Wissenschaft – Planung – Vertreibung: Neuordnungskonzepte und Umsiedlungspolitik im 20. Jahrhundert 3515087338, 9783515087339

Die während des Zweiten Weltkrieges von den Nationalsozialisten praktizierte Zwangsumsiedlungs- und Mordpolitik resultie

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Table of contents :
INHALT
EINLEITUNG
DIE KONKRETION DER UTOPIE
WISSENSCHAFT UND HOMOGENISIERUNGSPLANUNGEN FÜR OSTEUROPA
„NEUSTRUKTURIERUNG DES DEUTSCHEN VOLKES“
PLAN UND PRAXIS
ÜBERBEVÖLKERUNG UND ETHNISCHE BEREINIGUNG
ORDNUNG DURCH TERROR
ZWANGSUMSIEDLUNGEN IN SÜDAFRIKA WÄHREND DER APARTHEID
LITERATURVERZEICHNIS
DIE AUTORINNEN UND AUTOREN
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Wissenschaft – Planung – Vertreibung: Neuordnungskonzepte und Umsiedlungspolitik im 20. Jahrhundert
 3515087338, 9783515087339

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Wissenschaft – Planung – Vertreibung

Beiträge zur Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft --------------------------------------herausgegeben von Rüdiger vom Bruch und Ulrich Herbert Band 1

Isabel Heinemann, Patrick Wagner (Hg.)

Wissenschaft – Planung – Vertreibung Neuordnungskonzepte und Umsiedlungspolitik im 20. Jahrhundert

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Titelbild: Der Berliner Agrarwissenschaftler Konrad Meyer erläutert den Spitzen des NS-Regimes die Siedlungsplanungen für das besetzte Polen, Berlin März 1941. Quelle: Bundesarchiv Konlenz, Bildarchiv

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 3-515-08733-8

Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen. © 2005 by Franz Steiner Verlag GmbH, Stuttgart. Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Druck: Printservice Decker & Bokor, München. Printed in Germany

INHALT Einleitung........................................................................................................... Isabel Heinemann, Patrick Wagner

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Die Konkretion der Utopie. Historische Quellen der Planungsutopien der 1920er Jahre .......................................................................................... 23 Gabriele Metzler und Dirk van Laak Wissenschaft und Homogenisierungsplanungen für Osteuropa. Konrad Meyer, der „Generalplan Ost“ und die Deutsche Forschungsgemeinschaft ............................................................................ 45 Isabel Heinemann „Neustrukturierung des deutschen Volkes“. Wissenschaft und soziale Neuordnung im nationalsozialistischen Deutschland 1933–1945 ........ 73 Uwe Mai Plan und Praxis. Deutsche Siedlungspolitik im besetzten Litauen 1941–1944 ................................................................................................... 93 Christoph Dieckmann Überbevölkerung und ethnische Bereinigung. Zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik im „Komplex Vertreibung“ in Polen ............. 119 Michael G. Esch Ordnung durch Terror. Stalinismus im sowjetischen Vielvölkerreich ......... 145 Jörg Baberowski Zwangsumsiedlungen in Südafrika während der Apartheid.......................... 173 Christoph Marx Literaturverzeichnis........................................................................................... 197 Die Autorinnen und Autoren .......................................................................... 221

EINLEITUNG von Isabel Heinemann und Patrick Wagner

Die während des Zweiten Weltkrieges von den Nationalsozialisten in Osteuropa praktizierte Zwangsumsiedlungs- und Mordpolitik unterschied sich markant von vorausgegangenen gewaltsamen Versuchen ethnischer Homogenisierung.1 Denn hier verband sich erstmalig ein solides Fundament wissenschaftlicher Planung und Expertise mit einem brutalem Aktivismus, der möglichst radikale Totallösungen anstrebte. Wissenschaftliche Experten unterbreiteten den Entscheidungsträgern der deutschen Besatzungspolitik konkrete Handlungsvorschläge, und sie definierten erst jene „Probleme“ – von der „ländlichen Überbevölkerung“ Polens bis zur „Seuchengefahr“ in den Ghettos –, die SS, Polizei, Wehrmacht und Zivilverwaltung dann durch mörderische Gewalt „lösten“. Vor allem aber trugen wissenschaftliche Denkschriften, Vorträge oder Aufsätze „zur Formulierung eines common sense bei, der moralische Hemmschwellen zu überwinden half, indem er Vertreibung und [...] Massenmord“ als notwendige Mittel für die planvolle Gestaltung einer für die Deutschen glänzenden Zukunft erscheinen ließ.2 Historisch neu waren sowohl der Totalitätsanspruch als auch die Gigantomanie der Pläne. Die Planer waren fasziniert und angetrieben von der Vorstellung, vermeintlich „leere“ (oder doch nur von „Untermenschen“ bewohnte) Räume rücksichtslos verplanen und nach wissenschaftlichen Kriterien neu strukturieren zu können. Auf den Reißbrettern der Experten entstanden verschiedene Neuordnungsentwürfe für Gesamteuropa, die Millionen „rassisch unerwünschter“ Menschen – allen voran die europäischen Juden – das Leben kosten sollten und für andere den Verlust ihres Besitzes, Vertreibung, Sklavenarbeit, Verhungern oder die Ermordung in Konzentrationslagern vorsahen. Die Charakteristika der nationalsozialistischen Planung, ihre wissenschaftliche Fundierung und ihr praktischer Gestaltungsanspruch kommen am deutlichsten im „Generalplan Ost“ der SS-Planungsstäbe vom Mai 1942 zum Ausdruck.3 Dieses Dokument sah vor, innerhalb von 25 Jahren fast fünf Millionen Deutsche im Westen der zu erobernden Sowjetunion anzusiedeln. Um diesen Raum zu „germanisieren“, sollten Millionen slawischer und jüdiWie der türkische Genozid an den Armeniern 1915 oder die gewaltsame Umsiedlung von Griechen und Türken 1922, die 1923 im Vertrag von Lausanne völkerrechtlich sanktioniert wurde. Vgl. Naimark, Haß, Mazower, Kontinent. 2 Heim, Vordenker, S. 89. 3 Im Folgenden wird dieser Begriff ohne Anführungszeichen verwendet. Generell werden Quellenbegriffe wie „Germanisierung“, „eindeutschen“ etc. nur bei der ersten Verwendung in Anführungszeichen gesetzt. Daß sich die Autoren den ideologischen Gehalt dieser Begriffe nicht zu eigen machen, dürfte selbstverständlich sein. 1

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scher Bewohner versklavt, vertrieben oder ermordet werden. Der Generalplan Ost beruhte auf einem Forschungs- und Politikberatungsprogramm, das im Auftrag des Reichsführers SS Heinrich Himmler von dem Berliner Agrarwissenschaftler Konrad Meyer organisiert wurde. An den bis 1945 fortgesetzten Begleitforschungen zum Generalplan Ost beziehungsweise zu seinem Nachfolger, dem auf Westeuropa ausgedehnten „Generalsiedlungsplan“, waren die unterschiedlichsten Disziplinen beteiligt, von der Geologie über Klimatologie, Verkehrs-, Landschafts- und Stadtplanung, Bevölkerungswissenschaft, Architektur, Statistik, Medizin, Biologie, Veterinärmedizin, Genetik, Agrarwissenschaften, Anthropologie, Soziologie, Finanz- und Verwaltungswissenschaften, Jura, Sprach- und Geschichtswissenschaften bis hin zur Archäologie. Ermöglicht wurde dieses weitverzweigte Programm durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). Die 1920 als „Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft“ gegründete und seit ihrer Neugründung 1949 bis heute bestehende DFG finanzierte die Forschungen des Generalplan Ost zwischen 1941 und 1945 mit 510 000 Reichsmark. Zum Vergleich: Der Gesamtetat der DFG betrug 1941 sechs Millionen Reichmark. Die Förderung des Generalpan Ost gehörte damit zu den Schwerpunkten der DFG-Aktivitäten während des Zweiten Weltkrieges. Beim Blick auf die Rolle der Wissenschaften im Nationalsozialismus hat sich die Zeitgeschichtsforschung über Jahrzehnte hinweg bemüht, ein weites Feld von Nischen vermeintlich „lauter“ gebliebener Forschung sauber vom Kosmos der NS-Verbrechen zu isolieren. Dominant war lange Zeit die Formel vom „Mißbrauch der Wissenschaft“: Politisch neutrale, „reine“ Wissenschaft sei ihren Schöpfern aus den Händen gerissen, umgedeutet und damit ohne Zutun der Wissenschaftler zum Werkzeug primitiver Ideologen und psychopathischer Gewalttäter gemacht worden. Erfinder dieses Interpretationsmuster waren nicht zuletzt die „betroffenen“ Wissenschaftler selbst. So beklagte 1966 ausgerechnet einer der einflußreichsten Rassenhygieniker des Nationalsozialismus, Otmar Freiherr von Verschuer, das NS-Regime habe die wissenschaftlich und ethisch einwandfreien Konzepte der deutschen Eugenik verfälscht, zur Legitimation seiner Gewaltpolitik mißbraucht und damit zu Unrecht diskreditiert.4 Wo sich – wie im Fall der mörderischen Humanexperimente in den Konzentrationslagern oder der antisemitisch grundierten „Deutschen Physik“ – Forschung und NS-Regime partout nicht voneinander trennen ließen, diente die Kategorie der „Pseudowissenschaft“ dazu, die Reihen „seriöser“ deutscher Wissenschaft durch nachträglichen Ausschluß einiger schwarzer Schafe ebenso geschlossen wie unbefleckt zu erhalten.5 In den letzten Jahren sind vor dem Hintergrund einer Vielzahl historiographischer Studien zu fast allen Feldern der Wissenschaft – von der theoretischen Physik über die Soziologie bis hin zur Romanistik – alternative Deutungen plausibel geworden. In den Vordergrund rückt nun die „breite Konsenszo4 5

Verschuer, Eugenik, S. 14. Vgl. Walker, National Socialism.

Einleitung

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ne“ zwischen der weltanschaulich nur vage festgelegten NS-Bewegung und einer dominanten Strömung deutscher Wissenschaft, die politisch als dezidiert nationalistisch, häufig auch als explizit völkisch, zugleich aber in ihrer konzeptionellen wie methodischen Ausrichtung vielfach als innovativ beschrieben werden kann.6 Der Nationalsozialismus war nicht ein fixes Etwas, dem sich die Wissenschaftler verweigerten oder dem sie sich anpaßten. Er war vielmehr ein breiter Rahmen, innerhalb dessen neben anderen Akteuren auch Wissenschaftler in „geduldeter Mehrstimmigkeit“ überhaupt erst formulierten, was jeweils konkret „nationalsozialistisch“ sein mochte.7 Das Verhältnis der Wissenschaftler zum NS-Regime wird in der neueren Forschung zum einen als Set komplexer Kollaborationsverhältnisse beschrieben, innerhalb deren beide sich wechselseitig (und auf der Basis eines soliden Grundkonsenses) zu instrumentalisieren suchten.8 Zum anderen ist durch die Forschung der letzten Jahre deutlich geworden, daß die „Selbstmobilisierung“ für die Interessen des Regimes das dominante Verhaltensmuster deutscher Wissenschaftler während des Nationalsozialismus darstellte.9 „Selbstmobilisierung“ – das meint die nicht auf Zwang, sondern die zumeist auf nationalistischer Überzeugung beruhende Bereitschaft von Naturund Technikwissenschaftlern, dem NS-Regime jene Waffen an die Hand zu geben, derer es für einen sechsjährigen Krieg gegen den Rest der Welt bedurfte, ebenso wie die Begeisterung, mit der Geistes- und Sozialwissenschaftler der politischen Führung Vorschläge für die Neuordnung Europas unterbreiteten. Kaum hatte die Wehrmacht Polen erobert, da wandte sich zum Beispiel Otto Reche, Direktor des Instituts für Rassen- und Völkerkunde der Universität Leipzig, Ende September 1939 an die SS. Aus eigener Initiative bot er „Leitsätze zur bevölkerungspolitischen Sicherung des deutschen Ostens“ an. „Vor allen Dingen“, so schrieb Reche, müßten „möglichst bald“ die in den annektierten Gebieten lebenden „Juden und Judenmischlinge“ vertrieben werden. Aber auch generell seien die Bewohner des künftig deutschen Ostens „rassisch [...] zum größten Teil völlig unbrauchbar“: „Die polnische Bevölkerung ist zumeist ein sehr unglückliches Gemisch von Elementen der ‚präslawischen‘ [...], der ‚ostbaltischen‘ und der ‚ostischen‘ Rasse, mit stellenweise sehr stark bemerkbaren mongolischen Einschlägen. Eine Vermischung dieser [...] Bevölkerung mit Deutschen ist auf alle Fälle zu vermeiden; das läßt sich nur durch Entfernung der Polen erreichen. Ob stellenweise ein Teil der polnischen Bevölkerung rassisch brauchbar ist, kann nur vom Fachrassenkundler entschieden werden“.10 Nicht nur aus Reches Sicht schlug mit der gewaltsamen Zerschlagung des polnischen Staates die „Stunde der Experten“.11 Eine Vielzahl von Rassekund6

Wehler, Nationalsozialismus, S. 314. Bollenbeck, Interesse, S. 12. 8 Vgl. Ash, Wissenschaft. 9 Vgl. als instruktives Beispiel Hoffmann, Ramsauer. 10 Zit. nach Rössler/Schleiermacher (Hg.), Generalplan, S. 353. 11 Burleigh, Stunde. 7

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lern, aber auch Historikern, Soziologen, Ökonomen und Agrarwissenschaftlern war fasziniert von der Aussicht, ihr akkumuliertes Wissen in Gestalt von Vorschlägen für die Germanisierung Osteuropas praktisch werden zu lassen, und reklamierte unter Verweis auf ihren Expertenstatus Mitsprache- und Mitgestaltungsansprüche. Fast zeitgleich mit Otto Reche verfaßte beispielsweise der Historiker Theodor Schieder auf der Basis von Diskussionen mit Kollegen eine Denkschrift über „Siedlungs- und Volkstumsfragen in den wiedergewonnenen Gebieten“, in der er für die Beseitigung der polnischen Intelligenz und die „Herauslösung des Judentums aus den polnischen Städten“ plädierte.12 Seit den zwanziger Jahren hatten sich deutsche Forscher intensiv um den Nachweis bemüht, daß die vom Versailler Friedensvertrag erzwungenen Gebietsabtretungen im Osten ein historisches Unrecht darstellten und revidiert werden müßten. Mit großer Beharrlichkeit war ein weites Netz von Forschungsinstitutionen und -verbünden geknüpft worden, das sich der künftigen Neuordnung Osteuropas im Sinne einer völkischen Deutschtumsideologie widmete. Ab Herbst 1939 konnten sich die NS-Besatzungsbehörden – und voran die auf dem Feld der Volkstumspolitik in Osteuropa dominierende SS – aus diesem Pool bedienen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft als Selbstverwaltungsorgan und Interessenvertretung vor allem der hochschulbasierten Wissenschaft kann als exemplarisch für die Selbstmobilisierung der Wissenschaft und die komplexen „Kollaborationsverhältnisse“ zwischen Forschern und NS-Regime gelten. Während der Weimarer Republik spiegelte die DFG den nationalkonservativen, sich völkischen Konzepten öffnenden Konsens des wissenschaftlichen Establishments wider. Sie engagierte sich ab Mitte der zwanziger Jahre schwerpunktmäßig auf solchen Forschungsfeldern, deren Ergebnisse Nutzen für eine Politik der Revision des Versailler Vertrages versprachen: Man förderte Projekte im Interesse einer auf Autarkie gerichteten Wirtschaft und betrieb etwa auf den Feldern der Geophysik und der Luftfahrt-, Schiffbau- und Materialwissenschaften Rüstungsforschung.13 In den Geistes- und Sozialwissenschaften förderte die DFG bereits vor 1933 den akademischen Grenz- und Volkstumskampf Richtung Osten, zum Beispiel in Gestalt des „Handwörterbuchs des Grenz- und Auslandsdeutschtums“, einer „Gemeinschaftsarbeit“ von mehreren Hundert Wissenschaftlern unterschiedlicher Fächer. Völkisch orientierte Innovationen wie die interdisziplinäre „Volks- und Kulturbodenforschung“, die sich zu diesem Zeitpunkt in den etablierten Zeitschriften und Organisationen ihrer Mutterdisziplinen noch nicht durchzusetzen vermochten, konnten gleichwohl auf Fördergelder der DFG rechnen.14 Im Jahr 1933 hatte die DFG daher wenig Probleme, sich inhaltlich an das nationalsozialistische Regime anzupassen. Ein Großteil der in ihr tonangeben12

Zit. nach Haar, Ostforschung, S. 455. Vgl. Wehler, Nationalsozialismus, S. 315–321. Vgl. hierzu in Kürze die Studie von Sören Flachowsky über den Reichsforschungsrat und seine Vorgeschichte. 14 Vgl. Haar, Ostforschung, S. 440 und allgemein derselbe, Historiker sowie Fahlbusch, Wissenschaft, vor allem aber Oberkrome, Volksgeschichte. 13

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den Wissenschaftler begrüßte den autoritären und radikal nationalistischen Kurs der neuen Regierung. Einige dem Nationalsozialismus besonders genehme Forschungsrichtungen – wie Rassenkunde und Agrarwissenschaften – konnten nun ihren Anteil an den Fördergeldern erhöhen. Den fundamentalen Einschnitt, den die Vertreibung als „jüdisch“ klassifizierter Forscher aus der deutschen Wissenschaft für deren Kultur bedeutete, nahm man innerhalb der DFG ebenso bereitwillig hin, ja betrieb ihn aktiv mit, wie dies auch an Universitäten und Forschungsinstituten geschah. Die Ausrichtung der Arbeit auf das „Führerprinzip“ erregte innerhalb der DFG ebenfalls wenig Widerspruch, hatte DFG-Präsident Friedrich Schmidt-Ott doch bereits vor 1933 recht autoritär agiert. Allerdings mußte der nationalkonservative Schmitt-Ott sein Amt im Juni 1934 dem Physik-Nobelpreisträger Johannes Stark überlassen, der seit den frühen zwanziger Jahren mit dem Nationalsozialismus sympathisiert hatte. Im Dezember 1936 folgte auf Stark der Chemiker Rudolf Mentzel, der bis 1945 an der Spitze der DFG stehen sollte. Mentzel, der bereits seit 1925 Mitglied der NSDAP und seit 1932 SS-Führer war, bildete den Mittelpunkt eines Netzes junger, hochgradig politisierter, zugleich aber pragmatisch auf Effektivität bedachter NS-Wissenschaftler. Die Geschichte der DFG zwischen 1933 und dem Amtsantritt Mentzels kann als Geschichte der Machtkämpfe von Personen und Netzwerken geschrieben werden, als Geschichte der sukzessiven Verdrängung der älteren Generation nationalkonservativer Wissenschaftspolitiker vom Schlage eines SchmittOtt, als Geschichte des Scheiterns der Machtansprüche ineffektiver „alter Kämpfer“ vom Typ Starks oder als Geschichte des Aufstiegs junger völkischer Intellektueller pragmatischer Orientierung, für die Rudolf Mentzel stehen mag. Insofern unterschied sich die Geschichte der DFG wenig von der Geschichte anderer wissenschaftlicher Institutionen nach 1933.15 Solche Perspektiven auf persönliche und Cliquenkonkurrenzen sollten aber nicht jene durchaus stabilen Arrangements von Wissenschaft und NS-Regime verdecken, die sich nach 1933 schnell etablierten und die in der Folge die Entwicklung bestimmten: Unabhängig davon, wer an der Spitze der DFG stand oder welchen Stand die Machtkämpfe jeweils erreicht hatten, versuchten alle Akteure sich dadurch zu profilieren, daß sie die DFG als geeignetes Instrument für die politischen Zielen des NS-Regimes anboten. Und ganz oben auf der Liste durch Wissenschaft zu fördernder Ziele stand die kriegerische Expansion. Es gelte, so hieß es in einer DFG-Denkschrift vom Februar 1934, „die Zeit der Schwäche abzukürzen und die Weltgeltung“ Deutschlands durch entsprechende Forschungsprogramme „so schnell als möglich wiederherzustellen.“16 Speziell „der Heeresleitung“, so erklärte Schmitt-Ott im Juni desselben Jahres, könne die DFG „für ihre geheimen Aufgaben wertvolle Dienste leisten“.17 15 Mark Walker hat diese Rhythmen der „Nazifizierung“ in Anlehnung an Aufstieg und Fall Ernst Röhms als das „SA Modell“ bezeichnet, vgl. Walker, Nazification, S. 82. 16 Denkschrift von Rudolf Schenck für Friedrich Schmitt-Ott, 28.2.1934, Bundesarchiv Koblenz, R 73/311. 17 Denkschrift Schmitt-Otts, 14.6.1934, Bundesarchiv Berlin, R 4901/15189.

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Der Historiker Ian Kershaw hat die Funktionsweise der NS-Diktatur mit der zeitgenössischen Formel beschrieben, es sei darum gegangen, „dem Führer entgegen zu arbeiten“, das heißt, sich nicht passiv einzuordnen, sondern vielmehr die Entwicklung aktivistisch in jene Richtung voranzutreiben, die man als Zielhorizont Hitlers auffaßte.18 Dies galt auch für Wissenschaftler und ihre Institutionen, und es galt in besonderem Maße für jene jungen Nachwuchsforscher der Geburtsjahrgänge 1900 bis 1910, die sich um 1940 an der Spitze der Wissenschaft etablierten. Geprägt von der „Schmach von Versailles“ und dem völkischen Zeitgeist der organisierten Studentenschaft der zwanziger Jahre, waren sie dankbar für die Chancen zu rasantem Aufstieg, die der Nationalsozialismus bot, nachdem die Akademikerarbeitslosigkeit der Weimarer Republik Status-Unsicherheit erzeugt hatte. Sie lebten „in dem Gefühl, daß sie das ‚neue Europa‘, an dem sie arbeiteten, noch selbst erleben würden. Der Generalplan Ost war nicht zufällig auf 25 Jahre ausgelegt, ein Generationsprojekt.“19 Niemand wäre mit dieser Charakteristik besser beschrieben als Konrad Meyer. Im Jahr 1901 geboren und Anfang 1932 in die NSDAP eingetreten, als er Assistent am Göttinger Institut für Acker- und Pflanzenbau gewesen war, gehörte Meyer zum Netz politisch engagierter Nachwuchswissenschaftler um Rudolf Mentzel, den er aus gemeinsamen Tagen in der Göttinger 51. SSStandarte kannte. Seit 1934 Ordinarius für Agrarwesen und Agrarpolitik an der Berliner Universität besetzte Meyer im Lauf der Zeit mehrere Schlüsselpositionen in den Netzwerken der deutschen Planungs- und Agrarwissenschaften. Zudem amtierte er 1936 einige Monate als DFG-Vizepräsident und leitete ab 1937 die Fachsparte „Landbauwissenschaften und Allgemeine Biologie“ des mit der DFG verkoppelten Reichsforschungsrates.20 Als Himmler Anfang Oktober 1939 von Hitler mit der Germanisierung der annektierten polnischen Westgebiete beauftragt wurde, avancierte Meyer zum Leiter der „Hauptabteilung Planung und Boden“ in Himmlers neuer Behörde „Reichskommissar zur Festigung deutschen Volkstums“. Isabel Heinemann analysiert in ihrem Beitrag zu diesem Sammelband, wie Konrad Meyer als Wissenschaftsorganisator und prominenter SS-Planer die Koordinaten der nationalsozialistischen Umsiedlungspolitik nicht nur entwarf und sich hierfür die finanzielle Unterstützung der DFG sichern konnte, sondern auch stets ihre praktische Umsetzung im Blick hatte. Mit den Arbeiten, die im Umfeld von Meyers Planungsstab entstanden, finanzierte die Deutsche Forschungsgemeinschaft eine ideologieund zeitgebundene Grundlagenforschung, die auf der Basis entgrenzter Gewalt und mit Millionen von Opfern kalkulierte. 18

Kershaw, Hitler, S. 667. Heim, Vordenker, S. 79. 20 Der 1937 gegründete RFR übernahm von der DFG die Förderung der Agrar-, Naturund Technikwissenschaften, die gezielt in den Dienst der Rüstungs-, Kriegs- und Rassenpolitik gestellt werden sollten. In seiner Alltagsarbeit bediente sich der RFR der Strukturen und Ressourcen der DFG, die Führungsebenen beider Institutionen waren stark verwoben. DFGPräsident Mentzel führte de facto auch die Geschäfte des RFR. 19

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Im Juni 2002 – und damit genau 60 Jahre nachdem Meyer den Entwurf des Generalplan Ost Himmler vorgelegt hatte – diskutierten 25 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf Einladung der DFG auf einer internationalen Tagung in Berlin über die Geschichte des Generalplan Ost. Die Konferenz war Bestandteil eines größeren Forschungs- und Konferenzprogramms, mit dem die DFG seit dem Jahr 2000 den Versuch unternimmt, sich mit ihrer Geschichte auseinanderzusetzen. Obwohl diese Geschichte bereits mehrfach Gegenstand historiographischen Interesses gewesen war, konnte man der DFG bis dahin durchaus zu Recht vorwerfen, die Aufklärung ihrer Geschichte während des Nationalsozialismus nicht energisch und offen genug betrieben zu haben.21 Im Frühjahr 2000 initiierte dann jedoch Ludwig Winnacker als Präsident der DFG ein umfassendes Projekt zur Erforschung der DFG-Geschichte. Seit dem Herbst desselben Jahres arbeitet eine im Lauf der Zeit gewachsene Forschergruppe unter Leitung der Historiker Rüdiger vom Bruch und Ulrich Herbert auf diesem Feld.22 Inzwischen wird die Geschichte der DFG mit einem Bündel von 18 Einzelprojekten erforscht, in Kürze werden die Ergebnisse der ersten Projekte in Gestalt von Monographien veröffentlicht. Neben einigen institutionengeschichtlichen Studien und der Biographie des Physikers und Wissenschaftsmanagers Walter Gerlach bilden Untersuchungen zu einzelnen von der DFG geförderten Wissenschaftsfeldern – wie beispielsweise der Rassenhygiene, der Kolonialmedizin, den Maschinenbau- oder Werkstoffwissenschaften, der Agrarund der Ostforschung, der Volkskunde oder der Hormonforschung – den Kern des Projektes. Im Mittelpunkt steht dabei das Interesse an der Entwicklung wissenschaftlicher Fragestellungen, Methoden und Akteurskonstellationen in ihrem allgemein- wie fachgeschichtlichen Kontext sowie die Frage nach der Rolle der DFG für die einzelnen Disziplinen und Forschungsfelder. Bewußt zielt das Projekt darauf, die Geschichte der DFG und der von ihr geförderten Wissenschaften während der NS-Zeit nicht aus den längerfristigen Trends der Zeitgeschichte, der Forschungspolitik und der Wissenschaftsgeschichte herauszulösen. Der Untersuchungszeitraum beginnt daher mit der Gründung der DFG 1920 und endet um etwa 1970. Sowenig der Nationalsozialismus ein isolierbarer Betriebsunfall der deutschen Geschichte war, sowenig wäre das Agieren der DFG zwischen 1933 und 1945 als Betriebsunfall der deutschen Wissenschaftsgeschichte isolier- und erklärbar. Der Einbettung der DFG-Geschichte in weitere Kontexte der Zeit- und Wissenschaftsgeschichte dient auch eine Reihe von Konferenzen. So fanden neben der Konferenz zum Generalplan Ost vom Juni 2002 bislang Tagungen zum Humanexperiment im 20. Jahrhundert (Oktober 2003) und zu „Zigeunerforschung/Zigeunerpolitik“ (September 2004) statt. Konferenzen zur Physikgeschichte und zur Geschichte der Geisteswissenschaften sollen folgen. Die 21 Vgl. Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, Marsch, Notgemeinschaft, Nipperdey/ Schmugge, Jahre, Zierold, Forschungsförderung 22 Vgl. zum Ansatz und den Teilprojekten: www.geschichte.uni-freiburg.de/DFG-Geschichte.

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Ergebnisse dieser Tagungen werden in Form von Sammelbänden in jener Reihe publiziert werden, die der vorliegende Band eröffnet. Nach Abschluß der Konferenz vom Juni 2002 stellte sich der Forschergruppe die Frage, in welcher Form die Erkenntnisse zur Rolle der DFG für das den Generalplan Ost begleitende Forschungsprogramm publiziert werden sollten. Zum einen entstand in der Folge das Konzept einer Ausstellung zum Generalplan Ost, zu Konrad Meyer und der DFG, die ab Anfang 2006 an verschiedenen Orten gezeigt werden wird. Zum anderen entstand dieser Sammelband, der sich in einem erweiterten Zugriff der Frage des Verhältnisses von Wissenschaft, Planung und Politiken der „ethnischen Säuberung“ widmet. Viele Aspekte des Generalplans Ost sind in den vergangenen 20 Jahren gut erforscht worden. Verwiesen sei hier nur auf die Arbeiten von Czeslaw Madajczyk, Gert Gröning und Joachim Wolschke-Bulmahn, Bruno Wasser, Götz Aly und Susanne Heim, Michael Burleigh, Mechthild Rössler, Sabine Schleiermacher sowie Karl Heinz Roth.23 Vor diesem Hintergrund erschien es als wenig sinnvoll, den durch diese Arbeiten erreichten Forschungsstand noch einmal als Sammelband zu reproduzieren. Vielmehr haben wir ausgehend von den Ergebnissen der Konferenz einige Fragen für neue Forschungsperspektiven formuliert: Erstens erschien es als wichtig, die Rolle der durch die DFG geförderten Wissenschaftler für die Genese des Generalplan Ost und der mit ihm verbundenen Planungen für das „Altreich“ genauer unter die Lupe zu nehmen. Zweitens hatten einige Teilnehmer der Konferenz das Verhältnis zwischen dem Generalplan Ost und der realen Besatzungspolitik in Osteuropa problematisiert: War der Plan mehr als visionäre Begleitmusik zu einer sich unabhängig von ihm entwickelnden Gewaltpolitik? Hieraus ergab sich generell die Frage nach der Bedeutung der von Experten ausgearbeiteten Pläne und der mit ihnen verbundenen Forschungen für die nationalsozialistischen Politiken der Zwangsmigration, des Genozids und der inneren Neuordnung der deutschen Gesellschaft. Drittens gilt es zu erörtern, wie spezifisch nationalsozialistisch die hier zu analysierende Wechselbeziehung zwischen Wissenschaft, der (Langzeit-) Planung von Räumen und einer auf Neuordnung qua Zwangsmigration gerichteten Politik gewesen sein mochte. Wenn die gemeinhin als „ethnische Säuberungen“ kategorisierten Versuche, gewaltsam ethnisch homogene und sozial vermeintlich optimal strukturierte Gesellschaften zu erschaffen, zu den Signaturen des 20. Jahrhunderts zählen, gilt dies dann auch für eine spezifische Rolle von Wissenschaft und Planung in diesen Prozessen? Sind die Planungseuphorie und der Kult des Experten vor dem Hintergrund der totalen Machbarkeit nationalsozialistische Spezifika? Oder sind sie überall dort zu finden, wo im 20. Jahrhundert im Rahmen ethnischer Homogenisierungen Menschenmassen gewaltsam verschoben wurden? Der vorliegende Band ordnet die Analyse der NS-Umsiedlungspolitik also in den Zusammenhang von Planung, Expertentum und ethnischen Säuberun23 Vgl. Madajczyk (Hg.), Generalplan, Gröning/Wolschke-Bulmahn, Liebe, Wasser, Raumplanung, Aly/Heim, Vordenker, Burleigh, Germany, Rössler/Schleiermacher, (Hg.), Generalplan und Roth, Generalplan.

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gen im 20. Jahrhundert ein. Die einzelnen Beiträge spüren gedanklichen und praktischen Querverbindungen nach, loten aber auch die Grenzen des Einflusses von Wissenschaftlern und Planern bei der politischen Umsetzung von Umsiedlungen aus. Dabei wird deutlich, daß im 20. Jahrhundert die Planung von Umsiedlungsvorgängen einen hohen Stellenwert hatte, Planer und ihnen zuarbeitende Wissenschaftler jedoch in keinem anderen Fall so großen praktischen Gestaltungsspielraum genossen, wie im nationalsozialistischen Staat. Es erweist sich als Charakteristikum des Nationalsozialismus, daß er wissenschaftliche Expertise nicht nur als Legitimationsressource für seine Utopie und mörderische Gewaltpolitik nutzte, sondern die Formulierung seines gesellschaftsbiologischen Programms tatsächlich weitgehend an die Praktiker des Mordens, Vertreibens und Ansiedelns einerseits und an wissenschaftliche Experten andererseits delegierte. Die folgenden sieben Aufsätze gehen der Leitfrage nach den Zusammenhängen zwischen wissenschaftlicher Expertise, Planungsvorgängen und politischer Praxis in jenen Großprojekten des 20. Jahrhunderts, die auf umfassende demographische, ökonomische und soziale Neuordnungen qua ethnischer Säuberung zielten, in drei Schritten nach. Zunächst schildern Gabriele Metzler und Dirk van Laak die Vorgeschichte des im „Zeitalter der Extreme“ (Eric Hobsbawm) so wirkungsmächtig gewordenen Konzeptes, ganze Gesellschaften mittels bewußter Planung ebenso zielgerichtet wie grundlegend zu transformieren. Im zweiten Schritt widmen sich die Aufsätze von Isabel Heinemann, Uwe Mai und Christoph Dieckmann dem Verhältnis von Wissenschaft, Planung und Praxis in der nationalsozialistischen Siedlungspolitik. Im dritten Teil des Bandes untersuchen Michael Esch, Jörg Baberowski und Christoph Marx, welche Faktoren im Nachkriegspolen, in der stalinistischen Sowjetunion sowie im Südafrika der Apartheid für die jeweiligen Politiken der Zwangsmigration und ethnischen Homogenisierung von entscheidender Bedeutung waren. Die Vorstellung, ja Erwartung, man könne ganze Gesellschaften und mit ihnen den Menschen schlechthin planvoll in Richtung eines Endziels sozialer Harmonie verändern, gehörte in den zwanziger Jahren international zu den beherrschenden Elementen der politischen Debatten. Wie Gabriele Metzler und Dirk van Laak deutlich machen, huldigten Demokraten, Faschisten und Sozialisten gleichermaßen utopischen Entwürfen einer rational geplanten Zukunft. Die Wurzeln moderner Planungsutopien lassen sich bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen; seit dem Ende des 19. Jahrhunderts waren sie mit der Erfahrung technischer Großsysteme verbunden, die ganz neue Vorstellungen von der zielgerichteten Gestaltbarkeit der materiellen wie sozialen Welt hervorriefen. Der Taylorismus wurde ab 1911 – dem Jahr, in dem Frederick W. Taylor seine „Principles of Scientific Management“ veröffentlichte – zum realtypischen Muster solcher Visionen: Entworfen von einem Ingenieur, der durch die planmäßige Anwendung als wissenschaftlich und objektiv deklarierter Methoden zum Schöpfer eines auf maximale Produktivität ausgerichteten Systems geworden war, versprach der Taylorismus zugleich nichts weniger als die

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Überwindung von Interessengegensätzen und die Realisierbarkeit gesellschaftlicher Harmonie. Neben den Ingenieuren etablierten sich die Sozialwissenschaftler als Kerngruppe eines neuen Typs politischer Akteure: der Experten. Der Erste Weltkrieg und die ihm folgenden Revolutionen setzten aus Sicht der Zeitgenossen den entschiedenen Bruch mit historisch gewachsenen Strukturen unausweichlich auf die Tagesordnung – und ein Neuaufbau schien nun allein aufgrund eines von Experten in seiner Rationalität beglaubigten großen Plans denkbar. Der von Konrad Meyer auf der Basis einer großen Zahl fachlicher Einzelexpertisen entworfene Generalplan Ost vom Juni 1942 trieb sowohl die Megalomanie als auch den Gestus strikt „sachlicher“, wissenschaftlicher Planung auf die Spitze. Isabel Heinemann rekonstruiert die Genese, Durchführung und Finanzierung jenes weitverzweigten Forschungsprogramms, durch das der Generalplan Ost als realitätstüchtiges Projekt zur Germanisierung Osteuropas nachgewiesen werden sollte. Meyer verstand sich explizit als politischer Wissenschaftler und „Mitgestalter am großen Geschehen der Zeit“.24 Seine Umsiedlungsentwürfe, wie grauenhaft absurd sie auch anmuten mögen, waren ausdrücklich für die Praxis gemacht, und zumindest der auf diesem Politikfeld dominierende Reichsführer SS Heinrich Himmler hatte stets ihre zügige Umsetzung im Sinn. Während die nationalsozialistische Rassenideologie – vor allem der Antisemitismus und die rassenhygienischen Konzepte – bereits von 1933 an schrittweise in konkrete politische Praktiken übersetzt wurden, blieb die Forderung nach der Ausdehnung des deutschen Siedlungsraumes jedoch zunächst auf Umsiedlungsplanungen innerhalb Deutschlands selbst beschränkt. Zwar entwarfen verschiedene Institutionen bereits vor dem Zweiten Weltkrieg Pläne für eine Erweiterung des Deutschen Reiches nach Osten.25 So beschrieb Ernährungsminister Richard Walther Darré im Jahr 1936 den „natürliche[n] Siedlungsraum des Deutschen Volkes“ als „das Gebiet östlich unserer Reichsgrenze bis zum Ural, im Süden begrenzt durch Kaukasus, Kaspisches Meer, Schwarzes Meer und die Wasserscheide, welche das Mittelmeerbecken von der Ostsee und Nordsee trennt“. Dort werde man siedeln, „nach dem Gesetz, daß das fähigere Volk immer das Recht hat, die Scholle eines unfähigeren Volkes zu erobern und zu besitzen“.26 Doch einstweilen mußten sich Darré und andere Siedlungsenthusiasten darauf beschränken, die Neuordnung der sogenannten agrarischen Notstandsgebiete des Reiches zu planen.27 Diesen Versuchen, vor und dann auch während des Krieges eine soziale Neuordnung in den ländlichen Gebieten des Altreichs durchzuführen, ist der Beitrag von Uwe Mai gewidmet. Der Agrarpolitische Apparat Darrés, lokale Verwaltungen und Sozialwissenschaftler wie der Soziologe Ludwig Neundörfer 24

Meyer, Höhen, S. 189. Hierzu vgl. im einzelnen die Studien von Müller, Ostkrieg, Roth, Institut, Gerlach, Morde, Mai, Rasse und Heinemann, Rasse. 26 Zit. nach d’Onofrio, Rassenzucht, S. S. 151–157. 27 Hierzu detailliert Mai, Rasse. 25

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strebten gemeinsam nicht nur nach einer wirtschaftlichen Neuordnung agrarischer Gemeinden durch Flurbereinigung, sondern vielmehr nach einem fundamentalen Umbau der ländlichen Gesellschaft: Die Landbevölkerung verschiedener Landkreise wurde nach rassischen und wirtschaftlichen Kriterien erfaßt und eine neue Idealzusammensetzung definiert. Wissenschaftlern wie Neundörfer bot sich bei der Erstellung solcher „Wunschbilder“ ein reizvolles Forschungsfeld, verbunden mit beträchtlichen Karrierechancen als wissenschaftliche Politikberater. Um die gesellschaftliche Umgestaltung voranzutreiben, sollten „rassisch hochwertige“ Bauernsöhne aus sogenannten ländlichen Notstandsgebieten Thüringens, Württembergs und des Rheinlandes als Siedler in den Osten verschoben werden. Allerdings zeigten sich hier die politischen Grenzen der Planung: Man konnte „rassisch hochwertige“ deutsche Bauern nicht gegen ihren Willen von ihrem Besitz vertreiben und als Siedler einsetzen. Gewaltsame Deportationen größeren Stils, wie sie ab Herbst 1939 im besetzten Polen stattfanden, waren im Altreich undenkbar und hätten die Stabilität der „Heimatfront“ gefährdet. Mit dem deutschen Überfall auf Polen hatte außerhalb der Reichsgrenzen die Phase praktischer Umsiedlungspolitik begonnen. Nun erschien es als realisierbar, dem deutschen Volk neuen Raum zu erschließen – auf Kosten der Menschen, die in den eroberten Regionen lebten. Zunächst improvisiert, alsbald auf der Grundlage ausgefeilter Pläne begann im eroberten Osteuropa – und in kleinerem Maßstab auch in Südosteuropa und Elsaß-Lothringen – eine gigantische ethnische Säuberung. Ihr Kern war der Mord an den europäischen Juden, ein wichtiger Teilaspekt die Germanisierung der eroberten Gebiete durch großangelegte Vertreibungen und Zwangseindeutschungen. Allerdings ergaben sich selbst im besetzten Osteuropa vielfache Schwierigkeiten bei der Realisierung der Umsiedlungspläne, so daß insgesamt nur von einer partiellen Umsetzung während des Krieges gesprochen werden kann. Dieser Umstand mindert jedoch weder den verbrecherischen Charakter der Pläne noch die Rücksichtslosigkeit der beteiligten Planer. Während im besetzten Westpolen vor allem die Vertreibung der „unerwünschten“ polnischen Bevölkerung – rund 800 000 nicht-jüdische Polen verloren ihre Höfe, ihren Besitz und nicht wenige auch ihr Leben – nach den Gesichtspunkten der Planer noch recht effizient verlief, zeigten sich beispielsweise in Litauen die Widersprüche von Siedlungsplanung und Kriegserfordernissen in aller Deutlichkeit. Christoph Dieckmann arbeitet heraus, wie dort SS und Zivilverwaltung gemeinsam versuchten, mit knappen personellen Ressourcen eine Germanisierungspolitik umzusetzen, was ihnen aber nur punktuell gelang: Die „Rücksiedlung“ von knapp 20 000 Litauendeutschen in den Jahren 1942/43 auf vergrößerten Höfen als Kern einer späteren „Eindeutschung“ Litauens folgte keiner großen planerischen Vision, sondern reagierte lediglich auf den Umstand, daß den Menschen, die bereits Anfang 1941 ihre litauische Heimat in Richtung Reich verlassen hatten, weder in den annektierten westpolnischen Gebieten noch gar im Altreich Siedlerstellen angeboten werden konnten, so daß sie seither in Lagern verharrt hatten. Für ihre Rücksiedlung ins eroberte Litauen mußten

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jedoch Zehntausende litauischer, polnischer und russischer Bauern ihre Höfe verlassen. Siedlungspolitik ging auch hier mit massiven Vertreibungen der Zivilbevölkerung einher. Der Generalplan Ost stand in einer eher losen Verbindung zu den konkreten Einzelmaßnahmen der bis 1945 realisierten Umsiedlungs- und Mordpolitik. Seine Bedeutung bestand jedoch darin, daß er den nationalsozialistischen Tätern eine vermeintlich realistische Zukunftsvision vor Augen stellte, welche die verübten Verbrechen zu legitimieren schien und damit half, Hemmungen zu überwinden. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges standen erneut ethnische Säuberungen auf der europäischen Tagesordnung. Michael Esch zeigt in seinem Beitrag, wie in der Volksrepublik Polen ab 1945 die Neuverteilung der Bevölkerung theoretisch konzipiert und praktisch umgesetzt wurde. Die Vertreibung von Deutschen und Ukrainern aus dem 1945 territorial neu zugeschnittenen polnischen Nationalstaat wie die zwangsweise Umsiedlung von Polen aus dem Westen der Sowjetunion in diesen Staat folgten rein machtpolitischen Imperativen. Trotz der Existenz fünf regionaler siedlungs- und strukturpolitischer Forschungsinstitute verliefen die Aussiedlung der deutschen Bevölkerung und die Neuansiedlung von Polen ab 1945 in hohem Maße improvisiert. Erst nach den unter Zeitdruck durchgeführten Vertreibungen und Ansiedlungen schlug auch hier die Stunde der Experten, die nun versuchten, vor dem Hintergrund einer wenig zielgerichteten Bevölkerungsverteilung „Schadensbegrenzung“ zu betreiben. Ausgehend von den neuen Realitäten begann eine Expertendebatte darüber, wie der Gewinn beziehungsweise Verlust von Gebieten und die zwangsweise Mobilisierung von Millionen Menschen dazu genutzt werden könnten, die polnische Gesellschaft ökonomisch und sozialstrukturell radikal umzuformen. Die in staatlichen Planungsbehörden beschäftigten wissenschaftlichen Experten griffen dabei einerseits auf Konzepte der Zwischenkriegszeit zurück – wie das Modell einer landwirtschaftlichen Überbevölkerung Polens – und andererseits auf empirische Untersuchungen, die schon während des Krieges vom polnischen Untergrund angestellt worden waren. Daß – im Unterschied zum Nationalsozialismus – im Nachkriegspolen eine zentral gelenkte, technokratische Planung nicht umsetzbar war, lag an dem zu diesem Zeitpunkt auch in Grundsatzfragen noch durchaus pluralistischen Charakter der Debatten in Polen. Von einem solchen Pluralismus konnte in der stalinistischen Sowjetunion keine Rede sein. Jörg Baberowski interpretiert die Politik der „Säuberungen“ und Deportationen gegen diverse ethnische Gruppen als den Versuch der Bolschewiki, in uneindeutigen Verhältnissen gewaltsam eindeutige Ordnungsentwürfe durchzusetzen. Um das Vielvölkerreich, das sie 1917 vom Zarismus geerbt hatten und zunächst in blutigen Kriegen erobern mußten, beherrschen und seine Bewohner in Richtung des „neuen Menschen“ verändern zu können, verwandten die Bolschewiki über zwei Jahrzehnte viel Mühe darauf, bunte Vielfalt in übersichtliche und klare soziale, kulturelle und nationale Kategorien zu ordnen. Für diesen Prozeß des Ordnens waren wissenschaftliche Experten – vor allem Ethnologen, Orientalisten, Statistiker und Sprachwissenschaftler –

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unverzichtbar. Zwischen Mitte der zwanziger und Ende der dreißiger Jahre gliederten diese Experten die Kulturen der Sowjetunion mehrfach neu auf der Basis von Volkszählungen sauber in Nationen, Völker, nationale und ethnische Gruppen, Stämme etc.28 Doch gerade diese Versuche, durch Klassifizierung Ordnung in das Chaos von Kulturen, Religionen und Lebenswelten zu bringen, und die eigensinnigen Aneignungen dieser Klassifizierungen seitens der Klassifizierten selbst bescherten den Bolschewiki immer wieder aufs Neue die Erfahrung, daß ihnen die „Fremden“ fremd blieben. Diese Fremdheit wurde als Feindschaft und existentielle Bedrohung gedeutet. Für Feinde aber gab es in der politischen Kultur des Stalinismus nur die Option der Liquidierung, sei es unmittelbar durch physische Vernichtung, sei es durch Deportation nach Zentralasien. Die wissenschaftlichen Experten waren an den Entscheidungsprozessen, wie mit den nicht zuletzt durch ihre Klassifikationen geschaffenen Nationen zu verfahren sei, nicht mehr beteiligt. Über eine Rolle als Informations- und Kategorisierungslieferanten gelangten sie – anders als ihre Pendants im Nationalsozialismus – nicht hinaus. Der Aufsatz von Christoph Marx widmet sich der Zwangsumsiedlung von 3,5 Millionen südafrikanischen Schwarzen in „Homelands“ bzw. „Bantustans“ zwischen 1960 und 1985 – der größten Zwangsmigration in der Geschichte Afrikas. Die Politik der Apartheid basierte auf Konzepten, die burische Ethnologen, Historiker und Sozialpsychologen seit den dreißiger Jahren entwickelt hatten. Sie konstruierten eine burische Nation einerseits, eine Vielzahl schwarzer Nationen andererseits, deren konsequente territoriale Trennung homogene Nationalstaaten für alle schaffen sollte. Doch obwohl der Initiator der Homelandpolitik, der zwischen 1958 und 1966 amtierende Premierminister Hendrik Verwoerd, selbst als Psychologe an der Entwicklung dieser Konzepte beteiligt gewesen war, blieb der Einfluß der Wissenschaftler auf die Praxis der Vertreibungen marginal. Deren Rhythmen und Ziele folgten relativ kurzfristigen politischen und ökonomischen Interessen, und die diffuse Verteilung von Macht und Kompetenzen innerhalb der südafrikanischen Bürokratie erschwerte die Umsetzung konsistenter Konzepte zusätzlich. Erfolgreich war vor diesem Hintergrund nicht jene Fraktion radikaler Intellektueller, die das utopische Projekt einer „totalen Apartheid“ realisieren wollte, sondern ein wissenschaftlicher Mainstream, der sich damit zufrieden gab, den weltanschaulichen Rahmen und die legitimierende Utopie für die Abdrängung der schwarzen Bevölkerungsmehrheit auf einen Bruchteil des südafrikanischen Territoriums zu liefern. Propagandistisch wirkten diese wissenschaftlichen Verfechter der Apartheid nicht nur auf die weiße Öffentlichkeit Südafrikas insgesamt, sondern in besonderem Maße in den Machtapparat hinein: Ein hoher Anteil der Studienabsolventen des hier besonders engagierten Faches Ethnologie gelangte zum Beispiel in die oberen Ränge von Verwaltung und Militär. Der Blick nach Südafrika verweist auf eine Verengung der meisten historiographischen Auseinandersetzungen mit dem 20. Jahrhundert als einer Epoche 28

Vgl. Hirsch, Soviet Union.

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der Genozide und Zwangsmigrationen: Selbst solche Darstellungen, die einem komparativen Ansatz folgen, bleiben meist auf Europa beschränkt, erweitert höchstens um die Türkei und das asiatische Rußland. So scheinen beispielsweise die ethnischen Säuberungen, die 1946/47 die Teilung des indischen Subkontinents begleiteten, oder die Versuche, den indonesischen Vielvölker-Nationalstaat durch großangelegte Umsiedlungsprogramme zu stabilisieren, aus Sicht der meisten Historiker exotische Phänomene der globalen Peripherie darzustellen. Angesichts der Debatten der letzten Jahre über die Notwendigkeit, unsere historiographischen Perspektiven um eine globale zu erweitern, verliert ein solcher Eurozentrismus in Bezug auf eines der wichtigsten Themenfelder der Zeitgeschichte immer mehr an Plausibilität. Im übrigen könnte ein Blick auf außereuropäische Gesellschaften auch lehren, daß Zwangsmigrationen gigantischer Dimension im 20. Jahrhundert nicht notwendig Konzepten der ethnischen Homogenisierung folgen mußten. Vielmehr galten Zwangsumsiedlungen auch in ganz anderen politischen Kontexten als probate Mittel zur gewaltsamen Zerschlagung alter gesellschaftlicher Strukturen und zur Überwindung von vermeintlichen Fortschrittsbarrieren. In Tansania etwa wurden während der siebziger Jahre Millionen Menschen in „geplante Dörfer“ umgesiedelt – teilweise in Nacht- und Nebelaktionen und durch das Militär –, um in den so geschaffenen „ujamaa“-Dörfern“ einen auf vermeintlich traditionellen, klassenlosen Lebensweisen basierenden afrikanischen Sozialismus aufzubauen.29 In Indien – um einen zweiten Fall anzusprechen – wurden in den letzten Jahrzehnten für Staudammprojekte mehrere Millionen Menschen – Schätzungen schwanken zwischen 30 und 50 Millionen – zwangsweise umgesiedelt (in der großen Mehrheit Angehörige der niederen Kasten beziehungsweise ethnischer Minderheiten). Initiiert und geplant wurde dies zumeist von Experten der Weltbank oder der indischen Regierung, die in diesen Projekten den Schlüssel zur Entwicklung des ländlichen Indien zu erkennen glaubten.30 Solche Erweiterungen der Perspektive können im Rahmen dieses Sammelbandes nur vorgeschlagen und angeregt werden. Übrigens würden Historiker, die diese Richtung einschlagen, nicht selten auf die Spuren solcher deutschen Wissenschaftler und Experten stoßen, deren Agieren bei der „Neuordnung“ Osteuropas bis 1945 inzwischen gut erforscht ist. So arbeitete der Agrarwissenschaftler Otto Schiller zwischen 1941 und 1944 innerhalb der deutschen Besatzungsverwaltung an Strukturreformen für die Landwirtschaft der Ukraine, um sich dann ab den fünfziger Jahren im Auftrag der Welternährungsorganisation und der Bundesregierung mit den Agrarstrukturen Südasiens zu beschäftigen.31 Auch Konrad Meyer dachte nach 1945 über die Probleme der Dritten Welt nach; 1953 veröffentlichte er hierzu eine Broschüre unter dem Titel „Nahrungsraum und Überbevölkerung“. Viele deutsche Experten, die während 29

Vgl. Meyns, Landwirtschaft, S. 169 ff. und Baldus, Entwicklung, S. 208 f. Vgl. Roy, Ende. 31 Vgl. Gerlach, Agrarreform, S. 38 ff. und Schiller, Agrarstruktur. 30

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des Zweiten Weltkrieges geglaubt hatten, Osteuropa sei eine Tabula Rasa, auf der alle Faktoren, vor allem aber Größe und Zusammensetzung der Bevölkerung, durch einen großen, wissenschaftlich fundierten und planvollen Eingriff „optimiert“ werden müßten, blickten nach 1945 erwartungsvoll nach Süden. Ihr Einfluß auf die entwicklungspolitischen Konzeptionen der westlichen Industriestaaten bleibt zu untersuchen.

DIE KONKRETION DER UTOPIE HISTORISCHE QUELLEN DER PLANUNGSUTOPIEN DER 1920ER JAHRE Von Gabriele Metzler und Dirk van Laak Politische Planung im Sinne einer planvollen Umgestaltung gesellschaftlicher Strukturen und Steuerung ökonomischer Entwicklungen erlebte im 20. Jahrhundert zwei internationale Phasen der Hochkonjunktur. Die „Planungseuphorie“ der sechziger Jahre, in denen in allen westlichen Industriegesellschaften planerische Elemente im politischen Prozeß erstarkten1, hatte ihren historischen Vorläufer in den zwanziger Jahren, in denen politische Planungsutopien einen wesentlichen Teil des sozialexperimentellen Charakters der Zeit bestimmten. Urbane Lebensräume wurden neu entworfen, wirtschaftliche Prozesse prognostischer Vorausschau unterzogen, die Gesellschaft als Ganzes als Objekt planerischen Gestaltungswillens begriffen. Die Utopie, die Gesellschaft, ja den Menschen selbst planvoll verändern zu können, floß ein in künstlerische Projekte und manifestierte sich in ambitionierten technischen Visionen. Politischen Resonanzraum fand sie bei europäischen Sozialisten und Faschisten gleichermaßen, aber auch bei US-amerikanischen Pragmatisten und Progressives; am radikalsten rang man im entstehenden Sowjetstaat um die Frage, wie weit staatliche Interventionen zu gehen hatten, um das Ziel einer neuen Gesellschaft – und eines „neuen Menschen“ – zu erreichen.2 Obwohl „Planung“ im 20. Jahrhundert zweifellos eine „Schlüsselkategorie des Politischen“3 war und als solche ein international zu beobachtendes Phänomen bezeichnete, ist eine vergleichende Geschichte der Planungsutopien noch nicht geschrieben worden, wie generell nur wenige komparativ gearbeitete Studien zu den Nachkriegsgesellschaften der zwanziger Jahre vorliegen.4 Diese Lücke in der Forschung mag damit zusammenhängen, daß es weder zeitgenössisch noch später eine in sich geschlossene Theorie dessen gab, was überhaupt unter dem Phänomen zu verstehen war. Der Begriff „Planung“, in den zwanziger und in den sechziger Jahren gleichermaßen, war schillernd und konnte allumfassende Gestaltungsansprüche seitens des Staates ebenso umfassen wie punktuelle Eingriffe in einzelne gesellschaftliche Teilsysteme, sei es die Ökonomie, sei es den Sektor sozialer Sicherung oder das Bildungswesen. „Planung“ 1

Am Beispiel der Bundesrepublik: Metzler, Konzeptionen. Vgl. Stites, Dreams. Schivelbusch, Verwandtschaft. 3 Laak, Planung, S. 67. 4 Zentral noch immer: Maier, Europe. Vgl. Wrigley (Hg.), Challenges und zum Strukturwandel der Politik: Mommsen (Hg.), Weltkrieg sowie Hardtwig (Hg.), Utopie. 2

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war Konkretion einer Utopie und trug doch immer selbst utopische Züge; und indem sie Zukunftsvorstellungen den Anschein der Realisierbarkeit gab, war sie Versprechen und Schreckbild zugleich. Nicht minder schillernd war vor diesem Hintergrund die Sozialfigur des „Planers“. Als „Planer“ verstanden sich Ingenieure und Techniker, Wissenschaftler und Ökonomen, Politiker und Militärs – sie alle planten gesellschaftlichen Wandel, auch wenn ein überwölbendes Ziel, ein Gesamtzusammenhang dieser unterschiedlichen Planungsansätze nicht immer von ihnen selbst, stets aber von intellektuellen Vordenkern, politischen Theoretikern oder den Propagandisten und Ideologen der Zeit hergestellt wurde. So schwer die planerische Praxis der zwanziger Jahre zu greifen ist, so wenig wissen wir über ihre Vorgeschichte. Die Genese und der Formwandel dieser modernen Planungsutopien, deren Wurzeln bis ins 19., zu Teilen bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen, sind von der historischen Forschung bislang nicht zusammenhängend untersucht, ihre unterschiedlichen Quellen nicht kartographiert worden. An dieser Frage setzen die folgenden Überlegungen an. Mit ihnen werden zwei Ziele verfolgt. Zum einen geht es darum, in einer längeren historischen Perspektive die wichtigsten Zuflüsse zum Planungsstrom zu markieren, der in den zwanziger Jahren in bis dahin einzigartiger Breite floß. Zum zweiten soll der historische Ort der ersten Hochkonjunktur von Planung näher bezeichnet werden. Welche Gründe sind dafür zu benennen, daß sich nach dem Ersten Weltkrieg an Planung vielfältige und hochgesteckte Erwartungen knüpften? Um diese beiden Fragen zu diskutieren, werden im folgenden vier unterschiedliche methodische Sonden an den Quellen dieser Planungsutopien angesetzt. Dieses Vorgehen ist heuristisch begründet; zu bedenken ist dabei stets, daß diese Quellen unter der Oberfläche in vielfältiger Weise miteinander verzweigt waren und sich, um im Bild zu bleiben, gegenseitig speisten. Mit der ersten Sonde sollen die langfristigen Wirkungen geistes- und politikgeschichtlicher Prozesse geklärt werden; sie wird entsprechend bis zur europäischen Aufklärung und ihren Folgen ins 18. und frühe 19. Jahrhundert zurückreichen. In einem zweiten Schritt geht es um die Erkundung technikgeschichtlicher Entwicklungen, in deren Verlauf seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine Fülle technischer Großsysteme hervorgebracht wurde – und mit ihnen eine Bestätigung der Vision von der Beherrschbarkeit der materiellen Umwelt. Drittens war die Planungsutopie in einer wissenschaftsgeschichtlichen Entwicklung begründet, die gleichfalls im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts mit dem Aufstieg der modernen Sozialwissenschaften und damit gleichzeitig der Etablierung wissenschaftlicher Experten zum Durchbruch gelangte. Viertens schließlich flossen diese Prozesse im Ersten Weltkrieg zusammen und wurden von militär-, politik- und wirtschaftsgeschichtlichen Entwicklungen überlagert, da der Krieg dem Staat als Agenten der Planung neue und weitreichendere Aufgaben nahelegte.

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VORLÄUFER SOZIALER UND TECHNISCHER PLANUNG SEIT DER AUFKLÄRUNG Einen „Plan“ vermochten sich die Menschen bis in die neuzeitliche Geschichte hinein vor allem als göttlichen „Heilsplan“ vorzustellen. Zwar war menschliches Handeln keineswegs „planlos“, sondern bezog äußere Umstände, vorhandene Ressourcen und Handlungsoptionen immer mit ein, wenn Entscheidungen zu fällen waren. Doch als umfassendes Orientierungsmoment etablierten sich „Plan“ und „Planung“ erst, indem die Zukunft als gestaltbarer Raum wahrgenommen wurde und nicht mehr, wie es die christliche Lehre stets vermittelt hatte, frühere Erfahrungen „fast nahtlos“ in „kommende Erwartungen“ überführt wurden.5 Als Katalysatoren dieses Wandels nennt Reinhart Koselleck die kopernikanische Wende, technische Entwicklungen, die Ausweitung des europäischen Horizonts durch die Entdeckungen, bis schließlich der Begriff des „Fortschritts“ im 18. Jahrhundert einen neuen „Erwartungshorizont“ terminologisch bündelte.6 Als Akteur der Sozialgestaltung etablierte sich im Absolutismus der Staat. Staatliche Instanzen zogen Militärplanungen für stehende Heere sowie bevölkerungspolitische und raumordnende Aufgaben an sich, sie beanspruchten wirtschaftspolitische Ordnungsmacht und schufen entsprechende administrative Instanzen und Informationspools. Im „Policeystaat“ verbanden sich schließlich Effizienzerwägungen mit staatlichen Ordnungsansprüchen. Als „gute Policey“ galten „alle Maaßregeln in innerlichen Landesangelegenheiten, wodurch das allgemeine Vermögen des Staats dauerhaftiger gegründet und vermehret, die Kräfte des Staats besser gebrauchet und überhaupt die Glücksseligkeit des gemeinen Wesens befördert werden kann“.7 „Sicherheit“ und „Wohlfahrt“ wurden zu Leitkategorien des neuzeitlichen Staates, der seine Kompetenzbereiche kontinuierlich ausdehnte. Diese Ansätze zu einer umfassenden Gesellschaftsgestaltung wurden durch die Aufklärung weiter verstärkt. Wollte das Individuum seine Unmündigkeit abschütteln, konnte es dies nur im Rahmen einer aufgeklärten gesellschaftlichen und politischen Ordnung, insofern war das Denken der Aufklärung stets mit einer sozialen Handlungsperspektive verknüpft. Die Zusammenhänge zwischen der Nutzung des eigenen Verstandes und den Konfigurationen des sozialen Umfeldes hoben vor allem Gottfried Wilhelm Leibniz und nach ihm Immanuel Kant hervor.8 Die „aktive Verwandlung der Welt, nicht auf ein Jenseits“ gerichtet, wurde zum tragenden Moment des „Fortschritts“.9 Dabei lassen sich zwei geistesgeschichtliche Entwicklungsstränge voneinander unterscheiden: Während die einen, an Giovanni Battista Vico anknüpfend, die Unabhängigkeit des Fortschritts von menschlichem Handeln betonten, ihn 5 6 7 8 9

Koselleck, Erfahrungsraum, S. 361. Ebd., S. 362 f. Justi, Grundsätze, S. 4. Vgl. Losonsky, Enlightenment, bes. S. 158 ff. Koselleck, Erfahrungsraum, S. 364.

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gleichsam als „List der Vernunft“ deuteten, hoben die in der cartesianischen Tradition stehenden Philosophen gerade zielgerichtetes und instrumentellrationales Handeln als unabdingbare Voraussetzung für Fortschritt hervor.10 Eine solche Position finden wir bei Jacques Turgot und Marie Jean de Condorcet ebenso wie vor allem bei Henri de Saint-Simon und Auguste Comte sowie schließlich Karl Marx und Friedrich Engels.11 Besonders Condorcet und Saint-Simon argumentierten vor dem geistigen Horizont einer mathématique sociale, mit deren Hilfe Alltagsentscheidungen, aber auch die Politik rationalen Verfahren unterworfen werden sollten. Am weitesten ging hier Saint-Simon, der den gesellschaftlichen Fortschritt durch eine gezielte Förderung der industriellen Entwicklung und eine rational und effizient handelnde Verwaltung sichern wollte. Das von ihm projektierte Verfahren war durchweg technokratisch angelegt, sollten doch in einem Dreikammersystem Ingenieure (und Handwerker) eine herausragende Rolle im Entscheidungsprozeß spielen. Ihnen zur Seite stellte Saint-Simon „Examinatoren“, Wissenschaftler, die technische Vorschläge begutachteten und die Kontrolle über das Erziehungswesen ausübten, sowie schließlich Industrielle, die den Interessen von Produzenten und Arbeitern zugleich Gehör zu verschaffen hatten.12 Ähnliche Gedanken fanden sich auch in Deutschland. So empfahl schon der Freiherr vom Stein, eine Körperschaft der wissenschaftlichen und technischen Deputationen zu bilden, „ein Parlament praktischer Arbeit, zusammengesetzt aus den berufensten Vertretern der Wissenschaft, Technik, Industrie, des Handels, der Land- und Forstwirtschaft und der Staatsverwaltung“.13 Schon früh wurden Verbindungen zwischen den philosophischen Ansätzen und der staatlichen Praxis erkennbar: Turgot war Marine- und Finanzminister Ludwigs XVI., und auch Condorcet stand in den Diensten des französischen Staates. Vor allem die Saint-Simonisten gewannen nach 1830 an Einfluß, namentlich unter Napoleon III., mit dessen Herrschaftsanspruch und -praxis sie weitgehend in Einklang standen. Ehrgeizige Erschließungsprojekte wie der forcierte Ausbau des französischen Eisenbahnnetzes oder der 1859 begonnene Bau des Suezkanals, aber auch die Gründung der international einflußreichen Investmentbank Crédit Mobilier14 fielen in diese Zeit und zeugten von den Bestrebungen, die Modernisierung des Landes planvoll voranzutreiben. Hans Freyer hielt die Eisenbahn denn auch für paradigmatisch, um den Zusammenhang von „Herrschaft“ und „Planung“ zu erhellen: „Das Einzelne aus seiner 10 Rapp, Fortschritt, S. 183 f. Rapp unterscheidet zwischen einem „intentional-technomorphen“ und einem „akzidentiell-anthropomorphen“ Modell der Fortschrittsvorstellungen. 11 Vgl. Turgot, Fortschritte, Condorcet, Esquisse, Comte, Plan, ders., Soziologie, ders., Système, Saint-Simon, Industrie und ders., Système. Im œuvre von Marx und Engels finden sich vielfach Belege für diese Perspektive, am bündigsten in Marx, Kritik und Engels, AntiDühring. 12 Vgl. Rapp, Fortschritt, S. 189, Emge, Saint-Simon, Manuel, Prophets, S. 103–148 und Pickering, Auguste Comte, Bd.1, S. 60–101. 13 Nach Matschoß, Staat, S. 1188. 14 Beispiele in Berman, Solid, S. 74.

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Isolierung befreien, das Zusammengehörige aufeinander einspielen, Wege verkürzen, Hindernisse ausschalten, Aktionsradien vergrößern, das Unzusammenhängende zum zusammenhängenden Ganzen integrieren – das ist die gemeinsame Leistung derer, die ein Eisenbahnsystem planen, bauen und finanzieren.“15 Marshall Berman typologisiert Unternehmungen wie den Eisenbahnbau als Ausdruck „faustischer Modelle von Entwicklung“, weil sie private und öffentliche Interessen und Ressourcen miteinander so eng verknüpft hätten, wie dies bis dahin ohne historischen Vorläufer gewesen sei.16 Aus einer solchen Perspektive lassen sich jene historischen Punkte genauer identifizieren, an denen die utopischen Entwürfe der Aufklärungszeit in die technokratische Überzeugung von der Plan- und Machbarkeit der Welt umschlugen. Nicht nur in den französischen Projekten der fünfziger und sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts kündigte sich die „Hochmoderne“ an, deren Klimax freilich erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erreicht wurde.17 Auch der auf Saint-Simon Bezug nehmende Marxismus sah sozialen Wandel durch die Wechselbeziehung zwischen sozioökonomischen Strukturen und organisierten gesellschaftlichen Kräften verursacht. Comtes Idee einer „sozialen Physik“ stand Pate, als Engels die Folgen einer „Besitzergreifung der Produktionsmittel durch die Gesellschaft“ formulierte: „Die Anarchie innerhalb der gesellschaftlichen Produktion wird ersetzt durch planmäßige bewußte Organisation. [...] Die Gesetze ihres eignen gesellschaftlichen Tuns, die ihnen bisher als fremde, sie beherrschende Naturgesetze gegenüberstanden, werden dann von den Menschen mit voller Sachkenntnis angewandt und damit beherrscht. [...] Erst von da an werden die Menschen ihre Geschichte mit vollem Bewußtsein selbst machen, erst von da an werden die von ihnen in Bewegung gesetzten gesellschaftlichen Ursachen vorwiegend und in stets steigendem Maße auch die von ihnen gewollten Wirkungen haben.“18 Die Notwendigkeit, den gesellschaftlichen Wandel nicht der „unsichtbaren Hand“ des Marktes allein zu überlassen, sondern durch die treusorgende „öffentliche Hand“ zu steuern, sahen indessen nicht nur Marxisten und Sozialisten. Auch der bürgerliche „Staatssozialismus“ ging davon aus, daß die gesellschaftliche Entwicklung in geregelte Bahnen gelenkt werden müsse, um durch evolutionär herbeigeführten sozialen Fortschritt die Gefahr einer sozialistischen Revolution zu beseitigen. Denn die prekäre Stabilität einer hochdynamischen Gesellschaft schien nur durch planvoll ins Werk gesetzte Reformen bewahrt werden zu können. Die vor allem auf die technischen Möglichkeiten 15

Freyer, Herrschaft, S. 22. Berman, Solid, S. 74. Vgl. auch die zeitgleiche Politik der „Internal Improvements“ in den USA. Berman schlägt einen Bogen bis zu den Planern des 20. Jahrhunderts und insbesondere der zweiten Nachkriegszeit, indem er beispielsweise Robert McNamara und Jean Monnet als „Faustian developers“ charakterisiert, ebd., S. 75. 17 Zum Begriff der „Hochmoderne“ („high modernism“) vgl. James C. Scott, Seeing, S. 87 ff. 18 Engels, Anti-Dühring, hier zit. nach Rapp, Fortschritt, S. 191. 16

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des Verkehrs und der Kommunikation sowie der Massenver- und entsorgung rekurrierenden Zukunftsentwürfe des Kaiserreiches trugen freilich, wie Lucian Hölscher befand, bereits ambivalente Züge, denn „die Möglichkeiten ihrer [der zukünftigen Gesellschaft] Antizipation und Planung, allerdings auch die Gefahren ideologischer Verführung durch Zukunftsversprechen“ deuteten an, daß deren Einlösung „den Zeitgenossen maßlose Opfer“ abverlangen konnten.19 ENTWICKLUNGEN IN TECHNIK UND WISSENSCHAFT ALS VORAUSSETZUNGEN UMFASSENDER PLANUNG Seit dem 18. Jahrhundert schrieben sich Technik und Wissenschaften tief ins europäische Selbstverständnis ein. Ihre Erfolgsgeschichte begann die providentiellen Verheißungen der Religion schon im Diesseits herauszufordern.20 Gerade bei der Behauptung europäischer Überlegenheit gegenüber den „wilden“ Völkern der außereuropäischen Welt nahmen sie eine immer zentralere Bedeutung ein und wurden nach und nach zum Hauptinhalt des europäischen Sendungsbewußtseins.21 Die Technologie „zivilisierte“ aber nicht nur die Völker in Übersee, sondern spielte auch in die „Gesellschaftstechnik“ beziehungsweise das „social engineering“ der „entwickelten“ Nationen hinüber. Staatskörper und menschliche Körper wurden immer wieder an den Kategorien von Energieleistung und Motoren gemessen, was über metaphorische Zuschreibungen hinaus die Räume für „körperpolitische“ Interventionen eröffnete.22 Eine an Arbeit, Effizienz und Mehrwert orientierte Leistungshierarchie führte hin zu einer „Menschenökonomie“, die Individuen und „Bevölkerungen“ in optimierte Umfelder und Beziehungen zu setzen versuchte. In diesen Zusammenhang gehört auch der um die Jahrhundertwende sich verstärkende „Rasse“-Diskurs23, der ebenso wie die Eugenik eine internationale Erscheinung war. Beide entstanden aufgrund des Zusammentreffens von dynamischem Entwicklungsparadigma mit globalisierten Sozialbeziehungen, und vor allem der „Rasse“-Diskurs versuchte hierauf mit einer Systematisierung und Neuordnung „homogenisierter“ völkischer Einheiten zu reagieren. Dadurch wurden Sozialbeziehungen biologisiert und ihre Steuerung durch eine gezielte „Auslese“ nahegelegt. Wo sich eugenisches Denken geschichtsphilosophisch auflud, wurden im Bereich der Bevölkerungsentwicklung, der Migration, der Siedlungspolitik, der Wohlfahrtspolitik usw. Handlungszwänge suggeriert, die auf die Wiederherstellung einer „natürlichen“ rassischen Ordnung abzielten. 19

Hölscher, Entdeckung, S. 131. Vgl. Noble, Träume. 21 Vgl. Adas, Machines, S. 69 ff. und 133 ff. 22 Vgl. Rabinbach, Motor. Für das amerikanische Verfassungsdenken und die Adaption von „Maschinen“-Modellen vgl. Kleinsteuber, Verfassung und Kasson, Machine. 23 Vgl. O’Callaghan, Continuities, bes. S. 30. Zu „rassenwissenschaftlichen“ Ansätzen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Brantlinger, Races. 20

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Die Eugenik verstand sich als eine „moderne“, wissenschaftliche Variante der Sozialpolitik, als eine interdisziplinäre Human- und Naturwissenschaft. Als solche stellte sie eine der möglichen Fortentwicklungen bürgerlich-meritokratischer Visionen dar, die durch den gezielten Eingriff in die Quantität der Bevölkerung und die Qualität ihrer biologischen Anlagen die gesamtgesellschaftliche Leistungsfähigkeit steigern wollten.24 Die technischen Großsysteme, die im Zuge einer „zweiten industriellen Revolution“ seit den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts entstanden, verknüpften technische und ökonomische, soziale und politische Entwicklungen und Erwartungen auf das engste miteinander.25 Drei zentrale Problemlagen zogen die Aufmerksamkeit aller industrialisierten Gesellschaften auf sich: die Frage nach der Ernährung wachsender Bevölkerungen, die unverkennbar malthusianisch inspiriert war und deren Beantwortung raumordnende Eingriffe des Staates nahelegte; die Frage nach einer optimalen und dauerhaft gesicherten Versorgung der dynamisch expandierenden Wirtschaft mit Rohstoffen – und nach neuen Absatzmärkten; und schließlich die Frage nach sicheren und in großem Stil ausschöpfbaren Energiequellen. Die „Ära der Energie“ war eingeläutet26, ein „energetisches Fortschrittsbild“ prägte sich aus, in dem Elektrifizierung und Gesellschaftsvisionen miteinander verschmolzen.27 Große Kraftwerksanlagen und integrierende „Netzwerke“ entstanden, um die wachsenden Städte und Industrien mit Strom zu versorgen. Die neue Energietechnik verlangte Eingriffe in natürliche Räume, die politisch zu legitimieren waren. Solche ordnungspolitischen Grundsatzentscheidungen lassen sich am Beispiel des seit 1903 geplanten und 1924 in Betrieb gegangenen Walchenseekraftwerks exemplarisch verdeutlichen.28 Verbunden mit dem ambitionierten Projekt waren tiefe Eingriffe in die geographischen Gegebenheiten rund um den Walchensee, weitreichende energie- und industriepolitische Entscheidungen, beispielsweise die Frage nach der Elektrifizierung der bayerischen Eisenbahnen oder, darüber hinausgehend, nach der künftigen Ausrichtung der bayerischen Wirtschaft, und schließlich ordnungspolitische Fragen ersten Ranges, etwa diejenige nach Struktur und Status der Kraftwerksbetreiber. Ähnliche Verbindungen traten bei allen vergleichbaren hydroelektrischen Großprojekten zutage, etwa bei der Pennsylvania-New Jersey-Stromverbindung der frühen zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts, für die ganze Dörfer umgesiedelt sowie Eisenbahnstrecken und Highways verlegt werden mußten. Nicht nur solche hydroelektrischen Projekte, die langfristige Investitionen – und damit langfristige Bedarfsprognosen – erforderten, wuchsen sich zu „soziotechnischen Supersystemen“ aus. Gerade auf kommunaler Ebene wirkte

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Vgl. Kühl, Internationale und Grosse, Kolonialismus. Vgl. Weingart, Systeme. 26 Laak, Elefanten, S. 13 f. 27 Radkau, Technik, S. 345. Vgl. Hughes, Visions. 28 Vgl. Hughes, Networks, S. 337–350. Zur Pennsylvania-New Jersey-Stromverbindung vgl. ebd., S. 329. 25

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sich ein „technologisches Momentum“ aus, indem eigendynamische Prozesse etwa in die Planung von „Stadttechnik“ einflossen. Akteure und Institutionen unterschiedlicher Felder – Ingenieure, Elektrotechniker, Industrielle, Politiker, Universitäten und Technische Hochschulen – wirkten hier auf das engste zusammen und sorgten dafür, daß die Entwicklung auf dem einmal eingeschlagenen Weg nicht an Dynamik verlor.29 Das Entstehen städtischer Netzwerke läßt sich am deutlichsten im Berlin der Jahrhundertwende erkennen, einer der technologisch am weitesten fortgeschrittenen europäischen Metropolen. Das Zusammenspiel von Stadtverwaltung, Ingenieuren und der ortsansässigen elektrotechnischen Industrie (Siemens & Halske, AEG), aber auch wissenschaftlich-technischer Institutionen wie der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt brachten ihr nicht von ungefähr den Beinamen „Elektropolis“ ein.30 Die technisch induzierte Modernisierung, das zeigte die Entstehung „großtechnischer“ Systeme, konnte kaum noch evolutionär voranschreiten, sondern bedurfte aufgrund ihrer gewaltigen ökonomischen, politischen und sozialen Weiterungen der vorausschauenden Planung immer mehr, um Ressourcen zu akquirieren, um sozioökonomische Folgen einzuschätzen und um die Projekte politisch durchzusetzen. Parallel hierzu zeigte sich auch in Literatur, Architektur und Kunst, daß die Utopien technischer Machbarkeit zu Utopien der technischen Gestaltbarkeit von Gesellschaft überwechselten.31 Zu denken wäre hier an den Aufschwung der Science-Fiction-Literatur oder an das extreme Beispiel technisierter Weltentwürfe, an den Futurismus.32 Als Agenten dieses Transfers von den „Sachen“ zum „Sozialen“ fungierten die Ingenieure, die den neuen Typus des „system builders“ ausprägten33 und sich in der kulturellen Verarbeitung des technischen Wandels mit etablierten.34 Ingenieure verstanden sich oft als Sachwalter des technischen Fortschritts und knüpften daran professionelle Interessen. In ihrem Weltbild hoben sich die Widersprüche zwischen materialistischen und idealistischen Orientierungen im Verweis auf die technischen Gesetzlichkeiten auf. Denn die natürliche und die soziale Umwelt folgten gleichermaßen den Gesetzen der Natur: „We live in a world of natural law“, verkündete der amerikanische Ingenieur George F. Swain 1915: „For everything that is, there is a cause, not only in the physical world, but in 29

Alle Begriffe ebd., S. 140. Weiher, Elektropolis; Hughes, Networks, S. 175–200. 31 Hölscher, Entdeckung, S. 154. 32 Vgl. aus der Fülle der Literatur: Hölscher, Entdeckung, S. 132 ff., Salewski, Zeitgeist, ders., Technik und Radkau, Technik; vgl. am Beispiel Detroits: Smith, Modern, S. 15 ff., White, Futurism, Demetz, Futurismus sowie Fallbeispiele in Knoll/Schoeps (Hg.), Geschichtsprophetien. Die gebrochenen Kontinuitätslinien in der Architektur lassen sich exemplarisch am Beispiel Schinkels und der Schinkel-Rezeption durch Gropius und andere nachvollziehen in Gay, Art, bes. S. 166 ff. sowie Toews, Identities. 33 Hughes, Electrification. 34 Vgl. etwa die zentrale Berücksichtigung, die Ingenieure in Hollywood-Produktionen und in zeitgenössischen Romanen und Erzählungen fanden, dazu: Tichi, Gears. Auf die kulturelle Signifikanz des Ingenieurwesens verweist auch Berman, Solid, S. 242f. am Beispiel Dostojewskis. 30

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the mental and moral world; and this cause will always produce its effect.“35 Da die Ingenieure wie kaum eine andere Berufsgruppe diese Gesetze erkannten und in ihrer praktischen Arbeit befolgten, sahen viele von ihnen sich geradezu als prädestiniert, auch die soziale Umwelt zu gestalten. Vermeintlich „unparteiisch“ und objektiven Wahrheiten verpflichtet, konnten sie die Zukunft ohne Rücksicht auf partikulare Interessen planen. Das Ziel, die Imperative der efficiency durchzusetzen, Klassengegensätze zu überwinden und eine harmonische Gesellschaft zu begründen, wie es etwa die Ingenieure im amerikanischen con-servation movement mit den Progressives des frühen 20. Jahrhunderts verband36, schien in greifbare Nähe gerückt.37 In geradezu idealtypischer Weise verkörperte Frederick W. Taylor die ambitionierte Verbindung von technischem Fortschritt und gesellschaftsgestalterischem Anspruch. Taylor, seit 1906 Präsident der American Society of Mechanical Engineers, zielte auf eine Optimierung von Arbeitsprozessen und Produktionsabläufen und formte daraus seine „Prinzipien wissenschaftlichen Managements“, die er 1909 verfaßte und zwei Jahre später publizierte.38 Die Kräfte der Arbeiter und der Maschinen flossen bei Taylor in eins und wurden nahezu ununterscheidbar, wenn es darum ging, die Produktivität zu steigern. Als „system builder“ zielte er darüber hinaus auf die Herstellung betrieblicher, ja gesellschaftlicher Harmonie, begründet in Massenproduktion und Massenkonsum sowie im Interessenausgleich zwischen Kapital und Arbeit.39 Diese Verheißungen des Taylorismus, industriegesellschaftliche Konflikte auf „wissenschaftlichem“ Wege zu überwinden und Modernisierungsprozesse planbar zu machen, wurden auch außerhalb der USA emphatisch aufgegriffen. Die „Principles“ wurden unmittelbar nach ihrem Erscheinen ins Deutsche, Französische, Niederländische, Schwedische, Russische, Italienische, Spanische und zudem ins Japanische übersetzt.40 So erwarteten beispielsweise die französischen Industriellen von der Adaption tayloristischer Methoden, Reservate der traditionellen französischen Gesellschaft zugunsten eines modernen Industrialismus schleifen zu können41, während in Deutschland der Taylorismus bei linken Planungsadvokaten wie bei rechten Nationalsyndikalisten Zuspruch fand.42 Tayloristische Konzepte spielten schließlich in der Amerikarezeption der Bolschewisten eine zentrale Rolle; in der Adaption moderner 35

Zit. nach Layton, Revolt, S. 54. Vgl. Hays, Conservation. 37 Vgl. Layton, Revolt, S. 63 f. Dieses harmonische und planerische Ideal vertrat besonders prägnant der aus Deutschland stammende Elektrotechnik-Ingenieur Charles P. Steinmetz, der in den USA einer der Köpfe der Technokratiebewegung wurde, vgl. Gilbert, State, S. 520–540 und Willeke, Technokratiebewegung, S. 37 f. und 66–68. 38 Vgl. Taylor, Principles, Haber, Efficiency, Merkle, Legacy, Willeke, Technokratiebewegung, S. 39 ff.; Layton, Revolt, S. 154 ff. und Hughes, Genesis, S. 187 ff. 39 Vgl. Hughes, Genesis, S. 192 und 199. 40 Vgl. ebd., S. 188. Vgl. die deutsche Ausgabe: Taylor, Grundsätze. 41 Vgl. Rabinbach, Motor, S. 240 f. Zur Rezeption Taylors in Frankreich vor dem Ersten Weltkrieg ebd., S. 244 ff. 42 Vgl. Maier, Taylorismus, S. 198 ff. 36

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Technologien nach amerikanischem Vorbild sowie amerikanischer Produktionsmethoden lag für Lenin der Schlüssel zur Verwirklichung einer sozialistischen Gesellschaft in Rußland.43 Die von Beginn an zentrale gesellschaftspolitische Machtposition von Ingenieuren und technischer Intelligenz in der Sowjetunion inspirierte den amerikanischen Soziologen Thorstein Veblen sogar dazu, einen „Soviet of engineers“ zu fordern.44 Auch Progressivisten und Pragmatisten sprachen tayloristischen Ideen zu und formten sie zu technokratischen Ideologemen aus.45 Ähnlich wie zu Zeiten Saint-Simons fanden sich Planungen im technokratischen Geist auf lokaler wie nationaler Ebene.46 Für das erste steht beispielhaft der Taylor-Schüler Morris L. Cooke, der Ingenieure als Experten definierte, die politische Akteure berieten und diesen planerische Konzeptionen nahebrachten.47 Als Director of Public Works in Philadelphia hatte Cooke Gelegenheit, seine progressivistischen Vorstellungen in die kommunale Praxis umzusetzen. Seine Wirkung ging bald über den engeren Zirkel der Ingenieure hinaus, denn am Ende der zwanziger Jahre zählte er zu den engsten Verbündeten Franklin D. Roosevelts.48 Damit ist in seiner Person gleichsam der Bogen von den Anfängen der amerikanischen Technokratiebewegung vor dem Ersten Weltkrieg zum New Deal der dreißiger Jahre geschlagen. An solchen Querverbindungen läßt sich erkennen, wie stark die seit dem 19. Jahrhundert entstandenen technischen Großsysteme auf Gesellschaftsbilder und -entwürfe, Politikmodelle und ökonomische Ordnungsvorstellungen des frühen 20. Jahrhunderts ausstrahlten. Technische Entwicklungen und ihre weitreichenden sowie weit ausstrahlenden Folgen zwangen dazu, sich mit der Frage nach Steuerung und Planung des sozio-technischen und sozioökonomischen Wandels eingehend auseinanderzusetzen. Die Überzeugung, Gesetzlichkeiten des gesellschaftlichen Wandels durchschauen und den Wandel entsprechend kontrollieren, planen und steuern zu können, gewannen aber nicht nur die Ingenieure, von denen die Gestaltung der materiellen Umwelt erwartet wurde, sondern auch die Sozialwissenschaften, deren Aufstieg sich parallel zur eben beschriebenen technikgeschichtlichen Entwicklung vollzog.

43 Vgl. Hughes, Genesis, S. 250–284 und Traub, Lenin. Vgl. für die Praxis des Technologietransfers Sutton, Technology. Zum „sowjetischen Taylor“, Aleksej Gastev, und dessen „Institut für wissenschaftliche Arbeitsorganisation“ vgl. Tatur, Arbeitsorganisation. 44 Am pronconciertesten vertrat er diese Forderung in: Veblen, Engineers, S. 138. Vgl. Bailes, Technology, zur Rolle der technischen Intelligenz im Kontext der Revolution bes. S. 44–66, Hughes, Genesis, S. 246– 248 und Layton, Revolt, S. 227. 45 Vgl. Layton, Revolt, S. 226. 46 Vgl. Ringrose, Work. 47 Willeke, Technokratiebewegung, S. 50 ff. Layton, Revolt, S. 154 ff. 48 Vgl. ebd., S. 214.

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DIE MODERNEN SOZIALWISSENSCHAFTEN UND DER AUFSTIEG DES EXPERTEN Die Planungskonzeptionen des 20. Jahrhunderts sind nicht denkbar ohne die modernen Sozialwissenschaften, die sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts etablierten, professionalisierten und differenzierten. Sie generierten nicht allein Wissen über die Gesellschaft, sondern sie entwickelten zugleich Expertisen, diese zu verändern. Hier tat sich namentlich die quantitative Sozialforschung hervor, deren Erkenntnisse vor allem von staatlichen Verwaltungsinstanzen nachgefragt wurden. Schon im absolutistischen Frankreich wurden soziale Daten zentral erhoben, und seit dem frühen 18. Jahrhundert existierten bereits Vorläufer des 1832 gegründeten statistischen Zentralamtes. Ähnlich verhielt es sich auch in anderen europäischen Ländern. Die in ihren methodischen Instrumentarien stetig verfeinerte Statistik suggerierte die Fähigkeit, analog zu den Naturwissenschaften Gesetzmäßigkeiten der sozialen Entwicklung zu erkennen und Kausalzusammenhänge herzustellen.49 Sie avancierte damit zur „empirischen Wissenschaft von der Massengesellschaft im Territorialstaat“.50 Indem es mit Hilfe statistischer Methoden gelang, idealtypische „Durchschnittsbürger“ zu konstruieren, wurden komplexe Gebilde wie die modernen Nationalstaaten empirisch durchdringbar, gleichsam „lesbar“.51 Staatliche Interventionen fanden in diesen Wissensbeständen viele Ansatzpunkte. Die „Politik der großen Zahl“ beruhte auf Normierungen und Standardisierungen, die von konkreten Einzelfällen und Einzelschicksalen abstrahierten.52 Kausale Zusammenhänge und statistische Wahrscheinlichkeiten fest im Blick, hielt eine solche Politik der gezielten Prognose und der Extrapolation vermeintlicher „Trends“ die Zukunft für ebenso vorherseh- wie steuerbar.53 Die Verbreitung und Professionalisierung der Statistik war Teil eines umfassenderen Prozesses, der als „Verwissenschaftlichung des Sozialen“ beschrieben wurde.54 Das gemeinsame Thema von quantitativer Sozialforschung, modernen Sozial- und Verhaltenswissenschaften, die sich im ausgehenden 19. Jahrhundert professionalisierten und differenzierten, war der Umgang mit sozialer Unsicherheit, die im Bewußtsein der Zeitgenossen kontinuierlich zunahm.55 Gerade die Soziologie, die ihren Begriff und die Definition ihres Gegenstands dem Saint-Simon-Schüler Comte verdankte, hielt aus dessen Sicht das geeignete Instrumentarium bereit, um die gesellschaftliche Rationalisierung analysieren, gesellschaftliche Unsicherheit aber auch beherrschen zu können. „Die neue Philosophie“, hatte Auguste Comte in Bezug auf die 49

Vgl. Wagner, Sozialwissenschaften, S. 106 f. Ebd., S. 108. 51 Hierzu Scott, Seeing. 52 Desrosières, Politique. 53 Zur Bedeutung der Wahrscheinlichkeitsrechnung in diesem Zusammenhang vgl. Krüger u.a. (Hg.), Revolution und Hacking, Taming. 54 Raphael, Verwissenschaftlichung. 55 Vgl. Evers/Nowotny, Unsicherheit und Evers, Problematisierung. 50

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Soziologie erklärt, „unterscheidet sich von der alten durch ihr Bestreben, alle Untersuchungen über die ersten Ursachen oder die letzten Ziele als überflüssig zu beseitigen. Sie beschränkt sich auf das Studium der Beziehungen, welche die Gesetze für alle zu beobachtenden Ereignisse bilden und die damit zulassen, daß die einen aus den andern vorausgesehen werden können.“56 Als positivistische Wissenschaft im Sinne Comtes verstanden, schien die Soziologie soziale Entwicklungen vorherberechnen und somit planen zu können. Hatten die Sozialwissenschaften in dieser Situation der Unsicherheit die Deutungsmacht an sich gezogen, so konnten ihre Antworten auf die drängenden sozialen Fragen durchaus unterschiedlich ausfallen und von pragmatisch-sozialreformerischen Ansätzen bis hin zu sozialdarwinistischen beziehungsweise sozialbiologistischen Programmen reichen.57 Indem die einzelnen Disziplinen, früher oder später, anwendungsorientiertes Wissen produzierten, eröffneten sich ihren Vertretern politische und administrative Handlungsfelder, was zu einer entscheidenden Transformation des Staatsverständnisses und der Staatsaufgaben beitrug. Denn unlösbar verbunden mit der wissenschaftlichen Durchdringung des Sozialen war der politische Wille, die ermittelten Zusammenhänge zu beeinflussen und die Lebenswelten der Bürger, wie sie die Forschung erschlossen hatte, politisch zu gestalten. Dies führte in der Praxis zur Etablierung und Durchsetzung sozialdisziplinierender Institutionen – man denke an psychiatrische Anstalten oder Erziehungsheime –, zur Einrichtung vielfältiger, über die traditionelle Armenfürsorge hinausgehender sozialer Sicherungssysteme und zur Durchregelung der Arbeitswelt im Zeichen des modernen „Vorsorgestaates“.58 Die Sozialwissenschaften stärkten „den performativen Charakter politischer Rede [...], indem sie den politischen Willen als wissenschaftliche Prognose und rationalen Sachzwang legitimierten“.59 Die Denkfigur des „Sachzwangs“ hat in der Tat politisches Denken und Handeln im 20. Jahrhundert nachhaltig geprägt und legitimiert.60 Sie hat zugleich den Aufstieg eines neuen Akteurstyps maß-geblich befördert: des Experten, der gerade im modernen Sozialstaat eine wichtige Rolle spielt.61 Seine Existenz ist auch und vor allem mit der Geschichte der Planung verbunden. Denn indem Planung seit dem späteren 19. Jahrhundert als rationaler und wissenschaftlich fundierter Zugriff auf die Zukunft verstanden wurde, ließ sie sich nur formulieren und ausführen, wenn das not-wendige Spezialwissen verfügbar war und sich politische Entscheidung gegenüber der Öffentlichkeit – die zugleich das Objekt von Planung war – 56

Comte, Soziologie, S. 463. Vgl. Raphael, Verwissenschaftlichung, S. 168. 58 Vgl. Ewald, État und Metzler, Sozialstaat. Die Sozialwissenschaften gerieten freilich auch in den Sog nationalstaatlicher Instrumentalisierung. Diese Neupositionierung warf bedeutende methodische Probleme auf, was besonders die Nationalökonomie in einen Grundlagenstreit stürzte; vgl. hierzu Wagner, Sozialwissenschaften, S. 82. 59 Raphael, Verwissenschaftlichung, S. 169. 60 Vgl. Steinmetz, Anbetung. 61 Vgl. die vergleichende Untersuchung von Raphael, Experten. 57

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legitimieren ließ. Beides schienen die Experten zu garantieren, die einerseits kognitive Ressourcen bereitstellten, andererseits von der Öffentlichkeit als fachliche „Autoritäten“ anerkannt wurden. So konnte sich die „rationale“, „objektive“ und „wissenschaftliche“ Konnotation von Planung festsetzen, konnten Bedenken gegen ein „social engineering“ überwunden werden.62 Die schleichend etablierte Herrschaft der Experten, von Lester Frank Ward in Anlehnung an Comte als „sociocracy“ bezeichnet63, erhielt eine neue Qualität im Zuge des Ersten Weltkriegs, der auch den Konnex von Planung, Effizienz und Disziplinierung deutlich hervortreten ließ. DER ERSTE WELTKRIEG ALS KATALYSATOR WIRTSCHAFTLICHER UND GESELLSCHAFTLICHER GROSSPLÄNE Wie stark der Erste Weltkrieg auch prognostiziert gewesen sein mag, sein Verlauf spiegelte zunächst das Versagen beziehungsweise die Verunmöglichung militärischer Planungsszenarien in Situationen moderner Massenkriege wider, deren Verläufe durch eine umfassende Technisierung und die Mobilisierung nahezu sämtlicher materieller und humaner Ressourcen geprägt werden. Dennoch wurde der Krieg in fast allen beteiligten Nationen zu einer Wegmarke in ihrem Verhältnis zu wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Planung. Er zeigte, daß in Fällen des Wettbewerbs und mehr noch des gewaltsamen Konflikts nationale Mobilisierungs- und Formierungsprozesse in Gang gesetzt werden, die den Instrumentarien einer scheinbar effizienten „Planung“ breite Spielräume erwirkten.64 Hatten zuvor in vielen Gesellschaften, seien sie liberal oder autoritär verfaßt, drängende Fragen der sozialen Unsicherheit oder politischer Gestaltungswille Planungen begünstigt, kamen nun Prestige- und Sicherheitsinteressen hinzu, die grundsätzliche Bedenken gegenüber Zentralisierung und Disziplinierung – die Planung stets auch hervorgerufen hatte, etwa auf Seiten liberaler Marktorientierung – nun an den Rand schoben oder sogar mit dem Verdacht belegten, in sabotierender Weise Sonderinteressen zu vertreten oder defätistischen Bestrebungen Vorschub zu leisten. In Deutschland führte die unerwartet lange Dauer der Kampfhandlungen zu ersten Versuchen, kriegswichtige Rohstoffe und Ressourcen einer zentralen Steuerung zu unterwerfen, um sie maximal auswerten zu können. Die Rohstoffbewirtschaftung griff regulierend in die private Produktion von Gütern und in deren Verbrauch ein. Hieraus entwickelte sich ein System der Interventionen, das später als „Gemeinwirtschaft“ oder sogar als „Staatssozialismus“ beschrieben worden ist.65 Der Erste Weltkrieg forderte an den meist festgefahrenen Fronten zwar einen bis dahin unvorstellbaren Blutzoll – wobei mit 62

Vgl. Jordan, Ideology, S. 68 ff. Ward, Sociology. Vgl. auch Marcell, Progress, S. 140 f. 64 Zum Ersten Weltkrieg und seinem Forschungsstand Hirschfeld/Krumeich/Renz (Hg.), Enzyklopädie. 65 Vgl. Zunkel, Industrie und Ehlert, Zentralbehörden. 63

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immer scheußlicheren Produktionen aus den nationalen Forschungs- und Entwicklungslaboratorien experimentiert wurde und ein verhängnisvoller Rüstungswettlauf in Gang kam. Eigentlich geführt und letztlich entschieden wurde der Krieg jedoch jenseits der Schlachtfelder in den Bereichen effektiver Organisation des Nachschubs und des Vermögens zur materiellen Selbstbehauptung. Den Experten des effizienten Managements wurden weitreichende Vollmachten erteilt, und es war sicher kein Zufall, daß etwa in Deutschland ein multitalentierter Elektroindustrieller und paradigmatischer „system builder“ als erster mit der Organisation der Rohstoffbewirtschaftung betraut wurde: Walther Rathenau.66 Über das „Hindenburgprogramm“ von 1916 erweiterte sich das Management des Konflikts nicht nur in Deutschland nach und nach zu einem „totalen Krieg“, weil es letztlich keiner feindlichen Partei gelang, den Gegner bei der Mobilisierung der kriegswichtigen Ressourcen zu überflügeln. Dennoch sollte das deutsche Beispiel, weil es sich vier Jahre lang gegen eine Übermacht behauptete, bevor es doch noch kapitulierte, als Organisationsleistung durchaus internationalen Respekt erheischen. Folgenreicher jedoch wurde das Modell der USA. Die amerikanische Kriegswirtschaft hatte ihre mobilisierbaren Potentiale in überaus überzeugender Weise demonstriert und damit den Stolz der progressiv orientierten Managementelite in den USA erregt. Das Modell des sogenannten Muscle Shoals-Projekt in Alabama zeigte eine enge konzeptionelle Verbindung von gigantischen hydroelektrischen Anlagen mit einer Nitratfabrik zur Düngemittelproduktion und löste damit progressive Forderungen nach einer umfassenden Koordination von Forschung und Entwicklung ein.67 Eine „Amerikanisierung“ in diesem Sinne wurde zur Verheißung für alle Gesellschaften, die Auswege aus der materiell bedrängten Lage der Nachkriegszeit suchten – auch wenn sie je Unterschiedliches darunter verstanden.68 Der „Plan“ als Idee der Zwischenkriegszeit war oft von den synergetischen Effekten des Kriegssozialismus inspiriert und zielte auf Versuche, die gleichsam interdisziplinären Organisationsstrukturen, aber auch den Mobilisierungsgrad und die Formiertheit der Arbeiterschaft beziehungsweise der Bevölkerung insgesamt aufrecht zu erhalten.69 Die Rhetorik und Propaganda der Planung bediente sich schon deshalb gerne martialischer Figuren und militärischer Wendungen. Wie im „Sicherheitsfall“, also dem Augenblick äußerer Bedrohung, schien auch im Frieden eine Entscheidung von großer Tragweite anzu66

Vgl. Strandmann, Hochmeister und Kruse, Kriegswirtschaft. Es wurde später im New Deal von Präsident Roosevelt aufgegriffen und in die noch viel weitreichenderen Entwicklungs- und Elektrifizierungsmaßnahmen der Tennessee Valley Authority der frühen 1930er transformiert, vgl. Hughes, Networks, S. 286 ff. Zu Muscle Shoals vgl. auch Hubbard, Origins. 68 Vgl. hierzu Hughes, Erfindung, S. 254–297. 69 Beispielhaft etwa Mahraun, Plan: „Die feldgraue Ordnung, deren höchste Verkörperung der Marschall von Tannenberg ist, ist richtig. Sie hat sich im Weltkrieg bewährt. Sie hat sich in ihrem Rahmen auch heute bewährt. Ihre Gesetzlichkeit hat sich als die bessere gezeigt, darum muß ihre Gesetzlichkeit an die Stelle des Gesetzes von Weimar treten“, ebd., S. 57. 67

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stehen, nur eben im Sinne eines Aufbaus, nicht der Abwehr oder Destruktion. Kriegsgegner war nun vor allem die Natur, gegen die in totaler Weise „mobil ge-macht“ wurde. Die Steigerung gesellschaftlicher Effizienz nach dem Muster der Maschinen- und Energietechnologie – Mussolini sprach davon, die italienische Gesellschaft wie einen „Dynamo“ zu optimieren, ebenso wie Charles P. Steinmetz in den USA70 – war nicht allein dem technokratischen Affekt gegen die scheinbare Ineffizienz der professionellen Politik und gegen die scheinbar inhärenten Ungerechtigkeiten der kapitalistischen Marktökonomie geschuldet. Die Rede vom „neuen Menschen“, das Abstrahieren von allen „gewachsenen“ Strukturen und die Neigung zu tabula-rasa-Planungen basierten auch auf der Emphase, mit welcher die „autoritäre Hochmoderne“ in der Zwischenkriegzeit wissenschaftliche Kenntnisstände verabsolutierte und zugleich zur Anwendung ihrer Erkenntnisse drängte.71 So wie die Französische Revolution mehr als nur ein Machtwechsel gewesen war, vielmehr als epochaler Katalysator einer Schwellenzeit in die „aufgeklärte“ Moderne wirkte, so wurden Erster Weltkrieg und Russische Revolution zu Zäsuren einer Zeit, welche die evolutionären Strukturen des 19. Jahrhunderts endgültig hinter sich zu lassen versuchte. Nun schienen die seitdem genährten gesellschaftspolitischen Utopien ihrer Konkretion, wenn nicht gar Verwirklichung entgegenzustreben. Selbst Konservative waren inzwischen dazu geneigt, auf revolutionärem Wege „Dinge zu schaffen, deren Erhaltung sich lohnt“ (so der deutsch-völkische Schriftsteller Artur Moeller van den Bruck72). Viele Entwürfe zielten darauf, mit Hilfe der nun zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen, technischen oder politischen Machtmittel stabile Zustände auf gleichsam höherer Ebene und in „optimierter“ Weise zu konstituieren und dabei Rücksichtnahmen auf gewachsene Formen menschlichen Zusammenlebens zurückzustellen. Nur durch diese wiederum utopische Aufladung der konkreten Inangriffnahme, durch die dabei allenthalben vollzogene Selbstermächtigung vor der Geschichte, ist die Gewaltsamkeit erklärlich, welche viele der gesellschaftsreformerischen Entwürfe und Großplanungen der Zwischenkriegszeit charakterisierte. Der Plan, so formulierte es Hans Freyer 1933, sei die Koordination von ansonsten willkürlichen und vereinzelten Er-findungen auf einer höheren Stufe: „Wenn die immanente Utopie der Technik die Transformierbarkeit aller Stoffe und Kräfte ineinander ist, so ist die immanente Utopie der Planung die Transformierbarkeit aller historischen Lagen ineinander.“73 Historisch gewachsene Strukturen erschienen nun als Last: „Nur eine Menschheit, welche nicht übermäßig an der Überlieferung hängt, kann sich zum Herrn der Lebensordnung machen, die man bisher als eine Art Schicksal hingenommen hat“, meinte schon 1919 der österreichische Nationalökonom Otto Neurath, der zugleich fragte: „Warum entwerfen wir nicht schon längst 70 71 72 73

Vgl. Maier, Taylorismus sowie Jordan, Society. Scott, Seeing, S. 87 ff. Moeller van den Bruck, Recht, S. 170. Freyer, Herrschaft, S. 22.

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einen Plan der Pläne?“ Seine Antwort: „Weil wir nicht technisch denken“.74 Heute müsse man Techniker, Ärzte und Volkswirte zu gemeinsamer Arbeit vereinigen, wie eine Bio- und Gesundheitstechnik müsse es auch eine „Gesellschaftstechnik“ geben, die mit Universalstatistiken arbeite und eine „Utopistik“ als Wissenschaft entwerfe.75 Deutlich wurde hierbei, wie stark betriebswirtschaftliche Rationalisierungsbestrebungen auf die Entfaltung der menschlichen und sachlichen Produktivkräfte eines Volkes insgesamt hochgerechnet wurden. Eine besondere Affinität zur Idee des Plans entwickelte sich naturgemäß im „ersten sozialistischen Staat“, der Sowjetunion.76 Lenin und seine bolschewistischen, teilweise aber auch seine noch zaristisch sozialisierten Berater waren namentlich vom deutschen Kriegssozialismus und den Ansätzen zu einer Verbundwirtschaft beeindruckt. Der erste für die sowjetische Gesellschaft konzipierte Großplan sah daher die ebenso rasche wie umfassende Elektrifizierung des rückständigen Rußland vor. Der im Dezember 1920 verkündete GOELROPlan zur Elektrifizierung der Sowjetunion sollte gleich mehrere Funktionen erfüllen: die technisch-ökonomische Revolution vorantreiben, eine zentral geplante Wirtschaftslenkung begründen helfen – ab Februar 1921 entstand hieraus die GOSPLAN-Kommission – und durch das Angebot von Licht, Reinlichkeit und Bequemlichkeit im rückständigen sowjetischen Volk Aufklärung und Kultur befördern.77 Der Plan sah zunächst den Bau von 30 Kraftwerken vor, tatsächlich wurden es bis 1935 150, die insgesamt mehr als 26 Milliarden Kilowatt Strom zur Verfügung stellten. Mit dieser beeindruckenden Steigerung im Rücken schien es möglich, die Grundlagen des Sozialismus bald auch auf anderen Gebieten voranzutreiben und sich der bremsenden Rückstände früherer Zeiten möglichst rasch zu entledigen. Die Dynamik des industriellen Aufbaus sollte auf direktem Wege in die Periode der Zwangskollektivierung, der Verfolgung der Kulaken und anderer Bevölkerungsgruppen führen, die den Zeichen der Zeit nun so offensichtlich im Wege zu stehen schienen. Für Lenin lautete die Formel: Kommunismus, das sei eine Kombination von Sowjetmacht und der Elektrifizierung des ganzen Landes. Folgt man dem Historiker Heiko Haumann, so beabsichtigten die GOELRO-Planer, Rußland mit seiner planmäßigen Elektrifizierung endgültig von der Vergangenheit zu trennen. Der politischen Revolution sollte nach ihrer energetischen Weltsicht eine wirtschaftliche folgen. „Die Tradition der großen Utopisten wird, so kann man diesen Gedankengang weiterführen, von den Ingenieuren, Ökonomen und Statistikern Soviet-Rußlands aufgegriffen. Sie sind durch die Erkenntnisse der Wissenschaft, durch den Stand der Technik und nicht zuletzt durch den wissenschaftlichen Sozialismus in der Lage, die Zukunft zu 74

Neurath, Kriegswirtschaft, S. 226 f. Ebd., S. 231. Hier klang bereits die „Futurologie“ der 1960er Jahre an. 76 Vgl. Beyrau, Projekt. 77 Lenin und G.M. Krz'iz'anovskij orientierten sich zunächst auf den Plan für ein landesweites Starkstromnetz, womit die Struktur für eine kommende Planwirtschaft geschaffen werde, vgl. Hughes, Erfindung, S. 265. 75

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planen und eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen. Die Elektrifizierung des Landes und die ,Elektrifizierung der Seelen‘ sind die entscheidenden Grundlagen, mit denen die Konstrukteure der Zukunft in ihrer ,gigantischen Elektrowerkstatt‘ arbeiten“.78 Ingenieure waren von diesen Möglichkeiten einer großzügigen Planung oft unmittelbar „elektrisiert“. Ganze Legionen von ihnen sind während der zwanziger und dreißiger Jahre aus Deutschland, aus den USA und anderswoher in die Sowjetunion gereist, um sich von den „Großbaustellen des Kommunismus“ – Kanalbauten, Kraftwerksanlagen, Industriekombinaten und sozialistischen Musterstädten wie Magnitogorsk – faszinieren und mitreißen zu lassen. Viele von ihnen waren überzeugt, daß die „Anarchie“ der privatkapitalistischen Ordnung eine volle Ausnutzung der Produktivkräfte nicht erlaube.79 Daß dann viele Ingenieure, als der Aufbau ins Stocken geriet, zu den Sündenböcken gerechnet wurden und Säuberungen zum Opfer fielen, scheint sie in ihrer Ansicht kaum irritiert zu haben.80 Die Begeisterung war um so stärker, als die Sowjetunion diese Leistungen weitgehend aus eigenem Vermögen bewerkstelligte. Ein Großteil der sowjetischen Energie ist durch Wasserkraftwerke erzeugt worden, die immer größer und gewaltiger wurden und dabei noch zusätzlich die gewaltigen russischen Ströme schiffbar zu machen verstanden.81 Die Erfolge der Energiegewinnung durch Regulierung zogen schon bald den Gedanken nach sich, es seien möglicherweise nicht nur Flüsse, sondern ganze Landschaften, die bislang dem Menschen „feindlich“ gegenübergestanden hatten, in seinem Sinne umzugestalten. Der „Große Stalinsche Plan zur Umgestaltung der Natur“ konnte freilich erst nach dem Zweiten Weltkrieg in Angriff genommen – und zum Glück nie realisiert – werden.82 Es wäre im einzelnen zu zeigen, wie der Gedanke der Planung sich nach und nach auf alle gesellschaftlichen Bereiche in der Sowjetunion ausdehnte, um schließlich auch diejenigen Wissenschaften zu durchdringen, die sich ansonsten gegen eine Suche nach Regel- und Gesetzmäßigkeiten sperrten. Erinnert sei hier nur an die seltsamen Karrieren des Verhaltensforschers I. P. Pavlov und des Biologen Trofim Lyssenko.83 Dies sind – wie parallel etwa die „Deutsche Physik“ eines Philipp Lenard – sicher totalitäre Auswüchse einer politisierten Wissenschaft gewesen. Doch war seit etwa 1900 eine breite staatliche Unterstützung für die Wissenschaften in allen Industrieländern zu beobachten gewesen, weil die gezielte, ja „geplante“ Innovationspolitik auch als Königsweg für die Lösung der akkumulierten sozialen Probleme gesehen wurde.84 Zwar waren namentlich Großforschungseinrichtungen mit nationalisti78 79 80 81 82 83 84

Haumann, Beginn, S. 11 und 117. Vgl. auch Schlögel, GOELRO. Vgl. Kirstein, Industrialisierung, Gestwa, Brücken und Davies (Hg.), Investment. Hierzu Schattenberg, Ingenieure. Vgl. Rassweiler, Generation und Lincoln, Eroberung. Vgl. Rostankowski, Frage. Vgl. Joravsky, Lysenko Affair und Rüting, Pavlov. Vgl. Josephson, Science, S. 3 und Emmerich/Wege (Hg.), Technikdiskurs.

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schen Argumentationen umkleidet worden – oft findet sich im Kern der Begründungen der Verweis auf die Gefahr, im internationalen Vergleich auf diesem oder jenem Gebiet in einen „Rückstand“ zu geraten.85 Dennoch waren diese Bemühungen international „vernetzt“. Wie stark sich die etablierten Wege des Wissenstransfers fortschrieben, bleibt aber eine weiterer Forschung bedürftige Frage. Teilweise übersehen läßt sich der Technologie- und Ideentransfer zwischen den USA und der Sowjetunion. Folgt man der Darstellung von Thomas P. Hughes, so scheint das Vorbild „Amerika“ in den zwanziger Jahren in der Sowjetunion von überragender Bedeutung gewesen zu sein. Taylor und Ford genossen allerhöchste Bewunderung nicht nur bei den Machthabern und der entstehenden Planungselite, sondern auch bis hinunter zu den Nutzern der neuen Techniken, etwa dem „Fordson“-Traktor.86 Der erste große Unterschied zwischen beiden Systemen bestand freilich im Vorgehen: Wurden im USWirtschaftssystem die neuen Management-Techniken zur Optimierung bestehender Arbeitsabläufe eingesetzt und diese insofern reformiert, so stülpte man die Techniken in der Sowjetunion zusammen mit anderen Planungsinstrumentarien einer fast nicht bestehenden Ökonomie im Sinne einer „technologischen Revolution“ über. Karl Schlögel betont den fundamentalen Unterschied zwischen SU- und US-Planung: „Die erste hatte mit einem Mangel an Initiative und Basisproduktivkräften fertigzuwerden; ihr Know-how entstand aus der Not. Der ‚amerikanische Plan‘ hat eher fertigzuwerden mit den überschießenden Produktivkräften einer individualistischen, auf Privateigentum basierenden und ganz vom Erfolg lebenden Produktionsbasis. [...] Die sowjetische Sachlichkeit hat ihren Ursprung in der Organisationsprogrammatik, die amerikanische in der Unternehmenspragmatik.“87 Ein zweiter Unterschied bestand darin, die über eine Effektivierung erzielte Güterfülle nicht dem unmittelbaren Konsum zuzuführen, sondern die Gewinne zu reinvestieren, so daß das Konsumniveau der sowjetischen Arbeiter stets sehr viel bescheidener bleiben sollte als das ihrer US-Pendants. Gerade technokratisch eingestellte Amerikaner glaubten jedoch, in der Sowjetunion werde ein Experiment größten Ausmaßes durchgeführt. Sie fuhren als begeisterte Beobachter dorthin oder schlossen sich sogar den Baubrigaden an – um dann nach und nach ihre Illusionen zu verlieren.88 Daß in diesen beherzten Planungen der Keim zu ihrem Scheitern fast immer schon angelegt war, indem sich starre Bürokratien an sie hefteten und sie in aller Regel nur unter der Voraussetzung gelangen, daß hinderliche Faktoren gewaltsam „fortdefiniert“ wurden, war nicht immer sofort zu bemerken.89 85

Vgl. Szöllösi-Janze/Trischler (Hg.), Großforschung. Vgl. Hughes, Erfindung, S. 274 f und Braun/Kaiser, Propyläen-Technikgeschichte. 87 Schlögel, Oktober, S. 307 f. 88 So beispielhaft für Magnitogorsk Scott, Urals. 89 Vgl. Laak, Elefanten, S. 215–226. Schließlich wurde in der Stachanow-Bewegung versucht, die Mängel der Planumsetzung durch eine Intensivierung der Arbeitsleistungen zu kompensieren, vgl. Maier, Stachanov-Bewegung. 86

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In der Sowjetunion ging man jedenfalls sehr viel umstandsloser dazu über, „Planung“ auch auf den gesellschaftlichen Bereich zu übertragen, während die Gesellschaft der USA an ihrer liberalen und individualistischen Ordnung festhielt und ein komplexes Zusammenspiel zwischen Marktkonkurrenz und technokratischen Formierungsbemühungen etablierte. Diese Systemkonkurrenz um eine möglichst effiziente Gestaltung von Gegenwart und Zukunft sollte nahezu das gesamte 20. Jahrhundert andauern, Phasen heißer und Kalter Kriege durchlaufen und schließlich zugunsten des amerikanischen Modells entschieden werden, das sich als dauerhafter – weil offener und stärker fehleradaptiv – erwies. VON DER KRISENBEWÄLTIGUNG ZU DEN TOTALEN PLANUNGEN DES NATIONALSOZIALISMUS Auch von Deutschland aus blickte man interessiert auf die Sowjetunion.90 Das Reichswirtschaftsministerium machte jedoch schon am 7. Mai 1919 in einer Denkschrift klar, daß die privatwirtschaftliche Ordnung nicht angetastet werden sollte.91 Schon Walther Rathenau hatte den Plan einer organisierten Selbstverwaltung der Wirtschaftszweige in Syndikaten genährt. Rudolf Wissel und Wichard von Moellendorff versuchten, Rathenaus Gedanken für die Weimarer Republik in ähnlicher Weise fortzuführen, wie dies Otto Neurath vorgeschlagen hatte. Eine maßvolle Sozialisierungspolitik fand aber lediglich im Kohlewirtschaftsgesetz und bei der Außenhandelskontrolle statt, der Plan eines Sozialisierungsgesetzes etwa für die deutsche Stromwirtschaft scheiterte dagegen. Es hielt sich aber der Gedanke der Kooperation und der Absprachen in Kreisen der deutschen Wirtschaft, so daß für die Weimarer Wirtschaft von einem „organisierten Kapitalismus“ gesprochen wird.92 Die Möglichkeit oder Unmöglichkeit, Einfluß auf die Eigentumsordnung nehmen zu können, blieb für die Planung stets eine der zentralen Fragen. Ähnlich wie in den USA und der Sowjetunion entstanden Planungen in Deutschland vor allem aus der Defensive heraus und zielten zunächst auf eine Bewältigung von Krisen. Nach dem Ersten Weltkrieg dramatisierte sich in der Wahrnehmung der Zeitgenossen der Problemdruck vor allem auf den Gebieten des „Raums“ und der „Rasse“. Nach dem Fortfall der deutschen Kolonien und anderer Sphären des imperialistischen Engagements setzte sich der Umschwung von der Raumerschließungs- zur Raumordnungspolitik beschleunigt fort. Auf dem kleiner gewordenen nationalen Raum schien man mit dem Vorhandenen mehr denn je „haushalten“ zu müssen. In den bislang wild wuchernden und chaotisch gewachsenen Stadtlandschaften des Ruhrgebietes und Berlins sowie in Halle-Dessau waren Ansätze zu einer gezielten Raumordnung erprobt worden, die nun langsam systematisiert und „verwissenschaftlicht“ wurden. Wäh90 91 92

Vgl. etwa Mick, Propaganda. Vgl. Moellendorff, Aufbau. Vgl. Winkler (Hg.), Kapitalismus.

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Gabriele Metzler und Dirk van Laak

rend sich diese Raumwissenschaften nach außen hin zu einer spekulativen Geopolitik fortentwickelten, die sich weitgehend in den Dienst der Revisionspolitik stellte, bildeten sich auf kommunaler und regionaler Ebene die Instrumentarien einer Raumplanung heraus, die versuchte, die krassesten Fehlentwicklungen der industriellen und urbanen Revolution seit dem 19. Jahrhundert zu regulieren oder sogar in eine neue Ordnung zu überführen.93 Wesentliche Medien zu einer Steuerung waren hier die sich immer weiter fortentwickelnden Infrastruktureinrichtungen des Verkehrs und der Kommunikation, der Verund Entsorgung. Sie wurden zu überaus nachhaltigen Integrations- und Steuerungsinstrumenten, deren politische und kulturelle Bedeutungen meist unmittelbar ins Auge stachen. Zudem wurden „öffentliche Arbeiten“ nun verstärkt als Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wiederentdeckt. Die vermeintlich „brachliegende“ Energie der Arbeitslosen galt vielen als eine „gewaltige Verschwendung“ und führte in Deutschland ab 1927 zu ersten Programmen einer „produktiven Erwerbslosenfürsorge“ beziehungsweise zu „öffentlichen Notstandsarbeiten“.94 Außerdem gab es gerade im Zusammenhang mit der Weltwirtschaftskrise zahlreiche Ideen zu recht spekulativen Großprojekten, die versuchten, die grassierende Arbeitslosigkeit auf dem Wege beherzter – und meist technokratisch grundierter – Planungen zu überwinden.95 Auf diese Vorarbeiten sollten die Nationalsozialisten zurückgreifen, sie zugleich in ihren Dimensionen noch einmal merklich steigern und dabei – denkt man etwa an den Generalplan Ost – auch bei den inkauf genommenen Verlusten noch einmal einen deutlichen Qualitätssprung vollziehen.96 Zu der buchstäblichen „Großzügigkeit“ im Planverhalten trugen nicht nur die Fortentwicklung und Verfeinerung von Planverfahren bei, sondern auch der Gestus der geradezu „historisch“ gebotenen Dringlichkeit, mit welcher scheinbar „planlos“ gewachsene Strukturen in eine neue Ordnung überführt werden sollten. Dies galt auch für human- und bevölkerungswissenschaftliche Befunde, die seit längerem den Gedanken einer völkischen und rassischen „Homogenisierung“ zu untermauern versuchten. Theoreme wie der malthusianisch imprägnierte Gedanke von der „Tragfähigkeit des Bodens“ beziehungsweise des „Bevölkerungsoptimums“ legten „entzerrende“ Eingriffe in die bestehenden Ordnungen ebenso nahe, wie die Sozial- und Rassenhygiene die Bildung homogener Bevölkerungen und die Segregation der „unerwünschten“ Bevölkerungsteile empfahl.97 Hier wurden Gedanken der „Vorbeugung“ und der vorausschauenden Gesundheitsplanung in den Städten weiter radikalisiert und geschichtlich untersetzt. Der „Plan“ signalisierte insofern den Wandel fort 93 Der Begriff „Raumordnung“ tauchte zuerst um 1927 auf, vgl. Hoffacker, Entstehung, S. 13, auch Messerschmidt, Raumforschung, S. 121. 94 Jochimsen, Öffentliche Arbeiten, S. 1163–1166. 95 Vgl. Zanthier, Kolonisationspolitik, Schubert, Afrika, Karstedt, Bekämpfung und Gall, Atlantropa-Projekt. 96 Vgl. Schuster, Utopien. 97 Vgl. die Beiträge in Kuls (Hg.), Probleme, bes. S. 337–384. Überblick bei Breuer, Ordnungen.

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vom „Fürsorge“-Gedanken, der mit dem liberalistischen 19. Jahrhundert konnotiert wurde, hin zum „Vorsorge“-Gedanken, der vermeintliche Fehlentwicklungen aufgrund einer vermeintlich begriffenen und auf Regeln, wenn nicht „Gesetze“ gebrachten „Entwicklung“ bereits im Ansatz zu korrigieren versuchte. Die Spezifik der nationalsozialistischen Planung sollte schließlich darin liegen, alles was man betrieb, potenziell mit einem ganzheitlichen Anspruch zu versehen. Vermeintlich „unorganische“ oder auseinander gefallene Teile sollten wieder zusammengefügt und in ein umfassendes Ordnungssystem rückgeführt werden. Der Aufschwung der „planenden“ Wissenschaften, also der Verwaltung, der Raumordnung, der Statistik etc. im „Dritten Reich“ lag in dem Versprechen begründet, die innenpolitischen Antagonismen zu überwinden und in eine geordnete und langfristige Planbarkeit zu überführen.98 NS-„Planung“ strebte daher zum „Totalen“, zur Synthese, um Synergien für einen Vorgriff auf stabile Zustände auf höherem Niveau freizusetzen. Die Planungsbemühungen wurden jedoch durch den Gedanken, daß sich Selbstbehauptung im steten „Kampf“ bewähren müsse, immer wieder konterkariert. Der Kampfcharakter äußerte sich in Kompetenzgerangel, Wirrwar, Denunziantentum und Wichtigtuerei, was zwar – wie oft beschrieben wurde – den jeweils radikalsten Vorschlägen in aller Regel zum Durchbruch verhalf, Planungen „aus einem Guß“ jedoch immer wieder behinderte. Dieser Doppelcharakter hat viele von ihrer Sache durchdrungene „Experten“ immer wieder verstört und frustriert und die Behinderungen in der Rückschau als „politische Einflußnahmen“ empfinden lassen. Die Forschung zum Nationalsozialismus hat Jahrzehnte über entweder den intentionalen Charakter allen Geschehens im „Dritten Reich“ betont oder aber eine polykratische Chaotik konstatiert. Tatsächlich koexistierte beides und war in ähnlicher Weise miteinander verschränkt wie der „Normen“- und der „Maßnahmenstaat“, den Ernst Fraenkel schon 1941 beschrieb.99 „Effizienz“ wurde dabei fatalerweise vor allem in Projekten der Zerstörung erreicht, die als Vorarbeit zu einem fundamentalen „Neuaufbau“ verstanden wurden. Das liegt für das „Dritte Reich“ offener zutage, als für „Plangebiete“ in anderen Räumen und Zeiten, in denen Geschichte gemacht und Utopien in ihre Konkretion gezwungen werden sollten. Denn im „Zeitalter der Extreme“ schien es unumgänglich zu sein, daß „alle Welt“ Pläne machte: „Darin sprach sich nicht nur das Selbstvertrauen der Epoche aus, sondern auch ein Stück Verzweiflung, Haß auf die alte Welt und Ratlosigkeit. Die Karriere des Plangedankens und der ‚Planlandschaften‘ war die Antwort auf das soziale Chaos von Nachkrieg und Weltwirtschaftskrise. [...] Der Plan,“ so Karl Schlögel, sei schließlich „zur Chiffre einer ganzen Epoche“ geworden.100 Es bedarf zweifellos weiterer vergleichender Forschung, ihn in seinen historischen Dimensionen zu dechiffrieren. 98

Vgl. Tooze, Statistics und Aly/Roth, Erfassung. Vgl. Fraenkel, State. 100 Schlögel, Landschaft. 99

WISSENSCHAFT UND HOMOGENISIERUNGSPLANUNGEN FÜR OSTEUROPA KONRAD MEYER, DER „GENERALPLAN OST“ UND DIE DEUTSCHE FORSCHUNGSGEMEINSCHAFT von Isabel Heinemann Der Generalplan Ost vom Mai 1942, den der Berliner Agrarwissenschaftler Konrad Meyer im Juni 1942 Heinrich Himmler vorlegte, gilt der historischen Forschung als das Symbol megalomaner und menschenverachtender Neuordnungsplanung schlechthin.1 Dieses Dokument, das die ethnische Homogenisierung weiter Teile Osteuropas durch Umsiedlung der lokalen Bevölkerung und Ansiedlung von Deutschen projektierte, übertrug den Rassismus des NSStaates in ein konkretes Planungswerk zur Umgestaltung ganzer Regionen und machte ihn so operationalisierbar. Doch bei diesem Ordnungsentwurf handelte es sich weder um ein singuläres Dokument – eine Vielzahl unterschiedlicher Entwürfe und Fortentwicklungen sind erhalten – noch um das Resultat radikaler Planungen einer vom deutschen Wissenschaftsbetrieb der Zeit abgeschotteten SS-Elite. Vielmehr arbeiteten angesehene Fachwissenschaftler an deutschen Universitäten an der entsprechenden Grundlagenforschung, ausgestattet mit üppigen Fördermitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Damit entstanden der Generalplan Ost und ähnlich Umsiedlungspläne der SS – wie die Fragmente des sogenannten „Generalsiedlungsplanes“ – aus der Mitte der „seriösen“ Forschung heraus. Sie kamen gerade nicht, wie vielfach angenommen, vom politisch radikalisierten Rand der Disziplinen, sondern waren das Projekt einer anwendungsorierentierten, politisch engagierten Wissenschaft. Die Wissenschaftsgeschichte betont zu Recht die wechselseitige Funktionalisierung der Wissenschaft durch den NS-Staat und vice versa.2 Am Beispiel des Generalplan Ost und der begleitenden Forschungen zeigt sich, wie eng wissenschaftlicher Anspruch und nationalsozialistische Weltanschauung verklammert werden konnten. Der folgende Beitrag rückt die den SS-Umsiedlungsplänen zugrunde liegende Forschung in den Mittelpunkt und bilanziert den Umfang ihrer Förderung durch die DFG. Kein anderer Name wird enger mit dem Generalplan Ost in Verbindung gebracht als derjenige Konrad Meyers. Er wirkte als vielfacher Projektleiter, Chefwissenschaftler und SS-Planungsbeauftragter, seine Schlüsselstellung bei der vorbereitenden Grundlagenforschung und der konkreten Gestaltung der Umsiedlungspläne ist kaum zu überschätzen. Daher sollen 1 2

Vgl. Rössler/Schleiermacher (Hg.), Generalplan; Madajczyk (Hg.), Generalplan. Vgl. Ash, Wissenschaft, S. 39–43.

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zunächst Person und Funktion Meyers im Nationalsozialismus dargestellt und die Inhalte seiner bevölkerungspolitischen Neuordnungskonzepte analysiert werden. Zweitens ist die Finanzierung seiner Planungen durch die DFG zu untersuchen, und drittens sind Meyers Planungsbegriff und sein Wissenschaftsverständnis zu bilanzieren. Abschließend stellt sich die Frage nach den Kontinuitäten von wissenschaftlichen Konzepten und personalen Netzwerken in der Bundesrepublik. WISSENSCHAFTLICHE KARRIERE, POLITISCHE FUNKTIONEN UND BEVÖLKERUNGSPOLITISCHE KONZEPTE Im Januar des Jahres 1942 hielt Konrad Meyer im Harnack-Haus in Berlin einen programmatischen Vortrag. Unter dem Titel „Planung und Aufbau in den eingegliederten Ostgebieten“ entwarf er vor den Honoratioren der KaiserWilhelm-Gesellschaft ein Panorama der im „deutschen Osten“ zu leistenden „völkischen Neuordnung“. Gemeint waren vor allem die von Deutschland annektierten westpolnischen Gebiete, die neuen Reichsgaue Danzig-Westpreußen und Wartheland sowie die Regierungsbezirke Zichenau und Kattowitz.3 Meyer war ganz besonders berufen, über diese Konzepte zu referieren: Er leitete das Institut für Agrarwesen und Agrarpolitik an der Universität Berlin und war Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Seit 1939 gehörte er ferner derjenigen SS-Behörde an, deren Aufgabe in der Planung und Durchführung der Eindeutschung in den eroberten Gebieten bestand, dem Stabshauptamt „Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums“ – kurz RKF. Dort leitete Meyer die Hauptabteilung „Planung und Boden“ und war damit der führende, von Heinrich Himmler persönlich bestellte Landesund Raumplaner des SS-Imperiums. In seinem Vortrag lieferte Meyer einen Überblick über die aktuellen Themen und Ziele der nationalsozialistischen Raumforschung und Siedlungspolitik: Ausgehend von der vermeintlichen Raumnot und der daraus resultierenden Landflucht in Deutschland forderte er eine Stärkung des deutschen Bauerntums und, damit verbunden, eine neue, „organische Volksordnung“. Diese sei zunächst im „deutschen Osten“ zu verwirklichen, wo eine neue, geburtenstarke, gesunde und wehrhafte Bauernschicht auf dem Wege von „Auslese und Zucht“ entstehen müsse. Unter der Ägide des Reichsführers-SS und nach Anordnungen des RKF habe eine komplette Eindeutschung des Ostens zu erfolgen, denn nur so könne man den eroberten „Lebensraum“ dem deutschen Volk dauerhaft sichern. Mittels einer innovativen und zentralen Planung seien „gesunde“ Dörfer und Kleinstädte, eine vorteilhafte Landschaftsgestaltung und schließlich eine artgemäße Kultur auf dem Lande zu schaffen – von der Anlage zentraler Orte bis hin zu Windschutzstreifen und der Konzeption des einzelnen Bauernhauses. Doch Planung allein genüge nicht, entscheidend sei viel3

Vgl. Meyer, Planung.

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mehr die Einstellung der einzelnen Menschen zum Osteinsatz. Es gelte, so Meyer, „unserem Volk wieder das Bewußtsein seiner ostkolonisatorischen Mission“ zu vermitteln und „den Willen zu einem totalen Umbau und einer damit verbundenen Auflockerung unseres gesamten Volks- und Wirtschaftsgefüges in Stadt und Land“ zu wecken. Vom Einzelnen erfordere dies, so Meyer weiter, „das Bereitsein, bewußt Härten auf sich zu nehmen und immer wieder das Gesetz der völkischen Erneuerung und Aufartung so manchen privaten Lebenswünschen voranzustellen“.4 Das Fundament dieser Überlegungen, seine Vorstellung einer neuen, totalen „Bodenordnung als volkspolitische Aufgabe“, hatte Meyer bereits zwei Jahre zuvor an ähnlich prominenter Stelle dargelegt, nämlich vor der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Im Nationalsozialismus sah der Wissenschaftler den Sieg eines „neuen Ordnungsdenkens“ verwirklicht. Diese Ordnung verstand sich ganzheitlich, das Individuum ging auf im Begriff der Volksgemeinschaft, der „Volkskörper“ sollte an den „Boden“ zurückgebunden werden. Für Meyer ergab sich diese „neue Ordnung“ im Zuge eines „großen Bereinigungs- und Gesundungsprozesses unserer innerdeutschen ländlichen Verhältnisse“, der „in seiner Tragweite und historischen Bedeutung nicht hinter den größten Agrarumwälzungen der Geschichte zurückstehen wird“. Pionierprojekt für diese Umstrukturierung sei die „volkspolitische Aufbauarbeit in den neuen Reichsgebieten“ des Ostens: „Was an den neuen Grenzen als Sache des ganzen Volkes Form und Gestalt annehmen wird, wird von hier beispielhaft auf die Verhältnisse im Altreich rückwirken, eine Auflockerung des Volksgefüges mit sich bringen und bei planvoller Lenkung des großen, sich auslösenden Prozesses der Volksbewegung eine Gesundung der agrarischen Verhältnisse und darüber hinaus der gesamten Sozialordnung im Reich herbeiführen.“5 Komplementär zu dieser Neuordnung des deutschen Lebensraumes innerhalb und außerhalb der alten Reichsgrenzen und der „Erziehung der Deutschen zum Osteinsatz“ beschäftigte den Raumplaner die Frage, was mit den „fremdvölkischen Menschen“ in den eroberten Gebieten geschehen solle. In seinem Vortrag im Harnack-Haus beschränkte sich Meyer auf die Bemerkung, man müsse der „Gefahr fremdvölkischer Unterwanderung [...] mit der zahlenmäßigen Überlegenheit besseren Blutes“ begegnen, also mit einer Steigerung der Geburtenrate. An anderer Stelle wurde er deutlicher: „Wir müssen uns heute darüber im klaren sein, daß der Osten erst in dem Augenblick wirklich für alle Zeiten deutsch bleiben wird, in dem aus dem geschlossenen deutschen Siedlungsraum alles fremde Blut, das die einheitliche Geschlossenheit des grenzdeutschen Volkstums irgendwie gefährden könnte, restlos entfernt ist.“6 Völkische Neuordnung und totale Eindeutschung des Ostens, Veränderung der Sozialstruktur und Förderung des deutschen Bauerntums, Erweiterung des deutschen Lebensraums durch Kolonisation und zentrale Planung, 4 5 6

Ebd., S. 272. Meyer, Bodenordnung, S. 23 f. Meyer, Siedlungs- und Aufbauarbeit, S. 7.

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„Aufartung“ des deutschen Volkes und Vertreibung beziehungsweise „zahlenmäßige Erdrückung“ der Fremdvölkischen – dies waren die Themen des Raumforschers Konrad Meyer und die Ziele der nationalsozialistischen Siedlungspolitik. Und auf diesem Fundament gründeten die verschiedenen Varianten des Generalplan Ost.7 Über die Person Konrad Meyers, seine Karriere im Nationalsozialismus und den Inhalt der verschiedenen Neugestaltungspläne für Osteuropa sind wir recht genau informiert. Konrad Meyer war bereits vor seiner Berufung zum Chef der Planungsabteilung des RKF im Herbst 1939 ein bekannter Agrarwissenschaftler und Raumplaner. Geboren im Jahr 1901 im niedersächsischen Salzderhelden, hatte er Agrarwissenschaften studiert und war über die Stationen Göttingen und Jena im Jahr 1934 auf den Lehrstuhl für „Agrarwesen und Agrarpolitik“ der Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin, der heutigen Humboldt-Universität, gelangt.8 Parallel zu seiner Universitätskarriere wurde er schon 1933 ins preußische Kultusministerium berufen, als „Referent für Allgemeine Biologie, Land- und Veterinärwissenschaften“. In dieser Funktion, die er kurz darauf auch für das Reichserziehungsministerium ausübte9, kümmerte sich Meyer um die Reform, den Ausbau und vor allem um die Politisierung des agrarwissenschaftlichen Studiums. Mit Rückendeckung des Reichsernährungsministers, des Reichsfinanzministers, des preußischen Finanzministers und des damaligen Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Johannes Stark, gründete Meyer 1935 den „Forschungsdienst“, die Reichsarbeitsgemeinschaft der Landbauwissenschaft, zu dessen Obmann er ernannt wurde. Der Grundgedanke dieses von Staat, DFG und ab 1937 vom neugegründeten Reichsforschungsrat geförderten Projektes war, so Meyer in seinem Lebensbericht aus den siebziger Jahren10, „die gesamten Träger der landwirtschaftlichen Forschung und Lehre in einem akademieartigen Zusammenschluß zu vereinigen“.11 Diese frühzeitige Bildung eines Forschungsnetzwerkes besaß für die 7 Die umfassendste Dokumentation zum „Generalplan Ost“ bei Madajczyk (Hg.), Generalplan. Daneben vgl. Rössler/Schleiermacher (Hg.), Generalplan, darin insbesondere den Beitrag von Roth, Generalplan. Ferner vgl. Aly/Heim, Vordenker, S. 394–440, Wasser, Raumplanung und Müller, Ostkrieg. Die Bedeutung der Planungen als bloße Utopien abschwächend dagegen Heiber, Generalplan. 8 Meyer hatte in Göttingen studiert, habilitiert und sich als hochschulpolitischer Aktivist für die NSDAP eingesetzt. In Jena bekleidete er im Jahr 1934 kurzzeitig das Ordinariat für „Acker- und Pflanzenbau“. 9 Als Hochschuldezernent. Dieses Amt bekleidete Meyer bis 1938 direkt, danach nur noch als Referent z.b.V. 10 Meyers autobiographische Schilderung „Über Höhen und Tiefen. Ein Lebensbericht“ blieb unvollendet und wurde nie veröffentlicht. Nach Meyers Tod im Jahr 1973 wurde das Manuskript in eine maschinenschriftliche Fassung überführt und von „W.Z.“ – augenscheinlich einem Freund, Kollegen oder Schüler – um ein Nachwort mit Auszügen aus Nachrufen ergänzt. Es existieren einige wenige Kopien der Schrift, davon eine im Universitätsarchiv Hannover. 11 Der Forschungsdienst, so Meyer weiter, „sollte zugleich wissenschaftlicher Gemeinschaftsarbeit dienen, den Kontakt zu den Dienststellen der Landwirtschaft und zur Praxis fördern und einen glanzvollen Forschungseinsatz ermöglichen“. Meyer, Höhen, S. 80.

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Bereitstellung von Ressourcen für die wissenschaftliche Planung und Beratung der nationalsozialistischen Besatzungs- und Raumpolitik eine erhebliche Bedeutung. Doch Meyer akkumulierte noch weitere Funktionen in Wissenschaft und Politik: Er war Mitarbeiter im Stabsamt des Reichsernährungsministers und Mitglied des Reichsbauernrates.12 Im Zusammenhang mit Aufbau und Finanzierung des „Forschungsdienstes“ amtierte Meyer zudem vom Frühjahr bis Spätsommer des Jahres 1936 als einer der Vizepräsidenten der DFG.13 Von 1937 bis Kriegsende leitete er ferner die Fachsparte „Landbauwissenschaften und Allgemeine Biologie“ des Reichsforschungsrates.14 In dieser Eigenschaft verwaltete Meyer bereits vor dem Krieg einen Millionenetat an Forschungsmitteln, der nicht zuletzt Dank seines Engagements bis zum Beginn des Krieges beständig erhöht wurde.15 Auch als Raumplaner übte Meyer bereits vor 1939 prägenden Einfluß aus: Von 1936 bis 1939 leitete er die neugegründete „Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung“.16 Diese Einrichtung sollte die interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Wissenschaftszweige im Dienste von Raumforschung und Raumordnung koordinieren und die beteiligten Wissenschaftler auf die „Erkenntnis, Gestaltung und Entwicklung völkischer Lebensordnung“ verpflichten.17 Zu diesem Zweck ließ Meyer an den Hochschulen lokale Arbeitsgemeinschaften für Raumforschung und Planung bilden (1942 waren es mehr als 50 im gesamten Reichsgebiet) und begann 1937 mit der Herausgabe der Zeitschrift „Raumforschung und Raumordnung“ als zentraler Publikation der Reichsarbeitsgemeinschaft.18 Der Sitz der „Reichsarbeitsgemeinschaft“ – wie auch der des weiterhin von Meyer geleiteten „Forschungsdienstes“ – wurde eine von Meyer mit öffentlichen und privaten Mitteln erworbene Villa in der Podbielskiallee 25/27 in Berlin-Dahlem, derselbe Ort, an dem 1939 die RKF-Planungsabteilung ihren 12

Vgl. Berlin Document Center (BDC), Konrad Meyer. Hierzu Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 178 f. Meyer trat im Zusammenhang mit der Gründung der Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung und seiner Ernennung zu ihrem Obmann von diesem Amt zurück. 14 Der Reichsforschungsrat wurde 1937 und nochmals 1942 zur Zentralisierung der NSWissenschaftsförderung gegründet. Durch personelle Verflechtungen und insbesondere den großen Einfluß des DFG-Präsidenten Rudolf Mentzel in der neuen Institution muß der RFR als Unterorganisation der DFG betrachtet werden. Dabei waren die dem Reichsforschungsrat während des Krieges zur Verfügung stehenden Finanzmittel immens. 1943 handelte es sich um knapp 50 Millionen Reichsmark. Hammerstein, Geschichte, S. 607. 15 Befriedigt notierte er in seinem Lebensbericht: „Bei Kriegsausbruch betrug die Höhe der jährlich den Landwirtschaftswissenschaften zufließenden Forschungsmittel etwa das Zehnfache der Zeit vor 1934/35.“ Meyer, Höhen, S. 83. 16 Hierzu vgl. Meyers nach dem Krieg verfaßten Artikel über die Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung, Meyer, Reichsarbeitsgemeinschaft. 17 Meyer, Raumforschung, S. 2. 18 Inhaltlich hatte die neue Institution die Aufgabe, so Meyer, „durch planvolle Besiedelung, Schaffung einer gesunden Sozialstruktur und Erschließung noch ungenutzter Kraftreserven alle politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Kräfte von Volk und Raum zu entfalten und zum Wohl des Volksganzen einzusetzen“. Meyer, Raumforschung, S. 3. 13

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Sitz nahm. Damit befanden sich die drei wesentlichen raumplanungs- und agrarwissenschaftlichen Dienststellen des Reiches ab 1939 unter einem Dach und unter Meyers Einfluß.19 Eine solche Machtakkumulation in der Hand einer Person war für das NS-Regime nicht ungewöhnlich, es gab sie auch in anderen politischen Bereichen. Dies war der Versuch, durch die Koordination verschiedener Institutionen – wie Ministerialbehörden, Partei, Wissenschaft, Militär – für die immensen, oft sehr kurzfristig angesetzten und mit Hochdruck durchzuführenden Projekte entsprechende Kompetenzstrukturen zu schaffen und Reibungsverluste zu vermeiden. Doch Meyer war nicht nur Wissenschaftsorganisator und Multifunktionär im Bereich „Raumordnung“ und „Landwirtschaft“20, er gehörte auch bereits seit 1933 der SS an. Dort holte ihn Richard Walther Darré ob seiner fachlichen Qualifikation ins Rasse- und Siedlungshauptamt der SS, wo Meyer zunächst die Position eines Schulungsleiters bekleidete (bei der 51. SS-Standarte in Göttingen, deren ersten Sturmbann zu dieser Zeit kein geringerer als jener spätere DFG-Präsident Rudolf Mentzel führte, der Meyer seine Forschungskredite bewilligen sollte).21 Mitte der dreißiger Jahre wechselte er zur Zentrale des Rasse- und Siedlungshauptamtes in Berlin, aus dieser Position berief ihn Himmler im Herbst 1939 in den Stab des RKF. Wiewohl stets nur ehrenamtliches Mitglied, brachte Meyer es in der Allgemeinen SS bis zum SS-Oberführer (1942).22 Nach seinen eigenen Angaben faszinierte ihn am „schwarzen Orden“ nicht nur der Gedanke eines neuen, „blutlich bestimmten“, soldatischen Adels, sondern die explizite Zielsetzung ländlicher Siedlung ebendieser politischen Führerschicht.23 Kurz nach Ende des Polenfeldzugs bekam Meyer im Herbst 1939 Gelegenheit, seine Visionen von Besiedlung und Kolonisation des „deutschen Ostens“ nicht nur zu entwickeln, sondern auch im großen Stil zu verwirklichen. Himmler, der neuernannte „Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums“, beauftragte ihn mit der Erstellung eines Gesamtentwicklungsplanes zur Ansiedlung der Volksdeutschen aus dem Osten und zur Eindeutschung sowie ländlichen Besiedlung der „eingegliederten Ostgebiete“. Aus diesem Auftrag entwickelte sich die Hauptabteilung „Planung und Boden“ unter Mey19 Allerdings trat Meyer im Herbst 1939 nach persönlichen und inhaltlichen Differenzen von der Leitung der Reichsarbeitsgemeinschaft zurück. 20 Im Jahr 1942 wurde die enge Verbindung zwischen Planungswissenschaft und Ernährungspolitik noch durch Meyers Ernennung zum „Planungsbeauftragten für die Siedlung und ländliche Neuordnung“ durch das Reichsernährungsministerium (in Abstimmung mit dem RKF) gekrönt. Vgl. Dienstkalender, S. 444, 464, Meyer, Höhen, S. 110, Vermerk Greifelts für den RFSS vom 28.5.1942, Ernennung Meyers zum Planungsbeauftragten für Siedlung und ländliche Neuordnung vom 5.6.1942, Schreiben Backes an Himmler vom 6.6.1942, mit einer genauen Beschreibung der Koordinierungsaufgaben Meyers zwischen REM und RKF sowie Schreiben Himmlers an Backe vom 24.6.1942, in: Madajczyk (Hg.), Generalplan, 83 f., 130– 133, 151 f. 21 Vgl. BDC, Konrad Meyer. Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 130, 177. 22 Vgl. BDC, Konrad Meyer. 23 Meyer, Höhen, S. 94.

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ers Leitung in der neuen Dienststelle des RKF. Für den Aufbau von Meyers Planungsstab war bedeutsam, daß Himmler ihm das Privileg zugesichert hatte, sich ohne Rücksicht auf Kriegsdienstverpflichtungen seine Mitarbeiter nach Gutdünken und fachlicher Qualifikation zusammenzustellen. Meyer berief Mitarbeiter seines Berliner Instituts für Agrarwesen und Agrarpolitik und die Referenten des „Forschungsdienstes“ in seine neue Dienststelle, holte sich aber auch Rat bei Fachkollegen von anderen Universitäten. Damit stand ihm ein beträchtliches Reservoir an Expertenwissen für seine Planungsarbeiten zur Verfügung. Nun konnten die Umvolkungspläne des RKF aus dem Expertenwissen unterschiedlichster Fachleute erarbeitet werden, die unter Meyers Anleitung gewissermaßen in einem „Think Tank“ zusammengefaßt waren. Das erste Resultat der Meyer’schen Planung waren die „Planungsgrundlagen für den Aufbau der Ostgebiete“ des RKF vom Jahresbeginn 1940. Sie projektierten die Eindeutschung und bodenpolitische Neuordnung der eroberten westpolnischen Gebiete durch ausgedehnte Zwangsumsiedlungen, mit denen die SS umgehend begann.24 Nach Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion war diese Beschränkung auf die Germanisierung des ehemaligen Westpolen überholt. Meyer legte dem Reichsführer-SS bereits Mitte Juli 1941 einen neuen „Generalplan Ost“ vor, worin er zusätzlich zur Germanisierung der annektierten westpolnischen Gebiete auch die Eindeutschung des Generalgouvernements und der östlich angrenzenden Regionen plante.25 Das Dokument, welches heute meist als „Generalplan Ost“ bezeichnet wird – sein vollständiger Titel lautete „Generalplan Ost. Rechtliche, wirtschaftliche und räumliche Grundlagen des Ostaufbaus“ – erhielt Heinrich Himmler Anfang Juni 1942 aus Meyers Abteilung.26 Gegenüber der Version vom Juli 1941 war nun der Radius der geplanten Siedlung stark vergrößert, so daß man diesen Plan zutreffend als ersten großen Umvolkungsplan des RKF für Osteuropa bezeichnen kann. In nur 25 Jahren sollten neben den annektierten polnischen Gebieten und dem Generalgouvernement auch Teile des Baltikums, der Ukraine und der Region Leningrad eingedeutscht werden. Mittel hierzu war nicht die flächendeckende deutsche Siedlung, sondern die Anlage dreier sogenannter „Siedlungsmarken“ (Memel-Narew-Gebiet, Ingermanland, 24 „Planungsgrundlagen für den Aufbau der Ostgebiete“ der Planungshauptabteilung des RKF. Gedruckt bei Müller, Ostkrieg, S. 130–138. Zur Umsiedlungspolitik der SS in Polen siehe Heinemann, Rasse und Aly, Endlösung. 25 Himmler hatte, so geht aus dem Begleitschreiben Meyers zu seiner Juli-Version des „Generalplan Ost“ hervor, Konrad Meyer am 24.6.1941 mit der Anpassung des Planungswerkes beauftragt. Dienstkalender, S. 179. Allerdings ist das konkrete Schriftstück nicht erhalten, sondern lediglich Meyers Begleitschreiben an Himmler. Damit sind detaillierte Angaben über den Inhalt des Planes nicht möglich, sondern lediglich Rückschlüsse aus Meyers Darstellungen in seiner Autobiographie. Anschreiben des SS-Standartenführers Meyer zum Generalplan Ost an den RFSS vom 15.7.1941, gedruckt bei Madajczyk (Hg.), Generalplan, S. 14 f. Vgl. auch Roth, Generalplan, S. 60 und Meyer, Höhen, S. 160 f. 26 Abgedruckt bei Madajczyk (Hg.), Generalplan, S. 85–130. Vgl. auch die Kurzfassung „Kurze Zusammenfassung der Denkschrift Generalplan Ost“, welche Meyer am 28.5.1942 an Himmler sandte.

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Gotengau) und eine Kette von 36 Siedlungsstützpunkten als befestigte Siedlungszentren und SS- und Polizeistützpunkte (im Generalgouvernement, im Baltikum, in der Ukraine). Den hierzu benötigten insgesamt 4,8 Millionen Siedlern stellten Meyer und seine Fachleute eine gedachte Siedlerreserve von insgesamt 5,6 Millionen Menschen gegenüber. Letztere setzte sich zusammen aus Altreichsiedlern, Volksdeutschen, „germanischen Siedlern“, „Baltenvölkern“ und „Goralen“27. Im Gegensatz zu den früheren Eindeutschungsentwürfen ging man nun nicht mehr von der Vertreibung der örtlichen Bevölkerung durch gewaltsame Deportationen als Grundlage der Germanisierung aus. Die Einwohner der zu besiedelnden Gebiete sollten statt dessen einerseits auf Kolchose- und Sowchoseland „umgesetzt“ werden und Besitzrechte an diesem Boden erhalten. Andererseits drohte ihnen nun Dezimierung durch immense Zwangsarbeitsprojekte und forcierte „Entstädterung“. Allein für die Region Leningrad war eine Reduktion der Bevölkerung um nicht weniger als drei Millionen Menschen vorgesehen. Dabei finden sich die Worte „Vernichtung“, „Verhungern“ oder „Sonderbehandlung“ nicht im Planungswerk – die Menschen wurde schlicht und einfach aus der Statistik herausgerechnet, ihr weiteres Schicksal nicht explizit erwähnt. Diese aseptische Nüchternheit des Dokuments erlaubte es Konrad Meyer später, die von ihm verfaßten oder in Auftrag gegebenen Planungen als rein theoretische Friedens- und Wiederaufbaupläne darzustellen, ohne jede Verbindung zur NS-Vernichtungspolitik.28 Daß sie aber die Vernichtung der „Unerwünschten“ stillschweigend voraussetzten, wird deutlich, wenn man die Ist- und Soll-Zahlen bei der Bevölkerungszahl gegenüberstellt. Entgegen späterer Behauptungen der Protagonisten blieb dieses Planungswerk nicht nur reine Theorie. Vielmehr gab es konkrete Ansätze zur bevölkerungspolitischen Neuordnung der besetzten Gebiete – mit fatalen Folgen für die Beteiligten. Beispielsweise erfolgten auf der Basis des Generalplan Ost die Vertreibung von etwa 50 000 Polen aus der Region Zamosc von November 1942 bis Sommer 1943 (Tausende wurden dabei ermordet), die Anlage zahlreicher SS- und Polizeistützpunkte als befestigte „Siedlungsperlen“ und die Zusammensiedlung von Volksdeutschen auf der Krim, am Schwarzen Meer und im Generalkommissariat Shitomir.29 Alle diese Projekte begutachtete Konrad Meyer auch vor Ort, er war eben nicht nur Ideengeber und Koordinator der Umvolkungspläne, sondern kontrollierte auch deren Umsetzung.30 27

Ebd. S. 127 f. Die Goralen, Bergbauern aus dem polnischen Teil der Karpaten (Beskiden), galten den NS-Bevölkerungsplanern ob ihres vermeintlichen rassischen Wertes und ihrer bäuerlichen Lebensweise als erwünschte Ostsiedler. 28 Vgl. Meyer, Höhen, S. 157 sowie die Wiedergabe seines Schlußplädoyers in Nürnberg, ebd. S. 170–173. 29 Zu den Umsiedlungen im Rahmen des GPO im Generalgouvernement und in der Ukraine vgl. Heinemann, Rasse, S. 357–473, Wasser, Raumplanung und Lower, Ordering. 30 Dienstkalender, S. 328 (Meyer in Hegewald), S. 356 (Meyer im Sonderzug H in der Ukraine), S. 380 (Meyer in Lublin), S. 509–512 (Meyer in Hegewald/Shitomir/Führerhauptquartier), S. 546 f. (Ukraine), Meyer, Höhen, S. 107 und 109, Madajczyk (Hg.), Generalplan, S. 41 f. (Vermerk Meyers über Siedlungsbesprechung im Führerhauptquartier), S. 277–281 (Meyers Besichtigungsreise in der Ukraine und auf der Krim 1942).

Wissenschaft und Homogenisierungsplanungen für Osteuropa

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Nach der Lektüre des Generalplan Ost vom Juni 1942 forderte Himmler Konrad Meyer auf, das Konzept zu einer europäischen Gesamtsiedlungsplanung zu erweitern, woran die Experten der Planungsabteilung dann auch bis Kriegsende arbeiteten. Himmler verlangte einen Gesamtplan unter die Einbeziehung der eingegliederten Ostgebiete, der Gebiete Elsaß-Lothringen, Oberkrain, Südsteiermark sowie Böhmen und Mähren. Des weiteren ordnete er die vollständige Eindeutschung Estlands und Lettlands sowie des Generalgouvernements an, lediglich Litauen mit seiner stärker „minderrassigen“ Bevölkerung wurde nicht berücksichtigt. Der Besiedlungs- und Eindeutschungszeitraum sollte von 25 bis 30 auf nur 20 Jahre herabgesetzt werden.31 Die erhaltenen Fragmente dieses Planungswerkes offenbaren ein hohes Maß an Arbeitsteilung unter den Planern, welche die einzelnen Abschnitte des Konzeptes je nach ihrer Spezialisierung bearbeiteten.32 Doch dieser Generalsiedlungsplan wurde nie vollendet. Die Kriegslage, der immer stärker zu Tage tretende Widerspruch zwischen Siedlerbedarf und Siedlungswilligen (ganz im Gegensatz zu den noch immer optimistischen Planungen des Generalplan Ost vom Juni 1942) und die Tatsache, daß den Siedlungsplanern durch die Flucht der Volksdeutschen vor der Roten Armee die Grundlage ihrer Konzepte gewissermaßen unter den Füßen wegbrach, führten zur offiziellen Einstellung der Planungen in der zweiten Hälfte des Jahres 1943. Allerdings wurden einzelne Teilprojekte noch bis Kriegsende fortgeführt. Alle diese Neuordnungsentwürfe für Ost- und im Fall des Generalsiedlungsplanes für Gesamteuropa zeichnen sich, wie der polnische Historiker Czes`aw Madajczyk herausgearbeitet hat, durch drei gemeinsame Grundlinien aus: durch extremen Rassismus und geplante umfangreiche Deportationen „rassisch unerwünschter Menschen“, durch die vorgesehene Ansiedlung von Deutschen, Deutschstämmigen und Angehörigen „germanischer Völker“ und durch die angestrebte Versklavung der autochthonen Bevölkerung. Ein weiteres wesentliches Kennzeichen der Planungen ist die Tatsache, daß die Ermordung der europäischen Juden gewissermaßen die Grundvoraussetzung bildete. Die Experten kalkulierten nämlich, daß im Planungszeitraum von 20 bis 30 Jahren das „Judenproblem längst gelöst“ wäre und die Juden mithin keine Siedlungsgebiete mehr benötigen würden.33 Der Generalplan Ost ist seither in der historischen Forschung zu einem Symbol für den verbrecherischen Charakter der nationalsozialistischen Volkstumspolitik und insbesondere für die Skrupellosigkeit der nationalsozialistischen Experten und angeblich „unpolitischen Wissenschaftler“ geworden. Doch 31 Der Auftrag hierzu erging bereits am 12.6.1942. Der RFSS an den Chef des Stabshauptamtes RKF, Ulrich Greifelt, vom 12.6.1942 über den Generalplan Ost, bei Madajczyk (Hg.), Generalplan, S. 133 f. Vgl. Roth, Generalplan, S. 69. 32 Wichtige Fragmente des nie vollendeten „Generalsiedlungsplans“, an welchem vom Sommer 1942 bis 1943 gearbeitet wurde, bei Madajczyk (Hg.), Generalplan, S. 202 ff., 208 ff., 235–257 und Roth, Generalplan, S. 96–117. 33 Hierzu vgl. die Einschätzungen bei Madajczyk (Hg.), Generalplan, S. XIII–XVI; Roth, Generalplan, S. 33 und Aly, Endlösung.

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in der „Symbolträchtigkeit“ dieses Großplanes liegt auch ein analytisches Problem: Oft werden pauschal alle nationalsozialistischen Raumplanungen und „Umvolkungsentwürfe“ unter „Generalplan Ost“ subsummiert, wiewohl es sich bei dem Generalplan Ost einerseits um die Synthese einer Vielzahl von Einzelentwürfen aus der Planungshauptabteilung des RKF handelte. Andererseits existierten zusätzlich zur Expertise Meyers und seiner Mitarbeiter noch weitere, parallele und konkurrierende Pläne – man denke zum Beispiel an den „Generalplan Ost“ des RSHA von November 1941, der kühl die Vernichtung von mindestens 31 Millionen Slawen kalkulierte.34 Mit den Arbeiten an dem von Himmler gewünschten Generalsiedlungsplan bezogen sich die Planungen des RKF darüber hinaus ab Sommer 1942 explizit auf Ost- und Westeuropa. Schließlich waren die Konzepte nicht das Resultat der Aktivitäten eines einzigen Mannes, sondern fußten auf der Kombination unterschiedlichsten Expertenwissens. Den Planern, welche die Grundlagenforschung für den Generalplan Ost und den Generalsiedlungsplan leisteten, ihrem Selbstverständnis und der Förderung ihrer Forschungen durch die DFG widmet sich der folgende Abschnitt. SS-RAUMPLANUNG ALS WISSENSCHAFT Notker Hammerstein hat sich in seiner Arbeit zur Geschichte der DFG in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus vor allem mit Konrad Meyers Funktion als kurzzeitigem Vizepräsidenten der DFG und Leiter der landwirtschaftswissenschaftlichen Fachsparte im Reichsforschungsrat beschäftigt.35 Hammerstein schildert ferner Meyers Funktion als Obmann des „Forschungsdienstes“, jener landwirtschaftswissenschaftlichen Dachorganisation, die wesentlich durch die DFG und das Reichserziehungsministerium finanziert wurde.36 Dagegen erfährt man wenig über Meyers Doppelfunktion als renommierter Wissenschaftler und hochrangiger SS-Raumplaner während des Krieges, Meyers zentrale Funktion in der Raumplanungsabteilung des RKF wird kaum erwähnt.37 Will man jedoch die Stellung der DFG zu den verschiedenen Ostplanungsentwürfen bewerten, muß man gerade an Meyers Doppelfunktion als Wissenschaftsorganisator und Leiter der für die Ostraumplanung zuständigen SS-Institution ansetzen. Des weiteren ist die von Hammerstein mehrfach vertretene These zu überprüfen, daß Meyer ein wissenschaftlich sauberes und Ideologie-unabhängiges Arbeiten bescheinigt werden könne.38 34 Der GPO aus dem RSHA von November 1941 konnte bislang nicht aufgefunden werden. Überliefert ist indes ein ausführliches Gutachten des Rassereferenten aus dem RMO, Erhard Wetzel, vom 27.4.1942, welches die wesentlichen Punkte des RSHA-Generalplans kritisch erörtert. Abgedruckt bei Heiber, Generalplan, S. 297–324. 35 Vgl. Hammerstein, Forschungsgemeinschaft und ders., Geschichte. 36 Vgl. Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 156–163. Kurze Hinweise auf S. 377– 379. 37 Vgl. ebd., S. 182. 38 Vgl. ebd., S. 177, 182 und insbes. S. 377: „Auch auf dem Gebiet der Raumordnung und

Wissenschaft und Homogenisierungsplanungen für Osteuropa

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Für seine Forschungen zu Siedlungsplanungen und Lebensraumgewinn im Rahmen der „Reichsarbeitsgemeinschaft“ erhielt der Agrarwissenschaftler bereits vor dem Krieg Geld von der DFG und dem Reichsforschungsrat.39 Allerdings offenbart ein Blick in die DFG-Akten, daß das Fördervolumen, welches Meyer für eigene Projekte und solche seiner Mitarbeiter zugestanden wurde, bis 1941 recht überschaubar blieb: Von 1935 bis Mitte 1941 erhielt Meyer insgesamt 26 370 Reichsmark (RM) von der DFG, davon entfielen knapp 12 000 RM auf die Zeit ab 1937, als er bereits Leiter der Fachsparte „Landbauwissenschaften und Allgemeine Biologie“ war.40 Von 1935 bis 1937 beschäftigte sich Meyer in seinen von der DFG in Höhe von 14 600 RM geförderten Projekten vor allem mit Fragen der Erntesicherung unter ungünstigen klimatischen Bedingungen und lag damit ganz auf der Linie der staatlichen Autarkiepolitik.41 Seit der Übernahme der Leitung der Fachsparte hingegen erhielt er ausschließlich Geld für Belange der Fachsparte, von der Büroeinrichtung bis zur Hilfskraft.42 Diesem doch eher bescheidenen Etat steht für die Jahre 1941 bis 1945 ein ungleich bedeutsameres Förderungsvolumen entgegen: Von Juli 1941 bis Frühjahr 1945 erhielt Meyer in seiner Eigenschaft als Leiter der Hauptabteilung Planung und Boden des RKF nicht weniger als 510 000 RM, weitere 100 000 waren vorgesehen für das Rechnungsjahr 1945/46.43 Hierbei ist zunächst die schiere Höhe der Förderung von Bedeutung. Zum Vergleich: der Jahresetat von Meyers Fachsparte betrug 1939 insgesamt 2,1 Millionen Reichsmark und der DFG standen 1939 insgesamt 9 Millionen Reichsmark zur Verfügung.44 Ferner läßt sich eine Korrelation zwischen DFG-Förderung und Genese der oben skizzierten Varianten der Umvolkungspläne nachweisen. Allerdings wurden weder die „Planungsgrundlagen für den Aufbau der besetzten Ostgebiete“ vom Jahresbeginn 1940 noch der „erste“ Generalplan des RKF vom Juli 1941 durch die DFG gefördert45, die DFG-Förderung setzte Raumforschung überzeugte Meyer mit soliden Unternehmen“. Vgl. auch ders., Geschichte, S. 608, dort der Verweis auf die „Sachbezogenheit“ der Arbeiten der Fachsparten des Reichsforschungsrates. 39 Vgl. ebd., S. 180. Ähnliches galt für die Finanzierung des „Forschungsdienstes“. Vgl. auch Meyer, Reichsarbeitsgemeinschaft. 40 Vgl. Bundesarchiv Koblenz (BAK), R 73/13127. 41 Vgl. Mer 3/11/1 bis /4, BAK, R 73/13127. 42 Vgl. Mer 3/11/5 bis /9, BAK, R 73/13127. 43 Vgl. Mer 3/11/10 bis /15, BAK, R 73/13127. Auf die Förderung der Hauptabteilung Planung und Boden des RKF unter Konrad Meyer durch die DFG haben zuerst Joachim Wolschke-Bulmahn und Gerd Gröning aufmerksam gemacht. Wolschke-Bulmahn/Grönig, Liebe, S. 45 ff. 44 Vgl. Schreiben Meyers an DFG-Präsident Mentzel, 9.2.1939, BAK, R 73/13128 und Hammerstein, Geschichte, S. 605. 45 Allerdings wäre es möglich, daß über den Umweg Reichsforschungsrat oder direkt vom Reichserziehungsministerium entsprechende Gelder flossen. Beispielsweise hat Notker Hammerstein gezeigt, daß der Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung im Haushaltsjahr 1939/40 von der DFG insgesamt 41 150 RM zugebilligt wurden, welche diese dann hauptsächlich für Forschungen zum Siedlungsaufbau im Osten ausgab. Die DFG stimmte schließ-

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erst später, nämlich fast zeitgleich zur Vorlage des Planes von Juli 1941 bei Himmler ein: Für das Haushaltsjahr 1941/42 wurden Konrad Meyer am 7. Juli 1941 die ersten 100 000 RM zur „Durchführung von planungswissenschaftlichen Arbeiten für den RKF, Hauptabteilung Planung und Boden“ bewilligt. Um die Größenordnung abzuschätzen: Ein promovierter wissenschaftlicher Mitarbeiter kostete 1942 rund 6 000 Reichsmark im Jahr.46 Intensiv gefördert wurden die Grundlagenforschungen zum Generalplan Ost vom Juni 1942 und insbesondere die Vorarbeiten zum Generalsiedlungsplan von 1942/43. Die Förderung funktionierte folgendermaßen: Konrad Meyer erhielt jeweils die Hälfte des Jahresetats zur freien Verfügung – immerhin jährlich zwischen 40 000 und 60 000 RM. Die andere Hälfte konnte über Einzelanträge, welche Meyer dann befürwortete, abgerufen werden. Tabelle 1: Bereitstellung von DFG-Mitteln für Konrad Meyer für „Planungswissenschaftliche Arbeiten zur Festigung deutschen Volkstums“, 1941–1945: Rechnungsjahr

Summe in Reichsmark

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1941/42 1942/43 1943/44 1944/45 1945/46 Gesamt

100 150 130 130 100 510

000 000 000 000 000* 000

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*nur beantragt, nicht mehr angewiesen

Im Vorfeld der Erstellung des Generalplan Ost vom Juni 1942 übernahmen zunächst Meyers Mitarbeiter aus seinem Institut für Agrarwesen und Agrarpolitik Teile der Vorarbeiten47, einige verpflichtete Meyer gleich für den RKF. Der Verwaltungsexperte und Landesplaner Dr. Erhard Mäding beispielsweise erstellte mit DFG-Geldern „Statistische und verwaltungsrechtliche Untersuchungen über die Gliederung der Ostgebiete“.48 Daneben zog Meyer den Juristen und ehemaligen stellvertretenden Leiter des Prager Bodenamtes Dr. Horst Bartholomeyczik zur Mitarbeit heran, ebenso den Direktor des Gießener lich der Mittelverwendung zu, obwohl sie die Summe zunächst zurückgefordert hatte. Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 328 ff. 46 Vgl. z.B. den Antrag Dr. Erhard Mädings für seinen wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Oskar Breternitz, welcher die monatlichen Ausgaben mit RM 485 beziffert, 3.7.1942, BAK, R73/12846. 47 Vgl. BAK, R 73/13127: Dr. Hamann, Dr. Krause, Dr. Mäding. Vgl. Meyers Angaben in Höhen, S. 105 f. Kern des Arbeitsstabes waren: Wilhelm Zoch als Leiter des Planungsamtes in Posen, Dr. Gebert als Schriftleiter „Neues Bauerntum“ und vom Forschungsdienst, Josef Umlauf vom Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk, die Architekten Udo von Schauroth und Herbert Frank, der Verwaltungsjurist und Landespfleger Dr. Erhard Mäding, Joachim Schadt von der Organisation Todt (Verkehr). Für Spezialfragen standen zur Verfügung: Meyers Institut, der Forschungsdienst, Professor Wiepking-Jürgensmann, Prof. Wickop, Prof. Friedrich Bergmann, Dr. Walter Christaller, Arthur von Machui. 48 Gefördert mit 600 RM, BAK, R 73/12846.

Wissenschaft und Homogenisierungsplanungen für Osteuropa

57

Instituts für Landwirtschaftliche Betriebslehre, Professor Max Rolfes.49 Der Agrarwissenschaftler Wilhelm Zoch verfaßte für den RKF eine Studie über die „Einwirkungen der Agrarstruktur auf den Volkstumskampf in den ehemals preußischen Provinzen Posen und Westpreußen“ – er leitete später die Außenstelle der Planungsabteilung des RKF in Posen.50 Bis zur Vorlage des Generalplan Ost bei Himmler Ende Mai/Anfang Juni 1942 hatte die DFG also 100 000 RM für damit zusammenhängende Forschungsprojekte und Einzelanträge ausgegeben. Als Meyer seinen Generalplan Ost Ende Mai 1942 dem ReichsführerSS übersandte, wies er ausdrücklich auf darin enthaltenes Expertenwissen hin: „Die Grundlagen dieser Vorlage sind in meinem Institut für Agrarwesen und Agrarpolitik erarbeitet worden unter Mitwirkung einiger engster Mitarbeiter in der Planung und im Zentralbodenamt und unter Hinzuziehung von Professor Dr. Boesler Jena (Finanzwissenschaft).“51 Daß die Projekte der Genannten zur wissenschaftlichen Unterfütterung des Generalplan Ost vom Juni 1942 dienten, kann man auch aus Meyers Antrag für das Rechnungsjahr 1942/43 an den DFG-Präsidenten folgern. Meyer bedankte sich für die 100 000 RM-Förderung des Vorjahres, welche „die Durchführung einer größeren Zahl planungswissenschaftlicher Arbeiten zur Festigung deutschen Volkstums“ ermöglicht hätten. Gleichzeitig erbat er eine Aufstockung des Etats auf 150 000 RM, da „durch die wesentliche Erweiterung des Aufgabenbereiches des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums (Generalgouvernement und besetzte Ostgebiete) auch der Umfang der planungswissenschaftlichen Forschungsarbeiten zwangsläufig ausgedehnt worden ist“.52 Im Rahmen des Generalsiedlungsplanes wurden ab Mitte 1942 neben den bereits genannten Wissenschaftlern weitere Mitarbeiter der Planungsabteilung des RKF und Universitätswissenschaftler mit DFG-Projekten versorgt: Die RKF-Mitarbeiter Erhard Mäding, Arthur von Machui und Josef Umlauf beschäftigten sich mit den Voraussetzungen der Siedlungsplanung im Altreich, den eingegliederten Ostgebiete und Osteuropa. Sie behandelten vor allem „Volksbiologische Grundlagen“, „ländliche Neuordnung“, und „siedlungswirtschaftliche Fragen“.53 Franz Doubek vom RKF steuerte Kartenmaterial und „Siedlungspolitische Untersuchungen im Bereich der rückgegliederten Gebie49 Max Rolfes, Untersuchung zur Agrarpolitik und Betriebslehre. Gefördert mit 5 520 RM, BAK, R 73/14056. Horst Bartholomejczyk erhielt RM 4 400 für nicht näher bezeichnete Forschungen, BAK, R 73/13127. Daneben arbeitete Dr. Hamann aus Meyers Berliner Universitätsinstitut über „Betriebstruktur und Arbeitsverfassung in den Weinbaubetrieben des Rheingaues“ und erhielt dafür 7 100 RM, BAK, R 73/11453. Dr. Dr. Heinz Krause forschte für den RKF am Deutschen Wissenschaftlichen Institut in Bukarest über das Agrarwesen Rumäniens und erhielt hierfür 10 200 RM, BAK, R 73/12384. 50 Gefördert mit 4 200 RM, BAK R 73/16033. Meyer, Höhen, S. 105. 51 Anschreiben Meyers an den RFSS zur Übersendung des GPO vom 28.5.1942 in Madajczyk (Hg.), Generalplan, S. 85 f. 52 Konrad Meyer an DFG-Präsident Mentzel, 13.4.1942, Bewilligung, 27.4.1942, BAK, R 73/13127. 53 BAK, R 73/12839, R 73/12846, R 73/15298. Vgl. Tabelle 2.

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Isabel Heinemann

te, der Reichslande Böhmen und Mähren, des Generalgouvernements und des Reichskommissariats Ukraine“ bei.54 Walter Christaller, bekannt durch die Theorie der zentralen Orte, erstellte Siedlungskarten für das Altreich.55 Der Ingenieur Joachim Schacht vom RKF untersuchte mögliche Baustoffe und Bauverfahren, andere Wissenschaftler beschäftigten sich mit den Tonvorkommen in den besetzten Gebieten und Fragen der Städteplanung.56 Auswärtige Gutachter wurden vor allen in Fragen der Siedlungsfinanzierung57 und zur Klärung der rechtlichen Grundlagen des Neuaufbaus einbezogen.58 Insgesamt gab die DFG für diese Forschungen 150 000 RM aus. Aus den Unterlagen des RKF zum Generalsiedlungsplan geht hervor, daß eine Vielzahl Experten an diesem weitreichenden Planungswerk beteiligt waren: Die bereits genannten Finanzexperten Boesling und Rolfes wurden zu den Vorbesprechungen bei der Planungsabteilung des RKF ebenso hinzugezogen wir die RKF-Mitarbeiter Erhard Mäding, Franz Doubek, Josef Umlauf und der Architekt Udo von Schauroth.59 Die Inhaltsübersicht des Generalsiedlungsplanes vom 9. November 1942 weist ferner aus, daß Mäding darin die Passage „Verwaltungsaufbau und Rechtsordnung“ bearbeitete, während Mäding, von Schauroth und Boesler gemeinsam den Teil „Die Durchführung der Siedlung“ – mit den Unterpunkten „Siedlung und ländliche Neuordnung, technischer Aufbau, Finanzierung“ erstellten.60 Tabelle 2: DFG-geförderte Projekte für den Generalsiedlungsplan im Rechnungsjahr 1942/ 43*: Einzelanträge Bearbeiter

Thema

Fördersumme

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Prof. Dr. Bülow, Universität Berlin

„Fragenkreis Nahversorger“

Dipl. Volkswirt Arthur von Machui, RKF Berlin

„Volksbiologische und volksgemeinschaftliche Voraussetzungendes ländlichen Aufbaus im neuen deutschen Osten“

RM 30 000

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RM 3 575

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Vgl. Tabelle 3. Vgl. BAK, R 73/10587. Vgl. Tabelle 3. 56 Vgl. BAK, R 73/13127, R 73/14190, R 73/73/15001. 57 Felix Boesler, Universität Jena und Otto E. Heuser, Universität Berlin. 58 Horst Bartholomejczyk, Universität Breslau, Prof. Höhn, Universität Berlin und Heinrich Wiepking-Jürgensmann, Universität Berlin. 59 Vgl. z.B. den Vermerk Udo von Schauroths über Fragen im Zusammenhang mit der Überarbeitung des GPO vom 8.7.1942 (an Mäding, Doubek, Gebert, Meyer). Vermerk von Dr. Doubek über die Vorlage des Generalsiedlungsplanes vom 22.10.1942 (an Meyer, Gebert, Lorch, von Schumacher, Rolfes, Schmitt, von Schauroth) in Madajczyk (Hg.), Generalplan, S. 152 ff., 185 f. Zum Generalsiedlungsplan und den damit verbundenen Besprechungen bei Himmler vgl. auch Dienstkalender, S. 612 f. (Vortrag Meyers über die bisher verfaßten Teile des Generalsiedlungsplanes bei Himmler am 14.11.1942), S. 658–661 (Vortrag von Meyer und Wiepking-Jürgensmann über den bisher erreichten Stand der Planung bei Himmler vom 29.12.–31.12.1942). 60 Madajczyk (Hg.), Generalplan, S. 208 ff. 55

Wissenschaft und Homogenisierungsplanungen für Osteuropa

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Dr. Erhard Mäding, RKF Berlin

„Aufstellung von Grundsätzen zur ländRM 1 500 lichen Neuordnung des Altreiches im Hinblick auf die Aufgaben der Festigung deutschen Volkstums in den neuen Siedlungsgebieten“ ———————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————— Dr. Ing. Hans-Joachim Schacht, RKF Berlin

„Untersuchungen über die Einschaltung RM 250 neuer Baustoffe und Bauverfahren im Aufbau im Osten“ ————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————— Oberregierungsrat „Untersuchung über den SiedlungsRM 5 400 Josef Umlauf, aufbau in den eingegliederten Ostgebieten“ RKF Berlin ———————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————— Dr. Franz Doubek, RKF Berlin

Vier verschiedene Forschungsprojekte für den RKF, Thema nicht feststellbar

RM 38 960

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Prof. Dr. Felix Boesler, Forschungsprojekt für den RKF, RM 5 500 Universität Jena Thema nicht feststellbar ———————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————— GESAMT RM 85 185 —————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————

* Gesamtfördersumme für den RKF in Höhe von RM 150 000: Davon 70 000 RM für Konrad Meyer als Sachbeihilfe für „planungswissenschaftliche Arbeiten zur Festigung deutschen Volkstums“ und 80 000 RM für Einzelanträge

Tabelle 3: DFG-geförderte Projekte in Fortführung der Arbeiten am Generalsiedlungsplan im Rechnungsjahr 1943/44*: Einzelanträge Bearbeiter

Thema

Fördersumme

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Dr. jur. habil. Horst Bartholomeyczik, Breslau

„Erforschung der rechtlichen Voraussetzungen und der Rechtsform der Ostsiedlung“

RM 2 500

Prof. Dr. Felix Boesler, Universität Jena

„Erledigung von Forschungsaufträgen beim RKF“

RM 3 956,61

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Prof. Dr. Felix Boesler, Universität Jena

„Anfertigung einer historischen VerwalRM 2 078,47 tungskarte der preußischen Ostgebiete seit 1772 und Bearbeitung einer Darstellung der Verwaltungsorganisationsgeschichte dieser Gebiete“ ————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————— Prof. Dr. Felix Boesler, Universität Jena

„Ausdehnung der o.g. Untersuchungen auf RM 3 997,28 die früheren österreichischen Ostgebiete und die sächsisch-polnischen Beziehungen Fortführung der entsprechenden Untersuchungen für die Zeit des 19. Jahrhunderts“ ————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————— Prof. Dr. Felix Boesler, Universität Jena

„Die Probleme der Industrielandschaft im Regierungsbezirk Merseburg und ihre Entwicklung seit Beginn der Industrialisierung“

RM 600

—————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————

60 Prof. Dr. Felix Boesler, Universität Jena

Isabel Heinemann „Untersuchungen über das Problem der Kreisfinanzen in seinen Beziehungen zum ländlichen Aufbau“

RM 1 500

„Erstellung kartographischer Unterlagen für die Umbauplanung im Altreich“

RM 4 500

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Dr. Walter Christaller, RKF Berlin

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Dr. Franz Doubek, RKF Berlin

„Erstellung kartographischer Unterlagen RM 14 540 über die dem Reich eingegliederten Gebiete“ ———————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————— Dr. Franz Doubek, RKF Berlin

„Siedlungspolitische Untersuchungen RM 6 760 im Bereich der rückgegliederten Gebiete, der Reichslande Böhmen und Mähren, des Generalgouvernements und des Reichskommissariats Ukraine“ ————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————— Dr. Franz Doubek, RKF Berlin

„Auswertung deutscher, vor allem aber RM 7 000 fremdsprachlicher wissenschaftlicher Literatur, soweit sie für Fragen des Festigung des deutschen Volkstums von Interesse ist“ ————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————— Rechtsanwalt Ellger, Bodenamt DanzigWestpreußen

„Der polnische Grundstücksverkehr und seine rechtspolitischen Auswirkungen auf die Tätigkeit des Bodenamtes“

RM 2 700

Ministerialrat Dr. Ing. Ewald, RKF

„Erforschung und Erprobung des Luftbildeinsatzes“

RM 5 000

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————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————

Prof. Dr. Reinhard Höhn, Universität Berlin

„Auswertung des Materials des geheimen RM 5 500 Staatsarchivs über die Volkstumspolitik der preußischen Ansiedlungskommission sowie Auswertung der Erfahrungen aus der allgemeinen Verwaltungsgeschichte im Hinblick auf den Verwaltungsaufbau in den neuen Siedlungsgebieten“ ————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————— Prof. Dr. Reinhard Höhn, Universität Berlin

„Auswertung der Erfahrungen der SiedRM 7 200 lungspolitik der Preußischen Ansiedlungskommission auf dem Gebiete der Kirche, der Schulen und des Sprachenwesens“ ————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————— Dr. Erhard Mäding, RKF Berlin

„Bericht über die von den Russen durchRM 1 500 geführten Anpflanzungen in Steppengebieten (Wald und Schutzstreifen)“ ———————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————— Dr. Erhard Mäding, RKF Berlin

Kulturlandschaftsforschung

RM 800

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Prof. Dr. Ing. Friedrich „Versuche zur Ermittlung der hoch- und RM 20 000 Reinhold, tiefbautechnischen Eigenschaften von TH Darmstadt Bodenbeton“ ———————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————— Dr. Ing. Hans-Joachim Schacht, RKF Berlin

„Untersuchungen über die Einschaltung RM 3 000 neuer Baustoffe und Bauverfahren im Aufbau im Osten“ —————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————

Wissenschaft und Homogenisierungsplanungen für Osteuropa

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Prof. Dr. WiepkingJürgensmann, Universität Berlin

„Ermittlung über wasserwirtschaftliche RM 500 Maßnahmen der theresianischen Kolonisation auf dem Gelände von Pettau in der Untersteiermark“ ————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————— GESAMT RM 93 632,36 —————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————

* Gesamtfördersumme für den RKF in Höhe von RM 130 000: Davon 60 000 RM für Konrad Meyer als Sachbeihilfe für „planungswissenschaftliche Arbeiten zur Festigung deutschen Volkstums“ und 70 000 RM für Einzelanträge

Zusammenfassend ist festzuhalten, daß von 1941 bis 1944 alle Mitarbeiter von Meyers Planungsabteilung zum Teil beträchtliche Summen von der DFG für ihre Grundlagenforschungen erhielten. Diese Forschungsaktivitäten gingen direkt in den Generalplan Ost in seiner Fassung vom Mai/Juni 1942 und den Generalsiedlungsplan ein. Die behandelten Themen zielen ausschließlich auf die Erforschung des Ostens sowie die Analyse von Siedlungsmethoden und Bautechniken. Diese Grundlagenforschung – und das steht im Gegensatz zu den Nachkriegsaussagen der Beteiligten und der Darstellung in der Forschungsliteratur – wurde jedoch auch noch nach der offiziellen Einstellung der Arbeiten am Generalsiedlungsplan Mitte 1943 fortgeführt, die letzten DFG-Bewilligungen erfolgten im Sommer 1944.61 Generell erteilte der DFG-Präsident seine Zustimmung zu den Sachanträgen im Rahmen des RKF-Verfügungsbetrages sehr schnell und unbürokratisch, oft bereits nach wenigen Tagen. Tabelle 4: DFG-geförderte Projekte in Fortführung der Arbeiten am Generalsiedlungsplan im Rechnungsjahr 1944/45*: Einzelanträge Bearbeiter

Thema

Fördersumme

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Prof. Dr. Felix Boesler, Universität Jena

„Untersuchung zu Problemen des Ostaufbaus, laufende Forschungsaufträge des RKF“

RM 13 000

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Prof. Dr. Felix Boesler, Universität Jena

„Einfluß von Industriebetrieben auf die RM 1 200 wirtschaftlichen und sozialpolitischen Belange von Gemeinden“ ————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————— Dr. Franz Doubek, RKF Berlin

„Erstellung von wissenschaftlichen Ausarbeitungen zur raum- und volkspolitischen Erkenntnis der dem Reich ein- und angegliederten Gebiete unter besonderer Berücksichtigung des organischen Zusammenhanges dieser Gebiete“ ————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————— Dr. Franz Doubek, RKF Berlin

„Die Bedeutung der Donau und AlpenZusammen reichsgaue für die Neusiedlung und ihre RM 28 000 Stellung in der künftigen ländlichen Neuordnung des Reiches“ ————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————— 61

Vgl. Tabelle 4.

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Isabel Heinemann

Rechtsanwalt Ellger, Bodenamt DanzigWestpreußen

„Der polnische Grundstücksverkehr und seine rechtspolitische Auswirkung auf die Tätigkeit des Bodenamtes“

RM 6 300

Ministerialrat Dr. Ing. Erich Ewald, RKF

„Erforschung und Erprobung des Luftbildeinsatzes“

RM 5 000

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Prof. Dr. Otto E. „Gemeinschaftsuntersuchungen über landRM 1 000 Heuser, TH München wirtschaftliche Steuerfragen“ ————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————— Dipl. Volkswirt Artur „Wissenschaftliche Unterlagen zu den RM 6 000 von Machui, kriegs- und siedlungswirtschaftlichen MaßRKF Berlin nahmen in den eingegliederten Reichsteilen“ ————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————— Regierungsbaumeister a.D. Pries, RKF

„Untersuchungen über die Auswirkung der RM 3 000 Stadtgrenzen auf die städtische Entwicklung der Städte“ ————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————— Regierungsbaumeister a.D. Pries, RKF

„Untersuchung über die Grenzen der städtischen Auflockerung vom Verkehr aus gesehen“

RM 3 000

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GESAMT RM 66 500 —————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————

* Gesamtfördersumme für den RKF in Höhe von RM 130 000: Davon 65 000 RM für Konrad Meyer als Sachbeihilfe für „planungswissenschaftliche Arbeiten zur Festigung deutschen Volkstums“ und 65 000 RM für Einzelanträge

Auch als Leiter der landwirtschaftlichen Fachsparte arbeite Meyer keinesfalls „ideologiefern“, wie Hammerstein meinte.62 Er beließ es auch nicht dabei, die Fachsparte auf den „totalen Kriegseinsatz der Landwirtschaft“ auszurichten, sondern verknüpfte ihre Tätigkeit eng mit der Eroberungs- und Kolonisationspolitik der SS in Osteuropa. So kümmerte sich Meyer 1942 und 1943 um die Verwertung und Verteilung von durch die SS in der Sowjetunion geraubten Saatgutes und Pflanzenmaterials – unter anderem Kulturpflanzen von der Krim, aus dem Kaukasus und das russische Weltrebensortiment aus Odessa.63 Daneben brachte Meyer die Fachsparte auch in Fragen der Besiedlung der eingegliederten Gebiete und hinsichtlich der Neuordnung des Altreiches auf SS-Kurs. Beispielsweise schlug er nach einer Fachsparten-Besprechung vom März 1944 vor, die RKF-Anordnung über die im Warthegau zu schaffenden Betriebsgrößen der Siedler-Höfe zu modifizieren und das Altreich nach dem System der zentralen Orte neu zu ordnen.64 Auch im Reichssicherheitshaupt62

Hammerstein, Forschungsgemeinschaft, S. 377. Vgl. die Monatsberichte für Dezember 1942 und Januar 1942, welche Meyer als Fachspartenleiter an DFG-und RRF-Präsident Mentzel sandte. Bundesarchiv Berlin (BAB), R 26 III/175. Ich danke Sören Flachowsky für die Kopien. Zu den Raubexpeditionen der SS in der Sowjetunion vgl. Flitner, Sammler und Heim, Autarkie. 64 Meyer bezieht sich hier auf die Allgemeine Anordnung 7/II des RKF vom 26.11.1940 betreffend Grundsätze und Richtlinien für den ländlichen Aufbau in den neuen Ostgebieten. Monatsbericht Meyers für März 1944 an Mentzel, BAB, R 26 III/175. Zur Frage der Restrukturierung des Altreiches im Kontext der volkstumspolitischen Neuordnungspläne der SS und Meyers Einfluß darauf vgl. Pyta, Menschenökonomie. 63

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amt konferierte Meyer noch im August 1944 über eine „weitere Zusammenarbeit auf dem Gebiete der landwirtschaftlichen Forschung in den angegliederten Ostgebieten“.65 Gewiß, die Durchführung der für die Neuordnung und Germanisierung Osteuropas notwendigen Vertreibungen übernahmen die Umsiedlungsdienststellen des Reichssicherheitshauptamtes, die rassenpolitische Sortierung der Menschen führten die Rasseexperten der SS aus dem Rasse- und Siedlungshauptamt durch. Konrad Meyer lieferte mit seinem Planungsstab gewissermaßen den Masterplan für die verbrecherische Volkstumspolitik der SS in Osteuropa und kontrollierte die Siedlungsmaßnahmen vor Ort – auch wenn er dabei nicht unbedingt selbst an Verbrechen teilnahm. Die DFG finanzierte einen Teil der Grundlagenforschung für dieses große bevölkerungspolitische Projekt des Nationalsozialismus. Daß die sogenannten „Planungsaufgaben des RKF“ auf dem Prinzip gewaltsamer Vertreibungen der jüdischen, polnischen und anderen Bevölkerung fußten, dürfte DFG-Präsident Mentzel bekannt gewesen sein und ging ja auch explizit aus den Plänen hervor. Auf einen knappen Nenner gebracht: Ohne die Förderung durch die DFG und die Kooperationsbereitschaft der einzelnen Wissenschaftler hätte sich weder die SS ihre Großraumplanungen in dieser wissenschaftlichen Fundiertheit leisten können, noch hätte Konrad Meyer eine solche Schlüsselposition als oberster SS-Raumplaner aufbauen können. PLANUNGSBEGRIFF UND WISSENSCHAFTSVERSTÄNDNIS Doch was verstand Konrad Meyer, wissenschaftlicher Multifunktionär und Chef der RKF-Abteilung „Planung und Umsiedlung“ selbst unter Planung und den Aufgaben eines Planers? Wie charakterisierte er die von ihm selbst und seinen Spezialisten geleistete Auftragsforschung für den RKF? Handelte es sich in seinen Augen um Wissenschaft, Politikberatung oder Neuordnungspraxis? Meyers eigene Äußerungen zum Thema sind zahlreich und erlauben eine vergleichsweise präzise Bestimmung seines Planungs- und Wissenschaftsbegriffes. Bereits 1937, bei der Gründung der Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung, konstatierte Meyer, die beteiligten Wissenschaftler müßten „den politischen Kampf mit allen seinen täglichen Wendungen und Entscheidungen ebenso bejahen wir die ruhige Abgeschiedenheit der Studierstube“. Sein idealer Wissenschaftler sollte hervorragen auf seinem Fachgebiet, aber auch „mit sicherem Instinkt die Notwendigkeiten und Möglichkeiten des Forschungseinsatzes erkennen und einen freien Blick besitzen für das wunderbare Ineinandergreifen aller Gebiete und Zweige der Forschung“.66 Meyers Idealbild war folglich der Experte, der wissenschaftliche Theorie und politische Praxis glei65

Monatsbericht für August 1944, von Dr. Morgen an den Leiter des geschäftsführenden Beirats des RFR, BAB R 26 III/175. 66 Meyer, Raumforschung, S. 4.

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chermaßen beherrschte und der sich bietende Handlungsoptionen ohne Zögern ergriff. Vor dem Krieg blieb das noch Theorie, Meyer und seine Spezialisten erarbeiteten „Wunschbildpläne“ und Umsiedlungsszenarien für eine ferne Zukunft. Drei Jahre später, 1940, hatten sich die politische Situation und damit die Spielräume für die Experten unter Meyer radikal geändert: Nun, so erklärte Meyer vor der Preußischen Akademie der Wissenschaften, sei das oberste Ziel die „Festigung und Neuschaffung deutschen Volkstums“ in den „Ostgebieten“. Dabei finde das, „was die Wissenschaft in vielseitiger und mühevoller Forschung an Erkenntnissen und Tatsachen gesammelt hat“, nun bei der „Planung und Gestaltung [...] wirksamen Einsatz“.67 Die durch seine Planer geleistete „wissenschaftliche Vor- und Begleitarbeit“ der politischen Umgestaltung verbinde „die Strenge naturwissenschaftlicher Methode mit jenen geistig-politischen Kräften, die das Einzelne im Ganzen sehen und auf das als richtig erkannte Gesamtziel ausrichten“. Damit vereine die Planung „wirklichkeitsverbundene Lebenserkenntnis mit der Zielklarheit bewußter Lebensgestaltung“.68 Im Jahr 1942, nachdem die ersten Pläne bereits umgesetzt worden waren, hob Meyer vor den Mitgliedern der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft die Bedeutung seiner Planung für den RKF in den annektierten Gebieten hervor: Sie bestimme Siedlungsaufbau, Bodenordnung und „innere volkliche Struktur“, gestalte also übergreifend die „umfassende Neuordnung des gesamten Siedlungsaufbaus vom Dorf bis zur Stadt“. In einem Beitrag für die Zeitschrift „Neues Bauerntum“ aus demselben Jahr betonte er die Wichtigkeit einer zentralen, übergreifenden Planung für die Realisierung der völkischen Umstrukturierung: „Dabei müssen wir auch den Mut und die Phantasie haben, über die Gegenwart hinaus in den Ordnungsmaßstäben der anbrechenden Zeit vorauszudenken, um zu einer wirklichen Neuordnung zu gelangen.“ Dabei gelte es die Planung noch während der Dauer des Krieges abzuschließen.69 Der immense Reiz, den die uneingeschränkte und rücksichtslose Umsetzbarkeit von Planung und wissenschaftlicher Erkenntnis – wie sie sich während des Zweiten Weltkrieges in den von Deutschland besetzten Gebieten bot – auf Meyer ausübte, zeigte auch in der Nachkriegszeit noch Wirkung. Dies läßt sich an einer Sammlung eigener Aphorismen aus den Jahren 1931 bis 1973 ablesen, die Meyer in seinen „Lebensbericht“ aufnahm. Was er dort aus seinen alten Reden und Schriften wiedergab, war bewußte Selbststilisierung in Kenntnis der Kriegsniederlage und der gewandelten politischen Situation. Hier sollte der Konrad Meyer des Nationalsozialismus in milderem Licht erscheinen. Unter der Rubrik „Über die Wissenschaft“ findet sich ein zunächst vergleichsweise harmlos klingender Aphorismus von 1940: „Es ist unsere Überzeugung, daß die Wissenschaft am ehesten dann ihren positiven Lebenssinn erfüllt, wenn sie nicht nur Zeuge, sondern Mitgestalter am großen Geschehen der Zeit ist.“70 In 67 68 69 70

Meyer, Bodenordnung, S. 17. Ebd., S. 24. Meyer, Osten, S. 208. Meyer, Höhen, S. 189.

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dieser eher trivialen Formulierung verbirgt sich jedoch ein zentrales Antriebsmoment von Konrad Meyers praktischer Wissenschaft: Er sah sich und seine Mitarbeiter zum damaligen Zeitpunkt – aber wohl auch nach 1945, als er diesen Aphorismus auswählte – vor allem als Praktiker der Neuordnung. Deswegen wurde auch der Zuwachs an Kompetenzen und Handlungsoptionen im Rahmen der „Umvolkungspolitik“ von Meyer enthusiastisch begrüßt. Je weniger politische Rücksichtnahmen den Wissenschaftlern abgefordert worden – exemplarisch in den megalomanen Planungen des Generalplan Ost und des Generalsiedlungsplanes – desto näher glaubte Meyer sich seinem „positiven Lebenssinn“ als Wissenschaftler. Konrad Meyers Planungsverständnis läßt sich folglich als Ausdruck einer tätigen, politisch relevanten Wissenschaft charakterisieren, mit dem Hang zu möglichst umfassenden, übergreifenden Entwürfen. PERSONELLE UND INHALTLICHE KONTINUITÄTEN INNERHALB DER RAUMORDNUNG UND LANDESPLANUNG In der DFG (als ehemaliger Vizepräsident, amtierender Fachspartenleiter des Reichsforschungsrates und Empfänger von namhaften Forschungsbudgets für die Planungsaufgaben des RKF) war Konrad Meyer ein mächtiger Mann, ebenso in seiner Eigenschaft als Planungsbeauftragter des Reichsernährungsministeriums und des RKF sowie als agrarwissenschaftlicher Multifunktionär. Doch wie sah es mit seiner Karriere und seinen Forschungen nach dem Krieg aus? Mit Konrad Meyers Karriere nach 1945 hat sich bislang nur Mechthild Rössler in einem kurzen Beitrag zu Meyers Anklage im Nürnberger Folgeprozeß VIII befaßt.71 In diesem sogenannten „Volkstumsprozeß“, der in Nürnberg von 1947 bis 1948 verhandelt wurde, stand Meyer für seine Tätigkeit als Chef der Hauptabteilung Planung und Boden gemeinsam mit anderen SS-Umsiedlungsfunktionären vor Gericht.72 Die Anklage legte ihm neben der Mitgliedschaft in der SS als einer verbrecherischen Vereinigung und der Teilnahme an Kriegsverbrechen unter dem Punkt „Verbrechen gegen die Menschheit“ unter anderem folgende Delikte zur Last: gewaltsame Umsiedlung und Eindeutschung, Plünderung öffentlichen und privaten Eigentums, Kindesdiebstahl, Zwangsabtreibungen. Das nationalsozialistische Programm der Zwangsgermanisierung der eroberten Gebiete und die Ermordung, Unterdrückung oder Eindeutschung der örtlichen Bevölkerung werteten die Nürnberger Ankläger insgesamt als „genozidale Handlungen“.73 Für Meyers überraschenden Freispruch war vor allem das Vorgehen der Verteidigung entscheidend, welche mittels zahlreicher Zeugenaussagen von Mitarbeitern aus Meyers alter Dienststelle seine Raumordnungsentwürfe als 71

Vgl. Rössler, Meyer, S. 356. Die anderen Angeklagten entstammten folgenden SS-Institutionen: RKF, Rasse- und Siedlungshauptamt, Volksdeutscher Mittelstelle, Verein „Lebensborn e.V.“. 73 Vgl. das Opening Statement of the Prosecution, in: Trials of War Criminals (TWC), S. 622–694. 72

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reine Grundlagenforschung porträtierte. So behauptete der Verwaltungsfachmann Erhard Mäding in seiner Aussage, der Generalplan Ost der Planungsabteilung habe sich ausschließlich auf die eingegliederten Gebiete bezogen – für die Versionen von 1941 bis 1943 eine schlichte Lüge – und sie sei reine Theorie geblieben. Wäre der Plan verwirklicht worden, so Mäding, hätte dies „eine bedeutende Aufwertung der fraglichen Gebiete und damit eine wesentliche Verbesserung des Lebensstandards der Bewohnerschaft einschließlich der darin verbliebenen polnischen Volksteile bedeutet“.74 Herbert Morgen, Meyers langjähriger Mitarbeiter aus dem „Forschungsdienst“, vom RKF und seinem Berliner Universitätsinstitut, betonte den idealistischen, friedfertigen und vor allem innovativen Charakter von Meyers Wissenschaft, viele seiner Forschungsergebnisse könnten bleibenden Wert beanspruchen.75 Sein ehemaliger Stadtplaner, Josef Umlauf, beschrieb den Generalplan Ost als nicht realitätstauglichen „Wunschbildplan“, die Planungsabteilung hingegen als „wissenschaftliches Aushängeschild“ des RKF und der SS.76 Der RKF-Mitarbeiter Walter Christaller bezeichnete die Planungshauptabteilung sogar als Sammelbecken Oppositioneller und dezidierter Antifaschisten.77 Alle Zeugen verwiesen beständig darauf, daß es sich bei der Arbeit Meyers für den RKF ausschließlich um Neuordnungspläne für die Zeit nach dem Krieg gehandelt habe, die nicht einmal in Ansätzen verwirklicht worden seien.78 Meyer selbst nahm diese Argumentation auf und berief sich in seinem Schlußplädoyer wie auch in seiner Autobiographie dezidiert auf den angeblich rein wissenschaftlichen und nicht verbrechensrelevanten Charakter seiner Planungen. Dabei versuchte er, den Generalplan Ost vom Mai/Juni 1942 als rein universitäre Studie hinzustellen: Es habe sich „um ein langfristiges Raumordnungs- und Landesentwicklungsprogramm“ gehandelt, das „mit voller Absicht seinerzeit in meinem Berliner Universitätsinstitut in Zusammenarbeit mit einigen Wissenschaftsexperten, nicht also offiziell vom Planungsamt, erarbeitet wurde. Diese Herkunft sollte von vornherein den theoretisch-wissenschaftlichen Charakter betonen. Neben einigen Gedanken zu einer künftigen Siedlungsordnung enthielt sie vor allem Schätzungen des für den Nachkriegsaufbau erforderlichen Arbeits- und Geldaufwandes, um durch Aufzeigen einiger realer Grundlagen vor Utopien zu warnen.“79 Es sei lediglich darum gegangen „die volkliche Gemengelage zwischen Deutschen und Polen durch planmäßige Umsiedlungen zu bereinigen und durch ein langfristiges Landesentwicklungs74 Eidesstattliche Versicherung Erhard Mädings in Nürnberg, 22.11.1947, BAK, All. Proz. 1, Rep. 501, XXXXIV, M 4. S. 90a. 75 Vgl. Eidesstattliche Versicherung Herbert Morgens in Oker/Niedersachsen, 1.11.1947, ebd. S. 35–39. 76 Eidesstattliche Erklärung Josef Umlaufs in Essen, 27.11.1947, ebd. S. 75 ff. 77 Vgl. Eidesstattliche Versicherung Walter Christallers, ebd. S. 87–90a. 78 Vgl. ferner die Eidesstattlichen Versicherungen des Verkehrsexperten Schacht und des Landesplaners Udo von Schauroth, ebd. S. 18–20, 107–108. 79 Meyer, Höhen, S. 157. Vgl. auch die Wiedergabe seines Schlußplädoyers in Nürnberg, ebd. S. 170–173.

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programm die ‚Teufelsgrenze‘ im Osten, die immer wieder in der Geschichte Konfliktstoff geboten hatte, endgültig abzubauen“.80 Aus heutiger Sicht und in Kenntnis der Pläne und der Versuche ihrer Implementierung sowie der Schriften Konrad Meyers erscheinen diese Behauptungen eindeutig als Entlastungskonstrukte und Apologie. Doch das amerikanische Militärgericht in Nürnberg folgte Meyers Argumentation und konstatierte, der Generalplan Ost sei in seiner Variante vom Mai/Juni 1942 nie verwirklich worden. Die partielle Umsetzung des Umvolkungsplanes in einzelnen Regionen und dessen prägende Wirkung ließen die Richter völlig außer acht. Am 10. März 1948 wurde Meyer in den Punkten „Kriegsverbrechen“ und „Verbrechen gegen die Menschheit“ freigesprochen, die Haftstrafe für seine Mitgliedschaft in der SS als verbrecherischer Organisation galt infolge von Internierungszeit und Untersuchungshaft als verbüßt.81 Die durch das Gericht vorgenommene Trennung in die verbrecherische Volkstumspolitik der SS im Osten (für die andere zur Verantwortung gezogen wurden) einerseits und die vermeintlich unpolitische Arbeit der Raumforscher andererseits dürfte es Meyer wesentlich erleichtert haben, auch wissenschaftlich an seine Arbeit aus der Zeit vor 1945 anzuknüpfen. Allerdings verlief seine Nachkriegskarriere zunächst nicht ganz reibungslos: Nach Internierungszeit und der Periode als Häftling in Nürnberg wurde Meyer als Leiter eines Saatzuchtbetriebes in Voldagsen/Einbek bei Hannover tätig; ganz in der Nähe befand sich auch das frühere Kaiser-Wilhelm-Institut für Züchtungsforschung. Zu diesem hatte er bereits vor 1945 in enger Verbindung gestanden.82 Im Wintersemester 1954 erhielt er erstmals einen Lehrauftrag an der Technischen Hochschule Hannover, wo sein alter Berliner Kollege Heinrich WiepkingJürgensmann inzwischen die Fakultät für „Gartenbau und Landeskultur“ aufgebaut hatte. Wiepking war seinerzeit ebenfalls mit einem Projekt an den DFGgeförderten Grundlagenforschungen für den RKF beteiligt gewesen, das heißt die alten Netzwerke funktionierten noch, wenn auch mit gewisser zeitlicher Verzögerung.83 Im Sommer 1956 wurde Meyer als ordentlicher Professor auf den neugeschaffenen Lehrstuhl für Landbau und Landesplanung in Hannover berufen und war somit wieder in der universitären Wissenschaft angekommen.84 Im selben Jahr wurde er Mitglied der 1946 neugegründeten Akademie für Raumforschung und Landesplanung in Hannover. Dort versammelten sich 80

Meyer, Höhen, S. 157. Vgl. den Abdruck des Urteils bei Rössler, Meyer, S. 366–367. 82 Ob es Verbindungen Meyers zu den Züchtungsforschern gab, ist nicht geklärt. Allerdings war Meyer seit 1941 Mitglied des Aufsichtsrates des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Züchtungsforschung, was dafür spricht, daß er zumindest über gute Kontakte zu den dortigen Forschern verfügte, die sich vielleicht auch nach dem Krieg nutzen ließen. Vgl. hierzu Deichmann, Forschung und Heim, Forschung. 83 “Ermittlung über wasserwirtschaftliche Maßnahmen der theresianischen Kolonisation auf dem Gelände von Pettau in der Untersteiermark” (1943). 84 Vgl. Meyers Selbstdarstellung in ders., Lehrstuhl, S. 81–86. Im Jahr 1969 wurde der Lehrstuhl umbenannt in Lehrstuhl für Landesplanung und Raumforschung. 81

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einige der schon im Nationalsozialismus bedeutenden Kapazitäten für Raumplanung – ganz im Stil der alten „Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung“, die Meyer von 1936 bis 1939 geleitet hatte.85 Beispielsweise war Meyers alter Berliner Mitarbeiter, der Agrarsoziologe Herbert Morgen, ab 1966 Präsident der Akademie.86 Gleichzeitig knüpfte die Akademie zu Beginn der sechziger Jahre explizit und unkritisch an die Tradition ihrer Vorgängerinstitutionen, der „Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung“ an, indem sie am 16. Dezember 1960 ihr 25-jähriges Bestehen feierlich beging: „In Wahrheit haben weder Raumordnung noch Raumforschung [...] mit dem Nationalsozialismus auch nur das geringste zu tun. Beide sind, ebenso wie Landesentwicklung und Landesplanung, das Ergebnis einer allzu schnellen und unbedachten Raumentwicklung im Zeichen einer sich überstürzenden Industrialisierung [...]. Wenn die „Akademie für Raumforschung und Landesplanung“ heute aus Anlaß des 25jährigen, offiziellen Bestehens der Raumforschung in Deutschland diese Festschrift vorlegt, so geschieht dies, weil sie sich als Folgeeinrichtung der ehemaligen „Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung“ [...] zu einem gewissen Rechenschaftsbericht verpflichtet fühlt.“87 Man beklagte lediglich, daß die Nachfolgeinstitution noch nicht die „übergeordnete und koordinierende Funktion“ der alten „Reichsarbeitsgemeinschaft“ wiedererlangt hätte. Deren Zeitschrift „Raumforschung und Raumordnung“ (die erste Nummer erschien 1937) wurde unbesehen weitergeführt, sie erscheint im Jahr 2005 im 63. Jahrgang. Mitherausgeber ist mittlerweile das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung. Auch in der Akademie, genau wie in seiner Fakultät, übernahm Meyer eine tragende Rolle als Wissenschaftler und Forschungsorganisator.88 Dazu betätigte er sich wieder als Politikberater und arbeitete beispielsweise 1966 als Landesentwicklungs-Experte für die Niedersächsische Landesregierung.89 An der Technischen Hochschule Hannover lehrte Meyer vor allem über „Landesplanung und Landespflege“, die „Bewertung landwirtschaftlicher und städtischer Grundstücke“, „Raumforschung und Planung“ sowie „Raumnutzung“.90 Er publizierte rege, unter anderem über ländliche Notstandsgebiete, die räumlichen Disparitäten innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemein85

Vgl. die Angaben zu Meyer im Catalogus Professorum 1831–1981, S. 198. Angaben zu Herbert Morgen in Kürschners Gelehrtenkalender 1970. Vgl. auch Morgens Vorwort in: Akademie (Hg.), Bevölkerungsverteilung, S. 1 ff. Vorwort Morgens in: Akademie (Hg.), Handwörterbuch. 87 Vorwort des Präsidenten der Akademie, Heinrich Olsen, in: Festschrift, S. 1–5. Vgl. auch den Beitrag von Konrad Meyer, Fördergebiete, in ebd., S. 367–381. 88 Vgl. die Publikationen der Akademie, insbesondere das Handwörterbuch der Raumforschung und Raumordnung, dessen Redaktion Meyer leitete. In der Akademie selbst gehörte Meyer dem Forschungsausschuß „Raum und Landwirtschaft“ an. Vgl. z.B. die Trauerrede des Vizepräsidenten der Akademie Prof. Dr. Boustedt, Auszüge zusammengestellt im posthumen Nachwort zu Meyers Autobiographie. Meyer, Höhen, S. 187 f. 89 Vgl. Meyer, Mensch, S. 17. 90 Vgl. hierzu das Personen- und Vorlesungsverzeichnis der TH Hannover von WS 1955/ 56 und SS 1956 bis WS 1969/70 und SS 1970, Universitätsarchiv Hannover. 86

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schaft (1959, 1960), den „Bauern im Leitbild der Raumordnung“ (1962), die „Ordnung im ländlichen Raum“ (1964), ländliche Regionalplanung, den „Mensch[en] im Spannungsfeld der Raumordnung“ (1967), über Grundfragen von Raumforschung und Landesplanung.91 Daneben betreute Konrad Meyer eine ganze Anzahl von Dissertationen, unter anderem die Untersuchung seines Schülers H. Böke über „Die Veränderung der Flächennutzung und Bevölkerungsstruktur im Raum einer wachsenden Großstadt, dargestellt am Beispiel Hannover“. Dieses Projekt war das einzige, für das Meyer nach 1945 noch eine Finanzierung durch die DFG erhielt, nämlich in den Jahren 1958 und 1959 über insgesamt 4 400 DM.92 Dieses Projekt wurde vom DFG-Schwerpunkt Wirtschaftsgeographie gefördert, im Kontext der Vorarbeiten eines umfassenden Atlaswerkes zum Thema „Die deutsche Agrarlandschaft“.93 Die Frage, woher Meyer ab 1956 statt dessen seine Forschungsgelder nahm, ist nicht ganz eindeutig zu beantworten. Vermutlich half die recht großzügige Ausstattung seiner Fakultät an der TH Hannover, höchstwahrscheinlich konnte er auch über seine Position in der Akademie für Raumforschung und Landesplanung Mittel mobilisieren. Was blieb nun an inhaltlichen Kontinuitäten zu Meyers Tätigkeit als führender Raumforscher im Nationalsozialismus? Zunächst einmal galt Konrad Meyer auch in Hannover als ein Pionier seiner Zunft: Er kombinierte die bislang vor allem auf den städtischen Raum ausgerichtete Raumordnung mit der Entwicklung des ländlichen Raumes und der Landespflege.94 Die Aufgaben der Landesplanung beschrieb Meyer als Hochschullehrer in Hannover ganz ähnlich wie vor 1945, nur daß er nun durchgehend „Volk“ durch „Gesellschaft“ ersetzte, Anspielungen auf den rassischen Wert des deutschen Bauern unterließ und den Begriff „Lebensraum“ hinfort mit der Forderung nach Nachhaltigkeit und Naturschutz verknüpfte. Seine eingangs referierten Kernziele „völkische Neuordnung“, „Förderung des deutschen Bauerntums“ und „Erweiterung des deutschen Lebensraums“ lasen sich Ende der fünfziger Jahren folgendermaßen: erstens „Landesplanung zur Neuordnung der Boden- und Arbeitsverhältnisse“, zweitens „Aufrechterhaltung gesunder landesphysiologischer Kreisläufe“ und „Schaffung neuer Arbeitsmöglichkeiten auf dem Land“ sowie drittens „nachhaltige Landeskultur und optimale Landnutzung“.95 Aufschlußreich für die Kontinuitäten und Brüche in Meyers Denken und Arbeiten ist auch der Vergleich zweier seiner Nachkriegspublikationen. In der 91 Vgl. die Auflistung der Publikationen des Meyer’schen Lehrstuhls bis 1972, in: 25 Jahre, S. 121 ff. 92 Akten Me 149/1 und Me 149/2, Schwerpunkt Wirtschaftsgeographie, Archiv der DFG Bonn. Vgl. BAK, FC 7569 N-30. Bewilligungen vom 12.8.1958 und 3.8.1959. Das Projekt hieß ursprünglich „Veränderung der Bodennutzung und sozialräumlichen Struktur einer wachsenden Großstadt, dargestellt am Beispiel der Stadt Hannover“. 93 Vgl. BAK, FC 7569 N-28 und N-30: dort die Vorbereitungen zum „Atlas der deutschen Agrarlandschaft“ und DFG-Schwerpunktliste SP 22/58 mit Meyers Antrag. 94 Vgl. Meyer, Lehrstuhl, S. 81 und Buchwald, Gartenbau, S. 392. 95 Meyer, Lehrstuhl, S. 81–86.

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1953 publizierten Studie „Nahrungsraum und Überbevölkerung“ verwandte er noch ganz explizit rassistische Stereotypen (zum Beispiel Überlegenheit der „weißen Rasse“ und der „germanischen Völker“ im Hinblick auf ihre Kulturund Kolonisationsleistungen) und befürwortete gigantische Landgewinnungsprojekte wie die Trockenlegung des Mittelmeeres (!).96 Nicht die Neuordnung deutschen Lebensraumes diente nunmehr als Argument für massive Bevölkerungsverschiebungen, sondern die Welternährungsbilanz sollte durch eine Umverteilung von Menschen in „Auffanggebiete“ entlastet werden.97 Knapp 15 Jahre später, in einem 1967 veröffentlichten Vortrag mit dem Titel „Der Mensch im Spannungsfeld der Raumplanung“, stellte Meyer dagegen den Menschen und dessen Bedürfnisse ins Zentrum seiner Überlegungen. Noch immer kämpfte er gegen „Vermassung“ und „Verstädterung“, bekannte sich aber zu einer humanen Planung, welche die Freiheit des Individuums zu respektieren habe. Der Raumplaner habe auf den „schöpferischen Ausgleich“ der Gegenwartsprobleme hinzuarbeiten und als Politikberater Überzeugungsarbeit zu leisten. Allerdings konnte Meyer sein Bedauern darüber, daß die Raumplanung in der Demokratie eben nicht mehr alle Erkenntnisse ohne Rücksichten umsetzen könne, nicht verbergen.98 Eine ähnliche Tendenz der demokratischen Verwandlung ehemals radikaler Positionen zeigt sich beim Blick auf Meyers Arbeiten zur Entwicklung der europäischen Regionen. Hier waren es die Forderungen nach einem Zusammenschluß der europäischen Völker und einem gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraum, die als Transmissionsriemen fungierten. Im Jahr 1942 hatte sich Meyer beispielsweise in einem Aufsatz mit der ländlichen Besiedlung Osteuropas durch eine Allianz der germanischen Völker unter deutscher Führung befaßt – entsprechend den Überlegungen in den Fragmenten des Generalsiedlungsplans. Sein agrarisches Neuordnungskonzept sah er als Teil einer „neue[n] Zeit europäischer Ordnung“, gespeist aus dem „Wiedererwachen eines neuen germanischen Solidaritätsgefühls“. Damit „dem germanischen Volkskörper kein fremdes Blut [zugeführt werde], das seine Geschlossenheit gefährden oder zersetzen könnte“, sollte im eroberten Osten nur derjenige leben dürfen – ob alteingesessener Bewohner, ob Neusiedler – der den Grundsätzen einer strikten Auslese genüge.99 In einem weiteren Beitrag aus demselben Jahr sah er die „Konzentration der europäischen Länder, eine Festigung des kontinentaleuropäischen Wirtschaftszusammenhangs und Stärkung eines gesunden europäischen Solidaritätsgefühl gegenüber der Gesamtwelt“ als wichtiges Ergebnis der nationalsozialistischen Europapolitik. Die Umstellung auf eine „neue europäische Großraumwirtschaft und Volksordnung“ könne auf eine „neues und starkes Solidaritätsgefühl“ unter den beteiligten Völkern bauen, welches „zum Aufbau eines glücklicheren Europa“ führe.100 Gut 15 Jahre 96

Meyer, Nahrungsraum, S. 9, 14, 23 f., 33 f. Ebd., S. 30. 98 Meyer, Mensch, S. 7, 10 f., 13, 21 99 Meyer, Osten. 100 Meyer, Agrarprobleme. 97

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später lasen sich Meyers Europa-Überlegungen moderater, der Gedanke einer bevölkerungspolitischen Auslese fehlte völlig. Regionale Disparitäten wurden nun nicht mehr rassisch begründet, aber über die überbevölkerten und strukturschwachen Regionen Südeuropas (insbesondere Südfrankreichs und Süditaliens) urteilte Meyer nach wie vor äußerst kritisch.101 Die ehemals „germanischen Nationen“ Deutschland, Niederlande und Belgien schnitten auch nach 1945 in seiner Bewertung bedeutend besser ab als ihre südeuropäischen Nachbarn. Statt einer Neuordnung durch Vertreibung und Umvolkung in strukturschwache Gebiete befürwortete Meyer nun planmäßige „Absiedlungs- und Peuplierungsmaßnahmen“.102 Insgesamt wertete er nun die Gründung der EWG 1959 als Verwirklichung der „neuen Ordnung“ Europas.103 Besonders greifbar war die Kontinuität Meyerschen Denkens zum Stellenwert von gesamteuropäischer Planung. 1942 hatte Meyer für eine „große Planung“ plädiert, welche die Umgestaltung des Ostens vorzubereiten und zu steuern habe – wenig verwunderlich, da er mit Generalplan Ost und Generalsiedlungsplan einer ihrer wichtigsten Urheber war.104 1959 begrüßte er, daß mittlerweile europaweit bei der Planung der Landeserschließung von „einer umfassenden Konzeption“ ausgegangen und der „gesellschaftliche Gesamtzusammenhang“ berücksichtigt werde. Für die EWG-Länder diagnostizierte er einen „neuen sozialen Denkstil“, der für die Landerschließung „einen neuen Arbeitsstil und neue [...] koordinierende Arbeits- und Trägerformen für die Durchführung der Entwicklungspläne“ bedinge. Damit fand er seine Idee einer europäischen Gesamtplanung aus den vierziger Jahren gewissermaßen EWG-weit verwirklicht, zumindest in einigen Arbeitsgebieten wie der Landeserschließung. Hier bot sich also für den ehemaligen Chefplaner der SS-Umsiedlungspolitik eine willkommene Anschlußmöglichkeit an den Prozeß der europäischen Annäherung. VON DER NS-UMSIEDLUNGSPOLITIK ZUR EUROPÄISCHEN REGIONALPLANUNG 1) Die Umsiedlungspläne und ihre Finanzierung Konrad Meyer ist zutreffend als Herrscher über ein „wahres Wissenschaftsimperium“ beschrieben worden.105 Durch seine Machtposition in der DFG, im Reichsforschungsrat, Forschungsdienst und in der universitären Wissenschaft konnte er die Expertise eines breiten Kreises von Fachwissenschaftlern (Agrarwissenschaftler, Raumforscher, aber auch Finanzexperten, Juristen und Ingenieure) in den Dienst der Neuordnung des „deutschen Ostens“ und der Umvolkungspläne für Osteuropa stellen. Die Entwürfe waren jedoch explizit für die Praxis konzipiert. Dies entsprach einmal Meyers Selbstverständnis als 101

Vgl. Meyer, Rückstandsgebiete, ders., Darstellung, ders., Landeserschließung und ders., Verschiedenheiten. 102 Meyer, Landeserschließung, S. 114. 103 Ebd., S. 115. 104 Ders., Osten, S. 208.

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Wissenschaftler und Praktiker. Zugleich hatte SS-Chef Himmler als Auftraggeber der Pläne – wie megaloman sie auch immer waren – dezidiert deren Realisierung im Sinn. Die nur partielle Umsetzung der Pläne während des Krieges darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie ausdrücklich für die Praxis und im Hinblick auf punktgenaue Implementierung entworfen wurden. Die DFG stellte hierfür einen nicht unbeträchtlichen Teil der Finanzierung bereit. 2) Die wissenschaftliche Bedeutung der DFG-geförderten Raumforschung Hinsichtlich des wissenschaftlichen Wertes der DFG-geförderten Raumplanungen bleibt zu betonen, daß sie keinesfalls als seriöse, ideologiefreie Forschung betrachtet werden können. In einer nach dem Führerprinzip strukturierten DFG wurde mit Meyers Arbeiten eine hochgradig zeit- und ideologiegebundene Grundlagenforschung finanziert. Es ist zwar richtig, daß sich in der Planungsstelle des RKF namhafte Experten versammelten, die auf dem Gebiet der Raum- und Landesplanung manche Innovation erarbeiteten, jedoch immer vor dem Hintergrund der angeblich zur Verfügung stehenden „menschenleeren Räume“. Deswegen ist es problematisch, wenn Meyer in einem 1971 erschienen Artikel rückblickend konstatierte: „Die Begriffe Raumordnung und Raumordnung wären auch ohne das Regime der dreißiger Jahre geboren und politische Vokabeln geworden.“106 Gewiß hätte man sich auch ohne das NSRegime und die Besatzungspolitik des Zweiten Weltkriegs in Deutschland mit Raumplanung befaßt, nur eben nicht auf der Grundlage von Gewalt und mit dem Ergebnis von Millionen Toten beziehungsweise Vertreibungsopfern. 3) Kontinuitäten der Planung und moderate Kurskorrekturen Nach 1945 konnten Meyer und die anderen Pioniere der Raumforschung und Landesplanung recht unproblematisch an ihre Arbeiten aus dem Krieg anknüpfen: Sie ließen das rassistische Großraumdenken sukzessive weg und wandten sich insbesondere der Regionalplanung und dem Naturschutz zu. Beispielsweise transformierte Meyer seine Kombination von Stadtplanung und Landschaftsgestaltung vergleichsweise bruchlos zu nachhaltigen Regionalentwicklungskonzepten in der Bundesrepublik, zu Fragen von Umwelt- und Naturschutz. Die rücksichtslose Disposition über Millionen Menschenleben, welche gemeinsam mit der Idee einer rassischen Restrukturierung Europas bis 1945 das Grundaxiom der Neuordnungskonzepte gebildet hatte, und die Planung von Massenvertreibungen gab er statt dessen auf. Zumindest für Meyers Nachkriegsveröffentlichungen ist jedoch anzumerken, daß die Gründung der EWG gedankliche Anschlußmöglichkeiten der gesamteuropäischen Planung eröffnete, nun allerdings in bescheidenerem Umfang und im Rahmen einer demokratischen Gesellschaftsordnung. Leicht überspitzt könnte man folgern: Die einstigen Lebensraum-Konzepte schrumpften zu Fragen der Entwicklung europäischer Regionen. 105

Pyta, Menschenökonomie, S. 52. Er tat dies in einem Artikel über die einst von ihm geleitete Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung. Meyer, Reichsarbeitsgemeinschaft, S. 113. 106

„NEUSTRUKTURIERUNG DES DEUTSCHEN VOLKES“ WISSENSCHAFT UND SOZIALE NEUORDNUNG IM NATIONALSOZIALISTISCHEN DEUTSCHLAND, 1933–1945 von Uwe Mai Während des Zweiten Weltkriegs fielen Millionen von Menschen rassistischer Vernichtungspolitik und gezielten Vertreibungen zum Opfer. Zwar galten Zwangsumsiedlungen seit den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts international als durchaus probates Mittel zur Lösung von Nationalitätenproblemen und waren 1923 beim „Transfer“ der Griechen aus Kleinasien und der Türken vom Balkan sogar unter dem Schirm des Völkerbundes praktiziert worden. Aber die Umsiedlungsplanungen der Nationalsozialisten besaßen von Beginn an eine vollkommen andere Qualität: Umsiedlung, Vertreibung und Massenmord galten ihnen als Instrumente zur ethnischen und sozialen Neuordnung eines von Deutschland beherrschten Europas. Bereits vor Beginn des Krieges dachten die Nationalsozialisten über die Umsiedlung von zunächst Hunderttausenden von Menschen aus Osteuropa nach. Sie planten nicht nur die Vertreibung der einheimischen Bevölkerung aus Gebieten, die man noch zu erobern gedachte, sondern auch eine gigantische Umsiedlung und soziale Neuordnung der Bevölkerung innerhalb des Deutschen Reiches. Solche Visionen konnten zwar an Konzeptionen anknüpfen, die schon im Kaiserreich entwickelt worden waren, aber in Zielen wie Methoden hatte die Politik der Nationalsozialisten mit ihren Vorläufern schließlich kaum noch etwas gemein.1 Hatten die Siedlungspolitik und „Innere Kolonisation“ im Kaiserreich der ethnischen Stabilisierung der Grenzgebiete gedient, so beabsichtigte der NS-Staat eine vollständige Neuordnung des ländlichen Raumes sowohl in Deutschland als auch in den noch zu erobernden Gebieten. Nachdem die Ansiedlungspolitik des Kaiserreichs schnell an die Grenzen des in seinem politischen Rahmen Machbaren gestoßen war, erfuhr die Siedlungsplanung während der zwanziger Jahren einen Innovationsschub durch die Etablierung moderner soziographischer Methoden einerseits und die Neudefinition der Planungsziele andererseits. Mitte der dreißiger Jahre kulminierten diese Entwicklungen in der nationalsozialistischen Konzeption einer Gesellschaft, für die das „Bauerntum“ und der ländliche Raum als gesellschaftliche und biologische Basen („Blutsquell“) dienen sollten. Das traditionelle Konzept der Flurbereinigung – das heißt der wirtschaftlichen Reform der strukturschwachen, kleinbäuerlichen Regionen durch Schaffung größerer Betriebseinheiten – mündete nun in viel weitergehende Neuord1

Vgl. dazu Mai, Rasse.

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nungspläne: Es ging darin nicht nur um eine wirtschaftliche Sanierung, sondern auch um einen sozialen Umbau der Gesellschaft: Regionale Unterschiede sollten nivelliert und soziale Hierarchien durch Normierung fixiert werden, wobei „rassische“ Kriterien eine zentrale Rolle spielen sollten. Diese Planungen vor allem des Reichsnährstandes stießen aber sowohl bei den Betroffenen als auch der Industrie und den regionalen Entscheidungsträgern nicht nur auf Zustimmung. Es entstanden konkurrierende Konzepte, die den polykratischen Aufbau des NS-Staates widerspiegelten und sich gegenseitig blockierten. In diesem Kontext veränderte sich während des Nationalsozialismus auch die Rolle wissenschaftlicher Experten: Viel stärker als in Kaiserreich und Weimarer Republik griffen die Machtzentren des Nationalsozialismus auf Wissenschaftler als Berater zurück, banden sie institutionell immer fester ein und eröffneten ihnen damit bisher ungeahnte Möglichkeiten. Der folgende Beitrag konzentriert sich auf die Neuordnungsprogramme der Nationalsozialisten für den ländlichen Raum des „Altreichs“. Die megalomanen Generalpläne Ost besaßen in diesen Programmen ihre Entsprechung und waren vielfach – vor allem über das Problem der Mobilisierung deutscher Siedler für das eroberte Osteuropa – mit diesen verzahnt. Am Beispiel der Pläne zur Restrukturierung des Altreiches soll das Zusammenwirken von Wissenschaft und Politik im Nationalsozialismus analysiert werden. Dabei stellt sich nicht zuletzt die Frage nach dem Umgang mit den von Planung Betroffenen, mit den Hemmnissen und Grenzen der Planung. Am Beispiel des Frankfurter Soziologen Friedrich Neundörfer soll die Rolle einzelner, einflußreicher Planer für Genese und Umsetzung der Altreichs-Neuordnung analysiert werden. Die Gebiete Baden-Pfalz und Thüringen dienen als Beispiele für die Reichweite der Umsiedlungsplanungen, belegen zugleich aber auch ihre nur rudimentäre Umsetzung während des Krieges. FLURBEREINIGUNG BEIM WESTWALL-BAU: NEUORDNUNGSPLÄNE FÜR DEN DEUTSCHEN SÜDWESTEN 1938–1939 Der Bau des sogenannten Westwalls, der als Sicherungsgürtel gegenüber Frankreich gedacht war, sollte nach dem Willen des Oberpräsidenten der Rheinprovinz, Josef Terboven2, zu einer umfassenden „Neuordnung des bäuerlichen Besitzes“ genutzt werden.3 Betroffen davon waren 22 500 Höfe in den Gebieten Rheinprovinz, Saarpfalz und Baden. Landwirtschaftliche Kleinbetriebe sollten aufgelöst werden, um den „Arbeitermangel“ im Deutschen Reich zu bekämpfen. Man wollte, so die Landesplanungsgemeinschaft Saarpfalz, die Gunst der Stunde nutzen, um „den gesamten Grenzstreifen ein für alle Male zu 2 Josef Terboven (1898–1945), Teilnehmer am Hitlerputsch 1923, seit 1930 MdR, wurde 1928 Gauleiter von Essen und 1935 Oberpräsident der Rheinprovinz, 1940 Reichskommissar für Norwegen. 3 Terboven an Göring, 15.5.1939, Bundesarchiv Berlin (BAB), R 113/967.

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gesunden“. Dies sei eine einmalige Möglichkeit, „die schon in wenigen Jahren nicht mehr gegeben sein wird. Die Folgen einer nicht sofort einsetzenden Totallösung“ seien „für das gesamte Gebiet unübersehbar und […] nicht zu verantworten“.4 Die Neuordnung der Besitzverhältnisse und Neuaufteilung der Gemarkungen sollte innerhalb von drei bis vier Jahren abgeschlossen sein. Betroffen waren von den Maßnahmen in der Rheinprovinz 100 000 und in der Saarpfalz 70 000 Hektar.5 Neu gegenüber früheren Flurbereinigungen war neben dem schieren Umfang, daß statt eines Tauschs der Grundstücke Entschädigungen in Geld geleistet werden konnten, so daß ein Teil der Betroffenen schließlich nicht mehr über Landbesitz verfügen würde. Um dies durchzusetzen, sollten die Mitspracherechte der Betroffenen drastisch eingeschränkt werden. Kern der geplanten Neuordnung war die Umverteilung von Land. Durch die Auflösung der Kleinstbetriebe sollten wirtschaftlich lebensfähige Höfe geschaffen werden. An der Planung waren mittelbar die Reichsstelle für Raumordnung (RfR) und das Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft (RMEuL) beteiligt. Beide Institutionen plädierten für eine möglichst umfassende „soziale Neuordnung“ im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Gesundung der Region und für die Ausarbeitung eines großrahmigen Planungswerkes. Für die RfR sei, so Staatssekretär Muhs im Frühjahr 1939, das ganze Umlegungsprogramm wertlos, wenn nicht zugleich eine soziale Neuordnung geschaffen würde.6 Für den Staatssekretär im RMEuL, Willikens, war nun die Möglichkeit gekommen, ein derartiges Ziel nach einem großzügigen, „walzenförmig fortschreitenden Plane zu bearbeiten“.7 Dem Reichsnährstand wiederum ging es letztlich nur um die Menschen. Er plante die freigesetzten „Arbeitskräfte“ als Siedler für die „Neu-Räume“ des Reiches ein. Der Reichsobmann des Reichnährstandes, Gustav Behrens, wies am 25. Mai 1939 die RfR in einem vertraulichen Gespräch über die freizusetzenden „Arbeitskräftereserven“ darauf hin, daß es falsch sei, „die Industrie auf dieses Reservoir aufmerksam zu machen, das benötigt würde, um den Raum, der uns später im Osten zufallen würde, zu füllen“.8 Während die Planer dazu neigten, die betroffenen Kleinbauern für eine disponible Masse zu halten, problematisierten die Regionalbehörden die Akzeptanz der Neuordnung bei der Landbevölkerung. Auf einer Tagung der saarpfälzischen Landräte im Sommer 1939 forderte der Leiter der Landeskulturverwaltung, Wilhelm Nießen9, den Eindruck einer „kalten Enteignung“ zu ver4

Niederschrift der Besprechung, 17.1.1939, BAB, R 113/965. Vgl. Landesplanungsgemeinschaft Saarpfalz an RfR, 15.8.1939, BAB, R 113/67. 6 Vgl. Vermerk RfR (Schmitz), Mai 1939, BAB, R 113/965. 7 Willikens an Muhs, 25.2.1939, BAB, R 113/965. 8 Vermerk Schmitz über ein Gespräch mit Behrens und ORR Siemer und ORR Schmitz, 25.5.1939, BAB, R 113/675. 9 Dr. Wilhelm Nießen (1896–1949), seit 1921 beim Kulturamt Düsseldorf tätig, promovierte 1925 über die „Entwicklung des Zusammenlegungswesens unter besonderer Berücksichtigung der Eifelkreise“. Seit 1936 Leiter des neugegründeten Kulturamtes Saarbrücken, vgl. Landesarchiv Saarbrücken (LA Saarbrücken), Landeskulturverwaltung/284, Bl. 2a. 5

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meiden – sonst wäre „der arische Grundbesitzer dem Juden ja fast gleichgestellt“.10 Um die „arische“ Bevölkerung zu schonen, etablierte man eine rassistische Hierarchie. So sollte das für größere Agrarbetriebe benötigte Land erst dann aus dem Besitz „deutscher“ Kleinbauern akquiriert werden, wenn trotz Ankauf und Enteignungen „reichsfeindlichen und jüdischen Besitzes“ die zur Neugestaltung notwendige Landmenge nicht ausreichen sollte.11 Der weitere politische und militärische Verlauf beeinflußte auch das Neuordnungsprogramm im Westwallgebiet. Nach dem Überfall auf Polen wurde die Bevölkerung der Westwallzone für die Dauer fast eines Jahres evakuiert. Nach ihrer Rückkehr in die Heimat hatten sich die Grenzen entscheidend verschoben – sie lebten nun nicht mehr in einem Grenzgebiet. Lediglich in kriegszerstörten Grenzgebieten des Reiches und den faktisch annektierten lothringischen und elsässischen Gebieten wurde die aus den Westwall-Überlegungen hervorgegangene Neuordnungsplanung während des Krieges umgesetzt „NEU-RÄUME FÜR DEUTSCHE BAUERN“: PLANUNGEN DES REICHSERNÄHRUNGSMINISTERIUMS FÜR DIE TSCHECHOSLOWAKEI, 1937–1938 Anfang 1939 waren die Planungen zur Besiedlung eroberter Gebiete im Osten schon sehr konkret. Bereits im Februar 1937 hatte der Leiter des Stabshauptamtes des Reichsbauernführers, Hermann Reischle, damit begonnen „eine generalstäblerische Arbeit in Angriff zu nehmen, welche die umfassende Besiedlung eines Neuraumes außerhalb der augenblicklichen Reichsgrenzen zum Gegenstand hat“.12 Den Auftrag dazu soll er direkt von Hitler erhalten haben.13 Reischle ließ zur Durchführung dieser Arbeit im Stabsamt einen Arbeitskreis bilden, der unter der Federführung des SS-Sturmbannführers Karl Kuchenbäkker14 stand und sich aus fünf weiteren Mitarbeiten des Stabsamtes zusammensetzte. Als „Neuraum“ wurden die Tschechoslowakei (CSR) und die Ukraine angesehen.15 Von zentraler Bedeutung waren zunächst die CSR-Planungen, die bereits 1938 abgeschlossen werden konnten. Sie veränderten die bäuerliche Siedlungspolitik radikal, da sie den planenden Institutionen ungeahnte räumliche und politische Möglichkeiten eröffneten. Das Hauptproblem, das es dabei zu lösen 10

Vortrag Nießen, 15.7.1939, LA Saarbrücken, Landeskulturverwaltung/472. Ebd. Vgl. Mai, Rasse, Cornelsen, Überwindung, S. 7 f. und Bonnet, Probleme, S. 910. Vgl. dazu auch Landesplanungsgemeinschaft Saarpfalz an RfR, 15.8.1939, BAB, R 113/67. 12 Rede Hermann Reischles, 31.3.1939, Teil I, S. 1, Berlin Document Center (BDC), Hermann Reischle/SSO-Akte. 13 Vgl. Aktenvermerk, 27.4.1939, BDC/SS-HO1024. 14 Karl Kuchenbäcker (*1907), NSDAP-Mitglied seit 1930, SS-Mitglied seit 1931 und seit 1933 Führer im RuSHA, ab 9.12.1937 Stabsleiter der Hauptabteilung G ‚Blutsfragen des Bauerntums‘. Vgl. BDC, Karl Kuchenbäcker/SSO-Akte. 15Rede Hermann Reischle, 31.3.1939, Teil 1, S. 1, BDC, Hermann Reischle/SSO-Akte. 11

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galt, war die Frage der Siedlerbeschaffung. Der Bedarf an deutschen Siedlern sprengte alle bisherigen Dimensionen, und es war bekannt, daß bei den Betroffenen schon für die östlichen Reichsgebiete kaum „Siedlungswille“ vorhanden war, geschweige denn für noch zu erobernde Regionen jenseits der Reichsgrenzen. Im ersten Anlauf wurde zur Germanisierung des „Neuraums“ ein Bedarf von rund 160 000 Familien zu Grunde gelegt.16 Für dieses Ziel sollten durch eine umfassende Agrarstrukturreform genügend Siedler freigesetzt werden. Ein Mittel zur Germanisierung sollte die geplante Änderung des Bodenrechts bereitstellen, die den deutschen Siedler begünstigt und den tschechischen Landbesitzer benachteiligt hätte. Reischle verwies bei diesem Konzept auf die englische Besiedlung Nordirlands, wo es über Jahrhunderte durch das unterschiedliche Vererbungsrecht für Protestanten (Anerbenecht) und Katholiken (Realteilung) gelungen sei, die englische Hoheit zu sichern.17 Reischle favorisierte einen Prozeß, der sich über Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte hinziehen würde. Die Umsiedlungen sollten landsmannschaftlich geschlossen bleiben. So wurden für die „Siedlerströme“ den „Quellgebieten“ bestimmte „Mündungszonen“ zugewiesen: Badische Siedler sollten beispielsweise die künftige Ostgrenze am „Karpathenwall“ bevölkern, während mitteldeutsche Bauern im Zentrum Böhmens angesiedelt werden würden.18 Es war den Planern aber klar, daß der enorme Siedlerbedarf nicht nur durch Freiwillige gedeckt werden konnte. Nach den Berechnungen des Stabshauptamtes hätte die Zahl der zur Verfügung stehenden Siedlungswilligen gerade genügt, um 10 Prozent der Siedlerstellen zu besetzen. In diesem Zusammenhang wurde es geradezu als ein Glücksfall bezeichnet, daß man im Reichsgebiet über Gebiete mit dichtbesiedeltem kleinbäuerlichen Besitz verfügte, der – im Gegensatz zu den „saturierten Vollbauernhöfen“ – „das reichhaltigste und umfangreichste Menschenreservoir für die zukünftige Siedlung“ darstellte.19 Aus dem Sudetenland sollten durch die Reduzierung der Kleinbetriebe um 20 Prozent und das Aufstocken der übrigen Betriebe auf rund 15 Hektar circa 50 000 Siedlerfamilien freigesetzt werden. Aus Württemberg und Baden sollten rund 110 000 Familien kommen.20 Im Anschluß an die bereits im Oktober 1938 vollendete CSR-Planung begannen Reischle und seine Experten mit neuen, weiterreichenden Entwürfen.21 So planten sie die Neubesiedlung der 1918 abgetrennten Gebiete Posen und Pommerellen – völlig unabhängig von der Tatsache, daß diese Gebiete Teil des polnischen Staates waren. Im August 1939 waren diese Planungen 16 Vgl. Siedlungsplanung S-Planung Gebiet 1, Stabsamt des Reichsbauernführers, BAB, R 3603/101/1. 17 Vgl. Rede Hermann Reischle, 31.3.1939, Teil 2, S. 4, BDC, Hermann Reischle/SSOAkte. 18 Ebd., Teil 2, S. 7. 19 Ebd., Teil 2, S. 8. 20 Vgl. Siedlungsplanung S-Planung Gebiet 1, Stabsamt des Reichsbauernführers, BAB, R 3603/101/1. 21 Vgl. Kuchenbäcker an Chef RuSHA, 26.6.1939, BDC, Karl Kuchenbäcker/SSO-Akte.

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fertiggestellt.22 Jeweils die Hälfte des landwirtschaftlichen Besitzes und die Hälfte der landwirtschaftlichen Betriebe sollten in deutschen Besitz überführt werden. Insgesamt wurde dabei abzüglich der vorhandenen volksdeutschen Siedlungen zur Germanisierung ein „Bedarf“ von rund 65 000 Siedlerfamilien errechnet. Nach den Kalkulationen des Reichsnährstandes bestand damit ein „Bedarf“ für die künftigen „Neuräume des Reiches“ von mehr als 220 000 Bauernfamilien, von denen 170 000 aus dem Altreich kommen sollten. Mit dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 änderte sich die Situation für die Neuordnungsplanungen im Altreich grundlegend. Richard Walther Darré und sein Ernährungsministerium setzten sich bei der Germanisierung Polens nicht durch. Statt dessen erhielt Heinrich Himmler am 7. Oktober 1939 den Auftrag, die eroberten und annektierten Gebiete Polens mit volksdeutschen Umsiedlern aus Osteuropa „einzudeutschen“. Mit der neuen Politik schneller Vertreibung der polnischen Bevölkerung und sofortiger Ansiedlung Volksdeutscher wurde auch das Konzept des Reichsnährstandes zur Germanisierung der CSR verworfen, das auf eine langfristige Verdrängung der einheimischen Bevölkerung zielte. Darré war aber nicht bereit, die Germanisierung der eroberten polnischen Gebiete Himmler zu überlassen und – wie sein enger Mitarbeiter Horst Rechenbach formulierte – „das Bauerntum der Polizei auszuliefern“.23 Darré beharrte darauf, daß die Germanisierung des Ostens eine „Neubildung deutschen Bauerntums“ bedeute und somit in den Aufgabenbereich des Reichsnährstandes und des RMEuL falle. Himmler sei lediglich mit der Umsiedlung der volksdeutschen und der Vertreibung der polnischen Bevölkerung betraut.24 Darré behauptete zudem, daß der Reichsnährstand über rund 400 000 Bauernfamilien als freizusetzende Siedler verfüge, während Himmler lediglich 220 000 volksdeutsche Umsiedlerfamilien betreue. Angesichts der faktischen Überlegenheit der SS auf dem Gebiet der außerdeutschen Siedlungspolitik war der Reichsnährstand gut beraten, seine wissenschaftlichen Bastionen zu verstärken. Dies geschah nun durch eine verstärkte Kooperation mit einem bereits recht prominenten Siedlungs- und Neuordnungsplaner, dem Soziologen Ludwig Neundörfer. WISSENSCHAFTLICHE UNTERFÜTTERUNG DER AGRARISCHEN NEUGESTALTUNG: LUDWIG NEUNDÖRFER UND SEIN FRANKFURTER INSTITUT Ludwig Neundörfer, 1901 in Mainz geboren, studierte Kunstwissenschaften, arbeitete als Assistent an der Universität Gießen und leitete anschließend bis 1932 die städtische Volkshochschule Offenbach. Er engagierte sich seit den 22 Vgl. Siedlungsplanung S-Planung Gebiet 2, Stabsamt des Reichsbauernführers, BAB, R36.03/102 und 103. 23 Vgl. Mai, Rasse, S. 129 f. 24 Vgl. dazu Kummer, Grenzsicherung; zu der Auseinandersetzung dazu Mai, Rasse, S. 127 ff.

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zwanziger Jahren in dem katholischen Jugendbund Quickborn und setzte sich zunächst publizistisch für eine Gesellschaftsreform, bessere Lebens- und Wohnverhältnisse ein. Über den Quickborn lernte er auch den Architekten, Stadtund Raumplaner Rudolf Schwarz kennen, der während des Krieges im besetzten Lothringen für den Chef der Zivilverwaltung (CdZ), Josef Bürckel, planen sollte. Mit ihn verband Neundörfer eine enge Freundschaft. Im Anschluß an seine Tätigkeit in Offenbach führte Neundörfer Anfang der dreißiger Jahre für das hessische Kultusministerium empirische Gemeindeuntersuchungen durch. Ausgangspunkt war die Besiedlung des hessischen Rieds; die Untersuchungen bereiteten die späteren bäuerlichen Neusiedlungen Allmendfeld, Hessenaue und Riedrode vor, die 1936 abgeschlossen waren.25 Neundörfer entwickelte hierbei eine soziographische Methode und erstellte „Wunschbilder“ für zwei Dörfer.26 Dem Wunschbild wurde eine ideale Dorfstruktur zu Grunde gelegt, wobei auf bestehende Strukturen keine (oder nur wenig) Rücksicht genommen wurde. Neu war hierbei, daß von den neu zu planenden Dörfern zunächst ein sehr detailliertes Bestandsbild der Dorfbevölkerung erstellt wurde. Jeder Bewohner wurde genau mit Alter, Beruf, Familienstand und Eigentumsverhältnissen erfaßt. Es wurden aber nur die geeigneten Bewohner in das neue Wunschbild integriert. Dies hatte zur Folge, daß zum Teil neue Bewohner gesucht, ungeeignete „abgegeben“ wurden. Faktisch erforderte diese Methode ein flächendeckendes Vorgehen, damit Defizite und „Überhänge“ ausgeglichen werden konnten. Auch war eine Minimierung der Mitsprache der Planungsbetroffenen notwendig. Die Umsetzung dieser Planungen wäre daher in einem demokratischen Gemeinwesen schwierig gewesen, nicht aber in der NS-Diktatur. Die Möglichkeiten, die der NS-Staat Planern bot, faszinierte nicht nur begeisterte Nationalsozialisten wie Konrad Meyer, sondern auch solche Experten wie Ludwig Neundörfer, der selbst kein erklärter Nationalsozialist war, jedoch gezielt den Kontakt zu den politisch Verantwortlichen der Neuordnungsprojekte pflegte. Seine soziographischen Arbeiten blieben zunächst lokal begrenzt, binnen weniger Jahre gelang es Neundörfer jedoch, sich reichsweit Gehör zu verschaffen. Zugleich bildeten die Arbeiten den Ausgangspunkt seiner Karriere. Unterstützt durch den Frankfurter Jugend- und Sozialdezernenten Wilhelm Polligkeit27 kam Neundörfer als Planungsdezernent nach Heidelberg. Dort ging es nicht nur um einzelne strukturverbessernde Maßnahmen, sondern um den grundlegenden Neuaufbau der Stadt, den Aufbau einer vorbildlichen „richtigen Volksgemeinschaft“.28 Neundörfer, der aus der Verwaltungs25 Zur Entwicklung der Arbeiten im Hessischen Ried, vgl. Heyl/Heinbach/Wirthwein, Gründungsgeschichte. 26 Schreiben Neundörfers, 16.6.1933, Stadtarchiv Heidelberg (StaA Heidelberg), 17a, Fasc. 5. Vgl. dazu Neundörfer, Aufbau. 27 Prof. Dr. Wilhelm Polligkeit (1876–1960). Zu Polligkeit vgl. auch Peukert, Grenzen. 28 So der Siedlungsbeauftragte im Stabe des Stellvertreters des Führers, Ludowici, in: Neundörfer, Heidelberg, S. 3.

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praxis kam, nutzte das gute Verhältnis zu Oberbürgermeister Neinhaus, um seine wissenschaftliche Karriere voranzutreiben und suchte eine organisatorische Verbindung zur Universität. Seine Studie, „Heidelberg – Umbau einer Stadt“, die auch in englischer Übersetzung erschien, wollte er als Habilitationsschrift einreichen.29 Das Heidelberger Institut für Sozial- und Staatswissenschaften sollte nach Neundörfers Wünschen in ein „Zentralinstitut für Volksforschung und Planung“ umgestaltet werden30, wodurch Theorie und Praxis, Forschung und Vollzug enger zusammengerückt wären. Neundörfer fand schließlich Kontakt zum Leiter des Reichsheimstättenamtes der Deutschen Arbeitsfront, Wilhelm Ludowici31, der ihn mit vergleichbaren Untersuchungen über die pfälzische Stadt Eisenberg beauftragte. Dort sollte Neundörfer eine Strukturaufnahme für eine neu zu gründende Siedlung für etwa 300 Familien durchführen und einen wirtschaftlichen Aufbauplan erstellen.32 Im Februar 1935 erhielt er schließlich den „Auftrag und Vollmachten zu Strukturuntersuchungen an verschiedenen Stellen des Reiches […], so in der Pfalz und im Ruhrgebiet“.33 Entscheidend für Neundörfers spätere Rolle bei reichsweiten Neuordnungsplanungen war der in Heidelberg entstandene Arbeitskontakt zu Friedrich Kann, der zu dieser Zeit Siedlungsreferent der Landesbauernschaft Baden und ab 1936 (offiziell 1938) im Amt des Reichsbauernführers für die Reichs- und Landesplanung zuständig war.34 Die Initiativen zum Umbau des Deutschen Reiches gingen jedoch nicht vom Zentrum des NS-Staates aus, sondern entstanden im deutschen Südwesten, der als strukturschwaches Gebiet (Klein- und Kleinstbauern) einen gewissen Reformbedarf besaß und durch den bereits erwähnten Bau des Westwalls ohnehin vor großen Veränderungen stand. Kurz nach dem Überfall auf Polen initiierte Landwirtschaftsminister Darré den Aufbau eines Forschungsinstituts, um die Neuordnung der ländlichen Besitzverhältnisse im Altreich zentral einzuleiten. Dieses Institut sollte die zeitgleich begonnenen Arbeiten an den deutschen Universitäten zur Feststellung der Aussiedlungsmöglichkeiten aus dem Altreich und zur Neuordnung des ländlichen Raumes nach der soziographischen Methode Ludwig Neundörfers 29

Vgl. Schreiben Neundörfer, 21.12.1934, StaA Heidelberg, 17a, Fasc. 5. Denkschrift Neundörfers, o.D. [ ca. 1935], StaA Heidelberg, 17a, Fasc. 5. Vgl. auch Schreiben Ludowicis an Neinhaus, 26.3.1935, Universitätsarchiv Heidelberg (UA Heidelberg), 4-VI-669. 31 Ludowici war seit 1933 Leiter des Reichssiedlungswerkes und Siedlungsbeauftragter im Stabe des Stellvertreters des Führers, Leiter des Reichsheimstättenamtes der DAF und Leiter der 1935 gegründeten Akademie für Landesforschung und Reichsplanung. 32 Vgl. Neundörfer, 26.7.1934, StaA Heidelberg, 17a, Fasc. 5. 33 Denkschrift in: StaA Heidelberg, 17a, Fasc. 5; vgl. auch UA Heidelberg, 4-VI-669. 34 Friedrich Kann (1903–1963); zeitgleich mit der Übernahme der Leitung der Abteilung IF im Verwaltungsamt des Reichsnährstandes seit 1.4.1934 SS-Mitglied, ehrenamtliche Tätigkeit in der Siedlungsabteilung des RuSHA. Nach seinem NSDAP-Beitritt 1937 zum SSScharführer befördert, 1.9.1939 SS-Oberscharführer. Vgl. BDC, Friedrich Kann/SSO-Akte. Zu den Arbeitskontakten vgl. Brief Neundörfers an Dr. Neinhaus, 30.11.1933, StaA Heidelberg, 17a, Fasc. 5. 30

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koordinieren und anleiten sowie mit den ebenfalls beteiligten Landesplanungsgemeinschaften abstimmen. Darré entwickelte damit eine Gegenstrategie zu Himmlers Umsiedlungs- und Germanisierungskonzept und versuchte, die zentrale politische Bedeutung der Raumordnung und Raumplanung politisch zu nutzen. Auf Grund seiner Zuständigkeiten bei der Agrarstrukturreform im Altreich und der ihm zur Verfügung stehenden Infrastruktur (Landesbauernschaften, Flurbereinigungsämter) besaß er eine gut ausgebaute Machtbasis. Die Aufgabe des neuen Instituts, an dessen Spitze Neundörfer treten und das zu einem „Reichszentralinstitut für die gesamte Bestandsaufnahme der ländlichen Gebiete“ ausgebaut werden sollte, war zunächst die einheitliche Bearbeitung der durch den Reichsnährstand eingeleiteten sogenannten Untersuchungen zur Feststellung der Aussiedlungsmöglichkeiten im Altreich.35 Anschließend sollten in dieser Stelle aus den eingegangenen „Bestandsbildern“ der Gemeinden durch eine Neuordnung der sozialen und wirtschaftlichen Struktur Wunschbilder erarbeitet werden. Die zukünftigen Aufgaben stellten sich wie folgt dar: „Aufgabe des Instituts ist es, den gesamten deutschen landwirtschaftlich genutzten Raum nach seinen wirtschaftlichen und soziologischen Verhältnissen hin zu untersuchen mit dem Ziel, Unterlagen für eine Neuordnung der bäuerlichen Lebensverhältnisse in Deutschland zu gewinnen.[…] Die Arbeiten [...] sollen auf breiter Grundlage in Angriff genommen werden, da keineswegs die bisher bekannte sogenannte bäuerliche Zusammenlegung oder Umlegung stattfinden soll, sondern eine planmäßige Neu-Ausrichtung der landwirtschaftlichen Erzeugung und des landwirtschaftlichen Lebensraums überhaupt in Aussicht genommen ist.“36 Für Neundörfer ging mit diesem Projekt ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung. Er sollte nicht nur einem Institut von etwa 60 Mitarbeitern vorstehen, sondern zugleich einen Lehrauftrag an der Universität Frankfurt erhalten. Zugleich hoffte er, daß die von ihm in zehnjähriger Beschäftigung mit Strukturuntersuchungen entwickelte Methode nun für das ganze Reich angewandt werden würde und er damit neue Maßstäbe und Standards setzen könne. Unterstützt von Friedrich Kann und Wilhelm Polligkeit verhandelte Ludwig Neundörfer Anfang 1940 zunächst mit der Universität und schließlich mit der Stadt Frankfurt am Main über die Ansiedlung des Forschungsinstituts. Im April 1940 waren die Rahmenbedingungen geklärt. Als Haushaltsmittel wurden 250 000 RM zur Verfügung gestellt, wovon der Reichsnährstand 200 000 RM beisteuerte, den Rest übernahm die Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung (RAG).37 Die Zusammenarbeit mit der RAG war notwendig, da von ihr die einschlägigen Arbeiten an den Hochschulen betreut wurden. Neundör35 Bericht des Kulturamtes der Stadt Frankfurt a.M. an den OB über ein Gespräch mit Polligkeit, 27.5.1940, Stadtarchiv Frankfurt am Main (StaA Frankfurt), Magistratsakten/ 6919/14. 36 Bericht über den Vortrag Neundörfers, 31.5.1940, StaA Frankfurt, Magistratsakten/ 6919/14. 37 Vgl. Neundörfer in seiner Eigenschaft als Bezirksplaner für Nordbaden an den Kurator der Universität Frankfurt, 8.4.1940, StaA Frankfurt, Magistratsakten/6919/14.

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fer, der eine vermittelnde Funktion zwischen Reichsnährstand und RAG inne hatte, erhielt für seine Untersuchungen einen bemerkenswerten Freiraum, der es ihm ermöglichte, losgelöst von bürokratischen Hemmnissen in Zusammenarbeit mit den eingebundenen Hochschulen schnell zu Planungsergebnissen zu kommen.38 Die Arbeit des Instituts begann sofort. So konnte Neundörfer bereits Ende 1940 melden, daß inzwischen 45 Mitarbeiter im Institut tätig und bei dem bisherigen Stand der Arbeiten in einem Jahr die Bestandsbilder von rund 3 000 Gemeinden bearbeitet sein würden.39 Himmler als „Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums“ (RKF) benötigte zu diesem Zeitpunkt dringend Siedler, denn die von ihm betreuten volksdeutschen Umsiedler reichten Anfang 1940 nicht annähernd aus, um den polnischen Raum zu germanisieren. Der Siedlerbedarf für die neuen Reichsgaue wurde in den Jahren 1939 und 1940 in ersten Untersuchungen der Planungsabteilung des RKF auf zwischen 100 000 und 220 000 Familien aus dem Altreich geschätzt.40 Rechnet man dann noch die Bedarfszahlen von 170 000 Familien für das Protektorat hinzu, ergab sich ein Bedarf von 390 000 Familien aus den Realerbteilungsgebieten des Reiches. Andere NSStellen planten zugleich eine Expansion nach Westen. So meldete das Arbeitswissenschaftliche Institut der Deutschen Arbeitsfront (DAF) 1940 einen Bedarf von weiteren 170 000 Siedlerfamilien für die Germanisierung Burgunds.41 Vor dem Hintergrund solcher Zahlenspiele zeigte der RKF bereits kurz nach der Gründung des Frankfurter Instituts ein ausgeprägtes Interesse an Neundörfers Arbeit. Im Sommer 1940 trat der RKF in Kontakt mit ihm. Neundörfer besuchte dann am 21. Juni 1940 die Planungshauptabteilung des RKF in Berlin-Dahlem, um über den Stand der Erhebungen zur Feststellung der Aussiedlungsmöglichkeiten zu berichten.42 Ihm wurde erklärt, daß die Planungshauptabteilung an seiner Arbeit „besonders stark interessiert“ sei und ihn bitte, in Zukunft eine „enge Verbindung“ zu halten. Neundörfer wurde „angedeutet“, daß seine Ergebnisse für einen „Generalplan“ des RKF zur Aussiedlung in die Ostgebiete dringend gebraucht würden. Die reichsdeutschen Siedler, über deren „Freimachung“ Neundörfer (zumindest theoretisch) gebot, spielten angesichts des eklatanten Siedlermangels auch in den Planungen der SS zur Germanisierung der Ostgebiete eine entscheidende Rolle. Neundörfers Geldgeber beim Reichsnährstand hingegen nutzten den persönlichen Ehrgeiz eines jungen Wissenschaftlers, um sich gegenüber der SS als „Siedlerlieferanten“ aus dem Altreich zu profilieren. 38 Vgl. Neundörfer an Frankfurter OB, 23.6.1940; vgl. dazu auch die Besprechung in Frankfurt a.M, 10.11.1941 und das Protokoll, 12.11.1941, StaA Frankfurt, Magistratsakten/ 6919/14. 39 Vgl. Brief Neundörfers an Frankfurter OB, 20.12.1940, StaA Frankfurt, Magistratsakten/6919/14. 40 Vgl. Landwirtschaftsrat Kann in Weimar bei einer Besprechung über die Siedlungsvorhaben im Rahmen der Ostraumbesiedlung, 27.2.1940, BDC, SL51, S. 313; vgl. auch Scheu (Hg.), Vorschläge, S.62. 41 Vgl. Mai, Rasse, S. 296 ff. und 387. 42 Vgl. Vermerk der Planungshauptabteilung, 22.6.1940, BAB, R 49/1001.

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UNIVERSITÄRE FORSCHUNG ZUR LÄNDLICHEN NEUORDNUNG DURCH AUSSIEDLUNG Neundörfer blieb nicht der einzige Wissenschaftler, der für Darrés Ämter arbeitete. Durch die Zusammenarbeit mit der RAG konnte schließlich der Großteil der Hochschulen zur Mitarbeit gewonnen werden. Das Frankfurter Institut bildete die Zentralstelle zur Aufarbeitung der einzelnen Forschungen über die Umgestaltung des ländlichen Raumes, die von den einbezogenen Universitäten in Zusammenarbeit mit dem Reichsnährstand und einzelnen Landesplanungsgemeinschaften erstellt wurden. Den Ausgangspunkt dieser Arbeiten bildete das Kriegsforschungsprogramm der RAG, das Ende 1939 ins Leben gerufen wurde. Zu diesem Zeitpunkten existierten im Rahmen von Untersuchungen in „Notstandsgebieten“ bereits einzelne Hochschularbeitsgemeinschaften, die raumorientierte Analysen zu einzelnen Dörfern und Regionen erstellten. Beispiele solcher Arbeiten waren die Untersuchungen der Professoren Eduard Willeke (Gießen) über Kümmerbetriebe im Lahn-Dillkreis, Otto Heuser (München) zur Landflucht in Bayern und Paul Hesse (Hohenheim) über die Besitzverhältnisse und Betriebsformen in Württemberg-Hohenzollern und Baden. Die Arbeiten wurden unmittelbar nach Beendigung des Polenfeldzuges von der RAG ausgewertet und in ein neues Programm überführt, das sich in sechs Arbeitsbereiche gliederte. Während sich fünf Untersuchungen mit der Gestaltung des „Ostraumes“ beschäftigten, behandelte das verbleibende Arbeitsgebiet II die Frage nach der Bereitstellung von Siedlern für diesen neu zu gestaltenden „Ostraum“ und der Rückwirkung der Ostsiedlung auf das Altreich: „Die Gesundung der auf die Dauer unhaltbaren agrarischen Strukturverhältnisse in den deutschen Realteilungsgebieten muß Hand in Hand mit der Besiedlung des Ostens gehen. Seit langem lautet das Stichwort für den Osten ‚Siedlung‘ und für den Westen des Reiches ‚Umlegung‘.“43 Damit hatte die Neuordnungsplanung auch einen dauernden Zielkonflikt, denn eine Neuordnung der Besitzverhältnisse nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten ergibt nicht zwangsläufig ein Maximum an freiwerdenden Siedlern. Die Prioritäten wurden denn auch in den einzelnen Regionen unterschiedlich gesetzt Den Auftakt zu der umfassenden „Aussiedlungsarbeit“ bildete eine Besprechung, die im Anschluß an die Landesplanertagung am 21. Dezember 1939 stattfand und in der das weitere Vorgehen festgelegt wurde. Daran nahmen Vertreter der RfR, die Landesplaner der Westwallgebiete und Württembergs sowie Landwirtschaftsrat Kann teil. Die Mitarbeiter der Hochschularbeitsgemeinschaften waren noch nicht vertreten, sie sollten aber in den nächsten Sitzungen hinzugezogen werden. Eine Einbindung des RKF in diese Aussiedlungsplanungen fand, soweit dies den Protokollen zu entnehmen ist, nicht statt. Geographisch sollten sich die Untersuchungen zunächst auf die bereits im Rahmen der CSR-Planung untersuchten Aussiedlungsgemeinden des West43

Roloff, Mitarbeit, S. 536.

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wallgebietes konzentrieren, wo bereits eine Agrarstrukturreform eingeleitet worden war. Das Programm, so der Vertreter der RfR, Gaßner, umfaßte folgende Arbeitsschritte: „1.) Feststellung typischer Gemeinden in den einzelnen Kreisen, die beispielhaft für die anderen Gemeinden sind und deren Ergebnisse daher […] auf den gesamten Kreis angewendet werden können. 2.) Genaue Strukturuntersuchung der Typengemeinden an Hand der Haushaltslisten usw. Ermittlung des Zustandes für den Gesamtkreis aus den Typengemeinden. 3.) Aufstellung eines gesunden Strukturbildes als Ideal- und Wunschbild und daher 4.) Ermittlung der für die Aussiedlung freiwerdenden Kräfte.“44 Es war vorgesehen, diese Vorgehensweise weiter zu erproben und in allen Reichsteilen anzuwenden. Auf Hessen-Darmstadt, Hessen-Nassau und Westfalen sollten die Planungen ausgeweitet und der Reichsnährstand und die zuständigen Hochschularbeitsgemeinschaften hinzugezogen werden. Die Landesplaner und Vertreter der Landesbauernschaft sollten zu den Sitzungen eingeladen werden. Weiterhin wurden auch die Agrar- und Raumplaner Wilhelm Seedorf (Göttingen), Ernst Schuster (Heidelberg), Wilhelm Busch (Bonn) und Günther Stockmann (Tübingen) einbezogen, die bereits durch einschlägige Forschungsarbeiten bekannt waren. Diese Berücksichtigung von Wissenschaftlern war schon deshalb notwendig, da die Verwaltungsorgane selbst nicht die fachlichen Voraussetzungen erfüllten. Gleichzeit gab die Arbeit der Forscher ihrem Vorgehen die nötige Seriosität. Bereits Anfang Januar 1940 fanden in Karlsruhe und Wiesbaden Sitzungen zur Vorbereitung der ländlichen Neuordnung statt.45 Die Untersuchungsräume wurden kurze Zeit später erneut ausgeweitet und der Stab der Aussiedlungsplaner um Professor Fritz Klute (Gießen) für Hessen erweitert. Den eingespannten Universitäten und Hochschulen übertrug man im Rahmen des Kriegsforschungsprogramms der RAG daraufhin entsprechende Forschungsaufgaben, die bis zum 1. April beziehungsweise 1. Juli 1940 abgeschlossen sein sollten. Die nötigen Mittel wurden von den Arbeitsgemeinschaften der RAG bei der DFG beantragt.46 Die Projekte beschränkten sich nicht mehr auf die ländliche Siedlung, sondern zielten auf eine umfassendere 44

Vermerk der RfR (Gaßner), 22.12.1939, BAB, R 113/2263. Vgl. Einladung des Reichsstatthalters in Baden als Planungsbehörde zu einer Sitzung am 8.1.1940 in Karlsruhe, 29.12.1939, BAB, R 113/2263 und Einladung des RfR zu einer Sitzung am 9.1.1940 in Wiesbaden, 27.12.1939, BAB, R113/2263. 46 Dies waren 1940 folgende Projekte: Universität Heidelberg: Untersuchung der Aussiedlungsmöglichkeiten Nordbadens, Universität Freiburg: Untersuchungen für die Ostsiedlung aus Oberbaden, Hochschule Hohenheim: Aussiedlung aus Württemberg in Teile des deutschen Ostens, Universität Bonn: Untersuchungen über die Aussiedlungsmöglichkeiten aus dem Gebiet der Rheinprovinz, Universität Tübingen: Untersuchungen über die Aussiedlungsmöglichkeiten aus Württemberg-Franken, Universität Göttingen: Untersuchungen über die Aussiedlungsmöglichkeiten aus Kurhessen und Süd-Hannover, Universität Gießen: Umsiedlung in Hessen und Hessen-Nassau, Universität Frankfurt: Verlagerung von Industriebetrieben aus dem rhein-mainischen Ballungskern in den Osten, Universität Halle: Aussiedlung deutscher Handwerker aus mitteldeutschen Industriegebieten, Übersicht in: BAB, R 2301/ 7748. 45

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wirtschaftliche „Bereinigung“. Im Unterschied zu den bisherigen Planungen aus Württemberg und Baden wurde hier eine grundlegende Reform durch die Umsetzung eines Idealbildes angestrebt, das an Hand sehr detaillierter Erhebungen ausgearbeitet werden sollte. Die bisherige Orientierung am bäuerlichen Einzelbetrieb wurde durch eine Reform des gesamten ländlichen Raumes abgelöst. Im April 1940 wurden die ersten Ergebnisse der Aussiedlungsplanungen auf der Arbeitstagung der RAG besprochen. Es herrschte eine allgemeine Zuversicht über den Erfolg der Untersuchungen. Über die Planungsziele bestand weitgehend Konsens. Erst die Möglichkeit der Umsiedlung in den Osten habe die Strukturveränderung möglich gemacht, wenn auch in Hinblick auf die Bereitschaft der Betroffenen zur Umsiedlung Bedenken vorgebracht wurden. So bemerkte der Göttinger Raumplaner Seedorf: „Solange uns die Menschen von dem alten deutschen Kulturboden davonlaufen, haben wir keine Aussicht sie in den Osten zu bringen.“47 Die Bereitschaft zur Siedlung im Osten sollte durch eine landsmannschaftlich geschlossene Umsiedlung gefördert werden. Die Vorsicht der Planer an diesem Punkt war nicht grundlos. So wandte sich die französische Propaganda im April 1940 mit einem Flugblatt, das in einer Auflage von 60 000 Exemplaren über Freudenstadt und Offenburg abgeworfen wurde, direkt an die badischen Bauern. Ihnen stellte man in Aussicht, daß sie „als Versuchsobjekte“ ihr „Haus und Hof auf Nimmerwiedersehen verlassen“ müßten, „um in den öden Steppen Polens ein armseliges Dasein“ zu fristen.48 Im Mai 1941 mußte der Landesbauernführer in HessenNassau auf einer Kundgebung seine Bauern beruhigen: Es werde nicht dazu kommen, daß „ein Güterzug in das Dorf“ fahre, „um die Habe und das Vieh einzelner Bauern einzuladen und nach dem Osten zu bringen“.49 Bereits ein einfacher Landnutzungstausch, eine Art provisorischer Flurbereinigung, stieß auf Protest, dem sich die regionalen Behörden mitunter anschlossen. So protestierte das badische Wirtschaftsministerium 1944 beim RMEuL, es widerspräche „dem bäuerlichen Eigentumsbegriff und der bäuerlichen Denkart, daß während Väter und Söhne im Felde stehen, Familien durch den Tod der Söhne sich auflösen, die verantwortlichen Männer zu Hause fehlen – Kommissionen auf fremden Eigentum einen Grundstückswechsel […] vornehmen. Der Bauer will nicht fremden Boden bebauen“.50 Widerspruch kam aber auch – für alle überraschend – von der badischen Industrie, die sich für die Klein- und Kleinstlandwirte einsetzte, die als Nebenerwerbslandwirte wichtige Arbeitskräfte waren.

47 Bericht über die Sitzung des Arbeitskreises II bei der Arbeitstagung der RAG, 12.4.1940, BAB, R 49/1001. 48 Kirchner, Flugblattpropaganda, S. 178. 49 Neuordnung, S. 200. 50 Badischer Finanz- und Landwirtschaftsminister an RMEuL, 24.5.1944, BAB, R 3601/ 1673.

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Ungeachtet der Bedenken der Bevölkerung wurden die wissenschaftlichen Vorbereitungen für Aus- und Umsiedlungsplanungen bis 1945 fortgesetzt. Die Arbeiten der einzelnen Hochschulen sollten die Grundlage für die noch zu erarbeitenden Kreisraumordnungspläne bilden, die von den Landesplanungsgemeinschaften aus den einzelnen dörflichen Wunschbildern erstellt wurden. Die Landesbauernschaften, die diese Wunschbilder vorbereiten sollten, bedienten sich dabei der Frankfurter Zentralstelle beziehungsweise einer ihrer beiden Außenstellen in Berlin und Wien.51 In den einzelnen Regionen wirkten sehr unterschiedliche Kräfte auf die Planungen ein, so daß sich unterschiedliche Modelle entwickelten, unter denen hier nur exemplarisch der Fall des Gaus „Westmark“ erörtert werden soll. NEUORDNUNGSPLANUNGEN FÜR DIE „WESTMARK“ Zu Beginn des Jahres 1940 löste ein Aufsatz von Friedrich Kann über die Aussiedlungsmöglichkeiten des Altreichs in der Behörde des saarpfälzischen Gauleiters Josef Bürckel heftige Reaktionen aus.52 Kann hatte die bereits begonnene Feststellung der Aussiedlungsmöglichkeiten in den Realteilungsgebieten beschrieben.53 Bürckels Regierungsdirektor Binder beauftragte daraufhin am 7. Februar 1940 den Leiter des Kulturamtes Saarbrücken, Nießen, eine Stellungnahme zur Aussiedlung von Saarländern zu verfassen. Bereits eine Woche später war dieses auftragsgemäß kritische Memorandum fertig, wurde dem RMEuL übermittelt54 und durch ein Gutachten des Reichskuratoriums für Wirtschaftlichkeit und eine aktuelle Dissertation aus Heidelberg gestützt.55 Damit wurde in der Saarpfalz eine deutlich schärfer artikulierte Ablehnung der Aussiedlung vermeintlich überschüssiger Menschen formuliert als in Baden oder der Rheinprovinz. Im Kern machte Nießen, „berechtigte Zweifel“ geltend, „ob bei der Mentalität der westlichen Landwirte große Neigung zum freiwilligen Gang nach den Siedlungsgebieten des alten oder neuen Ostens bestehen wird“.56 51 Vgl. dazu Dienstnachrichten des Reichsnährstandes 1941, S. 49–50. Vgl. zur Aufgabenaufteilung auch das Protokoll der RAG-Sitzung vom 12.4.1940, wonach die Neuordnungspläne der Dörfer auf den Wunschbildern fußten und sich den Kreisraumordnungsplänen einzufügen hatten, BAB, R 49/1001. 52 Josef Bürckel (1895–1944), seit 1926 Gauleiter der Pfalz, ab 1935 auch Reichskommissar für die Rückgliederung des Saarlandes, 1938 auch Reichkommissar für die Wiedereingliederung Österreichs und ab 1940 auch Chef der Zivilverwaltung in Lothringen. Zu seinen gesellschaftspolitischen Konzeptionen vgl. auch Mai, Rasse, S. 233 ff. 53 Nach Kann war in der Hauptsache die Frage zu beantworten: „Wieviel bäuerliche Familien kann das Altreich, können insbesondere die west- und süddeutschen Realteilungsgebiete für den Aufbau innerhalb des neuen deutschen Ostraumes zur Verfügung stellen?“ Kann, Feststellung, S. 25. 54 Vgl. LA Saarbrücken, Landeskulturverwaltung/530. 55 Vgl. Wirtschaft und Groß, Nebenerwerbsbetriebe, S. 289. 56 Die Anfrage Binders erfolgte mündlich und ist im Antwortschreiben Nießens erwähnt, das von Nießen handschriftlich verfaßt wurde. LA Saarbrücken, Landeskulturverwaltung/470.

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In diesem Zusammenhang suchte man in der Saarpfalz nach Möglichkeiten, Aussiedlungen abzumildern oder zu verhindern. Nießen unterbreitete erste Vorschläge bereits in seiner Stellungnahme vom Februar 1940. Er zeigte eine Alternative, die im Hinblick auf den ohnehin bestehenden Siedlermangel im Osten die Lage nicht vereinfachte: „Ich könnte mir daher denken, daß der deutsche Lebensraum gewisse Erweiterungen nach Westen erfahren würde. Wozu brauchen wir dann im Saarland noch Aussiedler nach dem Osten? […] Ich glaube daher nicht gedanklich fehl zu gehen, daß ab dann nicht minder der Blick nach Westen gewandt werden kann, zunächst wenigstens, soweit als die deutsche Sprachgrenze geht. Hier sehe ich für den Überschuß der saarländischen Landwirtschaft das künftige organische Siedlungsgebiet nach Aussiedlung der dortigen nichtdeutschen Elemente.“57 Die Umsiedlung in das nur wenige Kilometer entfernte Lothringen, wo der gleiche Dialekt gesprochen wurde, war zumindest theoretisch leichter zu vermitteln als ein Umzug in den Osten. Und in der Tat ging Bürckels Politik in die von Nießen aufgezeigte Richtung. Am 31. Oktober 1940 unterrichtete Bürckel den deutschen Botschafter in Paris, Otto Abetz, daß er die Aussiedlung von französisch gesinnten Lothringern, meist bäuerlicher Herkunft, beabsichtige. Am 7. November 1940 begann die Ausweisung der französischsprachigen Lothringer, die vor die Wahl gestellt wurden, in das unbesetzte Frankreich oder den neuen Reichsgau Wartheland zu gehen.58 Das Ausmaß dieser Aussiedlung stand nicht von Anfang an fest. Bürckel dachte zunächst an eine umfassende Aussiedlung der Kreise Saarburg und Metz, was die Räumung von 200 Dörfern mit insgesamt rund 40 000 bis 45 000 Menschen bedeutet hätte. Später verdoppelte Bürckel den Umfang der Aussiedlung. So wurden bei der Ausweisung ländlicher Bevölkerungsgruppen insgesamt 387 Dörfer „evakuiert“. Wie auf der Aufsichtsratssitzung der Bauernsiedlung Westmark GmbH am 29. Oktober 1943 zusammengefaßt wurde, waren von der Aussiedlung circa 80 000 Lothringer betroffen, was einem Anteil von etwa 15 Prozent der Bevölkerung entsprach.59 Der Grundbesitz der ausgesiedelten Personen wurde zu Gunsten des Chefs der Zivilverwaltung in Lothringen als reichsfeindliches Vermögen beschlagnahmt und sollte der Neubildung deutschen Bauerntums dienen. Die landwirtschaftliche Neuordnung in Bürckels Gau „Westmark“, der 1940 durch die Zusammenlegung des Saarlandes, der Pfalz und Lothringens entstanden war, sollte der Verschmelzung dieser Regionen und damit der Germanisierung Lothringens dienen.60 Zugleich boten sich für die Neuordnung ungeahnte Möglichkeiten, da in Lothringen durch die Vertreibung von rund 57

LA Saarbrücken, Landeskulturverwaltung/470. Vgl. Wolfanger, Lothringen, S.148–159. 59 Vgl. LA Saarbrücken, Landeskulturverwaltung/434, Bl. 30a. Vgl. auch Jäckel, Frankreich, S.131. Wolfanger hingegen hält die Zahl von ungefähr 63 000 Personen für am wahrscheinlichsten. Vgl. Wolfanger, Lothringen, S. 155 f. 60 Vgl. dazu Mai, Rasse, S. 223 ff. Mai, Wiederaufbau, Schaefer, Bauernsiedlung und Wolfanger, Lothringen. 58

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80 000 Franzosen eine Neubesiedlung möglich war. Die reichsdeutsche Bevölkerung, die im Grenzgürtel lebte, war bereits zu Kriegsbeginn evakuiert worden. In ihrer Abwesenheit wurden in den verlassenen Dörfern großzügig die Häuser abgerissen, die der Neuordnung im Wege standen.61 Diese wurden als Kriegsschäden bezeichnet und die Bevölkerung so vor vollendete Tatsachen gestellt. Man hoffte, daß die Menschen als Entwurzelte leichter umzusiedeln seien, zumal wenn man ihnen einen Hof in Lothringen als Entschädigung versprach. Für die Planer waren dies ideale Bedingungen. Adolf Münzinger, Professor für landwirtschaftliche Betriebslehre an der Universität Hohenheim62, der im Auftrag des Chefs der Zivilverwaltung Lothringen neu ordnen sollte, bemerkte rückblickend in seiner Autobiographie, daß ihm „der Auftrag viel Freude gemacht“ habe und er ihn als „Leckerbissen für den Betriebslehrer bezeichnen“ müsse, da er ihm doch die Möglichkeit geboten habe, „die Landwirtschaft eines ganzen Landes nach den vorliegenden Verhältnissen wenigstens theoretisch aufzubauen“.63 Ähnlich erging es dem Architekten und Städteplaner Rudolf Schwarz, der dem NS-Staat eher skeptisch gegenüber stand.64 Die Arbeit in Lothringen hielt er für ein Eldorado, in dem er seine Planungsträume verwirklichen konnte. Er bekam für seine Arbeit ein Versuchsfeld das „viel schöner und größer“ war als er es sich erträumt hatte. Er „hatte beinahe grenzenlose Freiheit, es nach meinem eigenen Wunsch zu bearbeiten“.65 Aufgrund seiner besonderen Rolle wurde der Gau „Westmark“ das Objekt konkurrierender Planungen. Das Neundörfersche Institut plante hier ebenso wie der RKF, der den Gießener Agrarwissenschaftler Max Rolfes verpflichtete, und der Chef der Zivilverwaltung, der den bereits erwähnten Agrarwissenschaftler Adolf Münzinger beauftragte.66 Die Arbeiten der Hochschulen wurden in Frankfurt zentral ausgewertet, aber nicht von dort gesteuert. Sie boten den einzelnen Wissenschaftlern einen Freiraum, den sie unterschiedlich nutzten und für ihre eigene Profilierung verwenden konnten. So bestimmten oftmals die Partikularinteressen der Universitäten beziehungsweise Hochschulen oder der einzelnen Wissenschaftler das Vorgehen. GRENZEN DER NEUORDNUNGSPLANUNGEN Mit dem Fortgang ihrer Untersuchungen kamen die regionalen Planer und ihre Partner an den Universitäten zu unerwarteten Ergebnissen. Desto stärker sie 61

Vgl. Mai, Wiederaufbau. Adolf Münzinger (1876–1962), seit 1922 o. Prof. in Hohenheim, Leiter des Instituts für landwirtschaftliche Betriebslehre. 63 Münzinger, Leben, S. 97. 64 Rudolf Schwarz war engagierter Katholik und Quickborner, über den Quickborn mit Ludwig Neundörfer eng befreundet. Vgl. dazu auch Johannes Binkowski, Jugend. 65 Rudolf Schwarz, zit. nach Frank, Stadtlandschaft, S. 232. 66 So gab es für Lothringen zwei Gestaltungsvorschläge, vgl. dazu Mai, Rasse, S. 339 ff. Münzinger war auch persönlich an einer Verbreitung seiner Arbeiten interessiert. 62

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ihre Untersuchungsmethoden präzisierten und den agrarökonomischen Verhältnissen ihrer Untersuchungsgebiete anpaßten, um so kleiner fielen die errechneten Zahlen für den Osten „freigesetzter“ Siedler aus. So schwankten die Schätzungen für Thüringen zwischen 12 500 und 21 800 potentiell freizusetzenden Siedlerfamilien, für Württemberg konnten die Wissenschaftler statt der erhofften 50 000 Umsiedlerfamilien letztlich nur 10 000 bis 12 000 Familien nachweisen, und für das Rheinland mußte eine erste Schätzung aus dem Jahr 1941 von über 33 000 Umsiedlerfamilien 1943 auf 18 000 herunterkorrigiert werden.67 Anfang 1941 konnte auf Grund der bis dahin vorliegenden Arbeiten eine Zwischenbilanz gezogen werden. Statt der Ende 1939 rund 400 000 erwarteten Siedlerfamilien aus den Realteilungsgebieten ging man nun von etwa 220 000 Familien aus.68 Diese für das gesamte Reichsgebiet ermittelten Siedlerzahlen gaben die theoretisch festgestellten Aussiedler an. Da bei der Aussiedlung reichsdeutscher Bauern jedoch deren freiwillige Kooperation vorausgesetzt wurde, waren sich die Planer darüber klar, daß diese Zahlen nicht ohne weiteres erreicht werden würden. Hier wurden die Grenzen der Planungen deutlich. Gerade die persönliche Entscheidung der bäuerlichen Familien war nur bedingt zu beeinflussen. Bei der geplanten Umsiedlung der Bauern aus dem Altreich erwies sich die rassistische Ideologie des NS-Staates eher als hinderlich: Man konnte in der Logik der Machthaber den arischen Bauern nicht wie einen Juden oder sogenannten Reichsfeind behandeln. Im Gegensatz zur Umsiedlungspraxis in den besetzten Gebieten hielten sich die Verantwortlichen im Altreich formal an die rechtlichen Normen. Zugleich stellte der Krieg den denkbar unpassendsten Zeitpunkt dar, die Eigentumsverhältnisse der zum Militär eingezogenen Bauern zu verändern, wollte man nicht Unruhe und Unzufriedenheit in der Bevölkerung schaffen. Das offizielle Ende der Neuordnungsplanung und ihres Vollzuges im Altreich kam Ende August 1944. In einem Rundschreiben des Reichsbauernführers wurde im Rahmen des totalen Kriegseinsatzes die Siedlungsabteilung des Reichsnährstandes stillgelegt.69 Bis zu diesem Zeitpunkt waren laut Angabe des zuständigen Abteilungsleiters im Reichsnährstand für 4 500 Richtgemeinden kartographische Bestandsbilder erstellt worden.70 Im Bereich der Landes67 Vgl. Unterstenhöfer, Untersuchungen und Übersicht, 18.7.1940, Universitätsarchiv Jena (UA Jena), S. XV/18, Landesplanungsgemeinschaft Württemberg an RfR, 30.6.1940, BAB, R 113/2263, Münzinger, Landumbau, S. 161, Reichsbauernführer an RMEuL, 23.1.1941, BAB, NS 26/945 und Busch, Raumordnung, S. 55. 68 Vgl. Reichsbauernführer an RMEuL, 23.1.1941, BAB, NS 26/945. 69 Vgl. Rundschreiben des Reichsbauernführer, 23.8.1944, Landeshauptarchiv Magdeburg (LHA Magdeburg), Rep. C. 102/3. Am 25. Juli 1944 wurde Goebbels Reichsbevollmächtigter für den Totalen Kriegseinsatz und veranlaßte die Mobilisierung der letzten Reserven. 70 Die Unterlagen des Soziographischen Instituts in Frankfurt am Main überstanden den Krieg unbeschadet, gingen aber 1975 bei der Auflösung des Institutes verloren. Eine Selbstdarstellung des Soziographischen Institutes (wahrscheinlich um 1952) verzeichnet die Untersuchung der Richtgemeinden und verweist auf 3 000 Kartierungen „im Archiv des Hauses“,

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bauernschaften Baden, Württemberg, Westmark und Hessen Nassau, Kurhessen, Thüringen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Sudetenland, Schlesien, Kurmark, Nieder- und Oberdonau lagen geschlossene Bestands- und Wunschbildprotokolle vor, die etwa 10 Prozent aller Gemeinden umfaßten. Für die Landesbauernschaften Bayern, Moselland, Rheinland, Weser-Ems, Schleswig-Holstein, Mecklenburg, Pommern und Land Sachsen lag zwar weniger, aber zur Feststellung der Struktur ausreichendes Material vor. Die Übertragung auf die Wunschbildprotokolle in Karten in vervielfältigungsfähigen Mutterpausen und drei bis fünf ausgefertigten Exemplaren war zum 1. April 1944 für 2 735 Gemeinden mit 516 467 Haushalten abgeschlossen. Flächendeckende Erfassung einzelner Kreise gab es in Schlesien für die Kreise Habelschwerdt und Namslau, in Tirol der Kreis Reutte, in Mainfranken den Kreis Mellrichstadt. Für Thüringen waren die Vorarbeiten für die Kreise Neustadt, Kissingen, Brückenau, Rhön und Hildburghausen beendet, ebenso für den Kreis Oberpfullendorf in der Niederdonau und Oberwart in der Steiermark. Neben den Gebieten der oben genannten Landesbauernschaften waren auch Neuordnungsplanungen in den annektierten östlichen Gebieten durchgeführt worden. Betroffen waren Böhmen und Mähren, das Sudeten- und das Wartheland sowie Westpreußen. Für Lothringen, Westfalen und Weser-Ems wurden zusammen 118 Gemeinden mit 39 436 Haushalten als bearbeitet angegeben, für das Sudetenland, Böhmen-Mähren und Schlesien waren es 770 Gemeinden mit 140 419 Haushalten; für das Wartheland, die Südmark, Thüringen und Württemberg 416 Gemeinden mit 69 570 Haushaltungen.71 Nur ein geringer Prozentsatz der Richtgemeinden, für die ein Wunschbildprotokoll vorlag, wurde auch während des Krieges amtlich zu Neuordnungsgemeinden erklärt. Davon befanden sich 244 in der Saarpfalz und in Lothringen, 61 im Elsaß, 14 in Baden, 13 in der Rheinprovinz und eine Gemeinde in Württemberg. In ihnen waren damit die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen, um die Neuordnungsplanungen umzusetzen. Für Ende 1944/Anfang 1945 wurden die ersten gedruckten Wunschbildprotokolle für die Gaue Baden, Westmark, Württemberg angekündigt. Sie waren als Auftakt einer Schriftenreihe gedacht, in welcher die Neuordnung aller Reichsgaue behandelt werden sollte. Diese Bände sollten 250 Planungsräume umfassen und zu einem Nachschlagewerk für die einzelnen Länder werden. Zu einer Veröffentlichung ist es jedoch nicht mehr gekommen.72 Die Arbeiten des Forschungsinstitutes von Ludwig Neundörfer gingen weiter, bis sie von der militärischen Entwicklung im März 1945 eingeholt und gestoppt wurden. Aber noch Ende Februar 1945 Universitätsarchiv Frankfurt (UA Frankfurt), H 127/3/02-50. Wolfram Pyta fand unlängst die verschollenen Unterlagen des Frankfurter Instituts in Marburg. 71 Neues Bauerntum, Bd. 36 (1944), S. 209–210, vgl. dazu auch Pyta, Menschenökonomie. 72 Im Juli/August 1944 war der erste Halbband dieser Schriftenreihe „Daseinsformen der ländlichen Bevölkerung in Baden“ abgeschlossen, gelangte jedoch nicht mehr zum Druck. Der erste Band für die Westmark stand kurz vor dem Abschluß, an den Bänden Moselland und Württemberg wurde noch gearbeitet. Vgl. Neues Bauerntum, Bd. 36 (1944), S. 209.

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wurde für das Haushaltsjahr 1945/46 ein Antrag an die RAG gestellt, die „Raumordnung in südwestdeutschen Landkreisen mit besonderer Berücksichtigung der ländlichen Daseinformen“ zu untersuchen.73 Auf der letzten Vorstandssitzung des Frankfurter Instituts am 15. März 1945 – die US-Truppen hatten gerade eine Woche zuvor bei Remagen den Rhein überschritten – wurde die Übernahme von Forschungsaufträgen des RKF, des Reichsstatthalters in der Westmark und CdZ Lothringens, sowie des Reichsforschungsrates für das Geschäftsjahr 1945/46 beschlossen.74 Neundörfer bereitete auf dieser Sitzung aber auch schon die Weiterarbeit nach dem Krieg unter veränderten politischen Vorzeichen vor. Sein Konzept der wertfreien Politikberatung auf der Basis von „Grundlagenforschung, die jeder Fragestellung gerecht“ werden könne, war auch im Nachkriegsdeutschland erfolgreich. So zählte er zu den engeren Beratern Ludwig Erhards, der selbst, wie Neundörfer auch, bereits für Bürckel in Lothringen beratend tätig gewesen war. DIE LÄNDLICHE NEUORDNUNG DES ALTREICHES – WISSENSCHAFTLICHE BEGLEITFORSCHUNG UND UMSIEDLUNGSPRAXIS Im Gegensatz zu den brutalen und willkürlichen Umsiedlungs- und Neuordnungsmaßnahmen des NS-Staates in den besetzten Gebieten setzte das Regime sich bei der Neuordnungsplanung für das Altreich und der Umsiedlung der ländlichen reichsdeutschen Bevölkerung normative Grenzen. Gerade die rassistische Ideologie, die eine deutliche Differenzierung und Wertung der Menschen nach ihrem „Rassewert“ vornahm, bedingte auch eine unterschiedliche Behandlung der „Planungsbetroffenen“. Eine Gleichbehandlung zur Umsiedlung vorgesehener „rassisch hochwertiger“ deutscher Bauern mit polnischen oder tschechischen Landwirten hätte eine Herabsetzung der eigenen, bisher idealisierten und hofierten bäuerlichen Bevölkerung bedeutet. Gewaltsame Umsiedlungen hätten ferner die innere Stabilität der „Heimatfront“ gefährdet, während des Krieges ein riskanter Effekt: Man konnte die eigene Bevölkerung nicht einfach mit Polizeikräften über Nacht von ihrem Grundbesitz vertreiben und deportieren, wie es in den besetzten Gebieten üblich war. Die Hochschulen und Universitäten lieferten nicht nur die nötige Grundlagenforschung, indem sie unter anderem die empirische Basis der soziographischen Planung schufen, sondern formulierten auch für ihre Auftraggeber die Perspektiven des Machbaren. Am Beispiel Lothringens wird der Auftragscharakter der wissenschaftlichen Zuarbeit in der Neuordnungs- und Umsiedlungsplanung in dem polykratischen NS-Staat deutlich. Sowohl der RKF als auch der CdZ, die beide unabhängig von einander zwei verschieden Siedlungskonzeptionen verfolgten, bedienten sich jeweils eigener „unabhängiger“ Wissen73

Antrag der Universität Frankfurt a.M. an die RAG, 28.2.1945 an die RAG, BAB, R 164/

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Vgl. UA Frankfurt, H 127/3/02-50.

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schaftler, nämlich der Agrarwissenschaftler Max Rolfes aus Gießen einerseits und Adolf Münzinger aus Stuttgart-Hohenheim andererseits. Faktisch entbehrten die gesamten Neuordnungsplanungen einer realistischen Grundlage. Lediglich zu Beginn, als die ersten Ansätze formuliert wurden, und man mehrere Generationen zur Umsetzung einkalkulierte, war noch ein gewisser Realitätssinn erkennbar. Aber schon bald verlor sich jeder Realismus in Machbarkeitsphantasien. Gerade die vermeintliche Professionalisierung der Planung durch den Einsatz zahlreicher, sehr engagierter Wissenschaftler trug nicht zur Modifikation oder Entschärfung der Pläne und ihrer Konsequenzen bei. Gleichgültig, ob sie dem Nationalsozialismus eher fern standen, ob sie aus Überzeugung, Opportunismus, Karriereplanung oder Anpassung mitwirkten oder einen geschmeidigen Umgang mit der Wirklichkeit pflegten – sie alle stellten ihre Expertise in den Dienst einer nationalsozialistischen Neuordnung. Auch wenn diese über weite Strecken im Stadium der Planung verblieb, begann die Verantwortung der beteiligten Wissenschaftler für die Umsiedlungspolitik dort, wo sie den Machthabern theoretische Lösungen anboten – unabhängig davon, ob sie selbst in deren Vollzug involviert waren.

PLAN UND PRAXIS DEUTSCHE SIEDLUNGSPOLITIK IM BESETZTEN LITAUEN 1941–1944 von Christoph Dieckmann Litauen war zweimal Objekt deutscher Kolonisierungs- und Siedlungspolitik. Im Ersten Weltkrieg blieb es weitgehend bei der Utopie, das Land dem Deutschen Reich einzuverleiben, wenngleich sich durchaus praktische Tendenzen einer sogenannten Germanisierung abzeichneten. Der Kriegsverlauf führte letztlich dazu, daß Litauen keine deutsche Provinz, sondern 1918 ein unabhängiger Staat wurde. Während der zweiten deutschen Besatzung von 1941 bis 1944 griff die Besatzungsverwaltung sehr viel tiefer in die litauische Gesellschaft ein. Der Reichsminister für die besetzten Ostgebiete (RMO), Alfred Rosenberg, hatte in seiner ersten Denkschrift an Hitler Anfang April 1941 umständlich formuliert: Das Baltikum werde „deutsches Siedlungsgebiet der Zukunft unter Assimilierung der rassisch Geeignetsten“ bei gleichzeitiger „Aussiedlung rassisch minderwertiger, größerer Bevölkerungsgruppen aus Litauen“. Rosenberg wollte „im Laufe einer oder zweier Generationen dieses Gebiet als neues eingedeutschtes Land dem deutschen Kerngebiet“ anschließen.1 Wie im Ersten Weltkrieg bestand die langfristige Aufgabe der deutschen Verwaltung während des Zweiten Weltkrieges darin, die Region auf die Annexion vorzubereiten. Aber anders als zwischen 1915 und 1918 waren Gewalt und Massenverbrechen zwischen 1941 und 1943 in kaum vorstellbaren Dimensionen Bestandteil deutscher Herrschaft in Litauen. Über 95 Prozent der litauischen Juden fielen deutscher Besatzungsherrschaft zum Opfer, Litauer wurden ausgebeutet und „umgeschichtet“ und im Süden Litauens lebende Polen zur Zwangsarbeit verschleppt. Über 160 000 sowjetische Kriegsgefangene und mindestens 40 000 sowjetische Zwangsevakuierte überlebten die deutsche Besatzungsherrschaft auf litauischem Territorium nicht. Im Jahr 1942 wurde ein Teil jener volksdeutschen Familien aus Litauen, die erst ein Jahr zuvor in das annektierte Westpolen und nach Ostpreußen gebracht worden waren, auf vergrößerten Bauernhöfen erneut in Litauen angesiedelt. Dafür mußten mindestens 22 000 Litauer, Polen und Russen ihre Höfe verlassen. Die Neuansiedlung der Litauendeutschen in Litauen war ein Sonderfall in der gesamten NS-Siedlungspolitik, denn die NS-Führung ließ Volksdeutsche aus den Umsiedlungen 1939 bis 1941 sonst nicht wieder in ihre alte Heimat 1 Erste Denkschrift Rosenbergs über Ziele und Methoden in den zu besetzenden Ostgebieten v. 2.4.1941, Prozeß, Bd. 26, S. 549 f.; Vgl. Aktenvermerk Bormann zum 16.7.1941, ebd., Bd. 38, S. 86–92.

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zurück. Warum es in Litauen dazu kam, wie dieser komplexe Prozeß in der Praxis aussah und was er für Litauen bedeutete, ist Thema der folgenden Ausführungen. Insbesondere geht es darum, an diesem Beispiel das Verhältnis zwischen den deutschen Planungen auf der einen und ihrer konkreten Umsetzung auf der anderen Seite in den Blick zu nehmen.2 DEUTSCHE SIEDLUNGSPLÄNE FÜR DIE BESETZTE SOWJETUNION AB 1941 Bereits während des Ersten Weltkrieges sahen diverse deutsche Pläne die Vertreibung der polnischen, russischen und jüdischen Bevölkerung aus Litauen und die Ansiedlung deutscher „Wehrbauern“ im Baltikum vor, um ein „Neu-Deutschland“ zu schaffen.3 Im Frühjahr und Sommer 1918 schienen diese Pläne für kurze Zeit durchaus realistisch zu sein, als die Truppen der Mittelmächte weite Teile des durch die Novemberrevolution erschütterten ehemaligen Zarenreiches besetzten. An die Erfahrung dieses „deutschen Ostimperiums“ von 1918 knüpfte die NS-Führung an, als sie 1941 ihre Kolonisierungs-, Siedlungs- und „Lebensraum“-Pläne für die zu erobernde Sowjetunion formulierte. Man dachte an den Aufbau von „menschlichen Schutzwällen“ deutscher Siedler, die durch riesige Wasserstraßen, Eisenbahnen und Straßen miteinander verbunden sein sollten, um das nach Osten expandierende Reich abzusichern. Die NS-Führung unterschied für die besetzten sowjetischen Gebiete zwischen Siedlungsgebieten für Deutsche oder „Germanen“ einerseits und wirtschaftlich auszubeutenden Kolonialgebieten andererseits.4 Sprach sie von „Kolonien“, so beschränkte sich das Interesse auf die Ausbeutung von Rohstoffen und Arbeitskräften.5 Entsprechend der völkisch-rassistischen Logik war die deutsche Involvierung in den Gebieten, die „germanisiert“ werden sollten, potentiell am größten. Germanisierung bedeutete die „totale Verdrängung“ oder „totale physische Vernichtung“ der auf dem Boden lebenden „nichtdeutschen“ Menschen und die vollständige Besiedlung mit Deutschen.6 „Eindeutschung“ bedeutete die Umerziehung und Aufnahme bisher nichtdeutscher Menschen in die deutsche „Volksgemeinschaft“, die „Umvolkung“. In der völkisch-rassistischen Logik entschied das „Blut“ über die Frage, wer in dem deutsch beherrschten Raum zu vertreiben oder zu vernichten und wer umzu2 Vgl. insgesamt Myllyniemi, Neuordnung, Czollek, Faschismus, Ruksenas, Politika, S. 29–76, 244–325, Bubnys, Lietuva, Bulavas, Vokiskuju und Stossun, Umsiedlungen. 3 Vgl. Linde, Politik, Mann, Länder, Fischer, Griff, Basler, Annexionspolitik, Strazhas, Ostpolitik und Liulevicius, Kriegsland. 4 So Hitler am 12.12.1941, wiedergegeben von Reichskommissar Lohse im Schreiben an RMO zur neuen Agrarordnung, 5.2.1942, Bundesarchiv Berlin (BAB), R 6/13. 5 Vgl. mit anderer Gewichtung Zimmerer, Geburt. 6 Vortrag Ehlich vom RSHA auf Tagung des Volkspolitischen Reichsreferats der Reichsstudentenführung in Salzburg am 10./11.12.1942, gedruckt in: Rössler/Schleiermacher (Hg.), Generalplan, S. 48–52.

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volken sei. „Eindeutschungsfähigkeit“ sollte die Grenze markieren zwischen Vertreibung oder Vernichtung auf der einen Seite und Verbleib im deutsch beherrschten Raum auf der anderen Seite. An dem einen Ende der Skala des deutschen „Lebensraumes“ stand somit die Kolonie, an der nur bestimmte Interessen bestanden, an dem anderen Ende völlig germanisierte Gebiete. Dazwischen lag eine breite Übergangszone, in der es um Teilbesiedlung und Eindeutschung ging. Verschiedene Zielvorstellungen existierten nebeneinander, aber es gab auch Gebiete wie das annektierte Westpolen oder das Baltikum, die nach dieser völkisch-rassistischen Logik alle Stufen nacheinander durchlaufen sollten. In den Worten Himmlers: „Die Hauptkolonie unseres Reiches ist aber der Osten: Heute Kolonie, morgen Siedlungsgebiet, übermorgen Reich.“7 Die seit Ende 1939 laufenden Siedlungsplanungen für die annektierten polnischen Gebiete wurden mit Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion nach Osten ausgeweitet. Heinrich Himmler, seit 1939 Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums (RKF), erhielt vom RKF-Stabshauptamt mehrere, jeweils revidierte Planungen: im Juli 1941, Ende Mai 1942 und im Dezember 1942. Die destruktiven Phantasien schossen ins Unermeßliche. Hitler hatte wesentliche geographische Vorgaben gemacht und bereits im Sommer 1941 für die besetzten sowjetischen Gebiete gefordert, daß die vorläufigen Endpunkte – im Nordosten das Gebiet um Leningrad („Ingermanland“), im Südosten die Krim („Gotengau“) – als erste vollständig besiedelt werden sollten.8 Die Planungen des RKF sahen vor, sie durch Siedlungsbrücken und stützpunkte mit den zu annektierenden Gebieten Westlitauen und Bialystok zu verbinden. Diese „Brücken“ sollten zum einen durch das Baltikum und die Ukraine führen und gleichzeitig SS- und Polizeistützpunkte sein. Zum anderen sollten sie durch Stützpunkte im Generalgouvernement eine Verbindung zu den annektierten westpolnischen Gebieten herstellen. Die als „Siedlungsmarken“ bezeichneten Gebiete Ingermanland (Leningrad-Gebiet), Gotengau (Krim und Umland) und Memel-Narew-Gebiet (Westlitauen-Bialystok) sollten bis zum Abschluß der Siedlung vollständig dem Reichsführer-SS (RFSS) in seiner Funktion als RKF unterstellt werden.9 Die verschiedensten Dienststellen – vom RKF über das 1941 neu gebildete Ostministerium, das Reichssicherheitshauptamt (RSHA), das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS (RuSHA) und das Institut für Grenz- und Auslandsstudien bis zum Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie – entwickelten in den Jahren 1941 und 1942 teils in Kooperation miteinander, teils in Konkurrenz zueinander Konzepte zur Eindeutschung des Baltikums und zur Vertreibung der „rassisch unerwünschten Angehörigen der Baltikumvölker“.10 Der RKF sah 7 Rede von Himmler in der SS-Junkerschule Tölz, 23.11.1942, BAB, NS 19/4009, Bl. 180 ff. 8 Vgl. Vermerk K. Meyer v. 23.2.1942 zum Vortrag bei Himmler am 19.2.1942, gedruckt in Madajczyk (Hg.), Generalplan, S. 41 f. 9 Vgl. Madajczyk (Hg.), Generalplan, S. 99. 10 Bericht Wetzel an Bräutigam v. 7.2.1942 über eine Sitzung im RMO am 4.2.1942, in Madajczyk (Hg.), Generalplan, S. 38–41.

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in seinem Generalplan Ost vom Ende Mai 1942 vor, im Laufe von 25 Jahren rund 250 000 deutsche Siedler in Litauen anzusiedeln, wo sie gemeinsam mit einzudeutschenden Einheimischen die führende Schicht bilden und alle wichtigen Stellen in Wirtschaft und Verwaltung besetzen sollten. Nur 15 Prozent der Litauer galten im RKF-Plan als eindeutschungsfähig, 85 Prozent sollten vertrieben werden.11 Himmler griff direkt in die Entwürfe des RKF ein, verkürzte Fristen, erhöhte Deportationszahlen und weitete den geographischen Rahmen aus. Er machte im Juni 1942 die neue Vorgabe, daß in Litauen Einheimische nicht eingedeutscht werden sollten. Stattdessen wollte er das Land nach Kriegsende innerhalb von 20 Jahren komplett neu besiedelt wissen.12 Da er gleichzeitig forderte, das Generalgouvernement sowie Estland und Lettland vollständig einzudeutschen und zu besiedeln, stießen Himmlers Wünsche sogar innerhalb des RKF auf Skepsis. Man fragte sich, ob Himmler denn „davon unterrichtet [sei], daß selbst in den eingegliederten Ostgebieten [d.h. im westlichen Polen] unter den günstigsten Umständen in absehbarer Zeit immer noch 40–60% polnische Bevölkerung als Arbeiter verbleiben“ werde.13 Auch in der in Riga residierenden deutschen Zivilverwaltung des Baltikums – des Reichskommissariates Ostland (RKO) – gingen die Beteiligten, wie etwa Reichskommissar Hinrich Lohse, davon aus, daß es mit Ausnahme der Neuansiedlung der Litauendeutschen zunächst zu keiner weiteren Besiedlung des Baltikums kommen werde. Die „zwangsweise Ausgliederung der einheimischen Bevölkerung [komme] nicht in Frage“, denn es fehle an „zur Verfügung stehenden Menschen“.14 Gleichwohl kam es auch in Riga zu weit ausgreifenden Planungsentwürfen. Seit Mai 1942 bemühte sich der Leiter der Raumordnungsabteilung im RKO, Werner Essen, einen Fuß in die anlaufende Siedlungspolitik zu bekommen. Seine Abteilung erstellte bis Mitte November 1942 eine „Raumordnungsskizze“.15 Auch dieses von Gottfried Müller verfaßte Planungspapier hatte monströsen Charakter. Müller wollte das RKO zu einer „Grenzmark Mitteleuropas gegen den Bolschewismus und das Polentum“ umgestalten. Während die jüdische Bevölkerung in Müllers Planung gar nicht mehr vorkam, sollten die Litauer auf Kosten der Polen in den Südosten Litauens „verlagert“ werden. Das übrige Litauen sollte Teil einer deutschen „Volkstumsbrücke“ zwischen Tilsit und Riga werden, in der etwa 500 000 Deutsche geschlossen angesiedelt werden sollten. Für den Bereich nordöstlich der „Volkstumsbrücke“, zwischen Riga und Leningrad, das „relativ entvölkert“ sein werde, stellte sich Müller ein System von Stützpunkten vor, in denen 300 000 deutsche Siedler leben sollten. 11

Vgl. Madajzcyk, Generalplan Ost, S. 127. Vgl. ebd. S. 134. 13 Vermerk v. 8.7.1942 von Udo von Schauroth für Meyer, Gebert, Mäding, Doubek zu Weisungen RFSS zu GPO. Vorgang: Eindeutschung der neuen Siedlungsgebiete, in Madajczyk (Hg.), Generalplan, S. 152 ff. 14 Denkschrift RK Lohse, o.D. (etwa Herbst 1942), Sonderarchiv Moskau, 1358-1-12. 15 Vorentwurf (Raumordnungsskizze) zur Aufstellung eines Raumordnungsplanes für das Ostland v. 17.11.1942, gedruckt in Rössler/Schleiermacher (Hg.), Generalplan, S. 189–197. 12

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Insgesamt, so meinte Müller, würden 800 000 Deutsche zur Beherrschung des „Ostlands“ ausreichen, wenn die einheimischen Völker wieder „Vertrauen zur deutschen Führung“ schöpfen und sich unterordnen würden. In Berlin gingen die Arbeiten in noch größeren Dimensionen in der zweiten Jahreshälfte 1942 weiter, wie an den Planungsdetails für das Baltikum im Material des unfertig gebliebenen Generalsiedlungsplans des RKF vom 23. Dezember 1942 zu erkennen ist16: Man beabsichtigte die Bevölkerung des Baltikums von etwa 7,2 auf 5,2 Millionen zu reduzieren, zugleich sollte ihre ethnische Zusammensetzung eine völlig andere werden: Über 5,1 Millionen Menschen – gut 70 Prozent der ansässigen Bevölkerung – wären bei Verwirklichung des Plans vertrieben oder durch Hunger und Zwangsarbeit umgebracht worden. Stattdessen sollten über 3,1 Millionen neue Siedler ins Land kommen zu den verbliebenen 2,1 Millionen Balten, die als eindeutschungsfähig galten. In jenen 21 Städten, die in der ersten Phase zu Siedlungsstützpunkten ausgebaut werden sollten, hätten über zwei Drittel der Einheimischen – über 800 000 – ihren Platz für 810 000 Deutsche räumen müssen, 390 000 hätten als Eindeutschungsfähige bleiben sollen. Allerdings gingen die Bearbeiter des Generalsiedlungsplans Ende 1942 selbst davon aus, daß ihre Visionen mittelfristig nicht realisierbar sein würden: Da die Siedlungstätigkeit im polnischen Raum Vorrang habe, rechneten sie für das Baltikum nur mit 150 000 Deutschen, die sofort angesiedelt werden könnten und „für eine deutsche Führung“ zunächst ausreichen müßten.17 In den Planungen des RSHA kam dem Baltikum eine höhere Priorität zu. Es rangierte nach den „eingegliederten Ostgebieten“ an zweiter Stelle und vor den übrigen polnischen Gebieten. Hans Ehlich von der Gruppe III B des RSHA forderte, das Baltikum innerhalb von zehn Jahren total einzudeutschen. Er wollte nicht – wie der RKF – 5,1 Millionen Einheimische „ausscheiden“, sondern drei Millionen, denn er sah je die Hälfte der Esten, Letten und Litauer als eindeutschungsfähig an.18 Die Planungen des RSHA, RKF und RKO standen in extremer Spannung zur Realität. Die genannten Zahlen von zu verschiebenden Menschen waren absurd hoch, die Zeiträume absurd kurz. Dabei machte es kaum einen Unterschied, ob man von 250 000, 800 000 oder drei Millionen deutschen Siedlern im Baltikum ausging, von drei oder fünf Millionen zu deportierenden Einheimischen, von 10, 20 oder 30 Jahren. Was die Zukunftskonzepte konkret 16 Vgl. die Tabellen „Raum und Bestand“ sowie „Erstrebte Bevölkerungszahl und Siedlerbedarf“, gedruckt in Madajczyk (Hg.), Generalplan, S. 236 ff. Statistische Grundlagen für das Baltikum waren im RKF im April und September 1942 zusammengestellt worden. Vgl. „Vorläufige Angaben über Westlitauen“. Berichtsstand April 1942, BAB, R 49/162 und „Vorläufige Angaben über Estland, Lettland und Litauen“. Berichtsstand September 1942, BAB, R 49/161. Beide Berichte stammen aus der von SS-Untersturmführer F. Doubek geleiteten Abteilung „Bestandsaufnahme und Raumuntersuchung, Volksordnung“ im Planungsamt des RKF, Sachbearbeiter war Dr. H. Kabermann. 17 Zit. nach Madajczyk (Hg.), Generalplan, S. 245. Vgl. die Tabelle „Räumliche und zeitliche Verteilung der Siedlerreserve“, ebd., S. 244. 18 Vgl. handschriftliche Notizen Krumeys, in Madajczyk (Hg.), Generalplan, S. 263 und 265.

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bedeuteten, war widersprüchlich und den Beteiligten selbst unklar. Der Chef der Einsatzgruppe A und Befehlshaber der Sicherheitspolizei, Franz Stahlekker, monierte im Oktober 1941, daß „die deutschen Verwaltungsstellen selbst über die zukünftige Verwaltungsform und das Schicksal der in dem Raum lebenden Völker nicht informiert“ seien. Es fehle an „Klarheit über die Zukunft der baltischen Völker und ihrer Verwaltungsform“.19 Mitten in dieser ungeklärten Situation vor Ort fällte die SS-Führung im September 1941 die Grundsatzentscheidung, die gerade erst ausgesiedelten Litauendeutschen wieder in Litauen anzusiedeln. DIE UMSIEDLUNG DER LITAUENDEUTSCHEN 1941 Im Unterschied zur Geschichte der Deutschen in Lettland und Estland, wo sie Jahrhunderte lang als Oberschicht eine starke Stellung eingenommen hatten, geht die deutsche Siedlung in Litauen im wesentlichen erst auf das 19. Jahrhundert zurück. Nach ersten kleinen Einwanderungswellen im 13., 14. und 16. Jahrhundert aus deutschen Gebieten nach Litauen hatte seit Ende des 18. Jahrhunderts eine dritte Einwanderung stattgefunden, aus der die Masse der Litauendeutschen hervorging.20 Vor allem Handwerker und Bauern aus Westund Ostpreußen, Hessen, Westfalen und dem Rheinland sowie Salzburger wanderten ein. Sie ließen sich in der Nähe der deutsch-litauischen Grenze im Südwesten Litauens nieder, wo um 1939 über 80 Prozent der etwa 45 000 Litauendeutschen lebten. Viele hatten zu diesem Zeitpunkt die deutsche Sprache schon verlernt. Die lutherische Kirche bildete die wichtigste kulturelle Klammer, der 98 Prozent der Deutschen angehörten.21 70 Prozent der Litauendeutschen waren Bauern, 20 Prozent Handwerker und nur 10 Prozent arbeiteten in städtischen Berufen.22 Der Hitler-Stalin-Pakt vom 23. August 1939 veränderte die Situation einschneidend: Mit der Aufteilung Osteuropas in Interessensphären der UdSSR beziehungsweise Deutschlands stellte er zum einen den Ausgangspunkt zahlreicher gelenkter Umsiedlungen dar. Zum anderen bedeutete er für die baltischen Staaten das Ende der Unabhängigkeit. Litauen war am 23. August 1939 zunächst den Deutschen zugeschlagen worden, bevor es Ende September 1939 im Tausch gegen Gebiete um Lublin und Warschau in sowjetisches Interessengebiet fiel. Das Suvalkija-Gebiet im Südwesten kam schon Ende 1939 zur Provinz Ostpreußen. Das seit 1920 von Polen besetzte Vilnius war im September 1939 von den Sowjets besetzt und Litauen angegliedert worden. 19 Gesamtbericht der Einsatzgruppe A bis 15.10.1941, Sonderarchiv Moskau, 500-4-93, Bl. 62 und 134. 20 Vgl. dazu Wagner, Litauen, S. 1–18. Es handelt sich um die Dissertation von Wagner von 1943 an der philosophischen Fakultät Königsberg, die 1959 „nach gründlicher Durchsicht einem größeren Kreis zugänglich gemacht“ wurde. Vgl. ebd., S. V. 21 Vgl. Anlage 7b in Denkschrift „Das Deutschtum in Litauen“ von S. Mauruschat, Landesplanungsgemeinschaft Ostpreußen, Juli-August 1940, BAB, R 49/159. 22 Vgl. RKF-Vermerk betr.: Umsiedler aus Litauen, zur Sitzung 26.6.1940, BAB, R 49/ 2602.

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Der Arbeitskräftemangel im Reich, die Angst der Volksdeutschen vor dem Kommunismus in denjenigen Gebieten, die der Sowjetunion überlassen worden waren, sowie die völkische Konzeption des NS-Regimes führten zum Entschluß, diese Volksdeutschen in den von Deutschland eroberten Gebieten anzusiedeln.23 Die Umsiedlung der Volksdeutschen wurde mit der Entscheidung der deutschen Führung im Herbst 1939 verknüpft, die eroberten westpolnischen Gebiete dem Deutschen Reich anzugliedern und in „deutschen Lebensraum“ zu verwandeln. Die Volksdeutschen aus der Sowjetunion sollten nun in den neuen Reichsgauen Wartheland und Danzig-Westpreußen und im nach Südosten erweiterten Ostpreußen an Stelle der einheimischen Juden und Polen angesiedelt werden. Diese sollten ihrerseits in das Generalgouvernement deportiert werden. Im Herbst 1939 wurden zuerst die etwa 80 000 Volksdeutschen aus Lettland und Estland und von Januar bis März 1941 auch die Litauendeutschen in die westpolnischen Lager der Volksdeutschen Mittelstelle transportiert. Ab dem 23. Januar 1941 registrierte eine deutsche Umsiedlungskommission in Litauen alle sich meldenden Reichs- und Volksdeutschen. Bei vielen blieb die Volkszugehörigkeit unklar. Zurückgewiesen wurden unter anderen 154 Reichsdeutsche, weil sie jüdischer Herkunft waren. Die volksdeutschen Patienten aus der psychiatrischen Anstalt in Kalvarija wollten die Deutschen zunächst ebenfalls nicht mitnehmen. Die Umsiedlungskommission akzeptierte sie erst auf sowjetischen Druck hin. In Trecks, mit der Bahn, auf LKWs oder zu Fuß verließen etwa 50 000 Menschen Litauen.24 Die Umsiedlung aus Litauen erfolgte erst relativ spät und zu einem Zeitpunkt, als der NS-Führung längst klar war, daß sie die Sowjetunion angreifen werde. Der wichtigste Grund für die Verzögerungen lag darin, daß die Organisatoren der Umsiedlung die Volksdeutschen nicht unterbringen konnten. Aus dem Gau Ostpreußen etwa – dort sollten 55 000 Polen vertrieben werden, um Platz für 19 000 Litauendeutsche zu schaffen – waren bis Anfang 1941 erst 15 000 Polen tatsächlich deportiert worden. In Danzig-Westpreußen sollten neben bereits angesiedelten 6 000 Baltendeutschen und 2 500 Chelmer Volksdeutschen weitere 14 000 Litauendeutsche und 42 400 Bessarabiendeutsche ansässig gemacht werden – aber erst 30 000 der 130 000 hierfür vorgesehenen Polen und Juden waren bis Januar 1941 vertrieben worden.25 Anfang 1941 aber drängte die Zeit; angesichts des bevorstehenden Krieges sollte die potentielle Gefährdung der Litauendeutschen vermieden werden. Reinhard Heydrich, der 23

Vgl. Zusatzprotokolle zum deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag vom 28.9.1939, in Loeber, Option, S. 38 f. 24 Vgl. Stossun, Umsiedlungen, S. 85, 102 und 106. Der RKF meldete am 5.5.1941 an Himmler 50 054 Umsiedler aus Litauen, BAB, R 49/26, Bl. 2. 25 Vgl. den Bericht RKF, HA I „Ansiedlung und Evakuierung in den eingegliederten Ostgebieten. Stand vom 31.12.40 und Planung für 1941“, 11.2.1941 und den Vermerk RKF Abt. Statistik (Entwurf) „Zur Unterrichtung: Ansiedlung und Evakuierung des Jahres 1941 nach dem Stand vom 16.1.41 auf Grund der Besprechungen“ (handschriftlich), Tabelle S. 3, 16.1.1941, BAB, R 49/2791.

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Chef des RSHA, erklärte am 15. Januar 1941, daß die Notwendigkeit vorliege, „möglichst schnell die Polen und Juden aus den Ostgebieten auszusiedeln, damit nunmehr endgültig die Ansiedlung der Volksdeutschen aus Wolhynien, Litauen usw. durchgeführt werden könne“. Adolf Eichmann stellte eine ganze Serie von Judendeportationen unter das bürokratische Kürzel: „Betr.: Freimachung für Litauendeutsche“.26 Am 23. Januar 1941 errichtete er eine Umwandererzentralstelle in Danzig. Sie diente der „Evakuierung von Fremdstämmigen“ aus dem Gau Danzig-Westpreußen im Hinblick auf die beginnende Umsiedlung der Litauendeutschen. Aber im März 1941, als die Litauendeutschen eintrafen, mußten alle Massendeportationen aus Westpolen gestoppt werden.27 Denn das Generalgouvernement, in das die betroffenen Polen und Juden verschleppt werden sollten, war inzwischen zum Aufmarschgebiet für den Angriff auf die Sowjetunion geworden; für die avisierten Deportationen fehlte es damit an Transport- und Aufnahmekapazitäten. Die Kriegsvorbereitungsund Siedlungspolitik blockierten sich gegenseitig.28 Fast alle litauendeutschen Umsiedler wurden in Auffang- und Beobachtungslagern der Volksdeutschen Mittelstelle untergebracht; über 23 000 saßen allein bei Lodz im Warthegau fest.29 Im Juni 1940 war man noch davon ausgegangen, daß die Aufenthaltsdauer im Lager auf acht Tage beschränkt sein würde, bevor die Ansiedlung auf neue Höfe geschehen könne.30 Doch nun steckte die Politik des RKF in der Sackgasse. Im Mai 1941 waren insgesamt 270 000 volksdeutsche Umsiedler aus Osteuropa in Lagern unterzubringen, weil sie nicht angesiedelt werden konnten.31 Die Litauendeutschen wurden – wie alle anderen Volksdeutschen aus Osteuropa auch – in einem aufwendigen Verfahren, der sogenannten Durchschleusung, in drei Kategorien aufgeteilt: Die dem RSHA unterstehende Einwandererzentralstelle (EWZ) unterschied danach, ob die Umsiedler für die Besiedlung der im Osten eroberten Gebiete herangezogen werden konnten (sogenannte O-Fälle), zwecks baldiger Assimilierung im Altreich angesiedelt werden sollten (sogenannte A-Fälle) oder als Sonderfälle (sogenannte S-Fälle) entweder ins Generalgouvernement oder ins Reich in Arbeitslager verschickt würden.

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Zit. nach Aly, Endlösung, S. 14 und 217 ff. Vgl. Schnellbrief Greifelt zur Besprechung am 19.3.1941: Umsiedlung im Osten/ Evakuierung von Polen und Juden, 26.3.1941, BAB, R 49/672 und Vermerk des Leiters der Hauptabteilung I (Menscheneinsatz) des RKF, Dr. Stier zu Sitzung am 19.3.1941 betr.: Ansiedlungs- und Evakuierungsmöglichkeiten ab 15.3.1941, 20.3.1941, BAB, R 49/2604. 28 Vgl. dazu Aly, Endlösung, S. 229–236. 29 Vgl. Stossun, Umsiedlungen, S. 113 f. und Bericht der EWZ über die Schwierigkeiten bei der Unterbringung und den Transporten der deutschen Volksgruppe aus Litauen, 18.3.1941, BAB, R 59/282, Bl. 15 f. 30 Vgl. RKF-Vermerk betr.: Umsiedler aus Litauen, zur Sitzung v. 26.6.1940, BAB, R 49/ 2602. 31 Vgl. RKF, HA Rohstoffe, Aktenvermerk betr. Barackenlager für Rückwanderer, 20.5.1941, BAB, R 49/914. 27

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Die Kriterien setzten sich zusammen aus Abstammungs- und Leistungsnachweisen, wobei auch die politische und soziale Einstellung eine Rolle spielte.32 Als Ergebnis der „Durchschleusung“ wurden von rund 50 000 Umsiedlern 28 000 als O-Fälle und 22 000 als A-Fälle registriert, die im Sommer und Herbst 1941 in der Rüstungsindustrie des Altreichs, vor allem in den Hermann-Göring-Werken in Salzgitter, untergebracht wurden. 600 Personen wurden zu S-Fällen erklärt und als Zwangsarbeiter ins Reich, als Gesinde zu deutschen Bauern im Osten oder ins Generalgouvernement abgeschoben. Die „Durchschleusung“ wurde von vielen als demütigend empfunden, und diejenigen, die als A- oder S-Fälle kategorisiert wurden, fühlten sich mit Recht als Menschen zweiter Klasse. Eine Ansiedlung in den „neuen Ostgauen“ in Westpolen fand aus den oben skizzierten Gründen nur sehr beschränkt statt, fast alle als O-Fälle kategorisierten Menschen blieben in den Lagern, wo die Stimmung immer schlechter wurde. Die Versprechungen auf eine neue, „bessere“ Heimat erfüllten sich nicht. Im Herbst 1941 fiel die Entscheidung, die inzwischen knapp 30 000 als O-Fälle selektierten Volksdeutschen aus Litauen wieder dorthin zurück zu bringen. Jedoch nun unter fundamental veränderten Bedingungen: Sie sollten als Siedler in einen „neuen Lebensraum“ zurückkehren. DIE ENTSCHEIDUNG ZUR NEUANSIEDLUNG DER LITAUENDEUTSCHEN IN LITAUEN Noch im Sommer 1941 hatte der RKF festgelegt, daß „eine Wiederbesiedlung der baltischen Staaten mit Umsiedlern aus diesen Ländern grundsätzlich nicht in Frage“ komme.33 Im „Interesse einer planmäßigen Entwicklung“ wollte der RKF darauf achten, daß „kein Umsiedler oder Flüchtling das, was er zurückgelassen hat, ohne weiteres wieder in Besitz nehmen“ könne.34 Ende August 1941 gab es daher die Überlegung, die Litauendeutschen im Bezirk Bialystok anzusiedeln.35 Aber Mitte September 1941 stimmte Himmler einem Vorschlag seines Stabshauptamtes zur Rücksiedlung zu. In der Hauptabteilung I (Menscheneinsatz) des RKF hatte Stier „zum Vortrag beim Reichsführer-SS“ notiert: „Es ist anzunehmen, daß einige Teile von Litauen an Ostpreußen kommen. Da gerade die an Ostpreußen angrenzenden Gebiete von Mariampol und Calvaria sehr dicht mit Volksdeutschen besetzt waren, darf um Entscheidung gebeten werden, ob diese Litauendeutschen, soweit sie noch nicht angesiedelt sind, auf ihre alten Höfe zurück können.“36 In einer Besprechung zwischen Himmler, SS32

Vgl. Stossun, Umsiedlungen, S. 126–140 und Heinemann, Rasse, S. 232–247. Rundschreiben Greifelt mit Bezug auf ein früheres Schreiben v. 21.7.1941, 19.8.1941, BAB, R 49/780. 34 Schreiben RKF an Reichsjustizministerium, 15.8.1941, BAB, R 49/2606. 35 Vgl. das Protokoll der 1. Filialleiterbesprechung der DUT, 29.8.1941, BAB, R 35/26. 36 Vortragsnotiz von Stier für Greifelt zum Termin bei RFSS v. 10.9.1941, BA, R 49/2606. 33

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Standartenführer Konrad Meyer, SS-Obersturmbannführer Ernst Fähndrich und SS-Gruppenführer Ulrich Greifelt am 16. September 1941 wurde beschlossen, daß die als „O-Fälle“ klassifizierten Litauendeutschen zurück „in ihre alten Siedlungsgebiete“ kommen sollten.37 Noch bestand aber die Einschränkung, daß nur diejenigen, die aus „Gebieten des ehemaligen Litauens stammen, die demnächst in den Gau Ostpreußen eingegliedert werden sollen“, zurückkehren dürften. Und auch Volksdeutsche aus Bessarabien sollten in Westlitauen angesiedelt werden.38 In die Entscheidung zur Siedlungspolitik in Litauen noch während des Krieges flossen siedlungspolitische und kriegswirtschaftliche Faktoren ein, wobei die kurzfristigen Beweggründe den Ausschlag gaben. Erstens wurden die Litauendeutschen in den Lagern spürbar unzufriedener, da ihnen ja schließlich versprochen worden war, sie würden in den annektierten Ostgebieten – sozial und wirtschaftlich besser gestellt – ein schöneres Leben als in Litauen führen. Es gab zahlreiche Anträge von Litauendeutschen, in ihre Heimat zurückzukehren, weil sie annahmen, der Krieg gegen die Sowjetunion sei bereits gewonnen.39 Die Grenzlage zu Ostpreußen schien eine nahtlose Verbindung zum Reich zu ermöglichen – im Unterschied zu den Volksdeutschen aus Lettland und Estland, die zudem zum großen Teil schon in den „eingegliederten Ostgebieten“ untergebracht waren.40 Zweitens drängte die deutsche Zivilverwaltung in Litauen ihrerseits auf eine beschleunigte Rückkehr der Litauendeutschen, in der Annahme, sie würden angesichts der geringen deutschen Polizeikräfte „ein starkes Element der Sicherung und Stabilisierung“ der deutschen Herrschaft bilden.41 Drittens wurden kriegswirtschaftliche Argumente zur Legitimation der Rücksiedlung herangezogen. Von deutschen Bauern erhoffte man sich erhöhte Ablieferungen für deutsche Zwecke. Man könne es nicht verantworten, daß „jetzt im Kriege [...] 30 000 Menschen, die Grund und Boden bebauen können, nicht auf ihre Höfe zurück können“.42 Aus der Perspektive der deutschen Verwaltung lagen in Litauen die von den Volksdeutschen zurückgelassenen 85 000 Hektar Land brach, denn die aus der Suvalkija dort angesetzten Russen, die im Zuge der sogenannten Tauschsiedlung 1941 nach Litauen gekommen waren, würden die Höfe schlecht bewirtschaften.43 Sicherheitspolizei und 37 Vermerk v. 19.9.1941 von Kulemann (DUT) zu Besprechung mit Greifelt am 18.9.1941. Dienstkalender Himmler, Eintrag v. 16.9.1941. 38 Anordnung RKF v. 23.9.1941, BA, R 49/780. 39 Vortragsnotizen von Stier für Greifelt zum Termin bei RFSS, 9. und 13.9.1941, BAB, R 49/2606. 40 Vgl. Schreiben Himmlers an RK Lohse, 31.1.1942, BAB, R 49 Anhang X/67. 41 GK Litauen, Tätigkeitsbericht, 18.1.1942, BAB, R 6/25, Bl. 31. 42 Schreiben RKF an GK von Renteln, 1.12.1941, BAB, R 49/2607. Vgl. RMO an Reichskanzlei, 25.3.1942, BAB, R 43 II/684a, Bl. 146. 43 Vgl. Niederschrift vom Leiter des SS-Ansiedlungsstabes, Duckart, über die Rückführung, 29.4.1942, BAB, R 49 Anhang X/7, Bl. 20. Im Zuge der deutsch-sowjetischen Verträge zur Umsiedlung der Litauendeutschen im Januar 1941 war eine „Tauschsiedlung“ vereinbart worden. Litauendeutsche sollten Litauen verlassen und Russen sowie Litauer aus den an das

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Zivilverwaltung waren sich in diesem Punkt einig: „Um die Wirtschaftsplanung Litauens zu erleichtern und eine Reprivatisierung der einzelnen Wirtschaftszweige schneller und reibungsloser durchführen zu können, wird von deutscher Seite vorgeschlagen, die zur Zeit noch in den Lagern befindlichen volksdeutschen Umsiedler bereits jetzt für den Aufbau des Landes heranzuziehen.“44 Viertens hatte im August 1941 die Auseinandersetzung um die zentrale Zuständigkeit für die Siedlungspolitik in der besetzten Sowjetunion zwischen dem RMO und dem RKF begonnen. Nach Hitlers Äußerung vom 4. September 1941, daß Himmler als RKF auch in den neu besetzten Gebieten tätig sein dürfe, preschten Himmler und das Stabshauptamt des RKF vor, um mit der Rücksiedlung der Litauendeutschen Fakten zu schaffen.45 Die zunächst durch die Entscheidung zur Rücksiedlung überrumpelte Zivilverwaltung ließ sich jedoch nicht zurückdrängen, wie im folgenden deutlich werden wird. KOMPETENZKONFLIKTE AUF REICHS- UND REGIONENEBENE In den Planungen des RKF wird deutlich, daß Himmler gerade in den sogenannten Siedlungsmarken – wie eben Westlitauen – die uneingeschränkte Herrschaft anstrebte und auf die Unterstellung der Zivilverwaltung unter die Siedlungsorganisationen zielte. In der Praxis blieb der RKF jedoch zu weitreichenden Kompromissen mit der Zivilverwaltung gezwungen. Der Konflikt zwischen Zivilverwaltung und RKF begann im August 1941, als Greifelt eine RKF-Dienststelle in Riga einrichten wollte, deren Zweck vor allem darin bestand, den Zugriff auf das im Baltikum zurückgelassene Vermögen der Volksdeutschen zu erlangen, um es als Dispositionsmasse für RKF-Aufgaben zur Verfügung zu haben.46 Allein das Vermögen der Litauendeutschen hatte beträchtlichen Umfang. Die Deutsche Umsiedlungs-Treuhand-Gesellschaft (DUT) schätzte den Wert von etwa 5 800 Höfen, 850 gewerblichen Betrieben und 2 500 städtischen Grundstücken auf 200 Millionen Reichsmark.47 Ostminister Rosenberg bestand aber auf der Federführung für die Siedlungstätigkeiten auf dem Territorium der östlichen Reichskommissariate.48 Deutsche Reich fallenden Gebieten der Suvalkija und Klaipeda nach Litauen umgesiedelt werden. Das betraf etwa 22 000 Litauer und knapp 10 000 Russen. Vgl. Stossun, Umsiedlungen, S. 69. 44 Gesamtbericht der Einsatzgruppe A vom 16.10.1941 bis 31.1.1942, Sonderarchiv Moskau, 500-4-91, Bl. 85. 45 Vgl. Schreiben von Lammers an Rosenberg, Himmler und Keitel, 6.9.1941, BAB, R 43 II/684a, Bl. 44R. 46 Vgl. Greifelt an Rosenberg betr. Sicherung deutschen Vermögens im Baltikum, 19.8.1941, BAB, R 6/23, Bl. 32 f. 47 Vgl. Bericht der Deutschen Umsiedlungs-Treuhand-Gesellschaft m.b.H. Berlin über das Geschäftsjahr 1941 zum 27.3.1942, BAB, R 35/20. Die Sicherheitspolizei meldete für den lettischen Raum, daß der Anspruch von RK Lohse auf sämtliches Eigentum den Zugriff des RKF auf das Eigentum der Umsiedler gefährde. In Lettland betrug es immerhin ein Viertel des Immobilienbesitzes. Vgl. Ereignismeldung Nr. 57, 19.8.1941, BAB, R 58/216. 48 Vgl. Rosenberg an Himmler und Göring, 23.8.1941, BAB, R 6/9, Bl. 23.

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Das Ausmaß und die Geschwindigkeit, mit der Hitler ab Mitte Oktober 1941 auf die Forcierung deutscher Siedlungen drängte, überraschte das RMO. Hatte Hitler noch im Juli 1941 nur von der raschen Besiedlung der Krim gesprochen, dachte er nun auch sehr konkret an die nördliche Sowjetunion. Die „außerordentlich scharfen und bestimmten Ausführungen des Führers über die deutsche Siedlung und Germanisierung der besetzten Ostgebiete“ veranlaßten den Verbindungsmann des RMO im Führerhauptquartier, SAStandartenführer Werner Koeppen, Mitte Oktober 1941 auf die schnelle Kompetenzabgrenzung zwischen RKF und RMO zu drängen. Andernfalls bestünde die Aufgabe des RMO nur „noch darin, die in Reservaten zusammengepferchten Slawen möglichst bald zum Auswandern oder zum Absterben zu bringen. Alle irgendwie positiven Aufgaben, angefangen vom Straßen- und Siedlungsbau, fallen sonst dem RKF zu!“49 Rosenberg lud in dieser Situation – gekennzeichnet durch das Drängen von Hitler und den Aktivismus von Himmler und Heydrich – alle beteiligten Stellen zu einer Grundsatzbesprechung am 30. Oktober 1941 über die „Landesplanung in den besetzten Ostgebieten“ ein.50 Die Vorgabe lautete: „Nach dem Willen des Führers solle der unmittelbare deutsche Machtbereich im Norden des Ostraumes bis an Leningrad und den Ilmensee heran vorgeschoben werden, im Süden gleichfalls bis weit in den Osten hinein.“51 Es gehe um die „Eindeutschung bestimmter Gebiete und die Schaffung eines Siedlungsraumes für 15–20 Millionen Deutsche“. Rosenbergs konnte jedoch seine Idee, ein Planungs- und Koordinationsgremium aller an Siedlungsfragen beteiligten Instanzen als Gegengewicht gegen die alleinigen Ansprüche des RKF zu installieren, auf der Sitzung nicht durchsetzen, weil kriegswirtschaftliche Belange der Siedlungspolitik übergeordnet blieben.52 In der Folge bestanden sowohl Himmler als auch Rosenberg darauf, die Federführung der Siedlungspolitik in die eigenen Händen zu bekommen. Ohne grundsätzliche Klärung der Kompetenzstreitigkeiten trieb der vom RKF im Januar 1942 eingerichtete SS-Ansiedlungsstab für Litauen die Vorbereitungen für die Rücksiedlung der Litauendeutschen voran. Die oben dargelegten kurzfristigen siedlungspolitischen und kriegswirtschaftlichen Faktoren führten schließlich dazu, daß es am 7. April 1942 zu einer Vereinbarung zwischen Himmler und Rosenberg über die Umsiedlung der Litauendeutschen kam. Sie wurde als „Sonderaktion“ bezeichnet, und so war eine Ausnahmeregelung möglich.53 RKF und RMO ernannten gemeinsam den Generalkommissar für 49

Aufzeichnungen Koeppen, 18.10.1941, Institut für Zeitgeschichte München, Fa 514. Protokolle liegen vor von Runte (RMO), gedruckt in Müller, Ostsiedlung, S. 161–167, und von Stutterheim (Reichskanzlei), BAB, R 43 II/683a, Bl. 4–9. 51 Das solle in Form von „Militärkolonien“ mit „stark befestigten Plätzen“ geschehen. Aufzeichnung von Stutterheim zur Besprechung, 30.10.1941, BAB, R 43 II/683a, Bl. 4. 52 Vgl. KTB, WiStab Ost, Chefgr. La, Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg (BA-MA), RW 31/42a, Bl. 54. Vgl. Müller, Ostkrieg, S. 108 und Vermerk Riecke für A. Meyer v. 8.3.1943 zu drei weiteren Sitzungen des Siedlungsausschusses (21.9.1942, 6.11.1942, 29.1.1943), gedruckt ebd., S. 204 f. 53 Vereinbarung zwischen dem Reichsminister für die besetzten Ostgebiete und dem 50

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Litauen (GK) Adrian von Renteln zum Sonderbeauftragten für die Vorbereitung und Durchführung der Siedlung. Er habe sich dabei des Ansiedlungsstabes, der vom RKF gebildet worden war, zu bedienen. Der Ansiedlungsstab wurde damit formal der Zivilverwaltung unterstellt. Die Kompetenzkonflikte zwischen den Beteiligten setzten sich bis zum Ende der deutschen Besatzungsherrschaft im Baltikum fort. Das Siedlungsamt des Generalkommissars für Litauen entfaltete zwar keine große Wirkung, aber der Einfluß des Generalkommissars auf die Siedlungspolitik war dennoch ausschlaggebend. RMO Rosenberg war gegenüber RKF Himmler nicht schwach, denn die Zivilverwaltung behauptete sich institutionell gegen die Ansprüche des RKF und von einer dominanten Rolle der SS in Siedlungsfragen kann angesichts der wirklichen Verhältnisse vor Ort keine Rede sein. Die Federführung blieb de facto bei der Zivilverwaltung, während der SS-Ansiedlungsstab die Siedlung durchführte, wobei er auf die enge Kooperation mit zahlreichen Instanzen angewiesen war. Die Politikabteilung des RKO konstatierte Ende 1943 mit Recht, daß eine „Regelung der Zuständigkeit in Sachen der Festigung deutschen Volkstums für das Ostland bisher nicht erfolgt ist, mit Ausnahme der Vereinbarung über die Rücksiedlung der Litauendeutschen“.54 Darüber hinaus war die Radikalität des RKF und seiner Planer keineswegs größer als die des RMO und der niederen Zivilverwaltung. Das zeigen die Differenzen zwischen den konkreten Planungsentwürfen für die Neuansiedlung der Litauendeutschen, um die es im folgenden geht. PLANUNGSDIFFERENZEN ZWISCHEN RKF UND ZIVILVERWALTUNG Der RKF und die Zivilverwaltung in Litauen entwickelten unterschiedliche Siedlungsplanungen, auf deren Basis sich im Frühjahr 1942 de facto ein Kompromiß entwickelte. Der erste konkrete Planungsentwurf für Litauen wurde im RKF auf Befehl Himmlers entwickelt, am 5. November 1941 mit Reichsstatthalter Alfred Meyer, Rosenbergs ständigem Vertreter im RMO, diskutiert und war am 19. November 1941 fertig.55 Dem RKF kam es darauf an, insbesondere Westlitauen mit Deutschen zu besiedeln und nur vereinzelt andere litauische Regionen. Die bisher weit verstreut liegenden, meist kleinen Höfe der Litauendeutschen sollten vergrößert und in möglichst geschlossenen Siedlungen zusammengefaßt werden. Für die angestrebte Zusammenlegung von Flächen zu größeren Höfen sollten die Betriebe zurückkehrender Litauendeutscher erhebReichsführer-SS als Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums über die Umsiedlung der Litauendeutschen, 7.4.1942, BAB, R 49/3568, Bl. 11 f. 54 Stellungnahme des RKO, HA I Politik, zum Bericht des GK Litauen v. 10.11.1943 über die Siedlung, 29.12.1943, BAB, R 6/118, Bl. 32. 55 Vgl. Greifelt an Himmler v. 19.11.1941, Nürnberger Dokument NO 5033; Dienstkalender Himmler, S. 243 f. (Einträge v. 22./23.10.1941); KTB Chefgr. La, WiStab Ost, Eintrag 5.11.1941, BAB, F 44423, Bl. 837.

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liche Landzulagen erhalten. Der RKF schlug vor, zu diesem Zweck die Höfe derjenigen Litauendeutschen zu verwenden, die nicht zurück kämen und litauische Bauern auf ehemalige deutsche Höfe im östlichen Litauen sowie auf polnische Höfe „umzusetzen“. Polen und Russen seien „zu evakuieren“, und auch der Besitz der ermordeten Juden sollte ausgenutzt werden. So könne eine „Beunruhigung“ der Litauer vermieden werden.56 Der designierte Leiter des Ansiedlungsstabes, SS-Sturmbannführer Joachim Duckart, schlug Ende Januar 1942 ein ähnliches Konzept vor.57 Himmler stimmte dem Vorschlag einer auf Westlitauen konzentrierten Siedlung am 31. Januar 1942 im wesentlichen zu. Er forderte jedoch, die Betriebsgrößen von vornherein von 7,5 auf 15 Hektar zu verdoppeln, später sollten 30 bis 50 Hektar erreicht werden. In der Politik gegenüber den Polen hielt er sich zurück: „Ob polnischer Besitz dazu genommen werden soll und damit die Polen aus Litauen jetzt schon herausgeschmissen werden sollen, ist eine politische Frage, die wohl nur der Reichskommissar beziehungsweise der Generalkommissar für Litauen selbst an Ort und Stelle entscheiden kann.“58 Dem Konzept des RKF zur Besiedlung Westlitauens wurde wenig später der Plan der Zivilverwaltung, die sogenannte Rigaer Brücke, entgegengesetzt.59 Anstelle einer geschlossenen Siedlung in Westlitauen sah dieser Plan zwei Linien mit deutschen Höfen quer durch Litauen vor. Beide Siedlungsstreifen, die ein Drittel des litauischen Territoriums umfassen sollten, würden sehr viel weiter nach Nordosten reichen, als der RKF vorgesehen hatte. Die Mindestgröße der Höfe sollte 40 Hektar betragen, und es sollten möglichst viele Großbetriebe mit 100 bis 500 Hektar geschaffen werden. Die großen Höfe sollten auf Kosten von jüdischem, polnischem und russischem Landbesitz entstehen. Der Löwenanteil indes sollte durch Höfe sogenannter litauischer Neusiedler gestellt werden. Als „Neusiedler“ wurden diejenigen bezeichnet, die erst durch die sowjetischen Agrarreformen 1940/1941 eigene Höfe erhalten hatten. Es handelte sich nach deutschen Angaben um über 38 000 Betriebe, die als „Manövriermasse“ galten.60 Die Zivilverwaltung befürwortete eine „ziemlich umfangreiche Umsetzung von Litauern und Evakuierung von Polen“. Litauische „Altbauern“ hingegen sollten nur in Ausnahmefällen angetastet werden. In der Siedlungsbrücke von Ostpreußen nach Riga sollten nicht nur Volksdeutsche, sondern auch „Reichsdeutsche zur politischen und wirtschaftlichen Führung 56

Greifelt an Himmler v. 19.11.1941, Nürnberger Dokument NO 5033. Vgl. Denkschrift Duckart, Gedanken über eine Rückführung der litauendeutschen Volksgruppe in das ehemalige Aussiedlungsgebiet (ehemalig litauisches Staatsgebiet), 27.1.1942, BAB, R 49 Anhang X/7, Bl. 1–2R. Duckart, geb. 12.6.1898, war gelernter Diplomlandwirt. Am 1.12.1931 trat er in die NSDAP ein, im Januar 1933 in die SS. Er war beim Reichsnährstand Dozent für Erblehre und Rassenkunde gewesen und später in Danzig stellv. Leiter des dortigen SS-Ansiedlungsstabes. Personalakte Duckart, Berlin Document Center (BDC). 58 Schreiben Himmler an Greifelt betr.: Rückführung der Litauendeutschen, 31.1.1942, BAB, R 49 Anhang X/67, S. 2. 59 Vgl. GK Litauen, Richtlinien für den Einsatz deutscher Siedler in Litauen, 10.3.1942, ebd. 60 Ebd., S. 14. 57

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angesiedelt“ werden.61 In den Städten sei die Schaffung geschlossener deutscher Viertel viel schwieriger, würde aber vor allem durch die Nutzung jüdischer Häuser möglich. Zudem könne man so einen „Teil der politisierenden [litauischen] Intelligenz los[werden]“. Benötigten „Hausrat“ werde man aus „Judenbeständen“ zur Verfügung stellen.62 Im Stabshauptamt des RKF stießen die Planungen des Generalkommissariates Litauen auf Skepsis. Die Siedlungsbrücke impliziere, daß Riga eine deutsche Stadt sei, eine – so spottete man im RKF – „typische Lieblingsidee der Balten“. Die „Erfahrungen im Warthegau über vorgeschobene Siedlungsstreifen sprächen gegen die Bildung einer solchen Brücke“. Vor allem aber bedeute das Konzept der Zivilverwaltung, daß die „Umsetzung von Litauern [...] in dem nördlichen Teil der ‚Brücke‘ sehr großen Umfang annehmen“ müsse und damit den Litauern „schon jetzt deutlich machen, daß nicht nur der bereits aufgegebene Grenzstreifen, sondern auch die nördlichen Gebiete auf die Dauer dem Litauertum verloren“ seien. Der RKF warnte vor einem solchen Vorgehen, denn deutsche Polizei sei „kaum vorhanden und kann auch kaum abgestellt werden. Auch die vorsichtig durchgeführten Umsetzungen bedeuten eine Beunruhigung der Litauer und damit passive Resistenz bei den organisatorischen Maßnahmen und Nachlassen der landwirtschaftlichen Produktion“.63 Zwar hielten RKF und Zivilverwaltung in der Folge prinzipiell an ihren Konzeptionen fest. Doch die gemeinsame Schnittmenge erwies sich als groß genug, um in der Praxis vor Ort ein gemeinsames Handeln zu ermöglichen. Es gab keine wesentlichen weltanschaulichen Unterschiede zwischen den Planern des RKF und denjenigen in der Zivilverwaltung. Sie gehörten zur jüngeren Generation derjenigen Wissenschaftler, die den Paradigmenwechsel zum Begriff des „Volkes“ vorangetrieben hatten, seit den zwanziger Jahren deutschhegemoniale Volkstumspolitik im Osten propagierten und im „Dritten Reich“ Funktionen an einer Nahtstelle zur Praxis innehatten. Der Leiter der Raumplanungsabteilung im RKO war der 1901 geborene Ministerialrat Werner Essen. Seit 1919 war er im militanten völkischen Milieu aktiv. In seiner Dissertation von 1930 hatte er die statistischen und kartographischen Methoden der Erfassung von Volksgruppen in Litauen verfeinert. Als langjähriger Referent für 61 RKF, Vermerk zum Vortrag beim Reichsführer-SS betr. Rückführung der Litauendeutschen, 3.3.1942, BAB, R 49/2609. Bei diesen Reichsdeutschen sollte es sich um Kriegsversehrte handeln, die über die Fürsorgeämter der Wehrmacht und der Waffen-SS vom RKF ausgesucht werden sollten. Vgl. Schreiben Duckart an RKF-Stabshauptamt, 20.3.1941, BAB, R 49 Anhang X/40. 62 GK Litauen, Richtlinien für den Einsatz deutscher Siedler in Litauen, 10.3.1942, BAB, R 49 Anhang X/67. 63 RKF, Vermerk zum Vortrag beim Reichsführer-SS betr. Rückführung der Litauendeutschen, 3.3.1942, BAB, R 49/2609. Die Hauptabteilung ‚Planung und Boden‘ (von Schauroth) legte in ihrer Stellungnahme zum Entwurf des GK Litauen Wert darauf, daß zwischen einer „allein gegenwärtig durchführbaren vorläufigen“ Form der Ansiedlung und der „endgültigen Planung“ unterschieden werden müsse. Erst anhand genauer Raumordnungsskizzen würden sich „einzelne Siedlungsbereiche“ ausweisen lassen, Stellungnahme 31.3.1941, BAB, R 49/ 881.

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Volkstumsfragen im Innenministerium war er für zentrale Institutionen der Volkstumsforschung – wie etwa der Nordostdeutschen Forschungsgemeinschaft – zuständig und kannte viele derjenigen, die später im Rahmen des RKF an Planungsarbeiten zum Generalplan Ost beteiligt waren, zum Beispiel den Leiter der RKF-Hauptabteilung I (Menscheneinsatz), SS-Sturmbannführer Günter Stier, und den Leiter der Abteilung Bestandsaufnahme und Raumuntersuchung beim Planungsamt unter Konrad Meyer, Franz Doubek. Ebenso war er mit dem Leiter des SS-Ansiedlungsstabes in Litauen, Duckart, befreundet. Der engste Mitarbeiter von Essen war Gottfried Müller, der seinerseits mit Konrad Meyer befreundet war. Die Unterschiede in den Siedlungskonzeptionen hatten daher nichts mit weltanschaulichen Differenzen zu tun, sondern mit der Frage, in welchem Tempo man – neben polnischen Gebieten – auch das Baltikum germanisieren oder eindeutschen wolle. Grundlegend für die Differenzen waren darüber hinaus die unterschiedlichen Annahmen darüber, in welchem Maße die Kontrolle über die einheimische Bevölkerung möglich sei. Bis in das Jahr 1943 hinein ignorierten die Planer der Zivilverwaltung den Kriegsverlauf. Werner Essen forderte noch im Februar 1943, daß Holländer die Pripjetsümpfe trockenlegen sollten“. Zudem seien sie als „Ersatz für das beseitigte Judentum in den Städten“ brauchbar.64 Im Lauf des Frühjahrs 1942 schälte sich ein scheinbar realisierbares Konzept heraus, dessen Dreh- und Angelpunkt darin bestand, aus besatzungspolitischen Gründen die Kooperationsbereitschaft der Litauer zu erhalten: Da sich vermeintlich eine Ansetzung der Deutschen auf Kosten der Litauer nicht vermeiden ließ, sollten die Litauer auf Kosten der Polen und Russen in das Siedlungskonzept eingebunden werden. Konsens war darüber hinaus, in den westlichen Gebieten große Höfe für die Rücksiedler zu schaffen und einzelne jenseits von Westlitauen zuzulassen. Ob daraus zwei Linien einer Siedlungsbrücke werden würden, glaubte man abwarten zu können. Übereinstimmung bestand zudem darin, daß es sowohl dem RKF als auch dem GK Litauen um ein Konzept ging, völkische Politik mit struktureller Modernisierung in dem Sinne zu verbinden, daß die in Litauen immer noch vorherrschende Tendenz in der Landwirtschaft zur Subsistenzwirtschaft zurückgedrängt werden sollte.65 Die Landwirtschaft war noch wenig technisiert und die Betriebsgrößenverhältnisse entsprachen nach Ansicht der Deutschen nicht modernen Anforderungen. Für die konkrete Umsetzung der Siedlungspläne kam es auf die Vertreter des RKF und des RMO vor Ort an. Es blieb dem seit März 1942 in Kaunas amtierenden Leiter des SS-Ansiedlungsstabes, SS-Sturmbannführer Joachim Duckart, „überlassen, die Firma des Ansiedlungsstabes mit dem Generalkom64 Zu Werner Essen vgl. Haar, Historiker, passim, Zitat S. 357. Ferner Schreiben Essen an Rosenberg, 12.10.1941, Sonderarchiv Moskau 504-2-29, Vermerk Essen für Burmeister, 26.5.1942, BAB, R 90/390 und Vermerk Kleist, 14.5.43, BAB, R 6/43, Bl. 10-18. Zu Gottfried Müller vgl. Seckendorf, Baltikumkonzeptionen, S. 146. 65 Vgl. „Vorläufige Angaben über Westlitauen“. Berichtsstand April 1942, BAB, R 49/ 162, Bl. 18.

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missar abzustimmen“.66 Regional gelang diese Kooperation relativ problemlos, die praktischen Fragen – wie die Finanzierung der Mitarbeiter der Siedlungsinstanzen – wurden im Frühjahr 1942 vorläufig gelöst.67 Anfang Juni 1942 warteten knapp 26 000 Litauendeutsche auf ihre Rücksiedlung. DER SS-ANSIEDLUNGSSTAB UND DIE EINBEZIEHUNG DER LITAUISCHEN VERWALTUNG Der Leiter des Ansiedlungsstabes, SS-Sturmbannführer Duckart, verfügte über einige Erfahrung in Siedlungsfragen, war er doch bereits zuvor in Danzig an der Ansiedlung der Bessarabiendeutschen beteiligt gewesen.68 Sein Stab bestand aus fünf Abteilungen und zwei Referaten. Die Abteilung für die Siedlungspolitik im „bäuerlichen Sektor“ war die wichtigste. Nach einer kurzen Übergangsphase übernahm Duckart selbst die Leitung dieser Abteilung. Der „nichtbäuerliche Sektor“ war eng mit der DUT verflochten. Daneben gab es Abteilungen für Transporte, für Kartei und Statistik und für die Betreuung der litauendeutschen Umsiedler. Das Referat für Volkstumsfragen war für den Kontakt mit dem SD zuständig und ein weiteres Referat beriet die Umsiedler. Als dezentrale Instanzen wurden im Sommer 1942 nach und nach zehn Kreisansiedlungsstäbe gebildet, die mit den litauischen Kreischefs eng zusammenarbeiten mußten. Auf Kreisebene gab es sonst außer den deutschen Kreislandwirten keinerlei deutsche Verwaltung. Das Personal der Kreisansiedlungsstäbe mit je etwa 15 Personen bestand hauptsächlich aus Litauendeutschen, welche die Uniform der Volksdeutschen Mittelstelle mit dem Ärmelstreifen „Ansiedlungsstab“ trugen und meist mit Fahrrad oder zu Fuß unterwegs waren. Die Führung des Ansiedlungsstabes legte Wert darauf, daß in allen Dienststellen des Ansiedlungsstabes und der Kreisansiedlungsstäbe „das Gesetz der SS“ herrsche.69 Der SS-Ansiedlungsstab konnte in Litauen nur mit Hilfe zahlreicher anderer Instanzen tätig werden. Die Landbewirtschaftungsgesellschaft stellte Höfe zur Verfügung und war mit eigenem Personal in den zentralen Stab und die Kreisansiedlungsstäbe integriert. Im Oktober 1942 wurde die „Deutsche Einund Verkaufsgenossenschaft für den Generalbezirk Litauen G.m.b.H.“ gebildet, die die Versorgung der Litauendeutschen mit Gebrauchsgegenständen durch Läden in den Kreisen organisierte. Perspektivisch sollte diese Genossen66 RKF (HA I) Vermerk zur Besprechung Greifelts mit Duckart am 18.3.1942, 21.3.1942, BAB, R 49/2906. 67 Vgl. Bericht über Dienstreise Kauen – Litauen – betr. Einrichtung der Dienststelle des Ansiedlungsstabes für die Rücksiedlung der ehemaligen litauischen Volksgruppe, von Heinz Sittner und Arthur Geschwendt, 1.3.1942, BAB, R 49/Anhang X/40. 68 Vgl. Schreiben RKF an Höheren SS- und Polizeiführer Danzig-Westpreußen, SSGruppenführer Hildebrand, 13.1.1942, BAB, R 2608. 69 Niederschrift über Sitzung der Kreisansiedlungsstabsführer, 29./30.5.1942, BAB, R 49 Anhang X/40.

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schaft alle Deutschen in Litauen versorgen.70 Die Finanzierung der Siedlungspolitik lief über die DUT, die ab Herbst 1942 ein Globaldarlehen von 15 Millionen RM an die Siedlungsinstanzen und Litauendeutschen weiterverteilte.71 Die „Verwaltungs- und Verwertungs-Gesellschaft für Baltenvermögen m.b.H.“ stellte den von den Volksdeutschen bei der Umsiedlung aufgegebenen Besitz zur Verfügung. Mit dem Generalkommissariat sowie den jeweils betroffenen Gebietskommissariaten gab es vielfältige Verflechtungen in praktisch allen Fragen, in vielem auch mit dem Kommandeur der Sicherheitspolizei (KdS) Litauen. Eine personelle Querverbindung zwischen dem SS-Ansiedlungsstab und der Zivilverwaltung vor Ort bildeten litauendeutsche Funktionäre. Im Unterschied zur deutschen Siedlungspolitik in Polen waren die Deutschen in Litauen „beinahe bei allen Maßnahmen [gezwungen], die Organe der litauischen Selbstverwaltung in Anspruch zu nehmen“, denn „deutsche Polizei und überhaupt andere deutsche Dienststellen“ standen nicht zur Verfügung.72 Duckart hatte bereits bei seiner ersten Informationsreise durch Litauen im Februar 1942 geglaubt feststellen zu können, es sei den Litauern „ein großes Bedürfnis [...] die Russen und Polen so schnell wie möglich aus dem Gebiet heraus zu bekommen“. Durch die Zusammenarbeit mit den litauischen Behörden wollte Duckart versuchen, „die Ansiedlung ohne Zusammenstöße mit Litauern durchzuführen“.73 Die Verhandlungen mit der litauischen Verwaltung waren jedoch nicht einfach. Die Deutschen wollten sie instrumentalisieren, und auf Seiten der Litauer gab es berechtigtes Mißtrauen.74 Der litauische Generalrat für Landwirtschaft, Juozas Petronis, stimmte schließlich zu, daß eine litauische „Hauptkommission für die Ansiedlung der Litauer im Generalbezirk Litauen“ eingerichtet werde, geleitet von Oberst Jurgis Bobelis.75 Diese erfaßte polnische Höfe in den beiden Gebietskommissariaten Vilnius-Land und Panevezys, die vorläufig nicht deutsch besiedelt werden sollten. Die Polen sollten vertrieben werden und deren Höfe Litauer erhalten, die ihre eigenen Höfe zugunsten von 70 Vgl. Bericht des Vorstandes der Genossenschaft, 23.5.1943, BAB, R 49 Anhang X/36 und Bericht über die Rücksiedlung zum 10.11.1943, BAB, R 49 Anhang X/7, Bl. 120R. „Genossen“ waren zunächst nur neun Mitglieder des Ansiedlungsstabes und des GK Litauen. 71 Vgl. DUT Jahresbericht 1942, BAB, R 35/20. Das Geld wurde zu Krediten an die Umsiedler genutzt, zum Unterhalt des Ansiedlungsstabes, der Außenstelle der DUT in Kaunas und für die Deutsche Ein- und Verkaufsgenossenschaft. 72 Schreiben Duckart an RFSS, Rohstoffstelle, 31.7.1942, BAB, R 49 Anhang X/42. 73 Duckart: Bericht über meine Informationsreise zum Generalkommissariat in Kauen zwecks Besprechungen über die Möglichkeit einer Rückführung der litauendeutschen Volksgruppe, 21.2.1942, BAB, R 49 Anhang X/7, Bl. 7 f. 74 Vgl. Duckart an GK, Abt. Siedlung (von der Ropp), 4.7.1942, BAB, R 49 Anhang X/67, Bl. 1. 75 Bobelis leitete zugleich die „Grundstücksgesellschaft Litauen mbH.“ als Organ des Generalkommissars in Kaunas für die Verwaltung des nationalisierten, jüdischen und herrenlosen städtischen Haus- und Grundbesitzes. Diese Gesellschaft stellte vor allem aus ehemals jüdischem Besitz Wohnungen und Häuser für die Umsiedler. Bobelis an von der Ropp, 16.1.1943, BAB, R 49 Anhang X/3, Bl. 46.

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Deutschen aufgeben mußten. Der SS-Ansiedlungsstab war mit diesem Konzept sehr zufrieden, da es die Litauer zur Mitarbeit brachte, obwohl auch Litauer ihre Höfe verlassen mußten.76 Die litauische Hauptkommission arbeitete in den örtlichen Kommissionen des deutschen Ansiedlungsstabes mit, die jeweils aus deutschen Vertretern der Landwirtschaft, des Arbeitsamtes und der litauischen Kreisverwaltung gebildet wurden. Die lokalen Kommissionen erstellten Listen der zu vertreibenden Bewohner und ihres Eigentums, organisierten Transporte und beteiligten sich an der Vertreibung und Ansiedlung. Um die Litauer nicht zu weit in die deutsche Siedlungspolitik hineinzuziehen, lag jedoch weiterhin die zentrale Steuerung der Ansiedlung und Vertreibung bei den Deutschen, und häufig wurden litauische Behörden von Zwangsausweisungen überrascht. Oft waren es Deutsche, die entschieden, wer als Pole gelte und zu vertreiben sei.77 Die Litauer erhielten Listen von Polenhöfen und wurden ermahnt, die Polen nicht zu informieren, „da die Polen kurzfristig unter polizeilicher Aufsicht ohne vorherige Benachrichtigung ihren Hof unter Mitnahme der notwendigsten Bekleidungsstücke und Lebensmittel zu verlassen haben“.78

DURCHFÜHRUNG DER SIEDLUNG Die Ansiedlung war ein komplexer Vorgang, der in Planung und Durchführung vielfältige Kooperationen erforderte. Nachdem in einem Kreis jene Höfe festgelegt waren, die an Deutsche vergeben werden sollten, erstellte der Kreisansiedlungsstab eine Liste mit den litauischen und russischen Familien, die in andere Gebiete weichen mußten, und informierte die litauische Verwaltung darüber. Die Gebietskommissare von Panevezys und Vilnius-Land nannten mit litauischer Hilfe polnische Höfe, welche die umzusiedelnden Litauer erhalten sollten. Am 11. Juli 1942 wurde im Kreis Sakiai mit der Ansiedlung von litauendeutschen Bauern begonnen.79 Es wurden zuerst nur die Männer auf die neuen Höfe gebracht, ab September 1942 zogen deren Familien nach. Bis Ende Oktober 1942 gelang es tatsächlich, 85 Prozent der litauendeutschen Bauernfamilien in den fünf westlichen Kreisen, im Kreis Kaunas und in drei nordöstlich gelegenen Kreisen anzusiedeln: insgesamt 3 500 Bauernfamilien mit knapp 17 000 Personen. Rund 5 200 Höfe waren zu 3 500 neuen Betrieben zusammengelegt worden. Der Durchschnitt der Hofgröße betrug nun etwas über 24 Hektar, wobei die nordöstlichen Höfe wesentlich größer waren (zwischen 47 76

Vgl. Duckarts 8. Bericht, 28.7.1942, BAB, R 49 Anhang X/7, Bl. 69. Vgl. Ruksenas, Politika, S. 246–249. 78 Gebietskommissar Kaunas-Land Lentzen an den Generalrat für die Innere Verwaltung, Hauptkommission für die Ansiedlung der Litauer im Generalbezirk Litauen, betr.: Bildung des Landfonds in den Kreisen Olita und Lasdien, 2.9.1942, BAB, R 49 Anhang X/67. 79 Vgl. Bericht Einsatzstab über Ansiedlung in Sakiai, 12.7.1942, BAB, R 49 Anhang X/2, Bl. 5 f. 77

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und 82 Hektar) als im Westen (zwischen 15,8 und 27 Hektar).80 Nachdem bis zum Februar 1944 weitere 2 000 Deutsche auf nun insgesamt 3 800 Höfen angesiedelt worden waren, war die von ihnen bewirtschaftete Fläche mit rund 100 000 Hektar doppelt so groß wie vor der Umsiedlung vom Frühjahr 1941.81 Die Ansiedlungen entsprachen in etwa dem Konzept der „Siedlungsbrücke“, da weit über den Memelbogen (Kreise Vilkaviskis, Mariampole, Sakiai) hinaus auch im westlichen Teil der Siedlungsbrücke (Kreise Raseiniai, Siauliai, Taurage) und im östlichen Teil (Kedainiai, Panevezys, Kaunas, Birzai) gesiedelt wurde. Die Deutschen hatten nicht riskiert, alteingesessene litauische Bauern zu vertreiben, und so war – entgegen den Absichten des RKF – in vielerlei Hinsicht eine Streusiedlung entstanden.82 Die städtische Siedlung scheiterte am Wohnungsproblem. In Kaunas brauchten schon 500 dort tätige Reichsdeutsche Wohnungen. Um weitere Unterkünfte für 1 500 litauendeutsche Umsiedler zu beschaffen, überlegte man, Litauer, die nach dem 20. Juni 1941 zugezogen waren, wieder zu entfernen oder Litauer in freiwerdende Ghettowohnungen zu setzen und so Wohnungen im Stadtkern freizumachen. Immer wieder gab es die Forderung, Litauer in das Vilniusgebiet zu vertreiben. Aber nichts von dem wurde durchgeführt. Der GK Litauen hatte sich schließlich Ende 1942 entschlossen, 150 polnische Familien aus Kaunas zu vertreiben. In der Nacht vom 27. auf den 28. Januar 1943 drang Polizei in die Wohnungen ein und deportierte die polnischen Familien.83 Die darauf folgende Ansiedlung von 53 litauendeutschen Familien mit 211 Personen blieb die einzige städtische Ansiedlung. Mehrere Tausend der sogenannten „nichtbäuerlichen“ Fälle arbeiteten schließlich als Handwerker in den mobilen Bautrupps des SS-Ansiedlungsstabes, die versuchten, die Höfe instand zu setzen. Insgesamt wurden nur etwa 19 000 Litauendeutsche wieder in Litauen angesiedelt.84 Diese Bilanz zeigt, daß die Siedlungspolitiker selbst hinter ihren kurzfristigen Ansprüchen zurückblieben. Aber schon diese Siedlungen reichten aus, um Zehntausende von Litauern, Polen und Russen von ihren Höfen zu vertreiben.

80 Vgl. Übersicht der Ansiedlung von Litauendeutschen bis zum 1.11.1942, BAB, R 49 Anhang X/7, Bl. 54. 81 Vgl. die Tabellen zur Rücksiedlung der Litauendeutschen zum Zeitraum Juli 1942 bis Februar 1944, BAB, R 49/454. 82 Vgl. Stellungnahme des RKO, HA I Politik zum Bericht des GK Litauen v. 10.11.1943 über die Siedlung, 29.12.1943, BAB, R 6/118, Bl. 31. 83 Vgl. Schreiben GK von Renteln an Duckart, 1.2.1943, Schreiben KdS Litauen an Duckart, GK Litauen und GBK Kaunas-Stadt, 3.2.1943 und Duckart an GK von Renteln, 6.2.1943, Nürnberger Dokumente NO 5287 und 5288. 84 Zum 1.10.1943 lauteten die Zahlen des RKF-Stabshauptamtes, die geringfügig von denen des SS-Ansiedlungsstabes in Kaunas abwichen: Im Frühjahr 1941 waren 51 036 Personen aus Litauen ausgesiedelt worden. Von ihnen waren 18 157 nach Litauen zurückgesiedelt worden, 3 496 nach Ostpreußen, 178 im „Warthegau“. Im „Altreich“ arbeiteten 9 100, und es hatte 811 sogenannte S-Fälle gegeben. 19 822 warteten immer noch auf ihre Unterbringung. Vgl. Übersicht des RKF, Umsiedlung und Ansiedlung zum 1.10.1943, BAB, R 49/899.

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SIEDLUNG AUF KOSTEN DER LITAUER, POLEN UND RUSSEN Die völkisch-diskriminierende Politik einerseits und die Notwendigkeit, die Kooperation der Litauer zu erhalten, andererseits führten zu unterschiedlich gravierenden Folgen für die Betroffenen. Die Vertreibung von Litauern sollte sich in möglichst engen Grenzen halten, und diejenigen litauischen Bauern, die den Litauendeutschen weichen mußten, wurden entweder entschädigt oder erhielten andere Höfe.85 Auf den Höfen angestellte Litauer konnten entweder als Arbeitskräfte bleiben, oder die litauische Verwaltung brachte sie anderweitig unter. Die Kooperation zwischen deutschen und litauischen Behörden verlief allerdings nicht so reibungslos, wie es sich die Deutschen wünschten. Häufig wußten litauische Bauern, bevor sie „umgesetzt“ wurden, von der Entscheidung und hatten so Gelegenheit, Vieh und Vorräte, Geräte, Möbel und Hausrat wegzuschaffen.86 Daher übernahm der deutsche Ansiedlungsstab selbst die „Umhebung der Litauer“ und die Zuweisung von Höfen für Litauer.87 Das Verhältnis zwischen deutschen und litauischen Siedlungsorganisationen verschlechterte sich aber nicht so gravierend, daß die Deutschen versucht hätten, die litauische Hauptkommission aufzulösen. Im August 1942 tauchte ein Flugblatt „Litauer, man kolonisiert schon Litauen“ des „Verbandes der Freiheitskämpfer Litauens“ auf. Dieser Verband war von rechten litauischen Nationalisten, den „Tautininkai“, aufgebaut worden, von denen viele bis Ende 1941 eng mit den Deutschen zusammengearbeitet hatten. Sie übten scharfe Kritik an der deutschen Siedlungspolitik und der litauischen Involvierung. Die Informationen des Flugblattes waren erstaunlich präzise. Unter dem Vorwand der Rücksiedlung werde ein Raub litauischen Bodens durchgeführt. Deutsche würden in den besten Gegenden Litauens geschlossen angesiedelt, um später den Rest der Litauer verdrängen zu können. Zudem hätten die Deutschen kein Recht zur Inanspruchnahme von staatlichem und nichtlitauischem („Juden und fremde Volkszugehörige“) Besitz, da es „Allgemeingut des litauischen Staates“ sei. Die litauischen Generalräte, Kreis- und Amtschefs sollten sich ihre Beteiligung daran überlegen, bevor es zu spät sei. Das Flugblatt fand laut deutscher Sicherheitspolizei „erheblichen Widerhall in breiten Bevölkerungskreisen“.88 In zahlreichen Stimmungsberichten zwischen 1942 und 1944 tauchte beständig der Topos auf, daß große Teile Litauens von Deutschen kolonisiert würden und die Deutschen nur versuchten, die künftige Verdrängung des litauischen Volkes zu verschleiern.89 85 Vgl. Überblick zur Arbeit des Einsatzstabes, 19.11.1942, BAB, R 49 Anhang X/7, Bl. 91–93R und Rundschreiben (undatierte Abschrift) des Ansiedlungsstabes betr.: Umsetzung von Litauern, BAB, R 49/3568, Bl. 8 f. 86 Vgl. undatierter Entwurf v. Duckart zur „Ausstattung der litauendeutschen Umsiedler mit Bedarfsgegenständen“, circa Frühjahr 1943, BAB, R 49 Anhang X/40. 87 Vgl. Bericht zur Arbeit des Einsatzstabes, 19.11.1942, BAB, R 49 Anhang X/7, Bl. 91 f. 88 KdS Litauen (Müller) an GK Litauen und Ansiedlungsstab mit Verweis auf eine Besprechung zwischen GK und KdS Litauen am 4.8.1942, 8.8.1942, BAB, R 49 Anhang X/67. 89 Vgl. Stimmungsbericht über Litauen von einem Litauer, 24.10.1942, ebd.., Meldungen

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Diejenigen Litauer, die einen anderen Hof erhalten sollten, wurden auf Kosten von Polen in das Gebiet um Vilnius „umgesetzt“, die ihrerseits verdrängt oder als Zwangsarbeiter ins Reich verschleppt wurden. Die deutschen Gebietskommissare und die deutsche Sicherheitspolizei legten dabei fest, wer als Pole zu betrachten sei. Da eine klare Trennung in „nationale“ Zugehörigkeiten infolge der langen gemeinsamen Geschichte oft nicht möglich war, waren dies willkürliche Entscheidungen. Die Sicherheitspolizei behalf sich mit Informationen über frühere Mitgliedschaft in polnischen Vereinen, Gebrauch der polnischen Sprache und weiteren Informationen des SD.90 Bereits im Juni 1942 weigerten sich im Einzelfall polnische Betriebsinhaber, sich überhaupt erfassen zu lassen und entwendeten die Hofkarten, mit denen sie erfaßt werden sollten.91 Die Geheimhaltung ließ sich nicht gewährleisten. Es kam immer wieder vor, daß polnische Bauern darüber informiert wurden, wann sie „abgesiedelt“ werden sollten.92 Deutsche und litauische Polizei führten die „Evakuierung“ der Polen durch, die nur ihre persönliche Habe mitnehmen durften. Zum Beispiel hatten sich für den Kreis Raseiniai Deutsche und Litauer wenige Tage vor der Vertreibung von 15 polnischen Familien abgesprochen.93 Sie wurden in der Nacht vom 25. zum 26. Juli 1942 von der litauischen Polizei unter Leitung des deutschen Gendarmerieführers, der „ein alter Praktiker auf diesem Gebiete“ war, vertrieben. Ein Teil sollte durch den Vertreter des deutschen Arbeitsamtes selektiert und für die Rüstungsindustrie des Reichs verschleppt, ein anderer („Rumpffamilien“) bei anderen Polen untergebracht werden. Bei der Räumung eines der Höfe wurde „ein Pole von einem litauischen Beamten auf der Flucht erschossen“.94 Der Ansiedlungsstab war auf „erhebliche Zwischenfälle“ dieser Art bei der „Evakuierung der Polen, Russen usw. durch litauische Polizei“ eingestellt und stand ihnen „im großen und ganzen gleichgültig“ gegenüber.95 Im Frühjahr 1943 wurden „Wehrbereitschaften“ aus Litauendeutschen gebildet, die sich im Landkreis Kaunas an der Vertreibung von 250 polnischen Bauern beteiligten.96 Diejenigen Russen, die 1941 im Zuge der Umsiedlungen aus Suvalkija nach Litauen gekommen waren, mußten grundsätzlich ihren Hof verlassen. Es war längere Zeit unklar, was mit ihnen geschehen sollte, bis der Generalkommissar aus den besetzten Ostgebieten Nr. 39, 29.1.1943, BAB, R 58/699, Memorandum von einem Litauer an RKO, 25.3.1943, BAB, R 90/122 und Denkschrift GBK Panevezys, 14.2.1944, BAB, R 6/313. 90 Vgl. Bericht über die Rücksiedlung zum 10.11.1943, BAB, R 49 Anhang X/7, Bl. 118. 91 Vgl. Duckarts 6. Bericht, 4.6.1942, BAB, R 49 Anhang X/7, Bl. 63. 92 Vgl. Duckart an alle Kreisansiedlungsstäbe, 19.10.1942, BAB, R 49 Anhang X/3, Bl. 39. 93 Vgl. Protokoll zur Besprechung in Siauliai zwischen GBK Siauliai (Gewecke), dem Leiter des Kreisansiedlungsstabs (Kossmann), dem Kreislandwirtschaftsführer (Apel), dem litauischen Kreischef, dem litauischen Kreispolizeichef und dem Einsatzstabsleiter (Abel) am 22.7.1942, 23.7.1942, BAB, R 49 Anhang X/2, Bl. 14 f. 94 Duckarts 8. Bericht, 28.7.1942, BAB, R 49 Anhang X/7, Bl. 67. 95 Schreiben Duckart an RFSS, Rohstoffstelle, 31.7.1942, BAB, R 49 Anhang X/42. 96 Vgl. GK Litauen, Lagebericht April-Juni 1943, BAB, R 6/116, Bl. 7.

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Litauen im August 1942 mit dem russischen „Zentralrat der Altgläubigen“ vereinbarte, daß der Zentralrat selbst – in Zusammenarbeit mit Beauftragten der deutschen Sicherheitspolizei und litauischen Dienststellen – die sogenannten Suwalki-Russen bei eingesessenen Russen unterbringen sollte. Zu diesem Zweck wurde eine „russische Vertrauensstelle“ gebildet. Von Mitte September bis Ende Oktober 1942 mußten 647 russische Familien (etwa 5 000 Menschen) ihre Höfe verlassen. Zum Teil hatten sie nur eine Stunde Zeit, die Höfe zu räumen, und es war keinerlei Vorsorge für ihren weiteren Verbleib getroffen worden.97 Genaue Zahlen zum gesamten Umfang der Vertreibungen liegen nicht vor. Aus den Kreisen Mariampole, Taurage und Vilkaviskis wurden fast 13 000 Litauer vertrieben, die polnische Höfe im Vilniusgebiet, in Svencionys und Ukmerge erhielten. Überliefert ist nur die mit Sicherheit zu geringe Zahl von 3 773 Polen, die entweder zur Zwangsarbeit ins Reich oder nach Ostlitauen verschleppt wurden.98 Nimmt man noch die 5 000 Suwalki-Russen hinzu, kommt man auf mindestens 22 000 direkte Opfer der Umsiedlungspolitik. DIE LAGE DER LITAUENDEUTSCHEN Nach zum Teil zweijährigem Leben in Lagern der Volksdeutschen Mittelstelle war die Stimmung vieler Litauendeutscher zum Zeitpunkt ihrer Rücksiedlung bereits sehr gesunken. Nun kamen viele nicht in ihre eigentliche Heimat zurück, sondern auf neue Höfe, die miserabel ausgestattet und viel größer als gewohnt waren.99 Etliche Litauendeutsche hatten zuvor Höfe von etwa drei Hektar bewirtschaftet und waren nun damit überfordert, auf einmal Betriebe von 20, 30 oder 40 Hektar bewirtschaften zu sollen. Die Versorgung der Siedler bereitete große Probleme. Bei mehr als der Hälfte der Rücksiedlerhöfe fehlten im Sommer 1942 Maschinen und Geräte.100 Schwierig war auch die Versorgung mit Vieh. Noch im Frühsommer 1943 gab es 400 deutsche Höfe, die keine Kuh besaßen.101 Aus Beständen der Waffen-SS wurden den Siedlern Textilien französischer Juden geliefert, es wurden gereinigte Kleider ermordeter litauischer Juden verteilt, und aus dem Rigaer Ghetto kamen fünf Waggons mit Möbeln.102 Als Arbeitskräfte wurden auf den Höfen sowjetische Kriegsgefangene und ab Herbst 1943 auch sowjetische Zwangsevakuierte eingesetzt.103 Die 97 Bericht (nicht unterzeichnet) an KdS Litauen und GK Litauen, 10.11.1942, BAB, R 49 Anhang X/5, Bl. 5–6R. 98 Vgl. Ruksenas, Politika, S. 250 f. 99 Vgl. Stossun, Umsiedlungen, S. 179. 100 Vgl. WiStab Ost, Chefgr. La, an RKO, Abt. E.u.L., 20.7.1942, BAB, R 49 Anhang X/48. 101 Vgl. GK Litauen, Lagebericht April–Juni 1943, BAB, R 6/116, Bl. 8. 102 Vgl. GK Litauen, Lagebericht April/Mai 1943, BAB, R 6/118, Bl. 3 und Ruksenas, Politika, S. 258. 103 Vgl. Schreiben Duckart an Stalag 336 in Kaunas, 4.6.1943, BAB, R 49 Anhang X/83 und Protokoll der Besprechung der Kreisansiedlungsstäbe am 27.10.1943, 28.10.1943, BAB, R 49 Anhang X/7, Bl. 97.

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Bauernwirtschaften waren dennoch nicht rentabel. Die staatlich verordneten Festpreise für Agrarerzeugnisse deckten nicht die Produktionskosten, und der lukrative Schwarzhandel war für die Litauendeutschen nur mit hohem Risiko zu betreiben. Der SS-Ansiedlungsstab rechnete mit einer Unterfinanzierung der Betriebe von 50 bis 80 RM pro Hektar.104 In rechtlicher Hinsicht waren die Litauendeutschen Teil eines diskriminierenden, aber nur partiell verwirklichbaren Apartheidsystems. Sie unterstanden deutschem Recht und deutschen Gerichten. Gleichwohl gab es Bereiche wie etwa die Fuhrleistungen oder das Ablieferungssoll, in denen litauische Amtsvorsteher Entscheidungen auch für Litauendeutsche trafen. In Sommer und Herbst 1943 kam es zu einer Reihe von Angriffen auf Litauendeutsche. Der landwirtschaftliche Siedlungsreferent des Generalkommissariats wurde im Juli 1943 auf offener Straße erschossen.105 Bei weiteren Angriffen im Herbst 1943 starben zwei Litauendeutsche. Es ist zwar eher unwahrscheinlich, daß die Litauendeutschen als Siedler angegriffen wurden. Es ging vor allem um Lebensmittel- und Kleiderbeschaffung durch Gruppen, die in den Wäldern zu überleben versuchten, was von Gewalttaten gegen örtliche Bauern, gleich welcher Nationalität, begleitet war. Dennoch wurden ein Alarmsystem eingerichtet und 1 000 Jagdgewehre an die Litauendeutschen verteilt, aber viel Schutz boten die alten Schrotflinten mit je zehn Patronen nicht.106 Außerdem wurden 250 Litauendeutsche zur Verstärkung der Polizeikräfte ausgebildet, die – ähnlich wie die Litauer im gleichen Zeitraum – als „Selbstschutz“ eingesetzt werden sollten.107 Im Mai 1944 arbeiteten schließlich etwa 1 350 Litauendeutsche bei Polizei oder SS.108 Insgeheim ließ der Ansiedlungsstab die Räumung von isoliert liegenden Höfen vorbereiten.109 Mindestens 50 Prozent der Höfe sollten aber überall gehalten werden, auch in den östlichen Kreisen Siauliai, Panevezys und Birzai. Dort kam es teilweise zu Panik bei Litauendeutschen, die nun wünschten, wieder ins Reich zu ziehen.110 Insgesamt jedoch kam es zu erstaunlich wenigen Angriffen von Litauern auf Deutsche. Der Feind Nummer Eins blieb für die Litauer die Sowjetunion. Im Mai 1944 begann die Verwaltung, sich angesichts der näher rückenden Front auf einen Rückzug und die erneute „Rückführung“ der Litauendeutschen, dieses Mal wieder Richtung Westen, vorzubereiten.111 Am 5. Juli 1944 setzte der Abmarsch der noch verbliebenen 22 000 Litauendeutschen aus den 104

Vgl. Bericht über die Rücksiedlung zum 10.11.1943, BAB, R 49 Anhang X/7, Bl. 119. Vgl. Lagebericht RKO, HA III (Wirtschaft) Juli/August 1943, 31.8.1943, BA-MA, RW 31/955. 106 Vgl. Bericht über die Rücksiedlung zum 10.11.1943, BAB, R 49 Anhang X/7, Bl. 118R. 107 Vgl. Lagebericht von Duckart für KdS Litauen, 27.11.1943, BAB, R 49 Anhang X/65. 108 Vgl. Stossun, Umsiedlungen, S. 196 f. 109 Vgl. Duckart an Kreisansiedlungsstäbe, 20.10.1943, BAB, R 49 Anhang X/91. 110 Vgl. KdS Litauen, Lagebericht Oktober 1943, Litauisches Zentrales Staatsarchiv Vilnius, R 1399-1-61, Bl. 242. 111 Auch zum folgenden: Duckarts Bericht über die Aktion der Rückführung der litauendeutschen Umsiedler ins Reich, 11.8.1944, BAB, R 49 Anhang X/75. 105

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östlichen Kreisen ein, in den folgenden Tagen aus den übrigen Kreisen. Fünf Trecks bewegten sich in dem allgemeinen Rückzugschaos Richtung Reichsgrenze. Die nationalsozialistische Siedlungspolitik mündete auch für die Litauendeutschen im endgültigen Verlust ihrer Heimat. Ein verbrecherisches Kapitel völkischer Politik war beendet. FAZIT In der besetzten Sowjetunion kam es zwischen 1941 und 1944 nur in Teilen Litauens und in kleinen Teilen der Ukraine zu einer aktiven deutschen Ansiedlungspolitik. Dies unterscheidet die NS-Herrschaft in der Sowjetunion von derjenigen im westlichen Polen oder in anderen an das Deutsche Reich unmittelbar angrenzenden Regionen (Elsaß, Lothringen, Untersteiermark, Oberkrain). Kontrastiert man allerdings die megalomanen Siedlungspläne mit der Bilanz der Siedlungspraxis, wird die Diskrepanz deutlich, die zwischen den nationalsozialistischen Ansprüchen und der Realität vor Ort herrschte. In Litauen verfügten die Deutschen nicht über die Machtmittel, um die Politik der Germanisierung und Eindeutschung umzusetzen. Die Ansiedlung von knapp 19 000 litauendeutschen Bauern gelang 1942/1943, weil es in diesem Bereich mit der litauischen Verwaltung zu einer fragilen Teilidentität der Interessen kam. Dennoch wurden selbst die kurzfristigen Ziele nicht erreicht: Es kam nicht zu geschlossenen Besiedlungen, und die Litauendeutschen waren mit den vergrößerten und oft schlecht ausgestatteten Höfen zumeist überfordert. Dementsprechend waren die ökonomischen Verluste hoch. Das anvisierte Apartheidsystem der getrennten Sphären zwischen Deutschen und Einheimischen funktionierte nicht, und die Sicherheit der Siedler konnte nicht garantiert werden. Die Siedlungspolitik verstärkte 1943/44 den unbewaffneten Widerstand der Litauer und den teilweise bewaffneten Widerstand der Polen gegen die deutsche Herrschaft. Das ausschlaggebende Motiv für die Neuansiedlung der Litauendeutschen in Litauen lag nicht darin, daß erste Schritte der übergreifenden Siedlungsplanungen des RKF umgesetzt werden sollten. Es war in erster Linie die Suche nach Auswegen aus den siedlungspolitischen Sackgassen in den besetzten polnischen Gebieten, die zur Entscheidung für die Rücksiedlung führte. Vom Zentrum des Reiches her drängten der Aktivismus Himmlers und des Stabshauptamtes des RKF im Sommer und Herbst 1941 danach, siedlungspolitische Positionen im vermeintlichen neuen „Lebensraum im Osten“ zu besetzen, bestärkt durch die Siedlungsphantasien Hitlers. Von Seiten der Besatzungsverwaltung vor Ort ließen zum einen der Mangel an Deutschen in Litauen und das Ziel einer Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion das Siedlungsprojekt sinnvoll erscheinen. Zum anderen entsprach die Ansiedlung von Deutschen dem Selbstverständnis der Zivilverwaltung, die Annexion Litauens vorzubereiten. Die deutschen Verwaltungsbeamten versuchten, sogar die SS an völkischer Radikalität noch zu übertreffen. Ihre Pläne implizierten noch mehr

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Vertreibungen als jene des RKF. Die Zivilverwaltung konnte sich darüber hinaus in den Kompetenzstreitigkeiten mit dem RKF behaupten und erhielt die Federführung in der Siedlungspolitik. Der SS-Ansiedlungsstab wurde zum durchführenden Organ dieser Politik und war auf die wohlwollende Kooperation der Zivilverwaltung angewiesen. Die Einheit von Ansiedlung und Vertreibung in der nationalsozialistischen Siedlungspolitik hatte auch in Litauen zur Folge, daß Zehntausende litauischer, polnischer und russischer Bauern ihre Höfe verlassen mußten, damit litauendeutsche Bauern vergrößerte Höfe erhielten. Die deutsche Politik gegenüber den litauischen Juden hingegen war nicht durch die konkrete Siedlungspolitik bestimmt. Die Ermordung aller litauischen Juden hatte bereits begonnen, bevor an eine Besiedlung konkret gedacht wurde. Die völlige Vertreibung aller Juden aus dem deutschen Herrschaftsbereich war zwar schon seit Ende 1939 integraler Bestandteil deutscher „Volkstumspolitik“. Aber die Faktoren, welche die Dynamik im Prozeß der Ermordung der litauischen Juden bestimmten, hatten nichts mit der Siedlungspolitik zu tun. Vielmehr führte eine spezifische Kombination von antisemitisch aufgeladener Sicherheits- und Ernährungspolitik mit der konkreten besatzungspolitischen Lage im Sommer und Herbst 1941 zum Umschlag von einer Politik der Vertreibung nach dem Krieg hin zu einer Politik der Vernichtung während des Krieges. Gleichwohl stand die Ermordung der Juden nicht im Widerspruch zu den siedlungspolitischen Fernzielen der Deutschen, denn im künftigen deutschen „Lebensraum“ sollte es keinen Ort für Juden mehr geben. Historiker erliegen bei der Beschäftigung mit den nationalsozialistischen Siedlungsplanungen mitunter der Versuchung, die Allmachtsphantasien der Planer und die gigantischen Ausmaße ihrer Neuordnungskonzepte vorschnell in direkte Beziehung zu den deutschen Massenverbrechen in der besetzten Sowjetunion zu setzen. Die Realisierung der Pläne hatte aber den Sieg über die Sowjetunion zur Voraussetzung, der nicht erreicht wurde. Die Prioritäten deutscher Herrschaft in der Sowjetunion zwischen 1941 und 1944 waren nicht durch die Siedlung, sondern durch die Kriegführung, die Besatzungspolitik und die damit verbundenen Fragen bestimmt. Die langfristigen Pläne zur Schaffung von „Lebensraum“ waren aus Sicht der Täter zwar wichtig als vermeintlich legitimierender Hintergrund ihres Handelns, aber sie erklären nicht, warum es zu den deutschen Massenverbrechen in der besetzten Sowjetunion kam. Gleichwohl haben bereits die bescheidenen Ansätze zu einer konkreten Siedlungspolitik in Litauen nichts als Vertreibung, Diskriminierung und Leiden hervorgebracht.

ÜBERBEVÖLKERUNG UND ETHNISCHE BEREINIGUNG ZUM VERHÄLTNIS VON WISSENSCHAFT UND POLITIK IM „KOMPLEX VERTREIBUNG“ IN POLEN von Michael G. Esch Die polnische Gesellschaft erlebte ab 1945 eine doppelte Transformation: Zum einen ihre geographische Verschiebung nach Westen, die mit der millionenfachen Zwangsaussiedlung von Deutschen aus den neuen Westgebieten des polnischen Staates und mit der häufig ebenso unfreiwilligen Umsiedlung von Millionen Polen aus den an die Sowjetunion fallenden Ostgebieten verbunden war. Und zum anderen den beginnenden Umbau ihrer sozioökonomischen Wirkungsprinzipien, durch den Polen sich zu einer sozialistischen Gesellschaft entwickeln sollte. Beide Prozesse waren miteinander verwoben und werden mitunter – nach Ansicht des Autors fälschlich – in ursächlichen Zusammenhang gebracht. Vor diesem Hintergrund wollen sich die folgenden Seiten vor allem zweier Fragen annehmen: Zum einen soll untersucht werden, in welchem Ver-hältnis ethnische und sozioökonomische Modelle bei der Genese und Durchführung der (Zwangs-)Umsiedlungen nach dem Zweiten Weltkrieg zueinander standen. Dabei soll auch die Vorgeschichte, das heißt die Diskussion um die bevölkerungspolitische Bereinigung polnischer Strukturprobleme in der Zwischenkriegszeit, einbezogen werden. Zum anderen soll versucht werden, wenigstens schlaglichtartig zu beleuchten, von wem die einzelnen Argumentationsstränge und Planungsmodelle in die Diskussion gebracht wurden und in welchem Verhältnis diese Akteure zu den „eigentlichen“ Entscheidungsträgern gestanden haben. Dieses zweite Ziel ist mit Bedacht vorsichtig formuliert: Eine genauere Analyse der sozialen, intellektuellen, akademischen oder administrativen Herkunft jener Diener oder „Berater der Macht“, die für den Nationalsozialismus seit den achtziger Jahren unternommen wird, ist für den polnischen „Fall“ zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich, da es an biographischen Studien, entsprechenden Hilfsmitteln und häufig sogar an Quellen fehlt. VORGESCHICHTE – ÜBERLEGUNGEN ZU MIGRATION UND BEVÖLKERUNGSSTRUKTUR IN POLEN VOR DEM ZWEITEN WELTKRIEG Die Gebiete, die ab 1918 den neuen polnischen Staat bilden sollten, waren aus mehreren Gründen für einen modernen Nationalstaat schlecht vorbereitet: Zum einen gehörten sie drei unterschiedlichen Staatsgebilden und damit drei

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völlig unterschiedlichen Verwaltungstraditionen an. Sozial und wirtschaftlich ließen sich insbesondere das russische und das österreichische Teilungsgebiet an westlichen, modern-kapitalistischen Maßstäben hinsichtlich ihrer Güterproduktion und ihrer Warenverkehrsformen in keiner Weise messen: In den östlichen und südöstlichen Regionen des künftigen Polen spielten Subsistenzformen wie geschlossene Hauswirtschaften ohne Teilnahme an einem regionalen oder gar nationalen Markt und Natural- und Tauschwirtschaft eine gewichtige Rolle.1 Zum anderen war die Bevölkerung dieses Gebietes ethnisch alles andere als einheitlich: Nach 1918 gaben lediglich zwei Drittel der polnischen Bevölkerung Polnisch als ihre Muttersprache an; die größten nicht-polnischen Gruppen waren die Ukrainer, Juden (die bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts im Russischen Reich als eigenständige „Nationalität“ anerkannt waren) sowie die Deutschen; hinzu kamen Weißrussen, Tataren, Kaschuben, Masuren, Armenier und einige weitere regional begrenzte Gruppen.2 Beide Probleme des neuen polnischen Nationalstaates – die freilich erst dann zu ebensolchen wurden, als eine politische Absicht einen ethnisch einheitlichen und ökonomisch an modernen kapitalistischen Vorbildern orientierten Staat zum Ziel erklärte – ließen sich in mehrfacher Hinsicht miteinander verbinden. Die Brücken zu dieser Verknüpfung boten im Wesentlichen zwei voneinander konzeptionell unabhängige, aber ebenfalls ohne weiteres zu kombinierende Denkmodelle: Das des „Bevölkerungsoptimums“ – beziehungsweise negativ der „Überbevölkerung“ – auf der einen Seite3 und das der ethnischen (und genetischen4) Qualität der Bevölkerung auf der anderen. Im Jahre 1914 erschien in Posen und New York eine Studie, die sich implizit und explizit der Migrationspolitik eines polnischen Staates widmete, der erst noch zu schaffen war. Es handelte sich um die für das polnische Publikum aus dem Deutschen von Karol Englisch übersetzte, „vervollständigte und wesentlich erweiterte“ Arbeit „Emigration und Emigrationspolitik“ des österreichisch-polnischen Bevölkerungsforschers Leopold Caro. Caro und Englisch analysierten die Emigration von Polen nach Westen als Folge mangelhafter wirtschaftlich-sozialer Entwicklungsmöglichkeiten, betonten aber gleichzeitig, daß ohne entsprechende sozialpolitische Steuerung gerade „der stärkste und gesündeste Teil der Bevölkerung [...] die ganze Trostlosigkeit der eigenen Lage verspürt und das Heimatland verläßt“.5 Die Autoren berechneten die „Auswanderungsverluste“ für die polnische Nationalökonomie dabei in ethnischer Differenzierung: Ihr Interesse bestand vor allem in der Feststellung der Verluste an ethnischen Polen, die – neben ihrem wirtschaftlichen Nutzen – 1

Vgl. Roszkowski, Rolnictwo, S. 103–106. Siehe hierzu Tomaszewski, Ojczyzna und ders., Mniejszoóci. 3 Siehe hierzu grundlegend Heim/Schaz, Berechnung. 4 Siehe hierzu Gawin, Rasa. 5 Caro/Englisch, Emigracya, S. 11. Eine ausführliche Würdigung dieser Arbeit, in der etwa – ganz im Gegensatz zur Auffassung ihrer Nachfolger – betont wird, daß „Menschen keine Waren sind, keine Werkzeuge zum Erreichen staatlicher Ziele, sondern im Gegenteil selbst dieses Ziel“ seien, muß an dieser Stelle unterbleiben. 2

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einer künftigen polnischen Staatsnation fehlen mußten. Sie stellten fest, daß in Galizien mehr als 70 Prozent der Auswanderer ethnische Polen waren6, und empfahlen Mittel zur Behebung dieses Zustandes, insbesondere die Stärkung der Wirtschaftskraft der Herkunftsregionen. Außerdem forderten sie, aus dem Prinzip der Sorgfaltspflicht heraus, aber auch aus der Furcht, die Auswanderer würden sonst der polnischen Nation verlorengehen, eine soziale Sicherung der Emigranten von den Herkunftsländern aus.7 Hier aber wurden die Widersprüche ihres Modells überdeutlich, da der Ausbau von Arbeitsmöglichkeiten im Lande selbst nur dann möglich war, wenn man der vermeintlichen Überbevölkerung Herr werden konnte.8 Nach 1918 forderte die polnische Regierung nicht zuletzt deshalb die Übergabe der ehemals deutschen Kolonien, weil man in ihnen künftige polnische Siedlungsgebiete sah.9 Im Jahre 1936 erschien – mit wirtschafts- und agrarwissenschaftlichem Anspruch – die Studie „Die Überbevölkerung des Dorfes und der Landwirtschaft“ des polnischen Agrarwissenschaftlers Józef Poniatowski. Poniatowski war nicht der erste, der ein Zuviel an Bevölkerung – gemessen an der Aufnahme- oder besser Nutzungskapazität der Nationalökonomie – in Polen feststellte. Er versuchte jedoch erstmals eine genaue quantitative Eingrenzung dieses Zuviel, und vor allem erregte seine Arbeit in der polnischen und internationalen Öffentlichkeit das größte Aufsehen10: Seiner Ansicht nach waren mehr als acht Millionen Menschen in Polen „überflüssig“ – was bedeutete, daß sie nicht angemessen, nämlich nutzbringend beschäftigt werden konnten und so durch ihre bloße Existenz die wirtschaftliche Entwicklung behinderten.11 Diese Auffassung blieb nicht unwidersprochen: Rajmund Bu`awski, ebenfalls ein namhafter Bevölkerungswissenschaftler und Leiter des Schlesischen Statistischen Amtes, wies nach, daß die eher statische Berechnungsgrundlage falsch und daher die Zahlen viel zu hoch waren; er forderte die beschleunigte Durchführung einer landwirtschaftlichen Betriebszählung, auf deren Basis überhaupt erst genauere Aussagen getroffen werden könnten. Das Paradigma Überbevölkerung selbst jedoch stellte er nicht in Frage: Zweifellos bestehe dieses Problem, es bedürfe jedoch einer „grundlegenden und allseitigen wissenschaftlichen Aufklärung“.12 Der Wirksamkeit von Poniatowskis Ergebnissen in Öffentlichkeit und Fachpublikum tat dies jedoch keinen Abbruch. Wesentlich weniger plakativ argumentierte eine Studie des Instituts für Sozialwirtschaft (Instytut Gospodarstwa Spo`ecznego, IGS). Sie nannte keine Zahlen, machte aber deutlich, daß für eine Landvergabe an die vorhandenen 2,5 Millionen landlosen und landarmen Bauernfamilien weit mehr Land erforderlich wäre, als selbst bei Parzellierung des gesamten Großgrundbesitzes zur Verfügung stünde.13 6

Vgl. Caro/Englisch, Emigracya, S. 25. Vgl. Caro/Englisch, Emigracya, S. 328 ff. 8 Ähnlich Roth, Grundlagen. 9 Vgl. Fiedler, Kolonie. 10 Vgl. Bu`awski, W sprawie, S. 3. 11 Vgl. Poniatowski, Przeludnienie. 12 Bu`awski, W sprawie, S. 24. 13 Vgl. IGS, Struktura, S. 293–311. 7

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Der Zeitpunkt dieser Diskussion, die sich unter völlig anderen Umständen mit teilweise denselben Teilnehmern 1945/46 wiederholen sollte, war hoch bedeutsam: Nach dem Tode Pi`sudskis im Jahre 1935 wechselte nämlich die Regierungspolitik von einer integrativen „moralischen“ Diktatur charismatischen Charakters, die eine Vereinigung fast aller Parteien, vor allem aber aller Minderheiten in einem nicht vorrangig ethnisch definierten polnischen Staatsvolk zum Ziel gehabt hatte, zu einer stärker nationalpolnischen, segregierenden Politik. Diese richtete sich, nachdem nationaldemokratische und nationalistische Radikale in zunehmendem Maße Stimmung gegen die jüdischen Polen machten, in besonderem Maße gegen die Juden.14 Ein „Judenproblem“ war von offizieller Seite erstmals während der Verhandlungen in Versailles 1918 entdeckt worden. Der polnischen Delegation unter Roman Dmowski gehörte neben anderen Sozialwissenschaftlern der Lemberger Sozial- und Agrarhistoriker Franciszek Bujak an. Er war, soweit bekannt, der erste, der eine direkte Verbindung zwischen jüdischer Bevölkerung und Überbevölkerung herstellte – ausdrücklich beschränkt allerdings auf die jüdische Überbevölkerung, zu deren Behebung die Förderung einer freiwilligen Ausreise nach Palästina hilfreich sei.15 Die Verfassungen der polnischen Zweiten Republik schlossen – nicht zuletzt auf Druck der Siegermächte des Ersten Weltkrieges – eine Diskriminierung der Minderheiten aus, so daß die „jüdische Frage“ verstärkt erst wieder während der zweiten Flüchtlingskrise nach der Machtübernahme der NSDAP in Deutschland entdeckt wurde: Ab 1933 und besonders nach dem „Anschluß“ Österreichs im Jahre 1938 sah sich das Auswanderungsland Polen erstmals mit der Gefahr einer bedeutenden jüdischen Einwanderung, vor allem von Rückwanderern beziehungsweise ihren Nachkommen, konfrontiert und begann sofort mit der Vorbereitung entsprechender Gegenmaßnahmen – insbesondere durch die Ausbürgerung ausgewanderter Juden ab Oktober 1938.16 Führend bei der Bearbeitung der „Judenfrage“ war und blieb das Außenministerium (Ministerstwo Spraw Zagranicznych, MSZ), das seit 1932 von Józef Beck geleitet wurde, und innerhalb des Ministeriums das Konsulardepartement unter Wiktor Tomir Drymmer. Das Außenministerium konzentrierte sich bis zum Kriegsbeginn auf die Suche nach Auswanderungsmöglichkeiten und das Drängen auf eine Öffnung Palästinas für die jüdische Einwanderung aus Polen. Als in zunehmendem Maße, besonders mit der Veröffentlichung des „Weißbu14

Siehe hierzu Tomaszewski, Preludium, S. 40–74. Vgl. Shelton, Democratic Idea, S. 88 f. Sheltons Arbeit ist reichlich hagiographisch und zieht die Folgerichtigkeit von Bujaks Forderung in keiner Weise in Frage, sondern erklärt sie durch das antipolnische Verhalten der Juden (deren Gründe im antijüdischen Verhalten vieler Polen sie nicht weiter diskutiert, sondern sich auf den zwar nicht falschen, aber doch etwas mageren Hinweis beschränkt, eine polnische Teilnahme an Pogromen zwischen 1881 und 1918 habe es praktisch nicht gegeben). 16 Vgl. Informacja w sprawie mie$dzynarodowej akcji opieki nad uchodz;cami z Niemiec, o.D., o.U. (vermutlich Aleksander Zarychta), S. 1, Archiwum Akt Nowych (AAN), MSZ 9894, pag. 73 ff. Vgl. hierzu ausführlicher Esch, Politik. 15

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ches“ absehbar war, daß die britische Regierung eine Massenmigration, die zudem noch auf die Bildung eines eigenen Staatswesens abzielte, auf keinen Fall zulassen würden, entwickelte das MSZ – mitunter in engem Kontakt mit dem nationalsozialistischen Deutschland, das zu diesem Zeitpunkt ähnliche Ziele verfolgte – unter anderem um 1938 den Madagaskar-Plan.17 Immer wieder wurden Maßnahmen gegen die Überbevölkerung der polnischen Landwirtschaft mit einer Auswanderung der eher städtischen jüdischen Bevölkerung argumentativ verknüpft, zuletzt noch im November 1938 in einer Denkschrift an den niederländischen Botschaftsattaché in Polen Baron Gevers: „Polen, oder genauer das polnische platte Land leidet an Überbevölkerung. [...] Die jüdische Bevölkerung in Polen verspürt den demographischen Druck um so stärker, als sie nicht auswandern kann und sie, selbst konzentriert auf die Städte, den Zufluß der polnischen Landbevölkerung erlebt. Für diese wiederum ist die Binnenmigration in die Städte tatsächlich der einzige Weg, dem Dahinvegetieren auf dem überbevölkerten Land zu entfliehen und ihr Existenzniveau zu heben.“18 Es sollte nicht unerwähnt bleiben, daß diese Aktivitäten zwar sicherlich über den Kopf der jüdischen Bevölkerung hinweg, nicht aber ohne Beteiligung einiger, insbesondere rechtszionistischer polnisch-jüdischer Organisationen abliefen: Auf der Konferenz von Evian 1935 sowie in den internationalen Verhandlungen nach dem deutschen Novemberpogrom von 1938 trat die polnische Delegation gemeinsam mit Vertretern der Agudas Jisroel, einer traditionalistischen polnisch-jüdischen Partei, der Revisionisten um Vladimir Z"abotynskij und dem Assimilationisten Mojz[esz Schorr auf.19 Der anhaltende Unwille vieler südamerikanischer Staaten, die ebenfalls als Auswanderungsorte ins Auge gefaßt worden waren, aber in erster Linie an landwirtschaftlich ausgebildeten Einwanderern und jedenfalls nicht an Juden interessiert waren, blockierte die Verhandlungen; mit dem Angriff Deutschlands auf Polen schließlich wurden sie vorläufig abgebrochen.20 Die Verknüpfung zwischen der Entfernung einer zahlenmäßig bedeutenden Minderheit und der Beseitigung der „Überbevölkerung“ hingegen war nun, nicht nur in Polen, etabliert. Es fällt aber auf, daß diese Verbindung, soweit sich bislang herausfinden ließ, nur selten von den Sozialwissenschaftlern selbst vorgenommen wurde (einige Ausnahmen wurden erwähnt), sondern zumeist von Politikern, mitunter von Publizisten, und vor allem von Diplomaten. EXIL UND UNTERGRUND Am 17. September 1939 floh die polnische Regierung vor den deutschen und russischen Truppen nach Rumänien und ließ sich zunächst in Paris, kurze Zeit 17

Vgl. Heim, Deutschland und Tomaszewski, Preludium, S. 255–268. Denkschrift Soko`owski an Gesandtschaftsattaché M. Baron Gevers, 1.11.1938, S. 1. AAN, MSZ 9907, pag. 42–46. 19 Vgl. Koseski, Emigracja, S. 33 f. und Tomaszewski, Preludium, S. 259–268. 20 Vgl. auch Marrus, Unwanted, S. 211 ff. 18

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später in London nieder. Bald darauf wurde in den deutsch-besetzten Gebieten eine erste Untergrundorganisation geschaffen, die sich zu einem „Untergrundstaat“ entwickelte, der sich als „Delegatur der Regierung im Lande“ verstand.21 Sowohl in London als auch in den besetzten Gebieten bildeten sich Arbeitskoalitionen der vier großen Parteien, die nicht durch die vorangegangene Misswirtschaft der Pi`sudski-Nachfolger kompromittiert waren: Sozialisten, Bauernpartei, Nationaldemokraten und Demokratische Partei. Der Kreis der Personen, die sich in der Folgezeit mit Plänen für ein Nachkriegspolen befasste, war zwar nicht aus demokratischen Wahlen hervorgegangen, wohl aber in seinem Selbstverständnis vorläufig demokratisch legitimiert. Die Aufgaben dieser beiden Repräsentantinnen polnischer Staatlichkeit waren vielfältig. Primär ging es natürlich darum, überhaupt eine künftige Existenz Polens bei den (westlichen) Alliierten sicherzustellen. Dazu gehörte auch der Versuch, möglichst weitgehenden Einfluß auf die Gestalt Polens nach dem noch zu gewinnenden Krieg zu nehmen: hinsichtlich der politischen Organisationsform, aber auch hinsichtlich des Territoriums und der Bevölkerungszusammensetzung. Zudem sollte – um chaotische Verhältnisse zwischen Kriegsende und Frieden zu vermeiden – ein leistungsfähiger Verwaltungsapparat aufgebaut werden, der in der Lage sein sollte, wesentliche Aufgaben der wiedergewonnenen Staatlichkeit sofort sicherzustellen. Die Arbeiten wurden dementsprechend zwischen Exil und Delegatur aufgeteilt: Während in London neben umfänglichen diplomatischen Anstrengungen zu einer Absicherung polnischer Gebietsansprüche vor allem Materialsammlungen für die Vorbereitung der erwarteten Friedenskonferenz angefertigt wurden,22 übernahm es die Delegatur, einen unmittelbar praktisch ausgerichteten Kader aus Experten und Verwaltungsfachleuten heranzubilden und vorzubereiten. Dazu gehörte auch eine möglichst weitreichende und detaillierte Vorplanung insbesondere für die Siedlungs- und Umsiedlungspolitik nach dem Kriege. Zuständig dafür war das Büro der Westlichen Gebiete (Biuro Ziem Zachodnich, BZZ), das als Einrichtung des Innendepartements Amtsleitern aus der Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe, PSL) unterstand.23 Noch im September 1939 setzten Diskussionen um eine Revision der polnischen Westgrenze ein, und bereits kurz darauf stand eine Aussiedlung der deutschen – oder als deutsch zu definierenden – Bevölkerung auf der Tagesordnung. In einem Rundschreiben vom Februar 1940 konzentrierte Außenminister August Zaleski das Interesse auf Ostpreußen: Das Gebiet sei niemals integraler Bestandteil des Reiches gewesen und stelle die in Europa einzigartige Kolonie einer Großmacht inmitten ethnisch fremder Völker dar. Hitler habe durch seine „Rücksiedlung“ der Baltendeutschen nach Westen unbewußt einen historischen Prozeß in Gang gesetzt, den es im Grunde durch die Aussied21 Aus der inzwischen reichen Literatur nach wie vor unverzichtbar Klessmann, Selbstbehauptung und Korbon;ski, Pan;stwo. 22 Vgl. hierzu Brandes, Großbritannien und Terry, Poland. 23 Vgl. Korbon;ski, Pan;stwo, S. 47.

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lung aller Deutschen nur fortzusetzen gelte.24 Im Herbst 1942 befaßte sich die Exilregierung mit der Ausarbeitung genauerer Grenzkonzeptionen: Man verlangte die Eingliederung Ostpreußens und Danzigs, wobei ein Teil dieses Gebietes an Litauen abgetreten werden sollte. Die relative Bescheidenheit der Exilregierung erklärte sich aus der internationalen Situation. Man wolle, so Stanis`aw Miko`ajczyk, der Nachfolger des 1943 verunglückten Sikorski, nicht durch überzogene Forderungen im Westen und Norden die Option auf die Rückforderung der Ostgebiete gefährden, die sich 1939 die Sowjetunion einverleibt hatte.25 Diese gegenüber Roosevelt ausgesprochene Selbstbeschränkung traf auf scharfe Kritik in den eigenen Reihen. So forderten verschiedene Kreise im Exil ebenso wie die Vertreter der Exilregierung im besetzten Polen bereits 1942 Gebietserweiterungen, die weit über die offizielle Linie der Exilregierung hinausgingen; selbst die Londoner Exilpresse stellte sich offen gegen die Regierung und postulierte eine Westgrenze entlang der Oder und Neiße.26 Jede territoriale Phantasie, aber auch schon die Wiederherstellung Polens nach dem Krieg mußte sich der Tatsache stellen, daß das als Nationalstaat geplante, legitimierte und teilweise auch verwaltete Polen tatsächlich zunächst einmal ein Vielvölkerstaat war: Neben einer nicht unbedeutenden deutschen Minderheit im Westen würden unabhängig vom genauen Grenzverlauf auch Juden, Ukrainer, Litauer und Weißrussen das Staatsgebiet bewohnen. Zwar drangen die westlichen Alliierten – ganz unabhängig von den faktisch bereits durchgesetzten Gebietsforderungen der Sowjetunion – auf eine Orientierung an der Curzon-Linie, die den Anspruch vertrat, im Osten ethnische und staatliche Grenzen in ungefähre Übereinstimmung zu bringen; diese wurde jedoch von polnischer Seite scharf abgelehnt. Das Maximalprogramm der polnischen Vertretungen hätte daher ein Mehr statt ein Weniger an sprachlich, konfessionell und in ihrem Selbstverständnis nicht-polnischer Bevölkerung bedeutet. Dies wiederum warf die Frage nach dem Umgang mit diesem Problem auf. Sowohl was die jüdische als auch was die ukrainische Bevölkerung betraf, gingen die Ansichten auseinander, wobei zumindest die Exilregierung sich auf den – nicht sehr aussagekräftigen, weil bereits in der Zwischenkriegszeit nicht eingelösten – Grundsatz „Gleiche Rechte – gleiche Pflichten“ berief. Vom Grundsatz der Gleichheit ausdrücklich ausgenommen wurde die deutsche Bevölkerung, deren „feindliche Haltung gegenüber dem polnischen Staat in der Vergangenheit und augenblicklich keine Garantie der Loyalität in der Zukunft gibt“.27 Ähnlich dezidiert äußerte sich Vizepremier Stanis`aw Miko`ajczyk im Februar 1942: In Polen werde kein Platz mehr für auch nur einen Deutschen sein. Der Anschluß der westlichen Gebiete habe nur dann Sinn, wenn innerhalb von längstens zwei Jahren alle Deutschen aus den 24 25 26 27

Zit. n. Turlej, Koncepcje, S. 177. Vgl. Jaworski, Na piastowskim szlaku, S. 14 f. Vgl. Ebd., S. 14–19. Rundschreiben, gez. Zaleski, zit. n. Sprawa, S. 140 f.

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angeschlossenen Gebieten ausgesiedelt würden.28 Im Dezember 1942 legte Premierminister Sikorski eine Denkschrift vor, die eine polnische Grenze entsprechend einer Verteidigungslinie entlang Pommern und Schlesien forderte und die Aussiedlung der deutschen Bevölkerung für notwendig erklärte.29 Was auf politischer Ebene mit den jüngsten Erfahrungen deutsch-polnischer Nachbarschaft begründet wurde, fand ein weiteres Motiv in der Diskussion über die „Überbevölkerung“: Vermutlich im Auftrag des Innenministers Stanis`aw Kot verfaßte der ehemalige Leiter des Statistischen Hauptamtes (G`ówny Urza$d Statystyczny, GUS) Edward Szturm de Sztrem eine Denkschrift zur Sanierung der polnischen Agrarstruktur. Wie in der Diskussion der Zwischenkriegszeit wurde die Frage einer nachhaltigen Sanierung der Landwirtschaft an territoriale Zugewinne gebunden. Polen – in den alten Grenzen – verfüge gar nicht über genügend Boden, um etwa durch Parzellierung des Großgrundbesitzes eine Umverteilung der agrarischen Überbevölkerung auf neue Bauernwirtschaften bewerkstelligen zu können: „1. Die polnische Agrarwirtschaft ist belastet durch einen ungeheuren Anteil winziger Zwergwirtschaften, die überhaupt nicht autark sind, und kleiner, die teilweise nicht autark sind. [...] 6. Polen besitzt nicht genügend Boden zur Befriedigung aller Bedürfnisse der Kleinbauern und Landlosen. [...] 8. Der Anschluß Ostpreußens an Polen würde die Durchführung der Landreform wesentlich erleichtern.“30 Detailliertere Vorstellungen entwickelte die Delegatur, die sich zudem um außenpolitische Rücksichten und Koalitionsvereinbarungen nicht zu bekümmern brauchte. Im Jahr 1942 wurde im Rahmen eines Departements für Inneres das BZZ eingerichtet, das die Übernahme Ostpreußens, Pommerns und des Oppelner Schlesien vorbereiten sollte. Das Büro scheint auf eine Initiative der Posener Nationaldemokratie zurückgegangen zu sein; diese gründete bereits 1940 ein Westbüro, das sich weitgehend auf die nationalstaatlichen – und auf ethnische Homogenität abzielenden – Vorstellungen Roman Dmowskis stützte und später in das Warschauer Büro einging.31 Daneben bestand ein Büro der Östlichen Gebiete (Biuro Ziem Wschodnich, BZW), über dessen Zusammensetzung nichts bekannt ist.32 Entsprechend der Bevölkerungsstruktur der bearbeiteten Regionen wurde das Junktim Zwangsaussiedlung – sozioökonomische Strukturbereinigung unterschiedlich aufgefaßt und stand in einem jeweils anderen Kontext. Das BZW sah seine Aufgabe in erster Linie darin, die bereits vor der sowjetischen Besatzung umstrittenen östlichen Gebiete „untrennbar mit dem polnischen Staat zu verbinden“. Dies bedeutete insbesondere die Stärkung der gegenüber 28

Vgl. ebd., S. 35. Vgl. Siebel-Achenbach, Silesia, S. 33 und Brandes, Großbritannien, S. 106 ff. 30 Edward Szturm de Sztrem, Uwagi w sprawie struktury agrarnej w Polsce und Streszczenie uwag ..., o.D. (verm. 2. Hälfte 1941), Archiwum prof. Stanis`awa Kota 432, Bl. 28–44, hier Bl. 28. 31 Vgl. Gluck, Od Ziem, S. 20 f. 32 Die polnische einschlägige Literatur erwähnt dieses Büro überhaupt nicht, überliefert sind allerdings einige der dort produzierten Denkschriften. Siehe Esch, Verhältnisse, passim. 29

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einem polnischen Staat sicherlich loyalen polnischen Bevölkerung, gleichzeitig aber auch die Bindung der Minderheiten an die polnische Staatlichkeit und Kultur – letzten Endes also ihre Polonisierung. Dieses gewissermaßen ethnopolitische Ziel ließ sich bruchlos mit der Beseitigung von Strukturproblemen – die wiederum in hohem Maße ethnisch kodiert wurden – vereinbaren. Ein nicht datiertes Papier aus dem BZW sah die „Translokation des Übermaßes an Bevölkerung in andere Landesteile – in die Industrie, die Städte und Landwirtschaft im Sinne eines allgemeinstaatlichen Planes der Wirtschaft und der Bevölkerungsverteilung“ bei gleichzeitiger Ansiedlung von Polen aus dem Westen vor.33 Dies bedeutete aber keine Abkehr vom Überbevölkerungs-Paradigma, sondern diente lediglich der ideologisch-ethnischen Absicherung dieser Gebiete. Gleichzeitig nämlich forderte das BZW von der Exilregierung die „Reservierung [...] der für den Bedarf des Czerwenischen Landes [gemeint ist das „Land der tscherwenischen Burgen“ um Tomaszów Lubelski in Ostpolen] unentbehrlichen Parzellierungsgebiete im Lande oder in den angeschlossenen westlichen Gebieten“. Auch im BZW verknüpfte man also die „Entladung“ der Überbevölkerung im Osten mit der Gewinnung zusätzlicher Gebiete im Westen.34 Zwangsumsiedlungen waren dabei nicht ausgeschlossen: Den „unverzichtbaren Bevölkerungsverschiebungen“ sei aber der Charakter einer „allgemeinen, gesamtstaatlichen Aktion“ zu geben, die sich nicht gegen eine bestimmte Ethnie richte. Die Praxis der Ausbürgerungen im Herbst 1938 hatte aber gezeigt, daß ein nicht-diskriminierend formulierter Text durchaus eine sehr eindeutige Konzentration auf eine oder mehrere Minderheiten vorbereiten konnte.35 Die Vernichtung der polnischen Juden, die in vielen ostpolnischen Kleinstädten die Bevölkerungsmehrheit gestellt hatten, durch die Deutschen wurde in diesem Rahmen sowohl zum Problem als auch zur „Chance“. Zur Besiedlung der ostpolnischen Städte nämlich hieß es im Telegrammstil: „Rationeller Aufbau der Städte des Östl[ichen] Kleinp[olen] – Lenkung des polnischen Elements dorthin – aktuelle und wichtige Sache wegen der Auslöschung des jüdischen Elements.“36 Die Delegatur und ihre Einrichtungen richteten ihren Planungseifer in der Regel nicht gegen die jüdische Bevölkerung – was um so weniger angezeigt war, als es nicht wenige Juden in der Polnischen Sozialistischen Partei (Polska Partia Socjalistyczna, PPS) gab und die Exilregierung mit Bedacht auch jüdische Vertreter aufgenommen hatte. Gleichwohl kam das Exposé für einen statistisch-geographischen Atlas Polens, das vermutlich von Ende 1943/Anfang 1944 stammt, auf die in der Zwischenkriegszeit aufgekommene Identifizierung 33

Ogólny zarys projektu odbudowy Ziemi Czerwien;skiej, AAN, ALP 202/III-202, Bl. 6 Ebd., Bl. 8. 35 Das „Gesetz über die Aberkennung der polnischen Staatsangehörigkeit“ von Oktober 1938 erwähnte zwar keine Ethnien, richtete sich jedoch in Absicht und Praxis hauptsächlich gegen jüdische, in weitaus geringerem Maße gegen deutsche und ukrainische Polen. Vgl. Tomaszewski, Preludium sowie Esch, Novemberpogrom. 36 Ogólny zarys projektu odbudowy Ziemi Czerwien;skiej, AAN, ALP 202/III-202, Bl. 4. 34

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der Juden mit den sozioökonomischen Strukturproblemen zurück: Sie seien das größte Hindernis für die Behebung der landwirtschaftlichen Überbevölkerung, und zudem seien sie, wie die Deutschen, Zugezogene.37 Die Aussiedlung der deutschen Bevölkerung Polens stand auch innerhalb der Delegatur unwidersprochen fest. Polnische Fachleute, die eng mit der Delegatur zusammenarbeiteten – großenteils handelte es sich, soweit bekannt, um akademische Agrarwissenschaftler, Demographen, Geographen und Historiker –, erforschten noch während des Krieges Sozial- und Wirtschaftsstruktur der zu übernehmenden deutschen Provinzen, Möglichkeiten der Siedlung, wirtschaftliche und agrarische Potentiale sowie die Bevölkerungsstruktur und -dichte im Deutschen Reich nach einer Aussiedlung der Deutschen aus Polen. Insgesamt wurden mehrere Hundert Seiten wissenschaftlichen Materials unter konspirativen Bedingungen verfaßt. Im Laufe des Jahres 1942 erarbeitete das BZZ seine „Grundsätze des politischen Programms in Bezug auf die neuen Gebiete“. Neben der raschestmöglichen Aufrichtung einer arbeitsfähigen polnischen Verwaltung bereitete das Büro auch das Terrain für eine Deportation eines Teils der einheimischen Bevölkerung vor: „Unsere Prämisse muß die unverzügliche, möglichst starke, radikale und rücksichtslose Einleitung einer planmäßigen Aktion der Entdeutschung sein, im Einklang mit der Ausgangsvoraussetzung, daß wir auf dem Wege der vollendeten Tatsachen einzig nach den Gebieten streben, die wir dauerhaft mit dem polnischen Staat vereinigen wollen.“38 Fraglich war hingegen, wie eine solche „Entdeutschung“ im alten polnischen Gebiet auszusehen habe: Zumindest die polnischen Sozialisten gingen zunächst eher davon aus, daß es dort ausreichen werde, die Nazis auszusiedeln, dem Rest die Ausreise zu erleichtern und diejenigen, die bleiben wollten, im Lande zu verteilen, um sie assimilieren zu können.39 Auf dieser Ebene erklärt sich auch die Diskrepanz zwischen den Gebietsansprüchen der Exilregierung und der Delegatur: Es spielten nämlich nicht nur außenpolitische Rücksichten (oder gar die unmittelbare Anschauung des deutschen Terrors) in den Umfang der Ansprüche hinein, sondern in mindestens ebenso hohem Maße sehr pragmatische Überlegungen hinsichtlich der Zahl der verfügbaren polnischen Siedler. Die Bevölkerungsplaner der Delegatur gingen davon aus, daß in Polen in den Grenzen von 1939 ein Überschuß von etwa 7,5 Millionen Menschen zu zählen sei, wovon vier Millionen ethnisch als Polen gelten sollten – eine Zahl, die diejenige der aus den Westgebieten auszusiedelnden Deutschen bereits übertraf. Als Ersatz für die Deutschen seien je nach Umfang des Gebietszuwachses drei beziehungsweise zwei Millionen Menschen erforderlich, was angesichts der ethnisch polnischen Bevölkerung in den geforderten Gebieten und der ethnisch polnischen Überschußbevölkerung 37

Vgl. Spis tablic Atlasu statystyczno-geograficznego, AAN, ALP 202-III/115, t. 2, Bl. 361–366. 38 Grundzüge des politischen Programms bezüglich der neuen Gebiete, zit. n. Jaworski, Na piastowskim szlaku, S. 29 f. 39 Vgl. ebd., S. 34.

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von knapp vier Millionen “für uns keine Schwierigkeiten vom Gesichtspunkt der dazu benötigten Landbevölkerung darstellen würde“. Eher stelle sich das umgekehrte Problem: Die Zahl der „verfügbaren Bevölkerung [...] überschreitet sehr ernstlich die Zahl der benötigten Bevölkerung“. Die Übrigen sollten in die Städte überführt werden.40 Damit schloß sich die Delegatur, insbesondere was die Berechnung des „Bevölkerungsüberschusses“ unter Berücksichtigung der Kriegsverluste anging, recht eng an die Arbeit Poniatowskis von 1936 an, obwohl einer der Kritiker der Arbeit, Rajmund Bu`awski, vermutlich dem BZZ angehörte. AKTEURE UND KONZEPTE IN DER VOLKSREPUBLIK Auf der Verwaltungsebene lassen sich fünf Phasen der Bevölkerungsverschiebung unterscheiden: 1. Die Vertragsumsiedlung im Osten, 2. die „wilden Vertreibungen“ und ungeregelten Ansiedlungen vor und in der ersten Zeit der polnischen Zivilverwaltung im Westen, 3. die Zuständigkeit des Ministeriums für Öffentliche Verwaltung (Ministerstwo Administraci Publicznej, MAP) und die Phase der „freiwilligen Ausreise“, 4. die Übertragung der Kompetenzen an das Ministerium für die Wiedergewonnenen Gebiete (Ministerstwo Ziem Odzyskanych, MZO) und der Versuch, die Umsiedlungen unter Kontrolle zu bringen; dies bedeutete den „geregelten Bevölkerungstransfer“ der Deutschen in Absprache mit den Alliierten und die organisierte Ansiedlung, schließlich 5. die Spätphase mit der Zwangsumsiedlung der ukrainischen Bevölkerung, der Entmachtung des MZO und dem Übergang zur Kollektivierung. Zunächst begann noch im Herbst 1944 der Bevölkerungsaustausch zwischen Polen und den angrenzenden Sowjetrepubliken.41 In den westlichen Gebieten begleiteten „Operationsgruppen“ die vorrückende Armee und sollten bis zur Ernennung von „Gebietsbevollmächtigten“ die Basisfunktionen der Verwaltung garantieren sowie wirtschaftliche Güter sichern. In dieser ersten Phase unterstanden die Gebietsbevollmächtigten dem MAP. Forderungen, eine eigene zentrale Verwaltungsinstitution für die neuen Gebiete zu schaffen, scheiterten zunächst am Widerstand Boles`aw Bieruts. Bierut lehnte diesen Vorschlag mit dem Hinweis ab, daß eine solche verwaltungsmäßige Sonderstellung der neuen Westgebiete diese von Polen abtrennen würde, statt sie mit ihm zu vereinigen. Stattdessen wurde am 11. April 1945 das Amt eines „Generalbevollmächtigten für die Wiedergewonnenen Gebiete“ eingerichtet und mit W`adys`aw Wolski als Mitglied der Polnischen Arbeiterpartei (Polska Partia Robotnicza, PPR) besetzt, der sich seine Aufgaben mit Aleksander KaczochaJózefski von der PSL teilte. Am 23. Juni 1945 wurde Wolski zusätzlich zum Generalkommissar für Umsiedlung und Ansiedlung ernannt und war damit für 40 II. Z{ycie gospodarcze wschodnich terenów Rzeszy niemieckiej. Cze$s ;c; II. Pojemnos;c; osadnicza i projekt kolonizacji wsi. 5. Potencja` kolonizacyjny, S. 29–34, AAN ALP 202/I-46 t. 2. 41 Vgl. hierzu Ther, Vertriebene und Banasiak, Dzia`alnos;c ;.

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die praktische Seite der Umsiedlungen zuständig. Wolski hatte zum Zeitpunkt seines Eintritts bereits einschlägige Erfahrungen. Er war seit Herbst 1944 als Generalbevollmächtigter des Polnischen Komitees der Nationalen Befreiung (Polski Komitet Wyzwolenia Narodowego, PKWN) für die Aussiedlung der ukrainischen Bevölkerung Südostpolens im Rahmen der Vertragsumsiedlungen zuständig gewesen, wo er sich als außerordentlich energisch und fähig herausgestellt hatte.42 Was der polnischen Verwaltung hingegen fast völlig fehlte, waren detaillierte Pläne darüber, wo genau welche Siedler angesetzt werden sollten. Vor allem fehlte es ihr an Fachleuten, die solche Pläne hätten aufstellen können. Dies änderte sich, als Mitte 1945 das dem Ministerium angeschlossene Büro für Ansiedlungs- und Umsiedlungsstudien (Biuro Studiów Osiedlen;czoPrzesiedlen;czych, BSOP) eingerichtet wurde. Daneben wurde, zur Koordinierung der Planungsarbeiten, aber vornehmlich als Bindeglied zwischen administrativer Sach- und akademischer Fachkompetenz, ein halbjährlich tagender „Wissenschaftlicher Rat für Probleme der Wiedergewonnenen Gebiete“ gegründet. Treibende Kraft hinter dem Rat und Leiter des Büros war der Bevölkerungswissenschaftler Rajmund Bu`awski. Seine Aufgaben waren „1. die Sammlung und Ausarbeitung statistischer Materialien, die zur Durchführung der Siedlungs- und Umsiedlungsaktion nötig sind; 2. [...] Initiativen und Projekte im Bereich der Siedlungspolitik und der Siedlungsgesetzgebung; 3. andere Aufgaben, die eng mit den Siedlungs- und Umsiedlungsfragen verbunden sind“.43 Der Wissenschaftliche Rat, der mit fachlich meist gut ausgebildeten Vertretern der interessierten Behörden sowie praktisch allen relevanten polnischen Akademikern besetzt war, sollte die grundsätzlichen theoretischen Probleme der Siedlungspolitik erörtern. Seine Diskussionen wurden im Büro Bu`awskis zusammengefasst und ausgewertet und dem Ministerium zur Entscheidungsfindung zur Verfügung gestellt. Häufig auf Initiative von Angehörigen der Delegatur wurde im Laufe des Jahres 1944 drei regionale Forschungs- und Propagandainstitute gegründet: Das Instytut S:la$ski (Schlesisches Institut, IS:) in Kattowitz, das Instytut Ba`tyki (Baltisches Institut) in Thorn sowie das bis heute bestehende Instytut Zachodni (Westinstitut, IZ) in Posen. Alle drei Institute faßten regionale Aktivisten der polnischen Nationalbewegung und mitunter namhafte Fachleute, fast durchgehend Sozialwissenschaftler einschließlich Historiker, zusammen, die mit den örtlichen Verhältnissen ausgezeichnet vertraut waren. Insbesondere bei der Vorbereitung der Kriterien für die Trennung der Deutschen von den Polen, aber auch bei der Ansiedlungskonzeption schöpften sie nicht selten aus eigenen Vorkriegsarbeiten. So hatte der Soziologe Pawe` Rybicki, der im IS: tätig war, 1938 im Rahmen einer Forschungsgruppe einen methodischen Bericht über die Erforschung Schlesiens abgeliefert.44 Zehn Jahre später folgte eine 42 43 44

Vgl. Banasiak, Przesiedlenie, S. 43. MAP, Zarza$dzenie wewne$trzne Nr 7, 19. Juli 1945, AAN, MZO 1653. Vgl. Rybicki, Erforschung.

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Studie über die „Grundlagen der Migration in die Wiedergewonnenen Gebiete“.4 Rybicki war übrigens einer der wenigen, die auch in späteren Jahren der Arbeit über die neuen Gebiete treu blieb: Noch 1967 veröffentlichte er gemeinsam mit W`adys`aw Markiewicz einen Sammelband über „Soziale Veränderungen in den westlichen Gebieten“, nun als Professor und Mitarbeiter des IZ.46 Der selben Schule – dem Lehrstuhl von Ka-zimierz Dobrowolski an der Jagiellonischen Universität Krakau – entstammte auch Zygmunt Izdebski, der ebenfalls am IS: tätig war und sehr unmittelbar die Selektionspraxis in Schlesien vorbereitete. Da sich das Ministerium für Öffentliche Verwaltung den Aufgaben nicht gewachsen zeigte, wurde Ende 1945 schließlich doch ein eigenes Ministerium für die Wiedergewonnenen Gebiete unter W`adys`aw Gomu`ka eingerichtet. Vizeminister wurde mit W`adys`aw Czajkowski der ehemalige Leiter des BZZ. Czajkowski kam nicht mit leeren Händen: Wie Stefan Korbon;ski als letzter Leiter der Untergrundverwaltung betonte, übergab Czajkowski mit ausdrücklicher Genehmigung des Untergrundstaates dem Ministerium die Planungsunterlagen des BZZ. Mehr noch hatte die letzte Anordnung der Delegatur betont, daß der ungeliebten kommunistisch dominierten Regierung zwar Widerstand entgegengesetzt werden solle, aber in Fragen von allgemeiner nationaler Bedeutung eine Zusammenarbeit angezeigt sei. Dies meinte ausdrücklich die Besiedlung der neuen Gebiete.47 Das Ministerium bestand lediglich bis Mitte 1948; seine Auflösung hing nicht allein damit zusammen, daß seine Aufgabe mit dem Abklingen der Umsiedlungsbewegungen erfüllt waren, wie im Abschlußbericht von Anfang 1949 betont wurde. Wichtiger war einerseits die Notwendigkeit, einen solchen Abschluß – und damit die erfolgte Integration und Inbesitznahme der strittigen Gebiete – zu dokumentieren, andererseits ein Wandel der Wirtschaftspolitik hin zur Zwangskollektivierung, der mit Gomu`ka und seinem Stab nicht zu machen war: Im Rahmen des „polnischen Weges zum Sozialismus“ verfolgte er einen freiwilligen Übergang zur kollektiven Landbewirtschaftung. Die Zusammenarbeit zwischen antikommunistischem Untergrund und kommunistischer Regierung, insbesondere mit dem Generalsekretär der kommunistischen PPR Gomu`ka, war bis dahin um so reizvoller gewesen, als auf diese Weise die geballte Sachkenntnis führender Köpfe der Zwischenkriegszeit und des Untergrundes zur Verfügung stand. Diese Kräfte wurden in mehrfacher Weise eingebunden: Einige, offensichtlich jüngere ausgebildete Kräfte wurden in den eigentlichen Verwaltungsapparat übernommen, und zwar sowohl in das neue Ministerium als auch in das Ende 1945 neu eingerichtete Hauptamt für Raumplanung (G`ówny Urza$d Planowania Przestrzennego, GUPP), dessen Existenz ebenfalls eng an die Bevölkerungsverschiebungen gebunden war: Nach deren Abschluß wurde es in die Staatliche Wirtschaftsplanungskommission 45 46 47

Rybicki, Podstawach. Markiewicz/Rybicki, Przemiany. Vgl. Korbon;ski, Pan;stwo, S. 47.

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überführt.48 Der Wissenschaftliche Rat fand sein Ende bereits mit dem Tode Rajmund Bu`awskis im Jahre 1947; es ist für die beginnende Stalinisierung aussagekräftig, daß ein sein wissenschaftliches Werk würdigender Nachruf erst 1957, sein Lehrbuch der Statistik erst 1960 erschien.49 Daneben war die Einbeziehung wenigstens eines Teils der traditionellen (und in der Regel antikommunistischen) intellektuellen Eliten ein nicht zu unterschätzender Trumpf in der innenpolitischen Absicherung der Macht. Die Vollendung des Siedlungswerks durch einen kommunistischen Minister bedeutete einen Statusgewinn für die PPR. Dabei sollte aber nicht unbeachtet bleiben, daß die Initiative zu dieser Kooperation von den Fachleuten selbst ausging: Bereits im Februar 1945 bot sich Pawe` Rybicki der Regierung als Fachmann für Migrationsfragen an,50 und im April 1945 diente sich mit den Posener Professoren Zygmunt Wojciechowski und Stefan Da$browski das IZ, wissenschaftliches Zentrum der polnischen Westforschung, dem neu ernannten Gebietsbevollmächtigten zur Mitarbeit beim Aufbau der Verwaltung an.51 Eine besondere Rolle spielte außerdem die Universität Lemberg, deren Lehrkörper fast vollständig an die neue Universität Breslau (Wroc`aw) übernommen wurde und die maßgeblichen Anteil an den Diskussionen innerhalb und außerhalb des Wissenschaftlichen Rates hatten. Nicht immer verlief übrigens diese Zusammenarbeit zufriedenstellend. Bujak beispielsweise setzte zunächst seine enge Zusammenarbeit mit Stanis`aw Inglot und Stys; im Rahmen der Zeitschrift „Wies; i Pan;stwo” (Dorf und Staat) fort und arbeitete mit der Posener Verwaltung zusammen. Im Jahr 1947 kam es aber zu einem Zerwürfnis, da Inglot und Stys; sich weitergehenden sozialistischen Vorstellungen annäherten, was Bujak mißbilligte; er beschränkte sich künftig wieder auf die Historiographie.52 Im Wissenschaftlichen Rat kam es zu Kontroversen, die sowohl hinsichtlich der sozioökonomischen Strukturmodelle als auch in Bezug auf die Haltungen und Durchsetzungschancen der einzelnen Akteure von Interesse sind. Die eine betraf, wie bereits zur Mitte der dreißiger Jahre, das Ausmaß der agrarischen Überbevölkerung. In einer der ersten Arbeiten zur Wirtschaftspolitik der deutschen Besatzungsverwaltung bezog sich der Ökonom Wac`aw Jastrze$bowski auf die laut Poniatowski überschüssige Bevölkerung von acht Millionen Menschen. Er schloß, zwar habe die mörderische Okkupationspolitik die Bevölke48

Vgl. Buchhofer: Entwicklung, S. 299. Vgl. Bu`awski, O istocie statystyki, Vorsatzblatt o.Z. 50 Vgl. Denkschrift Pawe` Rybickis w sprawie problemu migracji ludnos;ci polskiej na postulowane Ziemie Zachodnie, wiedergegeben in: Kersten/Szarota: Kszta`towanie sie$, S. 133 ff. 51 Schreiben des Vertreters der polnischen Regierung bei der 1. Weißrussischen Front an Bierut, 16. April 1945, AAN, MAP 2471, Bl. 8r/v. Am 6. August 1945 wandte sich Wojciechowski als Direktor des Instytut Zachodni an das MAP wegen der Organisierung der wissenschaftlichen Vorarbeit und des Aufbaus eines Netzes kontrollierender Beobachter, die Material für die weitere Planung sammeln sollten. Schreiben Wojciechowski an MAP, 6. August 1945, AAN, MAP 2450. 52 Vgl. Shelton, Idea, S. 210. 49

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rungszahl reduziert, doch zu einem Ende der Überbevölkerung habe dies nicht geführt, da vor allem die jüdische, städtische Bevölkerung den Deutschen zum Opfer gefallen sei und gleichzeitig zahlreiche – insbesondere jüdische – Arbeitsstätten zerstört worden seien. Da diese ohnedies in hohem Maße uneffektiv organisiert gewesen seien und nun durch neue, weniger personalintensive Produktionsmethoden ersetzt werden könnten, habe sich das Problem der Überbevölkerung (und damit der mangelnden Verwertungsmöglichkeiten der Arbeitskraft) eher noch verschärft.53 Jastrze$bowskis Arbeit wurde sofort scharf kritisiert: In einer 1947 erscheinenden Rezension wies der Historiker und Publizist Witold Kula darauf hin, daß Jastrze$bowskis Arbeit 1943 entstanden sei und sich an den realen Verhältnisse in der Zwischenzeit fast alles geändert habe. Darüber hinaus habe bereits 1936 Bu`awski auf die Fehler in den Berechnungen Poniatowskis hingewiesen.54 Ebenfalls auf der Basis der Berechnungen Bu`awskis argumentierte der junge Wirtschaftswissenschaftler, Universitätsassistent und Berater der Warschauer Industrie- und Handelskammer Tadeusz K`osin;ski an unerwarteter Stelle: Als Gutachter im Prozeß gegen den deutschen Verwaltungsleiter im Generalgouvernement Josef Bühler betonte er, die deutsche Politik habe am polnischen Bevölkerungsproblem gar nichts geändert, da sowohl eine Industrialisierung als auch eine Parzellierung des Großrundbesitzes unterblieben sei.55 Kula, und vor ihm bereits Bu`awski, forderte eingehende Untersuchungen zum tatsächlichen Stand der Bevölkerungs- und Siedlungsverhältnisse. Zwar wurden diese auch durchaus, insbesondere im Rahmen des Wissenschaftlichen Rates, begonnen. Ihnen fehlte aber solange eine solide Grundlage, wie die verfügbaren demographischen Angaben sich auf grobe Schätzungen beschränkten. Erst mit der Volkszählung vom Februar 1946, die ihrerseits erst nach der vorläufigen Klärung der staatsrechtlichen Verhältnisse auf der Potsdamer Konferenz möglich geworden war, wurden einigermaßen zuverlässige Zahlen zugänglich. Sie zeigten deutlich, daß sich die Praxis der Ansiedlung nicht nach den Planvorstellungen gerichtet hatte. Dies war auch gar nicht möglich gewesen, da der seitens der Westalliierten bewußt vage formulierte Rechtstitel auf die neuen Gebiete durch vollendete Fakten abgesichert werden mußte. Konkreter wurde die Diskussion im Zusammenhang mit dem zweiten Problem, nämlich der angestrebten Betriebsgrößenverteilung und ihrem Einfluß auf das Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell. Auf der einen Seite standen sozialistische Konzeptionen, die Hofgrößen, für deren Bewältigung abhängige Arbeitskräfte notwendig gewesen wären, strikt ablehnten, auf der anderen Versuche, als ideal angesehene agrarstrukturelle Modelle, die insbesondere von den britischen Verhältnissen und der dortigen Farmwirtschaft, aber auch von 53

Vgl. Jastrze$bowski, Gospodarka, S. 388 ff. Vgl. Kula, Z{ycie gospodarcze. 55 Abschrift des Prozeßprotokolles, Archiwum G`ownej Komisji Badania Zbrodni przeciwko Narodowi Polskiemu, NTN 354, S. 187–204. Ziel seiner Argumentation war natürlich in erster Linie, der Argumentation der Verteidigung, die deutsche Verwaltung habe sehr wohl versucht, zum Wohle der Polen zu arbeiten, zu widerlegen. 54

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deutschen Planungsvorstellungen inspiriert waren, auf Polen zu übertragen. Diese Auseinandersetzung wurde zusätzlich durch eine mehrfach aufscheinende Grundsatzdiskussion darüber überlagert, in welchem Maße eine Planung sozialer Verhältnisse überhaupt sinnvoll und realistisch sei. Bu`awski etwa, immerhin der Initiator eines nicht unwesentlichen Teils der Planungsarbeiten, betonte in einer ersten Studie des Siedlungsgeschehens und -bedarfs, daß detaillierte Planungen zur Siedlungsstruktur in der aktuellen Situation nicht am Platz seien. Was auf der Tagesordnung stehe, sei „eher die geschlossene Verschiebung eines großen Teils des polnischen Volkes in Gebiete, die, soweit sie es noch nicht sind, so doch von der sie bislang bewohnenden Bevölkerung befreit werden, geboten aus nationalen und staatlichen Gründen und Interessen“.56 Das Ziel der Umsiedlungstätigkeit kehrte sich damit faktisch um: Die neuen Gebiete boten in dieser Phase keine Möglichkeit, agrarstrukturelle Probleme zu beheben, sondern eine durch diese Probleme motivierte, staatlich möglichst gesteuerte Wanderungsbewegung sicherte die neuen Gebiete, indem sie ihnen ein „entschieden polnisches Antlitz“ gab. Die von Bu`awski geforderte Bevorzugung von Siedlern aus den überbevölkerten Regionen Polens begründete er nicht mit Struktursanierung, sondern mit sozialen und politischen Erwägungen: Die polnischen Umsiedler aus der Sowjetunion seien zu demoralisiert, um den erforderlichen Pioniergeist aufzubringen, und „Re-Emigranten“ aus den westlichen Ländern (insbesondere „Ruhrpolen“ und polnische Migrantenfamilien aus Ostfrankreich sowie Zwangsarbeiter) seien durch ihre Gewöhnung an moderne Arbeitsökonomie ebenfalls nur eingeschränkt geeignet.57 Gleichwohl wollte auch Bu`awski nicht völlig auf Sanierungsimpulse verzichten: Die zurückgelassenen Höfe sollten nicht übergeben, sondern nach Möglichkeit mit Nachbarhöfen zu arrondierten Betrieben zusammengelegt werden, die – zur Steigerung der Akzeptanz – nach Möglichkeit an Verwandte der Umsiedler zu vergeben seien.58 Diese Ambivalenz zwischen politisch-ethnischem und sozioökonomischem Generalthema durchzog die gesamte Diskussion innerhalb des Wissenschatlichen Rates. Eine eigentliche Diskussion der anzustrebenden Bevölkerungsverteilung setzte Ende 1945 ein und zog sich über mehrere Sitzungen des Wissenschaftlichen Rates. Mit seiner Konzeption eines Eins zu Eins-Austauschs der Deutschen mit Polen hatte Bu`awski freilich die ländliche Wirtschaftsstruktur bereits auf mittelständische Betriebe festgelegt – die Aufteilung des Großgrundbesitzes war bereits Gesetz. Eine ausführliche Darstellung dieser Auseinandersetzungen muß an dieser Stelle unterbleiben;59 sie kreiste um die Kernfrage kleinbäuerliche oder mittelständische Betriebe, wobei einige wenige Stimmen sogar für landwirtschaftliche Großbetriebe eintraten. Die Argumentationsebenen vermischten sich dabei mitunter: So benutzte der Agrarwissenschaftler 56 57 58 59

Bu`awski, Problemy, S. 2. Vgl. ebd., S. 10–14. Vgl. ebd., S. 25 f. Siehe hierzu ausführlich Esch, Verhältnisse, S. 185–196.

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Wincenty Stys; in seiner Philippika gegen Großbetriebe nicht nur das ökonomische Argument, daß auch Kleinbauern für den Markt produzieren könnten. Darüber hinaus spielte er politische und nationale Karten: Eine geringe Besiedlungsdichte gebe den Deutschen in den künftigen Friedensverhandlungen Argumente für eine Rückforderung der Gebiete. Und schließlich verwarf er eine Agrarstruktur mit abhängig Beschäftigten mit dem Argument: „Als Bauernvolk verwerfen wir den Drang des ‚Herrenvolkes‘ zu einer Wirtschaft mit Hilfe von fremden Mietlingen oder schlicht von Sklaven“60 – was allenfalls dann der Fall hätte sein können, wenn wie in der deutschen Politik ein mittelfristiger Verbleib der unerwünschten Minderheit vorgesehen gewesen wäre. Dagegen vertrat der Agrarökonom Stefan Schmidt die Auffassung, die wirtschaftliche Beherrschung der neuen Gebiete sei für ihre rasche Eingliederung wirkungsvoller als die möglichst rasche und ungeordnete Ansiedlung möglichst vieler Menschen. Er plädierte für eine Beibehaltung und sogar Ausdehnung der Großbetriebe, die aber staatlicher Kontrolle zu unterwerfen seien. Eine Parzellierung des Großgrundbesitzes sei überhaupt nur dann sinnvoll, wenn eine Rückkehr zum Privateigentum vorgesehen sei.61 Rybicki faßte den Kern des Problems treffend zusammen: „In der Diskussion reiben sich zwei Konzeptionen, die weit über das Problem der Agrarstruktur selbst hinausgehen. Es geht darum, was die neuen Gebiete in unserem nationalen und staatlichen Organismus werden sollen. Die eine Konzeption sieht in den Wiedergewonnenen Gebieten Möglichkeiten zur Realisierung einer neuen sozioökonomischen Struktur; sie sieht in ihnen ein Terrain, von dem belebende Einflüsse auf die alten Gebiete ausgehen sollten, um sie schrittweise umzugestalten und an den Westen anzunähern. Die zweite Konzeption will die Struktur der alten Länder mit gewissen Verbesserungen auf die neuen Länder übertragen – und die Fakten der jetzigen Art der Besiedelung entsprechen dieser zweiten Konzeption (soweit diese Prozesse überhaupt auf irgendeine bewußte Konzeption zurückgehen). Persönlich bin ich Befürworter der zweiten Konzeption, und ich denke, daß wir von dem großen historischen Wandel profitieren sollten, um durch die eigene Bewirtschaftung der westlichen Gebiete auf die Veränderung unserer anachronistischen Wirtschafts- und Sozialstruktur zu wirken“.62 Tatsächlich war aber die Praxis in hohem Maße improvisiert, wobei Planer und Forscher jeweils versuchten, ihre Pläne den neuen Gegebenheiten anzupassen beziehungweise in den tatsächlichen Verhältnissen Ansätze zu finden, in denen sie ihre Zielvorstellungen weiter entwickeln konnten. Ein Beispiel hierfür sind die „Parzellierungs-“ und „Siedlungsgenossenschaften“: Ursprünglich handelte es sich um eine Notlösung zur Ansiedlung von Menschen in Gebieten, in denen kaum Wohnhäuser und noch weniger landwirtschaftliche Werkzeuge den Krieg und seine Folgen überstanden hatten. Diese liessen sich aber – und dies lag weniger im Interesse der PPR als der PPS und der PSL – zu 60 61 62

Stys;, Zagadnienie, S. 14 ff. Vgl. Schmidt, Zagadnienie, S. 33 f. Diskussionsbeitrag Dr P. Rybicki, in: II Sesja, 2, S. 56 ff, hier S. 58.

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Produktionsgenossenschaften weiterentwickeln. Einer der Autoren dieser Idee war Franciszek Bujak, bereits vor dem Kriege als Professor für Geschichte an der Universität Lemberg der Begründer der polnischen Agrar-, Siedlungs- und Sozialgeschichte und eher der gemäßigten PSL-Piast verbunden.63 Tatsächlich hatte diese Idee auch nichts Sozialistisches, sondern war, wie Bu`awski ohne jede kritische Absicht ausführte, bereits im Jahr 1907 von Ludwig Bernhard, einem preußischen Agrarpolitiker aus Thorn, formuliert worden.64 Dementsprechend waren die Produktionsgenossenschaften auch keineswegs als sozialistische Einrichtung gemeint, sondern als Übergang zur privatwirtschaftlichindividuellen Bewirtschaftung.65 Freilich bot dieses Konzept aber auch Entwicklungsmöglichkeiten in die entgegengesetzte Richtung: Im Oktober 1947 erklärte Professor Tadeusz K`apkowski den Teilnehmern einer Arbeitstagung im BSOP, die Siedlungsgenossenschaften hätten sich längst zu Produktionsgenossenschaften entwickelt und sollten als solche beibehalten werden – zumal sie einen Übergang zur Kollektivierung ohne Zwang versprachen.66 Im Jahr 1948 ging diese Idee in den ersten Sechs-Jahres-Plan über, der maßgeblich vom GUPP verfaßt worden war und stärker staatsdirigistisch-kommunistische Vorstellungen verfolgte.67 Es war aber nicht nur die Frage der praktischen Ansiedlung angesichts katastrophaler Kriegszerstörungen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem angestrebten Gesellschaftsmodell diskutiert wurde. Den gleichen Zusammenhang stellte Wincenty Stys; auf der dritten Sitzung des Rates im Frühjahr 1946 für die Betriebsgrößenverteilung her: „Die Einstellung zu dieser Frage ist in großem Maße davon abhängig, was wir für das Hauptziel der Agrarpolitik im Bereich der Agrarstruktur halten. Es geht darum, ob wir diese Struktur auf individuelle bäuerliche Wirtschaften stützen wollen oder ob wir früher oder später zur Kollektivierung übergehen wollen. Den Befürwortern der individuellen Wirtschaft muß daran gelegen sein, daß die landwirtschaftlichen Betriebe starke, gesunde und dauerhafte Arbeitsstätten sind. Aus diesem Grund sprechen sie sich in aller Regel in entschiedener Weise für die Unteilbarkeit der Betriebe aus. Anders ist es mit den Befürwortern der Kollektivierung. [...] Die Kollektivierung ist keine politisch einfache Aufgabe, und in ihrem Interesse 63 Seit 1938 bis weit in die Nachkriegszeit schrieb Bujak Mitarbeiter unter anderem für die von Stys; und dem Agrarwissenschaftler Stefan Inglot herausgegebene Zeitschrift „Dorf und Staat“ (Wies; i Pan;stwo). Zu Beginn der fünfziger Jahre war Bujak Mitbegründer der „Roczniki“ – bis zum Titelblatt eine polnische Version der „Annales“. 64 Vgl. Bu`awski, Problemy, S. 37 ff. 65 Vgl. Ho`owiecki, Uzasadnienia, S. 76. Außerdem legte Eugeniusz Garbacik einen Entwurf für die innere Verfassung der Siedlungsgenossenschaften vor. Ein entsprechendes Statut wurde in einer durch die Kommission für ländliche Siedlung überarbeiteten Fassung am 7. März 1946 fertiggestellt. Veröffentlicht in: II Sesja, 2, S. 111. 66 Vgl. Sprawozdanie ze wste$pnej konferencji odby`ej w BSOP w Krakowie w dniu 14. paz;dziernika 1947r. pos;wie$conej zagadnieniom osadnictwa spó`dzielczo-osiedlen;czego, AAN, MZO 1653, Bl. 139-143. 67 Vgl. Cze$s;c; opisowa szczegó`owego planu szes;cioletniego rozwoju i przebudowy gospodarczej Polski, AAN, GUPP 92, Bl. 28.

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läge eine Ausgangsstruktur, bei der die Bauern ohne übermäßiges Bedauern oder Widerstand sich von ihren Wirtschaften trennen würden. Der arme Bauer, der wenig Land hat, und das in einer Zersplitterung, die eine rationelle Bewirtschaftung unmöglich macht, ist ein deutlich besseres Material als Mitglied des Kollektivs als der vermögende Wirtschafter, der einige zehn Hektar Land in geschlossener Fläche, vernünftige Gebäude und Maschinen besitzt“.68 Die damit naheliegende Gleichung, die Kommunisten und ihre Sympathisanten wollten kleine Betriebe als Vorbereitung auf die Kollektivierung, alle anderen mittelständische, geht jedoch nicht auf. Das zeigt sich besonders deutlich an Zygmunt Glinka, einem außerordentlich aktiven Mitarbeiter des GUPP. Glinka, über dessen Fachausrichtung, Biographie und Werdegang bislang wenig bekannt ist, war anscheinend deutlich jünger als seine Diskussionspartner im Wissenschaftlichen Rat; jedenfalls schmückte ihn lediglich ein Magistertitel. Glinka hatte sich ausführlich mit der Raum- und Siedlungsplanung der deutschen Besatzer auseinandergesetzt: Er studierte die „Planungsgrundlagen für die Eingegliederten Ostgebiete“ und fertigte eine zusammenfassende Übersetzung von Oberländers „Die agrarische Überbevölkerung in Polen“ von 1935 an.69 Außerdem rezipierte er in breitem Umfang französische Studien über Urbanisierung und nahm – wie einige weitere Kolleginnen und Kollegen im GUPP auch – an internationalen Kongressen teil.70 Er war nicht der einzige, der sich bemühte, die deutschen Erfahrungen für Polen nutzbar zu machen: Auf der vierten Konferenz des Wissenschaftlichen Rates Anfang 1947 referierte Ingenieur Henryk Baran;ski über „Fremde Erfahrungen im Bereich der Massenumsiedlung von Bevölkerung“ und hob die „Geschicklichkeit der Propaganda unter den Deutschen im Osten“ bei der Umsiedlung aus den sowjetisch besetzten Gebieten in den Warthegau hervor.71 Im gleichen Sinne bescheinigte Bu`awski in der folgenden Diskussion, daß die von ihm selbst beobachtete Umsiedlung der Wolhyniendeutschen „in jeder Hinsicht ausgezeichnet“ organisiert gewesen sei; ihre Endergebnisse seien jedoch wegen der inneren Streitigkeiten und wegen der mißlungenen Integration eher unbefriedigend gewesen.72 Glinka orientierte sich in seiner Betriebsgrößenverteilung weitgehend an den Vorstellungen Stys;s, also einem hohen Anteil von Familienwirtschaften von 4 bis 18 Hektar Fläche. Zumindest einmal aber, in einer ersten Studie zu den „Bevölkerungsüberschüssen und -mängeln“ in den neuen Gebieten, ließ er die Zügel schießen und räsonierte über eine wirklich ideale Agrarstruktur: Die Privatinitiative sei soweit wie möglich zu fördern, vor allem sollten die Großgüter nicht aufgelöst, sondern statt von der staatlichen Bürokratie von fachlichen 68

Stys;, Zagadnienie, S. 59. Zygmunt Glinka, Streszczenie pracy Teodora Oberländera pt. „Przeludnienie agrarne w Polsce“, AAN, GUPP 167. 70 Vgl. AAN, GUPP 10 und 13: Teilnahme von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen an Kongressen. 71 Baran;ski, Dos;wiadczenia, S. 57. 72 Diskussionsbeitrag Bu`awski, in: IV Sesja, z. 2, S. 59. 69

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Verbänden, der territorialen Selbstverwaltung oder universitär-akademischen Stellen betrieben werden. Bestimmte Betriebe sollten „ausgezeichneten Fachleuten“ verpachtet werden, mittelbäuerliche Betriebe seien stärker zu betonen – was im Groben den Positionen Bu`awskis, Schmidts und anderer entsprach. Sie nämlich ermöglichten erst eine „etwas höhere Intensität“ und eine „rationellere Ausnutzung der Arbeitskräfte“ bei durchschnittlich dreimal so großer Fläche.73 In der zweiten Jahreshälfte 1946 folgte eine neuerliche Studie Glinkas über die „Bevölkerungsmäßige Aufnahmefähigkeit der ländlichen Gebiete“, die im Rahmen des Wissenschaftlichen Rates auf scharfe Kritik stieß. Insbesondere Stys; wetterte gegen Glinka und bezeichnete dessen Vorschläge als „extremes Beispiel einer vom Leben abgetrennten Planung“. Glinka antwortete in einer ausführlichen Notiz, es sei seine Aufgabe nicht, „nebensächliche, politische Aspekte“ zu berücksichtigen, sondern die Anzahl der Menschen zu berechnen, nach Umsiedlung derer „die Erscheinungen der agrarischen Überbevölkerung verschwinden würden“74 – womit er wesentliche Teile des Glaubensbekenntnisses eines echten Technokraten formulierte. Die Heftigkeit dieser Auseinandersetzung mochte um so verwunderlicher erscheinen, als die beiden Kontrahenten sich in der Sache weitgehend einig waren. Es liegt nahe, einen Generationskonflikt zu vermuten, der sich sozusagen im unterschiedlichen Abstraktionsgrad der Planungsparadigmen äußerte. Die politische Ebene hielt sich über lange Zeit eher bedeckt: Nach dem Dekret über die Landreform vom 6.9.1944, in dem die Parzellierung des Großgrundbesitzes festgelegt wurde, folgte bis zum Dekret über die Agrarstruktur vom 6.9.1946, an dessen Entwurf das BSOP maßgeblich beteiligt war, keine weitere Rechtsgrundlage über die Agrarstruktur. Damit fehlte es bis in den Spätsommer 1946 auch an Rechtssicherheit für die Neusiedler, da erst das zweite Dekret die Modalitäten für die Erlangung eines Besitztitels festlegte. Dem Dekret vorangegangen war eine Konferenz im MZO im April 1946, auf der das Ministerium sich auf die Seite derer stellte, die kleinbäuerliche Betriebsgrößen bevorzugten.75

PLANUNG UND REALITÄT In einem der ersten (nicht gezeichneten) Gutachten des MZO zur Besiedlung der neuen Gebiete vom April 1945 hieß es beschwörend: “In den eingenommenen Gebieten darf man nicht improvisieren, man muß, wenn man dort an-

73

Zygmunt Glinka, Próba rozwia$zania zagadnienia ch`onnos;ci ludnos;ciowej wsi polskiej, Dezember 1945, AAN, GUPP 501, hier Bl. 14–18. 74 Notatka w sprawie uwag prof. dr. Stysia z Wroc`awia o „Ch`onnos;ci ludnos;ciowej terenów wiejskich“, gez. Zygmunt Glinka, 12. November 1946, S. 1., AAN, GUPP 172. 75 Vgl. Protokó` z konferencji rolnej w MZO, AAN, CUP 4222, S. 20.

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kommt, alles fertig haben. Daher müssen wir heute nachdenken, vorausschauen, planen und vorbereiten, vorbereiten, vorbereiten“.76 Sowohl in den zahlreichen Denkschriften und Veröffentlichungen als auch in den Diskussionen im Wissenschaftlichen Rat wurde deutlich, daß Entwicklung und Praxis nicht auf Pläne gewartet hatten und auch nicht hatten warten können: Insbesondere in Schlesien waren landhungrige und abenteuerlustige Polinnen und Polen in Massen in die neuen Gebiete gezogen und hatten sich niedergelassen, wo es günstig erschien. Die Priorität einer so rasch als möglich zu vollziehenden Verschiebung einer ausreichenden Zahl polnischer Bevölkerung für die politische und wirtschaftliche Absicherung der neuen Gebiete ließ zudem in den ersten anderthalb Jahren kaum Zeit für ausführliche und gut vorbereitete Planungen. Auch in der Folgezeit war die Umsiedlungspraxis – zumindest was die Ansiedlung polnischer Familien anging – häufig von Reaktionen auf aktuelle, nicht selten unerwünschte Entwicklungen gekennzeichnet. Dies zeigt sich besonders deutlich am Problem der „Autochthonen“, also den Angehörigen der polnischen Minderheit in den neuen Gebieten. Diese waren nicht selten in der Frühphase als mutmaßliche Deutsche ausgesiedelt und interniert worden. Dies war aber weder sozial und ökonomisch noch politisch sinnvoll gewesen: Immerhin wurde der Besitz der Wiedergewonnenen Gebiete ja auch mit der Existenz einer (national)polnischen Minderheit begründet. Noch 1945 veröffentlichte Zygmunt Izdebski, ein Mitarbeiter des Westinstituts in Posen, eine Studie über die ethnische Segregationspraxis der deutschen Besatzungsverwaltung im Rahmen der „Deutschen Volksliste“.77 Die Studie verfolgte ein doppeltes Ziel: Zum einen ging es hier um die Analyse und Dokumentation deutscher Besatzungspolitik, zum anderen aber um den Versuch, aus deren Ergebnissen für die eigene Praxis zu lernen, insbesondere bei dem Versuch, die Folgen dieses Selektionsinstrumentes rückgängig zu machen. Auch dieses Problem hatte bereits die Delegatur beschäftigt: Mitte 1943 hatte das BZZ eine Studie über „die Entwicklung des polnischen Elementes“ abgeschlossen, in der es sowohl um praktische Probleme der Selektion als auch um die Frage ging, wie „bewußte“ Polen und solche, „die infolge des germanischen Ansturms teilweise oder völlig ihre Verbindung mit dem Polentum verloren haben“, für eine Absicherung der geforderten Gebiete genutzt werden könnten.78 Vermutlich kurz darauf stellte das BZZ die „Grundlagen des politischen Programms in Bezug auf die Neuen Gebiete“ fertig, in denen als erster Punkt die „Erfassung der örtlichen Bevölkerung polnischer Nationalität und der Bevölkerung, die in Zukunft die Zugehörigkeit oder die Neigung zum Polentum nachweisen kann“, festgeschrieben wurde. Außerdem sollten „Personen unklaren nationalen Charakters“ einer Kuratel unterworfen werden, bis sich dieser Charakter auf die eine oder die andere Seite neigen würde.79 76 Uwagi w sprawie zaadministrowania i zagospodarowania Z.O., o.D. (Eingang 11.4.45), AAN, MZO 1156. 77 Izdebski, Lista. 78 Vgl. Esch, Verhältnisse, S. 262 ff. 79 Biuro Ziem Zachodnich, Wytyczne programu politycznego w odniesieniu do Ziem Nowych, o.D., AAN, ALP 202/III, BL. 152–168.

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Es ist sehr wahrscheinlich, daß Izdebski bereits an diesen Arbeiten beteiligt war. Nach der Übernahme der neuen Gebiete arbeitete er jedenfalls unmittelbar dem schlesischen Gebietsbevollmächtigten, später Wojewoden Alexander Zawadzki zu, der sich als erster des in Schlesien besonders dringenden Problems der „Autochthonen“ annahm. Von Bewährungsfristen, wie sie sich das BZZ vorgestellt hatte und wie sie im deutsch besetzten Polen üblich waren, konnte natürlich keine Rede sein. In seiner 1947 erschienenen Studie „Die Revision der Vorstellungen von der Nationalität. Schlesische Erfahrungen“, in der er die Entwicklung der Kriterien für die „Verifizierung“ und ihre Ergebnisse reflektierte, betonte Izdebski, daß sowohl objektive Merkmale – wie sie der deutschen Selektionspraxis zugrunde gelegen hätten – als auch voluntaristische beziehungsweise soziologische Elemente fehl am Platze seien. Vielmehr sollte das Verhalten gegenüber Polen und der polnischen Sache während des Krieges den Ausschlag geben. Die Verifizierungskommissionen bestanden dementsprechend nicht aus Fachleuten, sondern aus Mitgliedern der gesellschaftlichen und politischen Organisationen, insbesondere dem Landesnationalrat und den Parteien, sowie aus geprüften Vertretern der Autochthonen selbst.80 Freilich verhinderte dies weder Ungerechtigkeiten noch Chaos: Insbesondere in solchen Gegenden, in denen eine konstituierte polnische Minderheit eher schwach war, oder in denen die „nationale“ Zuordnung, wie etwa bei den evangelischen Masuren, seitens der Betroffenen unklar blieb, trug das diskriminierende Verhalten vieler geprüfter Polen und der lokalen Verwaltungsstellen – insbesondere der Territorialbehörden des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit (Ministerstwo Bezpieczen;stwa Publicznego, MBP) und der Polizei – durchaus nicht zu einer Annäherung der Einheimischen an die polnische Staatlichkeit bei.81 In dem Maße aber, in dem die „Verifizierung“ voranschritt, ergab sich nun das Problem, daß Autochthone, die zuvor als Deutsche enteignet und teilweise interniert worden waren, ihr Eigentum zurückforderten. Zudem war die Frage zu klären, wie mit polnischen Siedlern zu verfahren sei, die nun in den besonders begehrten Teilen der westlichen Gebieten „überschüssig“ waren. Die polnische Verwaltung stand vor der Wahl, die Neusiedler zu verärgern und das Siedlungskonzept in Gefahr zu bringen oder das prekäre Bekenntnis der „Autochthonen“ zum polnischen Staatsvolk zu riskieren, was den Verlust der Ortskenntnis der Einheimischen und eines nicht unwesentlichen Teils der Legitimation für den Besitz dieser Gebiete bedeutete. Sie entschied sich letztlich für die Umsetzung eines Teils der Neusiedler, was gleichzeitig den Vorteil mit sich brachte, daß Unzulänglichkeiten der ungeordneten Ansiedlung teilweise rückgängig gemacht werden konnten. Ein Jahr später jedoch kündigte sich ein weiterer Wandel an: Bereits im Juli 1947 ordnete das MZO an, keine Mühlen mehr in Privatbesitz zu überführen. Im November folgte eine weitere Verordnung des MZO sowie des MAP und des Landwirtschaftsministeriums, in der die Hofgrößen nach unten korrigiert 80 81

Vgl. Izdebski, Rewizja. Siehe hierzu grundlegend Belzyt, Mie$dzy Polska$ und Ociepka, Ludnos;c;.

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wurden. Parallel dazu übernahm der Staat den Großgrundbesitz in eigener Regie, was die Umsiedlung der Angehörigen von Parzellierungsgenossenschaften in den Wojewodschaften Stettin (Szczecin) und Allenstein (Olsztyn) nach sich zog.82 Im Frühjahr und Sommer 1948 folgten weitere einschränkende Bestimmungen: Danach erhielten lediglich noch die „Autochthonen“ einen Eigentumstitel über ihren Hof. Repatrianten – also die polnischen Umsiedler aus der Sowjetunion – erhielten das Vorrecht bei der Ansiedlung und Übereignung, Umsiedler aus den alten polnischen Gebieten erhielten ihre Höfe in „übergangsweiser Treuhand“ und mußten sich verpflichten, ihren neuen Besitz jederzeit wieder zu verlassen.83 Anfang 1949 schließlich bedeutete die Auflösung des MZO auch das Ende des BSOP und des Wissenschaftlichen Rates. Schließlich sei noch erwähnt, wie das Problem des Siedlermangels in den nördlichen neuen Gebieten gelöst wurde: Insbesondere in den späteren Wojewodschaften Allenstein und Stettin ließ die Zuwanderung polnischer Siedler stark zu wünschen übrig, was mit Versorgungsproblemen, den dort besonders starken Kriegszerstörungen, aber auch mit Gerüchten zusammenhing, diese Gebiete würden nicht bei Polen verbleiben. Die Lösung lag in einer Zwangsansiedlung ukrainischer Familien aus der Wojewodschaft Rzeszów, die unmittelbar mit der Guerillatätigkeit der Ukrainischen Aufständischen Armee (Ukraïnska Povstanc'a Armija, UPA) zusammenhing. Zwar sollte das Minderheitenproblem im Osten Polens durch den Bevölkerungstausch mit der Sowjetunion längst erledigt sein; dies war aber in Wirklichkeit gar nicht der Fall: Die ukrainische Bevölkerung Ostpolens hatten sich mitunter der Umsiedlung entzogen, viele kehrten aus der Ukrainischen Sowjetrepublik zurück und senkten die Auswanderungsbereitschaft durch ihre Berichte weiter ab.84 Im Sommer 1947 wurden schließlich in der „Aktion Weichsel“ etwa 30 000 ukrainische Familien zwangsweise in die polnischen Westgebiete umgesiedelt. Das Siedlungsdepartement des MZO wurde erst im letzten Augenblick eingeschaltet und hatte kaum mehr Zeit, ein detailliertes Konzept auszuarbeiten. Festgelegt war lediglich, daß die Umgesiedelten in die am dünnsten besiedelten Kreise kamen. Aus diesen hagelte es nun Beschwerden, vor allem über die mangelhafte Bildung und den mangelnden Arbeitseifer der Umgesiedelten. Außerdem intervenierte das MBP, das einen schlichten Transfer der sozialen und politischen Probleme aus dem Südosten in den Norden befürchtete. Nach einem „Evakuierungsplan“, der aber gerade in der Anfangszeit nicht eingehalten wurde, teilte man die Umgesiedelten in drei Kategorien nach ihrer politischen Gefährlichkeit und legte fest, wieviel Prozent jeder dieser Kategorien an einem Ort gemeinsam angesiedelt werden durften.85 Obwohl aber die Zwangsumsiedlung der ukrainischen Minderheit sowohl Lücken in der Besiedlung der neuen Gebiete füllte als auch Spielräume für eine Bereinigung der Agrarstruktur der Herkunftsregion – der Wojewodschaft Rzeszów – schuf, war ihr Ziel in erster 82 83 84 85

Vgl. Jaworski, Na piastowskim szlaku, S. 205 ff. Ebd., S. 211. Siehe v.a. Misi`o, Akcja Wis`a. Vgl. Esch, Verhältnisse, S. 288–293.

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Linie ein ethnisches: Die großflächige Verteilung der Ukrainer zielte, ebenso wie der Umstand, daß sie in der Regel ihr Hab und Gut vollständig mitnehmen durften, auf ihre mittelfristige Polonisierung.86 Die Ergebnisse der Bevölkerungsverschiebungen lassen sich erst an den Ergebnissen der statistischen Angaben für 1956 – also nach dem Scheitern der Zwangskollektivierung – ablesen: 1956 lag der Anteil privater Höfe in den alten Gebieten bei mehr als 90 Prozent – mit Ausnahme der Wojewodschaft Rzeszów, also dem Schauplatz der Zwangsaussiedlung der Ukrainer. In den neuen Gebieten hingegen schwankte er zwischen 32 und 71 Prozent – in offensichtlicher Abhängigkeit von der zahlenmäßigen Stärke der vormaligen polnischen Minderheit, das heißt der „Autochthonen“. Kollektive Wirtschaftsformen spielten dementsprechend lediglich in den neuen Gebieten eine wahrnehmbare Rolle. Ihr Anteil schwankte zwischen 27 (Bromberg und Posen) und 50 Prozent (Breslau). Die Umsetzung idealer Planvorstellungen gelang also dort am besten, wo Rücksichten auf die anwesende Bevölkerung am wenigsten erforderlich waren.87 Gleichzeitig entsprach aber die Verteilung der Betriebsgrößen unterhalb der staatlichen und genossenschaftlichen Betriebe sehr stark den Vorstellungen, die Stys; und Bu`awski vorgetragen hatten: 50 bis 70 Prozent der Höfe verfügten 1956 über 5 bis 20 Hektar Land.88 DISKURSE UND IHRE WIRKSAMKEIT Es ergibt sich – wobei die Lückenhaftigkeit der vorangegangenen Ausführungen nochmals betont werden muß – folgendes Bild: Im Rahmen des nationalstaatlichen Konzeptes wurden bereits um die Zeit des Ersten Weltkrieges zwei unterschiedlich strukturierte Diskurse etabliert. Der eine, bevölkerungswissenschaftliche, postulierte Mängel in der sozioökonomischen und demographischen Struktur und benannte diese als Kardinalproblem für den Aufbau einer leistungsfähigen Volkswirtschaft, die ihrerseits für den Erfolg des Projektes Nationalstaat unabdingbar sein sollte (und unter den gegebenen Umständen sicherlich auch war). Der andere, politisch und auf die Herstellung einer nationalen Identität gerichtet, benannte eine ethnisch definierte Gruppe als fremd und unerwünscht. Während der erste Diskurs relativ stetig in der Diskussion und dem Bewußtsein der Handelnden – Politiker und Fachleute – präsent war, erwies sich der zweite als in hohem Maße konjunkturabhängig. Beide ließen sich aber jederzeit miteinander verbinden. In den dreißiger Jahren waren es Fachleute und Diplomaten des Außenministeriums, die Überbevölkerung und jüdische Präsenz in Polen miteinander verknüpften. Der Zweite Weltkrieg und die deutschen Verbrechen in Polen lenkten die Aufmerksamkeit auf eine andere Minderheit: die Deutschen, insbesondere die deutsche Bevölkerung in den geforderten Erweiterungsgebieten (wo sie nicht überall tatsächlich eine 86 87

Damit ergänze ich auch meine Auffassung in ebd., S. 293. Vgl. ebd., S. 222 f.

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Minderheit waren). Darüber hinaus lieferte die deutsche Besatzungspolitik nicht nur ein Motiv für Gebietserweiterungen und Bevölkerungsverschiebungen, sondern auch Anschauungs- und Studienmaterial für die Durchführung von Bevölkerungsverschiebungen. Es ist dabei nicht eindeutig zu klären, ob die Beseitigung der polnischen Strukturprobleme das maßgebliche Motiv für die Gebietsforderungen gewesen ist. Diese zumindest intern erklärte Absicht war aber bereits zu einem frühen Zeitpunkt zu erkennen, und sie beeinflußte in hohem Maße Umfang und Gestalt der Forderungen. Sie hatte aber nur geringen Einfluß auf die tatsächliche territoriale Gestalt Polens nach dem Kriege; diese wurde auf internationaler Ebene und nach anderen Gesichtspunkten ausgehandelt. Die Inbesitznahme der neuen Gebiete war nicht aufgrund des hier nachgezeichneten strukturpolitischen Diskurses möglich, sondern aufgrund des deutschen Vorgehens in Polen. Außerdem waren diejenigen Experten, die eine Bevölkerungsverschiebung seit 1941 vorbereiteten, an den ersten Siedlungsoperationen nicht beteiligt. Diese fanden zudem aus anderen Gründen statt: Mit der Umsiedlung der Polen aus der Sowjetunion und der Ukrainer, Weißrussen und Litauer aus Polen sollte zum einen der Anschluß des vormals polnischen Ostens an die Sowjetunion abgesichert werden. Außerdem wurde damit die Voraussetzung geschaffen, den Traum von einem polnischen Nationalstaat umzusetzen. Es hat seine eigene Ironie, daß ausgerechnet die eigentlich internationalistischen Kommunisten diesen Traum in Zusammenarbeit mit dem Vielvölkerstaat Sowjetunion verwirklichen sollten. Ebenso verliefen die Zwangsaussiedlung der Deutschen und die Ansiedlung der Polen in den neuen Gebieten in wesentlichen Teilen nicht nach vorbereiteten Plänen; dies war wegen der politisch gebotenen Eile auch gar nicht möglich. Erst zu einem Zeitpunkt, als eine ausreichende Quantität an Siedlern zur Verfügung stand, schlug die Stunde der Experten, deren Aufgabe jedoch nun nicht mehr darin bestand, ideale Pläne umzusetzen, sondern die schlimmsten Fehlentwicklungen zu korrigieren. Gleichwohl waren aber ihre Vorarbeiten erforderlich, um die Politik der kombinierten ethnisch-sozioökonomischen Bereinigung überhaupt denkbar zu machen. Die Auseinandersetzungen im Wissenschaftlichen Rat (und seinem Umfeld) erwecken den Eindruck, daß einige Experten ihre Aufgaben in erster Linie in Schadensbegrenzung sahen, andere in einer über die Realitäten zunächst hinwegsehenden Idealplanung. Es wurde mehrfach erwähnt, daß die Verhältnisse in den neuen Gebieten in den ersten Monaten mehr als unübersichtlich waren, da die Ansiedlung möglichst vieler Menschen so rasch als möglich durchgeführt werden musste. Die Ausgangslage für jegliche Planung und Begutachtung war damit eine völlig andere als für die deutsche Praxis während des Zweiten Weltkrieges, wo das Hauptproblem darin bestand, Möglichkeiten zu finden, die unerwünschten Juden und Polen loszuwerden und wo vor allen Dingen Planung, Entscheidung und Durchführung in einer Institution konzentriert waren und es eine offenere, pluralistische Diskussion wie in Polen vor 1949 nicht gab.

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Die Pläne zur Bevölkerungsverteilung dienten in dieser Situation in erster Linie als Orientierungspunkte; die Diskussion der Experten drehte sich nun zum einen darum, welche Bevölkerungsverteilung anzustreben sei, dann aber vor allem darum, wie mit den bereits vollendeten Fakten umzugehen war. Im Jahr 1948 beschrieb die Breslauer Soziologin Irena Turnan die Frühzeit der Bevölkerungsverschiebungen daher so: „Trotz gewisser Projekte erinnerte der Beginn der massenhaften Umsiedlungen in seinen allgemeinsten Umrissen der Bewegung von Wasser, das vor allem in den Aushöhlungen und Unebenheiten des Geländes sich verläuft. Das Leben kam den Berechnungen der Gelehrten zuvor“.89 Es kristallisieren sich drei konkurrierende Gruppen von Akteuren heraus, die bei der Beurteilung der Rolle der Experten wenigstens ansatzweise berücksichtigt werden müssen: Zunächst natürlich die Experten selbst, dann die politische Entscheidungs- und administrative Durchführungsebene (die sich wiederum in zwei unterschiedliche Akteure aufteilen ließe, da insbesondere die Verwaltung durchaus nicht immer den Vorgaben der zentralen Entscheidungsinstanzen folgte90) sowie die betroffene Bevölkerung mit ihrer eigenen Handlungslogik, die hier lediglich am Rande erwähnt werden konnte. Zumindest die ersten beiden teilten vollinhaltlich den Bezugsrahmen Nation/Nationalökonomie, der überhaupt erst eine geplante und zielgerichtete Bevölkerungsumverteilung ebenso möglich wie erforderlich machte. Die Möglichkeiten, einen technokratischen Anspruch auch durchzusetzen, waren begrenzter als im nationalsozialistischen Deutschland und der Besatzungsverwaltung. Es zeugt vielleicht von einer gewissen Größe, daß einige der polnischen Fachleute sich dieser Begrenztheit und des Primats des Konkreten vor dem Abstrakten frühzeitig bewusst waren. Dies sollte aber nicht von der Einsicht ablenken, daß sie ihrerseits seit den zwanziger Jahren jenen nationalen und bevölkerungspolitischen Diskurs mitgeschaffen hatten, in dessen Rahmen die gewaltsame Bevölkerungsverschiebung erst denkbar wurde. Durchführbar wurde sie freilich in Polen erst nach sechs Jahren deutschen Besatzungsterrors.

88

Vgl. Ma`y Rocznik Statystyczny, S. 150. Irena Turnan, Studia socjologiczne nad sk`adem ludnos;ciowym miasta Wroc`awia (Wroc`aw miasto przemian spo`ecznych), Warszawa, Dezember 1948, AAN, GUPP 554. Ähnlich auch Einschätzungen des BSOP, Badania terenowe i prace statystyczne, AAN, MZO 1653. 90 Vgl. hierzu zahlreiche Hinweise in Esch, Verhältnisse. 89

ORDNUNG DURCH TERROR STALINISMUS IM SOWJETISCHEN VIELVÖLKERREICH von Jörg Baberowski Das Streben nach Eindeutigkeit ist das Kennzeichen der Moderne. Es kommt aus dem Bedürfnis, Ordnung herzustellen. Unordnung herrscht, wenn Menschen von ihren Sinneseindrücken überwältigt werden, wenn sie die Welt, die sich ihnen eröffnet, nicht verstehen. Deshalb versuchen sie, das Unverstandene durch Klassifizierung in eine vertraute Ordnung zu bringen, in der sie sich selbst wieder erkennen. Klassifizieren aber heißt nicht nur, Wirklichkeit auf Begriffe zu bringen. Klassifizieren ist ein Akt des Einschließens und Ausschließens, es ist ein Gewaltakt, der an der Welt verübt wird, weil er die anderen zwingt, sich Zuschreibungen zu unterwerfen. Zugleich ist jede Klassifizierung eine Unterscheidung zwischen Ordnung und Chaos. Ordnung schafft Chaos, sie erzeugt jene Anarchie und Ambivalenz, die sie überwinden will. Deshalb kommt das Streben nach Ordnungen zu keinem Ende. Nun ist das Streben nach Ordnung und der Definition des Anderen ein menschliches Bedürfnis, überall und zu jeder Zeit. Was aber das moderne Verlangen nach Ordnung auszeichnet, das ist sein Anspruch auf Eindeutigkeit und Ausschließlichkeit. Was aus der Ordnung herausfällt, verliert seine Gleichwertigkeit, es muß sich selbst zum Verschwinden bringen oder es wird aus der Welt geschafft. So kommt es, daß das moderne Streben nach Ordnung nicht mehr nur Ambivalenz, sondern auch Abfall verursacht, der beseitigt werden muß. „Unkraut ist der Abfall des Gärtners, armselige Straßen werden Abfall der Stadtplanung, Dissidenz der Abfall der ideologischen Einheit, Häresie der Abfall der Orthodoxie, Fremdheit der Abfall der Errichtung des Nationalstaats. Alles das ist Abfall, da es der Klassifikation trotzt und die Sauberkeit des Rasens stört. All das ist die unerlaubte Mischung von Kategorien, die sich nicht mischen dürfen. Sie haben ihr Todesurteil verdient, weil sie der Trennung widerstanden haben.“ Im Holocaust und im GULag seien diese Urteile vollstreckt worden. So hat Zygmunt Bauman über den Charakter der modernen Diktaturen geurteilt.1 Man könnte auch sagen: Terror und Völkermord waren die Kehrseite des Bemühens, „eine bessere, sauberere und ordentlichere Welt zu erbauen, die besser angepaßt war an all das, was man als das richtige menschliche Leben ansehen mochte.“2 Nationalsozialismus und Stalinismus waren Versuche, jenes Chaos, das das moderne Denken über Ordnung hervorgebracht hatte, aus der Welt zu schaf1 2

Bauman, Moderne, S. 29 f. Ebd., S. 61, vgl. Bartov, Utopie und Hoffmann, Values.

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fen. Das Imperium war der Ort, an dem sich die utopischen Reinheitsphantasien bewähren mußten und der sie zugleich veränderte. Die Sowjetunion war bereits ein Vielvölkerreich, bevor die Bolschewiki damit begannen, es nach ihren Vorstellungen neu zu ordnen, ein solches freilich, das sich zentraler Beherrschung widersetzte und das deshalb das Ordnungsdenken der Machthaber herausforderte. Das nationalsozialistische Deutschland war ein Nationalstaat, der sich durch kriegerische Expansion in ein Vielvölkerimperium verwandelte. Es eignete sich jene Ambivalenz erst an, die seine politischen Führer nicht ertragen konnten. Beide Regime, Nationalsozialisten wie Bolschewiki potenzierten das Chaos, das sie mit ihren Ordnungsentwürfen beseitigen wollten. Denn als sie sich über die vertrauten Ordnungen hinausbegaben, um fremde Welten zu erobern und zu zerstören, zeigten sich ihnen nicht nur fremde Verhältnisse, sondern existentielle Bedrohungen ihrer Gesellschaftsentwürfe. Deshalb lernten die Eroberer die Welt jenseits der vertrauten Ordnungen nur als feindlichen Gegenentwurf kennen.3 Wie kam es, daß Nationalsozialisten und Bolschewiki Verschiedenheit als Bedrohung wahrnahmen und Vernichtungsfeldzüge führten, um sie zu beseitigen? Warum konnten sie mit der Verschiedenheit der Anderen nicht leben? Vor allem glaubten sie an die Möglichkeit, die verstörende Vielfalt der kulturellen Lebensäußerungen könne für immer beseitigt werden. Dieser Glaube leitete sich aus eschatologischen Erlösungsideologien her, die das zukünftige Leben als eine paradiesische Ordnung sozialer, nationaler und rassischer Homogenität repräsentierten. Um sie zu verwirklichen, mußten Feinde vernichtet werden, die sich in sozialen, nationalen oder rassischen Kollektiven verkörperten. Diese Ideologien aber waren nicht einfach „da“, sie entstanden und veränderten sich in Kontexten, und sie verhärteten sich stets dann, wenn die Verhältnisse außer Kontrolle zu geraten schienen. Utopien waren Abhärtungstechniken, Techniken der „Selbsthalluzinierung“ (Karl Schlögel). Mit ihnen standen Nationalsozialisten und Bolschewiki den Ausnahmezustand durch, den sie selbst ins Werk gesetzt hatten, sie ermöglichten es ihnen, Herren der Lage zu bleiben. Sie brauchten das Chaos und die Feinde, die dieses Chaos repräsentierten, um sich ihrer selbst zu vergewissern und die Unentbehrlichkeit der permanenten Säuberung zu rechtfertigen.4 Theoretiker wie Praktiker der nationalsozialistischen und bolschewistischen Ordnungsstrategien verband aber nicht nur der Traum von der Überwindung uneindeutiger Lebensverhältnisse und das Denken in Freund-FeindKategorien, sondern sie teilten auch ähnliche Erfahrungen. Nationalsozialisten wie Bolschewiki hatten den Ersten Weltkrieg und den folgenden Bürgerkrieg als Auseinandersetzungen erlebt, die sich in einem multiethnischen und gewalttätigen Kontext ereigneten. Während die einen „Barbaren“ und „Untermenschen“ entdeckten, sahen die anderen „Verräter“ und „Feinde“, die sich in 3 Vgl. Weitz, Century, S. 8-15, 53–101, Holquist, Count, Baberowski, Feind und Burrin, Gewalt. 4 Vgl. Schlögel, Utopie, Ryklin, Räume, S. 19, Koenen, Utopie, Baberowski, Terror, Kershaw, Hitler Realisierung, Aly, Judenumsiedlung und Herbst, Deutschland, S. 374–388.

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Rassen und Ethnien verkörperten. Diese Erfahrungen gingen den nationalsozialistischen und bolschewistischen Ordnungsprogrammen nicht nur voraus. Sie konstituierten sie. Es waren die Erfahrungen von deutschen und russischen Offizieren im Ersten Weltkrieg, von Freikorps-Soldaten und bolschewistischen Funktionären während des Bürgerkrieges, daß die grausamsten Auseinandersetzungen stets auch ethnische Konflikte waren. Daß aus Säuberungsphantasien Praktiken wurden, läßt sich nur im Verweis auf das „Vor-Wissen“ erklären, mit denen die Täter die Schlachtfelder betraten.5 Das Besatzungsregime der Nationalsozialisten in der Ukraine, in Weißrußland und im Baltikum veränderte seit 1941 nicht nur die ethnische Landkarte der Sowjetunion. Es veränderte auch die Selbstwahrnehmung der betroffenen ethnischen Gruppen und das Denken der Bolschewiki über das Imperium. Juden waren jetzt nur noch Juden, Deutsche nur noch Deutsche und Tschetschenen nur noch Tschetschenen. Was sie sonst noch waren, verlor nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges für alle Seiten an Bedeutung. Während des Krieges ethnisierte und biologisierte sich die Feindrhetorik der Bolschewiki, sie antwortete auf die Zumutungen, die die Nationalsozialisten in die Sowjetunion getragen hatten.6 Ohne die Eroberung und Erschließung fremder Räume, die von Feinden bewohnt wurden, hätten Nationalsozialisten und Bolschewiki ihren totalen Krieg gegen innere und äußere Feinde nicht entfesseln können. Deshalb war das Imperium der historische Ort des totalitären Ordnungsentwurfs. „Der Nationalsozialismus war das Produkt des Ersten Weltkrieges und gipfelte im Zweiten. Anders als der Stalinismus konnte der Nationalsozialismus aber unter Friedensbedingungen keinen totalen Bürgerkrieg entfesseln, weil er die Zivilgesellschaft nicht vollends zerstörte. [...] In der UdSSR hingegen waren die Verluste an Menschenleben in der ‚Friedenszeit‘ der dreißiger Jahre mit Kriegsverlusten vergleichbar.“7 So hat der russische Philosoph Mikhail Ryklin auf den Begriff gebracht, was für ihn den Nationalsozialismus gegenüber dem Stalinismus auszeichnete. Der nationalsozialistische Terror geriet außer Kontrolle, als er sich über die Grenzen des Deutschen Reiches hinaus begab, als er jene Räume erreichte, in denen seine Feinde, nämlich „minderwertige“ Rassen und „barbarische“ Lebensformen, zu Hause waren. Der stalinistische Vernichtungsterror hingegen richtete sich nach innen, bevor er in den Jahren des Zweiten Weltkrieges über die Grenzen der Sowjetunion hinausgetragen wurde. Er war gleichwohl nicht weniger Eroberung als der Krieg, den die Nationalsozialisten führten. Denn die Ordnungsvorstellungen der Bolschewiki mußten sich gegen die Gesellschaften des Vielvölkerreiches und die Ambivalenz, die sie verkörperten, durchsetzen. Die Bolschewiki formulierten Ansprüche. Sie träumten von übersichtlichen Ordnungen sozialer 5

Vgl. Liulevicius, Kriegsland, Lohr, Army, Holquist, War und Sanborn, Drafting, S. 74–

94. 6 Diese Idee habe ich bereits an anderer Stelle formuliert: Baberowski, Terror, S. 209–240. Vgl. auch Weiner, Making, S. 191–235. 7 Ryklin, Räume, S. 19.

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und nationaler Reinheit, die sie im Vielvölkerreich nicht vorfanden. Deshalb mündete das Streben nach Homogenisierung in einen gewalttätigen Eroberungsfeldzug. MULTIETHNIZITÄT IM ZARENREICH „Modernity is not so much a stage of history but rather its staging“, wie es Timothy Mitchell gesagt hat.8 So gesehen waren die Bolschewiki die eigentlichen Vollstrecker des modernen Projekts der Eindeutigkeit. Dessen Anfänge gehen auf das frühe 19. Jahrhundert zurück, als die „aufgeklärten Beamten“ des Zaren das Territorium und die Bevölkerung des Vielvölkerreiches neu vermaßen und ka-tegorisierten. Der moderne Interventionsstaat benötigte Wissen über die Bevölkerung und die Territorien, die er beherrschen, verändern und modernisieren wollte. Er mußte sie Kategorien unterwerfen, die es seinen Beamten ermöglichten, das Beschriebene nicht nur wiederzuerkennen, sondern auch für sich vertraut zu machen. Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts war diese Neuvermessung des Zarenreiches abgeschlossen. Ihre Essenz lag in der Ethnisierung und Hierarchisierung der Gesellschaften, die das Vielvölkerreich bewohnten. Darin folgten die zarischen Modernisierer dem europäischen Vorbild des Nationalstaats. Vormoderne Gesellschaften waren agrarisch, religiös, ständisch und multiethnisch, moderne Gesellschaften waren städtisch, säkularisiert und national. Daran bestand für die zarischen Reformer kein Zweifel. Und weil sie die kategorisierten Gesellschaften historischen Epochen zuordneten, schrieben sie sie in Hierarchien ein. Muslimische Völker lebten in der Vergangenheit, christliche in der Gegenwart, Nationalstaaten repräsentierten Fortschritt, Vielvölkerreiche Rückständigkeit. So gesehen brachte die „Modernisierung“ des Imperiums jene Rückständigkeit und Unordnung überhaupt erst hervor, die die Beamten des Zaren dann überwinden mußten. Das ist auch der Grund für den Eifer, mit dem sie auf die Nivellierung des Vielvölkerreiches hinarbeiteten. In Westeuropa konnten die gedachten mit den gelebten Ordnungen in eine Übereinstimmung gebracht werden, in Rußland aber scheiterten solche Versuche an der kulturellen Heterogenität des Imperiums.9 Es war das Dilemma der zarischen Nationalitätenpolitik, das ihre nationalstaatlichen Reformmodelle der Nationalisierung des Imperiums widersprachen. Die Idee der russischen Nation untergrub die Einheit des autokratischen Staates, weil sie die Russen von den übrigen Ethnien trennte und politische Herrschaft national legitimierte. Aber auch das Modell des Reichspatriotismus, das auf der kulturellen Verschmelzung aller Völker bestand, zerbrach, weil es den Widerspruch zwischen der Rhetorik der Gleichberechtigung und der Praxis kultureller Differenz nicht auflösen konnte. Wo die zarischen Beamten Gesellschaften ethnisch hierarchisierten und Völkern unverwechselbare, ewige 8 9

Mitchell, Stage, S.23. Vgl. Knight, Ethnicity, Slezkine, Naturalists und Mostashari, Dilemmas.

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Eigenschaften zuschrieben, wie es in den Industriemetropolen und multinationalen Räumen an der Peripherie des Imperiums geschah, riefen sie kulturelle Distinktionen überhaupt erst hervor. So untergruben sie ihr Vorhaben, das Zarenreich in einen homogenen Nationalstaat zu verwandeln.10 Weil aber die Modernisierer in der zarischen Bürokratie an der fixen Idee der Nationalisierung und Homogenisierung festhielten, verwandelte sich das Vielvölkerreich für sie in feindliches Terrain. Ethnische Verschiedenheit nahmen sie jetzt nur noch als Bedrohung wahr, besonders in den kaukasischen und mittelasiatischen Regionen des Zarenreiches, wo sich ihnen das Leben von seiner „barbarischen“ Seite zeigte. Nomaden und Muslime wurden zu Wilden und Aussätzigen, wenn sie sich den „zivilisierten“ Lebensstilen des Europäers nicht unterwarfen oder wenn sie Widerstand leisteten. So sprachen die Gouverneure im Kaukasus von „kriminellen Neigungen“, von der „Wildheit der Sitten“ und von „Krankheitsüberträgern“, wenn sie dem Innenminister in St. Petersburg über das Leben von Muslimen und Nomaden Bericht erstatteten. Und sie ordneten diese Krankheiten ethnischen Kollektiven zu. Deshalb mußten Völker und Stämme, die sich weder zivilisieren noch assimilieren ließen, aus dem Gesellschaftskörper herausgebrannt werden, so wie man Viren aus kranken Körpern entfernte.11 Solche Zuordnungen entsprangen dem kolonialen Kontext, in Rußland ebenso wie in Europa, und es waren die Experten für das Fremde: Ethnologen, Rechtsanthropologen, Orientwissenschaftler und Mediziner, die Verschiedenheit biologisierten. In den französischen und deutschen Kolonien in Afrika schrieben diese Experten „Eingeborene“ in Kategorien der Minderwertigkeit ein, und sie ließen sie deportieren oder töten, wenn sie sich ihren Ordnungsentwürfen widersetzten.12 Mit diesem Wissen rechtfertigten auch die zarischen Generäle ethnische Säuberungen, wie sie sich erstmals während der Kaukasuskriege in der Mitte des 19. Jahrhunderts ereigneten, als mehr als 500 000 Tscherkessen und Tschetschenen aus ihrer Heimat vertrieben, ihre Dörfer zerstört und Kosaken in der Region angesiedelt wurden. Für die Experten des Bevölkerungstransfers stand, was hier geschah, in einem europäischen Kontext. Denn sie rechtfertigten ihre Taten mit dem Verweis auf die Vertreibung der Araber aus Spanien im frühen 17. Jahrhundert.13 Aber erst im Ersten Weltkrieg kam für die Bevölkerungsstrategen die Gelegenheit, ihre Phantasien von der Neuordnung des Imperiums Wirklichkeit werden zu lassen. Als sich 1916 kazachische und kirgisische Stämme gegen die Kolonialverwaltung erhoben, 10 Vgl. Renner, Nationalismus, S. 14 f., Steinwedel, Make, S. 67–70, Yaroshevsky, Empire, Baberowski, Suche und Weeks, Nation, S. 16 f. und 191–199. 11 Rossijskij Gosudarstvennyj Istoric'eskij Archiv (RGIA), Fond 932, opis’ 1, delo 319, l. 43, RGIA, Biblioteka (1894–1917), opis’ 1, delo 25, l. 75, RGIA, Fond 396, opis’ 5, delo 719, ll. 3–6. Vgl. Baberowski, Feind, S. 42 f., 72 ff., Kannenberg, Voennaja, S. 16 und Holquist, Count. 12 Vgl. Holquist, Count, S. 122 ff., Weindling, Epidemics, S. 73–108 und Dedering, Treatment. 13 Vgl. Berz'e, Vyselenie, Ol’s'evskii, Kavkaz, Miljutin, Vospominanija, S. 306–314, Dzagurov (Hg.), Pereselenie gorcev, S. 36 f., O vyselenii und Pereselenie tatar.

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entfesselten russische Siedler und Soldaten einen Vernichtungsfeldzug gegen die Nomaden, um sie zu vertreiben und die Steppe in eine ethnisch homogene Landschaft zu verwandeln. Mehrere Hunderttausend Menschen wurden getötet oder aus ihrer Heimat vertrieben.14 Wenngleich die Vertreibungspraktiken im kolonialen Kontext entstanden waren, so blieben sie nicht auf ihn beschränkt. In den Jahren des Ersten Weltkrieges verwüstete das zarische Militär auch die europäischen Regionen des Imperiums. Der zarische Generalstabschef Janus'kevic' nutzte die Gunst der Stunde und erteilte den zurückweichenden Armeen des Zaren 1915 die Anweisung, die Grenzgebiete zu verwüsten, ihre Bevölkerung zu verschleppen und feindliche ethnische Gruppen aus ihnen zu vertreiben. Zu diesen Gruppen gehörten Juden und Deutsche ebenso wie die türkischen Muslime im Kaukasus. Muslime, Polen und Deutsche galten den zarischen Generälen als potentielle Verräter am Vaterland und Spione, Juden standen im Ruf politischer Unzuverlässigkeit. In Moskau und anderen größeren Städten kam es zu Pogromen gegen die deutsche Bevölkerung, an manchen Orten verübten russische und ukrainische Soldaten Massaker an den Juden, die zu Tausenden aus ihren Dörfern vertrieben und in das Innere Rußlands deportiert wurden, und im Kaukasus terrorisierten armenische Soldaten muslimische Zivilisten.15 Für die Generäle des Zaren bestanden keine Zweifel, daß die Multiethnizität Rußlands zugleich seine größte Schwäche war. Europas moderne Militärmächte waren ethnisch homogene Nationalstaaten mit nationalen Armeen. Darin sahen die zarischen Generäle nicht zuletzt die militärische Überlegenheit Deutschlands begründet.16 Militarisierte Nationen besiegten multiethnische und fragmentierte Gesellschaften. Das schien für die zarischen Generäle ein Naturgesetz zu sein. Rußland würde äußeren Bedrohungen nur standhalten können, wenn es „unzuverlässige“ nationale Minoritäten aus den Grenzgebieten entfernte, wenn es die ethnischen Gruppen voneinander trennte und die Armee nach nationalen Kategorien neu ordnete. So geschah es bereits während des Ersten Weltkrieges, als der Generalstab ukrainische und armenische Militärverbände ins Leben rief und zum Fronteinsatz brachte.17 Die ethnische Säuberung zerstörte das Vielvölkerreich, ohne daß sich jene nationale Eindeutigkeit herstellte, von der die Generäle träumten. Wenigstens die zivilen Minister des Zaren und manche ihrer Gouverneure in den Provinzen schienen dieses Dilemma zu erkennen, aber sie konnten gegen den Eifer der Offiziere und Nationalisten, für die sich im Krieg Lebensträume verwirklichten, nur wenig ausrichten. Im Ersten Weltkrieg veränderte sich nicht nur die ethnische Landkarte Rußlands. Millionen von Menschen mußten ihre 14 Vgl. Brower, Nomads, Sokol, Revolt, Usenbaev, Vosstanie, Piaskovskij (Hg.), Vosstanie und Broido, Materialy. 15 Vgl. Lohr, ders., Nationalizing, Sanborn, Drafting, S. 119–122, Hagen, War, Nelipovic', Nemeckuju, Dönninghaus, Deutsche, S. 367-516, Cfasman, Pervaja und Mommsen, Anfänge. 16 So sah es neben anderen der russische General Brusilov. Vgl. Brusilov, Vospominanija, S. 73, 77. 17 Vgl. Sanborn, Drafting, S. 74–82 und Hagen, War, S. 34–57.

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Heimat verlassen, Hunderttausende starben während der Pogrome und ethnischen Säuberungen, die wie eine Naturkatastrophe über das Imperium kamen. Während der Pogrome und Wanderungsbewegungen lernten Fremde einander nur noch zu Bedingungen kennen, die sie zu Feinden machten.18 Die Vertreibungen und interethnischen Konflikte setzten sich auch in den Jahren der Revolution und des Bürgerkrieges fort: mehr als 100 000 Juden kamen während der Pogrome, die die Armeen der Revolution und der Gegenrevolution an ihnen verübten, ums Leben. Im Kaukasus und in Zentralasien war die Revolution eine blutige Auseinandersetzung zwischen Muslimen und Christen, Nomaden und russischen Siedlern, Einheimischen und Flüchtlingen. Kontakte mit Fremden, mit Soldaten, Flüchtlingen oder Migranten, waren jetzt vor allem Gewalterfahrungen. Und wo soziale und ethnische Hierarchien einander entsprachen, entluden sich auch die sozialen Konflikte in interethnischen Pogromen.19 Hinzu kam jetzt auch der Terror, den die Bolschewiki gegen ihre eingebildeten Feinde ausübten. Im Januar 1919 erteilte das Zentralkomitee der Roten Armee den Befehl, „Massenterror“ gegen die Kosaken in der Don-Region auszuüben und ihre Eliten „vollständig zu vernichten“. Allein im Februar 1919 verurteilten die Revolutionstribunale mehr als 8 000 Kosaken zum Tod, und auch in den nachfolgenden Monaten setzte sich das Morden fort. Während des Jahres 1920 wurden 300 000 Kosaken aus ihrer Heimat vertrieben, in Konzentrationslager eingesperrt oder als Zwangsarbeiter in die Industriezentren des Donbass verschleppt.20 Kurz: unter den Bedingungen des Vielvölkerreiches führte das moderne Streben nach homogenen Ordnungen in die Katastrophe. Niemand konnte an der unablässigen interethnischen Gewalt und den seelischen Verwüstungen vorbeisehen, die der große Krieg in die Gesellschaften des Imperiums hineingetragen hatte. DIE ETHNISCHE NEUVERMESSUNG DER SOWJETUNION Die Bolschewiki wollten die Bevölkerung des Imperiums nicht nur erfassen, kategorisieren und beherrschen. Ihnen kam es darauf an, die Seelen der Untertanen zu ergreifen, ihre Lebensweisen zu verändern und sie vom Leiden an der Rückständigkeit zu erlösen. Das unterschied sie von den Beamten und Generälen des Zaren. Im bolschewistischen Weltverständnis gehörten Menschen Klassen an, und deshalb schrieben sie die Bewohner des Vielvölkerreiches in soziale Kategorien ein. Individuen wurden zu Mitgliedern von Klassen, und weil für Marxisten Klassen gegeneinander Krieg führten, ließen sich Menschen in Freunde und Feinde einteilen.21 18

Vgl. Gatrell, Empire, S. 15–32. Vgl. Steinwedel, Difference, S. 79 ff., Gatrell, Empire, S. 128–140, 171–196, Holquist, War und Baikov, Vospominanija. 20 Vgl. Genis, Razkazac'ivanie, Melgunov, Krasnyj, S. 30 f., Holquist, War, S. 179–196 und ders., Mass Terror. 21 Vgl. Fitzpatrick, Class und Alexopoulos, Outcasts, S. 1–11. 19

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Menschen aber verstehen sich in Kulturen, und sie sprechen über die Umstände, in denen sie leben, auf verschiedene Weise und in verschiedenen Sprachen. Sie kommunizieren in Sprachen und Kulturen, nicht in Klassen. Anders gesagt: Klassen existierten in Nationen, und wer Klassengesellschaften verändern wollte, mußte auf der Klaviatur der Sprachen und Kulturen zu spielen verstehen, in denen sie aufgehoben waren. Die Überwindung ethnischer Vielfalt setzte also ihre Inszenierung voraus. So wurde der Sozialismus zu einem imperialen Projekt. Die Bolschewiki verwandelten die Sowjetunion in eine multinationale Kommunalwohnung, in der jede Nation ein eigenes Zimmer bewohnte. In den nationalen Reservaten regierten Einheimische in nationalen Sprachen, und sie genossen Privilegien, die Angehörigen anderer Ethnien nicht zustanden. Denn im bolschewistischen Staat gab es fortgeschrittene und rückständige, neue und alte Nationen. Rückständige Nationen erhielten Kulturautonomie und wurden fortgeschrittenen Nationen gegenüber in einen Vorteil versetzt. Das geschah in dem Glauben, der bolschewistische Ordnungsentwurf werde sich nur durchsetzen, wenn er sich den rückständigen Nationen in ihrer Sprache und Kultur mitteilte.22 Die Nationalisierung der Sowjetunion folgte nicht allein pragmatischen Erwägungen, für Lenin und seine marxistischen Adepten war der Nationalstaat ein Ausdruck moderner Verhältnisse, wie sie im westlichen Europa herrschten. Vielvölkerreiche galten Lenin hingegen als Anachronismus und Ausdruck rückständiger Verhältnisse.23 Für Stalin, Ordz'onikidze, Mikojan, Kaganovic' und jene Bolschewiki aus der zweiten Reihe, die selbst erfahren hatten, was es hieß, einer nationalen Minderheit anzugehören, waren Nationen hingegen mehr als Übergangsstadien auf dem Weg in den Sozialismus. Sie verstanden Nationen als Schicksalsgemeinschaften. Menschen gehörten der Nation, so wie sie ihrer Klasse gehörten, und es stand ihnen nicht zu, sich nach Belieben aus dieser Gemeinschaft hinaus zu begeben. Im Unterschied zu Lenin und den intellektuellen Bolschewiki pflegten die stalinistischen Funktionäre romantische, essentialistische Vorstellungen von der Nation. Diese Vorstellungen resultierten aus ihren Gewalterfahrungen, die sie an der Peripherie des Imperiums gewonnen hatten: während der Revolution von 1905, in den Jahren des Weltkrieges und des Bürgerkrieges. An der Peripherie des Vielvölkerreiches waren soziale stets auch ethnische Konflikte, und wo Nomaden gegen Siedler, muslimische Hilfsarbeiter gegen Facharbeiter und ukrainische Bauern gegen jüdische Handwerker aufgebracht wurden, verschwand der Klassenkampf im Pogrom. Der stalinistische Funktionär kam von der Peripherie, und er hatte das politische Handwerk in den multiethnischen Gewalträumen des Imperiums erlernt. In diesen Räumen traten Freunde und Feinde in sozialen wie in ethnischen Kollektiven auf. Diese Kollektive mußten für die Machthaber in eine sinnvolle Ordnung gebracht werden, in der sie sich und ihre Welt wieder erkannten.24 22 23 24

Vgl. Slezkine, USSR und Martin, Affirmative Action. Vgl. Lenin, Selbstbestimmungsrecht, S. 688 und Smith, Bolsheviks, S. 7–28. Vgl. Mikojan, Tak bylo, Kaganovic', Pamjatnye und Rieber, Stalin.

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Die Selbstbeschreibungen der Untertanen aber waren unübersichtlich, uneindeutig und verwirrend. Was ein Uzbeke, ein Kazache, ein Tschetschene oder ein Bergjude aus dem Kaukasus war, wußten deshalb nur wenige führende Bolschewiki wirklich zu beantworten. Woran konnte man einen Uzbeken erkennen? An der Sprache? An der Zugehörigkeit zu einem Stamm? An den Sitten und Gebräuchen, die er ausübte? Niemand wußte darauf im Zentrum eine zureichende Antwort zu geben. Für den ukrainischen Nationalkommunisten Skrypnik waren alle Muslime des Imperiums „Turkmenen“, und Lenin mußte sich, als er mit den blutigen Konflikten im Kaukasus konfrontiert wurde, über die ethnische Komposition der Bevölkerung erst ins Bild setzen lassen.25 Deshalb überließ die Regierung es den Experten, das Territorium der Sowjetunion neu zu vermessen: Orientalisten, Ethnologen und Sprachwissenschaftlern, jenen „bürgerlichen“ Wissenschaftlern, für die jetzt Lebensträume in Erfüllung gingen. In den zwanziger Jahren wurden überall in der Sowjetunion Stämme, Clans und Sprachgruppen in Nationen verwandelt und Territorien zugeordnet. Bauerndialekte wurden in den Rang von Nationalsprachen erhoben, und wo es keine Schriftsprachen gab, mußten sie von Sprachwissenschaftlern entworfen werden. Mitte der zwanziger Jahre war die Neuvermessung der Sowjetunion und die Objektivierung ethnischer Zuschreibungen abgeschlossen.26 Die sowjetische Nationalitätenpolitik habe eine „verschwommene, amorphe Masse“ in Nationen verwandelt, wie es der Chefideologe der Nationalisierung, Sergei Dimans'tejn, 1937 formulierte.27 Ein turksprachiger Muslim aus dem Kaukasus war nunmehr zu einem Azerbaidz'aner geworden. Er sprach jetzt eine Nationalsprache, er besaß ein Heimatland mit einer Hauptstadt und er genoß gegenüber den Christen, die in „seinem“ Land lebten, Vorrechte, die sich aus seiner „kulturellen Rückständigkeit“ ergaben. Die Bolschewiki erschufen eine Welt, die ihren Erwartungen entsprach. An der Erstehung dieser Welt arbeiteten die Untertanen mit, weil sie sich zu den verschriebenen ethnischen Ordnungen auf eine Weise verhielten, die die führenden Bolschewiki als Bestätigung ihrer Sicht auf die Welt verstanden. Zur Ethnisierung des sowjetischen Alltags trugen nicht zuletzt die nationalen Quotierungen bei, die darüber entschieden, welche Nationalität bei der Vergabe von Arbeits- und Studienplätzen bevorzugt werden mußte. Und auch die Indigenisierung der Partei- und Staatsapparate weckte Ansprüche bei jenen, die vor der Revolution vom Betrieb der Regierung ausgeschlossen worden waren. Die Bolschewiki zwangen die Untertanen, nicht nur soziale, sondern auch nationale Bekenntnisse abzugeben. Schon am Ende der zwanziger Jahre gaben die Untertanen in allen Regionen der Sowjetunion auf die Frage, wer sie seien, nur noch solche Antworten, die den sozialen und nationalen Kategorien der Bolschewiki entsprachen, und wer bestritt, einer negativ konnotierten 25 Vgl. Tainy nacional’noj, S. 79f., Gosudarstvennyj Archiv Rossijskoi Federacii (GARF), Fond 3316, opis’ 509, ll. 69–74 und Mikojan, Tak bylo, S. 151 ff. 26 Vgl. Martin, Modernization, Hirsch, Soviet Union, dies., Towards, dies., Empire und Slezkine, Marr. 27 Dimans'tejn, Stalin, S. 23.

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sozialen oder nationalen Gruppe anzugehören, bestätigte immerhin ihre Existenz. Der Rang eines Menschen in der sowjetischen Gesellschaft hing also davon ab, wie er sich zu den sozialen und nationalen Zuschreibungen verhielt und wie er sie für sich selbst nutzbar machte. Türkische oder tatarische Arbeiter in Baku oder Kazan’ zogen es vor, Angehörige einer „rückständigen“ Nation zu sein, während russische Arbeiter gewöhnlich die Sprache der Klasse sprachen, wenn es darum ging, ihren Vorrang vor den privilegierten „Barbaren“ zu demonstrieren.28 SOZIALE UND ETHNISCHE KOLLEKTIVE ALS FEINDE: DER WEG IN DEN TERROR Mary Leder, die Tochter eines amerikanischen Kommunisten, wunderte sich zu Beginn der dreißiger Jahre nicht nur über den multiethnischen Charakter der Sowjetunion, sondern auch über die Bedeutung, die die sowjetischen Untertanen diesem Umstand beimaßen: „The preoccupation with nationality struck me very soon after my arrival“, wie sich Leder erinnerte: „The preoccupation applied to all nationalities. ‚Do you know the Armenian who lives on the second floor?‘ ‚The Tatar in the foundry?‘ ‚The Assyrian shoeshine man?‘ ,The Georgian schoolteacher?‘ and so forth.“ Sie sei jedenfalls in Moskau keinem Beamten begegnet, der Juden nicht für eine Nation und die USA für ein Konglomerat von Nationen gehalten habe.29 An die alltägliche Präsenz ethnischer Kategorisierungen erinnerte sich auch Lew Kopelev. Im Kiev der zwanziger Jahre hätten die Untertanen einander Beschimpfungen zugerufen, die aus dem Reservoir ethnischer Stereotypen schöpften: deutsche Pfeffersäcke und Wurstfresser, jüdische Geschäftemacher und Drückeberger. „Auf alle Fremden hatten sie ihre Spottverse: auf Russen, Ukrainer, Polen, auf die Chinesen, die an Straßenkreuzungen Fächer, Papierkugeln, Bänder und Lampions verkauften und auf kleinen staubigen Teppichen akrobatische Kunststückchen vorführten. Aus sicherer Entfernung pöbelten sie auch hinter den Tataren her, die durch die Hinterhöfe gingen und alte Kleider aufkauften.“30 Nationen waren also nicht nur Sprachgemeinschaften. Sie waren Kulturgemeinschaften, die sich in ihren Sitten und Gebräuchen zu erkennen gaben. Dieses essentialistische, romantische Verständnis von der Nation aber widersprach dem Projekt der sozialen und kulturellen Homogenisierung, das sich die Bolschewiki auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Denn wo Lebensverhältnisse indigenisiert wurden, wuchsen die Bedeutung und der Einfluß von Nationalkommunisten, denen kulturelle Autonomie und nationale Eigenständigkeit mehr bedeuteten als der Sozialismus der Bolschewiki.31 Wo „bürgerliche“ 28 Vgl. Baberowski, Feind, S. 349–368, Alexopoulos, Outcasts, S. 13–43, 129–157, Northrop, Nationalizing und Martin, Affirmative Action, S. 348–367. 29 Leder, Life, S. 61. 30 Kopelew, Götzen, S. 131. 31 Vgl. Rorlich, Sultangaliev, Khalid, Nationalizing, S. 145–162, Bennigsen/Wimbush, National Communism, S. 8–19, Martin, Affirmative Action, S. 211–272.

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Professoren und Lehrer Schüler und Studenten im Geist der nationalen Emanzipation unterwiesen, wo islamische Reformgeistliche von Säkularisierung sprachen, aber nationale Selbstbestimmung meinten, und wo Arbeiter einander ihre nationalen Privilegien vorrechneten, wurden die Bolschewiki zum Schweigen gebracht. Dieses Dilemma kam auch den Anwälten der Nationalisierung im Politbüro zu Bewußtsein. Stalin und Kaganovic' verliehen dem Geheimdienst GPU deshalb schon im Spätsommer 1926 die Legitimation, Gewalt gegen ukrainische Nationalisten auszuüben. Und auch in den asiatischen Regionen der Sowjetunion begann 1927 der Feldzug gegen islamische Aufklärer, vermeintliche Pantürkisten und religiöse Würdenträger.32 Es war kein Zufall, daß dieser Terror mit dem Beginn der Kulturrevolution am Ende der zwanziger Jahre eskalierte. Denn im Verständnis der Bolschewiki waren die nationalen Eliten nicht nur Repräsentanten ihrer Nationen, sie waren Interpreten jener Kulturen, die dem sowjetischen Ordnungsentwurf widersprachen. Als das Regime damit begann, Kirchen und Moscheen zu schließen, religiöse Feiertage und Rituale zu verbieten, Bücher aus den Bibliotheken zu entfernen, Bauern zu „zivilisieren“ und Frauen zu „befreien“, mußte es die Deutungsmacht konkurrierender Eliten ausschalten. Die Bolschewiki suchten einen Platz in den Köpfen und Herzen der Untertanen. Zu diesem Zweck mußten sie nicht nur ihr kulturelles Gedächtnis leeren, sondern auch die Interpreten der Kultur aus ihrem Leben entfernen. Deshalb war der inszenierte Klassenkampf in den nationalen Gebieten der Sowjetunion vor allem ein Kampf um Deutungshoheit. Wo Nationalkommunisten, „bürgerliche Nationalisten“, Lehrer und Professoren, Priester, Mullahs, Schamanen und Stammesführer verhaftet, deportiert oder getötet wurden, beseitigten die Bolschewiki ihre ideologischen Widersacher. Der Terror war also nicht nur eine „soziale Prophylaxe“, er war ein kulturrevolutionärer Eingriff in die Lebenswelten der Untertanen. Solch ein Verfahren aber widersprach dem essentialistischen Konzept der Kulturnation. Denn wie konnten Tataren oder Uzbeken aufhören, Muslime zu sein, wenn die Zugehörigkeit zum Islam ihre Nation konstituierte? So kam es, daß sich in allen Regionen der Sowjetunion Widerstand gegen die kulturrevolutionären Kampagnen des Zentrums erhob. An fast allen Orten gab sich diese Renitenz in nationalen Formen zu erkennen, Traditionen, die niemand je auf ihren Sinn hin befragt hätte, wurden jetzt zu Widerstandshandlungen. Das zeigte sich erstmals während des Feldzuges gegen die Religion und während der Entschleierungskampagnen, als es in den islamischen Regionen der Sowjetunion zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den kommunistischen Machthabern und der Bevölkerung kam.33 An der Peripherie standen die Kulturrevolutionäre mit dem Rücken zur Wand. Es fehlte ihnen an Interpreten ihrer Heilsbotschaften, selbst in den 32 Vgl. Rossijskij Gosudarstvennyj Archiv Social’no-Politic'eskoj Istorii (RGASPI), Fond 17, opis’ 67, delo 410, ll. 1, 45, RGASPI, Fond 17, opis’ 17, delo 12, l. 153, RGASPI, Fond 17, opis’ 17, delo 20, l. 80 und Shapoval, GPU-NKVD, S. 329 ff. 33 Vgl. Northrop, Empire, S. 69–101, ders., Dialogues, Baberowski, Feind, S. 561–586, 599– 661 und Kamp, Women.

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nationalen Parteiorganisationen verschafften sie sich nur unzureichend Gehör. In vielen Regionen warfen sich ihnen aber nicht nur die Eliten, sondern auch Bauern und Arbeiter entgegen. Im Kaukasus verlor das Regime im Frühjahr und Sommer 1930 seine Kontrollgewalt, in Azerbaidz'an, in Dagestan und in der Republik der Tschetschenen und Inguschen brach die Sowjetmacht unter den Schlägen bewaffneter Bauerneinheiten zusammen. Das Regime führte Krieg gegen die Bevölkerung, und es mußte reguläre Militärverbände einsetzen, um die Aufstände zu unterdrücken.34 Ähnliche Konflikte ereigneten sich auch in Zentralasien, wo die GPU Aufstände von rebellischen Nomadenverbänden niederschlagen mußte. Auf der Krim und in der Ukraine tobte der Krieg der Bolschewiki gegen die Bauern überall dort besonders heftig, wo er im Zeichen des nationalen Widerstandes stand. In Dagestan und in Azerbaidz'an scharten sich die aufständischen Bauern um Mullahs und Clanführer, die „heilige Kriege“ gegen gottlose Kommunisten ausriefen und das baldige Ende der Sowjetunion verkündeten. Wo solche Prophezeiungen ausgesprochen wurden, verbanden die Bauern sie gewöhnlich mit der Erwartung, daß die Regierungen der benachbarten Staaten auf ihrer Seite in den Konflikt eingriffen. In den Dörfern der westlichen Ukraine verbreiteten Bauern Gerüchte über einen bevorstehenden Krieg zwischen Polen und der Sowjetunion, im Kaukasus wurden türkische oder persische Truppen erwartet.35 Es gab jetzt nicht mehr nur Klassenfeinde, Kulaken und „sozial fremde Elemente“, die deportiert oder in Lager eingesperrt werden mußten. Die Ereignisse an der Peripherie bestärkten die Machthaber in ihrem Glauben, daß sich der Feind, von dem sie sich umstellt sahen, auch in ethnischen Kollektiven verbarg. Solche Vorstellungen bestätigten sich vor allem dort, wo soziale Stigmatisierungen nationalen Zuschreibungen entsprachen. In der weißrussischen und ukrainischen Grenzregion war die Registrierung von Kulaken auch eine ethnische Diskriminierung von Minderheiten. Deutsche und polnische Bauern gehörten nicht mehr nur einer ethnischen Minorität an, sie waren jetzt zu Mitgliedern von Kulaken-Nationen geworden. So stand es auch um die Kosaken am Kuban, um Tschetschenen und Kurden, die zu Nationen von „Weißgardisten“ oder „Banditen“ wurden – die einen, weil sie im Ruf standen, vor der Revolution dem Regime des Zaren treu ergeben gewesen zu sein, die anderen, weil sie sich der Kulturrevolution kollektiv widersetzt hatten. Hier wie dort wurden während der Kollektivierungskampagne nicht nur „wohlhabende Bauern“, sondern gewöhnlich alle Bewohner eines renitenten Dorfes verhaftet und deportiert. In manchen Regionen war die Dekulakisierung nichts weiter als eine ethnische Säuberung, im Kuban-Gebiet war sie ein Euphemismus für die Dekosakisierung.36 34

Vgl. Tragedija, Bd. 1, S. 239, 240 f., 260, 430 ff. Vgl. ebd., Bd. 2, S. 236 und Bd. 3, S. 318, Ivnickij, Stalinskaja revoliucija und Baberowski, Stalinismus von oben. 36 Vgl. Tragedija, Bd. 3, S. 146, 529 ff., Avtorkhanov, Chechens, S. 157–166, Dunlop, Russia, S. 40–55 und Martin, Affirmative Action, S. 291–308. 35

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Ethnische Minoritäten, die in Grenzgebieten lebten, gerieten nun in den Verdacht, potentielle Verbündete der Nachbarstaaten und Landesverräter zu sein. Zu Beginn des Jahres 1930, als das Regime am Abgrund stand, wurden Obsessionen zu Wahnvorstellungen. Auf einer Versammlung von Rayonparteisekretären am 21. Februar 1930 warnten Stalin und Molotov vor den Gefahren, die der sowjetischen Ordnung in den europäischen und asiatischen Grenzregionen angeblich drohten. Die Kollektivierung der Landwirtschaft und die Unterwerfung der Bevölkerung könne nur unter der Voraussetzung gelingen, daß diese Gefahr abgewendet werde, wie Molotov hervorhob. Für ihn war nicht einmal die Halbinsel Krim, die von muslimischen Tataren bewohnt wurde, sicheres Terrain. Zwar sei die Krim vom Ausland durch das Schwarze Meer getrennt. „Aber wenn man mit dem Flugzeug aufsteigt, dann kann man mit einem guten Fernglas Konstantinopel von der Krim aus sehen“. Deshalb müsse auch hier die „Grenzfrage besonders hervorgehoben werden.“37 Das Regime dichtete die Sowjetunion ab. Niemand sollte sie mehr ohne Erlaubnis verlassen, niemand unbemerkt in sie einreisen dürfen. Die Grenzen wurden geschlossen und durch Sperranlagen abgesichert, Bauern und Nomaden unter Einsatz militärischer Gewalt daran gehindert, sie zu überqueren. Im Kaukasus ließ das Regime alle iranischen und türkischen Staatsangehörigen registrieren und außer Landes weisen. Zur gleichen Zeit begann es damit, ethnische Minoritäten aus den Grenzstreifen zu deportieren. Am 20. Februar 1930 beschloß das Politbüro, die Grenzregionen im Kaukasus und in Zentralasien unter militärische Aufsicht zu stellen und alle „Kulakenfamilien der nicht eingeborenen Nationalität“ aus den Grenzgebieten auszuweisen.38 Im März 1930 erteilte das Politbüro der GPU den Befehl, in westlichen Grenzregionen der Sowjetunion „Banditen“ und „Familien, die wegen Bandentätigkeit, Spionage, aktiver Konterrevolution und professionellen Schmuggels verurteilt worden waren“, zu verhaften und zu deportieren, „in erster Linie jene polnischer Nationalität“. 3 000 bis 3 500 Familien sollten aus der weißrussischen, 10 000 bis 15 000 Familien aus der ukrainischen Grenzregion entfernt werden. Bereits 1927 waren auf Veranlassung der Moskauer Zentralregierung Kurdenstämme aus Nachic'evan in den Norden Azerbaidz'ans umgesiedelt worden, um auf diese Weise armenische Christen von Muslimen zu trennen.39 Als es 1928 auch in der Fernost-Region zu gewalttätigen interethnischen Konflikten zwischen Chinesen, Koreanern und russischen Siedlern kam, empfahlen die lokalen Bolschewiki auch hier sogleich radikale Lösungen. Alle Koreaner, die in der strategisch bedeutenden Region Vladivostok lebten, müßten vertrieben werden. Wenngleich dieses eliminatorische Programm erst zehn Jahre später zur Ausführung kam, bestand für die Führung in Moskau schon 1928 kein Zweifel mehr, daß die Grenzregionen von scheinbar unzuverlässigen ethnischen Gruppen „gesäubert“ werden mußten, um Agenten und Spione des Auslandes daran 37

Tragedija, Bd. 2, S. 215. RGASPI, Fond 17, opis’ 162 (osobaia papka), delo 8, l. 99. 39 Martin, Affirmative Action, S. 322. Vgl. Gosudarstvennyj Archiv Novejs'ej Istorii Azerbajdz'anskoj Respubliki (GANI), Fond 27, opis’ 1, delo 190, ll. 3–6, 42, 82, 99, 119. 38

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zu hindern, die Sowjetunion zu destabilisieren. Deshalb verwandelten sich Grenzen jetzt in Zonen und Fronten, die von Soldaten gehalten wurden. Überall, wo nationale Minoritäten vertrieben wurden, sollten sie durch demobilisierte Rot-armisten aus dem Inneren der Sowjetunion ersetzt werden.40 Solche Paranoia ergab sich auch aus den Veränderungen, die sich im Ausland zugetragen hatten. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland, die Etablierung autoritärer, faschistischer Regime in Ostmitteleuropa und an der Südflanke des Imperiums und die Auseinandersetzungen im spanischen Bürgerkrieg gaben den politischen Führern die Gewißheit, daß Feinde nicht nur von innen, sondern auch von außen kamen. Die Spionagemanie, die Fremdenfurcht und Xenophobie der Bolschewiki kam aus der Überzeugung Stalins und seiner Helfer, daß auswärtige Mächte an der Destruktion der Sowjetunion arbeiteten. ETHNISCHE SÄUBERUNGEN 1933 BIS 1937 Es begann mit der Deportation der Kuban-Kosaken im Jahre 1933. Am 14. Dezember 1932 gab Stalin der GPU den Befehl, „alle Bewohner“ der KosakenStanitsa von Poltava „in die nördlichen Gebiete der UdSSR“ zu deportieren und auf ihrem Territorium „gewissenhafte Rotarmisten-Kolchosbauern“ anzusiedeln. Zwei Wochen später schon telegraphierte der Leiter der Geheimen Politischen Abteilung der GPU, Georgij Molc'anov, nach Moskau, es seien 886 Kosaken-Familien in Eisenbahnwaggons verladen und verschickt worden. Wenig später wurden auch in den übrigen Städten und Dörfern des KubanGebietes Kosaken verhaftet und deportiert, am Ende mehr als 60 000 Menschen.41 Dabei waren die Kosaken keine ethnische Minorität, sondern ein Stand, dessen Mitglieder sich der Kollektivierung widersetzt hatten und an denen die Bolschewiki nun Vergeltung übten. Gleichwohl war die Deportation der Kuban-Kosaken ein Modell für die ethnischen Säuberungen der späten dreißiger und vierziger Jahre. Nach der Ermordung des Lenigrader Parteichefs, Sergej Kirov, im Dezember 1934, nahm das Regime Rache an imaginierten kollektiven Feinden. In der Stadt und im Gebiet Leningrad wurden mehr als 22 000 Deutsche, Letten, Esten und Finnen als Feinde registriert und nach Zentralasien deportiert, in den ukrainischen Regionen Vinnitsa und Kiev verhaftete die GPU Anfang 1935 mehr als 45 000 Menschen als „sozial fremde“ und „unzuverlässige Elemente“. 57 Prozent der Verhafteten waren Polen und Deutsche. Im Januar 1936 setzten sich die Deportationen in der Ukraine fort, mehr als die Hälfte aller Deutschen und Polen wurden im Verlauf dieser Operationen aus ihrer Heimat vertrieben. Der Abschlußbericht des NKVD vom Oktober 1936 sprach von 69 000 Menschen, die aus der Ukraine nach Kazachstan deportiert worden seien.42 40

Vgl. Martin, Affirmatice Action, S. 322 ff., Gelb, Deportation und Zakir, Zemel’naja, S. 76–81. 41 Tragedija, Bd. 3, S. 577, 584, 611. 42 Vgl. Tragedija, Bd. 4, S. 550 ff. und Zemskov, Specposelency, S. 78 f.

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Wenige Monate später, im Juli 1936, bat das Gebietskomitee der FernostRegion die Regierung, es möge ihm erlauben, die Grenzgebiete von japanischen Spionen und Saboteuren zu befreien. Im August 1937 legten Stalin und Molotov einen Plan vor, der die Deportation der gesamten koreanischen Bevölkerung nach Kazachstan vorsah. Ende Oktober 1937 wurde die Operation abgeschlossen, mehr als 172 000 Koreaner fielen ihr zum Opfer. So verfuhr das Regime jetzt, auf dem Höhepunkt des Großen Terrors, in allen grenznahen Regionen der Sowjetunion. Wo es Feinde vermutete, ließ es alle Mitglieder einer scheinbar unzuverlässigen ethnischen Gruppe deportieren, so wie es im gleichen Jahr den kurdischen Stämmen widerfuhr, die in den Grenzregionen Azerbaidz'ans und Armeniens lebten.43 Was hier geschah, rechtfertigte die bolschewistische Führung als Akt der Gefahrenabwehr. Deshalb wurden die potentiellen Verräter-Kollektive nur aus den Grenzregionen deportiert. Deutsche, Finnen, Esten, Letten, Kurden und Polen standen im Verdacht, aber sie konnten darauf vertrauen, daß unbehelligt blieb, wer nicht in den Grenzenregionen lebte. Darin vor allem liegt der Unterschied zwischen dem frühen bolschewistischen Konzept der ethnischen Säuberung und dem Rassenwahn der Nationalsozialisten. Diese Selbstbeschränkung fiel mit dem Beginn des Massenterrors im Sommer 1937, als sich Stalin und seine Helfer aller noch verbliebenen Hemmungen entledigten. Den Feinden wurden nun objektive Eigenschaften zugeschrieben, denen sie nicht mehr entkamen. Kurz: Im Jahr 1937 war es schon nicht mehr von Bedeutung, ob eine ethnische Minorität in einer Grenzregion oder im Zentrum der Sowjetunion lebte. Wer einer Feindgruppe angehörte, bekam die Gewalt zu spüren, ganz gleich an welchem Ort er sich aufhielt.44 Wie kam es zu diesem Wandel? Der bolschewistische Ordnungsentwurf vermehrte unablässig die Zahl der Stigmatisierten und Aussätzigen, weil er Bauern in Heimatlose, in Räuber, in Landstreicher und Obdachlose verwandelte, weil er all jene, die sich in das sozialistische Gemeinschaftsmodell nicht einfügten, zu Feinden erklärte. Man könnte auch sagen: Je eindeutiger die Ordnungen, von denen die Bolschewiki träumten, desto größer die Zahl derer, die aus ihr ausgeschlossen bleiben mußten. Die bolschewistischen Führer schufen sich eine Welt, die von Feinden bewohnt wurde. Am Ende blieb ihnen keine andere Wahl mehr, als sich der Bedrohung durch die physische Vernichtung ihrer eingebildeten Feinde zu entledigen. Der Parteichef des Ural-Gebietes, Ivan Kabakov, sprach auf dem Plenum des Zentralkomitees Anfang März 1937 von Heeren „fremder Elemente“, die während der Kollektivierung in die Städte geflüchtet seien und dort angeblich ihr Unwesen trieben. Robert Eiche, der Parteichef Westsibiriens, sah „leidenschaftliche Feinde“, die „mit allen Mitteln versuchten, den Kampf gegen den Sowjetstaat fortzusetzen“, und der NKVD-Chef der Region, Mironov, phantasierte von 200 000 Kulaken, „Banditen“ und „Zigeunern“, die im 43 Vgl. Martin, Affirmative Action, S. 328–335, Bugai, Vyselenie, Zemskov, Specposelency, S. 80 ff., Gelb, Deportation, S. 389–411, ders., Ethnicity und Baberowski, Stalinismus Peripherie. 44 Vgl. Weiner, Making, S. 138–149.

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Sold des japanischen Imperialismus stünden. Sie wollte er jetzt beseitigen lassen. Im Verständnis der stalinistischen Führungsriege war der Massenterror, den sie gegen die Bevölkerung ins Werk setzte, nichts weiter als ein Akt der sozialen Prophylaxe. Er säuberte die Gesellschaft von Spionen, Verrätern, Feinden der Sowjetmacht, von „Parasiten“ und „sozial fremden Elementen“, die sich wie Geschwüre in die sowjetische Ordnung hineinfraßen und sie systematisch zersetzten. Der Massenterror war eine sowjetische Variante der „Endlösung“, denn im Verständnis der bolschewistischen Führer wurden kollektiv organisierte Feinde aus dem kranken Gesellschaftskörper herausgebrannt und die Welt für immer vom Unrat befreit. Er ließ den Untertanen, die in seinen Strudel gerieten, keine Wahl mehr. Niemand konnte 1937 noch darauf vertrauen, man werde ihn verschonen, wenn er Beweise für seine „Unschuld“ vorlegte. Wer einem feindlichen Kollektiv zugeordnet wurde, kam jetzt mit ihm um. Vom nationalsozialistischen Vernichtungsfeldzug unterschied sich dieser Terror nur darin, daß er den Tätern die Möglichkeit ließ, ihre Opfer nach Zentralasien zu deportieren, um sie dort ihrem Schicksal zu überlassen.45

MASSENTERROR GEGEN ETHNISCHE MINDERHEITEN 1937/38 Zwischen August 1937 und November 1938 wurden aber nicht nur ehemalige Kulaken, Kriminelle und „antisowjetische“ Elemente getötet oder in Konzentrationslager eingesperrt. Die bolschewistischen Führer arbeiteten auch an der Vernichtung von Feindnationen, sie homogenisierten die ethnische Landkarte der Sowjetunion, indem sie Mehrheiten von ihren Minderheiten befreiten. Bereits am 20. Juli 1937 hatte Stalin dem Volkskommissar für Innere Angelegenheiten, Nikolai Ez'ov, die Anweisung erteilt, alle Deutschen zu verhaften und deportieren zu lassen, die in der Rüstungsindustrie der Sowjetunion arbeiteten. Dabei war es unerheblich, ob die Betroffenen Staatsangehörige des Deutschen Reiches oder Angehörige der Kommunistischen Partei Deutschlands waren. Jeder, der in Verdacht geriet, konnte nunmehr verhaftet, deportiert oder erschossen werden. Mehr als 40 000 Menschen wurden während der „deutschen Operation“ in den Tod geschickt, neben Deutschen auch solche Untertanen, die Verbindungen zu deutschen Diplomaten unterhielten oder während des Ersten Weltkrieges in deutscher Kriegsgefangenschaft gewesen waren.46 So verfuhr das NKVD auch während der „polnischen Operation“, die wenig später, im August 1937, begann. Anfangs richteten sich die Terrorbefehle Stalins und Ez'ovs vor allem gegen Mitglieder der „Polnischen MilitärOrganisation“, gegen ehemalige polnische Kriegsgefangene, die nach 1920 in der Sowjetunion geblieben waren, politische Emigranten, Angehörige polni45 RGASPI, Fond 82, opis’ 2, delo 884, ll. F., RGASPI, Fond 82, opis’ 2, delo 537, ll. 96– 155, RGASPI, Fond 81, opis’ 3, delo 229, ll. 73 f., RGASPI, Fond 81, opis’ 3, delo 228, ll. 50 ff. Vgl. Materialy fevral’sko-martovskogo, Shearer, Modernity, S. 203–206, Hagenloh, Elements, Shearer, Crime und Papkov, Terror, S. 174. 46 Vgl. Ochotin/Roginski, Geschichte.

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scher Parteien und die polnische Bevölkerung in den Grenzregionen im Westen der Sowjetunion. Aber bereits wenige Wochen nach dem Beginn der „polnischen Operation“ gab Ez'ov den lokalen NKVD-Stellen den Befehl, die Repressionen auf „alle Polen“ auszuweiten. „Die Polen müssen vollständig vernichtet werden.“ Der Terror verschonte weder Nichtkommunisten noch Kommunisten. Fast alle Mitglieder der polnischen Sektion der Kommunistischen Internationale wurden getötet, die Polnische Kommunistische Partei mußte im August 1938 aufgelöst werden, weil ihre Mitglieder inhaftiert oder getötet worden waren. Mehr als 35 000 Polen wurden aus der polnisch-ukrainischen Grenzregion deportiert.47 Wo nationale Minderheiten mit ihrer Anwesenheit die ethnische Homogenität von Städten, Kreisen oder Gebieten in Frage stellten, ordneten die Bolschewiki sie ihren Todfeinden zu. Letten, Esten, Koreaner, Finnen, Kurden, Griechen, Armenier, Türken, Bulgaren waren, wenn sie außerhalb ihrer „Heimat“ lebten, eine Gefahr für die sozialistische Ordnung. Der Parteisekretär von Krasnojarsk, Sobolev, forderte, das „Spiel“ mit dem Internationalismus müsse jetzt aufhören. Alle Angehörigen nationaler Minderheiten müßten „gefangen, auf ihre Knie gezwungen und wie tollwütige Hunde vernichtet werden.“48 In Kiev wurden im November 1937 5 000 deutsche Familien aus ihren Häusern geholt und alle Chinesen, die in noch in der Stadt lebten, deportiert. In Char’kov verhaftete der NKVD alle Griechen, Polen, Bulgaren, Deutschen und Letten, die in der Stadt lebten. Die Clubs dieser Minoritäten wurden geschlossen, ihre Zeitungen verboten. Und auch die deutschen Kolonistendörfer in der Umgebung von Char’kov leerten sich in diesen Wochen. Im Leningrader Gebiet wurden Bauern estnischer und finnischer Herkunft registriert und aus den Dörfern abtransportiert. In Sibirien ließ das NKVD am Ende auch die Divisionen der Roten Armee nach Deutschen und Polen durchsuchen und alle Soldaten und Offiziere verhaften, die diesen Nationalitäten angehörten. Nirgendwo aber wütete der Terror gegen ethnische Minoritäten grausamer als in den Industrie- und Grenzregionen der Sowjetunion. Im Donbass wurden fast alle Deutschen, Polen und Letten während der nationalen Operationen erschossen.49 Die „nationalen Operationen“ der Jahre 1937 und 1938 folgten keinem Plan, es gab nicht einmal Orientierungsziffern für die NKVD-Organe. Sogenannte Zweierausschüsse, die aus dem jeweiligen Chef des NKVD und dem lokalen Staatsanwalt bestanden, sollten selbst entscheiden, wen sie den nationalen Kontingenten zuordneten und in die Erschießungslisten eintrugen. In vielen Regionen verwischten die Grenzen zwischen den sozialen und den nationalen Zuschreibungen. Tausende polnischer, deutscher oder lettischer Opfer starben, weil die Organe sie als „sozial fremde Elemente“ kategorisiert 47 Vgl. Petrov/Roginskij, Operacija”, S. 22-43, Pjatnickij, Zagovor, S. 72 f., Jansen/Petrov, Executioner, S. 98 f. und Gelb, Ethnicity, S. 192 ff. 48 Papkov, Terror, S. 199. 49 Vgl. RGASPI, Fond 558, opis’ 11, delo 57, ll.1 ff., Gelb, Minorities, ders., Ethnicity, S. 196 f., Papkov, Terror, S. 199 und Kuromiya, Freedom, S. 231–234.

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hatten. Nomaden, die an der afghanischen und chinesischen Grenze lebten, wurden auf Befehl Stalins als „Banditen“ und Kulaken registriert, deportiert oder erschossen. So befahl Stalin dem Parteichef von Tadzhikistan im August 1938, 30 000 Nomaden im Grenzgebiet zu verhaften und in Konzentrationslager einzuweisen. Auf diese Weise wollte das Regime verhindern, daß sich die Nomaden mit den Banden muslimischer Warlords verbündeten, die jenseits der Grenze, in Afghanistan, operierten.50 In den Regionen nutzten die Täter die Gunst der Stunde, um nationale Minoritäten fortzuschaffen und „Fremde“ zu töten. Zu keiner Zeit aber entglitt dem Zentrum die Kontrolle über die nationalen Operationen. Es stand zwar im Belieben der lokalen Instanzen, die Opfer selbst auszuwählen. In letzter Instanz aber entschieden Ez'ov und der Generalstaatsanwalt der Sowjetunion, Vys'inskij, wie viele Menschen getötet oder in Konzentrationslager eingewiesen werden sollten. Sie ließen sich die Listen aus den Provinzen vorlegen und zeichneten sie dann ab. „Albumverfahren“, so nannten Stalin und seine Schergen diese Methode, Angehörige von Feindnationen in großem Maßstab zu töten. Ez'ov und Vys'inskij erledigten an jedem Abend zwischen 1 000 und 2 000 Fälle. Am 29. Dezember 1937 „verurteilten“ sie 992 Letten aus dem Leningrader Gebiet zum Tod. Stalin selbst verlangte den Sicherheitsorganen Höchstleistungen bei der Vernichtung feindlicher ethnischer Kollektive ab. Die nationalen Operationen setzten sich noch fort, als die Tötungsaktionen gegen Parteimitglieder und „sozial fremde Elemente“ ihren Zenit schon überschritten hatten. Ende Januar 1938 wies Stalin den NKVD an, die nationalen Operationen bis zum 15. April desselben Jahres zu verlängern, um die feindlichen Spione und Saboteure aus den nationalen Minderheiten endgültig zu vernichten. Man könnte auch sagen, daß 1937 das Jahr der sozialen und 1938 das Jahr der ethnischen Säuberung war. Mehr als 350 000 Menschen fielen den nationalen Operationen, die bis zum November 1938 andauerten, zum Opfer, fast 250 000 von ihnen beendeten ihr Leben vor einem Erschießungskommando des NKVD. Die ethnische Säuberung war kein Randphänomen des stalinistischen Terrors. Sie gehörte zu seinem Kern.51 Sozial „gereinigte“ Umwelten konnten nur in ethnisch homogenen Landschaften überleben. Es lag in der Logik dieses Denkens, daß Menschen für ihre nationale Abkunft nur dort büßen mußten, wo sie einer Minderheit angehörten. So kam es, daß Armenier zwar aus Char’kov und Odessa, nicht aber aus der Republik Armenien entfernt wurden. Deshalb waren die ethnischen Säuberungen auch nicht das Ende des Vielvölkerreiches. Sie waren eine gewalttätige Homogenisierungsstrategie, die ethnische Minderheiten aus Grenzregionen und größeren Städten entfernte, um vermeintliche Gefahren abzuwehren und Mehrheiten von ihren Minderheiten zu erlösen. Im Vielvölkerreich der Bolschewiki lebten die Nationen nicht miteinander, sondern nebeneinander.52 50 Vgl. RGASPI, Fond 558, opis’ 11, delo 57, l. 72 und RGASPI, Fond 82, opis’ 2, delo 671, l. 53. 51 Vgl. McLoughlin, Massenoperationen, S. 42 und Jansen/Petrov, Executioner, S. 99, 103. 52 Vgl. Weiner, Making, S. 138–149.

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Wenngleich die Bolschewiki auf die Expertisen von Orientalisten, Sprachwissenschaftlern, Statistikern und Ethnologen zurückgriffen, um die Sowjetunion neu zu vermessen, ihre Bevölkerung zu kategorisieren und in Nationen einzuschreiben, so war der Einfluß der Experten auf die Planung des Massenmordes eher gering. Zwar lieferten die Experten den Bolschewiki Daten, Meinungen und Interpretationen, die dem Terror eine Legitimation verschafften. Aber nirgendwo sprachen sie Empfehlungen aus, die der politischen Führung die Vernichtung von ethnischen Kollektiven aufgedrängt hätten. Und sie waren auch nicht an der Vorbereitung und Exekution des Deportations- und Mordprogramms beteiligt. Die stalinistische Führung verzichtete auf wissenschaftliche Rechtfertigungen ihrer Untaten. Im Gegensatz zu den Nationalsozialisten suchte sie weder den Rat noch die Expertise von Historikern, Ökonomen, Sprach- und Bevölkerungswissenschaftlern. Denn Wissenschaftler konnten im Stalinismus nur zu den Bedingungen der Kommunisten sprechen. Sie erfüllten Aufträge. Deshalb gaben sie nur solche Antworten, die den bolschewistischen Erwartungen entsprachen. Und wo sie es wagten, eigene Vorstellungen zu entwickeln oder zu widersprechen, mußten sie solchen Widerspruch mit dem Leben bezahlen.53

ETHNISCHE SÄUBERUNGEN IN OSTPOLEN 1939/40 Der Stalinismus nach dem Großen Terror lebte von neuen Verschwörungen und er suchte sich neue Opfer. An der Stigmatisierung und Bestrafung menschlicher Kollektive hielten die Bolschewiki auch in den vierziger Jahren fest. Aber es gab jetzt nur noch „objektiv“ bestimmbare Feinde, denen keinerlei Bekenntnisse mehr abverlangt wurden. Der Feind arbeitete nicht länger an seiner Vernichtung mit. Die Bolschewiki sprachen nicht mehr von Kulaken und „Ehemaligen“, wenn sie Menschen Feindgruppen zuordneten, sondern von „Deutschen“, von „Polen“, von „Asozialen“ und „Kriminellen“. Sozial Fremde wurden zu Artfremden. Diese Fremdenphobie gedieh in der Isolation, in einem Milieu, das vom Leben jenseits der sowjetischen Grenzen keinen Begriff hatte. Was sich den bolschewistischen Führern nicht in ihrer vertrauten Umgebung zu erkennen gab, nahmen sie als Bedrohung wahr. Und weil sie die Gesellschaften der Sowjetunion mit dem Gift des Fremdenhasses kontaminiert hatten, bekamen sie nur noch solche Antworten, die ihren xenophoben Erwartungen entsprachen. Als die Bolschewiki nach dem Hitler-Stalin-Pakt nach fremden Territorien griffen, exportierten sie die Kultur des Hasses und der Xenophobie. Nirgendwo zeigte sich dies deutlicher als im östlichen Polen, das nach dem Abschluß des Hitler-Stalin-Paktes im September 1939 an die Sowjetunion fiel. Zwar entfachten die Bolschewiki auch hier einen erbarmungslosen Feldzug gegen Priester, Gutsbesitzer und Adlige, um nachzuholen, was in der Sowjetunion bereits geschehen war. Aber dieser Terror stand schon nicht mehr im 53

Vgl. Hirsch, Empire, Weitz, Century, S. 96–101, Merridale, 1937 Census, Slezkine, Mirrors, S. 246–263 und Mick, Wissenschaft, S. 356–359.

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Zeichen der sozialen Prophylaxe. Er zielte auf die Vernichtung der polnischen Elite in jenen Gebieten, die von der Sowjetunion annektiert und den Republiken Weißrußland und der Ukraine angegliedert worden waren. Darin verfolgten die Bolschewiki keine anderen Interessen als die Nationalsozialisten in ihrem Besatzungsgebiet. Anfang 1940 begannen sie damit, Amtsträger des polnischen Staates, Gutsbesitzer und polnische Siedler, die in den dreißiger Jahren aus Westpolen in die Region eingewandert waren, zu verhaften und mit ihren Familien nach Kazachstan zu deportieren. Die Deportationen vollzogen sich in mehreren Wellen. Sie begannen im Februar mit der Verschickung der polnischen Siedler und ihrer Familien und endeten im Juni mit der Deportation von mehr als 60 000 Juden, die aus dem deutschen in das sow-jetische Teilungsgebiet geflüchtet waren. Die Tschekisten überraschten ihre Opfer: In nur wenigen Tagen wurden mehrere Zehntausend Menschen aus ihren Häusern geholt und zu den Bahnhöfen eskortiert, wo man sie in ungeheizte Viehwaggons verlud. Niemand hat die Toten gezählt, die bereits auf dem Weg in die Verbannung an Kälte und Hunger starben.54 Anfang März 1940 unterbreitete der Chef der Staatssicherheit, LavrentijBerija, Stalin den Vorschlag, 14 700 polnische Offiziere und 11 000 ehemalige Gutsbesitzer, Fabrikanten und Staatsbeamte, die sich in Kriegsgefangenenlagern und Gefängnissen befanden, erschießen zu lassen. Die polnischen Offiziere und Gutsbesitzer seien „Todfeinde der Sowjetmacht, erfüllt von Haß gegen die sowjetische Ordnung“, wie es in einem Bericht Berijas an Stalin hieß. Überall in den eroberten Gebieten habe das NKVD bewaffnete Aufstände niederschlagen müssen. Deshalb dürfe man die polnischen Offiziere unter keinen Umständen aus den Lagern entlassen. „Jeder von ihnen wartet nur auf die Befreiung, um die Möglichkeit zu erhalten, sich aktiv in den Kampf gegen die Sowjetmacht einzuschalten.“ Berija sah nur einen Ausweg: Die „unverbesserlichen Feinde“ müßten allesamt erschossen werden. Und er vergaß nicht, hinzuzufügen, daß „mehr als 97 Prozent“ der Inhaftierten polnischer Abstammung seien. Stalin stimmte sofort zu, am 5. März 1940 sanktionierte das Politbüro die Erschießung der polnischen Offiziere und Staatsbeamten. 4 500 von ihnen wurden im Wald von Katyn ermordet.55 Zwei Wochen später begann die Deportation der Angehörigen von Kriegsgefangenen und inhaftierten Amtsträgern des polnischen Staates. Berija stellte dem NKVD-Chef von Kazachstan in Aussicht, daß mit der Deportation von „76 000 bis 100 000“ Menschen in das nördliche Kazachstan zu rechnen sei.56 Unmittelbar nach der Besetzung Ostpolens begannen die sowjetischen Sicherheitsbehörden mit der ethnischen Neuvermessung des eroberten Territoriums. Aus dem Grenzstreifen zwischen dem deutschen und dem sowjetischen Besatzungsgebiet wurden alle Bewohner polnischer Nationalität entfernt. Wo die Vormacht der Gutsbesitzer und Beamten gebrochen wurde, versuchten die Bolschewiki Ukrainer, Weißrussen und Juden gegen ihre polnischen Nachbarn 54 Vgl. Gross, Revolution, S. 187–224, Filippov, Dejatel’nost’, Gorlanov/Roginskii, Ob arestach, Gur’janov, Deportacii, Parsadanov, Deportacija und Sword, Deportation. 55 Vgl. Katyn, S. 384–392. 56 Ebd., S. 526 f.

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aufzubringen. In manchen Regionen bewirkte die Haßpropaganda, daß Juden und weißrussische Bauern Lynchjustiz an polnischen Beamten und Gutsbesitzern übten. Schon im Oktober 1939 hatte das Politbüro die Entscheidung getroffen, die kriegsgefangenen jüdischen, ukrainischen und weißrussischen Soldaten von den polnischen Offizieren zu trennen und sie nach Hause zu entlassen.57 In der öffentlichen Inszenierung präsentierten sich die bolschewistischen Eroberer als Anwälte ukrainischer und weißrussischer Bauern, die sie vom Joch der polnischen Unterdrückung befreiten. So gesehen war die Eingliederung der eroberten Territorien in die Weißrussische und die Ukrainische Sowjetrepublik mehr als eine Formsache. Sie reflektierte die bolschewistische Umkehrung der ethnischen Hierarchie. Denn eine Republik der Polen war im Konzept der Bolschewiki nicht vorgesehen. Auch die jüdische Bevölkerung wurde nunmehr in neue Verhältnisse geworfen. Für zahlreiche Juden symbolisierte die sowjetische Erobererung vor allem das Ende der Diskriminierung, die sie in den letzten Jahren der polnischen Republik zu ertragen hatten. Sie sahen in den Bolschewiki anfangs vor allem eine Schutzmacht, die sie vor den Übergriffen ukrainischer Bauern und polnischer Amtsträger bewahren würde. Mit den Bolschewiki eröffneten sich „säkularisierten“ Juden aber auch neue Möglichkeiten sozialer Mobilität. An manchen Orten rückten Juden in die Amtsstuben der vertriebenen polnischen Funktionäre ein.58 Gleichwohl blieb der Terror der Bolschewiki nicht auf die polnische Bevölkerung beschränkt. Unmittelbar nach der Besetzung wurden alle ausländischen Staatsbürger und Juden, die aus dem deutschen in den sowjetischen Besatzungsteil geflohen waren, registriert und später nach Zentralasien deportiert. Fast alle Juden, die während des Jahres 1940 aus dem sowjetisch besetzten Polen deportiert wurden, stammten aus dem deutschen Teilungsgebiet. Es half ihnen nicht, daß sie vor dem Terror der Nationalsozialisten geflüchtet waren. Wer aus dem „Ausland“ kam, geriet in Verdacht, ein Unruhestifter und Spion zu sein, ganz gleich, welchen Ursachen sich seine Flucht verdankte. Fast 60 000 Juden fielen diesen Deportationen zum Opfer, mehr als 200 000 Polen, fast 10 Prozent der polnischen Bevölkerung im sowjetischen Besatzungsgebiet, verloren ihre Heimat.59 Zwischen Mai und Juni 1941 setzten sich die Deportationen in den annektierten baltischen Provinzen, in Bessarabien und im finnisch-sowjetischen Grenzgebiet fort. Auch hier kam es den Bolschewiki darauf an, die intellektuellen Eliten in den eroberten Territorien auszuschalten. Und weil die Eliten gewöhnlich Angehörige der Titularnation waren, nahm der Terror stets auch den Charakter einer ethnischen Säuberung an. Zwischen Mai und Juni 1941 wurden mehr als 85 000 Menschen: vor allem Ukrainer, Letten, Esten, Litauer und Rumänen, nach Zentralasien und Sibirien deportiert.60 57

Vgl. ebd., S. 118 f., Roman, Okkupation, S. 93, Gross, Revolution, S. 35–70, 114–122. Vgl. Benecke, Ostgebiete und Gross, Revolution, S. 263, 267 f. 59 Vgl. GARF, Fond 9479, Opis’ 1, delo 89, l. 221 und Zemskov, Specposelency, S. 84–89. 60 Vgl. Zemskov, Specposelency, S. 89 ff., Roman, Okkupation, S. 105 und Iwanou, Terror, S. 433. 58

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SCHLACHTFELDER DER VERNICHTUNG: DER ZWEITE WELTKRIEG UND DIE ETHNISIERUNG DER FEINDE Als am 22. Juni 1941 die Wehrmacht die sowjetischen Grenzen überschritt, trafen nicht nur die Armeen, sondern auch die Wahnvorstellungen von Nationalsozialisten und Kommunisten aufeinander. Denn die Mordaktionen der einen bestätigten das Bedrohungsszenario der anderen: daß nämlich Rassen und Nationen an der Zerstörung der Ordnung arbeiteten. Deshalb kam es im Zweiten Weltkrieg auch nicht zu einer Destalinisierung der Sowjetunion, wie es der Mythos vom Großen Vaterländischen Krieg suggeriert. Das Kriegsgeschehen bestätigte die Wahnvorstellungen der Bolschewiki, auch deshalb, weil die Besatzungspolitik der Nationalsozialisten den Unterworfenen keine andere Wahl ließ, als sich zu den ethnischen und rassischen Zuschreibungen zu bekennen, die sie für sie entwarfen. So kam es, daß die Nationalsozialisten an der stalinistischen Objektivierung des Feindes mitarbeiteten. Der Beginn des Krieges bedeutete im ukrainischen und litauisch-weißrussischen Grenzgebiet auch eine Wiederkehr des Massenterrors. Schon am 24. Juni 1941 hatte Berija den NKVD-Diensstellen in der Ukraine und im Baltikum die Anweisung erteilt, „Konterrevolutionäre“, die in den Gefängnissen einsaßen, zu ermorden. Die abziehenden Soldaten der Roten Armee verwüsteten Dörfer und töteten oder verschleppten ihre Einwohner. Wo den Tschekisten noch Zeit blieb, erschossen sie die Gefangenen, die sich in ihren Kerkern befanden, bevor die Wehrmacht eintraf. In der westukrainischen Stadt L’vov richteten sie ein furchtbares Massaker an: Mehr als 12 000 Menschen wurden erschossen oder zu Tode gefoltert. In der Stadt Luck trennten die Tschekisten die polnischen von den ukrainischen Häftlingen, bevor sie sie ermordeten. In Oszmiana im heutigen Weißrußland wurden alle polnischen Gefangenen, die vorgaben, Weißrussen zu sein, aus der Haft entlassen, die übrigen erschossen. 20 000 bis 30 000 Menschen kamen allein in der westlichen Ukraine bei diesen Massakern ums Leben, und auch die baltischen Republiken erlebten während des Rückzuges der Roten Armee grauenhafte Exzesse, denen mehr als 10 000 Litauer und Letten zum Opfer fielen.61 Aus diesem Zyklus der Gewalt gab es keinen Ausweg mehr. Unmittelbar nach dem Abzug der Roten Armee entlud sich in der westlichen Ukraine und in Litauen der aufgestaute Volkszorn an den Juden, die im Ruf standen, Sympathisanten der Kommunisten gewesen zu sein. Die litauischen und ukrainischen Milizen, die die Pogrome inszenierten, taumelten in einen Blutrausch. Und es gab niemanden mehr, der sich diesen Exzessen entgegenstellte.62 Die nationalsozialistischen Besatzer schrieben Juden, Russen, Polen, Weißrussen, Ukrainer, Letten und Litauer in eine Hierarchie der Rassen ein. Niemand konnte sich diesen Zuschreibungen entziehen, mit denen die Nationalsozialisten nicht nur ihre Welt, sondern auch die Welt der Anderen ordneten. 61 62

Vgl. Musial, Elemente, S. 102–146 und Gross, Revolution, S. 178–186. Vgl. Petersen, Understanding, S. 96–99 und Musial, Elemente, S. 172–199, 246–255.

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Als Jude waren die Überlebenschancen gering, Ukrainer und Polen standen in der Hierarchie über den Russen, Letten und Esten über Ukrainern und Polen. Selbst in den Kriegsgefangenenlagern herrschte das Regiment ethnischer Differenz. Wer als Ukrainer galt, konnte mit einer besseren Behandlung rechnen als Russen und Juden. Deshalb gaben sich ukrainische Soldaten, die in deutsche Kriegsgefangenschaft gerieten, gewöhnlich auch als Ukrainer zu erkennen. Ukrainer wurden zur Bewachung russischer Kriegsgefangener eingesetzt, in Weißrußland, Lettland, Estland und Litauen rekrutierten die deutschen Besatzer ausschließlich Angehörige der Titularnation für den Dienst in der lokalen Hilfspolizei. Tausende traten in den Dienst der Wehrmacht, der SS und der NS-Zivilverwaltung ein, neben Ukrainern auch Kosaken, Kalmücken, Krimtataren, kriegsgefangene Aserbaidz'aner und Georgier. Partisanenüberfälle auf deutsche Soldaten vergalten die Besatzer im ersten Kriegsjahr noch durch Erschießung russischer und jüdischer Geiseln, während sie die ukrainische Bevölkerung verschonten.63 Das Besatzungsregime übte nicht nur maßlosen Terror aus, es verschärfte die interethnischen Spannungen in den besetzten Gebieten. Noch im Widerstand, den Partisanen den nationalsozialistischen Besatzern entgegenwarfen, spiegelten sich die ethnischen Gegensätze. Die ukrainischen Partisanen der nationalistischen OUN, die polnische Armia Krajowa, die lettische und litauische Widerstandsbewegung und die sowjetischen Partisanen kämpften nicht nur gegen die deutschen Okkupanten. Sie führten auch Krieg gegeneinander. In Volhynien kamen bei den interethnischen Konflikten zwischen 1942 und 1944 wahrscheinlich 100 000 Polen und 20 000 Ukrainer ums Leben.64 Wie sich ein Mensch sozial verortete – das hatte in diesem Krieg keine Bedeutung mehr. Für die Besatzer zählte nichts weiter als „Rasse“ und „Volkstum“. Und weil die Opfer sich und andere in die Kategorien der Nationalsozialisten einschrieben, nahmen auch die bolschewistischen Führer ihre Umgebung als eine Arena des interethnischen Konflikts wahr. Als die Rote Armee im Dezember 1941 die Stadt Rostov am Don für kurze Zeit zurückeroberte, ließ das NKVD alle „Volksdeutschen“ und Armenier verhaften, als die deutsche Wehrmacht die Stadt Anfang 1942 wieder in ihren Besitz brachte, wurden alle in Rostov noch verbliebenen Juden von einer Einsatzgruppe ermordet.65 Die Bolschewiki führten nicht nur Krieg gegen den äußeren, sie erledigten auch den inneren Feind: Deserteure, Kollaborateure, nationalistische Partisanen und feindliche Nationen, die angeblich das Zerstörungswerk der Deutschen betrieben. Im Krieg triumphierte der essentialistische Nationalismus über die soziale Revolution, in deren Namen die Bolschewiki einst die Macht ergriffen hatten. 63 Vgl. Weiner, Making, S. 156 f., Chiari, Alltag, S. 270–279, Waite, Kollaboration, Penter, Gesellschaft, S. 201, Golczewski, Ukraine, S. 251–260 und Pohl, Russians. Zur Umkehrung der Hierarchien Petersen, Understanding, S. 135. 64 Vgl. Chiari, Alltag, ders. (Hg.), Heimatarmee und Zarubinsky, Partisan Movement. 65 Vgl. Angrick, Besatzungspolitik, S. 640 f.

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Bereits im Spätsommer 1941 wurden auf Befehl Stalins alle Deutschen, die an der Mittleren Wolga lebten, nach Kazachstan deportiert, ihre Republik aufgelöst. Zwischen November 1943 und Dezember 1944 ließen Stalin und Berija die Krimtataren und die Kaukasusvölker der Tschetschenen, Inguschen, Karatschaier, Balkaren, Kalmyken und Mescheten nach Zentralasien deportieren. Und auch die in Leningrad verbliebenen 60 000 Finnen und Deutschen wurden im Frühjahr und Sommer 1942 verhaftet und nach Zentralasien deportiert. In der zweiten Hälfte des Jahres 1944 folgten ihnen weitere „verdächtige“ Nationen in die Verbannung: Griechen, Bulgaren und Armenier von der Krim sowie Kurden aus dem Kaukasus. Mehr als drei Millionen Menschen wurden auf diese Weise aus ihrer Heimat vertrieben.66 Die Deportationen standen für die Bolschewiki nicht im Abseits, Völkerverschiebungen galten ihnen vielmehr als gewonnene Schlachten, denn wie ließe sich sonst erklären, daß das Regime zu ihrer Durchführung Zehntausende von Lastwagen und Güterwaggons, 100 000 NKVD-Soldaten und drei Armeen der Landstreitkräfte in den Kaukasus umleitete, die an der Front dringend benötigt wurden?67 Tschetschenen, Inguschen und Balkaren galten den Führern im Kreml als Waffen tragende Räuber und Feinde der Kolchosordnung. Seit den zwanziger Jahren hatte das Regime unablässig Krieg gegen die rebellischen Bergvölker des Kaukasus geführt.68 Eine Untersuchungskommission des NKVD, die im Oktober 1943 die Region bereiste, kam zu der Überzeugung, Tschetschenen und Inguschen seien religiöse Fanatiker und Banditen, eine ständige Bedrohung für die sowjetische Ordnung. Man dürfe deshalb bei den Deportationen „nicht einen einzigen auslassen“, wie Berija seinen Schergen einhämmerte, die im Februar 1944 die Vertreibung im Kaukasus organisierten.69 Die Deportation der Tschetschenen und Inguschen begann am 23. Februar 1944. Schon sechs Tage später erhielt Stalin von Berija, der sich am Tatort aufhielt, eine Vollzugsmeldung. Es seien 478 479 Menschen in „Eisenbahnwaggons verladen“ worden, 91 250 Inguschen und 387 229 Tschetschenen.70 Der Überfall kam für die Opfer überraschend. Wenige Wochen vor dem Beginn der Aktion wurden Einheiten der Roten Armee und des NKVD in die Region verlegt. Nicht einmal die Soldaten erfuhren, welchem Zweck ihre Reise in den Kaukasus diente. Am Vorabend der Deportation eröffnete Berija dem lokalen Regierungschef, Mollaev, womit in den nächsten Tagen zu rechnen sei. Mollaev sei „in Tränen ausgebrochen“, wie Berija Stalin mitteilte, habe sich dann aber „zusammengenommen“ und alle Anordnungen widerstandslos ausgeführt. Sodann rief Berija die lokalen Parteimitglieder und die höheren islamischen Würdenträger und Sufi-Scheichs zusammen und zwang sie unter Andro66 Vgl. Ganzenmüller, Leningrad, S. 289–300, Zemskov, Zakljuc'ennye, S. 162, Pinkus, Deportation, Bugai, K voprosu, ders./Gonov, Kavkaz, Nakazannyj narod, Nekrich, Peoples, Tolz, Information, Pogruz'eny und Bugaj, Berija, S. 104 f., 128. 67 Vgl. Nekrich, Peoples, S. 108 f. und Pogruzheny, S. 106. 68 Vgl, Vtoroe pokorenie, Dunlop, Russia, S. 44–58, Avtorkhanov, Chechens, S. 156–183 und Nekrich, People, S. 43–50. 69 GARF, Fond 9401, opis’ 2, delo 64, l. 161. Vgl. Dunlop, Russia, S. 62.

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hung von Gewalt zur Kooperation mit dem NKVD. Sie sollten für den reibungslosen Ablauf der Deportation sorgen, die in der Nacht vom 22. auf den 23. Februar begann. Nichts blieb dem Zufall überlassen. Panzer blockierten die Ausfallstraßen, Soldaten rückten in die Dörfer der Tschetschenen und Inguschen ein. Bevor die Bewohner auf Lastwagen verladen und zu den Eisenbahnstationen gebracht wurden, eröffneten ihnen Mullahs und einheimische Kommunisten Stalins Deportationsbefehl. Mit dem letzten Zug, der die Republik verließ, fuhren auch die Geistlichen und die einheimischen Kommunisten in die Verbannung.71 Niemand blieb zurück, nicht einmal die Kommunisten konnten dem Terror entgehen. Nichts sollte an die Vertriebenen erinnern. Die autonome Republik der Tschetschenen und Inguschen verschwand ebenso wie die Republiken der Krimtataren und Wolgadeutschen. In die Häuser der Vertriebenen zogen russische Zuwanderer, Dörfer und Siedlungen erhielten slawische Namen, tschetschenische wurden durch russische Hinweisschilder ersetzt. Stalin selbst gab den Befehl, Kultstätten, Denkmäler und Friedhöfe, die an die Vertriebenen erinnerten, zu zerstören. Es schien, als hätten Tschetschenen, Krimtataren und Deutsche in ihrer Heimat niemals gelebt. Das Regime verewigte die Stigmatisierung am Ende der vierziger Jahre, als es die Anweisung erließ, daß die Sondersiedler niemals in ihre Heimat zurückkehren dürften. Deutsche, Tschetschenen und Krimtataren trugen das Kainsmal des Feindes, sie waren Menschen zweiter Klasse, und sie blieben es über Jahrzehnte hinweg.72 Fast ein Viertel aller Tschetschenen und Inguschen kam zwischen 1944 und 1948 ums Leben. Kinder und Alte starben zumeist schon auf dem Weg in die Verbannung in den Waggons, in denen das Wachpersonal sie erfrieren ließ. Tausende gingen in Kazachstan an Hunger, Kälte und Typhus zugrunde. Am Bestimmungsort gab es für die Verbannten keine Behausungen und keine Verpflegung, die bitterarme Bevölkerung weigerte sich, die Tschetschenen in den örtlichen Kolchosen aufzunehmen. Im Dezember 1944 meldete der Direktor des Trusts „C"erepovecles“, Ol’c'ovnikov, daß die verbannten Tschetschenen zur Ableistung von Zwangsarbeit nicht in der Lage seien. Ohne Kleidung und Schuhe, ohne ausreichende Ernährung stürben sie wie die Fliegen. Wer überlebe, sei zu schwach, um zu arbeiten.73 Zur Absurdität der sowjetischen Völkerverschiebungen gehört freilich auch, daß sie die Renitenz der Deportierten nicht überwanden. Sie exportierten sie in die asiatischen Regionen der Sowjetunion. Bereits im Juli 1944 unterrichtete Berija Stalin von Unruhen, die unter den tschetschenischen Sondersiedlern in Kazachstan ausgebrochen seien. Das NKVD habe „Saboteure, Drückeberger und Simulanten“ zur Verantwortung 70 71

GARF, Fond 9401, opis’ 2, delo 64, l. 161. GARF, Fond 9401, opis’ 2, delo 64, l. 166 und GARF, Fond 9479, opis’ 1, delo 183,

l. 41. 72

Vgl. Bugaj, K voprosu, S. 135–144 und Dunlop, Russia, S. 73 f. Vgl. GARF, Fond 9479, opis’ 1, delo 177, ll. 1–6, GARF, Fond 9479, opis’ 1, delo 153, ll. 42 f., Dunlop, Russia, S. 70 f., Tolz, Information, S. 165–169, Nekrich, Peoples, S. 124 ff, Zemskov, Specposelency und ders., Zakljuc'ennye. 73

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ziehen müssen, mehr als 2 000 „Banditen-Elemente“ und Räuber seien verhaftet und NKVD-Einheiten in die Region entsandt worden.74 Nunmehr brachen ethnische Konflikte auch in Kazachstan aus. Russische und ukrainische Siedler, die einst selbst nach Zentralasien deportiert worden waren, sahen in den Tschetschenen unerwünschte Eindringlinge. Die Tschetschenen seien ein „schlechtes Volk, böse und schädlich, es wird uns niedermachen und abschlachten“, wie Bauern einer Kolchose erklärten.75 Die stalinistische Zivilisation des Hasses war überall, selbst dort, wo die Aussätzigen unter sich blieben. Aus den Stimmungsberichten des NKVD allerdings sprach nicht nur der Haß, sondern auch die Furcht des Volkes vor dem Terror des Regimes. Die Bauern seien überzeugt gewesen, man werde jetzt alle Russen und Ukrainer in den Kaukasus umsiedeln. Andere wollten wissen, daß jetzt alle Menschen in den befreiten Gebieten nach Kirgisien umgesiedelt, Russen, die in Zentralasien lebten, aber in die Ukraine geschickt würden. Und auch die Tschetschenen sprachen auf eine Weise zurück, die den Erwartungen aller entsprach: Man werde nicht lange in der Verbannung bleiben, die Sowjetmacht werde zugrunde gehen. „Jetzt vertreiben uns die Russen, und bald werden wir sie vertreiben“, so soll ein tschetschenischer Sondersiedler erklärt haben.76 ORDNUNG DURCH TERROR – STALINISMUS UND ETHNISCHE HOMOGENISIERUNG Die Bolschewiki erhoben die Xenophobie in den Rang einer Staatsideologie, sie kontaminierten das Vielvölkerimperium mit dem Gift des Fremdenhasses. Es fraß sich in alle Schichten der sowjetischen Gesellschaften hinein, im Zentrum wie an der Peripherie. Deshalb war das Ende des Zweiten Weltkrieges auch nicht das Ende der ethnischen Säuberungen. In der Ukraine tobte der interethnische Krieg bis in die späten vierziger Jahre: Das Regime entfachte eine beispiellose Haßkampagne gegen Deutsche und Ukrainer, in fast allen Regionen wurden Ukrainer aus den leitenden Staats- und Parteiapparaten entfernt und durch zugewanderte Russen aus dem Zentrum ersetzt. Mehr als 200 000 Ukrainer wurden nach dem Krieg nach Zentralasien deportiert, 150 000 ukrainische Rebellen getötet, Deutsche und Rumänen fielen in den ersten Monaten nach dem Ende des Krieges summarischen Erschießungen zum Opfer.77 In den baltischen Republiken, die 1944 an die Sowjetunion zurückfielen, inszenierten die bolschewistischen Führer einen Vernichtungsfeldzug gegen die nationalen Eliten. Zwischen 1945 und 1949 wurden dort mehr als 143 600 Menschen verhaftet und deportiert. Allein in Litauen fielen zwischen 1944 und 1953 20 000 Menschen der Mordorgie der Tschekisten zum Opfer, 74

GARF, Fond 9401, opis’ 2, delo 65, ll. 311–314. GARF, Fond 9479, opis’ 1, delo 183, l. 40. 76 GARF, Fond 9479, opis’ 1, delo 183, ll. 39, 46. 77 Vgl. RGASPI, Fond 82, opis’ 2, delo 897, ll. 106–123, 135–139, 143–145, Golszewski, Ukraine, Weiner, Making S. 59, 163–190 und Pohl, Russians, S. 295 ff. 75

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240 000 wurden in Gefängnisse eingesperrt oder in sibirische Straflager deportiert, mehr als ein Zehntel der litauischen Bevölkerung.78 Im kollektiven Gedächtnis der baltischen Nationen ist der Stalinismus ein Synonym für den versuchten Genozid. Daß am Ende auch die sowjetischen Juden als „Agenten“ des israelischen Zionismus stigmatisiert und in Geiselhaft genommen wurden, entsprach der Logik des stalinistischen Fremdenhasses. Denn im Verständnis der führenden Bolschewiki hatten die Juden nach der Gründung des Staates Israel auch eine Heimat außerhalb der Sowjetunion. So gerieten sie in Verdacht, ganz gleich, ob sie sich zum Judentum bekannten oder nicht. Nach 1947 nahm der staatlich sanktionierte Antisemitismus hysterische Züge an, und er verband sich mit den antijüdischen Ressentiments von Russen und Ukrainern. Spätestens zu Beginn des Jahres 1953 reifte in Stalins Hirn der Plan, alle Juden aus den Städten im europäischen Teil der Sowjetunion zu vertreiben. Der Tod des Diktators im März 1953 ersparte es den Juden, das Schicksal der Deutschen und Tschetschenen zu teilen.79 Stalins Tod war der Tod des Stalinismus. Mit seinem Tod erstarb das destruktive Verlangen nach der Vernichtung feindlicher Kollektive. Die Fremdenphobie aber blieb, wo Krisen aufschienen, blühten auch in der nachstalinistischen Gesellschaft die Ressentiments. Niemandem aber wäre es in den sechziger oder siebziger Jahren noch in den Sinn gekommen, eingebildete Feindkollektive physisch zu vernichten. Der Stalinismus war ein Versuch, eine Ordnung herzustellen, aus der jede Ambivalenz herausgebrannt war. Darin glich er den rassistischen Reinigungsutopien der Nationalsozialisten. Die Bolschewiki aber waren keine Rassisten. Sie besaßen einen Begriff von Rasse, sie wußten, daß es Menschen mit unterschiedlichen biologischen Merkmalen gab, aber diese Einsicht hatte für ihr Handeln keine Bedeutung. Rasse war nicht Schicksal, Russen gehörten keiner biologisch höherwertigen Gemeinschaft an.80 Die Züchtung höherer Menschentypen galt den führenden Bolschewiki als Abweg, Stalin ließ die führenden Genetiker der Sowjetunion 1937 erschießen und ihre Institute auflösen. V.N. Stavrovskii, der als leitender Statistiker in der zentralen Planbehörde Gosplan, arbeitete, erklärte auf einer Versammlung seiner Behörde, wie er über den Biologismus der Nationalsozialisten dachte: „if a person who by blood is a negro was brought up in such a society and with such a language and culture that he calls himself Russian, there is nothing incorrect about this even if his skin color is black.“81

78 Vgl. RGASPI, Fond 82, opis’ 2, delo 897, ll. 143–145, Raun, Estonia, S. 181 ff, Laasi, Untergrundkrieg und Zemskov, Specposelency, S. 155 f. 79 Vgl. Weiner, Making, S. 191–235, 287–290, RGASPI, Fond 558, opis’ 11, delo 904, ll. 27–35, 39, RGASPI, Fond 82, opis’ 2, delo 148, ll. 126–131, Redlich/Al’tmann, War, Naumov, Vernichtung, S. 123–126, Medvedev, Stalin, Kostyrchenko, Shadows, Lustiger, Rotbuch, S. 108–122, Borschtschagowski, Orden und Brent/Naumov, Crime, S. 283–311. 80 Vgl. dazu die von Eric Weitz ausgelöste Debatte über den bolschewistischen „Rassismus“: Weitz, Politics; dazu kritisch: Hirsch, Race. 81 Zitat in Hirsch, Soviet Union, S. 274 f.; Vgl. Adams, Eugenics, S. 194 f.

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Jörg Baberowski

Für die Bolschewiki waren Nationen kulturelle Abstammungsgemeinschaften. Wer einer solchen Nation angehörte, konnte aus ihr nicht einfach austreten. Er wurde in eine Genealogie eingesperrt. Aber er konnte an seiner Selbstüberwindung arbeiten, und so konnte er ein anderer werden. Die bolschewistische Utopie der ethnischen Säuberung lebte von der Vorstellung ethnisch homogener Landschaften. Sie wollte Feinde isolieren und Nationen voneinander trennen. Der stalinistische Ordnungsentwurf strebte nach ethnischer Homogenität, aber er bestand, weil er den ethnischen Partikularismus stets neu inszenierte, auf der Kultur der Differenz. In diesem Widerspruch liegt der Ursprung des stalinistischen Massenterrors.82 Wie aber kam es, daß die stalinistische Gewaltspirale nicht in den industriell organisierten Massenmord führte? Weil sich den Bolschewiki Möglichkeiten des Ausweichens eröffneten. Sie konnten stigmatisierte Kollektive nach Zentralasien verschicken und sie auf diese Weise aus der „Gefahrenzone“ bringen. Die ethnische und soziale „Flurbereinigung“ des Imperiums war nur möglich, weil die Machthaber im asiatischen Teil der Sowjetunion neue Räume der Ambivalenz einrichteten, in denen sie die Feinde sich selbst überließen. Zentralasien verwandelte sich in ein Reservat der Ausgestoßenen, es wurde zu einem Ghetto für feindliche Nationen und „sozial fremde Elemente“. Deshalb konnten die Bolschewiki von der vollständigen physischen Vernichtung ihrer eingebildeten Feinde absehen. Der nationalsozialistische Vernichtungskrieg und die stalinistischen ethnischen Säuberungen feierten dort ihre größten Triumphe, wo eindeutige Ordnungsentwürfe uneindeutigen Verhältnissen begegneten. Deshalb ist das Imperium der Ort der stalinistischen und der nationalsozialistischen Verbrechen. Nur im Imperium konnten Bolschewiki wie Nationalsozialisten unablässig an der Vermehrung und Vernichtung ihrer kollektiven Feinde arbeiten. Man könnte auch sagen, daß das Imperium ihnen entsprach. Hätte es das Imperium nicht gegeben – Nationalsozialisten und Bolschewiki hätten es erfinden müssen.

82

Vgl. Weiner, Making, S. 138, 207.

ZWANGSUMSIEDLUNGEN IN SÜDAFRIKA WÄHREND DER APARTHEID von Christoph Marx Apartheid läßt sich charakterisieren als Versuch, Rassentrennung zur Grundlage der Staatsordnung Südafrikas zu machen. Einer der Impulse für ihre Entwicklung ist neben älteren Formen der Segregation in der Erfahrung und Wahrnehmung weißer Armut zu finden, die auf die Konkurrenz durch billige schwarze Arbeitskräfte zurückgeführt wurde. Die Zahl der verarmten Weißen in Südafrika wuchs bereits seit dem späten 19. Jahrhundert. Seit der Weltwirtschaftskrise aber nahm sie so dramatisch zu, daß ein 1932 veröffentlichter, fünfbändiger Forschungsbericht zum Schluß kam, daß circa 300 000 Weiße in Südafrika als extrem arm zu gelten hätten, was bei einer Gesamtzahl von zwei Millionen ein hoher Anteil war.1 Dieser Bericht alarmierte die burischen Nationalisten, weil die überwiegende Mehrheit der armen Weißen Buren (Afrikaaner) waren, deren wirtschaftlicher Niedergang in zeitüblichen Erklärungsmustern mit der Gefahr biologischer Degeneration in Verbindung gebracht wurde.2 Die Kulturnationalisten, die seit den späten zwanziger Jahren über die Geheimgesellschaft „Afrikaner Broederbond“ eine Vielzahl burischer Kulturorganisationen kontrollierten, benutzten dieses Netzwerk, um einen medienwirksamen „Volkskongreß“ in der Stadt Kimberley zu organisieren. Die „Entdekkung“ der weißen Armut war somit ein wesentlicher Faktor, der zur Radikalisierung des burischen Kulturnationalismus beitrug, die Rezeptionsbereitschaft für Rassenlehren aus Europa und Nordamerika förderte und die burischen Intellektuellen auf eine Lösung brachte, an der sie für die nächsten Jahrzehnte festhielten: Die Weißen sollten vor der Verarmung bewahrt werden, indem der Staat sie mit politischen und administrativen Mitteln vor der Billiglohnkonkurrenz schwarzer Arbeitskräfte schützte.3 Daraus resultierte ein seit den späten dreißiger Jahren formuliertes Programm radikaler Rassentrennungspolitik, das den Namen „Apartheid“ erhielt und nach 1948, als die burischen Nationalisten die Regierung stellten, in praktische Maßnahmen umgesetzt wurde. Neben dem Schutz vor schwarzer Konkurrenz war der Wunsch, einen weißen Nationalstaat zu errichten, für die Konzeption der Apartheid bestimmend. Ende der fünfziger Jahre erhielt diese Politik einen weiteren Radikalisierungsschub durch die Territorialisierung einer Rassentrennung, die sich bis dahin weitgehend auf das Alltagsleben und die 1 2 3

Vgl. Poor White Problem. Vgl. Dubow, Racism, S. 170 ff. Vgl. Marx, Ochsenwagen, S. 123

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Bildungseinrichtungen beschränkt hatte. Nun sollte die schwarze Mehrheit dauerhaft aus Südafrika ausgebürgert werden, indem seit 1913 bestehende „Reservate“ aufgewertet wurden in „Homelands“, die angeblich ursprünglichen Siedlungsgebiete der Afrikaner. Diese zogen es jedoch vor, diese Gebiete nicht als „Homelands“, sondern vielmehr als „Bantustans“ zu bezeichnen, da dieser Begriff den künstlichen, konstruierten Charakter dieser Gebilde besser zum Ausdruck brachte. Die Apartheidregierung wollte ihren weißen Nationalstaat dadurch schaffen, daß sie die Schwarzen in ihren „eigenen“ Gebieten auch territorial abtrennte. Da die Bantustans kleine Enklaven innerhalb Südafrikas bildeten und über ein großes Gebiet verstreut waren, mußte dies begründet werden. Hier kam den Politikern das Konzept der afrikanischen „Stämme“ zugute, die sie nun zu „Nationen“ aufwerteten, woraufhin sie folgerichtig die Bantustans zu „Nationalstaaten“ erklärten und gleichzeitig die ganze territoriale Rassentrennung als südafrikanische Form der Entkolonialisierung ausgaben. Im Zuge dieser Homelandpolitik begann der Staat Afrikaner in großem Stil umzusiedeln, denn wenn die schwarze Mehrheit erst einmal aus dem weißen Nationalstaat ausgebürgert war, dann konnten die urbanisierten Schwarzen als ausländische Gastarbeiter behandelt werden. Das hieß im Klartext: Wer keinen Arbeitsplatz nachweisen konnte, wurde folglich nicht im weißen Nationalstaat gebraucht und mußte in sein „Homeland“ zurückkehren. Hendrik Verwoerd, prominenter südafrikanischer Apartheidstratege und späterer Premierminister, behauptete 1956, daß sich bis etwa 1978 der Urbanisierungstrend umgekehrt haben würde und die Rückwanderung aus den Städten in die Homelands dann zunehme.4 Damit erübrigte sich weitgehend der Wohnungsbau für Schwarze in den Städten, zumal man keinerlei Anreize zur Landflucht schaffen wollte. Von den frühen sechziger Jahren sollten bis zur Mitte der 1980er Jahre 3,5 Millionen Menschen von diesen Zwangsumsiedlungen betroffen werden – die größte Zwangsumsiedlung in der Geschichte des afrikanischen Kontinents. Die langfristig angelegte Politik und ihre rigorose Umsetzung durch die staatliche Bürokratie, die große Zahl von Betroffenen und der systematische Zugriff der Apartheidideologen auf alle Lebensbereiche legen die Vermutung nahe, hier sei ein klar ausgearbeiteter und durchkalkulierter Plan exekutiert worden. Doch wer hatte ihn ausgearbeitet? Wer waren die Planer, und was strebten sie im einzelnen an? Wie kalkulierten sie das Verhältnis zwischen dem Ziel einer radikalen Rassentrennung und den dafür angewandten Mitteln, die einen großen und teuren Apparat erforderten? Im folgenden wird gezeigt, daß zwar ein großer Aufwand an wissenschaftlichen Herleitungen der Apartheid betrieben wurde, dem jedoch eine vergleichsweise unkoordinierte Planung der Umsiedlungen gegenüberstand. Doch zunächst zur Vorgeschichte, dem weiteren historischen Kontext der Apartheid.

4

Vgl. Davenport, South Africa, S. 339.

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FRÜHE FORMEN TERRITORIALER RASSENTRENNUNG UND IHR SCHEITERN Der Beginn der territorialen Rassentrennung datiert auf das Jahr 1913, als die drei Jahre zuvor aus vier Kolonien zusammengeschlossene „Union von Südafrika“, die ihrerseits 1961 in die Republik Südafrika transformiert wurde, die politische Entmündigung der Bevölkerungsmehrheit durch ein rassistisches Landgesetz im Bereich der Wirtschaft ergänzte. Neu war nicht die Tatsache der nun folgenden Vertreibungen schwarzer Pächter und Kleinbauern aus ganzen Regionen, denn Umsiedlungen und Vertreibungen hatte es zuvor im Zug der kolonialen Niederwerfung afrikanischer Chiefdoms und Reiche bereits zur Genüge gegeben.5 Die Innovation des Landgesetzes bestand darin, daß ganze Landstriche ausschließlich den Weißen zugesprochen wurden, andere als „Reserves“ ebenso ausschließlich schwarzem Besitz vorbehalten waren. Brisant war diese Aufteilung nicht zuletzt deswegen, weil diese „Reserves“ ganze 7 Prozent des Landes umfaßten, während die Minderheit der Weißen sich selbst 93 Prozent Südafrikas aneignete. In einer Weiterentwicklung zu einer „gerechten“ Lösung wurden diese 7 Prozent im Jahr 1936 auf 13 Prozent aufgestockt.6 Bei den „Reserves“ handelte es sich im wesentlichen um die Gebiete, aus denen der Apartheidstaat seit dem Ende der fünfziger Jahre – beginnend mit dem „Promotion of Bantu Selfgovernment Act“ von 1959 – die „Homelands“ entwickelte7, das Ziel massiver Umsiedlungsaktionen in den darauffolgenden Jahrzehnten. Mit dem Landgesetz von 1913 reagierte der weiße Staat auf den Umstand, daß afrikanische Bauern vielerorts diejenigen waren, die das Land tatsächlich bewirtschafteten und einen Teil der Ernte an die nominellen weißen Besitzer als Pacht zahlten. Das „weiße Südafrika“ war darum von Anfang an ein Mythos, da die afrikanische Bevölkerung in sämtlichen ländlichen Gebieten zahlreicher war als die weiße. Darüber hinaus hatten afrikanische Bauern um die Jahrhundertwende begonnen, ihr Geld zusammenzulegen und Farmland zu kaufen, das heißt diejenigen Gebiete, die sie im 19. Jahrhundert durch Eroberung und Krieg verloren hatten, sollten nun im Rahmen des durch die Weißen etablierten ökonomischen und legalen Systems zurückerworben werden.8 Das Landgesetz von 1913 verbot nun diesen Landkauf, so daß Schwarze nur noch in den „Reserves“ Land erwerben durften. Die Kommerzialisierung der weißen Landwirtschaft sollte durch die Ausschaltung einer produktiven schwarzen Konkurrenz gefördert werden.9 Gleichzeitig sollte mit dieser gesetzlichen Maßnahme aber auch der Traum vom weißen Nationalstaat durch Sicherstellung des Landbesitzes für diejeni5

Vgl. Thompson, Subjection. Die einschlägigen Dokumente sind abgedruckt in: Davenport/Hunt, Right, S. 42 ff. 7 Vgl. Verwoerd, Choice. 8 Vgl. Denoon/Nyeko, Southern Africa, S. 131. 9 Vgl. Bundy, Rise, Keegan, Settlement, Beinart, Settler, Trapido, Plough, Keegan, Transformations, S. 182 ff. und ders., Sharecropping. 6

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gen, die diesen Staat ohnehin politisch beherrschten, wirklich werden. Wer Land besaß, konnte Anspruch auf staatsbürgerliche Rechte erheben, also mußte man Schwarzen den Zugang zu Landbesitz verwehren, um den Status Quo nicht nur zu erhalten, sondern zu einer Neudefinition der „Nation“ aufgrund rassischer Kriterien gelangen zu können. Damit ist ein grundlegendes Kennzeichen der Rassentrennungspolitik benannt, nämlich bestimmte Ziele durch Aus- und Abgrenzung, durch negative Maßnahmen also, erreichen zu wollen. Während sich Buren und Briten, die ehemaligen Gegner des Burenkrieges (1899–1902), auf Kosten der schwarzen Mehrheit versöhnten und sich in „ihrem“ Staat einrichteten, war mit der Zielsetzung eines weißen Nationalstaats untrennbar die ökonomische Ausbeutung verbunden, die eine rassische Privilegiengesellschaft aufrechterhalten sollte. Afrikaner waren als Staatsbürger nicht vorgesehen, sehr wohl aber als billige Arbeitskräfte. Sie sollten in Südafrika arbeiten, aber politisch nicht dazu gehören. Der einfachste Weg war, sie durch territoriale und politische Ausgrenzung zu rechtlosen Gastarbeitern in Südafrika zu machen. Dem dienten weitere Schritte auf dem Weg zur Rassentrennung, da Schwarze keineswegs nur in der Landwirtschaft tätig waren. Weil Südafrika sich seit dem Beginn einer industriellen Goldförderung am Witwatersrand, der Industriezone, deren Zentrum die 1886 gegründete Stadt Johannesburg bildete, zu einer zunehmend urbanisierten Gesellschaft mauserte, dehnten die weißen Politiker die Rassentrennungsmaßnahmen auf die Städte aus. Der Urban Areas Act von 1923 definierte die Städte als Siedlungen der Weißen, in denen Schwarzen nur ein Aufenthaltsrecht zugestanden wurde, solange sie für Weiße arbeiteten.10 Um dies nachzuweisen, mußten Afrikaner Pässe mit sich führen, in denen ihr Arbeitgeber vermerkt war. Städtische Rassentrennungsmaßnahmen hatte es allerdings schon früher gegeben, denn bereits um die Jahrhundertwende waren Afrikaner unter dem Vorwand der Slum-Sanierung und mit der Behauptung, sie würden aufgrund ihrer mangelhaften Hygiene Seuchen verbreiten, aus den Innenstädten in eigens angelegte Billigwohngebiete abgedrängt worden.11 Die Rassentrennung war schon in ihrer Formierungsphase keine zentral geplante und gelenkte Politik, sondern die Initiative kam häufig von lokalen Macht- und Interessenkonstellationen, wobei einzelnen Städten eine wichtige Vorreiterrolle zufiel. Auch waren es keineswegs nur die Buren, die Rassentrennung forderten und rigoros durchsetzten, sondern wie das Beispiel Durban zeigt, gerade auch die englischsprechenden Weißen. Versuche, die Urbanisierung der afrikanischen Bevölkerung zu verhindern, scheiterten in Südafrika spätestens mit dem Zweiten Weltkrieg, als viele Weiße sich an die Front meldeten und Afrikaner ihre Arbeitsplätze übernahmen, 10

Vgl. Davenport, Triumph. Vgl. Saunders, Creation, ders., Ndabeni to Langa, Bickford-Smith, Pride, S.205 ff. und van Tonder, War. Solche Rassentrennungsmaßnahmen richteten sich nicht nur gegen die schwarze, sondern auch gegen die indische Bevölkerung, z.B. in einer Stadt wie Durban, die einer der wichtigsten Protagonisten der Rassentrennungspolitik wurde und den Group Areas Act der Apartheid initiierte. Vgl. Swanson, Durban und ders., Menace. 11

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wodurch erstmals die schwarze Bevölkerung zur Mehrheit in den Städten wurde. Dieser Prozeß alarmierte viele Wähler, und die Nationale Partei spielte geschickt auf der Klaviatur der dadurch geweckten Ängste, was zu ihrem Wahlsieg im Jahr 1948 beitrug. APARTHEID UND ÖKONOMISCHE INTERESSEN Nach 1948 entwickelte der von der burischen Nationalen Partei dominierte Staat mit der Apartheidpolitik ein mehrfach abgestuftes und unterschiedlich begründetes System der Ausweisungen und Umsiedlungen, die alle dem doppelten Ziel dienten, einen weißen Nationalstaat zu errichten und gleichzeitig ein koloniales Ausbeutungssystem aufrechtzuerhalten. Das Problem der weißen Armut wurde bald durch ein System der gezielten Patronage gelöst, durch das Weiße in Wirtschaft und Verwaltung unterkamen. Doch darum blieb der Zugriff auf den Staat für viele Weiße weiterhin von essentieller Bedeutung, da sie das damit geschaffene System rassischer Privilegien nur auf diese Weise konservieren konnten. Ein Strukturwandel der südafrikanischen Wirtschaft, der sich seit den sechziger Jahren abzeichnete und der sich allmählich auf die Beschäftigungslage auswirkte, hatte einen Funktionswandel der Bantustans zur Folge. Die vielen billigen Arbeitskräfte, die der südafrikanische Staat der wichtigsten Wählerklientel der Nationalen Partei, den Farmern, zur Verfügung gestellt hatte, hatten die Mechanisierung der Landwirtschaft bis in die sechziger Jahre verzögert, so daß sie erst mit dem Höhepunkt der Apartheidpolitik beschleunigt einsetzte.12 In dieser Zeit begannen Industrie und Bergbau ebenfalls mit einer Umstellung von arbeitsintensiven auf kapitalintensive Produktionsmethoden.13 In allen Sektoren der Wirtschaft wurde nun die bis dahin künstlich erhaltene größte Kategorie der Arbeiter, nämlich die ungelernten billigen schwarzen Arbeitskräfte, überflüssig, und Südafrika trat in das Zeitalter der Massenarbeitslosigkeit ein, die sich in der Zeit nach der Ölkrise von 1973 ausweitete.14 Die Industrie suchte nunmehr nach gut ausgebildeten Arbeitskräften, die ihre Maschinen bedienen konnten. Deren Zahl war jedoch durch die Bildungspolitik der „Bantu Education“, die Bildung für Schwarze auf einem Minimallevel festgeschrieben hatte, künstlich klein gehalten worden.15 Einem Überangebot billiger Arbeitskräfte stand somit ein Mangel an Facharbeitern gegenüber. Die südafrikanische Regierung unter Premierminister John Vorster (1966– 1978) begann mit Versuchen, eine schwarze Mittelschicht zu schaffen, von der man sich erhoffte, daß sie, ähnlich wie die weißen Arbeiter, ihre Zukunft in einer Erhaltung der Apartheid suchen würde. Die vom Staat gewollte Ausdiffe12 Vgl. Wilson, Farming, S. 166, Nattrass, Economy, S. 105 f. und Jones/Müller, Economy, S. 135 und 246 f. 13 Vgl. Davenport, South Africa, S. 513. 14 Vgl. Nattrass, Economy, S. 53 und Hirson, Year, S. 123 f. 15 Vgl. Hirson, Year, S. 40 ff und Troup, Pastures.

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renzierung einer „Arbeiteraristokratie“ erklärt, warum die Regierung die neue schwarze Gewerkschaftsbewegung, die seit 1973 die gesamte Industrie des Landes erfaßte, zunächst tolerierte, dann legalisierte. Seit den frühen siebziger Jahren entwickelte sich ein System der partiellen Privilegierung einer Minderheit von schwarzen Beschäftigten gegenüber der immer rigoroseren und brutaleren Ausgrenzung der Mehrheit von Arbeitslosen, Tagelöhnern und in informellen Bereichen der Dienstleistung und Selbstbeschäftigung Tätigen. Mittel dieser Abgrenzung war die Gewährung einer eingeschränkten kommunalen Selbstverwaltung für die einen, die Zwangsumsiedlung der anderen in die Bantustans. Während die Paßgesetze gegen die städtischen Arbeiter weniger rigoros zur Anwendung kamen, wurden die Arbeitslosen um so rücksichtsloser aus den Städten entfernt. In dem Zusammenhang erhielt die Bantustan-Politik ihre neue Funktion.16 Statt riesige Reservoirs billiger Wanderarbeitskräfte zu sein, verwandelten sich die Bantustans nun in Abladeplätze für diejenigen, die südafrikanische Politiker in ihrer menschenfreundlichen Sprachregelung „überflüssige Menschen“, Surplus People, zu nennen beliebten. Als überflüssig wurden in einem offiziellen Dokument definiert: „the aged, the unfit, widows, women with dependent children [...] Bantu on European farms who become superfluous as a result of age, disability […] or Bantu squatters from mission stations and black spots which are being cleared up; Professional Bantu such as doctors, attorneys, agents, traders, industrialists, etc.. Also such persons are not regarded as essential for the European labour market, and as such they must also be settled in the homelands in so far as they are not essential for serving their compatriots in the European areas.“17 Die Arbeitslosigkeit wurde nicht nur aus den Städten in die Bantustans ausgelagert, sondern Südafrika bürdete diesen überdies die Unterhalts- und Repressionskosten auf.18 Aufgrund der Zwangsumsiedlungen nahm der Anteil der schwarzen Bevölkerung Südafrikas, die in den Bantustans lebte, zwischen 1960 und 1980 von 39 auf 53 Prozent zu.19 Da gleichzeitig die Gesamtbevölkerung ein hohes demographisches Wachstum aufwies, führte dies sehr schnell zu einer geradezu dramatischen Verarmung und Verelendung in den übervölkerten Bantustans. Für diejenigen, die aus Südafrika in diese Gebiete abgeschoben wurden, bedeutete das überdies den Verlust aller Sozialversicherungsleistungen. Die Bantustans waren nicht in der Lage, eine soziale Grundversorgung ihrer Bürger zu garantieren. Südafrika mußten einen erheblichen Teil ihrer Etats subventionieren – im Fall der Transkei sogar einen Anteil von mehr als 60 Prozent.20 Zudem floß ein Großteil der Budgetmittel der Bantustans – allesamt undemokratische politische Gebilde ohne Legitimation bei der Bevöl16 Zur Bantustan-Politik aus der Perspektive der späten achtziger Jahre im Kontext ökonomischer Entwicklung vgl. McCarthy, Apartheid. 17 General Circular No. 25, 1967, zit. nach Platzky/Walker, Surplus People, S. 28. 18 Vgl. ebd., S. 360. 19 Vgl. ebd., S. 17. 20 Vgl. Stultz, Loaf, S. 37.

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kerung – in einen aufgeblähten Staatsapparat und Sicherheitskräfte beziehungsweise sie versickerten in einem Korruptionssumpf.21 DIE UMSIEDLUNGEN Mit der Konzeptionalisierung der Bantustan-Politik als dem Herzstück der Apartheid wurden Zwangsumsiedlungen seit den frühen sechziger Jahren zu einem Massenphänomen. Sie fanden auf mehreren Ebenen gleichzeitig statt, nämlich als 1) Zuzugsbeschränkungen in die Städte oder als Umsiedlungen 2) innerhalb der Städte, 3) von den Städten in die Bantustans, 4) aus den weißen Farmgebieten in die Bantustans, 5) von einem Bantustan in das andere und 6) innerhalb der Bantustans. Zuzugsbeschränkungen in die Städte Das Hauptinstrument der Zuzugskontrolle (Influx Control) waren die 1952 vereinheitlichten, aber schon seit 1809 existenten Paßgesetze, die nur einer privilegierten Minderheit von Schwarzen, nämlich denjenigen, die entweder in den Städten geboren und aufgewachsen waren oder bereits einen Arbeitsplatz dort hatten, den Aufenthalt in einer Stadt gestatteten.22 Alle anderen sollten ausgewiesen werden, wurden aber zumindest zu einer Existenz in der Illegalität gezwungen. Den Paßgesetzen lag eine Reihe abgestufter Aufenthaltsrechte in den Städten zugrunde, aufgrund derer man Neuankömmlinge aus den ländlichen Gebieten so schnell wie möglich wieder abschob. Diese Politik wurde umgesetzt durch häufige Paßkontrollen, die für die schwarze Bevölkerung völlig willkürlich und unberechenbar, oft in Form nächtlicher Polizeirazzien in Wohngebieten durchgeführt wurden, aber auch durch einen einzelnen Polizisten irgendwo in einer Innenstadt vorgenommen werden konnten. Damit hatten die Paßgesetze die Kriminalisierung vieler Menschen zur Folge, die ständig in Unsicherheit und Angst vor dem staatlichen Repressionsapparat lebten. Verstöße gegen die Paßgesetze waren ein Straftatbestand, wurden also nicht mit bloßer Ausweisung geahndet, sondern die Betreffenden wurden verhaftet und in Eilverfahren abgeurteilt, die im Durchschnitt eine Minute dauerten. In etlichen Fällen wurden sie dann von den Gefängnissen an Farmer als Sklavenarbeiter ausgeliehen, wo viele von ihnen zu Tode geschunden wurden.23 Zwischen 1965 und 1985 wurden etwa zwei Millionen Menschen aufgrund sogenannter Paßvergehen inhaftiert, das heißt sie hielten sich illegal in den Städten auf. Diese Zahlen gingen jedoch im Lauf der Jahre trotz der Perfektionierung des Kontrollsystems allmählich zurück, nämlich von 700 000 allein im Jahr 1970 auf 200 000 zwölf Jahre später, weil mittlerweile die 21 22 23

Vgl. für die Transkei etwa: Streek/Wicksteed, Kaiser. Vgl. dazu Posel, Making. Vgl. First, Case-Book, Scott, Time, S. 169 ff. und Cook, Slavery.

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Priorität bei den Zwangsumsiedlungen lag. Die Ausgrenzung verlagerte sich damit von Individuen auf ganze Gruppen, so daß die Zwangsumsiedlungen dramatisch zunahmen; darin spiegelt sich die relative Privilegierung der Stadtbewohner, die Arbeit hatten, gegenüber der wachsenden Zahl derer, die keine Arbeit mehr fanden und darum abgeschoben wurden.24 Rassentrennung in den Städten Von den Passgesetzen und Zuzugsbeschränkungen, die sich gegen Individuen richteten, unterschieden sich diejenigen Maßnahmen, die eine Politik systematischer ethnischer Säuberungen erkennen lassen, weil sie ganze Gruppen und Gemeinschaften von Menschen betrafen. Das wichtigste der Gesetze, die die Grundlage dafür bildeten, war der Group Areas Act von 1950, der eine ethnische Entflechtung der städtischen Wohngebiete vorsah. In der Zeit zwischen 1965 und 1985 wurden unter diesem Gesetz allein 860 400 Menschen innerhalb der Städte zwangsumgesiedelt, die meisten Coloureds und Inder25, da die schwarze Bevölkerung schon in den Jahrzehnten zuvor unter den Bestimmungen des Urban Areas Act von 1923 und anderer Gesetze in eigene „Townships“ abgeschoben worden war.26 Umsiedlung aus den Städten in die Bantustans Zwangsweise Aussiedlungen aus den Städten nahmen aufgrund der sich veränderten Situation auf den Arbeitsmärkten in den späten sechziger Jahren dramatisch zu und betrafen sowohl Menschen, die schon länger in den Städten lebten, aber keine Arbeit hatten, als auch Menschen, die aus den verarmten und heruntergekommenen Bantustans in die Städte zogen und sich dort in sogenannten informellen Siedlungen, das heißt in Slumvierteln beziehungsweise squatter camps, niedergelassen hatten. Solche Umsiedlungen betrafen zuweilen Gruppen von mehreren tausend Menschen. Diese Politik spielte in den frühen Jahren der Apartheid keine besonders große Rolle, doch wuchs die Zahl der umgesiedelten Menschen in den siebziger und achtziger Jahren stark an, als durch den Niedergang der überbevölkerten, überweideten und von Bodenerosion und ökologischer Zerstörung betroffenen Bantustans immer mehr Menschen in die Städte strömten27, wo sie in der zunehmend kapitalintensiven Industrie aber nicht mehr gebraucht wurden. 24

Vgl. dazu auch Lipton, Capitalism, S. 73 ff. Zur Bedeutung für die indische Bevölkerung vgl. Mesthrie, Tinkering sowie Freund, Insiders, Kap. 5. 26 Vgl. Platzky/Walker, Surplus People, S. 35 und Wilson/Ramphele, Poverty, S. 217. 27 Allerdings begann die Politik bereits in den frühen 1950er Jahren, eine Zeit, in der auch die dazugehörigen Gesetze erlassen wurden. Zur gesetzlichen Grundlage vgl. Platzky/Walker, Surplus People, S. 104. 25

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Die Umsiedlungsmaßnahmen wurden mit besonderer Härte im Westen der Kapprovinz durchgeführt, weil diese Region als sogenannte „Coloured preferential area“ der dort mehrheitlich lebenden Coloured-Bevölkerung vorbehalten war, die bei der Arbeitsplatzsuche bevorzugt werden sollte.28 Als Coloureds werden in Südafrika diejenigen bezeichnet, die nicht eindeutig der weißen oder schwarzen Bevölkerung zuzuordnen sind, es handelt sich also um eine Residualkategorie, der die Nachkommen der Sklaven, der Khoisan-Bevölkerung sowie „Mischlinge“ angehören.29 Wegen des rigorosen staatlichen Vorgehens im Westen der Kapprovinz waren die Verhältnisse in deren Osten besonders schlecht. Die meisten Umgesiedelten waren xhosasprachig und wurden darum in die Bantustans Ciskei und Transkei im Osten der Kapprovinz verschickt. Dort wurden sie in den von Arbeitslosigkeit geprägten Städten der beiden Bantustans angesiedelt, zuweilen auch in ländlichen Gebieten sich selbst überlassen. Durch die massenhafte Abschiebung entstanden riesenhafte ländliche Slumgebiete, die in Fällen wie Botshabelo, etwa 80 Kilometer östlich der Stadt Bloemfontein30, oder im Winterveld31 bei Pretoria sowie in den winzigen, nur wenige Quadratkilometer umfassenden Bantustans Kwandebele und Qwaqwa von hunderttausenden Menschen bewohnt wurden. Dazu kamen andere Schritte wie die Auflösung (Deproclamation) bestehender Townships und die Umsiedlung der Bewohner in ein nahegelegenes Bantustan. Auf diese Weise verloren viele, die weiterhin Arbeitsplätze in den Städten hatten, ihren Status als Stadtbewohner und wurden zu Bantustanbewohnern, das heißt sie wurden nicht nur juristisch, sondern auch faktisch ausgebürgert.32 Die Kosten für ihre Unterbringung, Gesundheitsversorgung und Bildung überließ der südafrikanische Staat den Bantustanverwaltungen. „Nähe“ zur Stadt ist ein dehnbarer Begriff, denn in etlichen Fällen mußten die Menschen nun täglich Entfernungen von mehr als 100 Kilometern zu ihren Arbeitsplätzen zurücklegen – auf eigene Kosten natürlich, die angesichts der geringen Einkommen erheblich waren. Besonders raffiniert war schließlich eine Form der Umsiedlung, die nur auf dem Papier stattfand, ohne daß Menschen irgendwohin transportiert werden mußten. Denn in einigen Fällen war es möglich, ein Township wie East Londons riesige Vorstadt Mdantsane (circa 500 000 Einwohner) dem Bantustan Ciskei zuzuschlagen, das heißt die gesamte Siedlung aus dem südafrikanischen Staatsverband auszugliedern.

28

Vgl. Eiselen, Naturel. Zur Definition von „Coloured“ vgl. Slabbert/Welsh, Options, S. 11. Zur „Coloured Labour Preference Policy“ vgl. Unterhalter, Removals, S. 67 ff. 30 Vgl. Murray, Mountain, Kap. 6. 31 Winterveld ist eines der städtischen Siedlungsgebiete, die faktisch zu Pretoria gehörten, aber dem Bantustan Bophuthatswana zugeschlagen wurden, so daß seine Bewohner keine Rechte südafrikanischer Stadtbewohner mehr hatten. Als Siedlung mit diesem Status wurde es dann ein Siedlungsraum für Zwangsumgesiedelte. Vgl. Horn/Hattingh/Vermaak, Winterveld. 32 Vgl. Hofmeyr, Years, S. 78 ff. 29

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Umsiedlung aus den weißen Farmgebieten Eine schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts betriebene Politik zielte zunächst auf die Proletarisierung der schwarzen Landbevölkerung. Viele afrikanische Bauern lebten in Pachtverhältnissen, die sich je nach ihrem Zugang zu Produktionsmitteln wie Zugochsen, Pflügen, Bargeld und der Arbeitskraft großer Familien sehr unterschiedlich gestalteten. Die Vielfalt der Pachtverhältnisse wurde in den kommerziell lohnenden Farmgebieten auf Eigeninitiative der weißen Farmer zum Nachteil der Schwarzen allmählich verändert, um aus ihnen landlose Lohnarbeiter zu machen. In wirtschaftlich marginalen Randzonen konnten sich afrikanische Pächter, entweder Sharecroppers, die sich mit dem Landbesitzer die Ernte teilten, oder Labour Tenants, die das Land auf unterkapitalisierten Farmen gegen Arbeitsleistungen nutzen durften, erheblich länger halten.33 Der Apartheidstaat ging nach 1948 mit neuem Elan daran, die Kommerzialisierung der weißen Farmen voranzutreiben. Viele Farmer veräußerten ihre unwirtschaftlichen Betriebe an eine neue Schicht von Agrounternehmern, wodurch die Zahl der Farmen von 106 000 im Jahr 1960 auf 78 000 fünfzehn Jahre später zurückging.34 Landlose Weiße konnten im Staatsdienst unterkommen, was den willkommenen Nebeneffekt hatte, ihre ökonomischen Interessen unmittelbar mit dem Überleben der Apartheid zu verknüpfen. Der Staat schaffte bis 1980 alle Formen der „Labour Tenancy“, die für die schwarzen Pächter noch gewisse ökonomische Vorteile mit sich gebracht hatten, im ganzen Land ab und ersetzte sie durch Lohnarbeit.35 Da die Farmer als wichtigste Wählerklientel der Nationalen Partei über monopolistische Vermarktungsgesellschaften (Marketing Boards), die die Erzeugerpreise künstlich hoch hielten, subventioniert wurden36 und seit etwa den sechziger Jahren ihre Betriebe mechanisierten, nahm die Zahl der Arbeitsplätze auch für landlose Lohnarbeiter in den weißen Farmgebieten dramatisch ab. Die schwarzen Arbeitslosen wurden ausgewiesen oder abtransportiert. Die Umsiedlungen aus den Farmgebieten waren quantitativ gesehen mit 1,3 Millionen bis zum Jahr 1985 die größte Kategorie im Bereich der ethnischen Säuberungen.37 Die weißen Farmgebiete wurden zudem weiter ausgedehnt, indem der Staat die 1913 beziehungsweise 1936 festgelegten Gebietzuweisungen nun rigoros durchsetzte. Die seit 1913 begonnene territoriale Rassentrennung in den ländlichen Gebieten war zwar im Lauf der Jahrzehnte weit vorangeschrit33 Diese Entwicklung wird exemplarisch abgebildet in der Biographie eines afrikanischen Sharecroppers: van Onselen, Seed. 34 Zahlen nach Platzky/Walker, Surplus People, S. 31. Vgl. auch Jones/Muller, Economy, S. 251 ff. und Unterhalter, Removals, S. 93 ff. 35 Vgl. Unterhalter, Removals, S. 96. 36 Vgl. Lipton, Capitalism, S. 267, Jones/Müller, Economy, S. 237 und Nattrass, Economy, S. 119 f. 37 Vgl. Platzky/Walker, Surplus People, S. xxix

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ten, doch gab es noch viele Regionen, in denen Schwarze nicht Pächter, sondern Landeigentümer waren. Diese seit der Arrondierung der schwarzen Siedlungsgebiete im Jahr 1936 sogenannten „Black Spots“ wurden seit den sechziger Jahren systematisch enteignet und die Bewohner in die Homelands verfrachtet, bis 1969 bereits 80 000, bis Anfang der achtziger Jahre 614 000.38 Allein in Natal identifizierten die Behören 363 solcher Black Spots.39 Auf diese Weise wurden funktionierende Gemeinwesen und Wirtschaftsbetriebe zerstört. Die Entschädigungen, die aufgrund der Schätzungen dubioser Experten ausgezahlt wurden, fielen regelmäßig weit unter dem Wert der Farmen aus, so daß weiße Farmer oft zu Schleuderpreisen die enteigneten Betriebe und das Vieh der Schwarzen aufkauften.40 Die Umsiedlung von einem Homeland in ein anderes Die Aufteilung der Bevölkerung nach den Kriterien der Apartheid war mit der Trennung von Weißen und Schwarzen noch keineswegs erreicht. Der Staat hatte angesichts des Nationalismus des Afrikanischen Nationalkongresses und anderer Organisationen die Differenzen zwischen Schwarzen betont und ging davon aus, daß die Schwarzen untereinander so verschieden seien wie Afrikaner von Weißen. So folgte der Rassentrennung die Trennung der schwarzen Bevölkerung nach den Vorgaben eindeutiger ethnischer Zugehörigkeit. Die daraus resultierenden Umsiedlungen von einem Homeland in ein anderes zerstörten alteingesessene ländliche Gemeinschaften, weil sie nach den Erkenntnissen der Apartheid-Bürokraten eine ethnisch heterogene Bevölkerung aufwiesen, wie zum Beispiel in Gazankulu.41 Hinzu kamen für die Betroffenen unvorhersehbare Entwicklungen, als etwa die Apartheidregierung den bis dahin zehn Homelands ein elftes hinzufügte, den Zwergstaat KwaNdebele, weswegen nun als Ndebele eingestufte Menschen aus ihren bisherigen Wohnorten im Bantustan Boputhatswana ausgesiedelt wurden und umgekehrt tswanasprachige Menschen teilweise mit Brachialmethoden aus ihren Siedlungsgebieten vertrieben wurden.42 Die Bantustan-Politik hatte ethnische Spannungen und Konflikte insbesondere im Transvaal zur Folge, wo es dergleichen vor diesen „ethnischen Säuberungen“ nicht gegeben hatte.43

38

Zahlen nach ebd., S. 116 bzw. Unterhalter, Removals, S. 110. Vgl. Platzky/Walker, Surplus People, S. 44 40 Beispiel bei Wilson/Ramphele, Poverty, S. 219 f. 41 Vgl. Platzky/Walker, Surplus People, S. 125 ff. 42 Vgl. ebd., S. 178 f. und 372. Diese „Entdeckung“ der Ndebele als eigenständige Ethnie illustriert den willkürlichen Charakter ethnischer Zuschreibungen. 43 Vgl. ebd., S. 184 f. und 292 39

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Umsiedlung innerhalb eines Homelands. Einige der Homeland-Regierungen beteiligten sich ihrerseits aktiv an Umsiedlungsaktionen. Wegen der Übervölkerung der Bantustans wurde ein „Villagisation“-Programm aufgelegt, um neue Dörfer auf schlechten Böden anzulegen und so die besseren Böden für die landwirtschaftliche Nutzung zu reservieren. Dabei handelte es sich häufig um die Fortsetzung älterer „Betterment Schemes“, die den ökologischen Niedergang der Bantustans durch verstärkte Kontrolle und staatliche Intervention in die afrikanische Landwirtschaft aufhalten sollten. Die Anlage kompakter Dörfer hatte zudem den willkommenen Nebeneffekt, die Kontrolle der Bantustan-Regierungen über die Bevölkerung zu verstärken.44 In diesem Rahmen wurden allein innerhalb Natals, das heißt nur im Homeland KwaZulu, seit den fünfziger Jahren eine Million Menschen umgesiedelt, wobei die Dunkelziffer hoch ist. Die bantustan-internen Umsiedlungen wurden in die Gesamtzahl aller Vertreibungen nicht einbezogen, die eine Gruppe regierungskritischer Sozialwissenschaftler, die 1985 die fünfbändige Studie des „Surplus People Project“ vorlegten, auf 3,5 Millionen Menschen bezifferte.45 Zählt man die Ausweisungen nach den Paßgesetzen und dem Group Areas Act seit dem Beginn der Apartheidpolitik dazu, erhöht sich die Gesamtzahl auf schätzungsweise acht Millionen in ganz Südafrika, die größte Zwangsumsiedlung und die umfangreichsten ethnischen Säuberungen, die es auf dem afrikanischen Kontinent jemals gegeben hat. DIE WISSENSCHAFTLICHE FUNDIERUNG DER APARTHEID UND DER UMSIEDLUNGEN In seiner monumentalen Geschichte der Afrikaaner (Buren) behauptet der prominente südafrikanische Historiker Hermann Giliomee, die Apartheid sei im wesentlichen eine Übertragung der kulturnationalistischen Konzeptionen der burischen Politiker auf die schwarze Bevölkerung gewesen, weswegen man vergeblich nach rassistischen Motiven suchen würde. Apartheid wäre demnach auf eine benevolente, wenn auch letztlich untaugliche, Projektion der eigenen Vorstellung einer Nation auf die Afrikaner zurückzuführen, die man nicht als Rasse, sondern als Gruppe von Nationen identifiziert hätte.46 Man kann sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, als sei Giliomee den Legitimationsstrategen der Apartheid auf den Leim gegangen, deren Ziel es war, genau diesen Eindruck zu erwecken, als würde eine für alle Seiten gerechte Ordnung vorbereitet und als hätte Apartheid nichts mit Rassismus zu tun. Der wichtigste Protagonist der Apartheidpolitik, der in der Literatur zuweilen als deren „Architekt“ bezeichnet wird, war Hendrik Verwoerd, dessen 44

Vgl. Unterhalter, Removals, S. 102. Vgl. Platzky/Walker, Surplus People, S. 7 und Wilson/Ramphele, Poverty, S. 220 f. zu den Zahlen für KwaZulu. 46 Vgl. Giliomee, Afrikaners, Kap. 13 und 14. 45

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Amtszeit als Premierminister (1958–1966) den Höhepunkt der Apartheid darstellte. Verwoerd, geboren 1901 in Amsterdam, studierte Psychologie und Philosophie an der Universität Stellenbosch, promovierte 1924 und setzte anschließend seine Studien in Deutschland und den USA fort. Wie die amerikanische Historikerin Roberta Miller aufgrund eines einschlägigen Quellenstudiums bestätigen konnte, wurde Verwoerd während seines Aufenthaltes nicht vom Nationalsozialismus beeinflußt.47 Sie setzt seine Konversion zu einem radikalen burischen Kulturnationalismus erst mit seiner Übernahme der Herausgeberschaft der neugegründeten Tageszeitung „Die Transvaler“ im Oktober 1937 an, ohne dafür aber überzeugende Gründe anbieten zu können. Tatsächlich läßt sich Verwoerds Politisierung auf einen Zeitpunkt etwa fünf Jahre früher datieren. Sie setzte nämlich mit dem eingangs erwähnten „Volkskongreß“ zum Problem der weißen Armut in Kimberley ein, wo der junge Professor für Sozialarbeit an der Universität Stellenbosch sich erstmals einer weiteren Öffentlichkeit präsentierte. In dem Hauptreferat des Kongresses analysierte er die Ursachen der Armut, die er in der Konkurrenz durch billige schwarze Arbeitskräfte sah. Neu und charakteristisch für Verwoerd war die Rigorosität der Schlußfolgerungen, die er zog, und die Betonung, die er auf staatliches Handeln legte. In diesem kurzen Text waren bereits sämtliche Elemente der späteren Verwoerdschen Politik enthalten, wie sich anhand von Vorlesungskonzepten aus diesen Jahren bestätigen läßt, in denen er das Problem der weißen Armut erstmals intensiv mit der Notwendigkeit von Rassentrennung verknüpfte.48 Die Genese einer weiteren Konstante der Verwoerdschen Politik läßt sich biographisch sogar noch früher verorten, zu einer Zeit nämlich, als er offensichtlich noch keine politischen Ambitionen verfolgte. Im Jahr 1922 verfaßte Verwoerd eine Magisterarbeit in Psychologie, die sich der „doppelten Aufgabe“ (Die dubbele taak) widmete. Er untersuchte, wie Menschen damit zurechtkommen, wenn sie zwei Aufgaben erfüllen müssen, die sich teilweise oder ganz widersprechen. Sein Thema war also der „double bind“, das Problem, divergierende Ansprüche und Aufgaben zu integrieren.49 Damit beschrieb Verwoerd die zentrale Problematik seiner späteren Politik, nämlich radikale Rassentrennung, die gerechte Ordnung für alle, mit fortgesetzter ökonomischer Ausbeutung und Erhaltung des weißen Privilegiensystems in Übereinstimmung zu bringen. Die Antwort konnte, weil sich der Widerspruch nicht auflösen ließ, einzig in einer Verkleisterung dieses Widerspruchs durch Propaganda liegen und darin, die fortdauernde Herrschaft der Weißen als Entkolonialisierung und die territoriale Rassentrennung als gerechte Lösung des „Rassenproblems“ darzustellen. In der Propaganda lag Verwoerds eigentliche Begabung, da er kein besonders origineller oder innovativer politischer Denker war, sondern Impulse und 47

Vgl. Miller, Science, S. 661. Vgl. Verwoerd, Bestryding, bes. S. 36 ff. Vgl. auch Universität Stellenbosch, AfricanaSammlung, H.F. Verwoerd, 231, Vorlesungsnotizen, 1932–37. 49 Vgl. Verwoerd, Taak. 48

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Stichworte von anderen aufgriff und sie wirkungsvoll verknüpfte, ein Unterfangen, für das ihm seine Ausbildung als Psychologe und seine Erfahrung als Journalist von Nutzen waren.50 Dem begnadeten Propagandisten fiel es leicht, Inkonsistenzen seiner Politik in scheinbar völlig schlüssige Herleitungen aufzulösen. Seine Zeitgenossen berichten von der imponierenden Klarheit seiner Reden, die oft mehrere Stunden dauerten und selbst seine Gegner beeindruckten. Der Journalist Piet Meiring, der Verwoerd gut kannte, spricht dagegen zutreffender von der mesmerisierenden Wirkung seiner Argumentation, deren Inkonsistenz dem nahezu betäubten Zuhörer oft erst Stunden später aufgegangen sei.51 Die scheinbare Stärke und der Erfolg der Apartheid resultierten gerade nicht aus ihrer politischen Konsistenz und Folgerichtigkeit, nicht aus der Planung und dem systematischen Zugriff, sondern aus der Art, wie sie „verkauft“, nämlich propagiert wurde. Dem diente nicht zuletzt die pseudo-wissenschaftliche Begründung durch ethnologische und sozialwissenschaftliche Versatzstükke, die andere Politiker und Propagandisten auf einfache Glaubensbekenntnisse reduzierten, um die Legitimation der Apartheid in einer Form zu untermauern, daß sie noch der letzte Stadtrat verstand. Verwoerd wurde 1950 Minister für Eingeborenenangelegenheiten (Native Affairs) und baute dieses bis dahin vergleichsweise rangniedrige Ministerium systematisch zu einer politischen Schlüsselposition aus. Dabei kam ihm zugute, daß in Südafrika die vom Kulturnationalismus der Buren bewerkstelligte faktische Zweiteilung des gesellschaftlichen Lebens der weißen Bevölkerung entlang sprachlicher Grenzen auch die Wissenschaft umfaßte, neben der Geschichte kaum ein anderes Fach so intensiv wie die Ethnologie. Beide Wissenschaften hatten deswegen so große Bedeutung für die burischen Nationalisten, weil die Geschichte das Selbstbild der Buren von ihrer Nation schuf, während die Ethnologie diesen essentialistischen Nationsbegriff auf die schwarze Bevölkerung übertrug und damit die rassistisch motivierte Politik als wohlwollende Förderung des afrikanischen, tribalen Nationalismus ausgab. Während die englischsprachige Ethnologie Südafrikas in bedeutendem Maß zur Entwicklung der britischen Sozialanthropologie beitrug, weil so wichtige Theoretiker wie Radcliffe-Brown, Monica Wilson oder Isaac Shapira in Südafrika lehrten und ganze Schülergenerationen prägten52, kann man von einer internationalen Wirkung der afrikaanssprachigen Ethnologie kaum sprechen. Das Fach, das sich auf Afrikaans als „Volkekunde“ bezeichnete, brachte während der Jahrzehnte akademischer Tätigkeit keine einzige Monographie hervor, die auf internationale Resonanz gestoßen wäre. Dies war nicht zuletzt auf den Umstand zurückzuführen, daß afrikaanse Ethnologen sich im Gegensatz zu ihren eng50 Vgl. seine Darlegung des Apartheidkonzepts aus dem Jahr 1952, in dem bereits von territorialer Trennung die Rede ist in: Barnard, Jaar, S. 32 ff. Darum legte er großen Wert auf den Aufbau eines Propagandaapparates, um seine Vorstellungen einer zunächst wenig begeisterten weißen Öffentlichkeit schmackhaft zu mach: Bell/Ntsebeza, Business, S. 31 ff. 51 Vgl. Meiring, Eerste, Kap. 7. Vgl. auch Barnard, Jaar, S. 27 f. 52 Vgl. dazu Kuper, Anthropology.

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lischsprachigen Kollegen der Unbill der Feldforschung und dem Kontakt mit Schwarzen weitgehend enthielten, statt dessen um so eifriger politisch im Umfeld des Afrikaner Broederbond agierten. Die Absolventen des Faches gingen in auffallend hohem Maß in die Verwaltung des Apartheidstaates beziehungsweise in das Militär. Viele von ihnen suchten eine Anstellung als persönliche Assistenten des Ministers oder Staatssekretärs, um stärkeren Einfluß auf die Politik und ihre Umsetzung nehmen zu können. Die meisten Regierungsethnologen stammten aus den Kreisen der Poor Whites und hatten seit ihrer frühen Kindheit engen Kontakt zu Afrikanern, was es ihnen erleichterte, die Attitüde von „Experten“ einzunehmen. Dies hatte Auswirkungen auf ihre Konzeptionen, die vom essentialistischen Volksbegriff des burischen Kulturnationalismus ausgingen und dem Erhalt und der Rettung kultureller Traditionen sowie einer biologischen Substanz der Nation einen hohen Stellenwert zuwiesen. So wurde die weiße Armut als Folge einer kulturellen Entwurzelung wahrgenommen und nicht umgekehrt.53 Wissenschaftssoziologisch bildeten die afrikaansen Ethnologen ein eng geknüpftes Netzwerk. Denn ihr gemeinsamer Lehrmeister und gewissermaßen der Gründervater der afrikaansen Ethnologie war der aus einer deutschen Missionarsfamilie stammende Werner Eiselen. Als Schüler des deutschen Ethnologen Diedrich Westermann orientierte er sich eher an der deutschen Tradition des Faches, die kulturgeschichtlich und linguistisch ausgerichtet war, während die englischsprachige Ethnologie sich als Sozialwissenschaft verstand. Eiselen versuchte ähnlich wie Verwoerd, eine doppelte Aufgabe zu lösen: Er wollte die Weißen vor schwarzer Konkurrenz bewahren und gleichzeitig die schwarzen Gesellschaften erhalten.54 Dabei bewegte er sich in einem kulturalistischen Diskurs, der zwar von essentialistischen Kulturbegriffen geprägt, aber nicht rassistisch verengt war.55 Eiselens Person und Verhalten geben nach wie vor Rätsel auf, denn wenn ihm wirklich am Wohlergehen der Afrikaner gelegen war, dann war seine Karriere ein höchst bemerkenswertes Schaustück einer geradezu grandiosen politischen Naivität. Denn es gehörte einiges dazu, zehn Jahre lang (1950–1960) als Staatssekretär unmittelbar an der Formulierung von Verwoerds Politik mitgewirkt zu haben, ohne zu realisieren, worauf diese abzielte. Verwoerd erkannte das politische Potential von Eiselens Kulturbegriff und seine propagandistische Verwertbarkeit, daher beförderte er seinen ehemaligen Kollegen an 28 anderen hohen Beamten vorbei, die in der Rangliste des Ministeriums über Eiselen standen, auf den höchsten Posten direkt unter dem Minister.56

53

Vgl. Coetzee, Armblanke, S. 35 und Gordon, Anthropologists, S. 537. Zur Geschichte der afrikaansen Ethnologie vgl. auch Sharp, Roots sowie ders., Developments. 54 Vgl. Eiselen, Naturellevraagstuk, S. 15 55 Vgl. Eiselen, Separation und ders., Multi-community. Zu Eiselen vgl. HammondTooke, Interpreters, S. 57 ff. und Moodie, Rise, S. 272 ff. Das Amt des Sekretärs entspricht einem Staatssekretär hierzulande. 56 Vgl. Gordon, Anthropologists, S. 539.

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Eiselen bildete als akademischer Lehrer den Nachwuchs heran, der später die Expertenstellen für die Politik gegenüber der schwarzen Bevölkerung besetzen sollte. Seine Schüler standen allesamt deutlich rechts von ihm und transferierten seinen Kulturessentialismus in einen biologisch-rassischen Begründungszusammenhang. Federführend war Eiselens wichtigster Schüler P.J. Coertze, der die eigentliche graue Eminenz der Apartheid-Experten wurde. Während Eiselen seine Ziele gegenüber Verwoerds Absichten nicht durchsetzen konnte, lag Coertze viel eher auf einer Linie mit dem Minister, war öffentlich weniger exponiert als Eiselen, dafür aber längerfristig einflußreicher. Auch wenn er nie direkt politische Funktionen übernahm und somit allenfalls indirekt beteiligt war57, so war Coertzes hinter den Kulissen wirksamer Einfluß immens, insbesondere durch seine systematische Politik, alle Ethnologenstellen an afrikaanssprachigen Universitäten mit seinen eigenen Schülern zu besetzen. Als Professor an der Universität Pretoria befand Coertze sich auch räumlich nahe am Zentrum der Macht. Ähnlich wie H.B. Thom im Bereich der Geschichtswissenschaft58 sorgte Coertze, möglicherweise über die Kanäle des Afrikaner Broederbond, für ein einheitliches ideologisches Erscheinungsbild der afrikaanssprachigen Ethnologie. Coertze hielt an seinen Grundansichten eines Traditionalismus und Essentialismus mit Blick auf die afrikanischen Kulturen über Jahrzehnte fest und konnte aufgrund seiner starken Machtstellung innerhalb der afrikaansen Machtelite zahlreiche seiner Schüler in wichtige Positionen besonders im Bereich der Bantu Education wie auch des weißen Schulsystems bringen, unter anderem waren die ersten Rektoren der BantustanUniversitäten Turfloop und Zululand afrikaanse Ethnologen. Coertze zeigte außerdem keine Berührungsängste gegenüber ausgewiesenen Rechtsradikalen und veröffentlichte eine Broschüre zur „Lösung der Eingeborenenfrage“ gemeinsam mit F.J. Language, einem früheren Aktivisten der rechtsnationalistischen Massenbewegung Ossewabrandwag, die während des Zweiten Weltkriegs erheblichen Zulauf erfahren und faschistische Ordnungsvorstellungen vertreten hatte. Language war als Beamter des Apartheidstaates in der Minenstadt Brakpan, östlich von Johannesburg, durch besonders rücksichtslose bürokratische Vorgehensweisen gegenüber der afrikanischen Bevölkerung aufgefallen.59 Weil er sich auf die Lieferung der wissenschaftlichen Argumente und Versatzstücke beschränkte, sich aus der eigentlichen Politik aber heraushielt, verlief Coertzes wachsende Bedeutung für die Administration gegenläufig zum schwindenden Einfluß einer anderen Gruppe, die John Lazar als ApartheidVisionäre bezeichnet hat. Im systematischen organisatorischen Ausbau der kulturnationalistischen Bewegung des Afrikaaner-Nationalismus hatten die federführenden Intellektuellen des Afrikaner Broederbond und Funktionäre der Nationalen Partei in der unmittelbaren Nachkriegszeit die Gründung eines „think tank“ für die Rassentrennungspolitik in die Wege geleitet. Im South 57 58 59

Vgl. Hammond-Tooke, Interpreters, S. 119 ff. Vgl. Grundlingh, Historians, S. 2. Vgl. Sapire, Stay-Away.

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African Bureau of Racial Affairs (SABRA) waren Intellektuelle vertreten, die eine Konzeption der Apartheid ausarbeiteten, in der sie Rassenlehren, Ethnizitätskonzeptionen und theologische Herleitungen von Rassentrennung zusammenführten. Die Mehrheit der SABRA-Intellektuellen fühlte sich aus einem moralischen Rigorismus heraus hingezogen zu utopischen Entwürfen einer „totalen Apartheid“. Damit ist die Vorstellung gemeint, eine möglichst vollständige ethnische Entflechtung in Südafrika zu erreichen, mit der eine territoriale Neuaufteilung des Landes verbunden sein sollte. Von der später verwirklichten Bantustan-Politik unterschied sich diese Konzeption dadurch, daß eine für alle Seiten gerechte Lösung angestrebt wurde, das heißt die Bantustans sollten ökonomisch lebensfähige Einheiten sein, und die Weißen sollten sich im Gegenzug auf ihre eigenen ökonomischen Kräfte konzentrieren.60 Diesen Kreisen gehörte auch Professor F.R. Tomlinson an, der Vorsitzende der nach ihm benannten Kommission, deren Bericht massive Investitionen in die Bantustans vorschlug, um Afrikanern eine wirkliche Zukunft zu bieten. Die südafrikanische Regierung indes verweigerte sich diesen notwendigen Konsequenzen ihrer eigenen Zielvorgaben. Die Gruppe von Intellektuellen, die als Mitarbeiter von SABRA in den fünfziger Jahren ständig neue Expertisen über den richtigen Weg zur Rassentrennung produzierte61, geriet im Lauf des Jahrzehnts in einen massiven Konflikt mit Hendrik Verwoerd. Denn der Premierminister, der als Politiker stets an den Erhalt seiner Mehrheiten dachte, wollte den weißen Wählern nicht zuviel, insbesondere keine zu hohen Staatsausgaben für die afrikanische Wirtschaft zumuten. Hinter der Fassade einer Entkolonialisierung der südafrikanischen schwarzen „Nationen“ wollte er das Privilegiensystem der Weißen aufrechterhalten. Darum lehnte er die vorgeschlagenen Investitionen ab, denn er strebte keineswegs die wirtschaftliche Selbständigkeit der Bantustans an, sondern sah in ihnen primär Reservoirs billiger Arbeitskräfte.62 Statt dessen schwebte ihm eine Dislozierung der südafrikanischen Industrie als Universallösung vor, indem Unternehmer über Steueranreize veranlaßt werden sollten, ihre Produktionsstätten zwar im weißen Südafrika, aber in unmittelbarer Nähe der Homelands einzurichten, so daß die Homeland-Bewohner sich gar nicht erst dauerhaft in Südafrika niederlassen, sondern als Pendler zu ihren Arbeitsstätten reisen sollten.6 Die Unternehmen sollten somit weiterhin im weißen Südafrika Steuern zahlen, und die Bantustans ökonomisch, politisch und strategisch im Bannkreis der Macht Pretorias bleiben. Diese Politik scheiterte indes an der unzureichenden Infrastruktur in der Nähe der Homelands, die die meisten Unternehmer davon Abstand nehmen ließ, den Wünschen der Regierung Folge zu leisten.64 60

Vgl. Lazar, Role und ders., Verwoerd. Vgl. zu den Beiträgen der Wissenschaftler Norval, Discourse, Kap. 3. 62 Vgl. Evans, Bureaucracy, S. 242. Die Tomlinson-Kommission ihrerseits wiederholte die zentralen Vorstellungen von SABRA, vgl. Gordon, Anthropologists, S. 546. 63 Vgl. Horrel, Homelands, S. 101 ff. 64 Erst nach Verwoerds Tod wurden die Restriktionen für Investitionen von Weißen in den Bantustans selbst gelockert, vgl. Stultz, Loaf, S. 91, für die Ciskei Switzer, Power, S. 329. 61

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Andere Intellektuelle äußerten sich ähnlich wie die SABRA-Vertreter, betonten aber die eugenische Seite stärker, waren darum mehr am Erhalt einer rassisch-biologischen Substanz der Buren interessiert als am Wohlergehen der schwarzen Bevölkerung. Dies gilt namentlich für den Soziologen Geoffrey Cronjé von der Universität Pretoria, der mit einer Reihe einflußreicher Publikationen eine pseudowissenschaftliche Fundierung der Rassentrennungspolitik zu liefern hoffte.65 Cronjé verfügte als Funktionär der rechtsextremen Ossewabrandwag, die während des Krieges die gefährlichste Konkurrenz zur Nationalen Partei gewesen war, zwar über keinen besonders großen persönlichen Einfluß, konnte seine Thesen aber in Veranstaltungen des Broederbond vortragen, während seine Bücher in der afrikaansen Öffentlichkeit große Resonanz fanden.66 Verwoerd als der für die Rassentrennungspolitik verantwortliche Minister benutzte diesen Soziologen ebenso wie die Utopisten von SABRA als Stichwortgeber und Lieferanten von Legitimationsmustern, hielt ihn aber von der Gestaltung der Rassentrennungspolitik fern. Die Politiker der National Party (NP) hatten aufgrund ihrer schwachen Mehrheit im Parlament in den Anfangsjahren der Apartheid auf die in SABRA organisierten Intellektuellen Rücksicht nehmen müssen, weshalb die Organisation in den frühen fünfziger Jahren durchaus noch beträchtlichen Einfluß ausüben konnte. SABRA war aufgrund seiner geschickten Präsentation einer Politik der Rassentrennung als Erhaltung traditioneller Kulturen attraktiv für all diejenigen, die den Anschein der Respektabilität ihrer Politik wünschten. Die Mitgliederzahlen belegen dies, da SABRA 1956 mehr als 3000 Mitglieder und mehr als 200 angeschlossene Organisationen zählte. Sobald die Partei fest im Sattel saß und sich die intellektuelle Szenerie diversifiziert hatte, konnte sie auf die enge Kooperation mit SABRA verzichten. Verwoerd erzwang eine Säuberung der Institution von denjenigen, die ihn allzu lautstark kritisiert hatten. Den Staatsrechter L.J. du Plessis, in den Jahren zuvor der Chefideologe der Ossewabrandwag und einer der führenden Apartheid-Utopisten, der aus einem calvinistischen Rigorismus heraus argumentierte, ließ er sogar aus der NP ausschließen.67 SABRA unterbreitete in den folgenden Jahren immer wieder neue Vorschläge und versuchte eine Fortent65 Vgl. Cronjé, Tuiste, ders., Afrika, ders., Rasseapartheid und ders., Voogdyskap. Zu Cronjé als rassistischem Ideologen vgl. Coetzee, Mind; zu Cronjés Rolle im Rechtsextremismus vgl. Marx, Ochsenwagen, S. 461 ff. Zu den Popularisierern der Apartheid in Südafrika selbst gehörte in den sechziger Jahren der Schüler Cronjés, N.J. Rhoodie, vgl. Rhoodie, Apartheid. Rassentheoretiker hatten einen eher geringen Einfluß auf die Formulierung der Apartheidpolitik. Vgl. dazu den Überblick von Dubow, Racism, S. 246 ff. 66 Vgl. Giliomee, Afrikaners, S. 471 spielt seinen Einfluß, wie auch den der Ossewabrandwag und des Broederbond, über Gebühr herab, offenbar in der Absicht, den burischen Nationalismus und die Apartheid als keineswegs exzeptionelle Erscheinungen zu präsentieren. Dagegen sprechen nicht nur die von Furlong vorgebrachten Belege, sondern auch die Tatsache, daß Cronjé in den fünfziger Jahren der oberste Zensor Südafrikas wurde. Vgl. Furlong, Crown, S. 225 ff. 67 Zu du Plessis vgl. Marx, Ochsenwagen, S. 456 ff., Potgieter, L.J. du Plessis und du Plessis, Apartheid.

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wicklung der Apartheid zu initiieren, etwa in Richtung eines „Homeland“ für die Coloureds, vermochte aber nie direkten Einfluß auf die Politik zu nehmen. Die von den Ethnologen gefundene Formel von grundlegenden Differenzen zwischen den schwarzen Bevölkerungsgruppen, die sich die Politiker zu eigen machten, überdeckte geschickt den rassistischen Grundkonsens in weiten Teilen der weißen Bevölkerung, indem sie der Rassentrennungspolitik den Anschein der wissenschaftlichen Begründbarkeit gab. Der Vorsitzende der Bantu Affairs Commission faßte diese Legitimationsideologie im Jahr 1968 kurz, knapp und in erfreulicher Offenheit in die Worte: „The Government does not view all Bantu as one single people, but the Bantu are in fact divided by language, culture and tradition into several peoples or nations […] Fortunately for each of these people or nations, history [!] left to them within the borders of the present Republic large tracts of land which serve as their homelands. The Government’s policy is, therefore, not a racial policy based on the colour of the skin of the inhabitants of the Republic, but a policy based on the reality and the fact that within the borders of the Republic there are found the White nation and several Bantu nations. The Government’s policy is, therefore, not a policy of discrimination on the ground of race or colour, but a policy of differentiation on the ground of nationhood of different nations, granting to each selfdetermination within the borders of their homelands – hence this policy of separate development.“68 PLANUNG UND DURCHFÜHRUNG DER UMSIEDLUNGEN Die Umsiedlung war die logische Folge des essentialistischen Ethnizitätsbegriffs, dem die afrikaanse Ethnologie die höheren wissenschaftlichen Weihen verliehen hatte. Wie sah es nun mit der Umsetzung in praktische Maßnahmen aus? Die Nationale Partei war stets bemüht, ihrer Politik den Anschein einer klaren Systematik zu verleihen, doch für die Betroffenen waren Ziele und Absichten keineswegs so offensichtlich und – dies läßt die Durchführung der Politik erkennen – für die Betreiber der Politik, die ausführenden Organe des Staates, ebenfalls nicht. Im Alltag stellte sich dieses System als eines der Willkür und der Unberechenbarkeit dar. Den betroffenen Menschen blieb zwar nicht verborgen, daß es sich um Resultate einer zentral konzipierten Politik handelte und daß die Verantwortlichen dafür in Pretoria saßen, doch wie die Politik genau realisiert wurde, nach welchen Kriterien welche Gruppe von Menschen wann ausgewählt wurde, war für die Betroffenen unmöglich nachzuvollziehen und ist bislang auch kaum erforscht worden. Eine klare Systematik des Vorgehens, etwa räumlich oder zeitlich als Rhythmus unfehlbar aufeinanderfolgender Behördenmaßnahmen, die auf eine zentrale Planung und Durchführung schließen ließen, läßt sich aus den vielen Beobachtungen und gesammelten Daten nicht ableiten. 68

Zit. nach Platzky/Walker, Surplus People, S. 114.

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Den Forschern vom Surplus People Project ist es zwar gelungen, verschiedene Stadien des staatlichen Handelns herauszuarbeiten, sie unterstreichen aber, daß dies noch keine Berechenbarkeit impliziere, weil häufig die Aktionen nach dem ersten Schritt bereits eingestellt worden oder zwischen verschiedenen Stadien ganz unterschiedlich viel Zeit verstrichen sei.69 Es begann meist mit vagen, aber offenbar absichtsvoll gestreuten Gerüchten über bevorstehende Umsiedlungsaktionen. In einem zweiten Schritt erschienen Behördenvertreter und informierten die Bewohner über die staatlichen Intentionen; aber selbst dies geschah nicht immer, so daß zuweilen völlig ahnungslose und unvorbereitete Gemeinschaften umgesiedelt wurden. Zuweilen wurden Delegationen der Bewohner vorab in ihre angeblich neuen Siedlungsgebiete gefahren, wobei sie oft getäuscht wurden, indem man ihnen, um ihren Widerstand zu brechen, ganz anderes Land zeigte als das, wohin sie dann tatsächlich gebracht wurden.70 Dann wurden die Häuser mit Zahlen als zum Abbruch freigegeben markiert, in einem nächsten Schritt mußten die Menschen ihr Hab und Gut auf LKW verladen und wurden an ihre neuen Wohnorte transportiert, oft unter der einschüchternden Präsenz schwer bewaffneter Polizisten oder sogar Soldaten. Doch ist dies ein idealtypischer Ablauf, nicht zuletzt deswegen, weil die betroffenen Menschen ganz unterschiedlich auf die Maßnahmen der Behörden reagierten, was diese oft zu einer Änderung ihres Vorgehens veranlaßte. Dies wiederum erhöhte die Unberechenbarkeit, denn wenn es zu Widerstand kam, trat in vielen Fällen Polizei oder Militär in Aktion, während manchmal auch die gesamte Aktion von den Behörden eingestellt wurde. In einem Fall wurde eine Siedlung im Jahr 1970 enteignet, aber erst 1978 begann die Umsiedlung.71 Das erratische und nicht zentral koordinierte Vorgehen der Behörden hatte seinen Grund darin, daß der südafrikanische Staatsapparat eher bürokratisch diffus als zentralisiert organisiert war, was sich an der Zerspaltung und Aufsplitterung der Behörden illustrieren läßt. So hatte Südafrika in den späten achtziger Jahren, die Bantustans eingerechnet, über 18 verschiedene Departments und 15 Minister, die das Bildungswesen verwalteten.72 Häufig stimmten Ziele und Mittel nicht überein, die Politik war schlicht unrealistisch und ihre Umsetzung verzettelte sich darum in einem planlosen Aktivismus. Die klar formulierten abstrakten Vorstellungen ließen sich nicht ohne weiteres realisieren73, so daß das Ergebnis ein relativ willkürliches Vorgehen der Behörden war, wobei die Initiative von einzelnen Beamten vor Ort ausging. Die Untersuchungen der Wahrheits- und Versöhnungskommission, die im Rahmen des demokratischen Neuanfangs nach 1994 die Verbrechen der Apartheidzeit untersuchen sollte, haben in bezug auf die Arbeit der Polizei belegt, wie viel von der Initiative einzelner abhing. 69 70 71 72 73

Vgl. ebd., S. 132 ff. Vgl. ebd., S. 168 f. Vgl. ebd., S. 136. Vgl. Omond, Handbook, S. 77 Beispiele bei Unterhalter, Removals, S. 88.

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Entgegen einem während der Apartheid gerade im Ausland verbreiteten Bild war der südafrikanische Staat alles andere als ein monolithischer Block, er war kein zentralisierter Kommandostaat, obwohl die Regierung sich permanent um die Schaffung eines solchen bemühte. Ebenso können Behördenschlendrian und Korruption nicht allein für die erratische Umsetzung der Politik verantwortlich gemacht werden, sondern verschiedene Institutionen des Staates verfolgten unterschiedliche, zuweilen sogar einander widersprechende Ziele und Absichten. Die Umsetzung der Politik war nicht nur stark von lokalen Machtkonstellationen abhängig, sondern auch von Machtkämpfen innerhalb der Regierungspartei, von differierenden Zielsetzungen und Traditionen verschiedener staatlicher Organe sowie der Interessenlage der Wählerschaft der Nationalen Partei.74 Gerade die Homelandpolitik stieß bei Teilen der weißen Farmerschaft auf erbitterten Widerstand, da sie in traditionellen Vorstellungen von weißer Herrschaft befangen waren und die Fernziele dieser Politik nicht durchschauten.75 Außerdem war die Apartheid anfangs schwer durchsetzbar wegen der traditionell starken, nicht zuletzt auf einer eigenen finanziellen Grundlage aufruhenden Autonomie der Gemeinden und Städte, von denen sich einige gegen die Umsetzung der Rassentrennungspolitik zur Wehr setzten, im Fall von Kapstadt und Uitenhage sogar über lange Zeit erfolgreich.76 Innerhalb solcher Strukturen war keine einheitliche, von oben gesteuerte Politik möglich.77 Sie blieb aber über lange Zeit eines der wesentlichen Ziele der Nationalen Partei, so daß sie sich nach Kräften um eine stärkere Zentralisierung des südafrikanischen Staatswesens bemühte, etwa durch eine Schwächung der finanziellen Autonomie der Gemeinden, womit sie im Verlauf der Jahrzehnte einigen Erfolg hatte.78 Mit der Ernennung Verwoerds zum Minister of Native Affairs im Jahr 1950 begann sein Ministerium alle Kompetenzen an sich zu ziehen, die die Politik für die schwarze Mehrheit betrafen. Später, als Verwoerd und seine Anhänger fest im Sattel saßen, kam es zu sekundären Ausdifferenzierungen, das heißt ständigen Neugründungen von Behörden aus dem Bereich des Department of Native Affairs heraus. So entstand ein bürokratischer Wasserkopf mit allen Folgeerscheinungen von bürokratischem Leerlauf und Ineffizienz79, für die Gruppe um Verwoerd jedoch eine wichtige Machtressource für den Aufbau von Patronagenetzen innerhalb von Partei und Staatsapparat. Zur Bündelung 74

Vgl. dazu O’Meara, Years, bes. S. 115 ff., S. 135 ff passim. Vgl. Kenny, Architect, S. 215. 76 Zu Kapstadt vgl. Todes/Watson, Government, S. 194 und Honikman, Shadow, passim. Zu Uitenhage vgl. Adler, Trying. 77 Vgl. die detaillierte Analyse von Evans, Bureaucracy, S. 117 f. 78 Vgl. Todes/Watson, Government, S. 199 ff. 79 Vgl. zum Beispiel Honikman, Shadow, S. 141 f. und Lang, Development, S. 65 ff. Lang führt das „Versagen“ des Department im wesentlichen auf ethnozentrische Arroganz, Unverständnis und falsche Implementierung von Programmen zurück. Dieser Ansatz ist problematisch, da er suggeriert, die Apartheid sei durch größere bürokratische Effizienz, Lernfähigkeit und Kontrolle von außen durchaus realisierbar gewesen. 75

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Christoph Marx

der Macht trug nicht zuletzt eine Reihe von Gesetzen bei, durch die die Townships aus dem Verwaltungsbereich der Stadtverwaltungen ausgegliedert und dem Native Affairs Department zugewiesen wurden. Nur so wurde es etwa möglich, staatliche Direktiven in einer Millionenstadt wie Soweto umzusetzen, da die Administratoren der Stadt Johannesburg, unter deren Verwaltung die Vorstadt Soweto bis 1971 gestanden hatte, so weit ihnen dies möglich war, ihre eigene Politik betrieben hatten.80 Diese Politik der Zentralisierung wurde nach dem Soweto-Aufstand 1976 teilweise abgelöst durch eine Dezentralisierung, womit der Staat auf eine immer stärker politisierte, außerparlamentarische Opposition reagierte, die seit 1983 von der United Democratic Front, der Gewerkschaftsbewegung und den Kirchen angeführt und koordiniert wurde. Da die Regierung von P.W. Botha (1978–1989) eine den Franzosen in Algerien abgeschaute Politik der „totalen Strategie“ verfolgte, die über Reformen von oben die „hearts and minds“ der Menschen gewinnen sollte, gleichzeitig aber das Repressionspotential aufrechterhielt, mußte sie, um glaubwürdig zu sein, die tatsächlichen Repressionen auf andere Organe abwälzen.81 Die zentrale Kontrolle wurde als Anspruch aufrechterhalten, aber „unsichtbar“ gemacht in Strukturen wie dem „National Security Management System“, einer vom Militär dominierten Parallelverwaltung.82 Die Repression selbst delegierte die Regierung an die Bantustanführungen und an die neuen schwarzen Stadträte in den Townships.83 Daneben wurden zielgerichtet Vigilanten-Gruppen und Privatarmeen schwarzer Politiker wie diejenige des Chiefs Buthelezi aufgebaut oder unterstützt84, ebenso wie der Polizei- und Militärapparat klandestine Strukturen wie Todesschwadrone absonderte, deren wirkliche Beziehungen zur Staatsspitze vernebelt wurden und auch von der Wahrheitskommission nicht restlos aufgeklärt werden konnten.85 Aufgrund dieser Dezentralisierung der Repression ließ sich auch die zentrale Konzentration und Koordinierung der Bürokratie nicht erreichen, wie sie zur Durchsetzung von Umsiedlungen im Sinn des weißen Nationalismus notwendig gewesen wäre. Just zu der Zeit, als die Stadtverwaltungen weitgehend entmachtet waren und der polizeiliche Repressionsapparat Mitte der siebziger Jahre unter zentraler Kontrolle des Bureau of State Security (BOSS) stand, begann nach dem Amtsantritt von Premierminister Botha die Dezentralisierung. Nun überließ die Regierung, um die eigenen guten Absichten nicht in Zweifel ziehen zu lassen, viele repressive Maßnahmen der Eigeninitiative mittlerer und unterer Verwaltungsebenen, wobei häufig private Interessen, ideologische Vorlieben oder rassistischer Sadismus handlungsentscheidend 80

Vgl. dazu auch Evans, Bureaucracy, S. 100 ff. Vgl. Ellis, Significance, S. 274 ff. 82 Vgl. Seegers, Security. 83 Vgl. Unterhalter, Removals, S. 72 f. 84 Vgl. Maré/Hamilton, Appetite, S. 198 ff. 85 Vgl. Coleman, Crime, Bell/Ntsebeza, Business, Laurence, Squads, De Kock, Damage und Pauw, Heart. 81

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wurden.86 Aus diesen nie gelösten Strukturproblemen des südafrikanischen Staates resultierte die spezifische Unberechenbarkeit und scheinbare Planlosigkeit der Umsiedlungspolitik. So war trotz aller Suggestivität der programmatischen Klarheit und ungeachtet eindeutiger Zielvorstellungen die Umsetzung der Apartheid deswegen illusorisch, weil sie von falschen Grundannahmen ausging und so widersprüchlich war, daß sie nicht funktionieren konnte. Verwoerds Politik zeigt sehr deutlich, daß er, ausgehend von seinen eigenen frühen Einsichten als Psychologe, eine Überwindung der Widersprüche nur im Bereich der propagandistischen Aufbereitung der Apartheid sah. Die Apartheid mußte scheitern, weil diese Politik ihre eigenen legitimatorischen Defizite aufgrund des ihr immanenten „double bind“ ständig verstärkte und darum bei der schwarzen Bevölkerung niemals mehrheitsfähig werden konnte.

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Vgl. dazu Cohen, Endspiel, S. 97 ff.

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DIE AUTORINNEN UND AUTOREN Prof. Dr. Jörg Barberowski ist Professor für Osteuropäische Geschichte an der Humboldt-Universität Berlin. Er veröffentlichte u.a. Der Feind ist überall. Stalinismus im Kaukasus, München 2003. Der Sinn der Geschichte. Geschichtstheorien von Hegel bis Foucault, München 2005. Dr. Christoph Dieckmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Seminar der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Er promovierte dort 2003 mit der Arbeit Deutsche Besatzungspolitik und Massenverbrechen in Litauen, 1941-44. Täter, Zuschauer, Opfer. Dr. Michael Esch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centre Marc Bloch, Berlin. Er veröffentlichte u.a. „Gesunde Verhältnisse“. Deutsche und polnische Bevölkerungspolitik in Ostmitteleuropa 1939–1950, Marburg 1998. Dr. Isabel Heinemann ist wissenschaftliche Assistentin am Historischen Seminar der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Sie veröffentlichte u.a. „Rasse, Siedlung, deutsches Blut“. Das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS und die rassenpolitische Neuordnung Europas, Göttingen 2003. Dr. Uwe Mai ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Edition „Willy Brandt – Berliner Ausgabe“ der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung. Er veröffentlichte u.a. „Rasse und Raum“. Agrarpolitik, Sozial- und Raumplanung im NS-Staat, Paderborn 2002. Prof. Dr. Christoph Marx ist Professor für Außereuropäische Geschichte an der Universität Duisburg-Essen. Er veröffentlichte u.a. Geschichte Afrikas. Von 1800 bis zur Gegenwart, Paderborn u.a. 2004. Im Zeichen des Ochsenwagens. Der radikale Afrikaaner-Nationalismus in Südafrika und die Geschichte der Ossewabrandwag, Münster u. Hamburg 1998 (Studien zur Afrikanischen Geschichte, 22). PD Dr. Gabriele Metzler ist Privatdozentin an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Sie veröffentlichte u.a. Der deutsche Sozialstaat. Vom Bismarckschen Erfolgsmodell zum Pflegefall, Stuttgart u. München 2003. Konzeptionen politischen Handelns von Adenauer bis Brandt. Politische Planung in der pluralistischen Gesellschaft, Paderborn 2005. PD Dr. Dirk van Laak ist Oberassistent am Historischen Institut der FriedrichSchiller-Universität Jena. Er veröffentlichte u.a. Imperiale Infrastruktur. Deut-

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Die Autorinnen und Autoren

sche Planungen für eine Erschließung Afrikas, 1880–1960, Paderborn 2004. Weiße Elefanten. Anspruch und Scheitern technischer Großprojekte im 20. Jahrhundert, Stuttgart 1999. PD Dr. Patrick Wagner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Seminar der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Er veröffentlichte u.a. Bauern, Junker und Beamte. Der Wandel lokaler Herrschaft und Partizipation im Ostelbien des 19. Jahrhunderts, Göttingen 2005. Volksgemeinschaft ohne Verbrecher. Konzeptionen und Praxis der Kriminalpolizei in der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus, Hamburg 1996.