Wunderliche und wahrhaftige Gesichte Philanders von Sittewald, Band 1, Teil 1: Enthaltend: Den Schergenteufel. Der Welt Wesen. Die Venusnarren. Das Todtenheer [[Mehr nicht erschienen]. Reprint 2020 ed.] 9783111601694, 9783111226538


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Wunderliche und wahrhaftige Gesichte Philanders von Sittewald, Band 1, Teil 1: Enthaltend: Den Schergenteufel. Der Welt Wesen. Die Venusnarren. Das Todtenheer [[Mehr nicht erschienen]. Reprint 2020 ed.]
 9783111601694, 9783111226538

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Bibliothek der

wichtigsten deutschen prosaistischen

Satiriker und Humoristen -eS siebzehnten Jahrhunderte^ herausgege bcn von

Dr. Heinrich Dittmar. Erster Band. Der satirischen Schriften von

Moscherosch ersten Theils erster Band.

Berlin,

gedruckt und verlegt bei G. Reimer, 1830.

Wunderliche und wahrhaftige

Gesichte Philanders von Sittewald, d. i.

Satirische Schriften von

Johann Michael Moscherosch. Herausgegeben von

Dr. Heinrich Dittmar. Ersten Theiles erster Band, «nthaltsnd:

Den Schergenteufel.

Der Welt Wesen.

Die Venusnarren. Das Todtenheer.

Berlin,

gedruckt und verlegt bei G. Reimer, 1830.

Einleitung.

Geister, welche der Welt einen Spiegel vorhalten, darin

diese sich erkenne, haben ihr von jeher den besten Dienst

geleistet,

wiewohl ihnen von denen,

die hineinschauten

und darin ihre eigentliche wahrhafte Gestalt erblickten,

selten der rechte Dank wurde.

Diesen Dienst überneh­

men unter allen auf irgend einem Wege dazu Berufenen,

nicht selten am erfolgreichsten diejenigen,

welche

die,

durch Abweichung vom objectiven Vernunftgesetz in sich

selbst zerrissene,

Menschheit theils durch neckende Vor,

Haltung ihrer lächerlichen,

spottung

theils durch geißelnde Ver­

ihrer verächtlichen Seite wieder zu sich selbst

und zur Versöhnung mit bringen suchen.

dem

und humoristischen Schriftsteller. der Komiker,

beleidigten Gesetze zu

Dies thun die komischen,

satirischen

Von denselben ist es

welcher besonders dem Narren,

dessen

Krankheit im Verstände —; der Satiriker, welcher be­ sonders dem Lasterhaften,

dessen Krankheit in der Ge­

sinnung und dem Willen liegt, und endlich der Humo­

rist, welcher beiden, dem Thörichten und Schlechten im Menschen, gleichmäßig zu Leibe geht, — mit dem lln,

terschicde jedoch, daß er, wie schon von Andern bemerkt wurde,

lectuelle,

i. i.

mit hoher Menschenliebe,

nicht nur die intel-

sondern auch die moralische Verkehrtheit in

1

Einleitung.

II

ihrem Ursprünge nur als ein „Fehlurtheil" betrachtet, und dabei scheinbar sich selbst mit zum Stichblatt seiner Laune, oder besser, zum Gegenstand seines bald lachen, den, bald weinenden Bedauerns macht. In so ferne der ächte Humor in seiner vollkomme,

nen Erscheinung die reichste Phantasie, den treffendsten

Witz, den tiefsten Sinn, das zarteste Gefühl, die hellste

Vernunft,

die reinste Menschenliebe,

den erhabensten

Ernst, die heiterste, ja, besonders zur Verbergung sei, ncs Schmerzes,

ausgelaffendste Laune in sich vereinigt,

und die allseitigste Weltanschauung in Idee und

Wirklichkeit voraussctzt,

vorgerückter,

ist er eine Offenbarungsweise

hochgestellter

sittlicher

und

intellectueller

Bildung, und darum hat erst die neuere Zeit, und in

derselben besonders dasjenige Volk, welches in der dazu erforderlichen Verbindung von Eigenschaften vor andern

hervorragt, ich meine das deutsche, Humoristen in jenem höhern Sinne aufzuweisen.

Die Grundanlage davon

finden wir bei un- (zum Beweis,

nete

Weltanschauungsart

eine

daß die ebenbczeich,

vorzugsweise

Mitgabe

unseres Volksstammes ist) nicht nur in schon frühen, sondern auch in sehr häufigen Zügen, sowohl in den

natürlichen unbewußten Gemüthsergießungen des Volks, in seinen Liedern, Sprüchen, Mähren, Spielen, als auch in den höhern kunstartigen Erzeugnissen seiner her,

vorragenden Geister, nicht nur der eigentlichen Dichter,

sondern auch der Redner,

sogar der geistlichen.

Die

Komik aber, als die — vorzugsweise dramatische — Darstellerin des Lächerlichen, und die Satire (im

eng. S.), als die Verspotterin des Verabscheuungswer, then, haben, als mehr einseitige Richtungen schon im Alterthum — jene bei den Griechen und Römern, diese

Einleitung.

m

mehr bei den Römern, und beide später bei den neuern

Völkern, und somit auch bei dem unsern (jedoch nicht

ohne Anleitung von jenen) — schon früher eine vollere Ausbildung erhalten. Bei uns trat die Komik und die Satire, welche beide sich übrigens immer gern gegen, seitig etwas von ihrem Elemente abgcben, streng einseitig

hervor,

daß nicht in

nur nie so

ihren Gebilden

meist auch zugleich ein (mehr oder minder) starker hu, moristischer Bestandtheil

anzutreffen

wäre,

wie denn

überhaupt der Deutsche unter den Völkern der geborne

Humorist ist, indem er gar gern — ungleich allen an,

deren, am ungleichsten dem Franzosen — auf'- unver, holenste und gutmüthigste sein eigenes Ich parodirt. Die Werke der Dichter und Prosaiker sind die im, vergänglichen Zeugnisse von eines Volkes innerem Leben, dessen Entwicklungsgang sich aus ihnen am besten ent, nehmen läßt. Aus keinen andern Geistesproducten aber

lassen sich die Entwicklungsstufen eines Volkslebens, be,

sonders in Bezug auf dessen Sittlichkeit, und offener erkennen,

riker,

mehrseitiger

als aus den Werken der Sati­

Komiker und Humoristen.

Sie decken die ge­

heimsten Falten und Blößen des menschlichen Herzens und Geistes auf, und sind dem, zum unrückhaltendsten Geständniß erwachten Volks,Gewissen zu verglei­ chen.

Belehrend und ergötzlich zugleich ist es daher,

die verschiedenen, komischen, satirischen und humoristi­

schen Schildereien der verschiedenen Völker oder Lebens, Perioden eines Volkes,

gleichsam wie die Gemälde der

verschiedenen Kunstschulen oder Kunstepochen einer Schule

in diesem genre, durchzubetrachten und mit einander zu vergleichen.

Dies bringt den unschätzbaren Gewinn,

daß die Entwicklungsstufe des Lebens, auf welchem der

Einleitung.

IV

Betrachter samt seiner Zeit steht,

erst in ihr wahres

völliges Licht tritt, woraus sich dann der Weg ergiebt,

den die neue weitcrgehcnde Lebensevolution zu nehmen hat.

Bei dieser anziehenden geistigen Thätigkeit werden

Jedem bald, zwei sich entgcgenstchende Momente auffalr len: zuerst wohl die große Veränderung und Wechselung

der Formen dieses innern Lebens, dann aber auch eine

große, nicht zu verkennende, sich bis jetzt treugcblicbcne

Achnlichkeit seines Grundwcsens.

zähligen Gesichtern,

Götzenbild,

Denn unter den un­

welche die Welt, — dieses alte

das so ungern zur Ebenbildlichkcit Gottes

zurückkchrt, — an sich hat und an sich die zu allen Zeiten

es recht viele,

siognomie haben, und Anstriches

Darum,

es

giebt

die gleiche Phy­

wenn auch das Beiwerk des Putzes

in den mag

nimmt,

verschiedenen Zeiten sich ändert.

nun jener Spiegel,

von

dem wir

handeln, alt oder neu seyn, das Wesentliche giebt jener wie dieser erkenntlich wieder.

Augen, Nase, Mund und

Stirn samt allen Linien und Zügen, welche die bildende

und verbildende Seele in die Menschcngesichter hinein­ macht, sind dort und hier dieselben;

Farbe des

nur Schnitt und

diesen Mikrokosmus umgebenden Beiwerks

wird in beiden Spiegeln etwas anders aussehcn.

Das­

selbe Damengcsicht z. B., das aus dem neusten Spiegel

mit großwulstigen Seidenheitersten Gesichtshimmel wie Wetterwolken,

sieht, — würde,

Spiegel neu war,

oder Haarlocken,

überziehen, wenn

die den

schwer und dumpfig,

es

triumphirend

in der Zeit,

gleich hcraus-

da der alte

gelebt hätte, aus diesem mit einem

fast zwei Schuh hohen, über ein Drath - und Holzge­

rüste gelegten, in Stockwerke abgcthcilwn Kunsthaarbau

herausgeschaut haben; — und ein Stutzer,

den der

Einleitung.

V

neue Spiegel mit geschnürtem Unterleib und gepolsterter Brust, in schmalgcschwänztem Frack, in langen Glanz,

beinklcidern mit einem ganzen Bijouteriekram von gol,

denen Pettschaften und Ringen an

der Uhrkette,

der Brille auf der Nase u. s. w. vorzeigt,

mit

würde sich

im alten Spiegel etwa an den tausendfältigen Pluder­ hosen, dem großmächtigen Ningkragen, dem aufgeschlitz­

ten Wams,

dem wohlgcstrichenen Knebelbart n. s. w.

erkannt haben.

Das Gleiche

dem Zuschnitt Malier wie der Laster,

deren

gilt von der Farbe und

übrigen Thorheiten nicht

minder

eigenthümliches Wesen fort und

fort, nur in einem theils zu- theils abnehmenden Grade fast unverändert bleibt, d. h. allenthalben dieselbe Consequcnz aus einem an die Spitze gestellten falschen Ur,

theile ist.

In der Hauptsache bleibt

oder blieb,

wenigstens

bisher, der Mensch Mensch, d. i. nach einer alten Be­ merkung,

eine Mischung guter und schlimmer Eigen,

schäften, — und Geschlechter, Altersstufen und Stände

verläugnen in keiner Zeit

den Grundzug ihres Cha­

Wem es daher darum zu thun ist,

rakters.

sich recht

kennen zu lernen, dem sagt der alte Spiegel, den ihm

sein Aeltervater vorhält, fertig gewordene,

so gut wie der neueste, eben

weß Geistes Kind er eigentlich sey.

Ja jener gewährt, gleich einem Zauberspiegel, noch den Vortheil,

daß man eine ganze verlebte Generation mit

der gegenwärtigen vergleichen,

und sehen kann, worin

die jetzige sich schicklicher oder närrischer geberdet.

Es möchte daher in einer Zeit,

mehr,

als jede vorangegangenc,

die augenscheinlich

auf Selbsterkenntniß

ausgeht und dabei einem Menschen gleicht, der in sei­ nem Mannesalter, gleichviel in welcher Periode desselben,

Einleitung.

VI

es versucht, sich vorerst seiner Kindheit und Jünglings, zeit recht bewußt zu werden,

kein unnützes Untcrneh,

men seyn, wenn man, wahrend bisher besonders unsere

alten Epiker und Lyriker, Historiker und Erdbcschreiber in ganzen Reihenfolgen theils für die gelehrte Welt, theils für das allgemeine gebildete Publikum wieder,

erweckt wurden, auch eben so unsere alten Lustspieldich, ter, Satiriker und Humoristen mit Auswahl uud in

einer gereihten

sowohl

als

Zusammenstellung für zugänglich

Unterhaltung

die Belehrung machen würde.

Manches Einzelne, wichtig und beachtenswerth, ist indeß

auch hierin schon geschehen, und indem wir es hier am Orte erachten,

eine kurze Uebersicht dieses Literatur,

zweiges zu geben, so wird sich dabei herausstellen, was

für unser heutiges Bedürfniß schon gethan und waS noch zu thun ist.

Es gehören nämlich hieher folgende

poetische und prosaische Schriften. Aus dem irren bis

I4ten Jahrhundert:

Salomon und Morolf oder Markolf (neu ge, druckt in v. d. Hagens Narrenbuch, S.215 — 268.);

Alexander und Aristoteles (im III. B. der Mül, lerschen

Samml.);

von

der Weiber List (Müll.

Sammt. I.); die Wiener Meerfahrt (im Coloc, zaer Cod. p. 53. und

wöchentl. Amis;

von Büsching nacherzählt in s.

Nachrichten);

die Geschichte

Reinecke der Fuchs;

des

Pfaffen

einige Straflieder

und mehrere aus den größeren Spruchgedichten. — Aus

dem I5ten und I6ten Jahrhundert: Seba, Narrenschiff, dazu die Predigten darüber von Gayler v. Kaisersberg (s. des letz,

stian Brands

tern Leben, Lehren und Predigten, dnrgest. v. Ammon. Erl. 1826. G. v. Kus Leben und Schriften, mit Eint.

Einleitung.

VII

u. Anmerk. v. Weick, Frkf. 1829.); Tyll Eulen, spiegel; einigekom. Erzählungen von Hans Rosen,

blüt (davon einige schon im deut. Museum, im Bra, zur u. in Kanzler- und Meißners Quartalschrift); Fastnachtsspiele von Hans Volz und

blüt (mehrere von Gottsched mitgetheilt);

Geist des Zeitalters

angepaßte

die

Hans Rosen, einige dem

terenzische Komödien;

Fischarts Gargantua und Pantagruel; dessen glück,

Haftes Schiff (treu abgedr. und erläut. v. Halling und

Tüb. Osiander 1828 1);

einem Vorwort v. Uhland.

dessen Flohhatz (neu gedr. Stuttg. Franks.) u. s. w.; Hans Sachsens u. Jakob Ayrers Fastnachts, spiele (s. Bragur

Sachsens,

u. Tiecks

deut. Theater);

Hans

Burkard Waldis und Laz. San,

drups Schwänke;

Rollenhagens

(im Auszug. Tüb. Osiand.);

Narrenbeschwörung,

Froschmäusler

Thomas Murners

Schelmenzunft (neu v. Waldau

1788), Geuchmat u. a.;

der neue deutsche Bileams,

esel; das Lalenbuch, der Pfarrer von Kalenberg und Peter Leu (alle drei neu in v. d. Hagens Narrenbuch);

Pauli's Schimpf und Ernst; Frey's Gartengesellschaft;

Rollwagens Schimpf und Ernst. — Aus dem 17ten Jahrhundert: LaurenbergS kom. 'Er, zählungen, Schwänke und Satiren;

I. Mich. Mo,

scherofchs wahrhaftige und wunderbare Gesichte Phi,

landers von Sittewald;

I. Balth. Schuppe's sati,

rische Schriften; Joachim Rachels Satiren; einige Lustspiele von Gryphius d. ä.; Hirschfelds Sim,

plicissimus; Chr. Weise's satirische Romane, und von

1) Siehe v. Meusebachs Recension dieses Buches in d. Hall.

Allgem. Lit.-Ieit. 1829. Nr. SS u. 56.

Einleitung.

Vin

seinen Lustspielen die verkehrte Welt und der bäurische

I. G. Schochs Combdie vom Stu,

Macchiavellus;

dentenleben;

sie

einige Haupt, und Staatsactionen (wenn

gleich damals

zum

nicht

Schimpf,

sondern zum

Ernst dienen sollten); einige Volksdramen mit dem Hans,

wurst; Picanders akademischer Schlendrian, Erzsäu, der Falkenritter (Reichards Bibl.

fcr und Weinprobe;

XVI.)

Abraham a. Sancta

Schelmuffsky's noch neuer

Reisen (s.

Clara's Schriften;

Arnims Wintergarten,

Berl. b. Amelang).

u.

— Das 18. Jahr,

hundert, als den Beginn der neuern Zeit schließen wir

von dieser Uebersicht aus. Diese flüchtige Zusammenstellung

zeigt,

daß

wir

einen nicht geringen Schaß in diesem Theile der Lite,

ratur besitzen, wenn auch,

wie natürlich,

die darin

enthaltenen Kleinodien von äußerst verschiedenem Werthe

sind.

Wie aus der Uebersicht abzunehmen, liegt der

größte Theil noch in alten seltenen Drucken, nur dem

Gelehrten bekannt und auch

diesem nicht immer leicht

zugänglich, vor den Augen des übrigen Publikums ver­ borgen,

und es ist,

wie paradox dies lauten möge,

recht sehr zu wünschen, daß unsere heutigen Leser, wenn

sie, nach in etwas gelegter Novellenwuth, einmal frisch aufathmen, ja manche sich von ihrer ästhetischen Lun,

gensucht euriren wollen,

aus diesem alten

es nicht unterlassen möchten,

frischumgepflügten Acker- und Gar,

tenlande deutscher Prosa und Dichtkunst heilsame Luft einzuziehen.

Dieser Wunsch ist freilich großer Mißdeu,

tung fähig;

allein

Leser,

wir halten,

wenn auch nicht alle

doch alle Beurtheiler dieser Zeilen für so ein,

sichtsvoll, daß sie darin keine Sehnsucht nach der lieben Vorzeit oder dem Mittelalter wittern, zumal sich aus dem

Einleitung.

ix

angerathcnen Erholungsmittel ergeben wird, daß es gegen

den verschiedenartigsten Schwindel probat und einestheils sogar ganz geeignet ist, uns das wahrhaft Gute

unserer Seit, also auch eine gute Novelle nicht ausge,

schlossen, erst recht lieb und werth zu machen. Einstweilen vertrauend auf das schon ziemlich leb,

haft angeregte Interesse an unserer frühern, zum Theil noch wenig gekannten, zum Theil auch verkannten Lite­

ratur,

möchte ich

gerne auch einen Beitrag zur na,

Hern Enthüllung derselben geben, und habe zu diesem

Zweck aus dem eben naher bezeichneten Gebiet, das

allein schon zu

seiner noch übrigen vollen Aufdeckung

keiner geringen Anzahl von Kräften bedarf, Strecke gewählt,

aussüllt.

welche

diejenige

das siebzehnte Jahrhundert

Um mir aber nicht mehr aufzulegen,, als

was meine, deS Einzelnen, Kräfte bei einer durch an­ derweitigen

Beruf

sehr

beschränkten

Zeit

vermögen,

lasse ich die Lustspieldichter (im weitesten Sinne) bei

Seite liegen, weil dieselben füglicher im nothwendigen Zusammenhänge mit ihren Vorgängern in dieser Gat­ tung der Poesie — von einem Andern, neren, ein- und vorgeführt werden müssen.

also noch

die Satiriker

dazu berufe­ Es bleiben

und Humoristen dieses Zeit­

raums übrig, von denen ich überdieß nur die Prosaiker

und unter diesen nur die wichtigsten hervorzuheben und den Lesern unserer Zeit vertrauter zu machen gedenke. Denn von denen, die in gebundener Rede geschrieben

haben,

ist

bereits Joachim Rachel 1

in

neuster

I) 3. Rachel's deutsche satirische Gedichte, herausgegeben von H. Schröder, Altona b. Busch, 1828. Siehe d. Reccns. in d. Hall. allg. Lit.Aeit. 182g. (Februarhest?)

Einleitung.

X

Zeit wieder an's Licht gestellt worden; und Johann

Laurenbergs treffliche „Scherzgedichte" oder Sa, tiren müssen wir darum aus unserer Reihe weglaffcn,

weil die plattdeutsche Sprache,

sind,

in der sie geschrieben

dem allgemeinen Verständnisse

im Wege steht p

eine bloße Uebersetzung aber von ihnen zu geben, möchte

unpassend seyn, da mit dem gänzlichen Abstreifen des

Originalgewandes ein unersetzbarer Reiz der' „ Drollig, feit, Naivetät und komischen Wirkung" rein verloren

gehen würde.

Es ist zu wünschen, daß diese schätzens,

werthe Sammlung plattdeutscher satirischer Gedichte bald eine neue unveränderte Auflage erleben möchte. . Die vorzüglichsten prosaistischen Satiriker dieses Zeit, raums sind unbezweifelt I. M.

Moscherosch und

I. B. Schuppe, ja sie gehören, wie von ihren mei,

sten Beurtheilern mit vollem Recht behauptet wird, zu

den merkwürdigsten Prosaikern überhaupt,

welche das

17te Jahrhundert aufzuweisen hat, und ihre Schrif, ten mit zu den bedeutendsten, noch nicht genug benutz, ten Quellen der vaterländischen Sitten, und Bildungs,

Sie wollen wir daher auch

geschichte dieser Periode.

in unserer kleinen Gallerie vorausstellen, und wenn ihre treuen und belehrenden Gemälde von dem Leben jener

an verhängnißvollen Ereignissen und psychologisch merk, würdigen Verirrungen reichen Zeit den Beifall heutiger

Betrachter finden, so werden wir dann auch noch das Bedeutendere von den übrigen hieher gehörigen Satiri, kern und Humoristen

zweckmäßig

anreihen.

Wenn

auch darunter so Manches von unserer jetzigen geläu,

terteren

Geschmacks, und

Betrachtungsweise abweicht,

so wird man doch allenthalben — abgesehen von dem

historischen Interesse, das diese Schriften gewähren, —

Einleitung.

XI

auf Wahrheiten stoßen, die, wenn ste auch nicht mehr neu sind, doch, weil sie noch heute ihre Anwendung

finden, nicht oft genug gesagt, nicht tief genug einger prägt werden können, und die in dem naiven und oft

belustigenden Gewand,

in welchem sie hier auftreten,

sich gewiß auch in unserer Zeit ihre Freunde und Lieb­

haber gewinnen werden.

Indem ich mir aber diese Aufgabe stelle,

weiß ich

wohl, daß, — so sehr auch der mannichsaltigc, an Ernst und Scherz,

Witz und Laune,

Wahrheit und Erfin­

dung nichts weniger als arme Inhalt sowohl der Un­

terhaltung als auch der Belehrung dienen wird, — doch

die etwas ungewöhnliche Form, halt darstcllt, nicht ebenmäßig

in der sich dieser In,

geeignet zu seyn scheint,

den guten Willen derselben zu unterstützen.

Von jeher

hat vhnedieß bei den Deutschen das Wissen die Darstel­ lungskraft überwogen, und wenn wir vollends die Ur­ sache erwägen, welche in der Zeit, in die wir uns hier zu versetzen haben,

der Darstellungskunst hemmend in

den Weg traten, so wird es begreiflich, warum wir in letzterer Beziehung uns hier,

nicht sowohl auf noch so

«nangebautem, als vielmehr auf schon wieder verfalle­ nem und

verwüsteten

Boden

befinden.

Denn wer,

selbst unter den nicht tiefer Unterrichteten,

wird nach

den

altdeutscher

nun

allgemein vorliegenden

Proben

Sprache und Dichtkunst nicht zugcstehen müssen, daß

einerseits die Poesie nach Inhalt und Form schon im zwölften und dreizehnten Jahrhundert, besonders unter den Hohenstaufen, ihre schönste Blüthe erreicht, anderseits

die Prosa (die sich bei jedem Volke immer erst später

entwickelt, — einzelner

voraufgehender Morgensterne,

eines Bruder Berthold im I3ten, eines Tauler im

Einleitung.

XII 14tcnz

des Zlckermanns aus Böheim im 15h?n Jahr­

hundert zu geschweigen —) zur Zeit der Reformation und ihres belebenden Einflusses auf die wissenschaftliche Bildung der Deutschen, namentlich durch Luther selbst,

eine wunderbare Höhe der Ausbildung erlangt habe? Allein nur zu bald,

schon von der Mitte des 16ten

Jahrhunderts an, fiel die Prosa, die uns hier beson­

ders angeht, von ihrer glanzenden Erhebung durch den traurigen

Einfluß

eines

unseligen

Meinungskampfes,

(der lange Zeit mit der spitzsündigsten, gemüthlosesten Feder, und endlich, vom Anfang des 17ten Jahrhun­

derts an, mit dem grausamsten Schwerte geführt wurde,

das dreißig Jahre lang alle Bildung überhanpt zu vernich­ ten drohte,) in eine große Erlahmung und Verwilderung

zurück.

Die innere Kraft und Selbstständigkeit des Vol­

kes gieng in dem Kampfe, verloren;

die Rohheit und

Grausamkeit eingedrungener Fremdvölker brachte Sit­ tenverwilderung und Gleichgültigkeit gegen alles Bessere

hervor; der Hang zur Ausländerei, besonders durch das

Umsichgreifen

des

französischen Einflusses,

ward

zur

Raserei, und fremde Sitten, Sprachen und Manieren

verwischten endlich fast alle Eigenthümlichkeit.

So kam

es, daß, vorzüglich durch die überhandnehmende Sprach­

mengerei,

die man als Beweis feinster Bildung und

Galanterie ansah,

unsere edle Sprache in das tiefste

Verderbniß gerieth. Aber Gott verlaßt, wie das Sprüchwort sagt, den Deutschen nie ganz; und so standen auch schon selbst mitten in der tiefsten Erniedrigung Männer auf, die

bald ihre wehmüthig klagende, bald ihre gewaltig stra­

fende Stimme erhoben, um das bethörte und verblen­

dete Geschlecht zur Vernunft und Besinnung zu bringen.

Zones sind zum Theil die Lyriker, dieses die Satiriker

jener Zeit, dort vorzüglich ein Opitz,

Flemming,

Gryphius, hier ein Moscherosch und Schuppe.

Ja ganze Gesellschaften von Bcsserdenkcnden traten mit

rührender Begeisterung zusammen, um der eingcrissenen

Auslanderei

und

Damm cntgcgcnznsetzen

einen

besonders dem

Sprachnnwcsen zu steuern;

ganz

und wenn

gleich dieser Damm im Ganzen nur schwach und unbe­

deutend genannt werden kann, so war doch der reine

Wille, der ihn errichtete, hoher Ehren werth.

Leider

waren die dazu aufgebotenen Mittel anfangs nicht hin­ reichend, und späterhin geradezu selbst verderblich und

wogegen sie gerichtet waren,

die Gebrechen,

eher be­

günstigend, als sie entfernend, so daß gegen das Ende des

genannten

Jahrhunderts

leere

Geschwätzigkeit,

Schwulst und Sprachmang in allen Zweigen des deut­ schen Schriftwesens die Oberhand behielt.

Zwar fieng

der westphälische Friede an, wenigstens in vielen Be­

ziehungen, wohlthätige Wirkungen zu äußern, und in verschiedenen deutschen protestantischen Staaten erwachte

wieder ein sichtlich reges Leben für literarische Bildung, welchem

die Fürsten durch Begünstigung

freiheit redlichen Vorschub thaten;

der Denk­

zwar waren

insbe­

sondere die Bemühungen eines Morhof und Schot­

tel darauf gerichtet, die deutsche Sprache durch Erfor­

schung und Feststellung

ihrer Regeln aufwärts zu bil­

den; zwar wurde endlich durch Thomasius sogar der Anfang gemacht,

sie zum Organ der Wissenschaft

erheben; — allein dieses Jahrhundert war nun einmal der Aufgabe

nicht

gewachsen,

unsere

und die Kunst der Darstellung in ihr, der

Prosa,

ganz

aus

ihrem

Muttersprache

namentlich ift

trostlosen Verfalle



xiv

Ein leitung.

retten und von ihren Krankheiten und Gebrechen zu

heilen. Wenn wir nun also aus dieser betrübten, aber für

den psychologischen Beobachter

stoffreichen Zeit, selbst

die kräftigsten und gebildetsten Geister ins Auge fassen,

so wird doch das, was sie dem Gehalt nach Bedeutens des und Schatzenswerthcs geschrieben haben, sich nach Form und Einkleidung in gewaltigem Abstande von dem

gereinigten Geschmacke unserer Zeit ausnehmen, weil

jene mehr oder minder dem ungünstigen Einflüsse der ihrigen gleichfalls unterlagen.

für den,

welcher

Es wird daher Pflicht

das sog. größere Publikum

seiner

Zeit mit jenen Geistern in nähere Bekanntschaft bringen

will, wohl zu bedenken, wie er es mit dem ungewöhn,

lichen, abstoßenden Aeußercn, das sich so unbequem und unvortheilhaft zwischen die beiden,

verlangenden Theile legt,

nach Annäherung

zu halten habe.

Und dies

hat, wer die ohnedies keiner Regel sich fügenden Hu­ moristen und Satiriker jener ungefügen Periode in die heutige Gesellschaft einführen will, in doppelte Ueber-

legung zu nehmen. Die

erneuerte Mittheilung 'eines schon gedruckten

Werkes,

das wegen veralteter Sprachform längst aus

dem öffentlichen und allgemeinen Betrieb und Verkehr gekommen ist, geschieht entweder in durchaus unver­ änderter Gestalt,

oder in einer irgendworin vom Ur­

sprünglichen abweichenden Art.

Die erstere Mittheilungs­

weise ist dann die einzig rechte und gerechte, wenn sie ein Werk betrifft, vom Fach,

das sogar für die meisten Männer

die es als Quelle nicht entbehren können,

nicht mehr habhaft ist. Nun sind aber von den obigen Werken für den Kenner und Forscher der deutschen

Sprache und Geschichte die Originalausgaben in zwar

nur sehr geringer, aber doch vielleicht noch hinreichender

Anzahl da und dort in Staats- oder Stadtbibliotheken

vorhanden, — wiewohl ich bedeutende Universilöts - und Stadtbibliothcken kenne, die mir mit dem, was ich für

meinen Zweck suchte,

nicht aushelfen konnten.

Einen

ganz getreuen, kritischen Abdruck zu veranstalten, würde

also,

wenn nicht

überflüssig,

Publikum aber

würde

eine

also

unter

wenigstens

doch

jetzigen Umständen nicht gerathen seyn.

Das übrige

dargebotene Gabe

leicht entweder verkennen oder gar verschmähen, — und

der gute, in der alten, etwas rohen Schale verborgene Kern würde demnach ungenossen

bleiben und,

weitere Frucht zu treiben, scheintodt daliegen.

ohne

Es muß

daher, um des Zweckes der allgemeinen Belehrung

willen,

erlaubt seyn,

den Lesern dieser Gattung

Zugang durch die Schale zu erleichtern. durch völlige Modernisirung

den

Um aber nicht

das Original

in

seinem

wahren Wesen, wozu auch der größte Theil der Form

gehört,

rein aufzuheben,

darf am Inhalte durchaus

nichts, und an der Form nur sehr Geringes, nämlich

nur das Aeußerlichste geändert werden. Hinsichtlich dieser Aenderung möchte bei den hier in

Rede kommenden Schriften

wohl am

zweckmäßigsten

nach folgenden, wie ich glaube. Wesentliches nicht ver, letzenden Grundsätzen dürfen verfahren werden.

Vor

allem wird die alte Rechtschreibung in die heutige ver­

wandelt.

Die eingemischten Fremdwörter werden belas­

sen, theils um der Erkenntniß jenes Zeitgeistes, theils

um dem Komiker, welcher eine Art Recht darauf hat,

nichts zu benehmen, theils weil diese Schriften, wenig­

stens

die

eigentlich

hieher

gehörigen

Strafschriften

Einleitung.

XVI

(schon um eines ihrer Zwecke, des der Sprachreinigung,

willen) nicht so unsinnig viel Fremdwörter enthalten,' andern mehr wissenschaftlichen Werke jener Zeit; — aber wo es das allgemeine Verständniß erfor­

als die

dert, da wird der entsprechende deutsche Ausdruck in Klammern beigesctzt. — Andere veraltete, nicht mehr allgemein verständliche Worte werden durch Beisetzung der jetzt gebräuchlichen erklärt. —

mehr übliche,

Andere jetzt nicht

dort aber beständig vorkommende Wort­

um unsre Leser vor Uebcrdrnß und Ekel zu bewahren, wenigstens größtcntheils mit den

formen werden,

nun geltenden vertauscht, als z. B. d a n n e n h e r o, wornrnb, darrnit, rnüglich, urnb, inderne,

offterrnalen, dann (st.denn), für(st.vor), über, befürdern, förchten, «jdorfen u. s. w. — Die alten Formen der Wortbcngung, Wortabwandlung und

Wortbildung, so wie auch eine umgekehrte Geschlechtsbezeichnung uud die Verwechslung synonymischer Aus­ drücke — all' dies kann aus gleichem Grunde unmög­ lich überall belassen, sondern muß, zum wenigsten an den meisten Stellen, nach unserm jetzigen Sprachge­

brauch abgeändert werden, wenn nicht der Eindruck der ersten Bekanntschaft bei den Meisten ungünstig ausfal­

len soll.

Wer, den es nicht als Kenner und Forscher in,

teressirt, stieße sich nicht an folgenden so häufig vorkom-

mendcn Formen: die andere st. anderen, die Alte

st. die Alten, die Kräften st. die Kräfte, der Theil

st. den Theil re. —

sic gangen st. sie gehen,

sie

gungen st. sie gingen, cs ful st. es fiel, sie luffen

st. liefen, k u n d t e n st. konnten, se y n d st. sind oder

seyen, er hat gebauen,»begehren, st. geballt, begehrt, gebristcn thäte, st. gebräche, tröwet st.

trauet, schämt st. schämt, gerathet st. geräth, ich käme, träte, thäte st. kam, trat, that ic. — kanntbar st. kennbar, letztlichen st. zuletzt, ent* zwischen st. inzwischen rc. — der Gewalt st. die Gewalt, der Luft st. die Luft, die Bach st. der Bach, das Armuth st die Armuth rc. — einig st. einzig, als st. wie oder so, ob st. als, sich dringen st. sich drangen, wünn st. weil, erhalten st. behal, ten, sich beschämen st. sich schämen, sie durften st. bedurften, erlebt st. verlebt, entdeckt st. auf, gedeckt rc.? — Was die Wortstellung betrifft, so wird nur hie und da, wann Undeutlichkeit oder Zweideutigkeit oder allzu, große Härte vorliegt, durch eine geringe Umstellung eines oder des andern Wortes nachgeholfen z. B. „zu vermeinter meiner Beschimpfung" st. zu meiner ver, meintlichen Beschimpfung; „ zu wenigerem seinem Scha, den" st. zu seinem wenigern (geringern) Schaden; „welche, so du sie anhauchen solltest, nichts als eine abscheuliche Gestalt sehen würdest" — statt: so du sie anhauchen solltest, würdest du nichts als rc. — sehen; „Ich euch von Herzen gern erkennen lassen will" st. Ich will euch rc. — Zuweilen ist eine Verworrenheit oder Undeutlichkeit in der Satzverbindung dadurch zu heben, daß ein persönliches Fürwort (besonders ich, du, er, sie) oder ein Hülfszeitwort, (besonders haben oder seyn, welche 'beide in der Regel ausge, lassen sind,) hineingesetzt wird. — Eine eigentliche Satzumstellung wird nur int höchsten Nothfalle vorge, nommen, wann ohne dieselbe das Verständniß gar zu schwierig wäre. — Eben so kann die manchmal vor, kommende, dem Lateinischen nachgeahmte, Accusativ, I. 1.

2

Einleitung.

xvm

cum, Jnfinitivconstruction, der allzugroßen Fremdartig, feit wegen, nicht belassen werden z. B. wir müssen bc,

kennen wahr seyn st. daß es wahr sey;

er vermerkte

tödtlich wund seyn st. daß er t. w. sey; dachte ich Zeit zu seyn st. daß cs Zeit sey u. s. w. 1 Um jedoch das Original dem Leser, der nicht gerade

Sprachforscher ist, aber doch ein ziemlich allseitiges Ur, theil über diesen Theil der Literatur gewinnen möchte,

so

vollständig als möglich zu geben,

und in Allem,

was man zum Wesentlichen rechnen möchte, den alten

Druck nicht eigentlich vermissen zu lassen,

so werden

alle jene, die Sprachform betreffenden Veränderungen — mit Ausnahme

der

auf jeder

Seite,

fast in jedem

an sich unbedeutenden Aende,

Satze wiederkehrenden,

rungen, z. B. denn st. dann, konnte st. kunnte rc. — jedesmal ausdrücklich angezeigt, und zwar die etwa nö­

thigen

Eitlschaltungen

durch

eigentliche Abänderungen

aber

gerade

Klammern [ J,

durch Untersetzung der

originalen Worte oder Wortstellungen unter den Text. Von dem Inhalte wird nichts versehrt und nichts vorenthalten:

denn

wenn auch so manche Mattheiten,

1) Noch vollständiger tritt diese fremdartige Constructionswcise in folgender Stelle aus einem Schreiben Ulrichs von Hutten an seinen Freund Sickingen hervor: „ Denn ohne Schmeicheln und Liebkosen zu reden, bist du's, der zu dieser Zeit, — da jedermann bcdäucht, teutscher Adel hätte etwas an Strenge der Gemüther abgenommen, —dich dermaßen erzeigt und bewiesen hast, daß man sehen mag, teutsch Blut noch nicht versiegen, das adelig Gewächs teutscher Lugend ganz ausgewurzelt seyn. S. Franz von Sickingens Thaten, Plane, Freunde und Ausgang, v. E. Münch, Stg. Cotta 1827. ir.feanb, S. 117.

Einleitung.

und Wiederholungen zum Vorschein

Abgeschmacktheiten

kommen,

so verschwinden sie doch in der Menge und

Masse des Kräftigen und Guten;

ohne daS Ganze zu können,

und da sie selten,

ausgeschieden werden

gefährden,

so wird ein verständiger Leser um so lieber Wohl aber wird hie und da eine all/

Nachsicht haben.

zudcrbe,

XIX

sexuelle Verhältniß

auf das

beziehende

sich

Stelle weggelassen, jedoch mit Anzeige der Weglassung

unter dem Text.

Im Uebrigcn glaubt der Herausgeber

in Beziehung auf den letzten Punkt der wahren Sitt,

nichts zu vergeben,

wenn er

desfallsigen Derbheiten

frei von

lichkcit und Ehrbarkeit den Verfassern

ihre

deutscher Brust weg sagen läßt, ohne — einer gewissen, unserer Zeit

eigenen

Moral-Etiquette 1

zu Lieb, —

hinter der, wie hinter mancher Höflichkeit, nicht selten

gerade das Gegentheil von dem, was sie affcctirt, ver,

borgen liegt, — den verschleiernden oder vertuschenden

Pinsel anzuwenden.

Wahrlich, was z. B. ein Mosche,

rosch in der reinsten Ereiferung gegen das Laster, beim echten und rechten Namen nennt, das schadet der wah,

ren Sittlichkeit niemals, ja thut ihr vielmehr den för, derlichsten Dienst, — wenn man anders

Aeußerungen nicht,

dergleichen

scy's muthwillig oder boshaft, aus

ihrem Zusammenhänge reißt!

Wohl aber ist es der

heißglühende, farbigprangende und dabei leise durchsich,

tige Duft,

in welchen

die

üppige,

sündenbegierige

Einbildungskraft manches heutigen Roman, und No,

vellenschreibers dergleichen Dinge zu hüllen versteht, der wie ein Sirocco die sittliche Kraft unserer Zeit lähmt,

oder sie gar,

wie ein Samum,

tödtet.

Denn es ist

1) welche jedoch zu verwerfen ich übrigens «eit entfernt Htv 2 *

«Einleitung.

XX

gewiß, daß, wahrend das gerade offene Wort von der

That

abschreckt,

gerade das in

ein Räthsel

gehüllte

Wort, eben dieser durchsichtigen Hülle wegen, zur That oder mindestens zur Lust dazu reizt, „die Lust empfangen,

und hat einmal

so gebieret sie die Sünde,

die

Ich weiß aus meinem päda­

Sünde aber den Tod."

gogischen Erfahrungskreise, daß z. B. das Wort Hure­

welches in

rei,

der Bibel so oft vorkommt,

bei der

arglosen Jugend durchaus keinen Anstoß erregt, und daß

es ihr nicht einfällt, weiter zu forschen, was das denn im eigentlichen Grunde für eine Art von Sünde sey;

deß umgekehrt, aber

in­

wenn jenes Wort aus gutgemeintem,

unpsychologischem

Berschämtheitseifer

Druck blos mit H— bezeichnet ist,

durch

den

sogar die Unschul­

digsten jetzt erst aufmerksam gemacht und gereizt wer­ den, über dieses Räthsel, welches doch etwas ganz Be­ sonderes enthalten müsse,

selbst nach dessen sprachlicher

Lösung noch nachzugrübeln und sich genügenderen Auf­

schluß zu verschaffen.

Auf ähnliche Weise verhält eS

sich in diesen Beziehungen mit dem etwa noch der Ver­

führung ausgesetzten Theile der erwachsenen Welt. — Endlich wird es erforderlich seyn,

alle dunkeln Aus­

drücke und Anspielungen, welche Kenntniß der Sprache,

Sitten, Gebräuche, der Wissenschaft, Kunst und Ereig­ nisse,

der persönlichen und localen Verhältnisse jener

Zeit voraussetzen,

in untergesetzten Noten zu erläutern

und zu verdeutlichen. Bei diesen sämtlichen Abänderungen und Zugaben

nun werde ich die größte Vorsicht anwenden, um weder

den Schriftstellern noch

ihrer Zeit

in's Innere und

Eigenthümliche eigentlich fälschend einzugreifen.

Allein

ungeachtet dieser Vorsicht auf der einen Seite, und der

Bemühung des Verdeutlichens auf der andern,

wird

vielleicht doch dem einen Theil der Leser zu wenig, dem andern zu viel geschehen zu seyn scheinen. Allen recht zu machen,

möchte

Zwecke gar nicht möglich seyn,

bei

Es jedoch

vorgesetzten

dem

und wir getröstcn unS

bei vorkommendcm Tadel wohl mit nichts besser,

als

mit der Hoffnung, daß einmal eine Zeit kommen werde, in welcher selbst die alltägliche Lescwelt dergleichen will, kührliche Restaurationen ganz abweisen und sich lieber

an's unveränderte Original

halten werde.

UebrigcnS

wünsche ich recht herzlich, daß wohlwollende sachkundige Beurtheilcr mir ihre Wünsche, Belehrungen und Rath,

schläge nicht vorenthalten möchten.

Ich werde sie ge­

wiß beachten und dankbarst benützen. Und so mögest du

denn,

lieber geneigter Leser

(um schließlich auf das im Eingänge gebrauchte Gleich­ niß zurückzukommen), die guten alten Spiegel, die ich zu deiner Unterhaltung und Belehrung, als im Ganzen noch recht sehr brauchbar und Handhablich, sucht habe,

hervorge­

mit nicht unfreundlichem Willkomm in die

Hand nehmen.

Damit dir dein geliebtes Ich, dem ich

die alte Tracht, darin es ehemals stack, nicht ausziehen

mochte,

so hell und deutlich als möglich entgegentrete,

und dich ungestört erbaue,

so habe ich,

wie du eben

vernommen, an diesen gläsernen Wahrheitsfreunden die

Rost- und Mückenfleckcn fleißig abgeputzt,

und wohl

auch an dem einen oder dem andern einige wenige Un­ nütze Rahmenschnörkel abgenommen, im Uebrigen aber, aus Respekt vor den geschickten alten Meistern,

und Rahmen gelassen,

wie beides war.

Glas

Und so be­

schaue denn darin dich und deinen Nachbarn nach Her­ zenslust : und damit du über der verwunderlichen Tracht,

xxii

Einleitung.

als dem Nebentheil, nicht das Gesicht, als den Haupt­ theil, außer Acht lassen mögest, so vergiß nicht, dich manchmal, wie man im Spr'üchworte sagt, bei der eigenen Nase zu zupfen, — eine Bewegung, mit wel­ cher du gleich so gut orienti'rt seyn wirst, als cs nur immer der Herausgeber bei seiner Reparatur-Arbeit ward, indem er sich mehrmals zu einer gleichen Ma­ nipulation genöthiget sah, und überhaupt zum — wer weiß wie vielten Male der uralten Bemerkung bei­ stimmen mußte, daß wohl nichts schwerer sey, als die Kunst, sich selbst kennen zu lernen.

Philander von Sitten) ald.

Ueber

das Leben und die Schriften des

Johann Michael Moscherosch.

Unter den Schriftstellern des siebzehnten Jahrhunderts, welche ihre Zeit in der ganzen Blöße ihrer Gebrechen mit Scharfblick erkannt und sie mit überlegener sittli­ cher Kraft, mit kühnem Freimuth, ganz besonders aber mit gutmüthigem, sich selbst nicht schonendem Humor gerügt, und darum die allgemeine Anerkennung ihrer Zeit gefunden haben, steht Moscherosch oben an. Sein Philander von Sittewald war damals ein in allen deutschen Landen berühmtes, von allen Ständen gele­ senes , von allen Vaterlandsfreunden hochgehaltenes Buch, — ein wahrer Zeitspiegel, der das Thun und Treiben der Menschen, deren Verkehrtheit und Unwesen in allen Formen und Farben, in allen Standen und Geschlechtern auf das lebendigste veranschaulicht. Ehe wir an die nähere Betrachtung dieses merkwür­ digen Buches selbst gehen, wollen wir zuvor den Ver­ fasser desselben kennen lernen. Was sich über sein Leben und seine Schicksale in den sämmtlichen literarhistorischen Werken, die seiner gedenken, vorfindet, würde in der Zusammenstellung, die ich davon gemacht habe, wohl nicht so vollständig und sicher ausgefallen seyn, wenn mich nicht das Glück ‘

1) durch die Güte des Herrn Kaufmann Johann Andreä und des Herrn Buchhändlers I. Dav. Sauerländer in Frankfurt a. M.

xxvi

Ueber d. Leben u. d. Schriften

zu der Bekanntschaft mit dem einzigen noch lebenden directen Nachkommen Philanders, der Frau Hahn, gebornen Moscherosch, in Frankfurt a. SR. geführt hätte, deren Gefälligkeit ich die Mittheilung der Familienpa­ piere, so wie auch der gedruckten, von Pfarrer Mei, gen er in Worms verfaßten Trauerrede 1 verdanke, in welcher der Lebenslauf ihres Ahnherrn niedergelegt ist. Dadurch bin ich in den Stand gesetzt, sowohl einige Lücken in den bisherigen Angaben der Lebensumstände desselben auszufüllen, als auch einige Ungewissheiten und Irrungen in Bezug auf dieselben zu heben. War man doch selbst über den Ursprung des Namens Moscher osch im Irrthum, indem man anfangs muthmaßte und nachher als gewiß angab, daß dessen Vater eigent­ lich Kalbskopf geheißen und daß der Sohn, weil er keinen sonderlichen Gefallen an diesem ungeschlachten Namen gefunden, denselben nach der Sitte jener Zeit in eine fremde Sprache^ und zwar zur ersten Hälfte ins Griechische Kalb), zur andern Hälfte aber ins Hebräische , sp. rosch, Kopf) übertragen habe, wodurch derselbe dann freilich keine andere Bedeutung, 1) Sie hat den Titel: „Ultimum Vale Philandrinum , das ist: Ewiggrünende Gedächtniß- und Ehren-Säule, in höchstem Leidwesen aufgerichtet, als der Hochedle, Veste und Hochgelährte Herr Johann Michael Mosche­ rosch, vornehmer Jurisconsultus, verschiedener Fürsten und Stände gewesener hochmeritirter Rath rc. dieses i669(flen) Jahres auf den Palmsonntag zwischen 2 und 3 Uhr Nachmittag selig in seinem Erlöser Jesu Christo entschlafen, den 6ten (April) aber in sein Ruhekämmerlein begleitet worden. Nach christlichem Gebrauch und An­ leitung der Worte des Propheten Hoseä Cap. 14. V. 4. zum Trost fürgestellet von Matthia(s) M eigen er, Pfarrherrn in Wormbs. Franks, a. M. gedruckt bei Henrich Friesen, im Jahr I669." — Angefügt sind viele Gedichte auf Moscheroschens Tod, welche von seinen Freunden nnd Bewunderern, theils Geistlichen, theils Juristen, theils Medicinern, meist in lateinischer Sprache verfaßt worden, und worin er als Rechts - Staats - Geschichts- Sprach- und Redekundiger, so wie ctts Patriot hoch erhoben wird.

des Joh. Mich. Moscherosch.

XXVII

aber doch einen so zu sagen mehr erhabenen und fast tiefsinnigen Klang gewonnen. Die noch vorhandenen Familienpapiere besagen über den Ursprung dieses Na, mens ein Anderes, und indem ich aus ihnen, so wie auch aus Moscheroschens eigenen, in seinen Schriften zerstreuten Angaben hier das Wesentliche beibringe, werde ich mich im Ganzen an den Faden halten, wel­ chen der obgedachte gedruckte Lebenslauf von selbst an die Hand giebt, ja ich werde mich dabei stellenweise der eigenen Worte desselben bedienen. Die Familie Moscherosch stammt aus Aragonien in Spanien. Ihr ältester Ahne, den sie kennt, war Don lerouimo de Musenrosli, Infancon 1 oder Mitglied der aragonischen Ritterschaft. Er lebte um das Jahr 1500 und war mit Euphemia de Balbron vermahlt. Sein Sohn Marzlosf von Musenrosh war unter Karl V. kaiserlicher Hauptmann, und zog mit diesem seinem Herrn im Jahr 1520, von Barcelona aus, nach den Nieder­ landen. Als der Kaiser 1522 wieder zurück nach Spa­ nien reiste, blieb Marzloff, gefesselt durch die Liebe zu der Tochter eines niederländischen Edelmanns, Katha­ rina von Vespenan, in Aachen zurück; und als deren Vater sich mit seiner Familie nach Straßburg be­ gab, zog er mit dahin, heirathete nach einiger Zeit seine geliebte Katharina und erhielt von ihr 1527 einen Sohn, bei welchem sich die erste Corruption des eigent­ lichen Familiennamens vorfindet, indem derselbe sich Maternus von Mosenrosh schrieb. Dieser ver­ ehelichte sich 1551 mit Magdalena von Man­ gern, und erzeugte 1553 den Maternus Moscherosch, welcher diese zweite und letzte Namens-Entstel­ lung auf seine übrigen Nachkommen gebracht hat und der erste war, der sich, weil die Famile durch unglück­ liche Prozesse herabgekommen war, seiner Ztdelsvorrechte begab und in den Bürgerstand trat. Er hatte sich 1577

1) ober Tnfancio. So hieß sonst in Spanien der Sohn eines Dynasten oder Edlen.

xxviii

Ueber d. Leben u. d. Schriften

mit Apollonia von Rittershofen, aus Hage­ nau, vermählt, die ihm 1578 den Vater unseres Phi, landers, Michael Moscherosch, gebar. Dieser nahm 1600 die Tochter des Quirinus Peck, Admini, nistrators der herrschaftlichen Aemter zu Wilstadt, in der Grafschaft Hanau-Lichtenberg, 1 unweit Straßburg, zur Frau, und wurde nachher, als ein wegen seiner Rechtschaffenheit allgemein geachteter Mann, Kirchen, Senior und Amtmann im gedachten Orte. Seine Frau, Veronica Peck, stammte aus einer, noch zu Philanders Zeiten in Dänemark blühenden, ansehnlichen adeligen Familie; ihr Großvater, Quirinus von Peck, war bei dem unglücklichen Könige Christiern II. Page gewesen, und „durch Schickung Gottes heraus in deut, sche Lande gekommen," hatte sich allda niedergelassen und einen „ringern Stand erwählt;" 2 3 ihre Groß­ mutter war die Schwester des alten berühmten Ritters Sebastian Schärtlin von Burtenbach.^ 1) Dem Gesamthaus Hanau gehörte erstens die eigent­ liche Grafschaft Hanau in der Wetterau zwischen dem Main, der Kinzig , dem Würzburgischen und Fuldischen; dazu kam ein Theil der Grafschaft Münzenberg, gleich­ falls in der Wetterau; ferner die Grafschaft Lichtenberg im Elsaß, endlich ein Theil der Grafschaft Zweibrücken mit den Herrschaften Ochsenstein und Bitsch. Als das uralte Geschlecht Hanau mit dem Grafen Johann Reinhard 1738 erlosch, so siel die Grafschaft HanauMünzenberg vermöge Erbvergleichs an Hessen-Cassel, die Grafschaft Hanau - Lichtenberg aber an Hessen-Darmstadt. 2) S. Moscheroschens christliches Vermächtniß p. 399» Von diesem Buch weiter unten im Verzeichniß seiner übrigen Schriften. 3) S. Christl. Verm. p. 90. — Sebastian Schärtlin, geb. 1496 zu Schorndorf, gest. 1577, einer der tapfer­ sten Feldherren und redlichsten Männer seiner Zeit. Er studirte zu Tübingen und Wien, trat dort in Kriegs­ dienste, focht in Ungarn, den Niederlanden u. Italien (wo er sich bei der Belagerung von Pavia so tapfer be­ wies, daß ihn der Vicekönig von Neapel zum Ritter schlug), zog gegen die aufrührischen Bauern in Franken, nahm Theil an der Eroberung Roms, brachte Neapel

des Joh. Mich. Moscherosch.

XXIX

Aus dieser Ehe nun, die mit zwölf Kindern geseg­ net war, — wie denn dieser Michael M. überhaupt an Kindern und Kindeskindern vier und fünfzig erlebte! — ging Johann Michael Moscherosch, als der äl­ teste unter seinen Geschwistern hervor. Er wurde im Jahr 1601 am 5ten März in gedachtem Wilstädt gebo­ ren, von seinen Aeltern „mit höchstem Fleiß auferzo­ gen und zu Kirchen und Schulen evangelisch augsburgischer Wahrheit angehalten." Da er „ mit den Jah« ren ein sonderbares und herrliches ing-enhun merken, auch andere vortreffliche Gaben in sich spüren ließ," wurde er, wie er selbst berichtet, „in seinem eilften Jahre" von seinen Aeltern nach dem nahegelegenen Straßburg verschickt, um die lateinische Schule durch­ zumachen und sich dann auf der dortigen Hochschule, die er 1620 bezog, den gelehrten Studien und insbe, sondere der Rechtskunde zu widmen. Daß er seinen guten Kopf aufs beste angewendet, oder, wie Meigener sagt, „sich trefflich hat hören lassen," beweisen nicht nur seine „ publica testimonia," sondern auch der Um­ stand, daß er 1624, als er sich um die Magister, Würde bewarb, „unter 24 gelehrten Magiftris cum totius Academiae applausu primuin locuin [unter bei­ fälliger Zustimmung der ganzen Universität den ersten Platzt erhielt." Hierauf verließ er die Hochschule und begab sich „mit Bewilligung seiner Aeltern" nach „Frankreich in Hülfe, führte die schwäbischen Volker gegen Frankreich, wurde 1544 Groß marsch all des kaiserlichen Heeres, un­ terstützte 1546 den schmalkaldischen Bund, trat 1552, zur Unterstützung der Protestanten, in französ. Dienste, wurde deshalb in die Reichsacht erklärt, bald aber wie­ der begnadigt, und späterhin, 1562, vom Kaiser Ferdi­ nand, dem er aufs eifrigste diente, in den Adelstand er­ hoben. Den Namen Burtenbach führte er von einem Orte dieses Namens bei Augsburg, welchen er 1530 durch Kauf an sich gebracht hatte. Seine Lebensbeschreibung, die er selbst, verfasst hat, erschien 1777 —1782 in Frank­ furt und Leipzig.

xxx

Ueber d. Leben u. d. Schriften

Paris," wie ein alter Volkswitz bezeichnend sagt, und zwar über Genf und Orleans, theils um die Welt kennen zu lernen, theils um sich in der französischen Sprache „und andern exercitiis academicis" weiter auszubilden. So viele und schatzenswerthe Erfahrungen er in die­ sem Lande machte, so wenig konnte er sich mit dessen damaligen Bewohnern befreunden; und wenn man frei­ lich die Drangsale erwägt, welche späterhin Deutschland, und Moscherosch persönlich, von diesen „Westreicher" Nachbarn zu erdulden hatte, so wundert man sich nicht, wenn er in seinem „Christlichen Vermächtniß" S. 400. seine Kinder warnt, nur nicht nach Westen zu ziehen; denn, schreibt er, „ber Atheismus und das alte römi­ sche Heidenthum ist da in voller Blust sBlüthe^I und in vollem Schwang: Ratio ftatus ^lügenhafte Politik^, eingebildete Ehr' und Reputation gehet da über Gott und Seligkeit. Und obschon auch fromme Christen da sind, so sind doch deren nicht viel': insgemein weiß der gemeine Mann von Gott und seinem Wesen nichts oder gar wenig. Sie glauben an ihren König, und was derselbe glaubet, glauben sie auch, und zwar knech­ tischer Weise, tollkühn, ohne Verstand; einige Bestan, digkeit ist da nicht zu hoffen. Ich sage — nicht nach Westen! Denn obschon Frankreich den Evangelischen die Religion frei laßt, so ist doch gewiß, daß es eine viel andere Intention, als der christliche Held Gustav Adolph gehabt hat. Frankreich gebraucht sich der Deut­ schen nützlich wider die Deutschen, — anders kann er ihrer nicht Meister werden! — und giebt ihnen Fristung und Geld, so lang er ihrer bedarf, wie zu Zeiten JuL Caesaris schon in Uebung gewesen." Nach seiner Rückkehr aus Frankreich wurden ihm von verschiedenen Orten her „ansehnliche Bedienungen" angeboten, aus welchen er 1626 „ die Ephoria" oder Hofmeisterstelle bei den Söhnen des Grafen „Johann Philippsen von Leiningen-Dagsburg», Herrn zu Appermont" annahm, und sie zwei Jahre lang „rühm-

des Joh. Mich. Moscherosch.

XXXI

lichst und treulichst" versah. Obgleich er seine Zöglinge, wie er selbst sagt,/ „in fast scharfer und harter Zucht gehalten," so hat ihm dies doch der eine derselben, Graf Friedrich Emich, zwölf Jahre nachher, zu Straßburg ausdrücklich gedankt, mit der Aeußerung, er wünsche, „daß in fürstlicher und gräflicher Kinderzucht, als denen Land und Leute zu regieren anererbt sey, mit nicht minderem Ernst und Eifer durch erfahrne und be­ dachtsame Männer annoch verfahren würde." Im Jahr 1628, nachdem er seine Erzieherstelle aufgegeben hatte, verheirathete er sich „mit seiner Aeltern Bewilligung" mit Esther Ackermann, der Tochter eines Juweliers zu Frankenthal. Er selbst sagt an einem andern Orte:1 2 „Zucht ist die Prob' und Zierde des jungfräulichen Namens; um dieser schönen Tugend willen hab' ich die fromme Esther anfangs lieb­ gewonnen und zur Ehe genommen." Einige Zeit dar­ auf ernannte ihn der Freiherr und nachherige Reichs­ graf Peter Ernst von Crichingen und Püttin­ gen zu seinem Zlmtmann. Als solcher zog er 1630 nach Crichingen, versah sein Amt „mit allen Treuen" und lebte dabei „in einer friedlichen und gesegneten Ehe, in welcher er vier Kinder erzielte," von denen jedoch nur ein Sohn, Ernst Ludwig, seinen Vater überlebte. Das Jahr 1634 war für Moscherosch ein Trauer­ jahr, indem er zu Anfang desselben seine „fromme Hester" und in der Mitte desselben seinen Vater durch den Tod verlor. Indeß trat er noch am Ende des nämlichen Jahres in die zweite Ehe, und zwar mit Maria Barbara Paniel. Um diese Zeit wüthete der Krieg in diesen Gegenden so arg, daß als 1635 „das arme Crichingen samt dem Schloß an die Franzosen überund alles daselbst herum zu Grund gegangen" war, Moscherosch sich um seiner Sicherheit willen genöthigt 1) Christl. Verm. in -er Vorrede. 2) Im I4ten Kap. s. christl. Vermächtnisses.

xxxii

Ueber d. Leben u. d. Schriften

sah, mit den ©einigen nach Straßburg zu ziehen. „Wie aber kein Unglück allein, so befand es sich auch hier:" als sie auf dieser Reise begriffen und schon zu Lützelstein angekommen waren, entriß ihm der Tod auch seine zweite Frau -,und Reisegefährtin" am 6ten Nov. ge­ dachten Jahres im Lösten Jahr ihres Alters, und ver­ setzte ihn wiederum „in den traurigen Wittwerstand." In Straßburg nun hielt er sich bei seinen Ver­ wandten auf, unter welchen sich einer seiner Brüder, der daselbst Wundarzt war, und seine verwittwete Mut­ ter befand, die er auf das kindlichste liefcte.1 2 Hier blieb er so lange, bis ihn der Herzog Ernst Bogislav von Croy und Arschot zu seinem Rath und Amtmann in der Herrschaft Vinstingen an der Saar berief, welche Stelle er auch „in noch schwe­ bendem und schweren Kriegstumulte" zu Ende des Jahres 1636 antrat. Kurz darauf verheiratete er sich zum drittenmal mit Anna Maria Kilburger, der Tochter eines reichsgraflichen Amtssecretärs in Biedburg, die ihm im Laufe ihres innerlich sehr friedlichen, aber äußerlich durch Krieg, Verfolgung und Kreuz, be­ sonders anfangs, sehr beunruhigten Ehestandes zehn Kinder gebar, auf welche wir weiter unten noch zurück­ kommen werden. Wahrend seiner Amtmannschaft in Vinstingen wurde er dreimal ausgeplündert und hatte überdies auch sonst noch viel Noth und Angst auszu­ stehen. Es gab Zeiten, da er „keinen Schritt noch Tritt thun konnte ohne Gefahr des Lebens," da er immer „sorgen mußte, es stünde ein Bluthund hinter ihm und wollte ihn niederstoßen," da er „sich befahren mußte, der Feind würde ihm und den ©einigen plötzlich den Hals abstechen," kurz, wo er sich, „Gefahr, Verder­ ben und Tod," den ihm „die grausamen Feinde wegen seines Berufs drohten, stündlich besorgen mußte/" 1) S. Christl. Verm. in dem Schreiben an s. dritte Frau, der er unter andern auch die Sorge für seine alte Mutter dringendst anempfiehlt. 2) Christl. Verm. S. 3. 11. u. 26.

deS Joh. Mich. Moscherosch,

xxxm

Weil er nun in steter Lebensgefahr war und darauf ge/ faßt seyn mußte, seiner Gattin und seinen Kindern plötzlich entrissen zu werden, so drängte es ihn „aus ehelicher Treu" und väterlicher Fürsorge," weil es „nicht genug sey, den Kindern Leben und Unterhalt verschafft zu haben," gleichsam seinen letzten Willen in eindringen­ den ^Urschriften und Lehren über die Kinderzucht, so wie über das Verhalten der Kinder in allen Lebensbe­ ziehungen niederzuschreiben. Dies that er in dem schon gedachten Büchlein „ Christliches Vermächtniß oder schul­ dige Vorsorge eines treuen Vaters," welches er in der Woche, da ihm sein zweites Kind geboren wurde, „mitten unter den feindlichen Waffen, mitten unter dem Getümmel und Getürmel der ungehemmten und ungehal­ tenen Mordkriegsgurgeln, bei welchen weder Maaß noch Ordnung," anfieng und innerhalb acht Tagen, vom 22. bis 29. Sept. 1641 zu Stande brachte. Die­ ses „güldene Büchlein" hat, gerade weil es aus inner­ stem Drange des Herzens mit kunstloser Einfalt die wichtigsten Angelegenheiten des Lebens bespricht, noch lange nachher großen Segen gestiftet. — Kaum hatte er es vollendet, als vier Tage darauf, den 3ten Wein­ mond, plötzlich ein Lärm kam, „der Feind, der grau­ same Feind, der weder Gott noch Menschen Glauben hält, sey an der Mauer, — an dem Thor — hätte das Thor schon eingenommen." Während Moscherosch, ohne so viel Zeit zu haben, „seine Kinder zu gesegnen," mit seinem Gewehr seinem Posten am Oberthor zulief, sprang seine Frau „aus dem Kindbett" und lief mit den bei­ den älteren Kindern *1 nach dem Schlosse. „Als ich hernach — schreibt er a. a. 0. S. 38 — gefragt, wo Euer Schwesterlein Ernestin-Ameley, so nur vier­ zehn Tag hatte, wäre? so ist Eurer Mutter allererst eingefallen, daß es sdaheim^ unter einem Pack Win, 1) nämlich mit dem noch übrigen Sohne aus MoscheroschenS erster Ehe, und mit chrem eigenen ein - oder anderthalb­ jährigen Söhnlein Ernst Bogislav oder, wie er gewöhn­ lich genannt wurde, Bugschlaff. I. 1.

3

xxxiv

Ueber d. Leben u. d. Schriften

bdn — in dem großen Schrecken und der Angst war verborgen worden. Das muß ja ein Trübsal seyn, da auch eine Mutter ihres noch säugenden Kindes vergessen

solle!" So nahe ihm indeß der gewaltsame Tod oft war, so entkam er demselben mit Gottes Beistand doch immer glücklich. „Zhr wisset, schreibt er an seine Frau, wie Gott den Feinden ihr Gesicht, Gehör, Geschoß und Gewehr gebunden und gehalten; daß, indem sie ans mich ausgeschickl, auf mich gezielt und an das Herz ge, setzt, die Streiche los und in die Luft gegangen." — Ein höchst getreues und lebendiges Bild von dem rohen Betragen der Kriegsleute, so wie überhaupt von der schrecklichen Art, mit welcher der Krieg damals geführt wurde, und von dem entsittlichenden Einflüsse, den der, selbe auf die Menschen übte, hat uns Moscherosch im zweiten Theile des Philander, in dem Gesichte „Sol, datenleben,“ hinterlassen. Zu den Plünderungen, die er erlitt, und den grau, samen Niedermetzelungen, von denen er oftmals Zeuge seyn mußte, gesellte sich „der schreckliche Hunger, der eine unzählbare Menge Menschen vor seinen Augen tödtete." 1 „In diesen Hunger, und Kummerjahren" half Moscherosch, wo er konnte, und theilte vollends all' das Seine mit den Armen, so „daß er säst selbst darüber darben mußte."2 — Aber die Wohlthaten, die er stets gern Armen und Hülflosen erwies, brachten ihm wahren Segen. „Almosen geben, schreibt er zwölf Jahre später a. a. O. S. 339, ist mein bester Schatz gewesen. Hab' ich gern gegeben, Gott hat es mir noch viel lieber wiederum gegeben, — ich sage greiflich, äugen, scheinlich, zehenfältig. Ich kann mich nicht genug ver, wundern über die Güte Gottes. Je mehr ich hinge, geben, je mehr hab' ich gehabt. Die Frucht ist mir mit Verwunderung meines Gesindes auf dem Speicher,

1) Christl. SB ernt, in der Vorrede. 2) a. a. O. S. öO.

des Joh. Mich. Moscherosch.

xxxv

das Mehl in dem Kasten, das Brot in dem Backofen, und so zu reden in dem Mund gewachsen. Der Segen Gottes hat mich unaussprechliche Dinge sehen lassen." — Lange Zeit mußte er alles Zlmtseinkommen entbehren, weil die Unterthanen des unglücklichen Landes zu Grunde gerichtet waren und bei der Stockung alles Handels und Gewerbs keine Abgaben und sonstige Gebühren entrichten konnten. „Ich ernähre, — sagt er S. 133 — nächst Gott, mich und euch alle heutigs Tags, nicht auf mei­ nem ansehnlichen gefährlichen Amtsdienst (denn darauf erringe ich bei diesen Zeiten nichts als Avmergelung deS Leibs, — und Erarmung an allen Lebensmitteln), son, dem auf dem allerredlichsten Handwerk, dem Ackerbau, nach Weise der Alten." Und dabei ließ er sich's redlich sauer werden, um sich „sein Brot mit Gott zu suchen und zu erwerben," was um so anstrengender war, da er neben den fortlaufenden „mühseligen Amtsgeschäften" seine Feldökonomie „ohn' einigen andern Beistand" selbst besorgen mußte, — welche „beide Verrichtungen," wie er sagt, „jede absonderlich, eines ganzen Mannes Hirn und Verstand erfordern." 1 — Noch aber war das Maaß der Drangsale nicht voll. Es kam auch noch „die grausame Pest," welche ihm einen Theil der Sei, nigen (worunter jedoch wohl nur andere Verwandte oder das Gesinde zu verstehen ist) und Andere „neben ihm und an der Seite" hinwegraffte, 2 während er selbst an der „Darmgicht, der ungarischen Seuche und dem viertä, gigen Fieber" darniederlag.3 4 Indeß all' dies Unglück „hat ihm nicht so weh ge, than, als die heimliche Verfolgung derjenigen, welche sich ihm in diesen bedrängten Zeiten zwar äußerlich als seine Freunde, in der That aber als „höhnische, unge­ rechte und wüthende" Feinde erwiesen. Er selbst sagt: ♦ 1) 2) 3) 4)

a. a. O. S. 4* Ebend. in d. Vorrede. a. a. O. S. 6. — Edend. S. 12, 188 und 438. — Da er an einer dieser angeführten Stellen das Wort »höhnisch^ mit einem

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„Es ist mir fdurch dieselben^ in diesem meinen jetztge, fahrlichen Dienst die größeste Gewalt geschehen, zu allen Seiten mit Ungehorsam, Verlaumdung, Verunglimpfung und unbilliger Lästerung." „Sie gehen stille und förschein, ob sie irgend etwas finden möchten, mich in Unglück zu stürzen, auch ohne meine Schuld; und wo ich aus Unwissenheit auch das Geringste fehlen sollte, würden sie Berge daraus machen. Sie hassen mich darum, daß ich ob dem Rechten halte, darum, daß ich in ihre Falschheit und Untreu nicht will einwilligen, dieweil ich den Armen rette, und Hülf leiste dem, der da Noth leidet unter ihnen." Nichts desto weniger ver­ lor er den Muth nie, sondern betete zu Gott, „daß er ihm Beständigkeit und Mannesherz geben möchte, damit er nicht wanke, noch auö Furcht seinen Feinden zu Ge, fallen thue, was Unrecht ist, sondern daß er ungescheuet der Person, gerade durchgehe, wie einem Ehrenmann gebühret." *1 — So konnte er denn mit Recht sagen, daß er, „durch alle Klassen der hohen Kreuzschule" gegangen sey, und daß ihm „zwölf Jahre lang ohne Unterlaß fast schwere lectiones von Gott zu lernen auf­ gegeben worden." Bei diesen großen Sorgen und Küm­ mernissen der Seele und den nicht minder großen An­ strengungen des Leibes ist es nur zu verwundern, daß ihm dabei die geistige Thätigkeit so leicht wurde. „Das Studieren," schreibt er, 2 „schadet mir bei dieser Arbeit und Sorge gar nichts, sondern machet, daß ich in der Noth seyn mag, was ich will, und oft mehr thun kann in Einer Stunde, als Andere in vier Tagen." — Zuletzt wurde ihm aber doch seine Lage in Vinstingen so drückend und gefährlich, daß er zu seiner Sicher­ großen lateinischen H, das Wort » ungerecht * mit einem gr. lat. U, und das Wort » wüthend « mit einem W schreibt, und an einer andern Stelle das letztere Wort so schreibt wucthenb;« so ist fast zu vermuthen, daß dies die Anfangsbuchstaben der Namen seiner Feinde sind» Ebend. S. 439-

1) r) a. a. O. S. 133t

de- Joh. M ich. Moscherosch,

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heit mit den ©einigen wieder nach Straßburg zog und von dort aus feine bisherige Stelle durch einen Vica, rius, den er dahin setzte, versehen ließ. Zum Glück wurde er nach einiger Zeit „nach Benselden 1 als Staatssecretar und Kriegsrath der Krone Schwe­ den in selbiger Festung, durch den Generalmajor Moser und den schwed. Residenten Mäckel befördert, welcher Stelle er mit hohem Nachruhm etliche Zahre lang vor, stund." Schon seit längerer Zeit war Moscherosch als Schrift­ steller ausgetreten, und hatte, so wie im Leben durch „zu viel Wahrheit reden" — (denn: „Ich halte dafür, sagt er selbst, das größte Laster, so ich habe, ist, daß ich bisweilen zu viel Wahrheit rede.") — so durch seine satirischen Schriften mit Zu - viel - Wahrheit - schreiben sich zwar die Zahl seiner Feinde vermehrt; aber auch, gerade durch diese seine Freimüthigkeit bei allen edetn und vaterlandsliebenden Deutschen ein bis zur Begei­ sterung gehendes Aufsehen erregt, und sich unter den­ selben recht viele zu innigsten Freunden verbunden, bei deren Achtung und Liebe er sich über den Neid und Haß seiner Feinde wohl trösten konnte. „Gott weiß," schreibt der damalige mecklenburgische Kirchenrath Jo­ hann Rist, 2 „wie ich den Mann liebe, in welches Leibe ich nicht glaube, daß ein einziger Tropfen Heu­ chelbluts zu finden." — Die Achtung, in der er bei allen Gutgesinnten stand, war groß und galt ebenmäßig seinem edlen, redlichen Charakter, als seinem durch klaren Blick und Kenntnisse ausgezeichneten Geist. Die­ sen Vorzügen im Allgemeinen, so wie besonders seinem rühmlichen Streben, nach allen Kräften für die Rein1) Eine kleine Stadt und ehemalige Festung im Elsaß, drei Meilen oberhalb Straßburg, an der Jll. Dem westphälischen Frieden zufolge mußten die Schweden die Fe­ stungswerke dieser Stadt schleifen. 2) geb. 1607, gest. 1667 zu Wedeln, bekannt durch seine Kirchenlieder. Siehe W. Müllers Bibl. deutscher Dichter des 17ten Jahrhunderts, 7terBand. Brockh. Leipz.

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heit deutscher Sitte und Sprache zu wirken, hatte er eS auch zu danken, daß er im Jahr 1645 von der zu jener Zeit hochangesehenen Fruchtbringenden Gesellschaft, 1 welche damals unter ihren Mitglie, dern „zwei Kurfüsten, vier und dreißig Herzoge, acht und zwanzig Fürsten, drei und dreißig Grafen und viele andere Herren, Ritter und Edle^ zählte, zum Mitglied unter dem Namen „der Träumende" mit 1) Der Zweck dieser Sprachgesellschaft, welche auch der Palmenorden hieß, hat der Geschichtschreiber dersel­ ben, Georg Neumark, der Verfasser des bekannten Liedes » Wer nur den lieben Gott läßt walten, ” mit fol­ genden Worten angegeben: »Die Muttersprache in ihre urangeborne Reinigkeit und Zierde wieder einzuführen, sie von dem fremden drückenden Sprachenjoche zu befreien und durch alte und neue Kunstwörter zu befestigen.^ S. Neusprossender deutscher Palmbaum, oder ausführlicher Be­ richt von der hochlöblichen fruchtbringenden Gesellschaft rc., von dem Sprossenden (Neumark) Nürnb.1668. 8.— Sie ward 1617 von Kaspar von Teutleben zu Weimar gestiftet; außer ihm sind als Stiftungsmitglieder noch genannt die drei Herzoge von Weimar: Jo­ hann Ernst, Friedrich und Wilhelm, die Her­ zoge von Anhalt, Ludwig und Casimir, und drei andere von Adel. Jedes Mitglied wählte sich ein Sinn­ bild und einen Gesellschaftsnamen, der freilich nicht selten fast mehr unsinnig, als sinnreich, wenigstens oft sehr ge­ schmacklos war. So hieß einer der Ausgefütterte, und hatte den Hafer zum Sinnbild! Ein anderer hieß der Vielgekörnte, der Nährende, der Schmack­ hafte, der Spielende, der Holdselige u.s. w.— Aehnlichen Zweck hatten auch noch andere Gesellschaften der damaligen Zeit, wie die aufrichtige Tannenge­ sellschaft, gestiftet vonJesaiasRumpler von Löwenhalt zu Straßburg 1633; derpegnesischeBlumenorden, gestiftet von Georg Philipp Harsdörser und Johann Klai zu Nürnberg 1644; die deutsch-gesinnte Genossenschaft, gestiftet von Philipp von Zesen zu Hamburg 1646, der Schwa­ nenorden an bet Elbe, gestiftet von Johann Rist 1660. —- Man lese hierüber: »die Sprachgesell­ schaften des I7ten und 18tenJahrhunderts," von Schulz, Berl. 1824.

des I.o h. Mich. Mo scherosch.

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Anspielung auf seine satirischen Visionen oder Träume, „durch Uebersendung des Gesellschaft-Kleinods" 1 aus fürstlicher Hand 2 feierlich ausgenommen wurde. Da Moscherosch „ziemlich mit Kindern gesegnet ward," und allgemach „seine Gedanken auf ein ruhige­ res Leben richtete," um seine Kinder „in der Furcht Gottes besser erziehen zu können," war es ihm nun willkommen, daß ihm mehrere Berufungen zu vortheilhastern Aemtern zukamen. „Erstlich begehrte ihn die Reichsstadt Colmar, wie die Vocationsschreiben ausweisen, sehr ernstlich;" sie bot ihm das Syndikat an und wollte ihn als Gesandten zu den Friedensunter, Handlungen nach Osnabrück und Münster schicken, so­ dann trug ihm der schwedische Feldherr, Graf Gustav Horn, das Amt eines Kriegsraths an, und endlich lag ihm die Berufung zum Secretariat und Fiscalat in Straßburg vor. Er wählte die letztere Stelle und bekleidete sie, wiewohl sie wider sein Vermuthen mit vielen Verdrüßlichkeiten verbunden war, und er sich dabei „viele und große Feinde hat machen müssen," lange Zeit „mit Lob und Ruhm." Im Jahr 1656 folgte er dem Ruse des Grafen Friedrich Casimir von Hanau und Zwei­ brücken, der ihn zu seinem geheimen Rath ernannte. Auf diesem Posten, zu Hanau, bewahrte er sich so, daß er „wider seinen Willen und Gedanken" zum Präsi­ denten der Kanzlei und Kammer, so wie auch des Kriegs, und Kirchenraths erhoben wurde. Neid und Haß aber ließen auch hier nicht ab, ihn zu verfolgen, und da intriguante Menschen, „um sich selber besser zu stabi, 1) Dieses bestand aus einem in Schmelz bemalten Medail­ lon, auf dessen einer Seite ein Palmbarun mit dem Wahl­ spruch der Gesellschaft: »Alles zu Nutzen,“ auf der andern das Bildniß des eintretenden Mitgliedes mit seinem Na­ men zu sehen war. Es wurde an einem »sittiggrünen" seidenen Bande getragen. 8) Der Obmann der Gesellschaft mußte, den Statuten ge­ mäß, jederzeit ein deutscher Reichsfürst seyn.

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liren," von allen Seiten alles aufboten, ihn zu verderben, fand er es am Ende, um seiner Ruhe willen, für gut, diese Aemter niederzulegen. Doch konnte es ihm Trost gewähren, daß ihn sein Herr, der Graf, „der ihn allezeit gern um und bei sich leiden mögen,“ nach wie vor hochachtete und ehrte, und ihn „trotz aller seiner Verfolger und Feinde, selbst an andere hohe Orte“ empfahl. 1 So kam es, daß Moscherosch bald darauf von dem Kurfürsten Johann Philipp von Mainz „zu einem Rath von Haus“ ausgenommen, und späterhin auch von der Landgrafin Hedwig Sophia, regierenden Fürstin in Hessen, 1664 nach Cassel berufen und gleichfalls zu einem „Rath von Haus aus“ bestellt wurde, — und diese Aemter be/ hielt er auch bis an sein Ende. Außerdem hat er „noch andere Aemter mehr ver, sehen, als: die Raths - und Oberamtmannsstelle bei Herrn Grafen Cratzen, und die Räthst und Oberamtmannsstelle bei dem Rheingrafen zu Dhaun und Kirburg,“ welche Stellen alle er nach „münd­ lichen und schriftlichen stattlichen Zeugnissen mit sonderer Treu' und Eifer verwaltet,“ — woraus, wie sein Parentator sagt, „genugsam zu ersehen, daß er gleich­ sam dazu geboren worden, stetigs um große Herren zu seyn, um dadurch seinen Namen neben andern fürtrefflichen und sehr erfahrnen Politicis zu verewigkeiten.“ Von den Erfahrungen, die er an diesen ver­ schiedenen kleinern und größern Höfen gemacht, zeugen 1) Familiennachrichten zufolge hat M. dem Grafen Casi­ mir v. Hanau die Summe von 100,000 Gulden vor­ geschossen, wofür ihm der Flecken Eschersheim ver­ schrieben wurde. Um dieses Darlehn führte die Familie späterhin mit dem hessischen Hause, an welches dieser Theil von Hanau nach Casimirs Tode gefallen war, einen langwierigen Prozeß, konnte aber nie zu ihrem Rechte gelangen, zumal nachher die Originaldocumente, welche der Herzog von Lothringen hatte nach Nancy schaffen lassen, durch die nachfolgenden Kxiege in diesen Ländern zu Grunde giengen.

des Joh. Mich. Moscherosch.

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viele Stellen in seinem Philander, namentlich das sie­ bende Traumgesicht des ersten Theils, welches „Hof­ schule" überschrieben ist. Als nun bei ihm „das Alter mit Gewalt herein­ brach," nahm er sich vor, „in keine Herrendienste mehr zu treten," sondern sich in völlige Ruhe zu begeben, vorher aber noch „seinen Kindern das Ihrige, von den Voraltern Erworbene, in richtige Ordnung zu brin­ gen." Um nun zu diesem Zweck „emes und das an, dere mit seinen Verwandten selbst abzureden," unter, nahm er im Jahr 1669, von Dhaun aus, mit Frau und Kindern eine Reise nach Frankfurt a. M. zu seinem Sohn Ernst Bogislaus, welcher daselbst Lehrer am Gymnasium war. Allein unterwegs, den 28. Marz, wurde er, als er in Worms ankam, von einer „hitzigen Schwachheit" befallen, und „ob es schon anfangs geschienen, als ob es keine Noth haben würde, hat eS sich doch endlich aus einmal geändert und die Schwachheit so zngenommen, daß man wohl gesehen, der liebe Gott werde ein Anderes mit ihm vorhaben." Auch Moscherosch fühlte sein herannahendes Ende, wählte mit frommer Fassung selbst seinen Leichentext, nämlich Hosea 14, 4 „Laß die Waisen bei dir Gnade finden, Gott!" zeichnete ihn in seine Schreibtasel ein, und verschied am Palmsonntag, den 4ten April 1669 („auf welchen Tag er ohne Fehl bei seinem Sohn in Frank­ furt sich hatte einfinden wollen") „zwischen drei und vier Uhr Nachmittags, nachdem er 68 Jahr und 2 1 Monate, im letzten Ehestand aber 32 Jahre gelebt hatte." So weit der Abriß seiner Lebensumstande, aus denen allein schon Moscherosch als jener Expertus Ro­ bertos erkannt werden kann, den er in seinen Visio­ nen als einen so welterfahrnen Führer, Warner und Rathgeber, zu sich, dem noch unerfahrnen Philander, hinzutreten läßt. 1) eigentlich nur 1 Monat und i Tag.

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Wir schließen hier nun noch das Bemerkenswertheste von den Nachrichten an, die uns auch in Bezug auf seine Nachkommen aus der im Eingänge genannten Quelle mitgetheilt worden sind. Wie lange ihn seine Wittwe überlebte, ist unbe, sannt; es findet sich von ihr nur noch der Umstand verzeichnet, daß sie mit einigen ihrer Kinder an der, selben Krankheit, die ihren Gatten dahin raffte, zu Worms tödtlich krank darniedergelegen, jedoch wieder genesen und spater in Frankfurt gestorben ist. Von seinen eilf Geschwistern erwähnen wir nur seinen jung, sten Bruder Quirinus geb. 1624, gest. 1675. Er war Pfarrer zu Offendorf am Rhein im Breisgau, trat gleichfalls unter dem Namen „Philander" als Schrift­ steller auf, und hat als Mitglied des Pegnesischen Dlumenordens ein „poetisches Blumenparadies," Nürnb. 1673. 12. herausgegeben. S. Amarantes (Her, degen's) hisior. Nachrichten von des löbl. Hirten- und Blumenordens an der Pegnitz Anfang und Fortgang, S. 437. f. — Sein ältester Sohn, Ernst Lud­ wig, geb. 1631, der ihm aus erster Ehe übrig geblie­ ben war, trat in k. östreichische Kriegsdienste und brachte bis zum Obrist. Seiner Verdienste wegen erneuerte ihm der Kaiser Leopold den alten erloschenen Adel, ertheilte ihm für sich und alle seine männlichen und weiblichen Nachkommen das Pradicat von Wißelsheim, und versetzte ihn sogar 1671 in die Reichs­ ritterschaft. Die Enkelin desselben, Theresia von Moscherosch, war 1789 Vorleserin in der lateini­ schen Sprache bei der Kaiserin Maria Theresia. — Von den fünf Söhnen und fünf Töchtern, die I. M. Mo­ scherosch aus dritter Ehe hatte, wurde der älteste Sohn, ErnstBogislaus, dessen wir schon erwähnt, Praeceptor in Quarta zu Frankfurt; er schrieb eine Zeitlang die Frank­ furter Relationen.1 — Seine vierte Tochter Susan-

1) So nannte man damals eine Zeitung, die alle Messe zu Frankfurt herauskam. Sie führte den Titel: Jacobi

des Joh. Mich. Moscherosch.

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na El isabeth war an den Freiherr» Erhard von Schenk und Castell, einen Bruder des damaligen Bischoffs von Eichstädt, und seine fünfte Tochter an einen, Namens Wohlfarth, verheirathet. — Sein jüngster Sohn und zugleich jüngstes Kind, Johann Friedrich, wurde Handelsmann in Frankfurt a. M. Der zweite Sohn, Johann Balthasar, geb. den 31. Aug. 1647, ist der Fortpflanzer der Familie. Der­ selbe wurde 1654 geheimer Bibliothekar und 'Archivar bei dem Fürsten Ernst Ludwig von HessenDarmstadt, und ist Verfasser einer italiänischen Grammatik. Er war-mit Anna Barbara Bur, ger aus Benzheim verehelicht. Sein Sohn Johann Melchior Moscherosch erzeugte mit seiner Ehefrau Christina von der Lahr einen Sohn Philipp Jakob, welcher Handelsmann in Frankfurt wurde und aus seiner Ehe mit Elisabetha Hosang eine Tochter, Anna Barbara, hinterließ, welche sich an den Kaufmann Hahn in Frankfurt vcrheirathete und als dessen Wittwe und als Mutter von noch sechs lebenden Kindern und Großmutter von vier Enkeln gegenwärtig noch allda am Leben, von Allen, die sie kennen, als eine rüstige Matrone von lebhaftem Geiste und recht­ schaffener Denkungsart geachtet, und eben jene bereit­ willige Mittheilerin dieser Nachrichten von der Familie Moscherosch ist. Möge sie die Aufnahme dieses ihres Stammbaums^ als ein Zeichen des Dankes dafür ansehn und noch viele Jahre sich des durch uns erneuer­ ten Andenkens an ihren ehrenwerthen Ur,Ur-Groß­ vater erfreuen! Franc! relationes historicae oder wahrhaftige Beschreibung aller fürnehmen und gedenkwürdigen Geschichten rc. Sie beginnt mit dem Jahr 1595 unb endet nach einer langen Reihe von Bänden, wenn ich nicht irre, mit dem Jahre 1759. Siehe v. Lersnersche Chronik. 1) eigentlich nur des Hauptstammes davon: denn ihn in seinen Aesten und Zweigen so, wie er sich in jenem mit höchster Liebe und Genauigkeit angelegten Familienbuchs vorsindet, zu verfolgen, wäre natürlich hier nicht am Orte.

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Wir gehen nun auf die Betrachtung des Werkes über, das seinen Ruhm festgestellt hat und durch unsere Wiedervorlage in mehr als bloße Erinnerung gebracht werden soll. Jede Zeit ist reich an Stoff zu satirischen Feldzügen, und ein neuer Philander kann in Deutschland, so wie vollends in Spanien ein neuer Quevedo, Philanders Vorbild, immer noch ein recht volles Feld finden; die Zeit aber, in welcher Moscherosch lebte, war besonders reich an Ausartungen und Verkehrthei, ten der mannichfaltigsten Art, von denen wir, Gott sey Dank! zum größten Theil wieder befreit sind, deren kleinerer, und dennoch nicht kleiner Theil aber uns immer noch stark anklebt; — ja manches von dem, was sich als Krankheitsstoff seit jener Zeit wirklich aus­ geschieden, hat sich wieder durch einen andersartigen ersetzt. Moscheroschens Mannesleben und Schriftstellerthatigkeit fiel, wie wir sahen, in die Zeit des dreißigjährigen Kriegs, der tiefsten, nie von Grund aus zu heilenden Verwundung, die unser Vaterland je empfangen hat. Die verschiedenen fremden Völker, die sich wie Vam­ pyren an den deutschen Reichskörper hängten, und auf die grausamste, übermüthigste Weise von seinem Blute zehrten, bis er ausgesogen war, brachten die fremde­ sten, der deutschen Natur entgegengesetztesten Sitten und Manieren mit, welche der in ein fremdes Selbst nur zu leicht sich verlierende Deutsche mit so unseliger Ge­ lehrigkeit annahm, daß, wie schon in unserer Einleitung in Bezug auf Sprachverderbniß erwähnt worden, deutsche Art nach Innen und Außen entstellt, verzerrt, ja fast vernichtet wurde. Aller Stände nach Oben und Unten hatte sich die verkehrteste Vergessenheit seiner angestamm­ ten und angeerbten Weise in Lebensart, Sprache, Sitte, Kleidung, Dichten und Trachten so bemächtigt, daß ein ehrlich deutsch Gemüth und ein gesund gebliebener Sinn sich mit Schmerz davon abwenden mußte. Auch unsern Moscherosch ergriff dieser Schmerz* über die Krank-

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heit seiner Zeit aufs tiefste; aber statt nur zu klagen, suchte er nach kräftigeren Heilmitteln, und wählte, weil man mit dem gewöhnlichen der bloßen Vorstellung nicht viel ausrichtete, das schärfste, die züchtigende Geißel der Satire. In vierzehn Flugschriften geht er alle Verhältnisse des öffentlichen und privaten Lebens, der Regenten und Unterthanen, der Vornehmen und Geringen, der Reichen und Armen, der Geistlichen und Laien, der Gelehrten und Ungelehrten, der Aeltern und Kinder, der Lehrer und Lernenden, der Herrschaft und des Gesindes, der Männer und Weiber aufs gründ­ lichste durch, und giebt die Thorheiten und Verkehrt­ heiten aller Stände, theils dem Gelächter, theils der Verachtung Preiß. Diese Schriften gab er anfangs einzeln 1 unter dem angenommenen Namen P h i l a n d e r (Mannhold) von Sittewald heraus. Der Name Sittewald ist aus der Umstellung der in dem Wort Wilstaedt, seinem Geburtsorte, enthaltenen Buchstaben gebildet, und deutet sinnig auf die ganze Richtung seines ernsten Strebens hin, indem er nämlich wirklich ein wahrer Sittenanwalt oder Censor seiner Zeit war. Nach einiger Zeit kamen diese einzelnen Schriften in einer Sammlung bei Joh. Phil. Mülben und Jo­ sias Städeln in Straßburg heraus, und zwar mit Genehmigung des Verfassers. Von dieser ersten Mül­ ben- Städelschen Sammlung kennt man eine Ausgabe von 1645 und eine von 1648. Zugleich erschienen aber auch mehrere andere, unrechtmäßige Sammlungen, von denen die zu Frankfurt am Main 1645 und zu Leiden 1646 erschienenen die wichtigsten sind. Diese Nachdrucke haben sich vorzüglich dadurch an dem Ori­ ginal versündigt, daß sie es nach Sprache und Inhalt mannichfaltig verändert, Neues, dem Verfasser Frem, 1) Einer solchen einzelnen Schrift konnte ich aller Mühe ungeachtet, nicht habhaft werden. Ob wohl noch eine oder die andere vorhanden ist?

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des emgemischt und ganz neue Gesichte hinzugefügt haben. Dies bewog Moscheroschen, selbst eine erneu­ erte und verbesserte Ausgabe seiner „Strafschriften" zu veranstalten, welche unter folgendem Titel erschien: „Wunderliche und warhaftige Gesichte Philanders von Sittewalt, das ist: Strafschriften Hanß-Mi­ chael Moscherosch von Wilstädt. In welcher Aller Weltwesen, Aller Mänschen Händel, mit ihren Natürlichen Farben der Eitelkeit, Eewalts, Heu­ cheley, Thorheit bekleidet, öffentlich auff die Schau geführet, als in einem Spiegel dargestellet und gese­ hen worden. Von Ihme zum letztern mahl auffgelegt, vermehret, gebessert, mit Dildnussen gezieret, und Männiglichen unvergreifflich zu lesen in Truck gegeben. Straßburg, Bey Johan Philipp Mül, den und Josias Städeln, 1050" — in zwei Theilen, davon der erste dem Pfalzgrafen bei Rhein und Herzog in Bayern, Jülich, Cleve und Berg, Karl Gustav, 1 der in der 1) nachmaligem Könige von Schweden, geb. d. 8ten Nov. 1622, gest. d. 27. Mai 1660. Er war ein Sohn Johann Casimirs, Pfalzgrafen von Rhein, aus der Aweibrückischen Linie, und der Katharina, Tochter Karls IX. von Schweden und Schwester Gustav Adolphs. Durch seine guten Eigenschaften, besonders aber durch seine Kriegserfahrenheit, machte er sich bei den Schweden so beliebt, daß ihm gegen den Ausgang des 30jährigen Kriegs der Oberbefehl über die ganze schwedische Armee aufgetragen wurde, in welcher Eigenschaft er den westphälischen Frieden mit fördern half. Da die Königin Christine sich nie vermählen wollte, er­ nannte sie ihn 1650 bei ihrer Krönung zu ihrem Thron­ folger, und übertrug ihm, nachdem sie zum wahren Besten ihres Volks sich entschlossen hatte, abzudanken, 1654 feier­ lich die Krone. Der junge kriegerische König führte dar­ auf einen glücklichen Krieg mit Polen, und bemächtigte sich 1655 in einem einzigen Feldzuge dieses ganzen Kö­ nigreichs. Allein dieses Glück erregte die Eifersucht von Rußland, Oestreich, Dänemark, der vereinigten Nie­ derlande und des Herzogs von Preußest, so daß er mit allen diesen Mächten in Streit gerieth. Als Dänemark

deS Joh. Mich. Moscherosch,

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fruchtbringenden Gesellschaft den Namen „der Zuneh­ mende" führte, — der zweite Theil aber einem Herr Anton von Lützelburg, fürstl. würtembergischen Hofmarschall, gewidmet ist. In dieser Ausgabe letzter Hand giebt er in einem „Vorbericht an den Käufer" die Erklärung von sich: er sey von hohen und sogar fürstlichen Orten her er­ innert worden, zu seines guten „Namens Versicherung und zu Benehmung ungleichen Verdachts wider ihn," öffentlich zu berichten, „ob die Gesichte Philanders unverändert, oder welche eigentlich die Gesichte Philanders seyen?" weil in dem Frankfurtischen Druck (bei Johann Theobald Schönwettern) solche Sachen befindlich seyen, die „ohne Zweifel ein unholder Mensch," der seinen flüchtigen Gewinn aus allzugroßer Geldgierig­ keit unter Philanders Namen habe suchen wollen, „wider alles ehrbare Herkommen herausgegeben habe." Da man nun wegen der daselbst „eingeflickten Einfälle und schwärmerischen Zusätze" nicht jenen ungenannten Herausgeber, sondern ihn, ohne seine Schuld, leicht „irriger Lehre" zeihen könne, so thue er hiemit zn wissen, daß er sich für jene Ausgabe, die sogar acht oder mehr Theile enthalte, nicht verantwortlich machen lasse; er habe nur folgende 14 Gesichte verfasst: „Schergenteufel, Wcltwesen, Venusnarren, Todtenheer, letztes Gericht, Höllenkinder, Hofschule, - la-inoäe-Kehraus, Hans hinüber Hans her­ über, Weiberlob, Turnier, Podagra, Soldaten­ leben und Reformation," den Krieg erklärte, verließ er Polen, wo er sich hatte huldigen lassen, drang in Dänemark ein, und zwang Friedrich Ui. zum Roschild er Frieden 1658. Bald darauf jedoch erneuerte er den Krieg, um sich Dänemark zu unterwerfen; eroberte Kronenburg, belagerte Kopen­ hagen und brachte Dänemark in die größte Gefahr, aus welcher dasselbe aber zunächst durch die Hülfe der hollän­ dischen Flotte und kurz darauf durch den Tod des Königs Karl Gustav befreit wurde, welcher mitten in seiner krie­ gerischen Laufbahn im S8sten Jahre seines Alters starb.

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die bisher „in zwei Theilen bei Mülben und Stadeln aufgelegt, auch in Straßburg und Frankfurt von ihnen zu haben" seyen. Diese halte er für seine „Spiel­ arbeit," und zu mehr als diesen Gesichten, „so bös oder so gut die hinzugefügten andern auch immer seyn mögen," könne und möge er sich durchaus nicht be­ kennen, eben so wenig als zu andern „Zusätzen oder Einflickungen, die in dieser seiner jetzigen und letzten Ausgabe nicht befunden würden." Jene vortheilsüch­ tigen Eingriffe in seine Arbeit thaten ihm um so mehr wehe, da, nachdem er sich „viele Jahre in dem allgegemeinen Unwesen, auch zu Hofe, habe trillen und tribuliren lassen müssen," er, „nach verhoffter endlicher Ruhe, nun durch die Presse erst recht gequetscht, gequält und gemartert werde." Bei einer Vergleichung dieser letztem Ausgabe mit den frühern ist die bessernde Hand nirgends zu ver, kennen, indem — abgesehen von vielen sachlichen Be­ richtigungen und Aenderungen — besonders das Be­ streben, den Ausdruck zu veredeln, und die Sprache, so sehr als es damals einem möglich war, von fremden Wörtern zu reinigen, 1 deutlich hervonritt. Das „vermehrt," welches der Titel besagt, bezieht sich sowohl auf vielfache Zusätze im Texte, als auch auf reichlichere Citateuspende. Von dieser achten Ausgabe erschien noch eine neue unveränderte Auflage in den Jahren 1666 und 1667, ebenfalls zu Straßburg. Es ist nur schwierig, mit den verschiedenen vorhandenen Exemplaren der von Moscherosch selbst besorgten Ausgabe, auf das Reine zu kommen. Herr Dr. Kloß in Frankfurt a. M., dem ich die Mittheilung verschiedener mir noch unbekannt 1) So setzt er in der neuen Bearbeitung z. B. anstatt offen — Erbieten; st. condemniren — verdammen; st. Execution — Angriff; st. recompenßten — belohnen; st. merkiren — verdienen; st. affe^tion — Liebe; st. Praesent — eine Verehrung; st. confusion — Verwir­ rung ; st. qiialificirt seyn — geartet seyn u. s. f.

des Joh. M i ch. Moscherosch.

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gewesener Ausgaben verdanke, bemerkte an inehrern Stadelnschen Exemplaren von 1650, daß trotz der ganz wörtlichen Uebereinstimmung nach Jahrszahl, Seiten­ zahl, Zeilengleichheit, dennoch in den Formen gewisser Lettern eine Verschiedenheit herrsche, und ich fand diese Bemerkung bestätigt. Dieser Umstand ist, wie der­ selbe mit Recht annimmt, in dem, seit den ersten Zeiten des Bücherdrucks aufgekommenen und bis in die Mitte des 17ten Jahrhunderts befolgten Brauche ge­ gründet, vermöge welches der Verleger eines wichtigen und gesuchten Buches, — um die Laune des Publi, kums zu befriedigen, welches dieses Buch in seiner ersten Ausgabe lieb gewonnen hatte und nur in solcher Gestalt haben wollte, — dasselbe, wann es sich ver­ griffen hatte, in der möglichst gleichen Form und mit der alten Jahrszahl wieder herausgab, statt, wie heut zu Tage der Anforderung des jetzigen Publikums zu Gefallen geschieht, eine wiederholte Ausgabe mit der neuesten Jahrszahl zu veranstalten. 1 Dieser Kunst, 1) So sind z. B. aus dem Jahre 1470 (d. 7. Sept.) die Briefe des Hieronymus in zwei Auflagen vorhan­ den, beide mit der gleichen Jahrszahl versehen, — und dies ist mit gar vielen andern wichtigen alten Werken der Fall. — Zuweilen wurden von einem Werke die letz­ ten Bogen in größerer Anzahl aufgelegt, weil etwa der Verleger jetzt erst die Hoffnung auf einen größern Absatz fasste, so daß also nachher die erster» Bogen mit andern Lettern nachgeschossen werden mußten, wodurch sich dann ebenfalls eine Verschiedenheit im Druck bei gleicher Jah­ reszahl, Zeilenzahl u.s.w. ergab. So sind z. B. von der lateinischen Bibel aus dem Jahr 1462 (d. 14ten Aug.) sieben Fasciculi umgedruckt. Bei solchen Umdrucken wur­ den öfters Veränderungen im Text angebracht, wodurch nachher beim Citiren dieser, im Uebrigen sich gleichen Ausgaben, große Verwirrung entstand, bis man auf die Lösung derselben kam, und dann diese scheinbar gleichen, an sich aber verschiedenen Ausgaben beim Citiren durch Beifügung irgend eines, die Textveränderung bezeichnen­ den Wortes unterschied. So werden die oben angeführ­ ten zwei Ausgaben der Epiftolae Hieronymi durch den Beisatz prindplare oder iniliare unterschieden, weil die

I. 1.

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griff war beim Philander v. Sittewald um so nöthiger, als von nun an nur die Städelnsche Ausgabe von 1650 als die allein ächte gelten konnte. Wenden wir uns zu einer nähern Betrachtung des Werkes selbst, so müssen wir zunächst die Form ins Auge fassen, in welcher Moscherosch seinen satirischen Ergüssen freien Laus ließ. Er wählte dazu die Form der „Visionen,“ bei deren Anlage und Gang er einem spanischen Satiriker folgte. Dies war.Von Francisco de Quevedo Villegas, Ritter des St. Jacobsordens, geb. zu Madrid 1570, gest. 1647, „nächst Cervantes der witzigste Schriftsteller der Spanier." *1 Derselbe schrieb sehr viel, theils in Versen, theils in Prosa, und sein Witz muß einen ziemlichen Stachel gehabt haben: denn auf des Grafen Olivarez Befehl, „den er in seinen Versen gestochen hatte, ward er einmal gefangen, und erst, als selbiger bei dem Könige in Ungnade gekommen war, wiederum losgegeben." 2 — Unter Quevedo's prosaischen Schriften zeichnen sich be­ sonder- seine Suerios, Träume, aus, in welchen er die Verirrungen seiner Zeit mit kecken Streichen gei­ ßelt. Dieses Werk 3 nun diente Moscheroschen zum Muster und „Vorriß," wie er selbst offen in der Vor­ rede bekennt; ja er will, humoristischer Weise, das Seinige nur als eine Uebersetzung von jenem ange. zweite Ausgabe an einer gewissen Stelle das letztere Wort dem in der ersten Ausgabe vorkommenden ersteren Worte substituirt. l) Anton Bibl» Hisp. — Jördens 111. S. 696. Außer den in der Anmerk, daselbst citirten Schriftstellern s. noch: Jöcher 11!., 1837 — 38; Adelung VI., 1138; B e rtu ch s Magazin d. span. u. port. Lit. I., 98. 2) (Jselins) Neuvermehrtes historisch - und geographisches allgemeines Lexicon, Basel 1742, Bd. V. p. 687. 3) dessen vollständiger Titel folgender ist: Suenos y DiscuiTos de Verdades descrubridoras de abu los , Vicios y Engannos en todos los officios y Estados del Mondo* En Valencia 1628, 8. — Barcellona 1628; Perpinan 1679.

deS Joh. Mich. Moscherosch.

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sehen wissen. Eine eigentliche bloße Uebersetzung ist es indeß nicht, sondern, wie sich aus der Vergleichung der Suenos des Quevedo ergiebt, (die Andere schon angestellt haben, und die ich für mich nur theils nach der französischen, 1 theils nach der niederländischen Uebersetzung derselben 2 vornehmen konnte) eine durch­ aus freie, mit sehr vielen eigenen Erfindungen und witzigen Einfällen erweiterte, und ganz auf vaterländische Verhältnisse angewendete Umarbeitung und Nachbildung jenes spanischen Originals. „Kaum, sagt Bertuch,3 schwebt hie und da (in PhilanderS Gesichten) noch ein Schatten von ihm (dem Quevedo), und dieser so bleich und so verwischt, daß man^s fast für nichts mehr rechnen kann." — Auch befassen die Suenos nur sieben Gesichte, nämlich: von dem besessenen Scher­ gen, vom Tod, vom jüngsten Gericht, vom Haus der verliebten Narren, von der Welt in ihrem Wesen, von der Hölle, vom höllischen Aufruhr (bei Mosche, rosch „Hofschule"); 4 *die 6 übrigen sieben sind rein und allein von Moscheroschens Erfindung: so daß also der ganze Philander von Sittewald, wenn auch seiner Hauptanlage nach jenem Spanier folgend und öfters große Stellen von ihm wiedergebend, nichts desto wel) Les Vifions de Dom Francisco de Quevedo Villegas, etc. Traduites d’Efpagnol par le Sieur de la Genesie, Paris 1634. (Rouen 1615; Troyes 16560 2) Seven Wonderlijcke Gesichten van Don Francisco Que­ vedo , Villigas, Ridder van St. laques Ordre. In wel­ che alle de Gebrechen der Eeuwe) ondcr alle Staten van Menschen, vermagelijch en ooh stichtelijch z werden be­ straft; ende als in een Schilderye naechtelijch vertoont. In ’t Nederlandes gebracht door Capitayn Haring van Haringxma. ’t Amsterdam, gedrucht by Ian lacobsz Bouman, 1658. — 3) Flögel Gesch. d. kom. Lit. 93b.III. S.417. — 4) Im spanischen Original stehen sie in folgender Ordnung:

1) Del juyzio final, 2) el alguazil endemoniado, 3) del infierno, 4) el mundo por de deutro, 5) de la muerte, 6) la cafa de locos de amor, 7) discurso de todos los diablos 6 infierno enmendado.

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Ueber d. Leben u. d, Schriften

Niger ein deutsches Originalwerk ist, da- in der Lite« ralur des siebzehnten Jahrhunderts einen höchst ehren, vollen Platz einnimmt. Denn reichhaltig und viel« fettig ist sein Inhalt, voll Wahrheit und Treue seine Darstellung. Durchweg zeigt sich eine erfahrungsreiche Bekanntschaft mit dem menschlichen Herzen, und eine lebendige Anschauungskraft führt uns die verschieden­ artigen Lebensaustritle oft so leibhaftig vor, daß wir uns wie mitten darin, als theilnehmende, oft bethei­ lig te Zuschauer befinden. Kann man auch den darin herrschenden Geschmack nicht fein, und den Stil nicht elegant finden, in welchen beiden Beziehungen die Schriften jenes Spaniers den Vorzug behaupten; so müssen wir, wenn wir gerecht seyn wollen, bei dieser Beurtheilung die Zeit und das Land nicht' außer Acht lassen, da Mofcherofch auftrat. Von diesen Fehlern und Gebrechen ist im Allgemeinen schon in unserer Einleitung S. X. u. XI. des Nähern gehandelt wor­ den. Hier kommt außerdem noch in Betracht, daß unser Verfasser oft in die elsässische Mundart verfällt, zuweilen vielleicht unwillkührlich, in der Regel aber absichtlich, weil er sein Buch auch vom gemeinen Mann im Volke verstanden wissen wollte. Daher so viele uns ungewohnte Wortformen, von denen jedoch sehr viele noch heut zu Tage im Volke leben, und manche darunter wohl auch, wie nicht zu läugnen seyn dürfte, sprachgerechter sind, als die jetzt allgemeinüblichen. Daß sich übrigens der Humorist dergleichen Ungewöhnlichkeiten erlauben dürfe, wird wohl nicht in Abrede gestellt werden. Daß sein deutscher Vorgänger und Landsmann Fi schart,', dessen kühne, wunderseltsame Behandlung

1) Joh. Fischart, genannt Menzer (Mainzer), aus Straß­ burg , geb. um die Mitte des löten Jahrhunderts und gest, um 1589, war Doctor der Rechte, Reichskammeradvocat und, um 1586 (?) Amtmann zu Forbach bei Saarbrück. Er ist der größte und originellste Satiriker, den es wohl je gegeben, und der die deutsche Sprache mit einer Laune,

des Joh. Mich. Moscherosch.

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der deutschen Sprache bekannt ist, hie und da Ein, fluß auf seinen Stil gehabt habe, ist wohl möglich, doch ist derselbe jeden Falls nur gering, da Moscherosch um seines Zweckes willen sich bemüht, so allgemein­ verständlich als möglich zu schreiben. Ja er ist ein erklärter Feind aller willkührlichen Sprachsonderbarkei, ten, und erklärt an einer Stelle ausdrücklich: es sey „abscheulich, wann nasweise Kerls, hochfliegende Klüg, finge, 1 irgend einen Schwarm seinen raptus] beka, men und dasjenige in eine Sprache einführen wollten, was dieselbe nicht nur nicht ziere, sondern sie verzerre, verirre, verwirre, arger als die Dabeler vor Jahren gethan hätten.^ Trotz jener Fehler sowohl, als Eigenheiten, muß in Moscheroschens Sprache in der Regel kräftiger Aus, druck, treffende Bezeichnung, ja schlagende Kraft und meist gewandte, rasche Bewegung anerkannt werden, so daß er unter den Prosaikern jener Zeit allerdings Willkühr und Keckheit behandelt hat, wie keiner vor und nach ihm. Er hat sehr viel in Versen und Prosa ge­ schrieben, und ist durch seinen Gargantua und Pantagruel, einer freien Nachbildung des ersten Theils von Babelai’s satirischem Roman, am berühmtesten geworden. Sein »glückhaftes Schiff," eine an Witz und Poesie reiche gereimte Beschreibung jener lustigen Fahrt, welche 54 Zür­ cher A. 1576 in einem Schiffe auf der Limmat, der Aar und dem Rhein, mit einem ungeheuern Topf voll heißem Hirsebrei an Einem Tage nach Straßburg zu dem dorti­ gen Schützenschießen machten, um zu zeigen, daß, wenn Straßburg sich in den Schweizerbund aufnehmen lassen wollte, die Zürcher den Straßburgern, im Fall eines plötzlichen Ueberfalls zu Hülfe kommen könnten, noch ehe ein gekochter Brei kalt werde — ist neuerdings treu ab­ gedruckt und erläutert von Halling, mit einem Vor­ wort von Uh land, Tüb. Osiand. 1827. wieder heraus­ gekommen. (S. uns. Einleit.) 1) worunter er natürlich nicht einen Fischart, sondern jene gränzenlos abgeschmackten Sprachneuerer meint, die in der ersten Hälfte des I7ten Jahrhunderts ihr Unwesen trie­ ben, und die er noch in mehrer» andern Stellen seiner Strafschriften scharf mitnimmt.

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den ansehnlichen Rang verdient, den ihm alle seine bisherigen Beurtheiler angewiesen haben. Flögel 1 nennt ihn „den besten und körnigsten Prosaiker unter den Deutschen" im 17ten Jahrhundert, und Wach­ ter 2 spricht ihm unter andern Vorzügen „eine reine, wohlklingende Prosa" zu, und diesem Urtheile müssen wir, mit Berücksichtigung jenes Zeitalters, ganz bei­ stimmen, ja wir sind auf gar viele Stellen getroffen, die auch unserer Zeit Ehre machen würden. Nur im Referir- und Curial-Stil tritt auch bei Moscherosch die Unbeholfenheit und Gezwungenheit hervor, womit sich im Allgemeinen die Sprache seiner ganzen Zeit schleppte. Die Vortrefflichkeit der Prosa, die wir im Durch­ schnitt in allen Schriften des Moscherosch gewahren, würde sich dem Leser des Philander noch anschaulicher und übersichtlicher herausstellen, wenn der Verfasser nicht theils selbst, oft mitten im Texte, in die lateini­ sche Sprache übergienge, theils eine übertriebene Menge von Stellen aus alten und neuern von Autoren in ver­ schiedenen Sprachen angezogen und dadurch seinem Werke ein unnöthig gelehrtes Aussehen gegeben hatte. Dies ist allerdings kein geringer Uebelstand. Allein die Entschuldigung desselben giebt uns Moscherosch selbst an die Hand. Denn was seine eigenen lateinisch vorge­ brachten Gedanken betrifft, so muß man den Grund, den er dafür in seiner Vorrede zum ersten Theil angiebt, wenigstens so weit er diese Gedanken nicht auch deutsch wiedergab, gelten lassen: er konnte nämlich, nach dem damaligen Stande der Oeffentlichkeit, ge­ wisse — besonders politische — Wahrheiten vor den Ohren des gemeinen Mannes nicht geradezu heraussa­ gen, ohne Mißbrauch davon entweder für das allge­ meine Wohl, oder für sich zu befürchten. — Was aber die damalige Citaten-Sitte oder vielmehr Unsitte 1) S. dessen Gesch. der kom. Lit. III. p. 417. S) S. dessen Versuch einer allgemeinen Gesch. der Lit. III. Lte Abth. p.662. *

des Joh. Mich. Moscherosch.

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betrifft, so ist wohl zu beachten, daß er derselben kei­ neswegs sclavisch huldigt, sondern sich ihrer meist mit voller Absicht und zwar aus einem Grunde bedient, den wir in seiner „deutschen Zugabe" mit folgenden Wor­ ten angegeben finden: „So ein Maler einen Thoren malete, und gäbe ihm die Gestalt und Färb'eines Klu­ gen, das wäre wohl nicht ein meisterlich Stuck: der ist aber ein Meister, der einen Thoren auf das allerthörichtste malt. Man gebe einem jeden Ding seine na­ türlichen Farben, so ist es zu erkennen. Und das ist eine der Ursachen, warum ich diese Gesichte mit Griechisch und Walsch, mit lateinischen Versen und Wor­ ten hie und da durchspicket, — welches ich sonst in deutschen Schriften billig schelte. 1 Es haben aber unsere a - la - mode - Sugenbcn anders nicht als mit L- la-mode-Farben sollen entworfen oder ange­ strichen werden: wiewohl mir, meines Erachtens, lang genug und viel zu lang fremden Zungen aufgewartet!" — Zudem ist nicht zu läugnen, daß jene angezogenen Stellen, die von großer Belesen, heit zeugen, zum größten Theil sehr passend und schla­ gend sind, und daß vorzüglich diejenigen derselben, welche Witz und Satire enthalten, besonders die ein­ gestreuten Epigramme von Martial 2 und 1) In seinem »Christl. Vermächtniß" findet sich auch nur äußerst selten ein Citat aus fremder Sprache. 2) Marcus Valerius Marlialis, ein höchst witziger, beißend derber Epigrammatist unter den Römern. Er war im I. Chr. 40 zu Bilbilis (Bilboa) in Celtiberien (Arago­ nien) geboren, und kam in seinem Listen nach Rom, wo­ selbst er 35 Jahre hindurch unter den Kaisern Galba, Otto, Vitellius, Vespasian, Domitian, Nerva und Tra­ jan in großem Ansehen lebte. Vom Domitian erhielt er die Ritter - und Tribunen-Würde. Als er sich vom Kai­ ser Trajan hintangesetzt sah, kehrte er wieder in sein Va­ terland zurück, wo er noch im Jahre 100 lebte. Wir haben von ihm 14 Bücher Epigramme, von welchen dies dreizehnte den Titel Xenia (eigentlich: Gastgeschenke) und das letzte den Titel Apophoreta (eig. kleine Tischgaben) führt.

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Ueb. d. Leben u. d. Schriften

Omen 1 dem Sprachverständigen einen nicht geringen Genuß gewähren. Was nun den Geist betrifft, der aus Moschero/ schens Sprache hervorleuchtet, so ist derselbe als ein ernstsittlicher, ächtvaterländisch gesinnter, streng, doch gutmüthig rügender, dabei überaus launiger-, witziger und glücklich satirischer nicht zu verkennen. Sein Ernst ist oft tief eindringend, an manchen Stellen voll bibli, scher Kraft; seine Laune ohne grimassirende Buffonerie, oft zwar „burlesk" (wie zuerst Küttner sich ausdrückte), aber meist von ächt komischer Wirkung; sein Witz in der Regel natürlich und ungesucht, wenn es gleich bei so großer Reichhaltigkeit auch nicht an müssigem und ver-

1) Joannes Owenus Audoenus, ein englischer Dichter. Er war zu Caernarvanshire geboren, in der Schule zu Wick­ ham erzogen und zum beständigen Mitglied des neuen Collegiums zu Oxford angenommen. 1590 wurde er Baccalaureus der Rechte, darauf Rector der Schule zu Tryleigh, und zuletzt Rector der Schule zu Warwick, welche Heinrich VI11. gestiftet hatte. Seine Epigramme, die er in lateinischer Sprache in eilf Büchern verfasst hat, sind wegen ihres sinnreichen Scherzes und ihres beißenden Witzes weit berühmt und vielmal gedruckt worden. Da Owen arm war, nahm sich seiner der Bischoff von Lincolm, Dr. Joh. Williams, mit dem er verwandt war, thätigst an; und als Owen 1623 starb, ließ er ihn auf seine Kosten in der St. Paulskirche zu London begraben und ihm ein Denkmal nebst Büste und ehrender Inschrift setzen. — Ein alter Gelehrter sagt: Martialem et Owennin lege et judicii adhibe liinam. —- Bei der Verglei­ chung der im Philander vorkommenden Epigramme aus Owen hatte ich die Amsterdamer Ausgabe von 1647 zur Hand: dort sind die drei ersten Bücher überschrieben: Liber primus , secundus, tertins, das vierte Buch Liber nuus oder singularis, das fünfte Buch : Disticha quaedam ethica et politica veterum sapienturn (Moscherosch (itirt es mit dem Ausdruck Monostichologia} 3 das 6te bis 8te Buch kommt wieder vor als Liber primus, secundus, terlius; eben so das 9te bis Ilse Buch als Liber prirnus, secundus. tertins. Wenn nun Moscherosch citirt: Lib. i oder 2 oder 3, so ist darunterEentweder das erste, oder sechste, oder neunte Buch der ganzen Folge gemeint.

des Joh. Mich. Moscherosch.

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fehlten Witze fehlt; seine Satire greift nie die Person an, sondern nur die Sache, und er stellt sich, ächt hu­ moristisch, meist selbst unter die, gegen welche er die Geißel schwingt, wie er denn selbst am Eingänge des zweiten Theils in folgenden Reimen sagt:

Ich schreibe nicht den Feinden,

ich schreibe meinen Freunden;

ich greife nicht den Mann mit harten Worten an, der hier in seinem Leben

den Sünden ist ergeben: cs soll nur bloß allein zu einer Warnung seyn,

ihm höflich zu gebieten, die Sünden zu verhüten.

Doch soll nicht er allein von mir gerichtet seyn: ich straf' auch meinen Wandel, mein eigen Thun und Handel.

Was schad't ihm dies und mir?

Es steht kein Nam' nicht hier; auch will' ich's ja auf keinen

absonderlich vermeinen:

die Rede soll nur seyn von Lastern insgemein.

Wer nun auf mich will murren und unterm Lesen knurren,

der ist gewiß versehrt und recht des Scheltens werth l Das Buch ist demnach mit Recht eine gchaltige Quelle für die genauere Kenntniß des deutschen Volk--

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Ueb. d. Leben u. d. Schriften

lebens, unserer Sittengeschichte und Sprache in jenem so merkwürdigen Jahrhundert, und würde die Hervor, suchung und allgemeinere Bekanntmachung desselben die Bearbeiter jenes culturgeschichtlichen 2lbschnittes zu mehr, facherer Benützung des Originals (am besten freilich in seinem ganz unberührten Zustande) veranlassen, so hätte diese erneuerte Herausgabe die eine Halste ihrer Recht, sertigung erzielt; die andere sucht sie in der Wirkung, welche der Sachinhalt, selbst ohne jene historische Be, Ziehung, auf das Gemüth vieler Leser aus allen Stän­ den gewiß hervorbringen wird.

Mit welcher Begierde und wie allgemein aber da­ mals der Philander gelesen worden sey, beweist nicht nur der häufige Nachdruck, den das Buch erfuhr, son­ dern auch die Menge der Lobreden und Lobgedichte, welche in deutscher und lateinischer Sprache von begei, ster-Len Vaterlandsfreunden, denen Moscherosch so recht LrÄs dem Herzen gesprochen hatte, auf dasselbe gefertigt worden sind. In letzterer Beziehung sagt Gottfried Arnold in seiner Kirchen, und Ketzerhistorie (XVII, 5, 22) bei Erwähnung von J.B. Schuppe's Warnungs­ schriften : „Er würde den bekannten Philander von Sit­ tewald nicht beifügen, viel weniger unter die Theologen setzen, wofern ihn nicht diese selbst gar sehr gebilligt und seine Zeugnisse von den sall^gemeinen Thorheiten für wahr und gegründet erkannt hätten, wie aus den vor seinen Büchern gesetzten canninihus und Episteln zu sehen ist, da sie unter andern Johann Rist hoch­ theure und vortreffliche Schriften nennet." — Ja Rist (dessen wir auch schon oben erwähnt) nennt sie „sein einziges, nächst der Bibel liebstes Buch." Von jenen, dem Werke vorangeschickten, im Ge­ schmacke der damaligen Zeit abgesaßten Lobgedichten mögen folgende unveränderte Proben hier einen Platz finden:

der Joh. Mich. Mvscherosch.

I.1X

1.

Sonnett, oder Klrnggedicht, von einem Mitgliede der fruchtbringenden Gesellschaft, genannt der Rüstige sJohann Ötift).

Europa l tritt Herfür, dich selber zu beschauen

in diesem Spiegel, den Philander Hat gemacht: es werden dir mit Lust hierinnen vorgcbracht

viel Hoh' und Niedrige von Männern und von Frauen. Der Spiegel ist nit falsch; du darfst ihm kühnlich trauen.

Er giebt sein Gegenbild, sowohl bei Tag und Nacht; Da zeiget er der Welt ihr' Eitelkeit und Pracht so klärlich, daß darob den Bösen möchte grauen. Europa! tritt herfür und schaue/ wie so gar

dein Volk verderbet ist durch die verfluchte Schaar der Laster, welch' es liebt und ihnen folgt mit Freuden.

O gar zu böse Zeit, die wohl beklagenswerth! Doch wer vom Argen sich zu kehren nicht begehrt, der wird Philandern und die Wahrheit nimmer leiden.' 2.

An die mißgünstigen Neider.

Blinde Mißgunst, packe dich!

hier gilt länger nicht dein Bleiben: Herr Philander rüstet sich,

dir den Kitzel auszutreiben;

seine Feder giebt dir bloß durch die Kunst den letzten Stoß.

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Ueber d. Leben u. d. Schriften 0 ihr Hunde, trollet euch! haltet ein mit eurem Befzen! 1

Herr Philander wird euch gleich binden die verlognen Lefzen: *

dieser Leu ist Heldenart, der noch Witz, noch Starke spart.

0 ihr Eulen nehmt den Flug

eiligst zu den Poltergeistern! Herr Philander, frisch und klug,

will nur falsches Schreien meistern; dieser Adler kann allein

sehen in die Sonn' hinein.

Licht und Wahrheit hat sein Haupt als ein schöner Kranz umgeben.

Wann nun gleich der Momus 1 schnaubt und der Kunst will widerstreben, ei so muß der Wahrheit Glanz

dieses Thier verblenden ganz. Gott, der halt Philander» Schutz;

Engel müssen ihn begleiten.

Seiner edlen Feder Trutz kann das Lasterheer bestreiten:

dieser nie verzagte Held greifet an die ganze Welt.

Gekläffe, keifenden, zänkischen Bellen. 2) Lippen. 3) der finstere mürrische Gott des Tadels, ein Sohn der Nacht und des Schlafes.

des Joh. Mich. Moscherosch.

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So, Philander, lehre fort die verführten Menschenkinder. Nunmehr giebt ja mancher Orr dir, der Laster Ueberwinder, einen Namen, dir gemäß, du, der Deutschen Herkules! 3.

Aus einem Lehrgedicht von Wahrmund von der Tannen. Kommt her, ihr Leute, kommt! Ihr sollt da Wunder hören, was auch Philander wird in diesem Büchlein lehren, Es hat Terentius 1 und Plautus 2 freilich nie so gute Schwäne gedicht't, als auf dem Schauplatz hie zu sehen werden seyn. Sie haben nicht gezielet, wohin dieß Büchlein zielt.-------- — i) Publius Terentius Afer, der berühmteste röm. Lustspieldichter. Er war, wie man glaubt, zu Karthago im I. 194 v. Chr. geboren, kam als Sklave nach Rom, wurde aber bald wegen seines geistreichen Wesens fteigelassen, und von den angesehensten Männern Roms gesucht und geachtet. Die sechs Lustspiele, die wir noch von ihm haben, sind den (neuern) griech. Komikern nachgebildet, und zeichnen sich besonders durch treffliche, elegante Spra­ che, große Weltkenntniß und richtige Zeichnung der Cha­ raktere aus. Er starb 161. v. Chr. auf einer Reise nach Griechenland. 2) Marcus Accius Plautus, auch ein vorzüglicher röm. Komiker, aus Sarsina in Umbrien, lebte um 200. v. Chr. zu Rom als verdorbener Schauspieldirector in so großer Dürftigkeit, daß er eine Zeitlang bei einem Bäcker sich durch Mehl-Mahlen seinenUnterhalt erwerben mußte. Wir haben von seinen vielen, gleichfalls den Griechen nachgebildeten Lustspielen nur noch 20, die sich durch vor-

txn

Ueber d. Leben u. d. Schriften

Du seyest, wer du wollst, so findest du gewiß hierinnen deine Lehr': deshalben komm' und lies zu deiner Besserung, es wird dich nicht gereuen; eS wird dich sicherlich dagegen vielmehr freuen, wann dir auf diesem Platz die ganze weite Welt mit allem ihrem Thun vor Augen wird gestellt, kannst in ein jedes Land durch diese Brillen sehen und wissen, wie es da und dorten pflegt zn gehen. — wie mich dunkt, die Sache schier ver­ gleichen mit einem Ort, darin aus allen Königreichen, von jedem Amt uud Stand, aus allen Landen her ein Ausschuß alles Volks zugleich versammelt wär, da beides, Mann und Weib, ihr Thun und Wesen trieben, als wie sie es zu Haus und sonsten täglich üben; du aber stelltest dich vor einen Spiegel hin, in welchem dir, verjüngt, der ganze Hauf' erschien', in dem du, kurz verfaßt, sähst allen ihren Handel, urtheiltest bei dir selbst, wie eines jeden Wandel gerecht sey oder bös; nähmst augenscheinlich ab, was männiglich für Fehl' und Laster an sich hab'.

Du könntest,

In einem andern von Reiner von Sittewald *1 unterschriebenen Lobgedicht heißt es, daß Philander durch trefflichen Dialog, originelle Laune im Nicdrigkomischen und eine »kernhaste" altcrthümliche Sprache auszcichncn. Doch sind sie bei weitem nicht so regelmäßig angelegt, als die Lustspiele des Terenz, denen sie auch an Feinheit der Charakter«, an gesittetem Scherz und Sentcnzcnreichthum nachstehen. 1) Einer von M's näheren Freunden — wahrscheinlich auch aus Wilstädt gebürtig, — dessen er in mehrern Gesichten Philanders gedenkt.

des Joh. Mich. Moscherosch.

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diese seine Traume sich in allen Landen berühmt mache, und daß er schlummernd mehr nütze, als Mancher wachend; Deutschlands wankende Säulen müßten unterstützt wer­ den, und nur solche Träume und Spiele seyen es, durch welche das matte Deutschland gestärkt und erfrischt werden könne. Das Gedicht schließt mit dem Wunsche, daß er noch lange so träumen möge. Wir müssen nun auch das Verhältniß aufzeigen, in welchem jene von Andern herrührenden Zusätze und Erweiterungen, die in einigen der nachgedruckten Aus, gaben sich vorfinden, zu dem Originalwerke stehen. Wenn sich auch dieselben hier, wo es sich von dem Han, delt, was dem Urheber des letztem eigenthümlich zu, gehört, zur Seite gelegt werden müssen; so darf sie doch der Sprach, und Geschichtsforscher bei der Be­ trachtnahme jener Zeit nicht umgehen: er wird nament, lich in der Leidner Ausgabe 1 über noch viele andere damalige Zeitverhältnisse ergänzenden Aufschluß erhalten, und, wenn ihm auch in diesen Zusätzen Phi, landers Geist nicht mehr begegnet, doch zu der wohl, thuenden Wahrnehmung gelangen, daß es in jener beengten und bedrängten Lage der Freiheit nicht an Männern gefehlt habe, die, hatte nur einmal einer die Bahn gebrochen, nicht feige zurückstanden, wenn es galt, der Wahrheit das Wort zu reden, und deren Gewicht durch offene, nichts weniger als schwache Zu, läge zu verstärken. In den beiden ersten Theilen der Leidner Aus­ gabe v. 1646 stehen von den oben aufgezählten vier, zehn Gesichten Philanders, eilf, nämlich außer den sieben des ersten Theils noch vier vom zweiten Theil der Originalausgabe (Ala-Mode-Kehraus, Hans hin, über Hans herüber, Weiberlob und Turnier); der dritte Theil enthält folgende sechs neue Gesichte:

l) Visions de Don Quevedo d. i. wunderliche satirische und wahrhaftige Gesichte Philanders von Sittewald, in fünf Theilen begriffen, Leyden bei Adrian Weingarten, 1646.12.

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Ueber d. Leben u. d. Schriften

1. Ratio ftatus (Satire auf schlechte, willkührliche Regierungen). 2. Rentkammer. 3. Peinlicher Prozeß. 4. Zauberbechcr (Satire wider verschiedene Laster, Thorheiten und Mißbräuche). 5. Kaufhaus (ähnlichen Inhalts). 6. Phantastenhospital. Der vierte Theil enthält zwei von den noch übrigen im 2ten Theile der Originalausgabe vorkommenden Ge­ sichten, nämlich das Pflaster wider das Podagra und das Soldatenlebcn. Der fünfte Theil enthält folgende vier neue Gesichte: 1. Von den Lastern dieser Welt. 2. Von den Aftrologis und der Aftrologia, und der Veränderung der Reiche. 3. Don der Fastnacht und der Herrschaft der Weiber. 4. Von seltsamen Gesichten, tragischen Historien, auch der höllischen Geister Laster und Thaten. Diesen fünf Theilen wurde 1647 noch ein sechster Theil zugefügt, welcher eine historisch-politische Reise­ beschreibung enthält, worin dargestellt wird, „was sich in politischen und vielen andern Sachen natürlich, übernatürlich und sonst wunderbarlich zugetragen hat." Der Verfasser fingirt, Philander habe in seinen grauen Jahren in den Stand der Religiösen treten wollen; da ihm aber solch Leben nicht gefallen, so sey er in den Kriegsdienst getreten, und habe eine gefährliche Reise durch zwölf Königreiche unternommen, die hier in vier Kapiteln beschrieben wird, mit der Bemerkung, daß es dem Leser frei stehe, „ob er diesen Band für ein besonderes Werk, oder für eine Fortsetzung der Gesichte des Philanders halten wolle." In demselben Jahre erschien noch ein siebenter Theil, der vom Stand der Gottseligen und Verdammten, von Kriegs - und Friedensläusten handelt, und den Philander als Mönch und Priester sterben läßt.

des Joh. Mich. Moscherosch.

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Endlich ist noch ein Anhang dazu in Frankfurt bei Job. Gottfried Schönwettern 1648, 12. erschienen, unter dem Titel:

Philander inferoalis vivo redivivns apparens, d. i. seltsame wunderliche Visiones, Formen, Gesichter und leibliche Gestalt PhilanderS von Sittewald, in welchem er nach tödtlichem Hintritt seinem Freunde und Reisegesellen Experto Ruperto erschienen und durch solche Visiones ihm, als er von einem Kurier oder Postillion durch das Fegfeuer Campum Elysium in den Abgrund der Höllen gesühret, dieser und der künftigen Welt, sonderlich der Verdammten ge­ fährliches Wesen und Zustand vorgestellt und offen­ baret, samt wunderlichen Discursen und Historien von Gespensten, Apparitionen und Erscheinungen der Geister, auch Hexenwerken, welche Expertus Rupertus und Freimnnd mit einander gehalten und erzählet." Von diesen durch fremde, unansgemittelte Hand hin­ zugekommenen Gesichten sind die in dem dritten und fünften Theil jener Leidner Ztusgabe enthaltenen, — beachtenswerth: denn sie entbehren keineswegs weder wahrer patriotischer Freimüthigkeit, die oft mir bitterer, noch eines reichlichen beißenden Witzes, der oft nur ge­ suchter ist und nicht so vielem eigentlichen Humor inne wohnt, als bei Moscherosch. Was von und aus diesen Zusätzen das Wichtigste ist und zur allgemeinen Be­ lehrung und Unterhaltung dienen kann, laßt sich viel­ leicht später in einem Anhangbändchen mitthcilen. Eine nähere Bezeichnung der übrigen unächten Ausgaben wird man mir hier wohl erlassen, weil sie doch unsern vorliegenden Zweck nicht eigentlich fördern würde. Außer den schon genannten erwähne ich nach­ träglich noch einer Frankfurter Ausgabe von 1644, deren Titel den Beisatz hat „zum Erstenmal in Truck verfertiget," „bei Antonio Hummen" kl. 8, und die ohne bedeutende Veränderungen und Abiveichun-

I. 1.

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1-xvi

Ueber b. ^eben u. d, Schrifeen

gen von dem ursprünglichen Text, nur eilf Gesichte enthält, obwohl das Buch seiner Anordnung nach ge­ schlossen ist. Außer dem Phitander von Sittewald hat Mosche­ rosch noch folgende Schriften hinterlassen:

1) lusoinnis cura parentmn: Christliches Vermächtniß oder schuldige Vorsorge eines treuen Vaters; bei jetzigen Hochbetrübtesten, gefährlichsten Zeiten den Seinigen zur letzten Nachricht hinterlassen. Straßburg bei Josias Stadeln, 1643, 1647, 1653, 1678, 12. Hinter der letzten Ausgabe, deren ich noch nicht habhaft werden konnte, be­ findet sich, nach Koch, Moscheroschens Bild­ niß, von Matthias Machner gearbeitet. — Von diesem Büchlein ist oben schon gesprochen, und bei den Citaten aus demselben die Ausgabe v. 1653 zum Grunde gelegt geworden, weil sie die letzte ist, die Moscherosch selbst besorgt hat. Rist sagt in seinem „adelichen Hausvater," daß er es „allen christlichen und tugendliebenden Zleltern und Kindern zum Höchsten wolle empfohlen haben." Auch der berühmte Joh. Valentin Andreä sprach, wie Moser im Patriot. Archiv VI, 343 berichtet, mit großem Lobe davon. Es wurde auch ins Dänische übersetzt von Severin Terek el­ fen, Zollverwalter in Glücksstadt, unter dem Titel: En from Faders Christelige Siaele-Gaffue Eller Skyldige Omsorrig. *)

2) Centiiriae VI. Epigrammatiun, Arg. 1643 U. 1650, 12; Franks. 1645, 12. 3) Dialogues gallice, 1645, 8.

italice,

gennanice, Straßb.

1) Von diesem in pädagogischer Hinsicht merkwürdigen Merk­ chen bin ich eben im Begriff, eine n;ue zeitgemäße Aus­ gabe zu besorgen.

des Joh. Mich. Moscherosch.

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4) Anleitung zum adeligen Leben, a. d. Französi­ scher' des Sam. Bernhard. Straßb. 1645, 8. 5) Jac. Wympflingers Deutschland zu Ehren der Stadt Straßburg und des Rheinstroms, in Druck gegeben durch Hans Michael Moscherosch, Straßb. 1648, 4. — Dasselbe lateinisch: lac. Wimphelingii cis Rliemnn Germania recufa poft 148 annos; Editore Io. Mich. Moscherosch. Arg. 1649, 4. — S. Liter. Blätter III. 247, und Hummels Neue Bibliothek von seltenen Büchern II. 85.

6) D. Erasmi Roterodami Epistola et imago reipbl. Argentinensis 9 quam patriae juventuti conteinplandam exhibet Io. M. Moscherosch. Argent. 1648, 4.

7) lac. Wimphelingii Catalogus Episcoporum Argentinensiiim ad sesqiiisecuhun desideratus, cum supplem. et. not. Io. Mich. Moscherosdi. Arg. 1650 (nach Jördens 1651) und 1660, 4. 8) Georg Gumpelzheimeri Gymnasma de exercitiis Academicorum, cum argumento edidit Io. Mich. Moscherosch. Argent. 1652, 12. 9) Georg Gumpelzheimeri Dissertat. de Politico, anet. Studio Io. Mich. Moscherosch. Argent. 1652, 12. 10) Technologie allemande et francoise; ausgeübtes Wörterbuch. Straßb. 1656, 8. — Eins mit dem, in Rüdigers „Neustem Zuwachse der deut, fremden und allgemeinen Sprachkunde^ Stk. 4. S. 92. aufgeführtem Werke: H. M. M. kunstübliche Wortlehre, deutsch und fran­ zösisch, fortgesetzt durch H. C(aspar) H(ermann). Straßb. bei Städeln 1656, 8. Er nennt es ein trocknes Vocabularium nach den Klassen der Dinge, mit einigen Sprüchwörtern am Ende jedes Ab­ schnittes. 11) Äußer den im Philander vorkommenden Gedichten

Lxvni Ueber d. ^eben u. d. Schriften-

finden sich an Liedern von Moscherosch, nach Iir, dens Angabe, noch folgende vor 1) in Ram mlers lyrischer Blumen lese, drei Lieder, jedoch mit Aenderungen, und zwar im Gten Band Nr. 27: Hylas will kein Weib haben (Schweiget mir vom Frauennehmen, es ist lauter Ungemach re.); Nr. 28. Widerruf (Wer be, schimpft das Frauennehmen, wer benennt es Um gemach?rc.); im 8ten Band, Nr. 20: An die spröde Blanka (Willst du nichts von Liebe hören? Nennst du Ehstand Ungemach?rc.); — 2) im Berlin. Archiv der Zeit und ihres Ge­ schmacks, herausgegeben von Rambach und Feßler, isoo, Novbr. Nr. 3, S. 553 ff. drei Lieder: Rangstreit, Adel, Widersprüche.— An­ dere Lieder von ihm kommen im Philander und im christl. Vermächtniß vor.

Das Andenken an Moscherosch und seinen Philan­ der ist ostmal zu verschiedenen Zeiten aufgefrischt wor­ den, und zwar: im Jahr 1663 durch Schottel in s. ausführlichen Arbeit von der deutschen Hauptsprache, Braunschweig, 4. S. 1177 — 78. „Diese Traumgesichte (heißt es daselbst) sind von den neugierigen Leuten so beliebet, daß sie vielmals nach einander aufgelegt worden, und haben fast mehr Früchte gebracht, als manches Bet- und Predigtbuch, welches man unter der Bank liegen lässet." 1679 durch den oben schon genannten Meigener in s. Memoria Moscherofchiana renovata, (worin er den von uns oben benützten biographischen Inhalt seiner Trauerrede lateinisch wiedergab) ab, gedruckt in Witten's Memoria philosopliorum. Fres. Dec. X., pag. 544 — 49. Sie fangt an: „Illuftris Teutonicae linguae Separator, vates, vindex et arbiter, cpiique depravatos aevi

des Joh. Mich. Moscherosch.

t,xix

nostri mores penetranti ftrhigere stylo mire didicit, Moscheroscliius, lucis hiijus usura tertio Nonas Martii etc. — frui coepit. — Am Schlüsse zwei Epicedien von Sprenger und Spener. 1688 durch Freherus in s. Tlieatrum virorum eruditomm, Nbg. S. 1187 — 88, wo er M/s Leben kurz nach Meigeuer giebt und auch nur kurz sei­ ner Schriften erwähnt.

1700 durch Gottfried Arnold in seiner Kirchenund Ketzerbistorie, daraus wir die hiehergehörige Stelle (XVII, 5, 22.) schon oben Seite LV1II. angeführt haben. 1735 und 1739 durch Zedler in seinem großen Uni­ versallericon, Band XX, S. 1823. — Nur kurze Angabe von M/s Leben und Schriften. 1742 durch Jselin im Neuvermehrren historisch-geograph. allg. Lexicon, Basel, Th. V, S. 687. — Giebt einen kurzen Lebensabriß und führt einige Schriften auf. 1751 d. Iöcher in s. allgem. Gelehrtenlexicon TH.III, S. 698 — 99. Giebt auch keine Beurtheilung.

1780, 1785 und 1787 durch L. Meister a) in s. Beiträgen zur Geschichte d. deutsch. NationalLiteratur, Th. I, S. 334 — 44; b) in s. Characteristik deutscher Dichter, Zürch, B. L S. 181 — 89, und c) in s. Abhandlung von den Hauptepochen der deutschen Sprache seit dem 8ten Jahrhundert, in den Schriften der churfürstli­ chen deutsch. Gesellschaft in Mannheim Th. II, S. 152 — 57. — Hat sich im Grunde drei­ mal wörtlich wiederholt, ausgenommen, daß er bei b) noch Auszüge giebt, und S. 181. sagt: „Wenn nicht dieses Werk durch Wortspiele, durch pedantische Weitläuftigkeit und müssige Ci­ tationen, — die herrschenden Fehler der zeitver-

LXX

Ueber d. Leben u. d. Schriften wandten Schriftsteller, — befleckt wäre, so würde man es noch heut zu Tage mit Vergnügen lesen." Und S. 188 bei der Bemerkung, daß das fünfte Gesicht (Jüngstes Gericht) trotz seiner „ernsthaf­ ten Aufschrift" „sehr launigt" sey, setzt er hinzu: »>Ohne Zweifel, daß der Verfasser einer scherz­ haften Einkleidung mehr Wirkung, als der streng­ sten Bußpredigt auf solche Charactere zugetraut hat, die aus Ernst Kinderei und aus Kinderei Ernst zu machen [!] gewohnt sind."

1781 durch Küttner in s. Characteren deutscher Dich­ ter und Prosaisten S. 134 — 36. Er sagt von Moscherosch: „Lucianische Schalkhaftigkeit und die scharfsinnige Bemerkungskraft menschlicher Thorheiten und Mangel erheben diesen launigen Träumer zu einem der verdientesten Schriftsteller aus dem Orden der Fruchtbringenden. Er ist reich an neuen Gedanken und burlesken Einfällen, und seine Satire bald ernsthaft und polemisch, und bald wieder lachend und anzüglich. Bis­ weilen kurzweilt er mit eigner Possierlichkeit und reißt seine Leser unwiderstehlich fort zum lauten Gelächter. Verläugnen kann er das Zeitalter nicht, in dem er schrieb: er verläuft sich zu oft in Antithesen und gelchrten Ztberwitz; aber die anhaltende Munterkeit seines Spottes, seine Weltund Menschenkenntniß, und die körnige Sprache, die kein Prosaist des 17ten Jahrhunderts ihm abgelernt hat, vergüten diese Fehler vielfältig." 1786 und 1789 durch Flögel a) in seiner Geschichte der komischen Literatur Th. III, S. 415 —19, wo er S. 417 sagt: „aber doch ist M. im 17ten Jahrhundert der beste und körnigste Prosaiker unter den Deutschen, der viel origi­ nelle Laune, Weltkenntniß, Gutherzigkeit und den Geist der Satire besitzt, b^ld ernsthaft, bald komisch und burlesk bis zum lauten Gelächter

des Joh. Mich. Moscherosch.

lxxi

schreibt, ob er gleich die Fehler seines Jahrhun­ derts nicht verlaugnen kann, daß er hier und da Collectaneen-Gelehrsamkeit anbringt, wo sie nicht taugte, und seine witzigen Einfalle nicht alle die Probe halten." — b) in s. Geschichte der Hofnarren, S. 33 — 35, wo er jedoch nur Auszüge giebt, und zwar diejenigen Stellen aus Philander, welche die Hofnarren betreffen.

1792 durch Manso in s. kurzen Uebersicht der Ge­ schichte der deutschen Prosa in den Nachträgen zu Sulzers allg. Theorie der schönen Künste, I, 2. S. 249, wo es heißt: „Ungeachtet die Ver­ dienste eines Moscherosch und Schuppius bei wei­ tem nicht an Spitzens Verdienste reichen, unge­ achtet ihre Satire nicht die feinste ist, ihr Witz oft an"s Läppische gränzt und ihr Scherz in's Burleske und Possierliche ausartet, so kann man ihnen doch nicht ihre anderweitigen Vorzüge ab­ sprechen. Beides Männer von offenem Verstände, vieler Weltkenntniß und nicht gemeinen Talente; beide vergnügen durch ihre neuen und unerwar­ teten Einfälle; beide, doch am meisten der erste, zeichnen sich durch originelle Laune und körnigte Sprache aus; beider Gebrechen und Fehler fallen weniger auf sie, als auf ihr Zeitalter. Warum wollen wir, die wir den Geist des letzten kennen, ihnen und ihrem spätern Zunftgenossen, dem zwar ebenfalls wenig gebildeten und unbescheide­ nen [?], aber gleichwohl feurigen und nachdrück­ lichen Rachel, die Nachsicht, deren sie allerdings bedürfen, versagen ?"

1794 durch Strieder in s. Grundlage zu einer hes­ sischen Gelehrtengeschichte, Th. IX, S. 201 — 205. — Kurzer Lebensabriß aus Meigener bei Witten, nebst Schriftenangabe.

1795 und 1798 durch Koch in s. Compendium der deutsch. Literaturgesch. Th. I, S. 175 und Th.

lxxii

Ueber d. sieben u. d. Schriften

n, S. 98. — Giebt kein Urtheil, sondern nur ganz kurz die Titel d. Mschen Schriften. 1797 durcb Gräber in Drage und Hermode, Band 2, Abthl. 1, S. 1 — 34, wo jedoch einzig nur der Volkslieder erwähnt ist, die sich in M/s „väterlichen Vermächtniß" und in dessen „Philander v. S." vorfäuden. 1801 durch Wachler a) in seinem Versuch einer allg. Geschichte der Literatur, B. III, Abth. 2, S. 662 f., wo er sagt: „Als Sittenmaler behauptet M. eine ansehnliche Stelle unter den deutschen Schriftstellern. Gedankenreichthum, mannigfal­ tiger Wechsel des Scherzes und Ernstes, der kurzweiligsten Einfälle und der eindringendsten Ermahnungen, und eine reine wohlklingende Prosa sind die unverkennbaren Züge seiner sati­ rischen Schilderungen." — b) 1824 in s. Handb. der Gesch. d. Lit. Th. III, S.' 307, wo es von M. heißt: „satirisch ernst und launig in freier Bearbeitung der Träume O.uevedo's, nicht frei von unzeitiger Gelehrsamkeit und Sprachmenge­ rei, reich an glücklichen Zügen und gelungenen Gemälden." 1805 durch Franz Horn in s. Gesch. d. deut. Poesse und Beredtsamkeit, S. 110, wo er von M. sagt: „Dieser Autor — ist nicht so bekannt ge­ worden , wie er es wegen seines unveriennbaren Talentes wohl verdiente, wobei freilich nicht geläugnet werden kann, daß seine Anlagen niemals völlig zur Reife gekommen seyen [?], und daß seine eraltirte [?] Phantasie oftmals des beruhigen, den Gränzpunktes entbehrt und gleichsam in der Irre umherfiattert [?]. — Wenn er gleich — die Träume Quevedo's vor Augen gehabt, so treffen wir doch so manche Spuren von Origi­ nalität und selbst Talent bei ihm/ daß wir gern

des Joh. Mich. Moscherosch. einräumen werden, bedurft."

lxxill

er habe des Vorbildes nicht

1808 durch Jördens in s. Lex. deut. Dichter und Prosaisten B. III, S. 695 — 701, wo es S. 697 heißt: „— gleichwohl ist M. im sieb­ zehnten Jahrhunderte einer der besten und kör­ nigsten Prosaiker unter den Deutschen, der viel originelle Laune, Weltkenntniß, Gutherzigkeit und ganz den Geist der Satire besitzt, bald ernst­ haft, bald komisch und burlesk bis zum lauten Gelachter schreibt, ob er gleich die Fehler seines Jahrhunderts nicht verlaugnen kann, daß er hie und da Kollectaneen-Gelehrsamkeit anbringt, wo sie nicht taugt, und seine witzigen Einfalle nicht alle die Probe halten." — Rücksichtlich dieses Urtheils, und was dem noch folgt, vergleiche, was Flögel sagt.

1813 durch Adelung - Rottermund in d. Forts, der Jöcherschen allg. Ler. B. IV, S. 2164 — 65. Bloße Auszahlung von M.6 Lebensschicksalen und Schriften.

1821 durch Ebert in s. bibl. Lex. Nr. 14450, — giebt an, daß die Ausgabe v. 1650 die achte sey. 1824 und zwar: 1) Durch Ernst Münch und Weick im teut­ schen Museum, Freiburg b. Wagn. B. I, H. 2, S. 197 — 262 und H. 3, S. 351 — 364, wo M ünch „aus der eben so kostbaren, als selten gewordenen und lange nicht nach Gebühr gewürdigten Nationalsatire," dem Philander, daS Gesicht - la-inolle-Kehraus 1 im Auszuge giebt.

1) Dasselbe Gesicht hatte ich 1821 vollständig, und nur mit Weglassung der fremdsprachlichen Stellen, als einen Vorläufer des ganzen Werkes meinem Herrn Verleger zur

Lxxiv

Ueber d. Leben u. d. Schriften

und von dem Buche (S. 198.) sagt: es „ent­ halt eine Fundgrube von Hellen Ideen, ächt vater­ ländischen Gesinnungen und bittern Urtheilen über jene schlechte Zeit im Allgemeinen und die Lage des Vaterlandes insbesondre." Er wünscht, „ein patriotischer Verleger möchte ein paar Schadensche und Claurensche Gislromane ungedruckt las­ sens und dafür diese kernteutsche, gediegene und witzige, auch in Hinsicht des Styls und der Manier für jene Zeit vorzügliche Schrift, — mit etwas purgirter Orthographie, 2* 1aber ja nur nicht auf die, mit P. Abrahams Werken zu Luzern vorgenommene Elegantisirungsweise dem teutschen Publikum wiedergeben." — Seite 364 sagt Weick, nachdem er eine Skizze von dem Leben M/s, den auch er „den Lucian" seiner Zeit nennt, vorausgeschickt hat, von ihm also: „In schalkhafter Laune mit großer Scharfsichtig­ keit, reich an Welt- und Menschenkenntniß, bald ernsthaft und polemisch, bald lachend und gut­ müthig , straft er die herrschenden Thorheiten und Mangel seines Zeitalters. Seine Sprache ist kräftig und körnig, wie sich kein teutscher Pro­ saist des siebzehnten Jahrhunderts rühmen kann.—

einstweiligen besondern Herausgabe zugesendet. Im Drange der Geschäfte blieb es jedoch liegen, so wie ich auch den Plan, das Ganze herauszugeben, erst vor nun anderthalb Jahren wieder aufnehmen konnte.

1) Einen ähnlichen Gedanken äußerte ich oben S. VIII-IX in meiner allg. Einleitung, die ich niederschrieb, lange be­ vor mir obiges Urtheil zu Gesicht kam.

2) Das möchte wohl aber für das allgemeine Publi­ kum nicht ganz hinreichen. Bei den S. XV-XV! von mir ausgestellten Reinigungsgrundsätzen kann gewiß das Werk auch noch bestehen. *

des Joh. Mich. Moscherosch.

lxxv

Indeß läßt sich nicht läuqnen, daß er häufig von den Fehlern seines Zeitalters, in welchen er schrieb, hingerissen wird, und nur zu oft sich in Antithesen vertieft und eine weitläuftige Ge­ lehrsamkeit anbringt, wo sie nicht taugt. Allein die anhaltende Munterkeit seines Spottes, die vielen burlesken Einfälle, und dann seine hohe Liebe zum Vaterland, die allenthalben hervor­ leuchtet, machen diese Fehler leicht vergessen, und man muß billig der vielen trefflichen Stel­ len wegen die schwächer» übersehen." 2) Durch Kunisch in s. Handb. d. deut. Sprache und Literatur Th. III, S. 360 — 61, der sagt: „seine Schreibart ist weder rein noch ausgebildet zu nennen, aber es fehlt ihr nicht an eindringender Kraft, Schärfe und Gewandt­ heit; seine Darstellung verräth durch ihre Treue, Wahrheit und Anschaulichkeit den vielseitigen Be­ obachter und Kenner der Welt und der Menschen; das Ganze aber ist für die Kenntniß der Sprache, des Volkslebens und der Sittengeschichte des sieb­ zehnten Jahrhunderts eine reiche, noch wenig benutzte Fundgrube/> 1827 durch Koberstein in s. Grundriß zur Gesch. d. deut. Nationallitteratur, wo er von Mosche­ rosch und Schuppe, die er zu den merkwürdig­ sten Prosaikern dieser Periode zählt, sagt: „Ihre Werke zeichnen sich nicht sowohl durch die Sprache und die Kunst des Stils aus, als durch eine kräftige Darstellung des damaligen Lebens in allen seinen Verirrungen und Ausartungen. Sie müssen deshalb zu den wichtigsten Denkmä­ lern für die Sittengeschichte des siebzehnten Jahr­ hunderts angesehen werden."

Dieses sind die Männer, die das Andenken an Mo­ scherosch und seinen Philauder unterhalten haben. Daß ich zugleich ihre Urtheile über denselben hier zusammen.

lxxvi

Ueber d. Leben u. d. Schriften

gestellt habe, wird mancher Leser nicht ungerne sehen. Ich habe nun nur noch hinzuzufügen, daß ich bei der vorliegenden Behandlung des Philander, wobei ich eine gute Originalausgabe von 1650 zu Grunde legte, durchweg die in der Einleitung S. XV bis XVI aufgestellten Grundsätze treulich zu befolgen, und in den, dem Texte beigegebenen sprachlichen, historischen, mythologischen und sonstigen antiquarischen Erklärun­ gen eine gewisse Mitte zwischen dem Zuviel und Zu­ wenig zu halten gesucht habe. Ich habe dabei keine Mühe gespart, und wo meine, durch die Abgeschieden­ heit meiner Lage beschrankten Hülfsmittel nicht zureich­ ten, hatte ich mich bis jetzt besonders der freundschaft­ lichen Unterstützung der Herren Professoren Aurbacher, SDocen, 1 Maßmann, Schmeller — in München, und der Herren D. med. Kloß, D. j. ut. Böhmer, Bürgermeister Thomas — in Frankfurt zu erfreuen, denen ich deshalb hier öffentlich meinen herzlichen Dank sage. Zuletzt bemerke ich noch, daß ich vor jedem „Ge­ sichte" den Inhalt desselben angegeben, und, um dem allgemeinen Verständnisse zu Hülse zu kommen, allen fremdsprachlichen Stellen eine einfache Uebersetzung bei­ gefügt habe, ausgenommen da, wo der Verfasser selbst den Sinn einer solchen Stelle, entweder unmittelbar zuvor oder unmittelbar nachher, in deutscher Sprache, hinreichend und meist reimweise ausgedrückt hat, oder wo etwa die Schicklichkeit das Uebertragen verbot. An diese Uebersetzungen darf kein strenger philologischer Maaßstab gelegt werden, da ich mich dabei eines po­ pulären Ausdrucks bestreben mußte, der vom Tone des Textes nicht allzusehr abstache; daher mir dabei die Frankfurter unachte Ausgabe von 1645 mit ihren Dollmetschungen öftere Dienste leistete, so weit sie mit der achten zusammentrifft. Oft waren freilich die, be­ sonders in den neulateinischen Epigrammen liegenden. 1) ist leider unterdeß gestorben.

des Joh. Mich. Moscherosch.

lxxVH

Wortwitze und Wortspiele im Deutschen nicht völlig, manchmal gar nicht wiederzugeben. Bei diesen Zu­ gaben des Verfassers hat freilich nur derjenige den eigentlichen, ich möchte sagen, kitzelnden Genuß, der jener Sprachen kundig ist, und ein Solcher möge die eingeklammerte Verdeutschung als nicht vorhanden be­ trachten. Dem andern, vielleicht bei weitem größern Theile der Leser aber hoffe ich damit einen Dienst erwiesen zu haben. 1 Möge nur ein gutes Geschick das Ganze vor schlimmen, bösartigen — Druckfehlern bewahren! Billige Recensenten werden sie wenigstens nicht mir zur Last legen, da ich wegen allzu weiter Entfernung vom Druckort die Correctur nicht selbst übernehmen konnte. Somit glaubt der Herausgeber ein nützliches und merkwürdiges Buch Manchem in nähere Erinnerung, gar Vielen aber erst zur verdienten Kenntniß und An­ erkennung zu bringen, und indem er es seinen Zeitge­ nossen zu fleißiger Beachtung empfiehlt, schließt er mit folgenden Worten Philanders an den Leser:

„Willst du, Leser, leben frei,

wissen, was die Sünden gelten? Lies, was hier geschrieben sey, wolle nicht den Schreiber schelten.

Kein Buch war wohl je so recht,

leichtlich ist es zu verkehren; kein Buch war wohl je so schlecht, es konnt' einen Weisen lehren.

Nimmst du dich dann Zürnens an, so bist du gewiß getroffen!

1) Wem die Erscheinung dieses Buches willkommen ist, der wird dem Herrn Verleger noch besonders für das Bildniß des Verfassers danken, welches einem, im Besitze von des­ sen Nachkommen befindlichen, Pastellgemälde entnommen und unserer gegenwärtigen Ausgabe vorgesetzt ist.

Lxxviii U « b. d. Leb. «. d. Schr. d. I. M. M.

Denn ein deutscher Biedermann, der die Welt einmal durchloffcn, und der Menschen Narrethci und den Jammer all' gesehen, wird, daß dieß die Wahrheit sey, mit von Herzen gern gestehen."

Grünstadt im bayr. Rheinkreis, im Juli 1829.

Wunderliche und wahrhaftige

Gesichte

Philanders von Sittewald.

Vorrede de 6 Verfassers an den

deutschen Leser. Deutschgenekgter Leser! Bei dieser Gesichte und Straf, schristen endlicher und letzter Vorlage hätte ich zu Del, nem Unterricht so viel zu sagen, daß noch sieben Ge, sichte und noch zehen Jahr' dazu viel zu wenig wären. Ich will es aber, zu Benehmung von Verdruß und Eckel, 1 so kurz begreifen, daß du es ohne wohtgespitzte Ohren schwerlich wirst verstehen können: denn allhie alles zu melden, ist unmöglich, und eS muß der größte Theil dessen, was in dem eingeschachtelten Buch 2 verzeichnet gewest, bis zu seiner Zeit 1) Im Orig. Benehmung Verdruß und Eckels. — 2) In der, in unserer Einleitung S. XLVI erwähnten, an den Pfalzgrafen Karl Gustav gerichteten Zuschrift sagt er: Als er einst im Winter, die Saar abwärts, auf die Jagd gegangen, habe er unfern Gerowseck im Wasgau, nächst der Druideneiche eine unsichtbare Stimme gehört, die ihm zugerufen: Hie ist Wildbrett! bei welchen Worten zugleich ein weiser Kieselstein auf den zugefrornen Fluß geworfen worden sey. Wo dieser Stein aufsiel, da habe er eine »ablange Schachtel,'* mit der Aufschrift: W i l d b e r t! unter dem Eise bemerkt. Da habe er sich aus Neugierde das User hinab gewagt, das Eis zerbrochen, die Schachtel ergriffen, nicht ohne Gefahr herausgezogen und on’6 Land geworfen. Dabei aber sey er selbst in I. 1. 6

2

Vorrede

und meiner Wohlgelegenheit, die ein Zeder bei mir selbsten erfragen mag, verschwiegen bleiben. Erstlich weiß ich gar wohl und sagt es mir mein kleiner Finger, daß du gern wissen möchtest, wo ich große Noth gerathen, indem die Eisdecke des hier sehr tiefen Flusses einen Sprung bekommen habe und ihm sein „Feuerrohr" unversehens ins Wasser entsunken sey. Wie er nun nicht gewußt habe, auf welche Weise er wieder herauskommen solle, habe die vorige Stimme ihm zuge­ rufen: Halte dich an den Palmenbaum! Ob­ gleich es nun, seinem Wissen nach, hie zu Lande nichts als Stechpalmen gab, so habe er doch, nächst am Ufer, den »alleredelsten" Baum, »einen recht fruchtbringen­ den Palmenbaum" gesehen, der aber viel zu hoch ge­ wesen, als daß er sich an denselben hätte halten und sich »dessen in der Niedere hätte getrösten dürfen." Un­ verhofft aber habe sich an dem Baume trotz der Jahrszeit ein »schön grünend" Schlinggewächs »mit Früchten der edlen bunten Spielböhnlein" gezeigt, und die Zweige des Palmbaums hernieder zu ihm gezogen, so daß er sich habe daran halten und so aus dieser Gefahr, in die ihn sein vorwitziges Gelüste zu diesem neuen Wildbert ge­ bracht, retten können. — Daheim habe er die Schach­ tel geöffnet und darin ein Drechslereisen und ein Buch »mit sittiggrünen seidenen Banden" gefunden, auf dessen weißer Decke oben rückwärts mit goldenen Buch­ staben die Worte: Alles zu Nutzen! — unten: Hohe Sachen! — oornen: Wahrheit! — am Ende: Wildbert! gestanden hätten. Diese Worte habe er sich so gedeutet: die Wahrheit, besonders von hohen Sachen, sey so selten als Wildbrett, und nicht in Jeder­ manns Herberge zu finden, oder doch mit falschen Ge­ würzen so verwürzt und verpfeffert, daß ihm nur schwer der rechte Geschmack abzugewinnen sey. Deshalb habe er dieses bisber ungekannte Wildbrett, «damit es doch ge­ nießbar sey, selbst so gut zubereitet und zugerichtet, als

deS Verfassers.

3

mit dem Drechslereisen, dessen in der Zuschrift gedacht wird, hingekommen seyn möge? In dem wiU den Buche stunden Eingangs diese Wort": „Es ist hohe Zeit, daß der Welt das Gröbste herabgemacht, das faule Holz der Falschheit bis auf das gesunde abge­ nommen, die hochflatternden Aeste der Eitelkeit bestümmelt, die ungestalten Knorren der Thorheit behauen, die rauhbastige Rinde der Gewalt beschnitten, die balkichten Splitter der Heuchelei abgeschärft, abgedreht und abgeebnet werden; — welches fallest in dem Kupfer­ titel *1 so klar vor die Augen kommt, daß weitern Rathes und Verwunderns nun nicht mehr vonnöthen. 2) Was die Correctur oder die sogenannte Verbeses nur immer die kunst- und kostenarme Zeit erlaubtewiewohl er doch auch, wegen der »Ungeschlachtigkeit« des­ selben, den Zucker nicht gespart habe, und so setze er es

nun hier Jedermann zum Kosten vor. 1) Auf diesem Bilde sieht man »'m Vordergründe einen Ge­ nius an einer Drechselbank sitzen, und aus einer Kugel allerlei Spielwaaren des Ehrgeizes, der Eitelkeit und sinnlicher Lust z. B. Kronen, Zepter, Federhüte, Ringe, Kämme, Spiegel, Handschuhe, Spielbrett u. s. w. d r e chseln, welche sämtlich auf den Erdboden hinabfallen und von einem Satyr mit dem Besen als Unrath weggekehrt werden. — Im Mittelgrunde meiselt ein Genius diese Dinge (worunter sich auch Degen, Ordensbänder, Fla­ schen, Kartenrc. befinden,) aus einem rohen Quader­

stücke heraus, und ein Satyr rafft alles mit dem Rechen weg. — Im Hintergründe wiederholt sich der­ selbe Gedanke, nur daß der Genius dergleichen Dinge (worunter nun Pistolen, Haarbeutel, Kappen mit langen Ohren rc. zu erkennen) mit dem Beile aus einem gro­ ben Klotz heraushaut, und der Satyr dieselben auf den Rücken nimmt, um sie wegzuschaffett.

4

Vorrede

scrung der Druckfehler belangt, oder wo sonst irgendwo

in der Orthographia (der Schreibrichtigkeit) mag gc-

so wisse,

irret seyn,

schreibt,

daß (es) dessen,

erster Wunsch sey,

der ein Buch

wenig Fehler zu haben;

denn gar keine Fehler haben,

ist übermenschlich.

dem so mag es die Zeit auch nicht geben,

Zu­

daß man

einen jeden Buchstaben zehnmal besehen könne: minora

non curat praetor [um Kleinigkeiten bekümmert sich der Bürgermeister nicht)! Auch würde es in diesem Lande, wegen Ungewohnheit in der Druckerei für eine Neue­

rung geachtet werden.

Wer Verstand hat,

von sich selbsten verbessern

können,

der wird

worin er

weiß,

daß geirrt worden.

3) Es hätten auch in diesen Gesichten viel Worte

besser und zierlicher können gegeben werden; dahin hab'

ich aber auch nit samkeit nit

gczielet,

zugelassen.

und hat es meine Müh­

Zudem ist es bei mir ad rein

[fachgemäß) : Grammatica enim et lingnae proprietates hie tractare fcrupulofe, ridiculum foret, qtiuin de mo-

ribus inaxime et ad ßmpliciortun intelligentiam feripferim [denn das Grammatische und Spracheigenthüm-

liche hier so ängstlich zu beobachten,

wäre lächerlich,

da ich vorzüglich über die Sitten und zum Verständnisse

der weniger Unterrichteten geschrieben habe). stehe gern: ausgcübte,

es

Ich ge­

sind nit «grübelte, noch ausgesuchte,

sondern gemeine Worte und Reden, und

auf den Kauf gemacht:

denn also wollen es unsere

Zeiten haben. 4) Atque sic imperamur pro dolor ab bis, qui im-

penfas faciunt, quorum quidem sicca admodum et lignea

plane tenacitas, ut ea etiam liegen* feriptori, quae ahsque dispendio operis negari non poffunt: eximiae plnrea

5

des Verfassers.

remorantur,

et occafione impreflöriae solins tergiver-

fationis inventioiies fupprimuntur,

ut non ad caphun

autoris, fed ad capturam mercatoris Bodie fcribendtun s Leider sind wir Schriftsteller von den Verle­

dicas.

gern abhängig, deren ausgetrocknete und hölzerne Zähig­

keit so entsetzlich groß ist, sogar das verweigern,

daß sie dem Schriftsteller

was man ihm eigentlich ohne

Nachtheil sür sein Werk gar nicht verweigern kann: die besten Gedanken

muß man oft nur um der Wei­

gerung

willen

der

drücken,

nicht,

Presse

zurückhalten

und

unter,

so daß man sagen könnte, heutzutage dürfe

wie es doch ehedem Rechtens gewesen, für das

Verständniß des Lesers) sondern es müsse für den Ge­ winn des Buchhändlers geschrieben werdens

5) Latina et peregrina ubi quidem intelligi eadem

a vulgo non nolebam

item

vernacula reddidi,

cetera non

[bfl wo ich die Stellen in lateinischer und aus­

ländischer Sprache auch vom gemeinen Mann verstan­

den wissen wollte, hab' ich sie auch in deutscher Sprache beigcfügt; außerdem nichts. — Das Herz ist gut deutsch und der Vorsatz biedermännisch und sollte es Cato mit

allen Kakonisten [Uc6clgefinntcn] wiedersprechcn.

6) Im klebrigen glaube ich, daß dir, mein Leser, diese letztere Vorlage nicht mißfallen werde, dessen ich mich

versichert halte,

aus dem, was ich vor Jahren in der

Schule gelernet, propter quod unuin quodque tale, id

ipfum magis tale s darum, Art,

weil es ist einzig in seiner

ist es gerade um so mehr zu achten 1-

du den Philander wegen seiner Gesichte, seine Gesichte

noch mehr lieben.

Liebest

so wirst du

Der Buhler liebt

die Mutter um der Tochter willen; der Geisbock grüßet den Zaun nm des Gartens willen.

7)

Wie aber,

wann mir einer den Spruch um­

kehrte und sagte: er hasse den Philander wegen seiner

Gesichte; — hassen?

würde er nicht die Gesichte noch mehr

Ja mein ungereis'ter und unverrasster 1 Mu,

cius, hassest du die Gesichte,

so hassest du auch mich!

Und ich achte es eben nicht hoch;

denn es dienet dir

doch zu nichts anderem,2 als zu Beröthigung sB e sch ö, nigung] deiner innerlichen Schalkheit, viel mehr, als zu meiner vermeintlichen3 Beschimpfung. Ein rechtschaf,

sen Gewissen wird an dergleichen Aufzügen nicht anstehen,

sondern den Nutzen des Werkleins seinem Wahn vorziehen.

Cha cim ahne, chante, loue ces Berits, oü je ine joue: chose, qni beauconp me plait; mais qnand je fais, ponr les Ure, qn’nn envieux cr6ve st ire, ils fönt felon mon souhalt. Daß ein Biedermann Belieben trägt an dem, was ich geschrieben, solches ist dem Neider leid:

daß die Hässer mit Beschwerden toll und närrisch drüber werden,

dieß ist meine 4 höchste Freud'. 1) Im Orig, ungeraister und unvcrraßter.

Das heißt wohl

einer, der darum, weil er noch nicht auf Reisen gewesen, sich noch nicht ausgetobt, seine beschränkte Befangenheit und seine Thorheiten noch nicht abgelegt hat. Es kann aber auch »unverraßtcr" vielleicht nur ein anderer Ausdruck für „ungereiset" seyn, indem z. B. nach fränkischer Mundart »er ist verrast" so viel heißt, als »er ist verreist."

2) I. Or. zu anders nicht. — 3) I. Or. zu vermeinter meiner. — 4) I. Or. dieses ist mein'.

7

des Verfassers.

Ein heimtückischer Tadler erinnert mich an die Ge,

schichte des Kochs des Herzogs von Mailand.

Ein

Herzog von Mailand hatte einen berühmten Koch, der

die Speisen trefflich zurichten konnte,

und der Herzog

Als aber dem Herzog aus

hatte ein Genügen daran.

dem Krieg, den er mit den Florentinern hatte, eine schlechte Botschaft kommen war, daß sie [feine Truppen)

nämlich getroffen [worden wären) und er den Kürzern

gezogen hätte,

ward er über alle Maßen traurig und

Andern Tags als die Gerichte waren aufgesetzt, hat der Herzog an etlichen den Ge, bekümmerte sich sehr.

schmack getadelt und die Speise,

recht bereitet gewest,

als wenn sie nicht

verachtet und gescholten.

Nach­

dem er aber den Koch zu sich hatte fordern lassen und

ihn

als

einen Unerfahrnen

oder Nachlässigen heftig

gestraft, da sagte der Koch: Herr mir geschicht Gewalt;

es sind andere Ursachen!

So dir die Florentiner den

Geschmack und die Lust zu den Gerichten weggenom­ men , was hab' i ch Schuld daran? Denn meine Spei, fen sind gut von Geschmack und mit Fleiß zugerichtet; aber die Florentiner haben dir das Essen gar verwürzt

und die vorige Lust1 hinweggenommen. Zwar hab' ich mich in der Vor- und Nachrede,

auch Ein- und Ausgangs jedes Gesichts, so vorbedingt, so vorgebeugt,2

so vorgesehen, so verwahret, daß ich

dafür gehalten, es würde mir kein Türk, viel weniger ein Christ oder einiger [sonstiger) Biedermann, bci-

kommen können.

Dem sey aber nun, wie ihm wolle,

so ist doch wahr: der „Träumende" achtet das Bellen der Hunde nicht; dem Träumenden schadet keine Lä1) I. Orig, den v. Lust. 2) 3. Or. vorgebieget.

8

Vorrede d«S Verfasser-.

flcruttg. Non omnibns somnio, fed illuftrissimo tanhiin Ordini Fructiferorum [ Ich träume nicht für Jeder« mann, sondern nur für die fruchtbringende Gesellschaft^. Wenn bk hochlöbliche fruchtbringende Gesellschaft, al­ beren hochweisesten Urtheil, nächst Gott und jdem Vater« lande, ich mich und meine Feder, wider aller gehässi« gen und bissigen Neider Verachtung und Verfolgung, zu beharrlichen hohen Gnaden in gehorsamster Dienst« fertigfeit vorlängst untergeben shabe), sich meine wen!« gen Schriften so fürohin gnädigst gefallen lässet, [so] hab' ich fast gering zu schätzen, wie ich von Andern möge angesehen oder geachtet werden.

Schergenteufel. Erstes wunderliches und wahrhaftiges Gesicht

Philanderß von Sittewald.

Inhalt. Philander erzählt, daß er bei seinem Eintritt aus der Schule in die Welt einen gewaltigen Abstand zwischen der Welt in den Büchern und der Welt in der Wirklichkeit gefunden habe, indem allenthalben nicht Wahrheit und wirkliches Seyn, sondern nur Heuchelei und bloßer Schein wahrzunehmen sey. Er habe geglaubt, daß es vielleicht nur im lieben deutschen Vaterlande also, in fremden Landen aber, „dort hinter dem blauen Berg,“ vielleicht besser beschaffen wäre. Deshalb habe er sich aufgemacht und sey nach Frankreich gereißt, zu sehen, ob auswärts mehr Treue und Glauben gesunden würde. In Nancy habe er zufällig einer Teufelsbeschwörung beigewohnt, die ein Priester mit einem Besessenen vorgenommen. Dies sey aber kein mit einem Teufel besessener Mensch, sondern ein mit einem Menschen, nämlich mit einem Schergen, besessener Teufel gewesen. — Die Schergen (Gerichtsdiener, Gerichts­ knechte, Gerichtsboten, Amtsknechte, Vögte, Häscher, Imissiers,

und wie sie sonst an verschiedenen Orten verschieden heißen, lictores, apparitores, procuralores officii) Mißbrauchten nämlich damals ihr Amt aus die unverantwortlichste Weise, indem sie bei den ihnen vom Gericht aufgetragenen Executionen ihre Befugnisse weit überschritten, die Leute entsetzlich plagten und schindeten, durch unrechtliche Ausspähungen quälten und so im Volke den tiefsten Abscheu gegen sich und die gerechtesten Klagen gegen ihre Unterdrückungen erregten. — Diesen Teu­ fel nun, der aus dem Leib des besessenen Schergen redet, läßt der Autor in allerlei satirischen Ausfällen auf die ver­ schiedensten Stände und deren Thorheiten sich weidlich ergie­ ßen, bis derselbe endlich, auf seine eigene Bitte um Erlösung von dem Schergen, durch des Priesters Beschwörungsan­ strengungen verstummt und mit Brausen aus dem Menschen fährt, worauf eine heilsame Ermahnung des Priesters den Auftritt beendigt.

Vorrede. Deutschgesinnter, lieber Leser! Wenn ich die vergan, gene gute Zeit .gegen die1 jetzige betrübte halte und eigentlich besehe,2 in welcher mit Erbarmen und Be­ jammern zu erfahren, daß manch ehrlichgelchrter Ge­ sell, vermittels des verderblichen Kriegs sich so elendig muß Herummer sh er u mj schleppen und «erliegen; wenn ich ihr Seufzen und rechtmäßiges Klagen aus billigem Mitleid anhöre, wie wenig die alte deutsche Redlichkeit bei uns nunmehr geachtet und befördert, hingegen die neue fremde Untreu hocherhoben und verehrt werde; wann ich aus bekümmertem Herzen zusehe, wie sie mit demüthigen Thränen den Himmel um Hülfe und Ret­ tung angelangen fange h en^j, damit dermalen das verlassene Vaterland zu den edelen Frieden gereichen [gelangen] und die bisher verfolgten noch wenig [en] übrigen treuen Patrioten in etwas wiederum möchten gesammlet, erhalten und erfreuet werden: so muß ich meinen Mund mit Gewalt im Zaum halten und mich selbst in die Zunge beißen, damit, nicht durch Zu - vielWahrheit-reden die undankbare böse Welt mich noch mehr über [bie] Achsel ansehe und verfolge. Zwar will ich nicht meinen, daß je mit Schreiben ich Jemanden geschadet, Dielen aber, ich hoffe, genutzt habe. Darum müssen diejenigen3, welchen diese meine

1) I. Or. gegen der. 2) I. Or. halten nnd eig. besehen thue. ») I. Or. darum diej. welchen rc. gefallen, müssen diesclb.

12

Vorrede.

Schriften übel gefallen, dieselbigen entweder aus Man, gel an Verstand 1 nicht begreifen, oder aber wegen sclbstbekannter Schalkheit sich im Gewissen nicht wohl staffirt befinden. Einem Biedermann ist hie rund fdurchauschknichts zuwidergeredet: er versteht's, siehet's alle Tag', beklagtes und weiß, daß es wahr ist. Zu, dem, so ist es ja bequemer, den deutschen Philander [511] lesen, als den spanischen Dom Francisco de Que­ vedo. Ja es ist besser, von einem Menschen die Wahr, heit an [}u,] hören, als vom Teufel selbsten. Glück zu, lieber Leser! Gott gebe, daß es bald besser werde! 1) I. Or. Mangel Verstands.

Nachdem ich von meinen Aeltern seit1 der ersten Ju­ gend in dem Christenthum einfältig, als ein Kind, un* terwiesen, bald im eilften Jahr' auf die nächstgelegene Hohe Schul' an der Zll 2, verschickt worden: um Kunst und Tugend allda zu erlernen, in welcher ich auch selbigen Mals beständig ziemliche Jahr' verharret: be­ fand ich endlich und im Auskehren, das alles dasjenige, so ich daselbsten in den Büchern von der Welt und ihrem Wesen gelesen, auch unter und bei den Menschen aus ihrem Thun und Leben, Handel und Wandel fhatte^I absehen und vermerken können, mir dergestalt vorkam, daß ich Einfältiger mich darein nicht wohl richten konnte. Ich las die Historien der Welt, aber ich sah eS doch anderst als geschrieben stund; ich hörte die Leute in ihrem Wesen, aber ich sah es doch anderst, als sie redeten; ich sah die Leute an, aber ich sah sie doch an­ derst, als sie aussahen. Jedem Ding gab man zwar seine Gestalt, aber es war eine bloße Gestalt: denn das Innerliche war anderst. Von außen war alles herrlich; sobald man darnach griff, ward es ein Schat­ ten und verlor sich unter den Händen. Es gleißete über die Maßen; aber es war darum kein Gold, sondern lau­ ter Auripigmentum 3 und Antimoniuin4. Ich wußte immer nicht, wie ich das verstehen, oder mich in die gefärbten, gemäntelten, verdeckten Händel schicken sollte.

1) I. Dr. ich zeitS. s) Straßburg, welches eigentlich an der Jll, einem Nebenflüßchen des Rheins, liegt. s) Gold- oder Rauschgelb, Operment, — eine Mischung • von Schwefel und Arsenik. 4) Spießglas oder Spießglanz, ein halbmetallisches mit Schwefel vererztes Mineral.

14

Der Schergenteufel.

Mit Einem Wort: cs bauchte mich aller Menschen Wesen nur eine angenommene Weise, eine eitele Heu­ chelei [$u] seyn, und solches fast ohne Unterschied bei allen Standen. Ich hatte gelesen, daß die Philosoph! die weisesten Leute seyn sollten; befand aber im Werk [in der That) daß sie ost die größcsten Narren waren. Ich hatte gelesen, daß die Medici die Kranken heilen und gesund machen sollten; befand aber im Werk, daß sie, sowohl als andere, an eben denselben Krankheiten sel­ ber sterben mußten. Ich hatte gelesen, daß die Juri­ sten die Gerechtigkeit lehren und befördern sollten; befand aber im Werk, daß niemand dem Rechten mehr verhinderlich und schädlicher wäre, als eben die Juristen selber. Ich hatte gelesen, daß die Theolog! heilige un­ sträfliche Leute seyn sollten; befand aber im Werk, baß eben viele derselben am meisten in unversöhnlichem Haß und Neid, in Ehr- und Geldgciz, auch andern Sün­ den und heimlichen Lastern lebten.

Aegrotant Medici; fraudantiir lureperiti; descendiint inulti in Tartara Theologi.

(Ow. 2, 69.) [Die Aerzte sind krank, die Rechtsgclchrten werden berückt und von den Theologen fahren viele zur Hölle.) Schloß demnach: Es ist wahrlich unsere Welt ein lauteres Spiel und all' unser Wesen ein Spiegelfechten!

Theologi ainbigui; luriftae lenti et iniqui; iininnndi Medici: inundus ab his regitur.

(v-a. 1, 131.) [Die Theologen sind zweideutig, die Juristen un­ nachgiebig und unbillig, die Mediciner unflätig, und doch wird von diesen Leuten die Welt regiert!) Und o wehe uns armen Menschen, die wir unser Elend so gar nicht erkennen, noch uns daraus helfen können! — Man stellet sich wohl; aber es ist doch Wenigen im Herzen. Wir runzeln die Stirn, zählen

Der Schergenteufel.

15

Schritt und Tritt, gehen und reden nach dem Tact und der Tabulatur^ schelten auf alles, was nur ein wenig überzwerch geht: und dieß ist der äußerliche Wan­ del. Wenn man aber den Mantel Hinwegthut und das Herz ansieht, so ist es anderst! Denn die man für die Besten achtet, die sind oft die Aergsten: eben wie bei den Franzosen: viel Complimenta ^Höflichkeit^, wenig Cordimenta ^Herzlichkeit^; je mehr Wort, je minder Werk; je mehr Geschrei, je minder Wolle; je mehr Geschwätz, je minder Herz; je mehr Schein, K minder Gold. Es giebt Leute, man halt sie für die Frömmsten UNd Heiligsten: religione devotifsinii, Juris administratione rigidissimi, fanitatis cura superftitiosisfiini, artiiun doctrina superciliorissimi, reliqua vita regularissimi9 denique in titulonun distributione largissimi [in der Religion voll demüthiger Heiligkeit, in der Rechtsverwaltung voll Strenge, in der Gesundheits­ pflege voll Scrupel, in der Gelehrsamkeit voll Ernst­ haftigkeit, in der übrigen Lebensweise voll Regelmäßig­ keit, endlich mit Ehrensbezeugungen voller Freigebig­ keit^. Wann ich das Herz recht erkundschaftete, so kam mir allemal dieser unwidersprechliche Schluß vor, daß ich sagte: Diese Leute sind wahrhaftig nicht, wie sie sich vor der Welt stellen, es ist Heuchelei dahinter. Multi videntur et non sunt; multi non videntur et sunt': Es stellen sich Viel", wollen es seyn und sind's doch nicht; Viel'stellen sich nicht also, sind's aber doch. Daher

Los Spagnoles parelcan fabios y fönt locos ; los Franceses parescan y fönt locos; los Italianes parescan y fönt fabios; los Aleinanos parescan locos y fönt fabios. 1 2 1) d. i. nach der Regel. — Tabulatur nannten die Mei­ stersänger die Regeln der Verskunst, die von ihnen zu un­ verbrüchlichen Jnnungsgesetzen erhoben wurden. 2) So schreibt das Original; nach neuspanischer Sprachund Schreibweise müßte statt parescan — parecen ; statt sout — son, und statt Alemanos — Alemanes stehen.

16

Der Schergen teufe l.

fDie Spanier scheinen gescheidt und sind dumm; Die Franzosen scheinen und sind dumm; Die Ztaliäner scheinen und sind gescheidt; Die Deutschen scheinen dumm und sind gescheidt.^

Diel' wissen sich in Worten vor den Leuten nicht gering genug zu machen und zu demüthigen, nur damit sie desto mehr vorgezogen, mit großen Namen geehret, gezieret, gelobet und angesehen werden; da sie unter, dessen anderwärts ihre Pfauenfedern gewaltig hervor, thun, die sie doch aus christlicher Demuth sinken oder [ft$] gar abschneiden lassen sollten. Solche Sanft, müthigkeit ist der ärgste Stolz und Ehrsüchtigkeit. ES ist Heuchelei, es ist Schmeichelei, Liebkosen, heimliche Bosheit, heimliche Arglist, heimlicher Geiz, heimlicher Neid, heimliche Mißgunst, heimlich weiß nicht was. Dor dem gemeinen Mann giebt es etwas Nachdenkens und Scheins; bei verständigen Leuten wird es verlacht. Der arme'gemeine Mann läßt sich in dem sdadurchl überreden, wenn man nur nach seinem Gefallen sich stellen und lenken kann, und denket nicht, was sonst für Geschminks und Falschheit dahinter seyn möchte. Nimmermehr aber kann es was Redliches seyn, wo man so gar hinter dem Berg hält,' wann man Brei im Mund hat und dem Kind nicht will den rechten Namen geben. Diel' können schwerlich leiden, daß von andern Leu, ten auch irgend was Löbliches geredet oder gerühmt werde; es verdrießt sie solches im Herzen, als ob ihnen etwas an ihren Ehren damit benommen wäre; [sie] schmälern auch selbst, wo nicht durch öffentliches 1 2 After, reden, doch durch heimliches Lügen, heimliches Ange, ben, heimliches Einhauen, heimliches Ohrenblasen, wie sie ihrem Nächsten möchten eins anmachen, ihm eine Klette anhängen,» ihn durch die Hechel ziehen, ihn 1) I. Or. haltet. 2) I. O. öffentliches. s) 3. O. anhenken.

an seinem Glück und Wohlfahrt verhindern, insonder­ heit mit dem verkleinerlichen Aber; stellen sich mit­ leidig und als wollten sie dich loben, — aber mit einem schändlichen Aber stoßen sie Alles wiederum zu Boden. Das ist der Welt Sitte. Wir spiegeln und kitzeln uns in fremder Thorheit, und [6e] bürsten doch selbst alle wohl, daß uns einer die Hand reichte. In solchem Welthandel dachte ich: Nun, helfe dir Gott, Philander! Mußt du dich in diese Weltköpfe alle richten, was wird das noch für Angst und Arbeit kosten! Henchelst du nicht mit, so wird man deiner wenig achten; heuchelst du aber und thust auch also, ach was Herzqualeus mußt du leiden! Was eine saure Last, was eine verachtete Last, was eine wüste Last ist es: a uf zweien Achseln tragen! * Pfui, was ein schändlicher Mann ist der! Diele Arbeit kann und mag ich nicht thun. Rondeur vaut inieux que rnfe [mit Aufrichtigkeit kommt man weiter als mit List und Srug]; besser Esel als Hund! Darum so laß ich diesen schändlichen Mann stehen und will gehen an ein [en] Ort, da es wohl hergehet. Vielleicht mochte e« nur in meinem Vaterland also beschaffen seyn, anderst wo aber redlichere Arbeit und bessere Belohnung geben! Doch solches eigentlich zu erkennen, nahm ich mir vor, über den blowen [blauens Berg in ein ander Land und Reich zu ziehen, um zu sehen, ob daselbsten Treu und Religion, Glauben und Redlichkeit auch also vermummet, oder ob sie besser zu finden [wä­ ren unt>] ehrlicher gehalten und belohnt würden. Zu welchem Ende ich im Frühling in Gottes Na­ men davon zog und meinen Weg durch Nan$y in Loth, ringen anfParis nahm. Als ich aber Abends daselbsten [in Nancy) ankam und in der Herberg' ä St. Nico­ las einkehrte, begab es sich, daß ein Priester mit uns 1) Dies bezieht sich auf ein im Original nebenan stehende« Bild, worauf ein Mann zu sehen, der auf beiden Achseln Balken trägt. I. 1.

7

18

Der Schergenteufel.

zu Tische saß, Namens Mesnre Louis d’ Ainuille: der sagte mir, daß morgenden Tags man einen besessenen Menschen, unfern von da, ä Notre Dame de Bon-secours vor SankEiklaus-Pforten beschwören würde; wo swenn^ ich nun Willens wäre, selbiges auch zu sehen, könne er mir vor andern darin bedient seyn [bienen];12 3welches * Erbieten ich zu Dank annahm, und nach geschehenem 4 5Nachtwunsch, 6 darauf im Namen Gottes wohl eingeschlafen, Morgens früh [aber] neben meinem Wirth an den gemeld'ten Ort gegangen [bin], da denn mich der Vorwitz, solches zu sehen, wie die An­ deren, trieb, daß ich mich unter dem Gedrängt fast [recht] brauchte, einem hie, dem andern da einen Stoß gab und der Vorderste seyn wollte. Weil mir aber die Zeit zu lang vorkam und [ich] eben im Rückkehren gegen die^ Stadt wiederum zugehen wollte, begegnete mir zu gutem Glück obgedachter Priester, mit Vermah­ nen, wieder umzukehren und mich weder Zeit noch Mühe deswegen dauern zu lassen, indem er mich durch ein kleines Tbürlein gegen den Altar hineinführte. Sobald ersah ich einen Menschen eines scheußlichen, schrecklichen Angesichts, dessen Kleider zerrissen [waren]; die Haar' stiegen ihm auf dem Haupt [empor] n)ie8 Jgelstacheln; die Stirn gefallen wie8 ein Rock, die Augenbrauen gekrümmt wie8 ein Bogen, die Augen wie8 eine Fackel glänzend, das Maul wie8 ein Roß sich schäumend. Dieser fing an, jämmerlich zu schreien, und sich grausamlich zu erbeben. Er zischte wie8 eine 1) Die kathol. Geistlichen, die solches verrichteten, hießen Exorcisten. Lei ihrer Weihe erhalten sie das Bann­ formel-Buch mit den Worten: «Nimm, fasse es in's Ge­ dächtniß und erhalte die Gewalt, deine Hand aufzulegen den Besessenen !« Suicer. thesaur. eccleßast. Amft. löß?. — Den Evangelischen war strerg verboten, sich mit diesem Wesen zu befassen. 2) I. Or. er mir — bedient seyn könne. 3) I. O. dessen E. t 4) I. O. beschehenem. 5) I. O. gegen der. 6) I. O. als.

Schlang', er knirschte mit den Zahnen wie1 2ein Ebn, und blähcte den Mund auf wie1 ein Blasbalg, die Kehle wie1 einen Schlauch aufsperrcnd. Mit den Hän­ den zerkratzte er das Angesicht, zerstieß die Brust, und zuletzt,^ gleich [al6] ob er gestorben, fanf3 er danieder zu Boden und gaffte mit wüsten Geberden 4 S)gen 6 Himmel. Ich, mit Bezeichnung des h. Kreuzes: O Gott, sprach ich, was ist das? Und ein Geistlicher, so 3 bei ihm stund und ihn beschwören wollte, sagte zu mir: da sehet ihr diesen elenden Menschen mit dem bösen Geist besessen. — Alsbald hub an, der böse Geist in ihm zu reden, und sprach: „Du Geistloser, hast's er­ logen! Denn es ist nicht ein Mensch, mit einem bösen Geist besessen, sondern ein böser Geist, mit einem Men­ schen geplagt. So wisset nun, daß wir Geister wider unsern Willen und genöthigter Weise bisweilen in de« Menschen, insonderheit den Schergen, ° wohnen. Darum wann ihr mir meinen rechten Titul geben wol­ let , so sagt nicht: Dieser ist ein besessener Mensch, son­ dern: dieser ist eit» verteufelter Scherg, ein verschergter Teufel, ein Teufclsscherg, ein mit einem Schergen be­ sessener Teufel. Denn die Menschen insgemein 7 kön­ nen sich viel besser vor dem Teufel, mit Bezeichnung des h. Kreuzes, segnen und hüten, als vor einem Schergen. Dannenhero sdaherZ sie auch Ttäyxoivov flimoTs, odiuin publicum liotniuibus, Haß, aller-Welt, Aller-Welt-Haß genennet werden. — Auch so man unser Thun und der Schergen Wesen gegen einander erwägt, so befindet es sich gleichförmig' in 1) I. O. als. 2) I. O. letztlichen. 8) I. O. sinkcte. 4) und mit k. — gaffete gen H. S) I. O. so in dieser Manier bekleidet bei ihm st. (daneben ist ein Holzschnitt, der diesen Geistlichen darstcllt). 6) Siebe die Angabe des Inhalts von diesem Gesicht, 7) I. O. in gemein. «) I. O. gleichförmig zu seyn.

20

Der Schergen teufe l.

allen Stücken. Denn ja gleichwie sich die Teufel be­ sä b'] arbeiten und darum herumlaufen und geschäftig sind, daß die Menschen möchten gestraft und verdammt werden; also thun'auch die Schergen, und warten mit Verlangen, wo der Richter ihnen irgend einen Angriff zu thun befehlen werde. Die Teufel wünschen, daß die Welt nur voll böser Buben wäre; solches thun auch die Schergen, damit sie immer zu jagen, zu klagen und zu nagen hätten, und thun es viel eifriger, indem sie ihr Leben und Lif)re] Nahrung diesergestalt suchen und erhalten. sind also in dem [tyicrin] die Scher­ gen noch ärger, als die Teufel: denn sie [jene] thun demjenigen Böses an, der doch ein Mensch, ihres We­ sens und Geschlechts ist und ihnen oftmals Gutes er, wiesen [hat]. Solches thun die Teufel, obschon sie aller Gnaden beraubte Engel sind, gar nicht." „Darum, mein lieber Pater, ist es ganz umsonst und vergebens mit Gaukeleyen und Beschwörungen, damit ihr umgehet: denn so der Teufel einen Menschen einmal in seinen Kloben bekommt, ist er, wo ihn Gott nicht sonderlich erlösen will, nicht wiederum zu erretten. Sic velut in muros innres, in pectora Daemon invenit occultas, ant facit ipfe vias. (Ow. 3, 48.) [Wie die Maus in die Wand, so findet oder macht sich der Teufel Schlupfwinkel in"s Herz.] Insonderheit aber dieser Scherge: dieweil ja die Schergen und Teufel Eines Handwerks sind, [und sich] in dem [darinZ allein unterscheiden, daß jene bekleidete oder vermummte Teufel, wir aber unbeleibte und unsichtbare Teufel sind, und ein verdammtes Leben führen in der Hölle, eben wie die Schergen auf1 Erden." — Wie ich nun solchermaßen den verdammten Geist mit Verwunderung reden und forschen hörte, fuhr indeß der Pater mit seinem Beschwören immer fort, und [um] den Teufel vermeintlich stumm zu machen, be­ sprenget er den Menschen oft mit Weihwasser, davon

i) I. O. uff.

Der Schergenleufel.

21

der Besessene heftig tobte, und mit den Zähnen ein solches Klappern und mit den Augen eine so elende Gestalt machte, daß den Umstehenden recht angst und bange ward und die Wände davon erzitterten. „Meinet nicht, sprach der Geist, daß solch' erdicht tete Kraft dem Weihwasser znzuschreiben 1 Daß ich so tobe und wüthe, das geschicht allein wegen der Natur des bloßen puren Wassers: denn nichts ist, r^as die Schergen ihrer Gewohnheit nach mehr fliehen, hassen und fürchten, als das Wasser, dergestalt/ sdaß,^ wenn uns die Schergen in der Hölle nutz waren, wir sie nur mit Darweisung eines einzigen 1 Glases mit rothen» Wein sprungsweise zu uns bringen wollten. Und damit ihr ja sehet, wie sogar nichts die Schergen nach hei­ ligen geistlichen Dingen fragen, so wisset, daß man sie vor Jahren Gerichtsknechte genennet shati, welchen Namen sie verändert und secundum Opera et operata snach ihren Werken und Verrichtungen^ in den Namen Hatschier verwandelt haben, als die die Leute hatschen, schieren und scheeren, daß der Beutel „aßo blutt a blaus würd, aß a nackites Mouisle [f o kahl und blos wird, wie ein nacktes Mäus­ chens" Der Pater, als er alles dieses mit Bekreuzigen gehöret, sprach zu mir, daß ich solche Spottreden des Bösewichts 2 3 mich 4 nicht sollte ' irren lassen, als der, wenn man ihm das Geschwätz vergönnen thäte, taufen^ derlei Schelt - und Schmachworte wider die heilsalne Justiz und deren * Diener ausstoßen würde, dieweil sie die Gottlosen straft und dadurch zum rechten Weg und [pi] ihrer Bekehrung zu weisen begehrt, so daß viel' Seelen aus des Feindes Banden, darinnen sie gefangen lagen, können erlöst werden. 1) 2) 3) 4)

I. I. I. I.

£>. O. O. £».

einigen. solche des Bösewichts Spottredcn. wollte. derselben.

22

Der Schergenteufel.

„Untersteht teuch^ nicht, mit mir euch in Dis­ putation cinzulaffen, sprach der Teufel. Ich hab' mehr erfahren und gelcrnet, als ein Pater. Machet nur, daß ich einmal von diesem Schergen erlediget werde; ich bitt’ drum. Denn so ein stattlicher Teufel, als ich bin, soll sich * billig schämen, in eines Schergen Leib länger zu wohnen." Das soll, sprach der Pater, ob Gott will, bald geschehen, damit der arme Mensch von dir erledigt werde, — und nicht um deiner lasterhaften Worte willen. Und warum, möchte ich wissen, plagest du den armen Leib also? „Darum, sprach der Geist, weil seine Seele und ich mit einander in einen Streit gerathen [fi'nb] und ssich) gezankt haben, welcher der ärgste Teufel unter uns beiden sey, der Scherge oder ich." Das Geschwätz wurde dem Pater verdrießlich zu hören, Ich aber bat ihn, zu erlauben, daß ich den Besessenen etwas fragen dürfte? Vielleicht möchte es mir, dachte ich, heilsam seyn, ob es schon des Teufels Meinung nicht wäre: — welches er mir bewilliget, indem der Feind immerzu fortfuhr und unter anderem sagte: „An Fürsten und großer Herren Höfen haben wir auch große Freunde und Kundschaft. Niemand aber ist, der uns daselbstcn größere Dienst’ leiste als die Poeten, Liederdichter, mit Lügen und sonsten; darum belohnen wir dieselbigen auch redlich in der Hölle." Hat cs denn auch Poeten in der Hölle? fragte ich. „Ja freilich J sagt’ der Teufel. Es wimmelt und wibblct voll darin: darum man vor kurzen.Jahren ihr Quartier hat erweitern müssen. Und ist nichts Lächerlichers allda zu sehen, als wann ein Novitius, ein neuer Schwärmer, von ihnen ankommt [unb] seine literas commendatitias, [fein] Gruß r unb Vorfchreiden einhänbiget, in [ber] Hoffnung, bie follennes

1) 3- Orig. mich.

Der Schergenteufel.

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Deos, (jiiibus agitantibus illi calefcinit [bie erhabenen Götter, durch deren Eingebung sie begeistert werdens als: Charon, * Cerberus, ? Minos,3 [bic] Pasiphae, 4 Megara,5 Medusa, 6 Proserpina,7 [bcn] Pluto, Aeolus, Cbie] Rhamnusia, [bcn] Neptunus,' o Bacchus, 3uno,1 11 Venus, [bcn] Cu­ pido, Mercurius, * ? Jupiter,13 Apollo, *4 Phöbus, und andere zu finden und zu begrüßen. Weil mich dieses schier ein wenig kitzelte, fragte ich, was für eine'Belohnung denn die Poeten in der Hölle zu gewarten halten? „Vielerlei, sagte der Geist, so 16 vielerlei luventiones und Einfälle ein Poet im Kops hat. Denn etliche werden darin zur Belohnung gepeiniget, wann sdadurch, b fj] sie ihrer Corrivalium oder Competitorum, 1) in der Mythologie der alten Griechen und Römer der Fährmann in der Unterwelt, welcher die abgeschiedenen Seelen über den Fluß Styx fährt. 2) der dreiköpfige Hund, der den Eingang in die Unterwelt bewacht. 8) der oberste der drei Richter daselbst. 4) die Gemahlin des Mrnos, Schwester der Zauberin Circe und Mutter des Ungeheuers Minotaurus. 5) eine der drei Furien oder Erinnyen (Eumeniden) d. i. der Göttinnen des quälenden Gewissens. 6) eine der drei Gorgonen oder Töchter der Gorgo, ein Scheusal mit Schlangenhaaren, deren Blick in Stein ver­ wandelte. 7) Tochter der Ceres, des Sinnbilds der fruchtbringenden Erde, und Gemahlin des Pluto, Gottes der Unterwelt8) der Gott der Winde. 9) Beiname der Nemesis, der Göttin der gerechten Wie­ dervergeltung , von der Stadt Rhamnus in Atrica so ge­ nannt, wo sie vorzüglich verehrt wurde. 10) Gott des Wassers. 11) Gemahlin des Jupiters, Beschützerin der Ehe, der Frauen und Jungfrauen. 12) Gott der Bcredtsamkeit, List rc. 13) Gott des Himmels, Vater der Götter und Menschen. 14) Gott dec Weisheit und Dichtkunst rc. 15) Auch ein Beinamen des Apollo. 16) I. Or als.

24

Der Schergenteufel.

ihrer Mitmerster und Mitgesellen opera et carmina sWerke und Gedichts d. h. Grillen und Possen lesen hören. Und solches geschicht auch bei den Musikanten. Et­ liche haben ihre Belohnung darin, daß nach vielen hun­ dert und tausend Jahren sie dennoch nicht können auf­ hören, ihre Versi zu revi.diren und zu corrig-iren, zu besehen, übersehen, vermehren und verbessern. Einer giebt sich mit der Faust einen Stoß an die Stirn; ein anderer kratzt hinter den Ohren; einer grübelt in der 8kasen, ein anderer hat keine Invention ^Erfindungsgabe^ oder venani [2foer], wie sie es nennen (d. i. die Grillen wollen ihm nicht steigen), er habe denn gesoffen: Sin potant tanquam ßne potn nemo poeta9 aut tanquam potus quisque poeta foret. (Ow. 2, 80.)

sDu säufst, als lebte gar kein Dichter ohne Wein, als ob ein Dichter müßt' ein tücht'ger Trinker seyn. n. Löbers; ein anderer seufzt, ein anderer grummet und brummet, als wie eine Humse in einer Trummel: murmur infolitum, et sub diaeta magistri quasi cupientis exire belhiae gemitum geinens (Petr. Arb. 1 ein ungewöhnlich

Gebrumm in der Cajüte des Steuermanns, gleich dem Gebrüll eines sich loßreißenden Thieres;1 — ein an1) Im Text bei Petronius heißt es weiter: »Wir [tm schei­ ternden Schiffes gingen dem Getöse nach und fanden den Eumolpus, wie er dasaß und ein großes Pergament mit Versen voll schrieb. Wir wunderten uns, daß er in so naher Todesgefahr noch Verse machen konnte, zogen den Brüllenden heraus und hießen, ihn vernünftig seyn. — Tims Petronius , der Mai're des phisirs oder Arbiter QM Hose des römischen Kaisers Nero, bei welchem er in gro­ ßen Gnaden stand, weil er sich ihm als ein angenehmer und raffinirter Lebemann unentbehrlich zu machen wußte. Wegen dieser Kunst von einem andern Günstlinge Nery's, dem Tigellinus, beneidet und deshalb von demselben der Theilnahme an einer Verschwörung wider den Kaiser be­ schuldigt, wurde er verhaftet und zum Tode verurtheilt. Um der Hinrichtung zuvorzukommen, öffnete er sich selbst die Adern und starb 66 n. Chr. Unter seinem Namen

derer verkehrt die Augen wie eine Geis, der ein Streich oder Stich worden, oculos ad accerlendos fensus longins inittit (Petr.) fund schickt gleichsam die Augen weiter aus, um die zerstreuten Sinne zurückzuholen^; und dennoch können sie noch heut zu Tag nicht finden oder errathen, ob man sagen solle: vultus oder facies, scripsit oder fcribsit, fuinptus oder sumtns, follicihis oder folicitus, an haec vel illa fyllaba brevis, an longa, an anceps [06 diese oder jene Silbe kurz oder lang oder mittelzeitig fep]! — Etliche, damit sie ja nicht um ei­ nen Buchstaben neben die Schnur hauen, gehen, bald rennen, auf und ab, nagen sich die Nägel an den Fin­ gern bis aufs Blnt als Unsinnige, pollice ad periculuin rafo (Petr.); und in all' diesem tiefen Nachsinnen fal­ len sie in verdeckte Gruben, daraus man sie mit großer Mühe kaum wiederum kann bekommen." „Die Poetae comici fkomische Poeten^ aber haben es am allerargsten zur billigen Straf, daß sie so manche Königinnen, Prinzessen und Göttinnen ihrer Ehre beraubt, so viel' ungleiche Heiruthfen^ gekuppelt, und so viel' recht­ schaffene Cavaliers, ihrem Vorgeben nach, so schimpflich und untreulich angeführt fhaben^I, wie im Amadis,' ist ein Sittengemälde der verderbten römischen Welt auf uns gekommen, das mit Geist und Witz und dabei in der reinsten Sprache geschrieben ist, welche jedoch den unrei­ nen Inhalt nicht entschuldigen kann Der Verfasser, wel­ cher deshalb auctor purisllmae impurilalis genannt wird, hat wahrscheinlich den Namen von jenem Tims Petronius nur entlehnt, etwa wie dem Verfasser des römischen Koch­ buchs der Schwelger Apicius den Namen leiben mußte, der wohl nie daran dachte, sich seinen sinnlichen Genuß auf diese Weise gewissermaßen zu vergeistigen. Denn aus mehreren Anspielungen in den Satiren des Petron läßt sich vermuthen, daß der Versasser unter den beiden An­ to ninen um 160 n. CH., also an 100 Jahre später, gelebt habe. 1) Am ad iS ist ein in den alten Rittergedichten berühm­ ter Name. Es gab vier Helden dieses Namens. 1. Amadis von Gallien, 9. Amadis von Griechenland, Urenkel des vorigen, 3. Amadis vom Gestirn, Urenkel des grie-

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Der S ch er g en teu fe l.

[in bcr] Schäferei, 1 [in btt] Diana de Monte majore, 3 [im] Ritter Löw, 3 Tristant, 4 Peter mit chischen Amadis, 4. Amadis von Trapezunt. Der Ur­ sprung der Geschichte dieser Helden ist ungewiß. Im spa­ nischen Original hat dieser Roman 13 Bücher, deren erste vier die Geschichte des Amadis von Gallien enthalten, von denen Bouterweck sagt, »Ein so wahrhaft großes Gemälde des edelsten Heldensinnes und der Treue, ohne ängstliche Beschränkung des Lohns der Liebe, aber auch ohne irgend einen beleidigend unsittlichen Zug, mit der höchsten Fülle der Schwärmerei, zwar über die Natur hinaus exaltirt, aber doch durch die treuherzigste Sim­ plicität der Darstellung auch den gesunden Geschmack er­ götzend, verdiente zu seiner Zeit die Huldigung, die es Jahrhunderte lang erhielt.^ — Französische Übersetzungen erweiterten diesen Roman bis auf 24 Bücher, welche von sehr ungleichem Werth sind. Grenze de Lesser hat 1819 diesen romantischen Sagenkreis in einer neuen Be­ arbeitung vorgeführt. 1) Unter »Schäferei" sind Schäfer- oder Liebesromane zu verstehen, die, als die romantische Ritterwelt vorüber war, beliebt wurden und sich seit ] der erste darunter ein armer Guffenmacher oder Spingler^ gewest [ist], und man denselben zu den Schlossern fhag legen wollen,— einer unter uns den Rath gegeben shat^, daß er zu den Notarien und Schreibern gelegt werde, als Qu] Leuten, die da könnten die Feder spitzen und durch Spitzfünde und gespitzte Worte manchen ehrlichen Mann um das Seine bringen. — Ein anderer, so da sagte, er wäre ein Schneider, und [bin] man fragte, ob er ein Bruchschneider oder Wappenschneider wäre, und Buch der Liebe, herausg. von Büsching und v. d. Hagen, (Seite 1 —142.) Görres: die deutschen Volksbücher. 1) ein alter Roman, auch unter dem Titel »die schöne Magellone" bekannt. Diese Geschichte ist eine der zartesten und innigsten, wahrhaft »von einem linden Liebesscheine übergossen." Sie scheint sich auf eine wahre Begebenheit zu gründen, und ist französischen Ursprungs. Die älteste deutsche Uebersetzung des Originals ist von Veit Warbeck 1535. L. Tieck hat sie in seinem »Phantasus" neu bear­ beitet. 2) I. Or. als hat. 3) I« O. und haben wir ein rc. 4) Guffenmacher d. i. Nadler; Gusse, Glufe, Gofe-Nadcl; eben so Spinge, Spelle - Nadel.

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Der Schergenteufel.

[her] zur Antwort gab, er wäre ein Schneider der Klei, der, — denselben hat man zu den Fuchs sch w a nr z e r n, Lügnern und Suppenfressern eingelegt, als [311] Leu­ ten, die einem ehrlichen Mann seinen guten Namen, Ehr' und Leymuth [V e u m u n 6] beschneiden können, gleich wie jene die Kleider. — Ein Blinder, der auf Vor­ schrift des Homenis 1 vermeinte bei den Poeten zu Her­ bergen, ward zu den Buhlern gewiesen wegen der Sympathie,2 so sie mit einander haben. — Ein Todtengräber, ein Marketender und Garküchner, welche Katzen für Hasen, Pferdfleisch für Wildpret, und Mucken für Rosinen verkauft hatten, sind bei den 3 Pastetenbäckern einfurirt [cinlogirt].“ „Ihrer fünf oder sechse, so sich für Narren ausga­ ben, sind zu den 4 Astrologen und Alchymisten, sd. L] Kalenderschreibern und Goldmachern geführt worden. — Einer, so bekannte, daß er etliche Todt­ schlag" begangen, ward zu den Herren Medicis 5 M ecitiern] geführt. — Eine Wäscherin ward zu den Wirthen gewiesen, weil diese den Wein so wohl waschen 6 können. Ja Lucifer selbsten, wann er zur Tafel ist, hat jedermalen dergleichen Weinschenken vor andern bei sich sitzen, so ihm müssen Bescheid thun, weil sie näm­ lich des Schwefels im Wein besser gewohnt ssind], als Jemand anders 7.8 — Ein Ziegler kam auch daher, und als er um Herberg ansuchte, ward er zu den Würzkrämern gewiesen, weil er vordem mit ge­ branntem Leimen fLehm] und Ziegelmehl bei ihnen imGewerb gestanden.— Ein Seiler kam hintennach

1) d. i. nach dem Beispiel des griechischen Sängers Homer, ^welcher der Sage nach blind war. 2) 3. O. wegen der Sympathiae und Eigenschaft. 3) I. O. bei die. 4) bei die Aftrologos. S) bei die H. Medicos. 6) I. O. waschen. 7) Am Rand: 1). G. de Inferno p. 70^2. n. 90. 8) I. O. hinten hernach.

Der Schergenteufel.

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der vermeinte bei den Kauf- und Handelsleuten Quar­ tier zu haben, ist aber zu den Werkheiligen ge­ wiesen worden, welche durch ihr eigen Werk (doch nicht ohne Hanf) reich und gerecht werden wollen.^ „Eine Nähterin 1 und [eine] Singerin ka­ men in Gesellschaft daher und ließen sich bei etlichen Damen zu Hof anmelden; aber sie wurden den Fran­ zosen übergeben, welche sie bei denen einfurierten, so sie enfans perdus neunen. — Eine Gärtnerin begehrte, daß man ihr Quartier verordnen wolle: die hat man auch zu den Wirthen gewiesen, weil sie das Wasser ebenermaßen unter der Milch, als jene unter dem Wein, wohl und theuer könnte verkaufen. — In Summa, es ist auf Erden keine Stadt noch Land so wohl bestellt, als die Hölle, worin einem Jeden widerfährt, wie er es Ehren halben wohl verdient: welches auf der Welt nimmermehr wird also gerathen und in's Werk gebracht werden mögen [sönnen].“ Mich dünket, sprach ich nach allem diesem Gespräch, daß ich auch von den Verliebten [habe] sagen hören, und weil ich vor Jahren mit dieser Krankheit [sowohl], als auch mit der Poeterey etwas behaftet gewest, möchte ich wohl wissen, ob auch viel' Verliebte zur Hölle kommen? „Die Liebe, antwortete der Geist, ist wie ein gro­ ßer Flecken oder Maase[r] von Oel, die ein ganzes Kleid verschandet, und [es] hat der Verliebten freilich genug in der Hölle, aber von unterschiedlicher Gattung. Denn etliche sind verliebt in sich selbsten, so man nennet [Jnlich-Verliebte, Selbstlinge]; etliche in ihr Geld, etliche in ihre Schriften, wie die Poeten, die mehr Liebe zu einem ihrer ungeschickten Verse tragen, als mancher Vater zu seinen wohlgestalten Kin­ dern : ja, wie auch wüste 2, garstige Kinder ihre 1) I. O. Nägderin. 2) 3. O. die wüste rc.

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Der

Schergenteufel.

Mutter belustigen, also fuchsschwänzen und liebkosen den Poeten ihre häßlichen Verse, und einen jeden Schreiber betriegen seine eigenen Schriften und übertäuschen ihn vor den Ohren. 1 „ Etliche sind verliebt in ihre Weiber, und deren sind nm wenigsten zu finden, aus Ursachen weil die Weiber entweder2 *durch ihre bösen, halsstarrigen Köpfe oder aber durch ihren Ungehorsam, Unfreundlichkeit, Unhäuelich, keit, Unsauberheit, und andere dergleichen Untugenden ihren Männern vielmal Ursach geben, die Hochzeit zu bereuen:^ besonders die schwatz--und waschhaften, welche den armen Männern am meisten Mühe und Sorgen machen. Darum denn geschrieben steht: Vincitur iiisi lingiia prius, non vincitnr uxor; uxorem sohis, qni snperit, superat. (Ow. 2, 66.) sHält man das Weib nicht zuvor bei der Zunge fest, so wird man ihrer nicht Herr; nur wer Gewalt braucht, trägt den Sieg davon.^I “ „ Die andern Verliebten sind wunderlich anzuschauen und möchte Mancher meinen, er sehe einen Kramgaden auf, gethan, oder in einen Paternoster-Laden: so mit mancherlei Farben von Nesteln, Bändeln, Zweifelstricken, Schlu­ pfen, sSchleifen), und anderem, so sie favores, des faveurs sGunstbezeugungen^ nennen, sind sie an Haut und Haaren, an Hosen und Wams, an Leib und Seel" behenkt, beschlenkt, beknöpft und beladen. Andere haben so viel Zöpf und Haarlocken um und an sich hangen, wie die jungen Pferde mit ihren Mähnen. Andere, so man für Postboten halten möchte, sind dermaßen mit Briefen 4 beladen, wie ein Mülleresel mit Säcken." „Unter diesen, in einem finstern wüsten Ort voller 1) Am Rand: D. Meyfart. d. Academ. L. 2. C. 5- fin. (I. Mich. Mayfartus, geb. 1590 zu Jena gest. 1642 als Luth. Professor der Theol. und Senior des Ministeriums zu Erfurt? ) — 2) I. O. entweders. s) I- O. sich der Hochzeit zu gereuen. 4) Am Rand: Buhlenbriefe.

Gestank, von Widder- Bocks- Ochsen - und Schaafhör, nern rc., liegen diejenigen, so man unter uns Esel, aber insgemein Gauche 1 nennt: und diese können am allermeisten tragen; auch sind sie die allergeduldig, sten und frömmsten: sie sehen alles, sie hören alles, sie riechen alles, sie greifen alles, und derowegen sind sie sinnhafter, als die anderen alle; ja sie leiden alles, sie dulden alles, und dennoch hat die Liebe bei ihnen kein Ende. Es sind Leute ohne Gall' und Zorn, gleich wie die Lakaien oder Beiläufer — ohne Milz, und eS heißt wohl Cormitiun te, Corneli, Teis esse facescjue: non Cornelius es modo, Ted Tacitus; (Ow. 1,110.)

sDu weißt, mein lieber Cornelius, daß du ein Hahnrei bist, und schweigst dazu: du bist also nicht nur Cornelius (ein latein. Schriftsteller, dessen Name von dem Worte cornu, Horn, herkommt), sondern sogar Tacitus (ein noch bedeutenderer lat. Schriftsteller, deß Name verdeutscht „der Schweigsame" heißt),]-------- nach Inhalt der Regel, welche in der Grammatica corniitonun ^Sprachlehre der Hahnreis zu lesen ist: Audi, ceme, tace, cui publica contigit uxor: liaec tria praecipue Verba notanda tibi. (Ow. 1, 133.)

Andere sind, die, ungeachtet ihres Alters, [tyrer] Natur, Neigung und Lüste, sich in Liebe alter 2 Hader, metzetz und Kupplerinnen annehmen; und diese sind am härtesten angefesselt, aus Vorsorg', daß sie sich auch an den Teufeln selbsten vergreifen möchten. Denn wie häß­ lich, schwarz und unflätig wir auch aussehen, so däucht sie doch unterweilen, als ob wir Adonides, AretWae,

1) Gauch, oberdeutsch ein junger unbärtiger Mensch, im verächtliche Sinn, ital. cucco $ dann überhaupt ein Narr, Geck. 2) I. O. gegen alte.

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Der Schergenteufel.

Veneres, Narciffi schön wie Adonis ', Arethusa $z Venus, Narcissus 3l)]42 S) und die allerschönsten zierlichsten Bilder wären." „Ueber Niemand sind wir in der Hölle mehr er­ zürnet, als über die Maler, darum, weil sie mit uns umgehen, als ob wir ihre Narren, ihre Verdammte, sie aber unsere Herren und Teufel waren, indem sie uns abreißen und malen nach ihrem Gefallen*, bald mit Klauen und Griffen, da wir doch weder Adler noch Greife sind; bald mit Hörnern und Habichtsnasen, da wir doch weder Schafe noch Vögel sind; bald mit langen Kühschwänzen, als ob wir die Mücken abweh­ ren * müssten, — welche Ehr" und Würde unter uns Niemand gebühret, als Beelzebub, dem Obristen, und seinen Unterhabenden ^Unterthanen^ allein; — bald mit Barten, wie die indianischen Hahne 6." 7 „Der unter euch Menschen bekannte Maler M i ch e l A n, geloBuonarotti^ ist dieser Tagen vorgefordert wor­ den und scharf gefragt, warum bei Abmalung des jüngsten

l) Adonis, ein schöner Jüngling und Liebling der Göttin Venus, den diese, als ihn auf der Jagd ein Eber tödtlich verwundet hatte, in eine Anemone verwandelte. 2) Arethusa, eine Gespielin der Göttin Diana; sie ward in eine Quelle verwandelt, als sie vor Alpheus, der ihr mit seiner Liebe nachstellte, floh. S) Narcissus, ein sehr schöner Jüngling, der, als er seine Gestalt zum erstenmal in einer Quelle sah, aus rasen­ der Liebe zu sich selbst sich nicht mehr von dieser Quelle trennen konnte und von den mitleidigen Göttern in eine gelbe Narcisse verwandelt wurde. 4) Im Or. ihres Gefallens. S) I. O. die Mücken wehren. 6) Hahnen. 7) geb. 1474 zu Caprese oder Chiusi', gest, zu Rom 1564, als Maler, Bildhauer, Architekt und Dichter gleich groß. Ganz besonders berühmt von ihm sind: in der Malerei seine Freskogemälde der Sixtinischen Kapelle zu Rom: in der Bildhauerei seine Kreuzabnahme Christi und sein Bacchus, in der Architectur seine Verbesserung deI Plans zum Bau der Peterskirche und der Bau des Kapitols.

Der Schergenteufel.

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Gerichts er uns so vielerlei Gestalt, so gräßlich, so abscheulich, so wunderlich, so höhnisch, so fürchterlich angestrichen und angedichtet habe? Der gab zu seiner Entschuldigung diese kahle Antwort, nämlich: er hätte sein Lebtag keinen Teufel gesehen, auch, (wie die mei­ sten Maler, Künstler, Hofleute und Hochgelehrten pflegen) viel weniger geglaubt, daß [c$] Teufel oder Hölle seyn [geben] sollte; [es] wäre derowegen solches Verbrechen nicht seinem bösen Willen, sondern allein dem bloßen Wahn zuzuschreiben. Aber er hat nicht gedacht, qiiod ignorantia non absolvat a peccato [daß Un­ wissenheit nicht immer entschuldige]: hat er"s nicht ge­ wußt, so hat er's sollen wissen. [Es] sind also die in gleichem Werth, welche wissen, was sie nicht wissen sollen, und welche nicht wissen, was sie wissen sollen." „Was wir aus denjenigen Malern machen, welche, einem Hofschranzen und dergleichen zu Gefallen, aller, lei Posturen, allerlei Abbildungen menschlicher Gestalten und Leiber malen, daher [und dadurch] die unvor, sichtige Jugend uns heimlich zuführen 1, das ist aus ihren treuen Diensten leichtlich zu erachten, — cum adspectu nudorum corponun tarn mares quam foeimnas irritare soleant ad enormis lasciviae appetitmn (Theodor.2) [weil sie durch den Anblick nackter Leiber sowohl Män­ ner als Weiber zu einem außerordentlich großen sinn­ lichen Verlangen anzureizen pflegen]; dieß gehet euch an, ihr Herren Maler, denn: Et pictus laedere novit Amor; — fed et fcriplus laedere novit Amor 1) I. O. beiführen. 2) Wahrscheinlich Theodorus aus Antiochia, Bischoff zu Mopsvestia in Cilicien, der 428 starb, ein großer Schrifterklärer seiner Zeit und fruchtbarer Schriftsteller der alten Kirche, von dem sich jedoch nur Fragmente erhalten haben. Müiuer frag. patr. gr. 1733. 3.

1. 1»

8

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Der

Schergenkeufrl.

[midi der gemalte Amor kann verletzen; aber auch der Amor in Büchern kann es —]: dieß ist euch gesagt, ihr Herren Poeten!" „Ein Ding ist, so uns über die Maßen verdreußt, [unb] welches doch auch Menschen, insonders den Dienst, boten gar gemein ist. Denn da vordiesem dem Nie» m a n d Alles zugeschrieben worden, wo es widersinnig 1 hergcgangen, so schiebt man jetzt Alles auf die armen Teufel. Was sonst Niemand will gethan haben, dahat der Teufel gethan! das thu" der Teufel! Alles dem Teufel zu! das woll' der Teufel! was Teufels ist das? welcher Teufel hat das gethan? welcher Teufel hat das gesagt? welcher Teufel hat das geschwatzt? welcher Teufel hat mich verrathen? Der Teufel shol'j den Schneider! wie hat er mir das Kleid verderbt! wie hat er mich so lang shcr,j umgezogen! wie hat er mir das so kurz, das so enge gemacht! wie hat er mich bestohlen! Und ist uns mehr Unfalls noch niemals ge, wünscht worden, als nur der2 Schneider wegen; daher sie gar als Erben und liebe Kinder im Haus seyn wollen. sEsj werden also die armen Teufel eben schlecht gehal, ten und liederlich verehrt, da wir doch so hungrig nicht sind, daß wir alles das, so man uns zuwünscht, bnneh, men würden." „Hat ein Lakai was Uebels gethan: Ei daß ihn der Teufel hol'! sprecht ihr. Aber wisset, der Teufel begehrt der Bärnhäuter keinen: denn der meiste Theil unter ihnen ist viel ärger als der Teufel, und ist uns rin sehr unnützes Gesindlein in der Hölle, als die we­ der zum Sieden noch zum Braten taugen.3 „ Der Teufel hole diesen Italiäncr4!" Aber wisset.

1) 2) 3) 4)

I. O. I. O. I. O. I. O.

wider Sinnes. von der Sch. wegen. zu sieden noch zu braten lügen. Jtatianer.

er thut 1 sich der Verehrung bedanken: denn ein Italiäner dürfte einem wohl2 unvermerkt einen Dolch in den Buckel stoßen. Also auch: „der Teufel hole diesen Spanier!" Abe^ weil uns der Spanier Regiersucht bekannt, dürsten sie sich auch der Hölle wohl gar unterfangen wollen! Nur dem Türken zu mit diesem Gesind! denn [b] er bedarf der Moresken 3,4 seine Heer' der Janitscharen und Beschnittenen damit zu starken." — Indessen begab es sich, daß unter den Zuschauen, den Zween mit Worten hart und bis zu Streichen aneinander gerathen [roatcn]. Als ich danach sah, war der eine ein General-Commissarius, der andere ein Commissarius, Reuovator oder Reformator, * — und der Geist sprach: „Das sind die größten Diebe auf Erden!" Diese beiden nun verwiesen je einer dem andern seine Schelmenstücklein. Weil sie mir aber von Gesicht und Thun ganz wohl bekannt, als welche sindem sie] Ursach' an meines betrübten Vaterlands Verderben und

1) I. O. er thue. 2) I. O. denn wohl ein Jtal. rc. 3) Moriscoes, Mauren, Abkömmlinge der Araber, die zu Anfang des achten Jahrhunderts Spanien, mit Ausnahme von Asturien und Biscaya, eroberten und an 700 Jahre lang anfangs ganz, dann theilweise beherrschten, biß Ferdi­ nand ihrer noch übrigen Herrschaft, durch die Eroberung von Granada, 1492 ein Ende machte. Obgleich nach ihrer Unterwerfung ruhig, wurden sie doch durch die Inquisition aufs heftigste verfolgt, woher es kam, daß Spanien nach und nach ganz entvölkert wurde. 1S70 unter Philipp II. wur­ den 100000 maurische Familien, und 1609 wohl an 600000 dadurch aus dem Lande vertrieben. — Hier steht Moresken für Spanier überhaupt. 4) eigent. ein mit Erneurung, Wiederherstellung oder Ver­ besserung einer Sache Beauftragter; hier mit dem Reben­ begriff des Betrugs, der Verschlimmbesserung.

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Der Schergenteufel.

Untergang waren, sprach ich: Wann der Teufel diese beiden Schindhunde und Marksauger, peftes regnonnn et renim publicannn, [fck’fe Pest der Staaten und Ge^ meindenl, diese Retscher 1 und Anbringer, diese Anstifter neuer Beschwerungen, Auflagen, srücksichtlich ihrer 1 Leib- und Seelendienste nach Verdienst belohnen sollte, wie würde es ihnen so wunderlich ergehen! „Ihr verstehet leider nicht viel, sprach der Teufel aus dem Besessenen, — daß Ihr uns auch dergleichen loses Geflndlein zuwünscht, da Ihr doch wisset, daß sie des Teufels ärgste Kinder sind, und sdaß,^ wo ihnen die Hölle nicht von Rechtswegen zugehörte 2, sie nim­ mermehr durch andere Mittel dazu gelangen sollten. Es ist jetzt an dem, daß wir sie wo möglich ganz ab­ schaffen wollen: denn es ist ein recht undankbares Völklein, und zur Bosheit so abgeführet und abgeschaumet, daß sie [ftd?] auch unterstehen, uns und unser Reich in das Verderben zu setzen, indem sie eine neue Auflag oder Zollgeld auf unserem Weg aufrichten wollen; — gerade wie neulich der Duc d’Alba 3 in den Nieder­ landen den hundertsten Pfenning von allem Vermögen, wiederum den zwanzigsten Pfenning von aller Fahrniß, wiederum den zehnten Pfenning von allen Käli1) Schwätzer , Ohrenbläser, von ratschen, rätschen, trätschen, — ein Geräusch, Geklapper, Geschwätze machen. 2) 3» O. zugehören thäte. 3) Ferdinand Alvarez von Toledo, Herzog von Alba, geb. 1508, gest. 1582, ein allerdings großer, aber grau­ samer, despotischer Feldherr und Staatsmann, der 1547 als Generalissimus Kaiser Karls V. geg. die deut. prot. Fürsten die Schlacht bei Pavia gewann, von 1567 bis 1573 die Niederländer, die sich gegen die despotischen An­ ordnungen Philipps II, Königs von Spanien, aufgelehnt hatten, durch seinen Blutrath, Conseil de troubles, in der schrecklichsten Unterdrückung hielt, endlich 1581 Por­ tugal! eroberte und es in eine spanische Provinz ver­ wandelte. t

Der Schergenteufet.

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feit — Reichen und Armen, Herren und Knechten ewig zu geben, strengiglich geboten hat; wie neulich von jedem Fenster auf die Gasse, wie neulich von jedem Schornstein im Hause, wie neulich von jeder Staffel an der Stiege — vom 29. Octobris 1639 aus Leipzig bekräf­ tiget worden. Weil nun dergleichen Beschwerden sich von Tag zu Tag erheben und häufig mehren, [so] ist zu besorgen, daß mit der Zeit durch unbillige Steige­ rungen und andere Solennitäten der Admodiatonun, [Pächter] der Preiß dermaßen gehöcht [erhöht] werde, daß zuletzt der Handel und [die] Gewerbschaft, so 1 die Welt mit uns bisher gepflogen, gar in Abgang gerathen möchte, welches dann unseres Reiches endlicher Untergang und Einösung 2 [Verödung] seyn müßte. Aber so sie von ihrem Beginnen nicht bald abstehen, oder 3 aus unserm Reich bannisirt [gebannt] werden, so sind sie ja viel ärmer, als die andern Verdammten alle, weil, wie bekannt und offenbar, ihnen der Himmel ohnedas schon verschlossen.^ Der Pater, so müde ward, das lange Gespräch anzuhöxen, sprach: Gleichwie der Teufel wünscht, daß keine Gerechtigkeit oder Gerichtsdiener auf Erden wären, also meinet er, müsse man alles dieses sein Geschwätz, so wider Gericht und Gerechtigkeit gerichtet ist, auch glau­ ben und ihm Beifall geben. »r)ch meine ja, sprach der Teufel, es sey keine Gerechtigkeit mehr auf Erden, und wann du, Pater, die History nicht weißt, will ich sie dir erzählen, wie

I. O. den. 2) Öfen, erÖfen, ösigen, abösigen, ausöslgen, in den Chro­ niken von Aventin und Königshofen, f. v. a. erschöpfen, aufbrauchen, leer, öde machen. In alten Glossen: devastatio, Verösung, ton - oft, to - üst, abtoüften $ „schtoed. ofsl, osta, oft, schöpfen ; im Schwäbischen kommr Esse aiv Schöpfgefäß vor. 3) I. O. daher.

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Der Schergenteu fel. Wahrheit über Meer gezogen, Gerechtigkeit gen 1 Himmel geflogen; Lüg' und Gewalt sind auf Erden blieben.

ES geschah, daß VeritaS sdie Wahrheit^ und Justi­ tia sdie Gerechtigkeit^ eines Tages miteinander zu reu sen und beisammen zu wohnen sich entschlossen; aber Nie, mand war, der sie hätte aufnehmen wollen. Denn Veri, tas war ganz nackt und bloß und hatte nicht viel Geschmücks am Leibe; Justitia sah sauer aus und achtete kei, nes Menschen. Endlich, nachdem sie ohne einige Hülfrei, chnng herumgeirrt und Niemand sich ihrer s hattet anneh­ men wollen, wurde Veritas aus Noth gezwungen, bei einem Stummen einzutehren. Justitia, weil sie sah, daß allein ihr bloßer Name bei den Menschen geliebt und gebraucht wurde, [um] damit alle Ungerechtigkeit, Tyran­ nei und Schinderei zu bemänteln und zu verbergen, be­ dachte sich kurz 2 und kehrte wieder um nach dem Him­ mel, da sie zuvor hergekommen. Derohalben und zu diesem Ende zog sie eilends von großer Fürsten und Herren Höfen, als woselbst 3 ihr viel Schimpf von den Hofschranzen und Fuchsschwanzern widerfahren [war]. Sie verließ auch sobald alle herrlichen Gewerbe, die großen Städte, wo man auf Gunst und Vetterschaft mehr siehet, denn auf Recht, und kam in ein klenres elendes Dorf,, da sie bei einem schlechten Bauernschulzen einzog, NamenS Pauper [Armer], dessen Weib (hier zur Nachricht zn vermelden, ob man sie noch allda finden möchte) S implicitas [Einfachheit] genannt [war]. Weil aber etliche vornehme Herren, aus den Städten Malitia [Bosheit] und Injuria [Unrecht], ihr heftig und gewaltsamerweise nachforschten und sie verfolgten; kam sie in ein ander Dorf, ging von Haus zu Haus, ob sich

1) I. O. nach. 2) I. O. wurde sie kurz bedacht. 3) J.O. daselbsten ihro.

Der Schergen teufet.

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ihrer Jemand erbarmen und [sie] heimlich eintaffen wollte. Und alldieweil Justitia nicht lügen noch trügen kann, und sie gefragt ward, wer sie wäre, sie aber rund [gerade-] durch ging und sagte, ihr Nam" wäre Justitia; da schlug ihr ein Jeder die Thür" vor der Nasen zu, mit Vermel­ den, sie wüßten nichts von ihr; sollte anderswo um Her­ berg" suchen! Also nachdem sie insgemein dermaßen abge­ wiesen worden, [ist] sie endlich davon geflohen und gen Himmel geflogen, daß man seither nichts mehr von ihr gesehen oder erfahren können, als allein etliche kleine Wortzeichen und unvermerkte Anzeigungen, welche doch so viel Zeignuß geben, daß sie vor Zeiten auf der Welt gewesen. Die Menschen, indem sie jetzt nach ihrem Namen nachdenken, geben und eignen x derselben einen Stab oder Scepter zu, welches oben eine Hand hat und das man lustitiam zu nennen pfleget. Aber es ist ein bloßer Schein, 2 3unter welchem das arme Volk nur herum gezogen, gehalten, gespannt, 1 gefesselt, betro­ gen und beraubt wird, ärger als von öffentlichen Dieben mit allen ihren Diebsschlüffeln, Dietrichen und anderni dergleichen passe - par - tont. Ist also diesergestalt das menschliche Wesen in eine solche Verwirrung und Ueppigkeit gerathen, daß sie alle ihre Leibs i und Seelenkräfte, alle ihre Sinne und Ver­ stand allein zum Stehlen und zum Rauben 4 gebrauchen. Denn ein Buhler, stiehlt er nicht mit seinem Willen die Ehr" einer Jungfrau? Ein Vorsprech [Advocat], stiehlt er nicht einem Andern sein Gut ab mit seinem Verstand, dum pervertit viin legis eigne aliain plane contrariam affingit [ indem er den Sinn des Gesetzes verkehret und ihm einen andern ganz entgegengesetzten unterlegt] ? Ein Gaukler, stiehlt er nicht einem Andern sein Geld unb die

1) 2) 3) 4)

I. O. eignen sie derselben zu einen rc. Am Rand: Ratio Status. I. O. gespannen. 3» O. zu ft. u. zu r.

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Der Echergenteufel.

gute Zeit ab, indem er durch seine Possen und Gaukelei sich sehen lasset? Die Liebe stiehlt ja mit den Augen, die Wohlredenheir mit dem Mund, der Musikant mit der Stimm' und [nut t>cn] Fingern das Herz, die Sinne, die Ohren. Polens bracchio nocet, miles manibus [ der Machthaber schadet mit dem Arm, der Soldat mit den Handen^; der Neckicns stiehlt das Leben mit dem Tod, der Apotheker stiehlt die Gesundheit mit der Arznei, der Wundarzt den Wehetag durch Schmerzen, der Kalendermacher den Himmel mit seinen Brillen. — Und der versoffene Kunz, stiehlt er nicht den Durst hinweg mit seinem knorrichten Glas voll Wassers? — In Summa: totus mundus furatur, sie sind alle Dieb' und Diebs­ genossen! Ich bin auch ein Dieb, sagte jener arme Bauer, dem die Soldaten ein Pferd ausspannten; da­ mit er es aber erhalten möchte, sprach er: Ach, ihr Her­ ren, lasset mir doch mein Pferd, ich bin auch ein Dieb! — Und ist Keiner so reich oder arm, so jung oder alt, so groß oder klein, der nicht in etwas sich mit diesem Laster, oft unter dem Schein großer Heiligkeit, großer Freund­ schaft und Wohlgewogenheit, tugendlich hätte vergriffen. Insonderheit aber die Schergen, welche so geartet sind, daß ihr Menschen billig dasjenige wider sie sprechen soll­ tet, was ihr wider uns zu beten gelehrt und gewohnt seyd: Libera nos, Domine! Herr, erlöse lin6!] Mlch wunderte aber, daß er nichts von den Wei­ bern gesagt hatte, bevorab ^vorzügliche weil sie rechte Diebe lsinde und billig unter solche Zunft, wegen f ihrese Handwerks, hätten gezählt werden sollen. Dar­ auf der Besessene antwortete: „O denket mir nichts von Weibern! Laßt sie, wo sie sind! Wir haben ihrer in der Hölle so genug! Wir sind deren so überdrüssig und müde, daß einem davor billig ängsten sangst werdens sollte. Es ist eine fast schlechte Lust, um die Weiber stets 1 zu wohnen. O was 13 J.V. stetigs,

Der Schergenteufel.

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gäben die armen Teufel drnm, daß sie keine Weiber hätten! Denn seit 1 Medusa 2, die alte Zauberin, gestorben, ist kein Stern mehr in der Hölle! Und die Weiber erdenken täglich so viel neuer Trachten, so viel neuer Spitzfünde und Liste, daß sie f zu ^ nichts nützen, als nur steten Zank und Unfug unter uns anzustiften, und [6a6] zu befürchten, [bafj] sie sich zuletzt auch an uns wagen, und, [um] das Regi, ment an sich zu bringen, uns gar zu Sie-männern machen möchten. Das Beste an ihnen ist, daß sie uns nimmermehr um ichtwas [etwas] ansprechcn: auch haben sie, als verdächtige Personen, schlechte Freund, schäft 3 von uns zu gewarten, insonderheit die alten häßlichen Vetteln, deren es sechsmal mehr in der Hölle hat, als der schönen. Denn indem sie, die Schönen, viel ehe[r] einen guten Gesellen finden, der ihrem Willen beigclhan [ist], und sie also befriedigt werden, [so] geschieht es, daß je allemal eine, wann sie in Sün, den ihre Jugend nach Belieben zugebracht, endlich, ctwan durch [ein] sonderbar gutes Eingebcn, in sich sclbsten geht, sich bekehrt, und also uns und unserem Reich ent­ geht." „Aber die häßlichen Weiber, nachdem Niemand sich ihrer annimmt, noch sich über ihre garstige Liebe erbar­ men will, kommen endlich, aus hitziger Begierde und Verzweifelung, so erhungert, dürr und mager zu uns, daß wir etlichemal ans Furcht vor ihnen [ haben ] ent­ laufen und uns verkriechen müssen; — wie sie denn meist auS lauter Verzweiflung und grunzend gestorben, wie die Schweine, mit großem Unwillen, dieweil die

1) seither». S) Ein fabelhaftes weibliches Scheusal, deren Locken Schlan­ gen waren und deren Augen die Kraft halten, jeden, der sie ansah, in Stein zu verwandeln. ») I. O. auch haben sie schl. Fr. als verd. Pers, von uns ic.

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Der S chergenreufel.

Jungen ihnen vorgezogen werden. Neulicher Tagen kau» eine zu uns von 90 Jahren, welche vorgegeben, sie hatte großes Zahn-Wehthum, und käme, uns um Mittel an,zusuchen, als ob wir so einfältige Teufel wären und sol­ ches glauben sollten; denn weil sie vorgab, daß sie Zähne hätte, vermeinte sie, sich dadurchjünger und desto ange­ nehmer bei uns zu machen, da doch vor mehr als 30 Jahren sie ihre Zähne schon alle verloren." Weil ich aber fragte, ob auch Arme in der Hölle zu finden seyen? und der Teufel antwortete, was ich denn unter dem/ Wort „Arme" verstände? — sprach ich: denjenigen, welcher nichts hat noch besitzet von dem, was die Welt hat und hochhält. — „0 du ungelehrter Tropf!" sagte der Geist; hast du denn niemals gelesen, was einer eurer vornehmsten Patrum fKirchenväter^ sagt: guod paupertas sit inanuductrix qiiaedani in via, quae ducit ad coelum 1 2 fdaß die Armuth eine Führerin sey auf dem Wege, der zum Himmel führg? Und obschon sie sich in etwas vergreifen, so heißt es doch: quisquis inops peccat, minor est reus (Petr. Arb.) fwer in der Notd sündigt, hat geringere Schuld^! Und das wäre ja un­ billig, daß die 2trmen sollten verdammt werden, die doch nichts haben von allem dem, das den Reichen die Ver­ dammniß bringt! Sind also die Armen nicht in unserem Stadtbuch eingeschrieben, und laß du dich dessen nicht Wunder nehmen!" „ Denn mein! wie könnte ein Teufel ärger seyn, als ein Ohrenbläser und Neidhund? als ein falscher, un­ treuer Freund ? als ein verwegener, untreuer Procurator (Vorsprech), der der einen Parthei dienet, damit er der andern dienen möge? als böse verführerische Gesellschaft? als ein ungerathenes Kind, Bruder oder Verwandter, der anders nichts wünscht, als daß du todt, und er dein

1) I. O. durch das. 2) A. R. Chrysost. 15. sup. Epist. ad Hebr.

Gut besitzen möchte, der sich stellt, deine Krankheit sey ihm leid, und doch im Herzen wollte, der Teufel hatte dich schon weggenommen? — Dieses Alles gehet einen Armen nicht an: er hat keine Ohrenblaser oder Schmeich­ ler; er hat keinen, der ihm etwas könnte mißgönnen; er hat keine Freunde, weder böse noch gute; er hat feine Procuratores: denn bei den Armen redet ein jeder für sich selbsten, wenn er kein Geld hat, nach dem Armen-Waidspruch: Qui nihil hat, nihil dat swernichthat, kann nichts gebens. Er hat auch keine Gesellschaft. Seine Kinder und Freunde haben seinen Tod weder zu wünschen, noch davon zu reden. Es sind Leute, die da wohl leben, und noch besser sterben. Und sind deren etliche in ihrem Stand so begnüget, daß sie ihr Leben, Handel und Wandel, auch nicht gegen ein Königreich austauschen wollten. Denn sie sind ein freies Volk, mögen betteln, wo sie wollen, gehen hin, wo sie wol­ len , beides zu Kriegs - und Friedenszeiten; sind frei von allen Beschwerden und Auflagen, zollfrei, keiner Juris­ diction fGerichtsbarkeit) noch Botmäßigkeit unterwor­ fen, ohne Zank und Prozeß, und in Summa unangreiflich und unergreiflich. Im Uebrigen sorgen sie nicht für den morgenden Tag, folgen in dem sh Lerin) den Geboten Gottes, wissen sich in künftige Zeit zu schicken, von derselben Alles zu hoffen; der gegenwärtigen Zeit gebrauchen sie, der vergangenen haben sie vergessen." „Zwar wahr ist's, daß die Armen ihre Hölle genug auf der Welt haben. Denn es ist so mit euch: jeder Mensch ist fast des Andern Teufel, oft mehr als der Teufel selbsten: homo homini lupus, homo homini diabolus. Und damit ihr nicht zu fürchten habt, was das Sprichwort sagt, „que, quand le di ab le präche, le monde a pp röche sa siuA wann der Teufel pred'gen muß, so wird gewiß die Welt untergehenso 1 bitte ich, Herr 1) J.O. als.

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Der Schergenteufel.

Pater, Ihr wollet mich von diesem Scbergen, in dem ich geplagt werde, durch Eure Kunst erlösen; dessen sollt Ihr Dank haben I“ Darauf sich der Pater zu uns wendete und sprach: Nun mag man wohl sagen, daß Gott hierin seine Macht erweise: denn du, böser Geist, bist von Anfang an ein Water der Lügen und alles Betrugs, und nichts desto weniger hast du anjetzo solche wahrhafte Dinge erzählt, daß wohl ein steinern Herz sich darob bewegen, erweichen und bekehren sollte. „O meinet nicht, daß solches zu Eurem Besten und Heil geschehen! sprach der Teufel nochmalen. Es ist aus keiner andern Meinung, als [um], wann es zum Tref­ fen kommen soll, eure Strafen euch desto mehr zu Hau­ fen. Denn nun könnt ihr euch ja der Unwissenheit nicht mehr entschuldigen, als hätte 1 es euch Niemand gesagt: denn eher müßten euch die Steine predigen, je die Teu­ fel selbsten. 2 Denn der Knecht, so des Herrn Willen weiß, ihn aber nicht thut, der ist doppelter 3 4Streiche werth. Aber ihr Alle, die ihr Zuseher und Hörer seyd, seyd rechte Heuchler! Da stehet ihr, die meisten mit wei­ nenden Augen, nicht wegen eurer Sünden, * daß ihr Gott damit erzürnet habt; sondern weil es euch leid ist, daß ihr einmal die Welt gesegnen und davon müßt! Und ob es [gleich] bisweilen geschicht, daß euch der begangnen Sünden reuet, so ist es doch einig und allein deswegen, weil ihr aus Mangel eurer Kräfte und [wegen] abge­ brauchten Leibes, wegen Menge der Jahre, 5 so ihr auf euch habt, nicht mehr sündigen könnet oder möget. Und

1) I. O. ob hätte. 2) Hiebei ist citirt: Hist, continuat. Sleidani, L. 19. part. 3. Ann. 5^9. 3) I. O. doppeler. 4) A. R. Poenitentia ficta [ erheuchelte Reue] 5) I. O. aus Viele der Jahre.

Der

Schergenteufel.

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[ c$] fehlet oder mangelt euch deswegen nimmermehr an bösem Willen, den wir eben wohl nicht ungestraft las­ sen, insonderheit an denen, die Andere lehren und un­ terweisen sollten." Du bist ein Betrüger, wie vor [Ijin] gesagt, sprach der Pater. Zweifle nicht, es werden sich hie viel' fromme Seelen an deinem Reden und Thun spiegeln, und sich vor dir durch [ten] Beistand Gottes wohl zu hüten wis, sen. Aber ich sehe wohl, du meinst durch dein Geschwätz also Zeit zu gewinnen, den armen Menschen desto län­ ger zu plagen. Darum so beschwöre ich dich durch die Kraft und Allmacht Gottes, daß du verstummen und diesen armseligen Menschen verlassen müssest! Da fuhr 1 mit einem großen Brausen der Böse aus; darauf der Pater sich umwandte und zu uns sprach: Ihr Herren, Freunde und Christen! Ob es schon das Ansehen [ hah, es habe der Teufel durch diesen armselig­ geplagten Menschen, als durch ein Werkzeug, zu unserm Bösten sSchaden^ geredet, so ist doch gewiß, daß aus seinem Gespräch ein nachsinniger Christ viel und merklichen Nutzen mag haben. Darum bitte ich euch Umstehende alle, daß ihr aus billigem Haß wider den bösen Geist und seine Wohnung diese Rede darum nicht verachten noch in den Wind schlagen wollet. Bedenket, daß ein gottloser König dermalen die Wahrheit geredet und prophezeihet: denn ja auch Speise gieng 2 von dem Fresser und Süßigkeit von dem Starken. Auch sagt der alte Priester Zacharias: Salutem ex inimicis nostris et de manu, qui adenint nos. — Vult quidem plerumque nocere diabolus, sed non potest, quia potestas est sub potestate. Ideoqne potentiam diaboli magis timeatis quam ofTensam divinitatis. (Augustin, und Ambros.) sEs wird uns kommen das Heil von unsern Feinden und 1) I. O. Wie dann mit rc. ausfuhr, und darauf. 2) I. O. gung.

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Der Gchergenreufel.

von der Hand derer, die uns hassen. Luc. 5,17. Zwar will der Teufel gemeiniglich schaden, aber er kann nicht, weil seine Gewalt unter einer höhern steht. Deshalb fürchtet die Macht des Terifels mehr, als den Zorn Got­ tes!^ Nun bewahre euch Alle Gott, in dessen Namen ich euch gesegne, demüthig seine Allmacht bittend, daß diese traurige, erschreckliche Geschichte zu eurer Aller Bes­ serung und Bekehrung gereichen möge!

W -lt Wesen. Anderes wunderliches und wahrhaftige« Gesicht

Philanderß von Sittewald.

Inhalt.

Philander setzt seine Reise fort und kommt nach Paris. In dieser »Welt im Kleinen" findet er, daß eben auch hier die Welt von Eitelkeit, Schein und Trug regiert werde. Einesmals, ermüdet von allem, was er gesehen und gehört, ver­ fällt er in einen Schlaf, worin vorkommt, als wandle er durch die sich kreuzenden Straßen der Welt im Großen, verirre sich aber alle Augenblicke darin. Als er endlich nicht weiß, ob er vorwärts oder zurück gehen solle, begegnet ihm ein alter ernsthafter Mann in sonderlicher Tracht, mit Namen Expertus Robertus (der erfahrne Ruprecht d. i. die personisizirte Erfah­ rung) und bietet sich seiner unerfahrnen Jugend zum Führer an. Nachdem dieser Alte ihm verschiedene Belehrung über die Thor­ heit der Jugend, über den Werth der Zeit und über den Unter­ schied des Narren und Weisen gegeben, zeigt er dem jungen Philander die größte, vom Aufgang bis zum Niedergang der Sonne sich erstreckende, Straße der Welt, genannt die Heu­ chelstraße, und macht ihn mit den verschiedenartigen Leuten bekannt, welche auf dieser vielbetretenen Straße wandeln und sämmtlich in ihrem Innern anders find, als sie äußerlich scheinen.

V o r r e d «. Deutfchgesinnter lieber Leser! Unsere Land-leute, wann

sie zwei Dinge al- einander gleich *1 andeuten wollen, sprechen, eS sey Gurr aS Gaul (Gurr sPferd^ als wie Gaul d. i. Eins wie das Andre; vier Hosen Eines Tuchs): also ist es mit dem gegenwärtigen Gesicht auch bewandt, indem 2 darinnen nichts Neues, wie in sden) folgenden, sondern dasjenige allein eingeführt wird, wel­ ches, so man sesj gegen das vorige Gesicht hält3, Gurr as Gaul ist. Etliche wenige, die gemeinsten Gleiß» nercin werden allein hierin um waS mehr aufgedeckt, dergestalt, daß viel junge Messieurs, viel alte Patres, viel ehrsüchtige, großsprechende, hochtrabende, nichtswerthige Semiores (Herren), viele Wittwer und junge Wittfrauen in ihrer Gestalt und (ihrem) Wesen sich ihrer sclbsteu schämen, und theils ihrer Thorheit weinen, theils ihrer Arglistigkeit werden lachen müssen. Perso­ nen, denen, Standes wegen, neue Trachten erlaubt (sind), die haben ihre Weise und behalten sie, so lang die Welt nicht durch's Feuer gesäubert wird. Aber die es nicht sind und doch seyn wollen; die weder Stand noch Schöne (Schönheit) haben, und doch für große Damen, für schöne Dißlein, wollen gehalten und geehret werden, — die sollen allhie den Taffent ♦, den Flor ‘

u) s) 43 »3

I. O. zwei Ding' einander gleich zu seyn. denn. halten thut. Dapffet. den Flur.

1. 1.

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Dorrrdr.

dcn Krepp, die Maske verlieren und mit all' ihrem Geschmink zu Schanden werden: Insgemein aller Schcinsal hat einen Fleck verborgen: je mehr Färb', je minder Fleisch. WaS wahrhaftig und von selbsten gut ist, das lobet sich in sich selbsten und bedarf fal, schen Anstrichs oder äußerlichen Scheins gar 'nicht. Vino vendibili non opns est hedera: ein gut Wirthshaus bedarf keines Reifs s S ch i l d s : denn wo ein guter Wein ist, da sammeln sich die Kärchclzieher 1 [von] selbsten. 1") Karrenzieher, Karrenschieber, von Karch-Karren.

Des vorigen Gesichts Geschichte gab mir Ursach', mei­ nen Sachen In segwaS mehr Gottesfurcht nachznden, ken, weil ich ja gesehen und gehört, wie gar genau auch die geringsten Verbrechen der Menschen gemerkt, erforscht und vergolten werden. Begab mich derowegen mit der kandkutsche von Nancy hinein Nacher Frankreich. Unterwegs aber hab' ich in den itiiierariis solennibus Sinceri, Eifenbergeri, Neyinai^eri, Steinbergeri, Hentzneri, Ducliatii^ Bertiiv Jani fectmdi, Caspari Ens, Andreae Schotti, Erpenii, Atlante [in den Reiseschreibungen von Sincerus, Eisen­ berger, Neymeyer, Steinberger, Henzner ig] und an­ deren , welche von dieses Königreichs Herrlichkeit und Vorzug mit mehrerem geschrieben [Habens, um künftige Nachricht 1 gelesen, was in einem und anderen Ort, insonderheit der großem Stadt Paris, zu sehen und in Acht zu nehmen seyn möchte, bevorab [besonders^ weil dieselbe von [fccn] Meisten „eine kleine Welt" ein „Coinpendimn orbis terra nun", „nn autre monde", „un petit monde„un abrege du monde" [ein Abriß ter Welg genennt wird. Cette ville est un autre nioilde de dans un monde florisfant etc* (T)e Ufathoniäre.) [diese Stadt ist eine zweite Welt in einer Welt voll Herrlichkeit Und in Wahrheit zu melden: wer die Welt in Einem Saal, in Einem Sack, in einem Gar1) d. i. um Auskunft über die Einrichtung meiner bevorste­ henden Reise. V

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Der Well Wesen.

len, in Einem Garn beisammen sehen will, der wird sie in Paris gewißlich finden.

Solang ich allda verharret, war mir der letzte Tag eben wie der erste. Jener Schweizer, welcher zwanzig Jahr' in des Königs Leibwache gewest, und doch noch nickt drei Worte französisch reden konnte, sund^ des­ wegen von einem Freund, befragt und gescholten [roatt], gab zur Antwort: „Was wott eyr i zwanzig Jahrli 15^0 1 2?“3 4 Also laßt sich gar svollends^ die Welt in so wenig Jahren nicht erkennen. Eines Menschen Leben ist viel zu kurz; das Herz ist viel zu trag: wann er eben den Trug und die Eitelkeit anfaht sanfangg zu merken, so ist es an dem, daß er selbsten an-das Ende kommt und bald daran Muß. Nihil in mundo esl, quod deliderimn nostrum sedare pofiit. Viatores sumus, perpetuo motu cpiietem omnein profugantes, quae externa cjuidem varietate sese nutrit 9 substantiam rerumque qualitatem nescit, plerumque non attendit. sJn der Welt giebt's nichts, was unser Verlangen stil­ len könnte. Wir sind Wanderer und scheuchen durch beständiges Laufen und Rennen alle Zufriedenheit von uns, die zwar in der äußern Abwechselung und Mannichfaltigkeit der Dinge ihre Nahrung findet, aber das Wesen und die Beschaffenheit derselben nicht kennt, ja meist nicht beachte^. Und so große' Lust der Mensch bat, ein Ding zu erwerben, so kleine* Freude hat er hernach, wann eS es erworben. So ist unser Thun: wann wir Verlangen nach etwas haben, bilden wir uns davon wunder Sachen und Herrlichkeit ein; haben wir aber unser Begehren erfüllt, so fangen bald die ver­ meintlichen 5 herrlichen Dinge an, Verdruß und Eckel 1) 2) 3) 4) 5)

Was wollte (könnte) einer in zwanzig Jährlein lernen! I O. Also gar läßt rc. wie große. als kleine. I. O. so bald sahen an die vermeinte rc.

Der Welt Wesen.

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zu bringen: quae miro defiderio a nobis expetita sunt, ea jnris noftri jam facta vilesciuit poffideutibus. Also auch die Welt. Sehen wir sie ohne weiteres Nachsinnen von außen in Gestalt, Aufzügen und schein­ barem Thun an: behüte Gott, was schönes Dings bil­ den wir uns von derselben ein! nicht anderst, als ob sie ein lauteres Paradies, ein Lustgarten voller Herrlich­ keit und edeles Wesens wäre, da doch, wann wir ihr die Maske, den Vorhang nur ein wenig abziehen und den Kern beschauen wollen, uns allein die blosen Schäl­ ken sSch alen^I in den Händen bleiben und wir beken­ nen müssen, daß es wahr fep 12 : 'inimdus vanitate ducitur, opinione regitur! O inane desiderium vivendi! sdie Welt wird durch Eitelkeit regiert, von Einbildung und Wahn beherrscht! 0 eitle Lebenslust!^ Mit diesen und dergleichen Betrachtungen hatte ich mich derzeit nicht wenig aufgehalten. Damalen hatte ich 2 meine Herberge au Fauxbourg St. Germain, nie de Seine, ä la ville de Strasbourg, chez le Sieur Courtin, unfern neben zweien meißnischen rechtschaffenen Deutschen von Adel, Herrn Karl von Diskau und Herrn Abraham von Loß, von denen dieser 3 4von einem ehrlosen Wälschen ä ville juiffe in einem Kampf als Second (Mittmann *) eines Dänischen von Adel, Crabbe, in die Brust gestoßen und nach zwölf Tagen nicht ohne Mühe begraben worden Diesen Hän­ deln habe ich mit solchem 5 Eifer nachgesonnen, daß ich, meines Kopfes fast nicht mehr Meister, darob gleichsanl in einer Entzückung lange Zeit gelegen. Da däuchte mich, ich gienge in dieser großen Stadt oder Welt verirrt herum, der Menschen Wesen und Wandel hie und da zu sehen und zu erwägen. Und 1) I. O. bekennen müssen, wahr seyn. *2) I. O. damalcn ich rc. Courtin hatte. »5 deren dieser.

4) d. i. Secundant. 5) I. O. und aber den Händen mit solchem rc.

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Der Welt Wesen.

indem ich von einer Gaffe zur andern hin und her spatzieret, erlachten sich die Menschen genug über mich, als über einen Albernen und Fremden, und schalten mich einen langen Spanier, und die Kinder liefen mir nach und warfen mich mit Steinen und Koth. Und je mehr ich mich eilte und befliß, den Leuten aus den Augen, mir aber aus dem Gelachter, Gespött und der Gefahr zu entkommen, desto mehr [bin] ich, wie man sagt, in die Brühe gerathen.^ Denn da kam ich in eine Gaffe, Namens laCol&re, prös la nie des inauvais g-ar^ons [in die Hadergasse nächst der Bösen-BubenStraßes, welche allenthalben mit Tumult, mit Zanken und Beißen, mit Hauen und Schmeißen, mit Schla­ gen und Balgen erfüllt [ivnr], so daß ich mit großer Mühe und Noth, nicht ohne blutigen Kopf, den ich zum Zehrgeld davonbrachte, durchdrang. Dort kam ich in eine Straße, Namens la Bebau-? ehe [Schwelgergasse^I, da ich gewahr wurde, wie Alles mit Rasseln und Prasseln, mit Schreien und Speien, mit Fressen und Saufen, mit Huren und Buben wim­ melte. Dann durch mehr andere bekannte Ort', da es nicht besser, als in [ben] jetzt erzählten, auch hergieng; — dessen ich mich denn heftig verwunderte, zum Theil so bekümmerte, daß ich mich in Ernst schier nicht mehr [habe^ erholen können. Indem ich nun wie Stotzen Hansels Kuh, also verstabert [verstutzt^I stund, und nicht wußte, ob ich hinterstch oder vor-sich wollte, (denn je mehr ich fyrtgieng,

1) I. Or. lautet die Erzählung so: — »und indem ich von einer Gaffe zur andern hin- und Herspahieret, die Men­ schen aber, als über einen Albaren und Fremden, sich ge­ nug erlacheten, mich einen langen Spanier schölten, die Kinder mir nachluffen und mich mit Steinen und Kath würfen; auch je mehr ich mich eilete und beflisse, den Leu­ ten ans den Augen, mir aber aus dem Gelächter, Gespött und Gefahr zu entkommen, je mehr ich», wie man sagt, in die Brühe gerathen/'

Der Wett Weseu.

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je mehr bäuchte mich, daß ich in das Spiel geriethe;) da hörte ich eine Stimme, die mir nachriefl: Abren inadon badil cadilin pasin aduin loren mafaron damis bodi omis ! (Trith. L. 3). 2

Ich aber, dessen ungeachtet, gieng fort, damit ich nicht etwan, wo ich Zlntwort gäbe, von Jemand möchte erkannt werden. Aber bald hörete ich noch fester rufen: Ainolach bonefar astrafai acalach cliaba melan arabias inorison osiel acanafor thombas! ( Trith. L. 4.) 2

Und als ich mich dessen auch nicht annehmen/ noch Gehör geben wollte3, sprach er ferner: Hörest du nicht, du hebräischer Moiseskopf? I- O. nachrufete. ?) Dies scheinen den Unkundigen Gatze au- irgend einer fremden, namentlich orientalischen Sprache zu seyn; allein es ist nur eine Geheimschrift, und jedes der obigen schein­ baren Worte bezeichnet einen gewissen Buchstaben, also daß mit der obigen ersten sowohl, als zweiten WörterAufeinanderfolge nichts anderes gesagt und gemeint ist, als der Name Moscherosch. Die Aufstellung und Entziffe­ rung des Ganzen dieser Geheimschrift findet sich in folgen­ dem Buche r Polygraphiae libri sex Joannis Tri­ tt emii, Abbatis Neapolitani, quondam Spanheimenfis, ad Maximilianum Caesarem. Frkft. 1550, 4«. Dies Werk machte damals viel Aufsehen, und wurde an­ fangs verboten. Das erste und zweite Buch enthält HülfsWörter aus der lateinischen Sprache; das dritte und vierte ganz willkührlich gebildete. Jede Seite enthält je drei Reihen solcher Wörter, und jede Reihe so viel Wörter als Buchstaben im Alphabet. Es gilt nun, die bei jedem Buch­ staben des Alphabets stehenden willküyrlichen Wörter statt der Buchstaben zu setzen; aber von jeder Seite dürfen nur drei, und zwar aus jeder Reihe eines, genommen wer­ den. Tritheim sagt selber (Bl. biij des Sten Buchs): Ordinavimus autem dictiones confictas, nihil in ec, sed litteras duntaxat alphabeti sibi praepositae repraesentantes, per quas omnia mentie tuae secreta scribere ac uota facere poteria amico securrissime quantumcmiquo ablenti. Artis vero infeii et ignari cum viderent (cripturam, linguani aliquam putabuni e(fc peregrinam, et quid contineat, penitus ignorabimr. S) I. O. wollen.

Weil mir nun die Stimme auf den Fersen wer, und ich mich, zu Verhütung größeren Geschreis, uim kehrte, siehe da war es ein ehrbarer, alter Mann, der mir mit des Orts gewöhnlicher Ehrerbietung zusprach. Anzusehen war er unbärrig, wie ein alter Mönch, mit e.ner Pelzkappe auf dem Haupt, einen pelzenen 1 2Rock * um sich, ein Barettlin in der Hand, einen Degen an der Seite — wie8 ein alter Rathsherr. Sein Wesen betreffend, so war er eines ehrlichen und ernsthaften Tvuns. In meinen fleischlichen Augen kam er mir vor, wie Rabbi PoppeL-Poy$, insonderheit, weil er mir mit hebräischen Namen zugerufen. Wiewohl nun diese gebrochenen Warte EXP.ROB. [Expertus Robertus] auf seinem linken Aermel, doch mit leslichen Buchstaben, gestickt stunden, welches denn in üblichem Brauch war zu der Zeit, da man die Nase noch nicht uf den Aermel gewischet wie jetzund, und ich daher seinen Namen und Stand unschwer shabe^I er, rathen können; so sprach ich doch, aus bedenklichen Ur­ sachen 4: „ Wer seyd Ihr, guter Freund? Es schei­ net , sals^ ob Ihr mich nicht recht kennet und für einen Andern haltet: denn ob ich schon vor dieser Zeit den hebräischen Doctor Arx-mihi-finna-Deus 5 * in * die fünf Jahre öffentlich und sehr fleißig gehört; bin ich doch in 1) pelzin. 2) als. ö) Scheint ein fingirter Name zu seyn: er findet sich weder sm Lhalmud, noch in der Kabbala. Auf wen er damit anspielt, ist mir unbekannt. 4*) jetoch und aus bedenkl. Ursachen: Wer seyd ihr, G. F , sprach ich. 5) Gott ist mir eine feste Burg. Hierunter ist der gelehrte Blankenburg gemeint, der eine hebräische Grammatik geschrievcn hatte (Straßburg 1625 und 1652. 8.). Er war aus Thüringen gebürtig, zuerst Pastor zu Herden im Hanauiichen uno endlich Prediger und Professor der he­ bräischen Sprache zu Straßburg, wie auä, Inspeeror d.'s Coliegü VVillielniiniani daselbst; er starb 1625, 45 Zähre alt. •

Der Wett Wesen.

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solcher Sprach jetztmalen so arm, daß ich einen Hund mit nnN sdem Aleph, Beth, ©inicl1 ] schwerlich könnte aus dem Ofen locken. Zudem ist dieß ja ein seltsamer Name, den Ihr mir da gegeben, dessen ich mich billig zu verwundern habe." „So sehr nicht, sprach der Alte. Denn die Reichskammer mit der Rosen 2 hat dergleichen Namen vor etlichsen^I hundert Jahren schon im Rath gehabt, und ist derselbige nicht aller erst jetzt von mir erdacht worden, wie in vorkommenden3 Fällen ungün­ stige Leute zwar gern zu argwohnen pflegen." Das ist wohl wahr, sagte ich hinwiederum. Doch ist bekannt, daß so wunderseltsame Namen allein, ostmalen einem ehrlichen Mann, und mir selbsten schon, an gutem Glück verhinderllch gewest, weil viel'Menschen dafür halten, daß ein seltsamer Name auch einen selt­ samen Kopf an sich habe. „ Nicht ohn' ist es, sprach der Alte, und das macht, weil viel' junge Narren, wenn sie kaum das Alpha, Beta4,5 Gamma lallen können, alsbald 3 ihre Namen nicht nur mit dem in lateinischer Sprache gebräuchlichem US und ins; sondern faucht mit uflius, mit igius, mit inus, mit aims und afiiuis, mit Griechisch und Hebräisch verbrämen. Es will keiner mehr Roßkopf heißen, son­ dern Hippocephalus; keiner will mehr Schneider heißen,

1) d. i. mit dem hebräischen ABC. 2) das Reichskammergericht ob. oberste Gericht des deutschen Reichs, das 1495 von Kaiser Maximilian I. gestiftet wurde und seinen Sitz zuerst in Frankfurt am Main, in der Folge in Worms, Nürnberg, Augsburg, Speyer und zuletzt in Wetzlar hatte. — In manchen Raths- oder Sitzungssälen war oben an der Decke eine aus Holz rc. gearbeitete Röse als Sinnbild der Verschwiegenheit (daher siib rosa angebracht, wie z. B. in dem Comitialgebäude zu Regens­ burg, im Schloß zu Werthheim, Heidelberg rc. 3) I. O. beikommenden. 4) I. O. Fitta 4 des griechische Alphabet. 5) sobald.

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Der Welt Wesen.

keiner mehr Schuster, keiner Weber, keiner Schmidt, svn, tern Sartor, Sutor, Textor; sondern Sartorius, Sutorius, Textorius; Faber und Fabritius; nicht Schütz, sondern Sa»ittarius u. s. w. — zum oftern mit höchster Schmach und Verringerung ihrer selbsten, wie dorten beim Poeten:

Cinnam, Cinname, te jubes vocari ? Non est hic, rogo, China barbarismus? Tu si Furius ante dictus effes, Für ista ratione dicereris ? (.Mart. 6, 17.) sCinnamus, du lassest Cinua dich nennen? Ist das, ick bitte dich,> nicht ein Barbarismus? Wenn du vorher Furius geheißen hättest, möchtest du dich auf solche Weise nun für (Dieb) nennen lassen?] Aber wie das Urtheil vieler Menschen ungleich, widersinnig und betrüglich ist, also hast du darum dich deines, von dei­ nen vielen Voraltern1 also anererbten, ehrlichen Namens nicht zu schämen." Mein Name aber, sprach ich ferners, ist Philander von Sittewald. „ sagte der Alte, also nennest du dich zwar jetzt; und dergleichen ist von einem Ehrenmann in ehrlichen Schriften und Handlungen oft geschehen; in Pasquillen aber und Schmachschriften, die ad speciem sauf das Persönliche] gehen und dolo malo [in’ böser Absicht] geschehen, zu practiziren hochsträflich verboten. Dein Name ist mir sehr wohl bekannt. Erinnere dich nur dessen, was ich vor Jahren mit dir im deutschen Land, jenseit des Rheins, zu Sittewald 2, wie du es nennest, an der Kinzig, — da ich dich das erstemal gese­ hen, als du eben neben deinem werthen Freund König

1) I. O. von vielen deinen V. 2) d. i. zu Wilstädt, dem Geburtsort des Moscherosch, an der Kinzig, an deren Einfluß in den Rhein Kehl, Straßburg gegenüber, liegt. Es giebt noch einen Fluß, der Kinzig hecht, an dessen Einfluß in denMain die Sradr Hanau liegt.

Der Welt Wesen.

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den alten Grutems 1 besuchet, — wohlmeinend ge.' sprochen 2; so wirst du dich für mir nicht viel zu ver­ hehlen haben, sondern [bidXI mit mir in wahrer Ver­ traulichkeit, und zwar zu deinem Besten, gebahren shalten^I. Wie kommt es denn, sprach ich weiter, daß Ihr so unlustig, wie mich dünket, aussehet? „Zwar ich weiß wohl, antwortete der Alte wie­ derum, daß du nach Weise der thörichten Jugend, dir der Welt Unart noch wenig-lässest zu Herzen und Ge­ müth gehen, sondern noch Alles hin auf die leichte Ach­ sel nimmst, deswegen mehr auf Lust und Kurzweil, als auf Frommen und Nutzen siehest! “ Ich aber: Ihr 2(1 te seyd wunderliche Leute! sprach ich, und insgemein könnet ihr nicht wohl sehen oder leiden, daß junge Leute auch etwas Freude und Kurz­ weil haben, sondern seyd darauf aus, wie ihr dieselbe 1) Es gab zu jener Zeit mehrere Gelehrte dieses NamenS. Hier ist Janus GrüteruS gemeint. Er hieß eigent­ lich Gruytere, war geb. zu Antwerpen 1560, wurde zuerst von seiner Mutter, Catharina Tishemia, welche viele Sprachen aus dem Grunde verstand, im Griechischen und Lateinischen unterrichtet, und auf den Hochschulen zu Cam­ bridge und Leiden ausgebildet. Zuerst erhielt er einen Ruf als Professor der Geschichte nach Wittenberg, dankte aber bald ab, weil er die Concordienformel nicht unterschreiben wollte. Als er einige Zeit in Rostock gelehrt hatte, begab er sich nach Heidelberg, wo er Professor und Bibliothekar wurde. Kaiser Rudolph II. machte ihn zum Comes Palatinus. Nach der Eroberung v.n Heidelberg 1622, wobei seine schöne Bibliothek von den Soldaten zerrissen und den Pferden vorgeworfen wurde, begab er sich nach Bretten. Weil er aber da von den Jesuiten beunruhigt wurde, kehrte er wieder nach Heidelberg zurück und zog sich zuletzt auf das Landgut seines Schwiegersohns, Bernhold, zurück, wo er 1627 starb. Ec war besonders als scharfsinniger Kriti­ ker und Exeget, so rote als Archäolog, weit berühmt. — Ziemlich um dieselbe Zeit war auch ein Reinhard G r urerus Rector des Casimirianums zu Heidelberg. 2) I. O. gesprachet.

entweder gar abschaffen oder doch merklich wehren und bindern möchtet: da ihr doch selbst, wann ihr ZLlters und Ehren halben könntet und dürstet, ein Gleiches und Mehreres nicht unterlassen würdet. O wie Man­ chen unter euch verdreußt es manchmal, daß er jetzt nicht mehr kann, wie vordiesen! Es ist an dem, daß ihr abscheiden, die Welt gesegnen sollet und davon müsset, da hingegen ich aller erst Einen Schritt, oder zwei, in dleselbige gethan habe. Derohalbeq so laßt mich auch unbekümmert: denn es mir ja in der Welt sowohl gilt, als einem Andern.

Worauf der Zllte anhub, zu lächeln, und sprach: „Mein Kind, ich will dir weder deine Freude noch die vermeinte Wollust wehren. Es ist fürwahr aus laute­ rem Mitleid1 und Erbarmen geschehen, daß ich dich herumgerufen, weil zu öftern Malen gesehen und erfah­ ren, wie die unbedachtsame Zugend der guten Zeit so wenig achtet und dieselbe so thöricht laßt vorüberschleichen. Denn, Lieber, weißt du auch wohl was eine Stunde werth sey? hast du auch jemalen bedacht, wie hoch ein Tag zu achten? wie theuer die Zeit zu schätzen? Ich glaube sicher, du weißt es nicht, dieweil du sie so übel anlegest, und eine Stunde nach verändern unver­ merkt sich lässest verlieren, welche nimmermehr mag wiedergebracht werden. 0 des köstlichen und edelen Schatzes der Zeit! Wie wenig wird ihre Würdigkeit in Obacht genommen! Hat dir auch die vergangene Zeit jemalen versprochen, wieder herum zu kommen, wann du sie bedürfen möchtest? Verstehest du wohl schon so viel in französischer Sprach', was gesagt ist 2: Poser le feu, mefurer le veut, faire revenir le jour paffe, c’est chofe impoffible sdas Feuer zu wägen, den Wind zu messen und den vergangnen Tag wieder zurückzu­ bringen, ist rein unmöglich^? Weißt du wohl die 1) I. O. Mitleiden. 2) sey.

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verlornen Tage wieder herumzurufcn? Nein wahrlich, sie gehen und lausen dahin und kommen nicht wieder. Die Zeit ist gleich einer güldenen Kette, ein jeder Tag ist ein Geleych [Selens], an deren Ende 1 anstatt eines Kleinods, der Tod hangt, — dem dn vielleicht am nächsten bist, wann du vermeinest, am weitesten davon [zu] seyn. Denn in Wahrheit: wie du dein Leben anstellest, so ist leicht die Rechnung zu machen, der Tod werde bei dir anklopfen, ehe du es möchtest inne werden. Ein Narr stirbt alle Tage, aus Furcht, daß er dermaleinst 2 * sterben muß; ein Gottloser, aber lebet alle Tage, als ob , er nimmermehr sterben sollte, und fühlet den Tod nicht eher, als in dem Abscheiden, da dann die Furcht so grausam bei ihm ist, daß [ihm] weder an Seele noch Leib zu helfen. Der aber ist weise, welcher alle Tage also lebet, als ob er alle Stunde sterben müsste." Ich muß bekennen, daß auf solches Einreden des Alten mein Gemüth ermuntert, und mich nicht wenig der vergebenen [vergeblichen] Eitelkeit, womit ich bisher umgegangen, geschämt habe2. Aber was ist jetzo euer Vorhaben, sprach ich nachmalen zum Alten? „ Meine Kleidung, antwortete derselbe wiederum, und mein Ansehen geben genugsam zu erkennen, wer ich sey und was ich beginne: nämlich ein ehrlichste] Mann, den die Welt nicht sonders achtet, der aber die Wahrheit lieb Hal, und der auch, wann es vonnöthe» ist, die Wahrheit darf herausreden. Zch bin der, wie du weißt, der nun bei zwölf Jahren in Austrasia 4 mit um dich gewesen. Männiglich [Jedermann]

i) zu Ende welcher. 2) dermalen eines. s) I. O. hatte. 4) hier das Land zwischen der Maas und dem Rhein; .und insbesondere Elsaß. — Austrasten ob. das östliche Fran­ kenreich hielt zu verschiedenen Zeiten einen weitern oder engern Umfang.

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giebt vor, er tiebe und ebre mich; wann ich 1 *dann zu ihnen komme, so ist nichts dahinter, als bloße Wort". Und das bekümmert mich dann, wie solches an meiner ernsthaften Gestalt wohl zu sehen." „Aber mein Sohn, hast du Lust, die Welt zu schauen, wie ich merke; so komme mit. mir, ich will dich in derselben vornehmste Straße führen, in welcher alles das beisammen zu finden, was sonst hin und wieder durch die ganze Welt nur stucksweise ist anzn, treffen. Ich will dir die Welt nicht in einem Spie­ gel oder Gemälde weisen, sondern in sich selbsten, wie sie in ihrem Wesen ist. Denn was du bisher gesehen, ist nur die bloße Schälfe und Schein dessen, so ich dir will fürder zeigen." Wie heißet denn, oder deutsch zu reden, wie nennet man denn die vornehmste Straße der Welt? „Sie wird, sprach er, genannt Heuchelstraße. Sie ist die größeste in der Welt: denn sie geht von dem obern Thor bis zu dem untern Thor, vom freto Anian [von der Anianischen Meerenge^ 2 bis zum freto Magellanico [der Magellanischen Straßes3, von Nova Zembla4 S)bis in novam Guineam [nach Neu, guinecH 4, von Ormns 6 *bis nach Sevilia1, von Grön­ land 8 bis nach Sumatra 9, vom Cap bonae Spei [Kap der guten Hoffnung^ 10 bis nach Archangelo [2(rd)stn, gd]11. Die vornehmsten und nachdenklichsten Gebäue darin sind 1) I. O. so ich. die Asien von America scheidet, bei Kalifornien. zwischen der Spitze von Südamerica und dem Feuerland. Insel im nördlichen Polarmeere. nach Neuholland die größte Insel in der Sudsee. kleine Insel am Ausgang des persischen Meerbusens. Hauptstadt von Andalusien in Spanien. 8) dänische Insel im nördlichen atlantischen Meer. v) eine der sundischen Inseln im ostindischen Meer. ioj auf der Südspitze von Afrika. 11) ruff. Provinz und Stadt, neun Meilen von der Mündung der Dwina ins weiße Meer.

ij 2) 4) S) 6) *1)

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Istens und zum Eingang: ein schönes Portal von zierlichen politischen Grifflein aufgeführt, mit der Ueberschrift Male nifi Deo f d. i. der Staatsmann dienet Stadt und Land schlecht, wenn er nicht dabei Gott vor Augen hat ]; 2tens, ein köstliches Haus von herrlichen juristischen Ausflüchten erbaut, mit der Ueberschrift: Male nifi proximo f d. i. der ist ein schlechter Jurist, der nur auf seinen und nicht auf des Nebenmenschen Vortheil siehy; Ztens, besser hinein: ein hohes, von weitem hell, scheinendes Gebäu, neben einen Garten mit geistlichen Labyrinthen ausstaffirt, sammt der Ueberschrift: male si in foro fd. i. der Geistliche leistet der Religion einen schlechten Dienst, wenn er sich in weltliche Handel mengt^; 4tens, nicht weit davon: ein niedriges aber wohl­ gesetztes Gebau von mechanischer Arbeit mit dieser Ueberschrrft: Soli Deo sd. i. nur Gott zum Diensts. ' Ends sam Ende^: ein anderes viel schöneres Por, tal zum Ausgang mit galenischem Laubwerk, hippokrati­ schen Läufen, askulapischen Säulen und theophrastischen Grotten gezieret, sarnmt der Ueberschrift: Sibi soli. sSich allein zum Vortheils. — *2 Und Niemand unter den Menschenkindern, der nicht eine Wohnung, oder doch aufS Wenigste eine Kammer oder Aufenthalt in einem derselben habe. Etliche wohnen beständig darin; andere je zu Zeiten; andere ziehen nur durch, ohne ferneres Aufhalten, nach 2(rt und Manier der Gäste. Zum Exempel: den du bei jenem Eck selbander Herkommen siehest, mit einem Busch Federn, güldener Kette und zerfetztem sgeschlitztem^I Kleid, ist ein Erzheuchler, eln Pfeffer sack; will ein Junker seyn und sein Vater war ein Schneider, da er doch billig seines Herkommens wahrnehmen und vielmehr bedenken sollte, wie er seinen

jQ Ist von den Künstlern zu verstehen. 2) Zielt auf die Mediciner.

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Worten Kraft geben, als wie er den Jungen, der.ihm nackpaffet fn a ch t r i l fj in sondere Farben kleiden mochte. Hat kaum so viel im Säckel gehabt, daß er den Adelsbrief shat^I bezahlen, und einen Stall, mit Gunst zu melden, kaufen können, — [unb] will sich doch 1 un­ geachtet aller Ehrbarkeit, nicht mehr Metzger, nicht mehr Wagner, nicht mehr Müller, nicht mehr Rett, nickt mehr Frett, nicht mehr Trett, nicht mehr Hett, nicht mehr Wett! sonder» Herrn von Mctzegern, Herrn von Wagegern, Junker von der Mühlen, Herrn von Retten, Herrn von Fretlen, Herrn von Trctten, von Helten, von Wetten tituliret, titilliret sgekitzely, respectiret, reputiret, reyeriret, ceremonisiret haben [wissen], damit er unter die Altgebornen vom Adel, unter die alte Ritterschafk, ancienne Chevallerie genannt, nicht nur ge­ rechnet, sondern auch denselbigen gar möchte vorgezogen werden." „Siehe dort einen andern, der sich stellet, als ob er eines großen Fürsten und Potentaten Rath wäre, der doch mit all' seinem Verstand kaum einen Hund könnte aus dem Ofen locken. Damit er aber für den­ jenigen angesehen und gehalten werde, der er seyn will, so stellt er sich dem Ansehen nach gar ernstlich, siehet sauer, redet wenig, wiewohl er sonst über alle Maßen wie eine Atzet [Elster] geschwätzig ist; 2 wirft je zu Zeilen ein italiänisch oder spanisch Wort mit unter, auf daß man dafür halten und meinen solle, alle diese Natio­ nen habe er gefressen; — trägt große Hosen, gehet langsam und, so zu reden, nach dem Tact, Fuß für Fuß, als ob alle seine Schritte und Tritte durch den Euclidem 1 abgemessen wären; bestehet sich selbst hinten

13 I. O. sich doch ic. — will titulirt ic. 2) I O. beschwätzt ist. 8) Euklid es, aus Alerandria, großer griechischer Mathe­ matiker, um das Jahr 300 v. Chr., der uns die Anfangs­ gründe der Geometrie zuerst in einem deutlichen und wohl­ geordneten Lehrsystem überliefert hat.

Der Welt Wesen.

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und vornen, ob er sich noch kenne, ob er der noch sey, der er gewesen, oder ob ct der Mann sey, für den er sich jetzo selbst halte:

Per totam Felix holofericus ambulat iirbem qui vix toto urbes vidit in orbe duas!

(Ou>. 2, 62.) s Die ganze Stadt aus sieht man ihn in Sammet gehen, er, der in aller Welt zwei Städte kaum gesehen.! (Löber.) 1

Aber im Werk ist er nur ein Heuchler: will der witzigste seyn und Anderen rathen, da es ihm doch zu mehrmalcn an dem leuku couunnni s Mutterwitz) sclbsten ermanr gelt. 0 es gehöret mehr dazu, als Einbil­ dung, wer eines Fürsten Rath seyn will! Es muß da ein großer Eifer und Fleiß seyn; ein unverdroßnes ernsthaftes Gemüth; ein geschäftiger, fertiger Mann, der getreu und verschwiegen sey; der Niemand fürchte als Gott, und der nächst Gott Niemanden liebe, als seinen Herrn. Er soll in seiner Jugend viel gele­ sen, wohl gereist, und sich auch im Kriegswesen ver­ sucht haben; in allen Geschichten, sonderlich aber seines Herrn Land und Leute betreffend, wohl erfahren seyn. Wenn das nicht ist; so ist das ander' ffindet das Andere statt), daß er billiger ein Ja-Herr als ein Staats-Herr zu nennen, der Anderen muß folgen in dem, was er selbsten weder erfahren shat), noch ver­ stehet. Nam in omnibus fere conventibus non defiint, qui niliil quidein ipfi pronunciant, sed alioruin fenteu-

1) Aus Valentin L ö b e r 's beutschredendem Öwenus, ver­ legt v. Hertel in Hamburg, gedruckt bei Krebsen in Jena 1661. Ich konnte leider nur höchst selten einen Vers au« dieser alten Uebersetzung des Owens mit aufführen, da sie bei den meisten im Philander citirtcn Stellen der Verbes­ serung bedürfte.

I. 1.

10

öti

Der Wrlr Wesen.

tiam, etsi niliil intelligant, sequuntur, eoqwe ipso pla­ nere faepe stiident et g-ratificari ei, quem vident in illu«tri loco positum. Cominaeus L. II. sDenn in fast allen

Rathsversammlungen giebt es welche, die zwar selbst nichts Vorbringen, sondern der Meinung und Stimme Anderer beitreten, obwohl sie nichts davon verstehen, und die oft gerade dadurch sich ihrem hohen Vorgesetzten ge­ fällig und willfährig zu erweisen suchens"

„Siche ein wenig beiseit, und betrachte diese asten Narren dort, welche, damit sie in allem, inson, derheit bei dem urthcilfälligen surtheilsfähigenl Frauenzicser, einem jungen Mann gleich geachtet wür­ den, ihre Haare und Bärte mit schwarzer Farbe und bleienen Strählen sKämmens pfiffen saufstutzenf, [unb] alle Tage die Backen mit dem Scheermesser scha, ben und schinden lassen. Diese Thoren meinen und bilden sich ein, dergestalt den Tod zu bereden, salsi ob sie noch lang zu leben hätten, — als wenn er die Zahl ihrer Monden nicht sollte wissen!“ Mentiris juvenem tinctis, Lentine, capilUs: tum subito corvus, qui modo cygints eras. Non omneis Falles; seit te Proferpina canum: persouam capiti detrahet illa tuo. (Mart. 3, 43.)

sMit deinen gefärbten Haaren willst du dich für einen jungen Mann ausgebcn, und alsbald bist du schwarz wie ein Rabe, da du kurz zuvor weiß warst wie ein Schwan. Du wirst aber nicht Jedermann täuschen: der Tod weiß, daß du ein alter Mann bist, und wird dir deine Haarmaske schon abzichen.) „Siehe dort gegenüber etliche junge nasiweise Mesfieurs, die sich stellen, als ob sie bereits die Witz' alle gefressen; wollen Jedermann mit ihrem Aequivociren und Scholaftifiren szweideutigen und spitzfin­ digen Redens in'ü Bockshorn treiben; wissen aus

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nichts als [bem] Bartolo 1 und Baldo * , Galeno 1 Bartolus Severus de Alphanis , einer der berühmtesten RechLsgelehrten des Uten Jahrhunderts. Er ward gebo­ ren 1313 zu Sassaferrato in der Mark Ancona, studierte die Jurisprudenz und erhielt zu Bononia im Listen Jahre seines Alters die Doctorwürde. Hierauf kam er nach Todt und von da nach Pisa, wo er Beisitzer im Gericht wurde. Weil er aber gar zu scharf verfuhr und um geringer Ursa­ chen willen zum Tode verurtheilte, so wurde er dem Volke verhaßt. Deshalb zog er sich zu seinen Studien zurück, bis er in seinem Lösten Jahre als Professor juris nach Pisa berufen wurde. Von da ging er nach Perugia, wo er mit ungewöhnlichem Ruhme lehrte. Außerdem soll er auch noch zu Padua und Bononia gelehrt haben. Kaiser Karl IV. machte ihn zu seinem Rath. Ec starb zu Peru­ gia ; als die Aeir seines Todes wird von einigen tf. 13. Jul. 1359 angenommen. Er hieß allgemein lucerna piris, coecorum dux, veritatis speeulum, und war der Vater der scholastischen Rechtsgelehrsamkeit, der sich besonders um den prakt. Theil des Civllrechts höchst verdient machte. Trotz seiner barbarischen Sprache (er führte selbst scherz­ weise das Symbolum: de yerbibus non curat jure confultus, das sich seine Schüler wohl gesagt seyn ließen) sind seine Rechtsfälle »eine Fundgrube “ für den praktischen Juristen. Er schrieb viele Werke z. B. super Pandectie, super Institutionibus, super Codice u. s. w. 2) Petrus Baldus de Ubaldis, geb. zu Perugia um das Jahr 13L4, gleichfalls ein berühmter Rechtsgelehr­ ter, ein Schüler des Bartolus, dem er, obgleich er erst fünfzehn Jahr alt war, schon einen so schweren Einwurf machte, daß dieser sich zur Beantwortung Be­ denkzeit ausbitten mußte. Er verdunkelte auch bald den Ruhm seines Lehrers, der daher sehr eifersüchtig auf ihn wurde. 1378 wurde Baldus Professor zu Padua, und von 4389 an lehrte er zu Pavia, wohin ihn Galearius Vis­ conti berief. Obgleich er daselbst mit seinen Collegen in viele Streitigkeiten verwickelt wurde, behauptete er doch sein Ansehen und gewann großen Reichthum, wie ihn denn allein sein Werk de substitutionibus 1500 Ducaten ein­ trug. Er war schon 76 Jahr alt, als ihn einsmals ein Hund, mit dem er spielen wollte, biß, woran er am 28. April d. I. 1500 starb. Seine beiden Brüder und seine beiden Söhne waren berühn)te Rechtsgelehrte. Seine Schriften super Digestum, super Codicem u. s. w. sind weit bekannt und benutzt worden. 3) Claudius Galenus, geb. zu Pergamu- in Asien im Jahr

1)

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UNd Celso *1, von nichts als Attributis, Reservatis und Casibus confcientiae l^Beiverordnungen, Vorbehalten und Gewissensfallen^I zu erzählen; scheuen sich auch nicht, den alten Erfahrenen vorzumalen, was und wie sie ihre Sachen, zu Erhaltung [von] des römischen Reichs Frie, den und Freiheit, in rermn statu anordnen und bestellen sollen; wollen wissen und rathen, und wissen nicht, quod Senatus a senio, a juvenibus dicatur Juventus [ daß das Wort Senat von fenius, alt, und das Wort Jugend von jung herkommt]." A senibus prifci sumtum dixere senatiun: est robur juvemun, consiliumque senurn*

Ehr. 113, lebte unter dem Aakser M. Rurelius AntonlnuS, und war der berühmteste unter den alten Aerzten nach dem Hippokrates. Als er sich in den Schulen seines Vater­ lands, ferner zu Smyrna, Alexandrien und Korinth in seiner Kunst ausgebildet hatte, gieng er nach Rom, wo­ selbst er viele Werke schrieb. Wieder nach Asien zurückge­ kehrt, wurde er von den Kaisern Verus und Antoninus wiederum nach Rom berufen, nach deren Tode er aber aufs Neue in sein Vaterland zurückkehrte, woselbst er trotz seines sehr kränklichen Leibes durch Mäßigkeit ein Alter von mehr als 70 Jahren erreichte. Er starb um das Jahr 200. Er wird von Cardanus unter die zwölf scharfsinnigsten Geister der Welt gezählt. Nach seiner eige­ nen Angabe schrieb er an 200 größere und kleinere Werke, wovon wir noch 170 besitzen, deren aber einige als unächt bestritten werden. Er gab fast allen Theilen der Medicin eine heilsame Reform; besonders machte er wichtige Ent­ deckungen in der Anatomie, die auf die Chirurgie und Physiologie großen Einfluß hatten. Seine Schriften kom­ men so eben neu aufgelegt heraus. 1) Aurelius Cornelius Celsns, ein gelehrter Römer, der im isten Jahrhundert der christl. Zeitrechnung unter dem Kaiser Tiberius lebte und in der Rechtsgelehrsamkeit, Phi­ losophie, Redekunst, Landwirthschaft, Kriegskunst, beson­ ders aber in der Arzneikunst wohlerfahren war. Von sei­ nen Werken sind noch übrig 8 Bücher de re medica, die so elegant geschrieben sind, daß er der* Cicero der Mediciner und der lateinische Hippokrates genannt wird.

A sene Consilium quaeras: prudentia rerum esl illis fine qua Curia quaeque perit. Urbes, reg-ua, doiuos, juveiiuin quas rexerit ardor, fiiit quamquam forte», certa ruina maaet. Ow. Bist. eth, 55) 56) 57»

[Unsere Vorfahren haben ihren Rath aus den Alten gewählt und darum Senat genannt: bei den Jun­ gen ist die Kraft, bei den Alten der Rath. Alte frage um Rath: bei ihnen ist Weisheit und Einsicht, ohne welche jedes Gemeinwesen zu Grunde geht. Städte, Reiche, Familien, wenn sie von der Hitze und dem Ungestüm der Jugend regiert werden, finden, wie stark sie auch seyn mögen, ihren gewissen Untergang.) „Weislicher handeln diejenigen, welche das Alter, wegen seiner Erfahrenheit- die allein einen verständigen Mann macht, lieben und ehren. Eine elende Blindheit der Jugend, wenn sie sich dünken lässet, und ihre Unwissenheit nicht erkennet! Merke du dieses! Ist dir nicht auch also? Omnia te, dum junior effes, fcire putabas, quo fei» plus, hoc te feis, feio, fcire minus. ((-«,. 2, 39.)

[So lange du jung warst, meintest du Alles zu wissen; je mehr du weißt, desto mehr weißt du (ich weiß es), daß du allzu wenig weißt.) — Durch großes Prahlen und Ausschneiden wird Keiner weise, sondern giebt nur seinen Unverstand den Menschen desto mehr zu erkennen: Uberiora ferunt valles, brevioraque montes gramina. Multmn humilis mens fapit, alta parum. (O«f. 3) 48.)

[In Thälern wachst höheres Gras, auf Bergen kürze­ res. Ein demüthiger Sinn weiß viel, ein hochmüti­ ger wenig.)

D«r Welt Wesen.

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Stillschweigen ist der Jugend beste Kunst: Ungefragte Red' 1 2der Jugend macht Ungunst." „Schaue da über auf der linken Seiten das „chlinzeri chlin Mannli do. 1 Du glaubst nicht, daß er aller Welt Witz allein gefressen? 3 4Noch s) darf er aus Eigenlieb' sich dessen öffentlich berühmen: alle Menschen sind ihm Un­ menschen ; alle Gelehrte sind ihm Thoren und Narren; und ist kein Stand, den er nicht zierlicher, bequemer und besser weiß vorzumalen, als * von Anfang der Welt je Einer shag thun mögen skönnenf, also, daß alle Menschen vor ihm nichts verstanden haben, auch nach ihm und ohn' ihn nicht« werden verstehen können." Wie so? sprach ich, und durch was [für] Mittel ver­ mag er so große Dinge? „Vermittelst eines Brillenrohr«, das er la Gampa * [?] pflegt zu nennen, durch dessen 6 7Bequemlichkeit er nicht nur die Unvollkommenheit unserer bisher» ausge­ übten Philosophie, sondern auch die Nichtigkeit der edelen Medizin, die Falschheit der herrlichen Jurisprudenz, ja sogar die Ungewißheit unserer unfehlbaren prindpionim theologicorum [ theologischen Grundsätze ] entdecket, son­ dern auch, hirnsertiger Weise, so viel ersehen [hat], wie alle dies« hohen Künste und Wissenschaften mit drei oder vier Buchstaben nicht nur reflexive [von vor­ ne»] sondern auch archipodialiter [von hinten ] einem jeden Phantasten unvermerkter Weise einzugießen [seyen], und [ daß er] also kraft diese« la Gampa mehr vermag, al« alle Rabbinen mit ihrem Schern hamphorasch 1 je vermocht haben."

g. O. Red', ungefragt, rc. d. i. das kleine winzige Männchen da! Hiebei steht am Rand r Doctor Fürtzel. I. O. denn. s) J.O. Campa, aber imDruckfehlerverzeichmß in Gampa umgeändert. S) I. O. durch welches. 7) Ist hebräisch, und bedeutet eigentlich: »der genau auSge-

1) 2) 8) 4)

D«r W«lt Wesen.

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Woher *1 hat er denn, fragte ich, so hohe Geheim» Nisse 2 * erlangt? „Er kann, antwortete der Alte, mit Gras * und Kraulern reden; von denen hat er Alles dieses erlernt/' Das möchte ich auch lernen, sprach ich. „Es ist dir unmöglich, sagte der Alte. Du bist zu hoch und weit von der Erden; dieser aber ist nahe beim Boden, darum höret er auch das Gras wachsen und hat so große Einbildungen von sich selbsten. Aber sodann geschieht es, daß, wer zuviel von sich selbst hält, auf den halten andere Leute desto weniger. — Solltest du wohl glauben, daß jener Köstliche dort ein Schneider wäre? Gleichwohl ist er ein Schneider und bleibt auch ein Schneider sein Lcbenlang, obschon er an Kleidung einem von Adel nichtwill bevorgeben; dieser ist auch ein Erzheuchler. Zu [an] Sonn s und Festtagen verstellet er sich dergestalt in Sei» den, Sammet, Atlas, in silberne und güldine Flecke, Stucker, Nestel, Schnür' und Bändel, daß, wo man alle Ellen in der Welt, alle Scheeren und Nadeln, alle Fingerhüte und Wachsknollen zu Rath fragen würde, 4 wer dieser Esel wäre, sie ihn nicht mehr kennen wür« den. Denn sein Stand und [ seine] Tracht können sich in Ewigkeit nicht zusammenreimen." „Ist derowegen die lose Heuchelei eine allgemeine

sprockene Name Gottes4 d. i. Jehova. Denn unter dem Worte QUf (Schern, deutsch: Name) ohne Beziehung auf ein ande­ res Substantiv, wird der Name Jehova verstanden. Da­ her lesen die Samariter statt Jehova (oder Adonai, wie es die Juden lesen) Schima =. dem hebr. Schem. Bon diesem Namen glaubten die Kabbalisten, daß er, unter gewissen Ceremonien und nach gewissen Reinigungen aus­ gesprochen, alle Geister dienstbar mache, so daß man durch ihn dann Wunder verrichten könne. l) I. O. Wannen. g) Geheimnussen. ») dem Gras. i) I. O. sollte.

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Seuche in alten Standen, auch bei den geringsten Hand/ werken, die alle sich in ihrem Wesen selbst schmeicheln und liebkosen, so daß keiner sich selbsten mehr recht kann oder mag erkennen. — Ein kahler Schuhflicker halt jetzt in seinem Sinn von sich selbst so viel, daß, anstatt sei­ nes gebührlichen Namens, er sich einen Conservatorem calceitatis seinen Beschuhungs - Conservator^I, einen Her­ renschuster, Stiefelschuster darf träumen lassen! — Der Küfer sBöttcher^ dünket sich auch eines bessern Namens werth [311] seyn und nennet sich deswegen des Bacchus Hofschneider, alldieweil er dem Wein seine Kleidung zu Werk richtet. — Der Stallknecht träumt sich einen Stallmeister; der Kammerdiener einen Hofmeister; der Henker supremiun judicem, einen Hochrichter (seil, wann er auf der Leiter sitzt); der Gaukler einen Zeitvertreiber; das Zechhans — Rathsstube, de virtute in virtntem, von einem Wirths­ haus in das andere; der Zöllner Schatzmeister; der Schöffe Stadtmeister; die Huren freundliche Jungfrauen; die Kupplerinnen gottesfürchtige Matronen; der Gauch [ein] geduldiger Hiob; Hurerei Freundschaft; Wucher Häuslichkeit; Betrügerei Geschwindigkeit [Gewandt­ heit]; Lüge Aufrichtigkeit; die Bosheit Wackerkeit; ein Bärenhäuter ein Friedliebender; Tollkühnheit Tapferkeit; der Edelknabe (Page) Ehrenhold; der Lakai Trabant; der Schalksnarr Höfling; ein schwarzer Schleppsack Braunes Annelein; ein Esel Doctor; ein jeder lange Mantel will Herr Candidatus, ein jeder Balger Here Kapitän; der nur ein gut Kleid an hat, vester Jun­ ker; ein jeder Glöckner Ewr Würden, ein jeder Tinten­ fresser 8ecretariu8, ein jeder Blackvogel 1 Edel, Ehrenvest und hochgelehrt titulirt werden. — Aber unter die­ sen Allen ist Keiner das, was er seyn will. Keiner will seyn, was und wer er ist. Also ist eitel Heuchelei, Lügen und Trügerei in allen Ständen und nachmalen heißt es: Mundils opinione regiturmundus titulis titiL-

1) s. v. a. gemeiner Kerl, Schurke.

latur [bie Welt wirb von ber Einbilbung regiert, bie Welt läßt sich mit Titeln kitzelns." „Unb wann ich eben bie beutsche Wahrheit reben soll, so haben Zorn, Schwelgerei, Stolz, Geiz, Ueppig, feit, Faulkeit, Morb unb viel tausenb anbere Sünden einig unb allein ihren Ursprung von ber Heuchelei. Wie grob auch ein Mensch fehlet unb irrt, will er boch sol­ ches Alles, fitb specie, praetextu et apparientia ,alicujus bom, vel necessitatis causa, unter bem Vorwanb unb Schein, „ er hab' es nicht so bös gemeint; er hab' es nicht also verstanden; er hab' es um's Besten willen gethan; er hab' bießmal nicht anberst gesonnt; er hab' es aus Noth unb gezwungener Weise thun muffenbemänteln unb zu entschuldigen sich unterste­ hen. — Aber die Hoffnung der Heuchler wird verloren seyn: denn seine Zuversicht vergehet und seine Hoffnung ist eine Spinneweb'. 1 Denn weil er ein Heuchler unb Böswicht ist, wie kann er Hoffnung haben? Weil er sich ausgiebt unb hält für ben, ber er nicht ist, wie kann er Hoffnung haben? Ist also ein Gleißner unter allen Sündern der hochmüthigste und trotzigste: denn alle anderen Sünder sündigen zwar wider Gott; aber ein Heuchler sündiget wider Gott, mit Gott unb in Gott; stellet sich heilig, ist boch ein Schalk im Herzen. Unb obschon in Worten nichts von ihm als bas „Sei­ nem Gott; unserm Gott; ich will, meinen Gott zu Hülse nehmen; unserm Gott sag' ich's u. s. w." zu hören [ist], welches denn heilige und gute Worte sind bei einem frommen Christen; so ist doch ein Heuchler dadurch nicht desto mehr zu achten: Si enhn eminus intuearis, ovem arbitreris imiocentiae primae, blandientem sinn catuhim; si propius, hipus eit. INmiquain manfuefeit hipina rabies, et nunquam magis quam in mentita faevit pace. Ergo togas male iudiiunt, qiii faltant. 2 sAus

1] S. Hiob 8, 13. , 2) Am Rand: Carol. Scrib. Adolesc. prodig. p.

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der Ferne betrachtet hält man ihn für ein höchst unschul­ dig Schaf, in der Nahe ist's ein Wolf: niemals wird der wüthende Wolf zahm, und niemals wüthet er mehr, als wann er sich friedlich stellt. Wer also tanzen will, thut unrecht, wenn er einen langen Rock anzieht.^ Qui Curios ßmulant et bacchanalia vivunt.

sSie stellen sich ernsthaft und nüchtern und machen doch die Fastnacht mit] Quaere aliqiiein Curios femper Fabiosque loquentein hirsutum et dura rusticitate trucem: Invenies; sed habet tristis quoqiie turba cinaedos.

s Such' einen, der immer Reden führt, oder einen, der ist: du wirst einen solchen zwar ernsthaften und finstern Leuten Spaßmachers

(Mart. 7, 58.) ernst ist und ernsthafte rauh, grob und trotzig finden; aber auch unter giebt's manchmal auch

Nil lascivius eft Carisiano; Saturnalibus ambulat togatus.

(Mart. 6, 24.) Thelyn viderat in toga fpadonem; Dainnatam Numa dixit esse moecham.

(Mart. 10, 53.)

In währendem Diskurs kamen wir in Mitten dieser großen Gasse, darinnen ich sah alles das, so der Alte mir vorgesagt hatte. Begaben uns deswegen auf einen hohen Ort, da man alles wohl beschauen und übersehen konnte.' Das Erste, so mir zu Gesicht kam, war eine Todtenleiche, so man zu Grab trug, sammt einer großen Menge Verwandter, Schwager, Vettern und Bäslen und ande­ rer Erbetener, die der Leiche nachfolgten, und zu Ehren einem ihrer Freunde, dem Wittwer, wegen seines ver­ storbenen Weibs das Geleit gaben. Er, der Leidige sLeidtragende^I, war mit einem schwarzen tüchin [ i u c n c n] Mantel verhüllet* bis auf den Boden, hatte

eine lange Trauerbinde um seinen Hut herabhangen, den Kopf unter sich haltend, als wollte er die Schlüssel suchen, wie jener Abt; [er] gieng langsam, als ob er vor Mattigkeit erliegen wollte.— Ich, aus Bewegnuß und Mitleid, sprach: 1 Wie ist der gute Mann zu be­ dauern und zu betrauern, daß er in ein so großes Haus­ kreuz gerathen! 0 ein selig Weib, die so inniglich von ihrem Mann und Freunden wird beweinet, und — o ein betrübter Mann, der eines so edelen Weibes muß be­ raubt leben! „Ach, sprach der Alte, mein Sohn, nur gemach, nur gemach, tont beau! Nicht urtheile so bald; denn dieses Alles, so du siehest, ist eine eitele Heuchelei, ein geschminktes Wesen! Alles, was da geschicht, ist ange­ nommener, gezwungener Weise; eö geht nicht von Her­ zen, ist lauter Scheinsal, und wirst du bald erfahren, wie sehr das innerliche Thun dem äußerlichen Anschauen so gar nicht gleiche. Lies du die cannina funebria y die Leichengedicht", 2 so der Verstorbenen zu Ehren gemacht worden; höre das Geprang der Abdankung, worin des Rühmens der Person, Geburt, Herkommens, Stam­ mens [Stamms], Namens und Standestitul, der freundlichen Frau, 3 der lieben Frau, der frommen Frau, der trefflichen Haushälterin, des güldenen Herzens, des edlen Schatzes, des Trauerns, des Klagen- kein Ende ist.“ „ Wer wollte nicht meinen und sagen, daß alles dieß prächtige Wesen um hoher Ursachen wegen ange­ stellt und wahrhaftig wahr wäre? Aber wisse, daß das­ jenige, so in dem Sarg liegt, weniger ist, 4 als Nichts. 5 Denn schon bei seinen Lebzeiten war der Mensch Nichts, und solches Nichts ist durch den Tod 1) I. O, MLleiden, Wie ist, sprach ich, rc. 2j I. O. Leichgedicht'. sQ Frauen. 4) ist weniger. 5) A. R. D. Meyfart. lud. extrem. Part II. C. 3. p. 55. und ^dessen] Höll. Sodom. JL. i. C. ß. p. 196. und C. 12. P- 239-

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noch mehr geringer iuib noch nichtiger worden; — ist also auch alle Ehr^ und Pomp, so deswegen angewen­ det wird, lauter Nichts, und sowohl im Tod des Men­ schen, als in dessen Leben die unbeständige, flüchtige Eitelkeit das Beste! Gewiß ist es, daß dieses Mannes Weib in Ewigkeit nimmermehr also wäre gelobt worden, wenn sie bei Leben verblieben wäre. Laedimus insontes vivos, laudamus eosdem defimctos, — ^Thörichter Weise schimpfen wir auf die Leute bei ihren Lebzeiten und loben dieselben, wenn sie todt fmb.] Auch die große scheinbare Trauer, so die Nachfolgenden sehen lassen, gehet weder von Herzen noch zu Herzen; geschieht allein darum, weil es also der Brauch und Gewohnheit ist und sie zu solcher letzten Ehre und Begängnuß sind ein­ geladen worden; wünschten theils vielleicht lieber, aus einer oder der andern ihnen bekannten Ursach', daß der Teufel den Todten- samt der ganzen Freundschaft hinrveghatte! Anstatt daß sie sich an 1 2diesem Exempel erspiegeln, und sich der Sterblichkeit und ihres Endes erin­ nern und dazu geschickt [bereit] halten sollten, so fan­ gen sie an, von der Verstorbenen letztem Willen oder Testament und der Verlassenschaft zu erzählen. Der Eine sagt, er wäre im Streit und Mißverstand mit dem Leidigen, auch zudem, der Verwandtniß nach, ihm so nah nicht beigethan; es nähme ihn Wunder, warum man ihn zur Begräbniß [habe] berufen lassen, bevorab weil er andere und wichtigere Geschäfte dadurch versäu­ met hätte, mit Geld-einnehmen, mit Wechselzahlungen, mit Rathsverrichtungen, mit gräflichen und fürstlichen Bestellungen. Ach, wer weiß, ob's wahr ist!— Eine andere sagt, man hätte ihr die gebührende Ehre nicht angethan; [sie] hätte Ehren und Verwandtniß wegen wohl weiter da vornen gehen sollen; der Teufel solle also in's Künftige einem Freund mehr dienen! wott e, daffä Hexä rittä!^ 1 — Einem ist die Ver1) I. O. bei. 2) d. i. ich wollt', daß ihn die Hexen ritten.

storbene eine stattliche Haushälterin gewesen, dem andern eine Mistfeige, Schleife und Kölsche." „Der Wittwer selbsten ist so bekümmert nicht, wie er sich stellet und du ihn dafür ansiehst; ist meist darum traurig, daß er so viel' Unkosten bei der Begrab, niß aufwenden muß, die doch ebensso^wohl mit minde­ rem Gepräng und zu seinem wenigeren 1 Schaden hätt' geschehen können. [@r] sagt bei sich selbst, daß, weil sein Weib je hab' sterben sollen, sie es wohl vor Lan­ gem hatte thun können, ehe der Doctor und Apotheker so viel Kosten ausgeschrieben und-getrieben. — So hoch ist der gute Mann bekümmert, daß er sich tau­ senderlei Gedanken macht, wie bald, wie, wo und welche er ehestsens^ wiederum freien wolle? kom­ men ihm viel' schöne und vortragliche sannehm ba­ re^ Liebchen in Sinn; viel' werden ihm tröst­ lich angetragen, so daß er nicht weiß, wessen er sich entschließen solle. Wird also das große Leid bald in Freude, die Trauer und der Tod in eine neue Aufer, stehung verwandelt werden." Ich stund da und hörte dem Alten so fleißig zu, daß ich meiner selbsten darob vergaß und das Maul aufsperrte, wie ein Narr; und indem ich mich wieder erholet, sprach ich: )a freilich ist das Ansehen mensch­ lichen Wesens seiner Natur gar nicht gleich; will deswegen mich in das Künftige wohl bedenken, ein Ur­ theil von etwas zu fallen, und die Sachen, so mir am scheinbarsten vorkommen, will ich Hinsort für die ver, dächtigsten und betrüglichsten halten. Indeß erhub sich ein großes Geschrei, als sob^I man ein Octo (auf acht Stimmen) zusammenheulen wollte. Wir folgten dem Ort, um zu vernehmen, was es be­ deuten möchte, und fanden in einem Haus eine junge Wittib, welcher der liebe Mann vor zwei Tagen allererst, gestorben. Diese schrie, heulte, seufzte und kluxete deri) I. Or. und wenigerem seinem.

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maßen, [a!fl ob der letzte Athem ihr außgehen und sie verzagen wollte. Bald schlug sie die Hände ineinander, wandte sie umher, manibus inter fe usqiie ad articulonim strepitiim contritis (Petr. Arb.) sdaß die Gelenke knackten^, raufte sich das Haar aus und ließ zu Zeiten mit über sich verkehrten Augen einen solchen Seufzer und so tief von Herzen, als ob sie ihn aus dem Bron, nen zu Breisach s hättet erschöpfen müssen: welches Wesen alles doch dem Verstorbenen nicht einen Heller nutzte. Alle Zimmer und Kammern des Hauses waren ihres Zierraths beraubt. Die leidige junge Wittwe saß in einem, mit Trauer und schwarzem Tuch behangenen finstern Gemach, da nicht wohl eines das andere sehen konnte, welches aber dem blindmäusigen Frauenzimmer zu sonderlichem Vortheil und Behülf diente, indem man nicht sehen konnte, wie Manche die Thränen heraus, gedruckt und gezwungen und das Gesicht sdeswegen^I so scheußlich wird verstellt haben, damit sie ihrer Traurig, keit in etwas einen Schein und [eine] Gestalt geben möchte. In tenebris Inges ainiffum, Galla, maritum: nam plorare pudet le, puto, Galla, vinim. (Mart. 4, 58.) [Frau Galla betrauert wohl nur im Finstern ihren ver, lornen Mann: denn ihn in Wahrheit zu beweinen schämt sie sich, glaub' ich.] Eine der Gevatterinnen oder Ge, spielen, so die Wittwe in ihrem Leid, nach Gewohn­ heit, trösten wollte, sprach: Ach liebe Frau Gevatterin, all euer Trauren ist vergebens und umsonst! Ihr könnt den frommen Herrn damit doch nicht wieder lebendig machen: gebt deswegen euer Herz in Geduld und nehmt Exem­ pel an mir: denn euer Kreuz geht mir so hart zu Her, zen, als ob es mein eigenes wäre. — Die Andere, vermittelst eines schrecklichen Seufzers, fieng also an zu sagen: Liebe Nachbäurin [Nachbarin], ihr sollt euch so sehr nicht bekümmern; euer Herr ist so ein feiner Herr gewesen, daß ich nicht zweifle, * er sey gewiß im

Himmel. Stillet demnach euer Weinen; denn unmig, lichen Dingen ist doch anderst nicht zu helfen! — Die Dritte: Ach liebe Schwester, du weissest den edeln Trost: Batzientzia Finntzi Domine!1 2 Gieb derowegen dein Herz zur Ruhe! Gott wird dich bald wieder er, freuen! u. s. f. Eine nach der andern wußte ihren tröst, lichen Wcidsprnch herznsagen. — Je mehr aber die gu, ten Weiblein der Witlwe zusprachcn1, je mehr hebt sie allererst an 3,4 zu jammern und zu beklagen und mit halbgebrochener Stimme: Ach, daß cs Gott erbarme! sprach sie, ich armes, elendes Weib, was soll ich thun? Ach wer wird mich nun trösten und erfreuen? Wer wird mir nun meine Spindeln haspeln? Wer wird mir jetzt ein Bethbuch vom Schäfte! ♦ langen? Hab' ich doch keinen Menschen mehr, der am Sonntag bei mir am Gatter 5 liege! Ach was soll ich nun anfan, gen? Wer wird mich jetzt mehr —? Ach mein herz, allerliebster Schatz! wie ist mir dein Abschied so schmerz, lich! Ach ich arme Wittwe, wer wird sich meiner in diesem schweren Kreuz doch annehmen! Ach nicht ein Wunder war' es, ich ließ' mich zu ihm in das Grab legen! Ich begehre doch also nicht langer zu leben, weil ich den verloren, den ich lieber gehabt, als die ganze Welt! p ich unseliges Weib! 0 weh mir armen Wittwe! Wer wird mich—! o weh! wer hält mich? Ich spring' in den Bronnen!" — Zu diesem Figural, Geschrei kam dann das übrige ganze Choral, Geheul, indem die andern Weiber alle mit Nasen # Schneuzen, Räuspern, Husten, Schnupfen, Schluchzen, Kluxen, Ritschen, Wischen, Wäschen, Klappern und Papeln

1) statt patientia vineit omnia, Geduld überwindet Alles! 2) I. O. zusprächen. Sj I. O. je mehr sie sich allererst anhebet. 4) Schaft, Icapu», nleders Schapp, ein hohler Raum, Be« hältniß, Schrank, hier Bücherbrett. s) Gatter, Gitter, Fenster.

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sSchwätzens zugestimmt, daß ich kein Wort ver­ stehen konnte, was mehr geredet oder gesagt worden. „Dieses 2llles, sprach der Alte, ist der Weiber Ord­ nung und Weise, und meines Erachtens ihre gewöhn­ liche Purgation und Arznei, indem sie die boshaftigen Feuchtigkeiten und hartnäckigen Flüsse des Hauptes also durch die Naslöcher und Augen austreiben, eben wie1 bei den Mannsleuten die Tabaknarren pflegen."—Aber ich antwortend sprach, daß meines Erachtens die gute Wittwe billig zu betrauern wäre, als welche von aller Welt jetzt verlassen [ftp]. Dahero auch die heilige Schrift sie männiglichen seinem Jeden'I, in sonder, heit der Oberkeit und denen, die Recht und Gerechtig­ keit auszusprechen haben, so hoch empfiehlt2; denn wie reich auch eine Wittib an allen Mitteln seyn mag, so ist sie doch ein armes elendes Weib, dessen man sich so lang annimmt und erbarmet, als man von ihr kann Genieß und Vortheil haben: und wann sie der Hüls' am nöthigsten bedarf, so ist doch Niemand, der sich ihrer ohne gesuchten Eigennutz, insonderheit gegen große Han, sen, von Herzen will annehmen. Denn die Großen will Niemand erzürnen, sondern jeder bei denselben ein bene oder Lehen verdienen und [c$] bleibt bei ihnen: Sic volo, sic jnbeo, stat pro ratione volnntas! Ich bin ein Herr, Trotz, der sich sperr'! Recht hin, Recht her! Ein Jeder thu', waö ich begehr'1 Wer das nicht thut, Den kostet's Ehr' und Gut. Ich bin das Recht: Trotz, der mir widerfecht'! Aber wehe denen, die der Wittwen Sache nicht recht in Acht nehmen, noch ihr Recht befördern helfen, so sie anderst Recht haben!

1) I. O. eben als. 2) I. O. befiehlt»

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„Nun sehe ich wohl, sprach der Atte, daß du auch, nach Gebrauch der eitlen Welttinder, deine Geschicklich­ keit willst sehen lassen und die Leute glauben machen, daß du ein so stattlicher Theologus, ein geistlichgelehrter Doctor seyst; da du doch shattest^I warten sollen, bis ich dir die rechte Bedeutung von dem allen 1, so dir noch unbekannt ist, erkläret hätte. Aber schwerlich kann ein Mensch, der sich dünket, gelehrt zu seyn, so weit an sich 2 halten, daß er sich davon 3 nichts merken lasse: ein weiser Mann kann besser schweigen. Viel weiser Leut" die Welt wohl hätt", wann's nur der leidig Stolz nicht thät, der die Leut' arich bered't sofern, als wenn sie jetzt schon Doctor wär'nt wer aber meint, er könn' es gar, der bleibet ein Narr immerdar. Und ist zu besorgen, sdaß^I wenn sich der Fall mit dieser Wittwe nicht erzeiget hätte, alle deine Geschicklichkeit dir im Leib verrostet wäre. Auch was die Wittib an sich selbst 4 belangt, so ist gewiß, daß sie, äußerlichem An­ sehen nach, scheint, [d$] ob ihr ganzes Herz nichts als Andacht, Traurigkeit und Kyrieeleison sHerr, erbarme dichl^j wäre. Aber nur die Kleider sind schwarz; das Herz ist grün und in frischer Hoffnung, bald wiederum einen andern Mann an dem Gätter und an der Seite zu haben. Ihre Thränen sind herausgepreßt und gezwun,' gen, lacrimae ad ostentationein paratae, ihre äußerliche Gestalt ist Trügerei. — Willst du aber das Herz erfor­ schen? Mein, so lasse sie allein, daß sie Niemand [um ftd)] wisse: du wirst den Betrug und [t)ic] Heuchelei bald erfahren, wie sie nämlich sich so frisch erzeigen und einen Sarrabanden5 daher singen und springen wird6, 13 2) 3) 4) 6) 6)

I. O. dessen allen. I. O. in sich. I. O. dessen. I. ;£). an ihr selbst. I. O. Spanischer Tanz» I. O. werde.

II.

11

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so geil und rammelig, als die Katzen um Lichtmeß immer sevn mögen» Amissum non flöt, ctun föla eft Gelliö, sponstiin: Si qnis adelt, jufsae prosiliunt lacriinae. Non dolet Inc, qnisquis laudari Gellia quaerit, Ille dolet vere, qni sine teste dolet. (Marli 1, 34.) sWenn Gellia allein ist, dann beweint sie den bcr/ lornen Herzliebsten nicht; aber wenn Jemand zugegen ist, dann springen ihr die willkührlichgemachten Thrä­ nen hervor. Der fühlt keine Betrübniß, wer, wie Gellia, bei der Trauer Ruhm sucht; sondern der trauert wahrhaft, der ohne Zeugen weint und trauert.] — Bald auch wird eine ihrer Vertrauten kom­ men, und Nach der Weiber Art ex lacrimis in rifuin mota [vom Weinen in's Lachen übergehend] sagen: Liebe Gespiele, nur frisch und gutes Muths! Was Elements soll das verfluchte Trauren? Ihr habt es besser, als Ihr selbsten meinet! Ist schon Euer Herr und Mann gestorben, potz Zipfel, Ihr seyd noch jung und wacker genug! werd't Eures Gleichen bald finden, wann Ihr nur wollt! Es liegt nummen [nur] an Euch» Der und der haben schon nach Euch gefragt; dieser hat schon ein Aug" auf Euch geworfen. Solltet Ihr nur einmal mit ihm zu sprechen kommen, Ihr würdet des Verstorbenen bald vergessen! Wann es mir asso [auch so] zu thun war, wie bald wott i mi gressolfirt.[resolvirt] han!" — „Werrli [wahrlich], liebe Nachtbarin — wird die andere zustimmen — wann cs mir asso wär", i wott mi bald bcboc^t1 ha'n: Einer verloren, zehn wieder funden! I wott dem Roth folgen, den üch min Gvatterin do allewil gan hott2; dann werrli, der un der hott ein große Anffechtion [Affection] zu üch; man merk's an allem ftm Thun, er ist ein wackerer Kerle; hott ä schwarz Hoor, holt i) I» O. bedöcht (zwischen o und a) st» bedacht. 2) d. i. eben jetzt gegeben hat.

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schwarze Augen, hött ein hübst 1 schwarz Bartel! Mein, er kann eim Blick' gän! I mein', er kann wohl tanzä; er ist noch jung und stark und Euer wohl werth , und war' werrli immer schad, wann er üch nit sott bekom­ men!" — Alddann wird die Wittwe mit verkehrten Augen, benebst einem tiefgehalten Schluxer, fein zim­ perlich anfangen und sagen: „0 weh, was sagen Jr do? o weh, o wo binni? vergessä? Ja wohl vergcssä! Ach mein lieber Mann, wie kann ich, wie will ich deiner so bald vergessen! Ja freilich! Ach Gott, es ist Noch nicht von Heirathen zu reden! Ich wott wol ver­ schwören, min Lebtag mehr ein Mann zu nehmen! Wann er aber je Gotl's sonderbarer Will syn sott, o so wott i au wissä, was i ze thun hätt'. Nun bollan 2 was Gott beschert, blibt unverwehrt! Doch l möcht' werrli schier lachä, daß Jr mi asso vexicra; i will Euerä guottä Roth3 4 drumb nit veracht't hin; i thue mi der guottä Vorsorg von Herzä bedankä." „Siehe, mein lieber Sohn, dieß ist der allermei­ sten Weiber Wesen * : hi sunt vidnarum inores: pritiS■ quam mortuus elatus eft in aede, vivns alias elevatus eft in corde. * Der Mann ist kaum vergraben und ihr Herz will schon einem andern nachtraben; ehe der Mann recht erkaltet, so hat sie schon einen Warmen in den Armen, und nimmt den Rothen für den Todten, da sieht sie, wo ein frischer hergehe. Was hat sie nicht für ein Mordgeschrei bei dem Grab verführet! Wie hat sie sich gestellet! ist in Ohnmacht gesunken, hat vor Leid Hungers sterben wollen, hat in Bronnen 1) 2) 6) 4) 6)

d. i. hübsch. d. i. wohlan. d. i. Eure» guten Rath. I. O. der Weiber allermeiste« Wejen. Am Rand: Strenoph. p. 467. pr. et n. S.

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springen wollen, wann man sie nicht auf ihr eigen 1 Begehren gehalten hotte. Und nun wohlan: Geduld kann Alles überwinden, thut weit von Reichthum gan s gehens; was nicht anders kann seyn, da gebe ich meinen Willen darein u. s. w." Indem der Alte dieß geredet, erhob sich ein Geräusch und Rufens in der Gassen, und als wir uns umsahen, war es ein Scherge, ohne Hut und Kragen, mit blu­ tigem Schädel: der verfolgete einen Dieb mit lautem Nachschreien: „Hebt den Dieb! au voleur! au voleur! hebt den Dieb! hebt den Dieb!" — welcher aber da­ vonlief, sals^ ob ihm der Teufel nach dem Buckel grei­ fen wollte. Da dachte ich bei mir selbsten: Gleichwohl muß dieser Scherge ein rechtschaffener Mann seyn, weil er den Böswicht so ernstlich verfolgt. Aber der Alte sprach: „Mein Sohn! dieser Dieb ist sonst des Scher­ gen bester Freund, mit dem er stets in Wirthshäusern und Weinschenken hin und wieder gefressen und gesoffen. Weil aber der Dieb ihm nicht Part an einer Beute oder Diebstahl [fyat] geben wollen, darum ist er so erzürnet und wollte den armen Schlucker gern an Gal­ gen bringen helfen; daher er auch diese groben Stöße von ihm bekommen. — Es muß dann dieser Gesell, sprach ich weiter, wohl zu Fuß seyn, weil er diesem Schergen, des Henkers Jaghund, hat entlaufen können. Ist also der Scherge nicht wegen Beförderung Rech­ tens, sondern wegen eigenen Eeuießes und Vortheils, unter dem scheinbaren Vorwand der Justiz 2,3 so eifrig gewest, sonst er den Gesellen wohl wurde unberufen haben vor­ überstreichen lassen. Denn ein Scherge hat ja5 sonst kein ander Einkommens oder Renten, als was ihm auf Ruthe, Schwert und Strang per anticipationem, zum Voraus, mag gedeihen und gebühren. Mein Rath, 1) I. O. ihr feite. 2) Z. O. Justizien. 3) I. O. denn ja ein rc. — Renten hat.

[um] der Schergen und ihres Gleichen Gesindels 1 in der Welt loszukommen 2, wäre, daß die Menschen es versuchen und ein Jahr oder etliche nicht sündigen woll, ten, alsdann [müßtet ihr Handwerk erliegen und sie müßten Hungers sterben 3;4wiewohl es heißt: non tam crimine, quain forte nocentes sinnt; et: fuain habet fortunam ratio (Petr. Arb.}: wann sie stil den Hund wollen, so muß er Leder gefressen haben, obschon er keines je gesehen. Mon amo te, Sabidi, nec poffum dicere quare: hoc tantum poffum dicere: non amo te. (Mart. 1, 33.) l)ch kann dich nicht lieben (leiden), kann aber nicht sagen, warum? Nur das kann ich sagen: daß ich dich nicht lieben kann.j Und wäre einer so fromm als Ubet, den, noch, wann sderj Scherge und [der Gerlchts^Schreiber Schalke sind, müßte [jcn]cr den Namen haben, er wäre ein Dieb; welches insonderheit an etlichen Orten in der Welt, da die Schreiber ohne Gewissen schreiben, zu sehen [i(tj, indem sie zum öfiern Malen nur dasjenige in eine Zeugenaussage setzen, was ihnen wohl beliebt, das andere aber außen lassen, [unb] gleichwohl, wann sie dem Zeugen die Aussage wiederum vorlesen, [ein] so über alle Maßen stattliches Gedächtniß^ haben, daß sie auch nicht um ein Wort fehlen, damit der Zeuge es ja nicht merken könne. Aber gleichwie die Schreiber den Zeugen Meineids verwarnen und, die schlichte Wahrheit auszusagen, mit Eiden beladen; [so] sollt' [es] wahrlich nicht uneben, sondern wohl nöthiger seyn, daß die Zeu­ gen heutiges Tags die Schreiber ebenmäßig Meineids verwarneten und, die schlichte5 pure Wahrheit zu schrei, ben, voranhin [zuvor] mit Eiden belüden, damit [daß] 1) 2) 3) 4) ö)

I. I. I. I. I.

O. O. O. O. O.

Gesindlein. abzukommen. alsdann ibr H. rc. — sterben müßten. stattliche Gcdachtnuß. schlechte.

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sie nicht anderst lesen wollten, als geschrieben, und nicht anderst schreiben wollten, als ausgesagt worden."

Wie wir nun weiters gehen wollten, begegnete uns von ferne eine ansehnliche Mannsperson, die dem Augem schein nach zwar ein vortrefflicher Herr, aber, als er uns nahte, von innerlichem Stolz dermaßen aufgeblasen war, wie ein Frosch. Er gieng so richt [gerat)c] und strack wie ein Bolz, und als ob er mit Pallisaden, Staketen umzäunt wäre, — langsame, satte Schritte, sah sauer, und gönnete Keinem wohl das Gesicht; war um den Hals 1 mit einem großen Kragen umge­ ben und dermaßen eingespannet, als ob er am Pranger oder Halseisen stünde. Kein Glied noch Geleych [Ge­ lenks konnte er bewegen oder regen, sondern [c$] schien2, als ob ein Scheit Holz, mit Kleidern angethan, umhergienge; und hatte es ihm das Leben kosten sollen, würde er doch, zur Erhaltung der Reputation, (wenn ich dieses Worts gedenke, so jammert mich, daß es so wV vornehme Leute zu Narren macht, und so viel" Potentaten, deren ich unten einen großen Hausen in der Hölle gesehen, zur Verdammniß treibt 3) auf keine Seite gesehen, noch an seinen Hut gegriffen haben. Ihm giengen nach viele Diener, die auch vermeinten, Herren zu seyn, unter welchen ein Fuchsschwänzer und Schalksnarr die nächsten waren, deren einer je biswei­ len herbeitrat und dem Herrn mit tiefer Reverenz etliche Wort" 4 s)in die Ohren pausete. Ha was ein seliger Mann ist das! fieng ich an, zu dem Alten zu sagen. Diesem Herrn mangelt gewiß auf Erden nichts, und hätte der alte Gesatzschreiber Solon^, wann er noch bei Lehen wäre, sein Urtheil,

1) I. O. um gen Hals. 2) I O. scbeinete. 3) I. O. triebet. 4) I. O. ein Wort etliche, s) einer der sieben alten Weifen Griechenlands, Gesetzgeber Athen's um 600 v. Chr.

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daß man Niemanden vor feinem Ende solle glückselig preißen, sicherlich 1 um dieses Mannes willen gern wi­ derrufen, und für unkraftig erklären wollen. Da gehet es noch brav her, wo einer fein Geld zu solchen Ehren und so rechtschaffen weiß anzuwenden und zu gebrau­ chen! Es muß ja ein vortrefflicher Herr seyn, der so köstliche, tolle Diener hat nach fid)2 herprangen! Que de gens vetüs de veloux! Veuez voir les beaux perfoimages! 11s luivent im Seigneur trestous, qui les entretient ä grands gages. — Et pourcfiioi ? — Paix! fi tu es sage, il n’en saut point dire de mal. JVIais Monsieur a bien du b£tail, il fera, Fil veut, du fromage 3.

l Schaut die schönen Leute, alle in Sammet!—das sind allesammt Diener eines großen Herrn, der sie in hohem Sold hat. — Und warum? —r Still! wenn du klug bist, man darf nicht wohl davon sprechen! Der Herr da har viel Vieh im Vermögen und kann, wenn^s ihm beliebt, Kas mad)en! ] „So elendig ist es auch, sprach der Alte zu mir, in deinem Hirn bestellt, daß, nach so vielen Exempeln, du dennod) den Sd-ein und die Färb' von dem eigentlichen Wesey noch nicht kannst unterscheiden! Es ist hie nichts als Betrag und Falsd) ♦ Aula eft splendida miseria sdas 1) I. O. versichert. 2) I. O. nach ihm. 9) Hiebei ist citirt: Des Accords. Dies ist der Name eines französ. Schriftstellers, welcher eigentlich Estienne Tabourot, Seigneur des Accords, hieß und Parlamentsadvocat zu Dijon war, wo er 1590 in seinem Lösten Jahre starb. Er schrieb unter andern: Bigarrures, oder kleine Abhandlungen und scherzhafte Aufsätze; und des Touches, oder Gedichte und Epigramme. Seine gesammten Schriften sind 1608 zu Paris und 1626 zu Rouen herausgekommen. Aus jenen Toughes citirt Moscherysch sehr häufig.

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Hofleben ist ein glänzend Elends Alle diese scheinende Herrlichkeit ist ein gelehntes, geborgtes Wesen, welches allein auf vergeblicher Hoffnung und vielen Verheißun­ gen bestehet. Es ist das Hofleben gleich einem herr­ lichen, fast köstlichen Bau, der aber zuletzt am Ende einen Krach läßt und Viel' zu Boden schlägt, — eine herrliche Musica, die anfangs lieblich klinget, in den Ohren derer, die es hören, aber zuletzt auf ein la mi endet: Aulicus ingrein

------------------------- — diene afcendit Lpzzzzzzpzz — aula;

lDer stolzirende yQ—~ am Hofe

[-------K

2 Hofmann steigt empor;]

[ut fol] wie die Sonne

omnis at in cadit.

clausula nostra

[aber am Schluß wieder

fällt er gänzlich herunter.^1 jämmerlich

Es heißt: Nil hic )ta cernis, ut eft [Man steht hier nichts so, wie es ist. — ] Und gewiß, wann du diesem großen Herrn in das Gewissen und in den Beutel sehen solltest, so würde es sich befinden, daß zur Fortsetzung der scheinbaren eitlen Pracht2, so die Welt Glückseligkeit heißt, er zehnmal mehr Mühe und Arbeit, Sorg', Angst, Furcht und Schrecken muß anwenden und ausstHen, als sonst ein armer Taglöhner um das tägliche Brot. Es ist mit diesem großen Schein beschaffen, wie mit einem Zimmetbaum: das Beste an ihm ist die Rinde, das andere ist alles nicht sonders zu achten. 1) Nach heut zu Tag üblichem Schlüssel müßte etwa stehen:

2) I. O. des rc. Pracktts.

Ün joxir quelqu’un me demaiidoit: Qiii est ce brave Port-epee, qiii a la chausse decoupee, que je vois inarcher ainfi droit ? J’estime, qu il soit bien adroit, et qu’il a vigoureuse for^e ? — C’est Canelle, dis-je, qu’oii voit: le meilleur de lui, c’est l’ecorce.

sEinst fragte mich Jemand: Wer ist denn der tapfere Haudegen dort, in dem geschlitzten Kleide, der so statt* lich einhergeht? Der muß ein tüchtiger Mann seyn und eine gewaltige Starke haben? — Es ist Canellus, ant­ wortete ich: das Beste an ihm ist sein Aeußeres!^

Der Witzigste unter allen seinen Dienern ist1 der Schalksnarr und der Fuchsschwänzer. Diese zween haben zu Hof das prae und den Vorzug: sie reden dem Herrn, was er gern hört, lachen heimlich in die Faust, fressen und saufen das Beste, machen sich zeitlich bezahlt und lassen den Herrn samt den übrigen Hofdienern das Nachsehen haben. Das Hosleben ist gleich einem Mann, der Almosen ausgiebt, bei welchem oft ein starker Schelm durch die Andern dringt2 und dem armen Mann, bei dem es wohl angelegt wäre, das Brot vor dem Maul hinwegnimmt, und doch dessen nicht werth ist. Sais-tu, que resfemble la cour ? Une aui^öne parini la presse, oü de tous cotes on accourt; inais un grand coquin, qui fe dreste et plus s’avan^e, prend le graisse, et le pclit rien ne re^oit: car le donneur, taut on oppresse, que jamais il ne Pappersoit. Des Records. 1) I. O. sind. 2) d. i. sich hindurch drängt.

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Denn wer sich zu Hof schämen und der Gelegen­ heit nicht frisch gebrauchen will, der thut närrisch, weil — es nicht alle Tag Mit vollem Löffel zu Hof hergeht. Nil distant labor atgiie labos, nil arbor et arbos; idem honor est et honos: qiii rapit, ergo sapit. (Ow. 2, 1.)

sEs ist zwischen den Worten labor und labos, Arbeit, ßrbor und arbos, Baum, kein Unterschied; eben so bedeutet honor unb honos dasselbe, nämlich Ehre: wer also rapit, raubt und stiehlt, der sapit, ist und handelt klug!^ Depowegen, so nimm 5 weil es da ist, sonsten, indem du dich lange bedenken willst, ob du Recht oder Unrecht daran thuest, ist der Brei gefressen und du zwischen zweien Stühlen niedergesessen. Praeteriti spes nulla manet, fpes nulla futnri; res abeunt fine spe, fpes redeimt fine re. Dum nos praeteriti dolor ang-it, cura futnri; bellua, quod praesens eft, capit: illa sapit. (Ow. 3, 71.)

(Was vorbei und dahin ist, ist nicht mehr zu hoffen, auch das Künftige erreicht unsere Hoffnung nicht. Die Dinge vergehen ohne Hoffnung, und die Hoffnungen kehren ohne das gewünschte Gut wieder. Während wir uns um das Vergangene bekümmern und um das Zu­ künftige absorgen, genießt das Thier die Gegenwart und thut weislich darauf Sind deswegen theils szum Theils große Herren recht elende Leute, welche eine Lüge, einen Fuchsschwanz so theuer kaufen müssen, und die eher1 2 selbst Noth leiden, als daß einer ihrer * Schalksnarren oderFuchoschwänzer mangeln sMangel Habens sollte. Ergone 1) I. O. nemme." 2) I. O. und sie eh. s) I. O. ihrer Sch. u. F. einer.

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Utria magna colain ? vix tres aut quatuor ista res ahnt; pallet cetera turba fame. (Om/.) Mas soll ich also am Hof thun; das Hofleben ernährt kaum drei oder vier Mann, wie sich's gehört; der übrige Hofschwarm ist vor Hunger blaß und bleich.^ Ja, welche eher alle ehrlichen Diener mit Ungunst ab­ schaffen , eh' sie einen Suppenfreffer oder [eine] Zei­ tungflickerin erjürnen * wollten. Der arme verblendete Herr meint Wunders, was [welche] Treu* er von den Hallunken zu erwarten habe, wie all' sein Aufnehmen [Ansehen] an ihnen allein stehe, weil sie ihm reden, was er gerne hört, zu allem „Ja" und „Recht" sagen: Gott gebe, es müsse das Land darüber zu Grund und Scheitern gehen. Aber gardez, Monsieur;

Qui cuivis cpiidvis Credit, male creditur illi: quo credis mihi plus; hoc tibi credo minus. (Z/. sing» Ow. 65.) [Wer in Allem Allen traut, auf den hat man selbst schlechtes Vertrauen: je mehr du mir traust und glaubst, desto weniger trau' und glaub' ich dir.] [Sie] rüh­ men und loben ihn, als ob in der Welt er allein ein Kavalier, Ritter und Held wäre und bei Damen allein den Dank zu gewanen hätte. Ist also zu Hof irgend ein Esel zu finden (wie sie denn alle Esel sind), so ist es gewiß der Herr selbsten, wann er diesen beiden ohne Unterschied also folget." „Taiibmannus1 2, einsmals gefragt, was die Hof1) I. O. erzürnen. 2) Friedrich Taubmann, ein berühmter Professor der Poesie und Beredtsamkeit zu Wittenberg. Er war zu Wonseß in Franken geboren, wy sein Vater Schuster und Bürgermeister, sein nachheriger Stiefvater aber Schneider war. Da er sich zu des letzter» Handwerk nicht bequemen wollte, ward er auf die Schule nach Culmoach und von da auf das Gymnasium zu Heilbronn (bei Ansbach) gethan. Dort zeichnete er sich durch seine allzeitfertige Dichtkunst so aus, daß er zum kaiserlichen Poeten gekrönt wurde. 1592

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lente sagen? sagte: „Sie sind alle Narren; denn wie witzig und klug sich einer je dünken laßt, so findet er doch allezeit seinen Mann, der ihn narren kann." Eft ocuhis tibi, Quinte, unus ? metuendus Ulysses : Centum oculi vigiles sunt tibi ? Mercurius. QOw?)

sHast du nur Ein Aug" (wieder Riese Polyphem), so hast du den Ulysses (der es ihm ausstieß), — und hast du hundert (wie Argus), so hast du den Mercurius (der diesen auf Jupiters Befehl tödtete)zu fürchtens Gefragt, was aber der Fürst selbst sey ? antwortete [er]: ille est eximius [der ist der ärgste*1 ]! Davon 2 dieser Hofmann hie ein Exempel giebt. Denn wer die meiste Sorge, Treue und Arbeit zu Hof thut, den laßt man sich zwar wohl zu todt arbeiten, aber hat es [ihm] doch gemei­ niglich am wenigsten Dank: wie die Westreicher Pferde vor Jahren (Gott erbarme es jetzt!) zwar den Haber gebaut, fremde ausländische Pferde aber, oder wohl Esel, denselben gefressen haben, das heißt: Sic vos non Vobis babrificatis equi; sic vos non vobis mellificatis apes; sic vos non vobis nidificatis aves; sie vos non vobis fertis aratra boves; sic vos non vobis vellera fertis oves!

[Auf diese Weise baut ihr, Pferde, den Haber nicht für euch; macht ihr, Bienen, den Honig, ihr Ndgel bezog er die Hochschule zu Wittenberg, wo er nach drei Jahren Professor wurde. Wegen seiner scherzhaften, witzi­ gen Reden und lustigen Einfälle, von denen man nachher Sammlungen machte, war er allenthalben bekannt und beliebt, besonders am Hofe. Er starb 1613. Seine dissc« tatio de lingua latina und sein Commentar über den Plautus sind schätzenswerth. Ganz besondere Gewandtheit hatte er' in Fertigung von lateinischen Versen. 1) eximi.is ist hier zweideutig gemeint: es kann nämlich auch heißen »Vortrefflich." 2) I. O. dessen.

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eure Nester nicht für euch, zieht ihr Ochsen den Pflug, tragt ihr Schafe die Wolle nicht zu eurem Nutzen!)" Der Alte konnte das Wort nicht wohl skaum) ausrcden, siehe da kam eine vornehme Dame von Hof auf uns zugegangen, der eine Matrone samt einem klei­ nen Lakaien nachsolgten. Die Geberden und Ge­ stalt dieser Dame waren übermenschlich anzusehen; [sie] gieng langsam, wußte im Gehen ihre Glieder so ä la mode zu kehren und zu wenden, zu renken und szu) lenken, daß alle die, so sie ansahen, gegen dieselbe mit unverhoffter, inniglicher Lieb' entzündet wurden, und nach ihr, als snach) dem Schlauraffenland, Verlangen trugen. Wen sie einmal zu Gesicht bekam, vor dem verdeckte sie das Antlitz hernach; welche sie zuvor noch nicht gesehen hatten, denen ließ sie einen Blick oder etliche, mobil! ociilorum petulaiitia (Pet. [mit leichtfertigem Hin- und Herwerfen der Augen) wiederfah­ ren, dergestalt, als ob ihre Augen voll helles, zu sich ziehendes, ansteckendes, durchdringendes, überwindendes, verzehrendes Liebesfeuers wären: insonderheit wann sie sich stellte1, als wollte sie den Flor oder Krepp oder Mimy, so ihr über das Gesicht herabflog, richten. Bald entdeckte sie das Antlitz nur halb, und dann, sich stellend, als ob sie das Halstuch stecken und sich decken wollte, entblößte sie dabei2 etwas ihre Brüstlein, welche weißer waren als Alabaster anzusehen und nach Athem grableten wie die jungen Mausger. Ihre Haare waren zierlich, wie ein kunstreiches Kettlein von Art, und von sich selbsten in einander geringlet und kräuselicht geschlanket, über die Stirne und Wangen herabfliegend. Crines iugeuio luo Hex! per totos sese humeros effuderunt {Petr, .Arb?) Lumina fideribus certant inollesqtie flagellant colla comae {Mart. 4, 42.) 1*) I. O. sie sich annahm. 2) I. O. in dem.

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s)hre Augen wetteifern an Glanz mit den Sternen und seidene Haare umwogen ihren Nackens. Ihr Angesicht war wie der weiße Schnee, mit leibfarbnen Rosen lieblich besprenget, ihre Lefzen [Sippen] Wie Korallen 1 : nares paulluluin ihflexae, et osculnm quäle Praxiteles habere Dianain credidit (Petr» Arb?) [Sie Nase ein wenig gebogen und der Mund, wie ihn nach der Meinung des Bildhauers Praxiteles2 die Göttin Diana hatte]; ihre Zahne wie Perlen; ihre Hande, welche sie alle Augenblick, [um] das Ausgesetzt [den Aufsatz] recht zu machen, auf den Haaren erblicken ließ, waren dem Helfenbein weil vorzuziehen. Mit einem Wort: alle, die ihrer ansichtig wurden, vergaffe, ten sich und waren mit Liebe gegen sie gefangen. Ich Narr, sagt Hans, war durch solche Gestalt dieser vor, trefflichen Dame selbst dermaßen eingenommen, daß ich nicht wußte, wie mir war, und meinte, ich muffe aus den Schuhen springen, auch mir gänzlich vorgesetzt [habe], ihr nachzuschleichen, es koste, was es wolle. Sero, wegen und zu besserer Gewinnung ihres geneigten Wil­ lens, ich hurtig in der Hitz beiseits, und, ungeachtet des redlichen frommen Alten, hinter meine Schreibtafel her, wie die närrischen PoeteN in solchen Jahren pfle­ gen, zu sehen, ob ich ihr zu Diensten etwas Lob's schreiben möchte, damit ich des Korbs wegen keine Ge­ fahr zu furchten hatte. Wohin, wohin, du unbesonnener und narrischer Mensch? Wohin? Wie? willst du deine Sünden, dein poenitere, den Steuer so theuer kaufen? Senkst du auch noch, quod — •— voluptas venturo praesens emta dolore nocet? (Ow. 3, 138.) PrinCipium dulce eft, at finis ainoris amarus; laeta venire Venns, triftis abire soleh (Ow. 1,13.) 1) I. O. Corall. 2) Praxiteles, von Änidus in Carien, in Kleinasien um 346 v. Ch., dessen gnidische Venus Plinius für Vie schönste Statue auf Erden erklärte.

sdaß das sinnliche Vergnügen der Gegenwart, das man um zukünftigen Schmerz erkauft hat, nur Schaden bringt? der Liebe 2lnfang ist süß, aber ihr Ende bitter; freu, dig pflegt Venus zu kommen, traurig aber wegzu, gehens Also rüste mir der Alte aus treuer, wohlmeinender Fürsorge zu, als er vermerket, daß ich mich so leicht, sinniger Weise fhabe^! bethören lassen. Ich gehe diesem Engel nach, antwortete ich dem Alten hinwiederum; eS koste, was es immer wolle! Es müßte ja einer ein grausamer Unmensch seyn und ein recht steinern Herz haben, der sich durch solche Gestalt und Gebärden nicht sollte gewinnen lassen. Man redet doch in den Schulen davon, guod aut deus aut lapis est* qui non juveniliter ardet

fdaß der entweder ein Gott oder ein Stein sey, der nicht in jugendlichem Gefühl' entbrenne^. Ist dieß nicht ein wahrhaftiger und heiliget Vers, den auch der heilige Lehrer zu machen sich nicht gescheut? O selig der, dem das Glück so wohl wollte, und t>er51 eines so edelen Geschöpfs könnte theilhaftig werden! Quid factum est, quod tu projectis Juppiter armia inter coelicolas fabula muta taces ? Nunc erat a torva fuinmittere corniia fronte, nunc pliima canos disfimtilare tuos. Haec vera est Danae: tenta modo tangere corpuS, —* jam tua fiainmigero meihbra cälore fluent! (Petr. .Arb?) 1) Eusebius Hieronhmüs, einet der Kirchenvater, geb. 330 zu Stridon in Dalmatien, war zuerst in Roni bischöfflicher Secretär, lebte darauf vier Jahre in einet Wüste, hielt sich dann zu Jerusalem und Aegypten aus und starb 420 in einem Kloster zu Bethlehem. Er besaß große Gelehrsamktir, übersetzte das Alte Testament ins Lateini­ sche und schrieb unter vielem andern auch Kommentarien über die biblischen Bücher. 2) I. O. und er.

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sWie kommt's, Jupiter, daß du deine Blitze abgelegt hast und unter den Himmlischen so still bist und ihnen nichts von dir zu reden giebst? Jetzt solltest du dich in einen Stier verwandeln, wie damals bei der Europa; jetzt in einen Schwan, wie bei der Leda. Hier ist die wahre Danae: berühre sie nur, und gleich wird Flam­ menhitze deine Glieder durchglühen.^I Was Lusts und Heils soll dem -doch mangeln, der ohne Scheu und Furcht eines so lieben Bilds darf genießen! Meines Theils wollte ich gern auf alles das andere, was in der Welt mag herrlich genennet werden, ja auf alle Schatze der amerikanischen Lande Verzicht thun, wo alleinig [wenn nur] dergleichen Luftbild mir gedeihen möchte!

Mea voluptas, meae deliciae, mea vi(a, inea amoenitas! meus ociilus, meuin labellum, mea salns, meuin fuaviuin! menm mel9 meuin cor, mea colustra, meus molliculus cafeus! (Plaut. Penul.) Liebchen, mein Süßchen, mein Leben, mein Schönchen! Mein Zluge, meine Lippe, mein Heil, mein Mäulchen! Mein Honig, mein Herz, mein Täubchen, mein zartes Käschen!] sMein

O Dea mea, per fonnam tuam te rog^o, ne fastidias Lominem peregrinum Inter cultores admittere, invenies religiosum, si te adorari permiseris. (Petr. ^4rb.)

[0 meine Göttin, bei deiner Schönheit bitte ich dich, verschmähe nicht, einen Fremdling unter deine Anbeter aufzunehmen; du wirst, wenn du ihm vergönnst dich anzubeten, an ihm einen getreuen Liebhaber finden!] Was durchdringende und zwingende Blicke ihrer strahl­ funkelnden Aeugelein! oculi, clariores ftellis extra liinain

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fulgentibns! Wie fassen und gewinnen sie eines Men­ schen Herz so leichtlich! Wie und wer wollte solcher übermenschlicher Gewalt können widerstehen? Hat man auch je was Schöneres gesehen, als ihre Augenbrauen, die schwärzer sind, denn Ebenholz? Nimmermehr wird der Kristall so weiß erscheinen, als ihre gewölbte Stirne! Milch und Blut können sich so wohl nicht vereinigen, als ihre Wangen; Rubin *1 und Perlen sich so zierlich nimmer sehen lassen, als ihre Lefzen und Zahne. Sie ist ein rechtes Meisterstück der Natur, das man in Ewigkeit nicht genug loben und rühmen kann, und an welchem alle- das zu finden, was ein Mensch wünschen und begehren möchte! Mit wenig Worten viel zu sagen:

Candida fidereis ardefcnnt Imnina flammis; fundunt colla rofas et cedit crinibits aiiniui. Mellea purpureum depromunt ora rnborein, lacteague admixtu* fublhnat pectora fang-uis. (Petr, -drb.) sJhre glänzenden Augen glühen mit himmlischen Flam­ men, ihrem Nacken entblühen Rosen, und ihre Locken beschämen das Gold; ihr süßer Mund ist roth wie Purpur und die Weiße ihrer Brust wird erhöht vom durchschimmernden Blute.j .0 wie weiß die meiste Welt so gar nicht, wo die rechte Wollust zu suchen! Mancher sucht sie in dem Feuer, als da sind die närri­ schen Goldmacher; mancher auf und in dem Wasser, als die großmögenden Kaufleute und armen Fischer; mancher in der Erden, als die nachgrübligen Bergleute und arbeitsamen Ackerleute; mancher in der Luft, als die Vogler, Vogelfänger und Falkner. Aber, o wie weislich giebt der Studenten Cornelius2 seinen Ausschlag hierin, wann er sagt:

1) I. O. der Rubin. s) Wahrscheinlich ein verloren gegangenes Spaßbüchlein jener Seit, entweder scherzhaft nach dem Cornelius Nepos. I. 1.

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0 ihr Thoren alle vier! was ihr sucht, das find't ihr hier^

Als ich in meiner lieblichen Thorheit und thorheitlichen Lieblichkeit, in meiner inbrünstigen Zuneigung und zu, miglichen Inbrünstigkeit noch ferner fortfahren wollte, nahm mich der Alte beim Arm und erschüttelte mich ziemlicherma, ßen. „Und wie? sprach er; bist du nun gar zum Thoren worden? Weißt du auch mit deiner 1 Narrheit noch ein Ende zu finden? Ich höre aus deinem DuhleNgeschwatz sehr wohl, daß du mehr der Studenten Cornelius, aldeine Coinpeüdiä oder Institiitiones ^juristischen kehrbüchet gesehen, gehöret und gelesen; und baß du den oberwahnten2 vermeintlich schönen 3 4 heiligen DerS, welchen Aventhms * dem Hieronymus zuschreibet: ant deus aut lapis eft etc. gewiß besser in der Schule behalten hast, als den D. Thomas Scotus 5, Suarez 6 und andere; oder von Cornelius, Hörnertrag er, Hahnrei [Cornutut in de Hanreitate, siehe: Facetiae facetiarum, Pathopoli 1645 12.] so benannt. 1) I. O. an deiner. r) Z- O. oberzählten. s) I» O schönen-vermeinteN. 4) Joh. Aventinus, eigentlich Ä h u r m a h r, Verfasser dev trefflichen bayr. Chronik Frkf. 1522. Er war geb. zu Abensberg in Oberbayern, studirte zu Ingolstadt und Pa­ ris und wurde dann Lehrer der Söhne des Herzogs Wil­ helm von Bayern. Er starb 1534 zu Regensburg. Jn PhilanderS zweitem Theil eln Mehreres von ihm. S) Thomas Scotus, ein namhafter kath Theolog, bet i. I. 1557 vom Papst Paul IV. zum Generalcommiffäv der Inquisition zu Rom bestellt, nach dessen Tode vom Volke Mißhandelt, aber von Pius IV. wieder in sein Amt eingesetzt und 1565 zum Bischoff von Turin erwählt wurde, wo er im folgenden Jahre starb. Er schrieb unter andern t Volumen ad versus dogmata Lutheri. 6) Man kennt drei Gelehrte, die diesen Namen führen. 1) Franciscus Suarez, ein spanischer Jesuit, geb. zu Grenada 1548, der zu Alcala, Salamanca und Rom Phi­ losophie und Theologie lehrte und 1617 zu LiffaboU starbt 2) Emanuel Suarez Ribera, «n spanischerRechtögelehrter, Verfasser des großen Werkes: Thesaurus re-

Der Welr We>en. •

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meines Erachtens, weil dir jene Thorheit besser einge­ flogen, als dieser ihre subtilisationes gespitzte Grillen oder Grillenspitzen^ — So geht's, wann einer hinaus in die Fremde ziehet, ehe er seinen völligen Verstand hat: dann lernet ihr thörichten jungen Leute einen Narrenpossen für was Besonderes, und haltet einen lächerlichen Vers höher, als die Künste alle, und übet euch in der narrischen Thorheit mit allen Sinnen; ja wann es gar hoch kommt, so kann es euch eurer Meinung nach nicht fehlen, als die ihr tcn *1 beim Zapfen, den darum1 im Keller, ceptaruta senteiitiarüm juria. 3) Joseph Ntarlä Suarez, Probst zu Avignon, zuletzt Bischoff zu Vaifon, der in der ersten Hälfte deö I7ten Jahrhunderts gelebt und geschrieben hat. Hier ist wohl, aus der Zusammen­ stellung dieses Zackens mit Thomas Scotus zu schließen, Franciscus Suarez gemeint.

1) Scheidewein, entweder Mit Anspielung auf Scheide­ wasser oder auf Abschiedswein; dies Wort steht scherzweise hier statt Schneidewein d. L des Johannes Schneide­ winds Commentariua ad Ihftituta. Schneidewein war nämlich ein berühmter deutscher Rechtsgelehrter. Er war 1519 zu Stolberg geboren, wo er den Grund zu seinen Studien legte. >530 wurde er nach Wittenberg gethan, wo er bei Luthern fast zehn Jahre lang Wohnung und Tisch hatte, und von ihm wie ein Kind geliebt wurde. Er heirathete im Losten Jahre und studierte darauf die Rechtswissenschaft, wurde Kanzleirath beim Grafen Gün­ ther von Schwarzburg und dann Professor jur^ ord. zu Wittenberg, zuletzt Appellationsrath ' und Mitglied deSchöppenftuhlsr 1557 schickte ihn der Kurfürst von Sach­ sen auf das Kammergericht zu Speyer und bediente sich seiner in verschiedenen wichtigen Angelegenheiten. Er starb 1568 zu Zerbst plötzlich und wurde zu Wittenberg an Lu­ thers Seite begraben. Sein Wahlspruch warr nec spe, nee metii. 6") Clarus, Anspielung auf daß Getränk Clarett, damals auch Luterwein d. i. lauterer Wein genannt. Hier sind gemeint die Werke des berühmten Rechtsgelehrten Julius Clarus, geb. 1525 zu Alexandria im Mailändischen. Er erhielt 1550 die Doctorwürde zu Pavia, wurde vom

lüO

Der Well Wesen. den Balchvmum * 1 2 im Glas, den Balduin8 im Pastetenhans gelesen, und nunmehr die Institutiones3 bei den Ohren haltet, die Paratitla 4 bei den Armen, den Codicem 5 de ventre, die Novellas 6 *in den Hosen, die AuthenticasT in den Haaren,

König Philipp zu seinem Rath im MaNLndilchen ernannt und nachher in den hohen Rath von Italien gezogen. Als er an die Republik Genua gesandt wurde, um eine Zwie­ tracht daselbst beizulegen, starb er auf dem Wege dahin zu Carthagena i. I. 1575. . Es sind verschiedene Abhandlun­ gen von ihm vorhanden: de feudia, de Teftamentis, de Donationibus; Ci iminalia. 1) Ba ldwin (gleichsam: laß uns bald Wein trinken!) Hierunter sind die Schriften des Rechtsgelehrten Franz Balduin oder Baudouin verstanden. Er war 1520 zu Arras geboren, studierte auf der Hochschule zu Löwen, und wurde dann Professor der Rechte zu Bourges. Darauf lehrte er zu Straßburg und zu Heidelberg. Späterhin gieng er in die Niederlande, wo ihm der Herzog von Alba eine Stelle beim Blutgericht geben wollte; weil er aber dazu nicht Lust hatte, wendete er sich nach Paris, wo er über die Pandecten las. Zuletzt lehrte er zu Angers und starb dann auf einer Reise nach Paris daselbst 1575. Er hatte siebenmal seine Confeffion verändert, indem er zwi­ schen der katholischen, reformirten und lutherischen hin und her schwankte. Er war übrigens ein Mann von großer Gelehrsamkeit und hinterließ viele Schriften, worunter besonders Prolegomena de jure civili, commentar. in libr. IV Institutionum u. s. w. 2) Baldus (gleichsam: laß uns bald ins Pastetenhaus gehen!). Hier sind die Schriften des Rechtsgelehrten Bal­ dus de Ubaldis gemeint. Das Nähere von ih-m siehe in der Note 2. Seite 67. »), 5), 6) und 7) sind Theile des Corpus juris civilis oder deß röm. Rechtsbuches, welches Kaiser Justinian 518 und 534 nach CH. fertigen ließ. Zum Corpus des römischen Rechts gehören die P a n d e c t e n in drei Bänden, die 12 Bücher deCodex, die Institutionen, die Novelle!) oder Authenticum in 9 Unterabtheilungen, dazu als lote Abtheilung die kebnrechtssammlungen und die neueren Kaisergesetze. -***-

Der Wett W esen.

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die Reichsabschiede*1 im Säckel, die Extravagantien2 im Herzen habet, mit welchen ihr vagiret wie die Vaganten3 alle, und wann ihr nach Haus kommet, euch das Hirn und der Verstand wie eine Gallrei sGallert^I verstabert sgestockt^, steht, und [ifjr] zu keinen Geschäften was ju reden und zu sagen wisset. Dann heißt es wohl: Gickes Gäckes ist deine Lehr', und ob du schon fährst üder Meer, damit so geht die Jugend hin; und zieht du schon nach Genf und Wien, nach Bourges und nach Orleans, und willst seyn ein Herr Großer-Hans ; so ist doch alles dein Studieren nichts als ein üppig's Fabuliren: und wann du wieder kommst nach Haus, führst Mistlinuin auf Wagliiiiiin 4 aus. 4) ein Theil des Codex oder Rechrsbuches, welches Kaiser Theodosius der Jüngere i. I. 438. fertigen und ausgehen ließ. — Die unter 4) s) und 6) enthaltenen Wortspiele lassen sich anständig wohl nicht erklären. 1) d. Geld im Säckel, mit Anspielung auf die in den Reichs­ abschieden bestimmten Geldbeiträge zu Kriegen rc. Reichs­ abschied hieß der Inbegriff sämmtlicher Beschlüsse eines deut. Reichstags, die der junge Jurist kennen lernen mußte. Z) d. i. ausschweifende Liebesgedanken; Extravagmtia Reiften übrigens die 5 Bücher der spätern päpstlichen Entscheidun­ gen oder Decretalen, die zu der Sammlung der ältern Kirchenversammlungsbeschlüsse und päpstlichen Decrete hinzuge­ kommen sind. Diese beiden Sammlungen mit noch zwe Büchern späterer Decretalen machen das corpu» juris canonici oder das röm. Kirchenrecht aus. 3) Vaganten, auch fahrende Schüler genannt, wandernde Studenten, die im löten und I7ten Jahrhundert nach Art der Handwerksburschen, nur zum größten Theil mit mehr Anmaßung, umherzogen und ihr Brot durch Stundengeben, lieber aber noch durch Bettelei und lose Künste zu gewin­ nen suchten. Bon ihrem rohen und abentheuerlichen Leben s. Vulpius Vorzeit I. p. 26 — 49. 4) so führst du Mist auf dem Wagen hinaus: scherzweise als wenn unter » Mistlinus und Waglinus * gelehrte Manner und deren gelehrte Werk] sagte mir dabei diese Worte: Hic Venus et Cupido, nova sceleri-

bus inventa Niunina; quasi peccare tuto liceat praeeuntibus diis!1 Vana ista demens animus adscivit ßbi, Venerisque nomen finxit atque arcus dei,

quo liberius per fcelera Juventus iret, cmn deos Laberet monitores, autores, duces. 1 Odit somnus iners, odit Venus improba lucem: eft animi somnus mors, animaeque Venus. (Ow. L. siÄg. 237.) lDas da sind Venus und Kupido, neue Gottheiten, die man um schändlicher Sünden willen erfunden hat; gleich als ob man dann ungescheut sündigen dürfte, wann Götter mit ihrem Beispiel vorgehen! Der Wahn­ sinn hat sich jene eitlen Gebilde geschaffen und den Na­ men Venus und den Gott mit dem Bogen erdichtet, damit die junge Welt desto ungebundener dergleichen Sünden treiben könne, wann sie Götter zu Verfüh­ rern', Anstiftern und Anleitern hätte. Der unthätige Schlaf und die schandbare Liebe hassen das Licht. Ein Schlaf des Geistes ist der Tod, ein Schlaf der Seele diese Liebe.]

1) Carol. Scriban. Adol. prodig. p. ig.

O behüte Gott! sprach ich:

Cogitis in quantos hominum genus onme furores, tu Venus, o midier, tuque, o Cupido, pner! (Ow. L. sing. 257.) sDenus, o du Weib, und du Knabe, Kupido, zu welch' argen Tollheiten bringt ihr daS ganze Menschenge, schlecht!) Gieng also fort und in ein anderes Gebau, darin die Eheweiber beisammen waren. Etliche unter ihnen küßten ihre Männer, nicht zwar aus Liebe, sondern die guten Narren damit zu bethören; vultmn enim quae

pennutat, fraudem qnaerit, non fatisfactionem. (Petr, sdenn die das Gesicht verstellt, sucht zu betrü­ gen, nicht zu genügen.) Etliche wurden von ihren Männern Tag und Nacht gehütet1 und ausgespäht, die ihnen allenthalben auf dem Fuß folgten, damit sie nicht irgend eine Thorheit begiengen. — Aber der Alte sagte mir: „ES ist vergebens. Flöh' in einem Korb szu) hüten! es ist eine verlorne Arbeit, wenn man muß Wasser in Bronnen tragen!"

Frustra observatur conjux: ea sola marituni, quae, quamvis possit fallere, nolit, amat. (Ow. L. sing. 157.) [Sine Frau hütet man vergeblich: die allein liebt ihren Mann, die, wenn sie ihn auch hintergehen könnte, es doch nicht thun will.) — Unter diesen 2 Weibern preisieten gleichwohl sich etliche selig, wann [schon) sie, um fremder Liebe willen, dieses und ein Mehreres ausstehen und leiden mußten.

Cur Venus illicitum sequitur Vulcania Martern? Vulcanits licita claudicat in Venere. (Ow. 1, 23.) 1) I. O. verhütet. S) I. O. Unter welchen W. gleichw. sich etl. s. preiseten.

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Denusnarren.

tWarum halt es denn Vulkans Frau, die Venus, verbotenerweise mit dem Mars? der rechtmäßige Ehe, ständner Vulkan hinkt eben! ] — Andere nahmen sich vor. Bitt, sBet^fahrt an einen Ort zu verrichten, etwas um Gotteswillen zu geben, in die Kirche zu gehen, in den Sauerbrunnen zu reisen, einen Kranken zu besuchen, eine Kindbetterin anzusprechen: „ Ach, mein herzlieber Mann, da und da muß ich Ehren und Gewissens oder meiner Gesundheit wegen hin; indessen bleib' du daheim, hab' gut Sorg' zum Haus! guck auch zum Kind!" Aber in der That war's auf andre Ursach' abgesehen1: dem heimlichen Buhlen einen Narrengang zu Gefallen zu thun, auf, auf bem Plainpalais, ä Laney, ä la belle cour, en Pille, aupr&s aux Clercs, ä St. Cloud, ä Charenton, auprös des Allemands, au Sauffy 2, auf den Schießrain, in die Ru, prechtsau, nach St. Arbogast, nach Keyl sK eh l^I, nach Jllkirch, nach Schilkheim, nach Bischeim l^Bisheim^ und Hönheim zu spatzieren, im grünen Schiff die Ilm hinauf in das grüne Gras und nach St. Oswald 3 4 zu fahren; — indem der arme Mann mit beiden Händen arbeiten, hacken und roden mußte, daß ihm der bittere Schweiß über das Gesicht abrann. — Andere giengen in das Bad: warum? darum! daß sie sich wollten schrö­ pfen lassen. Aber zu höchsten^ Mißfallen hat man vor Kurzem löblich verordnet, daß die Mannsleute, denen zu Ehren oft dergleichen Badgeld spendiret worden, in andern Zimmern zu baden sollten angewiesen werbens.

1) 3t O. um anderer Ursachen willen angesehen. 2) Lauter Vergnügungsorte um Paris und 3) um Straßburg herum.

4) I. O. zu höchstem ihrem. 5) Wie es damals in den Bädern zugieng, ersieht man am besten aus jenem bekannten Briefe des Kanzlers der Republik Florenz Poggio Bracciolini, den derselbe 1417 aus dem Schweizerbade Baden an seinen Freund Nicolo Nicoli in Floren- geschrieben hat. Eine Uebersetzung da­ von steht in der ^B adenfahrt" v.Das. Heß, Zürich,

D-nuSn arrerr.

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Und derowegen' ist's nicht *, daß diese armen Weibriger jetzund so maulhänkolisch da in Gedanken liegen, als wollten sie die Bank durchschwitzen. Andere sah ich oft und fleißig zur Beicht gehen, damit sie in guten Werken desto mehr unterwiesen würden! Und diese waren gleichwohl nit gut katholisch, sondern sie kamen mir etwas ketzerisch vor, als die auf den Ablaß nicht viel halten. — Etliche, die doch selbs nicht viel zu essen hatten, hielten ihren Kindern Praeceptores zu Hause, warum? darum! daß sie desto ge, lehrter und informirter werden möchten. — Etliche wa­ ren darauf aus, wie sie. Krüge brechen könnten, aus Ursach', weil ihre Männer — Häfen brachen! Ancillarioluin tua te vocat uxor, et ipsa lecticariola est: estis, alauda, pares! (Mart. 12, 58.) Orell 1818. Siehe ferner Heinrich Pantaleons Be­ schreibung der uralten Stadt Baden, samt ihren heilsa­ men warmen Wildbädern, Basel 1578. — Am berühm­ testen unter den Bädern der damaligen Zeit war nämlich das Bad Baden im Aargau, wo sich die lebenslustigen Leute aus allen Ständen und Gegenden zusammenfanden. Aebte, Domherren, Mönche, Nonnen, Krieger, Hand­ werker rc. führten da ein höchst ungebundenes Leben. In großen Badezimmern badeten beide Geschlechter, mit einem Badehemde angethan, untereinander: sie spielten Karten oder Würfel miteinander an herumschwimmenden Tischen, oder speisten an denselben. Auf oben angebrachten Gallerien befanden sich die Zuschauer, von denen Mancher von den unten badenden Mädchen um eine Gabe gebeten wurde: warf er Geld oder Blumen hinab, so breiteten diese ihr Badgewand aus, um die Gabe aufzufangen. Aus allen Badegrotten ertönte Gesang und Spiel. Nach dem Bad versammelte man sich auf der Wiese unter dem Schalten der Bäume und sprach miteinander oder spielte z. B. das Ballspiel. Darauf gieng es zur Tafel und zum Tanz, wobei es nicht weniger frei und ungenirt zuging. Die Folgen dieser Sittenungebundenheit lassen sich denken. Vulp. Vorzeit I. S. 261. 1) I. O. Ursach ist.

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Denusnarren.

Etliche trachteten, wie sie sich an ihren Mannern rächen möchten, nach dem Sprüchwort: es hab' ein Weib keine größere Freude, als wann sie sich an ihrem Mann rächen könne. Etliche unter ihnen waren mür­ risch, weil zu gebührender Zeit der Mann nicht da­ heim ; andere eben darum, weil der Mann auf ungebüh­ rende Zeit zu Hause war. — Etliche, wann der Mann sie erzürnt oder in etwas wenigs ihrem zimperlichen Willen und Wohlgefallen zuwider gethan, waren so un­ gehalten, daß er selbige Nacht nicht zu ihr durfte, wie zutäppisch er sich auch in Worten und Werken gegen sie erzeigte: der arme Narr mußte auf der Bank schla, fen, mußte die ganze Nacht durch das Kind wiegen, mußte der Gnad-Frauen das Trinkgeschirr darbieten, mit untersichtigem, tiefseufzendem Gehorsam aufwarten, mit großer Ehrerbietung das Trinkgeschirr von der Frauen wieder empfangen, die Haube in Händen tragen und erwarten, was ihm in einem und anderem mehr für Befehl aufgetragen werden wollte.

Unter diesen allen gleichwohl waren diejenigen Wei­ ber nicht zu finden, deren Männer im Krieg, auf der Reise, in der Messe, auf den Jahrmärkten und sonsten verhindert worden, oder welche \ die Ihrigen zu ernäh­ ren, ein armer Bot' Tag und Nacht, Jahr und Tag herumlaufen mußten; die dann sich 2 die Zeit über als Jungfrauen verhielten, bis die Männer wieder nach Hause kamen, da sie doch alle dreiviertel Jahr' ihr Kind ohne Fehl sohnfehlbar^I in der Wiege fanden, und das Geschrei ohne Wolle hören mußten.

Nefcio quid de te non belle, Dento, fateris, conjuge qui ducta jura paterna petis. Sed jam supplicibus dominum lafsare libellis deßue, et in patriam Perus ab urbe re di.

1D I. O. oder so. 2) I. O. dann dieselbige sich.

Nam dum tu longe deferta uxore ditique lies guaeris natos, quattuor hivenies.

{Mart. 8, 31.) In einem andern Zimmer, nahe bei diesem, waren die ehrsamen, ehrbaren, betagten Manner und Wittfrauen, welche c.n Witz und Erfahrenheit den andern weit vorzusetzen. Sie stelleten sich alle gar gra, vitätisch, züchtig und still, konnten nicht leiden, daß junge Leutlein ein Wort reden oder nur lachen sollten, und wo sie nur sahen, daß zwei miteinander Sprach' hielten oder einander ansahcn, so war es bei ihnen ein gewisser Schluß: es mußten die zwei gehurt haben. Dönn keiner sucht einen andern hinter dem Ofen, der nicht zuvor daselbst gewesen. Und hatten sie eben so, wohl bei ihrem Alter noch mancherlei Zufälle und An­ fechtungen, so daß man ihre Thorheit unschwer vermer, ken konnte und die Gravität nicht lange Platz fand sStand hielt).

Erubuit posuitque me um Lucretia librum, fed coram Bruto. Brüte, recede, — leget.

(Mart. 11, 17.) sLucretia legte erröthcnd mein Buch weg, so lange Bru, tus zugegen war. Laßt den wieder weggehen, so wird sie wieder fortlesen.) Eine sah ich, die weinete mit ihrem rechten Aug' um ihren verstorbenen Mann, und mit dem linken Aug' gab sie ihrem Buhlen einen freundlichen Blick von Herzen, eben wie die Franzosen, wenn sie einem die linke Hand geben, sagen: c'est la maln du Coeur, es sey die Hand vom Herzen, und die Liebe sey auf der linken Seiten viel stärker, als auf der rechten. — Eine andere sah ich in der hohen Trauer gehen, nicht aus Herzeleid, sondern wegen der Gewohnheit und wegen der Zeit. — Viel' andere, ohne äußerliche Trauer und Schleier, giengen in dem Gemach auf und ab, welche dem Ansehen nach fromme, aufrichtige Matronen

142

Venusnarren.

waren; wie ich aber hernach vernahm, waren es Mammelukinnen, und die keinen Glauben hatten, auch Nie­ manden Glauben hielten. — Andere wetteten mitein­ ander, welcher der Schleier, @tur$l,2 Flor 2 , Trauer besser anstehen sollte. Diese, da sie in solcher Tracht Leid tragen sollten, trugen sich so zierlich, so zimperlich, so pintlich, [p u n f t H d)], so musterlich, daß man ihre hoä-zeitlichen Gedanken leichtlich merken konnte. In einem andern Zimmer sah ich etliche Haufen Weibsvolk ohne Unterschied [>$] Alters oder Standes unter einander herumgehen. Unter diesen waren etlick-e alte, verlebte^ Mütter, so sich doch in Kleidung, in Gebärden und in ihrem ganzen Wesen den jungen Mägdlein gleich hielten, damit sie den Männern gleich, wohl die Gedanken verunruhigen möchten. — Hinwie­ derum sah ich etliche junge Mägdlein sich tapfer tum­ meln, sich der Zeit und Gelegenheit frisch gebrauchen und sich eilen, damit sie nicht zu spat kämen, weil sie doch im Alter darben müßten, nach dem was dort geschrieben steht:

Utere temporibus praesentibus, utere rebus: teinpus erit, nulhiin qiiuin tibi teinpus erit. Grammaticus de praeterito dicatque futuro tempore: praesenti, dum licet 9 utar eg*o. (Ow. 1, 27.) Mütze die Gegenwart und die Dinge in der Gegenwart: wenn du einmal Zeit hast, dann ist die rechte Zeit vorbei. Mag der Grammatiker von einem Praeteritmn seiner Vergangenheit^ und von einem Futurum seiner Zukunft^ reden: — ich will das Praesens sdie Gegen­ wart^ nützen, so lang' es vergönnt ist] Viel' waren unter ihnen, welche schöne, vergüldete Bücher trugen, andere ganz schwarz mit Korduan über.

1) Sturz, Schleier, calyptra. Dafybod. Lex. 2) I. O. Flur. s) I. £). erlebte.

zogen, so ich dem Ansehen nach für Höras sacras, facras Litanias1, Rosengärtlein 2, Katechismus, Jesus Sirach, Psalter, Habermann 3,4 Paradeisgärtlein *, Andachten, Wasserquelle^, wahres Christenthum 5,6 Uebung 7 der Gott­ seligkeit 2, Selbbetrug 2 rc. achtete. Als ich sie aber ein wenig aufthat und das Innere besah, so waren eS der Amadis b, roie] SchäfereiRollwagen Garten, gesellschast b, Schimpf und Ernst 8,9 Eulenspiegel, 10 11 König Löws, Melusina^, Ritter Pontus", Herr Tri-

1) lateinische Gebetbücher. 2) Lauter Andachts - und Gebetbücher. 3) Joh. Habermann (gen. Avenarius') geb. 1516 in Böhmen, Dr. Theol. und Professor zu Jena und Wit­ tenberg, schrieb unter andern ein Gebetbuch, das sehr oft gedruckt worden. Straßburg 1578. Wittbg.1583. Lübeck 1610. Es giebt auch neuere Frankfurter Ausgaben. 4) das »Paradiesgärtlein * und 5) »das wahre Christen­ thum « sind von Joh. Arnd. Derselbe war geb. 1555 zu Ballenstädt im Anhaltischen, wo sein Vater Hofpredi­ ger war. Er legte sich anfangs auf die Medicin, ver­ tauschte sie aber bald mit der Theologie und erbaute durch sein Leben und seine Lehre unzählige Menschen. Nachdem er an mehreren Orten verschiedene Pfarrstellen bekleidet, wurde er zuletzt 1611 Generalsuperintendent zu Zelle, wo er 1621 starb. Er hinterließ viele Erbauungsschriften, un­ ter denen die obgenannten, in verschiedene Sprachen über­ setzt, am weitesten verbreitet, am längsten gelesen und auch neuerdings wieder hervorgesucht und herausgegeben wurden. 6) Siehe Seite 25. Note 1. 7) Siehe Seite 26. Note 1. 8) alte Sammlungen von Erzählungen und Schwänken. Der Verfasser v. Schimpf und Ernst ist der Barfüßer Jo­ hann Pauli; der Verf. der Gartengesellschaft Jakob Frey. 9) S. Seite 26. Nor. 3. 10) »Wunderbare Geschichte von der edelen und schönen M elusine," das erste und verbreitetste Feengedicht, nach im Volke lebenden Sagen, von Jean . Monost. 5.)

sWer im ledigen Stand seine jungfräuliche Ehre bewah, ren will, der meide Müssiggang und Weiberklicken: giebt man den Müssiggang auf, so kann einem Kupi, do's Pfeil nichts anhaben.^ Wie er nun, der Alte, fürder' gieng, sah ich noch in diesem Zimmer etliche Niederländische oder Hollän­ dische, die sich nennten aus Flandern, weil sie einen gaben um den andern. Nulla fides Veneri; levis eft interque planetas ponitur, hand inter sidera fixa Venus.

(Ow. 1, 68.) fVon Treue weiß Frau Venus nichts; sie ist leichtsinnig und wird darum unter die Wandelsterne, nicht unter die Fix - und Standstcrne gerechnet.) — Diese thaten nichts als Wechselbriefe hin und herschicken, und war ihr traffique oder Gewerb so groß , als das der

1) I. O. »ortet.

148

Venus narren.

Fugger * von Augsburg und der höfischen Gesellschaft^ immer seyn mag. Solarem muliebris amor non durat in annum Phyllidis: instabilem Phyllida Luna regit. Menftrua mente solet Phyllis, non corpore tantuin, quovis inense pati : menftnius hnjus amor.

(Ow. 1. 17.)

Eine Lieb' und nicht mehr wär' allen Frauen wohl eine Ehr'; sie wollen's aber nicht verstahn, ihrer etliche wollen zween, auch drei Han. Etliche liebten nur diejenigen, von welchen sie doch geliebt wurden; und von welchen sie geliebt wurden, die liebten sie nicht. D’oü vient, qu’une dame legere prife toujours la loyaute, qu’elle prife en la mani&re,

1)

Das reichste HakldelshauS jener Zeit. Joh. Fugger, ein Weber zu Augsburg, der 1409 starb, hinterließ zwei Söhne, Andreas und Jakob, die sich durch den Handel, der damals noch seinen Hauptweg durch Deutsch­ land nahm, ein großes Vermögen erwarben. Jakob Fug­ ger brachte zwei Grafschaften.und fünf Herrschaften an sich und wurde von Kaiser Maximilian I. in den Adelstand erhoben. Das Geschlecht der Fugger theilt sich in mehrere Linien, darunter gräfliche und fürstliche, und hat viele vortreffliche Männer aufzuweisen, die sich um Wissenschaf­ ten, Künste und die leidende Menschheit sehr verdient machten. Der Reichthum und die Prachtliebe der Fugger war damals zum europäischen Sprüchwort geworden. AlS Kaiser Karl V. 1556 durch Augsburg kam, bewirtheten ihn die Fugger aufs herrlichste und warfen eine hohe Schuldverschreibung des Kaisers samt einem Bündel Zim­ mer, der damals im höchsten Preise stand, in den Ka­ min. — Dem Kaiser Franz 1. schossen sie und die W e l se r Zwölf Tonnen Goldes vor, womit er sich aus Karl's Ge­ fangenschaft löste. 2) Mir unbekannt. Ist etwa die Fdmilie der Im-Hof gemeint?

Denusnarren.

149

qifini aveugle fait la clarte: aiuß qiie plußeiirs fönt grand cas de beiles choses, qu’ils n’ont pas.

Moher kommts', daß ein leichtsinnig Weib immer von der Treue so viel Rühmens macht, etwa wie der Blinde, wann er das Licht rühmt? So machen Viele ein groß Wesen von den Herrlichkeiten, die sie — nicht besitzen.) In Summa Summarum, es waren der Zustände so viel' und gefährlichel, daß der Arzt an der Hülfe und Heilung schier verzweiflen wollte. Auö diesem Zimmer kam ich wiederum in ein ande­ res, darin diejenigen Weiber waren, welche den le­ digen Stand gelobt hatten 2; * 4und S) diese waren nicht so toll, wie die vorigen, weil sie sonst an allen Orten Mittel fanden, ihrer Krankheit Linderung zu schaffen. Etliche unter ihnen waren den Schnapphah­ nen * gleich, als welche manchem ehrlichen Mann das Seinige abnahmen und einem Bettler gaben. Zwar es ist ein Werk der Barmherzigkeit, die Nackenden kleiden; aber ist auch ein Werk der Unbarmherzigkeit, einen Bekleideten ausziehen. „Da siehest du, sprach der Alte, die böse Gewohnheit untreuer Weiber, die von nichts als Treue zu sagen wissen, und doch so gar wenig Treu' und Glauben halten; die lose Lust und sdas) Gelüste leicht­ fertiger Weiber, welche sich oft eher an einem kothigen Kerchelzieher *, Kornwerfer, Beckenknecht, Metzger, Schiffmann oder anderen groben Bengel vergaffen, als an ihren eigenen Ehemännern, denen sie eher alles ab­ tragen, als daß sie den Gespannen * einen Mangel leiden ließen: und fes) dießfallS wahr seyn muß: — pauper ubique jacet. (Ovid.). 1) I. O. die Zustände so viel und gefährlich. 2) Am Rand: Expertae Robertae. s) eig. Parteygänger im Kriege, die darauf auSgehen, fremdes Gut zu erschnappen, Straßenräuber. 4) die Karrenzieher. S) d. L Liebhaber.

150

Denusnarren.

Ein grober Flegel schlägt oft sechs Kegel; da sonst ein ehrlich Biedermann nicht wohl Einen Kegel treffen kann. Jener arme Poet, der von der Königin Elisabeth eine Steuer bat, gab ihr, als sie aus Erbärmde fE r b a rtnung] sagte: „Pauper ubique jacet, der Arme muß allenthalben liegen", alsbald 1 diese vernünftige Ant, wort: In thalamis regina tuis hac nocte cubarein, si foret hoc verum: pauper ubique jacet.

Nun jetzt, Gottlob, bin ich aufs Höchst' gestiegen und, wie ich hör', aus aller Noth errett': denn wenn der Arm' muß allenthalben liegen, so schlaf' ich heut in meiner Kön'gin Bett! Etliche waren über die Maßen thöricht und wußten doch nicht warum? allein deswegen, tvcU2 etwa ein Poet in seinen Reimen ihre Schönheit gelobt, ihre Haar' in güldene Fäden oder Sonnenstrahlen, ihre Zähne in Helfenbein und Perlen, Mund und Lippen 3 in Korallen, ihren ganzen Leib in Edelgestein und Bi, sam verwandelt hatte. — Eine sah ich mit einem Stern, gucker Sprach' halten, damit er ihr ein thema, ihre Genefin 4, ihren Horofcopmns, ihre Nativität 6 (so die l) I. O. bat, und sie aus rc. — gab ihrs alsbald. 2j I. O. allein aus Ursachen, daß.. S) I. O. Lefzen. 4) Genesis, Geburt oder Schöpfung, — ist auch der Titel des ersten Buch Mosis, das von der Schöpfung handelt. v) Horoskop ist ein mathematisches Werkzeug, worauf die Tags- und Nachtlä'ngen verzeichnet sind und dessen sich die Sterndeuter bedienten, um bei der Geburt eines Menschen die Stellung der Gestirne zu bestimmen, welcher sie Einfluß aus die Handlungen und Schicksale desselben zuschrieben. Dies nannte man ^Nativitätftellen." 6) astrologische Anzeige von der Zukunft und Deutung der Geburtsstunde. »

Weiber Antifität nennen; jene meinte, es wäre das erste Buch Mosis) stellen und weisen sollte, in welchem Hans sie geboren [wäre], und was Glücks sie in der Welt, was für einen Mann, wie viel' Kinder zu hoffen hätte, und wie bald? — Eine andere sah ich mit einer Zigeunerin oder Zauberin sprachen, sSprach' haltens, welcher sie die Hände und den H — weisen jmußte. Diese war so mitleidig und barm, herzig, daß wo sie einem die Liebe hätte zu fressen ge­ ben können, sie keine Kosten würde gespart haben. 0 wie viel sah ich derer, welchen es, lvann sie ihre entlehnten Haare, ihre geflickte Schönheit, ihre gekaufte Gestalt hätten wiederum sher^ geben sollen, viel tiefer, kicher * würde ergangen seyn, als der Krähe des Aeso, pus^ mit den entlehnten Federn^. Ich schüttelte den Kopf und mit lächelndem Mund über alle diese Thorheit gieng ich von dannen und kam in ein anderes großes Gebäu, so von dem vorigen mit einem kleinen Durchgang unterschieden, in welchem die Mannspersonen Wohnung und Aufenthalt hatten. Die Ersten wurden genennet Weibernarren, deren Krankheit einig und allein daher kam, daß sie stets hinten und vornen um und an den Weibern seyn wollten. Und wer ihnen von der Kur nur redete, der war bei ihnen angefeindet und gehasset: meinten also die guten Männer, es wäre ein — opus meritorum (seligmachendes Verdienst), wann sie in solcher Thor­ heit sollten das Leben lassen, und ob sie schon die Urx 1) I. O. derer, wann sie re. — es ihnen viel lach. 2) der angebliche Verfasser der alten äsopischen Fabeln, die um das Jahr 1327 zuerst gesammelt und nachher viel be­ arbeitet und vermehrt worden sind. Aesop selbst war ein phrygischer zuletzt sreigelassener, der Sage nach sehr häß­ licher Sklave, der um 555 nach des PyädruS Meinung zu Athen lebte und nach seinem Tode von den Athenern wegen seiner Talente durch eine Bildsäule geehrt wurde. S) I. O. lächerlicher^ als des Aesopus Krähe» mit den ent­ lehnten Federn würde ergangen haben.

152

Venus» ar rro.

fach und den Ursprung ihres Uebels, wie fetter gute Bruder, merken und wissen, wollten fle doch nicht ge­ holfen haben. Serowegen sie auch, um ihrer vortreff, lichen Dienste willen, Macht fErlaubniK hatten, die Kapp' mit vier Schellen zu zieren *, da andere nur zwo tragen dürfen. 0 wie manchen guten Schlucker? hab' ich allda gesehen, der, wann vor diesem eine neue Narren, mode(-tracht) kaum aufkommen [war], seinem Schatz, seiner maitrefle, seiner Dame zu Gefallen, alles darauf spendirt hatte, doch sonst mit guten Zähnen daheim fhag übel essen oder aus Andacht gar fasten müssen! Res falsa est, bene olere et efurire. Qni non coenat et ungitur, Fabulle, hie vere mihi mortnus vidotur. (Mari. 3, 12.)

WaS sind das für Narrenpossen, — sprach zu mir ein Edelmann, den ich noch wohl nennen kann, — wann ich trüg' verbrämte Hosen und sollt' doch leicht haben Brot; besser wat* eS, morgen todt. Lieber halt' ich's mit den Bauern, die sich fressen voll die Haut, mit dürr' Fleisch und Sauerkraut, wissen nichts von Noth und Trauen, frippen1 *zu * dem Kalb die Kuh, tragen doch geblähte 4 Schuh ;

1) I. O. zu zieren Macht hatten. s) Am Rand: Knappe-Hansen. v) d. i. bringen das Kalb samt der Kuh durch. — Friper, verderben, verthun, verschwenden; friper le pouce, lustig und guter Dinge seyn, sausen und schmausen. 4) d. i. geflickte Schuh. — Gevlätzt von Platz oder Blatz, s. v. a. dünnes Ding, Stück von etwas, Fleck z. B. von Tuch, Schnittchen z. B. vom. Obst, gothisch: plat-s, Ulfll. Matth, g, 16. Alle Gloss. plez (tuoches). Da-

Denusnarren.

153

Summa: wann nur hat der Magen, soll man keinen Mangel klagen.

Wie manchen großen Monsieur hab' ich allda funden, der vordiesem mit Hunderten den Spielleuten, Kupp­ lerinnen und Zuckerbäckern darbezahlt damit er seinem liebsten Engelein, scilicet! ein Standerlein, einen Tanz, einen Abendtrunk [fjstt] geben *l, bestellen und auf­ tragen mögen ^können, unb] welcher doch anjetzo gern um ein Mittagessen die Hosen versetzt und verpfändet hätte. Hic, quem videtis gressibus vagis lentum, amethystinatus media qui fecat fepta; quem non lacernis Publius meus vincit, non ipfe Codrus, alpha paenulatoruin; quem grex togatus fequitur et capillatus, recenscpie Telia linteisque lorisque: oppigneravit Claudii modo ad inenfam vix octo munmis annulum, unde coenaret.

{Mart. 2, 57.) Wie viel' waren da, die nicht wohl das Brot im Hause hatten, und die dennoch die Tentation fdie Versuchung^, oder vielmehr die titillation und der Kitzel vexirte! In einem Eck, allein, in eben diesem Saal, sah ich etliche schwarze wüste Tropfen2 3mit langen schmutzi­ gen Haaren, davon ein Theil große Knebelbärt' hatten, womit sie einem Kind die Augen hätten ausstechen können; gleichwohl unter ihnen1 auch andere, ganz von pletzen oder bletzen, flicken. Ein altes Sprüchwort sagt: » Man pletzt nicht neue Pletz auf alte Juppen “ (Kleider). » Schubbletzer «, Schuhflicker, Kaiserbergs Postille Bl. 73. » Ein Bletz war ihm von dem Schu ab, von den Solen." Ebendas. — »Hosenbletzer", Schneider oder Kleiderflicker. l) Am Rand: Narrethei kostet mehr als Witz. 2) Am Rand: Eisenleister. 3) I. O. bei ihnen.

154?

Denusnarren.

ohne Bart, wie die alten Huren. Diese insgesamt bil­ deten sich ein, daß sie die schönsten, wohlgestaltetsten, lieblichsten, freundlichsten Kerls auf Erden wären. Der eine trug eine große, gekrauselre Perücke oder gemachtefalsches Haar oder Zopf oder Locken; der andere strich den Knebelbart; der dritte trillete den Bart, wie jener Capitan seine drei Soldaten; der vierte hatte gar keinen Dart, darum wischete er nur das Maul; jener prangte mit seinen weißen weichen Handen, dieser mit seinen kleinen Füßen. Und bei aller solcher Einbildung war doch in Wahrheit ein jeder häßlicher, gräßlicher und unge­ schaffener, als der wüste unflätige 1 bei dem blinden Homer selbst, welcher war — — alGxiöTog dl clvt^q-------- , /wZoff (T €T8qov noda* tw . gebristen thäte. 5) Hier ist absichtlich eine Stelle weggelaffen. I. 1. 16

so man ihnen schwur. Einer liebte heimlich und im Sinn, wie die armen Juden wuchern; ein Anderer öffentlich und ohne Scheu, es wäre denn, daß man es nicht merken wollte. — Mancher liebte umsonst; mancher um den Lohn; mancher gab noch Lohn dazu, und diese waren die liebsten, — dieweil ja durch spa, Nische Dublunen1 2 eine Festung eher kann genommen werden, als durch die Kronen der Franzosen. Mittend! fidos ad ainantes sunt adamantes: solo adamänte polit durum adamanta faber.

(Ow.)

s (Gewissen) Herzliebsten muß man Diamanten schenken, um sie treu zu machen; nur mit dem Diamant schleift der Goldschmied den harten Diamant.^

Mancher verliebte sich um nichts; mancher um's Geld, wie dieser unbärtige Monsieur, aus Antrieb der Göttin Dublona oder Diaboluna E, ein wüstes altes Thier um einen Sack voll Dublonen zur Ehe nahm, und doch hernach von ihr nicht anders als ein Esel geacht't und gehalten wurde3: welches denn aller derer verdienter Lohn ist, die mehr auf unerlaubtes Leid, als auf erlaubte Fröhlichkeit ihr Absehen haben, die da vermeinen alte Weiber zu erben und müssen hernach vor ihnen sterben. Nubere Paulla cupit nobis; eg*o ducere Paullam nolo , anus est; veilem, si inagis esset aniis.

(Marte 10/8.) 1) Dublone, eine ehemalige stanzösischez Goldmünze, fünf Reichsthaler an Werth. 2) Dublona und Diaboluna, ein Wortspiel, gleichsam die Geld-Teufelin.

s) Neben an ein Holzschnitt, der eine häßliche alte Frau vor­ stellt, die einen großen Geldsack trägt, nach welchem ein junger Geselle- hinter dem ein Esel graßet, die Hand ausstreckt.

Venusnarrrn.

163

lPaula will mich heirathen, ich aber mag fle nicht, denn sie ist ein altes Weib; ja, wann sie noch älter wäre, dann möcht' ich wohll j — Mancher verliebte sich gar um Leib und Seel daneben! — Wie ich nun diese letzteren Thoren genugsam besehen hatte, und in das obere Schloß, der Venus Kunstkammer ge­ nannt, gehen wollte, sprach der Alte zu mir, ich könnte jetzt da nicht eingelassen werden, müßte solches »ersparen bis auf ein andermal: denn ich shattcj der Narrheit schon viel zu viel erfahren! Darum führte er mich zurück in den Hof, da ich eingangs sanfangsj gewe­ sen, [unb] darin ich nochmalen mein Wunder sah. Ich sah, wie sich die Zahl der Narren alle Augenblick mehrere. Ich sah die Zeit, durch deren Hülfe etliche genesen waren; ich sah den Eifer sdie Eifersucht^ gegen diejenigen, so es am wenigsten bisweilen verschuldet halten; ich sah das Gedächtniß der alten Liebe und Wunden; ich sah den Verstand in einem finstern Käfig eingeschlossen und gefangen; ich sah die Ver­ nunft mit blinden Augen; und anderes mehr, darüber mir das Gesicht vergieng. Endlich merkte ich ein kleines Thürlein, so enge, daß schwerlich hinauszukommen swarj, bevorab weil Undank und Untreu allda allein den Paß gaben: da ich dann mich, so viel möglich, eilte und davonmachte. Indem zog eben einer meiner anfangs gemeldten Freunde, bei denen ich etliche Tag' zu verharren mich entschlossen hatte, mir den Umhang vom Bett', dar, über ich erwachte und merkte, daß e- heller Tag ward. Wie ich mich nun ermuntert shattej, um mich sah, und in meinem Bett befand, verdroß es mich nicht

1) I. O. Indem Bett zog.

aber

einer

ic.



Mir den

rc. —

164

DenuSnarren.

wenig, daß ich in diesem Narrenhaus mich so lang aufgehalten. Doch war ich zufrieden, indem ich nun wußte, daß auch andere und größere Narren da gewe, feit, als ich bin, und fdaß id/j in der That erfahren, daß Siebe1 2nichts anderes sey, als eine liebliche pure Narrethei.

Was ist die Liebe? Ein Feuer sonder Feuer, ein lebendiger Tod, ein Zorn, doch ohne Gall', ein' angenehme Noth, ein Klagen außer Angst, ein überwundner Sieg, ein unbeherzter Muth, ein freudenvoller Krieg, ein federleichtes Joch, ein nimmerkrankes Leid, Tein zweifelhafter Trost und süße Bitterkeit, ein unverhofftes Gift und kluge Narrethei, ja kürzlich: Lieben ist nur bloße Phantasey.

(Hohmburg M Eft amor in nobis, in lignis ut tatet ignis, ignis uti ligniun, nos levis urit amor. Ligna fed in cineres vanefcant, ignis in anras: nos cinis et nofter quid nifi stimus amor?

(_Ow. L. sing. 229.)

fDie Liebe in uns ist beschaffen wie das Feuer im Holz; so wie das Feuer das Holz verzehrt, so ver.

1) I. O. Menschen-Liebe. 2) Ernst Christian Homburg, geb. zu Mühla bei Eise­ nach, und gest. alS Gerichtsactuar und Rechtskonsulent zu Naumburg 1681. Er war Mitglied der fruchtbrin­ genden Gesellschaft und zeichnete sich als lyrischer und epigrammatischer Dichter durch eine gewisse Leichtigkeit und Anmuth au».

Deau-narreo.

165

zehrt un< die flüchtige Liebe. Aber da- Holz verschwin­ det in Asche, das Feuer in die Lust. — Auch wir sind Asche, und was ist unsere Liebe anderes, als Rauch?^ Was ist Lieben? sich betrüben, sich stets widmen kranker Pein. 0 wie weise, der so leise gehet und mag sicher seyn! Lieb' erwecket Lust, und schmecket anfangs einem Jeden gut; Bald sich wendet, — Kurzweil' endet, martert, daß es wehe thut.

Amor, Spötter aller Götter, Amor aller Schalkheit voll, ohne Wunden geht verbunden, nur daß man ihn klagen soll. Liebesfeuer hat noch heuer' sonst auch, thränend Auge bracht, bald gegeben dem das Leben, jeneni) 2 krank und todt gemacht.

i) d. i. heut zu Tag, wie ehedem. 2) 3> O. diesen.

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Denusnarren. Drum ist Lieben nur betrüben, Götter- — Menschen < Narrethei! Man muß lachen ob den Sachen, ob der klugen Phantasey! (Hohmburg.)

T o d t e n h e e r. Viertes wunderliches und wahrhaftiges Gesicht

Philanderö von Sittewald.

Inhalt. Philander brkcht von Moulins auf und begiebt sich nach Lion. Daselbst wird er durch einen besondern Vorfall zu Todes­ betrachtungen veranlaßt. Ueber diesen Gedanken schläft er ein und sieht im Gesicht einen langen Todtenzug, der aus Aerzten, Apothekern, Bartscherern, Quacksalbern und »HändelschlichtemE besteht. Den Beschluß des Zuges macht der Lod, der sich mit Philandern in eine Unterredung einläßt, worin jener darthut, daß er ganz anders beschaffen sey, als die Menschen ihn schilderten, und sodann die ver>chiedenen Ursachen angiebt, an welchen die Menschen sterben. Hierauf gelangen sie durch eine finstre Höhle, — an deren Eingang »die Welt, das Fleisch und der Leusel« mit dem »Geldteufel« im Kampf begriffen sind, — in das eigentliche Bereich des Todes, das sinnreich beschrieben wird. Der Lod setzt sich hier auf seinen Thron, um den herum fich dann die verschiedenenLodesarten, als eben so viel »kleine Tode«, stellen, deren Wesen näher angegeben wird. Plötzlich thut sich die Erde auf und es kommen die menschgewesenen Todten hervor, von welchen verschiedene den Philander zur Rede setzen und sich über die Verkehrtheiten der lebenden Men­ schen heftig auslassen. Zuletzt geräth Philander mit einem der Todten in Streit; vom Wortwechsel kommt es zu Schlägen, mit welchen der Todte Philandern so hart zusetzt, daß dieser aus dem ganzen Lraumgesicht erwacht und froh ist, daß er nur geträumt hat.

Vorrede.

Hitziger, aber doch lieber Leser! Du wirst dich ja, auf mein freundliches Zusprechen, keines Zorns gegen diese- arme Büchlein annehmen. Denn es redet nit von dir, son, dern nur von todten Leuten, welche vor dieser Zeit in der Stadt Cosmographia1 gewohnt haben, auch jetzo mit und neben uns darin wohnen mögen: darum es denn die Lebendigen, welche Gott fürchten und redlich sind, nit angehet, sie sich auch dessen nicht werden zu beschweren haben. Ein ruhmsüchtiger,' heimtückischer ScharrhanS läßt nicht gern von sich schreiben, ich weiß es sehr wohl; aber dem gemeinen Mann wird er darum nicht wehren, daß er von ihm murmele, noch der Feder verbieten können, daß nach seinem Tod sie die Wahrr heit von seinem Leben kund mache. Vivit enim vitium poft fenera, non modo virtus: vivit adhuc Helene, non modo Penelope.

(Oiu. L. sing. 197.) sDenn nach eines Menschen Tod lebt das Andenken an seine Laster noch fort, so gut wie das Andenken an seine Tugenden: noch lebt Helena^ so gut wie Penelope'.^ 1) zu deutsch. Weltbeschreibung. S) Helena, des McnelauS, Könige von Sparta treulose Gattin, die Ursächerin des trojanischen Kriegs. 8) Penelope, die treue Gattin des Odysseus (Ulysses), F ürsten von Ithaka, durch dessen List Troja erobert ward.

170

Vorrede.

Wir sitzen in einer recht dichten Finsterniß, sehen nicht und haben doch die Augen offen. All' unser Thun be« stehet aus bloser Einbildung und Wahn. Der Stärkste stößt sschiebN den Schwächsten in Sack. Ein jeder schindet und wuchert auf dem andern. Ranis amoris amor, virtntis nullus amator, in pretio pretium nunc, in honore honor cft. Divitiae praeftant emiturque pecunia nununis, et sua jam virtus praemia vilis emit. (Ow. 3, 126.)

sDke Liebe zur Liebe schon ist etwas Seltenes; einen Liebhaber der Tugend aber giebt'- gar nicht; im Lohn liegt heutzutag der Lohn; in der Ehrenbezeugung die Ehre. Nur Reichthum gilt etwas: und Geld kauft man um Geld, und die feile Tugend erkauft sich ihre Belohnung.! O furacilfimum faeculum so erzbetrügerisches Jahr« Hunderts! Keiner ist, der wahrhaftig Guts thäte; keiner doch ist, der meint, daß er bös thäte. Willt du aber dem Philander nicht Glauben geben, so höre doch, was aller Welt Heiland dazu sagt: ngoae/m än6 t«v «v»gtoTtcov. Hütet euch vor den Menschen!

Ai« ich nun, wie oben gemeldet, nach vierzehn Tagen von Moulins hinweg, auf Lion gezogen [unb] allda eine Zeitlang au Lion «Tor verharret, geschah es, daß eines Montags, als ich neben meinen Reisegefährten, Herrn Joachim Friedrich Dyhrn aufSaborin Schle­ sien und Herrn Georg Ficken, in der Ruhe lag, Nachts ntid) x, wir, durch Läutung eines GlöckleiuS auf der Gassen erweckt, aufstunden und eines Männleins mit einer Lueerne sL aterne^ ansichtig wurden, welches anfieng gar beweglich, doch mit einer hohlen gebrochenen Todten - Stimme sehr fürchterlich und gräuschlich sg r a uf ig] zu rufen

Reveillez vouz, bonnes gens, qui dormez, priez Dien pour les trepaffes, qu’il leur veuille p ardonner! das ist auf deutsch: Wachtauf, ihr Christen, jetzt zumal und bittet für die Todten all, auf daß sie selig werden. Ich, als ich solches gehört, in mein Bett so behend, als ob der Tod bereits hinter mir her gewesen wäre! Und in Wahrheit zu reden, es kam uns alle eine rechte Furcht an, so erbärmlich und ketzerlich war es zu sehen und zu hören, daß wir die Nacht über gar 2 nicht mehr oder doch sehr wenig schlafen konnten, ich auch sdenZ folgenden

13 I. O. Uhren. 2) 3. O. ganz nicht.

172

Todtenherr.

ganzen Tag mit so einsamen traurigen Gedanken zm brachte, daß ich mir schwerlich selbsten daraus helfen konnte. Wahr ist es zwar, das Melancholie und Traurigkeit einem tapfern Mann nicht wohl anstchen, besonder-1 wann er sich von ihr wollte überwinden lassen, welches eine Anzeigung wäre eines knechtischen, elenden 8$er# standes und Wesens, wie ich dergleichen an Anderen erfahren. Doch diesesmal wußte ich mich selbst schwerlich dafür zu hüten2. Gieng derowegen, zu Benehmung solcher Grillen, über meine Bücher. Sobald ich aber nur ein Buch auf# that und zur Ergötzlichkeit etwas lesen wollte, — so bald kam mir immerdar etwa- vom Tod zu Gesicht und lag mir das Todtenmännlein mit dem Glöcklein ohne Unterlaß im Sinn und in den Ohren; — in welchen Hirnschälligen Gedanken ich auch wieder zu Bett gieng, theils wegen Unruh voriger Nacht3, theils wegen anderer dergleichen Einfälle. Indem [ist] mir Nachfolgendes in einem Ge# sicht vorgekommen. Ich sah einen Tod mit einer Leyer daher schrei# ten: der spielete zwar auf; aber der Tanz ward mir nicht zu Muth, weil ich merkte, daß es alles auf einen gle.# chen Sprung—und der beste Ton auf kling#kling#klang— klang-kling-klang, — kling-kling, — kling-klaug ausgieng. Nach diesem sah ich viel' Medicos oder Doctores der Arznei auf Maulthieren hin und herreiten, mit schwarz# tüchnen und sammetnen Teppichen bis auf den Boden bekleidet; bald waren sie langsam wie die Schnecken, bald geschwind wie der Wind, je nachdem der Mann war, der sie fordern ließ; andere aber giengen zu Fuß, auch liefen sie zuweilen, je aus voriger Ursache und je nachdem sie wußten, daß man sie belohnen und bekrönen würde. Um die Augen waren sie runzlicht und blinzelnd , welcher

1) 3- O. bevorab. 2) I. O. doch diesesmal mich rc. — hüten wußt». 3) I. O. wegen vorig. Nacht Unruh.

Lodt«nhe«r.

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ihnen das viele Nasenrümpfen von Harn, besehen und Deckenriechen verursachte. Ihr Gesicht war mit einem großen Backenbart über- und umwachsen, und der Mund mit Haaren so verbollwerket, daß man ohne große Mühe nicht dazu gelangen, noch ohne ganz gewisses Brillenrohr1 es sehen konnte. In der linken Hand hielten sie den Zaum samt den Handschuhen zusammengedreht wie eine Danziger Bratwurst; in der rechten eine lange Spieß, ruthe, gerade wie eine Pike, mit der sie einen durch­ stoßen, nicht aber, daß sie ihre Pferde und Esel damit mahnen und treiben wollten. Denn mit den Schenkeln und Füßen saßen shatten^sie zu stopfen und zu stupfen, mit dem Kopf und ganzen Leib zu gumpen, zu hottlen, zu lottlen, damit sie fortkommen mochten. Etliche unter ihnen hatten mächtige güldene Ringe an den Daumen stecken, in welchen so übergroße Steine gefaßt waren, daß wann sie dem Kranken den Puls fühlten und ihm ein solcher Stein zu Gesicht kam, er nit anders meinen konnte, denn daß er seinen Grabstein vor Augen sehe: und das nicht ohne Ursach: denn

non eadem digitis pondera conveniunt (Mari. 11, 38.)

tihr Gewicht paßt nicht zu den Fingern.) Die Herrn Medici waren um und um mit jungen Herren Practicanten und Doctorandcn umgeben, welche dadurch2 ihren curfmn3 4Medicinae absolvirten und zu Dock-thoren wurden, wann sdaß) sie den alten Herren hin, und her nachliefen. Und solches ist der rechte wahr­ haftige cnrfits3 Doctorandoram, die Weise zu Dock­ thoriren. Denn weil sie stets * mit und um die Herren

1) d. i. Fernrohr. 2) I. O. in dem. 8) das Wort curfus bedeutet nämlich den Kreis der Wissen­ schaften, die einer für sein Fach zu erlernen hat, aber auch wörtlich das Laufen. 4) 3. D. stetig«.

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L o d t e n h e e r.

Doctores, oder vielmehr um derselben Esel und Pferde her laufen, so kann es nicht fehlen, sie müssen Dock­ thoren werden. Aber ich dachte bei mir selbst: Behüte Gott! wann Man diese [solche] Dock-thoren von diesen [solchen]

Brach-die-Kanten1 (Practicanten) machet, was soll es dann Wunder seyn, wenn wir Menschen oftmal das Lehr­ geld mit unserer Haut und armem Leben bezahlen müssen: iieque eijim coroiüs aliquid credenduin est, quas etiam ad imperitos deferre gratia solet (Petr. Arb.} sdenn auf Orden und Ehrenzeichen ist nichts zu geben, weil die Gunst sie selbst Ungeschickten zu ertheilen pflegt]; — wie sonder­ lich in Italia und Frankreich zu sehen, bei welchen es a ; tiu za jioXu szu allermeist] heißet: Siunimus pecuniam ot mittimus aßiios in Gerinaniam, d. i.

wir nehmen's Geld von einem Thoren und machen ihn zu einem Dock-thoren, I/oii tient potir sage creature un foir de inille ecus de reute; Fil eii a plus , plus on le vante, il eW sage ä triple doublure; mais si Fon otoit la darure, ct Fon voyoit a und fa tete, on diroit, que la Couverture fait bien veudre uue grosse bete. (D. jlccords.) Einen Thoren, der Geld hat in der Welt, die Welt für einen Dok-thoren halt! Diesen nach folgete eine lange Reihe ApothekerGesindlein, mit Klingclsteinen, Mörsern, Stößern, siippoßtoriis sStuhlzapfchen], balneis MariaeSpa1") Anspielung auf die Trinkkannen, die in mancher Mundart Kanden, Kandel, heißen.. 2) Balneum maris f. Mariae, Wasserbad d. i. eine Verrich­ tung mit siedendem Wasser, worein man ein Gefäß, darin aufzulösendc Dinge befindlich sind, bis zu» völligen Auf­ lösung stellt.

Lodterrheer.

175

dein, Spritzen rc., welche alle mit tödtlichem Geschoß und Pulver geladen waren; item mit viel' Büchsen und Schachteln, wo die Ueberschrift zwar die Arznei, die Büchs* aber das Gift itt sich hatte. Wann ich diesen Sachen im Ernst obsinne, so finde ich endlich und im Nachrechnen, daß all' das Geschrei und Heulen, so man der Abgestorbenen wegen haben muß, sich ursprünglich in der Apothek und im großen Klin­ gelstein Klang-klang, als einem rechten Todtengeläute, anhebe, und in dem kleinen Klingelsteinlein Kling-kling mit dem Requiem-Singen „Nun laßt un- den Leib begraben" ein Ende nehme. Es sind die Apotheker — der Medicorum rechte Konstabler1 (Kunst-ab-Lehr, [2erncr]), Zeugmeister und Büchsner, als welche die Wehr und Waffen den Medicis an die Hand langen, und denselben so lang helfen an uns zu ziehen und zu zopfen, bis sie uns aus dem Bett, aus dem Haus, in das Grab und die Seele gar aus dem Leib bringen. Denn alles, so in einer Apotheke zu finden, das hat eine Gleichheit und Ge­ meinschaft mit dem Krieg und [ben] Waffen. Die Büchsen sind das rechte Geschoß und [bte] Petarden 2,* damit die Pforten * und Thore des menschlichen Lebens zerschmettert werden, daher sie denn als Büchsen ihren rechten Namen chaben. Die Spritzen, wann sie die Klystier losdrücken, sind den Pistolen zu vergleichen; die Pillulen den Kugeln, die Medici selbst dem Tod; die medicainenta purg-antia sPurgiermitteh sind das rechte purgatorium4 und Fegfeuer, die Barbierer die Teufet, 1) ein bei der Artillerie Angestellter, der Pulver und Kugeln vertheilte, auch wohl selbst die Kanonen abfeuerte. 2) ein Geschütz in Gestalt eines abgekürzten Kegels, das, mit Pulver gefüllt, an die Thore, Mauern rc. befestigt wird, um sie zu sprengen. 2) I» O. Porten [benn am Ober- und Mittelrhein wird P ft, Pf gesprochen, Parrcr st Pfarrer 2c], 4) purgatorium heißt eigentU Reinigungsmittel- sodann Fegfeuer.

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Todtenheer.

die Apotheker die Hölle, und der Kränke die arme ge, martelte, verlorne und verdammte Seele. Die Herren Apotheker waren meist mit Zettuln be^ hangt, von wunderlichen chinesischen, stenographischen 1 Schriften, welche doch weder der Vitzliputzli in Mexico, noch der Viracoccha zu Kusko, noch der Tamaraca in Brasilia, noch der Deumus zu Calecut, noch der No< vientum der alten Elsassevy noch der Mercurius zu Speyer, noch der Silvanus zu Augsburg, noch Jrmenr

faul der Sachsen, errathen können.

noch der Natagai der Tataren1

Der Anfang solcher Zettuln war gemeiniglich also be­ zeichnet ; R3, das ist so viel gesagt als: Per decem; weil unter zehn Recepten eins mag helfen oder unter zehn Kranken einer davonkommen: darum auch daS Anagramma „Medici—Decimi, Medicina an deciini ?„ so viel sagt: Meinst du wohl, daß der zehnte Mann entrinnen * sollte? — Oder Pf per crucem d. i. daß der Kranke sich muß kreuzigen, martern und peinigen lassen; daher sie denn auch den Namen haben, daß man sie Patienten nennet, weil sie dulden und leiden müssen. Te quoniam patitur, Patieus tnus ergo vocatur: nam plus quam morbus torquet euin Medicus. (Ow. 1, 44.)

sWeil er dich zulassen und aushalten muß, heißt er dein Patient (Dulder): denn mehr noch, als die Krankheit, quält ihn der Arzt.) — Ober das R, so die Lateiner nennen canis iram sHundswuth), daß man sich davor,

1) d. i. Abkürzungszeichen. 2) lauter Ramen heidnischer Götzen. 3) bedeutet Recipe, nimm. 4) Bei den Römern wurde nämlich, wenn sich eine ganze Legion, oder eine ganze Abtheilung Soldaten eines Ver­ gehens schuldig gemacht hatte, jeder zehnte Mann bestraft, und dies hieß decimiren, und die Strafe decimatio.

als [vor] einem bissigen Hund zu hüten habe; samt einem Pfeil, damit der Kranke soll erschossen werden. Darnach kommt Ana, welches Wortlein eigentlich von den Franzosen genommen und von dem bekannten äsne ober ane, Esel, oder vielmehr von Ana, dem Sohn Zibeon [l.B. Mos. 36, 24] hergenommen, der in der Wüsten Maul­ pferde erfand, da er seines Vaters Esel gütete1 : die­ weil, [um] einen ehrlichen Mann um seine Gesundheit und Leben zu bringen, man nicht mehr bedarf, als eines einzigen unge­ schickten Esels. Darum allemal, wann du siehest einen neuen Dock-thoren in der Arznei machen, so denke also: Nun aber, ein neuer Dockthor! Das walte Gott! Ein neuer Kirchhof! Dreißig Mann her! denn so viel muß ein neuer Dockthor haben, ehe er sich selbsten in seinem Hirn kann finden. So siehe du dich nun oor2: denn so du willt eine Kuh werden, so mußt du keinen Kälber-Dockthoren brauchen! Hernach kommen die Pf. Pfunde, die gl Unzen, die 5ß Lothe, die 3 1 Quintlein, die )1 Scrupeln, die g Grane, welche alle eine Gestalt haben, als ob es Schlangen, Skorpionen, Blindschleichen waren ober vielmehr berseiben3 Gift in sich hatten. Unb bieses Alles sinb so tröstliche Sachen, bie ben Kranken erlaben, baß ihm die Seele mochte ans bem Leibe fahren. Ueber, das geben sie ben Simplicibus [ einfachen Mitteln ] und schlechten bekannten Krautern so wunderseltsame wahlische [w a l sch e], afrikanische und türkische Namen, daß es fürchterlich zu Horen, und Mancher nicht unbillig meinen mochte, [als] ob man den Teufel damit beschwö­ ren wollte; als da sind: Oppoponach, Tregoricamm, Poftomegotum, Petroselimim, Herba Borith. Mugatb. Chainaesparthion, Diaphoeniconis, Scolopendrion, Dia1*) I O. hütete, hergenommen. 2) I. O. du nun für dich. 3) I. O. derenselden.

I. 1.

17

178

Todrenhe-r.

trion piperion, Ophiostaphylon, Zoophtlialmon etc. 1 welche alle doch, wenn man sie gegen das Sonnenlicht besehen sollte, vielleicht elende schlechte Peterlin ^Peter­ silie^, Kornblumen, Sanikel, Kreuzwurz, Hauswurz, Hirtzzung, Tamarisken, Holdermuß, rothe, weiße und gelbe Rüben u. s. w. seyn würden, und tausend andere. Denn weil sie das Sprüchwort wissen: „Wer dich kennet der kauft dich nit," so geben sie den Linsen und Boh, nen seltsame Namen, damit der Kranke, der sie sonst so theuer nicht bezahlen würde, desto eher kaufen möchte. Vulgiis ennn id aliquando Optimum et falutiferiim judicat, quod non intelligit: minus eniin Credits qnae ad fiiam fanitatem pertinent, si intelli^it2 [Denn das gemeine Volk hält nun einmal nur das für gut und heilsam, was es nicht versteht; denn es glaubt an das, was zu seiner Gesundheit dient, weniger, wenn es dasselbe ver, steht und kennt). Auch sind die Arzneien den Kranken und Patienten oft so zuwider, wegen ihres Gestanks und Übeln Geschmacks, daß ja die größten Krankheiten selbst, aus Furcht [vor] der Marter, des Menschen Leib gern quittiren sollten. Das machen die wunderseltsamen Coinpositiones, Mixhirae und Mischmaschereien! Und gleichwohl, — will ein redlicher gewissenhafter Simplicift3, nicht gar der Andern Spott und Gelachter werden, so muß er ja zu Zeiten auch mit einem Zette­ lin in die Apothek' wischen, obschon er es selbst besser zu Hause zurichten könnte. Denn daher haben solche medizinische Compofita ihren rechten Namen: wann die Doctores den Mäusdreck, unter dem Pfeffer durchge­ trieben, sich wohl bezahlen lassen, und es sich fragt: 1) Am Rand: Officinarum fucus [täuschender Schein der Apotheken. 2) Hier ist citirt: C. 15 p. 164.

Galeottue Martius doctr.

promifc.

L) d. i. ein Arzt, der einfache, inländische und Haus-Mittel verschreibt.

Esne tiii voti compos? ^Hast du, was du roidfl1 ?] — Ita spricht er dann. Da hat er, was er will! — Mir kommt hier zu Sinn, was einer von den bösen Juristen sagte: Es nehme ihn wunder, wenn zween Advocaten einander auf der Straße begegnen und sich ansehen, — daß sie das Lachen halten können. Mich sollte vielmehr das wundern von den Herren Medicis, und will sicherlich glauben, wer der Medicorum (fed utiliter et favorabiliter et excufabiliter et archipodialiter et reflexive diftinguo, non nostroruin fed ceteronnn [n6cr mit gehörigem Vergunst und Unterschied und allseitiger Entschuldigung und Einschränkung sey's gesagt, nicht der unsrigen, sondern der andern^ Cabbalam2 3 oder Rothwalsch verstehen könnte, der würde erfahren, daß, wo zween derselben einander auf der Straße be­ gegneten, der eine anstatt des Bona dies [(Buten Tag) fragen würde: compos? [Hast gekriegt?) — der andere anstatt des Deo gratias [Schön' Dank!) antworten: ita! [ja!) Und das sind die rechten Compos — ita. Anfangs hatte man mit Simplicibus [einfachen Mitteln) geheilt, die in unsern Landen wachsen und nit viel kosten, und — es ist wohl gerathen; hernach mit Compofitis und Arzeneien, die aus fremden Landen kommen und gar viel kosten, und — es ist übel gera1) Diese Frage soll nämlich hier so viel bedeuten, alS: Hast du, Arzt, den rechten Grund derKrankheit gefunden, und bist du deiner Sache gewiß? — Dabei ist citirt: de Compofitis et medicamentis pro et contra, vid. Galeottum Martium Doctrin. promifc. C. Z. 2) d. i. geheimnißvollen Unsinn. K a b b a l a h heißt eigentlich mündliche Ueberlieferung; dies Wort bezeichnet bei den Juden bald die Lehre von den Propheten, bald die Sagen ihrer Vorzeit, ganz besonders aber die mystische Philosophie, die ihren Ursprung eigentlich in Aegypten hat. 3) Geheimsprache der europäischen Zigeuner, Spitzbuben uud Bettler, ein Gemisch von gemeinen oberdeutschen, jüdisch­ deutschen und selbstgemachten Wörtern. Sie ist jedoch von der selbstständigen Zigeunersprache sehr verschieden. Siehe das sechste Gesicht des zweiten Theils.

180

Lodtenheer.

then. Der redliche Deutsche, Herr Dock vonHornbach, giebt deswegen den Fremdsüchtigen manchen harten Stoß. Jetzt will man mit Decompositis, mit chemischer Kunst helfen. Gott segne es und gebe sein Gedeihen dem Ztrzt und dem Kranken! Denn wir kön­ nen leider dieser Magier (Zauberer und Hexenmeisters nicht ermangeln sentbehren^l! Und damit ich wie­ der auf den Weg konlme: welche Krankheit sollte nit erschrecken und vor Furcht aus dem Leibe fahren, wenn sie an MumieMenschenfleisch, Menschenschmalz, Men­ schenbein, Moos aus des gebangten Diebs Hirnschale, Hund- Katzen-und Pferd-Fleisch und-Feißte sFett] und anderes, womit man ihr gefährlich nachsetzt, geden­ ket? Zudem wann die Herren Medici und Apotheker den ihnen sonst unbekannten Zustand eines Kranken wissen wollen, so haben sie ja nichts als, mit Ehren zu melden, den Harn und Koth des Menschen, auf welche 1 2 beide Stücke sie, als auf oraculis delphicis sauf Del, phische Orakels 3 all" ihr Vertrauen setzen, und daraus meistentheils vom Tod oder Leben des armen Sünders zu urtheilen pflegen. O der grausamen Inquisition, da man ohne Gewissen und Wissen — des Menschen Leben und Seele also durch das unnöthige Purgiren und Aderlässen aus dem Leibe jaget! 0 des schrecklichen Purgatorii sFegfeuers^, da auch die unbeseelten Creaturen, die ohne Sinnen und Empfindlichkeit, ohne Man­ gel und Krankheit sich müssen urgiren sdrangen^I und purgiren lassen! — id; meine Kisten und Kasten,

1) I. O. an das Mumia sUeberreste einbalsamirter Leichname, die man in Aegypten findet^. 2) I. O. zu welchen. 3) Götteraussprüche. — Dies berühmteste Orakel bei den Griechen war zu Delphi Es war eine priesterliche An­ stalt, bei welcher man sich in zweifelbaften Fällen Raths erholte. Die Antworten wurden als Götteraussprüche durch die begeisterte Priesterin Pythia unter besondern Vorberei­ tungen und Gebräuchen ertheilt.

Todtcnheer.

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Säckel und Sack; wie einer aus ihrem Mittel I^ihrer Mittel selbst, in der Beicht des Gewissens, bekannt hat: Ut inarfupia foenore, ita facultates corporis vita­ les medicamentis exhaiiriunt et experiinenta per inortes faciiint1 2 [so 3 wie sie durch ihren Wucher die Geld, beutel erschöpfen, so erschöpfen sie auch die Leibes, und Lebenskräfte durch ihre Arzneien, und machen ihre Ex­ perimente dadurch, daß sie die Leute umbringen^. Hintenher, nach diesem Heer, kamen die Wund­ ärzte mit ihren Scheeren, Flieten^, Scheermessern, Bäuschen, Kolben, Heftnadeln, Beinsägen, Schienen, Beißzangen, Kugekzangen, Salb,Haften, Zwick,Haften, Mundstücken, Durchzügen, Kugelbohrern, Löffeln, Scharfböhrerlein, Laucherschlangen, Hirnschrauben, Armschrauben, Meiseln, Lanzetten, Binden und Banden. Und ich hörete eine schreckliche Stimme unter ihnen, die schrie: Halt! Schneid'! Hau'! Stich! Stoß'! Zieh'! Drück'! Würk'! Brenn'! — welche Wort zu hören, kam mich eine solche Furcht an, daß sich meine Gebeine, wo es möglich gewesen wäre, selbst in einan­ der, taschenmesserlicherweise, wie in ein Gesteck, gern verschlossen hätten. Nach diesen kamen etliche, welche ich für verstellte Teufel ansah, so scheußlich war ihre Gestalt. Um den Hals hatten sie eine große Schnur, voller Zähne gefasset, wie eine * güldene Kette, herabhangen, gleichwie der Quomambeko Weiber in Brasilien, bei den Tupin Ickin und Tupin Jmba, welche gewisse4 Glieder ihrer erschla, genen Feinde als eine5 sondere Zierde und Anzeigung

1) Am Rand: Langius B. 1. Ep. Med. 21. 2) Aderlaßeisen. — Das Wort Fliete oder Flieden, Fliedeisen, kommt noch im Schweizerischen und Bayerischen vor. Frisch hält es für zusammengezogen aus phlebotomon. Im Pictorius kommt als schweizerich vor: F liedmen. Althochdeutsch: Fliedima. 3) I. O. als eine. 4) I. £>. steht dafür ein anderer Ausdruck. 5) I. O. für eine.

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Lodtenheer.

ihrer Männertapferkeit, ebenermaßen am Halse tragen: daraus ich verspüret?, wer sie wären. Und wahrlich, so achtete ich sie für das verdammteste Gesindlein, so jemalen gelebt, als welche den Mund volk- oder zahn, los machen und also dem Menschen das Alter ohn' einige Ursach' auf den Hals ziehen! Diese losen Tropfen, und ihre Tyrannei zu verüben, dachten an nichts ande­ res, als wie sie einem Menschen die Zahne, wie schön und gut sie auch noch waren, herausreißen und zum Feldzeichen an ihrem Hals damit prangen möchten. können deswegen meisterliche Ursachen finden, da, mit nur die armen Zähne ihrer Verfolgung und [ifjrem] Urtheil untergeben würden. Und was1 das Aergste ist, daß sie noch Geld und Belohnung dazu fordern, wenn sie einen Zahn ausgeriffen, eben als wenn sie die Sach' gar wohl getroffen und einen eingesetzt hätten 2.* Ich glaube nicht, sprach ich bei mir selbsten, daß der Teufel so unverschämt seyn kann, als ein Zahnbrecher. Indessen hörte ich ein Getöne. von Zittern und Gei, gen, welche etliche Passamezzos, PaHacailles und Sarabandes > herkratzten und fiedelten. Ich will nicht leben, sprach ich alsbald, wo nicht Barbierer und Dart, scheerer da kommen: denn diese beiden Saitenspiele siehet man4 5 gemeiniglich in ihren Stuben bei den Scheer, decken und Scheerfuttern hangen. Es war eine Lust zu schauen, wie sie. die Haare und Bärte auf allerlei monatliche faxens4 zu schneiden und manchem Esel den Kopf so artig lausen und zwagen 6 konnten. 1) I. O. welches. 2) nämlich, einen gleichsam wieder hätten wachsen lassen: denn künstliche Zähne einzusetzen, darauf war man damals noch nicht verfallen. s) spanische Tänze, die besonders zur Zeit des SOjähr. Krie­ ges durch die Spanier nach Deutschland kamen. 4) I. O. denn — man — hangen siehet. 5) I. O. Fazon. 6) d. i. zwacken und zwicken, klemmen und drücken, quälen und martern. '

T o d t e n h e e r.

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Gleich nach diesen folgte eine andere große Truppe Lumpenvolks, davon die1 2 ersten, Schreier und Sal­ benkramer mit ihrem Salbenkram, ein solches We­ sen führten, daß mir die Ohren davon weh thaten. Es gab mir aber einer zu verstehen, daß, ob sie schon alle große Schwätzer, [sie] doch unterschiedlicher Gattung und Art waren. Denn etliche werden Schwimmer genannt, weil sie die Arme hin- und herwerfen, als ob sie schwimmen wollten. Andere werden Affen genannt, weil sie mit Gesicht und Gebärden alle diejenigen nachäffen konnten, von denen sie Sprach" hielten. An­ dere werden Stöckling genannt, weil sie ohne Bewe­ gung dastunden als ein Stock und doch im Schreien ihre Augen hin und her in alle Winkel zu kehren wuß­ ten, wie etliche also gemachte Bilder, dadurch sie dann immerhin was zu schwätzen finden konnten. Etliche wurden Lügner genannt, obwohl sie insgemein alle nicht besser waren, weil sie mit schönen glatten Worten die Leute an sich zu bringen, [ihnen] große Verheißung zu thun, im Werk [in der That] aber nicht wohl eine Läussalbe zu machen wußten. Die andern, so nach diesen kamen, wurden genannt Schlichter, die sich in alle Händel mischen, alle Heim­ lichkeiten ausförscheln. Alles schlichten und richten woll­ ten, — ein hochmüthiges Volk, welche Herkommen, wo alle Ehr" ein Ende hat; rechte Fuchsschwänzer, die allein auf ihren Vortheil ein Aug' haben. Diese drängten sich^ unter die Andern hinein, es war ihnen lieb oder leid. Ich fragte, warum diese so weit dahin­ ten giengen und, wie es das Ansehen hatte, die letzten wären? Darauf sprachen die Schwätzer und Schreie;-, die ich doch nicht angesprochen hatte: Wir halten diese Schlichter und Streitrichter für die rechte Grundsuppe aller unverschämten Lumpen; und wie die Schlangen

1) I. O. deren die. 2) I. O. drangen sich.

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Todten Heer.

das Gift in dem Schwanz tragen *, also sind diese gif­ tigen Bursch" auch bis auf die Letzte allhie verspätt worden. Wie nun all" das Geschlepp vorbei war, dachte ich bei mir selbsten, was es doch bedeuten möchte? In­ deß siehe, da kam eine Person, die ich, weil sie keinen Bart hatte, nicht unterscheiden konnte, ob sie ein Mann oder Weibsbild wäre. Sie war rahn 1 2 von Lerb; von Gestalt sehr leicht und fertig scheinend; beladen wie eines Müllers Esel, mit Kronen, Sensen, Sceptern, Sicheln, Hirtenstaben, Schaufeln, Amen, Baretten, hüten, Hauben, — von Muscheln, Perlen, Blei, Wolle, Gold, Silber und Edelgestein und anderem mehr gestickt, genäht, geflickt. Das eine Aug" hatte sie zu-, das andere aufgethan. Ihre Kleidung war von allen Farben, wie Hanswursts. Auf einer Seite war sie jung, auf der andern sehr alt anzusehen; bald gieng sie langsam, bald hurtig und geschwind. Wann ich meinte, sie wäre gar weit, so war sie nächst bei und an mir. Ich konnte mir nicht einbilden, noch errathen, was doch so ein wunderlicher Aufzug bedeuten möchte, mich auch schwerlich des Lachens müssigen oder mäßigen. Es war mit Einem Wort Alles sehr visierlich 3 und possier­ lich anzusehen. Endlich, da ich mich nit länger enthal­ ten konnte, fragte ich fein sittiglich: Ach, nun Ier! sagä doch, wer sin jer?4 — „Ich bin der Tod!" sprach sie. — Wie, wie? was? Seseidihrder To — Tod? 1) war ehemals Volksglaube: denn bekanntlich spritzen sie ihr Gift aus einigen hohlen und beweglichen Zähnen, unter denen eine kleine Blase liegt, die mit dem Gift gefüllt ist und sich beim Bisse entleert. Wahrscheinlich kommt jener Glaube daher, daß, wenn die Schlangen einem einen Biß beibringen wollen, sie den Schwanz zusammen winden, sich mit dem Vorderleib in die Höhe richten und sich so nach dem Gegenstand ihrer Verfolgung hinschnellen. 2) schwäbisch s. v. a. dünn, lang, schlank; Holland.ran; engl- rank. 3) I. O. fisirlich. 4) d. i. Ach mein Herr, saget doch, wer styd Jhrd

Todtenheer.

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antwortete ich hingegen mit zitterndem Munde, Händen und Herzen:

Obstupui retrocpie pedem cum voce repreffi. QFirg.') lich erschrak und zog mit einem Schrei den Fuß zurück.^ Und nachdem ich den Athem wieder ein wenig erschnap­ pet —: 0 gegen-genädiger Herr To - Tod, was wollt ihr da ma-'machen? — ^Ich will dich holen!„ ant­ wortete er wiederum. — Was ? holen? 0 weh, so muß ich dann sie-sterben? — „Nein! sprach er; aber du mußt lebendig mit mir zu den Todten gehen, in mein Reich: denn weil der Tod je und zu allen Zeiten, auf allerlei Weise und Wege, zu den lebendigen Menschen kommen ist, und noch täglich kommt, so ist es billig, daß einmal einer von den Lebendigen so höflich sey und auch uns in unserm Reich heimsuche. Darum, so mache eS nicht lang: denn da hast du ein Mandatum sine clausula cum Executorialibus arctioribus et arctiffiinis seinen unumgänglichen, strengen Vollziehungsbefehl^I, und wird dir unverborgen seyn, baß meine Befehl' ohne einige Ein- und Widerred', ohne Provocation und Appellation sohne weitere Berufung auf eine höhere Behörde^ müssen exequirct unt> vollzogen werden, indem auch der Kaiser und Papst selbst nicht befreit seyn sonnen V* Ich, mit erschrockner, geängstigter Seele, dachte gleichwohl, wie ich diesem Menschenfeind entrinnen möchte, — that deswegen einen Sprung zurück und — davon, was gischte was hescht swas giebst, was hast^! Aber der Tod, viel geschwinder als ich, war in einem Hui vor mir und in Einem Schritt weiter, als ich in tausenden seyn konnte; auch war ich zu allem Ung'ück im Laufen gestulpert und zu Boden gefallen: i) I. O. seyn mögen./ 2) ein sprüchwörtlicher Ausdruck, der die Eile bezeichnet, mtt der etwas geschieht.

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Lodtenheer.

Hostern ctiin fng eret, se Fann ins ipse peremit: Iiic (rogo) non furor est, ne moriare, mori ?

(Mart. 2, 20.) lAls Fannius vor dem Feind floh, tödtcte er sich selbst: saget, ist das nicht eine Tollheit, zu sterben, um nicht zu sterben ? ]

Mancher will dem Tod entlaufen, und fallt allererst 1 zu Haufen. Nullo fata loco posfis excludere, cum mors venerit; in medio Tibure Sardinia est.

(Mart. 4, 60.) lDem Geschick kann man nirgends entrinnen, wann der Tod da ist; mitten in Tibur ist Sardinien. 2 ] Nam quae fata inanent, etiamsi praevisa, non vitantur

sdenn dem, was einmal verhängt ist, entgeht man nicht, auch wenn man cs Voraussicht^. Derowegen meine Sache glimpflicher anzugreifen, sprach ich: Ach ge-gen, genadiger Herr Tod! verziehet nur ein wenig; ich hab" nicht begehrt3, auszureißen! Ich schäme mich eben ein bissel; ich will nur gehen, meine Kleider anlegen oder aufs wenigst" doch nur einen Umschlag anthun, daß man mir nichts sehe, weil ich so nacket und bloß daherziehe. „Es ist nicht vonnöthen, sprach der Tod: denn in

1) d. h. gerade deswegen. 3) Tibur, jetzt Tivoli, Stadt in Italien, in der Cam­ pagna di Roma, war schon vor Alters wegen ihrer herr­ lichen Lage und gesunden Luft berühmt. — Sardinien, Insel im Mittelmeer, hat, bei übrigens sehr ftuchtbarem Boden, eine sehr ungesunde Luft, weil auf der Nordseite überaus hohe Berge den Nordwind abhaltcn; weshalb die röm. Kaiser solche Personen, deren sie sich gerne entledigen wollten, auf diese Znsel verbannten. — Der Sinn obiger Stelle ist daher dieser: auch am gesündesten Ort ist man vor dem Tod nicht sicher. 3) I. O. begehren.

meinem Reich bedarf man nichts. Und weil altes, was du auf Erden hast, dich auf der Reise nur beschweren und verhindern würde* so siehest du, wie ich den Men­ schen das Ihre abnehme und auf mich lade, damit sie desto fertiger nachkommen mögen. Zer Werlt du nackent bis gebor'n und scheidst öch blos von ir: ein linin Tuch für dini Scham, und anders nit, giebt sie ze Lone dir!" Wernher'.

Also mußte ich es geschehen lassen, und ist mir wohl diesesmal ärger ergangen, als da ich aus Mutterleib kommen und geboren worden: denn da kam Jedermann beigeloffen: wollte sehen, was Philander für ein Held [roircj, wollte mir Essen, Trinken, Kleidung und Win, deln geben; aber sie — die mich kannten, kehrten mir den Rucken, als ob sie mich nicht kennteni) 2, und giengen davon. 0 Elend, wann ein Mensch in unvermeidliche Noth kommt, wie verlieren sich die guten Freunde! Wie bald, ist dessen vergessen, den man hinaüsträgt! Allhie zu erzählen, wodurch und wohin ich geführt worden, das ist mir unmöglich: denn alle meine Sinne waren dermaßen eingenommen, daß ich nit mehr ge, wußt, ob ich ein Maidel oder Bübel, todt oder leben, dig gewesen. Im Fortgehen sah ich die Gestalt vielmal an, und einsmals sprach ich: Ge-gen-genadiger Herr To-Tod! Ei, ist's doch immer möglich? ES dünkt mich wäger swahrlich^ nit, daß Ihr der Herr To-Tod syn: Ihr seht nit a so uß säusel, wie man Uech [Sucty]

i) Bruder Wernher, der Minnesänger. II. 163. a. 2) Z. O. kannten.

Siehe Minnesinger

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Lodtenheer.

bei uns lebendigen Menschen mehlt, mit dürra tangä Beinä, do ganz kein Fleisch an ist und bann l^habet^ nummana [nur eine] Sens' ln dä Händä. „Die Kupferstecher, sprach der Tod wiederum, — die Maler und Dichter, sind recht unverständige Tropfen und Esel; denn die Beine, so sie nur anmahlen, sind die Todten selbst, oder aufs wenigste das, so von den Lebendigen im Grab eine Zeitlang übrig bleibt. Ihr Menschen kennet den Tod nicht recht. Ihr selbsten seyd der Tod selbst: der Tod hat eine Gestalt wie du und wie ein jeder, der lebet. So viel eurer sind, ein jeder ist sein selbst Tod, euer ganzes Leben ist der Tod, und was ihr sterben nennet, das ist aufhören zu leben. Geboren werden ist anfangen zu sterben; leben aber ist sterben, indem man lebet. Nasci aegrotare est, vivere faepe mori. (Ow. 3, 109.)

[Oft heißt geboren werden — kranken, leben oft — sterbens. Wenn ihr Menschen dieses und dergleichen oft betrachten thatet, so würde ein jeder alle Tag sich in dem Tod, wie1 in einem Spiegel selbsten sehen und erkennen lernen, und zugleich vernehmen, daß alle euere Wohnungen voller Todten sind, so viel Todte, als Per­ sonen. Aber Keiner ist, der des Todes will erwarten, den doch Jedermann im Busen tragt und mit sich herumschleppt2, wo er sich hinwendet. Meinest du, der Tod sey so ein dürrer Körper, ein osseiun aridumque cadaver, wie man ihn malet, tarn macer ut miniinam pofllt vix ferre laceruam ? (Mart. 8. 75.)

[so mager, daß er kaum das engste Kleid tragen könnte?^ 0 wehe nein! ihr betrüget euch sehr; denn ihr seyd i) I. O. als. 2) I. O. herumberschleppt.

Todtenheer.

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der dürre Körper, das Aas und der Tod selbsten, und wohl dir, so du es magst begreifen!" Indem ich nun des Tods schon fast gewohnt und in Kundschaft mit ihm kommen war, fragte ich wei­ ters: Ach ge-gen-genadiger Herr To-Tod! Ich mömöcht' doch wissen, was das für Volk wäre, so vor euch herziehet; weil ihr ja der genadige Herr Tod seyd, wie kommt es denn, daß die Schreier und Handelschlichter näher vor Euch gcfjcn1, als die Herrn Medici ?

„Darum sprach er, weil viel mehr Leute wegen der Ungestümmigkeit solcher Schwätzer2 sterben, als von den allerbösesten Krankheiten — hirba gravis paci placidaeque inimica quieti. (Mart. 1, 4.)

[ein arg Volk, dem Frieden und der stillen Ruhe feint] — und [weih Viel' mehr durch Trieb und Verdruß der Händelscblichter und Mittelsmänner nmkommen, als durch die Medicos selbsten, — wiewohl die Herren Medici auch nit feiern, also daß, sobald die Menschen einen Medicuin sehen, sie es für ein böses Zeichen halten und oftmal, wie vor einem Basilisken, welcher auch mit dem Ansehen vergiften und todten kann, zu Boden fallen und sterben, — wie [c6] denn neulich dem ar­ men Andragoras 3 geschehen, welcher Abends mit seiner Gesellschaft gesund und frisch zu Tisch gesessen, fröhlich mit ihnen gewest, morgens aber todt im Bett funden worden, aus der einzigen Ursach, weil er den Doctor Hermokrates im Traum ersehen und vor ihm erschrocken [iw].

1) I. O. gangen. 2) Am Rand: Schwätzer sind ärger, als der Henker. 3) nämlich im unten angeführten Epigramm des Martial.

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Lodtenheer»

Lotus nobiscum eft, Irilaris coenavit, et idem inventiis inane eft mortiius Audragoras. Tam fubitae mortis cauffam fi forte requiris? In foinnis medicuin viderat Hennocratem. (Mart. 6. 53.) Und weit id) eben auch von den Krankheiten gesagt, so wisse, daß der Mehrtheil * der Menschen allein aus Unordnung, Unmäßigkeit und Schwelgerei in Krankhei, ten fallen und sterben, — wie euch Deutschen solches vor Langem aus euren eigenen Werken prophezeihet worden, da einer - zu euch gesagt: „Ihr Deutsche fresse5 und saufet euch krank, todt und in die Hölle."

Immodicis brevis eft aetas et rarh fenectus: guidquid amas, caveas non placuiffe nimis. (Mart. 4, 2A.) das ist: Es ist bekannt, Unmaßigkeit bringt Manchen um das Leben, und der lebt nicht halb seine Zeit, der sich ihr hat ergeben. Drum was du immer denkst und thust, so hüte dich gar eben; denn sonst wird dir die lange Lust verkürzen Leib und Leben. Was aber das Sterben an sich selbsten betrifft, so wisse, daß die Menschen alle, vermittels und durch Fleiß der Medicoriun, welche31 2zu ihnen gehen, zum Sterben beför, dert werden. Der Poet Martialis kann dessen genug Zeugnuß geben, wie es ihm mit dem Symmachus er­ gangen, da er ihm verweislich schreibt: er wäre etwas 1) I. O. der mehre Theil. 2) 2sm Rand: Melanchthon. ») 3. O. so.

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Todtenheer.

übel zu Paß gewesen, da der Dock-thor Sie-mach-anS mit seinen jungen Brach-die-Kanden zu ihm [gekommen, welche ihm nach einander den Puls begriffen und [tyin], von dem bloßen Antasten allein, das kalte Fieber allererst in Eben] Leib gejagt hatten.

Languebam: sed tu coinitatus protimis ad ine venifti centum, Syminache, difcipulis. Centum me tetigere manus aquilone gelatae. Non habui febrem 9 Syminache, nunc habeo.

(Mart. 5, 9.) Also wenn man fragt: woran ist dieser oder jener gestorben? so sollt ihr nicht sagen, an einem Fieber, Schlag, Pest oder dergleichen; sondern er ist durch dieses oder jenes Medici Hüls' oder Hand gestorben, der doch wohl und redlich bezahlt worden; — indem 1 es ja billig ist, daß ein Jeder sich seiner Kunst oder [seines] Handwerks ernähre, und ein Arbeiter ist seines Lohnewerth: welches in Spanien und Wälschland frisch hin, eingewagt und der Kranke oft mit der Krankheit aus, gejagt wird, nach des Poeten Meinung, da er in Cinr nam Medicum [auf den Arzt Sinnst] sagt: Tollere feis inorbos, at quomodo ? tollis et aegros: Quodque facis (ludas ut) cito, Cinna, facis. Qui tuns eft Patiens, o terque quaterque beatmn! aegrotare illum non patiere diu.

(Ow. 1, 86.) Wer den Doctor Cinna braucht, der darf nicht sorgen, daß er lang krank liege, denn er wird ihn mit der Krankheit bald forthelfen 1 fllnd was er thut, das thut er bald, wie Judas.] Nuper erat medicus, nunc est vefpillo Dianins: quod vefpillo facit, fecerat et medicus.

(Nach Mart. 1, 31.) 1) I. O. denn.

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Todtenheer.

^Kürzlich war Diaulus Arzt, nun ist er ein Todtengröber: was er als Todtengröber thut, hatte er auch als Arzt gethan.^ Denn wo ein Jurist und Medicus allemal einen cafum conscientiae formiren d. i. 1 sich ein Gewissen über ichtwas [e t ro a 6] machen wollten, würde es oft schlecht in ihrem 2 Hauswesen und Säckel stehen:

Ille vafer nifi fit, nifi fit temerariiis alter, fe meudicato pascat uterque cibo. (Ow. 1, 3.) Ein Rechtsgelehrter ohne List, ein Arzt, der ohne Frevel ist, eine Hur, die scheuet bös Gerücht, — zu großem Reichthum kommen nicht.

Daher auch die spanischen und walschen Medici, bei denen es mit hundert Pistolen 3 *muß S) hergehen, vor kur­ zen Jahren den Titul Don an sich genommen, der doch sonst allein den vornehmsten Standen gebührte: jetzo aber verbleibet es ^das Son] nicht nur bei den Herren Medicis, sondern mancher Pfeffersack *, Blacker3 und Bärenhäuter6, sobald er in ein fremdes Land kommt, irgend eine wohlgelöste Zung hat, sauer sehen kann, langsam sgrav itätisch] gehen kann, höflich stehen kann, einen sammtnen Mutzen sRock] zahlen kann,— will mit Don und Sennor sgnädiger Herr] tractirt wer­ den. Zwar was die Herren Medici anlanget, so ist es billig; Ursach: denn sie haben das rechte Don: le don de tuer, donnm necandi, donum mortificandi sdas Pri­ vilegium, umzubringen]; und haben viel lieber le don sdas Honorar] gleich anfangs, wann man sie zum 1) I. O. und. 2) I. O. seinem. S) französische und spanische Goldmünze an Werth fünf Reichsthaler. 4") Krämer, Kaufleute. S) einer, der sich kümmerlich forthilst; auch einer, der schlecht und fehlerhaft schreibt (Frisch. Lex.) * 6) nach Adelung ein feiger, nichtswürdiger Mensch.

Todrenheer.

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Kranken ruft, als sonsten. Also haben auch die fran­ zösischen Dock-thoren das suftile [subtile] Wort ordonner aufgebracht, welches bei ihnen heißet „Arznei geben"; aber bei den armen kranken Patienten heißet eS „Geld haben": Giebt dir der Dockthor einen Trank, Dublonen mußt ihm geben, und sahst du darum an ein' Zank, so kost't es dich dein Leben. Kyrie Eleison. Ordonner Medicos, Aegros or donner oportet,

[Gold giebt der Kranke aus, der Arzt giebt Mittel ein: auf solche Weis' und Art hilft eins dem andern fein.] (Löber.) welche einträgliche Wörter sie auch den gröbsten Thal­ bauern in Einer Stund fein artig zu unterscheiden lehren." Zch muß bekennen, daß ich, indem der Tod also mit Versen um sich geworfen, mich * ganz [q a r] nicht mehr vor ihm gefürchtet [habe], sondern fast gern um ihn gewesen [bin]. Unterdessen kamen wir im Gespräch in eine weite Höhle, da es weder Tag noch Nacht war. Im Ein­ gang, auf einer Seite, sah ich drei Dinge, so als Menschen gestaltet und bewappnet waren: was es aber, eines oder das andere, wäre, konnt' ich nicht wissen. Gegenüber, auf der andern Seite, sah ich eine scheuß­ liche Wundergestalt, wider welche jene drei ohne Unter­ laß stritten^ und kämpften, eines wider drei, und drei wider eins. Der Tod stund da still und wandte sich gegen mich, fragend: ob ich diese vier Dinge kennte? — Ach Gott nein! sprach ich; ich kenne sie nicht, begehre auch nicht zu wissen, was oder wer es sey.

1") I. O. bekennen, indem re. — geworfen, daß ich. 2) I. O. streiteten. I. 1.

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Todtenheer.

„Und doch gleichwohl, sprach der Tod wiederum, hast du in deinem Leben keine andere Gesellschaft, als eben diese. Siehe, wie du selber gar nicht weißest, wer und was du bist und was du thust! Es sind die drei Hauptfeinde deiner Seele. Jener dort ist die W e l t, dieser ist dein Fleisch; der dabei ist der Teufel. Besiehe sie nur wohl, wie gleich und ähnlich sie ein, ander sind, so gar [fcljr], daß es schwerlich ist, den Unterschied zu erkennen, daß also, bei dem der eine einkehret, die andern zween gewiß folgen. Denn ein hochmüihiger Mensch, indem er meint, er habe die ganze Welt, so hofficrt» er seinem Fleisch und hat den Teufel. Ein Schwelger und Unkeuscher meint, er habe genug, an seiner1 2Fleisches- und Augenlust, — so hat er den Teufel.^ Wer ist aber, sprach ich, der gegenüber, wider welche diese drei also streiten? — ,, Es ist Plutus3, sprach der Tod, — der Geldteufel; dieser streitet wider die drei anderen, und will allein Herr und Meister seyn: darum will er auch haben, daß ihm die drei andsrn folgen und Unterthan seyn sollen. Denn Soltis Dis Deus eft, ditesDi, nuinina nummi: cum plaufu loquitnr Pluto tacetque Plato.

(Ow. 3, 97.) Nempe Deam, quia te, regina Pecunia, mimchis aeftimat et nummo mimen incffe putat.

(Ow. 2, 110.) (Nur der Reichthum (Pluto als Plutus) ist ein Gott, reich sind die Götter; Geld ist Golt; wann Pluto d. i. ein Reicher spricht, klatscht Jedermann Beifall und selbst der weise Plato schweigt dazu, weil nämlich die Welt dich, du allregierendes Geld, wie eine Gottheit

1) b. l. schmeichelt er, giebt er nach. 2) I. O. seines. . ») bei den Alten der Gott des Reichthums.

Todtenheer.

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verehrt und glaubt, daß im Geld Gott sey.) Wo Plutus ist, da sind die andern drei alle: und ist bei der Geldsucht beides, die Welt [unb] das Fleisch, und der Teufel selbsten. — Erstlich streitet Plutus wider die Welt: denn ihr lebendigen Menschen haltet ja dafür, daß Geld regieret alle Welt. Der Menschen Wohlfahrt in der Welt besteht allein auf Gut und Geld. Nur aus der Welt, Wer nicht hat Geld! Denn ohne Geld schafft man nichts in der Welt. Kommt Kunst gegangen vor ein Hau-, sagt man, der Wirth sey gangen aus; kommt Weisheit auch gegangen für, so ist verschlossen ihr die Thür; kommt Zucht, Lieb', Treu' und war' gern ein, so will Niemand der Pörtner seyn; kommt dann Wahrheit und klopfet an, läßt man sie vor dem Fenster stah'n; kommt Gerechtigkeit auch an das Thor, so schiebt man Schloß und Riegel vor; kommt aber Pfennig hergeloffen, sind Thür' und Thor ihm allzeit offen.

Darnach streitet der Geldteufel wider das Fleisch, wie zu Hof, da Fleischeslust, Augenlust und hoffährtiges Leben ihren natürlichen Sitz haben, zu sehen ist:

denn ob dir schon eine Dirn' gefallt, so schweig nur still, hast du kein Geld!

Genädiger Herr, die Hur' wär' da, wer Geld hätt'! sprach ein Narr an einem gräflichen Hofe, als ihn der Herr mit seiner Gemahlin veriren, foppen und anführen wollte. — Drittens so streitet der Geldteufel auch wider den Teufel selbsten: denn was man in allen Geschäften 18*

Lodtenheer.

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und Händeln will glücklich fortgchen haben , der Teufel, das Geld, das Beste thun.

da muß

Ist denn der Teufel in dem Geld, daß ohne Geld man nichts erhalt?

Die Lieb' thut viel' und große Ding', aber das Geld thut Alles: l’argent fast tont; inimmus vincit oinnia. Vor Zeiten war es: Amor vincit oinnia fdie Lieb' überwindet alles^, aber jetzt Du lengst! spricht Pecunia sdas Gelder wo ich Pecunia nicht bin, da kommst du, Amor, selten hin.

Geld thut Alles überwinden: keine Festung ist zu finden, die da widerstehen kann. Wann nur käm' ein Esel an mit Gold, ohn' Verstand und Sinnen, er könnt' Raab 1 und Pesth2 gewinnen. Quondam Inclusam Danaen etc. etc.

(Hör. /, 3. Od. 16.)

Scilicet

Serpentes, nantes, gradientes atque volantes Los, has omnes, haec omnia vincit Amor. Hic, haec, hoc Niunmus Regina Pecunia et Aunun — sunt tria, queis vincens omnia cedit Amor.' (Ow. 2, 70.)

sNichts kreucht und schwimmt und geht, nicht- lebt, schwebt, fliegt und liegt, den, die, das Amor nicht in seine Herrschaft kriegt:

1) Stadt und Festung in Rieder-Ungarn, a) Stadt in Nieder-Ungarn.

Todtenheer.

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das Pfennig, Münz und Geld sind die drei Herr'n, die Amor selbst bedient, der sonst herrscht weit und fern. £.] der, die,

Es muß etwas daran seyn, sprach ich zu dem Tod, dieweil sich Plulus seiner Haut so ritterlich wehrt und Herummer tummelt. — Als wir fürder giengen, wieß * mir der Tod auf der einen Seite Judicium> das Gt: richt, auf der andern Infermun, die Hölle. Ich stund da still und sah die Hölle mit Verwunderung an. Der Tod aber fragte: was ich so genau an der Hölle besichtigte? — Es däucht mich, sprach ich, ich habe sie zuvor mehr gesehen. — Wo denn?" —7 Ich weiß nicht. — „Zm Neid", sprach der Tod, „im Geiz und Hochmuth der Geistlichen! Sobald ein Geistlicher die eigenen Lüste und die Rachgier für christ, lichen Eifer, den Eigennutz für Verdienst, den Hoch« muth für Ernsthaftigkeit dargiebt, — so wird aus dem^ christlichen Eifer ein Gespött, aus dem Ver, dienst Verachtung und aus der Ernsthaftigkeit eine Hölle. Si non eilet I, A, 8, quilibet eilet Christi vas.

sWenn nicht wäre Invidia (Neid) Avaritia (Geiz) und so würde jeder Geistliche ein Gefäß und Rüstzeug des Herrn seyn.) Superhia (Hochmuth),

So aber geht es her, (wie es beim Martial heißtj; Si te praeda juvat foedique iusania lucri, quo polßs melius feilere, Turne togam.

(Mart. 8, 48.)

[wenn du Freud' am Geld und unsinnige Lust am schmutzi­ gen Gewinn hast, so laß dir einen Amts-Roch (hier: geistlichen Rock) geben, damit du noch besser betrügen kannst) — wiewohl Viel' eS ungern hören. — Auch

1) I. O. weisete.

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Todt«nh« will nicht von hinnen, bis die Welt von solchen Blutsaugern ge­ reinigt ist, oder aufs wenigste das Sprüchwort wahr gemacht werde, das da sagt: qui lites odit, advocatum adverTarii comimpat swer nicht Prozeß haben will, muß den Sachwalter des Gegentheils bestechen], dieweil

Mutuegra et Murva 2 Taciuut rectiTTima curva, Geld, das stumm ist, macht recht, was krumm ist;

lorsque Vargent on touche, cbacim Tenne la boiiche.

1) I. O. kein so giftiger. r) Anagramm von argentum et aurum, Silber und Gold.

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Lodrenheer.

Denn so wie du deinen Vorsprecher [Anwalt] durch das Geld kannst gewinnen, daß er schwatze und deiner Sache mit Leib und Seel' beifalle, wie lose sie auch sey; — nam qui pro Justitia pofcit sibi inunera Minos, est liinilis pisci: quando capit, capitur. (Ow. 2,6.) sdenn wer sich seine Gerechtigkeit bezahlen laßt, gleicht dem Fisch, der, wann er zuschnappt, gefangen wirdZ also auch kannst du deines Gegentheils Vorsprecher ge­ winnen, daß er schweige.

Quod damas seinper, quod agentibus obstrepis, Aeli, non facis hoc gratis: accipis, ut taceas. {Mart. 1. 96.) — — — Vis, garrule, quantuin accipis ut dames, accipere ut taceas. (Mart. 9, 68.)

sdaß du immer schreist und Widerpart hältst, das thust du nicht umsonst! Da hast du was, damit du daS Maul hakst. — Schwätzer, so viel du kriegst, daß du schreist, so viel willst du auch haben, daß du schweigst!^ In Judicio soli pecuniam ]>leruinque quaerunt advocati, non causam. Pecuniae autem causa quotusquisquis se non coiTumpi patilur ? Rara ibi est cognatio facundi oris et boni pectoris: et de talibus feite Casfiodorus: Hi, inquit, sunt, quoruin qui nares afHaverit cujusdam mbiginosi aura inarsupii, confesliin videbis in illis et oculos Argi et manus Briarei, Spliingum 1 ungues et perjuriam Laomedontis 2 et Ulyflis argutias et Sinonis fallacias et fidein Polyinnestoris 3 et pietatem Pygma1) nicht fpiginarnm, wie in allen mir bekannten Ausgaben steht. 2) nicht Leonidontis und S) nicht Plametoris, welche Druckfehler sich durch alle Ausgaben» schleppen.

Todtenheer.

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Honis, Achitophelis Consilia, Absalonis oscnla. Corrumpit hic Deinofthenein Harpali calix, Hortenfiuin Sphinx Verris argentea; Platonem opes Siculae decipiunt. Similes sunt tales linguae in ftatera, quae ftatim fe inclinat ad illam partein, ubi plus ponderat de pecunia. Similes sunt chamaeleonti, qui ad modiaim ventuin mutat colorem, sic illi ad statuni promisfiomun et donorum facile mutantur. Similes sunt gallis tectorum, qui modo huc, modo illuc, pro tempeftatis ratione fe vertunt: sic et illi se modo in baue, modo in aliam pariern munerum tempestate flecti patiluitur.1 2 *[Sei * S) Gericht sehen die Advokaten allein meist nur aufs Geld, nicht aufs Recht. Wer aber laßt sich um des Gelds willen nicht bestechen? Ein beredter Mund und ein gutes Herz sind selten beisammen. Von solchen Leuten sagt Cassiodorus? recht gut: Sie sind es, an denen man, wenn sie einen schmutzigen Geld­ beutel wittern, auf der Stelle sehen kann die Augen des Argus * und die Hände des Briareus * *, dte Klauen

1) Am Rand: D. Stegmann. Icon. stud. piet. Christ. Verb, incar. p. jZZ.

2) Marcus Aurelius Casriodorus, gebürtig aus Scylacci in Unteritalien, lebte etwa von 479 — 575 n. Ch. und that unter Odoacer (dem ersten deutschen König in Rom) und Theodorich (dem Stifter des ostgothischen Reichs in Italien) außerordentlich viel für Bildung und Literatur. Er hinterließ verschiedene Schriften, darunter Institutiones ad divinas lectiones, de VII difciplinis lib.; . variarum lib. XII. Opp. stud. I. Garettii» Rotomag. 1679; Venet. 1729. Vol. II. fol.

S) der hundertäugige Hüter der Jo, einer Geliebten des Jupiters, der sie, um sie den Verfolgungen der eifersüch­ tigen Juno zu entziehen, in eine Kuh verwandelt hatte. Juno hatte aber den Jupiter zu bereden gewußt, ihr diese Kuh zu schenken, und dann den Argus zu deren Wächter bestellt. Hierauf ließ Jupiter den Argus tödtenz Juno dagegen ließ durch Fliegen die Kuh rasend machen, so daß diese ausriß und über die thrazische Meerenge (jetzt Str.iße von Konstantinopel, die von dieser Begebenheit den Ra-

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Lodtenheer.

der Sphinxe r und den Meineid des Laomedon die Ränke des Ulysses und den tauschenden Betrug des Sinon3*,41 * Polyinnestors * Treue und Pygmalions 5 6 Frevel, 7 Abitophelsb Rathschläge und Absaloms Küsset Einen men Bosporus ^Durchgang der Äub] erhielt) nach Asien schwamm. In Aegypten bekam sie wieder menschliche Ge­ stalt und wurde unter dem Namen Isis verehrt. 4*) ein Riese mit hundert Armen, Sohn der Gäa (Erde) und des Uranus (Himmels). 1) die (griech.) Sphinx war ein verderbliches Ungeheuer, das aus einem Berge bei Theben den Thebanern Räthsel aufgab, und den, der sie nicht löste, zerriß. Als aber einst Oedipus ihr Räthsel löste, stürzte sie sich in der Verzweiflung selbst vom Felsen herab. L) König in Troja, des Priamus Vater, der dem Neptun und Apollo, die ihn bei Erbauung der Mauern von Troja geholfen hatten, den ihnen dafür versprochenen Lohn vorenthielt, weshalb Apollo der Stadt zur Strafe eine Pest, Neptun ein Meerungeheuer schickte. Da nun Laomedon auf den Befehl des Orakels, um die Götter zu ver­ söhnen, seine Tochter Hesione jenem Ungeheuer aussetzen mußte, erbot sich Herkules dasselbe zu tobten und die He­ sione zu befreien, wogegen ihm Laomedon seine windschnellen Pferde zu geben versprach. Herkules vollbrachte die That; aber Laomedon hielt auch diesmal sein Wort nicht und wurde daher von jenem erschlagen. 3) auf dessen trügerischen Rath die Trojaner das mit Grie­ chen ungefüllte hölzerne Pferd des Ulvsseß, das ihnen nachher den Untergang brachte, in ihre Stadt zogen. 4) eines Königs m Thrazien, der an feinem Schwieger­ vater, dem troj. König Priamus, die schändliche Untreue begieng, daß er dessen Sohn Polydorus, den ihm jener zur Auferziehung, zugleich mit vielen Schätzen, anvertraut hatte, ermordete, um sich dieser Schätze zu bemächtigen. S) Königs von Tyrus und Sidon, der den Gemahl feiner Schwester Dido, den reichen Herkulespriester Sichaus, aus Habsucht ermordete. Dido aber floh mit den vergra­ benen Schätzen vor ihres Bruders Tyrannei nach Afnca, wo sie Carthago baute. 6) Davids Rath, der es mit Absalom hielt, und nachher, als er sah, daß feine Rathschläge einen schleckten Ausgang . nahmen, sich erhängte. 2 B. Samuel. 16 und 17. 7) Unter den verschiedenen Mitteln, die Absalom anwendete,

Lodtenheer.

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Demosthenes besticht des Harpalus' Becher, einen HortensiuS die silberne Sphinx des Berres 2 *1 ;* ein * S)Plato Läßt sich von Siziliens Schätzen6 berücken. Solche Leute gleichen der Zunge an einer Wage, die sich gleich dahin neigt, wo das Gewicht (rücksichtlich des Geldes) größer ist. Sie gleichen dem Chamäleon, das beim geringsten Wind seine Farbe verändert: eben so andern sie sich leicht, wenn man mit Versprechungen und Ge­ schenken anrückt. Sie gleichen dem Wetterhahn auf um das Volk von seinem Vater David abwendig zu ma­ cken und es für sich zu gewinnen, war auch dieses, daß er die Leute, die, nach morgenländischer Sitte, sich vor ihm niederknieen wollten, aufhob und küßte 3. Sam. 15, 5. 1) Als Harpalus, einer der Feldherren Alexanders des Großen, wider welchen sich derselbe 336 v. Chr. auflehnte, die Stadt Athen auf seine Seite bringen wollte, bestach er die Athenischen Redner mit seinen aus Babylon geraubten Schätzen. An der Treue des Phocion aber scheiterte sein Vorhaben; er mußte wieder aus Griechenland abziehen und wurde bald nachher in Creta ermordet. Nach seinem Ab­ zug verbannten die Athener alle ihre Redner, die sich hatten vom Harpalus bestechen lassen, und unter diesen war auch Demosthenes. 2) Hortensius war ein sehr berühmter röm. Redner, Cicero's Zeitgenosse und Nebenbuhler; er ließ sich von dem be­ rüchtigten Verres, welcher sich während seiner Prätur in Sizilien alle erdenkliche Bedrückungen und Ungerechtigkeiten hatte zu Schulden kommen lassen und deshalb vor dem röm. Senat angeklagt wurde, bestechen, um ihn zu ver­ theidigen; aber Cicero, der die Anklage führte, verwirrte den Hortensius so, daß er sich nicht getraute, die Verthei­ digung des Verres durchzuführen. Hortensius, der A. 70. v. Chr. auch Consul war, starb 79. v. Chr. S) Plato, griech. Philosoph und Stifter der akademischen Schule, geb. 438, gest. 347 v. Chr., war dreimal in Si­ zilien , das erstemal unter Dionysius I. die beiden andernmale von Dionysius II unter ehrenvollen Bedingungen und mit großen Versprechungen dahin berufen; allein nicht Ehren­ stellen und Schätze waren es, die ihn dahin lockten, wie seine Feinde behaupteten, sondern die Hoffnung, theils seine philosophischen Ideen vom Staate zu realisiren, theils seinem Freunde Dion zu nützen, welchen Dionysius, dessen Verwandter, verbannt hatte.

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Lodt-nheer.

dem Dach, der, je nachdem der Wind geht, sich bald hiehin, bald dorthin dreht: eben so neigen sie sich, je nachdem die Geschenke Herkommen, bald zur einen, bald zur andern Parthei.^ Und das ist wahr bei den meisten, so wahr als Gott lebet!

Ach

quid non argento, quid non corruinpitiir auro ? Cui inajora dabis inunera, victus erit. (Ow. MonosU 79.)

Je mehr Geld, je mehr Recht: je mehr Lohn, je mehr Knecht;

ergo

is mihi dives erit, qui caiifas egerit: {Mart. 2. 30.) sfolgtich muß der Advokat reich werdens Jurisprudentes prudentes jure vocantur, tam bene cum studeant provideantque Tibi. {Ow. 1, 54.)

sDie Rechtsverstandigen heißen mit Recht verständig, da sie so gut ihres Vortheils sich zu befleißen wissens At tu, fi sapis, cum et judex petit, et petit patronus, folvas, censeo, Sexte, creditori. {Mart. 2, 13.) sWenn du aber klug bist, so bezahle, ehe der Richter und der 2ldvokat dein Geld begehren, es lieber gleich deinem Gläubigers Ton avocat veut dix dcus, le juge encore veut plus grande fomme — Claude, crois inoi, ne plaide plus, va promptement payer ton liomme. Denn besser ein magerer Vertrag, als ein fett Urtheil: Mas vale mala abenencia, que buena feiltencia, sagt der Spanier. Ideoque melius est, rem totam petenti,

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Lodtenheer. (limidiam partem dare, quam pro tota dimicare.

Aber

Narren wollen gefochten haben! Quae tua nequhia ett, quod debes, non mihi folvis: so Ivis caufidico, quae tua stullitia eft!

(Ow. L. sing. 80.) fWas ist da- für eine Schlechtigkeit von dir: was du mir schuldig bist, zahlst du nicht mir; du zahlst's dei, nein Advocaten: wie dumm ist das von t>irl] Darum wer nicht bezahlen will, was er mit Recht schuldig ist, der muß hernach mit Recht bezahlen, was er nicht schuldig ist. Und freilich ist's wahr, vivere naturae fi convenienter amarent mortales, medica nil opus esset ope! Si saperent homines, rixis avidisque caverent litibus et queruli g*armlitate fori, sie incompositus poft ferinia Bartolus iret, et inus illectiun roderet Hippocratem. (Omz. 3, 123.)

sWenn wir nach der Natur fein lebten und stetthaten, so hätten wir den Arzt gewiß niemals vonnöthen. Und wenn wir wären klug, wir haßten Zankerei, und hatten Abscheu vor der Zungendrescherei, dann würde Bartolus im Bücherschränke stecken, und den Hippokrates die Maus voll Junge Hecken. Löber.)

„Aber sage mir, sprach der Schwarzkünstler weiter: hat es auch noch Meutmacher und Rebellen in den Städten hin und wieder?" — Dieses ist, sprach ich, eine gemeine Krankheit, so daß jetzund nicht leicht eine Stadt oder Reich davon befreit sist). — „Begehre also ich, sprach er, von hinnen nicht zu scheiden! Doch ist mein Begehren, du wollest solchen Hans-Gerngroßen ansagen, daß ihnen ihre Hochmuth und Thorheit, wie

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Todtenheer.

dem F-ettmilch zu Krankfort' häßlich soll ver, gölten werden. Und mögen sie bedenken, Tongas regibus esse manus

I^daß die großen Herren lange Hande Habens. Große Herren sind geartet wie das Quecksilber: denn so man das Quecksilber drücken und hart lfest^ halten will, so fleucht es unter den Handen und verschwindet. Also gehens auch denen, so sich an großen Herren reiben wollen, mehr als die Billigkeit und Standsgebühr mag leiden. Das Quecksilber kann nimmer still stehen: also auch Könige und Herren: wenn man meinet, sie seyen weit, so sind sie am nahesten! Die stätigen unmäßigen 1) Im Jahr 1612, bei Gelegenheit des Absterbens Kaiser Ru­ dolphs II. und der neuen Wahl in Frankfurt, rechteten die Bür­ ger dieser Stadr, als sie auf die goldne Bulle schworen sollten, mit ihrem Rath über ihre Privilegien (Minderung der Ju­ den rc.) und brachten es dahin, daß dem Rathe noch 18 Glieder hinzugefügt wurden. Im Jahr 1613 erfolgte ein neuer Auflauf; sie forderten die Stadtrechnungen und die Wahl des Bürgermeisters aus jenen Achtzehnern. Der Handel kam vor den Kaiser, welcher die Unruhestifter mit der Acht bedrohte. 1614 den 22sten Aug. aber setzten die Aus­ rührer den Magistrat ab und das ledige Gesindlein und der gemeine Pöbel hat die Judengaß gutentheils aus­ geplündert » und sonst viel Unfug verübt.« Hierauff er­ klärte der Kaiser Mathias den 14. Sept. d. I. (den Leb­ küchners Bincentz Fett milch, sden Schneiders Konrad Schoppen und sden Schreiners Konrad Gerngroßen in die Acht; hierauf im I. 1616 den 28. Febr. sind, bei vorgenommener kaiserlicher Executivn, die Urheber dieses Aufstands und Unraths auf dem Stockmarkt decolliret, und [oon] Viersen) deren Häupter auf den Brückenthurm ge­ steckt, des Bincentz Fettmilch Wohnhaus in der Tönges­ gassen abgebrochen und zum Gedächtnuß eine Viereckente steinerne Saul' auf demselben Platze gesetzet worden mit einer lat. Inschrift. A. 1719 zersprang diese Schandsäule bei einem großen Brande in drei Stücke. S. Gebhard F l 0 r i a n' s Chronika der weitberühmten freyen ReichsWahl - und Handelsstadt Frankfurt am Mayn. Frkf. 1706. 93. I, 394; — und in der durch Achill.Aug. von Lerchner vermehrten Ausgabe (1734) 93. I. S. 511 — S16.

L o v r e n h e e k.

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Geschäfte, mit welchen sie für ein ganzes Land beladen sind, machen, daß sie bald hie, bald dort zu finden. Die mit Quecksilber arbeiten und umgehen, zittern ge, meiniglich an ihren Gliedern: also sollen auch die be, schaffen seyn, welche mit großen Herren umgehen: sie sollen allezeit mit gebührender Ehrerzeigung und Forcht erzittern, sonst wird es geschehen, daß sie endlich, in Ermanglung jenessr^, nicht nur erzittern müssen, fotu dern auch gar zu Boden fallen und verderben." Wie ich ferner im Gespräch fortfahren wollte, kam einer mit einem aufgethanen Buch in der rechten Hand daher zu lnrtschen 1 2, dessen Gesicht so ganz3 4mit Haa­ ren umwachsen, daß man zwei Postkiffen sPolsterfiffcn] davon hätte ausfüllen mögen, und ich ihn für einen wilden Mann gehalten shabe^I, wie sie in den Landen der Maler noch heutiges Tags gefunden und auf den Pommerschen und Lüneburgischen Thalern ge­ sehen werden. Weil ich ihn nun mit halber Furcht und Verwunderung angesehen, trat er richt fgerade^ gegen mich zu und sprach: „Meine Kunst und Weis­ heit giebt mir so viel zu erkennen, und ich sehe, daß Ihr gern wissen möchtet, wer ich doch wäre? Ich bin Herr Lug"-ins-Land ♦, der gewisseste Sterngucker, der je gegucket und noch heutigs Tags mag gesunden werden." — Jst's möglich, sagte ich,, daß die erlogenen Weissagungen, so man hin und wieder in Deutschland unter Euerem Namen findet. Eures Gespinns und Ge­ dichts seyn sollen? — „ Du unverständiger Tropf, sprach er im Zorn, wie kannst du so frevel seyn, daß 1) I. O. JenneS. 2) lurtfchen, nach andern Mundarten: latschen, schlür­ fen, schlurren d. i. schleppend gehen. — Pictorius hat »lürtschen, als auf Dornen gehen, nicht recht zutreten.E Golii onomast. col. 104. »ein Lurtscher, Aüpfeler, Schlürpfer.« — Französ. lourd, schwerfällig z schwedisch lurk. träge. 3) I. O. so gar.

4) Siehe die Not. 2. Seite 22S.

25«

Todtenheer.

du sie erlogene Weissagungen nennest und meine Per, son also verlachest, der ich doch als Interpres fatorum sSchicksalsdeuter^I des Himmels Heimlichkeiten allein weiß und offenbare. Ihr rolle Wellkinder seyd es also gewöhnet, daß, wann ein Ding über die Elle eures Verstands und über das Gewicht eu-.es Hirns ist, ihr es sobald verachtet und thörichter Weise verlachet. Ich bin ja so narrisch nicht in meinen Weissagungen, wie jener Bruder, daß ich neben tausend anderen offenbar lächerlichen Phantastereien ich sdasjenige^I für eine hohe Heimlichkeit ausschreien und, schreiben sollte, was 1 man doch in den Scheer, sB aderst und Spinnstuben weiß und die Fuhrleute alle selbst wohl verstehen: szum Exempel„Wer jetzt wohl schmieret, der wird wohl fahren;" „Venuskinder leiden viel Anstöß'." „Was höret man Neues? Viel unversehene Geschichten viel Geld, aber geringe Zahlung! O des Plunders!" „Große Herren bedürfen Raths." „Etwas Neues. Hab' gut Sorg'." „Den Weibern einträglich" u. s. w. — welcher hochheimlichen Reden Deutung auszulegen einem Bauern nicht unmöglich, und ein Kind errathen sollte [sonnte], wie großen Mangel dieses Jahr die unsternigen Stern,Messer an Hirn und Verstand haben, und man wohl sagen mag: „wie soll uns dieser weisen, was gut ist?" Aber meine wahr, hastigen nachdenklichen Worte haben ein viel ander Ge, Heimnuß in sich, und wird Keiner so viehisch geartet seyn, daß er mein Werk ein erlogenes Gespinns und Gedicht sollte nennen. Zum Wahrzeichen:

Wann ich heut' und alle Tag' kreuzweis thät die Welt durchgehen, so befind' ich doch, es mag nichts, als was Gott will, geschehen.

1) I. O. so. 2) Z. O. unversehen Geschichte.

257

Todtenhee r.

Ihr Gottesverächter, die ihr seyd! wie könnte diese Weissagung wahrhaftiger seyn? 2(6« ihr seyd in der Welt den Lastern und Sünden so ergeben, daß ihr bald weder an Gott selbsten noch an seine Regierung mehr glauben wollet! Wann ich euch von Thalern predigte, das wäre eure Meinung! Denn das Geld ist heut' einzig und allein der Welt Augenmaaß und Zweck, dahin alle menschlichen Sinne und Gedanken gehen l,2 3 zielen und zusainmenkommcn. Es ist der Welt höchstes Gut und Meister selbst, welches die ganze Welt meft fiert, regiert und verführt. Diele lassen sich mit Geld bestechen und es bewegt auch wohl der Könige Herzen. Pecuniae obediunt oinnia.

Wo vele ein ider Hefft Sülver effte Golt, so vele i» ein ock itzundt die Werldt holt. Were Salomon noch in dem Leven, dem Godt vele Wyßheit Hedde gegeven, Hede he neen Geld effte Golt, de Werldt were em nümmer holt. (Reineke de Doß^ 1, 25.)

(Wie viel ein Jeder hat Silber oder Gold, so viel ist ihm auch jetzt die Welt hold. Wäre Salomon noch im Leben, dem Gott viele Weisheit gegeben, und hätte er kein Geld oder Gold, die Welt wäre ihm nimmer hold.)

1) I. O. da alle rc. — hingehen.

2) Pred. Sal. g, ig.

3) Reineke Fuchs, rin sehr berühmtes satirisches Gedicht aus der letzten Hälfte des isten Jahrhunderts in platt­ deutscher (niedersächsischer,) insbesonders friesischer Sprache, von einem unbekannten Verfasser. Es stellt das ränkevolle Leben und Treiben eines verderbten Hofes mit dem tref­ fendsten Spotte und der witzigsten Laune dar. Göthe's Bearbeitung dieses Gedichts ist bekannt. I. 1.

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258

Todtenheer.

Dies ist für das Erste. zeichen :

Nun noch ein ander Wahr­

Nach dem uralten Brauch auf Erden viel' Weiber werden Mütter werden — und die Kinder insgemein ihrer Väter Kinder seyn.

Ist das nicht eine wahrhaftige Weissagung? Vielleicht möchtest du denken, sie sey lächerlich, weil man sie zuvorhin gewußt hatte? Aber eben recht: so höre ich wohl, daß die lautere pure und bekannte Wahrheit euch muß zum Gespött und Gelächter dienen! Wie sollte man euch dieses Gericht anderst kochen? Denn wahrlich, es sind viel' Männer, wann sie eine genaue Nachfor­ schung oder Nachrechnung und Gegenbuch halten sollten, es würde sich oft befinden, daß ihnen ein Kind Vater zuruft, welches doch nimmer von ihrem Leib hergekom, men! Es ist gefährlich, ein Urtheil fällen über ein Ding, so im Finstern geschieht, und da man keine Zeugen herzu fordert, sondern alles blinzlingen sblind, l i n g 6] hergeht. Muß also ein gut fromm Mann sei, nem listigen Weib, dieser Anfechtung wegen, in hoc puncto tentationis absolute und blos obenhin glauben, in quo fola fide absolviinur: Nemo sua certus de conjuge praeter Adamuin, deque fuo nemo conjuge praeter Evam. Conjugibus, mifero praefertim in amore marito, solati superest quid niß sola fides? (Ow. L. sing. 211.)

sKeiner, als Adam, ist seiner Fran, — keine, als Eva, ist ihres Manns gewiß. Was bleibt Eheleuten, beson, ders dem armen Mann, in diesem Punkt für ein ande­ rer Trost übrig, als blos der gute Glauben?^ Ein Weib hüten, wenn sie nicht selbst fromm seyn will, ist unmöglich. *

Todteoheer.

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Ein Säuhirt, der hüt't bei dem Korn, der darf wohl Hütens, hink' und vorn; ein Roßhirt bei ein'm Haberacker muß allzeit munter seyn und wacker; ein Kuhhirt unten und oben wehrt, wann er bei einer Matten fährt; ein Geishirt bei einem Krautgarten auf jeden Sprung muß fleißig warten: wer aber hüt't ein junges Weib, der seh', daß er bei Sinnen bleib: fürcht't sie nit Gott und des Mannes Zorn, so ist all' Hut und Wacht verlor'n. Sie zwar, die Mütter, sind ihrer Sach' gewiß; daher es auch kommet, daß sie ihre Kinder inbrünstiger lieben als die Männer: Omnis amatnatos mater plus quam pater ;xille nam nescit, proprios illa feit esse suos. —

oder also: Plus patre amat na tos mater, quia certior ipsa eft semper in incerto navigat ille solo.

Aber da muß gleichwohl ein ehrlicher Mann dieser De/ scheidenheit seyn und von seinem ehrlichen Weib nichts, als was ehrlich ist, halten, damit eS ihm nicht ergehe wie jenem, welcher, als er sein Kind einesmals fleißig an $ und ernstlich beschaute, und das Weib fragte, warum? — sprach: Mein liebes Weib, ich möchte gleichwohl wahrhaftig und ohne Zweifel wissen, ob die, ses Kind mein recht, natürlich, eigen Kind wäie? — Das Weib, listig und doch, wegen der unnöthigcn Frage, halb entrüstet, sprach zu ihrem Mann: Mein lieber Mann, zweifelt Ihr, daß dies Kind Euer sey? Nun so werdet Ihr doch ja nicht davon zweifeln, daß es mein Kind sey? — Das weiß ich sehr wohl! sprach der Mann. — Wohlan, sprach das Weib ferner, weil 22 *

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Todtenheer.

Ihr nun für gewiß glaubt,, daß es mein Kind sey, wie es denn auch ist: so schenke ich es Euch hiemit von Grund meines Herzens. Jetzt könnt Ihr gewiß sagen, daß es auch Euer eigen Kind sey! — Der gute Mann, welchem der unnützige Vorwitz hiemit redlich vergolten, ward durch solche Antwort viel mehr bestürzt, wünschend, daß er sein Lebtag nicht gezweifelt oder gefragt hatte. — Gleichwohl geht es jezuweilen auch Silber und "nüber, drunter und drüber, drum und dran, und [i^J wird sich dermalen in folgendem Gesicht offen­ bar befinden, daß mancher großer Herr in der Welt irgend einen Edelknaben, einen Auswarter, einen Hofund Leibarzt, einen Lautenisten, einen Kammerdiener, einen Küfer, einen Kellner, ja sogar einen Müller, Becken sBackert oder sonst einen starken Bengel für seinen Vater wird erkennen und dannehmen müssen. Wie mancher großer Herr wird alsdann sehen und im Werk erfahren, daß sein Geschlecht und Linie aufgehört und die Lande, wider seine Meinung und Wissen, durch einen vielleicht Beichtvater, Hofmeister oder sonst andern fortgesetzt worden! Denn da wird die Wahrheit an und in sich selbsten heller leuchten, als die klare Sonne mit ihren Strahlen.^ Ich muß gestehen, sprach ich, daß Eure Weissagun­ gen desto höher zu preißen, weil |ic extra raptmn et enthusiasiuiim s nüchtern und ohne Prophetenrausch ] geschehen, mit Augen zu sehen, mit Handen zu greifen, ja oftmal gar zu riechen und zu schmecken^ sind, und gleichwohl solche Geheimnisse *2 in sich haben, die der Witzigste beiweilen nicht verstehen, aber doch ein Alber­ ner unschwer kann merken. — Ueber welchen Worten der gute Lug-ins-Land vor meinen Augen ver­ schwunden. Bald hörte ich einen, der mich mit Namen rief;

D I. O. schmacken. 2) Gcheimnussen.

Lodtenheer.

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und als ich der Stimme folgte, ersah ich einen dürren elenden Tod, eines traurigen Angesichts, ganz bleich und erschrocken, „Ach sprach er, bist du je ein Christen, mensch, so bitte ich dich, habe Erbarmen mit mir, daß ich inskünftige von den losen Schwätzern, Mahrensa, gern, Zahnschreiern, verlogenen Weibern und Gesellen möge unverirt bleiben; sonst will ich gern Alles leiden und ausstehen, was einem elenden Tropfen auszustehen und zu leiden seyn mag!" — und [tmbei] weinete der arme Tod wie ein Kind. Gurgite sic pleno facies manavit, et alto infonuit gemitu turbatum intinnure pectus. (Petroiu)

sSein Gesicht war von einem ganzen Thranenmeer überströmt und seine gedrückte Brust erschallte von tiefen Seufzern.)

Wer seyd Ihr denn, sprach ich, daß es Euch so hinderlich geht? —- „ Ach, sprach er, ich bin sonst ein gut ehrlich Gesell, sehr alten Herkommens, außer daß 1 lose Leute je zu Zeiten meines Namens zu tausenderlei unehrlichen, ungebührlichen Händeln und Geschichten gebrauchen, dadurch ich dann in so elenden Stand ge, rathen (bin). Ich bin der arme Jener,dort, der. Einer, — bei den Franzosen l'antre, and) un Quidam genannt. Es kann nicht wohl seyn, daß du nicht soll, test von mir haben erzählen hören: denn es ist ja nichts, das Jener nicht sagt oder thut. Wenn ihr Menschen etlvas mit gutem Gewissen und Manier nicht behaupten könnet, so sagt ihr nur „wie Jener spricht," „wie einmal Einer sagte," — da ich doch leider mei­ nen Mund nicht auflhue, und still schweige, wie ein Schaaf. Die Lateiner nennen itiid) Quidam, und ge­ brauchen also meines Namens, nur das Geschwätz desto

1) I. O. allem daß.

262

Todrenheer.

größer zu machen, und daß der Zeilen desto mehr wer, den möchten. Bitte also, wann du wieder auf die Welt kommest, mir den Dienst zu erweisen und öffent, lich 1 zu sagen, daß du den Quidam selbst gesehen: er sey der unschuldigste Kerl, den man finden kann; er habe niemalen etwas geschrieben; er sage nichts, er habe niemalen etwas gesagt, er wolle auch nimmer etwas sagen; — und daß alle die, so mich als ihren Mann und Anbringer anziehen [citiren] es hätten 2 erlo, gen: damit in das Künftige solche crimina falsi ssolcher Lug' und $ r u g] gemaßiget und gemüssiget und mancher leichtgläubige Mensch uicht so bald betro­ gen werde. Es geschieht auch, daß sie mich oft nennen „ein gewisser gut Gesell," „ein gut Kerl," „ein gut Freund," bisweilen „Einer — er will mir jetzt nicht einfallen" — „ich weiß nicht wer" u. s. w. Die Herren Gelehrten nennen mich in ihren Redsprüchen und Schriften „certuin aliquem autorem" „ einen ge­ wissen Mann" — alles nur zu dem Ende, damit der arme Jener desto mehr gemartelt werde und alle Schuld auf ihn komme." Darauf shab'^j ich versprochen, das beste seinetwegen vorzuwenden, — wie denn dieses den Actis zu iiiserircn ich hiemit coram Notario et testibus [vor Notar und Zeugens will referiret haben. Indem kam mir vor ein Geschrei eines Vogels: Duhu! Puhu! Uhu! Huruh! 3 — woraus ich vermer, ken konnte, daß es eine Nachteule oder Uhu seyn mußte, wie denn sobald eine in vierschrötiger Größe kam da­ hergeflogen. — Wie? sprach ich; giebt es auch Vögel bei und unter den todten Menschen? Was mag das für eine Bedeutung haben? 1) I. O. öffentlichen. 2) I. O. haben's. 8) Hiebei am Rand: calumniatorem si dixeris, omnia dixeris, d. t. mit dem Wort Verläumder ist alles gesagt.

„Wenn dir, sprach ein Tod, dieses Vogels Natnr und Eigenschaft bekannt ist, so kannst du seine Deu­ tung unschwer selber erachten. Zuvorderst aber magst du wissen, daß es gleich wohl 1 eines andern Menschen Tod sey: denn wie die Menschen sich in ihrem Leben verhalten und versündigen, also wird ihnen auch im Tod gelohnet: per quod quis peccat, per idem punftur lwie die Sünde, so der Lohn^I. Tyrannen, Verfolger, Räuber, Mörder, weil sie in ihrem Leben als Lö­ wen, Baren, Wölfe sich erzeiget, werden nach ihren Leben mit dergleichen Teufelsgestalten 2 3wiederum gepei, nigt. Ein Schindhund, ein Geizhals, muß sich da als ein Hund wiederum quälen und leiden; ein Unkeuscher desgleichen; ein Dieb, mit Raben, ein -Gotteslästerer mit Teufelszungen geplagt worden—: nicht zwar auf heidnische pythagorische Weise sals^ ob eines Menschen Seele nach dem Tod in dergleichen Thiere fahren und also herumschwärmen sollte; sondern daß die bösen Gei, ster in eben solchen Gestalten jenen die verdiente Pein und Plag anthun werden. — Also ebenmäßig sa u ch) dieser Vogel1 ist eines Menschen Tod, welcher sich in seinem Leben und Handlungen als ein Uhu oder Eule verhalten, darum er dann also noch den Ueberlebenden allhier zum Erspiegeln muß dienen und da hernmfiiegen. Denn er war in Zeit seines Lebens ein Verläumder, ein falscher Freund, ein Lügenschmied, ein Verrather, ein Afterreder, der männiglich gute Worte vorgab, zuruck sdagegenl alles übel anslegte, alles deutelte, alles drehte, wie er wollte, damit er jedem konnte eines anschmitzen und ein Bein vor das Glück schlagen. Darum, gleichwie die Römer das SCtum sden Raths, schluU gegeben: Delatores ad leouein! sfalsche Angeber zu den Löwen! d. h. sie sollen zum Kampf mit dem Löwen verdammt !] also heißer es hie bei den Tod-

1) I. O. er ebenwohl. 2) I. O Gestalten Teufeln» 3) I. O. Vogel ebenmäßig.

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Todtenheer.

ten: Delatores ad bubonem! Merläumder zu den Nacht­ eulen — Denn erstlich, wo dieser ungeheures schreckliche, verhaßte, feindselige, leidige, höllische Vogel wohnet, da ist nichts als Unheil und Fluch zu hoffen:

Ignaviis bubo dimm inortalibus omen. — Biibulat liorrendum ferali carmine bubo. — Triftia inille locis ftygius dedit omina bubo. — (Ovid.) sDie leidige Nachteule ist den Menschen ein Unglücks­ vogel; — es heult die schreckliche Nachteule ihr Todtenlied; — aller Orten läßt die höllische Nachteule ihre Unglück verkündende Stimme ertönens — Daher als eine Eule zu Rom in das Kapitolium geflogen, S. Papellio Iftro et L. Pediano Coss. 1 2 [fjat] man eine allgemeine Haussuchung thun lassen, um zu sehen, ob keine Verratherei abhanden seyn möchte. Ebenermaßen hat dieser Todte sich in seinem Leben gegen alle Menschen also verhalten, daß3, wer seiner ansichtig worden, sich wie vor einem feind­ seligen, heilstörigen Mann gesegnet shag. — Zweitens: die Eule ist ein Trauervogel: triftis die, laeta noctu [traurig bei Tag, lustig bei Nachts; also ein Verlaum, der: wann es dem Nächsten wohl gehet, so ist er trau, rig, hält sich in 4, trachtet nach Rach und Hinterlist; wann es [jenem] übel gehet, so ist sein Herz fröhlich — ein Schadenfroh, tfyut sich herfür wie das Döse in der Wannen [im Wurfsieb]. Drittens: die Eule ist non vocalis cantu, fed gemihi, hat weder Gesang noch Klang, sondern ein fürchterliches Geheul: — also ein Verlaumder schwätzet was ihm in tas Maul kommt; man sage ihm recht oder unrecht, 1) I. O. dieser ungeheurer, schrecklicher rc. 2) d. i. unter den Konsuln S. Papelliuß Jster und L. Pe, dianus. 3) I. O. verhalten also daß. 4) d. i. ist in sich verschlossen.

T o d t e n h e e r.

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so bleibet er ans feinen fünf Augen; alles ist getadelt und gescholten, ob er schon weiß, daß er unrecht daran thut; alles muß herausgeplaudert seyn, es sey für den Mann obdUtoifcer den Manu, es sey für die Sache oder wider die Sache: und doch meinet der Esel — der Vogel — Geschrei allein gehe über vier Stimmen. Kt}$ 6q