstvergewisserung des Eigenen aus eigener Sicht und die Selbstvergewisserung des Anderen aus anderer Sicht gegenseitig bereichern.
Übungsaufgaben: 1. Diskutieren Sie die Frage nach der Toleranz und führen Sie Beispiele aus Ihrem sozialen Umfeld an. 2. Beschreiben Sie die Toleranztheorien von Mensching und Forst, arbeiten Sie dabei Gemeinsamkeiten und Differenzen heraus. 3. Auf welcher Grundlage fußen diese Toleranztheorien? Diskutieren Sie die Gründe.
3.2. Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation
4. Warum kommt Richard Gramlich zu seinem Urteil? Analysieren Sie Vor- und Nachteile solcher Haltungen. 5. Definieren und besprechen Sie die Struktur sowie Ziele und Aufgaben interkultureller Toleranz. 6. Setzen Sie diese mit den Konzepten von Mensching und Forst in Beziehung. 7. Bestimmen Sie die Ausdrücke „Gehäusetoleranz“ und „Gehäusedialog“. Führen Sie Beispiele aus eigener Erfahrung an. 8. Wo liegen die Grenzen der Toleranz, wer bestimmt sie und warum? Führen Sie ein Beispiel an und nennen Sie Probleme, die den Tauschfamilien begegnen könnten. 9. Ist die Ausweisung von Metin Kaplan gerechtfertig? Nehmen Sie eine Pro- und Kontraposition ein. 10. Nehmen Sie Stellung zu den Mohammad-Karikaturen und zum Zitat von Jaspers über die UNO. 11. Können wir ohne Rücksicht auf Andere im Iran oder in Deutschland die Grenzen für Toleranz bestimmen, die für Menschen in Afrika und Lateinamerika gelten müssen? Begründen Sie Ihre Antwort. 12. Können wir eine allgemeine Theorie der Grenzbestimmung der Toleranz formulieren, die für alle Zeiten und Zonen absolute Gültigkeit besitzen soll? Erläutern Sie die Antwort und belegen Sie diese mit einem Beispiel. 13. Was ist Toleranz für Sie persönlich, wie würden Sie ihre Grenzen bestimmen und mit welchen Konsequenzen für Ihre Entscheidung rechnen Sie? 14. Was würden Sie den Tauschfamilien raten?
3.2.7. Interkulturelle Ethik Interkulturelle Ethik ist der siebte Korrelatbegriff interkultureller Kommunikation. Ethik spielt im menschlichen Leben eine unentbehrliche Rolle, weil der Mensch a) das einzige Wesen ist, das über sein Verhalten und über die Konsequenzen, die damit verbunden sind, reflektiert, und weil er b) vergeben und verzeihen, bereuen und sich entschuldigen kann. Das Gewissen hat in der menschlichen Natur eine Verankerung. Diese Eigenschaft macht aus ihm ein einzigartiges Geschöpf. Weil der Mensch ein ethisches Wesen ist, gehört es zu seinen Selbstverständlichkeiten, stets zu fragen, was er darf und was nicht; was er soll und was nicht; was er kann und was nicht; oder was er muss und was nicht oder worauf er hoffen und beharren kann und worauf nicht. Diese ethisch-moralischen Fragen sind jenseits kultureller Zugehörigkeiten auf allen Ebenen des Lebens, im privaten wie auch im gesellschaftlichen, grundlegend. Gerade auch manche afrikanische Bevölkerungsgruppen, die einige Ethnologen als „primitiv“ bezeichnen, führen ein strikt ethisch-moralisches Leben.57 Heute, im „Weltalter der Globalisierungen“, hat sich die Verfasstheit kultureller Kontexte zum größten Teil derart gewandelt, dass wir mit den traditionellen Theorien der Ethik den gegenwärtigen Problemen nicht mehr gerecht werden können. Der plurale Gebrauch des Ausdruckes „Globalisierung“ bringt zur Sprache, dass diese sich auf viele Bereiche des menschlichen Lebens bezieht. Ein singularer Gebrauch hat einen unbestimmten Charakter und bringt die kulturellen Mannigfaltigkeiten auf keinen Fall zum Ausdruck.
Dimensionen interkultureller Ethik
Globalisierungen und Theorien der Ethik
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3. Interkulturelle Theorie der Kommunikation
Was bedeutet Moral?
Die traditionellen Theorien der Ethik sind auf ihre brauchbaren Bestandteile hin zu überprüfen und bedürfen einer grundlegenden Korrektur, Ergänzung und kritischen Erweiterung. Eine interkulturell neu durchdachte Konzeption der Ethik kann diese Lücke schließen. Wir beginnen unsere Erläuterungen mit einer Arbeitsdefinition der Moral und unterscheiden zugleich zwischen Moral und Ethik: Definition: Moral ist ein System von Verhaltensweisen, die sich in diversen intraoder interkulturellen Kontexten unterschiedlich vollziehen und die das Handeln des Menschen als gut oder schlecht, angemessen oder unangemessen bestimmen sollen.
Was heißt Ethik?
Weil Moral konkret das System menschlicher Handlungsformen umfasst, kommt der Ethik eine andere Funktion zu. Definition: Ethik stellt eine Theorie der Moral dar. Es handelt sich konkret um die Begründung moralischer Normen und um die Analyse der Herkunft von Werten, geschichtlichen und kulturellen sowie interkulturellen Geltungsansprüchen und -grenzen.
Strömungen der Ethik
Elementarethik
Egoistische Ethik
Diskursethik
Als eine Teildisziplin der Philosophie umfasst Ethik verschiedene Richtungen. In manchen Ethiktheorien wird die Vernunft besonders betont oder die Rolle der Hermeneutik hervorgehoben, in anderen sind eher empirische oder normative Dimensionen bestimmend. Es gibt viele Auffassungen, die entsprechend festlegen, was Ethik ist oder was sie nicht ist. An dieser Stelle sollen Richtungen wie die Elementarethik Sartoschts (Zarathustra) (etwa 1500 v.u.Z.), die Tugendethik des Aristoteles (384–322), die egoistische Ethik Thomas Hobbes’ (1588–1679), die mehrkomponentige Ethik Molla Ahmad Naraqis (1771–1829), die Mitleidethik Arthur Schopenhauers (1788–1860), die Diskursethik Karl-Otto Apels, die utilitaristische Ethik John Stuart Mills (1806–1873) und die kommunitaristische Ethik Alasdair MacIntyres sowie die Maximen- bzw. Gesinnungsethik Kants genannt werden. Die Elementarethik geht von der Triade des „rechten Denkens, Redens und Handelns“ aus; die Tugendethik hält an dem Glücklichwerden jedes Lebewesen fest, wenn es nach seinem inneren Gesetz, seiner inneren Bestimmung lebt. Die egoistische Ethik geht von dem Satz „homo homini lupus“, „der Mensch dem Menschen ein Wolf“, aus, nach dem Menschen von „Leviathan“, dem „absolutistischen Staat“, in Schach gehalten werden müssen. Nach der Mitleidethik wird der Mensch von Egoismus und Bosheit angetrieben, die durch Mitleid und intuitives Gefühl gemildert werden müssen. Die Diskursethik will alle moralischen Fragen durch einen Diskurs beantworten. Dabei wird davon ausgegangen, dass die bestehende, reale Welt die Grundlage dafür ist, eine idealisierte Welt zu erschaffen, in der Diskurse überflüssig sind.
3.2. Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation
Die utilitaristische Ethik widmet sich der allgemeinen Ausbildung und Pflege eines edlen Charakters. Die kommunitaristische Ethik versteht sich als eine Gegenbewegung zur anthropozentrischen Ethik, die von der Vernünftigkeit und dem Gerechtigkeitssinn des Menschen ausgeht, während diese die Verwirklichung des Menschen nur innerhalb der Gemeinschaft für möglich hält. Die Maximenethik geht vom kategorischen Imperativ aus, der aus praktischer Vernunft erfolgt. Die mehrkomponentige Ethik will eine Theorie begründen, in der Neigungen, Wünsche und Bedürfnisse der Individuen im Kontext des Intra- und Interkulturellen Berücksichtigung finden.58 Abu Hamed Mohammad ibn Mohammad Ghazali (1058–1111) gehört zu den wenigen Philosophen seiner Zeit, die sich mit den grundlegenden Fragen der Moral und Ethik befasst haben. In diesem Sinn ist der Mensch für ihn „nicht zum Scherz und für nichts erschaffen, sondern hoch ist sein Wert und groß seine Würde“.59 Er umreißt, dass es in der Ethik um die menschliche Würde geht, die in fast allen Verfassungen eine feste Verankerung hat. Damit wenden wir uns der interkulturellen Ethik zu: Definition: Interkulturelle Ethik erklärt, wann, wo und unter welchen Voraussetzungen eine menschliche Handlung als gut oder schlecht, angemessen oder unangemessen beurteilt wird. Sie untersucht die Gründe, die Individuen zu bestimmten Handlungen motivieren. Als Besonderheit kommt hinzu, dass die interkulturelle Ethik die Begründung kulturell bedingter Besonderheiten in Sitten, Gebräuchen, Gepflogenheiten, Traditionen und Kulturen oder Rechtssystemen im Vergleich und Verständnis der Kulturen unter Berücksichtigung kultureller Kontexte umfasst.
Interkulturelle Ethik stellt und diskutiert die Frage nach dem Guten und Bösen im Denken der Völker, das unterschiedliche Ausprägungen hat; Ausprägungen, die bisweilen auf radikalste Art konträr sein können. Wir denken hier an die Kontroverse um die „Beschneidung von Frauen“, die von den Ausführenden und ihren Widersachern grundsätzlich verschieden beurteilt wird. Interkulturelle Ethik unterscheidet sich von traditionellen Ethiken dadurch, dass sie Kulturen weder essentialistisch auffasst noch universalistisch verfährt. Die traditionellen Ethiken waren und sind vorwiegend darauf ausgerichtet, das „Fremde“ als das ganz Andere aus der Perspektive des Eigenen zu betrachten, zu analysieren und zu klassifizieren. Interkulturelle Ethik bewegt sich in die entgegengesetzte Richtung. Es geht um den Versuch, die Stimme des Anderen aus dessen Bezugssystem heraus als einen Diskursbeitrag theoretisch wie praktisch zu Wort kommen zu lassen. Sie betrachtet den Menschen, unabhängig von seiner Herkunft, Hautfarbe, kulturellen und religiösen Zugehörigkeit, als gleichberechtigtes Exemplar der Gattung Mensch. Dies impliziert die Unverfügbarkeit des Individuums, nach der kein Mensch einen anderen als Mittel zum beliebigen Zweck instrumentalisieren darf.
Utilitaristische Ethik Kommunitaristische Ethik
Maximenethik Mehrkomponentige Ethik Ghazali und die Würde des Menschen
Was bedeutet interkulturelle Ethik?
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3. Interkulturelle Theorie der Kommunikation
Für das Konzept einer interkulturellen Ethik ist die Selbstbeurteilung kultureller Kontexte grundlegend, weil sich der von mir beurteilte Andere in meinem Urteil wiederfinden können muss.
Interkulturelle und traditionelle Ethik
Menschenbild im Zentrum
Funktion interkultureller Ethik
Partikularität und Universalität
Am Begrüßungsritus lässt sich die Bedeutung interkultureller Ethik im Diskurs erklären. Es könnte durchaus sein, dass die Tauschfamilie im Iran mit dem Schächten eines Lamms als Ausdruck des „herzlichen Willkommens“ empfangen wird, während die Iraner in Deutschland mit einem Glas Sekt willkommen geheißen werden. Beides ist in den jeweiligen Heimatkulturregionen selbstverständlich, die Sitte könnte aber Anlass zu einer schwerwiegenden Auseinandersetzung werden. Das Schächten wird in christlichen Kreisen teilweise als „Tierquälerei“ zurückgewiesen, während der Genuss von Alkohol gegen ein islamisches religiöses Verbot verstößt. Wie werden die Tauschfamilien mit dieser Differenz umgehen? Traditionelle Ethiken haben dies vorwiegend aus der Perspektive des Eigenen betrachtet und beurteilt. Nun besteht die Herausforderung aber darin, die ethischen Grundlagen und Eigenheiten des Gastvolkes nachzuvollziehen. Die Deutschen werden verstehen lernen, dass das Schächten als ein Ritual in der Erinnerung an die Opfergeschichte Abrahams und Isaaks als gut betrachtet wird, obwohl das Tier mehr leiden muss als notwendig. Der Genuss des Sekts als eines kostbaren Genussmittels hingegen gilt in Deutschland als Ausdruck besonderer Herzlichkeit, wobei religiöse Gebote nicht entgegenstehen. Beide Zeremonien sind folglich aufgrund ihrer kontextuellen Verankerungen nachvollziehbar. Mensch und Menschenbild sowie die Gründe seiner Handlungen stehen also im Zentrum interkultureller Ethik im Vergleich und Verständnis kultureller Kontexte. Sie bezieht sich auch auf das moralische „Wie“, „Was“ und „Warum“ der kontextuellen Völkerbeziehungen und die Mannigfaltigkeit ihrer Gestaltung und Begründung. Die konkreten Funktionsbestimmungen und Begründungsweisen der Ethik sind intra- wie auch interkulturell unterschiedlich, während der Mensch immer im Zentrum der Betrachtung bleibt. Interkulturelle Ethik will weder eine Weltanschauungslehre noch ein Religionsersatz sein. Sie ist darauf ausgerichtet, Geltungsansprüche im Hinblick auf ihre moralische Legitimation zu thematisieren und Handlungsstrukturen über Ziel-Mittel-Relationen unter Berücksichtigung kultureller Kontexte aufzudecken. Obschon es keine fundamentalen Unterschiede zwischen europäischen und außereuropäischen Traditionen gibt, kann nicht von einer universalgültigen kontextunabhängigen Ethik ausgegangen werden. In diesem Sinn unterscheiden wir zwischen der Partikularität und Universalität der Ethik: Definition: Partikularität der Ethik bedeutet, dass jedes Volk gewisse traditionsgebundene Gewohnheiten hat, die für es spezifisch und damit verbindlich sind. Definition: Universalität der Ethik bedeutet, dass es über die kulturgebundenen Wert- und Normsysteme hinaus eine ethisch-moralische Verankerung anthropologischer Natur gibt, die allgemein verbindlich ist.
3.2. Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation
Am Beispiel „Kochkunst“ kann dies vereinfacht verdeutlicht werden. Kochen ist universal: Menschen kochen, ganz gleich, wo sie sich befinden. Die Kunst des Kochens kennt indes unterschiedliche Ausprägungen. Deshalb gibt es verschiedene Küchen: afrikanische, deutsche, iranische, mexikanische oder chinesische Küche usw., die in sich heterogen sind. Die Soziologie der Kulturen ist deshalb von Bedeutung, weil viele ethisch-moralische Forderungen mit Tradition, Sozialisation und Wirklichkeitsbewusstsein der Menschen zusammenhängen. Fazit: Kochen ist universal, die Küchen jedoch partikular. Sie werden innerhalb der Kochtraditionen von Mannigfaltigkeit getragen.
Das folgende Schaubild zeigt, von welchen Komponenten das moralische Verhalten begleitet wird:
Die Struktur interkultureller Ethik umfasst drei Komponenten, die miteinander auf unterschiedliche Weise verbunden sind: Teilbereiche, Theorien und Methoden. A. Einige Teilbereiche interkultureller Ethik Rechtsethik untersucht die Geltungskraft von Rechtsnormen in unterschiedlichen Rechtssystemen unter Berücksichtigung kultureller Kontexte. Medienethik betrachtet die Möglichkeiten und Grenzen journalistischer Tätigkeitsformen. Religionsethik analysiert Gebote und Verbote, die auf göttliche Autorität oder die Selbstermächtigung der Vernunft bezogen werden. Wissenschaftsethik stellt die Frage nach der Verantwortbarkeit von Forschung, die den Menschen in seiner Existenz betrifft.
Teilgebiete interkultureller Ethik
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3. Interkulturelle Theorie der Kommunikation
Wirtschaftsethik begründet die Frage nach fairem geschäftlichem Umgang miteinander und den Gestaltungsmöglichkeiten einer gerechten Verteilung wirtschaftlicher Güter für alle Menschen. Pädagogische Ethik analysiert die Frage nach den Zielen und Methoden der Erziehung des Menschen und der moralischen Entfaltung seiner Gesinnung. Politische Ethik diskutiert die Frage nach der Sicherung des Gemeinwohls und den gestalterischen Möglichkeiten des Gemeinsamen für eine friedliche Koexistenz auf nationaler und internationaler Ebene. Im Kontext der Teildisziplinen interkultureller Ethik umfasst Bioethik vor allem drei Teilgebiete: Ökologische Ethik thematisiert die Frage nach Schutzmaßnahmen für die Natur, insbesondere im Hinblick auf den Erhalt von Ressourcen für spätere Generationen. Medizinische Ethik geht der Frage nach Möglichkeiten und Grenzen des Verantwortungsbereichs medizinischer Verfahren nach, die die menschliche Würde unmittelbar betreffen. Tierethik diskutiert die Frage nach dem angemessenen Umgang mit Tieren und dem Schutz ihrer Rechte.
Theorien interkultureller Ethik
B. Einige Theorien interkultureller Ethik Utilitarismus ist auf den Nutzen als Prinzip des Handelns ausgerichtet, wobei entweder das Wohl des Einzelnen oder der menschlichen Gesellschaft vorrangig sein kann. Kommunitarismus nimmt das Gemeinwohl als Prinzip des Handelns an, das den Menschen als soziales Wesen begreift und in der übersteigerten Individualisierung im Sinn des Utilitarismus Gefahren sieht. Pflichtethik sucht die Frage nach dem menschlich guten Handeln, gemäß dem kategorischen Imperativ, unabhängig von Interessen und Neigungen, zu beantworten. Entscheidend ist allein, dass die Maxime des eigenen Handelns allgemeine Gültigkeit haben kann. Verantwortungsethik geht von der individuellen Selbstverantwortung für das eigene Handeln aus. Das Individuum legt selbst die Ziele und Maßstäbe seines Handelns fest und kontrolliert deren Erreichung. Rationale Ethik will eine „Ethik ohne Metaphysik“ sein und ist daher unabhängig von kulturspezifischen und theoretischen Annahmen. Weil sich viele Theorien der Ethik zwischen der Gesinnungs- und der Verantwortungsethik bewegen, möchten wir die Grenzbereiche dieser Orientierungsformen durch das folgende Beispiel aufzeigen: Verantwortungsethik: Franz Kafka hat testamentarisch verfügt, dass seine Werke posthum nicht erscheinen sollen. Sein Freund Max Brod, der ihm dies versprochen hatte, sorgte nach dessen Tod aber dennoch für die Veröffentlichung der Werke Kafkas. Gesinnungsethik: Sokrates wurde in einem Gerichtsverfahren zum Tod verurteilt. Sein Freund Kriton bot ihm eine Fluchtmöglichkeit aus dem Gefängnis an, die er ausschlug, weil er nicht dazu bereit war, seine persönlichen Interessen über die Achtung des Rechts zu stellen.
3.2. Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation
C. Einige Methoden der Ethik Die Methode der Ethik umfasst drei Bereiche:
Methoden der Ethik
Normative Ethik thematisiert und problematisiert die Prinzipien eines für alle guten Lebens, den Maßstab moralisch richtigen Handelns im Rahmen des Soll- und Musszustandes kultureller Kontexte. Dabei geht es um unterschiedliche Imperative des Kulturellen, des Religiösen und des Gesellschaftlichen. Deskriptive Ethik thematisiert und problematisiert Normen- und Wertsysteme auf einem empirischen Weg. Dabei geht es um die Beschreibung dieser Phänomene unter Berücksichtigung klimatischer, geographischer, kultureller, religiöser und anderer Faktoren sowie um die Frage nach dem Geltungsanspruch verschiedener Normen. Die Metaebene thematisiert und problematisiert die Sprache und Logik moralischer Diskurse, die Methoden moralischer Argumentationen sowie die Tragfähigkeit und Umsetzbarkeit ethischer Theorien in unterschiedlichen Kontexten. Das zentrale Ziel interkultureller Ethik besteht im Wesentlichen darin, jenseits von zufälligen Sitten und Gebräuchen, unabhängig von religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen, verbindliche Regeln moralischen Verhaltens, unter Berücksichtigung der verschiedenen kulturellen Kontexte, zu formulieren. Sie ist kein Plädoyer für Werterelativismus, nach dem alles gleich gut und richtig ist. Interkulturelle Ethik hat die Aufgabe, zu untersuchen, ob und inwiefern menschliche Handlungen als gut oder schlecht bzw. angemessen oder unangemessen beurteilt werden. Sie untersucht Gründe, die Individuen zu bestimmten Handlungen motivieren. Hierzu gehört die Berücksichtigung kulturell bedingter Besonderheiten in Sitten, Gebräuchen, Gepflogenheiten, Traditionen und Kulturen oder Rechtssystemen. Sie zeigt, wie Strukturen miteinander zusammenhängen, wie die Entscheidung in einer Situation abhängt, macht aber zugleich deutlich, dass es ein weltumspannendes Handlungsformat nicht gibt. Sie stellt Gründe bereit, warum es wesentlich ist, das Welt- und Menschenbild, die Bedingtheit vieler Gepflogenheiten und religiöser Gewohnheiten der Völker selbstkorrigierend zu studieren oder bereit zu sein, den Boden der gerade im Westen häufig vorkommenden Belehrungskultur durch eine kommunikative Lernkultur zu ersetzen. Übungsaufgaben: 1. Wie stellen Sie sich persönlich moralisches Verhalten vor? Führen Sie Beispiele an. 2. Was bedeutet Moral und wie unterscheidet sie sich von der Ethik? Führen Sie zwei Beispiele an, die dies verdeutlichen. 3. Suchen und beschreiben Sie Ziele und Aufgaben von Moral und Ethik. 4. Klären Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen traditioneller und interkultureller Ethik. Bringen Sie Beispiele aus eigener Erfahrung. 5. Aus welchen Komponenten besteht interkulturelle Ethik? Beschreiben und diskutieren Sie Teilbereiche, Theorien und Methoden interkultureller Ethik. 6. Welche Werte und Normen könnten die Grundpfeiler interkultureller Ethik bilden und welchen Grad an Verbindlichkeit sollten sie haben?
Ziel
Zusammenfassung
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3. Interkulturelle Theorie der Kommunikation
7. Arbeiten Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Gesinnungs- und Verantwortungsethik heraus. Welche Form würden Sie der Tauschfamilien vorschlagen? 8. Stellen Sie dar, was für Sie Moral und Ethik darstellt und wie sich diese zu den dargestellten Theorien verhalten! Führen Sie ein Beispiel aus Ihrem sozialen Umfeld an. 9. Formulieren Sie Vorschläge, wie sich die Tauschfamilien im Iran und in Deutschland ethisch zu verhalten haben oder verhalten sollten.
4. Strukturelle Probleme interkultureller Kommunikation Nach einem langen Weg der Analyse unterschiedlicher Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation dürfte klar geworden sein, dass sich unsere Tauschfamilien unter Berücksichtigung der Kontexte eine Reihe von Fähigkeiten anzueignen haben. Wir haben gesehen, dass sie zunächst mit der Frage konfrontiert werden, wer sie überhaupt sind, mit wem sie zu tun haben, wie sich diese selbst verstehen und mit anderen in Beziehung setzen. Die angeeigneten interkulturellen Kompetenzen werden ihnen sicherlich helfen, bei ihren Begegnungen in den Familien und gesellschaftlichen Kontexten bewusster mit den Konsequenzen voreiliger Identifizierungen und Unterscheidungen umzugehen. Nun werden wir auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse unserer Korrelatbegriffe der Frage nachgehen, was interkulturelle Kommunikation ist und mit welchen Aufgaben, Funktionen und strukturellen Bedingungen und Problemen diese verbunden ist.
4.1. Strukturen interkultureller Kommunikation Der Grundvorgang zwischenmenschlicher Kommunikation lässt sich unschwer beschreiben: Auf der einen Seite steht ein „Sender“, auf der anderen Seite ein „Empfänger“. Die grundlegende Form der Kommunikation findet also mindestens zwischen zwei Personen statt. Das gleiche Prinzip gilt auch für eine interkulturelle Kommunikation, die aus mehreren aufeinander abgestimmten und ineinander verflochtenen Prozessen besteht. Wir beginnen mit einer Arbeitsdefinition: Definition: Interkulturelle Kommunikation ist eine Diskursform, in der Menschen aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten miteinander ins Gespräch kommen.
Grundlegend für diese Orientierung ist ihre symmetrische Eigenart, die darin besteht, Diskurse auf gleicher Augenhöhe zu führen. Es gibt, ausgehend von der Gleichheit der Menschen, gute Gründe, warum im Kontext interkultureller Kommunikation alle Gesprächspartner, jenseits ihrer Herkunft und Hautfarbe, als gleichberechtigt mit gleichem Freiheitsspielraum betrachtet werden. Aufgrund ihrer Beschaffenheit unterscheidet sich interkulturelle Kommunikation von anderen Kommunikationsformen dadurch, dass diverse Faktoren wie religiös-kulturelle und soziologisch-ethnologische sowie sprachlichgesellschaftliche bedeutsamer werden. Diese Faktoren verändern die internen und externen Bedingungen, unter denen Mitteilungen vom Sender bzw. vom Empfänger der Kommunikation
Was bedeutet interkulturelle Kommunikation?
Sender- und Empfängerverhältnis
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4. Strukturelle Probleme interkultureller Kommunikation
Hindernisse
codiert bzw. decodiert werden. Sie verändern unter Umständen aber auch Richtung, Ziel und Stil der Kommunikation, was in der Semiotik die pragmatische Dimension von Zeichensystemen genannt wird. Nur unter Berücksichtigung dieser Elementarvorgänge, die Kommunikation konstituieren, kann überhaupt etwas Sinnvolles über einen sehr komplexen Vorgang wie interkulturelle Kommunikation gesagt werden. Es gibt, wie wir bei der Erläuterung der Korrelatbegriffe gesehen haben, eine Reihe theoretischer und praktischer Hindernisse, die sich strukturell auf Kommunikationen, ob interkulturell oder nicht, auswirken und sie im Ansatz gefährden können. Zu nennen sind vor allem folgende Bestrebungen, die eine systeminterne Unterscheidung und Identifizierung ausdrücken: 1. Inklusivität und Exklusivität. 2. Vorurteile. 3. Anerkennung.
4.2. Zu Inklusivität und Exklusivität
Inklusivität und Exklusivität
Vielleicht fragen Sie sich nun, wann und wo diese Handlungsformen problematisch werden und damit ein Hindernis für interkulturelle Kommunikation darstellen. Zur Verdeutlichung dieses Sachverhaltes unterscheiden wir zwischen einem Wahrheits- und Absolutheitsanspruch, der inklusiv, nach innen gerichtet, ist und einem, der exklusiv, nach außen gerichtet, ist.1 Definition: Inklusivität heißt Einschließung und beschreibt die reziproke Art und Weise, in der Menschen „im Kommunikationszusammenhang“ aufeinander einwirken und gemeinsame Wege gestalten. Definition: Exklusivität bedeutet Ausschließlichkeit und ist stets mit einem Wahrheits- und Absolutheitsanspruch verbunden, der je nach Kontext auch strategisch eingesetzt werden kann.
Inklusiver Wahrheits- und Absolutheitsanspruch
Exklusiver Wahrheits- und Absolutheitsanspruch
Der inklusive Wahrheits- und Absolutheitsanspruch ist in die Tiefe der eigenen Einstellung oder Überzeugung gerichtet, nicht aber in die Weite. Bei dieser Handlungsform geht es um eine subjektive Erfahrung, die für eine objektive Wahrheit gehalten werden kann, ohne einen Universalitätsanspruch zu erheben und diesen nach außen zu richten, also missionarisch zu werden. Der exklusive Wahrheits- und Absolutheitsanspruch richtet sich ebenfalls in die Tiefe der eigenen Einstellung oder Überzeugung, hält sich für eine objektive Wahrheit, erhebt einen Universalitätsanspruch und ist bestrebt, diesen weltumfassend durchzusetzen. Das Ergebnis sind oft Kreuzzüge, Inquisition oder dergleichen. Diese Einstellungen oder Überzeugungen sind nicht nur religiöser Natur, sie können auch wissenschaftlicher, religiöser und philosophischer, beruflicher sowie soziokultureller oder politischer Art sein. Die Parteien stehen in
4.3. Zur Rolle der Vorurteile
einer solchen Situation miteinander in Konkurrenz, in einem Gesinnungskampf. Der eigentliche Unterschied zwischen diesen Handlungsformen besteht darin, dass der Befürworter eines inklusivistischen Absolutheitsanspruchs seine Einstellung oder Überzeugung zwar für wahr hält, ohne diese aber expansiv durch Gewalt nach außen manifestieren zu wollen, während der Befürworter eines exklusivistischen Absolutheitsanspruchs seine Einstellung oder Überzeugung expansiv, auch unter Anwendung von Gewalt, nach außen manifestieren will, weil er diese verabsolutiert und universalisiert. Dieser liegt praktisch in der Maxime, die eigene Idee, die eigene politische Meinung, die eigene Philosophie oder die eigene Religion für die ausschließliche Wahrheit zu halten. Liegt dieser Tatbestand vor, so wird nicht mehr gesagt: Das ist meine Idee, meine politische Meinung, meine Philosophie oder meine Religion, sondern: das ist die Idee, die politische Meinung, die Philosophie und die Religion. Eine hermeneutische Verfahrensweise, „die auf das Verstehen der Kulturschöpfungen abzielt, zögert vor der Versuchung, alle Arten von Dyaden und Polaritäten auf einen einzigen fundamentalen Typ zu reduzieren“.2 Daraus ergeben sich zwei gegensätzliche Straßen der Verständigung. Das folgende Schaubild zeigt einige wichtige Aspekte davon:
4.3. Zur Rolle der Vorurteile Wie weiter oben erwähnt, sind Vor-Urteile notwendig, weil der Mensch auf dem Weg zum Verstehen sich stets eine Vorstellung davon macht, wie eine Sache zu beurteilen ist. Insofern beschreiben Vor-Urteile eine Haltung, in der man über einen Sachverhalt zunächst alle erreichbaren Informationen zusammenträgt und sich hieraus eine vorläufige Meinung bildet. Aufgrund der Erkenntnis, dass die Informationsbeschaffung auf Vorwissen und früheren Erfahrungen beruht und die zunächst erreichbaren Quellen selektiv oder gar parteiisch sein können, enthält man sich im Idealfall einer positiven oder negativen Bewertung.
Konvergenzen und Differenzen
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4. Strukturelle Probleme interkultureller Kommunikation
Was sind Vorurteile?
Die Tauschfamilien haben nun aufgrund der Ausschreibung der Firma die bestmögliche Gelegenheit, ihre vorläufigen Meinungen, also Vor-Urteile, in der Praxis vor Ort zu überprüfen. Dies verhält sich mit dem Vorurteil ganz anders: Definition: Vorurteile sind negative oder ablehnende Beurteilungen, die einem Menschen, einer Menschengruppe oder einem Sachverhalt gegenüber gepflegt werden.
Funktionen und Gefahren des Vorurteils
Zu diesem Thema gibt es unterschiedliche Theorien. Zu nennen ist der Ansatz von Alexander Thomas, der die Bedeutung sowie Funktion sozialer Stereotype und Vorurteile für die interkulturelle Zusammenarbeit aus unterschiedlichen Perspektiven analysiert und beschreibt. Thomas charakterisiert sechs wesentliche Funktionen des Vorurteils, die dem Urteilenden Halt geben und für ihn damit positiv sind: Orientierungs-, Anpassungs-, Abwehr-, Selbstdarstellungs-, Abgrenzungs- und Identitätsfunktion sowie Steuerungsund Rechtfertigungsfunktion.3 Eher der Verunglimpfung zuzuordnen sind Vorurteile als Stereotype, die eine Eigenschaft oder Verhaltensweise beschreiben, die Personen aufgrund ihrer Zuordnung zu bestimmten Gruppen zugeschrieben wird, um bestimmte Eigenschaften karikierend hervorzuheben und falsch zu verallgemeinern. Das folgende Beispiel von David Livingstone (1813–1873) zeigt die kommunikationsbeherrschende Macht, Rolle und Funktion des Vorurteils:4 Beispiel: Livingstone ging 1840 nach Afrika, um in verschiedenen Stammesgebieten zu wirken. Als er nach einem Aufenthalt bei den Khoikhoin zu den Betschuanen weiterwandern wollte, wiesen ihn die Khoikoin darauf hin, die Betschuanen seien nicht so friedlich wie sie. Darauf entgegnete er: „Ihr kennt die Betschuanen nicht. Aus diesem Grunde fürchtet ihr sie. Ihr müsst eure Nachbarn kennenlernen.“ Livingstone ließ sich von seinem Vorhaben nicht abbringen und wurde von den Betschuanen freundlichst aufgenommen. Als er zu den Zulus weiterwandern wollte, wurde er, diesmal von den Betschuanen, gewarnt, die Zulus wüssten nichts von deren Frieden. Livingstone entgegnete: „Ihr fürchtet die Zulus, weil ihr sie nicht kennt.“
Dieses Beispiel zeigt, inwieweit das einseitige Selbstbild und das falsche „Fremdbild“ die Möglichkeit eines Dialogs im Ansatz gefährdet. Dass Vorurteile auch in kleinen wie in großen Staatsgebilden existieren, ´ folgendermaßen: „Ich hatte eine interessante beschreibt Dubravka UgreÐic Kindheit, umgeben von Slowenen, die geizig waren, […] Mazedoniern, die Paprika fraßen, Bosniern, die dumm waren, Albanern, die nicht zu den Menschen zählten, Muslimen, die sechs Zehen hatten, Italienern, die lebende Katzen fraßen.“ Bei der Auflösung ihres Landes dachte die Autorin solchen Vorurteilen zu entkommen, aber ihre Erwartungen wurden enttäuscht. Auch im vereinten Europa war sie umgeben von „arroganten Franzosen, knickrigen Holländern, Engländern, die nichts verstehen, dreisten Türken, [und] Marokkanern, die stehlen wie die Raben“.5 Dieses Beispiel zeigt, dass Vorurteile überall zu Hause sind. Sie dominieren unser Vorverständnis und damit unser Verhalten.
4.3. Zur Rolle der Vorurteile
Wie folgt lässt sich die Struktur des Vorurteils visualisieren:
Unsere Tauschfamilien werden bei ihren Erkundungen die Möglichkeiten und Grenzen der Inklusivität und Exklusivität sowie Vorurteile kennenlernen und gemeinsam Wege und Umwege gestalten, die gemäß den kontextuellen Umständen und Unterschieden zu einer integrativen Verständigung geeignet sind. Sie werden erfahren, dass diese den Grundvorgang interkultureller Kommunikation strukturell stören oder gar unmöglich machen können: Diese Störungen treten dann auf, 1. wenn von vornherein eine gegenseitige Skepsis den Dialog beherrscht, 2. wenn die Bereitschaft nicht vorhanden ist, selbstkritisch zu reflektieren, oder eine negative Einschätzung der Einstellung des anderen Ansatzes zurückgewiesen wird, 3. wenn Überheblichkeit schon im Vorfeld die Wahrnehmung des Anderen und seiner Denkweise unmöglich macht, 4. wenn Geringschätzung des Anderen kaum zulässt, in ihm etwas Positives zu sehen und von ihm etwas Positives zu lernen, 5. wenn Feindbilder gepflegt und geschürt werden und Gespräche dazu dienen sollen, Voreingenommenheiten und Vorurteile zu bestätigen, 6. wenn die Absicht besteht, den Anderen auf die Anklagebank zu setzen und ihn zu verurteilen, 7. wenn von einer Geographie des Denkens ausgegangen wird, in der das exotisch-schwärmerische Denken dem Anderen zugeschrieben und das eigene Denken für analytisch gehalten wird.
Störungen interkultureller Kommunikation
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4. Strukturelle Probleme interkultureller Kommunikation
Konfigurationstheorie von Senghaas
Interkulturelles Lernen
Diese sind einige Schwierigkeiten, die ohne eine grundsätzliche Veränderung in den Überzeugungen und Einstellungen der Kommunikationsteilnehmer nicht minimiert oder beseitigt werden können. Im Wissen um solche Vorurteile ist es bei unseren Tauschfamilien auch hier von Nutzen, sich von Beginn an zu vergegenwärtigen, von welchen Vor-Urteilen sie im Hinblick auf das Gastland beeinflusst sind, und diese einer besonders aufmerksamen Prüfung zu unterziehen. In diesem familiären Rahmen springt die Bedeutung der Konfigurationstheorie erneut ins Auge. Auch hier wird deutlich, dass erstens intrakulturelle Divergenzen, etwa Konflikte zwischen einem Elternteil und seinem Kind, die beide gleicher Nationalität sind, bisweilen schwerer wiegen können und manchmal faktisch größer sind als Unterschiede, die man in interkulturellen Kontexten anzunehmen vermag. Weiterhin kann man feststellen, dass wir nicht alles auf intrakulturelle oder interkulturelle Divergenzen und Konvergenzen reduzieren können und dass die Individualität der Person, also die Personalität, jenseits kultureller Zugehörigkeiten stets zu beachten ist. Die Vorstellung, dass nur Unterschiede Konflikte herbeiführen können, ist unzutreffend, weil Ähnlichkeiten ebenfalls konfliktträchtig sind. Die Tauschfamilien entwickeln durch diese interkulturellen Gegebenheiten eine Reihe von Fähigkeiten und Fertigkeiten, die nahelegen, das eigene Regelsystem nicht für selbstverständlich zu halten. Dieser Prozess des interkulturellen Lernens befähigt, andere Perspektiven auf dem Weg zu einer interkulturellen Kommunikation durch Empathie einzunehmen. Kulturelle Bildung und interkulturelle Bildung bedingen sich gegenseitig. Das folgende Schaubild visualisiert diesen Weg:
Die Abbildung zeigt, die Verschränkung kultureller und interkultureller Bildung im Zusammenspiel mit den Korrelatbegriffen, die das interkulturelle Lernen erst möglich machen. Dies setzt freilich, auf dem Weg zur interkulturellen Kommunikation und Verständigung, ein dialogisches Denken und Handeln voraus.
4.4. Zur ablehnenden Anerkennung
4.4. Zur ablehnenden Anerkennung Anerkennung gehört zu den zentralen Zielen interkultureller Kommunikation, weil jeder die Akzeptanz seiner Haltung anstrebt. Was ist das aber, die Anerkennung?
Was bedeutet Anerkennung?
Definition: Anerkennung bedeutet dem Andersdenkenden die Möglichkeit einzuräumen, sich seine Lebensform, Überzeugung oder Einstellung selbst zu gestalten und sich demnach an gesellschaftlichen Prozessen zu beteiligen.
Anerkennung beschreibt das Recht auf Differenz und hat mit der aktiven Akzeptanz dessen zu tun, was jenseits eigener Haltung liegt. Sie bedeutet nicht die Preisgabe eigener Auffassung, die Aufhebung von Unterschieden oder die Assimilierung in eine Gemeinsamkeit, sondern vielmehr die Anerkennung von Andersheit. Auch die „Gleichheit vor dem Recht“ ist keine Reduktion des Anderen auf überlappende Gemeinsamkeiten, sondern auch sie schließt das Recht auf Andersheit ein. Solidarität steht in diesem Sinn im Zentrum der Anerkennung. Man spricht in diesem Zusammenhang von emotionaler, beruflicher, sozialer, politischer oder wirtschaftlicher Solidarität, die theoretischer und/oder praktischer Art sein kann. Während sich theoretische Solidarität auf ein bloßes Mitgefühl beschränkt, bedeutet praktische Solidarität aktive Anteilnahme und Mitgestaltung auf dem Weg immer engerer Kommunikation und Verständigung. Hier stellt sich die Frage, wann eine Forderung nach Anerkennung gerechtfertigt und wann sie nicht gerechtfertigt ist.6 Es ist für die Toleranzfrage eine wichtige Überlegung, warum Goethe in seinen „Maximen und Reflexionen“ zu dem Ergebnis kommt, Toleranz sei eine Beleidigung, die zur Anerkennung geführt werden müsse: „Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein; sie muß zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.“7 Goethe hat hier offensichtlich die Umgangsformen des aufgeklärt-absolutistischen Staates Friedrichs des Großen vor Augen, in dem zwar „jeder nach seiner Fasson“ selig werden durfte, zugleich aber ein Teil der Gesellschaft, nämlich die Juden, Toleranzgelder für ihre Integration in die Gesellschaft bezahlen mussten. Davon war unabhängig, dass die Juden zu jener Zeit wie Bettler zu keinem Stand gehörten, es sei denn, sie waren Wissenschaftler oder vermögende Kaufleute. Wie Goethe eindrucksvoll zum Ausdruck bringt, standen die Juden deshalb dem Begriff der Toleranz ablehnend gegenüber und forderten stattdessen Gleichberechtigung und ihre Rechte. Die Forderung Goethes nach der Überführung von Toleranz in Anerkennung ist zwar richtig, aber würde dies zu einer friedlichen Koexistenz führen? Um „Anerkennung“ für die Praxis tauglich zu gestalten und zur Besserung gesellschaftlicher Missverhältnisse muss diese Anerkennung eine ablehnende sein. Definition: Ablehnende Anerkennung heißt, den anderen als Person und als Teil der Gesellschaft unter Bewahrung seiner Würde anzuerkennen, ohne damit die Pflicht zu verbinden, seine Einstellungen und Überzeugungen mit einzuschließen.
Toleranz muss zur Anerkennung führen
Ablehnende Anerkennung
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4. Strukturelle Probleme interkultureller Kommunikation
Gefahren bedingungsloser Anerkennung
Zusammenfassung
Im Gespräch und Austausch der Inhalte und Begründungen lässt sich herausstellen, ob Einstellungen und Überzeugungen miteinander korrelieren können. Multi- oder transkulturelle Anerkennungsformen als bedingungslose Pflicht des Anderen in seiner Andersheit werden jedes konstruktive Gespräch im Vorfeld unmöglich machen, weil diese eine solidarische Haltung in Theorie und Praxis voraussetzen. Ablehnende Anerkennung ist kein Alibi des Relativismus, sondern sie ist darauf ausgerichtet, die Diskursteilnehmer bei der Wahrheitssuche zu unterstützen. Im Fall von Metin Kaplan, der sich ohne Berücksichtigung des Rechtes der anderen kategorisch zum „Kalifen von Köln“ ernannte, zeigt sich, dass eine bedingungslose Anerkennung den zivilgesellschaftlichen Ordnungen nicht förderlich ist. Um eine reibungslose Kommunikation gestalten und führen zu können, ist eine ablehnende Form der Anerkennung erforderlich. Dies bedeutet für unsere Tauschfamilien, dass sie zunächst gegenseitig anerkennen müssen, inwiefern sie verschieden sind. Die reziproke „Anerkennung der wechselseitigen Unverfügbarkeit ist das normative Prinzip, das für den rationalen Interkulturalitätsdiskurs bestimmend ist“8, und darf nicht als Leugnung von Divergenzen betrachtet werden. Das Selbstverständnis des Anderen wird hier nicht durch das eigene Verständnis vom Anderen ersetzt. Dabei gilt die Bewahrung der eigenen Identität und Wertschätzung anderer Identitäten als eine wichtige Voraussetzung für eine argumentative Kommunikation, ob interreligiös oder interkulturell.9 Anerkennung wird hier in Betrachtung der Beziehung zum Anderen gebraucht. Die Akzeptanz dieser Relation ist der erste Schritt zu einer interkulturellen Kommunikation. Dazu gehört zentral die Wahrnehmung und Pflege der Unterschiede zwischen dem und innerhalb des Eigenen und Anderen sowie in Kontexten, in denen sie sich bewegen, ohne Gemeinsamkeiten zu vernachlässigen. Kommunikation ist ein integraler Bestandteil der menschlichen Kultur. Sie scheitert selten auf der Sachebene, sondern vorwiegend auf der Beziehungsebene. Jenseits der Fiktionen eines totalen Konsenses und völligen Dissenses speist sich das Zusammenleben der Kulturen aus den Quellen der Kommunikationsfähigkeit, der Verständnisbereitschaft und der Kompromisssuche. Interkulturelle Kommunikation zeichnet sich dadurch aus, dass jeder darum bemüht ist, die Gedanken des Anderen zu denken und dabei zu beobachten, wie das eigene Denken hierdurch beeinflusst wird. Dadurch entsteht eine kommunikative Wahrnehmung eines mitmenschlichen Ichs. Der Wahrgenommene erlebt dabei aber auch mit, wie er wahrgenommen wird, nimmt die ihm geltende Wahrnehmung seinerseits wahr.
Übungsaufgaben: 1. Was heißt Kommunikation und was bedeutet interkulturelle Kommunikation? Belegen Sie Ihre Antworten mit jeweils einem Beispiel. 2. Formulieren Sie Ziele und Aufgaben interkultureller Kommunikation. 3. Wo liegt der Unterschied zwischen dem Vorurteil und dem Vor-Urteil? Führen Sie Beispiele aus eigener Erfahrung an.
4.4. Zur ablehnenden Anerkennung
4. Warum sucht interkulturelle Kommunikation eine symmetrische Gesprächsführung? 5. Diskutieren Sie Störungen und Bedingungen interkultureller Kommunikation. 6. Diskutieren Sie das Beispiel von Livingstone und belegen Sie dies mit Beispielen aus familiären oder nachbarschaftlichen Verhältnissen! 7. Welche Formen des Wahrheits- und Absolutheitsanspruchs gibt es und welche Rolle spielen diese im Rahmen einer interkulturellen Kommunikation? Führen Sie Beispiele aus eigener Erfahrung an. 8. Analysieren Sie Phasen interkulturellen Lernens. 9. Wie würden Sie eine interkulturelle Kommunikation gestalten? Führen Sie ein Beispiel an, das Ihre These begründet. 10. Was heißt Anerkennung und welche Rolle spielt sie im Kontext interkultureller Kommunikation? 11. Diskutieren Sie, warum Goethe Toleranz für beleidigend hält und für Anerkennung plädiert. 12. Diskutieren Sie Inhalt, Begründung und Tauglichkeit der Strukturen ablehnender Anerkennung. 13. Analysieren Sie, ob und inwieweit eine ablehnende Anerkennung für den Dialog förderlich ist oder nicht. Setzen Sie sie mit eigenen Erfahrungen in Bezug.
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5. Interkulturalität – Multikulturalität – Transkulturalität: ein Vergleich
Zugänge zur Interkulturalität
Wir haben herausgearbeitet, dass Interkulturalität als eine wissenschaftliche Disziplin mit diversen Funktionen und Aufgaben einhergeht, die für die theoretische und praktische Gestaltung interkultureller Kommunikation von außerordentlicher Bedeutung sind. Im Folgenden werden einige Zugangsweisen zur Interkulturalität dargestellt. Zunächst erfolgt ein kurzer Abriss über die unterschiedlichen Zugänge zur Interkulturalität selbst. Anschließend geht es um die Beantwortung der Frage, ob und inwieweit diese Disziplin den Grundsätzen der Multi- und Transkulturalität entspricht. Es handelt sich um Begriffe, die seit den 1980er-Jahren verstärkt diskutiert werden. Einige sprechen in diesem Zusammenhang sogar von einem inflationären Gebrauch dieser Ausdrücke1, wobei diese auf unterschiedlichen Wegen Dimensionen des menschlichen Lebens thematisieren, um bessere Bedingungen für die Beseitigung der Störungen von Begegnungen innerhalb und zwischen kulturellen Kontexten zu schaffen. Unsere Tauschfamilien werden in der Praxis die Vor- und Nachteile dieser Ansätze selbst erfahren und der Situation nach entscheiden, welche für ihre reziproke Integration in unterschiedlichen Gesellschaften auf beruflicher, sozialer, politischer, religiöser sowie familiärer Ebene eine kommunikative Grundlage bieten. Auf die Fülle der Literatur um diesen Themenkomplex kann kaum angemessen eingegangen werden. Deshalb beschränken wir uns hier auf einige markante Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowie Schnittmengen.
5.1. Zugänge zur Interkulturalität Die Kontroverse um die Interkulturalität lässt sich in mindestens vier Richtungen unterteilen:
1. Zurückweisung der Interkulturalität. 2. Übernahme der Interkulturalität. 3. Vereinnahmung der Interkulturalität. 4. Reflektierter Umgang mit der Interkulturalität.
Zurückweisung
Einige Forscher weisen die Interkulturalität mit der Begründung zurück, diese betrachte Kulturen wie geschlossene Einheiten. Sie sind der Ansicht, dass der zugrunde gelegte Kulturbegriff totalitätsorientiert ist, der jede Mischung als Verlust eigener Identität ablehnt. Zu den prominenten Gegnern der Interkulturalität gehört Wolfgang Welsch, der von einer uferlosen Verbindung der Kulturen ausgeht.2
5.1. Zugänge zur Interkulturalität
Fazit: Die Widersacher der Interkulturalität gehen davon aus, diese gebrauche einen kugelhaften, totalitätsorientierten Kulturbegriff, nach dem Kulturen als eigenständige Universen verstanden und ohne Bezug nebeneinanderstehen würden.
Diese Zurückweisung der Interkulturalität beruht darauf, dass ihr ein geschlossener Kulturbegriff unterstellt wird. Sie geht deshalb von einseitigen Voraussetzungen aus. Diejenigen, die Interkulturalität bedingungslos übernehmen, gehen von einer theoretischen und praktischen Anerkennung der jeweils Anderen aus, die alles erlaubt und jede Denk- und Verhaltensform akzeptiert. Diese Praxis der Interkulturalität läuft auf eine besondere Art von Monokulturalität hinaus, eine idiosynkratische Praxis, die je nach Geschmack und momentanem Bedürfnis kulturelle Angebote wahrnimmt, ohne über deren Ursprünge zu reflektieren.3 Eine solche Haltung birgt alle Gefahren einer kultureklektischen Haltung, die über keine angemessene Festigkeit verfügt und damit eine gewisse Standpunktlosigkeit praktiziert. Ein Beispiel für diese Haltung ist die Idee des Theologen Paul Knitters, der eine temporäre Konvertierung in andere Glaubenssysteme vorschlägt.4 Dass solche Konzepte Relativismus und Beliebigkeit fördern und zu Identitätsverlust und kultureller Heimatlosigkeit führen können, dürfte einsichtig sein.
Übernahme
Fazit: Die indifferenten Befürworter der Interkulturalität gehen davon aus, es sei förderlich, wenn Menschen unmittelbar von einer Überzeugung und Einstellung zur nächsten übergehen, um dem Anderen gegenüber Offenheit zu demonstrieren.
Die Vertreter der vereinnahmenden Interkulturalität verankern diese und ihre Begründung ausschließlich in einer bestimmten Tradition, meist einer solchen europäischer Prägung. Sie praktizieren damit faktisch einen Ausschluss weiterer interkultureller Konzepte. Das tertium comparationis wird hierbei auch in einer einzigen Tradition verankert. Iris Därmann hält bspw. Husserl, der bekanntlich von der Idee der Welteuropäisierung ausgeht, für den eigentlichen Stifter der Interkulturalität.5 Weiter oben haben wir gezeigt, mit welchen Problemen ein solches Weltbild in der Kommunikation verbunden ist.
Vereinnahmung
Fazit: Die Vertreter der vereinnahmenden Interkulturalität binden diesen Begriff ausschließlich an eine bestimmte Tradition, aus der heraus das Eigene und das Andere sowie ihr Verhältnis zueinander definiert wird.
Die vierte Variante umfasst Forscher, die eine reflektierte Umgangsweise mit der Interkulturalität anstreben. Zu den Hauptvertretern dieser Richtung gehören Heinz Kimmerle, Ram Adhar Mall, Franz Martin Wimmer und Raúl Fornet-Betancourt, die sich mit einer Teildisziplin der Interkulturalität, nämlich der interkulturellen Philosophie, beschäftigen und dazu grundlegende Theorien entwickelt haben.6
Reflektierter Umgang
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5. Inter-, Multi- und Transkulturalität: ein Vergleich
Spezielle Themenbereiche Interkulturelle Germanistik
Interkulturelle Kommunikation
Die genannten Philosophen sind der Ansicht, dass heute im „Weltalter der Globalisierungen“ keine bestimmte Geistesgeschichte als eigentliche Geistesgeschichte der Menschheit reklamiert werden kann7, ob okzidentalisch, orientalisch, asiatisch, lateinamerikanisch oder afrikanisch. Selbst diese Adjektive umfassen unterschiedliche Traditionen. Der Begriff der „Geistesgeschichte“ ist stets im Plural zu gebrauchen, deren Anspruch sich im Zusammenspiel unterschiedlicher Geschichten erschließt. Zu erwähnen sind auch eine Reihe anderer Ansätze, die sich mit unterschiedlichen Themenbereichen der Interkulturalität befassen, auf die hier kurz eingegangen wird. Alois Wierlacher hat mit seinem Konzept der „Interkulturellen Germanistik“ für die Etablierung interkultureller Ausrichtungen wichtige Beiträge geleistet. Zu erwähnen ist sein „Handbuch der Germanistik“, in dem er den Ausdruck „Interkulturelle Germanistik“ als „Dach- und Fachbegriff“ und „eine interdisziplinäre germanistische Fremdkulturwissenschaft“ bezeichnet, „die in Forschung, Lehre und Organisation von Kultur(en)gebundenheit germanistischer Arbeit ausgeht“.8 Von Bedeutung ist auch das zweibändige „Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kooperation“, das von Alexander Thomas und anderen herausgegeben worden ist. In einer Reihe von Beiträgen befassen sich die Autoren mit theoretischen Grundlagen interkultureller Kommunikation und Kooperation sowie mit Praxisfeldern, Kulturunterschieden und interkulturellen Tätigkeitsfeldern. Das Werk vermittelt theoretisches und methodisches Wissen und stellt Hilfsmittel zur eigenständigen Problemanalyse und Problembearbeitung bereit.9 Ferner lehren einige kulturwissenschaftliche Institute und Technische Fachhochschulen sowie private Einrichtungen in München, Hamburg, Hildesheim, Passau oder in Wildau Theorien und Praxisformen interkultureller Kommunikation. Olga Rösch veröffentlicht bspw. eine wissenschaftliche Reihe über Forschungsfragen zur interkulturellen Kommunikation. Häufig geht es darum, zu zeigen, wie und unter welchen Voraussetzungen interkulturelle Geschäftsbeziehungen funktionieren.10 Csaba Földes und Gerd Antos stellen in einem Sammelband zahlreiche Forschungskontexte bzw. -konzepte zu Inhalten und paradigmatischen Fragestellungen einer interkulturellen Betrachtungsweise aus der Perspektive der Sprach- und Literaturwissenschaft sowie der Didaktik zusammen.11
Fazit: Die Vertreter eines reflektierten Umgangs mit der Interkulturalität widmen sich der Aufgabe, Interkulturalität und ihre Konsequenzen entschieden auf eine Sachebene zu heben und ihren Sinn und Zweck für interkulturelle Philosophie, interkulturelle Germanistik und interkulturelle Kommunikation umfassend und systematisch zu analysieren.
An dieser Stelle wird auf die Nennung weiterer Wissenschaftler, die auf dem Gebiet der reflektierten Erforschung der Interkulturalität arbeiten, verzichtet.
5.2. Zugänge zur Multikulturalität
Übungsaufgaben: 1. Diskutieren Sie die Kontroversen um die Interkulturalität. Bringen Sie für alle vier Varianten jeweils ein Beispiel. 2. Besprechen Sie Vor- und Nachteile von Knitters Vorschlag. 3. Schlagen Sie den Tauschfamilien eine dieser vier Theorien vor und begründen Sie Ihren Vorschlag. 4. Welche dieser Theorien erleben Sie in Ihrem sozialen Umfeld oder in Begegnung mit Andersdenkenden außerhalb Ihres sozialen Umfeldes? Beschreiben Sie Ihre Erfahrung und belegen Sie sie mit einem Beispiel. 5. Nennen und beschreiben Sie Ziele und Aufgaben weiterer interkultureller Einrichtungen in Deutschland. 6. Im Rahmen welcher Theorie lässt sich eine reibungslosere und vor allem echte interkulturelle Kommunikation theoretisch gestalten und praktisch führen? Begründen Sie Ihre Auffassung.
5.2. Zugänge zur Multikulturalität Eine Folge der „Globalisierungen“ besteht darin, dass die meisten Gesellschaften heute multikulturelle Gesellschaften in dem Sinn darstellen, dass in ihnen Gruppen unterschiedlicher ethnischer, kultureller, religiöser und nationaler Herkunft leben. Multikulturelle Gesellschaft ist somit eine Gesellschaftsform, in der Menschen unterschiedlicher Herkunft, samt ihrer Religionen und Sprachen, zusammenleben. Die Beantwortung der Frage, was Multikulturalität bzw. Multikulturalismus in Geschichte und Gegenwart ist oder nicht ist, wird hier nicht diskutiert, sondern was konkret unter diesem Ausdruck verstanden werden kann:
Was bedeutet Multikulturalität?
Definition: Multikulturalität artikuliert Schutz und Anerkennung kultureller Unterschiede in einer multikulturellen Gesellschaft, die aus vielen ethnischen und kulturellen Gruppen besteht, die nebeneinander existieren.
Der Ausdruck „Multikulturalität“ steht für eine Reihe von Theorien mit unterschiedlichen Handlungsimplikationen. Hier seien sechs verschiedene Auffassungen von Multikulturalismus kurz erläutert:12 1. „Tolerant-pluralistischer Multikulturalismus“ hält jede Form von Kulturmischung, im Gegensatz zur Kulturtheorie Herders, für eine Bereicherung der eigenen Kultur. 2. Multikulturalismus als Chance zur Demokratisierung ist darauf ausgerichtet, die Ausländerpolitik durch Minderheitenpolitik zu ersetzen und auf politischer Ebene einen realistischen Umgang mit Einwanderern zu ermöglichen, um von der Kunstfigur des „Ausländers“ und sozialer Ungleichheit Abschied nehmen zu können. Auf kultureller Ebene wird eine autonome Entfaltungsmöglichkeit eingewanderter Minderheiten vorgeschlagen. 3. „Radikal-universalistischer Multikulturalismus“ verteidigt das universalistische Projekt der Aufklärung und ist darauf ausgerichtet, die Integrationsfragen nach den Maßstäben der europäischen Aufklärung zu diskutieren. Die Debatte um den Euroislam fußt auf einem solchen Ansatz.
Formen der Multikulturalität
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5. Inter-, Multi- und Transkulturalität: ein Vergleich
Inkonvenienzen der Multikulturalität Defizithypothese von Bernstein
Differenzhypothese von Labov
4. „Lebenspraktischer Multikulturalismus“ untersucht das Alltagsleben. Praktische Multikulturalität bedeutet hier, individuelle Lebensstile zu entfalten, Biographien zu entwerfen und diese immer wieder neu durch Transformationsprozesse zu verbinden. Der Alltag wird als ein Ort definiert, an dem verschiedene Traditionen oder Kulturen von Fall zu Fall neu verschmolzen werden. Multikulturalität wird in diesem Kontext als eine Dimension des Zusammenlebens verstanden, die für die einzelnen Gesellschaftsmitglieder im Alltag zunehmend belanglos wird, d.h., dass primär egalitär organisierte Strukturen gefördert werden, die die Bedingungen zur persönlichen und kulturellen Entfaltung einzelner Gesellschaftsmitglieder erleichtern. 5. Eine „poststrukturalistische Position von Multikulturalismus“ setzt beim Anderen an und betont die kommunikative Inkommensurabilität des Anderen, der stets der Andere bleibt und der sich nicht ins Eigene verwandeln lässt. Nach diesem Ansatz finden Ost und West nie zusammen, weil sie als artverschieden und als unterschiedliche Universen betrachtet werden. 6. „Multikulturalismus als Bedrohung“ geht von einem ethnisch-homogenen Nationenkonzept aus und hält jegliche Mischung für eine Bedrohung, weil die Idee der Homogenität des Volkes im Vordergrund steht. Dieser Ansatz tendiert zum Rassismus. Ein zentrales Problem fast aller genannten Auffassungen besteht darin, dass der Kulturbegriff ins Politische übersetzt und dabei unter den vorgegebenen Bedingungen ethnisch definiert wird. Die „Defizithypothese“ von Basil Bernstein (1924–2000) macht dies deutlich. Für ihn war der Sprachgebrauch der sozialen Unterschicht defizitär. Zu dieser Bevölkerungsgruppe zählten seinerzeit die Gastarbeiter mitsamt ihren Familien. Auf politischer Ebene wurde beschlossen, eine kompensatorische Ausländerpolitik zu betreiben, um die sprachliche und kulturelle Einbindung von Minderheiten in die deutsche Mehrheitsgesellschaft anzustreben.13 Solche Integrationskonzepte betrachteten Fremdheit als ein Defizit gegenüber der Zielkultur, das durch gezielten Unterricht überwunden werden sollte. Diesem Konzept stand die Forderung dieser Minderheiten nach bikultureller und bilinguistischer Erziehung gegenüber. Mit der „Differenzhypothese“ von William Labov aus den 1970er-Jahren, die der Debatte um die Multikulturalität zuzuordnen ist, wird der Sprachgebrauch dieser Schichten hingegen positiv bewertet. Gemäß Labovs Hypothese sind alle Sprachgebrauchsformen, die unterschiedliche soziale Gruppen verwenden, in ihrem Verwendungsfeld funktional, ohne Rücksicht auf ihr stilistisches Niveau. Dies gilt für die Breite und Differenziertheit der Ausdrucksmöglichkeit sowie die Erfassung logischer Zusammenhänge. Eine Bestätigung hierfür ist bspw. die „Kanak Sprak“ Feridun Zaimoglus14, die Sprache der türkischen Einwanderer. Da dieser Slang mittlerweile in die deutsche Sprache Eingang gefunden hat, scheint das Verständnis von Kulturen als Monaden illusorisch. Für Labov, der Bernsteins Defizithypothese in Abrede stellt, ist die Sprache der sozialen Unterschicht zwar unterschiedlich vom Sprachgebrauch der Mittel- und Oberschicht, in ihrem Bezugssystem jedoch ebenso funktional.15 Labovs Ansatz entspricht eher den kommunikativen Anforderungen interkultureller Begegnungen, während Bernstein zu einer gewissen Essentialisierung der Sprache tendiert.
5.3. Zugänge zur Transkulturalität
Charles Taylor, ein philosophischer Theoretiker der Multikulturalität, thematisiert die Gleichbehandlung der Individuen bei Achtung kultureller und ethnischer Identitäten und beschreibt die Idee der multikulturellen Gesellschaft in einem ideengeschichtlichen und politisch-praktischen Zusammenhang im Kontext einer europäisch-westlichen, speziell der kanadischen Gesellschaft. Dabei analysiert er den Wertewandel, die Selbstbehauptungswünsche von Minderheiten sowie rechtliche Widersprüche in den Autonomiebestrebungen von Volksgruppen.16 Ein Kritiker der Multikulturalität hingegen ist Homi K. Bhabha, der in seiner Theorie der „kulturellen Differenz“ diesen Ansatz, den er als Grundlage der neoliberalen Identitätspolitik betrachtet, grundsätzlich zurückweist. Liberale Multikulturalität geht Bhabha zufolge auf politischer Ebene von einer Festschreibung von Identitäten, auf theoretischer Ebene von einer illusorischen Simultanität aus. In der Hybridität sieht er eine prozesshafte Neukonstruktion von Identitäten.17 Ronnie Peplow kritisiert, das Konzept der Multikulturalität neige vorwiegend zur Homogenisierung. Dies sei problematisch, weil sie zur Reduktion von Verschiedenheiten und der willkürlichen Bestimmung von Minoritätsrecht und Handlungspraxis des Anderen führe und weil in ihr der Versuch vorherrsche, die Menschen auf eine bestimmte kulturelle Identität zu fixieren.18 Da mit dem Ansatz der Multikulturalität die Idee einer Leitkultur verbunden ist, kritisiert Andreas Ackermann die Idee einer „ethnisch-kulturellen Homogenität“, die einer solchen Leitkultur zugrunde liegt. Diese gehe von der „Reinheit“ und „Unvermischtheit“ aus, bei der jede Vermischung als „Verunreinigung“ gilt.19 Wir können nicht in eine Kultur, die ihre eigene Kulturvorstellung gewissermaßen als „Hardware“ pflegt, universalisieren und hoffen, dass mit ihr die Vielfalt der „Software“ anderer Kulturen funktionieren wird. Eine derartige Konzeption müsse zwingend von einem Kulturzentrum als Spitze der Zivilisation und einer Kulturperipherie ausgehen. Übungsaufgaben: 1. Klären Sie, was Multikulturalität ist und diskutieren Sie einige ihrer Dimensionen. Belegen Sie diese mit jeweils einem Beispiel. 2. Arbeiten Sie ihre Vor- und Nachteile heraus. 3. Warum kritisiert Bhabha diesen Ansatz? Diskutieren Sie seine Gründe und führen Sie Beispiele aus eigener Erfahrung an. 4. Erläutern Sie eine These, die von einer Leitkultur ausgeht, diskutieren Sie diese und setzten Sie diese mit der Frage nach der Integration kritisch in Beziehung. 5. Im Rahmen von welcher der sechs vorgestellten Theorien lässt sich eine echte interkulturelle Kommunikation theoretisch gestalten und praktisch führen? Begründen Sie Ihre These.
5.3. Zugänge zur Transkulturalität Der Begriff der „Transkulturalität“ wird ebenfalls im Rahmen der Globalisierungen als ein Schlüsselbegriff diskutiert. Zur Klärung dieser Theorie beginnen wir mit einer Arbeitsdefinition:
Theorie der Multikulturalität von Taylor
Kritik der Multikulturalität von Bhabha
Kritik der Leitkultur
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5. Inter-, Multi- und Transkulturalität: ein Vergleich Was bedeutet Transkulturalität?
Theorie der Transkulturalität von Welsch
Welschs Kritik an Multi- und Interkulturalität
Welschs Theorie in der Kritik
Definition: Transkulturalität ist ein Ansatz, der eine gemeinsame Kultur jenseits bestehender kultureller Eigenheiten annimmt. Die Kombination von Elementen verschiedener Herkunft kann so ein Individuum transkulturell erscheinen lassen.
Es gibt eine Reihe von Theorien, die dieses Phänomen aus unterschiedlichen Perspektiven heraus betrachten, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann. Wir beschränken uns auf den Ansatz von Wolfgang Welsch, einem Hauptvertreter der Transkulturalität. Die Entstehung einer transkulturellen Idee, auf die Welsch zurückgreift, hat eine eigentümliche Vorgeschichte. In Europa wurde der Begriff zur Bezeichnung von Zusammenhängen eingesetzt, in denen Bevölkerungen in föderierten Staaten wie Katalonien, Flandern oder Wallonien ihre Autonomie erstreiten wollten.20 Welsch differenziert den Kulturbegriff in einen „partikularistischen“ und einen „hybridisierten“ Begriff und geht davon aus, dass im Konzept der Transkulturalität die Komplexität von partikularisierter Kultur und die zahlreichen hybriden Übergänge, Binnendifferenzierungen und kulturellen Vernetzungen angemessen reflektiert werden. Allein so werde der „geschichtlich veränderten Verfassung heutiger Kulturen Rechnung“21 getragen und ein Denken von Kulturen als „separaten Einheiten“ überwunden.22 Multikulturalismus und Interkulturalität sieht Welsch davon geprägt, dass dort eine Vorstellung von Kulturen als separaten Entitäten und deren Nebeneinander bzw. dialogischem Miteinander zugrunde liegt.23 Beide schleppten noch die Prämisse einer „insel- oder kugelartigen Verfassung“ der Kulturen mit sich. Welsch vergleicht dies mit Herders Kulturbegriff, der, wie weiter oben behandelt, jede Mischung von Kulturen als Verlust an „Eindrang, Tiefe und Bestimmtheit“24 bezeichnet. Welschs Kritik an dem Ansatz der Interkulturalität umfasst zwei Stufen: Auf der Primärebene gehe diese von wohl abgegrenzten und sehr verschiedenen Kulturen aus; auf der Sekundärebene frage sie dann, wie diese Kulturen sich miteinander vertragen, wie sie einander ergänzen, wie sie miteinander kommunizieren, einander verstehen oder anerkennen können. Insofern reichten diese Kategorien allein nicht mehr aus, um die kulturelle Verfasstheit Einzelner wie ganzer Gesellschaften zu erfassen. Um der Gegenwart und Zukunft der Kulturen Rechnung zu tragen, müssten Inter- und Multikulturalität nach Welsch durch das Konzept der Transkulturalität ersetzt werden. Ralf Elm bemerkt zur Transkulturalität, dass dieser Ansatz „nicht die kulturellen Tiefenstrukturen und Grundorientierungen zu erfassen vermag“.25 Solche Ansätze lassen sich von den oftmals technologisch initiierten Oberflächendurchdringungen bzw. von den exzeptionellen Erscheinungen des Künstlerischen leiten. Bernhard Waldenfels weist darauf hin, dass sich die „Kluft zwischen Eigenwelt und Fremdwelt zwischen Eigenkultur und Fremdkultur […] nicht schließen“ lasse, „und doch wird immer wieder der Versuch gemacht, sie auf diese oder jene Weise zum Verschwinden zu bringen“. Für ihn bedeutet „Interkulturalität mehr als Multikulturalität im Sinn einer kulturellen Vielfalt, mehr auch als Transkulturalität im Sinn einer Überschreitung bestimmter
5.3. Zugänge zur Transkulturalität
Kulturen“.26 An anderer Stelle vertritt er die Ansicht, dass es „keinen Ort jenseits der Kulturen“ gebe, „den man als transkulturell bezeichnen könnte“.27 Zudem weist Raúl Fornet-Betancourt den Vorwurf der Monadenhaftigkeit der Interkulturalität zurück28, während Franz Martin Wimmer das Adjektiv „transkulturell“ als ein Synonym für den Ausdruck „überlappend“ hält29 und Christoph Antweiler diesen Ansatz als „arg idealistisch“ bezeichnet, der nicht „zur Beschreibung realer interkultureller Umgangsmuster“30 geeignet sei. Die Struktur der Transkulturalität ist wie jene der Multikulturalität ambivalent, geht im Vergleich zu diesem Ansatz aber noch radikaler von einem Ideal der Homogenisierung aus. Indem dieser Ansatz eine radikale Vermischung der „Kulturen“ voraussetzt, unterstellt er zugleich die Aufhebung kultureller Grenzen innerhalb einer Gesellschaft, die nun transkulturell geworden ist. Was hier übersehen wird, sind die unaufhebbaren Differenzen. Dies gilt nicht nur für interindividuelle Begegnungen insgesamt, sondern auch für Begegnungen zwischen Menschen, die aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten zueinander gefunden haben. Es ist zwar möglich, Differenzen durch konstruierte Idealsituationen auszublenden, gewissermaßen Evidenz unter den Teppich zu kehren, die in realen Begegnungen unübersehbar sind. Haben etwa Juden in Europa oder Inder, die seit mehr als hundert Jahren in Kanada ihre „Heimat“ gefunden haben, ihre Traditionen aufgegeben? Sind Türken, die vor etwa 50 Jahren die Bundesrepublik mit aufgebaut haben und heute ein „Teil“ dieser Gesellschaft geworden sind, transkulturell? Hier liegt der eigentliche Unterschied zwischen dem trans- und dem multikulturellen Ansatz zur Interkulturalität als wissenschaftlichen Lehrdisziplin. Sie sucht weder eine Homogenisierung oder Assimilation noch eine Zwangsintegration. Es geht ihr im Wesentlichen darum, die Verhältnisse interkulturell neu zu durchdenken und eine Antwort durch die Korrelatbegriffe interkultureller Kommunikation auf die unaufhebbaren Differenzen in der Pluralität der Einstellungen und Überzeugungen zu formulieren. Übungsaufgaben: 1. Was bedeutet Transkulturalität? Verdeutliche Sie Ihre Definition mit einem Beispiel. 2. Arbeiten Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Multi- und Transkulturalität heraus und vergleichen Sie diese mit der Interkulturalität. Belegen Sie die Begründung mit drei Beispielen aus eigener Erfahrung. 3. Diskutieren Sie Welschs Position und erläutern Sie seine Begründung. 4. Analysieren Sie die dargestellten Meinungen zu diesem Ansatz. 5. Wir haben drei Möglichkeiten zur Auswahl: Inter-, Trans- und Multikulturalität. Welcher Ansatz bietet die beste Grundlage für die Gestaltung interkultureller Kommunikation? Wie begründen Sie Ihre Entscheidung? 6. Formulieren Sie für die Tauschfamilien einen Vorschlag und begründen Sie die Entscheidung. Betrachten Sie dabei die Tauschfamilien als Ihre eigenen.
Vergleich von Trans- und Interkulturalität
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6. Machtproblematik und kulturelle Konflikte Wenn wir die bisherigen Erkenntnisse Revue passieren lassen, so wird ersichtlich, dass Macht einen bedeutenden Einfluss auf die Theorie und Praxis der Kommunikation hat. Macht und Gewalt sind, anders ausgedrückt, zwei wesentliche Faktoren, die viele zwischenmenschliche Kommunikationsformen beeinflussen oder verhindern können. Dies zeigt sich besonders dort, wo Interesse und Einfluss im Spiel sind, wo unterschiedliche Konzepte und Sichtweisen aufeinandertreffen oder diverse Achsen konstruiert werden. Unsere Tauschfamilien werden erstaunt sein über die mediale Macht und die damit einhergehende Berichterstattung über ihr jeweils eigenes Land im Ausland. Viele Einseitigkeiten werden ihnen bewusster, die in ihrem Land für selbstverständlich gehalten werden. Während die Iraner in Deutschland sich sicher darüber ärgern, dass ihr Land hier vorwiegend negativ und als von Machtbesessenen regiert dargestellt wird, werden sich die Deutschen im Iran ebenfalls wundern, dass ihr Land als ein blinder Mitläufer der machtbesessenen USA und ein Unterstützer ihrer Kriege kritisiert wird. Hier wird deutlich, dass Macht und Gewalt die Geschäftsverhältnisse und insbesondere die sozialen Beziehungen innerhalb und zwischen einzelnen Kulturregionen unterschiedlich bestimmen und beeinträchtigen. Die Tauschfamilien werden lernen, dass weder Deutschland noch Iran ein Monolith darstellt, sondern in beiden Ländern faktisch eine interne Eigendynamik existiert. Bevor wir uns den Funktionen der Macht und Gewalt zuwenden, beschäftigen wir uns mit Sinn und Funktion der Geographisierung des Denkens.
6.1. Geographisierung des Denkens
Was bedeutet Geographisierung des Denkens?
Mit einer Arbeitsdefinition wenden wir uns der Frage nach der Geographisierung des Denkens zu und diskutieren, ob und inwieweit solche Differenzierungen ein Hindernis für interkulturelle Kommunikation darstellen: Definition: „Geographisierung des Denkens“ bedeutet anzunehmen, dass es bspw. Kulturregionen gibt, in denen Menschen holistisch denken bzw. handeln, und es andere Kulturgebiete gibt, wo Menschen linear-analytisch denken bzw. handeln.
Dieses Thema betrifft die Frage, ob menschliches Denken gleichförmig verläuft und auf genetisch verankerten Mechanismen beruht oder ob es vielmehr von kulturellen Prägungen, d.h. durch externe Faktoren wie Tradition, Religion oder Weltanschauung, beeinflusst wird.
6.1. Geographisierung des Denkens
Hierzu einige Beispiele: Richard Nisbett und Simon Ehlers vertreten den Ansatz, dass das Denken im Osten und im Westen grundsätzlich verschieden ist. Nach Nisbett unterscheidet sich das charakteristische Denken unterschiedlicher Gruppen erheblich, und zwar aufgrund verschiedener Vorstellungen von der Natur, der Welt und der Metaphysik. Denkprozesse hängen stark von den Vorstellungen des Diesseits und Jenseits ab, aufgrund derer die menschliche Erkenntnis der Welt einen Sinn ergibt. Dieser Annahme nach hätten sich seit Tausenden von Jahren im Wesentlichen zwei unterschiedliche Denkmodelle entwickelt:1
Theorie der Geographisierung von Nisbett
Der Ansatz von Richard Nisbett: Zum einen das Denkmodell des Westens, das an logisch-analytischem Denken und an einem individualistischen Menschenbild orientiert ist. Zum anderen das Denkmodell des Ostens, dem eine Orientierung an einem übergreifenden Ganzen und an der Einbettung des Individuums in Gemeinschaften zugrunde liegt.
Auf der Grundlage von Nisbetts Klassifizierung ist westliches Denken vorwiegend analytisch, begrifflich stringent und sachlich ausdifferenziert, während östliches Denken vorwiegend holistisch ausgerichtet ist. Damit geht das Vorurteil einher, dass Asiaten und vor allem Orientalen schwärmerischexotisch denken. Diese Erkenntnis Nisbetts rührt daher, dass er einige „Asiaten“ und einige „Europäer/Amerikaner“ auffordert, die Ausdrücke „Huhn“, „Kuh“ und „Gras“ miteinander in Verbindung zu bringen. Die Assoziation einiger „Asiaten“ sei gewesen, die „Kuh“ fresse das „Gras“. Auf die gleiche Frage hätten die „Europäer/Amerikaner“ eher „Huhn“ und „Kuh“ in Verbindung gebracht mit der Begründung, diese seien Lebewesen. Nisbett hält die Ergebnisse dieses „empirischen Experiments“ für repräsentativ und schlussfolgert, dass Asiaten holistisch denken, weil sie nach einer kosmischen Verbindung suchen, während die „Europäer/Amerikaner“ nach Strukturen suchen, weil sie analytisch denken. Ehlers stellt in Anlehnung an Nisbett fest: „Ob wir logisch und linear oder eher flexibel und dialektisch denken, hängt vor allem davon ab, ob wir im Westen oder im Osten zu Hause sind. Asiaten betrachten die Dinge komplexer und „kreisförmiger“ als die analytisch denkenden Europäer und Amerikaner.“2 Ehlers unterteilt West-Ost-Sichtweisen mehrfach, hiervon sind vier Arten von Bedeutung: Der Ansatz von Simon Ehlers: Für die analytisch denkenden Europäer und Amerikaner gilt die Welt „als relativ einfach und übersichtlich, man muss sie lediglich in Bestandteile zerlegen und deren Gesetzmäßigkeiten entdecken. Die Welt ist einigermaßen statisch und stabil. Man geht von Gesetzen aus, die über den Moment hinaus gültig sind und bei denen sich die Dinge nicht oder nur in berechenbarer Weise verändern“.
Theorie der Geographisierung von Ehlers
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6. Machtproblematik und kulturelle Konflikte
Für die ganzheitlich denkenden Asiaten ist die Welt „kompliziert, voller Wechselwirkungen und Abhängigkeiten. Nur Erkenntnisse mit direktem praktischen Nutzen sind wichtig. Das Weltgeschehen verläuft dynamisch und zyklisch. Die Dinge sind einem ständigen Wandel unterworfen“. Die analytisch denkenden Europäer und Amerikaner empfinden sich „als unabhängiges Individuum, das eigene Pläne hat und diese gegen die Interessen anderer durchsetzt“. Die ganzheitlich denkenden Asiaten sehen sich „als Teil der sozialen Gemeinschaft, in der kollektive Ziele Priorität haben und in der man sich anpasst, um ein harmonisches Zusammensein sicherzustellen“.
Nisbett und Ehlers in der Kritik
Ehlers generalisiert eine Haltung, die jenseits kultureller Zugehörigkeiten, von Individuum zu Individuum, ob im Westen, Süden, Osten oder Norden, sehr verschieden sein kann. Statistische Erhebungen, die sich qualitativ oder quantitativ auf eine bestimmte Gruppe von Menschen beschränken, reichen nicht, um auf Milliarden von Menschen dieser Hemisphären bezogen zu werden. Dies kann es nur geben, wenn wir Kulturen willkürlich als „geschlossene Systeme“ betrachten, die sich weder theoretisch noch praktisch vertragen. Das Gleiche gilt auch für die Untersuchung Nisbetts. Oskar Weggel hält solche dichotomisierenden Theorien für problematisch, die von einer Geographisierung des Denkens ausgehen. Das Ergebnis einer solchen Auffassung wird in der Regel sein: „Hier analytisch, logisch und materialistisch, dort synthetisch, intuitiv und spirituell, hier objektiv, aktiv und dynamisch, dort subjektiv, passiv und statisch, hier intellektuell, dort emotional, hier „Zugewandtheit zu den Dingen“, dort „Eskapismus“, hier Betonung des Raums, dort Bevorzugung der zeitlichen Dimension und dergleichen mehr.“3 Eine konstruierte Geographisierung des Denkens, die auch generalisiert wird, ist empirisch unangemessen; mit diesem Diskurs geht die Degradierung des Anderen zum Projektionsobjekt Hand in Hand. Beide Denkmodelle, sowohl das analytische wie auch das holistische, sind in allen Kulturräumen anzutreffen, weil analytisches und synthetisches, zergliederndes und zusammenführendes Denken zwei Momente des Erkenntnisprozesses des Menschen darstellen, dies jenseits seiner kulturellen Zugehörigkeit. Theoretischer Empirismus wird somit problematisch, wenn Statistiken verallgemeinert werden oder wenn sie zu operationalen Dichotomisierungen führen. Das Problem liegt nicht in erster Linie in der Suche nach Verallgemeinerungen, Mustern und qualitativen Aussagen, sondern in der totalisierenden Verwendung solcher Ergebnisse. Generalisierte oder operational dichotomisierte Analysen führen zu starren und sterilen Schlussfolgerungen, die weder repräsentativ sind noch der Wirklichkeit entsprechen. Sie können auch dazu missbraucht werden, um bestimmte fixierte Positionen zu stützen. Jitendra Nath Mohanty stellt in diesem Sinn fest, dass häufig versucht wird, das als intuitiv-mystisch klassifizierte östliche Denken und das als rationallogisch eingestufte westliche Denken gegeneinander auszuspielen und dem östlichen Denken seine Minderwertigkeit vor Augen zu führen. In den Zeiten des Kolonialismus nahmen die eroberten Länder tatsächlich diese Rolle an und es ergab sich ein Teufelskreis im Sinn einer „self-fullfilling-prophecy“.4
6.1. Geographisierung des Denkens
Das folgende Schaubild verdeutlicht diesen Zirkelschluss:
Unsere Tauschfamilien in beiden Ländern entdecken bei einer Unterredung das Problem, dass viele Dissonanzen nicht kulturell bedingt, sondern individuell sind. Nach dem Abendessen unterhält sich die Familie in Berlin über die Orientgeschichten von Karl May und ähnlichen Autoren. Der Vater sagt zu der iranischen Frau, dass wir mit dem Orient den fliegenden Teppich aus „Tausendundeiner Nacht“ und „Ali Baba und die vierzig Räuber“ verbinden. Auch unsere Wissenschaftler seien der Meinung, dass Menschen in heißen Ländern sehr fantasievoll seien, während die Menschen aus temperierten Zonen eine klarere Weltsicht pflegten. Wenn man den Vater fragt, sagt er, er sei sehr froh, Nordeuropäer zu sein; Nordeuropäer, weil sie berechenbar, genau und pünktlich seien. Die iranische Mutter, die über diese Aussage aufgebracht ist, meint, Karl May sei doch kein Orientale gewesen, obwohl er so fantasievolle Erzählungen verbreitet hat, die der Wahrheit kaum gerecht würden. Die drei genannten Geschichten seien nur ein Bruchteil einer Weltliteratur, die man in Europa nur teilweise kenne. Der deutsche Vater könne, als ein stolzer Nordeuropäer, die Literatur eines Kontinentes nicht auf drei Bücher reduzieren und hieraus ein Urteil über den gesamten Kontinent fällen. Soweit sie wisse, schlügen momentan in Europa zahlreiche fantastische Erzählungen Kinder und Erwachsene gleichermaßen in ihren Bann. Sie habe im Schaufenster die Harry-Potter-Bände gesehen, in denen anstelle des fliegenden Teppichs fliegende Besen das bestimmende Fortbewegungsmittel sind. Diese Unterredung macht deutlich, dass einer Geographisierung des Denkens und Handelns ein totalitätsorientierter Kulturbegriff zugrunde liegt. Wir exotisieren uns gegenseitig, wenn wir unser Denken und unsere Wahrnehmung auf bestimmte literarische Formen reduzieren. Rationales und vages Denken gehen in allen Kulturregionen eine Mischung ein. Dass dennoch versucht wird, das Denken zu geographisieren, ist zum einen auf historisch gewachsene Vorurteile zurückzuführen, in denen häufig starke Dichotomi-
Fliegender Teppich versus fliegender Besen
Geographisierung und totalitätsorientierter Kulturbegriff
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6. Machtproblematik und kulturelle Konflikte
Weder östlich noch westlich – menschlich
sierungen vorkommen, zum anderen spielt in diesem Kontext die Macht eine zentrale Rolle. Abdolhossein Zarrinkoub (1923–1999) und Hajime Nakamura (1911–1999) kritisieren alle Formen einer Geographisierung des Denkens. Zarrinkoub setzt sich in seiner Schrift „Na sharghi, na gharbi – ensani“, „Weder östlich noch westlich – menschlich“ mit dualem Denken auseinander und hält eine geographisierende Interpretation des Denkens und Handelns der Völker für gewalttätig. Alle Kategorisierungen, die von einem „Ich“ und „Du“ bzw. „Wir“ und „Ihr“ ausgehen, machen Differenzen zur Grundlage der Kommunikation und bewirken damit das Gegenteil: „Diejenigen, die das Morgenland und Abendland wie Schwarz und Weiß voneinander trennen, leugnen oder übersehen das ununterbrochen dialektische Verhältnis der Dinge überhaupt, insbesondere aber der Kulturen.“ Er schlägt einen Mittelweg vor: „Wir müssen das Andere ernstnehmen, das uns bereichert, aber dennoch unseren Weg alleine bestreiten.“5 Nakamura argumentiert ähnlich. Nach ihm sind „Osten“ und „Westen“6 keine homogenen Blöcke, sondern es handelt sich hier um enorm große Gebiete, die aus höchst unterschiedlichen kulturellen Kontexten mit inneren Differenzierungen zusammengesetzt sind. Er kommt zu dem Schluss, „innerhalb des Ostens seien die Verschiedenheiten der Kulturen zumeist größer als die Gemeinsamkeiten, und so sei es eigentlich nicht zulässig, den Osten als Einheit dem Westen gegenüberzustellen“.7 Übungsaufgaben: 1. Was bedeutet Geographisierung des Denkens? Führen Sie Beispiele aus eigener Erfahrung an. 2. Diskutieren Sie die Theorien von Nisbett und Ehlers. Nehmen Sie dazu kritisch Stellung. 3. Zu welchem Urteil kommen Weggel und Zarrinkoub? Problematisieren Sie diese Haltungen. 4. Analysieren Sie die Debatte der Tauschfamilien über die Reduzierung der Völker auf bestimmte Formen von Literatur. Führen Sie Beispiele aus eigener Erfahrung an. 5. Formulieren Sie für die Tauschfamilien Gründe, die gegen oder für eine Geographisierung des Denkens sprechen. Ergreifen Sie Partei für eine bzw. für beide Familien. 6. Diskutieren Sie Vor- und Nachteile einer Geographisierung des Denkens für die theoretische Gestaltung und praktisch Durchführung einer interkulturellen Kommunikation. Entwickeln Sie Ihr eigenes Konzept.
6.2. Funktionen der Macht8 Wir stellen fest, dass Macht auf allen Ebenen des zwischenmenschlichen Lebens eine integrale Rolle spielt. Was mit dieser Macht gemeint ist, kommt in der folgenden Analyse der Machtasymmetrie und der strukturellen Gewalt zur Sprache. Es geht um die Frage, wann, wo und wie die Dominanz der Macht Diskurse determiniert und deren Grenzen bestimmt. Wir
6.2. Funktionen der Macht
beginnen mit einer allgemeinen Arbeitsdefinition, die die Struktur der Macht offenlegt:
Was bedeutet Macht?
Definition: Macht ist eine Fähigkeit, im Kontext eines sozialen Netzwerkes den eigenen Willen, notfalls auch gegen den Willen des Anderen, gewaltsam durchzusetzen.
Dieses Vorverständnis geht mit diversen Formen der Machentfaltung einher, die in vielerlei Hinsicht interessengebunden ist; Interessen, die friedlich, oder solche, die kämpferisch oder sogar zerstörerisch sein können. Um die Machtfrage im Kontext interkultureller Kommunikation angemessen analysieren zu können, unterscheiden wir zwischen einer positiven und negativen Machtform. Definition: Negative Macht ist eine Fähigkeit, die darauf ausgerichtet ist, alles nach einer apodiktischen Selbstgesetzgebung, ohne Rücksicht auf die Interessen des Anderen, zu beherrschen.
Negative Macht verfährt zentristisch. Sie ist theoretisch wie praktisch gewalttätig. Viele Konflikte und Kriege fußen auf einem solchen Machtbegriff, der nur verstanden werden will: Die Macht des Eigenen strebt die faktische Ohnmacht des Anderen an. Eine solche „Hermeneutik der Macht“ agiert auf der Basis eines „doppelten Menschenbildes“: eines Menschenbildes erster Ordnung, das sich auf das Eigene bezieht und von diesem aus sein Verhältnis zum Anderen definiert. Das Menschenbild zweiter Ordnung ist dem ersten untergeordnet, so untergliedert sich die Menschheit in Menschen erster und zweiter Klasse. Das folgende ungerasterte Schaubild verdeutlicht die Struktur und innere Logik negativer Macht:
Was ist negative Macht?
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6. Machtproblematik und kulturelle Konflikte Wege zur Überwindung negativer Macht
Es gibt eine kommunikative Möglichkeit, um negative Macht zu zügeln. Auf diesem Weg ist es erforderlich, einen Kontrollmechanismus, zusammengesetzt aus Vertretern aller Beteiligten mit gleichen Rechten, zu entwickeln, der die Einhaltung der gemeinsam erarbeiteten Rahmenbedingungen der Kommunikation begleitend überwacht. Denn wenn ich bspw. mit meinen Verbündeten gegen einen Menschen oder eine Gruppe Sanktionen verhänge und die Ordnungshüter, die dies überwachen, unter meinem unmittelbaren Einfluss stehen, so kommt der Andere nicht zu seinem Recht. Wir unterscheiden auf diesem Weg zwischen zwei Differenzformen: 1. Ausschließende Differenz. 2. Sanktionierende Differenz.
Ausschließende Differenz
Bei der Ausschließenden Differenz nimmt sich, wie es in vielen Kommunikationen der Fall ist, eine bestimmte Gruppe das Recht heraus, durch vorgefasste Forderungen den Freiheitsspielraum einer Gruppe festzulegen oder zu begrenzen. Macht wird zu einer Instanz, die bestimmt, was legitim bzw. illegitim ist. Sie diktiert die Spielregeln und bestimmt die Rahmenbedingungen auf allen Ebenen.
Sanktionierende Differenz
Bei der Sanktionierenden Differenz lässt der Kontrollmechanismus nicht mehr zu, dass eine bestimmte Gruppe das Gleichheitsprinzip verletzt, weil alle vor dem Gesetz gleich behandelt werden. Sie geht von der „Einheit in der Vielfalt“ aus. Einheitlichkeit, die die ausschließende Differenz anstrebt, ist hingegen gewaltgeladen. Dieses Spannungsfeld macht deutlich, dass es eine konfliktfreie Interaktionsform häufig nicht gibt, weil der Mensch oft bewusst oder unbewusst konfliktgeladen denkt und handelt. Damit wenden wir uns der positiven Macht zu:
Was bedeutet positive Macht?
Definition: Positive Macht ist eine Fähigkeit, die darauf ausgerichtet ist, alle möglichen Machtformen einzusetzen, um eine gleichheitsorientierte Kommunikation zwischen unterschiedlichen Formen des Denkens und Handelns zu ermöglichen.
Positive Macht verfährt pluralistisch, weil die Kontrollmechanismen von Mitgliedern aller Parteien und Diskussionsteilnehmern erarbeitet und überwacht werden. Sie ist theoretisch wie auch praktisch kommunikativ. Ein solch positives Verhältnis zur Macht befähigt dazu, etwas im Sinn der Gemeinschaft zu verändern und zu gestalten, ohne dem Einzelnen seinen Freiheitsspielraum zu nehmen. Hier verliert die Vorstellung von der Macht im Zentrum und der Ohnmacht an der Peripherie ihren Boden. Das folgende gerasterte Schaubild verdeutlicht die Struktur und innere Logik positiver Macht:
6.2. Funktionen der Macht
Das Gespräch zwischen dem griechisch-baktrischen König Menandros und dem buddhistischen Mönchphilosophen Nagasena (120 v.u.Z.) verdeutlicht die Grenzbereiche der positiven und negativen Macht:
Macht bei Menandros und Nagasena
Der König sprach: „Ehrwürdiger Nagasena, wirst du weiter mit mir diskutieren?“ „Wenn du, großer König, in der Sprache eines Gelehrten diskutieren wirst, dann werde ich mit dir diskutieren. Wenn du aber in der Sprache des Königs diskutieren wirst, dann werde ich nicht mit dir diskutieren.“ „Wie, ehrwürdiger Nagasena, diskutieren denn die Weisen?“ „Bei einer Diskussion unter Weisen, großer König, findet ein Aufwinden und ein Abwinden statt, ein Überzeugen und ein Zugestehen; eine Unterscheidung und eine Gegenunterscheidung werden gemacht. Und doch geraten die Weisen nicht darüber in Zorn. So, großer König, diskutieren die Weisen miteinander.“ „Wie aber, Ehrwürdiger, diskutieren die Könige?“ „Wenn Könige während einer Diskussion eine Behauptung aufstellen und irgendeiner diese Behauptung widerlegt, dann geben sie den Befehl, diesen Menschen mit Strafe zu belegen. Auf diese Weise, großer König, diskutieren Könige.“ „Ich werde in der Sprache der Weisen diskutieren“, antwortete der König.9
Menandros geht zunächst von einer negativen Einstellung zur Macht aus und bestimmt die Bedingungen des Dialogs, obschon er sich im Verlauf des Dialogs auf ein positives Verständnis der Macht einlässt und sich dem Sog der vernünftigen Begründung beugt. Nagasena hat von Anbeginn des Dialogs eine positive Einstellung zur Macht und sucht die Macht des Argumentierens. Macht, wie sie Menandros besitzt, definiert Handlungsregeln und erklärt sie eigenständig für allgemein verbindlich. Dieses Verhaltensmuster definiert, wann, wo und mit welchen Methoden Macht Diskurse determiniert. Ähnlich wie das Gespräch zwischen Menandros und Nagasena, das ein Ausdruck dialogischer Anthropologie ist, ist der Dialogcharakter des Sokra-
Sokrates und positive Macht
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6. Machtproblematik und kulturelle Konflikte
tes in den „Platonischen Dialogen“ zu betrachten, in denen der dialogische Erkenntnisgewinn im Vordergrund steht und nicht eine hegemoniale Vernunft, verbunden mit einer Hermeneutik der Macht, die sich stets zum Argument erhebt. Vielleicht fragen Sie sich, wie sich positive und negative Macht zueinander verhalten. Diese Dimensionen beschränken sich nicht nur auf Politik, sondern sie sind Teil menschlicher Denk- und Handlungsweisen. Dialoge wie der von Sokrates, der sein Wissen als „positive Macht“ einsetzt und selbst Opfer „ negativer Macht“ wird, zeigen, dass menschliche Handlungen stets Momente der negativen und positiven Macht enthalten. Ein weiteres Beispiel ist Mahatma Gandhi (1869–1948), dessen gewaltlose Politik zur Unabhängigkeit Indiens führte, der wiederum selbst Opfer der Gewalt eines Hindus wurde. Insofern ist und bleibt eine zentrale Aufgabe interkultureller Kommunikation, durch die Anwendung positiver Macht die negative Macht und ihre Anwendung immer mehr zu minimieren.
Symmetrie und Asymmetrie der Macht
Machtasymmetrie und Gewalt Bei der inhaltlichen und strukturellen Bestimmung der sozialen Ordnung und damit der Reglementierung des sozialen Lebens hat aufgrund gebündelter Machtverhältnisse nicht jeder Mensch die Möglichkeit, darüber zu entscheiden, was als Ordnung oder Unordnung, Recht oder Unrecht gilt. Daraus folgt, dass oft die Freiheit der einen ein Hauptgrund für die Unfreiheit der Anderen darstellt. An diesem Scheidepunkt wird die Bedeutung der positiven und negativen Macht deutlich. Erstere verfährt symmetrisch und ist bemüht, mit den Divergenzen in der Pluralität von Einstellungen und Überzeugungen kommunikativ umzugehen, während Letztere asymmetrisch ausgerichtet ist und Einheitlichkeit anstrebt. Die Umsetzbarkeit interkultureller Kommunikation wird durch negative Macht und ihren asymmetrischen Charakter verlangsamt, verhindert oder gar zum Scheitern gebracht.
Huntington und Panikkar
Panikkar und die bewaffnete Vernunft
Samuel P. Huntington, der von einem „Kampf der Kulturen“ ausgeht, ist der Auffassung, dass der Westen die Welt nicht „durch die Überlegenheit seiner Ideen, oder der Werte oder seiner Religion“ eroberte, „sondern vielmehr durch seine Überlegenheit bei der Anwendung von organisierter Gewalt“. Dabei verweist er darauf, dass „die Westler“ oftmals diese Tatsache ignorieren, während „die Nichtwestler“ sie niemals vergessen.10 Raimon Panikkar (1918–2010) greift dieses Thema auf und bezeichnet die europäisch-westliche Vernunft als „eine bewaffnete, ungebremste Vernunft“, weil nicht nur über dreißig Millionen Menschen auf diesem Gebiet im Militärdienst sind, sondern weil die Hälfte aller wissenschaftlich-technischen Anstrengungen der Kriegsindustrie dienstbar gemacht werden. Mit dieser Kritik verweist er auf die Notwendigkeit einer interkulturellen Kommunikation, die dadurch verbaut werde. Echte interkulturelle Kommunikation ist nach Panikkar möglich, wenn man sich in reziproker „Liebe und Sympathie“
6.2. Funktionen der Macht
zueinander öffnen kann und dabei die wahre Wirklichkeitserfahrung des Anderen sucht und aktiv teilt.11 Negative Machstrukturen wirken nach Panikkar durch ihren Sieger-Verlierer-Charakter unmittelbar auf die Verhältnisse der Menschen innerhalb und zwischen alle Kulturregionen der Welt: Auf allen Ebenen hat der „Vorrang der Sieger“ die Folge, „daß der Besiegte nicht nur seinen Lebensraum, sondern auch sein Wort verliert“.12 Ein Charakteristikum dieser Vernunft sei, dass sie mit struktureller Gewalt einhergehe, die eine Verständigung zwischen und innerhalb der Kulturen und Traditionen verhindere. Einschränkend ist zu bemerken, dass die Behauptung Panikkars, alle europäisch-westliche Vernunft sei bewaffnet, nicht generalisiert werden kann. Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass auch hier in allen Kommunikationsformen Momente der negativen und positiven Macht vorhanden sind. Dies besagt, dass es einen herrschaftsfreien Diskurs nur idealtypisch geben kann.
Gefahren negativer Macht
Was bedeutet strukturelle Gewalt?
Definition: Strukturelle Gewalt liegt vor, wenn eine Person, eine Gruppe von Menschen, ein Kontinent oder ein Teil der Weltgemeinschaft ohne ständige direkte oder sichtbare Gewalt für unterentwickelt erklärt und entsprechend behandelt wird.
Strukturelle Gewalt tritt ein, wenn ein Staat, eine Gruppe oder ein Individuum durch Sanktionen oder sonstige Maßnahmen daran gehindert wird, sich gemäß den eigenen Möglichkeiten zu entfalten. Grundlegend ist zwischen religiöser, kultureller, politischer, theoretischer und praktischer Gewalt zu unterscheiden. Diese Gewaltformen sind zwar keine anthropologischen Konstanten, sie werden aber stets praktiziert, wo negative Macht den Gehorsam einer bestimmten Denk- und Handlungsform gegenüber verlangt. Diese liegt vor, wenn Menschen bspw. so beeinflusst werden, „dass ihre aktuelle somatische und geistige Verwirklichung geringer ist als ihre potentielle Verwirklichung“.13 Strukturelle Gewalt ist die Folge ungleicher Machtverhältnisse und Lebenschancen, wie sie den europäisch-westlichen Kolonien Jahrhunderte lang aufgezwungen worden sind. Johan Galtung unterscheidet in seiner Gewalttheorie zwischen direkter, struktureller und kultureller Gewalt, die in unterschiedlichen Erscheinungsformen auftreten: Direkte Gewalt verletzt meist körperlich oder tötet die Individuen sogar. Da sie Täter und Opfer kennt, ist sie häufig Gegenstand der politischen und öffentlichen Diskussion. Strukturelle Gewalt verletzt wechselseitige Bedürfnisse und damit das Völkerrecht. Sie ist verbunden mit dem Kampf der Ideologien und geht mit struktureller Intoleranz einher.14 Kulturelle Gewalt dient zur Legitimierung von direkter oder struktureller Gewalt. Sie agiert insbesondere symbolisch und wirkt in Religionen, Ideologien, in Sprache, Kunst, Wissenschaft, Recht, Erziehung und auch in den Medien.15
Formen struktureller Gewalt nach Galtung
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6. Machtproblematik und kulturelle Konflikte
Übungsaufgaben: 1. Definieren Sie Macht und erläutern Sie, wie die innere Logik der negativen und positiven Macht konstituiert ist. 2. Arbeiten Sie Vor- und Nachteile dieser Machtform für die Gestaltung einer interkulturellen Kommunikation heraus. 3. Analysieren Sie die These Panikkars und finden Sie Gründe, die dafür oder dagegen sprechen. 4. Was ist ausschließende und sanktionierende Differenz und wofür ist sie gut? 5. Warum entscheidet sich König Menandros im Dialog plötzlich für eine Gesprächsführung, die möglicherweise seine Machtausübung positiv beeinflussen wird? 6. Diskutieren Sie die Gewalttheorie von Galtung und analysieren Sie, wie sich diese auf interkulturelle Kommunikation auswirkt. Führen Sie Beispiele aus der Politik an. 7. Nehmen Sie Stellung zu den Äußerungen Huntingtons und Panikkars. 8. Wie definieren Sie persönlich „Macht“? Diskutieren Sie dabei, in welchen Kontexten positive und negative Machtausübung beobachtet werden kann.
Abschlussbemerkungen Nach einem langen Prozess sind wir am Ende unseres „Studienbuches Interkulturalität“ angelangt. Auf diesem Weg sind unsere Tauschfamilien vielen internen und externen Herausforderungen begegnet, die sie unterschiedlich zu meistern bemüht waren. Abschlussfragen: 1. Sie beschließen, Ihr Land aus beruflichen oder sonstigen Gründen zu verlassen. Was müssen Sie über Ihr Zielland wissen und worauf werden Sie verzichten müssen? Arbeiten Sie ein Konzept aus und veranschaulichen Sie es mit Beispielen. 2. Was lehrt uns dieses Studienbuch?
Anhang – Begriffserklärungen Akkomodation bezeichnet Lern- und Anpassungsprozesse bei Personen, die sich infolge eines Lebensortwechsels grundlegende Regeln der Kommunikation der anderen Gesellschaft aneignen, ohne die eigene grundlegende Überzeugung zu ändern. Akkulturation bedeutet Übernahme von Elementen einer anderen Kultur, geht also über die Akkomodation hinaus, d.h., die eigenen Überzeugungen unterliegen Veränderungen. Ambiguitätstoleranz beschreibt die Fähigkeit und Bereitschaft, sich durch eine Rollenflexibilität auf mehrdeutige, ambivalente oder gar widersprüchliche Situationen einzustellen, um Irritationen und Dissonanzen kommunikativ auszuhalten. Analytisch vorgehen bedeutet, das Untersuchungsobjekt in seine Bestandteile zu zerlegen, um es zu verstehen. Andere, das (interkulturelle Ausdrucksform) wird in der Regel als das bezeichnet, was wir in gewohnter Umgebung nicht kennen, was aber eine vertraute Nähe ausstrahlt. Anerkennung bedeutet, dem Andersdenkenden die Möglichkeit einzuräumen, sich seiner Lebensform, Überzeugung oder Einstellung nach an gesellschaftlichen Prozessen zu beteiligen. Anerkennung, ablehnende heißt, den anderen als Person und als Teil der Gesellschaft unter Bewahrung seiner Würde anzuerkennen, ohne damit die Pflicht zu verbinden, seine Einstellungen und Überzeugungen mit einzuschließen. Anpassung, kulturelle beinhaltet die Orientierung eines Individuums an den Erwartungen einer anderen Umwelt und Kultur; teilweise Übernahme fremdkultureller Muster zur Vermeidung von Konflikten. Assimilation bedeutet das Aufgehen und die gänzliche Übernahme von Werten, Normen und Lebensweisen in einem bestimmten Kulturgebiet, was die Aufgabe eigenkultureller Zugehörigkeit zur Folge hat.
Definition bedeutet den offenen Versuch, die inhaltliche Bedeutung eines Begriffs, eines Systems oder einer Reihe von Ereignissen so klar wie möglich und eindeutig wie nötig auf eine Formel zu bringen. Dialektisch vorgehen bedeutet, die internen Gegensätze in einem Untersuchungsobjekt aufzusuchen und die darin enthaltene Dynamik im Rahmen eines unfassenden Ganzen herauszustellen. Dichotomisierung beschreibt die Zerlegung einer Sache oder eines Gegenstands in zwei Teilgesamtheiten, sodass ausschließlich zwei Ausprägungen unterschieden werden. Differenz, ausschließende beschreibt eine Situation, in der sich eine bestimmte Gruppe das Recht herausnimmt, durch vorgefasste Forderungen den Freiheitsspielraum einer Gruppe festzulegen oder zu begrenzen. Differenz, sanktionierende meint eine Situation, in der der gemeinsam entwickelte Kontrollmechanismus nicht zulässt, dass eine bestimmte Gruppe das Gleichheitsprinzip verletzt. Dritt-Kultur-Perspektive beschreibt eine gemeinsam erarbeitete Basis, die auf unterschiedlichen kulturellen Perspektiven fußt. Eigene, das ist das Vertraute und uns Bekannte. Das Eigene stellt das Umgekehrte des Anderen dar. Eigengruppe umschreibt eine Gruppe, der eine Person angehört oder anzugehören glaubt. Eklektizismus bezeichnet eine Denkrichtung, die darauf ausgerichtet ist, Elemente unterschiedlicher Systeme und Methoden zu einem neuen Ganzen zusammenzustellen. Empathie beschreibt den Versuch, sich aus der Perspektive eines Anderen durch Verständnis seiner Gefühle in dessen Gefühlszustand hineinzuversetzen.
Begriffserklärungen Empirisch vorgehen bedeutet, von Erfahrungen auszugehen, dabei Wertungen zu vermeiden und bemüht zu sein, gewonnene Erfahrungen systematisch zu erfassen und auszuwerten. Enkulturation heißt Übernahme der Lebensform einer bestimmten Kultur im Rahmen der Primärsozialisation. Enzyklisch vorgehen bedeutet, das Untersuchungsobjekt umfassend in den Blick zu nehmen und verstehend zu begreifen. Epistemisch vorgehen bedeutet, das Untersuchungsobjekt auf eine erkenntnistheoretische Grundlage zu heben und logische Strukturen herauszuarbeiten. Erlaubnis-Konzeption ermöglicht einer Minderheit, nach eigenen Überzeugungen zu leben, ohne die Vorherrschaft der Autorität infrage zu stellen. Erziehung, interkulturelle beschreibt den Lern- und Aneignungsprozess kulturell unterschiedlicher Denkstrukturen und Wahrnehmungsformen, die verschiedene Werte und Normen hervorbringen und pflegen. Ethik stellt eine Theorie der Moral dar. Es handelt sich konkret um die Begründung moralischer Normen und um die Analyse der Herkunft von Werten, geschichtlichen und kulturellen sowie interkulturellen Geltungsansprüchen und -grenzen. Ethik, deskriptive thematisiert und problematisiert Normen- und Wertsysteme auf einem empirischen Weg. Dabei geht es um die Beschreibung dieser Phänomene unter Berücksichtigung klimatischer, geographischer, kultureller, religiöser und anderer Faktoren sowie um die Frage nach dem Geltungsanspruch verschiedener Normen. Ethik, interkulturelle erklärt, wann, wo und unter welchen Voraussetzungen eine menschliche Handlung als gut oder schlecht, angemessen oder unangemessen beurteilt wird. Sie untersucht Gründe, die Individuen zu bestimmten Handlungen motivieren. Dies umfasst die Begründung kulturell bedingter Besonderheiten in Sitten, Gebräuchen, Gepflogenheiten, Traditionen und Kulturen oder Rechtssystemen im Vergleich und Verständnis der Kulturen unter Berücksichtigung kultureller Kontexte.
Ethik, normative thematisiert und problematisiert die Prinzipien eines für alle guten Lebens, den Maßstab moralisch richtigen Handelns und den Soll- und Musszustand kultureller Kontexte. Dabei geht es um unterschiedliche Imperative des Kulturellen, des Religiösen und des Gesellschaftlichen. Ethnizität beschreibt eine gemeinsame regionale Herkunft mit einer gemeinsamen Sprache und Geschichte einer bestimmten Gruppe. Ethnozentrismus ist eine Vorstellung, die das Referenzsystem der eigenen Gruppe verabsolutiert und alle anderen Gruppen nach dem eigenen Maßstab bewertet. Dies führt zur Überhöhung der eigenen Kultur und zur Abwertung oder stufentheoretischen Behandlung der Fremdgruppen. Exklusivität bedeutet Ausschließlichkeit und ist stets mit einem Wahrheits- und Absolutheitsanspruch verbunden, der je nach Kontext auch strategisch eingesetzt werden kann. Exotismus bedeutet, den Anderen nicht in dessen Bezugssystem zu erfahren, sondern ihn mit eigenen Idealen vergleichend zu betrachten und ihn in ethnozentrischer Ausschmückung als radikal verschieden zu interpretieren. Forschung, interkulturelle ist der Name einer Tätigkeit mit einem dialogtheoretischen und dialogpraktischen Charakter, die darauf ausgerichtet ist, traditionelle Methoden und Theorienansätze, die außereuropäische Traditionen nicht angemessen kritisch gewürdigt haben, interkulturell neu zu durchdenken, um neue Wege in Aussicht zu stellen. Fremde, das (traditionelle Ausdrucksform) wird in der Regel als das bezeichnet, was wir in gewohnter Umgebung nicht kennen. Fremdgruppe umschreibt eine Gruppe, zu der eine Person nicht gehört oder nicht zu gehören glaubt. Gehäusedialog ist ein Scheindialog, der von vornherein eine verabsolutierte Meinung pflegt und letzten Endes die eigene Auffassung von Dialog durchsetzen will. Gehäusetoleranz ist eine Scheintoleranz, die eine verabsolutierte Meinung von vornherein und fraglos praktiziert und nur
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Anhang eine bestimmte Form von Toleranzverständnis akzeptiert, nämlich das eigene. Geographie des Denkens bedeutet anzunehmen, dass es bspw. Kulturregionen gibt, in denen Menschen holistisch denken bzw. handeln, und es andere Kulturgebiete gibt, wo Menschen linear-analytisch denken bzw. handeln. Gesellschaft, multikulturelle stellt eine Gesellschaftsform dar, in der Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft, samt ihrer Religionen und Sprachen, nebeneinander zusammenleben. Gewalt, strukturelle liegt vor, wenn eine Person, eine Gruppe von Menschen ohne ständige direkte Gewaltausübung einen Kontinent oder einen Teil der Weltgemeinschaft für unterentwickelt erklärt und entsprechend behandelt. Hermeneutik, apozyklische ist eine Interpretations- und Verstehensmethode, die restaurativ-reduktiv verfährt. Sie beschränkt sich auf Selbsthermeneutik und betrachtet andere Denkformen nur aus der eigenen Perspektive heraus. Hermeneutik, enzyklische versteht sich als eine argumentative Methode, die darauf ausgerichtet ist, durch vielfaches Hin- und Hergehen das beziehungslose Nebeneinander des Eigenen und des Anderen in ein interaktives Miteinander zu verwandeln. Hermeneutik, interkulturelle ist ein methodisches Regelwerk des Verstehens, der Auslegung und der Erklärung von Texten, Kunstwerken und Zusammenhangsstrukturen in unterschiedlichen kulturellen Kontexten, in denen es um das Wechselverhältnis zwischen dem Eigenen und dem Anderen geht. Heterogenität beschreibt die Vielfalt und Andersartigkeit kultureller Kontexte. Heuristisch bedeutet erfinderisch suchend. Ein heuristisches Prinzip ist eine Vermutung oder Annahme allgemeiner Art, die zur Auffindung neuer Einsichten dient. Ein solches Verfahren zeigt, auf welchem Weg Erkenntnisse entdeckt und weitergeführt werden. Historisch vorgehen bedeutet, das Untersuchungsobjekt in einen historischen Zusammenhang zu stellen und es aus dieser Perspektive heraus zu erfassen. Homonymie bezeichnet lautliche Übereinstimmung von Wörtern mit verschiedener Bedeutung und Herkunft.
Horizontenüberlappung beschreibt eine reflektierte Schnittmenge unterschiedlicher Denkhorizonte, die ihre Selbigkeit beibehalten und offen sind für Alteritäten. Horizontenverschmelzung bedeutet das Zusammenschweißen verschiedener Denkhorizonte, das zumeist ohne ausreichende Reflexion geschieht. Hybridität ist ein anderer Ausdruck für Mischformen, die kultureller, religiöser oder traditioneller Art sein können. Inklusivität heißt Einschließung und beschreibt die reziproke Art und Weise, in der Menschen „im Kommunikationszusammenhang“ aufeinander einwirken und gemeinsame Wege gestalten. Inkommensurabilität bedeutet, dass eine These in gleicher Art nicht messbar ist wie eine andere These. Gibt es kein gemeinsames Maß zwischen zwei oder mehreren Thesen, das Vergleichbarkeit garantiert, so sind sie inkommensurabel. Integration heißt Eingliederung einer Person in eine Gruppe, eine Gemeinschaft oder Gesellschaft bzw. einer Gruppe in eine größere Gruppe. Interferenz, interkulturelle beschreibt Prozesse gegenseitiger, oft auch voreiliger und fälschlicher Übertragung eigener Kulturmuster auf die jeweils anderen kulturellen Kontexte. Interkulturalität ist der Name einer Theorie und Praxis, die sich mit dem historischen und gegenwärtigen Verhältnis aller Kulturen und den Menschen als ihren Trägern auf der Grundlage ihrer völligen Gleichwertigkeit beschäftigt. Sie ist eine wissenschaftliche Disziplin, sofern sie diese Theorie und Praxis methodisch untersucht. Interkulturalität, historische untersucht im Kontext der sozial-, geistes- und kulturwissenschaftlichen Geschichtsschreibung interkulturelle Begegnungen und analysiert ihre Kontinuität und Diskontinuität. Interkulturalität, systematische umfasst „Korrelatbegriffe“, die die Bereiche des Eigenen und des Anderen, der Kompetenz, der Toleranz, Semantik, Hermeneutik und Komparatistik sowie der Ethik und ihre Terminologien, also Begriffsapparate, zum Gegenstand haben. Alle genannten Begriffe die-
Begriffserklärungen nen zur Herstellung gelungener interkultureller Kommunikation, die wiederum eine Teildisziplin der Interkulturalität darstellt. Interkulturalität, vergleichende untersucht nicht nur Divergenzen und Konvergenzen in der sozial-, geistes- und kulturwissenschaftlichen Geschichtsschreibung, sondern setzt auch Theorien und Überlegungen miteinander in Beziehung, die sich mit den Themenfeldern der Interkulturalität befassen, oder Bereiche, die für die Interkulturalitätsforschung relevant sind. Interkulturell (Adjektiv) bezeichnet einen Zwischenraum, in dem ein Austauschprozess stattfindet, durch den Menschen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund in Kontakt treten. Intertextualität stellt die Beziehungen zwischen Texten aus unterschiedlichen Kontexten dar. Intoleranz, äußere beschreibt eine Haltung gegenüber Gemeinschaften, die nicht der eigenen angehören. Intoleranz, formale lässt „fremden Glauben nicht unangetastet, sondern zwingt ihre Vertreter zur Unterwerfung unter eine sakrale Institution eines Staates oder einer Kirche, deren formale Einheit durch abweichende Glaubensund Kultformen gestört werden würde“. Intoleranz, inhaltliche bekämpft andere Überzeugungen, um der vermeintlichen Wahrheit willen oder im Namen einer bestimmten Ideologie. Intoleranz, innere wird praktiziert gegenüber den als Häresie oder Ketzerei bezeichneten Abweichungen vom eigenen offiziellen Glauben. Isomorphie beschreibt eine Kommunikationssituation, in der zwei Meinungen eine Entsprechung erfahren. Koexistenz-Konzeption Bei dieser pragmatisch-instrumentell begründeten Konzeption stehen sich zwei ungefähr gleich starke Gruppen gegenüber, die einsehen, dass sie um des sozialen Friedens und ihrer eigenen Interessen willen Toleranz üben sollen. Kommensurabilität bedeutet, dass eine These in gleicher Art messbar ist wie eine andere These.
Kommunikation, interkulturelle ist eine Diskursform, in der Menschen aus kulturell unterschiedlichen Kontexten miteinander ins Gespräch kommen. Interkulturelle Kommunikation dient als Grundlage und Ausgangsposition vieler Korrelatbegriffe, weil der Mensch ein kommunikatives Wesen ist und ohne Kommunikation im Leben nicht auskommen kann. Komparatistik, interkulturelle vergleicht Sachverhalte aus kulturell unterschiedlichen Kontexten gemäß ihrer inneren Logik und setzt diese mit anderen Themen, Themenbereichen oder Problemen in Beziehung und schlussfolgert, ohne das tertium comparationis ausschließlich in einer Tradition zu verankern. Komparatistisch vorgehen bedeutet, unterschiedliche Modelle miteinander in Beziehung zu setzen, Übereinstimmungen und Unterschiede zu konstatieren, ohne diese gegenseitig aufeinander zu reduzieren oder gegeneinander auszuspielen. Kompetenz, interkulturelle ist eine Fähigkeit, die einen Aneignungsprozess von Informationen und Verhaltensweisen beschreibt, die uns dazu verhelfen, eine Aufgabe zu meistern, einer Herausforderung zu begegnen oder eine Tätigkeit in interkulturellen Kontexten auszuführen. Die Aneignung von Kompetenzen wird erforderlich, wenn unterschiedliche Denkformen, Handlungsmuster oder Lebensentwürfe miteinander in Berührung kommen. Damit sind auch Werte- und Normenorientierung sowie begriffliche und theoretische Bezugssysteme gemeint, die nicht immer expliziert sind. Konflikt, interkultureller beschreibt eine Situation, in der zwischen verschiedenen Kulturen entweder ein Unbehagen im Raum steht oder verschiedene Einstellungen und Überzeugungen aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten mehr oder weniger unversöhnlich einander gegenüberstehen. Korrelativ bezeichnet das gegenseitige Aufeinanderbezogensein von Begriffen, Theorien und Sachverhalten. Kultur impliziert als ein offenes und dynamisch veränderbares Sinn- und Orientierungssystem, wie die Beziehungen einer Gruppe strukturiert sind und wie diese erfahren, verstanden und interpretiert werden. Kulturbegriff, bedeutungs- und wissensorientierter umfasst ein Konzept, in dem Akteure die Bedeutung ihrer Handlungen mit symbolischen Ordnungen
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Anhang identifizieren und die Bedeutung dieser Handlung auf Strukturen beziehen. Kulturbegriff, differenzierungstheoretischer umfasst ein Konzept, das zwar rein intellektualistisch in der Theorie beheimatet ist, das aber unter normativen Aspekten gedeutet werden kann. Kulturbegriff, normativer umfasst ein normgebendes und nach festen Regeln beurteilendes und wertendes Konzept. Dies setzt einen idealen Lebensentwurf voraus, der einen universalistischen Anspruch erhebt. Eine Lebensform wird favorisiert, die den realen Umständen des Lebens in der Regel nicht entspricht. Kulturbegriff, totalitätsorientierter umfasst ein regionalisierendes und nationalisierendes Konzept, nach dem Kulturen wie Kugelgestalten ohne Bezug zueinander aufgefasst werden. Kultursensitiv bedeutet die Berücksichtigung soziokulturell eingespielter Einstellungen, Wertungen, Stereotypen oder Ideologien eines Wortes oder eines Verhaltens. Kulturzentrismus ist der Versuch, die eigene kulturelle Prägung in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen und andere abzuwerten. Leitkultur beschreibt die in der und von der Mehrheitsgesellschaft bestimmten und praktizierten Werte und Normen, die gegenüber denen der Minderheiten höher stehen. Lernen, interkulturelles bedeutet das Erlernen kultureller Divergenzen und Konvergenzen im Vergleich und Verhältnis der Kulturen und Traditionen. Macht ist eine Fähigkeit, im Kontext eines sozialen Netzwerkes darauf ausgerichtet zu sein, den eigenen Willen, notfalls auch gegen den Willen des/der Anderen, gewaltsam zum Erfolg zu verhelfen. Macht, negative ist eine Fähigkeit, die darauf ausgerichtet ist, alles nach einer apodiktischen Selbstgesetzgebung, ohne Rücksicht auf die Interessen des/der Anderen, zu beherrschen. Macht, positive ist eine Fähigkeit, die darauf ausgerichtet ist, alle möglichen Machtformen einzusetzen, um eine gleichheitsorientierte Kommunikation zwischen unterschiedlichen Formen des Denkens und Handelns zu ermöglichen.
Management, interkulturelles beschäftigt sich mit Geschäftsaktivitäten und -feldern von Unternehmen, deren Akteure aus kulturell unterschiedlichen Ländern stammen, die wiederum unterschiedliche Wertvorstellungen haben und sich durch divergierende Denk- und Handlungsweisen auszeichnen. Metaethik thematisiert und problematisiert die Sprache und Logik moralischer Diskurse, die Methoden moralischer Argumentationen sowie die Tragfähigkeit und Umsetzbarkeit ethischer Theorien in unterschiedlichen Kontexten. Metakommunikation meint, dass Kommunikation sich auf verschiedenen Reflexionsebenen vollziehen kann. Es geht um eine Kommunikation über kulturspezifische Formen von Kommunikation, die bspw. für die Entfaltung des interkulturellen Lernens fruchtbar gemacht werden kann. Methode ist eine strukturierte Verfahrensweise. Sie bringt zum Ausdruck, wie eine Aufgabe formuliert und effizient gelöst werden kann und befähigt dazu, Erkenntnisse zu gewinnen, zu sammeln, auszuwerten, einzeln zu verstehen, zu analysieren, zu kontrollieren und schließlich in einem planvollen Vorgehen in den Kontext einzuordnen. Migration beschreibt die Wanderung, räumliche Bewegung bzw. Mobilität von Individuen oder Gruppen in Form eines relativ dauerhaften Wechsels des Wohn- bzw. Lebensortes. Moral ist ein System von Verhaltensweisen, die sich in diversen intra- oder interkulturellen Kontexten unterschiedlich vollziehen und die das Handeln des Menschen als gut oder schlecht, angemessen oder unangemessen bestimmen sollen. Multikulturalität artikuliert Schutz und Anerkennung kultureller Unterschiede in einer multikulturellen Gesellschaft, die aus vielen ethnischen und kulturellen Gruppen besteht, die nebeneinander existieren. Normativ vorgehen bedeutet, den Untersuchungsgegenstand vor dem Hintergrund der Wertvorstellungen zu untersuchen, auf denen er beruht.
Begriffserklärungen Partikularität heißt Gebundenheit einer Idee, einer Theorie, eines Sachverhaltes oder eines Prinzips an eine bestimmte, besondere Kultur.
Semantisch vorgehen heißt, Begriffsbedeutungen einzelner sprachlicher Äußerungen zu klären und miteinander in einen reziproken Zusammenhang zu setzen.
Partikularität der Ethik bedeutet, dass jedes Volk gewisse traditionsgebundene Gewohnheiten hat, die für es spezifisch und damit verbindlich sind.
Solipsismus bezeichnet den Standpunkt, nach dem nur das eigene Ich als wirklich gilt, während andere Ich-Formen nur als Bewusstseinsinhalte ohne eigene Existenz angesehen werden.
Phänomenologisch vorgehen bedeutet, unterschiedliche Formen der Selbstwahrnehmung und der Wahrnehmung des Anderen zu beschreiben, um dadurch dialogische Aspekte zu gewinnen. Polysemie bezeichnet das Vorhandensein mehrerer Bedeutungen zu einem Wort. Rationalistisch vorgehen bedeutet, die Fähigkeiten der Vernunft zu benutzen und zu beachten, welche unterschiedlichen Argumentationsformen diese im Vergleich und Verständnis der Kulturen hervorbringen. Reduktionismsus heißt, ein Phänomen auf ein bestimmtes Verständnis zu begrenzen, die Überbetonung eines aus dem Ganzen herausgesuchten Einzelteils, von dem aus generalisiert wird. Respekt-Konzeption geht von einer moralisch begründeten Form der wechselseitigen Achtung der sich tolerierenden Individuen bzw. Gruppen, insbesondere in einer rechtsstaatlich verfassten politischen Gemeinschaft, aus. Responsivität beschreibt eine antwortende Haltung, eine Antwortbereitschaft oder das Eingehen auf die Interaktionsund Kommunikationsversuche des Anderen. Schablonisierung bezeichnet eine Gussform, nach der eine Sache oder ein Problem gemäß einem vorgefertigten Muster generalisiert wird. Semantik, interkulturelle beschäftigt sich mit kulturell und kontextuell bedingten Äußerungsformen und den daraus hervorgehenden Missverständnissen in der interkulturellen Kommunikation. Sie bezieht sich auf einen Ausschnitt interkultureller Kommunikationsvorgänge, nämlich die Beschreibung kulturspezifischer Wortbedeutungen. „Interkulturelle Semantik“ steht für die Erweiterung von Kompetenzbereichen der Semantik.
Stereotyp beinhaltet eine Eigenschaft oder Verhaltensweise, die Personen aufgrund ihrer Zuordnung zu bestimmten Gruppen zugeschrieben wird, um bestimmte Eigenschaften karikierend hervorzuheben und falsch zu verallgemeinern. Stigmatisierung bezeichnet einen Prozess, in dem bestimmte äußere Merkmale von Personen oder Gruppen mit einer entehrenden und vom gesellschaftlichen Leben ausschließenden Bewertung belegt werden. Synkretismus beschreibt in der Regel eine kritiklose Vermischung verschiedener Systeme, ohne Durchdringung und Ausgleichung ihrer Prinzipien. Tertium Comparationis bedeutet Vergleichsmaßstab. Tolerant sein stellt eine grundsätzliche Einstellung dar, die anderen Formen des religiösen oder politischen Denkens und Handelns nicht ablehnend gegenübersteht, sondern diese in ihrem eigenen Recht gelten lässt. Toleranz ist ein Streitbegriff, der eine schöpferische Haltung beschreibt, die bei der Bewertung einer Sache oder einer Streitfrage als das weise Maß angesehen werden kann, um das Nebeneinander in ein Miteinander zu überführen. Toleranz, äußere bezieht sich „auf die außerhalb der eigenen Religion stehenden Religionen“. Die äußere Toleranz erkennt die Echtheit und den Gültigkeitsanspruch von Verhaltensweisen an, deren Motive nicht in der eigenen Religion verankert sind. Toleranz, formale ist in vielen Verfassungen als staatlich garantierte Glaubensfreiheit verankert. Toleranz, inhaltliche beschränkt sich nicht auf ein bloßes Unangetastetlassen anderer Religionen, sondern bedeutet ihre positi-
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Anhang ve Anerkennung als echte und berechtigte religiöse Möglichkeit der Begegnung mit dem Heiligen. Toleranz, innere spielt sich innerhalb der eigenen Religionsgemeinschaft ab. Sie betont den Unterschied zwischen formaler und inhaltlicher Haltung durch „formale Duldung oder positive Anerkennung von Divergenzen […] innerhalb der eigenen Religion bzw. des eigenen Religionsorganismus“. Toleranz, interkulturelle ist eine Fähigkeit, Konvergenzen und Divergenzen sowie Überlappungen im Vergleich und Verständnis der Kulturen und kulturellen Kontexte zu suchen, um gemeinsame Regeln für den Umgang miteinander zu formulieren. Toleranz üben ist eine Haltung, die einen kommunikativen Charakter hat und durch aktive Anteilnahme zur Anerkennung Anderer führen will. Training, interkulturelles beschreibt unterschiedliche Lern- und Handlungsprozesse, die dazu befähigen, sich auf Situationen in verschiedenen kulturellen Kontexten adäquat und zielführend einstellen zu können. Transkulturalität ist ein Ansatz, der eine gemeinsame Kultur jenseits bestehender kultureller Eigenheiten annimmt. Die Kombination von Elementen verschiedener Herkunft kann so ein Individuum transkulturell erscheinen lassen. Universalität heißt Kulturungebundenheit einer Idee, einer Theorie, eines Sachverhaltes oder eines Prinzips. Universalität der Ethik bedeutet, dass es über die kulturgebundenen Wert-
und Normsysteme hinaus eine ethisch-moralische Verankerung anthropologischer Natur gibt, die allgemein verbindlich ist. Überschneidungssituation, interkulturelle artikuliert eine Situation, in der sich unterschiedliche Horizonte, Entwürfe oder Dispositionen annähern und die Basis einer konstruktiven Kommunikation schaffen. Vorurteile sind negative oder ablehnende Beurteilungen einem Menschen, einer Menschengruppe oder eines Sachverhaltes gegenüber. Vor-Urteile beschreiben eine Haltung, in der versucht wird, über einen Sachverhalt Informationen zusammenzutragen, ohne diese von vornherein positiv oder negativ zu bewerten, sondern bemüht zu sein, dies durch eigene Erkundung zu überprüfen. Wahrheits- und Absolutheitsanspruch, exklusiver ist in die Tiefe der eigenen Einstellung oder Überzeugung gerichtet, verbunden mit dem gleichzeitigen Versuch, dies nach außen zu manifestieren. Wahrheits- und Absolutheitsanspruch, inklusiver ist in die Tiefe der eigenen Einstellung oder Überzeugung gerichtet, ohne den Anspruch, dies nach außen zu manifestieren. Wertschätzungs-Konzeption nimmt in einer anspruchsvolleren Form wechselseitiger Anerkennung als die der Respekt-Konzeption die Überzeugungen und Praktiken der Mitglieder anderer Gemeinschaften als ethisch wertvoll wahr. Wissenschaftstheoretisch vorgehen bedeutet, den Fragen nach Theoriebildung, der Bestimmung von Begriffsapparaten und der Explikation von Vorannahmen nachzugehen.
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Lehr von jedem annimmt“. Festschrift für Michael Albrecht zum 65. Geburtstag, hrsg. v. Hamid Reza Yousefi u.a., Nordhausen 2005 (99–113). –: Grundlagen der interkulturellen Religionswissenschaft (Interkulturelle Bibliothek Bd. 10), Nordhausen 2006. –: mit Klaus Fischer u.a. (Hrsg.): Wege zur Kommunikation. Theorie und Praxis interkultureller Toleranz, Nordhausen 2006. –: Toleranz als Weg zur interkulturellen Kommunikation und Verständigung, in: Wege zur Kommunikation. Theorie und Praxis interkultureller Toleranz, hrsg. v. Hamid Reza Yousefi u.a., Nordhausen 2006 (19–48). –: Interkulturelle Philosophie. Struktur – Gegenstand – Aufgabe, in: Wege zur Kommunikation. Theorie und Praxis interkultureller Toleranz, hrsg. v. Hamid Reza Yousefi u.a., Nordhausen 2006 (43–73). –: Zur Philosophie der angewandten Toleranz. Eine interkulturelle Perspektive, in: Tradition und Traditionsbruch zwischen Skepsis und Dogmatik. Interkulturelle philosophische Perspektive, hrsg. v. Claudia Bickmann u.a. (Studien zur Interkulturellen Philosophie Bd. 16), Amsterdam 2006 (355–371). –: mit Sarah Ginsburg: Kultur des Krieges. Amerikanismus – Zionismus – Islamismus, Nordhausen 2007. –: Angewandte Toleranz. Gustav Mensching interkulturell gelesen (Interkulturelle Bibliothek Bd. 49), Nordhausen 2008. –: Interkulturalität und Geschichte. Perspektiven für eine globale Philosophie, Reinbek 2010. Zaimoglu, Feridun: Kanak Sprak. 24 Misstöne vom Rande der Gesellschaft, Hamburg 1995. Zarrinkoub, Abdolhossein: Na sharghi, na gharbi – ensani (Weder östlich noch westlich – menschlich), Teheran 2001.
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Anmerkungen Einleitung 1 Dieser Versuch wurde bereits an anderer Stelle unternommen. Vgl. Yousefi, Hamid Reza und Ram Adhar Mall: Grundpositionen der interkulturelle Philosophie, 2005. 1. Moderne Theorien des Kulturbegriffs 1 Alfred Louis Kroeber (1876–1960) und Clyde Kluckhohn (1905–1960) stellten mehr als 160 Definitionen von Kultur zusammen, die sich in vielerlei Hinsicht ähneln. Sie fassen Kultur als Schöpfung einzelner Menschen bzw. Gruppen auf und untersuchen sie in ihren Interaktionen mit ihren Schöpfern und der Umwelt. Vgl. Kroeber, Alfred Louis und Clyde Kluckhohn: Culture, 1963. 2 Weber, Max: Rationalisierung und entzauberte Welt, 1989, S. 78 und 83. 3 König, René: Einleitung: Über einige Fragen der empirischen Kulturanthropologie, 1972, S. 35. 4 Vgl. Reckwitz, Andreas: Die Transformation der Kulturtheorien, 2006. 5 Ein grundsätzlicher Mangel der heutigen Sozialtheorie besteht darin, dem Kulturbegriff eine heuristische Bedeutung für sozial- und kulturwissenschaftliche Analysen zu geben. 6 Kant, Immanuel: Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, 1923, S. 21 und 17f. 7 Kant, Immanuel: Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, 1923, S. 26. 8 Kant, Immanuel: Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen, 1902, S. 254. 9 Elias, Norbert: Über den Prozess der Zivilisation, Bd. 2, 1978, S. 345. 10 Elias, Norbert: Über den Prozess der Zivilisation, Bd. 2, 1978, S. 348. 11 Herder, Johann Gottfried: Sämtliche Werke, 1968, S. 46ff. und 59. 12 Herder, Johann Gottfried: Ueber die Würkung der Dichtkunst auf die Sitten der Völker in alten und neuen Zeiten, 1967, S. 423. 13 Herder, Johann Gottfried: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, 1903, S. 157.
14 Reckwitz, Andreas: Die Transformation der Kulturtheorien, 2006, S. 72. 15 Vgl. Malinowski, Bronislaw: Eine wissenschaftliche Theorie der Kultur, 1975, S. 74f. 16 Vgl. Malinowski, Bronislaw: Eine wissenschaftliche Theorie der Kultur, 1975, S. 74f. 17 Spengler, Oswald: Der Untergang des Abendlandes, 172006, S. 140. 18 Spengler, Oswald: Der Untergang des Abendlandes, 172006, S. 1194. 19 Spengler, Oswald: Der Untergang des Abendlandes, 172006, S. 3. 20 Vgl. Toynbee, Arnold Joseph: Der Gang der Weltgeschichte, 1949 und 1958. 21 Scheler, Max: Philosophische Weltanschauung, 3 1968, S. 99. 22 Scheler, Max: Philosophische Weltanschauung, 3 1968, S. 99. 23 Reckwitz, Andreas: Die Transformation der Kulturtheorien, 2006, S. 79. 24 Reckwitz, Andreas: Die Transformation der Kulturtheorien, 2006, S. 79. 25 Vgl. Schmidt, Siegfried J.: Kognitive Autonomie und soziale Orientierung: Konstruktivistische Bemerkungen zum Zusammenhang von Kognition, Kommunikation, Medien und Kultur, 1994, S. 214. 26 Vgl. Tenbruck, Friedrich H.: Die kulturellen Grundlagen der Gesellschaft, 1990. 27 Luhmann, Niklas: Die Kunst der Gesellschaft, 1999, S. 398. 28 Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der Gesellschaft, 1997, S. 958. 29 Luhmann bezeichnet Kultur auch als „eine besondere, klassifizierbare Menge von Gegenständen, als eine ontologische Region der Welt im Unterschied zu anderen Gegenständen bzw. Regionen“. Luhmann, Niklas: Kultur als historischer Begriff, 1995, S. 31f. 30 Reckwitz, Andreas: Die Transformation der Kulturtheorien, 2006, S. 84. 31 Vgl. Geertz, Clifford: Dichte Beschreibung, 1987, S. 46. 32 Geertz, Clifford: Dichte Beschreibung, 1987, S. 46. 33 Vgl. Geertz, Clifford: „From the native’s point of view“: On the nature of anthropological understanding, 1993.
Anmerkungen 34 Vgl. Bloor, David: Die Logik der Zande und die westliche Logik, 1984, S. 158. 35 Vgl. Mehimani, Mohammad Ali: Goftoguje tamaddonha wa farhangha, 2001, S. 263–280. 36 Vgl. Mehimani, Mohammad Ali: Goftoguje tamaddonha wa farhangha, 2001, S. 290ff. 37 Vgl. Mehimani, Mohammad Ali: Goftoguje tamaddonha wa farhangha, 2001, S. 202 und 272f. 38 Senghaas, Dieter: Zivilisierung wider Willen, 1998, S. 7. 39 Senghaas, Dieter: Zivilisierung wider Willen, 1998, S. 8.
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deren Konstanten allerdings keinen Ewigkeitsanspruch gegenüber der geschichtlichen Variabilität erheben, sondern sich selber zu ihr offenhalten, indem sie ihre Offenheit selber gewährleisten“. Plessner, Helmuth: Die Frage nach der Conditio Humana, 1976, S. 27. Vgl. Jaeger, Friedrich u.a.: Handbuch der Kulturwissenschaften, 2004. Assmann, Aleida: Einführung in die Kulturwissenschaft, 2006, S. 15. Vgl. Pawtowski, Tadeusz: Begriffsbildung und Definition, 1980. Neuner, Gerhard und Hans Hunfeld: Methoden des fremdsprachlichen Deutschunterrichts, 1993, S. 124.
2. Interkulturalität: eine akademische Disziplin 1 Vgl. hierzu Kürsat-Ahlers, Elçin (Hrsg.): Globalisierung, Migration und Multikulturalität, 1999 und Barloewen, Constantin von: Anthropologie der Globalisierung, 2007. 2 Vgl. hierzu Auernheimer, Georg: Einführung in die interkulturelle Erziehung, 1990 und EirmbterStolbrink, Eva und Claudia König-Fuchs: Ideen zur interkulturellen Pädagogik – abgeleitet aus der Erziehungswissenschaft, 2008. 3 Vgl. Kordes, Hagen und Jacques Demoron: Interkulturelle Geschichte zwischen Aussonderung und Verschmelzung, 2006, S. 55f. 4 Die Einführung der Interkulturalität als wissenschaftliche Disziplin hat die Interkulturalisierung der Lehre und Forschung zur Folge: Kulturelle Bildung ist eine grundsätzliche Voraussetzung der Interkulturalität, die Differenzen wahrnimmt und pflegt, ohne Gemeinsamkeiten aus den Augen zu verlieren, die auf historischen und anthropologischen Faktoren beruhen. In diesem Sinn weist Wilhelm von Humboldt (1767–1835) im Kontext seiner „Theorie der Bildung des Menschen“ darauf hin, dass wir „auf die Verschiedenheiten der Köpfe“ und „die Mannigfaltigkeit der Weise“ Rücksicht nehmen sollten, „wie sich die Welt in verschiedenen Individuen spiegelt“. Humboldt, Wilhelm von: Schriften zur Anthropologie und Geschichte, 1980, S. 239. Vgl. auch Kiesel, Doron: Das Dilemma der Differenz, 1996. 5 Vgl. Neuser, Wolfgang: Natur und Begriff, 1995, S. 2ff. 6 Vgl. Holenstein, Elmar: Philosophie-Atlas, 2004, S. 27–31. 7 Eliade, Mircea: Die Sehnsucht nach dem Ursprung, 1973, S. 208 und 83f. Hermeneutik fordert nach Plessner „eine Lehre vom Menschen mit Haut und Haaren, eine Theorie seiner Natur,
3. Interkulturelle Theorie der Kommunikation 1 Vgl. Liedke, Martina u.a.: Interkulturelles Handeln lehren – ein diskursanalytisher Trainingsansatz, 2002 (148–179). 2 Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns. Bd. 1, 1981, S. 395. 3 Fornet-Betancourt, Raúl: Philosophische Voraussetzungen des interkulturellen Dialogs, 1998, S. 47. 4 Habermas, Jürgen: Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns, 1984, S. 177f. 5 Vgl. Schulz von Thun, Friedemann: Miteinander reden, 1981. 6 Friedli, Richard: Zwischen Himmel und Hölle, – Die Reinkarnation, 1986, S. 97. 7 Uns geht es hier nicht darum, interkulturelle Kommunikation als eine wissenschaftliche Disziplin zu diskutieren, die seit den 1950er Jahren in unterschiedlichen kulturellen Kontexten unter diversen Voraussetzungen diskutiert wird. Theoretische Ansätze zur Kommunikationsforschung sind hervorgegangen aus der statistischen Informationstheorie und der Kybernetik, aus der Ethologie, der Ethnologie, der Psychologie und der Soziologie (z.B. im Rahmen der Massenkommunikationsforschung) sowie aus den Kultur- und Sprachwissenschaften, der Semiotik und der Philosophie (Hermeneutik, Diskursanalyse, Sprechakttheorie etc.). 8 Alois Hahn und Bernhard Waldenfels gehen vom Begriffspaar „Das Eigene und das Fremde“ aus. Bei beiden ist die Gefahr der Hypostasierung des Anderen (Fremden) gegeben. Vgl. Waldenfels, Bernhard: Topographie des Fremden, 1997; Grundmotive einer Phänomenologie des Fremden, 2006 und Hahn, Alois: Eigenes durch Frem-
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Anhang
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des: Warum wir anderen unsere Identität verdanken, 1999. Vgl. hierzu Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis, 21997, S. 131f. Vgl. Heinrichs, Hans-Jürgen: Das Fremde verstehen, 1999, S. 43. Heinrichs, Hans-Jürgen: Einleitung, 1977, S. 41. Husserl, Edmund: Die Krisis des europäischen Menschentums und die Philosophie, 21962, S. 320. Vgl. Scheuermann, Erich: Der Papalagi, 1978, S. 13ff. Vgl. Waldenfels, Bernhard: Grundmotive einer Phänomenologie des Fremden, 2006. Alexander Thomas hat zu diesem Themenbereich wichtige Erkenntnisse zusammengetragen. Vgl. Thomas, Alexander: Interkulturelle Kompetenz – Grundlagen, Probleme und Konzepte, 2003, S. 141. Thomas, Alexander: Interkulturelle Kompetenz – Grundlagen, Probleme und Konzepte, 2003, S. 141. Vgl. Handschuck, Sabine: Interkulturelle Verständigung – ein Fortbildungsansatz, 2001, S. 44. Grosch, Harald/Wolf Rainer Leenen: Bausteine zur Grundlegung interkulturellen Lernens, 1998, S. 29. Liang, Yong: Höflichkeit im Chinesischen, 1998. Vgl. Yousefi, Hamid Reza: Angewandte Toleranz, 2008, S. 120, nach Müller, Bernd-Dietrich: Wortschatzarbeit und Bedeutungsvermittlung, 1992. Koch, Peter u.a. (Hrsg.): Neues aus Sankt Eiermark, 21997, S. 57f. Kögler, Hans-Herbert: Die Macht des Dialogs, 1992, S. 19. Vgl. Kühn, Peter: Interkulturelle Semantik, 2006, S. 14. Kühn, Peter: Interkulturelle Semantik, 2006, S. 26. Kühn, Peter: Interkulturelle Semantik, 2006, S. 9. Vgl. Kühn, Peter: Interkulturelle Semantik, 2006, S. 149. Kühn, Peter: Interkulturelle Semantik, 2006, S. 47. Vgl. Yousefi, Hamid Reza und Ram Adhar Mall: Grundpositionen der interkulturellen Philosophie, 2005, S. 101. Goethe, Johann Wolfgang: West-östlicher Divan, 2006, S. 22. Vgl. Henckmann, Gisela: Gespräch und Geselligkeit in Goethes „West-östlichem Divan“, 1975, S. 135ff. und Ileri, Esin: Goethes „Westöstlicher Divan“ als imaginäre Orient-Reise,
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1982, S. 305ff., vgl. auch Mommsen, Katharina: Goethe und die arabische Welt, 1988, S. 266ff. Vgl. zu diesem Thema Mecklenburg, Norbert: Differenzierender Universalismus, 2000, S. 63ff. Vgl. Mall, Ram Adhar: Hermeneutik, Interkulturalität und die Postmoderne, 1991, S. 4. Vgl. Mall, Ram Adhar: Philosophie im Vergleich der Kulturen, 1995, S. 1. Auernheimer, Georg: Einführung in die interkulturelle Erziehung, 1990, S. 15. Holenstein, Elmar: Menschliches Selbstverständnis, 1985, S. 104. Cappai, Gabriele: Der interkulturelle Vergleich, 2005, S. 65. Cappai, Gabriele: Der interkulturelle Vergleich, 2005, S. 65. Vgl. Malinowski, Bronislaw: Das Geschlechtsleben der Wilden in Nordwest-Melanesien, 1930. Vgl. Geertz, Clifford: Dichte Beschreibungen, 1987. Plessner, Helmuth: Zwischen Philosophie und Gesellschaft, 1979, S. 296. Vgl. Fabian, Johannes: Präsenz und Repräsentation, 1993, S. 335ff. Waldenfels, Bernhard: Topographie des Fremden, 1997, S. 74. Vgl. Gernert, Dieter: What can we learn from internal observers?, 1994, S. 121–133 und ders.: Information gain by endo-observers – chances an limitations, 1998, S. 73–79. Bedeutende Beispiele von Toleranz demonstrierten der persische Großkönig Kyros (559–529 v.u.Z.) oder der indische König Ashoka (268–239 v.u.Z.). Kyros befreite die Juden aus der babylonischen Gefangenschaft, stattete sie mit finanziellen Mitteln aus und motivierte sie, nach Jerusalem zurückzukehren und dort den zerstörten Tempel wieder aufzubauen. Der Vielvölkerstaat der Perser ist neben Indien eines der Mutterländer der Interkulturalität und Interreligiosität, ein Land, in dem verschiedene Religionen, Kulturen und Denkmodelle miteinander auskamen. Vgl. Cyrus, 1969. Ashoka fand nach langer tyrannischer Herrschaft zum Buddhismus und gewährte Religionsfreiheit. Vgl. Mensching, Gustav: Die Söhne Gottes, 1958, S. 66. Mensching, Gustav: Toleranz und Wahrheit in der Religion, 21966. Mensching, Gustav: Toleranz und Wahrheit in der Religion, 21966, S. 18. Vgl. Mensching, Gustav: Toleranz und Wahrheit in der Religion, 21966, S. 18. Mensching, Gustav: Duldsamkeit, 1929, S. 88. Mensching, Gustav: Toleranz und Wahrheit in der Religion, 21966, S. 19.
Anmerkungen 50 Mensching, Gustav: Toleranz, eine Form der Auseinandersetzung der Religionen, 1953, S. 719. 51 Mensching, Gustav: Toleranz und Wahrheit in der Religion, 21966, S. 19. 52 Vgl. Blattner, Jürgen: Toleranz als Strukturprinzip, 1985 und Forst, Rainer: Toleranz im Konflikt, 2003. 53 Vgl. Mensching, Gustav: Der offene Tempel, 1974. 54 zitiert in: Kerber, Walter (Hrsg.): Wie tolerant ist der Islam? 1991, S. 79. 55 An anderer Stelle wurden diese und ähnlich problematische Fragen diskutiert. Vgl. Braun, Ina und Hermann-Josef Scheidgen (Hrsg.): Interkulturalität – Wozu?, 2008. 56 Jaspers, Karl: Die Atombombe und die Zukunft des Menschen. Politisches Bewusstsein in unserer Zeit (1958), 41961, S. 118. 57 Benezet Bujo zeigt in seiner Studie über die afrikanische Ethik, dass es keinen Sinn macht, von einer europäisch-westlichen Theorie der Ethik auf die Ethiken anderer Völker zu schließen, die von anderen Voraussetzungen ausgehen. Vgl. Bujo, Benezet: Wider den Universalanspruch westlicher Moral, 2000. 58 Es ist darauf hinzuweisen, dass alle diese Theorien mit unterschiedlichen Unzulänglichkeiten sowie Vor- und Nachteilen einhergehen, auf die wir hier nicht weiter eingehen wollen. 59 Ghazali, Abu Hamed Mohammad ibn Mohammad: Das Elixier der Glückseligkeit, 1979, S. 26. 4. Strukturelle Probleme interkultureller Kommunikation 1 Vgl. hierzu Mensching, Gustav: Gott und Mensch, 1948, S. 195. 2 Eliade, Mircea: Die Sehnsucht nach dem Ursprung, 1973, S. 208 und 83f. 3 Thomas, Alexander: Bedeutung und Funktion sozialer Stereotype und Vorurteile für die interkulturelle Kooperation, 2000, S. 16f. 4 Cottler, Joseph und Jaffe, Haym: David Livingstone, 1950, S. 8. ´, Dubravka: Arrogante Franzosen, knick5 UgreÐic rige Holländer, in: Die Zeit, Nr. 30 vom 17.7.2003, S. 11. 6 Zu dieser Frage hat Axel Honneth eine Studie vorgelegt, in der er versucht, die Problematik der Anerkennung zu typologisieren. Vgl. Honneth, Axel: Verdinglichung, 2005. 7 Goethe, Johann Wolfgang: Maximen und Reflexionen, 2006, S. 872.
8 Eirmbter-Stolbrink, Eva und Claudia KönigFuchs: Ideen zur interkulturellen Pädagogik – abgeleitet aus der Erziehungswissenschaft, 2008, S. 19. 9 Vgl. Yousefi, Hamid Reza: Angewandte Toleranz, 2008, S. 109.
5. Interkulturalität – Multikulturalität – Transkulturalität: ein Vergleich 1 In Anbetracht dessen, dass Begriffe wie Demokratie, Menschenrechte und ähnliche andere Termini mit unklarer Bedeutung in fast jedem Zusammenhang als hochwertige Wörter verwendet werden, ohne dem Vorwurf des inflationären Gebrauchs ausgesetzt zu sein, ist eine solche Unterstellung für die Begriffe Inter-, Trans- oder Multikulturalität unbegründet. 2 Vgl. Welsch, Wolfgang: Transkulturalität, 1992, S. 5ff. 3 Martin Kämpchen weist im Rahmen seiner Indienstudien darauf hin, dass oft eine Suche nach anderen Religionen stattfindet, die einer unreflektierten Interkulturalität oder Interreligiosität gleicht. Die suchenden Indienfahrer kehrten jedoch häufig enttäuscht wieder zurück. Vgl. Kämpchen, Martin: Asien mit der Seele suchen, 2006, S. 37ff. 4 Vgl. Knitter, Paul F.: Ein Gott – viele Religionen, 1988. 5 Vgl. Därmann, Iris: Fremde Monde der Vernunft, 2005, S. 373. Därmann bezieht sich auf den deutschen Philosophen Edmund Husserl (1859–1938), der ein ambivalentes und vorwiegend eurozentrisches Verhältnis zu außereuropäischen Kulturregionen gepflegt hat. 6 Vgl. Mall, Ram Adhar: Philosophie im Vergleich der Kulturen, 1995; Fornet-Betancourt, Raúl: Philosophische Voraussetzungen des interkulturellen Dialogs, 1998; Wimmer, Franz Martin: Interkulturelle Philosophie, 2004 und Kimmerle, Heinz: Rückkehr ins Eigene, 2006. In diesem Zusammenhang sei auf zwei Zeitschriften hingewiesen, die sich mit interkulturellen Themenfeldern beschäftigen. Vgl. Polylog. Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren, hrsg. v.d. Wiener Gesellschaft für interkulturelle Philosophie, 1998ff.; DIALOG. Zeitschrift für interreligiöse und interkulturelle Begegnung, hrsg. v. Mohammad Razavi Rad (Institut für islamische Bildung e.V.), 2000ff. 7 Vgl. Yousefi, Hamid Reza: Interkulturalität und Geschichte, 2010.
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Anhang 8 Vgl. Wierlacher, Alois: Handbuch interkulturelle Germanistik, 2003. 9 Vgl. Thomas, Alexander u.a.: Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kooperation, 2003. 10 Vgl. Interkulturelle Kommunikation, hrsg. v. Olga Rösch, Wildauer, 1999ff. 11 Vgl. Földes, Csaba und Gerd Antos: Interkulturalität: Methodenprobleme der Forschung, 2007. 12 Zu den folgenden sechs Dimensionen vgl. Neubert, Stefan u.a.: Multikulturalität in der Diskussion, 22008, S. 20f. 13 Vgl. Krumm, Hans-Jürgen: Interkulturelles Lernen und interkulturelle Kommunikation, 1995, S. 156. 14 Vgl. Zaimoglu, Feridun: Kanak Sprak, 1995. 15 Vgl. Nicklas, Hans u.a.: Interkulturell handeln und denken, 2006, S. 173ff. 16 Vgl. Taylor, Charles: Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung, 1992. 17 Vgl. Bhabha, Homi K.: Die Verortung der Kultur, 2000. 18 Vgl. Peplow, Ronnie M.: Interkultureller Dialog, 2002, S. 62. 19 Ackermann, Andreas: Wechselwirkung Komplexität, 2002, S. 11. Ackermann weist darauf hin, dass solche kulturelle Wahrnehmungen zu ethnischen Kämpfen bzw. „ethnischen Säuberungen“ führen. 20 Vgl. Demorgon, Jacques u.a.: Multikultur, Transkultur, Leitkultur, Interkultur, 2006, S. 31. 21 Welsch, Wolfgang: Transkulturalität, 2000, S. 336. Vgl. auch die ähnliche Auffassung von Antor, Heinz: Inter- und Transkulturelle Studien, 2006. 22 Welsch, Wolfgang: Transkulturalität, 2000, S. 330. 23 Mecklenburg geht davon aus, dass „Interkulturalität“ und „Transkulturalität“ den Begriff der „Kultur im Singular“ voraussetzen. Er begründet seine These mit Beispielen aus der Physik und Literaturwissenschaft. Erstere sei transkulturell und Letztere interkulturell. Vgl. Mecklenburg, Norbert: Das Mädchen aus der Fremde, 2008, S. 92. 24 Vgl. Herder, Johann Gottfried: Ueber die Würkung der Dichtkunst auf die Sitten der Völker in alten und neuen Zeiten, 1967, S. 423. In seinen Briefen zur Beförderung der Humanität ergänzt Herder seinen Kulturbegriff und meint, Kultur gedeihe einzig „auf dem eigenen Boden der Nation, in ihrer ererbten und sich forterbenden Mundart“. Herder, Johann Gottfried: Sämtliche Werke, 1968, S. 46ff. und 59. 25 Elm, Ralf: Notwendigkeit, Aufgaben und Ansätze einer interkulturellen Philosophie, 2001, S. 14.
26 Waldenfels, Bernhard: Topographie des Fremden, 1997, S. 110. 27 Waldenfels, Bernhard: Grundmotive einer Phänomenologie des Fremden, 2006, S. 109. Jacques Demoron und Hagen Kordes weisen die Idee der Transkulturalität zurück und sprechen von „Paradoxien der transkulturellen Perspektive“. Demorgon, Jacques u.a.: Multikultur, Transkultur, Leitkultur, Interkultur, 2006, S. 31. 28 Vgl. Fornet-Betancourt, Raúl: Unterwegs zur interkulturellen Philosophie, 1998, S. 16. 29 Vgl. Wimmer, Franz Martin: Interkulturelle Philosophie, 2004, S. 19 und 51. 30 Antweiler, Christoph: Grundpositionen interkultureller Ethnologie, 2007, S. 91. 6. Machtproblematik und kulturelle Konflikte 1 Vgl. hierzu die empirische Studie von Nisbett, Richard E.: The Geography of Thought, 2003. 2 Ehlers, Simon: Der Kreis und die Linie. Die Geografie des Denkens. In: PSYCHOLOGIE HEUTE 2/2004, S. 48f. 3 Weggel, Oskar: Die Asiaten, 1989, S. 187. 4 Vgl. Mohanty, Jitendra Nath: Philosophie zwischen West und Ost, 2006, S. 287ff. 5 Zarrinkoub, Abdolhossein: Na sharghi, na gharbi – ensani, 2001, S. 27f. 6 Vgl. Nakamura, Hajime: Ways of thinking of Eastern peoples, 1978. 7 Maletzke, Gerhard: Interkulturelle Kommunikation, 1996, S. 40. 8 Max Weber hat sich auch mit der Kategorie der Macht auseinandergesetzt, worauf hier grundsätzlich verwiesen sei. Vgl. Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1980, S. 28. 9 Mehlig, Johannes: Weisheit des alten Indien, 1987, S. 347f. 10 Vgl. Huntington, Samuel P.: Der Kampf der Kulturen, 31997, S. 68. Jochen Hörisch kritisiert zu Recht diese Haltung der europäisch-westliche Hemisphäre, die von Expansionismus und Kolonialismus geprägt war: „Mitteleuropa arbeitet ab 1800 verstärkt in allen Bereichen an der Austreibung von Pluralitäten […]. Wird doch aus den vielen Sinnen der eine Sinn, aus den vielen Geschichten die eine (Welt-)Geschichte, aus den vielen Wahrheiten die eine Wahrheit, aus den vielen Geistern (und Buchstaben) der eine Geist.“ Hörisch, Jochen: Die Wut des Verstehens, 1988, S. 67. 11 Vgl. Panikkar, Raimon: Die Aufgabe der Philosophie angesichts einer bewaffneten Vernunft, 2006, S. 34. Hier sei auf die atomaren Spreng-
Anmerkungen köpfe von USA, Russland, Frankreich, England, Israel, Indien, Pakistan und die damit verbundenen Militärausgaben sowie neue Arsenale, die hinzukommen oder diese ersetzen, verwiesen. 12 Jaspers, Karl: Weltgeschichte der Philosophie, 1982, S. 159.
13 Galtung, Johan: Gewalt, Frieden und Friedensforschung, 1971, S. 56. 14 Vgl. Yousefi, Hamid Reza u.a.: Kultur des Krieges, 2007. 15 Galtung, Johan: Eine strukturelle Theorie des Imperialismus, 1980, S. 29.
139
Namenregister Ackermann, Andreas 107, 129, 138 Alfons X. von Kastillien 29 Antor, Heinz 129, 138 Antos, Gerd 104, 129, 138 Antweiler, Christoph 109, 129, 138 Aristoteles 86 Ashoka 136 Assmann, Aleida 129, 135 Assmann, Jan 129, 135f. Auernheimer, Georg 129, 135f. Barloewen, Constantin von 130, 135 Benedikt XVI. (Papst) 77 Bernstein, Basil 106 Bhabha, Homi K. 107, 129, 138 Blattner, Jürgen 129, 137 Bloor, David 22, 129, 135 Braun, Ina 9, 129, 132, 133, 137 Brod, Max 91 Bujo, Benezet 129, 137 Cappai, Gabriele 129, 136 Cottler, Joseph 129, 137 Därmann, Iris 103, 129, 137 Demorgon, Jacques 129, 138 Demoron, Jacques 131, 135, 138 Dilthey, Wilhelm 17 Ehlers, Simon 111f., 114, 129, 138 Eirmbter-Stolbrink, Eva 129, 135, 137 Eliade, Mircea 129, 135f. Elias, Norbert 14f., 129, 134 Elm, Ralf 108, 129, 138 Fabian, Johannes 72, 74, 129, 136 Földes, Csaba 104, 129, 138 Fornet-Betancourt, Raúl 103,109, 129, 135, 137f. Forst, Rainer 75, 77f., 84f., 129, 137 Friedli, Richard 129, 135 Galtung, Johan 119f., 130, 139 Gandhi, Mahatma 118 Geertz, Clifford 21–23, 71f., 74, 130, 134, 136 Gernert, Dieter 9, 72f., 130, 136 Ghazali, Abu Hamed Mohammad ibn Mohammad 87, 130, 137 Goethe, Johann Wolfgang von 65, 99, 101, 130f., 136 Gramlich, Richard 78, 85, 131, 137 Grosch, Harald 130, 136
Habermas, Jürgen 40, 42, 57, 66, 130, 135 Hahn, Alois 130, 135 Handschuck, Sabine 130, 136 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 18, 132 Heinrichs, Hans-Jürgen 48, 130, 136 Henckmann, Gisela 130, 136 Herder, Johann Gottfried 16, 18, 50, 105, 108, 130, 134, 138 Hobbes, Thomas 86 Holenstein, Elmar 70, 130, 134, 136 Honneth, Axel 130, 137 Hörisch, Jochen 130, 138 Humboldt, Wilhelm von 130, 135 Hunfeld, Hans 132, 135 Huntington, Samuel P. 118, 120, 129, 138 Husserl, Edmund 49, 51, 103, 130, 136f. Ileri, Esin 131, 136 Jaeger, Friedrich 130, 135 Jaffe, Haym 129, 137 Jaspers, Karl 84f., 130, 137, 139 Johannes Paul II. (Papst) 77 Kafka, Franz 91 Kämpchen, Martin 130, 137 Kant, Immanuel 14–16, 86, 131, 134 Kaplan, Metin 76, 85, 100 Karl-Otto Apel 66, 86 Kerber, Walter 131, 137 Kiesel, Doron 135 Kimmerle, Heinz 9, 103, 131, 137 Klemm, Michael 9 Kluckhohn, Clyde 131f., 134 Knitter, Paul F. 104f., 131, 137 Koch, Peter 131, 136 Kögler, Hans-Herbert 131, 136 König, René 12, 131, 134 König-Fuchs, Claudia 129, 135, 137 Kordes, Hagen 131, 135, 138 Kriton 91 Kroeber, Alfred Louis 131, 134 Krumm, Hans-Jürgen 131, 138 Kühn, Peter 58f., 131, 136 Kürsat-Ahlers, Elçin 131, 135 Kyros (Cyrus) 30, 136 Labov, William 106 Leenen, Wolf Rainer 130, 136 Liang, Yong 56, 131, 136
142
Namenregister Liebenstein, Stephanie von 9 Liedke, Martina 131, 135 Livingstone, David 96, 101, 129, 137 Luhmann, Niklas 19f., 132, 134 MacIntyres, Alasdair 86 Maletzke, Gerhard 131, 138 Malinowski, Bronislaw 6–18, 21 f., 71–74, 131, 134, 136 Mall, Ram Adhar 103, 131, 133f., 136f. Mann, Heinrich 24 Mann, Thomas 24 Mecklenburg, Norbert 131, 136, 138 Mehimani, Mohammad Ali 21–23, 131, 135 Mehlig, Johannes 131, 138 Menandros 117, 120 Mensching, Gustav 75–78, 84f., 131, 133, 136f. Mohammad Dschamal-ed-Din, Hafis 65 Mohanty, Jitendra Nath 112, 132, 138 Mommsen, Katharina 132, 136 Müller, Bernd-Dietrich 132, 136
Razavi Rad, Mohammad 137 Reckwitz, Andreas 13, 16, 132, 134 Rösch, Olga 104, 138 Sartoschts (Zarathustra) 86 Scheidgen, Hermann-Josef 129, 137 Scheler, Max 18, 132, 134 Scheuermann, Erich 49, 51, 132, 136 Schopenhauer, Arthur 86 Schulz von Thun, Friedemann 40– 42, 132, 135 Schwarzer, Alice 63f. Senghaas, Dieter 9, 24–26, 29, 44, 50, 66, 70, 81, 98, 130, 132, 135 Simmel, Georg 19 Sokrates 90, 117f. Spengler, Oswald 16–18, 132, 134 Taylor, Charles 107, 132, 138 Tenbruck, Friedrich H. 19f., 132, 134 Thomas, Alexander 96, 104, 132, 136–138 Toynbee, Arnold Joseph 16–18, 132, 134
Nagasena 117 Nakamura, Hajime 114, 132, 138 Naraqi, Molla Ahmad 86 Neubert, Stefan 132, 138 Neuner, Gerhard 132, 135 Neuser, Wolfgang 132, 134 Nicklas, Hans 129, 131, 138 Nisbett, Richard E. 111f., 114, 132, 138
UgreÐic,Dubravka 96, 137
Panikkar, Raimon 118–120, 138 Pawtowski, Tadeusz 132, 135 Peplow, Ronnie M. 132, 138 Plessner, Helmuth 72, 132, 135f.
Yousefi, Hamid Reza 9, 129, 131, 132, 133f., 136f., 139
Waldenfels, Bernhard 108, 132, 135f., 138 Weber, Max 17, 19, 132, 134, 138 Weggel, Oskar 112f., 132, 138 Welsch, Wolfgang 102, 108f., 132, 137f. Wierlacher, Alois 104, 131–133, 138 Wimmer, Franz Martin 103, 109, 133, 137f.
Zaimoglu, Feridun 106, 133, 138 Zarrinkoub, Abdolhossein 114, 133, 138