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German Pages X, 318 [316] Year 2020
BIBLIOTHEK DES EIGENTUMS
Otto Depenheuer Eckhart Hertzsch Michael Voigtländer Herausgeber
Wohneigentum für breite Schichten der Bevölkerung
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Bibliothek des Eigentums Im Auftrag der Deutschen Stiftung Eigentum (Berlin, Deutschland) herausgegeben von Otto Depenheuer Band 18
Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/5051
Otto Depenheuer • Eckhart Hertzsch Michael Voigtländer Hrsg.
Wohneigentum für breite Schichten der Bevölkerung
Hrsg. Otto Depenheuer Universität zu Köln Köln, Deutschland
Eckhart Hertzsch Joanes Stiftung Berlin, Deutschland
Michael Voigtländer Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Deutschland
ISSN 1613-8686 Bibliothek des Eigentums ISBN 978-3-662-61286-6 ISBN 978-3-662-61287-3 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-61287-3 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany
Vorwort
Der Wunsch nach Wohneigentum ist bei vielen Menschen weit verbreitet. Nach einer aktuellen und repräsentativen Umfrage des Civey-Instituts aus dem Jahr 2018 würden 84 Prozent der deutschen Haushalte gerne in den eigenen vier Wänden leben (Spiegel 2018). Tatsächlich realisieren aber nur 45 Prozent der Haushalte den Traum von den eigenen vier Wänden. Dabei ist zu beachten, dass die Wohneigentumsquote seit rund zehn Jahren stagniert und gerade bei jüngeren Haushalten tendenziell rückläufig ist. In der deutschen Wohnungspolitik wird die geringe Wohneigentumsquote kaum problematisiert. Zwar finden sich in fast allen Koalitionsverträgen der letzten Jahre Passagen, die den Wunsch nach einer höheren Wohneigentumsquote thematisieren, aber das politische Engagement hält sich in Grenzen, auch wenn zuletzt mit dem Baukindergeld wieder eine größere Förderung eingeführt wurde. Tatsächlich kann man gerade aus ökonomischer Perspektive vertreten, dass auch Mieten große Vorteile bietet. Schließlich sind Mieter häufig mobiler und die Gefahr von Überschuldungskrisen ist deutlich geringer. In anderen Ländern ist das Engagement für Wohneigentum dagegen deutlich stärker ausgeprägt. In den Niederlanden, den USA oder auch dem Vereinigten Königreich ist es für fast alle Parteien selbstverständlich, dass es ein Ziel der Wohnungspolitik ist, mehr Menschen ins Wohneigentum zu bringen. In vielen südeuropäischen und osteuropäischen Ländern gelten Mietwohnungsmärkte nur als Ergänzung für Haushalte, die temporäre Unterkünfte brauchen. Daraus folgt nicht notwendig, dass diese Länder Vorbilder für Deutschland sein müssten. Es kann ja aus individueller Sicht ein großer Vorteil sein, frei zwischen dem Wohnen zur Miete und dem Wohnen im Eigentum wählen zu können. Schließlich kann sich je nach Lebenssituation die eine oder andere Nutzungsform als vorteilhafter darstellen. Nichtsdestotrotz erscheint es jedoch geboten, verstärkt aus gesellschaftlicher Perspektive über Wohneigentum nachzudenken. Ein wesentlicher Grund sind die Zinsen, die deutlich gesunken sind und damit Wohneigentum, trotz stark gestiegener
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Vorwort
Preise, attraktiver gemacht haben. Und auch aus Gründen der Altersvorsorge gibt es heute mehr Argumente als noch vor zum Beispiel 20 Jahren, über mehr Wohneigentum nachzudenken. Insbesondere Wohneigentum für untere und mittlere Einkommensschichten sollte stärker in den Fokus genommen werden. Gerade Haushalte in den unteren Einkommensgruppen haben in Deutschland eine deutlich geringere Wohneigentumsquote als in anderen europäischen Ländern. Damit sinkt auch die Chance, dass diese Gruppen ein Vermögen aufbauen können, was u. a. erklärt, warum Deutschland unter den europäischen Ländern einen der letzten Plätze einnimmt. Dieses Buch versucht, diese Thematik möglichst breit zu analysieren und zu diskutieren. Dabei geht es keineswegs darum, für Wohneigentum einseitig zu werben, sondern vielmehr darum, die Chancen aufzuzeigen, gleichzeitig aber auch die Risiken zu betrachten. Im ersten Teil des Buches werden zunächst einige Grundlagen erläutert. Pekka Sagner gibt einen Überblick über die Wohneigentumsbildung in Deutschland, Marietta Haffner schließt an mit dem internationalen Überblick. Anschließend beschreibt Heide Haas die politische Sicht auf das Wohneigentum in Deutschland, während Sebastian Kohl die europäische Sichtweise darlegt. Im nächsten Themenblock werden dann die volkswirtschaftlichen Vor- und Nachteile des Wohneigentums in den Fokus genommen. Nach einer Analyse der Wohnnutzerkosten, die aktuell die Vorteilhaftigkeit des Wohneigentums besonders deutlich unterstreichen, diskutiert Christian Oberst die Bedeutung von Wohneigentum für den Arbeitsmarkt. Judith Niehues und Maximilian Stockhausen analysieren danach die Rolle des Wohneigentums für die Vermögensbildung, ehe Guido Spars auf die Chancen des Wohneigentums für die Stadtentwicklung eingeht. Im rechtlichen Teil dieses Buches gibt zunächst Sebastian Thiel einen Überblick über die juristischen Dimensionen des Wohneigentums. Ganz entscheidend sind dabei die Bedeutung der Sozialpflichtigkeit des Eigentums und die daraus zu ziehenden politischen Gestaltungsmöglichkeiten. Anschließend wird von zwei der Herausgeber die Diskussion um mögliche Vergesellschaftungen in Berlin aufgegriffen – ein Thema, das zwar nur einen mittelbaren Bezug zum selbst genutzten Wohneigentum hat, das aber die hohe Sensibilität des privat genutzten Wohnraums für große Teile der Bevölkerung in Erinnerung gerufen hat und damit letztlich ganz essenzielle Fragen für jede Form der Eigentumsbildung aufwirft. Sodann werden Themen rund um die Finanzierung des Wohneigentums diskutiert. Oliver Lerbs prüft, inwieweit Wohneigentum eine Gefahr für die Finanzstabilität darstellt, Oliver Arentz erläutert die Chancen umgekehrter Hypotheken. Reiner Braun schließlich geht auf die Bedeutung des Wohneigentums für die Altersvorsorge ein. Der letzte Teil des Buches ist Akteuren gewidmet, die die Wohneigentumsbildung unterstützen möchten sowie alternativen Ansätzen der Wohneigentumsbildung. So erörtert Marcus Menzl die Optionen, die Baugruppen und Genossenschaften bieten. Julia Doborosky und Ulrich Müller erläutern die Motivation des katholischen Siedlungswerkes, die Wohneigentumsbildung zu unterstützen, Jan
Vorwort
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Kehrberg beschreibt städtische Konzepte. Stellvertretend für Stiftungen stellen Milena Grosser und Eckhart Hertzsch das Konzept der Joanes-Stiftung vor, das einen Mix aus Miete und Eigentumsbildung beinhaltet. Die Joanes-Stiftung hat dieses Buch auch gefördert. Neben den Autoren möchten wir Barbara Sawatzki danken, deren gründliches Korrektorat ungemein hilfreich war. Wir als Herausgeber sind überzeugt, dass Wohneigentum eine stärkere gesellschaftliche und politische Beachtung verdient hätte und dass gerade auch die Chancen in sozialpolitischem Sinne besser genutzt werden könnten. Daher finden sich im letzten Kapitel einige Hinweise, wie der Zugang zum Wohneigentum, gerade auch für Haushalte mit geringeren Einkommen, verbessert werden könnte. Köln, Deutschland Berlin, Deutschland Köln, Deutschland
Otto Depenheuer Eckhart Hertzsch Michael Voigtländer
Inhaltsverzeichnis
1 Verbreitung von Wohneigentum in Deutschland������������������������������������ 1 Pekka Sagner 2 Wohneigentum im europäischen Ausland������������������������������������������������ 21 Marietta E. A. Haffner 3 Paradigmenwandel der Wohnungspolitik������������������������������������������������ 35 Heide Haas 4 Der Traum vom eigenen Heim? Eigenheimförderung in Geschichte und Gegenwart ���������������������������������������������������������������������� 51 Sebastian Kohl 5 Die neue Attraktivität des Wohneigentums �������������������������������������������� 63 Michael Voigtländer 6 Mobilität, Wohnen und der Arbeitsmarkt ���������������������������������������������� 75 Christian A. Oberst 7 Die Bedeutung von Wohneigentum und geerbten Wohnimmobilien für die Vermögensbildung in Deutschland �������������������������������������� 95 Judith Niehues und Maximilian Stockhausen 8 Stiftet Wohneigentum soziale Stabilität? ������������������������������������������������ 113 Guido Spars 9 Der Rechtsrahmen zur Förderung des Wohneigentums������������������������ 127 Fabian Thiel 10 Verfassungsrechtliche und ökonomische Aspekte von Eingriffen in das Eigentum von Wohnungsunternehmen���������������������������������������� 181 Otto Depenheuer und Michael Voigtländer 11 Immobilienfinanzierung und Finanzmarktstabilität������������������������������ 199 Oliver Lerbs
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Inhaltsverzeichnis
12 Bedeutung des Wohneigentums für die Altersvorsorge�������������������������� 213 Reiner Braun 13 Sicherung des Alterskonsums durch Wohneigentum ���������������������������� 233 Oliver Arentz 14 Die Förderung von Wohneigentum aus Sicht des Katholischen Siedlungsdienst e.V.������������������������������������������������������������������������������������ 255 Julia Doborosky und Ulrich Müller 15 Konzepte für einen Mix aus Miete und Eigentum – Wohnungseigentumsgemeinschaften im Erbbaurecht �������������������������� 271 Milena Grosser, Michael von Hauff, Eckhart Hertzsch und Matthias Nagel 16 Gemeinsam zum Eigentum – Baugemeinschaften und Genossenschaften �������������������������������������������������������������������������������������� 287 Marcus Menzl 17 Städtische und kommunale Konzepte zur Förderung von Wohneigentum�������������������������������������������������������������������������������������������� 297 Jan Kehrberg 18 Schlussfolgerungen������������������������������������������������������������������������������������ 311 Michael Voigtländer, Otto Depenheuer und Eckhart Hertzsch Bibliothek des Eigentums. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
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Verbreitung von Wohneigentum in Deutschland Pekka Sagner
1 Einleitung Selbstgenutztes Wohneigentum ist in Deutschland weniger verbreitet als das Wohnen zur Miete. Hierzulande leben nur rund 45 Prozent der Haushalte in den eigenen vier Wänden (Sagner und Voigtländer 2019). Lediglich jeder dritte Mieter unter 50 Jahren plant den Erwerb einer selbst genutzten Immobilie (Kempermann et al. 2019). Die Wohneigentumsquote stagniert seit 2010. Auch in den letzten Jahren, die von historisch niedrigen Zinsen für Hypothekendarlehen geprägt waren, hat die Wohneigentumsbildung nicht an Fahrt aufgenommen. In der aktuellen politischen Diskussion spielt Wohneigentum eine untergeordnete Rolle. Zwar wurde 2018 das Baukindergeld eingeführt, das junge Familien bei der Finanzierung einer Eigentumsimmobilie unterstützen soll, in der breiten politischen Debatte dominieren jedoch Diskussionen um die Mietpreisbremse, den sozialen Wohnungsbau und in Teilen sogar die Enteignung von Wohnungsunternehmen. Hinsichtlich der starken Preisanstiege sowohl am Markt für Eigentumsimmobilien als auch am Mietwohnungsmarkt in den beliebten Ballungsregionen wie Berlin, München und Hamburg verwundert dieser Fokus nicht weiter. Dieser Beitrag beschreibt im Folgenden die Verbreitung von Wohneigentum in Deutschland. Dabei wird zum einen näher auf die regionale Verbreitung von Wohneigentum eingegangen und zum anderen die Wohneigentumsquote anhand verschiedener sozioökonomischer Variablen dargestellt. Anschließend wird die Entwicklung der Ersterwerberhaushalte, derjenigen Haushalte, die zum ersten Mal vom Mieter zum Wohneigentümer werden, betrachtet. Eine Analyse der Wohneigentumsbildung im Zeitverlauf kann wichtige Hinweise für politische Entscheidungsträger bieten. Als Datengrundlage dient das Sozioökonomische Panel (SOEP). Das SOEP ist ein P. Sagner (*) Institut der deutschen Wirtschaft, Kompetenzfeld Finanzmärkte und Immobilienmärkte, Köln, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 O. Depenheuer et al. (Hrsg.), Wohneigentum für breite Schichten der Bevölkerung, Bibliothek des Eigentums 18, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61287-3_1
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P. Sagner
für die deutsche Bevölkerung repräsentativer Datensatz, der sich aus seit 1984 durchgeführten jährlichen Haushalts- und Personenbefragungen zusammensetzt (Wagner et al. 2007). Die aktuellsten Daten beziehen sich auf das Jahr 2017.
2 Wohneigentumsquote nach regionalen Unterscheidungsmerkmalen 2.1 Angebotsstruktur auf dem deutschen Wohnungsmarkt Bevor in den folgenden Kapiteln die Wohneigentumsquote und die Wohneigentumsbildung im Vordergrund stehen, wird zunächst die Struktur des deutschen Marktes für Wohnimmobilien illustriert. Eine solche Status-Quo-Betrachtung gibt einen ersten Eindruck hinsichtlich der Wohnsituation der deutschen Haushalte. Im Jahr 2017 wohnten rund 41,1 Mio. Privathaushalte in Deutschland in einer Wohnimmobilie. Dieser Gesamtmarkt lässt sich in den Markt für Selbstnutzer, diejenigen Haushalte, die in einer selbst genutzten Eigentumsimmobilie wohnen, und Mieter unterteilen. Rund 55 Prozent der deutschen Haushalte sind Mieter, dies entspricht 22,4 Mio. Haushalten. Die Selbstnutzer, mit 45 Prozent beziehungsweise 18,7 Mio. der Haushalte, machen den kleineren Teil des Wohnimmobilienmarktes aus. Eine weitere Untergliederung des Mietwohnungsmarktes gibt Aufschluss über die Angebotsstruktur in diesem Segment. Die größte Anbietergruppe am Markt für Mietwohnungen stellen, mit 13,7 Mio. vermieteten Immobilien, die privaten Kleinvermieter: Etwas mehr als 60 Prozent der Mietwohnungen oder rund 13,7 Mio. Einheiten werden von privaten, nicht-gewerblichen Vermietern betreut. Der Rest des Mietwohnungsmarktes (ca. 8 Mio. Haushalte) wird von professionell-gewerblichen Anbietern bedient. Der Markt für Selbstnutzer ist darüber hinaus hauptsächlich ein Markt für Einund Zweifamilienhäuser (EZFH) und Reihenhäuser. Mehr als 14 Mio. Haushalte (drei Viertel aller Wohneigentümer) wohnen in einer solchen Immobilie – Eigentumswohnungen im Geschossbau sind weniger verbreitet, hier sind es nur gut 4 Mio. Haushalte, die sich für diese Form des Wohneigentums entschieden haben. Am Mietwohnungsmarkt zeigt sich eine spiegelbildliche Situation, denn hier sind Geschosswohnungen die Regel. So vermieten private Kleinvermieter fast 10 Mio. Wohnungen in Geschossbauten, aber nur gut 4 Mio. EZFH beziehungsweise Reihenhäuser. Diese Momentaufnahme des deutschen Marktes für Wohnimmobilien wirft Fragen hinsichtlich der Verbreitung von Wohneigentum in Deutschland auf. Wie hat sich der Anteil der Selbstnutzer, die Wohneigentumsquote, in den vergangenen Jahren entwickelt? Wie verteilen sich die Wohneigentümer geografisch? Wer wird im Lebensverlauf zum Wohneigentümer und wer bleibt Mieter? Welche Rolle spielen Einkommen und Vermögen? Dieser Beitrag beantwortet diese und weitere Fragen. Im nächsten Abschnitt wird zunächst die Entwicklung der Wohneigentumsquote im Zeitverlauf sowie anhand geografischer Merkmale dargestellt (Abb. 1.1).
1 Verbreitung von Wohneigentum in Deutschland
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Privathaushalte in Deutschland 41,1 Mio. Haushalte Mieter
Selbstnutzer
22,4 Mio. Haushalte (55 %)
18,7 Mio. Haushalte (45 %)
Professionellgewerbliche Anbieter 8,0 Mio. Haushalte Kommunale
1,6 Mio. Haushalte Genossenschaften 3,9 Mio. Haushalte Private Wohnungsunternehmen
Private Kleinvermieter
EZFH und Reihenhäuser
13,7 Mio. Haushalte
14,4 Mio. Haushalte
EZFH und Reihenhäuser 4,3 Mio. Haushalte
Geschosswohnungen 4,3 Mio. Haushalte
Geschosswohnungen 9,5 Mio. Haushalte
2,0 Mio. Haushalte Gemeinnützige 0,4 Mio. Haushalte
Abb. 1.1 Gliederung des deutschen Marktes für Wohnimmobilien 2017; nur Privathaushalte. (Quelle: SOEP v34; eigene Darstellung; Summenfehler aufgrund fehlender Angaben oder Rundung)
2.2 Entwicklung der Wohneigentumsquote Im bundesdeutschen Mittel stagniert die Wohneigentumsquote im Jahr 2017 im siebten Jahr in Folge. Am aktuellen Rand leben 45,4 Prozent der deutschen Privathaushalte im selbst genutzten Wohneigentum (Sagner und Voigtländer 2019). Vor dem gesamten Zeithorizont seit der Wiedervereinigung hat sich die Wohneigentumsquote dennoch positiv entwickelt. Im Jahr 1990 wohnten lediglich 38 Prozent der Haushalte im Eigentum. Im ersten Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung stieg die Wohneigentumsquote noch um knapp fünf Prozentpunkte. Im Jahr 2002 wurde mit 42,2 Prozent der bis dahin höchste Wert erreicht. Diese Phase war auch von einem Aufholprozess der ostdeutschen Bundesländer gekennzeichnet. Mitte der 2000er-Jahre sank die Wohneigentumsquote um zwei Prozentpunkte, die Dynamik nach der Wiedervereinigung war verpufft. Die deutsche Wirtschaft befand sich zu dieser Zeit in einer misslichen Lage, geprägt von einer schwachen Konjunktur und hohen Arbeitslosenzahlen. Deutschland galt in diesen Jahren gemeinhin als „kranker Mann Europas“ (Dustmann et al. 2014). Die Wohneigentumsquote sank besonders im Westen, während sie in Ostdeutschland in dieser Phase lediglich stagnierte. In der darauffolgenden Periode des wirtschaftlichen Aufschwungs stieg auch die Wohneigentumsquote stark an. In nur vier Jahren (2006–2010) erhöhte sich diese im bundesdeutschen Mittel um vier Prozentpunkte. Seit 2010 stagniert die Wohneigentumsquote nunmehr bei etwas mehr als 45 Prozent. Im Mittel der westdeutschen Bundesländer lag diese im Jahr 2017 bei 48,7 Prozent, und damit fast 1,5-Mal so hoch wie im Osten der Republik. Im Osten lebt rund ein Drittel der Haushalte im selbst genutzten Wohneigentum. Die stagnierende Entwicklung der Wohneigentumsquote ist damit nicht auf verschiedene Entwicklungstendenzen in der Wohneigentumsbildung zwischen Ost- und West-
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P. Sagner 55% 50%
45% 40% 35% 30%
20%
1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017
25%
Deutschland
West
Ost (Alte Länder ohne Berlin)
Abb. 1.2 Wohneigentumsquote in Deutschland Anteil der Privathaushalte im selbst genutzten Wohneigentum an allen Privathaushalten. (Quelle: SOEP v34 (2019); Sagner und Voigtländer (2019))
deutschland zurückzuführen. Lediglich der Anteil der Eigentümer liegt im Osten strukturell deutlich unter dem im Westen. Strukturelle Unterschiede gibt es auch zwischen Stadt und Land und nach Gemeindegrößenklassen, wie im nächsten Abschnitt aufgezeigt wird (Abb. 1.2).
2.3 Wohneigentum in Stadt und Land Die Wohneigentumsquote auf dem Land liegt deutlich über der in den städtischen Regionen. Wohnungsmärkte in den Großstädten sind daher hauptsächlich Märkte für Mietobjekte. Das Angebot an Eigentumswohnungen ist in Relation zum jeweiligen Gesamtmarkt relativ gering. Ländliche Regionen sind tendenziell durch ein Angebot an Ein- und Zweifamilienhäusern geprägt, die als Eigentumsimmobilien bewohnt werden. Im Jahr 2017 lebte mehr als die Hälfte der Haushalte in den ländlichen Regionen im Wohneigentum, die Quote lag bei 51,1 Prozent. In den städtisch geprägten Regionen wohnen hingegen nur 42,8 Prozent in der eigenen Immobilie. Noch deutlicher werden diese strukturellen Unterschiede zwischen Stadt und Land bei der Betrachtung der verschiedenen Gemeindegrößenklassen. In den kleineren Gemeinden ist das Wohnen im Eigentum die Regel. Im Jahr 2017 wohnte nur ein Drittel der Haushalte in Dörfern mit weniger als 2000 Einwohnern zur Miete. Insgesamt steigt der Anteil der Wohneigentümer graduell mit der
1 Verbreitung von Wohneigentum in Deutschland
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Ländliche Regionen Städtische Regionen 500.000 und mehr 100.000-500.000 50.000-100.000 20.000-50.000 5.000-20.000
2.000-5.000 Unter 2.000 0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
Abb. 1.3 Wohneigentumsquote in Stadt, Land und nach Gemeindegrößen Anteil der Privathaushalte im selbst genutzten Wohneigentum an allen Privathaushalten; 2017. (Quelle: SOEP v34; eigene Darstellung)
Größe der Gemeinde. Je größer die Gemeinde, desto kleiner der Markt für Eigentumswohnungen relativ zum Gesamtmarkt und desto geringer die Wohneigentumsquote. Die deutschen Großstädte mit mehr als 500.000 Einwohnern, wozu die 14 Städte Berlin, München, Hamburg, Köln, Frankfurt a. M., Stuttgart, Düsseldorf, Dortmund, Essen, Leipzig, Bremen, Dresden, Hannover und Nürnberg gehören, sind durch eine besonders geringe Wohneigentumsquote gekennzeichnet. Der Mietwohnungsanteil liegt dort im Mittel bei 72 Prozent. Wohneigentümer sind mit 28 Prozent aller Haushalte in Großstädten damit klar in der Minderheit und der Markt für Wohnimmobilien ist stark auf Mieter fokussiert. Grund für die geringere Wohneigentumsquote in den Großstädten sind unter anderem die dichte Bebauung und das Angebot, das sich vornehmlich auf Wohnungen in mehrgeschossigen Gebäuden konzentriert. Wohneigentümer präferieren dagegen den Kauf eines freistehenden Einfamilienhauses. Etwas mehr als 45 Prozent der Haushalte, die sich für den Eigentumserwerb entscheiden, kaufen eine solche Immobilie (Sagner und Voigtländer 2019). Im Zeitverlauf zeigt sich, dass sowohl in den ländlichen Regionen als auch in den städtischen die Wohneigentumsquote seit 2010 stagniert (Abb. 1.3).
2.4 Differenzen zwischen den Ländern Mit Blick auf die Bundesländer zeigen sich ebenfalls teils deutliche Unterschiede in der Wohneigentumsquote. Laut SOEP verzeichneten im Jahr 2017 Baden-Würt temberg und Niedersachsen mit je 54 Prozent den größten Anteil der im Eigentum
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P. Sagner
wohnenden Haushalte. Wie aus der Diskussion hinsichtlich der Wohneigentumsquoten nach Gemeindegrößenklassen zu erwarten gewesen ist, weisen die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen unterdurchschnittliche Wohneigentumsquoten auf. Mit Abstand am geringsten ist die Wohneigentumsquote in Berlin, hier wohnten zuletzt nur 18 Prozent der Haushalte in einer Eigentumsimmobilie. Allerdings zeigt sich hier auch deutlich, dass ein Aufholprozess stattfand, denn seit dem Jahr 2000 hat sich der Anteil der Eigentümer verdoppelt. Dennoch lassen sich die Stadtstaaten aufgrund ihrer weitestgehend urbanen Architektur in Form von Mehrfamilienhäusern und dichter Bebauung nur bedingt mit den anderen Bundesländern vergleichen. Diese sind weit mehr von einer Mischstruktur aus größeren Städten und kleineren Gemeinden geprägt, wodurch sich dort in der Tendenz eine höhere Wohneigentumsquote findet. Die Wohneigentumsquote liegt in den ostdeutschen Bundesländern mit der Ausnahme Brandenburgs unter dem bundesdeutschen Mittel. Hier zeigt sich, dass die Wohneigentumsbildung in Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen seit 2010 sogar rückläufig ist, in Sachsen und Sachsen-Anhalt sta gniert sie hingegen. Es ist deshalb zu vermuten, dass Brandenburg, wo die Wohneigentumsquote seit 2010 um 7 Prozentpunkte gestiegen ist, von der Nähe zur Hauptstadt profitiert und das Angebot an Wohneigentum bietet, das in Berlin nur schwer zu finden ist. Die Haushalte weichen also in den Speckgürtel der Metropole aus (Tab. 1.1).
Tab. 1.1 Wohneigentumsquote in den Bundesländern Anteil der Privathaushalte im selbst genutzten Wohneigentum an allen Privathaushalten Schleswig-Holstein Hamburg Niedersachsen Bremen Nordrhein-Westfalen Hessen Rheinland-Pfalz Baden-Württemberg Bayern Saarland Berlin Brandenburg Mecklenburg-Vorpommern Sachsen Sachsen-Anhalt Thüringen
2000 58 % 14 % 47 % 23 % 39 % 42 % 48 % 50 % 51 % 63 % 9 % 33 % 36 % 31 % 35 % 41 %
Quelle: SOEP v34; eigene Darstellung
2010 49 % 23 % 52 % 47 % 44 % 47 % 50 % 54 % 53 % 63 % 14 % 38 % 44 % 33 % 39 % 45 %
2016 52 % 30 % 53 % 35 % 43 % 47 % 52 % 54 % 51 % 47 % 19 % 47 % 33 % 33 % 39 % 41 %
2017 51 % 29 % 54 % 37 % 45 % 45 % 51 % 54 % 50 % 51 % 18 % 45 % 31 % 33 % 39 % 42 %
1 Verbreitung von Wohneigentum in Deutschland
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3 Präferenzen und Wohneigentum Bevor im Folgenden die Wohneigentumsquote anhand verschiedener sozioökonomischer Variablen aufgezeigt wird, lohnt ein Blick auf die Präferenzen der Haushalte und Personen hinsichtlich des Wohnens zur Miete oder im Eigentum. Diese sind im Wesentlichen durch subjektives Abwägen von Vor- und Nachteilen bezüglich des Wohnkonsums bestimmt. Die Entscheidung hinsichtlich des Wohnens im Eigentum oder dem Mieten ist neben der finanziellen Situation in Form von Vermögen und Einkommen auch wesentlich durch die Lebensumstände beeinflusst. Obwohl die ökonomische Theorie davon ausgeht, dass Haushalte auf Basis der Kosten in der langen Frist zwischen Wohneigentum und Mieten indifferent sein sollten, da Mietpreise und Selbstnutzerkosten im Gleichgewicht liegen (Poterba 1984), können die individuell auftretenden Vor- und Nachteile einer Miet- oder Eigentumsimmobilie diese Entscheidung stark beeinflussen. Hierbei ist die langfristige Entscheidung maßgeblich von Umständen in der kurzen und mittleren Frist beeinflusst. Die Vor- und Nachteile des Wohnens zur Miete oder im Eigentum lassen sich in eine gesellschaftliche und eine Personen- beziehungsweise Haushaltsebene gliedern (vgl. Hinrichs (2010) und Bentzien (2016, S. 38) zu den Vor- und Nachteilen einer höheren Wohneigentumsquote) (Tab. 1.2). Die durchschnittliche Zufriedenheit mit der Wohnung ist im Eigentum größer als in der Mietwohnung (Sagner und Voigtländer 2019). Mit dem Umzug ins Wohneigentum kommt ein gewisser Grad an Unabhängigkeit und Freiheit zur Gestaltung der eigenen vier Wände, welcher in Mietwohnungen nicht gegeben ist. In der Regel vergrößern sich darüber hinaus die Haushalte um durchschnittlich 20 Quadratmeter. Tab. 1.2 Beispiele für Vor- und Nachteile von Wohneigentum gegenüber Mieten Vorteile
Nachteile
Personen-, Haushaltsebene - Höhere Zufriedenheit mit der Wohnung - Unabhängigkeit, Sicherheit der Unterkunft - Individueller Gestaltungsspielraum - Schutz vor Verdrängung und Mietsteigerungen - Geringere Wohnkostenbelastung im Alter - Vererbungspotenzial der Immobilie - Wichtiger Beitrag zur Altersvorsorge - Hohe Investitionskosten - Langfristige finanzielle Belastung in Form von Zins- und Tilgung - Standortfixierung - Gestiegene existenzielle Risiken bei bspw. Arbeitslosigkeit oder Trennung in Tilgungsphase
Gesellschaftliche Ebene - Höheres soziales Engagement der Bewohner - Bessere Pflege des Wohnungsbestands - Steigende Sicherheit im Wohnumfeld - Stabilisierung des Wohnumfelds in sozialen Brennpunkten - Mehr Bodenkonsum und -versiegelung - Umweltschäden durch Rodung und Zersiedelung - Höhere Infrastrukturkosten pro Kopf
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Hinrichs (2010) und Bentzien (2016, S. 38)
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Nicht nur die Wohnungsgröße sondern auch die Zahl der Kinder nimmt nach dem Einzug ins Wohneigentum zu, hier bieten größere Immobilien in Form von Eigentum den notwendigen Platz. Des Weiteren bieten Eigentumsimmobilien den Vorteil einer geringeren Wohnkostenbelastung im Alter sowie Vererbungspotenzial. Als Nachteile auf der Personen- und Haushaltsebene sind neben den hohen finanziellen Belastungen in der Zins- und Tilgungsphase vor allem die Standortfixierung und ein höheres existenzielles Risiko (zum Beispiel bei Verlust des Arbeitsplatzes oder Trennung vom Partner) in der Finanzierungsphase des Hypothekendarlehens zu nennen. Mehrere Studien haben gezeigt, dass sich Wohneigentümer stärker sozial engagieren (z. B. DiPasquale und Glaeser (1999); Rossi und Weber (1996)), was positive externe Effekte für die Gesellschaft mit sich bringt. Innerhalb sozialer Brennpunktviertel kann eine höhere Wohneigentumsquote zu einer Stabilisierung der Wohnsituation führen (Friedrichs und Blasius 2009). Die ökonomischen Anreize für diesen Befund liegen darin begründet, dass Wohneigentümer von steigenden Immobilienpreisen profitieren. Diese Preissteigerung liegt in der Natur eines wohlorganisierten Wohnviertels mit gutem Ruf und einer guten Sozialstruktur. Eigenes soziales Engagement führt also zu einem höheren Preis der eigenen Immobilie (Green und Hendershott 2001). Sowohl Vor- als auch Nachteile auf gesellschaftlicher Ebene können die Entscheidung auf Personen- oder Haushaltsebene beeinflussen. Hier seien beispielhaft der höhere Bodenkonsum und der Anstieg der versiegelten Bodenflächen eines Einfamilienhauses (vorwiegend Eigentum) gegenüber einem Mehrfamilienhaus (vorwiegend Mietobjekte) genannt. Ein stark umweltbewusster Haushalt könnte sich aufgrund der gesellschaftlichen Nachteile gegen Wohneigentum entscheiden, obwohl ihm selbst kein direkter Nachteil durch einen höheren Anteil an versiegelter Bodenfläche entsteht. Die Haushalte wägen, gegeben ihrer finanziellen Mittel und Lebenssituation, die oben genannten Vor- und Nachteile ab und entscheiden sich dann auf Basis der Präferenzen für oder gegen Wohneigentum. Die aufgeführten Überlegungen sollten bei der folgenden Darstellung der Wohneigentumsquoten anhand verschiedener sozioökonomischer Merkmale im Hinterkopf behalten werden, da diese eine maßgebliche Rolle bei der Wahl der Wohnform spielen.
4 Wohneigentumsquote anhand sozioökonomischer Merkmale Die obige Darstellung der Wohneigentumsquoten anhand geografischer Merkmale wie der Gemeindegröße und dem Bundesland haben gezeigt, dass sich die Verbreitung von Wohneigentum über die Bundesrepublik hinweg stark unterscheidet. Im Westen ist die Wohneigentumsquote höher, in den Großstädten geringer und im bundesdeutschen Mittel stagniert die Wohneigentumsquote seit 2010 bei 45 Prozent. Diese Erkenntnisse sind in sich bereits gewinnbringend, bedürfen jedoch weiterer Differenzierung. Deshalb wird im Folgenden betrachtet, wie sich die Wohneigentumsquote anhand verschiedener sozioökonomischer Faktoren unterscheidet. Hierbei wird in Teilen die Entwicklung über die Zeit dargestellt und teilweise auf den
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aktuellen Rand beschränkt. Wesentliche Differenzen in der Wohneigentumsquote zeigen sich in Abhängigkeit vom Alter und vom Haushaltseinkommen sowie vom Familienstand, die wiederum stark untereinander korreliert sind.
4.1 Wohneigentum im Lebensverlauf Das Alter ist ein entscheidender Faktor in der Wohneigentumsbildung. In der Regel sind sehr junge Haushalte keine Wohneigentümer. Ihnen fehlt es an dem notwendigen Eigenkapital, das für ein Hypthekendarlehen notwendig ist. Im Jahr 2012 verfügten nur 11 Prozent der Mieter über ein Vermögen von mehr als 50.000 Euro, bei den Mietern zwischen 25 und 40 Jahren waren es weniger als 10 Prozent (Seipelt und Voigtländer 2018, S. 16). Häufig erlaubt auch die Einkommenssituation in jungen Jahren noch keinen Immobilienerwerb. Hinsichtlich des Familienstandes finden sich unter den jüngeren Haushalten eher Ledige oder Unverheiratete ohne Kinder. Eine Eigentumsimmobilie kommt für viele aufgrund der persönlichen Lebensumstände noch nicht in Frage. Die Wohneigentumsquote junger Haushalte zwischen 20 und 29 Jahren lag im Jahr 2017 bei nur 4 Prozent. Fast alle Haushalte hatten in dieser Lebensphase noch nicht genügend Zeit, das für einen Immobilienerwerb notwendige Eigenkapital anzusparen. Das bedarfsgewichtete Nettoäquivalenzeinkommen der Haushalte liegt in der Gruppe der 20–24-Jährigen bei nur etwas mehr als 1000 Euro im Monat. Zwischen dieser und der nächsten Altersklasse gibt es einen starken Sprung im Haushaltseinkommen. Dies liegt zum einen daran, dass Studienabsolventen vermehrt zwischen 25 und 29 in das Berufsleben eintreten und die Einkommen deshalb steigen, zum anderen steigen die bedarfsgewichteten Haushaltseinkommen, weil sich Mehrpersonenhaushalte in Form von Partnerschaften bilden. Die größte Dynamik in der Wohneigentumsbildung findet im Alter zwischen 30 und 44 statt. Während bereits knapp ein Fünftel der Haushalte zwischen 30 und 34 Jahren im Eigentum wohnt, steigt der Anteil in den nächsten Altersklassen über 32 Prozent (35–39-Jährige) und bis auf 44 Prozent bei den 40–44-Jährigen. Die Einkommensentwicklung nimmt einen annähernd parallelen Verlauf zur Wohneigentumsquote. Im hohen Alter sinkt das Haushaltseinkommen dann schließlich mit dem Austritt aus dem Erwerbsleben, auch die Wohneigentumsquote geht zurück (Abb. 1.4). Betrachtet man die Wohneigentumsquote unterteilt in fünf Altersklassen (25–34, 35–44, 45–54, 55–64 und 65–74), so wird darüber hinaus deutlich, dass diese für die Gruppe der 25–34-Jährigen im Zeitverlauf rückläufig ist. Dieser Trend ist in jener Altersklasse seit Ende der 1990er-Jahre zu beobachten. Seit 2010 ist die Quote hier allerdings nochmals stärker gefallen, von 17 auf 12 Prozent (Sagner und Voigtländer 2019). Dies liegt zum einen in der zunehmenden Akademisierung und einem späteren Eintritt in das Berufsleben begründet, zum anderen spielt auch die Arbeits- und Flüchtlingsmigration der vergangenen Jahre eine Rolle. Diese Haushalte sind jung und zunächst eher einkommens- und vermögensschwach und wohnen zur Miete.
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P. Sagner
70%
2000 1800
60%
1600 50%
1400
1000 30%
Euro
1200
40%
800 600
20%
400 10%
200 0
0% 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 50-54 55-59 60-64 65-69 70-74 75-79 80-84 85-89
Alterklassen Wohneigentumsquote (linke Achse)
Einkommen (rechte Achse)
Abb. 1.4 Wohneigentumsquote und Einkommen im Altersquerschnitt Wohneigentumsquote als Anteil der Privathaushalte im selbst genutzten Wohneigentum an allen Privathaushalten; Einkommen bezeichnet den Median des monatlichen Nettoäquivalenzeinkommens (modifizierte OECDSkala) der Haushalte; 2017. (Quelle: SOEP v34; eigene Darstellung)
4.2 Familienstand, Erwerbsstatus und berufliche Stellung Neben dem Alter spielt auch der Familienstand eine wichtige Rolle bei der Wohneigentumsbildung. Die meisten Wohneigentümer finden sich erwartungsgemäß unter den verheirateten Haushaltsvorständen, deren Partner im selben Haushalt wohnt – fast zwei Drittel dieser Haushalte wohnt im Eigentum (Sagner und Voigtländer 2019). Der Remanenzeffekt bei Verheirateten und Getrenntlebenden sowie Geschiedenen scheint eher gering, lediglich jeweils rund 30 Prozent dieser Haushalte sind Wohneigentümer. Geringer ist diese Quote nur bei den Ledigen (22 Prozent), wobei hier auch zu einem großen Teil recht junge Haushalte ausschlaggebend sein dürften. Bei den verwitweten Haushaltsvorständen zeigt sich jedoch, mit knapp der Hälfte der Haushalte im Eigentum, ein hoher Remanenz Effekt. Hier scheint ein recht großer Teil nach der Verwitwung weiterhin Wohneigentümer zu bleiben. Die Gründe für die höheren Wohneigentumsquoten unter den verheirateten und zusammenlebenden Haushalten sollten eindeutig sein. Zum einen bedarf ein Doppelhaushalt in der Regel einer größeren absoluten Wohnfläche, die oft in Einfamilienhäusern gefunden werden kann. Darüber hinaus korreliert eine Ehe auch mit
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Kindern im Haushalt, wodurch der Wohnflächenbedarf noch weiter steigt. Hinzu kommen Präferenzen hinsichtlich der Gestaltungsspielräume im Eigenheim und einer sichereren Wohnumgebung für Kinder. Nicht zuletzt ermöglicht eine Zusammenführung der Einkünfte und Vermögen einen besseren Zugang zum Markt für Eigentumsimmobilien und macht Wohnen im Eigentum so oft überhaupt erst erschwinglich. Es gibt kaum Unterschiede bezüglich der Wohneigentumsquote in Abhängigkeit des Erwerbsstatus des Haushaltsvorstands. Hier liegen die Wohneigentumsquoten der voll Erwerbstätigen, der Teilzeitbeschäftigten, der unregelmäßig oder geringfügig Beschäftigten und der nicht Erwerbstätigen allesamt bei rund 45 Prozent und entsprechen damit dem bundesdeutschen Mittelwert. Ein differenzierteres Bild zeigt sich erst bei einer Unterscheidung nach der beruflichen Stellung. Nur rund 10 Prozent der Arbeitslosen wohnen in einer Eigentumsimmobilie. Am höchsten ist der Anteil der Eigentümer unter den Selbstständigen/Freiberuflern (58 Prozent) und den Beamten (56 Prozent). Die Wohneigentumsquote unter den Arbeitern und Angestellten ist mit 40 und 44 Prozent deutlich geringer. Hier zeigt sich erneut die positive Korrelation von Einkommen, der Möglichkeit des Vermögensaufbaus und dem Zugang zum Markt für Eigentumsimmobilien. Die Diskussionen in den obigen Abschnitten haben aufgezeigt, wie Wohneigentum über die Gesellschaft hinweg verteilt ist. Um einen möglichst tief gehenden Eindruck der Wohneigentumssituation in Deutschland zu erlangen, wurden sowohl geografische als auch sozioökonomische Merkmale betrachtet. Im Folgenden wird die Situation der Ersterwerberhaushalte von Wohneigentum näher illustriert, denn diese hat weitere wichtige Implikationen hinsichtlich der Verbreitung von Wohneigentum in Deutschland.
5 Ersterwerber von Wohneigentum Die Wohneigentumsquote und deren Verlauf über die Zeit erlaubt wichtige Aussagen bezüglich der Wohnsituation der Haushalte. Jedoch beschreibt sie lediglich das Niveau. Um Aussagen hinsichtlich der Bildung von Wohneigentum zu treffen, bedarf es einer Analyse der Ersterwerberhaushalte. Hierbei handelt es sich um diejenigen Haushalte, die zum ersten Mal zum Selbstnutzer werden. Denn diese sind es, die letztendlich dafür sorgen, dass sich die Wohneigentumsquote in irgendeine Richtung entwickelt oder eben stagniert. Diesbezüglich gibt es keine offiziellen Statistiken. Das SOEP ermöglicht eine Analyse der Haushalte, die vom „Mieter“-Status zum „Eigentümer“-Status wechseln. Die Panel-Struktur des Datensatzes erlaubt ein Bereinigen um die Haushalte, die in keinem der vorherigen Befragungsjahre Eigentümer waren. Repräsentativ wird dabei der Haushaltsvorstand für die Analysen herangezogen. Diese Haushalte werden im Folgenden vereinfacht „Ersterwerber“ genannt (vgl. Sagner und Voigtländer 2019).
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P. Sagner
5.1 Ersterwerber im Zeitverlauf Die Zahl der Ersterwerber ist seit Beginn der 2000er-Jahre rückläufig. Während zum Ende der 1990er-Jahre noch rund 700.000 Haushalte jährlich Wohneigentum erwarben, wurden im Jahr 2017 nur noch etwas mehr als 400.000 Haushalte zum ersten Mal vom Mieter zum Eigentümer. Im Einklang mit der höheren Wohneigentumsquote in kleineren Gemeinden und dem dortig größeren Angebot an Ein- und Zweifamilienhäusern, welche als Eigentumsimmobilien stärker nachgefragt werden, zeigt sich, dass die Anzahl der Ersterwerber in den Gemeinden mit weniger als 100.000 Einwohnern deutlich größer ist als in den Großstädten. Am aktuellen Rand erwarben zuletzt 300.000 Haushalte in den kleineren Gemeinden Wohneigentum, dies entspricht rund drei Vierteln aller Ersterwerber. Nur ein Viertel der Ersterwerber erwirbt eine Eigentumsimmobilie in einer Großstadt. Die insgesamt sinkende Zahl der Ersterwerber ist im Wesentlichen auf weniger Ersterwerber in den kleineren Gemeinden zurückzuführen. Lediglich zu Beginn der 2010er kam es zwischenzeitlich zu einem kurzen Anstieg der Ersterwerberzahlen, welcher vermutlich auf die positive Zinsentwicklung bei gleichzeitig moderaten Kaufpreisen für Eigentumsimmobilien zurückzuführen ist. Dennoch zeigt sich, dass das anhaltende Niedrigzinsumfeld bei der Immobilienfinanzierung nicht zu einem Anstieg der Ersterwerberhaushalte geführt hat. Zusammen mit den obigen Erkenntnissen aus der Diskussion der Wohneigentumsquoten liegt also die Vermutung nahe, dass andere Faktoren eine treibende Rolle beim Immobilienerwerb spielen (Abb. 1.5). 800000 700000 600000 500000 400000 300000 200000 100000
1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017
0
Deutschland
Gemeinden > 100.000
Gemeinden < 100.000
Abb. 1.5 Ersterwerberhaushalte Gleitende Vierjahresdurchschnitte; Unterscheidungen nach Gemeinden mit mehr als 100.000 Einwohnern und anderweitigen Gemeinden sowie in Gesamtdeutschland. (Quelle: SOEP v34; Sagner und Voigtländer (2019))
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5.2 Einkommen und Immobilienerwerb In der obigen Diskussion der Wohneigentumsquote wurde bereits darauf ver wiesen, dass das Haushaltseinkommen eine wesentliche Rolle hinsichtlich des Wohneigentumsstatus spielt. Wie aufgezeigt, steht das Haushaltseinkommen jedoch auch stark mit dem Alter der Haushalte in Verbindung. Es ist somit zu erwarten, dass das Haushaltseinkommen der Ersterwerberhaushalte über dem der Mieter liegt. Im Durchschnitt lagen die Haushaltseinkommen der Ersterwerberhaushalte in den 2000er-Jahren rund 40 Prozent über denen aller Mieterhaushalte. Im aktuellen Jahrzehnt kamen Ersterwerber auf rund 50 Prozent höhere Haushaltseinkommen (Sagner und Voigtländer 2019). In Verbindung mit den teilweise rasant steigenden Kaufpreisen für Eigentumsimmobilien ist dies ein zu erwartender Trend. Darüber hinaus ist diese Entwicklung sogar ein positives Zeichen hinsichtlich der Finanzmarktstabilität. Denn dies bedeutet, dass Haushalte mit geringeren Einkommen keine Hypothekendarlehen aufnehmen, da sie nicht zum Ersterwerber werden – Tendenzen bezüglich Subprime-Krediten, wie sie im US-amerikanischen Immobilienmarkt vor der Finanzmarktkrise zu erkennen waren, zeigen sich aktuell in Deutschland also nicht (Mills und Kiff 2007). Teilt man alle Privathaushalte hinsichtlich des bedarfsgewichteten Nettoäquivalenzeinkommens in fünf gleichgroße Gruppen und betrachtet, welche Gruppen zum Immobilieneigentümer werden, so zeigt sich zunächst ein zu erwartendes Bild. Der größte Teil der Ersterwerber gehört zum einkommensstärksten Fünftel in Deutschland. Im Mittel der letzten Jahre gehörte ein Drittel aller Ersterwerber zum einkommensstärksten Quintil. Mit sinkendem Einkommen sinkt auch die Wahrscheinlichkeit, einer der Ersterwerberhaushalte zu sein. Haushalte aus dem vierten Quintil machten zuletzt entsprechend der Verteilung in der Gesamtbevölkerung auch rund ein Fünftel der Ersterwerberhaushalte aus. Haushalte aus dem dritten, zweiten und insbesondere dem ersten Quintil sind unter den Ersterwerberhaushalten relativ zur Gesamtbevölkerung unterrepräsentiert. Ein Vergleich der Einkommenssituation der Ersterwerberhaushalte seit 1990 zeigt darüber hinaus, dass der Anteil der Höchstverdiener unter den Ersterwerbern am aktuellen Rand besonders hoch ist. Zwischen den Jahren 1996 und 2002 lag der Anteil des obersten Einkommensquintils im Mittel bei rund 25 Prozent und damit deutlich niedriger als im aktuellen Jahrzehnt (32 Prozent). Spannende Erkenntnisse ergeben sich aus einem Vergleich der absoluten Ersterwerberzahlen mit den Anteilen der Einkommensgruppen. Es zeigt sich, dass die Phase der hohen Ersterwerberzahlen im Jahrzehnt um das Jahr 2000 geprägt waren von Ersterwerbern aus den geringeren Einkommensschichten. Besonders Haushalte aus der Einkommensmittelschicht trugen in diesem Zeitraum zum Anstieg der Wohneigentumsquote bei. Andrews und Sánchez (2011) zeigen, dass der Anstieg der Wohneigentumsquote zwischen 1995 und 2005 zu rund einem Drittel auf die Veränderung von sozio-demografischen Merkmalen (Alter, Einkommen, etc.) zurückzuführen ist. Rund zwei Drittel des Anstiegs werden auf eine Präferenzände-
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rung und insbesondere politische Steuerungsmaßnahmen zurückgeführt. Am aktuellen Rand ist die Wohneigentumsbildung hingegen von der Gruppe der einkommensstärksten Haushalte geprägt. Trotzdem zeigt sich, dass der Wohneigentumserwerb nicht zwingend nur ein Phänomen der Haushalte mit den höchsten Einkommen ist (Abb. 1.6). Vermögen und Immobilienerwerb Eine entscheidende Rolle beim Immobilienerwerb spielt neben den obig diskutierten laufenden Einkommen auch die Vermögenssituation der Haushalte. Dabei korrelieren die Einkommen und Vermögen in der Regel stark. Dies liegt daran, dass Einkommen, die über den Konsumbedarf hinaus gehen, vermögensbildend sind. Vermögen spielen aufgrund der Eigenkapitalanforderungen beim Immobilienerwerb eine entscheidende Rolle. Der Kauf einer Eigentumsimmobilie ist in der Regel zu einem großen Teil durch Fremdkapital in Form eines Hypothekendarlehens finanziert. Dabei fordern die kreditgebenden Banken Kreditsicherheit in Form von Eigenkapital. Der mittlere Eigenkapitalanteil ergibt sich aus dem Verhältnis an Eigenkapital zum Immobilienpreis und lag zuletzt bei etwas mehr als 20 Prozent (Dr. Klein 2019). Hinzu kommen Erwerbsnebenkosten, die in der Regel in Form von Eigenkapital aufgebracht werden müssen.
35% 30% 25% 20% 15% 10%
0%
1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017
5%
1. Quintil
2. Quintil
3. Quintil
4. Quintil
5. Quintil
Abb. 1.6 Einkommensstruktur der Ersterwerber Gleitende Vierjahresdurchschnitte; bedarfsgewichtetes Nettoäquivalenzeinkommen (neue OECD- Skala) aller Privathaushalte unterteilt in Quintile; Anteil an den Ersterwerberhaushalten. (Quelle: SOEP v34; eigene Darstellung)
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5.3 Marktzugangsbarriere Erwerbsnebenkosten Ein wesentlicher Treiber, der besonders junge Haushalte daran hindert, Wohneigentum zu bilden dürfte der gestiegene Eigenkapitalbedarf beim Immobilienerwerb sein. Ein krasses Beispiel zur Illustration des erhöhten Eigenkapitalbedarfs ist Berlin: Im Jahr 2010 kostete ein Einfamilienhaus in guter Lage samt Ausstattung hier 2912 Euro pro Quadratmeter, 2018 waren 5458 Euro aufzubringen (vdpResearch 2019). Bei einer Grunderwerbsteuer von 6 Prozent, Maklergebühren von 7,14 Prozent und Grundbuch- und Notarkosten von zusammen 1,5 Prozent, sind alleine für die Erwerbsnebenkosten am aktuellen Rand beim Kauf eines 130 Quadratmeter großen Einfamilienhauses mehr als 100.000 Euro aufzubringen. Kommen noch 20 Prozent Eigenkapital hinzu, so sind insgesamt also fast 250.000 Euro notwendig – 2010 waren noch 130.000 Euro ausreichend. Dies entspricht einem Anstieg um fast 90 Prozent und liegt damit auch deutlich über dem Anstieg der allgemeinen Verbraucherpreise. Anderswo sind die Erwerbsnebenkosten natürlich teilweise deutlich geringer, dennoch wird klar, dass diese eine enorme Zugangshürde für den Markt an Eigentumsimmobilien darstellen.
5.4 Vermögenssituation vor Bezug einer Eigentumsimmobilie Die individuellen Eigenkapitalanforderungen sind maßgeblich von der erworbenen Eigentumsimmobilie abhängig. Trotzdem muss ein recht großer Teil des monatlichen Einkommens angespart werden, um irgendwann diese finanzielle Hürde zu überwinden. Deshalb verfügen Ersterwerberhaushalte nicht nur über ein höheres laufendes Einkommen als der mittlere Mieterhaushalt, sondern das Vermögen im Jahr vor dem Immobilienerwerb ist im Mittel ebenfalls deutlich höher als das mittlere Vermögen aller Mieter. Dies zeigt sich bei einem Vergleich der Nettovermögen der Mieterhaushalte mit dem Nettovermögen der Haushalte, die im Folgejahr zum Selbstnutzer einer Eigentumsimmobilie werden. Im Jahr 2012 (aktuellere Daten lagen nicht vor) betrug das Medianvermögen der Haushalte, die im Folgejahr zum Selbstnutzer wurden, rund 41.000 Euro (in preisbereinigten Euro von 2017) – die Hälfte der Ersterwerber verfügte über ein größeres Vermögen, die andere Hälfte über ein geringeres. Aussagekräftig wird dieser Wert besonders dann, wenn man ihn in die Vermögensverteilung aller Mieterhaushalte im selben Jahr einordnet. Die Ersterwerberhaushalte gehören zu den vermögensreichsten Haushalten unter allen Mieterhaushalten in Deutschland. Das Medianvermögen der Ersterwerber im Jahr vor dem Eigentumserwerb liegt zwischen dem 81. und 82. Perzentil der Nettovermögen aller Mieterhaushalte im selben Jahr. Das heißt, der Median-Ersterwerberhaushalt gehört hinsichtlich seiner Vermögenssituation vor dem Eigentumserwerb zum reichsten Fünftel aller Mieterhaushalte – 81 Prozent der Mieterhaushalte hatten ein geringeres Vermögen, 18 Prozent ein höheres.
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Ein Vergleich dieser relativen Position im Zeitverlauf zeigt des Weiteren, dass die Ersterwerberhaushalte relativ zu allen Mieterhaushalten zwischen 2002 und 2007 und dann nochmals zwischen 2007 und 2012 insgesamt vermögensreicher wurden. Im Jahr 2002 lag das Medianvermögen der nächstjährigen Immobilienerwerber noch zwischen dem 71. und 72. Perzentil aller Mieterhaushalte, im Jahr 2007 zwischen dem 77. und 78. Perzentil. In absoluten Werten stieg das Vermögen der Ersterwerberhaushalte auch deutlich an: Von 24.000 Euro im Jahr 2002 auf 36.000 Euro (2007) und dann nochmals auf 41.000 Euro im Jahr 2012. Die Ersterwerber verfügen demnach über immer höhere Vermögen. Der Vergleich mit allen Mieterhaushalten zeigt zudem, dass Ersterwerber nicht nur in absoluten Zahlen reicher werden, sondern auch relativ. Symptomatisch zeigt sich dies auch im höheren Alter der Ersterwerber. Im Jahr 2017 lag dies bei rund 44 Jahren, zwischen 1995 und 2005 im Mittel noch bei unter 40 Jahren. Die Haushalte brauchen somit länger, bis sie die notwendigen finanziellen Mittel für den Erwerb von Wohneigentum aufbringen können (Abb. 1.7).
6 Zusammenfassung In diesem Kapitel wurde die Verbreitung von Wohneigentum in Deutschland beschrieben. Der Fokus in den obigen Ausführungen lag auf der Entwicklung und dem Niveau der Wohneigentumsquote auf Haushaltsebene, dargelegt anhand verschiedener geografischer und sozioökonomischer Merkmale. Daraufhin wurden die Ersterwerber, die Haushalte, die zum ersten Mal vom Mieterstatus zum Selbstnutzer übergehen, näher analysiert. In Kombination ergibt sich dadurch ein eindrückliches Bild der Verbreitung von Wohneigentum. Hier werden die wichtigsten Erkenntnisse nochmals zusammengefasst. Das Kapitel schließt mit einer Diskussion politischer Handlungsmöglichkeiten. Die Wohneigentumsquote stagniert sowohl im bundesdeutschen Mittel als auch bei separater Betrachtung der Neuen und Alten Länder. Etwas mehr als 45 Prozent der Haushalte wohnen in einer selbst genutzten Eigentumsimmobilie – im Mittel der ostdeutschen Länder sind es 33 Prozent, im Westen 49 Prozent. Dementsprechend gibt es auch strukturelle Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern. Im Westen ist die Wohneigentumsquote in Baden-Württemberg mit 54 Prozent am höchsten, in Hamburg mit 29 Prozent am geringsten. In Brandenburg liegt sie bei 45 Prozent und damit im Vergleich der ostdeutschen Bundesländer an erster Stelle. In Berlin ist die Wohneigentumsquote mit nur 18 Prozent im Bundesländervergleich am geringsten. Des Weiteren ist die Wohneigentumsquote in ländlichen Regionen und kleineren Gemeinden deutlich höher. In den Gemeinden mit weniger als 2000 Einwohnern liegt die Wohneigentumsquote bei rund 67 Prozent, in den Großstädten mit mehr als 500.000 Einwohnern sind es nur 28 Prozent. Entscheidende Differenzen hinsichtlich der Wohneigentumsquote lassen sich auch im Le-
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800000 700000
HH-Neovermögen
600000 500000 400000 300000 200000 100000 0
Median Ersterwerber
50
54
58
62
66
70
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Perzenl
78
85
89
93
97
45000
82
40000
80
35000
78
30000
76
25000
74
20000
72
15000 10000
70
5000
68 66
0 2002 Vermögen (linke Achse)
2007
2012
Perzenl; relav zu allen Mieterhaushalten (rechte Achse)
Abb. 1.7 Vermögen der Ersterwerber- und Mieterhaushalte Links: Vermögensverteilung der Mieterhaushalte und Position des Medians der Nettovermögen der Ersterwerberhaushalte, 2012 Rechts: Nettovermögen der Ersterwerberhaushalte im Jahr vor dem Übergang zum Selbstnutzer in den Jahren 2002, 2007 und 2012 und deren Position innerhalb der Vermögensverteilung aller Mieterhaushalte. (Quelle: SOEP v34; eigene Darstellung; Vermögensangaben in preisbereinigten Euro, Basisjahr: 2017)
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bensverlauf darstellen. Jüngere Haushalte leben in der Regel zur Miete, mit steigendem Lebensalter und Haushaltseinkommen steigt auch die Wohneigentumsquote. Darüber hinaus ist die Wohneigentumsquote unter Verheirateten höher, die berufliche Stellung in Kombination mit den entsprechenden Einkommen spielt ebenfalls eine Rolle. Die Situation der Ersterwerberhaushalte unterstreicht das Bild, das aus der Entwicklung der Wohneigentumsquote gewonnen wurde. Die Zahl der Ersterwerber geht zurück, dieser Rückgang ist besonders getrieben durch weniger Ersterwerber in den kleineren Gemeinden bis 100.000 Einwohner. Die meisten Haushalte werden auf dem Land zum Wohneigentümer, rund drei Viertel aller Ersterwerber beziehen dort eine Eigentumsimmobilie. Die anhaltende Niedrigzinsphase am Markt für Hypothekendarlehen konnten die Ersterwerber somit bisher nicht nutzen. Das Einkommen und die Vermögenssituation der Haushalte spielen eine zunehmend stärkere Rolle beim Immobilienerwerb. Der Anteil der einkommensstärksten 20 Prozent der Haushalte lag unter den Ersterwerben zuletzt bei knapp einem Drittel. In den Jahren mit den höchsten Ersterwerberzahlen um das Jahr 2000 machten diese nur rund ein Viertel aller Ersterwerber aus. Auch die Vermögenssituation der Ersterwerberhaushalte liefert Indizien dafür, dass die Eigenkapitalanforderungen beim Immobilienerwerb eine zunehmende Hürde für potenzielle Immobilienkäufer darstellen. Ordnete sich das Medianvermögen der Ersterwerberhaushalte im Jahr 2002 noch zwischen dem 71. und 72. Perzentil des Nettovermögens aller Mieter ein, so lag dieses 10 Jahre später zwischen dem 81. und 82. Perzentil. Die obig geschilderte Situation der Wohneigentümer und Ersterwerber kann je nach politischer Zielsetzung Hinweise hinsichtlich verschiedener Handlungsempfehlungen liefern. Wenn das Ziel der politischen Entscheidungsträger eine Steigerung der Wohneigentumsquote ist, so kann an verschiedenen Stellschrauben angesetzt werden. Das 2018 ins Leben gerufene „Baukindergeld“ setzt bei den Einkommen der Ersterwerber an. Mittels eines jährlichen Fixbetrages in der Zinsund Tilgungsphase für den Zeitraum von 10 Jahren nach Immobilienerwerb oder -bau wird das laufende Einkommen der Haushalte aufgebessert. Hierbei bleibt abzuwarten, inwieweit dies Schwellenhaushalte, diejenigen Haushalte, für die die laufenden Aufwendungen aus Zins und Tilgung ansonsten zu hoch gewesen wären, beim Eigentumserwerb unterstützt. Sicher sind jedoch Mitnahmeeffekte zu erwarten – Haushalte, die ohnehin Wohneigentum gebildet hätten, freuen sich über die nicht zwingend notwendige finanzielle Unterstützung. Doch selbst dann bleibt die Hürde der Erwerbsnebenkosten, die für viele Haushalte nicht zu überwinden ist. Zielgerichteter wäre deshalb beispielsweise eine Senkung der Erwerbsnebenkosten. Hierbei könnte an jedem der Kostenpunkte (Grunderwerbsteuer, Notarkosten, Maklergebühr) angesetzt werden. Die Grunderwerbsteuer könnte beispielsweise in Form eines Stufentarifs nach britischem Vorbild reformiert werden (Hentze und Voigtländer 2017). Immobilien mit geringeren Kaufpreisen würden weniger stark besteuert als teure. Hierdurch wären Haushalte mit geringeren Einkommen und Vermögen, die tendenziell auch kleinere Immobilien erwerben, weniger stark von der
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Grunderwerbsteuer betroffen – Käufer von Luxusimmobilien würden stärker zur Kasse gebeten. In der aktuellen politischen Debatte wird konkret über den generellen Übergang zum Bestellerprinzip beim Immobilienkauf diskutiert. Ist im Kaufprozess ein Immobilienmakler eingebunden, soll in Zukunft derjenige entlohnen, der diesen beauftragt (BMJV 2019). Dies führt nicht nur dazu, dass die Erwerbsnebenkosten sinken, sondern führt darüber hinaus zu mehr Transparenz.
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Wohneigentum im europäischen Ausland Marietta E. A. Haffner
1 Einleitung In der Europäischen Union (EU) wohnten im Jahr 2017 durchschnittlich 69 % der Bevölkerung im Eigenheim; in den Euroländern liegt der Anteil bei etwa 66 %. Dieses Kapitel beschreibt die Wohnbesitzverhältnisse (selbst genutztes Wohneigentum und Miete) für die 19 Euroländer. Die Daten stammen aus der EU-SILC (European Union Statistics on Income and Living Conditions) Erhebung, die durch Eurostat, dem statistischen Amt der Europäischen Union (Eurostat o. J. a, b), zusammengestellt wird. Mit Wohneigentum ist nach Eurostat das selbst genutzte Wohneigentum gemeint, also das Eigenheim. Für die nähere Analyse der Wohneigentümer werden hier nur die europäischen Länder im nordwestlichen Europa betrachtet. Die Veränderungen bei den Besitzverhältnissen werden für den Zeitraum 2007–2017 analysiert. Weiterhin wird für 2017 das Wohneigentum nach Einkommensgruppen (unter/über 60 % des medianen Äquivalenzeinkommens) und nach Eigentümern mit und ohne Hypothek oder Darlehen analysiert. Darüber hinaus werden auch Haushalte mit einer Wohnkosten- Überbelastung thematisiert. Da das Eigenheim in vielen Ländern traditionell steuerlich gefördert wird, werden in diesem Kapitel auch Förderungen nach der Systematik von Fatica und Prammer (2018) in ausgewählten Euroländern betrachtet. Der Ausgangspunt ihrer Analyse ist der Vergleich der Effekte der aktuellen Einkommenssteuer mit einer steuerneutralen Benchmark. Sie argumentieren, dass Steuervorteile bei der Einkommenssteuer die Eigentumsbildung exzessiv unterstützten.
M. E. A. Haffner (*) Delft University of Technology (TU Delft), Delft, Niederlande E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 O. Depenheuer et al. (Hrsg.), Wohneigentum für breite Schichten der Bevölkerung, Bibliothek des Eigentums 18, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61287-3_2
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2 Der Eigenheimer in Europa Wie bereits erwähnt, wohnten im Jahr 2017 in den Euroländern etwa 66 % der Bevölkerung im Eigenheim. Abb. 2.1 zeigt für die 19 Euroländer die Nutzung der Wohnungen, wobei zwischen dem Wohnen zur Miete und dem Wohnen im Eigentum mit bzw. ohne Hypothekendarlehen unterschieden wird. Die Länder sind dabei entsprechend der Mieterquote geordnet. Österreich und Deutschland sind die einzigen Länder mit mehr als 40 % Mietern. Deutschland ist aufgrund des besonders großen privaten Mietwohnungsmarktes besonders hervorzuheben, während in Österreich und Frankreich der Sozialmietwohnungsmarkt eine relativ starke Position einnimmt. Die Niederlande weisen den größten Sozialmietwohnungsmarkt in Europa auf. Es zeigt sich, dass sich die Mietwohnung als Resultat von langjähriger Wohnungspolitik hauptsächlich in den Ländern von Nordwesteuropa etabliert hat, während in den Ländern Südeuropas und in den neuen EU-Mitgliedstaaten im Osten Europas das Eigenheim die stärkste Position auf dem Wohnungsmarkt erobern konnte (Haffner und Ras 2015; Haffner et al. 2018). So wie Abb. 2.2 zeigt, bestimmt auch heutzutage nicht die Wohlfahrt gemessen am Pro-Kopf Bruttoinlandprodukt (BIP) die Eigentümerrate in einem Land (Matznetter 1994). Es scheint eher umge kehrt zu sein, je geringer die Wohlfahrt, desto höher die Eigentümerquote. Dieses „vermeintliche Paradox“ zeigt, dass selbst genutztes Wohneigentum nicht allein durch ökonomische Variablen bestimmt wird (Behring und Helbrecht 2002, S. 180). Das Kapitel beschränkt sich im Weiteren auf die nähere Analyse des Wohneigentummarktes der acht europäischen Länder im nordwestlichen Europa, die über ein höheres Wohlfahrtsniveau als der Durchschnitt der EU verfügen. Abb. 2.3 zeigt indikativ die Veränderung in den Besitzverhältnissen für Eigentümer und Eigentümer mit und ohne Hypothek oder Darlehen für den Zeitraum 2007–2017. Die 2017 deutlich niedrigere Eigentümerquote als 2007 in fünf von den acht gezeigten Euroraumländern und im Schnitt in den 19 Euroraumländern repräsentiert den Trend in Europa, dass jüngere Generationen immer weniger den Einstieg ins Eigenheim schaffen und Regierungen zunehmend auf den privaten Wohnungsmarkt setzen (Haffner und Elsinga 2018; Haffner et al. 2018). 100 80 60 40 20 0
Eigentümer, mit Hypothek oder Darlehen Eigentümer, ohne Hypothek oder Darlehen Mieter
Abb. 2.1 Verteilung der Bevölkerung nach Wohnbesitzverhältnissen in den 19 Ländern des Euroraums, 2017. (Quelle: Eurostat (o. J. a) EU-SILC Erhebung [ilc_lvho02])
2 Wohneigentum im europäischen Ausland
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Abb. 2.2 Bevölkerung nach Pro-Kopf Bruttoinlandprodukt (BIP) in laufenden Preisen (Euro) und Eigentümerquoten in den 19 Ländern des Euroraums, 2017. (Quelle: Eurostat (o. J. a: für Eigenheimrate (siehe Abb. 2.1); für BIP-Daten, siehe https://appsso.eurostat.ec.europa.eu/nui/show. do?dataset=nama_10r_3popgdp&lang=en, und EU-27 als Durchschnitt; BIP-daten sind für manche Länder geschätzt oder vorläufig)
15 10 5 0 -5 -10 -15 -20 Euroraum (19 Länder)
Belgien
Eigentümer
Deutschland 2010 statt 2007
Irland
Frankreich
Eigentümer, mit Hypothek oder Darlehen
Luxemburg Niederlande Österreich
Finnland
Eigentümer, ohne Hypothek oder Darlehen
Abb. 2.3 Veränderung (%) in der Verteilung der Eigentümer in der Bevölkerung nach Wohnbesitzverhältnissen in 8 Ländern des Euroraums, 2007 und 2017. (Quelle: Eurostat (o. J. a) EU-SILC Erhebung [ilc_lvho02] Bemerkung 1) Geschätzter Anteil im Euroraum Bemerkung 2) Querschnittstichproben pro Jahr; Zeitreihenbruch für verschiedene Länder in verschiedenen Jahren)
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M. E. A. Haffner
3 Wohneigentum nach Finanzierung und Erschwinglichkeit Relativ gut entwickelte Kapitalmärkte kombiniert mit der Wertschätzung für Wohneigentum (siehe z. B. Behring und Helbrecht (2002) über die Wertschätzung vom Eigenheim in europäischen Ländern) und Förderungen erleichtern die Finanzierung eines Eigenheims. So wie Abb. 2.1 zeigt, haben die Niederlande den größten Anteil an selbstnutzenden Eigentümern mit Fremdfinanzierung. Im Allgemeinen wird in den westlichen Ländern (Belgien, Finnland, Luxemburg) der Kauf eines Eigenheims häufiger mit Hypothekendarlehen finanziert als in den anderen Ländern Europas (z. B. Italien und die baltischen Staaten) (siehe auch, Haffner und Elsinga 2015; Haffner und Ras 2015). Im Gegensatz zum Makrobild der Länder in Abb. 2.2, wohnt in allen Ländern die Bevölkerung mit niedrigerem Einkommen weniger oft im Eigenheim als die Bevölkerung mit höherem Einkommen, wie Abb. 2.4 und 2.5 zeigen. Die Wohneigentumsquote im Euroraum von 66,1 % verteilt sich wie folgt: 27,3 % Eigentümer mit Hypothek oder Darlehen (Abb. 2.4) und 38,8 % Eigentümer ohne Hypothek/Darlehen (Abb. 2.5). Von der gesamten Bevölkerung unter der Armutsgefährdungsgrenze im Euroraum, die bei einem Einkommen von unter 60 % des Median- Äquivalenzeinkommens in einem Land liegt, finanzieren 11,9 % das Eigenheim mit Hypothek/Darlehen (Abb. 2.4) und 30,9 % ohne Hypothek/Darlehen (Abb. 2.5). Von der Bevölkerung mit einem Einkommen über der Armutsgefährdungsgrenze (70,9 %) liegen die Anteile höher: 30,5 % (Abb. 2.4) und 40,4 % (Abb. 2.5). Deutschland und Österreich bleiben unter dem Durchschnitt der 19 Euroländer, was die Finanzierung mit einem Darlehen betrifft, während die anderen gezeigten Länder über dem Durchschnitt zu finden sind. Die Niederlande mit einer Wohneigentumsquote von 69,4 % führen die Liste der Eigenheimbesitzer mit einem Hypo80.0 60.0 40.0 20.0 0.0
Euroraum (19 Länder)
Belgien
Deutschland
Irland
Eigentümer, mit Hypothek oder Darlehen Über 60% des medianen Äquivalenzeinkommens
Frankreich
Luxemburg
Niederlande
Österreich
Finnland
Unter 60% des medianen Äquivalenzeinkommens
Abb. 2.4 Verteilung der Eigentümer mit Hypothek oder Darlehen (%) und nach Einkommensgruppe (unter bzw. über der Armutsgefährdungsgrenze), 2017. (Quelle: Eurostat (o. J. a) EU-SILC Erhebung [ilc_lvho02] Bemerkung: „Die Armutsgefährdungsgrenze ist der Anteil der Personen mit einem verfügbaren Äquivalenzeinkommen (nach Sozialtransfers) unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle, die bei 60 % des nationalen verfügbaren Median-Äquivalenzeinkommens (nach Sozialtransfers) liegt. Dieser Indikator misst nicht den Wohlstand oder die Armut, sondern ein (im Vergleich zu anderen Personen im gleichen Land) niedriges Einkommen, das nicht zwangsläufig mit einem niedrigen Lebensstandard gleichzusetzen ist.“ (Eurostat 2018))
2 Wohneigentum im europäischen Ausland 70.0 60.0 50.0 40.0 30.0 20.0 10.0 0.0
Euroraum (19 Länder)
Belgien
Deutschland
Irland
Eigentümer, ohne Hypothek oder Darlehen Über 60% des medianen Äquivalenzeinkommens
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Frankreich
Luxemburg
Niederlande
Österreich
Finnland
Unter 60% des medianen Äquivalenzeinkommens
Abb. 2.5 Verteilung der Eigentümer ohne Hypothek oder Darlehen (%) nach Einkommensgruppe (unter bzw. über der Armutsgefährdungsgrenze), 2017.(Quelle: Eurostat (o. J. a) EU-SILC Erhebung [ilc_lvho02] Bemerkung: Definition der Armutsgefährdungsgrenze, siehe Abb. 2.4)
thekendarlehen mit einer Quote von 60,7 % an; bei der Bevölkerung über der Armutsgefährdungsgrenze (74,8 %) sind es sogar 66,3 % der Eigentümer. Bei den Eigentümern unter der Armutsgefährdungsgrenze ist Luxemburg auf dem ersten Platz. Bei der Finanzierung ohne Hypothek sind die Unterschiede zwischen „arm und reich“ weniger prägnant als bei der Finanzierung mit Hypothek. Der Anteil der Eigentümer in allen betrachteten Ländern, außer Irland, (Abb. 2.5) ist niedriger als der Euroraumdurchschnitt, wobei Deutschland (25,7 %) und vor allen Dingen die Niederlande (8,7 %) die (deutlich) kleinsten Anteile aufweisen. Die Niederlande sind atypisch in dem Sinn, dass die Bevölkerung unter der Armutsgefährdungsgrenze mit 10,6 % am höchsten ist. In Irland und Finnland ist der Unterschied zwischen der Bevölkerung unter und über der Armutsgefährdungsgrenze gering. Schließlich zeigt Abb. 2.6 die Überbelastungsquote, die den Anteil der Bevölkerung angibt, der für die Unterkunftskosten mehr als 40 % des verfügbaren Haushaltsnettoeinkommens (Netto von Haushaltsgeld) ausgibt. Im Schnitt gilt das für ein Zehntel der Euroraumbevölkerung, wobei die Quote sowohl bei den Selbstnutzern mit Hypothek (4,5 %) und ohne Hypothek (4,9 %) deutlich geringer ist. Von den acht Euroraumländern in Abb. 2.6 weist nur Deutschland größere Überlastungsquoten als der Durchschnitt auf. Dies ist überraschend angesichts der Wohlstandssituation in Deutschland. In Großstädten ist die Quote (2017) im Euroraum höher (12,5 %) als in Städten und Vororten (9,8 %) und als in ländlichen Gebieten (7,0 %). Bei allen Urbanisierungsgraden ist die Quote in Deutschland höher (17.9 %, 13,4 % und 11,0 %; EU-SILC Erhebung, Variable ilc_lvho07d; siehe auch Variable ilc_lvho01, Bevölkerung nach Verstädterungsgrad) als der Euroraumdurchschnitt. Im Allgemeinen, sind es häufig Mieter, die eine (viel) höhere Überbelastungsquote als Eigenheimbesitzer aufweisen, mitunter da Eurostat die Hypothekentilgung nicht als Wohnkosten sondern als Investition bzw. Vermögensaufbau definiert. Die oben beschriebene politische Neubewertung des Mietwohnungsmarktes in vielen Ländern Europas wird die Überbelastungsquote daher potenziell erhöhen (Haffner 2018; Haffner und Elsinga 2015).
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M. E. A. Haffner 16 14 12 10 8 6 4 2 0
Insgesamt Eigentümer, mit Hypothek oder Darlehen Eigentümer, ohne Hypothek oder Darlehen
Abb. 2.6 Wohnkosten-Überbelastungsquote nach Besitzverhältnis, 2017. (Quelle: Eurostat (o. J. a) EU-SILC Erhebung [ilc_lvho07c] Bemerkung: Der Indikator Überbelastung durch Wohnkosten wird als der Prozentsatz der Bevölkerung definiert, die in einem Haushalt lebt, wo die Unterkunftskosten (minus Wohngeld) mehr als 40 % des verfügbaren Haushaltsnettoeinkommens (minus Wohngeld) repräsentieren (https://ec.europa.eu/eurostat/web/products-datasets/-/tessi164; 17. Juni 2019). Die gesamten Wohnkosten umfassen nebst Miete oder Hypothekenzinsen auch die Kosten für Energie und Wasser und für relevante Versicherungen, Instandhaltung und Steuern (Eurostat 2017))
4 Wohneigentum als Investitionsgut und die Steuerförderung Der Gedanke, Wohneigentum als Investitionsgut zu betrachten, wurzelt in der Ökonomie und dient im Weiteren als Analyserahmen (Poterba 1984). Im Gegensatz zu der Idee, Wohnungen als ein Konsumgut (wohnen) oder ein soziales bzw. Menschenrecht (Obdach) zu verstehen, geht Wohneigentum als Investitionsgut von der Vorstellung aus, dass Einkommen geschaffen wird durch die erhaltene Dienstleistung Wohnen – das Konsumgut. Im Falle von Vermietung wird dieses Einkommen als Ertrag erhalten, während bei einem Eigenheim jene Dienste selbst genutzt werden, also entsteht Einkommen in Form von Sachleistungen bzw. gesparter Miete. Dieser Gedankengang findet sich auch in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) und im Steuersystem. Im letzteren Fall wird die Wohnung beim Eigentümer, Selbstnutzer oder Vermieter versteuert (European Commission 2012, S. 15). Von dieser Idee wird ebenso im Wohnnutzerkostenansatz ausgegangen, bei dem die wirtschaftlichen Kosten der Wohnnutzung zwischen Mietern und Selbstnutzern verglichen werden, wobei auch von den Nutzerkapitalkosten gesprochen wird (user cost of capital; Jorgenson 1963, 1967). Man berechnet das Einkommen aus einer Immobilie und die Kosten und versteuert den Gewinn der Investition gemäß der Einkommensteuer1 (sei es die für Personen oder Organisationen) (Goode Andere Steuern werden hier außer Betracht gelassen.
1
2 Wohneigentum im europäischen Ausland
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1960, 1977; Poterba 1984; Haffner 2000). In der einfachsten Form sind die Nutzerkapitalkosten der Marktrendite gleichzustellen (Scott 1953). Komplexer wird es, wenn man bei den Einnahmen die direkte Rendite und die indirekte Rendite, den Wertzuwachs (oder Wertverminderung) der Wohnung, unterscheidet. Für die Berechnung der direkten Rendite sind folgende Posten relevant: als Einnahmen die Miete oder die gesparte Miete; und als Kosten die Vermögenskosten (sowohl Zinsen für Darlehen als auch Opportunitätskosten für das Eigenkapital), Abschreibungskosten, Kosten der Grundsteuer bzw. Immobiliensteuer und die Instandhaltungskosten. Werden Vermieter und Mieter steuerlich gleichbehandelt, wird nicht nur Fairness erreicht, d. h., gleiche Behandlung in gleichen Umständen (Mirrlees et al. 2011a, b), sondern auch Effizienz (Barr 1998; European Commission 2012; siehe auch Haffner 2000). Das Verhalten der Investoren (und der Nutzer) soll aus Effizienzgründen nicht durch die Wohnungspolitik verzerrt werden, indem die Grenzvorteile oder -nachteile durch die Besteuerung verändert werden, sondern nur durch die eigenen Präferenzen. Im Idealfall gilt die neutrale Behandlung für jedes Einkommen, egal aus welchen Investitionen sie stammen (tax neutrality oder Steuerneutralität), damit Investoren nur aus wirtschaftlichen und nicht aus steuerlichen Gründen investieren (Flood und Yates 1989; Hancock und Munro 1992). Eine der viel erforschten Ineffizienzen betrifft die Überinvestition in Wohnungen, die auftritt, wenn Wohnungen im Vergleich zu anderen Investitionen, wie zum Beispiel Eigenheime im Vergleich zu Mietwohnungen, bevorteilt werden. Diverse Studien, oft für die USA, ziehen die Schlussfolgerung, dass die Eigenheimquote niedriger sein würde, wenn das Eigenheim wie ein Investitionsgut versteuert werden würde (Rosen 1979; Rosen 1980; Bourassa und Grigsby 2000; Gervais 2002; Evans 2012). Eine Überinvestition hat also Wohlfahrtsverluste zur Folge. Außerdem können negative makro-ökomische Folgen auftreten, da Wohnungen einen großen Anteil der Sachanlagen ausmachen (fixed assets), wie die letzte Weltwirtschaftskrise mit dem Crash der Wohnungspreise in vielen Ländern zeigte (Fatica und Prammer 2018; European Central Bank 2009). Eine neuere Studie, die diese Überinvestition modelliert und die sich auf Europa bezieht, haben Fatica und Prammer (2018) für ausgewählte Euroländer durchgeführt. Sie erstellten die Studie mit Hilfe eines relativ neuen Datensatzes aus 2010, dem Household Finance and Consumption Survey der Europäischen Zentralbank. Der Ausgangspunt ihrer Analyse ist der Vergleich der Effekte der Einkommenssteuervergünstigung, die in der Praxis allgemein verbreitet ist, mit dem ihrer Benchmarksteuer, nämlich einer steuerlichen Neutralität. Die Autoren verstehen sowohl das Nichtversteuern der zugerechneten/gesparten Miete (imputed rent), als auch den Hypothekenzinsabzug (als Vereinfachung der verschiedenen möglichen Kostenposten) als Vergünstigung, sowie die Steuerfreiheit von Wertveränderungen der Wohnung (capital gains/losses) im Vergleich zum Versteuern der Wertveränderungen von finanziellen Investitionen. Damit ist die Vergünstigung weitreichender gefasst als bei der beschriebenen Investitionsgutversteuerung, in der die ersten zwei Posten saldiert würden. Letztlich geht es mehr um die Indikation einer Verzerrung und den europäischen Vergleich.
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M. E. A. Haffner
Tab. 2.1 präsentiert für sechs Länder (von den acht in diesem Kapitel analysierten Ländern) die Einkommenssteuerpraxis nach dem Maßstab der Benchmarksteuer. Nur in den Niederlanden gibt es einen vollständigen Zinsabzug, während auch die zugerechnete Miete versteuert wird. In Luxemburg gibt es die Versteuerung in Kombination mit einem beschränkten Zinsabzug. Letzteren gibt es in allen Ländern, außer Deutschland. Keines der anderen Länder versteuert die zugerechnete Miete. Was die Versteuerung der Wertveränderung angeht, ist das Eigenheim nach spätestens fünf Jahren (Belgien) oder zwei Jahren (Deutschland und Österreich) steuerfrei. Tab. 2.2 zeigt zum Schluss den modellierten Überkonsum und den damit verbundenen Wohlfahrtsverlust. In den 14 Euroländern der Studie beläuft sich demnach der Pro-Kopf Überkonsum im Durchschnitt auf 7,8 % vom Wohnungswert, in Frankreich ist er höher (12,7 %) und in den Niederlanden genau im Durchschnitt. Den damit verbundenen Wohlfahrtsverlust beziffern die Autoren für die 14 Euroländer auf 7 Milliarden Euro. Im Vergleich zum Haushalteinkommen beziffern die Tab. 2.1 Steuerliche Behandlung des Eigenheims imVergleich zur neutralen Benchmarksteuer, 2010
Belgien Deutschland Frankreich Luxemburg Niederlande Österreich
Versteuerung zugerechnete/ gesparte Miete – – – + + –
Zinsabzug + (Maximum) – + (Maximum) + (Maximum) + + (Maximum)
Versteuerung der Wertveränderung keine nach 5 Jahren keine nach 2 Jahren – – – keine nach 2 Jahren
Quelle: Fatica und Prammer (2018, S. 320–321). Siehe auch Oxley und Haffner (2010); Haffner et al. (2014); Haffner und Winters (2016)
Tab. 2.2 Überkonsum und Wohlfahrtsverlust (deadweight loss) durch steuerverursachte Verzerrung im Konsum von Eigenheimdiensten, 2010 Pro-Kopf Überkonsum als % vom Wohnungswert
14 Euroländer Belgien Deutschland Frankreich Luxemburg Niederlande Österreich
7,8 6,0 6,0 12,7 2,6 7,8 4,8
Quelle: Fatica und Prammer (2018, S. 330)
Wohlfahrtsverlust % vom Haushalteinkommen 0,3 0,2 0,2 0,7 0,0 0,7 0,2
Milliarden Euro 7,0 0,2 1,7 1,8 0,0 1,3 0,1
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utoren den jeweiligen Betrag auf 0,7 % in Frankreich und in den Niederlanden. A Für die Niederlande haben Van Ewijk et al. (2006) den Wohlfahrtsverlust, modelliert für 2006 auf 1 Milliarde Euro, also circa 0,2 % vom Bruttoinlandprodukt, geschätzt. Frankreich und die Niederlande sind diejenigen Länder, die die Liste anführen. Dort beläuft sich im Durchschnitt die modellierte Einkommenssteuervergünstigung auf 60 % für Frankreich und 58 % für die Niederlande, jeweils im Vergleich zum Benchmark. In Deutschland liegt die Vergünstigung im Vergleich zur nach Fatica und Prammer (2018) definierten Benchmarksteuer bei 26 % ─ allerdings nur, weil die Wohnung rein als Konsumgut behandelt wird, die Differenz aus Ertrag und Kosten also nicht versteuert werden muss. Auch in den anderen Ländern in Tab. 2.2 ist die Nicht-Versteuerung der zugerechneten Miete der wichtigste Posten, außer in Frankreich. Dort wird die Steuerfreiheit der Wertänderung des Eigenheims im Vergleich zu anderen Vermögensformen (financial assets) als am höchsten beziffert.
5 Ist die steuerliche Förderung eine gute Idee? Da die Literatur auf Ineffizienzen durch Steuervorteile für das Eigenheim verweist, ist die Frage demnach, ob eine steuerliche Förderung (über die Einkommenssteuer) dennoch etwas bringt. Oder anders: ist die Überinvestition wünschenswert? Vor allen Dingen in den USA und anderen angelsächsischen Ländern sind Vorteile in Studien herausgestellt worden, die oft verwurzelt sind mit der Eigentumstheorie der Institutionellen Ökonomie. Eigentum und Nutzung kommen am effi zientesten in einer Hand zusammen (Haffner et al. 2014, entnommen aus den Übersichtsstudien von: Elsinga und Hoekstra 2004; Rohe et al. 2001). Wenn Eigentü mer die Risiken ihrer Investition tragen, übernehmen sie mehr Verantwortung, nicht nur in Bezug auf ihre eigene Wohnung, sondern auch für ihre Wohnumgebung und die lokale Politik. Außerdem haben Eigentümer mehr Selbstvertrauen und sie sind zufriedener mit dem Leben. Auch die Kinder erreichen bessere Schulresultate. Fatica und Prammer (2018, S. 329) geben allerdings zu bedenken, dass man diese Resultate auch in Zweifel ziehen kann: Engelhardt et al. (2010) challenge the finding that homeownership generates significant social benefits. They argue that the results might be driven by unobserved individual characteristics, not properly addressed by the instrumental variable approach used in previous studies.
Aus Europa hört man die Kritik, dass die Alternative, die Mietwohnung, in diesem Bild des Eigenheims als Idealwohnung vergessen wird. Man denke an den unitären Mietwohnungsmarkt nach Kemeny (1995 und die Studie von Behring und Helbrecht, 2002) (z. B. in Deutschland und den Niederlanden). Außerdem sind die Vorteile des Eigenheims nicht immer für Haushalte mit niedrigerem Einkommen zu erreichen, wie die Übersichtsstudie von Elsinga und Hoekstra (2004) beschreibt. Sie wohnen eher in schlechteren Wohnungen und s chlechteren
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Nachbarschaften, wodurch die Wohnungen eher ihren Wert verlieren als behalten, und die Mobilität des Haushaltes behindert wird. Weiterhin kommen solche Haushalte eher in finanzielle Schwierigkeiten und drohen ihre Wohnung zu verlieren, was weitere wie z. B. gesundheitliche Probleme hervorrufen kann. Diese Problematik kann auch auf die sogenannte asset-based welfare übertragen werden (Doling et al. 2013). Zwar zählt das Argument, dass durch Eigenheime finanziell gefährdete Haushalte Selbstständigkeit und auch Verhandlungsfähigkeit entwickeln können (Mok und Lee 2013). Es ist aber die Frage, ob es im Endeffekt finanziell gefährdeten Haushalten tatsächlich hilft, ihre Situation zu verbessern (Haffner et al. 2014). Insgesamt stellen sich nicht zwangsläufig für alle gesellschaftlichen Gruppen die Vorteile des Eigenheims ein.
6 Abbau der steuerlichen Förderung Die OECD und die Europäische Kommission sind der Auffassung, dass die steuerliche Förderung des Eigenheims das wirtschaftliche Wachstum beeinträchtigt (vgl. Übersichtsstudie von Haffner et al. 2014). Die OECD (2010; siehe auch Andrews et al. 2011) plädiert insbesondere für Steuerneutralität zwischen allen assets. Damit würde das Eigenheim als Investitionsgut versteuert. Außerdem müsste der Unterschied zwischen der Fremd- und Eigenkapitalfinanzierung aufgehoben werden. Das Ziel wäre es, den Wohlfahrtsverlust so weit wie möglich zu verringern, um den Haushalten eine effiziente Wahl rein aufgrund der Präferenzen und wirtschaftlichen Aspekte zu ermöglichen, statt auf Basis von steuerlichen Vorteilen. Wenn Steuerneutralität nicht möglich ist (weil die zugerechnete Miete zum Beispiel nicht registriert und/oder aktualisiert wird), müssen Vorteile abgebaut werden. Diese beinhalten die effektive Erhöhung von Steuern auf Wohnungen, z. B. durch eine Verminderung des Zinsabzugs oder durch eine Erhöhung der Steuer auf zugerechnete Miete oder eine Vermögenssteuer (property tax) (OECD 2010, S. 118): The income tax subsidies should be reduced by increasing the taxation (and its scope) of imputed rent. Alternatively, higher property taxes or reducing the value of or abolishing the mortgage interest deduction should be considered
Auch die Europäische Kommission (2012; siehe auch Johansson et al. 2008) publizierte ein Occasional Paper, in dem die Erfolgskonditionen (conditions for success) und die points to watch bei einer Steuerreform hergeleitet wurden, um das wirtschaftliche Wachstum eines Landes langfristig zu erhöhen. Erfolgskonditionen nach der EU Kommission sind: 1. „Shift from personal and corporate income taxes to consumption and property taxes in order to increase GDP per capita in the long run“ (S. 10) 2. „Shift away from (high) taxes on residential property transfers to recurrent tax on residential property“ (S. 15)
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3. „The cadastral value (i.e. the tax base) should be regularly updated according to market values“ (S. 21) Diese Ratschläge für die Politik basieren auf dem Gedanken, dass Einkommen aus Arbeit und Produktion relativ weniger besteuert werden sollten als Einkommen aus Wohnungen, die als Investitionsgut betrachtet werden. Auch sollten nicht Kauf und Verkauf von Wohnungen versteuert werden, sondern das reguläre Einkommen. Der sogenannte „cadastral value“ ist die Bezeichnung für die zugerechnete Miete, die angemessen sein sollte, weil ansonsten die Steuerbemessungsgrundlage im Vergleich zum Marktwert zu niedrig ist. Wichtig ist dabei nach Europäischer Kommission (2012), dass die Einkommenssteuer nicht die Aufnahme von Hypothekendarlehen stimuliert, weiterhin dass Verteilungseffekte in eine Steuerreform mit einbezogen werden und dass lokale Auswirkungen berücksichtigt werden: 1 . „Ensure that the residential property tax system does not favour debt“ (S. 16) 2. „Distributional impacts and concerns need to be acknowledged and addressed in the design of a residential property tax reform“ (S. 23) 3. „Residential property tax reforms should take account of the local dimension of the tax“ (S. 23) Zusammengefasst präferieren europäische und globale Organisationen ebenso wie Ökonomen die Steuerneutralität bei der Einkommensversteuerung von Wohnungen (und anderem Besitz) aus Effizienzgründen. Das bedeutet, dass innerhalb von Landesgrenzen Steuerneutralität herzustellen ist statt zwischen Ländern. Nebst first- best wurden auch second-best Lösungen vorgestellt. In der Praxis ist es nicht einfach, Steuerneutralität oder Neutralität zwischen verschiedenen Anlageformen zu erreichen, da es verschiede Benchmarks gibt, wie oben genannt, z. B. das Investitionsgut, das Konsumgut und der steuerneutrale Benchmark. Weiterhin gibt es: • Die Optimalsteuer nach Mirrlees et al. (2011a, b), wobei die „normale“ Rendite von der Einkommenssteuer befreit wäre, die auch gilt bei der Versteuerung von zugerechneten Mieten beim Eigenheim (siehe auch Haffner und Winters 2016). • Die Besteuerung nach der primären Struktur des Steuersystems, die den sogenannten tax expenditures zu Grunde liegt (siehe z. B. McDaniel und Surrey, 1985; Bundesministerium der Finanzen 2013). OECD (1984, S. 7) definiert diese wie folgt: „A tax expenditure is usually defined as a departure from the generally accepted or benchmark tax structure, which produces favourable treatment of particular types of activity of groups of taxpayers.“ Dies könnte auch eine Grundlage für die Gewährung von Steuervorteilen für das Eigenheim sein. Eine Diskussion, ob jede Art von Investition gleichbehandelt werden sollte, muss immer geführt werden. Steuerliche Vorteile können etwa auch begründet werden, weil Mieter oft weniger Rechte als Eigentümer an einem Eigenheim haben und daher mehr Haushalte in die Lage versetzt werden sollen, Wohneigentümer zu werden (Haffner 2003).
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7 Schlussfolgerungen Die Wohneigentumsbildung wird zwar nicht nur, aber zu einem wesentlichen Teil durch wirtschaftliche Rahmenbedingungen determiniert, da u. a. in Europa Haushalte mit höheren Einkommen häufiger Selbstnutzer von Wohneigentum sind als Haushalte mit weniger Einkommen. Teilweise wird die Verteilung des Wohneigentums auch durch steuerliche Vorteile geprägt, wie z. B. in den Niederlanden oder Belgien (Haffner und Boumeester 2014; Haffner und Heylen 2014; Haffner und Winters 2016). Die Literatur verweist dabei auf Vorteile des Eigenheims, sowohl für den Selbstnutzer selbst als auch für die Gesellschaft. Allerdings gibt es ebenso Zweifel, und gerade die Steuervorteile für das Eigenheim werden als ineffizient angesehen. Die OECD und die Europäische Kommission plädieren daher für mehr Steuerneutralität bei Wohnungen und einer geringeren Besteuerung von Arbeits- und Produktionseinkommen. Was das für die Entwicklung der Wohneigentumsquote, die im Durchschnitt der Periode 2007–2017 in den Euroländern abgenommen hat, und für die Bezahlbarkeit von Wohnraum bedeutet, bleibt abzuwarten.
Literatur Andrews D, Sánchez AC, Johansson Å (2011) Housing markets and structural policies in oecd countries. OECD Economics Department working papers, no. 836, OECD Publishing Barr EN (1998) The economics of the welfare state. Oxford University Press, Oxford Behring K, Helbrecht I (2002) Wohneigentum in Europa. Wüstenrot Stiftung, Ludwigsburg Bourassa SC, Grigsby WG (2000) Income tax concessions for Owner-occupied housing. Hous Policy Debate 11(3):521–546 Bundesministerium der Finanzen (2013) 24. Subventionsbericht. Bundesministerium der Finanzen, Berlin Doling J, Elsinga M et al (2013) Demographic change and housing wealth. Homeowners, pensions and asset-based welfare in Europe. Springer, Dordrecht Elsinga M, Hoekstra J (2004) De betekenis van eigenwoningbezit. Essay in opdracht van de VROM-raad. TU Delft, Delft Engelhardt GV, Eriksen M, Gale W, Mills GB (2010) What are the social benefits of homeownership? Experimental evidence for low-income households. J Urban Econ 67:249–258 European Central Bank (2009) Housing finance in the Euro Area. Occasional Paper no. 101, Frankfurt European Commission (2012) European economy. Possible reforms of real estate taxation. Criteria for successful policies, Directorate-General for Economic and Financial Affairs Occasional Papers, No. 119, European Union Eurostat (2017) Methodological guidelines and description of EU-SILC target variables, Directorate F: Social Statistics, Unit F-4: Quality of life, Version August 2017. http://ec.europa.eu/ eurostat/documents/1012329/8658951/Household+data+-+housing.pdf/6c5216f2-b40b-49d6a0aa-9c2c4bb32348. Zugegriffen am 17.07.2019 Eurostat (2018) eurostat Statistics Explained. Glossar Armutsgeährdungsquote, letzte Seitenänderung: 1. August. https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?title=Glossary:At-risk-of-poverty_rate/de. Zugegriffen am 17.07.2019
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Paradigmenwandel der Wohnungspolitik Zur Stellung und Entwicklung der Wohneigentumsförderung in der Bundesrepublik Deutschland Heide Haas
1 Wohnungspolitischer Hintergrund Steigende Mieten in vielen Städten der Bundesrepublik haben in den letzten Jahren zu einer regelrechten Renaissance wohnungspolitischer Fragen in der bundesdeutschen Politik beigetragen. Nach Abschaffung der Eigenheimzulage 2004 und deren kleinteiliger Neuauflage im System der Riester-Rente stehen auch Maßnahmen zur Wohneigentumsförderung, wie das sogenannte Baukindergeld, erneut zur Debatte. Dabei ist die Förderung von Wohneigentum mit einem breiten Spektrum politischer Zielsetzungen verbunden: Neben der Familienförderung spielen auch sozial-, wirtschafts- und finanzpolitische Vorstellungen eine Rolle. Für ein besseres Verständnis der heutigen Kontroversen und Diskussionen lohnt ein Blick in die Geschichte der bundesdeutschen Eigenheimförderung. Basierend auf einer qualitativen Analyse von Bundestagsprotokollen1 beschreibt dieser Beitrag den Wandel der Zielsetzun-
1 Die Auswahl der relevanten Debatten erfolgte nach Lesungen jener Gesetze, die nach der einschlägigen Literatur zu urteilen die wichtigsten Meilensteine für die Wohneigentumsförderung in der Bundesrepublik bilden. Analysiert wurden die Bundestagslesungen zu den folgenden Gesetzen: das Zweite Wohnungsbaugesetz von 1956, das Wohnungsbauänderungsgesetz von 1965, das Gesetz zur Förderung von Wohneigentum und Wohnbesitz im sozialen Wohnungsbau (1976), das Gesetz zur Neuregelung der steuerrechtlichen Förderung des selbst genutzten Wohneigentums, das Gesetz zur Neuregelung der steuerlichen Wohneigentumsförderung (1996), die ersatzlose Streichung der Eigenheimzulage (2005) sowie das Eigenheimrentengesetz (2008).
H. Haas (*) Georg-August-Universität Göttingen, Göttingen, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 O. Depenheuer et al. (Hrsg.), Wohneigentum für breite Schichten der Bevölkerung, Bibliothek des Eigentums 18, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61287-3_3
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gen der Wohneigentumsförderung2 in Deutschland. Im Folgenden sollen die wesentlichen Reformen der bundesdeutschen Eigenheimförderung kurz skizziert werden, um im nächsten Abschnitt die mit ihnen verbundenen politischen Zielsetzungen darzustellen. Ein früher Meilenstein in der Wohneigentumsförderung in Deutschland ist das sogenannte Zweite Wohnungsbaugesetz von 1956. Während das Erste Wohnungsbaugesetz von 1950 noch als ein „Bauprogramm für Standardwohnungen“ (Kofner 2004, S. 175), als Finanzierungsgesetz (Schulz 1994, S. 309) und Übergangslösung gedacht war, wird das Zweite Wohnungsbaugesetz (WohnbauG II) häufig als das „Grundgesetz des Sozialen Wohnungsbaus“ bezeichnet (Jokl und Zehnder 1996, S. 406). Erstmals wurde das „Ziel der breiten Streuung von Wohneigentum“ (Mayer 1998, S. 182) gesetzlich verankert. Laut Hilpert stellt das Zweite Wohnungsbaugesetz „einen Höhepunkt der Bemühungen dar, Eigenheim-, Eigentums- und Familienförderung zu verbinden“ (Hilpert 2012, S. 285). Hierzu sollte das Ideal des Familienheimes nicht mehr nur indirekt über Sparförderung oder steuerliche Maßnahmen, sondern zur neuen Norm des Sozialen Wohnungsbaus3 gefördert werden (Schulz 1994, S. 288). Dabei wurde der Familienheimförderung ein klarer Vorrang gegenüber der des Mietwohnungsbaus zugeschrieben (Kofner 2004, S. 177). Hinzu kam der Vorrang von Eigentumswohnungen vor Mietwohnungen, sodass eine doppelte Zielvorstellung verfolgt wurde: Familienheime und Eigentumswohnungen vor anderen Wohnungen in Mehrfamilienhäusern (Müller-Heine 1984, S. 14). Zuvor war lediglich festgelegt, dass ein „angemessener Teil“ der Mittel zum Bau von Eigenheimen verwendet werden sollte, der jedoch nicht weiter spezifiziert wurde (Müller- Heine 1984, S. 12). Wären die Förderrangfolgen vonseiten der Länder stets eingehalten worden, „hätte keine Mietwohnung gefördert werden dürfen, solange auch nur ein einziger Antrag auf ein Baudarlehen für ein Familienheim nicht positiv beschieden war“ (Schulz 1994; Eichener et al. 2000).4 Wie das Zweite Wohnungsbaugesetz sollte auch das Wohnungsbauänderungsgesetz („Gesetz zur verstärkten Eigentumsbildung im Wohnungsbau und zur Sicherung der Zweckbestimmung von Sozialwohnungen“) einerseits dazu dienen, „Bevölkerungsgruppen den Zugang zu preisgünstigem Wohnraum [zu erleichtern], die 2 Zur Wohneigentumsförderung werden dabei sowohl Maßnahmen der Sparförderung, der Einkommenssteuergesetzgebung sowie des Sozialen Wohnungsbaus gezählt, welche die Förderung des Erwerbs von Wohneigentum betreffen. In der getroffenen Auswahl sind sowohl Fälle enthalten, in denen die Eigentumsförderung ausgebaut wurde als auch solche, bei denen die entsprechenden Schranken für den Zugang zu Fördermitteln verschärft oder Förderwege abgeschafft wurden. 3 Der Finanzierungssystematik des Sozialen Wohnungsbaus folgend füllten die öffentlichen Mittel die Lücke „zwischen den Baukosten einerseits und der erststelligen Hypothek, der Eigenleistung des Bauherren und den sonstigen Mitteln andererseits“ (Schulz 1994, S. 308). 4 Tatsächlich hatte das Zweite Wohnungsbaugesetz zwar zu einer stärkeren Bautätigkeit im Bereich der Einfamilienhäuser beigetragen. Diese vermehrte Bautätigkeit blieb jedoch hinter der grundlegenden Intention der Eigenheimbefürworter zurück. Als Ursache hierfür werden meist Widerstände in den Ländern und den kommunalen Wohnungsämtern angeführt (so Schulz 1994). Allerdings spielten auch die vom Mietrecht weiterhin künstlich niedrig gehaltenen Altbaumieten und das somit geringe Interesse einkommensschwacher Haushalte an Wohneigentum eine Rolle (Kofner 2004, S. 185).
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am stärksten benachteiligt waren“ (Simian 2000, S. 81). Allerdings markierte dieses Gesetz ebenso den zunehmenden Rückzug des Staates aus der Förderung des Sozialen Mietwohnungsbaus (Kofner 2004, S. 178). Da beide Gesetze zugleich zu einem weiteren Ausbau der Eigentumsförderung beitragen sollten, intensivierte sich das Argumentationsmuster der Mietwohnungsbaubefürworter, die Eigenheimförderung würde nur zulasten des Mietwohnungsbaus geschehen. Dies stand im Kontext zu den Plänen der Regierung, die bereits mit dem sogenannten Abbaugesetz vom 23. Juni 1960 den schrittweisen Abbau der sogenannten Wohnungszwangswirtschaft5 einleiteten. Der Plan für einen Ausweg aus dieser „Zwangswirtschaft“ sah vor, den Mietwohnungsmarkt weitestgehend zu deregulieren und somit die Miethöhen wieder dem Markt zu überlassen. Demgegenüber wurden Einkommensgrenzen im Sozialen Wohnungsbau nicht angepasst – mit Ausnahme einer Erhöhung der Familienzuschläge – was maßgeblich eine Förderung der mittleren gegenüber den unteren Einkommensgruppen begünstigte (Hilpert 2012, S. 289). Der weiter ausgebauten Förderung von Familien aus der Mittelschicht stand somit gegen Ende der ersten hier betrachteten Phase ein Abbau mehrerer Begünstigungen für einkommensschwache Schichten gegenüber, die im Zweiten Wohnungsbaugesetz noch gesichert werden sollten. Durch das Gesetz zur Förderung von Wohneigentum von 1976 (Wohnbesitzgesetz) sollte das Wohneigentum in Deutschland weiter über den Sozialen Wohnungsbau gefördert werden. Nach jahrelangen Debatten und dreimaligem Aufrufen des Vermittlungsausschusses konnte das Gesetz einstimmig verabschiedet werden (Krummacher 1978, S. 340). Ausgangspunkt waren konkurrierende Gesetzesentwürfe der Regierungsparteien sowie von CDU und CSU, „denen gemeinsam die jeweils ausdrückliche Erklärung war, mit neuen Fördermodellen den einkommensschwächeren Bevölkerungsschichten den Zugang zur Vermögensbildung in Form des Wohnungseigentums zu ermöglichen“ (Krummacher 1978, S. 341). Als Kernstück des Gesetzes wird häufig die Einführung der sogenannten „Wohnbesitzwohnung“ beschrieben: Diese beinhaltete als eine Mischform aus Eigentums- und Mietwohnung ein Dauerwohnrecht mit Anteilen an einem geschlossenen Immobilienfonds (Simian 2000, S. 86; Müller-Heine 1984, S. 42). Laut Simian konnte sich das neue Instrument aufgrund der komplizierten rechtlichen Ausgestaltung sowie der in der Praxis nur geringen Vorteile für den Mieter nicht durchsetzen. Auch Krummacher bewertet das Instrument der Wohnbesitzwohnung überaus kritisch und bemerkt, dass sowohl Länge und Intensität der Debatten „in einem krassen Mißverhältnis zur Bedeutung der eigentlichen Neuerung“ stand (Krummacher 1978, S. 340). Als wesentlicheren Punkt in der rechtlichen Neuerung sieht er die im Rahmen dieses Gesetzes vorgenommene Anpassung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes, „daß künftig die Förderung des Wohnungsbaus überwiegend der Bildung von Einzeleigentum (Fami5 Als Zwangswirtschaft wird eine Konstellation aus Verordnungen des Alliierten Kontrollrates bezeichnet, die neben einem Einfrieren der Mieten auf dem Stand von 1936 auch eine Einschränkung der Kündigungsmöglichkeiten von Mietverhältnissen sowie die Wohnraumbewirtschaftung durch kommunale Wohnungsämter umfasste (Mayer 1998, S. 177). Die Deregulierung sollte in einzelnen Städten und Landkreisen erfolgen, in denen das Wohnungsdefizit unter drei ausmachte (Müller-Heine 1984, S. 20).
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lienheime und eigengenutzte Eigentumswohnungen) dienen muß, d. h. mit mehr als der Hälfte der öffentlichen Mittel zu fördern ist“ (Krummacher 1978, S. 288). Zuvor war der Vorrang der Eigenheimförderung zwar bereits im Gesetz enthalten, jedoch noch nicht verpflichtend gewesen (Krummacher 1978, S. 352). Ein weiterer wichtiger Impuls des neuen Gesetzes war die Umwandlung von Sozialwohnungen in Eigentumswohnungen. Insgesamt wurden somit unter der sozialliberalen Regierung der 70er-Jahre die Initiativen zur Eigenheimförderung weiter ausgebaut. Eigenheimbezogene Reformen der 80er-Jahre konzentrierten sich nicht mehr auf das Mittel des Sozialen Wohnungsbaus, sondern auf steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten. Die Abschreibungsmöglichkeiten für den Wohnungsbau wurden seit der Phase des Wiederaufbaus durch den § 7b des Einkommenssteuergesetzbuches (EStG) geregelt. Eine 1958 eingeführte Kostenobergrenze von 120.000 DM sollte sicherstellen, dass Besserverdiener nur noch in geringerem Maße von den Abschreibungsmöglichkeiten profitieren (Kofner 2004, S. 186). Bereits 1977 wurde von der sozialliberalen Koalition der § 7b erstmals ausgeweitet auf Bestandswohnungen und Modernisierungsinvestitionen, um im Rahmen konjunkturfördernder Maßnahmen die Wohnqualität auch in den Städten zu erhöhen. Eine grundlegendere Reform brachte schließlich das Steueränderungsgesetz von 1987: Die bis dahin bestehende Nutzungswertbesteuerung für Wohneigentum nach § 7b EStG wurde gestrichen und im § 10e den steuerabzugsberechtigten Sonderausgaben zugeordnet (Leutner 1990, S. 382 ff.). Mit den Anpassungen wurde nicht nur die steuerliche Belastung des Wohneigentums gestrichen, sondern auch die Bemessungsgrundlagen der steuerlichen Absetzbarkeit von 200.000 DM auf 250.000 DM für Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen wurden deutlich ausgeweitet (Kofner 2004, S. 187 f.; Jokl und Zehnder 1996, S. 408). Entgegen der direkten Förderung ist diese steuerliche Förderung als regressiv zu bewerten: Haushalte mit mittlerem und hohem Einkommen wurden überproportional begünstigt (Leutner 1990, S. 377). Angesichts der auch weiterhin nicht wesentlich angestiegenen Wohneigentumsquoten bei einem Höchststand von Subventionen für die Wohneigentumsförderung 1996, die rund 12,8 Milliarden Euro an Mindereinnahmen von Steuergeldern betrugen (Bundesministerium der Finanzen 2001), wurde eine Reform der steuerlichen Wohneigentumsförderung zunehmend als unausweichlich angesehen. In diesem Zusammenhang wurde die Kritik an der steuerlichen Abschreibung und der daraus resultierenden Bevorzugung von Besserverdienern bei der Eigenheimförderung lauter (Kofner 2004, S. 188; Harlander 2005, S. 692). Auch vorherige Anpassungen der Einkommensgrenzen reichten nicht aus, um darüber hinwegzutäuschen „dass die Subventionen, die seit der Ära Adenauer geflossen waren, das eigentlich gesetzte Ziel, sehr viel mehr Deutsche zu Eigenheimbesitzern zu machen, nicht erreicht hatten“ (Egner 2014). Mit dem Eigenheimzulagegesetz von 1996 wurde die vor allem in den 80er- Jahren ausgebaute indirekte steuerliche Förderung zugunsten eines sogenannten Konsumgutmodells abgeschafft (Kofner 2004, S. 190 f.). Entgegen dem Investitionsgutmodell funktioniert diese nicht über Steuerabzüge, sondern über reale Zulagen, die auf Antrag genehmigt werden können (Georgakis 2004, S. 93). Das neue Förderungsmodell beinhaltete nochmals strengere Einkommensgrenzen als die
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steuerliche Förderung (Kornemann 2000, S. 95) und war unabhängig vom Einkommen des Antragstellers (Georgakis 2004, S. 96). Allerdings stand auch das neue Modell der Eigenheimförderung weiterhin in der Kritik: Eigenheimförderung blieb eine überaus kostenintensive Subvention. Im Kontext der von der Regierung Schröder verfolgten Austeritätspolitik, in der das Sparen zu einer zentralen Grundlage der Sozialdemokratie wurde (vgl. Frenzel 2002, S. 272 ff.), wurde das Kostenargument immer prominenter und bot die Grundlage für die finale Abschaffung der Eigenheimzulage unter einer CDU-geführten Bundesregierung. Sie sollte jedoch nicht ersatzlos gestrichen, sondern durch Zulagen in der Altersvorsorge ersetzt werden. 2008 wurde mit dem sogenannten Eigenheimrentengesetz, auch Wohn-Riester genannt, selbst genutztes Wohneigentum als gleichberechtigte Anlageform in die staatlich geförderte private Altersvorsorge aufgenommen. So wurde ein Gesetz verabschiedet, das „die Frage der Altersabsicherung der Haushalte explizit mit der Bildung von Wohneigentum verknüpfte und entsprechend förderte“ (Mertens 2015, S. 278). Staatliche Wohneigentumsförderung ist seitdem fest im vermögens-, genauer, im rentenpolitischen Bereich verortet und somit weiter entfernt von ihrer ursprünglichen gesellschafts- und familienpolitischen Fundierung wie auch von der Wohnungspolitik im engeren Sinne. Im Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Bundesregierung von 2009 wird dies nochmals deutlich: „Wohneigentum ist Altersvorsorge“ (CDU/CSU und FDP 2009).
2 Wohneigentumsförderung und Ideen im Wandel Für eine Kontrastierung der unterschiedlichen Zielsetzungen bietet sich eine Einteilung der Debatten in drei Phasen an. Die erste Phase wohnungspolitischer Zielsetzungen nach dem Zweiten Weltkrieg bis Mitte der 60er-Jahre ist vor allem durch familien- und gesellschaftspolitische Zielsetzungen der Wohneigentumsförderung gekennzeichnet. In der darauf folgenden zweiten Phase zeigt sich bis in die 80er- Jahre hinein eine Zunahme vermögenspolitischer Bestrebungen mithilfe wohnungspolitischer Maßnahmen. Schließlich zeigt sich in den 90er- und Nullerjahren ein Übergang der Wohneigentumsförderung als rentenpolitisches Instrument unter den engen Beschränkungen staatlicher Sparsamkeitsbemühungen. Dieser Wandel wird in den folgenden Abschnitten detaillierter betrachtet.
2.1 F amilienförderung und Gesellschaftsstabilisierung durch das Familienheim In den Debatten rund um das Zweite Wohnungsbaugesetz waren vor allem familienpolitische Zielsetzungen dominant. So erklärt der CDU-Abgeordnete und Vorsitzende des Ausschusses für Wiederaufbau und Wohnungswesen Lücke in der dritten
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Lesung, der „Leitgedanke, der über allen Beratungen dieses Gesetzes stand [sei zu] bauen, wie es die Familie braucht“ (BT-Drs. 02/143, 7574A). Als immer wiederkehrender Leitsatz der eigenheimpolitischen Zielvorstellungen lässt sich ein Zitat des CDU-Abgeordneten Brönner anführen: „Das Familienheim ist und bleibt die Grundlage für eine gesunde und wachsende Familie“ (BT-Drs. 02/142, 7380D). Hinter derartigen Aussagen stand die Idee, dass Wohn- und Eigentumsverhältnisse „von erheblicher Bedeutung für das gesamte Leben und den inneren Zusammenhalt der Familien“ wären (Hilpert 2012, S. 297). Eng verbunden mit der Eigenheimförderung für Familien war das Gebot der Sparsamkeit. So sollte im Zuge der Eigenheimförderung vor allem der Sparwillen in der Bevölkerung angeregt werden. Wie bereits durch das Bausparprämiengesetz von 1952 das Ansparen eigenen Bauvermögens staatlich gefördert wurde, sollte auch das zweite Wohnungsbaugesetz jene Bauherren bevorzugen, die einen Großteil der Baukosten selber angespart hatten. So erklärt der CDU-Abgeordnete Brönner: „wer für ein eigenes Heim gespart hat, soll belohnt werden, und diese Belohnung besteht in der bevorzugten Zuteilung öffentlicher Mittel für das Familienheim“ (BT-Drs. 02/143, 7381B). Für weite Kreise in der CDU/CSU stand fest, dass „das Umziehen aus einer Mietwohnung etwa in ein Familienheim – wenn auch mit nur wenigen Quadratmetern Garten – der größte soziale Fortschritt für eine Familie ist“ (BT-Drs. 04/163, 8054C). Besonders deutlich wird die breite Unterstützung der Idee des Eigenheimes als förderungswürdiges Familienheim anhand einer Suggestiv frage der SPD-Abgeordneten Meermann: „Wer sollte denn nicht dafür sein, daß große Familien in den eigenen vier Wänden wohnen können, wenn sie den Wunsch dazu haben und wenn sie bereit sind, die erforderlichen Eigenmittel aufzubringen?“ (BT-Drs. 04/194, 9885D)
Auch die Abgeordneten der SPD sprachen sich bereits in diesen Debatten für eine Förderung des Eigenheims für Familien aus. Allerdings enthielten ihre Forderungen auch eine weitere Förderung des Mietwohnungsbaus für die einkommensschwächeren Schichten. Die Reihe der Bedürftigen, die unter dem Zweiten Wohnungsbaugesetz eine bevorzugte Förderung erhalten sollten, erstreckten sich nicht nur auf Einkommensschwache, sondern auch auf Geflüchtete aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, Evakuierte sowie Kriegsversehrte und Witwen (vgl. BTDrs. 02/7573-7574). So standen neben familienpolitischen Zielsetzungen, die im Rahmen des Zweiten Wohnungsgesetzes die Debatten dominierten, auch weitere als bedürftig definierte Zielgruppen im Fokus der sozialpolitischen Eigenheimförderung. Diese Zielsetzung sollte sich jedoch im Rahmen des Wohnungsbauänderungsgesetzes von 1965 zugunsten einer Förderung breiter Schichten auflösen. Zwar wird in diesen Debatten weiterhin auf die Förderung bedürftiger Kreise hingewiesen, doch die Zielrichtung hat sich auch in der Argumentation merklich zu einer breiter angelegten Zielgruppe verschoben. So erklärt der damalige Bundesbauminister Lücke: „Hierbei steht ein Anliegen im Vordergrund: die Eigentumsbildung für die breiten Schichten der Bevölkerung zu verstärken. Der Herr Bundeskanzler [Erhard] hat bereits in seiner Regierungserklärung am 15. Oktober des vergangenen Jahres darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung seit vielen Jahren bestrebt ist, die Eigentumsund Vermögensbildung in breitesten Schichten der Bevölkerung zu fördern.“ (BT- Drs. 04/163, 8045A)
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Um möglichst vielen Bürgerinnen und Bürgern Wohneigentum zu ermöglichen, sollte auch die Möglichkeit der Schaffung von Wohneigentum in Wohnungen geprüft werden. Insbesondere auf Betreiben der FDP hin sollten verstärkt Eigentumswohnungen in Mehrfamilienhäusern gefördert werden – auch wenn diese im Förderungsumfang nicht mit dem Familienheim gleichgestellt wurden (Peters 1984, S. 205). Eines der dahinterstehenden Ziele war das Wohneigentum auch innerhalb der Städte zu ermöglichen, wo Bauland entweder nicht verfügbar oder aber zu kostspielig war für ein Einfamilienhaus (vgl. Ausführungen des CDU-Abg. Mick, BT- Drs. 04/163, 8055B). Mit der Förderung des Wohnungseigentums sollten daher „[d]ie Eigentumswünsche der Menschen [...] auch in Form von Stockwerkseigentum befriedigt werden“ (FDP-Abg. Kiep-Altenloh BT-Drs. 04/194, 9895C). Als zweite überaus dominante Zielsetzung der Eigenheimbefürworter erscheint in den Debatten die demokratiefördernde Wirkung der eigenen vier Wände. Dabei ist vor allem die geopolitische Situation der jungen Bundesrepublik mit zu berücksichtigen: Das Eigenheim sollte als „Bollwerk gegen Kommunismus und Kollektivismus“ zu Zeiten des Kalten Krieges dienen (Jaedicke und Wollmann 1991, S. 421). Möglichst breite Kreise der Bevölkerung sollten so „unempfänglich für kommunistische Gesellschaftsentwürfe“ gemacht werden (Hanke 1994, S. 10). Entsprechend finden sich bei den Vertretern von FDP und CDU/CSU Äußerungen, in denen sie das Ziel, nämlich die Förderung von Einzeleigentum, direkt als Abgrenzung vom Gemeinschaftseigentum verstehen. Besonders prägnant wird dieses Ziel in den Äußerungen des FDP-Abgeordneten Will: „In der Vergangenheit ist leider ein sehr wesentlicher Teil in den Besitz großer Wohnungsgesellschaften gekommen. Dadurch haben sich großstädtische Latifundienbesitze ansammeln können. Das liegt nicht im Sinne unserer Anschauung; denn uns kommt es ja darauf an, eine breitere Streuung dieser öffentlichen Gelder im Sinne einer Mehrung des Kleinkapitals, des Kleineigentums herbeizuführen.“ (BT-Drs. 02/7577, C)
Anhand dieser Aussage wird deutlich, dass die demokratiefördernden Elemente der Eigenheimförderung ebenso als ein wichtiges Element der Privatisierung diskutiert werden und sich vor allem gegen eine befürchtete „Entprivatisierung“ durch öffentliche Wohnungsgesellschaften richten. Obwohl Vertreter der SPD stets eng mit den öffentlichen Wohnungsgesellschaften verbunden waren und deren Förderung weiter vorantrieben, positionierte sich die SPD auch weiterhin grundsätzlich positiv zur Förderung von Wohneigentum – allerdings mit der Forderung der Beteiligung der Arbeiter am Eigentum (Hanke 1994, S. 11). Das Ziel der Gesellschaftsstabilisierung durch Wohneigentum „den sozialen Frieden zu sichern“ (Schulz 1994, S. 260) bildet bis in die Bundestagsdebatten der 70er-Jahre hinein eine der dominanten Zieldimensionen der Wohneigentumsförderung und wird sogar noch im Bericht einer Expertenkommission aus den 90er-Jahren als eines der Argumente für die Wohneigentumsförderung genannt: „das Erleben von Eigentum und der Gewinn an Unabhängigkeit im eigenen Heim [setzen] Lerneffekte in Gang […], die für den Zusammenhalt des Gemeinwesens nützlich sind, eine Bejahung der Gesellschaftsordnung und eine größere Unabhängigkeit bei Einkommens- und Arbeitsplatzverlust und somit eine geringere Neigung zur Radikali-
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sierung“ bewirken (Expertenkommission, 1994, 58, zitiert nach Szypulski 2008, S. 82). In dieser ersten Phase zeigt sich, dass die Befürwortung staatlicher Wohneigentumsförderung in Deutschland maßgeblich von gesellschaftspolitischen Idealvorstellungen getragen wurde. Mit der Eigenheimförderung sollten familienpolitische Zielsetzungen verwirklicht werden und zeitgleich die Gesellschaft gegenüber dem kommunistischen Modell von Gemeinschaftseigentum immunisiert werden.
2.2 Individuelle Vermögensbildung durch das Wohneigentum In den wohnungspolitischen Debatten der 70er-Jahre spielte bereits die Zielgenauigkeit eigentumsfördernder Maßnahmen eine bedeutendere Rolle (Harlander 2008, S. 831f.). Die Argumentation der FDP, die sich bereits bei vorhergegangenen Gesetzesinitiativen für die Ausweitung der Förderung der Eigentumswohnung stark gemacht hatte, orientierte sich in diesem Punkt besonders an Versorgungsengpässen in den Ballungsgebieten und städtebaulichen wie auch raumordnerischen Gesichtspunkten. Dementsprechend forderten ihre Abgeordneten auch eine möglichst gezielte Förderung in Bezug auf Lokalität als auch auf die jeweiligen Bedürfnisse der Geförderten: „Es wird klargestellt, daß die Förderung in den Gebieten vordringlich ist, wo ein besonderer Wohnungsbedarf besteht, und daß zunächst einmal jener Personenkreis gefördert wird […], der zu den wirtschaftlich Schwächeren gehört und sich nicht aus eigener Kraft in gleicher Weise wie andere helfen kann. Das reicht von den kinderreichen Familien über die jungen Ehepaare, die älteren Menschen bis hin zu den Schwerbehinderten.“ (BT-Drs. 07/036, 2021C)
Die CDU-Abgeordneten verweisen in ihren Argumentationen mehrfach darauf, dass vor allem ein „breit gefächertes Angebot auf den Markt zu bringen“ sei, sodass „der Konsument […] entscheiden [soll], welches Angebot er akzeptieren will“ (BT- Drs. 07/036, 2019C). Staatliche Unterstützung wird damit nicht mehr nur zur Befriedigung allgemeiner Wohnbedarfe verwendet, sondern um gezielt ihre individuellen Bedürfnisse als Konsumenten zu befriedigen. Dementsprechend bestand die Herausforderung darin, möglichst präzise der bestehenden individuellen Nachfrage gerecht werden können. Auch die SPD bewarb in den 70er-Jahren die S icherstellung der bedarfsgerechten Wohnraumversorgung über das Mittel der Eigenheimförderung. So erklärt der SPD-Abgeordnete Krockert: „[W]ir orientieren uns schon längst nicht mehr daran, ob irgendwann alle Leute ein Dach über dem Kopf haben. Wir orientieren uns vielmehr wohnungspolitisch an der sich weiter entwickelnden Bedürfnisvielfalt, der ein entsprechend differenziertes Angebot gegenüberstehen soll“ (BT-Drs. 07/126, 11352A)
Parteipolitische Unterschiede in der allgemeinen Zielsetzung erscheinen deutlich geringer als es die zu diesem Zeitpunkt bereits lange währenden Debatten vermuten lassen. Gegenüber den vorherigen Debatten der 50er- und 60er-Jahre wird
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deutlich, dass es keine Grundsatzdebatte mehr um eine groß angelegte Sozialisierung von Wohneigentum vonseiten der SPD gibt. Vielmehr erscheint die SPD hinsichtlich der Wohneigentumsförderung nun deutlicher in Richtung der Positionen der Unionsparteien sowie der FDP gerückt zu sein. Die angestrebte Zielgenauigkeit der Förderung birgt neben der individuellen Zuschneidbarkeit noch weiteres Potenzial: Einsparungen durch effizienteren Mitteleinsatz. So werden Bestrebungen in der Zusicherung von mehr Unabhängigkeit und Individualität der Bürger in den Bundestagsdebatten der 1980er-Jahre zunehmend mit der Vorstellung eines schlanken Staates verknüpft, der sich mit bürokratischen Umständlichkeiten aus dem Leben der Bürgerinnen und Bürger zurückziehen sollte. So erklärt der parlamentarische Staatssekretär Dr. Häferle: „Der Kernpunkt ist, daß künftig die Besteuerung des selbst genutzten Wohneigentums wegfallen soll. Dies ist eine wichtige Weichenstellung in Richtung weniger Staat, weniger Bürokratie“ (BT-Drs. 10/156, 11666D). Diese Argumentation entspricht weitestgehend den Forderungen der FDP-Abgeordneten, die einen weiteren Bürokratieabbau und zugleich eine Intensivierung der Eigenheimförderung auf Basis steuerlicher Abschreibungsmöglichkeiten fordern. Die Gegenthese zur individuellen Freiheit durch Eigentum wird hingegen von Abgeordneten der seit 1983 im Bundestag vertretenen Grünen vorgebracht: „Eigentum macht ja – das muß man sich auch einmal deutlich machen – nicht frei, sondern bringt den normalen Erwerber von Hauseigentum in eine 30-jährige Abhängigkeit von den Banken“ (BT-Drs. 10/156, 11674B), erklärt der Abgeordnete Vogel und bringt damit einen Kritikpunkt hervor, der in vorherigen Debatten kaum zur Geltung kam: die Abhängigkeit und eingeschränkte Handlungsfähigkeit durch die mit dem Wohneigentum verbundenen Kredite. Die gesteigerte Abhängigkeit von Finanzinstituten anstelle von staatlicher Hilfe zeigt sich auch in der nachlassenden staatlichen Förderung der Eigenkapitalbildung. Zwar wurden neue Möglichkeiten zur Zinsverbilligung von Bausparkrediten eingeführt (Kofner 2004, S. 187). Allerdings wurde zugleich das Bausparen immer weniger gefördert. Die ursprüngliche Bausparprämie sank von den ursprünglich 25 Prozent aus dem Jahr 1952 schrittweise auf 14 Prozent bis 1982 und auf 10 Prozent im Jahr 1989 (Jokl und Zehnder 1996, S. 408). Zusätzlich kam es zu immer mehr Zwangsversteigerungen, die auch von Abgeordneten der SPD als Argument dafür genutzt werden, dass durch die immer schlechter werdende Eigenkapitalausstattung insbesondere die einkommensschwachen Schichten durch die Wohneigentumsförderung keine maßgeblichen Vorteile erzielen konnten (vgl. BT-Drs. 10/156, 11682A). Erstmals treten in den 70er-Jahren klare vermögenspolitische Zielsetzungen6 der Wohneigentumsförderung in den Vordergrund. War in der ersten Phase der Eigen6 Hintergrund dieser Forderung war ein verteilungspolitisches Problem, dessen Ursprung den hohen Bau- und Bodenpreissteigerungen zugeschrieben wurde (vgl. Müller-Heine 1984, S. 40): Aufgrund der größeren Nutzungsmöglichkeiten und Wertsicherheit der Immobilien gegenüber dem Produktivvermögen sahen Vermögenspolitiker in der Eigentumsförderung die Möglichkeit, zu einer dauerhaften Vermögensbildung in weiten Kreisen der Bevölkerung beizutragen.
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heimförderung die Vermögensbildung noch ein Mittel zur Entproletarisierung, wurde sie in der zweiten hier betrachteten Phase zu einem Ziel an sich. Dabei gab es allerdings verschiedene Begründungszusammenhänge. Die SPD-eigene Akzentuierung der neuen Eigentumsförderung besteht in der „Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen“ (BT-Drs. 07/036, 2015D), so der zuständige Bundesminister für Raumordnung, Städtebau und Bauwesen Vogel. Da das Produktivvermögen der gewerblichen Wirtschaft nur um rund 20 Prozent größer sei als das Wohnungsvermögen, müsse man „neben dem Produktivvermögen auch das Grund- und Gebäudevermögen im Auge behalten, seiner übermäßigen Konzentration entgegenwirken und seine möglichst breite Streuung anstreben“ (BT-Drs. 07/036, 2016A, HvH. i. Orig.). Für den vermögenspolitischen Aspekt des Wohneigentums ist abermals die Sparleistung der Bauherren selber von Bedeutung. Thematisiert wird dieser Punkt sowohl von Mitgliedern der SPD- auch von denen der CDU/CSU-Fraktion. In früheren Debatten war die eigene Sparleistung der Förderungsempfänger stets als zu belohnende Tugend stilisiert worden, welche in praktischer Hinsicht das fehlende Kapital des Staates zur ausreichenden Wohnraumversorgung substituieren, und entsprechend gefördert werden sollte. Nun floss die Spartätigkeit als individuelle Präferenz der Bürgerinnen und Bürger selbst in die Debatten mit ein. Auch in der Zielsetzung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung heißt es, dass sich „bei einer ständig wachsenden Zahl von Arbeitnehmerhaushalten nicht unerhebliche Sparund Vermögensbeträge“ angesammelt hätten, die einer weiteren Anlageform bedürften (BT-Drs. 07/577A). Somit wird die vorherige Sparsamkeitserfordernis im Sinne der Frage Wie können Bürgerinnen und Bürger ihre Wohnraumversorgung am besten absichern? zu einer vermögenspolitischen Überlegung: Wie können Bürgerinnen und Bürger Ersparnisse generieren und ihr Vermögen vermehren? Gegenüber der allgemeinen Vermögensbildung tritt in den 1980er-Jahren der Aspekt der individuellen und privaten Altersvorsorge in den Bundestagsdebatten als Zielsetzung der Eigenheimförderung hervor. So erläutert der parlamentarische Staatssekretär beim Bundesministerium der Finanzen Häferle (CDU): „Die Eigentumsförderung steht hier im Vordergrund. Wir wollen als die vierte Säule der Lebens- und Altersvorsorge – neben der allgemeinen Alters- und Sozialrente, der Betriebsrente und dem Privatsparen und -versichern – das „erlebte Eigentum“ des eigenen „Häusles“ verstärken. Zugleich wollen wir die Familie stärken, indem die Förderungsmaßnahmen für die Familien besonders ausgeprägt werden.“ (BT-Drs. 10/156, 11666D)
Im Rahmen der Bundestagsdebatten um das Gesetz zur Förderung von Wohneigentum von 1976 zeigen sich weiterhin familienpolitische Idealvorstellungen, die mit der Eigenheimförderung erreicht werden sollten. Allerdings erscheinen diese nunmehr wie eine Hülle für andere Argumentationen. Zwar erscheint die Familienförderung in den Bundestagsdebatten der 80er-Jahre häufiger als dies in den 70er-Jahren der Fall war. Bei einer genaueren Betrachtung der Positionierung dieser Zielsetzung fällt jedoch auf, dass sie nie an erster Stelle genannt und zumeist als begleitende Zielsetzung zu vermögenspolitischen Zielvorstellungen verwendet werden. Die Einordnung der Wohneigentumsförderung als familienfördernde Maß-
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nahme mit gleichrangiger Bedeutung für die private Altersvorsorge entspricht auch derjenigen des CDU-Abgeordneten Schulhoff: „Hinzu kommt, daß die gleichrangige Förderung des Erwerbs von gebrauchtem Wohnraum vor allem jungen Familien helfen wird, die schon früh Eigentum erwerben wollen. Damit leistet die Regierung einen weiteren Beitrag zur Vermögensbildung. Gleichzeitig ist dies als ein weiterer Schritt zur privaten Altersvorsorge zu sehen; denn Bildung von Wohneigentum ist ein wichtiger Bestandteil der Alterssicherung, meine Damen und Herren.“ (BT-Drs. 10/156, 11671C)
Durch diese Zielsetzung wird auch die breite Streuung von Wohneigentum zugleich zu einem Teil der Zielsetzung, die private Alterssicherung für breitere Schichten zu sichern und nicht nur die eigene Wohnraumversorgung von einer Steigerung der Mieten unabhängiger zu machen. Diese Zuordnung zur Altersvorsorge ist dabei jedoch nicht bloß als ein diskursiver Wechsel zu verstehen, sondern entspricht auch der steuerrechtlichen Neuzuordnung zum Sonderausgabenbereich im § 10 EStG. Allerdings betonen selbst Abgeordnete der schwarz-gelben Regierungskoalition, dass mit dieser Form der Förderung „die bloße Kapitalanlage im Wohnungsbau nicht mehr gefördert werden“ sollte (BT-Drs. 10/156, 11683C), um sich von Vorwürfen der Spekulationsförderung der Opposition zu lösen. Begründet wird diese Abwehr damit, dass mit der neuen Regelung Spitzenverdiener nicht mehr ihre Investitionen in mehrere Häuser steuerlich geltend machen könnten. Gegenüber der ersten Phase der Wohneigentumsförderung in der Bundesrepu blik zeigt sich eine größere Vielfalt im Spektrum der Zielsetzungen in den politischen Debatten der zweiten Phase. Besonders deutlich wird in diesem Zusammenhang die Bedeutungsabnahme der gesellschaftspolitischen Zielvorstellungen durch die Wohneigentumsförderung gegenüber der Befriedigung individueller Wohnbedürfnisse. Dieser Wandel kann als Ausdruck der geringer gewordenen Wohnungsnot gegenüber der Zeit des Wiederaufbaus bewertet werden: Von einer umfassenden Wohnungsnot konnte nicht mehr die Rede sein, sodass es nun weniger um quantitative denn um qualitative Förderungen gehen konnte. Allerdings mussten diese realen Änderungen auch den politischen Akteuren vermittelt werden – ebenso wie die neuen Ideen zur qualitativen Verbesserung der Wohnraumversorgung. Daher soll im folgenden Abschnitt genauer betrachtet werden, wie sich die Wissens- und Ideenproduktion in diesem Zeitraum gegenüber der ersten Phase der wohnungspolitischen Wissensproduktion geändert hat.
2.3 Schlanker Staat und Altersvorsorge Die große Bedeutung eines sparsamen Staates als Leitbild findet sich in den übergeordneten Zielsetzungen in den Aussagen der Bundestagsabgeordneten – unabhängig von der Parteizugehörigkeit in den Debatten seit den 90er-Jahren. So fasst der Abgeordnete Meister die vier Zielsetzungen der Einführung der Eigenheimzulage wie folgt zusammen: „die Aufkommensneutralität, das familienpolitische Si gnal, die Verwaltungsvereinfachung und die zielgenauere Förderung“ (BT-Drs.
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13/055/4666B). Für den Staatssekretär Falthauser sind die gleichberechtigten Ziele hingegen (1.) die Berechenbarkeit der „Förderung für die Bauwilligen“ und dass die Vorschriften (2.) insgesamt „eine deutliche Vereinfachung“ erfahren (Parl. Staatssekretär beim BMF Faltlhauser in BT-Drs. 10/055, 4656B). Dementsprechend erscheinen familienpolitische Zielsetzungen lediglich als Rahmung und nicht mehr als wesentliche Zielsetzung der Reformen. Kosten- und Effizienzargumente sind dabei nicht der konservativ-liberalen Bundesregierung vorbehalten. So begrüßen SPD und Bündnis 90/Die Grünen nicht nur den Vorstoß der Bundesregierung, „den Mißbrauch der Wohnungspolitik zur Vermögensbildung der besser verdienenden Schichten wenigstens etwas einzudämmen“ (BT-Drs. 13/055, 4660A). Stattdessen kritisiert die Opposition auch die Höhe der mit der Eigenheimzulage verbundenen Kosten und die ihrer Auffassung nach immer noch zu hoch angesetzte Einkommensbeschränkung für Förderberechtigte. Diese Kostenhöhe wird jedoch nicht allgemein diskutiert, sondern wie in den Debatten rund um die Förderung des Sozialen Wohnungsbaus mit den geringeren Ausgaben für Wohngeld und den sozialen Mietwohnungsbau verglichen (vgl. BT-Drs. 13/055, 4660A). Die Abschaffung der Eigenheimzulage passierte die sehr kurzen Lesungen des Bundestages nach dem Regierungswechsel zur Großen Koalition ohne nennenswerten Widerstand. Der SPD-Abgeordnete Hilsberg wird in den Debatten zur Abschaffung der Eigenheimzulage besonders deutlich: „Es gehört nun einmal zu einer verantwortlichen Politik, dass man Anachronismen, Dingen, die früher richtig waren und heute anachronistisch geworden sind, Rechnung trägt. Die Eigenheimzulage ist eine zunehmend sinnlose Subvention geworden.“ (BT- Drs. 16/5, 292D)
Lediglich ihre traditionellen Fürsprecher aus FDP und den Unionsparteien bekannten sich wiederholt zu dem Ziel der Eigenheimförderung auf anderem Wege: der privaten Altersvorsorge. Dabei positionierte sich die FDP klar gegen eine Abschaffung der Eigenheimförderung ohne einen zeitnahen Ausgleich (vgl. BT-Drs. 16/5, 285C-D). Dieser Ausgleich sollte 2008 mit der Integration der Eigenheimförderung in die private Altersvorsorge in der Riester-Rente erfolgen. Bereits in den Debatten zur Eigenheimzulage erklärt der CDU-Abgeordnete Meister: „Die Bildung von Wohneigentum ist für viele Bürgerinnen und Bürger ein wichtiges Standbein der Vermögensbildung, aber auch der privaten Altersvorsorge“ (BT-Drs. 13055, 4665A). Dieser Aspekt wird insbesondere vom FDP-Abgeordneten Braun hervorgehoben: „Wohneigentum ist eine besonders gute Form der Altersvorsorge. Wer die eigenen vier Wände rechtzeitig erworben hat, hat weniger Angst vor dem Leben im fortgeschrittenen Alter.“ (BT-Drs. 13065/5615A)
Die vermögenspolitische Verortung der Eigenheimförderung erscheint somit in den Debatten um die Eigenheimzulage bereits stärker als in den vorhergegangenen. Dieser Umstand wird besonders daran deutlich, dass auch die Bausparförderung im Rahmen des Wohneigentumsförderungsgesetzes von 1996 erstmals seit langem
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wieder angehoben wurde (Jokl und Zehnder 1996, S. 418). Der CDU-Abgeordnete Meister erklärt hierzu: „Auch dies entspricht unserer gesellschaftspolitischen Zielsetzung. Das Bausparen erleichtert die Schaffung von Wohneigentum durch die hierfür erforderliche Eigenkapitalbildung.“ (BT-Drs. 13055/4666A)
Angesichts der finalen rechtlichen Eingrenzung auf den Bereich der privaten Altersvorsorge verwundert es wenig, dass auch die Debatten im Bundestag zum „Wohn-Riester“ ausschließlich von vermögens- und dabei insbesondere rentenspezifischen Zielvorstellungen geprägt sind. Die Neuverortung der Wohneigentumsförderung im Politikfeld der privaten Altersvorsorge bot eine Möglichkeit für Abgeordnete der CDU/CSU, auch für eine Abschaffung der Eigenheimzulage zu plädieren. In den Debatten des Bundestags wird diese Art der Förderung von ihren Befürwortern vor allem als eine von den Bürgerinnen und Bürgern selbst gewählte Zuordnung dargestellt, was stark an die bereits zitierte Formulierung aus dem Koalitionsvertrag erinnert. Als Belege für diese Präferenzen führen die Abgeordneten Umfrageergebnisse an, wonach stets ein Großteil der Deutschen eine eigene Immobilie als erstrebenswerte Altersvorsorge ansieht (vgl. BT-Drs. 16/170 18077B, 18078A, 18081A). Exemplarisch seien hier die Ausführungen des SPD- Abgeordneten Krüger genannt: „Für viele Bürgerinnen und Bürger aber ist das mietfreie Wohnen im Alter die bevorzugte Art der individuellen Altersvorsorge“ (BT-Drs. 16/158, 16659C). Die in den vorherigen Jahren stärksten Vertreter der Eigenheimsubventionierung von der FDP erklären stattdessen die Riester-Förderung von Wohneigentum sei kein adäquater Ersatz für die weggefallenen Regelungen: „Sie ist unzureichend und ungeeignet, nennenswert mehr Wohneigentum zu schaffen. Die eingeplanten Mittel sind einfach zu gering“ (Abg. Thiele, BT-Drs. 16/158, 16661A). Verglichen mit den Debatten der vorherigen Jahrzehnte fällt besonders auf, dass die fast schon traditionelle Zielvorstellung der Familienförderung durch Eigenheimförderung nur noch in sehr wenigen Schlagworten präsent ist. Wird diese Vorstellung in den Auseinandersetzungen der 50er-Jahre noch bis in die Gesetzestexte hinein weit vorangestellt, ist diese in den Wohn-Riester-Debatten nur noch am Rande präsent, etwa in den Ausführungen des CDU-Abgeordneten Oswald: „Familien und jungen Menschen, die sich ein Haus oder eine Wohnung zulegen wollen, geben wir mit diesem Gesetz eine neue Unterstützung an die Seite.“ (BT-Drs. 16/170, 18078A)
Laut Egner et al. war die relative Schwäche der Eigenheimförderung bereits zu Beginn der Nullerjahre und deren zunehmende Einschränkung auf die „fragmentierten weitgehend politikfeld-extern begründeten Argumentationslinien“ zurückzuführen (Egner et al. 2004, S. 255). Zwar wurde die Eigenheimförderung bereits in ihren Anfängen nicht primär wohnungspolitisch begründet, sie war jedoch eng mit familien- und gesellschaftspolitischen Vorstellungen verknüpft gewesen. Letztend-
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lich blieb ihren Verfechtern nur noch die vermögenspolitische Dimension zu ihrer Rechtfertigung, was vor dem Hintergrund der „herausgestellten Sparzwänge“ nicht mehr ausreichte (Egner et al. 2004, S. 255).
3 Diskussion und Ausblick Der vorliegende Beitrag zeigt, wie viele unterschiedliche Zielsetzungen schon lange in wohnungspolitischen Debatten mit der Wohneigentumsförderung in Deutschland verknüpft sind. Dabei ist eine deutliche Verschiebung der Deutungsmuster zu erkennen: Während in den ersten Jahren der Bundesrepublik vornehmlich familienund gesellschaftspolitische Zielsetzungen den Schwerpunkt der Debatten bildeten, verschoben sich diese in den 70er-Jahren zunehmend hin zu vermögenspolitischen Beweggründen. Schließlich erfolgte eine Umdeutung des ursprünglich familienpolitisch motivierten Instruments zu einem Bestandteil der privaten Altersvorsorge. Auffällig erscheint, dass Debatten zur Wohneigentumsförderung in der Bundesrepublik Förderungen vor allem unter der Maßgabe der Sparsamkeit der Bauherren erfolgten. Eine staatliche Förderung trotz zu geringen Eigenkapitals stand nie ernsthaft zur Diskussion. Über den gesamten Zeitraum blieb allerdings der Ansatz, über die Wohneigentumsförderung familienpolitische Ziele zu erreichen, erhalten. Dies zeigte sich zuletzt bei der Einführung des sogenannten Baukindergeldes, das wie eine Renaissance der ehemaligen Wohneigentumsförderung erscheint. Allen hehren Zielsetzungen und der breiten Unterstützung der im Bundestag vertretenen Parteien zu wohneigentumsfördernden Maßnahmen zum Trotz muss allerdings angemerkt werden, dass die Instrumente der Eigenheimförderung, die zwischenzeitlich die größte Subventionszahlung des Bundes noch vor den Finanzhilfen des Bundes für die deutsche Steinkohle darstellten (Georgakis 2004, S. 104), die Wohneigentumsquoten nur geringfügig steigern konnten. In der Bundesrepublik Deutschland wohnen weiterhin mehr Haushalte zur Miete als in den eigenen vier Wänden, sodass dem Eigenheim eine deutlich geringere Bedeutung zukommt als dies im internationalen Vergleich der Fall ist (siehe hierzu Kohl in diesem Band).
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Der Traum vom eigenen Heim? Eigenheimförderung in Geschichte und Gegenwart Sebastian Kohl
1 Einleitung Die meisten Deutschen würden gerne im Eigenheim leben, aber nur eine Minderheit der Haushalte lebt im Wohneigentum.1 Zumindest in den meisten existierenden Umfragen seit den 1950er-Jahren geben in Deutschland – wie auch international – die Mehrheit der Befragten an, Wohneigentum, am besten im eigenen Haus, der Miete vorzuziehen. Anders als in Deutschland realisieren aber international die Mehrheit der Haushalte auch diesen Wohnwunsch: in Europa hat einzig die Schweiz eine niedrigere Wohneigentumsquote (Anteil der Haushalte mit selbst genutztem Eigentum an Wohnungen oder Häusern) als Deutschland mit seinen etwa 45 Prozent. International ist eine derart niedrige Wohneigentumsquote höchstens noch in Grönland oder Quatar unter sehr besonderen Bedingungen anzutreffen. (West-)Europa ist international noch am stärksten mieterdominiert und innerhalb Europas sind die deutschsprachigen Länder besonders Mieternationen. Dort liegen sie zwischen den südeuropäischen Ländern, die durch starke Umwandlung des privaten Mietbestands ab dem zweiten Weltkrieg sehr viel Eigentum auf der Etage gebildet und somit Eigentumsquoten von mehr als 80 Prozent erreicht haben. Im Norden Europas hingegen haben Länder ab 1945 das private Eigentum vor allem in Form von Eigentümergenossenschaften ausgeweitet und mit über 60 Prozent Eigentümerquote die klassischeren angelsächsischen Eigentumsnationen mit ihren 60–70 Prozent Eigentumsquote eingeholt. Alle post-sozialistischen Länder hingegen – auch 1 Der Text ist ein leicht veränderter Wiederabdruck des gleichnamigen Beitrags in „Alte und neue Wohnungsfragen“ der Reihe „Aus Politik und Zeitgeschichte“ der Bundeszentrale für politische Bildung.
S. Kohl (*) Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 O. Depenheuer et al. (Hrsg.), Wohneigentum für breite Schichten der Bevölkerung, Bibliothek des Eigentums 18, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61287-3_4
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hier ist Ostdeutschland die einzige Ausnahme – haben durch massive Umwandlung des staatlichen Wohnbestands über 70 und bis zu fast 100 Prozent der Bevölkerung zu Wohneigentümern gemacht. Für die niedrige deutsche Wohneigentumsquote sind viele Gründe angeführt worden: die starke Urbanisierung – die aber auch andere Industrieländer stark übersteigt; die Kriegszerstörungen und massiven Nachkriegsprogramme im sozialen Mietwohnungsbau – der allerdings auch in anderen Ländern stattfand und auch nicht die niedrige Vorkriegseigentumsquote in Deutschland erklärt; oder auch die konservative Hypothekenkreditvergabe im Land – die historisch und für Mietwohnungsbauten in Deutschland oder auch der Schweiz gar nicht so konservativ war. In diesem Artikel soll hingegen ein anderer Ursachenkomplex für dieses Phänomen beleuchtet werden, nämlich die politische Eigenheimidee, die seit ihrer Entstehung von Gegnern auch gerne als Eigenheimideologie bezeichnet wird. Nicht nur Individuen oder Familien können also den Traum vom Eigenheim träumen, sondern er kann sich auch als die politische Idee manifestieren, möglichst viele Personen ins Wohneigentum zu bringen und Eigentum der Miete aus prinzipiellen Gründen oder wegen wünschenswerter Folgen immer – ihre Gegner würden sagen: um jeden Preis – vorzuziehen. Das politische Programm der Eigenheimidee, so soll im Folgenden ausgeführt werden, hat in deutschsprachigen Ländern, obgleich auch verbreitet, nicht ebenso stark Fuß gefasst wie in den meisten anderen. So ist es einerseits zu weniger staatlicher Förderung von Eigentümern – ob über den sozialen Wohnungsbau oder die Anregung privater Hypothekenverschuldung – gekommen. Gleichzeitig konnte Mieten als Wohnform durch Mieterschutzregulierung und Mietpreisgesetzgebung zugunsten von Mietern, aber auch durch Bauförderung zugunsten von Vermietern eine Alternative zum Wohneigentum bleiben. Andererseits ist es auch wegen mangelnder Eigenheimstrategie der Bundesregierungen nicht zu einer Explosion der privaten Hypothekenverschuldung und Hauspreise gekommen, die nach 2007 insbesondere in angelsächsischen und südeuropäischen Ländern mit zu Hauspreiseinstürzen und tiefen Rezessionen geführt haben. Im Folgenden werden kurz die historischen Vorläufer der Eigenheimidee im 19. Jahrhundert beleuchtet. Daraufhin wird eine systematische Untersuchung aller Parteiprogramme und deren Wohnungspolitikinhalten seit 1945 in 19 Ländern vorgestellt, um den weiteren Verlauf der Parteiprogrammidee zu verfolgen (Kohl 2018b). Schließlich wird der Bogen zur letzten Finanzkrise geschlagen, die ihren Ausgangspunkt in der laxen Kreditvergabe an Eigenheimbesitzer nahm: Weil der private Kreditmarkt systematisch zur Realisierung der jüngsten Eigenheimidee genutzt wurde, ist diese politische Idee, die für viele Mieter das Beste wollte, eng verbunden mit den Folgen makroökonomischer Ungleichgewichte (Kohl 2018a).
2 Historische Ursprünge der Eigenheimidee Woher aber kommt die Eigenheimidee? Das politische Ziel, einen großen Anteil der Bevölkerung in Wohneigentum zu bringen, ist keineswegs neu. So gab es schon in Agrargesellschaften die Idee, dass breit gestreuter Landbesitz das Gemeinwesen
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stabilisiert und wünschenswerte Tugenden wie Sparsamkeit oder Familiensinn fördert. Nach Kriegen war die Landverteilung an Veteranen eines der sozialpolitischen Befriedungselemente. Vor dem Hintergrund der Industrialisierung, Urbanisierung und Verelendung großer Bevölkerungsteile im frühen 19. Jahrhundert suchten konservative Reformer eine Lösung für die soziale Frage: Sie erkannten sie im Konzept des Einfamilienhauses mit Garten, zunächst in ländlichen Agrarsiedlungen und später in suburbanen Siedlungen. Diese Idee fand ihre erste Realisierung im indus triepatriarchalischen Arbeitgeberwohnungsbau in den Kohle- und Textilindustrieregionen und es war das Modell eines über ein Mietkaufschema erwerbbare Ei genheims im elsässischen Mülhausen, das über konservative Reformer wie den französischen Soziologen Frédéric LePlay auf den Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts das moderne Eigenheimideal festigte. Im späten 19. Jahrhundert unterstützte dann eine ganze Reihe konservativer wie auch progressiver gesellschaftlicher Gruppierungen – von Bodenreformern, Bevölkerungspolitikern, Sozialkatholiken bis Gartenstadtanhängern – das Ideal, die Arbeiterschaft durch allgemein zugängliches Boden- und Wohneigentum zu befrieden und somit zum Bestandteil kapitalistischer Gesellschaften zu machen, jeder Arbeiter ein Kapitalist. Aber auch im sozialistischen Ideenrepertoire, etwa bei dem sozialistischen Denker Pierre-Joseph Proudhon, findet sich die Idee, dass Kleineigentum zu haben für Arbeiter nicht der Gegensatz sein muss, als den Friedrich Engels ihn in seinen Schriften zur Wohnungsfrage in den 1870er-Jahren ausmachte. Dort argumentierte Engels durchaus polemisch gegen einen Verteidiger des Mülhauser Modells, dass die auf kapitalistischen Arbeitsmärkten produzierten Widersprüche sich nicht einfach durch Eigenheimverbreitung lösen ließen. Dieses würde vielmehr Arbeitern die Möglichkeit mobil zu sein nehmen, würde ihren revolutionären Elan und ihre gewerkschaftliche Bindung schwächen und zudem just in dem Moment im Preis fallen, da auch der Arbeiter arbeitslos würde. Auch wenn Engels in diesen Schriften weitsichtig die Zusammenhänge von Arbeitsmarkt- und Wohnungsmarktkrisen vorhersah, so führte diese politische Linie nur zu einer völligen Wohnungsreformenthaltung zugunsten eines Wartens auf die Arbeitsmarkt-getriebene Revolution. Eine sozialistische Alternative zur dominanteren Eigenheimidee im 19. Jahrhundert zeichnete sich höchstens in frühen Wohnungsbaugenossenschaften nach Ideen von Robert Owen ab. Hier sollte nicht nur Wohnraum gemeinschaftlich hergestellt und genutzt werden, sondern dies auch mit kollektiven Institutionen wie gemeinsamen Küchen, Wäschereien oder Kindergärten in bewusstem Verzicht auf Privateigentum verbunden werden. Allerdings blieben diese Genossenschaftslösungen, wenn nicht arbeitgeberunterstützt, aufgrund ihres hohen Kapitalbedarfs weit hinter den anderen Genossenschaftstypen wie Konsumgenossenschaften zurück. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts zeichnete sich in der munizipalsozialistischen Richtung der Sozialdemokratie genug Unterstützung für diese genossenschaftliche und auch die Gemeindewohnungsbaulösungen ab. Wie stark aber die Skepsis gegenüber selbst genossenschaftlichem Eigentum und dessen politischer Unterstützung war – geschweige denn gegenüber privatem Kleineigentum – zeigt
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ein Redebeitrag von dem munizipalsozialistischen Genossen Albert Südekum auf dem Lübecker Parteitag der SPD 1901: „Trotz der Wandlung in der Beurtheilung der Genossenschaftsfrage in unseren Reihen sind wir gegen eine Ueberschätzung des Genossenschaftswesens nach vor gefeit; wir sehen in ihnen nützliche Hilfsmittel, die dem Bestande der kapitalistischen Wirtschaftsordnung keinen Abbruch thun, wohl aber geeignet sind, innerhalb derselben die Lebensumstände einzelner Gruppen von Proletariern zu verbessern. Gemeinnützige Baugenossenschaften verwerfen wir grundsätzlich als Armenunterstützungs-Vereine. Wir lehnen auch die Bauvereine für Gewerbskäufer, die spekulativen Genossenschaften, ab, die das berühmte „klein, aber mein“ auf ihre Fahnen geschrieben haben; ihrer ganzen Natur nach können sie auch nur für die besser gestellten Arbeiterkreise, die Werkmeister und ähnliche Leute, wirken. Die Schäden des Kapitalismus beseitigt man nicht dadurch, dass man noch mehr Wucherer schafft. Wir wollen uns nur befassen mit den Genossenschaften für gemeinsamen Besitz und gemeinsame Verwaltung von Wohnhäusern.“ (Sozialdemokratische Partei Deutschlands 1901, S. 300)
Durch dominante Reformervereine fand hingegen die konservative Eigenheimidee zwischen 1889 und 1918 auch Eingang in die ersten nationalen Wohnungsgesetze von nord- und südeuropäischen Ländern, in denen zumeist staatliche Hilfen für den Eigenheimerwerb festgeschrieben wurden. Reformervereine wie etwa das Musée social in Frankreich waren Sammelbecken für Sozialkatholiken, Bürgermeister, pragmatische Bürokraten, Natalitätsverfechter aber auch manche Sozialisten, die gut vernetzt in die staatliche Verwaltung sich international austauschten und das junge Wohnungspolitikfeld besetzten. Vielfach waren diese ersten Wohnungsgesetze, die überhaupt erst über Hygienegesetze hinausgehende Ansätze des Zen tralstaates in der Wohnungspolitik waren, auch von Sozialdemokraten mitgetragen oder sogar auch aktiv verfochten. So waren Schwedens Sozialdemokraten Unterstützer der Eigenheimbewegung, Egnahemsrörelse, in der durch staatliche Hilfen zum Eigenheim- und Landerwerb die Massenemigration in die USA gestoppt und die Arbeiterlandfrage gelöst werden sollte. Auch die norwegischen Sozialdemokraten waren früh für eine Verbreitung des insbesondere genossenschaftlichen Eigentums, mit dem Ziel, Ausbeutung von Arbeitern durch private Vermieter zu unterbinden. In Ländern wie Deutschland, Österreich, Dänemark, den Niederlanden, aber auch in Großbritannien entwickelte sich in der Vor- und Zwischenkriegszeit hingegen überwiegend eine wohnungspolitische Alternative: der mit Staatsmitteln geförderte soziale Mietwohnungsbau, über Genossenschaften oder Gemeinden realisiert. In den anderen angelsächsischen Ländern war Wohnungspolitik bis zu jenem Zeitpunkt meist auf Eigenheimpolitik für Kriegsveteranen beschränkt. So forderten zum Beispiel die US Demokraten in der Wahl 1920 „We believe that no higher or more valued privilege can be afforded to an American citizen than to become a freeholder in the soil of the United States, and to that end we pledge our party to the enactment of soldier settlements and home aid legislation which will afford to the men who fought for America the opportunity to become land and home owners under conditions affording genuine government assistance unencumbered by needless difficulties of red tape or advance financial investment.“
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3 Die Eigenheimidee seit 1945 Nach dem zweiten Weltkrieg kann man die „Karriere“ der Eigenheimidee methodisch einfacher durch die Linse von Wahlprogrammen politischer Parteien verfolgen. In diesen etwa 1800 Programmen zeigt sich die Kontinuität der konservativen Idee: Konservative Parteien in neunzehn untersuchten OECD-Ländern2 vertraten fast ausnahmslos den Standpunkt, dass Eigentum der Miete vorzuziehen sei. Deshalb machten sie sich für staatlich geförderte, besser zugängliche Kredite stark und forderten, die Eigentumsförderung im Sozialwohnungsbau vorzuziehen sowie bestehende soziale Mietwohnungen günstig an Mieter zu verkaufen. In Deutschland stand in den 1950er-Jahren die dem sozialen Mietwohnungsbau gewogene SPD einer das Eigenheim propagierenden CDU gegenüber. So äußerte sich Konrad Adenauer kurz vor der Novelle des Wohnungsbaugesetzes im Jahr 1953: „Die Schaffung von Eigenheimen muß als sozial wertvollster und am meisten förderungswürdiger Zweck staatlicher Wohnungsbau- und Familienpolitik anerkannt werden. Das Eigenheim soll und darf kein Reservat kleinerer Schichten sein, im Gegenteil soll gerade der Besitzlose durch Sparen, Selbsthilfe und öffentliche Förderungsmittel zum Eigenheim gelangen und so der Proletarisierung und der Vermassung entrissen werden. Das Familienheim mit Garten ist nach jeder Richtung hin als die glücklichste Verwirklichung des Familiengedankens anzusehen.“
Insbesondere christdemokratische Parteien vertraten in den Nachkriegsjahren die Eigenheimposition missionarisch, aber auch die Agrarparteien und später die Zentrumsparteien im skandinavischen Raum befürworteten das Eigentum für Landarbeiter, auch für den vorstädtischen Raum. Liberale Parteien, wenn sie denn überhaupt eine staatliche Einmischung in das Wohnungswesen vertraten, sprachen sich zumeist auch für das Eigenheim als Stütze freier demokratischer Gesellschaften aus. Differenzierter waren die wohnungspolitischen Positionen der Parteien auf der linken Seite des politischen Spektrums. Hier bewegten sich die Positionen grob zwischen Befürwortern eines starken Mietrechts und eines sozialen Mietwohnungsbaus und Befürwortern der Förderung von Hauseigentum – oder eigentumsähnlichen Formen im skandinavischen Raum. Besonders in Ländern wie Finnland, Island oder Norwegen vertraten Sozialdemokraten die Idee, dass Arbeiter Wohneigentum erlangen sollen. Sie begründeten dies damit, dass Wohneigentum diese vor einer Ausbeutung in privaten Mietverhältnissen schützen könne. Daher wurde in diesen Ländern oft eine genossenschaftliche Form des Eigentums verbreitet. So argumentierten die norwegischen Sozialdemokraten auf ihrem Kongress 1949 (Übersetzung vom Verfasser): „Im Wohnungsbau wollen wir auf das genossenschaftliche oder das eigene Heim setzen. Die Grundbesitzervereine fordern, höhere Mieten zu nehmen und ihre Tätigkeit als privates Unternehmertum anerkennen zu lassen. Es ist schwer, etwas weniger zum privaten Unter2 Es handelt sich um Belgien, die Niederlande, Deutschland, Österreich, die Schweiz, Schweden, Dänemark, Norwegen, Finnland, Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, Kanada, Irland, Neuseeland, die USA, das Vereinigte Königreich und Australien.
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S. Kohl nehmertum Geeignetes zu finden als das Haus und Heim eines anderen zu besitzen. Die Forderung muss daher abgelehnt werden. Im zukünftigen Wohnungsbau müssen Häuser daher entweder von der Gemeinschaft der Bewohner – in Genossenschaften – oder im Kleinhaus von den Bewohnern selbst besessen werden.“
Anders als in Deutschland, wo Genossenschaften verstärkt als Vermietergenossenschaften fungieren, entwickelten sich in nordeuropäischen Ländern die Eigentümergenossenschaften oft zur dominanten Eigentumsform (Kohl 2017, Kap. 4). Beide Rechtsformen, die natürlich in verschiedensten Varianten auftreten, machen die Nutzer zu Mitgliedern der Genossenschaft, deren Gebäude somit im Gemeineigentum sind. Nutzer haben darin aber individuelle Nutzungsrechte. Bei Eigentümergenossenschaften entspricht der Mitgliederbeitrag in etwa dem Kaufpreis der selbst zu nutzenden Wohnung und zu den Nutzungsrechten gehört der Wiederverkauf dieser Genossenschaftsanteile. War der Wiederverkaufspreis anfangs in skandinavischen Ländern noch reguliert, wurde er im Laufe der Zeit liberalisiert und passte sich immer mehr den Marktpreisen an, ähnlich dem Wohnungseigentum in anderen Ländern. In Vermietergenossenschaften hingegen beträgt die Mitgliedschaft nur einige Monatsmieten und das Verhältnis von Genossenschaft und Mitglied gleicht praktisch viel mehr dem zwischen Vermieter und Mieter. Traditionell liegen Genossenschaftsmieten unter vergleichbaren Marktmieten. Skandinavische Sozialdemokraten unterscheiden sich nun von deutschsprachigen darin, dass sie häufig in der Unterstützung von Eigentümergenossenschaften die Lösung der städtischen Wohnungsfrage sahen, wohingegen die deutschsprachige Sozialdemokratie ab den 1920ern traditionell die Mietgenossenschaften unterstützt hat. Schließlich sprachen sich auch in Südeuropa sozialistische Parteien eher für eine Eigenheimförderung aus – trotz oder gerade wegen der verbreiteten Familien- und Eigenheimideologie, welche die vorangehenden konservativen Diktaturen vertraten. Diese hinterließen den jungen Republiken der 1970er meist schon eine Mehrheit von (wählenden) Hauseigentümern, die auch durch Mitte-links Parteien schwer zu ignorieren waren. Hinzu kommt die historische Spaltung der südeuropäischen Linken in kommunistische und sozialistische Parteien. Erstere vertraten zumeist die sowjetische Lösung der Wohnungsfrage durch Verstaatlichung des Wohnungsbestands und Wohnungsbaus, sodass letztere politisch in die Mitte geschoben wurden, auch in Richtung wohneigentumsfreundlicher Positionen. Schließlich kommt in Südeuropa hinzu, dass die Abwesenheit koordinierter Lohnsetzung oft Inflationsspiralen verursachte, denen auf dem Mietmarkt mit restriktiveren Mietpreiskontrollen begegnet wurde. Die stärkere Intervention in die Mietpreisbildung aber hat oftmals weniger die Bestandsmieter geschützt als vielmehr Vermieter dazu verleitet, unrentable private Mietwohnungen zu veräußern. Auch ohne direkte Wohneigentumsmaßnahmen oder Eigenheimideologie wurde somit indirekt das Wohneigentum dadurch gefördert, dass das oft fragile Mieter-Vermieter-Gleichgewicht zu stark gestört wurde. Neben länderspezifischen Unterschieden in den Parteiprogrammen lässt sich feststellen, dass die Eigenheimidee am häufigsten in Programmen angelsächsischer Parteien vorkommt. Außer in Großbritannien waren hier die Wohneigentumsquoten bereits Anfang des 20. Jahrhunderts so außergewöhnlich hoch, dass ein Großteil der Wahlbevölkerung bereits Hauseigentum besaß und dieses als typische Wohnform
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verstand. Darüber hinaus machte es die Konkurrenz im Zweiparteiensystem den liberalen Parteien wie den US-Demokraten schwer, im Kampf um Wählerstimmen die Hauseigentümer zu vernachlässigen. Je größer die Parteien sind, desto eher müssen sie auch das Wohneigentum vertreten – insbesondere in Hauseigentümergesellschaften, in denen Hauseigentümer, zumal mit ihren Familien, die Mehrheit der Bevölkerung stellen und zudem höhere Wahlbeteiligungsquoten als Mieter haben. Obwohl US-Demokraten, aber auch US-Gewerkschaften, schon im früheren 20. Jahrhundert aktiv für Hauseigentum eingetreten waren und mit dem sozialen Mietwohnungsbaumodell nur in den 1930er- bis 1950er-Jahren flirteten, fiel in den Jahrzehnten vor der letzten Finanzkrise auf, wie beide großen US-Parteien nicht nur für eine Gesellschaft von Hauseigentümern plädierten, sondern sich auch noch gegenseitig mit Versprechungen von finanziellen Kredithilfen überboten. Stehen Versprechungen einmal im politischen Raum, so ist es schwierig, diese wieder zurückzunehmen. Im Amt befindliche Parteien sprechen sich wohl deswegen in ihren Wahlprogrammen eher wieder vermehrt für Wohneigentum aus. In Ländern mit Mehrparteiensystemen hingegen gibt es immer auch Parteien, die, wenn nicht gegen, so doch nicht aktiv für das Eigenheim sind. So sind die drittgrößten Parteien in Zweiparteiensystemen oder auch die kanadischen Parteien in Quebec oft auch Wohneigentumsalternativen gegenüber offen. Grüne Parteien warben wie kommunistische Parteien nur in sehr seltenen Fällen fürs Hauseigentum. Die Grünen kritisierten zum Beispiel, dass insbesondere das Einfamilienhaus zur Zersiedelung von Städten beitrage und die Eigenheimförderung regressiv sei, weil sie an die Höhe der Einkommensteuer oder des Hypothekenvolumens gebunden ist. Kommunistische Parteien hingegen hielten lange an dem sowjetischen Modell einer Verstaatlichung des privaten Mietbestands, einer Mietpreissetzung unterhalb des Selbstkostenniveaus sowie einer Organisation des Wohnungsbestands und industriell betriebenen Massenwohnungsneubaus durch staatliche und genossenschaftliche Wohnungsunternehmen fest. Historisch waren aber selbst im Osten Eigenheimträume politisch wiederbelebt worden, zumeist wenn es staatlich opportun war. So befürwortete Stalin in Zeiten der sowjetischen Aufrüstung oder des Nachkriegsaufbaus wieder den privat betriebenen Bau traditioneller Einfamilienhäuser und in den meisten sozialistischen Ländern wurde der staatliche Wohnungsbau ab den 1970ern auch ergänzt durch privat betriebenen Wohnungsbau von selbst zu nutzendem Eigentum. Auch wenn dieser Neubauanteil etwa in der DDR kaum 10 Prozent aller Neubauten übertraf, entwickelte sich gerade in manchen osteuropäischen Ländern wieder ein größerer Eigentumssektor und eine Hoffähigkeit des Hauseigentums, das sich sogar in der bulgarischen Verfassung niederschlug. Andererseits war das mit Dauerrecht ausgestattete soziale Mietverhältnis im sowjetischen Wohnungssystem, zudem bei permanentem Wohnungsmangel und geringer Mobilität, fast eine Art quasi-Eigentum, das den Übergang zu den post-sozialistischen Hocheigentumsgesellschaften vorwegnahm und erleichterte. International standen sich amerikanisches Eigenheim und sowjetische Mietskaserne auch als Teil der zwei ideologischen Gesamtentwürfe der zwei Blöcke gegenüber. So exportierte die Sowjetunion ihr Wohnungsbaumodell ähnlich in ihre Satellitenstaaten – die DDR wurde zu einem der Länder mit dem höchsten Anteil an
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vorfabrizierten Wohnungsneubauten – wie die USA versuchten, junge Demokratien, so auch Westdeutschland, durch den Export des kreditfinanzierten Eigenheimmodells über Institutionen wie die Weltbank oder US-Aid zu stabilisieren und in die westliche Ordnung einzubetten (Kwak 2015). In weniger entwickelten Ländern scheiterten die oft heroischen Entwürfe allerdings oft an Kapitalmangel oder einer leistungsfähigen Bauwirtschaft.
4 Eigenheimidee und Hypothekenverschuldung Bis zur Hauspreisblase und Finanzkrise 2007 lässt sich ein stetes Anwachsen der Eigenheim-affinen Positionen unter den Parteien feststellen. Da konservative Parteien durchweg für den Besitz eines Eigenheims eingetreten sind, liegt die Ursache für diese Zunahme zumeist im Umschwenken linker Parteien hin zu einer aktiven Befürwortung – und nicht länger bloß koalitionärer Billigung – von breit gestreutem Wohneigentum. Der ideologische Kampf um die richtige Wohnform, der noch die Debatten der 1950er in Deutschland prägte (Schildt und Sywottek 1988; Teuteberg 1987), hat sich über die Zeit stark abgekühlt und ist pragmatischeren Erwägungen im Parteienwettbewerb um die Gunst des Medianwählers gewichen. Dazu dürfte auch beigetragen haben, dass sich die großen Parteien in diesem Wettbewerb aufeinander zubewegt haben und dass auf Seiten der Mitte-links Parteien die typische Wählerklientel immer bürgerlicher wurde. Zu der Bewegung in Richtung politische Mitte mag das Eigenheim auch selbst beigetragen haben, ist es doch vielfach das Symbol der Verbürgerlichung (oder des Embourgeoisement), das Engels noch damals kritisiert hatte. In Umfragen in fast allen Ländern und auch Deutschland seit den 1980ern findet man auch einen stabilen Zusammenhang zwischen Wohneigentumsbesitz und einer konservativen politischen Selbstverortung oder Wahlpräferenz. Auch wenn dieser Zusammenhang noch nichts über die kausale Richtung aussagt, ist er nicht einfach reduzierbar auf Einkommens-, Alters-, Bildungsklassen oder Stadt-Land-Unterschiede. Durch diesen breiteren Konsens zugunsten des Eigenheims ab den 1980er-Jahren und durch die in Verruf geratene, kapitalintensivere Objektförderung des sozialen Wohnungsbaus kam es in vielen Ländern, beflügelt durch die allgemeine Finanzmarktliberalisierung, zu einem steten Anstieg der Hypothekenverschuldung priva ter Haushalte, absolut und im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP). Denn Wohneigentum kaufen vor allem junge, kapitalarme Haushalte, für die die eigenen vier Wände oft die größte Ausgabe im Lebenszyklus darstellen. Neben staatlichen Subventionen bedarf es daher auch des privaten Kapitalmarktes, um den Wunsch nach einem Eigenheim zu realisieren. Dies gilt auch für finanziell unabhängigere Haushalte, die sich die Wohnungsleiter nach und nach „hochkaufen“. Die Eigenheimbefürworter erwähnen in den Parteiprogrammen diverse Mittel, über die höhere Eigentumsquoten erzielt werden sollen. Darunter ist die klassische deutsche Bausparförderung, bei der der Staat das Ansparen unterstützt, eher eine
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Seltenheit, die auch mit dem ziemlich einzigartigen Bausparwesen im deutschen Raum zu tun hat (Blackwell und Kohl 2018). Noch in Adenauerjahren eingeführt, wurde diese Förderung bis in die 1980er erweitert und danach bis zur Abschaffung 2005 zurückgefahren. Eine viel häufiger vorzufindende Form der staatlichen Förderung unterstützt verschuldete Haushalte bei der Schulterung ihrer Hypothekenlasten: etwa durch Absetzen von Zins- oder Tilgungszahlungen von der Einkommenssteuer, staatliche Kreditgarantien für besonders ausfallsbedrohte Hypotheken (im nachstelligen Bereich oder von wenig kreditfähigen Haushalten) oder auch direkte staatliche Hypothekenvergabe zu günstigen Zinsen und langen Laufzeiten. Die dadurch induzierte zusätzliche Nachfrage nach Wohneigentum führte vor 2007 in vielen Ländern zu steigenden Hauspreisen – zwar nicht in Deutschland, aber in den USA und vor allem in jenen Ländern, in denen die Eigenheimidee bis in das linke Parteienspektrum hinein allgemein geteilt wurde. Höhere Hauspreise wiederum erforderten höhere Hypothekenkredite, die dann wieder mehr Geld in den Wohnungsmarkt fließen ließen und so die Kaufpreise weiter erhöhten. Bei einer gleichzeitigen Niedrigzinspolitik führte diese Spirale dann zu Hauspreis- Ein brüchen, Zwangsversteigerungen und dem größten Rückgang der Wohneigentumsquote in den betroffenen Ländern seit Aufzeichnung dieser Daten. Diese Entwicklung lässt sich auch anhand der parallelen Darstellung der Wohneigentumsquote und der Hypothekenverschuldung relativ zum Bruttoinlandsprodukt in vier betroffenen Beispielländern in Abb. 4.1 nachzeichnen: Während es nach dem zweiten Weltkrieg in Ländern wie etwa in Spanien oder Großbritannien zu einem Anstieg des Wohneigentums ohne proportional wachsende Hypothekenverschuldung kam (vertikale Bewegung der Punktschlange), konnte man in den letzten zwei Jahrzehnten eine starke Ausweitung der privaten Hypothekenverschuldung (horizontale Bewegung der Punktschlange) etwa in Norwegen oder Spanien beobachten, die nicht mehr von einer Ausweitung des Wohneigentums begleitet wurde. Gegen Ende der Messperiode beginnt in Großbritannien oder auch Spanien sogar die Eigentumsquote zu sinken, ohne dass der einmal akkumulierte Schuldenberg bedeutend abgetragen würde. Mehr Hypothekenverschuldung war also historisch nicht unbedingt notwendig für mehr Wohneigentum – denn in Zeiten günstigerer Hauspreise und staatlicher Wohnbauprogramme war Eigentum auch ohne stark ansteigende makroökonomische private Hypothekenverschuldung möglich –, aber etwa in Situationen steigender Hauspreise ist es auch nicht hinreichend, da zusätzliche Kredite nur Hauspreis-Kredit-Spiralen anheizen und zudem nicht unbedingt potenzielle Neueigentümer den Zuschlag für Hypothekenkredite erhalten. Das Versprechen vieler Parteien, mehr Haushalte mittels einer erleichterten Kreditvergabe mit Hauseigentum zu versorgen, kehrte sich somit oft ins Gegenteil (Abb. 4.1). Wenn eine starke Ausweitung der privaten Hypothekenverschuldung keine zusätzliche Wohneigentumsausweitung nach sich zog, inflationierte die Kreditausweitung lediglich die Hauspreise, brachte aber nicht mehr Haushalte ins Eigentum. Wenn aber die Ausweitung des Wohneigentums nicht proportional mit einer höheren Hypothekenverschuldung einherging, konnte Wohneigentum mit maßvolleren Preisen durch eine starke Kaufkraftentwicklung und mithilfe von di-
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Abb. 4.1 Wohneigentumsquote und Hypothekenverschuldung pro BIP. (Quelle: Eigene Darstellung)
rekten staatlichen Krediten oder Bauansparhilfen gebildet werden. Die kreditfinanzierte Überhitzung von Wohnungsmärkten blieb somit aus und störte damit auch nicht die gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichte.
5 Ausblick Bis zur Finanzkrise im Jahr 2007 herrschte in vielen Ländern die politische Idee vor, dass Gesellschaften mit möglichst vielen Hauseigentümern wünschenswert seien. Historisch war sie als konservative Reaktion auf die Industrialisierung entstanden. Sie wurde in manchen Ländern aber auch bis weit in das linke Parteien spektrum hinein geteilt. Erst nach der Finanzkrise wurde klar, dass die Förderung von mehr Wohneigentum vielerorts eher zu kreditinduzierten Hauspreisblasen und
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wirtschaftlicher Rezession denn zu einer Verbreiterung der Hauseigentümerbasis im Rahmen einer stabilen Demokratie geführt hatte. Nach der Immobilien- und Finanzkrise ist es derzeit parteiprogrammatisch stiller um die Eigenheimidee geworden, und sie hat in stark betroffenen Ländern eher zu Bail-out Programmen für von Hypothekenausfällen bedrohte Banken, manchmal auch Haushalten geführt. Aber der „versteckte Wohlfahrtsstaat“ in Form von öffentlich wenig sichtbaren Abschreibungsvergünstigungen und Steuererleichterungen rund um das Eigenheim läuft in vielen Ländern auch ohne große Debatten weiter. Derzeit sind die Länder mit Hauspreisblasen zwar mit sinkenden Eigentümerquoten einer jungen Generation konfrontiert, die im Vergleich zu ihren Eltern auf der Wohnungsleiter ein paar Stufen abgestiegen ist. Allerdings ist es in einer einmal erreichten Hauseigentümerdemokratie schwierig, dem tendenziell konservativen Votum der Eigenheimler politisch zu entkommen. Ein Hauptgrund dafür ist sicherlich auch, dass ein großer ideologischer oder architektonischer Gegenentwurf zur Wohnform in privaten Eigenheimen – wie es womöglich der Wiener oder Weimarer Wohnungsbau einmal waren – politisch nicht in Sicht ist und wegen seiner Kapitalintensität wohl auch in Zeiten fiskalischer Austerität und Schuldenbremsen immer weniger realisierbar wird.
Literatur Blackwell T, Kohl S (2018) The origins of national housing finance systems: a comparative investigation into historical variations in mortgage finance regimes. Rev Int Polit Econ 25(1):49–74. https://doi.org/10.1080/09692290.2017.1403358. Zugegriffen am 02.01.2018 Kohl S (2017) Homeownership, renting and society: Historical and comparative perspectives. Routledge, London Kohl S (2018a) More mortgages, more homes? the effect of housing financialization on homeownership in historical perspective. Polit Soc 46(2):177–203. https://doi.org/10.1177/0032329218755750. Zugegriffen am 01.06.2018 Kohl S (2018b) The political economy of homeownership: a comparative analysis of homeownership ideology through party manifestos. Soc Econ Rev. https://doi.org/10.1093/ser/mwy030 Kwak NH (2015) A world of homeowners. American power and the politics of housing aid. Chicago University Press, Chicago Schildt A, Sywottek A (1988) „Einführung. „Massenwohnung“ und „Eigenheim“ – Zum Stand der Diskussion und Erforschung der Geschichte des großstädtischen Wohnungsbaus und Wohnens seit dem Ersten Weltkrieg“. In: Schildt v A, Sywottek A (Hrsg) Massenwohnung und Eigenheim. Wohnungsbau und Wohnen in der Großstadt seit dem Ersten Weltkrieg. Campus, Frankfurt/New York, S 9–40 Sozialdemokratische Partei Deutschlands (1901) Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Berlin. http://library.fes.de/parteitage/pdf/ptjahr/pt-1901.pdf. Zugegriffen am 15.03.2018 Teuteberg HJ (1987) Eigenheim oder Mietskaserne: ein Zielkonflikt deutscher Wohnungsreformer: 1850–1914. In: Heineberg v H (Hrsg) Innerstädtische Differenzierung und Prozesse im 19. und 20. Jahrhundert. Böhlau, Köln, S 21–56
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Die neue Attraktivität des Wohneigentums Michael Voigtländer
1 Hintergrund Die Frage, ob man lieber eine Immobilie kaufen oder mieten soll, gehört nicht nur zu den Klassikern der Ökonomie, sondern wird vielfach auch an Stammtischen und im Familienkreis heiß diskutiert. Gerade unter deutschen Ökonomen wurde in der Vergangenheit vielfach die These vertreten, dass Mieten letztlich vorteilhafter sei. Die Expertenkommission Wohnungspolitik (1995) überschrieb eines ihrer Kapitel mit der Überschrift „Der kluge Mann wohnt zur Miete“. In diesem Kapitel wurde u. a. ausgeführt, dass die steuerlichen Vorteile im Mietwohnungsbau eigentlich den Mietern zu Gute kommen und dass Mieter viel effizienter sparen, da sie ihre Anlagen breiter diversifizieren können. Doch die Rahmenbedingen haben sich geändert. Die steuerlichen Vorteile in Form hoher Abschreibungssätze für den Mietwohnungsbau wurden zurückgefahren und aufgrund der Niedrigzinsphase hat sich die Attraktivität von Immobilien als Anlage grundsätzlich erhöht. Daher muss auch die Frage „Kaufen oder Mieten“ neu gestellt und beantwortet werden. Zu diesem Zweck wird in diesem Beitrag der Wohnnutzerkostenansatz verwendet, der einen Vergleich der Kosten von Selbstnutzern und Mietern erlaubt. Der Wohnnutzerkostenansatz hat gerade im angelsächsischen Raum eine lange Tradition, wird aber mittlerweile auch auf dem deutschen Wohnungsmarkt angewendet. Im Folgenden wird zunächst der Ansatz erläutert, anschließend werden Ergebnisse für Deutschland präsentiert. Darauffolgend werden zentrale Prämissen diskutiert, ehe dann wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen gezogen werden.
M. Voigtländer (*) IW Köln, Kompetenzfeld Finanzmärkte und Immobilienmärkte, Köln, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 O. Depenheuer et al. (Hrsg.), Wohneigentum für breite Schichten der Bevölkerung, Bibliothek des Eigentums 18, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61287-3_5
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Der Wohnnutzerkostenansatz zeigt deutlich, dass die Niedrigzinsphase das Wohneigentum attraktiviert hat und damit auch für breite Bevölkerungsschichten Wohneigentum die bessere Alternative darstellt. Es ist aber an der Politik, den Zugang zu Wohneigentum auch zu ermöglichen.
2 Der Wohnnutzerkostenansatz Der im Weiteren für Deutschland vorgestellte Wohnnutzerkostenansatz folgt Poterba (1984) sowie Himmelberg et al. (2005). Der Ansatz basiert auf der Prämisse, dass sich die Kosten für den Kauf einer Wohnung oder dem Wohnen zur Miete in derselben Immobilie langfristig ausgleichen. Ändern sich die Kosten beispielsweise zu Gunsten des Wohneigentums, so steigt die relative Attraktivität des Wohnungskaufs und die Nachfrage steigt. Eine gestiegene Nachfrage am Markt für Eigentumsimmobilien erhöht die Kaufpreise in den entsprechenden Regionen und Mieten wird relativ günstiger, bis ein erneutes Gleichgewicht erreicht ist. Langfristig sollten sich die Preise daher immer wieder ausgleichen. Der Wohnimmobilienmarkt ist aber in der kurzen Frist rigide – steigt die Nachfrage nach Wohnraum in einer Region an, kann der Neubau nur mit deutlicher Verzögerung reagieren. Noch wichtiger ist, dass Umzüge nur selten standfinden, weshalb die Anpassungsgeschwindigkeit sehr gering ist. Diese langsame Reaktionsgeschwindigkeit, auch bei einem Nachfragerückgang, führt dazu, dass es in der kurzen oder auch mittleren Frist zu einem Auseinanderdriften der Wohnnutzerkosten und Mieten kommen kann. Ein Vergleich der Kosten von Mietern und Eigentümern einer Immobilie ist nicht trivial, denn schließlich fallen Mietkosten als Flussgröße an, der Kaufpreis ist einmal fällig. Hier setzt das Konzept der Selbstnutzerkosten an: Der Kaufpreis, einschließlich der Erwerbsnebenkosten, unter Berücksichtigung der Finanzierungs kosten und der entgangenen Erträge auf das für den Immobilienkauf eingesetzte Eigenkapital wird in eine Flussgröße überführt. Dies erlaubt den Vergleich von Mietkosten und den Kosten, denen sich ein Selbstnutzer gegenübersieht. Hierzu ein Beispiel (Sagner und Voigtländer 2019a). Der Kaufpreis je Quadratmeter Wohnfläche liege bei 4000 Euro. Die Erwerbsnebenkosten setzen sich aus der Grunderwerbsteuer, hier 6 Prozent, der Maklergebühr, hier 3,57 Prozent, und den Kosten für Grundbucheintrag und Notar, hier 1,525 Prozent, zusammen – in Summe also 444 Euro je Quadratmeter oder rund 11 Prozent des Kaufpreises. Der Fremdfinanzierungsanteil beträgt 78 Prozent und ist mit 1,96 Prozent zu verzinsen. Der Eigenkapitalanteil beträgt 22 Prozent, für den Opportunitätszins, den die Anlage dieses Betrags am Kapitalmarkt erbringen könnte, seien 2,48 Prozent unterstellt, was den mittleren Umlaufrenditen inländischer Inhaberschuldverschreibungen im Jahr 2018 entspricht. Diese Einkünfte aus der Kapitalanlage sind zu versteuern, wobei wir hier von einem Steuersatz von 22,4 Prozent ausgehen (mittlere Steuerquote nach Abgrenzung der Finanzstatistik im Jahr 2017 und übernommen für 2018). Als langfristig erwartete jährliche Preissteigerung seien hier 2,5 Prozent veranschlagt. Diese Wertsteigerung kommt dem Selbstnutzer zugute. Darüber hinaus
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wird unterstellt, dass die Kosten der Selbstnutzung in Form von Instandsetzung und Verschleiß 3 Prozent des Kaufpreises entsprechen. Unter den obigen Annahmen ergeben sich Wohnnutzerkosten in Höhe von rund 9,08 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche und Monat. Sind diese Wohnnutzerkosten nun geringer als die monatliche Miete für eine vergleichbare Wohnung, so ist Wohnen im Eigentum relativ vorteilhaft gegenüber Mieten und umgekehrt. Wichtig ist, dass bei diesem Ansatz die Tilgung nicht berücksichtigt wird, da die Tilgung einem Vermögensaufbau entspricht, der auch bei den Mietern nicht berücksichtigt wird.
3 Ergebnisse für Deutschland Basierend auf dem dargestellten Modell werden im Folgenden die Ergebnisse des Wohnnutzerkostenansatzes für Deutschland dargestellt. Diese Ergebnisse wurden zuerst in Sagner und Voigtländer (2019a) veröffentlicht.
3.1 Entwicklungen seit 2010 Die Selbstnutzerkosten liegen im bundesdeutschen Mittel bei knapp 5,58 Euro je Quadratmeter Wohnfläche und Monat. Demgegenüber stehen monatliche mittlere Mietkosten von 9,24 Euro bei Neuvertrag für eine vergleichbare Wohnung. Die Kosten eines Selbstnutzers liegen somit knapp 40 Prozent unter denen eines Mieters. Auch im Vergleich mit den Bestandsmieten ist Wohnen im Eigentum vorteilhaft, im Jahr 2018 lagen die mittleren Mietkosten im Bestand bei 6,72 Euro, womit die Selbstnutzerkosten knapp 17 Prozent darunter liegen. Abb. 5.1 illustriert die Entwicklung der Selbstnutzerkosten und Mieten von 2010 bis 2018. Eine längere Zeitreihe ist für die von vdpResearch (2019) bereitgestellten Transaktionsdaten nicht verfügbar. Anfang des Jahrzehnts lagen die Selbstnutzer- und Mietkosten noch auf demselben Niveau. Seit 2012 liegen die Selbstnutzerkosten auch unter den Bestandsmieten. Ein treibender Faktor der Selbstnutzerkosten ist die Zinsentwicklung. Der Zins für Hypothekenkredite mit einer Laufzeit von über 10 Jahren lag 2010 und 2011 noch bei rund 4 Prozent p. a. (Deutsche Bundesbank 2019). Die Selbstnutzerkosten erreichten im betrachteten Zeitraum ihren Tiefststand im Jahr 2016. Bis hierhin waren die Zinsen jährlich gefallen, bis auf 1,8 Prozent. Im Jahr 2017 und 2018 stiegen die Selbstnutzerkosten, begleitet von der Zinsentwicklung, wieder leicht an. Sowohl im Vergleich mit den Bestands- als auch mit den Neuvertragsmieten stiegen die Selbstnutzerkosten zuletzt schneller an und eine Konvergenz von Mietkosten und Selbstnutzerkosten zeichnet sich ab. Dennoch ist die relative Attraktivität von Wohneigentum gegenüber Mieten weiterhin hoch. Der Vergleich der Bestandsmieten und Selbstnutzerkosten zeigt auch, dass selbst das Austreten aus einem Bestandsmietvertrag und der Kauf einer Immobilie im bundesdeutschen Mittel vorteilhaft ist.
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2010
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Selbstnutzerkosten
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2015
Neuvertragsmieten
2016
2017
2018
Bestandsmieten
Abb. 5.1 Entwicklung der Selbstnutzerkosten und Mieten1)Bundesdeutscher bevölkerungsgewichteter2) Durchschnitt, in Euro je Quadratmeter Wohnfläche pro Monat 1) Bestandsmieten (F+B, 2019) beziehen sich auf eine Wohnung durchschnittlichen Ausstattungsniveaus und Zustands. Neuvertragsmieten (vdpResearch 2019) und Verkaufspreise basieren auf Transaktionsdaten und beziehen sich auf Erstverkaufspreise beziehungsweise Wiederverkaufspreise von durchgehend sanierten Bestandswohnungen in guter Lage und guter Ausstattung 2) Bevölkerungsdaten für 2018 lagen noch nicht vor, für 2018 wurden die Bevölkerungsgewichte von 2017 genutzt. Um dem Zensusbruch im Jahr 2011 Rechnung zu tragen, wurde die Rückrechnung für 2010 gemäß BBSR (2018) angewandt. (Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft auf Basis von vdpResearch (2019); F+B (2019))
In den deutschen Metropolen, den sieben größten deutschen Städten, zeigt sich ein ähnliches Bild wie im bundesdeutschen Mittel, was nicht zuletzt daran liegt, dass diese Städte aufgrund ihrer Einwohnerzahlen den bevölkerungsgewichteten Durchschnitt für Deutschland maßgeblich mit beeinflussen. In allen Metropolen liegen die Selbstnutzerkosten unter den Mietkosten bei Neuvertrag. In Berlin (27 Prozent), Hamburg (35 Prozent) und München (38 Prozent) liegt der Vorteil der Selbstnutzerkosten unter dem bevölkerungsgewichteten Durchschnitt der Bundesrepublik. In Düsseldorf (54 Prozent), Frankfurt am Main (50 Prozent), Köln (54 Prozent) und Stuttgart (44 Prozent) liegt die Vorteilhaftigkeit des Wohneigentums sogar über dem bundesdeutschen Mittel. Ein Vergleich der Selbstnutzerkosten und Mieten in allen deutschen Kreisen und kreisfreien Städten zeigt, dass Wohneigentümer in nahezu allen Kreisen zu geringeren Kosten leben als Mieter. In 94 Prozent der Kreise liegen die Selbstnutzerkosten unter den Mietkosten bei Neuvertrag (Sagner und Voigtländer 2019a). Die Kreise mit der geringsten Vorteilhaftigkeit des Wohneigentums befinden sich überwiegend im Ruhrgebiet, Sauerland sowie in Teilen Ostdeutschlands. In 26 Kreisen liegen die Selbstnutzerkosten über den Mietkosten; 17 Kreise hiervon liegen im Ruhrgebiet,
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Südwestfalen oder dem Sauerland und Umgebung. Dieser Umstand lässt sich durch die schwache und teilweise negative Preisdynamik für Eigentumsimmobilien in jenen Kreisen erklären. Den Regionen wird darüber hinaus teilweise auch eine schwache zukünftige Entwicklung attestiert (ZDF 2018) sowie (Kempermann et al. 2019). Da der Selbstnutzerkostenansatz diese Entwicklungstendenzen in Form von zukünftig erwarteten Preisentwicklungen beinhaltet, ist es nicht verwunderlich, dass sich diese Regionen durch relativ zu den Mieten höhere Selbstnutzerkosten auszeichnen. Bevor im Weiteren die Annahmen hinterfragt werden, wird zunächst im Folgenden die längerfristige Entwicklung abgebildet.
3.2 Langfristige Entwicklungen Die OECD bietet Daten zur Miet- und Preisentwicklung in Deutschland seit 1970 an. Diese Daten basieren auf Zulieferungen der Deutschen Bundesbank. Die OECD bietet aber nur Indizes, Absolutwerte werden nicht angeboten. Dadurch können keine tatsächlichen Selbstnutzerkosten abgeleitet werden. Nichtsdestotrotz können aber die langfristigen Trends im Verhältnis von Selbstnutzerkosten und Mietkosten aufgezeigt werden. Hierzu wird wie folgt vorgegangen: In einem ersten Schritt wird der Index der Hauspreise multiplikativ mit dem langfristigen Zins verknüpft, der ebenfalls von der OECD bereitgestellt wird. Der langfristige Zins gibt die Renditen langfristiger Staatspapiere an, die zwar tendenziell etwas unterhalb der Verzinsung von langfristigen Hypothekendarlehen liegen; die Entwicklung ist jedoch vergleichbar. Die Veränderungen der Zinsen erfolgen meist parallel, auch wenn es zu leichten Niveauunterschieden kommen kann. Mit der Verknüpfung der Hauspreise und der Zinsen erhält man die einfachste Version der Selbstnutzerkosten (DiPasquale und Wheaton 1992). Um diesen so berechneten Selbstnutzerkostenindex mit dem Mietindex vergleichen zu können, wird im zweiten Schritt auf die zentrale Annahme des Wohnnutzerkostenansatzes Bezug genommen: Langfristig entsprechen sich Selbstnutzerkosten und Mieterkosten. Daher wird angenommen, dass sich im Zeitraum 1970 bis 2018 die Kosten im Durchschnitt entsprechen. Dies bedeutet, dass sich die Differenzen der Kosten zwischen den beiden Nutzungsarten über den gesamten Zeitraum zu Null addieren. Somit wird der Index der Selbstnutzerkosten gerade so verschoben, dass diese Prämisse erfüllt ist. Das Resultat dieser Berechnung findet sich in Abb. 5.2. Die Abbildung zeigt, dass sich die Vorteilhaftigkeit des Wohneigentums deutlich verschoben hat. Von 1970 bis Ende der 1990er-Jahre stellen sich Mieter besser als Wohneigentümer. Diese Phase war gekennzeichnet durch sehr hohe Zinsen und teilweise steigende Preise, die die Attraktivität des Wohneigentums im Verhältnis zum Mieten gesenkt hat. Seit den 2000er-Jahren ist dagegen das Wohneigentum günstiger, da die Zinsentwicklung die Preisentwicklung überkompensiert hat. Hinzu kommt, dass die Mieten in den 1990er-Jahren deutlicher gestiegen sind, zum einen aufgrund der starken Nachfrage Anfang der 1990er-Jahre in
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140 120 100 80 60 40 20 0
Mietindex
Selbstnutzerkosten
Abb. 5.2 Index1) der Mietpreise und Selbstnutzerkosten in der langen Frist 1) Index 1997 = 100, nominale Preise. (Quelle: OECD Hauspreisdatenbank; Institut der deutschen Wirtschaft)
Folge der Wiedervereinigung und der Zuwanderung, zum anderen auch aufgrund des Wegfalls der Wohnungsgemeinnützigkeit Ende der 1980er-Jahre. Erst am aktuellen Rand gehen die Selbstnutzerkosten wieder etwas nach oben, zuvor vergrößerte sich der Abstand zwischen Mieten und Kaufen kontinuierlich. Aufgrund der verwendeten Indexwerte und der gesetzten Annahmen (Ausgleich Mieterkosten und Selbstnutzerkosten) sollte die Analyse nicht überinterpretiert werden, insbesondere die Differenzen zwischen den Kosten hängen stark von den gesetzten Annahmen ab. Kritisiert werden kann auch die Verwendung des Zinses für langfristige Staatspapiere, da gerade in den letzten Jahren dieser Zins durch die Interventionen der EZB deutlich schneller gesunken ist als der Zins für Hy pothekendarlehen (vgl. Demary und Voigtländer 2018). Nichtsdestotrotz ist die Abbildung sehr aufschlussreich. Zum einen bestätigt sie frühere Analysen, etwa der Expertenkommission Wohnungspolitik (1995), die eine generelle Vorteilhaftigkeit des Mietens konstatierte, zum anderen verdeutlicht sie aber eben auch, dass sich durch die mittlerweile über mehrere Jahrzehnte rückläufige Zinsentwicklung die Attraktivität von Immobilien generell deutlich erhöht hat. Historische Vervielfältiger, die das Verhältnis von Kaufpreisen zu Mieten abbilden, sind daher nur bedingt aussagekräftig, da die Verringerung der Zinsen höhere Vervielfältiger nahelegt. Betrachtet man die langsamen Anpassungsprozesse, könnte die Vorteilhaftigkeit von Wohneigentum noch über einen längeren Zeitraum erhalten bleiben. Im Folgenden wird nun ein detaillierter Blick auf die aktuellen Entwicklungen geworfen.
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4 Kritische Diskussion der Annahmen Die aktuelle Vorteilhaftigkeit des Kaufens ist im Modell eindeutig, doch natürlich basiert das Modell auf Annahmen, die im Folgenden diskutiert werden.
4.1 Zinsen Ein wesentlicher Treiber der Vorteilhaftigkeit ist die Zinsentwicklung. Letztlich beruht die Vorteilhaftigkeit darauf, dass die Zinsen über die letzten Jahre stärker gesunken sind als die Preise gestiegen. Entsprechend könnten Zinsanstiege dafür sorgen, dass sich die Vorteilhaftigkeit auch wieder dreht. In der Öffentlichkeit wird als Treiber der niedrigen Zinsen vor allem die EZB genannt, die mit ihrer Geldpolitik die Zinsen auf Festzinspapiere gesenkt hat. Tatsächlich dürften gerade die Effektivrenditen von Staatspapieren aufgrund der direkten Interventionen der Zentralbank gesunken sein. Allerdings darf die Rolle der Zentralbanken auch nicht überschätzt werden. Gerade die langfristigen Zinsen werden durch das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage am globalen Kapitalmarkt bestimmt. Das Angebot wird wiederum durch die Ersparnisse bestimmt, die Nachfrage dagegen durch kreditfinanzierte Investitionen. Aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung in allen OECD Ländern bei gleichzeitig weitestgehend konstantem Rentenzugangsalter sind die Haushalte gezwungen, mehr zu sparen. Gleichzeitig sinkt die Erwerbsbevölkerung, so dass der Investitionsbedarf kleiner wird. In der Konsequenz sinkt allein aufgrund der demografischen Entwicklung der Realzins. Demary und Voigtländer (2018) prognostizieren, dass unter sonst gleichen Bedingungen der Realzins in Deutschland künftig dauerhaft unter null fallen könnte. Hinzu kommen aber noch weitere Einflussfaktoren. Ein wesentlicher Einflussfaktor ist der Unternehmenssektor, der zunehmend spart (Chen et al. 2017). Der Kapitalbedarf der Unternehmen ist insgesamt gesunken, vielmehr wird in immaterielle Güter wie Patente, Wissen oder Lizenzen investiert. Hierfür brauchen die Unternehmen aber weniger Kredite. Außerdem sind gerade Großunternehmen aufgrund hoher Gewinne infolge mangelnden Wettbewerbs in der Lage, ohne Kredite auch größere Investitionen zu finanzieren. Selbstverständlich können sich die Rahmenbedingungen auch wieder ändern, aber zumindest die Demografie wird langfristig wirken. Daher ist auch künftig mit eher geringen Zinsen zu rechnen.
4.2 Langfristige Wertsteigerungen In dem Modell werden langfristige Wertsteigerungen unterstellt, die sich wiederum aus dem langfristigen Wertzuwachs ergeben. Damit ist das Modell konservativer als etwa bei Himmelberg et al. (2005), die den Wertzuwachs des letzten Jahres als
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Proxy für die künftige Entwicklung nehmen. Dennoch stellt sich natürlich die Frage, ob auch die durchschnittlichen Wertsteigerungen nachhaltig sind. Wertsteigerungen von Immobilien beruhen auf mehreren Faktoren. Ein Faktor sind die Mieten. Steigen die Mieten, weil etwa die Einkommen steigen, werden auch die Preise steigen. Da die Einkommen in der Regel langfristig steigen, ist dasselbe für die Preise zu erwarten. Dies gilt ebenfalls mit Blick auf die Wiederherstellungskosten, auch diese steigen aufgrund steigender Baukosten. Das treibt ebenfalls die Immobilienpreise. Schließlich ist ein wesentlicher Treiber die Entwicklung der Bodenpreise. Tendenziell werden Grundstücke gerade in Ballungsräumen knapper, was zu höheren Preisen führt. Auch dadurch steigen Immobilienpreise typischerweise stärker als die Verbraucherpreise an. Natürlich bedingen sich diese Einflussfaktoren gegenseitig, und gerade bei rückläufiger Bevölkerung können sich die Entwicklungen auch gegenseitig aufheben. In den meisten Kreisen dürfte aber weiterhin mit steigenden Preisen zu rechnen sein. Deutschlandweit sind die Baulandpreise seit 1992 durchschnittlich um mehr als 5,8 Prozent jährlich gestiegen (Statistisches Bundesamt 2018).
4.3 Instandsetzung Wer Wohneigentum hat, muss auch immer wieder Geld aufwenden, um die Qualität des Wohneigentums zu erhalten. Diese Instandsetzungsausgaben wurden im Modell mit 1 Prozent des Kaufpreises angesetzt. Insgesamt haben die Haushalte in Deutschland im Jahr 2017 mehr als 12,2 Milliarden Euro für die Instandsetzung ausgegeben, der Nettowert des Wohnimmobilienvermögens beträgt etwa 4,8 Billionen Euro (Just et al. 2017). Rechnerisch wäre der Wert daher sogar niedriger. Allerdings werden rund 10 Millionen Wohnungen von professionellen Vermietern bewirtschaftet, deren Ausgaben nicht in der Statistik enthalten sind. Zudem muss berücksichtigt werden, dass auch auf individueller Ebene große Unterschiede vorliegen, allein schon aufgrund der unterschiedlichen Baujahre. Typischerweise sind die Instandsetzungskosten bei Neubauten sehr niedrig, bei Altbauten entsprechend höher. Hinzu kommt, dass bezogen auf einzelne Gebäudetypen die Instandsetzungskosten sehr unterschiedlich ausfallen können. Mancher Hauseigentümer hat vielleicht Glück, und seine Heizung und sonstigen technischen Anlagen halten überproportional lange, bei anderen muss eventuell direkt nach der Garantiezeit bereits ausgetauscht werden. Das ist für die Aussagekraft des Modells wenig relevant, da es ja gerade darum geht, den Trend zu beschreiben, doch für den einzelnen Hauseigentümer hat dies eine große Bedeutung. Schließlich können so die Instandsetzungskosten deutlich über dem Durchschnitt liegen. Somit empfiehlt es sich für Hauseigentümer, eine genügend große Rücklage für Instandsetzungen anzulegen. Neben Zins und Tilgung sollte also auch regelmäßig gespart werden, um für größere Instandsetzungskosten gerüstet zu sein. Dies dürfte Haushalten gerade nach dem Kauf schwer fallen, sollte aber in den finanziellen Planungen berücksichtigt werden.
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4.4 Eigenkapital Der Wohnnutzerkostenansatz geht im Wesentlichen von vollkommen flexiblen Kreditmärkten aus. Zwar wird Eigenkapital separat berücksichtigt, aber im Endeffekt wird davon ausgegangen, dass die Finanzierung nur mit unterschiedlichen Kosten verbunden ist. Von der Tatsache, dass Eigenkapital angespart werden muss und die Erwerbsnebenkosten in der Regel nicht kreditfinanziert werden können, wird abstrahiert. In der Praxis ist dies aber ein großer Hemmschuh, gerade für Haushalte mit niedrigen Einkommen, und leistet einen Beitrag dazu, dass die Wohneigentumsquote trotz der Attraktivität des Wohneigentums stagniert (Sagner und Voigtländer 2019b). Nur 11 Prozent aller Mieter verfügen über mehr als 50.000 Euro Finanzvermögen (Voigtländer und Seipelt 2017). Damit fehlt zahlreichen Haushalten letztlich das Kapital, um überhaupt in den Wohneigentumsmarkt eintreten zu können. Diese Eintrittsbarriere kann erklären, warum sich die Lücke zwischen den Mieten und Kaufpreisen nur sehr langsam schließt. Tatsächlich wäre bei flexibleren Märkten zu erwarten, dass die Marktanpassung schneller erfolgt. Gleichzeitig ist damit aber verbunden, dass viele Haushalte – gerade solche mit geringen Einkommen und ohne Eltern, die ggf. die Eigenkapitallücke schließen können – kaum in der Lage sind, die Vorteile des Wohneigentums zu nutzen. Dies kann letztlich auch zu sozialen Spannungen führen (Fratzscher 2017).
5 Wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen Der Wohneigentumserwerb ist für viele Haushalte die größte Investition im Leben – und angesichts der Probleme in der gesetzlichen und betrieblichen Altersvorsorge und der anhaltenden Niedrigzinsphase besonders attraktiv. Dies zeigt der Wohnnutzerkostenansatz eindrucksvoll. Doch die Haushalte in Deutschland nutzen die Chancen scheinbar nicht. Seit 2010 – seitdem die Zinsen stark fallen – stagniert die Wohneigentumsquote (vgl. Sagner, in diesem Buch). Lediglich bei älteren Haushalten steigt die Quote, bei jüngeren Haushalten sinkt sie dagegen sogar. Für diese Entwicklung kann es verschiedene Gründe geben. Die Tendenz zu Single-Haushalten, der Wunsch nach dem Leben in der Stadt, wo es vor allem Mietwohnungen gibt, sowie die geforderte Mobilität im Arbeitsmarkt erschweren den Wohneigentumserwerb. Ein wesentlicher Grund für diese Entwicklung ist aber sicherlich der gestiegene Kapitalbedarf zum Zeitpunkt des Erwerbs. Während die laufende Belastung aus Zins und Tilgung aufgrund der gefallenen Zinsen und vor allem bei ausreichender Zeit zur Tilgung für die meisten Haushalte tragbar ist, übersteigt der Kapitalbedarf zu Anfang die Ersparnisse bei weitem. Da sowohl die Erwerbsnebenkosten als auch der Eigenkapitalbedarf prozentual an den Kaufpreis anknüpft, müssen Haushalte heute teils mehr als 50 Prozent mehr gespart haben als noch vor 5 Jahren. In Nürnberg etwa musste man für den Kauf einer Eigentumswohnung von
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80 QM im Jahr 2010 rund 28.000 Euro angespart haben (inklusive Eigenkapital), im Jahr 2018 waren es schon mehr als 48.000 Euro (Voigtländer 2019). Das IW hat bereits sehr umfangreiche Vorschläge entwickelt, wie die Erwerbsnebenkosten gesenkt werden können, etwa indem die Grunderwerbsteuer nach englischem Vorbild reformiert wird (Hentze und Voigtländer 2017), bei der Makler- Courtage auf das Bestellerprinzip umgestellt wird (Voigtländer 2019) oder aber über eine Deregulierung der Notarkosten nachgedacht wird (Voigtländer 2016). Darüber hinaus ist das Eigenkapital ein kritischer Faktor. Weitere Vorschläge werden im letzten Kapitel dieses Buches dargestellt. Alles in allem ist die Politik gefordert, den Zugang zu Wohneigentum zu erleichtern. Angesichts der Entwicklungen im Immobilienmarkt und der Perspektive einer länger anhaltenden Niedrigzinsphase sollte die Politik deutlich mehr Anstrengungen unternehmen, um auch Haushalten mit geringeren und mittleren Einkommen den Weg ins Wohneigentum zu erleichtern. Damit könnten nicht nur die Wohnkosten aktuell verringert werden, sondern auch die Altersvorsorge gestärkt und der Gefahr von Verdrängungen begegnet werden.
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Mobilität, Wohnen und der Arbeitsmarkt Christian A. Oberst
1 Einleitung Im regionalen Standortwettbewerb um die Anwerbung von Investitionen, Wissens-, Kreativitäts- und Innovationspotenzialen spielt die Attraktivität der regionalen Arbeits- und Wohnungsmärkte eine wesentliche Rolle. Die Produktivität immobiler Produktionsfaktoren wie Immobilien (Boden) und ortsgebundene Erwerbstätige erhöht sich in der Nähe von mobilen Komplementärfaktoren wie Kapital und hoch qualifizierte Erwerbstätige. Letztere sind häufig mobiler, zumindest am Anfang der Erwerbskarriere. In diesem Beitrag wird diskutiert, ob Erwerbspersonen im selbst genutzten Wohneigentum, im Folgenden Wohneigentümer, stärker am Wohnort gebunden sind als Mieter und welche Konsequenzen sich daraus für die regionalen Arbeits- und Wohnungsmärkte ergeben. Der Trend, wirtschaftliche und menschliche Aktivität in die Großstädte und Me tropolregionen zu verlagern, ist insbesondere auf Agglomerationsvorteile in den gut vernetzten Ballungsräumen zurückzuführen. Aufgrund von Flächenknappheit und Überfüllungserscheinungen schwappt die dynamische Entwicklung der urbanen Zentren ins gut angeschlossene Umland über. Agglomerationsvorteile, also die Vorteilhaftigkeit der Konzentration von wirtschaftlichen und menschlichen Aktivitäten, werden in der ökonomischen Geografie anhand von Handels- und Transportkosten erklärt (vgl. Oberst und Südekum 2019; Hüther et al. (2019)). Abnehmende Handelsund Transportkosten, oder in anderen Worten eine höhere Mobilität von Produktionsfaktoren, führt zur Agglomerationsvorteilen. „Mobilität ist eine wichtige Voraussetzung für das Funktionieren moderner Gesellschaften, in denen sich eine starke räumliche Trennung der Funktionen wie Wohnen, Arbeiten, Ausbildung oder Versorgung herausgebildet hat.“ (BBSR C. A. Oberst (*) IW Köln, Kompetenzfeld Finanzmärkte und Immobilienmärkte, Köln, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 O. Depenheuer et al. (Hrsg.), Wohneigentum für breite Schichten der Bevölkerung, Bibliothek des Eigentums 18, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61287-3_6
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2018a). Für die Wohnstandortentscheidung von privaten Haushalten ist das Bündel aus Wohn- und Mobilitätskosten entscheidend. Wohnstandort- und Arbeitsplatzentscheidungen bedingen sich in der Regel gegenseitig. Die Wohnstandortentscheidungen der Haushalte beinhalten grundsätzlich immer auch eine Entscheidung über das tägliche Pendeln zur Arbeit (vgl. Royuela und Vargas 2009). Demnach gibt es mindestens zwei Dimensionen von Mobilität. Die weniger häufig anfallende Umzugsbzw. Wanderungsentscheidung (letzteres trifft zu, wenn Gemeindegrenzen überschritten werden) und die daraus resultierende regelmäßige Pendelbeziehung. Die anfallenden Pendlerkosten umfassen dabei sowohl monetäre Kosten, Opportunitätskosten wie Zeit und Stress, als auch externe Kosten wie etwa Umweltbeeinträchtigungen. Wenn Wohneigentümer stärker am Wohnstandort gebunden sind, sollte sich das in geringer Mobilität in Form von Wanderungen und höherer Mobilität bei den Pendelbeziehungen äußern. Die öffentliche Verkehrsinfrastruktur ist die Basis für Mobilität und Verbindung von Wohn- und Arbeitsstandorten in Form von Pendelbeziehungen. Sie ermöglicht die Bildung von (städtischen) Zentren. Wohnstandorte in zentralen Lagen, die tendenziell eine bessere Erreichbarkeit der Arbeitsstelle bieten, sind mit höheren Wohnkosten und geringeren Pendlerkosten verbunden. Mit längerer Pendelzeit und zunehmenden Mobilitätskosten nehmen die Wohnkosten ab. Eine Studie von Henger et al. (2019) schätzt für drei deutsche Großstädte mit Angebotsdaten zum Wohnungskauf aus den Jahren 2011 bis 2018 Preisabschläge von knapp 4 bis 9 Prozent für 30 Minuten zusätzliche Reisezeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Hauptbahnhof. Eine BBSR Studie aus dem Jahr 2015 kommt für sechs deutsche Großstädte für den Zeitraum 2004–2012 zu einem ähnlichen Ergebnis, wobei sich größere Unterschiede zwischen verschiedenen Städten und Verkehrssystemen ergeben. Im regionalen Kontext ist davon auszugehen, dass, je attraktiver der Arbeitsmarkt ist, desto attraktiver und begehrter auch der jeweilige Wohnstandort und die umliegenden Wohnstandorte sind. Ein attraktiver Arbeitsort sollte Bevölkerung anziehen, und eine positive Bevölkerungsentwicklung sollte insbesondere bei einem kurz- bis mittelfristig annährend gleichbleibenden Wohnungsangebot mit steigenden Wohnkosten verbunden sein. Interessant im Kontext Mobilität, Wohnen und Arbeitsmarkt ist, welchen Einfluss die Eigentumsverhältnisse auf dem Wohnungsmarkt auf die regionale Mobilität, Attraktivität und Entwicklung des Arbeitsmarktes haben und inwieweit Wohneigentum die Anpassungsmechanismen auf den Arbeitsmärkten beeinträchtigt. Ist etwa eine hohe regionale Wohneigentumsquote verbunden mit weiten Pendlerdistanzen und steigenden Immobilienpreisen? Wenn dem so ist, sollten hohe Wohneigentumsquoten eine einschränkende Wirkung auf die örtliche Bevölkerungsentwicklung haben. Die regionale Mobilität von Erwerbspersonen hat Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit des gesamtwirtschaftlichen Arbeitsmarktes. Dabei werden Wohneigentümer häufig höhere Mobilitätseinschränkungen in Form von unterlassenen Wanderungen unterstellt, die insbesondere bei negativen regionalen Arbeitsmarktnachfrageschocks zu höherer Arbeitslosigkeit führen sollten (Oswald-Hypothese). In einer Phase mit stark steigenden Wohnungspreisen und starkem Bestandsschutz könnte dies jedoch auch auf langjährige Mieter zutreffen. Unklar ist zudem, ob der negative Wirkungszusammenhang in Zeiten guter Arbeitsmarktentwicklungen messbar ist.
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Mit der eingeschränkten Mobilität des Faktors Arbeit können verschiedene politische Maßnahmen begründet werden, zum Beispiel distributiv motivierte Regionalpolitik. Wenn etwa die Verlierer eines Strukturwandels nicht eindeutig auf individueller Ebene identifizierbar sind, können ortsgebundene Einwohner in Verliererregionen über regionalpolitische Maßnahmen kompensiert werden (vgl. Südekum 2017; Hüther et al. (2019)). Grundsätzlich begrenzt eine geringe räumliche Mobilität im Sinne von potenziellen Umzügen den kommunalen Wettbewerb der Kommunen jenseits des politischen Wettbewerbs bei Wahlen. Denn sowohl potenzielle als auch faktische Wanderungen können die örtliche Politik disziplinieren, die Bereitstellung öffentlicher Güter an den Präferenzen der Einwohner ausrichten. Der regionale Wettbewerb um Einwohner sollte idealerweise verhindern, dass politische Akteure nicht ihre eigenen Partikularinteressen befriedigen (vgl. Bardt et al. 2019). Dieser Beitrag diskutiert im folgenden Kapitel zunächst Wohneigentum und regionale Arbeitsmarktmobilität auf Basis der Fachliteratur. Anschließend werden die empirischen Zusammenhänge im regionalen Kontext zwischen Wohneigentum, regionaler Arbeitsmarktmobilität und weiteren Indikatoren zu regionalen Wohn- und Arbeitsmärkten beschrieben.
2 Wohneigentum und regionale Arbeitsmarktmobilität Haben Wohneigentümer tendenziell schlechtere Aussichten als vergleichbare Mieter bei Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt? Riskieren Wohneigentümer bei Arbeitsplatzverlusten und -wechsel höhere Lohneinbußen, längere Phasen von Arbeitslosigkeit oder müssen sie weitere Pendelstrecken in Kauf nehmen als Mieter? Diese Debatte wird in der Fachliteratur zumeist unter dem Stichwort der Oswald- Hypothese geführt. Oswald hat die gleichnamige Hypothese aufgestellt, da er eine positive Korrelation zwischen regionalen Wohneigentumsquoten und Arbeitslosenquoten gefunden hat (Oswald 1996, 1997, 1999). Der Zusammenhang wird auf höhere Mobilitätseinschränkungen der Wohnungseigentümer aufgrund geringerer Umzugsbereitschaft oder Umzugsmöglichkeiten zurückgeführt und ist insbesondere bei negativen regionalen Arbeitsmarktnachfrageschocks zu beobachten. Eine analoge Interpretation für wirtschaftliche Aufschwungphasen könnte sein, dass Wohneigentümer berufliche Verbesserungschancen in anderen Wohnungsmärkten häufiger auslassen, da ihre Umzugsbereitschaft geringer ist. Es ist zu überprüfen, ob dies so ist oder die geringe Umzugsbereitschaft durch eine höhere Pendlerbereitschaft kompensiert wird. Andere Autoren argumentieren, dass Immobilität aufgrund von Wohneigentum nicht unbedingt schädlich ist, da dies etwa positive Auswirkungen auf die Stabilität der lokalen Nachbarschaft und die Akkumulation von sozialem Kapital haben kann (vgl. DiPasquale und Glaeser 1999; Dietz und Haurin 2003, in Lerbs 2011). Insbesondere für Abwanderungsregionen kann die regionale Bindung an das Eigentum auch positiv gesehen werden. Theoretisch sind die Auswirkungen von selbst genutztem Wohneigentum auf die Beschäftigungsanpassung und Beschäftigungsaussichten nicht eindeutig. Einerseits
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könnten Wohneigentümer im Vergleich zu Mietern in ihrer Umzugsmobilität eingeschränkt sein durch höhere Transaktionskosten und weniger liquide Ersparnisse. Andererseits suchen Wohneigentümer vielleicht effektiver und intensiver nach neuen Arbeitsplätzen. Insbesondere im Fall von Arbeitsplatzverlust sind Wohneigentümer gegebenenfalls bereit, für weniger Lohn zu arbeiten oder weitere Pendelwege zur Arbeit in Kauf zu nehmen (vgl. Meekes und Hassink 2019). Letztlich ist es eine empirische Fragestellung. Zu beachten ist jedoch, dass die empirischen Ergebnisse abhängig sind von den Rahmenbedingungen, gegenwärtigen Wohnstandort- und Pendelpräferenzen, alternativen Beschäftiungs-möglichkeiten der Erwerbspersonen sowie der gewählten zeitlichen und räumlichen Untersuchungsebene. Dazu zählt zum Beispiel der Unterschiede zwischen mikro- und makroökonomischen Studien und das „Modifiable Areal Unit Problem“. Letzteres lässt sich vereinfacht zusammenfassen, dass je nach Auswahl der räumlichen Abgrenzungen der regionalen Wohnungs- und Arbeitsmärkte bzw. administrativen Teilregionen (vgl. Oberst und Südekum 2019) die Ergebnisse abweichen. Bei der Wohnstandortentscheidung von Erwerbspersonen gibt es in der Regel ein Trade-off zwischen abnehmenden Wohnkosten und zunehmenden Mobilitätskosten mit zunehmender Entfernung zu (potenziellen) Arbeitsplätzen. Einen weiteren Trade-off gibt es bei der Eigentumswahl des Wohnobjekts, zwischen höheren Wohnanpassungskosten bei Eigentum, aufgrund von höheren Transaktions- und Opportunitätskosten, und langfristiger finanzieller Vorteilhaftigkeit von Wohneigentum. Anderseits dürfte die Risikoneigung zwischen Wohneigentümer und Mieter, sowohl bei der Wohnungswahl als auch bei der Berufs- bzw. Arbeitgeberwahl, systematisch unterschiedlich ausgeprägt sein. Nach Henderson und Ioannides (1983) sind Wohneigentums-entscheidungen von privaten Haushalten beeinflusst durch deren Risikoaversion. Da private Haushalte in der Regel nicht in der Lage sind, die risikobehaftete Investition ins Eigenheim zu diversifizieren, sollten risiko averse Haushalte zum Mieten tendieren. Allerdings ist insbesondere in Deutschland seit der Finanz- und Wirtschaftskrise von einer gestiegenen Attraktivität von Eigenheiminvestitionen auszugehen in Folge der als zunehmend unsicher wahrgenommenen alternativen langfristigen Anlageformen (siehe Lerbs und Oberst 2011). Insgesamt dürften die Gruppe der Wohneigentümer seltener von Arbeitslosigkeit betroffen sein, da die Sicherheit des Arbeitsplatzes ein wesentliches Kriterium bei der Kreditvergabe ist. Ein weiterer relevanter Aspekt von Unsicherheit im Kontext der Wohneigentumsentscheidung ist die Sicherheit des Arbeitseinkommens. Da für die meisten Haushalte der Großteil des Haushaltseinkommens aus Arbeitseinkommen bestehen dürfte, sollte die Neigung zu Wohneigentum mit zunehmender Lohnunsicherheit abnehmen. Bei der Lohnunsicherheit ist auch das Risiko arbeitslos zu werden zu berücksichtigen. Diese Risiko- und Eigentumsaspekte dürften dazu führen, dass die Gruppe der Wohneigentümer sich systematisch von Mieterhaushalten unterscheiden mit Bezug zu sozioökonomischen Merkmalen und der Wohnungssituation. Ein kürzlich erschienener Fachartikel von Meekes und Hassink (2019) untersucht anhand von monatlichen Daten für die Niederlande den Einfluss von Wohnungsmarkteigenschaften auf das Anpassungsverhalten von Arbeitnehmern bei der
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Verdrängung von Arbeitsplätzen. Die empirischen Ergebnisse zeigen, das freigesetzte Arbeitnehmer neben erheblichen Beschäftigungseinbußen und Lohneinbüßen einen starken Anstieg der Pendlerstrecke verzeichnen, jedoch die Wahrscheinlichkeit eines Wohnungswechsels nicht wie erwartet steigt, sondern sogar sinkt. Das bedeutet, dass die freigesetzten Arbeitnehmer eher bereit sind weiter zu pendeln als ihren Wohnort zu wechseln. Je länger die Arbeitslosigkeit nach Freistellung andauert, desto geringer ist der Anstieg der Pendeldistanz und desto höher ist der Lohnverlust. Mit Blick auf die Eigentümerstruktur zeigt sich, dass (verschuldete) Eigentümer tendenziell schneller wiedereingestellt werden, eine geringere zusätzliche Pendlerstrecke aufweisen und höhere Lohnverluste in Kauf nehmen als vergleichbare Mieter und Eigentümern die ihre Hypothek bereits zurückgezahlt haben. Da rüber hinaus scheint die geografische Unbeweglichkeit der entlassenen Hausbesitzer im Verhältnis zu den Mietern die Wiederbeschäftigungsergebnisse nicht zu beeinträchtigen. Bei der externen Validität der Ergebnisse von Meekes und Hassink (2019) ist zu bedenken, dass der Anteil der preisgebundenen Sozialwohnungen in den Niederlanden relativ groß ist. Etwa 41 Prozent der niederländischen Haushalte wohnen zur Miete, davon etwa 88 Prozent in preisgebundenen Sozialwohnungen und nur 12 Prozent am freien Mietwohnungsmarkt. Da Sozialwohnungen günstiger und schwieriger zu erwerben sind (lange Wartezeiten und einmalige Bedürftigkeitsprüfung), ist es plausibel das Mieter (in Sozialwohnungen) in den Niederlanden höhere Mobilitätseinschränkungen aufweisen als vergleichbare Wohneigentümer. Neben der Art des Mietverhältnisses können Meekes und Hassink (2019) auch nicht für unterschiedliche Bildungsniveaus der Arbeitnehmer kon trollieren.
3 Daten und deskriptive Statistiken In den folgenden beiden Kapiteln liegt der Fokus auf empirischen Zusammenhängen im regionalen Kontext. Datengrundlage sind jeweils die 401 kreisfreien Städte und Landkreise (Kreise) in Deutschland. Zur Darstellung der regionalen Unterschiede werden die 401 Kreise zunächst in zwei grundsätzliche Kategorien aufgeteilt: 71 kreisfreie Großstädte und die restlichen 330 sonstigen Kreise. Zu den kreisfreien Großstädten gehören alle kreisfreien Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern (Stand 2017) sowie die Region Hannover und die Städteregion Aachen. Die 71 kreisfreien Großstädte werden differenziert in die Top 7 Städte (Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, Köln, München und Stuttgart) sowie 64 weitere kreisfreie Großstädte (u. a. Dortmund, Leipzig, Münster). Bei den 330 sonstigen Kreisen wird in drei Kategorien unterteilt. Erstens, 36 Umland-Kreise der Top 7 Städte,1 bei denen es sich nicht um eine kreisfreie Großstadt handelt. Die Stadt 1 32 direkt angrenzende Kreise sowie die Landkreise Starnberg, Ebersberg, Erding und Freising bei München.
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Potsdam bei Berlin ist in den 64 kreisfreien Großstädten enthalten. Zweitens, 102 Umlandkreise2 der 64 weiteren Großstädte, die nicht zu den 64 kreisfreien Großstädten oder den 36 Umland-Landkreisen der Top 7 Städte zählen. Sowie drittens, 192 Kreise die nicht an eine der 71 Großstädte angrenzen. Zu beachten ist, dass diese Kategorie wiederum kleinere kreisfreie Städte beinhaltet. Des Weiteren wird zwischen Ost- und Westdeutschland unterschieden. Die Kreiskategorien sind in Abb. 6.1 dargestellt. Tab. 6.1 gibt einen Überblick über die ausgewerteten Indikatoren mit Mittelwerten über die 401 Kreise und für die jeweiligen Regionskategorien. Die Wohneigentumsquote kann sich entweder auf die Anzahl der Haushalte, Personen oder Wohneinheiten beziehen. Im Folgenden beziehen sich die regionalen Wohneigentumsquoten auf die Wohneinheiten und stammen aus dem letzten Zensus aus dem Jahr 2011. Im Gegensatz zu Arbeitsmarktdaten werden Wohnungsmarktdaten wie die Art der Wohnungsnutzung in Deutschland nicht regelmäßig in der amt-
Abb. 6.1 Kreiskategorien. Hinweis: Ebene 401 kreisfreie Städte und Landkreise. HH Hamburg, B Berlin, M München, S Stuttgart, F Frankfurt a. M., K Köln, D Düsseldorf
2 98 direkt angrenzende Kreise sowie Neumünster (Kiel), Brandenburg a. d. Havel (Potsdam), Weimar (Jena) und Speyer (Mannheim).
1,5 1,0 24,2 8,3 −0,7 85,3
0,2 0,2 11,1 6,6 −0,6 33,6
Top 7 Großstädte (n = 7) 23,6 7,2 56,3 7,7 52,5 (47,5) 9,2 6,3 4,2 2,0
13,4 5,6 −0,6 38,5
0,2
0,3
Umland Top 7 Großstädte (n = 36) 52,0 5,0 38,4 5,6 50,2 (49,8) 10,6 4,5 3,0 0,2
16,7 8,9 −0,5 69,2
0,5
0,8
Weitere Großstädte (n = 64) 31,1 4,6 37,3 5,4 48,8 (51,2) 10,9 4,9 2,7 1,4
9,8 6,4 −0,7 28,8
0,0
0,1
Umland weitere Großstädte (n = 102) 55,3 1,4 24,4 3,7 58,2 (41,8) 10,9 4,2 2,3 0,1
8,9 6,0 −0,5 21,5
0,1
0,1
Sonstige Kreise (n = 192) 54,6 1,2 24,8 3,8 64,6 (35,4) 12,2 4,3 2,2 −0,1
10,8 5,6 −0,3 39,0
0,4
0,5
West (n = 324) 52,2 2,9 29,5 4,4 57,2 (42,8) 10,9 4,0 2,1 0,7
12,1 10,7 −1,9 11,0
−0,6
−1,0
Ost (n = 77) 42,1 −0,7 24,1 3,7 66,3 (33,7) 13,7 6,0 3,5 −1,6
Hinweise: Datengrundlage 401 kreisfreie Städte und Landkreise (Kreise), ungewichtete Mittelwerte über die Kreise ungewichtete, Einheit jeweils in Prozent. Für weitere Berechnungsgrundlagen und Quellen siehe Anhang
Kreisinterne (übergreifende) Beschäftigungs- aufnahme von Arbeitslosen 2017 Anteil Pendler mit Arbeitsweg ≥50 km 2017 Anteil Pendler mit Arbeitsweg ≥150 km 2017 Anteil Pendler mit Arbeitsweg ≥300 km 2017 Veränderung Anteil Pendler mit Arbeitsweg ≥50 km Veränderung Anteil Pendler mit Arbeitsweg ≥150 km Veränderung Anteil Pendler mit Arbeitsweg ≥300 km Hochqualifizierte 2015 Arbeitslosenquote 2011 Entwicklung Arbeitslosenquote 2011–2015 Breitband 2011
Mittelwerte Wohneigentumsquote 2011 Einwohnerentwicklung 2011–2017 Immobilienkaufpreis-entwicklung 2011–2017 (2. Zeile pro Jahr)
Gesamt (n = 401) 50,2 2,3 28,5 4,3 59,0 (41,0) 11,5 4,4 2,4 0,2
Tab. 6.1 Indikatoren und deskriptive Statistiken (Datengrundlagen 401 Kreise)
6 Mobilität, Wohnen und der Arbeitsmarkt 81
82
C. A. Oberst
lichen Statistik berichtet. Allerdings ist anzunehmen, dass sich die regionalen Unterschiede bei der Wohneigentumsquote nur sehr langfristig verändern. Im regionalen Durschnitt werden etwa 50 Prozent der Wohneinheiten von Eigentümern bewohnt. Für die Top 7 Großstädte liegt der durchschnittliche Anteil bei knapp 24 Prozent, während es im direkt angrenzenden Umland 52 Prozent sind. Überdurchschnittlich hoch ist die Wohneigentumsquote im Umland der Großstädte und in den überwiegend ländlich geprägten sonstigen Kreisen mit etwa 55 Prozent. Mit 42 zu 52 Prozent beträgt der Ost-West Unterschied etwa 10 Prozentpunkte. In Abb. 6.2 ist die geografische Verteilung der Wohneigentumsquoten abgebildet. Die Abbildung verdeutlicht sowohl landesteiltypische Ausprägungen (inter- regionale Unterschiede) wie auch arbeitsteilige Stadt-Land-Beziehungen (intra- regionale Unterschiede). Besonders niedrig sind die Wohneigentumsquoten in den kreisfreien Großstädten und besonders hoch im Nordwesten, Südwesten und in den überwiegend ländlichen Kommunen in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen. Ein grundlegender Indikator zur Analyse regionaler Wohnungsmärkte ist die Einwohnerentwicklung. Auch hier könnte diskutiert werden welche Abgrenzung für die Fragestellung am besten geeignet ist. Etwa Personen oder Haushalte, nur
Abb. 6.2 Geografische Verteilung der Wohneigentumsquote 2011. Hinweis: Datenquelle Zensus 2011, Ebene 401 kreisfreie Städte und Landkreise (wohnungsbezogen, in %). HH Hamburg, B Berlin, M München, S Stuttgart, F Frankfurt a. M., K Köln, D Düsseldorf
6 Mobilität, Wohnen und der Arbeitsmarkt
83
Erstwohnsitze oder auch Zweitwohnsitze etc. Im Folgenden verwenden wir die Fortschreibung des Bevölkerungsstands von Destatis (2019). Demnach ist die Einwohneranzahl der 401 Kreise im Durchschnitt um gut 2 Prozent gestiegen. Deutlicher höher war der Zuwachs in den Top 7 Großstädten mit gut 7 Prozent, deren Umland mit 5 Prozent sowie den 64 weiteren Großstädten mit knapp 5 Prozent. Deutlich niedriger ist die Einwohnerentwicklung in den sonstigen Kreisen und im Umland der weiteren Großstädte mit etwas mehr als 1 Prozent. In Ostdeutschland ist die Einwohneranzahl im Durchschnitt um knapp 1 Prozent geschrumpft, trotz der starken Zuzüge in Berlin. Ein weiterer wichtiger Wohnungsmarktindikator ist die regionale Immobilienkaufpreisentwicklung. Im Immobilienpreisniveau spiegelt sich unter anderem die regionale Attraktivität wider, inklusive der Erwartungen an die zukünftigen Entwicklungen, wie auch die Wohnkostenbelastung. Auch bei diesem Indikator ist zu unterscheiden zwischen Kaufpreis oder Mietzins, Preise für verschiedene Gebäudearten, Bestand oder Neuvermietung, Angebots- oder Transaktions-, Quadratmeteroder Wohnungspreise und nicht zuletzt durchschnittliche oder hedonische Preise (letztere mit Anpassungen für unterschiedliche Wohnungsqualitäten und -eigenschaften). Im Folgenden werden die F+B Marktdaten (2019) in Euro je Quadratmeter für durchschnittliche Kaufpreise für Neubau von Ein- und Zweifamilienhäusern (EZH) in den Jahren 2011 und 2017 verwendet. Die daraus kalkulierten Veränderungen der Immobilienkaufpreisentwicklung EZH 2011–2017 werden zur besseren Vergleichbarkeit auch in Prozent pro Jahr angegeben. Im Durchschnitt sind die Immobilienkaufpreise in den 401 Kreisen im Zeitraum 2011 bis 2017 um gut 4 Prozent pro Jahr (28,5 %) gestiegen. Am stärksten sind die Immobilienpreise in den Top 7 Großstädten gestiegen mit knapp 8 Prozent pro Jahr (56,3 %) und am geringsten im Umland der weiteren Großstädte und in den sonstigen Kreisen mit knapp 4 Prozent pro Jahr (24 bis 25 %) Ein Indikator, der regionale Arbeitsmarktentwicklung und Mobilität verknüpft, ist der Anteil der kreisinternen Beschäftigungsaufnahme von Arbeitslosen. Dieser wurde berechnet als der Anteil von nicht kreisübergreifenden Beschäftigungsaufnahmen von Arbeitslosen aus dem Bericht zur Regionalen Mobilität von Arbeitslosen von der Bundesagentur für Arbeit. Beschäftigungsaufnahme ist hier der Abgang aus Arbeitslosigkeit in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt. Im Durchschnitt lag der Anteil der kreisinternen Beschäftigungsaufnahme von Arbeitslosen im Jahr 2017 bei 59 Prozent. Das heißt, umgekehrt lag der durchschnittliche Anteil von kreisübergreifender Beschäftigungsaufnahme bei 41 Prozent. Besonders niedrig war der Anteil der mobilen kreisübergreifenden Beschäftigungsaufnahmen in den ostdeutschen Kreisen mit knapp 34 Prozent und den sonstigen Kreisen mit gut 35 Prozent. Als Indikatoren zum regionalen Pendlerverhalten wurden die vom BBSR (2018b) bereitgestellten Informationen zu Auspendlern mit einem besonders langen Arbeitsweg von 50, 150 und 300 km je 100 sozialversicherungspflichtige (SV) Beschäftigte am Wohnort genutzt. Die Anteile beinhalten jeweils auch die Pendler der höheren Kategorien, so sind in der Kategorie Pendler mit Arbeitsweg ≥150 km auch die Pendler mit Arbeitsweg ≥300 km enthalten. Die Indikatoren basieren auf den Pend-
84
C. A. Oberst
lermatrizen der Bundesagentur für Arbeit. Es wurden Daten für die Jahre 2007 und 2017 ausgewertet. Im Durchschnitt lag der Pendleranteil mit langen Arbeitswegen von ≥50 km bei knapp 12 Prozent. Für die ostdeutschen Kreise war der Durchschnittswert mit etwa 14 Prozent etwas höher. Bei Arbeitswegen von ≥150 bzw. 300 km und mehr betrug der durchschnittliche Anteil der Pendler insgesamt nur noch knapp 4 bzw. gut 2 Prozent. Während die ostdeutschen Kreise sich auch hier mit 6 bzw. knapp 4 Prozent hervortaten, waren es bei den Regionskategorien die Top 7 Großstädte mit durchschnittlichen Anteilen von gut 6 bzw. 4 Prozent. Im Zeitraum 2007 bis 2017 ist der Anteil von Pendler mit besonders langen Arbeitswegen insgesamt nur geringfügig gestiegen um 0,2 Prozentpunkte. Lediglich in den Top 7 Großstädte ist der Anteil mit plus 1,5 bzw. 1 Prozent relevant gestiegen. Im Umland der weiteren Großstädte und den sonstigen Kreisen stagnierte der durchschnittliche Pendleranteil mit langen Arbeitswegen und in den ostdeutschen Kreisen ist der Anteil rückläufig. Zu beachten sind leichte Unschärfen in der Pendlerstatistik. So werden alle Beschäftigten erfasst, die zwischen Wohn- und Arbeitsort pendeln, unabhängig von der Häufigkeit des Pendelns. Gerade bei den sehr weiten Arbeitswegen ist davon auszugehen, dass die Distanz nicht täglich zurückgelegt wird. Weitere Unschärfen entstehen durch Betriebe, deren Hauptsitz als Arbeitsort gezählt wird, obwohl die Beschäftigten an anderen Standorten arbeiten (vgl. BBSR 2019). Zur Abbildung weiterer regionaler Struktureigenschaften, werden in der folgenden statistischen Auswertung als Kontrollvariablen der Anteil der Hochqualifizierten von der Bundesagentur für Arbeit, die Entwicklung der Arbeitslosenquoten sowie die Ausgangsniveaus der Arbeitslosenquote und der Breitbandausstattung jeweils aus dem Jahr 2011 berücksichtigt. In den Top 7 Großstädten besonders stark ausgeprägt ist der durchschnittliche Anteil der Hochqualifizierten (24 zu 11 %) und die frühzeitige Versorgung mit Breitband (85 zu 34 %). Allerdings liegt auch die Arbeitslosenquote um etwa 1 Prozent höher, wobei die Arbeitsmarktprobleme sich noch stärker in den weiteren Großstädten konzentrieren. Besonders niedrig ist der durchschnittliche Anteil der Hochqualifizierten in den sonstigen Kreisen (9 %) und im Umland der weiteren Großstädte (10 %) sowie die frühe Breitbandversorgung in ostdeutschen Kreisen (11 %) und in den sonstigen Kreisen (22 %). Bei den Hochqualifizierten ist der durchschnittliche Anteil in den ostdeutschen Kreisen mit 12 Prozent etwas höher als in den Westdeutschen mit 11 Prozent. Im Durchschnitt ist die Arbeitslosenquote in den ostdeutschen Kreisen stärker gefallen als im Westen, vor allem aufgrund des hohen Ausgangsniveaus (Konvergenzprozess), aber auch aufgrund der abnehmenden Erwerbspersonenanzahl und überdurchschnittlich guter wirtschaftlicher Entwicklung. Während es bei den drei Wohnungsmarktindikatoren Wohneigentumsquote, Einwohnerentwicklung und Immobilienkaufpreisentwicklung kaum Unterschiede zwischen dem Umland der weiteren Großstädte und sonstigen Kreisen gibt, sind die Entwicklungsunterschiede in der Gruppe der Großstädte und des Umlands der Top 7 Großstädte auffällig. Bei den Arbeitsmarktindikatoren gibt es zum einen größere Unterschiede zwischen Pendlern mit Arbeitsweg von ≥50 km und den extrem langen Arbeitswegen von ≥150 km. Bei der regionalen Mobilität von Arbeitslosen deutet sich die Abhängigkeit der Großstädte und deren Umland von benachbarten Kreisen an.
6 Mobilität, Wohnen und der Arbeitsmarkt
85
4 Statistische Auswertung In diesem Kapitel wird der empirische Zusammenhang zwischen den Struktureigenschaften der regionalen Wohnungs- und Arbeitsmärkte und der Wohneigentumsquote untersucht. In den Regressionen werden die folgenden Ausgangsthesen überprüft: Je höher die regionale Wohneigentumsquote, desto a) geringer die Einwohnerentwicklung, b) höher der Anteil der kreisinternen Beschäftigungsaufnahme von Arbeitslosen, c) stärker steigen die Immobilienkaufpreise, d) höher der Anteil von langen Arbeitswegen (50, 150 und 300 km), e) geringer der Anteil von Hochqualifizierten und f) schlechter (höher) die Entwicklung der Arbeitslosenentwicklung (Oswald-Hypothese). Zum Teil sind diese unterstellten Wirkungsrichtungen theoretisch unbestimmt aufgrund wechselseitiger und gegensätzlicher Wirkungen. So gehen etwa höhere Immobilienpreise mit steigender Einwohnerentwicklung einher (Korrelation 0,70). Mitunter gibt es zu den Thesen auch unterschiedliche Erfahrungen. Etwa beim Anteil von langen Arbeitswegen scheint zunächst ein positiver Einfluss auf die Wohneigentumsquote plausibel. Die Ergebnisse von Meekes und Hassink (2019) zeigten jedoch, dass (verschuldete) Eigentümer in den Niederlanden nach dem Verlust des Arbeitsplatzes bei Wiederbeschäftigung tendenziell eine geringere zusätzliche Pendlerstrecke aufweisen und höhere Lohnverluste in Kauf nehmen als Mieter (überwiegend in preisgebundenen Sozialwohnungen). Die Regressionsergebnisse sind in den Tab. 6.2 und 6.3 aufgeführt: in den oberen Spalten jeweils für ein einfaches lineares Regressionsmodell, in dem die ausgewählten Indikatoren nur durch die Wohneigentumsquote erklärt werden, darunter in einem multiplen linearen Regressionsmodell, in dem zusätzlich zur Wohneigentumsquote für ausgewählte Immobilien- und Arbeitsmarktindikatoren sowie den Regionskategorien kontrolliert wird. Die erklärenden abhängigen Variablen sind in der Spaltenüberschrift aufgeführt und in den Zeilen die Einflussfaktoren (Determinanten) mit dem geschätzten Koeffizienten und dem 95-Prozent-Konfidenzintervall in Klammern. Die ausgewiesenen statistischen Zusammenhänge können nicht als kausale Effekte interpretiert werden, sondern sind im Sinne einer explorativen beschreibenden Datenanalyse zu interpretieren. Im Multiplen Regressionsmodell können mit den ermittelten statistischen Zusammenhängen der vier Regionskategorien Top 7 Großstädte, weitere Großstädte sowie jeweils deren Umland im Vergleich zu sonstigen Kreisen Thesen zu Stadtentwicklungstrends geprüft werden. Die theoretische Vermutung ist, dass in der modernen Wirtschaft aufgrund von Netzwerkeffekten und technischem Fortschritt die Mobilitätskosten sinken, wonach sich größere Marktgebiete (u. a. regionale Arbeitsmärkte) ableiten lassen und wenige zentrale Orte wie die Top 7 Großstädte an Bedeutung gewinnen sollten (vgl. Oberst und Südekum 2019). Die Ergebnisse bekräftigen die Thesen a), b) und e), dass hohe Wohneigentumsquoten mit einem geringerem Einwohnerzuwachs, geringerer überregionaler Mobilität von Arbeitslosen und einem geringeren Anteil von Hochqualifizierten verbunden sind. Die geringere überregionale Mobilität ergibt sich aus dem positiven Zusammenhang mit einer höheren kreisinternen Beschäftigungsaufnahme von Arbeitslosen. Für die Immobilienkaufpreisentwicklung wird ein negativer Zusammen-
Multiples lineares Modell
Einfaches lineares Model
Immobilienkaufpreise EZH 2011
Beobachtungen R2 Adjustiertes R2 Residual Std. Error F Statistik Wohneigentumsquote 2011
Konstante
Wohneigentums-quote 2011
Einwohner- entwicklung 2011–2017 −0,0007 (−0,0009, −0,0005)∗∗∗ 0,0577 (0,0454, 0,0701)∗∗∗ 401 0,0776 0,0753 0,0331 33,5788∗∗∗ −0,0005 (−0,0007, −0,0002)∗∗∗ 0,0001 (0,0001, 0,0001)∗∗∗ 1,4930 (1,4216, 1,5643)∗∗∗ 401 0,0895 0,0872 0,1913 39,2243∗∗∗ −0,0073 (−0,0087, −0,0060)∗∗∗ −0,0010 (−0,0012, −0,0009)∗∗∗
−0,0001 (−0,0002, 0,0001)
Immobilienkaufpreis- entwicklung EZH 2011–2017 −0,0044 (−0,0057, −0,0030)∗∗∗
0,4159 (0,3675, 0,4644)∗∗∗ 401 0,1173 0,1151 0,1299 53,0427∗∗∗ 0,0054 (0,0040, 0,0068)∗∗∗
Kreisinterne Beschäftigungs-aufnahme Arbeitslose 2017 0,0035 (0,0025, 0,0044)∗∗∗
0,0064 (0,0024, 0,0103)∗∗∗
23,1211 (21,7917, 24,4506)∗∗∗ 401 0,4593 0,4579 3,5667 338,9055∗∗∗ −0,1545 (−0,1928, −0,1162)∗∗∗
Anteil Hochqualifizierte 2015 −0,2398 (−0,2654, −0,2143)∗∗∗
Tab. 6.2 Regressionsergebnisse I (Einwohner- und Immobilienkaufpreisentwicklung und Beschäftigungsaufnahme Arbeitslose und Anteil Hochqualifizierte)
86 C. A. Oberst
0,1005 (0,0837, 0,1173)∗∗∗ −0,0032 (−0,0043, −0,0021)∗∗∗ −0,0007 (−0,0045, 0,0032) 0,0080 (−0,0086, 0,0245) 0,0190 (0,0117, 0,0264)∗∗∗ 0,0100 (0,0020, 0,0180)∗∗ 0,0031 (−0,0016, 0,0078) −0,0141 (−0,0226, −0,0055)∗∗∗ 0,0002 (0,0001, 0,0003)∗∗∗ −0,0706 (−0,1054, −0,0359)∗∗∗ 401 0,6979 0,6894 0,0192 (df = 389) 81,7134∗∗∗ 401 0,4354 0,4194 0,1052 (df = 389) 27,2679∗∗∗
0,0001 (−0,0004, 0,0005) 0,2935 (0,1026, 0,4845)∗∗∗
−0,0310 (−0,0523, −0,0097)∗∗∗ 0,0209 (−0,0701, 0,1118) −0,1267 (−0,1668, −0,0865)∗∗∗ −0,0636 (−0,1074, −0,0198)∗∗∗ −0,0801 (−0,1061, −0,0542)∗∗∗ 0,0397 (−0,0073, 0,0866)∗
−0,0312 (−0,1233, 0,0609) 0,0122 (0,0060, 0,0184)∗∗∗
401 0,6678 0,6584 2,8315 (df = 389) 71,0771∗∗∗
0,0320 (0,0193, 0,0446)∗∗∗ 14,4055 (9,2678, 19,5432)∗∗∗
−0,0007 (−0,0012, −0,0002)∗∗∗ 1,8519 (1,7594, 1,9443)∗∗∗ 401 0,6875 0,6795 0,1134 (df = 390) 85,8134∗∗∗
−0,4244 (−0,9974, 0,1486) 8,5757 (6,1293, 11,0222)∗∗∗ 2,7193 (1,6395, 3,7990)∗∗∗ 3,8361 (2,6581, 5,0141)∗∗∗ 0,8846 (0,1868, 1,5825)∗∗ 2,8121 (1,5490, 4,0753)∗∗∗
−0,0468 (−0,0692, −0,0243)∗∗∗ 0,2106 (0,1149, 0,3063)∗∗∗ 0,1196 (0,0780, 0,1612)∗∗∗ 0,0945 (0,0483, 0,1408)∗∗∗ 0,0203 (−0,0075, 0,0482) −0,0542 (−0,1045, −0,0039)∗∗
−0,0344 (−0,0401, −0,0286)∗∗∗
3,6458 (1,1674, 6,1243)∗∗∗ −0,5133 (−0,6802, −0,3464)∗∗∗
Hinweise: Statistisch signifikant auf dem 1-Prozent-Niveau (∗∗∗), 5-Prozent-Niveau (∗∗), 10-Prozent-Niveau (∗); Konfidenzintervall von 95 Prozent in Klammer
Beobachtungen R2 Adjusted R2 Residuen Std. Fehler F Statistik
Konstante
Breitband2011
Umland 64 weitere Großstädte Ostdeutschland
64 weitere Großstädte
Umland Top 7 Großstädte
Entwicklung Arbeitslosenquote 2011–2015 Top 7 Großstädte
Immobilienkaufpreis- entwicklung EZH 2011–2017 Arbeitslosenquote 2011
6 Mobilität, Wohnen und der Arbeitsmarkt 87
Multiples lineares Modell
Einfaches lineares Model
401 0,0096 0,0071 3468 3,8655∗∗ 0,0063 (−0,0334, 0,0459)
0,0104 (0,0063, 0,0145)∗∗∗
Beobachtungen R2 Adjustiertes R2 Residual Std. Error F Statistik Wohneigentumsquote 2011
Immobilienkaufpreise EZH 2011
Wohneigentumsquote 2011 Konstante
Pendler mit Arbeitsweg ≥50 km 2017 −0,0249 (−0,0497, −0,0001)∗∗ 12,7359 (11,4432, 14,0287)∗∗∗
0,0025 (0,0012, 0,0039)∗∗∗
401 0,2218 0,2199 1,1957 113,7225∗∗∗ −0,0155 (−0,0286, −0,0025)∗∗
Pendler mit Arbeitsweg ≥150 km 2017 −0,0466 (−0,0551, −0,0380)∗∗∗ 6,7526 (6,3069, 7,1983)∗∗∗
Tab. 6.3 Regressionsergebnisse II (Anteil Pendler mit langen Arbeitswegen)
0,0020 (0,0013, 0,0028)∗∗∗
401 0,2762 0,2744 0,759 152,2451∗∗∗ −0,0100 (−0,0172, −0,0027)∗∗∗
Pendler mit Arbeitsweg ≥300 km 2017 −0,0342 (−0,0396, −0,0288)∗∗∗ 4,1205 (3,8376, 4,4034)∗∗∗
Entwicklung Arbeitslosenquote 2011–2015 0,0135 (0,0078, 0,0193)∗∗∗ −1,2490 (−1,5499, −0,9480)∗∗∗ 401 0,0502 0,0478 0,8073 21,0982∗∗∗ −0,0098 (−00163, −0,0032)∗∗∗ −0,0010 (−0,0017, −0,0003)∗∗∗
88 C. A. Oberst
1,5405 (0,6939, 2,3871)∗∗∗ 0,1052 (0,0482, 0,1623)∗∗∗ −0,2976 (−0,4933, −0,1018)∗∗∗ 0,9142 (0,0785, 1,7498)∗∗ 0,0766 (−0,2922, 0,4454) −0,0876 (−0,4900, 0,3147) −0,1000 (−0,3384, 0,1384) 0,8165 (0,3850, 1,2480)∗∗∗ −0,0010 (−0,0053, 0,0033) 2,2349 (0,4799, 3,9899)∗∗ 401 0,5036 0,4895 0,9672 (df = 389) 35,8736∗∗∗
7,2185 (4,6510, 9,7859)∗∗∗
0,5415 (0,3686, 0,7144)∗∗∗
−0,2346 (−0,8282, 0,3590)
−4,8449 (−7,3792, −2,3106)∗∗∗ −1,9329 (−3,0515, −0,8144)∗∗∗ −2,4278 (−3,6482, −1,2075)∗∗∗ −1,3803 (−2,1032, −0,6574)∗∗∗ −0,6934 (−2,0019, 0,6151)
−0,0250 (−0,0381, −0,0119)∗∗∗ 0,1371 (−5,1851, 5,4593) 401 0,3093 0,2897 2,9332 (df = 389) 15,8341∗∗∗
−0,0025 (−0,0049, −0,0001)∗∗ 0,0337 (−0,9353, 1,0027) 401 0,6506 0,6407 0,5340 (df = 389) 65,8570∗∗∗
1,1184 (0,6570, 1,5798)∗∗∗ 0,6309 (0,4273, 0,8346)∗∗∗ −0,0186 (−0,2408, 0,2035) 0,0931 (−0,0385, 0,2247) 0,4968 (0,2585, 0,7350)∗∗∗
−0,1359 (−0,2440, −0,0279)∗∗
0,1008 (0,0693, 0,1323)∗∗∗
1,5679 (1,1004, 2,0353)∗∗∗
0,0873 (−0,3363, 0,5110) 0,0378 (−0,1492, 0,2248) 0,2904 (0,0884, 0,4924)∗∗∗ −0,0352 (−0,1560, 0,0856) −1,0851 (−1,2755, −0,8946)∗∗∗ 0,0002 (−0,0020, 0,0024) 2,0291 (1,1623, 2,8959)∗∗∗ 401 0,6574 0,6486 0,4904 (df = 390) 74,8348∗∗∗
−0,8751 (−1,2955, −0,4547)∗∗∗ −0,1248 (−0,1509, −0,0987)∗∗∗ –
Hinweise: Statistisch signifikant auf dem 1-Prozent-Niveau (∗∗∗), 5-Prozent-Niveau (∗∗), 10-Prozent-Niveau (∗); Konfidenzintervall von 95 Prozent in Klammer
Beobachtungen R2 Adjusted R2 Residuen Std. Fehler F Statistik
Konstante
Breitband2011
Umland 64 weitere Großstädte Ostdeutschland
Umland Top 7 Großstädte 64 weitere Großstädte
Entwicklung Arbeitslosenquote 2011–2015 Top 7 Großstädte
Immobilienkaufpreis- entwicklung EZH 2011–2017 Arbeitslosenquote 2011
6 Mobilität, Wohnen und der Arbeitsmarkt 89
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C. A. Oberst
hang mit der Wohneigentumsquote angezeigt, auch im multiplen Regressionsmodell indem für Stadt/Land Unterschiede kontrolliert wird. Der negative Koeffizient der Immobilienkaufpreise EZH 2011 (Niveau) zur Erklärung der Kaufpreisentwicklung zeigt den Divergenztrend auf dem deutschen Wohnungsmarkt an, also das Auseinanderdriften der regionalen Immobilienpreisen. Auf der Kreisebene sind hohe Wohneigentumsquoten mit unterdurchschnittlicher Immobilienpreisentwicklung verbunden. Diese Beobachtung lässt sich jedoch auch negativ interpretieren, etwa, dass Kreise mit hohen Wohneigentumsquoten weniger attraktiv und innovativ sind und die Erwartungen an die zukünftige Entwicklung unterdurchschnittlich sind. Das Wohneigentumsquote und Breitbandversorgung negativ korreliert sind mit −0,43 (−0,49) im Jahr 2011 (2017) bekräftigt die Interpretation als Nachzüglerregionen. Nicht bestätigt wird der vermutete positive Zusammenhang von Wohneigentum und Pendlern mit langen Arbeitswegen. Die Ergebnisse zeigen, dass in Kreisen mit hohen Wohneigentumsquoten der Anteil von Pendlern mit besonders langen Arbeitswegen in der Regel unterdurchschnittlich ist. Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn die Veränderungswerte der Pendleranteilen mit besonders langen Arbeitswegen betrachtet werden. Nur im multiplen Regressionsmodell zur Erklärung des Anteils von Pendlern mit einem Arbeitsweg von ≥50 km hat die Wohneigentumsquote keinen signifikanten negativen Effekt. Die Umkehr des Vorzeichens des Koeffizienten könnte bedeuten, dass lange Pendlerwege zwar positiv mit Wohneigentum verbunden sind – aber besonders lange Pendeldistanzen von mehr ≥150 km wiederum negativ mit Wohneigentumsquoten zusammenhängen. Der mit 31 Prozent relativ geringe Erklärungsgehalt der Schätzung des Anteils von Pendlern mit Arbeitswegen von ≥50 km im Vergleich zu den anderen Schätzungen, in denen 44 bis 70 Prozent der Varianz erklärt wird, stützt diese Interpretation. In den signifikant hohen Koeffizienten für die Top 7 Großstädte zur Erklärung des Anteils von Pendlern mit langen Arbeitswegen könnte sich die Entscheidungs- und Kontrollfunktion und Gateway- Funktion von Metropolregionen als Standorte von Konzernzentralen und Hauptverwaltungen spiegeln, insbesondere vor dem Hintergrund der diskutierten Unschärfen in der Pendlerstatistik indem mitunter der Hauptsitz als Arbeitsort gezählt wird und die Häufigkeit des Pendelns nicht berücksichtigt wird. Der Blick auf die Kontrollvariablen zeigt, dass ein positiver Zusammenhang zwischen Bevölkerungsentwicklung und Immobilienkaufpreisen besteht. Hierbei ist von einer wechselseitigen Abhängigkeit auszugehen. Bei kurz- bis mittelfristig gleichbleibendem Wohnungsangebot sind bei verstärktem Zuzug steigende Immobilienpreise anzunehmen. Anderseits zieht es die Bevölkerung vor allem in die attraktiven Regionen mit steigenden Immobilienpreisen, vermutlich aufgrund von Arbeitsmarktvorteilen, Bildungschancen, vorteilhafter Infrastruktur und weiteren städtischen Annehmlichkeiten (Lebensqualität). Spannend sind auch die empirischen Zusammenhänge mit den Regionskategorien. Demnach ist die Einwohnerentwicklung vor allem im Umland der Top 7 Großstädte sowie in den 64 weiteren Großstädten überdurchschnittlich hoch. Der Trend in die Metropolregionen fokussierte sich bei der Einwohnerentwicklung im Zeitraum 2011 bis 2017 auf das Umland. Bei der Immobilienpreisentwicklung wie auch der kreisinternen Beschäftigungsaufnahme liegen jedoch die Großstädte vor ihrem Umland. Bei den Hochqualifizierten liegen die Top 7 Großstädte eindeutig vorne,
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gefolgt von ihrem Umland und dann erst den 64 weiteren Großstädten. Das Umland der 64 weiteren Großstädte hat beim Anteil der Hochqualifizierten nur einen geringfügigen Vorsprung zu den sonstigen Kreisen. Unterschiedliche Ergebnisse liegen für den Zusammenhang von Wohneigentumsquote und Entwicklung der Arbeitslosenquote vor. Im einfachen Regressionsmodell zeigt sich ein positiver Zusammenhang (Korrelation) entsprechend der Oswald-Hypothese. Im aussagekräftigeren multiplen Regressionsmodell hingegen wird ein negativer Zusammenhang identifiziert. Demnach ist die Arbeitslosenquote im Zeitraum 2011 bis 2017 vor allem in Ostdeutschland und in Kreisen mit überdurchschnittlich hohem Ausgangsniveau gesunken. Unterdurchschnittlich haben sich vor allem die 64 weiteren Großstädte entwickelt. Wird in der Regression für Stadtentwicklungstrends, Ausgangsniveau und Immobilienpreise kontrolliert, beeinträchtigte Wohneigentum in den wirtschaftlich guten Jahren von 2011 bis 2017 anscheinend nicht die Anpassungsmechanismen auf den Arbeitsmärkten.
5 Schlussfolgerungen Die statistische Auswertung zeigt, dass auf Ebene der 401 kreisfreien Städte und Landkreise im Zeitraum 2011 bis 2017 hohe regionale Wohneigentumsquoten nicht mit besonders weiten Pendeldistanzen und steigenden Immobilienpreisen verbunden sind, sondern mit unterdurchschnittlicher Bevölkerungs- und Immobilienpreisentwicklung. Gleichwohl verlassen Arbeitslose in Kreisen mit hoher Wohneigentumsquote seltener ihren Wohnort zur Beschäftigungsaufnahme. Diese Beobachtungen auf der regionalen Ebene sind im Einklang mit der jüngst in der internationalen Literatur veröffentlichten mikroökonomischen Studie von Meekes und Hassink (2019), nach der (verschuldete) Wohneigentümer in den Niederlanden tendenziell schneller wieder eingestellt werden, eine geringere zusätzliche Pendlerstrecke und höhere Lohnverluste aufweisen als Mieter (überwiegenden in preisgebundenen Sozialwohnungen). Ob Wohneigentümer berufliche Verbesserungschancen in anderen Wohnungsmärkten auslassen, weil ihre Umzugsbereitschaft geringer ist, lässt sich nur schwer im regionalen Kontext überprüfen. Allerdings scheint es auch in Deutschland in der Summe nicht so zu sein, dass geringe Umzugsmöglichkeiten mit sehr langen Arbeitswegen kompensiert werden. Vielleicht besteht der Zusammenhang nicht für die aggregierte Gruppe der Wohneigentümer, oder er gilt auch für langjährige Mieter mit starkem Bestandsschutz. Ein hoher Anteil an (gemeldeten) Pendlern mit Arbeitswegen von 150 km und mehr ist vor allem ein Phänomen der Top 7 Großstädte, mitunter noch in deren Umland sowie in Ostdeutschland – jeweils Regionskategorien, die auch von überdurchschnittlich niedrigen Wohneigentumsquoten geprägt sind. Anderseits dürften gerade zentrale Orte wie die Top 7 Großstädte durch ihre gute multimodale Erreichbarkeit Lebensentwürfe mit sehr langen Pendelwegen erst ermöglichen. Diese Erreichbarkeit trägt zur Attraktivität von Städteregionen (Großstadt und Umland) bei, was sich wiederum in hohen und steigenden Immobilienpreisen widerspiegelt und
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den Eigentumserwerb erschweren dürfte. Die überdurchschnittlich hohen Anteile von Pendlern mit weiten Arbeitswegen (≥150 km) in den Ballungsgebieten kann auch als Ausdruck einer guten öffentlichen Infrastruktur (multimodale Erreichbarkeit) und regionaler Arbeitsteilung verstanden werden. Pendler mit langen Arbeitswegen wohnen demnach eher in gut angeschlossenen Ballungsgebieten, die sich üblicherweise durch niedrigere Wohneigentumsquoten auszeichnen. Die in der statistischen Auswertung identifizierte hervorgehobene Stellung des Umlands der Großstädte deutet auf eine funktionale Anreicherung des Umlands hin. Umso wichtiger ist es, in zukünftigen empirischen Untersuchungen Überschwappeffekte, Abhängigkeiten und Unterschiede von Stadt und Umland zu modellieren. Dazu müssten einerseits die Daten auf der Ebene funktionaler Arbeits- und Wohnungsmärkte ausgewertet werden und anderseits Überschwappeffekte und Nachbarschaftseffekte modelliert werden.
6 Anhang Mittelwerte Wohneigentumsquote 2011 Einwohnerentwicklung 2011–2017
Kreisinterne Beschäftigungsaufnahme von Arbeitslosen 2017 Immobilienkaufpreisentwicklung EZH 2011–2017 Immobilienkaufpreise EZH 2011 Immobilienkaufpreise EZH 2017 Pendler mit Arbeitsweg ≥50 km 2017 Pendler mit Arbeitsweg ≥150 km 2017 Pendler mit Arbeitsweg ≥300 km 2017 Veränderung Pendler mit Arbeitsweg ≥50 km Veränderung Pendler mit Arbeitsweg ≥150 km Veränderung Pendler mit Arbeitsweg ≥300 km Hochqualifizierte 2015 Arbeitslosenquote 2011 Entwicklung Arbeitslosenquote 2011–2015 Breitband 2011
Quelle, Berechnungsgrundlage und Einheit Destatis (Zensus), Gebäude- und Wohnungszählung 2011, Anteil von Eigentümern Destatis, Fortschreibung des Bevölkerungsstandes, Veränderung der Einwohneranzahl in % von 2011 bis 2017 Bundesagentur für Arbeit (2019), Regionale Mobilität von Arbeitslosen, Anteil an nicht kreisübergreifender Beschäftigungsaufnahme in % Veränderung Immobilienkaufpreise EZH 2011– 2017 in % F+B, in Euro je m2 durchschnittliche Kaufpreise Einfamilienneubau (EZH) BBSR (2019), Pendlermatrizen der Bundesagentur für Arbeit, Anteil von Pendlern 50/150/300 km und mehr je SV Beschäftigte am Wohnort in % BBSR (2019), Differenz Anteil Pendler mit Arbeitsweg von 2017 und 2007 in %
BBSR (2018b) Destatis, Bundesagentur für Arbeit, in % Differenz Arbeitslosenquote 2011 und 2015 Datenerhebung durch TÜV Rheinland, Breitbandversorgung über alle Technologien in % der Haushalte
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Die Bedeutung von Wohneigentum und geerbten Wohnimmobilien für die Vermögensbildung in Deutschland Judith Niehues und Maximilian Stockhausen
1 Einleitung Vor dem Hintergrund zuletzt steigender Immobilienpreise ist auch die Bedeutung der Wohnimmobilien für die Nettovermögensverteilung zu einem bedeutenden Thema in der öffentlichen Debatte geworden. So titelte Spiegel Online mit Blick auf eine aktuelle Auswertung der Deutschen Bundesbank kürzlich „Immobilienbesitzer werden immer reicher“ (Spiegel Online 15.04.2019). Zwar steht in der Zusammenfassung der entsprechenden Bundesbank-Studie ebenfalls der erfreuliche Befund, dass „auch die Vermögen vieler Mieterhaushalte und von Haushalten in der vermögensärmeren Hälfte der Verteilung […] angestiegen“ sind und dass „gegenüber der letzten Erhebung einige Kennziffern für die Ungleichheit der Vermögensverteilung leicht zurück[gegangen]“ sind (Deutsche Bundesbank 2019, S. 13). Die mediale Rezeption der Studie zeichnete hingegen ein überwiegend alarmierendes Bild, welches angesichts der anhaltenden Debatten um den angespannten Wohnungsmarkt und die steigenden Mieten in Großstädten zusätzliche politische Brisanz erhält. In diesem Kapitel soll daher die Rolle des Wohneigentums als Teil des Nettover mögens näher empirisch beleuchtet werden. Neben den erst seit 2010 verfügbaren Befragungsdaten der Deutschen Bundesbank werden für die empirische Analyse ebenfalls längerfristig und jährlich verfügbare Kennziffern der makroökonomischen Vermögensbilanz der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) he J. Niehues (*) Institut der deutschen Wirtschaft, Forschungsgruppe Mikrodaten und Methodenentwicklung, Köln, Deutschland E-Mail: [email protected] M. Stockhausen Institut der deutschen Wirtschaft, Kompetenzfeld für Öffentliche Finanzen, Soziale Sicherung und Verteilung, Köln, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 O. Depenheuer et al. (Hrsg.), Wohneigentum für breite Schichten der Bevölkerung, Bibliothek des Eigentums 18, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61287-3_7
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rangezogen. Neben der grundsätzlichen Rolle des Immobilienvermögens und des selbst genutzten Wohneigentums im Vermögens-Portfolio der privaten Haushalte soll bei der Auswertung insbesondere die Frage im Vordergrund stehen, ob sich die Portfoliostruktur in Zeiten niedriger Zinsen und steigender Immobilienpreise in Richtung zunehmender Bedeutung des Wohneigentums verändert hat. Im Kapitel zur Verbreitung des Wohneigentums (Sagner) wurde bereits aufgezeigt, dass in Deutschland weniger als die Hälfte der privaten Haushalte in den eigenen vier Wänden lebt. Handelt es sich hierbei nur um reiche Haushalte? Diese Frage und die Frage, wie sich dieser Befund international einordnen lässt, werden in diesem Kapitel ebenfalls untersucht. Für die sozialpolitische Einordnung ist es auch relevant, wie das Wohneigentum erworben wurde. Haben die meisten Eigentümer ihr Wohneigentum durch Sparanstrengungen am Markt erworben, oder ist die Wohneigentumsverteilung vor allem durch Erbschaften und Schenkungen bedingt? Die Beleuchtung dieser Frage ist herausfordernd, da nur wenige und unvollständige Daten bezüglich der Art und des Umfangs von Erbschaften und Schenkungen verfügbar sind, insbesondere mit Blick auf die amtliche Statistik. Auswertungen auf Basis von Mikrodaten der Europäischen Zentralbank (EZB) können jedoch Einblicke in die Relevanz von Erbschaften beim Immobilienerwerb sowie die Verteilung von Erbschaften nach Alter und Vermögenshöhe bringen. Die Ergebnisse zur Rolle von Erbschaften und Schenkungen auf die Verteilung der Nettovermögen werden im zweiten Teil dieses Kapitels diskutiert.
2 Wohneigentum und Vermögensverteilung 2.1 Bedeutung von Immobilien für die Nettovermögen Um die Rolle des Wohneigentums oder des Immobilienvermögens bei der Vermögensbildung zu untersuchen, muss zunächst das verwendete Vermögenskonzept diskutiert werden. Gemäß der sektoralen und gesamtwirtschaftlichen Vermögensbilanz der VGR – der wichtigsten Referenzstatistik für makroökonomische Vermögenswerte – setzt sich das Bruttovermögen der privaten Haushalte aus den Sachanlagen und dem Geldvermögen zusammen (Deutsche Bundesbank/Statistisches Bundesamt 2018). Vermindert um Kredite und sonstige Verbindlichkeiten ergibt sich das für die Wohlstandsposition der Haushalte relevante Nettovermögen. Das Immobilienvermögen stellt eine wesentliche Komponente des Sachvermögens dar und wird in der VGR-Vermögensbilanz durch die Vermögenspositionen „Bauten“ (Wohnbauten und Nichtwohnbauten) sowie „Grund und Boden“ erfasst. Auf der Passivseite wird das Immobilienvermögen durch die Wohnungsbaukredite vermindert. Gemäß VGR lagen das Bruttovermögen der privaten Haushalte im Jahr 2017 bei 14,3 Billionen Euro, die Verbindlichkeiten bei 1,7 Billionen Euro und das Netto- oder Reinvermögen entsprechend bei 12,6 Billionen Euro.
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Der geschätzte Gesamtwert der Wohnbauten lag bei 4,5 Billionen Euro, der Wert des „Grund und Bodens“ bei 3,2 Billionen Euro (davon 2,8 Billionen Euro bebautes Land). Mit 1,25 Billionen Euro stellen die Wohnungsbaukredite den bedeutendsten Teil der Verbindlichkeiten dar. Die Vermögensbilanz der VGR umfasst jedoch nicht nur die Vermögenswerte der privaten Haushalte, sondern ebenfalls die Vermögen der privaten Organisationen ohne Erwerbszweck (Kirchen, Vereine, politische Parteien etc.). Hierdurch werden die Vermögen der privaten Haushalte tendenziell überschätzt. Bei den Geldvermögen ist eine weitere Aufschlüsselung möglich, der zufolge nur rund 1 Prozent der ausgewiesenen Geldvermögen sowie der Verbindlichkeiten den privaten Organisationen ohne Erwerbszweck zuzurechnen ist (Deutsche Bundesbank 2018). Abb. 7.1 stellt die relative Entwicklung der nominalen Werte zwischen 2005 und 2017 für ausgewählte Vermögenskomponenten dar, da ab 2005 eine gesonderte Aufschlüsselung der Kredite in Wohnungsbaukredite erfolgt, die bei Fokussierung auf den Wohnimmobilienmarkt von besonderem Interesse sind. Die Betrachtung erfolgt nominal, da es keine allgemein akzeptierten vermögensspezifischen Preisindizes gibt. Wird unterstellt, dass Vermögen jederzeit liquidiert und zu Konsumzwecken verwendet werden können, ist eine Umwandlung in reale Werte mittels des allgemeinen Verbraucherpreisindex des Statistischen Bundesamts denkbar (Grabka und Westermeier 2015), der im betrachteten Zeitraum eine Inflation von etwa 18,3 Prozent angibt. Insbesondere das in Grund und Boden gehaltene Vermögen verzeichnete in den letzten Jahren deutliche Anstiege und hat sich seit 2005 insgesamt um beinahe 80 Prozent erhöht. Auch Wohnbauten sind zwischen 2005 und 2017 nominal um knapp 54 Prozent gestiegen, damit allerdings etwas weniger als die Position „Bargeld und Einlagen“. Zudem ist zu beachten, dass Immobilien in der VGR mit dem geschätzten Wiederbeschaffungswert bewertet werden, der insbesondere bei Bestandsimmobilien deutlich vom Marktwert abweichen kann. 180 170 160 150 140 130 120 110 100 90 80 70 2005
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Abb. 7.1 Relative Entwicklung ausgewählter nominaler Vermögenswerte. Index 2005 = 100. (Quellen: Deutsche Bundesbank/Statistisches Bundesamt 2018)
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Mit rund 53 Prozent machen die (Wohn-)Immobilien und Grundstücke den bedeutendsten Teil des Bruttovermögens der VGR aus. Gegenüber früheren Jahren hat sich dieser Anteil in der Summe nur geringfügig verändert, wobei sich der Anteil des Grund und Bodens etwa seit der Finanzkrise im Jahr 2008 von knapp 19 Prozent auf 22 Prozent erhöht hat, und der Anteil der Wohnbauten am Bruttovermögen von 33 Prozent auf 31 Prozent leicht zurückgegangen ist. Das in Wertpapieren und Beteiligungen gehaltene Vermögen verzeichnete während der Finanzkrise einen deutlichen Einbruch, welcher den Anteil dieser Komponente am gesamten Portfolio von rund 14 bis 15 Prozent auf 10 Prozent strukturell reduzierte. Auch während der anhaltenden Niedrigzinsphase zeigen sich somit keine wesentlichen Verschiebungen des VGR-Portfolios in Richtung Immobilien- und Aktienvermögen, wie sie aufgrund der positiveren Renditeentwicklungen dieser Anlageformen erwartbar gewesen wären. Aus den aggregierten Werten lässt sich jedoch nicht differenzieren, inwiefern die beobachtbare Entwicklung auf die Preisentwicklung oder eine veränderte Partizipation an einer Vermögenskomponente (beispielsweise durch Immobilienerwerb) zurückgeht. Um die Partizipation an und Verteilung von bestimmten Vermögenskomponenten zu untersuchen, kann auf Haushaltsbefragungsdaten zurückgegriffen werden. In der vorliegenden Analyse wird hierzu auf die Erhebung Private Haushalte und ihre Finanzen (PHF) der Deutschen Bundesbank zurückgegriffen, die Daten zu den Vermögen und Schulden privater Haushalte für die Jahre 2010/2011, 2014 und 2017 bereitstellt (Deutsche Bundesbank 2019). Für die ersten beiden Befragungsjahre liegen zum aktuellen Zeitpunkt ebenfalls vergleichbare Daten für die Länder der Eurozone vor. Wie bereits zu Beginn des Sammelbands auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) für einen längeren Zeitraum dargelegt, zeigt sich auch gemäß der Befragungsdaten der Deutschen Bundesbank keine Veränderung der Wohneigentumsquote, die im PHF zu allen drei Befragungszeitpunkten bei 44 Prozent liegt (Deutsche Bundesbank 2019). Der Wert des Eigentums am Hauptwohnsitz hat sich bei den Eigentümerhaushalten zwischen 2010 und 2017 von rund 206.000 Euro auf etwa 259.000 Euro nominal um knapp 26 Prozent erhöht und damit in vergleichbarem Maße wie der Anstieg der Wohnbauten gemäß VGR im gleichen Zeitraum. Das selbst genutzte Wohneigentum entspricht rund 43 Prozent des Bruttogesamtvermögens der privaten Haushalte und stellt damit auch in den Befragungsdaten die wichtigste einzelne Vermögenskomponente der privaten Haushalte dar. 22 Prozent der deutschen Haushalte besitzen Immobilien, die sie nicht selbst nutzen. Sonstiger Immobilienbesitz ist allerdings deutlich verbreiteter unter Haushalten, die ebenfalls selbst genutztes Wohneigentum besitzen (35 bis 39 Prozent) als bei Mieterhaushalten (11 Prozent), und auch die Höhe ist bei Eigentümern mit durchschnittlich 236.000 Euro (Eigentümer mit Hypothek) bis 288.000 Euro (Eigentümer ohne Hypothek) deutlich höher als bei Mieterhaushalten (176.000 Euro). Zu jedem Befragungszeitpunkt weisen rund ein Fünftel der Haushalte Hypothekenschulden auf, die im Jahr 2017 bei durchschnittlich rund 125.000 liegen und damit gegenüber 2010 um etwa 13,5 Prozent zugenommen haben. Auch auf Basis der Befragungsdaten zeigen sich in den letzten Jahren somit keine wesentlichen Verschiebungen in
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ichtung vermehrter Anlagen in Immobilienvermögen, sondern es sticht weiterhin R die hohe Präferenz für liquide Anlageformen hervor (Deutsche Bundesbank 2019, S. 26). Auch in den Sparmotiven der Bundesbürger spielt der Immobilienkauf nur eine geringe Rolle. Bei den jüngeren Haushalten (Referenzperson unter 45 Jahre) geben nur etwas mehr als 10 Prozent der Haushalte einen möglichen Immobilienkauf als wichtigstes Sparmotiv an (Deutsche Bundesbank 2019, S. 28 f.). Mit Blick auf ab 45-Jährige ist dieses Sparmotiv nahezu vernachlässigbar gering, dafür spielt eine mögliche Immobiliensanierung als Sparmotiv eine etwas größere Rolle.
2.2 Wohneigentum im europäischen Vergleich Rund 44 Prozent der deutschen Haushalte lebten im Jahr 2014 im selbstgenutzten Wohneigentum. Im internationalen Vergleich ist dies ein relativ geringer Anteil. So betrug die durchschnittliche Wohneigentumsquote in der Eurozone im selben Jahr rund 61 Prozent und fiel damit um 17 Prozentpunkte höher aus (Abb. 7.2). Unter den Ländern der Eurozone liegt die Eigentumsquote einzig in Österreich ebenfalls unter 50 Prozent. In Malta, Spanien, Ungarn und der Slowakei leben hingegen mehr als 80 Prozent der Haushalte im Wohneigentum. Eine geringe Wohneigentumsquote lässt sich nicht unmittelbar als problematisch oder ungerecht einordnen, da diese auch schlicht mit den Präferenzen der Haushalte, beispielsweise der Familiensituation, Mobilität oder Heimatverbundenheit zusammenhängt. Zudem kann eine niedrige Wohneigentumsquote auf einen funktionierenden Mietwohnungsmarkt hindeuten, der die regionale Mobilität von Arbeitskräften und somit die Arbeitsmarktflexibilität erhöht (Blanchflower und Oswald 2013). In Deutschland wirken jedoch auch institutionelle Faktoren hemmend auf den Immobilienerwerb, wie beispielsweise die vergleichsweise hohen Nebenkosten beim Erwerb von Wohneigentum (Voigtländer et al. 2017). Mit Blick auf die
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Durchschnittlicher Wert in 1.000 Euro (rechte Achse)
Abb. 7.2 Besitz und Wert des Wohneigentums im Euroraum. Im Jahr 2014. (Quelle: ECB 2017)
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These, dass Immobilienbesitz häufig auch als Absicherung gegenüber individuellen Lebensrisiken dient, kann in der vergleichsweise hohen sozialstaatlichen Absicherung in Deutschland eine weitere Erklärung für die geringe Wohneigentumsquote liegen. Tatsächlich liegt die Wohneigentumsquote in Ländern mit umfangreicher wohlfahrtstaatlicher Absicherung niedriger als beispielsweise in den süd- und südosteuropäischen Staaten, die eher geringe Sozialstaatsquoten aufweisen (Beznoska et al. 2018, S. 13). Ähnlich gestaltet sich der Zusammenhang zwischen Wohlstandsniveau und Wohneigentumsquote: Je geringer die Wohneigentumsquote, desto höher in der Tendenz der durchschnittliche Wert des Eigentums (Abb. 7.2, rechte Achse). Nur in Österreich und Belgien lag der durchschnittliche Verkehrswert des selbstgenutzten Wohneigentums substanziell höher als in Deutschland.
2.3 Immobilienbesitz und Verteilung Abb. 7.3 illustriert die Verteilung des selbstgenutzten sowie des sonstigen Immobilienvermögens zum einen entlang der Nettovermögensverteilung und zum anderen entlang der Bruttoeinkommensverteilung. Dabei variiert die Wohneigentumsquote entlang der Nettovermögensverteilung in Deutschland deutlich: Während bei den oberen beiden Quintilen – also den vermögensreichsten 40 Prozent der Haushalte – mehr als 80 Prozent im selbstgenutzten Wohneigentum leben, sind es bei den vermögensärmeren 60 Prozent nur durchschnittlich 4 bis 40 Prozent. Die gewisse Spaltung der Vermögensverteilung in Eigentümer und Nicht-Eigentümer zeigt sich auch im Durchschnitt der Eurozone, innerhalb der die Wohneigentumsquote in der oberen Hälfte der Nettovermögensverteilung zwischen 86 und 95 Prozent liegt und in der unteren Hälfte zwischen 4 und 74 Prozent. Der Zusammenhang zwischen
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Abb. 7.3 Die Verteilung des selbstgenutzten Wohneigentums in Deutschland. Durchschnittliche Wohneigentumsquote in Prozent (linke Achse), bedingter Mittelwert in Euro (rechte Achse), im Jahr 2017. (Quelle: Deutsche Bundesbank 2019)
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ruttoeinkommen und Wohneigentumsquote ist ebenfalls eindeutig positiv, allerB dings deutlich schwächer ausgeprägt als der Zusammenhang mit den Nettovermögen. Auch bei den reichsten 20 Prozent der Bruttoeinkommen leben rund 30 Prozent der Haushalte nicht im Wohneigentum – mit Ausnahme von Österreich fällt dieser Anteil in den anderen Ländern der Eurozone deutlich geringer aus. Die Linien in Abb. 7.3 (rechte Achse) verdeutlichen darüber hinaus, dass auch die durchschnittlichen Verkehrswerte des Wohneigentums entlang der Verteilung der Bruttoeinkommen erkennbar näher beieinander liegen, als wenn diese entlang der Nettovermögensverteilung betrachtet werden.
3 Erbschaft und Schenkung von Wohneigentum Nachdem wir uns in den vorangegangenen Abschnitten mit der allgemeinen Bedeutung von Wohneigentum für die Nettovermögen und der Verteilung des Wohnimmobilienbesitzes beschäftigt haben, sollen nun die folgenden Fragen beleuchtet werden: Auf welche Weise wird selbst genutztes Wohneigentum erworben, in welchem Umfang werden selbst genutzte Wohnimmobilien vererbt oder verschenkt und welche Bedeutung geht von geerbten und geschenkten Wohnimmobilien für die Nettovermögen der Erben aus?
3.1 Wege des Erwerbs von Wohneigentum Mit der ersten Frage sei begonnen. Grundsätzlich lassen sich vier mögliche Arten unterscheiden, wie ein Haushalt an Wohneigentum gelangen kann und die in den Befragungsdaten des HFCS der EZB zu finden sind (EZB 2016): Durch Kauf, durch Selberbauen, durch Erbschaft und durch Schenkung. Wie aus Abb. 7.4 für das Jahr 2014 hervorgeht, haben mehr als drei Viertel der deutschen Wohneigentümer (rund 77 Prozent) ihre Immobilie selbst erworben oder selbst gebaut. Die restlichen
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Abb. 7.4 Wege des Erwerbs von selbst genutztem Wohneigentum. In Prozent. (Quellen: HFCS, 2. Welle, EZB, 2016; eigene Berechnungen)
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23 Prozent haben sie entweder geerbt oder geschenkt bekommen. Im Vergleich dazu liegt der Anteil der Wohneigentümer mit geerbten oder geschenkten Wohnimmobilien in der Eurozone bei durchschnittlich 18 Prozent. In Belgien liegt der entsprechende Anteil bei 6 Prozent, in Frankreich bei 8 Prozent und in Spanien bei 14 Prozent, während er in Österreich bei 29 Prozent liegt und in Italien bei 32 Prozent. Insgesamt zeigt sich, dass Erbschaften und Schenkungen von Wohnimmobilien eine etwas größere Rolle beim Eigentumserwerb in Deutschland spielen als in vielen anderen Ländern der Eurozone. Darüber hinaus kann aus Abb. 7.5 entnommen werden, dass der Anteil der Immobilienkäufer in jüngeren Altersgruppen höher ausfällt als für ältere und die Bedeutung von geerbten und geschenkten Wohnimmobilien für den eigenen Gebrauch mit dem Alter steigt. Während die Erbschaftsquote von Wohnimmobilien für die 56- bis 65-Jährigen mit rund 20 Prozent am größten ausfällt, ist die Schenkungsquote mit rund 11 Prozent bei den 46- bis 55-Jährigen am größten. Diese Beobachtung ist zu erwarten gewesen, da die potenziellen Erblasser dieser Altersgruppen, das heißt ihre Eltern, in einem Alter sind, in dem ein Ableben oder Auflösen von Haushaltsbeständen sehr viel wahrscheinlicher sind. Auffällig ist aber auch, dass die über 65-Jährigen ihre selbstgenutzten Wohnimmobilien noch besonders häufig selbst gebaut haben und gleichzeitig die geringste Kaufrate aufweisen. Letztere beträgt rund 46 Prozent, währenddessen sie für die jüngste Altersgruppe bei rund 66 Prozent liegt. Wenngleich die hohe Selbstbaurate der Altersgruppe 65+ noch die Folge der Zerstörungen des 2. Weltkriegs ist und somit eine Sondersituation darstellen könnte, so deutet sich doch ein Lebensverlaufseffekt an: Mit zunehmendem Alter sinkt die Bedeutung des Selber-Kaufens oder Bauens und die Bedeutung von Erbschaften und Schenkungen nimmt zu.
70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% Gekauft
Selbst gebaut 15-35
36-45
Geerbt 46-55
56-65
Geschenkt
>65
Abb. 7.5 Wege des Erwerbs von selbst genutztem Wohneigentum nach Altersgruppen. (Quellen: HFCS, 2. Welle, EZB, 2016; eigene Berechnungen)
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3.2 B edeutung von geerbtem und geschenktem Wohneigentum für die Vermögensverteilung Angesichts der großen Bedeutung von Wohneigentum an der Vermögensmasse der deutschen Privathaushalte (siehe Abschn. 2.1), lohnt sich im Folgenden eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Fragen, welche Vermögenswerte zwischen den Generationen im Allgemeinen übertragen werden und welche Rolle dabei Wohnimmobilien im Speziellen spielen. Die amtliche Statistik, das heißt die Erbschaft- und Schenkungsteuerstatistik, kann hierzu einen ersten Überblick liefern. Allerdings stößt sie schnell an Grenzen, wenn detailliertere Angaben zu unterschiedlichen Erbschaftsarten benötigt werden. Für die spezielle Betrachtung von vererbten und verschenkten Wohnimmobilien wird daher im Wesentlichen auf Befragungsdaten der EZB zurückgegriffen (EZB 2016). Im Jahr 2017 wurden gemäß der amtlichen Erbschaft- und Schenkungsteuerstatistik rund 97,1 Milliarden Euro vererbt oder verschenkt (steuerpflichtig vor Abzug). Nach Abzug von persönlichen Freibeträgen und unter Berücksichtigung anderer Abzugsmöglichkeiten sowie Steuerbegünstigungen, die beispielsweise bei der Übertragung von Betriebsvermögen relevant sind, waren Erbschaften und Schenkungen im Wert von rund 34,5 Milliarden Euro unbeschränkt steuerpflichtig. Das daraus resultierende Erbschaftsteueraufkommen betrug im Jahr 2017 insgesamt rund 6,3 Milliarden Euro (Statistisches Bundesamt 2018). Im Folgenden wird aus Gründen der Einfachheit zumeist nur noch von Erbschaften gesprochen. Schenkungen sind dabei immer miteingeschlossen. Eine wesentliche Einschränkung der amtlichen Statistik besteht jedoch darin, dass aufgrund der relativ hohen persönlichen Freibeträge nicht das gesamte Volumen an Erbschaften abgebildet wird, da lediglich steuerpflichtige Erbschaften, sogenannte steuerpflichtige Erwerbe, erfasst werden. So werden zwar hohe Erbschaften erfasst, die in Haushaltsbefragungsdaten oftmals fehlen, aber gleichzeitig geringe und mittlere Erbschaften untererfasst, wie beispielsweise selbst genutztes Wohneigentum. Nach Schätzungen von Braun (2015) auf Grundlage gesamtwirtschaftlicher Kennzahlen oder Simulationen von Bach und Thiemann (2016) auf Grundlage von Mikrodaten und hinzugeschätzten Vermögensinformationen der Hochvermögenden, soll das jährliche Erbschaftsvolumen vielmehr im Bereich von 200 bis 300 Milliarden Euro liegen. Eine Studie von Tiefensee und Grabka (2017) beziffert das jährliche Erbschaftsvolumen (der über 70-Jährigen) sogar auf bis zu 400 Milliarden Euro pro Jahr, wobei dieses Ergebnis auf einer Erweiterung der Arbeit von Bach und Thiemann (2016) beruht. Es wurde zusätzlich eine positive Wachstumsrate von Sparbeträgen und Vermögenswerten eingeführt. Neben der Unsicherheit in Bezug auf das tatsächliche Erbschaftsvolumen sind Angaben zum vererbten Wohneigentum obendrein der amtlichen Statistik nicht direkt zu entnehmen und werden aufgrund der relativ hohen persönlichen Freibetragsregelungen eher untererfasst. So wird Wohneigentum unter der Kategorie Grundvermögen zusammengefasst und nicht einzeln ausgewiesen. Das Grundvermögen beinhaltet unter anderem unbebaute und bebaute Grundstücke, die Gebäude, die
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sonstigen Bestandteile und das Zubehör, das Erbbaurecht, das Wohnungseigentum und Teileigentum. Der Wert des übertragenen und steuerpflichtigen Grundvermögens lag im Jahr 2017 bei rund 19,2 Milliarden Euro. Im Vergleich dazu wurden im selben Jahr rund 33,5 Milliarden Euro an Betriebsvermögen und rund 16 Milliarden Euro an Anteilen an Kapitalgesellschaften steuerpflichtig vererbt oder verschenkt (siehe Statistisches Bundesamt 2018). Übertragenem Grundvermögen und den darin enthaltenen Wohnimmobilien kommen bei der Vererbung und Schenkung von Vermögenswerten somit eine hohe Bedeutung zu, auch wenn viele nicht steuerpflichtige Erbschaftsfälle außen vor bleiben und die Abgrenzung nur unscharf ist. Für eine tiefergehende Analyse des vererbten Immobilienvermögens, welches auch nicht steuerpflichtiges vererbtes Wohneigentum zur Selbstnutzung umfasst, wird an dieser Stelle auf die Mikrodaten des Household Finance and Consumption Surveys (HFCS) der Europäischen Zentralbank zurückgegriffen. Die aktuellsten verfügbaren Daten für Deutschland stammen aus dem Jahr 2014. Dabei wurden 4461 Haushalte bezüglich ihrer finanziellen Verhältnisse befragt und die drei wichtigsten Erbschaften und Schenkungen ermittelt, die einem Haushalt von außen zugeflossen sind. Auch der nominale Wert einer selbst genutzten Wohnimmobilie zum Zeitpunkt der Erbschaft oder Schenkung wurde erfragt. Erbschaften und Schenkungen innerhalb eines Haushalts werden im HFCS nicht berücksichtigt; in der amtlichen Statistik werden hingegen auch Erbschaften und Schenkungen innerhalb eines Haushalts erfasst. Neben Immobilien umfassen Erbschaften und Schenkungen im HFCS per Definition ebenfalls den Wert von Grundstücken, Bargeld, Unternehmensbeteiligungen, Wertpapieren, Schmuck, Möbeln, Kunstwerken, Lebensversicherungen sowie anderen substanziellen Vermögensgegenständen. Um den Gesamtwert aller empfangenen Erbschaften und Schenkungen eines Haushalts ermitteln zu können, müssen diese Einzelinformationen zusammengeführt werden. Tendenziell kommt es durch die Beschränkung auf die genannten Komponenten zu einer Unterschätzung des tatsächlichen Erbschaftsvolumens, da kleinere Erbschaften und Schenkungen meist nicht erfasst werden. Zu einer Unterschätzung des tatsächlichen Erbschaftsvolumens kommt es auch durch eine Untererfassung sehr vermögender Haushalte, die im HFCS jedoch besser abgebildet werden als beispielsweise im SOEP. Erreicht wurde dies durch eine Überrepräsentation, das heißt durch eine überproportional hohe Stichprobenzahl von vermögenden Haushalten. Da die Beobachtungszahlen von Erbschaften, insbesondere von einzelnen Erbschaftstypen wie Wohnimmobilien, in den einzelnen Jahren dennoch oftmals nur gering ausfallen, wird im Folgenden auf einen Jahresdurchschnitt für den Zeitraum von 1991 bis 2014 verwiesen. Dies ist gleichzeitig der längst mögliche Zeitraum für eine konsistente gemeinsame Betrachtung der Entwicklung in Ost- und Westdeutschland. Tab. 7.1 zeigt auf Grundlage des HFCS, dass in Deutschland zwischen 1991 und 2014 im Jahresdurchschnitt Vermögensgegenstände im Gesamtwert von rund 78 Milliarden Euro vererbt wurden (in Preisen von 2014). Während sich das Gesamtvolumen der durchschnittlich vererbten Wohnimmobilienvermögen im Zeitraum von 1991 bis 2014 auf rund 38 Milliarden Euro pro Jahr belief, wurden im selben Zeitraum Wohnimmobilien im Gesamtwert von durchschnittlich rund 158
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Tab. 7.1 Erbschafts- und Schenkungsvolumen im Jahresdurchschnitt für den Zeitraum von 1991 bis 2014
Im Zeitraum von 1991 bis 2014 Gesamtvolumen der vererbten/ verschenkten Wohnimmobilien Gesamtvolumen aller Erbschaften/Schenkungen Gesamtvolumen aller gehandelten Wohnimmobilien (Kauf und Erbschaften/ Schenkungen) Durchschnittlicher Wert der vererbten/verschenkten Wohnimmobilien (Erbenhaushalte) Mittlerer Wert (Median) der vererbten/verschenkten Wohnimmobilien (Erbenhaushalte)
Jahresdurchschnitt, in Preisen von 2014 € 38 Mrd.
Anteil des durchschnittlich vererbten Wohnimmobilienvermögens 100 %
€ 78 Mrd.
49 %
€ 158 Mrd.
24 %
€ 236.363
-
€ 130.908
-
Quellen: HFCS, 2. Welle, EZB 2016; eigene Berechnungen
Milliarden pro Jahr gehandelt (am Markt gekauft/verkauft oder vererbt und verschenkt, in Preisen von 2014). Somit lag der Anteil der vererbten Wohnimmobilien bei rund 24 Prozent an allen gehandelten Wohnimmobilien. Gleichzeitig machten die geerbten Wohnimmobilien rund 49 Prozent des gesamten durchschnittlichen Erbschafts- und Schenkungsvolumens dieser Jahre aus. Der durchschnittliche Wert der an die Erben vermachten Wohnimmobilien lag im selben Zeitraum bei rund 236.363 Euro pro Jahr; der mittlere Wert (Median) betrug 130.908 Euro im Jahresdurchschnitt (alle Werte in Preisen von 2014). Die Bedeutung der vererbten Wohn immobilien fällt damit in Bezug auf alle Erbschaften hoch aus. Die Ergebnisse unterstreichen neben der Bedeutung der selbst genutzten Wohn immobilien für den Vermögensbestand der privaten Haushalte in Deutschland auch, dass die allermeisten Wohnimmobilien nicht der Erbschaftsbesteuerung unterliegen (würden), da ihr durchschnittlicher beziehungsweise mittlerer Wert unterhalb der persönlichen Freibetragsgrenzen von nahen Verwandten liegt. So lag der persönliche Freibetrag von Ehegatten beziehungsweise eingetragenen Lebenspartnern bis zum Jahr 2008 bei 307.000 Euro und wurde danach auf 500.000 Euro angehoben. Für Kinder und Stiefkinder lag der persönliche Freibetrag bis 2008 noch bei 205.000 Euro im Erbschaftsfall. Heute liegt er bei 400.000 Euro. Die sogenannte Kernfamilie, das heißt der engere Familienkreis wurde somit durch die Reform zum 1. Januar 2009 deutlich bessergestellt und entlastet (siehe Statistisches Bundesamt 2018). Die meisten vererbten Eigenheime unterliegen daher in aller Regel nicht der Erbschaftssteuer. Schenkungsmöglichkeiten zu Lebzeiten und die damit verbundenen zusätzlichen Freibeträge bei Vermögensübertragungen sind bei dieser Überlegung sogar noch vernachlässigt.
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Um die Bedeutung der geerbten Wohnimmobilien für den Vermögensbestand der Erbenhaushalte aufzuzeigen, wird als nächstes der Anteil des Gegenwartswerts der geerbten Wohnimmobilien am Nettovermögensbestand aller Erben sowie der Erben, die unter anderem selbst genutztes Wohneigentum geerbt haben (schließt andere Erbschaftsgegenstände nicht aus), betrachtet. Da die vermachten Wohnimmobilien den Erben in der Vergangenheit zugeflossen sind, die Nettovermögen aber im aktuellen Jahr beobachtet werden, müssen die zurückliegenden Erbschaften erstens von der Inflation bereinigt und zweitens aufgezinst werden (siehe unter anderem Bönke et al. 2016). Die Inflationsbereinigung erfolgt zum Basisjahr 2014. Die dafür verwendeten Inflationsraten stammen aus einer Datenbank der Weltbank (World Development Indicators, Stand: April 2018). Der inflationsbereinigte Wert der Erbschaften und Schenkungen wird dann mithilfe eines angenommen risikolosen Zinssatzes von 3 Prozent pro Jahr über den zuvor ermittelten Zeitraum aufgezinst. Da sowohl der Zeitpunkt des Erhalts jeder Erbschaft als auch das Jahr der Befragung erfasst sind, kann der jeweilige Aufzinsungszeitraum zuvor bestimmt werden. Wurde eine Erbschaft beispielsweise im Jahr 1995 erhalten, so umfasst der Aufzin sungszeitraum 19 Jahre (2014–1995 = 19). Bei dieser Verfahrensweise wird unterstellt, dass die zugeflossene Erbschaft oder Schenkung vollständig gespart und risikolos angelegt wurde und dass die reale Verzinsung über die gesamte Vermögensverteilung im Durchschnitt ähnlich ausgefallen ist. Zudem wird die Betrachtung auf Erbschaften nach 1990 beschränkt, um Ost- und Westdeutschland gleichermaßen betrachten zu können. Durch die zeitliche Einschränkung wird ein Teil des Erbschaftsvolumens unterschätzt. Wie sich für den Zeitraum von 1991 bis 2014 in Tab. 7.2 zeigt, macht der kapitalisierte Wert der geerbten Wohnimmobilien rund 86 Prozent des gesamten kapitalisierten Werts aller Erbschaften der Haushalte aus, die Wohneigentum zur Selbst nutzung vermacht bekommen haben. Auch in Bezug auf das gegenwärtige Nettovermögen der Erbenhaushalte spielen geerbte Wohnimmobilien eine große Rolle. So beträgt der Anteil des kapitalisierten Werts der geerbten und geschenkten Wohnimmobilien am gegenwärtigen Nettovermögen der Erben von Wohnimmobilien rund 53 Prozent. Im Vergleich dazu macht der Anteil des kapitalisierten Werts aller Erbschaften, die zwischen 1991 und 2014 angefallen sind, rund 62 Prozent am gesamten Nettovermögen aller Erben von Wohnimmobilien aus. Vermachte Tab. 7.2 Bedeutung kapitalisierter Erbschaften und Schenkungen für die Erben von selbst genutztem Wohneigentum Im Zeitraum von 1991 bis 2014 Anteil der kapitalisierten geerbten und geschenkten Wohnimmobilien an allen kapitalisierten Erbschaften und Schenkungen Anteil der kapitalisierten geerbten und geschenkten Wohnimmobilien am gesamten Nettovermögen Anteil aller kapitalisierten Erbschaften und Schenkungen am gesamten Nettovermögen Quellen: HFCS, 2. Welle, EZB 2016; eigene Berechnungen
Anteil in Prozent 86 % 53 % 62 %
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ohnimmobilien sind somit die wesentliche Erbschafts- und SchenkungskompoW nente für die Gruppe der Erben von selbstgenutzten Wohnimmobilien.
3.3 E rbschafts- und Schenkungsquote von Wohneigentum nach Altersgruppen Nachdem sich der vorherige Abschnitt mit der Entwicklung des Erbschaftsvolumens von Wohnimmobilien zwischen 1991 und 2014 befasst hat, widmet sich der nun folgende Abschnitt den Fragen, welche Haushalte Erbschaften im Allgemeinen erhalten haben und wohin vererbte Wohnimmobilien im Speziellen geflossen sind. Zur Beantwortung der beiden Fragen werden die Anteile der Haushalte mit geerbten Wohnimmobilien an allen Haushalten mit und ohne Erbschaften betrachtet und weiter nach dem Alter des Haushaltsvorstands und der Nettovermögensposition differenziert. An dieser Stelle wird die Analyse nun auch nicht mehr auf die seit 1991 zugeflossenen Erbschaften beschränkt, sondern sie umfasst sämtliche Erbschaftsbeobachtungen, die in den Befragungsdaten des HFCS erfasst sind. Aus Abb. 7.6 geht hervor, dass Erbschaften in höherem Maße an ältere Haushalte fließen. So haben rund 21 Prozent der Haushalte mit einem Haushaltsvorstand im Alter zwischen 16 und 35 Jahren mindestens eine Erbschaft in ihrem Leben erhalten, wozu neben Immobilien auch anderes Finanzvermögen wie Aktien oder Bargeld zählen können. Mit zunehmendem Alter steigt derselbe Anteil und ist für die Altersgruppe der 56- bis 65-Jährigen mit rund 39 Prozent am größten. Für die Gruppe 66+ fällt der Anteil mit rund 24 Prozent wieder geringer aus und liegt auf einem Niveau mit den 36- bis 45-Jährigen. Ein ähnliches Bild zeigt sich, wenn der Anteil der Haushalte mit geerbten Wohnimmobilien an allen Haushalten betrachtet wird: Auch hier nimmt die Erbschaftsquote mit steigendem Alter zu – wenngleich sie sich auf einem geringeren Niveau bewegt – und fällt in der Altersgruppe der 56- bis 65-Jährigen mit rund 16 Prozent Erbschafts- und Schenkungsquote nach Altersgruppen
Erbschafts- und Schenkungsquote nur von Wohnimmobilien nach Altersgruppen
60%
60%
50%
50%
40%
40%
30%
30%
20%
20%
10%
10%
0% -10%
16-35
36-45
46-55
56-65
Anteil an allen Haushalten
66+
0% 16-35
36-45
46-55
Anteil an allen Haushalten
56-65
66+
Anteil an allen Erben
Abb. 7.6 Erbschafts- und Schenkungsquote nach Altersgruppen. (Quellen: HFCS, 2. Welle, EZB, 2016; eigene Berechnungen)
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am größten aus, dicht gefolgt von den 46- bis 55-Jährigen mit rund 15 Prozent. Dieselben Anteile fallen wertmäßig wieder höher aus, wenn nur Erben-Haushalte als Vergleichsgruppe dienen. In diesem Fall steigt der Anteil der Haushalte mit geerbten Wohnimmobilien ebenfalls mit dem Alter an, erreicht aber in der Gruppe der 46- bis 55-Jährigen seinen höchsten Wert mit rund 53 Prozent und liegt für die noch älteren Gruppen bei über 40 Prozent.
3.4 E rbschafts- und Schenkungsquote von Wohneigentum nach Nettovermögensverteilung Entlang der Nettovermögensverteilung zeigt sich ein ähnliches Muster wie bei der Betrachtung nach Altersgruppen. Dies war weitestgehend zu erwarten, da Vermögen in aller Regel im Lebensverlauf durch Sparanstrengungen gebildet werden und somit positiv mit dem Alter korreliert sind. Einerseits sollen Vermögen das Konsumniveau im Alter absichern, wenn kein Arbeitseinkommen mehr vorhanden ist und die Rentenzahlungen geringer ausfallen als die vorherigen Arbeitseinkommen. Andererseits können altruistisch geneigte Haushalte ebenfalls aus einem Erbschaftsmotiv heraus ein Vermögen aufbauen, das bei Ableben an ihre Nachkommen übergehen soll. Letztlich zeigt sich in Abb. 7.7, dass die Erbschafts- und Schenkungsquote mit zunehmenden Nettovermögensdezil in aller Regel steigt. Eine Ausnahme ist das unterste Dezil. Dort beträgt die Erbschafts- und Schenkungsquote rund 14 Prozent und ist damit ähnlich hoch wie im 4. Dezil. Demgegenüber fällt die Erbschafts- und Schenkungsquote im 2. Dezil mit rund 3 Prozent am geringsten aus. Am höchsten ist sie mit rund 50 Prozent im obersten Dezil. Wird der Blick auf Haushalte beschränkt, die Wohnimmobilien zur Selbstnutzung vermacht bekommen haben (neben möglichen weiteren Erbschaften und Schenkungen), so fällt die Erbschafts- und Schenkungsquote in Bezug auf alle Haushalte gegenüber den zuvor genannten Erbschafts- und Schenkungsquote nur von Wohnimmobilien nach Nettovermögensdezilen
Erbschafts- und Schenkungsquote nach Nettovermögensdezilen
60%
60%
50%
50%
40%
40%
30%
30%
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20%
10%
10%
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0% 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. Dezil Dezil Dezil Dezil Dezil Dezil Dezil Dezil Dezil Dezil Anteil an allen Haushalten
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. Dezil Dezil Dezil Dezil Dezil Dezil Dezil Dezil Dezil Dezil Anteil an allen Haushalten
Anteil an allen Erben
Abb. 7.7 Erbschafts- und Schenkungsquote nach Nettovermögensdezilen. (Quellen: HFCS, 2. Welle, EZB, 2016; eigene Berechnungen)
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rgebnissen erneut geringer aus. Insbesondere fällt die Erbschaftsquote von Wohn E immobilien in der unteren Hälfte der Nettoeinkommensverteilung geringer aus als in der oberen und liegt in den untersten fünf Dezilen zwischen rund 0,5 Prozent und 4 Prozent (gemessen an allen Haushalten), während sie in den oberen fünf Dezilen zwischen 12 Prozent und 23 Prozent liegt. Auf höherem Niveau zeichnet sich ein vergleichbares Bild ab, wenn man die Vergleichsgruppe auf alle Erbenhaushalte beschränkt: So gibt es hier ebenfalls eine klare Abgrenzung in der Erbschafts- und Schenkungsquote zwischen dem 1. bis einschließlich 5. Dezil gegenüber den oberen fünf Dezilen (6. bis 10. Dezil). Die entsprechende Quote liegt im 5. Dezil bei rund 18 Prozent, während sie mit rund 40 Prozent im 6. Dezil mehr als doppelt so hoch ausfällt. Gleichzeitig ist die Erbschafts- und Schenkungsquote im 1. und 2. Dezil mit respektive 18 Prozent und 16 Prozent höher als im 3. und 4. Dezil. Insgesamt macht die Betrachtung deutlich, dass Erben von Wohnimmobilien häufiger im oberen Teil der Nettovermögensverteilung zu finden sind. Wenngleich Erbschaften unterschiedlicher Art über die Nettovermögensverteilung der Haushalte ungleich verteilt sind, was ebenfalls für geerbtes Wohneigentum gilt, so führen sie entgegen der weit verbreiteten Vorstellung dennoch zu einer Angleichung der Nettovermögensverteilung (siehe auch Bönke et al. 2017 oder Bez noska et al. 2018, S. 13). Dieser Effekt resultiert im Wesentlichen daraus, dass die relative Bedeutung des Werts der Erbschaften mit steigender Vermögensposition abnimmt und sich Erbschaften zumeist auf mehrere Erbenhaushalte mit mehreren Köpfen aufteilen. Erbschaften tragen somit dazu bei, die Nettovermögen der Haushalte anzugleichen, obwohl die Häufigkeit und die absoluten Erbschaftsbeträge mit steigender Vermögensposition zunehmen. Da jedoch die relative Bedeutung von Erbschaften und Schenkungen am Gesamtnettovermögen der Haushalte in den unteren Bereichen der Nettovermögensverteilung größer ist, kommt es zu dem umverteilenden Effekt. Dieser Effekt geht ebenfalls von geerbtem Wohneigentum aus. Um dies zu veranschaulichen, wurden in Abb. 7.8 erneut zehn gleichgroße Nettovermögensgruppen gebildet, wobei in einem der beiden dargestellten Fälle zuvor der kapitalisierte Wert der seit 1991 geerbten Wohnimmobilien vom gegenwärtigen Nettovermögen der Erbenhaushalte abgezogen wurde. Im direkten Vergleich der beiden Zustände zeigt sich sodann, dass ein wesentlicher Teil der Erben von selbst genutztem Wohneigentum ohne die Erbschaft im unteren Teil der Nettovermögensverteilung läge und die Erbschaftsquote in den oberen Dezilen damit geringer ausfällt.
4 Fazit Angesichts der anhaltend niedrigen Zinsen und der steigenden Immobilienpreise ließe die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank eine zunehmende Verschiebung der Vermögensportfolios Richtung Immobilien erwarten. Bereits im ersten Kapitel des Buchs wurde gezeigt, dass sich gleichwohl die Wohneigentumsquote
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25% 20% 15% 10% 5% 0%
1. Dezil
2. Dezil
3. Dezil
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Nettovermögensverteilung inkl. geerbter Wohnimmobilien
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7. Dezil
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9. Dezil 10. Dezil
Nettovermögensverteilung abzgl. geerbter Wohnimmobilien
Abb. 7.8 Erbschafts- und Schenkungsquote von Wohnimmobilien nach Nettovermögensdezilen mit geerbtem Wohneigentum und ohne. Anteil an allen Haushalten. Anmerkung: In Preisen von 2014. Nur seit 1991 geerbte und geschenkte Wohnimmobilien wurden bei Abzug berücksichtigt. Diese wurden mit r = 3 Prozent kapitalisiert und sind nicht bei 100 Prozent des Nettovermögens der Haushalte gedeckelt. Die Differenz aus dem Nettovermögen und dem kapitalisierten Wert der geerbten Wohnimmobilien kann daher negativ sein. (Quellen: HFCS, 2. Welle, EZB, 2016; eigene Berechnungen)
in Deutschland in den letzten Jahren praktisch nicht verändert hat. Aus der Vermögensbilanz der VGR lässt sich darüber hinaus ablesen, dass sich die in klassischen Geldeinlagen gehaltenen Vermögenswerte im letzten Jahrzehnt ähnlich dynamisch entwickelt haben wie die Werte der Wohnimmobilien. Die weiterhin ausgeprägte Liquiditätspräferenz der deutschen Haushalte impliziert somit, dass im Vermögensportfolio kaum Verlagerungen in Richtung zunehmenden Wohnimmobilienvermögens zu beobachten sind. Das Anlageverhalten der deutschen Haushalte ist im internationalen Vergleich besonders: In keinem Land der Eurozone ist die Woh neigentumsquote niedriger. Dennoch stellt das selbst genutzte Wohneigentum auch in Deutschland die bedeutendste Komponente des Bruttogesamtvermögens dar. Da die Bildung von Wohneigentum gleichsam mit subjektiven Präferenzen der Haushalte und vielen institutionellen Faktoren zusammenhängt, lässt sich eine niedrige Wohneigentumsquote nicht ohne Weiteres als „gut oder schlecht“ einordnen. Gleichwohl ist die Verteilung der Nettovermögen im Wesentlichen durch die Verteilung der Wohnimmobilien geprägt – sehr grob aufgeteilt gibt es eine vermögensärmere Hälfte ohne Wohneigentum und eine vermögensreichere Hälfte mit Wohneigentum. Der Besitz von Wohneigentum ist zwar auch positiv mit dem Einkommen korreliert, aber im Vergleich zu anderen Ländern wohnen in Deutschland vergleichsweise viele einkommensstarke Haushalte zur Miete. Aufgrund fehlender vollumfänglicher Daten lässt sich der Einfluss von Erbschaften auf die Bildung von Wohneigentum nur approximativ beziffern. Nach Befragungsdaten der Europäischen Zentralbank stellen Erbschaften einen wichtigen, aber nicht den bedeutendsten Weg dar, um in den Besitz einer Wohnimmobilie zu gelangen: Etwas weniger als ein Viertel der privaten Haushalte haben ihre
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I mmobilien geerbt oder geschenkt bekommen. Gemäß den Schätzungen auf Basis der Befragungsdaten machen vererbte und geschenkte Wohnimmobilien mit rund 38 Milliarden Euro rund 49 Prozent des gesamten Erbschafts- und Schenkungsvolumens im Jahresdurchschnitt zwischen 1991 und 2014 aus. Die Bedeutung von Wohnimmobilien am Erbschaftsvolumen passt somit zur zuvor ermittelten Bedeutung von Immobilien im gesamten Vermögensportfolio der Haushalte. Die weitere Analyse zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit zu erben mit dem Alter des Haushaltsvorstands steigt, am häufigsten treten Erbschaften und Schenkungen in der Altersgruppe der 56- bis 65-Jährigen auf. Ebenso steigt die Wahrscheinlichkeit von Erbschaften mit steigender Position in der Nettovermögensverteilung. Ohne Erhalt der Immobilienerbschaft, also bei Abzug des kapitalisierten Erbschaftswerts von den Nettovermögen, würden sich hingegen viele Erben in den unteren Bereich der Vermögensverteilung einordnen. Hieraus ergibt sich im Wesentlichen auch der zunächst kontraintuitive Effekt, dass Erbschaften einen ungleichheitsreduzierenden Effekt auf die Vermögensverteilung haben. Insgesamt lässt sich also festhalten, dass selbst genutztes Wohneigentum eine wichtige Komponente im Vermögensportfolio der Deutschen ist, dessen Bedeutung aber im Verlauf der vergangenen Jahre nicht wesentlich zugenommen hat. Gleichzeitig ist zu konstatieren, dass sich letztlich nur ein vergleichsweise unscharfes Bild der Bedeutung des Wohneigentums und dessen Weitergabe für die Vermögensbildung in Deutschland zeichnen lässt, da sowohl die verfügbaren gesamtwirtschaftlichen Daten als auch die Mikrodaten durch unterschiedliche Schwächen immer nur einen Teil der Wirklichkeit gut abbilden können. Für eine tiefergehende Erforschung wäre daher eine bessere und umfangreichere Datengrundlage wünschenswert.
Literatur Bach S, Thiemann A (2016) Hohe Erbschaftswelle, niedriges Erbschaftsteueraufkommen. DIW Wochenbericht 3:63–71 Beznoska M, Niehues J, Stockhausen M (2018) Die Vermögensverteilung im internationalen Vergleich. Studie im Auftrag der vbw, München Blanchflower DG, Oswald AJ (2013) Does high home-ownership impair the labor market? Working Paper Series WP13-3. Peterson Institute for International Economics Bönke T, Corneo G, Westermeier C (2016) Erbschaft und Eigenleistung im Vermögen der Deutschen: Eine Verteilungsanalyse. Perspektiven der Wirtschaftspolitik 17(1):35–53 Bönke T, von Werder M, Westermeier C (2017) How inheritances shape wealth distributions: an international comparison. Econ Lett 159:217–220 Braun R (2015) Erben In Deutschland 2015–24. Volumen, Verteilung und Verwendung. Deutsches Institut für Altersvorsorge, Berlin Deutsche Bundesbank (2018) Ergebnisse der gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsrechnung für Deutschland – 2012 bis 2017. Statistische Sonderveröffentlichung 4, Frankfurt am Main Deutsche Bundesbank (2019) Vermögen und Finanzen privater Haushalte in Deutschland: Ergebnisse der Vermögensbefragung 2017. Dtsch Bundesbank Monatsber April 2019:13–44 Deutsche Bundesbank/Statistisches Bundesamt (2018) Sektorale und gesamtwirtschaftliche Vermögensbilanzen, 1999–2017. Statistisches Bundesamt, Frankfurt am Main
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Europäische Zentralbank (EZB) (2016) The Household Finance and Consumption Survey: methodological report for the second wave. ECB Statistics Paper Series 17:1–112 European Central Bank (ECB) (2017) The household finance and consumption survey, Wave 2, Statistical Tables, April 2017 Grabka MM, Westermeier C (2015) Reale Nettovermögen der Privathaushalte in Deutschland sind von 2003 bis 2013 geschrumpft. DIW-Wochenbericht 82(34):727–739 Spiegel Online (2019) Immobilienbesitzer werden immer reicher. https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/deutsche-immobilienbesitzer-werden-immer-reicher-a-1262923.html. Zugegrif fen am 15.04.2019 Statistisches Bundesamt (Destatis) (2018) Erbschaft- und Schenkungsteuer 2017. Wiesbaden Tiefensee A, Grabka MM (2017) Das Erbvolumen in Deutschland dürfte um gut ein Viertel größer sein als bisher angenommen. DIW Wochenbericht 27:565–570 Voigtländer M, Hentze T, Seipelt B (2017) Reform der Grunderwerbsteuer, Studie für die FDP-Fraktionsvorsitzendenkonferenz. Institut der deutschen Wirtschaft, Köln
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Stiftet Wohneigentum soziale Stabilität? Guido Spars
1 Einführung Oftmals wird in der wohnungspolitischen Debatte das Ziel der Wohneigentumsförderung nicht nur mit der Vermögensbildung und somit der Vorsorge für das Alter begründet, sondern auch mit der Vermutung einer sozial stabilisierenden Wirkung des Wohneigentums für Nachbarschaften und Quartiere. Um den Zusammenhang zwischen dem Wohneigentum und der sozialen Stabilität von Nachbarschaft zu erörtern, wird zunächst der aktuelle Stand der internationalen Literatur und Empirie referiert und zusammengefasst. Ein besonderes Augenmerk wird auf die Frage gelegt, was die Eigentumsbildung in problematischen Quartieren für die Stabilisierung in diesen Nachbarschaften leisten kann. Hierfür werden qualitative empirische Ergebnisse und Erfahrungen in niederländischen und deutschen Städten zusammengetragen und erörtert. Abschließend wird aufgezeigt, was die Ergebnisse insgesamt für das Politikfeld der Wohneigentumsbildung bedeuten und wie ein entsprechender Strategieansatz aussehen könnte.
2 W ohneigentum kann zur Bildung sozialen Kapitals beitragen Schaut man in die internationale Literatur zu den stabilisierenden Wirkungen des Wohneigentums, so wird das Hauptargument für die Subventionierung von selbst genutztem Eigentum in der Regel in den positiven Spillover-Effekten des G. Spars (*) Bergische Universität Wuppertal, Ökonomie des Planens und Bauens, Wuppertal, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 O. Depenheuer et al. (Hrsg.), Wohneigentum für breite Schichten der Bevölkerung, Bibliothek des Eigentums 18, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61287-3_8
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ohneigentums auf die Nachbarschaft und die Gesellschaft gesehen (Andrews W und Sánchez 2011). Hierbei fokussieren sich einige Forschungsergebnisse auf die Vermehrung sozialen Kapitals, die durch das eigengenutzte Wohneigentum begünstigt wird (Yamamura 2009). Hierzu gehört z. B. auch ein stärkeres Community Engagement und eine höhere Wahlbeteiligung im lokalen Zusammenhang, was DiPasquale und Glaeser (1998) bereits dazu veranlasste zu fragen, ob Wohnungseigentümer wohl die „besseren“ Bürger seien. Das soziale Kapital wird hierbei in der Verbindung zu anderen Bewohnern in der Nachbarschaft gesehen (z. B. Netzwerke), das darin besteht, mit anderen zu kooperieren, um z. B. lokale öffentliche Güter gemeinsam zu schaffen (vgl. auch Hilber 2007; Glaeser und Redlick 2008). Die Autoren fanden auf der Grundlage der Auswertungen des US General Social Surveys (GSS) (1972–1993) heraus, dass Wohnungseigentümer durchschnittlich in 1,9 nicht-professionellen Organisationen Mitglieder sind, wohingegen Mieter nur 1,4 Mitgliedschaften vorzuweisen haben. Das Eingebundensein („involvement“) in lokalpolitische Strukturen wurde mit mehreren Fragen getestet (DiPasquale und Glaeser 1998, S. 13 ff.). Hierzu gehörte z. B. das Kennen der Namen des jeweiligen US-Repräsentanten und des Leiters des lokalen School Boards. Während Ersteren die Mieter nur in 23 % und Letzteren in 21 % der Fälle kannten, waren dies bei den Eigentümern mit 45 % und 38 % ungefähr doppelt so viele. Die Teilnahmequote an lokalen Wahlen wurde ebenfalls bei beiden Gruppen verglichen. Hier führten ebenfalls die Wohneigentümer mit einer Teilnahmequote von 77 % vor den Mietern mit einer Quote von nur 52 %. Die Befragten wurden weiterhin gefragt, ob sie sich schon mal an der Lösung eines lokalen Problems beteiligt hätten, was die Mieter zu 24 % bejahten und die Eigentümer aber zu 40 %.1 Es zeigt sich hierbei eine insgesamt höhere Investition der Wohnungseigentümer in das soziale Kapital der Nachbarschaften als der Mieterhaushalte. Da die Gruppe der Mieter aufgrund niedrigerer Einkommen und Bildungsabschlüsse auch andere Abweichungen von der Gruppe der Eigentümer aufweist, haben die Autoren versucht, diese Effekte in einer Regressionsrechnung mithilfe einer „group average homeownership rate“ entsprechend zu berücksichtigen, um eine einigermaßen gesicherte Kausalität zwischen der Eigentümerschaft und der exogenen Variable, dem lokalen, sozialen Kapital bzw. dem „Wohlverhalten“ von Bürgern im lokalen Kontext – so wie oben dargestellt – ableiten zu können (DiPasquale und Glaeser 1998, S. 18 f.). Allerdings bleiben derartige Ergebnisse hinsichtlich der vermuteten Kausalität der Regressionsrechnungen nicht unumstritten (Andrews und Sánchez 2011). Was mithilfe solcher Studien deutlich wird ist, dass die Wohneigentümer wohl einen stärkeren Anreiz haben, in ihr Umfeld und das soziale Kapital ihrer Nachbarschaft zu investieren. Dies stellt ein rationales Verhalten insofern dar, als dass die Eigentümer einen nicht unerheblichen Teil ihres Lebenseinkommens in die Immobilie investieren und wissen, dass das soziale und lokalökonomische 1 Die Autoren haben auch noch zahlreiche Fragen zur Freizeitgestaltung, wie z. B. zu Kirchenbesuchen und dem Waffenbesitz ausgewertet, die an dieser Stelle nicht dargestellt werden.
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Umfeld ihres Wohnstandortes, die Infrastruktur und das Image einen relativ großen Einfluss auf die Wertentwicklung (Kapitalisierung) und somit auf die Wiederveräußerung ihres Eigentums haben können. Hinzu kommt die durchschnittlich längere Wohndauer von Eigentümern an den betreffenden Standorten, was sich sowohl mit den individuellen Präferenzen als auch mit den höheren Transaktionskosten beim Verlassen der Immobilie erklären lässt. In der Auswertung von DiPasquale und Glaeser leben 41,2 % der Mieter nur 3 Jahre oder weniger an dem betreffenden Standort, bei Eigentümern sind dies nur 15,9 %. Es leuchtet unmittelbar ein, dass ein Bewohner, der einen längeren Aufenthalt am Standort plant, auch eine höhere Bereitschaft hat, in das soziale Kapital des Standortes zu investieren, als ein Mieter, der bereits heute schon weiß, dass er in drei Jahren wieder wegziehen möchte und diese Investition voraussichtlich eher als „sunk costs“ (versunkene Kosten) betrachtet. Vergleichbare Ergebnisse für Japan hat Yamamura (2009) herausgearbeitet. Er begründet aus der spezifisch japanischen Perspektive, dass die (langfristige) Eingebundenheit in die lokale Gemeinschaft – auf die er sich in seiner Untersuchung konzentriert – den entscheidenden Faktor für Investitionen in das Sozialkapital in japanischen Nachbarschaften darstellt. Hierbei weist er in einer Modellrechnung nach, dass nicht nur die Eigentümerschaft selbst positiv mit der individuellen Investition in das Sozialkapital korreliert, sondern dass mit steigender Eigentümerquote in einer Nachbarschaft auch die individuellen Investitionen in das Sozialkapital ansteigen (Yamamura 2009, S. 18 f.). Überdies zeigt er, dass die Investitionsintensität bei Nachbarschaftseigentum höher ist als bei individuellem Eigentum und, dass Bewohner größerer Städte stärker in soziales Kapital investieren als Bewohner kleinerer Städte (Ebd.). Auch für Deutschland existieren empirische Befunde zur Beziehung zwischen Eigentümerschaft und Investitionsbereitschaft in das soziale Kapital des Wohnstandortes, die auf der Auswertung der Daten des sozio-ökonomischen Panels (SOEP) beruhen (DiPasquale und Glaeser 1998). Die Regressionsrechnungen zeigen, dass deutsche Wohnungseigentümer um 3,3 % häufiger ehrenamtlich tätig sind und sich um 4,1 % häufiger politisch engagieren als Mieter. Im Vergleich mit den USA fallen diese Werte allerdings etwas niedriger aus.
3 D er Zusammenhang von Wohnungseigentum und guten Sozialindikatoren ist nicht eindeutig Neben diesen grundsätzlichen Erörterungen zur höheren Bereitschaft einer Investition von Eigentümerhaushalten in das soziale Kapital von Nachbarschaften und Quartieren wird in der Literatur auch argumentiert, dass Hausbesitzer sich besser um ihr Eigentum kümmern (DiPasquale und Glaeser 1998 ) und sowohl glücklicher (Rossi und Weber 1996) als auch gesünder (Benzeval und Judge 1996) sind. Inwieweit diese Beziehungen kausal sind, bleibt jedoch weitestgehend unklar, und die wahre Beziehung könnte tatsächlich auch negativ sein, wenn Hausbesitzer aufgrund
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ihrer gestiegenen finanziellen Verpflichtungen größeren „Ängsten“ und „Problemen“ ausgesetzt sind (Nettleton und Burrows 1998). Es gibt einige empirische Studien zum besseren „Bildungsoutput“ von Kindern in Eigentümerhaushalten, gemessen in Klausur- bzw. Testergebnissen (Haurin et al. 2002; Dietz und Haurin 2003; Green und White 1994). Auch wurde von Green und White gezeigt, dass Kinder aus Eigentümerhaushalten – verglichen mit Kindern aus Mieterhaushalten – u. a. seltener von der Polizei festgenommen werden und einer geringeren Wahrscheinlichkeit unterliegen, im Teenageralter schwanger zu werden. In diesen Ergebnissen können sich die höhere Stabilität und das verbesserte Wohnumfeld widerspiegeln, was in der Tendenz eher in Wohneigentumsstandorten im Vergleich zu Mietstandorten vorkommt. In dem Maße, in dem Wohneigentum die Stabilität des Stadtviertels fördert, können sich auch indirekte Vorteile für Kinder ergeben. Gleichzeitig können sich Stadtteile, in denen sich sozio-ökonomische Problemlagen der Bewohner konzentrieren, negativ auf die Lebenschancen von Kindern auswirken (Jencks und Mayer 1990; Andrews und Sánchez 2011). Es ist jedoch unklar, ob die positive Korrelation zwischen Wohneigentum und den Ergebnissen die Kinder betreffend tatsächlich kausal ist. Dies kann auch da rauf zurückzuführen sein, dass in einigen Datensätzen das Familienvermögen nicht berücksichtigt wird (Andrews und Sánchez 2011). In dem Maße, in dem das Familienvermögen sowohl die Wahrscheinlichkeit, Hausbesitzer zu werden, als auch die Ergebnisse von Schultest der Kinder beeinflusst, werden Studien, die auf solchen Datensätzen basieren, den Einfluss des Hausbesitzes auf die Leistung der Kinder in der Schule überbewerten (Dietz und Haurin 2003). Selbst wenn das Familienvermögen gemessen wird, können unbeobachtete elterliche Merkmale die Analyse stören. Green und White (1997) stellen ein Beispiel vor, bei dem es zwei Arten von Eltern gibt – Investoren und Nichtinvestoren – also Eltern die eher in Gebäude und Kinder investieren und solche die beides eher nicht tun. Da es unwahrscheinlich ist, dass dieses Merkmal der Eltern beobachtet wird, ist jede Schätzung der Auswirkung des Wohneigentums auf die Testergebnisse von Kindern nach oben verzerrt, wenn Eltern vom Investorentyp mit größerer Wahrscheinlichkeit ein Eigenheim kaufen und in ihre Kinder investieren (Andrews und Sánchez 2011).
4 Stabilisiert Wohneigentum benachteiligte Stadtteile? Um in der Frage der Kausalität und der Wirksamkeit von Wohneigentum in pro blematischen Stadtteilen eine exemplarische Facette zu ergänzen und auch Fragen der politisch-planerischen Lösungsansätze zu diskutieren, macht es Sinn, sich einzelne Fallbeispiele von Maßnahmen in problematischen Quartieren genauer anzusehen und deren Auswirkungen zu erörtern. Hierbei sollen zunächst die niederländischen Erfahrungen mit dem sogenannten Klushuizen-Ansatz (Bastelhäuser) vorgestellt und danach soll aus einer Studie mit 21 deutschen Fallbeispielen berichtet werden.
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4.1 Effekte des Klushuizen-Ansatzes in Rotterdam Im Rotterdam der 1990er-Jahre reichte in einigen Quartieren das vorhandene In strumentarium der Stadterneuerung zur Bewältigung der sozialen, gesellschaftlichen und städtebaulichen Missstände nicht mehr aus. Insbesondere die Konzentration von Kriminalität, Prostitution, illegalem Drogenhandel und heruntergekommenen Immobilienbeständen in bestimmten Straßenzügen oder auch in einzelnen Häuserblocks („HotSpots“) waren ein besonderes Problem für die Stadt. 2002 wurde von der Stadt Rotterdam mit dem Klushuizen-Konzept eine neue Maßnahme speziell für diese „HotSpots“ entwickelt: Wohnungen in heruntergekommenen Immobilien werden von der Kommune erworben und in unsaniertem Zustand zu einem sehr günstigen Preis an Einzelinteressenten verkauft, die die Renovierung der Wohnung in Eigenregie und entsprechend ihren eigenen Vorstellungen durchführen. Die Käufer verpflichten sich, die erworbene Wohnung für eine festgelegte Zeit – in der Regel drei Jahre – selbst zu bewohnen (Eigennutzungspflicht) und die Renovierung in einem vorher definierten Zeitraum durchzuführen (Renovierungspflicht). Ziel des Konzeptes war es, über den niedrigen Preis und die freien Gestaltungsund Umsetzungsmöglichkeiten neue Käufergruppen (vor allem die junge, kreative Mittelschicht) anzusprechen und durch die besonderen Bedingungen den Erwerb von Eigentum für diese Käufergruppen auch in problematischen Quartieren attraktiv zu machen (Spars et al. 2015). Neue Bewohnergruppen sollten somit ins Quartier kommen, um die Diversifizierung der Bewohnerstruktur zu gewährleisten und damit die sozio-ökonomische Entwicklung des Quartiers positiv zu beeinflussen. In der Folge sollten sich das Straßenbild und das Quartiersimage verbessern. Das erste Pilotprojekt war der Wallisblok, ein Wohnblock in schlechtem baulichen Zustand der an mehrere Einzeleigentümer verkauft wurde. Die Renovierungsarbeiten wurden unter Nutzung von Synergieeffekten (z. B. durch eine gemeinsame Beauftragung von Architekten oder Handwerkern) als Bauherrengemeinschaft erfolgreich organisiert und umgesetzt. Als Folgeprojekte wurden sowohl größere Wohnblöcke oder ganze Häuserzeilen gemeinschaftlich als Klushuizen-Projekte entwickelt, als auch etliche kleine individuelle Einzelprojekte, in denen die Käufer als alleinige Bauherren auftraten.2 Mithilfe einer eigenen Marketing- und Kommunikationsstrategie wurde das Klushuizen-Projekt einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht. Viel Aufmerksamkeit konnte generiert werden, da die ersten Klushuizen im Wallisblok zu einem symbolischen Preis von 1 € angeboten wurden. Die umfangreiche Berichterstattung in Radio, TV und Zeitschriften sorgte dafür, dass sich ca. 400 Interessierte bei der ersten Informationsveranstaltung für die ersten knapp 40 Klushuizen meldeten
2 Die Interessenten mussten im Zuge der Bewerbung für den Hauskauf ein Renovierungskonzept und einen Finanzierungsplan vorlegen. Bei der Ausarbeitung der Konzepte wurden sie durch Experten beraten und unterstützt. Ebenso erhielten sie im späteren Entwurfs- und Planungsprozess sowie in bauordnungsrechtlichen Angelegenheiten Unterstützung von einem Prozessmanager und einem Architekten, deren Beratertätigkeit durch öffentliche Mittel finanziert wurde.
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(Blom 2009, S. 39). Später war der Verkaufspreis meist deutlich höher (obwohl er weiterhin unter dem Marktpreis lag). Allein in Rotterdam konnten seither 453 desolate Wohneinheiten im Rahmen von Klushuizen-Projekten zu knapp 212 größeren renovierten Einheiten umgebaut werden. Nachdem die Projekte in Rotterdam zur Entschärfung der Situation in einigen „Brennpunkt“-Quartieren beitrugen, wurde das Konzept erfolgreich auf andere niederländische Städte (z. B. Amsterdam, Den Haag, Utrecht, Haarlem, Arnhem, Breda und ’s-Hertogenbosch) übertragen. Aufgrund des Zuzugs neuer engagierter Bewohner und durch die Erhöhung des Eigentümeranteils konnte das Image einiger Problemquartiere – insbesondere in Spangen – verbessert werden (Spars et al. 2015). Durch die Schaffung eines Angebots an preiswerten, größeren Wohneinheiten gelang es zudem, einige Familien in der Stadt zu halten bzw. Familien aus dem Umland in die Stadt zu locken. Es kam zu positiven Spill-over-Effekten auf die Umgebung durch das Engagement und die Begeisterung der meist jungen neuen Eigentümer. So begannen nach einer gewissen Zeit auch etliche Nachbarn, kleinere Renovierungen vorzunehmen und sich generell mehr um ihr Viertel zu kümmern. Die positiven Bewertungen zu den Auswirkungen können nur in wenigen Fällen quantitativ belegt werden, da belastbare Daten bislang nur in eingeschränkter Form vorliegen. Zwar existieren auf Quartiersebene umfangreiche Daten, aufgrund der Größe der abgegrenzten Raumeinheiten und der zahlreichen öffentlichen Maßnahmen in den Quartieren ist jedoch ein Wirkungszusammenhang mit den einzelnen Klushuizen-Projekten nur zurückhaltend herstellbar (Spars et al. 2015). Nachfolgend soll hier kurz auf die Entwicklung in vier Rotterdamer Quartieren eingegangen werden, in denen in größerem Umfang Klushuizen realisiert wurden: Panagos (2013) hat sozio-demografische und ökonomische Daten auf Quartiersebene zusammengestellt und die Veränderungen zwischen 2006 und 2010 untersucht. Anhand von sechs ausgewählten Indikatoren zeigt die Tab. 8.1 die Entwicklung in den vier Quartieren in Spangen, Tarwewijk, Hillesluis, Katendrecht und Rotterdam.
Tab. 8.1 Datenvergleich 2006–2010 auf Quartiersebene (Quelle: Panagos 2013) Veränderung des Anteils der nicht westl. Immigranten Anteil Hauseigentümer Veränderung des durchschn. Einkommens pro Kopf Veränderung des Anteils der Transferleistungsempfänger Veränderung der Zahlungen zur Arbeitslosenunterstützung Entwicklung des durchschnittl. Wohngebäudewerts
Spangen −5 %
Tarwewijk −2 %
Hillesluis 0 %
Katendrecht −4 %
Rotterdam 6 %
79 % 16 %
30 % 10 %
49 % 9 %
103 % 18 %
23 % 11 %
−17 %
14 %
3 %
−15 %
3 %
−10 %
11 %
−15 %
0 %
−7 %
29 %
22 %
13 %
17 %
18 %
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Man sieht, dass in den vier Quartieren der Anteil der nichtwestlichen Immigranten von 2006–2010 gegen den stadtweiten Trend abgenommen und der Anteil der Hauseigentümer überdurchschnittlich zugenommen hat. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Umsetzung der Klushuizen-Projekte zu dieser Entwicklung einen Beitrag geleistet haben. Lediglich im Quartier Spangen haben sich die drei Sozialindikatoren durchschnittliches Einkommen, Anteil an Transfergeldempfängern und Arbeitslosenquote verbessert. Aber auch in Katendrecht ist eine eher positive Entwicklung auszumachen, während sich im Quartier in Hillesluis und besonders im Quartier Tarwewijk die Indikatoren mehrheitlich unterdurchschnittlich gut entwickelt haben. Schaut man auf den Wohngebäudewert als Indikator, so fällt das Quartier Spangen – in dem Klushuizen-Projekte durch das Pilotprojekt Wallisblok eine besonders lange Tradition haben – mit einer stark überdurchschnittlichen Wertsteigerung positiv auf. In anderen Quartieren (Hillesluis, Katendrecht) findet eine im stadtweiten Vergleich eher unterdurchschnittliche Wertentwicklung statt. Insgesamt zeigen sich relativ unterschiedliche Entwicklungen in den Quartieren, lediglich im Quartier Spangen ist eine deutlich positive Entwicklung zu beobachten. Dieses Bild wird durch eine weitere kleinteiligere Untersuchung von Nienhuis (2012) bestätigt, die die Gentrifizierungseffekte von Klushuizen-Projekten zum Gegenstand hat. Die Analyse auf kleinräumiger Ebene in den Quartieren Hillesluis, Katendrecht und Spangen zeigt, dass sich Klushuizen-Projekte sowohl auf die Sozialstruktur als auch die Immobilienwertentwicklung positiv auswirken – allerdings nur im Bereich der direkten Nachbarschaft und nicht auf großräumigerer (Bezirks-) Ebene. Diese positiven Auswirkungen sind am Beispiel Spangen am besten zu beobachten, in Hillesluis dagegen deutlich weniger und in Katendrecht ist ein direkter Wirkungszusammenhang aufgrund der vielfältigen Projekte (z. B. umfangreicher Wohnungsneubau) in diesem Quartier nur schwer abzuleiten (Spars et al. 2015). Als weitere Quelle kann der regelmäßig veröffentlichte Sicherheitsindex (Veiligheitsindex) herangezogen werden. Im Sicherheitsindex wird die Sicherheitslage kleinräumig auf einer Skala von 1 (sehr unsicher) bis 7 (sehr sicher) bewertet (Tab. 8.2). Die Sicherheitslage in den Quartieren Spangen und Katendrecht hat sich von 2005 bis 2013 deutlich verbessert und auf einem höheren Niveau stabilisiert, während die Entwicklung für die anderen Quartiere weniger eindeutig ist. Auf die positive Entwicklung der Sicherheitslage in Spangen wird auch im Evaluationsbericht zum Pilotprojekt Wallisblok eingegangen. In einer Untersuchung Tab. 8.2 Sicherheitsindex (Veiligheitsindex) Rotterdam. (Quelle: Gemeente Rotterdam) 2005 2007 2009 2011 2013
Rotterdam Gesamt 6,9 7,3 7,3 7,5 7,2
Spangen 4,6 7,0 6,3 6,4 6,6
Tarwewijk 4,5 4,6 3,9 5,5 4,4
Hillesluis 5,5 4,9 4,3 4,8 4,1
Katendrecht 6,3 7,1 7,6 9,0 9,3
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konnte bestätigt werden, dass das Klushuizen-Projekt die positive Entwicklung der Sicherheitslage in der direkten Nachbarschaft des Wallisblok deutlich beeinflusst hat (Boonstra 2008, S. 22). Bezüglich der Meldung gefährlicher bzw. krimineller Vorkommnisse ist zwischen 2002 und 2006 ein starker Rückgang im Umfeld des Wallisblok (Mathenesserweg, Dirk Danestraat, Vosmaerstraat) festzustellen. Die Entwicklung ist hier deutlich positiver als auf Quartiers- und auf gesamtstädtischer Ebene. Insgesamt zeigt sich, dass in vielen Fällen eher positive Auswirkungen auf das direkte Umfeld von Klushuizen-Projekten festzustellen sind. Die Erwartungen an die durch derartige Projekte entstehenden Impulse für die Quartiersentwicklung sollten jedoch nicht zu hoch eingeschätzt werden. Am Beispiel der untersuchten Rotterdamer Quartiere wird klar, dass die Intensität der Wirkungen je nach Ausgangssituation sowie in Abhängigkeit von Umfang und Alter der Projekte recht unterschiedlich ausfallen kann.
4.2 E rgebnisse zur Wirkung von Eigentumsmaßnahmen in deutschen Fallstudiengebieten Neben den niederländischen Beispielen einer „alternativen“ Eigentumsbildungsmaßnahme (Klushuizen) sollen nun Beispiele aus deutschen Städten herangezogen werden. Schaut man auf eine qualitativ-empirische Studie des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBSR) (Voigt et al. 2003) zu 21 Fallbeispielen der Privatisierung in 14 westdeutschen Großstädten (siehe Tab. 8.3), so wird auch hier nachgewiesen, dass die Schaffung von Wohneigentum durch Bestandsprivatisierung und durch Neubau zur Stabilisierung benachteiligter Stadtteile beitragen kann. Die Studie bezieht sich auf insgesamt 1062 für selbstnutzende Eigentümer umgewandelte Bestandswohneinheiten und auf 732 für selbstnutzende Eigentümer neugebaute Wohneinheiten in diesen 21 Fallbeispielquartieren, darunter 13 Bestandsund 8 Neubauquartiere (vgl. Tab. 8.3 und 8.4). Im Ergebnis der Untersuchung zeigt sich, dass die Umwandlung von Bestandswohnungen zu Wohneigentum und der Neubau von Eigentumswohnungen konkret vier stabilisierende Wirkungen im Quartier entfalten können: Mithilfe der Privatisierung kann es gelingen, Bewohner mit einer längeren Wohnbiografie und positiven Einstellungen zum eigenen Stadtteil im Quartier zu halten. Der Wohnungsneubau für neue Eigentümer führt dazu, dass neue und meist jüngere Bewohner zuziehen, die – auch durch neue Lebensstile – zu einer Belebung und Verjüngung des Stadtteils beitragen und dem Stadtteil neue Entwicklungsperspektiven eröffnen. Insgesamt führt das Wohneigentum zu einer höheren Wohnzufriedenheit und stärkeren Bindung an den Stadtteil, was ebenfalls zur Stabilisierung beiträgt. Aufgrund der Investitionen in den Wohnungsbestand und den Neubau kommt es zu einer Aufwertung und positiven Veränderung des Erscheinungsbilds des Stadtteils und auch zu veränderten Verhaltensweisen in den privatisierten Bestandsobjekten (höhere soziale Kontrolle, stärkere Verantwortungsbereitschaft), die insgesamt helfen den Stadtteil zu stabilisieren (Voigt et al. 2003, S. 75).
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Tab. 8.3 Die 13 Privatisierungsmaßnahmen im Wohnungsbestand, aus: (Voigt et al. 2003)
Fallbeispiel Duisburg – Hochheide Bremen – Kattenturm München – Neuperlach-Nordost Wolfsburg – Westhagen Frankfurt – Am Bügel Berlin – Flusskarree Frankfurt – Frankfurter Berg Kiel – Mettenhof Darmstadt – Kranichstein Ludwigshafen – Pfingstweide II Ludwigshafen – Pfingstweide 1 Berlin – Schlangenbader Straße Hamburg – Jenfeld Insgesamt
davon Verkäufe in % 100,0
davon Selbstnutzer in % 30,6
Beginn der Eigentumsbildung 1982
WE insgesamt absolut 160
1987 1993
92 442
85,9 80,0
100,0 28,1
1994
130
100,0
50,0
1995 1997 1997
323 138 522
44,9 41,3 39,1
86,2 93,0 68,1
1997 1998
136 204
47,0 68,6
96,9 50,0
1998
180
47,2
100,0
1996
144
65,3
100,0
1996
221
33,5
64,9
1996
210 2902
100,0 62,0
44,3 59,1
Tab. 8.4 Die 8 Neubaumaßnahmen, aus: (Voigt et al. 2003) Fallbeispiel Siegen – Fischbacherberg Bremen – Blockdiek Hamburg – Neuwiedenthal Duisburg – Hagenshof Düsseldorf – Garath-Südost München – Ludwigsfeld Bottrop – Boy/Welheim Ingolstadt – Piusviertel Insgesamt
Beginn der Eigentumsbildung 1986 1990 1990 1995 1995 1996 1997 1998
WE insgesamt absolut 35 210 52 52 150 70 150 54 773
Allerdings benennen die Autoren für diese Effekte und Wirkungen auch wichtige Grundvoraussetzungen: So zeigt sich die stabilisierende Wirkung einer sozialen Mischung eher entlang der räumlichen Körnung. Während auf Stadtteilebene eine Heterogenität in der Zusammensetzung der Bevölkerung als sinnvoll eingeschätzt wird, scheint eine Stabilisierung im Kleinen, d. h. in konkreten Nachbarschaften eher durch eine gewisse soziale Homogenität erzielbar zu sein. Auch wird empfohlen,
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die Eigentumsmaßnahmen – sollen sie im Sinne der Stabilisierung erfolgreich sein – sowohl von einem stadtteilbezogenen Konzept flankieren zu lassen als auch in ein objektbezogenes Privatisierungsverfahren einzubetten (Ebd.). Darüber hinaus sollte im Rahmen solcher Maßnahmen der Schutz der angestammten Bevölkerung vor Verdrängung gewährleistet werden, um die stabilisierende Wirkung voll entfalten zu können. Schon durch diesen Hinweis werden Risiken der Eigentumsstrategien deutlich, die die Studie nicht verschweigt. Wohneigentumsbildung kann auch zu einer erhöhten Fluktuation von Mietern durch Verdrängung und Verunsicherung führen. Die Eigentumsbildung bzw. die Privatisierung können nämlich auch zu einer Verstärkung des sozialen Gefälles, zu einer Polarisierung der Milieus und zu Segregation führen, was eher zur Destabilisierung von Nachbarschaften beitragen kann. Destabilisierend kann auch die Verschuldung von Schwellenhaushalten wirken, die einem erhöhten Insolvenzrisiko und damit einem gewissen ökonomischen Stress ausgesetzt werden. Ebenso gibt es ein erhöhtes Risiko, dass Immobilien in benachteiligten Stadtquartieren einen Wertverlust erleiden, insbesondere in Phasen entspannter Wohnungsmärkte. Als Problem, wenn unwirtschaftliche Wohnanlagen privatisiert werden, wird weiterhin gesehen, dass das Kostenrisiko der Instandhaltung der (vernachlässigten) Anlagen dann auf die neuen Eigentümer übergeht. Als weitere Schwierigkeit wird von den Autoren benannt, dass eine Privatisierung von Sozialwohnungen in angespannten Wohnungsmärkten wichtigen Wohnraum für benachteiligte Haushalte reduziert, was ebenfalls zur Destabilisierung im Gemeinwesen beitragen kann.
5 Fazit und Ausblick Die empirischen Ergebnisse zur stabilisierenden Wirkung von Wohneigentum in problematischen Quartieren sollten nicht dazu verleiten, diesen Zusammenhang allzu platt zu interpretieren und hieraus wohnungspolitische Strategien abzuleiten frei nach dem Motto: Hauptsache wir heben die Eigentumsquote, dann werden sich schon weniger problematische Quartiere und Nachbarschaften he rausbilden. Problematische Nachbarschaften und Quartiere ergeben sich aus mannigfaltigen Gründen und Anlässen, ihre „Karrieren“ folgen häufig relativ langen Entwicklungszyklen, die viel mit dem Funktionsverlust von Quartieren zu tun haben und die „Therapieformen“ sind an vielen Stellen bereits altbekannt und mit der Städtebauförderung häufig auch schon „ausgereizt“. Die Frage der Wohneigentumsbildung kann hierbei einen interessanten, zum Teil auch neuen Baustein liefern, weil es gelingen kann, neue, junge Milieus in problematische Nachbarschaften hineinzubekommen, die in ihre Wohnung und ihr Umfeld investieren und eine längere Bindung mit dem Quartier eingehen wollen. Insbesondere die Dynamik der sich selbst verstärkenden negativen Entwicklungsspirale lässt sich somit vielleicht durch eine
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konzentrierte Eigentumsbildung neuer Bewohner im vernachlässigten Bestand (Beispiele aus Rotterdam) durchbrechen bzw. aufhalten. Allerdings sind dies dann eher punktuelle Maßnahmen, die mit großem Aufwand organisiert werden müssen, die nur räumlich begrenzt wirken und ggf. Risiken in sich bergen. Aus den bisherigen Erfahrungen mit den Klushuizen-Projekten in den Niederlanden sollte bei einer Umsetzung in Deutschland darauf geachtet werden, dass bei den Projekten eine gewisse Größenordnung, eine kritische Masse (z. B. ein ganzer Baublock) erreicht wird, um eine Wirkung im Quartier zu entfalten. Aus den Begleitforschungen zum Klushuizen-Projekt wurde deutlich, dass es potenziellen Käufern leichter fällt, in problematischen Quartieren zu investieren, wenn sie dies als Gruppe zusammen mit anderen Klushuizen-Käufern tun. Ein abgeschlossener Baublock oder zumindest ein gemeinsamer Innenhof schafft eine gewisse Sicherheit und eine Rückzugsmöglichkeit in den oft sehr problembehafteten Nachbarschaften. Es sollte allerdings auch darauf geachtet werden, dass gut umzubauende, preiswerte Wohneinheiten angeboten werden. Preiswerte Objekte in „schlechtem“ Zustand erlauben den Käufern eine maximale Gestaltungsfreiheit. Das Gefühl, ein finanzielles attraktives Angebot angenommen zu haben, war neben der Gestaltungsfreiheit ein Hauptgrund für die Investitionsbereitschaft der befragten Käufer. Allerdings führen Objekte in sehr desolatem Zustand in Gebieten mit niedrigem Mietpreisniveau dazu, dass die Kommune aufgrund der starken Unrentabilität des Projektes z. T. hohe Verluste akzeptieren muss. Wichtig ist zudem, dass die für Klushuizen-Projekte infrage kommenden Gebäude gut umzubauen sind, damit die Zusammenlegung von Wohnungen und damit die Schaffung von großen Wohneinheiten sowie die Realisierung möglichst vielfältiger Wohnungsgrundrisse möglich ist. Ein weiterer wichtiger Erfolgsfaktor ist die intensive Betreuung und Information der Kaufinteressenten und Käufer. Gerade in entspannten Wohnungsmärkten, in denen potenzielle Klushuizen-Käufer vielfältige Möglichkeiten haben, umbaufähige Altbauten zu attraktiven Preisen zu erwerben, ist die intensive Betreuung der Käufer eine wichtige Voraussetzung, die bei der Vermarktung besonders betont werden sollte. Zunächst muss das Vertrauen durch eine nachvollziehbare Kalkulation der für den Käufer entstehenden Kosten und Risiken geschaffen werden. Zur Risikominimierung auf Seiten der öffentlichen Akteure ist zudem die finanzielle Belastbarkeit der Käufer genau zu prüfen. Die den ganzen Planungs- und Bauprozess flankierenden Beratungs- und Koordinierungsleistungen, die den Käufern von Seiten des Organisationsteams angeboten werden, stellen einen wichtigen Anreiz für die Käufer dar, die oft über keinerlei Erfahrungen im Bereich Eigentumserwerb oder Hausumbau verfügen. Das Quartier sollte citynah liegen und über Ansätze für eine positive Entwicklung verfügen (Spars et al. 2015). In citynah gelegenen oder zumindest sehr gut an die Innenstadt und den Hauptbahnhof angebundenen Quartieren konnten die Klushuizen-Projekte aufgrund der großen Nachfrage am erfolgreichsten realisiert werden. Klushuizen-Käufer fragten in den Niederlanden vor allem Objekte in urbanen, innerstädtischen Quartieren nach. Wichtig für die Kaufentscheidung ist zudem, dass – trotz problematischer Situation – im Quartier eine Aufbruchsstimmung
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herrscht bzw. erzeugt werden kann und eine Verbesserung der Situation in der Zukunft erwartet wird („Glaube an die Zukunft des Quartiers“). Eine derartige positive Entwicklungsperspektive kann von Seiten der öffentlichen Akteure vor allem durch flankierende Maßnahmen zur Aufwertung des Quartiers geschaffen werden (z. B. durch städtebauliche Sanierungsmaßnahmen). Bereits zu Beginn des Projektes sollte eine Vision für die Quartiersentwicklung auch kommuniziert werden. Allerdings sind auch die Risiken dieser Projektansätze der Privatisierung nicht zu verschweigen. Insbesondere in benachteiligten Stadtquartieren existiert das Risiko, einen Wertverlust zu erleiden, vor allem in entspannten Wohnungsmärkten. Zusammen mit einer Verschuldung von Schwellenhaushalten kann eine solche Investition zu einem erhöhten Insolvenzrisiko führen und damit eher zur Destabilisierung von Nachbarschaften beitragen. Daher sollten vor der Umsetzung einer solchen Privatisierungsstrategie die Zukunftsperspektiven des jeweiligen Quartiers genau untersucht werden und es sollte gegenüber den neuen Eigentümern maximale Transparenz hinsichtlich Regeln, Kalkulation und Risiken an den Tag gelegt werden. Wenn dies alles beachtet wird, dann steckt in den genannten Maßnahmen der Eigentumsbildung in problematischen Quartieren eine gute Chance sowohl für die neuen Eigentümer, als auch für die Quartiere selbst.
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Der Rechtsrahmen zur Förderung des Wohneigentums Fabian Thiel
1 D as Eigentum an Wohnraum für Normalverdiener zwischen Sozialgut und Immobilienklasse Die Bau- und Immobilienwirtschaft ist ein wichtiger Beteiligter an der Grundstücksnutzung. Den Immobilien- und Wohnungsmarkt („Markt für Wohnen“) kann man gewiss als ein zentrales Segment der Gesamtwirtschaft ansehen. Die Wohnung ist gar das zentrale Objekt eines Güterverbundes, mit einer volkswirtschaftlichen Schlüsselposition für den Baulandmarkt, Arbeitsmarkt, Wohnungsmarkt und Konsumgütermarkt (Beispiel: Privatisierung ehemaliger Mietwohnungen). Der Markt hat sich innerhalb kurzer Zeit von einem Mieter- in einen Investorenmarkt gewandelt.1 Wohnungspolitik kann als essenzieller Bestandteil der Eigentumspolitik verstanden werden, denn Wohnungspolitik dient als Verteilungs- und Versorgungspolitik sozialpolitischen Zielen und erfüllt überdies als Instrument der Eigentumsbildung gesellschaftspolitische Funktionen. Wohnungspolitik widmet sich damit in erster Linie der Förderung des privaten Eigentums an der Wohnung. Dies ergibt sich ganz unproblematisch aus § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB.
Hämmerlein, Wohnökonomie, 2006, S. 52 ff. und S. 103.
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F. Thiel (*) Frankfurt University of Applied Sciences, Fb1 – Architektur, Bauingenieurwesen und Geomatik, Frankfurt am Main, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 O. Depenheuer et al. (Hrsg.), Wohneigentum für breite Schichten der Bevölkerung, Bibliothek des Eigentums 18, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61287-3_9
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2 „Eigentum verpflichtet“ – aber wen? Der Wohnungsmarkt behält den Charakter des Angebotsvolumens verfügbarer Wohnungen für den Wohnungsbedarf privater Haushalte an den von den Wohnungsnachfragern ausgewählten Standorten. Zu bedenken ist stets: Die Nutzung einer Wohnung ist rivalisierend und ausschließend. Im Vordergrund stehen der materielle, der emotionale und der ideelle Nutzen. Der Einsatz städtebaurechtlicher Maßnahmen ist durchaus zwiespältig zu sehen, denn sie stehen im Spannungsfeld zwischen Kostenerhöhung und Steigerung der Bodenpreise einerseits2 und der Vermeidung von Vermögensumverteilungen mit dem Resultat einer Konzentration des Grundstückseigentums in der Hand weniger Personen und Gesellschaften andererseits.3 Der Grundsatz „Eigentum verpflichtet“ nach Art. 14 Abs. 2 GG gilt auch und vor allem für die Wohnungswirtschaft. Die Wohnung sei ein „Wirtschaftsgut contra Sozialgut“; beim Sozialgut Wohnung sei das Wohnen der Nutzungsvorgang des Gutes Wohnung.4 Art. 14 Abs. 2 GG wird gegenwärtig kontrovers diskutiert.5 Muss sich der Eigentümer beim Eigentumsgebrauch, etwa seines Grundstücks, selbst beschränken, oder ist Art. 14 Abs. 2 GG ein Programmsatz, der sich an den Gesetzgeber richtet? Die Antwort ist eindeutig: Art 14 Abs. 2 GG richtet sich vorrangig an den Gesetzgeber; er richtet sich hinsichtlich der Vollzugsakte an die Verwaltungsgerichte und Behörden. Umstritten ist, ob sich Art. 14 Abs. 2 GG ausschließlich an den Gesetzgeber richtet. Herrschende Auffassung ist, Art. 14 Abs. 2 GG richte sich zwar an den Grundrechtsträger, begründe aber keine positiv-rechtlichen Pflichten, sei also nicht justiziabel. Das Kernproblem ist damit angerissen: Die Gerichte haben kein Mandat, am Gesetz vorbei Konkretisierungen der Sozialbindung vorzunehmen und durchzusetzen. Anders die liberale Meinung: Auch für den Rechtsanwender und für den Verwaltungsbeamten, etwa in der Baugenehmigungsbehörde, kann Art. 14 Abs. 2 GG Richtschnur sein, wenn das Gesetz ihm einen Entscheidungsspielraum gibt, und dabei macht es keinen Unterschied, ob man Art. 14 Abs. 2 GG unmittelbar oder durch eine Generalklausel anwendet. Könnten Genehmigungsbehörden Art. 14 Abs. 2 GG unmittelbar anwenden, könnten sie mithin einem Eigentümer nach Beendigung der Geschäftstätigkeit bzw. bei fehlender Rentabilität aufgeben, beispielsweise einen beantragten Verbrauchermarkt in einem nach § 34 BauGB zu beurteilen2 Cezanne, Volkswirtschaftslehre, 2005, S. 196 ff.; Eekhoff, Wohnungs- und Bodenmarkt, 2. Aufl. 2006, S. 185 ff. 3 Güttler, Marktverhalten, Bodenpreisbildung, Planung, qualitative Faktoren, Instrumente der Bodenpolitik. In: Dieterich-Buchwald/Dieterich, Neue Perspektiven des Bodenrechts, 1997, S. 79. 4 Jenkis, Wirtschaftsgut contra Sozialgut. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Ausgabe Nr. 185 v. 11.08.2006, S. 41. 5 Vgl. Habeck, „Wir haben verlernt, dass Eigentum Verpflichtung bedeutet“. In: Berliner Zeitung, Nr. 87 v. 13./14. April 2019, S. 5; vgl. auch Thiel, Eigentum verpflichtet. Die Bedeutung des Art. 14 Abs. 2 GG für die Planung, RaumPlanung, 2018, 50; de Hesselle/Bödow, Eigentum verpflichtet: Überlegungen zur Mietpreisbremse, in: Latour/Lewkowicz/Wienbracke (Hrsg.), An den Schnittstellen von Recht und Wirtschaft, 2016, S. 227–242; Pestalozza, NJW 1982, 2169 (2170).
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den Gebiet wieder abzureißen und Bodenversiegelungen vollständig zu beseitigen, wie es etwa durch § 35 Abs. 5 Satz 2 BauGB für bestimmte Außenbereichsvorhaben heute schon möglich ist? In diesem Fall müsste geantwortet werden: Nein. Denn es gibt „keine Zuständigkeit des Richters“ (Gerhard Anschütz), Art. 14 Abs. 2 GG unmittelbar anzuwenden. Zu bedenken ist allerdings, dass Eigentum erst hoheitlich geschaffen wird, ausgeformt durch die einfachen Gesetze, etwa durch das Baugesetzbuch oder die Landesbauordnungen. Deren Normen bestimmen, dass eine Baugenehmigung nur und erst dann zu erteilen ist, wenn dem betreffenden Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Die Auslegung von Art. 14 Abs. 2 GG bleibt bis in die Gegenwart hinein obskur und dunkel.6 Warum ist dies so? Art. 14 Abs. 2 GG ist gegenüber dem Bauplanungsund Bauordnungsrecht das höherrangige Recht als verfassungsimmanente Schranke, die aus der Verfassung selbst abgeleitet wird und nicht erst der Konkretisierung durch den Gesetzgeber bedarf. Eine behördliche Maßnahme, die Art. 14 Abs. 2 GG konkretisiert, kann schlechterdings keinen Eingriff darstellen. Da aber nur bei Eingriffen eine Entschädigung gezahlt wird (vgl. Art. 14 Abs. 3 GG) und zudem bei der ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung als aliud der Enteignung,7 wäre der – entschädigungslose – Weg der Beschränkung möglich. Eine unmittelbare, beschränkende Anwendung der Sozialbindung ist denk- und durchsetzbar, wenn die Rechtsfigur der grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmenden Sozialbindung bejaht würde, um sie trennscharf von den beiden anderen Instrumenten des Art. 14 GG abzugrenzen. Rechtspraktisch lassen sich für diesen Weg indes bislang keine Belege finden. Art. 14 Abs. 2 GG kann die Eigentümerrechte begrenzen, aber die Baufreiheit ist stets die Grenze dessen, was der Eigentümer hinzunehmen hat. Wenn das Objekt also nicht mehr zugleich, sondern ausschließlich dem Allgemeinwohl dient, muss sich der Eigentümer von dem Objekt verabschieden. Interessant ist auch das Halbteilungsgrundsatz-Urteil,8 von dem sich das BVerfG später diskret verabschiedet hat.9 Nach allgemeiner Meinung ist Art. 14 Abs. 2 GG sowohl Grund als auch Grenze dessen, was dem Eigentümer an Beeinträchtigungen etwa bei der Grundstücksnutzung zugemutet werden darf. Wenn das Allgemeinwohl eine Beschränkung des Eigentumsgebrauchs nicht erfordert, ist diese Beschränkung sogar unzulässig, und sie wäre auch nur insofern zulässig, als sie tatsächlich erforderlich ist. Dahinter verbirgt sich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Grund und Boden steht stets im Konflikt zwischen Allgemeinwohl und Renditeerwartung. Ein Eigentümer trägt schließlich auch beträchtliche Patronatsrisiken, etwa Leerstandsrisiken bei einer Investition in falscher Lage, etwa in einem Auf6 Schneider, „Eigentum verpflichtet” – Zur Entstehung von Art. 14 Abs. 2 Grundgesetz. In: Peine/ Wolff (Hrsg.), Nachdenken über Eigentum. Festschrift für Alexander v. Brünneck, 2011, S. 67 und S. 81. 7 Lege, Die ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung: Enteignung zweiter Klasse? In: Depenheuer/Shirvani (Hrsg.), Die Enteignung, 2018, S. 221–234. 8 BVerfGE 93, 121 – Vermögensteuer. 9 BVerfGE 115, 97 – Halbteilungsgrundsatz.
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gabe- bzw. Absiedelungsgebiet in manchen Regionen Ostdeutschlands und Westdeutschlands. Wer aber entscheidet den Konflikt zwischen Rendite und Risiko? Bei guter Konjunktur wird jeder Eigentümer einen wertvollen Wald abholzen, wenn er hierüber verfügen kann und er nicht durch Fachgesetze daran gehindert wird. Aber entscheiden der Eigentümer (d. h. Zivilgerichte) oder die öffentlichen Gerichte bzw. Verwaltungsbehörden über den highest and best use eines Grundstücks? Entscheidet wirtschaftliche oder politische Vernunft? Der Staat sollte basierend auf Art. 14 und womöglich auch 15 GG, etwa in Schrumpfungsregionen,10 Eigentumsregeln definieren, wie man Grund und Boden handelt oder im Sinne des Grundstücksverkehrsgesetzes Sanktionsmöglichkeiten vorsehen, wenn sich ein Eigentümer nicht an die vereinbarten Regeln hält. Vor diesem Hintergrund betrachtet sind verschiedene juristische Dogmen höchst fragwürdig, etwa das Planungsschadensrecht (§§ 39–44 BauGB), bei dem eine staatliche Leistung dahinter steht. Der Eigentümer hat, auch wenn er keinerlei Investitionen tätigte, während der Dauer von sieben Jahren die Garantie, eine Wertsteigerung seines Grundstücks, die ihm durch die öffentliche Planung und ohne sein Zutun zugewachsen ist, behalten zu dürfen. Denn nimmt die Behörde die Planung innerhalb von sieben Jahren zurück, muss sie ihn entschädigen (§ 42 Abs. 2 BauGB). Ist es nicht bedenkenswert, wenn sich in diesem Fall der unpolitisch gebliebene Leitsatz „Eigentum verpflichtet“ (der sich nach bisheriger h. M. an den Staat richtet) dazu führt, dem Eigentümer einen Gewinn als Grundstückswertsteigerung zu garantieren, für den er keinerlei Gegenleistung erbracht hat? Heute ist nicht zu bestreiten, dass sich die Sozialbindung aus Art. 14 Abs. 2 GG in der Neuzeit in ihr rechtsgeschichtliches Gegenteil verkehrt hat. Aus einer „Grundpflicht“, die sich ausschließlich an den Eigentümer richten sollte, wurde – etwa im Denkmalschutz – postuliert, dass das Eigentum nicht allein, sondern lediglich zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dient. Daher führen denkmalschutzrechtliche Erhaltungspflichten,11 die die Privatnützigkeit des Eigentums vollständig aufheben (wenn mithin etwas übrig bleibt, welches das Wort „Eigentum nicht mehr verdient“), stets zu einer Ausgleichspflicht nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG i. V. m. Art. 14 Abs. 2 GG. Wenn man allerdings bedenkt, was die Allgemeinheit im Planungs- und Immobilienbereich aufwendet, damit entsprechende, von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG garantierte Rechte überhaupt erst entstehen und also garantiert werden können, sollte man ihrem „Wohle“ nach Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG zumindest den gleichen Rang – als Eigentümergrundpflicht – zukommen lassen. Das Baugesetzbuch kennt zahlreiche Normen, die die Sozialbindung des Eigentums konkretisieren und fortentwickeln. Auch die Regelungen des Naturschutzrechts konkretisieren die Sozialbindung des Grundstückseigentums durch Nutzungsbeschränkungen, die entschädigungs- und ausgleichslos hinzunehmen sind, weil sie die Situationsgebundenheit eines Grundstücks festschreiben.12
Dazu Thiel, DÖV 2017, 689 (699). BVerfGE 100, 226 – Denkmalvilla. 12 BVerwGE 94, 1 – Naturschutzverordnung „Herrschinger Moos“. 10 11
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3 Wohnungen als Wirtschafts- und Konsumgüter Am Beispiel der Wohnimmobilie lässt sich die Raum-Zeit-Dimension und die eigentumspolitische Implikation des wohnökonomischen Werts des Bodens anschaulich illustrieren: „Real estate is space and money over time“.13 Der Erwerb der Wohnung ist ein Investitionsvorhaben durch den Eigentümer. Die Wohnung ist ein Wirtschaftsgut; die selbst genutzte Wohnung für private Haushalte stellt hierbei ein Konsumgut dar.14 Derzeit ist die Privatisierung der Wohnungsvermögen von Bund, Ländern, Gemeinden und öffentlichen Unternehmungen an Investmentgesellschaften und Fonds (Kapitalsammelstellen) in vollem Gange. Damit einher geht auch eine zunehmende Verflechtung von Wohnungswirtschaft und (globaler) Finanzindustrie. Die Wohnungswirtschaft entwickelt sich kontinuierlich zum Investment Banking. Hierfür hat sich der Begriff „Finanzialisierung“ etabliert. 7,5 Mio. Wohnungen sind in Deutschland ein immerhin in der Theorie denkbares Privatisierungspotenzial. Die Veräußerung großer Wohnungsbestände, die sich überwiegend im Eigentum der öffentlichen Hand befinden, ist indes keine Wohnungsprivatisierung.15 Folgende Unternehmen des Wohnungsbaus lassen sich anführen: Wohnungsgenossenschaften, Kapitalgesellschaften, öffentliche und private Sanierungs- und Entwicklungsträger, öffentliche Landesentwicklungs- und Wirtschaftsförderungsgesellschaften16 sowie Heimstätten und private Bauträgerunternehmen zur Generierung privaten Wohneigentums. Auch das private Baurecht und Bauvertragsrecht (§§ 650a-650v BGB) hat einen Anteil an der Schaffung von Wohnungseigentum. Auf der privateigentumsrechtlich orientierten Unternehmensseite treten Bauträger,17 Baubetreuer und Einzelbauher Schulte/Vogt, Grundlagen der Investition in Immobilien. In: Schulte (Hrsg.), Handbuch Immobilien-Investition, 1998, S. 22. 14 Zum wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Wohnungsbegriff siehe Oettle, Die Wohnung als Wirtschaftsgut. In: Festschrift für Jenkis, 1991, S. 239 ff. 15 Hämmerlein, Wohnökonomie, 2006, S. 54, 69. 16 Albers vermutet, dass die Flexibilisierung dieser Gesellschaften, im Vergleich zu öffentlichen Körperschaften, dadurch gewonnen wird, dass die Beschlussfassung in den demokratisch legitimierten Gremien ebenso umgangen werden kann wie eine effektive Bürgerbeteiligung. Siehe Albers, Stadtentwicklungsplanung. In: ARL, Handwörterbuch der Raumordnung, 2005, S. 1069. Diese Feststellung von Albers lässt sich durch zahllose Beispiele belegen, in denen Wirtschaftsförderungsgesellschaften (z. B. GmbHs) in Trägerschaft der Gemeinden oder der Landkreise undurchsichtige, nachgerade unkontrollierbare Grundstücksgeschäfte tätigen und hierdurch nicht selten an den Rand der Insolvenz geraten, aus der sie dann nur durch öffentlich finanzierte Bürgschaften und Bankkredite zu retten sind. 17 Die wohnungswirtschaftliche Bedarfsdeckung wird zusätzlich von Generalunternehmern, Generalübernehmern und Projektentwicklern sichergestellt, deren Tätigkeit im Wesentlichen auf dem Privateigentum an Grundstücken aufbaut. Hiermit verknüpft ist die Bauherrenfunktion. Der Bauherr ist „Herr des Verfahrens“. Damit jemand als Bauherr im öffentlich-rechtlichen Sinne fungieren kann, muss er regelmäßig Grundstückseigentum erlangt haben oder Erbbauberechtigter sein. Der Bauherrenbegriff ist vielgestaltig. Es existieren darüber hinaus mannigfaltige (zivilrechtliche) Möglichkeiten für den Grundstückseigentümer, sich als Bauherr vertreten zu lassen und bestimmte Eigentümeraufgaben an Dritte zu delegieren. 13
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ren hinzu. Generalübernehmer (GÜ) stellen Unternehmen dar, die Planung und Ausführung von Wohn- und Gewerbebauvorhaben „in einer Hand“ anbieten, aber auf fremdem Grundstück – auf dem des Eigentümers und zugleich Bauherren – agieren. Die Rechtskonstruktion, die dem GÜ-Geschäftsmodell zu Grunde liegt, ist für einen Bauherrn indes sehr konfliktträchtig. Dies gilt besonders für den Fall der Insolvenz des GÜ, obwohl der Grundstückseigentümer dadurch gesichert ist, dass er Raten und Abschläge erst dann zahlt, wenn ihm ein adäquater Vermögenswert (d. h. die Bauleistung auf seinem Grundstück) bereits zugeflossen ist.18 Der Bauträgermarkt wächst seit Anfang der 1980er-Jahre rasant, nicht zuletzt zur Eigentumsbildung, unterbrochen von einigen immobilienkonjunkturellen Dellen wie etwa 2008–2010. Es herrscht eine starke Konkurrenz am Markt – analog zum Bau- und Immobilienfinanzierungsmarkt – um Absatzgrenzen auf dem expandierenden Wohneigentumsmarkt zu erschließen.19 Bauträger projektieren und bauen zumeist Geschosswohnungsbauten oder Ein- und Mehrfamilienhäuser auf eigenen Grundstücken. Bauträger treten als Bauherren (und zunächst als Grundstückseigentümer) auf, um die Objekte anschließend zu veräußern und das Grundstückseigentum auf den Erwerber zu übertragen. Grundsätzlich korrespondiert im Makler- und Bauträgerrecht (§ 34c GewO in Verbindung mit den Regelungen der MaBV) die Tatsache, wem das Eigentum an dem zu bebauenden Grundstück zufällt, mit der Bauherreneigenschaft.20 So ist es das ganz maßgebliche Kennzeichen des Bauträgers, dass er auf einem ihm gehörenden oder von ihm zu beschaffenden Grundstück baut. Bei der Baubetreuung hingegen steht das Grundstück im Eigentum des Baubetreuten. Der Betreute trägt somit als Grundstückseigentümer auch das Bauherrenrisiko.
4 „ Innen vor Außen“ – (Umwelt-)Politisch motivierte Baulandverknappungen im Außenbereich Eine nennenswerte, wenngleich bislang kaum beachtete planerische Reglementierung und Verhinderung der Eigentumsbildung breiter Kreise der Bevölkerung resultiert aus den in jüngster Zeit zu beobachtenden Versuchen, quantitative Mengenziele zur Begrenzung der Flächenneuinanspruchnahme – Umwandlung bisheriger Naturund Außenbereichsflächen in Flächen für Siedlungs- und Verkehrszwecke – in den Landesplanungsgesetzen zu implementieren. Bemerkenswert sind insbesondere entsprechende Gesetzgebungsversuche der Partei Bündnis 90/Die Grünen in Sach Everts, in: Grziwotz (Hrsg.), MaBV, Kommentar zur Makler- und Bauträgerverordnung, 2006, § 1 Rn. 20. 19 Die Folgen dieser Entwicklung beschreibt Heuer sehr eindringlich. Die Konsequenzen münden nicht selten in Zwangsversteigerung und Insolvenz, weil bestimmte Nachfragerschichten „unvorbereitet ins Eigenheim gingen“. Heuer, Risiken der Wohneigentumsbildung. Zum Problem der Verwertung von Eigenheimen bei Zwangsversteigerungen. In: Engelhardt/Thiemeyer (Hrsg.), Festschrift für Helmut Jenkis, 1987, S. 215–234. 20 Marcks, MaBV, 9. Aufl. 2014, § 34c GewO, Rn. 36–38. 18
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sen und Bayern. Die Fraktion hat am 18.08.2018 einen Entwurf zum „Gesetz zur Begrenzung des Flächenverbrauchs im Freistaat Sachsen“ (SächsFläVBG-E) in den sächsischen Landtag21 eingebracht.22 Ziel des Gesetzes gemäß der Antragsteller ist es, den Flächenverbrauch in Sachsen zu bremsen. Die Antragsteller tragen vor, dass in Sachsen im Jahr 2017 täglich 4,3 Hektar pro Tag für Siedlungs- und Verkehrsflächen neu in Anspruch genommen worden seien, obwohl das Land zwischen 2005–2015 ca. 220.000 Einwohner verloren habe. Die Folgen der Flächeninanspruchnahme seien „irreversibel“ mit Wirkungen auf den Einzelhandel, die nahräumliche Versorgung und die Außenränder der Gemeinden. Initiiert wird die Änderung von Art. 1 des Landesplanungsgesetzes vom 11. Juni 201023 um einen § 1a. Im Jahr 2017 hat die in der sächsischen Landesstatistik ausgewiesene Siedlungs- und Verkehrsfläche 2461,82 km2 betragen. Dies entspricht ca. 14,4 % der Gesamt-Landesfläche von 18.449,97 km2. Der vorliegende Gesetzentwurf zielt somit auf die Freihaltung („Unterschutzstellung“) von 85,6 % der bislang nicht versiegelten Bodenfläche des Freistaats ab. Dies entspricht rund 15.793,17 km2. Mit der in dem Gesetz vorgenommenen Ergänzung des Gesetzes über die Raumordnung und Landesplanung des Freistaats Sachsen solle geregelt werden, dass der Flächen„verbrauch“ in Sachsen bis zum Jahr 2020 auf 0 Hektar verbindlich zu begrenzen sei. Sollte der Gesetzentwurf angenommen werden, müssten etwa 85,6 % des Staatsgebiets dauerhaft einer nicht-baulichen Nutzung zugeführt werden, wie sich aus Abb. 9.1 ergibt. Die Neubaulandproduktion im Wesentlichen durch Bauleitplanung (§ 1 Abs. 2 BauGB) wäre weitgehend eingeschränkt. Abb. 9.1 illustriert der besseren Übersicht halber eine bereinigte Darstellung der Konsequenzen dieser „Unterschutzstellung“24 mit Gemeinden über 10.000 Einwohnern. Zur Umsetzung des SächsFläVBG-E nach den Vorgaben des vorliegenden Gesetzentwurfs ist eine sehr große Zahl von Grundstücken und Grundstückseigentümern erforderlich, die nicht mehr situativ gegenüber anderen Grundstücken gebunden sind, sondern die alle gleichermaßen unter Schutz gestellt werden sollen, um die Zielerreichung sicherzustellen. Der Wert der nichtbaulich genutzten, freigehaltenen Grundstücke wird – wenn die genannten Ziele erreicht werden sollen – einerseits deutlich geringer sein als der politische Nutzen der Zielerreichung. Andererseits sind zukünftig erhebliche bauliche Grundstücksnutzungsverknappungen zu erwarten, mit Auswirkungen auf den Wert der verbliebenen baulich nutzbaren Grundstücke in den Innenbereichen der sächsischen Gemeinden, vor allem der Wachstumsgemeinden. Etliche Normen des Wertermittlungsrechts (vgl. vor allem die §§ 3–6 ImmoWertV), aber auch die Baulandumlegung auf bisherigen Außenbereichsflächen Sächsischer Landtag, 6. Wahlperiode, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Gesetzentwurf vom 18. August 2018, LT-Drucksache 6/14409. 22 Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Begrenzung des Flächenverbrauchs im Freistaat Sachsen (Sächsisches Flächenverbrauchsbegrenzungsgesetz – SächsFläVBG-E), mit Begründung, S. 5 ff. 23 Sächsisches Landesplanungsgesetz vom 11.12.2018 (SächsGVBl. S. 706). 24 Vergleichbar mit dem Regelungsinhalt von § 22 BNatSchG. 21
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Abb. 9.1 Bereits versiegelte und zukünftig unversiegelt zu lassende Fläche im Freistaat Sachsen. Darstellung mit Gemeinden über 10.000 Einwohnern; Stand 2017 (Kartendarstellung: Nicolas Diedrich)
(§§ 45 ff. BauGB) und die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (§§ 165 ff. BauGB) wären für sächsische Kommunen und Gutachterausschüsse damit weitgehend obsolet, wenn sie keine nachnutzungsfähigen Flächen haben oder Flächenzertifikate erwerben möchten bzw. können. Eine Baulandproduktion zur Umsetzung von § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB fände praktisch nicht mehr statt. Baulandentwicklungswerte in einem geschätzten hohen Milliardenbereich würden verhindert.25 Im Innenbereich sind Wertsteigerungen aus der Flächenentwicklung generell erheblich schwieriger nachweisbar, da oftmals nur residuale Bodenwerte vorliegen, die eine zukünftige wirtschaftliche Nutzung (highest and best use) unterstellen. Durch das sächsische 0 Hektar Ziel ab 2020 würden indessen Grundstücke vermehrt vom üblichen Grundstücksverkehr ausgeschlossen (res extra commercium). Diese Flächen werden nicht verkehrsfähig, solange die planerische nichtbauliche Festsetzung besteht. Die Grundstücke sind situationsgebunden und durch Gesetz oder Rechts Davy argumentiert, dass das Ziel-30-ha in Deutschland nur durch Freihaltevereinbarungen zwischen Vorhabenträgern und Eigentümern dauerhaft nichtbaulich zu nutzender Grundstücke umgesetzt werden kann. Der Autor errechnet einen Markt für Freihaltevereinbarungen für Deutschland in Höhe von 150 Mrd. Euro. Vgl. Davy, Freiraumsicherung und Bodenpolitik – Was passieren müßte, wenn wir das Ziel-30-ha ernst nähmen, in: Klemme/Selle (Hrsg.), Siedlungsflächen entwickeln, 2010, S. 270.
25
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verordnung der Landesregierung unter nicht-baulichen Schutz gestellt. Auch ein Erwerber eines solchen Grundstücks würde als dingliche Drittwirkung26 zur ausschließlich nicht-baulichen Nutzung verpflichtet. Dabei ist indes immer zu beachten, dass Grundstücke in der Hand eines Privateigentümers – jedenfalls theoretisch und de jure gefordert – einen sozialen, ökologischen und anderen Gemeinwohlbezug haben und dass dieser Gemeinwohlbezug steuerrechtlich motivierte Verhaltensweisen und Anreize („perverse Effekte“) eigentlich überwiegen müsste.27 Folgerichtig werden zur Beseitigung der sich aus dem Verhalten nicht-kooperationsbereiter Grundstückseigentümer ergebenden Hemmnisse für eine Grundstücksverfügbarkeit bisweilen die Vorteile kommunaler Grundstücksreserven als Ausfluss des Gemeinwohlbezugs von Grundstücken ins Feld geführt. Die Revitalisierung strategisch bedeutsamer Grundstücke kann gewiss der Eigentümerstellung einer Gemeinde Impulse oder planerische Initiativen verschaffen.28 Diese Initiativen wären bei einer vorherigen Einbindung oder bei notwendiger Kooperation mit privaten Grundstückseigentümern hinsichtlich eines von der Gemeinde präferierten Grundstücksnutzungskonzepts nicht in gleichem Maße sichergestellt. Aus Sicht der Immobilienbewertung und der Forschung zum Bodenmarkt könnte sich die interessante Frage ergeben, ob durch § 1a Abs. 2 SächsFläVBG-E ein neuer Teilmarkt für diejenigen Grundstücke entsteht, die nur durch ein handelbares Flächenzertifikat einer baulichen oder verkehrlichen Nutzung zugeführt werden dürfen. Diese Grundstücke werden gewiss nicht wertlos, aber ihre Nutzung unterliegt bestimmten Voraussetzungen und Bedingungen, die nicht (allein) von den Tatbestandsvoraussetzungen des § 194 BauGB gedeckt sind. Vergleichbare Teilmärkte ergeben sich heute schon für Ausgleichsgrundstücke (§ 1a Abs. 3 BauGB) oder für Grundstücke, zu deren Nachnutzung ein förmlicher Entwidmungsakt nötig ist und die dem Fachplanungsrecht unterliegen. Die Frage, wann im Falle von Herabzonungsmaßnahmen Entschädigungspflichten nach den §§ 39 ff. BauGB entstehen, hängt ganz maßgeblich von der Bewertung der betroffenen Grundstücke ab. Denn Voraussetzung für den Ersatz eines Planungsschadens ist eine nicht nur unwesentliche Wertminderung der Grundstücke. Die Grundstückswertermittlung ist damit zur Bestimmung der planschadensrechtlichen Entschädigungshöhe – die u. U. auch negativ sein kann – in allen Fällen der Schlüssel zum Erfolg.
Zimmermann, ImmoWertV, Kommentar, 1. Aufl. 2010, § 1 Rn. 133. Dieterich, Bodenordnung und Bodenpolitik. In: Jenkis, Kompendium der Wohnungswirtschaft, 4. Aufl. 2001, S. 516, 517. 28 Wachter, Bodenmarktpolitik, 1993, S. 28. 26 27
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5 Die Baufreiheit Baufreiheit hat eine subjektive – bauherrenbezogene – und eine eigentumsverfassungsrechtlich-objektive Komponente. Mit dem Terminus der Baufreiheit, die durch das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 ausdrücklich eingeräumt wird, sind tief verwurzelte ideologische Vorurteile verbunden.29 Dem ehemaligen Bundesbauminister Schneider war es ein Anliegen, den Grundsatz der Baufreiheit – einer Präambel gleich – dem im Jahr 1986 novellierten Baugesetzbuch voranzustellen.30 Dazu ist es nicht gekommen. Seit jeher ist allerdings umstritten, inwiefern man die Baufreiheit inhaltlich dem verfassungsrechtlich geschützten Grundstückseigentum unterordnet oder nicht.31 Gewiss kann nur der in Bezug auf ein Grundstück verfügungsberechtigte private und öffentliche Bauherr ein Bauvorhaben und somit die Grundstücksnutzung veranlassen.32 Der Bauherr ist „frei zu bauen“, genauso wie er auch darin „frei ist, nicht zu bauen“. Er hat das Recht auf Brachfall, gleichsam das Recht auf die negative Baufreiheit, die in der nichtbaulichen Grundstücksnutzung besteht, und das Recht auf Leerstand, solange es ihm oder ihr beliebt. Möglicherweise wird die jüngst diskutierte verstärkte Anordnung eines Baugebots nach § 176 BauGB, etwa in der Stadt Tübingen, eine geringfügige Einschränkung der Baufreiheit bewirken (vgl. § 176 Abs. 8 und 9 BauGB). Von der Baufreiheit ist in der baurechtlichen und bodenordnerischen Realität nicht mehr viel übrig geblieben. Die Sondervorteile von Eigentümern von Bauvorhaben in Gebieten nach § 34 BauGB liegen in der Baufreiheit, in die nach der herrschenden Meinung nur eingegriffen werden darf, wenn es eine gesetzliche Grundlage hierfür gibt. Von „Baufreiheit“ ist in Art. 14 GG indessen explizit gar nicht die Rede. Wäre es aus Art. 14 Abs. 2 GG heraus deshalb nicht möglich, beispielsweise die Baugenehmigung für einen Verbrauchermarkt zu befristen, um der Allgemeinheit nicht eine Investitionsruine zu überlassen? Die herrschende juristische Meinung lehnt ein solches, direkt verfassungsgestütztes Vorgehen entschieden ab.33 Einige Stimmen in der Fachliteratur möchten die Baufreiheit deshalb als Element der Eigentumsgarantie nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG interpretieren. Dem widersprechen andere Autoren unter Hinweis auf die Inhalt und Schranken setzenden Regelungsbereiche des Baugesetzbuchs, des Flurbereinigungsgesetzes und auf die aus Treffend Krebs, Baurecht, in: Schmidt-Assmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2003, 4. Kap, Rn. 27. 30 Instruktiv hierzu Krautzberger, Gesetzgebung und gesellschaftliche Entwicklung. In: Coulmas (Hrsg.), Festschrift für Schmidt-Eichstaedt, 2006, S. 114; siehe auch Schneider, Die Entwicklung der Wohnungseigentumspolitik. In: Voigtländer/Depenheuer (Hrsg.), Wohneigentum, 2014, S. 23–42. 31 Ott, Bodenrecht. In: Rehbinder (Hrsg.), Recht im sozialen Rechtsstaat, 1973, S. 154; Sendler, DÖV 1974, 83. 32 Frick, Städtebau und Städtebaurecht. In: Coulmas (Hrsg.), Festschrift für Gerd SchmidtEichstaedt zum Städtebaurecht, 2006, S. 74. 33 Leisner, Sozialbindung des Eigentums, 1972, S. 185 ff. 29
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der kommunalen Bauleitplanung entwickelten Planwerke. Solange eine nachträgliche Einschränkung von zunächst gewährten, theoretisch unbegrenzt Gültigkeit besitzenden Eigentumsrechten verfassungsrechtlich nur im naturschutz- und denkmalschutzrechtlichen Ausnahmefall zulässig ist, solange wird die Kontroverse um die Baufreiheit, die nach wie vor gleichsam einer ideologischen Glaubensfrage gleichkommt, im Grunde keine Befriedung erfahren.
6 Boden als „vergessener Faktor“ 6.1 B odenordnung und Baulandbeschaffung als Grundbedingung für Wohneigentumsbildung und sozialen Wohnbau Boden ist der „vergessene Faktor“34 in der Eigentumsordnung, Baulandentwicklung und Urbanisierung. Urbanisierung prägt europäische Städte seit Jahrhunderten. Dieser Prozess verläuft nicht geradlinig, sondern in Schüben. Aktuell erleben zahlreiche deutsche Städte einen solchen Schub, weil es viele junge Menschen aus dem In- und Ausland in Städte zieht. Die enorme Dynamik dieser Entwicklung hat Wohnungspolitiker, Stadtplaner und Bodenpolitiker überrascht. Die Mieten und Preise steigen auf fast allen Immobilienmarktsegmenten, weil das Angebot dem Nachfrageanstieg nicht hinterherkommt. Folglich muss mehr Wohn- und Gewerberaum geschaffen werden. Bezugsfertige Eigenheime und attraktiv geschnittene Miet- und Eigentumswohnungen im Geschosswohnungsbau innerhalb des zentrumsnahen Siedlungskörpers unter Einhaltung städtebaulich verträglicher Dichte fehlen. Derzeit ist die Stadt als Wohnort augenscheinlich (wieder) gefragt. Das Bauland in den Städten ist jedoch knapp und somit teuer. Die Wohnungsnachfrager wählen oftmals ein „Eigenheim auf der Etage“ im Rahmen von Wohnungseigentum (WEG).35 Reicht der Appell an Grundstückseigentümer aus, sie mögen doch (endlich) erkennen, wie vorteilhaft Planen und Bauen in Einklang mit Natur und Landschaft ist und wie attraktiv eine kreislauffähige Grundstücksnutzung gestaltet sein kann36? Unter Eigentumspolitik ist nicht nur die Politik zur Förderung und gegebenenfalls zur gerechteren Verteilung des Eigentums zu verstehen. Sie ist vor allem die gesetzliche und richterliche Ausgestaltung des Eigentums an Grundstücken. Eigentumspolitik ist mithin die Steuerung unterschiedlicher Eigentumsarrangements durch Maßnahmen des Staates.37 Eine „differenzierte Eigentumspolitik“ umfasst Individual-, Die – unverändert treffende – Formulierung geht zurück auf Pfannschmidt, Vergessener Faktor Boden – Marktgerechte Bodenbewertung und Raumordnung, 1990. 35 Näher Froese, Wohnungseigentum zwischen individualgrundrechtlicher Gewährleistung und kollektiver Einbindung, 2015. 36 Ganser, Können sich Landschaft und Wohneigentum vertragen? In: Schwäbisch Hall Stiftung (Hrsg.), Kultur des Eigentums, 2006, S. 267, 275. 37 Lesenswert Binswanger, Eigentumsgarantie und Eigentumsordnung in einer revidierten Bundesverfassung. In: Lendi/Nef, Staatsverfassung und Eigentumsordnung, 1981, S. 55 ff. 34
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Gemeinschafts- und Genossenschaftseigentum sowie Gemeineigentum an Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln nach Art. 15 GG. Verfügungsgewalt, Begrenzung von Eigentum und Enteignung seien wichtige Säulen einer zeitgemäßen, bewussten Eigentumspolitik. Der Staat habe die Kultur des Eigentums zu schützen, müsse aber auch dessen sozial verantwortliche Nutzung einfordern.38 Insbesondere Raum bedeutsame Planungen und Maßnahmen formen die Eigentumspolitik durch das Städtebaurecht aus, soweit deren Planungsmaterie das Grundstück ist.39 Wenn im Folgenden von Eigentums-„Politik“ die Rede ist, so ist der politische Prozess der Rechtsetzung für die Gesamtsteuerung der Grundstücksnutzung angeschnitten und weniger parteipolitisch oder gar ideologisch motivierte Auseinandersetzungen um die jeweils als „richtig“ anerkannte Grundstücksnutzung.
6.2 Eigentumspolitik und Bodenrecht Eigentumspolitik hat mithin nichts von ihrer Aktualität eingebüßt: Der Staat kommt demgemäß um eine bewusste Eigentumspolitik nicht herum.40 Dies gilt in besonderem Maße für das Ziel der Bremsung der Baulandproduktion, da an Grundstücken bekanntlich vor allem private Verfügungsrechte bestehen. Die hohen Grundstückspreise in den Ballungszentren verursachen ein Ausweichen der Wohngebiete in die Stadtrandlagen oder in den peri-urbanen bzw. ländlichen Raum hinein. Gut erschlossene Siedlungsräume inmitten der Agglomerationen mit wenig Umgebungsgrün oder an stark frequentierten Verkehrstraßen entleeren sich demgegenüber großflächig. Im Umland der Agglomerationsräume sowie in den verdichteten und ländlichen Kreisen verstädterter Räume kann auch für die Zukunft mit den höchsten absoluten Zuwachsraten gerechnet werden. Das Bodenrecht konkretisiert die Eigentumspolitik „parzellenscharf“ durch entsprechende Regelungen im Städtebaurecht. Bodenrechtliche Aspekte umfassen in erster Linie die Rechtsbeziehungen der Menschen zur Nutzung von Grundstücken. Das Bodenrecht umfasst neben der privatrechtlichen Verfügungsmacht zudem auch die Staatslehre und das Verwaltungsrecht. Das private Eigentum an Grundstücken im sachenrechtlichen Sinn ist ein gewichtiger Teilbereich des Bodenrechts. Hinzu kommen Alleineigentum und Miteigentum (Stockwerkeigentum), Pacht und Miete. Das Hypothekarwesen ist ein klassisches Institut der Immobilienfinanzierung. Hinzu treten Erbbaurecht und das Wohnungseigentumsrecht. Scheel, Eigentum – was geht den Staat das an? In: Schwäbisch Hall Stiftung (Hrsg.), Kultur des Eigentums, 2006, S. 179, 185. 39 Sendler, DÖV 1974, 73. 40 Engel, Die soziale Funktion des Eigentums. In: v. Danwitz/Depenheuer/Engel (Hrsg.), Bericht zur Lage des Eigentums, 2002, S. 11, 95. Das Spannungsverhältnis zwischen Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 15 Satz 1 GG als die (vermeintlichen) Gegenpole staatlicher Eigentumspolitik erwähnt Engel im Rahmen der „bewussten Eigentumspolitik des Staates“ allerdings nicht. 38
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Ein – bislang unerreichtes – gesellschaftliches Ziel ist dabei insbesondere die Herstellung eines ausgewogenen Verhältnisses von Individual- und Sozialfunktionen des Grund und Bodens. Daher ist eine Analyse, ob der Gesetzgeber die ihm zukommende Pflicht, für eine ausgewogene Zurverfügungstellung mit Miet- und Eigentumswohnungen zu sorgen erfüllt, heute mehr denn je erforderlich. Das Grundstückseigentum muss sachenrechtlich und schuldrechtlich von den Rechtsformen der Miete und Pacht abgegrenzt werden. In der Bundesrepublik ist auf Grund schuldrechtlicher Rechtsbeziehungen die Pacht – erst recht gilt dies für den Bereich des Mietrechts in Bezug auf Wohn- und Gewerberaum41 – als Grundstücksnutzungsform vielseitig ausgeprägt. Man denke nur an die Landpacht, die Kleingartenpacht42 oder die Jagdpacht. Miet- und Pachtrechte sind durch schuldrechtlich vereinbarte Nutzungsüberlassungsverträge abgesichert. Durch diese schuldrechtlich-vertraglichen Konstruktionen sind die eingeräumten Nutzerrechte im Spannungsverhältnis zum jeweiligen Grundstückseigentümer stark ausgeweitet. Diese Nutzerrechte finden ihren besonderen Ausdruck im Angewiesensein bestimmter Personengruppen auf die Nutzung eines Grundstückseigentumsobjekts (z. B. einer Wohnung) zur freien Lebensgestaltung.43 Diese Angewiesenheit begründe, so das BVerfG, für den Eigentümer eine besondere Rücksichtnahmepflicht.44 Der Gesetzgeber habe die Eigentumsrechte von Mietern und Vermietern „sozialadäquat“ auszugleichen. Der Eigentumsschutz des Mieters bleibt staatsgerichtet, denn „(…) der Großteil der Bevölkerung kann zur Deckung seines Wohnbedarfs jedoch nicht auf Eigentum zurückgreifen, sondern ist gezwungen, Wohnraum zu mieten. Das Besitzrecht des Mieters erfüllt unter diesen Umständen Funktionen, wie sie typischerweise dem Sacheigentum zukommen. (…) Es stellt eine privatrechtliche Rechtsposition dar, die dem Mieter wie Sacheigentum zugeordnet ist“.45
Die Sozialpflichtigkeit des Eigentums nach Art. 14 Abs. 2 GG sorgt dafür, dass das für Wohnzwecke genutzte Eigentum in gesteigertem Maße belastet wird, und zwar unabhängig davon, ob die Wohnung im Eigentum des Bewohners steht oder
Die Wohnungsmieter sind von Entscheidungen der Immobilieneigentümer in einem wesentlichen Teil ihres Lebens betroffen. Mietgesetze lassen das Wohnraummietverhältnis von der Veräußerung der Immobilie unberührt und koppeln die Erhöhung der Miete in der Regel an Zustimmungspflichten. 42 In Hamburg werden sämtliche stadteigenen Kleingartenflächen durch einen Generalpachtvertrag an den Landesbund der Gartenfreunde e. V. verpachtet, der seinerseits die Grundstücke an die einzelnen Kleingartenvereine unterverpachtet. Es existieren bspw. in Hamburg 36.500 Kleingartenparzellen, die eine erhebliche Grundstücksreserve für die Innenentwicklung darstellen und die bei baulicher Inanspruchnahme durch Grundstücke aus dem „Kleingartenersatzpool“ zur Stellung von Ersatzland substituiert werden. Dazu Ramsauer, Umweltschutzrecht. In: Hoffmann-Riem/ Koch, Hamburgisches Staats- und Verwaltungsrecht, 2006, S. 304 f. 43 Oettle, Die Wohnung als wirtschaftliches Gut. In: Engelhardt/Thiemeyer, Festschrift für Jenkis, 1987, S. 235 ff., S. 239 ff.; Kreuter-Kirchhof, Der rechtliche Status des Wohneigentums. In: Voigtländer/Depenheuer (Hrsg.), Wohneigentum, 2014, S. 97 (S. 124 f.). 44 BVerfGE 89, 1 (6); BVerfGE 38, 348 (370). 45 BVerfGE 89, 1 (6 ff.). 41
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nicht.46 Dennoch ist der Schritt zur Umdeutung des Art. 14 Abs. 2 GG in ein Grundrecht mit unmittelbarer Drittwirkung – mithin hin zu einem „Grundrecht der Nichteigentümer“ – nur noch ein kurzer.47 Die Baulandproduktion findet durch ökonomische Anreizinstrumente statt.48 Sie wird maßgeblich beeinflusst von Faktoren, die außerhalb des Umwelt- und Planungsrechts liegen. Wirtschaftliche, wirtschaftspolitische und steuerliche Rahmenbedingungen dominieren. Dennoch kann auf das Recht zur Steuerung der Grundstücksnutzung nicht verzichtet werden. Denn wenn Knappheitsprobleme auftreten, kann ihnen der Rechtsanwender nicht ausweichen.49 Anreizinstrumente sollen vor allem die Innenentwicklung des bestehenden Stadtund Dorfraumes verbessern. Gefragt sind daher immobilienökonomische Steuerungsinstrumente, die ein Verharren vieler revitalisierungsfähiger Grundstücke im Brachestatus (Grundstücksblockaden) beseitigen und insoweit das Baulandmanagementversagen überwinden. Grundstücke stellen eine feste, unvermehrbare Größe dar, die sich wegen der außerordentlichen Knappheit des Angebots im Hinblick auf die Veränderung der Nachfrage im Allgemeinen vollkommen unelastisch verhält. Das Angebot kann bei steigender Nachfrage mengenmäßig nicht entsprechend angepasst werden, mit der Konsequenz, dass der ursprüngliche Gleichgewichtspreis50 (vgl. Abb. 9.2) einer determinierten Marktsituation nicht gehalten werden kann. Nach Samuelson/Nordhaus gilt jedoch: „Aufgrund des unelastischen Bodenangebots arbeitet Boden immer für den gerade erzielbaren Preis“.51 Es ist indes von einer suboptimalen Nutzung der Grundstücke für Wohn- und Gewerbeimmobilien und für Verkehr auszugehen. Wenn Grundstücke bewertet werden, dann wird grundsätzlich nicht das Gebäude selbst bewertet, sondern nur das dahinter liegende Eigentumsrecht (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG/§ 903 BGB), also die rechtlichen Gegebenheiten nach § 194 BauGB. Die Forderung nach mehr Kompaktheit und Innenentwicklung,52 welche in die Umsetzung von Strategien zur Verminderung der zusätzlichen Baulandproduktion im Außenbereich eingebettet ist, kann indessen durchaus negative Auswirkungen auf den Bodenmarkt und die Bodenpreisbildung haben. Denn je intensiver das vorhandene Bauland ausgenutzt wird und je weniger Wohnbau- und Gewerbebaugrundstücke durch Baulandproduktion im Außenbereich erstmals bereitgestellt BVerfGE 38, 348. Zu Art. 14 Abs. 2 GG als Grundrecht der Nichteigentümer: Hösch, Eigentum und Freiheit, 2000, S. 189 ff. 48 Güttler, Marktverhalten, Bodenpreisbildung, Planung, qualitative Faktoren, Instrumente der Bodenpolitik. In: Dieterich-Buchwald/Dieterich, Neue Perspektiven des Bodenrechts, 1997, S. 81 f. 49 Brandt/Sanden, Verfassungsrechtliche Zulässigkeit neuer übergreifender Rechtsinstrumente zur Begrenzung des Flächenverbrauchs, 2003, S. 17; Losch et al., Ökonomische Instrumente zum Schutz der Bodenflächen. In: Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Flächenhaushaltspolitik, 1999, S. 197 f. 50 Baßeler/Heinrich/Koch, Grundlagen und Probleme der Volkswirtschaft, 1995, S. 183. 51 Samuelson/Nordhaus, Volkswirtschaftslehre, 2005, S. 383 f. Aus diesem Grund führt die Besteuerung der Grundrente nicht zu volkswirtschaftlichen Verzerrungen oder Ineffizienzen. 52 Vgl. § 13a BauGB und § 13b BauGB: Erleichterte Innenentwicklung und Nachverdichtung ohne Umweltprüfung und Umweltbericht und erleichterte Außenentwicklung zur Baulandschaffung. 46 47
9 Der Rechtsrahmen zur Förderung des Wohneigentums
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Abb. 9.2 Elastizität des Grundstücksangebots (Eigene Darstellung)
werden, desto mehr ist die Grundrente im Steigen begriffen und folgerichtig der daraus resultierende Grundstückswert. Hier ist der Liegenschaftszinssatz (§ 14 Abs. 3 ImmoWertV) von Bedeutung. Zu diesem Zinssatz – der trotz seines Namens kein klassischer Zinssatz ist – verzinsen sich die Baugrundstücke langfristig in ihrer Rentierlichkeit.53 Denn bei unbebauten Grundstücken ist der tatsächliche Ertrag zugleich auch der erwartete Ertrag.54 Insgesamt gesehen ist festzuhalten, dass die Geschehnisse auf dem Bodenmarkt und ihre Beeinflussung durch die Boden- und Baulandpolitik die bestimmenden Faktoren der Stadtentwicklung sowie der Stadtplanung sind.55
Sprengnetter, Grundstücksbewertung, Band II, 68. EL, S. 3.04/1/5. Güttler, Marktverhalten, Bodenpreisbildung, Planung, qualitative Faktoren, Instrumente der Bodenpolitik. In: Dieterich-Buchwald/Dieterich, Neue Perspektiven des Bodenrechts, 1997, S. 78, 90; Sandner/Weber, Lexikon der Immobilienwertermittlung, 2003, S. 143 ff. 55 Pfannschmidt, Vergessener Faktor Boden – Marktgerechte Bodenbewertung und Raumordnung, 1990, S. 18, 45; Epping, Bodenmarkt und Bodenpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, 1977. 53 54
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7 R echtliche Möglichkeiten zur Beschleunigung der Prozesse für städtische Baulandentwicklung und sozialen Wohnungsbau 7.1 Politische Vorgaben Das folgende Kapitel verzichtet darauf, die umfänglichen Ausführungen zum rechtlichen Status des Wohneigentums und insbesondere zu den Möglichkeiten (und Grenzen) der Schaffung von Wohneigentum für breite Schichten der Bevölkerung zu wiederholen. Hierzu sei auf die Ausführungen von Kreuter-Kirchhof zu Kappungsgrenzen, Vergleichsmieten, sowie Milieuschutz- und Sanierungssatzungen verwiesen. Substanziell Neues hat sich seit der Publikation „Wohneigentum“ (Voigtländer/Depenheuer, 2014) in diesen Regelungsbereichen nicht ergeben.56 Freilich soll nun ausführlich zu den jüngsten (boden-)politischen Entwicklungen Stellung bezogen werden: Der am 12. März 2018 unterzeichnete Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD kündigt auf den Zeilen 5113 f. (S. 109) für die neue Legislaturperiode eine Enquête-Kommission für eine „nachhaltige Baulandmobilisierung und Bodenpolitik“ an. Zudem enthält der Koalitionsvertrag Hinweise für weitere Novellen im städtebaurechtlichen Bereich. Möglicherweise wird es bald erneut eine Städtebaurechtsnovelle und also keine „städtebauliche Denkpause“ geben. Ganz im Gegenteil. Aktuelle Positions- und Strategiepapiere des DIFU, vhw und Deutschen Städtetags fordern angesichts zunehmender Aufgaben und Baulandknappheiten in den wachsenden Gemeinden eine „neue bodenpolitische Agenda“. Dabei wird im steten Wandel vor allem bei folgenden Aufgaben bundespolitischer Prüf- und Handlungsbedarf erblickt: Renaissance der Idee der (Teil-)Abschöpfung von planungsbedingten Bodenwertsteigerungen: Geprüft werden sollte, so die Vorschläge, eine generelle Regelung für die Teilabschöpfung von planungsbedingten Wertsteigerungen bei der Aufstellung von Bebauungsplänen, beispielsweise im Umfang von 50 % bis max. 70 % des Bodenwertzuwachses.57 Derzeit bemühen sich immer mehr Städte um den Abschluss von städtebaulichen Verträgen (§ 11 BauGB), um die Investoren nach dem Vorbild der „Sozialgerechten Bodennutzung“ (SoBoN) der Landeshauptstadt München an den Kosten für Kitas und Schulen zu beteiligen und ihnen den Bau von geförderten Sozialwohnungen abzuverlangen. Nach der Städtebaurechtsnovelle 201758 und dem Verfahren der EU-Kommission gegen Gemeinden in Bayern und Nordrhein-Westfalen ist nun-
Vgl. die Ausführungen von Kreuter-Kirchhof, in: Voigtländer/Depenheuer (Hrsg.), Wohneigentum, 2014, S. 97 ff. (insbes. S. 116–122). 57 Kritisch und nach wie vor höchst lesenswert: Leisner, Wertzuwachsbesteuerung und Eigentum, 1978, insb. zur Geschichte und Rechtfertigung der „Abschöpfung“ planungsgedingter Bodenwertsteigerungen seit den Physiokraten (S. 30–66) und zur Abgrenzung einer Wertzuwachssteuer von einer Wertzuwachsabgabe (S. 83–95). 58 Gesetz v. 04.05.2017, BGBl. I, S. 105. 56
9 Der Rechtsrahmen zur Förderung des Wohneigentums
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mehr auch europarechtlich abgesichert,59 dass Gegenstand eines städtebaulichen Vertrages auch der Erwerb angemessenen Wohnraums durch einkommensschwächere und weniger begüterte Personen der örtlichen Bevölkerung sein kann (§ 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BauGB). Die Bundesregierung beabsichtigt, „die Kommunen bei der Aktivierung von Bauland und Sicherung bezahlbaren Wohnens“ zu unterstützen; hierbei sind weitere Verbesserungen im Bauplanungsrecht angestrebt, des Weiteren eine Abstimmung mit immissionsschutzrechtlichen Vorschriften und eine Weiterentwicklung des beschleunigten Bebauungsplanverfahrens.60 Dem Modell der Landeshauptstadt München sind mittlerweile zahlreiche Kommunen gefolgt, etwa Berlin durch das Programm der „kooperativen Baulandentwicklung“ oder Frankfurt durch die geplante Einführung eines Planungswertausgleichs. Begründet wird dies unter anderem mit der Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Derzeit werden in Frankfurt sogar Überlegungen angestellt, dass bereits rechtsverbindliche Planungen geändert werden, um öffentlich geförderten Wohnungsbau umzusetzen. Beabsichtigt der Eigentümer eine vom bestehenden Baurecht abweichende Art oder ein abweichendes Maß der baulichen Nutzung, so kann diese Baurechtsmodifizierung durchaus zu einem Planungswertausgleich nach § 42 BauGB führen. In der Praxis stellen sich zahlreiche Fragen, die bislang nicht alle beantwortet sind: • Ist von einem Verkehrswert der vorhandenen Bebauung und unter Beachtung der derzeitigen ausgeübten Nutzung auszugehen? • Sind Freilegungskosten zu berücksichtigen? • Ist bei dem betroffenen Grundstück von der zukünftigen Nutzungsart Wohnbauland und der Entwicklungsstufe Rohbauland auszugehen? • Ist bei einem bisher noch nicht bebauungsfähigen Grundstück von der Entwicklungsstufe Bauerwartungsland auszugehen? Eine Kooperation mit Eigentümern wird hier nur durch die Aufstellung von Bebauungsplänen erreicht. In Gebieten, in denen die Vorhabenzulassung nach § 34 BauGB zu beurteilen ist, finden sowohl SoBoN als auch vergleichbare Vertragsgestaltungen keine Anwendung, was den Grundstückseigentümern in diesen Gebieten erhebliche Sondervorteile verschafft. Denn ein Bauvorhaben ist bereits dann im Wesentlichen zulässig, wenn die Erschließung gesichert ist und es sich in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Die Kriterien sind rein baulicher Art: Art und Maß der baulichen Nutzung, die Bauweise und die Grundstücksausnutzung sowie keine Beeinträchtigung des Ortsbildes. Eine Regelung, die das Allgemeinwohl oder soziale Aspekte berücksichtigt, findet sich im Rahmen des § 34 BauGB nicht. Demgemäß ließe sich § 34 BauGB als maximale Ausprägung der Baufreiheit interpretieren.61 Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Deutschland, Nr. 2006/4271 (eingestellt am 14.07.2017); max. 50 %ige Gewichtung des Kriteriums der Ortsgebundenheit bei Einheimischenmodellen. 60 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 2018, S. 109 f. 61 Vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Kommentar, 14. Aufl. 2016, Art. 14 Rn. 58a. 59
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§ 34 BauGB kommt damit der Gewährleistung der europäischen Grundfreiheiten als subjektive (öffentliche) Rechte62 wie etwa der Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 ff. AEUV) oder der unionsrechtlichen Eigentumsgewährleistung entgegen. Die primärrechtlich garantierten Grundfreiheiten sind dann verletzt, wenn ihre Einschränkung den Unionsgrundrechten widerspricht; die Einschränkung muss gesetzlich vorgesehen sein.63 Wird ein Vorhaben nach rein baulichen Kriterien des § 34 BauGB als zulässig eingestuft, so hat der nationale und europäische Bauwerber Anspruch auf die Erteilung der Genehmigung, mit positiven Auswirkungen auf den Marktwert nach § 194 BauGB. Hier wird vorgeschlagen,64 dass die Gemeinden die Möglichkeit erhalten sollten, bei Bauvorhaben im Rahmen der Vorhabenzulassung nach § 34 BauGB einen Anteil an sozialem Wohnraum einzufordern, der sich im Umfang an den lokalen Gegebenheiten (Wohnraumbedarf und transparente kommunale Vorgaben) orientiert. Dazu sollte das Instrument „Städtebauliche Satzung“ nach § 34 Abs. 4 BauGB die Festlegung von inhaltlichen Kriterien des Bebauungsplans nach § 9 Abs. 1 BauGB auch für Bauvorhaben im Bereich bebauter Ortsteile ermöglichen. Bauherren, die diese Wohnungen in ihre Projekte nicht integrieren können, sollte die Möglichkeit einer Ausgleichszahlung gegeben werden, die zweckgebunden für den sozialen Wohnungsbau verwendet wird. Entstehende Infrastrukturfolgelasten sollten ebenfalls berücksichtigt und eine Beteiligung an diesen verpflichtend geregelt werden können.
7.2 Ö ffentlich geförderter Wohnungsbau: Beispiel Frankfurt am Main „Der soziale Wohnungsbau muss mindestens auf heutigem Niveau und langfristig verstetigt werden. Dafür ist es erforderlich, dass der Bund auch in Zukunft gemeinsam mit den Ländern Verantwortung für die soziale Wohnraumförderung übernehmen kann. Falls erforderlich, wird dazu eine Grundgesetzänderung vorgenommen“.65 Im Folgenden soll kurz die Praxis in der Stadt Frankfurt zur Bewertung des von der Bundesregierung in der nächsten Legislaturperiode ausdrücklich geförderten und geforderten öffentlichen Wohnungsbaus vorgestellt werden. Gentrifizierung wird gewiss stetig nun sogar zum Mittelschichtsproblem. Die städtische Woh-
EuGH, Slg. 1963, 3, 25 – van Gend & Loos; vgl. Ehlers, DVBl 2004, 1441, 1445 f.; Ehlers, Allgemeine Lehren der Grundfreiheiten. In: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 4. Aufl. 2014, § 7 I 5 Rn. 10. 63 Die Grundfreiheiten sind leges specialis gegenüber den Unionsgrundrechten (vgl. Art. 52 Abs. 2 GRCH). Schindler, Die Kollision von Grundfreiheiten und Gemeinschaftsgrundrechten, 2001, S. 125 ff. 64 Deutsches Institut für Urbanistik/vhw Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e.V., Bodenpolitische Agenda 2020–2030, Warum wir für eine nachhaltige und sozial gerechte Stadtentwicklungs- und Wohnungspolitik eine andere Bodenpolitik brauchen, Oktober 2017, S. 19. 65 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 2018, S. 110 (Zeilen 5151–5154). 62
9 Der Rechtsrahmen zur Förderung des Wohneigentums
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nungspolitik – und die Bundesregierung fordert dies66 – soll gegen den zunehmenden Preisdruck in den Innenstädten auf den sozialen Wohnungsbau abzielen. Die Stadtverwaltung von Frankfurt betont drei Instrumente, um der Gentrifizierung der ansässigen Wohnbevölkerung entgegenzuwirken: a. Wahrnehmung des Vorkaufsrechts in Milieuschutzgebieten, b. Planungswertausgleich, c. Realisierung von öffentlich gefördertem Wohnungsbau. Auf die Probleme des Planungswertausgleichs ist an anderer Stelle schon vertieft eingegangen worden.67 In diesem Beitrag soll die (vermehrte) Realisierung des öffentlich geförderten Wohnungsbaus thematisiert werden, und zwar am Beispiel des gegenwärtigen Wohnungsmarktumfelds in der Stadt Frankfurt. Die Stadt Frankfurt überlegt, die öffentliche Bindung geförderter Wohnungen auf 30 Jahre zu verlängern. Als landesrechtliche Grundlage ist das Gesetz über die soziale Wohnraumförderung68 heranzuziehen. § 10 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes definiert die Wohnungsgrößen: Bei Bestimmungen der Länder über die Grenzen für Wohnungsgrößen sind folgende Grundsätze zu berücksichtigen (…). Die Größe der zu fördernden Wohnung muss entsprechend ihrer Zweckbestimmung angemessen sein. Die das Gesetz ergänzende Landesrichtlinie konkretisiert das Kriterium der „Angemessenheit“. Punkt 4.2.1 der Landesrichtlinie besagt, dass die förderungsfähige Wohnfläche (Regelwohnfläche) bei Wohnungen für 1 Person bis 45 m2, bei Wohnungen für 2 Personen bis 60 m2 und für jede weitere Person 12 m2 mehr beträgt. Bei Wohnungen mit drei Zimmern zzgl. Bad und Küche ist die förderungsfähige Wohnfläche unabhängig von der beabsichtigten Belegung auf 72 m2 begrenzt. Punkt 4.2.5 der Richtlinie setzt fest, dass alle Wohnungen direkten Bezug zum Freiraum haben sollen, und zwar im Erdgeschoss durch Haus-/Mietergärten, Terrassen, im Obergeschoss durch Balkone, Loggien, nicht beheizbare Wintergärten oder Terrassen. Bauliche Anlagen dieser Art sollen eine der Haushaltsgröße entsprechende nutzbare Fläche i. d. R. von mindestens 4 m2 und eine Tiefe von mindestens 1,75 m haben. Punkt 4.2.6 legt fest, dass Fenster und Balkon- oder ähnliche Türen, die im Erdgeschoss liegen oder sonst ohne Hilfsmittel von außen erreichbar sind, mit einbruchshemmenden Verriegelungen, mit Klapp- oder Rollläden bzw. innen liegendem Sichtschutz ausgestattet werden sollen. Einbruchshemmende Wohnungseingangstüren sind vorzusehen. Dies schränkt die Baufreiheit des Grundstückseigentümers erheblich ein. Bundesrechtlich bestimmt § 9 Abs. 1 Nr. 7 und 8 BauGB: Im Bebauungsplan können aus städtebaulichen Gründen festgesetzt werden: […] die Flächen, auf denen ganz oder teilweise nur Wohngebäude, die mit Mitteln der sozialen Wohnraumförderung gefördert werden können, errichtet werden dürfen. In Frankfurt ergänzt die „Magistratsvorlage M 9“ v. 17.01.2014:69 Der Magistrat wird beauftragt […] soweit die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen gegeben sind, städtebauliche Verträge mit dem Ziel abzuschließen, 30 % der durch neu auf Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 2018, S. 109 (Zeilen 5110–5114). Thiel, Bezahlbarer Wohnraum durch Bodenwertabschöpfung? – Steuerrechtliche und wertermittlungstechnische Aspekte, GuG 2017, 290–297. 68 Hessisches Wohnraumförderungsgesetz (HWoFG). 69 Stadt Frankfurt am Main/Stadtplanungsamt, Plan.Werk 2015, Jahrbuch, 2016, S. 16. 66 67
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gestellte Bebauungspläne zusätzlich ermöglichten BGF Wohnen für den geförderten Wohnungsbau zu sichern. Fraglich ist nun der Einfluss der landesrechtlichen und kommunalen Förderung auf den Bodenwert (Land Hessen finanziert im 1. Förderweg, Stufe 1 und 2, die Stadt Frankfurt bezuschusst durch den Förderweg 2). Es ist eine Berechnung des Werteinflusses auf den Bodenwert durch Mietmindererträge vs. Einsparung durch Kredite und Zuschüsse vorzunehmen. Der Grundstückseigentümer hat im Rahmen der Sozialbindung (Art. 14 Abs. 2 GG) eine Einschränkung durch gebundene Mieten (gedeckelt auf 5,50 Euro/m2), durch die Vorgabe der Wohnungsgrößen und der Ausstattung (z. B. Passivhaus, barrierefrei) hinzunehmen. Demgegenüber sind die Vorteile der Fördermittelvergabe (Darlehen oder Zuschüsse), Mietzuschüsse und günstige Kreditkonditionen aufzurechnen.70 Die Kapitalisierung der Mietmindererträge zwischen Fördermiete und Marktmiete erfolgt über den Bindungszeitraum. Erforderlich ist eine Kapitalisierung der Mietmindererträge zwischen dem Ende des Bindungszeitraums und dem Erreichen der Marktmiete, also eine Diskontierung auf die Gegenwart sowie die Berechnung der Zinszahlungen der Förderkredite über den Bindungszeitraum und eine Berechnung der Zinszahlungen vergleichbarer Bankkredite in Höhe der Fördermittel und Zuschüsse. Bewertung (vgl. Abb. 9.3): Bei einem angenommenen Grundstückswert von 64.820.000 Euro bedeutet dies eine Wertminderung von 15 %. Dies gilt unter der Annahme, dass 30 % der genehmigten BGF als geförderter Wohnungsbau errichtet werden, und zwar 15 % Förderweg 1 – Stufe 1, 5 % Förderweg 1 – Stufe 2, 10 % Förderweg 2, bei Baukosten von 1700 Euro/m2 BGF, einer Grundstücksgröße von 1000 m2 und angenommenen Liegenschaftszinssätzen in Anlehnung an den IMB der Stadt Frankfurt 2017.71 Unter städtebaulichen Folgekosten wird auch die Entwicklung von öffentlich gefördertem Wohnungsbau verstanden. Die Regelung über den öffentlich geförderten Wohnungsbau wird ebenfalls in städtebaulichen Verträgen festgelegt und wirkt zumeist wertmindernd. Bei einem eventuell beabsichtigen Verkauf muss beachtet werden, dass der Alteigentümer nicht den vollen zukünftigen Baulandwert erhält, sondern dass die von der Stadt geforderte Planungsgewinnabschöpfung mit in die Projektkalkulation einbezogen wird. Zukünftig werden in neuen Bebauungsplänen in Frankfurt72 entsprechende Ausweisungen/Festsetzungen an Kontingentierungen für öffentlich geförderten Wohnungsbau vorgenommen. Diese Ausweisungen sorgen allerdings nur dafür, dass die Bauherren gewisse Einschränkungen hinsichtlich der Grundrisskonzeption und Ausstattung haben. Sie sind nicht verpflichtet, die mietpreisreduzierenden Einschränkungen des öffentlich geförderten Wohnungsbaus umzusetzen sowie die Fördermittel der Stadt und des Landes in Anspruch zu nehmen. In der augenblicklichen Niedrigzinsphase und bei einem hohen Mietpreisniveau können die Einschränkungen des öffentlich geförderten Wohnungsbaus für eine Preisreduzierung pro Quadratmeter Bruttogeschossflä70 Dazu ausführlich Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 7. Aufl. 2014, S. 2746–2749. 71 Immobilienmarktbericht der Stadt Frankfurt am Main 2017. 72 Magistratsvorlage „M9“ der Stadt Frankfurt am Main v. 17.01.2014.
9 Der Rechtsrahmen zur Förderung des Wohneigentums
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Ein Beispiel für eine Finanzierung mit Landesmitteln sähe folgendermaßen aus (alle Beträge in Euro): Fördermittel Land (Basis Bodenwert und m² (WFgef.):
9.234.000
Zuschuss 10 %:
923.400
Fördermittel Stadt:
6.303.795
Höhe des aufzunehmenden Bankkredits (inkl. Disagio)
16.461.195
Damit ergeben sich durch den Einsatz der Förderprogramme für den Investor folgende Ersparnisse: Zinszahlungen bei einer Finanzierung der Mittel über einen üblichen Bankkredit
7.269.572,21
Disagio Bankkredit
658.447,81
Disagio Förderkredite Land Hessen und Stadt Frankfurt
- 159.994,95
Zinszahlungen aus dem Förderkredit des Landes Hessen
- 993.223,85
Verwaltungskostenbeitrag aus dem Darlehen der Stadt Frankfurt
- 378.227,80
Zinszahlungen aus dem Darlehen der Stadt Frankfurt
- 565.476,93
Ersparnis durch den Einsatz der Förderprogramme
5.831.096,49
Ergebnis: Gegenüberstellung der Mietminderung einerseits und Förderung andererseits: Ersparnis durch den Einsatz der Förderprogramme
5.831.096
Mietmindererträge Stufe 1 (inkl. Mietzuschuss)
-15.569.089 =
-9.737.993
Abb. 9.3 Förderungs- und Finanzierungsmodell für sozial geförderten Wohnungsbau in Hessen (Beispiel: Frankfurt am Main)
che von über 400 Euro/m2 sorgen. In Gebieten mit einem niedrigen Mietniveau kann sich der Einfluss des öffentlich geförderten Wohnungsbaus allerdings auch werterhöhend auswirken. Es gibt mithin Lagen, in denen der geförderte Wohnungsbau sogar einen Vorteil darstellt. Ein Abschlag ist auch geringfügig abhängig vom Förderweg (Zone 4329): 30 % im Förderweg 1 – Stufe 1: Abschlag 20,9 %; 30 % im Förderweg 1 – Stufe 2: Abschlag 21,6 %; 30 % im Förderweg 2: Abschlag 20,6 %. Bei 100 % gefördertem Wohnungsbau beträgt der Abschlag rd. 68 %. In sog. Top-Lagen wird das Grundstück bei hoher Ausnutzung (ab WGFZ 4,0) bei 100 % gefördertem Wohnungsbau sehr stark im Wert gemindert.
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7.3 Öffentliche (revolvierende) Boden- und Infrastrukturfonds Der Deutsche Städtetag plädiert für einen Wohnbauland- und Gewerbegrundstücksfonds auf Bundes- oder Landesebene; der Verband schätzt, dass mit ihm mindestens 5–10 % des jährlichen Wohnungsbedarfs befriedigt werden könnten. Das entspräche bei einer mittleren bis hohen Bebauungsdichte Mitteln für den Erwerb von rund 150 bis 600 Hektar Wohnbauland pro Jahr.73 Bodenfonds sind regelmäßig revolvierend und zuschussbedürftig. Die revolvierenden Fonds finanzieren sich aus den Erträgen, beispielsweise können aus Überschüssen Grundstücksankäufe getätigt werden, etwa mit wohnungs- und arbeitsmarktpolitischen Zielvorstellungen. Der Bund und vor allem die Länder wären beim Aufbau von Bodenfonds gefordert. Zudem wären die kommunalpolitischen Rahmenbedingungen zu verändern. Ins Auge gefasst ist die Beseitigung von Regularien in den Ländern, die dem Aufbau regionaler und kommunaler Boden- und Infrastrukturfonds bislang noch entgegenstehen. Zum anderen sollten Bund und Länder den Aufbau von Bodenfonds – etwa für Gewerbe oder Wohnen – unterstützen, indem sie finanzielle Beiträge leisten, z. B. in Form von Mitteln aus der Wohnungs- bzw. Städtebauförderung,74 dem Stadtumbau und von Sacheinlagen etwa in Form bundes- oder landeseigener Grundstücke, und sie sollten organisatorische Begleitung zur Verfügung stellen. Bund und Länder sollten, so die Bundesregierung, Liegenschaftsfonds begründen und/oder ihre Flächen in Genossenschaften, kirchliche und kommunale Wohnungsunternehmen, nicht gewinnorientierte Stiftungen und Initiativen „im Sinne der Gemeinwohlorientierung“75 einbringen. Zu prüfen wäre indes die haushaltsrechtliche Zulässigkeit der „Abschöpfung“ von Folgekosten (§ 11 Abs. 1 Satz 2 BauGB) und Einstellung in den Fonds, etwa zur Förderung bodenbevorratender Maßnahmen. Die finanzielle Ausstattung der Kommunen ist zu verbessern. Art. 115 GG n.F. und die Finanzverfassung von Bund und Ländern sowie die Haushaltsgesetze (BHO/ LHO) stehen dem bislang noch entgegen. Nicht zuletzt verstoßen Überlegungen, Bodenfonds auf Bundes-, Landes- oder Kommunalebene einzurichten und diese aus zweckgebundenen öffentlichen Einnahmen – etwa einem Planungswertausgleich oder „Abschöpfungs“-Einnahmen aus der Baulandentwicklung – zu finanzieren, gegen das Nonaffektationsprinzip, also den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gesamtdeckung im Haushaltsrecht (vgl. § 7 HGrG und § 8 Satz 1 BHO).76
Deutscher Städtetag, Neuausrichtung der Wohnungs- und Baulandpolitik, September 2017, S. 12. Jährlich fielen 80.000 bis 100.000 Wohnungen aus der Sozialbindung; vgl. Wohnraumbedarf in Deutschland und den regionalen Wohnungsmärkten. Vgl. Prognos, Endbericht der Studie zum Wohnungsbautag 2017 im Auftrag des Verbändebündnis Wohnungsbau. Stuttgart und Freiburg; https://www.prognos.com/uploads/tx_atwpubdb/Prognos_Studie_Wohnungsbautag_2017.pdf (zuletzt abgerufen am 19.04.2019). 75 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 2018, S. 111 (Zeilen 5210–5213). 76 Dazu Thiel, ZfBR 2019, 245 sowie die sehr lesenswerte Dissertation von Matuschka, Das Nonaffektationsprinzip, 2019, S. 33 ff. 73 74
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7.4 Städtebaurechtliches Vorkaufsrecht Im landwirtschaftlichen Bereich gibt es jüngst – vor allem durch Initiativen Mecklenburg-Vorpommerns und Niedersachsens – Bestrebungen für bodenrechtliche77 Eingriffe in den Grundstücksverkehr. Erwogen und politisch gefordert ist die Überarbeitung der Regelungen zur Vergabe78 der noch verbliebenen Flächen der Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG).79 Ziel ist die Vermeidung übermäßiger Spekulation, die Erhaltung traditioneller Bewirtschaftungsformen sowie die Pflege der Landschaft und die Eindämmung der Landkonzentration auf dem Bodenmarkt. Auch ein Vorkaufsrecht für ortsansässige Betriebe ist geplant.80 Die Europäische Kommission hat sich zu vorkaufsrechtlichen Instrumenten in den Mitgliedstaaten zurückhaltend geäußert und eine weitere Prüfung angekündigt. Auch im Bereich des städtebaulichen Vorkaufsrechts81 werden derzeit Reformvorschläge unterbreitet. DIFU/vhw82 schlagen vor, die Regelungen des Besonderen Vorkaufsrechts (§ 25 BauGB) insofern zu erweitern, als in einem durch Satzung zu bestimmenden Teilbereich einer Stadt generell ein preislimitiertes Vorkaufsrecht gilt, und nicht nur unter den Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 Satz 1 BauGB. Der Deutsche Städtetag spricht sich ebenfalls für ein Satzungsrecht nach § 25 BauGB aus, mit dem Bodenbevorratung betrieben werden soll. Dieses ist jedoch vor dem Hintergrund des Beihilfenrechts derzeit nicht ohne Weiteres möglich, das einem gezielten Aufkauf von Grundstücken durch die öffentliche Hand reserviert gegenübersteht.83 Gemeinden sollten Vorkaufsrechte auch beim Verkauf von WEG-Rechten und bei Gesellschaftsanteilen („share deals“) ausüben dürfen, bei denen das Vorkaufsrecht bisher gänzlich wirkungslos geblieben ist.84 Zudem sollte klarstellend geregelt werden, dass auch die Durchsetzung des Vorrangs der Innenentwicklung (§ 1 Abs. 5 Satz 3 BauGB; § 1a Abs. 2 BauGB) ein ausreichender Gemeinwohlgrund zur Ausübung des Vorkaufsrechts ist.
„Bodenrecht“ zielt in erster Linie auf die Vermeidung von Bodennutzungskonflikten ab; vgl. etwa BVerwGE 88, 24 (29). 78 Instruktiv EuGH, Urt. v. 16.07.2015, C-39/14, BVVG, Rn. 43 ff. (noch nicht in amtl. Slg). 79 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 2018, S. 87 (Zeilen 4043–4049). 80 Hier besteht eine Kollision mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK; dazu instruktiv EGMR, Urt. v. 01.02.2000, NJOZ 2005, 1048, Rn. 43 – Mazurek vs. Frankreich. 81 Wird das Vorkaufsrecht konventionswidrig ausgeübt, sieht der EGMR die Restitution des Grundstücks durch Rückübertragung als angemessenen Schadensersatz an bzw., falls das nicht möglich ist, als Entschädigung zum Marktwert; vgl. EGMR, Urt. v. 22.09.1994, Hentrich vs. Frankreich, EuGRZ 1996, 602. 82 Deutsches Institut für Urbanistik/vhw Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e.V., Bodenpolitische Agenda 2020–2030, Kap. IV (S. 15). 83 Europäische Kommission, 30.10.2001 – 2002/865/EG (Graf-von-Henneberg-Porzellan-GmbH); ABl 2002/L 307/1, Rn. 86; Europäische Kommission, 20.10.2005 – 2006/900/EG (Componenta Oy), 2006/L 353/36, Rn. 36. 84 Deutscher Städtetag, Neuausrichtung der Wohnungs- und Baulandpolitik, September 2017, S. 10. 77
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Das Vorkaufsrecht der §§ 24 ff. BauGB ist ein Instrument der gemeindlichen Bodenpolitik. Es ist in der Ausgestaltung kompliziert und tatbestandlich voraussetzungsvoll. Vorkaufsrechte haben keinen enteignenden Charakter und stellen keinen unzulässigen Eingriff in die durch Art. 2 GG geschützte Vertragsfreiheit dar. Die Vorschriften des dritten Abschnitts des BauGB regeln neben der Aufrechterhaltung einer Plansicherung zugleich die Zurverfügungstellung von Instrumenten zur Steuerung des gemeindlichen Grundstücksportfolios.85 Die Gemeinde kann ihre Plan verwirklichenden Vorstellungen unter der Prämisse der Einwirkung auf den Bodenmarkt für Innen- und Bestandsentwicklungsprojekte nach § 24 Abs. 1 BauGB durch die Ausübung des Vorkaufsrechts beim Erwerb von Grundstücken im Geltungsbereich eines Bebauungsplans realisieren. Voraussetzung ist, dass der Plan für das (neu) zu nutzende Grundstück eine Verwendung für öffentliche Zwecke vorsieht, etwa für naturschutzrechtliche Ausgleichszwecke. Das Vorkaufsrecht erfasst den Aufkauf von unbebauten Grundstücken im Innenbereich, die einer baulichen Nutzung oder Wiedernutzung mit Wohn- und Gewerbegebäuden zugeführt werden sollen.86 Liegt der Tatbestand eines Vorkaufs „nur“ zu öffentlichen Zwecken vor und wird eine entsprechende Nutzung im Bebauungsplan ausgewiesen, können die Planungsträger auch „nur“ ausschließlich das allgemeine Vorkaufsrecht zur Anwendung bringen. Das Vorkaufsrecht darf nur zum Wohl der Allgemeinheit ausgeübt werden. Dieses Wohl der Allgemeinheit (§ 24 Abs. 3 Satz 1 BauGB)87 liegt in der Praxis regelmäßig dann vor, wenn hinsichtlich einer bestimmten gemeindlichen Aufgabe von der Existenz überwiegender Vorteile für das Gemeinwohl ausgegangen werden kann. Abzustellen ist hierbei unter anderem auf den Sicherungszweck (Verwendungszweck) der ausgearbeiteten Vorkaufssatzung88 (§ 24 Abs. 3 BauGB). Allgemeinwohlgründe sind ferner dann zu bejahen, wenn das vorzukaufende Grundstück für eine plankonforme Siedlungs- und Verkehrsnutzung von einem Planungsträger benötigt wird. Die Gemeinwohlschwelle ist bei dem Vorkaufsrecht niedriger als bei der städtebaulichen Enteignung, so dass es nicht erforderlich ist, dass das Wohl der Allgemeinheit i. S. d. § 87 Abs. 1 BauGB das Vorkaufsrecht erfordert.89 Ein Überschreiten der kommunalen Planungskompetenz liegt dann vor, wenn mit der Aufstellung der Vorkaufssatzung Sicherungsinstrumente für eine Ökologisierung der Nutzungsplanung nach § 5 Abs. 2 Nr. 10 BauGB instrumentalisiert werden sollen. Letzteres ist Aufgabe des Landesgesetzgebers im Rahmen seiner Befugnisse auf dem Gebiet des Landschaftsschutzes.90 Vorkaufsrechtliche Maßnahmen der Kom Instruktiv zu den Bodenrechtsdebatten um das Vorkaufsrecht als Wohnbaulandmobilisierungsinstrument: Bielenberg, Bodenrechtspolitik im Rück- und Ausblick. In: Driehaus/Birk (Hrsg.), Festschrift für Weyreuther, 1993, S. 50, 53; Dieterich, Bodenordnung und Bodenpolitik. In: Jenkis, Kompendium der Wohnungswirtschaft, 4. Aufl. 2001, S. 522 f. 86 OVG Münster, NVwZ 1999, 432 ff. 87 BVerwG, NVwZ 1994, 282. 88 BVerwG, NJW 1990, 2703 f. 89 BVerwG, NJW 1990, 2703 f. 90 BVerwG, NVwZ 1991, 62 f. 85
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munen sind nach allgemeiner juristischer Ansicht Ausprägungen inhalts- und schrankenbestimmender Normen, die die Sozialbindung des Grundstückseigentums nach Art. 14 Abs. 2 BauGB konkretisieren.91 Es existieren einige Legitimationsanforderungen, denn bei der Anwendung des Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB können Konsequenzen auftreten mit der Folge, dass gemäß § 28 Abs. 4 Satz 1 BauGB Kompensationszahlungen zu leisten sind. Dies gilt dann, wenn der Erwerb von Grundstücken zur Aufrechterhaltung einer Bebauungsplanung notwendig erscheint und es nach dem definierten Verwendungszweck auch enteignet werden könnte. So darf die Gemeinde das Vorkaufsrecht erst dann anwenden, wenn ein Grundstück oder ein Grundstücksteil qua Kaufvertrag nach § 433 BGB zur Veräußerung gelangt. Nach überwiegender Auffassung ruht das allgemeine Vorkaufsrecht des § 24 BauGB als öffentlich-rechtliche Last auf sämtlichen der in § 24 Abs. 1 BauGB aufgeführten Gebieten.92 Auf Seiten der Eigentümer sind zivilrechtliche Vorkaufsrechte nach Eintritt des Vorkaufsfalls als sonstige vermögenswerte Rechte anzusehen, die dem Bereich des Privatrechts („eigenverantwortliche Entscheidung“) zuzuordnen sind.93 Fraglich ist, ob die in § 28 BauGB geregelten Aufkauf- und Finanzierungsmodalitäten einer kostengünstigen Grundstücksvorratspolitik der Gemeinde94 im Wege stehen. In der Literatur wird bisweilen bemängelt, dass Kommunen auf Grund defizitärer Finanzlagen im Zweifel kapitalstarken Investoren unterlegen sind.95 Erschwerend kommt die Rechtsprechung des BVerwG hinzu, dass das Vorkaufsrecht nicht als Element preiswerten Grundstückserwerbs durch die Kämmerer der Kommunen missbraucht werden dürfe.96 Dies heißt indes nicht, dass die Gemeinde jeden überhöhten Kaufpreis vertraglich zu akzeptieren hat und damit die Preis dämpfenden Wirkungen ihrer bevorratenden (allerdings nicht rein vorsorglichen), nach objektiven Maßstäben zu beurteilenden Grundstückspolitik im Interesse einer geordneten städtebaulichen Entwicklung im selben Atemzug wieder zunichtemachen muss. Überschreitet der vereinbarte Kaufpreis den Verkehrswert in einer dem Rechtsverkehr erkennbaren Weise deutlich, erlaubt § 28 Abs. 3 Satz 1 BauGB eine Anpassung des Preises an den Marktwert mit dem Wertermittlungsstichtag Kaufzeitpunkt. Eine Gemeinde soll in die Lage versetzt werden, eine Entschädigung grundsätzlich am Verkehrswert (Marktwert) zu orientieren – oder unterhalb dieser Wertschwelle. Außerdem sollen die Gemeinden nach § 28 Abs. 4 BauGB vor auf sie
BGH, BauR 1988, 580 (581); BVerfG, GewArch. 1991, 268 ff. Köster, in: Schrödter, BauGB, 9. Aufl. 2019, § 24 Rn. 7; Kröninger, in: Ferner/Kröninger, BauGB, 2005, § 24 Rn. 2. 93 BVerfGE 83, 201 (209). 94 Die Kostengünstigkeit der Anwendung dieses Rechtsinstruments stellt einen Nachhaltigkeitsfaktor dar; in diesem Zusammenhang könnte man auch von einer Sozialverträglichkeitsprüfung im Rahmen gemeindlicher Budgetplanungen bei der haushaltsrechtlichen Vorbereitung (Haushaltstitelerstellung) sprechen. 95 Vgl. zu dem Problem Dieterich, Bodenordnung und Bodenpolitik. In: Jenkis, Kompendium der Wohnungswirtschaft, 4. Aufl. 2001, S. 536 (540). 96 BVerwG, NJW 1991, 293 f. 91 92
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zukommenden überhöhten Grundstückspreisen „geschützt“ werden. Eine Ermessensausübung im Rahmen des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB ist im Hinblick auf die Formulierung „(…) bestimmt die Gemeinde“ (§ 28 Abs. 4 Satz 1 BauGB) ausgeschlossen. Vielmehr sind die Kommunen verpflichtet, den Kaufpreis an den Entschädigungswert anzupassen.97 Die entscheidende Frage im Rahmen des § 28 Abs. 3 BauGB lautet: Wann sind Kaufverträge „preisüberzogen“? Denn nur wenn ein überhöhter Preis vorliegt, der den Bodenwert in einer dem Rechtsverkehr erkennbaren Weise deutlich übersteigt, kann eine Gemeinde das Vorkaufsrecht zum Verkehrswert (Marktwert) ausüben (§ 28 Abs. 3 und 4 BauGB).98 Eine deutliche Überschreitung des Verkehrswerts (§ 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB) soll nach Auffassung der Rechtsprechung bei einer Überhöhung von mehr als 20 % gegeben sein.99 Eine wichtige Rolle erhalten in diesem Kontext erneut die Gutachterausschüsse: § 193 BauGB bestimmt, dass als Ermittlungsbasis des Marktwertes die Kaufpreissammlungen zu Grunde zu legen sind. Der Grundstückseigentümer darf nicht zu einem Verkauf zum Verkehrswert gezwungen werden. Limitiert werden kann der Erwerbspreis lediglich in den Fällen der Grundstückszuordnung nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, mithin für diejenigen Grundstücke, die unter Zugrundelegung eines Bebauungsplans für öffentliche Zwecke oder für Ausgleichsmaßnahmen auf Grund der Eingriffsregelung (§ 1a Abs. 3 BauGB) zu nutzen sind (§ 28 Abs. 4 BauGB). Dass neben der Reduzierung des Marktwertes unter Umständen aber auch die Abgeltung eines höheren Kaufpreises sinnvoll sein kann, zeigen Stimmen aus dem Fachschrifttum. Denn die Herabsetzung des Preises kann ein Rücktrittsrecht des Veräußerers nach sich ziehen. Sinnvoll ist die Orientierung am Marktwert auch deshalb, weil der Marktwert im Enteignungsentschädigungsverfahren ohnehin gebraucht wird.100 Ein Erwerb von Teilen eines Grundstücks dürfte sich dann als zweckmäßig erweisen, wenn der Marktwert pro m2 des Grundstücks (etwa bei Straßenland) niedriger liegt als der im Kaufvertrag vereinbarte Preis für das Grundstück (etwa bei Bauland).
7.5 Vergabeverfahren („Konzeptvergaben“) von Grundstücken Neben den Festsetzungen im Rahmen der Bauleitplanung macht eine vorausschauende und aktivierende Bodenpolitik Kommunen handlungsfähig. Durch den (Zwischen-)Erwerb von Schlüsselgrundstücken und Entwicklungsflächen können sie aktiv Einfluss auf die Entwicklung ihrer Stadt nehmen. Es gibt Festpreisverfahren Brohm, Öffentliches Baurecht, 2002, § 2 Rn. 8. Stüer, Der Bebauungsplan, 2006, Rn. 869. 99 LG Karlsruhe, NJW 1995, 1164, a. A.: Kröninger, in: Ferner/Kröninger, BauGB, 2005, § 28 Rn. 12, der auf den absoluten Differenzbetrag im Einzelfall abstellt und nicht mit prozentualen Schwellenwerten arbeiten möchte. 100 Peine, Öffentliches Baurecht, 4. Aufl. 2003 Rn. 735; Köster, in: Schrödter, BauGB, 9. Aufl. 2019, § 28 Rn. 42 f. 97 98
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und Mindestpreisverfahren (Konzeptbieterverfahren), die den Bauinteressenten Verpflichtungen und Bindungen auferlegen. Das Land Hessen erarbeitet derzeit einen Leitfaden für Kommunen und kommunale Unternehmen und Stiftungen, der sie in die Lage versetzen soll, Grundstücke nach inhaltlichen Konzepten zu vergeben. Es soll auch geprüft werden, wie Grundstücke zu einem geringeren als dem Marktwert (§ 194 BauGB) veräußert werden können, um besondere soziale oder wohnungspolitische Ziele zu verfolgen. Auf die Leistungsfähigkeit der Gebietskörperschaft ist Rücksicht zu nehmen,101 interessanterweise nicht jedoch auf die wirtschaftlichen Interessen der Bauwerber. Im Rahmen der Vergabe können drei Verfahren unterschieden werden:102 (i) Dialogische Konzeptverfahren, d. h. Klärung der Quartiersentwicklung im „Dialog“ zwischen Kommune und Investor, wobei der Dialogprozess dem eigentlichen Konzeptverfahren voran gestellt wird; (ii) die Konzeptverfahren nach dem Wettbewerbsprinzip, bei denen die erwünschte Nutzung im Wesentlichen im Voraus bereits feststeht. Ziel des Konzeptverfahrens ist es, sowohl die Kreativität von Bewerbern und des reinen, unverfälschten Marktes103 zu prüfen, als auch die Stadtgesellschaft einzubinden. Der dritte Typus (iii), das Konzeptverfahren im Stil einer Ausschreibung, kombiniert einen geringen Aufwand, vorherige Nutzungsfestlegung mit minimalen dialogischen Komponenten und der Suche nach dem geeigneten Partner für die Projektumsetzung, etwa Baugruppen mit dem Ziel des individuellen Eigentumserwerbs. Die Vergabe öffentlicher Grundstücke nach Konzeptqualität statt nach dem höchsten Preis ist ein zentraler Schlüssel auf dem Weg zu einer lebendigen, sozial gerechten und funktional gemischten Stadt und damit zur Schaffung von Urbanität und „urbaner Governance“.104 Die Konzeptvergabe führt zwar im Regelfall zu einer künstlichen Kaufpreisdämpfung (Grundstück) und Kostenminderung, die allerdings der Projektqualität zugutekommt. Nach h. M. bestehen keine beihilfenrechtlichen Bedenken (vgl. Art. 107 AEUV). Aus der Schenkungs- und Vermögensteuerrechtsprechung des BVerfG ist indes zu entnehmen, dass am Verkehrswert (gemeinen Wert) nicht ohne Weiteres „manipuliert“ werden darf, um soziale oder wirtschaftliche Interessen zu schützen. Fraglos kann der Schutz dieser Interessen legitim sein, doch darf gleichsam „Schönrechnen“ nie ein gerechtfertigtes Mittel der Verkehrswertermittlung (§ 194 BauGB) sein. In der Praxis empfiehlt es sich, wie folgt vorzugehen: (i) Verkehrswertermittlung unter Berücksichtigung der anerkannten Verfahren (§ 8 ImmoWertV) und (ii) Festlegung eines „Discounter-Preises“ für sämtliche, auch aus anderen EU-Ländern stammende Unternehmen, die sozialen Wohnungsbau betreiben. Möglicherweise sind zur Marktwertermittlung auch Vgl. Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Interessenbekundungsverfahren „formloser Teilnahmewettbewerb vor Beschränkten Ausschreibungen und Freihändigen Vergaben oder sonstigen Verfahren“, 2017. 102 Favier/Schüler, Etablierte Regeln für das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb auf dem Prüfstand des neuen Rechts, ZfBR 2016, 761. 103 Kritisch Ziegler, Wettbewerb ohne Wettbewerb? – Zur Beschaffung in „defekten“ Märkten, ZfBR 2018, 37, (42). 104 Dazu Jarass Cohen, Vergaberecht und städtebauliche Kooperation, 2013. 101
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nicht-normierte Verfahren heranzuziehen. Die ImmoWertV erlaubt in solchen Fällen ausdrücklich „marktkonforme Modelle“ (§ 1 Abs. 2 Satz 2 ImmoWertV). Um die Projekt- und Bauqualität zu sichern, sind entsprechende Anforderungen und Bewertungskriterien notwendig, im Bereich des Vergaberechts als Bauauftrag auch Zuschlagskriterien. Hier können in der Praxis zahlreiche Fehler auftreten. Die Varianten der Konzeptvergabe unterscheiden sich in der Gewichtung des Preises innerhalb der Zuschlags-/Wertungskriterien: Ist ein Festpreis (≥ Verkehrswert) Voraussetzung für den Erwerb eines Grundstücks, dann umfassen die Qualitätskriterien in Summe 100 % der Zuschlagskriterien. Bei einem Bestgebotsverfahren findet neben den qualitativen Kriterien auch der Preis eine Berücksichtigung. Zur Bewertung der Angebote wird bereits mit der Bekanntmachung die Gewichtung von Konzeptqualität und Kaufpreisangebot festgelegt. Die Qualität des Konzepts wird anhand aufgabenspezifischer Kriterien bewertet, die bei einer Vergabe nach Festpreis (≥ Verkehrswert) eine Gewichtung der Konzeptqualität von 100 % vorsehen, und im Bestgebotsverfahren eine 70 %ige Gewichtung des Konzepts und einen 30 %igen Anteil des Kaufpreises festlegen.
7.6 H aushaltsrechtliche Restriktionen: Finanzausstattung und Schuldenbremse Art. 115 Abs. 1 Satz 2 GG a. F. (i. V. m. Art. 109 Abs. 3 GG) hat sich als untaugliche verfassungsrechtliche Domestizierung der Kreditaufnahme bei einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts nach Art. 109 Abs. 2 GG erwiesen. Keynes ist dies freilich nicht anzulasten. Schuppert spricht anschaulich von einer Steuerungsschwäche des Staatsschuldenrechts.105 Die Änderung von Art. 115 GG im Gefolge des BVerfG-Urteils vom 9. Juli 2007 hat die liegenschaftspolitische Steuerungskraft der Gemeinden gewiss eingeschränkt. Das BVerfG hat anlässlich der Überprüfung des Bundeshaushalts 2004 festgestellt, dass die Kompetenz für eine mögliche Revision des Regelungskonzepts der Art. 115 Abs. 1 Satz 2 und Art. 109 Abs. 2 GG beim verfassungsändernden Gesetzgeber, nicht beim Bundesverfassungsgericht liegt. Freilich ist an der (erneuten) Revisionsbedürftigkeit der geltenden verfassungsrechtlichen Regelungen gegenwärtig kaum noch zu zweifeln. Die staatliche Verschuldungspolitik in der Bundesrepublik hat in den seit der Finanzund Haushaltsreform 1967/69 vergangenen fünf Jahrzehnten praktisch durchgehend einseitig zur Vermehrung der Schulden beigetragen.106 Nunmehr hat es der Gesetzgeber bekanntlich mit einer Verfassungsänderung des Art. 115 GG versucht. Zum Vorteil? Mit der „Schuldenbremse“ wurde zwar ein Entschuldungsmechanismus Schuppert, Kommentierung zu Art. 115 GG. In: Umbach/Clemens, Grundgesetz, 2002, Band II, Art. 115 Rn. 12 f. 106 BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 09. Juli 2007 – 2 BvF 1/04 – Rn. (1–220) = BVerfGE 119, 96. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat Art. 115 GG einen geänderten Normtext und Regelungsinhalt (Abschied von Keynes) gegeben. 105
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eingeführt. Was mit der Ökonomisierung des Haushaltsrechts begann,107 hat sich in der Praxis indessen als ein Hindernis für eine aktive Liegenschaftspolitik der Kommunen heraus gestellt. Die Forderung, grundsätzlich Preis limitierende Vorkaufsrechte (§ 28 Abs. 3 BauGB) zweckgebunden für die Förderung sozial gebundenen Wohnraums auszuüben, wird sich im gegebenen Rahmen des Art. 115 GG und den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gemäß § 7 BHO, in den LHO sowie den Gemeindeordnungen daher als weitgehend zahnlos erweisen. Zudem wird gefordert, einen Zwischenerwerb im Rahmen eines bodenpolitischen Zwischenerwerbsmodells grunderwerbsteuerfrei zu stellen.
8 B odenmarkt: Immobilienbewertung als Instrument zur Transparenzschaffung und Baulandentwicklung 8.1 Grundlagen der Grundstückswertermittlung Zu den wenigen Gebieten unseres Wirtschaftslebens, auf denen noch immer wissenschaftlicher Dilettantismus anzutreffen sei, gehöre leider auch das Gebiet der Verkehrswertermittlung von Grundstücken. So könne es nicht verwundern, dass das Vertrauen in die Objektivität der Grundstücksschätzungen nicht allzu groß sei.108 Dieser Befund muss einigermaßen erstaunen. Denn Grundstückswerte stellen zen trale Bestandteile der ökonomischen Analyse des Landmanagements dar, vor allem hinsichtlich der Immobilienökonomie.109 Diese Aussage, die die Objektivität der Wertermittlung anzweifelt, ist auch deshalb verwunderlich, weil jeder Gutachterausschuss eine staatliche Behörde ist. Bei einer „Schlechtachtung“ von Grundstückswerten kommen Haftungsansprüche wegen Amtspflichtverletzung in Frage.110 In Deutschland muss der Marktwert von Grundstücken ermittelt werden. Dieser Wert wird teilweise als der Preis bezeichnet, den ein hoch interessierter Käufer nach langem Zögern mit schmerzverzerrtem Gesicht noch akzeptiert.111 Man hat es mit einem Wertpluralismus zu tun, was noch durch die im Einzelfall unterschiedliche Anwendung der einschlägigen Wertermittlungsverfahren verschlimmert wird. Außerdem wird stets die höchste und beste Nutzung (highest and best use value) eines jeden Grundstücks als immanenter Grundsatz unterstellt. Aus Investorensicht ist dies bei der Berechnung der Rentabilität oder bei der Einschätzung einer Nutzungsmöglichkeit (property in transition) nur allzu verständlich.112 Neuerdings wer Schuppert, Art. 109 GG. In: Umbach/Clemens, GG, Band II, Art. 109 Rn. 14. Simon/Simon, in: Simon/Kleiber/Joeris/Simon, Schätzung und Ermittlung von Grundstückswerten, 2005, S. 1. 109 Eekhoff, Wohnungs- und Bodenmarkt, 2. Aufl. 2006, S. 193. 110 Köster, in: Schrödter, BauGB, 9. Aufl. 2019, § 192 Rn. 6. 111 Kleiber/Simon, Marktwertermittlung unter Berücksichtigung der Wertermittlungsrichtlinien, 2004, S. 100. 112 Kleiber/Simon, Marktwertermittlung unter Berücksichtigung der Wertermittlungsrichtlinien, 107 108
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den vermehrt „negative Verkehrswerte“ (Unwerte) festgestellt, so beispielsweise bei der Industriebrachgrundstückswertermittlung im Falle von Kontaminationen und stark störenden baulichen Anlagen (z. B. tiefe Betonfundamente).113 Normalerweise versucht die Grundstückswertermittlung, dass sich Vergleichswert, Ertragswert und Sachwert in etwa entsprechen, womit eine rechnerische Anpassungsleistung entbehrlich ist. Erst bei einer Übereinstimmung/Plausibilisierung ist der Marktwert der überzeugendste Bodenpreis.114 Nach welchen Grundstückswertermittlungsmethoden sind Grundstücke, für die es auf Grund von Bevölkerungsverkleinerungen keine Nachfrage mehr gibt, nach der Systematik der ImmoWertV und der Wert-RL am überzeugendsten zuverlässig und rechtssicher zu bewerten? Das Regelverfahren für die Ermittlung von Grundstückswerten stellt das Vergleichswertverfahren dar.115 Als regelmäßig diffizil erweist sich hierbei die rechnerische Vornahme von Marktanpassungszuschlägen oder -abschlägen. Zu- und Abschläge müssen dann durchgeführt werden, wenn die herangezogenen Vergleichsgrundstücke qualitative Unterschiede gegenüber dem zu bewertenden Grundstück aufweisen. Dieses Verfahren kann nur dann funktionieren, wenn hinreichende Informationen aus den Grundstückskaufverträgen zur Beurteilung des Marktgeschehens hervorgehen (vgl. § 193 BauGB). Vergleichskaufpreise liegen indes im Stadtumbau nur in bestimmten nachgefragten Lagen in hinreichender Zahl vor.116 Die auswertbaren Kaufpreise sind allerdings oftmals nicht (mehr) aktuell, was zugleich ein wesentliches Problem der Wertermittlung intendiert.117 Kauftransaktionen sind dann nicht messbar. Die Gutachterausschüsse begeben sich in Marktsituationen nachgebender Immobilienmarktsegmente in den Bereich der Hypothese.118 Die Sachverständigen können (lediglich) nach Möglichkeiten suchen, das Verfahren zur Vergleichswertermittlung durch die rechnerische Einarbeitung von Abschlägen zu modifizieren. Auf Grund fehlender Daten in den Kaufpreissammlungen sind deshalb von den örtlichen Gutachterausschüssen in der Vergangenheit Abschläge von bis zu 10 % vorgenommen worden.119 Das Ertragswertverfahren hingegen liefert hinreichende Informationen über eine optimierte wirtschaftliche, ertragsorientierte (Aus-)Nutzung der zu bewertenden Immobilien. Für Gebäude er2004, S. 92 ff. 113 Eine Zurückhaltung gegenüber negativen Verkehrswerten sei heute nicht mehr angebracht. So Dieterich, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 2017, § 194 Rn. 34a. 114 Simon, in: Simon/Cors/Halaczinsky/Teß, Handbuch der Grundstückswertermittlung, 2003, S. 14 f. 115 Bericht der vhw-Arbeitsgruppe Stadtumbau – Besonderes Städtebaurecht und Städtebauförderung, 2003, S. 31. 116 Siehe die empirische Erhebung bei: Forum Baulandmanagement (Hrsg.), Grundstückswertfragen im Stadtumbau, 2007, S. 62 ff. 117 Reuter, Bodenordnung bei Stadtumbau und Stadtrückbau, Institut für Städtebau Berlin, 2003, S. 8 f. 118 Schubert, Grundstücksbewertung in Rückbaugebieten, Institut für Städtebau Berlin, 2003, S. 2 ff. 119 Ministerium für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Brandenburg, Rechts- und Verfahrensinstrumente beim Stadtumbau, 2002, S. 74 f.
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mittelt es den nachhaltig erzielbaren jährlichen Reinertrag (§ 18 Abs. 1 ImmoWertV) und kapitalisiert deren Ertrag. Aus dieser Zielrichtung heraus findet jenes Verfahren primär für Geschäftsgrundstücke und Wohnbaugrundstücke mit mehreren Wohnungen (z. B. für Geschosswohnungsbau) Anwendung. Die Tauglichkeit des Ertragswertverfahrens zur Ermittlung des Marktwerts im Stadtumbau wird ebenfalls in Zweifel gezogen. Dies geschieht mit der Begründung, dass auf Grund mangelhafter Nachfrage und wegen Leerstandes keine marktüblich erzielbaren Mieteinkünfte als rechnerische Basis des Ertragswertverfahrens zu erwarten sind.
8.2 G rundstückswertermittlung bei Revitalisierung zur Förderung des Wohneigentums Ein erhebliches Potenzial zur Schaffung von Miet- und Eigentumswohnungen liegt im Innenbereich. Dort gibt es oftmals aber nur residuale Bodenwerte, vor allem bei Revitalisierungs- und Abrissprojekten. Bei einer Vermietung von lediglich 50 % des Wohnungsbestands entspricht der Ertragswert der Liegenschaft dem Liquidationswert (§ 16 Abs. 3 ImmoWertV). Unter Berücksichtigung der Bewirtschaftungskosten aus dem Rohertrag verbleibt kein Ertragsanteil für die Ermittlung des Liegenschaftswerts. Unter Umständen kann durch die Berücksichtigung der Freilegungskosten gar ein negativer Bodenwert entstehen.120 Muss das Grundstück freigelegt werden, so empfiehlt es sich, dass statt mit sechs oder sieben Stockwerken das Grundstück zukünftig nur noch zweigeschossig bebaut wird.121 Einer vollständigen Baurechtseliminierung standen und stehen Bilanzierungsgründe und die Altschuldenproblematik der Wohnungsunternehmen entgegen. Unter Zugrundelegung von Prognosen und Hoffnungen besteht jüngst die berechtigte Annahme, dass in 10 oder 20 Jahren die Nachfrage nach Geschosswohnungsbauten mit gehobener – dann zeitgemäßer – Qualität in den ostdeutschen Bundesländern wieder spürbar gestiegen ist.122 Die Ermittlung des Marktwerts mit Hilfe des Sachwertverfahrens ist dann zweckmäßig, wenn ausreichende Nachfrage und hinlängliche Nutzung der Gebäudesubstanz unterstellt werden können.123 Diese Annahme ist hingegen bei flächenhaftem Leerstand unbegründet. Aus diesem Grund scheidet die Anwendbarkeit des Sachwertverfahrens im Stadtumbau dann aus, wenn nicht (mehr) nachfragegerechte Immobilien zur Bewertung anstehen. Weder das Vergleichs-, noch das Ertrags-, noch das Sachwertverfahren führen folgerichtig im Stadtumbau zu einem best use, also zu dem, „was man aus Kleiber, Wertermittlung und Stadtumbau. In: vhw Forum Wohneigentum, 2003, 305 (309); Davy, Grundstückswerte, Stadtumbau und Bodenpolitik. In: vhw Forum Wohneigentum, 2005, 67 (72). 121 Siehe die Ergebnisse des Privateigentumsfördernden Architektenwettbewerbs: Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Stadtumbau Ost, Ergebnisse des Wettbewerbs, 2003. 122 Dieterich/Koch, GuG 2002, 344 (348). 123 Dieterich/Kleiber, Die Ermittlung von Grundstückswerten, 9. Aufl. 2002, S. 115. 120
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einem Grundstück machen kann“.124 Über diese Frage herrscht in der Wertermittlungsfachwelt weitgehend Einigkeit.125 Das kostenorientierte Residualwertverfahren hat den (prognostizierten) Aufwand und die Erlöse (d. h. die Einnahmen aus dem Verkauf baureifer Grundstücke) als Parameter in den Berechnungen zu verarbeiten.126 Als äußerst problembehaftete Wertermittlungsmethode ist das Residualwertverfahren indes nur unter engen Voraussetzungen zur Wertermittlung geeignet. Diese Voraussetzungen sind dann nicht gegeben, wenn eine Konkurrenzsituation der Nutzer auf dem Immobilienmarkt einschließlich ihrer jeweiligen Nutzungskonzeptionen wegen fehlender Marktteilnehmer in einem Stadtumbaugebiet nicht vorliege. Trotz der Kritik erweist sich das Residualwertverfahren zur Ermittlung von Bodenwerten als durchaus geeignet, wenn es um die Schaffung neuer Baurechte auch auf freigelegten Grundstücken mit negativen Bodenwerten geht,127 um die zukünftige, plausibelste Nachnutzung zu prognostizieren.128 Letzteres bedeutet für das Immobilienmarktsegment Plattenwohnungsbau, dass vom Ende her gedacht und gerechnet werden muss. Der Bodenwert ist beispielsweise für eine künftige (und vor allem auch vernünftige) Einfamilienhaus-Bebauung zu Grunde zu legen.129 Für Plattenbauten ist von einem deduktiv errechneten Anfangswert von 15 EUR/m2 und einem Endwert (Bodenwert für eine zukünftige EFH-Bebauung) von 95 EUR/m2 auszugehen. Bei ökologisch aufgewerteten Grundstücken (Grünflächen) ist hingegen als bestmögliche Verwendung ein „Quasi-Verkehrswert“ anzunehmen, der sich nicht genau quantifizieren lässt.130 Die Wertermittlung von unbebauten, nichtbaulich genutzten Grundstücken weist ebenfalls Defizite auf. Nicht mit in die klassische Marktwertermittlung aufgenommen wurde in Deutschland die Bewertung der Leistungen des Bodens hinsichtlich Eignung, Leistung, Belastbarkeit und Risikoabschätzung. Es sind lediglich für die Wertermittlung landwirtschaftlich genutzter Grundstücke Ackerwertzahlen und Bonitätszuschläge je nach Fruchtbarkeit des Bodens anzuwenden.131 Frühere Vorschläge zur Novellierung der Verkehrswertermittlung beruhten in erster Linie auf der Überlegung, den ständig steigenden Grundstückspreisen zu begegnen. Öffentliche Mittel für Entschädigung und Fördermaßnahmen seien ausschließlich nach einem sozial gerechten und wirtschaftlich vertretbaren Preis – nach dem Gemeinen
So Dieterich, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 2017, § 194 Rn. 143. Ministerium für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Brandenburg, Rechts- und Verfahrensinstrumente beim Stadtumbau, 2002, S. 70; Brenner, Wettbewerb Stadtumbau Ost – Eindrücke aus den Workshops. In: Bundesbaublatt, 7/2002, 24 f. 126 Kleiber, WiVerw, 1/1997, 63 (67 f.). 127 Reuter, Bodenordnung bei Stadtumbau und Stadtrückbau, Institut für Städtebau Berlin, 2003, S. 10 f. 128 Mit instruktiven Fallbeispielen: Reuter, Zur Ermittlung von Bodenwerten beim Stadtumbau. In: Wertermittlungs-Forum, 2/2006, 55 ff. 129 Kleiber, Wertermittlung und Stadtumbau. In: vhw Forum Wohneigentum, 2003, S. 305. 130 Dieterich/Koch, GuG 2002, 344 (347). 131 Vgl. zur Wertermittlung von reinem und begünstigtem Agrarland: Fischer/Lorenz/Biederbeck/Astl, Verkehrswertermittlung von bebauten und unbebauten Grundstücken, 2005, S. 43 ff. 124 125
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Wert (Verkehrswert) – zu gewähren.132 Der „Gemeine Wertbegriff“ ist zwar heute als antiquiert anzusehen,133 vor allen Dingen, wenn permanent bewertet werden muss. Dennoch sind aus ihm wichtige eigentumspolitische Aussagen zu gewinnen. So ist der Terminus Gemeiner Wert aus dem jeweilig gültigen Verständnis des sozialpflichtigen Grund und Bodens und eines Rechtsverhältnisses auf Gegenseitigkeit zwischen der Allgemeinheit und dem Individuum abzuleiten.134
8.3 G rundstückswertermittlung und Kreditsystem („Boden und Geld“) Die Normen der ImmoWertV repräsentieren spiegelbildlich die monetarisierbaren Elemente der aus dem Innehaben von Grundstückseigentum ableitbaren eigenverantwortlichen Lebensgestaltung des Einzelnen im vermögensrechtlichen Bereich.135 Die Interdependenz von staatlicher Planung und Herausbildung des jeweiligen Grundstückswerts ist vielschichtig. Die entstehende Grundstücksnutzungssituation leitet sich gemäß § 5 ImmoWertV aus definierten Entwicklungszuständen ab.136 Nach § 6 ImmoWertV ist der Entwicklungszustand unter anderem in einem Zusammenhang mit Art und Maß der baulichen Nutzung, mit den Wert beeinflussenden Rechten und den Belastungen zu sehen. Wertbeeinflussende Faktoren, die auf den jeweiligen Darstellungen des Flächennutzungsplans (§ 5 BauGB) beruhen und eine Bauerwartung der Eigentümer begründen, können sich darüber hinaus aus dem Verhalten der Gemeinde sowie aus ihrer Einschätzung der Situation der allgemeinen städtebaulichen Entwicklung ergeben. Die Verkehrswerte der Grundstücke eines bestimmten Entwicklungszustands (§§ 5 und 6 ImmoWertV) weisen hinsichtlich der Situationsmerkmale eine erhebliche Bandbreite (Wertspannen) auf. Teilweise können Wertspannen für Bauerwartungsland von 30 % – 80 % des Wertes mit der Entwicklungsstufe „Baureifes Land“ auftreten,137 sodass stets auf die tatsächlichen Marktverhältnisse wie Preisniveau sowie Angebot und Nachfrage zu rekurrieren ist.138 Die Renditeerwartungen von Grundstückseigentümern lassen sich aus der von der Natur der Sache her ergebenden Möglichkeit der Grundstücksnutzung sowie einer wirtschaftlichen Nutzungsperspektive ableiten.139 Zusätzlich erhalten Grundstückseigentümer durch Flä Bonczek, Stadt und Boden, 1978, S. 160 ff. Simon/Simon, in: Simon/Kleiber/Joeris/Simon, Schätzung und Ermittlung von Grundstückswerten, 2005, S. 12; Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. 2018, § 16 Rn. 16. 134 Bonczek, Stadt und Boden, 1978, S. 17. 135 BVerfGE 24, 367 (389); BVerfGE 50, 290 (339). 136 Den Darstellungen des Flächennutzungsplans kommt hinsichtlich der verschiedenen Entwicklungsstufen eine wichtige Bedeutung für die Grundstückswertermittlung zu. 137 Fischer/Lorenz/Biederbeck/Astl, Verkehrswertermittlung von bebauten und unbebauten Grundstücken, 2005, S. 63. 138 BGH, NJW 1963, 1492. 139 BGH, BRS 45, Nr. 133. 132 133
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chennutzungs- und Bebauungsplanung einen Planungsvorteil in die Hand. Jener verdichtet sich zu einer Verbreiterung ihrer Dispositionsbefugnisse über die ihnen gehörenden Grundstücke. Diese Befugnisse umfassen das Recht, ein Grundstück selbst baulich zu nutzen, zu beleihen, durch einen anderen Marktteilnehmer in Wert setzen zu lassen oder es zu veräußern. Bankjuristisch betrachtet darf gemäß § 12 des Hypothekenbankgesetzes (HBG) der anlässlich der Beleihung angenommene Grundstückswert den Verkehrswert (Marktwert; Fair Value) nicht übersteigen.140 Ferner existiert eine Beleihungsgrenze von 60 % des Objektmarktwerts (Beleihungswert) für hypothekarisch gesicherte Darlehen und Kreditverbriefungen („securitization“),141 die sich aus den Beleihungsrichtlinien der öffentlich-rechtlichen Sparkassen entnehmen lässt. Auch für Pfandbrief- und Kommunaldarlehen gelten analoge Beleihungsgrenzen.142 Angesichts der Imponderabilien beleihen private und öffentliche Kreditinstitute nur einen bestimmten Teil des ermittelten Beleihungswerts, der eine Art in die Zukunft gerichteter Dauerwert ist. Bausparkassen hingegen, die ebenfalls wesentlich an der Grundstücksnutzungsfinanzierung beteiligt sind, sind weder Hypothekenbanken oder Versicherungsunternehmen, noch unterliegen sie der Versicherungsaufsicht. Interessanterweise kann die 60 %-Beleihungsgrenze überschritten werden, wenn Bund, Land, eine Gemeinde, eine andere Körperschaft des öffentlichen Rechts, eine öffentlich-rechtliche Bausparkasse oder eine andere öffentlich-rechtliche Kreditanstalt (z. B. eine Landesbank), bei der die öffentliche Hand unmittelbar haftet, eine Bürgschaft übernehmen.143 Neben dem klassischen Hypothekargeschäft hat sich ein umfangreiches Kreditportfoliogeschäft der privaten Geschäftsbanken durch Kreditderivate, strukturierte Finanzprodukte und andere Verbriefungen im Immobilienbereich entwickelt. Immobilien sind ein wichtiger Teil der Vermögenszusammenstellung (Asset Allocation) von Investoren. Neben Immobilien treten unternehmerische Beteiligungen, Stiftungen, Versicherungen und Finanzierungen, die von den Kreditinstituten im Rahmen von „Private Banking“ verwaltet werden. Abhängig von der Strukturierung eines Portfolios, können unterschiedlichste Risiken entstehen, wenn Kredite durch Schuldner nicht zurückgezahlt werden (Ausfallrisiko) oder wenn an Schuldner mit nicht einwandfreier Bonität (Subprime-Kreditvergabe) Hypotheken mit anfänglich niedrigen Zinsen, im weiteren Verlauf aber umso höheren Zinsen für die Eigenheimfinanzierung vermittelt werden.144 Private Geschäftsbanken mussten in der sog. „Wirtschafts- und Finanzkrise“, die bei genauer Betrachtung eine Privateigentumskrise war und noch ist, in der Folge mit Zahlungsausfällen rechnen und gerieten (bzw. geraten derzeit, März 2020, erneut?) in Bellinger/Kerl, Hypothekenbankgesetz, 5. Aufl. 1995, § 12 Rn. 5. Zur wertpapiermäßigen Unterlegung von Anlagepositionen: Dieterich, Der deutsche Bodenmarkt am Anfang des 21. Jahrhunderts – effektive Bodennutzung und „securitization“, 2001, S. 6 f. 142 Siehe zum Kommunalkredit: Hoffmann, in: Derleder/Knops/Bamberger, Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, 2004, § 15 Rn. 30 ff. 143 Simon/Kleiber/Joeris/Simon, Schätzung und Ermittlung von Grundstückswerten, 2005, S. 607. 144 „Die Kreditkrise spitzt sich wieder zu“. Siehe Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 02.11.2007, S. 13. 140 141
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Liquiditätsschwierigkeiten, die durch monetäre Unterstützungsmaßnahmen der Notenbanken („lender of last resort“) aufgefangen werden müssen. Auf Grund dieser Entwicklungen wird die Steuerung des Ausfallrisikos eingegangener Kreditengagements zukünftig ein zentraler Baustein sowohl des bankeninternen Kreditportfoliound Kreditrisikomanagements145 durch eine Schadenfalldatenbank (kreditpolitische Maßnahme) als auch veränderter staatlicher Steuerungs- und Aufsichtsverfahren in Bezug auf die darlehensgebenden Geschäftsbanken sein (geldpolitische Maßnahme).146 Die Absicherung des Risikos stellt den obersten Grundsatz dar, da das Pfandobjekt von der Warte des Kreditgebers einen dauerhaften Wert haben muss.147 Dieser Grundsatz wurzelt im Phänomen der Unvermehrbarkeit und vor allem Unzerstörbarkeit des Grund und Bodens. Entscheidend ist stets der Einfluss ungünstiger Hypothekenbedingungen auf den Marktwert (bebauter) Grundstücke148 mit der für den Eigentümer (Schuldner) drohenden Gefahr der Eintragung einer Zwangshypothek durch den Gläubiger im Falle der Nichtzurückzahlung des Darlehens.149 Die Ursachen der Zwangsversteigerung von Eigenheimen und Eigentumswohnungen sind vielschichtig. Es sind dies Mängel in der Kreditsachbearbeitung und Beleihungspraxis sowie eigentümerbezogene und objektbezogene Gründe.150 Beispiel: Wohneigentumsentwicklung in Ostdeutschland und Stadtumbau (§§ 171a–d BauGB). Die gegenwärtige Situation in Ostdeutschland trifft die Kreditwirtschaft insofern, als besicherte, partiell noch nicht ausfinanzierte Immobilien abgerissen werden und die Grundstücke durch Herabzonung und anschließende „Wiederaufforstung“ (sog. Tundraisierung) die Baulandqualität verlieren. Die Rückbau-Maßnahmen, die heute eingeleitet werden, sind zumeist mit einer erneuten Kreditierung (auch) derjenigen Immobilien verknüpft, die ursprünglich mit Hypotheken und Grundschulden saniert worden waren. Hierdurch entsteht ein „monetärer Teufelskreis“ insbesondere für kommunale Wohnungsunternehmen und Genossenschaften. Die wichtigste Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum ist die Einführung des Geldes und eine stetig voranschreitende Ausbreitung der Geldwirtschaft. Eigentum sei latenter Vermögenswert, Vermögenswert sei Geldwert.151 In der Tat gilt der ein Jung, Die Optimierung eines Retail-Kreditportfolios unter Berücksichtigung von Kreditverbriefungen, 2007, S. 11 ff. 146 Aus dieser Forderung ergeben sich Konsequenzen für das gesamte Recht an Grundstücken hinsichtlich der Sinnhaftigkeit der Privateigentumsbildung, der Grundstücksbeleihung und der (100%-)Fremdfinanzierung von Wohnobjekten. Dazu angesichts der subprime-Krise geradezu prophetisch Heuer, Risiken der Wohneigentumsbildung. In: Engelhardt/Thiemeyer (Hrsg.), Festschrift für Jenkis, 1987, S. 215 ff., S. 234. 147 Simon/Kleiber/Joeris/Simon, Schätzung und Ermittlung von Grundstückswerten, 2005, S. 606. 148 Dazu Bellinger/Kerl, Hypothekenbankgesetz, § 11 Rn. 27 ff. 149 Die Immobiliarvollstreckung basiert auf dem Gedanken der Wirtschaftseinheit von Grundstücken. Denn die Vollstreckung erfasst auch diejenigen Gegenstände auf dem Grundstück, die von einer Hypothek erfasst sind. Siehe nur Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, 2006, S. 440. 150 Heuer, Risiken der Wohneigentumsbildung. In: Engelhardt/Thiemeyer (Hrsg.), Festschrift für Jenkis, 1987, S. 233. 151 Suhr, Entfaltung der Menschen durch die Menschen, 1976, S. 189. 145
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deutige Befund: Ohne Geld kein Eigentum am Grund und Boden – und umgekehrt. Eine wichtige Funktion kommt in dieser immobilienökonomischen Analyse den Geldbeschaffungsinstitutionen wie Hypothekenbanken und anderen Immobilienfinanzierungsinstitutionen zu. All diese Investoren spekulieren auf eine steigende Grundrente (Wertentwicklung des Bodens). Die Gesamtkapitalrendite eines Immobilieninvestments sollte hierbei höher sein als die Fremdkapitalzinsen (Leverage-Effekt), damit mit wenig Eigenkapital eine hohe Fremdkapitalverzinsung eintritt. Nötig ist für die Steigerung der Rendite auch die Vereinbarung einer anfänglich tilgungsfreien Zeit. Somit verflechten sich Wohnungswirtschaft und Finanzindustrie kontinuierlich weiter. Die Investmentgesellschaften erstreben Renditen von 6 % durch Mieterträge, aber 20 % Renditen durch Verkäufe von Mietwohnungen im Rahmen von Wohnungsprivatisierungen.152 Das Spannungsverhältnis zwischen Privateigentümern und Nicht-Privateigentümern lässt sich anschaulich an der Debatte um die Wohneigentumsquote und die Miet-Wohnungsprivatisierung in der Bundesrepublik darlegen. Das Gesetz über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht (Wohnungseigentumsgesetz – WEG) verfolgt seit 1951 auch sozialpolitische Ziele. Namentlich suchte und sucht das WEG möglichst vielen Bundesbürgern den Weg in das „Eigenheim auf der Etage“ gangbar zu gestalten.153 Das WEG trifft in seinem ersten Teil detaillierte Regelungen zum Wohnungseigentum, von dem 81 % der Bevölkerung glaubt, es sei eine gute Immobilienanlageform. 32 % der Westdeutschen und 21 % der Ostdeutschen würden sich für eine Eigentumswohnung entscheiden. Wohnungseigentum ist nach § 1 WEG ein Miteigentums- und Teileigentumsanteil (besonders ausgestaltetes Bruchteilseigentum) an einem Grundstück in Verbindung mit dem Sondereigentum an einer Wohnung oder einem nicht zu Wohnzwecken dienenden, in sich abgeschlossenen Gebäudeteil (§ 1 Abs. 2 und 3 WEG). Wohnungseigentum kann somit nur mit einem Miteigentumsanteil verknüpft werden. Indem die Miteigentümer sich gegenseitig – jeder jedem solidargemeinschaftlich – Sondereigentum an einer Wohnung oder an anderen Räumen verschaffen, engen sie allerdings den Bereich des gemeinschaftlichen Eigentums ein. Man unterscheidet im Einzelnen (§§ 2 ff. WEG) das Sondereigentum nur an der Wohnung (Privates Volleigentum), das Miteigentum an dem Grundstück (Miteigentümerstellung), das Teileigentum (Sondereigentum an gewerblichen oder wohnbaulichen Grundstücken und fractional ownership an Grundstücken mit zugeteilten Nutzungsrechten) sowie das Gemeinschaftseigentum an den gemeinschaftlich benutzten Anlagen und Einrichtungen eines Gebäudes (personenrechtliche Gemeinschaftsstellung im Sinne eines Mitgliedschaftsrechts). Konflikte zwischen den Miteigentümern treten vor allem dann auf, wenn die zeitliche Abfolge der Nutzungsrechte der Miteigentümer in der entsprechenden Miteigentumsordnung (Teilungserklärung) nicht oder nur defizitär geregelt ist.
152 153
Hämmerlein, Wohnökonomie, 2006, S. 64 ff. Bundesregierung, BT-Drucks. 16/887.
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9 W ohnungserbbaurecht: Potenzial und Fortentwicklung von Erbbaurechtsverträgen Das Erbbaurecht feierte am 15.01.2018 sein 99-jähriges Jubiläum.154 Im Jahr 2019 wird es mithin 100 Jahre alt. Es stellt nach § 1 Abs. 1 ErbbauRG das veräußerliche und vererbliche Recht dar, auf oder unter der Oberfläche des Grundstücks ein Bauwerk zu haben. Damit einher geht die Möglichkeit, eine zeitlich befristete bauliche Nutzung von Grundstücken, die sich im Eigentum anderer Personen, Unternehmen oder Kommunen befinden, zu realisieren. Als Gegenleistung für das eingeräumte Nutzungsrecht (am Grundstück) wird regelmäßig ein jährlicher „Pachtzins“ vereinbart, der Erbbau(rechts)zins. Deutschlandweit sind ca. 5 % der Grundstücke im Erbbaurecht vergeben.155 Nach herrschender Meinung verschafft das Erbbaurecht dem Erbbauberechtigten (Erbbaurechtsnehmer) Eigentum am Bauwerk156 und damit einen ökonomischen Vorteil. Das Erbbaurecht kann als das „rechte und echte Maß“ zwischen kollektivem Regelungsbedarf und individueller Freiheit interpretiert werden.157 Es war seit der Zeit des Bodenreformers Damaschke (1865–1935) und ist auch heute noch Teil der Eigentumspolitik und auch des Städtebaurechts. Das Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen auf Bundesebene plädiert für eine vermehrte Ausgabe von Erbbaurechten, eine Kombination aus Erbbaurechtsbestellung und Bebauungsplanaufstellung bzw. Satzungsbeschluss, fordert aber zugleich eine „marktgerechte Nutzung von Erbbaurechten“. Mit dieser Forderung nicht konform gehen Überlegungen, den Erbbaurechtszins durch Kopplung mit Konzeptvergaben und der Errichtung von Bodenfonds auf Bundes- oder Landesebene nebst Einräumung von Belegungsrechten unterhalb des Marktniveaus rechnerisch „hinzutrimmen“ und dem Erbbaurechtsnehmer bei Beendigung des Erbbaurechts eine Subvention als Entschädigung (vgl. § 27 ErbbauRG) zu gewähren. Jeder Versuch, den Erbbaurechtszins zu begrenzen, nimmt dem Erbbaurecht seine Chancengleichheit mit dem privaten Volleigentum (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG/§ 903 BGB). Für die Erbbaurechtsvergabe im gewerblichen Bereich mag es begründete Ausnahmen geben. In Frankfurt/Main werden im gewerblichen Bereich Erbbaurechtszinsen von 6 % des Bodenwerts problemlos akzeptiert. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Erbbaurechtsnehmer die Erbbaurechtszinsen steuerlich abschreiben und als Betriebsausgabe ansetzen können.158
Dazu Thiel, BauR 2018, 1188; Schmidt-Räntsch, ZfIR 5–6/2019, 165. V. Oefele/Winkler/Schlögel, Handbuch Erbbaurecht, 6. Aufl. 2016, § 1 Rn. 15. 156 MüKo/v. Oefele, Kommentar zum BGB, § 912 BGB Rn. 25. 157 Mit instruktiven Beispielen für die Integration des Erbbaurechts in das Städtebaurecht: Schreiber, Die Bodenpolitik der Stadt Frankfurt a. M. am Beispiel der Vergabe von Erbbaurechten vom Jahr 1901 bis zum Jahr 2000, 2002, S. 82, 86; Articus, Erbbaurechte in der kommunalen Praxis. In: Der langfristige Kredit, Heft 13/1999, S. 426–427; Kofner, Das Erbbaurecht im internationalen Vergleich, DWW 2004, 176. 158 Debus/Schüßler, zfv 2018, 266 (267 f.). 154 155
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9.1 Das Erbbaurecht als rechtliches „Zwitterwesen“ Nach § 1 Abs. 1 ErbbauRG stellt das Erbbaurecht ein Recht dar, auf einem fremden Grundstück ein Bauwerk zu errichten und zu unterhalten. Das Bauwerk ist dabei Teil des zwingenden gesetzlichen Inhalts des Erbbaurechts sowie als dessen wesentlicher Teil anzusehen.159 Ein Bauwerk ist nach gefestigter Rechtsprechung des BGH eine unbewegliche, durch Verwendung von Arbeit und bodenfremdem Material in Verbindung mit dem Erdboden hergestellte Sache.160 Ein Gebäude stellt ein Bauwerk dar, welches durch räumliche Umfriedung Schutz gewährt und den Eintritt von Menschen gestattet.161 Die Einordnung des Erbbaurechts als beschränktes dingliches Recht kennzeichnet aber nur die eine Seite des Erbbaurechts. Auf der anderen Seite ist das fest mit diesem Recht verbundene Bauwerk Grundstücksbestandteil (§§ 93, 946 BGB). Nur das Erbbaurecht und das Wohnungseigentumsrecht (WEG) bewirken eine rechtliche Verselbstständigung des Bauwerks.162 An dem Bauwerk entsteht somit ein von dem Grundstück losgelöstes Eigentum, welches untrennbar mit dem Erbbaurecht verbunden ist. Die Bestellung eines Erbbaurechts an einem Grundstück, das nicht (wieder-)bebaut werden soll, ist ausgeschlossen.163 Das Erbbaurecht ist mithin weder lediglich ein Benutzungsrecht oder nur ein beschränktes dingliches Recht, noch entsteht ein geteiltes Eigentum oder Miteigentum zwischen dem Grundstückseigentümer und dem Erbbauberechtigten.164 Das Erbbaurecht ist somit gleichsam ein rechtliches Zwitterwesen. Denn wesentliche Inhalte des Grundstückseigentums werden von diesem getrennt und in einem grundstücksgleichen Recht (§ 200 Abs. 2 BauGB) verselbstständigt. „Letzteres ist übertrag- und belastbar sowie untrennbarer Bestandteil des wirtschaftlich eigentumsähnlichen Bauwerkseigentums“.165 Das Bauwerk gilt nach der gesetzlichen Formulierung als wesentlicher Bestandteil des Erbbaurechts i. S. d. §§ 93 ff. BGB.166 Der Loslösung des Bauwerks von dem Grundstückseigentum folgt darüber hinaus die unauflösliche Zuordnung des Bauwerks zum Erbbaurecht als dessen wesentlicher Bestandteil gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ErbbauRG.
Das Bauwerk muss nach § 1 Abs. 2 ErbbauRG wirtschaftlich die Hauptsache bleiben. RGZ 56, 41 (43); BGHZ 57, 60 (61); BGHZ 117, 19 (25). 161 BGH, DB 1972, 2298. 162 Überzeugend Rapp, Identische Strukturen bei Wohnungseigentum und Erbbaurecht. In: Festschrift für Wenzel, 2005, S. 271 ff. 163 Hustedt, in: Ingenstau/Hustedt, ErbbauRG, Kommentar, 11. Aufl. 2018, § 1 Rn. 20 ff. 164 V. Oefele/Winkler/Schlögel, Handbuch Erbbaurecht, 6. Aufl. 2016, § 1 Rn. 32 ff. 165 BGH, NJW 1974, 1137. 166 Bardenhewer, in: Ingenstau/Hustedt, ErbbauRG, 11. Aufl. 2018, § 12 Rn. 11; Staudinger/Rapp, ErbbauRG, Neubearbeitung 2017, § 12 Rn. 2. 159 160
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9.2 Bodenwert und Erbbaurechtszins Bei dem erheblichen Anstieg der Grundstückspreise nach dem Zweiten Weltkrieg – Vogel berichtet in einem jüngsten Beitrag von deutschlandweiten Baulandpreissteigerungen von 1600 % im Zeitraum von 1962–2015, bei Mietsteigerungen von 495 % – hat das Erbbaurecht einen schweren Stand. Der Preisindex stieg hingegen lediglich um 302 %. Für die Landeshauptstadt München errechnet Vogel Baulandpreissteigerungen im Zeitraum von 1950 bis 2015 in Höhe von beeindruckenden 34.263 %, wobei der allgemeine Preisindex zwischen 1976 und 1992 „nur“ um 62,9 % gestiegen sei.167 Der Erbbauzins ist der Dreh- und Angelpunkt des Erbbaurechts. Zu den Themenkomplexen Erhöhung, Senkung und Anpassung des Erbbauzinses liegt eine schier unüberschaubare Fülle von Rechtsprechung vor.168 Theoretisch kann die Bestellung eines Erbbaurechts auch auf unentgeltlichem Wege erfolgen.169 Die Zahlung einer aus wiederkehrenden Leistungen bestehenden Vergütung nach § 9 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG stellt den Regelfall dar. Der Erbbauzins ist nicht Teil des Erbbaurechts, sondern ist eine davon unabhängige Belastung des Erbbaurechts.170 Der Erbbauzins als Nutzungsentgelt sollte nach herkömmlicher Definition unter dem Kapitalmarktzins, also zwischen 4 % und 6 % liegen. In Zeiten dramatisch veränderter Kapitalmarktbedingungen können Erbbauzinssätze von 4–5 % nicht mehr als marktgerecht (vgl. § 9a ErbbauRG) angesehen werden,171 wenn alternativ eine Finanzierung für einen Grundstückskauf für weniger als die Hälfte dieses Zinssatzes zu realisieren ist.172 Dies gilt unabhängig vom jeweils herrschenden Erbbauzinsniveau. Die Frage „Wann darf erhöht werden“? muss durch Auslegung und Übereinkunft der Vertragspartner geklärt werden. In Rede stehen hier stets die Zulässigkeit einer Erhöhung eines Erbbauzinses im Hinblick auf die Billigkeitsschranke – etwa formelle Voraussetzungen für eine Neufestsetzung eines Erbbauzinses anhand einer Anpassungsklausel – und die Berücksichtigung einer Billigkeitsschranke bei einem Vogel, Die verdrängte Herausforderung der steigenden Baulandpreise. In: Süddeutsche Zeitung vom 10. November 2017, S. 7 f. (http://www.sueddeutsche.de/muenchen/wohnen-die-verdraengte-herausforderung-der-steigenden-baulandpreise-1.3744678?reduced=true, letzter Zugriff am 01.02.2018); auch Rapp spricht im Zusammenhang mit § 9a ErbbauRG von einem „sozialen Bodenrecht“ und stellt auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses sowie auf die Unbilligkeit der Erhöhung ab; vgl. Staudinger/Rapp, ErbbauRG, Neubearbeitung 2017, § 9a Rn. 1 und Rn. 6 ff. 168 Klink, Das Erbbaurecht, ein Weg zum Eigenheim, 1999, S. 31 ff. 169 BGH, NJW 1970, 944. 170 Linde/Richter, Erbbaurecht und Erbbauzins, 2001, S. 93 ff. 171 Hustedt, in: Ingenstau/Hustedt, ErbbauRG, 11. Aufl. 2018, § 9a Rn. 21. 172 Simon/Simon, in: Simon/Kleiber/Joeris/Simon, Schätzung und Ermittlung von Grundstückswerten, 2005, S. 484. Dies stellt gemäß einer empirischen Untersuchung den Hauptgrund für die mangelnde Attraktivität des Erbbaurechts dar. Siehe hierzu die ertragreiche Untersuchung von Klink, Das Erbbaurecht, ein Weg zum Eigenheim, 1999, S. 1 ff.; Löhr, Zur Ermittlung eines marktgerechten Erbbauzinses – ein Praktikermodell. In: ZIÖ – Zeitschrift für Immobilienökonomie, 3, 2017, S. 18. 167
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Erhöhungsverlangen. Strittig ist besonders die „Änderung der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse“ i. S. d. § 9a Abs. 1 Satz 2 ErbbauRG, d. h. das Verhältnis zwischen der Entwicklung der Lebenshaltungskosten und der Entwicklung des Einkommens im Rahmen der Frage nach der Billigkeit einer Erhöhung und welche Bedeutung der Veränderung der Einkommensverhältnisse in Relation zu der Entwicklung der Lebenshaltungskosten für eine Beurteilung des Vorliegens einer allgemeinen Verbesserung der Lebenshaltung zukommt. Im Übrigen enthält § 9a ErbbauRG keinen Verbotscharakter.173 Übermäßige Steigerungen des Erbbauzinses kann der Erbbaurechtsnehmer durch § 9a ErbbauRG mit dem Hinweis auf die Unbilligkeit der Erbbauzinserhöhung zurückweisen und verhindern.174 Es besteht hier fraglos ein in der Praxis bislang unaufgelöster Widerspruch zwischen der Billigkeitsanforderung und der Notwendigkeit zur marktgerechten Anpassung und erstmaligen Festsetzung des Erbbaurechtszinses. Die Erhöhung des Erbbauzinses orientiert sich an der (höchst umstrittenen) Rechtsprechung des BGH, nach der Steigerungen des Erbbauzinsniveaus auf dem arithmetischen Mittel zwischen der Inflations- sowie der Bruttolohn- und Gehaltsentwicklung beruhen.175 Nach Ablauf des Erbbaurechts kann vor neuerlicher Vergabe unter Umgehung des § 9a ErbbauRG der Erbbauzins an die jeweils vorfindlichen Kapitalmarktverhältnisse angepasst werden. Solange aber § 9a ErbbauRG eine Bindung des Erbbauzinses an die Entwicklung der Grundstückswerte nicht zulässt, wird zwangsläufig die Verzinsung des erbbaurechtlich genutzten Grundstücks beinahe zwangsläufig anderen Grundstücksnutzungserträgen „hinterher hinken“.176 Je länger die Erbbaurechtslaufzeit dauert, umso schwerer wiegt dieser strukturelle Nachteil. Die Akademie für Raumforschung und Landesplanung schlägt als Ausweg aus dem Rentabilitätsdilemma zwischen Erbbauzins und Kapitalmarktzins eine zeitliche, regelmäßige Anpassung der Erbbauzinsen an die Amortisierungsfristen gewerblicher Investitionen (10–30 Jahre) und den zwingenden Heimfall eines Erbbaurechts bei Nichteinhaltung der vereinbarten Grundstücksnutzung vor.177 Mitte der 1970er-Jahre wurde über eine Reanimation des Erbbaurechts im Kontext ordnungs- und planungsrechtlicher Verfügungsbeschränkungen zur Regulierung des Bodenmarkts diskutiert. Die aufstehenden Gebäude sollten sich im – zeitlich befristeten – Volleigentum der Nutzungseigentümer (Nutzungseigentum) befinden, schlug Vogel vor. Den Kommunen wäre hiernach das Verfügungseigentum über die auf ihrem Territorium belegenen Grundstücke zugesprochen worden.178 Für V. Oefele/Winkler/Schlögel, Handbuch Erbbaurecht, 6. Aufl. 2016, § 6 Rn. 190. BGHZ 68, 152; 77, 188; 87, 198; 94, 25; BGH, GuG 1996, 310; BGH, Urt. v. 23.05.1980 – VZR 129/76, zur problematischen Berechnung des Erbbauzinses anhand des arithmetischen Mittels aus der allgemeinen wirtschaftlichen Wachstumsrate und der indexierten Preisentwicklung. 175 BGHZ 75, 279 (287); BGH, NJW 1981, 2567. 176 Joeris, Wertermittlung im Zusammenhang mit Erbbaurechten. Institut für Städtebau Berlin der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung, Manuskript 444/5 zur Tagung 444, 2003. 177 Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Flächenhaushaltspolitik, Ein Beitrag zur nachhaltigen Raumentwicklung, 2004, S. 4. 178 Vogel, NJW 1972, 1544 (1547); Knothe, Das Erbbaurecht, 1987, S. 336 ff. 173 174
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die ostdeutschen Bundesländer ist im Rahmen des Erbbaurechts das Sachenrechtsbereinigungsgesetz179 von Bedeutung. Das Gesetz passte die tatsächlichen Rechtsverhältnisse an Grundstücken in der ehemaligen DDR dem Rechtssystem der Bundesrepublik an und sah wahlweise die Begründung von Erbbaurechten an Gebäuden volkseigener Grundstücke vor. Erbbaurechtsgeber sind vor allem institutionelle Grundstückseigentümer in Gestalt von Gemeinden, Kirchen, Versicherungen, Immobilienunternehmen, Projektentwicklern und Körperschaften des öffentlichen Rechts. Daneben fungieren in dieser Funktion auch Unternehmen (in Bayern in nennenswertem Umfang interessanterweise auch Brauereiunternehmen), Stiftungen und Naturschutzverbände.180
9.3 D ogmatische Ähnlichkeiten zwischen WEG und ErbbauRG: Reformvorschläge Weitgehende rechtsdogmatische Ähnlichkeit des Erbbaurechts besteht mit dem Wohnungseigentumsrecht (WEG), die beide besondere Formen des Eigentums an einem Gebäude regeln.181 Erstens sind das mit dem Erbbaurecht verbundene Gebäude und das mit dem Miteigentumsanteil verbundene Sondereigentum besondere Bestandteile des Rechts, mit dem sie verbunden sind. Zweitens birgt die Sonderform des Eigentums besonderes Streitpotenzial, da beide Sonderformen dadurch gekennzeichnet sind, dass mehrere Alleineigentümer – Sondereigentümer beim Wohnungseigentum und Grundstückseigentümer und Gebäudeeigentümer beim Erbbaurecht – langfristig aneinander gebunden sind. Zur Bildung von Sonder- und Gemeinschaftseigentum beim Wohnungserbbaurecht nach § 30 WEG (Geschosswohnungsbau mit Eigentumswohnungen in erbbaurechtlicher Nutzung) muss ein Bauträger und Projektentwickler das Erbbaurecht in Wohnungs- und Teilerbbaurechte aufteilen. Anschließend verpflichtet er sich im Kaufvertrag zur Herstellung der Wohnung nebst Verschaffung des Wohnungserbbaurechts.182 Ein Gebäude einschließlich Grund und Boden steht insofern im wohnungseigentumsrechtlichen Gemeinschaftseigentum, als es vorher nicht zur Begründung von Sondereigentum gekommen ist. Durch die Möglichkeit der Abschöpfung der Bodenwertsteigerung, etwa durch Einheimischenmodelle183 für Ortsansässige zur Förderung der Gebäudeeigentumsbildung im Erbbaurecht als „Eigentum auf Zeit“ und die damit verbundenen Vorteile hinsichtlich Laufzeit und Flexibilität der Zweckbindungsverträge, vermag das Gesetz zur Sachenrechtsbereinigung im Beitrittsgebiet (Sachenrechtsbereinigungsgesetz) v. 21.09.1994, BGBl. I, S. 2457. 180 Bundesverband Deutscher Stiftungen (Hrsg.), Erbbaurecht für Stiftungen, 1996, S. 16 ff. 181 Rapp, in: Festschrift für Wenzel, 2005, S. 271 ff.; Grziwotz, in: Freckmann/Frings/Grziwotz, Das Erbbaurecht in der Finanzierungspraxis. Die Erbbaurechts-Grundschuld als Kreditsicherheit, 2006, S. 25 ff. 182 Pause, Bauträgerkauf und Baumodelle, 2004 Rn. 574; ausführlich Drasdo, WohnungsErbbauR. In: Ingenstau/Hustedt, ErbbauRG, 11. Aufl. 2018, Anh. III zum Wohnungserbbaurecht. 183 Schlögel, ZfIR 2016, 175 (177). 179
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Eigentum eine weitere Konkretisierung der Sozialbindung zu erfahren. Von Oefele schlägt, basierend auf entsprechenden Eingaben der Bundesnotarkammer (BNotK), eine „Eigentumsspaltung“ statt der Annahme eines bloßen dinglichen Rechts vor. Das Grundproblem des Erbbaurechts liegt darin, dass der Grundsatz der Bodenakzession (§§ 93, 946 BGB) durchbrochen wird. Zum Bauwerkseigentum kommt noch die Nutzung des unbebauten Grundstücks gemäß § 1 Abs. 2 ErbbauRG hinzu. Viel spricht für den Vorschlag der BNotK, analog zu den Regelungen des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) eine Unterteilung in zwei Phasen vorzusehen: Unbebautes Grundstück (Phase 1) und Eigentumsspaltung (Phase 2). Es wurde daher eine Neufassung von § 1 Abs. 1 ErbbauRG wie folgt vorgeschlagen: „Das Eigentum an einem Grundstück kann in der Weise geteilt werden, dass das Eigentum an Bauwerken auf oder unter der Oberfläche und die Grundstücksnutzung abgespalten werden (Erbbaurecht). Das Erbbaurecht kann sich auch auf eine künftige Errichtung von Bauwerken beziehen. Mehrere Erbbaurechte am selben Grundstück sind unzulässig.“ Ferner: Klauseln, die in jedem Erbbaurechtsvertrag enthalten sind, wären gesetzlicher Inhalt des Erbbaurechts. Es könnte dann eine genaue Kostenregelung für die Verkehrssicherungspflicht, für Altlasten und für den Heimfall bei einem Zahlungsverzug des Erbbauzinses gemäß § 9 Abs. 4 ErbbauRG getroffen werden.184 Eine für den Gesetzgeber kostenneutrale Reform des Erbbaurechts, die eine Angleichung der Regelungen des ErbbauRG an das WEG mit sich brächte, leistete einen erheblichen Beitrag zur Wohneigentumsbildung im zeitlich befristeten Gebäudeeigentum sowie zur Akzeptanz und Modernisierung des Erbbaurechts insgesamt.
9.4 Fortentwicklung und Bewertung; Grunderwerbsteuer Erbbaurechte verlangen langfristige Betreuung und Überwachung. Nur wenige Verwaltungsbedienstete können oder wollen das leisten, erst recht nicht in kleineren Kommunen. Treten Probleme auf, müssen sachkundige Mitarbeiter oder im Erbbaurecht erfahrene Notare sich des Problems annehmen. Weitere Kosten können dann entstehen. Von Bedeutung sind ferner Notar- und Grundbuchaufwendungen sowie die nicht zu unterschätzenden Belastungen durch die Grunderwerbsteuer. Zum Problemkomplex „Grunderwerbsteuer und Wohnungseigentum“ liegen bereits durch van Suntum/Schultewolter gut durchdachte Diagnosen und Vorschläge auf dem Tisch. Die genannten Autoren gingen in ihrem Beitrag von 2014185 indessen davon aus, dass es angesichts des geringen Aufkommens und der fehlenden Systemhaftigkeit der Steuer keinen Grund gebe, warum man an ihrer Erhebung festhalten sollte.186 Gewiss verletzt die Grunderwerbsteuer als Sonderumsatzsteuer den Grundsatz der Neutralität der Besteuerung, und sie diskriminiert fraglos Immobilien ge V. Oefele, DNotZ 2011, 503 (513). Van Suntum/Schultewolter, Die Besteuerung des Wohneigentums. In: Voigtländer/Depenheuer (Hrsg.), Wohneigentum, 2014, S. 207 f. 186 Van Suntum/Schultewolter (Fn. 185), S. 208. 184 185
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genüber anderen Konsumalternativen. Im Jahr 2018 betrugen die Einnahmen aus der Grunderwerbsteuer erhebliche 14,1 Mrd. Euro. Steuerrechtlich wären 2–3 % Grunderwerbsteuer vertretbar. In Deutschland variiert sie jedoch derzeit (2019) zwischen 3,5 % in Bayern und 6,5 % u. a. in Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Schleswig-Holstein.187 Hinzu kommen Maklercourtagen und Notarkosten. Bei einem Höchstsatz von 6,5 % Grunderwerbsteuer können beim Erwerb von Wohnungseigentum im Verkehrswert von 400.000 Euro ca. 62.500 Euro Erwerbsnebenkosten anfallen. Die Grunderwerbsteuer wird bei der Bestellung von Erbbaurechten sofort zur Zahlung fällig. Es bestehen weitere Risiken für das rechtliche Schicksal des Erbbaurechts wie etwa Instandhaltung des Gebäudes, Insolvenzeintritt, Ausgestaltung und Zeitpunkt des Heimfalls. All diese Aspekte müssen individuell zwischen Erbbaurechtsnehmer und Erbbaurechtsgeber abgestimmt werden. Der zwangsversteigerungsfeste188 Erbbauzins (§ 9 ErbbauRG), auf den vertraglich auch verzichtet werden könnte, nimmt zudem nicht grundsätzlich die Spekulation aus einer Grundstücksnutzung heraus. Denn ein Eigentümer wird bei ökonomischer Betrachtungsweise den Erbbauzins an der langfristig zu erzielenden Verzinsung des Grundstückswerts orientieren.189 Eine empirische Untersuchung des Autors unter kreisfreien Städten in Rheinland-Pfalz über die Art der Verwaltung von Erbbaurechten ergab zwei wesentliche Erkenntnisse: einerseits hatten die Kommunen ihre Erb baurechtsvertragskonditionen kaum an die seit dem Jahr 2008 dramatisch veränderten Verhältnisse auf den Kapitalmärkten angepasst. Andererseits dominieren in vielen Kommunen bei der Festlegung des Erbbauzinses gleichsam „politische, hingetrimmte“ Preise. Die Festlegung fand vorrangig durch Gemeinde- und Stadtratsbeschluss statt und orientierte sich an der haushaltsrechtlichen Kassenlage, aber nicht am Kapitalmarkt. Nur gewerblich-institutionelle Anleger verhalten sich (kapitalmarkt-)konform; sie konzentrieren sich auf das gewerbliche Segment, in dem Erbbaurechte gerne verwendet werden und auch, im Gegensatz zum Wohnungssektor, weitgehend störungsfrei verlaufen.
Immobilienzeitung, „Steuer für Grunderwerb auf Rekordhöhe“, Ausgabe 7/2019 v. 07.02.2019, S. 9. 188 Rapp, Die versteigerungsfeste Erbbauzinsreallast. In: FS für Brambring 2011, S. 305–317. 189 Dazu ausführlich Freckmann/Frings/Grziwotz, Das Erbbaurecht in der Finanzierungspraxis, 2. Aufl. 2009. 187
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10 D iversität von Gemeinnützigkeit, Genossenschaften und Stiftungseigentum 10.1 (Wohnungs-)Gemeinnützigkeit: Renaissance? Die Wohnungsgemeinnützigkeit erlebt derzeit eine gewisse Renaissance in der Debatte um „bezahlbares Wohnen“.190 Angesichts steigender Marktwerte für den Boden in sämtlichen Entwicklungsstufen (§ 5 ImmoWertV) in Metropolregionen haben freilich die gemeinnützigen Unternehmen gegenwärtig einen gravierenden Wettbewerbsnachteil, der nur durch steuerliche und bodenpolitische Sondervorteile ausgeglichen werden kann. Derzeit wird diskutiert, (öffentlichen) gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften Grundstücke zur Verfügung zu stellen, die Gemeinden über das städtebaurechtliche Vorkaufsrecht (§§ 24–28 BauGB) vorher erworben haben. Hier ist zu differenzieren: Das allgemeine Vorkaufsrecht gilt z. B. im Geltungsbereich eines B-Plans. Das besondere Vorkaufsrecht kann z. B. im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung geltend gemacht werden, dies aber nur innerhalb von zwei Monaten nach Mitteilung des Kaufvertrags. Den Ankauf zum Kaufpreis bzw. Ankauf zum Verkehrswert regelt § 28 Abs. 3 BauGB. Eine „deutliche Überschreitung“ dürfte bei über 30 % des Verkehrswerts beginnen. Die Regelungen zum Vorkaufsrecht sind insg. kompliziert und rechtsmittelanfällig; zudem drohen latent Verstöße gegen das unionsrechtliche Wettbewerbs- und Beihilfenrecht. Gemeinnützigkeit ist generell geeignet und erforderlich, die Lebensgrundlagen des Gemeinwesens zu festigen, zu sichern oder zu erhalten. Gemeinnützig handelt, dessen oder deren Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern (§ 52 Abs. 1 Satz 1 AO).191 Gemeinnützigkeit stellt einen ausfüllungsbedürftigen, unbestimmten Rechtsbegriff dar. Die steuerrechtliche Norm des § 52 Abs. 2 AO liefert auch nur einen groben Beispielskatalog. Auch der Dritte Sektor – neben der Öffentlichen Hand und der Privatwirtschaft als den anderen beiden Sektoren – lässt sich nicht eindeutig einer bestimmten Rechtsform zuordnen. Zwar wurde als Ergebnis der Vorgänge um die Neue Heimat die institutionelle Förderung von Wohnungsunternehmen mit der Aufhebung der steuerbefreiten Wohnungsgemeinnützigkeit – der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen (GWU) – beendet.192 Seit dieser Zeit kommen lediglich noch Wohnungsgenossenschaften mit gemeinnütziger Unternehmensausrichtung in den Genuss der ehemaligen Steuerbefreiungen.193 Das Ende der Gemeinnützigkeitsidee bedeutete diese Rechtsänderung im Jahr 1990 allerdings nicht. Denn die Unternehmensformen der (ehemals) gemeinnützigen Wohnungswirtschaft sind heute 190 Vgl. Kapitel „Lebenswerte Städte, attraktive Regionen, bezahlbares Wohnen“, Koalitionsvertrag, Kap. „Wohnen“, zwischen CDU, CSU und SPD, 2018, S. 109–111 (insb. Zeilen 5212 f.). 191 Schauhoff (Hrsg.), Handbuch der Gemeinnützigkeit, Verein, Stiftung, GmbH, 2005, S. 5 ff. 192 Die Zukunft der Gemeinnützigkeitsidee betont Püttner, Wohnungsgemeinnützigkeit und Verfassungsrecht. In: Engelhardt/Thiemeyer (Hrsg.), Festschrift für Jenkis, 1987, S. 261 ff. 193 Hämmerlein, Wohnökonomie, 2006, S. 107.
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unabhängig von gewährten Steuervorteilen recht vielfältig. Sie bestehen aus Stiftungen, Bauvereinen, Genossenschaften,194 Vereinen, Wohnungsbaugesellschaften in den Rechtsformen GmbH und AG sowie aus öffentlichen Landesentwicklungsgesellschaften.195 In diesem Rahmen können gemeinwirtschaftliche Unternehmen der Grundstücksnutzung wie erwähnt auch in privatrechtlicher Form (GmbH, GmbH & Co KG, AG) organisiert sein, solange sichergestellt ist, dass der Staat als Garant gemeinwirtschaftlicher Handlungsformen bereitsteht. Die Unternehmen der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft (GWU) erfüllten durchweg diese Kriterien. Sie müssen im Gefolge der „Neuen Heimat“-Affäre mit einem erheblichen Imageproblem leben, dem allerdings durch gesetzgeberische Initiativen für mehr Transparenz und Kontrolle im gemeinnützigen Wirtschaftsverhalten beizukommen ist.196 In Frage kommt außerdem die Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft (eG), die die Bundesregierung ausdrücklich fördern möchte.197 Der gemeinwirtschaftliche und gemeinnützige Charakter von Genossenschaften ist umstritten. Die Reanimation der steuerlichen Wohnungsgemeinnützigkeit steht derzeit in Rede; eine Studie zur „Neuen Wohnungsgemeinnützigkeit“198 hat jüngst beachtliche Aufmerksamkeit auch jenseits der Fachveröffentlichungen gefunden. Ob dieser Vorstoß durch Einräumung von Steuervorteilen,199 möglicherweise unterstützt durch die vermehrte Gründung kommunaler Wohnungsunternehmen oder Landgesellschaften – mit unabsehbaren beihilfenrechtlichen Folgen – Erfolg versprechend ist, kann derzeit nur zurückhaltend beurteilt werden. Das Kernproblem der aktiven steuernden Liegenschafts- und Baupolitik ist durchweg die mangelnde Verfügbarkeit an Grundstücken im Eigentum der Kommunen und somit das Fehlen strategischer bodenpolitischer Ziele, die im Idealfall in einem liegenschaftspolitischen Grundsatzbeschluss im Gemeinderat oder in der Stadtverordnetenversammlung niedergelegt werden sollten.
Mit dem Zusatz „gemeinnützig“ bis zum Jahr 1990; vgl. §§ 22 WGG, 22 WGGDV; dazu Jenkis, Kommentar zum Wohnungsgemeinnützigkeitsrecht, 1988. 195 Jenkis, Die gemeinnützige Wohnungswirtschaft zwischen Kritik und Reformvorschlägen – Eine Replik, 1980. 196 Püttner, Wohnungsgemeinnützigkeit und Verfassungsrecht. In: Engelhardt/Thiemeyer (Hrsg.), Festschrift für Jenkis, 1987, S. 267. 197 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 2018, S. 111 (Zeilen 5210–5213). 198 Kuhnert/Leps, Neue Wohnungsgemeinnützigkeit. Wege zu langfristig preiswertem und zukunftsgerechtem Wohnraum, Wiesbaden, 2017. 199 Vgl. die Vorarbeiten und Reformüberlegungen vor Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit: Thieme, Die Stellung des Wohnungsgemeinnützigkeitsrechts im Rechtssystem. In: Jenkis (Hrsg.), Kommentar zum Wohnungsgemeinnützigkeitsrecht, 1988, S. IL-LXV. 194
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10.2 Stiftungsrecht für Immobilienstiftungen Das Stiftungsrecht ist Teil des Rechts der Non-Profit-Organisationen, was gleichbedeutend mit dem Recht des „Dritten Sektors“ ist. Die Bedeutung der Rechtsform der rechtsfähigen Stiftung nimmt zu.200 Insbesondere sind auf den Feldern Biotopschutz, Artenschutz, Kreislaufwirtschaft, Energie und Verkehr zahlreiche Immobilien-, Privat-, Banken- und Firmenstiftungen gegründet worden. Hinzu treten die Stiftungen der öffentlichen Hand. Die Rolle der Stiftungen ist es nicht, die Steuerungsfunktionen des Staates zu substituieren. Sondern Stiftungen „produzieren“ social capital, welches transitorische Güter erzeugt. Stiftungen sind demgemäß benevolenzeffizient, wie Birger Priddat treffend konstatiert.201 Der Stiftung fehlt auf Grund der Gemeinnützigkeit der owner, also eine Person mit Anspruch auf Gewinnausschüttung (nondistribution constraint). Sie hat auch keine Mitglieder und verbietet die Existenz von Eigentümern, Anteilseignern, Gesellschaftern oder Mitgliedern.202 Eine Stiftung gehört und verwaltet sich selbstständig; sie kennt kein Eigentum. Das (Individual-)Eigentum wird daher gleichsam neutralisiert. Das Eigentum verliert also seinen in anderen gesellschaftlichen Bereichen ganz oder partiell berechtigten Herrschaftsanspruch. Das Stiftungseigentum (Stiftungsvermögen) wird auf diese Weise zum bloßen Nutzungseigentum. Die rechtliche Konstruktion einer Stiftung ist allerdings im Hinblick auf Kontrollmöglichkeiten der Destinatäre, der Publizitäts- und Haftungsvorschriften sowie der Steuerbefreiungen nicht gänzlich unproblematisch.203 Denn die im Kapitalgesellschaftsrecht entwickelten Vorschriften über Kapitalausstattung, Insolvenzantragspflicht oder Arbeitnehmerschutz bleiben bei wirtschaftlich tätigen Stiftungen (Unternehmen als Bestandteil des Stiftungsvermögens) maßgeblich hinter der Regelungsdichte für GmbHs und Aktiengesellschaften zurück.204 Um Missbräuche zu vermeiden, sind umfangreiche stiftungsrechtliche Aufsichtsverfahren erforderlich, etwa über externe Kontroll- und Beratungsgremien als Steuerungsinstanzen.
Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2006, § 23 Rn. 55. Priddat, Benevolenzeffizienz: Stiftungsmodernisierung. In: Priddat (Hrsg.), Gemeinwohlmodernisierung, 2006, S. 111–121. 202 Thymm, Das Kontrollproblem der Stiftung und die Rechtsstellung der Destinatäre, 2007, S. 66; Seifart/v. Campenhausen, Handbuch des Stiftungsrechts, 1999, § 8 Rn. 132 f. 203 Thymm (Fn. 202), S. 16 ff. 204 Rawert, Stiftung und Unternehmen. In: Non profit law yearbook, 3/2004, S. 1, 3 ff. 200 201
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11 Reform der Grundsteuer und Wohnungseigentum 11.1 Reformmodelle und bisherige Diskussion Seit November 2016 nimmt das Modell der neuen Grundsteuer in Deutschland Gestalt an, wenn auch kein Konsens205 zwischen Bundesfinanzministerium und Bundesländern für ein bundeseinheitliches Modell gefunden werden konnte. Die Steuer wird wohl ein (rechtsmittelanfälliges und aus Grundstückswertermittlungssicht mit der Daumenregel arbeitendes) Hybrid-Konstrukt bleiben: Zukünftig wird es – nach gegenwärtigem Stand – einen Kostenwert206 statt eines Einheitswerts geben, mit dem Sachwertverfahren als methodischem Königsweg zur Festlegung des typisierten Gebäudewertanteils, einem Mietansatz und mit dem Bodenrichtwert zur Ermittlung der bodenbezogenen Komponente. Das Modell ist damit komplexer als ein reines Flächenmodell, wie es von Bayern favorisiert wird. Eine Typisierung der Bemessungsgrundlage bewirkt fast zwangsläufig einen Konflikt mit dem Gleichheitssatz aus Art. 3 GG und ist gegen die Vorteile eines effizienten Steuerverwaltungsablaufs abzuwägen. Eine ökologische oder liegenschaftspolitische Rechtfertigung für die neue Grundsteuer fehlt. Ungeahnte Probleme und streitanfällige Herausforderungen stellen sich bei beiden Komponenten der Grundsteuer, sowohl bei dem Gebäudewert, als auch beim Boden(richt)wert (§ 84 BewG). Bei den aufstehenden Gebäuden soll mit Pauschalherstellungskosten gearbeitet werden, wobei eine Differenzierung z. B. nach Unterkellerung und Dachform stattfindet. Das Jahr 1995 markiert die (fiktive) Trennlinie zwischen niedrigeren (vor 1995) und höheren (nach dem 1. Januar 2005 geltenden) Pauschalherstellungskosten (vgl. Begr. zum BewG-E, Anl. 35). Eine Wertminderung wird durch einen „Abschlag“ vorgenommen, der im Ermessen des Immobilienbewerters liegt.207 Hinsichtlich der Bodenwertkomponente zieht man Bodenrichtwerte heran, die mit der Grundstücksfläche multipliziert werden (§ 235 Abs. 2 BewG-E). Dies soll ab dem Hauptfeststellungszeitpunkt zum 1. Januar 2022 geschehen. Bis zum Jahr 2026 bleiben nach gegenwärtigem Stand noch die bisherigen Einheitswerte als Basis für die Grundsteuer erhalten (vgl. Begr. BewG-E, S. 43). Danach soll eine turnusmäßige Fortschreibung erfolgen. Das bisherige dreistufige Verfahren der Steuerfestsetzung soll beibehalten werden: Zunächst wird ein Grundsteuerwert berechnet, der den bisherigen Einheitswert ersetzt. Durch Multiplikation des Grundsteuerwerts mit einer (ggf. landesspezifischen) Steuermesszahl ergibt sich auf der zweiten Stufe der Immobilienzeitung, „Die neue Grundsteuer hat kaum Fans“, Ausgabe 12/2019 v. 21.03.2019, S. 8. Zur Kritik am Kostenwert: Marx, DStZ 2017, 19 (22 ff.); Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. 2018, § 16 Rn. 40. 207 Für die Korrektur der Wertabweichungen für die zu bewertenden Grundstücke vom Referenzgrundstück liegen ebenfalls verschiedene Vorschläge vor, z. B. eine Reduzierung (Abschlag) des Bodenrichtwerts (BRW) um 20 %, anschließend Multiplikation mit der Grundstücksfläche oder eine Multiplikation von BRW mit der Grundstücksfläche und einem Faktor 0,5 (ursprüngliches „Thüringer Modell“) bzw. mit Vergleichs- und Ertragsfaktoren bei bebauten Grundstücken (ursprüngliches „Nord-Modell“). 205 206
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Grundsteuermessbetrag. Durch Anwendung eines Grundsteuerhebesatzes auf den Grundsteuermessbetrag gelangt man zur Grundsteuer, wobei den Kommunen – wie bislang auch – ein Hebesatzrecht zusteht. Dem Eigentümer wird eine abstrakte Leitungsfähigkeit unterstellt, die ihn im Vergleich zu anderen grundbesitzenden Miteigentümern zumindest nicht benachteiligt (Argument: Kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG).208 Diese Auffassung ist indes problematisch, denn es kann nicht von einem regelmäßigen Ertragsstrom aus der Grundstücksnutzung ausgegangen werden, etwa in Stadtumbaugebieten oder bei sog. „Schrottimmobilien“. Auch das Äquivalenzprinzip kann bei der Grundsteuer nicht ohne Weiteres zugrunde gelegt werden, da eine Zurechnung von Gemeindeleistungen zwar bei Erschließungsbeiträgen, Straßenausbaubeiträgen oder Anliegergebühren treffsicher erfolgen kann, nicht jedoch bei Nicht-Ausschließbarkeit von Nutzungen und öffentlichen Gütern etwa von gemeindeeigenen Parks, Schulen, Spielplätzen, Straßenführung, aber auch einer nachhaltigen Stadtplanung, die vermehrt die Innenentwicklung durch geeignete Maßnahmen in den Blick zu nehmen hat (vgl. §§ 1 Abs. 5 Satz 3 und § 1a Abs. 2 BauGB). Pro blematisch ist bereits die anteilsmäßige Umlegung von kommunalen Leistungen auf die Grundstückseigentümer durch die Grundsteuer. Zu bedenken ist daher, dass die relative Höhe der Grundsteuer als ein Äquivalent der kommunalen Leistungen und der Zurverfügungstellung lokaler öffentlicher Güter für die Grundeigentümer anzusehen ist. Die Nutzung der bereitgestellten öffentlichen Güter setzt eine räumliche Nähe zum Grundeigentum (in der steuerrechtlich ungenauen Terminologie: Grundbesitz) voraus, sodass die Äquivalenz regelmäßig über den Raumbezug zum Grundbesitz realisiert wird.209 Als weitere Rechtfertigungstatbestände kommen die Auskömmlichkeit der Steuer als gemeindeseitige Einnahmequelle in Betracht (Fiskalziel). Das Fiskalziel ist hier die breite Bemessungsgrundlage in Form der (bisherigen) Einheitswerte; es führt idealerweise zu einem weitgehend konjunkturunabhängigen Einnahmestrom aus der Grundsteuer im Sinne einer „Property Tax“.210 Zukünftig wird die grundsteuerliche Bemessungsgrundlage Parameter enthalten, die auf Wertveränderungen des Grundbesitzes reagieren.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.12.1983 = BVerfGE 65, 353. Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim BMF, Reform der Grundsteuer, 2010, S. 2; Siebert, Reform der Grundsteuer, Eine ökonomische Analyse aktuell diskutierter Reformmodelle, 2016, S. 34; Lemmer, Zur Reform der Grundsteuer, 2004. 210 Vgl. die interessante Untersuchung von Feldmann, Reformperspektiven der Grundsteuer für die Gemeindefinanzierung im Sinne einer Property Tax, Theoretische Aspekte und Modellrechnungen für die Staatgemeinde Bremen, 2013. 208 209
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11.2 Lenkungswirkung Freilich ist damit noch nichts über die Lenkungswirkung gesagt. Aus flächenhaushaltspolitischer Perspektive sollte eine reformierte Grundsteuer Auswirkungen auf den Bodenmarkt haben, d. h. baulandmobilisierende Wirkungen in Innenbereichen, aber auch bspw. in Stadtumbaugebieten entfalten. Diese Entfaltungswirkung ist wichtig für sog. Enkelgrundstücke als nutzbare Baulandreserve; m. E. wird zu Recht das Argument von einem erhöhten Nutzungsdruck als effektives Lenkungsinstrument vorgebracht. Diese Argumentation ist freilich nicht unumstritten. Auf Aspekte wie administrative Praktikabilität – d. h. Erhebungsaufwand bei der Neubewertung der 35 Millionen Grundstücke (Bodenwert plus ggf. Bebauung) – wurde bereits eingegangen. Im Kern sind die Voraussetzungen für ein kostengünstige(re)s Massenbewertungsverfahren, das flankiert wird durch GIS, ALKIS© und ATKIS sowie sonstige bei den Landesämtern für Geoinformation und Bodenmanagement vorfindliche Daten und Instrumente, gegeben. Die Befürworter des gegenwärtig vorliegenden Reformmodells bejahen die Aspekte der Gerechtigkeit und Akzeptanz im Modell, da die Grundsteuerreform nicht Mehreinnahmen generieren soll. Allerdings führt die Reform zu Belastungsverschiebungen und, je nach Sichtweise, zu unbefriedigenden bodenmarktorientierten Lenkungswirkungen. Ursprünglich wurde von dem Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium der Finanzen im Jahr 2010 auf den Mietwert statt den Verkaufswert abgestellt. Liegenschaftspolitische Argumente spielten, soweit ersichtlich, erneut keine Rolle. International wird bei der Grundsteuer (Property Tax) ganz überwiegend auf die Verkaufswerte rekurriert. Nach Auffassung des Bundeslandes Hamburg würden Eigentümer und Mieter künftig auf Basis fiktiver Veräußerungspreise bzw. Verkaufswerte zur Grundsteuer herangezogen, die insbesondere für Mieter keine praktische wirtschaftliche Bedeutung hätten.211 Auch Eigentümer betrachteten ihre selbst genutzten Immobilien nicht durchgängig als Handelsware, deren Wertentwicklung sie jederzeit durch Verkauf realisieren könnten. Beispiel: Ein Grundstückseigentümer, dessen Einfamilienhaus (typisiert: unterkellert/Dachgeschoss) zu Beginn des Jahres 2005 fertiggestellt wurde, wird nach neuem Recht 18,6 % mehr Grundsteuer zahlen müssen als sein Nachbar, der das gleiche Gebäude vor dem 31. Dezember 2004 realisiert hat. Diese unausweichliche Differenz ist Folge einer Pauschalierung, die den Jahreswechsel 2004/2005 zur Bildung unterschiedlicher Gebäudeklassifizierungen heranzieht. Jene Belastungsunterschiede werden im vorliegenden Gesetzentwurf nicht näher erläutert. Weitere Argumente gegen das Sachwertverfahren lassen sich anführen: Es fehlt im Steuermodell ein typisierender Marktanpassungsfaktor. Bei der Verkehrswertermittlung nach dem Sachwertverfahren wird der Sachwertfaktor auf den vorläufigen Sachwert angelegt, um zum Marktwert nach § 194 BauGB zu gelangen (§ 14 Abs. 2 Nr. 1; § 21 ImmoWertV). Auch sind im Modell bislang keine Vgl. Stellungnahme des hamburgischen Finanzsenators Tschentscher in der Sitzung des Bundesrats am 04.11.2016, 950. Sitzung, Stenografischer Bericht (http://www.bundesrat.de/SharedDocs/downloads/DE/plenarprotokolle/2016/Plenarprotokoll-950.pdf?__blob=publicationFile&v=2), zuletzt abgerufen am 19.04.2019.
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besonderen objektspezifischen Grundstücksmerkmale (§ 8 Abs. 3 ImmoWertV) vorgesehen. Somit fehlen in diesem Massenbewertungsverfahren zwei im Sachwertverfahren essenzielle Marktanpassungsfaktoren und Zu- oder Abschlagskomponenten. Dieses Fehlen ist im gegenwärtigen Reformmodell zu einem erheblichen Teil dafür verantwortlich, dass sich die steuerlichen Kostenwerte in der beachtlichen Spanne zwischen 54 % (Geschosswohnung/Zentrum/Altbau) und 181 % (EFH/Peripherie/Neubau) der Verkehrswerte bewegen.
11.3 K ritik an der (reinen) Bodenwertsteuer; Auswirkungen auf das Wohneigentum Zudem wird als Kritikpunkt die Außerachtlassung von durchgeführten Sanierungen eines Eigentümers, die sich in der Verkehrswertermittlung regelmäßig in höheren Marktwerten und Mietzinseinnahmen niederschlägt, gesehen.212 Auch die Ermittlung der Gebäudegrundfläche als Bruttogrundfläche (BGF), ohne auf Wert erhöhende – oder Wert senkende – gebäudetypische, architektonische Ausstattungen und eine Wohnwert bezogene Grundfläche abzustellen, steht in der Kritik. Freilich ist eine individuelle Bewertung auf Grund der tatsächlichen Ausstattung und Qualität von 35 Millionen Gebäuden unrealistisch, ja unmöglich. Beide „Typisierungen“ verletzen aber wohl den Gleichheitssatz. Die Frage, ob solche Belastungsunterschiede mit der Forderung nach steuerlicher und verfassungsrechtlicher Gleichbehandlung (Art. 3 GG) vereinbar sind, dürfte die Gerichte noch beschäftigen.213 Auch hat der Gesetzgeber in seinem Entwurf keine Fristenregelung vorgesehen, etwa eine zeitliche „Streckung“ der neuen Steuerart oder eine ratenweise Vollstreckung. Zu berücksichtigen ist, dass in den meisten Staaten der Welt die Grundsteuer wertorientiert erhoben wird und nur ein einziger Staat eine reine Bodenwertsteuer hat (Estland). Fraglich ist aber, ob durch das Abstellen auf das kostenorientierte Sachwertverfahren, mit dem man die 35 Millionen neuer Bewertungsfälle bewerten möchte, die Ungleichbehandlung nach neuem Recht gleichsam „erkauft“ werden kann. Dies soll ab den dem Hauptfeststellungszeitpunkt zum 1. Januar 2022 folgenden Kalenderjahren geschehen. Danach soll eine turnusmäßige Fortschreibung erfolgen. Es gibt nur noch zwei Arten von Grundvermögen: erstens Grundvermögen und zweitens land- und forstwirtschaftliches Vermögen. Beide Vermögensarten führen zu verschiedenen Grundsteuerarten. Die bisherige (Grund-)Steuerart „Betriebsvermögen“ entfällt. Anlässlich der Sitzung des Bundesrats am 4. November 2016 wies der (damalige) Finanzsenator der Freien und Hansestadt Hamburg, Tschentscher, auf eine in Hamburg durchgeführte Stichprobe von 800 Bewertungsfällen hin; diese waren 212 Vgl. Löhr, Zum neuen Grundsteuer-Reformmodell der Länderfinanzminister – gerecht und verlässlich? In: Betriebsberater, 2016, 2075 (2080). 213 So die Vorhersage von Richter, Reform der Grundsteuer: Ein Plädoyer für eine wertorientierte und gleichmäßige Besteuerung von Boden und Gebäuden. In: ifo Schnelldienst 69(22), S. 4.
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nach dem Modell der neuen Grundsteuer nach Gebäudedaten und Bodenrichtwerten (§ 196 BauGB) gegliedert und wurden zum Vergleich den bisherigen Einheitswerten gegenüber gestellt. Das Reformmodell führte in Hamburg gegenüber dem bisherigen Modell zu im Durchschnitt rund 10-fach höheren Immobilienbewertungen, wobei sich die Spanne der Faktoren bei 5- bis 40-facher Überhöhung gegenüber den bisherigen Bewertungsergebnissen zeigte. Tschentscher führt diese Diskrepanz zurück auf den zu großen Einfluss der Bodenrichtwerte, die aus lageabhängigen Immobilienverkaufspreisen ermittelt werden und die neben dem echten Nutzungswert auch Komponenten enthalten, die sich aus spekulativem Marktgeschehen oder aus dem Zinsniveau auf dem Kapitalmarkt ergeben. Die Bodenrichtwertermittlung ist in der Tat die Achillesverse des Grundsteuermodells. Zudem steht derzeit die Frage nach der Umlegbarkeit der Grundsteuer auf die Mietnebenkosten in Rede.214 Die Steuer muss in jedem Fall aus dem Ertrag des Grundstücks heraus geleistet werden und der gesteigerten Verantwortung des Eigentümers aus Art. 14 Abs. 2 GG, Art. 20 Abs. 1, Art. 20a GG Rechnung tragen. Löhr hingegen rechtfertigt die Heranziehung der Bodenrichtwerte, da sie den Gutachterausschüssen ohnehin schon vorlägen (Argument der Kosteneffizienz bei der Steuererhebung; administrative Praktikabilität) und am ehestem dem Besteuerungsprinzip der Leistungsfähigkeit entsprächen.215 Hier wird stattdessen auf die Nichtbesteuerung des (reinen) Bodenwerts im Reformmodell rekurriert, wodurch man eine „Chance vertan“ habe und eine Abkehr vom Äquivalenzprinzip erfolgt ist. Als Nachteil eines jeden Grundsteuersystems wurde bereits in früheren Fachveröffentlichungen die erforderliche kontinuierliche Anpassung der Bodenrichtwerte und eine permanente (Neu-)Bewertung von Gebäuden erachtet. Seit dem 1. Juli 2009 gibt es nur noch zonale Bodenrichtwerte mit „möglichst homogenen Strukturen“.216 In kaufpreisarmen Lagen oder kleineren Gemeinden ist hingegen unter Umständen lediglich mit einer statistischen Fortschreibung in der Vergangenheit ermittelter Bodenrichtwerte zu rechnen, was unterschiedliche – möglicherweise auch spekulationsbedingte – Lagequalitäten in derselben Bodenrichtwertzone nach sich ziehen könnte. Im Rahmen der steuerlichen Bewertung ist zudem vom Bundesverfassungsgericht eine maximale Abweichung des einzelnen Grundstücks von dem Bodenrichtwert nur in einer Spanne von +/− 20 % als zulässig erachtet worden.217 Josten hat bereits im Jahr 2000 darauf hingewiesen, dass Stellungnahme des hamburgischen Finanzsenators Tschentscher in der Sitzung des Bundesrats am 04.11.2016, 950. Sitzung, Stenografischer Bericht (http://www.bundesrat.de/SharedDocs/ downloads/DE/plenarprotokolle/2016/Plenarprotokoll-950.pdf?__blob=publicationFile&v=2), zuletzt abgerufen am 19.04.2019; Tschentscher, Reformmodell der Finanzministerkonferenz führt zu extremen Grundsteuerbewertungen und übermäßigen Belastungen in Metropolregionen, in: ifo Schnelldienst 69(18), 23–26. 215 Löhr, Zum neuen Grundsteuer-Reformmodell der Länderfinanzminister – gerecht und verlässlich? In: Betriebsberater, 2016, 2075 (2077 ff.). 216 Vgl. ausführlich und zutreffend Schaper, Sonderfall: Bodenwertermittlung. In: Schaper/ Moll-Amrein, Wertermittlungsverfahren, 2016, S. 77 ff. 217 Vgl. BVerfG, Urt. vom 07.11.2006 – I BvL 10/02. Die Spanne ist den Gutachterausschüssen indessen nicht vorgeschrieben. 214
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zukünftig gemäß den Bodenrichtwertzonen unterschiedliche Hebesätze (Grundsteuermesszahlen) durch die Gemeinden zu entwickeln wären, woraus sich zusätzlicher Verwaltungsaufwand ergäbe.218 Wichtige Anwendungsfragen bei der Bodenrichtwertermittlung sind: Wie kann eine Bodenwertentwicklung belegt werden, wenn innerhalb der Bodenrichtwertzone – es gibt keine reinen lagetypischen Bodenrichtwerte mehr – Aufwertungen stattfinden oder wenn eine Verbesserung der Aufenthaltsqualität erreicht wurde? Zwar sind die Bodenrichtwerte nicht bindend; auch können aus ihnen keine Ansprüche gegenüber den Trägern der Bauleitplanung und Bodenordnung abgeleitet werden.219 Zukünftig stellen sich jedenfalls im Rahmen der Grundsteuer vermehrt die Schwierigkeiten in der Darstellung der Wert beeinflussenden Merkmale eines jeden Bodenrichtwertgrundstücks.
12 Zusammenfassung Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 12. März 2018 strebt zwar keine Eingriffe in das Eigentumsrecht Privater an, stellt für diese Legislaturperiode indes umfassende bodenpolitische und planungsrechtliche Initiativen in Aussicht. Es soll die Eigentumsbildung breiter Kreise der Bevölkerung verbessert werden, andererseits sollen insbesondere die Wohnungsgenossenschaften eine Förderung erfahren. Es soll vor allem Eigentum an bezahlbarem Wohnraum geschaffen werden. Stellt sich, unter anderen Vorzeichen, nun eine „neue soziale Frage“? Zu einer städtebaulichen Atempause wird es mithin in den nächsten Jahren nicht kommen. Dies gilt für die Bodenpolitik (Eigentumspolitik), die Bodenordnung und insbesondere die Wohnungswirtschaft. Besonders brisant sind Modifizierungen bei der Grundstücksvergabe und Bewertung von Liegenschaften durch die BImA hinsichtlich der angestrebten Unterwertveräußerung sowie die Förderung von Stiftungen, Initiativen und Genossenschaften im Wohnungsbereich, die gemeinnützige Zwecke verfolgen. Am Beispiel der Stadt Frankfurt am Main konnte gezeigt werden, dass die Bewertung öffentlich geförderten Wohnungsbaus – im gegenwärtigen Marktumfeld – zu erheblichen Bodenwertminderungen und Einschränkungen der Baufreiheit der Grundstückseigentümer führen kann. Möglicherweise wird die Vorgabe fester Quoten (Kontingentierungen) an sozial gebundenen Wohnungen zu Klageverfahren betroffener Grundstückseigentümer führen, da diese Einschränkungen zu europarechtlichen Kollisionen führen können, etwa in Bezug auf Niederlassungsund Kapitalverkehrsfreiheiten sowie auf das europäische Eigentumsgrundrecht. Die wahre, gewaltig unterschätzte „Gefahr“ für eine optimierte Baulandentwicklung und damit für die Schaffung von Wohneigentum für breite Schichten der Be Dazu grundlegend Josten, Die Bodenwertsteuer – eine praxisorientierte Untersuchung zur Reform der Grundsteuer, 2000, S. 129 ff. 219 Vgl. Debus, Bodenrichtwertableitung in der Praxis. In: Pohnert (Hrsg.), Kreditwirtschaftliche Wertermittlungen, 2015, S. 65–75. 218
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völkerung rührt indes von politisch motivierten, quantifizierten Mengenzielen zur Reduzierung des Flächen-„verbrauchs“ her. Diese Diskussion, die seit dem Jahr 1998 unter der damaligen Umweltministerin Angela Merkel geführt wird, hat in jüngster Zeit in den Freistaaten Bayern und Sachsen eine erhebliche Dynamik erfahren. Hier ist die weitere Entwicklung – mit großer Sorge beobachtend – abzuwarten. Denn: „Eine Gesellschaft, die nichts neu baut, gibt sich auf!“ (Zitat Hartmut Dieterich).
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Verfassungsrechtliche und ökonomische Aspekte von Eingriffen in das Eigentum von Wohnungsunternehmen Otto Depenheuer und Michael Voigtländer
Wenngleich im Fokus dieses Buches das selbst genutzte Eigentum steht, widmet sich dieses Kapitel dem Eigentum großer Wohnungsunternehmen. Schließlich hat in Ansehung des knappen Berliner Wohnungsmarktes und der für zu hoch empfundenen Mieten eine Berliner Initiative ein Volksbegehren mit dem Ziel der Sozialisierung resp. der Enteignung privater Wohnungsunternehmen initiiert und damit das Rechtsinstitut der Sozialisierung zum Thema werden lassen. Diese Diskussion ist für alle Formen des Eigentums letztlich relevant, da das Vorhaben eine große politische Sprengkraft hat. Ob darin ein verfassungsrechtlich zulässiger und ökonomisch sinnvoller Weg für die Bildung von Wohneigentum „für breite Schichten der Bevölkerung“ gesehen werden muss, soll aufgrund dieses aktuellen Anlasses nachfolgend in aller Kürze skizziert werden.
1 Verfassungsrechtliche Aspekte Leitende Frage nachfolgender Überlegungen ist, ob die Sozialisierung resp. Enteignung großer Wohnungsunternehmen mit dem Ziel der Schaffung und Unterhaltung von bezahlbarem Wohnraum für breite Schichten der Bevölkerung überhaupt eine verfassungsrechtlich zulässige Handlungsoption der Politik darstellt. Diese Frage ist im Ergebnis zu verneinen. O. Depenheuer Universität zu Köln, Seminar für Staatsphilosophie und Rechtspolitik, Köln, Deutschland E-Mail: [email protected] M. Voigtländer (*) Institut der deutschen Wirtschaft, Kompetenzfeld Finanzmärkte und Immobilienmärkte, Köln, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 O. Depenheuer et al. (Hrsg.), Wohneigentum für breite Schichten der Bevölkerung, Bibliothek des Eigentums 18, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61287-3_10
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1.1 D as Rechtsgut „Wohnung“ im Spiegel des Verfassungsrechts Ein Verdienst wird man den Initiatoren der Berliner Debatte freilich nicht absprechen können: sie haben die soziale Brisanz und damit die politische Sprengkraft in Erinnerung gerufen, die in einer Unterversorgung der Bevölkerung mit Wohnraum latent steckt. Wohnungen – seien es Mietwohnungen oder Eigentumswohnungen – bilden kein beliebiges Wirtschaftsgut. Wohnungen beinhalten eine große emotionale Affektivität wie existenzielle Funktion für die Bürger: „Die Wohnung ist für jedermann Mittelpunkt seiner privaten Existenz. Der Einzelne ist auf ihren Gebrauch zur Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse sowie zur Freiheitssicherung und Entfaltung seiner Persönlichkeit angewiesen. Der Großteil der Be völkerung kann zur Deckung seines Wohnbedarfs jedoch nicht auf Eigentum zurückgreifen, sondern ist gezwungen, Wohnraum zu mieten“.1 Dieser Großteil der Bevölkerung, der sich kein Eigenheim oder eine Eigentumswohnung leisten kann, ist darauf angewiesen, Wohnraum in ausreichendem Maße zu bezahlbaren Preisen anmieten zu können. Wohnungsknappheit in städtischen Lagen mit dem damit verbundenen Ausweichen ins Umland sind daher regelmäßig mit nicht unerheblichen sozial unerwünschten Folgen und Begleiterscheinungen für die Betroffenen verknüpft. Diese hohe Sensibilität des Rechtsguts „Wohnung“ macht die Sorge und Pflege der Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum zu einer elementaren Staatsaufgabe des Sozialstaats.2 Dieser elementaren Aufgabe, einer vo raussehbaren Unterversorgung und damit einhergehenden absehbaren Steigerung der Mieten vorzubeugen, kann der Staat mit vielfältigsten Mitteln Rechnung tragen. Sie reichen von der Schaffung günstiger Voraussetzungen zum Bau neuen Wohnraums für private Investoren, Bürger oder gemeinnützige Wohnungsbauunternehmen bis hin zum Vorhalten von Wohnraum in eigener Regie des Staates. Vor allem aber hat der Staat elementare ökonomische Indikatoren zu berücksichtigen: denn was in Berlin und in anderen attraktiven Städten auf dem Wohnungsmarkt passiert ist, bietet ein lehrbuchreifes Beispiel für das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage: hohe Attraktivität der Städte zieht Menschen an und umgekehrt. Notwendige Folge: die hohen Mieten in den städtischen Lagen sind ebenso Indikatoren für eine Unterversorgung mit Wohnraum wie umgekehrt Leerstände und niedrige Mieten in anderen Regionen das gleiche Problem spiegelbildlich indizieren. Da Preise in einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung bekanntlich zuverlässige Knappheitsindikatoren sind, pflegen sich derartige Fehlentwicklungen längerfristig und allmählich abzuzeichnen. Sie sind für die Politik weithin vorhersehbar und hätten
1 BVerfG 89, 1 (6). – Zum Problem: C. Kreuter-Kirchhof, Der rechtliche Status des Wohnungseigentums, in: Depenheuer/Voigtländer (Hg.), Wohneigentum, 2014, S. 97 ff. 2 Vgl. näher zur staatlichen Wohnpolitik: Oskar Schneider, Die Entwicklung der Wohnungseigentumspolitik, und Michael Voigtländer, Die Stabilität des deutschen Wohnungsmarktes, in: Depenheuer/Voigtländer (Hg.), ebd., S. 23 ff., 43 ff.
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Anlass geben müssen, beizeiten diesen Entwicklungen durch vorausschauende Maßnahmen gegenzusteuern. Zugegeben: Vergangenheitsanalyse schafft keine neuen Wohnungen. Vielmehr muss das wohnungspolitische Versagen der Vergangenheit heute für die Zukunft bewältigt werden. Denn Wohnungsknappheit und die damit verbundenen hohen Miet- resp. Erwerbskosten bergen, und das zeigt die gegenwärtige Diskussion einmal mehr, große politische Sprengkraft. Sie sorgen für existenzielle Ängste, Sorgen, Kritik in der Bevölkerung und können gar im Grenzfall politische Unruhen auslösen. Mögen diese in der Sache berechtigt oder weniger berechtigt sein: sie sind für die Politik Tatsachen, auf die sie reagieren muss. In einer fortgeschrittenen Kommunikationsgesellschaft kann es dann auch nicht verwundern, wenn selbst totgeglaubte Verfassungsfossilien wie die Sozialisierung aus der Versenkung geholt und politisch wieder ernsthaft erwogen werden. Damit stelle sich die Frage: wäre eine Sozialisierung resp. Enteignung von größeren Wohnkomplexen und/oder Wohnungsunternehmen verfassungsrechtlich zu rechtfertigen?
1.2 Sozialisierung: Verfassungsfossil oder verfassungsrechtlicher Joker? 1.2.1 Sozialisierung und Enteignung Sozialisierung und Enteignung bilden die zwei schwersten Eingriffe in das Eigentumsgrundrecht. Sie unterscheiden sich in Zielsetzung und normativer Voraussetzung jedoch grundsätzlich. Die Enteignung zielt auf den Entzug einer konkreten vermögenswerten Rechtsposition (Eigentum), auf die der Staat um eines konkreten Gemeinwohlbelangs zwingend angewiesen ist.3 Demgegenüber zielt die Sozialisierung auf eine grundlegende Umstellung der Wirtschaftsverfassung. Entscheidendes Typusmerkmal gemeinwirtschaftlich geführter Unternehmen ist, dass sie einer öffentlichen Aufgabe unmittelbar zu dienen bestimmt sind, d. h. dass sie keine Gewinne erwirtschaften wollen. Erfolg und Misserfolg des Wirtschaftens bestimmt sich allein danach, ob und inwieweit das Ziel bestmöglicher Bedarfsdeckung erreicht wird. Alles Handeln ist unmittelbar orientiert und bezogen auf die Erfüllung der aufgegebenen oder selbstgesetzten öffentlichen Aufgabe. Das gemeinwirtschaftlich orientierte Wirtschaften ist Wesensmerkmal staatlicher Wirtschaftstätigkeit zur Daseinsvorsorge, aber nicht exklusiv dem Staat vorbehalten, sondern kann und wird auch von freigemeinwirtschaftlichen Unternehmen wie von Privaten wahrgenommen. Zwar befriedigen auch erwerbswirtschaftliche Unternehmen objektiv die Erfüllung öffentlicher Aufgaben, decken bestehende Bedarfe nach Wohnraum und fördern insoweit unbewusst das Gemeinwohl „zum gemeinen Nutzen“. Die unmittelbare Deckung fremder Bedarfe als solche, d. h. die „gemeine Nützlichkeit“, ist Näher: Depenheuer/Froese, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14 Rn. 200 ff., passim.
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daher kein exklusives Kennzeichen gemeinwirtschaftlich geführter Unternehmen. Doch im Unterschied zu privaten Unternehmen streben gemeinwirtschaftliche das Ziel der Bedarfsdeckung selbstzweckhaft an, ohne ein finanzielles Eigen- insbes. Gewinninteresse zu haben, sondern allein getragen von der Kraft einer ideellen Motivation. In allen Fällen wird das fehlende finanzielle Eigeninteresse des Trägers eines gemeinwirtschaftlichen Unternehmens ersetzt und kompensiert durch die ideelle Widmung, nämlich der Erfüllung der öffentlichen Aufgabe. Dagegen ist die objektive „Gemeinwohlnützlichkeit“ von Privatunternehmungen lediglich Nebenergebnis, bloße Folge des privatwirtschaftlichen Strebens nach Erwerb und Gewinn, List der Vernunft und Wirkung der „unsichtbaren Hand“ (Adam Smith). 1.2.2 Sozialisierung – eine Option der Wirtschaftsverfassung Die Forderung nach Sozialisierung war ein traditionelles Kernelement sozialistischer Wirtschaftspolitik.4 In den Verfassungsberatungen zum Grundgesetz vor 70 Jahren konnte sich der parlamentarische Rat bekanntlich nicht auf eine Wirtschaftsverfassung verständigen. Sowohl die marxistische SPD als auch Teile der neugegründeten CDU strebten die Sozialisierung der Schwerindustrie an. Das Ergebnis war seinerzeit ein „dilatorischer Formelkompromiss“. Der Verfassungstext ließ die Frage einer Wirtschaftsverfassung denn auch offen und stellte der Garantie des privaten Eigentums in Art. 14 GG die Sozialisierungsermächtigung in Art. 15 gegenüber. Damit wurde die Sachentscheidung in den politischen Prozess verschoben, so dass der „offenen Wirtschaftsverfassung“ des Grundgesetzes das Bundesverfassungsgericht 1954 denn auch „wirtschaftspolitische Neutralität“ attestieren konnte.5 In der politischen Auseinandersetzung um die Wirtschaftsverfassung ging es seinerzeit in erster Linie um die Machtfrage sowohl im Bereich der Wirtschaft insgesamt als auch innerhalb der Unternehmen selbst. Die Sozialisierung nach Art. 15 eröffnet insoweit die Möglichkeit des Übergangs zu einer anderen als privatwirtschaftlich organisierten Wirtschaftsform. Ganze Wirtschaftszweige sollten institutionell vergesellschaftet und materiell gemeinwirtschaftlich organisiert werden können. Der Idee nach sollte mittels der Sozialisierung den besitzlosen Schichten kollektive Verfügungsmacht über das Wirtschaftseigentum verschafft werden6 und dadurch der Entfremdung des Arbeiters durch Ausbeutung und Fremdbestimmung vorgebeugt werden. Zu diesem fortbestehenden Status quo der Eigentumsverfassung mögen aus 70-jähriger Distanz zum Inkrafttreten des Grundgesetzes drei grundsätzliche Feststellungen aus verfassungsrechtlicher Sicht getroffen werden:
4 Vgl. zur Ideengeschichte der Sozialisierung: Wieland, in: Dreier, GG, I, 3. Aufl. 2013, Art. 15 Rn. 1 ff.; zu den Ursprüngen und Vorläufern des Art. 15 GG: Durner, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 15 Rn. 5 ff. [Stand: Lfg. 87, März 2019]. 5 BVerfGE 4, 7, (17 f.); 5, 290 (338); 50, 290 (336 f.). 6 Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, II, 2. Aufl. 1954, S. 141.
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1. Art. 15 GG ist nicht verfassungswidrig: Eine Norm, die von Anfang an im Grundgesetz steht, kann schon aus diesem Grunde nicht verfassungswidrig sein. Vielmehr bot und bietet Art. 15 GG die Möglichkeit von Vergesellschaftung gegen Entschädigung. Art. 15 in seiner derzeitigen Form fordert keine Sozialisierung, verbietet sie aber auch nicht. Er erlaubt die Vergesellschaftung der dort genannten Objekte durch Gesetz und gegen Entschädigung. Dass der Bundestag von dieser Ermächtigung noch nie Gebrauch gemacht hat, sie nicht einmal ansatzweise auch nur erwogen hat, ist für die fortbestehende Normgeltung unerheblich: eine Norm verliert normative Geltung nicht dadurch, dass sie noch nie angewandt wurde. Allerdings hat sich über die 70-jährige Geltung des Grundgesetzes und dem Untergang des sozialistischen Ostblocks politisch der Eindruck einstellen können, dass die Norm endgültig überholt und damit obsolet sei. 2. Für die Forderung nach Streichung des Art. 15 GG besteht kein verfassungsrechtlicher Handlungsbedarf. Wenn die Norm verschwände, löste dies kein politisches oder verfassungsrechtliches Problem. Wohl aber könnte ein solches Ansinnen im Gegenteil kontraproduktiv wirken, insoweit die totgeglaubte Alternative wieder öffentlich zur Diskussion gestellt wird. Daher kann ein Argument für die Streichung des Art. 15 GG allenfalls aus der Sache selbst kommen, was aber derzeit nicht erkennbar ist. 3. Gleiches gilt für die – spiegelverkehrte – Forderung nach einer verfassungsrechtlichen Normierung der „sozialen Marktwirtschaft“. Mit dieser deklaratorischen Feststellung der Wirtschaftsverfassung wäre gleichfalls nichts gewonnen. Denn aus der „wirtschaftspolitischen Neutralität“ des Grundgesetzes folgt bereits heute kein verfassungsrechtlicher Freibrief für einen Übergang zu einer sozialistischen Planwirtschaft. Dagegen stehen die Grundrechte der Eigentumsfreiheit (Art. 14), der Berufsfreiheit (Art. 12) und, als Teil der freien Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1), die Vertragsfreiheit. Umgekehrt steht bereits heute einer „reinen“ Marktwirtschaft der Sozialstaatsgrundsatz der Art. 20 und 28 GG entgegen. Ein verfassungsrechtliches Staatsziel „soziale Marktwirtschaft“ hätte also derzeit normativ nur deklaratorische Wirkung, würde diesen Begriff allerdings zum Rechtsbegriff machen mit der problematischen Folge, dass die Deutungshoheit von der Politik auf das Bundesverfassungsgericht überginge. Zudem wäre der fortbestehende Art. 15 GG weiterhin in Geltung und relativierte das Staatsziel „soziale Marktwirtschaft“. Wenn aber Art. 15 GG in Geltung ist, kommt man an der Frage nicht vorbei, ob nach dieser Norm eine Sozialisierung größerer Wohnungsbaugesellschaften möglich ist. Dazu sind aus gegebenem Anlass zahlreiche Gutachten erstellt und publiziert worden, auf die hier verwiesen sei.7 Hier sollen nur zentrale und grundsätzliche
7 Vgl. nur Sodan, Zur Verfassungsmäßigkeit der Sozialisierung von Immobilien privater Wohnungswirtschaftsunternehmen im Land Berlin, März 2019; Waldhoff, Verfassungsrechtliche Grenzen der Vergesellschaftung privater Wohnungsunternehmen mit religiösem Selbstverständnis, Mai 2019; Benedikt Wolfers/Kai-Uwe Opper, Vergesellschaftung von Grund und Boden in Berlin: Zulässig?, in: DVBl 2019, 542 ff.
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Eckpunkte einer verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer Sozialisierung wie einer Legalenteignung angesprochen werden.8
1.3 Verfassungsfragen einer Sozialisierung 1.3.1 Sozialisierungsfähige Güter i.S.d. Art. 15 GG Grund und Boden Nach Art. 15 S. 1 GG sind Grund und Boden sozialisierungsfähige Güter. Davon mitumfasst sind die wesentlichen Bestandteile eines Grundstücks; dazu zählen insbesondere die mit dem Grund und Boden fest verbundenen Sachen, insbesondere Gebäude. Damit sind Grundstücke einschließlich der auf ihnen gebauten (Wohn-) Gebäude grundsätzlich sozialisierungsfähige Güter. Produktionsmittel Das bedeutet indes nicht zwingend, dass auch Wohnungsunternehmen einschließlich der von ihnen betreuten Wohnimmobilien sozialisierungsfähig wären. Wohnungsunternehmen verfügen zwar in der Regel über Grund und Boden, sie sind aber Unternehmen: sie wirtschaften mit „Grund und Boden“, ohne mit diesem als Unternehmen identisch zu sein. Daher kann sich ihre Sozialisierungsfähigkeit als Unternehmen nur daraus ergeben, daß sie über „Produktionsmittel“ i.S.d. Art. 15 GG verfügen. Der volkswirtschaftlich gebräuchliche Begriff „Produktionsmittel“ ist weit und differenziert nicht zwischen der Produktion von Waren einerseits und Dienstleistungen andererseits. Verfassungsrechtlich dagegen wird der Begriff des Produktionsmittels enger gefasst: Produktionsmittel meint danach nur sachliche oder rechtliche Mittel zur Gewinnung und Herstellung (Produktion) von körperlichen Gegenständen (Waren), nicht dagegen Dienstleistungen, wie z. B. solche zur Erzeugung wirtschaftlicher Güter, etwa den Bau von Wohnungen. Für diese enge Auslegung sprechen sowohl historische wie systematische Gründe.9 So unterscheidet sich Art. 15 GG im Wortlaut bewusst von Art. 156 WRV, die die Vergesellschaftung für alle „privaten wirtschaftlichen Unternehmungen“ vorsah. Dieser aus drückliche Bezug auf „Unternehmen“ wurde bewußt nicht in das Grundgesetz übernommen, sondern durch den engeren Begriff des Produktionsmittels ersetzt. Der SPD, die in den Beratungen des Parlamentarischen Rates als die treibende Kraft vehement für die Aufnahme von Art. 15 GG ins Grundgesetz votierte, ging es seinerzeit in erster Linie nur um die zur damaligen Zeit wichtigen „Schlüsselindustrien“, also allen voran um Kohle und Stahl, also gerade nicht um den Dienstleistungssektor.10 Fazit: Da Wohnungsunternehmen mithin nicht über Produktionsmittel im Sinne des Art. 15 GG verfügen, sind sie als solche auch nicht s ozialisierungsfähig.
Berliner Besonderheiten bleiben nachfolgend außen vor. Näher Durner (N 5), Art. 15 Rn. 36 ff.; Depenheuer/Froese (N 3), Art. 15 Rn. 3 ff. 10 Zur Entstehungsgeschichte näher: Durner, in: Maunz/Dürig, Art. 15, Rn. 9–16. 8 9
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Sie werden auch nicht dadurch sozialisierungsfähig, dass sie ihre Dienstleistungen auf der Grundlage ihres Eigentums an „Grund und Boden“ erbringen. Denn nicht „Grund und Boden“ soll in eine Form der Gemeinwirtschaftlichkeit überführt werden, sondern die Wohnungsunternehmen als solche: diese sollen die von ihnen verwalteten Wohnungen fortan „gemeinwirtschaftlich“ bewirtschaften.11 Wenn der Staat hingegen die Wohnungsbestände der ins Auge gefassten Wohnungsbauunternehmen wieder in Staatseigentum übernehmen möchte, dann bleibt ihm nur der Weg über die Enteignung der Wohnungsunternehmen. 1.3.2 Sozialisierung von Wohnungsunternehmen als politisches Ziel Die Option: Grundsätzliche Änderungsoption der Wirtschaftsverfassung Sozialisierung ist eine verfassungsrechtlich zulässige Option, aber kein Freibrief zur Änderung der Wirtschaftsverfassung. Verfassungsrechtlich muss sich der Staat für alle Eingriffe in Freiheit und Eigentum rechtfertigen. Im Falle der Sozialisierung sieht die Verfassung als einzige Voraussetzung ein entsprechendes Sozialisierungsgesetz „zum Zwecke der Vergesellschaftung“ vor. Da eine Sozialisierung von Unternehmen auf deren Überführung in eine „Form der Gemeinwirtschaft“ zielt, ist sie also nur dann verfassungsrechtlich zulässig, wenn der Staat mit dem Sozialisierungsgesetz eine bereichsspezifische, auf Wohnungsunternehmen begrenzte Umwandlung der Wirtschaftsverfassung anstrebt, konkret: wenn das Wohnungswesen grundsätzlich nicht mehr privatwirtschaftlich, sondern gemeinwirtschaftlich verwaltet werden soll. Dann legitimiert die demokratische Mehrheit für ein Sozialisierungsgesetz den Eigentumseingriff. Doch just dies ist nicht das politische Ziel der Berliner Initiative. Dieser geht es um konkrete Ziele zur Verbesserung der Wohnungssituation: um Mietbegrenzung auf der einen und um Schaffung von Wohnraum auf der anderen Seite. Die Sicherstellung ausreichenden Wohnraums zu bezahlbaren Preisen bildete den politischen Anlass für die Forderung nach Vergesellschaftung. Zweifellos sind diese politischen Ziele an sich legitime Zwecke, die auch grundrechtliche Rechtspositionen in den Grenzen der Verhältnismäßigkeit einschränken können. Das ergibt sich schon aus der hohen Sensibilität des Rechtsguts „Wohnung“ (s. o. A.I.). Wenn es den Initiatoren der Vergesellschaftungsinitiative aber um die Bewältigung dieser konkreten Missstände im Wohnungswesen geht, dann bedeutet das zugleich auch, dass es ihnen gar nicht auf einen grundsätzlichen Wechsel der Wirtschaftsverfassung in diesem Bereich ankommt. Das Mittel der Sozialisierung ginge nämlich weit über die Lösung konkreter Problemlagen hinaus. Sie zielte auf eine bereichsspezifische grundsätzliche Änderung der Wirtschaftsverfassung, indem sie an die Stelle einer erwerbswirtschaftlichen eine gemeinwirtschaftliche Unternehmensführung erzwingt. Wenn aber eine derartige bereichsspezifische Sozialisierung des Abweichend Sodan (N 8, S. 40 ff.), der eine Sperrwirkung für die Sozialisierung annimmt: da Dienstleistungsunternehmen nicht sozialisiert werden dürfen, könne dies auch nicht unter Hinweis und auf dem Umweg über „Grund und Boden“ erfolgen. Insoweit bestehe eine „Sperrwirkung“.
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ohnungswesens „eigentlich“ gar nicht gewollt ist, dann stellt sich schon desweW gen die Frage der Rechtfertigungsfähigkeit erst gar nicht. Die in der politischen Diskussion genannten konkreten Zielsetzungen indizieren denn auch implizit, dass ein grundsätzlicher Wechsel der Wirtschaftsform nicht angestrebt ist. Das Mittel der Sozialisierung geht also weit über die begrenzten und konkreten Ziele – Begrenzung der Mieten, Schaffung neuen Wohnraums – hinaus. Ihre prinzipielle Zielsetzung ist im wahrsten Sinne zur Erreichung konkreter politischer Zielsetzungen „unverhältnismäßig“. Das Wohnungswesen würde grundsätzlich einem anderen Wirtschaftssystem unterworfen werden, sei es in staatlicher Eigenregie oder freigemeinwirtschaftlich. Die Gefahr: „Vom Regen in die Traufe“ – und zurück Wenn auch die Sozialisierung grundsätzlich eine verfassungsrechtliche Option darstellt, so unterliegt sie doch verfassungspolitisch dem Gebot der Nachhaltigkeit. Man kann nicht im Rhythmus der Legislaturperioden des Parlaments das Wirtschaftssystem verfassungsrechtlich grundsätzlich neu ausrichten, ohne die normative Kraft der Verfassung nachhaltig zu beschädigen: vom gemeinwirtschaftlich- sozialistischen System über das marktwirtschaftliche und zurück. Das wäre nicht nur ökonomischer Irrsinn, sondern vor allem verfassungspolitisch ein Vabanquespiel. Langfristigkeit bildet das Wesensmerkmal verfassungsrechtlicher Entscheidungen. Daher ist die Instrumentalisierung der Verfassung zur „Festschreibung“ tagespolitischer Kompromisse ein ebenso gefährlicher Irrweg, weil er tagespolitische Anpassungen im Konkreten erschwert oder unmöglich macht, wie es die kurzfristigen Interessen dienende verfassungsrechtliche Neujustierung durch gegenläufige Verfassungsänderungen im Takt der Legislaturperioden wäre. Das Beispiel der Berliner Wohnungspolitik in den letzten zwei Jahrzehnten bietet insoweit ein eindrückliches Beispiel dafür, wie man politisch nicht agieren sollte. Der wohnungspolitische Kern des Problems liegt denn auch und vor allem in dem Umstand begründet, dass es – nicht nur in Berlin – seit Jahrzehnten eine konsistente staatliche Wohnungsbaupolitik nicht mehr gibt, sondern diese affektgeladen, kurzschlüssig und widersprüchlich just die Probleme hervorbringt, die sie im nächsten Augenblick beklagt. Denn die zugrunde liegenden Probleme auf dem Berliner Immobilienmarkt sind Kennzeichen eines veritablen Staatsversagens und nicht eines Marktversagens. Dass die Initiative der Sozialisierung in Berlin gestartet wurde, darf gar als „Witz der historischen Unvernunft“ bezeichnet werden. Vor nicht einmal 20 Jahren obwaltete in Berlin (und andernorts) im Bereich des kommunalen Wohnungswesens eine vom Zeitgeist beflügelte Privatisierungswelle, in deren Zuge die Stadt große Teile ihrer kommunalen Wohnungsbestände an private Wohnungsunternehmen veräußerte. Aus heutiger Perspektive entzog sich Berlin damit seinerzeit der sozialpolitischen Verantwortung, die die Bürgerinitiative heute bei den neuen Wohnungseigentümern vermisst und wegen der sie nunmehr die Sozialisierung resp. Enteignung großer Teile des privatisierten Wohnungsmarktes fordert. In einem Zeitrahmen von nicht einmal zwei Jahrzehnten verfolgt die Politik in einem hochsensiblen Politikfeld diametral gegensätzliche Strategien für den kommunalen Wohnungsmarkt: der seinerzeitigen Privatisierungseuphorie folgt heute eine Sozialisierungsstimmung. Mit diesem widersprüchlichen Handeln verspielt die Po-
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litik bei allen Beteiligten Vertrauen, Verlässlichkeit und Stabilität: ein außerordentliches Beispiel eklatanten Politikversagens. Notwendig ist daher heute mehr denn je eine vertrauensschaffende, kontinuitätsverbürgende und auf lange Fristen berechnete und konzeptionell wohldurchdachte Politik gerade in Ansehung des sensiblen „Rechtsguts Wohnung“. Insoweit könnte eine Grundsatz- und Selbstverpflichtungserklärung der Berliner Politik – und nicht nur der gerade regierenden Parteien – gegenüber den Bürgern über die künftigen Leitlinien der Wohnungspolitik angeraten sein.12 Ohne eine erklärende Argumentation heute den wohnungspolitischen status quo ante wiederherzustellen, den man vor 20 Jahren aufgegeben hat, bedeutete nicht nur einen Weg „vom Regen in die Traufe“, sondern muss zu weiterem Verdruss führen und liefert nur dem Populismus die Stichworte. Sozialisierung als Königsweg zur Lösung der Probleme auf dem Wohnungsmarkt? Allerdings mag mit einer Sozialisierung die Hoffnung verbunden sein, auf diese Weise u. a. auch die konkret genannten Ziele – Begrenzung der Mieten und Schaffung von Wohnraum – zu erreichen. Aber nicht einmal das lässt sich plausibel, rational und nachvollziehbar begründen. Durch eine Sozialisierung lässt sich weder die bestehende Knappheit am Wohnungsmarkt lindern noch lassen sich steigende Mietenbelastungen begrenzen. Von der Begrenzung der Mieten zur Privilegierung der Bestandsmieter Sozialisiertes Wohnen kann allerdings zu preisgünstigen Wohnungsmieten führen. Weil die Gewinnerzielungsabsicht ausgeschaltet ist, liegt es im Wesen einer gemeinwirtschaftlichen Betriebsführung, auf maximale Gewinnsteigerung zu verzichten. Nicht verzichten kann sie allerdings auf Erhaltungs-, energetische und sonstige gesetzlich verpflichtende Investitionen; auf deren Refinanzierung durch die Mieten kann und darf auch sie nicht verzichten. Doch auch die gemeinwirtschaftliche Verwaltung von Wohnraum hat ihren Preis: sie zeitigt nämlich ein veritables Verteilungsproblem. Da die Höhe der Miete als Regulativ ausgeschaltet ist, privilegiert sie die Bestandsmieter gegenüber den Wohnungssuchenden und benachteiligt diese damit noch mehr. Diese Folgen einer sozialisierten Wohnungslandschaft hat der liberale österreichische Ökonom Friedrich August von Hayek in einem Vortrag über „das Mieterschutzproblem“ aus dem Jahr 1928 Jahr analysiert.13 Die Bestandsmieter sind die beati possidentes des Mieterschutzes und haben nunmehr noch weniger Anlass, ihre preisgünstige Wohnung aufzugeben. Der Wettbewerb der Wohnungssuchenden um die wenigen auf den Markt kommenden Wohnungen wird hingegen, da der Mietpreis ausgeschaltet ist, subkutan und intransparent verlaufen müssen; er Ansätze eines entsprechenden Eingeständnisses bei der zuständigen Senatorin: „Die Fehler, die in der Vergangenheit mit dem Verkauf dieser Bestände gemacht wurden, können wir nicht rückgängig machen, wohl aber den Mieterinnen und Mietern die Sicherheit zurückgeben, die sie durch die zwischenzeitliche Privatisierung verloren hatten“, in: Handelsblatt v. 27.09.2019. 13 Friedrich A. von Hayek, Das Mieterschutzproblem [1928], in: ders., Gesammelte Schriften in deutscher Sprache, Abt. A Band 6, 2001, S. 181 ff. 12
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verleiht denen Macht, die in den kommunalen Wohnungsunternehmen die Verteilungsentscheidungen zu treffen haben; so schafft man korruptionsanfällige Strukturen. Die geplante Vergesellschaftung des Immobilienbestandes größerer Berliner Immobilienunternehmen käme also im Ergebnis allein den betroffenen Bestandsmietern zu Gute. Sie wirkt als Klientelpolitik für die Mieter der betroffenen Wohnungen zu Lasten aller anderen Interessen, den Wohnungssuchenden sowie den betroffenen Wohnungsunternehmen. Hinzu kommt, dass dadurch nicht ein qm neuer Wohnraum geschaffen wird. Entstehung neuen Wohnraums? Dass nämlich durch eine Sozialisierung neuer Wohnraum gewonnen werden könnte, lässt sich nicht ernsthaft behaupten und plausibel darlegen. Wenn die reale Wohnungsknappheit für die hohen Mieten verantwortlich ist, gibt es therapeutisch nur einen Weg zur Beseitigung der Knappheit: nämlich durch den Bau von neuem Wohnraum und politischer Bereitstellung entsprechender Rahmenbedingungen. Mit Sozialisierung resp. Enteignung kann man umverteilen, aber nicht eine einzige weitere Wohnung bereitstellen. Durch die Vergesellschaftung würde das bestehende Wohnungsangebot in keiner Weise ausgeweitet. Lediglich den jetzigen Mietern würde ein anderer, nämlich ein staatlicher Vermieter gegenübergestellt. Allerdings könnte das Land Berlin im Rahmen seiner städtebaulichen Möglichkeiten dem Wohnungsmangel durch eigenen Wohnungsbau und Förderung des Neubaus abhelfen. Nur ein größeres kommunales Wohnungsangebot würde sowohl den Wohnungsmangel abfedern wie auch den Druck von den Mietpreisen nehmen.14 Dazu bedarf es keiner Sozialisierung der Wohnungsunternehmen. Mit anderen Worten: Der staatlich geförderte Neubau von Wohnungen ist nicht nur ein rechtlich milderes, sondern für das Land preiswerteres und effizienteres Mittel zur Erreichung des wohnungspolitischen Ziels einer Linderung der Wohnungsnot und Abfederung des Mietpreisanstiegs. 1.3.3 Entschädigung In jedem Fall verlangt Art 15 GG eine Entschädigung der betroffenen Unternehmen, die sich grundsätzlich an den Marktpreisen zu orientieren hat.15 Diese Pflicht zur Entschädigung bedeutet allerdings gleichzeitig, dass jene Mittel für die Förderung des privaten oder des städtischen Wohnungsbaus nicht zur Verfügung stehen. Erste Berechnungen zeigen, dass mit der nach einer Vergesellschaftung zu zahlen Ansätze dazu hat das Land Berlin im September 2019 im Zuge des größten Re-Kommunalisierungsankaufs in der Geschichte Berlins gezeigt, indem es für 920 Millionen Euro knapp 6000 Wohnungen von einem Immobilienkonzern durch die kommunale Gesellschaft Gewobag zurückgekauft hat. Pikant daran ist, dass es sich dabei um ehemalige Sozialwohnungsbestände des Unternehmens GSW handelt, die vor 15 Jahren privatisiert wurden. Aber auch insoweit gilt: 920 Millionen Euro wurden ausgegeben und keine einzige neue Wohnung geschaffen. Vgl. Handelsblatt v. 27.09.2019. 15 Näher: Depenheuer/Froese (N 3), Rn. 46. 14
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den Entschädigungssumme mehr als 230.000 neue Wohnungen finanziert werden könnten.16 M. a. W. der Weg der Sozialisierung verhindert entgegen den damit verbundenen Hoffnungen den möglichen Neubau neuer Wohnungen: er löst nicht das Problem des knappen Wohnraums, sondern forciert es.
1.4 V erfassungsfragen einer Enteignung von Wohnungsunternehmen Bleibt als verfassungsrechtliche Option allein die Enteignung nach Art. 14 GG oder die „Überführung in Gemeineigentum“ zum Zwecke der Vergesellschaftung nach Art. 15 GG. Doch der Austausch der Ermächtigungsgrundlage – statt Sozialisierung nunmehr Enteignung – setzt für den Staat nur noch höhere Hürden. Geht es bei 15 GG um den politisch gewollten und bei entsprechenden Mehrheiten verfassungsrechtlich legitimen Wechsel des Wirtschaftssystems in einzelnen Wirtschaftszweigen, so begrenzt bei Art. 14 GG eine rechtsstaatlich auszisilierte Dogmatik die Träume verfassungsrechtlicher Geisterseher. 1.4.1 „Konkrete Rechtspositionen“ Sowohl die (Legal-)Enteignung als auch die Überführung in Gemeineigentum bilden zwar verfassungsrechtlich zulässige politische Optionen. Danach können konkrete Eigentumspositionen – die Wohnungsbestände der Wohnungsunternehmen – aus Gründen des gemeinen Wohls enteignet werden. Allerdings muss die Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit erfolgen und sie muss verhältnismäßig sein; insbesondere darf kein milderes Mittel zur Verfügung stehen, um das angestrebte Ziel – Linderung der Wohnungsknappheit und hohe Mietpreise – zu erreichen. 1.4.2 „Zum Wohle der Allgemeinheit“ Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers Der Allgemeinwohlvorbehalt des Art. 14 GG markiert freilich nur äußerste Grenzen politischer Gestaltungsfreiheit und juristischer Kontrolle: insoweit verfügt der Gesetzgeber nämlich über eine weite Einschätzungsprärogative. In Ansehung der Privatisierungswelle vor 20 Jahren bedürfte es dazu allerdings heute einiger Anstrengungen, um begründet darzulegen, warum innerhalb weniger Jahre diametral gegensätzliche politische Wohnungskonzepte in gleicher Weise „dem Allgemeinwohl dienen“ können.17 Benedikt Wolfers/Kai-Uwe Opper, Vergesellschaftung von Grund und Boden in Berlin: Zulässig?, in: DVBl 2019, 542 (548). 17 Vgl. schon oben unter (II.2.b). 16
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Verhältnismäßigkeit Die im politischen Raum verlautbarten Ziele der Beseitigung der Wohnungsknappheit sowie der Mietbegrenzung werden durch eine Enteignung ebensowenig erreicht wie durch eine Sozialisierung: auch Enteignung schichtet nur Eigentumspositionen um, schafft aber nicht einen qm neuen Wohnraum. Insbesondere bedarf das Ziel der Begrenzung der Mieten nicht notwendig einer Enteignung. Hier können zielorientierte „mildere“ Vorschriften geeignet sein, Grenzen zu implementieren. Insbesondere ist hier an die teilweise schon realisierte Option eines freiwilligen Rückkaufs von privaten Wohnungsunternehmen resp. des eigenen städtischen Wohnungsbaus zu erinnern.
1.5 Fazit Da auch hinsichtlich der notwendigen Entschädigung im Falle der Enteignung das zur Sozialisierung Gesagte gilt, lässt sich als Fazit feststellen, dass auch Art. 14 GG eher ein Irrweg denn ein Königsweg zur Behebung der Wohnungsnot in Berlin ist. Umso mehr wird die zentrale Rolle des „Wohneigentums für bereitere Schichten der Bevölkerung“ einmal mehr deutlich. Diese erwächst aus gesellschaftlicher Initiative und auf grundrechtlicher Basis und damit grundsätzlich frei von verfassungsrechtlichen Bedenken. Im Gegenteil: sie erfüllt die Verfassungserwartungen einer freiheitlichen Verfassung, nach der das Allgemeinwohl zuvörderst aus gesellschaftlicher Initiative, Anstrengung und auf der Basis grundrechtlicher Freiheit gefördert und gepflegt werden sollte.
2 Ökonomische Aspekte Enteignungen stellen in einer marktwirtschaftlichen Ordnung einen schweren Eingriff dar. Schließlich fußt eine Investition stets auf dem Vertrauen darauf, dass die hiermit intendierten Erträge auch realisiert werden können. Investitionen wiederum stellen die Grundlage für Wirtschaftswachstum dar, denn erst die Erhöhung des Kapitalstocks schafft die Möglichkeiten, Produktivitätsfortschritte zu erzielen, die dann zu höherem Wohlstand beitragen können.18 Es ist ein Kernproblem vieler Länder in Afrika oder Südamerika, dass die Eigentumsrechte nur unzureichend geschützt sind. In vielen Ländern würden sich Investitionen in bessere Produktionsmittel, etwa in der Landwirtschaft, rentieren, doch solange Investoren davon ausgehen müssen, dass sie von staatlicher Seite nicht vor Korruption, Diebstahl und Willkür geschützt werden, unterbleiben die dringend notwendigen Investitionen.19
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Robert J. Barro/Xavier Sala-i-Martin, Economic Growth, 1998. Geoffrey Brennan/James M. Buchanan, Die Begründung von Regeln, 1993.
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Insofern ist die Debatte um die Enteignung von Wohnungsunternehmen aus ökonomischer Perspektive kritisch zu betrachten und stellt einen Tabubruch in der Diskussion dar. Im Folgenden werden verschiedene Wirkungen der Enteignung diskutiert, wobei auch zwischen einer Kompensation unterhalb des Marktwertes und zum Marktwert unterschieden wird. Darüber hinaus wird ebenfalls die sozialpolitische Wirkung diskutiert.
2.1 Enteignung ohne vollständige Kompensation Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ treibt die Enteignungsdebatte an und möchte die Wohnungsunternehmen für die Sozialisierung unterhalb des Marktwertes der Bestände kompensieren (vgl. www.dwenteignen.de). Dies wird explizit im Beschlusstext der Initiative ausgeführt. Dass dies rechtlich zulässig ist, darf bezweifelt werden, wie zuvor ausgeführt wurde. Entscheidend ist aber die ökonomische Wirkung eines solchen Eingriffs. Würden die Unternehmen die Bestände am Markt verkaufen, könnten sie angesichts der Wohnungsknappheit in Berlin mit hohen Verkaufserlösen rechnen.20 Die Wertsteigerungen der letzten Jahre beruhen vor allem auf den steigenden Mieten sowie den insgesamt gefallenen Zinsen, die die Attraktivität von Immobilien im Ganzen gesteigert haben.21 Werden die Eigentümer nun unterhalb des Marktwertes der Immobilien entschädigt, erleiden sie einen Vermögensverlust. Im Vergleich zum Kaufpreis realisieren manche Eigentümer, die schon vor vielen Jahren gekauft haben, einen Veräußerungsgewinn, doch dies ist für die Beurteilung unabhängig. Schließlich wäre bei einer Fortführung des Unternehmens ein deutlich höherer Gewinn realisierbar. Der mögliche Vermögensverlust trifft dabei eine Vielzahl von Anlegern. Die größten betroffenen Unternehmen Vonovia und Deutsche Wohnen sind an der Börse notiert und die Aktien sind weitgehend im Streubesitz, nach Definition der Deutschen Börse sind es jeweils rund 93 Prozent. Ein wesentlicher Anteilseigner beider Unternehmen ist etwa MFS Investment Management, ein US-amerikanisches Unternehmen, das Gelder für US-Amerikaner zum Zwecke der Altersvorsorge anlegt. Die Verluste würden also in diesem Fall, sowie in vielen anderen Fällen, Privatpersonen treffen, die oftmals über ähnliche Einkommen wie die Mieter der Bestände verfügen. Ihre Altersvorsorge würde geschwächt werden, mitunter würde auch das Ansehen des deutschen Wirtschaftsstandortes leiden. Ohnehin wären die Signalwirkungen eines solchen Eingriffs langfristig noch gewichtiger als die Verluste der vielen Kleinaktionäre. Schließlich müsste sich in der Folge jeder Investor die Frage stellen, ob seine Investition sicher ist. Dies betrifft vor allem Investoren von Immobilien als auch Bauinvestoren. Der Neubau ist aber essenziell, um die Wohnungsknappheit in Berlin und anderswo zu überwinden. Müssen die Investoren nun aber damit rechnen, dass eine Enteignung stattfinden 20 21
Ralph Henger/Michael Voigtländer, Ist der Wohnungsbau auf dem richtigen Weg?, 2019. Michael Voigtländer, Luxusgut Wohnen, 2017.
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könnte, müssen sie zumindest Risikoprämien verlangen, was die Neubaupreise erhöht und damit die Absatzmenge reduzieren würde. Möglich sind aber auch Auswirkungen auf andere Wirtschaftszweige. Die vom Juso-Vorsitzenden Kühnert angestoßene Diskussion um eine wünschenswerte Enteignung von BMW zeigt, wie schnell die Diskussion an Breite gewinnen kann. Überdenken weitere Unternehmen ihre Investitionsentscheidungen, stehen auch Arbeitsplätze und das Wirtschaftswachstum insgesamt auf dem Spiel. Und die Erfahrungen zeigen, dass das Vertrauen in staatliche Institutionen nur sehr langsam wieder aufgebaut werden kann.
2.2 Entschädigung mit vollständiger Kompensation Insgesamt ist eine Entschädigung in Höhe des Marktwertes im Fall einer Enteignung wahrscheinlicher. Teilweise wird argumentiert, dass eine solche Enteignung ähnlich zu einer Enteignung für Infrastrukturprojekte wäre. Schließlich werden auch für den Schienenausbau, den Autobahnausbau oder andere Infrastrukturprojekte in letzter Instanz Grundeigentümer enteignet, um die Durchführung der Maßnahme nicht zu gefährden. Gäbe es diese Option nicht, könnten Eigentümer Preise weit über dem Marktwert verlangen und die bessere Nutzung der Grundstücke über Jahre verhindern. Im Fall der Wohnungsunternehmen sollen aber schlichtweg die Besitzverhältnisse geändert werden, der Zweck des Unternehmens – die Vermietung von Wohnraum – wird aber fortgesetzt. Die Senatsverwaltung in Berlin schätzt den Kaufpreis der Bestände auf 30 bis 40 Mrd. Euro.22 Der Marktwert einer Immobilie resultiert immer aus den Erwartungen hinsichtlich der künftigen diskontierten Mieterträge.23 Gerade in Berlin sind die Preise stärker als anderenorts gestiegen, weil die Investoren mit künftig weiter steigenden Mieten rechnen. Die kommunalen Wohnungsunternehmen in Berlin sind aber angehalten, die Mieten nicht weiter zu erhöhen, und auch das Ziel der Enteignungsbefürworter besteht gerade darin, die Mieten nicht weiter zu erhöhen. Unter dieser Prämisse ist es wahrscheinlich, dass die Renditen der Investition negativ ausfallen, bei Kauf zu Marktpreisen und Konstanthaltung der Mieten also Verluste drohen. Dies bedeutet, dass entweder die Stadt die Verluste ausgleichen oder aber das Unternehmen Kosten einsparen muss. Dies wird maßgeblich durch den finanziellen Spielraum des Berliner Senats bestimmt. Angesichts der hohen Kaufsumme, die zu einer Verdopplung der Berliner Haushaltsschulden führen kann, ist kaum zu erwarten, dass der Berliner Senat die kommunalen Wohnungsunternehmen dauerhaft quersubventionieren wird. Folglich werden die Gesellschaften Kosten einsparen müssen, Ulrich Paul, Kostenschätzung des Senats. So teuer wäre die Enteignung von Deutsche Wohnen und Co., in: Berliner Zeitung, 05.03.2019. 23 Denise DiPasquale/William C. Wheaton, The markets for Real Estate Assets and Space: A Conceptual Framework, in: Journal of the American Real Estate and Urban Economics Association 1992. V20.1: S. 181–197. 22
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was vor allem zu Lasten der Instandsetzung gehen wird. Fraglich ist auch der Umgang mit Modernisierungen. Viele der Bestände sind sanierungsbedürftig24 und müssen nicht nur qualitativ verbessert, sondern auch altengerecht umgebaut und energetisch aufgewertet werden. Hierzu bedarf es umfangreicher Investitionen. Da aber die sozialisierten Wohnungsunternehmen künftig als Anstalt öffentlichen Rechts firmieren sollen, werden Mieter ein starkes Mitspracherecht bei allen Unternehmensentscheidungen haben. Eine Überwälzung der Kosten dürfte daher sehr schwierig werden. Insgesamt ist damit von einer abnehmenden Qualität der Bestände auszugehen, die schnell zu einer sozialen Segregation der Bestände führt. Heute sind die Bestände der privaten Wohnungsunternehmen sozial durchmischt, bei fallender Qualität ist aber zu erwarten, dass gerade Haushalte mit mittleren und höheren Einkommen Alternativen suchen. So können schnell neue soziale Brennpunkte entstehen. Es darf an dieser Stelle auch daran erinnert werden, dass ein wesentliches Motiv für die Verkäufe kommunaler Wohnungsgesellschaften war, dass die öffentliche Hand die notwendigen Sanierungen nicht übernehmen konnte. Explizit wurde dies als Grund für den Verkauf der LEG genannt aber auch in Bezug auf die Berliner Wohnungsunternehmen ist dies anzunehmen. Insgesamt stellt es sich für die kommunalen Gesellschaften aufgrund teils wechselnder und gegensätzlicher Prioritäten der Gesellschafter als schwierig dar, sowohl den sozialpolitischen Zielen als auch den notwendigen Renditezielen, gerade auch zur Beibehaltung der Investitionsfähigkeit, nachzukommen.25 Im Falle einer gemeinsamen Steuerung von Mietern und Stadt dürfte dies nicht einfacher werden.
2.3 Sozialpolitische Einordnung von möglichen Enteignungen Ein wesentliches Ziel der Enteignung besteht darin, durch den Verzicht auf Mietsteigerungen einkommensschwache Haushalte zu entlasten. Durch unterlassene Mietsteigerungen wird allerdings der Gewinn der Unternehmen geschmälert, was zu geringeren Ausschüttungen an den Gesellschafter, die Stadt, führt. Somit sollte die Maßnahme vor allem einkommensschwachen Haushalten zu Gute kommen, um sie aus sozialpolitischen Erwägungen heraus legitimieren zu können. Ansonsten wären andere Formen von Transfers zielgenauer. Ein probater Ansatz zur Erfassung der Einkommensverhältnisse der Mieter ist die Ermittlung der Nettoäquivalenzeinkommen. Die Nettoäquivalenzeinkommen werden so bestimmt, dass Unterschiede in der Haushaltsgröße derart berücksichtigt werden, dass ein Vergleich über alle Haushalte hinweg möglich wird. Hierzu wird die Summe aller Einkünfte nicht durch die Anzahl der Mitglieder, sondern durch 24 Michael Voigtländer/Pekka Sagner, Mieten, Modernisierung und Mieterstruktur – Vermietergruppen in Großstädten im Vergleich: Eine Analyse auf Basis der Sozio-oekonomischen Panels, No. 11/2019. 25 Michael Voigtländer, Die Privatisierung öffentlicher Wohnungen, in: Wirtschaftsdienst, 11/2007, S. 748–753.
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eine gewichtete Summe der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft geteilt.26, 27 Die Nettoäquivalenzeinkommen werden dann in Relation zum Median-Einkommen gesetzt. Generell gelten Haushalte, deren Einkommen weniger als 60 Prozent des Median-Einkommens beträgt, als armutsgefährdet. Im Folgenden wurden die Nettoäquivalenzeinkommen der Mieter nach Vermietertyp bestimmt und diese ins Verhältnis der Median-Einkommen in den Großstädten mit mehr als 500.000 Einwohnern gesetzt (Abb. 10.1). Mit 16 Prozent liegt der Anteil der armutsgefährdeten Haushalte bei den privaten Eigentümern besonders niedrig. Kommunale Unternehmen weisen mit 27 Prozent dagegen den höchsten Anteil von armutsgefährdeten Haushalten auf, direkt darauf folgen aber bereits die privaten Wohnungsunternehmen mit 26 Prozent. Bezogen auf die übrigen Einkommensgruppen unterscheidet sich die Mieterstruktur zwischen kommunalen und privaten Wohnungsunternehmen aber erheblich. Die Verteilung der Einkommensgruppen ist bei den kommunalen Wohnungsunternehmen deutlich linksschief. Rund 71 Prozent der Haushalte liegen unter dem Median- Einkommen. Andererseits bedeutet dies aber auch, dass fast 30 Prozent über dem Median-Einkommen liegen, 7 Prozent verfügen sogar über ein Einkommen von
Abb. 10.1 Anteile der Mieter und deren Einkommen relativ zum Medianeinkommen. Mittel der Jahre 2015–2017; Großstädte mit mehr als 500.000 Einwohnern; Einteilung nach Vermietern; bedarfsgewichtete (Nettoäquivalenz-)Einkommen der Haushalte; Referenzwert: Medianeinkommen der Haushalte in Großstädten mit mehr als 500.000 Einwohnern. Einkommensangaben beziehen sich im SOEP auf das Vorjahr. (Quelle: SOEP v34; Institut der deutschen Wirtschaft)
Markus M. Grabka/Jan Goebel, Jan, Einkommensverteilung in Deutschland: Realeinkommen sind seit 1991 gestiegen, aber mehr Menschen beziehen Niedrigeinkommen, in: DIW Wochenbericht, 2018. Jg., Nr. 21, S. 449–459. 27 Claudia Kemfert, Das beste Mittel gegen „Energiekriege“ ist die Energiewende, in: DIW Wochenbericht, 2018. Jg., Nr. 21, S. 462. 26
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mehr als 140 Prozent des Medians und gelten damit als wohlhabend. Bei den privaten Unternehmen liegt der Anteil der Haushalte mit einem Einkommen unterhalb des Medians aber nur bei 56 Prozent, 44 Prozent liegen also darüber. 16 Prozent der Mieter verfügen sogar über mehr als 140 Prozent des Medians. Ähnlich groß ist der Anteil der wohlhabenden Mieter bei den Genossenschaften (15 Prozent), bei den privaten Eigentümern liegt der Anteil mit 31 Prozent am höchsten. Sozialpolitik sollte sich an der Bedürftigkeit orientieren.28 Selbst wenn alle Haushalte mit einem unterdurchschnittlichen Einkommen als unterstützungswürdig gelten, was eine sehr weitreichende Annahme darstellt, würden bei einer Enteignung der privaten Wohnungsunternehmen 44 Prozent der Haushalte von unterlassenen Mietsteigerungen profitieren, die keiner Unterstützung bedürfen. Zieht man die Grenze bei 80 Prozent, liegt die Quote sogar bei 57 Prozent.
2.4 Fazit Eine Enteignung stellt einen schwerwiegenden Eingriff in eine marktwirtschaftliche Ordnung dar. Ein solcher Eingriff ist nur dann gerechtfertigt, wenn der gesellschaftliche Nutzen den daraus resultierenden Schaden übertrifft. Dies liegt oft im Fall von Infrastrukturprojekten vor, wenn einzelne Eigentümer beispielsweise den Ausbau von Autobahnen oder Schienen blockieren. Im Fall der Enteignung von Wohnungsunternehmen sind gesellschaftliche Vorteile allerdings kaum zu identifizieren. Die Unternehmen sollen weiter fortgeführt werden, lediglich ihre Mietenpolitik wird sich ändern. Wie andere kommunale Gesellschaften in Berlin werden auch die sozialisierten Unternehmen die Mieten im Wesentlichen konstant halten. Damit entgehen der Stadt Einnahmen, die nicht für Infrastrukturmaßnahmen oder die gezielte Unterstützung von bedürftigen Haushalten zur Verfügung stehen. Von dem Einnahmeverzicht profitieren die Mieter, wobei allerdings ein signifikanter Anteil der Mieter mit seinem Einkommen über dem Durchschnitt liegt und entsprechend keine Unterstützung bräuchte. Führen die niedrigen Mieten aber auf Dauer dazu, dass nicht mehr modernisiert und instandgesetzt werden kann, wendet sich die Maßnahme auch gegen die Mieter. Der gesellschaftliche Schaden ist in jedem Fall gravierend. Das Vertrauen in staatliches Handeln ist ein Eckpfeiler für Investitionen. Wird dieses Vertrauen genommen und müssen die Marktakteure künftig mit Enteignungen rechnen, werden sie weniger investieren. Damit wird der Wirtschaftsstandort geschädigt, der Wohlstand vermindert und damit auf Dauer auch das Potenzial für Umverteilungen verringert. Enteignungen von Wohnungsunternehmen sind entsprechend abzulehnen. Besser wäre es, gezielt einkommensschwache Haushalte zu unterstützen, etwa über das Wohngeld, und die Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau zu verbessern, um über eine Angebotssteigerung das Mietpreisniveau zu reduzieren. Essentiell hierfür ist vor allem eine Baulandausweisung.
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Johann Eekhoff, Beschäftigung und soziale Sicherung, 2008.
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Immobilienfinanzierung und Finanzmarktstabilität Oliver Lerbs
1 Einleitung Der Erwerb eines Eigenheims ist die finanziell anspruchsvollste und folgenreichste Entscheidung im Leben der meisten Bürgerinnen und Bürger. Der Kaufpreis einer Immobilie übersteigt das verfügbare Eigenkapital in der Regel um ein Vielfaches. Zur Finanzierung ist deshalb die Aufnahme eines oder mehrerer Hypothekendarlehen erforderlich. Die daraus resultierenden finanziellen Verpflichtungen bestehen über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten fort. Während dieser Zeit muss das Haushaltseinkommen hoch genug sein, um die Kreditraten bedienen zu können und trotzdem genügend Geld „zum Leben“ zu haben. Einkommen und Vermögen sind jedoch in einer Marktwirtschaft ungleichmäßig verteilt, sodass nicht jeder Haushalt der finanziellen Belastung des Wohneigentumserwerbs gewachsen ist. Werden Immobilienkredite auf breiter Front zu leichtfertig vergeben, können finanzierende Banken in Schieflage geraten und die Finanzmarktstabilität gefährdet sein. Finanzielle Erschwinglichkeit von Wohneigentum für breite Schichten der Bevölkerung ist ein gesellschaftliches Ziel, das mit dem ökonomischen Ziel stabiler Finanzmärkte also in Spannung stehen kann. Nichtsdestotrotz darf der finanzielle Zugang zu Wohneigentum nicht über Gebühr eingeschränkt oder sogar verhindert werden. Wohneigentum ist ein Grundpfeiler jeder auf Privateigentum, Freiheit und Selbstverantwortung fußenden Gesellschaftsordnung und somit eine wertvolle Institution. Umfragen zeigen, dass sich eine Mehrzahl der Deutschen wünscht, in der eigenen Immobilie zu leben. Insbesondere Ein- und Zweifamilienhäuser stehen hoch im Kurs. Daran gemessen, erscheint die hiesige Wohneigentumsquote mit ca.
O. Lerbs (*) Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW, Dortmund, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 O. Depenheuer et al. (Hrsg.), Wohneigentum für breite Schichten der Bevölkerung, Bibliothek des Eigentums 18, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61287-3_11
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45 % (zu) niedrig. Auch hierzulande ist das Eigenheim ein zentrales Element der Vermögensbildung und Sicherung des Lebensstandards im Alter.1 Eine gute Wirtschaftspolitik muss darauf hinwirken, die Rahmenbedingungen für die Wohneigentumsbildung einkommens- und vermögensschwächerer Bevölkerungsgruppen zu verbessern, ohne dabei die Stabilität des Finanzsystems zu gefährden. Genau an dieser Zielsetzung setzt dieser Beitrag an: Er unterbreitet konkrete Vorschläge, wie die finanzielle Erschwinglichkeit von Wohneigentum innerhalb des bestehenden, stabilitätsorientierten Rahmens der deutschen Immobilienfinanzierung verbessert werden kann.
2 Z usammenhang zwischen Immobilienfinanzierung und Finanzmarktstabilität 2.1 Was ist Finanzmarktstabilität? Zunächst erscheint eine genauere Bestimmung des Begriffs „Finanzmarktstabilität“ hilfreich. Die Deutsche Bundesbank definiert Finanzmarktstabilität als die Fähigkeit des Finanzsystems, Angebot und Nachfrage für Finanzmittel jederzeit zusammenzubringen und gleichzeitig eine leistungsfähige Finanzinfrastruktur bereitzustellen (Deutsche Bundesbank 2018a). Der Begriff „Finanzsystem“ umfasst dabei zum einen die Gesamtheit der Banken, Zentralbanken und weiteren Organisationen der Finanzwirtschaft, zum anderen die Gesamtheit der Märkte, auf denen diese Akteure interagieren (z. B. Interbankengeldmarkt). Mit „Finanzinfrastruktur“ sind dagegen die rechtlichen Bestimmungen und Technologien gemeint, mithilfe derer Verbraucher, Unternehmen und Finanzinstitute Zugang zu Geld, Kredit und weiteren Finanzierungsformen bekommen. Finanzmarktstabilität nach der obigen Definition erfordert ein stabiles Vertrauen aller Beteiligten in die wirtschaftliche Gesundheit und jederzeitige Zahlungsfähigkeit systemrelevanter Finanzinstitute. Wenn Kredite notleidend werden, es zu rapiden Kursverlusten bei Vermögenswerten kommt und Preise für komplexere Finanzprodukte nicht gefunden werden können, kann dieses essenziell wichtige Vertrauen plötzlich verloren gehen. Da die Finanzwirtschaft engmaschig verflochten ist, breiten sich finanzielle Probleme einzelner Institute in einem solchen Szenario schnell in das gesamte Finanzsystem aus.2 Im negativen Extremfall entsteht eine Finanzkrise: das Finanzsystem funktioniert nicht mehr. 1 Wissenschaftliche Studien belegen, dass Wohneigentümer im Alter vermögender sind als vergleichbare Mieter. Ursache sind höhere Sparanstrengungen für den Erwerb und die Abbezahlung des Eigenheims (Di et al. 2007; Sodini et al. 2016). Dies gilt gerade auch für Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen (Turner und Luea 2009). Über die individuellen Vorteile hinaus werden soziale Vorzüge der Wohneigentumsbildung, z. B. in Bezug auf die Stabilität von Wohnquartieren betont (Dietz und Haurin 2003; Rohe und Lindblad 2013). 2 Ein Lehrbeispiel für eine solche Kettenreaktion ist das frühe Stadium der globalen Finanzkrise im
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2.2 W arum kann die Immobilienfinanzierung die Finanzmarktstabilität gefährden? Die jüngste weltweite Finanzkrise nahm ihren Ursprung bekanntlich am US- amerikanischen Markt für Wohneigentumsfinanzierungen. Es gehört zu den wichtigsten Lehren der Krise, dass eine rapide Ausweitung der Kreditvergabe am Hypothekenmarkt, gepaart mit einem schwachen Risikobewusstsein, den Grundstein für eine schwere volkswirtschaftliche Fehlentwicklung legen kann. Bereits frühere Finanzkrisen ließen sich oft zu den Immobilienfinanzierungsmärkten zurückverfolgen (Janssen 2012). Aus gutem Grund: Wohnimmobilien sind in praktisch allen Ländern der Welt die wichtigste Geldanlage für Privathaushalte, spiegelbildlich sind Hypothekenkredite die mit Abstand bedeutsamste Verschuldungsart. In Deutschland entfallen fast drei Viertel der Gesamtverschuldung der Privathaushalte auf entsprechende Darlehen (Sachverständigenrat 2018). Die rein quantitative Bedeutung der Hypothekenmärkte für die Volkswirtschaft ist somit offenkundig. Zudem neigen die Immobilien- und Hypothekenmärkte zu zyklischen Entwicklungen. Dazu tragen die lange Produktions- und Lebensdauer von Immobilien, hohe Fremdfinanzierungsquoten und bisweilen überoptimistische Erwartungen von Investoren und Banken bei (Jordà et al. 2015). Weltweit wird der Markt für Wohneigentumsfinanzierungen traditionell von klassischen Bankdarlehen dominiert. Sowohl für die Banken als auch für die Wohnungskäufer weisen diese Darlehen eine ganze Reihe von Risiken auf, mit denen einzel- und volkswirtschaftlich umgegangen werden muss. Aus Bankenperspektive sind die wichtigsten Risiken die Zahlungsunfähigkeit des Käufers, ein dauerhafter Wertverlust der finanzierten Immobilie (die in der Regel zur Absicherung des Darlehens verwendet wird) und das Zinsänderungsrisiko.3 Der Verbraucher trägt als Gegenpartei das Risiko, die Immobilie zwangsverkaufen und unter Umständen sogar aus dem übrigen Vermögen Kapital nachschießen zu müssen, wenn er den vertraglich vereinbarten Zins- und Tilgungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen kann. Wie die US-Immobilienkrise eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat, lassen sich die oben genannten Risiken auf verschiedene Weise strukturieren und innerhalb der Wirtschaft verteilen, unter dem Strich aber nicht eliminieren. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Entwicklung der konkreten Konditionen, an die die Banken eine Vergabe von Hypothekendarlehen knüpfen. Zu diesen Konditionen gehören vor allem Anforderungen an das EinkomJahr 2008. Unmittelbar nach dem Bekanntwerden des Bankrotts der Investmentbank Lehman Brothers gerieten weltweit andere Finanzinstitute massiv unter Druck und mussten durch öffentliche Gelder gerettet werden. 3 Wird der Sollzins des Darlehens zum Zeitpunkt der Finanzierung vertraglich über mehrere Jahre festgeschrieben (wie in Deutschland üblich), so können steigende Marktzinsen die Ertragslage der Banken erheblich belasten.
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men und Vermögen der Kreditnehmer und an die Werthaltigkeit der finanzierten Objekte. Im Kern münden diese Anforderungen in eine maximale Fremdkapitalquote zum Zeitpunkt der Finanzierung (Loan-to-value ratio, LTV) sowie in eine maximale Belastung des laufenden Einkommens innerhalb der Kreditlaufzeit (Debt-Service-to-Income-Ratio, DSTI). Werden diese Konditionen auf breiter Front aufgeweicht, nehmen die Ausfallrisiken im Finanzsystem stetig zu: Haushalte, die immer schon Wohneigentum bilden wollten, es bislang aufgrund ihrer Einkommens- und Vermögenssituation aber nicht konnten, kommen verstärkt zum Zug. Bei den Banken tritt das Risikomanagement hinter die Jagd nach Erträgen zurück, eine Spirale aus Preisanstiegen und Kreditwachstum wird in Gang gesetzt.4 Eng verknüpft mit dem Themenbereich Vergabestandards und Risikomanagement ist das Thema Haftung: Im Gegensatz zum deutschen System galten zumindest in einigen US-Bundesstaaten sowohl für Hauskäufer als auch für die finanzierenden Banken höchst problematische Haftungsregelungen. So war es vereinzelt möglich, im Fall der Zahlungsunfähigkeit ohne Regressansprüche vom Kreditvertrag zurückzutreten. Banken ließen derweil vergebene Kredite nicht als Vermögenstitel in ihren Bilanzen stehen, sondern verteilten sie über speziell zu diesem Zweck geschaffene Verbriefungsgesellschaften als komplexe Wertpapiere an institutionelle Investoren. Entsprechend waren kaum Anreize vorhanden, mögliche Risiken bei der Kreditvergabe sorgfältig zu kontrollieren. Diese folgenschwere Fehlentwicklung am amerikanischen Hypothekenmarkt war letztlich auch eine Folge politischer Experimente. Sowohl demokratische als auch republikanische US-Regierungen hatten sich in den Jahren vor der Krise zum Ziel gesetzt, die Wohneigentumsquote unter Bevölkerungsgruppen mit niedrigem Einkommen und Vermögen – darunter vor allem ethnische Minderheiten, die aufgrund geringer Bonitätseinstufung keine oder nur sehr kleinvolumige Kredite erhalten hatten – deutlich zu steigern (Goodman und Mayer 2018).5 Dieses Experiment muss heute als gescheitert gelten: Nach einem zwischenzeitlichen Hoch kurz vor der Finanzkrise liegt die Wohneigentumsquote in den USA heute wieder auf dem Niveau von 1995.
4 Zu Recht werden die im Vorfeld der Finanzkrise vielfach vergebenen „Subprime-“ oder auch „NINJA-Kredite“ (No Income, No Job or Assets) für die Kernschmelze am US-Wohnimmobilienmarkt verantwortlich gemacht. 5 In den Amtszeiten der Regierungen Clinton und G.W. Bush wurden diverse politische Anstrengungen unternommen, die zu einer Erhöhung der Wohneigentumsquote in bislang unterrepräsentierten Gruppen beitragen sollten. Im Jahr 1995 wurde unter Präsident Clinton die Nationale Wohneigentums-Strategie verabschiedet, ein 100-Punkte-Plan mit dem Ziel, die Wohneigentumsquote in den USA bis zum Ende des Jahrhunderts auf ein historisches Hoch zu befördern. Präsident G.W. Bush unterzeichnete im Jahr 2003 die sog. „American Dream Downpayment Initiative“, die es Erstwohneigentümern erleichtern sollte, ausreichend Eigenkapital für einen Hauskauf zu erlangen.
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3 Immobilienfinanzierung in Deutschland: Stabilitätsorientiert, aber selektiv 3.1 Finanzierungspraxis bei selbstgenutztem Wohneigentum Das Immobilienfinanzierungsgeschäft deutscher Banken unterscheidet sich in wesentlichen Punkten vom eher schwach regulierten Geschäftsmodell des „originate and distribute“ vieler US-amerikanischer Banken im Vorfeld der Finanzkrise (Voigtländer 2014). Hypothekendarlehen an Privathaushalte werden überwiegend von lokalen Sparkassen und Genossenschaftsbanken sowie Privatbanken vergeben und unterliegen besonderen Regularien. Die Kreditvergabestandards sind traditionell konservativ: die Anforderungen an Einkommen und Eigenkapital sind im internationalen Vergleich hoch, eine Aufstockung der Kreditsumme bei Marktwertsteigerungen der Immobilie ist im Regelfall nicht möglich. Trotz des mehrjährigen Preisaufschwungs sind die Anforderungen deutscher Banken heute sogar ähnlich streng wie noch 2010, dem Jahr des Beginns des deutschen Immobilienbooms (Sachverständigenrat 2018). Der regulatorische Rahmen der Wohnimmobilienfinanzierung setzt dem Einsatz von Fremdkapital in Deutschland Grenzen. Zwar können Banken innerhalb des regulatorischen Rahmens frei über die Gestaltung und Kalkulation von Immobiliendarlehen entscheiden. Ihre Kostenstrukturen setzen den Banken jedoch einen wirtschaftlichen Anreiz, vergebene Hypothekenkredite in Form liquider und kostengünstiger Hypothekenpfandbriefe zu refinanzieren. Diese Pfandbriefe sind gesetzlich reguliert: gemäß Pfandbriefgesetz (PfandBG) dürfen Immobiliendarlehen nur bis zu einer Höhe von 60 % des sog. Beleihungswerts der finanzierten Immobilie zur Deckung von Pfandbriefen genutzt werden.6 Der Beleihungswert muss nach Beleihungswertermittlungsverordnung (BelWertV) gutachterlich ermittelt werden. Er liegt in der Regel deutlich unterhalb des Marktwerts.7 Da die Bank die übrige Darlehenssumme über Einlagen oder unbesicherte Schuldverschreibungen refinanzieren muss, begrenzen PfandBG und BelWertV von Vornherein die für Banken rentablen Fremdkapitalquoten (LTV). Entsprechend besteht ein starker Anreiz, strenge Anforderungen an die Bonität der Kreditnehmer und Qualität der finanzierten Objekte zu stellen. Typische Kreditform bei privaten Immobilienfinanzierungen ist, wie in anderen Ländern auch, das Annuitätendarlehen. Diese Darlehensform zeichnet sich durch konstante Rückzahlungsraten während der Laufzeit aus. Diese setzen sich zu Anfang überwiegend aus Zins-, später dann überwiegend aus Tilgungszahlungen z usammen. 6 Die Pfandbriefe selbst verbleiben dabei auf der Bankbilanz: Die Banken sind somit direkt dem Haftungsprinzip ausgesetzt und müssen sorgfältig die Ertragschancen jedes zusätzlich an Kredit vergebenen Euros gegen mögliche Verlustrisiken abwägen. 7 Der Beleihungswert ist in § 3 Abs. 1 BelWertV definiert als „Wert der Immobilie, der erfahrungsgemäß unabhängig von vorübergehenden, etwa konjunkturell bedingten Wertschwankungen am maßgeblichen Grundstücksmarkt und unter Ausschaltung von spekulativen Elementen während der gesamten Dauer der Beleihung bei einer Veräußerung voraussichtlich erzielt werden kann“.
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Annuitätendarlehen lassen sich vor allem durch den Fremdkapitalanteil zu Finanzierungsbeginn, den Sollzins, die Länge der Zinsbindung sowie die vereinbarte anfängliche Tilgung charakterisieren (Lerbs und Voigtländer 2018). Aus der anfänglichen Höhe des Kredits, dem Sollzins und der anfänglichen Tilgung lässt sich ein vollständiger Tilgungsplan aufstellen, der die monatlich zu erbringenden Zins- und Tilgungsleistungen sowie die Laufzeit des Darlehens bis zur vollständigen Tilgung enthält. Bei gegebenem Einkommen und Immobilienpreis ist die finanzielle Belastung für den Kreditnehmer umso höher, je höher die Fremdkapitalquote, der Sollzins und die Anfangstilgung sind.8 Bei gegebenen Kreditkonditionen ist die Belastung umso größer, je höher der Immobilienpreis relativ zum verfügbaren Einkommen ist. Die Banken müssen folgerichtig darauf achten, dass ausreichend Eigenkapital in die Finanzierung eingebracht wird und die Summe aus Zins und Tilgung einen bestimmten Bruchteil des monatlichen Einkommens nicht überschreitet. Üblich sind eine Eigenkapitalanforderung in Höhe von 20–30 % des Kaufpreises (ohne Nebenkosten) und eine maximale laufende Belastung von 30–40 % des Einkommens. Diese Einkommensbelastungsgrenze ist sinnvoll, damit der Kreditnehmer ungeplante Einkommenssenkungen ohne drastische Einschränkungen beim Konsum abfedern kann, zumal in Deutschland lange Zinsbindungen vorherrschend sind und damit eine gute Planbarkeit der finanziellen Belastungen vorliegt. Genauere Einblicke in die Fremdkapitalquoten zum Zeitpunkt des Kaufs und die Einkommensbelastungen bietet das relativ neue Panel für Finanzen privater Haushalte der Bundesbank.9 Nach einer Analyse von Lerbs und Voigtländer (2018) liegt die durchschnittliche Fremdkapitalquote aller Wohneigentümer mit Hypothekendarlehen nach dem letzten Datenstand in Deutschland bei 73 % (gleichbedeutend mit einer Eigenkapitalanforderung von 27 %). Gleichzeitig lag die anfängliche Fremdkapitalquote bei etwa einem Fünftel aller Haushalte bei 90 % oder darüber, was bereits als hohe Fremdkapitalquote gelten kann. Derart hohe Fremdkapitalquoten entfielen allerdings überwiegend auf Haushalte, die über ein hohes Einkommen verfügten und/oder Immobilien mit vergleichsweise niedrigen Kaufpreisen erwarben. Diese Haushalte haben eine eher geringe finanzielle Belastung aus Zins und Tilgung relativ zum laufenden Einkommen: weniger als die Hälfte der relevanten Haushalte wendet demnach mehr als 30 % des Einkommens für die Kreditrate auf.
3.2 H ürden für einkommens- und vermögensschwächere Haushalte Es wurde herausgearbeitet, dass die finanzielle Erschwinglichkeit einer selbst genutzten Wohnimmobilie in Deutschland besonders vom Kaufpreis, dem verfügbaren Einkommen, dem verfügbaren Eigenkapital und den Zinskonditionen Bei höherem Zins und anfänglicher Tilgung ist das Darlehen allerdings schneller getilgt. Das PHF ist Teil der europaweiten Eurosystem Household Finance and Consumption Survey (HFCS). 8 9
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bestimmt wird. Zwar gibt es weder einen gesetzlich vorgeschrieben Eigenkapitalanteil noch einen vorgeschriebenen Anteil des Einkommens, den ein Immobilienkäufer höchstens für die laufende Kreditrate aufwenden darf. Jedoch entscheiden die Banken, bis zu welcher Höhe dieser beiden Größen sie einen Kredit gerade noch vergeben. Wenn ein Haushalt Wohneigentum erwerben möchte, benötigt er somit im deutschen System eine Mindestausstattung an Einkommen und angespartem Finanzvermögen. Die von Banken typischerweise geforderte Mindestausstattung wird dabei umso größer sein, je teuer die Immobilie ist (z. B. in einer Großstadt). Insbesondere die Höhe des laufenden Einkommens ist in Deutschland ein zen traler Faktor bei der Frage, Wohneigentum zu besitzen oder zur Miete zu wohnen. Repräsentative Bevölkerungsbefragungen zeigen verlässlich, dass die Chance auf Wohneigentum mit steigendem Haushaltseinkommen deutlich zunimmt. Abb. 11.1 verdeutlicht, dass dieser fundamentale Zusammenhang in den letzten Jahren kaum an Stärke verloren hat. Zunächst fällt auf, dass Haushalte mit vergleichsweise niedrigem Nettomonatseinkommen (unter 2000 Euro) nur sehr selten Wohneigentümer sind. Vier von fünf Haushalten innerhalb dieser Einkommensgruppe wohnen zur Miete. Außerdem wird deutlich, dass im Bereich mittlerer Einkommen (2000 bis 5000 Euro) jede Einkommenssteigerung mit einer recht deutlichen Steigerung der Wohneigentumsquote einhergeht. Ein Nettomonatseinkommen von 2000 Euro kennzeichnet also offenbar eine „Schwelle“, ab deren Überschreitung der Einstieg ins Wohneigentum stetig leichter fällt. Dies ist finanzierungsseitig gut zu erklären. Ein Zahlenbeispiel: erwirbt ein Haushalt mit einem Nettoeinkommen von 2000 Euro eine Immobilie für 300.000 Euro und bringt 100.000 Euro Eigenkapital in die
Zusammenhang zwischen Wohneigentum und Haushaltseinkommen Anteil der Wohneigentümer
2008
2013
2018
90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%
unter 900€
900-1300€
1300-1500€ 1500-2000€ 2000-2600€ 2600-3600€ 3600-5000€ 5000-18000€
Haushaltseinkommen im Monat (netto) Abb. 11.1 Zusammenhang zwischen Wohneigentum und Haushaltseinkommen in Deutschland. (Quelle: Darstellung des Autors auf Basis verschiedener Wellen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS))
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Finanzierung ein, beträgt die monatliche Rate bei einem Standarddarlehen10 derzeit etwa 750 Euro und damit 37,5 % des Einkommens. Bei stabilem Einkommen akzeptieren viele Banken dies gerade noch. Auffällig ist zu guter Letzt eine erkennbare Verlagerung des Zusammenhangs zwischen Wohneigentum und Einkommen nach unten. In allen betrachteten Einkommensklassen war der Anteil der Wohneigentümer im Jahr 2018 geringer (!) als zehn Jahre zuvor. Während 2010 noch ab einem Nettoeinkommen über 2000 Euro mehr als die Hälfte der Haushalte im Wohneigentum lebten, lag dieser Grenzwert im Jahr 2018 bereits bei 2600 Euro – neben anderen Faktoren eine direkte Folge des anhaltenden Preisbooms am Immobilienmarkt. Gegen die besondere Betonung des Einkommens könnte eingewandt werden, dass in Wirklichkeit nicht das Einkommen, sondern das Alter des Haushaltsvorstands der entscheidende Faktor für Wohneigentum sei. Ähnliche Argumente ließen sich auch für den Familienstand oder den Bildungsgrad vorbringen. Dieser Einwand erweist sich aber als unbegründet. Empirische Untersuchungen belegen, dass sich das Einkommen selbst dann als besonders kritische Variable erweist, auch wenn all diese Einflussfaktoren gleichzeitig berücksichtigt werden. Hervorzuheben ist in diesem Kontext auch die Bedeutung der Region, in der ein Haushalt lebt. Je höher die örtlichen Kaufpreise für Immobilien im Verhältnis zu den Haushaltseinkommen sind, desto schwieriger wird der Wohneigentumserwerb aus finanzieller Sicht. Höhere Kaufpreise bewirken, dass entweder die Einkommens- oder die Vermögensrestriktion „bindend“ wird: Ein einkommens- und vermögensschwächerer Haushalt kann sich eine ortstypische Immobilie nicht mehr leisten, da er entweder einen höheren Anteil seines Einkommens zur Bedienung des Kredits aufwenden müsste (was die Bank ihm verwehrt) oder mehr Eigenkapital in die Finanzierung einbringen müsste (welches er nicht hat). Die Bezeichnung „einkommens- und vermögensschwach“ ist also immer relativ zu betrachten: Wer in München lebt, verdient im Schnitt mehr und hat mehr Eigenkapital als Haushalte in den meisten anderen Regionen. Dies hilft jedoch wenig, da die Immobilienpreise in München gleich um ein Vielfaches höher sind: die finanzielle Erschwinglichkeit von Wohneigentum ist somit geringer. Dass regionale Unterschiede im Verhältnis von Kaufpreisen zu verfügbaren Einkommen eine wichtige Rolle für die Wohneigentumsbildung in Deutschland spielen, weisen Lerbs und Oberst (2014) in einer Studie nach. Demnach geht jede um ein verfügbares Jahreseinkommen höhere Preis-Einkommensrelation mit einer um zwei Prozentpunkte niedrigeren regionalen Wohneigentumsquote einher.
Annahmen: Kaufpreis der Immobilie 300.000 Euro, Darlehensbetrag 200.000 Euro, Sollzins 2 %, anfänglicher Tilgungssatz 2,5 %, Laufzeit (unter Annahme eines konstanten Sollzinses) knapp 30 Jahre.
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3.3 W ie kann finanzierungsseitig Wohneigentum für breite Schichten entstehen, ohne die Finanzmarktstabilität zu gefährden? Um nachhaltig erfolgreich zu sein, sollte eine wirtschaftspolitische Stärkung der finanziellen Erschwinglichkeit von selbst genutztem Wohneigentum die Eigentumsbildung als Prozess betrachten. Dieser Prozess beginnt typischerweise bei der Ansparphase (dem Aufbau des für den Zugang zum Kreditmarkt in der Regel notwendigen Eigenkapitals), geht mit der Erwerbsphase weiter (Kreditaufnahme und Kauf der Immobilie, einschließlich der Erwerbsnebenkosten) und mündet schließlich in die Tilgungsphase (Rückführung der aufgenommenen Fremdfinanzierungsmittel einschließlich Zinsen). Konzentriert sich die Wirtschaftspolitik lediglich auf eine oder zwei Phasen dieses Prozesses, so läuft sie Gefahr, unbefriedigende Ergebnisse zu erzielen. Eine Steigerung der reinen Anzahl an Kreditnehmern, ohne deren ökonomische Fähigkeit zur Kreditbedienung nachhaltig zu gewährleisten (wie in den USA im Vorfeld der Krise geschehen), würde gar auf lange Sicht die Finanzstabilität gefährden. 3.3.1 Abbau finanzieller Hemmnisse in der Ansparphase Eigenkapitalaufbau fördern Das Ansparen von Eigenkapital für den Erwerb einer selbst genutzten Immobilie wird heute bereits über verschiedene Wege staatlich gefördert. Zu nennen sind hier vor allem die Wohnungsbauprämie sowie staatliche Zuschüsse zu Sparleistungen im Rahmen der kapitalgedeckten Altersvorsorge (sog. Eigenheimrente oder „Wohn-Riester“). Beide Instrumente zielen besonders auf die Förderung einkommens- und vermögensschwächerer Haushalte ab. Es ist jedoch fraglich, ob die In strumente in ihrer jetzigen Ausgestaltung effektiv und effizient zu einer Steigerung der finanziellen Erschwinglichkeit beitragen. Insbesondere haben sich die staatlichen Ausgaben für die Wohnungsbauprämie innerhalb der letzten zehn Jahre mehr als halbiert. Eine denkbare Option wäre, die Wohnungsbauprämie abzuschaffen und die frei werdenden Mittel für die Förderung von Wohneigentum im Rahmen der kapitalgedeckten Altersvorsorge zur Verfügung zu stellen. Die Bekanntheit der Eigenheimrente innerhalb des Riester-Systems müsste zudem deutlich gesteigert werden. 3.3.2 Abbau finanzieller Hemmnisse in der Erwerbsphase Senkung der Eigenkapitalanforderungen: keine gute Option Eine faktische Absenkung der Eigenkapitalanforderungen, z. B. durch eine Reform von Pfandbriefgesetz und Beleihungswertverordnung in Richtung schwächerer Grenzwerte, hätte zwar kurzfristig positive Effekte auf die Wohneigentumsbildung.
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Aufgrund der nachweislich positiven Wirkungen einer Eigenkapitalausstattung auf die Selektion „guter“ Kreditnehmer seitens der Banken und damit der ins Finanzsystem gelangenden Risiken würde dieser Weg jedoch auf lange Sicht keine gute Alternative darstellen. Wie bereits beschrieben wurde, können Immobilienkäufer in Deutschland bereits heute hohe Fremdkapitalquoten mit den Banken vereinbaren, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Gleichzeitig sollten die bereits strengen Anforderungen nicht weiter verschärft werden. Erwerbsnebenkosten senken Hohe Kaufpreise sind ein entscheidender Faktor für die vielerorts fehlende finanzielle Erschwinglichkeit von Wohneigentum. Auf die Entwicklung der Immobilienpreise kann die Wirtschaftspolitik jedoch nur indirekt und langfristig Einfluss nehmen, etwa indem sie zu einer Ausweitung des Immobilienangebots beiträgt. Die Erschwinglichkeit von Wohneigentum wird jedoch auch durch hohe Erwerbsnebenkosten behindert, auf die der Staat direkten und kurzfristig spürbaren Einfluss hat. Die Erwerbsnebenkosten beim Immobilienkauf liegen in Deutschland mit 10–15 % des Kaufpreises heute im oberen Mittelfeld der Industrieländer. Zu ihnen zählen die Grunderwerbsteuer, öffentliche Verwaltungsgebühren (Grundbuch, Notar) sowie privatrechtliche Entgelte (Kreditnebenkosten und Maklerprovisionen).11 Vor allem die Grunderwerbsteuer hat sich in den letzten Jahren zu einem bedeutsamen Kostenfaktor für Eigentumserwerber entwickelt. Seit die Kompetenz für die Festlegung des Steuersatzes im Rahmen der Föderalismusreform 2006 vom Bund auf die Länder übergegangen ist, ist der Steuersatz in zahlreichen Bundesländern mehrfach angehoben worden. Während zuvor bundeseinheitlich 3,5 % des Kaufpreises als Grunderwerbsteuer zu entrichten waren, liegt der Steuersatz inzwischen in fast allen Bundesländern darüber. In vielen bevölkerungsreichen Ländern, darunter Nordrhein-Westfalen, liegt er derzeit bei 6,5 %. Zum Vergleich: in den USA liegt der durchschnittliche Steuersatz bei gerade einmal 0,33 %. Viele Bundesstaaten verzichten sogar komplett auf die Erhebung einer Grunderwerbsteuer (Kaas et al. 2019). Für Haushalte, die Wohneigentum erwerben möchten, hat eine hohe Grunderwerbsteuer sehr negative Folgen. Zwar ist umstritten, ob am Ende überwiegend Käufer oder Verkäufer die Steuerlast tragen. Eindeutig ist aber, dass Steuererhöhungen massive Antizipationseffekte und vor allem deutlich weniger Transaktionen zur Folge haben (Fritzsche und Vandrei 2019). Man spricht vom sog. „Lock-in-Effekt“: Haushalte, die Wohneigentum erwerben möchten, schieben den Kauf aufgrund der höheren finanziellen Belastung auf oder verzichten sogar ganz. Diese Problematik könnte z. B. durch eine Einführung von Freibeträgen für Ersterwerber gelöst werden. Dies wird derzeit politisch diskutiert, ist aber noch nicht umgesetzt worden.
Sämtliche Nebenkostenarten erhöhen sich i. d. R. proportional zum Nettokaufpreis. Banken können die Erwerbsnebenkosten bei ihrer Kreditangebotskalkulation berücksichtigen, finanzieren diese aber oftmals nicht mit. Die Kosten müssen dann vollständig aus Eigenmitteln getragen werden.
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3.3.3 Abbau finanzieller Hemmnisse in der Tilgungsphase Fremdkapitalzinsen innerhalb bestimmter Einkommensgrenzen abzugsfähig machen Fremdkapitalzinsen auf Hypothekendarlehen sind für Privathaushalte in vielen Ländern bis zu bestimmten Einkommensgrenzen einkommenssteuerrechtlich abzugsfähig. Dies gilt zumeist, obwohl die „Einkünfte“ aus der eigenen Immobilie – die eingesparten Mietzahlungen – nicht versteuert werden müssen (sog. „Konsumgutlösung“). Klassische Beispiele sind die USA, die Niederlande sowie die Schweiz.12 Ökonomisch betrachtet, handelt es sich bei der Abzugsfähigkeit von Fremdkapitalzinsen um eine Nachfragesubvention. Diese Subvention kann die finanzielle Erschwinglichkeit von Wohneigentum dauerhaft stärken, sofern sie sich nicht vollständig in steigenden Hauspreisen niederschlägt. Je höher die relevante Einkommensgrenze gesetzt wird und je besser die Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau sind, desto mehr Haushalte können von dieser Subvention profitieren. Zu berücksichtigen ist hier, dass jede finanzielle Förderung der Nachfrage nach Wohneigentum auf Dauer nur dann positive Wirkungen auf die Erschwinglichkeit erzielt, wenn die Angebotsseite des Wohnungsmarkts nicht übermäßig reguliert ist (Bourassa et al. 2013). Empirische Studien deuten jedoch darauf hin, dass die Bautätigkeit für Eigenheime bei steigenden Marktpreisen nur unterproportional zunimmt (Lerbs 2014). Die Einführung einer Abzugsfähigkeit von Fremdkapitalzinsen für einkommens- und vermögensschwächere Wohneigentümer müsste deshalb zwingend mit einer wohnungsbaufreundlicheren Wirtschaftspolitik – bspw. einer flexibleren Bauland- und Genehmigungspolitik seitens der Kommunen – kombiniert werden.
4 Einfluss aktueller Reformprojekte Es gibt zwei aktuelle Reformprojekte, die möglicherweise maßgeblichen Einfluss auf die Wohneigentumsfinanzierung in Deutschland haben werden. Dies sind die makroprudenzielle Regulierung und die Reform des Baseler Vertragswerks zur Bankenaufsicht („Basel III“).
4.1 Makroprudenzielle Regulierung Zu den zentralen Lehren der weltweiten Finanzkrise gehört, dass Risiken für die Finanzmarktstabilität durch traditionelle Geldpolitik – dazu zählt insbesondere der Leitzins – nicht gut gesteuert werden können. Schlimmstenfalls werden diese Risiken sogar durch die Geldpolitik ausgelöst oder verstärkt. Im Ernstfall soll deshalb Eine Reihe weiterer Länder wie etwa Belgien, Dänemark und Schweden gestatten einen Abzug von Hypothekenzinsen in geringem Ausmaß.
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zukünftig die sog. „makroprudenzielle Regulierung“ als zusätzlicher Instrumentenkasten bereitstehen. Zentralbanken und Aufsichtsbehörden sollen Gefahren, die aus einzelnen Bereichen der Wirtschaft heraus für die Finanzmarktstabilität entstehen, durch die makroprudenzielle Regulierung zukünftig frühzeitig adressieren. In vielen europäischen Ländern sind in den letzten Jahren makroprudenzielle Instrumente geschaffen worden, insbesondere in Bezug auf die Wohnimmobilienfinanzierung. Auch in Deutschland wäre es seit 2018 möglich, bei drohenden Gefahren für die Finanzmarktstabilität restriktive Vorgaben für Immobilienfinanzierungen zu machen. Konkret könnte eine maximale Fremdkapitalquote eingeführt oder ein Zeitraum vorgegeben werden, bis zu dem ein bestimmter Anteil eines Immobiliendarlehens spätestens getilgt sein muss. Durch eine tatsächliche Aktivierung dieser makroprudenziellen Instrumente – z. B. einer festen Begrenzung der zulässigen Fremdkapitalquote auf 90 % – würde sich die finanzielle Erschwinglichkeit von Wohneigentum für einkommens- und vermögensschwächere Haushalte weiter verschlechtern. Aufgrund der empirischen Datenlage wären vor allem Haushalte betroffen, bei denen das Kreditrisiko aus Sicht der finanzierenden Banken in der Vergangenheit offenbar als gering eingestuft wurde und die Immobilien mit vergleichsweise geringen Marktwerten erwerben (Lerbs und Voigtländer 2018).
4.2 Basel III Zur Erhaltung und Verbesserung der Finanzmarktstabilität setzen die sog. „Baseler Rahmenvereinbarungen“ weltweit Mindestanforderungen an die Eigenkapitalausstattung von Banken. Als Antwort auf die große Finanzkrise erfolgt derzeit eine stetige Verschärfung dieser Anforderungen. Im Rahmen der offiziell unter dem Begriff „Basel III“ bekannten Reformen ist kürzlich eine Erhöhung der regulatorischen Kapitaluntergrenze vorgestellt worden, die Banken zu erfüllen haben, wenn sie für ihre Kreditrisikomessungen interne Modelle anwenden (sog. „Output Floor“). Der erhöhte Output Floor soll ab 2022 in Kraft treten (Deutsche Bundesbank 2018b). Abweichend von der offiziellen Namensgebung werden die geplanten Vorgaben in der Bankbranche aufgrund ihrer Tragweite als „Basel IV“ bezeichnet. Für die private Immobilienfinanzierung besonders relevant sind die sog. „Risikogewichte“. Diese Gewichte bestimmen, wie viel Eigenkapital eine Bank für bestimmte Arten von Finanzierungen vorhalten muss. Da Eigenkapital teuer ist, schlagen Banken die Kapitalkosten auf die Zinskosten des Kredits auf. Da eine private Immobilienfinanzierung im Regelfall weniger riskant ist als z. B. die Finanzierung eines Gewerbebetriebs, müssen Banken für Baufinanzierungen bislang vergleichsweise wenig Eigenkapital vorhalten. Durch die Reform des Output Floors würde sich das Risikogewicht für private Immobilienfinanzierungen nach ersten Schätzungen mehr als verdoppeln (Bankenverband 2019). Der Output-Floor würde somit zu einer deutlichen Erhöhung der
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Eigenkapitalanforderungen für das Immobilienfinanzierungsgeschäft führen, obwohl dieses Geschäft vergleichsweise risikoarm ist. Private Haushalte müssten im Endeffekt dann höhere Kreditzinsen zahlen. Da sich jede Änderung des Zinses umso stärker auf die Erschwinglichkeit auswirkt, je niedriger das Zinsniveau bereits ist,13 würde die Erschwinglichkeit von Wohneigentum gerade in einem weiter anhaltenden Niedrigzinsumfeld reduzieren.
5 Fazit Trotz der historisch niedrigen Zinsen ist es um die finanzielle Erschwinglichkeit von Wohneigentum in Deutschland nicht gut bestellt. Vor allem in Städten und Ballungszentren erschweren steigende Kaufpreise einkommens- und vermögensschwächeren Haushalten den Erwerb einer eigenen Immobilie. Dazu trägt auch die traditionell stabilitätsorientierte Praxis der privaten Immobilienfinanzierung in Deutschland bei, die durch vergleichsweise hohe Eigenkapital- und Einkommensanforderungen sowie ein erkennbares Haftungsprinzip geprägt ist. Aus Sicht der Finanzmarktstabilität ist dies zunächst zu begrüßen: die volkswirtschaftlichen Kosten von Finanzkrisen sind vermutlich ungleich höher als der entgangene Nutzen aus Wohneigentum – und zwar selbst dann, wenn Finanzkrisen nur selten auftreten. Die finanzielle Erschwinglichkeit von Wohneigentum darf jedoch nicht über Gebühr behindert werden, um möglichen Finanzmarktrisiken zu begegnen. Ein weitgehender Ausschluss einkommens- und vermögensschwächerer Haushalte vom Wohneigentumsmarkt würde die bereits heute hohe Konzentration von Vermögenswerten in Deutschland weiter verschärfen. Wirtschaftspolitische Instrumente, die die finanzielle Erschwinglichkeit von Wohneigentum steigern würden, ohne die Finanzmarktstabilität zu gefährden, sind vorhanden: eine umfassendere staatliche Förderung des Eigenkapitalaufbaus, eine Senkung der Erwerbsnebenkosten – allen voran der Grunderwerbsteuer – sowie die Einführung einer Abzugsfähigkeit von Darlehenszinsen innerhalb bestimmter Einkommensgrenzen. Diese Instrumente müssen allerdings zwingend von einer Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Neubau und die Bewirtschaftung von Eigenheimen und Eigentumswohnungen begleitet werden. Neue Gefahren für die finanzielle Erschwinglichkeit drohen derzeit durch neue regulatorische Vorgaben für Banken, insbesondere makroprudenzielle Instrumente und Basel III. Hier ist Fingerspitzengefühl notwendig, um ein weiteres Absinken der Wohneigentumsquote zu vermeiden.
Man spricht auch von einem konvexen Zusammenhang zwischen Erschwinglichkeit und Zinshöhe.
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Bedeutung des Wohneigentums für die Altersvorsorge Reiner Braun
1 Was ist Altersvorsorge? Altersvorsorge ist eine langfristige Vermögensanlage, die im Laufe des Erwerbslebens aufgebaut und im Ruhestand aufgegessen wird – ohne vorzeitig zur Neige zu gehen. Will man die Bedeutung des Wohneigentums1 für die Altersvorsorge beurteilen, müssen also mehrere Fragen beantwortet werden: • Wie hoch sollte das Altersvorsorgevermögen sein und welchen Anteil daran kann Wohneigentum beitragen? (Abschn. 3.1); • Ist Wohneigentum als Altersvorsorge effektiv – erreichen Wohneigentümer eher als andere Haushalte das erforderliche Vorsorgevermögen? (Abschn. 3.2); • Ist Wohneigentum als Altersvorsorge effizient – wird also das Langlebigkeitsrisiko abgedeckt und ist Wohneigentum ausreichend liquide? (Abschn. 3.3). • Welche Rolle spielen Erbschaften bei der Altersvorsorge (mit Immobilien)? (Abschn. 3.4). Abschließend wird diskutiert, inwiefern der Staat die Bildung von Wohneigentum und damit die Altersvorsorge erleichtert oder erschwert (Kap. 4). Aber zunächst sollen kurz die Motive der Wohneigentümer diskutiert und dabei soll gefragt werden, ob das Motiv Altersvorsorge beim Erwerb überhaupt eine Rolle spielt (Kap. 2).
Wohneigentum ist im Folgenden immer als „selbst genutztes“ Wohneigentum zu verstehen.
1
R. Braun (*) empirica ag, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 O. Depenheuer et al. (Hrsg.), Wohneigentum für breite Schichten der Bevölkerung, Bibliothek des Eigentums 18, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61287-3_12
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2 Warum wird man Wohneigentümer? Der Erwerb von selbst genutztem Wohneigentum ist die mit Abstand größte Investition, die private Haushalte im Laufe ihres Lebens tätigen – das Volumen umfasst mehrere Jahresnettoeinkommen. Sie ist nur finanzierbar, weil sämtliche liquide Vermögen und oft auch gezielte Zuschüsse der Eltern als Eigenkapital eingesetzt und zudem noch vielfach höhere Baukredite aufgenommen werden. Im Anschluss an den Kauf ist die Haushaltskasse leer und es herrscht oft große Unsicherheit, ob man die richtige Entscheidung getroffen hat: War es richtig, für eine Immobilie und speziell für dieses Objekt in dieser Lage so viel Geld auszugeben? Früher oder später sucht man daher nach Rechtfertigungen gegenüber sich selbst, dem Partner oder etwa Freunden, die ihr Mieterleben preisen, weil sie flexibler sind und mehr Freiheit beim Konsum von Autos, Reisen oder anderen Luxusgütern haben. Der Psychologe spricht von kognitiven Dissonanzen in der Nachkaufphase und beobachtet das Suchen konfirmativer Evidenz. In dieser Situation sucht ein jeder Gründe, die sein Verhalten rechtfertigen – egal wie relevant sie beim Kauf tatsächlich waren. Ein beliebter Rettungsanker ist dabei auch das Thema Altersvorsorge, zumal dem hierzulande kaum einer zu widersprechen wagt, weil es bei den meisten Mitmenschen sofort ein schlechtes Gewissen hervorruft. Aber ist die Altersvorsorge wirklich das Hauptmotiv des Eigentums erwerbs? Eine Befragung von Bewohnern neu gebauter Eigenheime nach dem Motiv des Umzugs (nicht: Motiv des Eigenheimerwerbs) offenbart eine Vielzahl weiterer Gründe: Neben dem intrinsischen Motiv „Wunsch nach Wohneigentum“ oder „Wollte aus Etagenwohnung ins Eigenheim“ stehen dann meist auch sehr handfeste Argumente wie „Wunsch nach größerer Wohnung“ oder „Familienzuwachs“ (vgl. Braun und Grade 2016, Abb. 13, S. 31). Das Hauptmotiv dürfte „Familienzuwachs“ und nicht „Altersvorsorge“ sein Tatsächlich kann seit Jahrzenten beobachtet werden, dass der Erwerb von Wohneigentum Hand in Hand geht mit Heirat und Familiengründung. Spätestens mit dem Familienzuwachs wird die Mietwohnung zu klein bzw. findet man keine passende, bezahlbare und zugleich größere Mietwohnung. Die neue Familiensituation macht die Menschen zudem häuslicher und damit wählerischer, für die Kinder sucht man idealerweise ein Heim mit ebenerdigem Zugang ins Grüne – großer Balkon oder Dachterrasse sind das Minimum. Der Zusammenhang zwischen Familiennachwuchs und Wohneigentum wird auch belegt durch die Entwicklung der Wohneigentumsquote im Lebenszyklus: Zum einen steigt sie in der Familiengründungsphase der 30- bis 44-jährigen Erwachsenen von 10 % auf über 50 % an und zum anderen lebt die Mehrheit der 5-jährigen und älteren Kinder in den eigenen vier Wänden (vgl. Abb. 12.1). Im Ergebnis liegt die Eigentumsquote unter den 40- bis 49-Jährigen bei Paarhaushalten mit Kindern weit über dem Durchschnitt (74 % im Westen/64 % im Osten), dagegen bei gleichaltrigen, aber kinderlosen Alleinlebenden weit darunter (28 % im Westen/20 % im Osten; vgl. Braun und Holler 2016a, Abb. 5, S. 5).
12 Bedeutung des Wohneigentums für die Altersvorsorge
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90% 80%
74% 63%
60% 50% 40%
48%
60% Haushaltsgründung
Anteil Personen
70%
29% 29
30%
38%
48% 44%
5%
Kinder Erwachsene
Haushalte
4% 4 %
79
0%
54%
22%
20% 10%
46%
Altersklasse Abb. 12.1 Haushalts- und Personenbezogene Wohneigentumsquote 2013. (Quelle: Braun und Holler 2016a)
Altersvorsorge wird oft als Grund für den Immobilienerwerb genannt, gleichwohl dürfte das eher einer Selbstbestätigung denn der wahren Motivation geschuldet sein. Aber wie auch immer das Motiv sein mag, solange Wohneigentum gut ist für die Altersvorsorge, solange kann das Erwerbsmotiv gerne (auch) woanders fußen.
3 Taugt Wohneigentum zur Altersvorsorge? Wieviel muss man privat sparen, um im Alter ausreichend versorgt zu sein? Will man diese Frage einfach und überschlägig beantworten, dann kann man sich als Untergrenze ganz grob an den Vorgaben der staatlich geförderten Riester-Rente orientieren. Demnach werden 4 % vom Bruttoeinkommen als Sparquote empfohlen. Unterstellt man eine Verzinsung in der Nähe der jährlichen Einkommenssteigerungen (z. B. 3 %), dann ergibt sich nach 40 Jahren ein Vorsorgevermögen von etwa zwei Jahresbruttoeinkommen.2
2 Exakt läge der Wert bei 1,6 Jahreseinkommen; läge der Zinssatz 2 Punkte höher (niedriger) als die Einkommenssteigerung, läge das Endvermögen bei rund 2,4 (1,1) Jahreseinkommen. Hätte der Gesetzgeber damals schon die heutigen Niedrigzinsen antizipiert, wäre die Sparempfehlung vermutlich eher bei 6 % oder 8 % gelegen, so dass der Wert von 1,1 eher als zu niedrig bezeichnet werden kann und als Referenz für das Vorsorgevermögen demnach eher ein Wert von 2 als von 1 herangezogen werden sollte.
216
R. Braun
Exkurs: Was ist besser zur Erreichung des Soll-Vermögens: Mieten oder Kaufen? Kann ich meine Rendite maximieren, wenn ich Wohneigentum bilde oder stelle ich mich als Mieter besser? Die Antwort hängt von den getroffenen Annahmen ab. In umfangreichen Modellrechnungen schneidet dann mal der Mieter und mal der Selbstnutzer besser ab. Derartige Rechnungen mögen auf den ersten Blick überzeugend erscheinen. Man muss allerdings ihre Relevanz bezweifeln. Es handelt sich um eine aus dem Lebenszusammenhang herausgerissene, rein finanzmathematische Operation. In der Wirklichkeit geht es dagegen um langfristige Lebensplanung und Familiengründung und damit um Fragen des Verhaltens von Haushalten über Jahrzehnte hinweg. Es geht dabei auch um die Frage, wie man im Alter leben will und wie man sich selbst im Vergleich zu anderen darstellen will. In den allermeisten Berechnungen wird eine zunächst identische Eigenkapitalausstattung vorausgesetzt. Im weiteren Zeitablauf spart der Mieterhaushalt dann jeweils die Differenz zwischen den Wohnkosten des Selbstnutzers und seiner eigenen Mietzahlung. Doch schon diese einfachen Annahmen führen in die Irre. Eine identische Kapitalausstattung von Mieter und angehendem Eigentümer trifft nur in wenigen Fällen zu – etwa wenn dieses Kapital dem einzelnen Haushalt durch eine Erbschaft oder einen Lotteriegewinn in den Schoß fällt. In der Realität entsteht Eigenkapital aber noch immer durch Konsumverzicht im Vorfeld des Erwerbs sowie durch Tilgung von Baukrediten nach dem Erwerb. Deswegen führt bereits die Frage nach der Rendite in die Irre. Entscheidend für die Altersvorsorge ist nämlich weniger die Verzinsung der Ersparnisse, sondern vielmehr deren Höhe. Eine Rendite von 10 % klingt gut, spart man aber nur einen Euro ist das Ergebnis für die Vermögensbilanz trotzdem mager. Wieviel Vermögen Wohneigentümer im Vergleich zu Mietern anhäufen und wie effizient dies vonstattengeht, ist Thema des nächsten Abschnitts.
3.1 Ist Wohneigentum als Altersvorsorge effektiv? Empirische Studien für Deutschland zeigen, dass Haushalte am Vorabend des Ruhestandes (55 bis 59 Jahre) abzüglich ausstehender Kredite ein Gesamtvermögen von rund 165 TEUR besitzen, wenn sie Eigentümer sind, aber nur knapp 30 TEUR als Mieter (vgl. Abb. 12.2). Umgerechnet auf Jahreseinkommen3 hat der Eigentümer damit ein Vorsorgevermögen von mehr als 6,9 Jahreseinkommen (ohne Geldvermögen 5,0), während die Vorsorge des Mieters sich auf nur 1,2 Jahreseinkommen beschränkt (ohne Geldvermögen 0,3). Der Eigentümer hätte demnach seine Soll-Vorsorge mehr als erfüllt, wohingegen der Mieter nicht einmal das Minimum erreicht. 3 Bei einem mittleren Nettoeinkommen von 2000 EUR/Monat ergibt sich ein Jahresnettoeinkommen von 24.000 TEUR; da das hier betrachtete Immobilienvermögen nicht mehr besteuert wird, muss im Gegensatz zur Riester-Rente das Vermögen in Relation zum Nettoeinkommen betrachtet werden.
12 Bedeutung des Wohneigentums für die Altersvorsorge
217
250
Vermögen in Tsd. Euro
200 150
168
100 50 0
152
108 2
2
8 2 24 -1 -4
8 1 26 -2 -3
37 -28 -3
-50 Mieter
Eigentümer
Mieter
Ost (ohne Berlin)
49
-32 -2
Eigentümer
West (ohne Berlin)
2
7 1 26 -1 -3
45 -31 -2
Mieter
Eigentümer
Deutschland
Geldvermögen ohne RRV
RRV (Riester-/Rürupvermögen)
Immobilien
Baukredite
Konsumentenkredite
Abb. 12.2 Gesamtvermögen am Vorabend des Ruhestandes. Auswahl: 50- bis 59-jährige Haushalte mit Einkommen 1700–2300 Euro/Monat. (Quelle: Braun und Holler 2016b, Abb. 14, S. 23)
Die Möglichkeiten, angespartes Geld zu verwenden sind nämlich vielfältig. Wohneigentum ist nicht liquide. Man immunisiert sich gleichsam gegen die Versuchungen eines hedonistischen Konsumlebens und kalkuliert in einer vorausschauenden Rationalität die eigene Sprunghaftigkeit und die Neigung zu Spontanentscheidungen mit ein. Reine Renditevergleiche vernachlässigen diese Bedeutung langfristiger, kontinuierlicher Sparprozesse und die Bedeutungen von Weichenstellungen, durch die Verhalten geprägt oder sogar erzwungen wird. Der Erwerb von Wohneigentum bedeutet den freiwilligen Einstieg in Zwangssparprozesse, die im Ergebnis die eigene Ungeduld oder sogar Unvernunft und Launenhaftigkeit bremsen. In diesem Sinne ist der Erwerb von selbst genutztem Wohneigentum, wenn es auch in manchen Renditevergleichen nicht gut wegkommt, wahrscheinlich höchst rational und effektiv, zumindest für „eingeschränkt Rationale“. Die schiere Masse der größeren Sparanstrengung verbessert die Altersvorsorge – auch wenn die rein finanzmathematische Rendite im Einzelfall nur klein sein mag. Fazit: Eigenkapitalausstattung hängt von der Lebensplanung ab Empirisch zeigt sich, dass angehende Eigentümer bei gleichem Einkommen weit mehr sparen als vergleichbare Mieterhaushalte (vgl. Braun 2000, S. 113). Weitere Faktoren wie eine höhere Erwerbsbeteiligung gegenüber Mietern derselben Familiensituation oder Zuschüsse von den Eltern kommen hinzu (vgl. Braun und Pfeiffer 2006). Der Erwerb von Wohneigentum führt vielfach zu vorgezogenen Erbschaften: Eltern unterstützen ihre Kinder. Diese „beweisen“ mit dem Immobilienerwerb ihre Sparbereitschaft, Eltern müssen nicht befürchten, dass der Transfer „verplempert“
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wird. Allerdings werden so meist nur Kinder unterstützt, deren Eltern selbst bereits Wohneigentümer sind. Es kommt zur Vererbung von Vermögensungleichheit. Eine Auswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) von 1993 zeigt, dass etwa jeder sechste aller 25- bis 44-jährigen Erwerber von Wohneigentum Geldgeschenke von „anderen privaten Haushalten“ erhielt, aber nur jeder zehnte Nicht-Erwerber. Insbesondere aber waren die absoluten Beträge dieser Zuwendungen bei Erwerbern weitaus höher (vgl. Braun 2000, S. 115). Es geht also nicht nur um die Frage, wie rentabel ein gegebenes Eigenkapital angelegt wird, sondern auch um die Frage, welche Ziele und Sparzwecke ein Verhalten hervorrufen, das zu hohem Eigenkapital führt. Haushalte, die Eigentümer werden wollen, haben jedenfalls, das zeigt die Empirie, im Durchschnitt mehr Eigenkapital und haben mehr angespart als vergleichbare Mieterhaushalte. Sie müssen sich um ihr Vorsorge-Soll keine Sorge machen.
3.2 Warum können Wohneigentümer mehr sparen? Das Ausmaß der Konsumeinschränkung junger Wohneigentümer kann exemplarisch anhand des Verhaltens 30- bis unter 45-jähriger Haushalte mit einem Monatseinkommen von netto 2000 bis 3000 Euro aufgezeigt werden (vgl. Abb. 12.3). Dazu wird die Einkommensverwendung von Mieterhaushalten der Einkommensverwendung von „hoch belasteten“ Wohneigentümern gegenübergestellt. Obwohl beide dasselbe Einkommen beziehen, sparen die Eigentümer mit 13 % Monat für Monat doppelt so viel vom Einkommen – vor allem natürlich in Form von Tilgungsleistungen. Hinzu kommt mit 18 % ein noch mal so großer Brocken für die Bauzinsen. Nach Abzug weiterer warmer Wohnkosten bleiben dem betrachteten Selbstnutzer schließlich nur noch 57 % des Nettoeinkommens zum Alltagskonsum, während dem Mieter – abzüglich Sparen und warmen Wohnkosten – vom selben Nettoeinkommen mit 68 % mehr als 10 Prozentpunkte zusätzlich zur freien Verfügung stehen. Das sind im vorliegenden Fall gut 230 Euro. Wie schlägt sich dieser Verzicht im Restkonsum nieder? Lieber ein altes Auto und dafür ein eigenes Heim und Absicherung im Alter Die hohe anfängliche Kreditbelastung der Wohneigentümer findet in den einzelnen Konsumkategorien ganz unterschiedlich ihren Niederschlag. Die mit weitem Abstand höchste Einsparung wird bei den Verkehrsausgaben realisiert: vor allem für die Anschaffung von Pkws geben hoch belastete Wohneigentümer – im statistischen Mittel – deutlich weniger aus als der typische Mieterhaushalt (19 %-Anteil an allen Minderausgaben bzw. 18 % weniger als Mieter; vgl. Braun und Simons 2017, Abb. 2, S. 3). Hinzu kommen Einschränkungen bei fremden Verkehrsdienstleis tungen (8 %-Anteil/55 % weniger) sowie bei der Anschaffung von Krafträdern (3 %-Anteil/41 % weniger) und der Fahrzeugreparaturen (3 %-Anteil/13 % weniger). Offensichtlich fährt man weniger Taxi und repariert seine Fahrzeuge eher selbst, wenn man viel Geld für Zins und Tilgung braucht. Das Fahren selbst wird jedoch nicht eingeschränkt, die Ausgaben für Kraftstoffe gleichen denen der Mieter.
12 Bedeutung des Wohneigentums für die Altersvorsorge
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100%
75%
57% 68%
Restkonsum nach Wohnkosten Warme Wohnkosten (ohne Baukredit)
50% Einschränkung Alltagskonsum
25% 25%
0%
6% Mieter
12%
Zinsen für Baukredite Sparen (inkl.Tilgung Baukredite)
18%
13% frisch "gebackene" Eigentümer
Abb. 12.3 Einkommensverwendung frisch „gebackener“ Selbstnutzer. Auswahl: 30- bis 44-Jährige mit Haushaltsnettoeinkommen 2–3000 €/Monat. Frisch „gebackene“ Eigentümer: Belastung aus Zins und Tilgung für Baukredite größer als 25 % des Nettoeinkommens. (Quelle: Braun und Simons 2017, Abb. 1, S. 2)
Selber Kochen und mehr Eigeninitiative beim Reisen Neben den Verkehrsausgaben reduzieren junge Wohneigentümer auch ihr Budget fürs Essen außer Haus (10 %-Anteil/18 % weniger). Genauso bietet der Verzicht auf komfortable Pauschalreisen einen Ansatzpunkt für Kostensenkungen (9 %-Anteil/74 % weniger). Offensichtlich entwickeln hoch belastete Selbstnutzer demnach sowohl beim Kochen wie auch beim Verreisen mehr Eigeninitiative. „Sonderopfer“ der Eltern, Kinder werden „verschont“ Während die bisherigen Einsparungen alle Haushaltsmitglieder treffen, üben die Erwachsenen einen Sonderverzicht in puncto Kleidung und Genuss. So geben verschuldete Wohneigentümer weniger aus für Damen- und Herrenbekleidung (zusammen ca. 7 %-Anteil/11 bzw. 17 % weniger) sowie für Tabakwaren (5 %-Anteil/20 % weniger). Für Kinderbekleidung wird dagegen etwas mehr ausgegeben (3 %-Anteil/12 % mehr) und für Spiel- oder Sportwaren zumindest gleich viel wie Mieter. Ebenso unterscheiden sich die Ausgaben nicht bei „Bücher und Broschüren“ sowie bei Eintrittsgeldern für Kulturveranstaltungen. Mehrausgaben für Heim und Vorsorge Tatsächlich geben Wohneigentümer mit hoher Kreditbelastung nicht überall weniger aus als vergleichbare Mieter. So müssen das neue Heim noch wohnlich ausgerüstet und der eigene Garten angelegt werden. Daher geben die jungen Familien auch mehr für die Innenausstattung (zusammen 14 %-Anteil an allen
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R. Braun
Mehrausgaben/36 % bzw. 96 % mehr) sowie für Gartenerzeugnisse und TV-/Video (je 4 %-Anteil/109 % bzw. 114 % mehr) aus. Aber auch die Absicherung der Familie spielt jetzt eine besondere Rolle. Im Ergebnis versichern sich die frisch „gebackenen“ Selbstnutzer besser gegen allerlei Risiken (11 %-Anteil/50 % mehr). Fazit: Vermögensbildung heißt Konsumverzicht – und der fällt Eigentümern leichter Vermögen entsteht, wenn Einkommen nicht konsumiert, sondern gespart wird. Das klingt trivial. Dennoch fällt es vielen Menschen schwer, ihren Konsum einzuschränken. Das gilt erst recht zu Zeiten von Amazon & Co., in denen Digital-Natives daran gewöhnt sind, Güter und Dienstleistungen fast aller Art per Entertaste just in time und to-go geliefert zu bekommen – am besten noch per Flugdrohnenexpress. Anders junge Wohneigentümer: die erbringen im Vergleich zu sonst identischen Mieterhaushalten ganz erhebliche Sparleistungen bzw. Konsumeinschränkungen.
3.3 Wie effizient ist Wohneigentum als Altersvorsorge? Effiziente Altersvorsorge heißt, dass ein Geld- oder Konsumstrom bis zum Tode fließt und außer gewollten Erbschaften nichts übrig bleibt (vgl. Abschn. 3.4). Diese Nebenbedingung ergibt sich aus der Unsicherheit über die Lebenserwartung und damit über die Dauer des Ruhestandes. Deswegen muss das so genannte „Langlebigkeitsrisikos“ abgesichert werden. Mit anderen Worten: Man darf immer nur so viel Vermögen verbrauchen, dass es nie ganz aufgegessen ist. Es sollte aber – abgesehen von gewollten Erbschaften – auch nicht „zu viel“ übrig bleiben. Sonst wäre die Altersvorsorge ineffizient, d. h. man hätte auch mit weniger Konsumverzicht in jungen Jahren denselben Lebensstandard im Alter halten können. Diese Bedingung erfüllen die gesetzliche Rente, Riester-Rente oder private Renten-/Lebensversicherungen per definitionem. Und zwar deswegen, weil das Langlebigkeitsrisiko hier gepoolt wird, d. h. die früher Sterbenden subventionieren die länger Lebenden. Aber wie sieht es bei Wohneigentum aus? Ein Risikopooling ist hier nicht möglich, weil die Immobilie eben nur einem Haushalt gehört. Oft wird deshalb der Vorwurf erhoben, es sei nicht effizient. Auch Immobilien werden (teilweise) verzehrt Erschwerend kommt hinzu – so wird oft argumentiert –, dass das Heim nicht einmal „aufgegessen“ werden könne. Das ist aber nicht ganz richtig. Denn schaut man sich das Verhalten der Vermieter oder Selbstnutzer an, dann werden zumindest auch Teile der Substanz verzehrt. Dann werden Immobilien zum Eintritt in den Ruhestand meist noch einmal saniert und altengerecht hergerichtet, anschließend aber die Ausgaben für Instandhaltung und Sanierung weitgehend zurückgefahren. Danach wird meist nur noch repariert, was kaputt geht. Nicht ohne Grund ist die Masse der geerbten oder gebraucht gekauften Immobilien sanierungsbedürftig. Wer einmal eine gebrauchte Immobilie gekauft hat, der weiß, dass Heizung, Fenster, Dach i. d. R. immer dringend modernisiert werden müssen. Und der Investitionsstau
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12 Bedeutung des Wohneigentums für die Altersvorsorge
dürfte umso höher sein, je mehr der langjährige Eigentümer seine eigene Lebenserwartung unterschätzt hat. Fazit: Wohneigentum kann effiziente Altersvorsorge sein Damit wird deutlich, dass die Immobilie zumindest partiell aufgegessen werden kann. Aber damit ist sie als Vorsorge noch bei weitem nicht effizient. Dennoch gibt es Möglichkeiten, die Effizienz dramatisch zu verbessern. Sie ist perfekt, wenn reverse mortgage oder Leibrenten vereinbart werden. Das ist hierzulande zwar noch recht unüblich, wobei dies auch schlicht daran liegen dürfte, dass bisherige Rentnergenerationen darauf nicht angewiesen waren bzw. nicht angewiesen sein wollten. Die gesetzliche Rente war bislang ausreichend hoch und das Erbschaftsmotiv ausgeprägt. Je mehr aber die gesetzliche Rente nicht mehr den Lebensstandard sichert und je weniger Haushalte deswegen trotzdem nicht ausreichend privat vorsorgen, desto eher wächst der Druck auf eine effiziente Verwertung. Hinzu kommt die zunehmende Kinderlosigkeit auch unter Eigentümern.4 Wer aber keine Kinder hat, der wird weit eher bereit sein, die eigenen vier Wände komplett aufzuessen. Umgekehrt könnte etwa eine Pflicht zur energetischen Sanierung die Effizienz erheblich beeinträchtigen; davon sollte die Politik daher dringend Abstand nehmen.
3.4 Welche Bedeutung hat das Erbschaftsmotiv? Mit oder ohne Immobilien – so lautet die Gretchenfrage einer jeden Erbschaft. Denn immobilienlose Erbschaften sind in jedem vierten Fall „wertlos“ (24 %; vgl. Tab. 12.1) und summieren sich nur selten auf mehr als 150 Tsd. Euro (4 %). Werden dagegen Immobilien (mit-)vererbt, dann werden fast in jedem zweiten Falle mehr als 150 Tsd. Euro übertragen. Schon allein das vererbte Geldvermögen liegt dann häufig schon über dieser Schwelle (13 %). Die Erbschafts-Regel lautet also nicht „entweder Geld oder Immobilie“, sondern „wenn Immobilie, dann auch viel Geld“. Tab. 12.1 Die Gretchenfrage: Immobilien – ja oder nein? Höhe … mit Immobilie? nichts/Schulden bis 150 Tsd. Euro >150 Tsd. Euro Summe
… Gelderbschaft nein in Prozent 24 72 4 100
ja in Prozent 14 73 13 100
… Gesamterbschaft nein ja in Prozent in Prozent 24 9 72 45 4 46 100 100
Quelle: Braun (2015a), Tab. 2, S. 7
4 Die Wohneigentumsquote Alleinlebender 40- bis 49-Jähriger ist von 1978 über 1993 bis 2013 im Westen von 22 % über 25 % auf 28 % gestiegen, im Osten ab 1993 von 4 % auf 20 % (vgl. Braun und Holler 2016a, Abb. 5, S. 5).
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Der Osten holt weiter auf Die Haushalte im Osten Deutschlands haben historisch bedingt geringere Vermögen angesammelt. Augenfällig wird dies insbesondere durch eine weitaus niedrigere Wohneigentumsquote. Diese Vermögensunterschiede spiegeln sich auch im Erbschaftsvolumen wider. Während im Westen mehr als die Hälfte aller Erbschaften eine Immobilie umfasst, trifft dies im Osten nur auf eine von drei Erbfällen zu. Die Aufholjagd läuft allerdings auf vollen Touren: vor 15 Jahren waren noch vier von fünf ostdeutschen Erbfällen immobilienlos (vgl. Braun 2015a, Tab. 3, S. 8). Kaum spürbar sind dagegen die Ost-West-Unterschiede beim vererbten Geldvermögen: In West wie Ost bleibt bei jedem sechsten Erben der Geldsegen aus (16 % bzw. 17 %). Vor 15 Jahren waren diese Quoten nur halb so hoch. Gleichwohl sind große Gelderbschaften von mehr als 150 Tsd. Euro im Osten (5 %) immer noch weitaus seltener als im Westen (12 %). Aber auch hier holt der Osten auf: große Gelderbschaften sind hier mittlerweile fünfmal wahrscheinlicher als noch vor fünfzehn Jahren (5 % statt 1 %), während die Wahrscheinlichkeit im Westen nur um den Faktor 1,5 gestiegen ist (von 8 % auf 12 %). Wer sind die Erben/Erblasser und was unterscheidet sie von früheren Generationen? Erblasser sind vor allem die über 70-Jährigen. Bis in die frühen 1990er-Jahre gehörte diese Altersklasse noch zur „Aufbaugeneration“, jetzt wird sie abgelöst durch die „Wirtschaftswunderkinder“. Unbelastet von den Folgen des Krieges erfreuten sie sich zeitlebens steigender Einkommen, die ihnen eine ungestörte Vermögensbildung ermöglichten, vielen sogar den Erwerb eines Eigenheims. Das macht sich in der Höhe der Erbschaften, aber auch in ihrer Zusammensetzung und zunehmenden Ungleichheit bemerkbar. Besonders deutlich wird dies im Vergleich zur historisch bedingt ungünstigeren Ausgangsbedingung in Ostdeutschland. Zu den Erben zählen derzeit immer mehr Nachkriegsbabyboomer. Diese Generation wurde in den 1960er-Jahren geboren und unterscheidet sich erheblich von früheren Erbengenerationen: ihre Vermögensbildung ist geprägt durch längere Ausbildungszeiten, wechselnde Arbeitgeber, spätere Familienbildung und Scheidung sowie aktuell durch niedrige Zinsen als Folge der Staatsschuldenkrise. Es ist die erste Generation „Privatvorsorge“, wobei viele bislang immer noch nicht ausreichend vorgesorgt haben. Viele hoffen, diese Lücke durch Erbschaften auszubügeln. Erbschaften sind unsicher und ungleich und machen die Vorsorge nicht obsolet Erbschaften werden zunehmend ungleicher. Denn die Vermögensausstattung wird immer mehr durch regionale Besonderheiten geprägt; insbesondere in Regionen mit hoher oder gar steigender Wohneigentumsquote und zuwanderungsbedingt steigenden Preisen kann mit hohem und weiter zunehmendem Erbschaftsvolumen gerechnet werden. Außerdem ist die langfristige Entwicklung des Erbschaftsvolu-
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mens unsicher, weil nachrückende Erblasser immer länger und konsumfreudiger leben. Im Zuge der privaten Altersvorsorge ergeben sich weitere Unsicherheiten: Soweit diese mit Hilfe staatlicher Fördergelder aufgebaut wird, sind die entsprechenden Vermögen nicht oder nur bedingt vererbbar. Aber auch der Vermögenseffekt seitens der Erben ist unsicher. Denn Erbschaften sind nicht nur ungleich verteilt, sondern müssen auch zwischen mehreren Erben aufgeteilt werden; das fördert die Ungleichheit vor allem dann, wenn ärmere Elternhäuser tendenziell auch kinderreicher sind. Ansonsten gilt: Ein „Reicher“ stirbt, ein anderer wird dadurch „reich“. Gleichwohl wird dadurch die intragenerationale Ungleichheit vergrößert. Und diese wird in der Öffentlichkeit bzw. „beim Klassentreffen“ stärker wahrgenommen. Dennoch verlieren Erbschaften auch an Bedeutung, wenn man sie in Relation setzt zum bereits selbst angesparten Vermögen der Erben: Aufgrund steigender Lebenserwartung der Erblasser erbt man in immer späteren Lebensphasen. Viele Erben haben dann bereits hohe Vermögen aus dem eigenen Einkommen angesammelt. Außerdem erben Wohneigentümer eher Immobilien als Mieter. Fazit: Altersvorsorge mit Wohneigentum wird künftig noch effizienter Wohneigentum beeinflusst (noch) ganz erheblich die Höhe späterer Erbschaften. Erbschaften umfassen nicht alternativ viel Geld oder viel Immobilien, sondern wenn Immobilien, dann auch viel Geldvermögen. Allerdings scheint das Erbschaftsmotiv, das sich implizit hinter diesen Erbschaften verbirgt, zu schwinden: Erblasser werden konsumfreudiger – sei es, weil sie keine Kinder haben, weil die Kinder selbst schon versorgt sind oder aus reinem Hedonismus. Das ist eine schlechte Nachricht für künftige Erben, aber eine gute Nachricht für die Qualität der Altersvorsorge der Wohneigentümer. Denn je weniger ausgeprägt das Erbschaftsmotiv, desto eher sind Ältere bereit, ihre Immobilie zu verrenten. Und umso effizienter wird Wohneigentum als Altersvorsorge.
4 W elchen Einfluss hat der Staat auf die Vorsorge mit Wohneigentum? Staatlicherseits wird die Eigenkapitalbildung für Wohneigentum unterstützt durch die Wohnungsbauprämie, Zulagen (Eigenheimzulage, Baukindergeld, ggf. KfW-Mittel) und Wohn-Riester. Es gibt aber auch staatliche Steine, die in den Weg gelegt werden. Dazu zählen hohe und steigende Steuern, insbesondere die Grunderwerbsteuer, aber auch Maßnahmen, die die Opportunitätskosten beeinflussen. So macht jede spezifische Förderung von Mietwohnungen das Wohnen in den eigenen vier Wänden relativ unattraktiver. Das gilt für Sozialen Wohnungsbau, degressive Abschreibung beim Mietwohnungsneubau oder Sofortabschreibung von Instandhaltung – zumindest soweit diese Maßnahmen einen mietsenkenden Effekt haben.
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4.1 F örderung von Mietwohnungen mindert die Attraktivität von Wohneigentum Gesetze verursachen neben ihrer eigentlichen Intention oft auch Nebenwirkungen. Die steuerliche Förderung des Mietwohnungsbaus soll in erster Linie Investitionen anregen und so die Knappheiten verringern und die Mietsteigerungen dämpfen. Bei diesen intendierten Ergebnissen endet die Wirkungskette allerdings noch nicht. Die zusätzlichen Investitionen wirken meist preistreibend und die gebremsten Mieten mindern die Vorteilhaftigkeit von selbst genutztem Wohneigentum: Je niedriger die Miete und je höher der Kaufpreis, desto unattraktiver ist Wohneigentum. Angesichts solcher Marktkonsequenzen muss man sich fragen, ob es gewollt sein kann, dass politisch erzeugte Ungleichheiten die Vorteilhaftigkeit von selbst genutztem Wohneigentum verzerren. Soll Wohneigentum gegenüber dem Wohnen zur Miete dagegen nicht benachteiligt werden, dann ist eine kompensierende Förderung für Selbstnutzer gerechtfertigt. Aktuelle Diskussion um Wiedereinführung einer erhöhten Neubau-AfA Aufgrund der Wohnungsknappheit in Wachstumsstädten wird derzeit eine Erhöhung der AfA-Sätze im Mietwohnungsbau diskutiert. Zwar können die Effekte einer solchen Mietwohnungsförderung nicht exakt quantifiziert werden (vgl. Braun und Pfeiffer 2002, 2004). Unklar bleibt ex ante immer, welcher Teil der Förderung als Zusatzrendite beim Investor verbleibt und in welchem Ausmaß die erhöhte Nachfrage die Investition verteuert bzw. die Mieten absenkt. Unterstellt man, dass der gesamte Fördervorteil mietsenkend und/oder investitionsverteuernd wirkt – und akzeptiert man als Norm, dass die Eigentümer vergleichbar entlastet werden sollen –, dann wären damit Obergrenzen für eine kompensierende Förderung der Selbstnutzer bestimmt, die eine Ungleichbehandlung gegenüber Mietern vermeiden würden. Umfang einer kompensierenden Förderung für selbst nutzende Eigentümer Die Höhe einer kompensierenden Förderung für Selbstnutzer kann auf Basis der Effekte bei einer Neubauwohnung berechnet werden, die von einem Investor mit hohem Steuersatz vermietet wird. Als Obergrenze einer kompensierenden Förderung ergibt sich daraus – je nach Abschreibungsregel – ein Gesamtbetrag von 6700 bis 31.900 Euro einmalig (vgl. Braun 2015b, Tab. 1, S. 2). Somit wäre die Forderung nach einer „neuen“ Eigenheimzulage in eben dieser Höhe gerechtfertigt, sobald die AfA-Regeln künftig wieder höhere Sätze erlauben. Als Maßstab für eine „faire“, subventionslose AfA wurde dabei ein linearer Satz von 2,78 % herangezogen (Herleitung vgl. ARGE 2015). Fazit: Wohneigentümer sollten zumindest nicht benachteiligt werden Es gibt viele Motive für die Förderung von Wohneigentum (Vermögensbildung, Familienförderung). Selbst wenn man diese beiseiteschiebt und den Blick allein auf die Gleichbehandlung von Mietern und Selbstnutzern richtet, lässt sich eine staatliche Unterstützung bei Kauf oder Erwerb der eigenen vier Wände rechtfertigen, wenn es im Rahmen des Mietwohnungsbaus zum Beispiel wieder zu einer Auswei-
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tung der steuerlichen Förderung kommen sollte. Andernfalls ergibt sich eine verstärkte Ungleichbehandlung und damit eine spürbare Diskriminierung für selbst nutzende Wohneigentümer gegenüber Mietern.
4.2 Wohneigentum wird nicht effizient gefördert Zum Erwerb von Wohneigentum sind Privathaushalte regelmäßig darauf angewiesen, Kredite aufzunehmen. Aus Gründen der Risikominimierung seitens der Banken wie auch aufgrund gesetzlicher Vorschriften (z. B. Wohnimmobilienkreditrichtlinie) müssen sie dabei zwei Hürden überwinden: die Einkommensschwelle und die Eigenkapitalschwelle. Aufgrund der anhaltenden Niedrigzinsphase stellt die Einkommensschwelle für viele Haushalte derzeit eher ein geringeres Problem dar: die absoluten Zinszahlungen sind selbst bei hohen Kaufpreisen niedrig, so dass die Einkommensbelastung meist tragbar ist. Zwar sind bei niedrigen Zinsen höhere anfängliche Tilgungssätze erforderlich, um vor dem Ruhestand schuldenfrei zu werden. Aber selbst dann scheitern noch immer viele Haushalte nicht an der Einkommensschwelle. Anders sieht es bei der Eigenkapitalschwelle aus. Vielerorts haben sich die Kaufpreise in den letzten Jahren nahezu verdoppelt. Wenn aber weiterhin dieselbe Eigenkapitalquote aufgebracht werden soll, dann müsste sich das Eigenkapital ebenfalls verdoppeln. Tatsächlich sind die Geldvermögen privater Haushalte in den letzten Jahren allerdings eher konstant geblieben (vgl. Braun und Holler 2016b, S. 13 ff.). Viel schlimmer: Das Gros der Nebenkosten steigt auch noch proportional zum Kaufpreis an, so dass bei gegebenem Geldvermögen nach Abzug der Nebenkosten sogar weniger Eigenkapital zur Verfügung steht. In Bundesländern mit steigenden Grunderwerbsteuersätzen geht auf diese Weise sogar überproportional viel Eigenkapital „verloren“. 4.2.1 B aukindergeld ist wie Coffee-to-go: Man nimmt es mit, aber es ist zu teuer Wegen der höher werdenden Eigenkapitalhürden infolge der anhaltenden Preissteigerungen wurde im Jahr 2018 zur Förderung der Wohneigentumsbildung bei Familien ein Baukindergeld eingeführt. Familien unterhalb der Einkommensgrenzen (90 TEUR zzgl. 15 TEUR pro Kind zu versteuerndes Jahreseinkommen) erhalten demnach über einen Zeitraum von 10 Jahren einen jährlicher Zuschuss von 1200 Euro pro Kind. Das Baukindergeld birgt aber auch Nachteile. So ergeben sich Mitnahmeeffekte, weil mitunter Familien gefördert werden, die auch ohne Baukindergeld die Eigenkapitalhürde überwunden hätten. Außerdem sind Preiseffekte zu befürchten, wenn knappheitsbedingt z. B. die Eigentümer von Bauland, Bauträger oder Bauunterneh-
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men einen Teil der Förderung durch höhere Preisforderungen wieder zunichtemachen. Darunter leiden dann ganz besonders auch die nicht Geförderten, also die Alleinlebenden und kinderlosen Paare. Baukindergeld wirkt auch bei Preiseffekten Natürlich ist es grundsätzlich richtig, dass eine Förderung des Erwerbs von Wohneigentum durch ein Baukindergeld tendenziell auch preistreibend wirkt. Allerdings muss der Effekt in zweierlei Hinsicht relativiert werden: So sind preistreibende Effekte auch bei der Förderung von Mietwohnungen zu erwarten – egal ob als Folge einer degressiven Abschreibung im frei finanzierten Wohnungsbau oder als Folge einer Erhöhung der Sozialen Wohnraumförderung. In beiden Fällen wird die induzierte Zusatznachfrage nach Mietwohnungen bzw. die erhöhte Zahlungsfähigkeit der Geförderten ebenfalls zu steigenden Preisforderungen führen – zumal bei anhaltender Knappheit am Markt für Bauland und in der Bauwirtschaft. Aber selbst wenn das Baukindergeld in hohem Maße zu höheren Preiseffekten führen sollte, würde es dennoch vielen potenziellen Erwerbern dabei helfen, die Eigenkapitalschwelle zu überwinden. Denn wie bei der früheren Eigenheimzulage kann man davon ausgehen, dass die beleihenden Kreditinstitute das Baukindergeld (BKG) als Eigenkapital betrachten. Damit würde das Eigenkapital (EK) eines potenziellen Erwerbers 1:1 mit dem Baukindergeld ansteigen (EK′ = EK + BKG). Im ungünstigsten Falle würden auch die Kaufpreise (P) um denselben Betrag ansteigen, so dass dieser bei P′ = P + BKG läge. Was passiert dann mit der Eigenkapitalschwelle? Da das Eigenkapital immer kleiner ist als der Kaufpreis, steigt der Quotient und mithin die Eigenkapitalquote (EK′/P′ > EK/P). Das Baukindergeld hilft also bei der Überwindung der Eigenkapitalschwelle – selbst bei vollständiger Überwälzung des Baukindergeldes auf die geforderten Preise. Baukindergeld als Haltefaktor auf dem Land Da das Baukindergeld in allen Regionen gleich hoch ist, könnte es als Nebeneffekt auch als ein nicht zu unterschätzender Haltefaktor auf dem Land wirken. Denn ein Baukindergeld von aufsummiert 24 TEUR für eine Familie mit zwei Kindern erhöht die Eigenkapitalquote umso stärker, je niedriger die Hauspreise ausfallen: Bei einem typischen Preis von 400 TEUR in einer Großstadt nur um sechs Prozentpunkte, bei einem typischen Preis von 200 TEUR in einer ländlichen Region aber um zwölf Prozentpunkte. Im Idealfall hilft dann das Baukindergeld beim Überwinden der Eigenkapitalschwelle – unter der Bedingung, dass die junge Familie auf dem Land bleibt und nicht in die Stadt zieht. Jede Familie, die nicht in die begehrten Schwarmstädte zieht, entlastet zudem dort den Wohnungsmarkt. Und auch jede Familie, die erst später doch noch in die Stadt zieht, entlastet den Wohnungsmarkt, weil dort bis dahin noch viele zusätzliche Wohnungen gebaut werden können. Fazit: Baukindergeld ist nicht effizient, aber zielt in die richtige Richtung Die beste Möglichkeit zur Erhöhung der Wohneigentumsquote wäre eine Absenkung der Preise oder Nebenkosten. Das wäre in erster Linie möglich durch eine Entschlackung kostentreibender Vorschriften, eine verstärkte Ausweisung von Bauland und eine Absenkung der Erwerbsnebenkosten, insbesondere durch niedri-
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gere Grunderwerbsteuern oder entsprechende Freibeträge für Ersterwerber. Umgekehrt ist eine Subvention in Form des Baukindergeldes nur eine second best-Lösung. Sie kann tendenziell preistreibend wirken und führt ganz sicher zu Mitnahmeeffekten. Die zusätzliche preistreibende Wirkung dürfte in der aktuellen Marktsituation eher gering ausfallen, das Ausmaß der Mitnahmeeffekte ist dagegen eher erheblich. Insgesamt dürfte das Baukindergeld im ersten Jahr ein Volumen von rund 400 Mio. erreichen und würde einem Zusatzpotenzial von bis zu rund 74 Tsd. Haushalten den Erwerb ermöglichen (vgl. Braun 2018). In den Folgejahren wird das Zusatzpotenzial wegen eines ausklingenden Einführungseffektes geringer ausfallen. Dennoch würde das Volumen wegen neu hinzukommender Förderjahrgänge ansteigen. Im zehnten und allen folgenden Jahren läge das Volumen dann voraussichtlich bei knapp 4 Milliarden Euro – davon alleine 3 Mrd. für Haushalte, die es auch ohne Baukindergeld geschafft hätten. 4.2.2 D as Potenzial der Wohnungsbauprämie ist durch Inflation entwertet Anspruch auf die Wohnungsbauprämie haben Alleinstehende mit weniger als 25.600 Euro oder Ehepaare mit weniger als 51.200 Euro zu versteuerndem Einkommen pro Jahr. Diese Einkommensgrenzen wurden jedoch seit 1996 nicht mehr angepasst. Im Ergebnis haben selbst viele Berufsanfänger im Jahr 2018 keinen Anspruch mehr auf die Prämie. Kosten einer Reform Bei einer Inflationsanpassung (+34 %) von Einkommensgrenzen und maximaler Prämienhöhe sowie Erhöhung des Prämiensatzes auf 10 % stiegen die fiskalischen Kosten – verglichen mit den Milliardenbeträgen beim Baukindergeld – nur um bis zu rund 269 Mio. Euro an (Obergrenze; vgl. Braun 2018). Dabei entfallen rund 100 Mio. Euro auf die neu Inanspruchnehmenden (bei alter Prämienhöhe), weitere 34 Mio. Euro auf die höhere Prämie der neu Inanspruchnehmenden und maximal 76 Mio. Euro auf die höhere Prämie der bislang schon Inanspruchnehmenden sowie bis zu 59 Mio. Euro auf höhere Prämiensätze (Rückkehr zu 10 % anstelle der 8,8 %). Allerdings wird sich diese Gesamtsumme nicht als kassenwirksam realisieren. Denn zum einen werden die Prämienansprüche erst nach Ablauf der siebenjährigen Sperrfrist ausgabewirksam. Zum anderen zeigt die Erfahrung, dass es rund vier Jahre dauert, bis sämtliche Effekte seitens der Sparer vollumfassend realisiert sind. Dazu gehören zum einen ein Anstieg der Zahl an Bausparverträgen und zum anderen eine Erhöhung der Sparraten in Altverträgen. Gleichwohl kann man unterstellen, dass die Sparraten in Altverträgen nur partiell angepasst werden, so dass die kalkulierte Obergrenze auch langfristig nicht erreicht wird. Es wäre daher allenfalls mit rund 152 Mio. Euro an jährlichen Zusatzausgaben zu rechnen.
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Fazit: Hilfe zur Selbsthilfe ist besser als Zulagen im Windhundverfahren Nachhaltiger als eine zeitlich befristete Renaissance der Eigenheimzulage in Form eines Baukindergeldes dürfte eine dauerhafte Reaktivierung der Wohnungsbauprämie sein. Wie beim guten handgemachten Filterkaffee werden hier nicht einfach im Vorübergehen Geschenke verteilt. Vielmehr müssen die geförderten Bausparer selber Hand anlegen (Sparen) und eine ganze Weile warten, bis unten was herauskommt (Eigenkapital). Untersuchungen zeigen nämlich, dass die Begünstigten mehr sparen als andere und mithin eher die Eigenkapitalhürde überspringen (vgl. Braun und Neuhoff 2017). Hinweis: Zwischenzeitlich wurde beschlossen, die Wohnungsbauprämie wie oben gefordert zum 01.01.2021 anzupassen. 4.2.3 Wohn-Riester erhöht die Flexibilität, aber ist zu kompliziert Im Rahmen von Wohn-Riester wurde im Jahr 2008 die Möglichkeit eingeführt, bereits während der Ansparphase aus dem angesammelten Riester-Vermögen förderunschädlich Kapital in Wohnimmobilien umzuschichten; die Regelungen wurden 2013 noch einmal modifiziert.5 Seither können neben selbst genutztem Wohneigentum auch bestimmte Modernisierungsarbeiten an Wohnungen finanziert werden. Der Vorteil von Wohn-Riester ist vor allem in seiner Flexibilität zu sehen: Ohne Wohn-Riester ständen viele junge Haushalte vor der Wahl, entweder Eigenkapital für Wohneigentum anzusparen oder im Rahmen einer Riester-Geldrente fürs Alter vorzusorgen. Im Ergebnis würden mutmaßlich vor allem junge Familien auf die Riester-Förderung verzichten, damit ihr Eigenkapital nicht eingesperrt ist, wenn der Erwerb der eigenen vier Wände ansteht. Das Wohnförderkonto zur Sicherung der nachgelagerten Besteuerung Beim Wohn-Riester fließt keine Geldrente an die Sparer; insofern existiert keine „natürliche“ Bemessungsgrundlage, an die die nachgelagerte Besteuerung im Rentenalter anknüpfen könnte. Die Entnahme bzw. die Tilgungsleistungen und die da rauf anfallenden Zulagen werden daher in einem kalkulatorischen „Wohnförderkonto“ aufaddiert. Diese Beträge werden bis zum Beginn der Auszahlungsphase am Ende jeden Jahres mit 2 % angehoben (implizite Verzinsung). Spätestens in der Auszahlungsphase wird das Wohnförderkonto dann analog einer „normalen“ Riester-Rente reduziert, diese impliziten Auszahlungen werden nachgelagert besteuert. Das Wohnförderkonto und sein Abschmelzen dienen damit allein der Feststellung einer Bemessungsgrundlage für die Besteuerung. Bei dauerhafter Aufgabe der Selbstnutzung muss das Wohnförderkonto immer sofort nachgelagert versteuert werden, es sei denn der Betrag wird für eine andere selbst genutzte Wohnung verwendet, die zwei Jahre vor oder fünf Jahre nach der Selbstnutzung der bisherigen Wohnung angeschafft wurde oder der Betrag wird 5 Auch schon vor dem Jahr 2008 konnte für die Herstellung oder den Erwerb von selbst genutztem Wohneigentum aus den angesparten Riester-Vermögen im Rahmen einer so genannten Zwischenentnahme Geld entnommen werden. Die Entnahme musste jedoch bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres wieder vollständig zurückgezahlt werden.
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innerhalb eines Jahres auf einen anderen zertifizierten Altersvorsorgevertrag eingezahlt. Weitere Ausnahmen gibt es bei Tod, im Pflegefall und bei Scheidung sowie bei vorübergehender, beruflich bedingter Nicht-Selbstnutzung und bei späterer Wiederaufnahme der Selbstnutzung (spätestens mit Vollendung des 67. Lebensjahres). Fazit: Wohn-Riester muss dringend vereinfacht werden Grundsätzlich ist die Einbeziehung selbst genutzten Wohneigentums in die Riester- Förderung wünschenswert. Die Möglichkeit der Entnahme bietet hier eine Flexibilitätsreserve, die zum einen den Abschluss eines Riester-Vertrages unter Unsicherheit („fehlt mir das Geld später beim Immobilienkauf?“) und zum anderen die Überwindung der Eigenkapitalanforderung beim konkreten Immobilienkauf erleichtert. Allerdings muss auch beim Wohn-Riester die nachgelagerte Besteuerung sichergestellt werden. Und hier ergeben sich komplexe Regelungen, die nicht immer anreizkompatibel sind (vgl. Braun et al. 2019). Die Probleme fangen aber schon vor der Entnahme an. Denn dazu muss die zentrale Zulagenstelle für Altersvorsorgevermögen (ZfA) zunächst einen umfangreichen Prüfkatalog abarbeiten. In diesem Zusammenhang kommt es häufig zu Verzögerungen bei der Entnahme, in einigen Fällen sogar ungewollt zu förderschädlichen Entnahmen. Anstelle der ZfA sollte daher der Anbieter die Voraussetzungen prüfen – analog zum Verfahren bei der Wohnungsbauprämie – und die Zulagenstelle unternimmt lediglich stichprobenartige Kontrollen der Prüfberichte. Die Entnahme wird im Wohnförderkonto kalkulatorisch mit 2 % p. a. verzinst. So wird ein Analogon zum Zinseszins beim Geld-Riester konstruiert. Diese Verzinsung stellt jedoch entweder eine ungerechtfertigte Pauschalierung dar, wenn sie den tatsächlichen Wertzuwachs repräsentieren soll, oder ist in Zeiten von Niedrigzinsen viel zu hoch angesetzt. Die Entnahme sollte daher mit einem dynamisierten Zinssatz verzinst oder noch einfacher unverzinst fortgeschrieben werden. Alternativ zur laufenden Besteuerung in der Auszahlungsphase kann der gesamte Entnahme-Betrag in der Auszahlungsphase einer Einmalbesteuerung unterworfen werden, dann gibt es einen Rabatt von 30 % der Bemessungsgrundlage. Der derzeitige Steuerrabatt liefert aber keinen Anreiz, der nachgelagerten Besteuerung durch Einmalzahlung nachzukommen, weil er durch die Steuerprogression komplett aufgezehrt wird. Dabei hätte die Einmalzahlung den Vorteil, dass der Sparer nicht für eine ungewisse Zukunft Steuerzahlungen zu erwarten hat, denen kein Liquiditätszufluss in Rentenform gegenübersteht. Besser wäre statt Steuerrabatt eine Fünftelregelung (Verteilung der Besteuerung über fünf Jahre). Zum einen hat sich dies bei Abfindungen bewährt, zum anderen wäre dann eine Nachbesteuerung des Rabatts bei späterer schädlicher Verwendung ausgeschlossen.
4.3 F azit: Einfache Hilfe zur Selbsthilfe statt Rechte-Tasche-linke-Tasche Die Wohnungsbauprämie fördert langfristig angelegte Ansparprozesse, weil sie eine möglichst früh beginnende, kontinuierliche und erhöhte Vermögensbildung gewährleistet – unabhängig von Schwankungen der Zinsen oder Einkommen und
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unabhängig von wechselnden Bedürfnissen in verschiedenen Lebensphasen. Eine Inflationsanpassung (+34 %) der Einkommensgrenzen und maximalen Prämienhöhe bei der Wohnungsbauprämie verbunden mit einer Heraufsetzung des Prämiensatzes auf die früher gültigen 10 % könnte einen guten Beitrag zur Spardisziplin liefern. Ohne übermäßig große Subventionen könnte diese Förderung wie in vergangenen Jahrzehnten dann wieder umfangreichere Finanzmittel für den Erwerb von Wohneigentum sichern. Zulagen wie das Baukindergeld verpuffen dagegen schnell mal in höheren Preisen und stellen daher auch keine effiziente Hilfe zur Überwindung der Eigenkapitalhürde dar – zumal nur wenige Generationen junger Ersterwerber profitieren werden, bevor das Programm wieder ausläuft. Dieses Urteil gilt, obwohl selbst bei 100 %igem Preiseffekt die Eigenkapitalquote steigen würde und mithin die Hürde zu den eigenen vier Wänden für einige kleiner wäre. Anders als Wohnungsbauprämie und Baukindergeld stellt Wohn-Riester nur bei Geringverdienern auch eine Subvention dar. Konkret ist dies dann der Fall, wenn die Zulage größer ist als der Steuerrabatt der nachgelagerten Besteuerung. Denn der reine Steuervorteil wird im Zuge der nachgelagerten Besteuerung wieder zurückgezahlt. Die Kehrseite: Wohn-Riester ist hochgradig komplex und schreckt deswegen viele potenzielle Nutzer ab. Hier sind verschiedene Vereinfachungen denkbar. Grundsätzlich ist Wohn-Riester aber zu begrüßen, weil es in jungen Jahren den Weg zur Vorsorge öffnet, ohne die spätere (ungewisse) Abzweigung ins Wohneigentum zu versperren. Echte Nachteile bereiten dagegen die steigenden Grunderwerbsteuerforderungen der Länder sowie spezifische Subventionen von Mietern oder Mietwohnungen. Das gilt insbesondere für Sonder-Abschreibungen wie die degressive AfA. Sie verbilligt tendenziell das Wohnen zur Miete und verteuert tendenziell Immobilien. Damit wird der Erwerb von Wohneigentum relativ unattraktiver und weniger erschwinglich.
5 D as Potenzial von Wohneigentum als Altersvorsorge ist noch nicht ausgeschöpft Eine Maximierung der Wohneigentumsquote als Selbstzweck ist nicht erstrebenswert. Auch ein breit gefächertes Angebot von Mietwohnungen hat seine Vorteile, zumal bei hohem Binnenwanderungsvolumen wie es sich die letzten Jahre in Deutschland entwickelt hat. Aber trotz überregionaler Mobilität werden auch die Millennials irgendwann eine Familie gründen und sesshafter werden. Dann kommt auch bei ihnen der Wunsch auf, in den eigenen vier Wänden zu wohnen. Aufgabe des Staates muss es dann sein, der Entscheidung zwischen Miete und Eigentum keine Steine in den Weg zu legen. Denn der Erwerb von selbst genutztem Wohneigentum bietet grundsätzliche Vorteile: Er schützt vor Mieterhöhungen oder Verdrängung und ist ein wichtiger Baustein für die private Altersvorsorge. Das zei-
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gen die Erfahrungen der Gentrifizierung in den Schwarmstädten der letzten Jahre und die empirischen Befunde zur Vermögensbildung. Sobald der Staat aber Mieter direkt unterstützt oder indirekt den Bau bzw. die Modernisierung von Mietwohnungen subventioniert, kann man daraus auch ein Recht für angehende Selbstnutzer auf Subventionen ableiten. Hinzu kommt, dass der Erwerb von Wohneigentum erschwert wird durch zu wenig Angebot an Bauland und damit hohen und weiter steigenden Preisen für Grundstücke und Gebäude. Auch die Erwerbsnebenkosten steigen mit höheren Preisen proportional an, die Grunderwerbsteuer sogar überproportional, wenn die Steuersätze immer weiter angehoben werden. Im Ergebnis kommen vor allem junge Familien mit hohen Mietzahlungen und bei Niedrigzinsen mit dem Ansparen des Eigenkapitals den galoppierenden Immobilienpreisen nicht mehr hinterher – zumal die ebenfalls steigenden Mieten bei den heutigen Niedrigzinsen das Ansparen des Eigenkapitals zusätzlich erschweren. Auch dies kann staatliche Subventionen rechtfertigen. Eine first-best Lösung würde sich aber auf den zugegeben beschwerlicheren Weg machen und die Angebotsbedingungen verbessern. Wenn Bauland ausreichend verfügbar ist, Baukosten auf das wirtschaftlich vernünftige Maß begrenzt werden und das Mieten nicht zulasten der Selbstnutzer subventioniert wird, dann ist es auch nicht nötig, das linke-Tasche-rechte-Tasche Spiel zu spielen. Hohe staatlich administrierte (Neben-)Kosten auf der einen Seite und vermeintlich großzügige, aber letztlich ungerecht und ungezielt verteilte Subventionen auf der anderen Seite sind Maßnahmen aus der Mottenkiste des letzten Jahrhunderts.
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Sicherung des Alterskonsums durch Wohneigentum Oliver Arentz
1 Einleitung Die Bildung von selbst genutztem Wohneigentum dient sowohl der Deckung des Wohnbedarfs als auch der Vermögensbildung. Selbstgenutztes Wohneigentum ist daher gleichzeitig Konsum- und Investitionsgut. Das in der selbst genutzten Immobilie gebundene Vermögen ist für viele Haushalte der größte Posten in der Vermögensbilanz. Im Gegensatz zu anderen Spar- und Anlageformen ist die Liquidität von Wohneigentum allerdings sehr gering. Insbesondere fehlt es in Deutschland bislang an standardisierten Produkten, die es Seniorenhaushalten ermöglichen, das in der selbst genutzten Immobilie gebundene Eigenkapital zu nutzen, ohne den Wohnort wechseln zu müssen. Eine Möglichkeit, die Liquidität im Alter zu erhöhen und gleichzeitig das Wohnrecht an der Immobilie zu erhalten, bieten sogenannte Immobilienverzehrprodukte, die insbesondere im angelsächsischen Raum verbreitet sind. Im Folgenden werden zunächst die Vorteile solcher Finanzmarktinstrumente für die Nachfrager beschrieben. Anschließend werden unterschiedliche Ausgestaltungsmöglichkeiten für Immobilienverzehrprodukte dargestellt. Darauf aufbauend werden mögliche angebotsseitige Hemmnisse diskutiert. Es folgt ein kurzer Überblick über die Märkte für Immobilienverzehrprodukte in Deutschland, dem Vereinigten Königreich und den USA. Abschließend werden mögliche Politikimplikationen erörtert.
O. Arentz (*) Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln, Köln, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 O. Depenheuer et al. (Hrsg.), Wohneigentum für breite Schichten der Bevölkerung, Bibliothek des Eigentums 18, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61287-3_13
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2 N utzung von Immobilienvermögen im Alter zukünftig wichtiger 2017 besaßen 44 Prozent der privaten Haushalte selbst genutztes Wohneigentum.1 Diese Haushalte verfügten im Mittelwert über ein Nettovermögen zwischen 494.900 Euro (Haushalte ohne Hypothek) und 406.000 Euro (HH mit Hypothek). Der Nettowert (Mittelwert) der selbst genutzten Immobilien belief sich auf 239.800 Euro (HH ohne Hypothek) bzw. 188.500 Euro (mit Hypothek),2 was einem Anteil von 48 Prozent (HH ohne Hypothek) bzw. 46 Prozent (HH mit Hypothek) am Nettovermögen entsprach. Auch innerhalb der Gruppe der Selbstnutzer sind sowohl das Gesamtvermögen als auch der Wert der selbst genutzten Immobilie ungleich verteilt, weshalb der Median3 für die entsprechenden Kennzahlen unterhalb des Mittelwerts liegt. Im Median verfügten die Selbstnutzer über ein Nettovermögen zwischen 317.100 Euro (ohne Hypothek) und 218.400 Euro (mit Hypothek) bei einem Nettowert des Selbstgenutzten Wohneigentums von 195.300 Euro (ohne Hypothek) und 141.500 Euro (mit Hypothek). Der Anteil des selbst genutzten Immobilienvermögens am gesamten Nettovermögen liegt für den Medianhaushalt mit 62 Prozent (ohne Hypothek) bzw. 65 Prozent (mit Hypothek) deutlich höher im Vergleich zur Betrachtung der Mittelwerte. Aufgrund der engen Korrelation von Vermögen und Einkommen,4 dürften die Senioren, deren Immobilien in der unteren Hälfte der Vermögensverteilung liegen, tendenziell auch über geringere laufende Einkommen verfügen (Tab. 13.1). Tab. 13.1 Nettogesamtvermögen und Nettowert des selbstgenutzten Wohneigentums 2017 (Quelle: Eigene Darstellung nach Deutsche Bundesbank 2019b)
Selbstnutzer mit Hypothek ohne Hypothek
Mittelwert Median Mittelwert Median
Nettovermögen gesamt 406.000 218.400 494.900 317.100
Nettowert des selbst genutzten Wohneigentums 188.500 141.500 239.800 195.300
Anteil Wohneigentum am Nettovermögen (%) 46 65 48 62
Die Angaben zu Vermögen und Immobilienwerten beziehen sich auf Deutsche Bundesbank 2019b. Dass die Immobilienwerte im Durchschnitt für Haushalte mit Hypothek höher liegen als für Haushalte ohne, erscheint auf den ersten Blick nicht plausibel. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass insbesondere neue und entsprechend hochwertig ausgestattete Immobilien noch mit Hypotheken belastet sind, während Bestandsimmobilien tendenziell eher schuldenfrei sind. 3 Der Median gibt an, welcher Wert die Verteilung der Vermögenswerte genau in zwei Hälften teilt, d. h. 50 Prozent der betrachteten Haushalte haben ein Vermögen von weniger bzw. maximal dem Medianwert und 50 Prozent verfügen über ein Vermögen, das mindestens dem Median entspricht. 4 Vgl. Niehues und Schröder 2012. 1 2
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Bislang wird das selbst genutzte Wohneigentum trotz der herausragenden Bedeutung in der privaten Vermögensbilanz überwiegend nur zu Wohnzwecken genutzt. Das investierte Kapital wird nur selten zu Lebzeiten vom Eigentümer verzehrt. So wurde in Deutschland im Zeitraum von 1991 bis 2014 jährlich Immobilienvermögen im Wert von 38 Mrd. Euro vererbt.5 Dieses Verhaltensmuster ist aus ökonomischer Perspektive erklärungsbedürftig, weil die Besitzer selbst genutzter Immobilien auf möglichen Konsum verzichten, was auf den ersten Blick nicht rational erscheint. Ein Grund für den Konsumverzicht des Erblassers zu Lebzeiten könnte der Wunsch sein, den eigenen Kindern etwas hinterlassen zu wollen. Allerdings ist dieses Motiv in Umfragen nicht sonderlich stark ausgeprägt.6 Zudem dürfte das Erbschaftsmotiv zukünftig weiter an Bedeutung verlieren, da die Frauen aus den geburtenstarken Jahrgängen (1955–1969), die in den nächsten Jahrzehnten vermehrt zu Erblassern werden, selbst weniger Kinder bekommen haben. Zum einen ist der Anteil Frauen, die kinderlos geblieben sind, von 11 Prozent in der Kohorte der 1937 geborenen auf 21 Prozent bei den 1967 geborenen Frauen gestiegen. Und zum anderen ist die Anzahl der Geburten pro Frau von durchschnittlich 2,4 bei den 1933–1936 geborenen Frauen auf 2,0 bei den Geburtsjahrgängen 1967–1971 zurückgegangen.7 In Bezug auf selbst genutztes Wohneigentum stellt sich zudem die Frage, ob sich das Erbschaftsmotiv auf die Immobilie an sich oder das darin gebundene Kapital bezieht. Die deutlich gestiegenen Mobilitätsanforderungen auf dem Arbeitsmarkt führen häufig dazu, dass die Erben die Immobilie des Erblassers nicht selbst nutzen können und nach dessen Ableben veräußern. Aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung der Erblasser sind die Erbnehmer zum Zeitpunkt des Erbes zudem im Durchschnitt 50 Jahre alt und haben oftmals bereits eine selbst genutzte Immobilie erworben.8 Sowohl das insgesamt sinkende Erbschaftsmotiv als auch der sinkende Bedarf, die Immobilie an sich zu vererben, könnten dazu beitragen, dass Senioren mit selbst genutzten Wohneigentum zukünftiger auch das darin gebundene Eigenkapital stärker nutzen möchten. Neben dem Erbschaftsmotiv dient Vermögen insbesondere der allgemeinen Risikovorsorge.9 Vermögen kann als Puffer gegen unerwartete Ausgabenschocks oder unerwartet geringe Einkommensströme genutzt werden. Falls der Erblasser zu Lebzeiten keine finanziellen Engpässe durchmachen musste, verbleibt ein positives Vermögen bei dessen Ableben, das dem Vorsichtsmotiv geschuldet ist. Immobilienvermögen ist jedoch sehr illiquide und nur schwer teilbar. Meist ist der vollständige Verkauf die einzige Option zur Nutzung. Die damit verbundenen Transaktionskosten wie Grunderwerbsteuer, Maklerkosten sowie Notar- und Grundbuchgebühren sowie der drohende Verlust des gewohnten Wohnumfelds stellen jedoch eine hohe Siehe auch den Beitrag von (Niehues und Stockhausen 2020) in diesem Sammelband. Vgl. Institut für Finanzdienstleistungen 2017 und Deutsche Bundesbank 2019b. 7 Die Zahlen zur Bevölkerungsentwicklung stammen aus Statistisches Bundesamt 2017. 8 Vgl. Braun und Pfeiffer 2005. 9 In einer Umfrage der Bundesbank gaben 2017 gut 30 aller über 65-jährigen die Vorsorge gegen Notsituationen an, während nur gut 10 Prozent Kinder und Enkel nannten. 5 6
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Hürde dar. Daher können selbst genutzte Immobilien bei Liquiditätsengpässen nur eingeschränkt herangezogen werden. Instrumente, die die gezielte Mobilisierung des Immobilienvermögens ohne Verlust des Wohnrechts ermöglichen, könnten für Senioren mit selbst genutzten Eigentum daher eine lohnenswerte Option darstellen, die eine effiziente Nutzung des gebundenen Kapitals ermöglicht. Aufgrund der demografischen Entwicklung wird die Anzahl der pflegebedürftigen Personen in Deutschland zukünftig deutlich ansteigen. Kochskämper (2018) geht von einem Anstieg der Pflegefallzahlen von derzeit rund 3 Mio. auf rund 4 Mio. im Jahr 2035 aus. Während der Anteil der Pflegebedürftigen in den Altersklassen bis 60 Jahre bei weniger als einem Prozent liegt, ist in der Altersklasse der 75–79-Jährigen jeder Zehnte und bei den 80–85-Jährigen jeder Fünfte pflegebedürftig. Bei den über 90-Jährigen steigt die Prävalenzrate auf 60 Prozent. In dieser Altersklasse ist also mehr als jeder zweite pflegebedürftig.10 Diese Altersklassen werden in den nächsten Jahren die stärksten Zuwächse verzeichnen, so dass selbst bei optimistischen Annahmen über die Entwicklung der Morbidität eine starke Zunahme der Pflegebedürftigen zu erwarten ist.11 Da die soziale Pflegeversicherung als Teilkaskoversicherung angelegt ist, stellt die Pflegebedürftigkeit auch eine große finanzielle Herausforderung für die Betroffenen dar. Gleichzeitig wünschen sich viele Pflegebedürftige, möglichst lange in der gewohnten Umgebung verbleiben zu können. Die hierfür notwendigen Ausgaben für Umbauten und Pflegedienstleistungen können schnell das laufende Einkommen eines Rentnerhaushalts überlasten. Um dennoch im Eigenheim wohnen bleiben zu können und um einen Rückgriff auf die eigenen Kinder zu vermeiden, dürfte ein Instrument zur Nutzung des in der selbst genutzten Immobilie gebundenen Eigenkapitals bei Erhalt des Wohnrechts für viele Seniorenhaushalte attraktiv sein und zukünftig aufgrund der steigenden Anzahl an Pflegebedürftigen an Attraktivität gewinnen. Bislang dürfte das hohe Absicherungsniveau im Alter durch die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV), Versorgungswerke und Pensionszahlungen des Staates einen Grund für die geringe Nachfrage nach Instrumenten zur Verrentung von Immobilien darstellen.12 Allerdings setzt die demografische Entwicklung diese Einrichtungen unter Druck. Zwar hat die Bundesregierung eine Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent des durchschnittlichen Arbeitsentgelts bis 2025 beschlossen, allerdings steigt der demografische Druck in den Jahren danach enorm an, so dass nach 2025 ein sinkendes Rentenniveau nicht ausgeschlossen werden kann. Zudem sind die Maßnahmen zur Stabilisierung des Rentenniveaus mit zusätzlichen Belastungen für Beitrags- und Steuerzahler verbunden, die aufgrund der zunehmenden Steuerpflicht der Alterseinkünfte auch ältere Haushalte vermehrt tragen müssen.13 Obwohl die gesetzliche Rente nur relativ zur Lohnentwicklung und nicht Vgl. zu den Pflegeprävalenzen Schwinger et al. 2017. Vgl. Kochskämper 2018. 12 Zur allgemeinen Entwicklung der Lebensverhältnisse im Alter siehe Kochskämper und Niehues 2017. 13 Für Prognosen zur zukünftigen Entwicklung von Beitragssatz, Steuerzuschüssen und Sicherungsniveau siehe Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage 2018, S. 53 ff. 10 11
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absolut sinkt, erwächst daraus zusätzlicher privater Vorsorgebedarf, wenn weiterhin ein gleich hoher Lebensstandard im Alter gesichert werden soll. Aufgrund der prominenten Stellung des selbst genutzten Immobilienvermögens in der privaten Vermögensbilanz der Haushalte ist es naheliegend, dieses stärker zur Sicherung des Alterskonsums, über den reinen Wohnkonsum hinaus, heranzuziehen.
3 I nstrumente zur Sicherung des Alterskonsums mit selbst genutzten Immobilien Die einfachste Form der Nutzung des in einer selbst genutzten Immobilie gebundenen Eigenkapitals ist das „Abwohnen“ der Immobilie.14 Im Gegensatz zu Finanzanlageprodukten bietet die selbst genutzte Immobilie auch einen direkten Konsumnutzen in Form des Wohnens. Der durch die Abnutzung entstehende Wertverlust wird im Normalfall durch Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen kompensiert. Heuristiken besagen, dass die Instandhaltungskosten rund ein Viertel der Gesamtkosten der Immobilie über die gesamte Nutzungsdauer hinweg ausmachen. Wenn Seniorenhaushalte auf solche werterhaltende Maßnahmen (Abwohnen) verzichten, entspricht dies einem teilweisen Verzehr des gebundenen Eigenkapitals. Allerdings kann der Seniorenhaushalt seine Liquidität durch das Abwohnen in der Summe nicht erhöhen. Das Abwohnen erlaubt lediglich einen Teil der vorhandenen liquiden Mittel auf andere Konsumzwecke als das Wohnen umzulenken, weil durch das Abwohnen die Wohnqualität sinkt. Das Ausmaß des Verlustes an Wohnqualität (und damit die Höhe des entnommenen Eigenkapitals bzw. des Wertverlustes) bestimmen insbesondere die großen Baustrukturen (Heizung, Dach, Rohre usw.). Während der Wertverlust zunächst gering ist, verläuft er gegen Ende der Lebenszyklen der betroffenen Baustrukturen stark beschleunigt. Spätestens wenn die Immobilie objektiv nicht mehr bewohnbar ist, stellt ein weiteres Abwohnen keine Option mehr da. In den meisten Fällen dürfte das subjektive Wohngefühl aber schon deutlich früher so stark in Mitleidenschaft gezogen werden, dass der Senior eine andere Verwertungsoption für seine selbst genutzte Immobilie anstreben wird (Abb. 13.1).
3.1 Erneute Beleihung Die in Deutschland gebräuchliche Grundschuld ist ein Instrument zur Beleihung von Immobilienvermögen. In der Regel wird das für den Erwerb der Immobilie aufgenommene Fremdkapital durch eine Grundschuld zugunsten der kreditgebenden Eine ausführliche Darstellung unterschiedlicher Formen der Nutzung von Immobilienvermögen im Alter findet sich in Arentz 2010 und den dort angegebenen Quellen.
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O. Arentz Verzehr des in der selbstgenutzten Immobilie gebundenen Eigenkapitals
Abwohnen
Eigenkapitalentnahme
Immobilienverzehr
erneute Beleihung
Verkauf
Umkehrhypothek
Leibrente / Mietkauf
Abb. 13.1 In Anlehnung an Arentz 2010
Bank besichert. Anders als bei einer Hypothek erlischt die Grundschuld nicht automatisch mit der Tilgung des ursprünglichen Kredits. Die Löschung der Grundschuld aus dem Grundbuch erfolgt nur auf Antrag des Eigentümers. Allerdings verzichten Eigentümer häufig auf eine Löschung der Grundschuld, damit sie die Grundschuld zur Besicherung weiterer Kredite nutzen können. Sofern die neuerliche Kreditaufnahme bei demselben Institut erfolgt, können dadurch die Kosten für die Löschung der ursprünglichen Grundschuld und die einer neuerlichen Grundbucheintragung gespart werden. Die erneute Beleihung einer Immobilie erhöht jedoch nicht dauerhaft die Liquidität des Seniors. Die gewährten Kredite müssen laut Wohnimmobilienkreditrichtlinie vom Kreditnehmer zu Lebzeiten aus dessen Einkünften zurückgezahlt werden können. Den Liquiditätszuflüssen bei Kreditaufnahme stehen somit entsprechende Liquiditätsabflüsse während der Tilgungsphase gegenüber. Aufgrund der geringeren Lebenserwartung müssten Banken bei Seniorenhaushalten zudem auf eine schnellere Tilgung bestehen.
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3.2 Verkauf Durch den Verkauf der selbst genutzten Immobilie wird das gebundene Eigenkapital für Konsumzwecke nutzbar. Der Verkäufer kann seine Liquidität aber nicht im vollen Umfang des Verkaufserlöses steigern, weil er seinen Wohnbedarf auch weiterhin decken muss. Der Zugewinn an Liquidität besteht somit aus der Differenz aus Verkaufserlös und dem Barwert der zukünftigen Ausgaben für Wohnen. Der Verkaufserlös wird zudem durch Transaktionskosten wie Grunderwerbsteuer, Maklergebühren und Notarkosten verringert. Neben den monetären Kosten für eine andere Wohnung ist der Verkauf häufig auch mit psycho-sozialen Kosten verbunden, die durch den Verlust der gewohnten Wohnumgebung entstehen. Bei einem Umzug droht der Verlust bestehender sozialer Bindungen und des bisherigen Lebensmittelpunkts. Die Kosten wiegen aufgrund der Endgültigkeit, die mit dem Verkauf einhergeht, besonders schwer.
3.3 Immobilienverzehr Das Abwohnen, die erneute Beleihung und der Verkauf sind nicht geeignet, die Liquidität eines Immobilienbesitzers im Alter dauerhaft zu erhöhen und ihm gleichzeitig den Verbleib im angestammten Eigenheim zu garantieren. Hier bieten Instrumente zum Immobilienverzehr eine Möglichkeit, die Liquidität zu erhöhen und gleichzeitig das Wohnrecht zu erhalten. Grundsätzlich lassen sich zwei Arten von Immobilienverzehrprodukten unterscheiden: zum einen die kreditbasierte Umkehrhypothek und zum anderen sogenannte Home-Reversion-Pläne (Leibrente und Mietkauf-Modelle). 3.3.1 Die Umkehrhypothek Im Kern stellt die Umkehrhypothek eine Umkehrung der Eigenkapitalbildung während der Erwerbsphase der Immobilie dar. Der Käufer einer selbst genutzten Immobilie kann in der Regel nicht die volle Kaufsumme aus Eigenkapital bestreiten und muss sich entsprechend Fremdkapital leihen. Dennoch steht ihm ab dem Zeitpunkt des Erwerbs, das Nutzungsrecht an der Immobilie zu. Durch regelmäßige Tilgungsleistungen steigt der Anteil des in der Immobilie gebundenen Eigenkapitals stetig an, bis der Kreditbetrag vollständig zurückbezahlt ist. Bei der Umkehrhypothek entwickeln sich die Eigen- und Fremdkapitalanteile genau entgegengesetzt. Ausgehend von einer (weitgehend) schuldenfreien Immobilie wird das Eigenkapital sukzessive durch erneute Beleihung der Immobilie aufgebraucht und in Fremdkapital umgewandelt. In der Regel fallen keine Zins- und Tilgungsleistun-
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gen zu Lebzeiten des Eigentümers an. Je nach Ausgestaltung kann der Kreditbetrag in monatlichen oder jährlichen Raten oder als Einmalbetrag ausgezahlt werden. Denkbar ist auch die Einrichtung einer Kreditlinie, die der Senior bei Bedarf abrufen kann. Der Senior behält zu Lebzeiten alle Rechte (und Pflichten) an der Immobilie und kann seinen Alterskonsum im Umfang des gewährten Kredits erhöhen. Die Forderungen des Kreditgebers werden für gewöhnlich erst nach dem Ableben des Eigentümers aus dem Verkauf der Immobilie bedient und sind meistens nach oben durch den erzielbaren Verkaufserlös begrenzt. Eine vorzeitige Beendigung des Vertrags auf Wunsch des Eigentümers ist in der Regel möglich. In diesem Fall muss er den Kreditbetrag zurückzahlen – entweder aus dem Verkaufserlös des Eigenheims oder aus anderen Mitteln. Wenn bei einem Verkauf der Erlös die aufgelaufenen Verpflichtungen aus dem Kredit übersteigt, steht der Überschuss dem Eigentümer bzw. seinen Erben zu. Die Erben können einen Verkauf der Immobilie durch Rückzahlung des Kredits verhindern.15 3.3.2 Home-Reversion-Pläne Bei Home-Reversion-Plänen veräußert der Senior die selbst genutzte Immobilie an einen Investor, der ihm im Gegenzug eine Einmalzahlung oder regelmäßige Rente leistet. Anders als bei einem normalen Verkauf verliert der Senior aber nicht alle Rechte an der Immobilie. Je nach Vertragsgestaltung behält er ein Nießbrauch- oder Wohnrecht zurück (Leibrenten-Modell) bzw. bei Mietkauf-Modellen wird ihm ein Dauermietrecht gegen Mietzahlung eingeräumt.16 Für den Barwert des Wohnrechts wird der Investor einen entsprechenden Abschlag auf den Auszahlungsbetrag berücksichtigen. Nach dem Ableben des Eigentümers oder – je nach Ausgestaltung – bei dessen Auszug kann der Investor die Immobilie verwerten. Ein Vorkaufsrecht für die Erben des Seniors ist in manchen Fällen möglich. Wie bei der Umkehrhypothek auch kann der Senior durch Home-Reversion-Pläne das in der Immobilie gebundene Eigenkapital für Konsumzwecke nutzen, ohne seine gewohnte Wohnumgebung verlassen zu müssen.
4 Angebotsseitige Markthemmnisse bei Immobilienverzehrprodukten Immobilienverzehrprodukte werden in Deutschland bislang nur sehr selten genutzt. Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen ist dies erklärungsbedürftig. Daher werden im Folgenden zunächst die Risiken für Anbieter erläutert, die mit Ausführlich zu Umkehrhypotheken Schneider 2009. Bei Mietkauf-Modellen erhält der Senior ein Dauermietrecht. Allerdings muss er hierfür Miete zahlen. Im Barwert sollten sich die Zahlungsströme zwischen Mietkauf- und Leibrenten-Modellen daher nicht substanziell unterscheiden.
15 16
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s olchen Produkten verbunden sind. Auf nachfrageseitige Markthemmnisse wird im folgenden Kapitel eingegangen. Für den Anbieter eines Immobilienverzehrprodukts besteht das wesentliche Risiko darin, dass er dem Senior Leistungen zusagt, die in der Summe den Wert der Immobilie übersteigen.17 Der Anbieter verpflichtet sich zum einen Geldzahlungen zu leisten und zum anderen ein Wohn- oder Nießbrauchrecht einzuräumen. Die Höhe der Leistungsversprechen hängt insbesondere von der Vertragslaufzeit, also der Restlebensdauer des Eigentümers, und der Zinsentwicklung ab. Diesen Leistungen steht der Immobilienwert gegenüber. Allerdings ist für den Anbieter nicht der aktuelle Immobilienwert entscheidend, der verhältnismäßig genau ermittelt werden kann, sondern der zukünftige Wert der Immobilie bei Vertragsende. Die Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung der Immobilienwerte wird als Hauspreisänderungsrisiko beschrieben.
4.1 Das „Langlebigkeitsrisiko“ Die erwartete Restlebensdauer des Seniors ist aus der Sicht des Anbieters ein finanzielles Risiko. Je länger der Senior lebt, desto länger muss er Zahlungen leisten bzw. auf die Verwertung der Immobilie warten. Dieses „Risiko“ ließe sich für den Anbieter durch eine feste Vertragslaufzeit verringern. Allerdings sind Zeitverträge für Immobilienbesitzer weniger attraktiv, weil sie dann das „Risiko“ tragen, dass sie nach Ende der Laufzeit weder über ein zusätzliches Einkommen noch über eine Immobilie verfügen. Daher wird bei Immobilienverzehrprodukten in der Regel das „Langlebigkeitsrisiko“ vom Anbieter getragen. Die Anbieter können sich gegen die finanziellen Folgen einer besonders langen Lebensdauer eines einzelnen Vertragspartners durch eine hinreichend hohe Anzahl an Verträgen absichern. Sofern keine systematischen Risiken vorliegen, entspricht die erwartete Lebensdauer über alle abgeschlossenen Verträge hinweg der durchschnittlichen ferneren Lebenserwartung der Gesamtbevölkerung, wie sie vom Statistischen Bundesamt in den offiziellen Sterbetafeln bestimmt wird. Allerdings kann es in der Gruppe der Immobilienbesitzer, die ein Immobilienverzehrprodukt abschließen, systematische Abweichungen in der Lebenserwartung gegenüber der Gesamtbevölkerung geben. Aufgrund von Selektionseffekten erscheint es plausibel, dass die Nutzer von Immobilienverzehrprodukten im Durchschnitt eine höhere Lebenserwartung aufweisen als die Gesamtbevölkerung. Zum einen ist ein solches Produkt insbesondere für Personen attraktiv, die ihre Lebenserwartung als besonders hoch einschätzen. Sofern die Selbsteinschätzung zutrifft, können die Leistungen (Wohnrecht und/oder laufende Zahlungen) überdurchschnittlich lange in Anspruch genommen werden. Der auf den Durchschnitt bezogene Abschlag für das Langlebigkeitsrisiko ist für diese Gruppe daher zu gering. Zum anderen – und dies dürfte der wichtigere Kanal sein – werden Personen, die 17
Die Darstellung folgt in diesem Kapitel Arentz 2010 und den dort angegeben Quellen.
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mit einer eher unterdurchschnittlichen Restlebenserwartung rechnen, vom Kauf eines Immobilienverzehrproduktes absehen. Für sie ist die durchschnittliche Prämie zu hoch, weil sie erwarten, die Leistungen weniger lange als der Durchschnitt zu erhalten.18 Eine Lösung für das Selektionsproblem kann aus Sicht der Anbieter darin bestehen, spezifische Sterbetafeln zu nutzen, die den Selektionseffekt berücksichtigen. So stellt die Deutsche Aktuarsvereinigung mit der DAV 2004 R eine Sterbetafel für die Berechnung von Rentenprodukten zur Verfügung, die die beschriebenen Selektionseffekte einbezieht.19 Zudem werden in der DAV 2004 R auch zukünftig erwartete Steigerungen der Überlebenswahrscheinlichkeit abgebildet. Die sich ergebenden Lebenserwartungen liegen deutlich über den Schätzungen, die sich nach der Periodensterbetafel des Statistischen Bundesamtes ergeben und nur die aktuellen Sterblichkeitsverhältnisse in der Gesamtbevölkerung beschreiben. So beträgt die durchschnittliche Restlebenserwartung einer 70-jährigen Frau in der Gesamtbevölkerung aktuell 16,9 Jahre. Die konservativere Schätzung nach DAV 2004 R unter Berücksichtigung zukünftig steigender Überlebenswahrscheinlichkeiten und möglicher Selektionseffekte geht von einer durchschnittlichen ferneren Lebenserwartung von 22,3 Jahren aus. Weitere Zahlenbeispiele zu den unterschiedlichen Einschätzungen der Restlebenserwartung sind in Tab. 13.2 angegeben. Die Anwendung konservativer Sterbetafeln führt allerdings dazu, dass das Produkt für Personen mit durchschnittlicher Lebenserwartung weniger attraktiv ist, da sie nun eine höhere Prämie zahlen müssen. Daher könnten Anbieter auch versuchen, möglichst homogene Gruppen in Bezug auf die Restlebenserwartung zu bilden, denen dann unterschiedliche Prämien zugewiesen werden. Anders als bei Lebensversicherungsprodukten dürfte dieses Vorgehen auch keine großen Reputationsrisiken bergen, da Vertragsnehmer mit einer unterdurchschnittlichen Lebenserwartung geringer belastet werden. Tab. 13.2 Eigene Darstellung nach Angaben von Statistisches Bundesamt 2018 und Bauer 2005 Alter 65 70 75 80 85
18 19
Geschlecht Frau Mann Frau Mann Frau Mann Frau Mann Frau Mann
Vgl. Mitchell und McCarthy 2002. Siehe auch Bauer 2005.
Periodensterbetafel 21,0 17,8 16,9 14,3 13,0 10,9 9,4 7,9 6,5 5,5
DAV 2004 R 27,5 24,8 22,3 19,8 17,2 14,9 12,5 8,9 9,2 8,0
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In Bezug auf das Langlebigkeitsrisiko sind für Anbieter Produkte mit Einmalzahlung mit einem geringeren Risiko verbunden als Rentenprodukte mit laufenden Zahlungen, die erst mit dem Ableben des Vertragsnehmers enden. Bei einer Einmalzahlung müssen die Anbieter nur die zusätzlichen Refinanzierungskosten tragen, wenn der Immobilienbesitzer überdurchschnittlich lange lebt und keine weiteren Auszahlungen vornehmen wie bei einem Rentenprodukt. Die Anbieter einer Umkehrhypothek müssen zudem einen zusätzlichen Abschlag für das Langlebigkeitsrisiko erheben, weil die Risiken hier asymmetrisch verteilt sind. Wenn der Vertragsnehmer überdurchschnittlich lange lebt, müssen die Anbieter höhere Zahlungen leisten. Aufgrund der Konstruktion von Umkehrhypotheken erwächst dem Anbieter jedoch kein finanzieller Vorteil aus einer unterdurchschnittlichen Lebenspanne des Vertragsnehmers, da der Anbieter nur einen Rückzahlungsanspruch in Höhe der tatsächlich geleisteten Zahlungen hat.20
4.2 Das Hauspreisänderungsrisiko Die erwarteten Hauspreisänderungen während der Vertragslaufzeit eines Immobilienverzehrprodukts beeinflussen die Höhe des auszahlbaren Betrags. Erwarten die Anbieter zukünftige Hauspreissteigerungen können sie eine höhere Summe auszahlen als bei negativem Marktausblick. Überregionale Anbieter können lokale Hauspreismarktrisiken durch den Aufbau eines räumlich diversifizierten Portfolios begrenzen. Allerdings ist der systematische und damit nicht diversifizierbare Anteil am Hauspreisänderungsrisiko groß. Makroökonomische Schocks, die etwa die Einkommens- oder Zinsentwicklung betreffen, können innerhalb des deutschen Marktes für Immobilien nicht diversifiziert werden, weil sie alle inländischen Immobilien betreffen. Nur international tätige Anbieter könnten eine Minimierung dieser Risiken erreichen, wenn sie auch ausländische Immobilien in ihrem Portfolio haben. Kleinere Anbieter müssten eine Risikoabsicherung über Derivate oder vergleichbare Finanzmarktprodukte anstreben. Von 2010 bis 2018 sind die Immobilienpreise im Durchschnitt jedes Jahr um fast 7 Prozent gestiegen (Tab. 13.3). Eine optimistische Einschätzung zukünftiger Wertsteigerung erscheint daher naheliegend. Allerdings lag der durchschnittliche jährliche Wertzuwachs im Zeitraum von 2005 bis 2009 unter 0,20 Prozent. In 2005 war im Vergleich zum Vorjahr sogar ein durchschnittlicher Wertverlust 1,5 Prozent zu verzeichnen.21 Auch in den Big-7 war die Preisentwicklung in den letzten Jahren keineswegs immer so dynamisch wie am aktuellen Rand. In Berlin und Stuttgart sind die Immobilienpreise bei Erstbezug im Zeitraum von 1995 bis 2011 insgesamt um 5,4 bzw. 8,6 Prozent zurückgegangen, während sie im selben Zeitraum in München (+1,3 Prozent), Köln (+2,8 Prozent), Frankfurt am Main (+2,8 Prozent), Hamburg (+4,7 Prozent) und Düsseldorf (+10,1 Prozent) nur geringfügig anstiegen und 20 21
Vgl. Arentz 2010, S. 153–154. Vgl. Deutsche Bundesbank 2019a.
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Tab. 13.3 Eigene Darstellung nach Deutsche Bundesbank 2019a Jahr 2018 2017 2016 2015 2014 2013 2012 2011 2010 2009 2008 2007 2006 2005 2004
Wert 168,5 155,3 142,2 130,5 121,3 114,8 106,8 100,0 94,5 92,0 91,8 91,1 90,1 89,8 91,2
Relative Veränderung zum Vorjahr in Prozent 8,5 9,2 9,0 7,6 5,7 7,5 6,8 5,8 2,7 0,2 0,8 1,1 0,3 −1,5
kaum den inflationsbedingten Wertverlust kompensieren konnten.22 Daher ist davon auszugehen, dass die Anbieter von Immobilienverzehrprodukten die zukünftige Wertsteigerung eher konservativ schätzen dürften. Das Hauspreisänderungsrisiko wird zudem durch den Umfang der durchgeführten Instandhaltungsmaßnahmen beeinflusst.23 Insbesondere bei Verträgen die über längere Zeiträume laufen, ist der betriebene Instandhaltungsaufwand wesentlich für den erzielbaren Verwertungserlös bei Vertragsende. Grundsätzlich ist aus empirischen Studien bekannt, dass ältere Hauseigentümer tendenziell weniger in Instandhaltungsmaßnahmen investieren. Dies entspricht einer Nutzung des gebundenen Eigenkapitals durch Abwohnen der Immobilie. Offen ist, ob die Nutzer von Immobilienverzehrprodukten dasselbe Verhalten wie Immobilieneigentümer ohne ein entsprechendes Produkt zeigen. Aus theoretischer Sicht ist anzunehmen, dass der Anreiz zur Instandhaltung nach Abschluss eines Immobilienverzehrproduktes sinkt. Schließlich besteht die Funktion des Immobilienverzehrproduktes gerade darin, dass gebundene Eigenkapital aufzubrauchen. Anderseits zeigen Untersuchungen, dass ein Teil der zusätzlichen Liquidität durch das Immobilienverzehrprodukt wieder in die Immobilie investiert wird, um den Nutzen aus dem Wohnkonsum zu erhalten bzw. zu steigern.24 Eine rechtsverbindliche Vereinbarung über den zu erbringenden Instandhaltungsaufwand während der Vertragslaufzeit ist komplex und setzt bei beiden Vertragsseiten Mindestmaß an Vertrauen voraus, weil immer Interpretationsspielräume hinsichtlich Zeitpunkt und Qualität der vereinbarten Instandhaltungsmaßnahmen bestehen können. Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage 2018, S. 335. Vgl. Miceli und Sirmans 1994. 24 Vgl. Greenspan und Kennedy 2008. 22 23
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4.3 Zinsänderungsrisiken Neben dem finanziellen Risiko aus der Langlebigkeit der Vertragsnehmer müssen die Anbieter von Immobilienverzehrprodukten die Folgen von Zinsänderungen berücksichtigen. Auf der einen Seite hat die Zinshöhe einen Einfluss auf die Refinanzierungskosten der Anbieter. Wenn die Anbieter die Auszahlung mit Fremdkapital finanzieren, führen steigende (sinkende) Zinsen zu niedrigeren (höheren) Auszahlungsmöglichkeiten. Bestreiten die Anbieter die Auszahlungen hingegen aus Eigenkapital-Erträgen kehrt sich die Beziehung um. Steigende (fallende) Zinsen erhöhen (verringern) dann das Auszahlungspotenzial. Wie sich Zinsänderungen im laufenden Vertrag auswirken, hängt von den vertraglichen Regelungen ab, welche Vertragsseite die Folgen tragen soll. Denkbar sind bei Umkehrhypotheken etwa Verträge mit variabler oder fixer Verzinsung der Kredite. Zinsänderungen wirken sich aber auch auf den Hauspreis aus. Tendenziell sind sinkende (steigende) Zinsen mit steigenden (sinkenden) Hauspreisen assoziiert, weil bei sinkenden (steigenden) Zinsen die Nachfrage nach Eigenheimen aufgrund von sinkenden (steigenden) Kapitalkosten steigt (sinkt). Unterstellt man ein weitgehend unelastisches Angebot steigen (sinken) die Preise für Wohneigentum.
4.4 Eine einfache Modellrechnung Im Folgenden soll anhand einer einfachen Modellrechnung illustriert werden, welchen Einfluss die Annahmen über die Restlebenserwartung des Seniors, die Hauspreissteigerung und die Kapitalkosten auf die Auszahlungen bei einem Immobilienverzehrprodukt haben.25 Aus Gründen der Anschaulichkeit wird von einem Vertrag mit Einmalzahlung zu Beginn der Vertragslaufzeit ausgegangen. Es wird zudem unterstellt, dass die Anbieter sowohl über die Restlebenserwartung des Vertragsnehmers, den Hauspreis bei Vertragsbeginn und die zukünftige Entwicklung des Hauspreises informiert sind. In einem wettbewerblichen Marktumfeld ist zu erwarten, dass die Einmalzahlung (K0) zu Vertragsbeginn zuzüglich der Kapitalkosten (t),26 die während der Vertragslaufzeit (N) anfallen, dem Hauspreis bei Vertragsschluss (H0) zuzüglich der erwarteten Wertsteigerungen (d) während der Laufzeit entsprechen: K 0 (1 + t ) = H 0 (1 + d ) N
N
Ein ähnliches Vorgehen findet sich bei Schneider 2009, S. 116–118. Die Kapitalkosten können im einfachen Modell auch den Wert des Wohnrechts und sonstige Risiken abbilden.
25 26
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Durch Umformung erhält man die Auszahlungsquote (AZ), also den Anteil des Hauspreises bei Vertragsabschluss, der tatsächlich ausgezahlt wird: N
AZ =
K0 1 + d = H 0 1 + t
Die Höhe der Auszahlungsquote hängt somit von der Vertragslaufzeit, den Hauspreissteigerungen und den Kapitalkosten des Anbieters ab. In den Spalten (1)–(5) von Tab. 13.4 wird gezeigt, wie sich Veränderungen der Vertragslaufzeit auf die Auszahlungsquote auswirken, wenn eine jährliche Hauspreissteigerung von 1,5 Prozent und Kapitalkosten in Höhe von 4 Prozent angenommen werden. Wie zu erwarten, steigt der Anteil des Hauspreises bei Vertragsabschluss, der ausgezahlt wird, wenn die Laufzeit sinkt. So liegt die Auszahlungsquote bei einer Laufzeit von 25 Jahren bei 54 Prozent, bei 15 Jahren beträgt sie 69 Prozent und bei 5 Jahren liegt sie bei 89 Prozent. Spalte 6 zeigt, dass sich die Auszahlungsquote bei 15-järiger Laufzeit von 69 Prozent auf 87 Prozent erhöht, wenn sich die jährliche Hauspreissteigerung von 1,5 auf 3 Prozent verdoppelt. Eine Verdopplung der Kapitalkosten von 4 auf 8 Prozent würde hingegen zu einer Reduktion der Auszahlungsquote auf 39 Prozent führen (Spalte (7)). Nach Angaben der Deutschen Bundesbank (2019b) beträgt der Wert des selbstgenutzten Wohneigentums eines Rentnerhaushalts im Mittel (Median) 171.900 Euro.27 Zieht man hiervon die mittlere Belastung mit Hypothekenkrediten in Höhe von 29.200 Euro ab, ergibt sich ein mittleres Netto-Immobilienvermögen für Rentnerhaushalte von 142.700 Euro. In Tab. 13.5 ist angegeben, welche Einmalzahlungen sich unter den beschriebenen Annahmen ergeben würden. Dabei wird die Lebenserwartung des Vertragsnehmers sowohl anhand der Periodensterbetafel des Statistischen Bundesamtes als auch der Grundtafel mit Altersverschiebung der Deutschen Aktuarsvereinigung (DAV 2004 R) für Rentenversicherungen geschätzt. Die Schätzung nach DAV 2004R fällt deutlich konservativer aus, weil zukünftig erwartete Verbesserungen der Lebenserwartung und Selektionseffekte berücksichtigt werden.28 Ausgehend von einem Immobilienwert in Höhe von 142.000 Euro, erwarteten jährlichen Hauspreissteigerungen von 1,5 Prozent und 4 Prozent Kapitalkosten Tab. 13.4 Modellschätzung möglicher Auszahlungsquoten (AQ) für ein Immobilienverzehrprodukt mit Einmalzahlung in Abhängigkeit von der Laufzeit (N), den Kapitalkosten (t) und den erwarteten jährlichen Hauspreissteigerungsraten (d) N t d AQ
(1) 25 0,04 0,015 0,54
(2) 20 0,04 0,015 0,61
(3) 15 0,04 0,015 0,69
(4) 10 0,04 0,015 0,78
(5) 5 0,04 0,015 0,89
(6) 15 0,04 0,03 0,87
(7) 15 0,8 0,015 0,39
Statt des Mittelwerts wird auf den Median abgestellt, da dieser für einkommensarme Haushalte die Höhe des Immobilienvermögens besser repräsentieren dürfte. 28 Eine Beschreibung der Selektionseffekte findet sich im Abschn. 4.1. 27
75
70
Alter 65
M
F
M
F
M
Geschlecht F
Restlebenserwartung in Jahren 21 27,5 17,8 24,8 16,9 22,3 14,3 19,8 13 17,2 10,9 14,9
Hauspreissteigerung 1,5 %/Kapitalkosten 4 % 85.607 73.084 92.539 78.047 94.588 82.942 100.765 88.144 104.004 93.900 109.456 99.305
Hauspreissteigerung 3 %/Kapitalkosten 4 % 116.495 109.403 120.153 112.295 121.202 115.040 124.285 117.853 125.856 120.851 128.436 123.567
Tab. 13.5 Modellschätzung von Einmalzahlungen im Rahmen eines Immobilienverzehrproduktes Hauspreissteigerung 1,5 %/Kapitalkosten 8 % 38.754 25.887 47.269 30.611 49.985 35.749 58.739 41.750 63.676 49.063 72.541 56.592
Hauspreissteigerung 3 %/Kapitalkosten 8 % 52.736 38.752 61.374 44.043 64.049 49.584 72.450 55.823 77.055 63.145 85.120 70.418
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könnte eine 65-jährige Frau mit einer Einmalzahlung von 73.084 bis 85.607 Euro rechnen – je nachdem, wie konservativ der Anbieter die Restlebenserwartung kalkuliert. Die theoretischen Auszahlungen für eine 75-jährige Frau lägen bei 93.900 bis 104.004 Euro. Bei gleichaltrigen Männern ergeben sich aufgrund der kürzeren Restlebenserwartung höhere Auszahlungsbeträge. Wenn die Anbieter mit einer Verdopplung der jährlichen Hauspreissteigerung auf 3 Prozent kalkulieren, würden die theoretisch möglichen Auszahlungen für eine 75-jährige Frau bei konservativer Schätzung der Restlebenserwartung von 93.900 Euro auf 120.851 Euro steigen. Würde der Anbieter hingegen die Kapitalkosten mit 8 Prozent ansetzen, wäre bei einer erwarteten jährlichen Hauspreissteigerung von 1,5 Prozent nur eine Auszahlung von 49.063 Euro (konservative Schätzung) möglich. Auch wenn der Anbieter die jährliche Hauspreissteigerung optimistisch mit 3 Prozent ansetzt, wäre der mögliche Auszahlungsbetrag bei 8 Prozent Kapitalkosten mit 63.145 Euro geringer als im Ausgangsszenario.
5 Marktüberblick Im Folgenden werden kurz die Märkte für Immobilienverzehrprodukte in Deutschland, dem europäischen Ausland und den USA beschrieben und anschließend Faktoren abgeleitet, die eine möglichst gute Marktbreite und -tiefe ermöglichen.
5.1 Deutschland In Deutschland gibt es bislang nur einen sehr kleinen Markt für Immobilienverzehrprodukte. Versuche der Bausparkassen und anderer öffentlich-rechtlicher Banken in den Markt einzutreten sind in der Regel gescheitert. 2013 musste mit der ImmoKasse GmbH ein privater Anbieter Insolvenz anmelden.29 Marktaktive Anbieter mit Erwähnung in überregionalen Medien sind zurzeit die Stiftung Liebenau, die Deutsche Leibrenten Grundbesitz AG und die HausPlusRente GmbH. Alle drei Anbieter setzen auf Immobilienverzehrprodukte, die im Grunde dem Leibrentenmodell entsprechen. Der Senior verkauft seine Immobilie an den Investor unter Einräumung eines lebenslangen Wohnrechts (Stiftung Libenau und Deutsche Leibrenten) bzw. eines lebenslangen Nießbrauchrechts (HausPlusRente). Die Stiftung Libenau zahlt den Immobilienwert in Form einer lebenslangen Rente aus, während die beiden anderen Anbieter sowohl Einmalzahlungen als auch Rentenmodelle anbieten. Genaue Angaben über die tatsächlich abgeschlossenen Verträge sind nicht bekannt, meist kommunizieren die Anbieter nur Angaben zur Größenordnung der Anfragen.30 Siehe z. B. Wenig 2016 und Institut für Finanzdienstleistungen 2017, S. 119. Siehe z. B. „Der angebliche Boom bei der Immobilienverrentung 2018“. Demnach dürften die Abschlüsse aller Anbieter im niedrigen dreistelligen Bereich liegen.
29 30
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Neben den institutionellen Angeboten sind in Deutschland Leibrentenmodelle unter Privatpersonen möglich. Dabei handelt es sich um einen Verkauf der Immobilie gegen Zahlung einer meist lebenslangen Rente. Die gesetzlichen Regelungen zur Leibrente finden sich in §§ 759–761 BGB. Die Leibrente sowie ein lebenslanges Wohnrecht sollten zum Schutz des Veräußerers möglichst grundbuchrechtlich abgesichert werden. Dennoch sind die Risiken für beide Vertragsseiten enorm. Auf Seiten des Anbieters schlagen die oben beschriebenen Langlebigkeits- und Hauspreisänderungsrisiken voll durch, weil eine Privatperson keine Risikostreuung durch eine große Anzahl an Verträgen vornehmen kann. Das klassische Beispiel ist der französische Geschäftsmann Raffray, der einen Leibrentenvertrag mit einer 80-jährigen Witwe abschloss, die ihn mit 121 Jahren deutlich überlebte. Aber auch für den Veräußerer ist ein privates Arrangement mit großen Unsicherheiten verbunden. So müssen die genauen Konditionen aufgrund fehlender Standards jeweils ausgehandelt werden, was eine erhebliche Kenntnis der zugrunde liegenden ökonomischen Strukturen und rechtlichen Gegebenheiten voraussetzt.
5.2 Vereinigtes Königreich und USA In Europa bietet insbesondere das Vereinigte Königreich einen ausgereiften Markt für Immobilienverzehrprodukte. Der Markt besteht dort bereits seit Mitte der 1960er-Jahre. Nach einer Vertrauenskrise in den späten 1980er-Jahren, die durch hohe Verluste von Eigenheimbesitzern mit zweifelhaften Produkten hervorgerufen wurde, konnte er sich erst Ende der 1990er-Jahre wieder erholen.31 Dabei hat der Staat das Vertrauen und die Erwartungen der Marktteilnehmer durch eine stärkere Überwachung der Anbieter und Produkte stärken können. Das Marktvolumen lag 2017 bei über 3 Mrd. Pfund, was einem Wachstum von rund 900.000 Mio. Pfund gegenüber 2016 entspricht. Die Anzahl der neuen Verträge lag allein 2017 bei über 35.000.32 Die verfügbare Produktpalette umfasst sowohl Umkehrhypotheken (Lifetime Mortgage) als auch Leibrentenpläne (Home Reversion) mit unterschiedlichen Auszahlungsmodalitäten. Die Qualitätsstandards auf dem britischen Markt für Immobilienverzehrprodukte werden maßgeblich von zwei Institutionen vorgegeben: der staatlichen Aufsichtsbehörde Financial Conduct Authority (FCA) und der privaten Branchenvereinigung Equity Release Council (ERC). Die FCA hat viele freiwillige Selbstverpflichtungen des ERC übernommen und damit für alle Marktteilnehmer verbindlich gemacht. Dadurch ist der Markt im Vereinigten Königreich für Verbraucher sehr transparent, was die Such- und Informationskosten der Verbraucher deutlich senkt.33 Auch in den USA entwickelte sich der Markt für Immobilienverzehrprodukte erst Ende der 1990er-Jahre, nachdem in Folge von Skandalen höhere Produktstan Vgl. Schneider, S. 64–67. Vgl. Equity Release Council 2018. 33 Vgl. Institut für Finanzdienstleistungen 2017, 131 ff. 31 32
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dards durch staatliche Intervention durchgesetzt worden waren.34 Maßgeblich hierfür war das Home Equitiy Conversion Mortgage (HECM) Programm, das 1987 eingeführt wurde. Drei Ziele sollten mit dem HECM-Programm erreicht werden: 1) älteren Hausbesitzern die Nutzung ihres Immobilienvermögens erleichtern, 2) die Märkte für Umkehrhypotheken weiterentwickeln und 3) die Wünsche beider Marktseiten besser aufeinander abstimmen.35 Um diese Ziele zu erreichen, bietet der Staat den Anbietern eine Versicherung gegen das Langlebigkeitsrisiko an. Insbesondere in der Immobilienkrise ab 2007 zeigte sich, dass die dafür erhobene Prämie das Risiko nicht vollständig abdeckte und damit eine implizite Subvention dieser Produkte enthielt. Zwei teilstaatliche Unternehmen (Fannie Mae und Freddie Mac) gerieten dadurch unter massiven Druck und mussten von der Regierung mit Steuergeldern gerettet werden.36 Seitdem wurde mit zahlreichen Maßnahmen versucht, die Tragfähigkeit des HECM-Programms zu verbessern. Allerdings sind die Erfolge dabei bislang überschaubar. Dennoch werden jedes Jahr ungefähr 55.000 neue Verträge abgeschlossen.37
5.3 Erfolgsfaktoren Die skizzierten Entwicklungen in den USA und dem Vereinigten Königreich geben Hinweise darauf, welche Faktoren für einen funktionierenden Markt für Immobilienverzehrprodukte relevant sind.38 Für die Konsumenten ist die Transparenz der Produkte von großer Bedeutung. Aufgrund der Komplexität der Materie brauchen die Verbraucher bestimmte Produktstandards, die als Orientierungshilfen dienen können. So sind möglichst einheitliche und leicht nachvollziehbare Regeln bezüglich der Auszahlungsmodalitäten und der möglichen finanziellen Folgen für den Eigenheimbesitzer bzw. dessen Erben wesentlich. Diese Transparenz ermöglicht es auch, die Eigenschaften der Produktklasse an sich einem möglichst breiten Publikum zu vermitteln. Neben der Transparenz ist auch eine gewisse kulturelle Akzeptanz von Immobilienverzehrprodukten notwendig. In den USA und dem Vereinigten Königreich ist zum einen Wohneigentum weiterverbreitet als in Deutschland. Zum anderen wird das Wohneigentum auch stärker als Investitionsobjekt angesehen, das nicht nur zu Wohnzwecken genutzt wird. Eine staatliche Risikoabsicherung kann helfen, die Märkte für Immobilienverzehrprodukte voranzubringen. Allerdings sind damit auch Risiken für die Steuer-
Vgl. Schneider, S. 49–55. Vgl. Szymanoski 1994. 36 Vgl. Arentz 2010, S. 168–169. 37 Vgl. Perl 2017. 38 Eine umfangreiche Analyse europäischer Marktpotenziale und daraus abgeleitete Empfehlungen bietet Institut für Finanzdienstleistungen 2017. 34 35
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zahler verbunden, wenn die Prämien nicht versicherungsmathematisch fair kalkuliert werden.
6 Fazit und Politikimplikationen Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass der Bedarf an Immobilienverzehrprodukten aufgrund der demografischen Entwicklung und damit einhergehenden gesellschaftlichen Herausforderungen im Bereich der Alterssicherung und des zukünftig zu erwartenden Pflegebedarfs steigen dürfte. Allerdings sind die damit verbundenen Risiken für die Anbieter enorm. Diese Risiken dürften der Grund sein, warum in Deutschland der Markt für Immobilienverzehrprodukte bislang kaum entwickelt ist. Die meisten Angebote sind kaum standardisiert und intransparent, wodurch die Unsicherheiten auf Seiten der Senioren groß sind. Immobilienverzehrprodukte werden voraussichtlich nie ein Massenprodukt werden. Die Zielgruppe ist überschaubar: Haushalte jenseits der 65 Jahre mit einer möglichst schuldenfreien Immobilie in guter bis sehr guter Lage, die nicht vorhaben, die Immobilie an ihre Kinder zu vererben. Grundsätzliche Probleme der Alterssicherung können damit also nicht angegangen werden.39 Dennoch bietet der Markt Chancen für Investoren und Senioren, die zwar über ein relevantes Vermögen in Form einer selbst genutzten Immobilie verfügen, aber nur geringe laufende Einkünfte haben. Für diese Gruppe können Immobilienverzehrprodukte zu einer spürbaren Verbesserung der finanziellen Verhältnisse beitragen. Die Politik kann die Marktentwicklung durch Standardsetzung vorantreiben. Das Beispiel des Vereinigten Königreichs zeigt, wie wichtig Produktstandards sind. Denkbar wäre eine Zertifizierung von Produkten bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, wobei die Kriterien möglichst im Dialog mit Branchenvertretern und Verbraucherschützern erarbeitet werden sollten. Wesentliche Elemente wären u. a. die grundbuchrechtliche Absicherung von Wohnrechten und Zahlungsströmen, Mindestanforderungen an die Solvenz der Anbieter und die Sicherung der Kundenansprüche im Falle einer Insolvenz des Anbieters bzw. bei Verkauf der Immobilie durch den Anbieter. Auch könnten Mustervertragsklauseln entwickelt werden, wie Instandhaltungspflichten zwischen Eigenheimbesitzer und Anbieter aufgeteilt werden können. Zudem könnten vertrauenswürdige Informationen über die Faktoren, die die mögliche Auszahlungshöhe bestimmen, die Akzeptanz von Immobilienverzehrprodukten erhöhen und die Erwartungen auf Seiten der Nachfrager auf einem realistischen Niveau stabilisieren. Eine häufig diskutierte Frage ist, ob die Politik vor dem Hintergrund des durchaus vorhandenen gesellschaftlichen Interesses an Immobilienverzehrprodukten und den hohen Hürden für private Angebote Risiken übernehmen sollte wie dies in den USA der Fall ist. Sofern mit der Risikoübernahme eine Subvention verbunden ist, also keine versicherungsmathematisch faire Prämie erhoben wird, geht der Staat 39
Vgl. auch Moscarola et al. 2015; Institut für Finanzdienstleistungen 2017.
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O. Arentz
Risiken – letztlich zulasten der Steuerzahler – ein. Die Erfahrungen in den USA haben gezeigt, dass sich diese Risiken in einem Abschwung auf dem Immobilienmarkt mit durchaus dramatischen Folgen materialisieren können. Daher erscheint es angebracht, dass der Staat nicht aktiv in den Markt durch Risikoübernahme eingreift, sondern sich auf das Setzen der Rahmenbedingungen beschränkt. Allerdings sollten Immobilien steuerrechtlich konsequent behandelt werden. So stellt die selbst genutzte Immobilie steuerrechtlich ein Konsumgut dar, weshalb Kreditzinsen nicht steuerlich geltend gemacht werden können und die Veräußerung i. d. R. steuerfrei ist. Insofern ist es nicht systematisch, dass bei einem Verkauf der Immobilie gegen Leibrente der Ertragsanteil der Leibrente versteuert werden muss. Hier erscheint es angezeigt, dass Immobilienverzehrprodukte keine Steuerpflicht beim Veräußerer begründen. Zudem würden Immobilienverzehrprodukte, bei denen die Immobilie zwingend veräußert wird, attraktiver, wenn die mit der Veräußerung verbundenen Transaktionskosten gesenkt würden. Hier ist insbesondere an die Grunderwerbsteuer sowie Notar- und Grundbuchgebühren zu denken. Voraussetzung für die Nutzung von Immobilienverzehrprodukten im Alter ist die Bildung von Immobilienvermögen in der Erwerbsphase. Insofern führt eine Erleichterung der Eigentumsbildung natürlich auch zu einem größeren Potenzial für Immobilienverzehrprodukte. Wiederum könnte der Staat über eine Senkung der Grunderwerbsteuer sowie der Notar- und Grundbuchkosten einen Beitrag leisten.40 Immobilienverzehrprodukte können einer kleinen Gruppe von Eigenheimbesitzern zusätzliche Konsummöglichkeiten im Alter ermöglichen – sei es zur Finanzierung einer Weltreise, den altersgerechten Umbau des Eigenheims oder zur Deckung laufender Ausgaben für Pflegeleistungen. Der große Vorteil gegenüber herkömmlichen Verwertungsmöglichkeiten von selbst genutzten Immobilien ist, dass der Senior dabei im gewohnten Wohnumfeld wohnen bleiben kann. Auch wenn die Politik sich keine grundlegende Lösung der Rentenproblematik von diesen Produkten versprechen kann, sollte sie dennoch die Rahmenbedingungen für die Einführung solcher Produkte durch Standardsetzung im Dialog mit allen beteiligten Gruppen vo rantreiben.
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Weitere Anregungen zur Förderung von Wohneigentum finden sich in Kap. 5 dieses Sammelbands.
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13 Sicherung des Alterskonsums durch Wohneigentum
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Deutsche Bundesbank (2019a) Preisindikatoren Wohnungsmarkt für 127 Städte. https://www.bundesbank.de/dynamic/action/de/statistiken/zeitreihen-datenbanken/zeitreihen-datenbank/759778/759778?listId=www_s300_iswi_preise2. Zugegriffen am 23.05.2019 Deutsche Bundesbank (Hrsg) (2019b) Vermögen und Finanzen privater Haushalte in Deutschland: Ergebnisse der Vermögensbefragung 2017 (Monatsbericht, April) Equity Release Council (2018) Spring 2018 market report Greenspan A, Kennedy J (2008) Sources and uses of equity extracted from homes. Oxf Rev Econ Policy 24(1):120–144 Institut für Finanzdienstleistungen (Hrsg) (2017) Integrating residential property with private pensions in the EU. Final report Kochskämper S (2018) Die Entwicklung der Pflegefallzahlen in den Bundesländern. Eine Simulation bis 2035 (IW-Report, 33/18). Zugegriffen am 21.05.2019 Kochskämper S, Niehues J (2017) Entwicklung der Lebensverhältnisse im Alter, IW-Trends, Nr. 2, Köln Miceli TJ, Sirmans CF (1994) Reverse mortgage and borrower maintaince risk. J Am Real Estate Urban Econ Assoc 22(2):433–450 Mitchell O, McCarthy D (2002) Estimating international adverse selection in annuities. North Am Actuar J 6(4):38–54 Moscarola F, D’Addio AC, Fornero E, Rossi M (2015) Reverse mortgage: a tool to reduce old age poverty without sacrificing social inclusion. In: Börsch-Supan A (Hrsg) Ageing in Europe. Supporting policies for an inclusive society. de Gruyter, Berlin/Boston, S 235–244 Niehues J, Schröder C (2012) Integrierte Einkommens- und Vermögensbetrachtung. IW-Trends: Vierteljahresschrift zur empirischen Wirtschaftsforschung aus dem Institut der Deutschen Wirtschaft Köln (1):1–17 Niehues J, Stockhausen M (2020) Der Einfluss des Wohneigentums auf die Vermögensbildung. In: Voigtländer M, Depenheuer O, Hertsch E (Hrsg) Wohneigentum für breite Schichten der Bevölkerung – Perspektiven, Chancen und Hemmnisse, Bd. 18. Bibliothek des Eigentums. Perl L (2017) HUD’s reverse mortgage insurance program: home equity conversion mortgages. Congressional Research Service, Washington Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage (2018) Vor wichtigen wirtschaftspolitischen Weichenstellungen. Statistisches Bundesamt, Wiesbaden Schneider M (2009) Kalkulation von Lifetime bzw. Reverse Mortgages. Eine kritische Analyse am Beispiel des US-amerikanischen Home Equity Convertion Mortgage (HECM)-Modells. Gabler, Wiesbaden Schwinger A, Jürchott K, Tsiasioti C (2017) Pflegebedürftigkeit in Deutschland. In: Jacobs K, Kuhlmey A, Greß S, Klauber J, Schwinger A, Verdugo PB, Bartholomeyczik S (Hrsg) Die Versorgung der Pflegebedürftigen, Pflege-Report, 2017. Schattauer, Stuttgart, S 255–303 Statistisches Bundesamt (2017) Daten zu Kinderlosigkeit, Geburten und Familien – Ergebnisse des Mikrozensus 2016. https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Haushalte-Familien/Publikationen/Downloads-Haushalte/geburtentrendstabellenband-5122203189014.pdf;jsessionid=529DF5280422E76C6C38494571D0C777.internet8731?__blob=publicationFile. Zugegriffen am 21.05.2019 Statistisches Bundesamt (2018) Ergebnisse aus der laufenden Berechnung von Periodensterbetafeln für Deutschland und die Bundesländer, 2015/2017. Statistisches Bundesamt, Wiesbaden Szymanoski EJ (1994) Risk and the home equity conversion mortgage. J Am Real Estate Urban Econ Assoc 22(2):347–366 Wenig M (2016) R+V-Versicherung macht Schluss mit Umkehrhypotheken. In: Versicherungsbote.de, 20.12.2016. https://www.versicherungsbote.de/id/4849026/RV-Versicherung-Schluss-mit-Umkehrhypothek/. Zugegriffen am 22.05.2019
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Die Förderung von Wohneigentum aus Sicht des Katholischen Siedlungsdienst e.V. Julia Doborosky und Ulrich Müller
1 Katholische Kirche und Eigentum Die Position der Katholischen Kirche zum Eigentum basiert auf einer langen Tradition biblischer Auslegung, Lehrmeinung und theologischer Interpretation. Zwar beinhaltet das Alte Testament noch keine ausgebildete Lehre zum Eigentum, doch findet sich hier bereits eine Reihe von Sozialordnungen, die eine gerechte Verteilung von Land und Besitz anstreben. Das siebte und zehnte Gebot des Dekalogs fordern dazu auf, Eigentum zu respektieren und dem Nächsten seinen Besitz ohne Neid zuzugestehen. Im Neuen Testament fällt zunächst zwar die dezidierte Besitzlosigkeit Jesu und seiner Jünger auf, doch insbesondere das Lukas-Evangelium zeigt sich, etwa mit dem Gleichnis der anvertrauten Talente (Lk 19,12–27), auch praktischer und eigentumsfreundlicher ausgerichtet in seiner Aufforderung, Besitz in rechter Weise zu gebrauchen. Im Folgenden soll zunächst ein kurzer Überblick über das theologische Fundament gegeben werden, welches Lehramt und einschlägige Enzykliken zur Thematik bieten. Die Katholische Soziallehre hat diese Grundlagen ausgestaltet und in diesem Kontext ihre Position zum Eigentum formuliert. Neben der theologischen Begründung sind dabei sozialethische Aspekte von Relevanz, auf denen auch die wohnungswirtschaftliche Perspektive aufbaut. Der Ordo-Gedanke, der von Oswald von Nell-Breuning und Joseph Kardinal Höffner u. a. im Rahmen ihrer Schriften zur christlichen Sozial- und Gesellschaftslehre ausformuliert wurde, stärkt das Verständnis von Wohnen als kirchlichen Auftrag, der auch die Förderung von Wohneigentum einschließt.
J. Doborosky (*) · U. Müller KSD Katholischer Siedlungsdienst e.V., Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 O. Depenheuer et al. (Hrsg.), Wohneigentum für breite Schichten der Bevölkerung, Bibliothek des Eigentums 18, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61287-3_14
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J. Doborosky und U. Müller
1.1 Theologischer Hintergrund Der Stellenwert des Eigentums bei den Kirchenvätern wird bestimmt durch die soziale Verpflichtung des Eigentümers – dies setzt Eigentum voraus, wodurch die grundlegende Bejahung des Eigentums zunächst vorausgeht. Wegweisend für die Entwicklung der katholischen Sicht auf das Eigentum ist die Anschauung Thomas von Aquins, der einer im Wesentlichen funktionalen Argumentationslinie folgt. Grundsätzlich ist – bei einem universalen Eigentumsanspruch Gottes – von der sozialphilosophischen Grundaussage auszugehen, die Güter der Erde seien für alle Menschen gleichermaßen bestimmt. Thomas von Aquin folgend stellt sich der Besitz von Privateigentum als Teilhabe an der Schöpfung dar. Mit der positivrechtlichen Klärung der Eigentumsverhältnisse werden die Fundamente gelegt, die ein Funktionieren der Gesellschaft ermöglichen, Konflikte vermeiden und zu einem sorgsamen Umgang mit Gütern anhalten. Gleichzeitig geht mit dem Recht auf Privateigentum die Verpflichtung zu einem guten Einsatz des Besitzes einher, basierend auf dem Gebot der Nächstenliebe sowie dem Streben nach einer gerechten Verteilung der Güter.
1.2 Lehramt und Enzykliken Die Frage nach der gerechten Verteilung von Besitz und der Legitimation des Privateigentums erhielt durch die gesellschaftlichen und industriellen Umbrüche des 19. Jahrhunderts und damit einhergehende soziale Missstände eine neue Perspektive. Die 1891 veröffentlichte Enzyklika Rerum Novarum widmet sich eingehend der sozialen Frage und sucht nach Lösungen, die von den Folgeschriften Quadragesimo Anno vierzig Jahre sowie Centesimus Annus einhundert Jahre später aufgenommen und in den aktuellen zeitgenössischen Kontext gestellt werden. 1.2.1 Rerum Novarum (1891) In dem als „Sozialenzyklika schlechthin“ bezeichneten Lehrschreiben Rerum Novarum formuliert Papst Leo XIII. Grundlagen der christlichen Soziallehre, angefangen bei Grundsätzen zur christlichen Familie und Lösungsvorschlägen zur Arbeiterfrage. Wichtiger Bestandteil ist die Absage an den marxistischen Sozialismus und das Bekenntnis zum Privateigentum, begründet zum einen durch den Ansatz Thomas von Aquins, zum anderen orientiert an einer naturrechtlich-personalen Begründung. Die Herausforderungen der neuen Zeit sollen durch einen Dreiklang gelöst werden, der uns heute noch vertraut ist: Die Sozialpolitik des Staates, die für den gerechten Ausgleich unter den Interessen sorgen soll, die tätige Hilfe der Kirche sowie die organisierte Selbsthilfe der Menschen selbst. „Hilfe zur Selbsthilfe“ wurde ein wesentlicher Aspekt des Handelns kirchlicher Institutionen – nicht bloßes Almosengeben, sondern tätige Nächstenliebe mit dem Ziel der Befähigung.
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1.2.2 Quadragesimo Anno (1931) Vierzig Jahre später hatten sich, nicht zuletzt durch die Weltwirtschaftskrise, die Spannungen in der Gesellschaft verschärft. Mit der zweiten Sozialenzyklika Quadragesimo Anno, verfasst von Sozialethiker Gustav Gundlach und dem Nationalökonom und Theologen Oswald von Nell-Breuning, sucht Papst Pius XI. nach Wegen zur Wiederherstellung der sozialen Ordnung: Aus der Frontenbildung Arbeiterklasse versus Kapitalbesitzer sollte eine soziale Partnerschaft werden, gerechte Entlohnung die Eigentumsbildung fördern und zur Entproletarisierung beitragen. Erstmals werden in dem Lehrschreiben auch das schon in Rerum Novarum angeklungene Subsidiaritätsprinzip formuliert, wonach das, was der Einzelne aus eigenem Antrieb und Kräften zu leisten vermag, ihm nicht genommen werden dürfe; jede Gesellschaftstätigkeit sei subsidiär, was kleinere Einheiten selbst zu leisten vermögen, dürfe ihnen der Staat als größerer Gesellschaftskörper nicht nehmen.1 1.2.3 Centesimus Annus (1991) 100 Jahre nach der ersten Sozialenzyklika befasst sich Papst Johannes Paul II. in seinem Schreiben Centesimus Annus wiederum mit einer neuen – vor allem einer neuen europäischen – Gesellschaftsordnung. Das Bekenntnis zu Demokratie und Ordoliberalismus, einer freien Wirtschaft mit sozialen Leitplanken und einer selbstverantwortlichen Gesellschaft sind die Kernelemente dieser dritten Sozialenzyklika, die das Privateigentum als Recht des Einzelnen und Mittel der Unabhängigkeit fasst, begründet auf den Sozialprinzipien: „Die Wirtschaft, […] setzt die Sicherheit der individuellen Freiheit und des Eigentums sowie eine stabile Währung und leistungsfähige öffentliche Dienste voraus. Hauptaufgabe des Staates ist es darum, diese Sicherheit zu garantieren, so daß der, der arbeitet und produziert, die Früchte seiner Arbeit genießen kann und sich angespornt fühlt, seine Arbeit effizient und redlich zu vollbringen.“2
2 Katholische Kirche und Wohneigentum Die Schaffung von Wohnraum als kirchlicher Auftrag lässt sich in verschiedener Weise begründen, sei es in Rückgriff auf die Schöpfungsgeschichte – der Garten Eden als „gebaute“ Umwelt –, das Neue Testament – die von Jesus aufgeführten Werke der Barmherzigkeit („Ihr habt mir Obdach gegeben“) – oder zuletzt die Enzyklika Laudato si’ von Papst Franziskus, in der das Wohnen als zentrale Frage der Humanökologie bezeichnet wird. Aktuell wird das Thema vermehrt als neue soziale Frage konnotiert: Zwar betrifft der Mangel an günstigen Mietwohnungen größten Vgl. Quadragesimo Anno, Abschn. 79. Vgl. Centesimus Annus, Abschn. 48.
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teils Ballungsgebiete, Groß- und Universitätsstädte, und bezogen auf die Bundesrepublik kann kaum von einer Wohnungsnot gesprochen werden, wie sie etwa in den 70er- oder gar den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts herrschte. Doch wirkt bereits die gesellschaftliche Debatte als Indikator einer empfundenen Ungleichheit und Ungerechtigkeit, die langfristig das Potenzial haben kann, den gesellschaftlichen Frieden zu gefährden und extremen Tendenzen – sei es in Bezug auf populistische Gruppierungen oder auch Initiativen zur Enteignung von Unternehmen – Vorschub zu leisten. Insofern ist die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum für breite Schichten der Gesellschaft, wie es sich die Kirche angesichts der Wohnungsnot im Nachkriegsdeutschland als Auftrag zu eigen gemacht hatte und durch Gründung der kirchlichen Siedlungswerke vorantrieb, heute noch und wieder ein wichtiges Anliegen. Der KSD Katholische Siedlungsdienst e.V. als Dachverband der katholischen und der Kirche nahestehenden Wohnungsunternehmen zählt heute – neben den 27 (Erz-)Bistümern der Bundesrepublik – 15 Diözesan-Siedlungswerke, 23 im Siedlungswerk Baden e.V. organisierte Familienheim-Genossenschaften sowie sechs örtlich tätige katholische Wohnungs- und Siedlungsunternehmen zu seinen Mitgliedern. Die katholischen Wohnungsunternehmen sind in ganz Deutschland im Bereich des sozialen Wohnungsbaus, der Betreuung des eigenen Wohnungsbestands sowie von Wohn- und Gewerbeimmobilien für Dritte, im Neubau für den eigenen Bestand sowie im Bauträgergeschäft und der Projektentwicklung insbesondere für kirchliche Akteure tätig. In ihrer täglichen wohnungswirtschaftlichen Arbeit orientieren sich die katholischen Wohnungsunternehmen an den Grundmaximen der Katholischen Soziallehre, was sich auch in der konkreten unternehmerischen Arbeit widerspiegelt. Hierzu gehört auch die Förderung von Wohneigentum insbesondere für Familien, begründet auf sozialethische wie wohnungswirtschaftliche Aspekte.
2.1 Sozialethische Aspekte und Prinzipien Welche Rolle spielt bei diesem Auftrag zur Schaffung von Wohnraum der Aspekt Eigentum? Die Funktion des Wohneigentums für Vermögensbildung, Altersvorsorge, die Förderung von Engagement und Eigeninitiative sowie die Stärkung von Familien und die Prävention von Kinder- und Altersarmut sind die maßgeblichen Gesichtspunkte. Hinzu kommen stabilisierende Effekte für Gesellschaft und Stadtquartier – das eigene Haus, die eigene Wohnung bieten Sicherheit, Freiheit und Unabhängigkeit. 2.1.1 Katholische Soziallehre Aufbauend auf den Sozialenzykliken entwickelte sich die Katholische Soziallehre: Die Lehrmeinung der Enzykliken wird auf die Gesellschaft reflektiert, Antworten und Strategien für eine gelingende Sozialstruktur entwickelt. Maßgebliche Wegbe-
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reiter der Katholischen Soziallehre waren der Jesuit Oswald von Nell-Breuning (1890–1991) und Joseph Kardinal Höffner (1906–1987), von 1962 bis 1969 Bischof von Münster sowie in den Jahren 1969 bis 1987 Erzbischof von Köln. Oswald von Nell-Breuning war Theologe, Nationalökonom und als päpstlicher Berater maßgeblich an der Entstehung der zweiten Sozialenzyklika beteiligt. Seine Veröffentlichungen sind wesentlich für Definition und Verständnis der Katholischen Soziallehre und ihre Ausgestaltung, namentlich die Entwicklung des Subsidiaritätsprinzips. Durch seine Schriften prägte er die Christliche Gesellschaftslehre maßgeblich und vertrat eine Gesellschaftsordnung auf Grundlage der sozialen Marktwirtschaft, verdeutlicht nicht zuletzt durch seine Mitwirkung an der Weiterentwicklung von Sozial- und Wirtschaftsordnung zu Beginn der 1950er-Jahre. Der Theologe und Volkswirtschaftler Joseph Kardinal Höffner wiederum gründete 1951 das Institut für Christliche Sozialwissenschaften an der Westfälischen Wilhelms- Universität in Münster, welches sich mit sozialethischen Fragestellungen befasst, und wirkte zudem als wissenschaftlicher Berater für die Politik, insbesondere zu sozialen Themen wie Arbeit und Familie, aber auch dem Wohnungsbau. In seiner Christlichen Gesellschaftslehre entfaltet Joseph Kardinal Höffner die Ausführungen der Enzyklika Quadragesimo Anno weiter. Er spricht hier von der „soziale[n] Bezogenheit des Eigentums“, gemeint ist eine „Doppelseitigkeit des Eigentums“ hinsichtlich seiner Individual- und Sozialfunktion: Alle Schichten der Gesellschaft sollen die konkrete Möglichkeit zur Bildung von Eigentum haben, zudem solle das Eigentum sowohl für das besitzende Individuum wie für die Gemeinschaft sinnvoll und dauerhaft Nutzen bringen. In Bezug auf Wohneigentum bedeutet dies den pfleglichen Umgang mit dem Gut Wohnen, damit es „zukünftig auch von anderen genutzt werden kann“. So impliziert Wohneigentum, wie Msgr. Schallenberg herausgearbeitet hat, immer auch eine „soziale Verantwortung von Wohnungseigentümern – auch der Kirche“ im Spannungsfeld „zwischen dem Werk der Barmherzigkeit, dem Menschenrecht auf Wohnung und dem Recht auf Privateigentum, das dem Wohl der Allgemeinheit dienen muss“.3 Auf Grundlage der Katholischen Soziallehre werden das Recht auf Eigentum und das Recht auf Wohnraum zusammengeführt und finden in der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips Geltung; die Basis bildet wiederum das Personalitätsprinzip, das allen gesellschaftlichen Strukturen vorausgesetzt ist.4 2.1.2 Personalitätsprinzip Vielfach begriffen als das erste der Sozialprinzipien,5 bildet das Personalitätsprinzip die Grundlage der Sozialprinzipien von Subsidiarität, Solidarität und Gemeinwohl. Alle ethischen Prinzipien gehen auf das Personalitätsprinzip zurück, welches das Individuum zum einen in seinen sozialen Handlungen begreift, wie auch in seiner Vgl. Msgr. Prof. Dr. Peter Schallenberg, „Wohnbau ist Dombau“-Diskussionspapier. Vgl. Bernard 1993–2001, S. 62. 5 Vgl. Nothelle-Wildfeuer 2008, S. 143. 3 4
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eigenen Würde und Personalität. Organisation und Gelingen der menschlichen Gesellschaft gründen in der Sozialbezogenheit des Individuums, die Natur des Menschen lasse ihn nach geordneten Formen des Zusammenlebens streben. Gleichzeitig lassen sich aus dem Personalitätsprinzip auch die unveräußerlichen Freiheitsrechte des Individuums ableiten, dessen Vernunft und Sittlichkeit ihn zur Einhaltung der „politisch-staatlichen Ordnung in Freiheit“6 anhalten. 2.1.3 Subsidiaritätsprinzip Das Subsidiaritätsprinzip, die organisierte Form der „Hilfe zur Selbsthilfe“ im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereich, resultierte zur Zeit der Jahrhundertwende in der Gründung von Genossenschaften in Handel, Produktion und Kreditwesen, aber auch im Wohnungsbau. Angestoßen von den Ausführungen in Rerum Novarum entstanden bereits früh katholische Selbsthilfe(bau)genossenschaften auf lokaler Ebene, die Arbeiterfamilien bei der Errichtung von selbst genutzten Kleinsiedlungshäusern unterstützten.7 Neben der Schaffung von Mietwohnungen zur Linderung der Wohnungsnot sollte die Hilfe bei der Errichtung selbst genutzten Wohneigentums mit Gartenstück zur Sicherung der Lebensverhältnisse und Unterstützung bei der täglichen Daseinsvorsorge dienen. Mit dem Subsidiaritätsprinzip begründet sich die Förderung von Wohneigentum als Beitrag zu Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von (staatlichen) Leistungen; aus katholischer Sicht stärkt es zudem die Entfaltung der eigenen Person und seiner gottgegebenen Fähigkeiten. Der Erwerb der eigenen vier Wände trägt zur Erfahrung der eigenen Selbstbestimmung und Verantwortung bei, verleiht Unabhängigkeit und dient der Armutsprävention. Insbesondere vor dem Hintergrund steigender Mieten und einem Niedrigzinsumfeld, welches die Vermögensbildung (nicht nur) zur Alterssicherung problematisch macht, ist die Bildung von Wohneigentum ein wesentlicher Beitrag zur Vorbeugung von Altersarmut. Wohneigentümer weisen sowohl in der Ansparphase als auch nach Erwerb einer Wohneinheit, trotz Tilgung und Zinsleistungen, eine weit überdurchschnittliche Sparquote auf.8 Demzufolge verfügen sie auch bei Eintritt in den Ruhestand über ein erheblich höheres Gesamtvermögen und eine größere finanzielle Sicherheit als der übrige Teil der Bevölkerung. Wohneigentum stellt somit im Hinblick auf die Lebensstandardsicherung im Alter einen stabilisierenden Faktor dar, den es zu fördern gilt.
Vgl. Uertz 2008, S. 783. Vgl. Nienhaus, „Kirchliche Wohnungsunternehmen“. 8 Vgl. Zehnder 2015. 6 7
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2.2 Sozialpflichtigkeit des Eigentums Die in den Sozialenzykliken entfaltete Sozialpflichtigkeit des Eigentums stellt einen wesentlichen Bestandteil der christlichen Soziallehre dar. Das Grundgesetz formuliert die Doppelfunktion des Eigentums in Art. 14 Abs. 2 auf ähnliche Weise – Besitz soll nicht nur dem Individuum, sondern „zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“. Der Grundsatz „Eigentum verpflichtet“ lässt sich dabei zum einen als Pflicht zur Unterstützung weniger Begüterter lesen wie auch zum pfleglichen Umgang mit Gütern. Die Verpflichtung, die dem Eigentum innewohnt, schließt natürlich auch die Kirche ein. Als Eigentümerin von Grund und Boden sieht sie sich ebenfalls in der Pflicht, eigene Ressourcen zur Verfügung zu stellen, sei es im Angebot von Mietwohnungen, der Veräußerung von Wohneinheiten als Wohneigentum oder in der Vergabe von Erbbaurechten.
2.3 Wohnungswirtschaftliche Perspektive Die geschilderten sozialethischen Aspekte stellen wesentliche Beweggründe des Engagements der katholischen Kirche für Wohneigentum dar. Daneben tritt aber auch die wohnungswirtschaftliche Perspektive, die vor allem durch gesellschaftspolitische Leitideen und volkswirtschaftliche Überlegungen bestimmt ist. 2.3.1 Ordo Während sich die gesellschaftliche Ordnung für die Katholische Kirche auf ihre Soziallehre und ihre Prinzipien gründet, der Ordo-Gedanke hier auch die Ordnung der Schöpfung durch Gott widerspiegelt, formulierten die Ökonomen und Juristen der Freiburger Schule den Ordoliberalismus als entsprechende Idee der Staatswirtschaft.9 Maßgeblich für den Ordo-Gedanken ist die Etablierung einer Wirtschaftsordnung, in der die Interessen des Individuums und der Gesellschaft in ein Gleichgewicht gebracht sind; in Bezug auf das Eigentum kommt hier wieder dessen Individual- und Sozialfunktion zum Tragen.
Vgl. Müller 2008.
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2.3.2 „ Wohnbau ist Dombau“: Kirchlicher Auftrag und gesellschaftliche Verpflichtung Das aktuell wieder viel zitierte Motto „Wohnbau ist Dombau“10 geht auf den späteren Erzbischof von München und Freising Julius Kardinal Döpfner (1913–1976) zurück, der 1949 im zerstörten Würzburg als Ortsbischof konkrete Maßnahmen gegen die Wohnungsnot ergriff und das heute noch in der Region aktive, genossenschaftlich organisierte St. Bruno-Werk anregte. Tatsächlich gehen die ersten Siedlungswerke bereits auf das Jahr 1946 zurück: Die Kirche stellte Eigenkapital für die Gründung zur Verfügung, die auf Initiativen der Bistümer, von Pfarrern, Caritasdirektoren oder in produktiver Zusammenarbeit zwischen Geistlichen und engagierten Laien zurückgingen. Ab 1948 entstanden in ganz Deutschland zentrale Siedlungswerke, die in den meisten Fällen in der (Erz-)Diözese aktiv sind, in der sie ihren Sitz haben.11 Hauptgesellschafter der Siedlungswerke sind die (Erz-)Bistümer oder auch die Bischöflichen Stühle als Körperschaften des öffentlichen Rechts – der jeweilige (Erz-)Bischof ist der oberste Gesellschaftervertreter.12 Die Siedlungswerke stellen somit ein Instrument dar, den kirchlichen Auftrag zur Wohnraumversorgung konkret in die Tat umzusetzen. Dies geschah seither – und geschieht aktuell – nicht nur in der Schaffung von bezahlbaren Mietwohnungen, sondern auch in der Förderung von Wohneigentum für Familien (Bauträgergeschäft), ein insbesondere vor dem Hintergrund des katholischen Familienbildes wesentliches Anliegen. 2.3.3 Städtebauliche Aspekte Die Kirchlichen Siedlungswerke verfolgen bei ihren Bauprojekten stets den Quartiersansatz, neue Wohnanlagen werden nach Möglichkeit im Kontext der nachbarschaftlichen Entwicklung betrachtet und sollen für alle Bewohner des Stadtviertels einen Mehrwert erbringen. Im Hinblick auf die Einbindung von Wohneigentum, etwa in den Wohnungsmix eines größeren Bauprojekts, sind daher dessen quartierstabilisierende Wirkung und der soziale Ausgleich positiv hervorzuheben – Wohnungseigentümer und Mieter werden zusammengebracht. Die Siedlungswerke präferieren daher den Verkauf an selbstnutzende Eigentümer, nicht an Investoren.
„Wohnungsbau ist heute in Wahrheit Dombau, Wohnungssorge ist Seelsorge und darum auch Herzenssorge des Bischofs“ – Julius Kardinal Döpfner. Vgl. hierzu auch das KSD-Diskussionspapier zur Flüchtlingsfrage „Wohnbau ist Dombau – einst wie heute“, Berlin 2016. 11 Diese können im Einzelfall und durch Fusionen auch für mehr als ein Bistum zuständig sein, so die in Köln ansässige Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft GmbH (zuständig für die Bistümer Aachen, Essen, Köln, Münster, Paderborn und Trier sowie darüber hinaus baulich aktiv im Erzbistum Berlin) und die Gemeinnützige Siedlungswerk GmbH Frankfurt/Main (zuständig für die Bistümer Limburg, Mainz, Fulda und Erfurt). 12 Ferner existieren auch Siedlungswerke in Form von Stiftungen, etwa die Bamberger Joseph-Stiftung. 10
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Selbstgenutzte Eigentumswohnungen werden in der Regel langfristig genutzt, ihre Bewohnerstruktur ist daher meist stabiler einschätzbar als bei Mieteinheiten.13 Oft sind das Engagement für das Wohnumfeld und das Interesse an Partizipation bei Bewohnern, die auf lange Sicht in derselben Wohneinheit zu leben vorhaben, stärker ausgeprägt14 – dies gilt speziell für Eigentümer, ferner aber auch für Mieter von Genossenschaftswohnungen. Die pflegliche Behandlung des Eigentums schließt die Sorge um das Wohnumfeld, Anlage und Grünflächen mit ein, und besitzt – gleichermaßen in Umkehrung der Broken-Window-Theorie – etwa auch für die Mischung aus Eigentum/Mieteinheiten einen positiven Effekt auf die gesamte Wohnanlage, der zu Werterhalt, Mieterzufriedenheit, Quartierstabilisierung beiträgt.
2.4 Exkurs: Sonderaspekt Familien Bei geeignetem Wohnraum für Familien ist es zunächst einmal zweitrangig, ob es sich um Miet- oder Eigentumswohnungen handelt – wichtig sind den Familien Wohnfläche bzw. Zimmerzahl, Umfeld, eine familiengerechte Infrastruktur mit Schulen, Kinderbetreuungsstätten, einer günstigen Verkehrssituation bzw. Anbindung an den ÖPNV. Die Kombination von Fläche und Lage resultiert meist wiederum in einem hohen Quadratmeterpreis der betreffenden Immobilie bzw. des Grundstücks. Unabhängig von den eigenen finanziellen Möglichkeiten münden die Idealvorstellungen des Wohnens bei Familien zudem oft im Wunsch nach Wohneigentum. Tendenziell gibt es aber auf der Angebotsseite zu wenig bezahlbare, familiengerechte Mietwohnungen, insbesondere in Wachstumsregionen und zentrumsnahen Lagen, und auch die Bereitschaft von Investoren, Wohneinheiten für diese vergleichsweise kleine Nachfragegruppe am Markt zu schaffen, ist vielerorts gering. Eine Förderung von Wohneigentum für Familien soll diese bei der Deckung ihres speziellen Wohnraumbedarfs unterstützen und insbesondere junge Familien stärken. Der Vermögensaufbau grundsätzlich und insbesondere für Familien leistet einen wichtigen Beitrag zur sozialen Chancengerechtigkeit, das sichere Heim bietet eine gefestigte Umgebung.15 Durch eine Familienförderung beim Wohneigentum wird nicht nur dem Wunsch der Betroffenen nach adäquatem Wohnraum Rechnung getragen, sondern ferner auch zur Entspannung eines unter Druck geratenen Wohnungsmarktes beigetragen16 – dieser Sickereffekt ist zwar in seiner Wirkung umstritten, kann jedoch einen immerhin kleinen Beitrag leisten: Wo Familien die Vgl. Zehnder, Berlin 2015, sowie die Ergebnisse der Konferenz „Wohnwünsche erfüllen – Stadtstrukturen gestalten“ (Magdeburg, 10.07.2012), in: „Wohneigentum stärken. Dokumentation der Veranstaltungsreihe 2011/2012“, Berlin 2013. 14 Vgl. BBSR-Studie „Wohneigentum als Chance für Stadtentwicklung und Integration“, Berlin 2014. 15 Vgl. Schneider und Hoffmann, Sankt Augustin/Berlin 2018. 16 Vgl. Zehnder, Berlin 2015. 13
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öglichkeit gegeben wird, in adäquate (größere) Wohneinheiten umzuziehen, da M können die stark nachgefragten Kleinwohnungen Alleinstehenden – Senioren, Alleinerziehenden, Studenten und Auszubildenden mit geringem finanziellen Spielraum – zur Verfügung stehen. Hinzuweisen wäre hier ferner auf das Modell des Wohnungstauschs zwischen Jung und Alt im Quartier sowie entsprechende Konzepte der Siedlungswerke (beispielsweise die von der Rheinwohnungsbau GmbH, ansässig in Düsseldorf, realisierte Wohnanlage „Am Kiesanger“ mit Miet- und Eigentumswohnungen im Berliner Südwesten, oder des Katholischen Wohnungs- und Siedlungswerks der Diözese Regensburg GmbH), die in bestehenden Quartieren seniorengerechte Wohnungen errichten, damit ältere Menschen familiengerechte größere Wohnungen freiziehen und dennoch im Quartier verbleiben können.
3 M aßnahmen der Katholischen Kirche zur Wohneigentumsförderung Die katholischen Siedlungswerke stellen eine der Maßnahmen der katholischen Kirche dar, um dem kirchlichen Auftrag zur Schaffung bezahlbaren Wohnraums, insbesondere für Benachteiligte mit besonderen Zugangsschwierigkeiten zum Wohnungsmarkt, gerecht zu werden. Der folgende Abschnitt stellt dieses sowie eine Reihe weiterer Instrumente vor.
3.1 Instrumente der Bistümer Zur Förderung der Bildung von Wohneigentum wurden von etlichen katholischen (Erz-)Bistümern in Deutschland (so z. B. in den Erzbistümern Köln, Berlin, Paderborn, den Bistümern Hildesheim, Münster, Fulda, Eichstätt, Limburg u. a.) in den vergangenen Jahrzehnten Wohnbaufonds aufgelegt. Diese waren meist als rechtlich unselbstständige Sondervermögen der (Erz-)Bistümer, manchmal auch in Form von Hilfswerken (so z. B. das Meister-Gerhard-Werk des Erzbistums Köln, das Familienwerk des Bistums Hildesheim) gestaltet, in ihrer Struktur jedoch identisch und darauf ausgerichtet, potenzielle Wohneigentümer bei der Bereitstellung des Eigenkapitalanteils zu unterstützen. 3.1.1 Wohnbaufonds/Hilfswerke Die Wohnbaufonds der deutschen Bistümer sind weitgehend Vergangenheit, setzten jedoch dort an, wo auch heute eine Schwierigkeit für den Eigentumserwerb liegt: Der Eigenkapitalbedarf stellt nicht erst in der heutigen Zeit eine große Hürde für den Eigentumserwerb dar. Um das Delta zwischen vorhandenem und benötigtem
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Eigenkapital zu schließen, wurden durch die Wohnbaufonds der deutschen Bistümer in der Vergangenheit eigenkapitalergänzende Nachrangdarlehen angeboten. Ausgegeben wurden in diesem Rahmen vergleichsweise geringe Summen in einer Höhe von bis zu 10.000 DM, mit denen jedoch die letzte Hürde der Finanzierung genommen werden konnte. Der Darlehensgeber des eigenkapitalergänzenden Nachrangdarlehens wird in der dritten Abteilung des Grundbuchs nachrangig eingetragen. Im Falle der kirchlichen Wohnbaufonds handelte es sich in der Regel um einen Zins nicht selten unter der Inflationsrate der Laufzeit, die meist zehn Jahre betrug, in Einzelfällen konnte auch ein Freijahr vereinbart werden. Im Regelfall war die Schuld innerhalb von zehn Jahren abzuleisten, Tilgungsbeginn war meist wenige Monate bis ein Jahr nach Zahlung des Darlehens. Getilgt wurde in vierteljährlichen Raten von 2,5 % des Darlehensbetrags, zuzüglich einer Gebühr von 1 % der Rate. Die Tilgung war entsprechend gering angelegt, umfasste aber stets die Möglichkeit einer Sondertilgung in beliebiger Höhe. Das Erlöschen der Verbindlichkeit wurde nach Ableisten der Schuld durch eine Löschungsbewilligung bestätigt. Das Angebot einer Förderung aus dem diözesanen Wohnbaufonds richtete sich vorrangig an kinderreiche, nach Möglichkeit in der Gemeinde aktive bzw. Familien mit guter Bindung an die katholische Kirche, die in prekären oder beengten Wohnverhältnissen lebten. Als weitere Voraussetzung hatte das Haushaltseinkommen unter einem in der Regel an den Einkommensgrenzen für den geförderten Wohnungsbau orientierten Betrag zu liegen. Der Darlehensantrag umfasste neben der Aufstellung der Finanzierung, Angaben zu den aktuellen Wohnverhältnissen und Informationen zum geplanten Bauvorhaben (Grundstücksverkäufer bzw. Erbbaurechtsgeber, Grundstücksgröße, Fläche des umbauten Raums, Zimmerzahl der geplanten Wohnung) auch Details zu Zahl und Alter der Kinder, ausgeübtem Beruf des antragstellenden Paares sowie eines eventuellen Status als Heimatvertriebene oder Geflüchtete. Beizufügen war außerdem eine Stellungnahme des Gemeindepfarrers, der die Richtigkeit der gemachten Angaben zu bestätigen sowie eine Einschätzung über Zuverlässigkeit und religiöse Haltung der Familie abzugeben hatte – dieser Einschätzung konnte im Zweifelsfall viel Gewicht zukommen. In der Rückschau ist dieses Instrument positiv zu bewerten: Nach den Erfahrungen aus den Bistümern, des KSD und der kirchlichen Siedlungswerke, die für einige Bistümer die Verwaltung der Darlehen übernommen hatten, kam es kaum zu Ausfällen. Traten doch einmal Zahlungsschwierigkeiten auf, so wurden diese in der Regel kooperativ zwischen Darlehensgeber und Darlehensnehmer, oft unter Mithilfe des Ortspfarrers oder der Schuldnerberatung der Caritas, gelöst. Aufgrund der Anforderungen der BaFin an die Kreditvergabe findet diese Praxis der Darlehensvergabe heute leider keine Anwendung mehr: Da die Vergabe und auch Verwaltung jener Darlehen als Bankgeschäft gewertet wird und somit zur Ausgabe eine Banklizenz notwendig wäre, findet derzeit in der Hauptsache nur noch eine Abwicklung vergangener Darlehen statt, bzw. wurde die weitere Verwendung auf Banken (z. B. die Pax-Bank) übertragen. Wünschenswert wäre es, ein solches Instrument im Rahmen der staatlichen Eigentumsförderung anzubieten.
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Ein leicht abweichendes, da nur auf Mitarbeiter ausgerichtetes Instrument wendet heute beispielsweise das Bistum Limburg17 an: Die Diözese gewährt Mitarbeitern im kirchlichen Dienst, die bereits seit mindestens drei Jahren als Angestellte des Bistums, seiner Kirchengemeinden oder Gesamtverbände beschäftigt sind, bei langfristigen Arbeitsverhältnissen sogenannte Arbeitgeberbaudarlehen. Voraussetzung ist ein Beschäftigungsumfang von mindestens 50 Prozent, bei Alleinstehenden zudem ein Mindestalter von 30 Jahren. Verheiratete Vollbeschäftigte können bis zu rund 12.780 Euro, Alleinstehende bis zu rund 7670 Euro erhalten, pro Kind kommen 1550 Euro hinzu. Die Rückzahlung muss dabei erst bei Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses erfolgen. 3.1.2 Erbbaurechte Die Kirche ist traditionell Erbbaurechtsgeber. Geschätzt unterhält die katholische Kirche derzeit rund 100.000 Erbbaurechtsverträge, der Großteil davon bezieht sich auf Ein- und Zweifamilienhäuser als selbst genutztes Wohneigentum. Mit dem Erbbaurechtsvertrag erhält der Erbbaurechtsnehmer eigentumsgleiche Rechte am betreffenden Grundstück und wird entsprechend im Grundbuch eingetragen. Durch die lange Laufzeit des Erbbaurechtsvertrags (oftmals bis zu 99 Jahre) bieten sich ihm so langfristig die gleichen Nutzungsmöglichkeiten, die auch einem Grundstückseigentümer zukommen, die Veräußerung des Grundstücks ausgenommen. Somit ist das Erbbaurecht ein grundstücksgleiches Recht. Entsprechend kann das Grundstück zur Generierung von Finanzmitteln für die Bebauung beliehen, das Erbbaurecht vererbt, geteilt oder verkauft werden, wobei es hier ggf. des Einverständnisses des Erbbaurechtsgebers bedarf. Mit diesem werden vor Abschluss des Vertrags ggf. Rahmenbedingungen über die Nutzung des betreffenden Grundstücks vereinbart, die Ziele der Erbbaurechtsvergabe festgelegt. Durch die Vergabe von Erbbaurechten werden dem Markt Grundstücke insbesondere für Eigentumsmaßnahmen zugeführt. Diese stehen generell oder auf absehbare Zeit nicht zum Verkauf, würden ansonsten möglicherweise ungenutzt brach liegen – das Erbbaurecht bietet hier die Möglichkeit einer Nutzung auf (in der Regel lange) Zeit, von der beide Seiten profitieren. Grundstücksbesitzer wie z. B. die (Kirchen-)Gemeinden können dringend benötigte finanzielle Mittel aus ungenutzten oder aktuell nicht benötigten Grundstücken generieren, Bauwillige erhalten ein nutzbares Grundstück zu finanzierbaren Kosten. Dem Grundstücksmarkt wird so einerseits Boden zur Verfügung gestellt, und durch die Vereinbarung des Zwecks der Grundstücksverwendung im Erbbaurechtsvertrag der Bodenspekulation entgegengewirkt: Erbbaurechte werden in der Regel Das Bistum Limburg unterhielt von 1948 bis 2011 das St. Georgswerk als Diözesanwerk für den Wiederaufbau kirchlicher Gebäude und der Schaffung von Wohnraum; sein Vermögen wurde 2017 durch Bischof Dr. Georg Bätzing als unselbstständiges Sondervermögen des Bischöflichen Stuhls als Körperschaft des öffentlichen Rechts zur Schaffung von Wohnraum für Bedürftige zur Verfügung gestellt.
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so vergeben, dass sowohl die Nutzung des Grundstücks, wie auch die Verpflichtung zu seiner Bebauung innerhalb einer Frist festgeschrieben werden. So ist der Erbbaurechtsnehmer angehalten, das von ihm gepachtete Grundstück auch zeitnah zu verwerten – nennenswerter Spekulation mit Grund und Boden wird so ein Riegel vorgeschoben. Gleichzeitig wird ferner auch einem erhöhten ökologisch wie ökonomisch fragwürdigen Flächenverbrauch entgegengewirkt: Der Erbbaurechtsnehmer verwertet die Fläche, die ihm überlassen und für sein Projekt gebraucht wird, dabei nicht mehr Land in Anspruch nehmend, als für das geplante und vereinbarte Vorhaben benötigt. Die Möglichkeit, unter gewissen Voraussetzungen Erleichterungen und Nachlässe auf den Erbbauzins zu gewähren, macht das Erbbaurecht zudem zu einem wirksamen und relativ unkomplizierten Werkzeug, um Familien bei der Bildung von Wohneigentum zu unterstützen, das von (Erz-)Bistümern, Pfarrgemeinden und Kirchenstiftungen gerne genutzt wird. Angeboten wird hier die Möglichkeit des sogenannten „Abkinderns“, also der Reduzierung des Erbbauzinses auf Basis der Kinderzahl der Erbbauberechtigten – die zu leistende Tilgung wird damit pro Kind um einen gewissen Wert gesenkt. Das Bistum Mainz und seine Kirchengemeinden beispielsweise weichen so unter den entsprechenden Voraussetzungen vom Regelerbbauzins um bis zur Hälfte des dinglich gesicherten Erbbauzinses ab. Der Erbbauzins bemisst sich aus dem Wert des Grundstücks (meist orientiert am Verkehrs- oder Umlegungswert des Grundstücks bei Erbbaurechtsausgabe), dem Zinssatz sowie heutzutage (früher in der Regel nicht) einer Wertsicherungsklausel, welche die Angemessenheit der Beträge über die Jahre angesichts einer möglichen Wertsteigerung des Grundstücks gewährleisten soll. Der Ertrag aus einem mit Erbbaurecht belegten Grundstück ist für dessen Laufzeit festgelegt, dem Erbbaurechtsnehmer kommen in der Folge sämtliche Erträge durch die Bewirtschaftung des Grundstücks zu. Im Falle eines Eigentümerwechsels von auf dem Erbbaurechtsgrundstück errichteten Bauwerken (bzw. des aufgrund der langen Laufzeiten von Erbbaurechtsverträgen naturgemäßen Wechsels des Erbbaurechtsnehmers) kommt es häufig zu einer Verlängerung der Nutzungsdauer über die ursprünglich vereinbarte Frist hinaus. Läuft der Vertrag – trotz eines möglichen vertraglich festgeschriebenen Vorrechts zur Erneuerung – dennoch aus, fallen dem Inhaber des Erbbaurechts im Falle von Gebäuden des (sozialen) Wohnungsbaus zwei Drittel des Verkehrswertes des auf dem Grundstück errichteten Wohnhauses sozusagen als Abstandsleistung zu (im Falle von anderen Gebäuden ist eine solche Leistung verhandelbar). Von Ökonomen wird das Instrument des Erbbaurechts häufig kritisch gesehen, übersteigt doch der über die Jahre anfallende Zins letztlich die Kosten eines Grundstückskaufs bzw. dessen Finanzierung. Doch hat hier eine Abwägung stattzufinden: Ohne Ausgabe eines Erbbaurechts wäre de facto kein Grundstück bzw. kein Baurecht gegeben, da die betreffenden Grundstücke im Prinzip nicht für einen Verkauf zur Verfügung stehen. Zum anderen kann – insbesondere im Falle selbst genutzten Wohneigentums – von den Bauherren oftmals zwar der Betrag für die monatliche Tilgung aufgebracht werden, die weit größere Summe des Eigenkapitalanteils für
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einen Grundstückskauf häufig jedoch nicht, bzw. würde dies die Finanzierung übersteigen. Zum Kaufpreis des Grundstücks tritt außerdem die Grunderwerbsteuer hinzu; diese muss zwar auch im Falle des Erbbaurechts geleistet werden, die Summe berechnet sich hier aus dem Erbbauzins und einem an der Laufzeit des Erbbaurechtsvertrags orientierten Multiplikator. Das Erbbaurecht stellt für beide Seiten eine jahrzehntelange, sinnvolle Grundstücksnutzung sicher. Der Inhaber eines Erbbaurechts erhält ein Grundstück samt Baurecht auf Zeit, mit nahezu gleichen Rechten und Pflichten wie ein Eigentümer: Das Grundstück muss, ggf. gemäß den im Vertrag vereinbarten Zielsetzungen, bebaut bzw. bewirtschaftet, Instandhaltungen und Modernisierungen durchgeführt werden. Auch Erbbaurecht, als eigentumsgleiches Recht, verpflichtet.
3.2 W ohneigentumsbildende Maßnahmen der kirchlichen Siedlungswerke Viele Diözesen engagieren sich über die nahezu diözesaneigenen katholischen Siedlungswerke nicht nur für die Errichtung von Mietwohnungen, sondern auch für die Bildung von Wohneigentum für breite Schichten der Bevölkerung. In den Satzungen der Siedlungswerke ist nicht nur die Sorge für Menschen mit besonderen Zugangsschwierigkeiten zum Wohnungsmarkt enthalten, sondern auch die Förderung von Wohneigentum für Familien. Daher findet durch die meisten Unternehmen ein dauerhaftes Engagement im Bauträgergeschäft statt, wodurch die Schaffung von selbst genutztem Wohneigentum aktiv vorangetrieben wird. Seit 1949 haben die katholischen Siedlungswerke und Wohnungsunternehmen rund 419.000 Wohneinheiten errichtet, davon knapp 70 Prozent als selbst genutztes Wohneigentum. Die katholischen Siedlungswerke schaffen somit generell nicht nur Mietwohnungen, sondern zu einem beträchtlichen Teil auch Wohneigentum. Dabei bemühen sie sich nach Kräften, kostengünstig zu bauen und Verkaufspreise entsprechend zu gestalten. Allerdings ist dies aufgrund hoher Bau- und Einstandskosten für Grundstücke insbesondere aktuell nicht immer zu gewährleisten. Die Siedlungswerke müssen Grundstücke auf dem freien Wohnungsmarkt erwerben und sind hier dem Wettbewerb ausgesetzt. Dennoch schaffen sie insbesondere familienfreundliches Eigentum und gewähren hier nach Möglichkeit eine spezielle Familienförderung beim Erwerb. Beispielhaft für die Unterstützung von Familien bei der Wohneigentumsbildung durch die Siedlungswerke sind etwa Vergünstigungen zu nennen, die sich meist an der Zahl des Nachwuchses festmachen, aber auch weitere soziale Komponenten beinhalten können. Als konkrete Beispiele können hier aktuell das GSW Speyer, aber auch die Siedlungswerk GmbH Wohnungs- und Städtebau Stuttgart gelten. Die Gemeinnützige Siedlungswerk Speyer GmbH, gegründet im Mai 1949, führt derzeit das größte Bauprojekt seiner 70-jährigen Geschichte durch und kann hier auf eine transparente, an sozialen Kriterien orientierte Familienförderung v erweisen: Im Rahmen des Bauvorhabens „Wohnen am Priesterseminar“ entstehen neben
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Mietwohnungen auch 16 Doppelhaushälften als Wohneigentum, deren Vergabe angesichts der über 80 Kaufinteressenten maßgeblich anhand sozialer Kriterien erfolgte. So wurde neben der Anzahl der Kinder im Haushalt auch in die Entscheidung einbezogen, ob die potenziellen Käufer in Speyer wohnen oder arbeiten, bereits im Quartier ansässig sind und ob im Familienhaushalt ein behinderter oder pflegebedürftiger Angehöriger zu versorgen ist. Zur Unterstützung von Familien wurde des Weiteren ein Nachlass von 2500 Euro pro Kind auf den Listenpreis gewährt – das GSW verzichtete so insgesamt auf 102.500 Euro, um jungen Familien den Erwerb von Wohneigentum zu ermöglichen. Ähnlich verfährt auch die Gemeinnützige Siedlungswerk GmbH Wohnungs- und Städtebau des Bistums Rottenburg-Stuttgart: 2017 beschloss das Siedlungswerk eine sogenannte „Familienkomponente“, wonach abhängig von Einkommensgrenzen Verkäufe und Vermietungen an Familien und Alleinerziehende mit Kindern erleichtert und gestärkt werden. Zudem unterstützt die Diözese Rottenburg-Stuttgart Menschen mit unterdurchschnittlichem Einkommen im Rahmen der Förderkonzeption „Bezahlbarer Wohnraum“ beim Ersterwerb einer Neubau- oder Bestandswohnung bei der Siedlungswerk GmbH.
4 Fazit Die deutschen (Erz-)Bistümer haben durch ihre (teils vormaligen) Wohnbaufonds mit dem Instrument der eigenkapitalergänzenden Nachrangdarlehen in der Vergangenheit gute Erfahrungen gemacht. In der Regel sind die neuen Hausbesitzer durchaus in der Lage, die monatlichen Belastungen für Zins und Tilgung zu leisten – für den Eigentumserwerb fehlt(e) es lediglich am Eigenkapital. Das eigenkapitalergänzende Nachrangdarlehen stellt somit eine sinnvolle Fördermöglichkeit dar, um den letzten Finanzierungsschritt bewältigen zu können. Durch das traditionell von den Kirchen stark genutzte Erbbaurecht werden wiederum dem Markt Baugrundstücke zugeführt, die Erbbaurechtsnehmer erhalten eigentumsgleiche Rechte und können baulich tätig werden. Die Förderkomponente der katholischen Kirche besteht hier insbesondere in der Möglichkeit der Reduzierung des Erbbauzinses durch die Zahl der Kinder – bauwillige Familien werden so bei der Schaffung von Wohneigentum deutlich unterstützt.
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Konzepte für einen Mix aus Miete und Eigentum – Wohnungseigentumsgemeinschaften im Erbbaurecht Milena Grosser, Michael von Hauff, Eckhart Hertzsch und Matthias Nagel
1 Einleitung Die steigenden Baupreise und die begrenzt zur Verfügung stehenden städtischen Grundstücke erschweren es zunehmend, bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. In diesem Beitrag werden das Instrument des Erbbaurechts und als Institution die Stiftung betrachtet, da beide bei der Schaffung und Bewahrung von preisgedämpftem Wohnraum von großer Bedeutung sind. Das Erbbaurecht stellt beim Immobilienerwerb eine Möglichkeit dar, den Kauf einer Immobilie auch wieder für die untere Mittelschicht und Geringverdiener zu ermöglichen. Zusätzlich zu den anhaltend niedrigen Kreditzinsen ist dieses Instrument eine zuverlässige Möglichkeit, Wohneigentum – auch zeitlich befristet – zu finanzierbaren Rahmenbedingungen zu erwerben. Bei dem Erbbaurecht handelt es sich um das vererbliche und veräußerliche Recht, auf oder unter der Oberfläche des Grundstücks ein Bauwerk zu haben, § 1 Abs. 1 Erbbaurechtsgesetz (ErbbauRG).
In diesem Beitrag wurde das Kapitel 2 von Prof. Dr. Michael von Hauff verfasst, Kapitel 3 von Dr. Matthias Nagel und Kapitel 4 von Prof. Dr. Eckhart Hertzsch und Milena Grosser.
M. Grosser · E. Hertzsch (*) Joanes Stiftung, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected] M. von Hauff BIM - Beratung für Immobilien Management, Michael v. Hauff, President FIABCI World Council of Managers, Waldsee, Deutschland E-Mail: [email protected] M. Nagel Klosterkammer Hannover, Abteilung Liegenschaften, Hannover, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 O. Depenheuer et al. (Hrsg.), Wohneigentum für breite Schichten der Bevölkerung, Bibliothek des Eigentums 18, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61287-3_15
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Die Vergabe von Erbbaurechten ist beispielsweise für Stiftungen mit Grundvermögen eine bedenkenswerte Alternative für eine langfristige sichere Vermögensanlage. Bei Wohnungseigentumsgemeinschaften (WEG) sind dabei Besonderheiten zu beachten, deren Risiken auch für den Erbbaurechtsgeber abzuwägen sind und aktuell eine Erbbaurechtsvergabe zumindest ab einer bestimmten Größe der WEG erschweren. Da Städte und Kommunen zunehmend Grundstücke im Erbbaurecht vergeben und hier Wohnungseigentumsgemeinschaften innerhalb des Geschosswohnungsbaus entstehen können, ist ein Aufzeigen möglicher und neuer Lösungsansätze von großer Bedeutung. Bei dieser Sachlage können auch gemeinnützige Stiftungen helfen, deren Satzungszweck beispielsweise die Schaffung bezahlbaren und gemeinschaftsbildenden Wohnraums ist. Die Herausforderungen wie auch die Vorteile werden im Folgenden aufgezeigt, um die vielfältigen positiven Einsatzmöglichkeiten gemeinnütziger Institutionen für die Kommunen aber auch die Anwohner∗innen darzulegen und zu diskutieren.
2 Wohnungseigentümergemeinschaften 2.1 Vorbemerkung Das Wohnungseigentumsgesetz von 1951 nimmt eine alte Tradition in Mitteleuropa auf, das sogenannte Stockwerkseigentum. Dieses unvollkommene Instrument, ein Haus horizontal zu teilen und verschiedenen Eigentümern zuzuordnen, war verpönt und wurde in den dreißiger Jahren ausdrücklich in Deutschland verboten. Unter der extremen Wohnungsnot nach 1945 mit zerstörten Städten und Millionen von Heimatvertriebenen entschloss man sich, nach französischem Vorbild die Möglichkeit zu schaffen, dass Eigentümer gemeinsam eine Immobilie besitzen konnten, wobei es klare Zuordnungen geben sollte, was dem einzelnen gehört (Sondereigentum) und wie die Eigentümer die gemeinschaftlichen Flächen und Einrichtungen gemeinsam verwalten würden. Nach zögerlichem Beginn (1971 gab es erst 0,5 Millionen Eigentumswohnungen) haben mehrere Wellen von starker Ausweitung der Bautätigkeit, insbesondere in den Jahren 1965–68 und in den Jahren 1985–90, neben einer erheblichen Umwandlung von Mietwohnungsbeständen in Eigentumswohnungen dazu geführt, dass wir heute mehr als 11 Millionen Eigentumswohnungen in Deutschland haben. Dies bedeutet, dass ein Viertel der Bevölkerung Deutschlands entweder vermietende Eigentümer einer Wohnung oder selbstnutzende Eigentümer einer Eigentumswohnung sind. Nach nahezu 70 Jahren der Umsetzung des Wohnungseigentumsgesetzes in die Praxis, einer stürmischen Entwicklung der Zahl der Eigentumswohnungen in Deutschland und einer intensiven Auseinandersetzung der Gerichte mit den Streitigkeiten, die es innerhalb der Gemeinschaften und zwischen Verwaltung und Eigentümern gibt, haben sich die Strukturen der Handhabung der Eigentümergemeinschaften und auch der Verwaltungen enorm verändert. Inzwischen wird die zweite
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Novellierung des Wohnungseigentumsgesetzes bearbeitet, Verwalter müssen einen Sachkundenachweis erbringen und die Gemeinschaften in Deutschland initiieren Bauleistungen pro Jahr von weit über 50 Milliarden Euro allein zum Erhalt der Bauwerke. Durch Eigentümergemeinschaften werden mehr als eine Million Voll- und Teilzeitarbeitnehmer beschäftigt und Hunderttausende von Handwerksbetrieben mit Aufträgen versorgt.
2.2 Die WEG, Staat im Staat Schaut man sich die „Konstruktion“ der Eigentümergemeinschaft genauer an, stellt man fest, dass sie in vielen Bereichen Parallelen mit der Organisation eines Staates hat. Hierzu zählen unter anderem: • Der Staat hat ein staatliches Territorium, die WEG hat ein Grundstück. • Der Staat hat eine Verfassung, die WEG eine Teilungserklärung und Gemeinschaftsordnung. • Der Staat hat ein Parlament, die WEG hat die Eigentümerversammlung. • Der Staat hat eine Exekutive, die WEG hat Verwalter und Beirat. • Das staatliche Parlament erlässt Gesetze, die auch der zu beachten hat, der sich eine andere politische Entscheidung gewünscht hätte, die WEG schafft Beschlüsse, an die sich auch diejenigen halten müssen, die dagegen gestimmt haben. • Den Mitbürger im Staat kann man sich nicht aussuchen, den Miteigentümer in einer WEG auch nicht. • Jeder Bürger eines Staates erleidet das kollektive Schicksal. Er hat eine unbegrenzte Haftung für das Kollektiv. In der Eigentümergemeinschaft gilt dies ebenso. • Im Staat gibt es Bereiche, die dem einzelnen Bürger zugeordnet sind, und Bereiche, in denen die öffentliche Hand zuständig ist. In der WEG gibt es das Sonder- und das Gemeinschaftseigentum.
2.3 Vor- und Nachteile von „Eigentümergemeinschaft“ Im Vergleich zu einem individuellen Haus oder Mietshaus ergeben sich die nachstehenden Vor- bzw. Nachteile – besser Herausforderungen – die im Folgenden kursiv wiedergegeben sind. 1. Wirtschaftliche kollektive Risikoteilung im Unterhalt der Immobilie. Verpflichtung, beschlossene Maßnahmen mit zu bezahlen. Das Ansparen der Instandhaltungsrücklage wirkt für den Einzelnen wie eine Steuer, schützt ihn aber vor unvorhergesehenen Ausgaben. 2. Die Wohnung ist tatsächlich Eigentum des jeweiligen Wohnungseigentümers. Er kann sie vermieten, bewohnen, überlassen, ausgestalten, technisch verbessern, wie es seinem höchstpersönlichen Geschmack entspricht. Der Eigentümer
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kann von niemandem gekündigt werden. Mieterhöhungen sind per se ausgeschlossen. Das Recht zur Vermietung oder Überlassung der Wohnung kann natürlich auch missbraucht werden. Das führt dann zu Nachteilen für die übrigen Eigentümer. 3. Möglichkeit, auf das Geschehen und die Entwicklung der Gemeinschaft durch eigenes Engagement Einfluss zu nehmen. Gefahr, dass die Mehrheit der Eigentümer sowohl Maßnahmen als auch finanzielle Aufwendungen beschließt, die der Einzelne nicht will. 4. Möglichkeit vielfältiger Kommunikation mit Nachbarn, die selbst wiederum Entscheidungsträger innerhalb der Gemeinschaft sind. Gefahr, dass einzelne Eigentümer sich herrschsüchtig vordrängen und versuchen, den übrigen Eigentümern ihre Vorstellungen und ihren Willen aufzuzwingen. 5. Wesentlich höhere Beweglichkeit bei Kauf und Verkauf als bei einem Haus. Gefahr, dass einzelne Eigentümer die Wohnungen lediglich als Spekulationsobjekt betrachten und unter dem Gesichtspunkt der Renditeoptimierung eine Vermietungspolitik betreiben, die von den übrigen vermietenden und selbstnutzenden Eigentümern als unangenehm empfunden werden kann. 6. Höheres Sicherheitsgefühl gegenüber Einbruch durch direkte Nachbarschaft. Gefahr, dass einzelne Eigentümer versuchen, ihr Sicherheitsbedürfnis so zu übersteigern, dass andere Eigentümer sich beschwert fühlen. 7. Technische Möglichkeit, die Wohnung bei Bedarf durch Zukauf von Nachbarwohnungen zu erweitern. Hier sollten weiter keine Nachteile auftreten. 8. Möglichkeit des Zusammenlebens mehrerer Generationen, ohne die unmittelbar eigene Wohnung mit der anderen Generation teilen zu müssen (die Großeltern leben im Haus aber nicht in der gleichen Wohnung). 9. Versorgungssicherheit der Immobilie auch bei längerer Abwesenheit des einzelnen Eigentümers. 10. Barrierefreier Zugang zur eigenen Wohnung und Möglichkeit, sich die Wohnung so auszugestalten, wie sie den eigenen Wünschen und Möglichkeiten entspricht. Gefahr, dass einzelne Eigentümer Eingriffe ins gemeinschaftliche Eigentum oder die Optik der Anlage vornehmen, weil sie willkürlich Teile des gemeinschaftlichen Eigentums egoistisch missbrauchen. 11. Eigentümerversammlungen sind sinnvoll und geben die Möglichkeit, in kon struktiver Absprache mit den anderen Eigentümern ein Maximum an positiver Entwicklung und gelungenem Zusammenleben zu gestalten. Die Gefahr besteht darin, dass unwesentliche Dinge von einzelnen Eigentümern breit ausufernd zerredet werden. Besonders problematisch wird es, wenn der Versammlungsleiter/Verwalter der Situation nicht gewachsen ist. 12. Eine professionelle Verwaltung kann der Eigentümergemeinschaft jederzeit nicht nur Rat geben, sondern auch Entscheidungen qualifiziert vorbereiten, die Eigentümer rechtzeitig über anstehende Probleme informieren, laufend überwachen, dass das WEG-Dienstpersonal seinen Verpflichtungen nachkommt, Kosten optimieren, die Verträge, die die Gemeinschaft mit Versicherungen, Energielieferanten, Netzwerkbetreibern usw. unterhält, überprüfen und unter Umständen neugestalten. Die Gefahr besteht darin, dass sich die Gemeinschaft
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aus übertriebener Sparsamkeit einen Verwalter aussucht, der nur mangelhafte Kenntnisse und Erfahrung hat und den Vertrag von der Mehrheit bekommt, weil er das vergleichbar niedrigste Honorar gefordert hat. Bei Eigentümerversammlungen konnte häufig Folgendes beobachtet werden: In der ganz überwiegenden Zahl der Fälle waren die Eigentümerversammlungen immer mehr beschlussfähig und die Miteigentümer vielfach froh zusammenzukommen. In den Versammlungen wurden Entwicklungen wie technische Neuerungen besprochen oder gerichtliche Entscheidungen vorgestellt. Zum Teil wurden auch soziale Fragen angesprochen, insbesondere das Spannungsverhältnis der verschiedenen Interessen: junge Ballspieler und ältere Ruhesucher, grillende Feiernde und schlafbedürftige Schichtarbeiter, Hundebesitzer und Hundefeinde, Kinderreiche mit Kleinkindern und einsame Kinderlose, Vermieter und Selbstnutzer, sonnenhungrige Balkonliebhaber und Körperscheue, Sparsamkeitsfanatiker und Eigentümer mit großem Interesse und der Bereitschaft, mit finanziellen Mitteln ihre Umgebung zu verschönern, Sandkastenpfleger und Katzenliebhaber, Kümmerer und Ordnungsfeinde. Wie in jeder lebendigen sozialen Gemeinschaft wurden Konflikte angesprochen und es wurde nach tragfähigen Kompromissen gesucht. Beeindruckend war das vielseitige persönliche und ehrenamtliche Engagement einzelner Eigentümer, sich unauffällig um andere zu kümmern.
2.4 Erbbaurecht und Kauf der Eigentumswohnung Logischerweise ist beim Kauf einer Eigentumswohnung das Grundstück, auf dem das Haus errichtet wurde, mit seinem rechnerischen Anteil pro Wohnung im Preis mit inbegriffen. Bei der starken Steigerung der Bodenwerte in den letzten Jahren spielt dieser Teil eine nicht ganz unerhebliche Rolle. Grob geschätzt und gemittelt kann man sagen, dass ca. 20 % des Kaufpreises sich kalkulatorisch im Preis für das Grundstück niederschlagen. Diese Prozentzahl ist selbstverständlich sehr unbestimmt, da es stark darauf ankommt, ob auf einem engen Grundstück ein sehr hohes Haus errichtet oder ob in einem weiten Gelände mit Parkcharakter ein relativ niedergeschossiges Anwesen positioniert wird. Im Extremfall kann es sein, dass das Verhältnis Grundstück zu Wohnraum pro Quadratmeter weit über 1 liegt, oder aber dass, wie bei einem großen Hochhaus in Mannheim mit 513 Wohnungen, bei dem die Grundstücksgrenze die Hausgrenze ist, pro Wohnung nur wenige Quadratzentimeter pro Quadratmeter Wohnfläche auf das Grundstück entfallen. Nimmt man aber den mittleren Wert von 20 % an, so ergibt sich in der Regel die Größenordnung von 1:1. Das bedeutet: so viele Quadratmeter die Wohnung hat, so viel steckt auch kalkulatorisch an Grundstücksfläche in den Miteigentumsanteilen dieser Wohnung. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass Freiflächen, Nutzungsflächen für Pkw- Abstellplätze und anderes nicht unerheblichen zusätzlichen Flächenbedarf ausmachen. Somit kann man, um dem Käufer die Anfangshürde des Kaufpreises und die damit verbundene Liquiditätsbeschaffung zu erleichtern, sehr wohl das Instrument des Erbpachtvertrages anwenden.
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Ein Problem bei der Vermietbarkeit am Ende der Pachtzeit sollte es eigentlich nicht geben, da beim Übergang (selbst wenn man tatsächlich 99 Jahre weiterdenken will), juristisch natürlich das gleiche gilt wie bei jeder anderen Vermietung und bei jedem Übergang an einen anderen Eigentümer: „Kauf bricht nicht Miete“. Häufig ist es für die Wohnungseigentümer beim Kauf ausschlaggebend, dass sie den Grundstückanteil in Erbbaurecht bekamen und auf diese Weise einen Teil der Kaufkosten nicht direkt entrichten mussten, sondern über die Erbbaurechtsregelung, wirtschaftlich gesehen, nur gemietet hatten. Abschließend kann festgestellt werden, dass die Schaffung von Eigentumswohnungen durch Stiftungen in Kopplung mit dem Instrument des Erbbaurechts ein lohnender Weg sein kann, das drängende Wohnungsproblem zu lösen.
3 D as Erbbaurecht in einer WEG – Problemlagen bei Vertragsänderungen während der Laufzeit und bei Ablauf des Erbbaurechts 3.1 Grundzüge des Erbbaurechts In diesem Jahr wird das Erbbaurecht 100 Jahre alt. Mit der Verabschiedung der ErbbauRVO (seit 23.11.2007 ErbbauRG) am 15.01.1919 wurde das Erbbaurecht in seiner heutigen gesetzlichen Form gegründet.1 In den wesentlichen Grundzügen gelten die damals verabschiedeten Regelungen bis heute fort. Bei einem Erbbaurecht handelt es sich um das veräußerliche und vererbliche Recht, auf einem fremden Grundstück ein Bauwerk zu errichten.2 Dabei verbleibt der Grund und Boden im Eigentum des Erbbaurechtsgebers, während sich das Bauwerk im Eigentum des Erbbaurechtsnehmers befindet. Bauwerke können dabei nicht nur oberirdisch, sondern auch unterirdisch sein (z. B. Gasspeicher). Und schließlich können Erbbaurechte für jede Art von Bauwerken vergeben werden, sei es in einer privaten Nutzung zum Wohnen, als Gewerbeobjekt oder für besondere Anlagen (z. B. Fußballstadien, öffentliche Einrichtungen wie Kindergärten oder Schulen, Museen etc.). Zu den wesentlichen Inhalten eines Erbbaurechtsvertrages gehören u. a., neben der Bezeichnung des Bauwerkes, der Erbbauzins, eine Wertsicherungsklausel, Regelungen zu Zustimmungserfordernissen bei Verkauf oder Belastung des Erbbaurechts (§§ 5–7 ErbbauRG), Regelungen zum Heimfall (§ 2 Nr. 4 ErbbauRG) sowie Entschädigungsregelungen bei Ablauf des Vertrages (§§ 27, 28 ErbbauRG). Das Eigentümergrundbuch wird dabei mit dem Erbbaurecht belastet. Natürlich kann der Grundstückseigentümer weiterhin sein Grundstück verkaufen, allerdings
Vgl. RGBl. Nr. 55, 285. Vgl. Ingenstau/Hustedt, Einleitung Rn. 1.
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belastet mit dem Erbbaurecht. Dabei wird dem Erbbaurechtsnehmer i. d. R. ein Vorkaufsrecht nach §§ 2 Nr. 6, 31 ErbbauRG zugestanden. Die Laufzeit des Erbbaurechts variiert dabei erheblich. Entgegen der landläufigen Meinung, dass ein Erbbaurecht immer 99 Jahre laufe, beträgt die Laufzeit in der Regel zwischen 60 und 99 Jahren. Dabei gibt es auch noch längere Erbbaurechtsbestellungen bis hin zu ewigen Erbbaurechten. Die gleiche Variabilität gibt es beim Erbbauzins. So kann es sein, dass bei besonderen Bauwerken auch die Fläche ohne einen Erbbauzins zur Verfügung gestellt wird. Der Erbbauzins ist kein rechtlich zwingender Inhalt des Erbbaurechts, sondern stellt eine Belastung des Erbbaurechts dar und sollte immer im Zusammenhang mit der Beleihbarkeit des Erbbaurechts betrachtet werden.3 Ansonsten variieren aktuell die Erbbauzinsen zwischen 1,75 und 5 % im Bereich der privaten Nutzung im Wohnbereich. Im Durchschnitt werden laut einer Studie des Deutschen Erbbaurechtsverbandes aus dem Jahre 2017 3,1 % des aktuellen Bodenwertes bzw. Bodenrichtwertes verzinst.4 Aufgrund der langen Laufzeit des Erbbaurechts wird zudem meistens eine Wertsicherungsklausel vereinbart. Auch hier gibt es größere Unterschiede, sehr oft wird dabei eine Anpassung nach dem Verbraucherpreisindex (VPI) vorgenommen. Dabei dürfen im Wohnungsbereich die Erbbauzinsen frühestens alle drei Jahre wertgesichert werden (§ 9a Abs. 1 ErbbauRG). Die Zustimmungserfordernisse beim Verkauf oder Belastung des Erbbaurechts sind ebenso unterschiedlich ausgestaltet. Beim Verkauf hat der Erbbaurechtsgeber aber nur in sehr engen Grenzen ein Verweigerungsrecht. Im Prinzip kann er die Zustimmung nur verweigern, wenn der potenzielle neue Erbbaurechtsnehmer, keine Gewähr dafür bietet, den Erbbauzins auch in Zukunft leisten zu können (§ 7 ErbbauRG). Schließlich gibt es in der Regel auch Entschädigungsregelungen bei Ablauf des Erbbaurechts. Grundsätzlich kann dabei eine Entschädigung auch ausgeschlossen werden. Zwingend ist nach § 27 Abs. 2 ErbbauRG eine Entschädigung nur für sog. „minderbemittelte Bevölkerungskreise“ in Höhe von 2/3 des aktuellen Verkehrswertes bei Ablauf des Erbbaurechts zu leisten. Sehr häufig findet sich diese 2/3-Entschädigung aber auch in vielen anderen Erbbaurechtsverträgen. Durchaus denkbar und ggf. sinnvoll kann eine Entschädigungsklausel sein, die dem Erbbaurechtsnehmer eine 100 %ige Entschädigung des Bauwerkes zusichert. Da der Verkehrswert für den Erbbaurechtsgeber bei Weiterverkauf im Markt zu erzielen sein sollte, erscheint diese Regelung durchaus sachgerecht zu sein. Zudem erhöht man mit einer solchen Klausel die Marktfähigkeit des Erbbaurechts. Allerdings darf zugunsten des Erbbaurechtsgebers nicht verkannt werden, dass er ein Vermarktungsrisiko trägt und auch nicht unerhebliche Aufwendungen haben könnte. Insofern rechtfertigt dies auch einen Abschlag des vollen Verkehrswertes. Im Wohnbereich gibt es eine Erbbaurechtsvergabe für ein klassisches Einfamilienhaus, aber auch eine Vergabe von Bruchteilen am Erbbaurecht. Dies ist insbe Vgl. Ingenstau/Hustedt § 9 Rn. 21 f. Vgl. Studie des Deutschen Erbbaurechtsverbands 2017 unter www.erbbaurechtsverband.de.
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sondere bei Wohnungen der Fall. Es handelt sich dabei um eine Bruchteilsberechtigung am Erbbaurecht, verbunden mit Sondereigentum an der jeweiligen Wohnung.5 Dann spricht man von sog. Wohnungserbbaurechten gem. § 30 WEG. Letztendlich handelt es sich um einen Mitberechtigungsanteil am Erbbaurecht.6 In diesem Bereich der WEGs gibt es dabei spezifische Probleme, die im Folgenden dargestellt werden.
3.2 P robleme bei Verlängerung oder Erneuerung von Erbbaurechten nach § 30 WEG Grundsätzlich kann es während der Vertragslaufzeit sinnvoll sein, über eine Vertragsverlängerung des Erbbaurechts zu verhandeln. Die Gründe dafür können unterschiedlich sein und gehen in der Regel vom Erbbaurechtsnehmer aus. Zum Beispiel möchte dieser umfangreichere Renovierungsarbeiten durchführen und benötigt dafür ein Darlehen von der Bank. In der Praxis hat sich gezeigt, dass die gebildeten Instandhaltungsrücklagen bei größeren Sanierungsmaßnahmen nicht immer ausreichend sind. Bei Restlaufzeiten unter 10 bis 20 Jahren wird er aber kein Darlehen mehr erhalten, weil die Bank für eine Darlehensgewährung eine ausreichende Restlaufzeit des Erbbaurechts verlangt. Dies ist aus Sicht der Bank auch erforderlich, da mit dem Ablauf des Erbbaurechts auch die Belastungen des Erbbaurechts erlöschen und mögliche Grundschulden nur noch gegen den Entschädigungsanspruch gesichert sind (§ 29 ErbbauRG). Aber denkbar wäre auch, dass der Erbbaurechtsnehmer durch eine vorzeitige Verlängerung sein Erbbaurecht wieder verkehrsfähig macht. Denn Erbbaurechte mit einer geringen Restlaufzeit lassen sich am Markt nur schwer platzieren, da ein potenzieller Käufer ebenso kein Darlehen für den Kauf erhält. Ist hingegen wieder eine ausreichende Laufzeit gegeben, könnte auch ein Käufer den Ankauf über ein Darlehen realisieren. Insofern kommen vorzeitige Verlängerungen in der Praxis mit dem zunehmenden Auslauf bestehender Erbbaurechte immer häufiger vor. Gerade bei Wohnungserbbaurechten nach WEG ergibt sich hier aber eine besondere Problematik. Die Verlängerung des Erbbaurechts stellt eine wesentliche Inhaltsänderung gem. § 11 Abs. 1 ErbbauRG iVm § 877 BGB dar. Gem. § 1 ErbbauRG kann das Erbbaurecht nur als Ganzes behandelt werden. Nach § 1 Abs. 3 ErbbauRG ist ein teilweises Erlöschen des Erbbaurechts nicht möglich. Dies hat im Ergebnis zur Folge, dass eine Verlängerung des Erbbaurechts nur bei Mitwirken aller Erbbauberechtigten der WEG möglich ist.7 Somit stellt sich in der Praxis das Problem dar, dass z. B. das Angebot des Erbbaurechtsausgebers auf eine vorzeitige Vertragsverlängerung zu neuen Konditionen
Vgl. v. Oefele/Winkler/Schlögel § 3 Rn. 96. Vgl. v. Oefele/Winkler/Schlögel § 3 Rn. 97. 7 Vgl. v. Oefele/Winkler/Schlögel § 3 Rn. 128. 5 6
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bis auf einen von allen anderen Wohnungserbbauberechtigten angenommen wird. Trotzdem wäre dann eine Verlängerung nicht möglich. Das kann zur Folge haben, dass ein Verkauf der Wohnung dem einzelnen Wohnungserbbauberechtigten nicht möglich ist oder er ggf. zu noch schlechteren Konditionen später sein Erbbaurecht erneuern muss. Ähnlich stellt sich die Problemlage bei ablaufenden Erbbaurechten dar. Bei Ablauf des Erbbaurechts hat der Erbbaurechtsgeber die Möglichkeit, eine eventuelle Entschädigungszahlung dadurch zunächst abzuwenden, indem er den Erbbauberechtigten ein Angebot zur Verlängerung des Erbbaurechts für zunächst 10 Jahre maximal „auf die Standdauer des Bauwerkes“ gem. § 27 Abs. 3 ErbbauRG macht. Dies hat zur Folge, dass der bestehende Erbbaurechtsvertrag zu den gleichen Konditionen weiterläuft. Der Erbbaurechtsnehmer ist dann rechtlich in einer eigenartigen Position: Lehnt er nämlich das Angebot zur Laufzeitverlängerung ab, erlischt sein Anspruch auf die Entschädigung (§ 27 Abs. 3 ErbbauRG). Insofern kann er wirtschaftlich das Angebot meistens eigentlich nur annehmen. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass die Laufzeitverlängerung dem Erbbaurechtsnehmer eine Verkaufsoption ermöglicht. Denn beträgt diese nur 10 Jahre, kann er seine Wohnung faktisch wegen der fehlenden Beleihbarkeit (siehe oben) nicht verkaufen. Dies bedeutet bei Wohnungserbbaurechten nach WEG, dass eine Annahme des Verlängerungsangebotes nur gemeinsam durch alle Erbbauberechtigten erfolgen kann. Es stellt sich daher auch hier die Frage, ob für den Fall, dass z. B. nur eine Partei das Verlängerungsangebot ausschlägt, dies zur Folge hätte, dass damit auch alle anderen ihren Entschädigungsanspruch gem. § 27 Abs. 3 ErbbauRG verlieren. Eine ähnliche Rechtsfolge könnte ebenso bei einem Erneuerungsangebot des Erbbaurechtsgebers zu neuen Konditionen kurz vor Ablauf des Erbbaurechtsvertrages erfolgen, wenn nur eine Partei in der WEG dieses Angebot ausschlägt. Grundsätzlich gilt auch hier, dass eine Erneuerung des Erbbaurechts die Zustimmung aller Wohnungserbbauberechtigten voraussetzt.8 Dies würde aber bedeuten, dass ggf. eine Erneuerung des Erbbaurechts dann nicht möglich wäre, mit der Folge, dass alle Wohnungserbbaurechte erlöschen würden und dem einzelnen Wohnungserbbauberechtigten nur noch ein vertraglich vereinbarter Entschädigungsanspruch zustünde. Dieser liegt dabei in den meisten Fällen bei 2/3 des Verkehrswertes, eher selten beim vollen Verkehrswert. Mitunter würde dies für den einzelnen Erbbauberechtigten einen möglichen finanziellen Schaden bedeuten. Die Frage wäre daher, ob es Lösungsansätze gibt, diese Folgen zu entschärfen. Zunächst könnte man dabei an § 10 Abs. 2 S. 3 WEG denken. Danach kann jeder Wohnungseigentümer eine vom WEG-Gesetz abweichende Vereinbarung verlangen, wenn ein Festhalten an der geltenden Regelung aus schwerwiegenden Gründen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Rechte und Interessen der anderen Wohnungseigentümer, als unbillig erscheint. § 10 Abs. 2 S. 3 WEG scheidet aber aktuell als mögliche Norm aus, da es bei der Frage um eine
Vgl. v. Oefele/Winkler/Schlögel § 3 Rn. 128.
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Neugestaltung des Erbbaurechtsvertrages um das sachenrechtliche Grundverhältnis geht. Auf diese Fälle ergibt sich keine Anwendung der Norm.9 Letztlich bliebe also aktuell nur ein Rückgriff auf die Regeln des § 242 BGB. Hier wäre zu überlegen, ob ein grundloses Festhalten eines Wohnungserbbauberechtigten nach den Regeln von Treu und Glauben als treuwidrig einzustufen wäre und die anderen Wohnungseigentümer daraus einen Anspruch herleiten könnten, ggf. das Wohnungserbbaurecht an sich selbst bzw. die WEG übertragen zu bekommen, um dann gemeinsam eine Verlängerung bzw. Erneuerung zu verhandeln. Das erscheint dabei bei einer Erneuerung des Erbbaurechts kurz vor Zeitablauf durchaus möglich, da der ablehnende Wohnungserbbauberechtigte grundsätzlich kein Interesse am Festhalten seines Erbbaurechts hat. Bei einer vorzeitigen Verlängerung mit noch längerer Vertragslaufzeit könnte auch diese Lösung nur bedingt greifen, da es im Interesse des ablehnenden Wohnungserbbauberechtigten sein kann, z. B. noch länger günstigere Konditionen in Anspruch zu nehmen bzw. er wirtschaftlich nicht in der Lage sein könnte, neue höhere Erbbauzinskonditionen zu tragen. In diesen Fällen wäre für eine Treuwidrigkeit gem. § 242 BGB nur wenig Raum. Insofern wäre hier sicherlich immer eine Einzelfallbetrachtung erforderlich. Im Ergebnis sollte in Zukunft zur rechtlichen Klärung eine gesetzliche Lösung durch Änderungen im WEG gefunden werden. Für Entscheidungen, die Erbbaurechte im Sinne von § 30 WEG betreffen, sind für die genannten Fälle Mehrheitslösungen notwendig. Die Mehrheitsquote wäre dabei sicherlich eher hoch anzusetzen. Oder man müsste darüber nachdenken, ob einzelne Wohnungserbbauberechtigte aus der WEG ausscheiden können, um ihre Rechte an den Erbbaurechtsgeber gegen Entschädigung übertragen zu können, um darüber wieder eine Handlungs- und Einigungsfähigkeit herzustellen. Eine solche Klärung ist wichtig, um auch im Geschosswohnungsbau das Erbbaurecht verstärkt einsetzen zu können. Aktuell kann man zwar Mietwohnungen in einem einheitlichen Erbbaurecht bauen, aber man sollte als Erbbaurechtsausgeber hier mit einem Aufteilungsverbot arbeiten, um die zurzeit unangenehmen bzw. ungeklärten Rechtsfolgen zu vermeiden. Denn leider ist es nicht immer möglich, mit allen Bruchteilseignern am Erbbaurecht eine einheitliche Lösung zu vereinbaren. Nach einer ggf. erfolgten neuen gesetzlichen Regelung wäre eine Umsetzung des Geschosswohnungsbaus auch im Erbbaurecht leichter möglich.
4 G emeinschaften von Mietern und Eigentümern im Stiftungskontext Das Thema Erbbaurecht ist in der Debatte um einen ausgewogenen Wohnungsmarkt in Zeiten steigender Grundstückspreise und fehlendem Bauland in Deutschland wieder sehr aktuell geworden. Immer mehr Städte und Gemeinden sehen neu-
Vgl. Palandt § 10 WEG Rn. 14 (m. w. Nachw.).
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erlich Vorteile darin, Erbbaurechte zu vergeben, damit der Grund und Boden im Eigentum der Stadt bleibt und Bauland nach den Vorgaben der Stadt entwickelt werden kann. Dieses altbewährte Rechtsinstrument ist auch für Stiftungen sehr wertvoll, da diese, wenn sie Flächen kaufen, so ihren Einfluss auf die mit Erbbaurecht vergebene Fläche behalten und Bodenspekulationen langfristig verhindern können. Die regelmäßige Einnahme eines Erbbauzinses sichert der Stiftung zudem eine dauerhafte Einnahme, zum Beispiel für die Realisierung weiterer Wohn- und Bauprojekte.
4.1 Die Rolle der Stiftung und ihr Geschäftsmodell Eine gemeinnützige Stiftung ist an ihre Satzung gebunden und wird von der Stiftungsaufsicht wie auch von dem Finanzamt auf die Einhaltung der Satzungszwecke und ihrer Mittelverwendung kontrolliert. Ist der Satzungszweck die Schaffung bezahlbaren und gemeinschaftsbildenden Wohnraums – wie zum Beispiel bei der Joanes Stiftung in Berlin – muss sie diese Aufgabe umsetzen. Durch die Aufsicht entsteht eine Verbindlichkeit gegenüber den Bewohnern wie aber auch der Stadt. Städte und Kommunen erhalten so beständige gemeinwohlorientierte Projekte. Wird dies zudem mit einem Erbbaurechtsvertrag untermauert, erfährt das Vorhaben hiermit eine zusätzliche Sicherheit – durch die staatliche Kontrolle wie auch die vertragliche Verpflichtung. Ein weiterer Vorteil für die Stadt liegt darin, dass viele Stiftungen dauerhaft bezahlbaren Wohnraum, d. h. ohne Laufzeitbegrenzung von z. B. 10 oder 15 Jahren, anbieten. Wird ein Grundstück von einer Stiftung erworben und im Erbbaurecht entwickelt, kann die Stiftung, wenn es die Rahmenbedingungen zulassen, einen Teil der entstandenen Wohnungen an selbstnutzende Eigentümer verkaufen. Aus dieser Eigentümergemeinschaft entsteht auch eine Wohnungseigentumsgemeinschaft. Sämtliche Wohnungseigentümer sind in dieser Art Gemeinschaft zusammengeschlossen. Diese hat nun auch Einfluss auf die Erbbaurechtsanteile der Gemeinschaft. Der Eigentümer einer Wohnung hat folglich einen Bruchteil am Erbbaurecht, eine sogenannte Bruchteilsberechtigung. Diese Art des Erbbaurechts ermöglicht den Eigentümern einen Mitberechtigungsanteil am Erbbaurecht, man nennt diesen Sonderfall Wohnungserbbaurecht (§ 30 WEG), wie unter 3.2 erwähnt. Für die Wohnungseigentümer ist es beim Kauf einer Wohneinheit zum Teil ausschlaggebend, dass ihr Grundstückanteil in Erbbaurecht verwaltet ist, da sie auf diese Weise einen Teil der Kaufkosten nicht direkt entrichten müssen, sondern über die Erbbaurechtsregelung, wirtschaftlich gesehen, diesen nur mieten. Des Weiteren entfallen auf jenen Prozentsatz die anteiligen Erwerbsnebenkosten, wie z. B. der Eigenkapitalanteil, die Grunderwerbssteuer oder die Notarkosten. Da Stiftungen häufig die Bewohnerschaft der Wohngebäude selber akquirieren, fallen zudem keine Maklerkosten an. So ist zu Beginn des Erwerbs weniger Eigenkapital erforderlich, was den Einstieg in die Eigentumsbildung früher ermöglichen kann.
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Durch den Erbbaurechtsvertrag werden die Konditionen mit allen Parteien festgelegt. Dies ist vor allem dann von Bedeutung, wenn erworbene und selbst genutzte Wohnungen weiter veräußert oder vermietet werden. Bei der Festlegung der Miete gilt der Grundsatz, dass diese 30 % des Nettoeinkommens nicht überschreiten soll. Als weiteres Ziel soll der Mietzins so weit vermindert werden, dass immer noch eine dauerhaft stabile finanzielle Gesamtsituation des Objektes entsteht; d. h. Fördermittel, Spendengelder und andere Einnahmen vermindern das zu finanzierende Budget und erlauben eine weitere Reduzierung der Miete. Dies gewährleistet auch den zukünftigen Mietern in den Objekten eine langfristige finanzielle Sicherheit. Zusätzliche Absicherung erhält der Bewohner durch das professionelle Gebäudemanagement. Rücklagen sind so auszulegen, dass für Modernisierungen, Instandhaltungen oder sich verändernde gesetzliche Vorschriften gesorgt ist und nicht plötzlich auftretende Zahlungen fällig werden. Modernisierungsumlagen dienen selbstverständlich hier nicht dem Ziel des versteckten Anstiegs des Mietzinses. Das Geschäftsmodell einiger Stiftungen zielt beim Wohnungsneubau auf eine soziale Vielfalt der Bewohnerschaft ab. Die Stiftung versucht hier im Zusammenwirken mit der öffentlichen und der privaten Wohnungswirtschaft sowie auch dem Einsatz öffentlicher Mittel einen Grad sozialer Vielfalt gleichsam mit der Funktion von planungs- und vertragsrechtlichen Auflagen umzusetzen (Sozialgerechte Bodennutzung (SoBoN), Sozialwohnungsanteil etc.). Verschiedene Einkommensgruppen, Haushaltstypen und Menschen aus unterschiedlichen sozialen Milieus sollen beim Einzug in die Wohneinheiten berücksichtigt werden. Ein solches Auswahlverfahren der Bewohner sollte verstärkt in Kooperation mit sozialen Trägern durchgeführt werden. Einsame Menschen können so beispielsweise in die Gemeinschaft integriert oder Familien in schwierigen Lebenslagen unterstützt werden. Hält die Stiftung die Mehrheit der Wohneinheiten und führt das Haus als Verwalter, liegen hierin folgende Vorteile: • erleichterter Einstieg ins Eigentum Der Käufer erwirbt ‚nur‘ die Wohnung und nicht den prozentualen Anteil des Grundstücks. Dies ermöglicht Haushaltsgruppen mit geringem Einkommen den Einstieg ins Eigentum und die Vorsorge für das Alter. • vereinfachte Beschlussfähigkeit bei Eigentümerversammlungen Die Stiftung hält die Mehrheit der Wohneinheiten. Da die Stiftung in ihren Vorgaben dem Menschen zugewandt ist, kann davon ausgegangen werden, dass es hier zu keiner Fehlverwendung kommt. Auch die staatliche Stiftungsaufsicht wacht zusätzlich über die Einhaltung der Satzungswecke einer jeden Stiftung. • finanzielle Sicherheit für alle Gebäudenutzer Die Stiftung führt eine professionelle Verwaltungstätigkeit aus und stellt die Kosten transparent dar. • Wunsch aller Eigentümer, das gemeinsame Gut zu pflegen und zu erhalten Die Eigentümer tun dies für sich; die Stiftung achtet bei den Vermietungen auf den Erhalt des gemeinsamen Wirtschaftsgutes.
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• soziale Vielfalt Die Stiftung kann eine gezielte soziale Vielfalt in ihren Objekten durchsetzen und versuchen zu bewahren. Die Stiftung hat aber auch beispielsweise folgende Herausforderungen zu bewältigen: • Auswahl der Bewohnerinnen und Bewohner. Manche Stiftungen führen die Auswahl selber durch, andere entscheiden dies mit Partnern, wie z. B. sozialen Trägern. Eine Exklusion von potenziellen Bewohnern ist niemals ausgeschlossen. • Die Stiftung ist im Mehrheitsbesitz und führt die Verwaltung. Die Mehrheitsmeinung könnte demnach durch die Stiftung beeinflusst werden. Eigentümer können durch den Mehrheitsbesitz einen Verlust der Mitbestimmung befürchten. Da es allerdings das schriftlich fixierte und von staatlicher Seite kontrollierte Stiftungsziel ist, sozial und gemeinwohlorientiert zu handeln, ist dies eher eine Frage der Zusammenarbeit und des Aufbaus einer guten Vertrauensbasis mit den Bewohnern. • Umgang mit Bewohnern, die sich aufgrund des angebotenen langfristig stabilen niedrigen Mietzinses finanziell gut entwickeln. Ein angepasster Mietzins soll hier das Gemeinschaftskonzept honorieren und der Stiftung die Möglichkeit geben, vielen anderen Menschen auch solche Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten.
4.2 G emeinschaftsflächen zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts Stiftungen und ihre Geschäftsmodelle beziehen sich häufig auf die Förderung des Gemeinschaftssinns. Flächen für alle Bewohner sind ein beliebtes und sinnvolles Instrument. Das zufällige wie absichtliche Treffen der Bewohner soll genügend Raum finden. Dies kann an unterschiedlichen Stellen des Hauses sein: im Erdgeschoss, in Gemeinschaftsküchen oder auf dem Dachgarten. Gemeinsame Aktivitäten sollen hier – selbstverständlich in enger Abstimmung mit den Bewohnern und Anwohnern – ermöglicht und weiter ausgebaut werden. Ausstattungen wie ein Gemüsegarten, ein großer Fahrradabstellplatz oder Spielmöglichkeiten für die Kinder können hier nach Abstimmung gemeinsam umgesetzt werden. Wichtig ist hierbei, dass die gewünschte Nutzung mit den Bewohnern vorher gemeinsam geplant oder umgesetzt wird – die Teilhabe am gemeinsamen Planen, die Formulierung einer Hausordnung und gemeinsamer Regeln oder Verbote stehen hier im Mittelpunkt. So kann eine gemeinschaftlich beschlossene Hausordnung beispielsweise eine gute Grundlage für ein harmonisches Zusammenleben darstellen. Die Finanzierung der Gemeinschaftsflächen kann z. B. auf die Haushaltsgruppen mit ihren unterschiedlichen Mietzinshöhen verteilt werden; hierdurch soll eine gerechte finanzielle Verteilung entsprechend der individuellen finanziellen
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Möglichkeiten erreicht werden. Gegebenenfalls kann die Finanzierung dieser Flächen – wie auch der Wohnungen für in Not geratene Familien – durch die Unterstützung von Philanthropen abgedeckt werden.
4.3 Die Zusammenarbeit von Stadt und Stiftung Gemeinwohlorientierte Träger und Institutionen, die sich für eine soziale Vielfalt im Wohnumfeld einsetzen, den Boden vor Spekulationen schützen und bezahlbaren Wohnraum gestalten, sollten in Zukunft innerhalb von kommunalen und städtischen Strategien und innerhalb des Wohnungsmarktes eine merklichere Unterstützung finden. Eine Strategie, um Stiftungen und soziale Träger verstärkt zu fördern, könnte beispielsweise eine Entlastung bei der Grunderwerbssteuer oder eine Reduzierung der Grundstückskosten sein. Andere Anreize können in der Genehmigung einer geringfügig höheren Dichte in ausgewählten Bereichen einer Quartiersentwicklung liegen, sodass bei der Integration gemeinwohlorientierter Institutionen diese einen Vorteil haben. Ist für den Erwerb eines städtischen Grundstücks bei einem Konzeptvergabeverfahren eine gemeinschaftliche Konzepterarbeitung mit anderen Partnern notwendig, ist zu überlegen, ob der Aufwand für die gemeinwohlorientierte Institution oder Stiftung sowie der ungewisse Ausgang eines erheblichen zeitlichen Engagements eine adäquate Verwendung von Stiftungsgeldern und Spenden darstellt. Aufwändiger werdende Konzeptverfahren und städtische Ausschreibungen führen dazu, dass immer mehr Stiftungen sowie auch Genossenschaften und soziale Träger diesen Aufwand nicht mehr werden leisten können. Hier gilt es, den Aufwand der aus Spendengeldern finanzierten Institutionen auf ein Minimum zu beschränken; vor allem dann, wenn die Erfolgsaussichten begrenzt sind. Spendengelder sollten direkt den Menschen zugutekommen, und es ist deshalb erstrebenswert, eine Direktvergabe an gemeinwohlorientierte Institutionen zu forcieren. Vor allem im Hinblick darauf, dass Städte vor neuen Herausforderungen stehen und in den kommenden Jahren große Quartiersplanungen mit zusammenhängenden Mischgebieten geplant sind, ist es wichtig, dabei auch kleinere gemeinwohlorientierte Akteure zu beachten, die nicht nur technische Infrastrukturen, sondern auch soziale Infrastrukturen von Anfang an mitdenken, planen und umsetzen. Wenn die Stadt oder Kommune Grundstücke an Stiftungen oder andere gemeinwohlorientierte Institutionen vergibt, hat die Kommune den Vorteil, dass das Grundstück nach Erwerb durch die Stiftung der Bodenspekulation entzogen wird. Ein sozialer Mehrwert durch eine nachbarschaftliche Gemeinschaftsbildung kann entstehen und eine Inklusion sozialer Träger in die Nachbarschaft wird durch die Stiftung ermöglicht. Der soziale Nutzen solcher Projekte veranlasst heute bereits manche Kommunen, Grundstücke preisreduziert oder sogar kostenfrei an Stiftungen abzutreten. Durch eine zeitlich unbefristete Mietsicherheit für die Mieter und eine Eigentumsförderung auf einem Grundstück, wird auch einer etwaigen Gentrifizierungstendenz Einhalt geboten. Der sozial geförderte Wohnraum wird zudem ge-
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meinwohlfördernd bewirtschaftet. Eine ausgewogene Mischung aus Miete und Eigentum in Wohnobjekten innerhalb städtischer Quartiere sollte als stabilisierender Faktor angesehen werden und bei der Planung und Umsetzung von Wohnquartieren und Wohnbauprojekten oberstes Ziel sein.
5 Fazit Städte verfolgen zunehmend die Vergabe von Grundstücken im Erbbaurecht. In Kombination mit Wohnungseigentumsgemeinschaften ergeben sich Herausforderungen, wie z. B. bei Vertragsverlängerungen und beim Auslaufen des Erbbaurechtsvertrages, für die verschiedene Lösungsansätze dargestellt werden konnten. Wird eine WEG beispielsweise von einer Stiftung geleitet, ist damit der Haupteigentümer gemeinwohlorientiert und kann langfristig, also ohne zeitliche Bindung, dafür sorgen, dass bezahlbarer Wohnraum bereitgestellt wird. Neben diesem Vorteil ergeben sich auch weitere, die zum Beispiel in der Gemeinschaftsbildung und dem erleichterten Einstieg in das ‚Eigentum für den kleinen Geldbeutel‘ liegen. Der Beitrag konnte somit nicht nur aktuelle Herausforderungen und Lösungsansätze aus der Kombination von WEGs und Erbbaurecht bei der derzeitigen Gesetzeslage aufzeigen; die exemplarisch dargestellten Ansätze von Stiftungen zeigen darüber hinaus ein weiteres großes Potenzial von gemeinwohlorientierten Institutionen wie auch wertvolle Anregungen, die die Kommunen zur Unterstützung der drängenden Wohnraumprobleme heranziehen können.
Literatur von Hauff M, Musielack H (2017) Das große Verwalter-Handbuch – Wohnungseigentum sicher managen, 7. Aufl. Haufe, Freiburg, 413 S. https://shop.haufe.de/impressum. Zugegriffen am 20.03.2017 Ingenstau H, Hustedt V (2018) Erbbaurechtsgesetz, Kommentar, 11. Aufl. Carl Heymanns, Köln von Oefele H, Winkler K, Schlögel J (2016) Handbuch Erbbaurecht, 6. Aufl. C.H. Beck, München Palandt O (Hrsg) (2018) Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 77. Aufl. C.H. Beck, München
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Gemeinsam zum Eigentum – Baugemeinschaften und Genossenschaften Marcus Menzl
Jenseits der klassischen Wohnformen in individuellem Eigentum oder zur Miete lässt sich speziell seit den 1990er-Jahren ein starker Aufschwung von Wohnformen feststellen, die das gemeinsame bzw. das gemeinschaftliche Wohnen betonen. Die beiden im Folgenden näher betrachteten Formen der Wohnungsbaugenossenschaften und der Baugemeinschaften weisen beide eine deutlich längere Geschichte auf, haben aber in jüngerer Vergangenheit eine partielle Neuerfindung und eine steigende Wertschätzung erfahren. Neben grundlegenden und exemplarisch veranschaulichten Charakterisierungen von Wohnungsbaugenossenschaften und Baugemeinschaften wird im Folgenden diskutiert, wie die aktuell starke Nachfrage nach diesen Wohnformen zu erklären ist und welche Vor- und Nachteile mit ihnen verbunden sind – für die Nutzer wie für die Stadt(-quartiere).
1 Wohnungsbaugenossenschaften Erste Projekte des gemeinschaftlichen Bauens und Wohnens bildeten sich im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts heraus. Dabei ging es in unterschiedlichen Gewichtungen um die Versorgung mit eigenem Wohnraum, um eine neue Lebenskultur, um Möglichkeiten der Selbstbestimmung und der Selbsthilfe und um Alternativen jenseits der kapitalistischen Produktion von Wohnraum (vgl. Krämer und Kuhn 2009). Ein nicht unerheblicher Teil der heutigen „Traditionsgenossenschaften“ wurde um 1900 gegründet. Aufgrund verbesserter gesetzlicher Rahmenbedingungen und des
M. Menzl (*) Technische Hochschule Lübeck, Fachbereich Bauwesen, Lübeck, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 O. Depenheuer et al. (Hrsg.), Wohneigentum für breite Schichten der Bevölkerung, Bibliothek des Eigentums 18, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61287-3_16
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rasanten Wachstums der Großstädte stieg die Zahl der Genossenschaftsgründungen in den Folgejahren weiter an und lag 1914 bei etwa 1400Wohnungsbaugenossenschaften. Die eigentliche Hochphase erreichte die Idee in den 1920er-Jahren, schon 1926 hatte sich die Zahl der Genossenschaften gegenüber 1914 verdreifacht. Nach 1945 waren alle Genossenschaften als gemeinnützig anerkannt (bis zur Abschaffung des Gemeinnützigkeitsgesetzes 1989), sie bauten ihre Wohnungsbestände in diesen Jahren massiv aus. Heute gibt es in Deutschland rund 2000 Wohnungsbaugenossenschaften mit mehr als 2 Millionen Wohnungen. Was kennzeichnet genossenschaftliches Wohnen? • Lebenslanges Wohnrecht: Die Wohnung ist unkündbar und bietet damit eine Planungssicherheit, die der des Eigentümers gleichkommt. Die Genossenschaft ist primär der Wohnversorgung ihrer Mitglieder verpflichtet, produziert also nicht für einen abstrakten Markt. • Bezahlbares Wohnen: Genossenschaften agieren nicht gewinnorientiert. Sie halten ihre Wohnungen im Bestand und orientieren sich an der Kostenmiete. In vielen Fällen (gerade bei neueren Genossenschaften) können durch Eigenleistung und Ehrenamt die Nebenkosten verringert werden. • Demokratische Strukturen: Die Nutzer der Wohnungen müssen Anteile an der Genossenschaft erwerben und damit Mitglied der Genossenschaft werden. Damit verbunden sind relevante Mitsprachemöglichkeiten: Die Mitgliederversammlung ist das höchste Organ der Genossenschaft. Jedes Mitglied hat unabhängig von der Höhe seiner Genossenschaftsanteile eine Stimme in der Mitglie derversammlung. • Kollektiv nutzbare Angebote: Genossenschaften bieten Gemeinschaftseinrichtungen an: Waschräume, Dachterrassen, Gästewohnungen, Gemeinschaftsräume, Kinderspielflächen usw. Damit werden Optionen ermöglicht, die dem Einzelnen allein nicht zur Verfügung stünden. Generell gilt die Vision, die Privatsphäre der Wohnung zu respektieren, aber durch attraktive Angebote gemeinschaftliches Wohnen zu fördern. • Kümmerer-Funktion: Gerade Traditionsgenossenschaften mit ihrer häufig älteren Bewohnerschaft haben in den letzten Jahren bauliche und organisatorische Anstrengungen unternommen, um den Anforderungen sich verändernder Lebenslagen zu entsprechen (vgl. BMVBS und BBR 2007, S. 28 f.). Bei Projekten jüngerer Genossenschaften ist das in der Regel ohnehin ein wesentlicher Programmpunkt. In den Jahren ab 1980 lässt sich eine deutliche Wiederbelebung des Genossenschaftsgedankens in deutschen Großstädten beobachten. Oftmals in bewusster Abgrenzung zu Traditionsgenossenschaften hatten die neuen Genossenschaften ihre Wurzeln eher in der Ökologiebewegung und der Hausbesetzerszene. Erste Projekte entstanden vor allem in Bestandsgebäuden, erst im zweiten Schritt verlagerte sich der Fokus auf Neubauprojekte. Der große Vorteil von Genossenschaften – in der Regel auch gegenüber Baugemeinschaften im Eigentum – ist ohne Frage die dauerhafte Wohnraumversorgung von Menschen mit niedrigen Einkommen. Genossen-
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schaften orientieren sich an mittleren Einkommensgruppen und integrieren auch große Anteile von Wohnungen im geförderten Wohnungsbau. Beispiel 1: wagnisART München Die wagnis eG ist eine im Jahr 2000 gegründete Genossenschaft, die in München in den letzten Jahren sechs selbstorganisierte und partizipative Wohnprojekte realisiert hat (weitere befinden sich in Vorbereitung). Wagnis steht dabei für „Wohnen und Arbeiten in Gemeinschaft, nachbarschaftlich, innovativ und selbstbestimmt“. Die Genossenschaft entwickelt die Projekte intensiv zusammen mit den künftigen Bewohnern, im Fall von wagnisART standen bereits 40 % der künftigen Nutzer in der Planungsphase fest. Im Ergebnis entstanden auf einer Konversionsfläche im Norden von Schwabing 138 Wohnungen, davon 8 Wohn-Cluster mit 53 Apartments, Künstler-Cluster ARTrefugio, Ateliers, Praxisräume, Büros, Speisecafé, Veranstaltungsraum, Gemeinschaftsräume, Werkstätten, Waschcafé, Nähstube, Toberaum, Proberäume, Gäste-Apartments, Gemeinschafts-Dachgärten, Gemeinschaftsterrassen und -brücken, Dorfplatz, Oasenhof (vgl. www.wagnis.org). Insgesamt wurde damit eine geradezu opulente Ausstattung von gemeinschaftlich nutzbaren, halböffentlichen Angeboten geschaffen. Ganz bewusst entschied sich das Projekt auch für eine Öffnung zur Nachbarschaft und der Produktion eines Mehrwerts für das gesamte Quartier (Freiräume, Speisecafé, mietbarer Veranstaltungsraum). Architektonisch markant ist die Untergliederung des Projekts in fünf Baukörper (benannt nach den Kontinenten Europa, Asien, Afrika, Amerika und Australien), die durch eine Brückenkonstruktion auf Höhe des 3. bzw. 4. Obergeschosses miteinander verbunden sind. Hinsichtlich der sozialen Mischung wurde ein Drittel der Wohnungen im Rahmen des geförderten Wohnungsbaus realisiert, ein Drittel nach dem München-Modell und ein Drittel frei finanziert. Die Projekte der wagnis eG stehen damit für extrem anspruchsvolle Ansätze, gemeinschaftliche Wohnformen zu entwickeln. Es entstehen sozial und ökologisch nachhaltige, inklusiv und generationenübergreifend konzipierte und intern wie nach außen gut vernetzte Räume, die sowohl individuell attraktive Wohnungen wie auch vielfältige gemeinschaftliche Angebote hervorbringen. Die Rechtsform der Genossenschaft ist hier also wieder aufgegriffen und mit neuem Leben gefüllt worden – in einer Weise, die den Bewohnern das Gefühl vermittelt, nicht nur Mieter, sondern tatsächlich Eigentümer des Hauses zu sein.
2 Baugemeinschaften Das zentrale Charakteristikum von Baugemeinschaften besteht darin, dass sich eine größere Zahl von Haushalten (die Größe der Baugemeinschaften variiert von ca. 10 bis 300 Bewohnern) zusammenschließt, um gemeinsam ein Grundstück zu erwer-
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ben und auf diesem ein Wohngebäude zur Selbstnutzung zu errichten. Dies impliziert gemeinsame Planungs- und Entscheidungsprozesse, die frühzeitige Herausbildung von angestrebten Mustern nachbarschaftlichen Umgangs miteinander und die Bereitschaft, über einen Zeitraum von mehreren Jahren auf den Bezug der neuen Wohnung warten zu können. Spielarten von Baugemeinschaften gibt es in der Form von Mietmodellen im Verbund mit Traditionsgenossenschaften, sogenannten Dachgenossenschaften oder auch neu gegründeten Genossenschaften. Diese haben insbesondere in den letzten zehn Jahren signifikant an Bedeutung hinzugewonnen. Der räumliche Schwerpunkt der Baugemeinschaften liegt klar in den Großstädten, wo sich in den letzten Jahren auch professionelle Unterstützungsstrukturen herausgebildet haben (Baubetreuer, kommunale Kontaktstellen, Wohnprojektetage mit Informations- und Börsenfunktion). Rückblickend betrachtet kam die Idee des gemeinschaftlichen Bauens und Wohnens erstmals wieder in den 1970er-Jahren in einzelnen Projekten auf, die ihre Motivation auch stark aus der Abwendung von der Orientierung auf Kleinfamilie und bürgerliche Normen bezogen. In den 1980er-Jahren gründeten sich dezidiert ökologisch ausgerichtete Projekte oder auch Wohnprojekte von bestimmten Teilgruppen wie Alleinerziehenden und Frauen. Die Entdeckung von Baugemeinschaften für ältere Menschen erfolgte dann in den 1990er-Jahren; in den 2000er-Jahren schließlich stieg die Zahl der neu gegründeten Baugemeinschaften sprunghaft an und auch der Fokus weitete sich immer stärker aus, sowohl was die thematischen Ausrichtungen betrifft als auch die sozialen Milieus, die das Wohnen in einer Baugemeinschaft nachfragen (vgl. Fedrowitz 2011). Was sind die wesentlichen Vor- und Nachteile einer Mitgliedschaft in einer Baugemeinschaft? Äußerst vorteilhaft ist zunächst einmal, dass das Bauen in einer Baugemeinschaft gegenüber dem Erwerb einer Wohnung von einem Investor oder Bauträger meist deutlich günstiger ist (Erfahrungswerte sprechen von ca. 15–25 %, vgl. Burdenski 2010, S. 132), da der Aufschlag für Gewinn und Risiko entfällt und auch die Nebenkosten (Grunderwerbssteuer) geringer sind. Durch Eigenleistungen in der Planungs- wie auch in der Bauphase können weitere Kosten vermieden werden. Das zweite große Argument für Baugemeinschaften ist die Aussicht, die eigenen Wohnvorstellungen relativ umfangreich umsetzen zu können. Das bezieht sich etwa auf die Grundrissgestaltung der Wohnung, die Architektur des Gebäudes, aber auch die Konzeption der gemeinschaftlich nutzbaren Flächen. Ebenso wichtig ist die Möglichkeit, sich seine unmittelbare Nachbarschaft selbst auswählen zu können. Generell ist die Perspektive umfangreicher Teilhabe und Mitbestimmung an dem Projekt ein wesentlicher Pluspunkt. Kritisch wird mitunter der Kommunikationsaufwand gesehen bzw. generell die viele Zeit, die in Abstimmungsleistungen in der Gruppe gesteckt werden muss. Zudem wird es in den meisten Fällen nötig sein, größere Kompromisse einzugehen als man es als Einzelbauherr tun müsste. Aufgrund der genannten Vor- und Nachteile von Baugemeinschaften können diese sehr unterschiedliche Formen annehmen. Grob lassen sich dabei drei Typen unterscheiden (vgl. BBSR 2009):
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• Gruppen mit primärem Interesse an Wohneigentum, die auf diesem Weg die Chance sehen, in attraktiven Lagen, individualisiert und vergleichsweise günstig Wohneigentum zu bilden. Größere Ambitionen auf gemeinschaftliches Zusammenleben mit den anderen Bauherren haben diese Akteure nicht, die Baugemeinschaft (hier treffender: Bauherrengemeinschaft) ist ein sehr pragmatischer Zusammenschluss zur Verfolgung gleicher Interessen. • Zweitens lassen sich Gruppen mit gemeinsamen sozialen Vorstellungen identifizieren, die zwar auch die Verwirklichung eigener Wohn- und Lebensvorstellungen anstreben, dies aber bewusst im Kontext einer selbst gewählten Gemeinschaft tun, von der man sich im Alltag wertvolle Unterstützung erwartet. Gewünscht sind gegenseitige Hilfeleistungen oder auch gemeinschaftliche Aktivitäten aufgrund gleich gelagerter Interessensschwerpunkte oder Lebenslagen. • Schließlich finden sich auch Gruppen mit explizit integrativen Ansätzen. Das gemeinsame Zusammenleben nimmt bei ihnen im Alltag sehr viel Platz ein, es ist ein bewusst gewähltes Ziel dieser Wohnform. Es geht dann tatsächlich darum, den Alltag miteinander zu teilen, Verantwortung für die Mitbewohner und die Gemeinschaft insgesamt zu übernehmen und Integrationsprozesse zu befördern. Aus dieser Typologie wird ersichtlich, dass es durchaus wichtig ist, auch zwischen den einzelnen Projekten gemeinschaftlichen Bauens und Wohnens präzise zu unterscheiden und für die Stadt eine wesentliche Steuerungsaufgabe darin liegt, den potenziellen Mehrwert für die Quartiers- und Stadtentwicklung, der in der Förderung von Baugemeinschaften liegt, in jedem einzelnen Projekt einzufordern und herauszuarbeiten.
Beispiel 2: Tübingen – Quartiersentwicklung mit Baugemeinschaften Als eine der Hochburgen für Baugemeinschaften gilt neben Hamburg, Freiburg und München seit Jahren die Stadt Tübingen. In zahlreichen Quartiersentwicklungen seit 1990 (Französisches Viertel, Loretto-Areal, Alte Weberei, Alter Güterbahnhof, Mühlenviertel usw.) lag der Fokus auf der Berücksichtigung von Baugemeinschaften, so dass mittlerweile aus dem „erfolgreichen Experiment die Regel geworden ist“. Ziel der Stadt ist es, „vielfältige und lebendige Quartiere mit hohem Lebens- und Identifikationswert für ganz unterschiedliche Nutzerinnen und Nutzer zu schaffen“ (www.tuebingen.de). Wie geht die Stadt bei der Entwicklung dieser neuen Quartiere vor? Kennzeichnend ist zunächst, dass die Stadt von Beginn an die Entwicklungsregie übernimmt. Sie erwirbt die Grundstücke von Vorbesitzern, kümmert sich um Altlastensanierung, parzelliert und vermarktet die Grundstücke und bleibt bis zur Umsetzung letzter Details koordinierender Ansprechpartner mit Verantwortung für das Quartier als Ganzes. Die Vergabe von Grundstücken an Baugemeinschaften hat in Tübingen inzwischen etwas Selbstverständliches, die Realisierung durch Bauträger ist dagegen zunehmend der Ausnahmefall bzw. dient zur Ergänzung. Die Privilegierung der Baugemeinschaften erfolgt in
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Tübingen nicht durch besondere finanzielle Subventionierungen, sondern durch begleitende Unterstützung: Zum Beispiel werden regelhaft Stadthausbörsen durchgeführt, auf denen sich Gruppen präsentieren und Interessierte orientieren können und über die die Gruppenfindung erleichtert werden soll. Die Parzellengrößen variieren und können nach den eigenen finanziellen Spielräumen gewählt werden, die Vergabe der Grundstücke erfolgt zunächst im Optionsverfahren, so dass Unsicherheiten im Gruppenbildungsprozess leichter aufgefangen werden können. Die Spielräume bei der architektonischen, konzeptionellen und organisatorischen Ausgestaltung des Baus sind vergleichsweise groß, hierdurch sollen das Innovationspotenzial der Projekte ausgereizt und die Identifikation maximiert werden (vgl. Soehlke 2010, S. 45). Die Fokussierung auf Baugemeinschaften ist allerdings durchaus voraussetzungsvoll: Baugemeinschaften sind meistens kommunikationsintensiv und benötigen daher verlässliche Rahmenbedingungen und feste Ansprechpartner auf städtischer Seite. Die gruppendynamischen Schwankungen können auch zu temporären Blockaden des Prozesses führen, weshalb die Kommune die Entwicklungsschritte fordernd begleiten muss. Ganz konsequent erfolgt in Tübingen die Grundstücksvergabe zu Festpreisen, d. h. relevantes Entscheidungskriterium für den Zuschlag ist die Qualität des Konzepts: Was sind die Besonderheiten des Bewerbers? Was trägt das Bauvorhaben zu Qualität und Vielfalt des Quartiers bei? Und gibt es auch eine hinreichende Realisierungssicherheit? (vgl. Soehlke 2010, S. 47). Perspektivisch ist absehbar, dass Baugemeinschaften in Tübingen künftig auch außerhalb der großen Entwicklungsgebiete, z. B. bei privaten Baulücken oder Altbauten, zum Einsatz kommen werden.
3 D er Boom der gemeinschaftsorientierten Wohnformen – warum? Warum lässt sich nun gerade in den letzten 10–15 Jahren ein so starker Zuspruch für die Wohnmodelle Genossenschaft und Baugemeinschaft beobachten? Die Traditionsgenossenschaften profitieren in den letzten Jahren davon, dass sie in einem in den Großstädten stark erhitzten Wohnungsmarkt für Sicherheit, Kontinuität, Verlässlichkeit und Kostenstabilität stehen. Zudem ist es ein Modell, bei dem die Nutzer der Wohnungen zumindest theoretisch Einfluss auf die wohnungspolitische Ausrichtung der Genossenschaft haben und nicht ohnmächtig dem Handeln anderer ausgeliefert sind. Die Bewohnerstruktur bei den Traditionsgenossenschaften ist auch aufgrund des Schwerpunkts auf kleinen Wohnungen stark geprägt von Einpersonenhaushalten und einem hohen Anteil älterer Menschen. Die durchschnittliche Wohndauer beträgt 19 Jahre, ein Drittel der Genossenschaftsmitglieder wohnt bereits seit mehr als 30 Jahren in derselben Wohnung (Beuerle 2014, S. 56). Bei den
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neu gegründeten Genossenschaften sieht das Bild anders aus, hier finden sich auch viele jüngere Haushalte und Familien mit Lust an der Umsetzung individueller Wohnvorstellungen. Die Motive, die die Genossenschaft als Rechtsform attraktiv erscheinen lassen, sind jedoch ähnlich wie bei den Traditionsgenossenschaften. Das große und milieu- und generationenübergreifende Interesse am Modell Baugemeinschaft, aber auch an jungen Genossenschaften, hängt natürlich mit den Engpässen auf den großstädtischen Wohnungsmärkten zusammen, aber es hat noch einen anderen Hintergrund. Die Entscheidung, wie man wohnt, d. h. in welchem Stadtquartier man seine Wohnung wählt und wie diese gestaltet ist, ist heute von enormer Bedeutung – und das liegt nicht nur an der Lage des Quartiers und dessen jeweiliger Ausstattung mit sozialen und kommerziellen Infrastrukturen, mit „Third Places“ (Oldenburg 1989) und mit Vernetzungsoptionen. Das Wohnen ist speziell für urbane Mittelschichts-Haushalte zu einer „Quelle spätmoderner Identität avanciert“, zu einem „Ort performativer Selbstverwirklichung“ (Reckwitz 2017, S. 314 ff.). Stadtquartiere, auch Kieze oder sogar Baublöcke und Straßen verfügen ebenso wie die Wohnform selbst über eigene Images, das Leben dort wird entsprechend unterschiedlich wahrgenommen und bewertet. Die Wohnung ist damit zu einem Ort der Selbstvergewisserung über den eigenen Status und Lebensstil ge worden, der im Idealfall nach innen mit seiner atmosphärischen Qualität und Besonderheit befriedigt und nach außen, gegenüber Besuchern, für soziales Prestige sorgt. Die „Valorisierung“ von Quartieren, Straßen und Wohnformen impliziert auch Ent- und Abwertungen, d. h. die negative Stigmatisierung von weniger attraktiven Wohnlagen und -formen und deren Bewohnern (ebd.). Damit geht es für nicht wenige Stadtbewohner heute nicht mehr nur um Wohnraumversorgung im materiellen Sinn, wie es in den 1950er-Jahren der Fall gewesen sein mag, in denen kaum unterscheidbare Nachbarschaften für die nivellierte Mittelschichtsgesellschaft gebaut wurden, sondern es geht um folgenreiche Standort- und Lebensstilentscheidungen. Diese Tendenz kommt auch in dem Phänomen der „inszenierten Nachbarschaften“ (Siebel 2009) zum Ausdruck: Baugemeinschaften, junge Genossenschaften oder auch Öko-Dörfer sind Beispiele für nachbarschaftsbezogene Wohnprojekte, die eine hohe Homogenität bezogen auf die Vorstellungen des Zusammenwohnens und oft auch des Lebensstils ihrer Bewohner aufweisen, die in vielen anderen Dimensionen (z. B. Alter, berufliche Orientierung, Haushaltsgröße) jedoch große Unterschiede aufweisen können. Auch hier geht es darum, eine Wohnkonstellation zu finden bzw. zu schaffen, in der man sich wohlfühlt, mit der man sich identifizieren kann und die den eigenen Lebensentwurf sowie die individuelle Selbstverortung noch einmal kräftig unterstreicht. Der zweite gewichtige Grund für die rege Nachfrage nach gemeinschaftlichen Wohnformen – und das schließt auch die Genossenschaften mit ein – ist in der Renaissance von Begegnung, Gemeinschaft und Nachbarschaft zu sehen. Viele Anzeichen sprechen dafür, dass Nachbarschaft und gemeinschaftliches Zusammenleben keineswegs verschwinden, sondern dass sie lediglich neue Formen annehmen, so auch Häußermann u. Siebel (2004, S. 114): „War früher Nachbarschaft eher eine räumliche Tatsache, die sich sozial organisieren musste, so beruht sie heute eher auf
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sozialer Nähe, die sich räumlich organisiert.“ Nachbarschaften konstituieren sich heute immer wieder neu, wobei stets aufs Neue Verständigungen über die jeweiligen normativen Vorstellungen, über Nähe und Distanz oder das Maß an Individualität und Vergemeinschaftung gefunden werden müssen (vgl. Reutlinger et al. 2015, S. 234). Die Spielarten dieses Bedürfnisses nach Begegnung sind jedoch vielfältig: Immer mehr Tätigkeiten werden in halb-öffentliche Räume verlagert (kochen, fernsehen, gärtnern), immer bedeutsamer für die Qualität von Quartieren wird das Vorhandensein von Third Places und entsprechend entstehen immer mehr Wohnformen, die die Begegnung und das gemeinsame Wohnen explizit fördern (neben Baugemeinschaften z. B. auch Co-Living-Modelle oder Öko-Dörfer). Auch in der städtebaulichen Anlage von Quartieren gewinnt die Betonung von informellen Begegnungszonen an Bedeutung: Übergangszonen, Vorgärten, Erdgeschossbereiche, Gemeinschaftsflächen auf dem Dach, im Innenhof oder als Nachbarschaftsräume werden immer wichtiger (vgl. Gehl 2015). Das sind Anliegen, die auch für gemeinschaftliche Wohnprojekte elementar sind und auch von Traditionsgenossenschaften zunehmend aufgegriffen werden.
4 L ohnt es sich, gemeinschaftsorientiertes Wohnen zu fördern? Es bleibt abschließend zu fragen bzw. aus dem zuvor Gesagten zu resümieren, warum bzw. unter welchen Voraussetzungen Städte gemeinschaftsbezogene Wohnformen stärken sollten. Es lassen sich heute mindestens sieben große Erwartungen unterscheiden, die mit gemeinschaftsorientierten Wohnprojekten verbunden sind – und die zugleich die Messlatte markieren, die an eine Förderung dieser Projekte anzulegen ist. 1. Gemeinschaftsorientierung: Die gebäudeinterne Gemeinschaftsorientierung und stabile Nachbarschaftsstruktur wirkt sich häufig auch sehr positiv auf das Quartiersumfeld aus. Die über Jahre bereits verfolgte aktive Gestaltung der eigenen Wohnsituation wie auch die praktizierte Beteiligungskultur werden auf das Quartier übertragen und setzen damit einen starken Impuls: Engagement und Identifikation mit dem Quartier werden vorgelebt, die wechselseitige Vernetzung wird befördert, das soziale Leben erfährt eine Auffrischung (im Falle von Bestandsquartieren) oder bekommt einen starken Nachbarschaftskern (in neuen Arealen). Die gemeinschaftsorientierten Wohnformen – so die Erwartung – fungieren als Motor für die Entwicklung der umgebenden Quartiere. Dies wirkt sich auch positiv auf die heute praktizierten Formen der sozialen Mischung aus, da die Integration unterschiedlicher sozialer Milieus im Alltag erfolgt und hierfür offene und kommunikativ starke Strukturen erforderlich sind. 2. Standortbindung: Bewohner von gemeinschaftsorientierten Wohnformen weisen ein relativ hohes Maß an Standortbindung auf – sowohl im Sinne einer alltäglichen Selbstnutzung der Wohnung als auch bezogen auf die Wohndauer.
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itglieder von Traditionsgenossenschaften fragen diese Kontinuität ganz gezielt M nach und sehen hierin ein entscheidendes Plus von Genossenschaften. Doch auch Mitglieder von jungen Genossenschaften und Baugemeinschaften, die in aller Regel Selbstnutzer sind (oder auch – als Vorgabe der Stadt – sein müssen), sind daran interessiert, die Wohnung dauerhaft selbst zu nutzen. Hierfür sprechen das langjährige Engagement in der Planungsarbeit, aber auch die starken sozialen Bindungen, die sie eingehen. Aus Sicht von Quartieren ist es von enormer Bedeutung, einen starken Sockel von Bewohnern zu haben, die das Quartier durch ihre Anwesenheit und lokale Bindung stabilisieren, die die öffentlichen Räume beleben, die Einzelhandel und Gastronomie durch ihre Nachfrage stützen, die Netzwerke und lokale Institutionen auch längerfristig durch ihre Verantwortungsübernahme prägen und die im Zuge ihrer alltäglichen Aneignung, aber auch durch Präsenz in Beteiligungsprozessen mitgestalten. Quartiersressourcen: Vielfach wird von Baugemeinschaften als eine Voraussetzung für den Erhalt eines Grundstücks explizit verlangt, dass sie darstellen mögen, welchen Mehrwert sie für das Quartier erbringen. Dieser Mehrwert kann z. B. in der Form attraktiver Erdgeschossnutzungen bestehen, in der Initiierung von Treffpunkten oder Kulturangeboten oder in der Öffnung neuer Gemeinschaftsflächen für das Quartier. Auf diese Weise können die kulturellen und in frastrukturellen Ressourcen im Quartier signifikant erhöht werden. Innovationspotenzial: Ein Wettbewerb um Grundstücke, der nicht primär oder ausschließlich über den Kaufpreis geführt wird, sondern bei dem die konzeptionelle Vielfalt mit Blick auf das Quartier im Mittelpunkt steht, und der zudem mehr und verschiedenartige Akteure involviert, bringt deutlich kreativere Ergebnisse hervor als die klassische Bauträgerentwicklung. Gerade gemeinschaftliche Bauprojekte nehmen in Bezug auf soziale, ökologische und architektonische Themen oftmals eine Vorreiterrolle ein. Diese Ideen strahlen dann auch auf die Stadt aus, so dass die Projekte als wertvolle Innovationsmotoren der Quartiersentwicklung gelten. Verantwortungsübernahme: Bei Bewohnern von gemeinschaftsorientierten Wohnformen wird oftmals eine ähnlich intensive Verantwortungsbereitschaft beobachtet wie sie Eigentümern von Einzelgebäuden zugeschrieben wird. Während sich die Motivation bei Eigentümern von Einzelgebäuden jedoch häufig primär aus dem Interesse am Werterhalt der eigenen Immobilie speist, weist sie bei Mitgliedern gemeinschaftsorientierter Wohnprojekte weitere Quellen auf, die eher ideeller Natur sind und von der Vision eines anderen Wohnens und Zusammenlebens geprägt sind. Erweiterung des Wohnangebots: Genossenschaften und Baugemeinschaften bilden einen – gerade in angespannten und zur Polarisierung neigenden Wohnungsmärkten – extrem wertvollen wohnungspolitischen Baustein. Einerseits integrieren sie in substanzieller Zahl Angebote des geförderten Wohnungsbaus, andererseits – und das ist vermutlich noch bedeutsamer – schließen sie mit ihren (nicht-geförderten) Angeboten die Preislücke zwischen frei finanziertem und gefördertem Wohnungsbau. Haushalte, die zu viel für den geförderten, aber zu
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enig für den frei finanzierten Wohnungsbau oder eine Eigentumsbildung in der w Stadt verdienen (Schwellenhaushalte), haben so die Möglichkeit, ihre Wohnvorstellungen an innerstädtischen Standorten zu realisieren. 7 . Politisches Signal: Es ist angesichts der wohnungspolitisch extrem unruhigen Zeiten ein äußerst positives Signal, wenn die Stadt auf gemeinschaftsorientierte und nicht-spekulative Wohn- und Bauformen setzt. Zugleich zwingen Wohnprojekte die Stadt zu einer kleinteiligeren und (aufgrund der vielen Schnittstellen) kommunikativ aufwendigeren Form von Stadtentwicklung, was anfangs einen Mehraufwand an Zeit bedeutet, mittelfristig aber die Legitimation städtischen Handelns und die Qualität der entstehenden Wohnquartiere deutlich erhöht. Damit weitet die Stadt ihr Repertoire im Umgang mit komplexen Lebensentwürfen und anspruchsvollen Vorstellungen der Teilhabe an der Entwicklung städtischer Lebensräume merklich aus, was auch angesichts der in hoch verdichteten städtischen Räumen immer wieder möglichen Konflikte unabdingbar ist.
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Städtische und kommunale Konzepte zur Förderung von Wohneigentum Jan Kehrberg
1 Kommunale Konzepte zur Förderung von Wohneigentum Zur Erhaltung einer stabilen Sozialstruktur können Kommunen ein Interesse haben, bestimmte Bevölkerungsgruppen bei der Bildung von Wohneigentum im Gemeindegebiet zu fördern. Das kann vor allem dazu dienen, eine soziale Mischung zu erreichen, die der weiteren Entwicklung der Gemeinde förderlich ist und den Bewohnern zugutekommt. Dazu stehen den Kommunen grundsätzlich zwei Ansätze offen, um die Eigentumsbildung in ihrem Gemeindegebiet zu steuern oder zu beeinflussen. Sie können als Eigentümer der Grundstücke diese mit vertraglich begründeten Planungs-, Baudurchführungs- und Nutzungsbindungen veräußern. Daneben stehen die öffentlich-rechtlichen Ansätze, die Nutzungen durch das Planungsrecht vorzugeben. Bei allen Ansätzen stellen sich letztlich dieselben Fragen: wer davon profitieren soll, wie die Zweckbindungen gesichert werden, wie Investitionen der Begünstigten durch Dritte finanziert werden bzw. wie solche Finanzierungen gesichert werden, was bei Verstößen der Begünstigten oder einfachen Änderungen in deren Lebensverhältnissen passieren soll und auf welche Dauer Begünstigungen bestehen bleiben. Bei den öffentlich-rechtlichen Modellen ist außerdem im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsbetrachtung eine tragfähige städtebauliche Begründung erforderlich, die eine Begünstigung zu Lasten des ursprünglichen Eigentümers rechtfertigt. Denn Baulandmodelle führen regelmäßig zu einer Einschränkung des grundgesetzlich geschützten Grundeigentums des Eigentümers.
J. Kehrberg (*) GSK Stockmann, Berlin, Deutschland e-mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 O. Depenheuer et al. (Hrsg.), Wohneigentum für breite Schichten der Bevölkerung, Bibliothek des Eigentums 18, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61287-3_17
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2 Privatrechtliche Steuerung Befinden sich Grundstücke im Eigentum der Kommune, kann die Kommune bei Veräußerung dieser Grundstücke auch Dispositionen über die zukünftige Nutzung treffen. Die vorstehend aufgeworfenen Fragen lassen sich nach dem Grundsatz der Privatautonomie in den privatrechtlichen Steuerungsmodellen in den Übertragungsverträgen regeln.
2.1 Ü bertragung des Eigentums an gemeindeeigenen Grundstücken Daher ist eine Gemeinde bei Übertragung des Eigentums an einem gemeindeeigenen Grundstück frei, die Rechteübertragung mit Auflagen und Verpflichtungen des Erwerbers zu verbinden. Danach wird dem Erwerber bei Abschluss des Kaufvertrages auferlegt, das Grundstück zu bebauen und selbst zu Wohnzwecken zu nutzen. Wird an einen Zwischenerwerber veräußert, kann dieser verpflichtet werden, von ihm zu errichtende Wohnungen ausschließlich einem von der Kommune vorgeschlagenen Personenkreis - auch zu einem von der Kommune vorgegebenen Preis zu Wohnzwecken zu überlassen. Dabei gibt es Mischformen. Bei der klassischen Siedlungsförderung vergibt die Gemeinde Grundstücke an Erwerber zur Bebauung und anschließender Selbstnutzung. Ebenso gut ist die Veräußerung an Projektentwickler oder Bauträger möglich, mit der Auflage, auf dem Grundstück Wohnraum zu schaffen und diesen Wohnraum einem von der Kommune ausgewählten Nutzerkreis zugänglich zu machen. Im Kaufvertrag kann jeweils auch festgelegt werden, zu welchen Mieten die Nutzungsüberlassung erfolgen darf. Solange die Gemeinde keine gewerblichen Nutzungen erwartet, stellen sich keine besonderen europarechtlichen bzw. beihilferechtlichen Fragen bei der Darstellung solcher Modelle. Allerdings ist zu bedenken, wie mit Verstößen gegen Nutzungsbindungen umgegangen wird bzw. wie den Erwerbern eine wirtschaftliche Finanzierung des Projekts ermöglicht wird. 2.1.1 Sicherung der Nutzung Bei Übertragung des Grundstücks ist es möglich, Verstöße gegen Nutzungsbindungen mit der Möglichkeit zum Rückerwerb zu verbinden. Dies kann z. B. durch Vereinbarung von Rückkaufs- oder Vorkaufsrechten geschehen. In Kombination mit einem vertraglichen Vorkaufsrecht kann auch vereinbart werden, eine Veräußerung für einen bestimmten Zeitraum vollständig auszuschließen. a) Rückkaufsrechte Ein Rückkaufsrecht ermöglicht der Gemeinde die Grundstücksveräußerung unter bestimmten Voraussetzungen rückgängig zu machen. Dies können Verstöße ge-
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gen die von der Kommune auszustellenden Planungs-, Bau- und Nutzungsauflagen sein. In Betracht kommt z. B. ein Verstoß gegen die Eigennutzung, die Beendigung der Selbstnutzung aber auch Verstöße des Erwerbers gegen Auflagen bei der Vermietung an Dritte. b ) Vorkaufsrechte Dementsprechend ermöglicht die Vereinbarung eines Vorkaufsrechts den Rückerwerb des Grundstücks für alle Fälle der Weiterveräußerung. Denkbar ist sogar, beide Fälle des Rückerwerbs im Vorfeld mit der Vereinbarung eines festen Kaufpreises zu verbinden. Um einen Ausgleich für Preissteigerungen zu schaffen, kann dieser Kaufpreis indexiert werden. Außerdem ist es möglich, sowohl das Rückkaufs- als auch das Vorkaufsrecht dinglich abzusichern, so dass dies untrennbar mit dem Recht an dem Grundstück verbunden ist.
2.1.2 Erwerberfinanzierung Zu bedenken ist freilich, dass die Erwerber bei unbebauten Grundstücken noch eine Investition vornehmen müssen, um den Wohnraum erst zu schaffen. Da diese Investition in der Regel fremdfinanziert wird, müssen bei den vorstehenden Gestaltungen die Voraussetzungen geschaffen werden, um eine Absicherung der Finanzierung darzustellen. Denn eine Bankfinanzierung wird kaum in Betracht kommen, wenn nicht das Grundstück mit Pfandrechten belastet werden und als Sicherheit dienen kann. Dementsprechend ist es erforderlich, einer finanzierenden Bank als Pfandrechtsgläubigerin (in der Regel eine Grundschuld) einen Rangvorbehalt einzuräumen. Dieser Rangvorbehalt muss dem Wert nach so bemessen sein, dass er für die Finanzierung des Grundstückskaufpreises und der anschließenden Investition zur Planung und Errichtung der Wohnimmobilie ausreicht. Wird Eigenkapital z. B. zur Untermauerung der Ernsthaftigkeit erwartet, so kann auch dies berücksichtigt werden bei der Bemessung des Rangvorbehalts. Soll z. B. das Grundstück mit 100.000 EUR bewertet werden und die anschließende Investition 200.000 EUR betragen, so müsste bei erwartetem Eigenkapital von 10 Prozent ein Vorbehalt in der Größenordnung von 270.000 EUR vereinbart werden, wobei üblicherweise ein Puffer von 10 bis 20 Prozent für unvorhergesehene Kosten, Nebenkosten usw. vorgesehen wird.
2.1.3 Entgelt für Rückerwerb Mit diesem Vorbehalt ist allerdings auch der Korridor für den beim Rückerwerb zu zahlenden Preis vorgezeichnet. Denn es ist zu bedenken, dass nicht nur das Grundstück zurückerworben wird, sondern vielmehr auch die zwischenzeitlich darauf errichtete Immobilie bezahlt werden muss. Mit dem Finanzierungsvorbehalt und der damit vereinbarten Belastungsgrenze ist auch vorgezeichnet, dass keine ausufernden Investitionen erfolgen, weil diese durch den Vorbehalt nicht abgedeckt sind und
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nicht mehr mit der durch den Vorbehalt erfassten Bankfinanzierung dargestellt werden können. Im Klartext heißt dies, dass die begünstigenswürdig erachteten Kreise der Bevölkerung zwar angemessenen Wohnraum errichten können, die aber keinen weit überdurchschnittlichen Standard erreichen werden. Auch dies kann im Sinne der Kommune sein, weil sie zwar günstige Konditionen zur Eigentumsbildung fördert, aber eben nicht die Entwicklung von Luxusimmobilien ermöglicht. Falls dies mit der Sorge verbunden ist, dass nicht einmal der erwartete Standard errichtet wird, wird die Nutzungsbindung auch mit einer entsprechenden Bauverpflichtung verknüpft. Im Kaufvertrag können planerische Standards sowie Standards für die Ausstattung der zu errichtenden Wohnimmobilie vorgegeben werden, die dann entsprechend auch vom Erwerber bzw. dem Bauträger umgesetzt werden müssen. Im Zusammenhang mit der Finanzierung ist zu berücksichtigen, dass die finanzierende Bank Risikozuschläge erheben wird, wenn für den Rückerwerbsfall nicht abgesichert ist, dass bis dahin noch valutierende Darlehen nicht aus dem Rückerwerbsentgelt abgelöst werden können. Auch insoweit besteht Kongruenz mit den Interessen der Gemeinde. Denn die Bildung von Eigentum kann nur dann erfolgreich sein, wenn der begünstigte Personenkreis auch einen Anreiz zur Tilgung dafür aufgenommener Darlehensmittel erhält. So kann schon bei Erwerb vereinbart werden, für den Rückerwerb den ursprünglichen Kaufpreis des Grundstücks und den mit dem Finanzierungsvorbehalt vorgegebenen Investitionsumfang als Basis zur Bestimmung des Preises im Falle des Rückerwerbs für die Wohnimmobilie zu vereinbaren. Um der nutzungsbedingten Abnutzung der Immobilie Rechnung zu tragen, kann eine Abschreibung des Kaufpreises vereinbart werden, um den das im Rückerwerbsfall zu zahlende Entgelt herabzusetzen ist. Hier gibt es wiederum Kongruenz mit dem Interesse der Gemeinde, die Immobilie zu entschulden und aufgenommene Darlehen angemessen zu tilgen. Denn wenn die Kommune Eigentumsbildung begünstigen will, dann hat sie auch ein Interesse, dass der wirtschaftliche Wert des Eigentums nicht dauerhaft durch Grundpfandrechte beim Finanzierer wirtschaftlich allokiert ist. Dementsprechend kann der vorstehend erwähnte Finanzierungs- und Belastungsvorbehalt auch dinglich mit der Maßgabe abgesichert werden, dass ein Darlehen mit einem festen Satz ebenfalls getilgt werden muss. Dieser Tilgungssatz kann dem eben erwähnten Abschreibungssatz entsprechen. Damit ist jedenfalls das Sicherungsinteresse der Bank, im Falle des Rückerwerbs mindestens die ausstehenden Darlehensvaluta aus dem Rückerwerbsentgelt zu erhalten, Rechnung getragen. Diese Forderung für den Rückerwerbsfall kann sogar zur Absicherung der Bank an diese abgetreten werden. Mit Rücksicht auf die Bonität einer Kommune, bei der faktisch kein Insolvenzrisiko besteht, könnte dies die Darlehenskonditionen sogar begünstigen. Für die Kommune verbleibt in diesem Fall allerdings das Risiko, dass die Immobilie stärker abgewohnt wird, als dies mit dem vereinbarten Abschreibungssatz zum Ausdruck gebracht wird. Dann läge in der Tat das im Rückerwerbsfall zu zahlende Entgelt über dem durch die Abnutzung bedingten geringeren Wert der Immo-
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bilie. Das Risiko wird sich nicht ausschließen lassen, es kann aber abgesichert werden. Der Fall einer offensichtlich übermäßigen Abnutzung der errichteten Immobilie kann als Voraussetzung für die Ausübung eines Rückerwerbsrechts vertraglich vereinbart werden. D. h., wenn nach einigen Jahren absehbar wird, dass eine Immobilie nicht ausreichend gewartet und gepflegt wird, könnte die Kommune auch für diesen Fall den Rückerwerb betreiben, die Bank ablösen und das Grundstück anderweitig verwerten. Damit bliebe allgemein das Risiko, dass Immobilien an Wert verlieren und das für den Rückerwerbsfall zu zahlende Entgelt aufgrund einer allgemeinen Immobilienentwertung über dem Immobilienwert liegt. Im Hinblick auf die Entwicklung des Immobilienmarktes in der Bundesrepublik Deutschland in den vergangenen 30 Jahren dürfte dieses Risiko allerdings gering ausfallen. Im Übrigen kann zur Absicherung dieses Risikos noch eine schuldrechtliche Haftung des Grundstückserwerbers vereinbart werden. Dadurch entsteht eine Pflicht des Erwerbers, eine Differenz zwischen dem tatsächlichen Wert der Immobilie und dem von der Kommune zu zahlenden Entgelt im Falle des Rückerwerbs auszugleichen. Das ist dann auch ein Anreiz, die Immobilie gut instand zu halten. Damit verringert sich das Risiko einer Wertminderung durch übermäßige Abnutzung und schlechte Instandhaltung. Das allgemeine Wertrisiko auf dem Immobilienmarkt verlagert sich auf den Erwerber, wo es hingehört. Das erscheint auch deshalb sachgerecht, weil ihm zuvor der begünstigte Erwerb eines Grundstücks ermöglicht wurde. Im Hinblick auf diese Begünstigung ist es ebenfalls unwahrscheinlich, dass marktbedingte Wertdifferenzen zwischen Rückkaufsentgelt und Immobilienwert entstehen können, weil durch die Begünstigung schon ein Puffer geschaffen worden ist.
2.2 B estellung von Erbbaurechten an gemeindeeigenen Grundstücken Neben der Möglichkeit, das Eigentum an Grundstücken an begünstigte Kreise der Bevölkerung zu übertragen, besteht auch die Möglichkeit der Einräumung eines Erbbaurechts. Dessen Einführung sollte der Förderung von Wohnungsbau dienen, indem gerade für Einkommensschwächere die Möglichkeit geschaffen werden sollte, bauen zu können.1 Ein Erbbaurecht ist eine Belastung des Grundstückseigentums, aufgrund derer dem Erbbauberechtigten die Möglichkeit eingeräumt wird, auf dem belasteten Grundstück ein Gebäude zu errichten und zu unterhalten (§ 1 Abs. 1 Erbbaurechtsgesetzt (ErbbauRG)). Der wesentliche Unterschied zwischen der Übertragung des Eigentums und dem Erbbaurecht ist die zeitliche Befristung des Erbbaurechts, das zwar über einen langen
Heinemann, in: MüKoBGB, 7. Aufl. 2017, ErbbauRG Vor § 1 Rn. 3.
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Zeitraum bestellt wird, aber eben auch nach Ablauf dieses Zeitraums (in der Regel 30 bis 90 Jahre) erlischt (§ 27 Abs. 1 S. 1 ErbbauRG). Bei der Betrachtung des Eigentums führt das Erbbaurecht zu einer Aufspaltung des Eigentums an dem Grundstück einerseits und dem Eigentum an dem errichteten Gebäude andererseits. Das Grundstückseigentum verbleibt unverändert beim Eigentümer. Das Gebäudeeigentum entsteht ausschließlich beim Erbbaurechtsnehmer (§ 12 Abs. 1 S. 1 ErbbauRG). Administrativ wird das Erbbaurecht behandelt, wie das Eigentum am Grundstück. Für das Erbbaurecht wird ein sog. Erbbaurechtsgrundbuch angelegt. Erbbaurechte sind verkehrsfähig und belastbar (§ 1 Abs. 1 ErbbauRG) wie Grundstückseigentum allerdings mit der Maßgabe, dass die Berechtigungen mit Ablauf des Erbbaurechts enden, wenn sie nicht gleichermaßen auch für das Eigentum bestellt werden. Nutzungsbindungen, Bauverpflichtungen, Vorgaben für planerische und qualitative Standards können beim Erbbaurecht genauso vorgegeben werden, wie dies bei der Übertragung des Eigentums der Fall ist.2 Auch beim Erbbaurecht könnten für Weiterveräußerungen Vorkaufsrechte zugunsten der Kommune vereinbart werden. Einfacher ist es allerdings, eine Weiterveräußerung des Erbbaurechts vollständig auszuschließen. Ebenso können im Erbbaurechtsvertrag Bestimmungen zum Rückerwerb aufgenommen werden.3 Im Zusammenhang mit Erbbaurechten wird allerdings nicht von Rückerwerb gesprochen, sondern vom Heimfall, der die Verbindung von Grundstückseigentum und Erbbaurecht in den im Erbbaurechtsvertrag dafür vorgesehenen Fällen beschreibt (§ 2 Nr. 4 ErbbauRG). Dies können z. B. Fälle der Nichtzahlung des Erbbauzinses, der nicht ordnungsgemäßen Unterhaltung der Immobilie, der Änderung der Vermögensverhältnisse usw. sein. Dieses Heimfallrecht des Grundstückseigentümers ist eine dingliche Belastung des Erbbaurechts und mit dem Grundeigentum untrennbar verbunden (§ 3 ErbbauRG). Wurde eine Entschädigungspflicht nicht ausgeschlossen, haben die Kommunen (als Grundstückseigentümer) eine angemessene Vergütung als Ersatz für das Gebäude zu zahlen (§ 32 ErbbauRG). Der große Vorteil des Erbbaurechts liegt in dem Automatismus, durch den nach Ablauf der Dauer, für den das Erbbaurecht bestellt ist, das Grundstückseigentum aufgrund Zeitablaufs wieder unbelastet der Gemeinde zusteht. Die Gemeinde kann dann ohne Bindungen erneut über das Eigentum frei von Belastungen verfügen. Damit ist sie einerseits in der Zukunft handlungsfähig, falls sich Nutzungsbedürfnisse ändern. Andererseits steht ihr ein durch Zeitablauf bedingter Wertzuwachs ungehindert zu. Dem Erbbaurechtsmodell könnte allerdings die aktuelle Entwicklung der Kreditzinsen entgegenstehen. Da Immobilieninvestitionen bei üblicher Bonität derzeit mit unter 2 Prozent p. a. finanzierbar sind, ist dies auch die Schranke, an der sich ein Erbbauzins zu orientieren hat. Liegt ein Erbbauzins darüber, ist das Erbbaurecht gegenüber dem Eigentumserwerb wirtschaftlich nicht attraktiv. Liegt der Erbbau Vgl. OLG Schleswig, Urteil vom 05.06.2014 – Az.: 2 U 2/14 = NJOZ 2014, 1299. Vgl. BGH Urteil vom 11.07.2003 – Az.: V ZR 56/02 = NJW-RR 2003, 1524.
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zins niedriger, erhält die Kommune kaum eine nennenswerte Gegenleistung für die Grundstücksüberlassung, so dass ein bedeutender Vermögenswert für die Gemeinde auf lange Zeit faktisch gesperrt ist und nicht wirtschaftlich verwertet werden kann. In Zeiten niedriger Zinsen ist das Erbbaurecht eher geeignet, einer Kommune die Teilhabe an marktbedingten Wertsteigerungen des kommunalen Grundvermögens zu ermöglichen. Das kann insbesondere durch Vereinbarung über dem Finanzierungszins liegender Erbbaurechtszinsen erfolgen. Dies mag für Erbbaurechtsnehmer zwar unattraktiv sein, ist aber in den Fällen alternativlos, in denen ansonsten in gleicher Lage kein anderes Grundstück erworben werden kann. Das heißt, in Zeiten niedriger Zinsen am Kapitalmarkt ist die Darstellung günstigen Wohneigentums im Rahmen eines Erbbaurechts schwierig, weil dies eigentlich nur noch möglich ist, wenn die Kommune faktisch auf eine Gegenleistung für die Grundstücksüberlassung verzichtet. Ist dies für die Kommune machbar, wird das Modell freilich hoch attraktiv, weil der Wohnungseigentümer sein Grundstück quasi geschenkt bekommt. Für die Einräumung der Finanzierung bzw. die Bestellung von Pfandrechten, die Absicherung der Bankfinanzierung sowie die Absicherung der Darlehenstilgung und die Berechnung der Gegenleistung im Heimfall gelten die Ausführungen bei der Eigentumsübertragung sinngemäß. All diese Dinge sind in der gleichen Weise und mit denselben Instrumenten im Wesentlichen im Erbbaurechtsvertrag bei der Bestellung des Erbbaurechts genauso vereinbar, wie dies im Grundstückskaufvertrag möglich ist, der auf die Übertragung des Grundstückseigentums gerichtet ist.
2.3 Aktiver Erwerb von Grundstücken zur Weiterveräußerung Beziehen sich Grundstücksübertragung und Bestellung von Erbbaurechen auf die Veräußerung bzw. Belastung von Vermögensgegenständen der Kommune, kommt spiegelbildlich auch der Erwerb von Grundstücken zur späteren Weiterveräußerung nach den vorstehenden Modellen (im Eigentum oder Erbbaurecht) in Betracht. D. h., eine Kommune kann Grundstücke ebenso auch ankaufen oder unter Ausübung möglicherweise bestehender gesetzlicher oder vertraglicher Vorkaufsrechte erwerben oder auch zurückerwerben, um diese später zur Schaffung von Wohneigentum weiter zu veräußern. Die Weiterveräußerung kann dann wiederum durch Verkauf oder Erbbaurechtsbestellung nach Maßgabe des vorstehenden Abschnitts erfolgen. Allerdings muss der Ankauf auf der ersten Stufe als Beschaffung eines Vermögensgegentandes den Grundsätzen des Haushaltsrechts entsprechen. D. h., der Erwerb muss sich an den Grundsätzen der sparsamen und wirtschaftlichen Verwendung von Haushaltsmitteln messen lassen. Das wird regelmäßig eine tragfähige Begründung erfordern, nach der die Ansiedlung der begünstigten Eigentümer/Nutzer für die Gemeinde notwendig ist und die Verwendung von Haushaltsmitteln für diesen Zweck rechtfertigt. Zwar gelten für Kommunen die Grundsätze der Schuldenbremse nicht unmittelbar. Sollen solche Ankäufe durch Kredite finanziert werden, ist der EU-Stabilitätspakt
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zu beachten. Das ist dann nicht der Fall, wenn der Erwerb durch Dritte erfolgt, die den von der Gemeinde beabsichtigten Zweck verfolgen und erfüllen. Das kann z. B. eine kommunale Entwicklungs- oder Bauträgergesellschaft sein, die auch die wirtschaftlichen Risiken des Erwerbes und der Weiterveräußerung in vollem Umfang trägt. Ob es aber einerseits möglich ist, Grundstücke zu Marktpreisen zu erwerben und andererseits begünstigt zur Bildung von Wohneigentum abzugeben, bleibt dem konkreten Geschäftsmodell überlassen. Möglicherweise sind solche Modell attraktiv, weil kommunale Gesellschaften mit niedrigeren Margen oder Margenverzicht rein kostendeckend arbeiten könnten.
3 Planungsrechtliche Steuerungsinstrumente Neben den vorstehend aufgeführten Modellen, die ihre Grundlagen im Privatrecht haben, gibt es auch Möglichkeiten, die Eigentumsbildung durch das Öffentliche Recht zu begünstigen. In Betracht kommt vor allem das Bauplanungsrecht. Vor allem bei der Schaffung neuen Baurechts ergeben sich mit der Aufstellung der Bebauungspläne Möglichkeiten. So eröffnet das Baugesetzbuch die Möglichkeit, Flächen für Sozialen Wohnungsbau festzusetzen. Die anfangs aufgeworfenen Fragen lassen sich in städtebaulichen Verträgen zum Bebauungsplan mit Inhalt füllen (§ 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BauGB). Steht der Gemeinde im Rahmen des Baurechts allerdings kein Ermessen zu, ist der Abschluss eines städtebaulichen Vertrages nicht möglich. In diesen Fällen ist auch die Festlegung einer Sozialquote für Wohnnutzungen im Plangebiet kaum möglich. Denn durch einen städtebaulichen Vertrag können nur Ermessensspielräume einvernehmlich fixiert werden. Dagegen darf nichts miteinander verknüpft werden, was nicht in einem inneren Zusammenhang steht.4 Eine Koppelung der Gewährung von Baurecht an die Erbringung von Gegenleistungen, auf die kein Anspruch der Kommune bestehen kann, ist nicht zulässig.5 Die genaue Ausgestaltung, wie die weiteren Festlegungen zur Bestimmung des Kreises der Begünstigten, Regelungen zur Eingrenzung der möglichen Nutzungen, zur Disposition über Einheitsgrößen und Ausstattungen usw., können in einem städtebaulichen Vertrag im Zusammenhang mit der Aufstellung des Bebauungsplanes vereinbart werden. Wichtig ist dabei zunächst die Erkenntnis, dass die Festsetzung solcher Flächen in der Bauleitplanung nicht zwingend erfordert, dass auch Mittel zur Förderung des Sozialen Wohnungsbau bereitgestellt werden. Das Baugesetzbuch nimmt insoweit nur abstrakt Bezug auf bauliche Vorhaben, die mit Mitteln der sozialen Wohnraumförderung gefördert werden „könnten“. Es kommt nicht darauf an, ob eine solche Förderung tatsächlich erfolgt. Gemeinden, die diesen Weg beschreiten, trifft keine Verpflichtung, auch Mittel zur Wohnraumförderung tatsächlich be4 Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, 14. Auflage 2019 BauGB, § 11 Rn. 73, 74; Grziwotz, DVBl 2007, 1125. 5 Vgl. BVerwG, Urteil vom 16.05.2000 – Az.: 4 C 4/99 = NVwZ 2000, 1285.
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reitzustellen. Ebenso wenig ist ein Eigentümer im Gegenzug verpflichtet, solche Mittel in Anspruch zu nehmen, wenn sie denn von der Gemeinde bereitgestellt werden. Nach der gesetzlichen Konzeption müssen für die entsprechende Festsetzung in der Bauleitplanung und den Abschluss des städtebaulichen Vertrages städtebauliche Gründe bestehen, die einen derartigen Eingriff in die ansonsten bestehende Dispositionsfreiheit des Eigentümers rechtfertigen. Als Grund kommt in Betracht, ein ausreichendes Wohnraumangebot auch für Haushalte unterhalb bestimmter Einkommensgrenzen zu schaffen, um die städtebaulich angestrebte sozial gemischte Bevölkerungsstruktur zu erhalten oder zu entwickeln. Ebenso kommt die Förderung von Familien mit Kindern zur Erhaltung einer homogenen Altersstruktur als Grund in Betracht. Dazu bietet sich grundsätzlich auch eine Vorgabe an, einen aus Sicht der Kommune zur Erfüllung der städtebaulichen Gründe für geeignet erachteten und zu begünstigenden Teil der Bevölkerung mit preiswertem Wohneigentum zu versorgen. Dafür sind die Wohnbedürfnisse der Bevölkerung, die Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen, die gleichmäßige Verteilung von Vermögenswerten zur Eigentumsbildung weiter Kreise der Bevölkerung und die Anforderungen kostensparenden Bauens und unter anderem auch die Bevölkerungsentwicklung als Anknüpfungspunkte geeignet. Deshalb ist es im Ergebnis möglich, dass der Plangeber aus den vorgenannten städtebaulichen Gründen handelt und Wohnraum für bestimmte Teile der Bevölkerung schaffen will und hierfür eine bestimmte Zusammensetzung der Wohnbevölkerung erreichen möchte. Dies kann dazu dienen, einseitige Bevölkerungsstrukturen und eine Segregation zu verhindern. Dass eine solche Durchmischung der Bevölkerung die Wohnverhältnisse stabilisiert und die Umkehr der räumlichen Ausgrenzung eine Lösung zur Beseitigung ökonomischer und gesellschaftlicher Missstände darstellt, ist zwischenzeitlich allgemein anerkannt. Vor diesem Hintergrund lassen sich je nach dem kommunalen Umfeld entsprechende planungsrechtliche Dispositionen gut darstellen.
3.1 Einheimischenmodelle In städtebaulichen Verträgen werden von den Städten und Kommunen in unterschiedlichen Varianten – vom Zwischenerwerb über nur von Einheimischen zu erfüllende Baugebote bis zur gemeindlichen Zustimmungspflicht zu einem Grundstücksverkauf für einen vertraglich festgelegten Zeitraum – umgesetzt (sog. „Einheimischenmodelle“).6 In diesen Fällen machen die Gemeinden die Aufstellung eines Bebauungsplans im Rahmen ihrer Entscheidungsmöglichkeiten nach dem Baugesetzbuch von dem Abschluss entsprechender Verträge mit den Eigentümern im Plangebiet abhängig, wobei die Gemeinden entweder als Zwischenerwerberin 6 Vgl. BVerwG Urteil vom 11.02.1993 – Az.: 4 C 18/91 = NJW 1993, 2695; BGH Urteil vom 16.04.2010 – Az.: V ZR 175/09 = NJW 2010, 3505.
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auftreten oder sich vertraglich Interventionsrechte zugunsten von Einheimischen einräumen lassen.7 Diese Einheimischenmodelle sollen bei europarechtskonformer Ausgestaltung – d. h. das Anknüpfen an soziale Kriterien (Wohnungen für einkommensschwache oder andere benachteiligte Bevölkerungsgruppen) – dem Erwerb angemessenen Wohnraum für einkommensschwächere und weniger begüterte Personen der örtlichen Bevölkerung dienen.8 Eine wichtige Schranke ist bei gemeindlichen Zwischenerwerben im Rahmen von Einheimischen- oder Sozialmodellen der Angemessenheitsgrundsatz, § 11 Abs. 2 S. 1 BauGB. Das gilt vor allem für die Bestimmung, welchen Flächenanteil die Gemeinde im Vorfeld einer Bauleitplanung bei Einheimischen- oder Sozialmodellen erwerben kann. Dieser Anteil darf nicht unverhältnismäßig hoch sein. Unangemessen wäre es z. B. nach den dazu vorliegenden Entscheidungen, wenn eine Gemeinde ein als Gewerbegebiet überplantes Grundstück nur dann als Wohngebiet ausweisen will, wenn die Eigentümer im Rahmen eines Einheimischen- oder Sozialmodells bereit sind, mehr als 70 Prozent der unbebauten Flächen der Gemeinde zu übereignen, selbst wenn die Gemeinde bereit ist, einen marktgerechten Preis für diese Flächen zu bezahlen.9 Hinsichtlich der Kollision mit EU-Recht (allg. Diskriminierungsverbot, das allg. Freizügigkeitsrecht, Arbeitnehmerfreizügigkeit, Niederlassungsfreiheit, Kapitalverkehrsfreiheit) sind Einheimischenmodelle dann rechtmäßig, wenn sie auf angemessenen Kriterien beruhen, mit denen die sozialen Bedürfnisse der Bevölkerung in einer Region gesichert werden sollen. Als Vergabekriterien kommen etwa Einkommens- und Vermögensobergrenzen für die Bewerber, Zahl der Kinder, pflegebedürftige Angehörige, Behinderung in Betracht.
3.2 Baulandmodelle Das Planungsrecht bzw. das Baugesetzbuch ermöglichen grundsätzlich, Areale für Personengruppen mit besonderem Wohnbedarf festzulegen (§ 9 Abs. 1 Nr. 7, Nr. 8 BauGB). Die Festsetzung von Flächen für die soziale Wohnraumförderung ist dabei von der Festsetzung von Flächen für Wohngebäude, die für Personengruppen mit besonderem Wohnbedarf bestimmt sind (§ 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB), zu unterscheiden. Besonderer Wohnbedarf muss sich in besonderer Art, Ausstattung und Ausführung der zu errichtenden Wohngebäude ausdrücken, nicht jedoch in einer wirtschaftlichen Bedürftigkeit.10 Dem Grunde nach werden solche Modelle in der Weise umgesetzt, dass bei Veräußerung von kommunalen Flächen entsprechende Nutzungsbindungen vorgesehen Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, 14. Auflage 2019 BauGB, § 11 Rn. 50, 51. BT-Drs. 18/11439, S. 20. 9 Vgl. OVG Lüneburg Urteil vom 21.07.1999 – Az.: 1 K 4974/97 = NVwZ-RR 2000, 201. 10 Vgl. BVerwG Beschluss vom 17.12.1992 – Az.: 4 N 2/91 = NVwZ 1993, 562; BT-Drs. 7/4793 S. 28. 7 8
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werden, die vertraglich und ggf. dinglich gesichert werden. So werden insbesondere Weiterveräußerungsverbote oder Eigennutzungsverpflichtungen vereinbart, deren Nichterfüllung im städtebaulichen Vertrag durch Wiederkaufsrechte oder Aufzahlungsverpflichtungen zugunsten der Gemeinden gesichert werden.11 a) In München sind bei der Baurechtschaffung die Grundsätze sozialgerechter Bodennutzung (SoBoN) zu beachten. Nach der Münchener SoBoN werden 30 Prozent des neu geschaffenen Wohnbaurechts für den sozial gebundenen Wohnungsbau zur Verfügung gestellt. Die Stadt München schließt hierzu bei Neubaugrundstücken, auf die die SoBoN-Grundsätze anzuwenden sind, Bindungsverträge mit privaten Grundstückseigentümern ab. Diese werden verpflichtet, im Rahmen der so genannten Förderquote auch günstige Eigentumswohnungen, die deutlich unter dem üblichen Marktpreis liegen, auf den privaten Flächen zu schaffen. Der Verkaufspreis liegt bei durchschnittlich 4300 Euro je Quadratmeter Wohnfläche (zzgl. Kosten für Stellplatz, Notar und Grunderwerbsteuer). Voraussetzung für Käufer ist, dass sie selbst in die Wohnung einziehen wollen, die staatlichen Einkommensgrenzen einhalten (bspw. für einen 1-Personen Haushalt nach Art. 11 BayWoFG ein jährliches Nettoeinkommen von etwa 19.000,00 Euro), keine Immobilien oder Miteigentumsanteile im Inund Ausland besitzen, mindestens 20 Prozent und maximal 40 Prozent Eigenkapital der Gesamtkosten für die Finanzierung nachweisen und die Belastungen aus dem Immobilienerwerb auf Dauer tragen können. b) Berlin verfolgt das Konzept des Modells zur kooperativen Baulandentwicklung welches zum 28. August 2014 eingeführt wurde. Zweck ist hier, anders als bei den „klassischen“ Modellen, dass bei steigenden Neubauzahlen auch ein ausreichender Anteil von Mietwohnungen für Personen mit geringem Einkommen entsteht. Ziel des Berliner Modells ist es somit, die Entstehung von mietpreisund belegungsgebundenen Wohnungen zu fördern. Im Rahmen des Berliner Modells wird die Übernahme der Kosten für soziale und technische Infrastruktur, die Voraussetzung oder Folge des geplanten Vorhabens mit Wohnnutzung sind, sichergestellt. Grundlegend für die Kostenbeteiligung der Vorhabenträger ist der Abschluss eines städtebaulichen Vertrags (§ 11 BauGB). Nicht zur Anwendung kommt das Berliner Modell bei Bebauungsplanverfahren mit weniger als 5000 m2 Geschossfläche Wohnen. Die Quote für förderfähigen mietpreis- und belegungsgebundenen Wohnraum beträgt 30 Prozent der Geschossfläche Wohnen. Um die Durchführung der Verpflichtungen abzusichern, kommen im Hinblick auf die Mietpreis- und Belegungsbindungen insbesondere beschränkt persönliche Dienstbarkeiten und Vertragsstrafen sowie im Hinblick auf Zahlungsund Errichtungspflichten für öffentliche Infrastruktur in der Regel Bürgschaften in Betracht.12 Vgl. LG Traunstein Urteil vom 29.10.1998 – Az.: 7 O 3458/98 = NVwZ 1999, 1026 = NJW-RR 1999, 891. 12 1.8. der Leitlinie für den Abschluss städtebaulicher Verträge im Land Berlin. 11
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Bisher verbleibt die preisgebunden zu nutzende Immobilie nach dem Berliner Modell beim Grundstückseigentümer. Der kann sie allenfalls mit im Hinblick auf die langfristig niedrig fixierte Miete an Dritte veräußern, die eine Förderung in Form von Miet- oder Tilgungszuschüssen sowie verbilligten Finanzierungskonditionen erhalten können und letztlich an dem Wertzuwachs nach Auslaufen der Bindung teilnehmen. Für langfristig investierte institutionelle Anleger kann das interessant sein. Die Erweiterung auf preisgebundene Eigentumsmaßnahmen für Einzelerwerber wäre eine logische Weiterentwicklung des Berliner Modells. Dann wäre die Wertsteigerung langfristig auch als Teil der Altersvorsorge einsetzbar. Denn ein Selbstnutzer könnte die Immobilie mit Wertzuwachs nach Auslaufen der Bindung veräußern, um daraus seinen Unterhalt im Alter zu finanzieren. Beim institutionellen Investor oder auch bei landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften verbleibt der Wertzuwachs passiv als stille Reserve im Unternehmen. Diese Weiterentwicklung des Berliner Modells ist bisher zwar nicht absehbar. Bei wirtschaftlicher Betrachtung kann eine Eigentumskomponente aber ein Instrument sein, den rechtlichen Unterbau des Modells weiter zu unterlegen. Denn Eigentumsmaßnahmen zugunsten einer mittleren Einkommensschicht können den wirtschaftlichen Druck aus den Projekten nehmen, weil die preisgebundenen Mietwohnungen nicht allein durch entsprechend teurer zu vermietende Wohnungen querfinanziert werden müssten. Mit der Auffächerung des Kreises der Begünstigten auch auf Wohnungseigentümer steigt noch der Durchmischungseffekt, durch den das Berliner Modell überhaupt zu rechtfertigen ist. c) Das „Weilheimer Modell“ sieht vor, dass die Kommune die Bebauungsplanaufstellung davon abhängig macht, dass die Grundstückseigentümer der Gemeinde ein auf zehn Jahre befristetes, notariell beurkundetes Verkaufsangebot für ihre Grundstücke machen und eine entsprechende Auflassungsvormerkung zur Eintragung in das Grundbuch bewilligen. Die Gemeinde darf das Kaufangebot nur annehmen, wenn ein Grundeigentümer nach Abschluss der Planung an den nicht begünstigten Personenkreis veräußert. Sofern innerhalb der Bindungsfrist an Personen veräußert werden soll, die nicht unter den begünstigten Personenkreis fallen, wird der Gemeinde ein Ankaufsrecht für das Grundstück mit einem Kaufpreis zu 30 Prozent unter dem Verkehrswert eingeräumt.13 d) Beim „Traunsteiner Modell“ schließt die Gemeinde vor der Ausweisung von Bauland notarielle Verträge mit den betroffenen Grundstückseigentümern, in denen diese sich verpflichten, Verpflichtungs- und Vergütungsgeschäfte über jedes Baugrundstück nur mit Zustimmung der Gemeinde abzuschließen. Im Vertrag wird auch der Höchstpreis der Baugrundstücke festgelegt. Mit einer derartigen Höchstpreisklausel i. V. m. Beschränkungen beim Kreis der Erwerber kann sichergestellt werden, dass ein begünstigter ortsansässiger Personenkreis zum Erwerb der für eine Bebauung notwendigen Grundstücke in der Lage ist.14 Die Gemeinde kann die Zustimmung zu einer Veräußerung versagen, wenn die 13 14
Vgl. BVerwG Urteil vom 11.02.1993 – Az.: 4 C 18/91 = NJW 1993, 2695. Vgl. BVerwG Urteil vom 29.01.2009 – Az.: 4 C 15/07 = BauR 2009, 1275.
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Grundstücke vertragswidrig nicht an die begünstigten Personen veräußert werden oder der Eigentümer sich nicht an den vereinbarten Kaufpreis hält. Zur Sicherung der Vertragserfüllung wird ein preislimitiertes Vorkaufsrecht zugunsten der Gemeinde vereinbart.15 e) Als weiteres Beispiel solcher kommunalen Umsetzung lassen sich auch die „Richtlinien der Gemeinde Hohenkammer zur Vergabe von gemeindeeigenen Bauparzellen an „Einheimische“ im Bebauungsplangebiet Botzau“ heranziehen.16
3.3 Beispiele aus anderen Staaten In Kooperation mit der Wohnungswirtschaft und unter Anwendung des Erbbaurechts gelingt es in Amsterdam, Wohneigentum in der Stadt für unterschiedliche Schichten der Bevölkerung bezahlbar zu gestalten. Flankiert wird die „Eigentumsförderung“ in den Niederlanden durch hohe steuerliche Absatzmöglichkeiten. Eigentumswohnungen und -häuser werden durch die gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften teilweise unter dem Titel „koopgarant“ verkauft, bei dem der Erwerber einen Rabatt auf den Marktpreis erhält, sein Grundstück später aber nicht frei weiterverkaufen kann, sondern der Wohnungsbaugesellschaft zurückverkaufen muss, wobei der Wertzuwachs zwischen beiden Parteien geteilt wird. Dies vergünstigt einerseits für den Erwerber den Baulandpreis, sichert der Wohnungsbaugesellschaft aber auch langfristig fließende Mittel durch den abgeschöpften Mehrwert, die wieder in sozialen Wohnungsbau investiert werden können.17 In Brüssel verfolgt man mit dem „Community Land Trust“ den Ansatz, mit finanzieller Unterstützung der Stadt Flächen aufzukaufen oder vorhandene städtische Grundstücke zu nutzen, auf denen Projekte für Wohnungsbau oder soziale Infrastrukturen entwickelt werden. Die Nutzer kaufen die Gebäude, nicht jedoch den Grund, für den sie ein Recht auf Nießbrauch haben, was den Kaufpreis auch für niedrige Einkommensschichten tragbar macht. Hintergrund ist die Überzeugung, dass Grund und Boden ein öffentliches Gut darstellen und daraus erzielte Gewinne der Allgemeinheit zugutekommen müssen.18
Vgl. VGH München Urteil vom 22.12.1998 – Az.: 1 B 94.3288 = NVwZ 1999, 1008. Vgl. § 9 Veräußerungsverbot und Bauverpflichtung; § 10 Wiederkaufsrecht. 17 Sondierungspapier „Wohnungsbau und öffentliche Förderung“ IBA Berlin 2020, S. 39. 18 Sondierungspapier „Wohnungsbau und öffentliche Förderung“ IBA Berlin 2020, S. 39. 15 16
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Schlussfolgerungen Michael Voigtländer, Otto Depenheuer und Eckhart Hertzsch
In der gesellschaftlichen Diskussion in Deutschland um bezahlbaren Wohnraum spielt Wohneigentum faktisch keine Rolle. Stattdessen wird in Berlin, München, Hamburg und anderen Städten primär auf die Regulierung des Mietwohnungsmarktes und die Förderung von Sozialwohnungen gesetzt. In anderen Ländern, wie etwa dem Vereinigten Königreich, heißt es dagegen: „Self-occupied housing is affordable housing“, also selbst genutztes Eigentum ist bezahlbares Eigentum. Tatsächlich gilt auch in der Alltagslogik, dass Güter, die man häufig braucht, auf Dauer im Eigentum günstiger sind, als wenn man sie mietet. Wer täglich mit dem Auto fährt, wird selbst bei günstigen Autovermietungsangeboten auf Dauer mehr bezahlen als der Eigentümer eines Autos. Schließlich muss auch immer die Dienstleistung, die Vermietung, sowie die Risikoübernahme (für eventuelle Schäden/Verschleiß) mitbezahlt werden. Dies gilt generell auch im Wohnungsmarkt. Gerade angesichts der Entwicklungen der letzten Jahre sollte daher auch Wohneigentum eine größere Rolle spielen. Sowohl die gesetzliche Rentenversicherung als auch die betriebliche Altersvorsorge und andere beliebte Formen der privaten Altersvorsorge stehen unter Druck. Angesichts der demografischen Entwicklung und des niedrigen Zinsniveaus fallen die Auszahlungen immer kleiner aus. Gerade Haushalte mit einem unstetigen Erwerbsleben und geringen Sparbeiträgen droht Altersarmut. Hier kann das Wohneigentum eine wichtige Ergänzung darstellen. Wichtig hierbei ist auch, dass Wohneigentum zum Sparen diszipliniert, denn die M. Voigtländer (*) IW Köln, Kompetenzfeld Finanzmärkte und Immobilienmärkte, Köln, Deutschland E-Mail: [email protected] O. Depenheuer Universität zu Köln, Seminar für Staatsphilosophie und Rechtspolitik, Köln, Deutschland E. Hertzsch Joanes Stiftung, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 O. Depenheuer et al. (Hrsg.), Wohneigentum für breite Schichten der Bevölkerung, Bibliothek des Eigentums 18, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61287-3_18
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M. Voigtländer et al.
Rückzahlung eines Kredits ist deutlich verbindlicher als die Möglichkeit, auf freiwilliger Basis zu sparen oder beispielsweise in Investmentfonds zu investieren. Dies erklärt auch, warum gerade deutsche Haushalte bei der Vermögensbildung hinterherhinken, wie Niehues und Stockhausen in ihrem Beitrag zeigen. Weiterhin stellt Wohneigentum einen sehr wirksamen Schutz gegen Verdrängung dar. Wohneigentümer können per Definition nicht von zahlungskräftigeren Konkurrenten verdrängt werden, sie können selbst entscheiden, ob sie bleiben. Und wenn sie sich entscheiden zu gehen, erhalten sie über den Verkaufspreis eine angemessene Kompensation. Und schließlich sollte auch das Zinsniveau dazu motivieren, Wohneigentum in den Fokus zu rücken. Zwar sind die Kaufpreise in den letzten Jahren stark gestiegen und übertreffen die Mietpreisdynamik teils deutlich, aber die gefallenen Zinsen überkompensieren dies. Wie in diesem Band gezeigt wird, können de facto in allen Landkreisen und kreisfreien Städten Selbstnutzer günstiger wohnen als Mieter. Teilweise kann heute eine Immobilie in der Erwerbsphase finanziert und der Kredit vollständig getilgt werden, ohne stärker belastet zu sein als ein Mieter. Damit ist die Vermögensbildung und Altersvorsorge unschlagbar günstig, da ohnehin gewohnt werden muss – eine Riesenchance gerade auch für Haushalte mit geringen Einkommen. Trotz dieser Vorteile stagniert die Wohneigentumsquote, bei jüngeren Haushalten und Haushalten mit geringeren Einkommen ist die Wohneigentumsbildung sogar tendenziell rückläufig. Während in anderen Ländern bei oft weniger günstigeren Rahmenbedingungen die Eigentumsbildung deutlich anzog, scheinen die deutschen Haushalte ihre Chancen nicht zu nutzen. Ein Grund könnte in der fehlenden politischen Unterstützung liegen. In anderen Ländern gibt es oft einen breiten politischen Konsens, dass die Wohneigentumsbildung vorteilhaft ist. In Deutschland gibt es dagegen nur wenige Parteien, die sich intensiv mit der Wohneigentumsbildung beschäftigen. Zwar hat die aktuelle Bundesregierung das Baukindergeld eingeführt, doch dessen Abschaffung gleich mitbeschlossen – ein Instrument, das daran anschließen soll, wurde bislang nicht diskutiert. Auch die Vermögensförderung ist ein Indiz für den mangelnden politischen Rückhalt für die Eigentumsbildung: Sowohl bei der Wohnungsbauprämie als auch bei der Arbeitnehmersparzulage wurden seit den 1990er-Jahren weder der Förderbetrag noch die Einkommensgrenzen angepasst, womit die Leistungen real deutlich entwertet wurden. Dabei wäre die Vermögensförderung gerade für kleine Haushalte mit niedrigen Einkommen ein wichtiger Anreiz, frühzeitig zu sparen. Dies führt unmittelbar zu einem zweiten wesentlichen Hemmnis: Es fehlt den Haushalten am Startkapital. Die laufenden Kosten des Eigentums sind für die meisten Haushalte leistbar, sie liegen teils auch deutlich unter den Mietkosten. Doch wer Wohneigentum erwerben möchte, muss auch Grunderwerbsteuer, Notar, Grundbuch und oft auch den Makler bezahlen. Diese Erwerbsnebenkosten summieren sich schnell auf 10 bis 14 Prozent der Kaufsumme. Zusätzlich erwarten die meisten Banken nach wie vor Eigenkapital, so dass Haushalte rund 20 Prozent des Kaufpreises oder besser mehr gespart haben sollten. Angesichts der hohen Kaufpreise und der Schwierigkeiten, bei geringen Zinsen zu sparen, ist dies für viele Haushalte eine Überforderung. Oft können junge Haushalte nur dann Wohneigentum erwerben,
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wenn sie von den Eltern unterstützt werden, etwa durch die Beleihung der eigenen Immobilie. Damit erhöht sich aber tendenziell die Vermögensungleichheit, was zu weiteren gesellschaftlichen Spannungen beiträgt. Vor allem für Geringverdiener und junge Leute wird es immer schwieriger, Wohneigentum zu generieren. Durch die zunehmende Akademisierung der Ausbildung gewährleistet ein Universitätsabschluss noch kein ausreichend hohes Einkommen. Viele junge Leute sind durch befristete Arbeitsverträge und die beruflichen Aussichten darauf angewiesen in Städten zu bleiben, ziehen seltener aufs Land und kaufen dort ein Haus. In der Stadt gibt es allerdings kaum mehr bezahlbaren Wohnraum, Eigenkapital konnte über die heute länger andauernde Ausbildung nicht aufgebaut werden. Der Zugang zu Krediten und die aktuelle Wohnimmobilienkreditlinie wird für junge Leute ohne große Ansparungen demnach auch deutlich erschwert. Es ist daher an der Zeit, den Zugang zu Wohneigentum zu erleichtern. Hierzu steht eine Reihe von Möglichkeiten bereit: Grunderwerbsteuer. Unter den Erwerbsnebenkosten stellt die Grunderwerbsteuer den wesentlichen Kostentreiber dar. In vielen Bundesländern wurde die Grunderwerbsteuer zuletzt deutlich erhöht, insbesondere weil sie im Länderfinanzausgleich privilegiert ist. Anders als bei anderen Steuereinnahmen müssen Mehr einnahmen faktisch nicht mit anderen Bundesländern geteilt werden – gerade deswegen haben vor allem finanzschwache Bundesländer die Grunderwerbsteuer deutlich erhöht. Vor diesem Hintergrund werden Forderungen nach einer Absenkung der Sätze kaum erfüllt werden – ein Standortwettbewerb über steuerliche Anreize hat sich somit nicht eingestellt. Allerdings ließe sich die Struktur der Grunderwerbsteuer deutlich verändern. In Großbritannien etwa gilt in der Grund erwerbsteuer ein Stufentarif mit Freibetrag. Demnach werden kleine und günstige Wohnungen kaum besteuert, große Anwesen und Villen dagegen deutlich höher. Ein solcher Stufentarif könnte auch auf Deutschland Anwendung finden und somit gerade Haushalte im unteren und mittleren Einkommensbereich entlasten. Außerdem könnte der Staat seinen Bürgern ermöglichen, die Grunderwerbsteuer über einen längeren Zeitraum zu bezahlen. Angesichts geringer Zinssätze wäre dies kaum mit Mehrkosten verbunden, könnte aber den Kapitalbedarf zum Kaufzeitpunkt deutlich reduzieren. Maklerprovision. In vielen anderen Ländern ist das so genannte Bestellerprinzip bei Immobilienkäufen längst üblich. In den Niederlanden, dem Vereinigten Königreich oder den skandinavischen Ländern hat es etwa dazu geführt, dass die Maklerprovision nur noch zwischen ein und zwei Prozent liegt. Ursächlich hierfür ist, dass der Verkäufer wesentlich besser über den Preis der Vermittlung verhandeln kann – schließlich kann er sich mehrere Angebote einholen. Ein Käufer hingegen hat in angespannten Märkten kaum eine Möglichkeit, über die Provision zu verhandeln. Selbst wenn die Maklerprovision anschließend über den Kaufpreis überwälzt werden würde, ergäbe sich eine deutliche Einsparung für den Käufer. Sonstige Erwerbsnebenkosten. Auch bei den sonstigen Erwerbsnebenkosten sind Einsparpotenziale vorhanden. Ein Vergleich mit den Niederlanden zeigt, dass
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auch die Notar- und Grundbuchkosten in Deutschland deutlich höher ausfallen als bei unseren niederländischen Nachbarn. Gerade die Notarkosten sind dort deutlich geringer, seit die Gebührenordnung liberalisiert wurde. In einigen Ländern, wie etwa dem Vereinigten Königreich, ist es zudem unüblich, dass Notare überhaupt in den Verkaufsprozess einbezogen werden müssen. Erbbaurecht. Hohe Preise im Immobilienmarkt resultieren auch aus stark gestiegenen Bodenpreisen. Gerade in den Großstädten entfallen teilweise mehr als 30 Prozent des Immobilienwertes auf den Grund und Boden. Werden Immobilien entsprechend auf Basis von Erbbaurechten erworben, sinkt der Anschaffungspreis deutlich, was auch die sonstigen Erwerbsnebenkosten reduziert. Allerdings muss der Wohneigentümer dann zusätzlich auch den Erbbauzins zahlen, hat aber dafür die Möglichkeit des früheren Einstiegs ins Eigentum und kann zumindest für diesen Teil an der Preisentwicklung teilhaben. Erbbaurechte können somit ein guter Weg sein, den Zugang zum Wohneigentum zu erleichtern. Vermögensförderung. Neben Reformen zur Verringerung der Erwerbsnebenkosten sollte die Politik auch Reformen anstoßen, die den Kapitalaufbau unterstützen. Mit der Arbeitnehmersparzulage und der Wohnungsbauprämie gibt es u. a. zwei Instrumente, die gezielt den Vermögensaufbau von Haushalten mit kleinen und mittleren Einkommen unterstützen sollen. Allerdings sind beide Instrumente wie beschrieben seit den 1990er-Jahren nicht angepasst worden, d. h. die Einkommensgrenzen und die Förderbeträge sind real entwertet. Eine Anpassung der Arbeitnehmersparzulage an heutige Einkommensverhältnisse würde den Staat nach einer Schätzung des Instituts der deutschen Wirtschaft aus dem Jahr 2018 etwa 550 Millionen Euro jährlich kosten. Neben der direkten Förderung hätte eine Anpassung vor allem eine Signalwirkung und könnte damit die frühzeitige Ersparnisbildung anregen. Schweizer-Modell. Unter dem Begriff Schweizer-Modell wird die Entnahme von Mitteln zum Zweck des Wohneigentumserwerbs aus der betrieblichen Altersvorsorge verstanden. Zwar kann man schon heute Mittel aus der Riester-Rente entnehmen, allerdings sind die Vorgaben relativ restriktiv. Außerdem ist die Ersparnis in der betrieblichen Altersvorsorge häufig höher. In der Schweiz können dagegen angesparte Mittel im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge zum Zwecke des Eigentumserwerbs entnommen werden. Hierbei besteht auch kein Rückzahlungserfordernis. Fast 50 Prozent der Wohnungskäufer in der Schweiz nutzen Mittel aus der betrieblichen Altersvorsorge zur Finanzierung, wobei durchschnittlich 40.000 Schweizer Franken entnommen werden. Eine ähnliche Flexibilität würde auch deutschen Haushalten die Wohneigentumsbildung deutlich erleichtern. Kreditausfallgarantien. Neben den Erwerbsnebenkosten stellt auch der hohe Eigenkapitalbedarf ein wesentliches Hemmnis dar. In Frankreich und den Niederlanden vergibt daher der Staat Kreditausfallgarantien, um den Käufern höhere Fremdkapitalquoten zu ermöglichen. Damit dies nicht zu einem unkalkulierbaren Risiko für den Staat wird, sollten stetige Erwerbsverläufe vorausgesetzt werden. Außerdem sollte eine Festzinsbindung von 10 Jahren und eine Mindesttilgung vorgeschrieben werden. Schließlich sind in den USA vor allem deswegen
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viele Haushalte in die Überschuldung geraten, weil sie aufgrund der variabel verzinslichen Hypothekendarlehen bei anziehendem Zinsniveau die Raten nicht mehr begleichen konnten. Bei Festzinsbindung und kontinuierlicher Tilgung ist das Risiko höherer Zinsen in der Anschlussfinanzierung aber deutlich geringer. Natürlich können Banken auch heute schon selbst 100 Prozent-Finanzierungen anbieten, allerdings setzt die Regulierung hier enge Grenzen. Durch Kreditausfallgarantien könnten somit deutlich mehr Haushalte hiervon profitieren. Im Gegensatz zu bestehenden Darlehensprogrammen, wie sie etwa von der NRW.Bank angeboten werden, bieten Kreditausfallgarantien die Möglichkeit, den Wettbewerb der Banken um möglichst günstige Kreditkonditionen zu nutzen. Schließlich kann jede Bank für sich kalkulieren, zu welchen Konditionen sie anbietet, wenn es zumindest eine partielle Kreditausfallsicherung durch den Staat gibt. Private Nachrangdarlehen. Alternativ oder auch komplementär zu staatlichen Kreditausfallgarantien wäre es auch möglich, private Märkte für Nachrangdarlehen aufzubauen. Schon heute können Privatpersonen oder institutionelle Anleger Nachrangdarlehen über Plattformen an Projektentwickler vergeben. Dies wäre auch auf private Hauskäufer übertragbar, in Großbritannien gibt es solche Plattformen bereits. Nachrangdarlehen können als Eigenkapitalersatz dienen und erleichtern damit die Finanzierung. Der Staat könnte hier eine Anschubhilfe geben, etwa indem Haushalte mit kleinen oder mittleren Einkommen temporär einen Zuschuss erhalten oder Schuldzinsen aus solchen Darlehen temporär von der Steuerbemessungsgrundlage abgezogen werden dürfen. Diese Ideen sind Beispiele für die zahlreichen Möglichkeiten, den Zugang zu Wohneigentum zu verbessern. Gemeinsam ist diesen Ideen, dass der finanzielle Aufwand für diese Instrumente für die staatlichen Haushalte einerseits sehr gering ist, sie aber andererseits insgesamt sehr effektiv wirken. Außerdem bedarf es nicht zwangsläufig der Bundespolitik, um diese Instrumente umzusetzen. Unter geeigneten Rahmenbedingungen können auch Städte, Stiftungen oder andere soziale Einrichtungen Menschen bei der Wohneigentumsbildung unterstützen. Wie dieser Band der „Bibliothek des Eigentums“ verdeutlicht, ist das Interesse an der Unterstützung der Wohneigentumsbildung groß. Eine weitere Gemeinsamkeit dieser Ideen ist, dass sie auf das Alleineigentum abzielen, doch dies ist nicht unbedingt notwendig. Auch Miet-Kauf-Modelle, Teileigentum oder Gemeinschaftseigentum können Möglichkeiten eröffnen, um an den Vorteilen des Wohneigentums zu partizipieren. Oftmals kann über solche Modelle der Zugang zu Wohneigentum besonders niedrigschwellig gestaltet werden, und damit besonders vielen Haushalten die Option eröffnen, zu Wohnungseigentümern zu werden. Allerdings kann das gesellschaftliche Ziel auch nicht darin bestehen, alle Menschen ins Wohneigentum zu bringen. Gerade für Menschen, die häufiger umziehen (müssen), bietet der Mietwohnungsmarkt wichtige Flexibilität. Die günstigen Rahmenbedingungen sollten aber genutzt werden, um deutlich mehr Menschen Wohneigentum zu ermöglichen. Es ist die Hoffnung der Herausgeber, dass dieses Buch zu dieser Debatte einen nachhaltigen Beitrag leisten kann.
Bibliothek des Eigentums
Th. von Danwitz, O. Depenheuer, Ch. Engel Bd. 1, Bericht zur Lage des Eigentums 2002, XII, 319 Seiten. 978-3-540-43266-1 O. Depenheuer (Hrsg.) Bd. 2, Eigentum 2005, IX, 167 Seiten. 978-3-540-23355-8 Schwäbisch Hall-Stiftung (Hrsg.) Bd. 3, Kultur des Eigentums 2006, XV, 640 Seiten. 978-3-540-33951-9 D. Blasberg Bd. 4, Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Grundeigentums zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen 2008, XII, 222 Seiten. 978-3-540-77738-0 O. Depenheuer, K.-N. Peifer (Hrsg.) Bd. 5, Geistiges Eigentum: Schutzrecht oder Ausbeutungstitel? 2008, VIII, 224 Seiten. 978-3-540-77749-6 C. Roth Bd. 6, Eigentum an Körperteilen 2009, XVII, 207 Seiten. 978-3-540-88821-5 O. Depenheuer (Hrsg.) Bd. 7, Eigentumsverfassung und Finanzkrise 2009, VII, 73 Seiten. 978-3-642-00229-8 © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 O. Depenheuer et al. (Hrsg.), Wohneigentum für breite Schichten der Bevölkerung, Bibliothek des Eigentums 18, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61287-3
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