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German Pages 708 [710] Year 2012
Günter Nagel Wissenschaft für den Krieg
PALLAS ATHENE -----------------------Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte Herausgegeben von Rüdiger vom Bruch und Lorenz Friedrich Beck Band 43
Günter Nagel
Wissenschaft für den Krieg Die geheimen Arbeiten der Abteilung Forschung des Heereswaffenamtes
Franz Steiner Verlag Stuttgart 2012
Umschlagabbildung: Erich Schumann als Ministerialdirigent in der Uniform eines Generalmajors (Sammlung Nagel)
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-515-10173-8 Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen. © 2012 Franz Steiner Verlag, Stuttgart Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Druck: AZ Druck und Datentechnik, Kempten Printed in Germany
INHALTSVERZEICHNIS EINFÜHRUNG – BETONRÄTSEL IN DER HEIDE .......................................... 9 I.
ORGANISATION ......................................................................................... 19 1. 2.
3. 4.
5. 6.
Die Entstehung der Forschungsabteilung des Heereswaffenamtes (WaF) und ihrer Versuchsstellen in Kummersdorf ........................................... 19 Struktur, personelle Besetzung und Außenbeziehungen von WaF ........ 38 Struktur und Personal ......................................................................... 38 Zusammenarbeit mit anderen militärischen Stellen ........................... 49 Zusammenarbeit mit zivilen Forschungseinrichtungen ...................... 51 Vergabe von Forschungsaufträgen ..................................................... 58 Kriegswirtschaftsstelle und Reichsamt für Wirtschaftsaufbau ........... 60 Das II. Physikalische Institut der Berliner Universität ........................... 64 Die Abteilung Wissenschaft im OKW ................................................... 77 Aufgaben und Gliederung .................................................................. 78 Das Institut für Deutsche Ostarbeit .................................................... 89 Die Schlösser Zandt und Miltach ....................................................... 95 Die wissenschaftliche Häftlingsgruppe in Krakau ............................. 96 Die Forschungsstelle Babelsberg ....................................................... 99 Zusammenarbeit mit Himmlers SS ...................................................... 101 Die Studentenkompanie ....................................................................... 116
II. EXPERIMENTE ......................................................................................... 133 7.
8. 9.
Explosion/Detonation ........................................................................... 133 Sprengstoffphysik ............................................................................. 135 Sprengstoffchemie ............................................................................ 143 Hohlladung ........................................................................................... 149 Kernphysik ........................................................................................... 162 Einbeziehung von Wissenschaftlern ................................................. 168 Zusammenarbeit mit Industrie und staatlichen Stellen ..................... 176 Kontakte mit anderen Institutionen .................................................. 184 Der scheinbare Ausstieg des HWA aus der Kernforschung ............. 189 Ein vierter Großversuch in Vers. Gottow? ....................................... 193 Sprengstoffphysik und Kernfusion ................................................... 195 Die SS drängt in die Kernforschung ................................................. 204 Letzte Kernaktivitäten ...................................................................... 209
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Inhaltsverzeichnis
10. Ballistik und Leichtgeschütz ................................................................ 213 Innenballistik .................................................................................... 216 Zwischenballistik .............................................................................. 219 Außenballistik ................................................................................... 220 Leichtgeschütz .................................................................................. 224 11. Raketen ................................................................................................ 228 Treibstoffe ........................................................................................ 234 Raketenballistik ................................................................................ 239 Materialtechnische Untersuchungen ................................................ 244 12. Trommsdorff-Geschoss ........................................................................ 245 13. Aurol und andere Sondertreibstoffe ..................................................... 258 14. Ultrarot und Sichtweitenforschung ...................................................... 272 15. N-Stoff und Seewerk Falkenhagen ...................................................... 295 16. Biologische Waffen ............................................................................. 313 17. Nachrichtentechnik .............................................................................. 335 Hochfrequenztechnik ....................................................................... 338 Fernsteuerung ................................................................................... 341 Suche nach Ersatzstoffen ................................................................. 345 Zünder .............................................................................................. 349 Kurzzeitbatterien .............................................................................. 351 18. Forschungsstelle Lebus und Schloss Kranzbach ................................. 352 Forschungsstelle Lebus .................................................................... 352 Schloss Kranzbach und die elektrische Kanone ............................... 364 19. Aktenzeichen ungelöst ......................................................................... 373 Kampfstoffe ...................................................................................... 373 Biochemie/Medizin .......................................................................... 380 Akustik ............................................................................................. 385 Flak-Kommandogerät ...................................................................... 390 Flammenöle ...................................................................................... 390 Panzerkühlkammer ........................................................................... 391 Weitere Themen ............................................................................... 392 III. SCHICKSALE ............................................................................................ 393 20. Das Ende der Forschungsabteilung und ihrer Versuchsstellen ........... 21. Nachkriegsjahre, Nachkriegskarrieren ................................................ Sowjetische Besatzungszone/DDR .................................................. Westzonen/BRD ............................................................................... 22. Professor Dr. Erich Schumann – eine biographische Skizze ............... Aufstieg und Ämter .......................................................................... Ein überzeugter Nationalsozialist? ................................................... Wehrwissenschaftliche Leistung ...................................................... Komponist und Musikwissenschaftler ............................................. Kriegsende und Prozesse .................................................................. Leben in der Bundesrepublik Deutschland ......................................
393 411 412 429 452 455 470 476 481 487 496
Inhaltsverzeichnis
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DANK ................................................................................................................ 505 ABKÜRZUNGEN ............................................................................................. 507 GLOSSAR ......................................................................................................... 511 ARCHIVE UND AUSGEWÄHLTE LITERATUR .......................................... 527 Archive .......................................................................................................... Benutzte Archive ................................................................................... Auskünfte .............................................................................................. Ausgewählte Literatur ................................................................................... Monographien und Aufsätze ................................................................. Biographische Nachschlagewerke .........................................................
527 527 527 528 528 534
PERSONENREGISTER .................................................................................... 535 ANHANG .......................................................................................................... 549 I.
Wer war wer in OKW W Wiss, WaF und am II. Physikalischen Institut? ................................................................................................ II. Geheimdissertationen am II. Physikalischen Institut ........................... III. Wissenschaftler an Universitäten und technischen Hochschulen, die Forschungsaufgaben für WaF bearbeiteten ................................... IV. Österreichische Wissenschaftler, die für WaF bzw. OKW AWA/ W Wiss tätig waren .............................................................................. V. Forschungsbeirat des Heereswaffenamtes ........................................... VI. Studentenkompanie .............................................................................. VII. Denkschrift zur Gründung eines Reichsinstituts für naturwissenschaftlich-technische Berichterstattung und für das Auskunftswesen beim Reichsforschungsrat, 1943 ........................................................... VIII. Strukturschemata: Stellung und Struktur OKW W Wiss (Anfang 1944) ..................... Stellung und Struktur WaF (Frühjahr 1944) ................................... Struktur des deutschen Uranprojektes (bis Februar 1942) ..............
549 559 571 576 578 582
587 589 590 591
ABBILDUNGEN ............................................................................................... 593 Dokumente .................................................................................................... 593 Fotografien und Zeichnungen ....................................................................... 656
EINFÜHRUNG – BETONRÄTSEL IN DER HEIDE Südlich von Berlin, etwa auf halbem Wege zwischen Zossen und Luckenwalde, liegt das Gelände der ehemaligen „Heeresversuchsstelle Kummersdorf“ – eine Einrichtung des Heereswaffenamtes, die bis 1945 bestand. Begonnen hat hier die militärische Nutzung kurz nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71. Damals erwies sich der in Tegel bei Berlin befindliche Schießplatz der Artillerieprüfungskommission als zu klein. Er entsprach nicht mehr den gestiegenen Ansprüchen zur Entwicklung moderner, leistungsfähiger Waffen. Das Preußische Kriegsministerium fasste daher den Beschluss zur Verlegung in den weiträumigen Kummersdorfer Forst. Schon 1880 donnerte in den bislang stillen, abgeschiedenen Wäldern die erste Versuchsbatterie. Seit diesem Zeitpunkt wurde der neue Artillerieschießplatz ständig ausgebaut, erweitert und für die vielfältigsten waffentechnischen Zwecke genutzt. Zuerst war es das kaiserliche Heer, das hier seine Geschütze, Kanonen, Minenwerfer und Infanteriewaffen erprobte, mit denen es in den Ersten Weltkrieg zog. Nach der deutschen Niederlage und dem Friedensvertrag von Versailles diente das Kummersdorfer Versuchsgelände als großer Schrottplatz, auf dem nun die Deutschland verbotenen schweren Waffen, anderes militärisches Gerät und diverse Ausrüstungen zerlegt oder zerstört wurden. Schon wenige Jahre nach dem Krieg übte auf dem Platz die Reichswehr erneut das militärische Handwerk und betrieb ihre geheimen Rüstungsprojekte. Die ab 1933 entstehende Wehrmacht fand in Kummersdorf beste Voraussetzungen vor, um die ihr von der Hitler-Regierung gestellten Aufgaben zu erfüllen. Der Diktator ließ es sich nicht nehmen, bereits am 21. September 1933 mit großem Gefolge das Versuchsareal zu inspizieren. Danach floss Geld – viel Geld! Das Oberkommando des Heeres kaufte zusätzlich Flächen im Kummersdorfer Forst, investierte in neue Gebäude sowie Anlagen und dehnte den Versuchsbetrieb qualitativ und quantitativ in bisher nie gekanntem Ausmaß aus. Zuletzt war zwischen den Dörfern Kummersdorf-Gut, Sperenberg, Kummersdorf-Alexanderdorf, Wiesenhagen, Schöneweide und Gottow auf einer Fläche von ca. 8 x 12 km fast alles versammelt, was für die waffentechnische Forschung und Entwicklung des Heeres benötigt wurde. Nach dem Kriegsende richtete die Rote Armee in Kummersdorf eine starke Garnison ein. Bei Sperenberg erbaute sie, in Ost-West-Richtung, die Start- und Landebahnen eines Flugplatzes, dessen Nähe zum Hauptquartier des Sowjetischen Oberkommandos in Wünsdorf unübersehbar auf dessen Bestimmung hinwies. Nach dem Abzug der russischen Truppen (1994) erfolgte keine militärische Nutzung des Kummersdorfer Geländes mehr. Heute hat sich die Natur große Teile der weitgehend brachliegenden Fläche zurück erobert. Schüttere Kiefernbestände wechseln mit Heidekraut, Lichtungen, Sandflächen, sumpfigen Biotopen oder vereinzelten Laubgehölzen. Dazwischen befinden sich ehemalige Kasernen, Lagerhallen für Militärtechnik, Reste von Schießbahnen und Prüfständen, von Betonzielen, Be-
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Einführung – Betonrätsel in der Heide
tonbunkern, Fundamenten, verfallenen Unterständen und anderen ehemaligen militärischen Einrichtungen. Von vielen dieser Hinterlassenschaften ist gut bekannt, wozu sie dienten und was da passierte. Zu danken ist das vor allem den engagierten Angehörigen der „Bürgervereinigung Kummersdorf-Gut e. V.“, die nach dem Abzug der russischen Streitkräfte eine sehenswerte historische Ausstellung geschaffen haben und beharrlich an deren Vervollkommnung arbeiten. Dazu kommen zwei reich illustrierte Bände des Militärhistorikers Wolfgang Fleischer, der bereits zu DDR-Zeiten einen mehrteiligen Aufsatz über die frühere Heeresversuchsstelle publiziert hatte.1 Doch zahlreiche Betonklötze bewahren immer noch ihre Geheimnisse: Dicht an der Ostgrenze des Terrains, nahe beim Dorf Kummersdorf-Gut, stößt man auf eine Ansammlung mehrerer, sehr eigenwillig aussehender Ruinen. Im angrenzenden Kiefernwald befinden sich weitere kleinere Anlagen, über deren Zweckbestimmung nur gerätselt werden kann. Man weiß lediglich, dass es sich um die Reste der früheren „Versuchsstelle Ost“ handelt. Knapp zwei Kilometer weiter westlich liegen die Prüfstände einer anderen Versuchseinrichtung, die nach ihrem geographischen Standort „Versuchsstelle West“ hieß. Sie entstand 1931/32. Zuerst diente sie für Experimente zur Entwicklung von Pulverraketen, die auf der Basis von Schwarzpulver und anderer fester Treibstoffe beruhten. Ab Ende 1932 begann in der „Vers. West“ die Grundlagenforschung zur Schaffung von Flüssigkeitsraketen. In diese streng geheimen Arbeiten wurde von Anfang an der junge, talentierte Wernher von Braun einbezogen. Er führte hier die Testreihen für seine 1934 vollendete Doktorarbeit „Konstruktive, theoretische und experimentelle Beiträge zu dem Problem der Flüssigkeitsrakete“ durch.2 Vers. West kann zu Recht als eine der Wurzeln für den bald danach entstandenen, gewaltigen militärischen Raketenkomplex Peenemünde angesehen werden, der unlösbar mit dem berühmten Namen von Braun verknüpft ist. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass über die früheren Ereignisse in der Vers. West oft berichtet wurde und wird. Allerdings – so muss kritisch angemerkt werden – bleibt in den einschlägigen Veröffentlichungen vieles offen. Beispielsweise wird die Frage, welche Forschungen zur Raketentechnik nach dem Umzug des Teams Wernher von Brauns an die Ostsee in Kummersdorf weiter durchgeführt wurden, nicht ausreichend beantwortet.3 Während die Überreste der Vers. West bereits vie1
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Fleischer: Die Heeresversuchsstelle Kummersdorf; Derselbe, Willi Klär: Heeresversuchsstelle Kummersdorf. Erprobungsfeld für Bewaffnung und Ausrüstung der Streitkräfte des deutschen militärischen Imperialismus, in: Visier 2/1988 (26–27), 4 (26–27), 6 (28–29), 8 (26– 27), 11 (26–27), 12 (26–27). Wernher von Braun: Konstruktive theoretische und experimentelle Beiträge zu dem Problem der Füssigkeitsrakete, Dissertation, Universität Berlin 1934, AHUB, Phil. Fak. 759, veröffentlicht als Sonderheft 1 1960 der Raketentechnik und Raumfahrtforschung. Vgl. u. a. Neufeld: Die Rakete und das Reich; Jürgen Michels: Peenemünde und seine Erben in Ost und West. Entwicklung und Wege deutscher Geheimwaffen, Koblenz 1997; Volkhard Bode, Gerhard Kaiser: Raketenspuren Peenemünde 1936–2000. Eine historische Reportage, Berlin 2000.
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les von ihrem früheren Leben preisgegeben haben, schweigt ein anderes Trümmerfeld vorerst noch beharrlich. Es ist die ehemalige Versuchsstelle Gottow, gelegen am westlichen Rand der Heeresversuchsstelle Kummersdorf. Hier prägen auf gut einem Kilometer zwei langgestreckte Ruinenreihen das Landschaftsbild. Flankiert werden sie von stark zerfallenen Ziegelbauten, die offenkundig neueren Datums sind. Keiner der alten Betonklötze – wohl mehrere Dutzend werden es sein – gleicht dem anderen. Manche sind schmal und hoch aufragend, andere breit, geduckt und massig. Einige ähneln einem hinter Erdwällen versteckten Bunker. Eigenartige Durchbrüche, torähnliche Bögen und Reste zugeschütteter Verbindungsgänge lassen sich erkennen. Verschiedene Fundamente reichen tief ins Erdreich oder stehen in Wassergräben. Sogar eine unterirdische Halle gibt es, in die einst Schienenstränge hinein führten, wie es die noch sichtbaren Spuren bezeugen. In einzelnen Prüfständen weisen unzählige Halterungen, Konsolen, Schraubverschlüsse, Reste von Fliesenwänden oder Abflussbecken auf die frühere Ausstattung mit Kabeln, Armaturen, verschiedenen Leitungen, Geräten und Maschinen hin. Alles erscheint dem Betrachter mysteriös und voller Rätsel. Zuverlässig bekannt ist lediglich, dass in dieser Vers. Gottow ein breites Forschungsspektrum absolviert wurde. Dazu gehörten kernphysikalische, sprengphysikalische und ballistische Untersuchungen, Experimente mit neuartigen Spreng-, Brand- und Treibstoffen sowie zu zahlreichen anderen Themen. Einzelheiten dazu fehlen weitgehend. Auf den Umfang der Arbeiten in Vers. Gottow deutet schon die beanspruchte Fläche hin. Sie ist weit größer als Vers. Ost und Vers. West zusammen genommen. Kompliziert wird die Suche nach einer weiteren Forschungsstätte, die in verschiedenen Dokumenten zu Kummersdorf als Versuchsstelle N Erwähnung findet. (Der Buchstabe N steht nicht geographisch für Norden, sondern nachweislich für Nachrichten.) Ihr Standort kann nicht genau bestimmt werden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit befand er sich in der Nähe des heute noch weithin sichtbaren Stahlgitterturmes an der Straße zwischen Kummersdorf-Gut und Schönefeld. Einst war dieser Turm Arbeitsplatz der Meteorologen, deren Wetterdaten für die VersuchsSchießen benötigt wurden. Die drei Einrichtungen Vers. Ost, Vers. Gottow und Vers. N gehörten zur Forschungsabteilung des Heereswaffenamtes. Vers. West unterstand in der Anfangsphase teilweise ebenfalls der Forschungsabteilung. Später ging sie in die Regie von Wa Prüf 11 über, einer eigenständigen Abteilung innerhalb der Amtsgruppe Prüfwesen des Heereswaffenamtes, die für die Raketenentwicklung zuständig war. In der Literatur zur Militärtechnik und Bewaffnung des Deutschen Heeres (bis 1945) finden sich, bis auf die Vers. West, so gut wie keine Angaben über die genannten Forschungsstätten.4 Vers. Gottow geriet erstmals bei der Arbeit für das Buch „Atomversuche in Deutschland“ ins Blickfeld des Autors.5 Das dabei zusammen getragene Material ergab einen ersten Überblick zu den Forschungen in Kummersdorf und enthielt 4 5
Vgl. u. a. Hahn: Waffen und Geheimwaffen des deutschen Heeres 1933–1945. Nagel: Atomversuche in Deutschland.
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eine Fülle von Ansatzpunkten für weitere Recherchen. Dabei kristallisierte sich ziemlich schnell folgendes heraus: Vers. Gottow war, zusammen mit den bereits genannten anderen Kummersdorfer Versuchsstellen, nach Peenemünde die bedeutendste Stätte der Grundlagenforschung für Heeresbewaffnung und -technik. Zuständig für diesen Komplex war die Forschungsabteilung des Heereswaffenamtes. Parallel dazu befassten sich auch die anderen, in Kummerdorf agierenden elf Abteilungen der Amtsgruppe Prüfwesen des Heereswaffenamtes mit Themen der Grundlagen- und angewandten Forschung, ebenfalls in einem überraschenden Ausmaß. Zu diesem Zweck unterhielt das Heereswaffenamt, in Sonderheit die Abteilung Forschung, ein engmaschiges, weit gespanntes Beziehungsgeflecht. Es umfasste Hochschulen, Universitäten, Kaiser-Wilhelm-Institute, staatliche Forschungsstätten und andere wissenschaftliche Einrichtungen. Einbezogen waren auch die Labors von Industrieunternehmen. Die Mitarbeiter dieser zivilen Einrichtungen hatten kaum Bedenken, ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten in den Dienst der Waffenforschung zu stellen. Oft regten sie sogar neue, Erfolg verheißende militärische Projekte an oder kritisierten die ihrer Meinung nach unzureichende Einbeziehung der Wissenschaft. Befürchtungen vor einem Missbrauch wissenschaftlicher Erkenntnisse durch das NS-Regime bestanden zumeist nicht. Ungeachtet der oft beschriebenen Intrigen, Konkurrenzkämpfe und Doppelarbeiten im Machtapparat der Naziherrschaft funktionierte die Rüstungsforschung des Heereswaffenamtes erstaunlich gut, sogar noch im Endstadium des Dritten Reiches. Die Führung des Heereswaffenamtes nahm über den Reichsforschungsrat, das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, die KaiserWilhelm-Gesellschaft und auf anderem Wege starken Einfluss auf die Wissenschaftpolitik. In vielen Bereichen bestimmte es sogar maßgeblich das Geschehen. Vor allem der Chef der Abteilung Forschung des Heereswaffenamtes, Prof. Dr. Erich Schumann, war daran beteiligt. Erfolgreich nutzte er dafür seine zahlreichen Ämter. Hervorzuheben sind seine Stellungen als Leiter der Abteilung Wissenschaft im Oberkommando der Wehrmacht sowie als Direktor des II. Physikalischen Institut der Universität Berlin. Unübersehbar zeigte sich auch im Bereich der Forschung eine enge Zusammenarbeit von Heereswaffenamt und SS, nach 1942 mitunter in beängstigender Nähe zu deren Verbrechen. Möglicherweise waren Mitarbeiter der Forschungsabteilung sogar darin verstrickt. Ein Vergleich dieser und weiterer Ergebnisse der ersten Recherchen in der militärhistorischen Literatur ergab viele leere Felder. Beispielsweise liegen Entstehung, Struktur, personelle Besetzung sowie Zusammenarbeit der Abteilung Forschung mit anderen wissenschaftlichen Einrichtungen weitgehend im Dunklen. Ähnlich gilt dies für die Aufgaben und die Tätigkeit der Abteilung Wissenschaft im Oberkommando der Wehrmacht sowie für das II. Physikalische Institut. Zu den zahlreichen Forschungsprojekten, die unter Schumanns Leitung realisiert wurden, fehlen zumeist Angaben. Drei Ausnahmen existieren:
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Das Uranvorhaben, mit dem Ziel der Nutzung der Atomkernspaltungsenergie für militärische u. a. Zwecke, ist gut erforscht und dokumentiert.6 Mit den Aktivitäten Schumanns zur Forschung über biologische Waffen befassen sich Arbeiten von Geißler und Hansen.7 In dem Buch von Hofmann über das „Objekt Seewerk“ (nahe bei Frankfurt/Oder) geht es um den N-Stoff, ein Brandmittel, in dessen Verwendung das Heer große Hoffnungen setzte. Dafür wurde als Produktionsstätte das Seewerk gebaut, an dessen Entstehung und Betrieb die Forschungsabteilung beteiligt war.8 Aber auch bei den Komplexen biologische Waffen und N-Stoff gibt es erhebliche Lücken über das Wirken der Abteilung Forschung des Heereswaffenamtes bzw. der Abteilung Wissenschaft im Oberkommando der Wehrmacht. In zahlreichen neueren Untersuchungen über die Ereignisse an Hochschulen und Universitäten während der NS-Zeit wird auf die „Kriegsforschung“ für die einzelnen Wehrmachtsteile hingewiesen, mitunter auch konkret und detailliert. Sogar einzelne Referate und Mitarbeiter der Abteilung Forschung werden in diesem Zusammenhang genannt. Aus begreiflichen Gründen bleibt es jedoch dabei.9 Erfreuliche Ergebnisse erbrachten die umfangreichen Forschungen der Präsidentenkommission der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V., die der „Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus“ galten. Vor allem die Arbeiten von Maier und Schmaltz erhellen weite Bereiche der Rüstungsforschung des Heereswaffenamtes.10 Trotz – oder gerade wegen dieser Fortschritte – besteht weiterhin erheblicher Aufklärungsbedarf, um das Gesamtbild zu skizzieren. Die ursprüngliche Absicht des Autors, lediglich die Geschichte der Kummersdorfer Versuchsstellen zu untersuchen, erwies sich folglich als entschieden zu kurz gedacht. Vielmehr musste es darum gehen, die Aufgaben der Forschungsabteilung, den Inhalt und die Ergebnisse der von ihr in Gang gesetzten wissenschaftlichen Grundlagenarbeit in den Mittelpunkt zu stellen. Damit könnte – so der Gedanke – ein spezieller Beitrag zur Frage geleistet werden, wie Wissenschaft im Nationalsozialismus funktionierte und welche Akteure im militärischen Bereich dabei welche Rolle spielten. Ebenso bot sich auf diese Weise eine gute Chance, die zahlreichen um die Person Schumanns gesponnenen Mythen und Legenden zu entzaubern.
6 Vgl. u. a. Karlsch: Hitlers Bombe; Derselbe, Petermann (Hg.): Für und Wider Hitlers Bombe. (darin ein Beitrag des Autors zur Sprengstoff- und Fusionsforschung am II. PI); Nagel: Atomversuche; Walker: Die Uranmaschine. 7 Geißler: Biologische Waffen – nicht in Hitlers Arsenalen; Hansen: Biologische Kriegführung im Dritten Reich. 8 Hofmann: Objekt „Seewerk“. 9 Vgl. u. a. Hans Ebert, Hermann J. Rupieper: Technische Wissenschaft und nationalsozialistische Rüstungspolitik. Die Wehrtechnische Fakultät der TH Berlin 1933–1945, in: Rürup (Hg.): Wissenschaft und Gesellschaft, Bd. 1, 469–491; Hoßfeld et al.: „Kämpferische Wissenschaft“; Kalkmann: Die Technische Hochschule Aachen im Dritten Reich. 10 Präsidentenkommission, Forschungsprogramm: Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus, Ergebnisse 1–28, Göttingen 2000–2006; Maier: Forschung als Waffe; Derselbe (Hg.): Gemeinschaftsforschung, Bevollmächtigter und Wissenstransfer; Schmaltz: Kampfstoff-Forschung im Nationalsozialismus.
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Die Hauptschwierigkeit eines solchen Unternehmens hatte schon längst auf sich aufmerksam gemacht: In den Archiven gibt es keine zusammenhängenden Aktenbestände zur Forschungsabteilung des Heereswaffenamtes und ihrer Kummersdorfer Basen. Das gilt auch für das Militärarchiv des Bundesarchivs, das nur begrenzt über Dokumentenbände des Heereswaffenamtes verfügt, denen man Angaben zur Forschungsabteilung entnehmen kann. Zur Abteilung Wissenschaft des Oberkommandos der Wehrmacht enthalten die Findbücher des Militärarchivs keine Hinweise. Diese schwierige Quellenlage ist insbesondere der gezielten deutschen Aktenvernichtung bei Kriegsende geschuldet, ebenso der Erbeutung beträchtlicher Dokumentenmengen durch die Siegermächte. Während die westlichen Alliierten in den 70er und 80er Jahren vieles davon zurückgaben, ist der Zugang zu deutschen Akten in russischen Archiven immer noch sehr beschränkt. Hinzu kommt, dass die verantwortlichen Leiter der Forschungsabteilung, einschließlich Schumann, nach dem Krieg kaum etwas über ihre früheren Arbeiten veröffentlichten.11 Angesichts dieser Situation blieb nichts anderes übrig, als eine langwierige, anstrengende Reise durch die deutsche Archivwelt anzutreten. Die Funktion eines Wanderführers durch die weitläufige Aktenlandschaft übernahmen quasi zwei Telefonverzeichnisse der Forschungsabteilung sowie ein 1944 verfasster Bericht mit Angaben zur Struktur und personellen Besetzung der Versuchsstelle Gottow. Später kamen noch Personenlisten der Zentralnachweisstelle des Bundesarchivs (Aachen) hinzu. Oft war es nur mit diesen Unterlagen möglich, Wissenschaftler und andere Angehörige der Forschungsabteilung zu identifizieren.12 Im Bundesarchiv Berlin waren vor allem die Bestände des Reichsforschungsrates (R 26 III) sowie des Reichsministeriums für Bewaffnung und Munition/Rüstung (R 3) sehr ergiebig. Ihnen konnten viele Angaben zu Forschungsrichtungen, Forschungsaufträgen, beteiligten Personen und Einrichtungen, einzelnen Projekten und dabei erzielten Ergebnissen, Hintergründen und anderen Zusammenhängen entnommen werden.13 Ergänzt wurden diese Unterlagen durch Aufzeichnungen und Dokumente, die in verschiedenen Verantwortungsbereichen der SS entstanden waren (NS 19, NS 21, NS 33). Aufschlussreiche Einblicke, vor allem zur Zusammenarbeit mit Universitäten, Hochschulen und anderen Einrich11 Vereinzelt berichteten z. B. Diebner, Gärtner, Haeuseler, Trinks, Trommsdorff und Schall über die Arbeit der Forschungsabteilung. Auf die betreffenden Veröffentlichungen wird bei den einzelnen Forschungsprojekten hingewiesen. 12 Bericht Werner Osenbergs vom 13. Juni 1944 (GKdos Nr. 99/4) an Oberst Geist, Institut für Zeitgeschichte, Sammlung Irving ED 100 4a, Bl. 291132–291138; BAA „Stellenbesetzung – Planstellenüberwachungsliste der Beamten des höhern technischen Dienstes im Bereich des OKH Waffenamtes. Stand: 1. 12. 1944, mit Nachträgen bis April 1945“. 13 Die Bestände des Reichsforschungsrates (R 26 III) waren nahezu vollständig von der USamerikanischen Geheimdienstmission „Alsos“ beschlagnahmt worden, deren Suche insbesondere dem deutschen Uranprojekt galt. Viele dieser Dokumente belegen durch Vermerke in englischer Sprache, dass sie sehr gründlich von US-Stellen ausgewertet wurden. Das gilt auch für viele Berichte der Bestände des Reichsministeriums für Bewaffnung und Munition/Rüstung (R 3).
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tungen, erlaubten die Bestände des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (R 4901/R 21). Zahlreiche Dokumente erhellen beispielsweise die Aktivitäten der Abteilung Wissenschaft im Oberkommando der Wehrmacht. Andere sachdienliche Informationen enthielten die Bestände des Reichsfinanzministeriums, des Reichsrechnungshofes und des Reichswirtschaftsministeriums. Ergänzungen lieferten verschiedentlich die Bestände des Reichsamtes für Wirtschaftsaufbau (R 3112), der Reichspostforschung des Reichspostministeriums (R 4701) und des Instituts für Deutsche Ostforschung (R 52/IV). Die Recherchen in den ehemaligen Beständen des „Berlin Document Center“ (nachfolgend BDC) ergaben reichhaltige biographische Daten, sowohl zu Wissenschaftlern als auch zu SS-Angehörigen, die im Kontakt mit Mitarbeitern der Forschungsabteilung standen. Dazu kamen wichtige Hinweise auf einzelne Projekte und damit verknüpfte Ereignisse. Vereinzelt hatte die Abfrage im Datenspeicher ZA (Unterlagen, die ehemals beim MfS lagerten) Erfolg. Von den Beständen, die im Bundesarchiv, Militärarchiv Freiburg eingesehen wurden, zeichnet sich durch eine Fülle von Material der Nachlass des Generalleutnants a. D. Erich Schneider aus (NL 625). Dazu kam eine Reihe von aussagekräftigen Akten aus dem Bestand Heereswaffenamt (RH 8 bzw. RH 8 I). Neben der bereits erwähnten Zentralnachweisstelle Aachen stellte die Außenstelle des Bundesarchivs Ludwigsburg (ehemals Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen Ludwigsburg) Material zu den ab 1966 gegen Prof. Rudolf Mentzel und andere ehemalige Mitarbeiter des Reichsforschungsrates geführten Ermittlungen zur Verfügung. Diese Dokumente ergänzten die aus anderen Quellen gewonnenen Angaben, so z. B. die vom Bundesarchiv Koblenz erhaltenen Zeugenaussagen und andere Niederschriften im Spruchverfahren gegen Mentzel. Eine Vielzahl von Fakten steuerte das Archiv der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin bei. Sie betrafen vor allem die Zusammenarbeit des Heereswaffenamtes mit führenden Persönlichkeiten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und einzelnen Kaiser-Wilhelm-Instituten sowie die Beteiligung von zivilen Wissenschaftlern an diversen Projekten der Forschungsabteilung, z. B. dem Uranvorhaben oder Bau und Betrieb des Seewerkes Falkenhagen. Naturgemäß galt das Interesse dem Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin, das die Bestände der Universität Berlin, der ehemaligen Wirkungsstätte Schumanns, aufbewahrt. Neben Angaben zum II. Physikalischen Institut konnten insbesondere viele Hinweise auf die unter Schumanns Leitung entstandenen Geheimdissertationen und deren Inhalt gefunden werden. Dabei erwies sich der ständige Vergleich mit Angaben aus den Akten des Reichserziehungsministeriums und des Reichsforschungsrates als wichtig und wertvoll. Zur Tätigkeit Schumanns als Militärmusiker wurde mit Erfolg das Archiv der Hochschule der Künste Berlin konsultiert, in dem sich die Unterlagen der früheren „Hochschule für Musikerziehung und Kirchenmusik“ befinden. In München konnten, vorrangig zu den Uranarbeiten des Heereswaffenamtes, die betreffenden Bestände des Deutschen Museums sowie des Instituts für Zeitgeschichte durchgearbeitet werden. Zusätzlich stellte das Institut Kopien von Dokumenten der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse zur Verfügung, die mit den Vor-
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gängen im Seewerk Falkenhagen bzw. der Kampfstoff-Forschung in Verbindung standen. In Wien belegten Recherchen im Kriegsarchiv des Österreichischen Staatsarchivs sowie in den Archiven der Universität Wien und der Technischen Hochschule Wien, wie nach dem „Anschluss“ ab 1938 das Heereswaffenamt österreichische Wissenschaftler in die Rüstungsforschung einbezog, vor allem ins Uranprojekt. Zur „Objektgeschichte“ von Kummersdorf und Falkenhagen steuerte das Brandenburgische Landeshauptarchiv zahlreiche Unterlagen bei – ebenso zum Technischen Amt VIII, FEP des SS-Führungshauptamtes in Glau, das auf verschienen Gebieten mit der Forschungsabteilung des Heereswaffenamtes zusammen arbeitete. Erfreulich war die Reaktion von Leitern und Mitarbeitern in Archiven deutscher und österreichischer Universitäten und Hochschulen, die Anfragen zu jenen Wissenschaftlern beantworteten, die von der Forschungsabteilung mit Kriegsaufträgen versehen worden waren. Oft wurden dadurch Einzelheiten zu Forschungsprojekten nachgewiesen, die an keiner anderen Stelle dokumentiert sind. Mehrere Versuche in Archiven von Industrieunternehmen oder Behörden, zu sachlichen Vorgängen oder Personen fündig zu werden, schlugen fehl. Entweder wurden Anfragen negativ beantwortet, aus „Datenschutzgründen“ abschlägig beschieden oder überhaupt nicht beantwortet. Ausnahmen waren das Historische Archiv Krupp, Essen, sowie das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung, Koblenz, die Kopien von Berichten zur Entwicklung des „Düsengeschütz“ (Leichtgeschütz) zur Verfügung stellten. Verschiedene Dokumente aus Moskauer Archiven stammen von Dr. Rainer Karlsch. Er fand sie bei seinen Recherchen für das Buch „Hitlers Bombe“. Seine Bemühungen, in Moskau Zugang zu weiteren Unterlagen zu bekommen, z. B. zum Thema „Trommsdorff-Geschoss“, hatten keinen Erfolg. Andere Materialien zum Heereswaffenamt, die Karlsch ebenfalls dem Autor zugänglich machte, stammen aus dem National Archives, Washington. Häufig waren in den genannten Archiven nur Bruchstücke zu finden, die dennoch wichtige Spuren wiesen. Mitunter glichen die Recherchen dem vorsichtigen Hangeln an einem Seil, von Klippe zu Klippe, bis neue Erkenntnisse und Einblicke in bislang unbekannte Zusammenhänge gewonnen waren. Oft aber riss das Seil, der Hinweis ging in Leere, das gesuchte Geheimnis blieb ein Rätsel. Trotz des bereits erheblich zurückliegenden Kriegsendes 1945 konnten einige Zeitzeugen ausfindig gemacht werden, die nicht nur von Ereignissen, sondern auch von ihren persönlichen Erlebnissen berichteten. Zu ihnen gehörten mehrere Frauen, die in ihrer Jugend bei der Forschungsabteilung oder dem II. Physikalischen Instituts Schumanns arbeiteten. Zu nennen sind beispielsweise Magda Wolfschlag und Ursula Frenzel (Sekretärinnen in der Forschungsabteilung) sowie Ursula Schulze (Kaiser-Wilhelm-Institut für physikalische Chemie und Elektrochemie). Regen Anteil nahmen etliche Angehörige der ehemaligen Studentenkompanie, eine Einheit, die Schumann ins Leben gerufen hatte. Dr. Hasso Döring beantwortete z. B. die ihm gestellten Fragen schriftlich und stellte einige noch in seinem Besitz befindliche Dokumente zur Verfügung. Prof. Dr. Werner Luck gestattete, zusätzlich zu seinem Artikel über die Studentenkompanie, Einblick in ein
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umfangreiches, unveröffentlichtes Manuskript zu seinem Lebensweg bis 1945.14 Mit dem Dipl. Physiker Claus Christian Cobarg, von dem der Autor mehrere Zuschriften erhielt, konnten zahlreiche ausführliche Gespräche geführt werden. Außerdem erschloss er den Zugang zu Dr. Herbert Kunz. Das war ein seltener Glücksfall, geradezu ein Haupttreffer. Kunz verwaltete nämlich den bisher unbekannten Nachlass Schumanns, der einmalige, verschiedentlich sensationell zu nennende Zeugnisse seines Wirkens beinhaltet.15 Auch bei Familienangehörigen ehemaliger Mitarbeiter Schumanns bestand aus begreiflichen Gründen starkes Interesse an den Nachforschungen des Autors. Das gilt vor allem für Gesine Schumacher geb. Glimm, Kriemhild Helmetag geb. Sachsse, Dr. Renate Viebahn-Hänsler geb. Hänsler, Prof. Dr. Jörg Diebner und Prof. Dr. Joachim Pfefferkorn. In gleicher Weise engagierten sich einige Musikwissenschaftler, die mit Schumann vor bzw. nach 1945 zusammen getroffen waren, so Prof. Dr. Jobst P. Fricke, Dr. Paul Heinrich Merten und Prof. Dr. Hans-Peter Reinecke. Sie stellten den Akustiker und Komponisten Schumann in den Mittelpunkt ihrer Mitteilungen. Damit erschlossen sie den Zugang zu einer Seite der Persönlichkeit Schumanns, die bisher nur wenig Beachtung fand. Eine Überraschung der besonderen Art war ein Anruf Mitte 2005. Der 93 Jahre alte Dr. Hans-Joachim Gollmick, der einst bei Schumann den Doktor-Titel erwarb und danach am II. Physikalischen Institut tätig war, hatte das Buch „Atomversuche in Deutschland“ gelesen und sah sich veranlasst, Verbindung mit dem Autor aufzunehmen. Soweit es sein Gedächtnis noch erlaubte, übermittelte er zahlreiche Angaben zu seinen Erlebnissen bei Schumann und in der Versuchsstelle Gottow.16 Unerwartet erwiesen sich die FIAT-Berichte „Naturforschung und Medizin in Deutschland. 1939–1946“ als eine bedeutsame Quelle. Das lag daran, dass an der Abfassung dieser Berichte viele Gelehrte beteiligt waren, die bis 1945 von der Forschungsabteilung oder anderen Abteilungen des Heereswaffenamtes in die militärisch orientierte Grundlagenforschung einbezogen waren. An zahlreichen Stellen wiesen sie auf Forschungsaufträge des Heereswaffenamtes hin bzw. nannten 14 Luck: Erich Schumann und die Studentenkompanie des Heereswaffenamt. Luck († 2008) stellte sein weit über diesen Beitrag hinausgehendes, unveröffentlichtes Manuskript zur Verfügung. In mehreren Gesprächen mit ihm wurden verschiedene Einzelheiten ergänzt. Außerdem gestattete er die Wiedergabe mehrerer Fotos zur Studentenkompanie. 15 In Absprache mit dem Autor und in Verbindung mit C. C. Cobarg nahm Dr. Rainer Karlsch 2004 den Kontakt zu Dr. Kunz auf. Später erfolgten weitere Gespräche durch Karlsch und den Autor im Jahre 2005 bzw. im Sommer 2006 zwischen dem Autor, Cobarg und Dr. Kunz in Braunschweig. Teile des Schumannschen Nachlasses verwendete Karlsch erstmals für sein Buch Hitlers Bombe (vgl. Anm. 6). Ende 2005 übergab Dr. Kunz auf Anregung von Karlsch den Nachlass Schumanns an das Militärarchiv Freiburg. Gleichzeitig gestattete er die Nutzung für die hier vorgelegte Ausarbeitung über die Forschungsabteilung des HWA. 16 An der Entstehung und Aufrechterhaltung des Kontaktes sowie die schriftliche Fixierung der noch lebendigen Erinnerungen Dr. Gollmicks war sein Sohn Jürgen sehr engagiert beteiligt. Im April 2006 besuchte er in Begleitung des Autors sowie der Mitglieder der Bürgervereinigung Kummersdorf, Ralf Kaim und Gerhard Zwicker, die ehemalige Wirkungsstätte seines Vaters in der Vers. Gottow, der aus gesundheitlichen Gründen die Erschwernisse der weiten Reise nicht auf sich nehmen konnte. Herrn Jürgen Gollmick ist zu danken.
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Wissenschaftler, die als Angehörige der Forschungsabteilung identifiziert werden konnten.17 Nicht zuletzt diese positive Erfahrung war Anlass für die Erarbeitung mehrerer Personenaufstellungen (vgl. Anhang I–IV), die unter Umständen auch nützliche Hinweise für weitere historische Forschungen zum Heereswaffenamt bzw. zur Wissenschaftspolitik während der NS-Zeit sein können. Das schließlich zusammengetragene reichhaltige Material verlangte nach einer geeigneten Strukturierung der Darstellung, die Wiederholungen weitgehend vermeiden ließ, aber dennoch den verschiedenen Seiten der Tätigkeit Schumanns bzw. der von ihm geleiteten Einrichtungen gerecht wurde. Das erfolgte durch eine Zusammenfassung in drei Hauptteilen bzw. Themenkomplexen: Der I. Hauptteil Organisation stellt Entstehung, Gliederung, personelle Besetzungen, Außenbeziehungen und andere wesentliche Merkmale der von Schumann geleiteten Einrichtungen vor. Wegen ihrer Brisanz wurden hier auch die Grundzüge der Zusammenarbeit mit der SS aufgenommen, die sich im Detail bei einzelnen Forschungsprojekten manifestierte und, entsprechend sachbezogen, dort näher untersucht wird. Zum besseren Verständnis der Beziehungen und Verflechtungen der Forschungsabteilung wurden mehrere Organigramme erarbeitet. Der II. Hauptteil Experimente beinhaltet die Darstellung von elf größeren Forschungsprojekten/-richtungen, deren Gegenstände und Ergebnisse gut dokumentiert sind und die deshalb ausführlich beschrieben werden konnten. Soweit es die Quellenlage ermöglicht, werden weitere Forschungsthemen in Kurzfassung abgehandelt. Mit dem III. Hauptteil Schicksale wird den oft gestellten Fragen nach dem dramatischen Verlauf der Ereignisse bei Kriegsende (Ende 1944/Anfang 1945) sowie dem Verbleib der Akteure nach dem Krieg Rechnung getragen – soweit dies nicht schon an anderer Stelle erfolgte (z. B. die durch die Abt. Wissenschaft Ende 1944 erfolgte Einrichtung der „Forschungsstelle Babelsberg“ oder die Verlagerung des II. Physikalischen Instituts in den Raum Lebus). Gegenstand der „Schicksale“ ist auch eine biographische Skizze zu Schumann, da beispielsweise sein Wirken als Militärmusiker wenig mit den Aufgaben der Forschungsabteilung zu tun hatte und sein Lebensweg nach 1945 von großem Interesse sein dürfte. Insgesamt wurde Wert darauf gelegt, die Mitarbeiter Schumanns ebenso wie die mit dem Militär zusammen arbeitenden Wissenschaftler biographisch kurz vorzustellen. Wegen der vielen Fachbegriffe, die vor allem im Komplex „Experimente“ notwendiger Weise auftreten, werden die mit einem * versehenen Termini in einem Glossar erläutert. Die im Literaturverzeichnis enthaltenen Titel werden in den Fußnoten nur in Kurzfassung genannt.
17 Naturforschung und Medizin in Deutschland 1939–1946 (nachfolgend: FIAT-Berichte).
I. ORGANISATION 1. DIE ENTSTEHUNG DER FORSCHUNGSABTEILUNG DES HEERESWAFFENAMTES (WAF) UND IHRER VERSUCHSSTELLEN IN KUMMERSDORF Wissenschaftliche Einrichtungen haben gewöhnlich eine mehr oder weniger lange Vorgeschichte und leben in der Tradition ihrer Vorgänger. Das war auch bei der Forschungsabteilung des Heereswaffenamtes (WaF) der Fall. Etliche ihrer Wurzeln reichen bis in die Zeit um 1900 zurück. Verschiedene historische Vorbilder für eine gezielte und auf der Höhe ihrer Zeit stehende Waffenforschung lassen sich sogar noch früher finden. Mehrere Forschungsrichtungen, die in den Jahren 1935 bis 1945 unter der Regie des Heereswaffenamtes (HWA) voll entwickelt wurden und bedeutsame Ergebnisse brachten, gehen auf Arbeiten zurück, die schon vor oder während des Ersten Weltkrieges an anderer Stelle begonnen wurden. Die Mühe eines kurzen historischen Exkurses lohnt sich aus mehreren Gründen: Wissenschaftliche Erkenntnisse wurden bereits früher und in stärkerem Maße waffentechnisch verwertet, als mitunter an der Literatur dargestellt. Die Zahl der einflussreichen, hochrangigen Militärs, die die Bedeutung der Wissenschaft für die Entwicklung neuer Waffensysteme erkannten und sie deshalb auch nach besten Kräften förderten, war weit größer als allgemein angenommen wird. Ferner lassen sich gerade im Bereich der „Rüstungsforschung“ erstaunlich viele sachliche und personelle Kontinuitäten ausmachen. Sie nahmen ihren Anfang in der Kaiserzeit und zogen sich durch die Weimarer Republik bis in die nationalsozialistische Herrschaft hin. Einige führen sogar bis in die ersten Jahre der Existenz der Bundesrepublik und ihrer Bundeswehr.18 Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts waren es vor allem die großen Rüstungsunternehmen, die den wissenschaftlich-technischen Fortschritt nutzten, um neue Waffensysteme zu entwickeln. So verfügte beispielsweise die Fa. Krupp über eigene Forschungslabors und Schießplätze. In Zusammenarbeit mit der preußischen Artillerie-Prüfungskommission entstand bei Krupp von 1892 bis 1896 ein leichtes Schnellfeuergeschütz für die Feldartillerie, das wenig später durch eine hydraulische Rohrrücklaufbremsung erheblich verbessert wurde. Ab 1907 bestimmte Prof. Dr. Otto Ritter von Eberhard (1877–1940) bei der Friedrich Krupp AG maßgeblich die Forschung. Er hatte von 1893 bis 1896 an der 18 Mit der Thematik der Rüstungsforschung hat sich in jüngster Zeit vor allem Maier mit seiner verdienstvollen Arbeit Forschung als Waffe auseinandergesetzt. Er bringt für die hier nur kurz angedeuteten Thesen zahlreiche, beeindruckende Beweise, die belegen, dass nicht nur beim Heer, sondern auch bei den anderen Wehrmachteilen die Rüstungsforschung eine größere und wirksamere Rolle spielte, als allgemein in den Fachpublikationen beschrieben wird.
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Technischen Militärakademie in Wien Physik studiert und absolvierte von 1903 bis 1906 die Militärtechnische Akademie (MTA) in Berlin. Unter dem berühmten Carl Cranz arbeitete er dort auf dem Gebiet der Ballistik. Von Otto v. Eberhard, der auch mit Cranz gemeinsam eine ballistische Arbeit publizierte, stammt u. a. eine Theorie der Visiereinrichtung. Seine Messungen an fliegenden Geschossen nutzte er für die die Schaffung des „Haubengeschosses“ und die Weiterentwicklung des gut bekannten „Paris-Geschützes“. Von 1909 bis 1921 leitete Prof. Dr. Richard Stribeck (1861–1950) die Forschungseinrichtungen von Krupp.19 Bei der Schießbaumwollfabrik Wolff & Co, Walsrode, befasste sich Max v. Förster um 1882/83 mit Untersuchungen zur Sprengwirkung von geometrisch verschieden geformten Pulvermassen. In Düneberg (heute Ortsteil von Geesthacht) errichteten 1912/13 die Vereinigten Köln-Rottweiler Pulverfabriken AG, Köln, ein wissenschaftliches Labor und eine Versuchsfabrik. Schon bald wurden hier eine Reihe neuer Schießpulversorten gefunden, wie das Diglykol- oder das Gudolpulver (ab 1935/36). Zwecks Koordinierung ihrer Forschungsarbeiten gründete 1918 die Westfälisch-Anhaltinische Sprengstoff AG (WASAG) eine „Gesellschaft für chemische Forschung und Entwicklung mbH“. Die Deutschen Waffen und Munitionsfabriken (DWM) betrieben in Lübeck eine Forschungsanstalt mit dazugehörigem Versuchs- und Sprengplatz, die sich u. a. mit der Untersuchung von Munition sowie den Vorgängen in der Waffe beim Schuss befasste und zu diesem Zweck umfangreiche Berechnungen in einer eigenen mathematischen Abteilung vornahm.20 1897 setzte sich Max von Duttenhofer (1843–1903), ein führender deutscher Pulverfabrikant und Vorsitzender des Aufsichtsrates der Waffenfabrik Mauser sowie Aufsichtsratsmitglied bei DWM dafür ein, „gemeinsam eine große Zentral-Versuchsanstalt ins Leben zu rufen. Alle Probleme der inneren und äußeren Ballistik, der Pulveruntersuchungen sollen hier erforscht und geklärt“ werden.21 Insgesamt zehn Firmen, darunter Köln-Rottweil, DWM, Wolff & Co, Dynamit AG, später auch noch Krupp, gründeten zu diesem Zweck am 17. Oktober 19 Maier: Forschung als Waffe, 64, 76; biographische Angaben zu v. Eberhard in: Deutsche Biographische Enzyklopädie; Carl Cranz, Otto v. Eberhard: Die neuzeitliche Entwicklung der Schußwaffen, 2. Aufl. Berlin 1939; Peter Zimmermann: Wehrtechnik und Wissenschaft zwischen den Weltkriegen, in: Armin Hermann, Hans-Peter Sang (Hg.): Technik und Staat, Düsseldorf 1992 (= Technik und Kultur, 9), verweist auf die „bahnbrechenden und teilweise Aufsehen erregende Arbeiten einiger hervorragender Wissenschaftler, wie des Ballistikers Carl Cranz (1858–1945) und des Geschützkonstrukteurs und Krupp-Direktors Prof. Dr. Fritz Rausenberger (1868–1926), den Schöpfer der 42 cm Haubitze und eines Ferngeschützes mit 120 km Reichweite“ (S. 360). Vgl. auch: Die Forschungsanstalten der Firma Krupp. Zum 25jährigen Bestehen des neuen Hauses 1909–1934, Essen 1934. 20 Vgl. u. a: Karl Gruber: Die Pulverfabrik Düneberg. Heimatgeschichtliches und Anekdoten der Geesthachter Ortsteile Besenhorst und Düneberg, Geesthacht 1983; Friedrich Trimborn: Explosivstoffabriken in Deutschland. Ein Nachschlagewerk zur Geschichte der Explosivstoffindustrie, 2. Aufl. Köln 2002; 50 Jahre Deutsche Waffen und Munitionsfabriken Aktiengesellschaft (DWM), Berlin 1939; Geschichte der Mauserwerke, hrsg. aus Anlaß des hundertfünfundzwanzigjährigen Bestehens der Gewehrfabrik in Oberndorf a. N., Berlin 1938. 21 Zitiert bei: Ruske et al.: 125 Jahre Forschung und Entwicklung, 264.
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1898 die „Centralstelle für wissenschaftlich-technische Untersuchungen G. m. b. H.“ mit Sitz in Neubabelsberg. Hier, vor den Toren Berlins und Potsdams am Ufer des Teltowkanals, entstand auf einer Fläche von ca. 40 Hektar ein umfangreicher Gebäudekomplex. In den vorzüglich ausgestatteten Labors und Werkstätten konnten chemische und physikalische Untersuchungen der verschiedensten Art zu Sprengstoffen, Zündern, deren Grundkomponenten usw. erfolgen. Auf einem zusätzlich bei Königs Wusterhausen erworbenen Terrain von etwa 70 Hektar wurden Schießbahnen angelegt, um ballistische Forschungen zu Handfeuerwaffen und Geschützen zu betreiben. Von den zahlreichen Neuerungen, die in der „Centralstelle“ entstanden, seien vor allem die „Centralite“* genannt, die als Stabilisatoren bei der Herstellung und Verwendung von rauchlosem Pulver schnell enorme Bedeutung gewannen. Auch das Duralumin*, bald unentbehrlich im Flugzeugbau, entstand in Neubabelsberg. Während des Ersten Weltkrieges arbeitete die „Centralstelle“ nahezu ausschließlich für die Artillerie-Prüfungskommission. Mit dem Friedensvertrag von Versailles musste das Institut seine Tätigkeit einstellen. Die wertvolle Ausrüstung erhielten die Kaiser-WilhelmGesellschaft (KWG) sowie die Chemisch-Technische Reichsanstalt. Das idyllisch in einem großen Waldstück gelegene Objekt wurde 1921 dem Kaiser-Wilhelm-Institut (KWI) für Metallforschung zugeschlagen. Es dauerte nicht lange und das KWI realisierte an dem traditionsreichen Ort erneut einen hohen Anteil seiner Rüstungsforschung.22 Natürlich waren die Militärfachleute stark daran interessiert, selbst über eigene Forschungseinrichtungen zu verfügen. Erste Ansätze dafür gab es bereits unter König Friedrich II. (1770) sowie mit einem Entwurf von Scharnhorst zur „Errichtung einer allgemeinen Militärakademie“ (1809) bzw. der 1816 in Berlin gegründeten „Vereinigten Artillerie- und Ingenieurschule“ und der 1903 entstandenen „Militärtechnischen Akademie“ (MTA). 1809 war auf Initiative von Prinz August von Preußen die Artillerie-Prüfungskommission (APK) gebildet worden, die ab 1860 auf einem eigenen Schießplatz in Tegel leistungsstarke Geschütze mit gezogenen Rohren sowie andere Waffen, neuartige Werkstoffe, Pulver und Sprengstoffe erprobte. Ihr gehörten namhafte Gelehrte an wie der Ballistiker Prof. Dr. Carl Cranz.23 Der deutsch-französische Krieg von 1870/71 war noch im Gange, als das preußische Kriegsministerium die Entscheidung traf, als Ersatz für den zu eng gewordenen Tegeler Schießplatz der APK ein neues Versuchs- und Übungsfeld zu erwerben. Das befand sich im Kummersdorfer Forst, wo schon um 1880 der Ausbau in vollem Gang war. Kurz danach donnerten in der märkischen Heide von Kummersdorf schon die Kanonen.24
22 Die Centralstelle für wissenschaftlich-technische Untersuchungen in Neubabelsberg, Berlin o. J. (1902); Heinrich Brunswig: Nachruf auf Wilhelm Will, in: Zeitschrift für das gesamte Schieß- und Sprengstoffwesen 15 (1920) Heft 5, 61 f.; Derselbe: Die Zentralstelle für wissenschaftlich-technische Untersuchungen in Neu-Babelsberg – zur 25. Wiederkehr ihres Gründungstages, in: Zeitschrift für angewandte Chemie 36 (1923) Heft 11, 255–257; Ruske et al.: 125 Jahre Forschung und Entwicklung, 261–274; Maier: Forschung als Waffe, 146. 23 Ruske et al.: 125 Jahre Forschung und Entwicklung, 217–231. 24 Fleischer: Die Heeresversuchsstelle Kummersdorf, Bd. 1, 9–34.
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Analog zur APK arbeitete die 1855 durch königliche Order ins Leben gerufene Gewehrprüfungskommission (GPK), die 1861 vorüber gehend in „MilitärSchießschule“ umbenannt wurde und in eine Lehr- sowie Versuchsabteilung gegliedert war. Zum Zwecke der Konstruktion neuer Waffen entstanden in Spandau (Berlin) je ein Konstruktionsbüro für Gewehre und Artillerie. Auch der APK unterstanden ein Feuerwerkslaboratorium und zahlreiche Waffenwerkstätten, meistens ebenfalls in Spandau angesiedelt.25 Die durch den stürmischen Fortschritt der Schieß- und Sprengtechnik entstandenen neuen theoretischen Fragen konfrontierten die Heeresverwaltung mit der Notwendigkeit, eine besondere Untersuchungs- und Prüfstelle einzurichten. Sie „sollte den hohen militärischen Behörden in allen chemischen und physikalischen Fragen auf dem Gebiet der Schieß- und Sprengtechnik beratend und forschend zur Seite stehen und an allen einschlägigen Arbeiten der Artillerie- und Gewehrprüfungskommissionen mitwirken“.26 Dazu erfolgte am 1. Oktober 1889 in Berlin die Gründung der „Zentralversuchsstelle für Explosivstoffe“, die 1897 in „Militärversuchsamt“ (MVA) umbenannt und der Feldzeugmeisterei zugeordnet wurde. Kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges verfügte sie über einen Direktor, drei Abteilungsleiter, zehn wissenschaftliche Mitarbeiter, zwei wissenschaftliche Hilfsarbeiter sowie 61 technische und Verwaltungskräfte. Bedeutende Gelehrte wie Prof. Dr. Emil Bergmann, Dr. E. Bollé, Prof. Dr. Wilhelm Will, Walther Wolff oder Dr. Hermann Kast wirkten am MVA. Auch die Professoren Dr. Otto Poppenberg (1876–1956) und Dr. Paul Günther, denen wir später noch mehrfach begegnen werden, gehörten während des ersten großen Krieges zum Personal des MVA. Diese Einrichtung war während des Krieges auf 240 Mitarbeiter angewachsen, davon 52 Wissenschaftler. Die Ergebnisse des MVA konnten sich sehen lassen: Erhöhung der Stabilität und Lagerfähigkeit von Schießbaumwolle, verbesserte rauchschwache Pulver, Umstellung auf andere Rohstoffe (als Folge der durch den Krieg verursachten Exportausfälle), neue Prüfmethoden, leistungsfähigere Zündmittel, Klärung von Fragen der inneren und äußeren Ballistik, Messung des Rücklaufes von Gewehren und Geschützen, Bestimmung der Reibung von Geschossen im Lauf. (Diese Aufzählung stellt nur eine Auswahl dar.) Dazu kamen vielfältige Aufträge anderer Militär- und staatlicher Behörden.27 Der Versailler Vertrag verbot eine weitere Tätigkeit des MVA, da sie eine militärische Versuchs- und Forschungsanstalt war. Ihr Direktor Bergmann bemühte sich nicht ganz erfolglos, den Grundbestand der nunmehr verbotenen Einrichtung sowie den Stamm ihrer Mitarbeiter zu retten. Dazu wurde ab 1920 das einstige MVA mit veränderter Aufgabenstellung dem Innenministerium zugeordnet. Jetzt erschien sie in dessen Haushalt als „Chemisch-Technische Reichsanstalt (CTR)“. Man hatte damit Überlegungen und Pläne aufgegriffen, die seit 1880 bzw. 1905 zur Schaffung einer solchen Reichsbehörde bestanden, jedoch nur in 25 Ruske et al.: 125 Jahre Forschung und Entwicklung, 217–225 (243: Abb. zur Organisation und Stellung). 26 Ebd., 239. 27 Ebd., 238–255.
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Teilen verwirklicht werden konnten. Chef der neuen Behörde, die im April 1920 ihre Arbeit aufnahm, wurde Bergmann. Forschungen zu Sprengstoffen, Zündmitteln, Explosionsvorgängen usw. bestimmten von Anfang an das Profil der CTR entscheidend mit. Die alte Struktur des MVA blieb vorerst bestehen. Folgerichtig wechselten verschiedene Mitarbeiter des ehemaligen MVA zur CTR, so Dr. Walter Rimarski, der 1932 zum Direktor berufen wurde. Der Sprengstoffchemiker Kast (seit 1898 im MVA) leitete nunmehr die Abteilung für Sprengstoffe, deren vordergründige Aufgabe es jetzt war, zu prüfen und vorzuschlagen, wie Sprengstoffe vernichtet oder ggf. in anderer Weise verwendet werden können. Dr. August Haid, einst Chemiker in der „Centralstelle Neubabelsberg“, wurde 1921 als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter übernommen und leitete später die Abteilung „Explosive Stoffe“. Es dauerte nicht lange und das Oberkommando des Heeres (OKH), hier vor allem das HWA, bediente sich ausgiebig der Möglichkeiten der CTR zur geheimen Aufrüstung der Reichswehr. Ab 1930 stiegen die Zuschüsse des HWA zu den Haushaltsmitteln der CTR kontinuierlich (1930: 40.000 RM, 1938: 900.000 RM). Ebenso drang das OKH darauf, bei der baulichen Erweiterung der CTR (ab 1934) gebührend berücksichtigt zu werden. Insbesondere galt dies für die Sprengstoffabteilung. Allmählich entwickelte sich die CTR zu einer Behörde, die fast ausschließlich für das Heer arbeitete, jedoch weitgehend über den Haushalt des Reichserziehungsministeriums (REM) finanziell versorgt wurde. Der Chef des HWA, General der Artillerie Emil Leeb, kam im März 1944 nicht umhin, dem Finanzminister wärmsten dafür zu danken, „dass die Reichsanstalt als Nachfolgerin der Militärversuchsanstalt das einzige Institut war, das in seiner Gesamtheit dem OKH für Entwicklung, Forschung und Abnahme zur Verfügung stand …, das den höchsten Anforderungen während des Krieges in jeder Beziehung gerecht geworden ist“.28 Gewissermaßen das Gegenstück zur CTR stellte die „Physikalisch-Technische Reichsanstalt (PTR)“ in Berlin-Charlottenburg dar. Diese Wissenschaftsinstitution war 1887 entstanden und erwarb sich durch ihre Forschungsergebnisse bald einen ausgezeichneten Ruf, der auch international galt. Herausragende Physiker wie der Nobelpreisträger Prof. Dr. Walther Bothe, Prof. Dr. Hans Geiger, Prof. Dr. Hermann v. Helmholtz, Nobelpreisträger Prof. Dr. Walther Nernst, Prof. Dr. Friedrich Paschen oder der Nobelpreisträger Prof. Dr. Otto Heinrich Warburg arbeiteten hier und traten mit verschiedenen Entdeckungen und theoretischen Erklärungen hervor. Die ausgezeichneten personellen Vorrausetzungen sowie die materiell-technischen Möglichkeiten der PTR fanden natürlich schnell die Aufmerksamkeit des OKH. Insbesondere das HWA vergab gern Forschungsaufträge an die PTR. Kurz nach der Machtergreifung Hitlers im Jahre 1933 verfasste der damalige Präsident der PTR, Nobelpreisträger Prof. Dr. Johannes Stark, eine Denkschrift. In ihr schlug er vor, seine Einrichtung „zum Zentralorgan für die wissenschaftliche Unterstützung der gesamten Wirtschaft und Landesverteidigung des Deutschen Reiches“ zu entwickeln. 28 Leeb am 14. März 1944 an das Reichsfinanzministerium, BAB R 2/12539, Bl. 287.
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Auch in den von ihm vorgelegten Plänen zum Ausbau der PTR, die allerdings in dieser Form nie verwirklicht wurden, standen militärtechnische Forschungsthemen mit an vorderster Stelle. Besonders prägnant widerspiegelte sich dies bei dem 1934 in Angriff genommen Aufbau eines Akustiklabors, geleitet von Dr. M. Grützmacher. Von den nahezu 20 Aufgabenkomplexen befasste sich die Hälfte mit militärischen Sachverhalten, wie akustische Ortung, Einsatz von Ultraschall, Entwicklung neuer, leistungsfähigerer Mikrophone, Methoden der Sprachverschlüsselung. Ähnlich bestellt war es um die optische Abteilung der PTR, die z. B. geheime Forschungen zu Spezialgläsern, neuen Beobachtungs- und Messgeräten oder der Nutzung von Infrarot-Strahlung durchführte. Ab 1942 liefen bei der PTR wesentliche Teile des deutschen Uranprojektes. Auch personell war das HWA in der PTR gut vertreten, durch Prof. Dr. Kurt Möller, der dort das Amt des Vize-Präsidenten inne hatte (vgl. Anhang II: Geheimdissertationen).29 Ein besonderer Stellenwert in der Rüstungsforschung erwuchs bereits wenige Jahre nach ihrer Gründung am 11. Januar 1911 der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V. (KWG) mit ihren zahlreichen, nach und nach etablierten Kaiser-Wilhelm-Instituten (KWI). Ihr erster Präsident Adolf (v.) Harnack hatte schon 1905 in einer Rede postuliert, dass „die Wehrkraft und die Wissenschaft … die beiden Pfeiler der Größe Deutschlands“ seien. Wie diese „Einigkeit“ in die Tat umgesetzt wurde, demonstrierte vor allem das im Oktober 1911 errichtete KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie. Geleitet wurde es von 1911 bis 1933 von Nobelpreisträger Prof. Dr. Fritz Haber. Gleich nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges stellte er sein Institut für militärische Zwecke zur Verfügung. Zuerst waren es Forschungen für die allgemeine Kriegswirtschaft, z. B. neue Gefrierschutzmittel (Ersatz von Xylol*) oder Sprengstoffe. Ebenso schlug Haber den Einsatz von „T-Stoff“ (Gemisch von Xylylbromiden*) als Reizstoff vor. Hierzu fand am 16. Dezember 1914 in Kummersdorf ein Versuchsschießen mit Haubitzen-Geschossen statt. Wegen der unbefriedigenden Ergebnisse empfahl Haber die Anwendung des lungenschädigenden Chlorgases. Am 22. April 1915 erfolgte an der Westfront bei Ypern der erste deutsche Großangriff mit diesem Kampfstoff. Die schrecklichen Auswirkungen dieses sowie weiterer Angriffe begeisterten die Militärs. Haber wurde zum Hauptmann ernannt, der fortan im Kriegsministerium die Leitung der „Zentralstelle Chemie“ übernahm und gleichzeitig an seinem Institut die Kampfstoff-Forschung forcierte. Die späteren Nobelpreisträger Prof. Dr. Otto Hahn und Prof. Dr. James Franck beteiligten sich sowohl an den Experimenten (z. B. auf dem Truppenübungsplatz Döberitz, nordwestlich von Potsdam) als auch den Bemühungen für die Schaffung „naturwissenschaftlicher Grundlagen des Gaskampfes und des Gas-
29 Helmut Moser (Hg.): Forschung und Prüfung. 75 Jahre Physikalisch-Technische Bundesanstalt/Reichsanstalt, Braunschweig 1962; Dieter Hofmann: Nationalsozialistische Gleichschaltung und Tendenzen militärtechnischer Forschungsorientierung an der PTR im Dritten Reich, in: Helmuth Albrecht (Hg.): Naturwissenschaft und Technik in der Geschichte. 25 Jahre Lehrstuhl für Geschichte der Naturwissenschaft und Technik am Historischen Institut der Universität Stuttgart, Stuttgart 1993, 121–131; Nagel: Atomversuche.
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schutzes“. Leiter der Abt. G des KWI war Prof. Dr. Steinkopf, der zusammen mit W. Lommel den neuen, hochtoxischen Kampfstoff Lost* entwickelt hatte. Haber, genannt „Vater des Gaskrieges“, erhoffte sich mit dieser neuen Kampfführung die Beendigung des zermürbenden Stellungskrieges im Westen. Bei Kriegsende gehörten seiner „Gruppe für Offensiv- und Defensiventwicklung im Gaskrieg“ etwa 150 Wissenschaftler und ca. 2.000 (!) Hilfskräfte an. Als nach dem Krieg eine weitere deutsche Kampfstoff-Forschung verboten war, fand Haber, gemeinsam mit seinen Mitarbeitern, manche Wege und Möglichkeiten, dies zu umgehen. Damit wurde zugleich der Grundstein dafür gelegt, dass während der NS-Zeit – in trauter Einigkeit mit dem HWA – die wissenschaftliche Suche nach neuen, weit wirksameren Kampfstoffen am KWI weiterging. Der Fach- und Führungsmann hieß nun Prof. Dr. Peter Adolf Thiessen.30 Andere KWI, die bereit kurz nach ihrer Entstehung rüstungsrelevante Forschungen für das HWA und andere militärische Stellen betrieben, waren die für Eisenforschung (gegründet 1917), für Metallforschung (1921), für Strömungsforschung (1925) und für Silikatforschung (1926).31 Die Situation im zweiten Kriegsjahr 1915/16 veranlasste verschiedene besorgte Wissenschaftler und Leitungskräfte aus der Industrie zum Nachdenken, wie Naturwissenschaft und Technik noch konsequenter und wirkungsvoller in den Dienst der Kriegführung gestellt werden könnten. Zu ihnen gehörte auch Haber, der einen Vorschlag von Albrecht Schmidt (Chemiker, Leiter des wissenschaftlichen Labors für Patentsachen bei den Farbwerken Höchst AG, beteiligt an der Entwicklung von Nebel- und Kampfstoffen) aufgriff, eine spezielle Stiftung zu errichten. Mit ihr sollten Personen, die sich wissenschaftliche oder technische Verdienste um die Kriegsführung erworben hatten, finanziell bedacht werden. Der Bankier und Industrielle Leopold Koppel erklärte sich bereit, eine Kriegsanleihe in Höhe von zwei Millionen Mark zwecks Schaffung einer „Kaiser-Wilhelm-Stiftung für kriegstechnische Wissenschaft“ (KWKW) zur Verfügung zu stellen. Mit ihr sollte ausschließlich „Kriegstechnische Forschung“ betrieben bzw. gefördert werden. Diskutiert wurde der Projektvorschlag zwischen Koppel, Haber, Staatsminister Dr. Friedrich Schmidt-Ott (Präsident der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft), Prof. Dr. Emil Fischer und Prof. Dr. Walther Nernst (beide von der Universität Berlin). Koppel selbst entwarf die Satzung. Das Kriegsministerium, das den Kaiser unverzüglich ins Bild setzte, reagierte prompt. Man hatte im Ministerium und beim Herrscher die Wichtigkeit erhöhter Kriegsanstrengungen wohl erkannt. Am 17. Dezember 1916 war die Genehmigung erteilt. Im sofort gebildeten Kuratorium der KWKW saßen u. a. die jeweiligen Präsidenten der APK und GPK, die Professoren Fischer, Haber, Nernst sowie prominente Wissenschaftler Technischer Hochschulen. Den sechs Fachausschüs30 Vgl. u. a.: Stoltzenberg: Fritz Haber; Szöllösi-Janze: Fritz Haber; Groehler: Der lautlose Tod; Marion Kazemi: Nobelpreisträger in der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, 2. Aufl. Berlin 2006 (= Veröffentlichungen aus dem Archiv der MaxPlanck-Gesellschaft, 15), insb. 103–110. 31 BA-MA, RH 8/v 919 (Akte „Verkehr mit Industrie und Wirtschaft“, 2 Teile).
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sen gehörten, neben mehreren Militärs, nahezu 40 Gelehrte von Rang und Namen an, die an Universitäten, Technischen Hochschulen, KWI und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen tätig waren. Einige von ihnen, die später mit der Forschungsabteilung des HWA zusammenarbeiteten, sollen genannt werden: Poppenberg (Fachausschuss 2: Pulver, Sprengstoffe, Kampfstoffe), Cranz, Nernst und Wehnelt (Fachausschuss 3: Physik, Ballistik, Telegraphie, Messwesen u. a. physikalische Themen), Prof. Dr. Rudolf Schenck (Fachausschuss 6: Metallgewinnung und Metallbearbeitung). Über die Ergebnisse, die von der KWKW erzielt wurden, ist u. a. wegen Verlust von Beständen des Heeresarchivs Potsdam nur wenig bekannt. Nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg musste die KWKW ihre Zusammenarbeit mit dem Reichswehrministerium (RWM) aufgeben. An seine Stelle trat das Reichsministerium der Inneren (RMI), dem die KWKW nunmehr zugeordnet war. Entsprechend den Bestimmungen des Versailler Vertrages war der Gegenstand der Stiftung neu zu bestimmen.1925 wurde sie vor allem wegen finanzieller Gründe aufgelöst.32 Auch die Hochschulforschung stellte sich in oft bereitwillig der Zusammenarbeit mit dem Militär zur Verfügung. Ein gutes Beispiel dafür sind die Aktivitäten des Mathematikers Prof. Dr. Felix Klein, der sich Ende des 19. Jahrhunderts an der Universität Göttingen bemühte, naturwissenschaftliche und mathematische Disziplinen für militärtechnische Zwecke nutzbar zu machen. Ein Ergebnis war die von 1908 bis 1920 an der Universität Göttingen bestehende „Radioelektrische Versuchsanstalt für Marine und Heer“, die den betreffenden Militärbehörden unterstand.33 Die Folgen der Niederlage im Ersten Weltkrieg waren für die frühere deutsche Militärmacht verheerend. Der Friedensvertrag von Versailles im Jahre 1919 – im Grunde genommen diktiert von den Siegermächten Amerika, Frankreich, England und Italien – legte eine einseitige Abrüstung und Entwaffnung der deutschen Streitkräfte fest. Die Wehrpflicht wurde abgeschafft, das Heer auf 100.000 Mann verringert. Das war lediglich ein Achtel der früheren Stärke. Der Besitz und die Produktion schwerer Waffen wie Panzer oder Artillerie, dazu von Flugzeugen, UBooten und Kampfgasen waren untersagt, die Forschungen auf diesen Gebieten verboten. Der Generalstab wurde aufgelöst, die Heeresleitung grundlegend umstrukturiert. Noch vorhandene Waffen, Munitions- und Sprengstoffvorräte mussten erfasst bzw. zerstört oder vernichtet werden. Rüstungsbetriebe waren zu demontieren, wichtige Anlagen zu verschrotten. Die neu gebildete Reichswehr sollte im Wesentlichen eine Polizeitruppe sein, die Aufgaben der inneren Ordnung in Deutschland und des Grenzschutzes wahrnahm. Eine Interalliierte Militär-Kontrollkommission (IMKK) überwachte bis 1927 die Einhaltung dieser Bestimmungen. Sie besichtigte Betriebe, Truppenübungsplätze, Kasernen und militärische Anlagen, inspizierte wissenschaftliche Forschungsstätten und kontrollierte die Zerstörung von Militärgut. Bestandteil der Kontrollmaßnahmen waren selbstver-
32 Maier: Forschung als Waffe, 96–108; Rasch: Wissenschaft und Militär, 73–83. 33 Maier: Forschung als Waffe, 57, 77–83.
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ständlich diverse Spionageaktivitäten der Siegermächte auf deutschem Territorium.34 Mit dieser als drückend und schmachvoll empfundenen Situation konnten und wollten sich die ehemaligen deutschen Generalstäbler auf keinen Fall abfinden. Die Bildung der Freikorps, das Anlegen von Waffenverstecken, die Fememorde und schließlich der Kapp-Putsch (März 1920) und der November-Putsch der NSDAP (1923 in München) waren Teil der Bestrebungen, die gehasste Weimarer Republik zu beseitigen. Schon 1921 dachte der im Jahr zuvor ernannte Chef der Heeresleitung, Generaloberst Hans von Seeckt, darüber nach, wie der Versailler Frieden „gemildert“, eine „Wehrmacht“ wiederaufgebaut, das Heer vermehrt und auf eine Mobilmachung vorbereitet werden kann. In seiner Denkschrift „Grundlegende Gedanken für den Wiederaufbau unserer Wehrmacht (Januar 1921) forderte er „die Truppen sind zur höchsten Vollkommenheit auszubilden“ und es sei ein „Führerheer“ zu schaffen. Weiter postulierte er: „Die Waffentechnik ist unter Heranziehung der Wissenschaft dahin gehend zu fördern, daß technische Vollkommenheit Zahl und Ausbildung ausgleicht. Verbindung mit Technik und Industrie ist herzustellen und zu halten, um zur Verteidigung in jedem Zeitabschnitt die Mittel zu gewinnen, um zur Verteidigung in jedem Zeitabschnitt die Mittel zu gewinnen, die technische Überlegenheit zu erreichen.“35
Diese Vorgabe, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ, war vor allem an die Adresse des Truppenamtes (TA) gerichtet. Das TA war nichts anderes als ein, allerdings gut getarnter Generalstab, der bekanntlich dem Versailler Vertrag gemäß verboten war. Reichlich ein Jahr nach der Besetzung des Ruhrgebietes durch belgische und französische Militäreinheiten (Januar 1923) machte sich eine Gruppe von Offizieren im Truppenamt daran, Pläne zu entwerfen, wie eine zielstrebige, geheime Aufrüstung der Reichswehr in Gang gebracht werden könnte. Natürlich gehörten dazu auch Maßnahmen zur Entwicklung neuer, moderner Waffensysteme.36 Im August 1925 entstand in der Organisationsabteilung (T 2) des TA eine „Denkschrift über die Ziele und Wege der nächsten Jahre für unsere Kriegsvorbereitungen“, die Vorschläge an die Reichsregierung zur Schaffung eines Reichsverteidigungsrates, Aufstellung eines Finanzplanes, zu realisierende Rüstungsarbeiten, Kriegsvorbereitungen usw. enthielten. Im September des gleichen Jahres wurde man schon deutlicher. Der Chef des Heereswaffenamtes, Generalleutnant Ludwig Wurtzbacher (1926 verstorben), entschied sich für Maßnahmen zum Aufbau eines „21-Nelken-Heeres“ [Nelken = Divisionen, G. N.], worauf die Rüs-
34 Salewski: Entwaffnung und Militärkontrolle in Deutschland; Vivian Stranders: Die Wirtschaftsspionage der Entente, dargestellt am Wesen und Treiben der Kontrollkommissionen, Berlin 1929. 35 Friedrich v. Rabenau: Seeckt. Aus seinem Leben 1918–1936, Leipzig 1940, 475. 36 Carl Dirks, Karl-Heinz Janssen: Der Krieg der Generäle. Hitler als Werkzeug der Wehrmacht, 3. Aufl. Berlin 1999, insb. 11–13. Vgl. auch Erklärung Blombergs während des Nürnberger Prozesses, Dokument 3704-Ps, in: IMT: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher ..., unv. Nachdruck München 1989, Bd. 32 (Dokumentenband 8), 464 f.
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tungsanstrengungen zu konzentrieren seien. Gleichzeitig forderte er – ganz im Sinne der Forderung des Generals v. Seeckt – sich bei der Konstruktion und Produktion von Bewaffnung der Wissenschaft zu bedienen: „Solche geistig hoch stehende Arbeiten, die für die Kriegsführung von allerhöchstem Wert sind, für das Heer zu verfolgen oder gar selbst zu schaffen, denke ich mir als die ersprießlichste Aufgabe des neuen Wa. A [= HWA, G. N.], eine Arbeit, die schon heute der IWG ex officio, ohne die Inspektionen zufällt.“
Als Beispiel für „geistig hoch stehende Arbeiten“ nannte er das Schallwesen, das „doch ganz allein nur auf gründlicher exakter Wissenschaft und nicht etwa auf der Erkenntnis der Truppe“ beruhe.37 Bei dem von Wurtzbacher benutztem Kürzel „IWG“ handelt es sich um die „Inspektion für Waffen und Gerät“. Diese Einrichtung, dem Chef der Heeresleitung unterstellt, war am 1. Oktober 1919 gebildet worden. Sie trat an die Stelle von 14 aufgelösten Dienststellen des früheren Kaiser-Heeres. Das waren z. B. APK und GPK, Artillerie- und Infanterie-Konstruktionsbüros, die Versuchsabteilung der Eisenbahntruppen, die Kraftfahrtechnische Prüfungskommission und die Prüfungskommission für Nachrichtenmittel. Die Aufgabe der IWG – gegliedert in sieben Abteilungen – war die „Instandhaltung und technische Prüfung von Waffen, Munition und Gerät. Vereinheitlichung der Waffen , Munition und des Heeresgerätes. Aufstellung der technischen Vorschriften für Waffen, Munition und Gerät …“38 Gemäß der Entwaffnungsnote, beschlossen von der Botschafterkonferenz der alliierten Mächte, kam die IWG ab 15. November 1925 zum HWA. Das HWA war im November 1919 gebildet worden, wurde jedoch bereits im Jahr darauf mit erweiterter Aufgabenstellung betraut. Die jetzt erfolgte Zusammenlegung von IWG und HWA war in der Führung des HWA nicht unumstritten. Deshalb wurde dieser Prozess erst im Februar 1927 abgeschlossen. Entsprechend zog sich auch die „Neuorganisation des Wa A“ hin. Anfang Oktober stand sie im Wesentlichen fest. Nach Amtschef, Stabschef, Leiter Prüfwesen, Leiter Beschaffungswesen, Preisprüfung und Wirtschaftsabteilung präsentierten sich neun Abteilungen, von denen einige hier von besonderem Interesse sind: Infanterie-Abteilung (Wa 2), Ballistische Abteilung (Wa 3) unter der Leitung von Oberstleutnant Dr. Becker, Artillerie-Abteilung (Wa 4) mit dem Referat IV unter der Leitung von Major Justrow, Pionier-Abteilung (Wa 5), Kraftfahr-Abteilung (Wa 6), Nachrichten-Abteilung (Wa 7) mit dem Referat III, Laboratorien, unter der Leitung von Oberinge37 Stellungnahme General Wurtzbachers zur Arbeit der Inspektionen, S. 20, BA-MA, RH 8/v 898; vgl. auch: Heinz Sperling: Die Tätigkeit und Wirksamkeit des Heereswaffenamtes der Reichswehr für die materiell-technische Ausstattung eines 21-Divisionen-Heeres als Übergangsstufe zu einem kriegsstarken Aggressionsinstrument des deutschen Imperialismus (1924–1934), Dissertation, Potsdam 1979, am Militärgeschichtlichen Institut der DDR, 65. 38 Jürgen Schmädeke (Hg.): Militärische Kommandogewalt und parlamentarische Demokratie. Zum Problem der Verantwortlichkeit des Reichswehrministers in der Weimarer Republik, Lübeck-Hamburg 1966 (= Historische Studien, 398), 208 f. (Denkschrift zum Haushalt von 1920 über die Änderungen in der Einrichtung des Reichswehrministeriums, sowie Anlage 10: Organisationsplan des Reichswehrministeriums).
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nieur Möller.39 Damit hatten sich die Grundzüge der Gliederung des HWA herausgebildet, die allerdings bis 1945 verschiedenen Veränderungen unterworfen war.40 Generalleutnant a. D. Erich Schneider – ein Kronzeuge der waffentechnischen Entwicklung in Deutschland, zuletzt als Chef der Amtsgruppe Prüfwesen im HWA (Wa Prüf) – machte 1953 in einem grundlegenden Beitrag deutlich, wofür das HWA von Anfang an zuständig war. „Ihre Aufgaben [die der Waffenämter, G. N.] war und ist die universelle Vorbereitung des technischen Krieges – in enger Zusammenarbeit sowohl mit dem Generalstab als auch mit der Industrie und Wirtschaft –, die ständige Suche nach neuen, wirksameren Kampfmitteln, und nach ihren Abwehrmöglichkeiten, die Vervollkommnung vorhandener Waffen, die Steuerung der Forschung, Entwicklung und Beschaffung der bestmöglichen Waffen, Munition und Geräte, die Sorge für ihre umfassende Bereitstellung zum Kriege durch Lenkung geeigneter fabrikatorischer Vorbereitungen sowie die Garantie der vollen Kriegsbrauchbarkeit der Waffen.“41
Wie dies bereits bei der IWG praktiziert wurde, wie man sich dort kritisch mit dem Stand der Waffentechnik auseinandersetzte und auf diesem Gebiet wissenschaftlich arbeitete, kann am Beispiel von Oberst a. D. Karl Justrow (*1883) vorgeführt werden. Er absolvierte von 1906 bis 1911 die MTA und studierte an der TH Berlin zusätzlich einige Semester Ballistik und Sprengstoffwissenschaft. Ab 1911 gehörte er der APK an. Nach Teilnahme (als Artillerieführer) am 1. Weltkrieg wirkte er von 1919 bis 1925 „an sehr verantwortlicher Stelle als Referent für Artillerie-Munition“ bei der IWG und war dort gut mit Karl Becker befreundet. Von Justrow stammen zahlreiche wissenschaftlichen Arbeiten und Studien, so „Theoretische Betrachtungen über die Lebensdauer unserer Geschütze – Minenwerferrohre, Gewehr- und Pistolenläufe“ (1923), „Betrachtungen über Schusswei39 Sperling: Die Tätigkeit und Wirksamkeit (wie Anm. 37), 63–65. sowie 200–204 („Organisation [des HWA] in großen Zügen“); vgl. auch Nuß: Militär und Wiederaufrüstung, 167–169. Nuß, 194–196, gibt auch einige Hinweise auf die Beteiligung von Krupp an der geheimen Wiederaufrüstung bzw. zur Bewertung der Grundlagenforschung durch die Führung der Reichswehr. Zur Auflösung der IWG vgl. Heeresverordnungsblatt vom 9. Februar 1927, hg. vom Reichswehrministerium. Zur Unterstellung der IWG unter das HWA äußerte sich am 27. Januar 1936 der Leiter von Wa Prüf, Becker in einer Ausarbeitung für den Chef des Generalstabes des Heeres, General Beck: Zur Geschichte der heerestechnischen Entwicklungsstellen. Darin stimmte Becker der Meinung von Justrow zu, dass dies ein Fehler gewesen sei. Becker wörtlich: „Die Wa Prw. (die alte IWG) muß im allgemeinen auf die Qualität der Kampfmittel drücken. Die Forderung der Wa B [Beschaffung, G. N.] nach Masse steht dem entgegen. Solange beide Stellen, Wa Prw und Wa B, in einer Stelle vereinigt sind, wird bei einer nicht technisch sachverständigen Spitze stets die Massenforderung vertreten werden, denn große Fertigungszahlen versteht jeder, sie finden auch leichter den Beifall übergeordneter Stellen, technische Angaben dagegen sind weniger beliebt. Der Leiter Wa Prw hat bei der jetzigen Organisation und Personalbesetzung gar keine Möglichkeit, abweichende Auffassung an den entscheidenden Stellen zur Sprache zu bringen“. Eine Kopie dieser Ausarbeitung, aus dem Nachlass des Generals Schneider, von dessen Sohn, Dr. Schneider, Berlin, zur Verfügung gestellt, ist beim Autor vorhanden. Zur Gliederung des HWA ab 1926 vgl. auch Nuß, 167 f. 40 Manfred Lachmann: Zu Problemen der Bewaffnung des imperialistischen deutschen Heeres (1919 bis 1939), Dissertation, Leipzig 1965, 315–317; Leeb: Aus der Rüstung des Dritten Reiches, insb. 55–59. 41 Schneider: Waffenentwicklung, 27 (Hervorhebungen ebd.).
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ten, Anfangsgeschwindigkeiten und Geschossgewichte neuzeitlicher Schusswaffen“ (1924) oder „Konstruktion und Wirkung von Fliegerbomben“ (1927). Außerdem gehörte er dem Kuratorium der CTR an.42 Auch an anderer Stelle machte man sich Gedanken zur Weiterentwicklung der Waffentechnik. 1924 beklagte z. B. M. Lupus in einem Beitrag für ein renommiertes Fachblatt das „Zurückbleiben der Sprengstoffwissenschaft“. Vor allem die großen Sprengstoffkonzerne müssten wieder größere wissenschaftliche Labors oder Forschungsinstitute schaffen. Um ein gutes Beispiel zu geben, fügte Lupus seiner Kritik eine theoretische Betrachtung darüber bei, was er unter „Detonationsgeschwindigkeit“ versteht und was weiter zu klären sei.43 Ein anderer Beleg für die Orientierung auf wissenschaftliche Erkenntnis ist eine Anweisung des TA vom 12. Februar 1927. Sie gab ein Gruppierungsschema für die Weiterentwicklung von Waffen und Gerät vor. Beabsichtigte Neukonstruktionen gehörten zur Gruppe V. Gefordert wurden u. a. eine gründliche Auswertung des Standes der Technik und sich daraus ergebender neuer Möglichkeiten. Geprüft werden sollte zudem, was der wahrscheinlich zu erwartende Bewegungskrieg an moderner Kampftechnik und Ausrüstung verlangte werde.44 Bei der Reichswehr besann man sich zudem wieder auf die während des 1. Weltkrieges erfolgreich praktizierte Zusammenarbeit mit der KWG und ihren Instituten. General Wurtzbacher (Chef des HWA) und sein Nachfolger, Generalmajor Max Ludwig, verhandelten ab Anfang 1926 mit dem Direktor des schlesischen Kohleforschungsinstitutes, Prof. Fritz Hofmann, über „Sonderarbeiten“ seines Instituts. Der Reichswehrminister selbst beriet sich Mitte 1926 mit dem Präsidenten der KWG zu Maßnahmen einer geheimen Rüstungsforschung an KWI. Als Wunschkandidaten hatte das HWA die Institute für Metall-, Eisen-, Faserstoffund Lederforschung ins Gespräch gebracht. Zusätzlich orientierte das HWA 1927 darauf, Spezialisten des Heeres in die Fachausschüsse der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft (NDW) zu delegieren, um „unmittelbaren Einfluss auf das Arbeitsprogramm zu gewinnen“. Der Präsident der KWG erklärte sich ohne Zögern bereit, seine Institute „auch der Wehrmacht dienstbar zu machen“. Von diesen Absprachen und ihren Ergebnissen wurde auch die IWG informiert.45
42 Erich Schneider: Oberst Justrow zum 80. Geburtstag. Aus dem Leben und Wirken eines bedeutenden Vorkämpfer der Wehrtechnik, in: WTH 60 (1963) Heft 11, 437–442 (mit Übersicht zu den Arbeiten und Veröffentlichungen Justrows); Oberst Justrow 75 Jahre alt, in: WTH 55 (1958) Heft 8, 337 f. In seinen Theoretischen Betrachtungen über die Lebensdauer unserer Geschütz- und Minenwerferrohre, Gewehr- und Pistolenläufe und deren Beziehungen zur Geschoßführung, Berlin 1923, 5, weist Justrow u. a. auf die vielfältigen Beziehungen der Ballistik mit anderen Wissenschaftsgebieten hin, ebenso auf die Zusammenarbeit „vieler hervorragender Professoren“ (u. a. Lorenz, Prandtl, Vahlen) mit „militärtechnischen Stellen“. 43 M. Lupus: Sprengstoffindustrie und Sprengstoffwissenschaft, in: Zeitschrift für das gesamte Schieß- und Sprengstoffwesen 18 (1924), 154–157. 44 Sperling: Die Tätigkeit und Wirksamkeit (wie Anm. 37), insb. 69–72. 45 RWM, HWA-Prüfwesen am 23. August 1927 an Wa Stab, Betr.: Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, BA-MA, RH 8/v 919; ausführlich bei Maier: Forschung als Waffe, 218– 224. In der dort vorgestellten Tabelle, 220, werden u. a. Becker und Justrow genannt.
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An der „schwarzen Rüstungsforschung“ der Reichswehr beteiligten sich auch Hochschuleinrichtungen. Ein Beispiel dafür ist Poppenberg, der nach der Schließung der MTA an der TH Berlin für Forschungszwecke ein Labor zur Sprengstoffchemie leitete: „Das Arbeitsgebiet von P. brachte (…) eine enge Zusammenarbeit mit dem HWA auf dem Gebiet der Pulver- und Sprengstoffe (und auch Munition) mit sich. P. stand hierbei in stetem Gedankenaustausch mit dem seinerzeitigen Abteilungschef General Prof. Dr. Becker. Diese Zusammenarbeit wirkte sich besonders glücklich aus, so daß Rohstoffragen auf dem Pulverund Sprengstoffgebiet schon vor Aufstellung des 4-Jahres-Planes in Angriff genommen und zur Lösung gebracht werden konnten (…). So bestand das Wesen der Tätigkeit P’s in der Zeit nach dem Weltkriege darin, den ihn zur Verfügung gestellten jungen Offizieren Kenntnisse auf dem Gebiet der Explosivstoffe aus der Quelle seines vielseitigem Wissens und seiner reichhaltigen vor und während des Krieges gesammelten Erfahrungen zu übermitteln und gleichzeitig Forschungsarbeiten über den fraglichen Gegenstand durchzuführen.“ 46
Vor allem aber waren es zwei Männer, die sich in der IWG zusammenfanden und bald die Wehrforschung beim HWA prägend bestimmten. Da war zunächst der Offizier und Wissenschaftler Dr. Karl Emil Becker (1879–1940), der als „Meister deutscher Waffentechnik“ in die Kriegsgeschichte einging. Er hatte von 1906 bis 1909 an der MTA in Berlin-Charlottenburg studiert, war danach zwei Jahre Assistent bei dem berühmten Ballistiker Cranz und ging dann zur APK. Nach Fronteinsatz 1914 bis 1916 kehrte er zur APK zurück und wurde 1919 von der IWG übernommen. Gleichzeitig begann er ein Chemiestudium an der Technischen Hochschule Berlin und promovierte dort 1922 zum Dr.-Ing.47 Im gleichen Jahr wie Becker erwarb an der Berliner Universität ein junger Physiker seinen Doktorhut: Erich Schumann (1898–1985). Bei Kriegsausbruch meldete er sich als Kriegsfreiwilliger. Zuerst diente er als Infanterist, ab 1917 als Fliegeroffizier im Fronteinsatz. Nach Kriegsschluss beteiligte sich Schumann in Berlin-Johannisthal an Demobilisierungsarbeiten und studierte in Berlin Mathematik, Physik und Musikwissenschaft. Das Thema seiner Dissertation hieß: „Über die Abhängigkeitsbeziehungen zwischen der objektiven und subjektiven Tonintensität“. Während der Arbeit an dieser Schrift machte Schumann die Bekanntschaft des Ballistikers Dr. Gustav Schweikert (*1890), der 1915 in Bonn promovierte und von 1917 bis 1918 am MVA in der physikalischen Abteilung arbeitete. Mit Unterstützung von Cranz gab Schweikert 1923 sein Buch „Innere Ballistik“ heraus. Der Waffentechnik blieb er bis 1945 treu, stets unter der Leitung von Schumann.
46 Fritz Lenze: Otto Poppenberg zu seinem 65. Geburtstag, in: Zeitschrift für das gesamte Schieß- und Sprengstoffwesen 35 (1941), 194. 47 Ausführlich zum Leben und Wirken von Becker, ab 1938 Chef des HWA, siehe Ciesla: Ein „Meister deutscher Waffentechnik“; Derselbe: Abschied von der „reinen“ Wissenschaft. „Wehrtechnik“ und Anwendungsforschung in der Preußischen Akademie nach 1933, in: Wolfram Fischer (Hg.): Die Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1914–1945, Berlin 2000 (= Forschungsberichte/Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Interdisziplinäre Arbeitsgruppen, 8), 483–511; Derselbe: Das Heereswaffenamt.
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Im Jahre 1922 hatte Schumann nicht nur seine Dissertation erfolgreich verteidigt, sondern war auch beruflich als Physiker bei der Reichswehr eingestiegen – in der IWG bei Becker. Die Vermutung liegt nahe, dass er dort zunächst akustische Themen bearbeitete. Offenkundig hatte er damit Erfolg, denn 1926 wurde er zum Referatsleiter befördert. Zusätzlich lehrte er an der Universität Berlin „Systematische Musikwissenschaft“ und brachte es 1929 auf diesem Gebiet zum Privatdozenten (ausführlich zu Schumann im Kapitel 22). Über diesen Zeitabschnitt bei der IWG äußerte sich Schumann später: „In dem jetzigen General der Artillerie Prof. Dr.-Ing. Becker besaß die Wehrmacht einen Offizier, der zugleich Soldat und Wissenschaftler war. In der Erkenntnis, daß für einen erfolgreichen Krieg außer hervorragender Führung, militärischer Disziplin und guter Truppenmoral eine hochentwickelte Waffentechnik – besonders wenn sie zum überraschenden Einsatz neuartiger Waffen führt – entscheidend werden kann, war er stets um eine enge Verbindung zwischen Wehrmacht und Wissenschaft bemüht. Auf Grund der Tatsache, daß Ergebnisse der Physik und Chemie maßgeblichen Einfluß auf die Weiterentwicklung der Waffentechnik haben, empfahl er schon im Jahre 1924 die Errichtung eines Zentrallaboratoriums für Physik und Chemie. Aber erst als Leiter der ‚Ballistischen und Munitionsabteilung‘ in der damaligen Inspektion für Waffen und Gerät, dem jetzigen Heereswaffenamt wurde er in die Lage versetzt, seinen Gedanken zu verwirklichen. Es entstand schon 1926 in seinem Dienstbereich die ,Zentralstelle für Heeresphysik und Heereschemie‘, die allerdings erst 1929 offiziell als Wehrmachtsdienstelle anerkannt wurde. Ihr war die Aufgabe gestellt, Einrichtungen der deutschen Hochschulen für Heereszwecke nutzbar zu machen und in eigener Forschung der Heerestechnik exakte Grundlagen zu liefern.“48
Chef dieser jetzt ins Leben getretenen „Zentralstelle (ZS)“ wurde Schumann. Eine Liste seiner Mitarbeiter bzw. der von der ZS betriebenen Forschungen konnte bisher nicht gefunden werden. Einige Aufschlüsse geben indes verschiedene Biographien und Veröffentlichungen: Dr. Bernhard Dinse (*1909) gehörte ab 1932 zur ZS und betrieb dort Grundlagenforschung zur Militärakustik (Fliegerabhörverfahren). Dr. Bauer (konnte nicht identifiziert werden). Dr. Heinrich Hunke (*1902) war von 1927 bis 1933 Referent bei der ZS. Gegenstand seiner 1928 abgelieferten Dissertation waren objektive Methoden der Tonstärkemessungen (Akustik). Später wurde er Gauwirtschaftsberater des Gaues Berlin der NSDAP sowie Honorarprofessor an der Wehrtechnischen Fakultät (WTH) der TH Berlin. Dr. Hildegard Motz (*1906) arbeitete von 1926 bis 1928 in der Abteilung Fernmeldetechnik der IWG bei Ministerialdirigent Dickes. Sie übersetzte elektroakustische und fernmeldetechnische Literatur aus dem Englischen und Französischen. Nach dem Studium an der Universität Berlin promovierte sie im Mai 1935 mit einem akustischen Thema bei Schumann und Prof. Dr. Wehnelt. Sie wurde später die zweite Frau Schumanns. 48 Schumann: Wehrmacht und Forschung, 135 (Hervorhebung ebd.). Zur Entstehung dieses Buches teilte Prof. Dr. Hans-Peter Reinecke dem Autor bei einem Gespräch im Jahr 2002 mit, dass die Idee zu dieser Veröffentlichung Schumann „dem ständig knapp bei Kasse gewesenen Donnevert“ eingeredet habe.
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Dr. Walter Kadow (*1897) kam 1926 als Bearbeiter des wehrwissenschaftlichen Schrifttums zur Abteilung 1 der IWG und wurde in dieser Eigenschaft auch von der ZS übernommen. Der 1924 an der Universität Berlin promovierte Romanist (seine Dissertation befasste sich mit den „Stilarten Molières und die romanische Volksposse“) forschte um 1933 an militärakustischen Themen. Gleichzeitig hatte er den Auftrag, die geheime Zusammenarbeit mit Universitäten/Hochschulen, wissenschaftlichen Einrichtungen, Behörden usw. zu organisieren. Dr. Wilhelm Tönnies (*1898) wurde nach freiwilligem Kriegsdienst und schwerer Verwundung 1920 von der IWG übernommen. Sein dadurch unterbrochenes Studium an der Universität Berlin nahm er erst viele Jahre später auf und schloss es im Mai 1935 ab. Dr. Hans Winkhaus (*1896) promovierte 1930 an der Universität Berlin, wurde im gleichen Jahr Professor für Gerätetechnik an der TH Berlin sowie Referent an der ZS, wo er sich mit militärischer Gerätetechnik beschäftigte. Nach dem Ausscheiden bei des ZS (1933) baute er als „rechte Hand von General Becker“ die WTF der TH Berlin maßgeblich mit auf. Dr. Winkel (konnte nicht identifiziert werden, möglicherweise identisch mit Dr. Winkel, SS-Angehöriger am Institut von Prof. Thiessen, vgl. Kapitel 19).49 Becker und Schumann wussten genau, dass die „Handvoll“ Wissenschaftler der ZS dringend auf eine gute Zusammenarbeit mit Universitäten, Hochschulen und wissenschaftlichen Instituten angewiesen war. Laut Schumann vermochte es die Zentralstelle „eine einigermaßen gerechte Auslese zu treffen, da ihr seit etwa 1927 sämtliche Hochschullehrer und sonstige Wissenschaftler, die für eine Mitarbeit gegebenenfalls in Frage kommen könnten, bestens bekannt waren“.50 Nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages war dies zwar untersagt, aber man umging bei der ZS diese „Einschränkungen“ mehr oder weniger geschickt und bediente sich zusätzlich folgender, von Schumann stolz beschriebener Vorgehensweise: „Weil Planstellen und Geldmittel für die Bezahlung von Angestellten nicht vorhanden waren, mußten zahlreiche Teilarbeiten von Doktoranden durchgeführt werden. Diese bastelten sich mit primitivsten Hilfsmitteln die Versuchsaufbauten, Apparate und Meßeinrichtungen zum Teil selbst zusammen. Durchdrungen von der hohen Bedeutung ihrer Aufgabe, führten sie auf abgelegenen Versuchsplätzen unter schwierigsten Arbeitsbedingungen langwierige Messungen und oft gefährliche Versuche durch, und opferten Jahre, in Einzelfällen sogar Gesundheit und Leben, weil infolge des Geldmangels teure Sicherheitsversuchsstände – ohne die heute eine Lösung gefahrvoller Aufgaben vielen unmöglich erscheint – nicht gebaut werden konnten. Den jetzt in hervorragend ausgestatteten Laboratorien arbeitenden Wissenschaftlern mag es Ansporn und Verpflichtung sein, zu wissen, daß die grundlegenden Erkenntnisse für die 49 Die Angaben zur Tätigkeit bei der IWG bzw. ZS wurden zusammengestellt nach Personalunterlagen/Lebensläufen in Dissertationen sowie BAB, Unterlagen ehemals BDC. Donnevert ergänzte in Schumanns Wehrmacht und Forschung (136): „Die Zentralstelle, die schon damals zum Amtsbereich des heutigen Generals Becker gehörte, war der Partei lange vor der Machtübernahme bekannt. In ihr bzw. in engster Verbindung mit ihr arbeiteten Wissenschaftler, die z. B. Kreisleiter (Dr. Mentzel), Reichstagsabgeordnete der NSDAP (Dr. Hunke), SA-Führer (Dr. Dinse) und SS-Führer (Dr. Bauer, Dr. Winkel) waren. 50 Schumann: Wehrmacht und Forschung, 138.
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I. Organisation Schaffung mancher vielleicht kriegsentscheidender Kampfmittel damals unter so harten Bedingungen erarbeitet werden mußten.“51
Zur Täuschung griff Schumann bei der ZS noch zu einem anderen Trick: Die Einrichtung von „Schattenstellen“. Ein schönes Beispiel dafür bietet Kadow. Der wurde offiziell ausgewiesen als Inhaber einer Bibliotheksratsstelle bei der Preußischen Staatsbibliothek, die später dem Institut für Lautforschung an der Universität Berlin zugeordnet wurde. So kam Kadow 1934 zum Titel eines „Bibliotheksrat in Preußen“, der ihm rechtlich überhaupt nicht zustand. Der schlaue Schumann schlug noch 1940 aus dieser Tarnung seines Mitarbeiters Kapital. Über Prof. Dr. Rudolf Mentzel vom Reichserziehungsministerium (REM) erreichte Schumann, dass die Bibliotheksstelle Kadows seinem II. Physikalischem Institut an der Universität Berlin zugeschlagen wurde.52 Zur Geheimhaltungspraxis der ZS gehörte auch die Vergabe von Forschungsthemen an „Privatpersonen“. Zwei Fälle, wahrscheinlich waren es viel mehr, können dafür benannt werden. Der Ballistiker Prof. Dr. Hans-Hermann Kritzinger (*1887), ehemals Assistent bei Cranz, wurde durch Becker im HWA mit der Führung der Arbeitsgruppe „Tageseinflusswesen“ betraut, die sich mit Korrekturtabellen zu den Schusstafeln der Artillerie befasste. Später arbeitete Kritzinger bei der Waffenfirma Rheinmetall, ebenfalls als Ballistiker. 1932 (oder 1934) gründete er in Berlin ein „Ballistisch-Photogrammetrisches Büro“, das bis 1945 für das HWA tätig war.53 Dem Physiker Dr. Otto Schwab (*1889) – von ihm wird noch mehrfach zu berichten sein – bescheinigte 1934 der Reichswehrminister in einem Dankschreiben die Wichtigkeit seiner wehrtechnischen Arbeiten. Schwab betrieb ab 1920 ein eigenes Ingenieurbüro in Oberhessen. Einige seiner Erfindungen auf dem Gebiet des Schallmesswesens wurden geheim bei der Reichswehr getestet und eingeführt.54 Mit dem Machtantritt Hitlers schlug Schumanns große Stunde. Geradezu begeistert äußerte sich der Chef der ZS über die nun neu geöffneten Horizonte wehrwissenschaftlicher Forschungen: „Schon im Sommer 1933 ließ sich der Führer die Ergebnisse der seit 1926 betriebenen Kleinarbeit auf den Versuchsfeldern und in den Laboratorien vorführen und besichtigte die bestehenden Einrichtungen bis in den letzten Winkel. Er entschied an Ort und Stelle, – weit über unsere Hoffnungen hinaus – beschleunigt in der eingeschlagenen Richtung fort zufahren, die Entwicklung und Erprobung der neuen Kampfmittel vorwärts zutreiben und die weitere Forschung auf breiteste Grundlage zu stellen. Für General Becker und seine Mitarbeiter war dieses die schönste Anerkennung für die Richtigkeit des bisherigen Handelns.“55
51 Ebd., 136. 52 BAB ZD I/529 (Personalunterlagen Kadow) sowie R 4901/1468, Bl. 94 f. (Bestände des REM zum II. Physikalischen Institut der Universität Berlin). 53 Hans-Hermann Kritzinger, Friedrich Stuhlmann (Hg.): Artillerie und Ballistik in Stichworten, Berlin 1939, 177; Nachruf auf Kritzinger in: Wehrtechnik 2 (1969), 84. 54 BAB, Personalunterlagen zu Schwab in Beständen BDC (SSO 120 B u. a.). 55 Schumann: Wehrmacht und Forschung, 137 (Hervorhebung ebd.).
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Nach der Entscheidung des Diktators für die Forcierung der zumeist immer noch geheim gehaltenen Aufrüstung floss auch reichlich Geld. Die ZS wurde zum 1. Mai 1935 zur „Forschungsabteilung des Heerswaffenamtes“ erhoben. Als Kürzel wurde „WA Prw. Z.“ verwandt. Wenig später firmierte sie unter der offiziellen Bezeichnung „Wa Prüf 11“. Ab 1938 änderte sich dies. Wegen der direkten Unterstellung unter den Stab/Chefingenieur des HWA wurde die Bezeichnung „WaF“ eingeführt. „Prüf 11“ stand künftig für die Raketenabteilung in Peenemünde. (Der Einfachheit wegen wird nachfolgend durchgängig „WaF“ verwandt.)56 Zum Zeitpunkt der Umwandlung der „Zentralstelle“ in eine „Forschungsabteilung“ agierten unter der Führung Schumanns bereits mehrere Arbeitsgruppen, die sich mit zum Teil völlig neuen Entwicklungsrichtungen befassten. Eine davon war die „1934 von General Becker ins Leben gerufene Gruppe, die auf dem Raketengebiet systematisch praktische Arbeit geleistet und sich nicht auf theoretische Forschungen beschränkt hat.“57 Noch aber verfügte WaF kaum über ein solides eigenes Experimentierfeld. Man war weitgehend auf die Einrichtungen und Versuchsstände anderer Abteilungen von Wa Prüf angewiesen, die sich bereits in Kummersdorf etabliert hatten. Die Raketenarbeiten fanden z. B. in der „Versuchsstelle West“ statt, die später an Prüf 11 über ging (Details dazu im Kapitel 11). Die für WaF vorgesehene Versuchsstelle Ost (Vers. Ost) war noch im Bau. Sie bekam ihren Standort an der Ostgrenze des Übungsplatzes, nahe bei der Gemeinde Kummersdorf-Gut. Vers. Ost war relativ klein gehalten und hatte einen nahezu quadratischen Grundriss. Am 1. April 1933 mietete das HWA vom Forst Kummersdorf das 2,55 Hektar große Gelände für einen jährlichen Mietpreis von 255 RM. Als Nutzungsgrund wurde der Forstbehörde „Artillerieschießstand“ mitgeteilt. Im November 1934 ergänzte „Wa Prw“ dies durch die Mitteilung, dass „2 Prüfstände, 1 Laboratoriumsunterstand, 1 Messhaus sowie ein Anschlussgleis“ gebaut würden.58 1935 reaktivierte die Wehrmacht den kaufmännischen Angestellten Bismarck Schmude (*1897), ernannte ihn zum Hauptmann und erteilte den Auftrag, als Verantwortlicher ab 1. August 1935 die Vers. Ost einzurichten. Zwei Jahre danach wurde Schmude der militärische Leiter von Vers. Ost.59 Bereits vor der Inbetriebnahme von Vers. Ost war klar, dass diese Versuchsstelle den Umfang der WaF gestelltem Forschungsaufgaben nicht gerecht werden konnte. Dazu schrieb ein ehemaliger Mitarbeiter von WaF: „1937–1938 entstand die Heeresversuchsstelle Kummersdorf-Gottow, die mit ihren großzügigen Anlagen in 3 mal 500 Meter Front mit einer Prüfstandreihe, einer zum Schutz gegen
56 Amtliche Nachrichten für die Stellen des Reichswehrministeriums, 1935, Nr. 205; vgl. auch Rudolf Absolon: Die Wehrmacht im 3. Reich. Aufbau, Gliederung, Recht, Verwaltung, Bd. III, Boppard am Rhein 1975, 140–155; Neufeld: Die Rakete, Anhang 2: Organisatorische Struktur des Heeresraketenprogramms, 379–381. 57 Ernst Haeuseler: Zur Geschichte der Raketenforschung, in: Weltraumfahrt. Zeitschrift für Astronautik und Raketentechnik 6 (1956) Heft 4, 105 f. 58 BLHA, Pr. Br. Rep. 2 A Regierung Potsdam, III F, Nr. 11288. 59 BA-MA, PA Schmude, Pers. 6/12558.
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I. Organisation Splitter abgedeckten Meßhausreihe und einer Laboratoriumsreihe die Durchführung gefährlicher Versuche erlaubte. Nach dem Umzug der Raketengruppe von der Versuchstelle Ost in diese neu entstandene Heeresforschungsstelle Kummersdorf-Gottow wurden weitere Arbeiten aufgenommen.“60
„Vers. Gottow“ – so die bald eingebürgerte Kurzbezeichnung – lag am westlichen Rand des Kummersdorfer Areals und hatte ihren Namen von dem etwa 2 km entfernten märkischen Dorf Gottow abgeleitet. Die oben erwähnten Baulichkeiten – eine größere Anzahl unterschiedlichster Betonkörper – errichtete man parallel zur damaligen Verbindungsstraße Kummersdorf-Gottow (vgl. Lageskizze Vers. Gottow). Laut Schumann entstanden zahlreiche, mit „modernsten wissenschaftlichen Hilfsmitteln ausgestatteten Laboratorien“. An der Bauplanung, zu der jedoch bisher Einzelheiten fehlen, war Prof. Dr. Wilhelm Loos (1890–1952) entscheidend beteiligt. Er galt als Experte der Baugrundforschung und Baugründung. Darüber hatte er 1930 an der TH Berlin zum Dr.-Ing. promoviert. 1933 wurde er Geschäftsführer der Deutschen Forschungsgesellschaft für Bodenmechanik (Degebo) in Berlin, mit gleichzeitigem Lehrauftrag für Baugrunduntersuchung an der TH Berlin. Dort bekam er auch an der WTF eine Professur für das Wehrtechnische Bauwesen. Als dritte und kleinste Forschungsstätte von WaF in Kummersdorf entstand „Vers. N“. Sie lag einige hundert Meter nördlich von „Vers. Gottow“. Über „Vers. N“ ist bisher sehr wenig bekannt. Verschiedentlich wurde angenommen, dass „N“ geographisch den Standort andeuten sollte. Aus einigen Dokumenten geht jedoch die genaue Bezeichnung hervor: „Nachrichtenversuchsstelle (Forschung)“.61 Alle drei Forschungseinrichtungen von WaF waren militärisch dem Kommandanten des „Versuchsplatzes Kummersdorf“, Oberst Fritz Kamenicky (*1887), unterstellt. Der Offizier, dem eine „ausgesprochene technische Begabung“ und großes organisatorisches Können bescheinigt wurde, hatte seinen Dienst in Kummersdorf 1936 angetreten. Ende 1944 erfolgte seine Versetzung nach Peenemünde.62 Für die Unterhaltung und den Ausbau der Laboratorien von WaF standen reichliche Mittel zur Verfügung. Im Rechnungsjahr 1937 verfügte z. B. „Vers. Ost“ über 15.000 RM, zusätzlich 10.000 RM für den Kauf „handelsüblicher Gegenstände“. Für den „Ausbau der Nachrichtenversuchsanlage“ (identisch mit „Vers. N“?) wur60 Haeuseler: Zur Geschichte (wie Anm. 57), 106. Eine indirekte Bestätigung der Angaben Haeuselers sind Forstakten im BLHA, Pr. Br. Rep. 2 A Regierung Potsdam, III F (Bestände Forst Kummersdorf), Nr. 11334. In diesen Archivalien befindet sich eine Karte von 1934 zu einer unterirdisch zu verlegenden Starkstromleitung (Länge 10,2 km) auf dem Gelände der Heeresversuchsstelle Kummersdorf, die noch keine Baulichkeiten einer Vers. Gottow, jedoch eine Abzweigung der Starkstromleitung dahin verzeichnet. 61 BAB (Bestände des Reichsrechnungshofes), R 2301, Film 37852, Nr. 5587 und Film 37800, Nr. 5350. 62 BA-MA, PA Kamenicky, Pers. 6/7549. Diese Unterlagen sind insgesamt für die Geschichte der „Heeresversuchsstelle Kummersdorf“ von Wert, da aus einer Beurteilung des K. vom 1. April 1943 genaue Angaben über die Höhe des damaligen Personalbestandes sowie die einzelnen Dienststellen hervorgehen. So werden z. B. eine „Versuchsstelle Storkow“ und eine „Materialuntersuchungsstelle“ genannt, die bisher unbekannt waren. Während zur Materialuntersuchungsstelle weitere Dokumente gefunden wurden, von denen noch an anderer Stelle berichtet wird, konnten die Hinweise auf die „Versuchsstelle Storkow“ nicht geklärt werden.
1. Die Entstehung der Forschungsabteilung des Heereswaffenamtes (WaF)
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den im gleichen Jahr 123.500 RM ausgegeben. Im September 1943 registrierte der Reichsrechnungshof Rechnungen (allerdings ohne Angabe von Summen) für „Neubau der Versuchsstelle Ost“, „Errichtung eines 40 Meter hohen Holzgerüstes“ sowie „Errichtung von zwei Antennenmasten“ auf dem Gelände von „Vers. N“. Baumaßnahmen erfolgten auch zur Nachrichtenversuchsanlage (N.V.A.). Als Bauvorhaben 101 erscheint „Neubau der Versuchstelle Gottow“. Für Trennungsentschädigung wurden im Mai 1943 aufgewandt: „Vers. N.“ 190,95 RM, „Vers. Gottow“ 2.296,98 RM. Letztere Summe war ca. ein Drittel der insgesamt in Kummersdorf gezahlten Trennungsentschädigungen (für 64 Zivilbeschäftigte!).63 Die technische Ausstattung von „Vers. Gottow“ konnte sich sehen lassen. Im Juni 1944 besichtigte ein Mitarbeiter des Planungsamtes des Reichsforschungsrates im Auftrag seines Chefs, Prof. Dr.-Ing. Werner Osenberg, die Versuchsstelle. In seinem Bericht heißt es dazu: „Ein Überblick über die Lage der Versuchsstelle Gottow zeigt eingangs einige Gebäude für Verwaltung, Fahrzeugpark, Feuerwehr, Sanität usw., etwas abseits im Walde den Hauptteil der eigentlichen Versuchsstelle, die sich in 5 große Gebäudegruppen unterteilt, von denen jede aus einem Bau für Büro- und Arbeitsräume, einem für Labors und Werkstätten und einem für Meß- und Versuchstände besteht. Sämtliche Gebäude sind untereinander durch splittersichere Gänge verbunden und in Richtung der Versuchstände splittersicher abgedeckt. Eine elektrische Zentrale mit 2 Notstrom-Diesel, Frequenzumformer, Gleichspannungs-Konstanthalte-Aggregaten, Linienwählern usw. ist nur zum kleinsten Teil ausgenutzt. Es bestehen große und gut eingerichtete zentrale Werkstätten für jede Gruppe, die Werkzeugmaschinen stammen aus den Baujahren 1938–1941 und sind gut erhalten. Viele Schweißeinrichtungen und Werkzeuge vorhanden; Einrichtung für mittelschwere Arbeiten, weniger für feinmechanische. Infolge Personalmangel sind die Werkstätten nur zu etwa 30 % ausgelastet, die meisten Maschinen und Schraubstöcke stehen leer. Daneben sind noch für jedes Labor kleine Versuchswerkstätten vorhanden. Die Material - und Gerätelager sind dieser Vollständigkeit wohl selten vorhanden. Große und helle Arbeitsräume sind nur zum Teil besetzt. Die Labors sind vorzüglich für alle vorkommenden Messungen und Versuche eingerichtet, aber längst nicht ausgenutzt. Von den insgesamt 15 vorhandenen Versuchsständen (für Prüfung von Raketen und Geschützen, Sprengstände usw.) war am Tage des Besuches keiner in Betrieb. Sicherheits- und Meßeinrichtungen dieser Versuchsstände sind sehr umfassend, wenn auch teilweise angerostet … Es dürfte sicher sein, daß die gut eingerichtete Versuchsstelle mit etwas stärkerer ausgewählten Personal-Besetzung (die Einrichtung war vorgesehen für etwa 1.000 Mann, zur Zeit beschäftigt etwa 150) und straffer wissenschaftlicher Führung, die frei von bürokratischen Hemmungen ist, ein Mehrfaches des bisherigen auf dem Gebiet der Ballistik leisten könnte.“64
Was Osenbergs Abgesandter nicht oder nur teilweise gesehen und registriert hatte, waren die zahlreichen technischen Apparaturen für modernste Untersuchungsverfahren wie die Röntgenblitzfotografie, die Kerrzellenfotografie, die Spektroskopie oder die Schlierenmethode. (Diese und andere Verfahren werden im Teil II „Experimente“ vorgestellt.) Auch zur „Uranmaschine“ wird Osenbergs Mitarbeiter kaum gelangt sein.
63 Wie Anm. 61. 64 Osenberg am 13. Juni 1944 an Oberst Geist, IfZ, Bestände Irving, ED 100 4a, Bl. 291135– 291138 (Hervorhebung ebd.).
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I. Organisation
Zwecks Tarnung gegen eine Luftaufklärung hatte man die Mehrzahl der Gebäude mit Flachdächern versehen und begrünt. Ein Umstand, den das weibliche Personal gut zu nutzen wusste. Soweit es die Mittagspause und andere Freizeitstunden zuließen, sonnten sich hier Stenotypistinnen, Sekretärinnen usw. Die abgeschiedene Lage von „Vers. Gottow“ – bis zum Offizierscasino oder der Kommandantur waren es immerhin reichlich zwei Kilometer – erforderte eine besondere Verkehrs- und Transportverbindung. Das war eine Feldbahn, die zwischen Offizierscasino und Versuchsstelle verkehrte. Sie umrundete die Forschungsstätte bzw. durchfuhr sie und hatte Anschluss an die meisten Versuchsstände. Eine große Halle in Betonbauweise war so etwas wie ein „unterirdischer Bahnhof“. Von hier fuhren die Offiziere und Wissenschaftler mittags zum Speisen ins Casino. Den Arbeitern und Zivilbeschäftigten, die zumeist aus den umliegenden Dörfern kamen, war ein besonderer Eingang an der Verbindungsstraße Kummersdorf-Gottow vorbehalten.65 Die Wasserversorgung von „Vers. Gottow“ erfolgte über mindestens fünf Tiefbrunnen, die über das Terrain verteilt waren.66 Aus den komplizierten Experimenten, die in der „Vers. Ost“ erfolgten (z. B. zu Raketentriebwerken, genannt „Öfen“), kann geschlussfolgert werden, dass auch diese Forschungsstätte technisch bestens ausgestattet war.67
2. STRUKTUR, PERSONELLE BESETZUNG UND AUSSENBEZIEHUNGEN VON WAF68 Struktur und Personal Offizieller Sitz der Abteilung Forschung war die Jebensstraße in Berlin, die sich parallel zur Westseite des berühmten Bahnhofs Zoo hinzieht. Benannt ist der kurze Straßenzug nach Geheimrat Dr. Jebens (1830–1907), der als Senatspräsident beim Oberverwaltungsgericht wirkte. Die Nr. 1 war seit längerem Eigentum des Reichskriegsministeriums (RKM) und bot Raum für das HWA. Architektonisch stand der unscheinbare, geradezu streng schlichte Bau ganz im Schatten seines Nachbarn, der Nr. 2. Dieses Haus wurde 1909 als Landwehrkasino nach Plänen von Schmieden und Boethke errichtet. Im Hof bekam es 1930 ein Denkmal für die Gefallenen der Artillerie-Prüfungskommission, eine „antikisch gewandte Barbara-Figur mit Granate, vergoldeter Eisenguß, von Otto Schulz“. Bis 1945 nutzte es u. a. die „Kameradschaftliche Vereinigung Berlin der Offiziere des Beurlaubtenstandes“ (nach schweren Kriegsschäden bis 1954 wieder hergerichtet).69
65 Mitteilungen von Dr. Czulius, Frau Wolfschlag, Dipl.-Ing. Cobarg, Prof. Luck sowie Lageskizze Vers. Gottow. 66 Vgl. Lageskizze Vers. Gottow. 67 Vgl. Anhang II: Geheimdissertationen. 68 Vgl. das vgl. Strukturschema WaF im Anhang. 69 Adressbücher Berlin, verschiedene Ausgaben 1939–1945; Georg Dehio: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler: Berlin, bearb. v. Michael Bollé u.a., München 1994, 196. Auf die
2. Struktur, personelle Besetzung und Außenbeziehungen von WaF
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Größere Teile von WaF waren „gleich um die Ecke“ untergebracht, in der Hardenbergstraße 10. Die Jebensstraße mündet in die Hardenbergstraße. WaF verfügte über einen eigenen Stab, der von Stabsgruppenleiter Oberst Richard Glagow (*1883) geleitet wurde. Glagows militärische Laufbahn begann 1901 mit der Meldung als Freiwilliger, der bald als Feuerwerker in verschiedenen Dienststellungen diente. Dieser Unterführer alter preußischer Prägung nahm während des ersten Weltkrieges an vielen Kämpfen, vor allem an der Ostfront, teil. Bei Kriegsende erfolgte seine Versetzung zum Feuerwerkslaboratorium Spandau. Danach gehörte er der Reichswehr an und wurde 1923 als Hauptmann verabschiedet. Seine Tätigkeit als Angestellter im Abnahmedienst bei einer Rüstungsfirma bewog das HWA, ihn 1933 zu reaktivieren und ab 1. September 1939 als Stabsgruppenleiter bei WaF einzusetzen. Das war vor allem eine Verwaltungsaufgabe. In einer Beurteilung von Mitte 1944 befand Schumann zu Glagow, der am 1. Juli 1944 zum Oberst befördert wurde, er habe „eine umfassende Kenntnis aller Forschungsvorhaben und der damit beschäftigten Wissenschaftler, die für den reibungslosen Ablauf aller damit zusammenhängenden Angelegenheiten unbedingt erforderlich ist. Glagow ist mit den besonderen Anforderungen der WaF auf den Gebieten der Schieß- wie auch der Sprengtechnik voll vertraut und daher in der jetzigen Zeit nicht zu ersetzen“.70 Glagow unterstanden die Registratur (mit den Briefbüchern: offen, geheim, geheime Kommandosache) sowie die Referate A 1, A 2, B, C, (C wahrscheinlich zuständig für Finanzen), D und E. Als Wissenschaftler, die dem Stab angehörten, wurden Regierungsrat Dr.-Ing. Erwin Bayer (Referent bei D, vgl. Kapitel 16) und Regierungsrat Dr. Hans Wittkopf bekannt. Wittkopf hatte 1937 als Physiker an der Technischen Hochschule Berlin promoviert. Seine Schrift ist in Bibliotheken und auch an der TH Berlin nicht vorhanden. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Geheimarbeit.71 Zu WaF gehörte auch die Hochschulzentralstelle. Deren Aufgabe beschrieb Schumann wie folgt: „Die Hochschulzentralstelle hat von Anbeginn die Forderung erhoben, für wehrkundliche und wehrpolitische Vorträge an Hochschulen nur besonders geschulte Kräfte (Dozenten oder aktive Offiziere) einzusetzen, ferner das, was man mit Wehrwissenschaft bezeichnen könnte, nur von habilitierten Dozenten in Forschung und Lehre vertreten zu lassen, und in diesen Fällen besondere Lehraufträge nur im Zusammenhang mit derjenigen Hauptdisziplin zu erteilen, der das betreffende Sondergebiet angehört, z. B.: Geographie (mit besonderer Berücksichtigung der Wehrgeographie), Geschichte (… Kriegsgeschichte), Philosophie (… Wehrphilosophie),
Hardenbergstraße verweisen u. a. die Zeitzeugen Dr. Czulius, Frau Frenzel sowie Michael Graf Soltikow: Ich war mittendrin. Meine Jahre bei Canaris, Wien/Berlin 1980, 65. 70 BAA, Auskunft vom 11. November 1998, mit Kopien aus Personalunterlagen. 71 Die nachfolgenden Angaben zur Struktur und personellen Besetzung wurden, falls nichts anderes vermerkt, vor allem zusammengestellt nach: Schreiben Osenbergs an Geist vom 13. Juni 1944, IfZ, SI, ED 104 a, Bl. 291132–291138; Telefonverzeichnis HWA-WaF von Mitte 1944; BAB, Bestände ehemals BDC; Biographien und Hinweise in Dissertationen und Veröffentlichungen. Die Zahlen zur Personalstärke beziehen sich alle auf Mitte 1944. Da exakte Unterlagen fehlen, können sie nur als allgemeine Richtwerte angesehen werden.
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I. Organisation Wirtschaftswissenschaft (… Kriegswirtschaft), Physik (… Ballistik und Sprengstoffphysik), Chemie (… Wehrchemie), Hygiene (… Wehrhygiene), Chirurgie (… Kriegschirurgie).“72
Die Forschungsabteilung unterteilte sich in fünf verschiedene Bereiche unterschiedlicher Größe und Aufgabenstellung. Das waren: Gruppe I (Physik), Gruppe II (Chemie), Gruppe III (Fernsteuerung), Referat IV (Theoretische Ballistik, Mathematik) sowie die Gruppe V (Organisation der Forschung). Gruppe I (WaF I) leitete Ministerialrat Dr. Walter Basche (1897–1945). Er hatte in Berlin das Abitur gemacht, trat 1916 in den Heeresdienst und studierte ab 1919 an der Universität Berlin Physik, Chemie und Mathematik. 1926 promovierte er bei den Professoren Planck und Wehnelt (Universität Berlin). Im Jahre 1936 begann er bei Wa Prw 7 (Nachrichtengerät), wechselte aber Mitte 1939 zu WaF. Mit eigenen wissenschaftlichen Leistungen trat Basche nicht hervor. Er war vor allem Wissenschaftsorganisator. So vertrat er z. B. General Emil Leeb als Chef des HWA als Nachfolger von Becker im Reichsforschungsrat (RFR) bzw. führte in Abwesenheit von Schumann die Abteilung Forschung. Die „Wissenschaft organisierende Rolle“ Basches zeigte sich vor allem beim Anlauf des deutschen Uranprojektes bis zu dessen offizieller Abgabe an den RFR.73 WaF I a (Atomphysik) unterstand ab 1939 Regierungsbaurat Dr. Kurt Diebner (1905–1964), der in der Hardenbergstraße 10 residierte. Diebner hatte in Halle Physik studiert, dort 1931 eine außerplanmäßige Assistentenplanstelle angetreten und im gleichen Jahr mit einem kernphysikalischen Thema seinen Doktortitel erworben. Nach wissenschaftlicher Tätigkeit auf diesem Gebiet wechselte er von Halle nach Berlin, zur PTR, und kam schließlich 1934 zu WaF. Da Diebner hier weiterhin nach einer möglichen Nutzung kernphysikalischer Effekte für die Waffentechnik suchte, wurde er nach der Entdeckung der Kernspaltung unverzüglich mit der Leitung des Mitte 1939 gegründeten Referates WaF I a betraut (Stärke etwa zehn Mitarbeiter).74 Die Führung von WaF I b (Sprengphysik, Hohlladungen) oblag Regierungsbaurat Dr. Walter Trinks (*1910), der an der Universität Berlin bis 1933 Mathematik, Physik und Chemie studierte. Da Trinks „eine besondere Zuneigung zur Theoretischen Physik“ empfand, begann er bei den Professoren Möglich und Laue mit einer Untersuchung zu einer „Aufgabe über die Vielfachstreuung an kleinen Kugeln“. Diese Dissertation schloss er im Mai 1935 ab. Möglich und Laue bescheinigten ihm, damit „eine Lösung für ein außerordentlich kompliziertes Problem gefunden zu haben“. Besondere Anerkennung verdiene die Bewältigung der „außerordentlich schwierigen Rechnungen“. Nach freiwilligem Dienst in einem
72 Schumann: Wehrmacht und Forschung, 133 f. Schumann schreibt von einer „Hochschulzentralstelle der Wehrmacht“, jedoch geht aus verschiedenen Darstellungen zur Gliederung der Wehrmacht die Zuordnung zu WaF hervor (z. B. bei Georg Tessin: Verbände und Truppen der deutschen Wehrmacht und Waffen-SS im Zweiten Weltkrieg 1939–1945, Bd. 1: Die Landstreitkräfte, Osnabrück 1967, 2. Aufl. 1979, 144). 73 Nagel, Atomversuche, insb. 27–32. 74 Ausführliche biographische Hinweise zu Diebner sowie dem ihm unterstellten Referat ebd.
2. Struktur, personelle Besetzung und Außenbeziehungen von WaF
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Artillerieregiment wurde Trinks nach 1936 Referent bei WaF. Die Stärke von WaF I b betrug ca. zehn Mann. Zahlenmäßig ziemlich gut besetzt, mit etwa 25 Mann, war WaF I c (Ballistik, Raketen, Leichtgeschütz). Leiter war der Regierungsbaurat Dr. Heinz-Otto Glimm (1911–1945). Der Wissenschaftler hatte ab 1929 an der Universität Berlin Physik und Mathematik studiert und begann bereits 1932 mit Untersuchungen zu einer Dissertation. Im Januar 1935 war diese Schrift fertig gestellt, die von Wehnelt, Schumann und Prof. Schweikert betreut und auch angenommen wurde. Da diese Arbeit, die übrigens Schumann sehr gelobt haben soll, sich mit einem Grundlagenthema des damals gerade in Entwicklung befindlichen Raketenantriebes beschäftigte, wurde sie sofort zur Geheimsache erklärt. Das Referat WaF I d gab es Mitte 1944 bereits nicht mehr. Angaben über Aufgabenstellung, Leitung, Stärke usw. konnten nicht gefunden werden. Möglicherweise wurde es, wie das in Anm. 54 erwähnte Telefonverzeichnis andeutet, mit WaF I e vereinigt. Für dieses Referat Nachrichtentechnik, untergebracht in der Hardenbergstraße 10, war Oberregierungsrat Dr. Walther Köhler (*1903) zuständig. Köhler studierte ab 1927 an der Universität Jena Physik, Mathematik und Chemie. Auf Anregung von Prof. Esau begann er Mitte 1929 mit Forschungen zur „Wirkungsweise von Vollmetall- und Gitterreflektoren bei ultrakurzen Wellen“. Die daraus entstandene Dissertation wurde 1931 von Esau angenommen. Ab Januar 1934 gehörte Köhler zu WaF. Sein Referat bestand aus etwa zehn Mitarbeitern. Dazu kam noch ein Versuchstrupp, dessen Stärke unbekannt ist. Die ursprüngliche Aufgabe von WaF I e bestand in der Grundlagenforschung zu nachrichtentechnischen Geräten aller Frequenzen auf den Gebieten Peil- und Verschlüsselungswesen. 1944 erfolgte eine Umstellung auf „Messwesen für Ballistik“. Wahrscheinlich war WaF I e identisch mit der „Vers. N, die sich auf dem gleichen Gelände wie Vers. Gottow [befand], nur ein paar Minuten mit dem Fahrrad erreichbar“.75 Schließlich gehörte zur Gruppe Physik noch das Referat WaF I f (Optik, Bildwandler, Ultrarot). Es wurde geführt von Regierungsrat Dr. Bernhard Schönwald (1907–1945). Er stammte aus Stettin, hatte die preußische Staatsangehörigkeit inne und studierte ab 1927 an verschiedenen Hochschulen und Universitäten. In Erlangen verteidigte er 1933 bei seinem Lehrer, Prof. Gudden, sehr erfolgreich eine Doktorschrift. Diese Arbeit beschrieb ein „Verfahren zur Messung lichtelektrischer Ströme in Halbleitern“. Schon ein Jahr danach trat Schönwald seinen Dienst bei WaF an. Sein Referat in der Jebensstraße umfasste ca. zehn Mann. In Gottow war sein Versuchstrupp Kaspar stationiert, dessen Mitarbeiteranzahl nicht ermittelt werden konnte. Für die Gruppe II (WaF II) war der Chemiker Oberregierungsrat Prof. Dr. Wolfram Eschenbach (*1887) zuständig. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann nach dem Studium (ab 1909) mit der Vorlage einer Dissertation 1915 an der Uni75 Mitteilung von Frau Ursula Frenzel, Berlin, die ab 1. April 1943 bis Kriegsende Stenotypistin bei Dr. Köhler war. Für die Entwicklung von Chiffriergeräten war die Abteilung Wa Prüf 7 zuständig. Vgl. Pröse: Chiffriermaschinen und Entzifferungsgeräte, 61 u. a. Stellen.
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I. Organisation
versität Freiburg i. Br. „Über Abkömmlinge des Aceton-Chloroforms und über einige Thioketone“. Ende 1935 gehörte Eschenbach zum „Versuchskommando Kummersdorf“. Vier Jahre danach war er bei WaF. Ähnlich wie bei Basche liegen – außer zwei Patentanmeldungen – keine Hinweise auf selbstständige wissenschaftliche Arbeiten Eschenbachs vor. Die ihm unterstellten Referate nutzten vor allem die Vers. Ost als Experimentierfeld. WaF II a (Motorische Treibstoffe) leitete Regierungsbaurat Dr.-Ing. Werner Pistorius (*1904), der ab 1925 Chemie an der Technischen Hochschule München studierte. Als Assistent bei Prof. A. W. Schmidt, Institut für Chemische Technologie der TH München, promovierte Pistorius 1937 dort mit einem Thema zur „Schwelung oberbayrischer Pechglanzkohle“ und erhielt dafür die Note „sehr gut“. Seit Ende 1937 diente er beim HWA, kam 1940 nach Kummersdorf und bald schon zu WaF. Die Stärke seines Referates betrug etwa sechs Mitarbeiter. WaF II b (organische Chemie) wurde geführt von Regierungsbaurat Dr.-Ing. Franz Riml (*1898). Der aus Innsbruck stammende Wissenschaftler, auch genannt Riml von Altrosenburg, studierte von 1918 bis 1922 an der Technischen Hochschule Wien. Danach war er beim „Verein für chemische und metallurgische Produktion Aussig a. E.“ (heute Usti nad Labem, in Nordböhmen) im Laboratorium bzw. als technischer Leiter eines Betriebsteils tätig. 1932 promovierte er über die Derivate des Pyridins (eine giftige, leicht entzündbare Flüssigkeit) an der Technischen Hochschule München. Nach zweijähriger Arbeit an der TH Breslau gehörte Riml ab 1. August 1937 zu WaF. Sein Referat umfasste ca. 14 Mitarbeiter. Zahlenmäßig sehr stark war das Referat WaF II c (Sauerstoffträger, Chemie der Brennstoffe). Leiter der gut 40 Mitarbeiter war Regierungsbaurat Dr.-Ing. Siegfried Glupe (*1909). Über dessen Lebensweg bis zu seinem Eintritt bei WaF ist wenig bekannt, auch deshalb, weil seine 1937 an der TH Berlin verteidigte Dissertation („Untersuchungen auf dem Gebiet der Schmelzflusselektrolyse von Alkalisalzen“) in Bibliographien nicht nachweisbar ist. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Geheimarbeit. Glupe begann 1935 seine Tätigkeit beim HWA, Prüf 11, später in WaF umbenannt. 1936 ist er als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter in der Vers. Ost verzeichnet. Die Bedeutung von WaF II d (Sprengstoffchemie) kann nicht klar beurteilt werden. Wahrscheinlich wurde dort u. a. zu festen Raketentreibstoffen geforscht. Es ist nur bekannt, dass für dieses Referat der Regierungsbaurat Dr.-Ing. Heinz Möller (*1907) zuständig war. Der Wissenschaftler stammte aus Berlin, studierte dort an der Technischen Hochschule und bekam 1930 eine Stelle als Hilfsassistent am Anorganischen Laboratorium der TH. Ende 1932 schloss er seine Doktorarbeit über „Die chemische Umsetzung bei der Verbrennung des Schwarzpulvers“ ab. Ebenfalls an der TH Berlin wurde 1939 seine Habilitationsschrift angenommen. Sie befasste sich mit der „Bindung von Kohlenoxid an komplexen Kupferverbindungen“. 1940 wird Möller erstmals als Angehöriger von Vers. Gottow in den Dokumenten genannt. Er ist der einzige bisher zweifelsfrei identifizierte Angehörige von WaF II d. An der Spitze des Referates Wa F II e (Physikalische Chemie) stand Friedrich Baltzer (*1905). Der gebürtige Rostocker besuchte in dieser Ostseestadt das Real-
2. Struktur, personelle Besetzung und Außenbeziehungen von WaF
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gymnasium, machte sein Abitur und begann ein Studium der Chemie an der Universität Rostock. Ab 1929 arbeitete Baltzer an seiner Dissertation über „Die Valenzbeanspruchung der Doppelbindung durch die Estergruppen in verschiedenen Zimtsäureestern“. Die Verteidigung der Schrift erfolgte am 4. August 1931 in Rostock. Dem von ihm geleiteten Referat bei WaF gehörten ca. sechs Mitarbeiter an. Die Gruppe III (WaF III) beschäftigte sich mit Themen der Fernsteuerung. Geleitet wurde sie von Ministerialrat Dr.-Ing. Werner Bergau (*1904), der seit 1932 zur ZS bzw. zu WaF gehörte. 1942 wurde die Gruppe WaF III vollständig an Wa Prüf 7 abgegeben. Angaben zu den Aufgaben, zur personellen Besetzung usw. liegen nicht vor. WaF IV (Theoretische Ballistik, Mathematik) hatte lediglich den Status eines Referates, geleitet von Ministerialrat Prof. Dr. Gustav Schweikert (*1890). Nach dem Studium der Mathematik und Naturwissenschaften in Bonn und Göttingen promovierte er 1915 an der Universität Bonn. Die Arbeit galt der „Bestimmung der Schallgeschwindigkeit und des Verhältnisses der spezifischen Wärme der Gase nach der Methode der Kundtschen Staubfiguren“. Von 1917 bis 1918 arbeitete Schweikert am MVA in der Physikalischen Abteilung (Leiter Prof. R. Scholz), u. a. zusammen mit den renommierten Sprengstoffspezialisten Dr. E Bollé und Dr. F. Ritter. Schweikerts Gebiete waren vor allem die innere Ballistik sowie die Thermodynamik der Gase. Diesen Themen blieb er auch nach dem Ausscheiden aus dem MVA verbunden. Er gehörte bereits der ZS an und wurde nach der Bildung von WaF von dort übernommen. Der Gruppe V (WaF V) stand Ministerialrat Prof. Dr. Johannes Kadow vor, der bereits im Kapitel 1 als Angehöriger der ZS genannt wurde. Aufgabe von WaF V war die Organisation der Forschung, u. a. durch Führen von Übersichten zu wissenschaftlichen Einrichtungen und Forschern. In der Gruppe V existierten drei Referate: Für WaF V a war Regierungsrat Dr. Paul Rackow (*1894) zuständig. Sein Bildungsweg begann 1914 mit einem Studium an der Universität Berlin. Durch den Kriegsausbruch 1914 musste er das Studium beenden und nahm als Kriegsfreiwilliger bis 1918 an den Kämpfen teil. Eine langwierige Malariaerkrankung aus dieser Zeit erlaubte ihm erst im Sommer 1919 die Fortsetzung des Studiums der Romanistik in Berlin, abgeschlossen mit einer entsprechenden Dissertation an der Universität Berlin. Seit April 1937 gehörte Rackow zum HWA. In WaF V b führte Regierungsrat Dr. Werner Peters die Geschäfte. Zu ihm konnten keine biographischen Daten ermittelt werden. Ihm zur Seite stand Dr. Oskar Bewersdorff (*1909). Bewersdorff studierte ab 1927 an der Universität Berlin Mathematik und Naturwissenschaften. In seiner Dissertation, vorgelegt Ende 1936, widmete er sich einer Thematik, die seine beiden Gutachter, die Professoren Laue und Wehnelt als „Zwischengebiet für die Spektroskopie“ für außerordentlich wichtig hielten und entsprechend positiv bewerten. Schumann prüfte ihn zu Fragen der äußeren Ballistik, Akustik und des Atommodells. Sein Urteil: Sehr gut. Ab Frühjahr 1942 erscheint Bewersdorff in den Listen von WaF. Als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter gehörte Dr. Heinz Glien dem Referat WaF V b an. Er hatte 1934 an der TH Dresden seinen Doktor gemacht („Lineare Übertragungen auf einer Fläche“). Vom Referat WaF V d ist nur der Technische Kriegsverwaltungsrat Dr. Ing. Kurt Nischk (*1893)
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I. Organisation
bekannt, der 1923 an der TH Berlin auf dem Gebiet der Physik den Doktortitel erwarb. Danach gehörte er ab 1. Juli 1926, wahrscheinlich als Patentprüfer, dem Reichspatentamt an und brachte es dort bis zum Regierungsrat bzw. Senatsrat. Eine vollständige Personalliste von WaF konnte nicht gefunden werden. An graduierten Wissenschaftlern – die ständig oder vorübergehend der Forschungsabteilung angehörten – wurden ca. 60 ermittelt. Ihre Zugehörigkeit zu den einzelnen Referaten ist nicht immer zu belegen. Sieben der Wissenschaftler trugen den Professorentitel, wobei in zwei Fällen keine Habilitationsschriften nachgewiesen werden können bzw. zwei weitere Professorentitel auf dem Gebiet der Musikwissenschaften erworben wurden. Habilitiert hatten sich in entsprechenden Verfahren fünf Forscher, davon einer, Dr. Trinks, mit einer Geheimschrift. Diebner hatte eine Habilitationsarbeit fertig gestellt, die jedoch wegen der Kriegsereignisse 1944/45 nicht mehr zur Annahme gelangen konnte. Sie befasste sie sich mit der Uranmaschine von Gottow. Einzelheiten zum Inhalt sind nicht bekannt. Mit wissenschaftlichen Publikationen konnten etwas mehr als zehn Angehörige von WaF aufwarten, davon zwei mit Buchtiteln: Diebner (zusammen mit Grassmann) „Künstliche Radioaktivität“, 1939; Schweikert „Innere Ballistik“, 1923. Prof. Habann hatte bereit vor seinen Eintritt ins HWA vielfach publiziert, u. a. 1929 das Buch „Die neuere Entwicklung der Hochfrequenztelephonie und -telegraphie auf Leitungen“. Ähnlich verhält es sich mit Bagge und Gentner, die ab 1939 zwecks Mitarbeit am Uranprojekt zu WaF abgestellt wurden. Respektable, eigenständige wissenschaftliche Leistungen hatten von den bisher genannten Personen erbracht: Diebner, Glimm, Trinks, Schönwald und Schweikert. Gleiches gilt für die Angehörigen von WaF Dr. Bodlien, Dr. Trommsdorff und Dr. Haeuseler. Von ihren Forschungen wird noch ausführlich zu berichten sein. Aufschlussreich ist auch ein Blick auf die Patentanmeldungen. In den Dokumenten von WaF bzw. Gutachten zu Dissertationsschriften und anderen wissenschaftlichen Arbeiten wird relativ häufig auf deren Existenz hingewiesen. Recherchen beim Patentamt ergaben jedoch nur wenige Bestätigungen: Eschenbach erhielt 1936 und 1937 für zwei chemische Verfahren zum Umgang mit Keten* zwei Patente. Trommsdorff ließ sich 1940 eine spezielle Stielhandgranate patentieren. Dr. Schellhoß (Vers. N) meldete 1939 ein Verfahren zur Beseitigung von Blendwirkungen bei Kfz-Scheinwerfern sowie ein weiteres zur optischen Überwachung des Gesichtsfeldes an. Zwei Patente konnten zu Schweikert festgestellt werden. Die Professoren Klose und Habann hatten bereits vor ihrer Einstellung bei WaF Ansprüche erworben. Da Habann über große Erfahrungen im Patentwesen verfügte, galt er bei WaF als Spezialist für die Abfassung von Patentanmeldungen. Er selbst erwarb 1942 ein Patent zur Transistortechnik (vgl. Kapitel 17).76 Die ge76 Patentschriften vom Reichspatentamt wurden u. a. erteilt an: Dr. Wolfram Eschenbach, Berlin: „Verfahren zur ununterbrochenen quantitativen Herstellung von Säurehalogeniden der Essigsäure“, Nr. 638441, eingereicht am 28. Juni 1935, offen gelegt, 29. Oktober 1936, „Verfahren zur Herstellung von Säureanhydriden“, Nr. 663507, eingereicht am 6. April 1935, offen gelegt am 14. Juli 1938 (drei Ansprüche); Dr. phil. Wolf Trommsdorff, Göttingen, Dr. Fritz DrescherKaden, u. a., Göttingen: „Von einem Stock abzuschießende Stielhandgranate“, Nr. 687242, eingereicht am 19. November 1937, offen gelegt am 25. Januar 1940 (9 Ansprüche); Dr. Hans
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ringe Anzahl der hier genannten Patente erklärt sich daraus, dass die von WaFAngehörigen beantragten Patente zumeist geheim waren. Schumann vermerkte z. B., dass er, zusammen mit anderen Wissenschaftlern, über 40 Geheimpatente auf dem Gebiet der Sprengstoffphysik erworben hatte, die er teilweise nach 1945 rekonstruierte (vgl. Kapitel 22). Möglicherweise hat auch Diebner bis 1945 einige Geheimpatente zur Kernphysik angemeldet, die er ebenfalls nach Kriegsende rekonstruierte und ab 1955 erneut zur Anmeldung brachte. Da die Geheimpatente des Dritten Reiches nach 1945 „verloren gingen“, bleibt die Frage nach Inhalt und Umfang der Patenttätigkeit bei WaF weiterhin ungeklärt. Ihrem Rang- und Dienstverhältnis nach waren die meisten Wissenschaftler von WaF „Wehrmachtsbeamte – Heer“, die im aktiven Wehrdienst standen. Sie führten deshalb auch keinen militärischen Dienstgrad, hatten jedoch einen „bestimmten militärischen oder allgemeinen Offiziers- oder Unteroffiziersrang“. Der Titel „Ministerialdirigent“ (Schumann) entsprach dem eines Generalmajors, „Ministerialrat“ (Bergau) dem eines Oberst, „Technischer Oberregierungsrat“ dem eines Oberstleutnant, „Regierungsbaurat“ dem eines Majors usw. Die nur für die Kriegsdauer eingezogenen Beamten wurden als „Ergänzungswehrmachtsbeamte (E)“ bezeichnet.77 Die Untersuchung der Fragen wie und woher WaF sein Personal bekam, zeigte einige markante Merkmale: Die meisten der älteren Angehörigen hatten im Ersten Weltkrieg an verschiedenen Fronten gekämpft und verfügte über praktische Erfahrung im Umgang mit Waffen und militärischen Gerät. Nach dem Krieg nahmen sie ein Studium auf, promovierten oder bildeten sich auf andere Weise auf technischen Gebieten weiter. Einige hatten bei der IWG, der ZS oder an anderen Einrichtungen bereits zur Militärtechnik geforscht. Eine Art „Seilschaft“ bildeten Eschenbach, Kadow, Schumann, Kühr und Schmude, die beim Infanterieregiment 131 gedient hatten und sich bei WaF erneut zusammen fanden (vgl. Kapitel 22). Ein beträchtlicher Teil, vor allem jüngerer Wissenschaftler, stieß in der Aufbauphase zu WaF. Dieser Nachwuchs hatte an Universitäten und technischen Hochschulen studiert, dort promoviert, oft mit Themen, die der Waffentechnik nahe standen, und war für die wissenschaftliche Arbeit bei WaF gut motiviert. Ebenso wie zahlreiche ihrer älteren Kollegen standen sie dem Nationalsozialismus po-
Schellhoß, Berlin-Dahlem: „Verfahren zur Beseitigung der Blendwirkungen von Fahrzeugscheinwerfern durch gegenseitige Modulation der Scheinwerferlichtströme“, Nr. 730335, eingereicht am 25. Februar 1939, offen gelegt am 10. Dezember 1942, sowie „Verfahren zur optischen Überwachung des Gesichtsfeldes“, Nr. 729467, patentiert am 30. Januar 1939, bekannt gemacht 19. November 1942; Dr. Gustav Schweikert, Berlin: „Netzanschlussgerät“, Nr. 594466, eingereicht am 21. September 1929, offen gelegt am 1. März 1934 (2 Ansprüche), „Abstimmbare Siebkette konstanter Resonanzbreite für Zwecke der drahtlosen Telegraphie“, eingereicht am 2. Juli 1930, offen gelegt am 31. Januar 1935 (8 Ansprüche). 77 1. Verordnung des Führers und Reichskanzlers über Rang- und Dienstverhältnisse sowie Uniformen der Wehrmachtsbeamten – Heer – vom 22. Dezember 1934, in: Allgemeine Heeresmitteilungen, hrsg. vom Reichswehrministerium (Wehrmachtsamt), vom 5. Januar 1935, Bl. 14; vgl. auch Rudolf Absolon: Wehrgesetz und Wehrdienst 1935–1945: Das Personalwesen in der Wehrmacht, Boppard a. Rh. 1960.
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sitiv gegenüber und demonstrierten dies auch oft durch ihre Mitgliedschaft in der NSDAP oder deren Organisationen. Nach der Entscheidung des HWA, sich bei WaF mit einer eigenen kleinen Forschergruppe am Uranprojekt zu beteiligen, konnten 1939 mehrere junge Wissenschaftler bzw. erfahrende Techniker für das Referat Diebners gewonnen werden. Der Chemotechniker E. Kamin, der von der PTR kam, übertrieb es dabei ein wenig mit seinen dubiosen Schritten, weiteres Personal von seiner früheren Arbeitsstelle für WaF abzuwerben. Basche hatte alle Mühe, die deshalb bei der PTR ausgelöste Aufregung zu dämpfen.78 Eine beträchtliche Verstärkung erfolgte in den ersten Kriegsmonaten. Sofort nach dem 1. September 1939 ließ Schumann seine Beziehungen spielen. Es gelang ihm, die Einberufung von etwa einem Dutzend erfahrenen Wissenschaftlern, meist Physikern, in seine Verantwortungsbereiche WaF und Abteilung Wissenschaft im Oberkommando der Wehrmacht (OKW) durchzusetzen. Die von Schumann ausgeübte Personalunion beider Bereiche hatte zur Folge, dass oft nicht klar war, ob die Einberufung zu WaF oder zur Abt. Wissenschaft erfolgte (vgl. Kapitel 4.) Zu dieser „Einberufungswelle“ gehörten u. a. der schon genannte Dr. Bayer, Dr. Bagge, Dr. Gentner, Prof. Mentzel vom REM, Dr. Pietsch, Prof. Braunsfurth, Dr. Peters, sowie die Professoren Habann, Bieder und Klose. Von ihren Aufgaben bei WaF bzw. der Abt. Wissenschaft im OKW wird noch ausführlich zu berichten sein. Überraschend, ja geradezu befremdlich mutet die Einberufung von Prof. Bieder an, der als Musikwissenschaftler die Berliner Musikhochschule leitete. Schumann brauchte offenkundig – so viel sei an dieser Stelle vorweg genommen – einen Mann von Rang und Namen für eine Leitungsaufgabe bei WaF (näheres in den Kapiteln 9 und 22). Pro forma blieben die Betreffenden zwar weiterhin Angehörige der betreffenden Universität/Hochschule, tatsächlich aber forschten sie in den Kummersdorfer Versuchsstellen oder an anderen Orten für WaF. Zu ihnen gehörte beispielsweise der Astronom und Mathematiker Prof. Dr. Alfred Klose (1895–1953). Er studierte von 1916 bis 1921 an den Universitäten Breslau und Göttingen, war danach Privatdozent an den Universitäten Greifswald und Berlin. Sowohl seine Dissertation (1921, Breslau) als auch die Habilitationsschrift (1922, Greifswald) waren astronomischen Themen (Planetenbewegungen) gewidmet. Von 1924 bis 1929 wirkte Klose an der Universität Riga. Anschließend kam er an die Universität Berlin, wo er ab 1934 – zuerst vertretungsweise – einen Lehrstuhl innehatte. 1937 erfolgte seine Ernennung zum Direktor des Instituts für angewandte Mathematik, wärmstens unterstützt durch den Dekan, Prof. Bieberbach. Kloses Forschungsgebiete waren „insbesondere praktische Analysis, Ballistik, Hydrodynamik“. Nach eigenen Angaben arbeitete er „seit Kriegsbeginn theoretisch und experimentell in einer Versuchsabteilung des Heereswaffenamtes (Forschungsabteilung) … und zwar regelmäßig an fünf Tagen die Woche“. Aus verschiedenen Dokumenten geht eindeutig hervor, daß dies die Vers. Gottow war. Aber schon vor 1939 erledigte Klose diverse Aufträge von WaF, z. B. zur Funkpeilung. Hervorzuheben ist seine rege Publikations78 Beschwerde des Oberregierungsrates A. Schulze, 21. September bzw. 13. November 1939, BAB, R 26 III/719. Basche erklärte ihm, WaF suche etwa 200 Techniker.
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tätigkeit.79 Die hier vorgestellte „Kommandierungspraxis“ zu WaF bzw. zur Abt. Wissenschaft im OKW, hatte meist zur Folge, dass die Tätigkeit für das HWA nur selten in den Personalunterlagen der betreffenden Universitäten/Hochschulen dokumentiert ist. Andererseits wurden die betreffenden Wissenschaftler in den Wehrmachtsunterlagen zwar registriert, jedoch nur mit einigen Grunddaten. Deshalb ist ihre Tätigkeit für die Forschungsabteilung meist auch unbekannt.80 Eine „letzte Welle“ der Personalverstärkung von WaF bildeten die Absolventen des II. Physikalischen Instituts der Universität Berlin (II. PI), die bei Schumann promoviert hatten – überwiegend mit geheimen Themen – und danach ihre Arbeit in der Forschungsabteilung aufnahmen (vgl. Kapitel 3 und 6). Selbst wer nur wenig mit den Aufgabenstellungen, Eigenarten und Problemen von Grundlagenforschung vertraut ist, wird schnell zu der Überzeugung gelangen, dass diese personelle Ausstattung von WaF nicht die „erste Garnitur“ war. Daran änderte auch die von Schumann gern geübte Praxis, erfahrene Hochschullehrer direkt in WaF zu integrieren, nur wenig. Deutlich zeigt sich also: WaF mangelte es vor allem an „theoretischen Köpfen“! Geradezu ein Musterbeispiel dafür lieferte das deutsche Uranprojekt (1939–1945), an dem bekanntlich das HWA führend beteiligt war. Diebner (WaF I a) war gewiss ein tüchtiger Experimentator, versehen mit großen Erfahrungen, und auch organisatorisch sehr beschlagen. Seine kleine, jedoch junge Mannschaft in Vers. Gottow hatte viele gute Ideen, konnte diese teils erfolgreich umsetzen und war mit erstaunlicher Begeisterung bei der Sache. Dennoch war Diebner dringend auf die führenden Vertreter der theoretischen Kernphysik angewiesen. Namen wie Heisenberg, Harteck, Bothe, später auch Gerlach stehen dafür. Fast alles, was die Möglichkeiten einer praktischen Nutzung der Kernspaltung betraf, war neu, weshalb in den ersten Jahren der Arbeit an der Uranmaschine hunderte von theoretischen Untersuchungen an Universitäten, Hochschulen und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen erfolgten. Ohne diese Forschungen wäre Diebners Gruppe nie so weit vorangekommen (vgl. Kapitel 9). Ähnliche Zusammenhänge, wenn auch nicht so ausgeprägt, lassen sich bei fast allen Forschungsvorhaben von WaF nachweisen. In der Führung des HWA sah man seit längerem, wie knapp und begrenzt die personellen Vorrausetzungen von WaF waren, um mit ihnen rasch durchschla-
79 AHUB, PA Klose, Nr. 163 a. Darin ist auch eine Aufstellung seiner Veröffentlichungen enthalten. In den Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Jg. 1941, Mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse, Nr. 9, ist z. B. Kloses Arbeit Theorie der Luftkräfte bei verschwindender Reibung abgedruckt. Zu Klose zuletzt Gisela Seulen: Mathematiker Alfred Klose, in: Rainer Paetau (Hg.): 100 Jahre Wilhelmshorst 1907–2007. Eine Waldsiedlung vor den Toren der Hauptstadt, Wilhelmshorst 2007, allerdings ohne Einzelheiten zu seiner Tätigkeit bei WaF. 80 Bei den Recherchen wurde oft festgestellt, dass die Mitarbeiter der betreffenden Universitäts-/ Hochschularchive eine Zugehörigkeit der betreffenden Personen zum Militär bestritten, da es diesbezüglich in den PA keine Hinweise gab. Überprüfungen im BAA erbrachten nur in wenigen Fällen konkrete Angaben. Ebenso wurden in Lebensläufen, die nach 1945 entstanden bzw. in Würdigungen anlässlich von Berufsjubiläen oder Nachrufen das militärische Zwischenspiel während der NS-Zeit „vergessen“ oder verschwiegen.
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gende Ergebnisse in der Forschung zu erzielen. Auch Schumann gab sich da keinerlei trügerischen Hoffnungen hin. Er wusste, die wirklichen Könner und Experten wirkten außerhalb des HWA. Sie besaßen an bedeutenden Lehr- und Forschungsstätten gesicherte und einflussreiche Positionen. Für sie gab es so gut wie keine Veranlassung zum Militär zu wechseln. Man konnte sie jedoch geschickt in die Arbeiten von WaF einbeziehen und mit ihrer Hilfe Forschungen zu waffentechnisch nutzbaren physikalischen, chemischen und anderen Effekten betreiben. In seinem Beitrag „Wehrmacht und Forschung“ hatte Schumann die bereits der ZS übertragenen Doppelfunktion nochmals betont, nämlich: „Einrichtungen der deutschen Hochschulen für Heereszwecke nutzbar zu machen und [Hervorhebung G. N.] in eigener Forschung der Heerestechnik exakte Grundlagen zu liefern“. Deshalb forderte er auch, dass WaF „es sich zum obersten Prinzip [macht], nur erstklassige und in der Wissenschaft bewährte Forscher – gleichgültig ob aus dem Hochschulbetrieb, anderen wissenschaftlichen Einrichtungen oder aus der Industrie – zur Mitarbeit heranzuziehen, die auch in politischer Hinsicht die Gewähr für eine reibungslose Zusammenarbeit“
bieten.81 In Befolgung dieser Vorgabe, die von den Referatsleitern und Mitarbeitern der Forschungsabteilung sehr ernst genommen wurden, entstand nach und nach ein engmaschiges Beziehungsnetz, dessen Ursprünge z. T. schon durch die ZS gelegten worden waren. Es lohnt sich dieses Geflecht von Verbindungen und Kontakten näher zu durchleuchten. Dabei zeigen sich bald sehr klar zwei wesentliche Aspekte: Erstens überwog in der Tätigkeit von WaF die koordinierende und organisierende Rolle gegenüber der selbst betriebenen Forschung bei weitem. Sie war geprägt durch eine Vielzahl von festen Kontakten zur wissenschaftlichen Einrichtungen der unterschiedlichsten Art. Zweitens wurden diese umfangreichen Außenbeziehungen realisiert durch effektive, der jeweiligen Thematik angepassten Formen. Das waren insbesondere: Grundlegende Absprachen der Führung von WaF, vor allem durch Schumann, mit den Leitern/Direktoren wissenschaftlicher Einrichtungen zur Erläuterung der Forschungsbedürfnisse des Heeres sowie zur Auslotung der Möglichkeiten der wissenschaftlichen Einrichtung – d. h. ihrer Kapazitäten – für die Wehrforschung.
81 Schumann: Wehrmacht und Forschung, 135, 138. Die Doppelfunktion von WaF unterstrichen nach dem Krieg auch Leeb und Diebner: „Die Forschungsabteilung hatte Verbindung mit den übrigen Forschungsstätten im Reich herzustellen und Grundlagen- und Zweckforschung zu treiben, soweit diese nicht bei anderen bestehenden Instituten erfüllt werden konnte.“ (Leeb: Aus der Rüstung, 22); „Aus diesem Grund besaß es [das HWA, G. N.] nicht nur eine Reihe eigener Forschungs- und Entwicklungsstellen, sondern verfügte auch über einen Stab von Mitarbeitern und Referenten, die die neuen Verfahren einzuführen hatten. Die zuständigen Stellen des HWA mussten in dieser Beziehung eine große Wendigkeit und Anpassungsfähigkeit besitzen, um wissenschaftliche und technische Neuigkeiten auf ihre Einsatzgebiete hin prüfen zu können. Selbst Wissenschaftsgebiete, die bis dahin noch keine praktische Anwendung gefunden hatten, mussten mit überwacht werden, damit auch neue, bisher unbekannte Möglichkeiten zur Waffenentwicklung erschlossen werden konnten.“ Bagge et al.: Von der Uranspaltung, 20.
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In einigen Fällen erfolgte dies auch mit dem Ziel, die betreffende Einrichtung dem HWA direkt zu unterstellen. Delegierung leitender Mitarbeiter der Forschungsabteilung in wissenschaft-liche Gremien ziviler und anderer Einrichtungen (ständig oder zeitweilig). Erteilung von Forschungsaufträgen an Wissenschaftler außerhalb der Wehrmacht und Anleitung der betreffenden Zivilforscher bzw. Zusammenarbeit mit ihnen bis zum Abschluss des Themas. Mitarbeit in Arbeitsgruppen, die aus Vertretern verschiedener Wehrmachtsteile (einschließlich SS), Ministerien, Forschungseinrichtungen, der Rüstungsindustrie usw., gebildet worden waren, um einen bestimmten Forschungskomplex zum Erfolg zu führen. Konferenzen und Beratungen militärischer Chefs, mit dem Speer-Ministerium usw. zu dringlichen Aufgaben der Rüstungsforschung. Einladung führender Wissenschaftler zur Teilnahme an wissenschaftlichen Veranstaltungen zur Besichtigung militärischer Übungsplätze und Forschungseinrichtungen, einschließlich der Vorführung neuer Waffenmuster. Einsichtnahme in Forschungsberichte, die dem RFR zugingen und die Mentzel bereitwillig WaF zur Auswertung zur Verfügung stellte, einschließlich der Anforderung von Dissertations- und Habilitationsschriften – gleichfalls in Zusammenarbeit mit RFR und REM – die einen militärischen Bezug haben könnten. Eine wichtige Rolle kam dabei dem Forschungsbeirat des HWA zu. Ihm gehörten hochrangige Wissenschaftler verschiedener Disziplinen/Gremien an. Bekannt sind u. a. die Professoren Esau, Mentzel, Planck, Rimarski, Vahlen und der Präsident der KWG Vögler. Seitens des HWA waren vertreten Leeb, Schumann und wahrscheinlich auch Kadow (vgl. Anhang V: Forschungsbeirat HWA). Nachfolgend soll die Art und Weise wie WaF seine Außenbeziehungen organisatorisch und inhaltlich gestaltete, näher erläutert werden.
Zusammenarbeit mit anderen militärischen Stellen Naturgemäß erfolgte eine Zusammenarbeit von WaF zu allererst mit den verschiedenen Abteilungen der Amtsgruppe Prw, Entwicklung und Prüfwesen im HWA (Wa Prüf). Das waren vor allem Prüf 1 (Ballistik und Munition), Prüf 2 (kleinkalibrige Infanteriewaffen), Prüf 4 (Artillerie), Prüf 5 (Pioniere), Prüf 7 (Nachrichten), Prüf 8 (Optik) sowie Prüf 11 (Raketen). In diesen Abteilungen waren ebenfalls gut ausgebildete Wissenschaftler tätig, die überwiegend Aufgaben der angewandten Forschung bewältigten. Jede Abteilung von Wa Prüf verfügte deshalb über einen Offizier, der eigens für die Forschung zuständig und zumeist promoviert war.82 Häufig ließen sich die von WaF untersuchten Grundlagenthemen von der angewandten Forschung gar nicht trennen bzw. die „Anwendungsforschung“ – so die übliche Bezeichnung bei Wa Prüf – stellte neue Fragen grundlegender 82 Telefonverzeichnis der Amtsgruppe Entwicklung und Prüfwesen des HWA, Stand 1943, BAB, R 26 III/47, Bl. 59 f.
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Art. War z. B. ein Thema bei WaF erfolgreich beendet, dann wurden die Ergebnisse der zuständigen Prüf-Abteilung übergeben, die jetzt die Waffenentwicklung, gemeinsam mit Rüstungsbetrieben, in die Hand nahm. Tauchte dabei ein bisher unbekanntes wissenschaftliches Problem auf, wurde entweder WaF erneut hinzugezogen oder durch die betreffende Prüf-Abteilung in eigener Zuständigkeit Forschungsaufträge an „zivile“ Einrichtungen vergeben. Nicht selten verbarg sich dahinter eine „Grundlagenfrage“. Verschiedentlich wurden auch Arbeitsgemeinschaften bzw. Arbeitsgruppen (AG) gebildet, in denen WaF, Wa Prüf, andere Forschungseinrichtungen der Wehrmacht sowie Wissenschaftler anderer Einrichtungen mitwirkten. Teil II. Experimente bietet dafür zahlreiche Beispiele. Begünstigt wurde die Zusammenarbeit von WaF und Prüf-Abteilungen durch den gemeinsamen Standort in Kummersdorf. Fast alle Prüf-Abteilungen waren in Kummersdorf vertreten. Soweit bestimmte Versuche an anderer Stelle erfolgten, z. B. in Hillersleben (Artillerie) oder Peenemünde (Raketen), waren dort häufig Mitarbeiter von WaF zu Gast.83 Eine Zusammenarbeit von WaF gab es auch mit Forschungseinrichtungen anderer Wehrmachtsteile, so z. B. mit dem Ballistischen Institut an der Technischen Akademie der Luftwaffe in Berlin-Gatow, das von Prof. Dr. Hubert Schardin geführt wurde und einen ausgezeichneten Ruf besaß. Beim Oberkommando der Marine (OKM) gehörte die Abteilung Forschung, Entwicklung, Patentwesen (FEP) zu jenen Einrichtungen, die sich mit Grundlagenthemen befasste und dazu verschiedentlich Kontakte zu WaF unterhielt. Häufig kreuzten sich die Interessen von Heer, Luftwaffe und Marine, weil bestimmte Effekte waffentechnisch für alle Wehrmachtsteile von Bedeutung waren. Dazu gehörten beispielsweise die Hohlladung oder die praktische Nutzung der Infrarotstrahlung. Wie diese Zusammenarbeit oft auch auf hoher „Kommandoebene“ funktionierte, zeigt anschaulich der „Dönitz-Abend der KWG“ am 30. April 1943, der vermutlich auf Anregung des Präsidenten der KWG, Vögler, zustande kam. Anwesend waren der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Karl Dönitz, und sein Stab, Teile des Stabes von Speer (Speer selbst war verhindert), Vögler, Mentzel, sieben Direktoren von KWI – und Schumann, der gleichzeitig OKW und HWA vertrat. Der Direktor des KWI für Metallforschung, Prof. Dr. Werner Köster, informierte über die Ergebnisse der „Kriegsforschung“ in seinem Institut. Sein Mitarbeiter, Dr. Friedrich Förster, übernahm die sehr informative Gerätevorführung. Die anderen KWI Direktoren ergänzten mit eigenen Vorträgen.84 Mit der zunehmenden Herausbildung der Waffen-SS als „vierter Wehrmachtsteil“ erstreckte sich die Zusammenarbeit von WaF auch auf Himmlers SS. Wegen ihrer inhaltlichen Brisanz sowie ihrer fatalen Nähe zum Missbrauch von KZ-Häftlingen und den Menschenversuchen durch die SS werden diese Beziehungen von WaF gesondert in einem eigenen Kapitel sowie bei verschiedenen Forschungsprojekten untersucht.
83 Vgl. Neufeld: Die Rakete; Turra: Heeresversuchsstelle Hillersleben. 84 Ausführlich bei Maier: Forschung als Waffe, 538–550.
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Zusammenarbeit mit zivilen Forschungseinrichtungen WaF setzte die durch ihre Vorgänger IWG und ZS begründete Tradition der Einbeziehung von Forschungsstätten außerhalb des Militärs konsequent fort und baute sie zielstrebig aus. Enge Beziehungen unterhielt WaF dabei mit staatlichen Forschungseinrichtungen, vor allem PTR und CTR, die beide über ein beträchtliches Potential an exzellenten Wissenschaftlern und eine herausragende gerätetechnische Ausstattung verfügten. Weitere staatliche Stellen waren Materialprüfungsämter, die Vierjahresplaninstitute oder die Reichsanstalt für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht. Auch mit der Reichspostforschung oder der Biologischen Reichsanstalt erfolgte partiell eine Zusammenarbeit. Dazu gab es u. a. Absprachen von WaF mit den zuständigen Ministerialbeamten jener Ministerien, denen die betreffende Einrichtung unterstellt war, sowie mit der Abteilung Wissenschaft im REM. Mitunter schaltete sich auch die Führung des HWA ein, um grundsätzliche Fragen zu klären. So wandte sich General Leeb im März 1944 an das Reichsfinanzministerium, zwecks „Vermehrung bzw. Hebung der Beamtenstellen in der Chemisch-Technischen Reichsanstalt“. Er begründete sein Verlangen u. a. mit dem Hinweis, dass die CTR „in ihrer Gesamtheit nur für die Belange der Wehrmacht, vornehmlich des Oberkommandos des Heeres arbeitet [und] für die Dauer des Krieges arbeitseinsatzmäßig dem Oberkommando des Heeres -Heereswaffenamt- unterstellt ist.“85 Breiten Raum nahm die Zusammenarbeit mit der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und ihren Instituten ein – auch in diesem Fall anknüpfend an eine sehr erfolgreiche Praxis früherer Jahre. Zu nennen sind vor allem die KWI für Physik, für Chemie, für physikalische Chemie und Elektrochemie, für Metallforschung, für Silikatforschung und für Strömungsforschung. Die Weichen für eine vorbehaltlose Einbindung der KWG in die Rüstungsforschung während des Nationalsozialismus wurden Ende 1933/Anfang 1934 in mehreren Gesprächen zwischen Reichswehrminister v. Blomberg, dem neu ernannten Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Bernhard Rust, und dem Generaldirektor der KWG, Prof. Dr. Friedrich Glum, gestellt. Glum hatte dabei gegenüber v. Blomberg keinerlei Zweifel daran gelassen, dass der Landesverteidigung am besten gedient sei, wenn „hervorragende Gelehrte der KWG“ mit „den Fachoffizieren des Reichswehrministeriums in Verbindung“ gebracht würden. So könne man den Wünschen des RWM besser Rechnung tragen. Am folgenden Tag unterstrich Planck in einem persönlichen Schreiben an v. Blomberg den „Wunsch, im vaterländischen Interesse die seit Jahren bestehenden wissenschaftlichen Beziehungen zu Heer, Marine und Sanitätswesen auszubauen und intensiver zu gestalten“. Er sei dankbar „wenn schwebende Fragen auch mit dem Chef des Heereswaffenamtes besprochen werden könnten“. 86 85 Leeb am 14. März 1944 an das Reichsfinanzministerium, BAB, R 2/12536, Bl. 289. In seiner kurzen Stellungnahme (ebd., Bl. 290) befürwortete das REM den Antrag Leebs. 86 Aktennotiz Glums vom 22. Dezember 1933, AMPG, I. Abt. KWG, Rep. 1A Generalverwaltung, Nr. 188, Bl. 42 f.; Planck am 15. Dezember 1933 an v. Blomberg, ebd., Bl. 17, ausführlich zitiert und kommentiert bei Maier: Forschung als Waffe, 289–296.
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Der Reichswehrminister v. Blomberg ließ im März 1934 das Reichsministerium des Inneren (RIM) klipp und klar wissen, welche Absichten er in Hinblick auf die KWG verfolgte: „Das Interesse meines Ministeriums bezieht sich, um dies ausdrücklich hinzuzufügen, nicht auf Fragen personeller oder untergeordnet-organisatorischer Art, sondern ausschließlich auf die durch den Bestand dieser Forschungseinrichtungen gebotene Möglichkeit dringende Forschungsvorhaben auf dem Gebiet der Landesverteidigung in besonders geeigneten Instituten schnell und ohne Kosten für die Reichswehr durchführen zu lassen.“87
Mit den Absprachen und den letztlich getroffenen Vereinbarungen zur Unterstellung der KWG unter die Aufsicht des REM war das entstanden, was Maier als „zweiten ,Staatsvertrag‘ zwischen KWG und Reichswehr“ charakterisierte.88 Parallel zu diesen Vorgängen liefen die Bemühungen des HWA das KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie nach den Wünschen des RWM zu profilieren. Am 6. Dezember 1933 gab es dazu eine Sitzung. Anwesend waren Vertreter des RMI und des Reichsfinanzministeriums, Glum als Generalsekretär der KWG sowie Becker und Schumann, die namens des RWM auftraten. Es ging um die Einsetzung von Prof. Dr. Gerhard Jander als Leiter des Instituts, um mit ihm „eine besonders qualifizierte Kraft zu gewinnen, die in der Lage sei, auch die Oberleitung der vom Reichswehrministerium gewünschten Forschungen in Verbindung mit anderen wertvollen Forschungen zu übernehmen“. Die „besonderen Aufgaben auf dem Gebiet der Gasforschung“ sollten direkt unter seiner Leitung erfolgen. Eventuell müsse auch eine räumliche Erweiterung des Instituts in Betracht gezogen werden. „Damit würde der Zweck der Tarnung besser erreicht.“ Mit der Übertragung der Leitung an Jander könnte „das Institut für die Zwecke der Wehrwissenschaft im Sinne des Reichswehrministeriums zur Verfügung gestellt“ werden. Becker erklärte ausdrücklich, dass das RWM die volle Verantwortung für die Einstellung des Personals sowie für die durchzuführenden Arbeiten übernehmen werde. Der Chef des HWA, General Alfred von Vollard-Bockelberg (1871–1945, HWA 1928–1936), bestätigte wenige Tage nach dieser Beratung dem Reichsfinanzministerium, dass das KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie weitgehend Forschungsaufgaben im „Interesse der Landesverteidigung“ löse. Da die Angelegenheit „besonders wichtig“ sei, bat er um eine „beschleunigte Bereitstellung der erbetenen Beträge aufs dringendste“.89 Sechs Jahre später wiederholten sich die Bestrebungen des HWA, ein KWI in die Hand zu bekommen und es in den Dienst der Forschungsabteilung zu stellen, diesmal jedoch weit gründlicher und mit weitreichenden Folgen. Es ging um das KWI für Physik, das dem HWA für das Uranprojekt teilweise direkt unterstellt wurde (vgl. Kapitel 9). In mehreren Fällen zeigte sich die KWG interessiert daran, dass in ihren wissenschaftlichen bzw. Verwaltungsgremien Angehörige des HWA auch personell 87 Zitiert nach Eibl: Thiessen, 70. 88 Maier: Forschung als Waffe, 202, vgl. auch 289–296. 89 Sitzungsbericht (vom 6. Dezember 1933), betreffend das Kaiser-Wilhelm-Institut für physikalische Chemie und Elektrochemie am 5. Dezember, Vollard-Bockelberg am 15. Dezember 1933 an den Reichsminister der Finanzen, BAB, R 2/12495.
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präsent waren. Schumann gehörte als Mitglied dem Kuratorium des KWI für Metallforschung an, ebenso dem Verwaltungsrat des Forschungsinstitutes für Wasserbau und Wasserkraft der KWG. Eschenbach und Glupe waren im August 1939 bei der ersten Sitzung des Kuratoriums des KWI für Bastfaserforschung als Gäste geladen. Im Jahr darauf erhielt Eschenbach die Berufung zum Mitglied des wissenschaftlich-technischen Beirates dieses KWI. Glupe wurde sein Stellvertreter. Wiederholt lud Schumann – im Auftrag des Chefs des HWA – den KWG-Präsidenten Vögler zu Waffenvorführungen und zur Besichtigung von Einrichtungen der Forschungsabteilung nach Kummersdorf ein. Mitarbeiter des KWI für Strömungsforschung bzw. der Aerodynamischen Versuchsanstalt (AVA) in Göttingen besuchten mehrmals die Kummersdorfer Einrichtungen, um dort Versuche von WaF zu beobachten und zu begutachten.90 Auch von anderen wissenschaftlichen Einrichtungen reisten Forscher mehr oder weniger regelmäßig nach Kummersdorf. Den wohl wichtigsten Anteil an den Außenbeziehungen von WaF hatten die Universitäten und Hochschulen im gesamten Reichsgebiet. Hier wirkten Spitzenfachleute der physikalischen, chemischen, mathematischen, technologischen und anderer Disziplinen, die sich vor allem der Grundlagenforschung verschrieben hatten. Es gab kaum eine Universität oder Hochschule mit derartigen Instituten, zu denen WaF keinen Kontakt unterhielt. Selbst medizinische, biochemische, biologische oder andere Fachrichtungen wusste WaF zu nutzen (vgl. Anhang III: Wissenschaftler an Universitäten und technischen Hochschulen). Nach dem „Anschluss Österreichs an das Reich“ – wie der gewaltsame Einmarsch deutscher Truppen im Frühjahr 1939 beschönigend bezeichnet wurde – erweiterte WaF die Verbindungen auch in dieses Land und vergab nach Wien, Graz, Innsbruck usw. Forschungsaufträge an Universitäten und Hochschulen (vgl. Anhang IV: Österreichische Wissenschaftler). Ab dem 15. März 1938 wurden sorgfältig ausgewählte Teile des österreichischen Bundesministeriums für Landesverteidigung und des Bundesheeres in die deutsche Wehrmacht überführt. Dazu gehörten auch – nach entsprechender Überprüfung – zahlreiche Spezialisten des Wiener Kriegstechnischen Amtes, die beim HWA eine neue Aufgabe erhielten. Zu ihnen zählte beispielsweise Dr. Kurt Schubert (1894–1978), der als herausragender Ballistiker bei Wa Prüf 1, zuletzt im Rang eines Oberst, unterkam. Auch der letzte Chef von WaF, Dipl.-Ing. Wilhelm Plas, war ein Österreicher, der seinen Aufstieg im Kriegstechnischen Amt begonnen hatte.91 Ob sich auch Schu90 Maier: Forschung als Waffe (zu Schumann 359); AMPG, I. Abt., Rep. 1A, Nr. 188, Bl. 99 bzw. Rep. 1A, Nr. 1123-7 (Einladung an Vögler 1942), AMPG, I. Abt., Rep. 1A, Nr. 2210-4 (zu Eschenbach und Glupe); BAB, R 26 III/60 (zur AVA). 91 Österreichisches Staatsarchiv, Kriegsarchiv, NL Dr. Karl Schubert B/C 1016; Peter Gschaider: Das Österreichische Bundesheer 1938 und seine Überführung in die deutsche Wehrmacht, Dissertation, 7. November 1967, Universität Wien; vgl. auch Juliane Mikoletzky: Von jeher ein Ort starker nationaler Gesinnung – Die Technische Hochschule in Wien und der Nationalsozialismus, Wien 2003, 37–39 („Kriegswichtige Forschung“); Walter Manuschek, Hans Safrian: Österreicher in der Wehrmacht, in: Emmerich Tálos, Ernst Hanisch, Wolfgang Neugebauer (Hg.): NS-Herrschaft in Österreich 1938–1945, Wien 1988; Wilhelm Plas: Die Österreicher im AWA, unveröffentlichtes Manuskript, BA-MA, NL 625/200.
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mann bemüht hatte, bei dieser Gelegenheit seine Forschungsabteilung personell zu verstärken, ist nicht bekannt. Dafür war der ab 1938 mögliche Zugriff auf das wissenschaftliche Potenzial in Österreich für WaF ein respektabler Gewinn, vor allem für das Uranprojekt und die Treibstoff-Forschung. Erheblichen Nutzen brachte auch die Einbeziehung von Forschern an tschechoslowakischen Universitäten und Hochschulen, z. B. in Prag oder Brünn. Details über den zeitlichen Beginn von Arbeiten für WaF konnten nicht erarbeitet werden. Bei der Analyse von Aufstellungen und anderen Dokumenten zu jenen Kriegsaufträgen, die an zivile Einrichtungen vergeben wurden, geraten zwei gewichtige Umstände ins Blickfeld: Erstens kam es häufig vor, dass ein und derselbe Wissenschaftler bzw. sein Institut Aufträge sowohl für WaF, für andere Abteilungen von Wa Prüf bzw. andere Wehrmachtsstellen oder staatliche Einrichtungen bearbeitete. Mitunter wurden sie mit Aufträgen geradezu „eingedeckt“. Aus der Fülle von Beispielen seien einige genannt: Das Institut für Organische Chemie der TH Braunschweig, geleitet von Prof. Dr. Friese, erfüllte sowohl Aufträge von WaF, als auch des Reichsluftfahrtministeriums (RLM), des Forschungsdienstes der Landbauwissenschaften und des Reichsamtes für Wirtschaftsausbau. Prof. Dr. Johannes Picht (WTF der TH Berlin) realisierte Aufträge von WaF, Prüf 7, Prüf 11, einer Flakforschungsstelle sowie von zwei Industrieunternehmen. Ähnliches ist bekannt von seinem Kollegen Prof. Dr. Christian v. Hofe, Leiter des Instituts für militärische Erkundungsmittel der WTF, der für „OKH, OKM, RLM“ tätig war.92 Gleichzeitig stieg die absolute Zahl der erteilten Kriegsaufträge, und zwar umso mehr, je länger der Krieg dauerte. So bearbeiteten z. B. die TH und die Universität Breslau Ende 1944 mehr als 80 Wehrmachtsaufträge, meist mit hoher Geheimhaltung und Dringlichkeit versehen. In einer penible Auflistung des Rektors der TH Braunschweig in einem zehn Seiten umfassenden Bericht von Anfang 1943 zur Kriegsforschung ist ausgewiesen, dass von den 45 Instituten der TH 33 kriegswichtige Aufgaben löste. Ähnliches ergaben historische Untersuchungen für die TH Aachen, die Universität Dresden sowie viele andere Universitäten und Hochschulen.93 Diese Fakten können getrost als Indizien dafür gewertet werden, dass die Forschungskapazitäten von Universitäten und Hochschulen im Verlauf des Krieges immer knapper wurden. Andererseits zeigen sie, dass die Militärs große Hoffnungen hegten, die Forschung möge ihnen helfen, die Waffentechnik weiterzuentwickeln und zu vervollkommnen. Das gilt uneingeschränkt auch und besonders für WaF. Der zweite Umstand betrifft die Frage, welchen quantitativen Anteil WaF insgesamt an der durch Universitäten und Hochschulen betrieben Rüstungsforschung hatte. Verschiedene Aufstellungen geben Hinweise. Aus Unterlagen des RFR geht 92 Der Rektor der TH Braunschweig am 4. Februar 1943 an das Braunschweigische Ministerium für Volksbildung, UA Braunschweig, AI: 149, Bl. 82–106, S. 468; BAB, R 26 III/8 und 9, Karteikarten zu v. Hofe, Picht. 93 Bericht über Sicherstellung von Forschungsmaterial und Rückführung der für die Wehrforschung unentbehrlichen Fachkräfte aus Breslau vom 12. Februar 1945. BAB, R 26 III/43, Bl. 145–148, 151–156; TH Braunschweig (wie Anm. 92); Kalkmann: Die Technische Hochschule Aachen; Hoßfeld et al.: „Kämpferische Wissenschaft“.
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z. B. hervor, dass im August 1943 WaF 50 Themen bearbeiten ließ. Im August 1944 wurden 32 Aufträge von WaF registriert. Eine Meldung an das Speer-Ministerium weist ähnliches aus.94 Den Umfang der für das OKH an Universitäten und Hochschulen betrieben Forschung verdeutlichen einige Zahlen: 1940 wurden dafür 2.105.500 RM eingesetzt. Das Oberkommando der Marine (OKM) erhielt hingegen nur 94.800 RM und das RLM 626.600 RM.95 Die Bereitschaft der Universitäten und Hochschulen zur Zusammenarbeit mit HWA bzw. WaF war in den ersten Jahren der Hitlerherrschaft bei weitem nicht so ausgeprägt, wie bei Ausbruch des Krieges 1939. Sie stieg jedoch nach dem Überfall auf die Sowjetunion, sogar noch in der letzten Phase des Krieges. Diese Tendenz ergab sich daraus, dass durch die Übernahme von Kriegsaufträgen die begehrten „u. k.-Stellungen“ (= unabkömmlich) besser begründet und erlangt werden konnten. Zusätzlich bot sich die Chance neben der „Kriegsforschung“ auch eigene Forschungsinteressen zu verfolgen. Ab 1944 drängte sich eine Reihe von Institutsdirektoren mit Offerten über „noch nicht genutzte Möglichkeiten der Wehrforschung“ dem HWA und anderen militärischen Stellen geradezu auf.96 Die anfänglich zurückhaltende, bald aber steigende Bereitschaft für eine Zusammenarbeit mit WaF konstatierte 1939 auch Schumann – geradezu genüsslich: „Um auf diejenigen Stellen, auf deren Mitarbeit und Unterstützung die Wehrmachtsforschung großen Wert legen musste, von der Bedeutung der wissenschaftlichen Arbeit zu überzeugen, wurden bald nach dem Besuch des Führers [1933 in verschiedenen militärischen Versuchseinrichtungen und auf Übungsplätzen] die nunmehr nationalsozialistischen Länder-Kultusminister und die übrigen verantwortlichen Leiter der deutschen Kultusbehörden zu Vorführungen auf dem Hauptversuchsplatz und in den Laboratorien der Forschungsstellen eingeladen.
94 Akten des RFR: Forscher, Forschungsinstitute, Firmen usw., BAB, R 26 I II/10-17, 22–28; BAB, R 3/3130, Bl. 8–12. Diese Aufstellungen enthalten eine größere Anzahl von Forschungsaufträgen anderer Prüfabteilungen des HWA bzw. anderer Wehrmachtsteile, des RWA usw. Hinzu kommt, dass die überlieferten Meldungen und Aufstellungen zu den erteilten Forschungsaufträgen keineswegs vollständig sind bzw. in den betreffenden Dokumenten häufig die konkreten Bezeichnungen der Auftraggeber fehlen. Ob sich hinter solchen allgemeinen Begriffen wie „Wehrmacht, OKW, OKH, HWA“ usw. die Abteilung Forschung verbarg, konnte nur in wenigen Fällen geklärt werden. 95 Aktenvermerk (ohne Datum) „für Herrn Amtschef W.“ (des REM), BAB, R 4901/14014. Bei diesen Summen muss in Rechnung gestellt werden, dass die beträchtlichen finanziellen Zuwendungen der DFG, die ebenfalls die Kriegsforschung finanziell förderte, nicht enthalten sind, vgl. Hammerstein: Deutsche Forschungsgemeinschaft. 96 Mitteilungen verschiedener Universitätsarchive (z. B. TH Innsbruck, TU Braunschweig, Universität Greifswald) sowie Publikationen einiger Hochschulen über die NS-Zeit an ihrer Einrichtung, z. B. Eberle: Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Durch die betreffenden Uni-Archive wurde zugleich darauf verwiesen, dass häufig nur noch Restbestände solcher Archivalien vorhanden sind bzw. wegen der Geheimhaltung seitens der Auftraggeber viele dieser Aktivitäten weiterhin im Dunklen liegen. Gernot Heiß u. a. weisen in: Willfährige Wissenschaft. Die Universität Wien 1938–1945, Wien 1989, darauf hin, dass sich der Umwandlungsprozess der österreichischen Universitäten und Hochschulen in nationalsozialistische Institute „rasch, reibungs- und widerstandslos“ vollzog. „Der Gleichschaltungsprozess verlief unerhört rasant und effektiv.“ Auch Mikoletzky: Von jeher ein Ort (wie Anm. 91) kam zur TH Wien zu ähnlichen Feststellungen.
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I. Organisation Nachdem sie einen Einblick in die Eigenarten der dortigen Arbeiten erhalten hatten, wurden sie in einem abschließenden Vortrag dafür gewonnen, die ihnen unterstellten Wissenschaftseinrichtungen im Interesse der Landesverteidigung zur Verfügung zu stellen, ohne dass dadurch einschneidende Nachteile für den allgemeinen Wissenschaftsbetrieb entstehen sollten. Bei dem plötzlichen Aufschwung der Wehrforschung drängten sich zahlreiche Hochschullehrer, die sich bis dahin ‚über jede Zweckforschung erhaben‘ gedünkt hatten, zur Mitarbeit heran. Sie wollten den Anschluß nicht verpassen und hofften, durch Verbindung mit der Wehrmacht ihre Gesinnungstüchtigkeit unter Beweis stellen zu können.“97
Die von Schumann genannten „Vorführungen auf dem Hauptversuchsplatz“ – gemeint ist damit höchstwahrscheinlich Kummersdorf – behielt man auch in der Folge bei. Beispielsweise wurde vom HWA 1943, mit Unterstützung durch das REM, zu einer Vorführung in Hillersleben eingeladen, an der neben den Fachspartenleitern des RFR auch zahlreiche andere, sorgfältig ausgewählte Gäste teilnahmen. Der Zweck bestand darin, „einen Querschnitt zu den Forschungen beim Prüfwesen und WaF“ zu geben.98 Noch „im Jänner 1945 lud das HWA etwa 25 Hochschulprofessoren aus ganz Deutschland zum Besuch seiner wichtigsten Entwicklungsstellen ein, um ihnen Anregungen für eine etwaige Mitarbeit zu vermitteln. Als sich die Herren auch bei der Forschungsabteilung aufhielten, herrschte ein recht starker Frost und man zeigte ihnen u. a. das Freihalten des Wassers an einem bei Kummersdorf gelegenen kleinen See.“99 Mitunter gelang es Schumann, eine zeitweilige „Abkommandierung“ von Hochschulangehörigen zur Vers. Gottow zu erreichen. So im Fall des damals 28jährigen Physikers Dr. Helmut Harms, der ab Juni 1940 als „Technischer Kriegsverwaltungsrat“ in Kummersdorf über Zünder forschte. Schon ein Jahr danach wechselte er zur Luftfahrtforschung an der Universität Straßburg, da ihm die Tätigkeit in Vers. Gottow nicht zusagte.100 Eine besonders intensive Zusammenarbeit pflegte WaF mit der Wehrtechnischen Fakultät (WTF) der TH Berlin. Verwundern kann dies nicht, war doch die Gründung der „Fakultät für allgemeine Technologie“, die nach Einführung der allgemeine Wehrpflicht (1935) diese Tarnbezeichnung nicht mehr notwendig hatte und Anfang September 1935 in WTF umbenannt wurde, maßgeblich auf Initiative von General Becker zustande gekommen. Auf der Einladungsliste zur Grundsteinle97 98 99 100
Schumann: Wehrmacht und Forschung, 137 f. Leeb an Mentzel im April 1943, BAB, R 26 III/437, vgl. auch R 26 III 437a und 692. Bericht Plas’: Die Österreicher im AWA, BA-MA, NL 625/200. Eberle: Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 414; Mitteilung von Prof. Harms 1999. Schumann äußerte sich zur „Abkommandierung“ wie folgt: „Die jeweils zur Mitarbeit herangezogenen Wissenschaftler kehrten – sofern zur Wahrung des Geheimnisschutzes ihre Arbeit in einem wehrmachtseigenen Institut notwendig war – im allgemeinen nach Lösung ihrer Spezialaufgabe wieder in ihren ursprünglichen Wirkungsbereich zurück. Sie werden dort bei ihrer zivilen wissenschaftlichen Tätigkeit die Fragen der Wehrforschung weiterhin im Auge behalten und gegebenenfalls von sich aus neue Vorschläge oder Anregungen der Wehrmacht nahe bringen“, in: Wehrmacht und Forschung, 138. Bei den Recherchen konnten mehrere Beispiele für eine Abkommandierung nach Kummersdorf gefunden werden, so im Falle des Physikers Dr. Ernst Otto, Universität Leipzig, der nach seiner Promotion 1940 als Kriegsverwaltungsrat nach Kummersdorf kam. Mit welcher Zielstellung und zu welcher Einheit er nach Kummersdorf delegiert wurde, geht aus den Unterlagen nicht hervor. BAB, R 26 III/9, Karteikarte Otto, Mitteilung des UA Leipzig vom 23. November 2004.
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gung am 28. November 1937 für den Bau des neuen Gebäudekomplexes der WTF sowie des anschließenden Abendessens im Hotel Kaiserhof – danach „Bierabend“ – standen neben Schumanns Namen auch die von Basche, Diebner, Eschenbach, Glagow, Glupe, Kadow, Pistorius, Rackow und Schweikert. Vereinzelt beteiligten sich Angehörige von WaF wie Glimm an der Lehrtätigkeit der WTF bzw. etliche Studenten der WTF arbeiteten bei Schumann an ihren Dissertationen. Außerdem gab es einen regen Austausch zu erzielten Forschungsresultaten.101 Die hohe Wertschätzung des HWA für die Ergebnisse der wehrwissenschaftlichen Forschungen an Universitäten und Hochschulen widerspiegelte sich in den von WaF ausgehenden Vorschlägen für Auszeichnungen, Verleihung von Titeln oder in Form anderer Vergünstigungen.102 Von eminent praktischem Wert war für WaF eine gute Zusammenarbeit mit renommierten Forschungseinrichtungen von Industrieunternehmen. Auf den Gebieten Pulver und Sprengstoffe waren dies z. B. die IG Farben AG (Werk Rottweil), die Westfälisch-Anhaltinische Sprengstoff AG (Wasag), die Dynamit Nobel AG oder die Hugo Schneider AG (Hasag) in Leipzig. Zu Forschungen auf den Sektoren Infrarotstrahlung und Nachrichtentechnik arbeitete WaF zusammen mit AEG, Carl Zeiß Jena, Zeiß-Ikon AG Dresden, mit Osram, Telefunken oder Siemens-Halske. Bei waffentechnischen und ballistischen Themen bestanden Arbeitsbeziehungen von WaF zu Rheinmetall-Borsig, Fa. Eberspächer (Esslingen), Krupp, Hanomag und anderen Rüstungsbetrieben. Vertreter der hier genannten Firmen besuchten die Forschungseinrichtungen des HWA in Kummersdorf, auch um ihre eigenen Erzeugnisse zusätzlich zu testen. Da die großen Waffenschmieden nicht nur für das Heer, sondern auch für Luftwaffe und Marine produzierten, fanden industrielle Forschungsstätten das Interesse aller Wehrmachtsteile. Wie bei der Hochschulforschung wollten sie alle hier ihre Aufträge unterbringen. Das wiederum führte oft auch zu Spannungen, Auseinandersetzungen und Konkurrenzkämpfen. Möglicherweise um diesen Misslichkeiten aus dem Wege zu gehen bzw. wegen der knappen Forschungskapazitäten, bezog WaF auch gern kleine Firmen ein, wie das Chemische Labor für Tonindustrie (Berlin), Emailliola (Berlin), Forschungslabor Oskar Neiss (Hamburg), Hirschberger Optische Werke oder die Zöllner-Werke, Gesellschaft für Lack- und Farbenfabrikation (Berlin). Ebenso bekamen Einzelpersonen von WaF Kriegsaufträge. Gerade zu den Arbeitsergebnissen kleinerer Firmen oder Einzelpersonen gibt es so gut wie keine archivalischen Überlieferungen. Die betreffenden Dokumente gerieten zumeist bei Kriegsende in Verlust.103 101 Ebert, Rupieper: Technische Wissenschaft (wie Anm. 9); UA der TU Berlin, Restakten zur WTF. 102 Beispielsweise wurden für ihre Teilnahme an Forschungen von WaF mit dem Kriegsverdienstkreuz (KVK) ausgezeichnet die Prof. Karl Ziegler, Universität Halle, 1940, KVK, II. Klasse; Arthur Lüttringhaus, Universität Greifswald, 1944, KVK II. Klasse; Reinhard Mecke, Universität Freiburg, 1943, KVK I. Klasse. Quelle: Mitteilungen der betreffenden UA. 103 BAB, Bestände des RFR an zahlreichen Stellen, insbesondere R 26 III/10–17, 22–28. Interessant ist, dass General Becker die Verbindungen zur Industrie auch nutzte, um bei Auslandsreisen leitende Mitarbeiter zu bitten, bestimmte Angaben über die Produktion usw. der besuchten Betriebe in Erfahrung zu bringen. Ein solcher Sachverhalt ist enthalten in: BAB, R 26 III/537, Reise Duttenhöfers in die USA.
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I. Organisation
Vergabe von Forschungsaufträgen Der beabsichtigten Einbeziehung von Forschern, insbesondere an Universitäten und Hochschulen, ging in aller Regel eine Anfrage an das REM voraus. Zuständig dafür war WaF V c, Rackow. Er teilte dem REM mit, dass mit Prof. XY eine Zusammenarbeit beabsichtigt sei, und bat um eine Stellungnahme des REM. Die Antworten fielen fast ausnahmslos positiv aus. Auch in Fällen, in denen bereits seit längerem eine Zusammenarbeit bestand, sicherte sich WaF auf diese Weise ab. Eine Akte des REM enthält für die Zeit Juni 1941 bis Juli 1944 69 derartige Anfragen zu Professoren, vor allem Physiker, Chemiker und Technikwissenschaftler, aber auch Geographen, Mediziner, Pharmakologen und Biologen. Sie liest sich beinahe wie eine Mini-Ausgabe von „Kürschners Gelehrtenkalender“ und verdeutlicht die Spannweite der Interessen bei WaF. Das REM lehnte von diesen 69 Anfragen nur einen Wissenschaftler ab, den ehemaligen Experimentalphysiker Prof. Dr. Heinrich Rausch von Traubenberg, tätig gewesen an der Universität Kiel zu kernphysikalischen Themen. Grund war seine Mitgliedschaft in der Liga für Menschenrechte und im Rotary-Club. Die Ehefrau sei „Volljüdin“. Zu den Professoren Warburg und Staudinger wurden Bedenken erhoben, da sie als „jüdische Mischlinge“ galten.104 Nach Beratungen mit dem betreffenden Forscher – zur Erläuterung der Aufgaben- und Zielstellung, Fristen, Kosten usw. – wurde über die Kriegswirtschaftsstelle (siehe unten) ein so genannter Kriegsauftrag erteilt, auf vorgedrucktem Formular, das die notwendigen administrativen Angaben wie Registriernummer, Thema, Geheimhaltungsgrad, Kosten, Termine, Abrechnung und andere Details enthielt. Gleichzeitig wurde der Universität oder Hochschule ein Exemplar der „Besonderen Bedingungen für Kriegsaufträge des Heereswaffenamtes“ zugestellt. Das umfängliche Schriftstück (15 Seiten) enthielt 55 Paragraphen, die, juristisch ausgefeilt, alle Einzelheiten regelten. Diese Vorschrift ergänzte WaF durch weitere Festlegungen. So verpflichtete sich das betreffende Institut, die erzielten Ergebnisse dem OKH uneingeschränkt zur Verfügung zu stellen und diesem gegenüber keine Urheberrechte geltend zu machen. Mindestens alle drei Monate war ein Zwischenbericht fällig. WaF konnte sich jederzeit vor Ort ein Bild über den Stand machen. Die Beschaffung von Apparaten, Geräten, Werkstoffen und wissenschaftlichen Hilfsmitteln wie Nachschlagewerke, Tabellen oder andere Literatur im Wert bis zu 100 RM oblag dem Institut selbst. Was mehr als 100 RM kostete, besorgte WaF 104 BAB, R 4901/12872. Zu dieser Quelle muss beachtet werden, dass sie nur einen Teil der Anfragen von WaF enthält. Die anderen dazu angelegten Akten gingen verloren. Dass weit mehr Wissenschaftler einbezogen waren, zeigen die Karteikarten in R 26 III/8 und 9, in denen allein 140 Personen erfasst sind, die für WaF tätig waren (Gesamtumfang mehrere Tausend Karteikarten). Heinrich Freiherr Rausch von Traubenberg (1880–1944), der wegen seiner jüdischen Frau 1937 seine Stelle an der Universität Kiel verlor und danach in Berlin wohnte, unterhielt Verbindungen zu KWI für Chemie und arbeitete für das RLM auf kernphysikalischem Gebiet, u. a. zu Messgeräten. AMPG, Abt. III, Rep. 14 A Nachlass Otto Hahn, Nr. 3435; vgl. auch Ruth Lewin Sime: Otto Hahn und die Max-Planck-Gesellschaft. Zwischen Vergangenheit und Erinnerung, Berlin 2004 (= Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus, Ergebnisse, 14), 26 f.
2. Struktur, personelle Besetzung und Außenbeziehungen von WaF
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nach schriftlicher Anforderung des Auftragnehmers. Alle im Zusammenhang mit dem Kriegsauftrag erworbenen Geräte usw. gingen in das Eigentum des OKH über. Für die Gerätebeschaffung war bei WaF/Stab Dipl.-Ing. Georg Ludwig Becker (*1898) zuständig. Er schied am 1. September 1944 aus dem HWA aus und wurde vom RFR übernommen. Nach Abschluss des Kriegsauftrages und Übergabe der Ergebnisse an WaF schickte die Universität/Hochschule ihre Schlussabrechnung an das OKH. Der angeforderte Betrag wurde unter Verwendung eines vereinbarten Stichwortes – nach Bestätigung durch den Stab von WaF – überwiesen.105 Zum Vergabeverfahren gehörte auch die Bestimmung der Dringlichkeit. Zuständig dafür waren die Fachspartenleiter des RFR bzw. die Bevollmächtigten des Reichsmarschalls Göring. Sie hatten die Aufgabe, „eine Einstufung aller Forschungsaufgaben nach ihrer Dringlichkeit und Wichtigkeit“ vorzunehmen und gleichzeitig zu entscheiden „welche Aufträge gestrichen werden könnten, welche hingegen einen umstürzlerischen Charakter hätten“.106 Wie er dies handhabte, erläuterte Thiessen, Fachspartenleiter Chemie im RFR, seinem Kollegen Prof. Dr. Körber, Direktor des KWI für Eisenforschung: Er verschaffe sich aus dem Schrifttum und den Berichten der DFG Aufschluss über die Arbeitsgebiete des betreffenden Forschers, seine Fähigkeiten, die personelle und sachliche Ausrüstung des Instituts und stelle fest, ob die die erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen. Weiter prüfe er, ob die Aufträge tatsächlich als kriegs- und staatswichtig anerkannt werden können. Bei der Grundlagenforschung sei dies schwierig, da man nicht wisse, ob damit eine „kriegswichtige technische Fragestellung hinreichend gelöst werden könne“. Der Fachspartenleiter „müsse sich trauen, eine eigene Verantwortung zu übernehmen“.107 Im Mai 1943 sah sich Graue, Leiter der Kriegswirtschaftstelle (vgl. im folgenden) wegen der unbefriedigenden Situation bei der Erteilung von Dringlichkeitsstufen genötigt, den Fachspartenleitern nochmals Hinweise für die Eingruppierung zu geben: Eine „DE-Stufe“ (dringende Entwicklung) komme nur bei besonders kriegswichtigen Vorhaben in Frage und müsse in jedem Fall von Speer gegengezeichnet werden. Für andere Projekte seien die Stufen „SS“ und „S“ zu prüfen, und zu erteilen wenn „deren Kriegswichtigkeit“ feststeht, besonders wenn ein „kriegswichtiger Einsatz der Ergebnisse zu erwarten ist“. Eine „Inflation der Dringlichkeit“ müsse unbedingt verhindert werden. Aufträge des HWA, der Luftwaffe, des RWA usw. dürften nur von diesen Stellen selbst eingestuft werden.108
105 Eine Kopie der „Besonderen Bedingungen“, Ausgabe März 1941 sowie die dazu vorgenommenen Ergänzungen durch WaF, stellte das UA Karlsruhe zur Verfügung (Bestand 23019). Diese Unterlagen enthalten auch Einzelheiten zum Abrechnungsverfahren. 106 Mentzel bei einer Sitzung des RFR am 20. Oktober 1944, handschriftliche Aktennotiz, BAB, R 26 III/697. Bei dieser Sitzung waren u. a. anwesend: Mentzel, Thiessen, Gerlach, Köster, Graue, Sauerbruch und Schumann. 107 Thiessen am 15. März 1943 an Körber, BAB, R 26 III/697a. 108 Graue am 12. Mai 1943 an den Fachspartenleiter RFR „Erteilung von Aufträgen“, BAB, R 26 III/695.
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Kriegswirtschaftstelle und Reichsamt für Wirtschaftsaufbau Eine wesentliche Schaltstelle für WaF wurde die Kriegswirtschaftsstelle (KWSt), „durch Weitsicht von General Becker sofort bei Kriegsausbruch gegründet“.109 Mit der zweiten Auflage des RFR wies Göring auch eine entsprechende Neugründung der KWSt an, die dem Geschäftsführenden Beirat unterstellt wurde. Aufgabe der ca. 15 Mitarbeiter der KWSt war die Bereitstellung von Personal, Ausrüstungen Geräten usw. für Forschungsarbeiten. Die KWSt betreute Hochschulen, Universitäten und andere Einrichtungen zwecks Versorgung „mit allen Spar- und Mangelstoffen“. Sie erfasste und bestätigte die von den Wehrmachtsteilen festgelegten Dringlichkeitsstufen und vergab die Wehrmachtsauftragsnummern für die einzelnen Themen.110 Geleitet wurde die KWST zuerst von SS-Obersturmbannführer Dr. Kühn, ab Mai 1943 von Dr. Georg Graue (1903–1993). Graue war Chemiker, hatte zunächst bei Prof. Otto Hahn gearbeitet und wechselte 1934 an das KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie zu Thiessen, wo er zuletzt dessen technischer Direktor war.111 Als Chef der KWST verfügte Graue über tiefe Einblicke in laufende Forschungsvorhaben und hatte beachtlichen Einfluss auf deren Realisierung. Das ging hin bis zu den angestrebten strengen Geheimhaltungsmaßnahmen, deren Sinn und Zweckmäßigkeit von den Forschern oft angezweifelt oder kritisiert wurden. Dazu fand am 5. Juli 1943 unter Vorsitz von Mentzel eine Besprechung statt, um „eine Vereinbarung über die gegenseitige Aufhebung bzw. Einschränkung der Geheimhaltungsklausel herbeizuführen“. Vertreten waren das Speer-Ministerium, OKM, OKL, die Waffen-SS und das Reichsamt. Seitens OKW bzw. OKH nahmen teil Basche, Kadow, Peters und Bewersdorff. Vom RFR waren erschienen Thiessen und Graue. Es wurden Vorgaben über die Behandlung von „Geheim-Aufträgen“ und „GKdos-Aufträgen“ vereinbart.112 Je länger der Krieg dauerte, desto knapper wurden auch die für Forschungen benötigten materiell-technischen Ressourcen. Bald herrschte ein empfindlicher Mangel an Laborausrüstungen, wissenschaftlichen Geräten, Reagenzien aller Art usw. Jetzt ging man bei der KWST dazu über, gemeinsam mit der Wehrmacht in 109 BAB, R 26 III/437. Nach Hammerstein: Deutsche Forschungsgemeinschaft, sollen angeblich „Mentzel und Rust General Becker gedrängt haben, im Hause der DFG eine Kriegswirtschaftsstelle einzurichten“ (295). 110 BAB, R 26 III/168a (2 Bände) enthält umfangreiche Angaben zur KWSt. Die Dringlichkeitsstufen wurden während des Krieges mehrfach verändert. Im Juli sowie Oktober 1942 unternahm Speer Versuche, sie wiederum neu zu ordnen. Ab diesem Zeitpunkt existierten nur noch die „Sonderstufe SS“ und die übergeordnete „Sonderstufe DE“. Archiv MPG, III. Abt., Rep. 61 Nachlass Prandtl, Nr. 2127. Die zahlreichen Fälle, diese Festlegungen zu unterlaufen bzw. sich Vorteile zu verschaffen, veranlassten Speer am 20. Juni 1944 und auch danach – nahezu bis Kriegsende – scharfe, jedoch weitgehend erfolglose Maßnahmen anzudrohen. Vgl. dazu BAB, R 26 III/168a, Band 2. 111 Zu den Gründen des Ausscheidens von Kühn und der Übernahme der KWSt durch Graue enthält BAB, R 26 III/168a (beide Bände) umfangreiche Angaben. Biographische und andere Angaben zu Graue sind umfänglich enthalten bei Nagel: Atomversuche. 112 Protokoll der Sitzung vom 5. Juli 1943, BAB, R 26 III/7, Bl. 13–15.
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den besetzten Territorien alle Institute, Lehr- und Forschungsstätten durchzukämmen und die vorgefundenen Bestände zu registrieren. Was brauchbar und nützlich erschien, wurde – mit Unterstützung von Speer – ins Reich abgefahren. An diesen unverhüllten Raubzügen beteiligten sich auch Schumanns Mitarbeiter Dr. Bayer und Dr. Pietsch (vgl. Kapitel 4).113 Nach der Schaffung des Reichsministeriums für Bewaffnung und Munition, geleitet von Albert Speer, trat für WaF ein weiterer Ansprechpartner auf den Plan, Oberst Dipl.- Ing. Friedrich Geist (1898–1958). Dieser Mann hatte verschiedene militärische Dienststellungen durchlaufen, an der TH Berlin studiert, in einem Munitionsreferat des HWA gearbeitet und Erfahrungen im Amt für deutsche Rohund Wertstoffe gesammelt. Nach der Teilnahme an den Feldzügen gegen Polen und Frankreich wurde er Chef der Ballistischen- und Munitionsabteilung im HWA. 1943 berief Speer den jungen Oberst in sein Ministerium und setzte ihn als Chef der Amtsgruppe Entwicklung und Forschung ein. Damit hatte Geist bei allen wichtigen waffentechnischen Neuerungen mit zu entscheiden.114 Mit der Neugründung des RFR 1942 wurde Mentzel, der „überaus einflussreiche, heimliche Forschungsminister“ (Maier) zum Leiter des Geschäftsführenden Beirates berufen. Damit war er für die Außenbeziehungen der Forschungsabteilung noch wichtiger geworden als bereits zuvor. Neu kam SS-Standartenführer Wolfram Sievers (1905-1948) hinzu, der als Stellvertreter von Mentzel im Geschäftsführenden Beirat tätig wurde. Das im Juni 1943 geschaffene Planungsamt des RFR übernahm Prof. Dr. Werner Osenberg (1900–1974). Alle vier zuletzt genannten Personen – Geist, Mentzel, Sievers, Osenberg – arbeiteten eng mit der KWST zusammen. Die Bildung des Reichsamtes für Wirtschaftsausbau (RWA) erfolgte – mit Anlaufen des Vierjahresplanes – durch einen Erlass Görings vom 5. Dezember 1939. Unterstellt wurde dieses Amt dem Generalbevollmächtigten für Chemie (GeBeChem) Carl Krauch, seit 1940 Aussichtsratsvorsitzender des IG-Farben-Konzerns. Vorläufer des RWA war das „Amt für deutsche Roh- und Werkstoffe“, das der Oberst im Generalstab der Luftwaffe, Czimatis, geleitet hatte. Das nun neu entstandene RWA „war eine autonome, für weite Gebiete der Kriegsproduktion (nicht nur der chemischen) verantwortliche und bevollmächtigte Reichsbehörde“.115 Maier charakterisierte das Reichsamt als „weder eine zivile, militärische, noch industrielle Behörde, sondern ein hybrides Gebilde, das sich aus allen Teilelementen zusammen setzte“ und dem Ministerialbeamten, Vertreter der Wissenschaft und Industrie, Professoren von Universitäten und Hochschulen, Wissenschaftler der KWG und anderer außeruniversitärer Forschungseinrichtungen angehörten und die als „idealtypische institutionelle Form der Rüstungsforschung“ gesehen werden kann.116 Neben
113 BAB, R 26 III/168a, Band 2. 114 Nachruf auf Friedrich Geist, in: WTH 55 (1958), 433. 115 Dietrich Eichholz: Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft 1939–1945, Bd. 1: Von 1939 bis 1941, Berlin 1968, 110. 116 Maier: Forschung als Waffe, 40. Vgl. auch: Krauch im Oktober 1941 an Göring (Plan der Forschung des RWA), BAB, R 26 III/243.
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der eigentlichen „Ausbauabteilung“, zuständig für die Planung der Errichtung chemischer Werke und anderer Fabriken, Aufstellung von Fertigungsprogrammen usw., existierte im RWA eine Abteilung „Forschungsinstitute und Erprobungsstellen“. Deren Aufgabe bestand in der „Fühlungshaltung“ mit allen Forschungseinrichtungen und Ministerien, der Organisierung von Forschungsaufgaben auf dem Rohstoffsektor sowie der „Zuteilung von Forschungsaufgaben an Forscher“, deren Bereitschaft und sachliche Eignung vorher zu prüfen war, um die laufenden Aufgaben „beschleunigt vorwärts zu treiben“.117 Ähnlich wie dies schon zu WaF dargestellt, bestanden Beziehungen des RWA zu KWI, staatlichen Forschungs- und Prüfinstituten des Reiches und der Länder, zu Forschungseinrichtungen an Universitäten und Hochschulen sowie zur Industrie. Besonders wichtig war eine „enge Fühlungsnahme“ mit dem REM. Eine Sonderaufgabe bestand in der Aufstellung eines „Mobilmachungsplanes der deutschen Forschungsaufgaben“. Im Kriegsfalle sollten vordringlich „feindliche Gaskampfstoffe, Gasmasken, Sprengstoffe, Zünder usw. untersucht“ werden, wofür rechtzeitig Vorsorge zu treffen war. Besonders wichtig sei es, „darüber mit militärischen Stellen zu sprechen, um u. a. die UK-Stellungen zu sichern“. „In einer Besprechung mit Generalleutnant Becker wurde die Zustimmung des Heereswaffenamtes zu der Übernahme dieser Aufgabe (...) erteilt und die Unterstützung der Abt. Wa Prüf, die bereits vor Jahren Vorarbeiten auf diesem Gebiet geleistet hat, zugesagt.“ 118 Die Zusammenarbeit von WaF und RWA vollzog sich auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlicher Weise: Relativ problemlos funktionierte der Informationsaustausch. Von den bei WaF, aber auch beim OKM und OKL, bearbeiteten Forschungsthemen und Forschungsrichtungen wurde das RWA regelmäßig unterrichtet. So erhielt z. B. das RWA im September 1943 und im Juni 1944 von WaF eine Zusammenstellung der als Geheime Kommandosache (GKdos) eingestuften Projekte.119 Andererseits wusste man bei WaF, welche Forschungsaufgaben das RWA vergeben hatte. Basche wandte sich beispielsweise am 29. Januar 1945 an das REM und teilte mit, das OKH habe Interesse an dem Bericht des Prof. Schilling vom KWI für Bastforschung „Zweckmäßiger Einsatz von Spinnstoffen kriegsentscheidender Zwecke auf kürzestem Verarbeitungsweg“.120 Mehrere Mitarbeiter von WaF gehörten verschiedenen Arbeitsgemeinschaften an, die unter der Führung von Krauch im RWA entstanden waren: Eschenbach war vertreten in der AG „Synthetische Harzsäuren und synthetische trocknende Öle“, Köhler und Schönwald in der AG „Kaltes Licht durch Leuchtstoffe“, Glupe, Gratkowski und Köhler in der AG „Fluor“, Bayer und Eidmann von der Abteilung Wissenschaft im OKW in der AG „Schädlingsbekämpfung“. Den Arbeitsgruppen des RWA gehörten häufig Wissenschaftler an, denen WaF Forschungsaufgaben 117 118 119 120
BAB, R 3112/18, Bl. 104–108 (ohne Datum und Unterschrift, wahrscheinlich 1936 entstanden). BAB, R 3112/18. BAB, R 3112/160. Leider ist das Verzeichnis selbst in der Akte nicht enthalten. BAB, R 3112/161.
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übertragen hatte, z. B. die Professoren Eitel, Lüttringhaus, Ziegler, Ulmann, Pongratz, und Thiessen. Außerdem wirkten in den AG Angehörige anderer Prüf-Abteilungen mit, so Rittler, Schmidt und Wagner von Prüf 9 (Kampfstoffe).121 Ab 1941/42 schuf das RWA insgesamt 39 Vierjahresplaninstitute, die zumeist bei Instituten von Universitäten und Hochschulen angesiedelt waren. Diese Institute realisierten durchweg Aufgaben der Rüstungsforschung. Auch hier erwuchsen zahlreiche Berührungspunkte zu WaF, z. B. im Falle des Instituts für Neutronenforschung in Wien, unter den Professoren Stetter und Ortner, die bereits mit Beginn des Uranprojektes von WaF einbezogen worden waren (vgl. Kapitel 9). Mitarbeiter von WaF und RWA trafen sich oft bei Arbeitstagungen zu Forschungskomplexen, an denen WaF maßgeblich mitwirkte. Zudem realisierten zahlreiche Wissenschaftler, die für WaF arbeiteten, gleichzeitig auch Aufträge des RWA. Dies erfolgte immer mit ausdrücklicher Genehmigung des REM.122 Als Fazit zu den Außenbeziehungen von WaF lässt sich feststellen: Die Forschungsabteilung verfügte über gute und vielfältige Kontakte zu fast allen wichtigen Stellen und Einrichtungen, die mit der Grundlagen- und Zweckforschung zu tun hatten. Das betraf sowohl staatliche Behörden, die die Forschungspolitik bestimmten, finanzierten oder organisierten, als auch das Netz der Forschungsstätten im Reichsgebiet, Österreich (ab 1938) sowie in der Tschechoslowakei. Zentrale Schaltstellen, mit denen vor allem Schumann zusammen arbeitete, waren das REM und der RFR, die u. a. dafür sorgten, dass WaF Forschungsergebnisse, die diesen Gremien zugingen, auf Wunsch zur Einsicht zugestellt wurden.123 WaF arbeitete auch mit Forschungsstätten anderer Wehrmachtsteile zusammen. Von einer generellen Abschottung der einzelnen Wehrmachtsteile in Sachen Forschung, kann in der oft behaupteten Absolutheit keine Rede sein. Dennoch gab es in der Wehrforschung sehr wohl Tendenzen des Durcheinander und des Gegeneinander. Schon früh hatten Becker, Schumann und andere führende Köpfe des HWA Überlegungen angestellt, wie diesem Dilemma zu begegnen sei. Erstmals äußerte sich dazu, und zwar öffentlich und detailliert, Justrow (1935) in seinem Artikel „Deutschland braucht ein Reichsforschungsinstitut für Wehrkraft“. Darin kritisierte er, dass die verschiedenen Einrichtungen wie CTR, KWI, Forschungsstätten der Großunternehmen und Hochschulen „mehr oder weniger nur rein wissenschaftliche oder im eigenen privatwirtschaftlichen Interesse liegende Ziele [verfolgen] oder [sie] erfüllen nur eine von den Behörden gestellte, eng begrenzte Aufgabe. Auch die noch junge Deutsche Forschungsanstalt für Luftfahrt und die Vereinigung für Luftfahrtforschung, deren hohe Bedeutung voll anerkannt wird, haben nur einen beschränkten Aufgabenkreis, wenn er auch durch die Maßnahmen des Reichsluftfahrtministerium schärfer auf die Kriegsnotwendigkeiten zugeschnitten ist“.
121 Maier: Forschung als Waffe, S. 483–486; Reichsberichte Chemie des RWA (Geheim). 122 Zum RWA als Auftraggeber von Forschungsaufgaben vgl. u. a.: BAB, R 26 III/8 und 9 (Karteikarten). Zur „ausdrücklichen Genehmigung des REM“ Maier: Forschung als Waffe, 493. 123 Vgl. u. a. BAB, R 26 III/4, Bl. 60, 67, 95: Bitten von Basche an Mentzel zur Übersendung von Forschungsberichten, an denen WaF Interesse hat.
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Justrow plädierte deshalb dafür, ein besonderes Forschungsinstitut zu gründen, das ein „Bindeglied“ zwischen den bestehenden Forschungsstellen und den Ministerien sei.124 Am 25. Mai 1937 kam es im Festsaal des REM in Anwesenheit von Hitler und anderen NS-Größen zur feierlichen Eröffnung des „Reichsforschungsrates“ (RFR). Das neue Gremium ging weitgehend auf Vorstellungen und Pläne von General Becker zurück, der seit 1933 Professor an der TH Berlin und zugleich Dekan der WTF war. Auch Schumann hatte an der Entstehung des RFR, der „jetzt nach Überwindung zahlloser Widerstände“ aus der Taufe gehoben werden konnte, einen nicht unbeträchtlichen Anteil (vgl. Kapitel 22). Becker wurde der erste Präsident des RFR. In seiner Rede zur Begründung der Notwendigkeit einer solchen Körperschaft wies der General auf die „völlig unerträglichen Zustände“ bei der Organisation der von den verschiedensten Stellen betriebenen Forschungen hin und hob ausdrücklich hervor: „Die Hauptaufgabe des Reichsforschungsrates, nämlich der Einsatz der Forschung für vordringliche Staatsaufgaben wird zwangsläufig mit sich bringen, dass wir die Forschung, soweit Arbeitsstätten und Forscher, die dafür geeignet sind, in bestimmte Richtungen lenken.“
Naturgemäß hatte Becker dabei besonders die Wehrforschung im Blick, die planmäßig und im gesamten Reich einheitlich betrieben werden solle.125
3. DAS II. PHYSIKALISCHE INSTITUT DER BERLINER UNIVERSITÄT Generalleutnant Werner v. Blomberg dürfte sehr zufrieden gewesen sein. Kaum war Adolf Hitler Reichskanzler geworden, ernannte dieser noch am gleichen Tag, dem 30. Januar 1933, v. Blomberg zum Reichskriegsminister. Es war ein ausdrücklicher Wunsch des greisen Hindenburg gewesen, diesen Militär ins Amt zu berufen.126 Wenig später, am 3. Februar 1933, versammelten sich die Befehlshaber von Heer und Marine in der Berliner Bendlerstraße zu einer ersten Besprechung mit ihrem neuen Dienstherren. Der ließ keinerlei Zweifel, wohin die politische Reise gehen sollte. „Aufbau der Wehrmacht“ und „Eroberung neuen Lebensraums im Osten“ waren die wichtigsten Stichworte, die die hohen Generäle zu hören bekamen. Jetzt konnte und sollte die seit längerem insgeheim verfolgte Aufrüstung weiter energisch vorangetrieben werden. Zwar geschah das, vor allem aus außenpolitischen Erwägungen, vorerst immer noch verdeckt und verschleiert, aber was an finanziellen 124 Karl Justrow: Reichsforschungsinstitut für Wehrkraft, in: WTH 39 (1935) Heft 11, 507–509. Es ist nicht bekannt, ob Justrow diesen Vorstoß mit Becker oder anderen verantwortlichen Offizieren des HWA abgesprochen hat, aber denkbar. Schumann äußerte nämlich in Wehrmacht und Forschung (140), dass die Wehrmacht schon 1933 angeregt habe, eine „Reichsakademie der Forschung“ zu schaffen. Auch er kritisierte indirekt die Gründung von Forschungseinrichtungen durch einzelne Ministerien und staatliche Einrichtungen (142). 125 Hammerstein: Deutsche Forschungsgemeinschaft, 211. 126 Zur Rolle Blombergs im NS-Staat Karl-Heinz Janßen, Fritz Tobias: Der Sturz der Generäle. Hitler und die Blomberg-Fritsch-Krise 1938, München 1994.
3. Das II. Physikalische Institut der Berliner Universität
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und anderen Mitteln nötig war, wurde zugesagt. Die Freigabe erster zusätzlicher Gelder kam prompt im Februar 1933.127 Im Dezember des gleichen Jahres fiel die Entscheidung über die Aufstellung eines vorerst 300.000 Mann starken Friedensheeres. Am 21./22. Dezember 1933 erläuterte – anlässlich einer durch Hitler angesetzten Befehlshaberbesprechung – Reichskriegsminister v. Blomberg dazu seine programmatischen Vorstellungen.128 Von diesen und anderen Vorgängen in den oberen Machtetagen des neuen NSSystems profitierte in unerwarteter Weise auch Schumann. Am 8. Februar 1933 erhielt der Ministerialrat im Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Prof. Dr. Windelbrand, einen militärisch knappen Brief mit dem amtlichen Kopfbogen des Reichskriegsministers, unterschrieben von General Becker. Darin bat er „die Ernennung des Min. Rat. Priv. Doz. Dr. Schumann zum Honorarprofessor aus den Ihnen s. Zt. mündlich angegebenen dienstlichen Gründen noch in diesem Semester“ vorzunehmen.129 Die philosophische Fakultät der Universität Berlin wurde am 16. Februar 1933 von diesem Wunsch der Militärführung unterrichtet. Sogleich befasste sich an der Universität die zuständige Kommission des Dekans damit und konstatierte erstaunt eine mündliche Erklärung des „Chefs des Ministeramtes im Reichswehrministerium, Oberst von Reichenau“, vom 2. März. Danach habe das Reichswehrministerium (RWM) „nicht das mindeste Interesse“, Schumann zum Honorarprofessor zu ernennen. Die Kommission rang sich daraufhin zu einer Ablehnung durch, da ihr u. a. Schumanns „wissenschaftliche Leistungen, so weit sie bis heute vorliegen … nicht groß genug“ erschienen. Was immer danach sich im Hintergrund an Auseinandersetzungen abgespielt haben mag, Schumann jedenfalls erhielt am 29. September 1933 seine Ernennung zum „ordentlichen Professor in der Philosophischen Fakultät der Universität Berlin“, versehen mit einem Lehrauftrag für das Lehrgebiet „Physik und systematische Musikwissenschaft“.130 Im RWM hatte man aber mehr vor, nämlich die Schaffung eines neuen physikalischen Instituts an der Berliner Universität. Es sollte von Schumann geführt werden und ausschließlich für wehrwissenschaftliche Zwecke arbeiten. An der Berliner Universität gab es bereits seit 1878 ein Physikalisches Institut. Es war untergebracht in einem repräsentativen Neubau am Reichstagsufer. Erster Direktor war der berühmte Prof. Dr. Hermann Helmholtz. Ihm folgten andere Gelehrte
127 Zum Inhalt dieser Besprechung vom 3. Februar 1933 gibt es mehrere Überlieferungen, vgl. Hans-Adolf Jacobsen: 1939–1945. Der Zweite Weltkrieg in Chroniken und Dokumenten, Darmstadt 1959, 81 f.; Carl Dirks, Karl-Heinz Janßen: Der Krieg der Generäle. Hitler als Werkzeug der Wehrmacht, Berlin 1999, 322 f., 285. 128 Wilhelm Deist: Die Aufrüstung der Wehrmacht, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 1: Ursachen und Voraussetzungen der deutschen Kriegspolitik, Stuttgart 1979, S. 439–634, insb. 408. 129 Zitiert nach Luck: Als Schüler, Soldat und Student in der Hitlerzeit, unveröffentlichtes Manuskript. 130 PA Schumann, AHUB, Nr. 1440, Bl. 366, 370 f., Nr. 1478, Bl. 94.
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von hohem wissenschaftlichem Ansehen wie die Professoren Emil Warburg, Heinrich Rubens und Walther Nernst.131 Die Forschungsinteressen der „Zentralstelle für Heeresphysik und Heereschemie“ hatten dazu geführt, dass „schon im Jahre 1930 eine Abteilung ‚G‘ im Rahmen des Physikalischen Instituts entstand, deren Forschungen als ‚Geheim‘ galten und die unter Leitung von Schumann stand. Die Abteilung ‚G‘ arbeitete schon damals mit Wehnelt eng zusammen“. Prof. Dr. Arthur Wehnelt (1871–1944), der Anfang 1926 zweiter Direktor am Physikalischen Institut geworden war und seit 1923 einer Ersatzorganisation der NSDAP angehörte, übernahm im Herbst 1932 die Nachfolge des aus Altersgründen zurückgetretenen Nernst. Wehnelt führte das Institut von 1933 bis 1937.132 Die Gründung eines zusätzlichen Instituts an der Universität Berlin machte durchaus Sinn. Erstens erweiterten sich dadurch die Wehrforschungskapazitäten des Heeres nicht unbeträchtlich. Zweitens konnte ein langjähriger Vertrauter des HWA, wie es Schumann nun einmal war, sehr genau auf die Wünsche und Bedürfnisse der Reichswehr reagieren und zugleich in einem eigenen Institut die Geheimhaltung bestens sicherstellen. Drittens schließlich bot ein eigenständiges, zudem materielltechnisch gut ausgestattetes physikalisches Institut jungen Nachwuchswissenschaftlern, die hoch motiviert waren, ausgezeichnete Möglichkeiten mit Forschungsergebnissen aufzuwarten, die ihnen Promotions- und Habilitationswürden einbrachten. Dies war, wie sich noch zeigen wird, ein großer Anreiz. Zusätzlich ist in Betracht zu ziehen, dass die 1810 gegründete Friedrich- Wilhelms-Universität der „Mittelpunkt des Berliner Wissenschaftssystems“ war. Und noch ein weiterer, nicht unwesentlicher Umstand sprach für eine derartige Gründung: Für die Wehrforschung des Heeres waren auch andere Institute der Berliner Universität von Interesse, beispielsweise das für physikalische Chemie (Forschungen zur Sprengstoffchemie) oder das für Mathematik (Ballistik). Schumann kannte die Institutsleiter gut – zum Teil auch die Mitarbeiter – und wusste immer, wie man es anstellen muss, um zusätzliche Kapazitäten zu erschließen, beispielsweise durch Vergabe von Forschungsthemen 131 Dieter Hoffmann: Das Physikalische Institut der Berliner Universität, in: Physikalische Blätter 55 (1999) Heft 4, 55–57; Hubert Laitko et al.: Wissenschaft in Berlin. Von den Anfängen bis zum Neubeginn nach 1945, Berlin 1987; Alexander Deubner: Die Physik an der Berliner Universität von 1910–1960, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin, Beiträge zur Institutsgeschichte Beiheft zum Jubiläumsjahrgang 1959/60, 87–89. Deubner war 1933 Assistent am Physikalischen Institut der Universität Berlin. Gemäß NS-Gesetz vom 7. April 1933 zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums wurde ihm am 1. Juli 1933 wegen eines „jüdischen Großelternteils“ gekündigt. Deubners Vater, Dr. Ludwig Deubner, Prof. der klassischen Philologie an der Universität Berlin, unternahm sofort Schritte, um diese Entscheidung rückgängig machen zu lassen. Er berief sich dabei auf seine Verdienste während des Ersten Weltkrieges. Es war ihm zwischen 1914 und 1916 an der Ostfront gelungen, russische Funksprüche zu dechiffrieren und damit den Verlauf verschiedener Schlachten wesentlich zu beeinflussen. BAB, R 4901/1362, Bl. 425–479. 132 Deubner: Die Physik (wie Anm. 131), 87. Die Existenz einer Abteilung G wird bestätigt durch ein Protokoll zu einer Besprechung zwischen Mentzel, Landt und Holtz am 10. März 1933, BAB, R 4901/1666, Bl. 320. Sie bestand aus vier Laborräumen „die räumlich vom I. Physikalischen Institut durch eine Eisentür“ abgeschlossen waren.
3. Das II. Physikalische Institut der Berliner Universität
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bzw. eine gezielte Einflussnahme auf bestimmte Forschungen. Bei Bedarf konnten geeignete wissenschaftliche Kräfte „abgeworben“ und dem II. PI zugeführt werden. Wie dies funktionierte, kann kurz am Beispiel des Mathematischen Instituts demonstriert werden. Ende 1933 stellte der Verwaltungsdirektor der Universität den Antrag, die Oberassistentenstelle dieses Instituts neu zu besetzen. Bisherige Inhaberin war die Privatdozentin Dr. Hilde Pollaczek, die gemäß § 3 des NS-Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 „in den Ruhestand versetzt wurde“. In Abstimmung mit Vahlen, damals stellvertretender Institutsdirektor, wurde die freie Stelle Prof. Klose (bisher Königsberg) übertragen, der bald mit ballistischen Forschungen begann. 1937 durfte Klose, mit Genehmigung des RKM, in der „Deutschen Mathematik“ seine Arbeit „Zur Integration der ballistischen Gleichung“ veröffentlichen. Zu dieser Zeit arbeitete das Institut unter der Leitung von Klose bereits auch für andere Wehrmachtsteile. Der Oberassistent Dr. habil. Günter Schulz entwarf im Mai 1937 für das RLM ein „Diagramm für die Funkortung“ und berechnete es auch. Einen weiteren Auftrag erhielt er von der gleichen Dienststelle Ende 1938. An der Universitätssternwarte Babelsberg, die dem Mathematischen Institut unterstellt war, arbeitete 1941 Dr. Uwe Bödewadt für das RLM, das für seine U.-k.-Stellung sorgte. Bödewadt wechselte 1943 als Mathematiker zur SS-Versuchsanstalt Großendorf (bei Danzig), wo er an der Raketenforschung der SS beteiligt war (vgl. Kapitel 5). Der wissenschaftliche Assistent des Mathematischen Instituts, Dr. Johann F. Schultze, arbeitete vorübergehend bei der Chiffrierabteilung des OKW. Per 13. April 1942 erfolgte, unter Beibehaltung seiner Assistentenstelle, seine ständige Abordnung zum OKW, Chiffrierwesen. Prof. Klose (vgl. Kapitel 2) wurde bei Kriegsbeginn 1939 zu WaF kommandiert.133 Die Pläne für ein II. Physikalisches Institut wurden im letzten Quartal des Jahres 1933 aktenkundig. 98.000 RM hatte man fürs Erste veranschlagt. Klarheit darüber brachte eine Besprechung Schumanns am 22. Januar 1934 mit Dr. Zeiss, Prof. Dr. Achelis und Ministerialrat Breuer, alle vom REM. Drei Wochen später ging beim REM ein Schreiben Blombergs ein, mit der Bitte „einverstanden zu sein, dass das im Laboratoriumsgebäude Charlottenburg, Kurfürstenallee, neben dem Institut für technische Physik und Sprengstoffchemie der TH (Professoren Cranz und Poppenberg) eingerichtete Institut für theoretische Physik (Prof. Dr. Schumann) als II. Institut für theoretische Physik der Universität Berlin bezeichnet“ wird. Blomberg bekräftigte zugleich, dass alle Sach- und Personalkosten von seinem Ministerium getragen würden.134 An der Universität Berlin zierte man sich nicht, sondern bestätigte flugs am 14. April 1934 die gewünschte Neugründung; einschließlich der von Schumann ins Gespräch gebrachten Planstellen. Das waren: vier wissenschaftliche Assistenten, ein technischer Obersekretär, zwei Laboranten, zwei Mechaniker und ein Institutsdiener.135 133 BAB, R 4901/1447, Bl. 199, 222, 224, 245, 248. Zu Bödewadt: BAB, BDC DS A 007. 134 Akten II. PI, BAB, R 4901/1468 (Bl. 13), 1679, Bl. 1 und 4. 135 BAB, R 4901/1468 Bl. 12; Akte II. PI, AHUB, UK 682.
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I. Organisation
Konkrete personelle Vorschläge für die Besetzung der vier Assistentenstellen legte Schumann zwölf Tage später auf den Tisch: Ganz oben rangierte Dr. Hermann Hinderer (*1909), der seit 1932 Assistent bei Schumann war und im Jahr darauf mit einer Dissertation „Ein Hochvakuumoszillograph mit rein elektrischer Strahlformung“ bei Schumann und Wehnelt seinen Doktor gemacht hatte. Der zweite Vorschlag galt Dr. cand. Günter Venzke (*1910 ). Auch er arbeitete schon seit Oktober 1932 unter Schumanns Obhut an einer Dissertationsschrift, die am 8. Februar 1935 verteidigt wurde. Bekannt ist nur das Thema „Eine Methode zur Untersuchung der Phasenverhältnisse bei der Umwandlung von Luftschall in Wechselspannung“. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Geheimarbeit. Schumanns dritter Kandidat für das neue Institut war Dr. cand. Wolfgang Plumeyer (*1910). Er forschte seit August 1932, betreut von Schumann, für eine Geheimdissertation über ein Thema aus dem Gebiet „Ultrarot“. Vierter im Bunde war Dr. cand. Bernhard Dinse (*1909), der schon im Zusammenhang mit der „Zentralstelle“ (vgl. Kapitel 2) Erwähnung fand. Er übernahm jetzt bei Schumann die Errichtung und Leitung der akustischen Abteilung des II. Physikalischen Instituts. Am 8. Februar 1935 verteidigte Dinse bei Schumann und Wehnelt seine geheime Doktorarbeit zu einem akustischen Thema. In seinem Besetzungsvorschlag hob Schumann zu Dinse ausdrücklich hervor, er arbeite zur „Grundlagenforschung auf Gebieten der Militärakustik (Schallmessung und Fliegerabhörverfahren). In seiner Abteilung entstanden 8 Dissertationen.“136 Nach und nach verstärkte Schumann seine Wissenschaftsmannschaft am Institut bzw. gewann als Ersatz für Mitarbeiter, die anderweitig tätig wurden, neue Assistenten. Dazu gehörten u. a. Dr. Wilhelm Tönnies (ab 1940), Dr. Wilhelm Dames (ab 1935), Dr.- Ing. Heinz Möller, Dr. Rudolf Lindemann (*1907), Dr. Wilhelm Holm, betraut „mit besonderer Forschungsaufgabe“, Dr. Siegfried Förster (1907–1941) und Dr. Wolf Kluge (1911–1943). Natürlich arbeiteten sie alle an geheimen Themen. Beispielsweise legte Förster am 3. Juni 1936 seine Dissertation „Über die akustische Struktur der englischen Sprache“ vor. Er befasste sich an Schumanns Institut mit Akustik und der „Bearbeitung spezieller Literatur“, also mit Auswertungsaufgaben. Kluge holte sich seinen Doktortitel im Mai 1935 mit einer ebenfalls geheimen „Untersuchung über Restladungserscheinungen“.137 Ende September 1936 teilte Schumann der Universitätsleitung mit, er beabsichtige, ab 1. Oktober Frau Dr. Hildegard Motz (*1906) im II. PI als wissenschaftliche Angestellte zu beschäftigen. Vorsorglich ließ er wissen, ihre Vergütung würde aus Mitteln des RKM bestritten. Zugleich wies er auf ihre Erfahrungen hin, die sie „bei experimentell-physikalischen Untersuchungen in Verbindung mit der Hochschulzentralstelle im RKM (Wa Prüf 11 A)“ gewonnen habe sowie ihre „Mithilfe bei der wehrwissenschaftlichen Gruppe der Berliner Hochschulen“. In Wirklichkeit arbeitete Frau Dr. Motz schon seit April 1934 für Schumanns Institut.138 136 PA und Promotionsverfahren zu Dinse (Phil. Fak. Nr. 769), Hinderer (UK-H 325), Venzke (UK-V 11), AHUB; BAB, R 4901/1468, Bl. 16, 84 f. 137 PA und Promotionsverfahren Dames, Förster, Holm, Kluge, Tönnies, AHUB. 138 PA Motz, AHUB.
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Die bei der Institutsgründung veranschlagten 98.000 RM waren für die notwendigen Umbaumaßnahmen bald aufgebraucht. Aber es gab weiterhin reichlich Geld. Für den Bau einer Sprengkammer sowie einer „Abstellkammer für die motorisierten, z. T. geheimen Versuchsgeräte“ berechnete Schumann z. B. 9.800 RM. Diese Summe wurde ihm auch bewilligt. Im Mai 1935 stellte Schumann einen Antrag auf zehn weitere Versuchsräume, deren Umbau und Einrichtung mit Sondermitteln des HWA, Abt. Prüfwesen, bestritten wurde. Anfang 1937 billigte man dem II. PI u. a. zur „Einstellung von drei Mechanikern“ die Summe von 52.000 RM zu. Im Rechnungsjahr 1938 gab es „reguläre“ Zahlungen von 80.000 RM, dazu zusätzlich 15.000 RM, die aus dem Fond von WaF abgezweigt wurden.139 Fast immer wenn Schumann neue Forderungen stellte, konnte er hinzufügen „Bezahlung erfolgt aus Mitteln des OKH“, so beispielsweise, als er Mitte September 1938 darum bat, die jetzt „freie Dozentenstelle Dames auf Förster zu übertragen“. (Dames war vom II. PI zum REM gewechselt.) Im Oktober des gleichen Jahres nutzte Schumann eine für ihn günstige Gelegenheit. Durch die Entpflichtung Wehnelts als Direktor des I. PI wurde dessen Dienstwohnung, gelegen am Reichstagsufer 7–8, frei, und am 30. September 1938 erfolgte ihre Räumung. Als Dienstwohnung für den Nachfolger Wehnelts war sie „nicht geeignet“. Schumann argumentierte, er benötige die Räume (elf Zimmer und Küche) „für dienstliche Zwecke sehr dringend … weil im II. Physikalischen Institut in zunehmenden Maße Sprengstoffe hergestellt und untersucht werden, deren Eigenschaften häufig nicht bekannt sind. Auch mussten besondere Einrichtungen zum Pressen der Sprengstoffe im Institut geschaffen werden.“
Wegen der Gefährdung der „mit anderen wehrphysikalischen Untersuchungen befassten Angehörigen des Instituts“ sei es notwendig, die sprengphysikalischen Untersuchungen räumlich von den anderen Arbeitsplätzen sowie Verwaltungs- und Werkstatträumen zu trennen. Zusätzlich beantragte Schumann, dass ein Institutsangehöriger (Beamter oder Angestellter) im Institut wohnen müsse, um bei Gefahrensituationen schnell die notwendigen Abwehrmaßnahmen treffen zu können. Diesem Wunsch wurde umgehend entsprochen.140 Schumann ließ seine guten Beziehungen zum REM – vor allem zu Mentzel – und zu anderen Stellen spielen, um sich zahlreiche Geräte und wissenschaftliche Apparaturen von der „Deutschen Forschungsgemeinschaft“ (DFG) zu „leihen“. Einzelheiten über die gute technische Ausstattung des Schumannschen Instituts bietet die Doktorschrift des Gerhard Pfefferkorn (1913–1989). Der junge Mann begann 1932 in Freiburg i. Br. mit dem Physikstudium und setzte es 1935 an der Universität Berlin fort. Schon Ende des gleichen Jahres wies ihm Schumann als Thema zu: „Röntgenographische Untersuchung über die Struktur des Bleiazids und sein Verhalten bei höheren Temperaturen“. Diese offene Schrift wurde am 23. November 1938 bei Schumann und Wehnelt erfolgreich verteidigt. Schumann war
139 BAB, R 4901/1468; UK 682, 1237, AHUB. 140 Der Universitätskurator am 8. Oktober 1938 an das REM, BAB, R 4901/1666, Bl. 300 f.
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an dieser Forschung deshalb stark interessiert, weil das Detonationsverhalten von Bleiazid* in der Sprengstoffwissenschaft eine gewichtige Rolle spielte. Die Röntgenfeinstrukturanalyse, eine damals neue physikalische Untersuchungsmethode, erlaubte das Erkennen von Kristallgitterstrukturen und damit Fortschritte in der Grundlagenforschung. Für seine Arbeit stand Pfefferkorn eine ausgezeichnete „Röntgenographische Aufnahmetechnik“ zur Verfügung, die er wie folgt beschrieb: „Die Hochspannung lieferte eine ortsfeste Anlage (Leistung 4 KVA, Fa. Siemens & Halske) mit einem Glühventil. Als Röntgenrohr wurde eine ein offenes Glühkathodenrohr der Fa. Seemann, Frbg. i. Br. verwendet. Für Drehkristall- und Pulveraufnahmen wurden zwei kleine Zylinderkammern (S&H) verwandt, die mit einem nach außen verlegten, gut zentrierten Achsenlager versehen wurden, damit ein Goniometerkopf [*] im Inneren Platz fand. Der Film wird mit einem steifen Abdeckpapier durch einen Spannmechanismus in die innere Zylinderwand angepresst. Weiterhin fand eine Seemann-Serienkammer Verwendung … Für Aufnahmen bei Temperaturen über 20 Grad Celsius wurde eine Temperaturkammer der Fa. S. & H. benutzt ... Für die Weissenbergaufnahme wurde ein Weissenberggoniometer der Fa. Seemann benutzt.“
Der Doktorand konnte mit diesen und weiteren technischen Geräten Ergebnisse erlangen, die die bisherigen Vorstellungen über die Zersetzung von Bleiazid eindrucksvoll widerlegten.141 Das II. PI verfügte über eine eigene Werkstatt. Geleitet wurde sie von dem Werkzeugmacher und Einrichter Franz Borisch (1892–1969), der über ausgezeichnete Berufserfahrungen verfügte und sich den Meistertitel erworben hatte (sein Sohn gehörte zur Studentenkompanie, vgl. Kapitel 6). Aufgabe der Werkstatt war es, vor allem für Doktoranden und Diplomanden die benötigten Versuchsvorrichtungen herzustellen. Verwaltungsleiter des II. PI war ab 1934 der Technische Inspektor Arthur Jokisch, der im Ersten Weltkrieg als „Bursche“ bei Schumann gedient hatte.142 Den Wissenschaftlern des II. Physikalischen Instituts standen selbstverständlich auch die Möglichkeiten in den Labors von WaF in Kummersdorf voll zur Verfügung. Es gab kaum einen Institutsangehörigen, der nicht in Vers. Ost oder Vers. Gottow ein- und ausging. Zu Pfefferkorn ist z. B. in seinen Personalunterlagen im September 1942 vermerkt, dass er „bis auf weiteres wöchentlich an drei Tagen Versuche auf den Schießplatz in Kummersdorf (Versuchsstelle Gottow) durchführt, die an den übrigen Wochentagen am Institut ausgewertet werden“. Dinse bat Ende 1934 Schumann darum, Einfluss auf die Festlegung von Prüfterminen durch andere Professoren der Universität zu nehmen, da „wichtige Mes-
141 Gerhard Pfefferkorn: Röntgenographische Untersuchungen über die Struktur des Bleiazid und sein Verhalten bei höheren Temperaturen, Dissertation, 23. November 1938, Universität Berlin, 10. 142 Mitteilung Borischs vom September 2006; Protokoll über zwei Telefongespräche mit Dr. Hans-Joachim Gollmick (21. September 2005/29. Januar 2006), ergänzt durch persönliche Gespräche mit seinem Sohn Jürgen Gollmick, Mai 2006.
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sungen auf den Prüffeldern in Kummersdorf angesetzt sind; wegen militärischer Wünsche“.143 Während das II. PI mehr oder weniger – dank der militärischen Auftraggeber – aus dem Vollen schöpfen konnte, ging es dem I. PI ziemlich schlecht. Prof. Czerny, der damals Abteilungsleiter am I. PI war, musste am 27. März 1935 dem REM mitteilen, dass der Direktor des Instituts, Wehnelt, diese Einrichtung vorübergehend („auf unbestimmte Zeit“) geschlossen habe. Wehnelt selbst beklagte den maroden Bauzustand, insbesondere der elektrischen Anlagen, sowie die sehr mangelhafte apparative Ausstattung. Im Dezember 1935 beantragte er einen Etat von 225.000 RM, der jedoch erst im Oktober des folgenden Jahres genehmigt wurde. 1937 legte Wehnelt eine neue Liste dringend benötigter Geräte vor. Sein Antrag auf Genehmigung einer Pförtnerstelle, zwecks besserer Geheimhaltung, da auch das I. PI „Forschungsaufträge für die Wehrmacht“ erfüllt, wurde erst nach längerem hin und her entsprochen (wahrscheinlich bezog sich dies auf die Abteilung G). Auch Wehnelts Nachfolger, Prof. Christian Gerthsen (ab 1939), musste in den ersten Jahren seines Amtes ständig um Geld und bessere apparative Ausstattung kämpfen. Schumann half, so gut er konnte. Als Czerny im Oktober 1939 einen Antrag zur Erweiterung des „Physikalischen Praktikum für Fortgeschrittene“ stellte, unterstützten Schumann und Wehnelt diesen Wunsch, für dessen Erfüllung 4.600 RM erforderlich waren. Das Ziel dieser Maßnahme war ziemlich eindeutig auf militärische Belange ausgerichtet. Es ging vor allem um „Aerodynamische Messungen am Windkanal, Radiosende- und Empfangstechnik und niederfrequente Wechselstrom-Technik“.144 Noch deutlicher wird die Einbeziehung des I. PI in die Militärforschung durch ein Zwischenspiel, das dort „Doz. Dr. phil. habil. Otto Stierstadt“ (*1905) gab. Er kam von der TH Hannover, wo er eine Oberassistentenstelle innehatte. Am 1. Juli 1934 begann er „im Auftrag Schumanns am I. PI mit wehrwissenschaftlichen Forschungen für das Reichskriegsministerium“. Außerdem leistete er „seit einer Reihe von Jahren in ähnlicher Weise wehrwissenschaftliche, physikalische Forschungsaufgaben für den Herrn Reichsluftminister“. Auf Wunsch Schumanns war er von den Vorlesungen beurlaubt, um ungestört arbeiten zu können. Nach eigenen Angaben arbeitete er „an der Konstruktion und dem Bau eines großen Elektromagneten“, wofür die DFG Gelder bewilligt habe. Bei dessen Fertigstellung im Herbst 1937 werde er der „größte“ in Deutschland sein. Ende 1938 kam es zu einer ernsten Auseinandersetzung zwischen Wehnelt und Stierstadt, da dieser nicht den geforderten Antrag auf Umhabilitierung stellte, sich außerhalb des I. PI mit seinen Forschungen befasste, dafür den besten Mechaniker abwarb und auch sonst „Unruhe ins Institut“ brachte. Wehnelt kündigte ihm deshalb im Januar 1939. Acht Monate später wechselte der hoffnungsvolle junge Physiker Herbert Kurzke (geb. 1910), der 1935 bei Schumann und Wehnelt seine Doktorarbeit verteidigt hatte, vom I. PI zum „Forschungsinstitut Dr. Stierstadt“. In einem Lebenslauf 143 PA Pfefferkorn, Dinse, AHUB. Ähnliche Hinweise sind in zahlreichen anderen Personalakten und Dissertationsverfahren enthalten. 144 BAB, R 4901/1362, Bl. 494 ff., R 4901/1666, Bl. 202 f., 213 ff., 205 f.
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verwies Kurzke auf mehrer von ihm verfasste Beiträge in wissenschaftlichen Zeitschriften sowie auf eine „Reihe wehrwissenschaftlicher Arbeiten [am I. PI], die nicht veröffentlich wurden“.145 Schumann zog noch in anderer Hinsicht Nutzen aus dem I. PI. Mehrere Mitarbeiter des I. PI wechselten nämlich zum II. PI bzw. zu WaF oder arbeiteten nach ihrem Weggang vom I. PI an anderer Stelle mit WaF zusammen, z. B. Dr. Joachim Kömmnick, ehemals Oberassistent am I. PI, ab 1. Oktober 1936 tätig an der WTF der TH Berlin (vgl. Kapitel 10). Dr. Werner Holtz (*1908) war seit 1929 am I. PI tätig und wurde dort planmäßiger Assistent. In dieser Funktion übernahm er ab 1935 zusätzlich die Leitung des Umbaues am I. PI. Gleichzeitig arbeitete er an seiner Habilitation. Die dabei bewiesene „große Umsicht und Planmäßigkeit …, die außerordentlich große organisatorische Befähigung …, seine stets gewissenhafte politisch einwandfreie Arbeit“ waren Ende Oktober 1936 die wichtigsten Punkte des Vorschlages, ihm die Verwaltung der Oberassistentenstelle am I. PI zu übertragen. Seit April 1933 gehörte er der NSDAP an und war Scharführer der SA.146 Ende 1937 beantragte Wehnelt, „Herrn Dr. Holtz, der seit Jahren mit allen Institutsangelegenheiten aufs beste vertraut ist“ und der sich „in jeder Hinsicht als rechte Hand … bewährt [hat]“ zum Oberassistenten zu ernennen. „Ferner hat er eine Arbeit und ein großes Gutachten für die Wehrmacht angefertigt“, fügte Wehnelt hinzu. Das Gesuch hatte Erfolg. Außerdem wurde Holtz eine Dienstwohnung im Gebäude des I. PI zugestanden.147 Zu dieser Zeit führte Holtz faktisch das I. PI. Das zeigte sich deutlich bei einer Besprechung am 10. März 1939 zwischen Mentzel und Prof. Dr. Erhard Landt, „in Gegenwart des Oberassistenten Dr. Holtz“. Gegenstand waren verschiedene grundsätzliche Veränderungen am I. PI, die im Zusammenhang mit der bevorstehenden Übernahme der Leitung durch Gerthsen standen. Unter anderem wurde festgelegt, dass künftig das I. PI und das II. PI – entsprechend einer neuen Studienordnung für die medizinische Ausbildung – die dafür vorgesehenen Vorlesungen für Physik und physikalischen Praktika gemeinsam betreiben werden. Die „Zivilisten“ übernahm das I. PI, die Militärmediziner das II. PI. Die bisher „von 145 PA Stierstadt, AHUB, Mat.-Nat.-Fak. 138; PA Kurzke, AHUB, ZD I/591; Dissertationsverfahren Kurzke, AHUB, Phil.-Fak., 771. Nach Kurzke wechselten noch weitere Mitarbeiter des I. PI zu Stierstadt, so Jürgen Rottgardt, der 1936 bei Schumann und Wehnelt mit der Weiterführung jener Thematik promovierte, zu der sich bereits Kurzke seinen Doktor erworben hatte. Zu Stierstadt vgl. auch BAB, BDC, insb. PK M0014, sowie R 26 III/28, Bl. 169–171, darin drei Forschungsaufträge der Luftwaffe an St. zu Zündern. 146 Wehnelt am 21. Oktober 1036 an den Dekan der Math.-Nat. Fakultät der Universität Berlin, Universitätskurator am 29. Oktober 1936 an REM, BAB, R 4901/14579, Bl. 113 f., 50 f. Eine Habilitation Holtz ist in den Bibliographien nicht ausgewiesen, auch nicht in der PA AHUB. 147 Bieberbach am 24. Februar 1938 an den Rektor der Universität Berlin und REM, BAB, R 4901/14579, Bl. 130; Personalakte Holtz, AHUB; zur Dienstwohnung: BAB, R 4901/1666, Bl. 301; Deubner: Die Physik (wie Anm. 131), 87, schrieb zu Wehnelt, er sei nicht aus eigenem Antrieb der NSDAP beigetreten, „sondern gedrängt durch faschistische Elemente im Institut, die eine Gelegenheit sahen, dadurch die Macht an sich zu reißen. Der Anführer dieser Leute war ein gewisser Dr. Werner Holtz, den Pringsheim einmal als seinen schlechtesten Doktoranten bezeichnet hatte.“
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der G-Abteilung Schumann“ genutzten Räume wurden dem neu geschaffenen „Institut für angewandte Physik“ zugeschlagen. Dessen Leitung übernahm Landt, fortan Ordinarius der Physik an der Landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Berlin (gleichzeitig „Reichsdozentenführer“). Das bis dato „in Personalunion mit dem Institut für physikalische Chemie von Prof. Günther geleitete Technologische Institut“ wurde aufgelöst, der Etat Prof. Landt zur Verfügung gestellt. Im Gegenzug bekam Günther zusätzliche Geldmittel und einen gut ausgebildeten, beamteten Dozenten für sein „Institut für Physikalische Chemie“. Da diese Einrichtung vollständig für Schumanns Abteilung Wissenschaft im OKW tätig war, schloss sich der Kreis.148 Schumann holte im September 1941 Holtz, der offiziell zum Wehrdienst eingezogen und zum Kriegsverwaltungsrat ernannt worden war, an das II. PI., mit gleichzeitiger Verleihung des KVK I. Klasse. Ähnlich lag der Fall bei Dr. Werner Schwietzke (*1910), der schon während des Studiums im Mai 1933 der NSDAP beitrat und ab Oktober 1936 eine außerplanmäßige Assistentenstelle am I. PI innehatte. Im November des folgenden Jahres promovierte er mit einem offenen physikalischen Thema bei Schumann und Wehnelt. Am 10. August 1940 erfolgte seine Einberufung zu WaF, mit gleichzeitiger Ernennung zum KVR. 1943 bekam er das KVK II. Klasse mit Schwertern; offiziell blieb er weiterhin Angehöriger des I. PI. Holtz und Schwietzke arbeiteten während des Uranprogramms an der Isotopentrennung (vgl. Kapitel 9). Im August 1944 erfolgte ihre Versetzung zur Abteilung Wissenschaft im OKW.149 Angesichts der Gründungsgeschichte, der Aufgabenstellung und der weitgehenden Finanzierung durch das OKH kann es nicht verwundern, dass die gesamte Tätigkeit des II. Physikalischen Instituts in den dunklen Mantel der militärischen Geheimhaltung gekleidet war. Immer wieder finden sich dazu entsprechende Hinweise in verschiedenen Dokumenten, etwa in der Art: „Über den Inhalt [der Forschungen am II. PI] kann hier nicht berichtet werden.“150 Geradezu kultiviert wurde dies in den überaus zahlreichen Geheimschriften, zumeist Diplomarbeiten und Dissertationen, aber auch Habilitationen. Das geschah durchweg in folgender Weise: Schumann gab seinen Schülern das Thema vor und legte gleichzeitig einen Geheimhaltungsgrad fest. Grundlage dafür waren die Vorgaben und Bestimmungen, die das REM herausgab (vgl. Kapitel 4). Nach Fertigstellung der Arbeit entschied Schumann erneut, je nach dem erreichten Ergebnis, welcher Geheimhaltungsgrad nun gelten sollte, entweder „Geheim“, „Geheime Kommandosache“ (GKdos) oder gar „Geheime Reichssache“. Verschiedentlich gab es lediglich nur ein „Vertraulich“. Schumann bestimmte gleichzeitig ein „Tarnthema“, unter dem die Arbeit in die Verzeichnisse der Hochschulschriften aufgenommen werden durfte bzw. das im Schriftverkehr zu verwenden war. Nicht selten unterblieb sogar eine Aufnahme in die einschlägigen Bibliographien. Deshalb ist eine nicht un148 Protokoll der Besprechung zwischen Mentzel und Landt, vom 10. März 1939 (wie Anm. 132), Bl. 318–321, 333; PA Holtz, AHUB; Mitteilung BAA zu Holtz. 149 PA Schwietzke und Lebenslauf in Dissertation, AHUB; Mitteilung BAA zu Schwietzke. 150 Vermerk Bieberbachs am 12. September 1940 für die CTR, PA Hinderer, AHUB.
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I. Organisation
beträchtliche Zahl von Dissertationen und Habilitationen im öffentlich zugänglichen Schrifttum überhaupt nicht nachweisbar! Da Diplomarbeiten in den Bibliographien grundsätzlich nicht verzeichnet sind, ist über diese Schriften am wenigsten bekannt. Die Verteidigung der jeweiligen Schrift erfolgte überwiegend bei Schumann und den Professoren Wehnelt, Thiessen und/oder Klose. Sowohl die fertige Schrift als auch die Stellungnahmen der Gutachter verschwanden in der Regel in den Panzerschränken der Militärs. In den Promotionsunterlagen, unterschrieben von Schumann und dem jeweiligen zweiten Gutachter, hieß es dann trocken: „Die Arbeit bleibt (laut Vereinbarung zwischen dem Reichswehrministerium und dem Reichs- u. Preuss. Ministerium für Wiss., Erz. u. Volksbildung) geheim, sie befindet sich mit der Beurteilung in den Akten des Rw. Min., Aktenzeichen Wa Prw. Z AZ, Nr. …“
Lediglich das Urteil „Sehr gut“, „Gut“ usw. wurde noch vermerkt (zum Verbleib dieser Arbeiten vgl. Kapitel 21). Nur in wenigen Fällen gab es davon Ausnahmen. Vor allem gegen Ende des Krieges, als schon der Kanonendonner der Ostfront bis Berlin drang, vergaß Schumann seine langjährig geübte Vorsicht und fertigte kurze Notizen, die Schlüsse auf den Inhalt der soeben angenommen Arbeit zulassen. Das, was Schumann an der Universität Berlin im großen Stil praktizierte, war auch an anderen Lehrstätten üblich, insbesondere an der Wehrtechnischen Fakultät der Technischen Hochschule Berlin.151 Man kann Schumann getrost bescheinigen, dass seine „wissenschaftliche Geheimdiplomatie“ bis auf den heutigen Tag mehr oder weniger zuverlässig nachwirkt. Ebert und Rupieper bemerken völlig zu Recht, dass mangels Vorliegen der jeweiligen Schrift die „militärisch- technische Bedeutung der Themen nicht ohne weiteres erkennbar ist“.152 Nicht wenige Historiker haben sich von Schumanns Geheimhaltung am II. PI täuschen lassen und kommen bis in jüngster Zeit zu oberflächlichen, herablassenden Urteilen, etwa in der Art: „Viele der Dissertationen liefen ebenfalls unter der Überschrift ‚geheim‘, handelten aber im allgemeinen von üblichen physikalischen Problemen im Umfeld militärischen Gerätes und militärischer Praxis.“153 Wie die im Anhang II: Geheimdissertationen zusammengestellten und belegten (!) Angaben zu über 60 Dissertationen/Habilitationen (und etlichen Diplomarbeiten) bezeugen, wurden am II. PI sowohl zu physikalischen als auch chemischen u. a. Themen wissenschaftliche Grundlagenerkenntnisse gewonnen, die oft von hoher Bedeutung waren und von den militärischen Spezialis-
151 Vgl. Ebert, Rupieper: Technische Wissenschaft (wie Anm. 9), 475 f. Die Recherchen zeigen: Lässt sich eine Dissertation/Habilarbeit in Bibliographien nicht nachweisen, obwohl ihre Existenz durch andere Dokumente belegt ist, kann ziemlich sicher auf eine Geheimarbeit geschlossen werden. Zahlreiche Geheimdissertationen, die an anderen Hochschulen entstanden, sind genannt in: BAB, R 4901/12850. Das REM erließ schon am 15. August 1938 die „Bestimmungen für die Geheimhaltung wissenschaftlicher Arbeiten (Dissertationen, Habilitationsarbeiten, Forschungs- und Entwicklungssachen“, BAB R 3001/21710 (alt R 22/1710), Bl. 4–7. 152 Ebert, Rupieper (wie Anm. 151). 153 Hammerstein: Deutsche Forschungsgemeinschaft, 136.
3. Das II. Physikalische Institut der Berliner Universität
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ten achtungsvoll zur Kenntnis genommen wurden. Das betrifft z. B. die Forschungen zur Hohlladung, zur Theorie der Sprengvorgänge, zu den Vorgängen in der Waffe beim Schuss oder zur Klärung physikalisch-chemischer Prozesse bei Sondertreibstoffen. Neue Erkenntnisse wurden zur Außenballistik vorgelegt. Allein zu Grundfragen des Raketenantriebes – sowohl auf der Basis flüssiger, als auch fester Treibstoffe – konnten zwölf Arbeiten nachgewiesen werden, zur Akustik/Schallmessung acht und zu nachrichtentechnischen Problemen sechs. Es gab kaum ein Gebiet der Rüstungsforschung beim HWA, wozu das II. PI keine Grundlagenuntersuchungen betrieb. Auch zu ausgewählten Fragen der Kampfstoff-Forschung entstanden unter Schumanns und Thiessens Leitung einige Arbeiten. Mindestens drei Doktorarbeiten wurden zu neuartigen wissenschaftlichen Forschungsmethoden/Verfahren vorgelegt. Anschaulich demonstrieren die Umstände und der Verlauf des geheimen Habilitationsverfahrens von Hinderer die Wertschätzung solcher Forschungen durch das Militär (Details im Kapitel 17). Am II. PI wurden in mehreren Fällen auch Angehörige des Heeres und anderer Wehrmachtsteile, Mitarbeiter von Industrieunternehmen, des NS-Polizeiapparates sowie Wissenschaftler anderer Einrichtungen zur Promotion geführt. Dazu gehörte beispielsweise ein Angehöriger vom „Hauptamt der Ordnungspolizei“, der 1937 mit einem Thema zur Ultrarot-Forschung bei Schumann und Wehnelt seinen Doktor machte (vgl. Anhang II: Geheimdissertationen, Pos. 30). Prominentester Doktorand von „außerhalb“ war zweifellos Prof. Kurt G. Moeller, der 1938 vom HWA zur PTR gegangen war und dort ihr Erster Vizepräsident wurde. Außerdem wirkte er als Professor an der WTF der TH Berlin. 1938 promovierte er bei Schumann und Wehnelt mit einer Geheimarbeit zur Ausbreitung elektrischer Wellen (vgl. Anhang II). Geheime Dissertationen und andere wissenschaftliche Arbeiten, über die Schumann selbstverständlich gut unterrichtet war, entstanden auch an anderen Instituten der Universität Berlin. Die Praxis des Erwerbs wissenschaftlicher Grade durch Schumanns Mitarbeiter war auch dadurch gekennzeichnet, dass einige von ihnen sich außerhalb der Universität Berlin promovierten oder habilitierten. Trinks z. B. verteidigte seine geheime Habilitationsarbeit an der WTF der TH Berlin. Diebner sollte noch in den letzten Kriegsmonaten an der Universität München habilitiert werden (vgl. Kapitel 9). Zu Schumanns Forschungsstrategie gehörte es, verschiedentlich geheime und offene Forschungen zu einem gleichen Thema parallel betreiben zu lassen. Ein Beispiel dafür sind die Arbeiten von Hans-Joachim Gollmick (*1912) und Willi Horn (1912–2004). Gollmick begann 1930 an der Universität Berlin sein Studium der Physik und Mathematik. Danach suchte er ein experimentelles Thema für seine Dissertation. Schumann und Braunsfurth erteilten ihm den Auftrag, sich mit der Wirkung von Ultraschall zu befassen. Beide versprachen sich sehr viel davon, da auf diesem Gebiet bisher kaum Untersuchungen vorgenommen wurden. Vor allem Braunsfurth war sehr interessiert, ob Ultraschall in der Thermodynamik Anwendung finden kann. Zur Lösung der gestellten Aufgabe: Wie lässt sich Ultraschall in heiße Luft hineinführen?, war u. a. der Bau eines HF-Generators, die Entwicklung einer Halterung für einen Quarzkörper (um sein Schwingungsverhalten an der Luft zu
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I. Organisation
untersuchen) sowie der Entwurf einer optischen Anordnung zur Beobachtung von Ultraschallwellen in der Luft erforderlich. Einen waffentechnischen Bezug hatte Gollmicks Arbeit nicht. Sie war aber, zusammen mit der eingesetzten Optik wichtig, um Erfahrungen auf diesem Gebiet zu sammeln. Mit der für Gollmicks Experimente entwickelten Versuchsapparatur arbeitete auch der gleichaltrige Doktorand Willi Horn. Sein offizielles Thema lautete „Einfluß der Interferenzfähigkeit auf die Abbildung von Ultraschallwellen, insbesondere in Gasen“. Einzelheiten darüber erfuhr Gollmick aus Geheimhaltungsgründen nicht. Beide Arbeiten lagen im Sommer 1939 zur Begutachtung vor. Wegen des Kriegsausbruches wurden die Doktoranden im September 1939 zur Wehrmacht einberufen. Nach einer durch Schumann ausgelösten u. k. Stellung kehrten sie ans II. PI zurück. Beide verteidigten am gleichen Tag (8. Mai 1940), jedoch getrennt, bei Schumann und Wehnelt ihre Dissertation mit „Sehr gut“. Während Gollmicks Arbeit vorhanden ist, befindet sich an der Humboldt Universität Berlin kein Exemplar der Arbeit Horns. Sie ist auch nicht in Bibliographien ausgewiesen. Wahrscheinlich wurde sie als geheim eingestuft. Gollmick und Horn waren bis Kriegsende Mitarbeiter am II. PI; Horn zuletzt als Leiter der akustisch-optischen Abteilung.154 Seinen Bedarf an wissenschaftlichen Nachwuchskräften rekrutierte das II. PI vor allem aus den Reihen der Doktoranden, die zum Teil bald zum Stammpersonal des II. PI gehörten. Ausgelöst durch den Kriegsverlauf und die zunehmenden Schwierigkeiten, Mitarbeiter u. k. stellen zu können, kam es zu der Entscheidung, auch Frauen nach ihrer Promotion am II. PI wissenschaftlich arbeiten zu lassen. Zu ihnen gehörten Renate Bublitz, Marie-Luise Donati und Eva Sauter. Vom wissenschaftlichen Personal des II. PI fielen bei den Kämpfen an verschiedenen Fronten die Doktoren Siegfried Förster, Wolf Kluge und Horst Matheus.155 Das II. PI war zugleich ein wesentliches Reservoir für Schumanns andere Verantwortungsbereiche, vor allem für WaF. Zahlreiche Doktoranten wechselten sofort nach ihrer erfolgreichen Promotion oder einige Zeit später zu WaF, beispielsweise Berkei, Bewersdorff, Bodlien, Dieckmann, Giebler, Hilgert, Schulze und weitere Wissenschaftler. Mitarbeiter des II. PI sowie Doktoranden dieses Instituts, die später an anderen Einrichtungen arbeiteten, waren beispielsweise Dames (zum REM), Freiwald und Hans-George Otto (zur TAL), Hinderer (zur CTR), Plumeyer (zur TH Berlin) und Hensel (zur TAL, von 1942 bis 1945 Abteilungsleiter an der Technischen SS- und Polizeiakademie Brünn).
154 Mitteilung Dr. Hans-Joachim Gollmicks (wie Anm. 142); PA und Promotionsunterlagen Gollmick, Horn, AHUB. 155 PA und Dissertationsverfahren AHUB. Inwieweit weitere Angehörige des II. PI einberufen wurden und während des Krieges fielen, konnte nicht ermittelt werden.
4. Die Abteilung Wissenschaft im OKW
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4. DIE ABTEILUNG WISSENSCHAFT IM OKW156 Nachdem Hitler sich im September 1936 grundsätzlich entschieden hatte, „Aufrüstung und Autarkiepolitik gleichzeitig forciert voranzutreiben mit dem Ziel, Deutschland in vier Jahren wirtschaftlich und militärisch kriegsfähig zu machen“, war eine Geheimhaltung der militärischen Aktivitäten in der bisher betrieben Art nicht mehr erforderlich.157 Der neue Oberbefehlshaber der Wehrmacht, Generalfeldmarschall Keitel, ordnete in diesem Zusammenhang die Gründung einer „Abteilung Wissenschaft (W Wiss)“ an. Die Annahme, dass Schumann für diese Entscheidung der Wehrmachtsführung wichtige Anstöße gab und inhaltlich konzeptionelle Vorschläge einbrachte, kann begründet werden. Er lieh sich nämlich im Juni 1934 die bei der KWG vorhandenen Unterlagen zur Tätigkeit der „Kaiser Wilhelm Stiftung für kriegstechnische Wissenschaft“ aus und gab sie Anfang März 1935 zurück (vgl. Kapitel 1).158 Auch die anderen bereits beschriebenen Aktivitäten Schumanns sowie seine inzwischen wichtig gewordenen Ämter, deuten auf seinen Anteil bei der Entstehung der Abteilung Wissenschaft hin (vgl. Kapitel 22). Für einige Wehrmachtsteile kam die Bildung der Abteilung Wissenschaft mehr oder weniger überraschend. In einer Aktennotiz zu einer Unterredung mit KWG-Präsident Albert Vögler über die Arbeit der deutschen Akademie der Luftfahrtforschung vermerkte Adolf Baeumker (Forschungsführung der Luftwaffe) mit leichtem Groll: „Die wissenschaftliche Arbeitsweise in den drei Wehrmachtsteilen sei sehr verschieden. Die Luftwaffe sei in ihrem Ausbau am weitesten fortgeschritten und greife vor allem besonders intensiv auf die Kräfte der allgemeinen Wissenschaft zurück. Das Heer neige infolge der Arbeitsweise des Herrn Ministerialdirigent Schumann zu einer starken Absonderung. Die Marine beginne sich auf diesem Gebiet überhaupt erst in letzter Zeit in größerem Umfange zu betätigen. Eine beim OKW bestehende Abteilung Wissenschaft unterstehe gleichfalls dem Ministerialdirigenten Schumann. Diese Abteilung sei seinerzeit ohne jede Fühlung mit dem R. d. L. u. Ob. d. L. gegründet worden, und ihr Vorhandensein sei diesem erst später durch eine Veröffentlichung auf dem Buchmarkt bekannt geworden.“159
Im Oktober 1938 wurde Schumann – genau ein halbes Jahr nach seiner Beförderung zum Ministerialdirigenten – Leiter der Abteilung Wissenschaft im OKW. Damit hatte er zusätzlich zu seinen Funktionen als Chef der Forschungsabteilung im OKH sowie als Direktor des II. Physikalischen Instituts eine weitere Position gewonnen, die seinen Einblick in die Wehrforschung und zugleich seinen Einfluss 156 Vgl. Anhang IX: Strukturschema dieser Einheit. 157 Plumpe: Die I.G.-Farben Industrie-AG, 714. 158 Plan eines KWI für kriegstechnische Zwecke, AMPG, I. Abt. KWG, Rep. 1A Generalverwaltung, Nr. 1789 und 188. 159 Aktenvermerk Baeumkers vom 24. April 1942 zur Unterredung mit Vögler (zur Luftfahrtforschung) für Generalfeldmarschall Milch, BA-MA, RL 120. Adolf B. (1891–1976), Promotion im Fach Physik an der Universität Freiburg im Januar 1944, gilt als „einer der wichtigsten Organisatoren der Luftfahrtforschung im RLM“; Vgl. auch Volker R. Remmert: Vom Umgang mit der Macht. Das Freiburger Mathematische Institut im „Dritten Reich“, in: Zeitschrift für Sozialgeschichte des zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhunderts 14 (1999), 56–85, insb. 78.
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I. Organisation
darauf enorm steigerte. In dem im Sommer 1937 gebildeten RFR, spielte er gleichfalls eine Doppelrolle: Er vertrat dort Keitel in dessen Eigenschaft als Mitglied des Präsidialrates, und Generaloberst Fromm als Chef des OKH.
Aufgaben und Gliederung Eine Dienstanweisung des OKW legte folgendes fest: „1. Der Chef der Abteilung Wissenschaft (W Wiss) ist dem Chef der Amtsgruppe für allgemeine Wehrmachtsangelegenheiten (AWA) unterstellt. 2. Der Chef der Abteilung Wissenschaft ist im Mob-Fall – wie im Frieden – dafür verantwortlich, dass die Abteilung Wissenschaft alle die Wehrmacht angehenden Wissenschafts- und Forschungsangelegenheiten zentral bearbeitet und die Verbindung der Dienststellen der Wehrmachtsteile mit den Wissenschafts- und Forschungsstellen außerhalb der Wehrmacht herstellt. 3. W Wiss hat den zweckdienlichen Einsatz der Hochschullehrer und Forscher im Mob-Fall für die Wehrmachtsforschung in Verbindung mit den zuständigen Behörden durchzuführen. 4. W Wiss hat innerhalb der Wehrmachtsteile für einheitliche Bearbeitung der Forschungsvorhaben und nutzbringenden Erfahrungsaustausch zu sorgen. 5. W Wiss muss mit den Forschungsstellen des Reiches und der Länder in Verbindung stehen, um jeweils über den Stand der Forschung unterrichtet zu sein und im Interesse der Wehrmacht nötigenfalls Einfluss auf die Forschungsrichtung nehmen zu können. 6. W Wiss hat insbesondere auch die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Forschung des Auslands den Wehrmachtsteilen zu vermitteln.“ 160
Unmittelbarer Vorgesetzter Schumanns im OKW war jetzt General Hermann Reinecke (1888–1973), der seit 1938 Chef der damals gebildeten Amtsgruppe Allgemeine Wehrmachtsangelegenheiten (AWA) war, 1939 umbenannt in Allgemeines Wehrmachtsamt (AWA). Reinecke war unmittelbar dem Chef des OKW Keitel unterstellt. Zum AWA gehörten: Abteilung Inland, Allgemeine Abteilung, Wehrmachtsfürsorge- und Versorgungsabteilung, Abteilung für Wehrmachtsfachschulunterricht, Abteilung Wissenschaft, Wehrmachtshaushalt und Verwaltungsabteilung, General z. b. V. für Kriegsgefangenenwesen, Abteilung Wehrmachtsverluste. Die für diese Abteilungen gültigen Dienstanweisungen zeigen, dass beim AWA wichtige Fäden zusammen liefen, derer sich verschiedentlich auch Schumann bediente. Dazu kam, dass er mit Reinecke auch sehr gut persönlich auskam.161 Von Bedeutung für Schumann war der Punkt 6 der Dienstanweisung zur Abteilung W Wiss. Aus ihm ergab sich die Notwendigkeit und auch die Berechtigung zur Zusammenarbeit mit dem Amt Ausland/Abwehr des OKW, die Schumann auch wahrnahm.162
160 Kriegsspitzengliederung des Oberkommandos der Wehrmacht, H. 1, Ausg. 1. März 1939, in: Percy E. Schramm (Hg.): Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht (Wehrmachtsführungsstab) 1940–1945, Bd. 2, Frankfurt/M., 1965, 890 (Hervorhebungen ebd.). 161 Kriegsspitzengliederung OKW, DA für AWA und deren Abteilungen, ebd., 888–892. 162 Vgl. Kriegsspitzengliederung OKW, Amt Ausland/Abwehr, ebd., 884–887. Beispiele für die Zusammenarbeit mit Amt Ausland/Abwehr werden in verschiedenen Kapiteln genannt.
4. Die Abteilung Wissenschaft im OKW
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Der vom OKW für die Abteilung Wissenschaft vorgegebene Arbeitsplan bestimmte deren Gliederung in die Referate: Referat a) mit den Arbeitsgebieten Allgemeine Hochschulangelegenheiten, Einsatz der Wissenschaftler und Forschungsstellen, Geheimhaltungsbestimmungen, Geldmittel. Referat b) mit den Arbeitsgebieten Wissenschaft und Forschung innerhalb der Wehrmacht, Naturwissenschaftlich-technisches Berichtswesen, Patentangelegenheiten. Referat c) mit den Arbeitsgebieten Wissenschaft und Forschung außerhalb der Wehrmacht (Verbindung mit den zuständigen Forschungsstellen). Referat d) mit den Arbeitsgebieten Wissenschaft und Forschung des Auslandes, Wehrwissenschaftliches Schrifttum.163 Während des Krieges kam noch ein weiteres Referat hinzu. Nach dem von W Wiss geführten Schriftwechsel zu urteilen, war es vor allem zuständig für verwaltungsorganisatorische Aufgaben. Der offizielle Sitz der Abteilung Wissenschaft war: Berlin, Tirpitzufer 72–76, wo auch das OKH residierte. Ähnlich wie bei WaF wurden auch für W Wiss unterschiedliche Anschriften genutzt, häufig Hardenbergstraße 10. Als Mitarbeiter von W Wiss konnten u. a. ermittelt werden: Dr. Bayer, Dr. Bewersdorff, Dr. Hirsch, Prof. Dr. Kadow, Dr. Mettich, Dr. Pietsch, Dr. Rackow, Dr. Schwietzke und Dr. Utermark. Da einige dieser Wissenschaftler in verschiedenen Dokumenten auch als Angehörige von WaF erscheinen, ist nicht von der Hand zu weisen, dass die „Gruppe V, Organisation der Forschung“ des HWA, WaF V, geführt von Kadow, teilweise mit W Wiss V identisch war. Obwohl die Dokumente zur Abteilung Wissenschaft nur unvollständig überliefert sind, belegen sie, dass im Verein mit dem RFR, vor allem dem Fachspartenleiter Thiessen, und dem REM, insbesondere Mentzel, beträchtlicher Einfluss auf die Rüstungsforschung genommen wurde und auch ansehnliche Ergebnisse erzielt werden konnten. Mentzel schickte z. B. regelmäßig in großem Umfang Forschungsberichte, die dem RFR zugingen, umgehend an OKW W Wiss. So gab Schumann Ende Oktober 1942 202 derartige Forschungsberichte an Mentzel zurück. Darunter befanden sich Ausarbeitungen bekannter Wissenschaftler wie von Ardenne, Butenandt, Lüttringhaus, Rogowski, Schenck, Stubbe, Wiebe und Ziegler. Insgesamt umfasste dieses Konvolut nahezu alle Disziplinen, die für die Wehrforschung von Interesse waren oder es sein konnten.164 Die einzelnen Wehrmachtsteile und auch die Waffen-SS kamen jetzt nicht mehr umhin, trotz aller Rivalitäten und bisweilen heftiger Grabenkriege, entweder Schumann, Mentzel oder (ab 1943/44) das Planungsamt des RFR unter Osenberg über ihre Forschungsaktivitäten zu informieren. So forderte beispielsweise Großadmiral Raeder von der Kriegsmarine Ende Juli 1941 die Rektoren von über 40 Universitäten/Technischen Hochschulen auf, Vorschläge zur „Abwehr britischer UBootsortung“ zu machen. Bestandteil dieses Schreibens waren detaillierte Vorgaben 163 Schramm (Hg.): Kriegstagebuch (wie Anm. 160), Bd. 1, Frankfurt/M. 1965, 933. 164 BAB, R 26 III/721.
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zu den zu lösenden Problemen. Schumann erhielt, wie auch in zahlreichen anderen, ähnlichen Fällen, ein Exemplar des Schreibens.165 Selbst Forschungen zur Elektrizitätsübertragung, durchgeführt von dem Ingenieurwissenschaftler Prof. Dr. Erwin Marx (1893–1980), erweckten die Aufmerksamkeit von W Wiss. Marx wurde am 13. Dezember 1941 mitgeteilt: „Das OKW erklärt sich damit einverstanden, dass Sie Ihre Aufgaben auf dem Gebiet der Gleichstrom-, Höchstspannungsarbeiten in der bisherigen Weise fortführen.“166 Außerordentlich großen Wert legte man bei W Wiss darauf, alle wissenschaftlichen Arbeiten an Universitäten, Hochschulen und anderen Einrichtungen daraufhin zu überprüfen, ob im Interesse der Landesverteidigung Geheimhaltungsgründe gegeben sein könnten. Das erfolgte in enger Abstimmung mit dem REM. Zuständig war dort zuletzt Oberregierungsrat (ORR) Jähnert. Ergab die Durchsicht von Dissertationen und Habilitationsschriften, dass ein Geheimnisschutz unerlässlich war, wurde durch OKW W Wiss angeordnet, die betreffende Schrift unter Verschluss zu halten und keine Veröffentlichung zu zulassen. Gleichzeitig entschieden Schumanns Mitarbeiter, oft er selbst, ob ein getarnter Titel notwendig sei, und legten ihn fest. In der Regel informierte Rackow, der zugleich der „Verbindungsmann von W Wiss zum RFR“ war, in einem kurzen Schreiben den zuständigen Dekan oder Institutsleiter, die Gutachter sowie Jähnert vom REM über die getroffene Entscheidung von W Wiss. Häufig bekräftigte das REM durch eigene, geheime Aktenvermerke an die betreffende wissenschaftliche Einrichtung das von W Wiss geäußerte Verlangen. Die notwendigen „Sonderregelungen für die Anfertigung wissenschaftlicher Arbeiten (Dissertationen, Habilitationsschriften, Forschungs- und Entwicklungsarbeiten), die im Interesse der Landesverteidigung geheim zuhalten sind“, gab das REM heraus. Diese ministeriellen Vorschriften wurden im Laufe der Jahre mehrfach verändert und den Erfordernissen angepasst. Eine der letzten Fassungen (Aktenzeichen WA 204/43g) machte es allen, „die Arbeiten anregenden bzw. beaufsichtigenden Hochschullehrern“ zur Pflicht „vor Beginn der Arbeit schriftlich und unmittelbar die Zustimmung des OKW, Abteilung Wissenschaft, Berlin W 35, Tirpitzufer 72/76“, einzuholen. In 18 Punkten wurde in allen Einzelheiten verfügt, wie zu verfahren ist. Entscheidend war die Forderung, alle fertigen Arbeiten nur in einem Exemplar herzustellen und dieses dem OKW zu übergeben. Dort verblieb es auch in der Regel. Zweitschriften, Photokopien usw. waren streng untersagt. Da an der Wehrtechnischen Fakultät der TH Berlin im Verlauf des Jahres 165 Mitteilung des UA Innsbruck mit Kopien einiger Dokumente aus dem Faszikel „NS-Reservatakten“. Darunter befinden sich mehrere aufschlussreiche Belege über das Zusammenspiel OKW, W Wiss, RFR und REM, insbesondere zu den Bemühungen, ab 1942/43 Forschungskapazitäten der Universitäten und Hochschulen für kriegswichtige Arbeiten zu erfassen. 166 Helmut Maier (Hg.): Erwin Marx (1893–1980), Ingenieurwissenschaftler in Braunschweig, und die Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der elektrischen Energieübertragung auf weite Entfernungen, zwischen 1918 und 1950, Dissertation, TU Braunschweig, Stuttgart 1999, 311: Schreiben des OKW-AWA/W Wiss III vom 13. Dezember 1941. Auf Anfrage zum vollständigen Wortlaut dieses Dokumentes teilte das Institut für Hochspannungstechnik und elektrische Energieanlagen der TU Braunschweig am 6. Mai 2003 mit, dass die betreffenden Unterlagen wegen „Platzmangel“ vernichtet wurden.
4. Die Abteilung Wissenschaft im OKW
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1944 immer deutlicher „Schwierigkeiten“ bei der Einhaltung der Anweisung des REM auftraten, engagierte sich Schumann im Januar 1945 für eine „Neufassung der Sonderregelung“. Noch Mitte März 1945 waren seine Vorschläge „Gegenstand von Erörterungen zu einer Vereinfachung des Verfahrens“. Neben den sehr zahlreichen Arbeiten auf den Gebieten Physik und Chemie (z. B. Ballistik, Sprengstoffgeometrie, Sprengstoffuntersuchung, Nachrichtentechnik, Ultrarot*-Technik, Strömungen in Windkanälen, Militärbautechnik, Kfz-Technik), die eindeutig auf militärische Belange hinwiesen, veranlasste W Wiss eine Geheimklassifizierung von Arbeiten, bei denen dies auf den ersten Blick nicht so offensichtlich war. Dazu gehörten beispielsweise Dissertationen wie „Kaltlufteinbrüche zwischen Enns und Drau“ (1943, Uni. Wien), „Probleme der kohlewirtschaftlichen Leistungssteigerung in der gegenwärtigen Kriegswirtschaft“ (1944, Wirtschaftshochschule Berlin), „Die Besatzungskosten in Belgien …“ (1944, Uni. Hamburg), „Studien zur internationalen Mineralölwirtschaft“ (1943, WTF der TH Berlin). Ein SS-Hauptscharführer promovierte mit einer Arbeit über die „Gelbsuchterkrankungen bei der Fronttruppe in Südrussland, Winter 1941/42“ (1943, Uni. Berlin). Ebenso gab es eine Arbeit mit dem Thema: „Ärztliches Gutachten zum Militärstrafgesetzbuch“, oder eine andere zur „Psyche des kranken Soldaten“. Die Gesamtzahl der unter Geheimhaltung gestellten wissenschaftlichen Arbeiten dürfte beträchtlich gewesen sein. Allein die zwei zu dieser Thematik erhalten gebliebenen Aktenbestände im BAB (von insgesamt sechs Bänden!) ergaben Hinweise auf über 45 derartige Schriften.167 Bis auf wenige Ausnahmen sind diese Geheimschriften Kriegsverluste. Die geschilderte Verfahrensweise erklärt auch, warum zu etlichen Angehörigen von WaF und anderen Personen in den Bibliographien keine Angaben zu finden sind.168 Wegen der schon angemerkten, schwachen Quellenlage wird vieles, was sich bei W Wiss ereignete oder von dort seinen Ausgang nahm, wohl für immer im Dunklen verborgen bleiben. Belege gibt es für einige Episoden. Sie sind deshalb von Interesse, weil sie auf den Einfluss hinweisen, über den Schumann mit W Wiss verfügte. (Weitere Aktivitäten von W Wiss werden in den Kapiteln 5, 15 und 16 vorgestellt.) Die strengen Geheimhaltungsvorschriften erwiesen sich, etwa ab 1942, zunehmend als ein Hindernis, um einen Überblick über die laufenden Forschungsthemen zu gewinnen. Dazu fand am 5. Juli 1943 unter Vorsitz von Mentzel im Haus der Deutschen Forschung eine Beratung statt, die das Ziel verfolgte „eine Vereinbarung über die gegenseitige Aufhebung bzw. Einschränkung der Geheimhaltungsklausel herbeizuführen“. Anwesend war ein kleiner Kreis von Mitarbeitern des OKM, der Luftwaffe, der Waffen-SS, des „Reichsamtes“ sowie des
167 Akten „Geheimpromotionen“, BAB, R 4901/12849 und 12850. Im Findbuch zu den Beständen des REM wird auf sechs weitere Bände „Geheimpromotionen“ hingewiesen, die jedoch im BAB nicht vorhanden sind. 168 Dazu gehören z. B. die geheimen Promotionsschriften der Doktoren Allekotte, Förster, Glupe, Karbaum, Otto, Wittkopf und Trinks – alle WaF. Auch zu anderen Mitarbeitern des HWA fehlen diese Doktorarbeiten, wie zu Bergau, Langweiler und Zwarg.
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I. Organisation
Speer-Ministeriums. Den RFR vertraten Thiessen und Graue, das OKH Basche. Das OKW hatte gleich drei Mann geschickt: Kadow, Dr. Peters und Dr. Bewersdorff. Es wurde u. a. entschieden, wie bei „Geheim-Aufträgen“ und „G.-Kdos.Aufträgen“ vorzugehen sei, damit der „bekannte Führererlass“ eingehalten werde, dennoch aber die „Sachbearbeiter der einzelnen Dienststellen sich wechselseitig besser als bisher informieren“. Die Bevollmächtigen des RFR sollten „zu dem kleinen Kreis derer gehören, die entsprechend des [Führer-]Erlasses unbedingt Einblick in das Gesamtvorhaben und den derzeitigen Stand der Forschung und Entwicklung haben müssen“.169 Ende April 1943 schlug Schumann seinem Intimus Mentzel die Gründung eines dem RFR zu unterstellenden Instituts vor, welches als „Leitstelle im Interesse der deutschen Forschung die Arbeit aller vorhandenen Literatursammel- und Auskunftsstellen zu einer großen Gemeinschaftsarbeit“ zusammenfassen sollte und sich insbesondere auf das „im Reichspatentamt einmalig vorhandene Material zur Ermittlung des Standes der Forschung und der Technik stützt“. Dazu übergab er Mentzel eine Denkschrift, die „bereits vor zwei Jahren bei der Abteilung Wissenschaft des Oberkommandos der Wehrmacht“ entstanden sei. Bearbeiter der Denkschrift war Schumanns Mitarbeiter Kriegsverwaltungsrat Dr.-Ing. Nischk (bis zu seiner Tätigkeit bei W Wiss Senatsrat beim Reichspatentamt), der sich mit dem Thema eingehend befasst hatte. Schumann verwies sehr eindringlich auf den außerordentlich hohen Wert der beim Reichspatentamt befindlichen Dokumentation.170 Mentzel forderte zu dieser Denkschrift des OKW bei dem Bibliotheksdirektor der TH Berlin, Dr. Albert Predeek, seit dem 17. Mai 1943 Leiter der Karteiund Informationsstelle im Geschäftsführenden Beirat des RFR, eine Stellungnahme an, die jedoch nicht überliefert ist.171 Zu der von Schumann angeregten „Leitstelle“ lässt sich eine aufschlussreiche Vorgeschichte nachweisen: Am 28. Mai 1941, also zwei Jahre zuvor, trat im Berliner „Haus des Vereins Deutscher Ingenieure“ (Hermann-Göring-Straße 27) der Fachnormenausschuss für Bibliotheks-, Buch- und Zeitschriftenwesen zusammen. Einziger Tagesordnungspunkt war die Gründung einer „Deutschen Gesellschaft für Dokumentation“. Darüber debattierten 38, teils hochrangige Vertreter des REM, des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda, des Reichswirtschaftsministeriums, des Auswärtigen Amtes, des Vereins Deutscher Ingeni169 Protokoll Mentzels über die Sitzung vom 5. Juli 1943, BAB, R 26 III/7, Bl. 13–15. In diesem Schriftstück werden fälschlicherweise Basche als Vertreter des OKW, hingegen Kadow, Peters und Bewersdorff als Vertreter des OKH ausgegeben. Laut BAA sind in der Unterlagen „Stellenbesetzungs- und Planstellenüberwachungsliste der Beamten des höheren technischen Dienstes im Bereich OKH-Waffenamt“ Bewersdorff und Kadow als Angehörige OKW, W Wiss ausgewiesen, Basche hingegen als Angehöriger WaF. Kadow unterschrieb zahlreiche Aktenvermerke/Berichte, die OKW W Wiss an Behörden schickte. 170 Schumann am 29. April 1943 an Mentzel: Plan einer Gemeinschaftsarbeit bei der Sammlung und Auswertung der Literatur in Naturwissenschaft und Technik, BAB, R 26 III/182. Diese Denkschrift ist hier im Anhang VII abgedruckt. 171 Stellungnahme Predeeks von 18. Juni 1943 an Mentzel, BAB, R 26 III/182. Zu Predeek siehe auch BAB, R 26 III/10 Bl. 9 ff. sowie R 26 III/136 a.
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eure, des Reichspatentamtes, der Industrie, des Zentralen Bibliothekswesens und wissenschaftlicher Institute. Dr. Pflücke, von dem unten noch ausführlich berichtet wird, vertrat die Deutsche Chemische Gesellschaft. Predeek war in seiner Eigenschaft als Direktor der Bibliotheken der TH Berlin erschienen. Auch das Militär war anwesend; vom OKW die Kriegsverwaltungsräte Dr. Markhoff und Nischk, vom OKH ein Gruppenleiter namens von Moers – ein weiteres interessantes Beispiel für die bei WaF bzw. OKW W Wiss gut gepflegten Außenbeziehungen durch Mitarbeit in Gremien außerhalb des Militärs. Das RSHA Berlin hatte SS-Sturmbannführer Walter von Kielpinski (*1909) entsandt, der zu diesem Zeitpunkt beim SD im Amt III C (Kultur) das Referat Presse und Schrifttum führte.172 Einleitend gab der Generaldirektor der Staatsbibliothek Berlin, Geheimrat Prof. Dr. Hugo Andres Krüß, zugleich Vorsitzender des Fachausschusses, eine Begründung zur Notwendigkeit einer Zentralstelle für Dokumentation. Bereits vor einigen Jahren habe er dies mit dem Reichsminister Rust (REM) beraten. Jetzt sei die Zeit gekommen, „die Gründung einer eigenen Organisation für die Dokumentation vorzunehmen“ und ihr eine zweckdienliche Form zu geben. Prof. Prinzhorn, Direktor der Universitätsbibliothek Leipzig, ergänzte mit Angaben zum derzeitigen Umgang von Fachinformationen und verwies auf das Vorbild des von Pflücke herausgegebenen Verzeichnisses „Periodica Chemica“. An der Diskussion beteiligte sich auch Nischk: Das OKW begrüße die Bildung einer Gesellschaft für Dokumentation. Beim OKW bestünde der Plan, „die [bereits bestehenden] Schriftauskunftsstellen zur gemeinsamen Arbeit unter der Leitung einer neutralen Reichsstelle zusammenzufassen, ohne dabei die Eigenart der einzelnen Stellen anzutasten oder die Stellen in ihrer Arbeit einzuschränken.“ Nischk skizzierte neun Aufgabenkomplexe, von denen man beim OKW ausgehe. Insbesondere betonte er die Wichtigkeit der Erschließung bisher nicht ausgewerteten Materials (z. B. der über neun Millionen Patentschriften im Reichspatentamt). Mehrere Teilnehmer begrüßten die Aktivitäten des OKW; Direktor Leo F. Hausleiter (*1889) vom Kieler Institut für Weltwirtschaft mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass in seinem Institut „bereits Fachleute des Oberkommandos der Wehrmacht arbeiten“. Dr. Köhler, Deutsche Lichttechnische Gesellschaft, teilte mit, dass ähnliche Aufgaben, wie von Nischk vorgetragen, bereits vor fünf Jahren an der TH Berlin erörtert wurden. Er hoffe, dass sie „mit Hilfe des Oberkommandos der Wehrmacht nunmehr verwirklicht werden können“. Die nur eineinhalb Stunden dauernde Sitzung endete mit der Zustimmung aller Beteiligten.173 Ein anderer Aktensplitter (vom 23. November 1944) weist auf die Übergabe einer Ausarbeitung von W Wiss, durch Kadow besorgt, an Mentzel hin. Das betreffende Material trug den Titel „Abwehr von Spionage, Sabotage und Zerset172 Zu Kielpinski, der während des Überfalls auf Polen der Einsatzgruppe IV angehörte, vgl. u. a. Wildt: Generation. 173 Sitzungsbericht Fachnormenausschuss für Bibliotheks-, Buch- und Zeitschriftenwesen vom 6. Juni 1941 (zur Sitzung am 28. Mai 1941). Für den Hinweis auf diese Quelle und die zur Verfügung gestellten Kopien ist Dr. Eberhard Gering zu danken. Zu Dr. Markhoff und von Moers konnten keine Hinweise gefunden werden, die Auskunft über ihre Dienststelle im OKW bzw. OKH geben.
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zung in der Wehrmacht“.174 Verschiedentlich wurde W Wiss gebeten, geplante wissenschaftliche Publikationen auf Wahrung der Geheimhaltungsbestimmungen zu prüfen, so im Falle eines Buches von Prof. Dr. Karl Krüger mit dem Arbeitstitel „Wirtschaftsgeographie und Raumplanung“. Schumann teilte dazu dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda mit, dass eine Zensur unbedingt notwendig sei. Ohne eine Streichung bzw. Kürzung verschiedener Passagen könne „erheblicher wehrwirtschaftlicher Schaden entstehen“.175 W Wiss ergriff auch Maßnahmen, um die Wehrforschung besser zu koordinieren. Dazu gehörte eine Absprache mit den „Forschungsstellen“ der Wehrmacht und der Schriftleitung der „Physikalischen Zeitschrift“. Entsprechend dieser Vereinbarung konnten die „Forschungsstellen“ in einem besonderen Beiheft dieser Zeitschrift, gekennzeichnet als NfD, Forschungsberichte zu physikalischen Themen veröffentlichen, die nur einem ausgewählten Benutzerkreis zur Verfügung standen. Das Ziel bestand darin, „eine bessere Wechselwirkung“ der Fachgebiete und damit „raschere Fortschritte“ zu gewährleisten sowie „Parallel- oder Doppelarbeit“ zu verhindern. „Bisher noch gar nicht oder nur teilweise für kriegswichtige Forschungsarbeiten eingesetzte Wissenschaftler“ sollten auf diese Weise mit ungelösten Problemstellungen bekannt gemacht werden und dazu positive Vorschläge einreichen.176 Über welchen weitreichenden Einfluss W Wiss verfügte, zeigte sich anschaulich bei Ausbruch des Krieges am 1. September 1939, als zahlreiche Wissenschaftler zu dieser Einheit einberufen oder „abgestellt“ wurden (vgl. Kapitel 2). Gleichzeitig konnte Schumann durchsetzen, dass ihm bestimmte wissenschaftliche Einrichtungen jetzt direkt unterstellt wurden. Beispielsweise vermerkte der Kurator der Universität Berlin: „Während des Krieges ist das Physikalisch-Chemische Institut dem OKW zur Verfügung gestellt, so dass jetzt ein Militärbetrieb und ein ziviler Unterrichts- und Forschungsbetrieb dort nebenher laufen.“177 An diesem Institut betrieb Prof. Dr. Günther seine Sprengstoffforschungen, die im Kapitel 7 vorgestellt werden. Mit dem Überfall auf die Sowjetunion erweiterte sich der Aufgabenbereich der Abteilung Wissenschaft schlagartig. Sie beteiligte sich jetzt durch die Bildung einer „Forschungsgruppe Ost des OKW AWA W Wiss“, in der alle drei Wehrmachtsteile vertreten waren, an den Raub- und Beutezügen, die diverse Organisa-
174 Aktenvermerk vom 23. November 1944 in „Schriftwechsel Mentzel“, BAB, R 26 III/174. 175 Schumann am 19. Januar 1944 an das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, BAB, R 26 III/192. Bei Krüger (1897–1974) handelte es sich um einen Wirtschaftsgeografen, der von 1930 bis 1945 Professor an der Uni Berlin und der TH Berlin war. Er schrieb zahlreiche wirtschaftsgeografische Werke über Russland, die Türkei, Asien und andere Gebiete. Unter seiner Leitung fertigte Major Fritz Below 1943 eine Geheimdissertation: „Studie zur internationalen Mineralölwirtschaft“, BAB, R 4901/12850. 176 Amtliche Nachrichten (AN) für die Oberkommandos der Wehrmacht, des Heeres und der Kriegsmarine, 26. Februar 1943: „Herausgabe von Beiheften zur Physikalischen Zeitschrift“. 177 Aktenvermerk des Kurators der Universität Berlin vom 16. April 1940, BAB, R 4901/1390, Bl. 263 f.
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tionen und spezielle Kommandos im „Ostraum“ betrieben.178 Dazu gehörten beispielsweise das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiet mit ihrer „Zentrale für Ostforschung“ bzw. dem „Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg“ (ERR), das Außenministerium mit dem Sonderstab Künsberg, das Reichssicherheitshauptamt mit dem „Ahnenerbe“ und anderen Einsatzkommandos, das Amt Ausland/Abwehr des OKW, das Reichsarchiv und eigens gegründete Einrichtungen wie das „Institut für Geologie und Lagerstättenkunde des Ostens“, das durch Spenden der IGFarben AG kräftig finanziert wurde. Die Liste der geraubten Güter ist lang. Sie umfasste neben Industrieanlagen, Rohstoffen und landwirtschaftlichen Produkten Kunst- und Kulturgüter der verschiedensten Art, ganze Bibliotheken, Archive, Akten sowjetischer Behörden aller Ebenen, Kartenbestände, militärische- und wissenschaftliche Literatur. Dazu wurden Forschungsstellen, Universitäten/Hochschulen, Museen, staatliche Gebäude usw. systematisch durchsucht.179 Da die Beutekommandos sämtlich in Gebieten operierten, die von der Wehrmacht besetzt waren, mussten sie auch die Befehlsgebung des OKW, des OKH und anderer militärischer Stellen beachten. Das erfolgte nicht immer und führte oft zu Konflikten und Auseinandersetzungen. Mit der „Auswertung der russischen Forschung und Wissenschaft“ befasste sich seitens des OKW auch der 1941 aufgestellte „Wirtschaftsstab Ost“ (Wi Stab Ost). Er befahl im November 1941 „wissenschaftliche Institute aller Art, Bibliotheken, Laboratorien usw. sicherzustellen, die Bergung des wissenschaftlich wertvollen Materials vorzunehmen und evtl. auch den Abtransport ins Reich in die Wege zu leiten“. Diese „Bestrebungen wurden nachhaltigst vom Allgemeinen Wehrmachtsamt/AWA unterstützt“. Am 13. Februar 1942 ordnete das OKW an, im Wi Stab Ost ein Referat Wissenschaft zu bilden. Der Befehl präzisierte die allgemeine Aufgabenstellung vom November 1941 und bestimmte den Einsatz geeigneter russischer Fachkräfte für Forschungsund andere Zwecke.180 Erstaunlich ist, dass in der Literatur zur hier genannten Thematik die Abteilung W Wiss gar nicht oder nur ganz am Rande vorkommt. Ein einzelner Hinweis findet sich bei Müller Deutsche Wirtschaftspolitik auf S. 363. Eine andere Autorin, Hartung, gibt ein Dokument des ERR wieder, in dem es u. a. heißt: „Folgende Schwierigkeiten sind aufgetreten: Zur Zeit arbeiten vier Organisationen an der Si178 Auszug aus Protokoll einer Besprechung vom 3. bis 6. Mai 1943, BAB, R 4901/13314 (Unterlagen zu Dr. Kühn). 179 Vgl. u. a. Gabriele Freitag, Andreas Grenzer: Der deutsche Umgang mit sowjetischem Kulturgut während des Zweiten Weltkrieges. Ein Aspekt nationalsozialistischer Besatzungspolitik, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 45 (1997), 237–272; Ulrike Hartung: Verschleppt und verschollen. Eine Dokumentation deutscher, sowjetischer und amerikanischer Akten zum NS-Kunstraub in der Sowjetunion (1941–1948), Bremen 2000 (= Veröffentlichungen zur Kultur und Gesellschaft im östlichen Europa, 9); Anja Heuss: Kunst- und Kulturgutraub. Eine vergleichende Studie der Besatzungspolitik der Nationalsozialisten in Frankreich und der Sowjetunion, Heidelberg 2000; Horst Kißmehl: „Kriegswichtige Zielobjekte“ – Akten, Archive, Bibliotheken. Organisation und Praxis faschistischer deutscher Kriegsbeute – Raubaktionen im Zweiten Weltkrieg, in: Burchard Brentjes (Hg.): Wissenschaft unter dem NS-Regime, Berlin 1992, 132–155. 180 Ausführlich bei Müller: Wirtschaftspolitik, insb. 361–365 (Zitat 361 f.).
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cherstellung, Sichtung und Erfassung des Materials: 1. E.-Stab RR, 2. SD, 3. Wirtschaftsinspektion, Abteilung Wissenschaft der Wehrmacht, 4. Prop. Abteilung der Heeresgruppe.“181 Archivfunde und andere Quellen belegen jedoch, dass die Abteilung Wissenschaft in einem bisher unbekannten Ausmaß an der Ausplünderung sowjetischer Territorien und ihrer kulturell-wissenschaftlichen Werte beteiligt war. Zwei Dokumente weisen auf eine wichtige Spur: Am 4. März 1943 schrieb ein Mitarbeiter des „Gmelin-Instituts“ an den Direktor des KWI für Silikatforschung, Prof. Wilhelm Eitel. In dem Brief heißt es u. a.: „Der Leiter des Gmelin-Instituts, Herr KVR Dr. Pietsch, hat im Jahre 1942 das Kiewer Chemische Institut und später auch andere Kiewer Forschungsinstitute im Rahmen eines ihm vom Wi Stab Ost und vom Herrn Reichsminister für Bewaffnung und Munition übertragenen Sonderauftrages forschungsmäßig in Gang gebracht. Die in diesem Forschungsinstitut laufenden Arbeiten wurden in der Folgezeit durch das Gmelin-Institut sachlich erheblich gefördert; im Rahmen der in den Kiewer Instituten laufenden Arbeiten sollen Sie, Herr Professor, gebeten werden, einen dem dortigen Ihrem Fachgebiet entsprechenden Forschungsinstitute eine wehrwissenschaftliche und wehrwirtschaftliche Forschungsaufgabe zu stellen, um den dortigen Mitarbeitern sachlich und materiell etwas zu helfen.“182
Vier Tage später erhielt der RFR ein „Verzeichnis der Beuteliteratur, die durch AWA W Wiss und Wi Amt in der UdSSR sichergestellt wurde“. Es werde für alle „Leiter der Arbeitsgemeinschaften“ und der Fachspartenleiter des RFR in Umlauf gegeben. Die Beuteliteratur selbst habe man im Gmelin-Institut eingelagert.183 Diese Angaben werfen mehrere Fragen auf: Was hat es mit der Beuteliteratur auf sich? Was wurde durch Schumanns Einsatztrupp in der Sowjetunion „sichergestellt“? Wer war dieser Dr. Pietsch? Welche Rolle spielten er und das GmelinInstitut bei der Rüstungsforschung unter der Obhut von W Wiss? Zunächst zur „Beuteliteratur“: Die in den durchsuchten Instituten, Laboratorien und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen aufgefundenen Dokumente wurden von den bei W Wiss tätigen Wissenschaftlern sorgfältig ausgewertet und auf dieser Grundlage Berichte angefertigt. Diese Ausarbeitungen lagen bei W Wiss zur Einsicht bereit und konnten interessierten Stellen bei Bedarf zur Verfügung gestellt werden. Schumanns Mitarbeiter waren fleißig. Sie lieferten zwischen Oktober 1942 und April 1944 insgesamt 237 Berichte. Diese betrafen u. a. Waffen und Sprengstoffe, technologische- und Messverfahren auf physikalischen und chemischen Gebieten, geologische Beschreibungen von Erz- und anderen Rohstofflagerstätten, landwirtschaftliche Kulturen und deren Anbau, klimatische Besonderheiten ukrainischer Landstriche sowie den Inhalt ausgewählter russischer Dissertationen. Großen 181 Ebd. Auf diesen Hinweis wird noch näher eingegangen; Hartung, Verschleppt und verschollen (wie Anm. 179), 159. In dem Originaldokument heißt es zusätzlich: „Die Wirtschaftsinspektion, Abteilung Wissenschaft, schickt überall ihre Sonderführer umher, die vor allem wirtschaftspolitisches, landwirtschaftliches aber auch volkskundliches Material sammeln. Dieses Material schaffen sie zu ihren Auswertungsstellen. Es geht uns faktisch für eine spätere Bearbeitung verloren. Auch diese Sonderführer können sich als Wehrmachtsteil überall frei bewegen und sind daher überlegen.“ BAB, ZSTAP, Film 734, Aufnahme 0955, 56. 182 Dr. J. Förster am 4. März 1943 an Eitel, AMPG, I. Abt., Rep. 42 KWI für Silikatforschung, Nr. 39. 183 Vermerk OKW, Wehrwirtschaftsstab vom 8. April 1943 an den RFR, BAB R 26 III/718.
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Raum nahmen die Beschreibungen von Instituten (Personal, Arbeitsprofil, Leistungsfähigkeit usw.) ein, vor allem in Charkow und Kiew. Dazu kamen Untersuchungen zur Leistungsfähigkeit von Industriezweigen, Transportwegen (Straße, Schiene, Wasser) oder elektrischer Versorgungsnetze. Auch Betrachtungen zur sowjetischen Kriegsdoktrin fehlten nicht. Eine Übersicht zu diesen Berichten erschien in acht Folgen in den „Amtlichen Nachrichten des Oberkommandos der Wehrmacht“.184 Verantwortlich für den Einsatz der Wissenschaftler im Osten (bei W Wiss) war Dr. Erich Pietsch (1902–1979). Er studierte an der Universität Berlin Chemie und legte dort 1926 seine Doktorarbeit vor. Bereits im Jahr zuvor war er in die Redaktion von „Leopold Gmelins Handbuch der organischen Chemie“ eingetreten. Nach der Promotion arbeitete er an der Universität Berlin im Institut von Prof. Dr. Max Bodenstein und übersetzte einige chemische Standardwerke ins Deutsche. 1936 übernahm er vollverantwortlich die Gmelin-Redaktion.185 Gleich nach Kriegsbeginn gewann das Gmelin-Institut mit seinem Archiv (u. a. etwa 600.000 Karteikarten mit chemiegeschichtlichen und wirtschaftschemischen Eintragungen) enorme Bedeutung für die Aufgaben im Tätigkeitsbereich des Generalbevollmächtigen für Sonderfragen der chemischen Erzeugung (GeBeChem), Krauch. Der sorgte dafür, dass das Institut den Status „Wehrwirtschaftsbetrieb“ erhielt. Der größte militärische Auftraggeber „war vermutlich das Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt des Oberkommandos der Wehrmacht, für das ausführliche Berichte über die Bodenschätze einer großen Anzahl von Ländern“ angefertigt wurden (1940 rund 18 % der Gesamtleistung, später ca. 40 %). Auch für das RWA und weitere Reichsbehörden wurden Sonderaufträge realisiert. Als Geldgeber fungierte u. a. die IG Farben.186 Naturgemäß ergab sich eine enge Kooperation des Gmelin-Instituts mit dem „Chemischen Zentralblatt“ (CZ) und der „Deutschen Chemischen Gesellschaft“ (DChG). Das Gmelin-Institut gehörte bis Ende November 1945 zur DChG. Deshalb ist ein kurzer Exkurs zum CZ geboten. Herausgeber des CZ, gleichzeitig stellvertretender Generalsekretär der DChG, war Dr. Maximilian Pflücke (1889– 1965). Der Chemiker hatte ab 1914 seine ersten Erfahrungen zur Kriegsforschung am Militärversuchsamt gesammelt, wo er zunächst mit Prof. Dr. Kast zusammen arbeitete und danach Aufgaben des Rohstoffamtes der Kriegsschmierölgesellschaft (am MVA) löste. Ab 1923 war er „alleinverantwortlicher Chefredakteur“ des CZ. Während des Nationalsozialismus gehörte Pflücke der „Deutschen Gesellschaft für Dokumentation, Zentralnachweis für ausländische Literatur“ an und war zugleich Obmann des Ausschusses für ausländische Literatur. Im Auftrag von Krauch gab Pflücke die geheimen „Chemischen Berichte“ heraus und war häufig 184 Berichte der von AWA/W Wiss zur Sicherstellung und Auswertung wissenschaftlicher Institute der Sowjetunion eingesetzten Wissenschaftler, in: Amtliche Nachrichten (AN) (wie Anm. 176), Folge 1 am 23. Oktober 1942, Folge 8 am 28. April 1944. 185 Erich Pietsch, Eva Beyer: Leopold Gmelin – Der Mensch, sein Werk und seine Zeit, in: Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft 72 (1939) Heft 2, 5–33. 186 Gmelin-Institut für Anorganische Chemie und Grenzgebiete der Max-Planck-Gesellschaft, in: Max-Planck-Gesellschaft (Hg.): Berichte und Mitteilungen 1988 Heft 3 insb. 59–67.
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bei den Tagungen der Krauchschen Arbeitsgemeinschaften anwesend. Er war also ein erfahrener, kompetenter Mann, sowohl auf dem Gebiet der Chemieforschung als auch der Dokumentation ihrer Ergebnisse. Diese Voraussetzungen prädestinierten ihn geradezu für die 1944 erfolgte Berufung zum „Beauftragten für die Organisation der wissenschaftlichen Berichterstattung im Reichsforschungsrat“.187 Die Tätigkeit Pflückes war im Verlauf des Krieges immer wichtiger geworden. Auf einer Karteikarte der Gauwirtschaftskommission, die Pflücke am 27. Oktober 1943 gegenzeichnete, wurde er als eine „Schlüsselkraft“ bezeichnet, da er „Sonderaufträge des Chemischen Zentralblattes für Heereswaffenamt/TRW 9, OKH/CHA.Rüst, Oberbefehlshaber Luftwaffe/Führungsstab, OKM, Heeresanstalt Peenemünde“ erfüllte. Außerdem leite er die Dokumentationsstelle beim RWA und führe den zentralen Nachweis für ausländische Literatur „im Auftrag des Chefs der Sicherheitspolizei“.188 Angesichts der zunehmenden Bombenangriffe auf Berlin hatte das RWA dafür gesorgt, dass ab Oktober 1943 die Bibliothek der Deutschen Chemischen Gesellschaft und ihre historische Sammlung nach Rüdersdorf in die Stollen des Kalkbergwerkes ausgelagert wurden. Sobald in den Rüdersdorfer Stollen die Ausbaumaßnahmen genügend weit fortgeschritten waren, sollte der Arbeitsbereich Pflückes vollständig ins Bergwerk verlegt werden. Daran waren maßgebliche Stellen des Reiches sehr interessiert, so der Sicherheitsdienst (SD), Abteilung III C (SS-Obersturmbannführer von Kielpinski bzw. SS-Standartenführer Dr. Spengler), der RFR, der Präsident der KWG, Vögler, die Deutsche Chemische Gesellschaft ebenso die Führungen der drei Wehrmachtsteile. Anfang 1944 war die Verlagerung bereits sehr weit vorangekommen. Im Rüdersdorfer Gasthaus „Goldene Traube“, arbeitete Pflückes Auswertungsbüro auf Hochtouren. Täglich waren nahezu 800 Aufträge von Staat, Partei, Wehrmacht und Industrie zu bearbeiten. Im September 1944 erhielt Pflückes „Zentralstelle“ eine „besondere Aufgabe“, die als Geheime Reichssache deklariert war, jedoch in den Dokumenten nicht näher bezeichnet ist. Das dafür benötigte Geld und Personal wurde mit Zustimmung des Reichssicherheitshauptamtes der SS zur Verfügung gestellt. Die Abteilung Prüf 9 des HWA lagerte ihre umfangreichen Geheimdokumentationen zur Kampfstoffforschung in Rüdersdorf ein (vgl. Kapitel 20).189 Die „Abkommandierung“ des Dr. Pietsch erfolgte, in Abstimmung mit dem REM, nachweislich zu Schumanns Abteilung Wissenschaft im OKW mit der oben schon beschriebenen Aufgabe, verschiedene Forschungsstätten in der besetzten Ukraine zu leiten. In den biographischen Nachschlagewerken zu Pietsch ist meist nur vermerkt: „während des 2. Weltkrieges zeitweise Kriegsverwaltungsrat für 187 PA Pflücke: ABBAW und AHUB; Anwesenheitslisten der Tagungen der Arbeitsgruppen, in: Chemische Berichte. Eine ausführliche, bisher unveröffentlichte Biographie Pflückes wurde erarbeitet von Dr. Eberhard Gering. 188 Zitiert bei Ernst Hermann: Probleme und Aktivitäten bei der Wiederherausgabe des „Chemischen Zentralblatt“ (CZ) nach der bedingungslosen Kapitulation des faschistischen Deutschland am 8. Mai 1945, Dissertation, 16. Februar 1985, Akademie der Wissenschaften der DDR, 13 f. 189 Akte Dr. Pflücke, BAB, R 26 III/183; Ruske: 100 Jahre Deutsche Chemische Gesellschaft, 178–186.
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den RFR in Polen und der Ukraine“. Dazu gehörte auch die Gewährleistung des „Reichseinsatzes russischer Wissenschaftler“. Generell war dafür eine besondere Dienststelle des Wi Stabes Ost mit der Bezeichnung „Wi Stab Ost, Sondergruppe GB Chemie, Auffangstelle für russische Wissenschaftler und Ingenieure Heydebreck/Bierau/Oberschlesien“ zuständig. Dort wurden diese Fachkräfte „karteimäßig erfasst“, polizeilich gemeldet, „abwehrmäßig überprüft“ und nach Genehmigung durch den Reichsführer-SS zum Teil nach Deutschland gebracht. Der Wi Stab Ost konnte Anträge zur „Herauslösung“ aus dem üblichen Verfahren stellen.190 Offenkundig machte W Wiss von dieser Möglichkeit regen Gebrauch, wie die Vorgänge in Charkow, die spätere Verlagerung russischer Forscher nach Lemberg, danach Krakau und schließlich ins Reichsgebiet zeigen. Im August 1942 erreichte W Wiss eine Anfrage des REM, welche Haltung das OKW zur „fachwissenschaftlichen Ausbildung von Angehörigen der besetzten Ostgebiete“ bezieht. In seiner Antwort wies Schumann darauf hin, dass die Wehrmacht keinen unmittelbaren Bedarf an akademisch gebildeten Angehörigen der besetzten Ostgebiete habe. Er hielt es jedoch für notwendig, „in Hinblick auf den Mangel an Akademikern im Reich … zum Aufbau … der Ostgebiete einheimische Kräfte mit gründlicher Hochschulausbildung heranzuziehen, um damit z. B. die land- und forstwirtschaftliche, bergbauliche, energiewirtschaftliche Erschließung des Raumes sowie die Verhinderung menschlicher und tierischer Seuchen zu ermöglichen“. Die Errichtung von Universitäten und Hochschulen im deutschen Sinne sei abzulehnen, „um jede Möglichkeit auszuschließen, die den Weg zur Erlangung umfassender Allgemeinbildung offen lässt“. Geisteswissenschaftliche Fächer müssten bei einer eventuellen Ausbildung (außer bei Lehrern) „gänzlich in den Hintergrund treten“. Allerdings – so schränkte Schumann ein – könne die Akademikerausbildung von der „Erhaltung und Ausnutzung der zum Teil sehr wertvollen russischen Forschungsanstalten im deutschen Interesse nicht getrennt“ werden. Aufschlussreich ist der Verteiler dieses Schreibens: OKH, RdL, OKM und Wirtschaftsstab Ost.191
Das Institut für Deutsche Ostarbeit Für die im Osten eroberten und besetzten Gebiete benötigte die nationalsozialistische Führung ein geeignetes Instrumentarium, mit dem sie ihren geistigen Herrschaftsanspruch und eine „deutsche Kulturordnung“ durchsetzen konnte. Wissenschaftler verschiedener Disziplinen sorgten in speziellen Instituten der Ostforschung dafür, dass auf den Gebieten der Geographie, Raumplanung, Geologie, Volks- und Landeskunde usw. Forschungen betrieben wurden. Eines der ersten 190 Müller: Wirtschaftspolitik, 332–334. Mehrere Wissenschaftler der TH Wien, die für das HWA, Amtsgruppe Prüfwesen, tätig waren und zu denen WaF Anfragen beim REM gestellt hatte, reisten zwecks „Kriegswichtiger Aufgaben“ nach Heydebreck bzw. in das „russische Forscherlager Staltach“, Archiv TH Wien, PA der Professoren A. Janke und L. Richter. 191 Schumann am 12. September 1942 an REM, BA-MA, RW 31/264.
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dieser Osteuropainstitute war das am 20. April 1940 in Krakau, auf Wunsch des Generalgouverneurs Frank, gegründete „Institut für Deutsche Ostarbeit“ (IDO). Zum Direktor ernannte er den Juristen Dr. Wilhelm Coblitz. Geplant und eingerichtet wurden sieben geisteswissenschaftliche und vier naturwissenschaftliche Sektionen. Zweigstellen entstanden in Warschau und ab 1941 in Lemberg. Insgesamt arbeiteten 1942/43 195 Personen (davon 125 Nichtdeutsche, meist Polen) am IDO. Man bemühte sich für wissenschaftliche Veranstaltungen möglichst prominente Gäste zu gewinnen. Bekannt ist beispielsweise, dass Werner Heisenberg in Krakau im IDO referierte. Im Verzeichnis der Gastvorträge taucht auch der Name des bekannten Berliner Archäologen und Altertumsforschers Prof. Unverzagt auf.192 Die sich für Deutschland stetig verschlechternde Kriegslage zwang die Verantwortlichen ab Ende 1942 dazu, über die weitere Tätigkeit des IDO nachzudenken. Eine der ersten, in diese Richtung zielenden Maßnahmen der Regierung des Generalgouvernements (GG) war der Erlass einer Verordnung vom 20. Januar 1943, wonach das IDO der Hauptabteilung Wissenschaft und Unterricht der Regierung des GG angegliedert wurde. Fünf Monate später „erging nunmehr die Anregung, die wissenschaftliche Tätigkeit des Instituts vor allem auf die Lösung wehrwichtiger Probleme umzustellen und demgemäß den Schwerpunkt der Arbeit“ auf die naturwissenschaftlich-technischen Gebiete zu verlagern. Am 23. März 1943 wurden dem REM und RFR mitgeteilt: „In einer Reihe von Besprechungen, die von dem stellvertretenden Präsidenten des Instituts für Deutsche Ostarbeit, Staatssekretär Dr. Boepple, geleitet wurden, sind die grundsätzlichen Fragen und die Wege zu ihrer Lösung untersucht worden. An den Beratungen nahmen u. a. Vertreter des Oberkommandos der Wehrmacht, Allgemeines Wehrmachtsamt Wissenschaft (AWA Wiss), des Reichsministers der Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luftwaffe, des Reichsamtes für Wirtschaftsausbau und des Reichsministers für Bewaffnung und Munition teil. Das vorläufige konkrete Ergebnis ist die Errichtung eines Chemischen Institutes als einer Sektion des Institutes für Deutsche Ostarbeit in Lemberg, das die in Charkow begonnenen Forschungsarbeiten auf dem Gebiete der Anorganischen/organischen Technologie sowie der Eisen- und Aluminiummetallurgie fortsetzen soll … Die Hauptabteilung Wissenschaft und Unterricht ist beauftragt worden, ein bisher von den Technischen Fachkursen in Lemberg genütztes Gebäude samt Einrichtung dem neuen Institut zur Verfügung zu stellen. Dieses soll ferner die von Charkow nach Lemberg zu überführenden Apparate und die in Charkow tätig gewesenen russischen Angestellten übernehmen.
192 Verordnung vom 19. April 1940, Verordnungsblatt GG. D I, S. 149. Vgl. u. a. Michael Fahlbusch: Wissenschaft im Dienst der nationalsozialistischen Politik? Die „Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften“ von 1931–1945, Baden-Baden 1999, 553–575; Christoph Kleßmann: Die Selbstbehauptung einer Nation. Nationalsozialistische Kulturpolitik und polnische Widerstandsbewegung im Generalgouvernement. 1939–1945, Düsseldorf 1971, 61–70; Mechtild Rössler: „Wissenschaft und Lebensraum“. Geographische Ostforschung im Nationalsozialismus. Ein Beitrag zur Disziplingeschichte der Geographie, Berlin/Hamburg 1990, 84–102. Die Arbeitsergebnisse des IDO auf geisteswissenschaftlichen Gebieten (Volkskunde, Anthropologie, Geographie), später auch Geologie und weitere Wissenschaftszweige, wurden z. T. veröffentlicht in: Deutsche Forschungen im Osten. Mitteilungen des Instituts für Deutsche Ostarbeit, Krakau, 1–4 (1941–1944), sowie in anderen Schriften.
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Diese sollen auf Grund einer vom OKW AWA Wiss zu erlassenden Verfügung als Wehrmachtsgefolge zu behandeln sein. Die wehrwissenschaftlichen und wehrwirtschaftlichen Arbeiten des Institutes für Deutsche Ostarbeit auf dem Gebiet der physikalischen Chemie, der Mathematik, der theoretischen Physik und des theoretischen Berg- und Hüttenwesens soll in Krakau selbst, und zwar unter Leitung des Kriegsverwaltungsrates Dr. Pietsch von OKW, AWA Wiss übernommen werden.“193
Pietsch musste nicht lange warten, bis ihm sein neues Tätigkeitsfeld erläutert wurde. Schon Mitte Juni 1943 teilte ihm Mentzel mit, dass er, mit Zustimmung Thiessens, die „in den Ostgebieten vorhandenen Forschungseinrichtungen, Institute und dergleichen, soweit sie zum Bereich der Chemie gehören“, als Beauftragter des Fachspartenleiters „Allgemeine und organische Chemie“ entsprechend der Aufgaben der RFR zu betreuen habe. Am 10. Juli 1943 berief ihn Frank „als Vertreter des Oberkommandos der Wehrmacht, Allgemeines Wehrmachtsamt Wissenschaft“ zum Mitglied des Beirates der Technischen Abteilung des IDO. Sievers, als Stellvertreter von Mentzel, beauftragte Pietsch wenige Tage später damit, alle „in den Gebieten des Reichskommissariats Ostland und Ukraine befindlichen wissenschaftlichen Institute“ – die der Zentrale für Ostforschung im Ministerium für die besetzten Ostgebiete unterstehen – in Abstimmung mit dieser Zentrale auf ihre Arbeitsfähigkeit und „bestmöglichsten Einsatz“ zu überprüfen. Für den RFR seien alle verfügbaren Apparate, Bücher und Zeitschriften sicherzustellen. Die darüber ausgestellten Quittungen habe er dem Apparate-Ausschuss der DFG zu übersenden. Vor allem müsse geprüft werden, welche Wissenschaftler sich „zum Einsatz für besondere Aufgaben eignen“. Mentzel legte Ende Juli 1943 nach und wies Pietsch an, „in Abstimmung mit den Aufgaben des RFR die anlaufenden Arbeiten zu steuern“. Außerdem machte Mentzel darauf aufmerksam, dass auch das RWA und die Reichsfachgruppe Chemie im NS-Bund Deutscher Technik (NSBDT) für den Sektor Chemie „hinzugetreten“ sei. Pietsch wurde ermächtigt, gleichzeitig „die physikalischen, mathematischen, astronomischen und elektrotechnischen Institute und Einrichtungen“ zu überprüfen – analog wie auf dem Sektor Chemie in Abstimmung mit der Zentrale für Ostforschung. Ausdrücklich betonte Mentzel: „In den der Militärverwaltung unterstehenden Gebieten werden Sie Ihre Aufträge gemäß der besonderen Weisungen Ihrer Militärdienststelle (OKW, AWA/W Wiss) durchführen.“194 Die Mühe der Verbindung zur Zentrale für Ostforschung wurde Pietsch bald erleichtert: Der Kriegsverwaltungsrat Mettich wurde im Referat IV der Zentrale als „Verbindungsoffizier v. OKW-AWA/W Wiss V“ eingesetzt.195
193 Die Regierung des Generalgouvernements, Hauptabteilung Wissenschaft und Unterricht am 23. Mai 1943 an das REM, BAB, R 26 III/169. 194 Mentzel am 17. Juli 1943 an Pietsch; Ernennungsurkunde Franks vom 10. Juli 1943; Sievers am 20. Juli 1943 an Pietsch; Mentzel am 31. Juli 1943 an Pietsch, AMPG, III. Abt., Rep. 22 Nachlass Erich Pietsch, Nr. 11. Für die Schreiben an Pietsch wurden als Anschriften sowohl „OKW W Wiss, Hardenbergstr. 10“ als auch „Gmelin-Institut, Tiergartenstraße 10“ verwendet. 195 Organisationsplan der Zentrale für Ostforschung vom 20. Januar 1944, BAB, R 6/233, Bl. 35 f, dort als Mettig.
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Zu den schon genannten militärischen Stellen, die an der Neuausrichtung des IDO beteiligt waren, kam Mitte 1943 noch eine weitere, kaum bekannte Einrichtung hinzu. Es handelte sich um die bereits seit 1940 bestehende „Forschungsgruppe Schulz-Kampfhenkel e.V.“, die aus der „Forschungsstaffel z. b. V. beim OKW“ hervorgegangen war. Geleitet wurde sie von dem Geographen Dr. Schulz-Kampfhenkel. Ihn ernannte Göring im Mai 1943 zum „Beauftragten für Sonderaufgaben der erdkundlichen Forschung“ im RFR. Zusammen mit dem „Sonderkommando Dora“, einer Einheit, die vom April 1942 bis Januar 1943 für das OKW/ Wehrmachtsführungsstab Aufklärungsflüge über dem nördlichen Afrika durchführte, kreisten nun die Flugzeuge der Forschungsstaffel über dem östlichen Kampfgebieten. Sie hatte Luftbildaufnahmen zu beschaffen, die geographischen Gegebenheiten zu erkunden und andere Aufgaben durchzuführen. Diese „Forschungen“ wurden als „kriegsentscheidend wichtig“ eingestuft. Aus diesen Gründen kam es auch zu einer engen Zusammenarbeit mit dem IDO. Ebenso wie zahlreiche andere Institute hatte das IDO diverses Material über Rohstofflage, Landesplanung usw., für die „Aufbauarbeit im besetzten Osten“ zu liefern, und eben dafür wurden die von der Forschungsstaffel gesammelten Daten benötigt. Die Forschungsstaffel spielte darüber hinaus eine nicht unbeträchtliche Rolle bei der Erprobung von Wärmepeilgeräten und der unter Führung von W Wiss getroffenen Vorbereitungen für biologische Waffen (vgl. Kapitel 14 und 16).196 Schumanns Abteilung im OKW sorgte – außer der Abordnung des KVR Pietsch – für eine weitere personelle Verstärkung der neu aufgenommenen wehrwissenschaftlichen Forschungen am IDO. Sie stimmte per Befehl Nr. 203/43 am 14. April 1943 der Ernennung des Dozenten Dr. Karl Martin Kühn (*1902) zum Leiter des Chemischen Instituts zu. Kühn, zuletzt tätig an der Universität Bonn, arbeitete ab 1927 bei der Forschung der IG Farben, unter anderem zum Kampfstoff „LostStickstoff“. Dieser Auftrag war als geheim eingestuft. Im August 1943 bescheinigte ihm W Wiss: „Leutnant Prof. Dr. Kühn betreut im Einvernehmen mit RFR, OKW und Forschungsführung des RdL und des ObdL die auch von Charkow zum Institut für deutsche Ostarbeit überführten chemischen Institute.“ Mit der Arbeit von Kühn schien man sehr zufrieden zu sein. Im November 1943 erfolgte seine Ernennung zum Fliegerstabsingenieur, im August 1944 die offizielle Verleihung des Professorentitels. Direktor Coblitz sah zu dieser Zeit jedoch Anlass zu ernster Klage. Er beschwerte sich über die „schlechte charakterliche und undisziplinierte Haltung“ Kühns. Außerdem führe er unerlaubt „Einrichtungen aus sowjetrussischen Instituten weg“. Im Gegensatz dazu lobte Coblitz, dass die anderen „durch OKW W Wiss zum Institut für deutsche Ostarbeit abgestellten Kriegsverwaltungsräte eine sehr günstige Förderung der Entwicklung des Instituts und seiner wissenschaftlichen Forschung herbeigeführt haben“. Wahrscheinlich um die Auseinandersetzung zu
196 Ausführlich zu Schulz-Kampfhenkel und zur „Forschungsstaffel“ Rössler: Wissenschaft und Lebensraum (wie Anm. 192), 201–207.
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seiner Person zu beenden, schied Kühn im Juni 1944 mit Zustimmung der Forschungsführung der Luftwaffe beim IDO aus.197 Die in Krakau unter der Leitung von Pietsch neu aufgenommen bzw. an die Ergebnisse von Charkow und Lemberg anschließenden Arbeiten umfassten „Physikalische Chemie, Mathematik, Theoretische Physik und theoretisches Berg- und Hüttenwesen“. Das Oberkommando der Marine (OKM, FEP) wünschte die Durchführung von Berechnungen „elliptischer Funktionen“ durch das „Referat für mathematisches und astronomisches Rechenwesen“ und war auch sehr einverstanden damit, dass dafür eine wissenschaftliche Häftlingsgruppe im Konzentrationslager Plaszow (bei Krakau) herangezogen wurde. Ein anderer Auftrag von OKM, FEP sollte durch die Sektion Chemie des Ostinstitutes bearbeitet werden. Zuständig war dafür Dr. Hans-Paul Friedrich Müller (*1902). Die Forschungsführung des RdL und ObdL, vertreten durch Prof. Georgii, meldete Bedarf am „ehemaligen Arbeitskreis Kühn“ an, der den Grundstock für den „Aufbau einer neuen Sektion als Sofort-Programm“ bilden sollte. Verschiedene Einzelheiten gehen aus mehreren Berichten hervor, die Sievers für den RFR verfasste: „Arbeitaufträge im Einvernehmen mit dem Generalsbevollmächtigten des Reichsministers für Rüstung- und Kriegsproduktion (Höherer SS- und Polizeiführer Ost) u. a. Schwefelgewinnung aus armen, natürlichen Lagerstätten, Fragen zur Bekämpfung von Vegetationsschädlingen, Sektion Astronomie und Mathematik. Leitung Prof. Dr. Walter. Bearbeitung von SSAufträgen, insbesondere in Zusammenarbeit mit dem Kopernikus-Institut Berlin-Dahlem (SAuftrag), mit der Arbeitsgruppe für Industrie, Mathematik in der Luftfahrtforschungsanstalt Hermann Göring (SS-Auftrag) Oberkommando der Kriegsmarine FEP (geheim).“198
Am 16. Dezember 1944 vermerkte Sievers u. a.: „Bau des Gerätes EC 2. Das Gerät, das auf Grund der Vereinbarung zwischen OKM …, Dr. Lorenz und Prof. Dr. Winkel vom K.W.I. für physikalische und Elektrochemie übernommen worden ist, ist nun mehr konstruktiv völlig durchgebildet worden. Am 18. 12. wird nach eingehender Rücksprache mit OStF Schubert und dem Lagerkommandanten OStBF Kögel mit dem Bau des ersten Versuchsgerätes begonnen werden. Das Gerät soll in den ersten Januartagen 1945 fertig sein. Wegen der Errichtung eines chemischen Laboratoriums im Rahmen des KL Plaszow bzw. Flossenbürg ergeht gesonderter Bericht nach Abschluß der für den 19.–23. 12. 1944 vorgesehenen Dienstreise Dr. Pietsch nach Krakau“.
Ein weiterer Sievers-Bericht verweist auf die Besprechung zwischen Willing und Pietsch in Berlin am 5. Dezember 1944, bei der „ein möglichst intensiver Einsatz“ der wissenschaftlichen Häftlingsgruppen in dem KL Plaszow (bzw. Kraukau-Stadt) und Flossenbürg vereinbart wurde (vgl. unten, S. 97–99). Sievers erwähnt darin „die Gewinnung chemischer Reinstpräparate“. Diese Aufgabe sei mit Thiessen vereinbart worden.199 Die für die Kriegsforschung benötigte materiell-technische Sicherstellung des IDO war gut. Dafür hatten Thiessen und Pietsch gemeinsam gesorgt, indem sie 197 BAB, R 4901/13314. 198 Auszug aus Vermerk, Institut für Deutsche Ostforschung … vom 24. November 1944, BAB, NS 21/96. 199 Beide Berichte sind zitiert bei Eibl: Thiessen, 160 f.
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aus der Ukraine „außerordentlich ausgedehnte Apparatemengen“ nach Krakau abtransportieren ließen.200 Vom April bis August 1944 konferierte Pietsch telefonisch und auch persönlich rege mit Menzels Stellvertreter im geschäftsführenden Beirat des RFR, Sievers. Dabei ging es um die Verlegung des Lemberger Instituts (mit seinen annähernd 100 Labors) nach Krakau und die Tätigkeit des IDO, eine Reise von Pietsch nach Bulgarien sowie die „Geräteerfassung in Italien“. An einer dieser Besprechungen nahm auch Bayer teil. Großes Interesse an diesen Vorgängen zeigte Spengler vom SD, der mehrmals nachfragte, wie es um die „Italieneinsatzgruppe des RFR“ stehe und wann sie aktiv werde.201 Der viel beschäftigte Pietsch hatte 1944 noch einen weiteren Herren zu dienen. Das RWA übertrug ihm im April den Kriegsauftrag „Phosphoritaufschluss mittels NH3 und CO2“. Einzelheiten sind nicht bekannt.202 Geld für die neuen Aufgaben des IDO stand reichlich zur Verfügung. Auch dafür sorgten Mentzel und Thiessen in gemeinsamer Abstimmung. Unter den Stichworten „Wehrforschung“ (Chemie), „Krakau“ (Chemie), „Oberflächenspannung/Schmiermittel“ wurden beträchtliche Mittel des RFR überwiesen, so im Januar 1944 30.000 RM, im Februar 1944 24.000 RM im Mai 1944 10.000 RM und im November 1944 nochmals 18.000 RM.203 Mitte des Jahres 1944 traf Frank „in Anbetracht der Entwicklung der militärischen Lage im Generalgouvernement“ die Entscheidung zur Verlagerung des IDO. Die Möglichkeiten der Dritten Reiches waren schon derart eingeengt, dass eine einzige Ausweichstelle für das gesamte Institut nicht mehr infrage kam, sondern Teile an verschiedene Standorte gelangten. Angesichts der Größe des IDO konnte dies auch nicht verwundern. Die „Gesamtgefolgschaft“ bestand jetzt aus 320 Personen. Gegliedert war das IDO zu dieser Zeit in eine Geisteswissenschaftliche Abteilung (mit den vier Sektionen Geschichte, Rassen- und Volkstumsforschung, Wirtschaft und Landeskunde) sowie eine naturwissenschaftlich-technische Abteilung (I. und II. Chemische Sektion sowie die Sektionen Allgemeine/ technische Physik, Astronomisches Rechen- und Berichtswesen, Geologie, Landwirtschaft, Forstwirtschaft). Der Jahresetat betrug 2,5 Mio. RM. Die neuen Standorte lagen in Bayern (Schlösser Zandt und Miltach) und in der Mark Brandenburg (Forschungsstelle Babelsberg). Die wissenschaftliche Häftlingsgruppe im KZ
200 Heim: Kalorien, 233; Dieselbe: „Die reine Luft der wissenschaftlichen Forschung“. Zum Selbstverständnis der Wissenschaftler der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft ( = Ergebnisse. Vorabdrucke aus dem Forschungsprogramm „Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus“, 7), 27–33 (zur Zentrale für Ostforschung und Materialraub im besetzten Osten). 201 Tagebuch Sievers’ 1944, Eintragungen vom 13. April, 10. Mai, 9. Juni, 27. Juli, 11. und 18. August, BAB NS 21/11. Zur Bulgarienreise von Pietsch konnten keine Angaben erarbeitet werden. Pietsch teilte der KWSt am 18. Januar 1944 mit, dass er und Bayer Interesse an Apparaten und Geräten der Forschung in Italien haben. Bereits im Juni 1943 wurde um Unterstützung bei der Gerätebeschaffung aus Prag, anderen tschechischen Orten, Brüssel usw. gebeten. BAB, R 26 III/168a. Nach Heim: Kalorien (wie Anm. 200), war auch Thiessen an den italienischen Aktivitäten beteiligt. 202 BAB, R 26 III/27, Bl. 38. 203 BAB, BDC zu Pietsch.
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Plaszow (Krakau) verblieb vorerst dort und wurde im Januar 1945 nach Flossenbürg ins dortige KZ verbracht.
Die Schlösser Zandt und Miltach Coblitz informierte im Juni 1944 die Gauleitung Bayreuth über die Wichtigkeit der dem IDO erteilten „chemisch-technischen Kriegsaufträge“, u. a. zum Rüstungs- und Ernährungspotential der UdSSR, zur Erforschung und Steigerung der deutschen Rohstoffbilanz, zu Rüstungsaufgaben der Firmen Zeiß und Lorenz, für den Bevollmächtigten für die HF-Forschung usw. Außerdem nannte er die wichtigsten Auftraggeber: Die drei Oberkommandos der Wehrmacht, die Forschungsführung der Luftwaffe, das RWA und der RFR. Diese geballten Angaben – im Verein mit persönlichen Kontakten Franks zum Gauleiter Fritz Wächtler – verfehlten ihre Wirkung in Bayreuth nicht. Schon Anfang August 1944 konnte ein beträchtlicher Teil des IDO (I. und II. Chemische Sektion sowie die übrigen kriegswichtigen Sektionen) in die „Schlösser Zandt und Miltach bei Cham in der bayrischen Ostmark“ verlagert werden. Die Leitung hatte Coblitz inne. Die räumlichen und sonstigen Bedingungen waren gut bzw. verschiedene Umbauarbeiten noch im Gange. Nach einer „kurzen Anlaufzeit“ konnten die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten fortgesetzt werden. Dazu gehörten auch die dem Studienrat Dr. Ernst Fugmann, Stellvertretender Sektionsleiter Landeskunde, übertragene „kriegswichtige (geheim zuhaltende) Grundlagenforschung“. Es handelte sich hierbei um geographisch-kartographische Aufgaben der Forschungsstaffel z. b. V., die das OKH zusammen mit dem RFR vorgegeben hatten. Nach dem 20. Juli 1944 war die Forschungsstaffel z. b. V. dem Reichsführer-SS, RSHA, Amt Mil., Sonderkommando Dora, unterstellt worden.204 Coblitz hatte ursprünglich geplant, die 2. Chemische Sektion in Zandt an Dr. Ing. habil. Paul Drossbach zu übertragen. Dazu kam es jedoch aus unbekannten Gründen nicht. Die ebenfalls nach Zandt gelangte Sektion „Allgemeine und tech204 Coblitz am 10. Juni 1944 an die Gauleitung Bayreuth; Frank (ohne Datum) an „Parteigenossen Wächtler“; Coblitz am 25. August an Dr.-Ing. Drossbach; Coblitz am 14. September 1944 an das Bayerische Staatsministerium zwecks Beurlaubung Dr. Fugmanns, Aktennotiz Oberleutnant (Name unleserlich) vom 26. August 1944 an Fugmann, BAB, R 52/IV 23c, 26, 151. Fugmann (*1905) war Geograph und arbeitete auf den Gebieten Wirtschafts- und Verkehrsgeschichte, Raum- und Länderkunde sowie Kartographie. Der älteste Teil des Schlosses Zandt stammt aus der Mitte des 16. Jahrhunderts und erfuhr danach mehrfach Um- und Ausbauten, zuletzt 1851. Der Fotograf Ernst Mick, Nürnberg, kaufte das Anwesen im Oktober 1920 für ca. 145.000 Mark. Unter welchen Umständen das Schloss 1944 dem IDO zur Verfügung gestellt und wie Mick „abgefunden“ wurde, ist nicht überliefert. Nach dem Zweiten Weltkrieg befand es sich in einem schlechten baulichen Zustand und musste dringend repariert werden. Am 20. November überließ es Mick dem Bayerischen Roten Kreuz mit der Auflage, es künftig als Altenheim zu nutzen. Das denkmalgeschützte Bauwerk wurde entsprechend aus- und umgebaut. Es dient bis heute dem BRK als Alten- und Pflegeheim. Vgl. Berta Ritsche: Schlossgeschichte Zandt. Vom Hofmarksitz zum BRK Alten- und Pflegeheim, Kallmünz 1986. Die Nutzung durch das IDO wird darin nicht genannt.
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nische Physik“ unterstellte Coblitz dem Elektro- und Nachrichtentechniker Dr.Ing. Alfred Dennhard (*1896), der 1930 an der Universität Jena promoviert hatte und sich 1940 an der TH Berlin habilitierte. Pietsch schickte im Januar 1945 – in seiner Eigenschaft als Beauftragter der Abteilung Wissenschaft im OKW und des RFR am IDO – dem Bevollmächtigten für Kernphysik, Prof. Dr. Walther Gerlach, einen kurzen Bericht über die Arbeit der Sektion Allgemeine und technische Physik. Sie umfasste die vier Gebiete Hochfrequenzphysik, Windkraftforschung, Elektrizitätsversorgung und Materialforschung. Auftraggeber der HF-Physik waren das OKM (Suchantenne für U-Boote und Schiffe), die Firma Zeiss, (Entwicklung eines quarzlosen Prüfsenders) und Prof. Marx, Fachspartenleiter Elektrotechnik (Zentimeterwellen-Störsender). Die Windkraftforschung erfolgte im Auftrag des RWA. Als „theoretischer Mitarbeiter“ wurde Prof. Medwedew genannt, der vor allem Berechnungsarbeiten für kleine und mittlere Windkraftwerke durchführen sollte. Bei der E-Versorgung stand die Untersuchung von Schwierigkeiten bei Hochspannungsleitungen für Weitübertragungen im Mittelpunkt. Zum vierten Komplex bemerkte Pietsch, dass dem Institut mit den „aus Warschau und Krakau, zum Teil auch aus Lemberg zurückgeführten Beständen eine ganze Reihe Geräte aus dem Gebiet der Spektral-Analyse und der modernen Materialforschung zur Verfügung“ stünden. Pietsch bat um ein persönliches Gespräch (zusammen mit Dennhard) bei Gerlach, um „Grundlegendes und Einzelheiten der Sektionsarbeit“ in Zandt und Miltach zu besprechen. Ob es dazu noch kam, ist nicht überliefert.205 Bei Kriegsende fiel Coblitz den Amerikanern in die Hände (die Details werden im Kapitel 18 vorgestellt). Er hoffte sogleich auf einen baldigen „neuen Einsatz“ und offerierte den zuständigen US-Behörden ein „Programm der bisherigen und zukünftigen Arbeiten“.206 Zu deren Reaktion wurde bisher nichts bekannt.
Die wissenschaftliche Häftlingsgruppe in Krakau SS-Obergruppenführer und General der Polizei Koppe teilte am 8. September 1944 seinem Reichsführer Himmler mit, dass die von ihm im Konzentrationslager Plaszow (Krakau) zusammengefassten jüdischen Häftlinge „unter der Leitung der deutschen Wissenschaftler des Instituts für deutsche Ostarbeit und mit gutem Erfolg an der Lösung der verschiedensten kriegswirtschaftlich wichtigen Aufgaben gearbeitet haben“. Wegen der Verlegung nach Zandt schlug er vor, die Häftlinge jetzt nach Flossenbürg zu bringen, damit dort „die bereits geplante Erweiterung des wissenschaftlichen Einsatzes der Juden unter Ausnutzung der bisherigen Erfahrungen erfolgen könne und sie weiterhin durch Wissenschaftler des IDO angeleitet werden“.207
205 Pietsch am 9. Januar 1945 an Gerlach, BAB, R 26 III/515. 206 Zitiert nach Rössler: Wissenschaft und Lebensraum (wie Anm. 192), 102. 207 Fernschreiben Koppes (geheim) vom 8. September 1944 an Himmler, BAB, NS 19/2586, Bl. 4 f.
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Wegen der geographischen Lage der Verlagerungsorte hätte eine solche Maßnahme sicherlich Vorteile geboten. Doch im RSHA entschied man anders und beließ die Häftlinge vorerst in Krakau. Gleichzeitig wurde Willing beauftragt, den möglichst intensiven Einsatz der Häftlinge sicherzustellen. Willing, über dessen Rolle im NS-Wissenschaftsbetrieb noch an anderer Stelle ausführlich berichtet wird (Kapitel 5 und 22), hielt sich seit 1943 in Polen auf und betreute das Bauwesen der SS in Krakau. Pietsch und Willing vereinbarten Anfang Dezember, dass die wissenschaftliche Betreuung der Häftlingsarbeit vollständig vom stellv. Sektionsleiter Dr. Hans-Paul Müller übernommen wird. Thiessen stimmte dem zu, ebenso Koppe, der bereits Ende Oktober 1944 eine Beratung zum „Einsatz wissenschaftlich vorgebildeter Häftlinge für Forschungszwecke“ hatte und sich bei Mentzel für die „Bereitwilligkeit“ bedankte „unser Vorhaben zu unterstützen“. Auch Coblitz im fernen Zandt war sofort einverstanden. Er wollte sich sowieso „aus den weiteren Häftlingsarbeiten infolge Inanspruchnahme durch eigene Ausbau- und Forschungsarbeiten in Zukunft heraushalten“. Müller schied folglich aus dem IDO aus und konzentrierte sich auf die Häftlingsarbeiten im KZ Plaszow.208 Ende November 1944 waren dort „61 Spezialfacharbeiter“ tätig. Da die Zahl der Häftlinge jedoch weiter erhöht werden sollte, wurde nach neuen Räumen in der Stadt gesucht. Dazu fanden im Dezember 1944 mit SS-Obersturmführer Korn und Präsident Eichholz, Hauptabteilung Wissenschaft und Unterricht der Regierung des GG, Besprechungen und Besichtigungen statt. Pietsch – inzwischen zum Heereskriegsrat befördert – schlug vor, die seit der Verlagerung des IDO frei gewordenen Räume in der Celtisgasse 2 so herzurichten, dass dort „bis zu 100 Häftlinge … chemisch arbeiten“ konnten. Gleichzeitig sollten die für die „Sicherung“ der Häftlinge notwendigen baulichen Veränderungen erfolgen. Koppe billigte die ihm vorgetragenen Pläne und „unterstrich die von Pietsch namens des OKW AWA/AG W Wiss betonte Sicherheitsfrage der in Aussicht genommenen Aufgaben“. Er ordnete die zwischen Pietsch und Korn „vereinbarte Durchmusterung aller KL nach wissenschaftlichen Häftlingen als Sofort-Aktion an. Oberführer Koppe wünschte die Fortführung des Häftlingseinsatzes auf breitester Grundlage, um dadurch eine fühlbare Entlastung der deutschen Kräfte im Sinne einer Freimachung für höher zu bewertende Aufgaben herbeizuführen.“ Bei seiner „Besichtigungstour“ durch Krakau suchte Pietsch auch die Staatliche Materialprüfungsstelle auf, wo unter Leitung des SS-Unterscharführers Dr. Scharfer eine Häftlingsgruppe Aufgaben des RWA und des OKM, FEP bearbeiteten. Pietsch gewann einen guten Eindruck, und urteilte, die Arbeiten „laufen gut“. Die „Häftlinge sind fleißig und interessiert beim Einsatz“.
208 Koppe am 1. November 1944 über eine mündliche Besprechung mit Willing an Mentzel, BAB, BDC zu Willing, DS G 0124. Koppe hatte die Absicht, zusammen mit Willing ein persönliches Gespräch mit Mentzel zu führen. Gegenstand sollten die von Mentzel gestellten Aufgaben für die chemische Forschung durch Häftlinge im KZ Plaszow sein, Aktenvermerk Pietschs vom 30. Oktober 1944, BAB, R 26 III/159. Ob ein solches Gespräch stattfand, geht aus den eingesehen Dokumenten nicht hervor; Bericht Pietschs „Häftlinge im wissenschaftlichen Einsatz“ vom 16. Januar 1945, BAB, NS 21/845.
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Willing und Thiessen, natürlich auch die Abteilung Wissenschaft im OKW, wurden Anfang Januar 1945 ausführlich über den Verlauf des Monats Dezember in Krakau unterrichtet.209 Die finanzielle Sicherstellung übernahm der RFR. Noch am 21. Dezember 1944 wurden unter dem Stichwort „Sonderforschung“ der SSStandortverwaltung Krakau 10.000 RM überwiesen, bestimmt für „Forschungsarbeiten, z. H. SS-Hauptsturmführer Willing“.210 Die militärischen Ereignisse vereitelten die für Krakau vorgesehenen Maßnahmen. Schon Ende Dezember 1944 arbeitete man im KZ Flossenbürg an der Aufstellung von Lagerbaracken für die wissenschaftliche Häftlingsgruppe. Wegen der starken Fröste war eine Fertigstellung vor dem 1. Februar 1945 nicht abzusehen.211 In dem Bericht von Ende November, den Sievers für den RFR verfasste, sind auch Angaben zu den Forschungen der Sektion Astronomisches Rechenwesen des IDO enthalten, die unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. K. Walter, Direktor der Sternwarte des GG in Krakau, erfolgten: „Die Sektion hatte in Krakau 9 russische Mitarbeiter, zu denen durchschnittlich 6 weitere unter den Schutzhäftlingen des Kz.Lagers Krakau-Plaszow kamen … Wegen Verlagerung des Ostinstituts wurden die Arbeiten Ende Juli in Krakau abgebrochen und Anfang September in Alt-Thymen, Kreis Templin (etwa 90 km nördl. Berlin) bezw. in dem 5 km davon entfernten Kz.Lager Ravensbrück wieder aufgenommen. Unter meiner Leitung arbeiteten in Alt-Thymen 4 russische, in Ravensbrück weitere 8 nichtdeutsche, aus dem Lager Krakau-Plaszow überführte Fachkräfte. Folgende Aufträge wurden durchgeführt: 1. Berechnungen für das Berliner Astronomische Jahrbuch im Auftrage des astronomischen Recheninstitutes der Kriegsmarine. Berechnungen der Mars- und Jupiterephemeride. 2. Berechnung von Funktionen im Auftrag der Arbeitsgruppe für Industriemathematik in der Luftfahrtforschungsanstalt Hermann Göring in Braunschweig (Auftragsnummer 61300040/43 SS/II/43). Nach Erledigung der alten Aufträge wurden neue übernommen. 3. Berechnungen für das Oberkommando der Kriegsmarine, Auftragsnummer SS 70064363/44, „numerische Berechnung der Bahnkurve des TR-Verfahrens“. 4. Numerische Lösungen von partiellen Differentialgleichungen im Auftrag der Abtlg. Forschungs- und Entwicklungsanstalt der Hugo-Schneider A.G. (Hasag) – Leipzig. Es handelt sich hier um mathematische Berechnungen für Untersuchungen, die von der auf ballistischwaffentechnischem Gebiet führenden Firma als besonders dringend aufgegeben sind.“212
Die nach Flossenbürg verbrachten „wissenschaftlichen Häftlinge“ gelangten in das zwei Kilometer vom KZ entfernte Außenlager Altenhammer. Dort hatte die SSBauleitung eine abgeschlossene „wissenschaftliche Versuchsanstalt“ geplant, die jedoch nicht mehr gebaut werden konnte. Deshalb wurden die Häftlinge in Barakken untergebracht, wo die Chemiker u. a. an dem im Bericht von Sievers genannten Gerät EC 2 (wahrscheinlich ein Gasschutzfilter) arbeiteten. Am 13. April 1945 gehörten noch 23 Häftlinge zum „Institut Altenhammer“ Drei Tage später wurde das Außenlager aufgelöst. Zwei Chemiker, die Brüder Fred und Felek Orenstein, gehörten Mitte April zu einem Transport, der nach Dachau ging. Nach einem Luftan209 210 211 212
Bericht Pietschs vom 6. Januar 1945 (geheim) an RFR, BAB, NS 21/845. BAB, BDC zu Willing DS B 044. Pietsch (wie Anm. 205). Vermerk Sievers’ vom 24. November 1944 für RFR „Institut für Deutsche Ostarbeit“, BAB, NS 21/96.
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griff wurde der dabei verletzte Felek Orenstein, zusammen mit 130 anderen „marschunfähigen“ Häftlingen von der SS erschossen. Die meisten „wissenschaftlichen Häftlinge“ wurden von den Amerikanern befreit. Die Alsos-Mission entsandte eine Wissenschaftlergruppe ins Lager, die unter der Leitung von Samuel Goudsmit nach Dokumenten zu den Forschungen suchte.213
Die Forschungsstelle Babelsberg Der RFR und die Abteilung Wissenschaft im OKW beschlossen im Juli 1944 „die dem Reichsforschungsrat gehörenden wissenschaftlichen Einrichtungen (Apparate, Glas- und Chemikalienbestände, Bücher) mit dem dazugehörigen Mitarbeiterapparat in das Reichsgebiet“ zu überführen. Dabei handelte es sich um folgende Teile des IDO: Sektion Biologie (drei biologische bzw. biochemische Arbeitskreise), Sektion Geologie und Wehrwirtschaft, ein Teil der Sektion „Mathematisches und Astronomisches Rechenwesen“, sowie eine chemische Arbeitsgruppe, die früher in Charkow bzw. in Lemberg tätig war, danach für die Forschungsführung arbeitete und jetzt zum RFR gehörte. Und weil man es einfach verbinden konnte, wurden dem Transport nach Deutschland zusätzlich die Neuanschaffungen der Staatsbibliothek Krakau (20.000 Bücher in 107 Kisten) zugeordnet. Die Verladearbeiten in Krakau während der ersten Augusttage bewältigten 50 Häftlinge aus dem KZ Plaszow. Der Transportzug, bestehend aus 35 Waggons, beförderte 228 Angehörige des Ostinstituts (zusätzlich Familienangehörige). Davon waren zehn deutscher Nationalität. Alle zusammen erhielten vom OKW den Status eines „Wehrmachtsgefolges“. Unterwegs trennte man sich von den Bücherkisten, die ins „Gut der Gräfin Pfeil bei Goldberg/Schlesien“ gebracht wurden, ebenso von den Angehörigen des „mathematischen und astronomischen Rechnungswesens“. Diese Leute übernahm in Hagenow-Land Prof. Walter (von der Forschungsführung) und begleitete sie nach Alt-Thymen bei Fürstenberg/Mecklenburg. Pietsch und andere Mitarbeiter der Abteilung W Wiss schwärmten unterdessen aus, um eine geeignete Ausweichstelle zu finden. Unterstützung kam von Mentzel, Thiessen, führenden Persönlichkeiten der KWG, hohen Ministerialbeamten und Militärs. 23, weit über das Reich verstreute Objekte wurden geprüft, bis schließlich Admiral Rhein vom OKM, FEP die Lösung präsentierte: Ein Fabrikgelände in Potsdam-Babelsberg, Wilhelm-Straße 10–18, das bis dahin der Marine als Lager diente. Am 25. September 1944 war die Verlegung abgeschlossen, die neue Dienststelle bezogen. Da nicht alles in der „Forschungsstelle Babelsberg“ konzentriert werden konnte, etablierte man vier kleinere Außenstellen in Berlin. Ebenfalls als Außenstellen wurden der „Forschungsstelle Babelberg“ zugeordnet: Dr. Kühn, der seine „Arbeiten zur Furafol-Chemie (R-Treibstoffe)“ 213 Mitteilung der Stiftung Bayerische Gedenkstätten KZ-Gedenkstätte Flossenbürg vom 16. August 2006 mit Artikel von Ulrich Fritz, Vorabdruck für den Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hg.): Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Bd. 4: Flossenbürg, Mauthausen, Ravensbrück, München 2006.
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auf Wunsch der Forschungsführung in Jena realisierte, und die Arbeitsgruppe des Botanikers Prof. Dr. Erwin Bünning, stationiert in Straßburg. (Mit Furafol ist möglicherweise Furfurol* gemeint.) Zuständig für die „Forschungsstelle Babelsberg“ war Pietsch, der für seinen Verwaltungssitz das Berliner Gmelin-Institut wählte. Ihn vertrat Heereskriegsrat Dr. A. Hirsch, der in Babelsberg gleichzeitig die Gruppe „Biologie und Biochemie“ führte. Die notwendigen Baumaßnahmen hatte Oberst Geist sicherzustellen. Seitens W Wiss sollte „Reg. Rat Dr. Bayer für eine mögliche Förderung der Wlassow-Bewegung“ sorgen. Diese Entscheidung war folgerichtig, handelte es sich doch bei der Mehrzahl der Wissenschaftler um Russen bzw. Ukrainer.214 Pietsch vermerkte dazu in seinem Bericht: „Bis jetzt sind zwei besonders wertvolle Mitarbeiter führend in die Wlassow-Bewegung berufen worden, und zwar 1. Prof. Bohartirtschuk, als Leiter des Sanitätswesens sowie des Sanitär-Sozialen Hilfswerks, 2. Prof. Kudinow zur Organisation des Wirtschafts- und Wissenschaftsrates“.
Über sie hielt Pietsch Kontakt zur Wlassow-Bewegung. Beide Wissenschaftler verblieben in der Forschungsstelle Babelsberg und forschten dort, Bohartirtschuk zur „Resistenz des Retikulo-Endothelial-Systems[*] und seine Bedeutung für die Heilung von Krankheiten“. Gleich nach der Ankunft in Babelsberg und dem Bezug des neuen Quartiers machten sich die wissenschaftlichen Mitarbeiter an die Lösung der ihnen gestellten Aufgaben. Die Chemiker untersuchten Verwendungsmöglichkeiten für Meerestang, die Gewinnung von Jod aus „Erdölwässern“, die Extrahierung von Aluminium und Schwefel aus Ton. Ein anderes Gebiet der Chemiker war die „Reinstdarstellung aromatischer Nitroverbindungen“ (Bestandteil der SprengstoffForschung, vgl. Kapitel 7) und anderer Stoffe. Die Biologen setzten ihre Forschungen zur Züchtung hochwertiger Ölpflanzen bzw. zu „Versuchen über Mittel zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit des tierischen und menschlichen Körpers gegenüber Hypoxie[*] (Versuche in großen Höhen)“ fort. Die Geologen und Wirtschaftskundler befassten sich mit einer „Lagerstättenübersicht, Ural-Bericht“ bzw. „Ernährungspotential der UdSSR“. Die Landeskundler stellten eine „Karte der geographischen Landschaftsnamen des europäischen Russland“ zusammen. Insgesamt waren es mehr als fünfzig Forschungsthemen (!), die bearbeitet wurden.215 Geld dafür floss reichlich. Allein für die Monate November und Dezember 1944 sind 430.000 RM belegt, die Mentzel der Forschungsstelle unter dem Stichwort „Wehrforschung I“ zu kommen ließ.216 Pietsch wusste aus der Forschungs214 Zur „Wlassow-Bewegung“ vgl. Joachim Hoffmann: Die Geschichte der Wlassow-Armee, Freiburg 1984 (= Einzelschriften zur militärischen Geschichte des Zweiten Weltkrieges, 27). 215 Pietsch: Bericht Nr. 1 (Stand 15. Dezember 1944) über die Forschungsstelle Babelsberg, BAB, R 26 III/275; Günter Nagel: 1944 kamen russische Professoren in die Stadt – Geheimnisvolle Forschungsstelle Babelsberg, in: Potsdamer Neueste Nachrichten (PNN) vom 5. November 1998; Derselbe: Wo die geheime Forschungsstelle arbeitete. Überraschendes Echo auf Beitrag: Russische Professoren …, in: PNN vom 11. Dezember 1998. 216 BAB, BDC zu Pietsch.
5. Zusammenarbeit mit Himmlers SS
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stelle in Babelsberg auch Nutzen für sein im November 1943 durch einen Bombenangriff fast vollständig zerstörtes Berliner Gmelin-Institut zu ziehen. Für dessen Wiederaufbau setzte Pietsch im November Kräfte der Werkstattgruppe aus Babelsberg ein. Zusätzlich arbeitete für einige Wochen ein Kriegsgefangenentrupp am Institut. Für dessen Einsatz hatte der RFR gesorgt.217 Anfang Januar 1945 schickte Pietsch zwei kurze Schreiben an Mentzel. Darin teilte er u. a. mit, dass eine AG der Forschungsstelle Babelsberg, die durch das OKM, FEP mit „elektrochemischen Aufgaben (GKdos)“ betraut sei, an die Technische Hochschule Berlin verlegt wurde. Zusätzlich unterbreitete er einige Gedanken zur weiteren Arbeit „der Gliederungen Zandt, Miltach und Alt-Thymen“. Mentzel beschied kühl, der seinerzeit erteilte Auftrag der Fachsparte Chemie zur Erfassung und Betreuung wissenschaftlicher Kräfte der Ostgebiete sei erloschen. Er habe sich auf die „AG Babelsberg“ zu konzentrieren. Das Krakauer Institut unterstehe Willing, der zugleich die Befehlsgewalt über die Häftlinge habe.218 Welche Ergebnisse in Babelsberg bis Kriegsende erzielt wurden, ist nicht bekannt. Auch über die Ereignisse Ende April/Anfang Mai 1945 sowie das Schicksal der 218 „fremdvölkischen Gefolgschaftsmitglieder“ samt ihrer Familienangehörigen nach dem Einmarsch der Roten Armee herrscht Unklarheit.
5. ZUSAMMENARBEIT MIT HIMMLERS SS Kontakte und Verbindungen von WaF/OKW W Wiss zur SS bestanden auf mehreren Ebenen und zu unterschiedlichen sachlichen Zusammenhängen. Für die Verhältnisse im Dritten Reich nahezu normal war der Umstand, dass zahlreiche Ministerialbeamte, Funktionäre des RFR oder anderer Stellen, zu denen WaF Arbeitsbeziehungen unterhielt, der SS angehörten. Das waren sowohl langjährige direkte Angehörige der SS als auch nominelle Mitglieder oder Ehrenführer. Zu diesem recht großen Personenkreis gehörten beispielsweise Mentzel vom REM (SS-Brigadeführer), Osenberg vom RFR (SS-Führer, ab 1936 tätig für den SD), Sievers, ebenfalls vom RFR und zugleich Geschäftsführer der SS-Stiftung „Ahnenerbe“ (SS-Standartenführer). Andererseits waren nicht wenige Wissenschaftler, die Aufträge der Forschungsabteilung des HWA realisierten, der SS verpflichtet, so herausragend Prof. Dr. Armin Dadieu an der Universität Graz (SS-Standartenführer, ab 1938 Gauhauptmann der Steiermark, ab 1943 Gaudozentenführer) oder, weniger herausragend, Prof. Dr. Alfred Pongratz, ebenfalls von der Universität Graz, später Universität Prag (SS-Scharführer).219 Von der Universität Berlin ist 217 Gmelin-Institut (wie Anm. 186), 64. Ausweichstellen für das Gmelin-Institut waren mit Unterstützung durch das RWA erst im März 1944 bereitgestellt worden (in Waldheim/Sachsen, der Mark Brandenburg, Thüringen an verschiedenen Orten). 218 Pietsch am 8. und 9. Januar 1945 an Mentzel; Mentzel am 12. Januar 1945 an Pietsch, BAB, R 26 III/384. 219 BAB, BDC zu den genannten Personen; zu Dadieu vgl. auch Hermann Ibler: Männer aus unseren Reihen – Prof. Dr. Armin Dadieu, in: Akademisches Leben, Juni 1978, 1–3; G. E. R. Gedye: Als die Bastionen fielen. Die Errichtung der Dollfuß-Diktatur und Hitlers Einmarsch
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I. Organisation
hier der Mathematiker und Ballistiker Prof. Dr. Theodor Vahlen (SS-Brigadeführer) zu erwähnen.220 Zahlreiche weitere SS-Mitglieder unter den Forscherkreisen, mit denen WaF zusammenarbeitete, werden im Teil II „Experimente“ genannt. Dadurch lief vieles, was in Schumanns Verantwortungsbereichen geschah, informativ auch bei der SS zusammen. Von ganz anderem Zuschnitt war die Zusammenarbeit von WaF mit vier unterschiedlichen Machtsäulen der SS: (1.) SS-Führungshauptamt (FHA) unter SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS Hans Jüttner. (2.) Reichssicherheitshauptamt (RSHA) unter SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich (ab 1943 unter SS-Obergruppenführer Dr. Ernst Kaltenbrunner). (3.) Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt (WVHA) unter SS-Obergruppenführer Oswald Pohl), und schließlich (4.) Persönlicher Stab Reichsführer-SS unter SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS Karl Wolf.221 Abgesehen von einigen Ausnahmen war dieses „Zusammengehen“ mit der SS generell bestimmt von Machtgerangel, Kompetenzstreitigkeiten, Intrigen, Drohungen und Feindseligkeiten, in die auch andere Reichsbehörden und die NSDAP verwickelt waren. Verschiedentlich gerieten Mitarbeiter von WaF bzw. OKW W Wiss in eine gefährliche Nähe zu den Verbrechen der SS. Möglicherweise waren einige darin sogar verstrickt. Dem Führungshauptamt unterstand das „Kommandoamt der Waffen-SS“. Zu ihm gehörte das „Beschaffungsamt SS“, aus dem 1940 das „Waffen- und Geräteamt der Waffen-SS“ hervorging. Diese Einrichtung sollte – analog zum HWA – ein eigenes Waffenamt der SS werden. Geführt wurde es von SS-Oberführer Heinrich Gärtner. Die in den Anfängen noch recht lockeren Beziehungen WaF – SS Waffenamt weiteten sich ziemlich schnell aus, nachdem Dr.-Ing. Otto Schwab (1889– 1959) im Februar 1940 in den Dienst der SS trat. Er folgte damals ohne Zögern einer persönlichen Anfrage des Reichsführers SS Heinrich Himmler. Schwab übernahm gern die Aufgabe, die Artillerie der Waffen-SS auszubilden bzw. die gesamte Schießausbildung der SS neu und einheitlich zu gestalten. Das erfolgte vor allem in der im Aufbau begriffenen Artillerie-Meßschule Glau (westlich von Trebbin), die Mitte 1942 zur SS-Artillerieschule I Glau umgebildet wurde.222 Dieser neue SSStandort etablierte sich nach der 1940 erfolgten Enteignung der seit 1927 in Glau ansässigen „Christlichen Siedlungsgenossenschaft Waldfrieden“ des Sozialreformers Joseph Weißenberg (1855–1941). Die ausgedehnte, zudem recht ansehnliche Liegenschaft zwischen Trebbin und Blankensee – also unweit von Vers. Gottow – in Wien und den Sudeten, Wien 1981, 245–247; Steirische Gesellschaft für Kulturpolitik (Hg.): Grenzfeste Deutscher Wissenschaft. Der Faschismus und Vergangenheitsbewältigung an der Universität Graz, Graz 1985, 64 f. 220 Zu Vahlen vgl. u. a. Reinhard Siegmund-Schultze: Theodor Vahlen – Zum Schuldanteil eines deutschen Mathematikers am faschistischen Missbrauch der Wissenschaft, in: NTM Schriftenreihe Geschichte, Naturwissenschaft, Technik, Medizin 21 (1984) Heft 1, 17–32. 221 Zur Struktur der SS vgl. u. a. Heinz Höhne: Der Orden unter dem Totenkopf. Die Geschichte der SS, Gütersloh 1967. 222 Kurt Mehner (Hg): Die Waffen-SS und Polizei 1939–1945, Norderstedt 1995; Ludwig: Technik und Ingenieure, 437–513 (Kapitel „Die SS in der Rüstung“).
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sollte ursprünglich als Konzentrationslager der SS genutzt werden. Die zuständigen SS-Führer hatten sich jedoch bereits anderweitig bedient. Schwab konnte also den Geländezuschlag problemlos erhalten. Er übernahm zusätzlich im SS-Führungshauptamt das Amt VIII, „Technisches Amt“, und verlegte es sogleich nach Glau. Eine der Untergliederungen des „Technischen Amtes“ war „Forschung, Entwicklung, Patente (FEP)“, das sich mit waffentechnischen Fragen befasste und unter Schwabs Führung die Erforschung und Entwicklung neuer Waffensystem vorantreiben sollte.223 Die Berufung von Otto Schwab und seine nachfolgende steile Karriere bei der SS – immerhin wurde er zuletzt Generalleutnant der Waffen-SS – kamen nicht von ungefähr. Der Physiker hatte von 1908 bis 1914 die Technische Hochschule Berlin absolviert und am Ersten Weltkrieg teilgenommen. Zuletzt war er Artillerie-Lehrer an der „Artillerie-Meßschule“ in Wahn bei Köln. Dort wurde er 1919 als Leutnant der Reserve entlassen. Danach gründete er ein eigenes Ingenieurbüro in Geiss-Nidda/Oberhessen und befasste sich mit wissenschaftlichen Arbeiten zur Wehrtechnik, vor allem auf dem Gebiet des Schallmesswesens. Er entwickelte verschiedene neuartige Messschießverfahren, die er ab 1923 wiederholt der Reichswehr vorführte und die deren Zustimmung fanden. Sie wurden sofort als „geheim“ von der Truppe übernommen. Weitere zivile Teilnahmen an Reichswehrmanövern ergaben neue Ideen, die in Patenten mündeten und auch eine finanzielle Anerkennung durch das Militär brachten. Zahlreiche Veröffentlichungen Schwabs befassten sich mit Schallmessthemen und waren die Grundlage für sein 1928 herausgekommenes Buch „Ingenieur und Soldat“. Es erschien 1942 in einer erweiterten zweiten Auflage, wozu Jüttner die Genehmigung erteilt hatte. Schon ab 1929 warb Schwab öffentlich für die NSDAP, half beim Aufbau der SA, unterstützte die Gauleitung Hessen wehrpolitisch und übernahm schließlich 1933 das Wehramt des NSDStB. Gleichzeitig wurde er „Referent für angewandte Wehrwissenschaft und Wehrtechnik im Wehrpolitischen Amt der NSDAP“. Ende 1933 promovierte er an der TH Dresden mit dem Thema „Das Licht- und Schallmessverfahren im Kriege“ zum Dr.-Ing. Gleichzeitig nahm er an der TH Berlin eine wissenschaftliche Lehrtätigkeit im Fach „Physikalisches Fernmesswesen“ auf. Zur Promotionsschrift gibt es den Aktenvermerk: „Die Dissertation wird nicht veröffentlicht“. Es handelt es sich also um eine geheime Arbeit. Nicht nur die Reichswehr, auch der Reichsminister des Inneren wusste die Verdienste Schwabs um die „Wehrerziehung an den deutschen Hochschulen“ zu schätzen, die er „entscheidend beeinflusste“. Unter den mehr als 30 Patentschriften Schwabs befinden sich auch solche zu „automatischen Kleinfluggeräten“ und zur „Entwicklung des URGerätes“ (UR = Ultrarot*). Offenkundig schätzte Himmler den wissenschaftlichtechnischen Sachverstand seines neuen Untergebenen Schwab so sehr, dass er ihn als seinen ständigen Vertreter in den 1942 gebildeten Präsidialrat des RFR schickte. Im SS-Führungshauptamt galt Schwab bald als „einer der verdienstvoll-
223 Günter Nagel: Die Friedensstadt von Glau. Zur Geschichte eines märkischen Dorfes, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 55 (2004), S. 227–241.
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sten Mitarbeiter“, der deshalb zur Auszeichnung mit dem „Deutschen Kreuz in Silber“ vorgeschlagen wurde.224 Auf Grund des von Himmler geäußerten Wunsches, Schwab als seinen ständigen Vertreter im RFR zu bestätigen, entspann sich eine kurze Kontroverse zwischen Himmler und Mentzel. Himmler begründete seinen Vorschlag damit, dass er Schwab eine Tätigkeit in der SS angeboten habe, weil er „als Erfinder eines Schießverfahrens hervorgetreten“ sei und in Glau an wissenschaftlichen Entwicklungen für das SS-Waffenamt arbeite. Mentzel hielt dem entgegen, er habe Bedenken, weil Schwab nicht über einen „eingespielten Apparat“ verfüge, wissenschaftlich durch seine Orientierung auf die Technik sehr einseitig und als Person etwas schwierig sei. Er, Mentzel, ziehe deshalb Kammler vor, und als dessen Vertreter Prof. Dr. Willing, der bei Kammler „bereits die Forschungsabteilung leitet“. Letztlich setzte sich jedoch Himmler durch.225 Die Bekanntschaft Schumann – Schwab dürfte weit zurückreichen. Beide beschäftigten sich seit langem mit Schallmessungen und unterhielten zu diesem Zweck viele Kontakte zu Schallmess- und Fliegerabwehrreferaten des Heeres. Dazu kam, dass Schumanns II. Physikalisches Institut dieser Thematik starke Beachtung schenkte. Für die Behauptung des SD-Mannes Helmut Fischer (vgl. unten S. 106 f.), wonach um 1933/34 Schumann, ebenfalls wie Schwab, im Wehrpolitischen Amt der NSDAP unter General Ritter von Epp tätig gewesen sein soll, konnten Belege gefunden werden (vgl. Kapitel 22).226 Die zweifellos beidseitig gesuchte und geschätzte Zusammenarbeit wurde noch dadurch begünstigt, dass sowohl Schumann als auch Schwab zur Forschungsstrategie auf waffentechnischen Gebieten sehr ähnliche Ziele verfolgten. Konkrete Projekte, an denen sich beide bzw. Mitarbeiter der ihnen unterstellten Einrichtungen beteiligten, waren u. a. die Arbeiten zum „N-Stoff“ sowie zum Komplex „Ultra-Rot“ (vgl. Kapitel 14 und 15). Auch bei den Forschungen zu biologischen Waffen saßen Schumann bzw. seine Mitarbeiter mit den Vertretern der SS zusammen an einem Tisch (vgl. Kapitel 16).
224 Angaben zu Schwab vor allem nach: BAB, BDC SSO und PK 120 B; Kritzinger, Stuhlmann: Artillerie und Ballistik, 289; Mitteilung des UA der TU Dresden 2005 zur Promotion Schwabs. Schwab hielt am 24. November 1942 und 30. August 1944 zwei Referate in der Munitionskommission bzw. der Panzerkommission des Speer-Ministeriums. Darin hob er hervor, dass „artilleristische Kampfmittel“ nie vollständig in der Lage sind, an allen Teilen einer Front Panzermassierungen zu zerschlagen. Auch eine Verminung könne das Problem nicht lösen. Geeignete Waffen seien hingegen die „Panzerfaust“ bzw. der „Panzerschreck“, deren Vervollkommnung und massenhafte Produktion zwecks Ausrüstung aller Einzelkämpfer den Erfolg bringen könne. Es handele sich deshalb um eine „Schwerpunktwaffe der gesamten Kriegsführung“. Die Entwicklung motorisierter Panzerjäger ergänze sie wirksam. Vorrang habe aber gegenwärtig die Panzerfaust, die millionenfach hergestellt werden müsse. BAB, NS 19/3912; vgl. auch: Waffenrevue 43 (1981), 6868–6874. 225 Schriftwechsel zwischen Himmler und Mentzel im Januar 1943, BAB, R 26 III/437 b. 226 Fischer: Hitlers Apparat, 44. Von der Verbindung Schumanns zu Schall- und Fliegerabwehrreferaten berichtet auch Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129). Vgl. auch Walter Baum: Die Reichswehr und das wehrpolitische Amt der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, in: Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 131 (1965), 345–351.
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Die unzureichenden materiell-technischen Möglichkeiten in Glau für SS-eigene Forschungen und Entwicklungen versuchte Schwab dadurch auszugleichen, dass er seine „Forscher“ in andere Gremien delegierte oder sie nach Kummersdorf schickte. Mit den dortigen Vorrausetzungen, sowohl der Heeresversuchsstelle Kummersdorf, als auch der Vers. Gottow, war er gut vertraut. Ein Beispiel für die Zusammenarbeit mit der Vers. Gottow sind die dort Anfang 1945 von der SS durchgeführten Schiessversuche. Sie dienten der Erprobung einer neuartigen Infanterie-Munition, genannt „Doppel-Geschoß“. Die Idee des „D-Geschoßes“ bestand darin, in die gebräuchliche Munition für den Karabiner 98 K sowie die MG 34 und 42 anstelle nur eines Geschosses in einer Patronenhülse zwei Geschosse hintereinander anzuordnen. Die ersten Versuche mit dieser ungewöhnlichen „Füllung“ verliefen positiv und führten zu dem Entschluss, „dass diese neuartige Munition schnellstens zum Fronteinsatz gebracht werden muß“. Schwab wies deshalb an, zwecks Aufnahme einer Massenfertigung unverzüglich mit der Firma „Finower Industrie G.m.b.H., Werk Finow“ die notwendigen Maßnahmen abzustimmen. Mit der neu zu produzierenden Sondermunition sollten SS-Sturmverbände ausgerüstet werden. Mitte März 1945 nahm die SS zusätzlich die Verbindung zur Firma Wasag auf, die gebeten wurde, für das „D-Geschoß“ geeignete Pulversorten zu liefern.227 In dem Maße, wie die SS in den letzten Kriegsjahren auf Drängen Himmlers mehr und mehr Einfluss auf die Rüstung gewann und dieser seine SS immer stärker in die Waffenforschung hineintrieb, wuchsen auch die Aktivitäten von Schwab. Immer häufiger waren etliche für ihn tätige Wissenschaftler bei wichtigen Beratungen präsent. Beispielsweise fand am 29. September 1943 in Braunschweig eine Tagung des Bevollmächtigten für Strahlantrieb, Prof. Dr. Ernst Schmidt, statt. Daran nahmen auch teil: Schwab, SS-Obersturmführer Rolf Engel, der ein Fachreferat hielt, sowie Dr. habil. Uwe Timm Bödewadt. Der Mathematiker Bödewadt (*1911) hatte sich 1939 an der Universität Göttingen habilitiert und führte seit 1940 für die Luftwaffe „kriegswichtige Berechnungen“ an der Sternwarte Babelsberg durch. 1943 arbeitete er auf seinem Gebiet in der SS-Versuchsanstalt Großendorf „Geräteentwicklung Danzig GmbH“, die Engel leitete. Ab 1933 war Bödewadt Mitglied der NSDAP.228 Wesentlich problematischer als die Kontakte zur Waffen-SS entwickelten sich die Beziehungen zwischen WaF und dem Reichssicherheitshauptamt mit dem ihm unterstellten Sicherheitsdienst (SD). Diese 1933 gegründete Sondereinheit der SS – in Wahrheit der Geheimdienst der SS – war gegliedert in zwei große Bereiche, den Auslandsnachrichtendienst (SD-Ausland) unter SS-Brigadeführer Schellen227 Entwicklung „Infanterie D-Geschoss“, BAB, NS 33/169. 228 BAB, R 26/III/212, BDC zu Bödewadt, DS A 007, R 4901/1442. Rolf Engel, zuletzt SS-Hauptsturmführer, galt als Raketenfachmann der SS und leitete die SS-Raketenforschungsstelle Großendorf. Während des Krieges reichte er im Ergebnis seiner theoretischen Arbeiten bei Prof. Pohlhausen, TH Danzig, eine Dissertationsschrift ein, die jedoch nicht mehr zur Annahme kam. Vgl. Hartmut Petzold: Rechnende Maschinen. Eine historische Untersuchung ihrer Herstellung vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik, Düsseldorf 1985 (= Technikgeschichte in Einzeldarstellungen, 41), 75.
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berg sowie die „Deutschen Lebensgebiete“ (SD-Inland bzw. Amt III im RSHA). Chef dieses Amtes war SS-Brigadeführer Otto Ohlendorf, der 1951 wegen seiner Tätigkeit als Chef der Einsatzgruppe D im Gefängnis Landsberg gehängt wurde. Die Einsatzgruppe D hatte vom Juni 1941 bis Juli 1942 in der Sowjetunion mehr als 90.000 Menschen ermordet. Aufgabe von SD-Inland war die geheimdienstliche Überwachung der inneren Vorgänge in Nazi-Deutschland. Dementsprechend richteten sich im Amt III wachsame Augen auf WaF und ihre Forschungsstellen in Kummersdorf. Über die Bedeutung dieser Einrichtungen und die dort durchgeführten Arbeiten waren die SDMitarbeiter bestens im Bilde. Unmittelbar zuständig für den Bereich Wissenschaft war das Referat III C 1, dessen Leitung Dr. Helmut Fischer (1911–1987) innehatte. Der Mathematiker hatte in Heidelberg studiert, dort 1933 seine Dissertation und 1937 seine Habilitationsschrift vorgelegt. Bereits zum Zeitpunkt seiner ersten Graduierung stand er mit dem SD in Beziehung und nahm schließlich eine hauptamtliche Tätigkeit im RSHA auf. Bei seiner Überwachung der gesamten naturwissenschaftlichen Forschung bediente er sich vor allem der Methode, „mit einzelnen Amtsträgern wichtiger Schaltstellen in Wissenschaft und Technik die aktuellen Probleme vertrauensvoll“ durchzusprechen. Das galt ebenso für zahlreiche Wissenschaftler, die für WaF tätig waren und mit denen sich Fischer „beriet“.229 Auch Fischers Vorgesetzter, SS-Sturmbannführer Dr. Wilhelm Spengler (*1907), Leiter der Abteilung C III, interessierte sich stark für die Forschungen in Schumanns Verantwortungsbereich. Regelmäßig ließ er sich darüber von Fischer unterrichten. Für besonders wichtig hielten beide die Mitte 1939 begonnen Atomversuche in der Vers. Gottow (vgl. Kapitel 9). Daher kannte Fischer die Vers. Gottow recht gut. Mehrmals besuchte er mit Spengler die Einrichtungen der Heeresversuchsstelle Kummersdorf. Einen der dortigen Aufenthalte hat Fischer nach 1945 detailliert beschrieben. Trotz der Vorbehalte gegenüber dem Quellenwert von Fischers Berichten (vgl. Anm. 229), soll er hier wieder gegeben werden: „Einige Wochen später [nach den Ereignissen des 20. Juli 1944, G. N.] wurden Spengler und ich von General Schneider zu einer Vorführung auf den Schießplatz Kummersdorf eingeladen … Wir waren dann dabei, als Schneider mit den zuständigen Sachbearbeitern seiner Amtsgruppe über die Fortschritte der Panzerentwicklung sprach und auch einige der neuesten Modelle vorführen ließ. Die deutschen Panzer trugen den Namen von Raubtieren, und damals ging es vor allem um eine Verbesserung des bewährten ‚Tiger‘, die unter dem Namen ‚Kö229 Das Amt III war gegliedert in die vier Gruppen: III A (Recht und Verwaltung), III B (Volkstum und Volksgesundheit), III C (Kultur) und III D (Wirtschaft). Diese wiederum waren strukturiert in Abteilungen und Referate, z. B. III C in die Referate 1 (Wissenschaft), 2 (Erziehung), 3 (Kunst) und 4 (Presse, Rundfunk, Schrifttum), vgl. Joachim Lerchenmüller, Gerd Simon: Masken-Wechsel. Wie der SS-Hauptsturmführer Schneider zum BRD-Hochschulrektor Schwerte wurde und andere Geschichten über die Wendigkeit deutscher Wissenschaft im 20. Jahrhundert. Tübingen 1999, 88 f. Helmut Fischer hat in verschiedenen Publikationen über seine Tätigkeit bei der SS sowie über den Wissenschaftsbetrieb im NS-System berichtet (Fischer: Erinnerungen). Als Quelle ist Fischer mit Vorsicht zu benutzen. Verschiedene seiner Angaben sind sehr subjektiv oder durch Archivdokumente relativiert bzw. widerlegt. Von einer ernsthaften, selbstkritischen Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit ist in seinen Schriften nichts zu finden.
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nigstiger‘ lief. Die Panzerentwicklung, bei der Deutschland einen recht guten Stand hatte, musste ständig Schritt halten mit den Erfahrungen und Bedürfnissen der kämpfenden Truppe. Und die Technik hatte sich mit den im Widerstreit miteinander liegenden Wünschen nach besserer Feuerkraft und besserer Panzerung einerseits und besserer Beweglichkeit und besserer Geschwindigkeit andererseits auseinanderzusetzen. Dabei waren beachtliche Fortschritte erzielt worden. So konnte der Schutz der Panzerbesatzung erhöht werden ohne Vermehrung des Gesamtgewichts durch Verwendung von Panzerplatten, die aus mehreren Schichten bestanden, oder durch schräge Anordnung der gepanzerten Flächen, so dass an ihnen die auftreffenden Geschosse zur Seite abgelenkt oder die Wucht des Aufpralls wesentlich gemindert wurde … Die interessanteste Vorführung dieses Tages galt aber dem krummen Lauf an Schusswaffen. Es erfolgte zunächst ein Probeschießen mit Gewehren, bei denen der obere Teil des Laufes in einem Viertelkreis gebogen war, so dass sich die Laufrichtung um einen Winkel von 90 Grad veränderte. Da hier das übliche Zielen mit Kimme und Korn nicht möglich war musste ein aufgesetzter Spiegel die Änderung der Laufrichtung ausgleichen. Die Ergebnisse des Schießens mit normaler Munition waren erstaunlich und ermutigend … Dagegen konnte der krumme Lauf eine geniale Verbesserung für die Panzerwaffe darstellen und ihr ein schnelles Rundum-Feuer ermöglichen. Wenn nämlich ein Panzergeschütz plötzlich in eine andere Richtung schießen sollte, dann musste erst die schwere Panzerkuppel in die neue Richtung gedreht werden, oder der Panzer musste seinen Standort verlassen und einen Bogen fahren. In Kummersdorf hatte man daher ein Maschinengewehr größeren Kalibers, ein Panzerabwehrgeschütz, mit dem krummen Lauf ausgestattet … Auch diese ersten Versuche mit dem krummen Lauf an einem Panzerabwehrgeschütz ließen sich erstaunlich gut an. Zwischen den Vorführungen lud uns Schneider zum Mittagessen ins Kasino des Schießplatzes ein, und dort saßen wir mit einigen weiteren Mitarbeitern des Heereswaffenamtes um einen großen runden Tisch zusammen. Im Anschluss daran zeigte uns Schneider das Gästebuch des Schießplatzes, indem sich über viele Jahrzehnte hinweg berühmte Gäste eingetragen hatten, darunter Kaiser Wilhelm II, Moltke, Roon und Bismarck. Wir sollten uns dann ebenfalls dort verewigen …. Schneider meinte, es sei das erste Mal, dass Vertreter der SS den HeeresSchießplatz besucht hätten …, so war dann fortan unter der Unterschrift von Schneider und Spengler auch mein Name in dem historischen Gästebuch zu lesen. Diese Begebenheit erlaubte allerdings auch die ärgerliche Schlussfolgerung, dass sich von der Waffen-SS noch niemand in Kummersdorf hatte blicken lassen.“230
Eine der Aufgaben Spenglers war die Einschätzung der Zuverlässigkeit maßgeblicher Angehöriger des RFR. Während seine Urteile beispielsweise zu Esau, Gerlach oder Thiessen durchweg positiv ausfielen, klang es in Sachen Schumann ganz anders: „Professor Schumann ist weder als Wissenschaftler noch als Bevollmächtigter [für Sprengstoffphysik] geeignet. Der Reichsführer-SS hat sich eindeutig gegen ihn ausgesprochen. In politisch-weltanschaulicher Sicht Hinsicht gilt er als fragwürdig, charakterlich ist er abzulehnen.“ An anderer Stelle befand Spengler: „Prof. Schumann, als Bevollmächtigter für Sprengstoffphysik, muß m. E. aus dieser Stellung infolge seines Versagens ausscheiden“.231 Fischer, der offenkundig Schumann überhaupt nicht mochte, schlug gleiche Töne an:
230 Fischer: Erinnerungen, Bd. II, 90–93. Mit seiner Bemerkung, dass sich bis zum August 1944 „von der Waffen-SS noch niemand in Kummersdorf hat blicken lassen“, irrt Fischer. Schwab war dort öfters bei Vorführungen anwesend. 231 Spengler am 21. August 1944 an Osenberg, BAB, R 26 III/112, Bl. 54, 189. Eine ausführliche Untersuchung zur Rolle Ohlendorfs und Spenglers bei der SS liegt vor durch Wildt: Generation.
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I. Organisation „Schumann war eine schillernde Persönlichkeit. Er war gescheit, und mit seinem wachsamen Geist konnte er rasch eine Lage übersehen und Menschen daraufhin einschätzen, wie sie ihm nützlich sein konnten. Aber er war ein Blender, wenn nicht ein Scharlatan. Er beeindruckte, wenn er neue Gedankengänge entwickelte und die Bedeutung der künftigen Erfolge ausmalte. Aber dann fehlten ihm die erforderliche Gründlichkeit, Geduld und Ausdauer, um seine Gedanken in die Tat umzusetzen. Was nicht rasch genug zum Erfolg führte, ließ er wie eine heiße Kartoffel fallen und widmete sich anderen Vorhaben, die Erfolg versprechender schienen.“232
Bei solchen abwertenden Urteilen kann es kaum verwundern, dass Spengler und Fischer recht argwöhnisch jede Bestrebung Schumanns registrierten, sich bei der SS-Führung in ein günstiges Licht zu setzen. Eine solche Aktivität war angeblich eine Einladung Schumanns an die SS zur Besichtigung seines II. Physikalischen Instituts. Zum Verlauf dieses Ereignisses notierte Fischer: „Schumann mußte also seine Stellung absichern, und das wollte er bei der SS. So schrieb er kurzerhand an Kaltenbrunner und lud den Chef der Sicherheitspolizei des SD zu einer Besichtigung seines Instituts … und anschließender Erörterung wehrwichtiger Fragen ein. Kaltenbrunner wollte nicht hingehen, machte aber ein Rundschreiben an seine Amtschefs und stellte ihnen anheim, selbst oder durch einen Referenten die Einladung wahrzunehmen und über den Besuch an ihn zu berichten. Für das Amt III machte er den Zusatz: ‚Es soll der Referent teilnehmen, der den Bericht über Bohr gemacht hat.‘ Ich nahm das mit Genugtuung zur Kenntnis, weil mein erster Bericht im Hauptamt offenbar so gut angekommen war, aber auch weil mich Schumanns Institut begreiflicherweise sehr interessieren musste. So sammelten sich dann zur festgesetzten Zeit die von den einzelnen Ämtern entsandten Sachbearbeiter, nur der Amtschef V, der oberste Chef der Kriminalpolizei, SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Polizei Arthur Nebe, war persönlich erschienen. Schumann empfing uns alle überaus freundlich, hielt einen kleineren Vortrag über die bei ihm bearbeiteten wehrtechnischen Fragen, führte uns dann durch die Räume und gab an Hand von Apparaturen und Schaubildern weitere Erläuterungen. Dabei ging es etwa um die Konstruktion von so genannten Hohlladungen, die als panzerbrechende Geschosse Verwendung fanden; sie waren so konstruiert, dass sich die bei der Verbrennung linsenförmig angeordneter Pulvermassen gebildeten Verbrennungsgase möglichst konzentrisch auf einen Brennpunkt richteten. Was Schumann vortrug, war für mich nicht weiter aufregend. Als er beinahe fertig war, erschien ‚zufällig‘ Mentzel in der Uniform eines SS-Brigadeführers, um mit seinem Freund Schumann etwas zu besprechen, und so ergab sich noch eine Nachsitzung, bei der schließlich reichlich Cognac aus den Bechergläsern des Laboratoriums getrunken wurde. Das behagte mir weniger, aber wir waren ja als Abordnung gekommen und mussten geschlossen wieder gehen, und dazu konnte nur Nebe als Ranghöchster den Anstoß geben. Dem aber schien das Ganze gut zu gefallen. Danach machte ich meinen Bericht an Kaltenbrunner und vergaß nicht, den ganzen Hintergrund des Wirkens von Schumann und Mentzel zu beleuchten. Und ich riet, keine weiteren Verbindungen mit Schumann aufzunehmen, sondern auf Abstand bedacht zu sein. Und in der Tat war der Anbiederungsversuch Schumanns bei Kaltenbrunner und der SS damit gründlich fehlgeschlagen.“233
232 Fischer: Erinnerungen, Bd. I, 126. 233 Ebd., Bd. II, 9–11. SS-Gruppenführer Nebe war bei der Sicherheitspolizei (Sipo) bis 1944 zuständig für das „Verbrechensbekämpfung“ (Kriminalpolizei) und verwickelt in die Ereignisse des Attentates auf Hitler vom 20. Juli 1944.
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Ungeachtet des dringlichen Rates Fischers, mit Schumann keine weiteren Verbindungen zu pflegen, entstand 1944 dennoch eine andere, direkte Zusammenarbeit, diesmal zwischen WaF bzw. OKW W Wiss und dem Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS, geführt von SS-Obergruppenführer Oswald Pohl. Ihm unterstanden u. a. die Konzentrationslager sowie die überaus zahlreichen Wirtschaftsunternehmen der SS.234 Dieser Entwicklung, wodurch WaF bzw. OKW W Wiss in eine fatale Nähe zum Missbrauch von Häftlingen und den Verbrechen der SS an ihnen geriet, lag folgendes zugrunde: Die ständige qualitative und quantitative Zunahme von Grundlagenproblemen die bei WaF zur Diskussion standen, brachte einen enormen Bedarf an mathematischen Berechnungen aller Art mit sich. Die Forschungsabteilung versuchte, diesen Engpass, an dem auch andere Forschungseinrichtungen spürbar litten, durch Aufträge an führende Mathematiker des Reiches zu kompensieren. Beispielsweise erteilte Haeuseler, Mitarbeiter im Referat I c, im Zusammenhang mit einem Forschungsvorhaben (vgl. Kapitel 13) im März 1944 Prof. Dr. Karl Strubecker, Leiter des Mathematischen Instituts der Reichsuniversität Straßburg, einem Geheimauftrag „Mathematisch-thermodynamische Berechnungen nach besonderen Angaben“. Im Juni 1944 wurde dieser Auftrag erneuert und zusätzlich Dr. Hilgert vom Straßburger Institut einbezogen.235 Dass die mathematischen Probleme WaF mehr und mehr zu schaffen machten, zeigen auch Anforderungen von Basche an Mentzel, ihm doch neue mathematische Arbeiten zu übersenden, die im Auftrag des RFR an Universitäten und Hochschulen entstanden waren.236 Eine andere Maßnahme bestand darin, die Forschungsmannschaft von WaF in den Kummersdorfer Einrichtungen durch befähigte Kräfte zu verstärken. Klose, der als Mathematiker selbst zahlreiche Berechnungen für WaF vornahm, empfahl einen seiner Schüler zur Dienstverpflichtung. Es war dies Karl-Heinz Boseck (*1915), der ab 1937 an der Universität Berlin Mathematik studierte und seit 1937 wissenschaftlicher Hilfsarbeiter am Mathematischen Institut war. 1940 bekam er – noch ohne Promotion – vertretungsweise eine Assistentenstelle. Eine der Aufgaben, die Klose an Mohr (vgl. unten S. 113 f.) weitergab, war – zusammen mit „E. Mohr“ (!) – das Korrekturlesen für das Buch von Vahlen „Ballistik“.237 Ende 1944 legte Boseck eine Abhandlung vor: „Untersuchungen zur Außenballistik von Spezialgeschossen“. Spezialgeschoss war die damals bei WaF übliche Tarnbe-
234 Vgl. u. a. Walter Naasner: SS-Wirtschaft und SS-Verwaltung. Das SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt und die unter seiner Dienstaufsicht stehenden wirtschaftlichen Unternehmungen und weitere Dokumente, Düsseldorf 1998 (= Schriften des Bundesarchivs, 45a); Enno Georg: Die wirtschaftlichen Unternehmungen der SS, Stuttgart 1963 (= Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 7). 235 Aufstellungen über Forschungsthemen, Forscher und Institutionen, BAB, R 26 III/17, Bl. 32 f. 236 Basche am 9. Dezember 1944 an Mentzel „Anforderung von Berichten“. Unter den von Basche angeforderten mathematischen Arbeiten befanden sich z. B. Untersuchungen von den Professoren Rellich (TH Dresden), Cremer (TH Breslau), Iglisch (TH Braunschweig) und Bol (Uni Greifswald), BAB, R 26 III/4, Bl. 95. 237 Theodor Vahlen: Ballistik, 2. Auflage, neu bearbeitet und herausgegeben unter Mitwirkung von Alfred Klose, Berlin 1942 (Vorwort).
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zeichnung für Raketen. Schumann, der zusammen mit Klose Gutachter war, sorgte dafür, dass diese Schrift zur „Geheimen Reichssache“ erklärt und gleichzeitig als „Diplom-Hauptprüfung für Mathematik“ anerkannt wurde.238 Anfang 1943 stellte WaF den Antrag, Boseck auf Kriegsdauer für das HWA zu verpflichten und ihm gleichzeitig eine feste Assistentenstelle an der Universität zu zubilligen. Lange konnte sich WaF jedoch an diesem neuen Mitarbeiter nicht erfreuen. Am 21. August 1944 schrieb nämlich Sievers vom RFR – diesmal in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der SS-Stiftung „Ahnenerbe“, die dem Persönlichen Stab des Reichsführers-SS unterstellt war – an Schumann und Klose. Er bat darum, Boseck, „da er Mathematiker ist und außerdem durch seine langjährige [ehrenamtliche] Mitarbeit beim Reichssicherheitshauptamt sich als geeignet erwiesen hat“, der SS für eine neue Aufgabe zur Verfügung zu stellen.239 Schumann ließ sich nicht lange bitten und gab Boseck frei. Schon im Oktober 1944 teilte der Persönliche Stab des Reichsführers-SS der Universität Berlin mit, dass Boseck mit Wirkung vom 1. Oktober 1944 zur Waffen-SS einberufen sei. In dem Schreiben heißt es u. a.: „Dipl. Math. Karl-Heinz Boseck ist als Angehöriger der Stabsabteilung der Waffen-SS beim Persönlichen Stab RF-SS und SS-Untersturmführer (F) mit der Leitung der mathematischen Abteilung des Instituts für wehrwissenschaftliche Zweckforschung beauftragt worden und führt als solche nach den Weisungen der hiesigen Dienststelle besonders kriegswichtige Aufträge durch.“240
Diesen überraschenden Schritten der SS lagen folgende Aktivitäten zugrunde: Himmler – so jedenfalls die Lesart Fischers – sei in der ersten Hälfte des Jahres 1944 bei einem Rundgang durch Konzentrationslager in Südosteuropa aufgefallen, dass sich viele Angehörige der Intelligenz in den Lagern befänden. Diese Gefangenen müsse man sinnvoll beschäftigen. Er erwarte deshalb Vorschläge, wie dies geschehen könne. Einen entsprechenden Auftrag habe schließlich Fischer erhalten. Der SD-Mann notierte dazu in seinen „Erinnerungen“ u. a. folgendes: „Und dann fand ich auch eine Lösung, die mir annehmbar schien. Ich schlug vor ein mathematisches Recheninstitut zu gründen und darin Häftlinge arbeiten zu lassen. Hier konnten langwierige Rechenarbeiten, die im Zusammenhang mit irgendwelchen kriegswichtigen Forschungen anfielen und dringend der Erledigung harrten, ausgeführten werden. Man brauchte nur eine Reihe von Rechenmaschinen und Logarithmentafeln. Die Aufgaben selbst waren Hilfsarbeiten für andere Vorhaben, und die beteiligten Rechner erfuhren nicht, wofür die Ergebnisse ihrer Arbeit benutzt wurden. Auch die Kontrolle der Rechenarbeiten war nicht schwierig. Man brauchte nur zwei getrennte Arbeitsgruppen mit derselben Aufgabe zu beschäftigen und dann die beiden Ergebnisse miteinander zu vergleichen. Ein Recheninstitut hatte auch den Vorteil, daß man zahlreiche Fachleute wie Physiker, Chemiker und Ingenieure aller Art darin beschäftigen konnte, denn einige Erfahrungen im Umgang mit Rechenmaschinen, Rechenschiebern oder Logarithmentafeln mußten sie alle haben … 238 Mitteilung von OKW W Wiss vom 18. Dezember 1944 an das REM zur Einstufung der Arbeit von Boseck als „Geheime Reichssache“, BAB, R 4901/12850, Bl. 253 f. 239 Schreiben Sievers’ vom 21. August 1944 an Schumann und Klose, BAB, R 26 III/200 „Recheninstitut“. Zum „Ahnenerbe“ vgl. Kater: Das „Ahnenerbe“ der SS; Schleiermacher: SSStiftung, 70 ff. 240 Personalakte Boseck, AHUB, Nr. 349.
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Mein Vorschlag, ein Recheninstitut zu gründen, wurde von meinen Vorgesetzten gutgeheißen und Himmler zugeleitet. Er fand auch Himmlers Zustimmung, und dann beauftragte er das ‚Ahnenerbe‘ mit der Verwirklichung. Dieser Auftrag brachte das Ahnenerbe in einige Verlegenheit, und daher erschien der Geschäftsführer dieser Einrichtung, Standartenführer Sievers, bei Spengler und erbat unsere Mithilfe.“ [Fischer beschreibt nachfolgend, wie er in Sachsenhausen aus 70 dort zusammengeführten Häftlingen etwa 30 Personen auswählte.]241
Die zum „Recheninstitut KZ Sachsenhausen“ überlieferten Dokumente widersprechen z. T. Fischers Darstellungen bzw. ergänzen sie in wichtigen Details. Danach wies Himmler in seinem Schreiben vom 25. Mai 1944 an Pohl darauf hin, dass die „wertvolle Anregung zu diesem Gesamtkomplex“ von SS-Oberführer Koppe stamme. Als Verantwortlichen für das Projekt bestimmte Himmler den SS-Obergruppenführer Pohl; die wissenschaftliche Leitung übertrug er SS-Oberführer Wüst, Chef des „Ahnenerbe“. Als dessen Stellvertreter wurde Sievers benannt. Die Einzelheiten regelte eine Vereinbarung zwischen Koppe und Pohl. Sie sah u. a. vor, dass eine Finanzierung aus Mitteln des RFR erfolgt. Mentzel hatte dies sicherzustellen. Ein weiterer Punkt bestimmte: „Die kriegswichtigen Forschungsaufgaben werden entweder von Seiten des Reichsführers-SS, des Reichsforschungsrates oder durch das OKW, Abteilung Wissenschaft, Ministerialrat Schumann gestellt, in deren Auftrag die Bearbeitung der Probleme zu erfolgen hat.“ RFR bzw. OKW sollten die Wissenschaftler benennen, welche die einzelnen Forschungsaufgaben betreuen und unter deren Leitung die Häftlinge zu arbeiten hatten. Pohl und Koppe legten zugleich fest, dass in diesem Zusammenhang auch der Einsatz von „Dr. Hans Paul Müller und KVR Pietsch“ zu erfolgen habe (vgl. Kapitel 4) bzw. SS-Hauptsturmführer Prof. Dr.-Ing. Willing federführend wirksam wird.242 Jetzt ging Sievers ans Werk und klärte die Einzelheiten: Am 13. Juli 1944 hatte er eine Unterredung mit Fischer im RSHA, der sogleich den Namen Boseck ins Gespräch brachte, weil „der früher bereits zeitweise bei R.S.H.A./III c halbtägig mitgearbeitet hat“, genauer seit August 1939. Fischer schlug vor, zusätzlich außer Mathematikern auch Physiker und Chemiker unter KZ-Insassen zu suchen. Anschließend sprach Sievers mit Boseck, der sofort seine Zusage gab, jedoch darum bat, von der SS übernommen und als „Fachführer“ eingestellt zu werden. Am 25. Juli 1944 reiste Sievers ins KZ Sachsenhausen, um mit zwei SS-Männern vor Ort Details zu entscheiden. Am darauf folgenden Tag hatte Sievers eine gemeinsame Unterredung mit Fischer und Prof. Dr. Walther von der TH Darmstadt. Walther begrüßte das Vorhaben. Er wies auf die „sehr wichtigen Tabellierungsarbeiten“ hin, die im Recheninstitut gelöst werden könnten, um Kapazitäten für die Berechnung von „Geschossbahn-Geschwindigkeiten“ frei zu bekommen. Dafür würden allerdings Rechenmaschinen benötigt. Boseck könne zur Einarbeitung 14 Tage nach Darmstadt kommen.243 Inzwischen hatte Boseck sein Examen bestan241 Fischer: Erinnerungen, Bd. II, 99 f. 242 Die hier erwähnten Dokumente (Briefe Himmlers an Pohl, Gerlach und Sievers) sind wiedergegeben bei León Poliakow, Joseph Wulf: Das Dritte Reich und seine Denker, Berlin/Wien 1983, 319–325. 243 BAB, BDC zu Boseck, Bl. 93–96
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den, meldete dies Sievers und empfahl ihm als eine taktische Variante: In dem an Schumann zu richtenden Schreiben solle erwähnt werden, „daß Boseck aus der Abteilung Schumann hervorgegangen sei und es würde deshalb Professor Schumann sicher interessieren, wenn Boseck nunmehr die Arbeiten in größerem Rahmen und mit größeren Mitteln fortführen könne“.244 Von der beabsichtigten Gründung des KZ-Recheninstituts erhielt der Bevollmächtigte für Kernphysik, Gerlach, am 21. August 1944 Kenntnis durch Sievers. Dieser wies auch darauf hin, dass mit Walther von der TH Darmstadt, Institut für praktische Physik, „eine enge Zusammenarbeit vorgesehen ist“. Die erforderliche Ausstattung des Recheninstituts habe Graue von der KWSt in die Wege zu leiten. In seinem Antwortschreiben begrüßte Gerlach die Institutsgründung in Sachsenhausen. Graue bekam ob der Forderungen der SS einen tüchtigen Schreck: Drei bis vier Rechenmaschinen sollte er bereitstellen! Er wusste nicht einmal, wie ein einzelnes Exemplar aufzutreiben war. Auch die anderen Posten auf der SSWunschliste waren nicht ohne und lösten bei Graue Stirnrunzeln aus. Angefordert wurden 20 siebenstellige Logarithmentafeln, zehn Tafeln trigonometrische Funktionen, andere diverse Funktionstafeln, zweimal „Der große Hajski“ (ein mathematisches Standardwerk des wissenschaftlichen Springer-Verlages), Multiplikations- und Reziproktafeln, Zeichengeräte, Rechenschieber, Planimeter, Papier usw. Zusätzlich sah sich Graue genötigt, neue DE-Stufen für die einzelnen Rechenprojekte beantragen.245 Gerlach seinerseits hatte dem Leiter des Arbeitskreises Mathematik im RFR, Prof. Dr. W. Süss, Kenntnis vom SS-Institut gegeben. Süss wandte sich an Sievers und begrüßte den Plan „sehr“. Außerdem machte er den Vorschlag, den Prager Mathematiker Prof. Mohr, der seines Wissens „wegen Abhörens ausländischer Sender vor einiger Zeit festgenommen und zur Aburteilung in ein KL eingeliefert worden sei“, zur Arbeit für dieses Institut heranzuziehen. Mohr habe doch „schöne eigene Ideen und ein stärkeres Talent gezeigt, so dass es als zweckmäßig angesehen werden kann, sein Wissen und Können trotz allem der Allgemeinheit nutzbar zu machen“.246 Bei Mohr handelte es sich um Ernst Mohr (1910–1989), der 1933 in Göttingen mit einem mathematischen Thema promoviert hatte. Danach kam er an die
244 Ebd. 245 BAB, R 26 III/200. 246 Schreiben Süss’ vom 7. September 1944 an Sievers, BAB, R 26 III/200. Im November 1944 konnte Süss, unterstützt durch die Förderung des RFR, in Oberwolfach sein „Mathematisches Reichsinstitut“ eröffnen, das vor allem kriegsrelevante Forschungsprojekte der Luftfahrtforschung bearbeitete. Über die Hintergründe und verschiedene Zusammenhänge von Mathematik, SS-Aktivitäten und die Rolle von Süss ausführlich bei Herbert Mertens: Angewandte Mathematik und Anwendung der Mathematik im nationalsozialistischen Deutschland, in: Geschichte und Gesellschaft 12 (1986), 317–347; Moritz Epple, Volker Remmert: Eine „ungeahnte Synthese zwischen reiner und angewandter Mathematik“: Kriegsrelevante mathematische Forschung in Deutschland während des Zweiten Weltkrieges, in: Kaufmann (Hg.): Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus, Bd. 1, 258–295; Remmert: Vom Umgang mit der Macht (wie Anm. 159).
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TH Breslau, wo er mehrere Jahre Mitarbeiter des Strömungsfachmannes Dr. Johannes Nikuradse war. Mohr arbeitete speziell zur Aero- und Hydrodynamik. Damit befasste sich auch seine Habilitationsschrift (1938), die die Gutachter Schmeidler und Nikuradse als einen „wertvollen Beitrag zur Prandtlschen Grenzschichttheorie“ würdigten. Im Jahr darauf wurde Mohr als Dozent an der TH, zugleich auch an der Universität Breslau bestätigt. J. Nikuradse und sein Bruder Prof. Dr. A. Nikuradse versuchten 1941 und 1942 mehrmals Mohr für den „Aufbaustab K[aukasien]“ im Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete abstellen zu lassen. Sowohl REM als auch die TH lehnten ab, da Mohr für den Lehrstuhl Mathematik an der Universität Prag vorgesehen war. Klose, der Mohr als Mathematiker gut kannte, erklärte in einem Gutachten, er „halte E. M. für einen der tüchtigsten und lebendigsten unter den jungen deutschen Mathematikern. Seine ersten Erfolge in der Wissenschaft lassen für die nahe Zukunft noch Größeres erwarten.“ Für einen Lehrstuhl für angewandte Mathematik komme er gut in Frage. Mit der neuen Aufgabe in Prag ab Ende Mai 1942 geriet Mohr in eine etwas missliche Lage. Trotz Lehrstuhltätigkeit beanspruchte ihn J. Nikuradse weiter zur Lösung strömungstechnischer Probleme und sorgte dafür, dass Mohr vom Rüstungsamt Breslau zur „Schlüsselkraft“ erklärt wurde.247 Ende März richtete Nikuradse – allerdings erfolglos – erneut die Bitte an das REM, Mohr für ihn zu beurlauben, da er ihm als „Schlüsselkraft“ zugeteilt sei. Mohr bearbeite einen Auftrag der Luftfahrtforschung zur Entwicklung einer neuen Flügelform, zudem eine „Reihe von Aufträgen des Herrn Reichsministers für die Ostgebiete“. Ferner sei er an der Ausbildung des im Osten erforderlichen Nachwuchses auf dem Gebiet der Luftfahrtforschung beteiligt. Eine indirekte Bestätigung dieser Arbeiten Mohrs ergibt sich aus einer „Kriegstagung“ vom September 1943 in Würzburg. Dabei gab es „eine der Geheimhaltung unterliegenden Sitzung maßgeblicher Mitarbeiter der Forschungsinstitute in Darmstadt (IPM), Göttingen (AVA), Braunschweig (LFA), Peenemünde (HVP) und Ainring (DFS)“. In ihrem Verlauf gab ein „ausgewählter Kreis von Hochschulmathematikern Einblicke in ihre Arbeiten“. Zu den Vortragenden gehörten Bödewadt, Mohr und Prof. Dr. Sauer, TH Aachen.248 Am 12. Mai 1944 wurde Mohr in Prag verhaftet. Grund war eine Denunziation aus dem Bekanntenkreis seiner Ehefrau zum Abhören von „Feindsendern“. Der Volksgerichtshof verurteilte Mohr am 24. Oktober 1944 zur Todesstrafe.249
247 SS-Obersturmbannführer Frenz vom Aufbaustab K. am 16. Mai 1942 an das REM, Gutachten Kloses vom 11. Mai 1942 zu Mohr, BAB, BDC, DS A 047, Bl. 880, 922 f., PK IO 120. 248 J. Nikuradse am 30. März 1943 an das REM (und Universität/Technische Hochschule Breslau), BAB, BDC DS A 047, Bl. 896 f.; Epple, Remmert: Eine „ungeahnte Synthese“ (wie Anm. 246), 277 (bei ihnen fälschlich Bödewaldt). 249 Ausführlich bei Freddy Litten: Ernst Mohr – Das Schicksal eines Mathematikers, in: Jahresbericht des Deutschen Mathematischen Vereins 98 (1996), 192–212. Dort auch Angaben zu unveröffentlichten Quellen (u. a. Prozessakten im Bundesarchiv) und Publikationen. Vgl. auch Hans Ebert: „Häftlingswissenschaftler“ im Einsatz für die SS 1944–1945. Für Prof. Ernst Mohr, in: Heinrich Begehr (Hg.): Mathematik in Berlin. Geschichte und Dokumenta-
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Von der Festnahme Mohrs und seiner Verurteilung zum Tode erfuhr Ende November 1944 Osenberg. Er schrieb deshalb an Prandtl in Göttingen und bat ihn um Auskunft, auf welchen Gebieten Mohr gearbeitet habe und ob „der Ausfall von Herrn Prof. Dr. Mohr einen empfindlichen Verlust für die deutsche Forschung darstellen werde“. Prandtl sprach sofort mit dem jetzt in Göttingen tätigen Nikuradse, der sich jedoch merklich zurückhielt und meinte, wenn Mohr „in die rechten Hände käme, [er] wieder ein brauchbarer Mitarbeiter der deutschen Aerodynamik werden könnte. Große Dinge wird man von ihm allerdings nach den bisherigen Proben nicht erwarten können.“250 Süss hatte durch einen Breslauer Fachkollegen Kenntnis von Mohrs Schicksal erhalten. Er schrieb sogleich an Sievers, man solle doch Mohr dem Recheninstitut im KZ Sachsenhausen zuordnen. Auch andere Wissenschaftler, darunter Nikuradse, stellten Anträge an die zuständigen Behörden, das Todesurteil auszusetzen. In seinem Gnadengesuch beteuerte Mohr, er wolle seine „kriegswichtige Erfinder- und Entdeckerarbeit rückhaltslos in den Dienst des Vaterlandes stellen“. Großen Einfluss dürfte eine Eingabe der Forschungsführung der Luftwaffe an den Reichsjustizminister gehabt haben. Sie schlug vor, die Urteilsvollstreckung vorerst auszusetzen, Mohr „in der Nähe von Berlin unterzubringen“ und ihn dort für die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt, Berlin-Adlershof, arbeiten zu lassen und damit einen „Beitrag zur Brechung der alliierten Luftherrschaft“ zu leisten. All diese Aktivitäten hatten Erfolg. Mohr durfte in Plötzensee an einem „rechtzeitig eingegangenen Forschungsauftrag“ (so Mohr selbst) arbeiten. 1945 wurde er von der Roten Armee befreit (vgl. Kapitel 20).251 Zu den „auftragserteilenden Stellen“ für das neue, von ihm geleitete „Recheninstitut“ betonte Boseck Anfang Oktober 1944 nochmals in einem Schreiben an Sievers, dass „nur eine sehr beschränkte Zahl in Frage [kommt], u. a. SS-Waffenamt, HWA, Forschungsführung der Luftwaffe (DVL-Adlershof, Göttingen, Braunschweig), RFR (Prof. Gerlach), Prof. Süss“.252 Auch sonst erwies sich Boseck als überaus fleißig und schreibfreudig. Er lieferte seiner vorgesetzten SS-Behörde „Ahnenerbe“ zahlreiche Berichte über den Fortgang des Institutsaufbaues und wartete mit Fragen sowie Vorschlägen auf. Dazu gehörte auch die Anfrage, wie man sich bei der Erteilung von Forschungsaufträgen durch das HWA bzw. OKW an das Institut „rechnungsmäßig“ verhalten solle. Durch seine Tätigkeit bei WaF I c habe er Einblick erhalten in den „Verwaltungsweg der Antragstellung“, den er für „außerordentlich schleppend“ hielt. Außerdem sei durch die „kulante Kalkulation“ von WaF gegenüber Hochschulinstituten eine „außerordentlich niedrige Preisgestaltung“ üblich. Bei Beibehaltung dieser Verfahrensweise werde das Mathematische Institut „verhältnismäßig schlecht fahren“. Sievers Antwort dazu ist nicht überlietion, 2. Halbbd., Berlin 1998, 219–242. Für die Hinweise und zugänglich gemachte Literatur zu Mohr ist Prof. Heinrich Begehr zu danken. 250 Osenberg am 27. November 1944 an Prandtl, Prandtl am 30. November 1944 an Osenberg, AMPG, Abt. III, Rep. 61 Nachlass Ludwig Prandtl, Nr. 1323, Bl. 1f. 251 Prozessunterlagen zu Mohr, BAB, FBS 101/2857 (IML Berlin, NJ-Fonds 13332–13336, 13338/1–13340/5). 252 Boseck am 5. Oktober 1944 an SS-Obersturmführer Wolf, BAB, BDC zu Boseck, Bl. 84.
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fert, jedoch seine ausführliche Information an Boseck über die mathematischen Arbeiten im KZ Plaszow (Krakau).253 Zu den Ergebnissen seines Instituts hatte Boseck monatlich Bericht zu erstatten. Am 28. Dezember 1944 meldete er z. B. dem Persönlichen Stab des ReichsführersSS, „Amt Ahnenerbe“: „Die Arbeit wurde im Monat Dezember zunächst mit 7 Häftlingen begonnen. Am 8. 12. 1944 wurden über Antrag von SS-Untersturmführer Boseck die seinerzeit in Buchenwald ausgesuchten Häftlinge vorzeitig aus der Quarantäne entlassen und gelangten zum Einsatz. Die Gesamtstärke des Kommandos stieg deshalb auf 18 Häftlinge. Davon sind 3 Häftlinge Reichsdeutsche 1 Häftling Däne 6 Häftlinge Franzosen (davon einer krank) 1 Häftling Portugiese (derzeit krank) 3 Häftlinge Tschechen 1 Häftling Jude 3 Häftlinge Belgier. Am 14. 12. wurde der Häftling Anta-Gomez (Portugiese) wegen Tbc in das Krankenrevier eingeliefert und fällt damit für längere Zeit für die Arbeit in der mathematischen Abteilung aus. Anta-Gomez gehörte zu den ersten 7 Häftlingen der Abteilung und war als Kolonnenführer mit selbstständigen Arbeiten betraut, die er außerordentlich geschickt ausführte, so dass sein vorläufiger Ausfall einen empfindlichen Verlust für die Abteilung darstellt. Am 18. 12. wurde der Häftling Bruhat (Franzose, Prof. d. Physik, Universität Paris), der zu den aus Buchenwald überstellten Häftlingen gehört, mit einer schweren Rippenfellentzündung in das Krankenrevier eingeliefert. Bruhat hatte sich schnell in die ihm gestellte Aufgaben eingearbeitet. Auch sein vorläufiger Ausfall stellt einen Verlust für die Abteilung dar. Der Auftrag A 2/44 (Berechnung von Durchflußgewichten strömender Luft durch kreisförmige Querschnitte) wurde zum Abschluß gebracht. Der Auftrag A 5/44 (Herstellung von Tafeln einiger durch Intergrale definierter Funktionen) steht kurz vor der Vollendung und gelangt in den ersten Tagen des Januar 1945 zum Abschluß. Weiterhin wurde am Auftrag A 1/44 (Herstellung von Höhenkarten charakteristischer Flächen) gearbeitet. Für diesen Auftrag ist nach Abschluß der Berechnungen für den ersten Parameterwert, Mitte Januar mit einem Zwischenbericht an die auftraggebende Stelle zu rechnen. Dieser Zwischenbericht wird auch einige theoretische Betrachtungen enthalten, die inzwischen in der mathematischen Abteilung ausgearbeitet wurden und sowohl dem physikalischen Problem als auch der Anlage der numerischen Berechnungen zugute kommen.“254
Fischer hat sich in den „Erinnerungen“ auch über seinen „allgemeinen Eindruck im KZ Sachsenhausen“ ausgelassen. Dieser sei „weitaus besser gewesen, als erwartet“. Die Häftlinge seien ausreichend ernährt gewesen, ihnen schien es nicht sonderlich schlecht zu gehen (!) usw. Jedoch sprechen auch dazu die überlieferten Dokumente eine gänzlich andere Sprache, als uns SD-Fischer glauben machen will: In den Jahren 1957 bis 1959 sagten ehemalige Häftlinge vor deutschen Untersuchungsbehörden aus. Sie teilten u. a. mit, dass in der ersten Märzhälfte 1945 der Häftling Hans Hollmann, Buchhalter in der mathematischen Abteilung, erschossen wurde. Ausgeführt wurde das Verbrechen unter Beteiligung des SSMannes August Kolb, gegen den deshalb die Staatsanwaltschaft Düsseldorf 1959 ermittelte. Kolb meinte zu Boseck, er sei es gewesen, der „Hollmann den Fang253 Boseck am 18. und 19. Dezember 1944 an das „Ahnenerbe“, BAB, NS 21/96; Bericht Sievers’ vom 24. November 1944 (zum „Institut Deutsche Ostarbeit“) für den RFR, mit handschriftlichem Vermerk „für Boseck“, BAB, NS 21/96. 254 Wiedergegeben bei Poliakow, Wulf: Das Dritte Reich (wie Anm. 242), 322.
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schuss gegeben“ habe. Der Zeuge in dieser Sache fügte seiner Aussage hinzu: „Boseck, der ein großer Nazi war, hat auch gegen die Darstellung des Kolb keine Einwendungen erhoben“.255 Mit der Etablierung der mathematischen Abteilung im KZ Sachsenhausen war der Drang der SS-Führung, „wissenschaftlich vorgebildete Häftlinge“ für die Auswietung einer eigenständigen SS-Wehrforschung zu nutzen, keinesfalls beendet. In einem Gespräch mit Sievers regte Willing an, weiterhin geeignete Häftlinge „abteilungsweise“ zusammen zu führen. Dadurch könnten zusätzlich entstehen je eine Chemische, Physikalische und Elektrotechnische Abteilung sowie eine Konstruktionsabteilung. Er, Willing, wolle gern die Elektrotechnische Abteilung übernehmen. Sievers teilte Pohl unverzüglich mit: „SS-Brigadeführer Mentzel, der mir als seinem Vertreter die Angelegenheit zur weiteren Bearbeitung übergeben hat, unterstützt das Vorhaben selbstverständlich genau so gern, wie die bereits in Sachsenhausen errichtete mathematische Abteilung“. Pohl seinerseits billigte die Pläne „in vollem Umfang“. Auch Koppe in Krakau bedankte sich schriftlich bei Mentzel für die Unterstützung des Vorhabens.256
6. DIE STUDENTENKOMPANIE Jenen Typ des Offiziers, der entsprechend den Erfordernissen seiner Zeit wissenschaftlich-technisch gebildet war und diese Kenntnisse auch ins Waffenhandwerk einbrachte, gab es im deutschen Heereswesen jahrhunderte lang kaum. Erste schüchterne Versuche, diesen Mangel zu beheben, unternahm der Preußenkönig Friedrich I. Unter ihm wurde im Jahre 1705 in Berlin die „Königliche Fürstenund Ritterakademie“ ins Leben gerufen. Neben den gebräuchlichen Fächern wie Exerzieren, Reiten oder Fechten unterrichtete man an ihr in Mathematik, Physik oder Festungsbaukunst. Aber schon 1723 – zu Zeiten Friedrich Wilhelms I., genannt der Soldatenkönig – wurde die Akademie wieder aufgehoben. Sein Nachfolger mit dem ehrenden Beinamen „der Große“ dachte anders und übertrug diese Aufgabe 1765 der „Académie des Nobles“, die später zusätzlich Ingenieurwissenschaften lehrte, jedoch nur bis 1810 existierte. Andere militärische Bildungseinrichtungen dieser frühen Zeiten waren z. B. die „Ingenieur-Akademie“ in Potsdam (1788–1807), die „Artillerie-Akademie“ in Berlin (1791–1810) oder die, weitge255 Mitteilung der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten Brandenburg, Ravensbrück, Sachsenhausen vom 27. März 2000 einschließlich der Übergabe von Kopien der Vernehmungsprotokolle in dieser Sache, u. a. „Zeugenaussage Emil Peuker im Ermittlungsverfahren gegen Sorge, Gustav und Schubert, Wilhelm wegen Mordes“. Der Zeuge Ivan Herben sagte am 22. November 1957 aus: „Ich erinnere mich noch – es war Februar 1945 – daß ich als Elektriker in die mathematische Abteilung versetzt wurde. Das war sehr interessant. Dort waren berühmte Mathematiker als Häftlinge aus ganz Europa zusammengestellt. Diese Leute stellten Berechnungen an, wie ich mich gut erinnern kann, für Flugwaffen; sie fertigten ballistische Kurven für Ferngeschosse und ähnlich schwierige mathematische Tabellen. Die Abteilung hatte sehr viele elektrische Rechenmaschinen, die ich zu installieren und zu warten hatte.“ 256 Schreiben Koppes vom 1. November 1944 an Mentzel, BAB, BDC zu Willing DS G 9142; ebenso IfZ, NO 4302 (Nürnberger Prozess).
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hend auf ein Konzept des preußischen Reformers Scharnhorst zurückgehende, 1816 gegründete „Vereinigte Artillerie- und Ingenieurschule“ in Berlin. An der 1859 in „Kriegsakademie“ umbenannten „Allgemeinen Kriegsschule“ (seit 1810) gab es u. a. die Lehrfächer Waffenlehre, Ballistik, Konstruktion sowie Naturwissenschaften wie Physik oder Chemie. Zusätzlich erfolgte 1903 in Berlin die Bildung der „Militärtechnischen Akademie“ (MTA), die zwei Jahre später die Artillerie- und Ingenieurschule aufsog. An der MTA unterrichteten Wissenschaftler von Rang, wie der berühmte Ballistiker Carl Cranz, der zuletzt die MTA leitete. Nach dem Ende des ersten Weltkrieges musste die MTA ihren Betrieb laut Versailler Vertrag einstellen.257 Erstaunlicherweise galt trotz dieser guten Voraussetzungen der wissenschaftlich-technisch bewanderte und akademisch gebildete Offizier wenig. Die MTA wurde in der Truppe oft verächtlich als „Schlosserakademie“ bezeichnet und eine „wissenschaftliche Betätigung“ als „schändlicher Gelehrtenkram“ abgetan.258 An dieser Grundtendenz änderten die Ergebnisse des Ersten Weltkrieges kaum etwas, obwohl die blutigen, verlustreichen Schlachten an allen Fronten schmerzhaft auf die viel zu geringe technische Bildung des Offizierskorps hinwiesen. Anderseits hatte die Führung des Gaskrieges unter Fritz Haber, die Entwicklung der Ballistik, der militärischen Fernmeldetechnik sowie der Sprengstoff-Forschung und -herstellung sowie zahlreiche andere Beispiele gezeigt, welch wichtige Rolle wissenschaftlich-technische Fortschritte im modernen Krieg spielten.259 Es gab nur wenige weit blickende Militärs, die sich nach 1918 nicht mit diesem Zustand abfinden wollten. Zu ihnen gehörten beispielsweise in vorderster Linie Becker, Justrow, Schwab und etliche andere, zumeist Absolventen der MTA. Sie drängten energisch auf Veränderungen. In ihren Veröffentlichungen setzten sie sich, teils heftig und sehr engagiert, mit anders lautenden Auffassungen auseinander.260 1921 konnte ein erster Erfolg erzielt werden. Eine kleine Schar aktiver Offiziere begann ein „Vollstudium“ an der Technischen Hochschule Berlin, wo seit einem Jahr Cranz am Institut für Technische Physik eine Professur innehatte. Die Kontrolle der neuen Studienart übernahm die IWG. Jedoch erst mit der Ernennung Beckers 1932 zum Honorarprofessor für Wehrwissenschaft an der Universität Berlin sowie der 1935 gebildeten Wehrtechnischen Fakultät (WTF) der TH Berlin konnte ein ernst zu nehmender Durchbruch verzeichnet werden. Gerade die Gründung der WTF ist wesentlich Beckers Verdienst, der am 3. August 1933 zum ordentlichen Professor und Dekan an der Fakultät für Allgemeine Technologie der TH ernannt worden war, aus der jetzt die WTF hervorgegangen war.261 Zu den exponierten Vertretern einer soliden wissenschaftlich-technischen Bildung von Offizieren gehörte auch Schumann. Das zeigte sich schon deutlich bei 257 Vgl. u. a. Ruske et al.: 125 Jahre Forschung und Entwicklung, Abschnitt: Das militärische Bildungswesen, 226–231; Ebert, Rupieper: Technische Wissenschaft (wie Anm. 9), 469 f. 258 Ebert, Rupieper (wie Anm. 257). 259 Zuletzt ausführlich bei Maier: Forschung als Waffe, 52–124. 260 Vgl. u. a. Ciesla: Ein „Meister“; Justrow: Technischer Krieg; Schwab: Ingenieur. 261 Vgl. u. a. Ciesla (wie Anm. 260); Ruske et al.: 125 Jahre Forschung (wie Anm. 257); Ebert, Rupieper: Technische Wissenschaft (wie Anm. 9); Maier: Forschung als Waffe, 135, 207 f.
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seiner Suche von Nachwuchskräften für das II. Physikalische Institut. Etliche dieser jungen Wissenschaftler, die bei Schumann über Wehrtechnik arbeiteten, wechselten bald zur Forschungsabteilung oder übernahmen andere Aufgaben im HWA. Dem Chef von WaF genügte dies allerdings noch nicht – auch nachdem Becker freiwillig aus dem Leben geschieden war. Schumann nahm um 1940 ein neues Projekt in Angriff, um für seine Zwecke geeignete Wissenschaftskandidaten gezielt und auf lange Sicht auszubilden. Es sah vor, nach und nach eine größere Anzahl junger Leute für eine gesonderte Ausbildung zu gewinnen. Zunächst orientierte er sich auf die z. Z. Wehrdienst leistenden Söhne guter Bekannter. Sofern ihm einer dieser Soldaten geeignet erschien, sorgte Schumann dafür, das der Betreffende an eine in Berlin stationierte, spezielle Kompanie (zuständig für alle zu den Stäben der Reichshauptstadt abgestellte Soldaten) abkommandiert wurde. Einer der ersten, dem dies zuteil wurde, war Dietrich Becker (*1917). Becker hatte nach seiner Reifeprüfung 1936 für die Dauer von zwei Jahren seinen Wehrdienst bei einem Infanterieregiment in Görlitz versehen. 1938 nahm er in Berlin das Physikstudium auf, bekam bei Kriegsausbruch seine Einberufung und wurde im Januar 1940 zur „Ingenieur-Offizier Akademie“ in Berlin (IOA) versetzt. Schumann wusste von diesen Vorgängen, da ihm Beckers Vater als Musikmeister gut bekannt war. Ein anderer Kandidat war Gerhard Leeder (*1918) aus Dolgelin, einem Dorf bei Lebus an der Oder, an dem der Vater als Lehrer unterrichtete. Schumann, dessen Familie z. T. in Dolgelin beheimatet war, sprach mit dem Vater über die Zukunft des Sohnes, der seit 1937 als Soldat bei einem Nachrichtenregiment diente. Im April 1939 erfolgte Leeders Kommandierung zum HWA, verbunden mit der Aufnahme eines Studiums an der TH Berlin. Mit Kriegsbeginn gehörte er zu einer Einheit des Polenfeldzuges und kam im Januar 1940 zur Berliner „Kommandierten Kompanie“. Ähnlich vom Schicksal begünstigt wurde Ortwin Schulze (*1920), der nach freiwilligem Wehrdienst und Studienbeginn in Berlin in Polen zum Kampfeinsatz kam. Anschließend stieß er gleich zu Schumanns kleiner Gruppe, die sich noch weiterer Zugänge erfreute. Dazu gehörte Karl-Heinz Arnold (*1920), zu Ostern 1939 noch Abiturient, danach beim Arbeitsdienst und Angehöriger eines Baubataillons der Wehrmacht. Er war beim Einmarsch in Polen dabei und wurde auserkoren, die Leiche des in Polen gefallenen Generaloberst Fritsch, des früheren Oberbefehlshabers des Heeres, mit nach Deutschland zu überführen. Arnold diente danach bei einem Minenräumkommando an der Maginotlinie. Im Januar 1941 wurde er als Chemiestudent zur IOA kommandiert. Ab Mitte 1940 wurden Schumanns ausgewählte junge Leute offiziell der IOA in Berlin-Glienicke zugeordnet. Einige dieser Studenten, die inzwischen bei Schumann schon als Hilfskräfte eingespannt waren, konnten zudem ihre Beförderung zum Feldwebel entgegennehmen.262 Schumanns Bemühungen, eine gesonderte Ausbildung junger Nachwuchskräfte auf den Weg zu bringen, stießen auf manchen Widerstand und wurden nicht selten argwöhnisch beäugt. Im ersten Halbjahr 1940 hatte er es jedoch geschafft 262 Luck: Erich Schumann und die Studentenkompanie; Derselbe: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129).
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und für seine Pläne die Absegnung der zuständigen militärischen Führung erhalten. Am 11. Juli 1940 vermeldete das Heersverordnungsblatt (herausgegeben vom OKH) unter der Position „396. Ingenieuroffizier-Akademie“, dass beabsichtigt sei, etwa 100 Soldaten im Oktober 1940 als „Bewerber für die aktive Ingenieuroffizierlaufbahn des Heeres“ anzunehmen. Das galt für die drei Fachgebiete Maschinenbau (insbesondere Kraftfahrzeugbau), Elektrotechnik (Hochfrequenz und Fernmeldewesen) sowie Bauingenieurwesen. Zusätzlich wurde vermerkt: „Außerdem können für die Fachgebiete Physik und Chemie in beschränkten Umfang Soldaten gemeldet werden, die als wissenschaftlicher Nachwuchs für die Forschungsabteilung des Heereswaffenamtes vorgesehen sind.“ Zu den Bedingungen, die die Bewerber erfüllen mussten, gehörten u. a. eine „Mindestwehrmachtsdienstzeit (ab 1. Oktober 1940)“ von neun Monaten, davon mindestens fünf Monate bei einem Feldtruppenteil des Heeres. Das Alter von 22 Jahren sollte nicht überschritten sein. Selbstverständlich müssten sie „deutschblütiger bzw. artverwandter Abstammung nach den Nürnberger Gesetzen“ sein (geändert am 19. Juli 1940 in: „Der Nachweis der Abstammung von deutschem oder artverwandten Blut ist durch Urkunden zu erbringen“). Alle Bewerber mussten das „Reifezeugnis einer Vollanstalt“ besitzen, die Anwärter für Physik und Chemie außerdem in den Fächern Mathematik, Physik und Chemie die Note „gut“. Die Truppe, bei welcher der Wehrdienst absolviert wurde, hatte eine Beurteilung „nach strengen Gesichtspunkten“ vorzulegen. Vor allem sollte sie aussagen, „ob der Bewerber sich vor dem Feind bewährt hat und auf Grund seiner Leistungen im Felde sowie seines Persönlichkeitswertes verspricht, ein brauchbarer aktiver Ingenieuroffizier zu werden“. Von den Anwärtern wurden neben den üblichen Unterlagen wie Lebenslauf, Lichtbild und Zeugnisabschriften zusätzlich eine „Verpflichtungserklärung zur unbegrenzten Dienstzeit in der Wehrmacht“ gefordert. Darüber hinaus informierte die Ausschreibung über Kosten der Ausbildung, zusätzliche „Gebührnisse“, den vorläufigen Ausbildungsgang und vorgesehene Beförderungen. Die Gesamtdauer des Studiums war auf vier Jahre (acht Semester) mit abschließender Diplomhauptprüfung veranschlagt. Nach Felddienstbewährung konnte eine Beförderung zum Leutnant (Ing.) erfolgen.263 Schumann sorgte wenig später zusätzlich dafür, dass die für WaF vorgesehenen Kandidaten ihre Ernennung zu „Beamtenanwärtern für den höheren Forschungsdienst mit unbegrenzter Dienstzeit in der Wehrmacht“ erhalten konnten. Die Mitteilung im Heeresverordnungsblatt vom 11. Juli 1940 hatte (bezogen auf den Teil WaF) nur in beschränktem Maße die beabsichtigte Wirkung. Abiturienten waren aus erklärlichen Gründen in den Kompanien oder Batterien rar. Deren Chefs wollten sie für ihre Einheit erhalten und zeigten wenig Neigung, die Ausschreibung publik zu machen. Es gab jedoch auch Vorgesetzte, die anders dachten, von sich aus positive Empfehlungen schrieben oder Gesuche ihrer Untergebenen wohlwollend befürworteten. In anderen Fällen hatten sich Soldaten mit entsprechenden Voraussetzungen bereits früher erfolgreich bei der IOA be263 Heeresverordnungsblatt, hg. vom OKH, Teil B, Bl. 14 vom 11. Juli 1940, 239 f., Pos. 396, ergänzt durch 252, Pos. 424.
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worben und ersuchten jetzt um den Wechsel zu Schumann – oft mit Erfolg. Andere Soldaten kamen durch Beziehungen der Väter oder durch Fürsprache bereits angenommener Bewerber zur „Studentenkompanie“.264 Auch Werner Luck, der zu dieser Zeit Soldat beim Artillerieregiment 75 in Eberswalde und Neuruppin war, erfuhr von dieser Ausschreibung zunächst nichts, obwohl er sich daraufhin sofort gemeldet hätte (vgl. unten S. 121 f.). Er bringt in seinen schriftlichen Erinnerungen eine Reihe von Beispielen, wie einzelne Angehörige der Studentenkompanie Kenntnis von der Ausschreibung erhielten und welche Motivationen mit dazu führten, sich zu bewerben. Hans Berghaus diente ab Herbst 1937 bei der „mit Pferden bespannten schweren Artillerie“. Als Feldwebel nahm er an den Kämpfen in Frankreich teil. Die Mühen um die ständige Pferdepflege und die Sorgen um das Wohlergehen der ihm anvertrauten Tiere, belasteten ihn sehr. Der wohlwollende Batteriechef informierte B. über die Ausschreibung. Dieser nutzte die Chance und gehörte seit 6. Januar 1941 zur IOA. Hans Bolz, Soldat bei der Nachrichtentruppen in Königsberg und als Funktruppführer bei der deutschen, so genannten Blauen Division Teilnehmer am spanischen Bürgerkrieg, diente 1940 in Norwegen. Sein Vater schickte ihm eine Zeitungsnotiz zur Ausschreibung. Im Frühjahr 1941 erfolgte die Vorstellung bei der IOA. Walter Gengenbach, Soldat bei der Artillerie, beteiligt an den Kämpfen in Frankreich, danach Besuch einer Waffenschule in Pilsen und befördert zum Offizier, erfuhr von einem ehemaligen Kameraden von der Existenz der IOA. Gengenbachs Abteilungsleiter, von Beruf Chemiker, hatte Verständnis für den Studienwunsch und leitete das Gesuch weiter. Gengenbach war ab April 1941 bei der IOA Chemiestudent. Peter-Paul Rammelt, Zugführer in einem Infanterieregiment und Anfang 1940 zum Leutnant befördert, wurde bei den Kämpfen um die Maginotlinie verwundet. Im Lazarett erhielt er Kenntnis von der Ausschreibung. Anlässlich einer Dienstreise aus dem besetzten Polen (damaliger Standort seines Bataillons) nach Berlin, stellte er sich bei Schumann vor, der ihn als 265 Chemiestudent annahm.
Die Stärke der Studentenkompanie stieg im Verlauf der Jahre allmählich an und hatte Anfang 1945 insgesamt die Zahl 72 erreicht. Davon waren acht Offiziere, sechs Oberfeldwebel, 21 Feldwebel, über 20 Unteroffiziere, der Rest Mannschaftsdienstgrade. Über die Auswahl neuer Mitglieder für Schumanns Studentenkompanie schrieb Prof. Dr. Werner Luck viele Jahre später: „Die Zulassungsbestimmungen waren sehr hart: Es wurden mindestens gute Abiturnoten in Mathematik, Physik und Chemie gefordert. In einem der genannten Fächer mußte eine damals selten vergebene sehr gute Note nachgewiesen werden. Schumann führte mit allen Kandidaten zusätzlich persönliche Zulassungsgespräche, in denen er einen Eindruck von den Bewerbern bekommen wollte. Die angenommenen Bewerber wurden ebenfalls zu der in BerlinGlienicke untergebrachten Ingenieuroffiziers-Akademie versetzt …“
Luck, damals noch nicht ganz 18 Jahre alt, erhielt am 1. Dezember 1939 seine Einberufung zur Wehrmacht. Als Angehöriger eines Artillerieregimentes nahm er an den Kämpfen gegen Frankreich teil und erlebte den Überfall auf die Sowjetunion. Während des harten Winters 1941/42 an der Ostfront erfuhr er von der Stu264 Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129). 265 Ebd.
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dentenkompanie. Er bewarb sich erfolgreich und wurde im Frühjahr 1942 von Charkow nach Berlin in Marsch gesetzt. Wie sich dort seine erste Begegnung mit Schumann gestaltete, hat Luck in seinem unveröffentlichten Manuskript festgehalten: „So ging ich im April 1942 am anderen Morgen frohgemut ins 2. Physikalische Institut der damals Friedrich Wilhelms Universität genannten Berliner Universität. Das Gebäude lag in der Neuen Wilhelmstraße an der Ecke zur Dorotheenstraße, heute die Vertretung der Stadt Berlin bei der Bundesregierung. Entgegen fast allen späteren Begegnungen wurde ich ziemlich schnell vorgelassen zu Professor Schumann, der in Personalunion Chef der Forschungsabteilung des Heereswaffenamtes war, im Range eines Ministerialdirigenten. Ich saß vor einem lebhaften Menschen mit einem quasi etwas überbetonten Cäsarenschädel in der Uniform eines Beamten im Generalsrang mit den beiden sehr auffallenden breiten roten Hosenstreifen. Er trat als betont jovialer Chef auf. (Einigen begegnete Schu damals auch in Zivil.) Ein längeres Einstellungsgespräch schloß sich an, in dem ich frei und kaum verunsichert Rede und Antwort stand. Ich war in Rußland daran gewöhnt worden, daß unser General Model häufig bei uns an der Einsatzspitze auftrat. Auch bei der östlichen Kesselseite um Kiew, bei der sich die 3. Panzerdivision wohl über 100 km (anfangs) ausdehnte, war General Model häufig an unserer Spitze. Mir ist noch in Erinnerung, daß ich von Schumann anfangs nach meinen Kriegs- und Waffeneindrücken an der Front gefragt wurde. Die letzte mich überraschende Frage war: ‚Wie oft gehen Sie in die Kirche‘. Ich antwortete wahrheitsgetreu ‚kaum‘. Darauf spürte ich eine beschlossene Entscheidung. Schumann eröffnete mir, dass ich zum Studium in Tübingen zur 4. Inspektion der Ingenieuroffiziers-Akademie nach Stuttgart-Vaihingen zu fahren hätte. Die Papiere würde ich von einem Dr. Peters in der Nähe des Bahnhofs Zoo in der Hardenbergstraße 10 bekommen. Ich verließ tief einatmend und hoch erfreut das Haus. Meine Aussichten, länger am Leben zu bleiben, waren deutlich gestiegen. Der eiserne Wille hierzu hatte mich zwar in beiden Feldzügen (Frankreich und Rußland) nie verlassen. Die Frage nach dem Kirchgang war deutbar als Erkunden, ob ich evangelisch oder katholisch war. Katholiken pflegten damals noch zum sonntäglichen Kirchendienst verpflichtet gewesen zu sein. Von einem Studienkollegen hörte ich, daß ihm eine ähnliche Frage bei dem längeren Vorstellungsgespräch gestellt wurde. Als Deutung wurde gemunkelt, es gäbe eine ähnliche Forschungsdienststelle bei der Luftwaffe, die bevorzugt Katholiken einstelle. Wir vermuteten, daß Schumann eine Revanche vorhatte.“
Nach der Vorstellung bei Schumann wurde jeder Neuzugang zu Dr. Peters geschickt, der u. a. die organisatorischen Fragen der Einstellung erledigte.266 Die neuen Angehörigen der IOA studierten in der ersten Hälfte des Jahres an der Universität Berlin. Gleichzeitig besuchten sie Lehrveranstaltungen der TH Berlin. Im Wintersemester 1941/42 verlegte man die IOA nach Stuttgart-Vaihingen. Der Kommandeur der IOA war damals Oberst Dr. Rudolf Brender, der dem Inspektor der Truppen-Ingenieur-Inspektion, General Linn, des Allgemeinen Heeresamtes (AHA) im OKH direkt unterstand. Als Mitte 1941 der Bau des neuen, großen Hochschulzentrums an der Berliner Heerstraße schon sehr weit gediehen war, entschied Linn überraschend, die IOA an die Universität Stuttgart zu verlegen. Dieser Entschluss führte hinter den Kulissen zu einem erbitterten Kampf 266 Ebd. Zu Dr. Peters (in Bibliographien nicht verzeichnet) konnten keine Unterlagen gefunden werden. Wahrscheinlich ist er identisch mit Dr. Gerhard Peters, der einen Beitrag Die Entwicklung der Waffentechnik mit dem Hinweis „Oberkommando des Heeres (Heereswaffenamt)“, schrieb. In: Die Technik der Neuzeit 21 (1941), 192–215.
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zwischen einflussreichen Kräften in der NSDAP, der Wehrmacht und der Berliner Professorenschaft. Die Partei wollte, dass die Ausbildung an der IOA weitgehend unter ihrer Kontrolle stand. Die beteiligten Professoren der WTF der TH Berlin fürchteten um den Verlust von Vorlesungsgebühren (pro Jahr zwischen 20.000 und 80.000 RM). Die Wehrmacht hingegen bestand darauf, sich nicht in ihre Angelegenheiten hineinreden zu lassen. Schumann, den man in seiner Eigenschaft als Chef der Abt. Wissenschaft im OKW und der Forschungsabteilung im OKH als Fürsprecher für den Verbleib der IOA in Berlin zu gewinnen versuchte, lehnte jede Aktivität mit Hinweis auf den schon ergangenen Verlegungsbefehl ab. Selbst ein anonymer Brief an Hitler, dass die Verlegung Unsinn sei, änderte nichts an der Haltung der Wehrmachtsführung. Linn und Generaloberst Fromm waren im Gegenteil „aufs äußerste erzürnt. Sie hielten das ganze für ein niederträchtiges Manöver der Partei.“ Fromm befahl eine strenge Untersuchung, um den Urheber des Schreibens an den „Führer“ zu finden, ein Exempel in den eigenen Reihen zu statuieren und „die Partei in ihre Schranken zu verweisen“.267 Zu dieser Zeit war die Zahl der Physik- und Chemiestudenten des HWA bereits so groß, dass sie zur 4. Inspektion der IOA zusammengefasst wurden. In Stuttgart kam es zu einer organisatorischen Trennung. Während die „Ingenieurstudenten“ die TH in Stuttgart besuchten, fuhr man die „Physiker und Chemiker“ täglich von Stuttgart-Vaihingen zur nahe gelegenen Universität Tübingen. Ab dem Sommersemester 1942 änderte sich diese umständliche Prozedur: Die 4. Inspektion wurde in Tübingen einquartiert. Möglicherweise war dies die Folge eines Besuches von Prof. Kadow und Dr. Peters, die sich im Auftrag Schumanns mit den Studienbedingungen in Tübingen vertraut gemacht hatten. Mit der Auflösung der IOA im Dezember 1942 endete auch das Zwischenspiel Tübingen. Schumann reagierte schnell. Er setzte durch, dass „seine“ Studenten geschlossen zurück nach Berlin kommen konnten, wo 1941 eine kleine Gruppe zurückgebliebenen war, die bereits ihr „Examenssemester“ absolvierte und dazu mit „Experimentalarbeiten“ begonnen hatte.268 Hier wurden sie zunächst auf dem Gelände des Regimentes „Großdeutschland“ untergebracht, mussten jedoch bald wegen Bombenschäden zweimal das Quartier wechseln. Zuletzt zwang die militärische Lage dazu, „sich Privatquartiere gegen Bezahlung zu beschaffen und sich mit Hilfe von Lebensmittelkarten auch privat zu beköstigen“ (Luck). Mit der Ankunft in Berlin wurde die Einheit eine selbstständige Kompanie des HWA, mit der offiziellen Bezeichnung „Stud Komp WaA“. Für den Fall einer geschlossenen militärischen Verwendung zum Kampfeinsatz war sie der Abteilung „Wa Prüf“ des HWA und der „Militärärztlichen Akademie“ (Sitz Berlin) zugeordnet. Der Chef von Wa Prüf, General Schneider, der selbst an der TH Stutt267 Unterlagen im Nachlass Schumanns zu dem Gerichtsverfahren nach 1945, Details dazu im Kapitel 22. 268 Luck merkte zu dieser Rückführung nach Berlin an: „Hier mag das Organisationstalent Schus. zum Tragen gekommen sein. Ihm gelang es im Nu eine neue Struktur für uns zu schaffen. Dies mag mit seinem Draht nach ganz oben als Leiter der Wissenschaftsabteilung im Oberkommando der Wehrmacht geholfen haben. Vielleicht half seine Bekanntschaft mit den obersten Generälen Keitel und Reinecke.“
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gart studiert hatte und durch seine Tätigkeit beim HWA über alle Probleme der Heerestechnik ausgezeichnet unterrichtet war, ließ es sich nicht nehmen, die Studentenkompanie zu inspizieren. „Er hielt eine schneidige Rede mit dem Appell, jeder sollte ihm sein eigenes Lebensziel sagen“, erinnerte sich Luck. Einige der Studenten beantworteten Schneiders Frage mit: „Professor“ – und wurden es später auch. Ein anderer, bekannt als Spaßvogel, witzelte „Reichsminister für Rüstung und Munition“. Tags darauf wurde er zum Rapport bei Schneider befohlen. Der Ausgang dieser „Audienz“ ist nicht überliefert. Chef der Studentenkompanie wurde Oberleutnant Dr. Wilhelm Schlicht (*1913), der ab 1932 an der Universität Berlin Physik, Mathematik und Chemie studiert hatte. 1936 erhielt er von Schumann das Thema für eine Geheimdissertation, die er im Juni 1939 bei Schumann und Wehnelt mit dem Prädikat „sehr gut“ verteidigte (vgl. Anhang II: Geheimdissertationen). Bei WaF hatte er in der Vers. Gottow ein spektroskopisches Labor. Darin „experimentierte [er] eigenhändig mit dem Aufbau eines selbst konstruierten Spektrographen. Es bestand als MehrfachMonochromator aus verschiedenen Prismen, die getrennt auf verschiedenen Tischen montiert waren.“ Bei den Studenten des HWA war Schlicht nicht besonders beliebt, da er wiederholt seine „Chefstellung als Offizier“ herauskehrte. Luck wusste von einem im Grunde harmlosen Vorfall zu berichten, bei dem Schlicht „mich in Wut anschnauzte, wie andere in Wut eine Axt in einen Holzblock hauen“. Bei vielen der Studenten galt Schlicht als „ein verschlagener Nazi, … eine höchst unangenehme Erscheinung“, der noch in der Agonie des Dritten Reiches Zweifler am „Endsieg“ anzeigen wollte.269 Der vordergründig auf Autorität zielende harsche Kommando-Ton Schlichts scheint bei WaF eine Ausnahme gewesen zu sein. Die meisten der Forschungsstudenten machten angenehme Erfahrungen mit ihren „wissenschaftlichen“ Vorgesetzten. Allgemein beliebt war der Referatsleiter Glimm – ein „achtenswerter Mann“, ebenso Schönwald – ein „ganz guter Lehrer“. Die Studienbedingungen in Berlin, vor allem an der Universität, waren wesentlich besser als in Tübingen. Dort hatten die naturwissenschaftlichen Disziplinen „nicht das gleiche Renommee wie in Berlin“. Zudem standen in Berlin mehr „wissenschaftlich exzellente Dozenten zur Verfügung“, nicht nur an der Universität oder TH, sondern auch von dem in der Hauptstadt ansässigen KWI, wie Prof. Hermann Schüler vom KWI für Physik. Der Gelehrte, seit 1937 Leiter der spektroskopischen Abteilung, hielt an der Universität eine Vorlesung und ein Praktikum zu seinem Spezialgebiet, welche auch Schumanns Studenten wahrnahmen.270 Bei Hinderer (vgl. Kapitel 3) hörten sie Vorlesungen zur Akustik. Je nach Studienrichtung – Physik oder Chemie – befassten sich die Angehörigen der Studentenkompanie mit den unterschiedlichsten Themen. Dazu gehörten beispielsweise: Funktionen der mathematischen Physik, Theoretische Physik, 269 Mitteilung des Diplomphysikers C. C. Cobarg. Ausführliche biographische Angaben zu Cobarg bei Hans Wichmann: Mut zum Aufbruch. Erwin Braun 1921–1992, München 1998, 250. 270 Biographische Angaben zu Schüler (1894–1964) in: Mitteilungen aus der Max-Planck-Gesellschaft 3/1964, 94–98.
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Grundlagen der Mechanik und Optik, ausgewählte Kapitel der Akustik, Einführung in die Hochfrequenztechnik. Am Institut für angewandte Mathematik der Universität Berlin, bei Prof. Klose, arbeiteten sich einige Studenten ein, um sich später auf mathematischem Gebiet zu spezialisieren. Schumann gestattete auch den Besuch eines vierstündigen ballistischen Praktikums an der TH Berlin. Diese Lehrveranstaltung, bei der u. a. das Messen von Geschoßgeschwindigkeiten geübt wurde, leitete Glimm. Ab und an hielten Mitarbeiter von WaF am II. PI für die Studentenkompanie Vorträge, so Glimm zur Ballistik, Schweikert zur Theoretischen Ballistik oder Trinks zur Hohlladung. Einige Studenten schlossen auch Bekanntschaft mit Manfred von Ardenne, der einen Lehrauftrag zur Elektronenmikroskopie wahrnahm. Er ließ sich – was die jungen Leute ziemlich beeindruckte – als „Herr Baron“ anreden und erzählte im persönlichen Gespräch in seinem Privatlabor, dass ihm die Großmutter die Briefe zu ihrer unglücklichen Liebesaffäre vererbt hatte, die durch Fontanes Roman „Effi Briest“ so berühmt wurde. Cobarg, der Schumann bei einem Gespräch mit v. Ardenne begleiten durfte, berichtete: „Da saßen zwei Schlitzohren gegenüber. Keiner wollte den anderen in die eigenen Karten gucken lassen.“271 Die „Chemiker“ besuchten Lehrveranstaltungen am KWI für Physikalische Chemie und Elektrochemie. Dadurch lernten sie Peter Adolf Thiessen und andere Wissenschaftler dieser Einrichtung kennen. Dorothea Florek geb. Thiessen war damals am Institut ihres Vaters tätig. Sie erinnerte sich: „Ich hatte das Glück, daß zur gleichen Zeit im Sommer 1944 zehn Chemiestudenten im Institut anfingen. Sie waren zum weiterbildenden Studium von der Wehrmacht freigestellt worden, gehörten zu einer so genannten Studentenkompanie. Es wurden für sie Vorlesungen veranstaltet, an denen ich gegebenenfalls teilnehmen konnte. Die Studenten sollten das Gleichgewicht zwischen männlichen und weiblichen Mitarbeitern in etwa herstellen. Bis dahin war eine größere Anzahl junger weiblicher Mitarbeiter eingestellt worden, die weitgehend ‚ihren Mann standen‘, für alle tages- und kriegswichtigen Themen aber nicht eingesetzt werden konnten. Trotz verstärkter Luftangriffe, mehrere oft in einer Nacht, und der immer schlimmer werdenden Berichte von den Kriegsschauplätzen aus dem Osten und Westen, machten wir jungen Leute aus der wenigen Freizeit das Beste … Zwischen einigen jungen Mitarbeiterinnen und Studenten bildeten sich nach und nach Paare, die zwar untereinander die Partner wechselten; zwei oder drei Paare heirateten letzen Endes doch. Nach Feierabend wurde auch im Institut ab und zu gefeiert, mit selbst gemachten Likören (Alkohol hatten wir noch etwas im Institut, sogar ‚Kümmel‘ extrahierten wir), mit selbst gebackenem Gebäck, Zutaten dem 5. Kriegsjahr entsprechend. Wir tanzten nach Schallplatten in den weitläufigen Fluren des Instituts. Zwischendurch ging es bei Alarm in den Keller. Betonen möchte ich aber, daß unsere Arbeit nie zu kurz kam.“272
Den Semesterferien sahen Schumanns Studenten stets mit gemischten Gefühlen entgegen. Jeweils ein kleiner Teil wurde während dieser Zeit zum Fronteinsatz befohlen. Der bestand nicht etwa aus Dienst bei Stäben oder rückwärtigen Einheiten, sondern bedeutete meist Teilnahme an Kämpfen in vorderster Linie. Durch seine 271 Mitteilung Cobargs. 272 Dorothea Florek geb. Thiessen: Erinnerungen an die Jahre 1944–1945 im Kaiser-Wilhelm-Institut für physikalische Chemie und Elektrochemie, in: Dahlemer Archivgespräche 9 (2003), 174–197, insb. 174 f.
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Beziehungen gelang es Schumann, dafür zu sorgen, dass diese Einsätze überwiegend beim 131. Infanterieregiment erfolgten. Dem ersten Frontkommando, im Sommer 1941 bei Charkow und Kiew, gehörten zwölf Mann an, darunter die bereits genannten Studenten Becker, Leeder und Schulze. Vom 1. August bis 28. Oktober 1942 geriet das jetzt zehn Mann starke Frontkommando der Studentenkompanie in die Kesselschlacht bei Kalatsch (westlich des Don). Auch im folgenden Jahr (10. August bis 13. Oktober 1943) waren 18 Studenten kommandiert, diesmal nach Wien, Nikolsburg (Südmähren) und danach Eppan bei Bozen (Südtirol). Schumann sollte eigentlich zu diesem Zeitpunkt alle Kompanie-Angehörigen, die noch nicht im Herbst 1943 ihre Doktorarbeiten vorlegen konnten, zur Front abstellen, was er aber nur teilweise befolgte. Er soll dies lapidar kommentiert haben: „Wir können doch nicht alle an die Front schicken, ein paar müssen doch für den Wiederaufbau später übrig bleiben“.273 Ohne Opfer ging es bei diesen Kampfeinsätzen nicht ab. Zwei Studenten fielen 1942 in der Ukraine. Ein anderer, Heinz Nebe (*1921) aus Zschopau in Sachsen, wurde Ende August 1942 bei Kalatsch am Oberarm und an der Lunge verwundet. Erst im März 1943 konnte er aus einem Berliner Lazarett zur Studentenkompanie zurückkehren, nachdem der durch Nervenverletzung gelähmte Arm wieder leidlich zu bewegen war. Nebe kam im Januar 1941 zu Schumann. Bei der Vorstellung forderte ihn Schumann auf, einen für seine sächsische Heimat typischen Witz zu erzählen. Lösten die Fronteinsätze oft Angst wegen der damit verbundenen Lebensgefahr aus, so erfreuten sich die wissenschaftlichen Praktika bei WaF großer und erwartungsvoller Zustimmung. Absolviert wurden sie in den Laboratorien von Vers. Gottow und Vers. Ost. Hier kamen die Studenten als Laborgehilfen mit zahlreichen Angehörigen von WaF und ihren laufenden Projekten in Berührung. Luck erinnert sich dazu: „Die Laboratorien im Süden Berlins erreichten wir mit der Stadtbahn bis Zossen und dort umsteigen in die Nebenbahn Richtung Jüterbog. Unsere Kompanie hatte nicht wie die sonstige Armee in Berlin Soldbücher, sondern Personalausweis mit Lichtbildern und dem Vermerk: Oberkommando/Waffenamt. In Berlin stationierte Feldwebel durften bis Zossen fahren. Die Kompanie war auch zuständig für Kummersdorf. An der Bahnsperre Zossen erfolgten in der Regel Ausweiskontrollen des Militärs. Sie machten uns als Feldwebel keine Schwierigkeiten. Ob die Unteroffiziere und Mannschaften einen Sonderfahrschein brauchten, weiß ich nicht mehr. An der Station Kummersdorf lag eine ältere Kaserne, die wohl auch zum Waffenamt gehörte. Ich mußte dort gelegentlich übernachten. Die Kaserne war – wie auch viele Berliner Wohnhäuser – ziemlich verwanzt. Ein Kammerjäger jagte sie durch Ausräuchern von einer Etage in die nächste. Man sagte, er jage sie ständig im Kreise. Von Kummersdorf ging eine Kleinbahn über den Gottow genannten Teil (dort war das Referat Optik) zum eigentlichen Laborteil Kummersdorf. Die Laboratorien waren in meist einstö-
273 Mitteilung Frau Ursula Schulze von 1994 über eine Zusammenkunft der ehemaligen Studentenkompanie, in der sie u. a. über diese Bemerkung Schumanns berichtete. Die Kopie wurde zur Verfügung gestellt von Dr. Kunz.
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I. Organisation ckigen Häusern verteilt über den Wald. Einige hatten Bunker für Sprengversuche. Es gab auch Schießstände für kleinere Kanonen.“274
Aufgeteilt nach Fachrichtungen, Studienzeit, bereits absolvierten Praktika usw., arbeiteten die Studenten bei Trinks zur Hohlladung, bei Trommsdorff zu dem nach ihm benannten (Trommsdorff)-Geschoß, bei Schönwald zu Themen auf dem Gebiet „Ultrarot“, bei Karl-Heinz Freytag (im Referat Glimm) zum Geschoßknall, bei Schall zur Anwendung des Röntgenblitzverfahrens usw. Soweit inhaltliche Angaben über diese Praktika vorliegen, sind sie im Teil II. Experimente ausgewertet worden. Dr. Karl-Heinz Köhler berichtete, wie er im 4. Semester den Auftrag bekam, sich zusammen mit einem weiteren Physikstudenten, Ernst-Joachim Gießmann, in der Vers. Gottow bei Glimm zu melden: „In seinem Labor übertrug er uns gleich eine Aufgabe: Wir sollten die Kombination einer Pak [Panzerabwehrkanone, G. N.] mit einem Flammenwerfer durchdenken und Berechnungen anstellen. Vorwitzig sagte ich: ‚Da braucht man doch nicht viel rechnen. Bei der Anfangsgeschwindigkeit einer Panzerabwehr-Granate und der Geschwindigkeit der Flamme und der variablen Fahrtrichtung und Geschwindigkeit des Panzers, ist die Aufgabe nicht zu lösen.‘ Ihr Vater schmunzelte: ‚Das sagen Sie, aber ich muß meinen Chef überzeugen; das geht nur mit Tabellen und Kurven.‘ Gießmann (übrigens Staatssekretär für das Hoch- und Fachschulwesen der DDR) und ich wurden dann im Arbeitsbereich ihres Vaters untergebracht, am Bahnhof Zoo, wo ihres Vaters Büro und Labor war.“
Köhler charakterisierte Glimm: „Sein fröhliches Gemüt war typisch für ihn. Immer war er zu Scherzen bereit und konnte über unsere Scherze lachen. Andererseits konnte er ernste Gespräche mit uns führen, wenn es um fachliche Dinge ging. Er war ja auch ein erstklassiger Fachmann, sonst hätte man ihn nicht in so jungen Jahren einen Lehrauftrag an der TH Berlin geboten. Ich habe ihn sehr verehrt mit seinem Können und seiner Menschlichkeit.“275
Der bei WaF allgemein üblichen Geheimhaltung geschuldet, erfuhren die Forschungsstudenten jedoch bei weitem nicht alles zum jeweiligen Projekt. Vieles blieb ihnen verborgen. Von Diebners Uranarbeiten hörten sie z. B. nur Gemunkel.276 Den Wert der in Kummersdorf genossenen praktischen Ausbildung veranschaulicht ein Nachweis, den Glimm Mitte 1944 für Hasso Döring (*1920) ausstellte: Sein „Aufgabenbereich erstreckte sich über mechanische und piezoelektrische Gasdruckmessung, Geschoßgeschwindigkeitsbestimmung, schlierenoptische Aufnahmen eines Überschallstrah274 Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129). 275 Brief Dr. Köhlers vom 16. November 2001 an Frau Schumacher, Tochter von Glimm, Kopie im Besitz des Autors. 276 Auf diese Geheimhaltung wiesen mehrere ehemalige Angehörige der Studentenkompanie hin. Einige, denen Entwürfe verschiedener Kapitel dieses Buches zur Stellungnahme vorgelegt wurden, bestritten mehrere Aussagen, teils sogar recht vehement, obwohl dieselben durch Dokumente gründlich belegt sind. Zum Hinweis Cieslas, der sich auf einen Vortrag von Schneider bezieht, wonach Angehörige der Studentenkompanie auch an den Uranarbeiten beteiligt gewesen seien, konnten keine Belege gefunden werden. Ciesla: Das Heereswaffenamt, 50.
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les, Druckmessungen an Laval-Düsen, Detonationsgeschwindigkeit von Sprengstoffen mittels Detonations-Chronograph und Zeitdehner, Detonationsdruckbestimmung durch Impulsmessung mit ballistischem Pendel u. a. m.“277
Wichtiger Bestandteil der Praktika waren Belegarbeiten und schließlich Diplomarbeiten, denen zumeist der Geheimstempel aufgedrückt wurde. Von den Diplomarbeiten sind folgende Themen (leider nicht die Inhalte) überliefert: Reinhard Müller: „Messung der dynamischen Kompression bei Stoßwellen in Flüssigkeiten nach der Röntgenmethode“ (1944 bei Schall), Karl-Heinz Köhler: „Untersuchungen zur Möglichkeit der Zündung von Sprengstoffen auf lichtelektrischem Weg“ (1943 bei Glimm), Hans Berghaus: „Spektroskopische Erscheinungen an detonierenden Sprengstoffladungen“ (1944 bei Trinks), Hans Bolz: „Temperatur und Spektrum der CS2-Verbrennung“ (1943 ? bei Schlicht), Hasso Döring: „Messungen der Ausbreitungsgeschwindigkeit von Verdichtungsstößen und Schwaden in Flüssigkeiten mittels Röntgenblitzen“ (1945 bei Schall, zu deren Inhalt vgl. Anhang II: Geheimdissertationen). Herbert Kunz untersuchte in seiner Diplomarbeit die Möglichkeit, die Geschwindigkeit fliegender Geschosse mittels eingebauter radioaktiver Präparate zu messen. Bedauerlicherweise sind alle diese und auch andere Arbeiten verschollen! Luck besprach sich zum Gegenstand seiner Arbeit mit Schönwald. Dieser riet ihm sich aus seiner Dissertationsschrift eine dort nur sehr kurz behandelte Fragestellung auszuwählen und dazu weitergehende Experimente durchzuführen. Am 16. Februar 1945 reichte Luck seine Ergebnisse „Über die Lichtstreuung von gleichen Teilchen“ ein. Die Arbeit wurde von Schönwald und Prof. August Winkel, tätig am KWI von Thiessen, mit der Note 1 bewertet. Die Chemiker unter den Forschungsstudenten realisierten ihre Diplomleistungen zumeist an Thiessens KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie. Überliefert sind folgende Themen: Fritz Maus „Herstellung und Eigenschaften von Goldsuspensionen mit blättchenförmigen Teilchen“. Diese Arbeit wurde im Februar 1945 vorgelegt. Sie befasste sich mit Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Kolloidchemie und diente dem Nachweis von Kristallstruktur und Orientierung der Goldteilchen. Am 28. Februar 1945 durfte Maus dazu bei einem Kolloquium im KWI, zu dem Thiessen eingeladen hatte, 20 Minuten lang vortragen. Karl-Heinz Arnold begann, vermittelt durch Graue und Thiessen, bei Winkel mit den Untersuchungen zum Thema „Über die Reduktion der Nitrogruppe in organischen Verbindungen an der Quecksilbertropfelektrode“, das er am 18. September 1944 abschloss. Auch Nebes Forschungsarbeit für das Diplom „Staubabscheidungen im homogenen Feld“ (November 1944) stand unter der Leitung von Winkel. Hans Mertens arbeitete bei Thiessen und Winkel über „Brennzünder der Flak“ und machte dies zum Gegenstand seiner Diplomarbeit.278
277 Eine Kopie dieses Dokumentes wurde 2003 zusammen mit anderen Unterlagen von Dr. Döring zur Verfügung gestellt. 278 Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129); Mitteilungen Dr. Arnolds, Dr. Maus’, Dr. Nebes; Lebensläufe in Dissertationen Arnold und Nebe.
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Interessant war die Aufgabe, die Winkel dem Chemiestudenten Otto Eberspächer stellte. Er sollte „kolloide feine Teilchensysteme“ herstellen. Bei den Versuchen kam es zu einer Zusammenarbeit mit Luck, der sich gleichfalls mit „kleinen Teilchen“ herumschlug. Das Einblasen von feinem Glas- oder Quarzstaub in eine Flamme, um so möglichst gleich große Kügelchen zu erhalten, hatte nicht funktioniert. Ein Besuch im Berliner Kraftwerk Klingenberg, um Stäube durch ein Rohr zu blasen und „Fraktionen am Rohrausgang zu isolieren“, schlug fehl – wegen zu großer Teilchen und ungleichmäßiger Teilchengrößenverteilung. Auch Magermilchexperimente endeten beim „nicht lösbaren Problem der Teilchengrößenisolierung“. Einen brauchbaren Weg fand schließlich Schönwalds Frau. Sie empfahl, Sporen eines Bovistpilzes zu verwenden. Die Sporen dieser Pilzart, mitunter auch bekannt als „Stäubling“, sind von Natur aus gleich groß und lassen sich zudem im Mikroskop gut untersuchen. Die „Pilzexperimente“ wurden für beide Diplomanden ein überraschender und voller Erfolg.279 Der Chemiker Rudolf Frank, der im September 1944 sein Diplom-Examen gemacht hatte, befasste sich am KWI unter der Leitung von Prof. Böhme offiziell mit einem pharmazeutischen Thema. Mit hoher Wahrscheinlichkeit bestand ein Zusammenhang mit der Kampfstoff-Forschung Böhmes (vgl. Kapitel 19 und Anhang II: Geheimdissertationen). Franks „U. k.-Karte“ vom 9. Oktober 1944 trägt nämlich den Vermerk „DE 43 H-V.44-XII.44, Kampfstoffe“. Auch zu Hans Schran und Günter Wolff dokumentieren die U. k.-Karten für den gleichen Zeitraum Arbeiten zur Kampfstoff-Forschung.280 Weitere Forschungsstudenten, die an Thiessens KWI ihre Diplomarbeit vollendeten (Themen z. T. nicht bekannt bzw. Verbleib ungeklärt) waren u. a.: Günter Wolff (Januar 1945), Werner Sack (März 1945), Rolf Hermann (Dezember 1944), Franz Heinrich Hansen (März 1945) und Rudolf Frank (September 1944).281 An Thiessens KWI war man mit den Leistungen von Angehörigen der Studentenkompanie sichtlich zufrieden. In der Begründung zum Antrag auf ihre weitere U. k.-Stellung heißt es: Es hat sich herausgestellt, daß unter diesen Kräften eine Anzahl besonders brauchbarer Chemiker sind. Wir nennen Ihnen im folgenden unter „1.“ Die besonders brauchbaren, auf die wir in jedem Fall Wert legen, unter „2.“ solche, die ebenfalls sehr gut sind. Sollte es aber nicht möglich sein, sämtliche Herren auf längere Zeit für uns sicherzustellen, dann bitten wir, auf alle Fälle für die unter 1. angeführten Herren einzutreten: 1. Arnold, Wiegand, Schuler, Stroh, Maus, Breckheimer, Frank, Hansen, Hermann, Ratje [richtig Rathje, G. N.] 2. Eberspächer, Nebe, Schran, Wolff.282 279 Ebd. 280 Ebd.; Lebenslauf Franks in seiner Dissertation: Darstellung und Eigenschaften des Alpha-halogenisierten Tioäther, 13. Mai 1948, Universität Marburg. 281 Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129). Wahrscheinlich war diese Diplomarbeit nicht geheim. Im ABBAW, Bestand KWG, Nr. 146, sind die offenen Diplomarbeiten von Karl Wiegand (Oktober 1944), Franz Hansen (Februar 1945) und Otto Eberspächer (März 1945) vorhanden. 282 Wiesemann, KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie, an die Generalverwaltung der KWG am 9. Oktober 1944: „Sicherstellung der Arbeitskräfte“, AMPG, I. Abt., Rep. 34
6. Die Studentenkompanie
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Zwei „Chemiker“ wurden im Sommer 1942 nach Prag auf die Reise geschickt. Walter Gengenbach und Fritz Gruner sollten am „Heeresforschungsinstitut für Explosivchemie“ ihre Praktika ableisten (vgl. Kapitel 7). Gengenbach geriet später durch Vermittlung Otto Hahns an das KWI für Biochemie in Berlin-Dahlem. Dieses KWI war 1943 nach Tübingen verlagert worden und stand unter der Leitung des Nobelpreisträgers Adolf Butenandt (1903–1995). Von ihm erhielt Gegenbach den Auftrag für Untersuchungen „Zur Chemie der Ommogrombildung“. Es gab bei der Realisierung beträchtliche experimentelle Probleme in Hinblick auf „Vakuumdestillationen und die schwierigen Dichtigkeit eines benötigten Autoklaves für katalytische Hydrierung mit Raney-Nickel“. Während der Kandidat intensiv mit seiner Arbeit befasst war, wurden seine Eltern bei einem Bombenangriff auf Pforzheim getötet. Bedingt durch dieses für ihn so schreckliche Ereignis konnte sich Gengenbach erst verspätet bei Butenandt prüfen lassen. Am 13. April 1945 erhielt er von der Universität Tübingen sein Diplom.283 Einigen Forschungsstudenten gelang noch kurz vor Kriegsende die Abgabe ihrer Doktorschriften. Karl-Heinz Köhler, betreut von Glimm, legte Ende 1944/ Anfang 1945 bei Schumann seine Geheimdissertation vor: „Untersuchungen von Kohlestaubexplosionen“ (vgl. Anhang II: Geheimdissertationen). Korreferent war der Experte für Sprengstoffphysik, Prof. Braunsfurth (TH Berlin), der maßgeblich an der Sprengstoff-Forschung von WaF beteiligt war (vgl. Kapitel 7). Ortwin Schulze erwarb sich Ende 1944 den Doktortitel mit einer geheimen „Untersuchungen über elektrische Zünder“. Er erlitt dabei einen Unfall, dessen Hergang seine Ehefrau wie folgt beschrieb: „Kurz vor diesem Gespräch [mit Schumann, zu einem persönlichen Problem, G. N.] war Ortwin, der im Keller des II. PI im Labor von Hinderer seinen Arbeitsplatz hatte und die dort nebenan gelegene Sprengkammer benutzte, eine ganze Ladung Sprengstoff um die Ohren geflogen. Dabei wurde ihm das rechte Trommelfell zerstört (zeitlebens schwerhörig) und Gesicht und Hände mit Metallsplittern übersät, die nur teilweise mit Magneten herausgezogen werden konnten. An die Kurzzeitzünder mußten winzige Kugeln angelötet werden, die aber immer zu früh den Zünder auslösten. Also habe ich Assistentin gespielt und mit meinen Stick- und Schneiderarbeiten gewöhnten Fingern die Dinger angelötet. Dafür habe ich meine eigene Arbeit wieder längere Zeit zurückgestellt, was mir im KWI eine Menge Unannehmlichkeiten einbrachte, so daß ich auf die Beurteilung meiner im März 1945 fertig gestellten Arbeit über ‚Streuung von schnellen Neutronen an schweren Kernen‘ wegen Heisenbergs Aufenthalt in Haigerloch vergeblich warten mußte; dann saßen alle unsere Wissenschaftler in englischer Gefangenschaft, und später war meine Arbeit unauffindbar.“284
Mitte April 1945 hatte es auch Hans Kühne geschafft. Klose und Schumann nahmen seine Geheimdissertation „Untersuchungen der Struktur und der Zersetzung von Bariumazid mit Hilfe von Röntgen- und Elektronenstrahlen“ an. Bei Thiessen und Prof. Dr. Th. Schoon gab Werner Sack seine (nicht geheime) Promotion „Über KWI für Physik, Nr. 38, Bl. 1–4. Diesem Schreiben waren zu allen Genannten „U. k.-Karten“ (vom 9. Oktober 1944) für das Planungsamt des RFR beigefügt. Sie enthalten persönliche Daten, Angaben zum Wehrdienst sowie die Begründung (meist allgemein „Forschung und Entwicklung“, zu Schuler und Stroh: „Sondertreibstoffe“). 283 Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129). 284 Wie Anm. 273.
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I. Organisation
die Adsorption von schwach lyophilen Eisenhydroxydsol und lyophoben Goldsol am Amberger Kaolin“ ab. Beide Referenten prüften den Doktoranden am 14. März 1945. Die Urkunde über das erfolgreiche Verfahren musste Sack bei der Universität Berlin nachträglich am 23. September 1945 erbitten, da er sie „damals nicht erhalten hatte“.285 Kurz vor Toresschluss konnte Kurt Wolfschlag seine geheimen „Innerballistischen Untersuchungen an Handfeuerwaffen“ den Begutachtern Klose und Schumann offerieren.286 Zu Wolfschlag schrieb Luck einen gefährlichen Zwischenfall auf, der glücklicherweise glimpflich ausging: „Wolfschlag brachte eines Tages sich und mich in höchste Lebensgefahr. Er hatte für seine Examensarbeit in einem relativ kleinen Bunker eine Apparatur aufgebaut, um eine Gewehrkugel nach ihrem Abschuß noch im Gewehrlauf durch einen Röntgenblitz zu fotografieren. Damit hätte man die variable Geschoßgeschwindigkeit innerhalb des Laufes bestimmen können. Hierzu wurde der Abschuß elektrisch gezündet. Dieser elektrische Impuls wurde dann durch einen großen Kondensator auf Bruchteile einer Sekunde verzögert. Der so etwas verzögerte Elektro-Impuls löste dann kurz nach dem Abschuß einen Röntgenblitz aus. Kurt Wolfschlag kam zu mir und lud mich ein, Zeuge zu sein dieser seiner ersten Röntgenaufnahme eines Geschosses bei seiner Bewegung im Lauf. Er nahm mich mit, um mir stolz innerhalb des Bunkers die selbst aufgebaute, bereits eingeschaltete Anlage vorzuführen. Ich kritisierte dort die Auffangvorrichtung für das Geschoß außerhalb des Gewehres. Ein großer Baumstamm sollte den Schuß einfangen. Ich versuchte diesen Fehler klar zu machen durch einen Bericht zu meiner Lebensrettung in Charkow. Weil ein Geschoß durch seine im Lauf erteilte stabilisierende Drehung ein Kreisel ist, weicht es bei Widerständen kurz nach Verlassen des Laufes infolge der dortigen besonders hohen Drallbewegung senkrecht zu den Bremskräften aus. Bei solchen Versuchen kann man daher ein Geschoß nur durch einen unelastisch wirkenden Sandkasten auffangen. Diese Worte waren kaum beendet, als die bereits eingeschaltete Anlage von selbst den Abschuß löste, das Geschoß experimentell die Richtigkeit meiner Behauptung bewies und den Holzklotz nach rechts verlassend im Bunker hin und her flog. Wir hörten das Klicken an den beidseitigen Bunkerwänden, die das Geschoß mehrmals hin und zurück reflektierten. Doch diese Gefahr lief so schnell vorüber, daß wir gar nicht erst blaß oder ängstlich werden konnten. Wir standen unversehrt dazwischen. Das war zum Glück die letzte Lebensgefahr durch Geschosse jenes Krieges.“287
Andere Doktoranden hatten nicht das Glück der letzten Stunde. Sie konnten nicht mehr die Früchte jahrelanger Forschungen einfahren. Ihre experimentellen Arbeiten waren zwar vollendet, aber um sie wissenschaftlich exakt zu werten und die Ergebnisse sauber aufs Papier zu bringen, blieb keine Zeit mehr. Nicht ganz so hart von diesen Verlusten waren etliche Chemiker betroffen, die am KWI von Thiessen ihre Themen beackerten. Sie konnten Teile ihrer Ergebnisse über das Kriegsende retten und danach am KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie dennoch zum Titel gelangen. Das waren z. B. Günter Wolff (ab 1. Oktober 1945 tätig bei Prof. Ivan Stranski, Dissertation im Juni 1948), Werner Rathje
285 Promotionsverfahren Sack, AHUB. 286 Mitteilung Frau Magda Wolfschlags vom 8. September 2001. 287 Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129).
6. Die Studentenkompanie
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(seit April 1946 bei Stranski tätig, Dissertation im November 1948), Bertold Honigmann (seit Januar 1945 bei Stranski, bei ihm im Juni 1949 Dissertation).288 Mehrfach mussten Schumanns Studenten in Kummersdorf zur Kenntnis nehmen, dass der experimentelle Umgang mit Waffen, Sprengstoffen, Chemikalien usw. nicht ungefährlich war. Nebe holte sich bei Versuchen zur organischen Synthese 1943 eine Phosgenvergiftung. Schulze erlitt den oben bereits geschilderten Unfall. Beim Aufbau eines Sprengversuches im Referat WaF I b (Trinks) zündete die bereits intakte elektrische Zündeinrichtung vorzeitig und riss dem aufbauenden Laboranten Steinmann beide Hände ab. Ein anderer schwerer Unfall ereignete sich in der Werkstatt der Vers. Gottow. Bei der Wartung der Kleinbahnwagen wurden zwecks leichteren „Aufziehen der Räder die Achsen mit flüssiger Luft gekühlt“. Ein Arbeiter warf dabei aus „Übermut“ einen öligen Putzlappen in Richtung des flüssigen Sauerstoffes. Der explodierte sofort. Einige der Werkstattarbeiter verloren Beine oder Arme.289 Wo junge Leute beiderlei Geschlechts zusammen arbeiten, entstehen natürlich oft Liebesbeziehungen. Das war auch in Vers. Gottow der Fall, wo die Forscher ohne Sekretärinnen, Schreibkräfte und Laborantinnen nicht auskommen konnten. Einige Ehe, die in Gottow ihren Anfang nahmen, hielt ein ganzes Leben. Frau Magda Wolfschlag, damals noch ledig, bewarb sich nach Abschluss der Handelsschule mit Erfolg beim HWA. Nach ihrer Vereidigung durch General Beck kam sie zu WaF und arbeitete im Referat von Glimm, bald auch zusätzlich für Trinks. Durch ihre Hände gingen diverse Geheimpapiere, die oft auch als Gkdos eingestuft waren. Nach der Verlegung von WaF in die Räumlichkeiten von Vers. Gottow (August 1943) lernte sie den Feldwebel Wolfschlag kennen, der sie bat, seine Diplomarbeit zu schreiben. Später kam dann auch noch seine Dissertation dazu. Am 8. Mai 1944 heirateten beide, am 24. März 1945 wurde ihnen eine Tochter geboren. Da Ehepaare nicht bei der gleichen Dienststelle arbeiten durften, beendete Frau Wolfschlag ihre Tätigkeit bei WaF.290 Gießmann wurde in der Vers. Gottow mit der Laborantin und Sekretärin Glimms, Frau Winkel, bekannt, die er später heiratete.291 Auch die Ehe Ortwin und Ursula Schulze geb. Bebert hielt ein Leben lang. Beide hatten sich während des Studiums 1940/ 41 kennen gelernt.292 Zur Geschichte der Studentenkompanie sind noch zwei Episoden anzufügen. Schumann, der bekanntlich auch Militärmusik schuf, komponierte nach einem Besuch bei seinen jungen Leuten im März 1942 in Berlin-Glienicke (noch in der Kaserne von IOA) spontan ein Marschlied mit Text. Das „sollte als Stammlied der Studentenkompanie gelten und wurde oft lautstark geübt“. Der Text, beginnend mit: „Donnerwetter, die Schlacht ist aus …“, konnte bisher leider nicht vollständig aufgefunden werden.293 288 289 290 291
Lebensläufe in den betreffenden Dissertationen. Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129). Wie Anm. 286. Gespräch mit Prof. Gießmann am 14. Februar 2002; Brief Dr. Karl-Heinz Köhlers (wie Anm. 275). 292 Wie Anm. 273; Gespräch mit Frau Schulze am 4. Oktober 2002. 293 Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129); Mitteilung Dr. Dörings.
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I. Organisation
Nach außen war Schumann darauf bedacht, mit seiner Studentenkompanie nicht all zu sehr ins Gerede zu kommen; wusste er doch, dass seine Forschungstruppe nicht unumstritten war. Darauf deutet eine Äußerung von Geist hin, der offenbar keine Kenntnis von der Studentenkompanie hatte: „Im Herbst 1943 forderte ich in einer großen Besprechung beim OKW eine Anzahl von Freistellungen vom Wehrdienst, da das Korps der deutschen Wissenschaftler und Ingenieure ebenso seinen ausgebildeten Nachwuchs auch im Krieg gebrauche, wie das Offizierskorps. Mir wurde von General Reinecke erwidert, daß [eine] solche Feststellung mit dieser Begründung bisher noch nie vorgebracht worden sei“.294
Bei Kriegsende wurde die Studentenkompanie in alle Winde zerstreut. Einige wurden in die Kämpfe um Kummersdorf verwickelt, andere gehörten zum Evakuierungspulk des II. PI, das nach Gernrode im Harz zog, oder sie setzten sich mit Teilen von WaF nach Bayern ab. Viele gerieten in sowjetische, englische oder amerikanische Gefangenschaft. Mehrere kamen in den letzten Kriegswochen ums Leben. Von einigen dieser Ereignisse wird noch an anderer Stelle zu berichten sein. Auch abenteuerliche Unternehmungen ereigneten sich: Albrecht Maaß hatte sich mit zwei anderen Kameraden zusammengeschlossen und durch seinen im Führerhauptquartier tätigen Vetter, Vizeadmiral Voss, Papiere beschafft, die sie als „Wehrwölfe“ auswiesen. Eine Autokolonne nahm die drei mit nach Karlsbad. In der Nähe von Prag wurden sie getrennt und gerieten in amerikanische bzw. sowjetische Gefangenschaft, aus der sie jedoch relativ früh frei kamen.295 Als Fazit bleibt festzustellen: Die Bildung der Studentenkompanie war eine in die Zukunft gerichtete Maßnahme Schumanns. Sein Konzept – angepasst an die Bedingungen des Krieges – ging voll auf. Sowohl quantitativ, teilweise auch qualitativ vergrößerte sich zugleich das Forschungspotenzial der Abt. WaF. Etwa zwei Drittel seiner einstigen Studenten machten zwischen 1943 und 1955 ihren Doktor. Einige wirkten in Wissenschaft und Wirtschaft der Nachkriegszeit auf wichtigen Posten. Das spricht für sorgfältige Auswahl und gediegene wissenschaftliche Ausbildung (vgl. Anhang VI: Studentenkompanie).
294 Niederschrift Geists während der Gefangenschaft in Dustbin/Kransberg am 2. August 1945, National Archives (Nara) Washington, RG 319, Ent: IRR, Box 58, Bl. 3. Eine Kopie dieses Dokumentes stellte Dr. Rainer Karlsch zur Verfügung. 295 Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129); Mitteilung verschiedener Angehöriger der ehemaligen Studentenkompanie; Gespräche mit Cobarg und Kunz.
II. EXPERIMENTE 7. EXPLOSION/DETONATION Im täglichen Sprachgebrauch werden die Begriffe „Explosion“ und „Detonation“ unterschiedslos als gleichartig verwandt. Daran ist auch nichts auszusetzen. Doch für die Wissenschaftler, die die physikalischen und chemischen Vorgänge bei der Umsetzung von Explosivstoffen* erforschen, ist der Inhalt dieser Begriffe grundverschieden. Sie sehen zwei Arten der Umsetzung. Die erste Art ist die Verbrennung, die in einer Explosion endet. Diese Verbrennung, ausgelöst durch thermische Einwirkung, z. B. offenes Feuer, erfolgt zuerst mit relativ geringer Geschwindigkeit, die von Schicht zu Schicht steigt und mit rasant zunehmenden Temperaturen und Drücken einhergeht. In einem abgeschlossenen Raum entstehen dabei sehr hohe Drücke, die eine Umhüllung schlagartig zertrümmern und sich in der Umgebung nach allen Richtungen ausbreiten. Gänzlich anders die zweite Art, die Detonation. Hier gibt es keine Verbrennung, sondern, ausgelöst durch Schlag oder Stoß kommt es zu einem hydrodynamischen* Stoßvorgang, der mit einer chemischen Umsetzung verbunden ist. Diese wiederum hält den Stoßvorgang energetisch aufrecht; der Stoßvorgang seinerseits treibt die chemische Umsetzung voran. Es entstehen so hoch erhitzte und verdichtete „Schwaden“, die Geschwindigkeiten von über 1000 m/sec und enorme Drücke erreichen. Diese Schwaden breiten sich in bestimmten Richtungen aus und zertrümmern dabei mit ihrer Wucht die im Wege stehenden Hindernisse, wie Metallwände oder Gesteine. Sowohl die chemischen Endprodukte als auch die energetischen Ergebnisse bei der Umsetzung ein und desselben Stoffes sind bei einer Explosion bzw. Detonation unterschiedlich. Das gilt auch für die Geschwindigkeit der Umsetzung. Sie kann bei ein und demselben Explosivstoff bei einer Verbrennung einige Millimeter pro Sekunde betragen, bei einer Detonation hingegen einige tausend Meter pro Sekunde.296 Mit diesen Vorgängen beschäftigten sich die Sprengstoff-Forscher schon seit langem. Sie stellten dazu zahlreiche Fragen, zum Beispiel: Welche Gesetzmäßigkeiten bestimmen die Vorgänge bei Explosion und Detonation? Welchen Verlauf nehmen die Umsetzungsprozesse und welche Bedingungen haben darauf Einfluss? Wie können sie optimiert werden? Vor allem aber: Wie kann man sie waffentechnisch nutzen? Diverse Artikel in der Zeitschrift für das gesamte Schieß- und Sprengstoffwesen und in anderen Fachpublikationen belegen die oft hitzigen und zugleich kontrovers geführten Debatten der Wissenschaftler. Daran beteiligte sich mehrfach Schweikert, der damals auch auf diesem Gebiet arbeitete und sich erst später wie296 Vgl. u. a. Adolf Berthmann: Explosivstoffe, München 1960.
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II. Experimente
der voll der Ballistik zuwandte. Ab der Nummer 2/1934 besagter Zeitschrift nahm er mehrfach Stellung zur „Theorie der Detonation“ und widersprach den Auffassungen eines seiner Kollegen vom Institut für Theoretische Physik der TH Berlin bzw. eines Mitarbeiters der CTR. Schweikert ging es dabei vor allem um die Klärung der Frage, mit welcher Geschwindigkeit eine Detonation „fortschreitet“.297 Der mitunter sehr erregte Streit unter den Experten konnte nicht verwundern. Zu hoch waren die Temperaturen, Drücke und Geschwindigkeiten bei der Umsetzung von Explosivstoffen. Die vorhandenen technischen Mittel reichten einfach nicht aus, um tiefer in das Wesen der Prozesse bei Explosionen und Detonationen einzudringen. Erst als völlig neuartige, raffiniert ausgedachte Messverfahren und Untersuchungsmethoden Einzug in die Sprengstoff-Forschung gefunden hatten, konnten die Zusammenhänge genauer erkannt und zugleich wissenschaftlich exakt geklärt und bewiesen werden. Zum Instrumentarium gehörten jetzt die Röntgenblitzfotografie (ab etwa 1940), die weiterentwickelte Kerrzellenfotographie, die Hochfrequenz-Kinematographie und andere moderne Verfahren. Der Funkenchronograph von Siemens oder der Kathodenstrahloszillograph erlaubten es nun, schnellste Bewegungsvorgänge abzubilden und in einer Sekunde bis zu 15.000, bald sogar noch mehr Bilder zu erzeugen. Die neuen Verfahren, zu denen bis 1945 noch weitere hinzukamen, waren so wichtig, dass sie selbst zum Geheimnis wurden und unter Verschluss gerieten. Das galt vor allem für die Röntgenblitzfotografie, die schließlich zu Röntgenblitz-Filmaufnahmen führte.298 Die vielfältigen wissenschaftlichen Diskussionen sowie angestrengten Bemühungen, noch bessere und leistungsfähigere Mess- und Aufzeichnungsverfahren zu entwickeln machen auf folgendes aufmerksam: Eine einheitliche Theorie der Detonation existierte in den zwanziger und dreißiger Jahren erst in Ansätzen. Mit dem Beginn des Aufbaues einer „Großdeutschen Wehrmacht“ nach dem Machtantritt Hitlers verstärkte sich jedoch aus begreiflichen Gründen das wissenschaftlichtheoretische Interesse an den Vorgängen bei Explosion und Detonation. Zur Detonation wuchs es geradezu sprunghaft, und zwar bei allen Wehrmachtsteilen bzw. darüber hinaus. Seitens der Luftwaffe arbeiten daran vor allem die Experten der Technischen Akademie der Luftwaffe (TAL) in Berlin-Gatow (mitunter auch abgekürzt: Luft297 Schweikert: Über die Detonation von Sprengstoffen, in: Zeitschrift für das gesamte Schieß- und Sprengstoffwesen 2/1934, 49; 6/1934, 165; 7/1934, 194; 10/1936, 320. 298 Vgl. u. a. H. Selle: Über die Ermittlung von Detonationsgeschwindigkeit von Sprengstoffen, in: Zeitschrift Schieß- und Sprengstoffwesen 7/1937, 179; Hubert Schardin: Die Verfahren der Funkenkinematographie, in: Derselbe (Hg.): Beiträge zur Ballistik und technischen Physik, Leipzig 1938, 139–146; Alfred Stettbacher: Spreng- und Schießstoffe, Atomzerfallselemente und ihre Entladungserscheinungen, Zürich 1948; Rudi Schall, Gustav Thomer: Die Kurzzeitphotographie und ihre Bedeutung für die technische Forschung, in: Soldat und Technik 3/1961, 122–126; Werner Müller: Verborgenes sichtbar machen. Studium von Detonationsvorgängen mit Hilfe der Kerrzellenkamera, in: WTH 63 (1966), 396–408; Karl Vollrath, Gustav Thomer (Hg.): Kurzzeitphysik, Wien/New York 1967; Gustav Thomer: Röntgenblitztechnik, in: Jahrbuch der Wehrtechnik 4 (1969), 68–72.
7. Explosion/Detonation
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kriegsakademie, LKA). Geleitet wurde das hier 1936 eingerichtete Institut für Physik und Ballistik von Prof. Dr.-Ing. Hubert Schardin (1902–1965), der bereits als Assistent von Cranz unter dessen Anleitung sprengphysikalische u. a. Forschungen betrieb und sich dazu bald einen bedeutenden Ruf erwarb. Bei der Marine profilierte sich auf diesem Gebiet u. a. die Chemisch-Physikalische Versuchsanstalt (CPVA) in Dänisch-Nienhof bei Kiel. Einschlägige Forschungen betrieben die CTR und verschiedene Institute an Technischen Hochschulen.299 Natürlich standen diese Themen auch bei den wissenschaftlichen Einrichtungen der Sprengstoffindustrie und Waffenfabriken auf dem Programm, so bei der Westfälisch-Anhaltinischen Sprengstoff AG (WASAG), der Sprengstoff-Versuchs GmbH oder den Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken (DWM).300 Im HWA befassten sich gleich mehrere Abteilungen des Amtes Prüfwesen mit „Explosion/Detonation“, z. B. Prüf 1 (Ballistik und Munition), Prüf 4 (Artillerie) oder Prüf 5 (Minen- und Pioniergerät). Ihnen ging es vorrangig um unmittelbare waffentechnische Verbesserungen, z. B. bei Geschossen, Minen, Bomben, Handgranaten und Sprengsätzen. WaF konzentrierte sich auftragsgemäß auf die Grundlagenforschung. Die sprengphysikalischen Fragen hatte Schumann persönlich in der Hand. Er organisierte mit Nachdruck die wissenschaftliche Arbeit auf diesem Gebiet und leistete persönlich eigenständige Beiträge. Deshalb und auch wegen der von ihm vorgelegten Ergebnisse wurde er im RFR 1942 durch Göring zum „Bevollmächtigten für Sprengstoffphysik“ berufen. Er nutzte einen Großteil der personellen und materiellen Möglichkeiten seines II. Physikalischen Instituts für sprengphysikalische Forschungen. In der Forschungsabteilung wurden die sprengphysikalischen Untersuchungen zu festen Sprengstoffen vorwiegend im Referat von Trinks (WaF I b) realisiert. Mit flüssigen Sprengstoffen beschäftigte sich überwiegend Dr. Haeuseler (WaF I c), dessen Arbeiten noch an anderer Stelle vorgestellt werden (Kapitel 13). Die sprengstoffchemischen Themen waren zumeist angesiedelt im Referat Möller (WaF II d), aber auch andere Referate des von Eschenbach geleiteten Bereiches Chemie erbrachten gewichtige Anteile.
Sprengstoffphysik Der intensive Einstieg Schumanns in die Sprengstoffforschung kann auf Ende 1933/Anfang 1934 eingegrenzt werden. Zunächst ging es um die Bereitstellung entsprechender Finanzen. Am 19. Januar 1934 schrieb Becker im Auftrag des Reichswehrministers an Dr. Buttmann vom Reichsinnenministerium:
299 Vgl. u. a. Selle: Über die Ermittlung (wie Anm. 298) (Mitteilung aus der CTR); Otto Poppenberg: Über die Zersetzung der Explosivstoffe (aus dem Sprengstoff-Laboratorium der Technischen Hochschule Charlottenburg), in: Zeitschrift für angewandte Chemie 36 (1923), 80–85; Werner Döring: Über den Detonationsvorgang in Gasen, in: Annalen der Physik 43 (1943), 421–435; Werner Döring, Hubert Schardin: Detonationen, in: FIAT-Berichte, Bd. 11, 97–125. 300 Vgl. u. a. Karl Gruber: Die Pulverfabrik Düneberg, Geesthacht 1983.
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II. Experimente „Der Präsident der Notgemeinschaft hat sich, wie ihnen Min. Rat. Prof. Dr. Schumann schon berichtete, bereit erklärt, Geldmittel für wichtige Versuche im Interesse der Landesverteidigung bereit zu stellen.“
Buttmann sah keine Schwierigkeiten, dem Ersuchen zuzustimmen, handelte es sich doch seiner Meinung nach um eine „vaterländische Notwendigkeit von höchstem Rang“. Schon am 1. Februar 1934 lag bei Becker die zustimmende Antwort des Präsidenten der Notgemeinschaft, Staatsministers Dr. Schmidt-Ott, vor. Man war bereit, die für Schumann und Prof. Braunsfurth zum Zwecke ballistisch-physikalischer und sprengphysikalischer Untersuchungen benötigten Apparaturen der Notgemeinschaft als persönliche Leihgabe zur Verfügung zu stellen. Insgesamt wurden 13 Positionen bewilligt. Leider fehlt die betreffende Liste in dem eingesehenen Bestand. Sie wäre gewiss sehr aufschlussreich.301 Wenige Monate später, Anfang Mai 1934, trug Schumann dem damaligen Leiter von Wa Prüf, Becker, zur „Begründung des Faches Sprengstoffphysik“ sein soeben ausgearbeitetes „Sprengstoffphysik-Programm“ vor. Es umfasste eine stattliche Anzahl von Themen: Ionisationsmessungen an Sprengstoffschwaden, Bestimmung kritischer Potentiale und massenspektroskopische Untersuchungen in Sprengstoffschwaden, Bestimmung des thermodynamischen Gleichgewichtszustandes in Sprengstoffschwaden, Hohlkörper, Röntgenographische Untersuchungen (Bestimmung der Strukturen an Sprengstoffkristallen, Untersuchung der langsamen thermischen Zersetzung), Schallgeschwindigkeit in Sprengstoffen, Fotoelektrische Zersetzung, Elektronenoptische Abbildung von Sprengstoffschwaden (insbesondere einzelner Sprengstoffmoleküle), Zersetzung von Sprengstoffen durch Beschuss mit Elektronen (Aufsuchen kritischer Potentiale), Oszillographische Hochdruckmessungen.302 Nach eigenen Angaben hat Schumann in der Folgezeit bis 1945 eine Reihe persönlich verfasster sprengphysikalischer Arbeiten vorgelegt, so z. B. „Sprengstoffe und ihre Wirkungen als physikalisches Problem“ (1940), „Strahl oder Geschoß“ (1941), „Über Sprengwaffen“ (1944). Dazu kommen Arbeiten zur Hohlladung, über die im folgenden Kapitel berichtet wird. Zusätzlich gab er die „Berichte des Bevollmächtigen für Sprengstoffphysik“ heraus. In dieser geheimen Dokumentationsreihe stellten er und seine Mitarbeiter die am II. Physikalischen Institut und in der Vers. Gottow erzielten Ergebnisse vor. Aus all diesen Aktivitäten seien für 301 Akte „Unterstützung aus Mitteln der Notgemeinschaft“, BAB, R 1501/126774, Bl. 199–217. Zur Notgemeinschaft vgl. u. a. Hammerstein: Deutsche Forschungsgemeinschaft. 302 Vortragsnotiz Schumanns Zusammenfassende Darstellung der Entwicklung und Verwendung von Hohlladungen in Geschossen vom 28. Oktober 1941 (GKdos), BAB, R 3/3292.
7. Explosion/Detonation
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ihn – so Schumann – „zahlreiche deutsche und ausländische Patente auf dem Gebiet der Sprengstoffphysik“ hervorgegangen (vgl. die Einzelheiten im Kapitel 22).303 Da die betreffenden Dokumente bis auf wenige Ausnahmen nicht aufzufinden waren – sie wurden zumeist 1945 vernichtet oder gingen verloren –, kann zum Inhalt und zum wissenschaftlichen Wert der von Schumann persönlich geleisteten sprengphysikalischen Arbeiten kein abschließendes Urteil abgegeben werden. Vieles deutet indes darauf hin, dass es Schumann vortrefflich verstand, diesen Forschungsbereich effizient zu organisieren, seinen Mitarbeitern die richtigen Aufgaben zu stellen, ihnen bestmögliche Arbeitsbedingungen zu schaffen und für eine moderne Ausrüstung zu sorgen. Die Versuchsstätten in Kummersdorf boten optimale Voraussetzungen. Ein herausragendes Beispiel dafür sind die Forschungen von Rudi Schall (*1913). Der gebürtige Berliner hatte an der dortigen Universität ab 1931 Physik, Mathematik und Chemie studiert. Dabei geriet er ins Blickfeld Schumanns. Mit einem akustischen Thema „Symmetrisch geschaltete kapazitive Mikrophone“ promovierte Schall Anfang 1937 bei Schumann und Wehnelt. Anschließend ging er als Assistent zum II. PI und arbeitete dort zur Elektroakustik und über Ultraschall.304 Bald wandte er sich in Verbindung mit der Forschungsabteilung den Detonationsvorgängen zu. Ihm gelangen erstmals Röntgenblitzaufnahmen an Stäben des Sprengstoffes Nitropenta*, die u. a. die Dichteverteilung bei der Umsetzung bildlich darstellten. Ebenso konnte Schall mit diesem Verfahren experimentell den Anfangsdruck von Stoßwellen ermitteln und einwandfrei belegen. Gewichtige Beiträge leistete er auch, ebenfalls mittels Röntgenblitzfotografie, zur Klärung der Vorgänge beim Sprengen unter Wasser, die wegen der Eigenschaften des Wassers besonderen Bedingungen unterliegen: „Mehrere Aufnahmen lieferten die Verdichtung in der Stoßwelle für verschiedene Entfernungen vom Sprengstoff … sowie die Weg-Zeit-Kurve der Stoßwelle und daraus ihre Geschwindigkeit … Eine an der Sprengstoffoberfläche entlanglaufende Detonationswelle in Nitropenta erzeugt nach Schall im Wasser eine Stoßwelle mit dem Druck von 150.000 Atm. und der Geschwindigkeit von 5.000 m/sec.“305
Das Thema „Unterwassersprengung“ hatte wahrscheinlich in den Forschungen von WaF keinen unbedeutenden Stellenwert. Das Oberkommando der Marine, Mar. Rüst/Abt. FEP, zuständig für die Grundlagenforschung, lud Vertreter des HWA zu einer Tagung „Unterwassersprengung“ ein, die am 28. und 29. Oktober 1943 im Berliner Harnack-Haus stattfand. Anwesend waren Schumann, Basche, Trinks,
303 Verschiedene Dokumente im NL Schumann; vgl. auch Angaben zu Schumann in: Kürschners Deutscher Gelehrtenkalender, Ausg. 1985 u. a. Jahrgänge. 304 PA und Promotionsunterlagen Schall, AHUB. 305 Döring, Schardin: Detonationen (wie Anm. 299), insbesondere 102 f., 106, 112 f. Mit diesem Beitrag gaben die Autoren einen Gesamtüberblick zu den von 1933 bis 1945 geleisteten Arbeiten zur „Detonation“.
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II. Experimente
Glimm, Sachsse, Haeuseler – alle WaF – sowie Dr. Wülfken von Wa Prüf 5 (Minen- und Pioniergerät). Einzelheiten zum Inhalt der Tagung sind nicht überliefert.306 Von Schall stammen mehrere ausführliche Beiträge in den „Sprengphysikalischen Berichten“, die jedoch weitgehend verschollen sind. Gefunden werden konnte u. a. der Bericht 44/12. Aus ihm sollen nachfolgend einige längere Auszüge wiedergegeben werden, da sie interessante Einblicke in die Kompliziertheit der experimentellen Arbeit und in die theoretische Deutung der erzielten Ergebnisse geben: „Die röntgenographische Messung der Schwadendichte in der Detonationsfront ermöglicht in der stationären Detonationswelle die Bestimmung der dort vorliegenden Strömungsgeschwindigkeit. Bei Nitropenta wird diese als unabhängig von der Ladedichte des Sprengstoffes und in guter Übereinstimmung mit den nach der hydrodynamischen Theorie errechneten Werten festgestellt. Die Austrittsrichtung der Schwaden aus einer ebenen Sprengstoffoberfläche ergibt sich durch Überlagerung ihrer in Detonationsrichtung verlaufenden Strömungsgeschwindigkeit mit der durch den normal zur Oberfläche verlaufenden Detonationsdruck verursachten Expansionsgeschwindigkeit. Durch Messung der Austrittsrichtung und -geschwindigkeit aus einer senkrecht zur Detonationsfront orientierten Oberfläche läßt sich daher in einfacher Weise die Schwadenströmungsgeschwindigkeit in der Detonationswelle und somit der Detonationsdruck bestimmen … In einer früheren Arbeit (Schall, 43/4) wurde gezeigt, daß mit Hilfe von Röntgenaufnahmen sehr kurzer Belichtungszeiten (10–7 sec.) der Feldverlauf der Schwadendichte bei detonierenden Sprengkörpern bestimmt werden kann. Mit dem Dichtesprung in der Detonationsfront wurde damit auch die Strömungsgeschwindigkeit der Schwaden und der Druck in der stationären Detonationswelle erstmalig meßbar. Für Trinitrotoluol der Dichte 1,50 ergab sich durch Ausmessen der Verdichtungswelle eine Schwadendichte von 1,83 in der Front der Detonationswelle, der einem Druck von 115.000 atm entspricht. Dieser Wert für den Detonationsdruck wurde auch durch Bestimmung der Beschleunigungsarbeit, die der Druck senkrecht zur Detonationsrichtung leistet, gut bestätigt … Über die Nachprüfung spezieller zahlenmäßiger Ergebnisse der hydrodynamischen Theorie hinaus hat die kritische experimentelle Untersuchung allgemeiner, sich aus der Theorie ergebender Gesetzmäßigkeiten für die Erkenntnis und Beherrschung detonativer Vorgänge besondere Bedeutung. Die röntgenographische Messung von Schwadengeschwindigkeiten im Sprengstoff gibt nun die Möglichkeit eine wichtige Folgerung der hydrodynamischen Theorie praktisch zu prüfen: Theoretisch…ergibt sich nämlich die Strömungsgeschwindigkeit W der Schwaden in der Detonationsfront als nur von der chemischen Reaktionsgleichung bestimmt, von der Sprengstoffladedichte also praktisch unabhängig. Eine experimentelle Bestätigung dieser Aussage würde erlauben aus der Bestimmung von W bei einer Ladedichte die Detonationsdrucke [nach einer Formel, die hier weggelassen wurde, G. N.] für alle Dichten anzugeben, da ja der Gang der Detonationsgeschwindigkeit D mit der Dichte bekannt ist. Nun ist für einen Vergleich der theoretisch errechneten und röntgenographisch gemessenen Zustandswerte in der Detonationswelle Trinitrotoluol als Versuchssprengstoff schlecht geeignet, da dieser äußerst stabile Stoff in seinen detonativen Eigenschaften und Wirkungen starke Streuungen zeigt, die auf Schwankungen im Reaktionsmechanismus hindeuten. Für den vorliegenden Zweck wurde deshalb ein Sprengstoff mit besonders guten stationären Detonationseigenschaften ausgesucht und als solcher Nitropenta gewählt. Die ausgezeichnete Konstanz der Detonationsgeschwindigkeit dieses Stoffes ist aus der Drehtrommelaufnahme (Abb. 1) ersichtlich. Da in den Schwaden ferner kein Kohlenstoff abgeschieden wird und die
306 Einladung des OKM, FEP zur Tagung 28./29. Oktober 1943 im Berliner Harnack-Haus, BAB, R 26 III/208.
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Hochofenreaktion daher nicht berücksichtigt zu werden braucht, liegen für die hydrodynamische Berechnung verhältnismäßig gut gesicherte Unterlagen vor … Da die Schwaden selbst keine hinreichend genau auszuwertenden Spuren hinterlassen, müssen sie mit einem Stoff behaftet werden, der – mit ihnen beschleunigt – gut ausmeßbare Spurenbilder liefert. Um Streuungen, wie sie sich durch unregelmäßiges Abreißen von Splittern aus einem kompakten Materialstück ergeben, zu vermeiden, wurde die untersuchte Sprengstoffoberfläche mit einer dünnen Schicht feinkristallinen Pulvers aus Siliciumkarbid versehen, das auch bei hohen Temperaturen noch sehr hart ist und in einer polierten Stahlplatte äußerst feine, strichartige und daher gut auswertbare Spuren hinterläßt …“307
Für die sprengphysikalischen Forschungen nutzte Schumann in beträchtlichem Ausmaße die am seinem II. PI ausgebildeten Doktoranden. Deren überwiegend geheime Arbeiten befassten sich sowohl mit der Aufklärung der verschiedensten sprengphysikalischen Erscheinungen als auch der Entwicklung bzw. Weiterentwicklung geeigneter Untersuchungsverfahren (vgl. Anhang II: Geheimdissertationen, die Angaben zu den nachfolgenden Personen und den Quellen enthält). Herbert Koschitzki promovierte z. B. 1938 mit „Untersuchungen über Methoden zur Messung hoher Gasdrücke“. Herbert Dziergwa stellte, ebenfalls 1938, ein neues „Verfahren zur Kurzzeitmessung“ vor. Martin Klemt schrieb 1938 über eine „Methode zur Bestimmung der Schallgeschwindigkeiten in stabförmigen Körpern kurzer Länge“, während Theodor Wörner noch Anfang April 1945 (!) seine Arbeit über „Momentphotographie von Metalldampf- und Sprengstoffschwaden …“ verteidigen konnte. Wörners Geheimdissertation ist insofern von großem Interesse, weil es zu ihr eine der wenigen, erhalten gebliebenen schriftlichen Vermerke Schumanns über den Inhalt einer solchen Ausarbeitung gibt: „Beurteilung der Dissertation des Dipl.-Phys. Theodor Wörner. Auf Grund der bisher vorliegenden Arbeiten und Ergebnisse auf dem Gebiet der Interferenzoptischen Methoden zur Untersuchung der bei Funkenknall- und Detonationsvorgängen auftretenden Dichteschwankungen erschien es aussichtsreich, mit einer neuartigen Methode – dem Schumannschen Interferenzrefraktrographen – erneut eine experimentelle Lösung des Problems zu versuchen. Da bei dieser Methode zur Erzielung der Aufnahmen mit Funkenbeleuchtung gearbeitet werden muß, konnte W. infolge der in seiner Diplomarbeit erhaltenen Ergebnisse eine für die Aufgabe notwendige Verzögerungseinrichtung entwickeln, die die zeitliche Differenz zwischen dem Vorgang und der Beleuchtung lieferte. Unter Zuhilfenahme des von mir angegebenen Interferenzrefraktographen gelang es W. Momentaufnahmen von Metalldampf- und Sprengstoffschwaden herzustellen, aus denen leicht mit Hilfe bekannter Auswertungsmethoden die Dichteverteilung ermittelt werden kann. Die Aufnahmen selbst geben ein anschaulich-plastisches Bild der Schwaden in unterschiedlichen Phasen der Entwicklung und Ausbreitung. Die mit Hilfe dieser Arbeit erhaltenen Ergebnisse ermöglichen es ohne weiteres, durch Weiterentwicklung der Funkenbeleuchtung zur Funkenkinematographie hin den zeitlichen Verlauf des zu untersuchenden Vorgangs eingehend zu klären.
307 Sprengphysikalischer Bericht 44/12: Aus dem II. Physikalischen Institut. Röntgenblitzuntersuchungen, Bericht Dr. Schalls vom 14. Januar 1944 (Geheime Reichssache), BAB, R 3/1418 vorl. (Hervorhebung ebd.).
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II. Experimente Aus kriegsbedingten Gründen konnte die Auswertung der Aufnahmen und die Niederschrift des Textes nicht vollendet werden.“308
Andere Doktorarbeiten zu sprengphysikalischen Themen stammen von Ernst Haase „Untersuchungen an Leuchterscheinungen von Sprengstoffschwaden“ oder von Erich Horn „Theorie des Flüssigkeitsschlages“. Auch etliche Angehörige der Studentenkompanie gaben auf diesem Gebiet ihre Diplomarbeiten ab. Bei Schall arbeitete z. B. der Physiker Hasso Döring über „Messungen der Ausbreitungsgeschwindigkeit von Verdichtungsstößen und Schwaden in Flüssigkeiten mittels Röntgenblitzen“. Die Prüfungen dafür erfolgten am 13. Februar 1945. Ebenfalls von Schall betreut wurde Reinhard Müller, der seine Diplomarbeit im Juni 1944 abschloss. Sie galt der „Messung der dynamischen Kompression bei Stoßwellen in Flüssigkeiten nach der Röntgenmethode“. Als Flüssigkeiten wurden von ihm Wasser, Alkohol, Aceton und Äther untersucht. An ihren Grenzflächen maß Müller die „Teilreflexion der Detonationswelle“.309 Besondere Hoffnung auf Fortschritte in der Sprengstoffphysik setzte Schumann schon früh in röntgenographische Untersuchungen. Einer der Ersten, der sich dieser neuen Thematik widmete, war Gerhard Pfefferkorn (1913–1989). Nach Aufnahme des Physikstudiums 1932 in Freiburg i. Br. kam der junge Mann 1935 an die Universität Berlin. Ende 1935 erteilte ihm Schumann den Auftrag zu „Röntgenographische Untersuchung über die Struktur des Bleiazid und sein Verhalten bei höheren Temperaturen“. Am 23. November 1938 verteidigte er seine (offenen) Ergebnisse zum Bleiazid* bei Schumann und Wehnelt, und zwar mit bestem Erfolg. In seiner Schrift vergaß der Doktorand nicht den Dank an „Herrn Professor Dr. Braunsfurth“ für die „Anteilnahme und fördernden Ratschläge“. Sein Sohn teilte dazu mit: „Vaters Forschungsbereich war die Röntgenfeinstrukturanalyse, eine neue physikalische Untersuchungsmethode, die Kristallstrukturen erkennen lässt. Diese damals neue Möglichkeit wurde zur Grundlagenforschung eingesetzt.“
Nach seiner Promotion arbeitete Pfefferkorn weiter am II. PI. In einem Vermerk seines Vorgesetzten hieß es: „Dr. Pfefferkorn soll bis auf weiteres an drei Tagen Versuche auf dem Schießplatz in Kummersdorf (Versuchsstelle Gottow) machen und die Ergebnisse im hiesigen Institut auswerten.“310
Auch der ehemalige Student der Universität Berlin, Hans Richard Berghaus verwies in seinem Lebenslauf zur Dissertation (1953) auf die Vers. Gottow: „Die experimentellen Untersuchungen zur Diplomarbeit über spektroskopische Untersuchungen an detonierenden Sprengladungen [wurden] in der Forschungsstelle Kummersdorf erledigt.“311
308 Promotionsunterlagen Wörner, AHUB, MNF. 209, Bl. 26. 309 Mitteilung von Dr. Hasso Döring vom 2. und 22. Januar 2003. 310 Dissertation Pfefferkorn; PA Pfefferkorn P 92, AHUB; Mitteilung von Prof. Dr. Joachim Pfefferkorn vom 26. September 2000 und 18. Juni 2001. 311 Dissertation Hans Berghaus: Zum Einfluß des Gasdruckes auf stille elektrische Ladungen, Universität Mainz, 23. Juni 1953 (Lebenslauf); das REM am 8. Januar 1945 an den Dekan der
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Mit „Röntgenograpischen Untersuchungen“ waren des weiteren Hans George Otto beschäftigt (*1909, Geheimdissertation 1939) sowie Gerhard Leeder und Hans Kühne (Geheimdissertationen 1944 und 1945). Beide Autoren und ihre Arbeiten werden im Kapitel 18 vorgestellt. Zu nennen ist auch die Abhandlung von Curt Wolfschlag (Studentenkompanie): „Eine Apparatur zur röntgenographischen Grobstrukturaufnahme“. Wegen ihrer Bedeutung wurde sie für geheim erklärt und durch Schumann und Klose zugleich als Diplomarbeit anerkannt.312 Welche Fortschritte in der Sprengstoff-Forschung unter Schumanns Leitung erreicht wurden, deutet eine wahrscheinlich 1943/44 entstandene Aufstellung für den RFR an. Sie umfasste 16, überwiegend geheime Themen, für die alle die Dringlichkeit „SS“ beantragt war. Nahezu die Hälfte galt Arbeiten zur Hohlladung. Darüber hinaus waren vorgesehen: Stoßwellenuntersuchungen in Flüssigkeiten mittels der Röntgenblitzmethode, Verbesserung von Pioniersprengladungen, Strukturuntersuchungen an Sprengstoffen, Entwicklung eines Röntgenblitzkinematographen sowie die Verbesserung des Aufnahmeverfahren mit dem AEGZeitdehner. Prof. Braunsfurth wurde genannt mit: „Untersuchungen über den Detonationsvorgang“.313 Eben dieser Prof. Dr. Günther Braunsfurth (*1906), der bereits mehrfach Erwähnung fand, leistete zahlreiche Beiträge zur Sprengstoffphysik. Bei diesem Wissenschaftler handelte es sich um einen Schüler Wehnelts, bei dem er 1930 an der Universität Berlin promovierte. Auf Vorschlag von General Becker wechselte er 1934 zur TH Berlin, wo ihm der neu geschaffene Lehrstuhl für Sprengstoffphysik übertragen wurde. Anfang 1939 bestürmte Winkhaus (ehemals tätig in der „Zentralstelle“ bei Schumann, jetzt Dekan der WTF) das REM, man möge doch den Lehrstuhl von Braunsfurth an die Universität Berlin übergeben. Winkhaus begründete seine wiederholt vorgetragene Bitte damit, dass der Professor „seit Jahren ausschließlich im II. Physikalischen Institut der Universität unter der Leitung von Prof. Dr. Schumann“ arbeite. Diese Tätigkeit gehöre zu den „Hauptarbeitsgebieten des Prof. Schumann“. Aus der „offiziellen Zugehörigkeit Braunsfurths zur TH hätten sich jedoch für Schumann wiederholt gewisse Schwierigkeiten ergeben“. Weiter argumentierte Winkhaus: „Die erheblichen Mittel für die Durchführung der sprengstoffphysikalischen Arbeiten fließen dem II. Physikalischen Institut von Seiten der Wehrmacht zu. Die Ergebnisse werden ebenfalls durch Prof. Schumann und Prof. Braunsfurth unmittelbar der Wehrmacht zugeführt. Die Erprobung der Ergebnisse geschieht bei der Forschungsabteilung des Heereswaffenamtes, deren Chef ebenfalls Prof. Dr. Schumann ist. Es erscheint der Wehrtechnischen Fakultät deshalb
Math.-Nat.-Fak. der Universität Berlin, BAB, R 4901/12850, Bl. 259. Die Röntgenmethode, eingesetzt zur Strukturforschung an den verschiedensten Stoffen, erlebte in den zwanziger und dreißiger Jahren einen großen Aufschwung. Sie entwickelte sich zu einer selbständigen Wissenschaft mit eigenen Lehrstühlen und fand in der Materialprüfung weit verbreitet Anwendung. Vgl. Maier: Forschung als Waffe, 167–175. 312 Promotionsverfahren Wolfschlag, AHUB. 313 Aufstellung Sprengstoffphysik, Bearbeiter Schumann (ohne Datum), BAB, R 26 III/271, Bl. 138.
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II. Experimente folgerichtig, dass infolge dieser Entwicklung der Tätigkeit des Prof. Braunsfurth auch seine Einordnung in den Lehrkörper der Universität Berlin geradezu notwendig geworden ist.“314
Aus unbekannten Gründen wurde der Antrag des Dekans durch das REM abgelehnt. Braunsfurth verblieb an der WTF und setzte dort seine Forschungen für WaF fort. Vier Jahre später äußerte sich Winkhaus erneut zu Braunsfurth. Er habe in seiner Stellung Hervorragendes geleistet: „In ständiger Verbindung mit den Fachstellen des Heereswaffenamtes war er ausschlaggebend an der Lösung wichtiger wissenschaftlicher Probleme beteiligt, die das Sprengstoffwesen betreffen. Seine wichtigsten Arbeiten sind folgende: (1) Untersuchung über die außerordentlich hohen Sprengstoffschwaden-Geschwindigkeiten. (Dies Problem wurde von Prof. Braunsfurth einer eingehenden Klärung zugeführt). (2) Untersuchung über den Mechanismus des Sprengstoffmoleküle-Zerfalls bei der Detonation. (Prof. Braunsfurth gelang eine Erklärung für die brisanten Wirkungen an sich energiearmer Initialexplosivstoffe.) (3) Entwicklung einer Präzisionsmethode, welche es erlaubt, die Bildungswärmen von Schwermetallaziden direkt aus einem kritischen elektrischen Potential zu bestimmen. (4) Bestimmung der wirklichen Sprenggas-Temperaturen (auf Grund einer von ihm selbst entwickelten neuen Meßmethode). (5) Die völlige Klärung des gesamten Detonations-Umsetzung-Zerfalls-Mechanismus (Veröffentlichung dieser Arbeit steht bevor).“
Braunsfurth verfüge neben seinem Fachgebiet über exakte Kenntnisse der HFTechnik, Elektronik, Röntgenphysik, Akustik und Ballistik, weshalb er wiederholt vom OKW, OKH und RFR als Gutachter herangezogen worden sei. Bewährt habe er sich auch bei der Ausbildung und Anleitung von Doktoranden. Winkhaus legte in diesem Zusammenhang Leeb dezent nahe, eine Anerkennung der besonderen Verdienste des Professors in Erwägung zu ziehen.315 Mitte 1944 arbeitete Braunsfurth an dem nicht näher bezeichneten Vorhaben „Detonation“. Es war mit dem Speer-Ministerium abgestimmt, und die Erteilung der „DE-Stufe“ beantragt. Für diese Forschungen, die zwischen Schumann und dem OKM vereinbart worden waren, benötigte Braunsfurth mehrere wichtige Geräte: Hochspannungskondensatoren der Firma Scherb und Schwer, ein Röntgenblitzrohr der Firma Siemens sowie eine Sprengstoffpresse der Firma Wamag, Görlitz. Wegen der Lieferschwierigkeiten ersuchte Braunsfurth den RFR „in dieser Angelegenheit beim Speer-Ministerium klärend einzugreifen“.316 Der Stellenwert der sprengphysikalischen Arbeiten unter Schumanns Leitung wird auch durch die dafür bereitgestellten finanziellen Mittel unterstrichen. So bewilligte beispielsweise Mentzel am 21. August 1943 Schumann 150.000 RM. Die gleiche Summe erhielt Schumann von Mentzel am 1. Juni 1944. Für die For314 Winkhaus am 15. März 1939 an das REM, BAB, R 4901/14530 Bl. 9 f. 315 Winkhaus am 23. Juli 1943 an den Dekan der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Posen wegen Übertragung eines Ordinariats an Braunsfurth, BAB, R 4901/14530, Bl. 14. Auf die gute Betreuung von Doktoranden durch Braunsfurth machte auch Dr. Gollmick aufmerksam, Mitteilung vom 21. September 2005 und 29. Januar 2006. 316 Braunsfurth am 18. September 1944 an den Präsidenten des RFR, BAB, R 26 III/3.
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schungen unter dem Stichwort „Detonation“ unterschrieb Schumann mehrmals Geldzuweisungen des RFR an Braunsfurth, beispielsweise Mitte November 1944 25.000 RM, am 10. Januar 1945 (25.000 RM) und zuletzt am 8. Februar 1945 (1.000 RM).317
Sprengstoffchemie Inhalt und Umfang der Forschungen von WaF auf diesem Sektor sind weit weniger gut überliefert, als die zur Sprengstoffphysik. Die aufgefundenen Dokumente legen jedoch nahe, dass anspruchsvolle Ziele anvisiert und z. T. auch erreicht wurden. Darauf deutet z. B. ein Bericht vom Oktober 1945 zur Befragung eines Schlossers A. Krüger hin, der in Kummersdorf (Vers. Gottow) in der „Werkstatt 26 a, Gruppe Chemie“ tätig war: „Während der Zeit, als Krüger in der Heeresforschungsstelle beschäftigt war, wurden dort Versuche mit einem hochexplosiven flüssigen Sprengstoff gemacht, der dort selbst hergestellt wurde, und zwar auf den Versuchsständen Stand 9 und 14. Krüger selbst kennt die Zusammensetzung der Sprengmasse nicht. Er weiß nur, dass es nicht Nitro-Glyzerin war. Sie war äußerst giftig und verdampfte schnell an der Luft. Aus diesem Grunde wurde sie mit flüssiger Luft, die auf einer besonderen Station hergestellt wurde, ständig auf tiefen Temperaturen gehalten. Die Sprengmasse selbst wurde hauptsächlich für eine besondere Art von Zündern verarbeitet, aber auch sonstige Sprengbehälter aus dem verschiedensten Materialien und auch den verschiedentlichsten Formen wurden zu Versuchszwecken hergestellt und zur Explosion gebracht. Die Wirkung war ganz enorm, bedeutend stärker als jeder andere Sprengstoff.“318
Krüger benannte als einen seiner Vorgesetzten in Kummersdorf Dr. von Gratkowski. Dieser Dr. Hans-Wolf v. Gratkowski (1915–1988), studierte ab 1932 an der Universität Berlin Chemie. Im September 1936 nahm er eine Tätigkeit am 317 BAB, R 26 III/209. Schumann verstand es, sich mittels einiger Tricks zusätzlich Geldmittel zu beschaffen. So beschwerte sich am 11. April 1944 Dr. Hugo Seemann, Konstanz, über die trotz mehrfacher Mahnung ausbleibenden Zahlungen von 5.000 RM für einen Forschungsauftrag mit dem Tarntitel „Weitwinkelverfahren“ bzw. „Rückstrahl-Weitwinkelverfahren“, welcher von dem Bevollmächtigten für Sprengphysik, Prof. Schumann, kontrolliert werde. Dazu der lapidare Kommentar von Graue: Erst seien die Zahlungsverpflichtungen zu Schumanns sprengphysikalischen Arbeiten zu realisieren. BAB, R 26 III/439a, Bl. 298. 318 Bericht „Betr. Heeresforschungsstelle Kummersdorf“ vom 23. Oktober 1945, Kopien zur Verfügung gestellt von Dr. Rainer Karlsch, der diese Dokumente bei Recherchen in Moskau fand. An den betreffenden Ermittlungen, die 1945 offenkundig im Auftrag sowjetischer Stellen im Zusammenhang mit dem Uranprojekt erfolgten, war „Hugo Gefroi, Pressestelle im Polizeipräsidium Berlin“, maßgeblich beteiligt. Die „Pressestelle II“ war die Tarnbezeichnung für eine im Sommer 1945 gebildete Spezialgruppe, bestehend aus „einigen alt gedienten zuverlässigen KPD-Mitgliedern, meist aus dem so genannten Militärpolitischen Apparat (MApparat), [die] im Parteiauftrag gezielt nach Akten der Gestapo, der NSDAP und anderer wichtiger Institutionen des Hitlerstaates suchte“. Ihr gehörte auch Gefroi an. Die „Pressestelle II“ wurde im April 1946 mitsamt ihrem Aktenbestand an die „Personalpolitische Abteilung“ (PPA) beim Parteivorstand der SED übergeben. Henry Leide: NS-Verbrecher und Staatssicherheit. Die geheime Vergangenheitspolitik der DDR (Analysen und Dokumente), Göttingen 2005, 143–150, insb. 143.
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KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie auf, wechselte aber bald zur Vers. Gottow, wo er im Auftrag von WaF mit Untersuchungen für seine Doktorarbeit begann. Diese Schrift: „Untersuchung über Komplexe saurer Salze“ wurde am 23. Juli 1941 bei Schumann und Thiessen verteidigt und für „Sehr gut“ befunden. Sie wurde als „Geheime Kommandosache“ klassifiziert. Wahrscheinlich gehörte Gratkowski bei WaF zum Referat II c.319 Da WaF nur über einige wenige Sprengstoffchemiker verfügte – das Referat II d (Sprengstoffchemie) war 1944 beispielsweise nur mit einem Leiter und einem Mitarbeiter besetzt – griff man auf eine bewährte Methode zurück: WaF nutzte vor allem die an Hochschulen, Universitäten und anderen Einrichtungen zahlreich vorhandenen Chemischen Institute, an denen oft renommierte Wissenschaftler von Rang tätig waren und die große Bereitschaft zur Realisierung der ihnen zugedachten Geheimaufträge zeigten. Eine feste Größe in dieser Beziehung war für Schumann der Chemiker Prof. Dr. Paul Günther (1892–1969), Direktor des physikalisch-chemischen Institutes der Universität Berlin. Er hatte 1917 bei Prof. Walther Nernst (Universität Berlin) mit einem Thema über tiefe Temperaturen promoviert. Während des Ersten Weltkrieges arbeitete er beim Militärversuchsamt über Sprengstoffe. Sein Lehrer auf dem Gebiet der Sprengstoffchemie war der bekannte Prof. Dr. Hermann Kast. 1923 gab Günther sein „Laboratoriumsbuch für die Sprengstoffindustrie“ heraus. Ab Ende 1927, jetzt bereits habilitiert, arbeitete er am „Institut für Technische Chemie, Technologie der Explosivstoffe“ der Universität Berlin. Später wandte er sich der neu aufgekommenen Röntgenspektroskopie zu, u. a. zur Untersuchung der chemischen Wirkung von Röntgenstrahlen. 1938 übernahm Günther, in Nachfolge von Prof. Max Bodenstein, das Physikalisch-Chemische Institut der Universität Berlin. Während des Zweiten Weltkrieges führte er, im Range eines Kriegsverwaltungsrates, Forschungen „im Auftrag des OKW“ durch. Sein Institut war in dieser Zeit der Abteilung Wissenschaft im OKW unterstellt. Der Inhalt der Arbeiten Günthers während des Krieges ist nicht bekannt, lediglich Aufträge des RFR „Chemische Wirkung von Ultraschall“, Dringlichkeit SS. Wichtig scheinen seine Forschungen aber gewesen zu sein, immerhin bekam er 1942 das KVK II. Klasse zugesprochen. Seine Arbeiten wurden mit stattlichen Mitteln des RFR gefördert, bewilligt von Mentzel und Thiessen, zuletzt am 12. Februar 1945 mit 4.500 RM. Auch das „außerordentliche Interesse russischer Behörden an der Arbeit des Instituts“ – gleich nach Kriegsende – weist in diese Richtung. „Alle Mitarbeiter wurden streng verhört.“320 319 Promotionsunterlagen Gratkowski, Akten „Geheimpromotionen“, Bd. 3, AHUB. 320 Zusammengestellt nach: Paul Günther: Untersuchungen über spezifische Wärme bei tiefen Temperaturen, Dissertation, 12. Januar 1917, Universität Berlin; Derselbe: Laboratoriumsbuch für die Sprengstoffindustrie, Halle 1923 (= Laboratoriumsbücher für die chemische und verwandte Industrie, 24); Personalakte AHUB; BAB, R 26 III/438 a und BDC; zwei Nachrufe UA Karlsruhe, Bestand 28002/153. Weitere Angaben zu Günther enthält die Akte zum Physikalisch-Chemischen Institut der Universität Berlin, BAB, R 4901/1390, in der auf seine Beiträge für das Handwörterbuch der Naturwissenschaften (1933) „Explosion und Explosivstoffe“ sowie den Lehrauftrag „Technologie der E-Stoffe“ verwiesen wird. In der Teilneh-
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Möller (Referatsleiter II d) fand einen hoch angesehenen Partner in Prof. Dr. Hermann Staudinger (1881–1965). Der Chemiker und spätere Nobelpreisträger (1953) war an der Universität Freiburg i. Br. Leiter des Forschungsinstitutes für makromolekulare Chemie. Er betrieb, vor allem im Auftrag des RLM und des RWA, kriegswichtige Forschungen zur Nitrocellulose. Dazu kamen wahrscheinlich auch Arbeiten über chemische Kampfstoffe, alles mit hoher Geheimhaltung und Dringlichkeit. Ab 1941 war bei ihm Dr. Franz Zapf (*1912) als Assistent mit Sondervertrag tätig, der Wehrmachtsaufträge der Luftwaffe zur molekularen Chemie realisierte.321 Am 5. März 1943 weilte Möller zu einer Besprechung mit Staudinger und Zapf in Freiburg. Daran nahmen fünf weitere Wissenschaftler der Universität sowie Mitarbeiter der Sprengstoff-Firmen Wolff & Co (Walsrode), der Köln-Rottweil AG sowie der Dynamit AG (Troisdorf und Krümmel) teil. Gegenstand der Beratungen war die „Ursachenforschung zur Konstitution anormaler Nitrocellulosen“.322 Ein Schüler von Staudinger, Dr. Gerhard Bier, hielt die Klärung der damit zusammenhängenden Fragen für ein herausragendes Thema der Kriegsforschung: „Nitrocellulose war ein industrielles Produkt, Ausgangstoff für Zelluloid (ein Kunststoff) und für zivile und militärische Sprengstoffe, sowie für zivile und militärische Munitionstreibstoffe. Bei der Großherstellung von Nitrocellulose im Krieg ergaben sich Probleme der Lagerstabilität. Aus unbekannten Gründen zersetzte sich ab und zu Nitrocellulose oder ein nitrocellulosehaltiges Gemisch beim Lagern, wodurch u. a. vorzeitige Explosionen entstehen konnten. Mitarbeiter von Staudinger fanden durch systematische Untersuchungen heraus, daß Reste von Schwefelsäure in der Nitrocellulose Ursachen der Lagerinstabilität der Nitrocellulose waren. Voraussetzung einer guten Lagerstabilität war gründliches Auswaschen der Nitrocellulose, wobei auch die Schwefelsäureestergruppen hydrolysiert werden mußten. Die Schwefelsäure war eine notwendige Komponente des Nitriergemisches.“323
In den Jahren 1943/44 vergab WaF, Bereich Chemie, zur Sprengstoff-Forschung zahlreiche Geheimaufträge an herausragende Wissenschaftler verschiedenster Forschungseinrichtungen. Zu ihnen gehörten die Professoren Dr. Arthur Lüttringhaus (Direktor des Chemischen Instituts der Universität Greifswald), Dr. Rudolf Criegee (Direktor des Chemischen Instituts der TU Karlsruhe), Dr. Rudolf Schenck (ein Chemiker und Metallurge, seit 1936 Direktor des Staatlichen Forschungsinstitutes für Metallchemie in Marburg/Lahn) und Dr. Karl Ziegler (Direktor des merliste einer Beratung zur Brandsatzentwicklung am 27. Februar 1945 werden genannt: „Schwab, Prof. Specht, Amt VIII, FEP sowie Prof. Günther, Milit.-Amt D., RSH“, BAB, R 26 III/52. Forschungsaufträge des RFR zum Ultraschall 1943 und 1944 in: BAB, R 26 III/28, Bl. 99. Rainer Karlsch und Vladimir Sacharov weisen in ihrem Abschlussbericht über die durchgeführten Arbeiten im Rahmen des Projektes: „Erschließung und Auswertung russischer Akten zur Geschichte von Kaiser-Wilhelm-Instituten“, AMPG, Dienstakte E-IV-1 Rep. 34, auf das „Chemisch-technische Forschungsinstitut Berlin (Universität Berlin?)“ hin (Seite 10). Zu dieser Einrichtung, eventuell identisch mit dem Institut des Prof. Günther, befinden sich Akten in einem Moskauer Archiv, die nicht eingesehen werden konnten. 321 UA Freiburg, B 15/375, B 24/4231 und 32 (zu Zapf), B 24, 3700 (zu Staudinger); vgl. auch Remmert: Vom Umgang mit der Macht (wie Anm. 159) 2, 79. 322 Besprechung zwischen Möller und Staudinger u. a. am 5. März 1943 in Freiburg, BAB, R 100/7. 323 Zitiert bei Deichmann: Flüchten, 412, ausführliche Angaben zu Staudinger 395–415.
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Chemischen Instituts der Universität Halle).324 Die Titel dieser Forschungsaufgaben (z. B. „Oxydation ungesättigter Paraffinkohlenwasserstoffe“, „Untersuchungen über Amide. Neue Darstellungsverfahren aromatischer Nitroverbindungen“, „Untersuchung über Nitroverbindungen hochmolekularer synthetischer Stoffe“) weisen darauf hin, dass nach neuen, möglichst einheitlichen Sprengstoffen gesucht wurde. Man hoffte offenbar, neue Verbindungen und bisher unbekannte Strukturen von Nitrokörpern* aufzufinden, die sich durch höhere Dichte und höheren Energiehaushalt auszeichneten. „Eindeutig handelte es sich um Vorstöße in wissenschaftliches Neuland“ – so der Kommentar eines Sprengstoffexperten, dem diese Themen vorgelegt wurden.325 Inwieweit Winkhaus den schon vor 1943 erteilten Kriegsauftrag von WaF zur „Untersuchung von Spezialpulvern“ an Poppenberg weiterreichte, ist nicht überliefert, jedoch gut denkbar. Poppenberg war damals noch Direktor des Instituts für Sprengstoffchemie an der WTF der TH Berlin. Als ihm 1934 aus Altersgründen „der Abschied erteilt worden“ war, hatte sich Becker beim Reichsministerium des Inneren für die Rücknahme dieser Entscheidung verwandt. Poppenbergs Tätigkeit habe „für die Wehrmacht eine erhebliche Bedeutung“. Die Arbeiten des von ihm geleiteten Instituts seien für die wehrtechnische Entwicklung sehr wichtig. 1944 befasste sich Poppenberg im Auftrag des OKM mit einer theoretischen Darstellung über Explosivstoffe. Die einzelnen Kapitel wie „Detonation“ und „Ermittlung der Detonationsgeschwindigkeit“ – so Poppenberg an das REM – wolle er „in ganz neuer Form bringen“. Dazu müsse er die „Explosivkonstanten für eine große Reihe von Sprengstoffen“ neu berechnen.326 Geradezu klassisch präsentiert sich das Zusammenspiel HWA – Universität Berlin – Poppenberg am Beispiel des Sohnes von Generals Becker. Kurt Becker (*1906) musste 1926 die soeben eingeschlagene Seeoffizierslaufbahn aus gesund-
324 Zu Ziegler vgl. Manfred Rasch: Universitätslehrstuhl oder Forschungsinstitut? Karl Zieglers Berufung zum Direktor des KWI für Kohlenforschung im Jahre 1943. Eine Studie zum Verhältnis von Wissenschaft, Wirtschaft und Staat im Dritten Reich, in: Brocke, Laitko: Die Kaiser-Wilhelm/Max-Planck-Gesellschaft, 469–504 (zu Kriegsaufträgen 487 f.). 325 Hinweise von Dr. Holger Krebs, Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), zu den Titeln folgender Geheimaufträge von WaF zur Sprengstoff-Forschung 1943/44: Oxydation von ungesättigten Paraffinkohlenwasserstoffen (Prof. Criegee, Prof. Pongratz), Untersuchung über die Herstellung von Polyvinylverbindungen (IG-Farben AG Werk Rottweil), Entwicklung von Verfahren zur Herstellung von (aromatischen) Polynitroverbindungen (Prof. Schenk, Prof. Ziegler, Zöllner Werke), Entwicklung eines lang brennenden Pulversatzes für 7,5-cm-Geschosse (WASAG Berlin), Untersuchungen über Amide (Prof. Lüttringhaus), Untersuchungen über die Nitroverbindung hochmolekularer synthetischer Stoffe (Deutsches Forschungsinstitut für Kunststoffe, Frankfurt/M.), Untersuchung von Spezialpulvern (Prof. Winkhaus). 326 BAB, BDC, DS (REM) B 37/2805 und DS A 52/2717. 1938 errichtete die Köln-Rottweil A. G. im Auftrag der argentinischen Regierung eine Pulver- und Sprengstoff-Fabrik. Mit Einverständnis von General Becker übernahm Poppenberg die wissenschaftliche Ausbildung von „9–10 argentinischen Offizieren“. Diese Tatsache sollte jedoch nicht öffentlich bekannt werden, weshalb Poppenberg für die bei der TH nicht eingeschriebenen, getarnt als Käufer firmierte Offiziere „Sondervorlesungen“ hielt. BAB, ebd.
7. Explosion/Detonation
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heitlichen Gründen abbrechen. Er begann sogleich mit wissenschaftlich-technischen Arbeiten im Sprengstofflabor von Poppenberg. Ab Oktober 1931 befasste er sich „unter der Leitung Berliner Hochschullehrer in den militärwissenschaftlichen Instituten des Schießplatzes Kummersdorf und dem Laboratorium Prof. Poppenberg“ mit entsprechenden Forschungen. Am 27. Februar 1934 verteidigte er bei Schumann und Wehnelt seine Dissertation: „Über Versuche zur Ermittlung von Detonationstemperaturen“. Diese Arbeit wurde (ohne abgedeckten Titel) sofort als „Geheim“ klassifiziert und beim RWM abgelegt. Da ihr „für die Beurteilung von Detonationsvorgängen grundsätzliche Bedeutung“ zukam, vergaben Schumann und Wehnelt das Prädikat „valde laudabile“ (vgl. Anhang II: Geheimdissertationen, Pos. 2). Gegenstand der Forschungen von WaF waren auch nichthygroskopische (d. h. keine Feuchtigkeit anziehende) Pulversorten. Dazu wurden ebenfalls Aufträge vergeben, so an die IG Farben AG, Werk Rottweil.327 Eine beträchtliche Erweiterung der Forschungskapazitäten von WaF zur Sprengstoffchemie erfolgte Mitte 1943. Am 21. Juli vereinbarten Thiessen und Schumann in ihrer Eigenschaft als Fachspartenleiter bzw. Bevollmächtigter für Sprengstoffphysik die Bildung einer besonderen AG des RFR. Sie sollte „in den Räumen und mit Mitteln des Heeres-Forschungsinstituts für Explosivstoff-Chemie Prag“ [Hervorhebung G. N.] Aufgaben zur Explosivstoffchemie durchführen“. Als Arbeitskomplexe wurden festgelegt: Untersuchungen über Struktur und Zersetzung fester Explosivstoffe. Nitrierung niederer aliphatischer Kohlenwasserstoffe in der Gasphase. Adsorption von Dämpfen insbesondere von Wasserdampf an Nitrocellulose.328 Als Leiter der AG in Prag, Blücherstraße 38, wurde Dr.-Ing. habil. Robert Haul (*1912) eingesetzt, dem der Rang eines Technischen KVR zuerkannt worden war. Haul, ein gebürtige Hamburger, hatte in Braunschweig, Graz und Danzig Chemie studiert. Im März 1937 kam er nach Berlin an das KWI von Thiessen und promovierte Ende 1938 bei ihm und bei A. Winkel mit dem Thema: „Über die Oxydation von Eisenaerosolen“. Anschließend forschte er am Dahlemer Institut zu thermodynamischen Prozessen bei tiefen Temperaturen und wandte sich der Sprengstoffchemie zu. Der neuen Arbeitsgruppe in Prag gehörten (mit Haul) im April 1944 fünf Wissenschaftler an, davon zwei habilitiert (Haul und Dozent Dr. F. Turba). Dazu kamen drei Dipl.-Chemiker, die sich auf ihre Doktorarbeit vorbereiteten, sowie eine technische Assistentin. Im April 1944 berichtete Haul über sechs abgeschlossene Untersuchungen, worunter sich auch Arbeiten zu Aziden* befanden. Bei dieser „Untersuchung über Bildung, Eigenschaften und Struktur von Mischkristallen anorganischer Azide“ ging es darum, für das als Initialsprengstoff verwendete Bleiazid* einen Ersatz zu finden.
327 Forschungsauftrag „Herstellung von nichthygroskopischen Pulver“, BAB, R 26 III/12, Bl. 224 f. 328 Haul am 30. Juli 1943 an den RFR, BAB, R 26 III/248 Bl. 14.
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II. Experimente
Auch in Prag setzte man große Hoffnung auf die Methode der Röntgenstrukturuntersuchung, kam damit jedoch nicht voran, weil „geeignete Mitarbeiter noch nicht vorhanden“ waren. Natürlich war für all diese Forschungsarbeiten eine strenge Geheimhaltung festgelegt. Die technische Ausrüstung für die AG Haul stellte das Prager Heeresinstitut zur Verfügung. Einzelne Geräte wurden von WaF beschafft. Die finanzielle Ausstattung sicherte der RFR bzw. die Deutsche Forschungsgemeinschaft, überwiegend gemeinsam genehmigt von Mentzel und Thiessen. Im April 1944 waren es z. B. 44.318 RM. Die DFG beteiligte sich zusätzlich durch Forschungsstipendien an der Finanzierung. Für zwei seiner wissenschaftlichen Mitarbeiter, „Schwerverletzte des jetzigen Krieges … beim Einsatz im Osten“, beantragte Haul im Februar 1943 die Verleihung des „EK II“ und des „Silbernen Verwundetenabzeichens“.329 Über das genannte Forschungsinstitut des HWA in Prag ist in der Literatur kaum etwas bekannt. Plas (vgl. Kapitel 20) bemerkte in seinen Lebenserinnerungen, dass dort „eine kleine Gruppe von WaF“ tätig war. Nach den Berichten von Luck wurden während der Semesterferien 1942 einige Angehörige der Studentenkompanie nach Prag beordert, „zum Heeresforschungsinstitut der Explosivstoffchemie, das nun zum Waffenamt gehörte“. Es soll sich zu dieser Zeit noch im Aufbau befunden haben.330 Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass jene Angehörigen der Studentenkompanie, die sich der Chemie verschrieben hatten, unter Anleitung von Mitarbeitern des KWI von Thiessen in Berlin-Dahlem, dort ihre Forschungen zur Diplomarbeit bzw. für eine Dissertation durchführten. Hier ging es vorrangig um Sprengstoffchemie sowie artverwandte Themen. Karl-Heinz Arnold beispielsweise arbeitete bei Winkel über Nitroverbindungen. Leider sind Einzelheiten zu allen geheimen Arbeitsthemen der Studenten am KWI von Thiessen sowie die erzielten Ergebnisse nicht überliefert.331
329 Berichte Hauls 1943/44 an die Deutsche Forschungsgemeinschaft und andere Schreiben Hauls, BAB, R 26 III/248, Bl. 3, 7–9, 12, 20–22, 24; Forschungsaufträge an Haul, BAB, R 26 III/8, Karteikarte zu Haul; BAB, R 26 III/438a; BDC sowie biographische Veröffentlichungen zu Haul. 330 Plas: Lebenserinnerungen, BA-MA, NL 625/200, S. 73; Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129). 331 Mitteilung Dr. Karl-Heinz Arnolds vom 18. November 2002; Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129); Lebensläufe in den Dissertationen ihrer Verfasser (nach 1945): Hans Hartwig Stroh, Werner Sack, Hans-Albert Lehmann, Rolf Hermann, Franz Heinrich Hansen, Rudolf Frank u. a.
8. Hohlladung
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8. HOHLLADUNG Die Entwicklung der Hohlladung* gilt als eine der herausragenden waffentechnischen Neuerungen des Zweiten Weltkrieges.332 Deren Bedeutung manifestiert sich auch darin, dass die Hohlladungs-Arbeiten oft Gegenstand von Hitlers Konferenzen mit Albert Speer waren.333 Jener seltsame Effekt, wonach die geometrische Form einer Sprengladung entscheidenden Einfluss auf die Wucht der Detonation hat, war seit langem bekannt. Schon 1883 fand Max von Förster, Leiter der Schießbaumwollfabrik Wolff &Co/Walsrode, heraus, dass ein ausgehöhlter Sprengkörper weit größere Kräfte freisetzt als beispielsweise einer von quadratischer oder zylindrischer Gestalt. In seinem Bericht über „Versuche mit komprimierter Schießbaumwolle“ stellte v. Förster fest: „Im Ganzen gerechnet erscheint die Wirkung der hohlen Patrone bei derselben Größe und weniger Gewicht größer als die der vollen mit mehr Gewicht. Bei Sprengungen, bei denen der Raum, in welchem sich die Sprengladung befindet, ein völlig gegebener ist, wie bei der Sprengladung der Granaten, bei welchen man also der Sprengladung und dem Ziel nicht mehr oder weniger Berührungsfläche miteinander geben kann als vorhanden, wird es sich empfehlen, die beiden beschriebenen Mittel, also Aushöhlung der Ladung und Anbringung der Sprengkapsel am Boden der Granate, anzuwenden, um eine erhöhte Wirkung nach der Spitze der Granate, nach welcher zu fast immer auch das zu zerstörende Objekt liegen wird, zu erzielen.“334
Wenige Jahre später machte der Amerikaner Ch. E. Munroe ähnliche Erfahrungen. Ihm gelang es sogar, bei einem Sprengvorgang die Konturen eines Laubblattes auf eine Eisenplatte einzuprägen.335 Danach geriet diese „hübsche Wirkung“ (Munroe) scheinbar in Vergessenheit. Erst 1910 besann man sich bei der „Westfälisch-Anhaltinischen Sprengstoff AG“ (WASAG) auf diese Erscheinung und meldete ein Patent an, das zwei Jahre später auch erteilt wurde. 1911 hatte M. Neumann über die Arbeiten der WASAG öffentlich berichtet. In den folgenden Jahren tauchte das bald „Hohlladung“ genannte Prinzip immer wieder in den Fachabhandlungen auf, erfuhr jedoch nie eine grundlegende theoretische Erklärung. Auch eine praktische Verwendung für waffentechnische Zwecke erfolgte vorerst nicht.336 Die Gründe dafür sah Schardin in folgendem: „Lange Zeit war aber auch die Hohlladung für die sie entwickelnden Fachleute in ihrem eigentlichen Wesen durchaus nicht klar. Die ersten praktischen Ergebnisse sind rein empirisch erhalten worden, nur anhand vager Vermutungen über die physikalischen Ursachen. Es war eine spannende Situation: ein außerordentlich kriegswichtiger Effekt lag vor; er mußte aufgeklärt werden. Die Theoretiker konnten zunächst nicht helfen, da sie nicht wußten, wo sie einzusetzen 332 Schardin: Über die Entwicklung der Hohlladung; Döring, Schardin: Detonationen (wie Anm. 299), insb. 120–125; Erich Schneider: Waffenentwicklung. 333 Boelcke (Hg.): Deutschlands Rüstung, z. B. 186, 457, 464. 334 Max v. Förster: Versuche mit komprimierter Schießbaumwolle, Berlin 1883, 10 f. 335 Schardin: Über die Entwicklung der Hohlladung, 98. 336 Vgl. auch ebd., 100, der als Quelle auf M. Neumann (ohne Titel des Beitrages) in: Zeitschrift für angewandte Chemie 24 (1911), insb. 2238, verweist. Schardin (98) teilte in seinem Beitrag die Geschichte der Hohlladung in zwei Abschnitte ein: Die ohne praktische Bedeutung gebliebenen Arbeiten bis etwa 1932, danach die mit dem Erkennen der „Einlage“ einsetzende Entwicklung.
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II. Experimente hatten. Rein empirisch erreichte man manche Verbesserungen, doch waren die Streuungen in der erzielten Wirkung sehr groß; auch gab es Rückschläge. Die ballistische experimentelle Technik mußte die Klärung der grundlegenden Vorgänge bringen. Aber die klassischen Verfahren waren auch hier unzureichend. Man mußte mit neuen Versuchsmethoden an das Problem herangehen. Vieles wurde versucht. Die endgültige Aufklärung des Grundsätzlichen gelang schließlich mithilfe der Röntgenblitz- sowie der Kerrzellenphotographie.“337
Nach dem Ersten Weltkrieg begannen 1926 bei der „Inspektion für Waffen und Gerät“ systematisch Untersuchungen zur Hohlladung. Aber erst im Mai 1934 war es so weit, dass Schumann beim damaligen Chef Wa Prüf des HWA, General Becker, Vortrag über das Hohlladungs-Prinzip hielt und gleichzeitig das anvisierte, neu zu etablierende Fachgebiet „Sprengstoffphysik“ begründete. Im Monat darauf unterbreitete Schumann zusätzliche Vorschläge für „Vergleichsversuche mit Hohlkörpern unter Berücksichtigung der Zündführung und Benutzung von Einlagen“. Becker zauderte nicht lange. Er fasste kurz danach den Entschluß, „das Hohlladungsprinzip für Pioniersprengmittel und Geschoße in Anwendung“ zu bringen. Planmäßig und unter strikter Geheimhaltung begannen im August 1934 die Forschungsund Entwicklungsarbeiten im HWA. Beteiligt waren u. a. die Forschungsabteilung, die Abteilungen Prüf 1 (Ballistik und Munition) und Prüf 5 (Minen- und Pioniergerät). Bei Prüf 5 war Dr. Friedrich Wülfken (*1895) der zuständige Referent. Erste Ergebnisse lagen im September 1935 mit dem so genannten Z-Geschoss und der Bombe SC 50 vor. Beide waren ausgeformt als Hohlkörper.338 Parallel dazu erfolgten Arbeiten des Österreichers Dipl. Ing. Franz Rudolf Thomanek (*1913). Er interessierte sich schon frühzeitig für Raketen- und Wehrtechnik, wahrscheinlich unter dem Einfluss seiner Lehrer Cranz und Poppenberg. Ab 1932 befasste er sich mit Hohlladungen. Zwei Jahre später hatte er, in Zusammenarbeit mit dem Ingenieur Helmuth v. Huttern, das Tankgewehr TG 70/M 34 fertig gestellt, mit dem eine Hohlladungs-Granate gegen Panzer (Tank) abgeschossen werden konnte. Seine „Bemühungen in Wien über die militär-technische Abteilung des Kriegsministeriums und anschließend über den deutschen MilitärAttaché die Wehrmacht zu interessieren, blieben erfolglos“. Poppenberg riet ihm 1936 gar, sich nicht länger mit der Hohlladung zu befassen. Sie sei völlig erforscht und nur von wissenschaftlicher Bedeutung.339 Thomanek ließ sich jedoch nicht beirren. Nach einem Vortrag in der Reichskanzlei 1935 – im Beisein von Hitler, Göring, Himmler und Generalen der Wehrmachtsführung – kam es Ende des Jahres zu einer praktischen Vorführung beim HWA, Wa Prüf 1. Der Erfolg 337 Schardin, Über die Entwicklung der Hohlladung, 97. Zu den von ihm genannten Verfahren vgl. u. a.: Stettbacher: Schieß- und Sprengstoffe (wie Anm. 298), 10 ff.; Rudi Schall, Gustav Thomer: Die Kurzzeitphotographie und ihre Bedeutung für die technische Forschung, in: Soldat und Technik 3/1961, 122–126. 338 Die Angaben zur dieser Abfolge der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten sind entnommen: Vortragsnotiz Wa Prüf 1 „Zusammenfassende Darstellung der Entwicklung und Verwendung von Hohlladungen in Geschossen“ vom 28. Oktober 1941 (GKdos), BAB, R 3/3292. 339 Franz Rudolf Thomanek: Die erste Hohlladungswaffe, in: Explosivstoffe 1/1959, 9 f., dort auch eine ausführliche Beschreibung. Vgl. auch: 10 Jahre Werk Schrobenhausen (Direktor Thomanek), in: WTM 1998, 252 f.; Interneteinträge von Helmut W. Malnig zu Thomanek.
8. Hohlladung
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war allerdings mäßig. Im Frühjahr 1936 setzte Thomanek sein Studium der Ballistik und Sprengstoffchemie fort. Nachdem die Luftfahrtforschung auf ihn aufmerksam geworden war und er zuerst in Braunschweig arbeitete und danach der Wechsel zum Institut von Schardin erfolgte, gelang Thomanek im Februar 1938 die entscheidende Entdeckung der „Einlage“. Das war eine Schicht aus Glas, die den Sprengstoff zum freien Hohlraum hin auskleidete. Im Dezember 1939 wurde dazu ein Geheimpatent erteilt.340 Für die Entwicklungsarbeiten von Thomanek interessierte sich auch das Amt für Technik der NSDAP. Ab 1939 betreute dieses Amt durch Dipl. Ing. Brandmeyer die Forschungen Thomaneks.341 Ziel der Arbeit im HWA „war zunächst die Schaffung eines panzerbrechenden Geschosses für das Kaliber 7,5 cm“. Zu den zahlreichen Fragen, die einer Klärung bedurften, gehörten u. a. die Maße des Hohlkörpers, die Form der Höhlung, die Art des zu verwendenden Sprengstoffes, die günstigste Geschossform sowie die Anfangsgeschwindigkeit des Geschosses. Mit Beginn des Jahres 1940 lagen mehrere zur Einführung in die Bewaffnung ausgereifte Entwicklungen von Geschossen und Pioniersprengmitteln vor. Bei letzteren handelte es sich um eine 50 kg-Hohlladung (Typ H 50) sowie eine ringsförmige 21,5 kg schwere Hohlladung. Beide wurden erstmals am 10. Mai 1940 kriegsmäßig eingesetzt. Mit ihnen gelang die Sprengung der 40 cm dicken Panzerkuppel und der aus ihr herausragenden Geschützrohre des belgischen Forts Eben Emael.342 Diese und bald weitere militärische Erfolge beflügelten die Forscher. Sie waren sich im Klaren, erst am Anfang einer Entwicklung zu stehen, die große waffentechnische Hoffnungen weckte, zugleich aber noch viele Geheimnisse barg. Schnell waren nach Mitte der dreißiger Jahre verschiedene Zentren entstanden, die sich intensiv der Grundlagenforschung zur Hohlladung verschrieben. Die wohl wichtigsten – außerhalb des Heeres – waren das Institut von Prof. Schardin in Berlin-Gatow, Forschungsstätten der Marine sowie die Labors der Leipziger Firma „Hugo Schneider AG“ (Hasag). Hier wirkte „ein begabter junger Ingenieur, Dr. habil. Langweiler, von der Munitionsabteilung des Heereswaffenamtes zur Industrie [übergewechselt], die ihm in großzügiger Weise ein Laboratorium und eine Versuchswerkstatt zur Verfügung stellte. Das Ergebnis seiner Arbeit war die Panzerfaust und später der Panzerschreck/Bazooka.“343
Langweiler war seit etwa 1936/37 mit mehreren, stark beachteten Beiträgen in Fachzeitschriften hervorgetreten, insbesondere zur „hydrodynamischen Detonationstheorie“.344 Dass jetzt verschiedene Stellen die Grundlagenforschung zur
340 Franz Rudolf Thomanek: Die Entwicklung der ausgekleideten Hohlladung, in: Explosivstoffe 8/1960, 177–179; Derselbe: Die Hohlladung, in: Jahrbuch der Wehrtechnik 3 (1968), 76; Schardin: Über die Entwicklung der Hohlladung, 103 f. 341 BAB, R 3/3292 (wie Anm. 338), Bl. 3. 342 Schardin: Über die Entwicklung der Hohlladung, 101 f. 343 Schneider: Waffenentwicklung, 29. 344 Heinz Langweiler: Beitrag zur hydrodynamischen Detonationstheorie, in: Zeitschrift für technische Physik 19 (1938), 271–283. In den einschlägigen Bibliographien ist weder eine Dissertation noch eine Habilschrift von Langweiler ausgewiesen. Die Vermutung liegt nahe, dass es
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II. Experimente
Hohlladung in ihr Programm aufgenommen hatten, war eigentlich normal. Die Artillerie benötigte beispielsweise Hohlladungs-Granaten zur wirksamen Panzerabwehr. Die Marine war interessiert an Hohlladungs-Haftminen für ihre Kampfschwimmer. „Bei der Luftwaffe wurden Hohlladungs-Bomben zum Angriff gegen Panzertürme zu Lande und auf Schiffen entwickelt“.345 Es kam zwar immer wieder zu gemeinsamen Beratungen und Absprachen, partiell auch zu einer sehr nützlichen Zusammenarbeit, jedoch blieben Konkurrenz und Streit zwischen den Wehrmachtsteilen und anderen Stellen nicht aus.346 Der Komplex Hohlladung beim HWA war eine der unumstrittenen Domänen Schumanns. Er trat als Mitverfasser von Berichten über „Röntgenblitzuntersuchungen an Hohlkörpern“ auf bzw. erhob Anspruch auf die Autorenrechte von „Die wissenschaftlichen Grundlagen des Hohlsprengkörpereffektes“. Außerdem waren in den von ihm herausgegeben „Sprengphysikalischen Berichten“ zahlreiche Beiträge Schumanns enthalten (auch als Mitautor, vgl. Kapitel 22). Von Anfang an organisierte Schumann eine enge Zusammenarbeit seines II. PI mit dem zuständigen Referat der Forschungsabteilung (WaF I b). Am Institut arbeitete mit großer Intensität und beachtlichem Erfolg der schon bekannte Schall zur Hohlladung, zusammen mit Dr. Hinrichs. Dazu kamen immer wieder, bis zum Jahr 1945, junge Nachwuchskräfte, die einzelne Hohlladungs-Themen auftragsgemäß zum Gegenstand ihrer geheimen Doktorarbeiten machten.347 Mit der Hohlladungs-Forschung ist auch der Name eines weiteren Schülers von Schumann verbunden: Dr. Gerhard Hensel (1911–1963). Er verteidigte bei Schumann und Wehnelt Anfang 1938 seine geheime Dissertation: „Messung der Ionisation in Gasentladungen“ (vgl. Anhang II: Geheimdissertationen) und ging danach „eine vertragliche Bindung mit dem Heereswaffenamt ein, wobei die Leitung eines Pulverund Sprengstofflabors, die Erstellung von Versuchsanlagen und eines Raketenprüfstandes für Schub- und Druckmessungen im Vordergrund stand“.
1939 wechselte Hensel zu Schardin und entdeckte dort den Effekt der Abstandshohlladung bzw. konstruierte verschiedene Hohlladungsbomben. Von 1942 bis 1945 gehörte er als Major der Schutzpolizei zur Technischen SS- und Polizeiakademie Brünn. Auch hier war die Hohlladung Teil seines Arbeitsbereiches, laut Schardin u. a. zur Sprengung von Gestein und Gletschereis mittels des Typs H 15: Sie schlug im
sich um Geheimarbeiten handelte. Lebensdaten zu L. konnten nicht ermittelt werden. Vgl. auch: Schardin: Über die Entwicklung der Hohlladung, 117. 345 Schneider: Waffenentwicklung, 29. 346 Die Darstellungen in den nach dem Krieg veröffentlichten Beiträgen, z. B. von Schneider und Schardin, weichen hinsichtlich der Urheberschaft verschiedener Ergebnisse voneinander ab. So schreibt Schneider, über verschiedene Resultate der Grundlagenforschung wurden „die Waffenämter der Marine und Luftwaffe verständigt“ (in: Waffenentwicklung, 28), während Schardin teilweise eine andere Sicht vertritt (vgl. u. a. FIAT-Berichte (wie Anm. 299). 347 Inwieweit sich unter den Geheimdissertationen (vg. Anhang II) auch solche zur HohlladungsForschung befinden, kann aus den Tarntiteln nicht abgeleitet werden.
8. Hohlladung
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„Gletschereis ein 4 m tiefes Loch von 30 cm Durchmesser, das zum Nachsprengen wieder mit Sprengstoff gefüllt werden kann und ein außerordentlich rasches Räumen des Gletschereises ermöglicht“.348
Der überragende Fachmann der Forschungsabteilung war der Referatsleiter I b, Walter Trinks. Achtungsvoll, wohl aber auch mit etwas ironischem Augenzwinkern, nannte man ihn bei WaF den „Hohlladungspapst“. Er hatte bereits 1936 im Ergebnis seiner Forschungen einen Vorschlag für ein Hohlladungsgeschoss unterbreitet. Dabei war der Hohlraum zunächst zylindrisch und ging anschließend in eine Halbkugelform über. Innen war er mit Aluminiumblech ausgekleidet. Ein „drallgesicherter Aufschlagzünder (AZ 38) mit Duplexkapsel zur Durchzündung durch das Zünderrohr von der Spitze zum Detonator am Boden des Geschosses“ löst die Detonation aus. Wa Prüf 1 entwickelte auf dieser Grundlage eine Granate mit „einer gepressten Sprengladung“. Das Geschoss war bei Ausbruch des Krieges einsatzfähig. Mit ihm konnte, „unabhängig von der Entfernung“, eine Panzerung von 35 mm durchschlagen werden.349 Bis zu seiner Ernennung zum Leiter des Referates Kernphysik (WaF I a) soll auch Diebner kurzzeitig an Arbeiten zur Hohlladung beteiligt gewesen sein. Ab 1937/38 gehörte Dr. Günter Sachsse (1910–2001) zum Referat Trinks, wo er bis 1945 fast ausschließlich zur Hohlladung forschte. Sachsse hatte an der Universität Leipzig Physik, Mathematik und Chemie studiert, dort bei Debye und Heisenberg seinen Doktor gemacht und anschließend für zwei Jahre als wissenschaftlicher Angestellter bei der PTR Berlin auf dem Sektor Optik gearbeitet.350 Für kleinere Aufgaben der Hohlladungs-Forschung wurden in den letzten Kriegsjahren auch Angehörige der Studentenkompanie herangezogen. Von Trinks bekamen z. B. einige die Aufgabe, „die Eindringlöcher von Explosionen in Stahlplatten mit Wasser volumenmäßig [zu] vermessen, in Abhängigkeit von der Form der Explosionskörper. Damit wurde empirisch die optimale Form der Explosionskörper von Panzerfäusten gesucht“.
Mit der Panzerfaust befasste sich 1944 u. a. Hans Berghaus in seiner Diplomarbeit „Spektroskopische Erscheinungen an detonierenden Sprengstoffladungen“.351 Trotz der bis etwa Mitte 1941 erreichten achtungsvollen Ergebnissen stand man bei WaF – ebenso bei den anderen Forschungsstätten – vor einer Vielzahl ungelöster theoretischer und praktischer Probleme. Das waren vor allem: die geome348 Schardin: Über die Entwicklung der Hohlladung, 118; Nachruf: Ministerialrat Dr. Hensel, in: WTM 1963, 432 (lediglich mit einem allgemeinen Hinweis auf „Polizeiakademie Berlin“). Zur Forschungsarbeit bei der Technischen SS- und Polizeiakademie vgl. BAB, R 26 III/52. Die Technische SS- und Polizeiakademie wurde wegen Ausbombung 1943 nach Brünn verlagert, eine Außenstelle befand sich bis Februar 1945 in Schönwalde/Niederbarnim. 349 Thomanek: Die erste Hohlladungswaffe (wie Anm. 339), 177, dort auch Abb. 350 Helmut Rechenberg, Gerald Wiemers (Hg.): Werner Heisenberg. Gutachten und Prüfungsprotokolle für Promotionen und Habilitationen (1929–1942), Berlin 2001, 119 f.; Auskunft des BAA; Auszüge aus den BIOS-Verhören Sachsses vom 19. und 26. August 1947, IfZ, SI, ED 100/12, Bl. 31, 694 f. 351 Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129); Dissertation Berghaus’ vom 23. Juni 1953, Lebenslauf.
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II. Experimente
trische Form des Hohlraumes, die Auskleidung des Hohlraumes, die Zündung bzw. Zündführung, der Einfluss des Geschossdralls auf den Strahleffekt, die Wahl der Sprengstoffart, die Munitions- bzw. Waffenart, für die Hohlladung zur Anwendung kommen sollte. Auch rein praktische Fragen standen auf der Tagesordnung, so beispielsweise, ob Hohlladungen gepresst oder gegossen werden sollten. Darüber hinaus stießen die einzelnen Prüf-Abteilungen bei ihren Schießversuchen (überwiegend durchgeführt in Kummersdorf) immer wieder auf ungeklärte Erscheinungen, aus denen neue Fragen an die Grundlagenarbeit bei WaF resultierten. Von einer derartigen „Episode“ berichtete Trinks. Bei den Treffern auf Panzertürme wurde mitunter beobachtet, dass der Hohlladungsstrahl „auf der anderen Turmseite wieder ins Freie trat“. Seine Wirkung wurde folglich im Innern des Panzers nur zum Teil genutzt. „Zusammen mit den Medizinern der Sanitätsabteilung wurden Tierversuche durchgeführt und der Autor erinnert sich noch, dass Kaninchen, die im Raum hinter den von Hohlladungen getroffenen Panzerplatten in Käfigen untergebracht waren und die nicht von dem HohlladungsStrahl getroffen waren, einen nachweisbaren Schaden durch die Druckwirkung nicht erlitten, sondern eifrig von dem ihnen hingehaltenen Kräutern fraßen.“
Die daraufhin angestellten Überlegungen und Experimente, wie die Hohlladung so verändert werden kann, dass sie ihre Wirkung vollständig im Innern des Panzers entfaltet, führten dazu, die „Auskleidungskörper porig auszubilden“. Zugleich wurde dafür ein Patent (mit vier Ansprüchen) angemeldet.352 An drei Themenbereichen lässt sich das Wechselspiel von Theorie und empirischen Arbeiten, worauf Schardin oben hingedeutet hatte, bei WaF verdeutlichen. Bei der geometrischen Form des Hohlraumes standen zur Auswahl die Halbkugel, die Glocke und der Kegel. Zu prüfen war auch, ob eine Kombination möglich und zweckmäßig ist, z. B. ein Kegel mit abschließender Halbkugel. Außerdem war beim Kegel der Kegelwinkel von Interesse, ebenso die Größe des Hohlraumes und seiner Öffnung. In einer „Ergebniszusammenfassung für die Munitionskommission“ des Speer-Ministeriums (ohne Datum, wahrscheinlich 1942) hieß es dazu: „Vergleicht man die grundsätzliche Leistung der verschiedenen Formen bei gleicher Wandstärke untereinander, so zeigt der Kegel die absolut beste Wirkung. Sie liegt etwa 25 % über der Halbkugel und etwa 15 % über der Glocke. Die beste Leistung wird bei verschiedenen Formen der Verkleidungswandstärken von 2,5 – 3,5 mm erreicht … Der Kegelwinkel betrug 30 Grad. Dieser Winkel entspricht etwa den von verschiedenen Stellen gemachten Erfahrungen bezüglich günstigster Verkleidungswinkel. Betrachtet man die hervorgerufenen Einschlaglöcher der verschiedenen Hohlraumformen, so sind die Durchmesser der Halbkugeleinschläge am größten, nehmen bei der Glocke ab und sind beim Kegel am kleinsten … Die Streuungen der Eindringtiefe sind bei der Halbkugel und der Glocke beim Beschuß etwa gleich und nehmen bei der Kegelform leicht zu. Sie betrugen bei je 10 abgegebenen Schüssen
352 Walter Trinks: Optimierung und Grenzen der Munitionswirkung im Ziel, in: Jahrbuch der Wehrtechnik 10 (1976), 172–183, insb. 173. Auf Versuche mit Meerschweinchen und einem Schwein, die hinter Panzern platziert waren, die man mit Hohlladungen durchschoss, verwies auch Wülfken, Protokoll über die Sitzung der Erfahrungsgemeinschaft H-Ladung am 31. Januar 1942, BAB R 3/3292, Bl. 7.
8. Hohlladung
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zwischen dem Größt- und Kleinstwert bei der Glocke und der Halbkugel etwa 22 mm, beim Kegel etwa 25 mm. Grundsätzlich kann als Versuchsergebnis gesagt werden, daß die Kegelform bei einem bestimmten Kegelwinkel für die Geschoßverwendung die beste Leistung zeigt.“353
Für die Auskleidung des Hohlraumes kamen verschiedene Materialien in Betracht. Vor allem Metalle wie Stahl oder Zink wurden bei „Vorversuchen durch WaF“ geprüft. Wichtig waren die Wandstärken sowie „progressive und parallele Verkleidungen“, d. h. ob die Wandstärke „dauernd gleich blieb“ oder zum unteren Ende hin kontinuierlich zunahm. Einfluss hatte auch, inwieweit das betreffende Material als Rohstoff ausreichend zur Verfügung stand und in der Massenfertigung technologisch günstige Werte zeigte. Das war z. B. bei der zuerst gewählten Stahlverkleidung nicht der Fall. Deshalb suchte WaF nach „günstiger zu verarbeitenden Metallen“. In die engere Wahl kam Zinkspritzguss. Zwei Versuchsreihen brachten zufriedenstellende Ergebnisse. Trinks konnte zusätzlich nachweisen, dass die Stärke der Wandverkleidung und ihre Progression in Rechnung zu stellen waren, jedoch erst weitere Versuchsreihen genauen Aufschluss geben würden.354 Nicht wenige Fragen warf die Zündung der Hohlladung auf. Sollte sie punktförmig oder als „Kreiszündung“ erfolgen? War eine Boden- oder Kopfzündung zweckmäßig? Welche Vor- bzw. Nachteile boten elektrische oder mechanische Zünder? Konnte ein Stößel verwendet werden? Bucklisch von Prüf 1 trug Anfang 1943 mehrere Forderungen zur Weiterentwicklung der Hohlladungs-Zündung vor, wie einwandfreies Ansprechen bei einem Auftreffwinkel bis zu 20 Grad, „Herabsetzen der verschiedenen Zünd- und Übertragungsstreuungen“, Ersatz des bis dahin üblichen Zündrohres (durch das der Zündstrahl die Sprengkapsel am Geschoßboden zündete) durch einen elektrischen Zünder. Im September des gleichen Jahres konnten Schall (II. PI) und Schulze einen Forschungsbericht über einen „Kurzzeitzünder“ abliefern: „In der vorliegenden Arbeit wird ein elektrischer Zünder für Sprengmittel entwickelt, der bei geringstem Energieaufwand in einer Zeit von weniger als 10–6 sec anspricht. Die Verzugszeit wurde für verschiedene Anordnungen mit einem Zündschnurchronographen gemessen und der Versuch unternommen, die experimentellen Ergebnisse zu deuten … Die geringe notwendige Zündenergie und die kurze Zeit, während der die Zündspannung von 50 Volt benötigt wird, lassen die Verwendung des Zünders überall dort günstig erscheinen, wo die Zündspannung beim Abschuß oder Aufschlag von Geschossen in diesen selbst – beispielsweise induktiv – durch eine möglichst kleine Apparatur erzeugt werden soll. Die extrem kurze Verzögerungszeit ermöglicht die Verwendung in schweren Bomben, deren Sprengstoffkörper bei zu großer Zündverzögerung Deformationen und damit eine Verminderung der Detonationsfähigkeit erfahren, wie auch in Geschossen, die durch die besondere
353 Zusammenfassender Bericht über Untersuchungen verschiedener Hohlraumformen und verschieden starke Verkleidungen aus Zinkspritzguss (GKdos, Anl. 1, nicht datiert), BAB R 3/3292. 354 Zusammenfassender Bericht, ebd.; Protokoll über die Sitzung der Erfahrungsgemeinschaft HLadung vom 31. Januar 1942, BAB R 3/3292; Vortrag Hptm. Bucklisch’, Wa Prüf 1 vom 9. Februar 1943 „Weiterentwicklung der 7,5 cm Hohlladungs-Granate“, BAB R 3/vorl. 1416.
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II. Experimente (Hohlkörper-) Formung ihres Sprengstoffkörpers die Detonation in einer ganz bestimmten Stellung zum getroffenen Objekt wünschenswert machen.“355
Bei dem Mitautor des Dr. Schall handelt es sich um den schon vorgestellten Angehörigen der Studentenkompanie Ortwin Schulze. Am 28. April 1944 verteidigte er bei Schumann und Klose seine Dissertation „Über elektrische Zünder“, die als „Geheime Reichssache“ eingestuft wurde (vgl. Anhang II: Geheimdissertationen). Die Experimente zu dieser Arbeit erfolgten „auf dem Schiessplatz Kummersdorf“.356 Ins Blickfeld der Forscher geriet auch der Einfluss der Drallwirkung auf Hohlladungen. Bekanntlich werden Geschosse zur Gewährleistung eines stabilen Fluges durch die „Züge“ in den Waffenläufen in eine drehende Bewegung versetzt, genannt „Drall“. Bereits einfache Überlegungen führten zu dem Schluss, dass bei einer Rotation die dabei auftretenden Fliehkräfte den rotierenden Strahl auseinander treiben könnten. WaF prüfte 1942 diese Vermutung, u. a. mittels der Röntgenblitzmethode, und konnte einen solchen Effekt tatsächlich nachweisen. Die Forschungsanstalt der DWM in Lübeck vertiefte diese Arbeiten und zeigte, dass bei drallstabilisierten Geschossen die Durchschlagsfähigkeit in erheblicher Weise gemindert war. Bei Prüf 1 zog man daraus den Schluss, das „aus dem Hohlladungs-Problem ein wichtiges ballistischen Problem“ erwuchs. Abhilfe konnten flügelstabilisierte Geschosse bringen, da sie drallfrei waren. Zu „Strahleffekt und Drallwirkung“ arbeitete auch Thomanek.357 Sachsse bestätigte und ergänzte nach dem Krieg in seinen Verhören durch ein englisches BIOS-Kommando den Inhalt der hier beschriebenen Forschungen bei WaF. Man habe mit halbkugel-, glocken- und kegelförmigen Sprengkörpern experimentiert. Als Verkleidungsmaterialien wurden außer Stahl auch Kupfer, Blei, Aluminium und Glas erprobt. Die besten Werte lieferte die Kegelform, ausgekleidet mit Kupfer oder Stahl. Das verwendete Aufnahmegerät ermöglichte pro Sekunde etwa 80.000 Bilder. Die Röntgenblitz-Aufnahmen zeigten einen schmalen Metallstrahl, der Geschwindigkeiten von ca. 8.000 m/sec erreichte. Man suchte bei WaF vor allem nach einem Optimum der verschiedenen Faktoren, also Kegelform, Kegelwinkel, Größe der Ladung, Auskleidungsmaterial und -stärke usw.358 Der schnell erwiesene waffentechnische Wert der Hohlladung führte kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges auf Initiative des Speer-Ministeriums zur Bildung einer „Erfahrungsgemeinschaft Hohlladung“ (mitunter auch „Arbeitsgemeinschaft Hohlladung“ genannt). Geleitet wurde sie von dem Göttinger Prof. Dr. Richard Becker (1887–1955). Der Physiker forschte vor allem zum Magnetismus, zur Thermodynamik und zu Stoßwellen. Vertreten waren in ihr Forschungseinrichtungen der Wehrmachtsteile wie WaF (meist Schumann und Trinks), TAL 355 Schall, Schulze: Bericht aus dem II. Physikalischen Institut Ein Kurzzeitzünder, BAB R 3/1419. 356 Promotionsverfahren Schulze, Akten „Geheimdissertationen“, Bd. 2, AHUB; Gespräch mit seiner Ehefrau Ursula am 4. Oktober 2002. 357 Vortrag Thomaneks: Strahleffekt und Drallwirkung am 9. Februar 1943, BAB R 3/vorl. 1415; Vortrag Bucklisch’ am 9. Februar 1943 (wie Anm. 354); Schardin: Über die Entwicklung der Hohlladung, 114 f.; Döring, Schardin: Detonationen (wie Anm. 299), 125. 358 Auszüge aus den BIOS-Verhören Sachsses (wie Anm. 350).
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(Schardin, Prof. Sauter u. a.) und CPVA. Dazu kamen weitere Mitarbeiter des HWA, des RLM, der Marine, der CTR sowie des Speer-Ministeriums. Seitens der Industrie beteiligte sich u. a. die WASAG. Tagungsorte waren neben der TAL Gatow und den Räumen von WaF in Berlin auch die Einrichtungen in Kummersdorf. Verschiedentlich erhielt auch die Waffen-SS die Tagungsprotokolle.359 Die bei den Zusammenkünften behandelten Themen waren sehr unterschiedlicher Natur. Bei einer Tagung am 27. Februar 1941 wurden z. B. die Einsatzmöglichkeiten der Hohlladung im Bereich der Luftwaffe besprochen. Schardin gab dabei einen zusammenfassenden „Bericht über die Arbeiten zur Klärung des Hohlraumeffektes“, während Freiwald die „Geschichte des Hohlladungs-Effektes“ referierte. Sauter sprach „Über den Abplatzeffekt an der Rückseite von Panzerplatten“. Otto stellte „Gefügeuntersuchungen an gesprengten Panzerplatten“ vor, und Hensel äußerte sich „Über die Versuchsergebnisse mit einsatzfähigen Hohlkörpern“.360 Am 13. November 1942 ging es um die „5 cm Hohlladungsgranate für Flakautomat 41 und KWK“, deren Entwicklung die DWM betrieb. Hinrichs informierte über Erfahrungen mit kreisförmigen Zündern. Anschließend führte Trinks Aufnahmen mit dem AEG-Zeitdehner vor, die eindrucksvoll die Vorgänge beim Auftreffen einer Granate zeigten. Erläutert wurde an Hand von Röntgenaufnahmen, gewonnen am II. PI, wie sich die einzelnen Detonationsphasen von „verkleideten Hohl-Ladungen“ vollziehen.361 Selbstverständlich blieben bei solchen Tagungen wissenschaftliche Debatten nicht aus. Mitunter gerieten unterschiedliche theoretische Standpunkte auch zu „ziemlich scharfen Auseinandersetzungen“ zwischen WaF und TAL. So betonte z. B. Trinks, er habe lange vor Schardin herausgefunden, dass die Hohlladungswirkung „auf einem mit großer Geschwindigkeit aus dem Hohlraum austretenden Strahl“ beruhe.362 Ab etwa 1941 existierte zusätzlich der „Entwicklungsring 1 (Hohlladung) der Sprengstoffindustrie“, dem Firmen wie Dynamit-Actien-Gesellschaft (DAG), WASAG, Lignose, Sprengstoffversuchs-GmbH oder DWM angehörten. Neben den Forschungsstellen WaF und TAL war das HWA vor allem durch Prüf 1 präsent.363 Trotz beachtlicher Fortschritte war man beim HWA nicht zufrieden. Prüf 1, vertreten durch Bucklisch, urteilte Anfang 1942: „Die Hohlladungs-Entwicklung ist noch lange nicht abgeschlossen, sondern hat gerade erst begonnen. Es ist notwendig, daß sie sowohl von Seiten der exakten Wissenschaften, deren Ergebnisse naturgemäß vorerst noch nicht sofort auswertbar sein konnten, als auch von Seiten der Forschungs- und Entwicklungsstellen der Industrie betrieben wird, um den bisher eingehaltenen Leistungsvorsprung gegenüber dem Feind aufrecht erhalten zu können bzw. zu vergrößern.“364
359 Bei der Waffen-SS zeigte Schwab großes Interesse für die Hohlladung. 360 Tagung der AG „H-Ladung“ im Ballistischen Institut der TAL Berlin Gatow, am 27. Februar 1941, BAB R 3/3292. 361 Aktenvermerk der WaF I b über die Besprechung am 23. November 1942 mit DWM, Forschungsanstalt Lübeck-Schlutrup, BAB R 3/3292. 362 Ebd. 363 Aktenvermerk über die 3. Sitzung des Entwicklungsringes 1 am 3. Februar 1942, BAB R 3/3292. 364 Vortrag Bucklisch’ (wie Anm. 357).
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II. Experimente
Die Antwort Schumanns ließ nicht lange auf sich warten. Etwa Mitte 1942 offerierte er eine neue, präzisierte Liste „Forschungen Sprengstoffphysik, Dringlichkeit S“, die bereits im Kapitel 7 zitiert wurde. Die zwölf Positionen sind überwiegend der Hohlladungs-Thematik verpflichtet, z. B. Zündführung bei Hohlsprengkörpern, Berechnung von Hohlsprengladungen oder Ausweichsprengstoffe für Hohlladungen.365 Zu diesen und anderen Forschungsaufgaben fanden oft Beratungen von Schumann, Schall und Hinrichs mit Mitarbeitern der Forschungs- und Entwicklungsanstalt des Leipziger Sprengstoffunternehmens Hasag statt. Mitunter war auch das Planungsamt des RFR dabei, vertreten durch Dr. Badstein und Dr. Doelter. Um die Forschungskapazitäten von WaF zu erweitern, gingen etliche Geheimaufträge an wissenschaftliche Einrichtungen der Industrie sowie an Hochschulen und Universitäten. Einige Beispiele für die Jahre 1943/44 sollen das veranschaulichen: Das „Chemische Labor für Tonindustrie, Prof. Dr. Seger und E. Kramer KG Friedemann“ wurde gebeten „Untersuchungen über die Herstellung und Verwendung bestimmter keramischer Massen (für Hohlladungen): a) mit verschiedenen hohem Schmelzintervall, b) mit verschiedener Zähigkeit, c) mit verschiedenem Gewicht in geschmolzenem Zustand“ zu absolvieren. Die „Hirschberger Optischen Werke“ hatten „Versuche zur Herstellung und Verwendung bestimmter Gläser (für H-Ladungen)“ zu absolvieren. Einen anderen Auftrag „Herstellung und Untersuchung verschiedener Gusseisensorten nach besonderen Angaben (für H-Ladungen)“ bekam die Leipziger Firma „Meiler und Weichelt“. Rätselhaft bleibt ein Auftrag von Trinks, erteilt im November 1944 an Dr.-Ing. Walter Meinel von Tannenberg (*1896), Geschäftsführer der „Gesellschaft zur Erforschung und Entwicklung neuartiger Werkstoff-Bearbeitungsverfahren m. b. H.“ in Leipzig. Meinel von Tannenberg hatte Ende 1938 promoviert mit „Über die Entwicklung des Blechsteppverfahrens“. Der Kriegsauftrag lautete: „Untersuchungen des Aufbaues und der Eigenschaften von Panzern und Schalen im Tierreich“. Sogar noch im Dezember 1944/Januar 1945 vergab WaF Forschungsaufträge zu Hohlladungen, so an die „Gebrüder Ritzeler GmbH, Penzig/Oberschlesien“ zur „Prüfung von Glaskörpern verschiedener Formen und Schmelzen verschiedener Glasarten nach besonderen Angaben“.366 Zwei wichtige Entdeckungen beeinflussten 1943/44 die Hohlladungs-Forschung bei WaF und bestimmten zugleich maßgeblich die theoretische Arbeit von Trinks. Die eine Entdeckung war die der „Sprengstofflinsen“, zu denen Schumann und Hinrichs für den RFR einen geheimen Bericht „Leistungssteigerung von Hohlsprengkörpern durch besondere Zündführung (Linsen)“ verfassten. Worum es sich dabei handelte, geht aus Schumanns Nachlass hervor: „Eine Glättung der gewünschten kugelförmigen, zum Mittelpunkt hinlaufenden Detonationsfront ist in die Anlehnung an die Optik durch die Verwendung von ‚Sprengstofflinsen‘ möglich. 365 Aufstellung „Forschungen Sprengstoffphysik“, BAB R 26 III/271, Bl. 138 366 Forscher, Forschungsinstitute, Firmen, BAB R 26 III/10–17, R 26 III/4, R 3/3130, Bl. 81 f.; Walter Meinel von Tannenberg: Dissertation, Lebenslauf.
8. Hohlladung
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Ähnlich wie dort die Lichtstrahlen kann man hier ein divergentes Bündel von Detonationsstrahlen in ein konvergentes umwandeln, indem man in den Sprengkörper mit der Detonationsgeschwindigkeit D entweder konvexe Linsen aus einem Sprengstoff mit geringerer Geschwindigkeit als D oder konkave Linsen aus einem Sprengstoff mit größeren Geschwindigkeiten als D zwischen den Zünder und die zu beschleunigende Hohlkugeloberfläche einschiebt. So könnte man beispielsweise konvexe Linsen aus Trinitrotoluol bei einem Hauptsprengkörper aus Hexogen oder konkave Linsen aus Hexogen oder Nitropentaerythrit bei einem Hauptsprengkörper aus Trinitrotoluol verwenden.“367
Die zweite Entdeckung erfolgte an anderer Stelle, und zwar zu den so genannten Flachkegelladungen. Erste Versuche mit kalottenförmigen (schalenförmigen) Einlagen wurden um 1939/40 am Institut von Schardin unternommen. Da jedoch damals die Entwicklung von Pionierladungen, Gewehrgranaten und der Panzerfaust im Vordergrund stand, verfolgte man diesen Weg vorerst nicht weiter: „Einen neuen Auftrieb erhielten derartige Bemühungen jedoch gegen Ende des Zweiten Weltkrieges durch Berichte über Versuche mit fernwirkenden Minen, die von Oberst Misney in Ungarn durchgeführt worden waren. Bei einem Besuch in Budapest 1943 wurden einigen deutschen Spezialisten diese „Flachen Schalen“ vorgeführt. An dieser Informationsreise nahmen außer Dr. Trinks (damals Regierungsbaurat) und anderen Herren vom Heereswaffenamt auch Prof. Schardin und der Verfasser teil. Die Wirkung der Flachen Schalen auf große Entfernungen wurden nicht nur anhand von Bildern und Tabellen erläutert, sondern den Besuchern durch Versuche auf einem provisorischen Schießlatz am Rande der Puszta auch anschaulich vor Augen geführt. Herr Dr. Trinks hat sofort die Bedeutung derartiger Ladungen erkannt und in seinem Wirkungsbereich entsprechende Versuche durchführen lassen. Am Ballistischen Institut Berlin-Gatow konnte der Beschleunigungsvorgang erstmalig durch Röntgenblitzaufnahmen analysiert werden.“368
Nach mehreren Jahren angestrengter Bemühungen gelang es Trinks endlich das Ergebnis seiner sehr schwierigen theoretischen Forschungen zu präsentieren. Ende 1944 – wahrscheinlich im Oktober oder November – legte er an der Wehrtechnischen Fakultät der TH Berlin seine Habilitationsschrift vor. Sie enthielt erstmals eine vollständige theoretische Verallgemeinerung der bisher zur Hohlladung gewonnenen Erkenntnisse. Die Röntgenblitzaufnahmen hatten deutlich gezeigt, wie es zur Ausbildung eines „Hohlladungsstrahles“ mit hoher kinetischer Energie kam und wie er sich danach beim Eindringen in Metall usw. verhielt. Vergleichen ließ sich dies mit den Eigenschaften eines Wasserstrahles, wie er von der Hydrodynamik* untersucht und beschrieben wird. Es lag also nahe, diese Strahlenbildung entsprechend der hydrodynamischen Theorie formelmäßig zu fassen. Genau diese 367 Schumann: Die Wahrheit über die deutschen Arbeiten und Vorschläge zum Atomenergie-Problem 1939–1945, unveröffentlichtes Manuskript, NL Schumann. 368 Gustav Thomer: Zur Frühgeschichte der Flachkegelladungen, in: Rudi Schall (Hg.): Beiträge zur Ballistik und Detonationsphysik (Herrn Ministerialrat Dr. W. Trinks zum 65. Geburtstag gewidmet), Bundesministerium der Verteidigung, Forsch.-Bericht Wehrtechnik (BMVgFBWT 75–13), 130–133, insb. 131. Im 2. Halbjahr 1944 glaubte Schardin, das Planungsamt des RFR auf den Flachkegeleffekt aufmerksam machen zu müssen. Osenberg ließ deshalb sofort beim HWA in dieser Angelegenheit anfragen, Schneider teilte ihm kühl mit, der „von Prof. Schardin vorgetragene Effekt ist hier seit längerem bekannt und wird entwicklungsmäßig verfolgt“. Prüf 1 habe die Aufgabe, auf dieser Grundlage eine Waffe zu entwickeln. Schneider am 8. November 1944 an Osenberg, BAB R 26 III/53, Bl. 120.
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II. Experimente
Aufgabe löste Trinks. Damit stellte er die Hohlladungs-Forschung auf eine solide wissenschaftliche Grundlage. Bereits im Bericht des Bevollmächtigen für Sprengstoffphysik 43/6 war ein Beitrag von Trinks enthalten zu „Rechnerische Untersuchungen über die Abhängigkeit der Wirkung verkleideter Hohlsprengkörper in ihren Beziehungsgrößen“. Vermutlich bekam Trinks bei seinen Berechnungen Unterstützung von Prof. Mohr, der sich bereits 1939 als Mathematiker mit einem Thema zur Hydrodynamik habilitierte und in der Folgezeit diesem Gebiet treu blieb (vgl. Kapitel 5). Die hohe Bedeutung der Forschungsergebnisse von Trinks veranlasste Schumann in seiner Eigenschaft als Leiter der Abteilung Wissenschaft im OKW, die Habilitationsschrift des Referatsleiters WaF I b unverzüglich zur „Geheimen Kommandosache“ zu erklären. Das abgedeckte Thema lautete schlicht „Rechnerische Untersuchungen über die Wirkung von Sprengkörpern“. In den Bibliographien der Hochschulschriften erschien die Arbeit nicht.369 Die Habilitationsarbeit von Trinks kann getrost als ein Markstein der Hohlladungs-Forschung bei WaF gewertet werden. Sie gab eine bis heute unbestrittene Erklärung der Vorgänge bei der Detonation von Hohlladungen und beschrieb zugleich ein gültiges mathematisches Verfahren zur Berechnung derselben. In der Festschrift zum 65. Geburtstag von Trinks wird z. B. festgestellt: „Das von ihm skizzierte Bild war mit so klaren kräftigen Strichen gekennzeichnet, daß die in den folgenden drei Jahrzehnten erzielten weiteren Erkenntnisse nur Ausfüllung von Details ohne wesentliche Korrektur der großen Linie darstellten.“370
Die Bedeutung seiner Hohlladungs-Forschung sollte sich noch im letzten Kriegsjahr durch die „Vereinigung“ mit der Kernphysik erweisen (vgl. Kapitel 9). Auch nach dem Erfolg von Trinks wurde bei WaF die Hohlladungs-Forschung konsequent weiter geführt und in praktische Ergebnisse umgesetzt. Im Dezember 1944 reichte Schumann in seiner Eigenschaft als „Bevollmächtigter für Sprengstoffphysik“ bei Osenberg die Unterlagen „für die Fertigung von Hohlladungsmunition mit Zündführung“ ein. Damit sollten ein 7,5-cm-Geschoss, ein Leichtgeschoss und eine Panzermine ausgestattet werden. Als zuständiger Sachbearbeiter wurde Hinrichs benannt. Obwohl Osenbergs Büro den Erhalt mit dem Vermerk quittierte „sofort bearbeiten“, wurde Schumann schnell ungeduldig. Am 8. Januar 1945 wandte er sich erneut an Osenberg und bemängelte ärgerlich, dass auf seinen Vorschlag „zur Neugestaltung der Sprengladung der derzeit eingeführten Panzerfaust“ trotz offensichtlicher Vorzüge bisher keine Entscheidung erfolgt sei. Schumann verwies deshalb nachdrücklich auf die von der „Feindseite gegen die Panzerfaust getroffenen Abwehrmaßnahmen“, die er im November 1944 im Beisein von Mentzel und Ministerialdirigent Dr. Görnnert vorausgesagt habe. Weiter argumentierte er: 369 Vermerk des OKW W Wiss vom 27. November 1944 für das REM, BAB R 4901/12850, Bl. 245; Schardin: Über die Entwicklung der Hohlladung (wie Anm. 299), insb. 110–112, 119; BDC zu Mohr DS A 0047, insb. Gutachten Kloses zu Mohr vom 11. Mai 1942, Bl. 9214; Hinweise des Sohnes von Trinks, Prof. Hauke Trinks, über einen Mitarbeiter seines Vaters „Mohr o. ä.“ 370 Thomer: Zur Frühgeschichte der Flachkegelladungen (wie Anm. 368).
8. Hohlladung
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„Der von mir vorgeschlagene Sprengkörper ist dazu auf Grund folgender Eigenschaften geeignet: Er zeigt noch auf große Entfernung von dem zu zerstörenden Gegenstand ausgezeichnete Durchschlagsleistungen. Im Vergleich mit anderen Ladungen hat er bei gleichem Gewicht die größte Wirkung. Die gedrungene Form der Ladung ergibt geringen Raumbedarf und gute außenballistische Eigenschaften. Zur Erzielung der höchsten Leistung bei den speziellen Anforderungen an die ,Panzerfaust‘ sind verschiedene konstruktive Größen der Ladung zu variieren und deren günstigste Masse experimentell zu bestimmen. Aus diesem Grunde und um möglichst gleich nach Beendigung der ersten Versuchsserie die Gestaltung des endgültigen Sprengkörpers festlegen zu können, halte ich es für notwendig, die Anzahl der im Auftrag vergebenen Stücke nicht zu klein zu halten. Für das Vorhaben wird von mir die Dringlichkeitsstufe DE beantragt. Ich muß nochmals auf die Notwendigkeit hinweisen und bitte Sie, mit allen Ihnen zu Gebote stehenden Mitteln in dieser Richtung durchzugreifen, daß neben der Einführung der Zündführung durch Linsen bei der Infanteriewaffe ,Panzerfaust‘ nunmehr auch die anderen von mir gemachten Vorschläge (Geschosse, Panzerminen) entwicklungsmäßig bearbeitet werden. Wie ich bereits in meinem letzten Schreiben bemerkte, eignen sich die Ladungen mit halbkugelförmigem Hohlraum und Linse wegen des geringen Gesamtgewichtes besonders für alle Arten von Leichtgeschossen. Einen ausführlichen Vorschlag für das Kaliber 8,62 cm werde ich in Kürze unterbreiten.“371
Bei einer bald folgenden Besprechung im Planungsamt des RFR zwischen Hinrichs und Doelter am 15. Januar 1945 wurde entschieden, die „Entwicklung der Forschungsvorschläge von Prof. Schumann anlaufen zu lassen“. Vorgesehen wurden zunächst „35 modifizierte Hohlladungs-Köpfe der Panzerfaust“. Hinrichs gab bekannt, die Durchschlagsleistung könne gegenüber den bisherigen Ausführungen um 20 bis 25 % erhöht werden. Einzelheiten der Konstruktion und Serienproduktion – so wurde weiter beschlossen – sollten mit den Firmen WASAG sowie Sorst & Co, Hannover beraten werden.372 In den letzten Kriegsmonaten machten sich Schumann und Hinrichs immer noch Gedanken über die Wirkungssteigerung von Hohlladungen in der „Panzerfaust“. Gleichzeitig gab es Gedanken über neue Einsatzmöglichkeiten. Mitte Februar 1945 regte Osenberg in einem Schreiben an Basche an, man solle die „Verwendung der Panzerfaust zum Bau von Panzersperren“ prüfen, indem man sie schräg in den Boden eingräbt. Gleichzeitig empfahl Osenberg, dazu die Zusammenarbeit mit Dr. Mayer von der Dynamit AG zu suchen. Ende März gab es ein diesbezügliches Gespräch mit Vertretern der Versuchsstelle Hillersleben.373 Insgesamt fanden Schumanns Hohlladungs-Forschungen bei der ihm wohlwollenden Obrigkeit starke Beachtung. Mentzel unterrichtete am 9. März 1943 den persönlichen Referenten des Reichsmarschalls Göring, SA-Oberführer Dr. Friedrich Görnnert, davon, dass der Chef des HWA, General Leeb, vorgeschlagen habe, Schumann mit dem „Deutschen Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft“ auszu371 Schumann am 8. Januar 1945 an Osenberg (Geheime Reichssache), BAB R 26 3/78 Bl. 1287 f. (Hervorhebung ebd.). 372 Aktenvermerk vom 18. Januar 1945: Forschungsvorschlag von Prof. Schumann, BAB R 26 3/78, Bl. 1281. 373 Osenberg am 17. Februar 1945 an Basche, BAB R 26 III/52, Bl. 96 und 270.
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II. Experimente
zeichnen. Schumann – so unter anderem die Begründung – habe wesentlichen Anteil an der Bildung einer Arbeitsgruppe, deren Tätigkeit ein „Musterbeispiel für neue Entwicklungen auf dem Sprengstoffgebiet H.-Körper“ sei. Deshalb habe man diese Arbeiten auch zu einem Schwerpunkt erklärt.374 Doch Schumann hatte auch scharfe Gegner. In einem Bericht für den RFR über die Arbeiten des Jahres 1943 wird beklagt: „Von 17 Aufträgen der Fachsparte Sprengstoffphysik hat sich Herr Prof. Schumann 12 selbst erteilt, von diesen werden jedoch nur 2 Probleme untersucht. Die entscheidenden Fragen der Sprengstoffphysik werden nicht erfaßt.“375
Die Hohlladungsgeschosse brachten nicht nur an den Fronten vielfachen Tod. Während man in Vers. Gottow und anderenorts intensiv an der Perfektionierung der neuen Waffe arbeitete, baute die Leipziger Firma Hasag in Bergau eine Panzerfaustfabrik. Das kaum bekannte Dorf in der Niederlausitz – heute ein Ortsteil von Schlieben im Elbe-Elster-Kreis – liegt gut 50 km südlich von Kummersdorf. In ihrer neuen Produktionsstätte ließ die Hasag Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge aus dem KZ Buchenwald schuften. Im Oktober 1944 erschütterte eine gewaltige Explosion das Dorf Bergau und seine Umgebung: Das Werk war in die Luft geflogen. Mehr als 100 Opfer unter den Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen waren zu beklagen.376
9. KERNPHYSIK Das Uranprojekt war mit Abstand das bedeutendste und umfangreichste Forschungsvorhaben von WaF. Mit ihm stieß man weit in bisher völlig unbekannte Gefilde der Physik hinein. Dabei konnten mit vergleichsweise geringem Aufwand sehr bemerkenswerte, sogar überaus eindrucksvolle Ergebnisse erzielt werden. Die Explosionen der beiden amerikanischen Atombomben im August 1945 machen schlagartig klar, um welche politischen, militärstrategischen und militärtechnischen Dimensionen es ging. Ein endgültiger Erfolg war den deutschen Uranarbeiten während der HitlerHerrschaft nicht beschieden – zum Glück, kann man berechtigt sagen. Manches deutet darauf hin, dass die Beteiligten beim HWA mitunter eine leise Ahnung von den Folgen ihres Tuns befiel. Wie bei keinem anderen Projekt von WaF verzahnten sich eigene wissenschaftliche Leistungen und Ergebnisse mit jenen, die außerhalb des HWA an Universitäten, Hochschulen, Instituten der KWG und anderen Einrichtungen hervorgebracht wurden. Noch nie waren derartig viele Wissenschaftler durch WaF mittels Kriegsaufträgen in ein bestimmtes Gebiet der Wehrforschung eingebunden 374 Mentzel am 9. März 1943 an Görnnert (geheim), BAB R 26 III/209. 375 Osenberg am 19. August 1944, BAB R 26 III/276. 376 Sybille Gramlich, Irmelin Küttner: Denkmale in Brandenburg. Landkreis Elbe-Elster, Teil 1: Die Stadt Herzberg/Elster und die Ämter Falkenberg/Uebigau, Herzberg, Schlieben und Schönewalde, Worms 1998 (= Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland – Denkmale in Brandenburg, 7.1), 291.
9. Kernphysik
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worden. Nahezu alle deutschen und österreichischen Kernphysiker von Rang und Namen arbeiteten zwischen 1939 und 1945 direkt oder indirekt für WaF, häufig auch in Konkurrenz zu den starken Bemühungen anderer Wehrmachtsteile – einschließlich der SS, der Reichspostforschung und weiterer Institutionen, die ebenfalls vom Ehrgeiz getrieben waren, kernphysikalisch aufzutrumpfen. Eine erste umfassende Darstellung zur Beteiligung von WaF mit ihren Versuchen in der Vers. Gottow legte der Autor 2002 mit seiner Publikation „Atomversuche in Deutschland“ vor. Es gibt jedoch gute Gründe, an dieser Stelle den kernphysikalischen Arbeiten bei WaF erneut ein eigenes Kapitel zu widmen. Das ergibt sich schon aus der Absicht dieses Buches, einen Gesamtüberblick zur Tätigkeit von WaF zu geben. Ebenso ist es angebracht, die vielfältigen personellen und sachlichen Verknüpfungen der Kernforschung bei WaF mit den anderen, teils bereits vorgestellten bzw. noch zu behandelnden Forschungsgebieten aufzuzeigen. Weit wichtiger ist jedoch etwas anderes: Seit Erscheinen der „Atomversuche“ konnten in deutschen und ausländischen Archiven weitere, bisher unbekannte Dokumente zum deutschen Uranvorhaben ausfindig gemacht werden. Überraschende Funde gelangen vor allem Rainer Karlsch in Moskauer und anderen Archiven. In Zusammenarbeit mit dem Autor spürte er bei einem ehemaligen Angehörigen der Studentenkompanie wesentliche Teile des Nachlasses von Schumann auf. Karlsch, später auch der Autor, konnten nun Einblick in die privat aufbewahrten, bislang völlig unbekannten Schriftstücke nehmen, die manches Rätsel lösten und neue, oft verblüffende Einblicke in verschiedene Vorgänge bei WaF boten. Unabhängig davon fand der Autor im Bundesarchiv, im Archiv der MPG und in verschiedenen Wiener Einrichtungen Dokumente, die weitere Details offen legten und die es erlaubten, zahlreiche Zusammenhänge präziser zu beleuchten. Wichtige Anregungen, Ergänzungen und Hinweise kamen von Lesern der „Atomversuche“. Diese neuen und zusätzlich bekannt gewordenen Fakten stehen im Mittelpunkt dieses Kapitels.377 Beginnen wir mit Diebner. Nach seinem Eintritt ins HWA, am 15. Februar 1934, war er zunächst auf dem sprengphysikalischen Gebiet tätig. Bereits nach kurzer Zeit – genaue Angaben existieren dazu nicht – wurde ihm die Leitung des Referates WaF I b (Sprengphysik) anvertraut. In dieser Funktion erwarb er sich schnell Renommee und Einfluss. Bei Abwesenheit anderer Referatsleiter vertrat er sie bisweilen oder zeichnete Versuchsberichte ab, die in ihren Referaten entstanden waren. Nach und nach baute er gute Kontakte zu anderen wissenschaftlichen Einrichtungen auf und hielt weiterhin Verbindung zur PTR, an der er nach seinem Weggang aus Halle kurzzeitig tätig gewesen war.378 Entsprechend seiner Ausbildung als Kernphysiker war Diebner bei WaF von Anfang an bestrebt atomphysikalische Effekte auf ihre mögliche Verwendung in
377 Sofern nichts anderes angemerkt, gelten die Quellenangaben bei Nagel: Atomversuche. Auf sie wird nachfolgend nur in besonderen Fällen verwiesen. Personen, die in diesem Buch bereits biographisch vorgestellt werden, werden hier nur namentlich genannt. 378 Auskünfte BAA zu Diebner. Zur Abzeichnung von Berichten durch Diebner vgl. z. B. den von W. Schlicht, Referat I c, vom 1. April 1937: Über spektrographische Untersuchungen bei R-Öfen, BA-MA, RH 8/v 1280, Bl. 118.
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II. Experimente
der Sprengstoffphysik zu prüfen. Dazu bediente er sich u. a. der beiden Wissenschaftler Pose und Rexer, mit denen er an der Universität Halle effektiv zusammen gearbeitet hatte. Ihnen erteilte er spätestens ab 1937 entsprechende Aufträge, z. B. zur Auslösung von Explosionen mittels radioaktiver Strahlen.379 Mit Pose debattierte er bereits vor der Entdeckung der Urankernspaltung über den Einsatz und die Beschaffung eines Zyklotrons* sowie anderer Großforschungsgeräte der Kernphysik für die Forschungsabteilung. Über den Wert derartiger technischer Anlagen war er sich völlig im Klaren. Das verdeutlicht auch der gemeinsame Besuch von Diebner und Pose bei Siemens am 9. Januar 1939 (vgl. unten, S. 184). Vergegenwärtigt man sich die Ereignisse nach dem 6. Januar 1939 – jenem Tag, an dem der berühmte Artikel von Hahn und Strassmann die Entdeckung der Kernspaltung bekannt gab – so wird deutlich: Die Initiative für das deutsche Uranprojekt ging vor allem vom HWA selbst aus. Die Führung von WaF war maßgeblich daran beteiligt, ebenso Diebner persönlich. Die mitunter in der Literatur noch anzutreffende Meinung, der Brief von Paul Harteck und Wilhelm Groth habe die Sache ins Rollen gebracht, ist schlicht nicht zutreffend. Das zeigt auch eine Chronologie der Ereignisse des Jahres 1939. Januar: Siegfried Flügge und Gottfried von Droste schicken am 22. Januar einen Artikel an die Zeitschrift für Physikalische Chemie, in dem der Zerfall des Urans in zwei neutronenreiche Kerne berechnet wird. Hahn und Strassmann bestätigen am 28. Januar in einer bei der Zeitschrift Naturwissenschaft eingereichten Arbeit ihre Entdeckung endgültig. März: Schumann weist Basche an, alles zu sammeln, was über die Kernspaltung veröffentlicht wird, mit den „atomphysikalischen Instituten in Hinblick auf weitere Ergebnisse enge Fühlung zu halten“ und die Gründung eines „AtomphysikReferates“ bei WaF, einschließlich des Baues einer Experimentieranlage in der Vers. Gottow vorzubereiten. Der Artikel von Flügge und v. Droste, eingereicht am 22. Januar, erscheint. Diebner gibt sein bisheriges Referat F I b ab. April: Joliot-Curie (Paris) berichtet am 22. April über einen Versuch, bei dem eine Urankernspaltung durchschnittlich 3,5 Neutronen freisetzte. Am gleichen Tag hält Hanle an der Universität Göttingen seinen Vortrag „Energiegewinnung aus einer Uranspaltungsmaschine“. Joos informiert unverzüglich das REM. Harteck und Groth schreiben am 24. April ihren Brief an das HWA, in dem sie auf die Möglichkeit hinweisen, einen „Sprengstoff von ungeahnter Wirkung herzustellen“. Dabei beziehen sie sich auf die Ergebnisse von Joliot-Curie. Esau, Joos u. a. Wissenschaftler gründen unter der Führung des REM den „1. Uran-Verein“. Juni: Flügge präsentiert in den „Naturwissenschaften“ vom 9. Juni seinen Aufsehen erregenden Beitrag über die Nutzung der Energieinhalte von Atomkernen und ihre technische Nutzung, der zugleich das Prinzip der Uranmaschine grob skizziert. „Auf Grund einer von Flügge veröffentlichten Diskussion der Kettenre379 Eintragungen in Karteikarte Pose: Untersuchungen über die Auslösung von Explosivvorgängen durch radioaktive Strahlen, 1937 und 1938; Sprengphysikalische Untersuchungen, 1939; zu Rexer: Untersuchungen zu Sprengstoffen und Raketentreibmitteln, BAB, R 26 III/9; Esau: Aktenvermerk Lawineneffekt, DM, SI, ED 100/1, Bl. 29098–29101.
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aktion“ berief der Chef des HWA, General Becker, eine Besprechung ein. Anwesend waren Planck, Oberst Waeger (als Chef des Stabes im HWA), Schumann, Winkhaus (Prodekan der WTF), Basche und Esau (in seiner Eigenschaft als Präsident der PTR). Dabei soll Waeger die Frage gestellt haben, welche Aussichten es zur „Gewinnung und Bändigung von Atomenergie“ gäbe. Planck „befürwortete eine weitere Förderung der atomphysikalischen Fragen, um genauere Kenntnis vom Inneren des Atomkerns und der verschiedenen Kernreaktionen zu gewinnen“. Dann könne man die Frage präziser beantworten. Waeger soll es auch gewesen sein, der dafür sorgte, dass die Federführung für die kernphysikalischen Arbeiten ins HWA, zu WaF gegeben wurde. Ursprünglich habe man die Absicht verfolgt, das U-Projekt bei der PTR zu „zentralisieren“, hielt aber eine militärische Stelle für geeigneter, z. B. um die Beschaffungsprobleme besser zu lösen. Am 15. Juni erfolgte die Gründung des Referates WaF I a (Kernphysik). Zum Referatsleiter wurde Diebner ernannt. In der Vers. Gottow wird bereits an einer eigens für kernphysikalische Experimente bestimmten Versuchsanlage gearbeitet. August: Die Göttinger Physiker Joos, Hanle und Mannkopff, Mitarbeiter des „1. Uranvereins“, die schon mit einschlägigen Arbeiten begonnen haben, werden zum Wehrdienst einberufen. Damit endet im Wesentlichen der 1. Uranverein. September: Am 1. September beginnt der Zweite Weltkrieg. Vier Tage später drängt Esau auf eine Besprechung mit Basche und Glagow (WaF) sowie Möller (PTR), die auch stattfindet. Esau geht es darum, Uran und Radium für Versuche zu bekommen. Tags darauf erscheint Basche im Auftrag Schumanns bei der PTR und erklärt, dass beim HWA schon seit mehreren Jahren am Uranproblem gearbeitet werde. Am 8. September wird Bagge zu WaF einberufen. Im Auftrag Diebners bereitet er die Beratung eines wissenschaftlichen Gremiums vor, später als „2. Uran-Verein“ bezeichnet. Bei der Zusammenkunft am 16. September oder 26. September – darüber sind die Aussagen verschieden – sind anwesend: Basche und Diebner (WaF) sowie die Professoren Bothe, Flügge, Geiger, Harteck, Hoffmann und Mattauch. Harteck erläutert seine bereits weit gediehenen Vorstellungen von der Funktionsweise einer Uranmaschine und den damit einhergehenden wissenschaftlichtechnischen Problemen. Es wird eine weitere Beratung beim HWA mit vergrößertem Teilnehmerkreis beschlossen. Kamin, der früher im Strahlungslabor der PTR arbeitete und jetzt WaF angehört, versucht Ende des Monats telefonisch bei PTR geeignete Fachkräfte für WaF abzuwerben. Basche gibt (am 13. November) auf empörte Anrufe der PTR lakonisch zu, dass WaF etwa 200 Techniker suche. Oktober: Anfang des Monats findet eine zweite Beratung im HWA statt, bei der u. a. der neu hinzugekommene Heisenberg beauftragt wird, eine Theorie der Kettenreaktion und der sich daraus ergebenden Möglichkeiten einer technischen Energiegewinnung aus der Uranspaltung auszuarbeiten. In der Vers. Gottow arbeiten bereits Czulius, Berkei, Hartwig, Herrmann, Kamin, Hennig und eine Reihe technischer Hilfskräfte emsig am Aufbau und der Ausrüstung eines Versuchsstandes.
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Dezember: Heisenberg schickt am 6. Dezember dem HWA sein erstes grundlegendes Gutachten „Die Möglichkeiten der technischen Energiegewinnung aus der Uranspaltung“, dem Ende Februar 1940 ein zweiter grundsätzlicher Bericht folgt.380 Zusammenfassend kann festgestellt werden: Am Ende des Jahres 1939 war das deutsche Uranprojekt unter der Führung des HWA/WaF mehr oder weniger gut in Fahrt gekommen. Offiziell nannte es sich „Arbeitsgemeinschaft für Kernphysik“. Unter den Beteiligten war der, laut Bagge, „spaßige Name“ Uranverein gebräuchlich. Die Grundzüge der, anfänglich eher sehr losen Struktur des schwergewichtigen Forschungsvorhabens zeichneten sich ab. Nach und nach wurde sie zwar vervollkommnet, nahm aber nie die Form einer fest gefügten, zentralistischen Organisation an. Führende Kernphysiker bearbeiteten an verschiedenen Einrichtungen die unterschiedlichsten, sehr breit gefächerten Themen. Die Rolle Diebners als Organisator des gesamten Unternehmens war kaum umstritten; auch deshalb, weil hinter ihm die ganze Machtfülle des HWA bzw. sogar des Oberkommandos des Heeres (OKH) stand. Letzteres bedarf einiger Erläuterungen, da dieser Umstand häufig übersehen wird. Wichtige Weichen stellte General Becker, nach dessen Freitod am 8. April 1940 der neue Chef des HWA, General Emil Leeb. Maßgebliche Unterstützung erhielt WaF von dem späteren General Dr. h. c. Kurt Waeger, Chef des Stabes im HWA. Nach dessen Weggang vom HWA (1942) und Übernahme des Rüstungsamtes beim Minister für Bewaffnung und Munition, Albert Speer, engagierte sich der Chef der Amtsgruppe Prüfwesen, General Dipl.-Ing. Erich Schneider, für das U-Vorhaben. Ab August 1943 liefen viele Aktivitäten (z. B. Materialbeschaffung, Vergabe der höchsten Dringlichkeit DE) über Oberst Friedrich Geist, der ab 1940 beim HWA die ballistische und Munitionsabteilung geführt hatte und danach bei Speer dessen Amtsgruppe Forschung und Entwicklung übernahm. Schumann nutzte seine traditionell guten Verbindungen, vor allem zur KWG. Er konferierte mehrmals mit Dr. Ernst Telschow, der die Geschäfte der KWG 1940/41 leitete und danach Generalsekretär der KWG war, und dem 1941 neu gewählten Präsidenten der KWG, Albert Vögler. Zusammen mit Mentzel sicherte Schumann die Vergabe von Forschungsaufträgen durch den RFR bzw. die Einbeziehung geeigneter Wissenschaftler aus dem „zivilen Bereich“. Meist reichte jedoch ein Schreiben Schumanns an den betreffenden Wissenschaftler mit der Bitte, eine bestimmte Aufgabe zu übernehmen, wofür eine feste Summe zugesagt wurde.381 Notfalls machte Schumann auch von seiner Eigenschaft als Leiter der Abteilung Wissenschaft im OKW Gebrauch. 380 Zusammengestellt vor allem nach Angaben in: Bagge et al.: Uranspaltung; Briefwechsel Glagow–Schneider, BA-MA NL 625/9; Nachlass Schumann (ungeordnet, an verschiedenen Stellen); Helmut Rechenberg: 50 Jahre Kernspaltung, in: Physikalische Blätter 14 (1988) Heft 12, 453–459. Diese u. a. Quellen stimmen zeitlich verschiedentlich nicht überein. Zu den Abwerbungsversuchen Kamins bei der PTR: Beschwerde des Oberregierungsrates A. Schulze, Mob-Referent der PTR, BAB, 26 III/719. 381 Ein gutes Beispiel dafür ist das Schreiben Schumanns vom 15. Dezember 1939 an Harteck, mit der Bitte, auf Grund „vorangegangener Besprechungen im HWA, entsprechend Ihrer Vorschläge die folgenden kurz angegebenen Aufgaben zu bearbeiten: 1. Entwicklung einer konti-
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Als eine unerlässliche Stütze erwies sich Graue, der ab 1942 die Kriegswirtschaftsstelle leitete. Von den Mitarbeitern bei WaF, die einen großen Anteil an der organisatorischen Bewältigung des U-Projektes hatten, sind vor allem zu nennen: Glagow (Chef des Stabes WaF), Basche und Kadow. Glagow unterhielt beispielswiese Kontakte zu den „verpflichteten“ Wissenschaftlern, klärte Finanzierungs-, Personal- und andere Fragen. Verschiedentlich nahm er an „U-Sitzungen“ teil. Basche organisierte die Vergabe von Aufträgen an Forscher außerhalb des HWA, beriet sich mit den zuständigen Chefs anderer Institutionen und sicherte die Zusammenarbeit mit der Industrie. Kadow, dem bei WaF die „Organisation der Forschung“ oblag, sammelte die Berichte zu den in der Vers. Gottow und an anderen Stellen erzielten Ergebnissen, wertete sie für Beratungen aus und sorgte für die Nachweisführung und Verteilung der meist geheimen Dokumente. Bei wichtigen Zusammenkünften führte er Protokoll.382 Außerdem zog Diebner, wo immer es sich anbot, die Mitarbeiter seiner kleinen Arbeitsgruppe in der Vers. Gottow für organisatorische Aufgaben heran. Vor allem Berkei war deshalb oft unterwegs. Auch Pose wirkte verschiedentlich organisatorisch mit. Zahlreiche Forscher, die WaF für das U-Projekt gewonnen hatte, wurden selbst aktiv, berieten sich mit Behörden, konsultierten andere Wissenschaftler, besprachen mit Firmen Materiallieferungen usw. Insbesondere Harteck verfügte über ausgezeichnete Verbindungen zur Industrie, „die ihm alles machte, was er brauchte“.383 Ihr energisches und erfolgreiches Handeln wusste später auch Gerlach zu schätzen. Er benannte am 15. Juni 1944 als Kandidaten für eine Auszeichnung mit dem KVK „Harteck, Clusius und Groth als die alleraktivsten Herren der kernphysikalischen Forschung“.384 Diebner musste im Wesentlichen vier Aufgabenkomplexe im Blick haben, von denen jeder für sich genommen hohe Ansprüche stellte, mitunter auch ziemlich komplizierte Fragen aufwarf. Das waren (1.) die Einbeziehung und Lenkung profilierter Kernforscher, die in Arbeitsgruppen oder einzeln an KWI, Universitäten/ Hochschulen oder anderen Institutionen zumeist Grundlagenforschung betrieben, (2.) galt es, in Zusammenarbeit mit der Industrie und staatlichen Behörden das UVorhaben materiell-technisch sicherzustellen, (3.) ergab sich bald die Notwendigkeit, Kontakte zu anderen Stellen herzustellen und zu halten, die sich außerhalb des Uranvereins mit der Kernforschung befassten, (4.) war Diebner ehrgeizig genug, in der Vers. Gottow mit seiner Gruppe eine funktionierende Uranmaschine zu entwinuierlich messenden Anordnung zur Bestimmung der Neutronenkonzentration. 2. Anwendung des Verfahrens nach (1.) zur Ermittlung der im Durchschnitt bei dem Zerfallsprozess freiwerdenden Neutronen … 3. Entwicklung eines Verfahrens zur Anreicherung des Uranisotops 235 nach der Methode von Clusius-Dickel“. DM, SI, Bl. 29619. 382 Die Angaben zu diesen Personen und ihren Zuständigkeiten wurden vor allem zusammengestellt unter Verwendung von: NL Schumann und Schneider; Spruchverfahren Mentzel; Atomdokumente, DM; BAA: Personalunterlagen Glagow, Kadow; biographische Nachschlagewerke. 383 Bemerkung des Wiener Kernforschers Jentschke, wiedergegeben bei Michael Schaaf: Der Physikochemiker Paul Harteck (1902–1985), Dissertation Universität Stuttgart 1999, Stuttgart 1999 (= Censis Report 33-99), 108. 384 Gerlach am 15. Juni 1944 an Graue, BAB, R 26 III/508.
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ckeln und andere Probleme zu lösen (vgl. Anhang IX: Schema Struktur des deutschen Uranprojektes (Februar 1942). Nachfolgend soll zu den drei erstgenannten Aufgabenkomplexen ein Überblick gegeben werden.
Einbeziehung von Wissenschaftlern Kurz nach den Beratungen im September/Oktober 1939 unternahm das HWA Schritte, um sich das KWI für Physik in Berlin-Dahlem zu unterstellen, Ziel war es, trotz der recht lockeren Organisation dennoch über ein Art Zentrum in Berlin zu verfügen. Direktor des KWI war Prof. Dr. Peter Debeye. Als Holländer wollte er das Geheimprojekt nicht leiten bzw. durfte es nach dem Willen des HWA auch nicht. Die Leitung der KWG gab dem Drängen der Militärs schnell nach. Man beurlaubte Debeye, der Ende 1940 Deutschland verließ. Schon im Dezember 1939 erfuhren die Mitarbeiter des KWI, dass das Institut „während des Krieges vom Heereswaffenamt übernommen wird“. Die Einzelheiten der de facto bereits seit Jahresbeginn bestehenden Situation am KWI vereinbarten am 22. Januar 1940 Basche, Diebner (WaF), Dr. Ludwig Bewilogua (KWI für Physik), Dr. Forstmann und Mayer (Generalverwaltung der KWG). Nach dem damals verfassten Protokoll „zerfiel“ das KWI jetzt in zwei Teile, nämlich die „HWA-Zuständigkeit“ und das Kältelabor, das weiterhin bei der KWG blieb. Für beide Teile wurde eine getrennte Buchführung eingerichtet. Die Geschäftsführung des HWA-Teiles übernahmen Basche und Diebner. Der dem KWG zugeschlagene Teil unterstand Ludwig Bewilogua. Die ehemaligen Mitarbeiter Debeyes, die Physiker Horst Korsching, Carl Friedrich von Weizsäcker und Karl Wirtz, verstärkt durch Paul Müller und Karl-Heinz Höcker, arbeiteten am KWI zu theoretischen Fragestellungen. Darüber hinaus beteiligten sie sich an der Vorbereitung von Versuchen mit einer U-Maschine, die als Serie B I, II, III usw., bekannt sind. Dafür wurde am KWI ein eigenständiges Labor gebaut, aus Tarnungsgründen „Virus-Haus“ genannt. „Diebner brachte“, schrieb später Wirtz, „einige Mitarbeiter, namentlich Heinrich [Heinz, G. N.], Pose und Rexer ans Institut. Diese beteiligten sich aber nicht an den Experimenten mit der Uranmaschine“. Nach den Erinnerungen von Wirtz, der Diebner für einen „Mann mit Initiative und großer Intelligenz“ hielt, stieß dieser zwar im Institut auf „einen gewissen Widerstand“, konnte sich aber durchsetzen, vor allem als er später ohne Zögern dem Plan zustimmte, Heisenberg als Nachfolger von Debeye einzusetzen.385 385 Notiz Mayers Übernahme des K. W. I. f. Physik durch das Heereswaffenamt, AMPG, I. Abt., Rep. 34 KWI für Physik, Nr. 18/12 (HWA); Wirtz: Im Umkreis, insb. 30–33. Helmut Rechenberg: Kopenhagen 1941 und die Natur des deutschen Uranprojektes, in: Kleint et al.: Werner Heisenberg, 174–191. Im Nachlass Schumann befindet sich ein Schreiben Rudolf Mentzels vom 18. Januar 1949 Die Wahrheit über den Weggang Prof. Debeye’s aus Deutschland. Darin heißt es u. a., dass die Initiative für die „wehrmachtsseitige“ Beschlagnahme des KWI von General Becker ausging, da das HWA nur im geringen Umfang über eigene Forschungsstätten verfügt habe. Das KWI für Physik „sollte führend in die kernphysikalischen Arbeiten eingeschaltet
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An dieser Stelle ist ein kurzer Einschub zu Pose und Rexer angebracht, die als enge Mitarbeiter von Diebner eine Sonderstellung im U-Projekt innehatten. In seinem Lebenslauf schrieb Pose, dass er bei Kriegsausbruch fünf Monate „Heeresdienst leistete“ und danach „für die Dauer des Krieges“ zur Forschungsabteilung kommandiert wurde. „Dort gehörte ich einer Gruppe von Physikern an, die mit dem Problem des Uranreaktors beschäftigt waren. Zunächst arbeitete ich am KWI für Physik in Berlin-Dahlem“. Seine weiteren Stationen waren die PTR (1941– 1942, u. a. Arbeiten zu thermischen Neutronen*) und Leipzig, wo er bei Prof. Gerhard Hoffmann „Rechnungen und Projekte für Teilchenbeschleuniger hoher Energien“ (Entwicklung eines Zyklotrons) vornahm. Ähnlich gilt dies auch für Rexer. Er befasste sich u. a. mit der Beschleunigung von Vorgängen der Polymerisation durch ionisierende Strahlung.386 Eine weitere, sehr wichtige wissenschaftliche Einrichtung, die WaF für sich beschlagnahmte, war das „Institut de Chimié Nucleaire am College de France“ im besetzten Paris. Nachdem die Wehrmacht im Mai 1940 in Frankreich eingefallen war und der Regierung unter Marschall Pétain am 22. Juni 1940 einen schmachvollen Waffenstillstand aufgezwungen hatte, wurden die Kernphysiker Dr. Walther Bothe und Dr. Wolfgang Gentner nach Paris beordert. Ihre Aufgabe bestand in einer Inspektion des Laboratoriums von Prof. Frédéric Joliot-Curie, vor allem des dort installierten Zyklotrons. Dieses Gerät war nun die mit Abstand stärkste Neutronenquelle, die den deutschen Kernphysikern zur Verfügung stand! Gentner hatte wenige Tage nach Kriegsausbruch im September 1939 seine Einberufung zum HWA/WaF erhalten. Während des gesamten Krieges war er als Dolmetscher (franz.) und Zyklotron-Fachmann für das HWA tätig. Bei ihrer zweiten Reise nach Paris wohnten Bothe und Gentner einem Verhör Joliots bei, das Schumann führte. Er wollte von ihm vor allem wissen, wo das in Norwegen von den Franzosen erworbene schwere Wasser bzw. die reichhaltigen Bestände an Uran und Uranoxyd verblieben waren. Gentner bekam dann im September 1940 „den offiziellen Auftrag, eine Gruppe deutscher Physiker und Techniker zusammenzustellen“, die das Pariser Zyklotron in Betrieb zu setzen hatte. Diese Aufgabe, eingestuft als „Geheime Kommandosache“, konnte im Winter 1941/42 erfolgreich gelöst werden. In den folgenden Jahren arbeiteten zahlreiche deutsche Wiswerden“. Mentzel vermerkte, er habe das Gespräch mit D. als „damaliger Leiter der Hochschulabteilung im Kultusministerium, der seit Anfang des Krieges als beratender Beamter zum HWA getreten war“, in seinem Dienstzimmer im REM geführt. 386 Lebensläufe Poses vom 20. Januar 1960, PA TU Dresden, und vom 20. Juli 1971, zur Verfügung gestellt von Prof. Dr. Dieter Seeliger. Im Lebenslauf von 1960 schreibt Pose: „Während des Krieges habe ich eine Anzahl von Berichten, die mir verloren sind, für das HWA angefertigt. Diese Berichte bezogen sich auf Fragen der Teilchen- und Elektronenbeschleunigung, Modellversuche zum Uran-Reaktor, Neutronenphysik und einige Probleme der Materialzerstörung durch Detonation, die gemeinsam mit E. Rexer bearbeitet wurden“. Rexers Abhandlung Beschleunigte Polymerisation durch Bestrahlung mit Gamma- und Röntgenquanten, in: Reichsberichte für Physik 1944, 113–119, wurde angeregt durch Diebner. 1941 hatte Rexer in Paris eine Besprechung mit Joliot, der ihn ebenfalls auf diese Thematik aufmerksam machte. Dr. Holger Krebs, BAM Berlin, urteilte zu Rexers Arbeit, dass „sie sich auf dem Weltniveau der Polymerenforschung (1944) befindet“, Mitteilung vom 28. Dezember 2005.
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senschaftler, die dem Uranverein angehörten, mit dem Zyklotron. Zu ihnen gehörten u. a. August Dänzer, Wolfgang Riezler und Erich Bagge. Auch die meisten Angehörigen der Diebner-Gruppe aus Vers. Gottow waren Mitglieder der wechselnden Besatzung am Pariser Zyklotron. Diebners ständiger Vertreter in Paris soll ein „Dr. Ltn. Suhnkel“ gewesen sein. In Paris unterstand Gentner einer „Außenstelle des HWA“, die Schumann sich im Herbst 1940 dort eingerichtet hatte. Sie befand sich (laut Schumann) im „Raum Amiens-Seine-Mündung, Paris“. Geleitet wurde die Dienststelle von Prof. Dr. Eugen Bieder (1897–1957), einem Kirchenmusiker, der im Zivilleben als Direktor der Berliner Hochschule für Musikerziehung vorstand. Schumann kannte ihn durch seine stundenweise Unterrichtstätigkeit für Militärmusiker, die an dieser Hochschule ausgebildet wurden, sehr gut. Gleich nach Kriegsausbruch sorgte Schumann für die Einberufung Bieders (am 7. September 1939) als KVR zum Stab von WaF (vgl. Kapitel 22). Die Kommandierung Gentners an das Pariser Zyklotron endete im Frühjahr 1942. Grund war die Denunziation „eines deutschen Gastes am Collége de France, der mein allzu entgegenkommendes Verhalten Franzosen gegenüber in Berlin heftig gerügt hatte“.387 Das Pariser Großgerät fand auch das rege Interesse des Geschäftsführenden Vorstandes der KWG. Telschow ersuchte im Oktober 1942 das Auswärtige Amt um die die Genehmigung einer Reise nach Frankreich. Er beabsichtige „in Hinblick auf den Neubau eines Cyclotrons im Rahmen der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, der unter besonderer Förderung des Herrn Reichsministers für Bewaffnung und Munition und des Heereswaffenamtes erfolgt“, das Zyklotron zu besichtigen. WaF legte eine Bescheinigung bei, dass die Reise (2.–15. November 1942) im Zusammenhang mit einem der KWG erteilten „kriegswichtigen Auftrag“ erfolge.388 Diese zwei, direkt WaF unterstellten Einrichtungen – KWI und Pariser Zyklotron – konnten verständlicherweise nur einen bescheidenen Anteil jener Forschungsprobleme bewältigen, die das U-Projekt mit sich brachte. Notwendig waren umfangreiche theoretische und experimentelle Untersuchungen der verschiedensten Art. Meist wurde wissenschaftliches Neuland betreten. Entsprechende Ar387 Wolfgang Gentner: Im besetzten Paris 1940–1942, in: Berichte und Mitteilungen der MPG, 2/1981, Gedenkfeier; Dieter Hoffmann, Ulrich Schmidt-Rohr (Hg.): Wolfgang Gentner. Festschrift zum 100. Geburtstag, Berlin 2006. Dort auch ausführliche Daten zu Gentner; BAB, BDC zu Bieder RK NO 02, Nr. 2629–2631; Erich R. Bagge: Die Leipziger Versuche zur Kernenergiefreisetzung 1939–1942 (Abschnitt: Zwischenspiel in Paris), in: Christian Kleint, Gerald Wiemers (Hg.): Werner Heisenberg in Leipzig 1927–1942, Berlin 1993 (= Abhandlungen der sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig Mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse, 58/2), 15–29, insb. 25; Herbert Wagner: Kernphysik – Technischer Stand und Anwendungsmöglichkeiten, unveröffentlichtes Manuskript (vor 1945) in der Bibliothek des Deutschen Museums München. Bei „Suhnkel“ handelt es sich möglicherweise um Reinhard Sunkel (1900–1945), zuletzt Oberleutnant der Reserve, Teilnehmer am Frankreich-Feldzug. Vgl. Grüttner: Biographisches Lexikon, auch BAB, R 4901, Nr. 14529. 388 Schreiben der KWG vom 23. Oktober 1942 an das Auswärtige Amt, Politische Abteilung; Bescheinigung des OKH, WaF vom 23. Oktober 1942, unterzeichnet von Glagow, AMPG, I. Abt. KWG, Rep. 1A Generalverwaltung, Nr. 1069/10.
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beitsgruppen, deren Tätigkeit WaF koordinierte, wirkten – hinausgehend über das KWI Physik – an vier weiteren KWI in Berlin, Frankfurt/M. und Heidelberg, an acht Universitäten und Technischen Hochschulen (Berlin, Bonn, Hamburg, Kiel, Köln, Leipzig, München und Wien) sowie eine bei der PTR in Berlin. Dazu kamen gesondert ausgewählte Wissenschaftler, die je nach Bedarf ständig oder nur zeitweilig einbezogen wurden. Wo es sich anbot, setzte man auch Doktoranden zu Forschungen über spezielle Grundlagenthemen für ihre Dissertationsschriften ein. Einige arbeiteten danach weiter für den U-Verein, andere wandten sich neuen Gebieten zu.389 Zur Anzahl der insgesamt von WaF einbezogenen Wissenschaftler gibt es bisher keine definitive Angaben, nur unterschiedliche Schätzungen. Einige Autoren beziffern sie auf wenig über hundert, andere bleiben darunter. Tatsächlich scheint die Anzahl der bis zum Ende des U-Projektes beteiligten Forscher wesentlich höher zu sein. Die neueren Archivfunde verweisen z. B. auf Namen, die bisher in der Literatur nur am Rande oder gar nicht erwähnt werden.390 Die Zusammenarbeit mit so vielen Wissenschaftlern, die es gewohnt waren, untereinander einen freimütigen und offenen Gedankenaustausch zu pflegen, war im Hinblick auf die vom Militär geforderte Geheimhaltung nicht unproblematisch. Zwar wies WaF strikt auf die Geheimhaltung hin, versah die Berichte mit diversen Stempeln (Geheim, Gkdos usw.) und setzte auch so genannte Abwehrbeauftragte ein, aber das zeigte bei den „zivilen“ Forschern anfangs wenig Wirkung. Sie waren zunächst kaum davon abzuhalten, sich gegenseitig über ihre Arbeitsergebnisse, sozusagen „unter der Hand“, zu informieren. Anfang 1940 bekam WaF davon Wind und verbot ganz energisch „diese Form des wissenschaftlichen Austausches von Institut zu Institut... Nun mussten die Arbeitsberichte dem HWA vorgelegt werden, das dann entschied, wer davon in Kenntnis zu setzen sei und wer zentral die Versendung der Berichte der Mitglieder des Uranvereins übernahm … Die Institutsdirektoren waren angewiesen worden, die ihnen zugegange-
389 So erwarb z. B. an der Universität Leipzig Christian Fischer (1916–2004) mit dem Thema Kernumwandlung von Stickstoff durch schnelle Neutronen seinen Doktor. Gutachter dieser „kriegswichtigen“ und deshalb unter Verschluss gehaltenen Arbeit waren Hoffmann und Heisenberg. Fischer war jedoch nie Mitglied des Uranvereins. Kleint et al.: Werner Heisenberg, insb. 265, 277. 390 Allein Diebners Aufstellung über die Geheimarbeiten, die nur jene bis Anfang 1943 berücksichtigt, nennt 222 Berichte von insgesamt 94 Autoren. Vgl. W. Tautorus (Pseudonym Diebners): Die deutschen Geheimarbeiten zur Kernenergieverwertung während des 2. Weltkrieges 1939–1945, in: Atomenergie 1 (1956), 368–370, 423–425. Ein Vergleich mit dem Bestand BAB, R 26 III/8 und 9 (Karteikarten) zeigt, dass eine beträchtliche Anzahl von Wissenschaftlern für das HWA, WaF in Sachen Uran tätig war, die jedoch bei weitem nicht alle in der Literatur genannt werden. Auch mehrere Aufstellungen von Beteiligten am Uranprojekt, die 1945 (z. B. von Berkei, Hartwig, Hermann, Czulius) für sowjetische Stellen angefertigt wurden, verdeutlichenden dies. Eine detaillierte Darstellung enthält die unveröffentlichte Studie des Autors: Zur Struktur des deutschen Uranprojektes bis 1942.
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nen Berichte wie auch jegliche andere Korrespondenz mit dem OKH in einem separaten Panzerschrank aufzubewahren“.391 Die Tätigkeit der von WaF beauftragten Arbeitsgruppen, ihre Wirksamkeit und die von ihnen erzielten Ergebnisse, sind bisher wissenschaftshistorisch nicht in gleichem Maß untersucht. Ausführlich werden in der Literatur die U-Forschungen an den Berliner KWI für Physik und Chemie beschrieben. Gleiches gilt für die Universität Leipzig. Ergiebige Studien liegen vor zu den Arbeiten unter Harteck sowie zu Prof. Dr. Rajewsky am KWI für Biophysik in Frankfurt/M. Auch die Ereignisse in Haigerloch (bei Kriegsende) sind gut bekannt.392 Von anderen Arbeitsgruppen kann dies nicht behauptet werden. So stehen z. B. Untersuchungen zu den Arbeiten in Bonn, München, Köln oder Wien noch aus.393 Da gerade die Tätigkeit einer zahlenmäßig beachtlichen Arbeitsgruppe an der Universität Wien großen Einfluss auf das deutsche Uranprojekt hatte, soll sie hier kurz vorgestellt werden. Deren Arbeiten zur Urankernspaltung begannen sofort nach der Veröffentlichung dieser Entdeckung und wurden bis Kriegsende unvermindert durchgeführt. Noch in den ersten Monaten des Jahres 1945 verband man damit große Hoffnungen. Die „Wiener Atomzertrümmerungsschule“ erfreute sich in den dreißiger Jahren eines hohen Ansehens. Ihr gehörten Kernphysiker der Physikalischen Institute der Universität Wien und des Radium-Institutes Wien an. Verschiedene bahnbrechende Entdeckungen beeindruckten auch die Fachkollegen in aller Welt. Zu nennen ist stellvertretend Dr. Marietta Blau (1894–1970). Sie war die erste Frau, die an der Universität Wien Physik studiert hatte und danach am Radium-Institut eine neue Methode zur Registrierung von Kernteilchen mittels photographischer Platten entwickelte. Damit gelang ihr erstmals der Nachweis von Spuren der Kernreaktion, die durch Höhenstrahlen erzeugt werden, die berühmten „Zertrümmerungssterne“.394 Zu den deutschen Kernphysikern unterhielten die Wiener gute
391 Rundschreiben der WaF vom 24. Mai 1940, geheim, im Auftrag Schumanns, AMPG, I. Abt., Rep. 34 KWI für Physik, Nr. 9; Schaaf: Der Physikochemiker Harteck (wie Anm. 383), 107 f. 392 Vgl. u. a. Walker: Die Uranmaschine; Kleint, Wiemers: Heisenberg in Leipzig (wie Anm. 387); Kleint et al.: Werner Heisenberg; Schaaf: Der Physikochemiker Harteck (wie Anm. 383); Hans Friedrich Stumpf: Kernenergieforschung in Celle 1944/45. Die geheimen Arbeiten zur Uranisotopentrennung im Seidenwerk Spinnhütte, Celle 1995 (zur Arbeitsgruppe Harteck); Karlsch: Boris Rajewsky. Eine verdienstvolle Arbeit hat Ulrich Schmidt-Rohr vorgelegt mit: Die deutschen Kernphysikalischen Laboratorien, 2 Teile, Heidelberg 2003 und 2005, die vor allem zahlreiche technische Details zu Forschungen mehrerer Uran-Arbeitsgruppen enthält. 393 Mitteilungen des UA Köln vom 27. August 2001 (Bericht Kirchners vom 22. September 1945, Zug. 44/466) und UA Bonn vom 2. Dezember 2005; UA München vom 11. Januar 2006. Vgl. auch Nagel: Zur Struktur (wie Anm. 390). 394 Marietta Blau emigrierte nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 auf Vermittlung Albert Einsteins nach Mexiko und übersiedelte später in die USA. Vgl. Robert Rosner, Brigitte Strohmaier (Hg.): Marietta Blau, Sterne der Zertrümmerung. Biographie einer Wegbereiterin der modernen Teilchenphysik, Wien 2003 (= Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftsforschung, 3). Die Physikalischen Institute (I, II, III) bzw. das Radium-Institut wurden zwischen 1938 und 1946 mehrfach umorganisiert und entsprechend unterschiedlich
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Beziehungen. Pose z. B. erhielt vor 1939 für seine Versuche in Halle Radium-Präparate aus Wien. Joseph Mattauch, der intensiv im Uranverein mitarbeitete, hatte zeitweilig in Wien gearbeitet, ebenso Harteck. Man kannte sich außerdem durch die einschlägigen Veröffentlichungen sehr gut. Beispielsweise bewunderte Bagge die von Blau vorgelegten Ergebnisse. Ein hochgeschätzter Vertreter der Wiener Kernphysiker war lange Jahre Prof. Dr. Hans Thirring (1888–1976). Wegen seiner antifaschistischen und pazifistischen Haltung war er ab 1937/38 scharfen politischen Angriffen ausgesetzt. Kurz nach dem „Anschluss“ Österreichs wurde er per 1. Dezember 1939 zwangsweise in den Ruhestand versetzt, ebenso wie andere Physiker, die die Universität verlassen mussten.395 Das war die Stunde für Prof. Dr. Georg Stetter (1895–1988). Er arbeitete seit 1922 am II. Physikalischen Institut der Universität Wien, übernahm 1939 ein Ordinariat und wurde Vorstand dieses Instituts. Unter der Führung von Stetter, dem eine offene, pro-nationalsozialistische Haltung nachgesagt wurde, zog man zahlreiche namhafte Kernphysiker für die Mitarbeit am Uranprogramm hinzu. Dazu gehörten die Doktoren Alfred Bönisch (*1915), Alfred Brukl (*1911), Friedrich Hernegger (*1908), Richard Herzog (*1911), Willibald Jentschke (*1911), Berta Karlik (1904-1990), Otto Merhaut (*1904), Karl Lintner (1914), Friedrich Prankl (*1914), Josef Schintlmeister (1908–1988) und Hertha Wambacher (1903–1950). Einige von ihnen waren 1938 der Entdeckung der Kernspaltung dicht auf der Spur, so gemeinsam Stetter und Schintlmeister. Letzterer wollte zusammen mit Czulius im Februar 1939 den ersten direkten Beweis der Kernspaltung liefern, kam aber zu spät. Als WaF ab Mitte 1939 nach geeigneten wissenschaftlichen Nachwuchskräften für die Vers. Gottow suchte, wurde Czulius durch Stetter an Diebner vermittelt.396 Nur ein Physiker widersetzte sich – nach eigenen Angaben – den wiederholten Bemühungen, ihn für das Uran-Vorhaben zu gewinnen: Prof. Theodor Sexl (1899–1967), tätig am Institut für Theoretische Physik der Universität Wien. Diebner habe dies 1941 versucht. Später soll Jentschke „die Aufforderung des Oberkommandos zur Teilnahme an Rüstungsaufträgen“ erneut vorgebracht haben. Auch ab 1944, als alle Mitarbeiter des Instituts an Kriegsaufträgen mitarbeiteten, habe Sexl dem Druck widerstanden.397 Eine der ersten Arbeiten, die Stetter persönlich nach der Entdeckung der Kernspaltung in Angriff nahm, war der Entwurf einer „Uranmaschine“. Dazu wurde Anfang 1939 eine Versuchsanlage auf dem Militärschießplatz Klosterneubenannt. (Einzelheiten dazu enthält die PA Alfred Bönisch, UA Wien, PA 197.) Vereinfachend wird nachfolgend die Sammelbezeichnung „Physikalische Institute Wien“ verwandt. 395 Brigitte Zimmel, Gabriele Kerber (Hg.): Hans Thirring – Ein Leben für Physik und Frieden, Wien/Köln/Weimar 1992 (= Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftsforschung, 1). 396 Vgl. detailliert bei Nagel: Atomversuche, 24–26. 397 Erklärung Sexls vom 29. Oktober 1945 zu seiner Mitgliedschaft NSDAP. UA Wien, Phil. Fak., PA Sexl, Nr. 3157, Bl. 8 f. Vgl. auch die Anfrage der WaF vom 28. Mai 1941 an das REM zu Sexl, BAB, R 4901/12864.
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burg nördlich bei Wien geschaffen. Die Ergebnisse erbrachten eine ausreichende Grundlage für die Anmeldung eines Patentes. Da das österreichische Patentamt schon nicht mehr bestand bzw. mit dem Reichspatentamt in Berlin vereinigt worden war, erfolgte am 14. Juni 1939 die Anmeldung in Deutschland. Das eingereichte Patent wurde nach Kriegsbeginn sofort zur „Geheimen Reichssache“ erklärt. Leider sind zur Versuchsanlage Stetters in Klosterneuburg, zu den Beteiligten usw. keine Dokumente überliefert.398 Schon ab 1940 legten Stetter und seine Mitarbeiter erste spezielle Arbeiten zu Kernproblemen vor. Sie waren überwiegend geheim. Einiges durfte in Fachzeitschriften veröffentlicht werden. Dazu gehörte z. B. die Dissertation Lintners vom März 1940 über die Bestimmung der Reichweiten schwerer Kernbruchstücke aus Uran oder die im August 1940 fertig gestellte Studie von Jentschke und Prankl zu mit thermischen Neutronen bestrahlten Urankernbruchstücken.399 Nicht veröffentlicht wurden beispielsweise die sechs ausführlichen Berichte von Stetter u. a. über schnelle Neutronen im Uran, die Berichte von Herzog über Massenspektrographen*, von Jentschke u. a. über weitere Erkenntnisse zu Kernbruchstücken und von Schintlmeister und Hernegger zu „Alphastrahlern“.400 Bestandteil der Forschungen unter der Regie Stetters waren auch Arbeiten zu radioaktiven Zerfallsreihen, zur „Zündung von Kernreaktionen durch hochkonzentrierte Funken“, über kosmische Strahlen, zu biologisch-medizinischen Fragen der Radioaktivität (Wambacher und Lintner) sowie zu kernphysikalischen Untersuchungsmethoden (vor allem Schintlmeister).401 Welche Bedeutung die deutschen Stellen den Wiener Ergebnissen beimaßen, geht auch daraus hervor, dass WaF nicht der einzige Arbeitgeber blieb. Am 20. April 1942 erteilte das Reichsamt für Wirtschaftsausbau Stetter einen Auftrag über „Kernphysikalische Untersuchungen, insbesondere zu den Neutronenprozessen“. Das war der Auftakt zu einer Entwicklung, die geradewegs zur Gründung eines „Vierjahresplaninstituts“ in Wien führte. Einen entsprechenden Antrag genehmigte Göring am 29. Dezember 1942. Das II. (Wiener) Physikalische Institut und das Radiumforschungsinstitut wurden dazu zusammengeschlossen, Stetter 398 PA Stetter, UA Wien, Phil. Fak., Nr. 3523. Nachlass Stetter, UA Wien, NL Sch. 312, Inv. 131, 40, insb. Das österreichische Patent Nr. 219170, sowie Zeitungsausschnitt aus „Salzburger Nachrichten“ (ohne Datum): Wiege des Wasserstoffbombe stand bei Wien. Ein österreichisches Patent für seine Erfindung, registriert unter der Nr. 219170, konnte Stetter erst 1958 erhalten. Vgl. auch Felix Czeicke: Historisches Lexikon Wien, Bd. 5, Wien 1997, 342. 399 Karl Lintner: Eine Koinzedenzmethode zur Bestimmung der Reichweite der schweren Kernbruchstücke aus Uran, Dissertation, 29. April 1940, Universität Wien; Willibald Jentschke, Friedrich Prankl: Energien und Massen der Kernbruchstücke bei Bestrahlung mit vorwiegend thermischen Neutronen, in: Zeitschrift für Physik 119 (1942) Heft 11/12, 696–716. 400 Nachlass Stetter, PA Schintlmeister und Herzog, UA Wien; Tautorus: Die deutschen Geheimarbeiten (wie Anm. 390). 401 Eine ausführliche, zusammenfassende Darstellung der von der Stetter-Gruppe erzielten Ergebnisse enthält ein Bericht vom 27. Juni 1945, AMPG, I. Abt., Rep. 34. Dieses Dokument ist auch vorhanden in der Österreichischen Zentralbibliothek für Physik der Universität Wien, Austria 2, ferner im Nachlass Stetter, UA Wien, sowie – mit geringfügigen Änderungen – im DM, Dokument G 345.
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und Prof. Dr. Gustav Ortner (1900–1984) zur gemeinsamen Leitung bestellt. Bei dieser Konstellation blieb es auch bis Kriegsende. Zu „Vierjahresplaninstituten“ wurden 1942/43 auch die „Isotopenforschung“ unter Clusius, Universität München, sowie die „Atombauforschung“ unter Prof. Gerthsen, Universität Berlin, I. Physikalisches Institut, umgebaut.402 Den hohen Stellenwert der Wiener Arbeiten als Bestandteil des U-Projektes belegen weitere Dokumente. So erhielten Stetter und Karlik Mitte 1944 die Summe von 22.000 RM; für 1944/45 wurden 20.000 RM veranschlagt. In Gerlachs Notprogramm vom 26. Februar 1945 gehörte Stetters Kollektiv zu den „Leitenden Arbeitsstellen der Energiegewinnung aus Kernprozessen, [denen] voller Schutz zu geben ist“.403 Kriegsbedingt wurden 1944 die Wiener Physikalischen Institute, samt einiger Einrichtungen der TH Wien, nach Zell am See verlagert. In der dortigen Außenstelle „Thumersbach“ setzte man die kernphysikalischen Arbeiten trotz eingeschränkter Möglichkeiten unbeirrt fort. Zusätzlich befassten sich die Forscher mit Aufträgen des Berliner Unternehmens GEMA zur Hochfrequenzphysik, Geophysik, Supraleitfähigkeit* und Infrarot*. Wenige Wochen nach Kriegsende dachte man in Thumersbach schon an die Fortsetzung der Arbeiten, möglicherweise sogar im Auftrag sowjetischer Stellen. Ortner wurde mehrere Monate, bis zum August 1945, in Moskau verhört. Im Mittelpunkt sollte, nach einem detaillierten Plan vom 18. August 1945, die Kernphysik stehen.404 Es blieb jedoch bei der Absicht. Stetter wurde, ebenso Lintner und Wambacher, seiner Ämter enthoben. Jentschke folgte 1947 für mehrere Jahre einer Einladung zur wissenschaftlichen Arbeit in den USA. Schintlmeister gehörte zu jenen Kernphysikern, die zur Arbeit in der Sowjetunion „verpflichtet“ wurden. Am Physikalischen Institut der Universität Innsbruck befasste sich eine, allerdings sehr kleine Gruppe mit Forschungen zur “Auslösung von Neutronen durch energiereiche Strahlung“. Geleitet wurde sie von Prof. Dr. Rudolf Steinmaurer (*1903), Mitarbeiter waren Dr. Rolf Sommer (*1911) und zwei wissenschaftliche Hilfskräfte. Als Auftrag- und Geldgeber fungierte das Reichsamt für Wirtschaftsausbau. Zur Zielstellung und zu den erreichten Ergebnissen ist nichts bekannt.405
402 BAB, R 4901/13974 sowie „Forschungsaufträge des RWA“, BAB R 4901/14033; zu Ortner vgl. Nachruf von H. Rauch, in: Almanach für das Jahr 1985, hg. von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Dort wird auch auf die enge Zusammenarbeit von Stetter und Ortner sowie die Beteiligung Ortners an der Entwicklung einer Uranmaschine „in Kontakt mit Otto Hahn und Walther Gerlach“ hingewiesen. Zu den Vierjahresplaninstituten vgl. Maier: Forschung als Waffe, insb. 487. 403 Nagel: Atomversuche, 318 f., 310, 312, 314. Bei den an Stetter überwiesenen Geldbeträgen ist zu berücksichtigen, dass zusätzliche Zahlungen durch das RWA erfolgten. Einzelheiten sind nicht bekannt. 404 Bericht vom 18. August 1945 Geplante Arbeiten, AMPG, I. Abt., Rep. 34, Austria 2. 405 Mitteilung des UA Innsbruck vom 16. Dezember 2002 über Aufstellung von Forschungsaufträgen des RWA „R. Steinmaurer, Auslösung von Neutronen aus Atomkernen, 13. 01. 44“; BAB, R 4901/14033.
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Zusammenarbeit mit Industrie und staatlichen Stellen Ein so aufwändiges, vergleichsweise teures Forschungsprojekt, wie es das Uranvorhaben war, erforderte besondere Maßnahmen zu seiner materiell-technischen Sicherstellung. Benötigt wurden diverse Rohstoffe, vor allem Uran*, große Mengen schweren Wassers* und zahlreiche Radiumpräparate. Die Gewinnung des Urans, insbesondere in Metallform, und des schweren Wassers verlangte gut ausgearbeitete technologische Verfahren sowie den Einsatz industrieller Anlagen. Diese existierten 1939 nicht und mussten erst entwickelt werden. Völlig ungeklärt war die Isotopentrennung*, die bis dahin nur vereinzelt, zudem sehr unbefriedigend im Labormaßstab versucht worden war. Zahlreiche Fragen der kernphysikalischen Grundlagenforschung konnten nur mit (Elementar-)Teilchenbeschleunigern* gelöst werden. Die damals in Deutschland verfügbaren, so genannten Hochspannungsgeräte genügten den gestiegenen Ansprüchen nicht. Auch für die an mehreren Orten entstehenden Versuchsanlagen, genannt „Uranmaschinen“, benötigte man neuartige technische Ausrüstungen wie leistungsfähige und sehr genaue Messgeräte, elektrische und elektronische Geräte mit bestimmten Parametern, Substanzen und Materialien mit exakt definierten Eigenschaften. Viele der benötigten Geräte und Ausrüstungsteile konnten und mussten die beteiligten Arbeitsgruppen in ihren Instituten und Labors selbst entwickeln und bauen. Es überwog allerdings die Notwendigkeit, auf Industrieressourcen zurückzugreifen, erfahrenen Firmen entsprechende Aufträge zu erteilen und deren Realisierung zu finanzieren, sowie mit zuständigen staatlichen Behörden zusammenzuarbeiten. All das musste unter den Bedingungen einer bald angespannten Kriegswirtschaft erfolgen, deren Lage sich, je länger der Krieg andauerte, stetig verschärfte und zu diversen Engpässen führte. Bei Beginn des Projektes stand Uran nur in geringen Mengen zur Verfügung. Man musste vorerst auf das uranhaltige Erz Pechblende, gefördert im tschechischen St. Joachimsthal, zurückgreifen. Nach dem deutschen Überfall auf Belgien, Frankreich und die Niederlande (März 1940) änderte sich die Situation grundlegend. Jetzt war der Weg frei zu den großen Mengen an Uranerzen, die in Belgisch-Kongo gefördert wurden und die die Firma „Union Minière“ verwaltete. Im Auftrag der „Reichsstelle Chemie“, einer Unterabteilung im Reichswirtschaftsministerium, wurde Dr.-Ing. Egon Ihwe (*1897), Direktor der „Seltenen Erdefabrik“ in Oranienburg, die der Auergesellschaft in Berlin gehörte, als Sachverständiger für die Uranbeschaffung bestellt. Den kämpfenden Truppen sozusagen auf dem Fuße folgend, reiste Ihwe nach Belgien. In Verbindung mit dem Referat „Chemie“ des Militärbefehlshabers Belgien stellte er Recherchen zum Verbleib der Uranbestände an. Im Ergebnis der mit Union Minière geführten Verhandlungen gelangten – später unter Einschaltung der Firma „Roges GmbH“ – bald größere Uranmengen nach Deutschland. Verarbeitet wurden sie von der Degussa AG, Frankfurt/M., und deren Tochterunternehmen „Auerwerke“ in Oranienburg. Ab 1944 wurde, wegen Verlusts der Produktionsanlagen in Frankfurt/M. durch Bombentreffer, auch die Chemische Fabrik Grünau (Berlin) herangezogen, an der die Degussa beteiligt war.
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Zuerst konnte nur das giftige, schwer handhabbare Uranoxid, schließlich auch das wesentlich besser geeignete Uranmetall hergestellt werden. An der Entwicklung dieser Technologie waren in Oranienburg unter der Leitung von Riehl maßgeblich die promovierten Wissenschaftler Henry Ortmann, Karl Heinrich Riewe, Nikita Trubetzkoy, Günter Wirths u. a. beteiligt. Trotz vielfältiger Anstrengungen blieb die Belieferung der am Projekt beteiligten Arbeitsgruppen mit ausreichenden Uranerzeugnissen stets ein Engpass. Für WaF war es oft sehr schwierig, allen Anforderungen einigermaßen gerecht zu werden und abzuwägen, wer zu welchem Zeitpunkt mit welchen Lieferungen bedacht wird. Mitunter arteten die Auseinandersetzungen darüber in einen regelrechten Streit aus, der erst nach längeren Diskussionen und Kompromissen aller Seiten beizulegen war. WaF musste gleichzeitig an die eigenen Bedürfnis für die Uranmaschine in der Vers. Gottow denken.406 Bei den für die Uranversorgung zuständigen Stellen dachte man offenkundig über den Tag hinaus und ergriff Maßnahmen zur Erkundung neuer Uranerzvorkommen. Daran soll auch der Grazer Prof. Armin Dadieu mitgewirkt haben.407 Sehr teuer waren die für die Versuche unerlässlichen Neutronenquellen. Es handelte sich um stark strahlende Radium-Beryllium-Präparate mit einem Gewicht von wenigen Milligramm bis zu 500 mg und schwerer. Ein 500 mg schweres, fertig bearbeitetes Radium-Präparat kostete immerhin 52.542,80 RM! Die zentrale Behörde für die Bewirtschaftung der deutschen Radiumbestände war das Reichswirtschaftsministerium (RWM). Ein gemeinsamer Ausschuss, bestehend aus Vertretern des RWM, des Reichsfinanzministeriums, des Reichsministeriums des Inneren sowie des REM trat regelmäßig zusammen. Er entschied über die Verteilung und die Preisgestaltung bei einem Verkauf bzw. einer Verleihung. Radium benötigten die Gesundheitsbehörden (Krebsbekämpfung) und allerlei technische Einrichtungen für Forschungszwecke oder zur Herstellung von Leuchtfarben an den Anzeigern von Messgeräten usw. Hauptabnehmer war das Militär, vertreten durch das Wehrwirtschaftsamt des OKW, das den „Gesamtbedarf der deutschen, italienischen und japanischen Wehrmacht“ bilanzierte.408 Bezogen wur406 Vgl. dazu ausführlich Nagel: Atomversuche, Kapitel „Oranienburg und das Uran“, 108–126. 407 Der Geologe Hannfrit Putzer (*1913), Assistent am mineralogisch-petrographischen Institut der Reichsuniversität Straßburg, wurde mit dem Forschungsauftrag „Uranvorkommen in Europa“ bedacht (Eintragung in Karteikarte BAB, R 26 III/9). Ob damit seine Einberufung als KVR zu den Wehrgeologen zusammenhängt, ist nicht bekannt, ebensowenig die Ergebnisse der Forschungen Putzers. Die Uransuche stand bis Kriegsende auf der Tagesordnung. In dem Bericht zum Stand der kernphysikalischen Arbeiten (1. 02.–31. 05. 1944) wird darauf verwiesen, dass eine „Reihe geologischer Professoren“ mit der Prüfung der Ergiebigkeit von Uranlagerstätten „im deutschen Raum“ beauftragt sei. Das Dokument ist auszugsweise wiedergegeben bei Nagel: Atomversuche, 330. Zur angeblichen Beteiligung von Dadieu vgl. Jürgen Scheffran: Die heimliche Raketenmacht, in: Info-Dienst der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden 9 (1991) Heft 1/2, Dossier Nr. 8, 47–62, insb. 51, vgl. auch Anm. 1173. 408 Beim Militär wurde Radium vor allem für Leuchtfarben an Waffen, Flugzeugarmaturen und anderen technischen Geräten verwandt. 1943 veranschlagte das OKW den Gesamtbedarf auf 14,5 g. Das HWA hatte 1942 leihweise 2.979,40 mg erhalten, die PTR für „Forschungszwecke“ 2.043,60 mg, während der Kurverwaltung Joachimsthal 555,40 mg zugestanden wurden.
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den die Radium-Präparate, deren Bedarf im Verlauf des Krieges immer schwieriger zu decken war, vor allem „aus dem Protektorat und durch Aufkauf in Brüssel“.409 Für das beim U-Projekt eingesetzte Radium war nahezu ausnahmslos der Stab der Forschungsabteilung, in Verbindung mit Diebners Referat, zuständig. Hier wurden alle Radiumpräparate zentral verwaltet, peinlich genau registriert und auf Anforderung an die Beteiligten ausgeliehen. Die WaF zugeteilten Radiumprodukte mussten jedoch, je nach vorgesehenem Einsatzzweck, gesondert aufbereitet werden. Diese Aufgaben teilten sich mehrere Firmen, die auf diesem Gebiet reichhaltige Erfahrungen besaßen. Das waren die Unternehmen Allgemeine Radium AG (Berlin), Chininfabrik Braunschweig Buchler & Co (Braunschweig) mit ihrer Berliner Generalvertretung Sidas & Co, Radiumchemie GmbH (Frankfurt/M.), Treibacher Chemische Werke GmbH (Treibach/Österreich). Ihnen wurden durch WaF Kriegsaufträge zum „Vorhaben 2 K“ erteilt, verbunden mit detaillierten Angaben zu den gewünschten Parametern wie Größe, Gewicht, Mischungsverhältnis, Art der Umhüllung, Verschluss des Präparates. Zuständig bei WaF waren dafür meist Berkei und Dr. Weil.410 Nach Fertigstellung eines Präparates wurde es bei der PTR geeicht und mit einem amtlichen Zertifikat an WaF übergeben. Besonders wertvolle Präparate (über 500 mg) waren bei Transporten durch ein Begleitkommando zu sichern. Außerdem gab es stets den ausdrücklichen Hinweis zur „bombensicheren Aufbewahrung“. WaF übergab diese Präparate gegen Quittung an die Forscher.411 Häufig mussten die Radiumpräparate wegen geänderter Versuchsbedingungen umgearbeitet werden. Das war trotz aller Sorgfalt immer mit geringen Verlusten verbunden, die Ende 1943 auffällige Werte annahmen. Damit musste sich eine kleine Kommission befassen, der Dr. Otto Erbach (KWI für Chemie), Dr. Paul Wolf (Auer, Oranienburg) und Dr. Karl-Friedrich Weiss (PTR) angehörten. WaF war vertreten durch Glagow und Berkei. Man verständigte sich, dass unter den Bedingungen des Krieges (z. T. nur angelernte Kräfte verfügbar) ein Verlust von 5 %
BAB, R 3101/32364, insb. Bl. 9 f., 34–37, 42 f. Ende 1940 war das OKW im Besitz von 2.974,4 mg Radium, was einem Verkaufswert von 292.577,08 RM entsprach und wofür 12.431,86 RM Leihgebühr berechnet wurden. BAB, R 26 III/442. 409 BAB, R 3101/32364. 410 BAB, R 26 III/442. Bei Dr. Weil, dessen Name ab Ende 1942 nicht mehr in dieser Akte erscheint, handelt es sich eventuell um den Diplomkaufmann Dr. Egon Weil, der 1941 an der Wiener Hochschule für Welthandel mit Die Ostsee und die Ostseeländer im europäischen Großwirtschaftsraum unter besonderer Bedingung der voraussichtlichen Mehrbelastung der deutschen Ostseehäfen promovierte. Weder im Archiv der Wiener Universität für Wirtschaftsgeschichte noch in der Teilveröffentlichung der Doktorarbeit ist ein Lebenslauf vorhanden. Auskunft der Österreichischen Nationalbibliothek vom 27. Oktober 2005. 411 Zwischen 1940 und 1942 erhielten z. B. Bothe, Döpel, Fünfer, Geiger, Heisenberg, Hoffmann, Kirchner, Pose und Rexer Präparate mit einem Gesamtgewicht von 1.639,72 mg. An Hahn wurden im Juli 1940 zehn Produkte mit einem Gesamtgewicht von 1.984,4 mg geliefert. Wahrscheinlich wurden zwischen 1940 und 45 mehr als 50 einzelne Radiumpräparate hergestellt und eingesetzt. BAB, R 26 III/442. Vgl. auch den Bericht von Dr. Weiss für sowjetische Stellen über PTR, AMPG, I. Abt., Rep. 34, Austria 2.
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noch tragbar sei. Der damals tatsächlich entstandene Verlust von 4,6 % entsprach 47,7 mg.412 Beim Beginn des Uran-Projektes hatte man sich aus guten Gründen auf die Variante einer U-Maschine geeinigt, die auf der Verwendung von schwerem Wasser als Moderator* beruhte. Schweres Wasser war fast genau so wichtig wie Uran, zudem extrem kostspielig. Man musste es – wie Bagge einmal treffend bemerkte – mit Gold aufwiegen. Gebraucht wurden nicht etwa einige Liter, sondern gleich etliche Tonnen dieser Flüssigkeit. Mit den damals gängigen Verfahren zur Schwerwassergewinnung konnten derartige Mengen in einem vertretbaren Zeitraum niemals gewonnen werden. Harteck hatte schon „Anfang 1940 errechnet, dass man zur Produktion einer Tonne schweren Wassers in Deutschland mit Hilfe der herkömmlichen Elektrolyseverfahren 100.000 Tonnen Kohle benötigt“.413 Zwei Wege zur Beschaffung wurden eingeschlagen, einmal der Bezug von D2O aus Norwegen, zum anderen die Entwicklung neuer Verfahren, verbunden mit dem Bau entsprechender Anlagen durch die deutsche Industrie. Der am 9. April 1940 unter der Bezeichnung „Weserübung“ erfolgte deutsche Überfall auf Dänemark und Norwegen endete zwei Monate später, nach erbitterter Gegenwehr der Norweger, mit deren Kapitulation. Damit stand auch die einzig nennenswerte Schwerwasserproduktion im deutschen Einflussbereich zur Verfügung, die von der Firma Norsk Hydro in Vermork, nahe Rjukan, betrieben wurde. Hier wurden pro Jahr ca. 100 kg dieses wichtigen Stoffes hergestellt, noch dazu mit einem Reinheitsgrad von fast 100 %. Schon vor Beginn der „Weserübung“ ließ Diebner verlauten, dass bald ein Experte für schweres Wasser nach Rjukan unterwegs sein werde. Das trat auch prompt ein. Mehrere am Uranprojekt beteiligte Mitarbeiter reisten in den folgenden Jahren öfter zu Besprechungen bei Norsk Hydro. Das waren vor allem Harteck und sein Mitarbeiter Dr. Hans Suess. Vom KWI für Physik erschien Wirtz. Als Vertreter von WaF nahm überwiegend Berkei an den Verhandlungen teil, mitunter auch Czulius und Weil sowie der Chemiker Dr. Köhler.414 Das Wehrwirtschaftsamt, Stab N, hatte als seinen Vertreter Konsul Ing. Erhard Schoepke bestimmt. Mit der Zerstörung der Anlagen von Norsk Hydro durch ein britisches Kommandounternehmen am 27. Februar 1943 und der kurz danach erfolgten Bombardierung endete im Wesentlichen die Geschichte des Schwerwasserbezuges aus Norwegen. Jetzt zeigte sich deutlicher den je, wie wichtig die Schwerwassergewinnung in Deutschland selbst geworden war. Vor allem Harteck hatte auf diesem Gebiet zusammen mit Dr. Hans Suess Pionierarbeit geleistet und eine neue Technologie entwickelt. Dabei beließ er es nicht, sondern nutzte seine ausgezeichneten Industriekontakte für den Aufbau einer D2O-Anlage. Sein ehemaliger Kollege Dr. Karl Herrmann Geib, jetzt bei IG-Farben, erklärte sich bereit, sie in den Leuna412 BAB, R 26 III/442, Vermerk vom 18. Januar 1944. 413 Schaaf: Der Physikochemiker Harteck (wie Anm. 383), 109. 414 Dr. Köhler, wahrscheinlich WaF II, konnte nicht identifiziert werden. Seine Beteiligung an Reisen nach Norwegen ist der einzige Hinweis auf eventuelle Forschungen bei WaF zu schwerem Wasser.
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werken (Merseburg) zu errichten. Sie produzierte ab 1943, wurde jedoch Mitte Mai 1944 bei einem Luftangriff schwer getroffen. Drei Monate danach zerstörte ein Volltreffer den Bau Me 263 mit den Resten der Anlage vollständig.415 Wegen Patentstreitigkeiten zwischen Harteck und IG-Farben entwickelte Gerlach Anfang 1944 ein eigenständiges Programm zur Gewinnung von schwerem Wasser, realisiert durch eine kleintechnische Anlage am KWI für Physik in Berlin-Dahlem.416 Weitere Anlagen zu Herstellung von D2O, unter der Bezeichnung SH 200, wurden ab 1941 von der Firma Linde-Eismaschinen, bald darauf auch von Bamag-Meguin entworfen. Die führenden Wissenschaftler, die sich im Uranverein mit schwerem Wasser befassten, waren – außer den bereits Genannten – Bagge, Dr. Horst Korsching (KWI für Physik), Prof. Dr. Karl-Friedrich Bonhoeffer (Universität Leipzig) und Clusius. Mit ihnen konferierten seitens WaF zumeist Basche und Diebner persönlich.417 Die Isotopentrennung, das Separieren des spaltbaren Uran-Isotops 235 vom nicht spaltbaren Uran-Isotop 238, war von Anfang eines der zentralen Probleme – und blieb es auch bis zum Schluss.418 Clusius hatte im Jahr 1938 der Fachwelt sein berühmtes Trennrohr vorgestellt, als ein „Neues Verfahren der Gasentmischung und Isotopentrennung“. Aber damit konnte man nicht im großtechnischen Maßstab arbeiten, geschweige denn U-235 in Mengen von einigen Kilogramm und mehr gewinnen. Zahlreiche Versuche, die Harteck bei der IG-Farben in Leverkusen vornehmen ließ, bestätigten dies. Mit einem anderen Verfahren, das auf dem elektromagnetischen Prinzip beruhte, experimentierte ab 1939 Dr. Wilhelm Walcher an der Universität Kiel. Diebner erteilte ihm Ende 1939 den Auftrag, zehn derartiger „Separatoren“ herzustellen. Walcher konnte allerdings wegen Materialschwierigkeiten die Aufgabe nicht bewältigen.419 Der Kieler Physiko-Chemiker Dr. Hans Martin schlug Anfang 1941 den Einsatz schnell rotierender Zentrifugen vor, um U-235 und U-238 zu trennen. Auf Initiative Hartecks, der von Martins Lösung schnell überzeugt war, erteilte WaF dem wissenschaftlichen Direktor der Kieler Firma Anschütz, Dr.-Ing. Konrad 415 Schaaf: Der Physikochemiker Harteck (wie Anm. 383), 110 f.; Winfried Czepluch: Im Strudel der Ereignisse 1943–1947, in: Stadtanzeiger Leuna 7 (1998), 32–38. 416 Ausführlich bei Walker: Die Uranmaschine, 173–178. 417 Vgl. u. a. Wirtz: Im Umkreis, insb. sein Vortrag auf der Tagung des HWA vom 26. bis 28. Februar 1942 in Berlin. Protokoll über die Sitzung vom 22. November 1941, DM, SI, ED 100/3, Bl. 29668 f. In der Überlieferung des KWI für Physik, die im Zusammenhang mit dem „Moskau-Projekt“ der KWG ins Archiv der MPG gelangten (I. Abt., Rep. 34), befindet sich eine Vielzahl von Belegen zur Schwerwasser-Beschaffung, auf die hier aus Platzgründen nicht eingegangen werden kann. 418 Auf diese Thematik hatte Heisenberg in seiner grundlegenden Ausarbeitung zur Reaktortheorie hingewiesen, die Anfang Dezember 1939 dem HWA zugegangen war. Darin hieß es u. a. „Je weiter die Anreicherung [von U-235, G. N.], desto kleiner die Uranmaschine“. „Die Anreicherung … ist … die einzige Methode, um Explosivstoffe herzustellen, die die Explosivkraft der bisherigen Explosivstoffe um Zehnerpotenzen übertreffen“, zitiert bei Rechenberg: 50 Jahre Kernspaltung (wie Anm. 380), 457. 419 Karlsch: Hitlers Bombe, 212.
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Beyerle, den Auftrag, zusammen mit der Firma Hellige „Ultrazentrifugen“ zu entwickeln. Das erste Exemplar kam Ende 1941/Anfang 1942 auf Touren und bewährte sich. Doch ein durchschlagender Erfolg gelang nicht, da auch in diesem Fall die Kriegsereignisse – Bombardierung der Anschütz-Fabrik in Kiel, Verlagerung nach Freiburg und zuletzt nach Celle – den Aufbau einer funktionierenden großtechnischen Anlage vereitelten.420 Neben Harteck und Martin arbeitete auch Bagge sehr gründlich an der Isotopentrennung. Zusammen mit dem Angehörigen von WaF, Prof. Habann (vgl. Kapitel 17), verfasste er am 23. März 1942 eine Patentanmeldung zu einer Isotopenschleuse. Auf dieser Grundlage beauftragte später die Forschungsabteilung – nach langen, erfolglosen Verhandlungen mit anderen Unternehmen – die Berliner Firma Bamag-Meguin mit dem Aufbau einer industriellen Anlage.421 Die Wichtigkeit der Isotopentrennung hatte Schumann bewogen, dazu auch Mitarbeiter seines II. Physikalischen Institutes einzusetzen. Belegt werden kann dies zu Holtz und zu Schwietzke. Beide arbeiteten an „Ultrazentrifugen zur Trennung von Gasgemischen“. Einzelheiten sind allerdings nicht bekannt.422 Weitere Wissenschaftler, die WaF zur Isotopentrennung heranzog, waren Prof. Dr. Henry Albers (Direktor Vierjahresplaninstitut für organische Chemie und organisch-chemisches Institut der TH Danzig), mehrere Mitarbeiter von Clusius (Universität München), Groth (Universität Hamburg), Dr. Heinz Ewald und Dr. Alfred Klemm (beide KWI für Chemie, Berlin-Dahlem) sowie Prof. Dr.Wilhelm Schmitz-Dumont (Universität Bonn). Bei Stetter in Wien arbeitete Herzog an einem Massenspektrographen. Zu dem von ihm entworfenen Verfahren wurde ein Geheimpatent angemeldet.423 (Elementar-)Teilchenbeschleuniger* stellten in Deutschland die Firmen Siemens, AEG, Koch & Sterzel (Dresden) sowie C. H. F. Müller (Hamburg) her. Auch das Unternehmen Krupp betätigte sich durch die Fertigung von großen Magneten auf diesem Gebiet. Bei Beginn der Uranarbeiten gab es in Deutschland nur einige Kaskadengeneratoren, van-de-Graaff-Generatoren und Stoßgeneratoren. Über ein Zyklotron verfügte man bis zur Besetzung von Paris nicht. Wohl aber hatten die Kernforscher die Bedeutung eines derartigen Großforschungsgerätes klar erkannt. Hoffmann in Leipzig trat deshalb 1937 in Verbindung mit Siemens 420 Vgl. u. a. Schaaf: Der Physikochemiker Harteck (wie Anm. 383), insb. 125–128; Walker: Die Uranmaschine, 101–103, 180–182; Stumpf: Kernenergieforschung in Celle (wie Anm. 392). 421 Tagebuch Bagges, Eintragung vom 23. März 1942, DM, SI, ED 100/1, Bl. 29138; E. Bagge: Die Leipziger Versuche (wie Anm. 387); Derselbe: Fünfzig Jahre als Physiker in Deutschland, in: Fusion 6 (1985), 27–32. 422 Bericht des HWA vom Februar 1942 Ergebnisse der Versuche zur Nutzbarmachung von Atomkernenergie bis Februar 1942, 135, 143, Stadtarchiv Haigerloch: Verzeichnis der Geheimberichte von 1933–1945 zur deutschen Kernforschung, Bd. 4. Ob auch die Geheimdissertation von Hensel (vgl. Anhang II: Geheimdissertationen) in diesem Kontext steht, ist nicht bekannt. 423 Nagel: Atomversuche, Dokumente, 308, 315; BAB, R 26 III/8 und 9; Nachlass Stetter „Bericht Thumsee“ und PA Herzog, UA Wien. Vgl. auch Schaaf: Der Physikochemiker Harteck (wie Anm. 383), 125–128. Der von Ewald entwickelte elektromagnetische Isotopenseparator ist beschrieben bei Walker: Die Uranmaschine, 103 f.
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und regte die Entwicklung eines Zyklotrons an. Unabhängig von ihm trat auch Bothe mit Siemens in Verhandlungen, um für sein KWI in Heidelberg ein Zyklotron zu bestellen. Nachdem auch Diebner im Januar 1939 bei Siemens vorstellig geworden war, gab es gleich drei starke Interessenten – eine eigenartige Situation, war doch Diebner der Verantwortliche des Uranvereins, für den auch Hoffmann und Bothe arbeiteten!424 Noch komplizierter wurde die Lage, nachdem sich auch die Reichspostforschung ins Uran-Geschäft drängte und den Bau von gleich zwei Zyklotronen in Angriff nahm.425 Der Besuch von Diebner und Pose im Januar 1939 bei Prof. Dr. Heinrich Hertz, Forschungslabor Siemens, war nicht der einzige Vorstoß von WaF, um in den Besitz eines Teilchenbeschleunigers zu kommen. 1940 gab Diebner beim Konkurrenzunternehmen von Siemens, bei der AEG, eine Hochspannungsanlage mit einer Leistung von 5 MeV in Auftrag. Sie wurde 1943 in Henningsdorf in Betrieb genommen, jedoch wenig später bei einem Luftangriff beschädigt. Der Verbleib ist unbekannt.426 Seit 1937 bemühte man sich am Allgemeinen Krankenhaus Hamburg-Barmbeck, für therapeutische Zwecke eine Röntgenanlage mit einer Leistung von einem Megavolt zu beschaffen. Der Auftrag dafür war an die Firma Siemens gegangen, die dazu mit den Unternehmen Osram und AEG kooperierte. Im Oktober 1939 befand sich die Anlage in Berlin, in der Erprobung. Hahn versuchte wenig später zu erreichen, dass das Gerät vorerst weiter in Berlin bliebe und für kernchemische Versuche seines KWI mit genutzt werden könne. Dies wurde allerdings aus Hamburg glatt abgelehnt. Jetzt trat Diebner im Februar 1940 mit dem gleichen Anliegen auf den Plan. Zur befürchteten Beschlagnahme durch das HWA kam es jedoch nicht. Dafür bemächtigte sich gut zwei Jahre danach das Reichsluftfahrtministerium der Anlage und ließ sie in der „Forschungsstelle der Luftwaffe Groß-Ostheim“ aufbauen.427 Der Biophysiker Karl-Günter Zimmer vom KWI für Hirnforschung, der über die Auer-Gesellschaft in die Uranarbeiten einbezogen war, erinnerte sich bei seiner Vernehmung durch sowjetische Dienststellen im November 1941, ein solches Gerät in der Vers. Gottow gesehen zu haben.428 Ab 1942 baute die Firma C. H. F. Müller für die kernphysikalische Forschung „eine ganze Serie“ eines Neutronen-
424 Ausführlich bei Osietzki: Kernphysikalische Großgeräte, 25–46. 425 Ebd., 39; Stange: Die Genese, 11–26. Die RPF, die ursprünglich Magneten bei Krupp bestellt hatte, jedoch dort mit unvertretbar langen Lieferzeiten rechnen musste, wandte sich an die Wiener Fa. Elin. Diese erklärte sich zur Auftragsübernahme bereit. Interessant ist, dass die Magnete der Fa. Elin von Thirring entwickelt wurden, der nach seiner Vertreibung von der Universität Wien bei Elin Arbeit fand. Vgl. auch Speer: Erinnerungen, 90 (Besuch bei Krupp, Magnete). 426 Karlsch: Hitlers Bombe, 109. 427 Burghard Weiss: Die Megavolt-Röntgenanlage des Allgemeinen Krankenhauses HamburgBarmbeck (1938–1945). Vom Therapiegerät zur Strahlenwaffe, in: Medizinhistorisches Journal 35 (2000), 55–84. Zur „Forschungsstelle Groß-Ostheim“ vgl. BAB, R 26 III/449. 428 Aufstellung Karl-Günter Zimmers vom 6. November 1945, AMPG, I. Abt., Rep. 34, Nr. 19208, Bl. 103 f.
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generators. Ein kleineres Neutronengerät dieses Unternehmens befand sich ab Ende 1939 bei der Diebner-Gruppe in der Vers. Gottow.429 Mit Unterstützung des HWA arbeitete in Dresden die Firma Koch & Sterzel an einem Hochspannungsgerät. Es entsprach dem damals neuesten Stand und war für Prof. Dr. Boris Rajewsky, KWI für Biophysik in Frankfurt/M., bestimmt. In der Schlussphase des Krieges, noch bevor die Anlage im KWI aufgestellt war, eignete es sich Schumann an und betrieb die Umleitung nach Lebus (vgl. Kapitel 18). Mit Arbeiten zum Zyklotron beschäftigten sich im Auftrag von WaF noch weitere Forscher des Uranvereins. Am Röntgenforschungsinstitut der Universität Bonn wirkte eine Gruppe, der die Wissenschaftler Dr. Hans Arend, Prof. Dr. Leonhard Grebe, Prof. Dr. Wilhelm Schmitz und Dr. Werner Wiebe angehörten. Ihr Ziel war die Entwicklung eines „kleinen Zyklotrons“. Unter der Leitung von Prof. Dr. Fritz Kirchner, Direktor des Physikalischen Instituts der Universität Köln, arbeitete dort (ab 1940), ebenfalls im Auftrag von WaF, eine Gruppe am Entwurf einer „Hochspannungsanlage“. Ihr gehörten Dr. Otto Laaf, Dr. Hugo Neuert und Prof. Dr. Wolfgang Riezler an. Zur Stetter-Gruppe in Wien bestanden Arbeitskontakte der Kölner. Ende 1944 erfolgte die Verlagerung von Köln nach Garmisch.430 Ende 1942 zog der neu eingesetzte Leiter des Uranprojektes, Prof. Esau, eine nüchterne Bilanz der vorhandenen und nutzbaren energiereichen Neutronenquellen. Dabei verwies er auch auf je einen reparaturbedürftigen Stoßgenerator und einen van-de-Graaff-Generator in Charkow. Standort war das 1929 gegründete „Ukrainische Physikalisch-Technische Institut“, dass als eine der größten und besteingerichteten Forschungsstätten Europas galt. Nach der Einnahme von Charkow durch die Wehrmacht am 24. Oktober 1941 wurde es von den Deutschen genutzt. Inwieweit das OKW W Wiss daran beteiligt war, ist nicht bekannt, jedoch stark zu vermuten. Kurz nach der Besetzung Charkows reiste nämlich Diebner mit Dr. Friedrich Houtermanns, der von 1935 bis 1937 Leiter der Abteilung Radioaktivität an der Universität Charkow war, in die ukrainische Stadt.431
429 Nagel: Atomversuche, S. 61; Karlsch: Hitlers Bombe, 376, Anm. 221; vgl. auch Werner Fehr: C. H. F. Müller … mit Röntgen begann die Zukunft, Hamburg 1981, 29. 430 BAB, R 26 III/8 und 9, R 26 III, Nr. 448 (Bl. 232–235), R 26 III, Nr. 510, 515, 171 a. 431 In Esaus Bilanz von Ende 1942 sind vermerkt: Betriebsfertige Zyklotrone in Bonn (1), Paris (1), Bau: drei (Heidelberg, Leipzig, RPF), projektiert: ein großer Typ. Fertige Kaskadengeneratoren bei Siemens (1), KWI Berlin (1), KWI Berlin-Buch (1), bei Philipp/Holland (1), Stoßgeneratoren: für HWA in Bau (1), reparaturbedürftig in Charkow (1), van-de-GraaffAnlagen: fertig bei RPF (1), Heidelberg (1), reparaturbedürftig in Charkow (1), in Bau in Köln (1), IfZ, SI, Bl. 291041 f.; zu Houtermanns bei Karlsch: Hitlers Bombe, insb. 46 f., sowie Friedrich Herneck: Eine alarmierende Botschaft. Neues zur Geschichte der amerikanischen Atombombe, in: Spektrum 7 (1976), 32–34. Vgl. auch Genadi Gorelek: „Meine antisowjetische Tätigkeit ...“. Russische Physiker unter Stalin, Braunschweig, Wiesbaden 1995, 197. Charkow wurde am 24. Oktober 1941 von der 6. Armee (unter v. Reichenau) eingenommen. Der Rückeroberungsversuch sowjetischer Truppen im Mai 1942 scheiterte. Am 18. Februar 1943 nahmen sowjetische Truppen die Stadt ein, verloren sie am 3. März erneut an die Deutschen und befreiten Charkow am 23. August 1943 endgültig.
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Große Hoffnungen setzte Diebner bis zuletzt auf das in Esaus Bilanz genannte Zyklotron, das für die Universität Leipzig bestimmt war. Ursprünglich sollte es am Physikalischen Institut von Prof. Hoffmann aufgestellt werden. Wegen mehrerer Bombentreffer im Dezember 1943 und Februar 1944 nahm man davon Abstand. Als neuer Standort wurde ein Steinbruch zwischen Grimma und Großbothen gewählt, genannt der „Schwemmteichbruch“. Maßgeblich beteiligt an diesen Aktivitäten waren Pose und Rexer, sowie Mitarbeiter des Leipziger Physikalischen Instituts. Pose stimmte sich wiederholt mit Diebner und Gerlach ab.432
Kontakte mit anderen Institutionen Dieser Aufgabenkomplex hatte längst nicht die Dimensionen der bereits behandelten, erforderte jedoch von Diebner viel Fingerspitzengefühl und oft diplomatisches Geschick. Trotz der üblichen Geheimhaltung wusste man in einigen anderen Abteilungen des HWA sowie bei hohen Kommandostellen in anderen Wehrmachtsteilen, woran Diebner arbeite. Auch die SS-Führung war durch den SD gut informiert. Innerhalb des HWA meldeten die Raketenforscher von Wa Prüf 11 (Peenemünde) bei WaF ihre Informationswünsche an. Im Februar 1941 gab es eine Besprechung von Oberst Zanssen mit Basche, im August des gleichen Jahres ein Gespräch zwischen Dr. Walter Thiel (ehemaliger Mitarbeiter von WaF, vgl. Kapitel 11) und Schumann. Dabei ging es um die „Unterrichtung von Wa Prüf 11 über neue Energiequellen“. Gleichfalls im August 1941 erbaten sich v. Braun und Thiel bei WaF einen Termin, um sich „über den Stand der laufenden Arbeiten auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung“ zu informieren. Bei dieser Gelegenheit wollten sie auch das von Diebner übernommene KWI besichtigen. Sie äußerten zudem den Wunsch, an den monatlichen Tagungen „auf dem betreffenden Gebiet“ teilnehmen zu können. Das Motiv war eindeutig formuliert: „Die frühzeitige Einschaltung von Wa Prüf 11 in die Forschungsarbeiten von WaF über neue Energiequellen für R-Geräte [= Raketen, G. N.] ist im Interesse einer erfolgreichen Weiterarbeit auf dem Entwicklungsgebiet der R-Geräte erwünscht“.433 Dr. Carl Friedrich von Weizsäcker, der (1940 oder 1941) ein Patent angemeldet hatte, das auf die militärischen Nutzungsmöglichkeiten der Urankernspaltung hinwies, führte dazu mit Diebner ein Gespräch. In einer Notiz (ohne Datum, wahrscheinlich 1941) zu dieser Unterredung vermerkte v. Weizsäcker u. a.:
432 Pose am 22. Mai 1944 an Hoffmann, AMPG, I. Abt., Rep. 34, Nr. 22/5, Zyklotron 1938 bis März 1945; Fischer: Bericht über den Bau eines Zyklotrons für die Universität Leipzig, geschrieben im März 1945 für sowjetische Behörden, Österreichische Zentralbibliothek (wie Anm. 401). Zu Fischer vgl. Kleint et al.: Werner Heisenberg, 265–286. Die Dokumente des Moskau-Projektes (wie Anm. 401) enthalten umfangreiche Informationen zur Thematik „Zyklotron“, die wissenschaftshistorisch noch aufzuarbeiten sind. 433 Schreiben des Wa Prüf 11 vom 31. August 1941 an die WaF, Gkdos, BA-MA, RH 8/v 1260.
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„Nach den bisherigen Versuchen kommen zwei Arten energieerzeugender Stoffe für die praktische Verwendung in Betracht: 1. Uran in seiner natürlichen Zusammensetzung (Gemisch eines wirksamen Isotops mit einem unwirksamen). 2. Ein aus Uran zu gewinnender hoch konzentrierter wirksamer Stoff (reines Isotop U235 oder ein Folgeprodukt höherer Ordnungszahl). Die Verwendung als Raketenantrieb ist grundsätzlich möglich, stößt aber vorläufig noch auf praktische Schwierigkeiten. Der Antrieb könnte gewährleistet werden: a) durch den Rückstoß der Atomkernbruchstücke selbst, b) durch vermittels der erzeugten Energie erhitzte Substanzen!“
Nachdem v. Weizsäcker kurz begründet hatte, warum natürliches Uran als Treibstoff ausscheidet, und wegen der noch nicht beherrschbaren „Wärmebeständigkeit des Materials“ die von einer Uranmaschine erzeugten hohen Temperaturen nicht genutzt werden können, kommt er zu dem Schluss: „Die Verwendung als Raketenantrieb bleibt daher Sache zukünftiger Entwicklung. Vordringlich ist nach dem derzeitigen Stand der Versuche die Entwicklung zweier anderer Verwendungsweisen: als Wärmemaschine und als Sprengstoff“. Als Wärmemaschine muß nach den unlängst abgeschlossenen Vorversuchen natürliches Uran in Verbindung mit schwerem Wasser verwendbar sein. Die Brenndauer ist etwa das Hunderttausendfache der gleichen Menge Kohle. Die Maschine ist daher besonders geeignet als Antrieb von Fahrzeugen, die einen sehr hohen Aktionsradius besitzen sollen. In der Maschine wird voraussichtlich eine nachträglich chemisch isolierbare hochwirksame Substanz der unter 2. genannten Art nachgebildet. Letztere würde gestatten, eine Maschine zu Bauen, die nicht mehrere Tonnen sondern nur etwa 100 kg wiegt. Jede Wärmemaschine dient gleichzeitig als Neutronenquelle für kernphysikalische Untersuchungen. Als Sprengstoffe können nur hochwirksame Stoffe verwendet werden. Ihre Energieentwicklung muß die der bisherigen Sprengstoffe wiederum etwa um das Hunderttausendfache übertreffen. Ihre Erzeugung hat den Bau der Wärmemaschine (falls in ihr die erwartete Nachbildung eintritt) oder einer effektiven Isotopentrennungsanlage zur Voraussetzung.“434
Wie sich die Kontakte zwischen WaF und Prüf 11 in Sachen „Uranantrieb“ weiterentwickelten und welche Themen dabei besprochen wurden, ist nicht überliefert. Dass das Interesse von Prüf 11 an den Arbeiten bei WaF keine flüchtige Idee war, belegt ein Dokument vom Oktober 1942. Danach schickte Prüf 11 der RPF, Postrat Kubicki, einen Kriegsauftrag (Gkdos) zur: „(1) Durchführung grundsätzlicher Untersuchungen über die Leistungssteigerung von Flüssigkeits-R-Antrieben durch Verwendung von Treibstoffgemischen höchsten Energiegehaltes, (2) Untersuchung der Möglichkeit der Ausnutzung des Atomzerfalls und Kettenreaktion zum R-Antrieb“.435
434 Von Weizsäcker: Kurzer Bericht über die eventuelle praktische Auswirkung der Uranuntersuchungen auf Grund einer Rücksprache mit Dr. Diebner, Entwurf (Bb.-Nr. 157/41g III, Geheim), AMPG, I. Abt., Rep. 34, Nr. 56 (Hervorhebung im Original). Ob die Unterredung Diebners und v. Weizsäckers eine direkte Folge des Wunsches v. Brauns war, sich über die „Atomzertrümmerung“ zu informieren, kann nicht beurteilt werden. 435 Das Dokument ist abgedruckt bei Joachim Engelmann: V 2. Aufbruch zur Raumfahrt, Peenemünde 1997, 18. Bei Kubicki handelte es sich um den Leiter der Abteilung III (Technische Sonderfragen, Zentralwerkstatt, Sprachverschlüsselung, Spionageabwehr) und gleichzeitig Abwehrbeauftragter der RPF. Vgl. Faensen: Hightech für Hitler, 77, 88.
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Der Gedanke, größere Kriegsschiffe oder U-Boote mittels Kernenergieanlagen zu betreiben, ging im Uranverein schon früh um. Später wurde die Möglichkeit, Uranmaschinen als Energiequellen für „stationäre Anlagen des Heeres, der Wehrmacht im allgemeinen und der Industrie sowie für Schiffe und große Tank“ einzusetzen, noch deutlicher vorgetragen. Auch Heisenberg hatte in Anwesenheit von Rüstungsminister Speer, Spitzenmilitärs und führenden Forschern auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht und mitgeteilt, dass „bei der Überführung der Energie an die Wärmekraftmaschine verschiedene wärmetechnische Fragen [entstehen], für die in letzter Zeit eine Zusammenarbeit mit Fachleuten des Marineamtes in die Wege geleitet wurde“.436
Analog zum HWA existierte beim Oberkommando der Marine (OKM) das Marinewaffenamt (MWA) mit der Amtsgruppe Forschung, Entwicklung und Prüfung (FEP). Das MWA wurde ab 1927 von Karl Witzell (1884–1976) geführt. 1942 gab der Generaladmiral sein Amt ab, stand aber weiterhin bis Kriegsende dem Oberbefehlshaber der Marine in Sachen Forschung zur Verfügung. Durch seine Mitgliedschaft im Präsidialrat des RFR sowie Teilnahme an „Uran-Besprechungen“ war Witzell gut unterrichtet. Mit Leeb bestand eine Übereinkunft, dass sich die Marine an der Kernforschung beteiligt. Mit den verschiedenen Forschungseinrichtungen, über die das MWA verfügte, wie der Chemisch-Physikalische Versuchsanstalt (CPVA) oder der Torpedoversuchsanstalt Neubrandenburg, bestanden beste Vorrausetzungen. Ende 1941 richtete die Marine zusätzlich das Berliner „Wannsee-Institut“ ein, geleitet von dem Mathematiker Prof. Dr. Helmut Haase. Für diese Forschungsstätte konnte das MWA 1942/43 auch einige tüchtige Kernphysiker gewinnen: Prof. Dr. Pascual Jordan (1902–1980), den schon genannten Houtermanns und Dr. Otto Haxel (1909–1998). Letzterer gehörte bis dahin zur Arbeitsgruppe des Uran-Vereins, die an der TH Berlin unter der Leitung von Prof. Dr. Hans Geiger tätig war.437 Zunächst weniger intensiv und auch etwas anders orientiert als die Aktivitäten des MWA waren die Bemühungen der Luftwaffe (Reichsluftfahrtministerium und Forschungsführung) Zugang zum Uranprojekt zu bekommen. Ende 1941/Anfang 1942 sprachen Vertreter der Luftwaffe bei Leeb vor und baten um eine Beteiligung. Eine kleine, von Prof. Dr. Bernhard Dirksen geführte Wissenschaftlergruppe arbeitete an der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt (Braunschweig) an kernphysikalischen Themen. Im Sommer 1942 interessierte sich das RLM plötzlich für die schon vor dem Krieg an der Universität Köln geplante und jetzt im Bau befindliche Hochspannungsanlage. Man machte der Universität den Vorschlag, dieses Gerät für die Dauer des Krieges in Gräfelfing bei München aufzustellen und dort für die kernphysikalischen Forschungen der Universität eigens eine Ausweichstelle einzurichten. Die notwendigen Mittel wollte das RLM über-
436 Kleint et al: Werner Heisenberg, 175 f., 413. 437 Vgl. Karlsch: Hitlers Bombe, 44–48; Lebenslauf Haxels vom 31. Mai 1946, UA Freiburg, B 15, Nr. 269. Auf die Anwesenheit von Witzell bei Tagungen des Uran-Vereins weist auch Bagge in seinem Tagebuch (14. Oktober 1943) hin. DM, SI, Bl. 29139.
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nehmen. Das REM lehnte jedoch ab. Das Kölner Institut war weiterhin für WaF tätig. Nach diesem missglückten Vorstoß versicherte sich die Luftwaffe der Mitarbeit eines anderen Experten. Es war der Norweger Rolf Widerö, der bereits 1928 die ersten Grundgedanken eines neuartigen Teilchenbeschleunigers publiziert hatte und damit den amerikanischen Wissenschaftler Lawrence zur Schaffung des Zyklotrons anregte. In Hamburg baute Widerö 1944 für die Forschungsführung ein Betatron* mit einer Leistung von 15 MeV.438 Ob die Berufung der vier Physiker Clusius, Gerlach, Joos und Hahn zu Mitgliedern der Deutschen Akademie der Luftforschung (am 18. Februar 1942) von kernphysikalischen Bestrebungen diktiert war, bleibt reine Spekulation.439 Außerhalb des Machtbereiches der Militärs – in der ersten Phase nahezu unabhängig vom Uranverein – agierte die Reichspostforschung (RPF). Reichspostminister Dr. Wilhelm Ohnesorge (1872–1962) hatte nämlich beschlossen, ebenfalls in die in die Kernforschung einzusteigen und „seinem Führer“ eine neuartige Waffe zum Geschenk zu machen. Dafür hatte Manfred von Ardenne gesorgt, der mit Ohnesorge 1930 in Berührung kam. Ab 1934 richtete Ohnesorge dem Physiker namens des Reichspostzentralamtes in Berlin-Lichterfelde ein Labor ein. Vier Jahre danach wurde zwischen v. Ardenne und der RPF ein Vertrag zur Fernsehforschung besiegelt. Gleich nach der Entdeckung der Uranspaltung setzte v. Ardenne seinen Geldgeber über deren Bedeutung ins Bild. Ohnesorge ließ sich etwas Zeit, schloss aber im Januar 1940 mit v. Ardenne „auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung“ einen Zusatzvertrag. Genau nach einem Jahr begann auf v. Ardennes Anwesen in Berlin-Lichterfelde der Bau eines Zyklotrons. Jetzt hieß die Forschungsstätte offiziell „Kernphysikalisches Institut des Reichspostministeriums“. Für das Bauvorhaben wurde im November 1941 bei SS-Führer Berger der Einsatz von Häftlingen beantragt. Zusätzlich zum Zyklotron setzte v. Ardenne die Isotopentrennung auf sein Forschungsprogramm. Wahrscheinlich erzielte er dabei auch respektable Ergebnisse, die die Reichspost veranlassten bei Bad Saarow einen „Ringbunker“ anzulegen, in dem mit mittels der durch v. Ardenne entwickelten Anlagen erste Versuche zur Anreicherung von U-235 erfolgten.440 Diebner suchte wiederholt v. Ardenne in Berlin-Lichterfelde auf (ebenso das APS, siehe unten). Mitunter begleiteten ihn dabei auch Mitarbeiter seiner Gottower Gruppe. Der Inhalt der Absprachen zwischen Diebner und v. Ardenne ist
438 NL Schumann: Die Wahrheit (wie Anm. 367), Teil I, Bl. 21; Bericht Kirchners (wie Anm. 393); Rolf Wideröe: Die ersten zehn Jahre der Mehrfachbeschleunigung. Einige historische Notizen, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena 13 (1964), Math.-Nat. Reihe, Heft 4, 431–436. Vgl. auch Karlsch: Hitlers Bombe, 197 f. sowie 376, Anm. 216. 439 BAB, R 4901/12877, Bl. 265. 440 Karlsch: Hitlers Bombe, 128–130. Zum Bau des Labors in Berlin Lichterfelde: Stange: Die Genese, 7–13. Zu Ohnesorge vor allem Hoppe: Militär und Fernsehen in Deutschland.
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nicht überliefert. Auch Schumann traf mit v. Ardenne zusammen (vgl. Kapitel 14).441 Zusätzlich zu seinem „Kernphysikalischen Institut“ schuf sich Ohnesorge eine weitere wissenschaftliche Einrichtung, das „Amt für Physikalische Sonderfragen (APS)“ in Zeuthen-Miersdorf, südlich bei Berlin. Hier wurde ab Ende 1941 die Aufstellung eines weiteren Zyklotrons für die RPF in Angriff genommen. Diesem Projekt lag eine Zusammenarbeit der RPF mit Görings RLM und der Forschungsführung der Luftwaffe zugrunde. Zusätzlich installierte die RPF in Zeuthen zwei Kaskadengeneratoren, die die Firmen C. H. F. Müller und Siemens lieferten. Vervollständigt wurde die Forschungspalette am APS durch Untersuchungen zur Isotopentrennung. Die Wissenschaftler des APS unterhielten rege Arbeitskontakte zu verschiedenen Forschern, die WaF für das Uranprojekt beauftragt hatte.442 Bei der Industrie zeigte – außer den Firmen, die sich an der Zyklotron-Entwicklung beteiligten – nur ein großer Konzern nachhaltiges Interesse an der Kernenergieverwertung. Das war die „Henschel Flugzeugwerke AG“. In ihren Diensten stand Prof. Dr.-Ing. Herbert Wagner (1900–1982), der, nach mehrjähriger Tätigkeit bei Industrieunternehmen und an Technischen Hochschulen, zuletzt als Leiter der Flugzeugentwicklung bei Junkers, 1940 dann bei Henschel die Abteilung Forschung übernahm. Hier galt sein Hauptaugenmerk der Entwicklung ferngelenkter Flugkörper, z. B. der Gleitbombe Hs 293, die ein Bordschütze durch optische Sichtsteuerung ins Ziel bringen sollte. Henschel kooperierte bei seinen Forschungen sehr eng mit der RPF und der Luftwaffenerprobungsstelle in Karlshagen/Peenemünde.443 1941 stellte Wagner erstmals konkrete Überlegungen an, wie man die Kernenergie nutzen könne. Das Ergebnis war eine Studie „Kernphysik – Technischer Stand und Anwendungsmöglichkeiten“. Sie mündete in den Vorschlag zur Gründung eines „mit großen Mitteln ausgestatteten Zentralinstitutes für Kernphysik und Kernchemie“. Ihm war auch klar, dass eine Anreicherung von U-235 atomaren Sprengstoff ergeben würde. In Wagners Auftrag reisten im Juni 1941 zwei seiner Mitarbeiter der Forschungsabteilung nach Paris. Dort führten sie Gespräche mit Bagge und Gentner, besichtigten das Zyklotron und ließen sich über dessen Zustand eingehend informieren. Dabei warb Bagge „gerade zu darum, dass das RLM und Firma Henschel mit HWA (Prof. Schumann) gemeinsam die neuen Probleme bearbeiten müssen“. Wagners Abgesandte vermerkten in ihrem Reisebericht eine starke Zurückhaltung ihrer Gesprächspartner bei bestimmten Einzelheiten: „…die Herren des HWA wollten uns nichts mehr zeigen“. Daraus zogen sie den Schluss, dass die wietere Entwicklung eines Zyklotrons „von RLM und Firma Henschel allein, ohne HWA getragen werden“ müsse. Im Falle einer Besetzung von Russland müsse das
441 Nagel: Atomversuche, 61; Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129). Weitere Angaben über die Zusammenarbeit des HWA/WaF mit v. Ardenne enthält die unveröffentlichte Studie von Nagel: Zur Struktur (wie Anm. 390). 442 Stange: Die Genese, 14–25. 443 Herbert Wagner. Dokumentation zu Leben und Werk, hg. von der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt, Bonn 1986. Vgl. auch Hoppe: Militär und Fernsehen in Deutschland.
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dortige Zyklotron für RLM und Firma beschlagnahmt werden und „zwar derart, dass das HWA nicht störend dazwischen treten kann“. Wagners Mitarbeiter suchten in Paris zudem intensiv nach neuester kernphysikalischer Literatur und hielten es für angebracht, in Paris dauernd ein „literarisches Büro“ der Fa. Henschel zu unterhalten.444
Der scheinbare Ausstieg des HWA aus der Kernforschung Bekanntlich führte Diebner mit seiner kleinen Mannschaft in der Vers. Gottow drei Großversuche durch. Sie sind als G I, G II und G III in der Literatur ausführlich beschrieben.445 Der Versuch G I war noch im Gange, als es an der Spitze des Uran-Vorhabens zu einschneidenden Veränderungen mit weitreichenden Folgen kam. Ausgelöst wurden sie vor allem durch das Scheitern der deutschen Blitzkriegsstrategie. Das Unternehmen „Barbarossa“ war Ende 1941 vor Moskau zum Erliegen gekommen. Im Dezember musste die deutsche Kriegsmaschinerie dort ihre erste große Niederlage hinnehmen. Nahezu zeitgleich erfolgte am 7. Dezember 1941 der japanische Überfall auf Pearl Harbor, mit dem die US-Pazifikflotte vorübergehend ausgeschaltet wurde. Wenige Tage später erklärten Deutschland und Italien den USA den Krieg. Beim HWA erkannte man, dass unter den Bedingungen des schon seit zwei Jahren andauernden Krieges, der jetzt in ein neues Stadium getreten war, und der immer knapper werdenden Ressourcen an Menschen und Material ein schneller Erfolg des Uranvorhabens nicht garantiert werden konnte. Schumann schlug deshalb seinem Chef Leeb vor: „Akten, Personal und Geräte einer vom Bevollmächtigten für die Kriegswirtschaft zu bestimmende entsprechende Behörde zu übergeben, die die Arbeiten fortzuführen und in Verbindung mit den interessierenden fachlichen und politischen Stellen dann die Entscheidung darüber herbeizuführen hatte, in welchem technischen Ausmaß nach der erfolgten positiven Lösung des wissenschaftlichen Grundproblems nunmehr der Bau der Uranmaschine und die damit verbundene Herstellung des Atomsprengstoffes in Angriff genommen werden sollte“.446
Abgesehen von seinem fürchterlichen Deutsch, zeugt Schumanns Vorschlag doch von Nüchternheit und Realitätssinn. Die Führung des HWA entsprach ihm nach eingehender Erörterung auch, und es kam zu den in der Literatur ausführlich beschriebenen Aktivitäten der Abgabe des Uranprojektes an andere Institutionen.447 444 Herbert Wagner (Hg.): Kernphysik – Technischer Stand und Anwendungsmöglichkeiten (darin auch Bericht über eine Dienstreise der Herren W. Watzlawek und H. Schüller in der Zeit v. 14.–20. Juli 1941 nach Paris) in der Bibliothek des DM; vgl. auch Dieter Beisel: Bombenstimmung. Ein deutscher Flugzeugkonstrukteur wollte beim Bau der Atombombe den Akademikern den Rang ablaufen, in: Kultur und Technik 4/1990, 11. 445 Vgl. u. a. Nagel: Atomversuche, 70–99. 446 Schumann: Die Wahrheit (wie Anm. 367). 447 Vgl. u. a. Nagel: Atomversuche, 77–81, Rechenberg: 50 Jahre Kernspaltung (wie Anm. 380), 458; Walker: Die Uranmaschine, 68–70.
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Doch war das wirklich so? Zog sich das HWA tatsächlich so rigoros aus diesem Forschungsvorhaben zurück, wie zumeist dargestellt? Schon die Formulierung „Bau der Uranmaschine und die damit verbundene Herstellung des Atomsprengstoffe“ lässt Zweifel aufkommen, weist sie doch klar das Ziel der Kernforschung unter der Regie des HWA aus. Die neu bekannt gewordenen Dokumente geben, ebenso wie die kritische Bewertung bereits bekannter Schriftstücke, Anlass für eine sehr viel differenziertere Betrachtungsweise. Darauf deutet schon die Art und Weise der Übergabe hin. Die wichtigsten Schritte bestanden in folgendem: Anfang 1942 verständigten sich Leeb und Schumann mit dem Präsidenten der KWG, Vögler. Dabei ging es u. a. um die Rückgabe des KWI für Physik an die KWG sowie um die Berufung Heisenbergs zum Leiter des KWI. Ebenfalls im Februar 1942 erarbeitete Diebner, zusammen mit anderen Wissenschaftlern, einen ausführlichen, 144 Seiten umfassenden Bericht des HWA über den Stand der Forschungen des HWA zur „Energiegewinnung aus dem Uran“. Auf dieser Basis erfolgte am 26. Februar 1942 die „Zweite wissenschaftliche Tagung der Arbeitsgemeinschaft ‚Kernphysik‘ (Reichsforschungsrat – Heereswaffenamt) im Haus der Deutschen Forschung“, bei der acht grundlegende Vorträge gehalten wurden. Anwesend waren Vertreter des Staates, der Partei, der Wirtschaft sowie der KWG und des RFR.448 Vier Monate danach, am 4. Juni 1942, fand im Harnack-Haus der KWG ein weiteres Spitzentreffen statt. Anwesend waren Reichsminister Speer, Generaloberst Fromm, Generalfeldmarschall der Luftwaffe Milch, Generaladmiral Witzell, Vögler von der KWG und weitere hochrangige Funktionäre. Heisenberg hielt einen Vortrag über „Atomzertrümmerung, Uranmaschine und Zyklotrone“.449 Zwei Wochen danach einigten sich KWG und HWA über die Formalitäten der de facto schon vollzogenen Rückgabe des KWI für Physik an die KWG zum 1. Juli 1942. Einige Einzelheiten wurden im Oktober 1942 nachträglich geregelt.450 Anfang Dezember 1942 kam es schließlich zur Ernennung des Präsidenten der PTR, Esau, zum „Bevollmächtigten des Reichsmarschalls für Kernphysik“. Damit war die offizielle Übergabe endgültig vollzogen. Hinter den Kulissen spielte sich jedoch noch anderes, bisher Unbekanntes ab: Im Anschluss an die Vorträge der Tagung vom 26. Februar 1942 gab es eine Beratung in einem kleinen internen Kreis, der sich diskret zurückgezogen hatte. Ihm gehörten die Professoren Clusius, Geiger, Harteck, Planck und Winkhaus an. Ob 448 Bei der Tagung am 26. Februar 1942 referierten: Schumann: Kernphysik als Waffe, Hahn: Die Spaltung des Urankerns, Heisenberg: Die theoretischen Grundlagen für die Energiegewinnung aus der Urankernspaltung, Bothe: Ergebnisse der bisher untersuchten Anordnungen zur Energiegewinnung, Geiger: Die Notwendigkeit der allgemeinen Grundlagenforschung, Clusius: Anreicherung der Uranisotope, Harteck: Die Gewinnung von schwerem Wasser, Esau: Über die Erweiterung der Arbeitgemeinschaft „Kernphysik“ durch Beteiligung anderer Reichsressorts und der Industrie. Zum Bericht des HWA vgl. Anm. 422. 449 Vgl. Kleint et al.: Werner Heisenberg, 176–178. 450 Forstmann (KWG) am 24. August 1942 an das OKH: Protokoll zur Übergabe des KWI an die KWG vom 1. Juli 1942, unterschrieben von Diebner, Heisenberg und Forstmann, sowie Vereinbarung zwischen HWA und KWG vom 19. Oktober 1942, AMPG, I. Abt., Rep. 34, Nr. 18/3.
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außer Schumann noch weitere Angehörige des HWA bzw. der Forschungsabteilung anwesend waren, bleibt offen, darf aber berechtigt vermutet werden. Wichtigster Punkt der vertraulichen Diskussion war die Frage, „ob die auf die Nutzung der Atomenergie gerichteten Arbeiten … sich so intensivieren lassen, dass eine Auswirkung im Kriege noch möglich erscheine“. Geiger hielt dies für „völlig ausgeschlossen“. Clusius und Harteck stimmten darin überein, dass sich die „Chefs der Rüstung nie darauf einlassen würden, ohne einen sehr baldigen Termin“ dem hohen Aufwand an Material, Geldmitteln und Arbeitskräften zu zustimmen. Winkhaus warf ein, Hitler werde keine Genehmigung erteilen. Er habe bereits den Vorstoß des Postministers und anderer, nach Anhörung von Generalfeldmarschall Milch, abgewiesen. Um dennoch „keinen Stillstand eintreten zu lassen“, wie Winkhaus betonte, schlug er vor, die Arbeiten „wie bisher ohne Wissen des Munitionsministers unter einer anderen Bezeichnung“ führen zu lassen. Beispielsweise könne man eine „Isotopenforschung für medizinische Zwecke“ angeben. Planck regte an, bei den Geld gebenden Stellen „nicht allzu pessimistisch aufzutreten, damit die Kernforschung weiterhin wie bisher finanziert“ werde. Man solle jedoch keine Versprechungen über die Realisierung der Pläne machen, sich schon gar nicht auf irgendwelche Termine einlassen.451 Ganz auf dieser Linie – weitermachen wie bisher, aber nicht darüber reden – lag auch eine Vereinbarung zwischen HWA und KWG vom Juni 1942: „Bei Verhandlungen zwischen ORR Dr. Basche, RBR Dr. Diebner und der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft wurde verabredet, dass das WaA dem Institut [für Physik] einen Forschungsauftrag zur Fortführung der in Arbeit befindlichen Versuche gibt, damit keine störende Unterbrechung der Untersuchungen eintritt. Es wurde ferner besprochen, daß über die weitere Zusammenarbeit zwischen WaA und KWI für Physik ein entsprechender Vertrag zwischen dem Oberkommando und der KWG geschlossen werden soll, der im Entwurf bereits besprochen wurde.“
Im Februar 1943 notierte Telschow: „Die Finanzierung der Arbeiten [zur Kernenergie], an dem KWI erfolgt durch die KWG und durch Beträge des Reichsministers Speer [Hervorhebung im Original, G. N.]. Jedoch werden im Bedarfsfalle auf Anforderung der KWG zusätzliche Mittel vom Reichsforschungsrat und dem Heereswaffenamt zur Verfügung gestellt.“452
Nach Esaus Amtsantritt änderte sich an der Stellung und Rolle Diebners kaum etwas. Er war zwar jetzt dem Präsidenten der PTR in dessen zusätzlicher Eigenschaft als „Bevollmächtigter des Reichsmarschalls für Kernphysik“ unterstellt, organisierte aber weiterhin maßgeblich die Forschungsaktivitäten des Uranvereins. Auch nachdem Gerlach ab 1. Januar 1944 die Nachfolge Esaus als neuer „Bevollmächtigter“ angetreten hatte, blieb Diebner sein wichtigster Organisator. Offiziell gehörte die Diebner-Gruppe, die in der Vers. Gottow arbeitete, zur PTR. Sogar entsprechende Ausweise waren ausgestellt worden. Tatsächlich aber
451 Schumann: Die Wahrheit (wie Anm. 367), 19–22. 452 Forstmann am 24. August 1942 an das OKH (wie Anm. 453); Aktennotiz vom 8. Februar 1943 zu einer Beratung mit Vögler, Esau u. a., DM, SI, Bl. 291050.
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standen Diebner, und zwar mit ausdrücklicher Zustimmung Leebs, weiterhin, so wie bisher, alle Räume, Mittel und Möglichkeiten in der Vers. Gottow zur Verfügung. Seine Arbeitsgruppe konnte den Versuch G I ungestört beenden sowie die sich anschließenden Versuche G II und G III planen und auch realisieren. Nirgendwo findet sich ein Hinweis auf die Auflösung der Diebner-Gruppe oder ein Ausscheiden ihrer Mitarbeiter bei WaF. Ganz im Gegenteil, Berkei z. B. trat weiterhin als Angehöriger von WaF in Erscheinung. Die Zuständigkeit für die Bewirtschaftung und den Nachweis der Radiumpräparate blieb bei WaF und in den Händen Berkeis. Bei Patentanmeldungen durch Mitarbeiter des Uranvereins fungierte WaF nach wie vor als „Anmelder für das Reich“.453 Schumann ließ sich regelmäßig von Diebner über den Stand des Uranprojektes berichten. Andererseits teilte Schumann führenden Wissenschaftlern des Uranvereins im März 1943 mit, dass nunmehr „die Führung des Vorhabens ausschließlich in den Händen von Staatsrat Esau“ liege, aber die „Frage, in welchem Umfang das Heereswaffenamt noch unmittelbar an den Versuchen beteiligt bleibt“, besonders geregelt würde.454 Aufschlussreich – man beachte den Zeitpunkt! – ist auch eine eher beiläufige Bemerkung Schneiders: „Ich selbst habe übrigens im Jahre 1944 verschiedentlich mit den deutschen Professoren Hahn, v. Weizsäcker, Gerlach, Heisenberg usw. über diese Probleme [des Uranprojektes, G. N.] diskutiert und verhandelt.“455
Die Version des „scheinbaren Ausstiegs des HWA“ wird zusätzlich gestützt durch einige Vorgänge um das Pariser Zyklotron. Es blieb unangetastet weiter in der Hand des HWA, schon allein deshalb, weil in Paris das Militär das Sagen hatte. Mit dem Gerät wurden u. a. „radioaktive Präparate für die Wehrmacht“ hergestellt. Das HWA ermöglichte es zudem, für Otto Hahn in Paris Uran bestrahlen zu lassen, um weitere Zerfallsprodukte nachzuweisen – ein Umstand, der so gut wie unbekannt ist. Der Physiker Dr. Kurt Starke (1911–2000), damals Assistent am PhysikalischChemischen Institut in München erhielt eine U.k.-Stellung und weilte mit Zustimmung des HWA vom Januar 1943 bis August 1944 in Paris bei Joliot. Dabei gelang es ihm, das Element 94, das Transuran Plutonium, darzustellen.456 453 Beratung zu Radiumverlusten (vgl. Anm. 412); Harteck am 20. Juli 1944 an das OKH, DM Atomdokumente, G 341/2, Ordner Harteck. 454 Schumann am 8. März 1943 an Harteck. Das Dokument ist gedruckt bei Nagel: Atomversuche, 324. Auf die „Doppelstellung“ Diebners weisen auch die Unterlagen im BAA hin: Vermerk zu Diebner: „Zur PTR kommandiert“. Vgl. auch Notiz für Prof. Schnadel, betreff: Dr. Diebner (ohne Datum, um 1950). Darin heißt es, dass Diebner 1939 bis 1945 Referent für Kernphysik im OKH war und zugleich (Hervorhebung G. N.) Vertreter von Esau und Gerlach. DM, SI, Bl. 291195. 455 Schneider am 27. November 1967 an Glagow, BA-MA, NL Schneider 625/9. 456 „Akte Starke“ von Prof. Dr. Reinhard Brandt, u. a. mit schriftlicher Zusammenfassung einer Tonbandaufnahme: Gespräch von Fritz Krafft mit Kurt Starke im Jahre 1998 sowie handschriftliche Bemerkungen Brandts vom 14. Juni 2006 „für Dr. Rainer Karlsch“, der dem Autor Einsicht in diese Unterlagen gewährte. Vgl. Reinhard Brandt, Rainer Karlsch: Kurt Starke und die Entdeckung des Elements 93. Wurde die Suche nach den Transuranen verzögert?, in: Karlsch, Petermann (Hg.): Für und Wider, 293–323, insb. 306, Anm. 31.
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Ein vierter Großversuch in Vers. Gottow? Die in der Vers. Gottow vorgenommenen Versuche G III a und G III b hatten eindrucksvoll bewiesen, dass die von Diebners Leuten erdachte Würfelvariante, zusammen mit anderen konstruktiven Details, der Heisenbergschen Plattenanordnung weit überlegen war. „Unter diesen Umständen“, schrieb Diebner nach dem Krieg, „konnte es keinem Zweifel unterliegen, daß die Vergrößerung dieser [Würfel-] Anordnung auf jedem Fall zum selbst erregenden Reaktor führen mußte. Es war nur noch eine Frage der hinreichenden Vermehrung der Uran- und Schwerwassermengen“.457
Und eben diese wichtigen Ausgangstoffe waren überaus knapp. Der Streit zwischen Diebner und Heisenberg, wer vorrangig damit versorgt werden solle, hielt an. Schließlich wurde auf Drängen von Gerlach für Herbst 1944 ein Großversuch am KWI für Physik in die Wege geleitet. Dafür musste Diebner auf weitere Lieferungen von Uran und schwerem Wasser verzichten. Er war jedoch ehrgeizig genug, sich damit nicht abzufinden, sondern suchte, wahrscheinlich mit Unterstützung Gerlachs, nach einer neuen Variante seiner Uranmaschine. Die von Diebner und seinen Mitarbeitern letztendlich gefundene Lösung führte zu einem anders gearteten Versuchsreaktor, der im Versuch G IV erprobt und gegenüber dem Uranverein streng geheim gehalten wurde.458 Die Grundidee von G IV bestand wahrscheinlich darin, einen zweistufigen Versuchsreaktor zu bauen. Der innere, zentrale Teil folgte im Wesentlichen der bewährten Anordnung von G III. Sie wurde variiert zu einer Kugel mit etwa 1,2 t Uranmetall und einer kleinen Menge, etwa mehreren hundert Gramm, angereicherten Urans. Woher das angereicherte Uran stammte, kann nicht definitiv bestimmt werden. Der bereits bei G III benutzte Reaktorkessel fand für G IV wiederum Verwendung. Neu war die Idee der zweiten Stufe, die man um den inneren Teil legte. Diese zusätzliche Umhüllung bestand zu etwa zwei Dritteln aus Uranoxyd. Das andere Drittel war Thorium. Dieses zweistufige, kompakte Gebilde kam im Herbst 1944 in das mit Wasser gefüllte, vier mal vier m große Beton-Becken, das schon für die anderen Versuche gedient hatte. Danach führte man die Neutronenquelle ins Innere ein. Versuch G IV begann. Nach Ablauf der vorgesehenen Messungen hob man im November 1944 die stark erwärmte Versuchsanordnung mittels einer Laufkatze (starker Flaschenzug) aus dem Wasserbecken und stellte sie zur Abkühlung vor dem Versuchsgebäude ab. Jetzt trat etwas ein, womit niemand gerechnet hatte: Der Neutronenbildungsprozess setzte sich fort.
457 Bagge et al.: Uranspaltung, 41. 458 Eine erste Spur, die, hinausgehend über die bekannten Arbeiten in der Vers. Gottow, auf einen wieteren Versuch G IV hindeuteten, boten die nach dem Krieg von Diebner 1955 angemeldeten Patente zu verschiedenen Aspekten der Funktion von Kernreaktoren, darunter eine zweistufige Anordnung. Ab 1945 bis zum Zeitpunkt der Patentanmeldung waren jedoch in Deutschland kernphysikalische Forschungen dieser Art strikt verboten. Woher also hatte Diebner sein Wissen? Antworten darauf, und damit auf bisher unbekannte Kernforschungsarbeiten in der Vers. Gottow, fand Karlsch u. a. in Moskauer Archiven. Vgl.: Hitlers Bombe, Kapitel „Ein bisher unbekannter Reaktorversuch“. Die Darstellung von G IV hier beruht darauf.
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Da der Kessel jedoch außerhalb des Wasserbeckens stand, fehlte nun die kühlende und Neutronen bremsende Wirkung des Wassermantels. Die Vorausberechnungen Heisenbergs, dass sich ein in Gang gekommener „Kernreaktor“ bei einer gewissen Temperatur stabilisiert, bestätigten sich zunächst. Doch nach etwa zwölf Stunden oder mehr stieg der Neutronenfluss auf Grund der entstandenen Spaltprodukte rasch und unkontrolliert wieder an. Es trat eine, wie es die Experten nennen, „Xenon 135–Vergiftung“* ein. Jetzt rächte sich, dass man nie ernsthaft daran gearbeitet hatte, für den Notfall Bremselemente zur Verringerung des Neutronenflusses in die Versuchsanordnung einzubringen.459 Der Kessel platzte, das Material schmolz teilweise unter großer Hitzeentwicklung und Abgabe von ionisierender Strahlung. Dabei wurde Hennig schwer verstrahlt. 1946 verstarb er. Wahrscheinlich war Hennig das erste Todesopfer der Kernenergieforschung weltweit!460 Ist die hier gegebene Darstellung zu G IV noch mehr oder weniger hypothetisch, so steht sein Stattfinden kaum noch in Frage. Karlsch fand 2008 in Moskau einen kurzen Briefwechsel Czulius (WaF) – Houtermanns (PTR, in Ronneburg) von Ende November 1944 bis Anfang Januar 1945. Darin erwähnt Czulius ausdrücklich einen „Versuch G IV“ und bat Houtermanns um die Bewertung einiger dabei gewonnener Messdaten (siehe Dokumentenanhang). Der fehlgeschlagene Versuch G IV wurde Ende 1944 nur notdürftig kaschiert, weshalb einige Leute der Diebner-Gruppe noch in der Versuchsstelle Gottow verblieben, so u. a. Czulius und der Elektroingenieur Siegward Hülsmann, der am 1. April 1944 zu WaF I a versetzt worden war. Bei den „Aufräumarbeiten“ ließ man den Kessel einfach stehen. Als sich der Krieg seinem Ende zuneigte, überstürzten sich die Ereignisse. Mehrfach reisten Diebner, Berkei und weitere Kernforscher zwischen Berlin, Kummersdorf, Stadtilm, München und anderen Orten hin und her. Im Februar 1945 wurde das meiste noch in Vers. Gottow befindliche Material nach Stadtilm gebracht, zuerst die teuren Radiumpräparate, danach schweres Wasser und Uranmetall. Czulius sollte als Letzter das Labor auflösen. Kurz nach Ostern 1945 verließ er, zusammen mit Hülsmann, Kummersdorf in Richtung Stadtilm (Details im Kapitel 20).461 459 Heisenberg hatte in seiner Reaktortheorie angenommen, dass sich eine „laufende“, in Betrieb befindliche Uranmaschine selbst regulieren werde. Im Bericht Esaus Arbeiten auf kernphysikalischem Gebiet vom 1. Februar bis 31. Mai 1944 heißt es ausdrücklich: „Überlegungen und Versuche zum Abbremsen einer eventuell anspringenden Maschine sind im Gange“. DM, SI, Bl. 291119. Man war sich also der Gefahr durchaus bewusst, verfolgte aber diese Thematik offenkundig nicht zielstrebig genug. Einzelheiten dazu sind nicht überliefert. 460 Ein gewichtiger Beweis sind die Ergebnisse der in den Jahren 2003/04 mehrmals erfolgten Messungen vor Ort. Dazu kommen die Resultate der Untersuchungen von Materialproben, die beim Versuchstand entnommen wurden. Ausführlich bei Karlsch: Hitlers Bombe, 310– 312. In Übereinstimmung mit den Befunden stehen auch die auffälligen Verwitterungsspuren am Beton des Versuchstandes, genau dort, wo der havarierte Versuchskessel stand, vgl. die entsprechende Abbildung bei Nagel: Atomversuche, 101. 461 Auf diese Vorgänge weist auch ein kurzes Schreiben Gerlachs am 31. Januar 1945 an Basche hin: „Die Inbetriebnahme der Versuchsstelle Stadtilm/Thüringen unter Leitung von Herrn Reg. Baurat Dr. Diebner und die Weiterführung der Berliner Geschäftsstelle und der in Got-
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Nach 1945 verschwiegen alle Beteiligten, ebenso die Mitwisser, die Ereignisse des letzten Großversuches in Gottow. Über ihre Gründe kann man nur spekulieren. Unklar bleibt auch, ob und inwieweit Diebner in seiner Habilitationsschrift auf G IV einging. Die Fertigstellung dieser Arbeit erfolgte wahrscheinlich Ende 1944 und war mit Gerlach abgesprochen. Gerlach vereinbarte in den letzten Dezembertagen mit dem Dekan der Universität München, Diebners Habilitationsgesuch in der Fakultätssitzung am 17. Januar 1945 zu behandeln. Mitreferenten sollten die Professoren Clusius und Eduard Rüchardt (Experimentalphysiker an der Universität München) sein. Die Habilitationsschrift war „Geheime Reichssache“ und trug den offenen Titel „Über energetische Vorgänge bei Kernprozessen“. Zu ihrer Annahme kam es durch die dramatischen Ereignisse bis zur deutschen Kapitulation im Mai 1945 nicht mehr.462 War es noch gelungen, den Reaktorunfall in der Vers. Gottow gegenüber dem Uranverein und wahrscheinlich auch innerhalb des HWA weitgehend geheim zu halten bzw. zu vertuschen, so funktionierte das bei einer überaus gefährlichen Machtgruppe im NS-Reich nicht. Die SS war bald über die Vorfälle in Gottow informiert. Möglicherweise beschleunigte dies die Entscheidung der SS, Diebner in ihre eigenen Pläne einzubeziehen.463
Sprengstoffphysik und Kernfusion Als Sprengstoffexperte und erfahrener Kernphysiker/Experimentator hatte sich Diebner bei WaF schon sehr früh damit beschäftigt, wie kernphysikalische Effekte auch für die Sprengphysik genutzt werden könnten. Angeregt durch die Veröffentlichungen von Gottfried Guderley zu „Verdichtungsstößen bei Explosionen“ (1942)464 sowie durch die enormen Fortschritte zur Theorie und Praxis tow auszuführenden Arbeiten, ebenfalls durch Herrn Dr. Diebner, macht mehrere Dienstreisen von Herrn Dr. Diebner notwendig“. Basche wurde gebeten, erforderlichenfalls Diebner zu unterstützen. BAB, R 26 III/515. Hinausgehend über die Darstellung bei Nagel: Atomversuche zu den Ereignissen in Stadtilm (127–144), bringt Karlsch in seiner unveröffentlichten Studie: Die Diebner-Gruppe in Stadtilm. Neue Dokumente und neue Fragen, Berlin 2005, weitere Details. 462 Notiz Gerlachs vom 6. Januar 1945 für Prof. Rüchardt, BAB, R 26 III, Nr. 515. 463 In seinem Interview bemerkte Grothmann: „Übrigens hatte sich Otto Hahn mehrfach bei Diebner in Kummersdorf sehen lassen und Diebners Versuchsanlage begutachtet, nachdem es vielleicht eine unvorhergesehene Reaktion dort gab und der Atomreaktor dort durchging.“ An anderer Stelle: „Es gab dann auch noch ein Unglück ohne schlimme Folgen bei Diebner. Dem ist vielleicht der Reaktor durchgegangen.“ Enthalten in: Die Grothmann-Protokolle (I–V), Interview mit Werner Grothmann am 3. August 2002, geführt von Wolf Krotzky. Bei Grothmann handelt es sich um SS-Obersturmbannführer Werner Grothmann, geb. 23. August 1915, Angehöriger des Persönlichen Stabes beim Reichsführer SS Himmler, zugleich Chef-Adjudant von Himmler. Vgl. BAB, BDC, SSO 038 A. Die Aussagen von G. sind kritisch zu sehen. Sie enthalten jedoch zahlreiche Details, die durch andere Dokumente belegt sind. 464 Gottfried Guderley: Starke kuglige und zylindrische Verdichtungsstöße in der Nähe des Kugelmittelpunktes bzw. der Zylinderachse, in: Luftfahrtforschung 19 (1942), 302–312.
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der Hohlkörper-Sprengladungen, entschloss er sich, experimentell zu überprüfen, wie Deuterium*, also schwerer Wasserstoff, reagiert, wenn er durch die bei einer Detonation entstehenden Verdichtungsstoßwelle, in Verbindung mit sehr hoher Temperatur, „zusammengedrückt wird“. Zu diesen Versuchen schrieb Diebner viele Jahre nach dem Krieg einen Beitrag für eine Fachzeitschrift.465 Dass solche Versuche tatsächlich stattgefunden haben, belegt die Kopie eines nicht datierten Geheimberichtes (1943/44?) in der Sammlung Irving im Archiv des Deutschen Museums. Folgt man der Darstellung Diebners und den Angaben dieses Geheimdokumentes, so ergibt sich der Schluss: Die damaligen Sprengversuche zur Auslösung einer Wasserstoff-Fusion endeten in einer Sackgasse; die Thematik wurde nicht weiter verfolgt. Auch der Autor erlag in seinem Gottow-Buch dieser durchaus griffigen These.466 Doch das war ein Irrtum! Was Diebner, zusammen mit Trinks und anderen Mitarbeitern von WaF experimentell klären wollte, war erst das frühe Anfangsstadium einer rasanten Entwicklung, die zu Aufsehen erregenden Ergebnissen führen sollte. Die Ausarbeitung Schumanns in seinem Nachlass „Die Wahrheit über die deutschen Arbeiten und Vorschläge zum Atom-Energie-Problem 1939–1945“ enthüllt nämlich erstaunliche Vorgänge. Sie blieben viele Jahre geheim, weil – laut Schumann – „nur wenige Wissenschaftler darüber unterrichtet waren und die Akten im April 1945 vernichtet werden mussten“. Kurz nach Kriegsende habe sie Trinks, so gut es ihm eben ohne Aufzeichnungen möglich war, rekonstruiert und das Ergebnis Schumann für sein Manuskript zur Verfügung gestellt. Trinks bemerkte zu den Arbeiten, dass Diebner weitgehend ausgeklammert gewesen sei. Die nachfolgende Darstellung beruht weitgehend auf dieser bislang unbekannten Ausarbeitung sowie auf Briefen und anderen Aufzeichnungen aus dem Nachlass Schumanns.467 Obwohl Schumann 1942 mit für die offizielle Abgabe des Uranprojektes an den RFR gesorgt hatte, wusste er genau Bescheid über dessen weiteren Fortgang, schon durch die regelmäßigen Gespräche mit Diebner (vgl. oben, S. 192). Zusätzlich bekam er Informationen vom Chef des OKW-Amtes „Ausland-Abwehr“, Admiral Wilhelm Canaris, sowie dessen Mitarbeiter Generalmajor Hans Oster, Leiter der Zentralabteilung von „Ausland-Abwehr“. Beide Geheimdienstler teilten Schumann mit, was die Abwehr über die Kernforschung im Ausland in Erfahrung gebracht hatte. Kraft seiner Stellung als Chef der Abteilung Wissenschaft im 465 Kurt Diebner: Fusionsprozesse mit Hilfe konvergenter Stoßwellen – einige ältere und neuere Versuche und Überlegungen, in: Kerntechnik 3/1962, 89–93; Manfred Hoffmann: Kernwaffen und Kernwaffenschutz (Lehrbuch), 4. Aufl. Berlin, 1987, 87 f., wies ausdrücklich auf „theoretisch denkbare nichtnukleare Zündverfahren zur Auslösung thermonuklearer Reaktionen“ hin, wozu auch die Hohlladungs-Explosion gehöre. Zur prinzipiellen Möglichkeit, mittels HL thermonukleare Reaktionen auszulösen, vgl. Vladimir N. Mineev, Alexander I. Funtikow: Physikalische Analyse zur Energiefreisetzung bei den deutschen Atomtest von 1945 sowie Pawel Rodziewiecz: Polnische Forschungen zur Reduktion der kritischen Masse, beide in: Karlsch, Petermann (Hg.): Für und Wider, 83–94, 95–122. 466 Nagel: Atomversuche, 92. 467 Sofern nicht anderes angemerkt, sind alle sachlichen Darstellungen und Zitate dieser Quelle entnommen (vgl. Anm. 367).
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OKW standen Schumann solche Informationen auch zu. All die ihm vorliegenden Informationen ließen Schumann nicht daran zweifeln, dass die bis Ende 1942 ungelöste Frage der Isotopentrennung, zu der es auch unter Esau und Gerlach keinen entscheidenden Durchbruch gab – und infolge der Kriegsbelastung auch nicht geben konnte! –, die Herstellung einer Kernwaffe auf der Basis U-235 unmöglich machte. Solange eine Uranmaschine nicht „ansprang und lief“, kam auch keine Bombe aus Plutonium in Betracht. Es zeichnete sich dennoch ein Weg ab, den schon Diebner kurz beschritten hatte. Dazu bemerkte Schumann: „[Da] bei der Detonation brisanter Sprengstoffe kurzzeitig sehr hohe Drucke auftraten, hatte Ramsauer der Forschungsabteilung des Heeres vorgeschlagen, die Einleitung von Kernreaktionen mit Lithium mittels brisanter Sprengstoffe zu versuchen“.
Bei Ramsauer handelte es sich um den hoch angesehenen Physiker Prof. Dr. Carl Ramsauer (1879–1955), der ab 1933 das Forschungsinstitut der AEG in BerlinReinickendorf leitete und zugleich als Honorarprofessor an der TH Berlin lehrte. Als Experte für Stoßprozesse hatte er 1933 jenen berühmten Versuch unternommen, bei dem zwei Gewehrkugeln in einem evakuierten Gewehrlauf aufeinander geschossen wurden. Dabei registrierte er – bei Geschoßgeschwindigkeiten von 500– 750 m/sec – Drücke und Temperaturen, „welche jedes Material zerstörten“.468 Ramsauer gab WaF nicht nur einen Rat, sondern stellte gleichzeitig seinen Assistenten Dr. Frerichs für Vorversuche ab, die zusammen mit Trinks erfolgten. Frerichs war bei WaF kein gänzlich Unbekannter. Am 19. Oktober 1941 hatte er sich, begleitet von zwei anderen AEG-Mitarbeitern, in Paris von Gentner und Bagge das Zyklotron erklären lassen. Tags darauf empfing ihn Prof. Bieder, Schumanns Statthalter im besetzten Paris, zu einem längeren Gespräch.469 An sich waren die Überlegungen Ramsauers, mit leichten Elementen wie Lithium* zu experimentieren, nicht grundsätzlich neu. Prof. Dr. Heinrich Rausch von Traubenberg vom Institut für Experimentalphysik der Universität Kiel hatte schon 1933 über „Die bei Lithiumzertrümmerung auftretende Strahlung“ publiziert, ebenso zur „Rückstreuung von Neutronen“.470 Zu ihm richtete WaF 1941 – obwohl der Wissenschaftler schon emeritiert war – eine Zuverlässigkeitsanfrage 468 Zu Ramsauer vgl. Dieter Hoffmann: Carl Ramsauer, die Deutsche Physikalische Gesellschaft und die Selbstmobilisierung der Physikerschaft im Dritten Reich, in: Maier: Rüstungsforschung, 273–304. 469 Tagebuch Bagges, DM, SI, Bl. 29136. 470 Heinrich Rausch von Traubenberg: Über die bei der Lithiumzertrümmerung auftretende Strahlung, in: Naturwissenschaften 21 (1933), 694; H. Rausch, H. Adam: Über die Rückstreuung von Neutronen und die Herstellung von Räumen mit erhöhter Neutronenkonzentration, in: Zeitschrift für Physik 104 (1936), 242–447. Angaben zu Heinrich Freiherr Rausch von Traubenberg (1880–1944) bei Schmidt-Rohr: Die deutschen kernphysikalischen Laboratorien (wie Anm. 392), 105 f., 151, sowie Ruth Lewin Sime: Otto Hahn und die MaxPlank-Gesellschaft. Zwischen Vergangenheit und Erinnerung, Berlin 2004 (= Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus, Ergebnisse, 14); Dieselbe: Die Uranspaltung hat da die ganze Situation gerettet. Otto Hahn und das KWI für Chemie im Zweiten Weltkrieg, in: Maier: Gemeinschaftsforschung, 268–304.
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an das REM. Einer Zusammenarbeit stimmte REM nicht zu, da die Ehefrau Volljüdin und Traubenberg selbst Mitglied der Liga für Menschenrechte und des Rotary-Clubs sei.471 In Wien hatte Stetters Mitarbeiter Hernegger Anfang 1941 einen, allerdings nicht erfolgreichen Versuch zur Frage unternommen, „ob durch Funkenentladung leichte Kerne zur Fusion gebracht werden können“. Obwohl das Experiment – glücklicherweise, möchte man sagen – nichts Greifbares brachte, meldete Stetter flugs ein Patent an, das Wirtz auf Bitte des HWA begutachtete.472 In einer Ausarbeitung, die Holtz kurz nach dem Krieg niederschrieb, bezog er sich auf die „in sehr reichlichem Maße vorhandenen leichten Elemente“. Dazu kommentierte Glagow, dass dieser Hinweis „im Zusammenhang [steht] mit Überlegungen, die in der Forschungsabteilung schon während des Krieges in Richtung auf die Verwendung leichter Elemente für die Atomspaltprozesse angestellt wurden“.
Ergänzend fügte Glagow hinzu: „Da Dr. Holtz der Forschungsabteilung im Kriege angehörte, war er nicht auf andere Darstellungen angewiesen; er konnte auf Grund unmittelbarer Erfahrungen berichten.“473
Auch die von Berkei genutzte „Technische Formelsammlung“ enthält Eintragungen zu Reaktionen leichter Elemente. Allerdings konnte der Autor damals diese Aufzeichnungen für sein Gottow-Buch nicht deuten. Erst Karlsch legte diese Notizen Physikern vor, die überrascht reagierten.474 Auf Initiative Schumanns setzten ab etwa Oktober 1943 zu dieser Thematik besondere Forschungen ein. Sie erfolgten „mit dem Ziel der Einleitung von Kernreaktionen der leichten Elemente“, vor allem von Lithium. Ausgangspunkt waren die Ergebnisse, die Trinks mit seinem Team (Mitarbeiter von F I b und II. Physikalischem Institut) zur Hohlladung gewonnen hatte. Ihm war es gelungen, den Verlauf von Detonationen bei Hohlkörpern und die Zustände in den einzelnen Phasen sehr genau zu beschreiben. Mittels eines neuartigen, von Trinks ausgeklü-
471 Anfrage der WaF vom 26. August 1941 an das REM, BAB, R 4901/12872. 472 Karlsch: Überarbeitete Fassung zu Hitlers Bombe, Abschnitt „Reaktorpatent“, dort auch ausführliche Quellenangaben. Im Bericht der Außenstelle Thumersbach vom 27. Juni 1945 heißt unter der Überschrift „Zündung von Kernreaktionen durch hochkonzentrierte Funken“: „Von G. Stetter und K. Lintner wurde versucht, mit Hilfe hochkonzentrierter elektrischer Funken Kernprozesse, die bei verhältnismäßig niedriger Temperatur ablaufen, zu zünden. Die Apparatur blieb in Folge der Kriegsereignisse in Wien zurück“. NL Stetter, Bericht vom 27. Juni 1945, Bl. 8. 473 Bericht Dr. W. Holtz’ vom 5. März 1949 mit Ergänzungen von Oberst a. D. Glagow für General a. D. Schneider, sowie einleitende Bemerkung von Schneider vom 1. Juni 1968, BA-MA NL 625/9. Glagow ergänzte seine Bemerkung mit dem Hinweis „nur theoretische Überlegungen, keine praktischen Versuche“, weist aber an anderer Stelle darauf hin, dass er „alles am Rande erlebte“, da seine Aufgabe als Stabschef anderer Natur war. Die Verwendung des Begriffes „Atomspaltprozesse“ durch Glagow, statt „Fusionsprozesse“, ist offenkundig seinem geringen Fachwissen auf diesem Gebiet geschuldet. 474 Karlsch: Hitlers Bombe, 147 f. Zu den Umständen des Auffindens der Formelsammlung Berkeis vgl. Nagel: Atomversuche, 61 f.
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gelten „Rechenverfahrens“ konnten die Vorgänge exakt bestimmt und belegt werden. Trinks vermochte ferner zu zeigen, „daß ein großer Teil der angewandten Sprengstoffenergie auf eine verhältnismäßig kleine Masse konzentriert und dann auf einem sehr kleinen Querschnitt in kleinen Portionen zeitlich nacheinander zur Einwirkung gebracht wird“.
Im Prinzip schien es also möglich zu sein, die Energiedichte, über die der Strahl aus einer Hohlladung verfügt, so lange weiter zu erhöhen, bis sie für die Auslösung einer Kernreaktion ausreichend groß ist. Die bei Hohlladungen bereits nachweislich erkannten Energiekonzentrationen, die einem Druck von ein bis zehn Millionen at und Temperaturen von nahezu einer halben Million Grad entsprachen, genügten dafür aber nicht. Dessen war sich Trinks wohl bewusst. Er fragte sich, wie es experimentell „auf der Erde“ gelingen könnte, Drücke und Temperaturen zu erreichen, „wie sie sonst nur im Inneren der Sterne“ vorhanden sind. Aus den damals neuesten Untersuchungen der Sternenforscher, vor allem aber aus dem 1943 veröffentlichten Buch des deutschen Astronomen Prof. Dr. Heinrich Vogt „Aufbau und Entwicklung der Sterne“, entnahm Trinks, dass im Mittelpunkt unserer Sonne mit einer Temperatur von 19 Millionen Grad bei einem Druck von 100 Milliarden at zu rechnen ist.475 Einige Passagen aus Schumanns Aufzeichnungen, die die von Trinks erzielten Forschungsergebnisse reflektieren, verdeutlichen die damals bei WaF angestellten Überlegungen: „Für die vorliegende Aufgabe der Einleitung von Kernreaktionen der leichten Elemente ist es jedoch nicht unbedingt notwendig, den gewünschten extremen Zustand für längere Zeit aufrechtzuerhalten, sondern es wird bereits ausreichend sein, wenn man die Reaktionspartner auch nur kurzzeitig einer sehr hohen Temperatur bei gleichzeitig hohem Druck auszusetzen vermag. Wann dabei die erzielte Temperatur nur genügend hoch ist, so werden auch in kurzer Zeit so viele Kernprozesse ausgelöst, daß die dabei freiwerdende Energie ausreicht, die Temperatur und damit die Energieerzeugung weiter zu steigern, bis alle Ausgangskerne umgesetzt sind … Bei der Detonation eines Sprengkörpers pflanzt sich von der Zündstelle aus eine Druckstoßwelle mit großer konstanter Geschwindigkeit (bis zu 8 km/sec) durch den Körper fort. Hinter der Wellenfront, in der die chemische Umsetzung des Sprengstoffes stattfindet, strömen die Zersetzungsprodukte, die so genannten Schwaden, unter sehr hohem Druck (bis 160.000 Atm) her. Bei der Ausbreitung der Schwaden in gut evakuierten Rohren wurden Geschwindigkeiten bis zu etwas 20 km/sec (Selle, CTR, Bericht an die Forschungsabteilung des Heeres) beobachtet … Diese Ergebnisse erwecken jedoch den Eindruck, daß es möglich sein müsse, noch weiter zu gelangen, wenn man das bei den Hohlsprengkörpern angewandte Prinzip noch konsequenter durchführt. Bei den Hohlsprengkörpern wird, wie bereits betont, die verhältnismäßig hohe Energie der Sprengstoffschwaden zunächst in kinetische Energie des Verkleidungsmaterials übergeführt und von dort bei der Strahlbildung auf einen ziemlich geringen Bruchteil [es folgt eine Formel, G. N.] derselben übertragen …
475 Heinrich Vogt: Aufbau und Entwicklung der Sterne, Leipzig 1943. Der Astronom Prof. Dr. H. Vogt (*1890) wirkte an verschiedenen Universitäten und wissenschaftlichen Einrichtungen, u. a. Universitätssternwerte Jena und Landessternwarte Heidelberg. Von ihm stammen zahlreiche Abhandlungen zu Sternenaufbau, Spiralnebeln und kosmischen Strahlen.
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II. Experimente Eine noch vollkommenere Verwirklichung der Idee, eine hohe kinetische Energie von einer großen primären Masse unter gleichzeitiger Umwandlung in Druck- und Wärmenergie auf eine sehr kleine sekundäre Masse zu übertragen, erreicht man durch eine Kombination des Ramsauerschen Vorschlages mit den bei den Hohlsprengkörpern angewandten Verfahren in Anlehnung an das Geschehen im Entwicklungsgang der Fixsterne, indem die dort die Verdichtung der Sternmaterie bewirkende Gravitation hier durch Druckkräfte und Beschleunigung sprengphysikalischen Ursprungs ersetzt wird …“
Trinks und Schumann stellten sich des weiteren die Frage, was passiert, wenn eine innen mit Gas gefüllte Kugel durch Hohlkörpersprengeffekte, von allen Seiten gleichmäßig und zum selben Zeitpunkt gezündet, zusammengedrückt wird. Auch dazu ein Auszug aus Schumanns Manuskript: „Dadurch wird die eingeschlossene Gasmasse außerordentlich rasch verdichtet und dabei – wie die Materie im Inneren der Sterne – sehr hoch erhitzt. Die dabei auftretenden Beschleunigungen sind ungeheuer groß. Während der Kontraktion der Hohlkugel nimmt ihre Wandstärke dauernd zu. Nähert sich dabei die Innenfläche dem Kugelmittelpunkt, so erhalten die an der Innenfläche gelegenen Materialteilchen eine sehr hohe Geschwindigkeit. Man erkennt dies sofort, wenn man sich vergegenwärtigt, welchen Raum das von der Außenfläche – auch bei einem nur kleinen zurückgelegten Weg derselben – überstrichene Volumen einnimmt, wenn es als Kugel um den Mittelpunkt angeordnet wird. Geht man beispielsweise von einer Hohlkugel vom Innendurchmesser 2R = 100 cm und der Wandstärke 2 cm aus, so füllt das Schalenmaterial eine Kugel vom Durchmesser [es folgt eine kurze Berechnung, G. N.] annähernd 50 cm, wenn die Hohlkugel völlig zusammengeschrumpft ist; und legt während des letzten Teils der Kontraktion die Außenfläche einen Weg von nur 1/10 mm zurück, so beträgt in der gleichen Zeit der entsprechende Weg der Innenfläche 26,6 mm, das ist 266 mal so viel …“
Für eine Kugel mit einem Innendurchmesser von 100 cm und einer Wandstärke von 2 cm berechneten Trinks und Schumann eine Endgeschwindigkeit von ca. 250.000 m/sec. Am Ende der Kontraktion könnten sehr kurzzeitig etwa 626 Millionen at herrschen. Diese theoretischen Erwägungen gingen einher mit einer sehr gründlichen Auswertung der auf anderen Gebieten gewonnen Erkenntnisse. Das waren vor allem die Untersuchungen von Atkinsons und Houtermanns, die den Prozessen galten, die sich unter dem Einfluss hoher Temperaturen und Drücken zwischen den Atomkernen leichter Elemente abspielen. Ebenso wurden die Arbeiten von Bethe und Weizsäcker, von Gamov, Teller u. a. Kernphysikern herangezogen, die sich mit der Bedeutung leichter Elemente für den Energiehaushalt von Sternen auseinandergesetzt hatten. Auch die Veröffentlichungen des Leipziger Physikers F. Hund über das „Verhalten von Materie unter sehr hohem Druck und Temperaturen“ (1936) fanden Berücksichtigung. Parallel dazu stellte Trinks seine Habilitationsschrift fertig, die Mitte 1944 bei der WTF der TH Berlin eingereicht und sofort mit dem Stempel „Geheime Kommandosache“ versehen wurde. Sie enthält u. a. das oben erwähnte Rechenverfahren.476 476 BAB, R 4901/12850, Bl. 245. Vgl. auch Anhang II: Geheimdissertationen. Im Bericht von Gerlach Über die Arbeiten auf kernphysikalischem Gebiet vom 1. Febr. bis 31. Mai 1944 mit Vermerk „1 Abschrift an Min. Dirig. Görnnert“ (Persönlicher Referent Görings), heißt es u. a. „Die Frage der Gewinnung von Kernenergie auf anderem Wege als durch den Uranzerfall ist
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Schumann und Trinks waren sich ihrer Sache bald so sicher, dass Schumann seinem Chef, Leeb, im Herbst 1944 Vortrag über den sich jetzt abzeichnenden Weg zu einer neuartigen „Kernwaffe“ hielt. Gleichzeitig unterbreitete er Vorschläge zu ihrer Realisierung: „In einer vom Chef des HWA anberaumten Besprechung, nach einem Besuch des ‚Forschungsbeirates des HWA’ in der Heeresforschungsanstalt Gottow trug ich die Grundgedanken, ferner die von Trinks in einer theoretischen Abhandlung inzwischen näher behandelten Einzelheiten vor. Anwesend waren: General der Artillerie Leeb, Geh. Rat Prof. Dr. Planck, Prof. Dr. Esau, Prof. Dr. Schumann, Prof. Dr. Thiessen, Min. Rat Dr. Basche, Oberreg. Rat Dr. Trinks, ferner als Protokollführer der Min. Rat Prof. Dr. Kadow.“
Bei dieser Gelegenheit demonstrierte Schumann den Anwesenden die „mittels besonderer Zündführungseffekte erreichten Durchschlagsleistungen und die dabei festgestellten Temperaturen“. Weitere Einzelheiten vom Verlauf dieser Zusammenkunft in der Vers. Gottow sind nicht überliefert. Es besteht jedoch kein Zweifel, dass Schumann danach grünes Licht bekam und sich mit seinen Wissenschaftlern sofort an die Arbeit machte. Wahrscheinlich waren all jene Forscher beteiligt, die bereits bisher maßgeblich an der Entwicklung der Hohlladung mitgewirkt hatten: Hinrichs, Holtz, Sachsse, Schall, Schwietzke und Wolk. Kenntnis erhielten außerdem General Waeger, damals schon Chef des Wehrmachtsrüstungsamtes im Speer-Ministerium, sowie der Oberst-Ing. Dr. Viereck vom RLM. Letzterer hatte bei einer anderen Angelegenheiten geltenden Besprechung am II. Physikalischen Institut im Dezember 1944 Schumann einen ähnlichen Plan der Luftwaffe offeriert. Dieser eher beiläufige Vermerk Schumanns in seinem Manuskript über eine Besprechung mit Viereck ist deshalb stark beachtenswert, da er ein weiteres Mal auf kernphysikalische Pläne in anderen Wehrmachtsteilen aufmerksam macht. Außerdem war Viereck ein alter Bekannter der Kummersdorfer Heeresforscher. 1935 etablierte sich nämlich auf dem Gelände der Heeresversuchsstelle eine „Keimzelle“ der Luftwaffe, die sich nach ihrem Chef „Arbeitsstelle Viereck“ nannte. Kurze Zeit später wurde sie nach Rechlin verlegt, wo sich die Luftwaffe eine eigene Erprobungsstelle schuf. Da Viereck bald zum RLM wechselte, übernahm Dr. Burgsmüller in Rechlin die einstige Arbeitsstelle Viereck.477 auf breiterer Basis in Angriff genommen.“ IfZ, SI, Bl. 291121. Ob sich dies unter Umständen auf die Arbeiten Schumann/Trinks bezieht, kann in Betracht gezogen werden, bleibt allerdings spekulativ. 477 Zu Dr. Viereck konnten keine Angaben ermittelt werden. Die am 1. Mai 1935 gebildete Arbeitsstelle Viereck befand sich an der Grenze der Heeresversuchsstelle Kummersdorf bei Sperenberg. Zu ihren Mitarbeitern gehörten u. a. Dr.-Ing. Wilhelm Schönfeld (geb. 1899, Diss. über Kurzwellen, 1937, TH Dresden), Dr. Richard Hartrott (geb. 1904, Diss. zu einem chemischen Thema, 1934 Uni. Berlin), Dr. Hermann Franz (geb. 1903, Diss. 1931, Uni. Münster) und Dr. Ernst Bönicke (geb. 1901, Diss. zu einem chemischen Thema, 1929, Uni. Halle). Hartrott arbeitete in Kummersdorf an einem Ersatzstoff für Elektron sowie an einem „flüssigen Füllstoff auf Fluor-Derivat-Basis für Flakgranaten“, eventuell N-Stoff. In Rechlin zählten die Genannten zur Abt. E 6, später LC 6, die Bordmunition entwickelte und für die
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Die Überlegungen und Berechnungen zur Konstruktion eines Versuchsmusters warfen für Schumann, Trinks und ihre Mitarbeiter zahlreiche neue Fragen auf. Man hoffte z. B. mittels einer „geeigneten Formgebung von Hohlraumform, Verkleidung und Sprengkörper“ die Strahlgeschwindigkeit beträchtlich zu erhöhen. Auch die Weiterentwicklung der „Sprengstofflinse“ (vgl. Kapitel 8) sollte dazu beitragen. Trinks schlug unter anderem vor, die zu verdichtende Substanz in einer metallischen Hohlkugel unterzubringen, die „außen mit einer Schicht eines brisanten Sprengstoffes belegt ist. Bei geeigneter, gleichmäßig über die ganze Oberfläche eingeleiteten Zündung der Sprengstoffschicht wird für sehr kurze Zeit ein sehr hoher Druck auf die Kugelschale ausgeübt, unter deren Einwirkung das Metall bei den Hohlsprengkörpern in den plastischen Zustand gerät und zum Kugelmittelpunkt beschleunigt“.
Dies wiederum stellte bestimmte Anforderungen an die „Sprengstoffumhüllung des Druckgefäßes“. Diese müsse man in einzelnen Teilstücken pressen, die danach zusammengesetzt werden. Nur so sei die notwendige „Homogenität der Sprengstoffhülle und damit ein gleichmäßiger Ablauf der Detonation“ zu erreichen. Bei einer „im Stück gegossenen Mischung“ müsse man mit Lunkern und anderen Ungleichmäßigkeiten rechnen. Zusätzlich sollte „die Sprengstoffschicht außen mit einer Verdämmung versehen“ oder der „ganze Körper bei Versuchen beispielsweise in Beton oder Erdreich“ eingebettet werden. Entscheidend sei „die möglichst strenge Einhaltung der Gleichzeitigkeit der Zündung“, da man „nämlich z. Z. noch nicht in der Lage [ist] einen Sprengstoff an allen Punkten einer beliebig geformten Oberfläche gleichzeitig zu zünden“. Die Lösung sah man in netzartig um den Versuchskörper gelegte „detonierende Zündschnüre – kabelartig umsponnenes Nitropentaerythrit – oder Fulminat Seele“. Die sonst üblichen elektrischen Glühzünder hielt Trinks für nicht genau genug. Die nähere Berechnung der zuerst gewählten Kugelform des Versuchskörpers erbrachte „recht erhebliche Gewichte“ und erwies sich zudem als sehr unhandlich: „Eine eiserne Hohlkugel mit Durchmesser 1 m und der Wandstärke von nur 1 cm wiegt z. b. ca. 250 kg; dazu kommt bei 20 cm Belegung ein Sprengstoffgewicht von ca. 1500 kg. Zusammen mit der Außenverdämmung ergibt sich ein Gesamtgewicht von rund 2 Tonnen.“
Als Alternative bot sich ein zylindrisches Druckgefäß an. Damit konnten Größe und Gewicht gemindert, aber auch die Zündführung vereinfacht werden. Zur Anordnung mit einem zylindrischen Druckraum wurden mehrere Varianten entworfen.478 Im Verlauf des Jahres 1944 vergab Schumann mehrere Forschungsaufträge, deren genaue Zielstellung bis heute unbekannt ist. Es drängt sich die Frage auf, ob sie mit der „neuartigen Bombe“ in Verbindung gebracht werden können. Manches Außenballistik zuständig war. Ihr gehörte auch Dr. Wilhelm Burgsmüller an (geb. 1910, Diss. 1936 Uni. Halle, bei Smekal und Hoffmann), der von 1957 bis 1975 die „Erprobungsstelle der Bundeswehr für Waffen und Munition“ in Meppen leitete. Die Lebensläufe in den Dissertationen, Mitteilungen von Alfred Hofschullt 1999 und 2000 sowie von Dipl.-Ing. Christoph Regel 2002. Beiden Herren ist zu danken. 478 Die Beschreibung Schumanns zu einer Zylindervariante ist wiedergegeben bei Karlsch: Hitlers Bombe, 153 f.
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deutet in diese Richtung: Im März 1944 erteilte Trinks einen Geheimauftrag mit der Dringlichkeit SS an die Firma Meiler und Weichelt/Leipzig zur „Herstellung und Untersuchung verschiedener Gusseisensorten nach besonderen Angaben für Hohlladungen.479 Mitte 1944 – ein genaues Datum gibt es nicht – vergab Schumann mit der Dringlichkeit SS einen ebenfalls geheimen Auftrag „Theoretische Untersuchung über die bei der Reflexion einer eindimensional sich ausbreitenden Detonationswelle auftretenden Kräfte“. Empfänger war Prof. Dr. Fritz SchultzGrunow (1906–1987) an der TH Aachen. Von 1935 bis 1941 wirkte er als Assistent am KWI bei Prandtl in Göttingen, wo er sich mit turbulenten Strömungen befasste. Danach arbeitete er in Aachen zu Verdichtungsstößen und Detonationswellen. Seine damaligen Berechnungen zu gasdynamischen Vorgängen galten bald als richtungweisend. Schon in Göttingen beteiligte sich Schultz-Grunow an geheimen militärischen Projekten, die das OKH, das RLM und andere Stellen in Auftrag gegeben hatten. Das setzte sich in Aachen fort und mündete in der Teilnahme des Wissenschaftlers an der Raketenentwicklung.480 WaF bezog 1944 noch einen anderen Wissenschaftler der TH Aachen ein: Prof. Dr. Eugen Piwowarski (*1891). Sein Forschungsauftrag „Untersuchung an gusseisernen Hohlkegeln nach besonderen Angaben“ sollte „zur Schaffung wirksamer und rohstoffsparender Verkleidungen für Hohlsprengkörper“ beitragen. Piwowarski wurde 1927 in Aachen Direktor des von ihm gegründeten und ab 1933 hervorragend ausgerüsteten Gießereiinstitutes. Er galt als „Mentor des europäischen Gießereiwesens“, der vor allem Forschungen zur Entwicklung neuer Schmelzverfahren betrieb. Verschiedene militärische Stellen überhäuften ihn gerade zu mit diversen Auftragsarbeiten. Auf seinen wissenschaftlichen Rat legten auch zwei wichtige Ausschüsse des Speer-Ministeriums großen Wert.481 Im Juni 1944 ersuchte Piwowarski Graue um die Bereitstellung von 10.000 RM, verbunden mit dem Hinweis, seitens des OKH sei ein Forschungsauftrag mit höchster Dringlichkeit zum ihm unterwegs. Es ginge u. a. um die „Herstellung einer 650o bis hinaufgehend zu 1000o warmfesten, hitze- und zünderbeständigen Gusslegierung unter Ausschluss bewirtschafteter Spezialelemente“.482 Schließlich taucht Schumanns Name auch in einer Liste Gerlachs zu kernphysikalischen Forschungsaufträgen auf, die in der Zeit vom 1. Juli bis 30. September 1944 zu bearbeiten waren. Es handelte sich um „Atomphysikalische, für die Sprengstoffphysik grundlegende Untersuchungen“, die sein II. PI durchführen sollte.483
479 BAB, R 26 III/16, Bl. 143. 480 Ebd. Zu Schultz-Grunow vgl. Kalkmann: Die Technische Hochschule Aachen, 331–335; Gerhard Adomeit, Hans-Jürgen Frieske: Neue Wege in der Mechanik. Beiträge zum 75. Geburtstag von Prof. Dr. Fritz Schultz-Grunow, Düsseldorf 1981, 3–6. 481 Aufstellung des Speer-Ministeriums vom 19. Januar 1945 zu „Forschungsvorhaben der Wehrmacht“, BAB, R 3/3130, Bl. 8; zu Piwowarski vgl. Kalkmann, Die Technische Hochschule Aachen, ebd. 482 BAB, R 26 III/261. 483 Aufstellung RFR, Geschäftsführender Beirat, über kernphysikalische Forschungen (ohne Datum), BAB, R 26 III/280.
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Die Ergebnisse der genannten Forschungsaufträge sind sämtlich nicht überliefert. Ende 1944/Anfang 1945 soll das Ministerium Speer die Arbeiten an Schumanns neuartigem Bombenkonzept plötzlich gestoppt haben. Zu den Gründen usw. sind gleichfalls keine Details bekannt.484
Die SS drängt in die Kernforschung Über den Stand des Uranprojektes war die SS-Führung stets gut im Bilde. Dafür sorgten schon Männer wie SS-Brigadeführer Mentzel, der im RFR offenkundig Himmlers Vertrauensmann war. Natürlich gehörte auch Osenberg als Chef des Planungsamtes im RFR, und „verlängerter Arm der SS und des RSHA“ (Maier) dazu. Himmler selbst saß im Präsidialrat des RFR und stand in engem Kontakt mit den Chefs der drei Wehrmachtsteile. Die Reichspostforschung unter Ohnesorge arbeitete bei verschiedenen Vorhaben eng mit der Waffen-SS zusammen (vgl. Kapitel 14). Ab 1943 war SS-Standartenführer Sievers Mentzels Stellvertreter im Geschäftsführenden Beirat des RFR, dem auch die Kriegswirtschaftsstelle unterstand. In dieser Funktion und durch die häufig notwendigen Absprachen mit Graue hatte Sievers tiefe Einblicke in die zur Kernforschung vergebenen Kriegsaufträge. Beim SD, Amt III, Deutsche Lebensgebiete, waren Spengler und sein Untergebener Fischer für die Beobachtung bzw. Überwachung der deutschen Wissenschaftler zuständig. Fischer bekannte in seinen Lebenserinnerungen, dass er genau gewusst habe, welche Rolle WaF spielte und was in der Vers. Gottow vorging. Allerdings schrieb er längst nicht alles auf, was ihm bekannt war.485 Außerdem ist nicht von der Hand zu weisen, eher sogar wahrscheinlich, dass Fischer unter den Kernforschern bzw. anderen am Uranvorhaben Beteiligten eigene V-Leute führte. So gehörte beispielsweise Dr. Friedrich Beuthe (*1897), Leiter der Abteilung Radioaktivität in der PTR, dem SD an. Über das Uranprojekt war er gut informiert, ja sogar direkt daran beteiligt. Zu ihm schrieb Dr. Carl-Friedrich Weiss, ehemals PTR, in einem Bericht für sowjetische Behörden, sein früherer Vorgesetzter sei Angehöriger der SS und des SD gewesen. Er „hat mir vor etwa zwei Jahren einmal gesprächsweise erzählt, daß die SS plane, sich ein eigenes Kernforschungs-Institut zu erbauen. Ob es dazu gekommen ist, weiß ich nicht.“486
Zahlreiche Hinweise zum Einstieg der SS in die Kernforschung lieferte Grothmann. Danach war es Ohnesorge, der 1943 Himmler auf die Möglichkeit einer 484 Schumann am 2. April 1948 an Telschow. In dem mehrseitigen Schreiben, einschließlich einer Skizze, verweist Schumann auch auf die netzartige Zündführung für Hohlladungen. AMPG, III. Abt., Rep. 83 Nachlass Ernst Telschow, Nr. 286. 485 Mit Fischer hat sich zuletzt Paul Lawrence Rose: Heisenberg und das Atombombenprojekt der Nazis, Zürich/München 2001, insb. 225, quellenkritisch auseinandergesetzt. 486 Die SD-Zugehörigkeit von Beuthe ist dokumentiert in BAB, BDC; Bericht Weiss’ vom 28. Oktober 1945, Österreichische Zentralbibliothek für Physik (wie Anm. 401). Zu Weiss vgl. Nagel: Atomversuche, 171 f. u. a. Stellen.
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Atombombe aufmerksam machte. Damit soll er bei dem SS-Chef auf offene Ohren gestoßen sein, zumal dieser immer noch unter dem Schock der Niederlage von Stalingrad (Juli 1942 bis 2. Februar 1943) stand. Im Herbst sei es dann zu einer engeren Abstimmung mit Ohnesorge gekommen. Später wurde angeblich auch die Diebner-Gruppe einbezogen. Diebner sei von der SS mit einem eigenen Etat ausgestattet worden. Dafür sollte er Laborgeräte und Materialien bestellen, die in Wirklichkeit für die SS bestimmt waren. Himmler selbst habe mehrmals mit Diebner gesprochen, ebenso mit Gerlach. Zu den Österreichern soll es seit 1943 gute Verbindungen gegeben haben. Ab Herbst 1944 seien der SS aus Österreich verschiedene Vorschläge und Anregungen zugegangen. Auch von einem Treffen kurz vor Kriegsschluss bei Innsbruck weis Grothmann zu berichten. Dabei sei es um die Zündung einer Kernladung gegangen. Grothmann vermutete, dass auch Schwab beteiligt wurde. Der „war hervorragend und verstand viel von der Materie. Schließlich war es selbst Physiker“. Grothmann nannte weiterhin den Namen von Schumanns Mitarbeiter am II. PI, „Schwietzke“, der in „Thüringen dabei war“ und den „Frau Beinhorn … uns empfohlen [hat], weil der rund um die Uhr arbeitete und, wie es schien, nie müde wurde“. Außerdem wies der SS-Mann hin auf „Wissenschaftler … die bei uns unter Vertrag standen oder an Aufgaben saßen, die mit der Atombombe zu tun hatten“.487 Was ist dran an den Aussagen Grothmanns? Wie verlässlich sind seine Auskünfte? Zweifelsfrei steht fest, dass Himmler rigoros und mit vielfältigen Intrigen ständig daran arbeitete, seine Machtfülle zu erweitern. Seit längerem galt auch dem Bereich Forschung sein Augenmerk. Ende 1942 begann Himmler sich für das Raketenprogramm zu interessieren. Nach und nach brachte er es in seine Gewalt. Speer wies in diesem Zusammenhang auf die „Unbekümmertheit“ hin, mit der sich „Himmler in die Entwicklungsvorhaben anderer Wehrmachtsteile“ einmischte.488 Sofort nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler, jetzt zum Befehlshaber des Ersatzheeres ernannt, dem auch das HWA unterstand, setzte Himmler alles daran, seine weitgehenden Pläne zu realisieren und weitere Forschungsprojekte an sich zu reißen. Beispiele dafür gibt es reichlich, so die Schaffung des „Mathematischen Instituts“ im KZ Sachsenhausen, wo u. a. auch kernphysikalische Berechnungen erfolgen sollten (vgl. Kapitel 5). Auch die Ausweitung der Hochfrequenzforschung im KZ Dachau sowie die – noch näher vorzustellenden – Bemühungen, die Kampfstoffproduktion in Falkenhagen in die Hand bekommen (vgl. Kapitel 15), gehören in diesen Kontext. Eine maßgebliche Rolle war einer verstärkten, eigenen Forschung der SS zugedacht. Sie sollte weitgehend durch das SS-Waffenamt, Technisches Amt, FEP (Glau), unter der Leitung von Schwab erfolgen, der daran arbeitete, zusätzlich zu seinen wenigen eigenen Kräften qualifizierte Wissenschaftler an Universitäten, Hochschulen usw. zu gewinnen. Die ab Ende 1943 einsetzenden „Kern“-Aktivitäten der SS, deutlich intensiviert nach dem 20. Juli 1944, sind leider nur bruchstückhaft überliefert. Bestenfalls lässt 487 Die Grothmann-Protokolle (wie Anm. 463). 488 Speer: Sklavenstaat, 203.
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sich ein nur schemenhaftes Bild zeichnen, zu dessen Aufhellung weitere, allerdings sehr schwierige Forschungen unerlässlich sind. Dennoch sollen an dieser Stelle die bisher bekannten und belegten Ereignisse zusammengefasst werden. Auf Hoffnungen, die Himmler mit schnellen Ergebnissen des Uranprojektes verband, deutet eine seiner überraschenden Äußerungen hin. Am 22. Juni 1944 verkündete der SS-Chef bei einer Besprechung im Elsaß, „daß durch die Fortschritte der Technik urplötzlich Sprengkörper auftauchen, deren Wirkung und Schnelligkeit unsere neuesten Sprengmittel der Vergeltungswaffe in den Schatten stellen“.489
Wenige Tage nach dem Putschversuch gegen Hitler verfasste der SD am 26. Juli 1944 einen Brief an Himmler. Darin kritisierten die Absender die mangelhaften Bemühungen des RFR zur Kernforschung. Sie schlugen die Ausarbeitung eines Planes vor, um diese Arbeiten wirksamer voranzutreiben. Es müssten baldigst Ergebnisse erzielt werden, die kriegswichtig seien und praktisch verwertet werden könnten.490 Im September 1944 musste sich Speer von Himmler die vorwurfsvolle Frage gefallen lassen, wie weit denn der Uranverein vorangekommen sei. In seiner Antwort vom 23. September 1944 verteidigte der Rüstungsminister die bisher unternommenen Forschungsanstrengungen. Er betonte nachdrücklich, die dafür vorhandene deutsche Basis sei unter den Bedingungen des Krieges „wesentlich schmaler als die unserer Gegner“.491 Mit Kritik hatte sich auch Gerlach auseinanderzusetzen. Nach der Übernahme des Amtes als „Bevollmächtigter für kernphysikalische Fragen“ erreichten ihn Vorwürfe, die Atomforschung werde nicht energisch genug betrieben. Garniert war dies mit allerlei „Erfindervorschlägen“, die ähnliches suggerierten. So wandte sich im Dezember 1943 der in Dresden tätige Wissenschaftler Dr.-Ing. Werner Mialki (*1906) an den Präsidenten des RFR, Reichsmarschall Göring. Ihm unterbreitete er den Plan zum Bau einer „Angriffswaffe“, einer Bombe aus reichlich vier Tonnen Uranoxyd. Zugleich empfahl er die Bildung eines „Führungsstabes zur Kontrolle der kernphysikalischen Forschung“, da die Fortschritte auf diesem Gebiet unbefriedigend seien. Gerlach konterte verärgert, bezeichnete die Vorschläge als „naiv“ und verwies auf die „regelmäßigen“ Absprachen mit den drei Wehrmachteilen sowie der Waffen-SS. Außerdem ließ er unter Bezug auf die von ihm angefertigten „Kernphysikalischen Berichte“ wissen: „Insbesondere ist ein hervorragender Ingenieur der Wehrmacht (Marine) in den engeren Arbeitskreis entsandt und auch von anderer Seite ist das ingenieurmäßige Problem eines UBrenners theoretisch auf breiter Basis bearbeitet worden.“ Die Bildung eines „Führungsstabes“ lehnte Gerlach ab.492 Im November 1944 war Gerlach einer erneuten Anfeindung ausgesetzt. Ein SS-Ingenieur Matzka offerierte seinen Entwurf für den Bau einer Uranbombe, 489 490 491 492
Zitiert ebd., 223. Rose: Heisenberg (wie Anm. 485), 220. Speer: Sklavenstaat, 223. NARA, RG 319, Alsos/RFR Files, Box 16, RFR 103 H. Kopien dieser Dokumente wurden dem Autor von Rainer Karlsch zur Verfügung gestellt.
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dessen allgemeiner Grundgedanke durch „Kontakte zu Kernphysikern in Wien“ entstanden sei. Dieser Vorschlag erreichte schließlich Mentzel, der ihn zur Stellungnahme an Gerlach weitergab. Dessen Urteil lautete, knapp zusammenfassend: „Die entwickelten Ideen berühren in vielen Punkten sehr eng unser U-Vorhaben. Es sind richtige und unrichtige Vorstellungen darin enthalten“.493 Dazwischen lagen zahlreiche Absprachen von Spengler und Fischer mit Gerlach. Anfang August 1944 bat z. B. Fischer bei Gerlach um einen Terminvorschlag, da sein Chef „SS-Standartenführer Dr. Spengler, der an naturwissenschaftlichen Fragen außerordentlich interessiert ist“, den Wunsch habe, sich einmal mit Gerlach über den Einsatz der Forschung im Kriege zu unterhalten.494 Am 16. September 1944 teilte ein Adjutant Himmlers mit, dass der Reichsführer bereit sei, „Herrn Professor Schumann möglichst bald zu einer Rücksprache zu empfangen“. SS-Obergruppenführer Jüttner solle dies regeln.495 Zum Inhalt der Gespräche der SS mit Gerlach bzw. Schumann gibt es leider keine Überlieferungen. Ende 1944 kam es zur Bildung der Wehrforschungsgemeinschaft (WFG), dem ein Wissenschaftlicher Führungsstab zugeordnet wurde. Den Organisationsplan für dieses Gremium, das „Hitler persönlich beraten, militärische und zivile Wissenschaftler koordinieren und eng mit dem Speer-Ministerium zusammenarbeiten sollte“, habe – laut Rose – Fischer entworfen. Gleich ob dies zutrifft oder nicht, die Präsenz der SS war unverkennbar: Die Teilnehmerliste der Zusammenkunft dieses „Wissenschaftlichen Führungsstabes“ vom 17. November 1944 enthält u. a. die Namen Blome, Graue, Gerlach, Hensel, Lattemann, Mentzel, Osenberg, Sievers, Schneider, Spengler, Schumann, Schwab, Schreiber und Thiessen. Die SS war also mit Lattemann, Mentzel, Osenberg, Schwab, Sievers und Spengler und anderen Chargen stark vertreten.496 Vom stetig steigenden Interesse des SD an der Kernphysik zeugt auch die am 9. November 1944 geäußerte Bitte des SD-Führers in Straßburg an Weizsäcker, „baldmöglichst meiner Dienststelle einen kurzen Situationsbericht über die augenblickliche Lage der theoretischen Physik, ihre Betreuung durch die staatlichen und politischen Stellen und ihre Einsatzmöglichkeiten für die so genannte Wehrforschung zu geben“.497
Sievers vertraute seinem Tagebuch 1944, jeweils ohne nähere Erklärung, an: „14. 04., Neutronenversuche; 18. 04., Neutronenversuche Dr. Blome; 26. 04., über Neutronenversuche persönlicher Vortrag bei Himmler erbeten; 27. 04., Radium beschaffen, Dr. Graue“.498
493 Rose: Heisenberg (wie Anm. 485), 218. 494 Fischer an Gerlach (Eingangsstempel Gerlachs 13. August 1944), BAB, R 26 III/443, Bl. 166. 495 SS-Standartenführer Brandt am 16. September 1944 an SS-Gruppenführer Hilgenfeld, BAB, NS 19/2068, Bl. 1. Der in diesem Dokument genannte Bericht vom 8. September 1944 ist in diesem Bestand nicht überliefert. Karlsch: Hitlers Bombe, 195, weist darauf hin, dass diese Aussprache „unmittelbar vor der wichtigen Tagung der Hohlladungsspezialisten in Gottow“ stattfand. 496 Rose: Heisenberg (wie Anm. 485), 224 f.; Maier: Forschung als Waffe, 668–674. 497 SD-Führer Straßburg (III, C Nat. f. 3) vom 9. November 1944 an Weizsäcker, z. Zt. Hechingen/Sigmaringen, DM, SI, Bl. 291154.
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Das T-Amt unter Schwab verfügte wahrscheinlich Ende 1944 über etwas Uran und auch schweres Wasser.499 Vor allem an schwerem Wasser war die SS stark interessiert. Darauf machte Speer aufmerksam. SS-Brigadeführer Otto Ohlendorf, Chef des SD-Amtes III und damit der Vorgesetzte von Spengler und Fischer, „mischte sich mit einem Schreiben vom 25. 1. 1945 massiv in die Atomforschung ein“. Er beschuldigte Speer, dieses Gebiet viele Jahre vernachlässigt zu haben. Vor allem der Bau einer Schwerwasseranlage sei nicht erfolgt. Der Rüstungsminister schmetterte auch diesen Angriff „kühl“ ab und beschied den SD-Offizier, dass es wegen des Krieges nicht möglich sei, trotz aller Forderungen der Kernphysik, das Bauvorhaben SH 220 (Bezeichnung der Schwerwasseranlage) zu beginnen.500 Zwei Tage zuvor hatte Berkei einen Brief an Gerlach geschrieben. Darin teilte er ihm mit, Dr. Krafft (= Dr. Kraft) vom Reichswirtschaftsministerium habe angerufen, da die SS um Zuteilung von Radium bat, aber den Verwendungszweck nicht nannte. „Dafür sind die durchzuführenden Arbeiten aber sehr geheim und von höchsten Dienststellen angeordnet“. Berkei habe Krafft geantwortet, auch ihm sei von diesen Arbeiten nichts bekannt.501 Noch am 2. April 1945 wurde Harteck von Schwab ersucht, es einem SS-Offizier zu ermöglichen, sich am Hamburger Institut in die Schwerwassergewinnung einzuarbeiten.502 Beachtung verdient auch die Bemerkung Grothmanns zu Naturwissenschaftlern, die bei der SS tätig waren oder für sie „unter Vertrag“ standen. Tatsächlich gab es eine Reihe von Physikern und Mathematikern, auf die das zutrifft. Bekannt sind bisher zum Beispiel: Dr. Uwe Timm Bödewadt (Mathematiker, zuletzt als „Schlüsselkraft“ bei der SS-Versuchsanstalt Großendorf/Westpreußen), SSHauptsturmführer Dr. Heinz-Peter Brodersen (Physiker, Nachrichtenspezialist, zuletzt Vertreter von Schwab in Glau), SS-Unterscharführer Dr. Günter Bullig (Mathematiker, 1943 in Glau, 1944 Lehrbefugnis für Mathematik, Universität Hamburg), SS-Obersturmführer Dr. Matthias Nacken (Physiker, Röntgenspezialist, tätig in Glau, zeitweise Zusammenarbeit mit Kirchner, Universität Köln) oder SS-Obersturmführer Dr. Johannes Juilfs (Theoretische Physik, I. Physikalisches Institut Universität Berlin, 1944/45 Forschungen zur Höhenstrahlung und „physikalische Arbeiten für die Waffen-SS“ an der Universität Rostock). Von einigen dieser Wissenschaftler wird noch zu berichten sein, da sie bei anderen Projekten für WaF tätig waren oder mir dem HWA in anderer Weise in Verbindung stan-
498 Tagebuch Sievers’, Eintragungen vom April 1944, BAB, NS 21/11. In seinem Bericht (wie Anm. 476), schrieb Gerlach: „Im KWI Berlin-Buch, in Paris (Lazarett Nordbahnhof), in München (KWI für Psychiatrie) und Berlin (Prof. Heubner) sind medizinische und biologische Untersuchungen mit Neutronen im Gange.“ Ob ein Zusammenhang mit Sievers’ Notizen besteht, ist nicht bekannt. 499 Hoffmann: Operation Epsilon, 175. 500 Speer: Sklavenstaat, 224; Speer am 29. Januar 1945 an Ohlendorf, BAB, R 3/1593, Bl. 101. 501 Berkei am 23. Januar 1945 an Gerlach, BAB, R 26 III/446, Bl. 23 f. Zu Kraft vgl. R 3101/32364, Bl. 22. 502 Rose: Heisenberg (wie Anm. 485), 222.
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den.503 Schwab selbst unterhielt Kontakte zu Prof. Dr. Hugo Stintzing, Direktor des Instituts für Röntgenphysik und Röntgentechnik der TH Darmstadt, den er „seit langem persönlich kannte“ und wegen „Materialprüfung mit künstlichen Gammastrahlen“ konsultierte.504 Zu den genanten Wissenschaftlern ist bisher, ebenso wie bei weiteren Forschern mit SS-Verbindungen, so gut wie gar nicht bekannt, welche Aufträge der SS sie realisierten – eine schwierige Aufgabe für weitere historische Untersuchungen. Das betrifft auch Einzelheiten der Arbeiten des Technischen Amtes VIII, FEP unter der Führung von Schwab.505
Letzte Kernaktivitäten Im Dezember 1944 war eine eigenartige Situation entstanden. Schumann und Trinks durften, wie bereits erwähnt, ihr Bombenkonzept nicht weiter verfolgen. Schumann schrieb dazu rückblickend: „Es war 1944/45 nicht mehr möglich, die bereits vorbereiteten Versuche durchzuführen, denn vom damaligen Minister für Bewaffnung und Munition wurden derartige Versuche nicht unterstützt, ja sogar verboten.“506
Diebner war mit dem größten Teil seiner Mitarbeiter nach Thüringen ausgewichen. Seine durch einige andere Physiker verstärkte Gruppe versuchte in der Mittelschule von Stadtilm die Arbeiten an einem Uranreaktor weiterzuführen. Rüstungsminister Speer hatte Gerlach mitgeteilt, dass er der „Forschung auf dem Gebiet der Kernphysik eine außerordentliche Bedeutung“ beimesse und den Fortgang mit großer Erwartung verfolge. Gleichzeitig sicherte er jedwede „Unterstützung zur Überwindung von Schwierigkeiten, die die Arbeiten hemmen“, zu.507 Wahrscheinlich bestanden bereits zu dieser Zeit enge Arbeitskontakte von Diebner und Gerlach mit Himmlers SS. Grothmann berichtete, er habe mindestens zweimal einen Termin für Gerlach bei Himmler vereinbart: „Gerlach galt als Kapazität auf dem Atom-Gebiet und Himmler hatte angeordnet, dass er jede nur mögliche Unterstützung erhalten sollte, was bestimmt auch geschehen ist“. Während Gerlach die Federführung innehatte, organisierte Diebner, der jetzt zwei Arbeitsgruppen betreut habe, die Details.508 Nach und nach fanden sich in Thüringen, vor allem in Stadtilm und Ronneburg, weitere Kernforscher ein, die infolge der Kriegsereignisse in diese Region 503 Zusammengestellt nach Angaben in BAB: BDC, Akten RFR (R 26 III) sowie anderen Archivalien. 504 Osenberg am 16. November 1944 an Gerlach und Schwab, BAB, R 26 III/515. 505 In den Unterlagen BAB, RFR (R 26 III) sowie anderen Archivalien werden weitere SS-Wissenschaftler genannt, über deren Tätigkeit im Auftrag der SS (und Identität) noch weitgehend Unklarheit herrscht, z. B. zu Dr. Findeisen, Dr. Maaß oder Prof. Specht. 506 Schumann am 2. April 1948 an Telschow (wie Anm. 484). 507 Speer am 19. Dezember 1944 an Gerlach, BAB, R 3/1579, Bl. 75. 508 Die Grothmann-Protokolle (wie Anm. 463).
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II. Experimente
gelangt waren. Dazu zählten Beuthe, Weiss und Houtermanns (in Ronneburg), Angehörige der Technischen Hochschule Berlin wie Dr. Helmut Volz, Dr. Luise Schützmeister und Dr. Erika Leimert (in Stadtilm). Im Februar kam auch Dr. Otto Haxel, der schon seit geraumer Zeit als Kernphysiker für die Marine tätig war, nach Stadtilm.509 Ebenfalls im Dezember hatte der RFR die Firma DEGUSSA ersucht, die „Frankfurter Spezialmetall-Apparatur“ zur Erzeugung von metallischem Uran nach Rheinsberg zu verlagern. Kurz vor Weihnachten 1944 erschien Diplomingenieur Seeger, Berkeis Schwiegervater, im Frankfurter Werk Gutleutstraße und transportierte umfangreiche Gerätschaften auf einem Lastzug nach Zechlin (bei Rheinsberg). Drei Wochen später besprachen Berkei, Seeger und Schlottau in Grünau (Berlin) den Abtransport der dort befindlichen Anlage zur Uranproduktion – ebenfalls nach Rheinsberg. Nachdem man festgestellt hatte, dass die Räumlichkeiten in Rheinsberg ungeeignet waren, gelangte die Apparatur nach Stadtilm. Hier befand sich bereits die „kleine Stalinorgel“, eine Versuchsanlage zur Erzeugung von schwerem Wasser.510 Noch Mitte Januar 1945 ging beim RFR zur Bestätigung durch die Kriegswirtschaftstelle eine Bestellung aus Stadtilm zur Lieferung eines „Hochstromtrafo und Reglertrafo, Fabrikat Koch & Sterzel, Dresden“ ein.511 Auch andere Ereignisse belegen, dass Thüringen in den letzten Kriegsmonaten einer der wichtigsten Konzentrationspunkte der Kernforschung für militärische Zwecke wurde. Diebner reiste z. B. zu „Besprechungen mit Firmen zwecks Ankauf wichtigen Rüstungsmaterials“ nach Norwegen. Man geht bestimmt nicht fehl in der Annahme, dass es dabei um die Beschaffung von schwerem Wasser ging. Gerlach teilte am 11. Dezember 1944 Prof. Schütz, Königsberg, mit, dass er dringend Werkzeugmaschinen benötige. Schütz solle alles Entbehrliche sofort nach Stadtilm schicken. Mitte Februar 1945 schrieb Gerlach zahlreiche Physikalische Institute von Universitäten/Hochschulen an. Er bat darum, ihm schnellstens Berichte über vorhandene Kernforscher, Forschungsmöglichkeiten, befähigtes Personal usw. zuzusenden.512 Karlsch verweist in „Hitlers Bombe“ auf weitere „hektische Aktivitäten von Gerlach, Haxel und Diebner“, die hier keiner näheren Erläuterung oder Wiederholung bedürfen.513
509 vgl. u. a. Nagel: Atomversuche, 127–134; Lebenslauf Haxels, UA Freiburg, B 15, Nr. 296; Karlsch: Hitlers Bombe, 211 f. 510 Mitteilung der Auer-Gesellschaft vom 20. Januar 1945: Spezialmetall-Verlagerung Rheinsberg, AMPG, I. Abt., Rep. 34, Nr. 62; Aktennotiz Dr. Völkels vom 17. März 1945: Ausweichanlage für Spezialmetall und Thorium, AMPG, I. Abt., Rep. 34, Nr. 65 D, Bl. 8 f.; Brief vom 24. November 1944 an Diebner, DM, Atomdokumente, wiedergegeben bei Nagel: Atomversuche, 332. 511 Schreiben vom 18. Januar 1945 an RFR, Ing. Schlottau, DM, G 341/2 (Ordner). 512 Antrag Gerlachs vom 12. Januar 1945 zur Erteilung von Devisen für Diebner, AMPG, I. Abt., Rep. 34, Nr. 23 c-2, Bl. 15; Telegramm Gerlachs vom 10. Dezember 1944 an Schütz, BAB, R 26 III/448; Bericht der Universität Jena vom 8. März 1945 an Diebner (in Stadtilm), BAB, 26 III/276. 513 Karlsch: Hitlers Bombe, 209–215.
9. Kernphysik
211
In dieser letzten Phase des Uranprojektes spielte noch eine andere Arbeitsgruppe eine größere, bislang kaum beachtete Rolle: Das nach Garmisch-Partenkirchen verlagerte Team um Prof. Kirchner vom Physikalischen Institut der Universität Köln. Während Gerlach in seinem Voranschlag für das Rechnungsjahr 1944/45 noch Aufträge für 20 Institute/Einrichtungen sowie etwa fünf Firmen (mit einem Gesamtwert von 3.657.900 RM – davon 50.000 RM für Diebner in der Vers. Gottow!) planen konnte, sah die Lage Ende Februar 1945 gänzlich anders aus. Jetzt musste Gerlach die Zahl der Arbeitsgruppen des Vorhabens „Energiegewinnung aus Kernprozessen“ entsprechend einem Führererlass vom 31. Januar 1945 drastisch reduzieren. Unter den „leitenden“ Arbeitsgruppen, denen jetzt „voller Schutz“ zu gewähren sei, befanden sich neben denen in Stadtilm, Haigerloch und Hamburg sowie an einigen anderen Orten auch die Arbeitsgruppen Stetters in Wien sowie die Kirchners in Garmisch-Partenkirchen.514 Der Umzug der Kölner nach Garmisch vollzog sich im Herbst 1944, nachdem dort in einer als Rohbau stillgelegten Neubauanlage die erforderlichen Umbauten absolviert waren und die Aufstellung der Hochspannungsanlage erfolgen konnte. Zur Durchführung „kriegswichtiger Aufgaben besonderer Dringlichkeit“ hielt sich Gerlachs Assistent Dr. Hans Barth für mehrere Monate in Garmisch auf. Mitte März hatte Gerlach in München ein ausführliches Gespräch mit Riezler zum Stand der Arbeiten in Garmisch. Dabei ging es vor allem um Zählwerke, die dringend benötigt würden, um ein starkes Radiumpräparat sowie 100 kg Paraffin, mit denen Hülsmann unterwegs sei. Gerlach hielt es „für sehr vorteilhaft, wenn Prof. Jensen eine Zeit lang nach Garmisch ginge“. Außerdem sollte ein eigener Auftrag an Riezler zur „Neutronenstreuung“ gegeben und dafür Geld bewilligt werden, ebenso für Kirchner. Gerlach bedauerte, dass wichtige Teile der van-de-GraaffAnlage noch nicht in Garmisch angekommen seien. Am 4. April 1945 holte der Dipl.-Physiker Alfred Böll, tätig am Physikalischen Institut der Universität Köln, bei Gerlach in München ein Radium-Präparat für die AG in Garmisch ab.515 Man fragt sich natürlich, wozu die genannten Materialien in Garmisch benötigt wurden, auch deswegen, weil in den dortigen Laborräumen offenkundig Uranmetallstücke zugeschnitten wurden. Bereiteten Riezler und Kirchner etwa einen Reaktorversuch vor? Der Transport von Uranoxid, Paraffin und schwerem Wasser bei der Flucht der Diebner-Gruppe nach Bayern (vgl. Kapitel 20, Bericht Hülsmann) verstärkt natürlich einen derartigen Verdacht.516 514 Die beiden Dokumente sind wiedergegeben bei Nagel: Atomversuche, 312–315. 515 UA Köln, Zug. 44/466, Bericht Kirchners vom 22. September 1945 (wie Anm. 393); Telegramm Gerlachs vom 19. Dezember 1944, BAB, R 26 III/515; Aktennotiz Gerlachs vom 15. März 1945, BAB, R 26 III/515. Bei Jensen handelt es sich um den Kernphysiker Prof. Dr. Johannes Jensen (1907–1973), bis Juni 1941 in Hamburg bei Harteck, danach Direktor des Instituts für theoretische Physik der TH Hannover, Mitglied des Uranvereins, der für die WaF zwischen 1940 und 1943 acht Arbeiten realisierte, vgl. u. a. BAB, R 26 III/8, Karteikarte Jensen. Quittung Bölls über Empfang Radium-Präparat, R 26 III/439 a, Bl. 202. 516 Zur Tätigkeit der Arbeitsgruppe Kirchner/Riezler führte der Filmautor Manuel Brückl in Garmisch umfangreiche Recherchen durch, wobei er u. a. auf die Uranmetallbearbeitung stieß. Er gestattete die Einsichtnahme in sein Material.
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II. Experimente
Im März 1945 kam es dann in Thüringen zu den von Karlsch beschriebenen Kernwaffentests. Neben zahlreichen Indizien bezieht er sich vor allem auf zwei Berichte der Militäraufklärung (GRU), die von einer als zuverlässig beurteilten Quelle aus Deutschland stammten. Darin heißt es im ersten Bericht (15. November 1944): „Die Deutschen sind im Begriff, Tests einer neuen Geheimwaffe mit großer Zerstörungskraft durchzuführen. Unter strengster Geheimhaltung werden in Thüringen Versuchsexplosionen von Bomben ungewöhnlicher Konstruktion vorbereitet.“
Der Chef von GRU, Generalleutnant Ivan I. Iljitshov, merkte dazu an: „In den letzten Monaten berichteten unsere Quellen wiederholt von den fieberhaften Versuchen der Deutschen, immer stärkere Waffen und Mittel für deren Transport zum Ziel zu testen. Vermutlich stellen gerade diese Experimente einen Versuch der Deutschen dar, Tests mit einer Atombombe durchzuführen, über deren Existenz wir bisher nur unvollständige, lückenhafte Angaben haben.“
Im zweiten Bericht (23. März 1945) wurde gemeldet: „In der letzten Zeit haben die Deutschen in Thüringen zwei große Explosionen durchgeführt. Sie fanden in einem Waldgebiet unter strengster Geheimhaltung statt. Vom Zentrum der Explosion wurden Bäume bis zu einer Entfernung von 500 bis 600 m gefällt. Für die Versuche errichtete Befestigungen und Bauten wurden zerstört. Kriegsgefangene, die sich im Explosionszentrum befanden, kamen um, wobei häufig von ihnen keine Spuren blieben. Andere Kriegsgefangene, die sich in einigem Abstand zum Zentrum der Explosion aufhielten, trugen Verbrennungen an Gesicht und Körper davon, deren Grad von der Entfernung zum Zentrum abhing … Die Bombe enthält vermutlich U 235 und hat ein Gewicht von 2 t. Sie wurde auf einem speziell dafür konstruierten Flachwagen transportiert. Mit ihr zusammen wurden Tanks mit flüssigem Sauerstoff gebracht. Die Bombe wurde permanent von 20 SS-Männern mit Hunden bewacht. Die Bombenexplosion wurde von einer starken Detonationswelle und der Entwicklung hoher Temperaturen begleitet. Außerdem wurde ein starker radioaktiver Effekt beobachtet. Die Bombe stellt eine Kugel mit einem Durchmesser von 130 cm dar.“517
Zur Konstruktion der Bombe wurde folgende Beschreibung gegeben: „Sie besteht aus Einer Hochspannungsentladungsröhre, die ihre Energie von speziellen Generatoren bezieht Einer Kugel aus metallischem Uran 235 Einem Verzögerer Einem Schutzkasten Dem Sprengstoff Einer Detonationsanlage Einem Stahlmantel Alle Teile der Bombe werden ineinander montiert.“518
517 Zitiert nach Karlsch: Hitlers Bombe, 220 f. 518 Zitiert nach Rainer Karlsch: Hitlers Bombe – Was steht eigentlich zur Diskussion?, in: Geheimnis Jonastal, Vereinszeitschrift der Geschichts- und Technologie-Gesellschaft Großraum Jonastal e.V., Nr. 6, August 2006, 12. Karlsch macht in diesem Beitrag nachdrücklich darauf aufmerksam, dass es nicht um den Test einer Kernspaltungsbombe, sondern um eine Kernfusion geht.
10. Ballistik und Leichtgeschütz
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Von dem gelungenen Test Anfang März wurde Himmler unverzüglich unterrichtet. Der Reichsführer SS ließ sich genau Bericht erstatten und verband mit dem Einsatz dieser „alles entscheidenden Waffe“ große Hoffnungen.519
10. BALLISTIK UND LEICHTGESCHÜTZ Die Ballistik – die Wissenschaft von der Bewegung geworfener oder abgeschossener Flugkörper (Geschosse) – stand seit jeher im Mittelpunkt des Interesses aller Waffentechniker. Aus einer ursprünglich lediglich von empirischen Beobachtungen lebenden Lehre war ab dem Ende des 19. Jahrhunderts schnell ein Gebiet erwachsen, das mehr und mehr von Grundlagenforschung durchdrungen und bestimmt wurde. Der Masseneinsatz von Schusswaffen aller Art während des Ersten Weltkrieges stellte neue, bislang unbekannte Forderungen an die Klärung der auftretenden physikalischen Vorgänge sowie an das Verhalten des Geschosses während des Fluges. Als Pionier und Schöpfer der modernen Ballistik des 20. Jahrhunderts gilt allgemein Prof. Dr. Carl Cranz (1858–1945), der 1883 mit einer Arbeit zur Ballistik promovierte. Der Physiker wurde 1903 Professor an der Militärtechnischen Akademie Berlin und hatte dort bis 1920 die Leitung des Ballistischen Labors inne. Viele seiner Schüler, „erfreulicherweise eine große Zahl von Offizieren des Beurlaubtenstandes, vor allem Mathematiker von Beruf und Ingenieure, [begannen sich] mit ballistischen und schießtechnischen Fragen eingehender zu befassen“.520
Zu ihnen gehörten auch der am Entstehen des Lehrbuches von Cranz beteiligte spätere General Karl Becker sowie Prof. Dr. Theodor Vahlen (1869–1945). Vahlen war Mathematiker und Ballistiker. Von 1914 bis 1918 diente er als Batterieund Abteilungsführer an verschiedenen Fronten. 1922 erschien sein Werk „Ballistik“. Es stellte die erste Veröffentlichung dar, in der die Erfahrungen des Weltkrieges umfassend ausgewertet wurden. Becker gab gleich nach dem Erscheinen eine grundlegende kritische Besprechung. 1941 erlebte das Buch von Vahlen seine 2. Auflage. Eine 3. Auflage war geplant. Vahlen blieb zeit seines Lebens – was allerdings kaum bekannt ist – dem HWA eng verbunden. Aus Anlass seines 75. Ge519 Rainer Karlsch: Was geschah im März 1945? Dokumente und Zeugenaussagen zu den Tests auf dem Truppenübungsplatz Ohrdruf, in: Karlsch, Petermann (Hg.): Für und Wider, 15–48, insb. 29–34. Die sehr heftig geführte Auseinandersetzung nach dem Erscheinen des Buches von Karlsch Hitlers Bombe war Anlass für die Erarbeitung dieses Sammelbandes, der auch neue Belege für die Versuche mit einer kernphysikalischen Waffe lieferte, bzw. aus verschiedener Sicht die Möglichkeit ihrer technischen Realisierbarkeit unterstrich. 520 Karl Becker: Ballistik (Rezension des Buches von Theodor Vahlen: Ballistik, Berlin 1922), in: Technik und Wehrmacht 1922, 219. Zu Cranz insb.: Viktor v. Niesiolowski-Gawin: Fünfzig Jahre ballistische Forschung. Carl Cranz zum siebzigsten Geburtstage am 2. Januar 1928, in: Die Naturwissenschaften 16 (1928), 269–280; Rudolf Rothe: Die Entwicklung der Ballistik seit Anfang des Jahrhunderts, insbesondere durch das Wirken von Carl Cranz, in: Technikgeschichte 27 (1938), 41–47.
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II. Experimente
burtstages wurde er Mitte 1944 dem Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung zur Auszeichnung mit dem „Adlerschild des Deutschen Reiches“ vorgeschlagen. Leeb und Schumann hatten dazu inhaltlich abgestimmte Begründungen verfasst. Schumann vertrat, in seiner Eigenschaft als Leiter der Abteilung Wissenschaft, das Oberkommando der Wehrmacht. In seinem Schreiben hieß es zusammenfassend zu Vahlen: „Durch seine Beiträge zum Aufbau der modernen Ballistik hat er die Grundlagen der modernen Waffentechnik mit geschaffen und sich besondere Verdienste um die deutsche Wehrmacht erworben.“
Leeb hob namens des OKH in seinem Vorschlag hervor: „Die Anregungen, die er in dieser ersten systematischen Darstellung der Ballistik gab [Buch von 1922, G. N.], haben die gegenwärtige wissenschaftliche Ballistik außerordentlich befruchtet. Auf diese Weise hat er mit dazu beigetragen, die Grundlagen der modernen Waffenforschung zu schaffen und sich somit besondere Verdienste um die deutsche Wehrmacht erworben. Im Jahre 1942 wurde er zum Mitglied des Forschungsbeirates des Heereswaffenamtes ernannt und konnte bei den Beratungen und Vorführungen auf den Versuchsplätzen aus dem reichen Schatz seiner mathematischen und ballistischen Erkenntnisse wertvolle Hinweise und Anregungen geben.“
Die Ministerialbürokratie im REM erbat sich dazu telefonisch ein zusätzliches Urteil und bekam vom Dekan der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Berlin, Prof. Bieberbach, zu hören, „daß auf Grund der wissenschaftlichen Leistungen eine so hohe Auszeichnung des Prof. V. nicht berechtigt ist“.521
Dieser „Vorgeschichte“ wurde hier deshalb ein etwas größerer Raum gewährt, weil sie auf eine Besonderheit der ballistischen Forschung aufmerksam macht. Mit ballistischen Fragen befassten sich nämlich beim HWA die meisten Prüfabteilungen, besonders Prüf 1 (Ballistik und Munition), Prüf 2 (kleinkalibrige Waffen) und Prüf 4 (großkalibrige Waffen). Ebenso wurde in den anderen Wehrmachtsteilen umfangreich zur Ballistik geforscht.522 Hinzu kam, dass sich die Ballistik traditionell bei 521 Vorschläge des OKW AWA/W Wiss und des OKH, WaF V vom Juni 1944 unterschrieben von Schumann und Leeb, BAB, BDC, DS 8000 A 71, Bl. 3243–3247. Eine eingehende Studie zu Vahlen, die sowohl seine wissenschaftliche Arbeit als auch seine politische Haltung zum Dritten Reich untersucht (allerdings ohne Berücksichtigung der hier neu zitierten Dokumente), wurde vorgelegt von Reinhard Siegmund-Schultze: Theodor Vahlen – Zum Schuldanteil eines deutschen Mathematikers am faschistischen Missbrauch der Wissenschaft (darin auch Hinweise zum Verhältnis Vahlen–Bieberbach), in: NTM 21 (1984) Heft 1, 17–32. Vgl. auch Wolfram Fischer, Rainer Hohlfeld, Peter Nötzold (Hg.): Die preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1914–1945, Berlin 2002, 91–117. Nach dem Abschied aus seinen Ämtern (Mitte 1943) schrieb der zuletzt in Prag lebende Vahlen (im Range eines Brigadeführers der SS) am 21. Oktober 1944 seinem Reichsführer Himmler einen kurzen, allerdings sehr verbitterten Brief. Darin beschwor er „die katastrophale Lage der Ballistik“ und forderte zugleich, deutsche Erfindungen, so wie es früher üblich war, mit Namen ihres Urhebers zu verbinden. Schwab, zu einer Stellungnahme aufgefordert, unterstützte Vahlens harsche Kritik. BAB, NS 19/3021, Bl. 2–5. 522 Ein herausragender Wissenschaftler bei Prüf 1 war z. B. Dr.-Ing. Hermann Athen (*1911). Er hatte 1936 promoviert und sich 1943 an der TH Aachen habilitiert. Ab 1936 war er beim HWA.
10. Ballistik und Leichtgeschütz
215
Mathematikern an Universitäten und Technischen Hochschulen einer großen Gunst erfreute. Nach der Gründung der Wehrtechnischen Fakultät (WTF) der TH Berlin (1935) entstand dort ein eigenes ballistisches Institut, an dem zahlreiche Nachwuchswissenschaftler für ihre Dissertation ballistische Forschungen betrieben.523 Aus nahe liegenden Gründen stand die Ballistik bei den Waffenfabriken und Rüstungsunternehmen hoch im Kurs. Auch hier wirkten anerkannte Fachleute. Nicht wenige Mitarbeiter dieser Firmen promovierten mit ballistischen Arbeiten an der TH bzw. Universität Berlin oder anderen Universitäten/Hochschulen.524 Durch mannigfaltige Beziehungen und Kontakte war WaF über diese Forschungen gut unterrichtet und beteiligte sich – wie noch im Einzelnen zu zeigen sein wird – intensiv an diesen Arbeiten. Wo es sich lohnte, wurden „Kriegsaufträge“ erteilt oder Doktoranden gemeinsam betreut. Falls notwendig, ließ sich Schumanns Abteilung Wissenschaft im OKW neue ballistische Arbeiten vorlegen und verfügte gegebenenfalls deren Geheimhaltung.525 Folglich konzentrierte man sich bei WaF darauf, stets die Gesamtentwicklung der Ballistik im Auge zu haben und eigene Forschungen auf sorgfältig ausgewählten Gebieten zu betreiben. Das machte auch deshalb viel Sinn, weil WaF nur über wenige sehr gute Wissenschaftler verfügte, die als Ballistiker tätig waren.
Von ihm stammen mehrere Veröffentlichungen zur Ballistik, z. B. ein 1941 erschienenes Lehrbuch. Für die FIAT-Berichte schrieb er den Beitrag Mathematische Außenballistik, Teil V, 1949. BA-MA, NL 625/38 und 79. Weitere namhafte Ballistiker waren u. a. Oberstleutnant Justrow, Oberst Dr. Schubert (vgl. Kapitel 1 und 2) und Dr.-Ing. Richard Emil Kutterer (*1904). Letzterer war ein Schüler von Cranz. Er arbeitete nach 1945 am Deutsch-Französischen Forschungsinstitut (vgl. Kapitel 21). Vgl. auch Buchbesprechungen zu Ahlen (Ballistik) und Kutterer (Ballistik), in: Zeitschrift für angewandte Mathematik und Mechanik, 22 (1942) Heft 5, 299 f. 523 Dissertationen an der TH Berlin zu ballistischen Themen: Theodor Rossmann: Kleinzeitmessungen mit großer Genauigkeit an schnell bewegten Körpern, insb. Geschossen, 3. Juli 1934, betreut von Cranz und Becker; Kurt Jochmann: Untersuchungen über die Schussweite eines Ferngeschützes, 4. Mai 1936, betreut von Rohde und Picht; Erwin Fehlberg (HWA seit 1936): Die beim Schießen gegen Luftziele durch ballistisch-atmosphärische Störungen auftretenden Sprengpunktsverlagerungen, 22. Mai 1942. Zahlreiche der an der WTF vorgelegten Dissertationen wurden als geheim eingestuft. Über ihren Inhalt ist kaum etwas bekannt. Andere Doktoranden der WTF verteidigten ihre Arbeiten zu ballistischen Themen an der Universität Berlin, so Che Pei Lo: Experimentelle Untersuchungen des Reibungswiderstandes am Infanteriegewehr (offen), angeregt und unterstützt von Cranz und Schardin, angenommen von Wehnelt und Laue, 6. Mai 1936. 524 Ein solcher, auch bei den Militärs hochgeschätzter Ballistiker war Dipl.-Ing. Joachim Strecke (*1911), Mitarbeiter bei den Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken (DWM), Lübeck. Er verfasste eine große Anzahl ballistischer Arbeiten für die DWM. Für die FIAT-Berichte schrieb er den Beitrag Mathematische Innenballistik (Bd. 7, Teil V, 187–209). Bei Krupp wirkte der Oberstleutnant und spätere Prof. O. v. Eberhard, ein Schüler von Cranz. Er schuf die ballistischen Grundlagen des Fernschießens mit schweren Geschützen bis zu 100 km (v. Niesiolowski-Gawin: Fünfzig Jahre ballistische Forschungen (wie Anm. 520). 525 Ende 1942 verteidigte z. B. Fliegerstabsingenieur Erich Zwarg an der TH Berlin seine Dissertation: Allgemeine innerballistische Berechnungsverfahren von Geschützen, betreut von Dr. Kömmnick. OKW W Wiss verfügte sofort die Einstufung als „geheim“. BAB R 4901/12849, Bl. 60.
216
II. Experimente
Der Hauptanteil der ballistischen Forschungen wurde in den Referaten von Glimm (F I c) und Schweikert (F IV) geleistet. Dazu kamen die Arbeiten von Klose. Entsprechend der damals üblichen Einteilung der Ballistik in innere Ballistik (Innenballistik), Zwischenballistik und äußere Ballistik (Außenballistik) wurden durch WaF in allen drei Bereichen Grundlagenarbeiten durchgeführt. Zunehmend beeinflussten die durch die Raketenentwicklung neu aufgeworfenen Fragen diese Forschungen (vgl. Kapitel 11).526
Innenballistik Von den auf diesem Gebiet im Referat Glimm hervorgetretenen Ballistikern ist vor allem Dr. Karl Heinz Bodlien (*1910) zu nennen. Er begann im Sommer 1926 an der Universität Berlin mit dem Studium der Mathematik, Physik und Chemie, wandte sich aber bald vollständig der Physik zu. Von 1936 bis 1938 gehörte er zur Abt. Physik der CTR, wo er, unterstützt durch ein Forschungsstipendium, die Versuche für seine Dissertation aufnahm. Diese Arbeit „Beitrag zur inneren Ballistik gezogener Gewehre unter besonderer Berücksichtigung der Reibungsvorgänge“ verteidigte Bodlien Mitte 1938 bei Wehnelt und dem bekannten Ballistiker Erwin Bollé (1877–1938). Beide Gutachter bescheinigten dem Doktoranden experimentelles Geschick, großen Fleiß sowie eine sorgfältige Auswertung der bei den Versuchen gemachten Aufnahmen und durchgeführten Präzisionsmessungen. Ihr Fazit lautete: „Durch die Untersuchungen des Verfassers ist sowohl in methodischer Hinsicht wie in den experimentellen Ergebnissen ein wertvoller Fortschritt und eine Aufklärung in schwierigen Fragen der inneren Ballistik erzielt worden.“527
Ab Anfang 1939 wurde die Arbeit in mehreren Folgen in der führenden Fachpublikation „Zeitschrift für das gesamte Schieß- und Sprengstoffwesen“ veröffentlicht. Darin betonte der Autor die „Wichtigkeit des Reibungsproblems für die innere Ballistik und die Waffentechnik“. Es sei seine Absicht, „mit Hilfe dieser Ergebnisse eine kritische Prüfung einiger innenballistischer Formelsysteme auf ihre praktische Brauchbarkeit vorzunehmen“. Zugleich zeigte er berechtigt auf die damals noch bestehenden großen experimentellen Schwierigkeiten, um im Detail 526 Die Einteilung der Ballistik in Innen-, Zwischen- und Außenballistik war zwar seinerzeit allgemein üblich, jedoch nicht unumstritten. Ludwig Hänert rechnete die Vorgänge beim Geschossaustritt aus dem Lauf zur Innenballistik, in: Geschütz und Schuß – Eine Einführung in die Geschützmechanik und Ballistik, 3. Aufl. Berlin 1940; ebenso Hans-Hermann Kritzinger, Friedrich Stuhlmann (Hg.): Artillerie und Ballistik in Stichworten, Berlin 1939, 21, 26-29, 75, 159. Th. Rossmann hatte den Begriff Lafettenballistik eingeführt: Ballistik auf dem Schießplatz, in: Schardin (Hg.): Beiträge zur Ballistik (wie Anm. 298), 91–101, insb. 96–98. Vahlen: Ballistik (wie Anm. 520) unterschied innere Ballistik, Übergangsballistik, äußere Ballistik und Endballistik, während Schardin (Bevollmächtigter für Ballistik) in seinem Bereich drei Arbeitskreise gebildet hatte: innere, äußere und Endballistik. BAB, R 26 III/49, Bl. 29. 527 Promotionsunterlagen Bodlien, AHUB, Phil. Fak., Bd. 137, Bl. 1–19, BAB, BDC zu Bodlien; Zeugnis M. Rimarskis, CTR, 5. Mai 1938, BA-MA, NL 625/79, Buchstabe B.
10. Ballistik und Leichtgeschütz
217
herauszufinden, wie sich die „Reibung in den Flächen zwischen Feldern und Zügen zusammensetzt, [was] gerade bei den Handfeuerwaffen von wesentlicher Bedeutung ist“. Bodlien hatte sich gründlich mit den bisher angewandten Untersuchungsmethoden von Cranz, Schardin, Hänert u. a. Wissenschaftlern auseinandergesetzt und auch die neuen Dissertationen berücksichtigt, die kurz vor ihm an der TH entstanden waren. Das versetzte ihn auch in die Lage, eine neue Versuchsanordnung zu entwickeln.528 Kurz nach Vollendung seiner Dissertation trat Bodlien der Forschungsabteilung bei und nahm seine Tätigkeit im Referat Glimm auf. Dort wandte er sich bald einer neuen Thematik zu, dem Leichtgeschütz, von dem unten zu berichten sein wird. Bei den Forschungen zur Innenballistik setzte Glimm von Beginn an auf eine enge Zusammenarbeit mit der TH Berlin, vorrangig mit Dr. Joachim Kömmnick (*1908). Dieser Wissenschaftler hatte 1932 an der Berliner Universität bei Wehnelt und Nernst seine Dissertation verteidigt.529 Anschließend arbeitete er am „Institut für Technische Physik“ der TH Berlin. Hier begann er 1937 mit innenballistischen Forschungen über den Gasdruck im Gewehr, unterstützt durch eine Summe von 11.100 RM, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellt hatte. Kömmnick entwickelte verschiedene Apparaturen zur Messung des Gasdruckes bzw. baute bereits vorhandene Geräte entsprechend um. Gleichzeitig begann er mit Versuchen zum Raketenantrieb, um „bei einem Rückstoßantrieb Druck und Kraft“ zu messen. Auch dazu konstruierte Kömmnick, zusammen mit zwei Diplomanden, eine besondere Apparatur.530 Bei diesen Vorrausetzungen kann es kaum verwundern, dass Kömmnick bei der Gründung der WTF die geforderte Begründung für das vorgesehene „Institut für technische Physik und Ballistik der Wehrtechnischen Fakultät“ schrieb. Seine Denkschrift kritisierte, dass die „Wehrindustrie die Forschungstätigkeit mehr und mehr übernommen hat“, jedoch eine Forschung auf dem Gebiet der Ballistik durch staatliche Einrichtungen „nur recht bescheiden“ erfolge. Vor allem in der „durch den Zwang der Verhältnisse bedingten Vernachlässigung der Grundlagenforschung [liegt] eine nicht zu unterschätzende Gefahr“. Deshalb müsse die Hauptaufgabe des zu gründenden Instituts darin bestehen, „alle vorhandenen physikalischen Erscheinungen und deren Kombination auf ihre Brauchbarkeit für die Zwecke der Messtechnik bei wehrphysikalischen Problemen zu untersuchen“.
528 Karl-Heinz Bodlien: Beitrag zur inneren Ballistik gezogener Gewehre unter besonderer Berücksichtigung der Reibungsvorgänge, in: Zeitschrift für das gesamte Schieß- und Sprengstoffwesen 34 (1939) Heft 2, 33–38, 3, 65–69 und 4, 97–102; Chei Pei Lo: Experimentelle Untersuchungen (wie Anm. 523); Emil Kutterer: Messungen des Geschoßwiderstandes im Rohr, Dissertation, 26. Januar 1938, TH Berlin. 529 Promotionsverfahren Kömmnick, AHUB, Phil. Fak., 742. K. habilitierte sich später an der TH Berlin. Eine entsprechende Arbeit konnte in den Bibliographien nicht nachgewiesen werden und war daher wahrscheinlich geheim. 530 Kömmnick am 20. November 1937 an den Dekan der WTF, Winkhaus: Bericht über die mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft durchgeführten ballistischen Forschungsaufgaben, BAB, R 26 III/229, Bl. 7–14.
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II. Experimente
Diese und weitere Aufgaben für Lehre und Forschung wurden von Kömmnick ausführlich begründet.531 Die Zusammenarbeit von WaF und dem neuen Institut der WTF lässt sich an einigen Beispielen demonstrieren. Im März 1941 beantragte Winkhaus bei der DFG Mittel in Höhe von 46.100 RM für die Besoldung von Mitarbeitern, Ausbau und Ausstattung von Laboratorien usw. Für die Dauer von zunächst einem Jahr sollten „im Einvernehmen mit WaF geheime innerballistische und waffentechnische Untersuchungen über Zündvorgänge bestimmter Waffen“ durchgeführt werden. Die Forschungsabteilung stellte dafür Geräte im Wert von 70.000 RM zur Verfügung.532 Glimm und Kömmnick betreuten gemeinsam Doktoranden, so 1943 Karl Heinz Gehm und 1944 Erhard Völker. Beide hatten Arbeiten zum Geschosswiderstand in Waffen und deren Messung angefertigt.533 Einen herausragenden „Beitrag zur Theorie der inneren Ballistik“ lieferte Schweikert Anfang 1944. Diese Arbeit war die konsequente Fortsetzung seiner innenballistischen Forschungen seit den 20er Jahren. Wesentliche Teile des „Beitrages“ wurden veröffentlicht. Dessen Grundanliegen formulierte Schweikert wie folgt: „Die wissenschaftlichen Grundlagen der inneren Ballistik gehören allgemein der Physik an und zwar sowohl der theoretischen wie der experimentellen Physik, denn es handelt sich um die Erforschung der Bewegungsvorgänge von Körpern unter der Einwirkung von Kräften, insbesondere unter dem Einfluß von Druckkräften, die von Gasen sehr hoher Temperatur und Dichte hervorgerufen werden. Das Primäre des Bewegungsvorganges des Geschosses ist die Druckentwicklung der Gase. Die wissenschaftlichen Grundlagen dieses Vorganges liefert die Thermodynamik des gasförmigen Zustandes.“
An anderer Stelle wies Schweikert darauf hin, dass bestimmte Zusammenhänge eben dieses Vorganges, „die von grundlegender Bedeutung für die hohen Druckbereiche der inneren Ballistik [sind]. [Sie] wurde[n] bisher wenigstens in der inneren Ballistik stets außer acht gelassen.“534
Gleichlaufend mit seinen theoretischen Betrachtungen über das „Gesetz von der Zustandsgleichung“ der Gase untersuchte Schweikert in seiner Arbeit das „Verbrennungsgesetz der Pulverladungen“, vor allem beim Einsatz kolloidaler Pulver*. Im Gegensatz zu den Vorgängen bei der Detonation muss nämlich der Verbrennungsvorgang bei der Explosion von Pulvern im Waffenlauf viel langsamer verlaufen, und zwar so, dass ein gleichmäßiger Druckverlauf erreicht wird (vgl. Kapitel 7).535 Ebenso wie Glimm betreute auch Schweikert Doktoranden der WTF, 531 Kömmnick: Denkschrift Institut für technische Physik und Ballistik der Wehrtechnischen Fakultät, BAB, R 2/12497. 532 Winkhaus am 19. März 1941 (geheim) an die DFG, BAB, R 26 III/229, Bl. 3 f. 533 Erhard Völcker: Ein neues Verfahren zur Bestimmung des Geschosswiderstandes in Waffen, Dissertation, 15. März 1944, TH Berlin; Karl Heinz Gehm: Ein neues Verfahren zur Aufnahme von Gasdruck-Weg-Diagrammen an Waffen, Dissertation, 1. November 1943, TH Berlin. 534 Gustav Schweikert: Beitrag zur Theorie der inneren Ballistik, in: Zeitschrift für das gesamte Schieß- und Sprengstoffwesen 39 (1944) Heft 2, 17 f. 535 Ebd., Heft 3, 33–37 und Heft 4, 47–56.
10. Ballistik und Leichtgeschütz
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beispielsweise den Assessor E. Kleider, der Anfang 1944 seine Arbeit über ein „Verfahren zur Lösung des innerballistischen Hauptproblems in mathematisch geschlossener Form“ abgeschlossen hatte. Zweiter Gutachter war Prof. Dr. Johannes Picht von der WTF, der zahlreiche Forschungsaufträge für das HWA realisierte. Schweikert hielt die Doktorarbeit Kleiders für eine „sehr eingehende und wichtige Darstellung des innerballistischen Hauptproblems [*] für Pulverladungen“.536 Auf den beträchtlichen Umfang innenballistischer Forschungen bei WaF deuten noch weitere Aktivitäten hin, zu denen jedoch Einzelheiten weitgehend unbekannt sind. Schumann hatte das mit der Dringlichkeit SS eingestufte Forschungsthema „Röntgenblitzuntersuchungen der Geschossbewegung im Geschützrohr“ veranlasst. Der Angehörige der Studentenkompanie Curt Wolfschlag verteidigte am 12. April 1945 bei Schumann und Klose seine Geheimdissertation „Innenballistische Untersuchungen an Handfeuerwaffen“ (vgl. Kapitel 6).537
Zwischenballistik Die Forschungen von WaF zu dieser Thematik galten den Vorgängen beim Geschossaustritt aus der Waffe wie Waffenknall, Gasströmung an der Rohrmündung, Rauchbildung und Mündungsfeuer. Dieser Aufgabe hatte sich vor allem Dr. Karl Heinz Freytag (*1912) verschrieben, der im Referat Glimm arbeitete. Freytag begann 1930 an der Universität Berlin mit dem Studium der Physik. 1936 erhielt er von Schumann das Thema für eine Dissertation. Diese Geheimarbeit mit dem abgedeckten Titel „Versuch einer gaskinetischen Herleitung von Strömungsgeschehen durch Blenden“, der auf ein zwischenballistisches Problem schließen lässt, wurde Anfang 1938 von Schumann und Wehnelt angenommen und als „sehr gut“ beurteilt.538 Eigene Forschungsarbeiten des Dr. Freytag, die er nach seiner Promotion aufnahm, sind nicht überliefert. Dafür existieren jedoch die Themen einer Reihe von ihm betreuter Forschungsaufträge, die Hochschulen, Universitäten, wissenschaftlichen Einrichtungen und Industrieunternehmen übertragen wurden. Dabei ging es vor allem um die Entwicklung von Schalldämpfern an Handfeuerwaffen und Geschützen. Einen derartigen Kriegsauftrag erhielt Ende 1943 Prof. Dr. Erwin Meyer (1899–1972), damals tätig am Vierjahrsplaninstitut für Schwingungstechnik an der TH Berlin. Der Physiker kam 1928 an diese Hochschule und wurde Leiter der akustischen Abteilung am neu gegründeten Heinrich-Hertz-Institut für Schwingungstechnik. Hier wurde mit einer großen Anzahl von Mitarbeitern auf den verschiedensten Gebieten geforscht, u. a. zu Bau- und Raumakustik, Lärmbekämpfung. Während des Krieges kamen Sonar-Ortungsverfahren hinzu, die unter Deckbe536 Schreiben des OKW W Wiss vom 5. Juli 1944 an das REM, BAB, R 4901/12850, Bl. 212, 217. 537 Aufstellung von Forschungsthemen „Sprengstoffphysik“, Bearbeiter: Prof. Schumann, BAB, R 26 III/271; Promotionsunterlagen Curt Wolfschlag, AHUB; Schreiben des REM vom 8. Januar 1945 an den Dekan der Mat.-Nat. Fak. der Universität Berlin zur Diplomarbeit Wolfschlags, BAB, R 4901/12850, Bl. 256. 538 Promotionsunterlagen Freytag, Akten „Geheimdissertationen“, Bd. 1, AHUB.
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II. Experimente
zeichnung wie „Alberich“ oder „Fafnir“ liefen.539 Prof. Dr. Fritz Ebert, Stellvertretender Direktor des staatlichen Materialprüfungsamtes Breslau, spezialisiert auf Feinstrukturuntersuchungen, sollte in seinem Bereich an Schalldämpfermodellen Messungen mittels eines „Tonfrequenzspektrometers“ vornehmen lassen. Die „Untersuchung der Eignung akustischer Filter als Schalldämpfer (Filter 4)“ übertrug man Prof. Dr. Hermann Reiher vom Institut für technische Physik der TH Stuttgart. Reiher, der auch für die Marine arbeitete, galt als Spezialist für Schwingungs- und Lärmbekämpfung auf den verschiedensten Gebieten. An der TH Prag befasste sich im Auftrag von WaF I c Prof. Dr. Karl Karas mit Schalldämpfern. Auch Karas war ein Fachmann auf dem Sektor Schwingungen und artverwandter ballistischer Probleme. Dr.-Ing. Zelle, Berlin, widmete sich seit seiner Promotion 1930 an der TH Hannover dem Lärmschutz, war also prädestiniert für den Auftrag „Mitarbeit bei der Klärung der Prinzipien zur Erzielung einer für Geschütze geeigneten Schalldämpfung“. Der bereits mehrfach genannte Prof. Winkhaus nahm auf Bitte von WaF an der WTF „Systematische Untersuchungen der Vorgänge an Waffenmündungen und ihren Einfluss auf Waffe und Geschoss“ vor. Gleichzeitig ließ Winkhaus im Auftrag von WaF prüfen, was beim „Einschuss von Infanteriegeschossen“ passierte. Dazu setzte er die Methode der Spannungsoptik* ein. Industrieunternehmen, die WaF einbezog, waren die Dynamit Nobel AG, Fabrik Düneberg in Geesthacht (Auftrag vom Bereich WaF II, Chemie, „Versuche über die Rauchbildung im Geschütz und Vermessung der Rauchdichten“) sowie die Firma Eberspächer, Abteilung Schalldämpferbau, in Esslingen/Neckar („Entwicklung von Schalldämpfern am Infanteriegewehr“). Schließlich ist noch die „Reichsanstalt für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht“ zu nennen. Der ihr erteilte Auftrag sah „Schlierenoptische Untersuchungen von Schalldämpfermodellen für Feuerwaffen“ vor. Die zur Zwischenballistik anfallenden mathematischen Berechnungen besorgte zumeist Klose, der für diese Aufgaben Mitarbeiter des von ihm geleiteten Instituts für angewandte Mathematik der Universität Berlin heranzog.540
Außenballistik Dieses Gebiet war bei WaF vor allem die Domäne von Schweikert und Klose. Schweikert hatte 1942 eine theoretische Arbeit über „nicht durch Drall oder Flügel stabilisierte Geschosses“ vorgelegt. Darin schlug er als Geschossformen solche mit „einfachen zylindrischen oder kugelstumpfförmigen Geschossschwänzen“ 539 Der Auftrag ist dokumentiert in BAB, R 26 III/28, Bl. 5–6, leider ohne genaues Thema. Auch über die Ergebnisse ist nichts bekannt. Zur Biographie Meyers: Gedenktafel für Erwin Meyer, http://www.physik3.gwdg.de/dpi-geschichte/EMeyer-GT.html. 540 Die Forschungsthemen sind dokumentiert in verschiedenen Beständen des RFR, BAB, insbesondere R 26 III/4, Bl. 8–17. Zu den Ergebnissen der hier genannten Forschungsaufträge konnten keine Angaben gefunden werden. Eine Anfrage bei der Firma Eberspächer ergab lediglich, dass vor allem das RLM Auftraggeber für Untersuchungen zur Schallforschung war. Schreiben der Fa. Eberspächer vom 3. März 2003 und 10. Oktober 2005. Vgl. auch O. Sudergath: Nachruf zu Dr.-Ing. Paul Eberspächer, in: Der Stahlbau 2 (1961), 63 f.
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vor. Ob die von Schumann dazu angestrebten Überprüfungen der neuartigen Geschossformen in Windkanälen auch tatsächlich durchgeführt wurden, ist nicht überliefert.541 Im November 1943 war ein anderer Forschungsbericht Schweikerts fertig. Er betraf die „Theorie und Konstruktion der Geschossflugbahn“. In ihm erläuterte der Autor ein „neues, einfaches, doch strenges und allgemeines Verfahren zur graphischen Konstruktion der Geschossflugbahn“. Schweikert betonte, dass es von den allgemein anerkannten Hauptgleichungen der Ballistik abgeleitet sei. Schweikert gab ergänzend ein Verfahren an zur „rechnerischen und mechanischen Integration mittels einer neuen Integriermaschine sowie zur experimentellen Ermittlung der Widerstandsgesetze“.542
Ein anderer geheimer Forschungsbericht von Schweikert (Ende 1944) betraf die „Ermittlung des Luftwiderstandsbeiwertes“. Das Ziel dieser Untersuchung war die Schaffung von Grundlagen für eine „empirische Ermittlung von Geschossbahnen“. Dazu hatte Schweikert ein Rechenschema entwickelt „mit dem Flakgeschossbahnen in allen Einzelheiten durchgerechnet“ werden konnten. Trotz einer Vereinfachung gegenüber den bisher gängigen Verfahren könne jetzt – so der Autor – die „ballistische Beiwertfunktion K(W) des Geschosses wesentlich genauer bestimmt werden“.543 Forschungsaufträge vergab Schweikert an den Kölner Mathematiker Prof. Dr. Karl Dörge und an Studienrat Kühn, Berlin-Zehlendorf. Dörge, der sich ab 1930 auf dem Gebiet der Wahrscheinlichkeitsrechnung einen Namen gemacht hatte, sollte für WaF „zufällige Abweichungen der Geschossbahn“ mittels dieser mathematischen Disziplin bestimmen. Kühn führte „Untersuchungen über den zusätzlichen Einfluss der Temperatur auf die Flugbahn der Geschosse“ durch.544 Die Arbeiten von Klose, der verschiedentlich Forschungsaufträge von WaF mit der allgemeinen Formulierung „Ballistische Untersuchungen nach besonderen Angaben“ erhielt, schlugen sich vor allem in der 2. Auflage des Buches von Vahlen „Ballistik“ (1942) nieder.545 Bei Klose und Vahlen verteidigte im Juli 1939 Fritz Krass, der an der Universität Berlin studiert hatte, seine Geheimdissertation „Untersuchung des Einflusses von Pendelungen auf die Ballistik des Bombenwerfens“. Die Gutachter vergaben die Note „gut“ und verwiesen darauf, dass mit der Arbeit ein „bisher wenig geklärtes Gebiet der Ballistik“ behandelt worden sei. Schardin von der TAL, der über die Schrift unterrichtet wurde, ließ sie im September 1939 an das RLM, die Deutsche Forschungsanstalt für Luftfahrt, Braunschweig, die For541 Schumann: Windkanalaufgaben der Forschungsabteilung, BA-MA, RH 8/1362 (vgl. Kapitel 11). 542 Schweikert: Bericht Nr. 1011 vom November 1943: Theorie und Konstruktion der Geschoßbahn, 26 Blatt, BA-MA, RH 8/v. 422. 543 Schweikert: Bericht Nr. 1018 vom 30. November 1944: Ermittlung des Luftwiderstandsbeiwertes, 16 Bl., BAB, R 26 III/374 und BA-MA, RH 8/v. 421. 544 Aufstellung von Forschungsaufträgen, BAB, R 3/3130, Bl. 8. 545 Theodor Vahlen: Ballistik (unter Mitwirkung von Alfred Klose, Vorwort Vahlen), 2. Auflage Berlin 1944; Schwindt: Besprechung von Vahlens Ballistik, in: Zeitschrift für das gesamte Schieß- und Sprengstoffwesen 37 (1942), 231.
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II. Experimente
schungsstelle der Luftwaffe in Rechlin sowie die Firma Rheinmetall-Borsig, Düsseldorf, verschicken (vgl. Anhang II: Geheimdissertationen). Eine besondere Herausforderung für Schweikert, Glimm und andere Mitarbeiter von WaF stellte die Beteiligung an dem Arbeitskreis „Hohe Anfangsgeschwindigkeit“ (hohe Vo) dar, der im Grunde alle drei Bereiche der ballistischen Lehre berührte. Der Tätigkeit dieses Gremiums lag folgende Problematik zugrunde: Während des Krieges wurde angestrengt nach Möglichkeiten gesucht, die Leistungen von Feuerwaffen zu steigern. Im Mittelpunkt stand die wohlbegründete Empfehlung der Ballistiker, vor allem die Geschwindigkeit des Geschosses beim Verlassen des Laufes zu erhöhen. Das konnte nur durch einen gleichmäßigen Druckverlauf im Rohr erfolgen. Größere und kräftigere Treibladungen versprachen keinen Erfolg, weil auf diese Weise die Belastung für das Rohr enorm gestiegen wäre. Man beschritt verschiedene Wege zur Erzielung einer hohen Vo, z. B. den so genannten „Impulsantrieb“. Der sollte erreicht werden, durch eine Anordnung von Ladungselementen längs des Rohres, die nacheinander zündeten. Es war dies das Projekt der „Hochdruckpumpe“ (HDP), die sich durch ein monströses Rohr auszeichnete; mitunter geheimnisvoll als V 3 gehandelt, letztlich aber eine Waffenfehlentwicklung.546 Ein anderer möglicher Lösungsweg schien die Idee vom „evakuierten Rohr“ zu sein, die von WaF untersucht wurde. Berechnungen hatten gezeigt, dass die im Lauf einer Waffe befindliche Luftsäule einen enormen Einfluss auf die obere Grenze der Geschoßgeschwindigkeit ausübte. Gelänge es, die Luft aus dem Rohr zu entfernen, wären – jedenfalls theoretisch – Vo bis zu 8000 m/sec möglich. Entsprechende Arbeiten hatten die DWM Lübeck aufgenommen. Mit einem Waffenmuster erzielte man bei diesem Unternehmen eine Steigerung um 40 m/se. „Auch die Forschungsabteilung des Oberkommandos des Heeres führte Versuche mit evakuiertem Rohr in Kummersdorf durch“, berichtete Strecke.547 Weit bessere Chancen wurden einem anderen Ansatz eingeräumt: Die Erzielung einer gleichmäßigen Gasdruckkurve in der Waffe durch Veränderung der Pulveroberfläche. Für ideal hielten die Ballistiker nämlich eine Gasdruckkurve in der Waffe, die nach erfolgter Zündung schnell ansteigt, danach auf gleichem Niveau bleibt und erst kurz vor Austritt des Geschosses aus dem Lauf wieder abfällt. Das nannten sie „Verbreiterung der Gasdruckkurve bei normaler Ladungsanordnung“. Sowohl Schweikert als auch Strecke hatten sich mit dieser Möglichkeit auseinandergesetzt und 1942 theoretische Berechnungen abgeschlossen, die angeblich auch zu Patentanmeldungen führten. Schweikerts Vorschlag „Leistungssteigerung durch progressive Treibladung“ sah den Einsatz eines „Vielzahlkanalpulver“ vor. Das war eine besondere geometrische Form, das so genannte 7-Loch546 Eine Übersicht zu diesen Arbeiten gaben nach dem Krieg Richard Emil Kutterer: Ballistik, 3. Auflage Braunschweig 1959 (= Die Wissenschaft, Einzeldarstellungen aus der Naturwissenschaft und der Technik, 97), 238–242; Joachim Strecke: Mathematische Innenballistik, in: Fiat-Berichte, Bd. 7, Teil V, 201 f. Zur Hochdruckpumnpe vgl. u. a. Hahn: Waffen und Geheimwaffen, Bd. 2, 155–162; Turra: Heeresversuchsstelle Hillersleben. 547 Strecke: Mathematische Innenballistik (wie Anm. 546), 200 f. Einzelheiten zu den Ergebnissen in Kummersdorf sind nicht bekannt. Angaben zu Strecke vgl. Anm. 524.
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Pulver, ein kleines röhrenförmiges Pulverelement mit sieben Längsbohrungen. Die so vergrößerte Pulveroberfläche, versprach bei gleich bleibendem Pulvervolumen eine hohe Ausnutzung des Energiegehaltes und damit eine beträchtliche Annäherung an den gewünschten gleichmäßigen Druckverlauf.548 Da eine Leistungssteigerung vor allem von der Flak dringend gefordert wurde, entstand im April 1944 beim Oberkommando der Luftwaffe, Chef der Technischen Lüftrüstung, Amtsgruppe für Flakentwicklung und -rüstung (Flak-E 1), der Arbeitskreis „Hohe Vo“. Ihm gehörten vom HWA Schweikert, Glimm, Trinks und Dr. Hilgert (WaF) an, sowie Prof. Dr. Orthmann und Stabsingenieur Wilhelm Zeyss von Wa Prüf 11. Die TAL, Berlin-Gatow, war vertreten durch Schardin, Dr. Thomer und den inzwischen zu TAL gewechselten Kömmnick. Die Luftwaffe hatte 15 Mitarbeiter, u. a. Fliegerstabsingenieur Dr. Zwarg, entsandt, die WASAG Dr. Langweiler. Auch je ein Wissenschaftler der TH Berlin sowie der SS wirkten mit. Der Arbeitskreis tagte mehrmals, wobei die Teilnehmer über die in ihrem Bereich durchgeführten sehr unterschiedlichen Arbeiten informierten. Dazu gehörte beispielsweise die Verwendung von Wasserstoff als Treibmittel, das Experimentieren mit sehr hohen Drücken in stark autofrettierten* Röhren oder mit kleinen Pfeilgeschossen*. Auch den Einsatz von Sprengstoffen als Treibladung hatte man in Betracht gezogen und damit in Kummersdorf einige „Vorversuche“ gemacht. Die Diskussion zeigte allerdings ziemlich schnell, dass mit den genannten Varianten kaum Erfolge erreicht werden konnten. Einzig Schweikerts „Progressive Treibladung“ schien eine brauchbare Lösung zu sein. Versehen mit der allgemeinen Zustimmung aller Beteiligten, erteilte WaF, vertreten durch Schweikert, an die WASAG und die Dynamit AG einen Forschungsauftrag „Entwicklung progressiver Treibladung für die Laborierung in der Kartusche und Befestigung am Geschoss“. Das Vorhaben scheiterte jedoch an den technologischen Schwierigkeiten, ein „Vielzahlkanalpulver“ im großtechnischen Maßstab herzustellen. Strecke urteilte nüchtern, Ende 1944 sei es viel zu spät gewesen, um aus den unumgänglichen „kostspieligen Versuchen“ noch einen praktischen Nutzen zu ziehen.549 Kein greifbarer Erfolg war auch einem anderen Projekt von WaF beschieden: Dem „Wirbelringschießen“. Darauf wies Kutterer 1959 hin: „Eine in der Physik 548 Ebd., 202; Bericht Geists: Progressive Treibladung, National Archives (Nara) Washington RG 319 Ent: IRR Box 58. Eine Kopie dieses Berichtes wurde freundlicherweise von Dr. Rainer Karlsch zur Verfügung gestellt. 549 Aktenvermerke zur Besprechung „Flakentwicklung“ vom 22. September, 14. November und 1. Dezember 1944, BAB, R 26 III/53 und R 26 III/179; Forschungsauftrag in: BAB, R 3/ 3130, Bl. 8; Strecke: Mathematische Innenballistik (wie Anm. 546), 202 f.; Geist: Progressive Treibladung (wie Anm. 548). Die am „Arbeitskreis Hohe Vo“ beteiligten Wissenschaftler zogen sich ziemlich schnell von der Mitarbeit zurück, vor allem wegen der Unfähigkeit des Leiters, Majors Hofmann von „GL Flak-E 1“, die erörterten Themen zu verstehen bzw. die Sitzungen produktiv zu leiten. GL Flak-E 1 fand einen diskreten Ausweg aus der Affäre: Man formulierte, der Arbeitskreis habe sein Ziel erreicht, Wege zur Steigerung von Vo seien nun bekannt und würden in den einzelnen Fachgruppen weiter verfolgt. „Der Arbeitskreis wird deshalb aufgelöst“. Vgl. auch: Hans Neufeldt: Hochleistungswaffen mit konischen Rohren für die deutsche Wehrmacht im 2. Weltkrieg, in: WTH 64 (1967), 144–155, 226–238, insb. 229– 234.
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bekannte Erscheinung ist es, dass beim Ausströmen eines Gases aus einem Rohr Wirbelringe entstehen, die infolge der Rotation große Steifigkeit besitzen. Trifft ein Wirbelring auf ein Hindernis, so übt er auf dieses eine mechanische Wirkung, einen Stoß aus. Bei den ersten Versuchen (Glimm, HWA) wurde in 200 m Entfernung ein Brett von 25 mm zertrümmert.“550
Leichtgeschütz Die wohl wichtigste Leistung der Ballistiker von WaF war ihr Beitrag zur Entwicklung dieser neuartigen Waffe. Zwei Namen sind mit der Grundlagenforschung für dieses Geschütz, das militärisch mit beachtlichem Erfolg eingesetzt wurde, besonders verbunden: Glimm und Bodlien. Neu war das Konzept eines weitgehend rückstoßfreien Geschützes nicht. Bereits im Ersten Weltkrieg hatten die USA und Großbritannien verschiedentlich ihre Flugzeuge mit derartigen Waffenmustern ausgestattet. Da die Leistungsfähigkeit stark zu wünschen übrig ließ, trennte man sich 1919 davon. Anders in der Sowjetunion bei der Roten Armee. Hier hatte man diese Entwicklungsrichtung weiter verfolgt. Ab 1936 gehörten erste rückstoßfreie Geschütze zur Bewaffnung, allerdings nur in bescheidenem Umfang. In Deutschland blieb dies längere Zeit unbeachtet.551 Wer wann im HWA den Anstoß gab, „das Problem der rückstoßfreien Kanone“ gründlich zu erforschen, ist nicht bekannt. Wahrscheinlich war es Schumann selbst, der durch die ersten Erfolge mit Flüssigkeitsraketen dazu angeregt wurde. Jedenfalls begann mit seiner Unterstützung Glimm ab 1936 mit „ersten prinzipiellen und systematischen Versuchen“, die schnell vorankamen und mit denen eine solide Basis geschaffen werden konnte.552 Bei einer Vorführung für Hitler 1938 in Kummersdorf erläuterte Schumann „die wissenschaftlichen Grundlagen der rückstoßfreien Kanone“.553 Doch Glimm musste zunächst einen Misserfolg hinnehmen. Darüber berichtete ein ehemaliger Angehöriger der Studentenkompanie: „Er hatte das rückstoßlose Geschütz entwickelt und sollte es den Herren der Führung ‚Waffenamt‘ vorführen. Nach einem Vortrag und einer erfolgreichen Vorführung kam ein hoher alter Waffenoffizier zu ihm und sagte: ‚Da ist doch ein Trick dabei, das Geschütz hat doch keinen Verschluß!‘ Daß gerade dies die Neuartigkeit war, verstand er nicht. Das Heereswaf550 Kutterer: Ballistik (wie Anm. 546), 253 f.; Interview mit Prof. Dr. Gießmann (ehemals Studentenkompanie) am 14. Dezember 2002. 551 Eine grundlegende Darstellung gab Erich Prier: Rückstoßfreie Geschütze, in: Explosivstoffe 7 (1957), 142–148, darin allerdings nur ein Hinweis auf die Arbeiten von WaF. Der Anteil von Wilhelm Zeyss (siehe unten) wird nicht erwähnt. Vgl. auch Franz Kosar: Infanteriegeschütze und rückstoßfreie Leichtgeschütze 1915–1978, Stuttgart 1979; Hahn: Waffen und Geheimwaffen, Bd. 1, 143–145. 552 Haeuseler: Zur Geschichte der Raketenforschung (wie Anm. 57); Schreiben von Prof. Arthur Wehnelt vom 10. Januar 1944 an General ? (ausführlich zu diesem Schreiben im Kapitel 22), Nachlass Schumann, Kopie im Besitz des Verfassers. 553 Eidesstattliche Erklärung des Generals der Artillerie a. D. Dr. Kurt Waeger vom 17. Mai 1949 im Spruchverfahren gegen Mentzel, BAK , Z 42 IV/4059, Bl. 144.
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fenamt hat diese Entwicklung nicht aufgegriffen. Die Luftwaffe hat den Wert für die Fallschirmjäger erkannt und eingeführt. Gegen solche alten Zöpfe mußte sich die Forschung wehren.“554
Die ablehnende Haltung des Heeres änderte sich schnell, als während des Sowjetisch-Finnischen Winterkrieges (30. November 1939 bis 12. März 1940) die Militärs verblüfft registrieren mussten, dass die Rote Armee über eine solche Waffe verfügte. Anfang 1940 erhielt die deutsche Heeresführung ein durch finnische Truppen erbeutetes rückstoßfreies Geschütz vom Kaliber 7,62 cm, montiert auf einen Schlitten. Zeyss von Wa Prüf 11 wurde beauftragt, ein eigenes Modell zu entwickeln. Dazu stellte das OKH seine Forderungen: Kein Geschoss mit Raketenantrieb, da die Streuung bei einem „R-Satz“ störend sei; Verwendung bereits eingeführter Geschosse; weitgehende Anlehnung der Konstruktion des Verschlusses an das Vorbild der sowjetischen Beutewaffe; eine Durchschlagleistung von 6 cm Panzerplatte auf 1.000 m. Vorgesehen waren Geschütze für verschiedene Zwecke, wie Infanterie-Begleitgeschütz, Gebirgsgeschütz, Luftlandegeschütz, Panzerabwehrgeschütz. Die Planungen dafür begannen bei Wa Prüf 11 im Oktober 1940, in Zusammenarbeit mit den Firmen Krupp und Rheinmetall. Inwieweit man dabei auf Ergebnisse der bereits erfolgten Grundlagenforschung von WaF zurückgriff, ist nicht überliefert. Doch schon wenige Wochen später hatte sich die Luftwaffe durchgesetzt. Sie verlangte für ihre Fallschirmtruppen schnellstens ein LG vom Kaliber 10,5 cm, mit einer Vo von 350 m/sec und einer Schussweite von 8.000 m. Nach zahlreichen Versuchen (u. a. in Meppen und Essen) sowie Erprobungen in Kummersdorf (am 13. und 14. Februar 1941) vor Vertretern des HWA, der Rüstungsinspektion und des Stabes der Fliegertruppen wurden am 15. Februar 1941 dem Oberbefehlshaber des Heeres, Generalfeldmarschall v. Brauchitsch, auf dem Gelände der Heeresversuchsstelle Kummersdorf zwei Leichtgeschütze vom Typ LG 2 Kp vorgeführt.555 Mit den Ergebnissen dieser Demonstration und den dabei erzielten Schießleistungen war die militärische Führung weitgehend zufrieden. Erstmals eingesetzt, und zwar mit Erfolg, wurde das neuartige Geschütz am 20. Mai 1941, als deutsche Truppen mit einer Luftlandeoperation die Insel Kreta überfielen.556 Die Entwicklungsarbeiten bei Wa Prüf 11 im Verein mit den Firmen Krupp, Rheinmetall und weiteren Industrieunternehmen hatten aber auch gezeigt, dass eine Reihe von Problemen nur unbefriedigend gelöst und weitere Grundlagenforschung geboten war. Man griff also wieder auf WaF zurück. Jetzt war dort das Referat Glimm erneut am Zuge. Als zuständiger Bearbeiter wurde Bodlien einge554 Dr. Karl-Heinz Köhler am 16. November 2001 an Frau Schumacher. 555 Schriftliche Mitteilungen von Zeyss vom 28. April 1999 und 22. Oktober 1999; Bericht (Geheime Kommandosache): Entwicklung eines rückstoßfreien Leichtgeschützes L. G. 2 (Kp.) vom 18. Juni 1941, AKH Nr. 71996 g, Historisches Archiv Krupp, Villa Hügel, WA 52/217. Dem Historischen Archiv Krupp ist für die bereitwillige Anfertigung von Kopien dieses und anderer Berichte zum LG zu danken. 556 Vgl. u. a. Franz Kurowski: Kreta. Sprung in die Hölle. Fallschirmjäger und Gebirgstruppen erobern eine Insel, Wölfersheim-Berstadt 2001; Günter Roth: Das Unternehmen Merkur. Die Schlacht um Kreta 1941, Rothenburg o. d. T. 2002.
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setzt. Er befasste sich fortan mit dem LG, manchmal auch als „Düsengeschütz“ oder „Düsenkanone“ (DK oder DüKa) bezeichnet. Eine wichtige Frage war die nach der Verwendung von glatten oder gezogenen Rohren. Zunächst experimentierte man mit glatten, düsenlosen Rohren, in denen unmittelbar hinter dem Geschoss eine Schwarzpulverladung angebracht war. Danach wurde ein Rohr mit einer Lavaldüse* versehen und später prüfte man Rohre mit Zügen. Als Ergebnis konnte eine „allgemeine Faustformel“ gefunden und aus ihr Schlussfolgerungen für das weitere Vorgehen abgeleitet werden. Das waren vor allem zwei Festlegungen: ein völlig kräftefreies Rohr (zusammen mit einer leichten Lafette) zu schaffen und zweitens eine einwandfreie Innenballistik zu gewährleisten. Einfluss auf die geforderte Innenballistik hatten der Ladungsaufbau, in Verbindung mit der Zündung sowie das Verdämmungsmaterial. Dieses Material musste den Laderaum zum Verbrennen des Pulvers kurzfristig gut verschließen, ihn danach aber sofort durch Bruch zur Düse hin öffnen. Von besonderem Wert für eine gute Innenballistik war eine zweckmäßige Form der Düse. Hierzu erfolgten bei WaF piezo-elektrische* Messungen im Verbrennungsraum, in der Düse selbst sowie hinter der Düse. Als ideal erschien eine Düse die „während des Abschussvorganges ihre Form weitgehend ändert, weil sich sowohl die Reibungs- als auch die Düsenkräfte im Verlauf des Schussvorganges stark verändern. Ebenso musste sich das Öffnungsverhältnis der Lavaldüse dem jeweiligen Innendruck anpassen … d. h. mit zunehmendem Geschossweg [im Rohr, G. N.] stetig vergrößern.“
Als Lösung dieser komplizierten Problematik bot sich ein schnell verbrennendes Pulver an, das während des Schussvorganges zu der gewünschten, also größeren Düsenöffnung ausbrennt. Ein solches Pulver konnte jedoch nicht gefunden bzw. geschaffen werden. Man behalf sich deshalb damit, ein optimales Verhältnis zwischen Düsenform, Ladung und Verdämmungsmaterial festzulegen. Unter der Leitung von Bodlien erfolgten zusätzlich Hülsenversuche und konstruktive Arbeiten an der Lafette, um die immer noch auftretenden Rückstoß- und Verdrehungskräfte weitgehend auszugleichen.557 Zum 1. Dezember 1941 wechselte Bodlien von WaF I c zu Wa Prüf 11, wo er wissenschaftlicher Referent bei Zeyss wurde. Diese Tätigkeit übte er bis zum 15. Februar 1942 aus und wurde danach auf Grund einer organisatorischen Veränderung im HWA zu Wa Prüf 4 versetzt. Beide ehemaligen Vorgesetzten waren voll des Lobes. Glimm schrieb in seinem Zeugnis, dass Bodlien sich „als ausgezeichneter Ballistiker bewährt“ habe und ihm „die schnelle Entwicklung einer erfolgreichen Sonderwaffe wesentlich zu verdanken“ sei. Durch beispielhafte Führung 557 Bodlien: Grundsätzliche Versuche und Entwicklungsergebnisse mit Düsengeschützen (Leichtgeschützen), Bericht Nr. 1009: Forschungen und Entwicklungen des HWA vom September 1944, BA-MA, RH 8/420. Die im Literaturverzeichnis dieses Berichtes genannten Forschungsberichte von WaF konnten nicht gefunden werden; Dr. Karl-Heinz Bodlien: Versuchs- und Entwicklungsergebnisse mit Düsengeschützen (LG) sowie mit Waffen nach dem Gleichdruckverfahren (ohne Datum, wahrscheinlich nach Kriegsende 1945 entstanden), Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung, Wehrtechnische Studiensammlung, HO 524 (HARh 0524).
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habe er seine Ingenieure, Laboranten und Versuchshandwerker „zu außerordentlichen Leistungen hingerissen“. Zeyss unterstrich: „Seine Hauptaufgabe war die folgerichtige Umsetzung der wissenschaftlich gewonnen Erkenntnisse in der Praxis zur schnellen Einführung von Sonderwaffen bei Spezialtruppen.“558
Ungeachtet dieser dienstlichen Veränderungen befasste sich Bodlien auch danach weiter intensiv mit dem LG. In seinen zusammenfassenden Berichten (1944/45) betonte er den Wert des LG als Sondergeschütz, sah jedoch auch seine Nachteile. Die bestanden im relativ großen Pulververbrauch sowie in dem nach hinten austretenden Gasstrahl, wodurch u. a. viel Staub aufgewirbelt wurde. In der Behebung dieser Mängel erblickte Bodlien wichtige Aufgaben für die weiteren Forschungen und Entwicklungsarbeiten. Das war z. B. das Finden von „Pulvern mit Verbrennungsproduktion größerer Molekulargeschwindigkeit, Anwendung von Pulvern mit zugesetzten Beschwerungsstoffen und Verwendung beschwerter Verdämmung“.
In einem Bericht vom September 1944 hieß es dazu: „Durch Arbeiten bei WaF sind erforderliche Untersuchungen bereits vor einigen Jahren angelaufen, jedoch später aus Arbeitseinsatzgründen nicht weitergeführt worden.“559
Die von Bodlien in seinen Berichten mehrfach angesprochene Weiterentwicklung der Prinzipien des LG zur Schaffung leichter Artilleriewaffen, beruhte darauf, einen „gleichförmigen Gasdruckverlauf“ im Rohr zu erreichen. Dies könnte durch progressive Pulver geschehen. Da es – wie schon dargestellt – große Schwierigkeiten gab, ein solches Pulver zu finden, setzten die Waffentechniker große Hoffnungen in die Konstruktion des „Hoch- und Niederdruckrohrs“ bzw. in das artverwandte „Niederdruckverfahren“ (mit einer Kammer oder mit zwei Kammern). Auch Bodlien beschäftigte sich damit theoretisch. Ob WaF daran beteiligt war oder konsultiert wurde, ist nicht bekannt.560 Nach dem Krieg urteilte Strecke, der ebenfalls zum LG geforscht hatte: „Die Vorausberechnung derartiger Geschütze war ein vollkommen neuartiges Problem für die Innenballistik. Zwar war die Ausströmungsgeschwindigkeit der Verbrennungsgase aus der Düse gemessen worden, und man konnte aus der Gleichheit des Impulses für das Geschoß an der Mündung mit dem der ausströmenden Verbrennungsgase verhältnismäßig leicht die erforderliche Ladungsmenge bestimmen. Damit war aber noch nichts bekannt über die Größe des anfänglichen Verbrennungsraumes, um einen bestimmten Höchstgasdruck einzuhalten, sowie über die erforderliche Rohrlänge und die geeignete Treibladung …
558 Zeugnis Glimms vom 15. Dezember 1941, Zeugnis Zeyss’ vom 17. Oktober 1942, BA-MA NL 625/79, Buchstabe B. 559 Bodlien: Bericht Nr. 1009 (wie Anm. 557), 9 f. 560 Bodlien: Bericht HO 524 (wie Anm. 557), 15–26, dort auch Skizzen zu den verschiedenen Verfahren. Vgl. auch Kutterer: Ballistik (wie Anm. 546), 245; Rheinmetall: Waffen-technisches Taschenbuch, 2. Auflage, Düsseldorf 1973, 107 f. Durch Dipl.-Ing. Horst Rekitte, wahrscheinlich Wa Prüf 4, wurden 1944 mehreren Rüstungsunternehmen (z. B. Rheinmetall-Borsig, Krupp, Böhler) Forschungsaufträge zu „Gleichdruckrohren“ erteilt. Einzelheiten sind nicht bekannt. BAB, R 26 III/24, Bl. 25.
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II. Experimente Die an dem neu gebauten Gerät durchgeführten Messungen bestätigten im Wesentlichen die entwickelte Theorie. Eine zusammenfassende Darstellung über das ganze Gebiet der rückstoßfreien Kanonen ist von BODLIEN gegeben worden.“561
11. RAKETEN Der 22. Juni des Jahres 1932 sollte ein denkwürdiger Tag in Kummersdorf werden. Unter strenger Geheimhaltung war in den frühen Morgenstunden auf dem Gelände der Heeresversuchsstelle der Start einer Rakete vorgesehen, die einen Durchmesser von 6 cm hatte und über ein sehr einfaches Flüssigkeitstriebwerk von ca. 12 kg Schubleistung verfügte. Angebracht war das Triebwerk an der Spitze. Flossen am Heck vervollständigten das ungewohnte Bild. Konstruiert hatte das seltsame Fluggerät Dipl.-Ing. Rudolf Nebel, zusammen mit dem Ing. Klaus Riedel (1903–1944) und dem jungen Wernher von Braun (1912–1977). Diese drei waren nun unterwegs zum Ort des Ereignisses: „Punkt fünf Uhr in der Frühe trafen wir in Kummersdorf ein. In dem ersten Auto hatten wir unsere silbern angemalte ‚Mirak II‘ untergebracht, im zweiten den flüssigen Sauerstoff, das Benzin und die Werkzeuge, die wir brauchten. Hauptmann Dornberger erwartete uns schon und dirigierte uns an eine einsame Stelle des Artillerieplatzes Kummersdorf.“
berichtete später W. v. Braun.562 Gespannt beobachteten die Vertreter des HWA, allen voran Becker, Hauptmann v. Horstig, Hauptmann Schneider (der spätere Chef von Wa Prüf), Schumann und Walter Dornberger, die Vorbereitungen zum Start. Gegen 6.30 Uhr erfolgte die Zündung. Die Rakete erreichte knapp 600 m Höhe, etwa 1.300 m vom Startplatz stürzte sie nieder. Angekündigt war eine erreichbare Höhe von über 3.000 m. Obwohl die Vorführung in Kummersdorf für die Akteure ein glatter Reinfall war, hatte sich Becker bereits entschieden. Wie Prof. Wehnelt (Universität Berlin) später bekannte, hatte Schumann maßgeblichen Anteil an diesem Entschluss (vgl. Kapitel 22). Leider sind dazu keine Einzelheiten bekannt, lediglich die Tatsache, dass das HWA bereits zwei Jahre vor der missglückten Vorführung mit der Raketenthematik befasst war. Am 17. Dezember 1930 erklärte Becker bei einer Sitzung (beim Chef Prüfwesen), Geheimrat Nernst (Universität Berlin) habe „civile Doktoranden angesetzt“, die ihre praktischen Untersuchungen zu dieser Technologie bei der CTR durchführen sollen. „Außerdem werden wir selbst, sobald das in Kummersdorf in Bau befindliche Pendelschießgerät betriebsfertig ist … die Schubkraft verschiedener Treibstoffe bei verschiedenen Düsenformen untersuchen.“
561 Strecke: Mathematische Innenballistik (wie Anm. 546), 208 f. 562 Zitiert bei Bernd Ruland: Wernher von Braun. Mein Leben für die Raumfahrt, Offenburg 1969, 72.
11. Raketen
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Auch Hochschullehrer – so Becker – sollen einbezogen werden.563 Becker setzte voll auf die Entwicklung von Flüssigkeitsraketen. Seit Oktober 1931 stand er in Verbindung mit Dr. h.c. Paul Heylandt, einem Hersteller von Flüssigsauerstoff, der in Berlin die „AG für Industriegasverwertung“ betrieb. Mit ihm schloss die Abt. Wa Prüf 1 ein Jahr später einen Vertrag zum Bau eines kleinen Triebwerkes von etwa 20 kg Schub, erzeugt durch Flüssigsauerstoff und Alkohol. Dieses Aggregat erhielt, ebenso wie die später gebauten, nun bereits stärkeren Flüssigkeitstriebwerke, die Bezeichnung „Heylandt-Ofen“. Einen Prüfstand zur Erprobung des ersten Musters eines derartigen „Ofens“ gab es in Kummersdorf noch nicht. Doch bereits zwei Tage nach Nebels missglückter Vorführung lag bei Becker die Bauzeichnung einer solchen Versuchsanlage vor. Der dreiseitige Prüfstand aus Stahlbeton sollte 6 m breit und 7 m lang sein. Schumann erhielt am 25. Juni 1932 Kenntnis von diesem Vorhaben, an dem WaF mitwirken sollte. Seitens der Leitung des HWA wurde der Vorschlag zunächst nicht gebilligt, dann aber bis zum November 1932 doch realisiert. Als Standort wählte man ein Terrain zwischen den beiden Kummersdorfer Schießbahnen, auf dem um die Jahreswende 1930/31 die ersten Prüfstände für Feststoffraketen (Pulverraketen) entstanden waren. Entsprechend ihrer geographischen Lage nannte man die neue Einrichtung „Versuchsstelle West“.564 An dem ab Mitte 1932 verstärkt vorangetriebenen Raketenprojekt des HWA war WaF von Anfang an voll beteiligt. Schumann wählte unter den Doktoranden der Universität Berlin geeignete Kräfte aus, denen Aufgaben der Grundlagenforschung übertragen werden konnten. Auch an Nachwuchswissenschaftler der TH Berlin wurde gedacht. Einer der ersten Raketenforscher bei Schumann war Kurt Wahmke (1904–1934), der seit 1922 an der Universität Berlin Physik, Chemie und Mathematik studierte. Ab 1928 arbeitete er einige Zeit als Lehrer. 1930 wechselte er zum Heeresfachschuldienst, wo er u. a. „naturwissenschaftliche Untersuchungen für das Heereswaffenamt“ durchführte. Wahrscheinlich lag hier schon der Beginn der Arbeit für eine Dissertation, die Experimente mit einem „kleinen, 20 kg Schub liefernde[n], zu Kühlzwecken doppelwandige[n], zylindrische[n], eisernen Ofen der Firma Heylandt“ zum Gegenstand hatten. Die erzielten Ergebnisse legte Wahmke 1933 vor. Bei Schweikert ließ er sich zur Ballistik prüfen, bei Schumann und Wehnelt zum Inhalt seiner Doktorschrift. Beide Professoren befanden sie für gut, geizten nicht mit Lob und nahmen sie an. Die Arbeit wurde sofort zur „Geheimen Kommandosache“ erklärt. Unter dem Aktenzeichen „Wa PwZ Drg. 1/34“ verwahrte man sie im Reichskriegsministerium. Als Tarntitel entschied Schumann unverfänglich auf „Untersuchungen über die Ausströmung von Gasen durch zylindrische Düsen“. In die bibliographischen Verzeichnisse gelangt sie nicht.565
563 Sitzungsbericht über die Raketenfrage vom 17. Dezember 1930, BA-MA, RH 8/v 991 a, Bl. 29 f. Auch Ciesla: Das Heereswaffenamt, 41, macht auf diese Beratung und damit die frühe Beschäftigung des HWA mit Raketen aufmerksam. 564 Vgl. u. a. Neufeld: Die Rakete, 31–38; Fleischer: Die Heeresversuchsstelle, Bd. 1, insb. 52–61. 565 Promotionsunterlagen Wahmke, Akten „Geheimdissertationen“, Bd. 3, AHUB; Materialien Sammlung Michael Hartlieb.
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II. Experimente
Möglicherweise bezieht sich auf Wahmkes Forschungen ein Vermerk, den viele Jahre später General a. D. Dr. h.c. Kurt Waeger niederschrieb: „Im übrigen sei darauf hingewiesen, dass der erste Raketen-Ofen, in dem exakte Messungen über den Reaktionsdruck eines Gasstrahles, ferner andere thermodynamische Messungen vorgenommen wurden, im Laboratorium Schumanns brannte.“566
Sofort nach der erfolgreichen Promotion setzte Wahmke seine Testreihen in der Vers. West fort. Jetzt gehörte er zu Schumanns Forschungsabteilung und war zum Versuchsleiter avanciert. Unterstützt wurde er vom Oberfeuerwerker Voellmke und einigen Studenten, die ihm Schumann zur Seite stellte. Dafür hatte man dem frisch gebackenen Doktor „in wenigen Wochen neben dem großen einen kleinen, nur aus panzerplattenbeschlagenen Bohlen und Brettern errichteten Prüfstand gebaut“. Der Umgang mit den Versuchstriebwerken war nicht ungefährlich. Am 21. Dezember 1932 war ein Brennversuch fehlgeschlagen. Die Explosion richtete zwar an der Einrichtung eines Prüfstandes erhebliche Schäden an, konnte jedoch den Fortgang der Versuche nur unwesentlich beeinflussen. Schrecklich endete jedoch jenes Experiment vom 16. Juli 1934, auf das auch Schumann in seinem Beitrag „Wehrmacht und Forschung“ hinweist (vgl. Kapitel 1). Dazu schrieb einer der Augenzeugen, Dornberger, in seinen Erinnerungen (allerdings mit falscher Datierung): „Dr. Wahmke machte damals Versuche mit 90 %igem Wasserstoffsuperoxyd und Spiritus. Jeder der beiden Treibstoffe war für sich allein bei sachgemäßer Behandlung ungefährlich. In einem verhängnisvollen Augenblick, an einem Märzabend des Jahres 1934 entschloss er sich, beide Treibstoffe in einem Stahltank zu mischen, sie durch ein einziges Ventil in den Raketenofen eintreten zu lassen und dann zu zünden. Dr. Wahmke war sich der Gefährlichkeit seines Unternehmens bewusst. In der Rohrleitung, die zu dem dicht über den Raketenofen aufgehängten Behälter führte, waren keine Sicherungen eingebaut. Dr. Wahmke war von dem Gedanken besessen, auszuprobieren, ob die Verwendung vor der Zündung gemischter Treibstoffe gefährlich sei. Er rief das Kasino an, wo er noch zu so später Stunde nach Dienstschluss noch Menschen wusste, und bat, falls eine Explosion erfolgen sollte, Hilfe zu schikken. Dann forderte er seine Mitarbeiter auf, den Prüfstand zu verlassen. Da sie sich weigerten, rauchten sie zusammen eine Zigarette. Dann zündeten sie. Die kleine Zündeinsatzexplosion im Ofen übertrug sich durch die Rohrleitung in den Behälter. Als wenige Minuten danach Hilfe kam, stand vom Prüfstand nur noch das Bleirohr der Wasserleitung. Von vier Teilnehmern an dem Versuch waren drei tot, darunter Dr. Wahmke. Sie waren die ersten, aber auch für alle Zukunft einzigen Opfer der Raketenentwicklung des Heereswaffenamtes.“567
566 Eidesstattliche Erklärung General Waegers (wie Anm. 553), Bl. 148. W. konnte natürlich nur die Vorgänge innerhalb der Heeresforschung beurteilen und aus dieser Sicht zu Schumanns Arbeit Stellung nehmen. 567 Walter Dornberger: Peenemünde. Die Geschichte der V-Waffen, Esslingen 1981, 39. D. irrt jedoch mit der Datierung der Ereignisse auf den März 1934. Seitdem haben zahlreiche Autoren diesen Fehler kritiklos übernommen. In der amtlichen Todesnachricht zu Dr. Wahmke heißt es „… am 16. Juli 1934 bei einer Explosion zu Tode gekommen, durch Gehirnverletzung“ (Kopie in Sammlung Hartlieb). Auch Julius Mader hat bei den Recherchen für sein Buch Geheimnis von Huntsville. Die wahre Karriere des Raketenbarons Wernher von Braun,
11. Raketen
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Ergänzt wird dieser Bericht durch die Darstellung des Biographen Wernher v. Brauns: „Die vier Männer lagen am Boden. Sie werden ins Freie gezerrt. Einer von ihnen stößt entsetzliche Schreie aus, aber jäh verstummen sie. Die Atemgeräte, die schnellstens geholt werden, kommen für drei der Männer zu spät. Nur einer kann gerettet werden. Dr. Wahmke, Voellmcke und ein Student haben das Experiment nicht überlebt. Heinz Voellmke ist nicht sofort tot. Während der Fahrt zum Krankenhaus Luckenwalde kann er sogar noch einige Erklärungen zu dem mißglückten Versuch abgeben. Er stirbt während der Operation. Nur einer wird bei diesem Unglück gerettet: Erich Röseler. Er verdankt sein Leben einen kleinen Holztisch, vor dem er saß, während Dr. Wahmke am Sehschlitz stand und seinem Gehilfen Röseler alles diktierte, was er beobachtete. Der Tisch schlägt bei der Explosion auf Röselers Kopf. Für einen Augenblick ist er betäubt. Dann rennt er, am ganzen Körper brennend, aus der Baracke unter einen Wasserstrahl, läuft weiter in Richtung des Kasinos von Kummersdorf, wirft unterwegs einen zufällig vorbeikommenden Fahrer von seinem Rad und kann im letzten Augenblick die Schreckensnachricht verbreiteten. Nach seiner Genesung erhält Röseler für sein umsichtiges Verhalten die Rettungsmedaille am Bande.“568
Der sachkundige Leser wird die Bemerkung Dornbergers – der auch der Biograph v. Brauns kritiklos folgt –, es seien dies die einzigen Opfer der Raketenentwicklung des HWA gewesen, Stirn runzelnd zur Kenntnis nehmen. Will der spätere General und militärischer Chef von Peenemünde uns wirklich glaubhaft machen, er habe von den vielen Toten beim Luftangriff der Alliierten auf Peenemünde, von den in den unterirdischen Raketen-Fertigungsstätten misshandelten, an Hunger und Entkräftung gestorbenen KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern nichts gewusst? Ebenso nichts von den bei Angriffen mittels der A 4 auf London und anderen britischen Städten Umgekommenen? Waren dies alles keine Opfer der deutschen Raketenarbeiten? Ist vielleicht die Lüge des Generals a. D. seine Art gewesen, mit den Folgen seines Anteils an der Waffenentwicklung während des Nationalsozialismus fertig zu werden? Wenige Wochen vor Wahmkes Tod, im Juni 1934, stellte sich v. Braun bei Schumann und Wehnelt zur Prüfung für seine Dissertation ein. Der junge Mann „aus begütertem Hause“ hatte 1930 an der TH Berlin ein Studium des Maschinenbaues begonnen. Auf ihn war Walter Dornberger (1895–1980) aufmerksam geworden, der ab 1923 selbst Student der TH Berlin war, Anfang 1930 zum HWA kam und in der Abteilung Ballistik Hilfsreferent bei v. Horstig wurde. 1935 verlieh die TH Berlin Dornberger die Ehrendoktorwürde. Auf Empfehlung Dornbergers nahm Schumann den hoffnungsvollen Studenten unter seine Fittiche. In Abstimmung mit Becker übertrug er v. Braun ein Dissertationsthema und sorgte dafür, dass er in Kummersdorf ungestört an der „Versuchsreihe B“ arbeiten konnte. Becker und Schumann betreuten gemeinsam den Doktoranden. Die von ihm schließlich vorgelegte Schrift trug den vollständigen Titel: „Konstruktive, theoretische und experimentelle Beiträge zu dem Problem der Flüssigkeitsrakete“. GutBerlin 1967, diesen Irrtum korrigiert und durch eine amtliche Auskunft des Standesamtes Sperenberg belegt (401, Anm. 63). 568 Ruland: Wernher von Braun (wie Anm. 562), 82.
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II. Experimente
achter waren Schumann und Wehnelt, die das Prädikat „Sehr gut“ vergaben. Natürlich kam die Arbeit als Geheimsache sofort unter Verschluss, abgelegt im RKM unter der Signatur „Wa Prw Z Az 37“. Für die Öffentlichkeit wählte Schumann den nichts sagenden Titel „Über Brennversuche“.569 Drei Ziele hatte v. Braun mit dieser Doktorarbeit anvisiert: Die Entwicklung von Triebwerken auf der Grundlage von Aluminiumlegierungen. Die „automatische Synchronisation von Triebwerkszündung und Druckbeaufschlagung im Tank“, ein schwieriges Problem, da bei zu viel Brennstoff oder Oxidator bzw. einer unpräzisen Zündung stets die Gefahr einer Explosion bestand. Es sollte gleichzeitig eine Rakete entwickelt und konstruiert werden. Dazu entwarf v. Braun das „Aggregat 1“ (A 1), mit einem Triebwerk von 30 kg Schubleistung ausgestattet. Drei Exemplare dieser A 1 wurden 1933/34 auf dem großen Prüfstand in Vers. West getestet. Danach entschied man sich für eine Neukonstruktion, die A 2 genannt wurde.570 Allgemein gelten in der Literatur die durch v. Braun in Kummersdorf aufgenommenen Arbeiten als der Beginn eines systematischen Forschungsprogramms des HWA zu Flüssigkeitsraketen. Präzisierend stellte dazu einer der damals Beteiligten jedoch folgendes fest: „Eine der Gruppen, die damals auf dem Raketengebiet praktische Arbeit leistete und sich nicht auf theoretische Forschungen beschränkt hatte, wurde 1934 von General Becker ins Leben gerufen. Sie stand unter der Leitung von Prof. Schumann, der damals gleichzeitig Direktor des II. Physikalischen Instituts an der Universität Berlin war. Aus dem ballistischen Arbeitsgebiet entwickelte sich schnell eine Gruppe, die sich mit der Erforschung der Brennvorgänge in Flüssigkeitsraketen beschäftigte. Dr. Glimm und Dr. Thiel, die beiden Initiatoren dieser Arbeitsrichtung … erstellten bereits 1935 die ersten Betonprüfstände und entwickelten zunächst die Meßmethoden, die für die systematische Messungen der Betriebsdaten von Flüssigkeitsraketen unerläßlich waren.“571
Schon Anfangs 1935 war klar geworden, dass Kummersdorf für Versuche mit größeren Flüssigkeitstriebwerken zu klein war. Die ersten Versuchsmuster der A 2 wurden nicht umsonst auf der nordfriesischen Insel Borkum gestartet. Doch das war jedes Mal mit beträchtlichen Transport- und anderem Aufwand verbunden.572 Also musste ein neues, weiträumiges Terrain gefunden werden, das auch der Geheimhaltung entgegen kam. Dazu schlug v. Braun einen Platz auf der Ostseeinsel Usedom beim Ort Peenemünde vor. Nachdem sich im März 1936 der Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst Werner Freiherr von Fritsch, in Kummersdorf Raketentriebwerke hatte vorführen lassen und ihm eingehend von den geplanten Arbeiten berichtet worden war, bewilligte er die enormen Gelder für die Neubauten des Heeres in Peenemünde. Be569 Promotionsunterlagen v. Braun, AHUB, Phil. Fak., Nr. 759. 570 Ausführlich bei Neufeld: Die Rakete, 49–56. 571 Haeuseler: Zur Geschichte der Raketenforschung (wie Anm. 57). H. macht ferner zu Recht, den Beginn der Raketenforschung in Deutschland betreffend, aufmerksam: „wesentliche Arbeiten werden nicht erwähnt und gelegentlich andere über Gebühr in den Vordergrund gerückt“. 572 Berichte über Versuche mit dem Rauchspurgerät in Borkum, BA-MA, R H 8/v 1945.
11. Raketen
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reits im Mai 1937 konnte der größte Teil der Mitarbeiter von Vers. West – inzwischen fast 90 Mann! – an die Ostsee umziehen. Zurück blieb die Arbeitsgruppe Thiel. Der Chemiker Dr.-Ing. Walter Thiel war bei WaF kurzzeitig Nachfolger des verunglückten Wahmke. Im Herbst 1936 wechselte er zu Dornberger in die Vers. West. Seine Aufgabe bestand hier in der Entwicklung eines Triebwerkes mit einer Leistung von 25 Tonnen Schub. Die notwendigen Prüf-Versuche sollten in Kummersdorf im Stand erfolgen.573 Gleichlaufend arbeitete man in der Vers. West das HWA weiter an der Entwicklung von Feststoffraketen. Leiter der dafür bestimmten Prüfstände war Dipl.Ing. Fritz Trogisch. „Ihm gelang die fortschrittliche Entwicklung der Standversuche aus den Erstanfängen mit starken Spiralfedern bis hin zur modernen Elektronik, womit der Schubverlauf über die Zeit aufgezeichnet und gemessen wurde.“
Dieses knappe, dennoch sehr positive Urteil stammt von Zeyss, der mit Trogisch zusammenarbeitete. Zeyss verfügte über langjährige Erfahrungen auf dem Gebiet Feststoffraketen. Zeitweise war er im Auftrag von Generaloberst Milch zur Raketengruppe Dornberger kommandiert. 1944 berief ihn Speer zum Leiter der Sonderkommission Raketen im Hauptausschuss Munition unter Prof. Dr. Albert Wolff. Die Aufgabe von Zeyss bestand dort darin, die Aktivitäten aller Wehrmachtsteile zu Feststoffraketen zu koordinieren, Doppelarbeiten zu vermeiden sowie eine Typenvereinfachung durchzusetzen. Zuletzt wurde unter seiner Leitung bei Wa Prüf 11 das Vorhaben des Panzer-Abwehr-Lenkflugkörpers X 7 „Rotkäppchen“ bearbeitet.574 Die umfangreiche Literatur zu den deutschen Raketenarbeiten bis 1945 – sowohl zu Flüssigkeits- als auch Feststofftriebwerken – legt den Gedanken nahe, dass mit der Verlagerung nach Peenemünde bei WaF die Grundlagenforschung zu beiden Komplexen erlosch. Dieser Eindruck ist völlig falsch. Sowohl der schon auszugsweise zitierte Beitrag Haeuselers als auch zahlreiche neu aufgefundene Dokumente belegen, dass Schumanns Forschungsabteilung sehr wohl weiterhin mit dem Raketenthema befasst war. Das erfolgte vor allem auf drei Gebieten: Spezielle Forschungen zu flüssigen und festen Treibstoffen für ihre Verwendung im „R-Ofen“ (= Raketentriebwerk), sowie zu den Vorgängen im „R-Ofen“. 573 Dornberger: Peenemünde (wie Anm. 567); Neufeld: Die Rakete, insb. 74 f., 94–97. 574 Mitteilung von Dipl.-Ing. Wilhelm Zeyss vom 28. April und 22. Oktober 1999; Hans Bender: Panzerabwehr-Lenkflugkörper X 7 – „Rotkäppchen“, in: Theodor Benecke, Karl-Heinz Hedwig, Joachim Hermann: Flugkörper und Lenkraketen. Die Entwicklungsgeschichte der deutschen gelenkten Flugkörper vom Beginn dieses Jahrhunderts bis heute, Koblenz 1987 (= Die deutsche Luftfahrt, 10), 179–183. Im Mitteilungsblatt des HWA Der Waffenschmied wurden 1942, 79, und 1944, 13, Zeyss (Wa Prüf 11) Anerkennungen „für vorbildliche Zusammenarbeit mit Firmen bei der Entwicklung neuer Waffen“ ausgesprochen. Zeyss hinterließ auch Ende 1944 einen „ganz ausgezeichneten Eindruck“ bei Dr. Badstein vom Planungsamt des RFR: „Er hielt uns einen 3-stündigen Vortrag über den augenblicklichen Stand der Pulver-Rakete und nannte uns dabei ungefähr 10 exakt formulierte Forschungsprobleme“. Aktenvermerk vom 13. November 1944, BAB, R 26 III/51, Bl. 32 R.
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II. Experimente
Ausgewählte Fragen der Ballistik von „Spezialgeschossen“, eine Bezeichnung für Raketen, die bei WaF durchgängig, auch aus Tarnungsgründen, Verwendung fand. Untersuchungen zu Materialproblemen. All diese Arbeiten erfolgten überwiegend in Abstimmung mit Wa Prüf 11, jetzt zuständig für die Raketen. Schumann selbst und andere Mitarbeiter von WaF reisten dazu verschiedentlich nach Peenemünde. In bewährter Weise bezog WaF das wissenschaftliche Potential von Hochschulen, Universitäten, wissenschaftlichen Einrichtungen usw. ein.
Treibstoffe Die materiell-technischen Vorrausetzungen für eigene Forschungen hatten sich bei WaF ab 1935 beträchtlich verbessert. Jetzt stand der Abteilung Schumanns auch die im Aufbau befindliche Vers. Ost zur Verfügung. In ihr waren auch einige Raketenprüfstände errichtet worden. Für eine Geheimpromotion führte Schlicht, damals noch unter der Leitung von Diebner, Referent von WaF I c, in der Vers. Ost seine „Spektroskopischen Untersuchungen des Verbrennungsvorganges im ROfen“ durch. Ein von ihm im April 1937 verfasster „Laboratoriumsbericht“ gibt Einblicke in die komplizierten Details: „Es wurde die Aufgabe gestellt, auf spektroskopischem Wege den Verlauf der Verbrennung in R-Öfen zu untersuchen und nach Möglichkeit als Endresultat eine quantitative Gasanalyse zu entwickeln. Ein abschließendes Ergebnis in dieser Hinsicht konnte in der kurzen Zeit der bisherigen Versuchsdauer nicht erzielt werden, da zunächst durch die Beschaffung von Spektrographen, eines Komparators, eines Registrier-Photometer usw. apparative Schwierigkeiten auftraten. Bisher wurden mit einem kleineren Quarzspektrographen und einem mittleren Gasspektrographen Übersichtsaufnahmen von Wasserstoff-Sauerstoff-R-Ofen und einzelne Aufnahmen vom Heylandt-Ofen, betrieben mit Alkohol und flüssigem Sauerstoff, vorgenommen. Um das Spektrum des inneren Ofenraumes aufnehmen zu können, wurde zunächst der Wahmke-Ofen mit einem Quarzfenster, 30 mm Durchmesser, versehen. Die Versuchsbedingungen sind relativ ungünstig. Eine Gesamtaufnahme erfordert eine Belichtungszeit von 15– 20 Minuten. Der Wahmke-Ofen gestattet jedoch nur Brennversuche von 1–1,5 Minuten, da bei größerer Brenndauer die Gefahr des Durchbrennens besteht. Jede Aufnahme kann also wegen der erforderlichen Belichtungszeit nur durch mehrere Brennversuche gemacht werden, so daß für eine vollständige Aufnahme einige Stunden benötigt werden. Um eine Brenndauer von etwa 20 Minuten zu erzielen, wurde unter Zugrundelegung des Wahmke-Ofens ein neuer Ofen mit Wasserkühlung und größerem Quarzfenster (70 mm x 30mm) konstruiert. Dieser Ofen wird gegenwärtig angefertigt …“
Schlicht fertigte Übersichtsaufnahmen von mehreren Spektralbereichen und wies in seinem Bericht auf verschiedene, von ihm festgestellte Unterschiede hin, deren nähere Untersuchung „zur Klärung des Reaktionsverlaufes beitragen“ könne. Dazu seien jedoch weitere Arbeiten mit einem Spektrographen notwendig. Dieses Gerät habe die Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellt. Mit dem neu zu bauenden Ofen sollten zusätzlich Temperaturmessungen für die Verbrennung von
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Wasserstoff und Sauerstoff vorgenommen werden.575 Ein anderer Doktorand, der in der Vers. Ost experimentierte und den Thiel betreute, war Ernst Seifert (*1911). Er hatte an der Universität Berlin ab 1930 das Fach Chemie studiert und war Ende 1937 „gemeldet auf dem Schießplatz Kummersdorf“. Seine Forschung „Über die Eignung verschiedener Kraftstoffe als Brennstoff für das Rauchspurgerät II, insbesondere den 20 kg Heylandt-Ofen“ schloss er im Februar 1938 ab. Untersucht hatte Seifert die Substanzen „Dieselgasöl, Petroleum, Motorenbenzol, Methanol, Varol und Varin“, sowohl im „Wahmke-Ofen“ als auch im „Heylandt-Ofen“. Ausführlich beschrieb er die Versuchs- und Messeinrichtungen in der Vers. Ost, wertete die Ergebnisse aus und gab zu ihnen eine theoretische Verallgemeinerung. Bei seiner Arbeit konnte er sich auf die Dissertationen Wahmkes, v. Brauns und andere wissenschaftliche Arbeiten stützen. Angenommen wurde die Schrift von Schumann und Thiessen, die sie mit „ausgezeichnet“ bedachten. Ausdrücklich dankte der Verfasser beiden Gutachtern, ebenso Becker „für die stete Förderung, finanzielle Unterstützung und wissenschaftliche Beratung“. Abgedeckt wurde die geheime Doktorarbeit schlicht als „Untersuchungen über Brennvorgänge“.576 Seifert nennt im Literaturverzeichnis seiner Arbeit die Dissertation eines Dr. Otto, verfasst 1934 zum Thema „Systematische Untersuchungen am Raketenofen mit Lavaldüsen“. Hierbei könnte es sich um Dr. Johannes Otto (*1910) handeln, der 1935 promovierte und nach den Unterlagen im Bundesarchiv, Zentralnachweisstelle Aachen, nachweislich WaF angehörte. In den Bibliographien erscheint diese Dissertation nicht. Ab 1931 studierte an der Universität Berlin Hans-Joachim Hilgert (*1913). Schumann bezog ihn ab 1936 in die Wehrforschung ein und übertrug ihm die Aufgabe, die „Abhängigkeit der verschiedenen Betriebsdaten von den Brennkammer- und Düsenabmessungen eingehend“ zu untersuchen. Hilgert experimentierte „vorwiegend mit gasförmigem Sauerstoff-Wasserstoff und mit flüssigem Sauerstoff-Alkohol“. Die Dissertation wurde am 23. November 1938 bei Schumann und Wehnelt mit dem Ergebnis „sehr gut“ verteidigt. Thiessen hatte den Kandidaten zur Chemie geprüft. Zur Abdeckung legte Schumann für die als „geheim“ klassifizierte Arbeit fest: „Untersuchungen über turbulente Strömungsvorgänge“.577 Als „wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsabteilung“ war seit 1937 Erich Diekmann (*1900) bei Schumann tätig. Zwei Jahre später begann er, wahrscheinlich ebenfalls in der Vers. Ost, mit experimentellen Untersuchungen zu ei575 Laboratoriums-Bericht Schlichts vom 1. April 1937, Nr. 179, BA-MA, RH 8/v 1260. 576 Promotionsunterlagen Seifert, Akten „Geheimdissertationen“, Bd. 1, AHUB. Auf die Betreuung durch Thiel weist auch eine Feststellung von Neufeld hin, wonach Thiel „einen Doktoranden beaufsichtigte, der sich mit Grundlagenforschung für die Verbrennungsvorgänge in einem 20 kg-Heylandt-Triebwerk beschäftigte“ (Neufeld: Die Rakete, 95). Da die überlieferten Kopien zu Auszügen aus der Dissertation Seiferts – im Besitz der Bürgervereinigung Kummersdorf, der für die Einsichtnahme zu danken ist – Hinweise auf das Archiv des Deutschen Museum, München, enthalten, erfolgte dort eine Anfrage. Im DM wird zwar ein Bericht „Seifert/Thiel“ in den Dokumenten zur Raketenforschung erwähnt, jedoch fehlt dieser Bericht. Mitteilung von Dr. Wilhelm Füßl vom 3. April 2003. 577 Promotionsunterlagen Hilgert, Akten „Geheimdissertationen“, Bd. 1, AHUB; Haeuseler: Zur Geschichte der Raketenforschung (wie Anm. 57), 105.
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II. Experimente
ner Geheimdissertation. Studiert hatte er ab 1931 an der Universität Berlin das Fach Chemie. Die Doktorschrift mit dem offiziellen Titel „Beiträge über die Untersuchung von Verbrennungserscheinungen“ wurde am 13. März 1940 von Schumann und Thiessen angenommen. Beide vergaben das Prädikat „Sehr gut“.578 Auf die Geheimdissertation des Dr. Glimm wurde bereits in Kapitel 2 aufmerksam gemacht. Bei dieser Schrift handelt es sich um einen bedeutsamen Aspekt der Grundlagenforschung, allerdings im Unterschied zu den bisher referierten Arbeiten auf dem Gebiet der festen Treibstoffe. In den Verzeichnissen der wissenschaftlichen Arbeiten erscheint sie unverbindlich als „Ballistische Untersuchungen“. Ihr tatsächlicher Titel lautet: „Über die Rückstoßkraft von Gasstrahlen, die durch explosive Verbrennung moderner kolloidaler Pulver in einer Bombe mit Austrittöffnung erzeugt werden“. Betreut wurde Glimm von Schweikert. Als Gutachter fungierten Schumann und Wehnelt. Bei der Verteidigung am 10. Mai 1935 vergaben sie ein „Sehr gut“. Schumann verfügte zu ihr seine, inzwischen schon zum Standard gewordene Entscheidung: „Die Arbeit bleibt (laut Vereinbarung zwischen dem Reichswehrministerium und dem Reichsund Preuß. Ministerium für Wiss., Erz. u. Volksbildung) geheim; sie befindet sich mit der Beurteilung in den Akten des Rw. Min., Aktenzeichen Wa Prw Z Az 37 (Diss. Glimm).“579
Da diese Dissertation eine der wenigen Geheimarbeiten ist, die der Vernichtung bzw. dem Verlust 1945 entging, kann auf ihren Inhalt näher eingegangen werden. Eingangs vermerkte der Autor: „Im Zusammenhang mit einer Anzahl von Arbeiten über Fragen des Raketenantriebs [hervorgehoben, G. N.] stellte die Abteilung Wa Prw Z des RWM, Heereswaffenamt, die Aufgabe, auf experimentellem Wege den zeitlichen Verlauf der Rückstoßkräfte zu bestimmen, die durch Verbrennung moderner kolloidaler Pulver in einer druckfesten Versuchsbombe mit Ausströmöffnung erzielt werden können.“
Dazu untersuchte er zwei Pulversorten ausführlich, vier weitere nur „orientierend“. Als „Verbrennungsgefäß“ benutzte Glimm eine Bombe*, wie sie allgemein für Rückstoßmessungen bei der CTR im Gebrauch waren. Sie besaß „einen zylindrischen Verbrennungsraum von 11 cm Länge und 1,6 cm Durchmesser, also etwa 22 cm3 Inhalt und 60 cm2 Wandfläche“, bestand aus Chrom-Nickel-Stahl und konnte mit „3 cm Wandstärke aus einem vollen Stück herausgearbeitet … Innendrucken bis 4.000 atm sicher Widerstand“ leisten. Für die geplanten Experimente erwies sich jedoch das Mustergerät der CTR als nur teilweise geeignet. Es musste umgebaut, später sogar neu konstruiert werden. Besondere Schwierigkeiten bereiteten die Düsen, da die bisher bekannten Arten sehr schnell ausbrannten. Mehrere andere Bestandteile der sonst üblichen Versuchsanordnung wie Pendelaufhängung, Zündung, Schaltung, Zeitschreiber und Messeinrichtungen waren beträchtlich zu modifizieren. Schon erste Vorversuche ergaben, dass vieles nicht sofort zur vollen Zufriedenheit geriet und neue Lösungen erforderte. Auch der Umgang mit der Experimentaltechnik stellte hohe Ansprüche. So musste nach je578 Promotionsunterlagen Diekmann, Akten „Geheimdissertationen“, Bd. 1, AHUB. 579 Promotionsunterlagen Glimm, AHUB, Phil. Fak., Nr. 775, Bl. 121 R.
11. Raketen
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dem Versuch die Bombe gründlich gereinigt und getrocknet werden. Treib- und Zündladungen waren, da nur kleinste Pulvermengen zum Einsatz kamen, sehr präzise abzuwiegen und einzubringen. Der Düsenquerschnitt war vor und nach jeder Zündung genauestens auszumessen. Als ziemlich schwierig erwies sich die Berechnung des Rückstoßverlaufes, aufgezeichnet durch einen Registrierstreifen. Für die theoretischen Ableitungen benötigte der Doktorand einen ausgefeilten mathematischen Apparat, den er jedoch brillant zu gebrauchen wusste. In kritischer Auseinandersetzung mit der noch „unveröffentlichten Theorie der Rakete von Prof. Dr. Schweikert“ gelangte Glimm zu folgender „Zusammenstellung der wichtigsten Ergebnisse: 1. Die Anschauung der Schweikertschen Theorie über den Zusammenhang zwischen Innendruck und Rückstoß steht im Widerspruch zu den experimentellen Ergebnissen. 2. Eine auf der Grundlage der klassischen Strömungslehre aufbauende dynnamische Theorie stimmt innerhalb der Meßgenauigkeit mit den experimentellen Ergebnissen überein, wenn gewisse Annahmen über die Düsenausbrennung gemacht werden. 3. Unter Annahme der durch 2) gestützten klassischen Strömungslehre wird ein von Schweikert abweichendes Gesetz des Druckabfalles aufgestellt, dessen experimentelle Prüfung noch aussteht. 4. Für weitere Rückstoßmessungen, auch für die Prüfung des unter 3) erwähnten Gesetzes wird die Benutzung einer annähernd k=unabhängigen Lavaldüse vorgeschlagen.“580
Glimms Dissertation war insgesamt ein gewichtiger Beitrag zur Klärung grundlegender Fragen bei der Entwicklung von Feststoffraketen. Schumann schätzte die Arbeit hoch ein. Für die Pulverraketenentwicklung benutzte man damals so genannte Schwarzpulverpresslinge. Da diese Presslinge häufig aus unerklärlichen Gründen detonierten, sollten die dabei wirkenden Vorgänge gründlich erforscht werden. Die Aufgabe wurde den beiden Doktoranden Gerhard Giebler (*1910) und Wilhelm Stenzel (*1912) gestellt. Giebler studierte ab 1930 an der Universität Berlin das Fach Chemie. Im April 1936 wechselte er zu WaF. Bei Schumann und Thiessen verteidigte er Anfang Dezember 1938 seine Forschungsergebnisse. Etwas später als Giebler hatte Wilhelm Stenzel an der Universität Berlin die Fächer Physik und Chemie belegt. Mitte 1936 begann er mit seiner Doktorarbeit, die Schumann und Wehnelt Mitte April 1938 annahmen. Beide Geheimarbeiten, die das Prädikat „gut“ bekamen, liefen unter dem offiziellen Titel „Untersuchungen über die Ab-
580 Heinz-Otto Glimm: Über die Rückstoßkraft von Gasstrahlen, die durch moderne kolliodale Pulver in einer Bombe mit Ausströmöffnung erzeugt werden, Dissertation, 10. Mai 1935, Universität Berlin, geheim, 33 Abb. Eine Kopie dieser Arbeit befindet sich im Besitz des Verfassers. Sie wurde von Herrn Dipl.-Ing. Claus C. Cobarg, ehemals Studentenkompanie, zur Verfügung gestellt, der sie Anfang 1945 von Glimm zur Einsicht erhielt und wegen der Kriegsereignisse nicht mehr zurückgeben konnte. Vgl. auch Günter Nagel: Ein Kriegsschicksal – nach 57 Jahren aufgeklärt, in: Potsdamer Neueste Nachrichten 115 vom 18. Mai 2002, 25.
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II. Experimente
sorptionsfähigkeit von Kohle“. Mit ihnen „konnte nachgewiesen werden, dass die Detonationen auf feine Haarrisse in den Presskörpern zurückzuführen waren“.581 Diese Forschungsergebnisse waren wichtig für das Raketenreferat bei Wa Prüf 1 (Ballistik, Munition), das in Zusammenarbeit mit der Industrie für die waffentechnische Entwicklung von Pulverraketen verantwortlich zeichnete. Als Sachbearbeiter, später Referent, Gruppenleiter, zuletzt leitender Ingenieur der Pulverraketen-Abteilung von Wa Prüf 11, arbeitete ab 1934 bei Prüf 1 Dipl. Ing. Hermann Pitzken (*1902). Er stammte aus Riga und kam 1920 nach Deutschland. Vor seinem Eintritt in das HWA hatte er Erfahrungen als Hütteningenieur sowie als technischer Angestellter bei der Reichspost und in der Reichsdruckerei sammeln können. Seine Fähigkeiten waren für Becker Anlass, ihn 1935/36 mit der treuhänderischen Führung der Raketenfirma Fr. W. Sander, Wesermünde, zu beauftragen. Es gelang Pitzken, die Fa. Sander in kurzer Zeit erfolgreich zu sanieren. Bei seiner Rückkehr zu Prüf 1 brachte er den Konstrukteur und Versuchsingenieur Gerhard Zanke (*1902) mit, den er seit 1933 kannte und mit dem er zuletzt bei der Fa. Sander gearbeitet hatte. Zanke verblieb bis Kriegsende bei Wa Prüf 11. Pitzken, der ständig und zwar mit großem Erfolg auf dem Gebiet der Pulverraketen arbeitete, wurde von der Führung des HWA sehr geschätzt und mit hohen Auszeichnungen bedacht, u. a. mit einer Dotation Hitlers für „hervorragende Verdienste um die deutsche Rüstung“. Einzelheiten der sehr wahrscheinlichen Zusammenarbeit WaF-Wa Prüf 1, Ref. Pulverraketen, konnten nicht erarbeitet werden.582 Mit Pulverforschung für Feststofftriebwerke war auch Schweikert beschäftigt. Offenkundig wurde er als Fachmann auf diesem Gebiet geschätzt. Dafür ein Beispiel: Für den 17. August 1944 hatte ihn der „Bevollmächtigte für Strahlantrieb“, Prof. Schmidt, zu einer Arbeitstagung bei der LFA in Braunschweig eingeladen. Schweikert referierte dort zur „Verbrennung kolloidaler Pulver, Reaktionsantrieb auf gaskinetischer Grundlage“. Dr. Mossmann, Wa Prüf, trug vor zu „Treibsätze auf Nichtpulvergrundlage“, Dr. E. v. Holt, Wasag, über „rauchlose Pulver“.583
581 Promotionsunterlagen Giebler und Stenzel, Akten „Geheimdissertationen“, Bd. 1, AHUB; Haeuseler: Zur Geschichte der Raketenforschung (wie Anm. 57), 105. 582 BA-MA, NL 625/79, Unterlagen zu Pitzken und Zanke. Pitzken, bei Kriegsende Ober-Reg.Baurat, war ab 1950 mehrere Jahre für die ägyptische Regierung als Berater zu Pulverraketen tätig, ab 1951 ebenso Zanke. Offiziell produzierte Fr. W. Sander Raketen und Schießmittel für das Seenot-Rettungswesen sowie diverse pyrotechnische Artikel. Ab 1935 arbeitete bei Fr. W. Sander auch der Dipl.-Ing. Hans Grosse, der ab 1937 die Raketen-Entwicklung in der Fabrik Düneberg der Dynamit AG, Geesthacht, leitete. 1948–1950 war er als Waffenspezialist für das britische Verteidigungsministerium tätig, danach bei einem schwedischen Rüstungsunternehmen. 1953 ersuchte er General a. D. Schneider, ihn an einer Stelle beim „militärischen Neuaufbau der EVG“ zu empfehlen. NL 625, ebd. 583 Einladung Schmidts zur Arbeitstagung am 17. August 1944, BAB, R 26 III/212.
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Raketenballistik Dieser Komplex nahm bei WaF einen großen Raum ein. Er lag vor allem in den Händen von Schweikert und Klose, die dafür sowohl Doktoranden und Diplomanden als auch Wissenschaftler außerhalb des HWA heranzogen. Zusätzlich zu der schon erwähnten Diplomarbeit von Boseck „Untersuchungen zur Außenballistik von Spezialgeschossen“ (vgl. Kapitel 5) konnten weitere Arbeiten festgestellt werden. Aufschlussreich ist die Dissertation von Günther Ludwig, der von 1936 bis 1939 an der Universität Berlin Mathematik studierte. Wie er mit dem HWA in Berührung kam und was aus der Verbindung wurde, schrieb er nach 1945 auf: „Ich hatte so bald guten Kontakt mit dem ‚Mathematischen Seminar‘ und arbeitete oft dort, da ich hier die mich interessierenden Bücher fand. Meinem Kontakt zu Dinghas und Knothe [Berliner Mathematiker, G. N.] war es sicher zu verdanken, daß bei einer Anfrage der Heeresversuchsstelle Peenemünde an das Mathematische Seminar nach geeigneten jungen Mathematikern auch mein Name genannt wurde. Nachdem ich Ende November 1939 zunächst eingezogen wurde, wurde ich im Frühjahr 1940 nach Peenemünde dienstverpflichtet, wo ich bis Kriegsende arbeitete. Im Herbst 1939 wollte ich meine Promotionsarbeit auf dem Gebiet der Leitfähigkeit der Metalle bei Kohler beginnen. Bei meiner Tätigkeit in Peenemünde zeigte es sich, daß es nicht möglich war, „nebenbei“ eine solche Promotionsarbeit anzufertigen. Da der Krieg länger dauerte, entschloß ich mich, die während meiner Tätigkeit in Peenemünde erhaltenen Ergebnisse als Promotionsarbeit im Fach Angewandte Mathematik zusammenzustellen. So promovierte ich am 29. Juni 1943 mit einer Arbeit ,Günstigste Wahl des Koeffizienten eines charakteristischen Polynoms, das die Stabilität eines schwingungsfähigen, physikalischen Systems beschreibt‘. Referent der Arbeit war Prof. Klose. Ob Erhard Schmidt das Koreferat machte, weiß ich nicht mehr. Die mündliche Prüfung machte ich bei Klose und Erhard Schmidt, und im ‚Nebenfach‘ Physik bei von Laue. Während der ersten Jahre des Krieges hatte ich in Peenemünde an der Entwicklung der Steuerung der V2-Rakete teilgenommen. Dann wurde eine Flugabwehrrakete (Projekt ‚Wasserfall‘) entwickelt, deren Lenkung und Zielsuchsteuerung in meiner Arbeitsgruppe theoretisch entworfen wurde. Für die Entwicklung dieser Rakete wurden neue Kräfte nach Peenemünde entsandt, so noch die beiden Mathematiker Knothe und Eichler.“584
Das REM teilte der Berliner Universität kurz nach Annahme der Dissertation Ludwigs mit: „Das OKW hat in Übereinstimmung mit dem OKH die Arbeit zur Geheimen Kommandosache erklärt. Gegen die Verwendung des Titels bestehen keine Bedenken.“
Von einer engen Verbindung Kloses zur „Raketenentwicklungs-Station in der Nähe von Peenemünde“ erfuhren bald auch einige Angehörige der Studentenkompanie, da Klose ihnen Aufgaben zur „numerischen Lösung einer Differentialglei-
584 Zitiert bei Heinrich Begehr (Hg.): Mathematik in Berlin. Geschichte und Dokumentation, Aachen 1998, 1. Halbbd., 298 f. Bei der von Ludwig genannten Entwicklung handelte es sich um den Gerätekomplex „Karussell“ der Arbeitsgruppe Dr. Weiß. Am 30. Januar 1944 wurde dazu ein Geheimpatent angemeldet. Für das Zielsuchgerät verwandte man einen UR-Sensor (vgl. Kapitel 14), detailliert bei Benecke et al.: Flugkörper und Lenkraketen (wie Anm. 574), 35.
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chung für die Beschreibung einer Flugbahn von Interkontinental-Raketen“ gab.585 Klose betreute auch Promotionsarbeiten von Angehörigen des HWA außerhalb von WaF, so z. B. Kurt Garve (*1910), der seit Mai 1937 wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Wa Prüf 1/A/1 war. Schneider hatte im November 1943 die Erlaubnis erteilt, dass Garve am Thema „Zur Außenballistik des Raketengeschosses“ arbeitete. Angenommen wurde die Geheimarbeit durch Klose und Prof. Orthmann erst am 5. März 1945 (!), obwohl Klose seine kurze Beurteilung schon am 28. Juli 1944 niedergeschrieben hatte: „Die Arbeit stellt einen Versuch dar, die klassischen Methoden der Außenballistik auf gewisse Spezialgeschosse anzuwenden. Der mathematische Apparat ist ganz auf die praktische und numerische Anwendung ausgerichtet. Der Verfasser bildet die Methoden für die Spezialaufgabe durch. Beispiele und Nomogramme[*] ergänzen die theoretische Erörterung. Die Arbeit ist ein ausbaufähiger Beitrag zur modernen Waffenforschung.“586
Bei der Suche nach geeigneten und befähigten Wissenschaftlern zur Klärung raketenballistischer Probleme wurde Schweikert vor allem an der TH Aachen fündig. Wir erinnern uns, dass Schumann dort mit den Professoren Schultz-Grunow und Piwowarski für seine Sprengphysik- und HL-Forschung über sehr kompetente Partner verfügte. Gleiches kann von Schweikert vermeldet werden, der mit zwei Gelehrten des Instituts für praktische Mathematik der TH in Verbindung stand: Prof. Dr. Robert Sauer (1898–1970) und dessen Assistent Dr.-Ing. Heinrich Pösch (1912–1962). Ihnen erteilte er die (offene) Kriegsaufgabe „Entwicklung einer Universalintegriermaschine für gewöhnliche Differentialgleichungen“. Sauer bekam noch zusätzlich eine ebenfalls offene Aufgabe „Ballistische Berechnungen: Ermittlungen der tangentialen und normalen Komponente des Luftwiderstandes und zeichnerische und rechnerische Erprobung der neuen Methode der Flugbahnermittlung nach Prof. Schweikert“. Gleichlaufend wurden die Askania-Werke in Berlin-Friedenau ersucht, den Bau der zu entwickelnde Integriermaschine zu übernehmen.587 Beide Mathematiker der TH Aachen waren für das Forschungsprojekt bestens gerüstet. Sauer übernahm 1934 den (später umbenannten) Lehrstuhl für Mechanik und Aerodynamik, ehemals geführt von Prof. Dr. Theodor Karmann (1881–1963), der 1930 in die USA gegangen war und dort ein berühmter Luft- und Raumfahrtingenieur wurde. Sauer galt bald als Experte für Gasdynamik, befasste sich intensiv mit äußerer Ballistik, Strömungen bei hohen Geschwindigkeiten und weiteren Themen, die militärisch eine große Rolle spielten. 1939/40 leistete er seinen Wehrdienst als Ballistiker beim OKH, L. Flak I in Berlin. Ab 1941 beteiligte sich Sauer an der Entwicklung der Rakete A 4 in Peenemünde und bewältigte gleichzeitig Forschungsaufträge des RLM. Außerdem unterhielt er enge wissenschaftliche Kontakte zum Ballistischen Institut der TAL in Berlin-Gatow. Mit dessen 585 Promotionsunterlagen Ludwig, Akten „Geheimdissertationen“, Bd. 2, AHUB; Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129). 586 BAB, R 4901/12850, Bl. 259. 587 Forschungsaufträge, BAB, R 26 III/4 und 9. Vgl. auch Hartmut Petzold: Rechnende Maschinen. Eine historische Untersuchung ihrer Herstellung und Anwendung vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik, Berlin 1985 (= Technikgeschichte in Einzeldarstellungen, 41), 67 f.
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Leiter Schardin war er persönlich bekannt. Auch Pösch verfügte über Erfahrungen auf dem Gebiet der Außenballistik und hatte dazu Anfang 1942 promoviert.588 Die Doktorarbeit von Pösch deutete schon an, worin das Ziel des von WaF durch Schweikert erteilten Forschungsauftrages bestand. Es ging um Flugbahnberechnungen von Geschossen, die je nach Höhengewinn veränderliche Luftschichten passierten. Durch „photogrammetrische Aufnahmen“ wurde die Flugbahn „verhältnismäßig genau gemessen“. Für die Auswertung der so gewonnenen Daten hatte Pösch extra ein neues Rechenverfahren vorgeschlagen. Nun sollte ein Rechengerät zur möglichst schnellen Lösung der komplizierten Differentialgleichungen geschaffen werden. Während Sauer und Pösch die damit verbundenen theoretischen Arbeiten übernahmen, lag die Entwicklung und konstruktive Durchführung in den Händen von Ing. Schomann von der Berliner Firma Askania. Deshalb wurde die Maschine auch als „Askania-Integrieranlage“ bezeichnet. Getestet wurde das fertige Produkt durch Pösch bei der Luftfahrtforschungsanstalt München, wahrscheinlich weil dort Prof. Dr. Johannes Peters tätig war, der die Entwicklung der elektrischen Ausrüstung betreute. Zu den Schaltungen der Rechenmaschine legte Pösch im Juli 1944 an der TH Aachen seine Habilitationsschrift vor. Verschiedene Aspekte der Entwicklung und Funktion der neuen Anlage enthielten einige kurze, gemeinsame Veröffentlichungen von Pösch und Sauer. Wichtig waren jedoch zwei „Nur für den Dienstgebrauch“(NfD) bestimmte Dokumente: „Bericht über die Erprobung …“ und „Gebrauchsanweisung der Integriermaschine …“, da sie die Details nannten. In dem Erprobungsbericht heißt es u. a.: „Auf Anregung des Oberstleutnant Dr. Hannay hat das HWA (Prof. Dr. Schweikert) im Jahre 1940 dem Institut für Praktische Mathematik der TH Aachen (Prof. Dr. Sauer) den Auftrag erteilt, ein Integriergerät zu entwickeln zur vollautomatischen Berechnung der Geschoßbahnen aus vorgegebenen aerodynamischen Beiwerten. Von Anfang war klar, daß ein so umfangreiches und kostspieliges Gerät nicht auf einen bestimmten, eng umgrenzten Sonderzweck abgestellt werden durfte, sondern zur Lösung möglichst allgemeiner Systeme von gewöhnlichen Differentialgleichungen anwendbar sein musste … Die zunächst gelieferte Versuchsauführung, bestehend aus 2 Integraltrieben, 2 Funktionstrieben, 1 Summentrieb und 1 Schaltschrank samt Zubehör wurden vom 26. 10.–14. 11. 1942 in Ottobrunn bei der Luftfahrtforschungsanstalt München erprobt.“589
588 Auszüge aus Personalunterlagen im UA der TH Aachen zu Sauer und Pösch, Lebenslauf Sauers BAB, BDC DS A 59, Bl. 5958; Heinrich Pösch: Rechnerische Differentations- und Integrationsverfahren in der Außenballistik, Dissertation, 20. Februar 1942, TH Aachen; Kalkmann: Die Technische Hochschule Aachen, 312–317. Kalkmann hält Sauer für einen der wichtigsten deutschen Mathematiker in den Jahren 1943 bis 1945 (317). Herrn Kalkmann ist für ergänzende Angaben zu diesem Thema zu danken. 589 Auszüge aus den PA Pösch und Sauer, UA TH Aachen; Pösch: Bericht über die Erprobung einer Universal-Integriermaschine für gewöhnliche Differentialgleichungen (Bl. 2), Gebrauchsanweisung der Integriermaschine für Differentialgleichungen, beide Berichte in: Deutsche Luftfahrtforschung. Untersuchungen und Mitteilungen, Nr. 723 und 723/2, (NfD), Reg. Nr. der Bibliothek der RWTH Aachen, Physikalische Institute, UM 723 und 723/2. Zu danken ist der Bibliothekarin, Frau Cleven, die beide Berichte zugänglich machte; Alwin Walther, Hans-Joachim Dreyer: Mathematische Geräte, in: FIAT-Berichte, Mathematik 2, Teil 1, 153–155, dort auch
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Mit den sehr begrenzten materiell-technischen Vorraussetzungen bei WaF für Forschungen über Raketenballistik war Schumann schon seit längerem unzufrieden. Neidvoll sah er jene enormen Möglichkeiten, über die die Aerodynamische Versuchsanstalt (AVA) in Göttingen verfügte, u. a. einen großen Windkanal, einen Hochgeschwindigkeitskanal sowie weitere großtechnische Anlagen.590 Die sich für ihn abzeichnenden Entwicklungsperspektiven der Raketentechnik bewog Schumann zu einem energischen Vorstoß. Sein Ziel war die Schaffung eines eigenen „Aerodynamischen Instituts, das vorwiegend der Geschoßentwicklung dienen soll“. Einen entsprechenden Vorschlag, entstanden „in wenigen Tagen … auf Wunsch von Herrn Oberst Geist (Heereswaffenamt, Wa Prüf 1) und Dr. Sommer (Munitionskommission, Reichsminister für Bewaffnung und Munition)“, legte Schumann Mitte 1942 vor. In dem über 25 Seiten umfassenden Dokument – einschließlich verschiedener Ansichts- und Aufrißskizzen – erläuterte er seine Vorstellung von den Aufgaben eines solchen Instituts und den zu schaffenden Versuchsanlagen, samt Werkstätten. Ergänzt wurde der Projektentwurf durch eine grobe Übersicht zum voraussichtlichen Energiebedarf, zu den Bau- und jährlichen Betriebskosten, zum Personal, zur organisatorischen Form sowie zum zeitlichen Ablauf des Aufbaus. Das vorgeschlagene Institut sollte „die Klärung aller aerodynamischen Fragen übernehmen, die für einen raschen Fortschritt der Geschoßentwicklung von Bedeutung sind“, vor allem Verminderung des Geschoßwiderstandes und Sicherung der Stabilität während des Fluges. Sowohl Unterschall- als auch Überschallgeschwindigkeiten waren anvisiert. Ausdrücklich verwies Schumann auf „Versuche mit Raketenantrieb … [und] Untersuchungen bei extrem geringer Luftdichte, wie sie beim Schießen über sehr große Entfernungen und den dabei in Frage kommenden Höhen vorkommen“. Letzteres stehe zwar praktisch noch nicht im Vordergrund, solle aber „vorausschauend verstanden werden“. Beginnen sollte die Arbeit am Institut mit einem Windkanal für den Bereich der Unterschallgeschwindigkeit, mit einer Messstrecke von 1,20 m Durchmesser und einer Leistung, die knapp bis an die Schallgrenze heranreichte. Gedacht war dieser Windkanal als eine „vernünftige Kompromißlösung zwischen physikalischen Bedingungen … und rein praktischen Anforderungen des Versuchsbetriebes“. Für Überschallgeschwindigkeiten konzipierte Schumann drei Anlagen: einen Windkanal mit stationärem Betrieb, mit Leistungen bis zur dreifachen Schallgeschwindigkeit; einen weiteren Windkanal „für stoßweisen Betrieb mit Hilfe evaAbb. Der im Erprobungsbericht genannte Oberstleutnant Dr. Hannay konnte nicht identifiziert werden. 590 Cordula Tollmien: Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Strömungsforschung, verbunden mit der Aerodynamischen Versuchsanstalt, in: Heinrich Becker, Hans-Joachim Dahms, Cornelia Wegeler (Hg.): Die Universität Göttingen unter dem Nationalsozialismus, 2. Aufl. München 1998, 684–708. Zur AVA Göttingen vgl. auch Helmuth Trischler: ‚Big Science‘ or ‚Small Science?‘ Die Luftfahrtforschung im Nationalsozialismus, in: Kaufmann (Hg.): Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Bd. 1, 328–362. Zur Bedeutung von Windkanälen für die Erforschung von Geschoßformen bei Überschallströmungen vgl. Robert Sauer: Gasdynamik, in: FIAT-Berichte, Mathematik 2, Teil 1, 101–128.
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kuierter Kessel“. Die dritte Anlage sollte ein Schießtunnel sein, „für Versuche in unmittelbarer Nähe der Schallgeschwindigkeit und im Bereich der höchsten Geschwindigkeit, die im Windkanal nicht oder nur mit großem Aufwand erreicht werden können“. Dieser Schießtunnel sollte 300 m lang und möglichst druckfest eingerichtet sein, um „die atmosphärischen Ergebnisse in sehr großen Höhen nachzuahmen“. Er sei so zu bauen, dass eine spätere Erweiterung auf etwa 500 m Länge problemlos erfolgen könne. Die Kosten für die gesamten Versuchsanlagen bezifferte Schumann auf knapp neun Millionen RM. Dazu kämen noch über eine Million für Energiezuleitungen, Straßenbau, Büro- und andere Gebäude. Als Werkstätten waren vorgesehen eine Tischlerei, eine feinmechanisch-optische und eine Metall bearbeitende Abteilung, zusammen mit einem Bedarf von ca. 50 Arbeitskräften. Der jährliche Energieverbrauch bei Realisierung aller Anlagen wurde auf etwa 10 Millionen Kilowattstunden geschätzt, wodurch Kosten von reichlich einer halben Million RM anfallen würden. 30 % der Gesamtkosten könnten aus „Aufträgen von Entwicklungsfirmen“, bestritten werden. Die Dimension des von Schumann offerierten Planes widerspiegelt auch der Personalbedarf: „drei bis vier wissenschaftlich führende Männer … mit Professorenstelle“, einen „Verwaltungsfachmann in gehobener Stellung“, 15 bis 20 wissenschaftliche Mitarbeiter, wie Physiker und Mathematiker, 20 bis 25 technische Kräfte, 15 Schreibkräfte, Verwaltungsangestellte usw. Organisatorisch sollte das Institut keine „behördliche Dienststelle“ sein. Die Praxis habe gezeigt, wie schwerfällig diese seien. Bewährt hätte sich hingegen „die Form des eingetragenen Vereins, wie sie z. B. bei der AVA Göttingen und anderen Instituten gewählt wurden“. Schumann hielt auch Zeitvorstellungen parat: „Der Bau eines Instituts von dem angegebenen Umfang und der Heranbildung des geeigneten Personal würde unter Friedensbedingungen zwei bis drei Jahre dauern … Unter den heute obwaltenden Bedingungen muss man bis zum völligen Abschluß des Aufbaues mit wesentlich längerer Zeit rechnen.“
Um jedoch möglichst schnell „erste Aufgaben im Interesse des Heeres zu lösen“, sollte man bereits jetzt, also noch 1942, daran gehen, die „wissenschaftlich leitenden Persönlichkeiten zu gewinnen“ und an anderen, schon bestehenden Einrichtungen wie dem Ballistischen Institut in Braunschweig (LFA) und der LKA Gatow wissenschaftliche Bearbeiter, technische Kräfte und Facharbeiter einzuarbeiten.591 Nicht geklärt werden konnte die Bemerkung Schumanns in seinem Vorschlag: „Der Rest der gesamten Arbeitskräfte könnte, wenn es gewünscht wird, in meinem Aachener Institut eingesetzt werden.“592
591 Erich Schumann: Vorschlag für ein Aerodynamisches Institut (ohne Datum), GKdos, Nr. 2786/42, BA-MA, RH 8/v 1362. 592 Ebd., 19. Zum Institut in Aachen vgl.: 50 Jahre Aerodynamisches Institut der RWTH Aachen 1913–1963, Aachen 1963 (= Abhandlungen aus dem Aerodynamischen Institut, 17). In dieser Veröffentlichung wird, allerdings ohne Details, auf die zumeist geheim gehaltenen, systematischen Untersuchungen von Geschossen bei Unter- und Überschallgeschwindigkeiten (bis
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II. Experimente
Bemerkenswert sind die kurzen Erläuterungen in der Anlage 1, betreffend „vier Windkanalaufgaben der Forschungsabteilung“: „Untersuchung des Chilowsky-Effektes“ an Geschossen „bei denen durch geeignete Ausströmdüsen von der Geschoßspitze ausgehend ein Schleier heißer Verbrennungsgase um den Geschoßkörper geblasen wird, [wodurch] angeblich eine größere Reichweite als bei normalen Geschoßen von gleicher Anfangsgeschwindigkeit erreicht“ wird. „Untersuchungen an Geschossen mit Längskanälen im Überschallbereich, bei denen der Treibspiegel den Längskanals während des Abschusses erschließt und dann durch Staudruck nach hinten ausgeworfen wird“. „Untersuchungen am Trommsdorff-Geschoß“ (vgl. dazu Kapitel. 12). „Untersuchungen an nicht drallstabilisierten Geschossen nach Schweikert“. Die Anlage 2 des Projektes enthält „WaF-Vorschläge für den Aufbau von Sonderwindkanälen für ballistische Untersuchungen“.593 Was aus diesem mehr als großzügig veranschlagten Unternehmen wurde, geht aus der Erklärung eines ehemaligen Vorgesetzten Schumanns, des Generals Dr. h. c. Kurt Waeger, hervor: „Ein einziges Mal wurde Schumann und zwar 1943 ins Hauptquartier Hitlers befohlen, als er auf Grund seiner scharfen Kritik über die Beschlagnahme seiner im Bau befindlichen Forschungsanlagen Sturm lief. Er drang aber mit seinen Ansichten nicht durch. Hitler war durch seine Parteidienststellen falsch vorinformiert und Schumann kam in dieser ‚Besprechung‘ nicht zu Wort. Hitler befahl, daß es bei der Beschlagnahme blieb.“594
Materialtechnische Untersuchungen Welchen Inhalt und Umfang dieser Komplex der Raketentechnik bei WaF einnahm, ist nur bruchstückhaft überliefert. Anfang des Jahres 1937 zeigte sich bei den ersten Vorversuchen zum „Rauchspurgerät“, welches mit Flüssig-Wasserstoff und Flüssig-Sauerstoff betrieben wurde, „dass Erfahrungen über das Materialverhalten bei Temperaturen des flüssigen Wasserstoffes an keiner Stelle vorliegen“. Es wurde befürchtet, die „extrem tiefen Temperaturen des flüssigen Wasserstoffes (–259 Grad) könnten … eine sprunghafte Änderung des Festigkeitsverhaltens, der Sprödigkeit usw. der verwandten Materialien bedingen“. Deshalb sollten Zug-, Biege- und Schlagfestigkeit von Stählen, Aluminium, Hydronalium* und Elektronlegierungen* bis -259 Grad untersucht werden. Außerdem war die Durchlässigkeit von Blechen aus diesen Materialien bei Drücken bis zu 15 at und 100 Grad zu prüfen. Man zog zusätzlich in Betracht, dass die geringe Molekülgröße von flüssigem Wasserstoff Probleme bereiten könnte. Durchgeführt werden sollten diese Versuche durch WaF, gemeinsam mit der PTR, der TH Berlin sowie der 1945) hingewiesen. Geleitet wurden diese Arbeiten von Wieselberger (bis 1942), danach von Seewald. Der Name Schumann (oder die Bezeichnung WaF) taucht nicht auf. 593 Wie Anm. 591, Anlage 1 und 2. 594 Eidesstattliche Erklärung General Waegers (wie Anm. 553), Bl. 145.
12. Trommsdorff-Geschoss
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„Materialprüfungsstelle Schießplatz Kummersdorf“.595 Möglicherweise besteht auch bei Untersuchungen zu einem als Halbleiter bekannten Elements ein Zusammenhang zur Raketenforschung: Am 2. Januar 1937 verteidigte der Physiker Heinz Krause (*1910) bei Schumann und Wehnelt seine Doktorschrift „Bestimmung der Thermokraft einiger Tellurlegierungen“. Diese Arbeit wurde sogleich als „geheim“ eingestuft, der offizielle Titel geändert in „Bestimmung der Thermokraft einiger Legierungen“. Begonnen hatte der Doktorand mit seinen Forschungen Ende 1934 am II. Physikalischen Institut, in Verbindung mit der Forschungsabteilung.596 Nachdem im August 1941 die Führung des Peenemünder Raketenprojektes bei Hitler Vortrag gehalten hatte und dieser betonte, er werde den Befehl zur Massenfertigung der A 4 erst dann geben, wenn bestimmte, von ihm gestellte Forderungen erfüllt seien, legten Dornberger und v. Braun entsprechende Maßnahmen fest.597 Über die Vorbereitungsarbeiten zur Massenherstellung wurde auch WaF informiert und gleichzeitig um Zuarbeiten gebeten. Die Fachleute von WaF schlugen vor, ihnen als Aufgabe u. a. „Messungen und Berechnungen zur Überschallstörung hoch erhitzter Gase an Lavaldüsen“ zu übertragen.598 Auf die Materialforschung durch WaF deutet auch ein Geheimauftrag vom August 1943 hin. Dr. Bingel, Braunschweig, sollte „Theoretische Untersuchungen über Ausbrennungserscheinungen in Düsen“ vornehmen.599 12. TROMMSDORFF-GESCHOSS In der Literatur über Geheim- bzw. Wunderwaffen des deutschen Heeres bis 1945 wird wiederholt auf die „Trommsdorff-Granaten“ hingewiesen. Insbesondere Fritz Hahn hat das System vorgestellt. Leider erwähnt er den Erfinder eher nur beiläufig: „Dr. Trommsdorff schlug im Oktober 1936 dem Heereswaffenamt neuartige Granaten vor, die sich nach dem normalen Verschuß durch einen Treibsatz weiter beschleunigten und so eine wesentlich größere Schußweite erreichten.“
Als Anlass für dieses Forschungsprojekt verwies Schumann auf „Arbeiten von Riabouchinsky über den ‚Chilowsky-Effekt‘ (soweit ich mich erinnere etwa 1920 veröffentlicht in Mémoriales d’Artillerie)“.600 Trommsdorff hat nach 1945 ausführlich über dieses Vorhaben von WaF berichtet. Ergänzt und präzisiert werden 595 Bericht des Wa Prw D/V vom 8. April 1937 Forschungsarbeiten über Materialfragen, BAMA, RH 8/v 1260. Zur „Materialprüfungsstelle ...“ vgl. Kapitel 18. 596 Promotionsunterlagen Krause, Akten „Geheimdissertationen“, Bd. 3, AHUB. 597 Neufeld: Die Rakete, 167–179. 598 BA-MA, RH 8/v 1260, Bl. 35 f. 599 Forschungsauftrag Basches an Bingel, BAB, R 26 III/10, Bl. 144. 600 Hahn: Waffen und Geheimwaffen, 137–140; Schumann am 30. September 1947 Reichweitengeschoß (1 Blatt), NL Schumann (vgl. zu diesem Dokument Kapitel 22). Bei dem von Schumann erwähnten Riabouchinsky handelt es sich um Dmitri Pawlowitsch Riabouchinsky (1882–1962), der 1904 bei Moskau ein Aerodynamisches Labor gründete und dort zu Strömungs- und anderen Effekten forschte. Nach der Revolution verließ er 1917 Russland.
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seine Darstellungen durch etliche aussagefähige Aktenbestände im Bundesarchiv. Von besonderem Interesse dürften jene Vorgänge sein, die das enge Zusammenspiel von Heeresforschung mit der Grundlagenforschung beim KWI für Strömungsforschung bzw. bei der Aerodynamischen Versuchsanstalt (AVA) Göttingen sowie mit weiteren wissenschaftlichen Einrichtungen belegen.601 Seinem Wesen nach war das Trommsdorff-Geschoss, auch „Weitreichengeschoss“ genannt, ein kleines, schnell fliegendes Staustrahltriebwerk, versehen mit einer Sprengladung. Das Prinzip des Staustrahltriebwerkes geht auf den französischen Erfinder René Lorin zurück, der seine Idee 1913 öffentlich machte, allerdings mit wenig Erfolg. Das nach ihm benannte „Lorin-Triebwerk“ besteht aus einem röhrenartigen Körper, der in seiner Längsachse gegen ruhende Luft bewegt wird. Im Inneren befindet sich eine geometrische Ausformung, die die einströmende Luft aufstaut und dadurch erwärmt, der Diffusor (Aufstauer). Der auf diese Weise entstehende Druck ist umso höher, je schneller sich das Gebilde bewegt. Am Ende des Diffusors, dort, wo Druck und Temperatur am größten sind, wird ein Brennstoff zugeführt. Der Brennstoff reagiert mit dem vorhandenen, verdichteten Luftsauerstoff, verbrennt und erzeugt weitere Wärme. Die im Brennraum entstandenen Gase strömen am Ende durch eine Düse (Lavaldüse*) aus und ergeben den Schub zur weiteren Fortbewegung bzw. Beschleunigung des Triebwerkes. Wichtig ist die Verhältniszahl zwischen wirklich erzieltem und theoretisch höchstmöglichem Druckanstieg, bezeichnet als „Druckwiedergewinn“. Er muss über 1 liegen, damit das Triebwerk Leistung bringt. Mit der systematischen Erforschung von Staustrahltriebwerken für Flugzeuge begann in Deutschland ab 1937 Hellmuth Walter (vgl. Kapitel 13). Dessen Prüfstandsversuche und die dabei erzielten Ergebnisse fanden jedoch bei der Luftwaffenforschung zunächst wenig Beachtung. Auch die Arbeiten von Dr.-Ing. Eugen Sänger, der 1941 zuerst mit einem Lorin-Triebwerk, aufmontiert auf einem LKW, experimentierte und danach Flugversuche mit einer DO 217 E-2 durchführen ließ, änderte kaum die Haltung des RLM. Erst Ende 1944/Anfang 1945 entstanden einige Prototypen von Strahljägern, die mit Raketenantrieb starteten und sich danach durch die Leistung des Lorin-Triebwerkes fortbewegten.602 Demgegenüber zeigen die Aktivitäten zur Entwicklung des „Trommsdorff-Geschosses“, dass man 601 Vgl. insb. Wolf Trommsdorff: Staustahltriebwerke bei hohen Mach-Zahlen, in: Zeitschrift für Flugwissenschaften 9 (1954), 228–241, sowie sein Beitrag Zur Geschichte der deutschen Lenkwaffenentwicklung, in: Theodor Benecke, August W. Quick (Hg.): History of German Guided Missiles Development, Braunschweig 1957, 352–374; Akte des RFR „TrommsdorffGeschoss, Reichweitengeschoss mit zusätzlichem Strahlantrieb (Verfahrensgrundlagen, Planung, Konstruktion, Berechnungen, Versuche, Ergebnisse)“, BAB, R 26 III/68. Nach Hinweisen von Rainer Karlsch befinden sich in Moskauer Archiven etliche Jahresberichte Trommsdorffs, die allerdings bisher nicht zugänglich sind. 602 Vgl. Joachim Ressel, Manfred Griehl: Die deutschen Raketenflugzeuge 1935–1945. Die Entwicklung einer umwälzenden Technik, Stuttgart 1989, 102–171; Ralf Schabel: Die Illusion der Wunderwaffen. Die Rolle der Düsenflugzeuge und Flugabwehr-Raketen in der Rüstungsindustrie des Dritten Reiches, München 1993 (= Beiträge zur Militärgeschichte, 35), 11–15 (dort auch, 11, ein Schaubild „Triebwerksübersicht“).
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bei WaF den Wert der Staustrahltriebwerke weit besser erkannte und zielstrebig nach einer waffentechnischen Nutzung sucht. Wie es dazu kam, dass sich der junge Wolf Eckehart Trommsdorff (*1904) mit dem Lorin-Triebwerk befasste und bald Mitarbeiter von WaF wurde, deutet sein Lebenslauf an. Er wurde in Göttingen geboren, besuchte dort die Oberrealschule und begann 1923 in der Universitätsstadt das Studium der Mathematik und Naturwissenschaften. Nach drei Semestern wandte er sich der Bergbaukunde zu und erwarb an der Bergakademie Clausthal das Diplom eines Bergingenieurs. Ab 1929 studierte er in Göttingen das Fach Mineralogie. Im Oktober 1937 legte er dort seine Dissertation zu einem Thema der Kristallkunde vor. Nach eigenen Angaben war er zu dieser Zeit schon „mit einer selbstständigen Forschungsaufgabe betraut“ und gehörte wahrscheinlich bereits damals zur Forschungsabteilung. In dem seiner Doktorarbeit beigefügten Lebenslauf weist Trommsdorff ausdrücklich auf den Mineralogen Prof. Dr. Friedrich Karl Drescher-Kaden hin. Er sei bereits in Clausthal „bestimmend“ für seine Entwicklung gewesen.603 Diese Bemerkung ist Anlass für einen Exkurs zu Drescher-Kaden – nicht nur wegen seiner prägenden Wirkung auf Trommsdorff, sondern auch wegen seiner Rolle als Wissenschaftler im nationalsozialistischen Machtgefüge. Drescher-Kaden (1894-1988) hatte es im Ersten Weltkrieg zum Oberleutnant gebracht. Nach dem Krieg setzte er sein 1914 begonnenes, dann aber unterbrochenes Studium der Naturwissenschaften an der Universität Breslau fort, wechselte bald nach Göttingen und befasste sich jetzt mit Mineralogie und Geologie. 1929 nahm er an einer Grönlandexpedition teil und suchte nach Fundorten des vulkanischen Minerals Olivin. An der Bergakademie Clausthal bekam er im gleichen Jahr eine Professur. Dazu schreibt Kramish: „Während dieser Zeit versammelte Drescher-Kaden Studenten und Professoren um sich, um sie für die Sache der Nazis zu gewinnen. Er wurde am 1. August 1932 als voll berechtigtes Mitglied in die Partei aufgenommen und erhielt die Mitgliedsnummer 1.250.567.“
Er soll ab 1933 „Reichsvertrauensmann“ an der Bergakademie gewesen sein und zugleich für die Abwehr des Admiral Canaris gearbeitet haben. Wie viele Offiziere der Abwehr habe Drescher-Kaden dem reaktionären, nationalistischen Wikingerbund angehört. 1936 wurde Drescher-Kaden in einer Unbedenklichkeitserklärung des NSDAP-Hauptquartiers in München bescheinigt: „Der Führer und Reichskanzler kennt Drescher-Kaden bereits von früher [vor 1932] und er weiß, daß er später aktiv mit dem Amt für Technik zusammen arbeitete.“
Im August 1942 soll das OKH dem Minister Rust (REM) mitgeteilt haben, dass „Hauptmann Drescher-Kaden zum aktiven Dienst in den Generalstab des Heeres berufen wurde, um dort Sonderaufgaben zu übernehmen.“ Wahrscheinlich handel603 Lebenslauf Trommsdorffs in seiner Dissertation: Das Verhältnis der Anzahl der Linksquarze zu der Anzahl der Rechtsquarze in einer großen Menge von Quarzkristallen. Untersuchungen an Quarzen, die aus beiden enantiomorphen Quarzarten aufgebaut sind und Untersuchungen an Amethysten, Universität Göttingen 1937.
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te es sich um eine Beteiligung an der Erkundung von Rohstoffen in den okkupierten Ländern.604 Ob der Kontakt Trommsdorff – HWA durch Drescher-Kaden vermittelt wurde, ist nicht bekannt. Unter Umständen wurde man beim HWA auf den vielseitig interessierten jungen Mann auch deshalb aufmerksam, weil er während seiner Studienzeit zusätzlich eine Fliegerausbildung absolvierte und in seiner Eigenschaft als SS-Anwärter (1937) in Göttingen intensiv und zielsicher den Aufbau eines SS-Fliegersturms betrieb. Dazu kam die Belegung von Vorlesungen an der WTF der TH Berlin, verbunden mit der Gewährung eines Forschungsstipendiums (Januar bis März 1937). Ebenso könnte die Patentanmeldung zum Abschuss einer Stielgranate (vgl. Kapitel 2) eine Rolle gespielt haben.605 Im Oktober 1936 unterbreitete Trommsdorff dem HWA einen Vorschlag über ein „raketengetriebenes Geschoß, das aus einem Kanonenrohr abgefeuert wird“. Durch eine Öffnung am Kopf sollte die verdichtete Luft in die Raketenbrennkammer gelangen, wo sie mit einem Brennstoff reagiert. Dazu kommentierte Trommsdorff später: „Diese Ideen, die damals neu waren, wurden im Frühstadium ihrer Entwicklung von 1935–38 durch Prof. F. Drescher-Kaden, Göttingen, Direktor M. Esterer von der Siemens AG, Berlin, Präs. Dr. Seidel, Materialprüfungsamt Berlin, der großzügig Geldmittel zur Verfügung stellte, und Vizeadmiral v. Reuter gefördert.“
Durch eine Patentanmeldung (Geheimpatent) am 9. September 1937 sicherte sich Trommsdorff seine Erfinderrechte. Die ersten praktischen Resultate der Arbeiten Trommsdorffs begutachtete beim HWA Major Dr. Hermann Schmager, Wa Prüf 1. General Becker ordnete nach Konsultation mit Winkhaus (WTF) die Weiterführung an. Mit der Realisierung dieser waffentechnischen Neuerung, die in engem Zusammenhang mit der Raketenforschung bei WaF stand, wurde das Referat von Glimm beauftragt, der dazu vor allem Hilgert heranzog. Als Konstrukteur arbeitete der Ingenieur Reichelt mit, laut Schumann „über die Konstruktion gut informiert“. Mit den ballistischen Fragen setzten sich vor allem Klose und Schweikert auseinander.606 Bis Ende 1938 wurden verschiedene Varianten des „Trommsdorff-Geschosses“ entwickelt und mit einer 8,8 cm Flak abgefeuert. Diese Testgeschosse, später als A-Serie bezeichnet, erreichten eine Höchstgeschwindigkeit von 2,5 Mach*. Sie trugen im zylindrischen Mittelteil eine gepresste Pulvertreibladung mit sechs längs durchgebohrten Löchern. Es wurden langsam brennende Pulversorten mit 604 Arnold Kramish: Der Greif. Paul Rosbaud – der Mann, der Hitlers Atompläne scheitern ließ, München 1988, 161 f., 265–270. Kramish, der keine genauen Quellenangaben macht, beschreibt in seinem Buch u. a. die Kontakte von Paul Rosbaud zu Drescher-Kaden. Zum Quellenwert des Buches kurz Nagel in: Atomversuche, 153 f. „Der schnelle Aufstieg in der Nazizeit“ (Rosbaud) war nach 1945 kein Hindernisgrund für Drescher-Kaden, wieder wichtige Ämter in der Wissenschaft der BRD zu bekleiden. 605 Angaben Trommsdorffs in seiner Dissertation (vgl. Anm. 603); BAB, BDC zu Trommsdorff. 606 Trommsdorff: Zur Geschichte (wie Anm. 601), 352 f., 372; NL Schumann: Reichweitengeschoß (wie Anm. 600).
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solchen Substanzen gewählt, die einen geringen Sauerstoffanteil enthielten. Solange sich das Geschoss im Rohr befand, war es am hinteren Teil mit einer „Antriebsscheibe“ verschlossen, die nach Verlassen des Rohres durch das Geschoss abfiel. Diese Antriebsscheibe bestand aus Chromnickelstahl und war mittels Paraffin befestigt. Die Testergebnisse befriedigten nicht. Verschiedentlich zerstörte die Abschussbelastung die Pulverladung. Die brennbaren Gase mischten sich nicht genügend mit der das Geschoss durchströmenden Luft. Die Verbrennung blieb unvollständig. Die Überwachung der Flugbahn mittels Filmtheodoliten bewies nicht zweifelsfrei, dass tatsächlich ein eigenständiger Schub erzeugt wurde.607 In Auswertung der A-Serie wurde die Verwendung von Festtreibstoffen aufgegeben. An ihrer Stelle setzte man flüssige Brennstoffe ein, die in die Brennkammer eingespritzt werden sollten. Außerdem hatten theoretische Untersuchungen ergeben, dass bei geringen Machzahlen andere Bedingungen wirkten als bei hohen Machzahlen. Deshalb wurde für kleine Machzahlen ein das gesamte Triebwerk durchlaufender Zentralkanal gewählt. Dieses Triebwerk wurde als „Kanaltyp“ bezeichnet. Anders sahen die Triebwerke für hohe Machzahlen aus. Hier waren Diffusor, Brennraum und Düse so angeordnet, dass sie den „ringförmigen Zwischenraum zwischen dem äußeren Mantel und einem Zentralkörper ausfüllen“, deshalb auch „Ringtyp“ genannt. Die Diffusorspitze dieses Typs ragte nach vorn in der Form eines Kegels heraus. Bei beiden Typen ergaben sich unterschiedliche Druck-, Temperatur- und Strömungsverläufe bzw. Strömungsgeschwindigkeiten. Trotz unzähliger Berechnungen und vieler Experimente zeigte sich, dass bei Machzahlen mit wenig über 1 der Druckwiedergewinn noch recht gut war; jedoch sank er bei steigenden Machzahlen schnell ab. Bei Mach 3 betrug er gerade noch 30 %! Das Projekt war offensichtlich in eine Sackgasse geraten, wie Trommsdorff später schrieb: „Hier hat im Jahre 1940 der im vorigen Jahr [1953, G. N.] verstorbene Ludwig Prandtl in Göttingen den Ausweg gewiesen. Als ich 1940 nicht mehr weiter wußte und Prandtl um Ratschläge für das Diffusorproblem bei hohen Machzahlen bat, sagte er im Kreise mehrerer anderer Mitarbeiter, man solle doch versuchen, einen geraden und einen schiefen oder gar mehrere Verdichtungsstöße miteinander zu kombinieren. Diese Anregung von Prandtl wurde von seinem damaligen Mitarbeiter Oswatitsch und von Busemann und Guderley in Braunschweig aufgenommen. Oswatitsch und Walchner in Göttingen, Busemann und Guderley in Braunschweig, der Vortragende in Kummersdorf-Schießplatz untersuchten theoretisch und praktisch die Auswirkungen der Prandtlschen Anregung. Nach einem halben Jahr waren Praxis und Theorie des Mehrstoßüberschalldiffusors im Wesentlichen geklärt. Vor allem bestätigten die praktischen Versuche von Oswatitsch und Walchner in Göttingen, nach der vorsorglich von Oswatitsch angegebenen Versuchsanordnung, die theoretischen Ergebnisse.“
An anderer Stelle hob Trommsdorff hervor, dass die exakte Ableitung des „Gesetzes vom Mehrfachdiffusor – MSD – unabhängig von einander und gleichzeitig“ in Göttingen und in Kummersdorf gefunden wurde.608 Zu dieser Darstellung der 607 Trommsdorff: Zur Geschichte (wie Anm. 601), 353. 608 Trommsdorff: Staustrahltriebwerke (wie Anm. 601), 233.
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Ereignisse durch Trommsdorff veröffentlichte Oswatitsch eine Erwiderung, „um einige historische und sachliche Klarstellungen“ vorzunehmen. Er erklärte u. a., die Urheberschaft der Idee, die Trommsdorff Prandtl zuschrieb, gebühre ihm. Die Entwicklungsarbeit habe nicht nur ein halbes Jahr, sondern gut zwei Jahre in Anspruch genommen. Andererseits hob er hervor: „Ja, es war W. Trommsdorffs stetig treibender Energie zu danken, daß trotz Ausbleiben praktischer Erfahrungen stets neue Aufträge zur Weiterführung der Arbeiten beschafft wurden.“609
Die bis zu diesem Zeitpunkt durchgeführten Forschungen erforderten auch neue materiell-technische Möglichkeiten in Kummersdorf bzw. Vers. Gottow. Zuerst wurde 1939 ein „Überdrucküberschallwindkanal“ von 2 mal 2 cm bis zur Machzahl 3 von Trommsdorff „selbst gebaut“. Nach eigenen Angaben baute Trommsdorff weitere derartige Windkanäle unterschiedlicher Dimensionen, so einen „nicht mehr vollendeten in Berlin-Köpenick“. Einzelheiten sind jedoch nicht überliefert. 1941 bekam Trommsdorff in Vers. Gottow einen eigenen Prüfstand. Am Aufbau waren die Ingenieure Schmilewski (Ref. Glimm) und Zepp (Aachen) beteiligt. Nach dem Urteil von Trommsdorff habe Zepp „hervorragend gearbeitet [und] in über 2400 Prüfstandsversuchen das Material für die Beurteilung des aerodynamischen Verhaltens und der Brennstoffeigenschaften zusammengetragen“.
Die notwendigen Mechanikerarbeiten erledigte die Werkstatt von Vers. Gottow, die auch die Versuchsgeschosse vom Kaliber 12,2 cm herstellte. Wissenschaftlich betreut wurden die Testreihen vor allem von Klose, der Ende 1942 für den kurzzeitig zur Front abkommandierten Trommsdorff zusätzlich die Beaufsichtigung des Prüfstandes übernahm und am 15. August 1943 einen Bericht über den Forschungsstand vorlegte.610 In den Sommersemesterferien 1943 bekam Trommsdorff Verstärkung durch zwei Angehörige der Studentenkompanie, Werner Luck und Hasso Döring, die sich bei ihm durch praktische wissenschaftliche Arbeiten nützlich machen sollten. Rückblickend schrieb Luck dazu: „Ich wurde zusammen mit Hasso Döring zwischen 1. und 2. Semester zugeteilt dem Oberleutnant Trommsdorff. Darüber sei als ein praktisches Beispiel berichtet. Trommsdorff arbeitete an einem Übergang zwischen Artillerie und Rakete. Er wollte Artilleriegeschosse durchbohren und sie auf ihrer Flugbahn durch eine Art Raketenantrieb weiter beschleunigen und so ihre Reichweite erhöhen. Scherzhaft pflegte er zu sagen: ‚wir werden England mit Artillerie beschießen‘. Als wir kamen, war ein Heizsystem für aus Gasflaschen entspannte Gase fast fertig. Diese sollten am Ende durch eine Düse nochmals beschleunigt werden. Hinter der Düse sollten dann Geschoßmodelle nach Zündung mit Raketentreibstoffen beobachtet werden. Ich bekam den Auftrag, eine so genannte Toeplersche Schlierenmethode aufzubauen für derartige Beobachtungen hinter der Düse. Das war eine abgeschlossene klare Aufgabe, interessant und lehrreich für ein Erstsemester. Der Strahl einer Lichtquelle wurde mit Rasierklingen scharf abgeblendet und alle Lichtstrahlen, die durch Schlieren aus ihrer Bahn gerieten, waren 609 Klaus Oswatitsch: Zur Entwicklung des Stoßdiffusors, in: Zeitschrift für Flugwissenschaften 11 (1954), 30 f., insb. 30. 610 BAB, R 26 III/68 (wie Anm. 601); Trommsdorff: Staustrahltriebwerke (wie Anm. 601), 237.
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so empfindlich zu messen. Mir gelang die Lösung der gestellten Aufgabe. Zum Fotografieren stellte Trommsdorff seine eigene kostbare Kamera zur Verfügung. Durch den intensiven Gebrauch versagte schließlich ihr Verschluß, der häufig mit einer Sperre künstlich offen zu halten war. Worauf Trommsdorff die Kamera über Oberstleutnant Glagow zur Produktionsfirma schicken ließ mit der Bemerkung, ein Student habe diesen Schaden verursacht. Trommsdorff hatte die lobenswerte Eigenschaft, daß er sich nicht mit Herr Oberleutnant anreden ließ und auch die übliche Ehrenbezeugung von uns nicht duldete, obwohl er täglich in Uniform erschien. Anfangs belehrte er uns: ‚Den Oberleutnant, den lassen ich draußen vor der Tür, hier arbeiten wir‘. Er pflegte uns beinahe kontinuierlich im Labor mit Musik zu berieseln. Ein Kabel ging zu seinem parallel geschalteten Lautsprecher in seinem Zimmer … Er hatte mehrere Kinder, die Familie wohnte in der Nähe. Damals gab es vormittags täglich zur gleichen Zeit eine Kindergartensendung. Wenn diese startete, kam er aus seinem Arbeitszimmer heraus gerannt und zog den Stecker vom Radiogerät heraus.“611
Anspruchsvoll war auch die Aufgabe für Döring. Er sollte eine „Düse mit störungsfreiem, parallelem Strömungsverlauf“ konstruieren. Dazu bediente sich Döring u. a. der „Charakteristik-Verfahren von Busemann und Prandtl“, wie sie von diesen anerkannten Fachleuten in ihrem Standardwerk „Handbuch der Experimental-Physik“ beschrieben worden waren. Durch theoretische Überlegungen gelangte Döring zur Form einer „Laval-Düse mit parallelem Austrittsstrahl für den Zustand Richtung 200 und Druckstrahl 968“. Diese Lösung musste jedoch – so einschränkend Döring – erst durch praktische Versuche auf ihre Brauchbarkeit hin bestätigt werden.612 Die Erinnerungen der beiden damaligen Studenten im Praxiseinsatz machen darauf aufmerksam, dass die Forschungen zum Weitreichengeschoss in den Jahren 1942/43 vor einer beachtlichen Reihe praktischer wie theoretischer Probleme standen. Vor allem galt es, Raumersparnisse beim Triebwerk zu finden, um den nutzbaren Schub zu maximieren. Diese konnten sowohl auf konstruktiven, thermodynamischen als auch aerodynamischen Wegen gefunden werden: „Da am Diffusor und an der Düse nicht viel gespart werden kann, bleibt als Bauteil … vor allem der Brennraum“, konstatierte Trommsdorff. Eine Verbesserung wurde zunächst erreicht durch Einspritzdüsen, die „mit hoher Präzision und geringsten Kosten aus plastisch verformbarem Material (Kupfer) in eine Form gestaucht [wurden]. Die Düsenöffnung wird dabei durch einen Draht von 0,2 bzw. 0,3 mm Durchmesser freigehalten.“
Die eingespritzten Brennstoffe sollten selbst zünden, was dadurch begünstigt wurde, dass bei Machzahlen ab 2,8 am Ende des Diffusors Temperaturen von über 400 Grad Celsius herrschten. Außerdem sollte der Brennstoff vollständig verbrennen, was einen Selbstzündungsvorgang „innerhalb eines Zeitraumes von etwa einer tausendstel Sekunde“ verlangte. Zu dieser schwierigen Thematik wurden als Spezialisten auf ihrem Gebiet Ernst Schmidt (Braunschweig), Bevollmächtigter 611 Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129). 612 Schriftliche Mitteilung Dr. Hasso Dörings vom 2. Januar 2003 sowie ein von ihm zur Verfügung gestelltes unveröffentlichtes Manuskript (sieben Blatt, vier Zeichnungen) aus dem Jahre 1942 Konstruktion einer Düse mit störungsfreiem parallelen Strömungsverlauf (Kopie im Besitz des Autors).
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für Strahltriebwerke im RFR, sein Mitarbeiter Dr. Wilhelm Damköhler (Braunschweig) sowie der Physikochemiker Prof. Dr. Arnold Eucken (Göttingen) konsultiert. Die schließlich gefundene Lösung bestand aus einer mit „nahezu ruhender Luft erfüllten Zündgrube“, in der die einzelne Brennstofftröpfchen die für ihre vollständige Verbrennung optimalen Geschwindigkeiten erhielten.613 Weit umfangreicher waren die Versuchsreihen zur Ermittlung geeigneter Brennstoffe bzw. von Brennstoffkombinationen, die sowohl den Anforderungen an die Selbstzündung entsprachen und zugleich eine hohe Energieausbeute sicherten. Experimentiert wurde mit den verschiedensten Kohlenwasserstoffen sowie anderen Substanzen. Dazu gehörten z. B. Tetraline*, Aceton*, Thioether*, Propane sowie Butadiene*. Als Stoffkombinationen erprobte man Amylnitrate* und Amylnitrite* sowie Dichloracetylene*. „Die ausgedehnten Versuchsreihen ergaben insofern Überraschungen, als allgemein übliche Brennstoffe wie Benzine der Reihe Propan-Dekan unzulässig große Verbrennungszeiten benötigten. Als ein besonders geeigneter Stoff hat sich Schwefelkohlenstoff allein oder mit mittleren Dieselölen (Siedepunkt 200° bis 230° C) gemischt erwiesen.“614
Als im Juni 1943 ein Mitarbeiter Osenbergs die Vers. Gottow aufsuchte, um sich mit dieser Einrichtung und ihren Möglichkeiten vertraut zu machen, informierte man ihn auch über das in Arbeit befindliche „Reichweitengeschoss nach Dr. Trommsdorff (mit Drall)“. Die theoretischen Untersuchungen seien im Wesentlichen abgeschlossen, wogegen bei der praktischen Erprobung stärkere Rückstände bestünden. Osenbergs Abgesandter notierte dazu im Einzelnen: „Die Kanal-Type hat eine Mittelbohrung in der die durchströmende Luft aufgefangen wird und ist aerodynamisch weniger günstig, aber fertigungsmäßig einfacher. Die Ring-Type ist theoretisch eleganter und wirkungsvoller, konstruktiv und fertigungstechnisch aber wesentlich schwieriger. Dr. Trommsdorff hat dafür als erreichbaren Schub 130 % des Luftwiderstandes berechnet, praktisch gemessen wurde an kleinen Modellen jedoch bisher nur etwa 30 %. Zur Zeit befinden sich Versuchsgeschosse einer 15 cm-Ring-Type im Bau, auf die ziemliche Hoffnungen gesetzt werden. Bei einem Abschußgewicht ähnlich der normalen 15 cm-Granate kann eine Nutzladung noch kaum mitgenommen werden, da durch die hohe Abschußbeanspruchung die Wandstärke des Geschosses nach hinten relativ groß sein muß. Deshalb findet sich daneben noch eine 21-cm-Type in der Entwicklung, die bei ca. 250 km Schußweite etwa 9 kg Sprengstoff mitnehmen soll. Als Brennstoff wird zur Zeit noch ein Schwefelkohlenstoff benutzt, der aber zu energiearm ist. Nach besseren Treibstoffen mit niedriger Zündtemperatur wird gesucht.“615
Nachdem 1943 die Staustrahlforschung in Deutschland zu einer der vorrangig verfolgten Richtungen geworden war, nahm Schmidt, Bevollmächtigter für Strahlvortrieb, großen Anteil an dieser Entwicklung und interessierte sich sehr für die einschlägigen Arbeiten beim HWA. Davon zeugen verschiedene Aktivitäten. So besuchte er am 14. Mai 1943 General Leeb und besprach mit ihm auch den Stand 613 Trommsdorff: Staustrahltriebwerke (wie Anm. 601), 236 f. 614 Ebd., 237; Trommsdorff: Zur Geschichte (wie Anm. 601), 364 f. 615 Brief Osenbergs vom 13. Juni 1944 an Geist, IfZ, SI, ED 100/4 a, Bl. 291136 (Hervorhebung im Original).
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der Arbeiten am Trommsdorff-Geschoss. Vier Monate später lud er Klose zu einer Arbeitstagung „Strahlvortrieb“ bei der Luftfahrtforschungsanstalt in Braunschweig ein. Dabei referierte Klose vor den Fachleuten zum Thema „Über ein Reichweitengeschoss mit Flüssigkeitsantrieb“. Gast dieser Tagung war übrigens auch SS-Führer Schwab. Schließlich lud Schmidt am 24. November 1943 Trommsdorff zu einem Gespräch nach Braunschweig ein. Am 10. Febraur 1944 traf sich Schmidt mit General Schneider (Chef Wa Prüf) und ließ sich über Trommsdorffs Fortschritte informieren. Beide vereinbarten weitere Versuche in Braunschweig bzw. Schmidt schickte einige seiner Mitarbeiter Ende März für drei Tage nach Vers. Gottow, die dort an Experimenten von Trommsdorff teilnahmen.616 Auch beim RFR engagierte man sich jetzt verstärkt für das Trommsdorff-Geschoss, wahrscheinlich eine Folge des Besuches vom 13. Juni 1943 in der Vers. Gottow. Ende Juni 1944 wurde Trommsdorff – den man inzwischen zu Wa Prüf 1 versetzt hatte – zur Berichterstattung bei Osenberg vom Planungsamt des RFR befohlen. Im Mittelpunkt der Beratung stand die Arbeit an einem Geschoss mit dem Kaliber 21 cm, wozu Schießversuche und Messungen auf dem Prüfstand in Kummersdorf erfolgten. Die technischen Daten dieses Geschosses lauteten: Gesamtgewicht 80 kg, Sprengstoff 6 kg, Treibstoff 60 kg, Anfangsgeschwindigkeit 1000 m/sec, Endgeschwindigkeit 1400 m/sec, Reichweite 180 km. Zusammenfassend beurteilte Osenberg die bisherigen Forschungsergebnisse als wissenschaftlich exakt berechnet und aussichtsreich. Er befürwortete deshalb diese Entwicklung. Gleichzeitig erreichte Osenberg, dass darüber Vortrag bei Speer gehalten wurde. Speer wurde u. a. auf bereits angesetzte „frontverwendungsfähige Schießversuche“ Mitte November 1944 hingewiesen. Man habe die Hoffnung, dabei mittels einer 28 cm-Granate Reichweiten bis zu 300 km zu erzielen. Zur Forcierung der Experimente schuf man für Trommsdorff Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gelände des Truppenübungsplatzes Altes Lager Jüterbog, bei der dort stationierten Gruppe von Wa Prüf 1, E 4 a. Seitens des Planungsamtes des RFR wurden Dr. Bär vom Büro Osenberg und Dr. Badstein einbezogen. Von Wa Prüf 1 war der Referent Dr. Henry Poltz zuständig. Ebenso informierte man Oberst Geist als Chef der Amtsgruppe Entwicklung und Forschung im Speer-Ministerium. Geist kannte Trommsdorff seit längerem persönlich und förderte dessen Forschungen. Für die vorgesehenen Schießversuche wurden Ende Oktober 1944 vier Arbeitsgruppen gebildet: a) Planung und Entwurf – zuständig Trommsdorff und sechs Mitarbeiter, b) Schießversuche – zuständig ein Ballistiker und drei Mitarbeiter, c) Rechenbüro – bestehend aus Regierungsrat Erich Horn (WaF I c) und vier Mitarbeitern, d) Geräteplanung – besetzt mit einem Wissenschaftler und vier Mitarbeitern. In dem betreffenden Dokument ist vermerkt, dass „Trommsdorff als Wissenschaftler hervorragend, aber diplomatisch oft unklug ist und deshalb eine entsprechende Führung notwendig“ sei. Gleichlaufend zu diesen Maßnahmen erteilte das HWA der TH Hannover, Institut für Werkzeugmaschinenbau, den Auftrag zur Konstruktion eines Geschosses nach den Plänen Trommsdorffs. Zusätz616 Unterlagen des Bevollmächtigten für Strahlvortrieb, BAB, R 26 III/212.
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lich wurde von der „Versuchsgruppe Neubrandenburg“ der Techniker Marzahn zu Trommsdorff nach Jüterbog abkommandiert. Badstein und Dr. Doelter vom Planungsamt des RFR nahmen die versprochene Unterstützung von Trommsdorff auch durch Besuche vor Ort wahr. Mit Trommsdorff und Poltz vereinbarten sie z. B., dass zusätzlich ein Dipl.-Ing. Kipper – wahrscheinlich ebenfalls von der „Versuchsgruppe Neubrandenburg“ – nach Jüterbog abgestellt wurde. Aus dem Personalkontingent des RFR beim Arbeitsamt in Berlin wurden zwei Studentinnen einer naturwissenschaftlichen Fachrichtung als Hilfskräfte zur Verfügung gestellt. Außerdem bat man Trommsdorff, in Berlin den Dipl.-Ing. Buchmann in die „wissenschaftlichen und technischen Grundlagen des Trommsdorff-Effektes“ einzuweisen.617 Bei diesen Festlegungen beließ man es nicht. HWA und RFR erteilten dem KWI bzw. der AVA in Göttingen verschiedene Forschungsaufträge. Diese betrafen u. a. die Erarbeitung eines Bauentwurfes für einen „Überschall-Überdruckkanal“, wofür die Summe von 165.550 RM zur Verfügung gestellt wurde. Realisieren sollte ihn der oben bereits genannte Dr. Klaus Oswatitsch (1910–1993), ein Schüler des 1940 verstorbenen Aerodynamikers Prof. Dr. Ludwig Prandtl.618 Oswatitsch musste man nicht lange erklären, was es mit dem Trommsdorff-Geschoss auf sich hatte. Bereits 1941 hatte er die schon erörterten Windkanalversuche durchgeführt: „Für Windkanaluntersuchungen an Mehrstoßdiffusoren hat sich folgende Anordnung bewährt, die erstmals von Oswatitsch angewendet wurde: Das Versuchsmodell wird in einem Überschallwindkanal von links angeströmt. An einer Folge von Kegeln werden schiefe Verdichtungsstöße ausgelöst. Der letzte abschließende gerade Stoß steht schon im erweiterten Teil des Unterschalldiffusors, ein wenig hinter dessen engster Stelle. Über den Unterschalldiffusor tritt die Luft in den Meßraum ein und entspannt sich über eine Düse ins Freie. Diese Düse hat Oswatitsch verstellbar gebaut“.619
Oswatitsch hatte sich seit 1941 in Göttingen den Ruf eines vielseitigen und produktiven Wissenschaftlers erworben, dessen theoretischen Untersuchungen für die Entwicklung von Hochgeschwindigkeits-Windkanälen sehr geschätzt wurden.620 Im Januar 1944 legte er die Nr. 1005 der Berichte „Forschungen und Entwicklungen des Heereswaffenamtes“ vor. Die Ausarbeitung, im August 1943 in Auftrag gegeben, trug den Titel „Der Druckwiedergewinn bei Geschossen mit Rückstoß617 Ebd.; Aktennotiz Dr. Badsteins vom 13. November 1944: Nicht ausgelastete Forschungs-Institute, BAB, R 26 III/51, Bl. 32 R. 618 Unterlagen des Bevollmächtigten für Strahlvortrieb, BAB, R 26 III/212. 619 Wolf Trommsdorff: Einlaufdiffusoren im Überschall, in: Luftfahrttechnik 6 (1960) Heft 12, 361–368, insb. 364, mit Skizzen der Versuchsanordnung. Die Abbildungen dieses Beitrages zeigen verschiedene Typen von Diffusoren sowie eindrucksvolle Aufnahmen der Strömungsverhältnisse an Diffusoren. 620 Vgl. u. a. Wilhelm Schneider: Klaus Oswatitsch 70 Jahre, in: Zeitschrift für angewandte Mathematik und Mechanik 60 (1980) Heft 4, 220. In seiner Erwiderung (vgl. Anm. 609) nennt Oswatitsch zusätzlich einen von ihm und H. Böhm angefertigten Bericht Luftkräfte und Strömungsvorgänge bei angetriebenen Geschossen (Verweis, ohne nähere Angaben, auf: Forschungen und Entwicklungen des HWA, Nr. 1010 (1944) sowie Nr. 1010/2 (1944 1. Fortsetzung).
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antrieb bei hohen Überschallgeschwindigkeiten (Der Wirkungsgrad für Stoßdiffusoren)“. Darin heißt es einleitend, dass sich die Ergebnisse „bei Berücksichtigung der bisher erreichten Resultate und in Hinblick auf die theoretisch zu erwartenden Werte als sehr zufrieden stellend“ erwiesen. Für seine Versuche nutzte Oswatitsch den Überschallkanal des Instituts für Hochgeschwindigkeitsforschung der AVA Göttingen (Leiter Prof. Walchner).621 Zusätzliche Forschungsaufträge zum Trommsdorff-Projekt vergab WaF, vertreten durch Dr. Hilgert, an Prof. Dr. Karl Strubecker vom Mathematischen Institut der Reichsuniversität Straßburg. Dieser sollte thermodynamische Berechnungen zur Bestimmung von Verdichtungsstößen vornehmen. Frau Ilse Horn in Glogau/Schlesien hatte ballistische Probleme zu berechnen.622 Die Entwicklung des Trommsdorff-Geschosses, inzwischen zur „Geheimen Kommandosache“ erklärt, wurde zusätzlich anderen Experten zur Begutachtung vorgelegt. Prof. Dr. Albert Betz, Direktor des KWI für Strömungsforschung in Göttingen, äußerte sich in seiner Stellungnahme an Badstein sehr positiv und empfahl dem RFR die Fortführung. Auch der Bevollmächtigte für Strahlvortrieb, Schmidt, befürwortete Anfang Dezember 1944 in seiner Antwort an Osenberg das Vorhaben. Beide Wissenschaftler wiesen jedoch darauf hin, dass verschiedene theoretische Probleme noch ungelöst seien, so z. B. die physikalische und chemische Natur der Brennstoffzündung. Das geht auch aus einer Aktennotiz vom 31. Januar 1945 hervor, wonach die „Selbstzündung noch nicht funktioniert“.623 Betz schrieb 1947 für die FIAT-Berichte einen Beitrag „Kompressible Strömungen“, der die Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der Strömungen im Überschallbereich würdigte. Ausdrücklich hob Betz darin, und zwar bezogen auf das „Überschall-Lorin-Triebwerk“, die Arbeiten von Trommsdorff und Oswatitsch hervor. Letzterer wird mit drei weiteren Forschungsberichten für das HWA genannt. Es handelt sich um „Leistungssteigerung von Mündungsbremsen am Geschütz“, entstanden 1943 bis 1945.624 In der zweiten Januarhälfte 1945 stellte Trommsdorff eine neue Konstruktion vor. Es war ein 8 cm Flak-Geschoss mit den technischen Daten: 500 g Sprengstoff, 360 g Brennstoff, 360 g Treibpulver, 20 g Zünder, 2000 g Stahl für die Um621 Die Erteilung des Auftrages „Druckwiedergabe bei Geschossen“, Geheim, Dringlichkeit SS, durch das HWA im August 1943 ist dokumentiert in: BAB, R 26 III/13, Bl. 38. Ein Nachdruck des Berichtes von Oswatitsch: Der Druckwiedergewinn bei Geschossen mit Rückstoßantrieb bei hohen Überschallgeschwindigkeiten (= Forschungen und Entwicklungen des Heereswaffenamtes, Bericht Nr. 1005, 1944) erschien 1957, hg. von der Zentrale für wissenschaftliches Berichtswesen der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt e. V. Mülheim/Ruhr (= Bericht Nr. 49), Köln/Opladen. Ein Original dieses Berichtes mit dem Zusatz „Der Wirkungsgrad von Diffusoren“ befindet sich im BA-MA, RH 8/v 352 (Göttingen, Januar 1944, 52 Seiten, Geheime Kommandosache). Die von Glimm 1943/44 an Strubecker erteilten zwei Kriegsaufträge lauteten: „Mathematisch-thermodynamische Berechnungen nach besonderen Angaben“, versehen mit Zusatz: Tabelle für verschiedene K-Werte zur Berechnung von Verdichtungsstößen, BAB, R 26 III/28, Bl. 72. 622 Aufstellung von Forschungsaufträgen, BAB, R 26 III/4, Bl. 57 und 65. 623 BAB, R 26 III/68. 624 Albert Betz: Kompressible Strömungen, in: FIAT-Berichte, Bd. 11, 94.
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II. Experimente
hüllung usw. Das Geschoss war insgesamt 90 cm lang und hatte ein Gewicht von 5 kg. Die Anfangsgeschwindigkeit beim Abschuss betrug 640 m/sec. Nach Abbrennen des Pulvertreibsatzes sollten 900 m/sec erreicht werden. Die Höchstgeschwindigkeit sollte bis an 1800 m/sec. heranreichen, die mittlere Steiggeschwindigkeit 1500 m/sec betragen. Als Steighöhe hatte Trommsdorff 12 km und als Kampfentfernung (bei 10 km Flughöhe) 20 km veranschlagt. Zu dieser Neuentwicklung war für den 28. Januar 1945 in Hillersleben ein Versuchsschießen angesetzt. Zu den dabei erzielten Ergebnissen konnten keine Archivalien gefunden werden.625 Insgesamt wurden fünf Versuchsserien des „Trommsdorff-Geschosses“ entwickelt, gebaut bzw. als Muster entworfen. Dieser große Aufwand ergab sich aus den besonderen Problemen des Systems gegenüber der herkömmlichen Artilleriemunition. So wog z. B. ein konventionelles Geschoss vom Kaliber 28 cm um 350 kg, hingegen ein „Reichweitengeschoss“ des gleichen Kalibers nur 170 kg. Es sollte seine maximale Geschwindigkeit in einer Höhe von 25.000 Metern – wegen des dort sehr geringen Luftwiderstands – erreichen, um tatsächlich die angestrebten Weiten zu erzielen. 8,3 % seines Volumens wären für die vorgesehenen 9 kg Sprengstoff erforderlich gewesen. Ein Geschoss mit dem Kaliber 9 cm konnte diese Bedingungen nie erfüllen, da der hierfür benötigte Brennstoff das gesamte Volumen beanspruchte. Für die Stahlhülle, den Diffusor, die Brennkammer und die Nutzlast Sprengkörper wäre kein Platz mehr gewesen.626 Die oben genannte und kurz beschriebene A-Serie wurde auch deshalb verworfen, da der Festpulver-Antrieb ohne „eine Fernsteuerung“ zu unliebsamen Streuungen geführt hätte. Nach Fritz Hahn war das Modell A 4 800 cm lang und hatte ein Gesamtgewicht von 3200 kg, wovon 1900 kg auf die Startrakete entfielen. Sie verlieh dem Geschoss eine Geschwindigkeit von 720 m/sec. „Das dann einsetzende Staustrahltriebwerk erbrachte eine Endgeschwindigkeit von 1200 m/sec und damit eine Schußweite von 150 km. Stabilisiert sollte das Geschoß durch ein Leitwerk von 2800 mm Spann werden. Planungen für eine Nachsteuerung über die Fernsehkamera ‚Tonne‘ lagen ebenfalls vor.“627
Bei der B-Serie sollte der Abschuss aus speziell konstruierten, sehr langen Rohren erfolgen. Dadurch wollte man eine allmähliche Beschleunigung des Geschosses erreichen und die bei herkömmlichen Artilleriegeschützen während des Abschusses enorm hohe „Querschnittsbelastung“ vermeiden. Diese Querschnittsbelastung hätte sich nämlich negativ auf die Konstruktion des „Weitreichengeschosses“ ausgewirkt. So wären beispielsweise sehr große Festigkeitswerte erforderlich gewesen, die einen vermehrten Stahleinsatz nahe dem „Schubdüsenausgang“ nach sich 625 BAB, R 26 III/68. 626 Trommsdorff: Zur Geschichte (wie Anm. 601), 361–363. Die nachfolgenden Angaben sind, sofern nichts anderes vermerkt, ebenfalls dieser Quelle, 368–372, entnommen. 627 Hahn: Waffen und Geheimwaffen, 139 f. Bei den von Hahn genannten technisch-taktischen Daten ist Vorsicht geboten, da bei ihm jegliche Quellenangaben fehlen. Zur Fernsehkamera „Tonne“ vgl. u. a. Hoppe: Militär und Fernsehen in Deutschland; Faensen: Hightech für Hitler, 90–96.
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gezogen hätten. Auch bei verlängerten Rohren treten erhebliche Rückstoßkräfte auf. Die sollten durch eine Bodenplatte „direkt und ohne Dämpfung auf den Boden gelenkt“ werden. Die Abschussgeräte, in denen mit relativ schwachen Gasdrücken von 150 bis 500 at gerechnet wurde, nannte man auch „überlange Mörser“. Wegen der „großen Länge der Abschußrohre müssen sie beim Transport in einzelne Sektionen aufgeteilt werden, die leicht wieder in der Feuerposition zusammengesetzt werden können“. Schumann schrieb dazu: „Der Abschuß sollte durch ein 60 m langes Rohr mit seitlich angebrachten H2O2 Kammern erfolgen“. Als Steuerungsprinzip gab er eine „ständige Kongruenz der jeweiligen Abbildung der hellsten Gestirne mit einem im Geschoß synchron laufenden Filmband“ an.628 Zu dieser Lösung konnten keine Dokumente gefunden werde, auch Trommsdorff schwieg sich in seinen Beiträgen dazu aus. Zum Muster B 3 bemerkte Hahn: „Hier wog das aus acht Teilen zusammengesetzte Rohr 67 t, die Bodenplatte weitere 48 t. Das Geschoß hatte bei 2200 mm Länge und 720 mm Durchmesser ein Startgewicht von 2080 kg. Mit 250 kg Nutzlast und 100 kg Brennstoff sollte eine Endgeschwindigkeit von 1480 m/sec und dabei eine Schußweite von 180 km erreicht werden. Das Waffenamt lehnte aber diese utopischen Entwürfe ab. Gefordert wurde nun eine Staustrahlgranate, die wenigstens 10 kg Sprengstoff 200 km weit tragen konnte.“629
Bei der C-Serie (ab 1943) kehrte man wieder zum Abschuss aus einer Kanone zurück, diesmal die K 5 mit einem Kaliber von 28 cm. Die Anfangsgeschwindigkeit betrug bei dem Modell C 3 1223 m/sec. Die Brennkammer war 60 cm lang und stand unter einem Druck von 180 at bei 700 °C. Der Brennstoff wurde in die Brennkammer durch 480 Düsen eingespritzt. Bei einem Gesamtgewicht von 170 kg entwickelte die Antriebseinheit einen Schub von 20.000 kg. „Ein solches System kann mit seiner Brennstoffreserve, seine Geschwindigkeit bis zu 1860 m/sec erhöhen und dann Distanzen bis zu 350 km im freien ballistischen Flug zurücklegen“, meinte Trommsdorff. Diese Leistungen sollen bei Tests, die nicht in Kummersdorf und in Abwesenheit von Trommsdorff stattfanden, auch tatsächlich erreicht worden sein. Hahn erwähnt dazu eine nicht näher bezeichnete „Marineküstenbatterie“.630 Die D-Serie bestand aus „Studien über gelenkte Interkontinental-Raketen“. Das Modell D 6000 war gedacht für Entfernungen von 6.000 km. Wie es auf die Abschusshöhe von 14 km und die Abschussgeschwindigkeit von 200 m/sec gebracht werden konnte, ließ man offen. Mittels zweier abwerfbarer Zusatzraketen an den Spitzen der zwei Tragflügel war das Geschoss bis zur Machzahl 4 und in eine Höhe von 24 km zu beschleunigen. „Die Rakete könnte dann noch 5.000 km weiterfliegen mit eigener Kraft und würde dann auch noch fähig sein, weitere 300 km zu gleiten. Praktische Tests wurden weder mit der Rakete D 6000 unternommen noch mit Modellen, da Ende 1944 kein deutsches Flugzeug die
628 NL Schumann: Reichweitengeschoß (wie Anm. 600). 629 Hahn: Waffen und Geheimwaffen, 140. 630 Ebd.
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Rakete im Huckepackverfahren zu der erforderlichen Abschußhöhe und Geschwindigkeit tragen konnte.“
Die E-Serie bestand durchweg aus „experimentellen Raketen“, mit denen das Verhalten während des Fluges studiert und andere Forschungsdaten gewonnen werden sollten. Von ihnen wurden etwa 260 gebaut und in Kummersdorf sowie Hillersleben mit einem Geschütz vom Kaliber 15 cm abgeschossen. Besondere Aufmerksamkeit galt dem Verhalten des Brennstoffes, in diesem Fall Karbondisulfid*. Er wurde im Zentrum des Gerätes untergebracht, das nach dem Verlassen des Rohres aus aerodynamischen Gründen zur Rotation gebracht wurde. Der Drall sollte die Stabilität ohne zusätzliche Elemente (z. B. Leitflossen) ermöglichen. Gleichzeitig wurde der Brennstoff durch spezielle Bleche in Bewegung gesetzt, um die Rotation des Flugkörpers auf den Brennstoff zu übertragen. Bei einem Abschusswinkel von 6 Grad wurden die Flugbahnen vollständig durch Film-Theodoliten, akustische Aufzeichnungen und visuelle Beobachtungen des Aufschlages dokumentiert. „Dummy-Raketen, die mit Wasser anstatt flüssigem Brennstoff gefüllt waren, machten es möglich, die Widerstandseigenschaften der Rakete zu prüfen.“631 Mit Reichweitengeschossen befassten sich auch die Škoda-Werke in Brünn/ ČSR. Zu den dort erzielten Ergebnissen konnten keine Angaben gefunden werden.632 13. AUROL UND ANDERE SONDERTREIBSTOFFE In den Dokumenten von WaF erscheint hin und wieder die Bezeichnung „Aurol“. Auch in Kürschners biographischen Notizen zu Schumann finden sich Hinweise auf ein „Aurol-Vorhaben“ bzw. ein „Aurol-Geschütz“. Dieser Quelle zufolge legte Schumann 1943 eine Studie vor, zu „Grundlagen und Auswirkungen der innerballistischen Verwendung von Flüssigkeiten zum Aurol-Vorhaben“.633 Was sich dahinter verbarg, war lange Zeit ein Rätsel. Gelöst wurde es erst durch ältere Fachlexika, vor allem aber durch eine Mitteilung von Prof. Dr. Horst Capptuller (1919–2003). Er studierte ab 1941 an den Universitäten Berlin und Tübingen. Bis 1945 gehörte er zur Studentenkompanie. Während der Semesterferien war Captuller zur Vers. Gottow abgestellt. Eine seiner dortigen Aufgaben bestand darin, eine Messmethode zur einfachen, dennoch sicheren Bestimmung von „T-Stoff“ zu entwickeln. Der T-Stoff* bzw. 80 %iges Wasserstoffsuperoxid (H2O2)* war nichts anderes als das ominöse „Aurol“. Es wurde bei WaF in zwei Sorten verwandt: als „Aurol N“ (normal) und als „Aurol S“ (versetzt mit Schwefelsäure). Da beide Substanzen äußerlich nicht voneinander zu unterscheiden waren, eine Verwechselung jedoch ziemlich böse Folgen haben konnte, brauchte man eine Messappa631 Trommsdorff: Zur Geschichte (wie Anm. 601), 372. 632 Boelcke: Deutschlands Rüstung, 365, 435. 633 Brief Osenbergs vom 13. Juni 1944 an Geist, IfZ, SI, ED 104 a, Bl. 291137; Vgl. Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender, Ausg. 1985 u. a. Jahrgänge. Auszüge aus der darin genannten Studie zum Aurol-Vorhaben konnten im Nachlass Schumann gefunden werden.
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ratur. Captuller baute dazu ein Fernsprechgerät um. Damit konnte er die elektrische Leitfähigkeit der jeweiligen T-Stoffsorte genau anzeigen.634 Eine eventuelle Nutzung von H2O2 für militärische Zwecke stand bereits seit längerem auf der Tagesordnung. 1927 erschien in der renommierten Zeitschrift für das gesamte Schieß- und Sprengstoffwesen ein Beitrag über mögliche Sprengstoffe auf der Basis Wasserstoffsuperoxid. Auch an anderer Stelle interessierte man sich für diese chemische Verbindung. In einer Dissertation, Anfang 1934 an der TH Berlin verteidigt, untersuchte ein junger Mann aus Johannisburg (Südafrika), wie H2O2 aus Persulfad hergestellt werden kann.635 Da Aurol ein vorzüglicher Sauerstoffträger und zugleich Energieträger ist, beschäftigten sich ab etwa 1933 verschiedene Fachleute damit, auf dieser Basis effektive Antriebsverfahren zu entwickeln, z. B. für Schiffe, vor allem für U-Boote. Wenig später kamen auch die Pioniere der gerade sich entwickelnden Raketentechnik auf die Idee Wasserstoffsuperoxid zu verwenden. Besondere Verdienste erwarb sich der Ingenieur Hellmuth Walter aus Kiel, der 1935 erstmals T-Stoff für die von ihm entwickelten Triebwerke einsetzte. Nach ihm ist auch das „Walter-Verfahren“ benannt, dass in zwei verschiedenen Varianten Anwendung fand. Beim kalten Verfahren (HWK) wird H2O2 mittels eine Katalysators zersetzt. Dadurch entsteht ein „hoch temperiertes SauerstoffDampf-Gemisch“, welches sich sehr gut für den Antrieb von Turbinen, einfachen Raketentriebwerken und auch Staustrahltriebwerken eignet. Bei dem heißen Verfahren (HWH) wird der durch die katalytische Zersetzung freiwerdende Sauerstoff sofort mit einem Brennstoff (z. B. Kohlenwasserstoffe wie Benzin, Petroleum, Diesel) zur Reaktion gebracht, wobei Temperaturen bis zu 2.000 Grad Celsius entstehen. Anwendbar ist das HWH für Raketen mit Brennkammerkühlung.636 Es existiert allerdings eine beträchtliche Schwierigkeit: Wasserstoffsuperoxid gehört zu den Einstoffsystemen* und ist bei Konzentrationen bis zu 35 % nahezu ungefährlich. Bei Konzentrationen bis zu 80 % und darüber hinaus explodiert es leicht, ist schwer zu lagern und zu handhaben. Bei einer Vermischung mit anderen Treibstoffen, und damit seinem Einsatz in einem Zweistoffsystem, ist der Umgang mit T-Stoff eine ziemlich gefährliche Angelegenheit. Eine recht eindrucksvolle Schilderung davon lieferte B. Johnson in seinem Buch über die Nutzung von Wissenschaft und Technik während des Zweiten Weltkrieges. Der nachfolgende Auszug hat zwar nichts mit den Arbeiten von WaF 634 Telefonische Mitteilung von Prof. Capptuller im Mai 2002; Dissertation Captuller: Bestimmung des gyromagnetischen Verhältnisses des Protons mit einem Differenzverfahren zur Magnetfeldmessung, 22. Dezember 1960, TH Hannover, Lebenslauf. 635 Max Bamberger, Josef Nussbaum: Über Wasserstoffsuperoxyd-Sprengsstoffe, in: Zeitschrift für das gesamte Schieß- und Sprengstoffwesen 22 (1927) Heft 6, 125–129; Harry Siderski: Über die Gewinnung von Wasserstoffperoxyd aus Persulfat, Dissertation, 27. Februar 1934, TH Berlin. 636 Emil Kruska: Das Walter-Verfahren, ein Verfahren zur Gewinnung von Antriebsenergie, in: VDI-Zeitschrift 97 (1955), 65–70, 271–277, 709–713, 823–829; Derselbe: H2O2 als Energieträger für die Raumfahrt, in: Zeitschrift Flugwissenschaft 13 (1965) Heft 2, 61–69.
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II. Experimente
zu tun, ist aber deshalb von großem Interesse, weil die Forscher in den Kummersdorfer Versuchsstellen ähnliche Erfahrungen machen mussten wie die Mitarbeiter des Technischen Amtes der deutschen Luftwaffe bei der Entwicklung des Raketenjägers Me 163 „Komet“. Wenn auch die Textstelle etwas reißerisch aufgemacht ist, lässt sie doch manches von den vielfältigen Problemen erahnen, die bei WaF zu bewältigen waren: „Anfangs ereigneten sich während der Ausbildung viele tödliche Unfälle, meist infolge des hochexplosiven Treibstoffs. Die ‚Komet‘ war mit dem Walter HWK 109-509 A-Raketentriebwerk ausgerüstet, das schier unfaßbar 1500 Kilopond Schub bei nur 166 Kilogramm Gewicht leistete. Der Brennstoff bestand aus einer Mischung von C-Stoff (57 % Methylalkohol, 30 % Hydrazinhydrat und 13 % Wasser) und T-Stoff (80 %iges Wasserstoffsuperoxyd). Unglücklicherweise reagierten beide Treibstoffe höchst aggressiv. Sobald sie vermischt wurden, spalteten sie sich sofort explosionsartig in hochtemperierte Gase. Sogar das Betanken der ‚Komet‘ war ein gefährliches Unternehmen. Die beiden Treibstoffe wurden aus Tankwagen, die deutlich mit einem großen T oder C gekennzeichnet waren, in getrennte Behälter gepumpt. Die Tankwagen durften sich einander höchstens auf 800 Meter nähern. Zuerst wurde der eine Stoff herangefahren und getankt. Danach mußte alles, was mit ihm in Berührung gekommen war, sogar das Bodenpersonal, mit Wasser abgespritzt werden. Es war der einzige Vorteil dieser tödlichen Flüssigkeiten, daß sie wasserlöslich waren. Dann fuhr der eine Tankwagen fort und der zweite rollte heran. Der T-Stoff war der gefährlichere, weil er sofort in Flammen aufging, sobald er mit organischen Stoffen in Berührung kam, ob es eine vorbeifliegende Biene oder aber ein Flugzeugwart war. Allein die Lagerung und Behandlung dieses Treibstoffes sprach sehr dagegen, daß die ‚Komet‘ je ein einsatzbereites Waffensystem im Frontflugbetrieb der Luftwaffe werden konnte. T-Stoff durfte nur in Aluminiumbehältern gelagert werden, alles andere wurde zerfressen oder fing sofort Feuer. C-Stoff hingegen konnte nur in Glasbehältern lagern, da er fast alle anderen Materialien zersetzte, insbesondere Aluminium. Man drehte Ausbildungsfilme zur Schulung des Bodenpersonals der Luftwaffe, das das Pech hatte, zu einer ‚Komet‘-Einheit versetzt zu werden. Eine Szene in einem dieser Filme zeigt, wie ein einziger Tropfen T-Stoff in eine Schale mit C-Stoff fällt, wobei es einen Knall wie bei einem Gewehrschuß gab. Eine andere Szene zeigt, wie etwas C-Stoff über einen Putzlappen geschüttet wird, der plötzlich binnen Sekunden verglüht. So verlor ein Mechaniker sein Leben, als er versehentlich C-Stoff in einen Behälter goß, der zuvor für T-Stoff verwendet worden war. Schon das Anlassen des Triebwerkes, das mit so mörderischen Flüssigkeiten betankt wurde, mußte ein entnervender Augenblick gewesen sein. Zuerst wurde das ganze Raketentriebwerk mittels einer Hochdruckspritze mit Wasser ausgespült. Dann schaltete der Flugzeugführer eine kleine Elektropumpe ein, die eine genau dosierte Menge des Katalysators Kalziumpermanganat und Chromkali (gelb) mit T-Stoff beimischte. Das spaltete sich in Hochdruckdampf, der die Hauptpumpen antrieb, die die beiden Treibstoffe genau geregelt in die Raketenbrennkammer förderten. Nachdem der Pilot sich überzeugt hatte, daß alle Druckanzeigen richtig waren, schob er vorsichtig und behutsam den Leistungshebel vor, der fünf Rasterstellen hatte: Aus, Leerlauf und drei Schubstufen.“637
Mit dem Beginn der Forschungen bei WaF zu Flüssigkeitstriebwerken für Raketen (vgl. Kapitel 11) geriet auch der T-Stoff ins Blickfeld, allerdings ganz schnell mit tragischen Folgen:
637 Brian Johnson: Streng geheim – Wissenschaft und Technik im Zweiten Weltkrieg, Augsburg 1994, 292 f.
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„Damals zeichneten sich die ersten Anfänge der Raketentechnik ab, neue flüssige Raketentreibstoffe wurden gesucht. Man versprach sich besonders viel von Wasserstoffsuperoxyd als Sauerstoffträger. In einer Konzentration von 85 % hergestellt, wollte man es in einer stöchiometrischen Mischung für vollständige Verbrennung mit Alkohol als Einstoffsystem verwenden. Der Bequemlichkeit halber wurde der Alkohol bereits im Herstellerwerk zugemischt, das Gemisch in Fässer gefüllt, auf einen Lastwagen geladen und viele Kilometer weit auf den Versuchsplatz transportiert. Der Fahrer des Wagens hatte Glück, er brachte den Treibstoff heil zum Versuchsort. Erst als der Stoff aus einem Tank in den Raketenofen eingespritzt wurde, detonierte der Behälter und verursachte drei Todesopfer. Zu spät, erst nach dem Unfall, wurde die Ermittlung [gemeint ist die wissenschaftliche Untersuchung, G. N.] solcher Gemische veranlaßt. Ich selbst war damals mit dieser Aufgabe betraut.“638
Dieser Bericht stammt von Dr. Ernst Haeuseler (*1912). Bei der von ihm geschilderten Explosion handelt es sich um jenes bereits beschriebene Unglück in der Vers. West, bei dem 1934 Dr. Kurt Wahmke und zwei seiner Mitarbeiter tragisch ums Leben kamen. Schumann hat in seinem Beitrag für „Wehr und Wissenschaft“ das tödliche Ereignis ebenfalls erwähnt (vgl. Kapitel 1 und 11). Haeuseler studierte an der Universität Berlin Physik und Chemie. Schumann bezog ihn recht früh in die Arbeit von WaF ein und übertrug ihm die Aufgabe, die Ursache des tödlichen Unfalls vom Sommer 1934 mit herauszufinden. Im Ergebnis der ab 1934 absolvierten Untersuchungen entstand, wiederum auf Veranlassung von Schumann, die Dissertation Haeuselers, für die er bei ihrer Vorlage im Mai 1938 des Prädikat „Sehr gut“ erhielt. Die Schrift kam als „Geheime Reichssache“ sofort unter Verschluss. Hinter dem nichtssagenden Titel: Über die Detonation flüssiger Sprengstoffe“ verbarg sich eine wichtige Entdeckung, zu der der Doktorand allerdings lange Zeit striktes Stillschweigen wahren musste. Erst 1953 konnte Haeuseler auf seine damaligen Forschungsergebnisse öffentlich hinweisen: „Es wurden Ergebnisse von Messungen der Bleiblockausbuchtung, der Brisanz und der Detonationsgeschwindigkeit bei flüssigen Sprengstoffen, besonders an Gasgemischen mit hochprozentigem Wasserstoffsuperoxyd zusammengestellt. Dabei wurde die Existenz von drei konstanten Detonationsgeschwindigkeiten bei einer Anzahl von Flüssigkeiten gefunden. Die einzelnen Stufen können durch die Wahl der Initiale, des Rohrdurchmessers sowie durch Konzentrationsänderungen fast willkürlich erhalten werden. Der flüssige Aggregatzustand und die Konstitution des Sprengstoffgemisches ist wesentlich für das Auftreten mehrerer Detonationsgeschwindigkeiten am gleichen Sprengstoffgemisch.“639
Angesichts eines solchen Fazits kann die hohe Geheimhaltungsstufe nicht verwundern. 638 Ernst Haeuseler: Die Ermittlung von Kenndaten zur Beurteilung der Sicherheit von chemischen Raketentreibstoffen bei Fabrikation und Anwendung, in: Deutsche Luft- und Raumfahrt 16 (1966), 117 f. 639 Derselbe: Über die Detonation flüssiger Sprengstoffe, insbesondere auf der Basis von Wasserstoffsuperoxid, in: Explosivstoffe 1 (1953) Heft 6/7, 64–68. Auf die Tatsache, dass dieser Beitrag von Haeuseler der wesentliche Inhalt seiner Geheimdissertation ist, wurde der Autor von Dr. Carl-Otto Leiber (briefliche Mitteilung vom 27. Oktober 2002) sowie von Dr. Friedrich Trimmborn aufmerksam gemacht. Trimmborn bemerkte dazu: „Sein größter Kummer war, dass er erst Anfang der 1950er davon berichten konnte und ihm dadurch die Priorität der Entdeckung genommen worden war“ (briefliche Mitteilung vom 30. Oktober 2000).
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Mit Aurol beschäftige sich ein weiterer Schüler Schumanns, der Chemiker Dr. Heinz Freiwald (*1911). Er legte 1938 ebenfalls eine Geheimdissertation vor, die von Schumann und Thiessen angenommen und mit „Sehr gut“ beurteilt wurde. Die Schrift befasste sich inhaltlich mit der „Herstellung des 80–100 % H2O2“. Das unverfänglich klingende offizielle Thema lautete: „Beiträge zum Verhalten von Peroxyden in Gegenwart katalytisch wirksamer Substanzen“. Ein Exemplar dieser Geheimschrift konnte Ende 2004 im Militärarchiv Freiburg gefunden werden. Sie war eingestuft als „Geheime Kommandosache“ und hatte zur Aufgabe, die Zersetzung von Wasserstoffsuperoxyd für zwei Zwecke zu untersuchen. Das war a) die Verwendung als Sauerstofflieferant in Atemgeräten, und b) als Antrieb für Turbinen, Raketen u. ä. Darüber hinaus ging es um die Brauchbarkeit für den Einsatz als Sprengstoff. In diesem Zusammenhang bezog sich der Doktorand ausdrücklich auf den oben genannten Beitrag von 1927 in der Fachzeitschrift der Sprengstoffexperten. Die Sprengversuche absolvierte Freiwald gemeinsam mit Haeuseler. Zusätzlich standen Stoßversuche (Transportfähigkeit des Stoffes), Lager- und Korrosionsversuche auf dem Programm. Becker persönlich hatte sich regelmäßig über den Fortgang dieser Arbeiten informieren lassen und gab die notwendige Unterstützung (vgl. Anhang II: Geheimdissertationen). Freiwald erlitt bei der Fortsetzung seiner Arbeiten in Vers. Gottow, die vor allem flüssige Raketentreibstoffe zum Gegenstand hatten, einen Unfall, der sein Gesicht dauernd entstellte.640 Parallel zu den Forschungen, T-Stoff für Raketen zu verwenden, wurde bei WaF noch eine andere Richtung verfolgt. Es ging um „die praktische Verwirklichung eines Gleichdruckdiagramms beim Schuß mit Aurol“ als Antriebstoff, und damit die „Einführung von Niederdruckwaffen“ (vgl. Kapitel 10). Schumann war der Ansicht, dass dieser Weg mehrere Vorteile bot: Materialersparnis an der Waffe durch eine niedrige Temperatur der Aurolschwaden, Verringerung der Wandstärke von Geschossen und damit gesteigerte Nutzgewicht, Verschießen höchstbrisanter Sprengstoffe, Konstruktion automatischer Waffen mit hohen Schussfolgen, Erzielung beliebig hoher Geschossgeschwindigkeiten.641 Ganz unbekannt war die Idee, anstelle von Pulver auch andere Stoffe zu verwenden, nicht. Bereits im Ersten Weltkrieg hatte man einen „Pressgasminenwerfer“ entwickelt. Er sollte die Nachteile der damals eingesetzten, besonders wirksamen und deshalb auch gefürchteten Minenwerfer beseitigen. Das war vor allem die Entstehung von Rauch und Feuer beim Abschuss, die den Standort der Waffe alsbald verriet. Ein Erfolg des „Pressgasminenwerfers“ stellte sich jedoch nicht ein. Die Minen flogen zu langsam, waren leicht zu beobachten und die Bekämpfung erwies sich als relativ unproblematisch. Außerdem war die Treibladung schwach und erlaubte keine besonders großen Reichweiten.642
640 Ebd., 67; schriftliche Mitteilung von Dr. Trimmborn (wie Anm. 639); Heinz Freiwald: Über die Beeinflußbarkeit katalytischer Reaktionen, Geheimdissertation, 7. April 1938, Universität Berlin, BA-MA, RH 8/v 1463. 641 Vortragsmanuskript Schumanns vom 2. Juli 1943, 2 (im NL Schumann). 642 Der Preßgasminenwerfer, in: Waffenrevue 20 (1976), 3245–3725 (Waffenlexikon 1606-100-10).
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Da die nach 1933 von Wa Prüf 4 (Artillerie) neu aufgenommenen Versuche zur Verwendung von Pressluft schnell deren Unwirtschaftlichkeit – wegen zu hohen Aufwands usw. – zeigten, entstand bei WaF die Überlegung, Pressgase chemisch durch Einsatz geeigneter Flüssigkeiten zu erzeugen. Dazu war vorgesehen, in das Geschütz getrennt flüssigen Treibstoff und wirksame Katalysatoren einzugeben. Durch die Zündung sollte die gewünschte „Gleichdruckkurve“ ausgelöst werden, die bei geringer Geschützrohrbelastung eine hohe Anfangsgeschwindigkeit (V0) garantierte. Die ersten, in diese Richtung zielenden Versuche „mit reinem und hochprozentigen“ Wasserstoffsuperoxid, wofür bei WaF die Deckbezeichnung „Aurol“ eingeführt wurde, verliefen Erfolg versprechend. Dies veranlasste Schumann zu folgender Entscheidung: „Bei der prinzipiellen Bedeutung, den die mit dem Problem der flüssigen Energieträger zusammenhängenden Fragen im Gesamtrahmen der ballistischen Entwicklung haben, war es notwendig, die Bearbeitung des Aurol-Vorhabens in breiter Basis aufzunehmen. Das Programm, mit dessen Bearbeitung im Jahre 1936 begonnen wurde, erstreckte sich dabei zunächst auf die Grundlagen der Anwendung: Herstellungsmethode, Handhabungssicherheit des reinen Aurols und seiner Gemische, Korrosionseigenschaften, Lagermöglichkeiten und Lagerbeständigkeit, Einleitung und Verhinderung des katalytischen Zerfalls, Detonationsfähigkeit und Brisanz.“643
Am 2. Juli 1943 hielt Schumann vor der Führung des HWA Vortrag über „Grundlagen und Auswirkungen der innerballistischen Verwendung von Flüssigkeiten (Aurol-Vorhaben)“. Auf Befehl des Chefs des HWA wurden diese Ausführungen später vor dem Forschungsbeirat des HWA wiederholt, diesmal unter dem Titel „Möglichkeiten der Verwendung von Flüssigkeiten als Treibmittel in Schusswaffen“. Darin schätzte Schumann ein, dass der Verwendung von Aurol als Schießstoff keine prinzipiellen Gründe entgegenstünden. Dies sei forschungsmäßig eindeutig geklärt. Jetzt würden die rein technischen Fragen im Vordergrund stehen. Es sei an der Zeit, die Forschungsergebnisse den Entwicklungsstellen in „geschlossener Form zugänglich zu machen“. Damit könne die „weitere Arbeit, die im wesentlichen waffentechnisch-konstruktiver Art sein muß, auf breiter Grundlage“ erfolgen. Schumann war sich sicher, dass „mit der Einführung eines ersten brauchbaren flüssigen Schießmittels eine Entwicklung eingeleitet ist, die sich deutlich als Einschnitt in die Geschichte des Schießwesens abzeichnen wird“.644
Der Fortgang der Arbeiten bei WaF bewies jedoch, dass Schumanns Darstellung viel zu optimistisch war, und zahlreiche Probleme noch nicht gelöst waren. Ein „Einschnitt in die Geschichte des Schießwesens“ war das Aurol-Vorhaben bis Kriegsende keinesfalls. Erst Mitte 1944 waren die Arbeiten zum „Aurolwerfer“ so weit gediehen, dass die Reaktionsgeschwindigkeit weitgehend beherrscht werden konnte. Großen Anteil daran hatte Haeuseler, der „alle möglichen Katalysatoren
643 Schumann (wie Anm. 641), 5 f., Hervorhebung im Original. 644 Ebd., 2, 6, Hervorhebung im Original.
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II. Experimente
untersuchte“ und damit offensichtlich Erfolg hatte. Bei dem für die Waffe konzipierten Verfahren wurde „der flüssige Treibstoff unten ins Rohr eingeführt und der Katalysator am Geschoßboden befestigt. Die Zündung erfolgte automatisch durch Eintauchen des Geschosses in den Treibstoff. Die Handhabung war nur etwa unbequem.“
Als ein sehr erfreulicher Effekt wurde der weitgehende Wegfall von Mündungsfeuer beurteilt.645 Das schwierigste Problem war die Zündung. Dazu erhielt u. a. gegen Ende seiner Studienzeit der Angehörige der Studentenkompanie Heinz Nebe (*1921) den Auftrag, während seiner Praktika in Vers. Gottow entsprechende Versuche vorzunehmen. Er sollte durch analytische Vergleiche am hochprozentigen T-Stoff eine Methode zur Konzentrationsbestimmung liefern. Angeleitet wurde er von Prof. August Winkel, tätig am KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie – vor allem auf den Gebieten Staubforschung und Aerosolfiltration* (vgl. Kapitel 19). Von Winkel bekam Nebe auch das Thema der in Vers. Gottow experimentell zu erarbeitenden Diplomarbeit: „Über die Abscheidung von Aerosolen im homogenen Feld. Untersuchung des durch Hydrolyse von Titantetrachlorid erhaltenen Aerosol“. Als Staub benutzte Nebe Titanoxid, das als Zündmittel für das Aurol eingesetzt wurde. Gleich nach dem 1944 erworbenen Diplom führte Nebe seine Untersuchungen zum Aurol und zur Staubabsonderung weiter. Daraus sollte eine Dissertation zum Thema „Katalytische Zersetzung von konzentriertem Wasserstoffsuperoxyd“ entstehen. Durch die Kriegsereignisse konnte diese Arbeit nicht mehr zu Ende geführt werden. Beim Umgang mit einem Gemenge aus Aurol, Wasser und Feststoffen erlitt Nebe einen Unfall. Die Substanzmischung explodierte beim Filtern bzw. Trocknen. Leichte Verletzungen im Gesicht waren die Folge.646 Nicht nur bei WaF bereitete der Zündvorgang zwischen T-Stoff und B-Stoff* ernste Sorgen. Auch die Forscher der Marine standen vor diesem Problem. Im September 1944 empfahl deshalb ein Mitarbeiter von Geist, diese Arbeiten „mit OKH/WaF in engster Zusammenarbeit abzugleichen, da von dieser Seite bereits ähnliche Versuche … bei Prof. Dadieu, Graz, und Prof. Pongratz, Berlin-Dahlem“ laufen. Zugleich wurde vorgeschlagen, eine Arbeitsgruppe „unter Führung von Prof. Johst zu bilden“. Bei letzterem handelte es sich um Prof. Dr. Wilhelm Jost (*1903), damals Universität Marburg, der u. a. über Explosions- und Verbren-
645 Osenberg an Geist (wie Anm. 633), Bl. 291137; Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129). 646 Schriftliche Mitteilung von Dr. Heinz Nebe vom 8. Oktober 2002. Prof. Winkel war laut Nebe nach dem Krieg „Staubexperte in Bonn“. Er beschrieb in seinem Beitrag: Der Niederschlag von Stäuben aufgrund ihrer elektrischen Eigenschaften, in: Staub 41 (1955), 469–484, auf 474 f. die von Nebe verwendete Versuchsanordnung und teilte dazu mit: „Der experimentelle Teil wurde von Herrn Heinz Nebe durchgeführt und als Diplomarbeit der MathematischNaturwissenschaftlichen Fakultät der Alexander v. Humboldt-Universität vorgelegt“. Diese eigenartige Bemerkung ist sicherlich dem Umstand geschuldet, dass Nebe nach 1945 in der DDR lebte.
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nungsvorgänge in Gasen publiziert hatte.647 Der Grazer Professor Armin Dadieu (1901–1978) war politisch wegen seiner Zugehörigkeit zur SS (ab 1938) und seinen nationalsozialistischen Aktivitäten vor dem und beim „Anschluss“ Österreichs eine überaus schillernde Persönlichkeit. Anfang 1932 trat er der NSDAP bei, für die er nach eigenen Angaben während der „Verbotszeit“ an seinem Institut Sprengstoffe hergestellt habe. Für Göring habe er 1937 illegale Lagerstättenforschung zu Uran betrieben und einen Nachrichtendienst eingerichtet. Wissenschaftlich galt er als Spezialist für Raketentreibstoffe, weshalb WaF ihn kurz nach der Besetzung Österreichs in die Forschung einbezog. Außerdem gehörte er dem Forschungsbeirat des HWA an. In dieser Funktion wurde ihm Ende 1942 bekannt, dass „der Mechanismus der Reaktion von Aurol mit flüssigen Treibstoffen, im besonderen Alkohol, Benzin und dergleichen, noch unzureichend bekannt ist. Die Kenntnis der Mechanismen dieser Umsetzung, ist die Voraussetzung für die waffentechnische Beherrschung dieser Vorgänge und auch für die Gestaltung der Geräte.“
Er schlug daher dem RFR vor, an seinem Institut Versuche in dieser Richtung durchzuführen, wofür dem „gesamten Grazer Arbeitskreis“ ein Sachkredit von 20.000 RM sowie Mittel (120.000 RM) für die Beschaffung eines „Übermikroskops“ zu bewilligen sei. In seinem Gutachten stimmte Thiessen zu, da „zunächst eine Reihe von Problemen der Grundlagenforschung geklärt werden müssen, bevor von der waffentechnischen Entwicklung weitere Erfolge zu erwarten sind“. Damit war der Weg frei, für einen Forschungsauftrag „Reaktionsmechanismus von Sondertreibstoff/T-Stoff“, dessen Notwendigkeit noch im Januar 1945 (!) durch WaF bekräftigt wurde.648 Prof. Dr. Alfred Pongratz (*1897) arbeitete mehrere Jahre in Graz bei Dadieu. Ab August 1940 fungierte er als Abteilungsleiter am KWI bei Thiessen. Er war dort u. a. in die Sprengstoff-Forschung von WaF einbezogen (vg. Kapitel 7). Ein Beitrag von ihm zur „Aurol“-Thematik ist nicht bekannt Einen Einblick in die schwierigen technologischen Probleme, die ab Mitte August 1943 im Umgang mit T-Stoff noch ungelöst waren, vermitteln die zu diesem Zeitpunkt von WaF vergebenen Themen an andere wissenschaftliche und weitere Einrichtungen. Die Aufträge waren durchweg geheim und hatten die Dringlichkeit „SS“. Der Physiker Dr. Clemens v. Horvath (*1884, Dissertation 1919 an der Universität Berlin bei Planck und Wehnelt), tätig bei der EmailliolaVerwaltung Berlin, wurde ersucht, einen korrosionsfesten Schutzanstrich für TStoffbehälter zu entwickeln. Später betraute man mit der gleichen Aufgabe zusätzlich die Firma Zöllner Werke, Gesellschaft für Lack- und Farbenfabrikation, Berlin-Neukölln, Neuköllnische Allee 60–74. Prof. Dr. Kurt Neumann (*1879), 647 Oberstleutnant Vorwerck, Technisches Amt im Speer-Ministerium, am 11. September 1944 an das OKM Mar Rüst/FEP (mit dem Hinweis, daß Graue, RFR, wegen Einstufung des Auftrages unterrichtet sei), BAB, R 26 III/257, Bl. 2. 648 Dadieu am 16. Dezember 1942 an den Präsidenten des RFR über Reaktionsmechanismen, wissenschaftliches Gutachten Thiessens vom 27. Januar 1943 zum Vorschlag Dadieus, BAB, R 26 III/719; Auftrag von WaF an Dadieu, BAB, R 26 III/4 (Bl. 64), R 26 III/17 (Bl. 114), R 3/5130, Bl. 8.
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TH Hannover, ein Spezialist auf dem Gebiet der Verbrennungskraft- und Kältemaschinen sowie der technischen Wärmelehre, bekam den Auftrag zur „Untersuchung von Einspritz- und Verbrennungsvorgängen bei Sondertreibstoffen“. Als Geheimhaltungsgrad war hier sogar „Geheime Kommandosache“ bestimmt worden. Ähnlich lauteten die Vorgaben für drei Professoren der TH Braunschweig: Kurt Löhner (1900–1978), Karl Leist (1901–1960) und Günther Cario (1897– 1965) sollten sich mit der „Einspritzung flüssiger Treibstoffe in Gleichdruckgeschütze“ befassen. Alle drei Wissenschaftler arbeiteten gleichzeitig für das RLM. Haeuseler betraute darüber hinaus das Unternehmen Hanomag/Hannover mit der „Konstruktion, Fertigung und Lieferung einer 10 cm Versuchsschußwaffe für Sondertreibstoffe“. Ebenfalls von Haeuseler wurde der Ingenieur R. Berger in Hohen Neuendorf, Werderstr. 62 (nördlich bei Berlin) einbezogen. Sein Auftrag hieß „Anfertigung von Konstruktionsentwürfen zur Ausbildung spezieller Schießverfahren, z. Z. Einspritzvorrichtung für Bombe zur Untersuchung von Myrol [*]“. Eine ähnliche Forderung erging im August 1944 an Erich Sieke, Berlin-Steglitz: „Berechnung und Konstruktion nach besonderen Angaben/Einspritzvorrichtung für Verbrennungsbombe“. Ob bei den gleichfalls 1943 vergebenen Aufträgen an den Chemiker C. H. Schmidt, München, Schönefeldstraße 30, zur „Untersuchung über Wasserstoff-Niederdruckspeicherung und ihre ballistischen Anwendungsmöglichkeiten, einschließlich der Lieferung des Versuchsmaterials“ ein Zusammenhang mit den Sondertreibstoffen bestand, darüber kann nur spekuliert werden. Gleiches gilt für den im September 1943 an die Firma Ventimotor GmbH, Weimar, Jenaer Str. 15, die zum Gustloff-Konzern gehörte, vergebenen Auftrag zur „Durchführung eines Versuches über Wasserstoffspeicherung“. Auch die Bitte an Prof. Dr. Hermann Ulich (1895–1945) zur „Untersuchung über selbstentzündliche Brennstoffe“ könnte damit im Zusammenhang stehen. Ulich, tätig am Institut für physikalische Chemie und Elektrochemie der TH Karlsruhe, galt als Experte auf dem Gebiet der Chemischen Thermodynamik und war durch zahlreiche Veröffentlichungen zu dieser Thematik gut bekannt.649 Bei den Forschungen zu den Sondertreibstoffen trat erneut die ausgesprochen enge Zusammenarbeit von WaF und dem Dahlemer KWI Thiessens hervor. Nicht nur Pongratz wurde einbezogen, sondern auch zwei weitere Wissenschaftler des Instituts: Dr. Kurt Scholtis (*1913) und Dr. Susanne Süß (*1915). Dokumente,
649 Forschungsaufträge in BAB, R 26 III/4, R 26 III/10–17, R 3/3130, Bl. 8 f.; Auskünfte des UA Braunschweig zum Bestand A I: /49, sowie Auszüge aus Veröffentlichungen über die Hochschulgeschichte. Biographische Angaben zu Cario, Löhner, Leist sind enthalten in: Bettina Gundler: Catalogus Professorum der Technischen Universität Carola Wilhelmina zu Braunschweig, Teil 2: Lehrkräfte 1877–1945, Braunschweig 1991 (= Beiträge zur Geschichte der Carolo Wilhelmina, 9). Maier: Forschung als Waffe, 464, hat darauf hingewiesen, dass sich auch Prof. Dr. Ing. Otto Kraemer (*1900), TH Karlsruhe, Institut für Brennkraftmaschinen, mit dem Aurol-Antrieb befasste. Er gehörte der AG Cornelius an, einer Forschergruppe, die für das OKM tätig war. Ob ein Zusammenhang mit den Arbeiten bei WaF besteht, ist nicht bekannt; Schmaltz: Kampfstoff-Forschung, 180, vermutet, dass Ulich an der N-Stoff-Forschung beteiligt war.
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aus denen die Ergebnisse dieser Grundlagenforschung ersichtlich sind, konnten bisher nicht gefunden werden.650 Anders ist dies bei Prof. Dr. Kurt Fischbeck (*1898), Direktor des Instituts für Physikalische Chemie der Universität Heidelberg. Er schickte am 10. März 1945 (!) an Osenberg seinen geheimen Arbeitsbericht über „Eisenverbindungen als Zersetzerkontakte für T-Stoff“. Darin wird u. a. festgestellt, dass es ihm gelungen sei, „einen manganhaltigen, hochwirksamen Zersetzer für T-Stoff herzustellen, über den bereits ein Bericht nebst Material an die ,Elektromechanischen Werke Karlshagen‘ [in Peenemünde, G. N.] abging. Weitere Versuche im Auftrag des RFR führten zunächst zu dem Ergebnis, daß es möglich sein muß, das Mangan durch Eisen zu ersetzen.“
Man habe sich jedoch bald einer anderen Stoffklasse zugewandt, die noch günstigere Aussichten böte. Dazu führte Fischbeck aus: „Es sind die Perferrite der Erdalkalien [Ferrite*]. Wir haben das Bariumperferrat hergestellt und erhielten ein schwarzes Pulver, an welchem die Zersetzung des T-Stoffes sofort mit großer Heftigkeit einsetzte. Durch geeignete technische Verfahren müßte es möglich sein, Preßkörper des Pulvers herzustellen.“
Zusätzlich berichtete Fischbeck über andere, ebenfalls erfolgreiche Versuche, und zwar zur Reaktion von Kaolin mit Natriumhydroxid, dem Eisenhydroxid zugesetzt war. Die nach dem Trocknen gewonnene Masse hätte gute mechanische Eigenschaften gezeigt und den T-Stoff heftig zersetzt. Wichtig sei nach bisherigen Messungen „daß die Reaktion ohne Inkubationszeit, d. h. ohne Vorgehen einer scheinbar reaktionslosen Vorperiode einsetzt, während das sonst bei Eisenverbindungen häufig ist … Die Höchstgeschwindigkeit erreichte schätzungsweise 1/30 des für die V 2 [= Rakete A 4, G. N.] geforderten Tempos.“
Bei einer planmäßigen Durchforschung, die z. Z. wegen Verlagerung seiner Einrichtung nicht möglich sei, könnte die Wirkung noch gesteigert werden. Deshalb empfahl Fischbeck, die weiteren Untersuchungen mit allen Mitteln zu fördern. Auch die „Zersetzerköpfe“ müssten geändert werden. Abschließend heißt es in dem Bericht: „Da es sich bei unseren Massen offenbar noch nicht um die gesuchten Alkaliferrite handeln kann, müssen auch die diesbezüglichen Versuche fortgesetzt werden.“651
Die Arbeit mit Aurol usw. erforderte in den Kummersdorfer Versuchstätten der Abt. Forschung die Realisierung des Bauvorhabens 57, Lagerhaus für Sondertreibstoffe und Sicherheitsbunker. Um alle Gefahrenpunkte dieses T-Lagers zu erkennen und zu beseitigen, fand am 29. Februar und 1. März 1944 in Vers. Gottow eine Besprechung „Schutz vor Explosionen“ statt. Geleitet wurde die Zusammen650 BAB, R 26 III/9 (Karteikarten, ohne Angaben zu den erteilten Forschungsaufträgen). 651 Arbeitsbericht Fischbecks vom 10. März 1945 (geheim): Eisenverbindungen als Zersetzerkontakte für T-Stoff, BAB, R 26 III/82. Die von Fischbeck verwandten Bezeichnungen „Elektromechanische Werke Karlshagen“ und „V 2“ weisen auf eine Zusammenarbeit mit den Forschungs- und Entwicklungsgruppen von Peenemünde hin. Vgl. u. a. Neufeld: Die Rakete, 288–307.
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kunft von Walter Basche, der u. a. Vertreter der CTR und der beteiligten Baufirmen begrüßte. Seitens WaF nahmen Haeuseler, Dr. Hilgert, Inspektor Trögel und Dipl.-Physiker Gießmann (Studentenkompanie) teil. Diskutiert wurden Fragen der katalytischen Zersetzung, das Verhalten des T-Stoffes beim Erhitzen sowie beim Zusammentreffen mit organischen Stoffen. Basche erläuterte die dazu von WaF durchgeführten Versuche, die in einer Verbrennungsbombe* und auf dem „Prüfstand 4“ erfolgten. So wurden beispielsweise 200 kg T-Stoff in einem Aluminiumbehälter auf über 140 Grad erhitzt. In einem T-Stoffbehälter, der danach sofort wieder geschlossen wurde, warf man eine Stabbrandbombe, wobei „nichts passierte“. Ebenso wurde mit verschiedenen Katalysatoren experimentiert.652 Ende Dezember 1944 übergab Basche seinem Vorgesetzten Leeb einen vierseitigen Bericht zum „Pressluft-Granatwerfer (Stand der Forschung und technische Möglichkeiten)“. Darin nannte Basche nochmals die erklärte Absicht, Pressgase „nicht auf dem Weg der Pulverbrennung sondern durch den Einsatz von Flüssigkeiten zu erzeugen“. Dazu habe man in Vers. Gottow inzwischen vier Verfahren geprüft: Das Normalladeverfahren, bei dem das gesamte Treibmittel bzw. der Hauptteil des Treibmittels in der Kartusche „laboriert“ war. Die Versuche dafür seien vor längerer Zeit aufgenommen worden, u. a. mit Aurol. Da es keine sichtbaren Ergebnisse gab, stellte man diese Untersuchungsrichtung bald ein. Das Einspritzverfahren, bei dem der Treibstoff während des Schussvorganges durch Einspritzen dem Verbrennungsraum zugeführt wurde. Es zeigte sich eine „grundsätzliche Lösbarkeit“, jedoch ein hoher konstruktiver Aufwand, da der Betrieb mit einem Druck von 200 at erfolgen sollte. Zwei Varianten habe man geprüft: Ein Zweikomponetensystem, bestehend aus Brennstoff und Sauerstoff. Die andere Variante sei ein „Einstoffsystem durch sauerstoffhaltigen Treibstoff, wofür auch Aurol in Betracht gezogen wurde“. Die Untersuchungen konzentrierten sich schließlich auf den „Einsatz hypergoler Brennstoffe unter hohen Drücken“. Zu den Experimenten in Vers. Gottow habe man das Ingenieurbüro Berger sowie das Institut für Verbrennungskraftmaschinen der TH Hannover hinzugezogen. Darüber hinaus erfolgte zusätzlich eine Zusammenarbeit mit dem Institut für Kolbenmaschinen und für Flugzeugmotorenbau der TH Braunschweig. Das Speicherdruckverfahren, in etwa vergleichbar mit dem Arbeitsprinzip von Dieselmotoren. Dies sei „die eigentliche Preßluftwaffe“, allerdings wegen geringer Leistung und hohem Aufwand militärisch nicht verwendbar. Die hier auftretenden Schwierigkeiten könnten eventuell durch eine modifizierte chemische Reaktion der Verbrennung gelöst werden. Sie sei jedoch auch dann noch langsa652 Der Reichsrechnungshof am 27. September 1943 an die Wehrkreisverwaltung III über „Rechnungen des Heeresbauamtes in Kummersdorf (jetzt Jüterbog)“, BAB, R 2301, Film 38852, Nr. 5587, Bl. 63; Besprechung T-Lager am 29. Februar/1. März 1944 in Vers. Gottow, BAMA, RH 8/v 1771. Bei Gießmann handelt es sich um Prof. Dr. Ing. habil. Ernst-Joachim Gießmann (1919–2004), der nach 1945 an der Humboldt-Universität zu Berlin promovierte. Von 1962 bis 1970 war er Staatssekretär bzw. Minister für das Hoch- und Fachschulwesen der DDR mit zahlreichen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Funktionen in der DDR.
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mer als der Pulverzerfall. Es biete sich z. B. eine katalytische Zersetzung von Aurol an. Dazu gäbe es bereits gemeinsame Arbeiten der Vers. Gottow mit der Kieler Firma Walter. Für einen Granatwerfer müssten etwa 400 at erreicht werden. Mit einem „10 cm Versuchsgerät“ sei man schon auf Werte von 200 at gekommen. Basche wörtlich: „Ein weiteres, durch engen Zusammenbau des Speicher- und Reaktionsraumes vereinfachtes Gerät ist nahezu fertig gestellt. Die Versuche hierfür liefen im Dezember an“. Jetzt konzentriere man sich auf die Überwindung der Schwierigkeiten beim Überströmventil. Als Einzelthemen seien festgelegt: „Funktions- und Schießversuche mit Gerät 172 (Walter), Förderversuche zur Verbesserung des Rückkopplungsverfahren, Arbeiten zur Ausbildung des Geschosses als Speicherdrucksperre“. Schließlich viertens: Das Hochdruckverbrennungsverfahren. Sein Hauptmangel sei die geringe Energieausbeute, weil der in den gespeicherten Gasen enthaltene Sauerstoff nicht vollständig verbraucht werde. In diese Richtung würden die Versuche von Vers. Gottow, gemeinsam mit dem Ingenieur-Büro Berger gehen. Jetzt zeichne sich ab, dass die Ausbildung eines Gleichdruckdiagramms wesentlich günstiger sei als beim Speicherdruckverfahren. Dies sei vor allem dann der Fall, wenn es gelänge, zusätzlichen Brennstoff in Brennkammer und Rohr einzuspritzen bzw. aus dem Geschoss zu entnehmen. Gegenwärtig bemühe man sich folgende Einzelprobleme zu lösen: Minderung der Zündverluste beim Einspritzen von Brennstoff in Aurol-Gas hohen Druckes, zusätzliches „Heranschaffen von Luftsauerstoff“, vor allem durch Rückstoßkräfte. Gearbeitet werde an einem „aurolbetriebenen Speicherdruckgerät mit zusätzlicher Brennstoffeinspritzung“. Als Resümee hob Basche in seinem Bericht hervor, dass die beiden erstgenannten Verfahren große Erfolgsaussichten hätten, jedoch müssten dazu weitere Probleme der Grundlagenforschung bewältigt werden. Bei einem Gelingen könnten nicht nur Granatwerfer, sondern auch andere Schusswaffen nach dem neuen Verfahren betrieben werden. Allerdings, so beklagte Basche, seien die Arbeiten durch Personalmangel stark behindert. Am 28. Dezember 1944 schickte Leeb Basches Bericht an Osenberg und fragte zugleich an, ob die Wiederaufnahme „konstruktiv einfacher Normalverfahren durch Maßnahmen zur günstigen Regelung des Verbrennungsablaufes flüssiger Treibstoffe möglich“ sei. Den Einsatz von Instituten, die dazu nicht über die notwendigen Versuchs- und Prüfungsanlagen verfügten, halte er für wenig sinnvoll. Allerdings fehlten der Forschungsabteilung des HWA erfahrene Versuchsingenieure und Handwerker, um die notwendigen Prüfstandversuche vorzunehmen. Leeb ersuchte deshalb den RFR um die Zuweisung von zwei befähigten Versuchsingenieuren und je einem Feinmechaniker, Dreher und Schlosser.653 653
Forschungsbericht Basches über Gas- und Flüssigkeitsschießen vom 28. Dezember 1944 an Leeb, sowie Schreiben Leebs an Osenberg, BAB, R 26 III/83. Mit der Entwicklung von Minenwerfern auf „Pressluftbasis“ befasste sich in der zweiten Kriegshälfte auch die Firma Škoda. Die von ihr „vorgeschlagenen Ideenskizzen sowie die Gegenüberstellung der deutschen Entwicklung im Weltkrieg und in diesem Krieg“ waren am 28. Januar 1944 Gegenstand einer der regelmäßigen Konferenzen Hitlers mit Speer zum Stand der Rüstungsproduktion, vgl. Boelcke: Deutschlands Rüstung, 333.
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Das oben schon erwähnte Myrol wurde Ende 1943 auch bei Schießversuchen durch Wa Prüf 1 (Ballistik und Munition) verwandt. WaF beauftragte Mitte 1943 Prof. Dr. Kurt Schnaufer (1899–1981), Direktor des Forschungsinstitutes für Flug- und Kraftwagenmotoren der TH München, mit der „Schaffung von Treibgasen für Verbrennungskraftmaschinen“. Das zu dieser Zeit noch allgemein gehaltene, jedoch als geheim deklarierte Thema wurde Anfang 1945 (!) präzisiert zu „Verbrennung von Myrol in Otto- bzw. Dieselmotoren“.654 In den letzten Kriegsjahren befasste sich die Forschungsabteilung in Vers. Gottow auch mit Kohlestaubexplosionen. Das Ziel dieser Arbeiten, offenkundig diktiert von der immer angespannter werdenden Rohstofflage, war es, einen „Ersatz“ für Pulver zu finden, der in Schusswaffen eingesetzt werden konnte. Ein entsprechender Geheimauftrag „Untersuchung über die Verwendung von Kohlenstaub als Treibmittel (Dringlichkeit SS)“ ging im August 1943 von Basche an Hans Winkhaus, WTF. Genau ein Jahr später bekräftigte Glimm die Notwendigkeit der Weiterführung dieser Aufgabe.655 Bei WaF wurde u. a. der Angehörige der Studentenkompanie Karl-Heinz Köhler in diese Arbeiten einbezogen. Er hatte mit seiner geheimen Diplomarbeit „Untersuchung zur Möglichkeit der Zündung von Sprengstoffen auf lichtelektrischem Wege“ seine wissenschaftliche Befähigung nachgewiesen. Jetzt sollte er mit neuen Experimenten für die Promotionsschrift beginnen. Gegenstand der Köhler gestellten Aufgabe war „der Einsatz der Verbrennung von Kohlenstaub als Antriebsmittel für kleinkalibrige Waffen“. Dazu schrieb Luck in seinen Erinnerungen: „Auf dem Schießplatz Kummersdorf zeigte sich hierbei, daß die Anfangsgeschwindigkeit kleiner als erwartet war. In Verbrennungsbomben testete Köhler dazu verschiedene Kohlenstaubsorten auf ihr Druck-Zeitverhalten beim Verbrennen. Professor Braunsfurth von der TH [Berlin, G. N.] war Koreferent. Die Arbeit wurde als ‚geheim‘ von der allgemeinen Ansicht ferngehalten … Über Trommsdorffs Schreibtisch hing ein Holzbrett mit einer hineingeschossenen Gewehrkugel mit der Unterschrift: 1. Schuß mit Kohlenstaub. Die Sache funktionierte. Der Explosionsdruck war aber wohl zu gering.“656
Möglicherweise stand auch die Diplomarbeit von Linus Heim „Untersuchungen über Geschoßtreibmittel“, vorgelegt Ende Dezember 1944 und sogleich zur „Geheimen Kommandosache“ erklärt, in diesem Zusammenhang (vgl. Anhang II: Geheimdissertationen). Von ganz anderem Zuschnitt waren die Bestrebungen, in Geschosse statt fester oder flüssiger Sprengstoffe „hochkomprimierte explosive Gasgemische“ einzubringen. Zuständig bei WaF war das Glimm-Referat. Hier war man sich bewusst, diese Thematik erforderte Grundlagenarbeiten, die die Möglichkeiten der Forschungsabteilung bei weitem überstiegen. 654 BAB, R 26 III/4 Bl. 64 sowie R 26 III/17, Bl. 58. 655 BAB, R 3/3130 (Bl. 9), R 26 III/16 (Bl. 94), R 100/9. 656 Schriftliche Mitteilung von Dr. Karl-Heinz Köhler vom 20. April 2002; Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129). Für den Einsatz von „Kohlenstaub und ähnlich anderen Stoffen“ als Ersatz für Sprengstoffe interessierte sich auch Hitler bei einer seiner Besprechungen mit Speer, vgl. Boelcke: Deutschlands Rüstung, 457.
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Ein herausragender Fachmann wurde mit dem Chemiker Prof. Dr. Otto Neunhoeffer (1904–1998), tätig am Chemischen Institut der Universität und Technischen Hochschule Breslau, gefunden. Bereits im Januar 1937 hatte Neunhoeffer einen ersten kurzen Bericht vorgelegt. Darin wurde u. a. betont, dass „in Deutschland die Herstellung und technische Verwertung hoch komprimierter Gase bis zur einfachen, absolut sicheren und zuverlässigen Handhabung entwickelt“ sei. Deshalb läge „es nahe, hoch komprimierte, explosive Gasgemische zur Füllung starkwandiger Sprengkörper zu verwerten“. Ein Gemisch von einem Teil Methan und zwei Teilen Sauerstoff entwickele z. B. unter einem Druck von 500 at bei der Explosion einen Höchstdruck von 7.800 at. „Der Vorteil dieser, gegenüber den bisher verwendeten Sprengstoffen sind erstens darin zu suchen, daß eine Rohmaterialschwierigkeit niemals bestehen kann.“ Zwei Gase könnten, voneinander sicher getrennt, im Sprengkörper enthalten sein. Bei Entfernung der Wand zwischen ihnen würden sich die Gase außerordentlich schnell durchmischen. Erst danach sei die Füllung hochexplosiv. Dieser Umstand dürfte ideal sein für die Lagerfähigkeit von Torpedos und Fliegerbomben. Aber, so mahnte Neunhoeffer vorsichtig an, „eine größere Anzahl von Einzelproblemen bleibt zu entwickeln“. Ein zweiter, etwas ausführlicherer Bericht des Professors, geschrieben im November 1943, klang schon nicht mehr so optimistisch. Vor allem „die notwendige Wandstärke des Sprengkörpers [stellt] im Augenblick der Explosion eine energieverschlingende Masse“ dar. Zusammenfassend hob Neunhoeffer hervor, dass „man durch höchstkomprimierte Gasgemische weit in ein Gebiet bisher unbekannter Explosionshöchstdrücke vorstoßen kann“. Die technischen Voraussetzungen dafür seien vorhanden. Die Erfolgssaussichten rechtfertigten „auf alle Fälle den Versuch“.657 Da das Projekt offenkundig nicht so wie gewünscht vorankam, andererseits aber immer noch Hoffnungen auf einen „Durchbruch“ bestanden, gab es im Juni 1944 eine Besprechung in Berlin zwischen Glimm, Dr. Badstein „vom Stab Osenberg“ (Planungsamt des RFR) und Neunhoeffer. Letzterer erklärte dabei insbesondere die wahrscheinlichen Ursachen der festgestellten Zündschwierigkeiten. Er schlug zur Erreichung einer „monomolekularen und damit konzentrationsunabhängigen Reaktion“ die Zumischung von „Stickoxydul [*], N2O“ vor. Darüber hinaus betonte er die unbedingt erforderliche Reinheit der verwandten Gase. Zur Wandstärke des Sprengkörpers schlug er vor, eine „Vorbehandlung durch Autofrettage[*]“ durchrechnen zu lassen. Glimm erläuterte die bisher bei WaF erfolgten Arbeiten. Man habe z. B. „die zu niedrige Dichte des komprimierten Gasgemisches [als] Ursache der schlechten Ausbreitung der Explosionswelle“ erkannt. Neunhoeffer hielt es für „wünschenswert“, ihm einen Kriegsauftrag zu erteilen, mit dem „die Wirkung von mengenmäßig geringen Zusätzen gas- oder nebelförmiger Substanzen zu explosiven Gasgemischen“ zu untersuchen sei. Wenige Tage später hatte das Planungsamt des RFR schon die notwendigen Schritte eingeleitet. Zur Tarnung wurde das Thema (mit der Dringlichkeit SS) formuliert als „Prüfung 657 Bericht Neunhoeffers Betreffend die Verwendung hochkomprimierter explosiver Gasgemische vom 25. Januar 1937 und – zum gleichen Thema – vom 18. November, BAB, R 26 III/81, Bl. 7–11.
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II. Experimente
und Reindarstellung von Gasen“.658 WaF bezog zusätzlich im August 1943 das „Forschungslabor Oskar Neiss“ in Hamburg ein. Basche erteilte ihm den Auftrag „Spezialgeschoßfüllung auf Zweistoffbasis. System: Hochdrucksauerstoff-Brennstoff (geheim)“.659 Dokumente, aus denen die letztendlich bei WaF bzw. durch Prof. Neunhoeffer erreichten Forschungsergebnisse hervorgehen, sind nicht bekannt. Bei der Räumung von Breslau Ende Januar 1945 schickte Osenberg einen Beauftragten in die heftig umkämpfte Stadt. Er sollte die geheimen Materialien der TH und TU Breslau sicherstellen und zugleich die Rückführung der „für die gesamte Wehrforschung unentbehrlichen Fachkräfte aus Breslau“ organisieren. Osenbergs Mitarbeiter erklärte diese Aufgabe den zuständigen Stellen vor Ort, die das natürlich ganz anders sahen und darauf beharrten: „Im Augenblick muß alles zur Verteidigung der Stadt bereit stehen.“ Dazu der Vertreter Osenbergs: „Ich erklärte, daß ich der Ansicht sei, daß Männer wie Prof. Hückel oder Prof. Neunhoeffer oder Prof. Bergmann, die auf bestimmten Gebieten der Sprengstoffchemie, der Kampfgase oder Ultrarot-Forschung wertvolle Arbeit leisteten, auch angesichts der akuten Bedrohung Breslaus bei Fortsetzung ihrer Forschungsarbeiten für das gesamte deutsche Volk sicherlich den größeren Beitrag leisten könnten.“660
14. ULTRAROT UND SICHTWEITENFORSCHUNG In einem seiner autobiographischen Bücher berichtete Prof. Dr. Manfred von Ardenne (1907–1997) von der Erfindung des elektronischen Bildwandlers*, wozu er am 25. Februar 1934 unter der Bezeichnung „Anordnung zur Umformung von Bildern aus einem Spektralbereich in einen anderen“ ein Patent anmeldete. Da v. Ardenne überzeugt war, dass die Idee des Bildwandlers auch militärisch gebraucht werde, besuchte er „gemeinsam mit dem späteren Leiter der Forschungsanstalt der Deutschen Reichspost, Dr. [Friedrich] Banneitz, den Chef der Forschungsabteilung im Heereswaffenamt, Prof. Schumann. Dieser Herr, ein unfähiger Mensch an wichtiger Stelle, erkannte den Wert des Bildwandlers nicht. Daher wurden wirklich einsatzfähige Konstruktionen, gefertigt in kleinen Stückzahlen, erst im März 1945 auf der dritten Sitzung des Kuratoriums für Hochfrequenz-
658 Neunhoeffer: Bericht über die Besprechung (geheim) vom 7. Juni 1944 sowie Schriftwechsel dazu, BAB, R 26 III/80, Bl. 1–4. 659 BAB, R 26 III/11, Bl. 72, R 26 III/22, Bl. 130, R 26 III/24, Bl. 24. Zu „Neiss“, HamburgVolksdorf, Krampengrund 13, konnten keine Angaben gefunden werden, ebenso nicht zu den Ergebnissen, die bei „Neiss“ erzielt wurden. 660 Bericht vom 12. Februar 1945 zur Aktion „Sicherstellung Forschungsmaterial und Rückführung der für Wehrforschung unentbehrlichen Kräfte aus Breslau“, mit Anlage (Geheime Reichssache): Zusammenstellung der Forschungsinstitute an TH Breslau und Universität Breslau, BAB, R 26 III/43, Bl. 145–148, 151–156.
14. Ultrarot und Sichtweitenforschung
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forschung im Reichsforschungsrat einem kleinen Kreis gezeigt. Die Unterredung mit Schumann hatte mich sehr deprimiert.“661
Der tatsächliche Gang der Forschungen zur Schaffung militärisch nutzbarer Bildwandler zeigt, dass v. Ardenne mit seinem Urteil über Schumann weit daneben lag; ebenso mit seiner Behauptung, erst Anfang 1945 hätten „einsatzfähige Konstruktionen“ vorgelegen. Bereits 1926 hielt General a. d. Max Schwarte, der sich ebenso wie Karl Justrow mit Grundfragen einer künftigen waffentechnischen Entwicklung auseinandersetzte, die „Wärmestrahlentelegraphie“ für ein sehr „entwicklungsfähiges Gebiet“. Zur gleichen Zeit untersuchte ein Dr. Stampe in der Zeitschrift „Heerestechnik“ artverwandte Probleme.662 Etwa ab 1928/29 befasste sich Dr. Gerhard Gresky (*1904) auf Veranlassung von Prof. Abraham Esau (Jena) mit der „Verwendung sichtbarer und unsichtbarer Strahlen für Nachrichtenvermittlung“ und andere Zwecke. Zusammenfassende Ergebnisse seiner Studien legte er 1930 und 1931 vor. Darin äußerte er sich auch zu Fragen der Entwicklung, des Einsatzes und Nutzens von Wärmesuchgeräten, die auf der Basis von Ultrarot funktionieren. Einen „ersten Versuch zur praktischen Anwendung dieser Idee für die Luftnavigation“ habe C. Müller von der PTR mit einem „automatisch anzeigenden Ultrarotpeilgerät“ gemacht.663 Diese und weitere Forschungen verfolgte man beim HWA, insbesondere bei WaF, mit großer Aufmerksamkeit. Schumann beauftragte um 1933 den am I. Physikalischen Institut der Universität als Hilfsassistent beschäftigten Edgar Kutzscher (*1906), sich dieser Thematik anzunehmen und mit Untersuchungen für eine Dissertationsschrift zum „Nachweis ultraroter Strahlen auf große Entfernung und ihre Schwächung durch Nebel“ zu beginnen. Ultrarot*, allgemein abgekürzt UR, war die damals üblich Bezeichnung für Infrarot*. Da in allen Dokumenten jener Zeit UR als Kurzformel Verwendung fand, wird dieser Begriff nachfolgend beibehalten. An der Entstehung der Arbeit von Kutzscher nahm General Becker großen Anteil und gewährte „eine dauernde Unterstützung“. Der Doktorand wertete die bis dahin entstandene Literatur – u. a. die Veröffentlichungen von Gresky und Müller – sehr gründlich aus und hatte auch Zugang zu etlichen vertraulichen Berichten. Die Verteidigung am 12. Juli 1933 bei Schumann und Wehnelt war ein voller Erfolg.664 661 Von Ardenne: Die Erinnerungen, 124–126. Von Ardenne weist in diesem Buch darauf hin, dass er erst am 28. Januar 1954 die Patentschrift Nr. 902890 für seine Erfindung des Bildwandlers erhielt. 662 Max Schwarte: Kriegstechnik der Gegenwart, Berlin 1927, 329; Gerhard Stampe: Physikalische Eigenschaften des feldmäßig verwendeten Nebels und Rauchs, in: Heerestechnik 3 (1926), 198–203. 663 Gerhard Gresky: Verkehrssicherung und Nachrichtenübermittlung mit Ultrarotstrahlen, in: Radio-Helios, Fachzeitschrift für die Radiotechnik 7 (1930), 69–72; Derselbe: Über die Verwendung sichtbarer und unsichtbarer, insbesondere ultraroter Strahlung für Nachrichtenübermittlung und Verkehrssicherung, in: Physikalische Zeitschrift 32 (1931) Heft 5, 193–212. Gresky promovierte 1928 bei Esau in Jena über Die Wirkungsweise von Reflektoren bei kurzen elektrischen Wellen. 664 Edgar Kutzscher: Über den Nachweis ultraroter Strahlen auf große Entfernungen und ihre Schwächung durch Nebel, Dissertation, 12. Juli 1933, Phil. Fak. Universität Berlin.
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II. Experimente
Kutzscher war bei weitem nicht der einzige von Schumann zu Doktorwürden geführte UR-Forscher: Von der Geheimarbeit Plumeyers wurde bereits im Kapitel 3 berichtet. Plumeyer blieb diesem Gebiet treu verbunden. Ende 1941/Anfang 1942 legte er an der WTF bei Prof. Fry seine Habilitationsschrift „Untersuchungen über spezielle Anwendung der UR-Strahlung“ vor. Von der Abteilung Wissenschaft im OKW wurde sie im Februar 1942 zur „Geheimen Kommandosache“ erklärt. Dietrich Linde befasste sich ab 1934 mit geheimen „Untersuchungen über die Durchlässigkeit und Reflexion verschiedener Rußarten im sichtbaren und ultraroten Spektralgebiet“(vgl. Anhang II: Geheimdissertationen). Renate Bublitz (*1912) arbeitete ab dem Sommersemester 1935 am II. PI. Sie verteidigte bei Schumann und Wehnelt am 22. November 1937 ihre offene Dissertation über „Strahlenmessungen an Oxyden und Oxydgemischen im sichtbaren Licht und Ultrarot“. Zur UR-Problematik entstanden auch außerhalb des Verantwortungsbereiches von Schumann wissenschaftliche Arbeiten. So forschte Berthold Wurbs ab 1934 am I. Physikalischem Institut bei Prof. Dr. Marianus Czerny (*1896) zum Thema „Über die optischen Konstanten des Lithiumfluorids im kurz- und langwelligen Ultrarot“, mit dem Ziel der Herstellung von Kristallen, die für UR-Geräte eingesetzt werden könnten. Die Arbeit wurde im Juni 1943 durch Czerny und Gerthsen angenommen. Bei Hettner und Wehnelt hatte Ilse Fock 1933 zu den UR-Spektren verschiedener Stoffe promoviert. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen.665 Die UR-Forschungen am II. PI wurden zweifellos von der Tradition dieses Zweiges der Physik an der Berliner Universität günstig beeinflusst. Begründet hatte sie vor allem Prof. Heinrich Rubens. (Zusammen mit Emil Warburg entdeckte er z. B. die langwellige UR-Strahlung der Quecksilberlampe.) Seine Schüler Prof. Dr. Gerhard Hettner (ab 1936 in Jena) und Czerny führten sie fort. Letzterer setzte dazu erstmals die Evaporographie* ein. Auch nach seinem Weggang 1938 an die Universität Frankfurt/M. bestimmte die Untersuchung des langwelligen Ultrarots das Arbeitsprofil des Gelehrten Czerny.666 Organisatorisch fand sich bei WaF mit dem Referat WaF I f „Optik, Bildwandler, Ultrarot“ schnell ein geeigneter Rahmen, um die einschlägigen Arbeiten voranzutreiben. Leiter dieses Referates war Dr. Bernhard Schönwald (1907– 665 Schreiben der OKW W Wiss vom 4. Februar 1942 an den Dekan der WTF zur Habilschrift Plumeyer, BAB, R 4901/12850, Bl. 265; Dissertationsverfahren Bublitz, Linde, Wurbs, AHUB. Wurbs konnte seine fertige Arbeit erst so spät verteidigen, da er wegen finanzieller Schwierigkeiten zunächst als Entwicklungsingenieur bei der Fa. C. Lorenz und ab Mai 1940 als Physiker am Institut für Schwingungsforschung der TH Berlin arbeitete. 666 Alexander Deubner: Die Physik an der Berliner Universität von 1910–1960, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin, Beiträge zur Institutsgeschichte, Beiheft zur Jubiläums-Jahrgang 1959/60, 85–89; BAB, Karteikarte in BDC (RFR) zu Czerny: Sachbeihilfen. Vgl. u. a.: Bernhard Gudden: Lichtelektrische Erscheinungen, Berlin 1928; Marianus Czerny, H. Röder: Fortschritte auf dem Gebiet der Ultrarottechnik, in: Ergebnisse der exakten Naturwissenschaften 17 (1938), 70– ?. Zur Biographie Czernys ausführlich Helmut Müser (http://www.uni-frankfurt.de/fb/fb13/Dateien/paf/paf144.html) der allerdings irrtümlich meint, dass „sein wissenschaftliches Spezialgebiet für Kriegszwecke kaum interessant war, so dass das Heereswaffenamt ihn nicht zu Aufträgen heranzog“ (9).
14. Ultrarot und Sichtweitenforschung
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1945). Er begann Ende 1930 sein Studium an der Universität Erlangen. Dort legte er am 22. Juli 1932 seine Doktorarbeit vor: „Ein Verfahren zur Messung lichtelektrischer Ströme in Halbleitern“. Die Arbeit wurde betreut von Prof. Dr. Bernhard Gudden (1892–1945) und von ihm mit „sehr gut“ bewertet. Gudden befasste sich schon länger intensiv mit lichtelektrischen Erscheinungen, elektronischen Halbleitern und Ultrarot-Sichtmessungen. Er galt als Experte auf diesem Gebiet. Wahrscheinlich bestanden bereits um 1932 Kontakte zwischen Gudden und dem HWA. Ein Jahr, nachdem Schönwald sein Studium aufgenommen hatte, ließ sich, ebenfalls in Erlangen, im Fach Physik Hermann Junginger immatrikulieren. Am 26. November 1936 verteidigte er bei Gudden seine Arbeit „Beitrag zur Verwertbarkeit ultraroten Lichtes“ und erwarb sich damit den Doktortitel. Kaum zwei Wochen später traf bei Gudden ein knappes Schreiben von Wa Prüf 7 (Nachrichtengeräte) ein, in dem Kurt Möller mitteilte, dass die Dissertation als „geheim“ eingestuft wurde und deshalb „eine Veröffentlichung unerwünscht“ sei.667 Als Junginger seinen Doktor machte, gehörte Schönwald bereits (ab 6. Januar 1934) zu WaF. Er arbeitete hier weiter über Grundfragen auf dem Gebiet Ultrarot, forschte zu Lichtreizen, Lichtzeichen, den Vorgängen beim Sehen und auf artverwandten Bereichen. Über die Ergebnisse schrieb er verschiedene Abhandlungen, die u. a. in der Fachzeitschrift „Das Licht“ erschienen. Ein wichtiges Ziel der Forschungen Schönwalds war die Entwicklung „objektiver Sichtmessgeräte“. Einen Überblick zum Stand der Arbeiten auf diesem Gebiet gab Schönwald im November 1941 in einem Beitrag der „Zeitschrift für technische Physik“. Mitautor war Dr. Theodor Müller (*1912) von der PTR. Auch Müller hatte in Erlangen Physik studiert und bei Gudden seine Doktorarbeit über „Elektrische Leitfähigkeitsmessungen an Selenkristallen“ beendet. Schönwald und Müller stellten in ihrem Artikel „Das Sichtregistriergerät Junginger“ zunächst zwei Geräte vor, die 1934 von L. Bergmann sowie der Firma Pintsch (unter Mitwirkung des später als Fernsehpionier bekannt gewordenen Prof. August Karolus) konstruiert worden waren. Danach wandten sich die beiden Autoren ausführlich jenem Messapparat zu, den einige Jahre zuvor Junginger (1940 als Oberleutnant gefallen) geschaffen und in seiner Geheimdissertation detailliert beschrieben hatte. Eine militärische Verwendungsmöglichkeit dieses „Jungingergerätes“ wird von den Autoren zwar nicht ausdrücklich erwähnt. Ihre Schlussfolgerungen deuten jedoch klar den eigentlichen Verwendungszweck an: „Den Meteorologen im Wetterdienst und im Flugsicherungsdienst kann damit ein Gerät zur Verfügung gestellt werden, das registrierende oder auch einzelne Messungen zu jeder Tagund Nachtzeit erlaubt. Selbstverständlich ist das Gerät auch zur Bestimmung der Adsorption der Luft bei der Bewertung von Scheinwerfern brauchbar.“668
Schon deutlicher wies ein geheimer Forschungsbericht vom Juni 1943 aus, worum es der Forschungsabteilung ging. Das 52 Seiten umfassende Dokument, unter667 Mitteilung des UA Erlangen vom 22. Juli 2002. Die Dissertation Jungingers ist in Bibliographien nicht nachweisbar. 668 Bernhard Schönwald, Theodor Müller: Das Sichtregistriergerät Junginger (Die Entwicklung objektiver Sichtmessgeräte), in: Zeitschrift für technische Physik 22 (1942) Heft 2, 30–38.
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II. Experimente
schrieben von Schumann und Schönwald (letzterer als Bearbeiter), hatte die Überschrift „Untersuchungen über die Gesetzmäßigkeit des Sehens und der Sichtweiten“. Die vorangestellte Bemerkung zum Inhalt des Geheimberichtes resümierte: „Es wird, ergänzt durch Messungen des Verfassers, eine Übersicht gegeben über den augenblicklichen Stand der Erkenntnisse in der Frage der Grenzen der Erkennbarkeit, soweit sie physiologisch-optisch durch die Kontrastschwelle und meteorologisch-optisch durch die Sehweite bedingt sind.“669
Eine nicht geheime Variante dieses Berichtes wurde im Juni 1943 von Schönwald als Habilitationsschrift an der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Deutschen Karls-Universität Prag eingereicht. Gudden, der seit 1933 an dieser Universität lehrte und dort später gleichzeitig Außenstellenleiter des RFR war, hatte die Entstehung der Arbeit betreut und sie zur Annahme vorgeschlagen. Sowohl Geheimbericht als auch Habil.-Schrift bekräftigten nochmals das Ziel der in Vers. Gottow betriebenen Grundlagenarbeit. Es bestand in der Entwicklung neuartiger Messund Beobachtungsgeräte, „deren Linearität vorausgesetzt und leicht kontrolliert werden kann“, die also objektive Werte liefern konnten und subjektive Angaben weitgehend ausschlossen. Recht ausführlich stellte Schönwald die von ihm erdachten Versuchs- und Messanordnungen, gebaut in Kummersdorf, vor, so beispielsweise zu Messungen an Nebeln im Bereich von 0,4 bis 8 m Sichtweite: „Die künstlichen Nebel wurden entweder in einem Glaskasten von 1,50 x 1,50 x 0,80 m oder in einem Raum 9 x 9 m und ca. 6 m Höhe erzeugt. Sowohl im kleinen Glaskasten als auch im großen Nebelraum konnte auf Schienen ein kleiner Meßwagen von außen bewegt und in verschiedenen Entfernungen festgestellt werden. Auf dem kleinen Meßwagen war in einem dichten Gehäuse eine kleine Glühlampe (6 Volt, 5 Amp.) untergebracht, deren Licht durch eine mit konstanter Drehzahl angetriebene Lochscheibe tonfrequent unterbrochen und durch eine Linse von 15 cm Brennweite parallel gemacht wurde. Durch eine entsprechend große Linse wurde das modulierte Licht außerhalb des Nebelraumes aufgefangen und auf eine Sperrschichtzelle mit Grünfilter VG 2 zur besseren Ausgleichung an die Augenempfindlichkeit gesammelt und mit einem in der Verstärkungsziffer veränderlichen Meßverstärker gemessen … Der kleine und der große Nebelraum wurden in Nachbildung der atmosphärischen Verhältnisse von oben so stark beleuchtet, daß mindestens 300–3.000 Lux Gleichlicht (ohne Nebel) in der Meßebene lagen.“
Vier verschiedene Nebel wurden eingesetzt, z. B. Zinkchlorid-Nebel. Bei anderen Experimenten befand sich in der großen Nebelkammer ein mit Gasmaske und Gummischutzanzug ausgerüsteter Gehilfe, der auf Zuruf verschiedene Ziele aufrichtete. Die Außenversuche zur Messung der atmosphärischen Durchlässigkeit bei einer Sichtweite von ca. 125 bis 300 m erfolgten u. a. im September und Oktober 1941 beim unweit von Vers. Gottow gelegenen Dorf Lynow: „Auf einer feuchten Wiese waren einige Hundert Meter Feldbahngleis verlegt. Auf diese Weise konnte ein leichter Meßwagen mit einem Spiegel von 90 cm Durchmesser in definierter Entfernung von einem kleinen modulierten Scheinwerfer geringer Streuung (rund ¼ Grad) untergebracht werden. Im Empfangsspiegel war eine Selensperrschichtzelle angebracht, die
669 BA-MA, RH 8 I/4543.
14. Ultrarot und Sichtweitenforschung
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das modulierte Licht über einen Meßverstärker quantitativ nachzuweisen erlaubte. Die Anordnung war so getroffen, daß in jeder Entfernung bis zu 200 m das gesamte modulierte Licht vom Spiegel erfaßt wurde. Durch optische Justiermittel wurden Sender und Empfänger in jeder Entfernung neu ausgerichtet. Da der Nebel sich von Minute zu Minute änderte, mußte mit großer Schnelligkeit gemessen werden. Dennoch konnte nicht verhindert werden, daß die Sichtweite sich laufend veränderte. Die Sichtweite wurde daher durch Entfernungsänderung eines Beobachters von einem schwarzen Ziel genügender Größe zusätzlich bestimmt und die einzelnen Durchlässigkeitsmessungen danach reduziert … Ähnliche Ergebnisse konnten nach Jahresfrist mit gleichem Ergebnis wiederholt werden.“670
Bei seinen Forschungen stützte sich Schönwald auch auf theoretische Untersuchungen seines Mitarbeiters Dr. Paul Allekotte (*1910), tätig im „Versuchstrupp Caspar“. Allekotte hatte mehrfach in „Das Licht“ über seine Arbeiten zur Reichweite optischer Geräte publiziert bzw. dazu auf einer Arbeitstagung der „Deutschen Lichttechnischen Gesellschaft e. V. (DLTG)“ vorgetragen.671 Für die notwendigen Kontakte zu Wissenschaftlern außerhalb des Militärs sowie für das erforderliche Hintergrundwissen sorgte u. a. Schönwalds Zugehörigkeit zur Arbeitsgemeinschaft „Kaltes Licht durch Leuchtstoffe“, eine vom Generalbevollmächtigen Krauch etablierte Institution (vgl. AG „Fluor“, Kapitel 15). Bei der Tagung dieser AG am 8./9. Mai 1942 in Frankfurt/M. waren Schönwald und der Chemiker Dr. Köhler (vgl. Anhang II: Geheimdissertationen) anwesend. Zu den insgesamt 135 Teilnehmern gehörten die UR-Forscher Gudden, Heimann (RPF), Schaffernicht, Suhrmann, Weigel und Wesch. Stark vertreten waren die Auergesellschaft/Degussa (Ortmann, Riehl, Wirths, Wolf u. a.) sowie am Uranprojekt oder anderen Forschungsvorhaben von WaF beteiligte Wissenschaftler (z. B. die Professoren Gleu, Universität Frankfurt/M.; Langenbeck, Universität Dresden; Lüttringhaus, Universität Greifswald). Wesch hielt einen Vortrag zu neuen Ergebnissen auf dem Gebiet der Phosphore.672 Schönwald und Allekotte standen bereits ab 1940 in enger Verbindung mit Dr. Otto Knoll, Betriebsleiter am Lichttechnischen Institut der TH Karlsruhe, das „laufend mit Forschungsaufträgen der Wehrmacht beschäftigt“ war. Für WaF sollte Knoll die „Erkennbarkeit von Zielen bei Nacht“ untersuchen. Dieser Kriegsauftrag wurde im November 1941 abgeschlossen. Unter dem Stichwort „Lichtforschung“
670 Bernhard Schönwald: Untersuchungen über die Gesetzmäßigkeit des Sehens und der Sichtwieten, Habilschrift, 24. Juni 1943, Naturwissenschaftliche Fakultät Universität Prag, 19–22. Da etwa zur gleichen Zeit durch eine andere Wehrmachtseinheit auf dem Gelände von Lynow Versuche mit Flak-Zielgeräten, montiert auf mehreren Metern hohen Gittermasten und konstruiert von der Berliner Fa. GEMA, erfolgten, kursierten in den Dörfern der Umgebung noch viele Jahre danach Gerüchte über angebliche Experimente mit Todesstrahlen u. ä., vgl. Günter Nagel: Keine Versuche mit Todesstrahlen in Lynow, in: Potsdamer Neueste Nachrichten Nr. 227 vom 28. September 2002, 34; Harry von Kroge: GEMA – Berlin. Geburtsstätte der deutschen aktiven Wasserschall- und Funkortungsmeßtechnik, Hamburg 1988. 671 Paul Allekotte: Über die Reichweite optischer Geräte und Verfahren, in: Das Licht 11 (1941), 103–108, 124–126. Allekottes Dissertation konnte nicht ermittelt werden. Wahrscheinlich war auch diese geheim. 672 Chemische Berichte (geheim), Hg.: Reichsamt für Wirtschaftsausbau, Juli 1942, Nr. 134. Zu den Arbeitsgruppen von Krauch vgl. Maier: Forschung als Waffe, 483–486.
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überwies das Heer dafür 1.000 RM. Auf Bitte von WaF setzte Knoll seine Forschungsarbeiten fort, die jetzt erweitert waren auf „Untersuchungen über die Erkennbarkeit von Luftzielen am Nachthimmel unter Einsatz von Scheinwerfern“. Auch dafür zahlte die Kasse des OKH Mitte des Jahres 1942 die Summe von 1.000 RM.673 Wie allgemein bei WaF üblich, absolvierten auch in Schönwalds Optikreferat Schumanns Studenten ihre Praktika. Luck war „dort schnell von einem guten herrschenden Geist beeindruckt“. Schönwald erlebte er als einen „ruhig nachdenkenden Wissenschaftler“, der ihm auch zum „Vorbild bei der Heranbildung von Nachwuchs“ wurde: „Als ich Schönwald nach einem möglichen Diplomthema fragte, … gab er mir seine Habilarbeit zum Lesen. Ich sollte suchen, ob ich darin eine weitere noch zu lösende Frage fände. Das geschah schnell. In der Arbeit wurden meist ganz praktische Fragen der Sichtweite bei Nebel angegangen. Mich faszinierte dabei am meisten ein Bild der allgemeinen Physik. Die Amerikaner Stratton und Huogthon hatten für verschieden große Wassertropfen in der Luft die Wellenabhängigkeit des Streukoeffizienten für verschiedene Teilchenradien berechnet. Bei [bestimmten Werten, G. N.] gab es zwei deutliche Maxima und dazwischen … ein Minimum. Diese merkwürdigen Extrempunkte packten mich und ich fragte Schönwald, ob dies schon einmal experimentell geprüft worden sei. Er war sofort einverstanden, aus dieser Frage das Leitmotiv für meine Diplomarbeit zu machen … Schönwald kam jede Woche zu einem etwa einstündigen Gespräch zu mir und besprach mit mir den Stand der experimentellen Aufgabe.“674
Eng verknüpft mit Schönwalds Sichtweitenforschung in Vers. Gottow war ein im August 1943 von WaF erteilter Geheimauftrag an Prof. Dr. Heinrich Siedentopf (*1906), Vorstand der Sternwarte und der Meteorologischen Anstalt der Universität Jena. Der erfahrene Astrophysiker und Meteorologe wurde gebeten, eine „Optische Untersuchung der Sichtbarkeitsbedingungen kleiner Ziele. Fragen der Nachthimmelhelligkeit. Sichtbarkeit von weißen und farbigen Signalen. Einfluß der Atmosphäre auf Sichtbarkeitsbedingungen“ vorzunehmen. Im März des folgenden Jahres wurde dieser Auftrag mit der Forderung zur „Weiterführung der optisch-physiologischen und meteorologischen Untersuchungen“ bekräftigt.675 Zur Realisierung unternahm Siedentopf bis Anfang April 1944 elf Flugzeugaufstiege im Raum Jena und zehn weitere vom Flugplatz Ainring (Oberbayern) der „Deutschen Forschungsanstalt für Segelflug e.V. (DFS)“ – hier mit einer H 72, gesteuert vom Flugzeugführer R. Wagner. Aus Siedentopfs Bericht vom 20. April 1944 an den RFR geht hervor, dass in Höhen bis zu 9 km, durchschnittlich jedoch 2 km, diverse Messungen der Leuchtdichte, Helligkeit, Dunststreuung, „Farbänderung“ und anderer Werte erfolgten. Dafür waren in Jena extra kleine Quarzspektrographen, Photometer sowie andere Mess- und Hilfsgeräte entwickelt und gebaut worden. Unterstützung bekam Siedentopf durch zwei Wissenschaftler. Auf der Zugspitze führte der Jenenser Meteorologe Dr. Johann Wempe (*1906) Ver-
673 UA Karlsruhe, Bestand 21011, Nr. 219. 674 Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129). 675 Forschungsaufträge an Siedentopf, BAB, R 26 III/16 (Bl. 191), III/17 (Bl. 117).
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gleichsbeobachtungen durch. Wempe erhielt von WaF I noch andere Forschungsaufträge, deren Inhalt jedoch nicht bekannt ist.676 Bei seiner Auftragsforschung wurde Siebentopf bis Kriegsende von dem Assistenten Dr. Ernst Reeger unterstützt. Der Physiker und Astronom war 1938 an die Wiener Universitätssternwarte berufen worden, wo er unter anderem Ortsmessungen zu kleinen Planeten durchführte. Danach wechselte er an das meteorologische Institut Jena, wo er das Grenzgebiet zwischen Physik, Astronomie und Meteorologie betreute. „Die Themen waren durch direkte Forschungsaufträge der Luftwaffe und des Heereswaffenamtes festgelegt und betrafen unter anderem qualitative Messungen der Verteilung des Himmelslichtes, der Streufunktion des atmosphärischen Dunstes, Messungen der Dunstteilchenkonzentrationen in Abhängigkeit von der Höhe (vom Flugzeug); ferner Untersuchungen der Kontrastschwelle des Auges bei niederen Leuchtdichten und der praktischen Leistungsfähigkeit von Feldstechern …“677
Weit größere Bedeutung als die bisher beschriebenen Arbeiten hatten jedoch die Forschungen bei WaF zu Photozellen und Bildwandlern auf der Basis Ultrarot. Worum ging es dabei? Der im AEG-Forschungsinstitut auf diesem Sektor tätige Dr. Walter Schaffernicht (*1904) umriss später die damalige Aufgabenstellung wie folgt: „Der Bildwandler wurde für verschiedene Aufgaben verwendet. Im Vordergrund stand der Einsatz der Ultrarotbeobachtung. Es handelte sich dabei nachts um unsichtbare Beobachtungen von Ultrarotstrahlern im Nachrichtenverkehr oder bei Kennungen, um unsichtbare Beobachtungen von Gegenständen bei Anstrahlung mit Ultrarot, um Beobachtungen mit Wärmestrahlern, am Tage um Ultrarotfernbeobachtungen bei dunstiger Atmosphäre. Neben diesen Aufgaben wurde der Bildwandler auch für Meßzwecke, insbesondere für spektroskopische und Kurzzeituntersuchungen bis 10-8 sec. verwendet.
676 Forschungsbericht Siedentopf: Luftlichtuntersuchungen I: Helligkeitsmessungen in der freien Atmosphäre mit Anwendung auf Sichtbarkeit von Luftzielen und Sternen am Tageshimmel, BAB, R 26 III/354; Forschungsauftrag an Wempe: BAB, R 26 III/9. Zum Flugplatz Ainring bzw. zur DFS vgl. Helmuth Trischler: Luft- und Raumfahrtforschung in Deutschland 1900– 1970. Politische Geschichte einer Wissenschaft. Studie zur Geschichte der deutschen Großforschungseinrichtungen, Frankfurt/M. 1992; Kulturverein der Gemeinde Ainring e.V. (Hg.): 50 Jahre Mitterfelden, die Entwicklung vom Flughafen zum größten Ort der Gemeinde Ainring 1951–2001, Mitterfelden 2001; Die Aussagen von Prof. Dr. Ing. Günter Bock vor einer Kommission sowjetischer Offiziere im September 1945, Broschüre, Eigenverlag Dr. Peter Knoll, Wolfenbüttel 1998, 14. Die von Siedentopf in Jena unternommenen Flüge sind beschrieben bei Hoßfeld et al.: „Kämpferische Wissenschaft“, 639 f. 677 Dr. Ernst Reeger: Wissenschaftlicher Werdegang, undatiert, ohne Unterschrift, NL Stetter, UA Wien, NL Sch. 312, Inv. 131.40. Reeger wurde 1945 von amerikanischen Truppen nach Württemberg gebracht, wo er bis 1947 interniert war. In dieser Zeit befasste er sich mit der Sichtung und Auswertung von Messprotokollen, die er in Jena sichergestellt hatte und beim Abtransport mitführte. Über Befragungen, Vernehmungen usw. durch einschlägige militärische Kommandos ist nichts bekannt.
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II. Experimente Die bei den unsichtbaren Beobachtungen eingesetzten Ultrarotstrahler waren im allgemeinen Schweinwerfer, deren sichtbares Licht stark abgefiltert wurde, so daß es mit dem Auge auf größere Entfernung nicht erkannt werden konnte.“678
An anderer Stelle formulierte Schaffernicht: „Der Bildwandler wurde außer für verschiedene spektrale Beobachtungen im Labor und für bildmäßige Beobachtung über sehr kurze Zeit (10–7 sec.) vor allem als militärisches Gerät für die Ultrarotbeobachtung verwendet … Die Bildwandlergeräte bestanden aus Objektiv, Bildwandlerröhre, Lupe und Hochspannungsanlagen, waren gegen Feuchtigkeit geschützt und äußerst robust … Zur Erzielung genügender Empfindlichkeit und Beobachtungsreichweiten wurden in den meisten Fällen große und lichtstarke Objektive verwendet.“679
Entsprechend dieser Vorgaben erfolgte die Entwicklung von Nachtsichtgeräten, Nachtzielgeräten und Beobachtungsgeräten – mit einem oder mehreren Spiegelsystemen, letztere für Fernbeobachtungen. Sie sollten vor allem für den Handgebrauch dienen, nicht wesentlich mehr als ein Kilo wiegen, einen Durchmesser von etwa 8 cm haben und nicht länger als 25 cm sein, im allgemeinen mit einem URScheinwerfer verbunden. Zielgeräte kleinerer Leistung waren konzipiert für das Erkennen von Personen im Gelände bis ca. 100 m, größere Geräte für Personen bis 500 m und schließlich noch leistungsfähigere Geräte zur Beobachtung von Personen bis auf eine Entfernung von 1.000 m. Erste erfolgreiche Versuche zur Umwandlung „von Lichtbildern in Elektronenbilder mit Hilfe von Bildwandlerröhren“ will Schaffernicht im August 1934 zusammen mit J. Pohl durchgeführt haben.680 Etwa zwei Jahre später begann eine Periode der intensiven Zusammenarbeit zwischen dem Forschungsinstitut der AEG (Berlin-Reinickendorf) und WaF, mit dem Ziel, „die Bildwandler-Technik für die Verwendung beim Heer nutzbar zu machen. Insbesondere war an ihre Verwendung als Fahroptik, Beobachtungsoptik und Zieloptik bei Nacht gedacht.“681
Getragen wurde dieses Zusammengehen vor allem von Schönwald und Allekotte (seitens WaF) sowie Schaffernicht, Dr. M. Knoll – nicht identisch mit dem schon vorgestellten Dr. O. Knoll von der TH Karlsruhe – und Dr. Theile (für die AEG). Die AEG-Mitarbeiter wiederum unterhielten ihrerseits Arbeitsbeziehungen zu Gudden. WaF übergab an die AEG zahlreiche Forschungsaufträge, insbesondere zum Bildwandler, allgemein abgekürzt BiWa. Häufig waren diese Aufträge mit dem Hinweis versehen, sich mit den Wissenschaftlern, die an anderer Stelle arbeiten, abzustimmen.
678 Walter Schaffernicht: Bildwandler, in: FIAT-Berichte, Bd. 15, 80–104, insb. 191. 679 Derselbe: Photoelektrische Entwicklungen, in: Forschen und Schaffen. Beiträge der AEG zur Entwicklung der Elektrotechnik bis zum Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg, bearbeitet von Bruno Schweder, Berlin 1965, Bd. 3, 481–189, insb. 485 (Hervorhebung im Original). 680 Ebd., 484. 681 Herbert Gärtner: Die Bedeutung der infraroten Strahlen für militärische Verwendungszwecke, in: WTH 59 (1962), 150. Der Beitrag Gärtners besteht aus drei Teilen: Teil 1 (1961, 530– 545), Teil 2 (1962, 141–155), Teil 3 (1962, 190–201).
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Maßgeblich beteiligt an der UR-Forschung, und zwar zu einem recht frühen Zeitpunkt, war Dr.-Ing. Herbert Gärtner (*1903), Leiter von Wa Prüf 8 „Optik, Beobachtungs- und Vermessgerät“. Das war nur natürlich, hatte doch Gärtner sich in seiner Dissertation (1930, TH Braunschweig) einem artverwandten Grundlagenthema gewidmet und als Gruppenleiter bei Wa Prüf 8 ab 1934 die Geräteentwicklung entscheidend mitzubestimmen. Was dazu im Verlauf der Jahre entstanden war, konnte sich sehen lassen: UR-Zielgerät für die 7,5 cm S-Pak 40 auf Selbstfahrlafette, UR-Kommandantengerät für „Panther“, UR-Beobachtungswagen „Uhu“, Zielfernrohr für das Sturmgewehr 44, Fahrgeräte für PKW und LKW. Auch eine Fernkamera, von Prüf 8 eigens entwickelt für die „Fotographie von Sprengpunkten“, gehörte dazu. Ab Juni 1942 begann Gärtner mit der Arbeit an einer geheimen Schriftenreihe: „Die Bedeutung der ultraroten Strahlen für militärische Zwecke“. Sie sollte zugleich vor übertriebenen Vorstellungen warnen, dass UR „ein Zaubermittel“ sei. Im Heft I wies er ausdrücklich auf die Leistungen von Schönwald, Allekotte, Th. Müller und Prof. Hettner hin.682 Obwohl zwischen 1936 und 1939 viele Versuche zur Verwendung des Bildwandlers beim Heer unternommen wurden und es „schon damals möglich [war], mit solchen Geräten in dunkler Nacht auf guten Straßen mit einer Geschwindigkeit von 40 bis 50 km/h mit unsichtbarem Licht zu fahren“, zeigten die verantwortlichen militärischen Stellen nur wenig Interesse. Erst mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges, vor allem aber nach dem Überfall auf die Sowjetunion, gewann die UR-Technik rasch an Bedeutung.683 An den jetzt verstärkt einsetzenden Forschungen beteiligten sich neben dem HWA auch die zuständigen Einrichtungen anderer Wehrmachtsteile bzw. der Waffen-SS, staatliche Stellen wie die PTR oder die Reichspostforschungsanstalt (RPF), Hochschulen und Universitäten sowie Industrieunternehmen. Sie alle verfolgten mehr oder weniger eigene Ziele. Zu einer Abstimmung bzw. Zusammenarbeit kam es nur selten. Das hatte u. a. Doppelentwicklungen, unterschiedliche Konzeptionen und oft sogar ein Gegeneinander zur Folge. Abhilfe sollte eine „UR-Kommission“ bringen, die im Verlauf des Krieges entstand. Ende Februar/Anfang März 1944 übernahm Prof. Walther Gerlach in seiner Eigenschaft als Leiter der Fachsparte Physik im RFR deren Vorsitz. Am 11. März 1944 übergab ihm Dr. Strauch, Mitarbeiter beim Beauftragten für Hochfrequenzforschung (BHF, Abt. 2/1/IV), mehr als 682 Derselbe: Die Bedeutung der ultraroten Strahlen für militärische Verwendungszwecke, Heft I, BA-MA, NL 625/207. Der Bestand BA-MA, RH 8 I/458, enthält Angaben zur Verwendung von U-Geräten in der Kriegsmarine. An deren Forschungsarbeiten waren z. T. die gleichen zivilen Wissenschaftler und Industrieunternehmen beteiligt, die auch für WaF bzw. WA Prüf 8 arbeiteten. Mit UR-Forschung – allerdings nicht im Auftrag von WaF, sondern der Luftwaffe (RLM) – befasste sich der Schweizer Ingenieur Walter Dällenbach in der Forschungsstelle D im süddeutschen Bisingen. Er wollte einen Temperaturstrahler entwickeln, der Sprengstoffe bzw. Initialzünder zur Explosion bringen kann. Das Projekt lief unter der Bezeichnung „Hadubrand“, vgl. Burghard Weiss: Groß, teuer und gefährlich? Kernphysikalische Forschungstechnologien an Instituten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, in: Kaufmann (Hg.): Geschichte Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Bd. 2, 699–725, insb. 714–719. 683 Gärtner: Die Bedeutung (wie Anm. 681), 1962, 150.
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90 Geheim- bzw. Geheime Kommando-Sachen zu den verschiedensten Forschungsund Entwicklungsthemen des UR-Komplexes.684 Nachdem sich Gerlach mit diesen Dokumenten vertraut gemacht hatte, musste er bereits auf der ersten von ihm geleiteten Sitzung „ein heilloses Durcheinander auf diesem Gebiet“ konstatieren.685 Eine der Ursachen für diesen Wirrwarr sah er in den unterschiedlichen Auffassungen, was unter „Forschung, Zweckforschung und Entwicklung“ zu verstehen sei. Deswegen verwundert es nicht, wenn sich am 25. August 1944 zu Beginn einer UR-Beratung zwischen Gerlach und Oberst Friedrich Geist ein handfester Streit entspann. Geist hatte nämlich im Mai 1944 eine Anordnung zur „Genehmigung von Entwicklungen auf dem Gebiet der Strahlungstechnik“ erlassen, wonach alle Entwicklungsarbeiten der „Kommission für Beobachtungs- und Feuerleitgeräte“ (des Speer-Ministeriums) zur Kenntnis zu geben und von ihr zu bestätigen waren. Gerlach, der diese und andere Aktivitäten als Eingriffe in seine Kompetenz verstand, forderte dagegen vehement, dass für Forschungen allein der RFR zuständig sein müsse, vor allem, weil „bisher eine systematische Grundlagenforschung nur in unzureichendem Maße betrieben worden ist“. Trotz jahrelanger Bemühungen sei eine Gesetzmäßigkeit in der Herstellung von Bildwandlerrohren nicht gefunden worden. Dies auch deshalb, weil Forschungsstellen nicht die Gelegenheit bekämen, „aufklärende Versuche über den Fortgang der Fotoemission“ anzustellen. Die UR-Kommission solle sich deshalb nur mit Entwicklungsarbeiten befassen.686 Der Kommission gehörten Wissenschaftler von Rang und Namen an, die sich bereits seit vielen Jahren mit UR und Bildübertragung beschäftigten. Das waren beispielsweise die schon genannten Professoren Czerny (Universität Frankfurt/ M.), Gudden (Universität Prag), des weiteren Prof. Dr. August Karolus (Universität Leipzig), Prof. Dr. Rudolf Suhrmann (Universität Breslau) oder Prof. Dr. Rudolf Weigel (TH Karlsruhe, dort Vorgesetzter von Knoll, und Leitungsmitglied der DLTG, vgl. oben, S. 281). Die PTR war durch verschiedene Fachleute vertreten, zumeist repräsentiert durch ihren Präsidenten, Staatsrat Prof. Dr. Abraham Esau. Von der Reichspostforschung (RPF), mit Sitz in der Hakeburg (Kleinmachnow), kamen Dr. Heimann (Leiter der Gruppe B IV, Fernsehelektronik) und Dr. Fenner. Von der Industrie saßen in der Kommission u. a. die AEG (maßgeblich Schaffernicht), Telefunken, Osram (Studiengesellschaft für elektrische Beleuchtung), Siemens und Zeiss-Ikon. Die Kieler Firma Elektroacustik (Elac) vertrat Kutzscher, eben jener junge Mann, der bei Schumann promovierte und von Becker gefördert worden war. Inzwischen hatte er sich habilitiert, arbeitete bei Elac auf dem Gebiet der Photowiderstände und war in Peenemünde an der Entwicklung von Infrarot-Sensoren beteiligt. Möglicherweise handelte es sich um das Gerätekonzept „Karusell“, an dem
684 Protokoll: Materialübergabe von Strauch an Gerlach, BAB, R 26 III/444. 685 BAB, R 26 III/500, Bl. 87; Anordnung Geists, BAB, R 26 III/511. 686 Bericht Nackens vom 25. August 1944 über Sitzung der UR-Kommission, 21.–23. August 1944, BAB, NS 33/278.
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Dr. Ludwig mitgewirkt hatte (vgl. Kapitel 11). Das OKL (PLR/FL 1-E 4) hatte Plumeyer delegiert. Auch er war, wie bereits berichtet, ein Schüler Schumanns.687 Für die Forschungsabteilung des HWA arbeitete Schönwald in der Kommission. Bei seiner Abwesenheit wurde er durch Allekotte und/oder den Physiker Dr. Kurt-Günter Karbaum (1913–1945) vertreten. Karbaum gehörte ebenso wie Allekotte in Vers. Gottow zum „Versuchstrupp Caspar“. Seine Dissertation konnte nicht nachgewiesen werden. Eine gewichtige Rolle kam Gärtner von Wa Prüf 8 zu. Seiner Abteilung oblag es bekanntlich, ausgehend von den Grundlagenergebnissen die notwendigen Entwicklungsarbeiten zu organisieren bzw. Neuentwicklungen in Kummersdorf zu erproben.688 In dem schon geschilderten Schlagabtausch Gerlach-Geist versuchte Gärtner vorsichtig zu vermitteln, in dem er die kluge Empfehlung gab, „die Entwicklungsstellen zu den Sitzungen der Forschungsstellen einzuladen, auch deshalb, weil häufig Forschungs- und Entwicklungsarbeiten vom gleichen Personal betrieben werden.“689
Auch die SS beteiligte sich an der UR-Kommission. An deren Beratung nahm mehrmals SS-Gruppenführer Dr. Walther Schieber, Leiter der Reichsgruppe Chemie teil. Vom SS-Führungshauptamt zeigte Schwab starkes Interesse an UR. In einem Vorschlag für die Auszeichnung Schwabs mit dem „Deutschen Kreuz in Silber“ war u. a. vermerkt: „Ganz besondere Verdienste hat er sich bei der Entwicklung des UR-Gerätes erworben. Es ist sein persönliches Verdienst, das ferngesteuerte Kleinflugkörper demnächst zum Einsatz kommen.“690 Von Schwabs Anteilnahme zeugt auch, dass er sich Anfang Februar 1943 nach Kummersdorf begab, um bei einem Versuchsschießen mit Einsatz von UR-Geräten dabei zu sein.691 Als ständigen Vertreter hatte Schwab seinen Mitarbeiter SS-Obersturmführer Dr. Matthias Nacken (*1901) zur Kommission abgestellt. Nacken gehörte zum Waffen-Amt der SS in Glau, T-Amt VIII, FEP, Bereich Wehrphysik. Er war Physiker und hatte sich 1928 an der TH Aachen mit „Schwärzung photographischer Platten durch Elektronenstrahlen“ den Doktortitel erworben. Da Nacken ein fleißiger und gewissenhafter Protokollant war und mehrere sehr detaillierte, für Schwab bestimmte „Technische Berichte“ ablieferte, sind neben anderen Dokumenten zahlreiche inhaltliche Themen aus der Tätigkeit der Kommission überlie-
687 Sondersitzung UR-Kommission vom 15. September 1944, BAB, R 26 III/93; Berichte Nackens, NS 33/278; Schaffernicht: Bildwandler (wie Anm. 678); Derselbe: Photoelektrische Entwicklungen (wie Anm. 679); Faensen: Higtech für Hitler. Zu Kutzscher vgl. Benecke, Quieck (Hg.): History of German Giuded Missiles Development (wie Anm. 601). 688 Nach dem Krieg hob Gärtners ehemaliger Vorgesetzter, General Schneider, hervor, dass Gärtner einer der Spezialisten war, der „unschätzbare Dienste [leistete] und wegen der überragenden Fachkenntnisse auch bei der Industrie hohes Ansehen“ genoss. Erich Schneider: Waffenentwicklung, 28. 689 Berichte Nackens (wie Anm. 687). 690 BAB, BDC zu Schwab, SSO 120 B. 691 Schreiben des Chef des Stabes im HWA vom 23. Februar 1943 an den Chef des SS-Waffenamtes, Anlage, Bl. 1. Das Dokument ist wiedergegeben in: Waffen-Revue 65 (1987), 125–127.
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fert. Bei Abwesenheit von Nacken erschien SS-Hauptsturmführer Dr. Brodersen in der Kommission.692 Die SS saß nicht zufällig in der UR-Kommission. Himmlers Waffenspezialisten wollten für die SS-Kampfverbände die besten und modernsten Geräte/Ausrüstungen beschaffen. Sie hatten rechtzeitig den militärischen Wert der UR-Forschung erkannt und aus diesem Grund eine enge Zusammenarbeit mit der RPF in Kleinmachnow gesucht. Darauf verwies 1942 Reichspostminister Benno Ohnesorge stolz in einem Schreiben an Himmler: „Im Juni vergangenen Jahres führte ich Ihnen in der Forschungsanstalt der Deutschen Reichspost (RPF) Beobachtungsgeräte für unsichtbares Licht (Infrarot) vor. Sie zeigten für diese Entwicklung großes Interesse und schlugen erstmalig vor, diese Geräte bei Panzern für Nachtangriffe und zur Abwehr nächtlicher Panzerangriffe einzusetzen. Gruppenführer Jüttner beauftragte daraufhin Oberführer Knapp, Inspekteur der Kraftfahr- und Kraftkampftruppen, mit dem Einsatz der RPF-Geräte. Deshalb fuhr Oberführer Knapp mit dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Fenner im Juli 1942 nach Frankreich, um bei der LSSAH [Leibstandarte Adolf Hitler, G. N.] die RPF-Geräte der Truppe vorzuführen, Einbaufragen zu klären und die von der Truppe aus zu stellenden Anforderungen festzulegen.“
Knapp habe auch anderen Stellen der Waffen-SS die Geräte vorgestellt, u. a. bei Schwab. Zur Einsatzvorbereitung seien „mehrere Gruppen von Männern“ der SS bei der RPF ausgebildet worden. Auch Jüttner unterrichtete im August 1942 seinen Chef Himmler von der Erprobung der UR-Geräte der RPF bei der LSSAH. Ein weiterer Truppenversuch solle im Oktober 1942 mit 12 einbaufertigen Geräten erfolgen.693 Im Februar 1944 wandte sich Ohnesorge erneut freudig an Himmler: „Nach Ihrem Besuch bei der Forschungsanstalt der Deutschen Reichspost wurde SS-Oberführer Knapp im September 1942 beauftragt in gemeinsamer Entwicklungsarbeit mit der Forschungsanstalt der Deutschen Reichspost ein Panzerzielgerät zu schaffen. Die Arbeiten gingen auch im Verlauf einiger Monate soweit vorwärts, daß eine Serie von 12 Versuchsgeräten zur Erprobung vorlag. Eine große Serie von 500 Geräten wurde seitens der SS in Auftrag gegeben … und es bestand die Aussicht, daß im Winter 1943/44 der Einsatz der Geräte erfolgen konnte.“
Ohnesorge beklagte zugleich die „schwierige Zusammenarbeit“ mit dem HWA, wodurch eine „ungeheure Verlangsamung in Weiterentwicklung und Herstellung der Geräte für den Fronteinsatz“ eingetreten sei.694 Anfang August 1944 gab Schieber in der UR-Kommision bekannt, dass „Reichsminister Speer auf Grund einer Besprechung mit Generaloberst Guderian ab sofort den Ausstoß an UR-Geräten für die Panzerwaffe auf monatlich 500 Stück monatlich festgesetzt hat“. Gleichzeitig forderte Schieber nachdrücklich „eine Kombination der Entwicklungsergebnisse der AEG und der RPF“. Verschiedene Teilnehmer dieser Beratung äußerten sich sehr skeptisch, da es noch 692 Zu Nacken vgl. Kalkmann: Die Technische Hochschule Aachen, 49–51. Der dort auf 52 genannte Prof. Nacken ist nicht identisch mit Matthias Nacken (vgl. Kapitel 17). 693 Ohnesorge an Himmler (Datum auf der Vorlage nicht zu entziffern), BAB, NS 33/279; Jüttner am 24. August 1942 an Himmler: Ultrarottechnik, BAB, NS 19/2497, Bl. 1. 694 Ohnesorge am 10. Februar 1944 an Himmler, BAB, NS 33/278.
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viele Schwierigkeiten gäbe, so sei der Ausschuss bei der Abnahme der Bildwandlerröhre hoch.695 Während die SS ihre Kooperation vordringlich mit der RPF betrieb und ausbaute, setzte Schönwald stetig auf ein Zusammengehen mit den Forschungseinrichtungen von AEG, Telefunken und weiterer Firmen, von Universitäten und Hochschulen sowie der PTR und dem Observatorium Potsdam. Bei AEG waren es vor allem Schaffernicht und dessen Mitarbeiter, die im Auftrag von WaF grundlegende Untersuchungen zu „Photozellen und Bildwandlern für den ultraroten Spektralbereich“ absolvierten. Bei den Photozellen ging es u. a. um eine „Verbesserung der Empfindlichkeit der Cäsiumoxyd- und Cäsiumantimon[schichten]“ sowie um „so genannte PbS-Lichtdetektoren … aus natürlichem Bleisufid“. Darüber hinaus untersuchte man bei Schaffernicht die Herstellung von „Silber- und Kadmiumselenid-Photoelementen“ und von Photozellen auf anderer Materialgrundlage. Die notwendigen Messungen zu den damit erreichten Empfindlichkeiten erfolgten durch Schönwald und Allekotte in der Vers. Gottow. Die insgesamt erzielten Ergebnisse wurden 1942 in mehreren Berichten der AEG an das OKH zusammengefasst: „Forschungsarbeiten über ultrarotempfindliche Strahlungsempfänger“.696 Im Vordergrund der AEG-Forschung zum Bildwandler stand – ebenfalls im Auftrag von WaF – die „Erhöhung der Empfindlichkeit der Bildwandlerröhre“. Dazu kamen „Leuchtschirme, die eine hohe Lichtemission besitzen, sehr feinkörnig und möglichst trägheitsfrei sind“. Von enormer Bedeutung war eine leistungsfähige Optik bei großen Brennweiten mit Spiegelsystemen. Zusätzlich wurde gearbeitet an Doppelbildwandlerrohren, Bildwandlern mit Sekundärverstärkung, Impulsbildwandlern und Halbleiterbildwandlern.697 Es war also eine Vielzahl von Grundlagenproblemen zu lösen, um hochwertige Bildwandler zu schaffen. Vers. Gottow war damit zweifellos überfordert, und zwar beträchtlich. Auch bei AEG konnte nur ein Teil bewältigt werden. Bei WaF hatte man dies natürlich längst erkannt. Basche, z. T. auch Schönwald, vergaben daher Mitte August 1943 eine Reihe geheimer Forschungsaufträge an andere Einrichtungen, die verschiedentlich vorsorglich zur Abstimmung und Zusammenarbeit mit der AEG aufgefordert wurden. Diese Kriegsaufträge, überwiegend mit der Dringlichkeit SS, gingen vor allem an die PTR, TH Prag (Prof. Kluge, Prof. v. Meyren), die Universitäten Freiburg (Prof. Mecke), Frankfurt/M. (Prof. Czerny), Graz (Prof. Matossi), Marburg (Dr. Asmus), München (Prof. Tomaschek), TH Breslau (Prof. Suhrmann) und die WTF der TH Berlin (vgl. Habil-Verfahren Plumeyer). Darunter befanden sich Themen wie „Wärmeortungsversuche mit Photozellen“, „Herstellung von Stoffen mit hoher UR-Absorption“, „Messung des
695 Bericht Nackens vom 8. August 1944 für Schwab über die UR-Sitzung, BAB, NS 33/278. 696 Walter Schaffernicht: Photozellen, in: FIAT-Berichte, Bd. 15, 43–56; Forschungsauftrag Basches (Dringlichkeit SS) vom August 1943 an Schaffernicht, BAB, R 26 III/10, Bl. 51 f. Die Berichte an das OKH zu den „Forschungsarbeiten“ konnten nicht gefunden werden. 697 Schaffernicht: Bildwandler (wie Anm. 678), 79–104.
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Auspuffstrahlung bei Flugzeugen“. Mit Aufträgen von WaF war auch weiterhin Gudden in Prag bedacht.698 Einen eigenartigen Geheimauftrag bekam im Januar 1944 Prof. Dr. Wilhelm Arndt, Leiter des Beleuchtungstechnischen Instituts der TH Berlin. Er sollte sich mit „Gutachten und Untersuchung zur Herstellung leuchtender Schichten in der Atmosphäre“ beschäftigen. Details dazu wurden nicht bekannt, allerdings ein Vermerk in einer überlieferten Akte, wonach Arndt „an Tarnfragen arbeitet“.699 Möglicherweise besteht ein Zusammenhang mit einem Auftrag von WaF – gleichfalls Januar 1944 – an Prof. Weigel, Vorgesetzter des oben bereits genannten Dr. Knoll von der TH Karlsruhe. Weigel sollte ein „Gutachten zur Frage der Herstellung von Lichtpolstern“ liefern. Es ist einer der wenigen Fälle, in denen der Inhalt eines solchen Forschungsauftrages dokumentiert wurde, und zwar durch einen Aktenvermerk des betreffenden Wissenschaftlers, aufgeschrieben nach 1945. Bemerkenswert ist auch, dass er selbst die Initiative zum Thema „Lichtpolster“ ergriffen hatte: „Als in der zweiten Hälfte des Krieges die Intensität der feindlichen Luftangriffe zunahm, habe ich persönlich, mündlich (und geheim) bei den zuständigen Stellen den Vorschlag gemacht, über den zu schützenden Städten und Anlagen eine lichttechnische Schutzdecke („Lichtpolster“) zu errichten. Danach sollten die in der Luftabwehr ohnehin eingesetzten Scheinwerferbatterien so zusammengefaßt und gelenkt werden, daß der zu schützende Luftraum allseitig von Licht durchflutet würde. Erforderlichenfalls sollten dazu auch die sonst noch vorhandenen öffentlichen Beleuchtungsanlagen eingeschaltet und in geeigneter Weise zum gleichen Zwecke mit herangezogen werden. Die systematische Lichtdurchflutung des Luftraumes sollte in den über den Städten und Industrieanlagen normalerweise lagernden Dunstschichten (die auch durch künstliche Vernebelung verstärkt werden konnten) eine Lichtdecke ergeben, auf deren Hintergrund die angreifenden Flugzeuge erkannt und bekämpft werden sollten, und die gleichzeitig in ihrer Wirkung als Lichtnebel dem Angreifer die Zielerkennung erschweren sollte. Ich übernahm es, die erforderlichen Berechnungen durchzuführen und die notwendigen Vorschläge zur praktischen Verwirklichung auszuarbeiten. Das Heereswaffenamt stellte mir dafür die Geldmittel zur Verfügung, von denen das genannte Guthaben von RM 1.955,30 verblieben ist.“700
Das von Weigel geschilderte Verfahren war Ende 1943 Gegenstand einer Beratung im Ministerium Speer, Technisches Amt, Entwicklung, bei der Dr. Schönwald u. a. auf die dazu bereits absolvierten Modellversuche verwies. Man habe Versuchsflüge „über einen von unten beleuchteten Zielraum im Osten Berlins“ durchgeführt. Bei einem Flug am 30.10. 1943 lag eine „aufgehellte Dunstschicht“ bis 500 Meter über den Erdboden, die einen Einblick von oben verwehrte. Eine der bei der Beratung getroffenen Entscheidungen sah vor, dass unter der Führung der Munitionskommis698 Die von WaF vergebenen Forschungsaufträge an Hochschulen, Universitäten, Industrie usw. sind in zahlreichen Dokumenten des RFR (BAB, R 26 III) enthalten, insb. in: R 26 III/10–17, 22–28. 699 Forschungsauftrag der WaF an Arndt, BAB, R 26 III/10, Bl. 79. Der Hinweis auf die Arbeiten zur Tarnung geht aus BAB, NS 30/34 hervor. Mitte 1943 ordnete man Arndt zu diesem Zweck „für einen Monat den Leningrader Professor Kompanjeiski“ zu. 700 Vermerk Weigels vom 16. März 1949 „Zum Rektoratserlaß Nr. 554, vom 23. 02. 1949“, UA Karlsruhe, Bestand 23019, Nr. 36. Auftrag an Weigel in: BAB, R 26 III/25, Bl. 121.
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sion eine besondere „Arbeitsgruppe Leuchtgranaten, Leuchtbomben, Leuchtraketen“ zu bilden sei, „zusammen mit den bedeutendsten Lichttechnikern, den Herren der Flakwaffe und der Scheinwerfer und von Wa Prüf (Wa Prüf 11 und WaF, Dr. Schönwald“), in Verbindung mit allen Stellen, die bisher am Problem gearbeitet haben.701 Andere Forschungsrichtungen von WaF verdeutlichen die Aufträge an die Professoren Stinzing (TH Darmstadt) und Finkelnburg (Universität Straßburg) zur Untersuchung von „Physik und Technik des Hochstromkohlebogens“. Anlass dafür war die UV-Strahlung, die von Groß-Scheinwerfern erzeugt wurde, die man mit dem Hochstromkohlebogen betrieb. Finkelnburg hatte nämlich herausgefunden, dass diese Geräte eine „unerwartet starke ultraviolette Strahlung liefern“. Deshalb schlug er vor, „UV-Scheinwerfer mit sehr hoher Strahlenleistung zu bauen“. Ende November 1944 beschied der Chef von Wa Prüf, Schneider, dass er für UV-Strahler keine Anwendungsmöglichkeiten sehe. Seiner Meinung nach spiele weiterhin der Anteil an UR die größere Rolle.702 Ungeachtet der ablehnenden Stellungnahme von Schneider zu den Vorschlägen Finkelnburgs unterbreitete dieser am 21. Juni 1944 dem Planungsamt des RFR seinen Vorschlag zur Gründung eines Reichsinstituts für Hochtemperaturforschung. In diesem mehrseitigen Schreiben wies Finkelnburg auf das „Höchsttemperaturproblem“ hin, zu dem, zunächst konzentriert auf den Hochstromkohlebogen, Ende 1938 an der TH Darmstadt Forschungen begonnen hätten. Seit Anfang 1944 würden dieselben in Straßburg weitergeführt. Grundlage sei ein gemeinsamer Kriegsauftrag des Oberbefehlshabers der Luftwaffe, GL Flak E 2 und des HWA, WaF I f. Der Auftrag habe die Dringlichkeit DE. Als Ziel gab Finkelnburg an: „Erhöhung der Leuchtdichte von Lichtquellen bzw. der Strahlungsdichte im Bereich Ultrarot und Ultraviolett von Scheinwerfern.“ Dafür habe WaF pro Jahr 20.000 RM zur Verfügung gestellt. Noch für 1944 sei eine Ergebniszusammenfassung in Buchform geplant. Die Verantwortung dafür läge bei OKH, WaF I. Die Veröffentlichung sei deklariert als: „Nur für den Dienstgebrauch“. Prof. Dr. Drescher-Kaden, Chef des Mineralogisch-Petrographischen Instituts, solle an den Forschungen beteiligt werden.703 Themen, mit denen sich die Industrieunternehmen zu befassen hatten, waren auf Wunsch von WaF Spiegelsysteme und Hochdrucklampen (bearbeitet von Carl Zeiß und Osram), Halbleiterikonoskope (Telefunken), „Gudden-Bleisulfidzellen“ und Bildrohrverstärker (Zeiss-Ikon AG, Dresden). Die Ergebnisse zu den von WaF vergebenen Kriegsaufträgen sind weitgehend unbekannt. Nur wenige Dokumente blieben in den Archiven erhalten, sagen aber kaum etwas aus. Eine Aus701 Aktennotiz vom 12. November 1943: Besprechung am 10. 11. 1943 beim Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion, Herrn HDL Saur (GKdos), BAB, R 3/3142, Bl. 14–19. In seiner Einführung bezeichnete Schönwald das Verfahren als „seinen Vorschlag“. Im Verteiler sind u. a. die Professoren Arndt und Weigel genannt. 702 BAB, R 26 III/511, Bl. 35, 39, 40; Wolfgang Finkelnburg: Hochstromkohlebogen. Physik und Technik einer Hochtemperatur-Bogenentladung, Berlin 1948, zur UR-Strahlung insb. 91 f. 703 Finkelnburg: Plan eines Reichsinstitutes, am 21. Juni 1944 an das Planungsamt des RFR, BAB, R 26 III/441, Bl. 58–61. Eine Antwort des RFR bzw. Details der Forschungen Finkelnburgs zu den angegebenen Themen konnten nicht nachgewiesen werden.
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nahme ist ein Bericht vom 17. August 1944, verfasst von dem Mitarbeiter Guddens Dr. Helmar Frank. Die darin gemachten Ausführungen zu „Messungen der Ultraabsorption von künstlichem Nebel“ dürften allerdings nur für den versierten Fachmann von Interesse sein.704 Angesichts der immer bedrohlicher werdenden militärischen Lage und des sichtbar einsetzenden Zusammenbruchs war wohl auch kaum noch mit neuen, praktisch zu verwertenden Erkenntnissen zu rechnen. Nüchtern brachte es Gudden – nach einer zweitägigen Forschungsberatung in Prag – auf den Punkt. Am 1. Dezember 1944 schrieb er in einem kurzen Brief an Gerlach: „Von Forschungsarbeiten, besonders aber Entwicklungsarbeiten hinsichtlich weiterer Stoffe [mit hoher UR-Absorption, G. N.] verspreche ich mir … keinerlei kurzfristigen Nutzen, weil dieses Gebiet seit rd. 15 Jahren im In- und Ausland schon ohne Erfolg abgesucht worden ist. Nur wenn durch Grundlagenforschung neue Gesichtspunkte erarbeitet sind, mag hier noch ein Erfolg zu erwarten sein.“705
Große Hoffnungen setzte die Forschungsabteilung des HWA in den beiden letzten Kriegsjahren auf das „Potsdam-Gerät“. Hierbei handelte es sich um ein so genanntes Temperaturbildgerät, eine „Wärmekamera“, mit der erste, jedoch Erfolg versprechende Versuche bereits stattgefunden hatten. Geschaffen hatte es Dr. Fritz Albrecht (1896–1965). Er war ab 1929 „Observator“ am Meteorologischen Observatorium Potsdam und rückte 1940 zum stellvertretenden Leiter dieser Einrichtung auf. Albrecht verfügte über große Erfahrungen im wissenschaftlichen Gerätebau und hatte dazu mehrfach publiziert. Zwischen 1931 und 1933 konstruierte er z. B. ein Schwarzflächenpyranometer, ein Doppelthermometer, ein Pyradiometer und einen Strahlungsbilanzmesser – alle damals sehr moderne, neuartige Geräte, die in der Meteorologie und bei der Erforschung der Erdoberfläche zum Einsatz kamen.706 In den darauf folgenden Jahren führte Albrecht seine Forschungen zum Strahlungs- und Wärmehaushalt der Erde weiter und betrieb zu diesem Zweck die Entwicklung weiterer Geräte. Das Ergebnis war schließlich ein „Messgerät für die nächtliche Ortung von Flugzeugen [aus] durch Messung der Temperaturen von Bodenoberflächen mit einem empfindlichen Ausstrahlungmessgerät“. Ab 1937 existierte ein erster brauchbarer Prototyp, an dessen Vervollkommnung emsig ge704 Bericht Helmar Franks vom 17. August 1944: Messung der Ultraabsorption von künstlichem Nebel, Physikalische Institute der Deutschen Karlsuniversität und TH Prag, BA-MA, RH 8 I/4587. Frank promovierte am 16. Januar 1943 bei Gudden mit dem Thema Aufklärung eines scheinbaren Falles von Energiewanderung. Dieser offenen Dissertation liegt kein Lebenslauf bei. 705 Gudden am 1. Dezember 1944 an Gerlach, BAB, R 26 III/511, Bl. 90. Prof. Gudden wurde Mitte 1945 in Prag verhaftet und starb dort noch im gleichen Jahr an Tuberkulose. 706 Fritz Albrecht: Ein Meßgerät für die Messung des Wärmeumsatzes im Erdboden, in: Meteorologische Zeitschrift 49 (1932), 294–299; Derselbe: Ein Strahlungsbilanzmesser zur Messung des Strahlungshaushaltes von Oberflächen, in: Meteorologische Zeitschrift 50 (1933), 62–65; Dietrich Spänkuch: 100 Jahre Meteorologisches Observatorium Potsdam, in: Promet 22 (1993) Heft 1/2, 57–62. Dr. Dietrich Spänkuch ist für das zur Verfügung gestellte Material und die zahlreichen Hinweise im persönlichen Gespräch zu danken.
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arbeitet wurde. Ein Zeitzeuge bekundete dessen militärische Zweckbestimmung mit dem Hinweis: „Testflüge zur Erprobung dieses Gerätes, dessen Bau strengsten Geheimhaltungsbestimmungen unterlag, wurden über dem Müritzsee und in der Nähe von Travemünde durchgeführt“.707 Einen ersten praktischen Einsatz für militärische Zwecke erlebte das „Potsdam-Gerät“ Ende 1944. Dr. Otto SchulzKampfhenkel, Beauftragter des RFR für Sonderaufgaben der erdkundlichen Forschung, berichtete am 7. Januar 1945 an Mentzel zum Stand der Erarbeitung von Geländekriegskarten (z. B. für den Panzereinsatz) und vermerkte darin: „Die in Verbindung mit einer Einsatzgruppe der Forschungsstaffel z. B.V im Osten durchgeführten Versuche mit dem Wärmemeßgerät von Dr. Albrecht wurden ausgewertet, wobei sich neue Anwendungsmöglichkeiten ergaben. Die Weiterführung der Versuche in Verbindung mit anderen Wehrmachtsdienststellen ist beabsichtigt.“708
Albrechts Entwicklung des „Wärmepeilgerätes“, von den Militärs und Forschern knapp „WPG“ genannt, wurde unter der Regie von Schönwald auch in Kummersdorf erprobt. In Vers. Gottow war dafür eigens eine spezielle Messstrecke eingerichtet worden, an der auch die mit UR befassten Forscher von Kriegsmarine und Luftwaffe lebhaftes Interesse bekundeten. Zusätzlich dienten die schon oben beschrieben Nebelkästen des Optik-Referates zur Messung von Streulicht und Adsorption von UR. Zu den Versuchen in Vers. Gottow reiste wiederholt Czerny aus Frankfurt/M. an, um Messungen für eigene UR-Arbeiten vorzunehmen.709 Noch im Januar/Februar 1945 erteilte ihm Gerlach den Forschungsauftrag „Streufilter [für UR]“.710 Mitte Oktober 1944 drang Gerlach gegenüber dem Präsidenten des Reichsamtes für Wetterdienst – damals ausgelagert nach Lieberose, Kreis Lübben – darauf, die „Absorptions- und Sichtweitenprobleme im UR“ vordringlich zu lösen. Sie seien von „so großer Bedeutung …, daß alle erforderlichen Hilfsmittel zu ihrer Lösung eingesetzt werden müssen“. Er schlug vor, einen entsprechenden Auftrag dem Meteorologischen Observatorium Potsdam zu erteilen. Dort stünden – laut einer Besprechung mit dem Leiter, Prof. Dr. Harald Koschmieder – an Personal zur Verfügung: Dr. Albrecht, Dr. Feußner, Wetterdienstinspektor Schulze und die Luftwaffenhelferin Kindereit. Zusätzlich werde unbedingt Dr. Dubois benötigt. Er sei in Paris, müsse aber nach Potsdam zurückgeholt werden. Mit den „Herren des Potsdamer Observatoriums und den Vertretern der Hochschulforschung“ – so Gerlach weiter – wurde bereits ein „erstes Arbeitsprogramm“ vereinbart. Czerny habe den Auftrag zu zentralen Steuerung aller Aktivitäten. Gerlach hatte zusätzlich festgelegt, gleichlaufend (im September 1944) das „WPG von Zeiss“ in Kummersdorf zu prüfen. Dabei handelte es sich um eine Dauererprobung der Ty707 Hans-Günther Körber: Die Geschichte des Meteorologischen Observatoriums Potsdam, Offenbach/Main 1993 (= Geschichte der Meteorologie in Deutschland, 2), 47. 708 Halbjahresbericht des Beauftragten für Sonderaufgaben der erdkundlichen Forschung Dr. Schulz-Kampfhenkel vom 7. Januar 1945 (Geheime Reichssache), BAB, R 26 III/209, Bl. 9. Zu Schulz-Kampfhenkel bzw. der Forschungsstaffel vgl. Kapitel 4. 709 BAB, R 26 III/500, Bl. 26 f. 710 Karteikarte in BAB, R 26 III/8.
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pen FG 1250 und ZG 1221, einschließlich dazu gehörender Potentiometer und Hochspannungsgeräte. Czerny wurde unterrichtet, dass mit dieser Aufgabe Schönwald und Allekotte beauftragt seien.711 Die Forderung Gerlachs, ihm Dr. Paul Dubois (*1903) zur Verfügung zu stellen, war wohl überlegt und gut begründet. Der Meteorologe war seit längerem in die „Angewandte Sichtforschung“ einbezogen, die z. B. durch die Erarbeitung von Beleuchtungs- und Gezeitentafeln seiner Meinung nach „eine große Bedeutung für die moderne Kriegsführung genommen hat, die neben der allgemeinen militärischen Lage auch die natürliche Lage berücksichtigen muß“. Mit dieser Aufgabe hatte er sich 1943/44 in Erwartung der Invasion der Alliierten an der französischen Atlantikküste befasst. Eine andere praktische Anwendung der Sichtforschung sah Dubois in der „Vorherbestimmung der Reichweite von Flakscheinwerfern“. Er wies auf die diesbezüglichen Arbeiten von Foitzik, Linke, Knoll, Koschmieder, Siedentopf und Weigel hin, über die er ausgezeichnet unterrichtet war. Am Aeronautischen Observatorium Lindenberg (Mark Brandenburg) und am Observatorium Potsdam erfolgten ab Frühjahr 1944 unter der Bezeichnung „Leichentuch“ Untersuchungen zur effektiven Führung der „hellen Nachtjagd“ durch die Luftwaffe.712 Der von Dubois genannte Prof. Dr. Franz Linke leitete das Institut für Meteorologie und Geophysik der Universität Frankfurt/M. Bei ihm hatte Dubois promoviert. Seit Kriegsbeginn 1939 forschte Linke im Auftrag des HWA, RLM und ObdL zu Scheinwerfern. Anfang 1944 fand er bei einem Luftangriff den Tod.713 Da auch die PTR die von ihr entwickelte UR-Apparatur am Astrophysikalischen Institut Potsdam erproben ließ, regelte Gerlach Ende November 1944 zusätzlich die Abstellung von Dr. Wempe nach Potsdam. Zur Begründung meinte Gerlach, Wempe verfüge über die notwendigen Fähigkeiten „besonders typische Wetterlagen und atmosphärische Vorgänge zu analysieren“. Außerdem stünde er so „räumlich ständig zur Verfügung“.714 Eine unerwartete Anregung, die jedoch infolge der sich zuspitzenden Kriegslage keine praktische Auswirkung mehr haben sollte, erreichte Gerlach am 8. November 1944. Prof. Dr. Rudolf Hase vom Institut Technische Physik der TH Hannover schlug ihm vor, tiefgekühlte Bolometer* einzusetzen. Die „militärisch interessierenden Anwendung von UR würde damit neuen Auftrieb bekommen“. Hase verwies auf die seit sieben Jahren erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem HWA in Peenemünde sowie mit der Reichspostforschung. Ausdrücklich bezog er sich auf General Leeb, der die „seit vielen Jahren pünktlich und nicht ganz ohne Erfolg“ praktizierte Forschungsarbeit für Peenemünde bestätigen könne.715
711 Gerlach am 11. Oktober 1944 an Czerny, BAB, R 26 III/511, Bl. 73. 712 Ausführlich bei Paul Dubois: Das Observatorium Lindenberg in seinen ersten 50 Jahren 1905– 1955, Offenbach/Main 1993 (= Geschichte der Meteorologie in Deutschland, 1), 185–190. 713 BAB, R 26 III/9 (Karteikarte zu Linke); UA Frankfurt/M., Rektoratsakte Abt. 4 (ausgeschiedene Mitglieder des Lehrkörpers), Nr. 1460, Bl. 80, 133, 136. 714 BAB, R 26 III/511, Bl. 36, 42. 715 Hase am 11. Oktober und 8. November 1944 an Gerlach, BAB, R 26 III/510, Bl. 202, 211.
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Ende Dezember 1944 stellten sich in Vers. Gottow ernste personelle Schwierigkeiten ein. Zwei der für die Messungen vorgesehenen Wissenschaftler waren ausgefallen: Dr. Kofink, seit dem 1. Juni 1937 als Assistent bei Czerny an der UR-Forschung beteiligt und deshalb seit Januar 1940 u. k. gestellt, wechselte am Jahresende 1944 zur I. G.-Farbenindustrie, Frankfurt/M. Der andere, Dr. Josef Kreuzer, tätig bei Prof. Mecke an der Universität Freiburg, kam bei einem Luftangriff auf diese Stadt ums Leben. Allekotte regte deshalb an, Dr. Frank Kerkhof (Assistent bei Mecke) zur Unterstützung von Czerny nach Kummersdorf zu beordern.716 Allekottes Aktenvermerk verweist auf einen weiteren langjährigen Verbündeten von WaF in Sachen UR: Prof. Dr. Reinhard Mecke (1895–1969). Dieser Wissenschaftler war Ende 1936 auf ausdrücklichen Wunsch des REM an die Universität Freiburg gelangt und wurde dort für Schönwald tätig. In einem Vorschlag vom 10. Dezember 1943 zur Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes (KVK) I. Klasse hieß es u. a.: „Prof. Dr. Mecke ist seit dem Frühjahr 1937 durch das Heereswaffenamt vertraglich mit Entwicklungs-, Forschungs- und Laboratoriumsarbeiten auf dem Gebiet der Ultrarot-Photographie beauftragt. Im Laufe der Jahre wurde ihm vom Waffenamt eine große Anzahl von Einzelaufgaben gestellt, welche Prof. Mecke ersichtlich mit Erfolg lösen konnte. Es handelt sich dabei vorwiegend um Fragen der Ultrarotsicht und der Ortung. Die Ergebnisse wurden in einer ganzen Reihe von Berichten an das Oberkommando des Heeres festgelegt. Ich darf annehmen, daß eine Anzahl dieser Arbeiten für die Entwicklung der Ultrarottechnik von Bedeutung gewesen ist. Sie wurden alle ergänzt durch eine Reihe von Entwicklungsaufgaben an Meßgeräten, welche für derartige Untersuchungen benötigt werden. Schon im zweiten Kriegsjahr ist Prof. Mecke hierfür mit dem Kriegsverdienstkreuz II. Klasse ausgezeichnet worden. Seit einiger Zeit hat Prof. Mecke außerdem Aufträge von dem Reichsforschungsrat sowie vom Oberkommando der Marine und auch von der Forschungsführung der Luftwaffe über spektroskopische und meteorologische Probleme erhalten, deren Bearbeitung in vollem Gange ist … Prof. Mecke hat sofort mit Kriegsbeginn sich energisch für die Einschaltung der Wissenschaft in die Kriegsaufgabe eingesetzt und dafür selbst ein hervorragendes Beispiel gegeben.“717
Zuletzt kam Mecke Ende 1944 nach Berlin, Potsdam und Kummersdorf. Hier führte er verschiedene Besprechungen zu UR und absolvierte mehrere Versuchsreihen.718
716 BAB, R 26 III/511, Bl. 11; zur Forschung Kerkhofs: BAB, R 26 III/9 (Karteikarte Kerkhof), UA Frankfurt/M., Kuratoriumsakte, Abt. 14, Nr. 804, Bl. 46 f., 73. 717 Schriftliche Mitteilung des UA Freiburg vom 16. Januar 2003 mit Kopie des Verleihungsvorschlages, Personalakte Mecke B 24/2338. Die Auszeichnung mit dem KVK wurde am 12. September 1944 durch Graue bestätigt. Am 10. Oktober 1944 wurde Mecke zum Außenstellenleiter des RFR an der Universität Freiburg ernannt. Dr. Josef Kreuzer (*1914) hatte 1941 bei Mecke zu einem UR-Thema promoviert. Dr. Frank Kerkhof war von 1938 bis 1944 wissenschaftlicher Assistent bei Mecke, ab Mitte 1942 eingezogen. UA Freiburg, Personalakte Mecke, Personalakte Kreuzer, B 31/991, Personalakte Kerkhof B 15/296; Dissertation Kreuzers: Qualitative Absorptionsmessung an normalen primären Alkoholen im nahen Ultrarot. 718 BAB, R 26 III/511, Bl. 52.
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II. Experimente
An den Versuchen in Kummersdorf, Ende 1944/Anfang 1945, beteiligten sich zusätzlich Dr. Friedrich Holper (*1914) und Dr. Olmesdahl vom Physikalischen Institut der Universität Bonn, Leiter Prof. Dr. Füchtbauer. Sie führten Messungen zur Durchlässigkeit der Atmosphäre im UR-Bereich durch. Dazu verwandten sie ein umgebautes WPG der Fa. Zeiss, Interferenzfilter von Schott sowie Spektrographen. Eigens für diese Experimente wurden in Kummersdorf eine Messtrecke für 500 m und eine weitere für 1.000 m aufgebaut. Da die „Arbeitsverhältnisse in Kummersdorf sehr schwierig“ waren – häufige Netzausfälle der Stromversorgung bzw. starke Schwankungen der Netzspannung – und die anderen Arbeitsgruppen „infolge Zerstörung der betreffenden [Universitäts-] Institute durch Feindeinwirkung“ nicht mehr agieren konnten, entschied sich Füchtbauer, seine Mitarbeiter aus Kummersdorf abzuziehen. Sie sollten die Versuche im Verlagerungsort des Bonner Instituts, in Gieboldehausen, zu Ende bringen.719 Die Notwendigkeit eines unverminderten Fortganges der UR-Forschung wurde von Gerlach noch Ende Februar 1945 betont. Er teilte Graue folgende „führende Bearbeitungsstellen“ mit, deren Arbeiten gemäß „Führernotprogramm“ vom 31. Januar 1945 vollständig zu schützen seien: Buchwald (Danzig), Czerny (Frankfurt/M.), Hettner (Jena), Mecke (Freiburg), Schäfer und Kliefoth (Breslau) sowie Volkmann (Karlsruhe). Zu „Photozellen, Halbleitern und Detektoren“ gelte dies für Gudden (Prag), Meißner (TH München) und das Forschungslabor Siemens-Halske; zu Phosphoren für Tomascheck (TH München) und ebenfalls Forschungslabor Siemens-Halske. Gerlach verwies ausdrücklich auf das „Notprogramm Flak“ und die Zusammenarbeit mit „HWA, Flak, OKM“, dem Bevollmächtigten für HF-Forschung und dem Reichsamt für Wetterdienst. Auch Finkelnburg (Straßburg) wurde von ihm wegen seiner Beteiligung am Notprogramm Flak und der Zusammenarbeit mit dem HWA als „führende Bearbeitungsstelle“ gemeldet. Nicht mehr unterstützt werden sollten die Arbeitsvorhaben der Professoren Suhrmann (Breslau, zum Fotoeffekt), Weigel (Karlsruhe, zum Bildwandler) und Wesch (Heidelberg).720 Ungeachtet der militärisch wie politisch völlig hoffnungslosen Situation – Mecke war jetzt im fernen Freiburg längst zur Einsicht gelangt, dass deshalb „Kummersdorf als Arbeitsort ausscheidet“ – verlangte Gerlach noch im März 1945 (!) eine Weiterführung der am Potsdamer Observatorium angelaufenen Versuche. Er berief sich erneut auf das „Führernotprogramm“ vom 31. Januar 1945, wonach das dafür benötigte Personal weiterhin u. k. gestellt werden müsse.721 Gerlachs Maßnahmen und Entscheidungen sind nicht die einzigen Belege für den schon zum Selbstlauf degradierten Forschungsbetrieb. Mitte August 1944 verschickten Schönwald und Allekotte neue Aufträge zu Grundsatzthemen. Czerny sollte sich zusätzlich mit Evaporographie* befassen, Weigel in Karlsruhe 719 Füchtbauer am 15. März 1945 an Gerlach, BAB, R 26 III/510 Bl. 83 f. 720 Gerlach am 26. Februar 1945 an den Leiter der KWSt Graue: Stellungnahme zum Notprogramm vom 31. Januar 1945, BAB, R 26 III/47, Bl. 69–75. 721 Schreiben Gerlachs vom 26. März 1945 an Min.-Direktor Fisch, Amtschef LB im RLM, BAB, R 26 III/511, Bl. 5.
14. Ultrarot und Sichtweitenforschung
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weiterhin mit Fragen der Erkennbarkeit von Zielen, die AEG mit erhöhten Spannungen und gekühlten Kathoden bei Bildwandlern. Hettner, Direktor des Instituts für Theoretische Physik der Universität Jena, seit längerem für WaF tätig, wurde gebeten, ab 2. März 1945 (!) mit zwei neuen Forschungsthemen zu UR beginnen. Zu den Empfängern solcher „Kriegsaufträge in letzter Minute“ gehörte im Januar 1945 auch Prof. Dr. Eberhard Buchwald (*1886) von der TH Danzig, mit: „Optische Eigenschaften der Materie im langwelligen Licht“. Gerlach und Mentzel hatten im November 1944 für die Überweisung von 23.000 RM an Buchwald gesorgt.722 Hinausgehend über die bereits erläuterten Arbeiten, gab es in Kummersdorf, Vers. Gottow, noch weitere Forschungsaktivitäten zu UR. Das waren Untersuchungen zu ausländischen Bildwandlern sowie zur Tarnung. Die deutschen Fronttruppen hatten Bildwandler der englischen Streitkräfte in ihren Besitz gebracht. Jetzt interessierte die Leistungsfähigkeit dieser „Beute-Biwa“. Das Oberkommando der Luftwaffe übergab Mitte 1944 der Firma Zeiss ein solches englisches Gerät zu Begutachtung. Zusätzlich befasste sich die RPF in Kleinmachnow mit diesem Beutestück. Der von Zeiss vorgelegte Bericht sowie die Urteile anderer Experten waren Gegenstand einer Sondersitzung der UR-Kommission am 15. September 1944 in der Hakeburg. Zum Teilnehmerkreis gehörten u. a. Gärtner von Wa Prüf 8, Schaffernicht von der AEG, Heimann und Fenner von der RPF sowie Vertreter von Marine, Luftwaffe, Waffen-SS und der Firma Zeiss. WaF hatte, wie üblich, Allekotte und Karbaum delegiert. Im Ergebnis der Diskussion befand man, dass der „Beute-Biwa“ gegenüber deutschen Entwicklungen (z. B. „Uhu“) keine besseren Eigenschaften habe. Weitere Vergleichsversuche seien jedoch angeraten. Sie sollten – in Abstimmung mit der RPF – in Kummersdorf durchgeführt werden. Als deutsches Vergleichsgerät wurde „Kater“ favorisiert.723 Bei den Forschungen zu UR war die Idee geboren worden, diesen unsichtbaren Licht-Effekt auch für die Tarnung zu nutzen. Damit befasste sich eine eigene Arbeitsgruppe, genannt „UR-Tarnung“. In ihr waren ebenfalls alle Wehrmachtsteile, Waffen-SS, PTR, Firmen usw. präsent. Zu Debatte standen „1. Kleider, 2. Fahrzeuge, 3. Gebäude“. Während bei Gebäuden relativ schnell klar war, dass man hierzu mit UR herzlich wenig ausrichten kann, rückten Bekleidung und Fahrzeuge in den Mittelpunkt, und zwar wegen der „Grauwerte im UR“. Man hatte nämlich durch „Beobachtungen an Modellen mit Laubwald, Nadelwald und freiem Himmel als Hintergrund“ festgestellt, dass bestimmte Farbtöne gute Ergebnisse erzielten. Versuchsfeld war der Truppenübungsplatz Döberitz, nordwestlich bei Potsdam. Ausgehend von den dort gewonnenen Ergebnissen sollten neue Tarnfarben für Panzer und andere Militärfahrzeuge festgelegt werden, um auf dieser Grundlage der Firma „I.G.-Farben Ludwigshafen“ einen Entwicklungsauftrag zu erteilen. Zusätzlich wünschte man Experimente für neue Tarnfarben und Tarnmuster zur Schaffung spezieller Tarnanzüge. Ziel war es, die „Tarnmuster des 722 BAB, R 26 III/4, 8 (Karteikarte Hettner), 440 a, 447. Zu Hettner, der gleichzeitig für das RLM tätig war, vgl. Hoßfeld et al.: „Kämpferische Wissenschaft“, 619 f., 637. 723 BAB, R 26 III/93, insb. Bl. 2–7 und 94; Berichte Nackens (wie Anm. 687).
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II. Experimente
Heeres und der Waffen-SS [zu] vereinheitlich[en]“. Ein Großversuch in Kummersdorf unter Verwendung von Tarnanzügen der Waffen-SS wurde für erforderlich gehalten – so der Plan vom August 1944.724 Der schon zur Hohlladung von Trinks mit einem Forschungsthema bedachte Dr.-Ing. W. Meinel v. Tannenberg wurde im Juli 1943 beauftragte mit der „Erforschung der Tarnung durch Anwendung elektrischer Wechselfelder“. Außerdem wurde er gebeten, den „UR-Empfänger Marabu“ der Firma Zeiss-Ikon zu testen. Zu den Ergebnissen der „UR-Tarnung“ konnten keine Dokumente ausfindig gemacht werden.725 Das Aeronautische Observatorium Lindenberg wurde am 25./26. April 1945 von sowjetischen Truppen erreicht. Die Besatzer honorierten sofort den Umstand, dass der von deutscher Seite gegebene Befehl zur Sprengung der fünf Funktürme und der anderen technischen Anlagen nicht befolgt worden war. Bereits fünf Tage später unterstellte man das Observatorium dem Hydrometeorologischen Dienst (HMD) der Roten Armee und gewährte der Einrichtung jeden erdenklichen Schutz. In gleicher Weise verfuhren die sowjetischen Behörden mit dem Observatorium Potsdam. Albrecht, der wegen einer Verwundung und anderer Umstände nicht in Kriegsgefangenschaft geriet, wurde wenige Wochen nach der Kapitulation zum Stellvertretenden Leiter des Observatoriums Potsdam bestimmt. Ab Januar 1946 kehrten auch die aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft entlassenen Wissenschaftler Foitzik und Dubois an ihren früheren Arbeitsplatz in Lindenberg zurück. Foitzik wurde Leiter der Abteilung Sichtforschung, Dubois Leiter der Abteilung Aerologie. Im Auftrag des Wissenschaftlich-Technischen Büros des HMD bzw. der SMAD verfassten alle drei hier Genannten bis Mitte 1949 zahlreiche Berichte über ihre Forschungen während des Krieges. Foitzik schuf im sowjetischen Auftrag eine „gründliche Nach- und Weiterentwicklung des JungingerGerätes“. Außerdem setzte er die früheren Scheinwerferuntersuchungen fort und lieferte dazu eine größere Arbeit ab: „Die Reichweite von Groß-Scheinwerfern in Bezug auf Luftziele, 1. und 2. Teil“. Einer der Arbeiten von Dubois war ein „Bericht über die Möglichkeit der Weiterführung der Ultrarot-Arbeiten“. Von großem Interesse für die sowjetischen Auftraggeber dürften seine Untersuchungen über ein Radar-Verfahren zur Höhenwindmessung gewesen sein, das „im letzten Jahrzehnt … infolge der kriegsentscheidenden Bedeutung forciert [wurde], aber zunächst eine streng geheim gehaltene Entwicklung war“. Auch die technische Analyse einer „Radiosonde des Signal Corps der U. S.-Army“, die 1948 im Auftrag der SMAD erfolgte, gehörte zu den Untersuchungen von Dubois. Albrecht verließ Anfang 1948 Potsdam und setzte seine wissenschaftliche Tätigkeit in Westdeutschland fort.726 724 Ebd.; Gärtner: Die Bedeutung (wie Anm. 681), Teil I, 542 f. 725 BAB, R 26 III/125. 726 Dubois: Das Observatorium Lindenberg (wie Anm. 712). Berichte für die SMAD verfassten auch noch andere Mitarbeiter des Observatoriums Lindenberg. Die hier angeführte Arbeit von Dubois entstand um 1950/55 in der DDR. Sie durfte jedoch damals nicht veröffentlicht werden, alle dazu vorhandenen Unterlagen waren zu vernichten. Durch glückliche Umstände blieb ein Exemplar erhalten. Der Deutsche Wetterdienst entschloss sich nach dem Ende der DDR, diese Arbeit unverändert herauszugeben.
15. N-Stoff und Seewerk Falkenhagen
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15. N-STOFF UND SEEWERK FALKENHAGEN Das wohl spektakulärste Projekt von WaF – unter den Militärs heftig umstritten – war der „N-Stoff“ (N = Normal) oder „C3“. Diese internen Deckbezeichnungen standen für die Interhalogenverbindung Chlortrifluorid (CIF3). Erstmals untersucht und dargestellt wurde diese Substanz – gemeinsam mit Dr. Herbert Krug – von dem Pionier der Fluorchemie, Prof. Dr.-Ing. Otto Karl Ruff (1871–1939), kurz nachdem er 1929 zusammen mit seinem Mitarbeiter Lass das Monochlorfluorid (CIF) gefunden hatte. Freudig erregt, fast schon begeistert stellten beide Chemiker in ihrer ersten offiziellen Mitteilung fest, es „ist der interessanteste Stoff, den wir bis dahin kennen gelernt hatten … Die Mannigfaltigkeit seiner Reaktionsmöglichkeiten ist verblüffend.“ Sie machten sich sofort an die Arbeit und prüften dies durch bei Metallen, Nichtmetallen, Wasser, Oxiden, Salzen, Glas usw.727 Das nahezu farblose Gas „C 3“, das bei Temperaturen unter 11 Grad zu einer schwach gelblichen Flüssigkeit kondensiert, ist ein starkes Oxydationsmittel. „Die meisten organischen Stoffe, ferner Ammoniak, Hydrazin, Schwefelwasserstoff und Borane entzünden sich spontan, wenn sie mit Chlortrifluorid in Berührung kommen“. Zugleich gilt es als das „aggressivste, giftigste und gefährlichste Halogenfluorid“, das die gesamten Atmungsorgane sehr stark schädigt und großflächige Hautverletzungen hervorruft.728 Solche Eigenschaften erregten natürlich die Aufmerksamkeit von WaF. Im Bereich Chemie, unter der Leitung von Eschenbach, befasste man sich vor allem mit den Fragen: Inwieweit ist der N-Stoff als Brandmittel und somit direkt als Waffe einsetzbar? Kann man den N-Stoff als Treibstoff oder Treibstoffzusatz für Flüssigraketen nutzen? Eignet sich der N-Stoff als Zünder, z. B. für Bordkanonen oder zum Antrieb für Torpedos? Die Forschungen dazu begannen spätestens 1934. Ruff, damals tätig am Anorganisch-chemischen Institut der TH Breslau, erklärte sich bereit, mit WaF zu „Fluorverbindungen“ zusammen zuarbeiten. Bei der I. G. Farben AG in Leverkusen versuchte man ab 1932 geeignete Verfahren zur Herstellung von „C 3“ zu finden. Parallel dazu befasste sich das KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie ab etwa 1935 mit dem N-Stoff.729 Ob die Chemiker der Forschungsabteilung des HWA auch die gesundheitsschädigende Wirkung des N-Stoffes im Visier hatten, dazu konnten keine Dokumente gefunden werden. Anders bei der SS. Hier unternahm man damit Menschenversuche, von denen noch zu berichten sein wird. Der schon mehrfach genannten SD-Mitarbeiters Fischer behauptete in seinen „Erinnerungen“, Schumann habe – zu einem nicht genannten Zeitpunkt – „Hitler und einem kleinen Kreis von höchstens 15 Personen Experimente vorgeführt und damit großen Eindruck gemacht. Er [Schumann, G. N.] erhielt umfassende Vollmacht zur Mas-
727 Otto Ruff, Herbert Krug: Über ein neues Chlorfluorid – ClF3, in: Zeitschrift für anorganische und allgemeine Chemie 190 (1930), 270–276. 728 Armin Dadieu, Ralf Damm, Eckardt W. Schmidt: Raketentreibstoffe, Wien/New York 1968, 326, 329; vgl. auch Siegfried Franke: Lehrbuch der Militärchemie, Bd. II, 2. Aufl. Berlin 1977, 346–348. 729 Schmaltz: Kampfstoff-Forschung, 183.
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II. Experimente senproduktion von N-Stoff, und dafür wurde ein großes, weitgehend unterirdisches Werk angelegt. Es lag ostwärts von Berlin beim Ort Falkenhagen. Es war besonders gründlich von der Außenwelt abgeschirmt, ein Zeichen mehr dafür, dass dieses Werk und die dort hergestellten Kampfmittel in den Planungen der obersten Führung eine wichtige Rolle spielen mussten.“730
Fischer Lesart von der Vorführung beim Diktator klingt sehr unglaubwürdig; anders verhält es sich hingegen mit seiner Mitteilung zum Werk Falkenhagen. Das OKH hatte sich tatsächlich um 1937/38 entschieden, eine eigenständige Produktionsstätte zur Erzeugung des N-Stoffes im großtechnischen Maßstab zu bauen. Als Standort wurde ein dichtes, ziemlich stark zerschnittenes Waldgebiet bei Falkenhagen, einige Dutzend Kilometer nordwestlich von Frankfurt/Oder, gewählt. Dieses Terrain in der „Falkenhagener Heide“ begann an den Ostufern von Burgsee, Schwarzer See, Schmielensee und zog sich von da in östlicher Richtung hin. Entsprechend der ab 1933/34 üblichen Praxis des OKH, staatseigene Fabriken zu schaffen, wurde auch in Falkenhagen ein „Montan“-Betrieb gegründet. Unterstellt waren derartige Unternehmen dem OKH, Allgemeines Heeresamt (AHA), Haushalt, sowie gleichzeitig dem Heereswaffenamt. Den Bau realisierten Industriefirmen, die gegen Entschädigung als Treuhänder eingesetzt wurden und nach Fertigstellung der Fabrik vertraglich die Produktion realisierten. Leeb erklärte dazu rückblickend: „Die Überwachung der Interessen des OKH bei dieser Form übernahm eine Dachgesellschaft: Die Montanindustrie G.m.b.H. (Montan), deren Geschäftsführer ein höherer Beamter des HWA war. Die Aufgaben der Montan beschränkte sich auf reine Verwaltungsaufgaben … Der Aufsichtsrat dieser Gesellschaft setzte sich aus Vertretern des Finanzministeriums, der Haushaltsabteilung des A. H. A bzw. Chef H. Rüst und des HWA zusammen.“731
730 Fischer: Erinnerungen, Bd. II, S. 58. Fischer wies auch in seinem Beitrag in der FAZ vom 27. Mai 1982, 10, Der totale Staat und das totale Durcheinander, darauf hin, dass Schumann vor Hitler Experimente vorführte. Dabei soll Hitler gegenüber den Beteiligten unter dem Eindruck des Geschehens gesagt haben: „Gott verzeihe mir die letzten Tage des Krieges“. Im Verfahren des Spruchgerichtes Bielefeld gegen Mentzel modifizierte Fischer (als Zeuge): „Den N-Stoff hat er persönlich höchsten Persönlichkeiten, der Kriegsmarine, der Waffen-SS vorgeführt.“ (BAK, Z 42/4059, S. 87). Der im gleichen Verfahren aufgetretene Zeuge, General a. D. Kurt Waeger, bestritt Fischers Angaben zur Vorführung des N-Stoffes vor Hitler. Ferner behauptete Waeger: „Mit der IG, überhaupt mit der Industrie, hatte Schumann nicht das geringste zu tun.“ (BAK, wie oben, S. 140, 144). Wie noch anhand der Dokumente gezeigt werden wird, lagen die Dinge in dieser Hinsicht jedoch anders. 731 Leeb: Aus der Rüstung, 17. Grundlegend zu Montan (zugleich kritisch zu Leeb, S. 12) Barbara Hopmann: Von der Montan zur Industrieverwertungsgesellschaft (IVG) 1916–1951, Stuttgart 1996. Zur Gründung eines Montanwerkes machte Ambros in seiner eidesstattlichen Erklärung vom 1. Mai 1947, gedruckt bei Radandt: Fall 6, 139, ausführliche Angaben: „Die Gründung einer derartigen Montananlage war für rein militärische Zwecke bestimmt … Ständige Vertreter von OKH: Schiffler, Ehmann, Reinknecht“ (140). Vgl. auch Naasner: Neue Machtzentren, 324–327, der eine Darstellung der verschiedenen Industriefirmen gibt, z. B. zur Luranil-Baugesellschaft m. b. H. Die IG-Farben setzte diese Firma vor allem auf ihren Baustellen ein, um nach außen nicht in Erscheinung treten zu müssen. Zusätzlich zu dieser Tarnung nutzte die IG die Luranil für eine genauere Kostenabrechnung und zur Abwehr von Ansprüchen staatlicher Kriegswirtschaftsbehörden zur Steuerung der IG-„Tochter“.
15. N-Stoff und Seewerk Falkenhagen
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Das neue Vorhaben des OKW wurde zuerst „Muna-Ost“ (Muna = Munitionsanstalt) genannt. Später verwandte man noch eine Reihe anderer Bezeichnungen, so „Buswerk Falkenhagen“ oder „M. O. Falkenhagen“ (M.O.=Muna Ost). Der Einfachheit halber wird nachfolgend durchgängig der Begriff „Falkenhagen“ verwendet.732 Am 6. Dezember 1938 gab es im Landratsamt Seelow eine erste größere Besprechung, bei der die Vertreter des OKH die Bedeutung der zu errichtenden Anlage sowie die Gründe für die Standortwahl erläuterten. Anwesend waren Vertreter der Regierung Frankfurt/Oder, des Reichsnährstandes, des Landesforstmeisters sowie anderer Behörden.733 Bald folgten weitere Beratungen zur Vorbereitung der Baumaßnahmen, so zum notwendigen Abbruch des Schlosses Falkenhagen, zur Schaffung von Gleisanschlüssen, zum Bau von Wohnungen usw. Baubeginn war im August 1939. An den Besprechungen waren verschiedene Abteilungen des HWA, der Organisation Todt bzw. des Reichsministeriums für Bewaffnung und Munition, des Generalinspekteurs für das deutsche Straßenwesen usw. beteiligt. Die Interessen der Forschungsabteilung des HWA nahmen in der Regel Schumann, Eschenbach und Glagow wahr. Einbezogen war von Anfang an Thiessen als Direktor des KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie in BerlinDahlem. Das gilt auch für Prof. Dr.-Ing. Wilhelm Loos, der als Experte für Baugrundforschung an der Bauplanung mitwirkte – wie schon in Kummersdorf (vgl. Kapitel 1). Die Bedeutung von Falkenhagen war bereits im September 1939 aus einer „Liste der kriegswichtigen Baustellen des Schnellplanes Wehrmachtsvorhaben im Bereich der Wehrwirtschaftsinspektion III“ ersichtlich. Unter der laufenden Nummer 10 wird es als „Besonderes Vorhaben O. K. H.“ genannt, dessen erste TeilFertigstellung für den Oktober 1940 geplant und mit einer Summe von 48 Millionen RM veranschlagt war.734 Am 20. September 1940 erging eine geheime Anordnung von Göring in dessen Eigenschaft als Vorsitzender des Reichsverteidigungsrates. Diese Weisung legte fest, dass das „Sondervorhaben OKH (N-Stoff) in seinem Gesamtumfang (einschließlich Bauten, Apparaturen, Maschinen, Werkzeugmaschinen)“ in die gemäß der von Hitler per Führerbefehl vom 20. August 1940 festgelegte „Sonderstufe“ aufzunehmen sei. Wenige Monate danach, am 7. Februar 1941, bekräftigte Keitel als Chef des OKW Görings Weisung und ordnete 732 Zu den verschiedenen Bezeichnungen siehe Hofmann: Objekt „Seewerk“, 24. 733 BLHA, Rep. 3 B Regierung Frankfurt/Oder, Nr. 3, Militärische Anlagen im Kreis Lebus. Die Bedeutung des Objektes und die Gründe für die Standortwahl sind im Protokoll nicht genannt. Das Dokument ist abgebildet bei Hofmann: Objekt „Seewerk“, 330, allerdings ohne Quellenangabe. 734 Vgl. Hofmann: Objekt „Seewerk“, 27, der als Quelle, BMA RW 19/1729 angibt. Die Schienenanbindung von Falkenhagen ist kurz beschrieben bei Lothar Meyer, Horst Regling: Die Oderbruchbahn. Zur Geschichte einer Kleinbahn in der Mark Brandenburg, Berlin 1995, 109–113. Zur Geschichte des Schlosses Falkenhagen vgl. Peter-Michael Hahn, Hellmut Lorenz (Hg.): Herrenhäuser in Brandenburg und der Niederlausitz. Kommentierte Neuausgabe des Ansichtswerkes von Alexander Duncker (1857–1883), Berlin 2000, Bd. 2, 123–126, versehen mit dem Hinweis: „Abriß 1935/36 – wohl aus militärischen Gründen“.
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II. Experimente
das „Sonderbauvorhaben (N-Stoff)“ als Punkt 4 in jene Fertigungsprogramme ein, die gemäß einem inzwischen neu festgelegten Dringlichkeitsgrad als „Sonderstufe SS“ behandelt wurden. Wie wichtig der Militärführung das „Sonderbauvorhaben N-Stoff“ war, ergibt sich schon daraus, dass es z. B. die gleiche Stufe besaß wie die Schaffung neuer Panzertypen („Panzerkampfwagen III und IV“) bzw. noch vor der Entwicklung gepanzerter KfZ für Schnelle Truppen sowie zahlreicher anderer moderner Waffensysteme rangierte.735 Schumann verband wahrscheinlich von Anfang an große Hoffnungen mit dem Bauvorhaben „Falkenhagen“. Nach seinen Vorstellungen sollte es der Standort des von ihm geplanten „Aerodynamischen Instituts“ sein (vgl. Kapitel 11). Zwei Hinweise gibt es dazu: Dr. Jürgen von Klenck (*1906), der bei Thiessen promoviert hatte und etwa ab 1942 Mitarbeiter bei Prof. Dr. Ambros, Mitglied des Vorstandes der I. G. Farbenindustrie AG und Leiter der Arbeitsgruppe “Gaskampfstoffe und Entgiftungsstoffe“ (Sonderausschuss C) war, schrieb nach 1945 seine „History of the Seewerk“. In dieser, wahrscheinlich für die Alliierten bestimmten Schrift erwähnt v. Klenck verschiedene „Labors für die Untersuchung der ballistischen Eigenschaften in einem Vakuumtunnel“. Eitelberg/Preuss nennen in ihrem Bericht „Rekonstruktion der ehemaligen Fabrik zur Herstellung von Brand – und Kampfstoffen der Monturon GmbH in Falkenhagen“ neben anderen Baugruppen fünf geplante wissenschaftliche Einrichtungen, die alle zusammen als „Institut Ost“ (Stand vom 15. Juli 1943) bezeichnet wurden.736 Unmittelbar zuständig für den Aufbau und den späteren Anlauf der N-StoffAnlage in Falkenhagen war seitens der Forschungsabteilung Regierungsbaurat Dr.-Ing. Siegfried Glupe (*1909). Der gelernte Chemiker gehörte seit 1935 zum HWA, Prüf 11 – damalige Bezeichnung der Forschungsabteilung – und arbeitete ab 1936 als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter in der Vers. Ost. Ende Mai 1937 legte er an der TH Berlin seine Geheimdissertation „Untersuchungen auf dem Gebiet der Schmelzflusselektrolyse von Alkalisalzen“. Vom August 1940 an arbeitete er in der Vers. Gottow, zuletzt als Referatsleiter WaF II c. Gegenstand der geheimen Doktorarbeit Glupes war die großtechnische Erzeugung von N-Stoff: „Glupes Verfahren basierte darauf, aus geschmolzenem Kaliumhydrogenfluorid (KHF 2) mittels Graphit-Kupfer oder Silber-Elektroden durch elektrolytische Zersetzung Fluorwasserstoff (HF) zu gewinnen. In einem zweiten Schritt entstand unter Abspaltung des Wasserstoffs aus Fluorwasserstoff dann Fluor. Eine Besonderheit des Verfahrens lag darin, daß die Elektrolysezellen aus metallischem Magnesium mit einem Mangananteil hergestellt waren, um dem aggressiven Reaktionsverhalten von Fluor standzuhalten. Anschließend wurde Fluor in einem Drei-Stufen-Verfahren mit Chlor synthetisiert. auf den ersten beiden Stufen entstand in einem mit Nickel ausgelegten Reaktor Chlordifluorid (CIF 3), das auf der dritten Stufe in einer Stahlkammer zu Chlortrifluorid umgesetzt und anschließend bei einer Temperatur von –60 bis –70 Grad Celsius kondensiert wurde.“737
735 Thomas/Birkenfeld: Geschichte der deutschen Wehr- und Rüstungswirtschaft, 422, 425, 438, 443. 736 Hofmann: Objekt „Seewerk“, 20. 737 Zitiert nach Schmaltz: Kampfstoff-Forschung, 184.
15. N-Stoff und Seewerk Falkenhagen
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Während der Bau in Falkenhagen mit mehr oder weniger Erfolg voranging,738 suchten Glupe und seine Mitarbeiter in den Labors von Vers. Gottow/Vers. Ost weiter nach Einsatzmöglichkeiten für den N-Stoff. Dafür stand ihnen eine kleine Produktionsanlage zur Herstellung von N-Stoff zur Verfügung. Außerdem wurden Forschungsaufträge an andere Einrichtungen vergeben. So sollte z. B. Dr. Klaus Schäfer (*1910), tätig am Physikalisch-Chemischen Institut der Universität Göttingen, Untersuchungen über „Ermittlung und Struktur der Normalschwingung des N-Stoffes“ durchführen.739 Geprüft wurde beispielsweise – so schrieb ein Beauftragter Osenbergs nach einem Besuch in Vers. Gottow in seinem Bericht – „Tankschiffe durch ein 15 cm Rückstoßgeschoß mit N-Stoff-Füllung von Flugzeugen aus zum Brennen zu bringen. Weiter befinden sich in Entwicklung ein 2 cm Benzinzünder und Phosphor-Ersatzgranaten. Eingeführt ist bereits ein N-Stofftopf von 3 Litern zur Bekämpfung von Kohlefiltern in Festungswerken. Der N-Stoff dürfte sich besonders gut für bestimmte Sabotagezwecke eignen.“740
In einer Vortragsnotiz des HWA vom 27. Juli 1942 hieß es u. a. „Die wehrtechnische Anwendung ist deshalb hauptsächlich auf dem Gebiet der schnell verlaufenden Zünd- und Zerstörungswirkungen zu suchen. Ursprüngliches Anwendungsziel war die Außerbetriebsetzung von Raumfiltern und Filtereinsätzen. Eingehende Versuche an Werken der Maginot-Linie im Jahre 1941 haben ergeben, daß deren Anlagen durch Zerstörung der Raumfilter mittels N-Stoff und die dabei auftretenden Sekundärwirkungen – weit über der Tödlichkeitsgrenze liegende Kohlenmonoxydkonzentration, Verqualmung der Bedienungsgänge, Hitzewirkung – außer Betrieb gesetzt werden. Ein 1942 durchgeführter Versuch hat eindeutig ergeben, daß auch eine Verteidigungsanlage wie der Westwall gegen die Wirkung dieses Stoffes keinen Schutz bietet; eines seiner Standard-Werke (Nasenloch) wurde innerhalb von zwei Minuten bei einem Einsatz von 6 kg außer Gefecht gesetzt. Die Wirkung wurde durch unmittelbare Eingabe des N-Stoffes in die Luftansaugöffnungen (im pioniermäßigem Nachtangriff) erreicht. Mit artilleristischen Mitteln und durch Bomben konnte dieser Effekt bisher nicht erreicht werden. Labormäßig wurde festgestellt, daß ein Gasmaskenfilter bei 2 Vol % N-Stoff entflammt wird. Dies ließ sich durch artilleristischen Einsatz bisher nicht erreichen. Flammenwerfer: Bei der Versetzung von N-Stoff mit Flammenwerferöl ist eine Temperatursteigerung um etwa 250 % auf 2400 Grad Celsius gemessen worden. Dieser Effekt soll heeresmäßig bei ortsfest eingebauten Flammenwerferbatterien in Festungsanlagen erprobt werden. Es ist bekannt, daß die derzeitigen Torpedos nicht spurenfrei ablaufen. Das Heereswaffenamt hat vorgeschlagen, unter Ausnutzung der spezifischen Eigenschaften des N-Stoffes, ein spurenfreies Torpedo nach dem Prinzip des Strahlantriebes zu verwenden. Versuche laufen in Zusammenarbeit mit der Marine. Als erste Anwendung ist die Verwendung des Strahlantriebes in der „Ugra“ (Unterwassergranate bzw. Strahltorpedo) mittels N-Stoff geplant. Weiter ist in Untersuchung bei den derzeitigen Fronttorpedos die Zündpatrone durch eine N-Stoffpat-
738 Vgl. dazu im Einzelnen Hofmann: Objekt „Seewerk“. 739 Aussage von Dr. Emil Ehmann (Dipl. Chemiker, 1935–1945 beim HWA) vom 18. September 1945 in Dustbin, National Archives Kew (London) FO 131/107. Der genaue Standort der NStoff-Anlage, entweder Vers. Ost oder Vers. Gottow, konnte nicht ermittelt werden. Der Forschungsauftrag an Schäfer ist dokumentiert in BAB, R 26 III/9. Im Göttingen konnten zu Schäfer keine Hinweise gefunden werden, Mitteilung UA Göttingen vom 16. Dezember 2004. 740 Brief Osenbergs vom 13. Juni 1944 an Geist, IfZ, SI, ED 100 4 a, Bl. 291136.
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II. Experimente rone zu ersetzen. Die Versuche laufen bei der Chemisch-Technischen Versuchsanstalt (CTVA) und der Torpedoversuchsanstalt (TVA) der Marine.“741
Da Chlortrifluorid ein „starkes Oxydationsmittel“ ist, arbeitete man bei der Forschungsabteilung auch daran, diesen Stoff als Treibstoffzusatz für Raketen einzusetzen. Ebenso gab es Überlegungen, „ob unter Ausnutzung der spezifischen Eigenschaften des N-Stoffes“ eine „Erhöhung der Steig- und Fluggeschwindigkeit von Jagdflugzeugen“ möglich sei.742 Dazu beließ man es bei WaF nicht bei eigenen Versuchen, sondern knüpfte frühzeitig Verbindungen zur I. G. Farben. Darüber berichtete deren Chemiker Dr. Hans Wagner: „Die Idee, Chlortrifluorid für kriegstechnische Zwecke zu benützen, kam meines Wissens bereits vor dem Kriege auf, und zwar sollte es als Füllung für Brandgranaten Verwendung finden; außerdem wurde während des Krieges erprobt, ob es sich zur Zündung von mit Öl gefüllten Brandgranaten anstelle von Pulverzündsätzen eigne. Das Produkt wurde in der Forschungsabteilung des Heereswaffenamtes in Berlin unter Leitung von Ministerialrat Schumann entwickelt. Als Sachbearbeiter sind mir auch Oberbaurat Glupe und Baurat Peinert bekannt. Meines Wissens hat die I. G. Leverkusen im anorganischen Laboratorium (Dr. Noack) dieses Produkt ungefähr in den Jahren 1942/43 hergestellt, und zwar auf Anordnung bzw. in Verbindung mit der Abteilung Wa Prüf 9 des Heereswaffenamtes, Ministerialrat von der Linde. Die Wirkungsweise des N-Stoffes war bei den Wehrmachtstellen außerordentlich umstritten. Die Forschungsabteilung des Heereswaffenamtes maß dem Stoff ganz große Bedeutung bei und versuchte, seine Einführung als Brandmunition entweder direkt oder über die SS bei Hitler durchzusetzen. Zeitweise bestand die Anschauung, daß die beim Verbrennen des N-Stoffes an der Luft entstehenden Zerfallsprodukte als Kampfstoffe angesprochen werden könnten. Diese Auffassung erwies sich jedoch als falsch.“743
Die in der Forschungsabteilung bestehende „Arbeitsgemeinschaft N-Stoff“ hatte auch ins Auge gefasst, „in Anlehnung an die bisher üblichen GasschneidebrennerVerfahren auf neuer wissenschaftlicher Grundlage ein Verfahren zum Zerschneiden von Beton zu entwickeln“. Gedacht war an ein „Einmann-Gerät“, das leicht zu transportieren, einfach zu bedienen war und sich deshalb für den „pioniermäßigen“ Einsatz eignete. Die Vorversuche seien erfolgreich verlaufen. Schumann wandte sich deshalb im April 1942 mit einem „Schnellbrief“ an den Präsidenten des RFR und bat „zur Vermeidung unnötigen Kraftaufwandes um Mitteilung, ob 741 Zitiert bei Hofmann: Objekt „Seewerk“, 85. Eine Quellenangabe fehlt hier leider, ebenso wie bei einigen anderen Dokumenten, die laut Hofmann im BLHA vorhanden sein sollen, dort jedoch bis auf zwei Ausnahmen nicht gefunden wurden. Auf diese Vortragsnotiz bezieht sich auch Schmaltz: Kampfstoff-Forschung, 187, der als Quelle BA-MA, RH 2/932, Bl. 143 f. nennt. Zu Versuchen mit dem N-Stoff zur Einnahme von Festungswerken vgl. Friedrich Wirth: Angriffsverfahren im Kampf um die Befestigungsanlagen aus Stahl und Beton, in: WTH 52 (1955) Heft 5, 129–139, insb. 134 f. 742 Gift in Erna, in: Der Spiegel Nr. 51/1981, 65; Zitate bei Schmaltz: Kampfstoff-Forschung, 189. 743 Eidesstattliche Erklärung Dr. Wagners vom 8. August 1947, Nürnberger Dokument NI 9582, IfZ. Bei dem von ihm genannten v. Linde handelt es sich um den Chemiker Dr. Hans-Jürgen von der Linde, der ab 1934 zu Wa Prüf gehörte, dort 1936 zum Wehrmachtsbeamten ernannt wurde und zuletzt im Range eines Ministerialrates stand. Er arbeitete im Gasschutzlabor Spandau bzw. in der Versuchsstelle von Prüf 9, Munsterlager. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I. HA, Rep. 335 Nürnberger Prozesse, Fall 6, Nr. 474.
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bereits ein Verfahren bekannt sei oder auf Grund wissenschaftlicher Erkenntnisse entwicklungsfähig erscheint, mittels dessen Beton einwandfrei geschnitten werden kann“. Thiessen, vom Präsidenten des RFR informiert, sah keinen Handlungsbedarf. Esau, damals Chef der PTR, ließ sich Zeit mit seinem Urteil. Erst Anfang Juli 1942 traf von dort bei Schumann die knappe Notiz ein, dass kein „entwicklungsfähiges Verfahren vorliegt und auch nicht bekannt ist“.744 Bei WaF war man auch gut informiert über die Rohstoffsituation der FluorChemie. Glupe und Gratkowski gehörten zur Arbeitsgemeinschaft „Fluor“, eine der 15 AG, die der Bevollmächtigte für die Chemische Industrie (GeBeChem), Carl Krauch, ab 1940 gebildet hatte. Am 17. Juli 1942 fand die erste Tagung der AG „Fluor“ in Stuttgart statt. Ihr Ziel bestand darin, die Teilnehmer mit der „Versorgungslage Deutschlands mit Fluor“ und den „Anstrengungen zur Überwindung der Knappheit an Fluor“ vertraut zu machen. Teilnehmer waren u. a. Glupe, Gratkowski und Köhler (WaF), Eitel und Dietzel (KWI für Silikatforschung), Winkel (KWIpCH), Vertreter des Rüstungsamtes des OKW sowie zahlreiche Wissenschaftler. Zu letzteren gehörten die an der Kampfstoff-Forschung beteiligten Professoren Böhme (Universität Berlin) und Britzinger (Universität Jena).745 Fischer berichtete in seinen „Erinnerungen“, dass der Umgang mit Chlortrifluorid stets Schwierigkeiten bereitet habe. Deshalb sollen Thiessen und Schumann gemeinsam eine Geheimdissertation betreut haben, in deren Ergebnis es gelang, „eine vereinfachte Herstellung zur besseren Handhabung des N-Stoffes“ zu entwickeln. Dabei könnte es sich um die Arbeit von Werner Nämsch (*1911) über „Gleichgewichtsuntersuchungen in der Gasphase“ gehandelt haben (vgl. Anlage II). Der Chemiker Nämsch (Studium an der Universität Berlin) war bis 1936 am KWI von Thiessen tätig und kam danach zur Vers. Gottow. Seine am 26. November 1941 vorgelegte Dissertation wurde von Thiessen und Schumann als „sehr gut“ bewertet und sogleich zur „Geheimen Kommandosache“ erklärt.746 Auf die Beteiligung des KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie an der N-Stoff-Forschung weisen noch andere Vorgänge hin. Der Physiker Heinz-Peter Brodersen (*1906), Mitglied der SA (ab 1933) und der SS (ab 1936), arbeitete von 1934 bis 1936 am Physikalisch-chemischen Institut der Universität Berlin. Wenig später wurde er Mitglied einer AG, die Prof. Dr. Hans Joachim Schumacher, Universität Frankfurt/M., leitete. Das Spezialgebiet dieses Wissenschaftlers waren u. a. Fluorverbindungen. Wahrscheinlich gehörte er deshalb zu den Teilnehmern der oben genannten Tagung der AG „Fluor“. Der Professor hatte überdies reichliche Erfahrungen in der Kampfstoff-Forschung aufzuweisen. Am 1. Oktober 1937 unterrichtete Mentzel in einem geheimen Schreiben Wa Prüf 9, dass Schumacher ihn aufgesucht und darum gebeten habe, auf dem Gebiet der Kampfstoff-Chemie mitzuarbeiten. Bereits früher sei es ihm gelungen ein neues Verfah744 BAB, R 26 III/298, Bl. 9 f. 745 Reichsamt für Wirtschaftsausbau: Geheime Chemische Berichte, Oktober 1942: 1. Tagung der AG Fluor am 17. Juli 1942. Vgl. auch Maier: Forschung als Waffe, 485. 746 Fischer: Erinnerungen, Bd. II, 72; Promotionsverfahren Nämsch, Akten „Geheimdissertationen“, Bd. 2, AHUB.
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II. Experimente
ren, und zwar mit guter Ausbeute, zur Darstellung von Grünkreuz zu entwickeln. Dazu habe er ein Patent angemeldet. „Treuhänder“ desselben sei das OKH.747 Offensichtlich hatte diese Offerte von 1937 Erfolg. Gleich nach Kriegsausbruch ordnete das OKH die Verlegung der AG Schumacher an das KWI von Thiessen an. Sie war dort „mit der Durchführung bestimmter Geheimarbeiten der Landesverteidigung beauftragt“. Da Brodersen von der SS eingezogen worden war, bat Graue Anfang 1940 die SS-Führung ihn freizugeben, „da die Aufgaben, die ausgeführt werden sollen, vom Heereswaffenamt ausdrücklich als besonders dringlich erklärt worden sind“ (zur weiteren Tätigkeit Brodersen bei der SS vgl. Kapitel 19).748 Schließlich sind noch die Vorführungen zu nennen, die WaF für den Forschungsbeirat des HWA in Kummersdorf organisierte. Daran nahmen Esau, Rimarski, Mentzel, Vahlen, Siebel und Thiessen teil. Auch der Präsident der KWG Vögler sowie der Direktor des KWI für medizinische Forschung Richard Kuhn waren anwesend. Leeb konnte in seinem Vortrag am 27. Juli 1942 vor dem Generalstab des Heeres darauf hinweisen, dass sich diese führenden Wissenschaftler bei den „N-Stoff-Vorführungen in jeder Hinsicht positiv geäußert“ hätten.749 Trotz aller Bemühungen bei WaF und den mit ihr zusammenwirkenden Einrichtungen blieb in Falkenhagen der erhoffte durchschlagende Erfolg aus. Dazu wiederum Fischer: „Noch größeren Ärger bekam Schumann mit dem N-Stoff, als in seinem Werk Falkenhagen die Herstellung von N-Stoff im großen Stil anlaufen sollte. Zuvor war das Werk von maßgeblichen Leuten des Heereswaffenamtes besichtigt worden, und Generalleutnant Schneider bat im Anschluß daran Prof. Thiessen um ein Gutachten. Dieser besichtigte das unterirdische Werk und war entsetzt. Nach seinem Urteil mußte die Anlage in den ersten Stunden in die Luft gehen, sobald die Produktion begann. Thiessen zog noch Fachleute von den I. G. Farben heran, die sein vernichtendes Gutachten bestätigten. So mußte Falkenhagen, dessen Bau bereits 55 Millionen Reichsmark verschlungen hatte, mit einem zusätzlichen Aufwand von 20 Millionen erst einmal umgebaut werden, bis der N-Stoff wirklich in dieser Großanlage hergestellt werden konnte.“750
Die offenkundigen Probleme in Falkenhagen beschäftigten auch Reichsminister Albert Speer in beträchtlichem Maße. Im September 1943 notierte er über eine Besprechung bei Hitler: „Den Führer aufmerksam gemacht, daß Prof. Schumann in vielen Dingen versagt hat. Der Führer wünscht trotzdem, daß der N-Stoff in Vergleichsversuchen zur normalen Brandmunition hergestellt wird für die Bekämpfung von feindlichen Flugzeugen mit geschützten Behäl-
747 Mentzel am 1. Oktober 1937 an die Prüf 9, BAB, R 26 III/251. Nach dem Kriegsende arbeitete Schumacher (wahrscheinlich ab 1946/47) als Chemie-Spezialist in Argentinien. 748 BAB, SSO 108 (zu Brodersen); Basche am 10. März 1944 an Mentzel mit der Bitte, der WaF Forschungsergebnisse von Schumacher zur Verfügung zu stellen, BAB, R 26 III/4, Bl. 67 Rs., R 26 III/6, Bl. 20. Auf die Arbeiten von Schumacher zur Fluor weist auch Schmaltz in: Kampfstoff-Forschung, 180, hin. 749 Zitiert bei Schmaltz: Kampfstoff-Forschung, 189. 750 Fischer: Erinnerungen, Bd. II, 85 f.
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tern. Es ist hierüber Bericht zu erstatten. Nach Ablauf der Versuche soll entschieden werden, wie weit die Fertigung aufgebracht werden kann.“751
Schon Ende 1942/Anfang 1943 hatte es einen teils kontrovers geführten Schriftwechsel zwischen HWA und SS-Waffenamt gegeben. SS-Oberführer Heinrich Gärtner setzte das HWA von einem Wunsch Himmlers in Kenntnis, eine besondere Panzer-Brandgranate zu entwickeln. Mit ihr sollte es möglich sein, außer Gefecht gesetzte Panzer, die zwischen den Linien liegen geblieben waren, durch eine Hohlladung mit Zuladung einer Brandmasse (N-Stoff) zum Brennen zu bringen. Dem Reichsführer-SS sei sehr daran gelegen, dass der „Russe“ künftig keine Panzer mehr abschleppen und wieder instand setzen könne. General v. Junck, Stab des HWA, schrieb zurück: Eine Verwendung von N-Stoff scheine nach Ansicht von Prüf 9 wenig aussichtsreich. Man werde aber die Angelegenheit im Auge behalten. Wa Prüf 1 schloss sich diesem Urteil an.752 Ende Mai 1944 hatte auch der Diktator eine Idee. Er forderte Untersuchungen, inwieweit der N-Stoff als Zuladung für die Rakete A 4 – besser bekannt als V 2 – in Frage kommen könnte, um bei der Beschießung von England große Brandwirkungen auszulösen. Ernsthaft erprobt wurde dies jedoch nie.753 Inzwischen war es jedoch Schumann gelungen Schwab grundsätzlich für den N-Stoff zu interessieren. Der „dachte an eine Verwendung des N-Stoffes als ein Zündmittel anstelle der üblichen Azide, aber letztere waren einfacher und billiger herzustellen“.754 Anfang 1944 verkündete Hitler seinen Entschluss, sowohl die Erprobung als auch die Produktion des N-Stoffes an die SS zu übergeben. Auf einen Einwand Speers reagierte Hitler mit der Bemerkung, er wolle dem Reichsführer SS den Auftrag erteilen, „eine Erprobung und Begutachtung des N-Stoffes vorzunehmen“. Danach sollte neu entschieden werden.755 Bei seinen Besprechungen mit Speer wurde Hitler wenige Monate später noch deutlicher und lehnte es ab, dass sich das Heer weiterhin mit dem N-Stoff befasse. Er wolle jetzt Erprobung und Produktion des N-Stoffes in Falkenhagen in die Hände der SS legen. Speer beharrte auf seiner Position, die Verantwortung bei seinem Ministerium bzw. dem HWA und der IG Farben zu belassen.756 Am 7. Juli 1944 befahl Hitler überraschend, dass „durch den Reichsführer SS beschleunigt weitere Versuche mit dem N-Stoff durchgeführt werden“. Das HWA habe dazu „sofort alle bisherigen Unterlagen und Erkenntnisse über den N-Stoff zur Verfügung [zu stellen] und unterstützt Vorhaben Reichsführer-SS mit allen Mitteln“.757 Die Folgen dieser knappen, jedoch schwerwiegenden Anordnung zeigten sich zwei Wochen später in Falkenhagen. Dort erschien am 23. Juli 1944 Glupe mit einem SS-Kommando. Er wies der Werksleitung einen Brief von 751 752 753 754 755 756
Boelcke: Deutschlands Rüstung, 295. Waffenrevue 65/1987), 116, 118 f., 121, 125, 128 f. Boelcke: Deutschlands Rüstung, 373. Fischer: Erinnerungen, Bd. II, 58. Speer: Sklavenstaat, 282. Vermerk Speers über eine „Führerbesprechung“ vom 3. bis 5. Juni 1944, BAB, R 3/1509, Bl. 88 f. 757 Fernschreiben Chef des Heeresstabes General Buhle, BAB, NS 19/3912, Bl. 55
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II. Experimente
Schwab vor, wonach das N-Stoff-Werk sofort von der SS zu übernehmen sei und die Verträge zwischen HWA und IG keine Gültigkeit mehr hätten. Weiter hieß es in der Mitteilung von Schwab: „Der Führerbefehl [vom 7. Juli 1944] betrifft die vollständige Übergabe des gesamten Werkes mit Außenanlagen, Grundstücken, Verkehrsanlagen, Dienstvorschriften, Personallisten, Zeichnungen, Plänen, Skizzen sowie sämtliche Verwaltungsakten, Abrechnungen usw. Das gesamte Verwaltungs- und technische Personal arbeitet ohne Störungen weiter. Alle Maßnahmen zur Fortsetzung der Betriebseinschränkung sind aufgehoben, der Ausbau ist fortzusetzen. Für die lückenlose Übergabe und Nachweisung etwa entfernter Teile der Anlage ist der derzeitige Werkleiter Dr. Glupe zuständig.“
Der damalige Vertreter der Monturon GmbH, von Klenck, zeigte sich überrascht, ja sogar bestürzt und nahm sofort Kontakt mit dem OKH, dem Rüstungslieferungsamt sowie dem Ministerium Speer auf. Dort wusste man angeblich nichts von dieser einschneidenden Festlegung.758 Speer protestierte in ziemlich scharfer Form und intervenierte am 26.Juli 1944 in einem Schreiben an Himmler. Darin berief sich der Reichsminister auf seine Absprache mit Hitler, den er im Juni überzeugt habe, „daß eine Übernahme der Produktion durch die Waffen-SS zunächst nicht durchgeführt werden solle, sondern das es genüge, wenn die Waffen-SS die Erprobung [Hervorhebung im Original, G. N.] des N-Stoffes übernehme“. Die Fachkräfte für diesen chemischen Prozess, der laufend Neuerungen erfordere, habe nur die I. G.-Farben. Auf sie sei man einzig und allein angewiesen. „Aus dieser Erkenntnis heraus habe ich auch angeordnet, daß die Werksanlagen Falkenhagen, die zunächst vom Waffenamt selbstständig geführt wurden, den IG-Farben zur Betriebsführung übergeben wurden und dass dem tüchtigsten Chemiker von IG-Farben, Dr. Ambros, übertragen. Ich kann der Übernahme der Produktion von Falkenhagen durch die Waffen-SS auch deswegen zunächst nicht zustimmen, weil neben und in Verbindung mit der N-Stoffanlage, eine entscheidende Kampfstoff-Anlage errichtet ist.“759
Der energische Speer hatte Erfolg. Schon tags darauf gab es eine „Besprechung bei Brigadeführer Schwab, zu der neben den Herren der SS ... Oberst Hirsch von Wa Prüf 9, Ministerialrat Dr.-Ing. Ehmann von Wa J Rü Mun 3 zbV, Dr. Glupe, sowie Dr. Brundi vom Rüstungslieferungsamt“ erschienen. Vertreter von Monturon waren zunächst nicht eingeladen, wurden aber „nach Rücksprache mit den Herren der SS zugelassen“. Es waren dies Ambros und von Klenck. Die am 27. Juli mühsam ausgehandelte Übereinkunft sah vor, dass Monturon weiter die Betreuung und Betriebsführung inne hatte und Glupe den N-Stoff-Betrieb führte. Gleichzeitig wechselte Glupe zur Waffen-SS über. Verbindungsmann zwischen Monturon und SS wurde v. Klenck, „wobei sich Brigadeführer Schwab das Recht der unmittelbaren Verhandlungen in technischen Angelegenheiten mit Dr. Glupe vorbehielt“. Die SS prüfe weiterhin die Anwendungsmöglichkeiten des N-Stoffes. Je nach Ausfall derselben sollte „das bisherige Provisorium zur Erzeugung von 10 758 Hofmann: Objekt „Seewerk“, 55. Zur Quelle dieses Dokumentes vgl. Anm. 741. 759 Speer am 26. Juli 1944 an Himmler, BAB, NS 19/3910, Bl. 83 und 84. Die Seite 3 dieses Schreibens ist in NS 19/3910 nicht enthalten. Die grammatischen Fehler im Original wurden korrigiert.
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moto N-Stoff auf 50 moto ausgebaut werden“ (moto = Monatstonnen, G. N.).760 Himmler blieb nichts weiter übrig, als diesem Kompromiss zuzustimmen: „Ich bin selbstverständlich einverstanden, dass die IG. Farben den Betrieb in Falkenhagen übernimmt bzw. betriebsführungsmäßig behandelt“. Davon unterrichtete er am 31.Juli 1944 „den lieben Parteigenossen Speer“ sowie seine höheren SS-Führer Jüttner und Pohl sowie seinen Chefadjutanten Werner Grothmann.761 Um die Hintergründe dieser heftigen Querelen in und um Falkenhagen richtig zu verstehen, muss man in Betracht ziehen, dass nach dem missglückten Anschlag auf Hitler vom 20. Juli 1944 die SS-Führung eine günstige Gelegenheit sah, das HWA in seinen Kompetenzen drastisch zu beschneiden und auch auf diesem Sektor die Forschung an sich zu reißen (vgl. Kapitel 9). Zu den rasch eingeleiteten Maßnahmen nach der Aufdeckung der Verschwörung gehörte auch die kurzzeitige Festnahme von General Schneider. Ihn verdächtigte man als Staatsfeind. Schneider hatte nämlich einen, seiner Meinung nach sehr unsoliden „Erfindervorschlag“ recht drastisch abgelehnt, obwohl dieser auf Wunsch Hitlers vordringlich zu bearbeiten gewesen sei.762 Weit wichtiger war jedoch eine andere Entscheidung zu Falkenhagen, die 1943 ergangen war: Nach der Entdeckung des Nervengases Tabun (interne Bezeichnung T 83) forderte das HWA den Bau einer leistungsfähigen Produktionsstätte zur Herstellung dieses neuartigen Kampfstoffes. Dafür war Dyhernfurt an der Oder (jetzt polnisch Brzeg Dolny, etwa 20 km nördlich von Breslau/Wrocław) vorgesehen. 1942 sollte hier im „Niederwerk“ (Deckname) die Produktion beginnen. Inzwischen hatte jedoch das Spandauer Gasschutzlaboratorium in Berlin das wesentlich stabilere und zugleich bedeutend „wirksamere“ Nervengas „Sarin“ (interne Bezeichnung T 46) entwickelt. Eine größere Sarin-Anlage sollte ursprünglich in Dyhernfurt entstehen, wurde jedoch aus Luftschutzgründen abgelehnt. Stattdessen hatte Speer 1943 das Seewerk Falkenhagen als neuen Produktionsstandort vorgeschlagen. Die zuständigen Reichsstellen stimmten zu. Der üblichen Praxis folgend, wurde zwischen OKH und IG ein Montanvertrag geschlossen. Zum Geschäftsführer bestellte man Ambros. Verantwortlich für die Sarinherstellung in Falkenhagen war v. Klenck. Die Sarin-Fabrik sollte spätestens im ersten Halbjahr 1945 fertig sein und eine Kapazität von 500 moto haben. Im Juni 1943 wurde Ambros zu einer Besprechung über „Gaskampfstoffe und ihre chemische Abwehr und die Fabrikation von Gasmasken und Aktivkohle“ in Hitlers
760 Zitiert bei Hofmann: Objekt „Seewerk“, 56. Bei Schmaltz: Kampfstoff-Forschung, der als Quelle eine Befragung v. Klencks durch die Engländer angibt (211, Anm. 568 f.), ist diese Krisenbesprechung irrtümlich auf Ende August 1944 datiert. Das bei Hofmann abgedruckte Dokument fixiert den 27. Juli. Auch in Bezug auf den Ort dieser Sitzung ist Schmaltz zu korrigieren. In Glau gab es kein Schloss. Schwab residierte im Schloss Genshagen (bei Zossen), unweit von Glau, Telefonliste, BAB, R 26 III/52, Bl. 179. Der Hinweis von Schmaltz (210 f.), Glupe sei zur SS übergetreten, beruht auf einer Aussage Dr. v. Klencks (Dokument PRO, FO 1031, Nr. 97). 761 Himmler am 31. Juli 1944 an Speer, BAB, NS 19/3910, Bl. 85. 762 Fischer: Erinnerungen, Bd. II, 87.
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Hauptquartier bei Rastenburg bestellt. Dort hatte Ambros über die bisherige Produktion von Kampf-Stoffen zu referieren.763 Der Ausbau des Seewerkes zur Sarin-Produktion verlief allerdings nicht so flüssig wie gewünscht. Die Folgen der allgemeinen Kriegslage und die enormen Probleme der Rüstungsproduktion zeigten sich sehr deutlich. Immer öfter gab es Schwierigkeiten in Falkenhagen bei der Zuteilung von Baumaterial, Ausrüstungen, Maschinen usw. Ebenso fehlten Arbeitskräfte. Deshalb wurden auch die Ausbildung und der Einsatz von KZ-Häftlingen als Montagearbeiter angestrebt. Anfang 1944 konstatierte ein geheimer Lagebericht zu dem Gebiet „Pulver, Sprengstoffe, Kampfstoffe, R-Stoffe, Nebelsäuren“, das Vorhaben Seewerk sei so weit in Rückstand geraten, dass mit einem Anlauf nicht vor Mitte 1945 gerechnet werden könne.764 Dieses Zurückbleiben veranlasste Ambros am 1. Februar und 20. März 1944 zum Anfertigen von Denkschriften über den Stand der Kampf-Stoff-Produktion insgesamt. Darin wies er u. a. darauf hin, dass für „Sarin II“ in Falkenhagen wesentlich mehr Unterstützung benötigt werde. Es handele sich immerhin um „in neues Verfahren mit besonders schwieriger Technik“.765 Speer interpretierte die Aktivitäten der SS vom Juli 1944 nach dem Krieg: „Im Falle des N-Stoffes handelte es sich für Himmler letztlich darum, die Produktion des Nervengases Sarin in die Hand der SS zu bringen. Sarin war unser modernster Kampfstoff, der die Wirkung aller bisher produzierten Kampfgase um ein mehrfaches übertraf. Zudem gab es gegen ihn keine Abwehrmöglichkeiten, weil die damals bekannten Gasmasken und Filter ohne Schutzwirkungen blieben. Sarin konnte daher eines Tages ein gewichtiger Faktor zumindest der Erpressung in einem innerdeutschen Machtkampf zwischen Wehrmacht und SS sein. Nach dem 20. Juli waren solche Überlegungen nicht mehr als absurd anzusehen.“766
Die SS blieb in Falkenhagen weiter „am Ball“ und gab ihre Bemühungen nicht auf, die N-Stoff-Produktion gänzlich an sich zu reißen. Am 3. September 1944 fand eine Besprechung zwischen Vertretern des HWA (darunter auch WaF), Montan und Waffen-SS statt. Dabei konnte die SS, neben verschiedenen anderen Regelungen durchsetzen, dass sie, falls der N-Stoff den Erwartungen entspreche, die kaufmännische Leitung der Anlage übernehmen werde. Nach weiteren Um- und Neubauten sollte schließlich im Oktober/November 1944 die Produktion nennenswerter Mengen des N-Stoffes beginnen.767 Von der Hinhalte-Taktik der SS zeugt zusätzlich ein weiteres Schreiben Speers an Himmler. Drei Monate nach der Vereinbarung, dass die SS den N-Stoff
763 Eidesstattliche Erklärung Ambros’ vom 1. Mai 1947, gedruckt bei Radandt: Fall 6, S. 142. Die Entdeckung des Sarin ist zuletzt ausführlich beschrieben bei Schmaltz: Kampfstoff-Forschung, 429 ff. 764 Lagebericht I/44, BAB, R 3/1857, Bl. 10 f.; Kampfstoffbericht vom 1. Februar 1944 (Geheime Reichssache) BAB, R 3/1894, Bl. 19, 765 Die Denkschriften Ambros’ sind auszugsweise wiedergegeben bei: Hans Günter Brauch, Rolf-Dieter Müller (Hg.): Chemische Kriegführung – Chemische Abrüstung. Dokumente und Kommentare, Berlin 1985, 169–172, 182– 86. 766 Speer: Sklavenstaat, 282. 767 Hofmann: Objekt „Seewerk“, 51 f.
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auf seine Brauchbarkeit hin untersucht, lag Speer immer noch kein Ergebnis vor. Er forderte deshalb einen Zwischenbericht an „ob und in welchem Umfang die Produktion für N-Stoff vorbehalten bleiben muß, damit ich in entsprechendem Umfang und bis zur letzten Ausnützung von Seewerk die forcierte Produktionssteigerung des hochwertigen K-Stoffes dort anordnen kann“.768
Das Neben- und Gegeneinander der Beteiligten endete schließlich damit, dass die SS „die wegen der Sarin-Produktion wertvolle Fabrik in Falkenhagen kurzerhand in Besitz nahm“, wie Speer berichtete. Speer weiter dazu: „Schieber, der Anfang November 1944 kurz vor seiner durch Himmlers Intrigen verursachten Ablösung stand, erfüllte eine nicht ungefährliche Pflicht, indem er mich auf Umtriebe der SS aufmerksam machte: In Falkenhagen sind zur Zeit Schwierigkeiten aufgetreten, da die Waffen-SS dort schon die N-Stoff-Fertigung betreibt und die Werkstätten und allgemeinen Fertigungseinrichtungen mit Beschlag belegt und diese Maschinen zudem jetzt noch verbunkern will. Dadurch leidet der Ausbau der Sarin-Fertigung. [… Es] muß gegen die Maßnahme der SS schärfstens Einspruch erhoben werden.“769
Dem verbissenen Kampf von Himmler und seinen Gefolgsleuten, allen voran Schwabs, lagen sehr gefährliche, verbrecherische Ziele zugrunde. Schwab verfolgte seit längerem die Absicht in Glau ein „Kampfstoff-Institut der Waffen-SS“ zu etablieren. Dazu sollten unter den KZ-Insassen befähigte Chemiker ausgewählt und mit herangezogen werden. Als Leiter war SS-Sturmbannführer Prof. Dr. Hermann Friese vorgesehen. Mentzel bestätigte Sievers, dass Friese auf dem Kampfstoffgebiet arbeite. Geeigneter sei jedoch „SS-Hauptsturmführer Dr. August Winkel, ein ausgesprochener Kampfstoffchemiker“. Der SS-Führer Maurer aus dem KZ Sachenhausen bestätigte Sievers auf eine Anfrage, dass für Glau „150 Häftlinge und Bewachungsmannschaft bereits gestellt werden können“. Sievers regte Ende Juli 1944 an, zwecks Vermeidung von Doppelarbeit eine „Kampfstoff-Besprechung“ vorzunehmen. Einzuladen wären dazu Prof. Dr. Hirt, Prof. Bickenbach und Dr. Martineck. Schwab habe allerdings – so Sievers – zum Einsatz von „Häftlingswissenschaftler“ Bedenken geäußert.770 Schon im Januar des gleichen Jahres hatte Sievers die Weichen für Versuche mit N-Stoff an KZ-Insassen gestellt. Er empfing im Verlauf dieses Monates mehrmals Schwab wegen der „Zusammenarbeit mit Inst. R, Dachau“. Schwab schickte am 22. Februar als seinen Beauftragten einen Dr. Specht nach Dachau, um Einzel768 Speer am 5. Oktober 1944 an Himmler, BAB, R 3/1538, Bl. 101. 769 Speer: Sklavenstaat, 283. SS-Brigadeführer Dr. Walter Schieber, ein Chemiker, war bei Speer Amtschef und u. a. zuständig für die chemische Produktion, die Erzeugung von Sprengstoffen usw. Ab 1942 geriet er bei der SS-Führung zunehmend in Verruf. Diese Vorgänge hat Speer unter der Überschrift „Muster einer Intrige“ geschildert, ebd. 81–83. Vgl. den Aktenvermerk über K-Stoff-Besprechung beim Amtschef des Rüstungslieferungsamtes Staatsrat Dr. Walter Schieber am 2. November 1944, wiedergegeben bei Brauch, Müller: Chemische Kriegführung (wie Anm. 765), 194 f. 770 Vermerk Sievers’ vom 28. Juli 1944 Errichtung einer wissenschaftlichen Forschungsstelle im KL Sachsenhausen lt. Befehl RF-SS vom 25. April 1944, BAB, BDC zu Boseck, auch NS 21/96, Berichte Bosecks an Sievers, sowie NS 21/11, Tagebuch Sievers’, an verschiedenen Stellen.
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heiten mit dem Institut R zu klären. Dessen Leiter war der berüchtigte Luftwaffen-Stabsarzt Dr. Siegfried Rascher (*1909), der hier im Auftrag der SS-Organisation „Ahnenerbe“ seine verbrecherischen Versuche über „Wiederbelebung von Menschen“ durchführte. Drei Tage nach Specht wurde ein Dr. Plötner nach Dachau kommandiert. Bei ihm handelte es sich um Dr. Kurt Plötner, Feldarzt der WaffenSS, der bereits als Assistent von Prof. Claus Schilling an dessen Malaria-Experimenten mit der Anopheles-Stechmücke beteiligt gewesen war. Kaum hatte sich Plötner nach Dachau in Marsch gesetzt, erfolgte bei Sievers am 3. März 1944 eine Besprechung zur „L-Frage“ – „L“ steht für den chemischen Kampfstoff Lost, mit dem die SS Versuche an Menschen durchführte. Anschließend erschien Schwab bei Sievers. Die Annahme, dass dabei die Ergebnisse der Lost-Besprechung zur Debatte standen, ist nicht von der Hand zu weisen. Nach diesen Aktivitäten finden sich im Tagebuch Sievers und in anderen Dokumenten vorerst keine Eintragungen über Kampfstoffversuche. Geschuldet ist dies wahrscheinlich der im März 1944 erfolgten Verhaftung Raschers, dem kriminelle Delikte angelastet wurden und dessen Hinrichtung durch die SS im April 1945 in Dachau erfolgte. Die Nachfolge Raschers trat Plötner an, dessen Institut fortan unter dem Kürzel „P“ lief. Ende Oktober 1944 kam wieder Bewegung in die Sache. Am 20. Oktober besprach Sievers mit Thiessen die „N-Stoff-Versuche“ bzw. „Sonderstoffversuche“. Es ging um Einsatzmöglichkeiten und „Fragen der biologischen Untersuchung“. Nach drei Tagen traf Plötner, aus Dachau kommend bei Sievers ein, um Festlegungen zur „Durchführung der Sonderversuche auf Antrag Technisches Amt, FEP“ entgegenzunehmen.771 Jetzt musste nur noch die Zustimmung Himmlers eingeholt werden. Diese Aufgabe übernahm der Reicharzt SS, Prof. Dr. Ernst Grawitz, der am 22. November 1944 offiziell den Reichsführer SS um die Genehmigung „Versuche mit NStoff“ ersuchte: „Der Chef des Technischen Amtes im SS-Führungshauptamt, SS-Gruppenführer Schwab, hat sich im September ds. Jahres an mich gewandt mit der Bitte, ihm zwei Ärzte abzustellen, welche als medizinische Sachverständige Versuchen mit N-Stoff beiwohnen sollten, die er auf Weisung des Führers zur Zeit durchführe. Es handele sich dabei vor allem um Klärung der Frage, ob N-Stoff als Kampfstoff zu gelten habe oder nicht. Ich habe hierfür meinen leitenden Pathologen, SS-Hauptsturmführer Doz. Dr. Sachs, sowie den Arzt beim Ahnenerbe, SS-Hauptsturmführer Doz. Dr. Plötner, zur Verfügung gestellt. Auf Grund dieser am 25. Sept. 44 durchgeführten orientierender Vorversuche ergibt sich jetzt die Notwendigkeit zur abschließenden Klärung der physiologischen Wirkung des N-Stoffes auf und durch die menschliche Haut nunmehr einige Versuche an Menschen durchzuführen. Zur Durchführung dieser Versuche sind 5 Häftlinge erforderlich. Die Versuche werden mit größter Wahrscheinlichkeit keine Dauerschäden zurücklassen.“772
Grawitz hatte vorsorglich bereits andere hohe SS-Führer zu einer Stellungnahme aufgefordert. SS-Gruppenführer Prof. Dr. Gebhardt war „selbstverständlich mit 771 Tagebuch Sievers, Eintragungen 1944 unter den betreffenden Daten, BAB, NS 21/11; Dörner et al: Ärzteprozess, Microfich 3/5805. 772 Grawitz am 22. November 1945 an Himmler (GKdos); Dörner et al: Ärzteprozess, Microfiche 3/1740 f.
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[dem] Vorschlag einverstanden“. SS-Gruppenführer Glücks stellte sofort „im Konzentrationslager Sachsenhausen 5 zum Tode verurteilte Häftlinge bereit“. Auch der SS-Oberführer Panzinger begrüßte vom „Standpunkt der Kriminalpolizei“ die geplanten Versuche.773 Plötner konnte also weitermachen. Am 12. Dezember 1944 lieferte er bei Sievers einen „Reisebericht Prag, N-Stoff“ ab. Was es damit im Einzelnen auf sich hatte, ist nicht überliefert.774 Von Versuchen mit dem Kampfstoff Sarin an KZ-Häftlingen, durchgeführt in einem Keller der SS-Klinik Hohenlychen (nordwestlich bei Templin, heute ein Ortsteil von Lychen) berichtete auch der Buchautor Koch: „Den kurzen Todeskampf ließ der SS-Gruppenführer Dr. Otto Schwab, Chef des Technischen Amtes im SS-Führungshauptamt, filmen. Die Russen fanden das Material unversehrt, dazu einen erst vor wenigen Tagen verstorbenen Häftling.“775
Ende der fünfziger Jahre versuchte die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg (ZSt), die bis dahin ungesühnten Verbrechen der SS, mittels N-Stoff an Häftlingen begangen, aufzuklären. In den dazu eingeleiteten Vorermittlungen wurde auch der einstige Lagerarzt von Sachsenhausen (ab Januar 1943), Dr. Heinz Baumkötter, als Zeuge vernommen. Er befand sich wegen anderer, von ihm im KZ begangener Straftaten in Untersuchungshaft. Baumkötter vermochte sich nur noch daran erinnern, dass die N-Stoffversuche von „auswärtigen Wissenschaftlern durchgeführt wurden, wobei das Lager Sachsenhausen lediglich den Versuchsraum und die Versuchspersonen zur Verfügung gestellt haben“. Er sei erst später hinzugekommen: „Ich habe lediglich noch mitbekommen, wie der Rest des Sprühstoffes aus dem Fenster des Op-Saales nach draußen in den Garten gegossen wurde und dabei ein merkwürdiges, dem Knattern eines Maschinengewehres ähnliches Geräusch erzeugt wurde.“
Das Schicksal der Häftlinge sei ihm nicht bekannt. Baumkötter wörtlich: „Über den Verbleib der Versuchspersonen kann ich Sicheres nicht sagen, nehme jedoch an, daß die Betreffenden exekutiert wurden.“776 Die von der ZSt in den Vorermittlungen zusammengetragenen Belege reichten für die Einleitung eines Strafverfahrens nicht aus.
773 Ebd. 774 Tagebuch Sievers’, BAB, NS 21/11; Dörner et al: Ärzteprozess, u. a. Microfiche 2/1084 f., 3/5805, 4/2573, 76, 78; zur Rolle von Rascher und Plötner vgl. Kater: Das „Ahnenerbe“; Schleiermacher: Die SS-Stiftung. Erste „orientierende Versuche“ mit N-Stoff sollen von Plötner und Sachs schon ab 25. September 1944 vorgenommen worden sein, so Klee: Auschwitz, 86 f. (leider dort ohne Quellenangabe). 775 Peter-Ferdinand Koch: Menschenversuche. Die tödlichen Experimente deutscher Ärzte, München 1996, 268. Als Quelle nennt Koch eine nicht näher bezeichnete, unveröffentlichte „Bestandsaufnahme der SMAD: Verbrecherische Ärzte“ vom Juni 1947 (323, Anm. 30). 776 Klee: Auschwitz, 86 f. (Aussage Baumkötters vom 19. Mai 1959, ZSt, 406 AR-Z 14/59). Eine Anfrage bei der ZSt, heute Bundesarchiv, Außenstelle Ludwigsburg, ergab keine weiteren Hinweise, Mitteilung des BA-AL vom 23. Dezember 2004.
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II. Experimente
Unabhängig von den Vorgängen in und um Falkenhagen sowie den verbrecherischen Machenschaften der SS ging die Suche nach Einsatzmöglichkeiten für den N-Stoff weiter. Auch die Luftwaffe befasste sich jetzt mit diesem Thema. Ihr Interesse galt der Frage, ob mittels Brandgeschossen höhere Abschusserfolge erzielt werden könnten. Dafür sollte N-Stoff Verwendung finden – im Grunde eine Neuauflage jener Idee, die bereits 1942/43 den Streit zwischen SS und HWA auslöste (vgl. oben, S. 306). Bei der „Technischen Luftrüstung, Amtsgruppe für FlakEntwicklung und -Rüstung, E 6 (TLR FL-E6)“ wurden dazu „lange und ausführliche Versuche“ gemacht. Über deren Ergebnisse berichtete Dr. Schilling am 15. Januar 1945 in Lindau/Harz bei einer Beratung mit Dr. Doelter vom Planungsamt des RFR. Man sei auf Grund dieser Forschungen „zur Ansicht gekommen, daß der N-Stoff im heutigen Zustand noch nicht verwendungsreif sei. 1. könne er in seiner Wirkung noch nicht beherrscht werden, 2. das noch nicht gelöste Problem der Feinverteilung des N-Stoffes beim Einschuss, 3. Schwierigkeiten und Gefahren in der Lagerung und bei der Herstellung“.
Dr. Schilling referierte gleichzeitig über ernste Schwierigkeiten bei der Entwicklung von Gefechtsköpfen 240/6 b bei Rheinmetall Borsig für die Rakete R 100 B S. Hier sei eine Krise eingetreten, da es über „die notwendigen wissenschaftlichen Grundlagen, die die Zündung von geschützten Treibstoffbehältern hervorrufen“, sehr verschiedene Ansichten gäbe. Deshalb schlug er für die 1. Februarhälfte 1945 eine Sitzung vor, zu der Vertreter der Industrie und verschiedener Wehrmachtsteile gelangen werden sollten. Die Forschung sollte vertreten sein durch „Prof. Thyssen, Prof. Güntner [gemeint ist möglicherweise Prof. Günther, G. N.] und Dr. Glupe, WaF“.777 In Vorbereitung dieser Beratung hatte Dr. Badstein, ebenfalls vom Planungsamt des RFR, bereits Ende Dezember 1944/Anfang Januar 1945 entsprechende Unterredungen mit Dr. Thomer (TAL Gatow), Prof. Günther (Universität Berlin), Glupe, Vertretern der Luftwaffe und der Industrie geführt. Er bekräftigte ebenfalls, dass man alle Beteiligte an einen Tisch bringen sollte, um einen „Austausch der gegenseitigen Erfahrungen und Arbeiten auf dem Gebiet … der Wirksamkeit der verschiedenen Brandsätze“ zu erzielen“.778 Die anvisierte Debatte zur „Brandsatz-Entwicklung“ fand am 17. Februar 1945 statt. Eingeladen waren Vertreter der Luftwaffe und der Sprengstoffindustrie (DWM Lübeck und Dynamit AG). Die Forschung wurde repräsentiert durch Glupe, Günther, Thiessen und Schardin, Wa Prüf 11 durch Zeyss. Seitens der SS nahmen Schwab und ein „Professor Specht, Amt VIII, FEP“ teil. Schwab interessierte – nach eigenen Angaben – die „Brandsatz-Entwicklung“ vor allem deshalb, weil ihm angeblich von Hitler ein Auftrag erteilt worden sei, einen Weg zu finden, die an der Front „wie an einer Perlenschnur aufgezogenen“ feindlichen Fesselballons wirksam zu bekämpfen. In der Diskussion äußerte sich Günther zur Verwendung von N-Stoff. Er hielt den Vorschlag von Doelter, „N-Stoff in einer als Doppelbo777 Aktennotiz Schillings zum Gefechtskopf 240/6 b vom 19. Januar 1945, BAB, R 26 III/53, Bl. 84 f. 778 Aktenvermerk Badsteins vom 10. Januar 1945 für Osenberg Einschaltung des Planungsamtes bei der Entwicklung von Brandsätzen, BAB, R 26 III/52, Bl. 348.
15. N-Stoff und Seewerk Falkenhagen
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den ausgebildeten Einlage der Panzerfaust zum Zwecke einer verbesserten Brandwirkung“, zwar für möglich, bezweifelte jedoch, dass dadurch „sichere Einschußbrände hervorgerufen“ werden. Diese Problematik müsste stärker von der Forschung untersucht werden. Zusammen mit der Industrie, die über „bessere experimentelle Möglichkeiten verfügt“, sollten zu diesem Zweck sowohl physikalisch-chemische als auch kristallographische Untersuchungen erfolgen. Ihre Koordinierung erfordere die Einschaltung des Planungsamtes des RFR.779 Ob im Ergebnis dieser Zusammenkunft neue Forschungserfolge zum N-Stoff und seine waffentechnische Nutzung erreicht wurden, geht aus den eingesehenen Unterlagen des RFR nicht hervor. Angesichts der schon ausweglos gewordenen Kriegslage kann dies jedoch zu Recht bezweifelt werden. Prof. Peter Adolf Thiessen wurde schon mehrfach genannt. Es lohnt sich, an dieser Stelle noch einige seiner Aktivitäten im Zusammenhang mit Falkenhagen zu beleuchten. Das Bild von der engen, wenn auch sehr widersprüchlichen Verflechtung von HWA, KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie, IG-Farben und SS lässt sich damit noch schärfer zeichnen. Der Chemiker war 1933 Abteilungsleiter am KWI in Berlin-Dahlem geworden. Zwei Jahre später trat er dort die Nachfolge des als „Vater des Gaskrieges“ bekannt gewordenen Prof. Dr. Fritz Haber (1898–1934) an. Es war der ausdrückliche Wunsch des Reichswehrministeriums diese Stelle mit Thiessen zu besetzen.780 Anfang Juni 1933 gab er vor dem Kuratorium des KWI eine Erklärung ab, wonach sich das Institut vordringlich mit den Aufgaben befassen werde, die von den Militärs gestellt würden. Hauptsache sei die Kolloidforschung*. Der damalige Chef des HWA, General Liese, bestätigte und bekräftigte Thiessens Orientierung. Das Kriegsministerium lege deshalb auch großen Wert auf die Zusammenarbeit mit ihm und werde „enge Verbindung“ halten.781 Der Aufstieg Thiessens vollzog sich schnell. Ab 1937 gehörte er als Fachspartenleiter Chemie dem RFR an. In den letzten Kriegsjahren galt er durch seine führende Stellung im „Chemie-Stab“ sowie seine Ernennung zum „Entwicklungskommissar“ des Ministers Speer als einer der „mächtigsten Männer der Chemie“. Ihm war jetzt der Stand der chemischen Forschung im NS-Staat, besonders zu den militärischen Kampf-Stoffen bestens bekannt, sein KWI war daran maßgeblich beteiligt.782 Beispielhaft kann dafür die Tätigkeit seines Mitarbeiters Prof. Dr. August Winkel (*1902) genannt werden, der oben bereits als „ausgesprochener Kampfstoff-Chemiker“ charakterisiert wurde. Seit 1930 gehörte er der SS an. Thiessen selbst sorgte dafür, dass die Anträge Winkels auf Sachbeihilfen für die 779 BAB, R 26 III/52, Bl. 314. 780 Geißler: Biologische Waffen, 521. 781 Erklärung Thiessens am 3. Juni 1935 vor dem Kuratorium des KWI, AMPG, I. Abt. KWG, Rep. 1A Generalverwaltung, Nr. 188. Vgl. auch: Im Frieden der Menschheit, im Krieg dem Vaterland – 75 Jahre Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft. Bemerkungen zur Geschichte und Gegenwart, Berlin 1986, 44; Tätigkeitsbericht der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (April 1935–Ende September 1935), in: Die Naturwissenschaften 24 (1936), 21. 782 Eibl: Thiessen, insb. 150–154.
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II. Experimente
von ihm geleitete Arbeitsgruppe, die im „direkten Auftrag des OKH eine Reihe von Untersuchungen durchführt, die ihrer Natur nach streng geheim“ sind, sofort positiv beschieden wurden (vgl. Kapitel 19, Abschnitt Kampfstoffe).783 Mit Beginn des Krieges gewann das Institut Thiessens beträchtlich an Wert. Jetzt unterstanden deren „Rüstungsarbeiten“ dem HWA (WaF und Wa Prüf 9) sowie dem von Oberst Geist geführten Amt für Technische Entwicklung des Speerministeriums. „Die Arbeiten wurden im Laufe des Krieges mit den Aufgaben des RFR koordiniert. Die Finanzierung all dieser Arbeiten erfolgte über das HWA und den RFR.“ Die genannten Dienststellen sorgten Mitte 1943 auch für eine Teilverlagerung des KWI ins Kampfstoffwerk Falkenhagen. Die Unterbringung erfolgte zuerst unterirdisch, kurz danach in zwei Baracken auf dem Werksgelände.784 Dabei kam man, ebenso wie insgesamt in Falkenhagen, nicht ohne KZ-Häftlinge aus. Dafür verwandte sich „SS-Brigadeführer Prof. Dr. Mentzel, [der] durch fernmündliche Rücksprache mit SS-Sturmbannführer … erreicht[e], dass diese 4 Mann der Wachmannschaft noch weiter … zur Verfügung gestellt bleiben“.785 Thiessen reiste häufig nach Falkenhagen, sowohl wegen der N-Stoff-Produktion und dem Bau der Sarin-Anlage, als auch wegen der Teilverlagerung seines KWI. Ebenso hielten sich Gerlach und Eschenbach einige Male dienstlich in Falkenhagen auf.786 Bereits 1937 hatte Thiessen nahe bei Petersdorf (etliche Kilometer südlich von Falkenhagen) eine Gutsjagd gepachtet. An den Wochenenden holte er seine Familie in den Ort. Die Abgeschiedenheit des stillen Petersdorf nutzte Thiessen im Sommer 1943, um sich mit Gerlach, Graue und Geist zu einem „konspirativen Treffen“ zusammenzufinden (näheres dazu im Kapitel 20). Spätestens im Januar 1945, als schon der Kanonendonner von den beginnenden Oderschlachten bis nach Falkenhagen hallte, musste auch im Seewerk langsam klar werden: Der Krieg ist entschieden. Die sich überstürzenden Befehle und strikten Weisungen, dass keine Kampf-Stoffe und entsprechende Munition in Feindeshand fallen dürfen, unterstrichen dies zur Genüge. Zudem kamen ab Anfang Februar 1945 Evakuierungsmaßnahmen in Gang.787 „Auf Weisung des OKH und im Einvernehmen mit dem Technischen Amt im Führungshauptamt der SS [wurden] am 10. Februar 1945 60 Waggons mit Spezialapparaten sowie 5 leere Kesselwagen nach Stulln (Bayern) abgefahren.“ 783 BAB, R 26 III/438 a (Zuwendungen für „Aerosol IV“), R 26, III/228, Bl. 4, 5 und 8 (Beihilfen), BDC zu Winkel; BDC Ahnenerbe zu Boseck, Bl. 93. Vgl. auch Deichmann: Flüchten, 233. Zusammen mit Gerhard Jander (damals kommissarischer Leiter des KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie in Dahlem), verfasste Winkel (damals Assistent am KWI) die Schrift: Schwebstoffe in Gasen. Aerosole – über die Darstellung, die Eigenschaften, das Vorkommen und die Verwendung von Nebel, Staub und Rauch, Stuttgart 1934. 784 Erklärung Dr. Georg Graues vom 18. Juli 1951, AMPG, I. Abt, Rep. 1A, Nr. 1188; Unterlagen der KWI Verlagerung nach Falkenhagen und Umgebung, AMPG, I. Abt., Rep. 1A, Nr. 379, 380. 785 Schreiben vom 10. Mai 1944 an Pohl: Wachmannschaften beim Bauvorhaben Falkenhagen, BAB, R 26 III/214. 786 Fahrbefehle für Thiessen, unterzeichnet von Mentzel, BAB, R 26 III/214. Vgl. auch Eibl: Thiessen, 157; Tagebuch Gerlachs, DM, NL Gerlach. 787 Vgl. u. a. Brauch, Müller: Chemische Kriegsführung (wie Anm. 765), Dokument 55 (195).
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Ein zweiter Zug sollte Betriebseinrichtungen der N-Stoff-Anlage an eine nicht näher bezeichnete Ausweichstelle bringen. Angeblich traf der für Stulln bestimmte Transport dort erst im April ein.788 Stulln in der Oberpfalz war nicht zufällig das Ziel der Frachten aus Falkenhagen. Die dortigen Flussspatgruben lieferten nämlich den Grundstoff für die N-Stoff-Produktion. Einige dieser Gruben hatte deshalb 1940 das OKH erworben.789 Rechtzeitig verbracht wurde auch der größte Teil des in Falkenhagen befindlichen Inventars aus dem KWI. Obwohl sich Thiessen dagegen sträubte, gelang es Graue, der sich zu diesem Zweck einen Befehl von Speer beschafft hatte, alles „mit Hilfe von Oberst Geist und Dr. Schaar“ nach Osterburg zu transportieren. So konnten „erhebliche Sachwerte“ gerettet werden.790 Was die sowjetischen Truppen bei der Einnahme von Falkenhagen tatsächlich noch vorfanden, kann mangels fehlender bzw. noch nicht zugänglicher Dokumente in russischen Archiven nicht beantwortet werden. Hingegen ist weitgehend geklärt, wie sich Thiessen in Berlin, Ende April, mitsamt dem noch vorhandenen Personal, Apparaten, Ausrüstungen des KWI usw., bereitwillig den eintreffenden sowjetischen Spezialkommandos stellte. Am 30. Mai 1945 übergab er einem Major Swetkoff einen „Bericht über Arbeiten auf dem Gebiet der chemischen Kampfstoffe am Kaiser-Wilhelm-Institut, Institut für physikalische Chemie seit 1934“, dazu eine „Zusammenstellung kriegswichtiger Arbeiten aus dem KaiserWilhelm-Institut für physikalische Chemie“. Der Inhalt dieser Dokumente ist nicht überliefert (vgl. Kapitel 20).791 16. BIOLOGISCHE WAFFEN Die Frage, ob WaF sich auch mit biologischen Waffen befasste, spielte in historischen Untersuchungen lange Zeit keine ernsthafte Rolle. Dabei gab es bereits während des Nürnberger Prozesses einige, wenn auch nicht allzu konkrete Fakten, die darauf hindeuteten. Am 26. August 1946 sagte der von sowjetischer Seite als Zeuge vorgeführte Generalarzt Prof. Dr. Walter Schreiber – bis 1945 Chef der Abteilung Wissenschaft, Gesundheitsführung der Heeres-Sanitätsinspektion - S In/Wi G – aus, es habe im Juli 1943 eine Besprechung beim OKW gegeben. Bei dieser Zusammenkunft sei es zur Gründung einer Arbeitsgemeinschaft „Biologischer Krieg“ gekommen. Zu deren Mitgliedern habe u. a. „Ministerialdirektor Prof. Schuhmann von der Abteilung Wissenschaft des Heereswaffenamtes, Abteilung Waffen- und Prüfwesen“
788 Das Dokument (angebliche Quelle: BAB, R 25/193) ist wiedergegeben bei Hofmann: Objekt „Seewerk", 57. Dirk-Adolf Finkemeier gibt in seinem Internet-Eintrag (ohne konkrete Belege) an, dass Teile der Falkenhagener Anlagen im Februar 1945 nach Leese, Kreis Nienburg, gebracht worden sein sollen. 789 Hofmann: Objekt „Seewerk“, 29. 790 Schreiben Graues vom 20. Juli 1951 an Schröter, AMPG, 1. Abt., Rep. 1A, Nr. 1188. 791 Eibl: Thiessen, 196–199, 204, Anm. 99.
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II. Experimente
gehört. Neben anderen Details erwähnte Schreiber noch ein „schleunigst in Posen zu errichtendes Institut … bei dem dann Ministerialrat Schuhmann tätig“ war.792 Zwei Tage später, in der Vormittagssitzung des 28. August 1946, verlas Dr. Laternser, Verteidiger der OKH, Auszüge aus einem Brief des Generals Warlimont. Darin schrieb Warlimont von einer Begegnung Anfang August 1946 „im Generallager Dauchau“ mit dem ehemaligen Oberst im Generalstab des Heeres, Bürker. Dieser habe im Herbst 1943 eine Unterredung mit drei Unbekannten absolviert, von denen „einer vermutlich einer Forschungsstelle des Heereswaffenamtes angehörte“. Die Besucher sollen Bürker gedrängt haben, bei Keitel vorstellig zu werden, um die Forschungen zur „Abwehr eines etwa von feindlicher Seite unternommen Bakterienkrieges“ zu forcieren. Keitel habe dieses Ansinnen scharf zurückgewiesen. Das Thema kam im Verlauf des Nürnberger Ärzteprozesses erneut zur Sprache, z. T. sogar recht ausführlich und mit detaillierten Angaben zur Rolle Schumanns und seiner Abteilung Wissenschaft im OKW.793 Auch danach fehlte es nicht an Hinweisen zu „biologischen Waffen“ – so im Zuge der Entnazifizierung. Gegen Mentzel kam es zu einem entsprechenden Verfahren vor dem Spruchgericht Bielefeld. Der uns schon reichlich bekannte einstige SD-Mitarbeiter Dr. Fischer schickte diesem Gericht am 12. Mai 1949 eine, Stellungnahme, die sich vor allem mit Schumanns Aktivitäten während der NS-Zeit beschäftigte. Schumann – behauptete Fischer in seinem Schriftstück – habe damals u. a. Pläne verfolgt, „der Reichsbeauftragte für die biologische Kriegführung zu werden … Die damit verbundenen Institute entstanden in Posen … auch Mentzel war häufig Gast in Posen in den letzten Kriegsjahren“.794 Der frühere, zeitweilige Vorgesetzte Schumanns, General der Artillerie a. D. Dr. Kurt Waeger, von 1937 bis 1941 Stabschef im HWA, legte dem Spruchgericht Bielefeld wenige Tage danach eine eidesstattliche Erklärung vor. Sie war vor allem als Entlastung für Schumann gedacht. Zur strittigen Frage biologische Kriegführung betonte Waeger, 1943 habe man begonnen, den Schutz gegen die Verbreitung von Schädlingen wie Kartoffelkäfer oder Rübenaaskäfer, die häufig auftretende Maul- und Klauenseuche sowie gegen die Gefahr von Milzbrand zu organisieren: „Die botanischen Angelegenheiten [wurden] der sich mit naturwissenschaftlichen Fragen befassenden Abteilung des Prof. Schumann übertragen. Schumann hatte also mit den Mensch und Tier angehenden Maßnahmen auf dem Bakteriengebiet nicht das Geringste zu tun“.795
792 Aussage Schreibers in: Der Prozess vor dem Internationalen Militärgerichtshof. Nürnberg 14. November 1945–1. Oktober 1946. Amtlicher Text Verhandlungsniederschriften, 23 Bde., Nürnberg 1947, ND München/Zürich 1984 (nachfolgend abgekürzt Dokumente IMT), Bd. 21, 603–610, insb. 605, 607. Der Auftritt Schreibers in Nürnberg und seine Glaubwürdigkeit sind nicht unumstritten, einige seiner Aussagen in wichtigen Passagen sogar falsch. Insbesondere Geißler hat sich damit ausführlich auseinandergesetzt: Biologische Waffen, 16 f und an anderen Stellen; vgl. auch Geißler: Anthrax. 793 Dokumente IMT, Bd. 22, 106 f.; Dörner et al.: Ärzteprozess. 794 Spruchverfahren gegen Mentzel, BAK, Z 42 IV/4059, Bl. 232. 795 Ebd., Bl. 147.
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Bei den (damals noch) Alliierten bestand zu diesem Zeitpunkt, und zwar auf beiden Seiten, nicht das geringste Interesse, diese Hinweise offiziell zu untersuchen oder gar publik zu machen. Die USA wussten durch ihre Geheimdienstmission „Alsos“ schon ziemlich gut Bescheid. „Alsos“ hatte diverse Dokumente erbeutet, die umfassende Einblicke in die deutschen Arbeiten zu „biologischen Waffen“ gaben. Auch wenn zu den einschlägigen sowjetischen Aufklärungsmaßnahmen bisher keine Archivalien freigegeben sind, so geht man doch nicht fehl in der Annahme, dass die zuständigen Stellen den Angaben Schreibers genauestens nachspürten. Sowohl die westlichen Alliierten als auch die Sowjetunion beschäftigten sich intensiv mit dieser Thematik.796 Erst nachdem britische und amerikanische Archive die durch Alsos und andere Missionen beschafften NS-Dokumente weitgehend freigegeben hatten, konnten neuere wissenschaftshistorische Untersuchungen mit teilweise verblüffenden Ergebnissen aufwarten, so durch Hansen (1993) und Ute Deichmann (2001), vor allem jedoch vorgelegt von Geißler (1999).797 Ausgehend von diesen Publikationen und von weiteren, inzwischen vom Autor in verschiedenen Archivbeständen aufgefundenen Dokumenten, ist es nun möglich die Rollen von WaF sowie der Abteilung Wissenschaft im OKW in Sachen biologischer Waffen genauer zu beschreiben. Anfang der fünfziger Jahre erhielt Generalleutnant a. D. Erich Schneider, einst Chef der Amtsgruppe Wa Prüf des HWA, Post von einem Dr. Gerhard Ehrke (*1908). Der gelernte Biologe hatte zuerst an der TH Berlin und anschließend an der Universität Berlin studiert. 1930 promovierte er an der Universität Berlin mit dem Thema „Über die Wirkung der Temperatur und des Lichtes auf die Atmung und Assimilation einiger Meeres- und Süßwasseralgen“. Es folgte eine mehrjährige Tätigkeit als Hochschulassistent an der TH Berlin und von 1932 bis 1939 bei der Biologischen Reichsanstalt. Hier befasste er sich mit dem „Studium der landwirtschaftlichen Chemie des Pflanzentums und der Phytopathologie“ [Pflanzenkrankheiten, G. N.]. Mit diesen knappen einleitenden Lebensdaten stellte sich Ehrke bei Schneider vor und verwies anschließend darauf, dass er von „1938 bis 1940 Leiter einer wissenschaftlichen Dienststelle des Oberkommandos der Wehrmacht als Chemiker und Biologe im WaF des Heereswaffenamtes“ war. In dem kurzen Lebenslauf Ehrkes sind einige Tatsachen höchst bemerkenswert. Da ist erstens die Aussage, dass er 1938 (!) von Schumann und Eschenbach 796 Vgl. u. a. Koch, Wech: Deckname Artischocke; Ken Alibek, Stephan Handelmann: Direktorium 15. Russlands Geheimpläne für den biologischen Krieg, München/Düsseldorf 1999. Bei Deichmann: Biologen, 251, findet sich der Hinweis, dass eventuell einige Dokumente zu Biologischen Waffen in Posen Beute sowjetischer Kommandos wurden. 797 Deichmann: Biologen; Dies.: Kriegsbezogene biologische, biochemische und chemische Forschungen an den Kaiser-Wilhelm-Instituten für Züchtungsforschung, für Physikalische Chemie und Elektrochemie und für medizinische Forschungen, in: Kaufmann (Hg.): Geschichte Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Bd. 1, 231–257; Geißler, Biologische Waffen; Hansen: Biologische Kriegsführung. Der Vermerk Fischers von 1988, wonach sich Schumann „zum Bevollmächtigten für bakteriologische, allgemeiner für biologische Kriegführung aufschwingen wollte und für diese Tätigkeit Warburgs KWI in Anspruch [zu] nehmen“ gedachte, konnte nicht geklärt werden (Fischer: Hitlers Apparat, 183).
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beauftragt wurde, ein chemisch-biologisches Laboratorium aufzubauen. Daraus darf man mit einiger Berechtigung den Schluss ziehen, dass WaF bereits vor Kriegsbeginn mit Untersuchungen zu biologischen Waffen begonnen hatte. Die Frage, warum in keinem anderen Dokument zur Forschung an Biologischen Waffen dieses Kummersdorfer Labor auftaucht, lässt sich u. U. mit der von Schumann oft gespielten Karte erklären, auch übergeordnete Stellen über bestimmte Vorgänge in seinem Bereich im Unklaren zu lassen. Zweitens nannte Ehrke erstmals den Ort des aufzubauenden Labors: Die Vers. Ost in Kummersdorf. Als militärische Vorgesetzte erwähnt er Oberst Kamenicky und Major Schmidt (vgl. Kapitel 2). Drittens vermerkte Ehrke seine vorübergehende Abkommandierung „zur 2. Innermed. Klinik nach Wien (Prof. Eppinger) zwecks Gemeinschaftsarbeit chemischphysiologischer Kampfstoffmittel, dazu Einsatz von Bakterien, Kartoffelkäfer etc.“ Auch der Name Eppinger ist eine vom Briefschreiber neu gelegte Spur, die noch für einige Überraschungen gut sein wird.798 Die Karriere des Leutnants der Reserve Ehrke bei WaF währte nicht lange. Wegen eines außerehelichen Verhältnisses mit der Ehefrau eines Kameraden kam es zu schweren Beleidigungen und sogar tätlichen Auseinsandersetzungen. Das führte zu seinem sofortigen Ausschluss aus der NSDAP, verbunden mit der fristlosen Entlassung aus dem Offizierskorps. „Gleichzeitig wurde Pg. Ehrke auf Grund dieser Entscheidung aus seiner Stellung als Chemiker und Biologe bei der Forschungsabteilung des Oberkommandos des Heeres fristlos entlassen“.799 Zum Nachfolger Ehrkes in Vers. Ost konnten bisher keine Belege gefunden werden. Vielleicht hat es einen solchen überhaupt nicht gegeben. Schumann versicherte sich nämlich der Zusammenarbeit mehrerer Experten. Einer von ihnen war der schon genannte Prof. Dr. Hans Eppinger (1879–1946) aus Wien, der als einer „der Begründer der neuzeitlichen Pathophysiologie“ gilt. Er wirkte seit 1939 in Wien. „Schwerpunkte seiner Arbeiten bildeten die Kreislaufpathologie … die Milzpathologie und besonders die Leberpathologie“.800 Eppinger bemühte sich 1938 bei der KWG um die Bereitstellung finanzieller Mittel zum Zwecke der Stoffwechselforschung – übrigens mit Erfolg – und ab 1940 um die Gründung eines KWI in Berlin. Während letztere Absicht von Mentzel befürwortet wurde, lehnte die KWG eine solche Neugründung ab, gab aber bereitwillig Unterstützung. Wann und wie WaF mit Eppinger in Kontakt trat, konnte nicht ermittelt werden. Ende 1941 bedankte sich Eppinger bei Dr. Telschow, Generalsekretär der 798 Lebenslauf G. Ehrkes im Nachlass Schneider, BA-MA, NL 625/38. 799 BAB, BDC Ehrke, PK 1010, C 21, Nr. 2421; Promotionsverfahren Ehrke, AHUB. Ehrke fand 1940 eine neue Stelle als Betriebsleiter bei der IG Farben, Hydrierwerk Pöhlitz, wo er für „eine 300 atü Hochdruckanlage zur Herstellung kohleverflüssigten Hochleistungstreibstoffes zuständig war“. Ein Angebot sowjetischer Stellen (1945, „Verhandlungspartner Oberst Jaschow und Major Okuniew“) zur „Zusammenarbeit“ lehnte E. nach eigenen Angaben ab. Lebenslauf Ehrkes, BA-MA, NL Schneider, ebd. 800 NDB, Bd 4, 551; DBE, Bd. 3, 133. Vgl. auch Erwin Deutsch: Prof. Hans Eppinger zum Gedenken, in: Wiener Klinische Wochenschrift 78 (1966) Heft 41/42, 674 f., dort auch Abbildung; Eduard Seiler: Die medizinische Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i. Br. 1991, 268–270, 288 f.
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KWG, für „all die Mühe und das Interesse“, das der Schaffung eines KWI in Wien entgegengebracht wurde. Er verwies zugleich auf die Zusammenarbeit mit WaF, Prof. Eschenbach, und bat darum, bei ihm vorstellig zu werden – wegen der Freigabe eines Dr. Schmidt. Dieser sei mit „noch zwei weiteren Herren für die Zwecke des O. K. H. hier angestellt“. Eschenbach wurde prompt von Telschow in diesem Sinne unterrichtet.801 Der Wiener Professor war im Wissenschaftsbetrieb während der NS-Zeit keineswegs ein unbedeutender Mann. Sein Name findet sich z. B. auf einer Einladungsliste von 1942 für eine Beratung prominenter und hochrangiger Funktionäre mit Reichsmarschall Göring, die im Zusammenhang mit der Neugründung des RFR stand.802 Im Mai 1944 geriet Eppinger in Beziehung zu den Menschenversuchen der Wehrmacht im KZ Dachau. Er gehörte einer Kommission an, die Versuchsreihen für Experimente mit Meerwasser vorbereitete. Den Auftrag dafür hatten das OKW bzw. die Luftwaffe erteilt. Im September 1944 wurde Eppinger erneut nach Dachau beordert, um zu beurteilen, welche Wirkung ein neues, auszuprobierendes und gleichzeitig geheim zu haltendes Verfahren hatte. Dabei wurde Meerwasser mit metallischem Silber versetzt, wodurch es trinkbar werden sollte. Mehrere Versuchspersonen mussten es unter ärztlicher Aufsicht zu sich nehmen. Der Professor konnte konstatieren, „dass sich das neue Verfahren sicher bewährte“. In diesem Sinne berichtete er auch nach Berlin.803 Ungeachtet der Verstrickung Eppingers in die Meerwasserversuche an Menschen und seiner Kontakte zu anderen Bereichen des OKW bzw. der Luftwaffe arbeitete WaF weiter mit ihm zusammen. In einem Bericht von Anfang 1944 heißt es u. a.: „Für Professor Eppinger, Direktor der Medizinischen Universitäts-Klinik Wien, wurden vom Heereswaffenamt ein Stufenphotometer und ein Interferometer[*] zur Durchführung wissenschaftlicher Arbeiten beschafft“.804
Ein weiterer Gelehrter, den Schumann einbezog, war der Rostocker Prof. Dr. Kurt Poppe (1880–1960), ein renommierter Mikrobiologe. Er hatte im Ersten Weltkrieg als Leiter eine Blutuntersuchungsstelle große Erfahrungen sammeln können, die ihm für seine Doktorarbeit (München 1922) zur „Serumdiagnose des Rotzes“ sehr dienlich waren. Seine zahlreichen Arbeiten zu ansteckenden Tierkrankheiten 801 Eppinger am 19. Dezember 1941 an Telschow, Telschow am 12. Januar 1942 an Eschenbach, AMPG, I. Abt. KWG, Rep. 1A Generalverwaltung, Nr. 2947/6. In den Unterlagen des UA Wien konnten zu diesen Vorgängen sowie zu „Dr. Schmidt“ keine Hinweise gefunden werden. 802 AMPG, 1. Abt., Rep. 1A, Nr. 203. 803 Eidesstattliche Erklärung Prof. Eppingers vom 10. August 1946, IfZ, Nürnberger Dokument NO 522, Bl. 1–3. Am 25. September 1926 nahm sich E. in Wien das Leben. Sein Mitarbeiter Prof. Wilhelm Beiglböck, Stabsarzt, wurde am 20. August 1947 in Nürnberg wegen der Teilnahme an den Menschenversuchen zu 15 Jahren Haft verurteilt. Vgl. Alexander Mitscherlich, Fred Mielke (Hg.): Medizin ohne Menschlichkeit – Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses, Frankfurt/M. 1991, 76–89. 804 Bericht Prof. Schreibers, Leiters der AG Seuchenforschung im RFR, vom 2. Februar 1944, BAB, R 26 III/206 a. Geißler teilte zu dieser Information mit, dass derartige Geräte „für mikrobiologische und andere Routineuntersuchungen“ dienen. „Es sind aber ‚dual-use‘-Geräte, also solche, die so oder so eingesetzt werden können.“ Schreiben Geißlers vom 3. Juni 2004.
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wie z. B. Brucellose, Tularämie oder Rotz, der vor allem Pferde befällt, und ihre Übertragung auf den Menschen, waren in der Fachwelt gut bekannt. Ab 1936 nahm Poppe an mehreren internationalen Kongressen für Pathologie teil. Bei dem Kongress 1939 in Rom war auch Eppinger anwesend. Ob dies ein Zufall war oder gewollt, sei dahingestellt. Im Juli 1939 offerierte Poppe seiner Universität Rostock den Vorschlag zur Schaffung eines „Instituts für experimentelle und vergleichende Pathologie“. Die Geldmittel sollten vom Reichsministerium des Inneren und der Deutschen Forschungsgemeinschaft kommen. In Wirklichkeit hatte dieses Institut „kriegswichtige Forschungsaufgaben durchzuführen, die unter den Führerbefehl betreffs Geheimhaltung fallen“ – so jedenfalls heißt es in einem Bericht des Mecklenburgischen Staatsministeriums, Abt. Wissenschaft vom 1. April 1942, der zur Beantragung von Haushaltsmitteln vorgelegt wurde. Das Schreiben bedauert, keine näheren Angaben über Art und Zweck der Forschung machen zu können. Vermerkt ist jedoch: „Prof. Poppe bearbeitet seit einiger Zeit im Auftrag des OKW dieses Gebiet und erhielt von Seiten des OKW, Abteilung Wissenschaft, besondere Mittel“. Alljährlich stelle das OKW Prof. Poppe etwa 20.000 RM zur Verfügung. Zusätzlich sei „in Bulgarien ein eigenes Institut mit öffentlichen Mitteln errichtet“ worden. Als Forschungsgegenstände, mit denen sich Poppe in Rostock auseinandersetze, nennt der Bericht „tierische und pflanzliche Mikroorganismen, Virus, biologische Gifte“. Abschließend heißt es: „Die Forschungsaufgaben werden sich erstrecken auf die Grundlagen- wie auf die Zweckforschung mit besonderer Berücksichtigung der Mikroorganismen in der Kriegswirtschaft“.805
Schumann und seine Mitarbeiter gaben sich jede erdenkliche Mühe, die Einbeziehung des Rostocker Wissenschaftlers gut zu verschleiern. Im Mai 1941 suchten z. B. Eschenbach und Poppe, im Auftrag Schumanns, einen Mitarbeiter Mentzels im RFR auf, um Einzelheiten einer Reise nach Bulgarien zu besprechen. Dort sollten sie „einen Stoff holen, der anderweitig nicht zu beschaffen ist“. Da der „Auftrag ein militärischer ist“, sollte nicht WaF, sondern der RFR als Auftraggeber in Erscheinung treten. Eschenbach wurde als Angehöriger der Universität Berlin getarnt, die Reise als „Erfahrungsaustausch“ deklariert. Mentzel wies zusätzlich an, von der Einholung einer Reisegenehmigung bei seinem Ministerium abzusehen.806 Man geht kaum fehl mit der Annahme, dass das Ziel dieser geheimnisvollen „Stoff“-Beschaffung die Mikrobiologische Forschungsstelle auf der Insel Thassos in der Ägäis war. Sie gehörte damals zu Bulgarien. An der Forschungseinrichtung hatte das HWA großes Interesse – so die übereinstimmende Meinung von Heim und Hachtmann. Telschow notierte Anfang 1942, Vertragspartner von deutscher Seite solle die KWG sein: „Da die Wehrmacht nicht genannt werden wollte, trat
805 BAB, BDC, DS 8000 A 52, 2641, Bl. 6829–6831. 806 Aktenvermerk Zimmermanns vom 23. Mai 1941, BAB, R 26 III/716.
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die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft an ihre Stelle.“ Auch den Bulgaren sollte der „eigentliche Zweck der Arbeit … nicht bekannt“ werden.807 Mit der Gründung eines von Poppe geleiteten mikrobiologischen Instituts in Bulgarien scheint es nichts geworden zu sein. In diesem Sinne äußerte sich Ende Oktober 1943 ein Mitarbeiter der KWG. Er betonte aber, dass nach Wissen der KWG „Professor Poppe Aufgaben im Auftrag von Mdgt. Prof. Schumann (OKW/OKH) durchführt“.808 Die Geheimhaltung von Poppes Arbeiten für WaF bzw. OKW W Wiss funktionierte ansonsten perfekt, teilweise sogar bis heute. In den Rostocker Personalunterlagen des Prof. Poppe gibt es keinen einzigen Hinweis auf eine Verbindung zum HWA. Seine Reisen für das Militär brauchte Poppe als gleichzeitiger Direktor des „Landestierseuchenamts“ kaum zu begründen. Bei Fahrten nach Berlin berief er sich auf „dienstliche Besprechungen im Reichsministerium des Inneren“. Nach 1945 galt Poppe als politisch – bezogen auf die NS-Zeit – unbedenklich und blieb weiterhin Mitarbeiter der Universität Rostock, und zwar bis zu seiner Emeritierung 1956. Im Jahre 1955 wurde ihm sogar der Titel „Hervorragender Wissenschaftler“ zuerkannt. Als Tätigkeit zwischen 1932 und 1945 nannte Poppe in einem Lebenslauf nach 1945 „Forschungen zur Brucellose der Tiere und des Menschen (Bangsche Krankheiten). Untersuchungen über das Virus der Maul- und Klauenseuche. 1944: Leiter des Instituts für Mikrobiologie“.809 Ein weiterer Wissenschaftler, den sich Schumann ins Boot holte, war Prof. Dr. Hermann Eidmann (1897–1949). Der Zoologe erlangte vor allem durch seine über 200 Veröffentlichungen zur Entomologie (Insektenkunde), meist auf dem Gebiet der Forstentomologie, hohe Anerkennung. Sein „Lehrbuch der Entomologie“ (1941) wird bis heute von den Fachleuten geschätzt. Bereits 1924 führte ihn seine erste Forstauslandsreise nach Spanien, bis 1940 nahezu durch die halbe Welt. Außerdem verfügte er über reiche Erfahrungen zur „Flugzeugbestäubung gegen Forstschädlinge“, worüber er 1933 publizierte. 1942 hatte Eidmann, zusätzlich zur Leitung der Forstlichen Fakultät der Universität Göttingen, das Amt des Vorstandes der Abteilung Forstzoologie am Reichsinstitut für ausländische und koloniale Fortwirtschaft in Hamburg-Reinbek übernommen.810 Einen solchen Mann von Rang einzubeziehen, war durchaus gerechtfertigt. Er kannte sich aus mit Forstschädlingen und den von ihnen ausgehenden Gefahren. Am 5. April 1941 richtete WaF eine entsprechende Anfrage an das REM und erhielt die Ant807 Heim: Kalorien, 75; Telschow, zitiert bei Rüdiger Hachtmann: Eine Erfolgsgeschichte? Schlaglichter auf die Geschichte der Generalverwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im „Dritten Reich“ (= Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus, Ergebnisse, 19), 45 f. Die Reise Eschenbachs und Poppes wird von beiden Autoren nicht genannt. 808 Dr.-Ing. Forstmann am 28. Oktober 1943 an Dipl. Ing. Becker, AMPG, I. Abt., Rep. 1A, Nr. 203/2. 809 UA Rostock, PA Poppe, Bd. I (bis 1945), Bd. II (nach 1945). Unklar ist auch, wofür Poppe 1937 mit dem „Komturkreuz des Königlich-Griechischen Phönixordens“ ausgezeichnet wurde. Die Verleihung erfolgte durch den König von Griechenland. 810 Biographische Angaben zu Eidmann in: NDB, Bd. 4, 388; Gustav Wellenstein, Nachruf zu Eidmann, in: Allgemeine Forst- und Jagdzeitung 121 (1949/50), 92 f.
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wort, dass nichts gegen eine Einbeziehung des Forstzoologen spricht. Die geschah prompt und nicht ohne Erfolg. 1942 gehörte Eidmann – zusammen mit Dr. Bayer von der Abteilung Wissenschaft im OKW – der AG „Schädlingsbekämpfung“ an. Es war eine der 15 AG, die der Bevollmächtigte für die chemische Industrie, Krauch, ab 1940 zum Zwecke der Koordinierung der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten auf dem betreffenden Gebiet geschaffen hatte.811 Am 23/24. Oktober 1942 tagte in Wien die AG „Schädlingsbekämpfung“. Bayer und Eidmann waren ausdrücklich ausgewiesen als Angehörige des OKW. Die insgesamt 163 erschienenen Personen vertraten Wa Prüf 9 (Rittler, Schmidt, Wagner), die Heeressanitätsinspektion, die Biologische Reichsanstalt und Staatliche Pflanzenschutzämter, das Speer-Ministerium, einige KWI, die chemische Industrie sowie Wissenschaftler von Universitäten und Hochschulen, unter letzteren einige Forscher, die Aufträge von WaF oder W Wiss bearbeiteten. Das SS-„Ahnenerbe“ hatte May delegiert. Insgesamt wurden 11 Vorträge gehalten. Oberst v. Borstell referierte über „Schädlingsbekämpfung vom Flugzeug aus“.812 Durch den Reichsforstmeister und die forstliche Fakultät der Universität Göttingen wurde Eidmann am 31. Dezember 1942 für die Auszeichnung mit dem KVK II. Klasse vorgeschlagen. Die Begründung verwies auf seine Verdienste auf kriegswirtschaftlichem Gebiet, insbesondere für den Aufbau einer künftigen Kolonialwirtschaft, sowie für die Sicherung heimischer Wälder vor Schädlingen. Er sei auch „fortlaufend für kriegswichtige Forschungsaufgaben des Oberkommandos der Wehrmacht“ tätig, die allerdings dem höchsten Geheimhaltungsgrad unterlägen und daher nicht bekannt seien. Das KVK wurde Eidmann Ende 1943 überreicht. Im Januar 1945 erfolgte seine förmliche Abordnung zum OKW W Wiss 2.813 An Eidmann war auch die SS interessiert. 1942 versuchte Schäfer vom „Ahnenerbe“ – wegen seiner Forschungsreisen nach Tibet im Auftrag der SS auch bekannt als „Tibet-Schäfer“ – den Zoologen für sich zu gewinnen.814 In seiner Aussage vor dem Internationalen Militärtribunal in München sagte Schreiber aus, bei der Besprechung vom Juli 1943 sei auch „ein namhafter Zoologe, Botaniker“ dabei gewesen. Es spricht einiges für die Annahme, dass dies Eidmann war.815 Die ab 1940 einsetzende Entwicklung zu biologischen Waffen traf also Schumann und seine Mitarbeiter keineswegs überraschend. Bei WaF und OKW W Wiss hatte man sich unter strenger Geheimhaltung gut vorbereitet und günstige Ausgangspositionen geschaffen.816 Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Frankreich 811 Anfrage der WaF vom 5. April 1941 an das REM zu Eppinger, BAB, R 4901/12872. 812 Tagung der AG „Schädlingsbekämpfung“ am 23./24. Oktober 1942 in Wien, RWA (Hg.): Chemische Berichte (geheim), Dezember 1942. Vgl. auch Maier: Forschung als Waffe, 485. 813 Mitteilung des UA Göttingen vom 19. August 2005. 814 Kater: Das „Ahnenerbe“, 213 (Quellenangabe 414, Anm. 220). 815 Dokumente IMT (wie Anm. 792), 605. 816 Deichmann, Biologen, 239, kommt zu der Schlussfolgerung: „Bis 1940 scheint es in Deutschland keine ernsthafte Erwägung des Einsatzes biologischer Kriegsmittel und kaum Forschungen auf diesem Gebiet gegeben zu haben.“ Sie bezieht sich dabei auf eine Einschätzung des amerikanischen militärischen Geheimdienstes vom März 1946. Für die WaF bzw. die OKW W Wiss trifft diese Aussage allerdings nicht zu.
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(1940) und der anschließenden Besetzung dieses Landes entdeckten deutsche Truppen das Forschungsinstitut „Laboratoire de Prophylaxie“. Zur Untersuchung der dort aufgefundenen Dokumente wurde der Bakteriologe Kriegsarzt Prof. Dr. Heinrich Kliewe, ein ehemaliger Unterstellter Schreibers, abkommandiert. In seinem Bericht schlussfolgerte Kliewe, „dass die bakteriologische Waffe der Franzosen zur Unterstützung des von den Engländern gedachten Wirtschaftskrieges und der Aushungerung Deutschlands gedacht waren“. Wenige Monate später, im Januar 1941, erfolgte Kliewes Versetzung „zur Bearbeitung aller Fragen des B-Krieges“ an die Militärärztliche Akademie Berlin. Dort wurde ihm, der sich Jahre danach als Spezialist für „Entseuchung und Entwesung“ präsentierte, im Hygienisch-bakteriologischen Institut der Militärärztlichen Akademie eine eigene Abteilung eingerichtet.817 Ab Juni 1941 konnte Kliewe hier eigene, zunächst bescheidene Versuche zu verschiedenen Bakterien und ihrer möglichen Verbreitung durchführen. Dazu kamen eine weitere Reise nach Paris sowie die Bildung einer Arbeitsgruppe, der Generalstabsveterinär Prof. Richter, Oberstarzt Prof. Dr. Wirth, Dr. Riehm und Kliewe selbst angehörten. Außerdem erfolgten Konsultationen mit Dr. Stantien (Wa Prüf 9) zu „Ausbreitungsmöglichkeiten“ sowie mit Prof. Eschenbach (WaF). Dieser „empfahl, die Versuche bei Universitätsinstituten im Reich durchführen zu lassen“. All diese Aktivitäten führten im September 1941 zu einer Beratung beim Chef des HWA, General Leeb. Das Ergebnis war eine „Neuordnung der Verantwortungsbereiche für das B-Gebiet“. Sie sah wie folgt aus: Heeres-Sanitätsinspektion (S In): Humanbakteriologie, Abwehrmaßnahmen, Heeres-Veterinärinspektion (V In): Veterinärbakteriologie, Abwehrmaßnahmen, WaF bzw. OKW W Wiss: Pflanzenschädlinge, Forschungsvermittlung, Wa Prüf 9 (Leiter Oberst Hirsch): feldmäßige Ausbringung. Wenige Wochen danach zog man „zur beratenden Mitarbeit“ die Gasschutzabteilung des Reichsluftfahrtministeriums (RLM) hinzu. Die Forschungsabteilung des HWA sollte zusätzlich mit der Biologischen Reichsanstalt zusammenarbeiten.818 Schon im September 1941 registrierte Kliewe auffällige Bemühungen Schumanns, in Sachen Biologische Waffen die Federführung an sich zu reißen. Später verdichtete sich dieser Eindruck bei Kliewe und veranlasste ihn zu der Notiz: „Wenn andere Institute zur Erforschung der B-Mittel herangezogen werden, so wird Prof. Schumann als Leiter von W/Wiss und Verbindungsmann zur Wehrmacht sicher mit der Federführung und später auch mit der Gesamtfederführung auf dem B-Gebiet beauftragt werden. Dann hätte er erreicht, was er seit Jahren erstrebte.“819
817 Geißler: Anthrax, 121. 818 Geißler: Biologische Waffen, 316–318; Hansen: Biologische Kriegsführung, 91. In seinem „Bericht vom 28. 01. 1943 an Oberst Münch, OKW, Wehrmachtführungsstab zu B-Stoffen – eine kurze Zusammenfassung der Entwicklung seit 1940“ gibt Kliewe als Termin der Beratung bei Leeb den Oktober 1941 an, National Archives College Park, MD, RG 319, Box 3, Biologische Waffen 14, S. 24–27. Das Dokument wurde durch Prof. Geißler zugänglich gemacht. 819 Zitiert bei Geißler: Biologische Waffen, 390, vgl. auch 389.
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Nach einem Vortrag des „Herrn Chef OKW“ bei Hitler – Gegenstand waren Aussagen eines gefangen genommenen sowjetischen Offiziers zu Maßnahmen der Roten Armee bei einer bakteriologischen Kriegführung – informierte am 23. Mai 1942 der Generalstab des Heeres das Allgemeine Heeresamt/V In über eine Entscheidung des „Führers“. Der habe strikt befohlen, „dass unsererseits Vorbereitungen für einen Bakterienkrieg nicht zu treffen sind. Der Führer fordert aber äußerste Bemühungen um Abwehrmittel und Abwehrmaßnahmen gegen etwaige Feindangriffe mit Bakterien.“820
Seine Entscheidung bekräftigte der Diktator später noch mehrmals. Sie soll bis Kriegsende gegolten haben.821 Einzelheiten zum Führerentscheid legte am 21. September 1942 der Chef des OKW in einem Befehl „Abwehr der B-Mittel“ fest. Darin wurden u. a. die Zuständigkeiten abgegrenzt, die bereits vor einem Jahr in ihren Grundzügen vorgegeben worden waren: „1. Heeres-Sanitätsinspektion (S In): a) federführend für die Abwehr der gegen die Truppe eingesetzten B-Mittel, b) unter Beteiligung von W Wiss verantwortlich für die Zusammenarbeit der Wehrmacht mit dem Reichsministerium des Inneren in Bezug auf den Schutz der Volksgesundheit vor BMitteln. 2. Heeres-Veterinärinspektion (V In): a) federführend für die Abwehr der gegen den Tierbestand der Wehrmacht eingesetzten BMittel, b) unter Beteiligung von W Wiss verantwortlich für die Zusammenarbeit der Wehrmacht mit dem Reichsministerium des Inneren (ggf. auch mit dem Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft) in Bezug auf den Schutz der deutschen Nutztiere vor B- Mitteln. 3. OKW/Allgemein. Wehrmachtsamt, Abt. Wissenschaft (W Wiss): verantwortlich für die Zusammenarbeit mit der Biologischen Reichsanstalt und dem Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft in Bezug auf den Schutz der Vegetation und pflanzlicher Lebensmittelvorräte vor B-Mitteln. Als zusammenfassende Stelle des OKW zu 1–3 wird WFSt./Org bestimmt.“822
Diese Order war ganz nach Schumanns Geschmack und kam dessen Bestrebungen, wie noch zu berichten sein wird, weit entgegen. Beim Wehrmachtsführungsstab (WFSt./ Org) machte man sich Gedanken wie die B-Abwehr künftig im Detail zu organisieren sei. Eigens dafür wurde für den 9. März 1943 eine Beratung angesetzt, zu der Vertreter des OKW W Wiss, des AHA (In 9, S In, V In), des HWA (Prüf 9) sowie der Luftwaffe geladen waren. Kliewe war ebenfalls anwesend. Als Deckname für dieses Gremium und seine Zusammenkünfte tauchte erstmals „Blitzableiter“ auf. Im Ergebnis dieser Sitzung befahl der Chef des OKW, GFM Keitel, am 16. März 1943, dass „zur Förderung der für alle Gebiete der Bakterienbekämpfung gemeinsamen Maßnahmen“ eine Arbeitsgemeinschaft zu bilden sei. Entsprechend der ergangenen Führerentscheidung „sind praktische Versuche zur Gewinnung von wissenschaftlichen und technischen Erkenntnissen über die feindlichen Einsatzmöglichkeiten … auf einen engsten Beraterkreis zu beschrän820 Das Dokument ist abgedruckt ebd., 354. 821 Ebd., 361, 366. 822 Zitiert ebd., 357.
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ken … Versuche außerhalb der Laboratorien, insbesondere bei der Heranziehung von Einsatzmitteln (z. B. Flugzeugen) bedürfen der Genehmigung des Chefs OKW.“
Über Zusammenkünfte und Leitung der AG „Blitzableiter“ habe General Leeb (HWA) zu entscheiden. Halbjährlich müsse das HWA einen Bericht über den Arbeitsstand erhalten. Der Schriftwechsel habe unter dem Stichwort „Blitzableiter“ zu erfolgen.823 Der neu gebildeten „AG Blitzableiter“ gehörten an: Oberst Dr. Walter Hirsch, Chef von Wa Prüf 9, Vorsitzender, Dr.-Ing. Kurt Stantien (*1890), Prüf 9, seit 1924 Chemiker im Gasschutzlabor Spandau, Sekretär der AG, Regierungsrat Dr. Ing. Erwin Bayer, OKW W Wiss, Prof. Dr. Kurt Blome (*1894), Beauftragter des RFR für Krebsforschung (ab September 1943), Hauptmann Büdow, Prüf 9, Dr. Deiters, Stabsveterinär V In, Major Dipl.-Ing. Denner, Amt Ausland/Abwehr, Prof. Dr. Heinrich Kliewe, Heeressanitätsinspektion, Dr. Hans Carl Nagel (*1889), Stabsveterinär, Heeressanitätsinspektion, Prof. Dr. Gerhard Rose, Sanitätswesen der Luftwaffe, Prof. Dr. Erich Schumann, OKW W Wiss, WaF, II. PI. Beteiligt, z.B. durch Anwesenheit bei Sitzungen, waren weiterhin: Oberst Bürker (Wehrmachtsführungsstab), Oberst Marguerre (Amt Ausland/Abwehr II), Oberst Münch (Wehrmachtsführungsstab), Prof. Walter Schreiber (Generalarzt, HeeresSanitätsinspektion) und Oberst Dipl.-Ing. v. Dechend (Prüf 9).824 Schumann selbst nahm verschiedentlich an den Sitzungen teil. Sein ständiger Vertreter in der AG war der Österreicher Dr.-Ing. Erwin Bayer (*1900), der 1938, nach einem Studium der „Technischen Chemie“, an der TH Wien promovierte. Danach erhielt er an dieser Einrichtung eine Stelle als Hochschulassistent und wurde ab 1942 als „derzeit bei der Wehrmacht“ geführt. In den Unterlagen „Stellenbesetzung und Planstellenüberwachungsliste des HWA“ wird Bayer als „L. U. Trupp 23“ genannt (L. U. = vermutlich „Leiter Untersuchungs-), der am 1. Januar 1944 zum Regierungsbaurat der Reserve befördert wurde. Bayer soll gleichzeitig bei W Wiss der Vertreter Schumanns gewesen sein. Eigene wissenschaftliche Forschungen Bayers während seiner Tätigkeit beim OKW sind nicht bekannt. Wahrscheinlich war er nur wissenschaftsorganisatorisch tätig (vgl. auch Kapitel 4).825 Bayer wusste in den „Blitzableiter“-Zusammenkünften Erstaunliches zu berichten. Im März 1943 vertrat er die Ansicht, als Pflanzenschädling – einzusetzen gegen England – sei vor allem der Kartoffelkäfer in Betracht zu ziehen. Einen 823 Ebd., 362 f. 824 Die Mitgliederliste ist wiedergegeben ebd., 367, sowie z. T. bei Hansen: Biologische Kriegsführung, 158. 825 Biographische Angaben zu Bayer: Dissertation von 1938, Mitteilung des Archivs der TU Wien vom 28. April 2003, Auskunft BAA vom 17. Dezember 2002.
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englischen Abwehrdienst gäbe es auf diesem Sektor nicht. Allerdings benötige man für eine „Verseuchung“ etwa 20–40 Millionen Kartoffelkäfer. Bei einer weiteren Beratung im Juni 1943 berichtete Bayer, W Wiss habe mit der massenhaften Züchtung von Käfern begonnen. Vier Wochen später stellte er „Abwurfversuche mit gefärbten Kartoffelkäfern“ in Aussicht. Und im September kündigte er für den „Oktober 1943 einen feldmäßigen Abwurfversuch mit Kartoffelkäfern bei Speyer“ an, der dann auch stattgefunden habe. 14.000 Käfer sollen dabei aus einem Flugzeug abgeregnet worden sein. Kartoffelkäfer waren nicht die einzige Spezies von Schädlingen, über die Bayer die AG „Blitzableiter“ unterrichtete. Man habe auch Versuche mit Rübenaaskäfern, Getreide- und Weideschädlingen (wie Kornkäfern, Wanzenarten, verschiedenen Getreiderostarten), mit der Kartoffelkrautfäule und schließlich mit Unkrautsamen gemacht. Auch Waldschädlinge, wie die Nonne*, habe man in Betracht gezogen. Im Mai/Juni 1944 wurde geprüft, ob Versuche mit Viren der Maul- und Klauenseuche (MKS-Viren) unternommen werden können. Bei der Sitzung der AG am 24. Mai 1944 teilte Bayer mit: „Forschungsarbeiten über die Gefahren durch den Rübenrüsselkäfer, die Rübenblattwanze und der Graseule ergaben noch kein klares Bild. Versuche mit Septeria tritici [Weizenkrankheit, G. N.] sind bisher negativ verlaufen, dagegen scheint Rost besonders gefährlich und wird weiterhin untersucht.“826
Über den Ort dieser Versuche – außer Speyer – äußerte sich Bayer sehr vage. Er deutete lediglich ominös ein „B-Feld Ost“ an. Über dessen Standort wurde viel gerätselt. Sowohl Geißler als auch Hansen haben Überlegungen vorgetragen, wo sich dieses „B-Feld Ost“ befunden haben könnte. Ein abschließendes Urteil war allerdings beiden Autoren nicht möglich. Die Aussage von Schreiber während des Nürnberger Prozesses am 26. August 1946, man habe „aus Flugzeugen Bakterien-Emulsionen mit nicht pathogenen Bakterien, die man leicht wieder auffinden – leicht kulturell nachweisen kann – über einem Versuchsfeld abgelassen, welches dicht bei dem Institut bei Posen war“,
klang angesichts mehrerer falscher Angaben des sowjetischen Zeugen nicht gerade glaubwürdig.827 Ein gewichtiges Indiz zum Standort ergab ein telefonisches Gespräch mit Norbert Kühr, Sohn eines ehemaligen Angehörigen von OKW W Wiss. Herr Kühr erklärte, dass sein Vater, Oberst Werner Kühr, in den letzten Kriegsjahren in Polen bei Posen stationiert und dort auf dem B-Feld Ost stellvertretender Kommandant war. Werner Kühr (*1893) war Teilnehmer des Ersten Weltkrieges. Er gehörte von 1916 bis 1918 als Leutnant der Reserve dem Infanterie-Regiment (IR) 131 an. In dieser Einheit diente auch Schumann für kurze Zeit, ebenso wie andere Soldaten, die später Angehörige von WaF waren (vgl. Kapitel 22). Kurz nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde Kühr zur Forschungsabtei826 Ausführlich bei Geißler: Biologische Waffen, 463–469, 503 f. Bayer wurde zitiert nach: Dörner et al.: Ärzteprozess, Microfiche 2/1498. 827 Dokumente IMT (wie Anm. 792), 615.
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lung als „Ergänzungsoffizier“ einberufen, jedoch nach 4 Wochen wegen der Folgen einer schweren Verletzung aus dem Ersten Weltkrieg zum Wehrmachtsfürsorgeamt versetzt. Die Wehrmachtsfürsorge des OKW war dem AWA unterstellt (vgl. Kapitel 4). Im Oktober 1943 wurde der inzwischen zum Major beförderte Kühr auf ausdrücklichen Wunsch von OKW W Wiss zum B-Feld Ost (FeldpostNr. 08004) als Platzoffizier kommandiert. Für seine „entscheidende, zielstrebige Mitwirkung bei dem schwierigen Aufbau der Dienststelle B-Feld Ost“, schlug ihn Schumann am 14. April 1944 zur Auszeichnung mit dem KVK II. Klasse mit Schwertern vor.828 Eine Akte des RFR enthält einen weiteren Fingerzeig: Im September 1944 bat Schumann in seiner Eigenschaft als Chef von OKW W Wiss den Gauleiter Greiser, Reichsstatthalter im Reichsgau Warteland, ihm zeitweilig das Gut Kiebitzweiher zur Durchführung von „Sonderaufgaben der Wehrmachtsdienststelle BFeld Ost“ zu überlassen. Greiser lehnte ab, konnte jedoch auch nichts anderes anbieten. Das Gut Kiebitzweiher ist der heutige polnische Ort Szczodrzykowo. Er liegt etwa 16 km südwestlich von Poznań (Posen).829 Unabhängig davon, ob BFeld Ost tatsächlich bei Posen lag, oder nicht – ein endgültiger Beleg steht noch aus –, zeigt die Einrichtung dieses Versuchsplatzes, welchen Einfluss Schumann hatte und welchen Stellenwert biologische Waffen in den Forschungsaktivitäten der ihm unterstellten Bereiche einnahmen. In der zweiten Hälfte des Jahres 1943 setzte Schumann seine Bemühungen fort, das Thema „biologische Waffen“ noch stärker auf sich zu konzentrieren. Davon haben wir schon durch die Mitteilung Dr. Latensers zu Oberst Bürker erfahren. Die gleiche Tendenz geht auch aus einem Aktenvermerk Kliewes hervor, den er zu einer Besprechung bei General Reinecke, Schumanns Vorgesetzter im OKW, schrieb: „Anfangs September 1943 fragte W Wiss an, welche Schutzmaßnahmen gegen den Einsatz von B-Mitteln getroffen worden wären, es müsse beim Amtschef AWA Vortrag gehalten werden … Daraufhin wurde Stabsarzt Kliewe zum 21. 09. zum Vortrag gebeten. Wie zu erwarten war, erschien auch Ministerialdirigent Prof. Schumann, angeblich als Zuhörer. Inhalt des Vortrages: Vorbereitung der verschiedenen Länder für den B-Krieg, Ausbringungsmöglichkeiten der B-Mittel a) durch Flugzeuge, Bomben, b) durch Agenten Saboteure … Daraufhin sagte Min.-Dirigent Schumann, der Führer wäre sicher nicht genügend unterrichtet, es müsse ihm nochmals Vortrag gehalten werden. Wir dürfen nicht achtlos zusehen, sondern müssen ebenfalls den Masseneinsatz von B-Mitteln bestreiten. Vor allem müsse Amerika
828 Telefongespräch mit Herrn Norbert Kühr am 25. Oktober 2006; Beurteilung Werner Kührs vom 14. April 1944, BA-MA, Pers. 6/8100. Zur Feldpostnummer 08004 für „OKW B-Feld Ost“ teilte das BA-MA am 29. November 2005 mit, dass der Standort nicht nachgewiesen werden konnte, ebenso nicht durch das Militärgeschichtliche Forschungsamt Potsdam, Mitteilung vom 1. Juni 2005. 829 Schreiben Greisers vom 9. Oktober 1944 an Schumann, BAB, R 26 III/209; Historisches Ortschaftsverzeichnis Wartheland, bearb. und hg. vom Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (= Reihe historischer Ortsverzeichnisse für ehemals zu Deutschland gehörige Gebiete – Zeitraum 1941 bis 1945, 8), Teil 1: Regierungsbezirk Posen, Karte 220, Blatt P 53, sowie Karte 187, Blatt 3668 (2065 Preuß. alt, 3768 Karnick).
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II. Experimente gleichzeitig mit verschiedenen menschlichen und tierischen Seuchen und mit Pflanzenschädlingen angegriffen werden. Der Führer solle für diesen Plan gewonnen werden.“
Schumann habe zusätzlich angeregt, dass schriftlich niedergelegt werde, welche Vorbereitungen der Feind getroffen habe, welche Sabotageakte zu B-Mitteln bisher stattgefunden hätten, welche Stoffe und Ausbringungsarten infrage kämen, welche Labore, Geräte, Flugzeuge, U-Boote usw. für „Vorbereitungen und den Angriff“ benötigt würden. Unter Einbeziehung des Chef Sanitätswesens, Chef AWA, stellv. Reichsärzteführer und Reichsführer-SS sollte über Reichsmarschall Göring dem Führer vorgetragen werden. Außerdem äußerte Schumann erneut, die AG Blitzableiter arbeite zu langsam. Vor allem Wa Prüf 9 habe versagt. Es müsse endlich eine „für alle Gebiete des B-Krieges verantwortliche Stelle bestimmt werden“.830 Wenig später kam es dann zu dem von Reinecke und Schumann angestrebten Vortrag Bürkers beim Chef des OKW. Obwohl Keitel auf Bürkers Vortrag äußerst ungehalten reagierte und jegliche Versuche strikt ablehnte, Hitlers Grundsatzentscheidung irgendwie in Frage zu stellen, unternahm Bayer – höchstwahrscheinlich im Auftrag Schumanns – einen erneuten Vorstoß. Er unterrichtete Kliewe am 19. Oktober 1943 von einem Bericht, den W Wiss für General Reinecke vorbereite. Dieser sollte mit dem Schriftstück bei General Jodl vorstellig werden, damit die Maßnahmen zur B-Forschung ausgeweitet werden könnten.831 Schumann nutzte für seine nicht nachlassenden Bemühungen, die Forschungen zu biologischen Waffen noch stärker unter seine Regie zu bringen, auch andere inzwischen in Gang gekommene Ereignisse, die er maßgeblich mit inszeniert hatte. Im März 1943 empfahl Mentzel seinem Reichsmarschall Göring die Bildung einer „Arbeitsgemeinschaft für Krebsforschung“. Als Leiter schlug Mentzel den Stellvertretenden Reichsärzteführer Prof. Dr. Kurt Blome vor. Dieser, ein ziemlich aktives und hochrangiges NSDAP-Mitglied, befasste sich seit längerem mit Krebsforschung. 1940 hatte Blome die Schaffung eines zentralen Krebsforschungsinstituts angeregt, was jedoch damals keinen Widerhall fand. Jetzt, im Jahr 1943, griff Göring bereitwillig Mentzels Idee auf. Der Reichsmarschall teilte schon am 30. April Blome seinen Entschluss mit, eine „AG Krebsforschung“ einzurichten, deren Leitung Blome wahrnehmen sollte. Über den Einsatz und die Aufgaben seines neuen „Bevollmächtigten für Krebsforschung“ informierte Göring unverzüglich Albert Speer, Reichsleiter Martin Bormann, Reichsführer SS Himmler, die GFM Milch und Keitel, Generaloberst Fromm, General Leeb, Vizeadmiral Backenköhler, Generaladmiral Witzel sowie weitere Mitglieder des Präsidialrates des RFR. Zugleich erbat er sich die Unterstützung Blomes in allen Fragen.832 Nach Blomes (späteren) Einlassungen hatte sich folgendes zugetragen: 830 Aktenvermerk Kliewes vom September 1943 (GKdos), im Ärzteprozess als Dokument 1308 der Anklagebehörde vorgelegt, Dörner et al.: Ärzteprozess, Microfiche 3/1619 sowie 2/4648 (Vernehmung Blomes). 831 Geißler: Biologische Waffen, 370. 832 BAB, R 26 III/112; Geißler: Biologische Waffen, 380; Hansen: Biologische Kriegsführung, 137–139. Biographische Angaben zu Blome: Dörner et al.: Ärzteprozess, Begleitband, S. 81.
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„Es mag etwa Anfang 1942 gewesen sein, als gelegentlich einer Besprechung oder Tagung im Reichsforschungsrat zu Berlin mir Ministerialdirigent Prof. Schumann sagte, er möchte die Leitung der Forschung für die Abwehr biologischer Kriegsmethoden übernehmen. Es lägen Nachrichten vor, daß auf diesem Gebiet eifrig von der Feindseite gearbeitet würde. Daher wäre eine Zusammenfassung der Forschung auf den 3 Sektoren ‚Mensch, Tier und Pflanze‘ erforderlich, die bisher von der Heeressanitätsinspektion bezw. der Heersveterinärinspektion bezw. vom Chef W.Wiss. O.K.H. getrennt bearbeitet würden. Die Leitung solle wegen der Gefahr für die Zivilbevölkerung in ziviler Hand liegen. Man hätte an den Reichsärzteführer Dr. Conti gedacht, den man jedoch persönlich nicht möchte, und sei daher auf mich verfallen. Ein weiterer Grund war der, daß keine der 3 oben angegebenen Wehrmachtsstellen sich gegenseitig unterordnen wollte. Ich erklärte mich zur Übernahme bereit. Schumann wollte die Vorrausetzungen für meine Arbeitsmöglichkeiten in Ordnung bringen und daher mit mir zu Keitel gehen. Bis es zu dieser Besprechung kam, vergingen meiner Erinnerung nach eine Reihe von Monaten. Sie fand in Berlin in Keitels Diensträumen statt. Keitel bestätigte meinen Auftrag und sagte, daß dieser geheim mit unter meiner Krebsforschung laufen sollte. Er wies auf das Führerverbot von biologischen Einsatzvorbereitungen hin und erklärte, daß er selbst nicht daran glaube, daß biologische Kriegsmethoden in diesem Krieg überhaupt zur Anwendung kämen. Es müsse jedoch alles für eine etwaige Abwehr erforscht sein. Er glaubte, keine besonderen Gefahren in biologischen Methoden erblicken zu können. Von Seiten Keitels erfolgten jedoch keine Anweisungen, die mir die Grundlagen für die Arbeit mit den oben genannten Wehrmachtsstellen hätten geben können. Über meinen Auftrag, meine Besprechung bei Keitel und die Unmöglichkeit einer positiven Arbeit besprach ich mich mit Prof. Mentzel im Reichsforschungsrat. Eines Tages erklärte mir Mentzel, Göring würde Präsident des Reichsforschungsrates werden und damit würde eine Umorganisation stattfinden. Im Rahmen dieser Neuordnung würde auch meine Beauftragung geregelt werden. Dies geschah dann auch. Nachdem ich etwa Mai 1943 die Urkunde zur Ernennung zum Bevollmächtigten für Krebsforschung in den Händen hatte, lud ich den Heeressanitätsinspektor, Prof. Dr. Handloser, den Heeresveterinärinspekteur, Prof. Dr. Schultz, und Prof. Dr. Schumann, Chef W. Wiss. O. K. H., zu einer Besprechung in Berlin ein. Unter dem Begriff Krebsforschung, die ich seit Jahren betrieb, lief gleichzeitig unter „Geheim“ der Forschungsauftrag für die Abwehr biologischer Kriegsmethoden. Von Schumann wußte ich, daß dieser bisher für die Arbeiten auf dem pflanzlichen Sektor, dass Handloser auf dem humanen und Schultz auf dem tierischen Sektor zuständig waren. Daher die Einladung meinerseits an diese drei Herren.“833
Die von Blome erwähnte Beratung kam auch zustande, hatte jedoch keine greifbaren Ergebnisse, weil die Teilnehmer „jegliche Auskunft [verweigerten] und dies mit Geheimhaltungsvorschriften begründeten“. Mentzel, davon unterrichtet, legte sich bei Göring ins Zeug, der ein Schreiben an Keitel richtete und darin verlangte, „die in Frage kommenden Wehrmachtsstellen“ über Blomes Auftrag zu informieren. Durch das OKW wurde daraufhin u. a. Blomes Einladung zu den „Blitzableiter“-Sitzungen veranlasst.834 Bei Himmlers SD wusste man sehr bald, worum es bei dem Blome erteilten Auftrag eigentlich ging. Spengler schrieb am 21. April 1944 an Osenberg:
833 Eidesstattliche Erklärung Kurt Blomes vom 23. Januar 1946, IfZ, Dokument zum Nürnberger Prozess NO 1703, 1. 834 ebd.
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II. Experimente „Prof. Blome ist als Stellvertretender Reichsärzteführer und als Bevollmächtigter für Krebsforschung eingesetzt. Es handelt sich jedoch hier um eine Tarnbezeichnung, da B. Spezialaufträge in ganz anderer Richtung ausführt. Als Mediziner hat er keine überdurchschnittlichen Fähigkeiten. Er arbeitet eng mit Prof. Schumann zusammen. In politischer Hinsicht liegt nichts Nachteiliges vor.“835
Spengler war sich bei seinem Urteil mit dem ihm unterstellten Fischer einig. Fischer setzte Jahre später noch eins drauf und hob hervor, dass Schumann „bei seinen Plänen, der Reichsbeauftragte für biologische Kriegführung zu werden … sich des Stellv. Reichsärzteführers Prof. Blome [bediente]“.836 Natürlich brauchte SA-Gruppenführer Blome, der seine Aufträge von Himmler bzw. dessen „Ahnenerbe“ erhielt, auch geeignete Räumlichkeiten, am besten eine Großforschungsanlage. Wenige Kilometer von Posen entfernt, in Nesselstedt, befand sich ein ehemaliges Klostergebäude der Ursulinen. Gauleiter Greiser stellte es bereitwillig zur Verfügung. Über ein zu schaffendes „Zentralinstitut für Krebsforschung“ gab es bereits am 24. April 1942 eine Senatssitzung der KWG. Anwesend waren u. a. Blome, Mentzel, Thiessen und Vahlen. Mentzel wies darauf hin: „vom Führer ist die Anregung gegeben worden“, und begründete warum ein solches Institut gebraucht werde bzw. Blome dafür „besonders geeignet“ sei. Die Zustimmung zu dem Projekt erfolgte problemlos.837 Mit der Bezeichnung „Zentralinstitut für Krebsforschung“ – wie bei der Senatssitzung vereinbart – erfolgte unter der Nr. 107 am 16. Mai 1942 die Eintragung ins Vereinsregister. Getragen wurde das neue „Zentralinstitut …“ von einem gleichnamigen Verein. Als deren Mitglieder, die auch die Satzung formulierten, sind u. a. genannt: Blome, Mentzel, Schumann, Dr. Hans Streit (Kurator der Universität Posen) und Telschow (KWG).838 Noch im Haushaltsjahr 1942 sorgte Mentzel dafür, dass vom REM 40.000 RM für Neu- und Umbauten sowie den Ankauf von Geräten bereitgestellt wurden. Andere Mittel, in Höhe von 2,5 Millionen RM, flossen aus dem Fond des RFR.839 Das meiste Geld wurde für Bauarbeiten mit „bakterienfestem“ Zement verbraucht. Himmlers SS war von Anfang an über die Aufgaben und Ziele der „Krebsforschung“ in Nesselstedt gut im Bilde. Sie betrieb im KZ Dachau ein eigenes Institut für Entomologie als Abteilung ihres „Instituts für wehrwirtschaftliche Zweckforschung“. Das „Ahnenerbe“ hatte dazu im März 1942 dem Entomologen Dr. Eduard May (1905–1956) einen Auftrag zur Erforschung von für den Menschen schädlichen Insekten erteilt. Im September 1944 lieferte May einen „Bericht über die laufenden und geplanten Arbeiten des Entomologischen Instituts“ ab. Darin machte er u. a. deutlich, dass er beabsichtige, seine Untersuchungen auch auf Fragen auszudehnen, „die unter dem Begriff des Biologischen Krieges fallen und den 835 BAB, R 26 III/112, Bl. 199, auch Bl. 53. 836 Fischer an das Spruchgericht Bielefeld (wie Anm. 794), Bl. 232. 837 Niederschrift über die Sitzung am 24. April 1942 (auszugsweise), AMPG, I. Abt., Rep. 1A, Nr. 2945. 838 BAB, R 4901/14101 Krebsinstitut Posen. Einzelheiten zum Haushalt des Instituts sind enthalten in: BAB, R 2/12540. 839 Deichmann: Biologen, 252.
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Sektor der Menschen schädigenden Insekten betreffen“. Außerdem wies er auf Arbeiten „an der I. Inneren medizinischen Klinik der Universität Wien“ hin, nannte jedoch nicht den Namen Eppinger.840 May war einer der Konsultationspartner Blomes, der ihn beispielsweise nach seiner Meinung zum Einsatz von Kartoffelkäfern fragte. Im Ergebnis einer Unterredung vom Ende Oktober 1943 im Führerhauptquartier zwischen Himmler, Blome und Sievers sagte Himmler eine „weitgehende Unterstützung durch die SS“ zu. Es wurde „ein enges Arbeitsabkommen mit dem Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung der SS getroffen“.841 Entsprechend dieser Vereinbarung stellte die SS sofort eigene Wissenschaftler nach Posen ab, die an Blomes Projekt mitarbeiten sollten. Damit wiederholten sich die Bemühungen der SS, wichtige Richtungen der Rüstungsforschung – wie am Beispiel der Kernphysik, des N-Stoffes und der Kampfstoffe bereits gezeigt – vollständig in die Hand zu bekommen. Am 5. Juni 1943 schlug der Höhere SS- und Polizeiführer in Posen, Koppe, seinem Reichsleiter Himmler vor, den Arzt und SS-Sturmbannführer Dr. med. Horst Straßburger zu Blome zu schicken. Straßburger verfüge auf dem betreffenden Gebiet über „große Kenntnisse und Erfahrungen“, die Blome helfen könnten, „schneller in Gang zu kommen“ und „erfolgversprechender“ zu sein.842 Straßburger, der bis zum Herbst 1943 für die SS in Dachau Experimente an Menschen durchgeführt hatte, starb 1944. An seine Stelle trat SS-Sturmbannführer Dr. Karl Josef Groß, der im KZ Mauthausen Impfversuche an Häftlingen geleitet hatte. Auf Anforderung von Blome, der einen Bakteriologen benötigte, kam Groß im Herbst 1943 nach Posen-Nesselstedt.843 Die „Röntgen-radiologische“ Abteilung in Blomes Institut leitete SS-Sturmbannführer, Prof. Dr. Holfelder, Chef des „SSRöntgen-Sturmbannes“.844 Himmler persönlich behielt Blomes Arbeiten gut im Visier: „Sechsmal ließ Himmler Blome zu sich kommen, um über biologische Kriegsführung zu berichten. Sein Hauptinteresse galt der Pest. Außerdem zeigte Himmler … lebhaftes Interesse an Kartoffelkäfern und sonstigen pflanzlichen Schädlingen.“845
Zusammen mit Göring besuchte Himmler den Forschungskomplex in Posen. Beide äußerten bei der Besichtigung ihre Unzufriedenheit mit dem mangelnden Fortgang der Arbeiten.846 Ein Sonderkommando der SS bewachte das Gelände. Ende 1943 forderte Sievers dafür beim SS-Oberführer F. Müller-Darss, zuständig für das Diensthundewesen beim Reichsführer SS, „6 scharfe Wachhunde“ an. Diese
840 Bericht Mays über die laufenden und geplanten Arbeiten des Entomologischen Instituts vom 23. September 1944, BAB, BDC, DS G 127, Bl. 2380–2383 (Hervorhebung im Original). 841 Zitiert (aus BAB, NS 21/45) bei Deichmann: Biologen, S. 247; vgl. auch Geißler: Biologische Waffen, 395, 459 u. a. Stellen. 842 Koppe am 5. Juni 1943 an Himmler, BAB, NS 19/1587. 843 Geißler: Biologische Waffen, 524, 532 u. a. Stellen; Hansen: Biologische Kriegsführung, 145 f. 844 Geißler: Biologische Waffen, 525. 845 Hansen: Biologische Kriegsführung, 144. 846 Ebd., S. 141.
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II. Experimente
würden benötigt für den Schutz des „großen Reichsinstitutes [des Prof. Blome, G. N.] mit sehr kriegswichtigen Forschungen“.847 Im Prinzip galt: Blome konnte sich seine Leute aussuchen. Wen er wollte, den bekam er auch. Dafür sorgte Mentzel namens des RFR. Auf diese Weise gelangten auch der Biochemiker Prof. Dr. Friedrich Holtz (*1898) als „Direktor des Krebsinstitutes“, und Prof. Dr. Friedrich Lange als sein Stellvertreter nach Posen. Holtz, der an der Universität Berlin lehrte und in Berlin-Frohnau ein Privatlabor unterhielt, trat seine neue Stelle am 1. Dezember 1943 an. Es entbehrt nicht der Ironie, dass er, der dem Ruf nach Posen „gern“ gefolgt war, kurz nach Kriegsende behauptete, er sei durch Mentzel gezwungen worden, einem „Privatdienstvertrag als Dienstverpflichtung“ nach Posen zuzustimmen.848 Ein Wunschkandidat Blomes war der Pharmakologe und Toxikologe Dr. Hans Seel (*1898), der in Posen die pharmakologische Abteilung übernahm. Er hatte sich nach eigenen Angaben nach dem Ende des Ersten Weltkrieges an der „Expedition gegen die rote Armee im Ruhrgebiet“ beteiligt und 1932/33 „mit der bakteriologischen Waffe gegen Polen gearbeitet und 80.000 Typhus-Erkrankungen verursacht“. 1938 wurde seine Habilitierung in Hamburg abgelehnt, woraufhin das REM seinen Wechsel an die Universität Berlin veranlasste. Mentzel verwandte sich dafür, dass Seel dort im September 1939 zum Dozenten ernannt wurde. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde er Stabsarzt und als Truppenarzt und Toxikologe eines Fliegerverbandes, des von Oberst von Borstell geführten „Fliegerforstschutzverbandes“. Im Januar 1942 erhielt Seel ein Forschungsstipendium zum Thema: „Einwirkung von Schädlingsbekämpfungsmitteln auf Menschen“ bewilligt. Das RLM erteilte einen ähnlichen Auftrag im Umfang von 5.000 RM und zog ihn zum „Aufbau einer pharmakologisch-toxikologischen Forschungsstelle“ heran. Das Forschungsziel Seels bestand darin, „theoretische und praktische Voraussetzungen für den Einsatz der Luftwaffe auf dem Gebiet der Schädlingsbekämpfung und der Entseuchung von Großräumen in Europa und Afrika“ zu schaffen. Am 6. Juni 1944 vermerkte Seel: „Auf Antrag des Bevollmächtigten des Reichsmarschalls für Krebsforschung erfolgte nunmehr meine U. K. Stellung und Entlassung aus dem aktiven Wehrdienst zum 29. 02. 1944. Gleichzeitig wurde das von mir bei der Luftwaffe errichtete pharmazeutische Forschungsinstitut auf Antrag des Bevollmächtigten für Krebsforschung diesem bzw. dem Reichsforschungsrat zur Durchführung kriegswichtiger Forschungsarbeiten zur Verfügung gestellt und ich mit der Leitung beauftragt. Da das Institut sich in Posen befindet, habe ich auch den Wohnsitz nach Posen verlagert.“849
Während die Beteiligung des Fliegerforstschutzverbandes unter Oberst von Borstell an den Aktivitäten zu biologischen Waffen kaum bezweifelt werden kann, ist dies 847 BAB, NS 21/485. 848 BAB, R 4901/14101 Krebsinstitut Posen, Bl. 59–63, 66, 68; PA Holtz, insb. Fragebogen vom 16. Dezember 1945 für die Deutsche Zentralverwaltung Volksbildung, AHUB, UK-H 405. H. wurde 1946 Direktor des Pharmazeutischen Instituts der Universität Halle. 849 Personalakte Seel, Medizinische Fakultät, Bd. 52, AHUB; Lebensläufe in BAB, BDC sowie Dissertation. Vgl. auch Geißler: Biologische Waffen, 415, 567 f. u. a. Stellen.
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bei Seel nur zu vermuten. Dies gilt auch für die Frage, ob zwischen Seel und OKW W Wiss Kontakte bestanden. Belege dafür konnten nicht gefunden werden.850 Im November 1944 konnte Blome in Nesselstedt auf 86 (!) Mitarbeiter zurückgreifen. Trotz der von ihm mit großer Sorgfalt betrieben Geheimhaltung belegen die bekannt gewordenen Forschungsaktivitäten, dass es in seinem Institut durchweg um biologische Waffen ging.851 Blome fasste auch Versuche mit Menschen ins Auge, „zur Überprüfung unserer Impfstoffe, insbesondere der PestImpfstoffe“. Seiner Meinung nach „herrschen ganz falsche Ansichten über die Wirkung und Maximaldosen von manchen Giften, die ebenfalls nur durch Menschenversuche beseitigt werden können“. An diesen Experimenten wollte jedoch die Wehrmacht, auf ausdrücklichen Wunsch von GFM Keitel, nicht verantwortlich beteiligt werden.852 Es kann als sicher gelten, dass Schumann wusste, was in Nesselstedt vor sich ging. In Hinblick auf Mentzel besteht nicht der leiseste Zweifel. Dessen häufige Besuche in Posen-Nesselstedt sind durch Dokumente und Zeugenaussagen belegt. Allein in der Zeit vom 8. September 1944 bis 1. Januar 1945 reiste Mentzel sechs Mal nach „Nesselstedt“ bzw. zum „Reichsinstitut für Krebsforschung Posen“, z. B. am 21. Oktober 1944 mit SS-Untersturmführer August Helmsen als Kraftfahrer. Die dazu ausgestellten Fahrbefehle vermerken fast durchweg „Transport von Forschungsgeräten für kriegswichtige Arbeiten höchster Dringlichkeit“. Außerdem war Mentzel durch den Reichsarzt-SS und Polizei, SS-Gruppenführer Prof. Dr. Grawitz, bestens im Bilde, welche Forschungen die SS betrieb bzw. wie sie dieses Betätigungsfeld auszuweiten gedachte.853 Schumann und seine Mitarbeiter bei W Wiss setzten alles daran, dass ihnen keine Forschungen zu Biologischen Waffen entgingen und der Deckel der Geheimhaltung sicher schloss. Schließlich durfte nicht publik werden, dass man ständig dabei war, Hitlers Verbot der Arbeit an biologischen Waffen zu unterlaufen. Gut belegen lassen sich die Geheimhaltungsbemühungen am Beispiel der Dissertation des Stabsarztes Dr. Joachim Kemper (*1912), Mitarbeiter in einer Abteilung bei Kliewe. Kemper legte Anfang 1944 seine Arbeit „Über die keimtötende Wirkung von Aerosolen auf Bakterien verschiedener Resistenzstufen“ an der Medizinischen Fakultät der Universität Berlin vor. Gutachter waren Kliewe und Prof. Dr. Heinrich Zeiß (1888–1949). Zeiß arbeitete am Medizinischen Institut der Universität Berlin, war Mitglied des Preußischen Landesgesundheitsrates, des wissenschaftlichen Senats für das Heeressanitätswesen sowie Inhaber weiterer Ämter. In seinem Gutachten vom 16. März 1944 hob er hervor, der dritte Teil der Arbeit befasse sich „mit einem neuen Vernebler, der gegenüber allen bekannten Geräten viele Vorteile besitzt; er ist sowohl als Entseuchungs- als auch als Entgiftungs850 Zur Einheit des Oberst von Borstell vgl. Geißler: Biologische Waffen, insb. 567–571. 851 Vgl. u. a. Hansen: Biologische Kriegsführung, 141–143. 852 Aktenvermerk WIG IIIc über die Besprechung mit Blome am 23. Februar 1944, Dörner et al.: Ärzteprozess, Microfiche 3/1623 f. 853 BAB, R 26 III/174 und 539 a; Dokumente IMT (wie Anm. 792), Bd. 25, 9–15. Ausführliche biographische Angaben zu Grawitz und seinen Aktivitäten bei Versuchen an Häftlingen in: Dörner et al.: Ärzteprozess, Begleitband, 99.
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II. Experimente
und Entwesungsgerät zu verwenden … da das Gerät auch für Kriegszwecke brauchbar ist, muß es während der Dauer des Krieges geheim gehalten werden. Deshalb gilt die gesamte Arbeit als „geheim“ [im Original unterstrichen, G. N.]. Mit diesem Vermerk gab man sich bei W Wiss nicht zufrieden, sondern forderte am 19. Mai 1944 die zuständigen Stellen der Universität Berlin nachdrücklich auf, die Doktorarbeit einschließlich der Gutachten als geheime Verschlusssache zu registrieren und entsprechend zu behandeln.854 Über die Aktivitäten der Abteilung Wissenschaft in den letzten Kriegsmonaten zur Thematik biologischer Waffen, insbesondere nachdem Blome Anfang Januar 1945 mit seinen Mitarbeitern Posen fluchtartig verließ, konnten keine Dokumente gefunden werden. Das betrifft auch eine mögliche Beteiligung an der für das Posener Institut festgelegten Ausweichstelle Geraberg (bei Ilmenau in Thüringen). Lediglich ein Indiz konnte aufgespürt werden. Am 17. Januar 1945 erteilten Graue und Sievers an Prof. Dr. Wilhelm Zwölfer (*1897), Leiter des Instituts für angewandte Zoologie der Universität München und des Bayrischen Forstlichen Forschungsinstituts, einen Geheimauftrag des RFR: „Insektizide Kampfstoffe mit besonderer Berücksichtigung ihrer Wirkung auf Nonnen und Tannenlaus“. Der Auftrag sollte bis zum 31. März 1946 erledigt werden, ein Zwischenbericht war am 31. März 1945 vorzulegen.855 Manche der überaus zahlreichen Aktivitäten der Abteilung Wissenschaft im OKW überraschen auf den ersten Blick und geben Rätsel auf. Zu nennen sind hier zwei Expeditionen von Biologen auf den Balkan bzw. in den Mittelmeerraum. Geleitet wurden beide Unternehmungen von dem Pflanzengenetiker Dr. Hans Stubbe (1902–1989). Er war damals am KWI für Biologie in Berlin-Dahlem tätig, genoss in der Gelehrtenwelt hohes fachliches Ansehen und war deshalb für einen Direktorenposten in einer Einrichtung der KWG vorgesehen. Stubbes erste Forschungsreise 1941, wenige Wochen nach dem Einmarsch deutscher Truppen, „wurde im Auftrag des OKW und des Reichsforschungsrates“ nach Griechenland und Albanien organisiert. „Zweck des Unternehmens war die planmäßige Sammlung von Wild- und Primitivformen unserer Kulturpflanzen in dem zum Mannigfaltigkeitszentrum des Mittelmeergebietes gehörende Grenzgebiet zwischen Jugoslawien, Griechenland und Albanien …“,
854 Schreiben des OKW AWA W Wiss/III vom 19. Mai 1944 an Prof. Rostock, Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Berlin, BAB, R 4901/12850, Bl. 151; Promotionsunterlagen Kemper, Gutachten Prof. Zeiß‘, AHUB, 1154, Bl. 125 f. Zu Zeiß vgl. Geißler: Biologische Waffen, insb. 585 f. sowie 659–661 (Angaben Kliewes gegenüber „Alsos“ und Skizze eines Verneblers). Kliewe vermerkte am 22. Mai 1944 in einem kurzen Bericht an Oberst v. Dechend, Wa Prüf 9, dass „ein Vernebler mit Motorantrieb“ in Hohenlychen, Mark Brandenburg, angehenden Divisionsärzten vorgeführt wurde. IfZ, Dokument zum Nürnberger Prozess NO 1309 (auch in: Döner et al.: Ärzteprozess, Microfiche 3/1625). 855 BAB, R 26 III/272. Das UA München teilte am 8. August 2005 mit, dass in den Personalunterlagen Zwölfers dazu keine Angaben enthalten sind. Es ist lediglich vermerkt, er habe sich seit März 1945 in Freiburg i. Br. bei seiner Familie aufgehalten und Forschungen zur Tannenlaus bzw. zum Tannensterben durchgeführt. Nachrufe oder andere Würdigungen seiner Person liegen dem UA nicht vor.
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berichtete darüber Stubbe dem KWI für Biologie. Expeditionsteilnehmer waren Prof. Friedrich Markgraf (Botanisches Museum Berlin), Dr. Rudolf Freiesleben (Universität Halle) und Walter Hoffmann (KWI Müncheberg). Logistische Unterstützung, auch mit militärischem Personal, kam von der „deutschen und italienischen Wehrmacht“. Stubbe lieferte bei OKW W Wiss einen Bericht über die Forschungsreise ab, dessen Inhalt jedoch bisher nicht nachgewiesen werden konnte.856 Da die erste Reise „reiche Ausbeute“ brachte und die Notwendigkeit zeigte, der „deutschen Landwirtschaft mit der Sammlung von Wild- und Primitivformen unserer Kulturpflanzen immer wieder wichtigstes Ausgangsmaterial für Neuzüchtungen zur Verfügung zu stellen“, erschien eine zweite Forschungsreise auf den Balkan nach Stubbes Meinung als „dringend erwünscht“. Einsatzort der Aktion des Jahres 1942 waren der Peloponnes sowie die Insel Kreta mit ihren nördlich und südlich vorgelagerten Inseln und Klippen. Wie bereits 1941 stellte der RFR die finanziellen Mittel und benötigte Ausrüstungsgegenstände bereit. „Die Abteilung Wissenschaft im OKW (Min. Dirigent Prof. Dr. Schumann und Reg. Rat Dr. Bayer) übernahm die militärische Betreuung des Forschungstrupps und veranlasste die Einberufung einiger Wissenschaftler als Kriegsverwaltungsräte.“
Gefördert wurde die organisatorische Vorbereitung durch den Chef des Heerespersonalamtes, General der Infanterie B. Keitel, der auch die gewünschten Abkommandierungen unterstützte. Der Kreta-Gruppe gehörten an: Stubbe, Dr. Otto v. Wettstein vom Naturhistorischen Museum Wien (beide im Rang eines Kriegsverwaltungsrates), Hauptmann Dr. K. Zimmermann vom KWI für Hirnforschung Berlin-Buch, Leutnant H. Behnke aus Oehna bei Jüterbog sowie der Schütze Dr. K. H. Rechinger, ebenfalls vom Naturhistorischen Museum Wien. Die Peloponnes-Gruppe setzte sich zusammen aus Kriegsverwaltungsrat Freiesleben, Dr. Werner Rothmaler (Botanisches Museum Berlin-Dahlem) sowie SS-Sturmmann Dr. G. Niethammer (Naturhistorisches Museum Wien). Zur Abkommandierung des Ornithologen Niethammer, damals in Auschwitz stationiert, wurde erfolgreich SS-Brigadeführer Glücks (Leiter der Amtsgruppe D im Wirtschaftsverwaltungshauptamt der SS, zuständig für die KZ) bemüht. In dieser Besetzung verließ die zweite Expedition Stubbes am 12. April 1942 Berlin, um erst gegen Ende des Jahres zurückzukehren.857
856 Bericht Stubbes vom 26. Januar 1943 an Telschow, AMPG, Abt. I, Rep. 1A, Nr. 2964/1, Bl. 2; ABBAW, NL Stubbe, Nr. 58; Flitner: Sammler, 102 f. Ausführlich zur Person Stubbes u. a.: Edda Käding: Engagement und Verantwortung. Hans Stubbe, Genetiker und Züchtungsforscher. Eine Biographie, Müncheberg 1999 (= ZALF-Bericht, 36); Michael Stubbe (Hg.): Im Gedenken an die Wiederkehr des 100. Geburtstages von Prof. Dr. Dr. h. c. Hans Stubbe (1902–1989), Leipzig 2002 (= Beiträge zur Jagd- und Wildforschung, 27). 857 Bericht Stubbes vom 26. Januar 1943 an Telschow, AMPG, Abt. I, Rep. 1A, Nr. 2964/1; ABBAW, NL Stubbe, Nr. 59. Zur Vorbereitung der 2. Expedition ersuchte Stubbe im Januar 1942 die KWSt um Bereitstellung fotografischer Ausrüstungen, AMPG, I. Abt., Rep. 1A, Nr. 2963/4, Bl. 85 f. Zum Verlauf der 2. Expedition vgl. u. a. Flitner: Sammler; Susanne Heim: „Die reine Luft der wissenschaftlichen Forschung“. Zum Selbstverständnis der Wissenschaftler der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Berlin 2002 (= Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesell-
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II. Experimente
Stubbe war – hinausgehend über die Balkanunternehmungen – noch in andere Wiese in Schumanns Aktivitäten auf biologischem Gebiet eingebunden. Als im September 1944 die Generalverwaltung der KWG kriegsbedingt die Stilllegung verschiedener KWI beabsichtigte, darunter das KWI für Kulturpflanzenforschung in Wien (Tuttenhof) – seit dem 1. April 1943 war Stubbe dort Direktor – protestierte dieser heftig. Er führte als Argument ins Feld, dass „auf Veranlassung des OKW umfangreiche Arbeiten auf dem Gebiet der Biologischen Kriegsführung“ durchgeführt würden, über deren Inhalt er wegen der vorgeschriebenen Geheimhaltung nichts mitteilen könne. An den Forschungen seien beteiligt Dr. Otto Schwarz und Dr. Werner Rothmaler, zusätzlich einige technische Hilfskräfte. Da die Arbeiten „unbedingt kriegswichtig sind“, wäre gegen ihre „Stilllegung vom OKW stärkster Einspruch zu erwarten … Eine Erweiterung dieser Arbeiten wurde erst kürzlich nachdrücklich gefordert“. Ähnlich zur „Kriegswichtigkeit“ der Aufträge für das KWI in Wien (Tuttenhof) äußerte sich im Oktober 1944 Prof. v. Wettstein, der sich auf „zwei Aufträge des OKW“ bezog.858 Bei den Forschungen in Stubbes Institut „ging es nicht um … Milzbrand- oder Pesterreger, sondern darum, ein schnell keimendes Unkraut zu entwickeln, das, in Feindesland ausgesät, dazu dienen sollte, Nutzpflanzen zu ersticken“.859 Dass bei OKW W Wiss wahrhaftig an derartige Maßnahmen gedacht bzw. damit experimentiert wurde, geht aus einer eher beiläufigen Bemerkung Bayers in einer „Blitzableiter“-Beratung am 24. Mai 1944 hervor, die oben bereits zitiert wurde. Abschließend zu dieser Thematik sind einige Bemerkungen zu Stubbe geboten. Verschiedene Publikationen, seit etwa 1995, befassen sich auf der Grundlage von jetzt zugänglichem Archivmaterial mit der Tätigkeit des Wissenschaftlers während der NS-Zeit. Die dabei getroffenen Wertungen fallen sehr kontrovers aus. Sein Sohn, Prof. Dr. Michael Stubbe, schrieb dazu: „Der neudeutsche, untaugliche Versuch in der ‚Nature‘ (200, 403, 474–475) und einer damit ausgelösten Kettenreaktion, H. Stubbe in der Nazizeit als SS-Kollaborateur, Opportunisten und Räuber russischer Sortimente post mortem zu deformieren und ihn in einem Atemzug ‚from lab to concentration camp‘ mit den Nazimachenschaften deutscher Mediziner zu nennen, ist in wissenschaftlicher und wissenschaftshistorischer Sicht ein Verbrechen gegen die Persönlichkeit und erbärmliche Pseudowissenschaft.“
Für seine scharfe Replik nennt Stubbe auch sehr stichhaltige Gegenargumente. Der Nachlass seines Vaters enthält etliche Dokumente, die seine Sicht der Expeditionen und der anderen Arbeiten fürs Militär andeuten. Aber die wichtigste Frage ist bis heute nicht geklärt: Was bezweckten Schumann und der RFR mit ihrer Unterstützung Stubbes tatsächlich? Wollte der umschaft im Nationalsozialismus, Ergebnisse, 7). Bei Flitner und Heim auch biographische Angaben zu Rothmaler und Niethammer. 858 Stubbe am 4. Oktober 1944 an die KWG, AMPG, I. Abt., Rep. 1A, Nr. 2964/3, Bl. 84; Vermerk vom 31. Oktober 1944 zum KWI für Kulturpflanzenforschung, ebd., Bl. 87. Dieses Dokument enthält auch die Registrier-Nummern der Kriegsaufträge des OKW. Vgl. auch ABBAW, NL Stubbe, Nr. 83 (Stubbe am 4. Juli 1944 an Forstmann zu zwei SS-Dringlichkeitsaufträgen). 859 Heim: „Die reine Luft“ (wie Anm. 857), 26.
17. Nachrichtentechnik
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triebige Schumann Stubbe moralisch „an sich binden“? Verwundern kann diese Ungewissheit nicht, denn mit den Aktivitäten Schumanns in seinen verschiedenen Ämtern hat sich bisher die militärhistorische Forschung so gut wie gar nicht beschäftigt. Es besteht also Nachholbedarf zwecks Klärung, auch im Interesse nicht weniger Forscher, die mit OKW W Wiss bzw. WaF in irgendeiner Weise verknüpft waren.860
17. NACHRICHTENTECHNIK Zwischen 1933 und 1945 befasste sich in Deutschland eine Vielzahl wissenschaftlicher Einrichtungen mit Forschungen zu allen möglichen Fragen der Nachrichtentechnik, einschließlich ihrer militärischen Verwendung. An einer Reihe Technischer Hochschulen und Universitäten arbeiteten ganze Institute und gut ausgerüstete Labors auf diesem Gebiet. Die großen Industrieunternehmen wie AEG, Telefunken oder Siemens verfügten über bedeutende Forschungskapazitäten. Die einzelnen Wehrmachtsteile unterhielten jeweils mehrere eigene Forschungs- und Versuchsstätten. Ab 1942/43 schuf sich die SS im KZ Dachau ebenfalls eine eigene Hochfrequenzforschung. Selbst für kleine Firmen, wie z. B. das 1936 in Berlin gegründete „Laboratorium für Hochfrequenzphysik und Elektromedizin“, gab es genügend zu tun.861 Je länger der Krieg dauerte, umso deutlicher zeichnete sich ein ernsthafter Nachholbedarf gegenüber den Alliierten ab. Manche Entwicklung hatte man in Deutschland regelrecht verschlafen. Diesem Dilemma versuchte die politische und militärische Führung durch neue Organisationsformen und eine bedingungslose Ausweitung der „Kriegsforschung“ zu begegnen. Allein dem im November 1942 ernannten „Beauftragten für Hochfrequenzforschung (BHF)“, Dr.-Ing. Hans Plendl, unterstanden 1943 ca. 3.000 Wissenschaftler in 13 von ihm gegründeten Forschungsstellen. Als Auftraggeber dieser BHF-Institute fungierten der RFR, die Oberkommandos von Heer und Marine sowie die Forschungsführung beim Reichsminister der Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luftwaffe. Auch die kleinen Einrichtungen wie das oben genannte „Laboratorium für Hochfrequenzphysik und Elektromedizin“ wurden von militärischen Dienststellen unter Vertrag genommen.862
860 Stubbe: Im Gedenken (wie Anm. 856), 79; ausführlicher dazu die Rezension des Autors in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 56 (2005), 242. 861 Vgl. u. a. Kai Handel: Die Arbeitsgemeinschaft Rotterdam und die Entwicklung von Halbleiterdetektoren. Hochfrequenzforschung in der militärischen Krise 1943–1945, in: Maier: Rüstungsforschung, 250–272; Hans-Walter Wichert (Prof. a. d. Universität Paderborn): Die Institute des Bevollmächtigten für Hochfrequenzforschung (BHF) und ihre Mitarbeiter, Vortrag beim „Großen Raketen-Spezialistentreffen“ am 21. Oktober 2000 in Dresden; Akte zur HFForschung der SS, BAB, NS 19/2057; Hans-Christian v. Hermann, Christoph Hoffmann: Die Technik geistig in den Händen halten, in: Frankfurter Allgemeine, Nr. 200 vom 28. August 2004, 39 (zum Labor für Hochfrequenz, vgl. dazu auch BAB, R 26 III/738). 862 Flachowsky: Der Bevollmächtigte.
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II. Experimente
Diese und andere Bedingungen stellte man bei WaF in Rechnung. Ähnlich wie bei der Raketenforschung (vgl. Kapitel 11) wurde die Grundlagenforschung schon früh auf speziell ausgewählte Themen der Nachrichtentechnik konzentriert. Darauf weisen u. a. sieben Geheimdissertationen hin, die zwischen 1935 und 1941 am II. PI unter der Leitung von Schumann zu nachrichtentechnischen Fragen entstanden. Sie betrafen z. B. die Stabilisierung von HF-Sendern, Untersuchungen zur Ausbreitung elektro-magnetischer Wellen sowie Peilverfahren (vgl. Anhang II: Geheimdissertationen). Ergänzt wurden diese Geheimarbeiten durch offene Dissertationen, wie die von Johann Jeanson „Messung der Potentialverteilung in der geschichteten Glimmentladung bei hohen Stromstärken“, verteidigt am 29. September 1939 bei Schumann und Wehnelt. Nachdem um 1942 die Gruppe III der Forschungsabteilung komplett an die Abteilung Wa Prüf 7 (Nachrichtengerät) abgegeben worden war und WaF I d mit WaF I e (jetzt Nachrichtentechnik bzw. Vers. N) vereinigt wurde, war die Ausrichtung auf einige wenige Forschungsgebiete noch dringlicher geboten. Die Gründe für diese Strukturänderung bei WaF, insbesondere die Ausgliederung von WaF III sind nicht überliefert.863 Die wenigen bei WaF (Referat Nachrichten) verbliebenen Wissenschaftler waren kaum in der Lage, ausreichend eigene Grundlagenforschungen zu realisieren. Sie organisierten insbesondere die Zusammenarbeit innerhalb des HWA, vor allem mit Wa Prüf 7, und mit wissenschaftlichen Einrichtungen außerhalb der Wehrmacht, die in Abstimmung mit dem RFR Forschungsaufträge von WaF erhalten hatten. Einige der promovierten Wissenschaftler von WaF III bzw. WaF I e (Vers. N), geleitet von Dr. Köhler, konnten identifiziert werden: Ministerialrat Dr. Werner Bergau (*1904) gehörte wahrscheinlich bereits vor 1934 WaF (bzw. der ZS) an. Am 21. Februar 1934 lieferte er an der TH Berlin seine Geheimdissertation „Über die Möglichkeiten der Sicherstellung der Elektrizitätsversorgung für den Fall eines Krieges“ ab. Von 1939 an war er Gruppenleiter bei WaF III und wurde Ende 1942 zur Abteilung Wa Prüf 7 versetzt. Dr. Ernst Busse (*1902), der an der TU Karlsruhe das Fach Elektrotechnik belegt hatte, wechselte 1925 zum Studium der Physik an der Universität Jena und war im Jahr darauf als Hilfsassistent am Technisch-Physikalischen Institut tätig. Ende 1927 promovierte er dort bei Esau mit der Arbeit „Über eine Methode zur Erzeugung von sehr kurzen elektrischen Wellen mittels Hochfrequenzfunken“. Von der Universität Leipzig kam Dr. Rudolf Goldammer (*1907), der im Mai 1932 bei den Professoren Debeye und Heisenberg mit dem Thema „Über die anormale elektrische Dispersion polarer Lösungen“ seinen Doktor gemacht hatte. 1936 veröffentlichte er beim Verlag Philipp Reclam in Leipzig eine Broschüre „Fernsehen, das technische Wunder der Zeit“. An Schumanns II. PI hatte 1939 Dr. Horst Matheus (*1914) mit einem Geheimthema zur „Stabilisierung von Hochfrequenzsendern“ promoviert. Bereits ein Jahr zuvor war er Mitarbeiter bei WaF geworden. Als Angehöriger des Stabes eines Fallschirmpionierbataillons fiel er im August 1943 in Sizilien. Seit August 863 Auf die Ausgliederung von WaF III (an Wa Prüf 7) sowie Zusammenlegung der beiden Referate wies u. a. Frau Magda Wolfschlag hin, schriftliche Mitteilung vom 8. September 2001.
17. Nachrichtentechnik
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1936 arbeitete Dipl.-Ing. Hans Heinrich Wicht (*1907) als „wissenschaftlicher Hilfsarbeiter im Reichskriegsministerium“. Er hatte als Volontär-Assistent am Elektrotechnischen Institut der TH Hannover bei den Firmen Siemens-Halske AG und AEG praktische Erfahrungen sammeln können. Sie waren eine gute Grundlage für seine im Februar 1937 an der TH Hannover vorgelegte Dissertation „Der Entwurf von Gegeninduktivitäten vorgeschriebener Eigenschaften“. Als Mitarbeiter von WaF wurde Dr. Hans Schellhoß (1905–1978) bekannt, der an der TH München sowie an den Universitäten Bonn und Göttingen seine Ausbildung erhielt. 1932 promovierte er an der Universität Göttingen zu „Strom- und Feldverteilung in einem durch einen eisernen Körper gestörten Leitkabelfeld“. Möglicherweise wechselte Schellhoß gemeinsam mit Bergau zu Wa Prüf 7.864 Einen exzellenten Fachmann hatte WaF mit Prof. Dr. Erich Habann (1892–1968) gewonnen. Er hatte wahrscheinlich schon vor 1939 für das HWA gearbeitet. Bei Kriegsbeginn am 1. September 1939 gehörte er zu jenen Wissenschaftlern, die sofort zu WaF „eingezogen“ wurden. Während des Ersten Weltkrieges arbeitete Habann in der wissenschaftlichen Abteilung der Tafunk (Technische Abteilung für Funkgeräte) des Heeres. Geleitet wurde Tafunk von dem hoch angesehenen Physiker Prof. Dr. Max Wien. In dieser Einrichtung war auch Kurt Möller als „Hilfsarbeiter“ tätig, der im November 1919 von der damals neu geschaffenen Inspektion für Waffen und Gerät (IWG) übernommen worden war und später im HWA die „physikalisch-technische Gruppe der fernmeldetechnischen Abteilung“ führte. Habann hatte 1917, im Rang eines Unteroffiziers stehend, den Versuch unternommen, auf einer Militärleitung durch Nutzung hochfrequenter Ströme eine Nachricht zu übertragen. Der unerwartete Erfolg dieses Experimentes veranlasste den Chef des Nachrichtenwesens im Großen Hauptquartier, den Unteroffizier Habann sofort zu weiteren Versuchen nach Berlin abzukommandieren. Gemeinsam mit Prof. Dr. Heinrich Fassbender (1884–1970), damals „Privatdozent für Drahtlose Telegraphie und Telefonie sowie elektrotechnische Meßkunde“ an der Technischen Hochschule Berlin, wurde das neue Anwendungsgebiet der Hochfrequenz systematisch erforscht. Beiden Wissenschaftlern gelang es, durch neue Lösungswege wertvolles Leitungsmaterial einzusparen und gleichzeitig mittels trägerfrequenter Übertragungen die Abhörsicherheit beträchtlich zu erhöhen. Ende 1924 promovierte Habann bei Max Wien an der Universität Jena mit der Arbeit „Eine neue Generatorröhre“. Vier Jahre danach habilitierte sich Habann an der TH Braunschweig mit einer zusammenfassenden Darstellung über „Die neue Entwicklung der Hochfrequenztelefonie und -telegraphie auf Leitungen“. Zugleich erhielt er eine Stelle am Elektrotechnischen Institut der TH Braunschweig. Die Zusammenarbeit mit Fassbender riss auch später nicht ab.865 864 Die Angaben zusammengestellt nach Dissertationsschriften sowie Auskünften BAA. Zu Habann: Interview mit Frau Katherina Springborn, Berlin, am 9. September 2006; Heinrich Fassbender: Nachruf E. Habann, in: Nachrichtentechnische Zeitung (NTZ), 21 (1968) Heft 5, 302; Paul Görlich: In Memoriam Erich Habann, in: messen, steuern, regeln 12 (1969) Heft 9, 344 f. 865 Heinrich Fassbender, Erich Habann: 40 Jahre Trägerstromtechnik, in: Jahrbuch des elektrischen Fernmeldewesens 10 (1958), 312–340; Heinrich Fassbender: Aus den Anfängen der
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II. Experimente
Analog zu den spärlichen Informationen über die personelle Besetzung von Vers. N – ganz zu schweigen von Angaben zu ihrer materiell-technischen Ausstattung – sind nur wenige Dokumente zu den Forschungsgegenständen und den dabei erzielten Ergebnissen überliefert. Aussagen können zu fünf Projekten bzw. Forschungsfeldern gemacht werden, die bei WaF auf nachrichtentechnischem Gebiet auf dem Programm standen.
Hochfrequenztechnik Die unter der Leitung des BHF, Plendl, ab 1943 in Gang gesetzten Forschungen waren verbunden mit der Bildung mehrerer Arbeitskreise (AK). Mit ihnen wurde das Ziel verfolgt, konkrete Programme und Projekte zwischen den Wehrmachtsteilen abzustimmen, z. B. durch den AK „Navigation“. Geleitet wurde er von dem Physiker Prof. Dr.-Ing. Paul Freiherr von Handel (TH Berlin bzw. TAL). Diesem AK gehörten Vertreter des Heeres, der Luftwaffe, der Marine, Reichspost, Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt sowie des Speer-Ministeriums an. Bei einer Tagung im März 1944 trug Dr. Schellhoß zum Thema „Die Funkortung des Heeres“ vor.866 Sein Referat enthielt aufschlussreiche Angaben über verschiedene Forschungsund Entwicklungsergebnisse, die bei WaF erreicht wurden bzw. an denen WaF beteiligt war. Schellhoß nannte zwei Hauptaufgaben der Funkortung beim Heer: Erstens die „örtliche Festlegung der feindlichen Funkstellen“, zusammengefasst unter dem Begriff der „Nachrichtenaufklärung“, und zweitens die „Geländevermessung“ zur Führung eigener Verbände und für artilleristische Zwecke, wozu auch die „Ortung feindlicher Panzer, z. B. unter Verwendung der Rückstrahltechnik“ zählte. Bei der Nachrichtenaufklärung verwies Schellhoß auf die unterschiedlichen Aufgaben der Nah- bzw. Fernaufklärung und bilanzierte: „Die vom Heer entwickelten Fern- und Nahfeldpeiler werden auch vom OKW für Funkabwehrzwecke eingesetzt. Hierzu wurde in Europa ein Fernpeilnetz eingerichtet, dass die ungefähre Lage des Agentensenders ermittelt. Auf Grund dieser Ortung werden dann besondere Einheiten mit getarnten Fahrzeugen und Nahfeldpeilern zur Agentenfahndung eingesetzt.“
Als Geräte nannte er den Adcockpeiler* sowie einen Phasenpeiler der Firma Lorenz und einen Peiler mit optischer Anzeige. Letzterer wurde zur „Aushebung von Agenten“ geschaffen und konnte am Körper „unter dem Mantel und der Kleidung getragen“ werden. Zur Nahaufklärung gehörte auch ein „UKW- und dm-Wellenpeiler“.
Hochfrequenztechnik, in: Nachrichtentechnische Fachberichte (NTF) 19 (1960), 1–6; Derselbe: Die Entwicklung der Hochfrequenztechnik an der Technischen Hochschule Berlin bis 1945, in: Nachrichtentechnische Zeitschrift (NTZ) 18 (1965) Heft 11, 664–668; Erich Habann: Eine neue Generatorröhre, Dissertation, 28. Oktober 1924, Universität Jena; Biographie Habanns in: Gundler: Catalogus Professorum (wie Anm. 649), 91 f. 866 Hans Plendl Rechenschaftsbericht über die Hochfrequenzforschung und die Betreuung von so genannten „Vertikalaufgaben“ vom 16. Dezember 1943, erneut angefertigt am 7. Januar 1944 (GKdos), BAB, NS 19/2057, Bl. 6; Flachowsky: Der Bevollmächtigte, 217.
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Für die Peilauswertung wurden beim Heer mehrere Verfahren entwickelt. Zu ihnen gehörten „Photographische Funkortungskarten … für beliebige Gebiete“. Herzstück dieses Verfahren bzw. der dazu konstruierten Geräte war eine Kugelschale, die einen Teil der Erdoberfläche im Maßstab 1: 2.500.000 entsprach und ein Gebiet von 3.000 mal 3.000 km umfasste. In der dazu von Schellhoß gelieferten Beschreibung heißt es zu der Kugelschale u. a.: „Die internationalen Kartenblätter von 1: 1.000.000 werden nach 2,5-facher Verkleinerung in diese Schale eingeklebt. Dabei müssen sie sich auch theoretisch lückenlos aneinander anschließen, da sie rechnerisch von dieser Kugel abgenommen sind und das einzelne Kartenblatt als hinreichend eben angesehen werden kann. Im Krümmungsmittelpunkt befindet sich eine Optik, die auf einer dahinter angeordneten Negativplatte bereits die richtig verzerrte Funkortungskarte liefert, da diese Ebene nichts anderes als eine Tangentialebene an der Erdkugel darstellt und die Projektionsstrahlen von der Optik als Schnittpunkt, demnach vom Erdmittelpunkt ausgehen. Als Beispiel für den auf diese Weise zu erzielenden reichen Karteninhalt sei erwähnt, dass auf der fotografischen Funkortungskarte Europa kleinste Orte wie Kanin bei Berlin verzeichnet sind. Mittels der Kugelschale und der dazu gehörigen Kamera können also in kurzer Zeit ohne Rechenaufwand und Zeichenarbeit von beliebigen Gegenden Funkortungskarten entworfen werden. Von der Negativplatte, die einen Maßstab von etwa 1: 2.000.000 liefert, können auf fotografischem Wege beliebig viel Abzüge gewonnen werden.“
Bei den anderen Verfahren, über die Schellhoß berichtete, handelte es sich um „Weltfunkortungskarten, Antipodenkarten und Kreispeilkarten“, deren technische Ausstattung kurz beschrieben wurde. Der Referent ging danach auf die „Führung eigner Verbände und Vermessungsaufgaben“ ein: Ab Winter 1939/40 forderte das OKH die Entwicklung von Mitteln der Funknavigation zur Führung eigener Verbände durch feindliche Festungsanlagen bei Nacht oder künstlichem Nebel. Daraufhin entstanden ein „Infanteriestrahlgerät“ und ein „Panzerleitstrahlgerät“. Die dafür notwendigen Versuche habe man in Zusammenarbeit mit dem Institut von Prof. Handel durchgeführt. Gemeint war das Ferdinand-Braun-Institut, FBI, in Landsberg/Lech. Für den Einsatz eigener Panzer-Verbände nannte Schellhoß die Heeresentwicklung „Zielmessverfahren“. Für die Abwehr feindlicher Panzer gab er ein Verfahren zu deren „Funkortung“ und artilleristischen Vermessung an. Beide Komplexe wären jedoch technisch noch nicht genügend ausgereift. Schellhoß formulierte drei vordringliche Aufgabenstellungen für weitere Forschungen: Vervollkommnung der Nachrichtenaufklärung, sowohl im Fern- als auch im Nahbereich, Genauere Vermessungsverfahren für Entfernungen bis zu ca. 60 km, die zugleich einen geringen technischen Aufwand benötigen, Ortung feindlicher Panzer, möglichst schon in den Bereitstellungsräumen, gleichfalls mit möglichst geringem technischem Aufwand.867 867 Hans Schellhoß: Die Funkortung beim Heer, DM-Archiv, ZLDI-Bd. UM-802-2. Das FBI war eines der 13 HF-lnstitute, die unter Plendl 1942 entstanden, vgl. Wichert: Die Institute (wie Anm. 861), 4 f. Schellhoß verwies in seinem Vortrag im Zusammenhang mit der Fernpeilung
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II. Experimente
Auf den hohen Stellenwert der HF-Forschung in Schumanns Verantwortungsbereich machen auch eine Reihe von „Kriegsaufträgen“ (überwiegend „Geheim“, Dringlichkeit „SS“) und andere Aktivitäten aufmerksam. Bei der Firma SiemensHalske, Röhrenwerke Berlin, sollte 1943 Dr. Jacobi „Arbeiten zur Verbesserung von Magnetfeldröhren auf dem cm-Gebiet nach Vorschlägen von OKH WaF“ vornehmen. Bei der Magnetfeldröhre handelte es sich um ein „Magnetron“, eine selbst erregende Senderöhre für Mikrowellen, die in der Radartechnik eingesetzt wurde. Die Entwicklung einer derartigen Röhre bedeutete damals „eine Revolution auf dem Gebiet der Funkmesstechnik“.868 Nach Görlich und Fassbender869 hatte Habann bereits 1925 ein Patent für eine besondere Art des Magnetrons erhalten, dass nach seinem Erfinder „Habann-Generator“, gelegentlich auch „Habann-Röhre“, genannt wurde und als eine „Pionierleistung“ gelten könne. Voll zur Geltung kam der „Habann-Generator“ erst mit der Einführung der Funkmess- und Radartechnik. Das große Interesse an der HF-Forschung belegt u. a. die gemeinsame Reaktion von Schumanns Wissenschaftsabteilung im OKW und von WaF auf einschlägige Arbeiten anderer Institutionen. Als 1942 an der Universität Jena der Physiker Rudolf Müller seine Dissertation über „Untersuchungen an einem Laufzeitgenerator mit radialer Elektronenströmung“ vorlegte, wurde durch OKW W Wiss der Direktor des Technisch-Physikalischen Instituts, Prof. Dr. Georg Goubau, sofort angewiesen die Schrift geheim zu halten. Auch im Fall des Dipl.-Physikers Josef Frey, der schon längere Zeit für das HWA tätig war, gab es eine solche Forderung. Dessen Dissertation „Untersuchungen an einer Einkreistriftröhre“ vom November 1944 betraf eine spezielle Elektronenröhre zur Erzeugung und Verstärkung von Mikrowellenschwingungen im Bereich 0,3 bis 300 GHz. Goubau, ein exzellenter Kenner der Ionosphärenforschung und Funktechnik, wusste genau, wie ernst solche Schreiben des OKW waren. Durch seine Studien über die Funkpeilung, durchgeführt im Auftrag der Forschungsführung der Luftwaffe, sowie seine zeitweilige Abkommandierung 1939 zum Nachrichtenmittel-Versuchskommando der Marine, hatte er Erfahrungen im Umgang mit dem Militär. Zudem bearbeitete „Goubau ausschließlich Wehrmachtsaufträge [sowie] eigene Vorschläge, die auf dem Gebiet der Rückstrahlantennen und Entwicklung von Spezialröhren liegen“.870 WaF beauftragte noch andere Experten. Prof. Fassbender, der zu dieser Zeit das Vierjahresplan-Institut für Schwingungsforschung leitete (gleichzeitig Mitglied des wissenschaftlichen Führungsstabes der Kriegsmarine), wurde ersucht, in seiner Einrichtung „Untersuchungen zur Frequenzmodulation“ durchführen zu lassen. Prof. „auf die wertvolle Arbeit der Zentralstelle für Frequenzberatung“. Gemeint ist wahrscheinlich die „Zentralstelle für Funkberatung (ZfF)“ in Loebersdorf-Vöslau bei Wien, vgl. Wichert: Die Institute, 4–6. 868 Forschungsauftrag Köhlers an Siemens-Halske, BAB, R 26 III/13, Bl. 1; BAB, R 26 III/16, Bl. 195. 869 Fassbender: Nachruf; Görlich: In Memoriam (beide wie Anm. 864). 870 Schreiben der OKW W Wiss an Goubau. BAB, R 4901/12850, Bl. 158 f., 238; Forschungsaufträge (erfasst auf Karteikarten), BAB, R 26 III/8 und 9; Hoßfeld et al.: „Kämpferische Wissenschaft“, 631–636 (zu Goubau).
17. Nachrichtentechnik
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Möller, der seit seinen Tagen bei Tafunk (vgl. oben, S. 341) schon lange für das HWA auf nachrichtentechnischem Gebiet tätig war, bat man, bei der PTR Forschungen zur „Ausbreitung elektrischer Wellen“ durchführen zu lassen. Das gleiche Thema bearbeitete für die Forschungsabteilung Dr. Gerhard Kunze. Er war Assistent an der WTF der TH Berlin und stand beim RLM sowie dem Bevollmächtigen für HF (BHF) für Forschungen unter Vertrag. Wahrscheinlich hatte auch Kunze eine Geheimdissertation geschrieben. In den Bibliographien ist sein Name nicht verzeichnet. Was sich hinter der lapidaren Notiz „Forschungen zur Fernmeldetechnik, WaF I und Wa Prüf 7“ verbarg, konnte nicht geklärt werden. Dieser Vermerk betraf einen Auftrag, den die Diplom-Ingenieure Paul Edenhaster und Ernst Bleicher erhielten. Beide waren tätig am Institut für Nachrichtentechnik der TH München.871 In Sachen HF-Forschung vergab WaF Aufträge an verschiedene Institute des BHF. Näheres ist dazu nicht dokumentiert.872 Auch der verschiedentlich schon genannte und kurz vorgestellte Dr. Meinel von Tannenberg wurde bemüht. WaF beauftragte ihn, in Verbindung mit dem Hochspannungslabor der PTR „Vorversuche über die Flimmerwirkung von Rauschen im niederfrequenten Hochspannungsfeld“ zu absolvieren.873 In diesem Kontext sind auch die am Institut für Deutsche Ostforschung unter der Leitung von Pietsch, Abteilung Wissenschaft im OKW erfolgten Forschungen zur Hochfrequenzphysik zu sehen (vgl. Kapitel 4). Weitgehend im Dunkeln liegen die Bemühungen Schumanns, Dr. Otto Stierstadt in die HF-Forschung einzubeziehen. Das resultiert vor allem daraus, dass die Inhalte der wehrwissenschaftlichen Arbeiten Stierstadts am I. PI nicht bekannt sind (vgl. Kapitel 3). Sicher ist aber, dass das von Stierstadt 1937/38 in Berlin gegründete „Institut für Physik“ sich mit HF-Themen befasste. Darauf deuten sowohl die wissenschaftlichen Publikationen von Stierstadt und seinen Mitarbeitern, seine Arbeit an einem hochleistungsfähigen Elektromagneten sowie die vom RML erteilten Kriegsaufträge hin.874
Fernsteuerung Diese Thematik war hauptsächlich bei WaF III in der Gruppe von Bergau angesiedelt. Sie wurde unter Führung Bergaus auch nach dem Wechsel von WaF zu Wa Prüf 7 weitergeführt. Der persönliche Anteil von Bergau war für General Schneider Anlass, ihn am 8. Juli 1944 zur Auszeichnung mit dem „KVK 1. Klasse mit Schwertern“ vorzuschlagen. In der Begründung hieß es: 871 Forschungsaufträge, BAB, R 26 III/17, Bl. 153; R 26 III/8 und 9; Einladungsliste für die Sitzung des wissenschaftlichen Führungsstabes der Kriegsmarine vom 23. März 1945, BAB, R 26 III/746. 872 Wichert: Die Institute (wie Anm. 861). 873 Auftrag an Meinel v. Tannenberg, BAB, R 26 III/173. 874 PA Stierstadt, AHUB, Math. Nat. Nr. 138; PA Herbert Kurzke, AHUB, Phil. Fak. Nr. 771; BAB, R 26 III/28, Bl. 169 ff. Vgl. auch Rainer Karlsch: Wunderwaffen für den „Endsieg“? Die geheimen Arbeiten des Forschungsinstituts für Physik und dessen Verlegung nach Neustadt an der Orla (1944–1945), in: Zeitschrift für Thüringische Geschichte 63 (2009), 259–276.
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II. Experimente „Bergau hat sich als Leiter der Gruppe für Sonderentwicklungen insbesondere persönliche Verdienste um die Entwicklung der ferngelenkten Ladungsträger jeglicher Form erworben. Er hat damit die Schaffung einer neuen, erfolgreich eingesetzten Waffe maßgebend bestimmt. Durch seine unermüdliche, und besondere organisatorische Bemühungen gekennzeichnete Tätigkeit ist aus einem Versuchsgerät eine vielseitig verwendungsfähige, praktisch nur bei der deutschen Wehrmacht vorhandene Waffe entstanden. Außer beim Landheer (B 4 Springer „Goliath“) wird die Fernsteuerung sowohl mittels Funk als auch mittels Draht in steigendem Umfange eingesetzt. Seiner Initiative ist die ständige Fortentwicklung auf allen Gebieten der Fernsteuerung und Fernlenkung in erheblichem Maße zu danken.“875
Die Entwicklung eines „Ferngelenkten Ladungsträgers“ war ein komplexes Problem, zu dem schon seit 1938 geforscht wurde. Das betraf zunächst die Schaffung eines geeigneten Motors in zwei Varianten: als „benzinbetriebener“ Otto-Motor oder als Elektromotor, durch Batterien versorgt. Dazu kamen: ein besonderes Getriebe, die Fernsteuerung durch Funk oder Draht, die Dimensionierung und Anbringung der Sprengladung, das Absetzen der Sprengladung an dem dafür bestimmten Punkt und schließlich die Zündung des Sprengsatzes durch Funk. Eine kurze Beschreibung verdeutlicht, worum es ging: „Der Goliath (B 1) war ein kleiner, 61 cm hoher und unbemannter Panzer mit 90,7 kg Sprengladung (Sprengstoffträger). Durch Fernlenkung, meist von einem Panzer aus, wurde er bis zu einem 1.000 m entfernten Ziel gesteuert und explodierte dort mit einer Ladung. Die ersten „Goliath“-Sprengstoffträger wurden schon Mitte 1943 teils mit gutem Erfolg an der Ostfront eingesetzt. Der Funklenkpanzer B IV wurde seit 1944 eingesetzt. Er trug am Bug eine über Funk abwerfbare 450-kg-Sprengladung. Nach Abwerfen der Ladung kehrte er funkgesteuert zum Leitpanzer zurück.“876
Zur Lösung der einzelnen Fragen gab es eine enge Zusammenarbeit von WaF III mit dem Bereich WaF I b, zuerst mit Diebner, der dieses Referat kurzzeitig leitete. Nach seinem Wechsel zur Atomforschungsgruppe (WaF I a) war Trinks zuständig, der die „Sprengphysik“ (WaF I b) übernommen hatte.877 Für die Antriebs- und Getriebethematik hatte sich WaF rechtzeitig die Mitarbeit eines Experten gesichert. Es war dies Prof. Dr.-Ing. Robert Brüderlink (1893–1978), seit 1937 Inhaber des Lehrstuhls für Praktische Elektrotechnik an der TH Aachen und gleichzeitig Direktor des Instituts für Starkstromtechnik. Brüderlink verfügte über einschlägige Erfahrungen auf dem Gebiet des Elektromaschinenbaus, die er durch einjährige Tätigkeit bei der Firma BBC Mannheim erworben hatte und die mit Patentanmeldungen über Induktionsmotoren verbunden waren. 1931 war er an der Schaffung diesel-elektrischer Schiffsantriebe beteiligt, eine Entwicklung, die BBC zusammen mit der Firma 875 BAA, Mitteilung vom 25. Februar 2005 zu Bergau. Aus den Unterlagen geht hervor, dass B. am 20. Oktober 1941 mit dem KVK II. Klasse und am 27. März 1945 (!) mit dem Deutschen Kreuz in Silber ausgezeichnet wurde. 876 Boelcke: Deutschlands Rüstung, 204. Vgl. auch Ferdinand von Senger und Etterlin: Die deutschen Panzer 1926–1945, München 1959, 175; Ferngelenkter Ladungsträger, in: Der deutsche Soldat 1956, 305 f. In Fleischer: Heeresversuchsstelle Kummersdorf, Bd.1, sind auf den Seiten 150, 168 Abbildungen des in Kummersdorf erprobten „Goliath“ enthalten. 877 Auf die Beteiligung Diebners und Trinks’ wiesen die ehemaligen Angehörigen der Studentenkompanie Cobarg und Döring hin, ebenso Luck: unveröffentlichten Manuskript (wie Anm. 129).
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MAN für die Marineleitung durchführte. Bereits 1932 trat Brüderlink der NSDAP bei. Mit „Kriegswichtigen Aufträgen über Spezialantriebe“ betraute ihn WaF im April 1938. Am 28. September 1939 erneuerte WaF den Auftrag über „Entwicklungs-, Forschungs- und Laborarbeiten auf dem Gebiet Elektromaschinenbau“. Auch in den folgenden Jahren arbeitete der Aachener Wissenschaftler an der Entwicklung elektrischer Zwischenantriebe für Panzer, weitgehend finanziert durch das HWA.878 Hergestellt wurde der unbemannte Sprengpanzer „Goliath“ (Typen B-1 und B-IV) von den Borgward-Werken. Nach 1943 sollte zur Fernsteuerung auch das Fernseh-Gerät „Tonne P“ eingesetzt werden. Einzelheiten sind dazu nicht bekannt.879 Für Bergau, der als Experte aus der Grundlagenforschung kam, lag es nahe, dass er bei Wa Prüf 7 weiterhin für die Forschung zuständig war. Sie umfasste bei Wa Prüf 7 vor allem „Nachrichtengerät, Ultrakurzwellen, alle Hochfrequenzfragen, Hochleistungsbatterien für kurze und lange Zeit, Bauelemente für elektrisches Gerät, Fernsteuerung“. Als ein konkretes Projekt von Wa Prüf 7, an dem Bergau nachweislich beteiligt war, wurde die Entwicklung eines „Wellenanzeigers“ bekannt, realisiert in Zusammenarbeit mit den Firmen Hagenuk (Kiel) und Blaupunkt. Mit diesem Gerät, das in drei Ausführungen (für Wellen im Bereich bis 10 cm) hergestellt werden sollte, wollte man feststellen, ob in den genannten Bereichen durch „unbekannte Kräfte“ elektro-magnetische Wellen ausgesendet werden. Das Vorhaben war als Geheime Kommandosache eingestuft und besaß die Dringlichkeit der Stufe „SS“.880 Voller Sorge schrieb Mentzel am 13. November 1942 an den persönlichen Referenten Görings, SA-Oberführer Dr.-Ing. Friedrich Görnnert, einen Brief zur Lage der Fernsteuerung. Darin konstatierte Mentzel, dass alle Wehrmachtsteile sich damit beschäftigen, „Fernraketen, Torpedos, Fliegerbomben durch Einbau eines Fernsteuerungsmechanismus ins Ziel zu bringen“. Leider sei es bisher nicht zu einer „gemeinsamen Aktion“ der Forschung gekommen, obgleich diese dringend geboten sei. Göring reagierte sofort mit der am 20. November 1942 verfügten Gründung einer „Arbeitsgruppe für Fernsteuerungstechnik im Reichsforschungsrat“. Als Leiter wurde Prof. Dr. Friedrich Gladenbeck eingesetzt, der von 1938 bis 1942 Präsident der Forschungsanstalt der Reichspost war, danach dem Vorstand der AEG angehörte und schließlich „Bevollmächtigter für Fernsteuerungstechnische Forschungen“ im RFR wurde.
878 Auftrag der WaF III vom 28. September 1939 an Prof. Brüderlink, TH Aachen. BAB, R 4901/12877; Mitteilungen des UA, RWTH Aachen, zu Brüderlink: Todesanzeige (Akte 13292), Lebenslauf 1937, Stellungnahme der Dozentenschaft 1937 (Akte 193), Nachweis kriegswichtiger Aufgaben 1942 (Akte 489); Kalkmann: Die Technische Hochschule Aachen, 286–288. 879 Gerhart Goebel: Das Fernsehen in Deutschland bis zum Jahre 1945, in: Archiv für Post- und Fernmeldewesen 5 (1953), 259–340, insb. 278. 880 Telefonverzeichnis des HWA mit Angaben zu Forschungen in den Abteilungen der Amtsgruppe Wa Prüf, GKdos, ohne Datum, wahrscheinlich 2. Hälfte 1943 oder später. BAB, R 26 III/47, Bl. 59 f.; Aufstellung von Forschungsaufträgen in: BAB, R 26 III/4 und 173.
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II. Experimente
Gleichzeitig mit der Ernennung Gladenbecks forderte Göring von allen zuständigen Stellen Auskunft über den Forschungsstand. Leeb antwortete darauf umgehend: „Innerhalb meines Amtes werden die Probleme der Fernsteuerungstechnik für 1. ferngelenkte Fahrzeuge, insbesondere Sprengstoffträger, 2. Fernraketen, 3. Flakraketen bearbeitet“. Als verwandte Gebiete nannte der General die Übertragungstechnik der fernelektrischen Vermessung bzw. beim Feuerleitgerät beweglicher Artillerie die Richtungsübertragung und die Fernzündung von Minen. Bearbeitet würden diese Themen durch WaF, Prüf 7, Prüf 8 (Optik, Ultrarot* usw.) und Prüf 11 (Peenemünde). Leeb verwies auf die Zusammenarbeit seines HWA mit verschiedenen wissenschaftlichen Einrichtungen (u. a. das Vierjahresplan-Institut für Schwingungsforschung unter Prof. Fassbender) sowie mit 10 renommierten Firmen (z. B. Telefunken, Lorenz, Siemens, AEG). Als Mitglieder der neuen Arbeitsgruppe schlug er Dr. Steinhoff (Heeresanstalt Peenemünde), Oberst Karn, (Abteilungsleiter Wa Prüf 7) und von WaF Dr. Goldammer vor.881 Nachzutragen bleibt, dass Schumann zweifelsfrei die Bedeutung der Grundlagenforschung zur Fernsteuerung schon früh erkannt hatte. An seinem II. PI verteidigte im März 1938 Karl-Heinz Heinrich (*1914) eine Dissertation über die „Fernsteuerung zweidimensionaler Bewegungen mit einem Halbleiter-Flächenwiderstand …“. Dazu war bereits im Februar 1936 ein Patent beantragt worden. Gutachter der Geheimdissertation des Dr. Heinrich waren Schumann, Wehnelt und Klose (vgl. Anhang II: Geheimdissertationen). Die Beteiligung an der Annahme der Dissertation Heinrich ist nicht der einzige Hinweis, dass Klose neben den in den Kapitel 10 und 11 bereits genannten Forschungsfeldern auch auf nachrichtentechnischem Gebiet tätig war. Das belegen etliche einschlägige Patente, deren Inhalte leider nicht bekannt sind. Am 13. und 14. Januar 1945 war Klose Teilnehmer einer Tagung in Gotenhafen, die zwecks Koordinierung aller Arbeiten zur Torpedosteuerung einberufen worden war. Die Bedeutung dieser Zusammenkunft ergibt sich auch daraus, dass General Heydenreich (Beauftragter für Zünder, vgl. unten, S. 349) anwesend war, ebenso Geist vom Speer-Ministerium, Prof. Möller, der die PTR vertrat, und Lattemann von der SS als Beauftragter Schwabs.882
881 Leeb am 3. Dezember 1942 an Göring, BAB, R 26 III/125. Reichspostminister Ohnesorge meldete am 14. Dezember 1942 die Arbeit an der Fernsteuerung von Bomben mittels Fernsehtechnik sowie zur Fernsteuerung von Raketen, BAB, R 26 III/125. Über die Arbeiten der SS, Techn. Amt VIII FEP (Schwab), zur Fernsteuerung ist kaum etwas bekannt. Am 30. März 1945 meldete Schwab an Gladenbeck, dass ein Ing. Kaule einen aussichtsreichen Vorschlag über „aktive Selbstzielsuchtechnik“ mittels Frequenzpeilung eingereicht habe. Ing. Kaule sollte in dieser Sache zum Einsatz gebracht werden. Einzelheiten werden nicht genannt. BAB, R 26 III/746. 882 Eberhard Rössler: Die Torpedos der deutschen U-Boote. Entwicklung, Herstellung und Eigenschaften der deutschen Marine-Torpedos, Herford 1978, 240.
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Suche nach Ersatzstoffen In der Nachrichtentechnik sind mineralische Rohstoffe und daraus hergestellte keramische Massen mit besonderen Eigenschaften unerlässlich. Man bezeichnet sie heute zumeist als elektrotechnische Sondermassen. Mineralien wie Glimmer werden benötigt zum Bau von Sende- oder Empfangsanlagen, Messgeräten, Lampen und Scheinwerfern oder für andere Zwecke. Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges wurden die von der HF-Technik traditionell verwendeten mineralischen Rohstoffe zunehmend knapper. Die Suche nach Ersatzstoffen bestimmte jetzt mehr und mehr auch die Forschungsarbeit im Referat von Dr. Köhler bzw. in der Vers. N. Entsprechende Aufträge erteilte WaF u. a. an Prof. Dr. Carl Correns (1893–1980), Direktor des Mineralogisch-petrographischen Instituts der Universität Göttingen. Der anerkannte Mineraloge sollte „Untersuchungen zur Synthese von Montmorillonit* und verwandter Systeme“ durchführen. Dieses Mineral Montmorillonit, enthalten in Tonmaterial, stand in Deutschland in Form von Bentonit* in reichhaltigen Lagerstätten zur Verfügung. Unklar war jedoch, wie es daraus effektiv gewonnen werden kann. Offenbar sollte Correns dazu Lösungen finden. Ein anderer Kriegsauftrag an Correns betraf die „Aufbereitung von tonigen Material für den Alsi-Filter“. Die wenigen in den Unterlagen des RFR erhalten gebliebenen Kurzberichte von Correns ergeben keine brauchbaren Aussagen über die erzielten Ergebnisse. „Alsi“ kann durchaus als eine Abkürzung für „Aluminium-Silikat“ gedeutet werden. Filter sind in der Elektronik Schaltungen zur Festlegung von Frequenzbereichen, die vor allem dazu dienen, Signale voneinander zu trennen.883 Eine intensive Zusammenarbeit entwickelte sich zwischen Vers. N und dem KWI für Silikatforschung in Berlin-Dahlem. Institutsdirektor war der Königsberger Mineraloge Prof. Dr. Wilhelm Eitel (1891–1979), der 1926 sein Amt in Berlin angetreten hatte. Unter seiner Leitung hatte sich das KWI zu einer führenden Forschungsstelle auf dem Gebiet der Keramik, Glas- und Emailtechnik, des Zements und der Tone entwickelt. 1936 wurde dem KWI die Abteilung für Silikat und Bauchemie der TH Karlsruhe zugeordnet. Deren bisheriger Chef, Prof. Dr. Adolf Dietzel, wurde zum Vorstand dieser Technologischen Abteilung ernannt. Da das KWI ab 1940 über eines der modernsten Elektronenmikroskope von Siemens verfügte, konnte es neue Forschungsfelder erschließen. Beim RFR erkannte man dies sehr schnell und erteilte dem KWI diverse Forschungsaufträge, z. B. zum „Aufschluss deutscher Disthenvorkommen[*]“.884 Eitel musste man nicht lange bitten, sich an den Forschungsarbeiten des HWA zu beteiligen und dafür die Möglichkeiten seines Instituts einzusetzen. Entsprechende Verbindungen zwischen HWA und dem KWI existierten schon in der 883 Forschungsaufträge von WaF an Prof. Correns, BAB, R 26 III/10, Bl. 250, R 26 III/13, Bl. 148; Kurzberichte Correns’, BAB, R 26 III/554, 661, 662. 884 Eckart Hennig, Marion Kazemi: Dahlem – Domäne der Wissenschaften, 2. Aufl. Berlin 2002, (= Veröffentlichungen aus dem Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, 16), 100–109. Für die vom RFR erteilte Forschungsaufgabe wurde Eitel die Summe von 105.000 RM zur Verfügung gestellt. BAB, R 26 III/438a.
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II. Experimente
Weimarer Republik (vgl. Kapitel 1). Er war bekannt als eifriger Anhänger des Nationalsozialisten. Im April 1933, also wenige Monate nach der Machtergreifung durch Hitler, verfasste Eitel eine Denkschrift, in der er u. a. „die energische Durchführung eines Forschungsprogramms auf solchen Gebieten … wie z. B. die Erforschung der Kampfgase und ihrer Abwehr, der Eisen- und Metallversorgung Deutschlands, der mineralischen Rohstoffe für die gesamte anorganische Industrie, die Materialfragen der Landesbefestigung, die Erforschung der Grundlagen für die Luftfahrt“
forderte. Dies müsse auch in engem Verbund mit dem Reichswehrministerium erfolgen.885 Die Kontakte Eitels zum HWA waren so gut, dass er sich in bestimmten Fällen sogar unter Umgehung der Generalverwaltung der KWG direkt an den Chef des HWA, General Becker, wandte.886 Die Beteiligung des KWI für Silikatforschung an der Rüstungsforschung – gemeinsam mit OKH/HWA, RLM, Reichsministerium für Bewaffnung und Munition sowie RWA – erweiterte sich mit dem Kriegsbeginn sogleich beträchtlich. Sie hielt auch bis 1945 unvermindert an. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion kamen mit der Beschlagnahme der sowjetischen Silikatforschung in Charkow und Kiew neue Aufgaben hinzu, an denen auch WaF beteiligt war. Anfang 1942 inspizierte ein Beauftragter des Wirtschaftsstabes Ost und des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete in der Ukraine verschiedene Glashütten. Dabei fielen Panzergläser aus Konstantinowka auf, die sich von deutschen Erzeugnissen deutlich unterschieden. Beschussversuche vor Ort ergaben „wertvolle Ergebnisse“. Unter Einschaltung des HWA/WaF wurden Eitel und Dietzel mit eingehenden Prüfungen dieser Gläser und anderer Proben beauftragt. Dass die Wahl auf WaF fiel, ist möglicherweise der Stellung Schumanns als Chef von OKW W Wiss geschuldet. Die Untersuchungen zeigten, dass die „russischen Einzelscheiben durch Abschreckung ‚gehärtet‘, d. h. vorgespannt waren (nach Art des Sekuritglases), die deutschen nicht“ (hervorgehoben im Original, G. N.). Dietzel trieb seine Analysen soweit, dass er Ende 1944 vorschlagen konnte, „größere Eisenpanzerglas-Scheiben von etwa 100–150 mm Durchmesser herzustellen und damit Beschußversuche durchzuführen; letzteres ist bereits vor mehreren Monaten mit Herrn Oberreg.-Rat Dr. Köhler (OKH) mündlich vorbesprochen“.887
885 Wilhelm Eitel: Denkschrift über eine Neuorientierung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, BAB, R 1501/5328, Bl. 107; vgl. auch Heiko Stoff: Eine zentrale Arbeitsstätte mit nationalen Zielen. Wilhelm Eitel und das Kaiser-Wilhelm-Institut für Silikatforschung 1926–1945, Berlin 2006 (= Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus, Ergebnisse, 28), darin ausführliche Angaben zur Person Eitels; Maier: Forschung als Waffe, insb. 279. 886 Einen solchen Fall schildert Stoff: Eine zentrale Arbeitsstätte (wie Anm. 885), 38. 887 Auftrag der WaF, Basche, vom August 1943 an das KWI für Silikatforschung: Untersuchung und Begutachtung russischer Gläser, geheim, Dringlichkeit SS. BAB, R 26 III/13, Bl. 34; Dr. Klein, Wirtschaftsgruppe Glasindustrie, am 28. Juli 1942 an die WaF, Oberreg. Köhler, über Panzerglas-Auswertung von Glasprobe aus Konstantinowka/Ukraine, AMPG, I. Abt., Rep. 42 KWI für Silikatforschung, Nr. 39, Bl. 33 f. Warum die Panzerglas-Thematik mit Vers. N besprochen wurde, ist aus dem Dokument nicht ersichtlich; Dietzel: Bericht über Versuche zur Herstellung schußfester Glasscheiben durch Eisenpanzerung vom 18. Dezember 1944, ebd., Nr. 704, Bl. 5–8. Zu dem Mangel an Quarz für die HF-Technik sowie die Bemühungen
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Zwei Aufträge zur Suche nach Ersatzstoffen hatte WaF bereits Ende 1942 dem KWI übergeben. Eitel sollte herausarbeiten, welche Möglichkeiten bestanden Rauchquarze* und Silizium-Carbidkristalle* als Schwingungskristalle zu verwenden. Der Forschungsauftrag für Dietzel bezog sich auf die Untersuchung von synthetischen Fluorglimmer*. Offenbar hatte man beim KWI Erfolg, den schon ein Jahr später wurde der Auftrag zum Fluorglimmer beträchtlich erweitert, für geheim erklärt und in die Dringlichkeit SS eingeordnet. Die Forschung sollte sich nun konzentrieren auf „Schmelztechnik, Gemengezusammensetzung, besondere Glimmerschmelze, Analyseverfahren“.888 Eitel wies Anfang 1944 Köhler darauf hin, dass an Stelle von Silikaten des Magnesiums und anderer Stoffe, die „für das heutige Kriegsnachrichtenwesen besonders bedeutsamen keramischen Massen auf der Grundlage von Titanaten[*] erforscht“ werden sollten. Über das System MgO – Ti O2 wisse man ausreichend Bescheid, aber über eine Verbindung wie das Lanthanoxyd* gebe es noch keine Klarheit. Dem Wunsch Eitels, ihm dazu einen Forschungsauftrag zu erteilen, kam WaF bald nach. Mitte 1944 unterschrieb Schumann den Kriegsauftrag „Untersuchung von Titandioxyd-haltigen keramischen Isolierstoffen: 1. Feststellung der Ursachen von Anomalien im Brennvorgang, 2. Entwicklung neuartiger Spezialmassen (Titanate der Cerit-Erden)“. Für das Projekt zur Suche nach „Austauschstoffen für Glimmer“ wurde als Richtpreis die Summe von 23.000 RM festgesetzt. Eitel nutzte die Gunst der Stunde und bewog WaF der Zweigstelle des KWI in Fladungen/Rhön einen „Rohrofen für Versuchsbrände“, hergestellt von der Firma Heraeus, zukommen zu lassen. Den Termin für den Abschluss des Auftrages (31. März 1945) konnte Eitel gerade so halten. Der „Erfolgsbericht“ wurde pünktlich abgeschickt, ging jedoch „durch unvorhergesehene Kriegsereignisse“ in den letzten Märzwochen 1945 verloren. Schnell wurde am 12. April 1945 (!) von Eitel in Berlin ein „vorläufiger Abschlussbericht“ verfasst und Köhler durch Kurier überbracht. Eitel betonte, dass „anschauliche Unterlagen und Übersichtstafeln der Versuchsresultate baldmöglichst“ nachgereicht würden.889 Beim KWI für Silikatforschung wusste man die Beziehung zur Forschungsabteilung und darüber hinaus zu Pietsch und Bayer von der Abteilung Wissenschaft im OKW noch in anderer Hinsicht zu nutzen: Ungeniert beteiligte sich der Leiter des KWI an der Ausplünderung einschlägiger sowjetischer Forschungsinstitute in der besetzten Ukraine. Nachdem Ende 1943 die deutschen Truppen schwere Nie-
der SS, die bei Shitomir/Ukraine „von den Russen geheim gehaltenen Vorkommen“ in die Hand zu bekommen, vgl. Speer: Sklavenstaat, 264–269. 888 Auftrag Basches an Eitel: Untersuchung über die Verwendungsmöglichkeiten von Rauchquarzen und Silizium-Carbidkristallen als elektrische Schwingungskristalle, geheim, BAB, R 26 III/13, Bl. 35; Auftrag Basches an Dietzel: Untersuchungen zur Herstellung synthetischen Fluorglimmers, BAB, R 26 III/13, Bl. 36; Auftrag Köhlers an Eitel, BAB, R 26 III/11, Bl. 16. 889 Eitel an Köhler am 22. März 1944, 6. Juni 1944, 25. September 1944, 12. April 1945. Vorläufiger Abschlussbericht vom 12. April 1945. Kriegsauftrag der WaF vom 28. Juni 1944, AMPG, I. Abt., Rep. 42, Nr. 705, Bl. 1–3; Zusammenstellung von Forschungsaufträgen des HWA, Stand August 1944, BAB, R 26 III/4, Bl. 62.
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derlagen erlitten und deshalb Charkow und Kiew räumen mussten, waren „eine Reihe von Kisten mit wertvollen Gerätschaften, russischer Silikatliteratur und dergleichen aus diesem Räumungsgut“ nach Königsberg und nach Weißwasser/Niederlausitz gelangt. Eitel beschwor Anfang Februar 1944 seinen Partner Köhler, diese Materialien als „Gut des OKW“ zu kennzeichnen. Sie würden in seinem KWI für „kriegswichtige Arbeiten dringend gebraucht“ bzw. „die wertvolle russische Fachliteratur“ könne nur am Institut in Dahlem „richtig ausgewertet“ werden.890 Die engen Kontakte zwischen WaF und KWI für Silikatforschung manifestierten sich auch in der gemeinsamen Mitarbeit in der Arbeitsgemeinschaft „Fluor“ des Bevollmächtigten für die Chemische Industrie, Krauch. Ihr gehörten vom KWI Eitel und Dietzel, von WaF Gratkowski und Köhler an. Das KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie von Thiessen war vertreten durch Winkel, die Universität Halle durch Ziegler. Außerdem hatten die TH Stuttgart, das Rüstungsamt des OKW sowie das RLM ihre Vertreter entsandt.891 Nicht immer musste die Forschungsabteilung nach geeigneten Partnern unter den Wissenschaftlern suchen. Sie kamen mitunter ganz von selbst und boten dem Militär ihre Dienste an, so der renommierte Mineraloge und Kristallograph Prof. Dr. Richard Nacken (1884–1971, nicht zu verwechseln mit dem SS-Angehörigen Dr. Matthias Nacken, vgl. Kapitel 14). Richard Nacken war von 1921 bis 1945 Direktor des Mineralogischen Instituts der Universität Frankfurt/M., zusätzlich ab 1936 Direktor des Edelsteinforschungsinstituts in Idar-Oberstein. Ihm wird bescheinigt, dass er „Pionierarbeit bei der Entwicklung von Apparaturen zur Kristallzüchtung aus Schmelzen“ leistete, in der Fachwelt bekannt als die „Nacken-KyropoulosMethode“.892 Im September 1939 schrieb der Forscher an das HWA und wies auf „die Wichtigkeit der Schwingquarze für Funksender und Empfänger des Heeres, der Marine und der Luftwaffe“ hin. Da das dafür benötigte Material nur durch „große Summen an Devisen aus dem Ausland“ zu beziehen sei, sollte man rechtzeitig auf synthetische Schwingquarze ausweichen. Sie hätten die gleichen Eigenschaften wie die natürlichen. Außerdem sei absehbar, dass die vorhandenen Lagerstätten „sich erschöpfen“. Mit der von ihm entwickelten Apparatur zur Kristallbildung könne das Problem im Prinzip als gelöst betrachtet werden. Es bedürfe jedoch eines Forschungsauftrages des Heeres oder des RFR, um die Einzelheiten eines „laboratoriumsmäßigen Betriebes“ zu klären. Schumann schlug dem RFR im Januar 1940 vor, dem Antrag des Prof. Nakken zu entsprechen. Ihm sollte ein kurz- und ein längerfristiger Forschungsauftrag gegeben werden. Das geschah auch. Die von Nacken durch „Hydrothermalsynthese gezüchteten Piezo-Quarze* wurden in der Funktechnik vielfach angewandt“.893 Nacken war bis Kriegsende 1945 emsig bemüht, sein Verfahren zur 890 Eitel am 21. August 1942 an Bayer. AMPG, I. Abt., Rep. 42, Nr. 39; Eitel am 5. Februar 1944 an Köhler, ebd., Nr. 45, Bl. 9. 891 Maier: Forschung als Waffe, 285. 892 Biographische Angaben zu Nacken: NDB, Bd. 18, 687. 893 Schumann am 13. Januar 1940 an den RFR, BAB, R 26 III/264, Bl. 5–8. (Von den darin erwähnten drei Anlagen ist nur die Anlage 1: Schreiben des Prof. Nacken vom 11. September 1939, erhalten.)
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Quarzherstellung weiter zu entwickeln. Durch Anwendung hoher Drücke sollten noch bessere Ergebnisse erzielt werden. Diese Arbeiten des Professors spielten zuletzt eine Rolle bei einer Beratung, die Gerlach zur „Hochdruckforschung“ im Oktober 1944 nach München einberufen hatte. Teilnehmer waren vor allem Vertreter der Marineforschung (FEP), der TH Dresden, der PTR und anderer wissenschaftlicher Einrichtungen.894
Zünder Die im Verlauf des Krieges neu- bzw. weiterentwickelten Waffen, vor allem Raketen, ferngesteuerte/gelenkte Gleitbomben, Hochleistungsgeschütze, Torpedos und Reichweitengeschoss (Trommsdorff-Geschoss) verschärften das ohnehin leidige Zünderproblem. Deshalb forschten auch verschiedene Stellen intensiv zu neuartigen Aufschlags- und Abstandszündern, d. h. zu Zündern auf akustischer, elektrischer, chemischer oder optischer Grundlage (ultrarot). Zur Koordinierung dieser Bemühungen setzte die Militärführung in Abstimmung mit dem RFR Anfang 1944 Generalmajor Dipl.-Ing. Bernhard Heydenreich (1894–1978) als „Sonderbeauftragten für Zünderfragen“ ein. Der General war direkt dem Speer-Ministerium unterstellt. Aus einer Liste vom März 1944, die das Planungsamt für den neuen Sonderbeauftragten zusammengestellt hatte, ging hervor, dass sich „Köhler, WaF“ auch mit Bodenabstandszündern beschäftigte. Die Liste belegt zugleich die Vielzahl der Einrichtungen, bei denen die Zünderproblematik auf dem Programm stand. Dazu gehörten fast alle Forschungsstellen der einzelnen Wehrmachtsteile sowie der WaffenSS (in Danzig-Oliva), die PTR, Siemens, TH Braunschweig, AVA in Göttingen usw. Ende 1944 bekannte Heydenreich in einem Schreiben an Osenberg sehr ernüchtert, dass nach Konsultation mit vielen Fachleuten zur Thematik elektrischer Abstandszünder „alle physikalisch möglichen Lösungen … zum größten Teil erprobt sind“. Lediglich auf dem Sektor UR, bei Prof. Gudden in Prag, sehe er noch Erfolgsaussichten durch Anwendung „lichtelektrischer Zellen und Wärmezellen“.895 Die Zünderproblematik verfolgte WaF bereits seit längerem. So arbeitete beispielsweise der von der Universität Halle zur Vers. Gottow abgestellte Dr. Helmut Harms (vgl. Kapitel 2) an der Entwicklung eines chemischen Zünders.896 Das Unternehmen Rheinmetall-Borsig in Breslau erhielt – 1942 oder 1944 – von WaF einen Kriegsauftrag zur Entwicklung eines „Akustischen Flakzünders“. Das Projekt war als GKdos mit der Dringlichkeitsstufe DE deklariert. Rheinmetall-Borsig 894 Besprechung über Hochdruckfragen am 9. Oktober 1944 in München, BAB, R 26 III/365, Bl. 33. 895 Aktennotiz von Dr. Badstein (RFR) vom 16. März 1944: Bodenabstandszünder; Heydenreich am 11. Dezember 1944 an Osenberg: Elektrische Abstandszünder, BAB, R 26 III/70. Zur Tätigkeit Heydenreichs als „Sonderbeauftragter Zünderfragen“ vgl. auch BA-MA, RH 8 I/5478. 896 Mitteilung von Prof. Dr. Helmut Harms 1999; vgl. auch: Eberle: Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 414.
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wurde gebeten, den Forschungsauftrag gemeinsam mit dem Zentrallabor von Siemens zu realisieren.897 Einen schönen Erfolg konnte die Forschungsabteilung 1943 verbuchen. Bei dem schon erwähnten „Dönitz-Abend“ der KWG am 30. April 1943 (vgl. Kapitel 2), bei dem Köster, Direktor des KWI für Metallforschung in Stuttgart, zahlreiche Ergebnisse der geheimen militärischen Forschung seines Instituts präsentierte, referierte er auch zur „Entwicklung einer frostsicheren Landmine“ für das OKH. Der Vorschlag dafür sei von seinem Institut ausgegangen. Er beruhte auf dem Gedanken: „Die Mine wird magnetisch durch Einwirkung der Panzermasse gezündet, und die dazu erforderliche Spannung wird durch das Geräusch des Panzers erzeugt. Sie arbeitet also ohne Batterie auch bei strengster Kälte“. General Leeb habe dem Projekt sehr wohlwollend gegenüber gestanden und „zwei Physiker für zwei Monate zur Verfügung gestellt“. Ihnen gelang es in dieser kurzen Frist tatsächlich, eine exakt funktionierende „Schall-Magnet-Landmine“ zu konstruieren, die zudem noch einen Keramik-Körper besaß, also erheblich schwerer zu orten und zu räumen war.898 Schumann, der bei diesem „Dönitz-Abend“ als Vertreter des OKH bzw. HWA anwesend war, dürfte sich über das von Köster ausgesprochene Lob gefreut haben. Bei den zwei Physikern handelte es sich nämlich um Mitarbeiter seines II. PI. Einer davon war Dr. Gollmick. Er wurde – zusammen mit einem namentlich nicht mehr feststellbaren Angehörigen des II. PI – vom 27. Februar bis 24. März 1943 zum KWI nach Stuttgart abkommandiert, um bei Dr. Förster „eine am 24. 02. 1943 beim Chef des HWA in meinem Beisein besprochene Forschungsaufgabe durchzuführen“.899 Am 29. November 1944 fand eine hochrangig besetzte Beratung zur Fernzündung von Landminen und Abwehrflammenwerfern statt. Anwesend waren Vertreter des Speer-Ministeriums, des OKM und vor allem des OKH, HWA. Dabei berichtete Bergau von Versuchen in der Abt. Wa Prüf 7 zur Übermittlung von Signalen durch Erdströme, die jedoch kein „brauchbares Verfahren“ erbrachten. Es liegt nahe, dass dazu Konsultationen mit WaF erfolgten. Belege dafür konnten jedoch nicht gefunden werden.900 In Unterlagen des Speer-Ministeriums wird „Oberbaurat Dr. Köhler, WaF“ mehrfach als Empfänger von Berichten über „elektro-technische Zünder“ genannt. Die Berichte selbst wie auch Hinweise auf die Absender sind in den betreffenden Archivbeständen nicht enthalten.901
897 Auftrag Basches an Rheinmetall-Borsig, BAB, R 26 III/15, Bl. 187. 898 Maier: Forschung als Waffe, 556. 899 Aktenvermerk Schumanns in der Personalakte Gollmick, AHUB, PA Nr. 147, Bl. 15; Interview mit Gollmick. Mit ähnlichen Problemen war auch das KWI für Physik in Berlin befasst. Bewiloguas Kältelabor arbeitete bereits seit 1942 für die Technische SS- und Polizeiakademie. Bericht Heisenbergs vom 6. Januar 1944 über kriegswichtige Arbeiten des KWI für Physik, AMPG, I. Abt., Rep. 34 KWI für Physik, Nr. 93; BAB, R 26 III/8, Karteikarte Bewilogua, Nr. 263. 900 Niederschrift über eine Besprechung im Wa A am 29. November 1944, 9.00 Uhr, betreffend Fernzündung von Landminen und Abwehrflammenwerfern, BAB, R 3/3145, Bl. 104. 901 BAB, R 3/1343.
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Kurzzeitbatterien Große Sorgen bereitete den Waffenforschern des Heeres der Mangel an leistungsfähigen und möglichst kleinen elektrochemischen Energiequellen. Auch bei der Marine, der Luftwaffe und der SS war dies der Fall. Derartige Batterien wurden für vielfältige Zwecke benötigt, z. B. für Zünder. Um neue Lösungen zu finden, hatte das HWA Ende 1942 ein Preisausschreiben veranlasst. Daran beteiligten sich 33 Einsender, zumeist Firmen oder Wissenschaftler an Hochschulen und Universitäten. An dem geheimen und für sehr wichtig befundenen Projekt beteiligten sich von WaF auch Köhler und Habann. Sie machten Vorschläge zu drei Varianten: a) Aktivkohle und Luftsauerstoff, b) Ausführung 1: Eisensulfid/Zinksulfid/Zink, Leistung ca. 1,3 Volt; Ausführung 2: auf der Basis von Eisensulfid, Eisenammoniumsulfad und Ammoniumpersulfad, Leistung ca. 0,9 Volt, c) auf der Basis von Kohlenstoff, Ammoniumpersulfad, Natriumhydroxid und Zink bzw. Magnesium, ohne Voltangabe. Hinweise zur Konstruktion wurden nicht gegeben. Von Wa Prüf 7 war ein Dipl. Ing. Schmidt beteiligt. Einzelheiten seines Vorschlages sind nicht überliefert. Gerlach hatte zusammen mit seinem Assistenten Dr. Gerhard Otting (TU München) eine Lösung in Erwägung gezogen, die u. a. ein „Eisenträgergitter mit aufgedampfter Silber- und Bleischicht“ vorsah. Das HWA musste jedoch enttäuscht konstatieren, die eingereichten Vorschläge „bewegten sich sämtlich im Rahmen des Bekannten“. Dieses wenig erfreuliche Resümee war der Anlass für die Bildung eines Arbeitskreises, für dessen Tätigkeit Speer Prof. Friedrich Gladenbeck, Vorsitzenden der Kommission „Elektrisches Zubehör zu Munition“, Sondervollmachten erteilte.902 Dem neu gebildeten Gremium gehörten Vertreter von Forschungseinrichtungen aller drei Wehrmachtsteile an. Von WaF arbeiteten Köhler und Habann mit, von Prüf 7 Schmidt. Dr. Haxel vom OKM, FEP I leitete meist die Zusammenkünfte. Das SS-Führungshauptamt hatte Dr. Deschle und Dr. Specht geschickt, die die Forschung bei Schwab repräsentierten. Als prominenter Wissenschaftler erschien wiederholt Prof. Dr. Max Volmer (1885–1965), der auf einem analogen Gebiet mit den I. G. Farben zusammen arbeitete.903 Den wissenschaftlichen Gehalt der Beratungen – deren genaue Anzahl ist nicht bekannt, überliefert sind vier – bestimmten Volmer und Habann. Beide referierten zu verschiedenen Aspekten des Standes der Arbeit an neuen elektrochemischen Energiequellen und analysierten die ungelösten Fragen. So hielt Habann am 27. Oktober 1943 einen ausführlichen Vortrag „Das Problem des elektrochemischen Speichers“. Darin formulierte er die Forschungsaufgaben und arbeitete heraus, was im Einzelnen zu untersuchen sei. Vor allem müsse man sich „über die 902 BAB, R 26 III/745 a. Vgl. auch Ralf Blank: Energie für die „Vergeltung“. Die Accumulatoren Fabrik AG Berlin-Hagen und das deutsche Raketenprogramm im Zweiten Weltkrieg, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 66 (2007) Heft 1, 101–118. 903 Zu Volmer vgl. Günter Nagel: Stört nicht die Ruhe des großen Gelehrten. Die russischen Jahre des Potsdamer Ehrenbürgers Prof. Max Volmer, in: Potsdamer Neueste Nachrichten, Nr. 113 vom 17. Mai 2002, 13.
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physikalischen und chemischen Vorgänge beim elektrochemischen Speicher“ genauesten im Klaren sein.904 Im Protokoll zur Sitzung vom 14. Juni 1994 in Berlin hieß es u. a.: „Professor Habann berichtete darauf über die Einführung und Verwendung von Aktivkohle in Elementen. Er schilderte die Versuche mit Batterien, die mit Aktivkohle und Luftsauerstoff als Depolisator arbeiten.“905
Bei den Beratungen wurde auch rege über jene Vorschläge des Preisausschreibens diskutiert, die eventuell aussichtsreich sein konnten. Dazu gehörten an vorderer Stelle die von Köhler und Habann eingebrachten drei Varianten. Angesichts der offenkundigen Defizite in der Grundlagenforschung, die Volmer und Habann deutlich gemacht hatten, sowie der sich ab Ende 1944 überstürzenden Ereignisse kann es nicht verwundern, dass zu „Kurzzeitbatterien“ weder WaF noch andere Stellen zu neuen Erkenntnissen gelangten. Abschließend zur Forschungsthematik „Nachrichtentechnik“ ist darauf aufmerksam zu machen, dass eine der „wichtigsten Pioniertaten Habanns“ ein Patent aus dem Jahre 1942 ist. Es betrifft die Transistortechnik. Mit diesem „Patent ist damit der Transistor in seiner ursprünglichen Form von Erich Habann erstmals angegeben worden“!906 Ob und inwieweit diese weitgehend unbekannte Erfindung Habanns bei WaF eine Rolle spielte, ist nicht bekannt.
18. FORSCHUNGSSTELLE LEBUS UND SCHLOSS KRANZBACH Auf der ansehnlichen Liste jener Orte, an denen das HWA Grundlagenforschung betrieb, fehlen bislang zwei Einrichtungen. Es sind dies die Forschungsstelle Lebus und Schloss Kranzbach/Klais. Ihre Rolle während der NS-Zeit ist bisher weithin unbekannt und in der Literatur, wenn überhaupt, nur am Rande vermerkt.
Forschungsstelle Lebus Das Archiv des Deutschen Museums in München verwahrt die „Atomdokumente“. Dieser Bestand ist unstrittig die umfangreichste und aussagekräftigste Sammlung von Unterlagen zu den deutschen Uranarbeiten bis 1945. Unter den vielen tausend Blatt befinden sich zwei sehr bemerkenswerte Schriftstücke. Sie informieren über die Bestrebungen Schumanns, ein für die Kernphysik wichtiges Großforschungsgerät in die Hand zu bekommen und es in Lebus aufzubauen. In den Akten des Bundesarchivs in Berlin zum RFR ist ein Schreiben Schumanns vorhanden, in dem er
904 BA-MA, RH 8 I/4467–4470. Zusammenkünfte des Arbeitskreises sind durch Protokolle belegt für den 27. Oktober 1943, 12. Januar 1944, 14. Juni 1944, 30. September 1944. Der vollständige Inhalt von zwei Vorträgen Habanns in Nr. 4469 und 4470. 905 BA-MA, RH 8 I/4468. 906 Fassbender: Nachruf E. Habann; Görlich: In Memoriam (beide wie Anm. 864).
18. Forschungsstelle Lebus und Schloss Kranzbach
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auf seine „Sprengversuchsstelle Schönfließ“ verweist.907 Beide Dokumente zusammen sind der Schlüssel für weitere, bislang verborgen gebliebene Aktivitäten Schumanns: Die Evakuierung seines II. Physikalischen Instituts und die Weiterführung der dort betriebenen geheimen Forschungen fernab von Berlin. Um diese Orte bemühte sich Schumann seit Mitte 1943, nahezu gleichlaufend zur Verlagerung von WaF nach Vers. Gottow (vgl. Kapitel 20). Zur Realisierung dieser Absicht nutzte er weidlich seinen Einfluss als Chef von OKW W Wiss. Seine Wahl fiel auf das Oderstädtchen Lebus und dessen Umgebung. Das kam nicht von ungefähr. Hier hatten bereits der Reichsminister/Chef der Reichskanzlei (im Schloss Wulkow) sowie der Beauftragte für den Vierjahresplan und Preußischer Ministerpräsident, Göring, mit seinem Stab (in Lebus) ihre Ausweichunterkünfte geplant – Wulkow und Schönfließ liegen nur wenige Kilometer von Lebus entfernt.908 Außerdem gab es verwandtschaftliche Beziehungen Schumanns zum nahe befindlichen Dorf Dolgelin. Dort hatte er seit 1943 offiziell seinen Wohnsitz gemeldet. Ob es einen Zusammenhang mit dem etwa 15 km entferntem Seewerk Falkenhagen gab, ist fraglich. Das 1695 errichtete, später umgebaute Herrenhaus in Wulkow war zu dieser Zeit im Besitz der Familie Schulz-Wulkow. Das schöne Anwesen, allgemein Schloss genannt, und die umgebenden Gutsgebäude boten günstige Bedingungen für die Unterbringung der Mitarbeiter und für die Aufstellung großer Forschungsgeräte. Dicht an Schönfließ führte die Eisenbahnlinie Frankfurt/Oder–Seelow vorbei.909 In Lebus befand sich seit Januar 1940 die „Forschungsstelle“ von Prof. Dr. Wilhelm Unverzagt (1892–1971), Direktor des Staatlichen Museums für Vor- und Frühgeschichte, Berlin, und ab 1932 Inhaber einer Professur an der Universität Berlin. Unverzagt hatte sich in Lebus niedergelassen, da er hier auf dem Burgberg Ausgrabungen vornahm, die bemerkenswerte Reste einer Burg aus der Zeit vom 13. bis zum 15. Jahrhundert ergaben.910 Für diese Arbeiten wurden später auch Kriegsgefangene eingesetzt. Sitz der „Forschungsstelle“, verwaltet von Max Muth, war das alte Herrenhaus in Lebus – ebenfalls Schloss genannt, heute nicht mehr vorhanden. Die Ausgrabungen wurden unterstützt durch das REM und stan907 Atomdokumente, DM, Filmrollen, SI, Bl. 291144 f., 291151 f., auch: BAB, R 26 III/515 und 209; vgl. Siegfried Sparmann: Gab es ein Geheimwaffenforschungslabor in Schönfließ? Ein kurzer Abschnitt der Schönfließer Ortsgeschichte, in: Jahrbuch Landkreis Märkisch-Oderland 1999, 68–70. Sparmann bezieht sich auf Erzählungen Alteingesessener über ein „Geheimwaffenlabor“, kommt aber zu keinem schlüssigen Ergebnis. Die genaue Lage des Sprengplatzes konnte nicht ermittelt werden. 908 Geplante Ausweichunterkünfte für Oberste Reichsbehörden, vom 14. Oktober 1943, BAB, NS 19/2404. Auch Küstrin, Frankfurt/Oder und Rosengarten (bei Frankfurt Oder) standen auf dieser Liste. 909 Zu Wulkow Ute Kamps: Schloss Wulkow, Berlin 1999 (= Schlösser und Gärten der Mark); Fred Pilarski: Wulkow. 650 Jahre zwischen Wildbirne und Wilhelmshof. Ortsbewohner erinnern sich, Wulkow 2003. 910 Vgl. u. a. Herbert Ludat: Bistum Lebus. Studien zur Gründungsfrage und zur Entstehung und Wirtschaftsgeschichte seiner schlesisch-polnischen Besitzungen, Weimar 1942, ND Hildesheim 1993.
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II. Experimente
den unter der Schirmherrschaft des Reichsführers SS Himmler. Betreut wurden sie durch Sievers vom „Ahnenerbe“.911 Die im „Schloss Lebus“ durch Unverzagt eingerichtete Ausstellung war häufiges Ziel von Besichtigungsreisen diverser NSGruppierungen und wurde für „Kulturtagungen der NSDAP“ genutzt. Im Verlauf des Krieges war das Gebäude zum „Notquartier“ für die Unterbringung der Geschäftsführung und von Teilen der wertvollen Sammlung des Museums für Vorund Frühgeschichte bestimmt worden. Im August 1942 trafen davon bereits „zwei Dampferladungen voll“ in Lebus ein. Im August 1943 erschienen im „Schloss Lebus“ überraschend „2 Ministerialräte des Preußischen Staatsministeriums … im Zuge der Umquartierung von Behördendienststellen, besichtigten das Gebäude, deuteten eine Beschlagnahme an“. In Lebus nahm man an, sie handelten im Auftrag des Luftfahrtministeriums, da der Name Göring fiel. Der zuständige Generaldirektor protestierte natürlich sofort gegen diese Absicht, jedoch mit wenig Erfolg. Am 17. August 1943 verfügte der Bürgermeister von Lebus, Conrad Dornfeld, übrigens ein strammer Nazi, die Beschlagnahme der unteren Schlossetagen und kündigte an, dass dies bald auch mit den oberen Räumen geschehen werde. Zwei Tage später war die Verfügung für die unteren Räume da, versehen mit dem Vermerk „Für Reichsmarschall Göring“. Jetzt erreichte diese Kunde auch Himmler, der am 28. September 1943 Sievers vom „Ahnenerbe“ einschaltete – allerdings vergeblich.912 Schumann nutzte bald nach der Beschlagnahme die von Dornfeld beschafften Räume des Prof. Unverzagt in der „Forschungsstelle“. Doch erst ein ganzes Jahr später war der Streit über den Zuschlag endgültig entschieden, jedoch mit einem Kompromiss: Beide Kontrahenten teilten sich das Schloss. Der Beauftragte Görings, Amtsrat Oberst Drape, notierte dazu am 30. September 1944: „1. Die dem Beauftragten für den Vierjahresplan und dem Preußischen Staatsministerium im Erdgeschoß des Museums für Vor- und Frühgeschichte in Lebus als Ausweichstelle zugewiesenen Räume werden Ministerialdirigent Professor Dr. Schumann zur Durchführung eines ihm vom Reichsmarschall erteilten besonders dringlichen Sonderauftrages bis auf weiteres überlassen. 2. Professor Dr. Schumann übernimmt die vom Beauftragten für den Vierjahresplan und dem Preußischen Staatsministerium für Vor- und Frühgeschichte in Lebus gegenüber eingegangene Verpflichtung, die fraglichen Räume bei Kriegsende in dem alten Zustand dem Eigentümer des Gebäudes zu übergeben. 3. Auf die Inanspruchnahme des noch nicht fertig gestellten Fengler’schen Hauses am Wasserturm Lebus verzichtet Professor Schumann. Das Haus steht dem Beauftragten für den
911 Vgl. Kater: Das „Ahnenerbe“, 20–23, 293–295. Die Bestände des BAB, BDC, zu Unverzagt, enthalten zwar Berichte an die SS über seine Ausgrabungen in Kroatien, jedoch keine Hinweise auf Lebus. 912 Stadtarchiv Lebus, Archivalische Materialien, Komplex 13.2. Herrn Manfred Hunger, ehrenamtlicher Archivbearbeiter in Lebus, ist für diesen Hinweis zu danken; Aktennotiz Dornfelds vom 16. Mai 1957 zu Schumann, NL Schumann; BAB, BDC, Mitgliedschaft Dornfelds in der NSDAP.
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Vierjahresplan und dem Preußischen Staatsministerium als Ersatz für die fraglichen Diensträume zur Verfügung.“913
Der stets auf Geheimhaltung bedachte Schumann brauchte sich zu seinem neuen Domizil in Lebus nichts Neues einfallen lassen. Es blieb einfach bei der gut eingeführten, unverdächtigen Bezeichnung „Forschungsstelle Lebus“. Anders im Schloss Wulkow. Hier gaben sich der als Professor bekannte Schumann und seine Mitarbeiter als „Wissenschaftler des Kaiser-Wilhelm-Instituts“ aus, so auch in Schönfließ, wo etliche Angehörige des II. PI privat bei Bauernfamilien untergekommen waren. „Diese staatliche Einweisung kam für meine Eltern [die Besitzer von Schloss Wulkow, G. N.] überraschend und wurde mit einer ‚kriegswichtigen Auslagerung eines Forschungslabors aus dem bombenzerstörten Berlin‘ erklärt. Um was für ein Labor es sich handelte, war geheim, der Zugang zu den requirierten Laborräumen im Gartenflügel, Verwaltertrakt und Keller verboten. Es gab auch niemand im Haus oder im kleinen Dorf, der von den physikalischen oder chemischen Vorgängen oder Geräten etwas verstand … Die Wissenschaftler benahmen sich höflich, zurückhaltend und waren keine SS-Typen.“914
Schumanns joviales Auftreten tat sein übriges, um von vornherein unnötige Fragen zu vermeiden. Viele Jahre später erinnerten sich Zeitzeugen, die damals mit Schloss Wulkow zu tun hatten, an eine Episode, wonach Schumann in die Küche kam und sich bei der Chefin leutselig erkundigte: „Na, was gibt’s denn heute Schönes zu essen?“ Bekannt war auch Schumanns Komponistentätigkeit. In Wulkow soll damals sein Marsch „Volkssturm erwacht“ entstanden sein. Von den Angehörigen des II. PI, die sich in Lebus aufhielten und dort weiter arbeiteten, konnten unter anderen die bereits in anderem Zusammenhang genannten Wissenschaftler „Dr. Horn (oder Oberleutnant Dr. Horn?), Dr. Hinrichs, Dr. Wörner und Feldwebel Dr. Nordhausen“ ermittelt werden. Als weitere Mitarbeiter des II. PI wurden genannt: „Tischler Gierke, Elektriker Meißner, Fotograf Handel, Heinz Flickenschild“. Der „ältere Herr Motz“ ist zweifellos identisch mit jenem Oberbaurat Motz, der Schumann am 23./24. August 1944 bei der Besichtigung der Forschungsstelle des Prof. Unverzagt begleitete. Seine Wohnung in Berlin war durch einen Bombentreffer zerstört worden, und er lebte seitdem außerhalb Berlins. Wahrscheinlich ist er verwandt mit Frau Dr. Motz, die bei Schumann arbeitete und später seine zweite Frau wurde, vgl. Kapitel 22.915 Zu Schumanns Mitarbeitern in Schönfließ-Wulkow gehörten auch einige Doktoranden, die hier ihre Forschungsarbeiten weiter oder zu Ende führten. Gerhard 913 Aktenvermerk Drapes vom 30. September 1944, Stadtarchiv Lebus (wie Anm. 912). Sievers hielt sich am 21. August 1944 in Lebus bei Unverzagt auf. Eintrag Tagebuch Sievers’ (ohne Einzelheiten), BAB, NS 21/11. 914 Schriftliche Mitteilung Woldemar Schulz-Wulkows vom 16. September 2004. 915 Telefonische Mitteilungen und persönliches Gespräch am 5. Juli 2005 mit Günther Schumann, Frankfurt/Oder, dessen Mutter damals Köchin im Schloss Wulkow war. Verwandtschaft zu Prof. Schumann besteht nicht; Aktennotiz Drapes, Stadtarchiv Lebus (wie Anm. 912); schriftliche Mitteilung von Frau B. F. vom 28. Oktober 2005 (Sie bat aus persönlichen Gründen, ihren Namen nicht zu nennen); Mitteilung W. Schulz-Wulkows (wie Anm. 914).
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Leeder, der aus Dolgelin stammte, 1939 zum HWA kommandiert wurde und anschließend bei der Studentenkompanie war, begann 1941 mit der Arbeit an einer Geheimdissertation. Ihr Thema lautete: „Röntgenographische Untersuchung der thermischen Zersetzung des Silberazids“. Geprüft wurde Leeder im April 1944 durch Schumann und Klose, die seiner Schrift das Prädikat „Sehr gut“ zuerkannten.916 Hans Kühne aus Schönfließ, auch er ein Angehöriger der Studentenkompanie, nahm sein Studium 1940 an der Universität Berlin auf und schloss es vier Jahre später mit dem Diplom ab. Danach wurde er mit einer Dissertationsthema beauftragt, das er kurz vor Kriegsschluss beendete. Am 14. April 1945 nahmen Schumann und Klose die Schrift „Untersuchung der Struktur und Zersetzung von Bariumazid mit Hilfe von Röntgen- und Elektronenstrahlen“ an. Sie beurteilten sie als „Sehr gut“.917 Heinz Wilsdorf, der als Angehöriger der Studentenkompanie an der Universität die Fächer Physik, Mathematik und Chemie belegt hatte, gehörte ebenfalls zur Mannschaft in Schönfließ-Wulkow. Dort arbeitete er an seiner Diplomarbeit, die er 1944 ablieferte. Die begonnene Dissertation zu einem physikalischen Thema konnte er nicht mehr zu Ende führen.918 Über beträchtliche Erfahrungen in der Forschungsarbeit verfügte Dr. Rolf Schneidereit (*1913), der am 19. Juli 1939 bei Schumann und Wehnelt seinen Doktor gemacht hatte. Die zunächst als geheim registrierte Arbeit „Über neue thermisch-mechanische Strahlungsempfänger für Wechsellicht“ wurde 1942 freigegeben. Schneidereit wurde am 18. Dezember 1939 als wissenschaftliche Hilfskraft am II. PI eingestellt. In seiner Personalakte ist ausdrücklich vermerkt, das die Bezahlung das OKH übernahm.919 Auch der bereits vorgestellte Dr. Pfefferkorn arbeitete in SchönfließWulkow. Sowohl die Themen der Geheimdissertationen, zu denen in Lebus bzw. Schönfließ-Wulkow die Experimente stattfanden, als auch die Mitteilungen von Zeitzeugen über „ein großes Gerät für Röntgenstrahlen in einem Bauernhaus in Schönfließ“ bzw. über „große, bis zu zwei Meter lange Geräteteile, die 1945 nach Kriegsende noch lange im Park von Wulkow herumlagen“, deuten darauf hin, dass Schumanns Wissenschaftlergruppe über modernes Forschungsgerät verfügte und damit auch respektable Ergebnisse erzielt wurden. Doch Schumann begnügte sich damit nicht. Ihm schwebte mehr vor: Der Besitz eines der modernsten Großforschungsgeräte, über das man damals in Deutschland verfügte, nämlich eine Hochspannungsanlage* zur Erzeugung von Neutronen. Als Aufstellungsort war höchstwahrscheinlich Schloss Wulkow vorgesehen. Hergestellt wurden derartige Geräte u. a. von der Firma „Koch & Sterzel AG“ in Dresden. Im Jahre 1904 gründeten in der Elbmetropole Franz-Joseph Koch und August Sterzel eine nach ihnen benannte Firma zur Erzeugung von Anlagen der Elektrotechnik. 916 Promotionsunterlagen Leeder, Akten „Geheimdissertationen“, Bd. 2, AHUB. 917 Promotionsunterlagen Kühne, AHUB; schriftliche Mitteilung des Bruders Siegfried Kühne und Gespräch mit ihm 2002. 918 Heinz Wilsdorf: Studien über den Einfluß von Säuren auf Metalle, Dissertation, 20. Juni 1947, Göttingen, Lebenslauf. 919 Promotionsunterlagen Schneidereit, Akten „Geheimdissertationen“, Bd. 2, und PA 185, AHUB; Gespräch mit Siegfried Kühne (wie Anm. 917).
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Von Anfang an kooperierten sie mit der Technischen Hochschule Dresden und legten großen Wert auf eine intensive Forschungs- und Entwicklungsarbeit. Der Schwerpunkt lag auf Hochspannungsinduktoren, wissenschaftlichen Geräten für Lehreinrichtungen, Röntgenapparaturen sowie Schalt- und Prüfgeräten. Schon 1928 verließ ein Prüftransformator mit einer Leistung von 1 Million Volt die Werkhallen. Die umfangreichen Erfahrungen und das Aufblühen der Kernphysik in den 30iger Jahren waren für das Unternehmen Anlass genug, noch stärker in den wissenschaftlichen Gerätebau einzusteigen.920 Mit dem Beginn des deutschen Uranprojektes wurden die Anlagen der Firma noch wichtiger. Die neueste Entwicklung war eine „Anlage für 3 Millionen Volt Gleichspannung gegen Erde“. Damit war es möglich, Neutronen zu erzeugen und auf diese Weise vielfältige Aufgaben der Kernforschung zu lösen (vgl. Kapitel 9). Ein derartiges Großgerät hatte Prof. Dr. Boris Rajewsky (1893–1974) für das von ihm geleitete KWI für Biophysik in Frankfurt/M. 1941 beantragt.921 Er beabsichtigte, damit die strahlenbiologische Grundlagenforschung voranzutreiben sowie praktische Nutzungsmöglichkeiten in Biologie und Medizin zu finden, beispielsweise zur Krebsbekämpfung. Ebenso wurde an die Herstellung künstlicher radioaktiver Stoffe gedacht. Ein militärischer Hintergrund existierte noch nicht. Das änderte sich jedoch ab Frühjahr 1942, nachdem sich der Generalsekretär der KWG – in Abstimmung mit Rajewsky – an Speer gewandt hatte. Daraufhin traten das HWA und das Rüstungsministerium in Erscheinung, förderten das Projekt Hochspannungsanlage und erteilten dem KWI in Frankfurt/M. mehrere Kriegsaufträge der Dringlichkeitsstufe SS. Am 28. Oktober 1942 erhielt Koch & Sterzel den endgültigen Auftrag für die Lieferung einer „Drei-Millionen-Volt-Gleichspannungsanlage mit einem Röhrennutzstrom bis zu 12–15 mA“ im Gesamtpreis von 152.700 RM. Die Rüstungswirtschaftsstelle des OKW bestätigte wenige Tage später die Dringlichkeitsstufe DE.922 Ab Ende 1942 arbeitete das KWI für Biophysik weitgehend für das HWA, die Forschungsführung der Luftwaffe, das OKM den RFR und das RWA. Anfang 1944 schrieb Rajewsky an Gerlach, er wolle mit der bestellten Hochspannungsanlage „Fragen des Strahlenschutzes bei höchsten Spannungen, insbesondere des Neutronenschutzes“ untersuchen und zugleich die „biologischen Wirkungen korpuskularer Strahlungen incl. Neutronen unter Berücksichtigung der Möglichkeit deren Verwendung als Kampfmittel, vor allem aber der Klärung biologischer Grundlagen des Strahlenschutzes“ zu erforschen [Hervorhebung im Original, G. N.]. Dazu erbat er sich im April 1944 bei Gerlach die Bewilligung einer For-
920 Zur Unternehmensgeschichte Koch & Sterzel: Vom Hinterhof zum modernen sozialistischen Großbetrieb. Zur Geschichte des VEB Transformatoren- und Röntgenwerk „Hermann Matern“, Dresden, in: „Der Funke“, Betriebszeitung, Beilage 1981, 1–16. 921 Zur Biographie vgl. u. a. August Dänzer: Boris Rajewsky zum 60. Geburtstag, in: Strahlentherapie 1954, 4–11; ausführlich Karlsch: Boris Rajewsky, 415–420. 922 Rajewsky am 28. Oktober 1942 an Koch & Sterzel, BAB, R 26 III/719; Karlsch: Boris Rajewsky, 417–420.
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schungsbeihilfe. Die Lieferung des Großgerätes war Rajewsky für das 2. Halbjahr 1944 verbindlich zugesagt worden.923 Am 26. Oktober 1944 trafen sich in Berlin im Haus des RFR Gerlach, Mentzel und Schumann. Bei ihrer Besprechung konstatierten sie, vor allem bedingt durch den siegreichen Vormarsch der Alliierten, den „Verlust der Pariser Anlage, die Einstellung der Arbeiten an den Neutronenanlage in Straßburg, Bonn und der Hochspannungsanlage in Köln für lange Zeit“. Deshalb mache sich die „sofortige Aufstellung einer leistungsfähigen Neutronenanlage erforderlich“, nämlich das bei Koch & Sterzel bereits in Kisten verpackte Großgerät. Wegen der Luftgefährdung und des nicht so bedeutsamen Arbeitsprogramms am Institut von Rajewsky werde die Zustimmung zum Aufbau in Frankfurt/M. nicht gegeben. Gerlach betonte in seiner Eigenschaft als Bevollmächtigter für Kernphysik, dass „eine Hochspannungsanlage in erster Linie für die Neutronengewinnung und für sprengstoffphysikalische Versuche gebraucht wird“. Die drei Beratungsteilnehmer fassten den Beschluss: „Die Koch & Sterzel-Anlage wird an das II. Physikalische Institut der Universität Berlin zum Aufbau bei der Forschungsstelle Lebus überwiesen“. Die Zustimmung von Geist werde eingeholt – die wenige Tage danach auch erfolgte. Rajewsky, Albert Vögler (Präsident der KWG) und die Dresdener Firma seien entsprechend zu unterrichten. Schumann erklärte, der neue Platz sei weitgehend „luftgesichert“, die Anlage könnte schnellsten aufgestellt werden.924 Pfefferkorn setzte sich unverzüglich mit dem Berliner Büro von Koch & Sterzel in Verbindung und erläuterte die neue Lage. Fürsorglich wies er darauf hin: „Es fehlt lediglich noch ein entsprechender Bau für die Unterbringung der Anlage, der aber schnellstens geschaffen wird“. In Dresden war man empört, einmal weil die Anlage wegen Arbeitskräftemangel noch nicht fertig sei, zum anderen, weil man daran zweifelte, dass die neuen Räume für einen technisch einwandfreien Aufbau auch geeignet seien. Schließlich habe man die Gesamtanlage, die „nicht nur den Hochspannungsteil, sondern auch Röhren und das Zubehör sowie die notwendigen Bauteile, die besonders für den Schutz der mit der Anlage Arbeitenden ausgestaltet sind … mit Herrn Prof. Rajewski und anderen Herren zusammen entwickelt“.
Die Dresdener Firma schlug deshalb vor, die fertigen Teile aus der Fabrik abzuholen, da der Platz gebraucht werde, und sie bombensicher, „absolut trocken und gleichmäßig temperiert“ zu lagern. Wenn der neue Aufstellort einwandfrei ausge923 Rajewsky am 9. April 1944 an Gerlach zur Wehrmachtsauftragsnummer SS 4891-0194 (1642/ 11)-II/43, Atomdokumente, DM, 0735, Bl. 13; Aussage Dr. Zimmers und Dr. Krebs’ in der Vernehmung durch sowjetische Behörden 1945, BStU-Bestand Timoféeff-Ressowsky, sowie AMPG, II. Abt. MPG, Rep. 1U Präsidentenkommission KWG im Nationalsozialismus, Rajewsky-Projekt, und I. Abt., Rep. 34 KWI für Physik, Nr. 100; Karlsch: Boris Rajewsky, 420 f.; Robert N. Proctor nennt in: Blitzkrieg gegen den Krebs Gesundheit und Propaganda im Dritten Reich, Stuttgart 2002, 352, Anm. 99, einen Auftrag des HWA vom Frühjahr 1943 an Rajewsky, zu untersuchen, ob eine „konventionelle Bombe, die von hochradioaktivem Abfall umgeben“ ist, als Waffe eingesetzt werden kann (ohne Quellenbeleg). 924 Aktennotiz Gerlachs vom 28. Oktober 1944, DM, Atomdokumente, Filmrollen zur SI, Bl. 291144 f., auch BAB, R 26 III/515 und 245.
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baut sei, könne über den Zeitpunkt der Aufstellung entschieden werden. „Jedoch müßten die Teile ein viertel Jahr vorher zu uns zur Überholung gesandt werden“ – so die Vorstellung der Dresdener Firma Mitte November 1944 in ihrem Schreiben an den Geschäftsführenden Beirat des RFR. In dem Brief klingt an, dass sich Koch & Sterzel vor allem um die Bezahlung des Auftrags Sorge machte. Wahrscheinlich argumentierte man aus diesem Grund in Dresden, es bedürfe noch der ausdrücklichen Genehmigung des Reichsministers Speer.925 Das Großforschungsgerät kam nie in Wulkow an. Geschuldet war dies der Hartnäckigkeit Rajewskys. Er ließ nicht locker, attackierte Gerlach weiter, vereinbarte ein klärendes Gespräch und sogar eine gemeinsame Fahrt nach Dresden zu Koch & Sterzel. Gerlach sagte sie jedoch kurzfristig ab. Nach einer Anfrage des Speer-Ministeriums am 1. Dezember 1944 bei Dr. Lüschen, Vorsitzender des Hauptausschusses Elektro-Technik, was nun mit dem Gerät geschehen solle, kam kurz danach die Entscheidung des Rüstungsministeriums, das Gerät endgültig dem KWI für Biophysik zuzuschlagen.926 Offenbar hatte sich diese Information zur weiteren Nutzung der Anlage im Gestrüpp der ministerialen Bürokratie verfangen. Lüschen seinerseits erkundigte sich nämlich am 16. Januar 1945 bei Esau über die beabsichtigte weitere Verwendung. Reichlich vier Wochen später, am 22. Februar 1945, ließ Gerlach Oberst Geist wissen, ihm sei unbekannt, wo die Hochspannungsanlage aufgebaut werden sollte. Außerdem habe er „vom kernphysikalischen Standpunkt aus kein Interesse an der Arbeit Rajewskys und seiner Anlage“.927 Der Verbleib der Hochspannungsanlage ist geklärt. Teile des 3-MeV-Gerätes wurden in einem Salzbergwerk bei Staßfurt eingelagert. Nach der Besetzung von Staßfurt durch amerikanische Truppe versuchten KWI-Mitarbeiter, mit Unterstützung der Amerikaner einen Abtransport zu arrangieren. Das scheiterte jedoch, da die Rote Armee nach wenigen Tagen vereinbarungsgemäß in Staßfurt einrückte. So wurden die Anlagenteile Beute sowjetischer Spezialkommandos, wovon sofort der Geheimdienstchef Berija telegraphisch Kenntnis erhielt. Nutznießer wurde Prof. Kurtschatow (Kurchatov), der sie in seinem Laboratorium Nr. 2 in Moskau aufstellen ließ.928 Offen bleibt die Frage, wofür Schumann das Großforschungsgerät einsetzen wollte. Warum traf man in der Endphase des Dritten Reiches noch eine solche schwerwiegende Entscheidung? Gab es einen Zusammenhang mit den Arbeiten zum „Zusammenführen“ von Hohlladung und Kernphysik (vgl. Kapitel 9)? Eine endgültige Antwort ist dazu nicht möglich, kann aber unter Berücksichtigung folgender Ereignisse vermutet werden: Forschungsanträge, die sich unter Umständen auf die Hochspannungsanlage bezogen, hatte Schumann schon im März 1944 gestellt. Sie lauteten: „Nachweis von speziellen Reaktionen, die sich durch Detonati925 Schreiben der Koch & Sterzel AG vom 15. November 1944 an den RFR, ebd., Bl. 291151 f. 926 Karlsch: Boris Rajewsky, 424; BAB, R 26 III/515. 927 Korrespondenz Gerlachs, BAB, R 26 III/515. Warum Gerlach diese offenkundige Ausrede vortrug, kann nicht beurteilt werden. 928 Karlsch: Boris Rajewsky, 425 f.; Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft 1961, Bd. II, 160–169.
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onsvorgänge unter den dort vorliegenden extremen Bedingungen erzwingen lassen, mit Hilfe kernphysikalische Methoden“, „Anwendung künstlicher radioaktiver Stoffe und Nachweis nach der Sprengung mit Hilfe der Zählrohrmethode“. Im Juni 1944 waren ihm dafür 150.000 RM bewilligt worden. Am 17. August 1944 bewillligte man Schumann einen weiteren „Kriegsauftrag“ über „Atomphysikalische, für die Sprengstoffphysik grundlegende Untersuchungen“, der am 5. Oktober 1944 die höchste Dringlichkeit DE erhielt. Der Auftrag galt bis zum 31. März 1945. Unter dem Kennwort „Sprengphysik“ war Bericht über den Stand zu erstatten.929 Die oben und an anderer Stelle genannten röntgenographischen Forschungen zu Sprengstoffen legen den Schluss nahe, dass man durch Neutronenbestrahlung entweder deren Struktur genauer ergründen oder neue Eigenschaften erzeugen wollte. Mit dieser Thematik befasste sich die Forschungsabteilung schon länger. Bereits ab 1937 arbeiteten Pose und Rexer an Aufträgen zur Bestrahlung von Sprengstoffen: „Untersuchung über die Auslösung von Explosionsvorgängen durch radioaktive Strahlen“.930 Nach eigenen Angaben hatte der Chemiker Dr. Wolfgang Ehrenberg (1909–1986), tätig in einem „Sonderlabor von Wa Prüf 1/ VIII des Schießplatzes Kummersdorf“, 1943 zusammen mit Dr. Ronald Richter 1909–1991) „im Privatlabor von Baron M. v. Ardenne“ gearbeitet. Im Auftrag des HWA, WaF, befassten sie sich mit Stabilitätsuntersuchungen an Initialsprengstoffen. Sie beschossen u. a. Bleiazid und Quecksilberfulminattabletten mit schnellen Protonen, später mit Elektronen und Neutronen, um eine Zündung auszulösen. Genutzt wurde dafür der bei v. Ardenne betriebene Van-de-Graaff-Generator für 1 Million Volt.931 In seinen Memoiren vermerkte Richter zur Tätigkeit bei von Ardenne: „Dr. Hoppe und Dr. Ehrenberg, Heereswaffenamt, besuchen Ardenne, Beschuß von Quecksilberfulminaten mit schnellen Elektronen oder Protonen, Deuteronen. Entdecke Detonationswelle in Sprengstoffen, kritische Punktzündung, daraus entwickelt sich conception of inertiacontrolled fusion [Konzeption einer kontrollierten Fusion, G. N.]“,
ergänzt durch eine Anmerkung: „neutronflash und gammaflesh bomb [Neutronenblitz und Gammablitzbombe, G. N.]“.932 Von Ardenne hatte Richter am 31. Juli 1943 gekündigt, mit dem Hinweis, dass „im kommenden Monat noch die Unter-
929 BAB, R 26 III/209 und 448. 930 BAB, R 26 III/9 (Karteikarten Pose und Rexer); Richter am 3. März 1944 an Bothe, Ardenne am 31. Juli 1943 an Bothe, AMPG III. Abt., Rep. 6 Nachlass Walther Bothe, Nr. 43/1; Wolfgang Ehrenberg: Probleme und Möglichkeiten der Atomkernfusion, Garmisch-Partenkirchen 1958. Mit der Bestrahlung von Sprengstoffen befasste sich 1942 auch Dr. Walter Dällenbach. Vgl. Burghard Weiss: Groß, teuer und gefährlich? Kernphysikalische Forschungstechnologien an Instituten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft vor während und nach Ende des „Dritten Reiches“, in: Kaufmann (Hg.): Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Bd. 1, 699–725, insb. 717–719. 931 Richter am 3. März 1944 an Bothe, Ardenne am 31. Juli 1943 an Bothe, AMPG, III. Abt., Rep. 6, Nr. 43/1; Ehrenberg, Probleme und Möglichkeiten (wie Anm. 930). 932 Zitiert bei Paul-Jürgen Hahn, Rainer Karlsch: Scharlatan oder Visionär. Roland Richter und die Anfänge der Fusionsforschung, in: Karlsch, Petermann (Hg.): Für und Wider, 181–228, insb. 194 f.
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suchung für das Heereswaffenamt abzuschließen ist“.933 Der von Richter genannte Dr. Hoppe vom HWA konnte nicht identifiziert werden. Möglicherweise war das von Ehrenberg erwähnte „Sonderlabor“ identisch mit der „Untersuchungsstelle Kummersdorf“, der u. U. auch Hoppe angehörte.934 Kaum berührt von den Kontroversen um die Hochspannungsanlage vollzogen sich im letzten Kriegsstadium die Ereignisse in Lebus. Zuletzt gerieten sie in die entsetzliche Gewalt der Kämpfe an der Oderfront. Beim „Ahnenerbe“ war man am Ende des Jahres 1944 über die Lage der „Forschungsstelle Lebus“ und deren Nutzung durch Schumann im Unklaren. Eine Anfrage ergab die lapidare Antwort Schumanns, er beanspruche die Räume weiterhin und habe sie deshalb auch für seine Forscher belegt.935 Anfang Januar 1945 erlosch jedoch Schumanns Wehrforschung in Lebus und in Schönfließ-Wulkow. Für die deutsche Wehrmachtsführung stand außer Frage, dass sich die Rote Armee in Polen auf ihre Offensive nach Berlin vorbereitete. Die Verbände des Marschall Konew erreichten am 22. Januar 1945 die Oder bei Steinau. Wenige Tage danach, am 31. Januar, setzten Vorausabteilungen der 1. Belorussischen Front bei Kienitz (nördlich von Küstrin) über den Strom und bildeten einen Brückenkopf. Himmler, von Hitler zum Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Weichsel ernannt, erließ am 3. Februar 1945 den Befehl zur Evakuierung des Oderraumes durch die Zivilbevölkerung.936 Was in dieser Zeit mit der „Forschungsstelle Lebus“ geschah, berichtete der Bruder Dr. Kühnes, Siegfried Kühne: „Die Ausweichstellen Schönfließ und Wulkow wurden in den ersten Tagen im Januar 1945 evakuiert. Die Anlagen wurden abgebaut, auf Wehrmachtsfahrzeuge verladen und die Fahrt ging zunächst nach Gernrode im Harz. Wir sahen uns noch einmal am 16. April 1945 in Fürstenwalde nach Abschluß seiner Promotion in Berlin. Bei dieser Gelegenheit erfuhren wir, daß die Fahrt weiter geht bis in den Bayrischen Wald. Da wir uns selbst schon auf der Flucht befanden hörten wir voneinander nichts mehr. Später erfuhren wir, daß zunächst eine Kriegsgefangenschaft und nach 3 Wochen die Entlassung im Bayrischen Wald erfolgte. Hier verdiente er sich seinen Lebensunterhalt bei Bauersleuten, bei denen er wohnte. Von hier aus
933 Ebd. Das Kündigungsschreiben ist 195 abgebildet. 934 Der Anfang der dreißiger Jahre in der Heeresversuchsstelle Kummersdorf beträchtlich gestiegene Bedarf an diversen Werkstoffprüfungen bewog das Reichswehrministerium im Februar 1932, beim Reichsministerium der Finanzen Gelder für die Einrichtung einer eigenen Untersuchungsanstalt zur Nutzung durch die bereits bestehende Untersuchungskommission anzufordern. Die bisherige Praxis, Heeresgerät, Waffen, Werkstoffe usw. zur CTR oder zu Fertigungsfirmen zu transportieren, um sie dort prüfen zu lassen, war zu teuer, sehr umständlich und langwierig. Eine entsprechende Einrichtung vor Ort hätte bedeutende Einsparungen zur Folge gehabt. Gedacht war u. a. an Zerreißmaschinen, Pendelschlagwerke, Kugeldruckpressen, eine Röntgenapparatur zur „Durchleuchtung von Geschützrohren“, Apparate für chemische und metallographische Untersuchungen. Schreiben des Reichswehrministers vom 2. Februar 1932 an das Reichsministerium der Finanzen, Planung des RWM für das Rechnungsjahr 1932 zum Schießplatz Kummersdorf, BAB, R 2/5334. 935 Stadtarchiv Lebus (wie Anm. 912). 936 Vgl. u. a. Richard Lakowski: Seelow 1945. Die Entscheidungsschlacht an der Oder, 2. Aufl. Berlin 1995; Tony Le Tissier: Durchbruch an der Oder. Der Vormarsch der Roten Armee 1945, Berlin 1995.
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II. Experimente nahm er Kontakt zu Prof. Heisenberg auf, der aus der Internierung zurückgekehrt war. Prof. Heisenberg beschäftigte ihn als Assistent ohne Honorar. Fotos oder Dokumente aus dieser Zeit gibt es nicht.“937
Ab Ende Januar flüchtete die Zivilbevölkerung aus Schönfließ, Wulkow und den anderen Dörfern rund um Lebus.938 Sievers eilte im Januar nochmals nach Lebus und sprach dort mit Unverzagt. Am 3. Februar 1945 traf eine Bombe das Gebäude der Forschungsstelle, richtete jedoch an den Sammlungen nur geringe Schäden an, da fast alle in die Kellerräume gebracht worden waren. Die dringende Bitte des Professors an das „Ahnenerbe“ zum Abtransport der Museumsschätze wurde am 5. März 1945 abschlägig beschieden. Das sei jetzt nicht mehr möglich.939 60 Jahre nach dem Ende der „Forschungsstelle Lebus“ erreichte den Autor der ausführliche Brief einer hoch betagten Zeitzeugin, die im April 1944 zum „Reichsarbeitsdienst“ befohlen und Ende Oktober als „Kriegshilfsdienst“ dem II. PI zugeteilt worden war. Sie kam in den ersten Januartagen 1945 nach SchönfließWulkow und geriet in den Strudel der Flucht des II. PI aus Lebus. Von den damaligen Vorgängen besaß sie noch Aufzeichnungen, die ihr einen detaillierten Bericht ermöglichten, aus dem nachfolgend längere Auszüge wiedergegeben werden: „Meine Flucht begann am 30./31 Januar 1945 und führte über Berlin nach Gernrode/Harz, dem so genannten Sammelpunkt … Etwa am 03./04. Februar 1945 traf ich in Gernrode/Harz ein. Dort war eine Schule requiriert worden. Nach und nach fanden sich aus verschiedenen Orten einzelne Personen und kleine Gruppen ein, teils in Wehrmachtsuniform, teils in Zivil. LKW brachten Geräte und Bücherkisten; einige direkt aus Schönfließ und Wulkow, aber auch aus Reinickendorf, wo die ersten von dort geretteten Kisten zunächst zwischengelagert waren. In Gernrode konnte nicht praktisch gearbeitet werden. Nur einige Bücherkisten wurden geöffnet. Man wartete ab. Hier wurde ich Herrn Dr. Horn zugeteilt. In den Tagen um Ostern 1945 wurde umorganisiert, d. h. man stellte Kisteninhalte nach anderen Kriterien neue zusammen. Eine Woche nach Ostermontag (09. 04.??) 1945 fuhrt der 1. LKW, die „Gruppe Nord“, unter Leitung von Dr. Hinrichs mit Dr. Pfefferkorn (und andere?) ab. (Weitere Namen habe ich nicht notiert). 1 Tag danach (10. 04.??) brach „Gruppe Süd“ auf und zwar in 2 Fuhren auf unterschiedlichen Wegen: a) Unter Leitung von Dr. Hochstein ein Trecker mit 2 Anhängern (voller Kisten), mit Dr. Schulze und Frau (u. a. Institutsangehörigen??) auf der östlichen Route. b) Der LKW (Holzvergaser), Transportleiter war Dr. Nischk, fuhr 1 Stunde später ab, auch mit vielen Kisten und außerdem: Fam. Müller, Ehepaar Flickenschild, Herr Gierke, Herr Ziegenbalg (als Fahrer), Barbara Fricke. Wir sollten die westlichere Route nehmen, über Eisleben–Naumburg–Adorf–Eger. Mehrere Reifenpannen, Tieffliegerbeschuß und schließlich ein Zusammenstoß mit einem Sanitätswagen ließen uns nur langsam vorankommen. Ab Eger schleppte uns ein vorgespannter Trecker ab über Plau–Furth i. Bayr. Wald nach Schloß Zandt bei Miltach, dem verabredeten Treffpunkt. Dr. Hochsteins Gruppe war kurz zuvor eingetroffen. Aber es schienen auch Personen dort einquartiert zu sein, die nicht aus Schönfließ oder Wulkow geflohen waren. Ich notierte z.B. die Namen Dr. Schwietzke, Dr. Koblitz [= Coblitz, G. N.]. Wenige Tage später wurden die meisten auf umliegende Ortschaften verteilt. Dr. Horn, Dr. Wörner, Dr. Kühne, Ehepaar 937 Mitteilung Siegfried Kühnes (wie Anm. 917). 938 Ein leidgeprüftes Land. Der brandenburgische Kreis Lebus in den Wirren der Jahre 1945–1952. Erlebnisse und Berichte ehemaliger Kreisbewohner, hg. vom Heimatkreis Lebus, 4. Aufl. Lebus 1995; Pilarski: Wulkow (wie Anm. 909); Lakowski: Seelow 1945 (wie Anm. 936). 939 Stadtarchiv Lebus (wie Anm. 912).
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Flickenschild und ich fuhren nach Gossersdorf, wo wir bei Bauern bzw. im Gasthof einquartiert wurden … Einige Tage später ereichten die amerikanischen Truppen auch Gossersdorf. Alle 16– 60jährigen hatten sich in der Dorfmitte einzufinden und sich auszuweisen. 4 von ihnen wurden aussortiert und abgeführt, u. a. Dr. Horn. Dr. Wörner sahen wir dort nicht. Wie wir später erfuhren, hatte er sich zu denen zu Harrling (s. u.) durchgeschlagen. Am nächsten Tag wanderten die Tochter von meinem Bauern Herrnberger und ich nach Tragenschwand, um Dr. Horn zu berichten. Leider trafen wir ihn nicht mehr an, er hatte eine Stunde zuvor mit Herrn Gierke und Frau Kneifel (Sekretärin?) den Ort verlassen … In Harrling trafen wir eine kleine Gruppe an, ich glaube alle in Uniform. Unter ihnen Dr. Wörner und Dr. Gerhard Peters. Sie alle wollten sich den Amerikanern stellen, sobald diese auftauchten. Es verging nur ein Tag, als Dr. Horn, der in Falkenstein und Mitterfels arretiert und verhört worden war, sich bei uns meldete. Eines Tages erschienen Amerikaner, verhörten Dr. Horn, dann auch mich. Mit dem Ergebnis unzufrieden, nahmen sie uns kurzer Hand sofort mit zu weiteren Verhören in Mosbach und Viechtach. Einer der Offiziere sprach fließend deutsch und war nach meinem Eindruck außerordentlich gut über Wehrmachtsforschung/Wehrwissenschaft unterrichtet. Dr. Horn und ich verbrachten anschließend eine Woche im Arrest in Zandt … Am 16. 05. wanderte ich nach Zandt, traf Ehepaar Flickenschild, Ehepaar Vogel sowie Dr. Koblitz an. Am 24. 05. meldete sich überraschend Dr. Leder (Leeder?). Er berichtete, daß Dr. Wörner und Dr. Kühne schon vor ihm entlassen worden seien. Später erfuhren wir, auch Dr. Schwietzke und die anderen seien frei, nur Dr. Peters nicht.“940
Ein glücklicher Zufall fügte es, dass auch die im Bericht genannte Frau Schulze, die auf der „östlichen Route“ nach Bayern gelangte, einen langen Bericht über diese Ereignisse schrieb, der ebenfalls im Besitz des Autors ist und weitere Einzelheiten enthält. Demnach fuhr Frau Schulze mit einem Fahrrad Ende März, „mit einem Exemplar meiner Doktorarbeit, Messgeräten, Geheimschriften, einen Brief von Gerlach in der Aktentasche“ nach Gernrode, wo sie am Ostersonntag ankam. Unterwegs wurde ihr die Aktentasche samt Doktorarbeit, gestohlen. Ab Gernrode gehörte sie zu der schon beschrieben Gruppe, die sich nach Zandt durchschlug. In Cham verbrannte man alle Geheimunterlagen zur Kernzentrifugenforschung, an der Ortwin Schulze und Schwietzke beteiligt gewesen waren. Letzterer habe allerdings heimlich ein Duplikat behalten, womit er sich 1945 nach Australien absetzte. Nach Gernrode hatte es im März 1945 auch Gollmick verschlagen. Er wurde Ende Februar/Anfang März noch einmal nach Lebus in Marsch gesetzt, um dort eventuell noch verbliebene Geräte zu bergen. Das Unternehmen blieb erfolglos. Gollmick konnte lediglich feststellen, dass das Gut Wulkow bereits unter sowjetischen Beschuss lag. Nach dem Lebuser „Ausflug“ erhielt er den Auftrag, aus Kummersdorf eine Werkzeugmaschine nach Gernrode zu transportieren, wofür er nahezu eine Woche unterwegs war.941
940 Schriftliche Mitteilung Frau B. F. (wie Anm. 915). Zahlreiche Details wurden im Gespräch mit Frau Kunz (Frühjahr 2006), die sich 1945 ebenfalls in Gernrode aufhielt, bestätigt. 941 Brief von Frau Ursula Schulze 1994 an eine Zusammenkunft ehemaliger Kommilitonen, Kopie von Dr. Herbert Kunz zur Verfügung gestellt; Protokoll über Telefongespräche 2005 und 2006 mit Dr. Hans-Joachim Gollmick.
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II. Experimente
Schloss Kranzbach und die elektrische Kanone In Oberbayern, direkt an der Grenze zu Österreich, liegt das behagliche Städtchen Mittenwald, eingerahmt von den mächtigen Felsenkämmen des Karwendel- und den abweisenden Massiven des Wettersteingebirges. Ein mäßig hoher Bergrücken verstellt die Sicht auf ein benachbartes, lang gezogenes Tal, in dem vor sanften Wiesenhängen die Schlösser Elmau und Kranzbach das Bild bestimmen. Mittenwald und seine Umgebung sind weithin bekannt als herausragender Wintersportplatz und angenehme „Sommerfrische“. Im Endstadium des Zweiten Weltkrieges wurde Unteroffizier Dr. Christian Hallig (1909–2001) von der Heeresbildstelle der Wehrmacht beauftragt, hier einen Lehrfilm für die Ausbildung der Gebirgsjäger im Hochgebirge zu drehen. Für diese Aufgabe war Hallig gut geeignet. Er hatte das Fach Zeitungswissenschaft studiert und ab Mitte 1933 bei der UFA als Dramaturg und Autor reichlich Erfahrungen gesammelt. Nach seiner Pensionierung beim ZDF (1972) schrieb er ein Buch „Festung Alpen – Hitlers letzter Wahn“. Darin berichtet Hallig über eine ehemalige Widerstandsgruppe „Turicum“ (lat. für Zürich), die Anfang 1945 Kontakt zum US-Militärgeheimdienst CIC aufnahm und ihm Einzelheiten über militärische Anlagen im Alpenraum, über geheime deutsche Forschungen sowie zum Vergraben des Reichsgoldschatzes lieferte. In dem Buch wird auch von einem „elektrischen Gewehr“ berichtet, das der Erfinder in den Tagen der Kapitulation einigen „Turicum“-Leuten vorführte und es samt dazu gehörender Pläne an die Amerikaner verkaufen wollte.942 Was ist dran an dieser Geschichte, die etwas reißerisch aufgemacht ist und auch sonst leichtfüßig daherkommt? Eine heiße Spur gibt es im Militärarchiv Freiburg im Nachlass des Generalleutnants a. A. Erich Schneider. Darin schreibt der ehemalige Angehörige des HWA Wilhelm Plas von „Forschungsarbeiten an einem elektrischen Geschütz. Diese recht umfangreiche Gruppe der Forschungsabteilung befand sich im Schloss Kranzbach bei Klais (Garmisch-Partenkirchen), die unter der Leitung von Dr. Hänsler stand.“943 Die dazu geführten Recherchen erbrachten reichhaltiges Material zum „elektrischen Geschütz“. Erforscht wurde es jedoch nicht von WaF, sondern unter der Regie von Wa Prüf 1. Möglicherweise hat sich Plas in der Zuordnung zu WaF geirrt. Denkbar ist auch, dass dieses Forschungsvorhaben doppelt „unterstellt“ war. Wie dem auch sei, das Projekt soll hier dennoch vorgestellt werden, handelt es sich doch um ein ausgezeichnetes Beispiel der militärischen Grundlagenforschung während der Naziherrschaft. Dazu kommt, dass Schloss Kranzbach und die Umgebung von Mittenwald eng mit den letzten Tagen von WaF und denen anderer Abteilungen des HWA verknüpft sind (vgl. Kapitel 20).
942 Christian Hallig: Festung Alpen – Hitlers letzter Wahn. Wie es wirklich war. Ein Erlebnisbericht, Freiburg i. Br. 1989, 17. 943 Wilhelm Plas: Die Jahre 1938–1945. Munitionsentwicklung im HWA (eine Niederschrift mit überwiegend autobiographischem Charakter, G. N.), BA-MA, NL 625/200, 58.
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Der von Plas erwähnte Dr. Joachim Hänsler (*1908) stammte aus dem Riesengebirge, absolvierte in Hirschberg das Gymnasium und nahm danach in Breslau ein Studium der Physik, Mathematik und Chemie auf. 1931 ging er an die Universität Berlin. Kurz darauf wechselte er zurück an die Universität Breslau. Dort begann er mit der Arbeit an seiner Dissertation „Lichtelektrische Untersuchungen an Halbleitern“. Im Juni 1936 wurde die Schrift an der Schlesischen Friedrich-Wilhelms Universität zu Breslau von den Professoren Bergmann und Schäfer angenommen. Danach kam der frisch gekürte Doktor zum HWA, wo er in der Abt. Prüf 1 bei dem Ballistiker und Physiker Dr. Günther Thilo arbeitete. Thilo war ein Schüler von Schardin, leitete bei Prüf 1 das ballistische Messwesen und kommandierte zum Schluss den Versuchsplatz Hillersleben.944 Beim HWA überzeugte Hänsler schon nach kurzer Zeit mit herausragenden Fähigkeiten. Am 24. November 1938 führte er in Kummersdorf ein neuartiges Kurzzeit-Messgerät vor, das in Zusammenarbeit mit den DWM, Lübeck, entwickelt worden war. Aus einer Röntgenanlage, die mit einem Zählrohr gekoppelt war, schuf er ab 1940 ein Gerät zur Messung von Geschossgeschwindigkeiten. Dazu fanden u. a. Konsultationen mit der Hamburger Firma C. H. F. Müller AG statt. Auf das nach Hänsler benannte „Verfahren H“ wurde ein Patentanspruch angemeldet, als Erfinder Dr. Hänsler registriert.945 1943 begann Hänsler mit der Arbeit am elektrischen Geschütz. Der Gedanke an eine solche Waffe war keineswegs neu. Erstmals stellte im Jahre 1845 der Amerikaner Charles G. Page Überlegungen zu einer „galvanischen oder magnetischen Kanone“ an. Mehrere hintereinander angebrachte Soleonide* sollten durch ihre magnetischen Felder ein Geschoss in Bewegung setzten und schnell auf hohe Geschwindigkeit beschleunigen. 1902 meldete in den USA Prof. Birkeland das Patent für eine Erfindung an. Mittels Elektromagnetismus sollte es ein Geschoss von 500 gr „fortschleudern“. Über ein weiteres Patent berichtete die „Kriegstechnische Zeitschrift“ 1907, Heft 8. Erfinder dieser elektrischen Kanone war der Mexikaner Samuel F. Forster.946 In seinem Buch „Der technische Krieg“ griff Justrow 1938 diese Idee kurz auf und schrieb für das Lexikon von Kritzinger „Artillerie und Ballistik in Stichworten“ den Beitrag „Elektromagnetisches Geschütz“. Abschließend bemerkt Justrow: „Vorläufig wird die elektrische Kanone vielfach belächelt, vielleicht ergeben aber Versuche doch noch brauchbare Anregungen“.947 Justrows Bemerkung im „Technischen Krieg“ rief den Dipl.-Ing. E. Rogge vom Verein Deutscher Er944 Joachim Hänsler: Lichtelektrische Untersuchungen an Halbleitern, Dissertation, 27. Juni 1936, Universität Breslau, Lebenslauf; schriftliche Mitteilung seiner Tochter, Frau Dr. Renate Viebahn-Hänsler, vom 27. Januar 2005; BA-MA, NL 625/39. 945 BA-MA, RH 8-I/4945, 4946, 4947. 946 Enthalten in dem vierteiligen Beitrag (ohne nähere Angaben zur „Kriegstechnischen Zeitschrift“) der Waffen-Revue: Die elektrische 4-cm-Flak. Eine sensationelle Entwicklung, in: Waffen-Revue 120 (2001), 91–114, 121 (2001), 9–56, 122 (2001), 21–44, 123 (2001), 107–127. 947 Kritzinger, Stuhlmann (Hg.): Artillerie und Ballistik in Stichworten (wie Anm. 53), S. 75; Justrow: Der Technische Krieg, S. 97.
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II. Experimente
finder (VDE) auf den Plan. In einem Vortrag vor der Arbeitsgemeinschaft „Wehrtechnik“ der „Deutschen Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften“ setzte er sich mit einer solchen „Spulenkanone“ auseinander und analysierte zahlreiche Details eines solchen Projektes. Für eine Realisierung sah Rogge keine Chance: „Zum Schluß kann also festgestellt werden, daß von keiner magnetischen Spulenkanone mit phantastischer Reichweite, die in einer abgelegenen, einsamen, unerreichbaren Gegend aufgestellt ist, irgend eine Gefahr droht.“
In seinen Vorbemerkungen zu diesem Vortrag, abgedruckt in der Zeitschrift für das gesamte Schieß- und Sprengstoffwesen“ meinte auch Justrow, man dürfe die elektromagnetische Kanone „vorläufig wenigstens – getrost zu den Akten legen“.948 Bei Wa Prüf 1 gelangte man im Verlauf des Krieges jedoch zu einer anderen Auffassung. Hänsler führte nämlich das Argument ins Feld, dass die von Langweiler theoretisch und experimentell festgestellten, mit Pulver erreichbaren Geschossgeschwindigkeiten bei 2.810 bzw. 2.790 m/sec. liegen. Der einzige Weg, um die Anfangsgeschwindigkeit von Geschossen weiter zu steigern, sei „die Beschleunigung des Geschosses auf elektrischem Wege“. Die seit dem Ende des Ersten Weltkrieges neu entwickelten Linearmotore* beurteilte er als „aussichtsreich“ für die Schaffung einer elektrischen Kanone. Drei mögliche Verwendungsmöglichkeiten zog Hänsler in Betracht: Erstens die Entwicklung eines Flakgeschützes, bei dem das Erreichen von Anfangsgeschwindigkeiten der Größenordnung 3.000 bis 4.000 m/sec. ein „wünschenswertes Endziel“ sei. Zweitens dachte er an die Verwendung als „großkalibriges Ferngeschütz“, mit einer Anfangsgeschwindigkeit von weit über 2.000 m/sec. Eine dritte militärische Anwendung könnte in einer „Abschussvorrichtung für Großraketen“ bestehen. Diese hätte den Vorzug, dass der Raketentreibsatz erst dann gezündet wird, wenn die Rakete bereits eine bestimmte Geschwindigkeit erreicht hat. Dadurch ließe sich die Reichweite eines solchen Geschosses beträchtlich erweitern. Sein Resümee zu den drei Varianten lautete: „Über die Notwendigkeit der beiden letzten Entwicklungen ließe sich streiten, nicht jedoch über die Hochgeschwindigkeitsflak“.949 Dazu Hänsler im Einzelnen: „Besonders dringend ist die Frage [der höheren Geschossgeschwindigkeit, G. N.] für die Flakartillerie. Diese hat mit der Verbesserung der Angriffswaffe durch Geschwindigkeitserhöhung der Flugzeuge und Erreichen größerer Höhen nicht Schritt halten können. Zudem ist die Entwicklung der Flugzeuge, sowohl was Geschwindigkeitssteigerung, als auch die Erreichung großer Höhe anlangt, noch in vollem Fluß. Durch Erhöhung der Anfangsgeschwindigkeit des Geschosses wird sowohl die Reichweite vergrößert, als auch vor allem die Trefferwahrscheinlichkeit in der bisherigen Kampfentfernung erhöht.950
948 E. Rogge: Probleme um die elektromagnetische Kanone, in: Zeitschrift für das gesamte Schießund Sprengstoffwesen 34 (1939), 132–135. Der Artikel ist, allerdings nicht vollständig, wiedergegeben in: Waffen-Revue 120 (2001), 94–106. 949 Waffen-Revue 122 (2001), 23 f. und 123 (2001), 121. 950 Ebd., 120.
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Der beim Oberkommando der Luftwaffe zuständige Chef TLR-Flak reagierte sofort und stellte seine Forderungen zu einer zu schaffenden elektrischen 4-cm-Flak: 1) „Die V0 soll 2.000 m/sec betragen. 2) Das Geschoß soll 500 gr. Sprengstoff enthalten. 3) Es sollen nicht, wie im Vorentwurf vorgesehen, aus einem Rohr sechs Schuß in schneller Schußfolge abgegeben werden, da Rohrschwingungen befürchtet werden. Vielmehr sollen aus einer Maschinenanlage sechs Geschütze angeschlossen werden, die gleichzeitig feuern. 4) Die Batterie soll alle 5 Sekunden einen Feuerstoß abgeben. Das bedeutet pro Batterie 6 x 12 = 72 Schuß pro Minute. 5) Das Geschützrohr, das nach unseren Berechnungen eine Länge von 10 m haben muß, soll aus Gründen der Zeitersparnis in eine vorhandene Lafette eingebaut werden. Vorgesehen ist die Lafette der 12,8 cm Flak, die ein Gesamtgewicht von 7,2 to aufnimmt, wobei das Rohrgewicht 5 to beträgt. 6) OKL-Chef-TLR-Flak fordert, daß in kürzester Zeit eine Versuchsanlage erstellt werden soll, bestehend aus: a) einem vollständigen Maschinensatz b) einem Versuchsgeschütz mit insgesamt drei Rohren.“951
Einfluss auf die Entscheidung zur schnellen Erforschung/Entwicklung einer elektrischen Flak hatte sicher auch die kritische Lage bei der Flakmunition. Für deren Geschosse wurde vor allem Nitroguanidin (GU) verwendet, ein „Edelsprengstoff“ für Hochleistungsgeschütze. Dieses spezielle Pulver war mangels Rohstoffe sehr knapp geworden und musste zunehmend durch andere Sorten mit weniger guten Eigenschaften ersetzt werden. Die Folge war ein höherer Rohrverschleiß beim Flakgeschütz. Mehrfach stand diese Problematik bei Munitionsberatungen mit dem Speer-Ministerium auf der Tagesordnung.952 Da die Vorversuche bei Prüf 1 recht Erfolg versprechend verliefen, wurde das Forschungsprojekt sofort in Angriff genommen. Kummersdorf war dafür als Ort jedoch nicht geeignet. Es musste ein neues Objekt mit entsprechenden Räumlichkeiten gefunden werden, das auch Platz für das benötigte Personal bot. Die Blicke des HWA richteten sich auf Schloss Kranzbach, wohl auch deshalb, weil das benachbarte Schloss Ellmau seit Jahren ein „Heereserholungsheim“ war. Das Haus stand verschiedentlich auch den mit dem HWA zusammenarbeitenden Wissenschaftlern zur Verfügung. Beispielsweise hielt sich im April 1944 Prof. Paul Günther, der für OKW W Wiss tätig war, dort auf. Wernher von Braun soll zuvor ebenfalls Gast gewesen sein. Die Schönheit der Gegend und die Annehmlichkeiten von Schloss Elmau wusste auch der Kernphysiker Paul Harteck zu schätzen, der bei der Urlaubsrückkehr in den 30er Jahren aus seiner Heimat Österreich nach Deutschland gern einige Tage dort weilte.953 Das später als „Schlosshotel Elmau“ berühmt gewordene Gebäude brannte am 7. August 2005 nahezu bis auf die Grundmauern nieder, ist aber jetzt wieder aufgebaut. Schloss Kranzbach hatte die Engländerin Miss Portmann von 1913 bis 1915 erbauen lassen. Es entstand wenige Kilometer von Klais entfernt, nahe dem Kranz951 Waffen-Revue 122 (2001), 25. 952 Der Chef des Flaktechnischen Amtes am 22. Juni 1944 an Speer; Leeb am 3. März 1944 an Speer, BAB, R 3/1857, Bl. 264–266., 268 f. 953 PA Prof. Paul Günther, AHUB; Schaaf: Der Physikochemiker Harteck (wie Anm. 383), 91 f.
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bach, und zwar im „Arts und Craft-Stil“, ist also ein „echtes schottisches Schloss“. Allgemein hieß es zuerst „Das englische Schloss“, bald nur noch „Schloss Kranzbach“. Die Erbauerin hatte die Absicht hier einen Treffpunkt für Musiker aus aller Welt zu schaffen, die in der Stille und Abgeschiedenheit des Tales ungestört musizieren konnten. Durch den ausgebrochenen Ersten Weltkrieg wurde daraus nichts. 17 Jahre stand das Schloss leer, bis es schließlich 1931 in den Besitz des Dortmunder Jugendpfarrers Wiedenfeld kam. Unter seiner Leitung wurde es ein „Haus der Begegnung“, ein „Haus des Lebens unter Gottes Wort“. Ein Brand 1933 unterbrach die christliche Arbeit nur kurz. Im Frühjahr 1944 änderte sich dies, das HWA „übernahm“ Schloss Kranzbach.954 Unter der Führung von Dr. Hänsler zog eine große Gruppe von etwa 20 Wissenschaftlern und Technikern ein. Zu ihnen gehörten Dipl.-Ing. Otto Muck, die Ingenieure Fritz Lietke, Hans Hahnke sowie der Techniker Gerhard Bechmann. Man richtete sich im Schloss für längere Zeit ein. Familie Hänsler, die sich 1943 bei den Eltern des Vaters in Schlesien aufhielt, verlegte ihren Wohnsitz 1944 nach Garmisch, wo im November 1944 als drittes Kind die Tochter Renate geboren wurde. Zum Zwecke der Geheimhaltung ließ man sich beim HWA einiges einfallen. Zur Tarnung wurde eine „Gesellschaft für Gerätebau m. b. H. Klais/Obb.“ gegründet. Der Gesellschaftervertrag wurde am 2. August 1944 in Garmisch-Partenkirchen unterzeichnet. Das OKH war vertreten durch Dr. Werner von Schwedler. Als Startkapital wurde ein Betrag von 50.000 RM festgelegt, wovon 2.000 RM v. Schwedler auf den Tisch legte und der Rechtsanwalt Werner Lietz aus Düsseldorf die „restlichen“ 48.000 RM. Am 31. März 1945 beantragte das HWA gar die Ausschließung auf Einsicht in das Handelsregister der „Gesellschaft für Gerätebau m. b. H. Klais“955 Diese und andere Maßnahmen hatten den gewünschten Erfolg. Noch viele Jahre nach Kriegsende rätselte man in Klais und Mittenwald, was eigentlich im Schloss Kranzbach unter der Herrschaft der Wehrmacht vor sich gegangen war. Spekulationen gab es genug. Als nach dem Mai 1945 im Schlosskeller große Mengen an Batterien und elektrotechnischen Geräten gefunden wurden, entstand schnell die Mär von der „Lichtbogentechnik“ und den „frühen Experimenten zur späteren Laserstrahl-Technik“.956 Über die tatsächlichen Forschungen im Schloss gibt es jedoch verlässliche Dokumente. Schon im August 1944 hatte Hänsler die wichtigsten Erkenntnisse aus den Vorversuchen in einem „Arbeitsbuch Elektrogeschütz (EG), Teil 2, Geschossbewegung im Rohr. Energie und Leistung“ festgehalten. Darin kam er zu dem Schluss, dass die Kosten eines Schusses mit dem Elektrogeschütz durchaus mit denen eines Pulvergeschützes konkurrenzfähig seien. Großen Raum nahmen in seinen Überlegungen „die Fragen der Energiespeicherung“ ein. Vier Verfahren 954 Remmer Schunke: Schloss Kranzbach im Wandel der Zeit. Vom Künstlerparadies zum 4-Sterne-Schlosshotel, o. O. o. J.; Kurze Schlossgeschichte im Internet: http://www schloßhotelkranzbach.de; Gespräch mit Mister Anthony Morris auf Schloss Kranzbach im Frühjahr 2002. 955 BA-MA, RH 8/v. 2569. 956 Schunke: Schloss Kranzbach (wie Anm. 954), 27.
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lägen nahe: a) elektrostatisch, b) elektromagnetisch, c) elektrochemisch und d) mechanisch. Technisch ließe sich dies realisieren durch a) Kondensator, b) Stoßtransformator, c) Akkumulator und d) Stoßgenerator. Wichtig sei bei den einzelnen technischen Varianten der Raumbedarf, z. B. zur Unterbringung von Akkumulatoren. Hänsler war sich zu diesem Zeitpunkt des Erfolges so sicher, dass er als praktische Hilfe in sein „Arbeitsbuch …“ 22 Nomogramme* zur Bedienung des Elektrogeschützes aufnahm.957 Von der Leitung des HWA betreute Generalleutnant John das Projekt. Mehrmals ließ er sich vor Ort über die Fortschritte unterrichten, so am 29. und 30. September 1944. Kenntnis hatten: Vom Speer-Ministerium Oberst Geist, von der Munitionskommission Dr. Sommer und der Ballistiker Prof. Dr.-Ing. Albert Wolff, Wehrwirtschaftsführer bei der DWM. Auch der RFR zog mit. Am 14. Dezember 1944 wurde per Kriegsauftrag an HWA, Wa Prüf 1 und Prüf Stab die Weiterführung der Arbeiten im Schloss Kranzbach zum „Linearmotor und Zubehör“, mit der höchsten Dringlichkeit DE bestätigt. Bis zum 31. März 1945 war dem RFR ein Zwischenbericht vorzulegen.958 Zur wohl schwierigsten Frage, zu der nach der Stromquelle, konsultierte Hänsler den Wissenschaftler Prof. Dr. Ernst Baars, der sich umfassend mit der Theorie und Technik elektrischer Akkumulatoren beschäftigt hatte und auch nach Schloss Kranzbach gekommen war. Dessen überschlägige Berechnungen ergaben schnell, dass für ein Ferngeschütz mit einer Reichweite von 240 km und „sehr enger Schussfolge und sehr hoher Schusszahl“ ein Akku-Gewicht von etwa 6.000 Tonnen erforderlich wäre.959 Die Ergebnisse der Voruntersuchungen sowie andere Daten und darauf basierende Berechnungen, wurden den „Siemens-SchuckertWerken AG“ (SSW) in Berlin-Siemensstadt zur Begutachtung übergeben. Der Direktor des Dynamowerkes der SSW, Dr.-Ing. Wilhelm Leukert, hatte am 24. Oktober 1944 seinen 40 Seiten umfassenden Bericht fertig. Dessen wichtigsten Aussagen lauteten: „Die Abgabe eines Gutachtens über den bei der Gerätebau G.m.b.H. Klais in Entwicklung befindlichen Linearmotor bedeutet gleichzeitig eine Stellungnahme zu dem Problem des elektrischen Schießens überhaupt. Ganz unabhängig von dem dabei verwendeten System – ob Linearmotor, Solenoid oder eine andere Einrichtung – wird es sich immer um die Frage handeln, ob und wie die ganz außerordentlich großen Energien elektrisch bereitgestellt werden können, die beim Schießen erforderlich sind. Wie das Beispiel eines Ferngeschützes zeigt, sind ohne Berücksichtigung von Verlusten für die Beschleunigung eines 200 kg schweren Geschosses in einem 50 m langen Rohr bei der Mündungsgeschwindigkeit von Vo = 2.000 m/s 400.000 kWs an Energie erforderlich. Mit dieser Energie kann beispielsweise ein elektrisches Bügeleisen von 500 Watt Leistung 220 Stunden lang betreiben. Bei dem im Beispiel behandelten Ferngeschütz muß diese Energie hingegen in der kurzen Zeit von nur 0,05 s abgegeben werden, d.h. die Leistung muß außerordentlich groß sein … 957 Joachim Hänsler: Arbeitsbuch Elektrogeschütz, Teil 2, BA-MA, RH 8 I/4596. 958 Schreiben Graues vom 5. Januar 1945 an Osenberg zum Auftrag SS-0001-0033/44 mit der Nr. DE 2005 H-III.45, BAB, R 26 III/249. 959 Waffen-Revue 121 (2001), 29. Zu Baars vgl. Blank: Energie (wie Anm. 902), 105.
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II. Experimente Rechnet man bei Verwendung von schnellaufenden Maschinen größter Leistung mit einem Einheitsgewicht von etwa 2,5 kg/kW, so ergibt sich ein Gewicht von 1.000 t für die Stromquelle des Ferngeschützes … Das Gewicht der Stromquelle würde bei der Verwendung von Unipolarmaschinen im günstigsten Falle etwa 480 t betragen. Beim heutigen Stand der Entwicklung auf dem Gebiet der elektrischen Maschinen und Apparate erfordert also die Einführung von elektrischen Geschützen einen ganz außerordentlich hohen Aufwand für die Stromquelle … Nachdem wir uns mit dem Aufwand für die Stromquelle auseinander gesetzt haben, müssen wir nun zum elektrischen Geschütz selbst Stellung nehmen. Soweit theoretische und rechnerische Untersuchungen eine Beurteilung zulassen, scheint das den Arbeiten der Geräte G. m. b. H. zugrunde liegende Prinzip eines Linearmotors geeignet zu sein, große Geschossgeschwindigkeiten zu erreichen. Ob man damit zu Vo = 2.000 m/s gelangen kann, insbesondere mit Geschossen von mehreren kg Gewicht, wird nur der Versuch nachweisen können … Wenn Geschoßgeschwindigkeiten entsprechend einer Vo = 2.000 m/s mit anderen Mitteln nicht zu verwirklichen sind und der taktische Einsatz von Geschützen mit Vo = 2.000 m/s erwünscht ist, dann sollten die Versuche in Klais zumindest in beschränktem Ausmaß fortgesetzt werden, schon mit Rücksicht darauf, weil nachrichtlich auch das feindliche Ausland auf diesem Gebiet arbeitet.“960
Von Anfang September 1944 bis Mitte Januar wurden in Klais in mehreren Schießperioden eine Vielzahl von Schüssen abgegeben. Die Experimente erfolgten mit dem Versuchsgerät LM 2 (Linear-Motor, 2 m Rohrlänge), Kaliber 2 cm. Entsprechend der erzielten Ergebnisse erfolgten nach jeder Versuchsperiode konstruktive Veränderungen (LM 2/11 bzw. 12, 13 und 14). Als Geschoss verwandte man ein pfeilartiges Gebilde, das am unteren Ende zwei „Treibflügel“ besaß, die gleichzeitig den Kontakt zu den Gleitschienen des Linearmotors besorgten. Auch sie wurden in ihrer konstruktiven Beschaffenheit immer wieder variiert. Die Anfangsgeschwindigkeit konnte von zunächst 630 m/sec auf 1.200 m/sec gesteigert werden. Man hoffte Mitte Januar 1945 diesen Wert mit einem vier m langen Rohr weiter zu erhöhen. Erreicht werden sollte dies durch höhere elektrische Leistungen. „Zu diesem Zweck werden weitere 800 Sammler in einem zweiten Sammlerraum aufgestellt. Der Raum ist hergerichtet, die Anlage befindet sich im Bau.“961 Bei den Versuchen hatte sich ein weiteres Mal gezeigt, dass die Leistung der Kondensatoren nicht den benötigten Werten entsprach. Zur Lösung dieses offenkundigen Schwachpunktes sollte die Fa. Siemens & Halske einen Beitrag leisten. Bereits Ende Juli 1944 hatte Muck mit Mitarbeitern dieses Unternehmens eine Besprechung, „bei welcher das gesamte Entwicklungsprogramm genauestens durchgesprochen wurde.“ Muck erteilte anschließend Siemens & Halske einen Unterauftrag zu der bereits genehmigten DE-Stufe des Gesamtprojektes. Bis Ende Dezember 1944 hatte das Zentrallaboratorium der Siemens-Werke noch keine Ergebnisse vorgelegt. Muck wurde jetzt ungeduldig und wandte sich Hilfe suchend an Geist. Ihm schlug er vor, über die Amtsgruppe Entwicklung des Speer-Ministeriums und Prof. Petersen die AEG zu beauftragen. Dies sei der „einzige Ausweg“.
960 Wilhelm Leuckert: Der Linearmotor und seine Stromquellen, in: Waffen-Revue 120 (2001), 109–114, insb. 111 f. 961 Joachim Hänsler: Versuchsberichte Nr. 1–4, in: Waffen-Revue 121 (2001), 32–56.
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Auch Hänsler unterstützte diesen Vorschlag. Eine Reaktion darauf ist nicht überliefert.962 Ende Januar 1945 beendete Hänsler die Arbeit an seinem „Entwurf für eine elektrische 4-cm-Flak“, den die Munitionskommission sofort als „Geheime Reichssache“ einstufte. Das Dokument enthielt die theoretische Verallgemeinerung der Versuchsergebnisse und ausgiebige mathematische Begründungen. Der Autor verwies zugleich auf zahlreiche ungelöste Probleme, z. B. jene, die sich aus der Forderung der Militärs ergaben, sechs Geschütze mit nur einer Maschinenanlage zu betreiben – bei Ausfall der Maschine Ausfall der gesamten Batterie usw. Für die Anfertigung von Teilen der elektrischen Flak hatte man die Firma „Feinmechanische Werkstätten Ing. G. Tipecska“ herangezogen. Die in München ansässige Firma produzierte Zahnradprüfmaschinen. Sie war auf Anordnung des Reichswirtschaftsministeriums (wahrscheinlich 1943) nach Seehausen (am Ufer des Staffelsees, nahe der Stadt Murnau) verlegt worden. Möglicherweise hatte man Seehausen gewählt, da das Unternehmen mit dem in Uffing (am Staffelsee) wohnenden Dipl. Ing. Muck zusammen arbeitete. Für die Firma Tipecska arbeiteten bis zu 18 Häftlinge des KZ Dachau, Außenlager Seehausen. Es befand sich auf der Halbinsel Burg am Staffelsee und war belegt mit ca. 65 politischen Gefangenen aus 9 Ländern. Muck nutzte diese Gelegenheit und ließ zwei Häftlinge auf seinem großen Anwesen arbeiten. „Die Nationalsozialisten [hatten ihn] als Zeichen der Wertschätzung 1943 das Seegrundstück in der Murnauer Straße 123, in Uffing am Staffelsee, vertraglich bis zum ‚Endsieg‘“ überlassen. Die Bedingungen im KZ-Außenlager Seehausen waren vergleichsweise „erträglich“. Es gab dort keine Häftlingstötungen.963 Über die Arbeiten, die bis Kriegsende im Schloss Kranzbach noch erfolgten, liegen keine gesicherten Aussagen vor. Indirekt kann darauf aus jener schriftlichen Bilanz gefolgert werden, die Hänsler im Juni 1945 den westlichen Alliierten übergab. Darin heißt es u. a.: „Bei der Entwicklung des Rohres wurden die Versuche mit dem Solenoid zugunsten des Linearmotors abgebrochen. Mit einem zwei Meter langen Linearmotor erhielten wir Geschwindigkeiten von 1.080 m/sec, was einer mittleren Beschleunigung von 29.000 g entspricht. Die höchste bisher erreichte Geschwindigkeit ist 1.200 m/sec mit einem 4 m langen Rohr. Bei diesem Versuch wurden Geschosse mit einem Gewicht von etwa 10 Gramm verwendet. Es war alles vorbereitet, um 2.000 m/sec zu erreichen, doch wurden die Versuche durch die Kriegsereignisse unterbrochen.
962 Aktenvermerk Mucks vom 27. Dezember 1944 an Hänsler und Geist; Hänsler am 3. Januar 1945 an Munitionskommission, Dr. Sommer, BAB, R 3/3.145, Bl. 50 f. In: Waffen-Revue 120 (2001), 107, ist ein Dokument abschriftlich wiedergegeben, wonach Muck den Doktortitel besaß. Dies ist unzutreffend. 963 Barbara Hutzelmann: Seehausen, in: Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hg): Der Ort des Terrors. Geschichte der Nationalsozialistischen Konzentrationslager, Bd. II, München 2005, 489–491; vgl. auch Andreas Seiler: Für Rüstungsindustrie ausgebeutet; und: Offener Umgang mit Geschichte gefordert, in: Garmisch-Partenkirchener Zeitung vom 26. Oktober und 8. Dezember 2005.
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II. Experimente Die Innenballistik für den Linearmotor ist im Wesentlichen fertig gestellt und durch Experimente bestätigt. Die heutigen Kondensatoren sind, was den Energieinhalt pro Raumeinheit anbetrifft, nicht sehr günstig. Jahrelange Arbeit ließ unseren Mitarbeiter O. Muck Wege finden, bei deren experimenteller Durchführung man hoffen kann, den Energieinhalt pro Raumeinheit um mehrere Größenordnungen zu steigern. Ja, es erscheint nicht ausgeschlossen, den Energiegehalt von Schwarzpulver zu erreichen. Die angestellten Versuche blieben wegen des Krieges in den Anfängen stecken … In der Hauptsache verwendeten wir z. Zt. den Akkumulator als Energiequelle. Unter allen handelsmäßigen Typen haben wir die mit der größten Leistungsabgabe pro Raumeinheit herausgesucht. Unter der Verwendung der Ideen von Kapitza gelang es uns, einem um den Faktor 10–20 verbesserten Akkumulator laboratoriumsmäßig fertig zu entwickeln und wir standen in der Fabrikation der ersten Versuchsserie. Die Entwicklung im Laboratorium war schon weiter fortgeschritten. Der Stoßgenerator und zwar in Form der Unipolarmaschine stellt z. Zt. den räumlich günstigsten Speicher dar. Jedoch haben wir auch hier eine eigene Entwicklung nach einem neuen Prinzip begonnen, da uns die Selbstinduktion der bisherigen Maschine zu groß ist … Die Anwendungsmöglichkeiten der begonnen Entwicklung [sind] auch im zivilen Sektor gewaltig … Der Gang der zukünftigen Entwicklung von elektrischen Geschützen ist auf Grund der aufgestellten Theorie und der durchgeführten Experimente klar. Wir sind ebenso wie die früheren Experimentatoren zu der Überzeugung gekommen, daß elektrische Geschütze bei dem heutigen Stand der Technik realisierbar sind, wenn man sich nicht scheut, eine großzügige Entwicklung zu treiben.“964
Die offenkundig grundsätzlichen Probleme eine „elektrischen Geschützes“ waren für die Forscher in Kranzbach Anlass zu weiteren Überlegungen. Wahrscheinlich Mitte 1944 fassten sie die Variante eines „pulverelektrischen Geschützes (PEG)“ ins Auge. Dazu konsultierte sich Hänsler mit Dr. Langweiler, Forschungsdirektor des Leipziger Rüstungsunternehmens Hasag. Das Projekt eines PEG wurde in Anwesenheit von Oberst Plas bei einer „EK-Tagung“ (EK=elektrische Kanone) in Kranzbach vorgetragen. Langweiler hatte sich zu dem Vorhaben Ende Oktober 1944 zweifelnd geäußert, dass „zwar sicherlich durch Gasaufheizung die Geschoßgeschwindigkeit erhöht“ werden könne, aber es gäbe bereits „andere Mittel wie progressiv verbrennendes Pulver, Mehrfachkartuschen usw.“, die dies bewältigen. Durch die „Zufuhr elektrothermischer Energie“ könne die Mündungsgeschwindigkeit um höchstens 15% gesteigert werden. Muck gab sich damit nicht zufrieden und stellte (unter Bezug auf den Ballistiker Carl Cranz) neue Berechnungen an. Mit deren Ergebnissen plädierte er für „die Möglichkeit einer bedeutenden Verbesserung für Hochleistungs-Pulvergeschütze“. Muck stellte deshalb den Antrag „mit den Versuchen am PEG ungesäumt zu beginnen … entweder in Kranzbach oder in Siemens-Stadt“.965 964 Joachim Hänsler: Ein Beitrag zum Problem des Elektrischen Geschützes (Juni 1945), in: Waffen-Revue 123 (2001), 120–127. 965 Aktennotiz Mucks vom 19. Januar 1945: Betr. PEG, BAB, R 3/3144, Bl. 87 f. Weitere Dokumente zum PEG konnten nicht gefunden werden. Konstruktive Details enthält Mucks Notiz nicht, jedoch eine längere Darlegung seiner „elektrothermischen“ Berechnungen, die möglicherweise für den Fachmann interessant sein dürften.
19. Aktenzeichen ungelöst
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Hänsler weilte nach Kriegsende drei Monate in England, um dort „die Entwicklungsergebnisse zusammen zu stellen“. Als Gegenleistung wurde seiner Familie der Umzug „aus kümmerlichster Wohnsituation in Stemmer (Dorf bei Minden) nach Minden innerhalb des englischen Sperrgebietes“ genehmigt. Nach seiner Rückkehr aus England betrieb Hänsler eine kleine Werkstatt für Halbleiter- und Radiotechnik. Ab 1953 baute er für die Firma Mela Medizintechnik, München, ein Vertriebssystem auf und beteiligte sich an der Geräteentwicklung von Mela. Um 1956/57 wandte er sich der Ozontherapie und -technik zu und gründete 1963 in Iffezheim ein entsprechendes Unternehmen. Nach seinem Tod übernahm es die Tochter.966
19. AKTENZEICHEN: UNGELÖST Die bei WaF übliche Geheimhaltung, einhergehend mit dem Verlust vieler Dokumente, hat zur Folge, dass zahlreiche Forschungsprojekte nur spärlich überliefert sind. Über einzelne Aktivitäten, die an ihnen beteiligten Wissenschaftler und die von diesen erzielten Ergebnissen ist kaum etwas bekannt. Vieles bleibt fragmentarisch. Häufig finden sich in den durchgesehenen Archivalien lediglich Aufgabenstellungen, vage Hinweise oder Andeutungen. Schriftstücke mit konkreten inhaltlichen Aussagen sind selten. In einigen Fällen gelang in mühevoller Arbeit eine teilweise Rekonstruktion. Andere werden wohl für immer ein Rätsel bleiben. In diesem Kapitel werden die gewonnenen Erkenntnisse in loser Folge vorgestellt; belegen sie doch zusätzlich den Umfang und die Vielfalt der von WaF organisierten oder selbst realisierten wehrwissenschaftlichen Forschungen.
Kampfstoffe Im militärischen Sprachgebrauch versteht man unter Chemischen Kampfstoffen „industriell hergestellte, toxisch hochwirksame chemische Gifte, die auf Grund ihrer physikalischen und chemischen Eigenschaften zum Einsatz gegen Truppen auf dem Gefechtsfeld bestimmt sind …, nach den pharmakologisch-toxischen Wirkungen in nervenschädigende, allgemeinschädigende, lungenschädigende, hautschädigende, psychotoxische und reizerregende Kampfstoffe eingeteilt. Nach ihren physikalischen Eigenschaften können die Kampfstoffe im festen, flüssigen oder gasförmigen Aggregatzustand angewandt werden“.967
Die in der Fachliteratur allgemein vertretene Annahme, dass die Kampfstoff-Forschung des HWA ausschließlich bei Wa Prüf 9 (Gasabwehr, Nebel, Kampfstoffe) 966 Mitteilung von Frau Dr. Renate Viebahn-Hänsler vom 27. Januar 2005. 967 Militärlexikon, Berlin 1971, 63. Nach dieser Definition zählt der N-Stoff (vgl. Kapitel 15) nicht zu den chemischen Kampfstoffen. Schmaltz hat in seiner Dissertation „Kampfstoff-Forschung“ den N-Stoff bei dieser Thematik mit abgehandelt, ohne sich mit den militärischen Fachtermini auseinanderzusetzen oder zu begründen, warum er den N-Stoff unter „Kampfstoffe“ subsumiert.
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II. Experimente
lag, ist unzutreffend. Darauf machte nach dem Krieg der SD-Mitarbeiter Fischer mit der Bemerkung aufmerksam: „Prof. Dr. Erich Schumann war meiner Meinung nach maßgeblich an Kampfstoffentwicklung beteiligt“. Einzelheiten oder gar Belege für seine Behauptung nannte Fischer allerdings nicht.968 Derartige Dokumente existieren jedoch! Auf das frühe Interesse Schumanns an der Kampfstoff-Forschung weist eine Aktennotiz der TU Dresden hin, verfasst am 22. Februar 1934 zu Prof. Dr. Wilhelm Steinkopf (*1879). An diesem Tag rief Schumann in Dresden an und erklärte, Prof. Steinkopf sei seit 12 Jahren für das RWM tätig, müsse jedoch leider „hinter verschlossenen Türen arbeiten“. Der Reichswehrminister bäte jetzt darum, dem Wissenschaftler endlich auch eine äußere Anerkennung zuteil werden zu lassen. Er rege deshalb die Ernennung zum Ordinarius an der TU Dresden an. Diese Bitte wurde umgehend erfüllt.969 Steinkopf war seit etwa 1922 für das HWA tätig und gehörte zu den Teilnehmern der Jahresbesprechungen des HWA mit den wissenschaftlichen Mitarbeitern der streng geheimen Kampfstoff-Forschung. Neben den Proff. Flury, Jander, Hase und weiteren Experten hatte auch Dr. Stantien (Wa Prüf 9) Sitz und Stimme in der illustren Runde. Zusammen mit dem Chemiker W. Lommel hatte Steinkopf den Kampfstoff Lost (Lommel/Steinkopf) entdeckt, der erstmals am 13. Juli 1917 mit verheerender Wirkung in Frankreich bei Ypern eingesetzt und deshalb oft als Yperit bezeichnet wurde.970 Steinkopf, der schon ab 1916 bei Prof. Fritz Haber an dessen Berliner KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie über Kampfstoffe arbeitete, konnte 1940 sein Amt in Dresden nicht mehr ausüben. Mehrere Phosgen- und Gelbkreuzvergiftungen erzwangen den vorzeitigen Ruhestand. Nachfolger wurde der Chemiker Prof. Dr. Wolfgang Langenbeck (1899–1967), der 1935 einem Ruf an die Universität Greifswald gefolgt war, um dort am Chemischen Institut zu arbeiten. In Dresden wirkte er als Ordinarius für organische und organisch-technische Chemie. Während dieser Zeit war Langenbeck mit einem Geheimauftrag befasst, den ihm die Abteilung Wissenschaft im OKW erteilt
968 Vorermittlungsverfahren „Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltung Ludwigsburg“ (1967) zu Prof. Dr. Rudolf Mentzel, Zeugenaussage Fischers vom 13. Februar 1968, BA-AL, B 162, ARZ 6700501, Bd. II, Bl. 271. Die Auffassung, dass Schumann nicht an der Kampfstoff-Forschung beteiligt war, vertrat auch General a. D. Waeger. Er sagte im Spruchverfahren gegen Mentzel aus, dass diese Arbeiten ausschließlich Wa Prüf 9 oblagen, die gegenüber allen anderen Abteilungen von Wa Prüf, also auch WaF, geheim gehalten wurden. Dr. Emil A. Ehmann, von 1939 bis 1945 im HWA, zuletzt Ministerialrat und Leiter der Gruppe Chemische Vorund Zwischenprodukte, danach Chef der Fabrikations- und Beschaffungsabteilung für chemische Sondergebiete, sagte im Fall 6 gegen die I. G. Farben aus: „WaF mag sich theoretisch mit K-Stoffen beschäftigt haben, ist aber auf diesem Gebiet keineswegs hervorgetreten“, Geheimes Staatsarchiv, I. HA., Rep. 335 Nürnberger Prozesse, Fall 6, Nr. 474. 969 Rudolf Jenak: Der Mißbrauch der Wissenschaft in der Zeit des Faschismus. Dargestellt am Beispiel der Technischen Hochschule Dresden 1933–1945, Dissertation, 24. Juni 1964, Humboldt-Universität zu Berlin, 157. 970 Vgl. Brauch, Müller (Hg.): Chemische Kriegführung (wie Anm. 765), 110–115; Groehler: Der lautlose Tod; BAB, R 26 III/ 9, Karteikarte Langenbeck.
19. Aktenzeichen ungelöst
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hatte. Dessen Gegenstand ist nicht bekannt. Außerdem gehörte er der AG „Schädlingsbekämpfung“ an, auf die im Kapitel 16 bereits hingewiesen wurde.971 Zu einem weiteren in Dresden wirkenden Wissenschaftler, Prof. Dr. Erich Manegold (1895–1975) richtete WaF im September 1941 – wegen dessen politischer Zuverlässigkeit – eine Anfrage an das REM. Einwände zu einer etwaigen Zusammenarbeit gab es dort nicht. Manegold leitete in Dresden das Institut für Kolloidchemie*, galt als Spezialist auf diesem Gebiet und war deswegen auch u. k. gestellt. Mitte 1944, im Range eines Hauptmannes der Reserve stehend, war er zeitweise zur Heeresgasschutzschule Celle bzw. zum Versuchsplatz von Wa Prüf 9 in Raubkammer abgestellt. Zum gleichen Zeitpunkt wurde für ihn in Dresden die Zuerkennung eines Ordinariats angestrebt, um dadurch „eine direkte Förderung der deutschen kriegswichtigen Belange“ sicher zu stellen.972 Mit der Kampfstoff-Forschung ist auch die frühe wissenschaftliche Tätigkeit des Wehrchemikers Prof. Rudolf Mentzel verknüpft, von dessen Einfluss auf die Wissenschaftspolitik in seiner Funktion eines Abteilungsleiters im REM bereit an vielen Stellen berichtet wurde. Nach der Lesart des Historikers Helmut Heiber entstand die Bekanntschaft Mentzel – Schumann bereits im Jahre 1926. Damals arbeitete Mentzel unter seinem Chef Prof. Gerhard Jander mit dem Sonderreferat S der Zentralstelle zwecks Entwicklung von Kampfstoffen zusammen. „Das Ganze war so geheim, dass Schumann nach 1934, als Mentzels Goldenes Parteiabzeichen wegen der Unterbrechung der Mitgliedschaft in Frage stand, sich nur mündlich darüber äußern wollte.“973 Am 29. Juli 1933 tagte an der Universität Greifswald die Habilitierungskommission, um sich ein Urteil über Mentzels höchst geheime Schrift „Chemische Untersuchungen zu Problemen des Deutschen Gas- und Nebelschutzes“ zu bilden. Die Arbeit war so geheim, dass selbst die Kommissionsmitglieder sie nicht zu Gesicht bekamen. Sie soll im Wesentlichen aus Forschungsberichten bestanden haben, die Mentzel für das RWM erarbeitet hatte, und zwar unter Jander, der damals noch am chemischen Universitätsinstitut Göttingen arbeitete und später Direktor des Chemischen Instituts in Greifswald werden sollte. Wenige Monate nach erfolgter Habilitierung wechselte Mentzel als Abteilungsleiter zum KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie in Berlin-Dahlem, zu Jander, der dort auf Wunsch des RWM (nach Fritz Habers Emigration) von 1933 bis 1934 kommissarisch Institutsdirektor war. Am KWI befasste sich Mentzel für kurze Zeit weiter mit Kampfstoffen, auch nachdem 1935 971 Reiner Pommerin: Geschichte der TU Dresden 1828–2003. 175 Jahre TU Dresden, Köln/ Weimar/Wien 2003, Bd. 1, 205. In Greifswald war ab 1938 ein Dr. Hans Schmidt, geb. 23. August 1913, zunächst als wissenschaftliche Hilfskraft und danach als Privatassistent bei Langenbeck tätig. Dieser Dr. Schmidt wurde am 1. November 1939 von Prof. Jander „mit der Durchführung dringender und kriegswichtiger Forschungs- und Entwicklungsaufgaben betraut“ und dessen „Sonderabteilung“ zugeordnet. UA Greifswald, PA 1920, Bd. 3. Vgl. auch ebd., R 164, Mitteilung der Phil. Fak. an den Kurator vom 23. Februar 1943, in der zwei wietere wissenschaftliche Mitarbeiter des Chemischen Instituts genannt sind, die für Wa Prüf 9 V a arbeiteten und deshalb u. k. gestellt waren. 972 PA Manegold, UA TU Dresden, A/135, Bl. 8–10,15, 36. 973 Heiber: Walter Frank, 815 f.
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II. Experimente
Peter Adolf Thiessen dessen Direktorat übernommen hatte. 1934 erfolgte der Wechsel Mentzels als Stellvertreter Schumanns ins REM (vgl. Kapitel 22).974 Ende 1935 wurde Mentzel – zusätzlich zu seinen anderen Ämtern – Ordinarius für Wehrchemie an der WTF der TH Berlin. In dieser Funktion lieferte Mentzel in den letzten Tagen des Jahres 1938 seine „Denkschrift zur Errichtung des Instituts für Gaschemie“ ab. Er wies in dieser Ausarbeitung ausdrücklich darauf hin, dass bisher an den deutschen Hochschulen kein für die „Gaschemie bestimmtes Institut“ vorhanden sei, jedoch dieses Gebiet genau so „umfangreich angewachsen“ sei, wie beispielsweise die „Sprengstoffchemie“. Deshalb müsse man „die Darstellung der Kampfstoffe, ihre chemischen und physikalischen Eigenschaften, ihre Anwendung und der Schutz vor ihnen … zu einem organischen Ganzen zusammenfassen“. Mentzel hob u. a. die Wichtigkeit „kolloidchemischer Fragestellungen“ und die „Arbeit der Biologen“ hervor; letztere, weil „man wissen muß, was mit den Stoffen im Körper geschieht“.975 Obwohl es keinen direkten Beleg dafür gibt, kannte Schumann gewiss diese Denkschrift Mentzels. Wenige Tage nach Kriegsausbruch, am 6. September 1939 wurde Mentzel als „Kriegsverwaltungsrat beim OKH, HWA, WaF“ eingezogen und zugleich als „Gutachter für Kampfstofffragen“ u. k. gestellt. Schumann sorgte auch dafür, dass am 21. Juli 1944 zu Mentzel eine modifizierte Variante in Kraft trat, nämlich: „Wehrdienst beim OKW W Wiss, u. k. wegen besonderer Aufgaben“.976 WaF vergab an mehrere Mitarbeiter von Thiessens KWI Forschungsaufträge zum Themenkreis „Aerosole*, Kampfstoffe“, so an Winkel, Langer, Witzmann und Rosenberger. Prof. Dr. August Winkel (*1902), der seine wissenschaftliche Laufbahn ebenfalls unter Jander begonnen hatte und bei ihm promovierte, veröffentlichte 1934 gemeinsam mit seinem Doktorvater das Buch „Schwebstoffe in Gasen, Aerosole. Über die Darstellung, die Eigenschaften, das Vorkommen und die Verwendung von Nebel, Staub und Rauch“. Obwohl von den Autoren nur verschämt am Rande vermerkt, ging es in dieser Schrift vor allem um Fragen der Grundlagenarbeit zu chemischen Kampfstoffen. Winkel gehörte seit dem 1. April 1935 dem KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie an, wo er sich auf seine Habilitation vorbereitete, die vor allem den „Aerosolen“ galt. In Anwesenheit von Schumann, Holtz, Günther, Czerny und weiteren Wissenschaftlern fand am 23. November 1936 die von Thiessen und Bodenstein geleitete wissenschaftliche Aussprache statt, bei der die Habilitation ihre Bestätigung fand. In der Folgezeit entwickelte sich Winkel – ab September 1939 Professor für Chemie an der WTF – zu einem ausgesprochenen Kampfstoffexperten. Er leitete eine Arbeitsgruppe, die „im direkten Auftrag des OKH eine Reihe von Untersuchungen durchgeführt [hat], die, ihrer Natur nach streng geheim, sich mit der Ergründung des Aufbaues und der Wirkung eine bestimmten Gruppe chemischer Verbindungen befassen“.
974 NDB, Bd. 17, 96–98. 975 Rudolf Mentzel: Denkschrift zur Errichtung des Instituts für Gas-Chemie der WTF an der TH Berlin, vom 19. Dezember 1938, BAB, R 2/12497. 976 BAB, BDC zu Mentzel, DS A 045, Bl. 1040–1245.
19. Aktenzeichen ungelöst
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Der RFR bewilligte ab 1940 unter dem Stichwort „Aerosole“ beträchtliche finanzielle Zuwendungen für Winkels Forschungen, z. B. im August 1944 die Summe von 19.000 RM.977 Zur Arbeitsgruppe Winkels am KWI bei Thiessen gehörte Dr. Trude Langer (*1910), die 1937 an der Universität Graz promoviert hatte. WaF erteilte ihr zu einem nicht genannten Zeitpunkt einen Forschungsauftrag „Kampfstoff-Fragen“. Der genaue Gegenstand dieses Themas ist unbekannt. Lediglich eine kurze geheime Notiz der Forscherin vom 26. Juli 1943 gibt einen Fingerzeig. Sie hielt damals unter dem Vermerk „Untersuchungen über Aerosole“ folgendes fest: „Im Zusammenhang mit obigem Thema wurde eine Kartei über die verschiedenen Kampfstoffe angelegt. Die Literaturarbeiten über das Kohlenoxyd sind abgeschlossen. In der Kartei sind alle, an Hand des Chemischen Zentralblattes von 1897 an bis jetzt herausgesuchten Arbeiten über das Kohlenoxyd mit einem kurzen Referat enthalten. Sie ist nach Bildung, Darstellung, chemischem und physiologischem Verhalten und den Nachweismethoden gegliedert. Die bereits fertige Literaturzusammenstellung über Nachweismethoden der Kampfstoffe und kampfstoffähnlichen Verbindungen wird auf Darstellung, chemisches und physiologisches Verhalten und Vergiftung hin ergänzt. Außerdem sind polarographische Messungen an organischen Molekülen durchgeführt worden, die z. T. grundsätzliche Fragen klären sollen, andererseits aber auch der Zweckforschung dienen (Kampfstoffanalyse).“978
Einer der ersten Schüler Winkels war Hans Witzmann (*1904). Er hatte an den Universitäten Halle, Innsbruck und München Chemie studiert. Bei Jander (Göttingen) machte er Anfang 1934 seinen Doktor. Ab Mai 1935 gehörte er zu Thiessens Mitarbeitern an dessen KWI in Berlin. Sein Arbeitsgebiet war die Aerosolfiltration, auf dem er sich schnell den Ruf des besten Kenners erwarb. Zusammen mit Winkel schuf er dazu „ ein neues, tragfähiges und zuverlässiges Verfahren“. Daraus entwickelte sich die Habilitation „Theoretische Grundlagen der Filtration“, die am 30. Mai 1941 von Thiessen und Bodenstein angenommen wurde. Beide hoben im Gutachten hervor, Witzmann habe „eine viel umstrittene und für die Beurteilung und zweckmäßigen Aufbau von Filtern grundlegende wichtige Fragestellung eindeutig entschieden“. Zugleich schuf er ein „Kalorimeter mit Sperrschichtphotozellen in Differentialschaltung“. Der von WaF an Witzmann erteilte Forschungsauftrag „Aerosole, Kampfstoffe“ ist nicht näher erläutert. Witzmann gehörte der SS an und war dort „Gas- und Luftschutzreferent“.979
977 PA Winkel, AHUB; Bewilligung von Sachbeihilfen bzw. Forschungsgeldern, BAB, R 26 III/228 und R 26 III/438 a, BDC zu Winkel; August Winkel, Gerhard Jander: Schwebstoffe in Gasen. Aerosole – über die Darstellung, die Eigenschaften, das Vorkommen und die Verwendung von Nebel, Staub und Rauch, Stuttgart 1934. 978 BAB, R 26 III/9, Karteikarte zu Trude Langer; Vermerk Langers: Untersuchung über Aerosole, vom 26. Juli 1943, BAB, R 26 III/716. Ob Winkel mit dem von Donnevert genannten Dr. Winkel in der Zentralstelle (vgl. Kapitel 1) identisch ist, konnte nicht geklärt werden. 979 BAB, R 26 III/ 9 (Karteikarte Witzmann) sowie BDC zu Witzmann, SS A 21/257; Hans Witzmann: Über die Bildung hochmolekularer anorganischer Verbindungen, Dissertation, 7. Februar 1934, Universität Göttingen, Lebenslauf; Habilitationsverfahren Witzmann, AHUB, MNF 1936–1945, UK W, Nr. 212; PA Witzmann, Nr. 309, AHUB.
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II. Experimente
An der Universität Berlin hatte Rudolf Rosenberger (*1912) Chemie studiert und danach eine Hilfsassistentenstelle am KWI von Thiessen erhalten. Diese Zeit nutzte er für die Arbeit an seiner Dissertation, die am 14 Februar 1939 an der Berliner Universität verteidigt wurde. Das Thema der Geheimschrift lautete „Neue Wege zur Darstellung organischer Additionsverbindungen mit Salzcharakter“. Die Gutachter Mentzel und Thiessen vergaben dafür ein „Sehr gut“. Bald folgte ein Auftrag von WaF an Rosenberger zur „Kampfstoff-Forschung“.980 In die Forschungen zum Kampfstoff-Sektor bezog WaF zuletzt auch Prof. Dr. Hermann Friese (1901–1985) ein, der von 1939 bis 1945 Direktor des Instituts für Organische Chemie der TH Braunschweig war. Die Beziehungen WaF – Friese hatten einen eigenartigen Verlauf genommen. Schon 1938 übertrug WaF II b Friese und Prof. Dr. Franz Bachér, Chemiker an der TH Berlin, einen Auftrag zur chemischen Spaltung von Holz. Mittels Nitrierung* sollte der im Holz eingelagerte Stützbaustoff Lignin* isoliert werden. Im Februar 1941 schickte Friese seinem Auftraggeber einen Forschungsbericht. Ohne Absprache mit der Forschungsabteilung veröffentlichte er gleichzeitig wesentliche Teile dieser Ausarbeitung unter dem Titel „Über die Spaltung des Holzes mittels Nitrierung“. Die Heeresforscher protestierten sofort und sehr scharf gegen diesen „Vertrauensmissbrauch“, entzogen Friese den Forschungsauftrag und hoben die U. k.-Stellung seiner Mitarbeiter auf. Frieses nahezu weinerliche Stellungnahme befriedigte WaF nicht im Geringsten – auch nicht Frieses kleinlaute Einsicht, er habe einen Fehler begangen. Frieses reuevolle „Bitte um einen Kriegseinsatz“ beeindruckte schon gar nicht. Im Mai 1941 teilte WaF Friese knapp mit, es bleibe bei den getroffenen Festlegungen. Er könne zwar weiterforschen, jedoch behalte man sich vor, jede seiner Veröffentlichungen zu Nitrolignin vorher prüfen zu wollen. Im Lauf der Jahre scheint sich jedoch die Verstimmung bei WaF gelegt zu haben. Jedenfalls erteilte man Friese 1944 einen Auftrag zur Kampfstoff-Forschung, dessen Inhalt nicht überliefert ist.981 Kurz nach der Kontroverse mit WaF II b intensivierte die SS ihrerseits die Kontakte zu Friese. Der Professor war nämlich seit 1936 „einer der aktivsten Spezial VLeute des SD in Berlin“, hatte es Mitte 1943 zum SS-Sturmbannführer gebracht und galt bei der SS als Fachmann für „Gaskampf und Gasschutz“. Deshalb gehörte er ab Juni 1943 zur „Fachgruppe Kriegswesen“ im SS-Führungshauptamt. Die Zusammenarbeit mit Friese als „Ehrenamtlicher“ besorgte zu dieser Zeit kein anderer als der bereits mehrfach genannte Dr. Fischer.982 Nachdem die SS ab der ersten Hälfte 1944 energischer ihre Pläne zur Errichtung eines eigenen „Kampfstoff-In980 BAB, R 26 III /9 (Karteikarte Rosenberger); Promotionsverfahren Rosenberger, AHUB, MNF 1935–1945. 981 Aufstellung des Speer-Ministeriums vom 19. Januar 1945 (GKdos): Forschungsaufträge, BAB, R 3/3130, Bl. 8, RS; Briefwechsel Frieses mit der WaF, 1941, BAB, R 4901/12872. Friese realisierte auch Forschungsaufträge des RLM und anderer Dienststellen. Vgl. Helmut Maier: Vor den Karren Kriegsforschung gespannt. Naturwissenschaftlich-technische Wehr- und Kriegsforschung und -entwicklung an der Technischen Hochschule Braunschweig in der NS-Zeit, in: Informationsdienst Wissenschaft und Frieden 9 (1991) Heft 3, 34–39, insb. 36. 982 BAB, BDC zu Friese, SSO 225; Fischer: Erinnerungen, Bd. II, 125.
19. Aktenzeichen ungelöst
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stituts“ vorantrieb (vgl. Kapitel 15), stellte sich ihr die Frage, wer dafür als Leiter geeignet sein könnte. Fischer schlug seinen V-Mann Friese vor. Mentzel teilte diese Meinung nicht, da „Prof. Friese mehr auf dem Cellulose-Gebiet als auf dem Kampfstoff-Gebiet“ zu Hause sei, eine durchaus zutreffende Feststellung, wie die oben beschriebenen Forschungen für WaF II b nahe legen. Statt Friese plädierte Mentzel für „SS-Hauptsturmführer, Professor an der TH Berlin, Dr. August Winkel, der ein ausgesprochener Kampfstoff-Chemiker ist“. SS-Standartenführer Sievers notierte am 28. Juli 1944, dass mit Friese „zur Vermeidung von Doppelarbeit eine Kampfstoff-Besprechung“ angebracht sei. „Gegebenenfalls einzuladen wären Prof. Dr. Hirt, Dr. Martineck, Prof. Bickenbach“ so Sievers weiter.983 Der Anatom August Hirt war bekanntlich an den Menschenversuchen der SS mittels Lost beteiligt, ebenso Otto Bickenbach, der im KZ Natzweiler Häftlinge zur Teilnahme an seuchenmedizinischen Experimenten zwang (vgl. Kapitel 15).984 Weitere Indizien für eine Kampfstoff-Forschung durch WaF und die dazu erfolgte Zusammenarbeit mit Wa Prüf 9 ergeben sich aus folgendem: Im Nachlass Schneider findet sich ein Vermerk, wonach der Oberst a. D. Dr.-Ing. Leopold von Sicherer zwischen 1965 und 1970 beabsichtigte eine „Geschichte der ABC-Vorbereitung bei Wa Prüf“ zu schreiben. Für diesen Zweck suchte er Kontakte mit ehemaligen Angehörigen von Prüf 9 und WaF. Von Sicherer war ein Fachmann für Kampfstoffe. Auf diesem Gebiet hatte er viele Jahre gearbeitet. Er gehörte u. a. zu jenen Angehörigen der Reichswehr, die ab 1925/26 in der Sowjetunion den chemischen Krieg probten.985 Alexander Neumann fand bei den Recherchen für sein Buch über die Heeressanitätsinspektion aufschlussreiche Dokumente zur Universität Würzburg. Dort arbeitete seit 1923 Prof. Dr. Ferdinand Flury. Im Ersten Weltkrieg war er am KWI von Haber am Gaskrieg beteiligt, wirkte ab 1924 als zentraler Kontaktmann der Reichswehrführung und forschte intensiv zu neuartigen Kampfstoffen. Einige seiner Arbeiten finanzierte 1936 die Forschungsabteilung des HWA.986
983 Vermerk Sievers’ vom 28. Juli 1944: Errichtung einer wissenschaftlichen Forschungsstätte im KL Sachsenhausen lt. Befehl RF-SS vom 25. 05. 1944, BAB, BDC „Ahnenerbe“: Boseck, Karl Heinz. 984 Vgl. u. a. Angelika Ebbinghaus, Karl Heinz Roth: Vernichtungsforschung. Der Nobelpreisträger Richard Kuhn, die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und die Entwicklung von Nervenkampfstoffen während des „Dritten Reiches“, in: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 17 (2002) Heft 1, 15–50. 985 Vgl. u. a. Groehler: Der lautlose Tod; Hoßfeld et al.: „Kämpferische Wissenschaft“, 629; Zeidler: Reichswehr und Rote Armee, 351. Zu Leopold v. Sicherer (1897–1971) Henning Sietz: Es riecht nach Senf. Auf Einladung der Sowjets erprobten deutsche Militärs zwischen 1926 und 1933 an der Wolga chemische Kampfstoffe, in: Die Zeit Nr. 26/2006 (http://zeus.zeit.de/text /2006/26/A-Tomka). Hinweise darauf, dass die Zentralstelle in die Zusammenarbeit Reichswehr – Rote Armee in irgendeiner Weise einbezogen war, wurden nicht gefunden. 986 Alexander Neumann: „Arzttum ist immer Kämpfertum“ – Die Heeressanitätsinspektion und das Amt „Chef des Wehrmachtssanitätswesens“ im Zweiten Weltkrieg (1939–1945), Düsseldorf 2005 (= Schriften des Bundesarchivs, 64), 278.
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II. Experimente
Im September 1937 reichte an der Universität Berlin Dr. Horst Böhme (*1908) seine Habilitationsschrift ein. Sie erhielt sofort den Vermerk „Geheim“. Deshalb fand die Annahmeberatung erst im April 1940 statt. Geleitet wurde diese von Thiessen und Günther. Hinter dem Thema „Darstellung und Eigenschaften halogenierter Thioäther“ verbarg sich eine Untersuchung zu Kampfstoffen. Die Initiative zur Eingruppierung als geheim ging von WaF V aus und war von Schumann ausdrücklich bestätigt worden. Außerdem forderte WaF V die Arbeit an, da sie dort „dringend benötigt wird“. Böhme arbeitete seit 1936 mit dem HWA zusammen. Ab 1938 leitete er eine „Außenstelle des HWA“ und war deshalb u. k. gestellt. Thiessen befand 1944, dass die Arbeiten Böhmes und seiner Mitarbeiter „sowohl im Bereich der Grundlagenforschung als auch [zu] unmittelbar kriegswichtigen und waffentechnischen Fragen … außerordentlich wertvoll sind“ (vgl. Anhang II: Geheimdissertationen). Erinnert sei auch daran, dass mehrere Angehörige der Studentenkompanie an Thiessens KWI zu Kampfstoffen forschten, betreut von Böhme (vgl. Kapitel 6). Interessant ist eine Berufung Böhmes durch die Regierung des Generalgouvernements vom März 1942 zum Direktor des Pharmazeutischen Instituts des IDO in Lemberg (vgl. Kapitel 4). Böhme lehnte jedoch ab, weil er dort keine wissenschaftliche Perspektive sah. Statt Direktor in Lemberg wurde er Mitarbeiter am KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie und dort im November 1943 Abteilungsleiter.987 Schließlich ist noch eine Zuverlässigkeitsanfrage von WaF vom 20. Mai 1942) beim REM zu Prof. Dr. Hans-Heinrich Schlubach (1889–1975) im Kontext der Kampfstoff-Forschung von Belang. Besagter Wissenschaftler war Direktor des Chemischen Staatsinstituts an der Universität Hamburg. 1937 beantragte Schlubach die Einrichtung eines Kampfstofflaboratoriums an seinem Institut. Es werde zur Ausbildung von Mitarbeitern der Kampfstoff-Untersuchungsstellen dringend benötigt. Das Vorhaben wurde genehmigt und 1938 abgeschlossen. Schlubach betreute mindestens drei Doktorarbeiten an seinem Institut, die der Kampfstoff-Thematik zuzuordnen sind. Eine davon wurde als geheim eingestuft. In einem Bericht von 1943 vermerkte Schlubach, dass sein Institut viele kriegswichtige Aufträge des OKH, der Marine, der Luftwaffe sowie des RWA bearbeitet. Details dieser Forschungen sind nicht überliefert, ebenso nicht, ob WaF einer der Auftrageber war.988
Biochemie/Medizin Auf den ersten Blick befremdlich wirkt eine Reihe geheimer Forschungsthemen, die WaF an Biochemiker und Mediziner vergab. Dieser Eindruck verstärkt sich noch angesichts mehrerer Anfragen von WaF an das REM zur Vertrauenswürdig987 BAB, BDC DS 27 A, Bl.72; ausführlich bei Schmaltz: Kampfstoff-Forschung, 159–164. 988 Anfrage der WaF beim REM vom 20. Mai 1942 zu Schlubach, BAB, R 4901/12864; Eckhard Krause, Ludwig Huber, Holger Fischer (Hg.): Hochschulalltag im „Dritten Reich“. Die Hamburger Universität 1933–1945, Bd. III, Berlin/Hamburg 1991, 1223–1137. Auf S. 1135 wird auf einen Kampfstoffunfall am 11. September 1939 hingewiesen, bei dem Prof. Karl Kindler eine Lost-Vergiftung an den Händen erlitt.
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keit einschlägiger Wissenschaftler. Insgesamt sind 14 derartige Anfragen von WaF nachweisbar. Unter den Personen, an denen WaF Interesse zeigte, befanden sich Pharmakologen, Physiologen, Psychiater, Dermatologen und Biochemiker. Da zumeist Unterlagen über den genauen Inhalt ihrer Tätigkeit für die Heeresforschung fehlen, können dazu nur Vermutungen geäußert werden. Denkbar sind: Beteiligung an der Kampfstoff-Forschung und Arbeit an biologischen Waffen bzw. zur Wirkung von Brandmitteln. In einigen Fällen können auch Untersuchungen zur Thematik „UR/Sichtweitenforschung“ in Betracht gezogen werden. Dazu einige Details: Im August 1943 erteilte WaF – mit der Dringlichkeit SS – an Prof. Zeiger vom Anatomischen Institut der Universität Hamburg einen Forschungsauftrag „Untersuchung der histochemischen Reaktion organischer Stoffe“. In einem anderen Dokument ist der Auftrag etwas präzisiert formuliert als „Histophysiologische und histochemische Untersuchung über organische Stoffe“, gemeinsam zu bearbeiten mit Dr. Martin.989 Prof. Dr. Karl Zeiger (1895–1959) war Anatom. Zunächst arbeitete er an den Universitäten Frankfurt/M. und Königsberg. 1941 wurde er nach Hamburg berufen. Seine Forschungsgebiete waren vor allem Erblehre und Rassenhygiene (Untersuchungen an Zwillingen zu Merkmalen des Gebisses und des Gaumens), Histochemie* und Histophysiologie. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges erfolgte vom 28. August bis 20. November 1939 sein Einsatz im Sanitätsdienst in Ostpreußen. Seinen weiteren Weg beschrieb er selbst: „Auf Veranlassung des OKH wurde ich dann zur Fortführung eines mir schon früher übertragenen wehrwissenschaftlichen Forschungsauftrages aus dem aktiven Dienst entlassen … Eine Reihe von wehrwissenschaftlichen Untersuchungen [insgesamt 15, G. N.] behandelten eine mir vom HWA im Rahmen eines persönlichen Forschungsauftrages gestellte Sonderaufgabe mit speziellen histophysiologischen Methoden …, z. T. zusammen mit H. Martin, deren Nennung und Veröffentlichung vom OKH nicht freigegeben wird.“
Bei „H. Martin“ handelt es sich um Dr. Helgo Hinrich Martin (*1911), der Ende 1937 an der Universität München promovierte und wenig später nach Hamburg kam.990 Die enge Verbindung Zeigers zum HWA belegen zwei Aktennotizen von 1942, aus denen Dienstreisen „im Auftrag des OKH“ nach Berlin, Graz und andere, leider nicht genannte Orte hervorgehen. Einen Deutungsversuch zu diesen Vorgängen gab ein Hamburger Wissenschaftler und ausgewiesener Fachmann: „Da Zeiger selbst auf dem Gebiet der Fluoreszensmikroskopie und der Elektronenmikroskopie im Zusammenhang mit histochemischen Reaktionen organischer Stoffe gearbeitet hat, ergibt sich über diese forensische Schwerpunktsetzung eine enge Beziehung zu August Hirt, der als Professor in Straßburg mit ähnlichen wissenschaftlichen Forschungsmethoden berüchtigte
989 BAB, R 26 III /9 (Karteikarte Martin) sowie 17, Bl. 230, 990 Lebenslauf Zeigers vom 21. Dezember 1943, BAB, BDC zu Zeiger, PK U 91; Diss. Martin, Lebenslauf. Biographische Angaben zu Zeiger, jedoch ohne Hinweise auf seine Tätigkeit für das HWA, sind enthalten bei Hendrik van den Bussche (Hg.): Medizinische Wissenschaft im Dritten Reich. Kontinuität, Anpassung und Opposition an der Hamburger Medizinischen Fakultät, Berlin/Hamburg 1989.
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II. Experimente Lost-Versuche anstellte. Ob hier allerdings eine Kooperation bestand, ist aus unseren Unterlagen nicht zu ersehen.“991
WaF stellte 1942 zu drei weiteren Professoren der Hamburger Universität Anfragen an das REM, ob es dort Einwände zu einer Zusammenarbeit gebe. Diese bestanden nicht, handelte es sich doch um langjährige Mitglieder der NSDAP, die ihre Zuverlässigkeit mehrfach unter Beweis gestellt hatten, nämlich den Pharmakologen Eduard Keeser (1892–1956), den Mediziner Joachim Kühnau (1901– 1983) und den Psychiater Hans Bürger-Prinz (1897–1976). Keeser, in Hamburg von 1934 bis 1938 Dekan und von 1942 bis 1945 Rektor, forschte an seinem Institut zur Pharmakologie des Arsens, der Barbiturate*, der Opiate* und zum Purinstoffwechsel*. An seinem Institut entstanden zahlreiche Dissertationen zu Kampfstoffen. Er selbst publizierte zur Senfgasschädigung der Haut und verfasste ein „Kampfstoff-Merkblatt für Ärzte“. Außerdem arbeitete er im Auftrag des HWA sowie des Reichsarbeitsministeriums zur „Toxikologie der Sprengstoffherstellung“. 1939 nahm er als ein „beratender Fachmann für Kampfstoffe“ am Überfall auf Polen teil.992 Kühnau, ab 1934 Direktor des Forschungsinstituts für Stoffwechselkunde in Wiesbaden, bekam 1941 eine Professur in Hamburg. In dieser Eigenschaft war er auch an Untersuchungen zu hungerkranken sowjetischen Kriegsgefangenen beteiligt. Über eine Zusammenarbeit mit WaF konnte nichts ermittelt werden.993 Unklar bleibt auch die Rolle von Bürger-Prinz, der durch van den Bussche als ein „zuverlässiger Garant der Kriegsmaschinerie“ charakterisiert wird. Bürger-Prinz wirkte seit 1936 in Hamburg, war Richter am Erbgesundheitsgericht, ab 1941 „beratender Militärpsychiater“ am Wehrkreis X (Hamburg) und seit 1943 beteiligt an der Behandlung von „Kriegsneurotikern mittels Insulinschock“. In seinen Lebenserinnerungen bemerkte Bürger-Prinz, dass bei ihm u. a. zur Verwendung von Barbituraten als „Wahrheitsdroge“ geforscht wurde. Zu beachten ist auch seine Mitgliedschaft im Wissenschaftlichen Beirat des SS-Obersturmbannführers Dr. Karl Brandt, angeklagt im Nürnberger Ärzteprozess wegen der Beteiligung an Kampfstoffversuchen mit Häftlingen.994
991 Mitteilung von Prof. Dr. med. Heinz-Peter Schmiedebach, Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf, vom 10. März 2005, sowie von Prof. Dr. Stefan Kirchner, Universität Hamburg, vom 7. Februar 2005. Beiden Herren ist für die Auskünfte und die zugestellten Materialien sehr zu danken. Zu Hirt vgl. u. a. Tagebuch Sievers’, (BAB, NS 21/11, Eintragung vom 17. März 1943) über eine Zusammenkunft mit Hirt, Bickenbach und weiteren Personen, wobei Hirt über Fluoreszensmikroskopie referierte und eine praktische Demonstration gab. Dörner, et al.: Ärzteprozess, Microfiche Nr. 3/0494; Schmaltz: Kampfstoff-Forschung, 530–535. 992 Van den Bussche: Medizinische Wissenschaft (wie Anm. 990), 74 f., 169, 257–259; Grüttner: Biographisches Lexikon, 87. 993 Ebd. 994 Dörner et al.: Ärzteprozess; vgl. zu Bürger-Prinz auch Angelika Ebbinghaus, Heidrun Kaupen-Haas, Karl Heinz Roth (Hg.): Heilen und Vernichten im Mustergau Hamburg. Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik im Dritten Reich, Hamburg 1984. Hans Bürger-Prinz erwähnt in seinem Buch: Ein Psychiater berichtet, Hamburg 1971, 282–284, eine Zusammenarbeit mit dem HWA nicht. Zu Bürger-Prinz vgl. auch Thomas Röder, Volker Kubillus (Hg.): Die
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An der Universität Graz lehrten und forschten auf dem Gebiet Pharmakologie bzw. Biochemie die Professoren Wihelm Blume (*1893) und Hans Lieb (1897– 1979). Zu ihnen hatte WaF Ende 1942 bzw. Mitte 1944 Anfragen an das REM wegen ihrer Zuverlässigkeit gestellt. Ob eine Zusammenarbeit mit beiden Wissenschaftlern erfolgte, ist nicht bekannt. Ebenso kann nur spekuliert werden, ob die erwähnten Reisen Zeigers nach Graz damit in Verbindung stehen. Belegt werden kann jedoch, dass Lieb in die Kriegsforschung einbezogen wurde. An der Universität Graz erfolgte wahrscheinlich 1942 die Bildung einer Arbeitsgemeinschaft „Flammlose Oxydation des Phosphors“, die ein Dr. Hurka leitete und der Lieb angehörte. Anfang April unterrichtete des Präsident des Reichsgesundheitsamtes den RFR von der Absicht, an der Universität Graz eine „AG Biochemie“ ins Leben zu rufen. Lieb sollte in ihr mitarbeiten, und zwar zum Thema „Bekämpfung des Gasödems“. Ebenso wolle man ihn an der Erforschung der Instabilität von Vitaminen beteiligen. Der zuständige Fachspartenleiter im RFR, Kuhn, gab dazu seine Zustimmung. Von Lieb ist überdies bekannt, dass er Vorträge über Kampfstoffe hielt.995 Unklar bleibt auch der Grund für die Anfrage zu dem Dermatologen Prof. Leonhard Hauck (1874–1945), der seit 1905 an der Universität Erlangen lehrte und 1939 in den Ruhestand ging, aber danach noch eine Lehrstuhlvertretung – für Haut- und Geschlechtskrankheiten – innehatte.996 Weitere Aufträge von WaF an Biochemiker/Pharmakologen sind belegt zu den Professoren Albers, Labes und Janke. Henry Albers (1904–1987), von der TH Hannover kommend, war ab 1936 Direktor des Instituts für Organische Chemie an der TH Danzig. Für dieses Amt hatte er sich u. a. durch seine Arbeitsergebnisse am biochemischen Institut der Universität Stockholm empfohlen. In der Literatur wird er als „Spezialist für Kampfstoffe, Gelb- und Blaukreuz“ bezeichnet. Albers war Mitglied des Arbeitsausschusses „Chemie“ des OKH und wurde zur „Synthese von organischen Uranverbindungen“ herangezogen.997 Ähnlich verhält es sich mit Prof. Dr. Richard Labes (1889–1971). Er arbeitete als Pharmakologe an der Universität Jena – vor allem zu Giften, Heilmitteln und elektrischen Vorgängen im Nervensystem. Im August 1943 erteilte ihm WaF den Männer hinter Hitler, wer die geheimen Drahtzieher hinter Hitler wirklich waren, Malters 1994, 155–158. 995 In einer biographischen Würdigung zu Lieb wird u. a. vermerkt, dass er sich viele Jahre mit „physiologisch-chemischen und forensisch-chemischen Problemen“ befasste. M. K. Zacher: Prof. Dr. Hans Lieb zum 70. Geburtstag, in: Wiener Klinische Wochenschrift vom 21. Juni 1957, 438; Splitter-Nachlass Lieb an der Universität Graz. 996 Anfragen von WaF zwischen 1942 und 1944 an das REM zur Zuverlässigkeit von Professoren und ihre Einbeziehung in die Kriegsforschung, BAB, 4901/12.873. Zu Prof. Hauck fanden sich in seinen Personalunterlagen keine Hinweise auf eine Zusammenarbeit mit WaF, Mitteilung des UA Erlangen vom 5. Oktober 2005. 997 Anfragen von WaF, BAB (wie Anm. 988); Kartei zu Forschern, BAB R 26 III/8. In den Nachrufen zu Albers ist die Zeit zwischen 1939 und 1945 vollständig ausgeblendet, UA Mainz, Bestand S. 11/E 3. Aus BAB, 26 III/8 sowie aus Vermerken im Tagebuch Bagges, IfZ, ED 100/1, 5, geht hervor, dass Albers in die Arbeiten des Uran-Vereins einbezogen war. Vgl. auch Nagel: Atomversuche, 309.
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II. Experimente
geheimen Forschungsauftrag „Verhalten chemischer Dipole auf biologische Formelemente“. Die durch Labes erzielten Ergebnisse sind nicht überliefert. Bekannt ist allerdings, dass er zur Wehrtoxikologie und zur Wehrpharmakologie lehrte.998 Prof. Dr. Alexander Janke (1887–1974), Institut für biotechnische Technologie in Wien, sollte 1942/43 den Geheimauftrag über „Biologische Gasreaktionen, Schnelltrocknung von Torf“ mit der Dringlichkeit S bearbeiten. Im Ersten Weltkrieg war Janke Oberleutnant im Kriegsministerium der k. u. k. Monarchie und befasste sich vorrangig mit bakteriologischen Fragen der „Kriegsseuchen“. Ab 1938 gab es in seinem Zuständigkeitsbereich an der TH Wien ein mikrobiologisches Labor, das von den anderen Einrichtungen des Instituts für Biochemie getrennt war. Wegen kriegswichtiger, vom RFR geförderter Forschungen bekam er 1940 seine U. k. Stellung. In einer nicht datierten Aktennotiz informierte Janke seine Vorgesetzten: „Werde mich am Dienstag, 22.1. des Monats [nicht ange-geben, G.N.] über Auftrag OKH in das russische Forscherlager nach Staltach begeben“. Außerdem erledigte Janke Aufträge des RWA, die nach eigenen Angaben „unter Verschluss“ zu halten seien.999 Dem Komplex „Ultrarot/Sichtweitenforschung“ sind unter Umständen Aufträge zu zuordnen, die einigen Physiologen übertragen bzw. zu denen Anfragen beim REM gestellt wurden. So erhielt beispielsweise Prof. Dr. Manfred Monjé (*1901), Direktor des Physiologischen Instituts der Universität Posen, tätig auf dem Gebiet der Augenheilkunde, einen Forschungsauftrag über „Physiologischoptische Untersuchungen“. In einer Arbeit über die Forschungen im Auftrag der Wehrmacht zum Aufputschmittel Pervitin gelangte Baader zu der Feststellung: „Wir wissen, dass bei der Sinnesmedizinischen Forschungsabteilung des Sanitätsamtes des Marineoberkommandos Ostsee noch im Februar 1945 Prof. Dr. Manfred Monjé von der Reichsuniversität Posen an der Frage der Leistungssteigerung durch Pervitin arbeitete.“1000
Ebenfalls mit der Physiologie des Auges, zusätzlich des Gehörs, befasste sich – zuletzt an der Universität Prag – Prof. Dr. Gustav Schubert (*1897). 1935 publizierte er zur „Belastung des menschlichen Organismus beim Hochleistungsflug“
998 UA Jena, Bestand C, Nr. 548. Frau Margit Hartleb, Mitarbeiterin des Uni-Archivs ist für ihre gründlichen Recherchen zu Prof. Labes zu danken: Mitteilung von Frau Hartleb vom 6. Dezember 2005; Aufstellung Forschungsinstitute, BAB, R 26 III/14, Bl. 3, R 26 III/8; Grüttner: Biographisches Lexikon. An der Universität Jena lehrte Prof. Brintzinger, der langjährig mit dem OKH zur Kampfstoff-Forschung zusammenarbeitete. Er erhielt 1966 von Dr. Leopold v. Sicherer ein Foto (Gruppenaufnahme), das ihn „im Kreis von Spezialisten des HWA, mutmaßlich im Heeresgasschutz-Laboratorium Spandau aufgenommen“, zeigt. Hoßfeld et al.: „Kämpferische Wissenschaft“, 629. 999 Aufstellung Forscher, BAB, R 26 III/13, Bl. 4 f.; PA Janke, UA TH Wien. Zum Lager Staltach vgl. Kapitel 4. 1000 Aufstellung Forscher, BAB, R 26 III/15, Bl. 93; Gerhard Baader: Menschenversuche in der deutschen Wehrmacht – Pervitin als Beispiel, in: Martina Tschirner, Heinz-Werner Göbel (Hg.): Wissenschaft im Krieg – Krieg in der Wissenschaft. Ein Symposium an der PhilippsUniversität Marburg. 50 Jahre nach Beginn des II. Weltkrieges, Marburg 1990 (= Schriftenreihe zur Konfliktforschung, 15), 258–266, insb. 264.
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und 1939 zur „binokularen Koordination der Sehfunktion“. 1943 gab es den Vermerk „WaF zeigt starkes Interesse an den Forschungen von Prof. Schubert“.1001
Akustik Die Forschungen zu den verschiedenen Phänomenen des Schalls, wie seiner Entstehung, Fortpflanzung in den Medien (Boden, Wasser, Luft), Wirkung auf andere Körper, nahmen, sowohl beim II. PI als auch bei WaF, einen breiten Raum ein. Das kann nicht im Geringsten verwundern. Erstaunen läßt jedoch, dass über die Inhalte und die Ergebnisse, die Schumanns Leute erzielten, in den dazu festgestellten Dokumenten nur wenig verzeichnet ist! Spätestens seit den mörderischen Artillerieduellen des Ersten Weltkrieges waren die Militärs außerordentlich stark an allem interessiert, was den Schall betraf. Schumann selbst hatte während des Krieges erste Erfahrungen zur Schallmessung sammeln können. Er studierte danach Akustik und wurde ein Spezialist auf diesem Gebiet. Davon zeugt auch sein 1925 erschienenes Buch „Akustik“ (vgl. ausführlich Kapitel 22). Bereits an der „Zentralstelle“ gab es zu akustischen Fragen umfangreiche Untersuchungen. Der Referent Heinrich Hunke befasste sich seit 1927 damit und legte ein Jahr später an der Universität Halle-Wittenberg seine Dissertation „Über akustische Intensitätsmessung“ vor. Das Ziel dieser Arbeit war es, objektive Methoden der Tonstärkemessung durch vergleichende Messungen zu finden.1002 Zur Akustik arbeiteten bei der ZS auch Kadow und Winkhaus. Beide lieferten zu dieser Thematik ihre Doktorarbeiten ab, die jedoch keinerlei militärischen Bezug hatten.1003 Dinse hatte ab 1. Januar 1932 an der ZS akustische Untersuchungen durchgeführt und promovierte dazu 1935 an Schumanns II. PI.1004 Tönnies gehörte ab 1924 zur IWG, später zur ZS. Ab 1932 führte er Versuche durch für seine Dissertation „Zur Theorie des Richtungshörens“, die er 1935 erfolgreich verteidigte.1005 Es war nur folgerichtig, dass Schumann bei der Konzipierung des zu gründenden II. Physikalischen Instituts Ende 1933/Anfang 1934 eine eigene Abteilung 1001 Auflistung von Forschungsthemen, BAB, R 26 III/4. 1002 Heinrich Hunke: Über akustische Intensitätsmessungen, Dissertation, Universität HalleWittenberg 1928; BAB, BDC zu Hunke. 1003 Johannes Kadow: Die Stilarten Molières und die romanische Volksposse, Dissertation, 14. Oktober 1924, Universität Berlin; Hans Winkhaus: Vergleichende akustische Untersuchungen, Dissertation, 20. November 1939, Universität Berlin. Diese Schrift beschäftigt sich mit der Analyse „der Klänge des Oboe-Orgelregisters“ sowie den Flöten-, Klarinetten- und Fagottorgel-Klängen. Die Arbeit war bereits 1930 fertig gestellt und auch angenommen worden. Durch verschiedene Umstände, die nichts mit dem wissenschaftlichen Gehalt der Dissertation zu tun hatten, erfolgte jedoch erst 1939 die offizielle Bestätigung und Aushändigung der Promotionsurkunde, Dissertationsverfahren Winkhaus, AHUB. 1004 PA Dinse, AHUB; Eignungsbericht Schumanns zu Dinse vom 2. Juli 1940, BAB, R 4901/ 1468, Bl. 84 f. 1005 PA Tönnies, AHUB; Gesuch Tönnies’ vom 28. Juni 1940, BAB, R 4901/1468, Bl. 101.
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II. Experimente
„Akustik“ ins Auge fasste und deren Einrichtung auch durchsetzte. Doch zunächst bekam er es mit ernsthaften Konkurrenten zu tun, die am lukrativen Auftragskuchen der Reichswehrführung teilhaben wollten. Am 13. März 1934 lieferte der SA-Führer und Chef des Ausbildungswesens der SA Friedrich Wilhelm Krüger (1894–1945) beim Reichsminister des Inneren einen Antrag über „Forschungen zu Schallwellen“ ab. Er betonte, dass die anvisierten Arbeiten für die Landesverteidigung wichtig seien. Deshalb wolle die SA dafür auch Hilfskräfte bereitstellen. Urheber des Vorschlages, datiert auf den 2. Januar 1934, waren der Mathematiker Prof. Dr. Ludwig Bieberbach von der Universität Berlin, und Dr. Eduard Wildhagen, damals Referent in der Hochschulabteilung des Preußischen Kulturministeriums – von Juli 1934 bis 1936 Vizepräsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Beide stellten in den Mittelpunkt ihres geplanten Forschungsprojektes die „Lokalisation von Schallwellen in der freien Atmosphäre“. Untersucht werden sollten die Fragen, welche atmosphärischen und Geländeeinflüsse die Schallwellen deformieren und welche Ortungsfehler daraus resultieren bzw. durch welche Hilfsmittel derartige Veränderungen zuverlässig festgestellt werden können. Im Ergebnis wollten Bieberbach und Wildhagen zu Verfahren gelangen, um ohne komplizierte Rechnungen den „Planort“ von Schallwellen zu finden. Das Hauptgewicht sei deshalb auf die mathematische Analyse zu legen. Nicht gerade kleinlich geriet der veranschlagte apparative Aufwand, nämlich zwei auf LKW montierte Oszillographen mit je 5 bis 8 Messschleifen, diverses Zubehör wie Mikrophone, Entfernungsmesser, Theodoliten und anderes Gerät. Gedacht war an ein Jahr Versuchszeit sowie Kosten von rund 50.000 RM. Beim Innenministerium war man vorsichtig und bat erst Ministerialrat Dr. Donnevert vom REM um eine Stellungnahme. Dieser wiederum meinte, man könne zwar zustimmen, müsse aber erst wissen, was das RWM dazu meine. Von dort war aber nichts zu hören. Schumann, dem die Angelegenheit bekannt geworden war, stieß am 26. April 1934 beim RWM nach, bekam aber gleichfalls keine Antwort. Was sich hinter den Kulissen auch immer an Gerangel abgespielt haben mag, fünf Wochen später konnte Schumann dem Innenministerium erleichtert mitteilen, Bieberbach und Wildhagen hätten ihren Antrag zurückgezogen. Außerdem habe das RWM auf bereits vorhandene Einrichtungen verwiesen, die sich bereits mit derartigen Forschungen befassen. Und eben das waren Schumanns II. Physikalisches Institut bzw. seine Abteilung Forschung im HWA.1006 Zwischen 1934 und 1945 entstand an Schumanns Institut eine größere Anzahl wissenschaftlicher Arbeiten zur Akustik, die meistenteils durch den Vermerk „Geheim“ versiegelt wurden (vgl. Anhang II: Geheimdissertation). Dazu gehörte wahrscheinlich auch die 1935 vorgelegte Dissertation von Dr. Hildegard Motz. In einem 1940 von Schumann unterzeichneten Eignungsbericht zu Dinse heißt es, er führe „auf dem Gesamtgebiet der Akustik – unterstützt durch z. T. von ihm ausgebildete tüchtige Wissenschaftler – mit großem Erfolg physikalische, physiologische, technische und musikwissenschaftliche Arbeiten durch und habe herausra1006 BAB, R 1501/126774, Bl. 225–232.
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genden Anteil an den Ergebnissen der Grundlagenforschung auf Gebieten der Militärakustik (Schallmessung und Fliegerabhörverfahren). In seiner Abteilung entstanden acht Dissertationen.“1007 Es fällt auf, dass sich einige dieser wissenschaftlichen Arbeiten mit „Schwebungen“ beschäftigen. Diesen Begriff definierte Schumann wie folgt: „Verstimmt man zwei unisone Töne gegeneinander, so treten periodische Stärkeschwankungen auf, die als Schwebungen bezeichnet werden und deren Anzahl in der Zeiteinheit (Sekunde) gleich der Differenz der Schwingungszahl der beiden schwebenden Töne ist“.1008
Die Erforschung von Schwingungen sollte offenkundig helfen, neue und bessere akustische Peilverfahren zu entwickeln. Was genau dabei heraus kam, ist allerdings nicht überliefert. In einem Fall kann der Schleier der Geheimhaltung gelüftet werden – jedenfalls etwas. Es handelt sich um die Habilitationsschrift von Dr. Hinderer (*1909), die eine hohe Wertschätzung durch das Militär erfuhr. Hinderer hatte am 12. Juli 1933 bei Schumann und Wehnelt erfolgreich seine offene Dissertation „Ein Hochvakuumoszillograph“ verteidigt. Diese Thematik verfolgte er weiter und lieferte die neu gewonnen Ergebnisse an der WTF ab. Sie waren überschrieben mit: „Ein tragbarer Kathodenoszillograph für Mehrfachaufnahmen“ und wurden von Schumann als geheim eingestuft. Am 23. Februar 1937 fand die Annahme an der WTF statt. Anwesend waren General Becker, die Professoren Schumann, Wehnelt, Winkhaus, Picht, Weichert, Braunsfurth, Möller sowie Dr. Rothe und Dr. Kömmnick. Hinderer stellte die von ihm entwickelte Apparatur vor und verwies auf ihre geplante Anwendung bei der Wehrmacht. Becker gab bekannt, dass sie „wahrscheinlich als geheimes Gerät der Schallmessung“ zum Einsatz gelangen werde. Wehnelt erteilte in seinem Gutachten hohes Lob. Hinderer habe bereits in seiner Doktorarbeit eine wesentliche Verbesserung der Braunschen Röhre durch neuartige Glühkathoden konstruiert, mit „besseren fokussierenden Eigenschaften sowie die Auswahl eines stark leitenden Glases für ein Hochvakuum“. Jetzt seien „weitere höchst wichtige Verbesserungen erreicht worden, mit denen 6 Einzelvorgänge mit einer Röhre gemessen werden können“. Für die früheren Versuche bestand ein umfangreicher Transportbedarf auf Fahrzeugen. Jetzt könne die gesamte Apparatur in zwei Handkoffern untergebracht werden. Auch der Energiebedarf sei auf ein Mindestmaß gesunken, befand Wehnelt anerkennend. Das mit der Habilitationsschrift gleichzeitig beantragte Geheim-Patent wurde im April 1940 freigegeben.1009
1007 Eignungsbericht vom 2. Juli 1940 zu Dinse (wie Anm. 1004). 1008 Schumann: Akustik, 87, Hervorhebung ebd. 1009 PA, Habilitationsverfahren Hinderer, AHUB; vgl. auch BAB, BDC zu Hinderer, PK E 221. Seine Erfindung machte Hinderer am 31. Juli 1952 in der BRD beim Patentamt geltend (Wohnanschrift Karlsruhe). Die daraufhin am 15. Juni 1953 erteilte Schrift Nr. 879729 „Kathodenstrahloszillograph für Mehrfachaufnahmen“ vermerkt: „Patentiert im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 26. Januar 1936 an“.
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II. Experimente
Zu Hinderer ist ein Nachtrag angebracht: Der Wissenschaftler hatte seit 1938 eine Dozentur an der Universität Berlin inne. Schumann, der ihn offenbar sehr schätzte, reichte ihn „im Einvernehmen mit dem Chef des Amtes Wissenschaft und Chef des HWA“ zur Beförderung zum Regierungsrat ein. Die zuständigen Militärbürokraten meinten jedoch, dass dies nicht möglich sei, da Hinderer wegen eines Hüftleidens körperlich stark behindert sei. Sie lehnten deshalb Schumanns Vorschlag aus formalen Gründen ab. Schumann wusste jedoch Rat, wie Hinderer trotzdem zur verdienten Beförderung kommen könnte. Er bot ihn der CTR zur Übernahme an. Schon wenige Wochen kam von dort die Antwort: „Ist für Forschungsarbeit besonders geeignet … und wird deshalb von der CTR übernommen“. 1941 war Hinderer das, was Schumann wollte, nämlich Regierungsrat.1010 Wie weit gespannt man am II. PI zur Akustik forschte, verdeutlichen mehrere Doktorarbeiten. Siegfried Förster (1907–1941) führte eine „Untersuchung der akustischen Struktur der englischen Vokale“ durch. Die Resultate der von Prof. Horn und Schumann begutachteten Schrift wurden als „äußerst wertvoll“ bezeichnet. Schumann notierte, dass Förster „erstmals die von Stumpf aufgestellte Vokalanalyse für englische Vokale“ nutzte und mit einer „Interferenzeinrichtung“ experimentierte.1011 Marie-Louise Donati (*1916) wurde 1939 als Doktorandin am II. PI eingestellt und war dort ab 1942 wissenschaftliche Angestellte. Im September 1943 verteidigte sie bei Schumann und Wehnelt ihre Dissertation: „Eine neue Methode zur Bestimmung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit von Ultraschallwellen in der atmosphärischen Luft“. Beide erteilten das Prädikat „Sehr gut“. Die Dissertation konnte nicht gefunden werden, wahrscheinlich war sie gleichfalls geheim.1012 Nach Abschluss ihres Studiums an der Universität Berlin erteilten Schumann und Braunsfurth 1936 den beiden Absolventen Hans-Joachim Gollmick (*1912) und Willi Horn (*1912) den Auftrag, die Wirkung von Ultraschall unter besonderen Bedingungen in Gasen zu untersuchen. Auf „diesem Gebiet sei bisher kaum geforscht worden“. Vor allem Braunsfurth wollte wissen, ob Ultraschall in der Thermodynamik Anwendung finden könne. Beide Doktoranden arbeiten unabhängig voneinander. Während die Arbeit von Gollmick offen war – sie hatte nach Gollmicks Mitteilung „keinen waffentechnischen Bezug“ – ist die Dissertation von Horn nicht nachweisbar (wahrscheinlich geheim). Schumann und Wehnelt, die beide Arbeiten am 8. Mai 1940 abnahmen, beurteilten sie als „Sehr gut“.1013 Wie auch bei anderen Forschungsprojekten üblich, bezog Schumann verschiedene Wissenschaftler anderer Einrichtungen ein. An der TH Berlin war dies der Professor für theoretische Physik, physikalische und technische Optik, Johannes Picht (*1897). Er realisierte zwischen 1935 und 1945 zahlreiche Forschungsaufträge der Industrie, der Luftwaffe und mehrere Abteilungen des HWA. Für WaF untersuchte er die „Lichtverteilung an Blenden“ und führte Schallfeldberechnun1010 1011 1012 1013
PA Hinderer (wie Anm. 1009). PA, Dissertationsverfahren Förster, AHUB, UK-F 90 bzw. Phil. Fak., Nr. 815. Promotionsunterlagen Marie Louise Donati, AHUB. Protokoll über zwei Telefongespräche mit Dr. Hans-Joachim Gollmick vom 21. September 2005 und 29. Januar 2006.
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gen an Parabolspiegeln“ durch. Für Wa Prüf 7 fertigte er Schallanalysen.1014 Mit Ultraschall beschäftigte sich auch der bereits vorgestellte Prof. Günther am Physikalisch-Chemischen Institut der Universität Berlin. Seit Institut war seit Beginn des Zweiten Weltkrieges vollständig dem OKW zur Verfügung gestellt worden. Damit galt es als „Militärbetrieb“.1015 Der ebenfalls schon genannte Physiker Brodersen (vgl. Kapitel 15) hatte für zwei Forschungsaufträge, die er – wahrscheinlich vor 1939 – für WaF zum Schallwesen bearbeitete, das KVK I. und II. Klasse erhalten. Da Brodersen ab 1936 der SS angehörte, sorgte Schwab einen Monat vor Kriegsausbruch dafür, dass er zur SS-Artillerieschule nach Glau beordert wurde. Dort forschte er u. a. zur Schallortung, leitete die Technische Prüfstelle und entwickelte „umfangreiche und komplizierte Sondergeräte des artilleristischen „Schall-, Licht- und Funkmessdienstes der SS-Artillerie“, die „frontreif zum Einsatz“ gelangten. In einigen Kommissionen und Arbeitsgemeinschaften des Speer-Ministeriums agierte Brodersen, zuletzt SS-Hauptsturmführer, als Vertreter von Schwab. Ob während dieser Zeit noch Kontakte zwischen WaF und Brodersen bestanden, kann nicht beurteilt werden.1016 Inwieweit WaF bzw. das II. PI auch an Forschungen zur Schallkanone beteiligt waren, ist ungewiss. Derartige Untersuchungen, mit denen u. a. versucht wurde, Druckwellen mittels Parabolspiegel zu bündeln, hatte der RFR in die Wege geleitet. Man kann berechtigt annehmen, dass Schumann davon unterrichtet war. Im Dezember 1944 ließ Gerlach bei den Wehrmachtsteilen anfragen, ob und inwieweit „Schall- und Detonationswellen als Kampfmittel geeignet“ seien. Ihm wurde mitgeteilt, dass sich das Helmholtz-Institut in Brannenburg/Oberbayern mit der Erzeugung, Ausbreitung und Wirkung von Druckwellen sowie deren „waffenmäßiger Nutzung“ befasse.1017 Auf dem Gelände der Heeresversuchsstelle Kummersdorf – außerhalb der Vers. Gottow – befindet sich ein bereits stark zerfallenes Bauwerk (ca. 5 m hoch und 5 m breit), dessen eine Frontseite wie ein Parabolspiegel geformt ist. Einige Zeitzeugen behaupteten, es handele sich um eine „Versuchsschallkanone“. Einzelheiten sind nicht bekannt, ebenso nicht, ob ein Zusammenhang mit den Arbeiten von Picht besteht.1018
1014 Karteikarten zu Forschern, Nr. 1364 zu Picht, BAB, R 26 III/9. Picht war an der TH Berlin an der Betreuung/Begutachtung von Geheimdissertationen beteiligt, so zu Franz Schröder: Ortungsverfahren in strömenden Medien, 1943. Die Klassifizierung als geheim legte der OB Lw fest, BAB, R 4901/12850. 1015 BAB, R 4901/1390, Bl. 263 f.; vgl. auch R 26 III/438 a. 1016 BAB, BDC zu Brodersen, SSO 108. 1017 Hahn: Waffen und Geheimwaffen, Bd. II, S. 137–139, BAB, R 26 III/445; vgl. auch Bericht (zwei Seiten) von Dr. H. Bittel (ohne Datum): Sichtbare Knallwellen an Gerlach, BAB, R 26 III/381. 1018 Mitteilung der Bürgervereinigung Kummersdorf sowie Ortsbesichtigung im Mai 2006.
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II. Experimente
Flak-Kommandogerät Die zunehmende Geschwindigkeit von Kampfflugzeugen und die von ihnen erreichten Höhen stellten an die Flugzeugabwehrkanonen (Flak) um 1935 völlig neue Anforderungen (vgl. auch Kapitel 18). Flak-Geschütze galten als Sonderwaffen, die in Bezug auf Genauigkeit und Schnelligkeit der Zielauffassung, des Richtens und des Schießens weit höhere Leistungen erbringen mussten, als andere Artilleriewaffen. Ein einzelnes Geschütz vermochte wenig auszurichten. Die Entwicklung ging dahin, mehrere Geschütze zu einer Batterie zusammen zu fassen und sie gemeinsam durch ein spezielles Kommando-Gerät zu steuern.1019 Beim HWA hatte man diesen Trend rechtzeitig in Betracht gezogen. So berichtete Becker in einer Beratung zum Themenkreis „Optik und Messwesen“ am 30. Januar 1932 über die Arbeiten am „Flak-Kommandogerät Pschorr“.1020 Bei Schumann begann der Studienrat Gustav Groll (*1892) 1936 mit seinen Untersuchungen für die Entwicklung eine „Fliegerabwehr-Kommandogerätes FlaKog“. Daraus entstand eine Geheim-Dissertation, die der Doktorand 1937 vor Schumann, Wehnelt und Klose verteidigte. Als abgedeckter Titel wurde „Über ein Ortungsgerät“ gewählt.1021 Einen Auftrag zur Schaffung eines Flak-Kommandogerätes erteilte WaF (wahrscheinlich 1934/35) an Prof. Dr. Friedrich Raab (1894– 1964). Die Aufgabe sollte er in Zusammenarbeit mit den Askania-Werken lösen. Raab galt als Experte des Straßen- und Eisenbahnwesens. Er hatte an der TH Karlsruhe studiert, dort promoviert, sich wenig später habilitiert und leitete ab 1934 an dieser TH das Institut für Straßen- und Eisenbahnwesen. Raab arbeitete zu diesem Zeitpunkt schon „seit langem“ für das Reichwehrministerium. 1940 sorgte der Rektor der TH Karlsruhe dafür, dass Raab u. k. gestellt wurde, da er „für die kriegswichtige Forschung an der Hochschule unentbehrlich ist“.1022
Flammenöle Ab 1934 entwickelten die Werke Karlsruhe und Lübeck der DWM – gemeinsam mit Wa Prüf 5 (Pionierwesen) – trag- und fahrbare Flammenwerfer. Wenig später wurden noch andere Firmen, wie „Minimax“/Neuruppin und „Hagenuk“/Kiel hinzugezogen, um ortsfeste Flammenwerfer zu konstruieren bzw. spezielle „Flammenpanzer“ zu entwerfen.1023 Die Kampfeigenschaften dieser Waffenart wurden maßgeblich mitbestimmt von den eingesetzten Flammenölen. Mit dieser Frage 1019 1020 1021 1022
Vgl. Alfred Kuhlenkamp: Flak-Kommandogeräte, Berlin 1943. Sitzungsbericht im HWA vom 30. Januar 1932, BA-MA, RH 8/v 991 b. Promotionsverfahren Groll, Akten „Geheimdissertation“, Bd. 3, AHUB. Karteikarten zu Forschern, BAB, R 26 III/9; Raab am 30. September 1940 an den Rektor der TH Karlsruhe, BAB, R 4901/12877; PA UA TH Karlsruhe, Bestand 21011/342. Zur Biographie Raabs vgl. auch: Bernd Ottnad (Hg.): Badische Biographien, Neue Folge, Bd. III, Stuttgart 1990, 218–222. 1023 Fred Koch: Flammenwerfer des deutschen Heeres bis 1945, Wölfersheim 1995 (= WaffenArsenal, 154); vgl. auch Hahn: Waffen und Geheimwaffen, Bd. I, 121.
19. Aktenzeichen ungelöst
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hatte sich der Referent für Pionierkampfmittel bei Wa Prüf 5, Wolrad Schotten, umfassend auseinandergesetzt. Er legte 1941 an der TH Berlin eine Geheimdissertation vor. Diese Schrift „Die theoretische und praktische Entwicklung von Flammenwerfer-Geräten“ wurde auch sofort WaF und der Abteilung Wissenschaft im OKW zugestellt. Ausgehend von Versuchen (1936) im Kummersdorfer Sprenggarten und den praktischen Erfahrungen bei der Legion Condor im spanischen Bürgerkrieg, formulierte der Autor mehrere Forderungen an Flammenöle: Hohe Dichte, gute Zündfähigkeit, lagerbeständig und Erzeugung von möglichst viel dichtem, schwarzen Rauch – wegen der moralischen Wirkung.1024 Bei WaF befasste sich das Referat II a, geleitet von Werner Pistorius, mit Flammenölen. Im Juni 1944 wurde von ihm dem Spezialisten für die chemische Technologie der Öle und Fette, Dr.-Ing. Erich Kadmer (*1899), ein geheimer Forschungsauftrag erteilt: „Schaffung verbesserter Flammöle mit größerer Reichweite“. Kadmer, tätig an der TH München, hatte ab April 1941 vom RFR mehrfach finanzielle Zuwendungen für nicht näher bezeichnete Forschungen über „Öle und Fette“ erhalten. Im Februar 1944 wurde er u. k. gestellt, um diese Arbeiten weiter zu führen.1025 Einen analogen Auftrag „Herstellung eines Flammöles, das durch Zusatz fester Bestandteile größere Reichweiten ergibt. Herstellung eines Verdickers“ erteilte WaF, gemeinsam mit Prüf 5, an Prof. Dr.-Ing. Collorio von der TH Hannover.1026
Panzerkühlkammer Zu den modernen technischen Einrichtungen des HWA in Kummersdorf zählte eine Kältekammer. In ihr konnten bei künstlich erzeugten Minusgraden Schießversuche mit den unterschiedlichsten Waffen, einschließlich Panzern vorgenommen werden. Die Erfahrungen des Krieges ab September 1939, besonders aber nach dem Überfall auf die Sowjetunion, zeigten schnell, dass die Kältekammerversuche in Kummersdorf zum Test neuer Waffen nicht ausreichend waren. Die Führung des HWA befahl deshalb Anfang 1942 die Bildung eines „Technischen Kälteversuchs-Kommandos“, das bei Tieftemperaturen in Norwegen, Tirol und in der Sowjetunion (bei Mogilew) in großem Umfang Waffen und Geräte zu erproben hatte. Daran beteiligten sich alle Abteilungen von Wa Prüf. Die Forschungsabteilung war nicht vertreten, erhielt jedoch ein Exemplar des ausführlichen Berichtes über die Ergebnisse der Aktion, für die reichlich 400 Mann und eine Vielzahl von Fahrzeugen in Marsch gesetzt worden waren.1027 Welche Schlussfolge1024 Wolrad Schotten: Die theoretische und praktische Entwicklung von Flammenwerfer-Geräten, Geheimdissertation, TH Berlin 1941, BA-MA, RH 8/v 225. 1025 Aufstellung Forscher, BAB, R 26 III/13, Bl. 29, R 26 III/23, Bl. 135 sowie BDC zu Kadmer. 1026 Aufstellung Forschungsaufträge, BAB, R 26 III/4 und 23, Bl. 135, sowie 28, Bl. 153. Collorio ist hier mit dem Dienstgrad Major verzeichnet. 1027 Tätigkeitsbericht und Erfahrungsbericht des WaA über Versuche des Technischen-KälteVersuchskommandos WaA bei Tieftemperaturen in Norwegen, Russland und Tirol vom 10. November 1942, Geheim, 128 Blatt, BAB, R 3/1424.
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II. Experimente
rungen WaF aus dem Geheimpapier ableitete, ist nicht bekannt. Jedoch wurde im Februar 1944 der Dipl.-Ing. Paul Brückels (*1914), tätig am Forschungsinstitut für Kältetechnik und Trockentechnik der TH Berlin von WaF mit der „Entwicklung einer Sonderkühlanlage für Panzer“ betraut.1028
Weitere Themen Am 31. Juli 1942 schickte Schumann namens des OKH einen Schnellbrief an den Präsidenten der KWG, Albert Vögler, um ihm mitzuteilen, dass die Organisationsabteilung des Heeres größtes Interesse an praktischen Vorschlägen zu „wasserabweisenden Schutzschichten für Straßen“ habe. Zuständig sei bei WaF dafür das Referat II b. Schumann bat um „baldigste Rückantwort“. Abschriften dieses Schreibens gingen an die KWI-Direktoren Proff. Thiessen und Eitel sowie Prof. Franz Fischer vom KWI für Kohleforschung in Mülheim (von 1913-1943 dort Direktor). Alle Empfänger teilten bis zum 2. September 1942 mit, in den ihnen unterstellten Einrichtungen werde an dieser Thematik nicht gearbeitet. Es könnten deshalb auch keine Vorschläge oder Anregungen gegeben werden.1029 Schumann informierte am 4. Mai 1943 den RFR, Fachgruppe Chemie, über die Abgabe von Forschungsergebnissen, die bisher bei WaF, Referat II a, zum „Schmiermittelgebiet“ erzielt worden waren. Am gleichen Tag waren Thiessen und der Leiter des Referates II a (Motorische Schmierstoffe), Pistorius, übereingekommen, eine „einheitliche Forschungsführung“ dieser Problematik zu sichern. Der RFR sei seit längerer Zeit mit der gleichen Aufgabe befasst und werde sie weiter führen. Dem Schreiben Schumanns war die Akte mit den bisherigen Arbeiten von WaF beigefügt. Diese Unterlagen konnten bei den Recherchen nicht gefunden werden.1030 Unklar bleibt das Interesse von WaF an dem Wirtschaftsgeographen Prof. Dr. Rudolf Lütgens (1881–1972), der ab 1910 am Kolonialinstitut Hamburg arbeitete. 1942 übernahm er die Leitung des neuen Kolonial- und Wirtschaftsinstituts der Universität Hamburg. Zu ihm stellte WaF am 9. Juni 1941 eine Zuverlässigkeitsanfrage an das REM, die positiv beantwortet wurde.1031
1028 BAB, R 26 III/8, Karteikarte Brückels. 1029 AMPG, I. Abt. KWG, Rep. 1A Generalverwaltung, Nr. 188, Bl. 91 und 97, Nr. 1175/ 3, Bl. 203. 1030 Schumann am 4. Mai 1943 an den RFR: Abgabe des Forschungsauftrages Gmelin-Institut, BAB, R 26 III/214. 1031 BAB, R 4901/12872; NDB, Bd. 15, 478.
III. SCHICKSALE
20. DAS ENDE DER FORSCHUNGSABTEILUNG UND IHRER VERSUCHSSTELLEN Im Verlauf des Jahres 1944 entstand bei WaF ein eigenartiger Zustand, der allmählich skurrile Züge annahm. Obwohl das nahende Ende der Naziherrschaft nicht mehr zu übersehen war, schrieben die Wissenschaftler unverdrossen an ihren Berichten über den Bestand der Forschungsprojekte und die alsbald zu erwartenden Ergebnisse. Sie begründeten die Notwendigkeit weiterer Untersuchungsreihen und Experimente, forderten dafür zusätzlich wissenschaftlich-technisches Personal und beklagten die unzureichenden finanziellen, vor allem aber materiellen Mittel. Es wurden – wie im Teil II zu verschiedenen Projekten dargestellt – neue Themen der Grundlagenforschung vorgeschlagen, die mit höchster Dringlichkeit zu bearbeiten wären. Und dies, obwohl die Forscher ganz genau wussten, dass es Jahre dauern konnte, bis auf dem betreffenden Gebiet ein wissenschaftlicher Durchbruch erzielt werden konnte! Am II. PI lieferten die Diplomanden nach wie vor ihre Forschungsergebnisse ab und bereiteten sich auf die anstehenden Prüfungen vor. Doktoranden verteidigten bei Schumann und anderen Professoren ihre höchst geheimen Dissertationen oder schrieben eifrig an den Endfassungen ihrer Abhandlungen. Ab Februar/März 1945 war die Situation geradezu grotesk. Die Rote Armee stand schon an der Oder, schlug Brückenköpfe über den Strom und setzte zum letzten Sturm auf Berlin an. Trotz Bombenhagels auf Berlin und näher rückenden Kanonendonners: Der Forschungsbetrieb bei WaF ging weiter, schon enorm knirschend, mit zunehmender Nervosität und Hektik – aber er lief noch! Von den Hochschulen und Universitäten trafen immer noch einzelne Berichte zu den erteilten Kriegsaufträgen ein oder wurden in Aussicht gestellt. Prüfungen von Studenten mussten in Bunker und Schutzräume verlegt werden, während draußen die Explosionen dröhnten und ganze Stadtteile in Schutt und Asche sanken. Bei der Verteidigung von Dissertationen blieb oft nicht einmal Zeit, die notwendigen Urkunden auszufertigen. Mitunter reichte es nur noch für flüchtige Notizen als Beleg der erbrachten wissenschaftlichen Leistung. Wie lässt sich dieser Wahnwitz der letzten Wochen erklären, der nicht nur bei WaF, sondern auch in gänzlich anderen Forschungsbereichen grassierte, diese „erschütternd bürokratische Normalität, mit der bis zum letzten Moment wissenschaftliche Arbeit organisiert und durchgeführt, Mittel beantragt und bewilligt,
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III. Schicksale
Karteien und Listen geführt und Ämter vergeben wurden“?1032 Jedem einigermaßen erfahrenen Sachbearbeiter bei WaF, mehr aber noch den Referatsleitern und hohen Chefs musste doch einsichtig sein, selbst ein gründlich erforschter, verheißungsvoller physikalischer oder chemischer Prozess war noch lange nicht militärisch verwertbar. Auch wenn ein erprobtes und bewährtes Waffenmuster vorlag, dauerte es mitunter Jahre bis zur Truppenreife, geschweige denn bis zur industriellen Massenproduktion. Das wusste doch die Führung des HWA nur zu gut!1033 Und zu fragen ist auch: Sah denn bei WaF niemand, dass der Krieg verloren war und binnen weniger Tage oder Wochen zu Ende gehen würde? Bedachten die Forscher, wenigstens einige von ihnen, dass jetzt keine noch so geniale Erfindung die deutsche Niederlage abwenden konnte, dass der Glaube an die versprochene Wunderwaffe ein Mythos sein musste? Aus verständlichen Gründen ist die Quellenlage zu diesen Fragen sehr dürftig, denn wer dachte in dieser Endzeitstimmung schon daran, seine Gedanken auf’s Papier zu bringen. Auch nach Kriegsende blieb dies lange Zeit so. Einige Erinnerungsberichte von Angehörigen der Studentenkompanie sowie von Familienmitgliedern, mit denen ab den neunziger Jahren Gespräche geführt werden konnten, vermitteln einen – wenn auch schwachen – Eindruck von der damaligen Situation.1034 Vor allem zwei eigentümlich miteinander verwobene Motive sind daraus ablesbar. Nicht wenige Mitarbeiter von WaF waren der Goebbelsschen Durchhaltepropaganda erlegen und hofften auf die versprochene Wendung in letzter Minute. Von Glimm sagt beispielsweise seine Tochter. „Er glaubte an die Wunderwaffe“. Eine andere Episode erlebte Luck. Schönwald, in dessen Hand die UR-Forschung lag, rief bei Kriegsende Prof. Czerny an und forderte ihn auf, wegen der drohenden Besetzung von Frankfurt/M. durch amerikanische Truppen sofort sein Universitätsarchiv zu verlagern. Czerny lehnte dies ab, der Krieg sei verloren, es gäbe keinen Anlass „die Strapazen der Evakuierung auf sich zu nehmen. Schönwald war schockiert über so viel Defätismus. Doch schluckte er dies.“ Luck ergänzte dazu: „Schönwald war der einzige unter meinen Bekannten, der damals konsequent die von Goebbels verbreiteten politischen Ideen verteidigte. Eines Tages, beim Besuch meiner Frau, betonte sie etwas leichtsinnig, dass wir nun zu entscheiden hätten, ob wir Russen oder Amerikaner werden sollten. Danach rügte mich Schönwald massiv, was ich für leichtsinnige Reden dulden würde.“
Ähnlich war auch das Verhalten von Oberleutnant Schlicht. Er versuchte sogar noch in den letzten Kriegswochen gegen einige Angehörige der Studentenkompa1032 Herbert Merthens: Angewandte Mathematik und Anwendungen der Mathematik im nationalsozialistischen Deutschland, in: Geschichte und Gesellschaft 12 (1986), 317–347, insb. 345. 1033 Bereits 1936 hatte ein ehemaliger Chefingenieur des HWA sich dazu grundsätzlich geäußert. F. Schmidt: Die Berücksichtigung der Fertigungsgrundsätze bei der Heeresgeräteentwicklung, in: WTH 40 (1936) Heft 10, 445–449. Justrow gab dazu (449 f.) eine Stellungnahme der Schriftleitung der WTH, die diesen Beitrag ausdrücklich begrüßte. Auch Leeb und Schneider bekannten in ihren Nachkriegsveröffentlichungen, dass ihnen diese Problematik voll bewusst war. Leeb: Die Technik, 241–254; Schneider: Waffenentwicklung, 24–35. 1034 Vgl. u. a. Briefwechsel Schneiders mit ehemaligen Mitarbeitern des HWA nach 1945, BAMA, NL 625/39, 40, 42–45, 79, 168, 200, 202, 203.
20. Das Ende der Forschungsabteilung und ihrer Versuchsstellen
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nie, die meinten, der Krieg sei verloren, wegen „wehrkraftzersetzender Äußerungen“ ein Kriegsgerichtsverfahren anzustreben.1035 Weit profaner, vor allem praktischer Natur war eine andere Erwägung: Wer neue Forschungsrichtungen offerierte und Erfolg verheißende Themen vorbrachte – selbst wenn es nur der sprichwörtliche „rettende Strohhalm“ war – , der galt sofort als kriegswichtig und unabkömmlich. Dieser Mann wurde dringend gebraucht und musste „u. k.“ gestellt werden. Ihn schickte man doch nicht an die Front, sondern trieb ihn an zu Höchstleistungen in Labors und Versuchsstätten! Vor allem nachdem Osenberg mit seinem Programm, Wissenschaftler vom Gefechtsfeld zurückzuholen, einige Erfolge verzeichnete, gewannen solche Überlegungen beträchtlich an Gewicht. Das lässt sich auch bei den meisten Forschungsprojekten, die im Teil II vorgestellt wurden, leicht ablesen. Viele der erhalten gebliebenen Forschungsberichte aus den letzten Kriegsmonaten atmen diesen Geist des „Überlebens durch Erfolge an der Wissenschaftsfront“. Sicher spielten auch Einstellungen eine Rolle mit, die durchaus patriotischer Natur waren, wie: „Deutschland darf nicht untergehen“, „Das Vaterland darf nicht bolschewisiert werden“ oder „Wissenschaftliches Potenzial muss erhalten werden“. Auch Erwägungen wissenschaftsästhetischer Art dürften mitgeschwungen haben, etwa in der Art „ein wissenschaftliches Rätsel ist zu lösen“ oder „aus dieser kühnen Idee ist doch etwas zu machen!“. Doch dafür gibt es im Quellenmaterial keine Belege, nur indirekte Schlußfolgerungen sind möglich.1036 Die chronologische Abfolge der Ereignisse ab Mitte 1943 kann in wesentlichen Teilen rekonstruiert werden. Die zunehmenden Luftangriffe auf die Reichshauptstadt veranlassten auch die Führung des HWA, ihre Dienststellen weitgehend in das Umland zu verlagern. Vorreiter war WaF. Am dritten August 1943 teilte Schumann mit, dass er seine Forschungsabteilung in die Gebäude von Vers. Gottow verlegt habe. Neben verschiedenen Abteilungen des OKH sowie des HWA wurden davon u. a. das Speer-Ministerium, das REM, der RFR und die WTF unterrichtet, ebenso die Professoren Thiessen und Loos.1037 Wenige Tage danach zog die Masse des HWA in ihre Ausweichunterkünfte und meldete am 24. August 1943 ihre Arbeitsfähigkeit in den neuen Quartieren. Dazu gehörten Wüns1035 Mitteilung von Frau Gesine Schumacher (Tochter Glimms); Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129); Gespräche mit Cobarg. Sehr anschaulich – allerdings nicht bezogen auf die Situation bei der WaF – analysiert diese Problematik Ralf Schabel: Die Illusion der Wunderwaffen. Die Rolle der Düsenflugzeuge und Flugabwehrraketen in der Rüstungsindustrie des Dritten Reiches, München 1994, insb. 285–290; Vgl. auch Andreas Heinemann-Grüder, Ahrend Wellmann: Keinerlei Untergang – Warum der 8. Mai für Naturwissenschaftler kein Datum ist, in: Tschirner, Göbel (Hg.): Wissenschaft im Krieg (wie Anm. 1000), 26–37. 1036 Frau Schumacher merkte dazu an: „Die Worte meines Vaters waren: ‚Ich kann nicht zusehen, wie Deutschland untergeht.‘ Das ist ein anderer Akzent. Der Satz schließt ein, dass Deutschland durchaus untergehen kann oder wird, und er war auch wohl so gemeint. Er hatte also ein Handeln im Auge, bei dem er selbst seinem Gewissen Genüge tun wollte, auch wenn es sinnlos wäre“. 1037 Mitteilung des HWA, WaF vom 4. August 1943 zur Verlegung der Forschungsabteilung, BAB, R 26 III/209.
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III. Schicksale
dorf („Wald“), Heegesee („Förster“) und Kummersdorf („Sorge“). Andere Teile des HWA gelangten nach Wittenberge, Torgau, Hillersleben, Raubkammer und Karlshagen.1038 Nachdem Osenberg als Chef des Planungsamtes im RFR energische Anstrengungen unternahm, die Forschungslandschaft für effektivere Strukturen neu zu ordnen, geriet auch Vers. Gottow in sein Blickfeld. Er hielt es für geboten, sich „hier baldigst genauere Einblicke [zu] verschaffen“, auch deshalb weil „Schumanns Persönlichkeit ja sehr umstritten ist“. Deshalb entsandte Osenberg am 12. Juni 1944 einen seiner Mitarbeiter nach Kummersdorf, zur Vers. Gottow. Über das Ergebnis unterrichtete er sofort Oberst Geist. In dem Begleitschreiben für Geist vermerkte Osenberg, er habe „den Eindruck gewonnen, daß in den dort vorhandenen Anlagen mit ihren vielseitigen Einrichtungen noch viele ungenutzte Möglichkeiten stecken, die recht gut zur Lösung zahlreicher ballistischer Probleme mit herangezogen werden könnten, die z. Z. vordringlich sind“.
Weiter meinte Osenberg: „Es lagen schon mehrmals größere Personalanforderungen von Herrn Ministerialdirigent Prof. Schumann vor, die ich aber wegen der reichlich unklaren Lage immer etwas zögernd bearbeitet habe, so daß nennenswerte Zuweisungen noch nicht erfolgt sind.“
Er wäre aber nicht abgeneigt, Personal für Gottow abzustellen, zumal dort „einige durchaus fähige Wissenschaftler und Facharbeiter“ vorhanden seien. Osenbergs Abgesandter bemängelte zudem, dass Schumann selten in Gottow anzutreffen sei und ein bevollmächtigter Vertreter nicht existiere. Für Auskünfte bzw. die Führung durch die Versuchsstelle habe „nur Dr. Glimm“ zur Verfügung gestanden. Das Besuchsfazit lautete: Bei „straffer wissenschaftlicher Führung, die frei von bürokratischen Hemmungen ist, [könnte] ein Mehrfaches als bisher auf dem Gebiet der Ballistik“ geleistet werden.1039 Mit Sicherheit bekam Osenbergs Mann nicht die Vers. Ost zu sehen. Ob ihm die von WaF 1943 in Angriff genommenen Neubauten bekannt wurden, darf stark bezweifelt werden. Hierbei handelte es sich um Anlagen außerhalb des Geländes von Vers. Gottow, z. B. einen 40 m hohen Holzturm für Vers. N oder ein Lagerhaus für Sondertreibstoffe.1040 Unmittelbare Folgen hatte der Besuch für den eingespielten Forschungsbetrieb bei WaF zunächst nicht. Der kritisch verhaltene Ton in Osenbergs Schreiben zur Vers. Gottow deutete es jedoch leise an: Schumanns Stern war im Sinken, zumindest in den Chefetagen des HWA. Später verstärkte sich Osenbergs Aversion gegen Schumann zunehmend, zuletzt konzentriert in dem Urteil, er sei „mit verantwortlich für die mangelnde Einbeziehung der Wissenschaft in den politischen und militärischen Entscheidungsprozeß“.1041 Bei Osenberg wurde weiter Munition gegen Schumann gesammelt. Einer der Mitarbeiter des Planungsamtes 1038 1039 1040 1041
Akte Verlegung des HWA in Ausweichquartiere, BA-MA, RH 8/v 1138. Osenberg am 13. Juni 1944 an Geist, IfZ, SI, ED 104 a, Bl. 291132–291138. Der Reichsrechnungshof am 27. August, BAB, R 2301, Film 37852, Nr. 5587, Bl. 62–64. Zitiert bei Ludwig: Technik, 268. Auch SD-Fischer vermerkte in seinen Erinnerungen, Teil II, 9: „Schumanns Ansehen beim Heer war offenbar im Schwinden“.
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legte am 19. August 1943 einen Bericht über die Arbeitsergebnisse zu den vom RFR 1943 vergebenen Forschungsaufträgen vor. Darin wurde auf zahlreiche inhaltliche und organisatorische Mängel hingewiesen, z. B. würden durch die Fachsparte Physik „Fragen der Ballistik nicht erforscht“. Weiter hieß es: „Von 17 Aufträgen der Fachsparte Sprengstoffphysik hat sich Herr Prof. Schumann 12 selbst erteilt, in diesen werden jedoch nur zwei Probleme untersucht. Die entscheidenden Fragen der Sprengstoffphysik werden nicht erforscht.“1042
Maßgeblich auf Drängen Osenbergs, mit Unterstützung anderer Kräfte aus dem RFR bzw. der Wehrforschung, unterschrieb Göring in seiner Eigenschaft als Präsident des RFR am 24. August 1944 einen Erlass zur „Bildung einer Wehrforschungsgemeinschaft“ (WFG) – nach Maier der „Endpunkt der Mobilisierung der Rüstungsforschung im NS-Staat“.1043 Über die Einzelheiten informierte ein Rundschreiben Osenbergs, welches an alle Fachspartenleiter/Bevollmächtigten des RFR, die Rektoren der Hochschulen/Universitäten, die Generalverwaltung der KWG sowie alle Leiter staatlicher Forschungseinrichtungen ging. Die WFG bekam sogleich einen „Wissenschaftlichen Führungsstab“. In ihm waren beispielsweise vertreten: vom HWA Schneider und Schumann, vom RFR Mentzel, Sievers, Gerlach und Osenberg, von der SS Schwab, sowie Graue als Chef der KWSt. Um sicher zu gehen, dass bei den „Betroffenen“ dieser organisatorischen Neuschöpfung WFG keine Missverständnisse aufkamen, schickte Osenberg seinen Mitarbeiter Dr. Badstein zu getrennten Besprechungen mit den „führenden Herren“. In einer Unterredung im HWA wurden „General Leeb und General Schneider … zunächst davon überzeugt, daß die WFG die Funktion des HWA in keiner Weise übernehmen wird, sondern nur den Offizieren, die für die Waffenentwicklung verantwortlich sind, ein Instrument zur Verfügung stellt, auf dem sie spielen können“.
Dem HWA werde deshalb eine Liste „nicht ausgelasteter Forschungsinstitute“ zugestellt. Schneider versprach, sie an die Abteilungen Wa Prüf weiterzugeben.1044 Manches deutet darauf hin, dass Osenberg sich beim Amt III des SD vergewisserte, wie man dort über Schumann dachte. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Spengler schrieb am 26. September 1944 an Osenberg:
1042 Bericht des Planungsamtes des RFR vom 19. August 1944 über die Arbeiten 1943, BAB, R 26 III/276. 1043 Maier: Forschung als Waffe, 517, vgl. auch Tabelle 6.23 (668 f.). 1044 Rundschreiben Nr. 5 des Planungsamtes des RFR vom 7. September 1944 (Geheime Reichssache): Bildung einer Wehrforschungsgemeinschaft, AMPG, I. Abt., Rep. 42 KWI für Silikatforschung, Nr. 705, Bl. 13 f.; Sitzung des Wissenschaftlichen Führungsstabes (WFG) vom 17. November 1944, BAB, R 26 III/208; Aktenvermerk Badsteins vom 13. November 1944: Nicht ausgelastete Forschungsinstitute, BAB, R 26 III/51. Badstein stieß bei seinen Gesprächen mit dem HWA, der Munitionskommission im Speer-Ministerium, der Forschungsführung, der Technischen Luftrüstung und anderen Stellen teils auf Ablehnung, Kritik oder offenkundiges Desinteresse zu den Aktivitäten Osenbergs.
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III. Schicksale „Prof. Schumann ist weder als Wissenschaftler noch als Bevollmächtigter [für Sprengstoffphysik, G. N.] geeignet. Der Reichsführer SS hat sich eindeutig gegen ihn ausgesprochen. In politisch-weltanschaulicher Sicht gilt er als fragwürdig, charakterlich ist er abzulehnen.“1045
Konsequenzen hatten diese Intrigen und das Machtgerangel hinter den Kulissen für Schumann vorerst nicht. Die Arbeiten in seinem Verantwortungsbereich gingen planmäßig weiter. Dazu gehörte auch ein im Sommer 1944 eingerichtetes Ausweichquartier für die Vers. Gottow bei Jänickendorf (2 Bahnstationen westlich von Kummersdorf), wo einige Baracken aufgebaut wurden.1046 Erst ab den letzten Monaten des Jahres 1944 kam es für Schumann und seine Abteilung Forschung zu einschneidenden Veränderungen. Zu diesem Zeitpunkt nahmen die Bemühungen um eine Neuorganisation der Waffenämter der drei Wehrmachtsteile zu einem einheitlichen Wehrmachtswaffenamt (WWA) konkrete Formen an – allerdings viel zu spät, als das sie noch Erfolg haben konnten. Die Idee eines WWA hatte das HWA bereits 1927 offeriert. Ein knappes Jahrzehnt danach kam dieses Konzept erneut zu Sprache, allerdings ohne jeglichen Widerhall. Die Ablehnung durch die Wehrmachtsteile war überstark. Anfang 1940 sah Becker erneut eine günstige Situation und schlug Hitler die Bildung eines einheitlichen Wehrmachtswaffenamtes vor. Dieser stimmte zunächst zu, revidierte jedoch wenige Tage später seine Entscheidung. Als Becker in den frühen Morgenstunden des 8. April davon erfuhr, griff er zur Dienstwaffe und erschoss sich.1047 Diesmal jedoch, Ende 1944, hatten der dramatische Verlauf des Krieges und die enormen Schwierigkeiten in der Rüstung, die beträchtliche Konkurrenz der Waffenämter von Heer, Marine und Luftwaffe im Verbund mit anderen Faktoren die Schaffung eines WWA zwingend auf die Tagesordnung gesetzt. Schwierigkeiten ergaben sich zusätzlich durch die stete Ausweitung der Befugnisse des Speer-Ministeriums. Überdies registrierte die Wehrmachtsführung argwöhnisch und mit größtem Unbehagen das Vorgehen der Waffen-SS, die den Ausbau ihres eigenen Waffenamtes energisch vorantrieb.1048 Die Bildung eines einheitlichen WWA erforderte natürlich auch einen Umbau des HWA. Als besonders geeignet und befähigt, diese komplizierte Aufgabe unter den äußerst schwierigen Kriegsbedingungen zu lösen, galt Erich Schneider, Chef der Amtsgruppe Wa Prüf. Nach seiner Verwicklung in die Ereignisse des 20. Juli und der mehrwöchigen Haft bei der SS hatte er Ende Dezember 1944 ein Frontkommando zur Führung einer Division übertragen bekommen. Osenberg, der um die Führungsstärken des Generalleutnants wusste, monierte diese Entscheidung
1045 Spengler am 26. September 1944 an Osenberg, BAB, R 26 III/102, Bl. 179. 1046 Brief Dr. Karl-Heinz Köhlers vom 16. November 2001 an Frau Schumacher (Kopie beim Autor). 1047 Ciesla: Das Heereswaffenamt, 65. 1048 Leeb: Aus der Rüstung, 29–31; Ludwig: Technik, Abschnitt „Die SS in der Rüstung“, 473– 507. Vgl. auch die Planstudie zur Kriegsspitzengliederung, z. B.: Entwurf einer Dienstanweisung für Chef WWA (ohne Datum, um 1930), BA-MA, RH 8 /v 921.
20. Das Ende der Forschungsabteilung und ihrer Versuchsstellen
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beim Reichsleiter Martin Bormann und empfahl Schneider nachdrücklich als späteren Nachfolger von Leeb.1049 Unabhängig von diesem Vorstoß Osenbergs – die Rückkehr Schneiders nicht abwartend – leitete der Chef des HWA erste praktische Schritte ein. Dazu gehörte Ende 1944 die Unterstellung der bis dahin selbstständigen Forschungsabteilung unter die Amtsgruppe Wa Prüf, so wie es in früheren Zeiten der Fall war. Gleichzeitig wurde die stärkste Abteilung von Wa Prüf, Wa Prüf 1 (Ballistik und Munition), bestehend aus über 70 Referaten und etwa 500 Mitarbeitern, neu strukturiert. Alle außenballistischen Arbeiten übertrug man der Abt. Wa Prüf 3. Deren Leitung erhielt der gebürtige Österreicher Oberst Dr. Karl Schubert (1894–1978), der seit Beginn des Zweiten Weltkrieges als Ballistiker zum HWA gehörte. Die anderen Aufgaben verblieben bei Wa Prüf 1. Zu deren Chef wurde Oberst Dipl.Ing. Wilhelm Plas ernannt. Unterstellt waren Schubert und Plas dem General Dipl.-Ing. Richard John, der ab 1. Dezember 1944 die Amtsgruppe Prüf. u. Entw. führte. Anfang Januar befahl der neue Chef der Heeresrüstung den Beginn der „Organisationsänderung“ für den Aufbau eines WWA zum 15. Januar 1945. Das war genau der Zeitpunkt eines Ereignisses, das meist in der Militärgeschichtsschreibung übersehen wird: Plas erhielt die Mitteilung, dass er „ab Februar zum Chef der Forschungsabteilung im HWA bestellt sei. Der bisherige Chef, Ministerialdirigent Dr. Schuhmann (Generalmajorsrang) trat in den Ruhestand und wahrscheinlich sollte ich an dieser Stelle im Sommer zum General befördert werden.“
Plas (1894–1978), auch er ein gebürtiger Österreicher, arbeitete bis 1938 im Kriegstechnischen Amt in Wien als Ballistiker. Mit dem „Anschluss Österreichs ans Reich“ wurde diese Behörde aufgelöst. Plas kam zum HWA, Prüf 1, wo er zeitweilig Oberst Geist unterstellt war. Als Leiter von WaF wurde er „nicht nur wegen seiner hohen wissenschaftlichen Kenntnisse, sondern auch der österreichischen Art beim Umgang mit Menschen“ empfohlen. Über seine neue Aufgabe bei WaF berichtete Plas: „Der Amtschef führte mich damals selbst bei den dort [in Kummersdorf, G. N.] arbeitenden Mitarbeitern ein. Sie waren auf verschiedenen Gebieten mit Aufgaben betraut, die wohl eine Verwendung im militärischen Bereich erwarten ließen, deren Abschluß aber nicht abzusehen war.“
Besonders beeindruckt war Plas von einem „Vortrag über die Theorie der Kernspaltung“ und dem Stand der Arbeiten zu dieser Thematik in der Vers. Gottow. Anwesend bei diesem Vortrag waren Leeb, John und Generalmajor Wilhelm v. Junck. Zusätzlich zum Uranprojekt wurde Plas mit anderen Forschungen vertraut
1049 Osenberg am 28. Dezember 1944 an Bormann, BAB, R 26 III/49. Schneider war vom 28. Dezember 1944 bis 20. März 1945 Divisionskommandeur an der Ostfront, erlitt dabei eine Verwundung, konnte aber noch nach Deutschland zurück verlegt werden. SD-Fischer berichtete in seinen Erinnerungen, dass Schneider nach dem 20. Juli 1944 von der SS festgenommen wurde, da er es gewagt hatte, eine „Erfindung“, die Hitler gut hieß, als „Unsinn“ zurückzuweisen. Fischer behauptete, die Entlassung Schneiders sei mit auf seine Initiative hin erfolgt.
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III. Schicksale
gemacht, so zur Hohlladung, zu Ultra-Rot und zu den Arbeiten der Chemiker auf dem Gebiet der niederen Kohlenwasserstoffe[*].1050 Plas erinnerte sich noch an ein anderes Geschehnis, das sich „im Jänner 1945“ in Kummersdorf zutrug, nämlich den Besuch von „etwa 25 Hochschulprofessoren aus ganz Deutschland zur Besichtigung seiner [des HWA, G. N.] wichtigsten Entwicklungsstellen, um ihnen Anregungen für eine etwaige Mitarbeit zu vermitteln“.
Dabei wurde auch WaF besucht. Hier kam es zu einer amüsanten Episode: „Als sich die Herren auch bei der Forschungsabteilung aufhielten, herrschte ein recht starker Frost und man zeigte ihnen u. a. auch das Freihalten des Wassers an einem bei Kummersdorf gelegenen kleinen See. An einer unbestreuten Stelle bestiegen wir – Gäste und Vorführer – das gut tragfähige Eis, um eine anschließende Fläche näher zu besichtigen, die einige Stunden vorher mit Salz bestreut worden war und daher offenes Wasser aufwies. Auf der anderen Seite des festen Eises befand sich unglücklicherweise eine Stelle, die einige Tage vorher für das Tauungsexperiment benutzt worden war, sich unterdessen wieder mit einer allerdings dünnen Eisschicht bedeckt hatte. Einen der Herren ereilte das Verhängnis, bei einem unbedachten Schritt nach rückwärts brach er in das dünne Eis ein. Wir brachten ihn rasch in einen warmen Raum eines nahe gelegenen Kasinos und versorgten ihn provisorisch mit Hosen und Schuhen, bis die seinigen getrocknet waren. Zum Glück blieb er oben trocken und gesundheitlich hatte er auch nicht gelitten. Der Pechvogel war Prof. Schwarz-Bergkampf der Montanistischen Hochschule in Leoben (Allgemeine und physikalische Chemie).“1051
Ob Schumann von der ihm drohenden, dann schließlich auch eingetretenen „Entmachtung“ beim HWA etwas geahnt oder gewusst hatte und wie er darauf reagierte, ist nicht überliefert. Offenkundig hatte er bei der Leitung des HWA nicht den besten Stand. Dazu äußerte sich, Jahre nach dem Ende des Krieges, General a. D. Schneider: „Dr. Schumann ist mir während meiner langjährigen Zugehörigkeit zum HWA vor und im letzten Weltkrieg wohlbekannt und zeitweise unterstellt in dessen Eigenschaft als Chef der WaF. Meine persönlichen Beziehungen zu Herrn Schumann waren distanziert. Er war eine
1050 Generalmajor Ing. Wilhelm von Junck (1875–1953), Österreicher, war ab 1941 Beauftragter des HWA zur Vereinheitlichung von Waffen und Munition und gehörte ab 15. Januar 1945 zur Führerreserve und zur Verfügung Chef HWA. 1051 Die Angaben zu Plas, einschließlich seines Berichtes, sind enthalten in BA-MA, NL 625/200. Der Österreicher Prof. Dr. Erich Schwarz-Bergkampf (1904–1996) realisierte Forschungsaufträge der WaF, über deren Gegenstand nichts bekannt ist. Er galt als WerkstoffFachmann, arbeitete nach 1940 einige Zeit als Laborleiter eines Sprengstoffwerkes von Dynamit-Nobel AG und befasste sich vor allem mit chemischer Verfahrenstechnik. Heinz Gamsjäger: In Memoriam Schwarz-Bergkampf, in: Berg- und Hüttenmännische Monatshefte 142 (1967) Heft 4, 191 f. 1944 hatte das HWA (genauer Auftraggeber ist nicht bekannt) an Prof. Bonhoeffer, Physikalisch-Chemisches Institut der Universität Leipzig, den geheimen Kriegsauftrag „Verhinderung tragfähiger Eisflächen“ erteilt. Ob ein Zusammenhang mit der von Plas geschilderten Episode besteht, kann nicht beurteilt werden (Auftrag in: BAB, R 26 III/23, Bl. 66).
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etwas undurchsichtige und schillernde Persönlichkeit, der seine persönlichen Beziehungen zu einer Anzahl höherer Offiziere und Beamten zum Teil auf ungewöhnliche Weise pflegte.“1052
Schumanns Positionen als Chef von OKW W Wiss sowie Direktor des II. Physikalischen Instituts der Universität Berlin blieben unangefochten.1053 Zusätzlich, quasi im Gegenzug, veranlasste er, dass verschiedene Wissenschaftler zur Abteilung Wissenschaft im OKW kommandiert wurden.1054 Außerdem hatte Schumann mit seiner „Forschungsstelle Lebus“ sowie den Ausweichstellen in Stadtilm und Gernrode/Harz rechtzeitig dafür gesorgt, die für ihn wichtigen Forschungen weiter verfolgen zu können. Auch die Verlagerung „fremdländischer Wissenschaftler“ in die Forschungsstelle Babelsberg gehörte dazu (vgl. Kapitel 18). Die vielfältigen Kontakte zu Hochschulen, Universitäten, zu den KWI und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen blieben so gut wie unberührt. Zusammen mit Mentzel und Thiessen setzte sich Schumann dafür ein, dass aus der immer noch gut gefüllten Geldschatulle des RFR reichliche Zuwendungen an Wissenschaftler flossen, die für ihn und WaF tätig waren. So erhielt z. B. Prof. Braunsfurth unter dem Stichwort „Detonation“, unterschrieben von Schumann, am 10. Januar 1945 25.000 RM, gefolgt am 8. Februar 1945 von 1.000 RM. Für Prof. Günther wurden, nach Zahlung von 7.000 RM Mitte 1944 für „Ultraschall“, am 12. Februar 1945 weitere 4.500 RM ausgeschüttet. An den oben genannten Prof. Schwarz-Bergkampf wurden Mitte 1944 (auf Schumanns Initiative) durch Mentzel, unter der Bezeichnung „Sprengstoffphysik“ 150.000 RM überwiesen, im Dezember 1944 nochmals 3.000 RM für „Carbid-Hydrierung“. SS-Hauptsturmführer Prof. Willi Willing, einbezogen in den „Einsatz wissenschaftlich vorgebildeter Häftlinge“, konnte am 21. Dezember 1944 für seine „Sonderforschung“ 10.000 RM entgegennehmen. Die Beispiele ließen sich fortsetzen.1055 Dem schlauen und nüchtern denkenden Schumann dürfte spätestens in der zweiten Hälfte 1944 klar gewesen sein, dass die Agonie des Dritten Reiches längst begonnen hatte. Trotz seiner engen Zusammenarbeit mit Thiessen hatte er wahrscheinlich keine Kenntnis von dessen – ab spätem Frühjahr 1943 stattfindenden – fast konspirativ zu nennenden Zusammenkünften mit Geist, Gerlach und Graue. Diese vier trafen sich in der Nähe von Berlin, auf einem „großen privaten Anwesen für das Ministerium Speer … in einem Park an einem großen See … unter strenger Klausur. Dort sprach man offen darüber, dass der Krieg verloren sei und dass man sich überlegen müsse, ob und wie man nationale Substanz nicht nationalistisch er1052 Antwort Schneiders vom 4. August 1975 auf eine Anfrage von Prof. Armin Hermann, Lehrstuhl für Geschichte der Natur- und Technik an der TH Stuttgart, BA-MA, NL 625/44. 1053 In seiner Stellungnahme zu einer Ausarbeitung von Plas (nach 1945) weist Leeb ausdrücklich darauf hin, dass Schumann weiterhin die Abteilung Wissenschaft im OKW führte, BAMA, NL 625/200. 1054 Stellenbesetzungs- und Planüberwachungsliste der Beamten des höheren technischen Dienstes im Bereich OKH-Waffenamt – Stand: 1. Dezember 1944 mit Nachträgen bis April 1945 (u. a. Bewersdorff, Holtz, Kadow, Schwietzke), BAA. 1055 Alle Angaben BAB: Braunsfurth: DS 8200 B 27, Nr. 1587; Günther: R 26 III/438 a; Schwarz-Bergkampf: R 26 III/438 a, DS 8200 B 41, Nr. 109; Willing: DS 8200 B 44 Nr. 127, DS G 0142.
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III. Schicksale halten könne. [Sie] kamen zu dem Ergebnis, daß der Bestand der wissenschaftlichen Erkenntnis und ihre mögliche Nutzung auch nach einer massiven Zerstörung im eigenen Land eine der ganz wenigen wertbeständigen Grundlagen des Aufbaues einer neuen Existenz und neuer Beziehungen bieten könnte“.
Unterschiedlich waren die Vorstellungen, wem das wissenschaftliche Potenzial angeboten werden sollte, der Sowjetunion oder den westlichen Alliierten.1056 Etwa zur gleichen Zeit, später noch deutlicher und nuancierter, glaubte mancher in Schumanns Umgebung, bei ihm eine distanzierte Haltung zum NS-Regime zu erkennen (vgl. Kapitel 22). Geradezu erstaunlich klingt eine Mitteilung von Prof. Joachim Pfefferkorn, die sich auf die Ereignisse am Tag des Attentates auf Hitler (20. Juli 1944) bezog: „Nun zu der Frage, ob Schumann eine Widerstandsgruppe um sich versammelt hat. Ich glaube, es ist eine Frage der Definition. Er riet meinem Vater dringend, nicht in die NSDAP einzutreten. Er ließ seine Mitarbeiter über Vieles im Dunkeln, vielleicht auch, um sie nicht zu gefährden. Er muß Verbindung zu der Widerstandsgruppe um Graf Stauffenberg gehabt haben. Das schloß Vater aus folgendem Vorfall: Am Tag vor dem Hitlerattentat ordnete Schumann an, daß alle Mitarbeiter sich am kommenden Tag von morgens bis auf weiteres außerhalb von Berlin an einem nicht näher bezeichneten Ort (wie der Berliner sagt: jwd) aufzuhalten hätten. Vater nannte auch diesen Ort, ich habe ihn jedoch vergessen. Sie müßten dort warten, bis er zu ihnen käme und weitere Anweisungen gäbe. Sie warteten den ganzen Tag, nur ihr Chef, Prof. Schumann, war nicht dabei. Er saß in der Telefonzentrale der Wehrmacht und wartete auf wichtige Telefonanrufe, die er dort ungestört mithören konnte. Dieses erfuhr Vater später von Prof. Schumann selbst. Vaters Berichte gaben mir das Gefühl, daß Prof. Schumann nie Nationalsozialist war und nie wirklich an den Endsieg glaubte.“1057
Im Februar und März 1945 wurden große Teile der Forschungsabteilung von Kummersdorf auf das Gelände des Schießplatzes Hillersleben verlegt. Das ging einher mit der Vernichtung beträchtlicher Mengen schriftlicher Unterlagen. „Tag und Nacht wurden Akten in Gottow verbrannt“. Auch in der Berliner Dienststelle Jebensstraße, wo sich noch vereinzelte Büros von WaF befanden, warf man auf dem Hof diverse Mengen an Dokumenten ins Feuer. Schumann schickte im März 1945 die noch in Berlin verbliebenen Reste seines II. PI in den Harz, nach Gernrode, wo sich schon die meisten Mitarbeiter der „Forschungsstelle Lebus“ aufhielten (vgl. Kapitel 18). Er selbst ging nicht mit auf den Treck in Richtung Harz, sondern wählte seinen eigenen Weg. Gut vorbereitet und findig getarnt „tauchte“ er in den letzten Kriegswochen ab und gab sich erst Monate nach der Kapitulation den Engländern zu erkennen (vgl. die Details im Kapitel 22). Statt Schumanns gelangte sein Vertrauter Prof. Günther, der für das OKW gearbeitet hatte, im A-
1056 Eibl: Thiessen , 186 f.; vgl. auch 177. 1057 Mitteilung von Prof. Joachim Pfefferkorn, Sohn Dr. Pfefferkorns, Mitarbeiters Schumanns am II. PI, vgl. Kapitel 3 sowie Anhang I: Wer war wer. Bei dem „nicht näher bezeichneten Ort“ könnte es sich sowohl um Kummersdorf als auch um die Forschungsstelle Lebus gehandelt haben. Zur Reaktion am 20. Juli 1944 in der Vers. Gottow wurde lediglich bekannt, dass dort Klose „mit der Pistole fuchtelnd herumlief“. Die Mitarbeiter der WaF durften mehrere Tage ihre Dienststelle nicht verlassen. Mitteilung von Frau Magda Wolfschlag vom 8. September 2001; Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129).
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pril 1945 nach Gernrode, hatte jedoch dort wahrscheinlich keinen Kontakt mit den Mitarbeitern des II. PI. Für die nach Hillersleben befohlenen Mitarbeiter von WaF war der dortige Aufenthalt nur kurz. Die Kisten mit Geräten und Unterlagen waren noch nicht ausgepackt, als die amerikanischen Truppen schon nahe vor Magdeburg standen. Jetzt erging die Weisung, zurück nach Kummersdorf! Wieder wurden Unterlagen vernichtet und der Transport neu organisiert. Nicht alle von der Forschungsabteilung folgten dem befohlenen Weg in Richtung Kummersdorf. Etliche flüchteten nach Süden, in die Sicherheit verheißende angebliche „Alpenfestung“, nach Mittenwald und ins Schloss Kranzbach, wo die Forschungen zur elektrischen Kanone inzwischen zu Ende gegangen waren. Von WaF waren es der letzte designierte Chef, Oberst Plas, ferner Dr. Köhler, dessen Sekretärin Ursula Frenzel und der Technische Inspektor Robert Zöllner. Die Studentenkompanie war vertreten durch Berghaus, der die Absatzbewegung nach Hillersleben mitgemacht hatte und sich auf eigene Faust auf abenteuerlichen Wegen nach Mittenwald durchgeschlagen konnte. Schloss Kranzbach wurde in diesen Tagen ein wichtiger Fluchtpunkt für zahlreiche Angehörige des HWA, die aus verschiedenen Richtungen nach und nach eintrafen. Am Schluss zählte man etwa 60 Beamte und Offiziere, die das „Gastrecht“ auf Schloss Kranzbach in Anspruch nahmen. Mitte April wurde Plas zu einer Sitzung nach Vomp (bei Schwaz in Nordtirol) gerufen. Speer wollte wissen, welche Möglichkeiten bestünden „in der Alpenfestung eine Munitions- und Gerätefertigung aufzuziehen“. Als ranghöchster Militär auf Schloss Kranzbach musste Plas am 20. April eine makabre Aufgabe übernehmen, eine Ansprache zu Hitlers Geburtstag. Wie er dies tat, ist nicht überliefert. Wenige Tage später erreichten amerikanische Vorauskommandos GarmischPartenkirchen. Nach einem kurzen Gefecht an einer Straßenenge bei Klais standen sie in Mittenwald und stießen zügig auf Schloss Kranzbach vor. Dort nahmen sie die Leute des HWA fest. Widerstand wurde nicht geleistet.1058 Ein Kriegsverwundeter erlebte als Augenzeuge die Besetzung von Schloss Kranzbach: „Ein niederschmetternder Anblick, die angetretenen hohen Offiziere des Waffenamtes, Abt. Gerätebau und die Zivilangestellten, alle in Reih und Glied und im Hintergrund die Panzer-
1058 Mitteilung von Zeitzeugen: Frau Ursula Frenzel, Prof. Dr. Ernst Gießmann, Frau Hildegard Haeuseler, Frau Magda Wolfschlag; Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129) und Gespräche mit ihm; Lebensbericht Plas’, BA-MA, N 625/200. Darin Plas (73) wörtlich: „… einige Tage später kam ein amerikanisches Kommando mit mehreren LKW und forderte uns auf, zu einer kurzen Einvernahme nach Mittenwald mit zu kommen …, in Klais aber bog die Fahrzeugkolonne nicht nach Mittenwald, sondern nach Garmisch-Partenkirchen und es begann das traurige Los eines Kriegsgefangenen“. Mitarbeiter des HWA, die sich nach Schloss Kranzbach durchschlugen, waren u. a.: Oberst Dipl. Ing. Karl de Bouché (von Teplitz, Nordböhmen, über Hohenfels nach Oberbayern), Dr. Karl Seel (über Potsdam, Jüterbog, Meißen, Dresden, Prag, Pilsen, Regensburg und Hohenfels) nach Kranzbach, wo eine Weiterarbeit „Kopf-, sinn- und zwecklos war“, Dipl. Ing. Horst Rekitte (über Landsberg/Lech nach Klais und Kranzberg). Der Stab Leeb war nach Engelsberg bei Garching ausgewichen.
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III. Schicksale spähwagen. Die Offiziere wurden abgeholt und landeten im Gefangenenlager, die Zivilisten und das weibliche Personal verblieben noch eine Weile in Kranzbach.“1059
Die oberbayrische Region um Bad Tölz und Garmisch-Partenkirchen wurde in den letzten Apriltagen des Jahres 1945 auch das Fluchtziel der Diebner-Gruppe, die sich bereits 1944 nach Stadtilm in Thüringen zurückgezogen hatte, um dort ihre Kernforschungen fortzusetzen.1060 Als im April 1945 amerikanische Truppen kurz vor Stadtilm standen traf beim SD in Berlin eine aufgeregte Mitteilung von Gerlach und Graue ein: „Die Bombe muss weg“. Die SD-Mitarbeiter Spengler und Fischer mobilisierten sofort eine kleine SS-Einheit, die die Flucht der Diebner-Gruppe aus dem thüringischen Stadtilm mit organisierte und die Begleitsicherung in Richtung Oberbayern übernahm.1061 Zusätzlich zu dem schon beschriebenen Ablauf dieser Aktion wurden 2004 durch Rainer Karlsch in Moskau neue Aktenfunde gemacht, die weitere Einzelheiten enthalten. Dr. Czulius, der seit 1939 einer der Mitarbeiter Diebners in der Vers. Gottow war, gehörte nicht zu der Gruppe, die nach Stadtilm gelangt war. Er blieb, zusammen mit den Handwerkern Berger und Hennig bis zur völligen Auflösung der Labors in Gottow. Eine Woche nach Ostern (1945) fuhr er „mit einem 5to-Lastzug und ebenso großen Anhänger nach Stadtilm und nahm die restlichen wertvollen Sachen und Materialien von Gottow mit“. Nur das Paraffin und der havarierte Versuchskessel blieben zurück. Bei seiner Ankunft in Stadtilm waren dort die hektischen Vorbereitungen des Abtransportes nach Bayern voll im Gange. Da Czulius „in Süddeutschland bzw. Tirol weder eine Möglichkeit der Weiterarbeit noch Unterkunft sah“, bat er Diebner, nach Berlin zurückkehren zu dürfen. Diebner stimmte zu. Für die Rückfahrt wurde ein kleiner Lastwagen beschlagnahmt. Mit ihm fuhren Czulius und acht weitere Personen nach Berlin (Herr Krahn mit Frau, Mechaniker Berger, die Frauen Guderian, Würfel und Kamin, letztere mit ihren zwei Kindern). In Berlin löste sich die Gruppe auf. Czulius fuhr weiter nach Kummersdorf.1062 Aus einem Bericht von Siegward Hülsmann geht z. B. folgendes hervor: Er wurde am 1. April 1944 zur Gruppe Diebner dienstverpflichtet. Kurz nach Ostern 1945 versetzte man ihn von Kummersdorf nach Stadtilm. Diebner ordnete nach Eintreffen des SS-Kommandos in Stadtilm an, dass „nur Materialien verla1059 1060 1061 1062
Schunke: Schloss Kranzbach (wie Anm. 954), 25. Nagel: Atomversuche, 127–144; Karlsch: Hitlers Bombe, 115–118. Nagel: Atomversuche, 163–165. Gedächtnisbericht Czulius’, AMPG, I. Abt., Rep. 34 KWI für Physik, Nr. 99 b. Bei dem von Czulius erwähnten kleinen Lastwagen handelt es sich wahrscheinlich um jenen, der auf einem bereits veröffentlichten Foto zu sehen ist (Nagel: Atomversuche, 167, oben rechts). Der in Moskau aufgefundene Bericht widerlegt die mehrfach von Czulius im persönlichen Gespräch (1996) geäußerte Behauptung, er sei nie in Stadtilm gewesen. Auch Karlsch erhielt 2004 bei einem Besuch bei Czulius diese eigenartige Auskunft. An der Version von Czulius bestanden von Anfang an Zweifel, da ein bisher nicht veröffentlichtes Foto zum „Zwischenstopp in Ronneburg“ eine Person zeigt, zu der Czulius’ Ehefrau spontan sagte: „Das bist doch Du“. Czulius bestritt dies sofort und vehement. Die Gründe für dieses Verhalten konnten nicht geklärt werden.
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den werden, die unbedingt zur Weiterführung der Versuche benötigt werden“, vor allem das noch vorhandene Uranoxyd und schwere Wasser. Zunächst fuhren Diebner (mit Familie), Hermann, Rackwitz, Hülsmann und Tamm nach Weimar – zum Präsidium der Gestapo. Hier wurde Diebner das Reiseziel Innsbruck bekannt gegeben. Dann ging es weiter nach Ronneburg, wo einige Tage Zwischenstopp eingelegt wurden, bis die noch in Stadtilm verbliebenen Mitarbeiter eingetroffen waren. Von Kummersdorf kam noch ein Lastwagen (mit Hänger), beladen mit „physikalischen Geräten, Paraffin und Radium“, letzteres in einer Menge von 18 bis 20 Gramm. Der in Ronneburg neu geordnete Transport bestand aus fünf LKW. Diebner stellte es seinen Mitarbeitern frei, weiter bei ihm zu bleiben oder nach Kummersdorf bzw. Berlin zurückzukehren. Für den Diebner-Transport entschieden sich Haxel, Dr. Hirt, Dr. Weiß, Rehbein (mit Frau), Hermann, Rackwitz, Kramer, Kamin, Hülsmann, Tamm, Fräulein Horst und von Wienskowski. Hülsmann fuhr jenen LKW, der kurz vor Bad Tölz Haxels defekten PKW in den Schlepp nahm und der zuerst bei der SS-Junkerschule Bad Tölz eintraf. Von dort wurde Hülsmann nach Königsdorf beordert, wo schon Diebner und Gerlach auf ihn warteten. Diebner rollte mit Familie weiter nach Schöngeising. Haxel, Hirt und Tamm begaben sich zum Physikalischen Institut Gerlachs nach München. Das Radium sollte Rehbein zur SS-Führerschule Bad Tölz bringen, damit es in den Bergen versteckt werden kann. Das geschah bekanntlich auch. In Heilbrunn (etwa 10 km westlich bei Bad Tölz) lud man die 15 bis 20 Kisten Uranoxyd um. Ein Teil wurde nach München gebracht, ein anderer nach Garmisch-Partenkirchen. Dazu Hülsmann wörtlich: „Zwei große Glasballone mit schwerem Wasser und das Paraffin sind ebenfalls in GarmischPartenkirchen beim ‚Physikalischen Institut Köln‘ abgeladen worden. Das Uranoxyd in Garmisch wurde am Eingang rechts des Instituts auf Anordnung von Prof. Kirchner und Prof. Riezler vergraben. Das Paraffin liegt im Keller des Instituts. Ein Ballon des schweren Wassers hat Prof. Kirchner in Garmisch außerhalb des Instituts versteckt. Den anderen Ballon hat meinem Wissen nach Prof. Riezler in Grainach bei Garmisch versteckt.“1063
Die Amerikaner hatten schnell von dem bei Bad Tölz verborgenen Radiumschatz erfahren und hoben ihn. Es wurde ihre wichtigste Beute. Auch ein großer Teil der versteckten Uranbestände und andere Materialien konnten von ihnen sichergestellt werden. Diebner wurde von den Amerikanern am 1. Mai 1945 in Schöngeising (bei München) festgesetzt. Am gleichen Tag fiel ihnen in München auch Gerlach in die Hände. Beide gehörten zu der zehnköpfigen Gruppe deutscher Wissenschaftler, die in England auf Farm Hall bis Ende 1945 interniert waren.1064 Am härtesten traf das Kriegsende jene Mitarbeiter von WaF, die im April von Hillersleben nach Kummersdorf zurückkehrten oder dort bzw. in Berlin verblieben waren. Jetzt nämlich brach der Krieg über jene Stätte herein, wo er wissenschaftlich-technisch mit ausgebrütet worden war. Zweimal fuhr er in diesem blu1063 Bericht Siegward Hülsmanns vom 4. November 1945: „Fahrt: Stadtilm nach Oberbayern der Arbeitsgruppe Dr. Diebner“, AMPG, I. Abt., Rep. 34, Nr. 99 a. 1064 Nagel: Atomversuche, 173–176; Hoffmann: Operation Epsilon.
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tigen Frühjahr über Kummersdorf: Das erste Mal zwischen dem 21. und 25. April, als aus dem Raum Cottbus starke Verbände der Ersten Ukrainischen Front durch eine Bresche zwischen Jüterbog und Zossen auf Berlin zustießen. Auf großen Widerstand trafen diese sowjetischen Verbände kaum. Eines der eher unbedeutenden, aber tragischen Gefechte schildert der ehemalige Angehörige der Studentenkompanie, Reinhard Müller: „Gegen Mittag [des 21. April 1945, G. N.] standen die Russen ante portas. Unsere Verteidigungsstellung vor der Kaserne von Kummersdorf Schießplatz, die mit Beamten, Hitlerjugend und Volkssturm besetzt war, wurde schnell überrannt und das Kampfgeschehen verlagerte sich auf das Kasernengelände. Auf dem Sportplatz schoß noch eine Batterie 1. F.H. 18 unter dem Kommando von Prof. Klose 1.F.H.18. Jedoch wurde die Batterie so eingedeckt, daß sie aufgeben musste. Dr. Glimm wurde bei dem Versuch, vor Verlassen der Stellung noch ein Geschütz der Batterie zu sprengen, von feindlichem Feuer tödlich getroffen.“1065
Von der Studentenkompanie geriet Hasso Döring, der noch am 13. März 1945 bei Klose, Schumann und Braunsfurth seine Diplomhauptprüfung bestanden hatte, in die Kämpfe: „Am 19. und 20. April 1945 sind zwei Studentenkompanie-Angehörige und ich, ausgerüstet mit Fahrrädern (!), Panzerfäusten und Sturmgewehren, von Vers. Gottow aus in Richtung Süden in die Gegend von Baruth geschickt worden, ‚um den sowjetischen Panzervormarsch aufzuhalten‘. Nach Abschuß eines sowjetischen Panzers wurden wir stark unter Beschuß genommen. Ich konnte mich trotz eines Lungenstecksplitters (der sich in 1 cm Abstand vom Herz verkapselt hat) mit Hilfe von in den Wald geflüchteten Leuten bis ins Lazarett Wünsdorf absetzen. Nachdem ich einigermaßen wieder hergestellt war, zog ich mich nach Schleusingen/Thür. zu Verwandten zurück.“1066
Vervollständigt wird dieser Bericht durch Aufzeichnungen von Luck: „Feldwebel Doering und Feldwebel Müller und aus der Schreibstube die Gefreiten Hohendorf und Zadrazil: Sie mussten am 19. 4. 1945 zunächst eine Rede des Propaganda-Ministers, Goebbels, erleben, in der er davon redete, Berlin bleibt deutsch, Wien wird wieder deutsch und Europa niemals bolschewistisch … Die wichtigsten Einrichtungen des Versuchsplatzes Kummersdorf wurden von Deutschen noch gesprengt. Müller floh dann mit dem Chemiker Dr. Möller Richtung Westen. Etwa 35 km westlich wurde er in Brück von einer Heereseinheit beschlagnahmt und kam zu einer Artillerieeinheit nach Fichtenwalde, etwa 8 km nordwestlich
1065 Brief Dipl.-Ing. Reinhard Müllers vom 12. September 2001 an Frau Schumacher. Erste Hinweise auf die Umstände des Todes von Glimm, der noch am 16. April 1945 mit dem Dienstgrad Leutnant einberufen worden war, ergaben sich durch die Recherchen des Autors Anfang 2001. Danach bestätigte eine Kontaktaufnahme von Frau Schumacher zu Angehörigen der ehemaligen Studentenkompanie eine die Ereignisse. Glimm ist mit hoher Wahrscheinlichkeit einer der 304 unbekannten Toten vom Schießplatz Kummersdorf, die zusammen mit 870 weiteren, jedoch identifizierten Gefallenen in einer Grabstätte auf dem Friedhof Kummersdorf beigesetzt sind. Vgl. Günter Nagel: Ein Kriegsschicksal – nach 57 Jahren aufgeklärt (wie Anm. 580). 1066 Mitteilung Dr. Hasso Dörings vom 2. Januar 2003 mit Kopie über Diplomhauptprüfung Dörings am 17. April 1945 (Archiv des Autors).
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von Beelitz. Mit dieser Einheit [vor] dem sowjetischen Angriff bis Havelberg fliehend, setzten sie sich dort am 3. Mai in amerikanische Gefangenschaft bei Tangermünde ab“.1067
Am 22. April 1945, also einen Tag nach Glimms Tod, starb Dr. Basche. Er fiel bei einem Scharmützel mit sowjetischen Vorausabteilungen am Schmiedeberg von Siethen, einem kleinen Dorf dicht bei Ludwigsfelde, etwa 30 km nördlich von Kummersdorf-Gut.1068 Dr. Schönwald soll zu Kriegsende in Berlin bei einer Flakbatterie gewesen sein, die angreifende Flugzeuge unter Nutzung von Ultrarot-Geräten bekämpfte. Dabei kam der Referatsleiter, in dessen Händen die Ultrarot-Forschung von WaF gelegen hatte, angeblich ums Leben.1069 Glück hatte Dr. Sachsse vom Referat WaF I b (Sprengphysik). Zu ihm teilte seine Tochter mit: „Am 20. April 1945 erhielt die Belegschaft vom Versuchsgelände Kummersdorf den Befehl, den Standort zu räumen. Mit einigem Material zog die Belegschaft Richtung Flugplatz Trebbin. Auf dem Weg dort hin wurde in der Nähe eines Waldes das Nachtlager aufgeschlagen und am nächsten Tag wurde mein Vater dort zurückgelassen, um das nahe gelegene Dorf im Auge zu behalten, weil dort wohl schon die Russen waren. Nach längerer Wartezeit ist mein Vater den Vorausgehenden gefolgt, hat sie aber nicht mehr einholen können und ist dann in Richtung Leipzig zu seinen Verwandten gewandert. Auf diesem Wege ist er mehrfach von Russen festgehalten und ausgefragt worden, konnte aber immer wieder flüchten. Im Juni 1945 flüchtete er mit seiner Familie vor den Russen nach Bad Sachsa.“1070
Der Gefechtslärm der ersten Kämpfe in Kummersdorf war kaum verstummt, als er nach einigen Tagen erneut aufflammte. Diesmal mit einer Härte, die einem Inferno glich. Jetzt nämlich lag das bereits von der Roten Armee eingenommene und besetzte Gelände der Heeresversuchsanstalt genau in der Ausbruchsrichtung der im Kessel von Halbe eingeschlossenen deutschen 9. Armee. Sie sollte sich nach Beelitz durchschlagen, um zusammen mit der 12. Armee den sowjetischen Sturm auf Berlin abzuwehren. In der Nacht vom 29. zum 30. April war das Kummersdorfer Terrain Schauplatz erbitterter und sehr verlustreicher Kämpfe auf beiden Seiten. Eine der deutschen Ausbruchgruppen aus dem Kessel wurde dabei von überlegenen sowjetischen Kräften nahezu vollständig vernichtet.1071 Während der Kriegstod in Kummersdorf wild um sich schlug, kam es an anderer Stelle in letzter Minute zu einer dramatischen Rettung. Kurz vor Weihnachten 1944 war der zum Tode verurteilte Mathematiker Ernst Mohr zurück nach 1067 Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129); Gespräch mit Prof. Dr. Gießmann am 14. Dezember 2003. 1068 Mitteilung der Wehrmachtsauskunftsstelle (Wast) vom 4. Dezember 2001 zum „ehemaligen Oberst Dr. Walter Friedrich Franz Basche, geb. am 21. 10. 1987 in Berlin-Charlottenburg“. Er wurde zunächst auf dem Friedhof Siethen beigesetzt und am 24. Juni 1946 zum städtischen Friedhof IV, Berlin-Schönholz, umgebettet. Da dieser Friedhof 1996 geschlossen wurde, ist eine Grabstätte für Basche nicht mehr nachweisbar. Beurkundet ist sein Sterbefall beim Standesamt Großbeeren unter der Nr. 30/46. 1069 Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129). 1070 Mitteilung von Frau Kriemhild Helmetag, der Tochter Sachsses, vom 23. Oktober 1998. Bei dem von ihr erwähnten Flugplatz Trebbin handelt es sich möglicherweise um den beim Dorf Schönhagen, etwa 8 km westlich von Trebbin. 1071 Richard Lakowski, Karl Stich: Der Kessel von Halbe 1945. Das letzte Drama, Berlin 1997.
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Plötzensee verlegt worden, wo er die für ihn festgelegten Forschungsaufgaben zu bearbeiten hatte (vgl. Kapitel 5). Durch den allerdings nur spärlichen Umgang mit anderen Gefangenen erfuhr Mohr, dass fast jeden Tag Hinrichtungen erfolgten, zumeist wegen des 20. Juli 1944. Erst am 19. April endete dieses Morden. Was danach geschah, schrieb Mohr im Juni 1952 einem guten Bekannten: „Nach dem 20. April hatte sich jedoch die Lage in Berlin schon sehr zugespitzt. Es gab fast dauernd Alarme. Nach jedem Alarm kam durch meine Zelle auch ein holländischer politischer Gefangener, der mir eines Tages sagte, daß er hier einen Wachtmeister kenne, der ihm gesagt hätte, es sei bald Feierabend. Soviel ich weiß, war es am Dienstag, den 24. April soweit, daß die verbliebenen Gefangenen einschließlich meiner Person in die Zellen des untersten Geschosses gebracht wurden. Ich lag mit einem Griechen Christophorides zusammen und nach einer bewegten Nacht war es am anderen Nachmittag soweit: mein Grieche war einst Partisane, kannte also russische Maschinengewehre und fuhr an jenem Nachmittag plötzlich hoch, laut rufend, jetzt sind die Russen da. In der Tat hörte man laute Schläge wie von einem Hammer und von unserem Zellenfenster konnten wir beobachten, wie das Tor … aufgestoßen wurde und ein Wachtmeister, der mir dem Gesicht nach bekannt war, durch Genickschuß getötet wurde. Die Befreiung vollzog sich rasch und ein russischer Soldat öffnete uns die Zellentür. Unten in der Hausvaterei gab es ein großes Tohuwabohu. Schließlich war der ganze Hof voll von Gefangenen und russischen Soldaten und langsam bildeten sich Gruppen, die die Strafanstalt verließen.“1072
Den nach Berlin weiter gezogenen sowjetischen Kampfverbänden folgten unverzüglich diverse Beutekommandos. Diese speziellen Einheiten waren durch Stalins streng geheime Verfügung Nr. 7560 (vom 25. Februar 1945) eigens gebildet worden, um in Deutschland nach wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Geheimdokumenten zu fahnden. Vor allem den „technischen und Speziallabors der Wehrmacht sowie den Heeresversuchsstellen und Testgeländen“ galt ihr Interesse. Was immer sie fanden und für nützlich hielten, wurde „ausnahmslos militärischen Einrichtungen in der Sowjetunion“ zugestellt.1073 Kummersdorf stand mit ganz oben auf der Liste der Trophäenjäger. Das war alles andere als ein Zufall! Die Bedeutung der Heeresversuchsstelle war der sowjetischen Militäraufklärung seit vielen Jahren bekannt. Bereits 1920 hatte die „Registraturverwaltung des Feldstabes des revolutionären Kriegsrates“, die Vorläuferin der späteren Verwaltung für Aufklärung des Generalstabes bzw. Hauptverwaltung für Aufklärung (GRU), einen Plan zum Einsatz von Agenturen in Deutschland ausgearbeitet. Bald war eine gut ausgebildete Spionageorganisation mit über 280 illegalen Agenten in Deutschland etabliert, die erfolgreich militärische u. a. Geheimnisse ausspähten.1074 Außerordentlich günstige Bedingungen ergaben sich zusätzlich aus der ab 1922 in erheblichem Umfang praktizierten Zusammenarbeit von Reichswehr und Roter Armee. Dafür einige Beispiele: Am 14. 1072 Zitiert bei Litten: Ernst Mohr (wie Anm. 249), 206. 1073 Knyschewski: Moskaus Beute, 61. Ausführlich Karlsch, Laufer (Hg.): Sowjetische Demontagen; Bruno Thoß (Hg.): Volksarmee schaffen – ohne Geschrei. Studie zu den Anfängen einer „verdeckten Aufrüstung“ in der SBZ-DDR 1947–1952, München 1994, 114–116. 1074 Jurij L. Djakow, Tatjana S. Buschujewa: Das faschistische Schwert wurde in der Sowjetunion geschmiedet. Die geheime Zusammenarbeit der Roten Armee mit der Reichswehr 1922–1933, Klitzschen 2002.
20. Das Ende der Forschungsabteilung und ihrer Versuchsstellen
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Mai 1925 meldete Jakow M. Fishmann nach Moskau: „Morgen fahren wir zum Schießplatz Kummersdorf zur Erprobung von Draise. Es werden, wie bereits früher berichtet, Flammenwerfer, Minenwerfer und Handgranaten erprobt“. In einer Mitteilung vom 28. Februar 1929 hieß es zum Besuch des Übungsplatzes Kummersdorf: „Es wurden zwei Typen von Unterständen zum Schutz vor Gas und das Übungsplatzlaboratorium des Prof. Wirth besichtigt. Ferner wurden Versuche zur Entaktivierung von Uniformen, die durch Yperit [ein Kampfstoff, G. N.] verseucht wurden und die Entaktivierung eines Waldstückes mit Hilfe des Gerätes ‚Total‘ beobachtet. Über alle Punkte wurde ein detaillierter Bericht angefertigt.“
Im April 1929 war der Militärattaché A. J. Kork bei der Übung eines Pionierbataillons in Klausdorf [unmittelbar neben Kummersdorf, G. N.] anwesend. Eine größere sowjetische Offiziersgruppe besichtigte im Mai 1933 neben anderen militärischen Einrichtungen zusätzlich den „Schießplatz Kummersdorf“.1075 Auch deutsche Dokumente belegen die genauen Kenntnisse sowjetischer Militäraufklärer zu Kummersdorf: Für den 15. Februar 1930 kündigte sich „eine russische Kommission zum Studium der Arbeiten des Heereswaffenamtes bei WaA“ an. Sie bat u. a. um die Besichtigung von Kummersdorf, Klausdorf-Sperenberg, Funkstation Nauen sowie der Betriebe Telefunken und Siemens. Das daraufhin vom HWA ausgearbeitete Programm sah neben anderen Aktivitäten für die Dauer von 10 Tagen Besichtigungen in Kummersdorf zu den Themen Ballistik, Munition, Geschütze, Infanteriewaffen und Pioniergeräte vor. Vorgeführt wurden zudem Gasschutzgeräte, meteorologische Anlagen, Abhörgeräte, Minenwerfer, „Kraftfahrgerät“ (Krafträder, PKW, LKW, Schlepper) sowie zahlreiche Nachrichtengeräte. Ergänzend gab es Vorträge über Einzelheiten des Beschaffungswesens, der Kriegswirtschaft, zu allgemeinen „Kriegserfahrungen“, zur Organisation des Waffenamtes, einschließlich der Konstruktion von Waffen.1076 1075 Ebd., 246, 249, 275, 287. Bei Prof. Wirth handelt es sich um den Pharmakologen und Toxikologen Wolfgang Wirth (1898–1996), der als Kampfstoffexperte mit dem Militär zusammenarbeitete. Zwischen 1926 und 1932 hielt er sich mehrmals in der Sowjetunion auf, wo er zusammen mit russischen Wissenschaftlern an Feldversuchen mit Kampfstoffen beteiligt war. Wolfgang Woelk: Der Pharmakologe und Toxikologe Wolfgang Wirth und die Giftgasforschung im Nationalsozialismus, in: Wolfgang Woelk, Frank Sparing, Karen Bayer, Michael Esch (Hg.): Nach der Diktatur. Die medizinische Akademie Düsseldorf nach 1945, Essen 2003 (= Düsseldorfer Schriften zur neueren Landesgeschichte und zur Geschichte Nordrhein-Westfalens, 66), 269–287, insb. 273. Fishmann (1887–1961), der seine Berichte meist nur mit Jakow unterzeichnete, war von 1925 bis 1937 Chef der Militärchemischen Verwaltung der Roten Armee und bekleidete vorübergehend gleichzeitig den Posten des sowjetischen Militärattaché in Deutschland. Außerdem war er zuständig für die Kampfstoff-Versuchsstation „Tomka“, vgl. Zeidler: Reichswehr und Rote Armee (an verschiedenen Stellen). 1076 Dieter Dreetz: Aus der Zusammenarbeit von Reichswehr und Roter Armee, in: Militärgeschichte 29 (1990), 475–491, insb. 485 f. Erfahrungen mit sowjetischen Militärs machte auch Plas, der „im Spätherbst 1934 mehrere sowjetischen Kommissionen begleitete, die in ganz Deutschland Rüstungsbetriebe und Versuchsplätze besichtigten“. Die dabei gezielt gestellten Fragen und Besuchswünsche ließen Plas zu der Erkenntnis gelangen: „Die sowjeti-
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III. Schicksale
Nach dem abrupten Ende des Zusammenspiels deutscher und sowjetischer Militärs setzte die Militäraufklärung der Roten Armee verstärkt ihre illegal in Deutschland operierenden Agenturen ein. Äußerst wertvolle Angaben lieferte „A/201-Breitenbach“. Das war der Deckname für den Mitarbeiter der IV. Hauptverwaltung des Reichssicherheitshauptamtes, Hauptsturmführer Willi Lehmann. Er war 1929 angeworben worden und hatte Zugang zu streng geheimen Unterlagen der Gestapo. Ab 1934 oblag „Breitenbach“ auch der Schutz von Rüstungsbetrieben vor feindlichen Spionageversuchen. Im Jahr darauf erhielt er Einblick in das gerade anlaufende deutsche Raketenprogramm. Ende 1935 konnte er in Kummersdorf, Vers. West, die Erprobung eines Flüssigkeitstriebwerkes für den Raketentyp A 3 verfolgen. Sein Bericht darüber wurde unverzüglich Stalin und Woroschilow (Vorosilov), danach auch Tuchatschewski (Tuchacevskij) vorgelegt.1077 Die an „Breitenbach“ erteilten Aufträge forderten nachdrücklich weitere Einzelheiten zur Tätigkeit des Wernher v. Braun, z. B.: „Wo arbeitet Ing. Braun, woran arbeitet er? Gibt es Möglichkeiten in sein Labor einzudringen?“1078 Zu den ausgewählten Beutekommandos, die bei Kriegsende nach Deutschland befohlen wurden, um die Raketenentwicklung eingehend zu studieren, gehörte auch der junge B. E. Tschertok, einer der Mitbegründer der sowjetischen Raketenindustrie, viele Jahre Stellvertreter von Koroljow, zuletzt Chefberater der russischen Raketenfirma Energija. Im Auftrag Stalins traf er, gemeinsam mit anderen ausgesuchten Fachleuten, im April 1945 in Deutschland ein. Von Buckow (Märkische Schweiz) aus besuchte er Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen in Berlin und Brandenburg, so die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt in Adlershof (DVL), die Firmen Askania, Siemens, Telefunken, AEG, Radio-Loewe usw. In Basdorf machte er sich mit den dort hergestellten Flüssigkeitstriebwerken für den Jäger Me 163 vertraut. Sein Mitarbeiter A. V. Pallo eilte nach Kummersdorf, weil man wusste: „In Kummersdorf begann die Entwicklung der deutschen Flüssigkeitstriebwerke. Hier hatten von Braun und die anderen deutschen Spezialisten sich intensiv mit Triebwerken beschäftigt
sche Aufklärung hatte gute Vorarbeit geleistet“. BA-MA, NL 625/200, Bl. 17 f. Auf „Russen in Kummersdorf“ wies auch Karl-Heinz Badstein hin: Heeresversuchsstelle Kummersdorf und ihre Feuerwerker, in: Mitteilungen für Mitglieder des BDF und We.V, 1/1992 (2. Folge), 13–15, insb. 13. 1077 Uhl: Skizzen zur Tätigkeit, 485–487. Marschall Michail N. Tuchatschewski weilte während der Zusammenarbeit der Roten Armee mit der Reichswehr mehrmals in Deutschland, u. a. zur Manöverbeobachtung. Wegen angeblichen Landesverrats wurde er am 11. Juni 1937, zusammen mit anderen hohen Militärs, auf Befehl Stalins erschossen. Damit begann die stalinistische Säuberungswelle in der Roten Armee, der viele tausend Militärs zum Opfer fielen. Lehmann, alias „Breitenbach“ wurde im Dezember 1942 im Zusammenhang mit der Zerschlagung der Spionageorganisation „Rote Kapelle“ von der Gestapo enttarnt und hingerichtet. 1078 Uhl: Stalins V-2, 32 f.
21. Nachkriegsjahre, Nachkriegskarrieren
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und verschiedene Triebwerke mit unterschiedlicher Geometrie der Brennkammern entwikkelt“.1079
Eine herausragende Entdeckung machten die sowjetischen Militärs am 7. Mai 1945. Sie fanden am Rand von Vers. Gottow den Reaktorkessel des fehlgeschlagenen und außer Kontrolle geratenen Uran-Versuches G IV. Sofort wurden Kernphysiker herbeigeholt, um die Versuchsanlage zu begutachten (zu den Einzelheiten vgl. Kapitel 21). Welche Dokumente und Geheimnisse die sowjetischen Trophäenjäger insgesamt in Kummersdorf, vor allem in den Versuchsstellen Gottow, Ost, N und West erbeuteten, ist bisher im Detail nicht bekannt. Noch immer schweigen dazu die russischen Archive. Fest steht, dass nach solchen Informationen mit pedantischer Gründlichkeit gesucht wurde. Alle brauchbaren technischen Anlagen und Einrichtungen wurden abgebaut und abtransportiert. In den umliegenden Ortschaften spürten die Beutekommandos deutsches Fachpersonal auf und verhörten es zu den in Kummersdorf durchgeführten Forschungen. Grundlagen für dieses Vorgehen waren bereits während der letzten Kriegsjahre ergangene Weisungen und Befehle zur sowjetischen Demontagepolitik in den von der Roten Armee besetzten Territorien des Deutschen Reiches. Die Ziele dieser Aktivitäten hatte Stalin festgelegt. Genau dafür wurde am 25. Februar 1945 ein „Sonderkomitee“ geschaffen, das außerordentliche Vollmachten erhielt. Geleitet wurde es von vom Mitglied des Politbüros der KPdSU Georgij M. Malenkov.1080
21. NACHKRIEGSJAHRE, NACHKRIEGSKARRIEREN Die Akteure dieses Buches standen 1945 und noch lange Jahre danach im Blickfeld der Sieger. Das war bei weitem kein Zufall. Wie kaum ein anderer Personenkreis waren sie mit den wissenschaftlichen und militärischen, zum Teil auch mit den politischen Geheimnissen des untergegangenen Dritten Reiches vertraut. Nicht wenige waren in die Verbrechen des NS-Regimes verstrickt, einige sogar direkt daran beteiligt. Fast alle hatten sie vorbehaltlos und nachgerade bis zur letzten Minute einem verbrecherischen System gedient, oft in einflussreichen und wichtigen Positionen. Drei eigentümlich miteinander verknüpfte, oft widersprüchliche Ereignisfelder bestimmten das Geschehen nach dem Ende der Kämpfe in Europa: Sowohl die Sowjets als auch die Amerikaner, Briten und Franzosen waren brennend daran interessiert das Wissen der „Militärforscher“, ihr wissenschaftlichtechnisches Erfahrungspotenzial und die erreichten Ergebnisse bei der Entwicklung der Waffentechnologie möglichst vollständig abzuschöpfen und für die eigenen Ziele zu nutzen. Die Jagd der Geheimdienste auf die deutschen Spezialisten und ihre
1079 Boris E. Tschertok: Raketen und Menschen, Bd. 1: Deutsche Raketen in Sowjethand, Klitzschen 1998, insb. 179. Natürlich stand auch Peenemünde auf dem Reiseprogramm Tschertoks durch Deutschland. 1080 Vgl. Jochen Laufer: Politik und Bilanz der sowjetischen Demontage in der SBZ/DDR 1945– 1950, in: Karlsch, Laufer: Sowjetische Demontagen (wie Anm. 1073), 31–77.
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III. Schicksale
Geheimdokumente war bereits im vollen Gange. Sie wurde forciert und erlebte jetzt ihre Blüte. Die Alliierten waren von dem Willen beseelt, die entsetzlichen Verbrechen der Nazizeit umfassend aufzuklären, zu dokumentieren und ihre Wurzeln für alle Welt sichtbar bloß zu legen. Es galt zu klären, wer das Hitlerregime in welcher Weise aktiv mit gestaltet hatte oder es unterstützte. Die betroffenen deutschen Militärs und Forscher, einschließlich der mit ihnen ehemals zusammen arbeitenden österreichischen Kollegen, mussten sich beruflich neu orientieren oder sich unter gänzlich anderen Bedingungen im bürgerlichen Leben zurechtfinden. Vielen von ihnen kam der bald offen zutage tretende und sich ausweitenden Kalte Krieg zugute: Die deutsche militärische, wissenschaftliche und auch politische Elite wurde wieder gebraucht. Andere Wissenschaftler profitierten davon, dass am deutschen Know-how der modernen Rüstungstechnologie auch andere Staaten teilhaben wollten, so Argentinien, Ägypten, Spanien oder Südafrika. Da diese Prozesse in Ost und West bald sehr unterschiedlich verliefen, sollen zunächst die Ereignisse in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ)/DDR, anschließend die in den Westzonen/der BRD beleuchtet werden.
Sowjetische Besatzungszone/DDR In den ersten Maitagen des Jahres 1945 fanden – wie oben bereits kurz mitgeteilt – Angehörige der 1. Ukrainischen Front bei der Durchsuchung der Heeresversuchsstelle Kummersdorf das von Diebners Leuten verlassene Labor in der Vers. Gottow, ebenso den abseits gelegenen Versuchsstand mit den Resten des havarierten Reaktors vom Versuch G IV. Außerdem stießen sie auf etwas übrig gebliebenes Uran und Uranoxid. Im benachbarten Ort Stülpe wurde Czulius festgenommen, der die Sowjets auf den Zweck der Versuchsanlage hinwies. Der davon sofort unterrichtete Geheimdienstchef in Moskau, Berija, teilte die Nachricht aus Kummersdorf Prof. Igor Kurtschatow (Kurchatov) mit. Der Kernphysiker hielt diese Nachricht für so wichtig, dass er vorschlug, unverzüglich zwei seiner besten Wissenschaftler, Flerow und Arzimowitsch, nach Deutschland zu entsenden. Zusätzlich gingen die Kernphysiker Chariton und Kikoin mit auf die Reise. In Begleitung von Generaloberst V. A. Machnev, Beauftragter für den Sektor Wissenschaft und Technik, Verbindungsoffizier zur sowjetischen Akademie der Wissenschaften, sowie weiteren Geheimdienstoffizieren besichtige die Flerow-Gruppe am 7. Mai 1945 den Versuchsstand in der Vers. Gottow. Spezialisten der chemischen Truppen, unterstützt von Kernphysikern, machten sich sofort daran, die Anlage abzubauen und schnell abzutransportieren.1081 1081 Brief A. Kupzovs an Malenkow über die Ausfuhr von Ausrüstungen und Materialien aus Deutschland, die notwendig sind für die Arbeiten des Laboratoriums Nr. 2, vom 8. Mai 1945, in: Leo D. Rjabev (Hg.): Atomnij Projekt CCP (Das sowjetische Atomprojekt 1938– 1945), 2. Halbbd., Dokument Nr. 344, S. 286. Ich danke Dr. Rainer Karlsch für den Hin-
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Am 8. Mai, dem Tag der deutschen Kapitulation, wurde vom Stellvertretenden Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission der UdSSR, A. Kupzow, eilig ein Bericht für Georgi M. Malenkow zusammengestellt. In dem für ihn verfassten Schreiben hieß es: „In der deutschen Stadt Kummersdorf (10 km östlich von Luckenwalde) ist eine technische Anlage zur Gewinnung von Atomkernenergie aus Uran gefunden worden, die sich nun unter unserem Schutz befindet. Laut Beschluß des Staatlichen Verteidigungskomitees wird die gesamte Anlage nebst Rohstoffen und Materialien sofort für das Laboratorium Nr. 2 nach Moskau gebracht.“1082
Das Laboratorium Nr. 2 war jene Einrichtung bei Moskau, in der Kurtschatow und seine Mitarbeiter mit dem anlaufenden sowjetischen Atombombenprojekt befasst waren. Was dort mit der Gottower Anlage geschah, ist nicht bekannt. Ebenso ist unbekannt, ob und welche Dokumente die sowjetischen Trophäenjäger in Vers. Gottow zu den Uranarbeiten und anderen Forschungen von WaF erbeuteten. Der Fund in Vers. Gottow und die ersten dazu von Czulius gemachten Angaben waren der Auftakt für intensive Ermittlungen in der ersten Maihälfte. Sie erfolgten zum KWI für Physik in Berlin-Dahlem (8. Mai), zum Labor von Manfred von Ardenne in Berlin-Lichterfelde (10. Mai), zum KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie von Prof. Thiessen (11. Mai), und führten zur Auergesellschaft in Berlin (11. Mai) bzw. zu deren Forschungsleiter Dr. Riehl (12. Mai). Am 15. Mai 1945 beschloss das Staatliche Verteidigungskomitee der UdSSR, alle Ausrüstungen, Materialien usw. aus jenen deutschen Einrichtungen, die am Uranprojekt bzw. der Atomforschung beteiligt waren, in die Sowjetunion zu bringen.1083 Bei der Suche nach den deutschen Kernphysikern, ihren Labors und wissenschaftlichen Einrichtungen machten die sowjetischen Spezialkommandos reiche Beute. Von der Diebner-Gruppe fanden sie Herrmann, nach dem Abzug der Amerikaner aus Thüringen in Stadtilm Berkei und Hartwig. Auch Pose, Rexer, Mitarbeiter der PTR, Rackwitz und Hülsmann von WaF wurden aufgespürt. In Oranienburg geriet die Gruppe um Riehl in sowjetischen Gewahrsam. Bereitwillig hatten sich in Berlin Thiessen, von Ardenne, Bewilogua sowie weitere Wissenschaftler der KWI und anderer wissenschaftlicher Einrichtungen zur Zusammenarbeit mit sowjetischen Stellen bereit erklärt. Schon im Sommer 1945 befanden sich die meisten von ihnen in der Sowjetunion, wo ihnen Teilaufgaben des sowjetischen Atomforschungsprogramms übertragen wurden. Zu ihnen gehörten von weis auf diese Quelle. Vgl. auch Rainer Karlsch: Überarbeitete Fassung von Hitlers Bombe (unveröffentlicht), Abschnitt 6: Die Flerow-Mission. Zu den genannten Physikern Arzimowitsch, Chariton, Flerow, Kikoin und Kurtschatov, vgl. Nagel: Atomversuche, 177–183. 1082 Zitiert nach Karlsch: Hitlers Bombe, Anm. 1981. Zur Rolle von Malenkows vgl. u. a. Mick: Forschen für Stalin, 42, 48, 82; Uhl: Stalins V-2, insb. 38–40. 1083 Karlsch: Hitlers Bombe, 262–265. Ausführlich Albrecht et al.: Die Spezialisten. Vgl. auch Vladimir Zakharov: „Wir halten es für nötig, folgende unterirdische Spezialobjekte zu sprengen.“ Die SMAD und die unterirdischen Rüstungsbetriebe und Militärobjekte in der SBZ, in: Karlsch, Laufer: Sowjetische Demontagen, 79–112. Bei der von Z. erwähnten Fabrik in Brandenburg „Kalberge“ (84) handelt es sich offenkundig um die Kalksteinbrüche Rüdersdorf.
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der Forschungsabteilung Hermann, Rackwitz, Ende 1945/Anfang 1946 auch Czulius, sowie die mit WaF zusammen arbeitenden Wissenschaftler Pose, Rexer und Westmeyer, zahlreiche Mitarbeiter der Auergesellschaft wie Riehl, Ortmann, Wirths u. a. Personen. Ebenso sind zu nennen Born, Catsch und Zimmer, die am KWI für Hirnforschung Berlin-Buch zur Strahlenbiologie forschten und mit der Auergesellschaft verbunden waren. Einige dieser „Russlandreisenden“ setzten nach ihrer Rückkehr aus der Sowjetunion ihre wissenschaftliche Arbeit in der DDR fort.1084 Alle Spezialisten, derer die Sowjets habhaft werden konnten, wurden ausführlich befragt, verbunden mit der Aufforderung detaillierte Berichte zu schreiben. Dabei bedienten sich die Trophäenjäger eines überaus wirksamen taktischen Kunstgriffes. Aus einer Niederschrift, die Berkei und Hartwig gemeinsam verfassten, geht nämlich hervor, dass ihnen in Aussicht gestellt wurde, unter Aufsicht sowjetischer Militärbehörden ihre Arbeiten fortsetzen zu können. Beide bedankten sich deshalb für die „großzügigen Möglichkeiten, die die russische Militärregierung durch Generalmajor Milenin der deutschen Wissenschaft geboten hat, auf dem Gebiet der Atomphysik zum Nutzen der Menschheit weiterzuarbeiten“. Sie formulierten auftragsgemäß einen knappen „Plan zur Wiederaufnahme und Fortführung der kernphysikalischen Forschung“. Er enthielt 24 Namen von Wissenschaftlern bzw. Beteiligten am deutschen Uranprogramm, die „in der russischen Besatzungszone erreichbar sind“, und benannte die Vorrausetzungen, unter denen die Forschungen fortgesetzt werden könnten, z. B. geeignete „Institutsräume“. Weiterhin listeten die Verfasser penibel die aus Stadtilm abtransportierten bzw. dort noch vorhandenen Geräte und Rohstoffe auf. Auch auf jenes Material und die Akten, die Diebner nach Bayern mitgenommen hatte und die eventuell noch bei Schöngeising nahe München „vorzufinden sind“, machten Berkei und Hartwig aufmerksam.1085 Hermann gab in seinem Bericht einen kurzen Überblick zu den 10 unterschiedlichen Typen von Uranmaschinen, die in verschiedenen Einrichtungen erprobt worden waren, skizzierte grob die Organisationsstruktur des Uranprojektes und fertigte Kurzeinschätzungen zu Basche, Berkei, Czulius, Diebner,
1084 Detailliert bei Nagel: Atomversuche, 182–196. In seiner Vernehmung durch sowjetische Behörden (vgl. Kapitel 20) sagte Czulius aus, dass sich in Stülpe bis Ende 1945 auch Dr. Kölle, WaF II c, aufhielt. Czulius selbst befand sich noch Ende Dezember 1945 in Stülpe, unter der Anschrift „Liessener Str. 5 bei Schulze“. AMPG, I. Abt., Rep. 34 KWI für Physik, Nr. 101, Vernehmung Czulius’. 1085 Ebd., Nr. 99 a, Befragung deutscher Wissenschaftler; vgl. auch Österreichische Zentralbibliothek für Physik der Universität Wien, Austria 2. Zu den Geräten und Rohstoffen, die Diebner aus Stadtilm mitnahm, berichteten Berkei und Hartwig: „Radium ungefähr 4 g; Uranmetall etwa 1 t; Schweres Wasser ca. 400 kg; 2 vollständige Messapparaturen zur Ausmessung der Maschinenversuche, 1 photographisches Labor, 1 Handbücherei; div. Gegenstände, die zur Errichtung eines Labors gehören, z. B. Transformatoren, Kondensatoren, Widerstände, Verstärkerrohre, Zählrohre, Vakuumpumpen, Uhren, Werkzeuge usw. … Die Amerikaner transportierten bei ihrem Weggang [aus Stadtilm] folgendes ab: ca. 10 t Uranoxid in würfelförmigen Presslingen, 3 cbm Beryllium in Flittern, ferner sämtliches Aktenmaterial, einschließlich der Personalkartei.“
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Hartwig und Pose sowie zu weiteren Kernphysikern.1086 Eine erste dokumentierte Befragung mit Czulius erfolgte am 11. Mai 1945. Sie war so wichtig, dass sie sogleich sowjetischen Kernphysikern vorgelegt und von Kikoin abgezeichnet wurde. Weitere Berichte fertigte Czulius im Juni 1945, während einer längeren Haft in einem Haus in Berlin-Friedrichshagen, sowie im November und Dezember 1945 in Leipzig. Darin machte er unter anderen Angaben zum Bezug von Uran und schwerem Wasser, zur Organisation des Uranprojektes, zu den Messergebnissen bei verschiedenen Experimenten. Außerdem stellte er die Rolle Diebners als Organisator des Uranvorhabens heraus und betonte, dass der GottowGruppe ein versierter Theoretiker sehr gefehlt habe.1087 Andere Forscher, die von sowjetischen Stellen befragt wurden, waren z. B. Prof. Karl-Friedrich Bonhoeffer, Leipzig, der vor allem Angaben zu Harteck und zur Schwerwassergewinnung in Norwegen und Deutschland machte, sowie Dr. Weiss von der PTR.1088 Einen „Plan für die Wiederaufnahme der Kernphysikalischen Forschungen in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft“ offerierte Dr. Robert Havemann in seiner vorübergehenden Eigenschaft als Präsident der KWG am 1. September 1945 den sowjetischen Behörden. Diesem Dokument lag eine Aufstellung der wichtigsten deutschen Kernphysiker bei.1089 Bereits Ende Juni hatten die in Thumersbach (bei Zell am See) versammelten Wiener Kernphysiker einen ausführlichen Bericht über ihre Forschungsarbeiten 1939–1945 fertig gestellt, der ebenfalls detailliert die „Anlaufvoraussetzungen“ ihrer Weiterführung benannte. Ein zweiter Bericht von Mitte August 1945 befasste sich ausführlich mit dem Inhalt der „geplanten Arbeiten“.1090 Ergänzt wurden diese Angaben durch Aussagen von Schintlmeister, der sich gleich nach dem Einmarsch russischer Truppen zur Verfügung stellte und zur weiteren Arbeit in der Sowjetunion bereit erklärte. Ortner wurde Mitte 1945 nach Moskau gebracht, wo er drei Monate interniert war, verhört wurde und danach in die Heimat zurückkehren durfte.1091 Die sowjetischen Recherchen erstreckten sich auch auf die westlichen Besatzungszonen. So erschien beispielsweise 1945 ein russischer Offizier in Celle und versuchte, den unter britischer Bewachung stehenden Physikochemiker Dr. Klaus Albert Suhr zu sprechen. Suhr hatte bei Harteck maßgeblich an der Isotopentrennung mitgearbeitet.1092 1086 Antwortbericht Hermanns „auf die mir in Leipzig von den Mitgliedern der russischen Kommission gestellten Fragen, das Uranproblem betreffend“, vom 28. Oktober 1945, AMPG, I. Abt., Rep. 34, Nr. 99 b. Darin bestätigt Hermann zugleich Teile des Berichtes von Hülsmann vom 4. November 1945 zum Verlauf der Fahrt der Diebner-Gruppe nach Oberbayern. 1087 Ebd., Nr. 101. 1088 Österreichische Zentralbibliothek für Physik, Austria 2, darin weitere Befragungsniederschriften, u. a. Fischers zum Zyklotron, das Pose im Auftrag von Prof. Hofmann, Leipzig, entwickelte und das in einem Steinbruch bei Großbothen aufgestellt werden sollte. 1089 Ebd. 1090 Ebd. 1091 Zu Schintlmeister Nagel: Atomversuche, 229; zu Ortner Helmut Rauch: Nachruf zu Gustav Ortner, in: Österreichische Akademie der Wissenschaften, Almanach für das Jahr 1985, Wien 1986, 313. 1092 Stumpf: Kernenergieforschung in Celle (wie Anm. 392), 62.
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Zuständig für die Aufklärung des Standes der deutschen Uranarbeiten war die 4. Sonderabteilung des sowjetischen Geheimdienstes NKWD (NKVD), die über etwa 400 Mitarbeiter verfügte. Hier liefen die Ergebnisse der vielen Befragungen und der Besichtigungen von Forschungseinrichtungen zusammen. Erstaunlicherweise hatten es jedoch alle Befragten, die vom Versuch G IV Kenntnis besaßen, sorgfältig vermieden, dazu auch nur den geringsten Hinweis zu geben. Im November 1945 legte der Chef dieser Sonderabteilung, Generalmajor V. A. Kraftschenkow (Kravtchenkov), einen umfassenden Bericht über die Recherchen vor. Er kam darin u. a. zu der Einschätzung, das von Diebner in Kummersdorf betriebene „Speziallabor“ habe die Aufgabe gehabt, den Kriegseinsatz der Atomenergie zu prüfen, und zwar sowohl hinsichtlich der Konstruktion einer Uranmaschine zur Energiegewinnung als auch der Erzeugung von Spaltmaterial für eine Atombombe. Jedoch sei das Uranprojekt von der deutschen Führung nicht sonderlich ernst genommen worden: „Bis 1943 arbeiteten nur einzelne getrennte Gruppen, es gab keine ausreichende Koordinierung der Forschung, die Arbeiten wurden nicht zielstrebig genug geführt und ein Teil der Wissenschaftler war skeptisch gesinnt.“
Ungeachtet der wechselnden Verantwortlichkeit für das Uranvorhaben, zuerst bei Esau, nach ihm bei Gerlach, sei Diebner der eigentliche organisatorische Leiter des Unternehmens gewesen. Wörtlich befand der General: „Seit 1943 nahmen die Arbeiten einen zielstrebigen Charakter an, ihr Hauptzentrum wurde Kummersdorf.“ Der Bericht benannte viele der prominenten deutschen Kernphysiker, die „an 36 Einrichtungen“ für das deutsche Uranprojekt arbeiteten und deren Forschungsergebnisse Diebner sämtlich gekannt habe. Mehr als 100 Forscher seien beteiligt gewesen, auch exponierte Fachleute, z. B. der Industrie wie Riehl von der Auergesellschaft, oder Beuthe und Weiss von der PTR. Das Fazit des Berichtes lautete: „Nach Meinung aller Befragten verfügte Deutschland potentiell über alle Möglichkeiten für den Bau einer Uranmaschine und einer Atombombe. Insgesamt standen den Wissenschaftlern ca. 10 t metallisches Uran und 500 t Uranoxyd sowie 2 t D2O aus Norwegen zur Verfügung. Trotzdem kamen die Deutschen zu keinem praktischen Ergebnis. Dies lag in erster Linie daran, weil die größten Wissenschaftler nicht bereit waren, die konkrete personelle Verantwortung vor der deutschen Regierung für den Bau der Atombombe zu übernehmen. Die gleiche Vorsichtigkeit zeigten auch die offiziellen Leiter des Uranprojektes Gerlach und Diebner. Das war einer der wichtigsten Gründe dafür, dass die Deutschen zu keinem Ergebnis kamen. Einige Schritte der Leiter, vor allem Diebner, die Arbeit der parteilosen Spezialisten strenger zu kontrollieren, führten nicht zum Erfolg. Diebners unmittelbare Verantwortung blieb auf Kummersdorf beschränkt. Sein dortiges Labor litt unter Mangel an Fachkräften, die Teilerfolge hätten verallgemeinert werden können. Nach der Niederlage sind die größten A-Physikern in die westlichen Besatzungszonen gegangen. Dorthin wurden auch die meisten Materialien evakuiert.“1093
1093 Mitgeteilt von Dr. Rainer Karlsch, der diese und anderen Unterlagen bei den Recherchen für Hitlers Bombe in Moskau fand.
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Alles in allem hatte die 4. Sonderabteilung des NKWD die Struktur, den Stand, die beteiligten Personen und ihre wissenschaftlichen Leistungen, die einbezogenen Einrichtungen, die Gründe des Scheiterns des deutschen Uranvorhaben usw. wesentlich genauer erfasst und beurteilt, als die US-amerikanische Mission „Alsos“. Dennoch blieb der sowjetische Bericht hinter den tatsächlichen Ereignissen zurück. Auch in Hinblick auf die Rolle und den Einfluss Diebners irrte sich der General. Zusätzlich muss man berücksichtigen, dass Kraftschenkow die beiden GRU-Berichte zu den thüringischen Tests nicht kannte, in die schon im Mai 1945 Kurtschatow Einblick nehmen konnte (vgl. Kapitel 9).1094 Eine besondere Vorgehensweise der sowjetischen Behörden, sich ab 1945 die deutschen wissenschaftlichen und technologischen Erkenntnisse anzueignen und sie vor allem für die Fortentwicklung der Rüstungsindustrie zu nutzen, bestand in der Bildung von Konstruktionsbüros (KB) in der SBZ. Der Vorschlag dazu kam Anfang August vom Bevollmächtigten des Sonderkomitees für Deutschland, M. S. Saburow (Saburov). Zu bemerken ist allerdings, dass zu diesem Zeitpunkt bereits etwa 1.000 deutsche Fachleute für sowjetische Stellen tätig waren. Marschall G. K. Schukow (Zukov), Oberster Chef der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) und Oberkommandierender der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland, erließ am 4. August 1945 einen Befehl „Über die Organisation zur Nutzung der deutschen Technik durch die Industrie der UdSSR“. Daraufhin entstand eine größere Anzahl von Konstruktionsbüros und Laboratorien, die von der SMAD, einzelnen Volkskommissariaten oder Ministerien betreut wurden. In ihnen arbeiteten unter sowjetischer Anleitung und Kontrolle deutsche Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker. Sie rekonstruierten insbesondere Waffenmuster, bauten sie nach, fertigten dazu komplette Zeichensätze und führten auch Tests durch.1095 Die wohl größte und wichtigste Einrichtung dieser Art war das Mitte 1945 gegründete „Institut Rabe“ (Rabe = Raketenbau und -entwicklung). Seine Aufgabe bestand im Transfer der deutschen Raketentechnik in die Sowjetunion. Anfang 1946 wurden diese Bemühungen durch einen Beschluss des Zentralkomitees der KPdSU aktiviert. Aus dem „Institut Rabe“ gingen zwei gesonderte Forschungseinrichtungen hervor: „Institut Nordhausen“ und „Institut Berlin“. Beide waren dem Ministerrat der UdSSR, Komitee Nr. 2 (Raketenentwicklung) unterstellt und wurden unmittelbar geführt vom Bevollmächtigten des Sonderkomitees beim Ministerrat der UdSSR in Deutschland. Der Zweck des „Instituts Berlin“ war die „Wiederherstellung der deutschen Fla-Raketen und der Panzerabwehrrakete“. Sitz des Instituts waren die Gebäude der ehemaligen „Gesellschaft für elektro-akustische und 1094 Zu den zwei Berichten der sowjetischen Militäraufklärung GRU vgl. Karlsch: Hitlers Bombe, 220–222. bzw. Kapitel „Kernphysik’“. 1095 Vgl. insb. Mick: Forschen für Stalin, 42–65; Johannes Bähr: Das Oberspreewerk – ein sowjetisches Zentrum für Röhren- und Hochfrequenztechnik in Berlin (1945–1952), in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 39 (1994) Heft 3, 145–165; Wolfgang Mühlfriedel: Einige Bemerkungen zu den Technischen Kommissionen und den Technischen Büros sowjetischer Volkskommissariate in der Ostzone, in: Christoph Buchheim (Hg.): Wirtschaftliche Folgelasten des Krieges in der SBZ/DDR, Baden-Baden 1995, 131–140.
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III. Schicksale
mechanische Apparate (GEMA)“ in Berlin-Schöneweide. Das hatte zudem den Vorteil, dass die deutschen Beschäftigten als ihre Arbeitsstelle unbedenklich „GEMA“ angeben konnten. Die interne Bezeichnung „Institut Berlin“ blieb selbst ihnen weitgehend unbekannt. Neben zwei größeren Gruppen, die sich mit der Rekonstruktion der Raketen „Wasserfall“, „Schmetterling“ und „Rheintochter“ befassten, existierten eine Reihe von Sonderabteilungen bzw. selbstständigen Abteilungen. Deutscher Leiter der „Wissenschaftlich-theoretischen Abteilung“ wurde Prof. Alfred Klose, der dem sowjetischen Leiter M. K. Prokowski unterstand. Unter der Führung von V. V. Alexandrow (Aleksandrov) arbeitete in der Abteilung Nr. 15 Dr. Wolf Trommsdorff. Aufgabe dieser Abteilung war u. a. die Rekonstruktion der reaktiven Gleitbombe „He-274“. Trommsdorff selbst leitete in der Abteilung 15 eine Forschergruppe, die sich mit Feststoff getriebenen Boden-Boden-Raketen beschäftigte. Die Rekonstruktion seiner eigenen Schöpfung, des nach ihm benannten „Trommsdorff-Geschosses“, war der Abteilung 4 zugewiesen worden. Als sowjetischer Leiter ist N. A. Sudakow (Sudakov) bekannt. Für den Nachbau des Panzerabwehr-Lenkflugkörpers X 7 „Rotkäppchen“ war ein gesondertes Technisches Büro zuständig, geführt von B. B. Abramow (Abramov). Aus einem sowjetischen „Verzeichnis über Mitarbeiter des Institut Berlin“ geht außerdem hervor, dass auch Prof. Erich Habann seit Juli 1946 hier eine neue Aufgabe gefunden hatte. Er arbeitete in der Abteilung Nr. 7 „Funk- und Funkmesstechnik“. Deutscher Leiter war Dipl.-Ing. Josef Eitzenberger, der schon ab 20. Mai 1945 in sowjetischen Diensten stand.1096 Unter welchen Umständen Habann, Klose und Trommsdorff von den Sowjets verpflichtet wurden, konnte nicht geklärt werden. Offiziell entließ die Universität Berlin Klose, der Ende Januar 1944 das KVK II. Klasse erhalten hatte, am 29. Dezember 1945 wegen seiner Mitgliedschaft in der NSDAP. Nach eigenen Angaben war Klose zu diesem Zeitpunkt bereits „Abteilungsleiter in der GEMA, Berlin-Köpenick, sowjetisches Forschungsinstitut“. Möglicherweise wurde man auf Klose durch eine Liste mit 13 Wissenschaftlern aufmerksam, die zwar nicht am Uran-Projekt beteiligt waren, jedoch „wichtiges Material hierzu liefern können“. Klose zu finden war einfach, da seine Wohnanschrift: Wilhelmshorst (bei Potsdam), auf einer Liste genau notiert war.1097 Er erinnerte sich während seiner neuen Tätigkeit, eventuell auf sowjetisches Drängen hin, an den ehemaligen Angehörigen der Studentenkompanie Hasso Döring, der bei ihm im Sommer 1943 ein mathematisches Praktikum absolviert hatte und den er im März 1945 zur Diplomarbeit „Messung der Ausbreitungsgeschwindigkeiten von Verdichtungsstößen und Schwaden in Flüssigkeiten“ prüfte. Nach den Kämpfen Ende April 1945 in Kummersdorf und der dabei erlittenen Verwundung mit nachfolgendem Aufenthalt in einem Kriegslazarett in Wünsdorf flüchtete Döring mühselig zu Fuß nach Thüringen. Bei Schleusingen geriet er in amerikanische Gefangenschaft, wurde aber schon am 7. Juni 1945 nach Schleusingen 1096 Uhl: Stalins V-2, 91–102, insb. Strukturbild: 97 und Liste: 267. 1097 Liste in Austria 2 (wie Anm. 1085). Auf dieser Liste standen auch Thiessen und der Mathematiker Prof. Bieberbach, Universität Berlin.
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entlassen, wo er sich als Lehrer seinen Unterhalt verdiente. Nach vorheriger Absprache zwischen Klose und Döring holte ihn ein Jahr später ein sowjetischer Offizier nach Berlin. Am 17. Juli 1946 wurde Döring als Referent in Kloses Abteilung eingestellt. Seine Aufgabe bestand in der Dokumentierung der Thermodynamik der Rakete „Wasserfall“ wie Brennstoffe, Brennstoffzufuhr, Mischung, Zündung und Verbrennung. Am Rande arbeitete er ähnlich zur Rakete „Schmetterling“. Klose mobilisierte einen weiteren Angehörigen der Studentenkompanie für das „Institut Berlin“: Rolf Stange. Ebenso wie Döring hatte Stange noch im März 1945 seine Diplomprüfung absolviert und war in Mitteldeutschland kurzeitig in US-Gefangenschaft geraten. Stanges Tätigkeit in Kloses Abteilung betraf Themen der Gasdynamik und allgemeinen Mechanik. Außerdem untersuchte er Probleme der Ballistik der Rakete „Wasserfall“ wie Flugbahnberechnung, Einflüsse auf die Flugbahn, Flugbahnänderungen oder Zielansteuerung.1098 Mit der berüchtigten Operation „Osoaviachim“ vom 21./22. Oktober 1946, bei der 2.552 deutsche Spezialisten zusammen mit 4.008 Familienangehörigen gewaltsam in die UdSSR verbracht wurden, gelangten auch Habann, Klose und Trommsdorff in die Sowjetunion. Habann gehörte zu einer etwa 200 Personen starken Gruppe deutscher Fachleute, die in Frajzino (Gebiet Moskau) im Werk N II 160 eingesetzt wurden. Sie stammten größtenteils aus den Berliner Betrieben von Telefunken und AEG, 15 kamen aus dem „Institut Berlin“. Das Werk N II 160 unterstand dem Ministerium für Kommunikationsindustrie (MPSS) und hatte die Aufgabe, Entwicklungen zur Röhrentechnik, Elektronik, Radar- und Hochfrequenztechnik durchzuführen. Ende 1951 lief Habanns Vertrag ab. Er wurde in die DDR entlassen und kehrte nach Berlin-Hessenwinkel zurück, wo er sich 1936 ein Haus in der Lindenstraße 48 hatte bauen lassen. Habann arbeitete dort als selbständiger Wissenschaftler und hielt u. a. Vorlesungen an der Berliner Humboldt-Universität.1099 Klose kam auf die Insel Gorodomlia im Seeligersee, wo eine ziemlich große Gruppe von Deutschen ihre Arbeit zur Raketenentwicklung aufnahm. Er leitete dort einen „kleinen Sektor für Spezialprobleme der Ballistik“. Im Juni 1952 entließ man Klose in die DDR. Kurze Zeit fungierte er an der Universität Rostock als Dekan der Naturwissenschaftlichen Fakultät. Bald darauf, am 21. Februar 1953, verstarb er in Wilhelmshorst.1100 1098 PA Klose, AHUB, Bestand Phil. Fak. K, Nr. 163 a; Mitteilung Dr. Hasso Dörings vom 2. und 27. Januar 2003; Unterlagen von Prof. Werner Luck zu ehemaligen Angehörigen der Studentenkompanie; Dissertation Rolf Stanges vom 14. Juli 1959, Lebenslauf. 1099 Mitteilung des Suchdienstes des DRK München vom 9. November 2005; BAB, Karteikarte Habann, in: DO 1/34.0/34661 „Spezialistenkartei“; Gespräche mit Frau Springborn am 9. September und 9. Oktober 2006; Günter Nagel: Pionier der Funktechnik. Das Lebenswerk des Wissenschaftlers Erich Habann, der in Hessenwinkel lebte, ist heute fast vergessen, in: Märkische Oderzeitung, Beilage Brandenburger Blätter vom 15. Dezember 2006, 9; zum Werk N II 160 vgl. Mick: Forschen für Stalin, 101, und an anderen Stellen. 1100 Uhl: Stalins V-2, insb. 132–139; PA Klose (wie Anm. 1098); Werner Albring: Gorodomlia. Deutsche Raketenforscher in Russland, hg. von Hermann Vinke, Hamburg 1991; Mitteilung Werner Albrings vom 7. Mai 2003; Jürgen Michels, Jochen Werner (Hg.): Luftfahrt
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Zur Tätigkeit Trommsdorffs in der Sowjetunion wurde bekannt, dass er dem Konstruktionsbüro (KB) Nummer 3 des Ministeriums für Landmaschinenbau zugeordnet war. Dort arbeitete eine Gruppe von 16 deutschen Technikern und Ingenieuren unter der Führung des Ing. Schaadt an der Entwicklung von mit Feststoff getriebenen Geschossen der Typen RPG 1 und RPG 2, des landgestützten Flugkörpers 10XN und des seegestützten Flugkörpers 15XM. Prototyp für RPG war die deutsche „Panzerfaust“, für die Flugkörper die deutsche Flügelrakete V-1. Die Abteilung wurde geleitet von Samuil Ljubowitsch Fridmann (1922–1993). Ein Konstrukteur des KB-3, Anatolij Petrovic Ersen’ev, erinnerte sich 2002: „Das KB-3 wurde eigens für die Auswertung der deutschen Erfahrungen bei der Entwicklung und Erprobung von Raketengeschossen gegründet. In den Jahren 1945–46 war, wie mir erzählt wurde, in Deutschland eine Kommission tätig, welche die entsprechenden Materialien untersuchte und die zugänglichen und erhalten gebliebenen Firmen, Startvorrichtungen und Übungsplätze besuchte. Ursprünglich wurden auch Mitarbeiter in das Konstruktionsbüro abkommandiert, die an diesen Arbeiten beteiligt waren. 1947 wurden Fachleute der verschiedensten Richtungen mit ihren Familien und ihren Habseligkeiten nach Krasnoarmejsk gebracht. Sie bildeten den Kern der schöpferischen Expertenteams in den jeweiligen Abteilungen. Zum Leiter der deutschen Expertengruppe wurde Dr. Erhard ernannt, doch kam er bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Daher wurde die Leitung der Arbeiten dem Stellvertreter Erhards, Dr. Trommsdorff, übertragen. Da es sich um eine kinderreiche Familie handelte, wurde ihr eine große Finnenhütte zugewiesen. Zur gleichen Zeit traf die Ausrüstung für das Konstruktionsbüro ein: Zeichengeräte diverser deutscher Konstruktionen, neue hell-gelbe Zeichentische mit Schubfächern für Zeichnungen im Format A 1, Hüllen für Instrumente, bequeme, bewegliche, regulierbare Bürostühle mit gefederten Rückenlehnen. Auch ein Teil der Werkbänke für die mechanische Abteilung traf ein, auch von deutschen Firmen hergestellt. Schließlich stießen auch unsere Fachleute zu uns – erfahrene Leute aus der Produktion und den Konstruktionsbüros, aber auch junge Absolventen unserer Hochschulen sowie erfahrene und frisch ausgebildete Arbeiter. In den ersten 2 bis 2,5 Jahren existierten im KB gemischte Abteilungen. Darin arbeiteten deutsche und unsere Fachleute gemeinsam an einer bestimmten Thematik. Für die deutschen Experten wurden Bedingungen geschaffen, die man als solche der „Meistbegünstigung“ bezeichnen könnte. Sie durften sich frei bewegen und sich ungehindert unterhalten, so auch mit der einheimischen Bevölkerung, benutzten die kommunalen Dienstleistungseinrichtungen, konnten nach Moskau fahren. Ihre Kinder besuchten die Schule 2: nicht ohne Erfolg, noch 1952–54 waren an der Ehrentafel für die Kinder, die die Schule mit Auszeichnung abgeschlossen hatten, die Namen der Trommsdorff-Töchter zu lesen. In den Abteilungen herrschte eine für die damalige Zeit unglaubliche ,Demokratie‘: Man durfte am Arbeitsplatz rauchen, Zeitungen lesen, zweimal am Tag wurde Tee gereicht. 1948 wurde jedoch klar, dass das KB die in seine Tätigkeit gesetzten Hoffnungen der obersten Führung nicht zu erfüllen vermochte. Daher wurde die Entscheidung getroffen, das Konstruktionsbüro zu reorganisieren. Die deutschen Fachleute wurden in einer gesonderten Abteilung zusammengefaßt, die an einem, ,von oben‘ vorgegebenen Thema arbeiteten. Parallel dazu wurden drei Abteilungen aus ,unseren‘ Leuten gebildet die sich auf bestimmte Bereiche spezialisierten. In ,unseren‘ Abteilungen ging die Demokratie damit zu Ende.“1101
Ost 1945–1990. Geschichte der Deutschen Luftfahrt in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ), der Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), Kapitel „Raketenkonstrukteure auf Gorodomlia“, Bonn 1994, 55–94. 1101 Schriftliche Mitteilung Prof. Dr. Vladimir N. Mineevs 2006 an Rainer Karlsch, der dem Autor Kopien zur Verfügung stellte. Vgl. auch Mick: Forschen für Stalin, 159 f.
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Trommsdorff, der am 23. Juni 1952 mit seiner Familie – Frau und sechs Kinder – in die DDR entlassen wurde, flüchtete am 14. Oktober 1952 nach Westberlin. In der BRD nahm er auf dem ihm bestens vertrauten Gebiet des Staustrahlantriebes eine Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt e. V. (DVL) an. Ab 1969 war er bis zu seinem altersbedingten Ausscheiden Abteilungsleiter beim Institut für angewandte Gasdynamik in Porz-Wahn. Er schrieb zahlreiche Beiträge für die „Berichte der DVL“, z. B. über Versuche an Mehrstoßdiffusoren (Nr. 44) oder zum Überdruckwindkanal in Aachen (Nr. 471). Dazu kamen Aufsätze über Raumfahrt und Waffentechnik in „Wehrkunde“ und „Luftfahrttechnik“ ebenso wie Vorträge auf wissenschaftlichen Tagungen.1102 Über seine Tätigkeit in der UdSSR äußerte er sich einmal 1960 knapp: „Die Erfolge, die die Kriegstechnik der Sowjets im Kalten Kriege seit 1950 und vor allem im Raketenwettrennen der letzten drei Jahre erzielt hat, beruhen nicht auf Erkenntnissen und Fortschritten, die dem Westen verschlossen wären, sondern auf der Kunst der Sowjets, die Technik zu führen und ihre Erkenntnisse und technischen Fortschritte mit höchster Wirkung zweckmäßig einzusetzen. Ich war von 1946 bis 1952 auf einem russischen Raketenschießplatz tätig und habe an technischen Einsatzbesprechungen teilgenommen. Die dabei behandelten technischen Einzelheiten waren ohne Bedeutung und sind heute längst überholt. Von größtem Interesse aber war die Verfahrensweise, mit der die Entwicklung angefaßt wurde. Für die Arbeitsweise der Sowjets charakteristisch ist, daß sie nur unter Auswertung der deutschen Erfahrungen 1950 das Projekt für eine einstufige Mittelstreckenrakete mit 3.000 km Reichweite entwickelt hatten. Dabei waren in dem Projekt keine Konstruktionselemente, Erfindungen oder neue wissenschaftliche Erkenntnisse verarbeitet, die nicht schon 1945 in der deutschen Raketenentwicklung im Prinzip bekannt gewesen wären. Lediglich die zielbewußte Entwicklung einzig und allein auf einen geringen Konstruktionsfaktor hin war für den Erfolg entscheidend.“1103
Trommsdorff betätigte sich nach dem Krieg in der BRD auch als Erfinder und meldete mehrere Patente an, z. B. 1973: „Windgetriebene, an Wasseroberfläche gefesselte Fahrzeuge“ (Nr. 2.313.644). Erstaunlich sind zwei andere Patente: „Verfahren zur Erzielung hoher Temperaturen und Drücke“ (1955, Nr. 1.269.751) und „Verfahren zur Freisetzung von Kernenergie“ (1955, Nr. DE 3.039.909 A 1) – erstaunlich deshalb, weil keine entsprechenden vorausgehenden Forschungen Trommsdorffs auf diesem Gebiet bekannt sind und in der BRD bis 1955 auch nicht erlaubt waren. Die Frage drängt sich auf, ob er eventuell in der Sowjetunion entsprechende Kenntnisse erlangte. Döring und Stange wurden von der Verschleppungsaktion im Oktober 1946 verschont, offenkundig wegen ihrer noch geringen wissenschaftlichen Erfahrungen. Beide blieben in sowjetischen Diensten, zuerst bei einer nicht näher bezeichneten Einrichtung in Karlshorst und danach, bis Ende April 1948, beim sowjetischen „Wissenschaftlich-technisches Büro Geräte“ ebenfalls in Berlin. Ihr Ar1102 Vgl. u. a. Wolf Trommsdorff 65 Jahre, in: Zeitschrift für Flugwissenschaften 17 (1969) Heft 6, 313; Beiträge von Trommsdorff in: Weltraumfahrt 7 (1957) Heft 2, 32–38; Luftfahrttechnik 5 (1959) Heft 2, 46–48. Der DVL-Bericht Nr. 100 (1959) enthält ein Verzeichnis der bis dahin veröffentlichten Arbeiten Trommsdorffs. 1103 Wolf Trommsdorff: Führung im technischen Krieg, in: Wehrkunde 9 (1960) Heft 5, 22– 234, insb. 229.
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beitsgegenstand war im Wesentlichen der gleiche wie der beim „Institut Berlin“. Döring promovierte 1951 an der TU Berlin (Westberlin) Prof. Ivan N. Stranski und Stange 1959 an der Humboldt-Universität zu Berlin (Ostberlin) bei Prof. Robert Havemann.1104 Man fragt sich natürlich, was in einem jungen Menschen vorgegangen sein mag, der im April 1945 in Kummersdorf auf Leben und Tode gegen sowjetische Panzer kämpfte und ein Jahr später in einem sowjetischen Konstruktionsbüro deutsche Waffentechnologie rekonstruierte. Zu dieser Frage äußerte sich Döring auf Bitte des Autors, allerdings mit dem Abstand vieler Jahre: „Ich habe die Aufforderung, für eine sowjetische Dienststelle zu arbeiten, ganz nüchtern betrachtet. Für mich war es ein Arbeitgeber wie jeder andere auch. Darüber hinaus fielen zwei Dinge ganz besonders ins Gewicht: Zum einen hatte ich zu Klose schon immer ein gutes Verhältnis und zu Stange freundschaftliche Beziehungen, so daß ich nicht in eine total fremde Umgebung kam. Zum anderen war es nicht meine Absicht, im Schuldienst in Schleusingen zu bleiben, und da kam mir der Absprung zurück nach Berlin gelegen. Schließlich war ich mit damals 26 Jahren auch noch recht flexibel. Die Arbeitsatmosphäre bei den sowjetischen Dienststellen war stets höflich und korrekt. Es war ein sehr angenehmes und sachliches Arbeitsklima. Allerdings hat es so gut wie keine privaten Kontakte gegeben, dazu waren allein schon die sprachlichen Barrieren zu hoch.“1105
Etliche Angehörige von WaF, darunter auch Studenten, gerieten in sowjetische Gefangenschaft, so Dr. Karl-Heinz Köhler (bis 1947), Dipl.-Physiker Konrad Hartmann und Hans Mertens (beide bis 1948). Alle verschwiegen in der Gefangenschaft ihre Tätigkeit bei der Forschungsabteilung. Nach Dr. Curt Wolfschlag suchten die Russen noch 1948. Ihm gelangt auf Grund von Hinweisen die rechtzeitige Flucht nach Westberlin.1106 Die sowjetischen Kommandos fahndeten auch nach jenen Wissenschaftlern, die mit WaF bzw. dem HWA zusammengearbeitet hatten. Das betraf z. B. Prof. Paul Günther, der zuletzt an der Universität Berlin das Physikalisch-Chemische Institut (unterstellt OKW W Wiss) leitete, Anfang April 1945 gerade noch einen Verlagerungstransport in den Harz erwischte und dort kurz in amerikanische Gefangenschaft geriet. Ihm wurde über Fachkollegen mitgeteilt: „Die russischen Behörden haben außerordentliches Interesse an den Arbeiten Ihres Instituts während des Krieges. Mitarbeiter wurden streng verhört“.1107 Ein anderer Wissenschaftler, der nicht nur für WaF, sondern auch für andere Wehrmachtsteile Aufgaben der Grundlagenforschung erledigte, war der schon mehrfach genannte Prof. Johannes Picht von der WTF der TH Berlin. Er gründete nach 1945 ein eigenes Institut für Forschung, Entwicklung und Unterricht in Physik, Mathematik und Optik. Dazu arbeitete er eng mit den Rathenower Optischen Werken (ROW) sowie dem „Büro für Kinematographie“ (ein sowjetisches KB in Berlin) und der deutschen Außenstelle der Akademie der Wissenschaften der
1104 Mitteilung Dörings und Lebenslauf Stanges (wie Anm. 1098). 1105 Mitteilung Dörings, ebd. 1106 Lebensläufe in Dissertationen, nach 1945 geschrieben; Mitteilungen Lucks und Frau Magda Wolfschlags. 1107 PA Prof. Paul Günther, AHUB, Phil. Fak., G 252.
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UdSSR zusammen. 1949 erhielt er eine Professur an der damaligen Brandenburgischen Landeshochschule.1108 Von kaum geringerer Bedeutung als die deutschen Uran- und Raketengeheimnisse dürfte für die sowjetischen Trophäenjäger der Stand der Kampfstoff-Forschung gewesen sein. Aufschluss darüber erhielten sie nach der Einnahme des Seewerkes Falkenhagen, mit der Beschlagnahme von Dokumenten, die in den Stollen des Kalkbergwerkes Rüdersdorf lagerten, vor allem aber durch Pflücke und Thiessen. Pflücke, dem während des Krieges u. a. die sichere Verwahrung von „kriegswichtigen Dokumentationen“ in den Stollen der Rüdersdorfer Kalksteinbrüchen oblag, und der eng mit Dr. Erich Pietsch von der Abteilung Wissenschaft im OKW zusammen gearbeitet hatte (vgl. Kapitel 4) und zur Sicherung des Vorhabens Rüdersdorf in ständigem Kontakt mit SS-Obersturmbannführer von Kielpinski (SD, III, Ref. Presse) stand, stellte sich den sowjetischen Behörden sofort bereitwillig zur Verfügung. Prof. V.A. Kargin vom Moskauer Karpow-Institut beauftragte ihn namens der SMAD, die erneute Herausgabe des „Chemischen Zentralblattes“ vorzubereiten. Dies fand auch die Zustimmung Thiessens. Parallel dazu setzte das Ministerium für Chemische Industrie der UdSSR Pflücke als Leiter einer bibliographischen Gruppe im „Technischen Büro“ dieses Ministeriums in Berlin-Weißensee ein. 1949 bekam Pflücke eine Professur an der Humboldt-Universität zu Berlin, 1951 den Nationalpreis der DDR für Wissenschaft und Technik. Seine Zugehörigkeit zur NSDAP, die Mitgliedschaft in verschiedenen anderen Gliederungen der NSDAP sowie seine „kriegswichtige“ Tätigkeit während der NS-Zeit, verbunden mit Kontakten zur SS, zum SD usw., waren offenbar keine Gründe, die gegen eine Einbeziehung Pflückes sprachen.1109 Es kann berechtigt angenommen werden, dass Pflücke die sowjetischen Behörden über die Verlagerungsvorgänge und den Wert der Rüdersdorfer Bestände unterrichtete.1110 1108 Joachim Kleber: Johannes Picht zum 60. Geburtstag, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Pädagogischen Hochschule Potsdam 3 (1957) Heft 1, 1 f. 1109 PA Pflücke ABBAW und AHUB; Ernst Hermann: Probleme und Aktivitäten bei der Wiederherausgabe des „Chemisches Zentralblatt“ (CZ) nach der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945. Die Einstellung seiner Herausgabe mit dem 140. Jahrgang im Jahre 1969, Dissertation, 16. Februar 1975, Berliner Akademie der Wissenschaften der DDR, 12. Zu Pietsch und Pflücke berichtete Pjotr I. Nikitin in: Zwischen Dogma und gesundem Menschenverstand. Wie ich die Universitäten der Deutschen Besatzungszone „sowjetisierte“. Erinnerungen des Sektorenleiters Hochschulen und Wissenschaft der sowjetischen Militäradministration in Deutschland, Berlin 1997 (= Edition Bildung und Wissenschaft, 6): zu Pflücke 148 f, 242, 255, zu Pietsch 255–257. Nach dieser Darstellung wandte sich Pflücke 1945 mit der Bitte an die SMAD, ihm bei der Rückführung der in der sowjetischen Zone befindlichen Teile der Redaktion der CZ nach Berlin behilflich zu sein, was auch geschah. Nikitin kam 1945 auch mit Pietsch in Kontakt. In der späteren Zusammenarbeit mit Pflücke sowie bei Begegnungen mit Pietsch in Wien (1959) und der BRD (1961, Besuch des Gmelin-Instituts) kam die Tätigkeit der beiden deutschen Wissenschaftler während der NS-Zeit nicht zur Sprache. Offenkundig blieben ihre Rolle bei der OKW W Wiss, die Beteiligung an der wissenschaftlichen Ausplünderung besetzter Gebiete, die Unterstützung der Rüstungsforschung usw. dem sowjetischen Autor verborgen. 1110 Darauf machte bereits 1978 der DDR-Historiker Olaf Groehler: Der lautlose Tod, Berlin (Ost), 1984, 329 aufmerksam. Er musste sich dabei jedoch einer sehr verklausulierten For-
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Dass sich in den Rüdersdorfer Stollen tatsächlich die hochgeheimen deutschen Forschungsunterlagen zu Kampfstoffen befanden, geht aus Angaben des Nobelpreisträgers Prof. Richard Kuhn hervor. Der Chemiker war einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Nervenkampfstoffe. Seine Arbeitsgruppe war etabliert am KWI für medizinische Forschung in Heidelberg und untersuchte vor allem die biochemischen Wirkungsmechanismen der äußerst tödlichen Gifte Tabun und Sarin. Dabei wurde 1944 eine noch schrecklichere Substanz entdeckt, der mit nichts Bekanntem zu vergleichende Nervenkampfstoff Soman. Die betreffenden Unterlagen waren so wichtig, dass sie im Herbst 1944 von Offizieren der Abteilung Wa Prüf 9 persönlich aus Heidelberg weggebracht wurden. Als die Amerikaner am 30. März 1945 Heidelberg eingenommen hatten, war Kuhn sofort bereit US-Chemiespezialisten über die von ihm erzielten Fortschritte zu informieren. Er teilte seinen Gesprächspartnern mit, dass die geheimen Dokumente zusammen mit der Spezialbibliothek der Deutschen Chemischen Gesellschaft in Rüdersdorf eingelagert wurden. Kuhn beriet mit den Amerikanern sogar, wie man eventuell an die Materialien in Rüdersdorf herankommen könne, was natürlich angesichts der sowjetischen Besetzung der Stadt im April 1945 völlig illusorisch war. Anfang September 1945 hatte Kuhn für die US-Behörden einen ausführlichen Gedächtnisbericht zur Entdeckung des Somans fertig gestellt. Bei einem weiteren Gespräch, diesmal mit britischen Experten, meinte Kuhn, er habe „dank der Nachforschungen eines in Potsdam ansässigen ehemaligen Geschäftsführers der Deutschen Chemischen Gesellschaft [= Pflücke, G. N.] in Erfahrung gebracht, das der sowjetische Chemiewaffenspezialist V. A. Kargin das in Rüdersdorf ... eingelagerte Heidelberger Forschungsmaterial gesichtet und an das Karpov-Institut nach Moskau weitergeleitet hatte“.1111
Mit hoher Wahrscheinlichkeit setzte auch Thiessen die Sowjets detailliert über die geheime deutsche Kampfstoff-Forschung ins Bild. Sein Gesprächspartner in Berlin war vor allem der sowjetische Oberst Prof. Kargin.1112 Zur Abrundung dieser Thematik sei darauf verwiesen, dass General Hermann Ochsner, Chef der Nebeltruppen beim OKH und eifriger Verfechter eines Gaskrieges, eine ausführliche Denkschrift über die deutschen Arbeiten zu Kampfstoffen für das US-Army Chemical Corps verfasste.1113 Sich dem Drängen der Sowjets zur Zusammenarbeit entziehen zu wollen, konnte 1945/46 böse Folgen haben! Georg Graue, zuletzt Leiter der Kriegswirtschaftsstelle im RFR, weigerte sich Ende Mai 1945 kategorisch, für die Sowjetunion zu arbeiten. Wenige Tage später wurde er deswegen verhaftet und in das berüchtigte NKWD-Lager Ketschendorf bei Fürstenwalde, heute Ortsteil von Fürstenwalde, verschleppt. Erst Ende 1947 wurde er entlassen. Details seines Leimulierung bedienen, die der ideologischen Indoktrination der historischen Forschung in der DDR geschuldet war. 1111 Ebbinghaus, Roth: Vernichtungsforschung (wie Anm. 984), insb. 46. Vgl. zu Kuhn auch Ute Deichmann: Kriegsbezogene biologische, biochemische und chemische Forschungen (wie Anm. 797), insb. 245–257. 1112 Eibl: Thiessen, insb. 200–217. 1113 Ausführlich zu Ochsner Groehler: Der lautlose Tod, insb. 355.
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densweges sind bereits publiziert.1114 Noch härter als Graue traf es Wilhelm Zeyss, den wir bereits als Mitarbeiter des HWA bzw. Leiter der Sonderkommission Feststoffraketen im Speer-Ministerium kennen gelernt haben. 1945 wurde er als „Ingenieur für Rekonstruktion“ zur Mitarbeit bei der GEMA in Oberschönewiede herangezogen. Er hatte drei sowjetische KB zu betreuen, bei der Hasag in Leipzig und bei der Wasag in Wittenberg-Elbe. Im Herbst 1946 verlangten seine sowjetischen Partner von ihm die Übernahme der deutschen Leitung eines „gemeinsamen Deutsch-Sowjetischen Waffenamtes“. Man gab ihm drei Tage Bedenkzeit. Zeyss lehnte jedoch „aus Gewissensgründen“ ab. Am 4. Februar 1947 erfolgte in Berlin seine Festnahme durch den sowjetischen Geheimdienst. Nach tagelangen Folterungen verurteilte ihn ein sowjetisches Militärtribunal in Berlin zu 10 Jahren Zuchthaus. Die „Strafe“ verbüßte Zeyss zunächst im ehemaligen KZ Sachsenhausen und danach in der DDR-Strafvollzugsanstalt in Torgau. Nach sieben Jahren begnadigte ihn im Januar 1954 das Oberste Gericht der UdSSR. Seine Rehabilitierung erfolgte erst im März 1996 durch die Militäroberstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation.1115 Das Schicksal der von WaF genutzten Forschungsstellen und der anderen Einrichtungen gestaltete sich unterschiedlich. Im Mai 1945 hatten sowjetische Beutekommandos auch die Räume des II. PI inspiziert. Alle noch vorhandenen Geräte und Ausrüstungen, die für militärische Forschungen nutzbar schienen, wurden beschlagnahmt. Die Anordnung der SMAD zur Wiedereröffnung der Berliner Universität, die ab Februar 1949 Humboldt-Universität hieß, betraf auch die Physikalischen Institute. Die Vorarbeiten dafür leistete Prof. Christian Gerthsen, der letzte Direktor des I. Physikalischen Instituts. Zum Direktor des II. PI, das gleichzeitig mit der Wiedereröffnung der Universität am 29. Januar 1946 seine Tätigkeit aufnahm, wurde der Industriephysiker Robert Rompe berufen. Er führe das II. PI bis zum November 1967. Unter seiner Leitung suchte man sogleich nach dem von Schumann ausgelagerten Inventar, das u. a. nach Lebus und Gernrode gelangt war. Ein Teil davon konnte in der Domäne Reifenstein/Thüringen gefunden werden. Diese Apparaturen waren am 14. April 1946 wieder in Berlin. Eine andere Spur führte in den Bayrischen Wald, wo man „in einem Schloss“ (wahrscheinlich Zandt) 6 Kisten aufstöberte. Sie enthielten „vor allem optisches Material, u. a. 27 Linsen, einige Planparallele Platten, ein Fabry-Perot, einen kleinen Hohlspiegel, Schwingquarze, optische Bänke und Reiter, eine Kleine Röntgenapparatur und eine Pfeiffer-Pumpe …, für das völlig mittellose Institut von unschätzbarem Wert“.
Nach „zähem Kampf um die Freigabe“ kam diese Ausrüstung nach Berlin zurück.1116
1114 Nagel: Atomversuche, Kapitel „Lebenswege nach 1945“. 1115 Schriftliche Berichte von Dipl. Ing. Wilhelm Zeyss, Oberst (Ing.) i. R., vom 28. April 1999 und 22. Oktober 1990. Zeyss lebte seit seiner Entlassung ab 1954 in der BRD, zuletzt in Pfronten/Ostallgäu. Von 1954 bis 1957 arbeitete er als Spezialist bei der belgischen Firma UMAL/Antwerpen zu „Ionenstrahlgeschossen“. 1116 Reiner Link: Das II. Physikalische Institut der Humboldt-Universität zu Berlin, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin, Math.-Nat. Reihe 1983, 609–
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III. Schicksale
Zu Schumanns Nachfolger als Leiter des II. PI an der Berliner Universität sind einige Bemerkungen geboten: Prof. Dr. Robert Rompe, seit 1932 Mitglied der KPD, wirkte von 1930 bis 1945 als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Studiengesellschaft für elektrische Beleuchtung der Osram KG. In dieser Eigenschaft bekam er Einblick in zahlreiche Themen der NS-Rüstungsforschung (auch die von WaF) und arbeitete mit bedeutenden Gelehrten zusammen, z. B. mit TimoféeffRessovsky und Riehl. Zum HWA bestanden gute Kontakte. Zweifellos hatte er auch Kenntnis von Schumanns sprengphysikalischen Arbeiten am II. PI. Ob er dazu bei der Übernahme seines neuen Amtes Dokumente vorfand, dürfte sehr fraglich sein. Erstaunlich ist jedoch, dass Rompe Anfang der fünfziger Jahre mit Arbeiten zur Kernfusion begann. Er veranlasste eigens dafür eine Institutsgründung, die als „VEB Physikalische Werkstätten Berlin-Rahnsdorf“ getarnt und später dem neu geschaffenen Ministerium für Nationale Verteidigung der DDR unterstellt wurde. Zuletzt setzte man die Kernfusionsforschung in Falkenhagen mit dem Versuchsgerät „Sphärotron“ fort.1117 Vers. Gottow, ebenso Vers. Ost, Vers. N, Vers. West und die anderen Einrichtungen in Kummersdorf wurden von sowjetischen Trophäenbrigaden gründlich inspiziert. Fast alle technischen Anlagen wurden abgebaut und in die Sowjetunion transportiert. Was übrig blieb „sicherten“ sich die Einwohner der umliegenden Dörfer. Nach der Demontage wurden die meisten Anlagen und Gebäude der Versuchsstellen gesprengt. Unabhängig davon ging die Suche nach ehemaligen Mitarbeitern von WaF, die Auskünfte über deren geheime Arbeiten geben konnten, weiter. Daran beteiligten sich auch deutsche Stellen, wie die im Kapitel 7 erwähnte Befragung Krügers zu „hochexplosiven flüssigen Sprengstoffen“ beweist.1118 Auch die Baulichkeiten und Anlagen des Seewerkes Falkenhagen wurden genauestens in Augenschein genommen. Im „Rechenschaftsbericht über die Arbeit
627, insb. 612. Auch Dr. Hans-Joachim Gollmick bestätigte die Rückführaktion nach Berlin. Mitteilungen vom 21. September 2005 und 29. Januar 2006. 1117 Günter Nagel: Sprengstoff- und Fusionsforschung an der Berliner Universität: Erich Schumann und das II. Physikalische Institut, in: Karlsch, Petermann (Hg.): Für und Wider, 229– 260, insb. 255–260. Dort auch ausführliche Angaben zu Rompe, ebenso bei Link: Das II. Physikalische Institut (wie Anm. 1116). Es entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, dass sich Rompe wohl bewusst war, welche Beschränkungen der Alliierte Kontrollrat 1945 zu Forschungen auf den Gebieten Angewandte Atomphysik/Aero- und Hydrodynamik verfügt hatte, die bis 1955 in Kraft waren. Darauf wies Rompe viele Jahre später selbst ausdrücklich hin. Robert Rompe: Objektive und subjektive Bedingungen für die Forschung und Ausbildung nach der Zerschlagung des Faschismus, in: Derselbe, Joachim Auth, Ernst-Joachim Gießmann, Peter Nötzold (Hg.): 30 Jahre Physik in der DDR. Beiträge von Mitgliedern der Physikalischen Gesellschaft der DDR – Ausarbeitungen und Dokumente, Berlin 1979, 10, ND in: Peter Nötzold, Kurt Werner (Hg.): Ausgewählte Vorträge und Aufsätze von Robert Rompe, Berlin 1980, S. 1–10. Bereits Stange: Die Genese, insbes. 36, hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass zu Rompe eine Studie, die „zweifellos sehr lohnend“ sei, noch aussteht. 1118 Zum Ende der Heeresversuchsstelle Kummersdorf u. a. Nagel: Atomversuche, 255 f.; Fleischer: Heeresversuchsstelle Kummersdorf, 186.
21. Nachkriegsjahre, Nachkriegskarrieren
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der Militärabteilung der SMAD für die Zeit 1. 7. 1945 bis zum 1. 1. 1947“ wurde eine ausführliche Beschreibung des Objektes gegeben. Darin heißt es u. a.: „Für den Bau der unterirdischen Trichlorfluorid-Anlage wurde von Hochleistungsbaggern eine riesige Baugrube von 18 m Tiefe ausgehoben. Aus Stahlbeton wurden vier Etagen geschaffen, die die Fabrikhallen beherbergen. Die Mächtigkeit der Wände und Decken erreichte teilweise 2,5 Meter. Abgesehen von der Stahlbetonanlage lag über der Fabrik in Falkenhagen noch eine 2 m dicke Erdschicht, die zu Tarnzwecken mit Bäumen bepflanzt wurde. Der Betrieb hatte einen Eingang in Form eines Tunnels, der durch einen aufgeschütteten Hügel verlief und über eine Bahnlinie verfügte. Die unterirdischen Fabriketagen waren über einen Aufzug miteinander verbunden. Die Fabrik besaß einen unterirdischen Kesselraum, ein Filtersystem gegen die Einwirkung von chemischen Waffen und eine Hochleistungsbelüftungsanlage. Bis Kriegsende war die Sarinanlage noch nicht fertig.“1119
Auch hier wurden die ober- und unterirdischen Anlagen, Maschinen, Ausrüstungen, Laboreinrichtungen demontiert und, was sonst noch für die sowjetischen Kommandos von Belang war, beschlagnahmt. Danach stellte sich die Frage, was mit den Baulichkeiten des Objektes geschehen solle. Zuerst nutzten es die Sowjets als „Trophäenlager Werk Falkenhagen“. Schon Mitte 1946 befanden die zuständigen deutschen kommunalen Behörden, dass die „Fläche 130 mal 800 m = 1 Million m2 mit Wasserversorgung, Energieanschluss, Wohnraum“ sich hervorragend eignet, um Werkstätten für Landmaschinenbau, Lager für Altstoffe, eine Großmühle, Lokomotivschuppen und andere nützliche Dinge zu errichten. Sogar an eine Nutzung im Zusammenhang mit der Wiedererschließung von Braunkohlegruben bei Treplin und Petershagen wurde gedacht. Gemäß SMAD-Befehl vom 17. Oktober 1946 über die Nutzung ehemaliger Militärobjekte wurden dafür sehr detaillierte Pläne (40 Blatt) erarbeitet. Als Anfang 1947 bekannt wurde, dass die Sprengung der unterirdischen Räume erfolgen sollte, schlugen deutsche Fachleute vor, diese Teile des einstigen Seewerkes nach den im Bergbau üblichen Spülverfahren zu verschlemmen. Die schlimme Hochwasserkatastrophe im Odergebiet im Frühjahr 1947 war Anlass, die auf Eis gelegten Pläne nochmals dringlich vorzutragen. Doch es kam anders: Am 15. Juli 1948 erfolgte die offizielle Enteignung des Betriebsvermögens der einstigen Monturon-Werke. Die sowjetische Besatzungsmacht übernahm die betreffenden Betriebe, darunter Falkenhagen. Jahre später bauten die sowjetischen Militärs dieses Objekt zu einem Einsatzgefechtsstandes der Warschauer Vertragsstaaten aus.1120 Zu den vielen Fragen über die Vorgänge beim Einmarsch der sowjetischen Truppen 1945 gehört auch die nach dem Verbleib des geheimen Militärschrifttums, so der Forschungsberichte von WaF, der Geheimdissertationen am II. Physikalischen Institut bzw. der WTF der TH Berlin oder anderer Hochschulen/Universitäten. All diese Dokumente wurden im RKM verwahrt. Obwohl die dazu gehörten Zeitzeugen übereinstimmend auf diverse deutsche Vernichtungsaktionen hinwiesen, ist kaum vorstellbar, dass sämtliche Unterlagen davon betrof-
1119 Zitiert bei Zakharov: „Wir halten es für nötig“ (wie Anm. 1083), 90. 1120 Akte Werk Falkenhagen, BLHA, Rep. 206 Ministerium für Wirtschaft und Arbeit, Nr. 282, Rep. 204 A Ministerium der Finanzen, Nr. 2874; Hofmann: Objekt „Seewerk“.
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III. Schicksale
fen waren. Eine wichtige Spur nannte zu Beginn der neunziger Jahre ein russischer Autor. Er berichtete erstmals über General L. M. Gaidukow (Gajdukov) von der Hauptverwaltung Artillerie der Roten Armee, der 1945 zum Chef einer Sondereinheit ernannt wurde, die sich die Technologie der deutschen Raketentechnik aneignen sollte. Am 29. September 1945 eilte der General aufgeregt nach Moskau. Im Vorzimmer von Malenkow lieferte er einen Bericht über eine außergewöhnliche Beute ab, nach der die Geheimdienstkommandos intensiv gefahndet hatten. In dem Rapport hieß es kurz und knapp: „Eine Gruppe von Experten, die zu der von mir gebildeten Kommission für die Sammlung und Auswertung von Material zu deutschen Raketen angehören, hat das Zentrale Militärtechnische Archiv der deutschen Wehrmacht gefunden. Dieses Archiv haben wir seit langem gesucht. Nach uns vorliegenden Informationen war das Archiv mit einem aus 30 Waggons bestehenden Sonderzug unter SS-Bewachung in die Tschechoslowakei abtransportiert worden. Entsprechende Nachforschungen blieben jedoch ohne Erfolg. Das Archiv wurde auf dem Prager Bahnhof gefunden … Wir haben alle Maßnahmen zur Bewachung des Archivs getroffen … Das Archiv ist für uns natürlich von großem Interesse und sehr wertvoll. Ich bitte um Genehmigung, das Zentrale Militärtechnische Archiv der Wehrmacht schnell nach Moskau überführen zu dürfen und mit den interessierten Dienststellen einen Verteilungsplan vorzubereiten.“
Schon zwei Tage später wurde der Beschluss gefasst, das einmalige Archivgut in die sowjetische Hauptstadt zu bringen.1121 In der DDR waren Fragen zu diesem Thema tabu. Aber auch bundesdeutsche Archivare, die hartnäckig Recherchen zum Schicksal des Schriftgutes der staatlichen Verwaltung, der Wehrmacht und der NSDAP betrieben, kamen über Vermutungen, was der Sowjetunion 1945 in die Hände gefallen war, kaum hinaus.1122 Erstmals wurde der Öffentlichkeit die Existenz eines Sonderarchivs in Moskau 1990 bekannt, in dem bedeutende Bestände zusammengefasst sind, die die Rote Armee erbeutet hatte. Ein Großteil von ihnen ist militärischer Herkunft. Seit 1992 ist das „Sonderarchiv“ nahezu uneingeschränkt zugänglich, jedoch erst ansatzweise erschlossen. Neben diesem „Sonderarchiv“ existieren in mehreren russischen Archiven geheime „Spezialbestände“, die für die Forschung leider weiterhin gesperrt sind. Welche Angaben darin zu WaF, OKW W Wiss, II. PI usw. enthalten sind, bleibt ungewiss. Aber diverse Hinweise besagen, dass es entsprechende Informationen gibt, z. B. über die Arbeiten am Trommsdorff-Geschoss. Erschwerend kommt hinzu, dass es 1945/46 gängige Praxis sowjetischer Behörden war, erbeutete Geheimdokumente auf die unterschiedlichsten Ministerien und
1121 Knyschewski: Moskaus Beute, 103 f. 1122 Vgl. u. a. Heinz Boberach: Das Schriftgut der staatlichen Verwaltung, der Wehrmacht und der NSDAP aus der Zeit von 1933 bis 1945. Versuch einer Bilanz, in: Der Archivar 22 (1969), 137–157; Josef Henke: Das Schicksal deutscher zeitgeschichtlicher Quellen in Kriegs- und Nachkriegszeit. Beschlagnahme – Rückführung – Verbleib, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 30 (1982), 557–620.
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andere Einrichtungen zu verteilen, soweit sie am Transfer deutscher Waffentechnologie beteiligt waren.1123
Westzonen/BRD Ebenso wie ihre östlichen „Kollegen“ waren auch die einschlägigen Dienste der drei westlichen Alliierten außerordentlich stark an den deutschen Militärgeheimnissen und deren Urhebern interessiert. Mehrere Geheim-Missionen der Amerikaner, Briten und Franzosen befassten sich damit. Dazu gehörten vor allem Alsos sowie BIOS (British Intelligence Objektives Sub-Commitee), CIOS (Combined Intelligence Objektives Sub-Comitee) und FIAT (Field Information Agency, Technical). Ihr Operationsgebiet erstreckte sich nicht nur auf die drei westlichen Besatzungszonen, sondern umfasste ganz Westeuropa und griff auch darüber hinaus.1124 Die Suche durch Alsos, eine Sondereinheit des US-Geheimdienstes, galt vor allem der Frage: Wie weit waren die Deutschen mit ihrem Uranprojekt gekommen? Aufschlussreiche Einzelheiten hatten die Nachforschungen im besetzten Paris, in Straßburg sowie an anderen Orten ergeben. In Hechingen setzten die Amerikaner den berühmten Kernphysiker Werner Heisenberg zusammen mit etlichen Kollegen fest. In Haigerloch fanden sie den Reaktorbehälter vom letzten Versuch B VIII, schweres Wasser und Uranmetall. Beim Vormarsch in Thüringen fielen ihnen in Stadtilm Berkei und Hartwig in die Hände samt diverser Unterlagen und noch vorhandenen Materials aus der letzten Arbeitsstätte der Diebner-Gruppe. Nach dem Abzug der Amerikaner aus Thüringen trafen sowjetische Kommandos in Stadtilm ein, die – wie bereits beschrieben – Berkei und Hartwig vernahmen. Die Suche der Amerikaner in Garmisch-Partenkirchen nach den dorthin verbrachten Uranvorräten erfolgte nicht besonders intensiv. Der größte Teil konnte zwar sichergestellt werden. Der Rest gelangte jedoch bald in die Hände windiger Geschäftemacher, die damit zwischen 1946 und 1947 in und um Garmisch-Partenkirchen einen schwunghaften Handel begannen. Es war dies der Stoff für mehrere filmreife Kriminalfälle, die in den folgenden Jahren die Besatzungsbehörden und deutsche Dienststellen gleichermaßen in Atem halten sollten.1125 Die in Garmisch-Partenkirchen eingerichtete Außenstelle der Universität Köln, wo ab 1943 1123 Vgl. u. a. Kai v. Jena, Wilhelm Lenz: Die deutschen Bestände im Sonderarchiv in Moskau, in: Der Archivar 45 (1992), 457–468; Götz Aly, Susanne Heim: Das zentrale Staatsarchiv in Moskau („Sonderarchiv“). Rekonstruktion und Bestandsverzeichnis verschollen geglaubten Schriftguts aus der NS-Zeit, Düsseldorf 1992; Stefan Creuzberger, Ruud Veltmeijer: Forschungsarbeit in Moskauer Archiven. Ein Erfahrungsbericht, in: Osteuropa 43 (1993), 271–279. 1124 Vgl. u. a. Bower: Verschwörung Paperclip, 98–110; Eckert: Kampf um die Akten, 41–46; Michael J. Neufeld: Overcast, Paperclip, Osoaviakhim. Plünderung und Transfer deutscher Militärtechnologie, in: Detlef Junker (Hg.): Die USA und Deutschland im Zeitalter des Kalten Krieges, 1945–1990. Ein Handbuch, Stuttgart/München 2001, Bd. 1, 303–316. 1125 Manuel Brückl, Kameramann und Filmautor aus Grainau, hat diese Vorfälle akribisch recherchiert und Einsicht in sein unveröffentlichtes Manuskript gewährt.
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III. Schicksale
eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Prof. Kirchner am Uran-Projekt mitwirkte, wurde offenkundig von Alsos nicht sonderlich behelligt. Kirchner notierte am 22. September 1945, dass es während der Besetzung einige kleine Schäden und Verluste gab, aber der wertvolle Bestand an Apparaten, Materialien, Maschinen usw. erhalten blieb. Die örtliche Militärregierung als „jetziger Eigentümer des Grundstückes“ habe „die weitere Benutzung der Ausweichstelle bis zum Rücktransport des Instituts gestattet“ und auch den Rücktransport genehmigt. Ob und inwieweit Kirchner und seine Mitarbeiter von den Amerikanern befragt wurden, ist unbekannt, ebenso was mit den Teilen der in Garmisch eingelagerten schweren Teile der Hochspannungsanlage geschah.1126 Im Gegensatz zu ihren im Osten verbliebenen Mitarbeitern wurden Diebner, Gerlach und die anderen „Uranarbeiter“ durch Alsos nur oberflächlich vernommen. Man verzichtete offenbar deshalb auf eingehende Befragungen, weil die USA bereits im Besitz der A-Bombe waren. Mit neuen Erkenntnissen wurde kaum gerechnet. Zur Sicherheit „begnügte“ sich Alsos in Abstimmung mit dem britischen Partner, die Gespräche der in Farm Hall internierten Wissenschaftler abzuhören.1127 So blieb ihnen, genauso wie dem sowjetischen Geheimdienst, der Versuch G VI in Kummersdorf verborgen. Auch von den Ereignissen in Thüringen – den zwei Tests – erfuhren sie nichts. Was den westlichen Alliierten jedoch schon ab Sommer 1945 auffiel und ihnen bald gewaltig ins Auge stach, waren die unverkennbaren Anstrengungen der Sowjets, sich der deutschen Kernforscher, ihrer Arbeitsergebnisse und Forschungsapparaturen zu bemächtigen. Man registrierte auf US-amerikanischer Seite genau, welche „Vertreter der Wissenschaft in russischer Hand sind“ und wo sich die andern führenden Kernphysiker befanden. Im September 1945 erfuhren die Amerikaner, dass angeblich „eine Sonder-Kommission deutscher und russischer Wissenschaftler im Hauptquartier zu Karlshorst eingesetzt und tätig“ sei. Auch Hinweisen, „daß die russischen Arbeiten zur Erforschung der Atombombe mit Hilfe deutscher Wissenschaftler und unter Benutzung deutscher Laboratorien und deutscher Forschungsergebnisse energisch weitergeführt würden“,
ging man nach. Im Mittelpunkt des Interesses standen Thiessen – vor allem wegen seiner Kenntnisse zur Kampfstoff-Forschung – und die Aktivitäten Havemanns als neuer Präsident der KWG. Auch die Rolle Mentzels als Chef des Amtes Wissen-
1126 Bericht Kirchners vom 22. September 1945 über die Tätigkeit des Physikalischen Instituts, S. 4, UA Köln, Bestand Zug. 44/466; Helmuth Trischler: Luft- und Raumforschung in Deutschland 1900–1970. Politische Geschichte einer Wissenschaft, Frankfurt/M./New York 1992, der ebenfalls kurz zu den Aktivitäten von CIOS berichtet, weist darauf hin, dass seit Februar 1945 sieben Institute der DVL in Süd- und Südwestdeutschland von der „Außenstelle in Garmisch verwaltet wurden“ (298). Auch eine große Gruppe von Raketenspezialisten war unter Leitung von Wernher von Braun in die deutschen Alpen ausgewichen. Nach allem zu urteilen, standen diese Personenkreise im Mittelpunkt der US-Interessen. 1127 Hoffmann: Operation Epsilon.
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schaft im REM sowie Schumanns – irrtümlich als Direktor des I. Physikalischen Instituts bezeichnet – fanden starke Beachtung. Wörtlich hieß es in einem Bericht: „Prof. Schumann äußerte etwa 1944, daß das Problem der Uran-Bombe gelöst sei. Die Bombe soll an einem Fallschirm abgeworfen werden. Die Zündvorrichtung sei in technisch einfacher Form gelöst worden. Hierzu diene eine Neutronenquelle. Prof. Schumann sagte aber zugleich, daß es bisher nicht gelungen sei, das Uran zum explosiven Spontanzerfall zu bringen.“1128
Im November 1945 wurden US-amerikanische Dienststellen in einem Bericht „Deutsche Wissenschaftler und Materialien im Besitz der Sowjet-Union zur Konstruktion der Atombombe“ (Verfasser unbekannt) erneut über Schumann informiert, gemeinsam mit Mentzel. Ergänzt war dies durch die Bemerkung: „Prof. Thiessen als Angehöriger des Kreises des Heereswaffenamtes und des SD um Prof. Schumann“. Weiter hieß es: „Wo der nicht minderwichtige Prof. Schumann z. Zt. lebt, konnte nicht festgestellt werden“. Außerdem wurden – ohne Einzelheiten – die „Arbeiten des Heereswaffenamtes auf dem Schießplatz Kummersdorf“ erwähnt.1129 Wesentlich intensiver als zu den Uranarbeiten verliefen die Recherchen zu den anderen Geheimnissen der deutschen Waffenforschung und -entwicklung. Dabei kam Amerikanern, Franzosen und Briten entgegen, dass sich die meisten Angehörigen von WaF und der anderen Abteilungen des HWA, einschließlich der von ihnen einbezogenen Wissenschaftler an Hochschulen, Universitäten usw., rechtzeitig in Richtung Westen abgesetzt hatten. Und sie waren alle sehr kooperativ und berichteten bereitwillig über ihre Forschungen! Die Vorgänge in und um Schloss Kranzbach, von denen schon zu lesen war, belegen es anschaulich, ebenso wie das oben geschilderte Verhalten von Prof. Richard Kuhn. Außerdem gelang es den westlichen Alliierten die Akten des RFR (nahezu vollständig), große Teile der Bestände des Speer-Ministeriums und viele andere geheime Forschungsberichte zu beschlagnahmen. Die Vermerke auf den in den siebziger Jahren an deutsche Archive zurückgegeben Unterlagen belegen deren intensive Auswertung.1130 An einigen Beispielen soll gezeigt werden, wie die westlichen Verbündeten nach und nach zu ihren Erkenntnissen kamen: Einen ersten Überblick zur Tätigkeit des HWA, seiner Aufgabenstellung, Gliederung, personellen Besetzung, Arbeitsweise und Ergebnissen ergab ein Verhör eines im November 1944 gefangen genommenen Majors Linck. Er berichtete, jedoch nicht immer zutreffend, über die „Amtsgruppe für Entwicklung und Prüfwesen“ und machte einige Angaben zu
1128 Bericht Erwin Respondeks vom 6. November 1945: Deutsche Wissenschaftler und Materialien im Besitz der Sowjetunion zur Konstruktion der Atom-Bombe, mit 2 Anlagen und Nachtrag vom 18. November 1945, sowie nicht datierte Ergänzungen, National Archives (NARA) Washington, RG 226, Ent: 210, Box 465. Vgl. auch Wolfgang Ebsen: Der Interrogations-Report des Rudolf Zinsser. Warum der amerikanische Präsident Ende 1944 nicht nach London flog, in: Karlsch, Petermann (Hg.): Für und Wider, 155–180, insb.163 f. 1129 Ebd. 1130 Eckert: Kampf um die Akten.
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WaF.1131 Wesentlich genauer und detaillierter war der geheime Rapport Nr. 37 vom 5. September 1945, der vor allem auf der Vernehmung des Generalleutnants Richard John, 1944 Chef von Wa Prüf, beruhte. John gab Auskünfte über Schumann, Basche und Eschenbach und erwähnte auch die Ablösung Schumanns durch Plas. Von den Forschungen im Bereich WaF I unter Basche verwies der General auf das Atomvorhaben, die ballistischen Arbeiten sowie die Forschungen zu Explosivstoffen und zur Hohlladung. In diesem Zusammenhang nannte er auch Vers. Gottow und das II. PI.1132 Der internierte Osenberg recherchierte im Auftrag der westlichen Alliierten und fertigte für sie zahlreiche Gutachten. Diese betrafen vor allem die Organisation der deutschen Forschung, die Arbeit des RFR, des HWA und die von anderen militärischen Einrichtungen betriebenen Forschungsprojekte, einschließlich der einbezogenen Partner. Er „erhielt den Auftrag, zusammen mit einigen Kollegen einen ‚Almanach‘ der deutschen Wissenschaftler anzulegen. Acht Monate später hatte er auf unzähligen Karteikarten 15.000 Namen mit genauen Angaben über ihre Forschungsgebiete und Qualifikationen erfaßt. Daraus wählten die Amerikaner mit Osenbergs Hilfe am Ende die tausend Besten aus, denen daraufhin eine bevorzugte Behandlung … zuteil wurde, um einer möglichen Anwerbung durch die Sowjets entgegenzuwirken.“1133
Wertvolle Angaben lieferte Geist bei seinen Vernehmungen im Lager „Dustbin“ (Mülltonne) in Kransberg, z. B. zu den Themen Hohlladung, Düsengeschütz, Raketengeschosse, Kampfstoff- und Ultrarot-Entwicklung.1134 Oberst Dr. Walter Hirsch, unter dessen Leitung die „Arbeitsgemeinschaft Blitzableiter“ zur Forschung nach biologischen Waffen gestanden hatte, informierte die Amerikaner ausführlich über die deutschen Aktivitäten in Sachen biologischer Waffen. Später erweiterte er seinen so genannten Hirsch-Report durch diverse Ausführungen zu den ihm bekannten analogen sowjetischen Arbeiten. Ausführliche Ergänzungen lieferte der BW-Experte Kliewe. Er war im April/Mai in Tutzing von US-amerikanischen Geheimdienstoffizieren verhaftet worden.1135 1131 Geheimreport vom 7. Januar 1945, NARA, Washington, RG 498, Ent: 203, Box 7, insb. Bl. 4. Eine Kopie dieses Dokumentes wurde freundlicherweise von Rainer Karlsch zur Verfügung gestellt. 1132 Geheimreport Nr. 37 vom 5. September 1945: Befragung Generalleutnant Johns, NARA, Washington, RG 498, Ent: 249, Box 69, insb. S. 8 f. 1133 Koch, Wech: Deckname Artischocke, 46. Die von Osenberg durchgeführten Recherchen sind u. a. in zahlreichen Akten des BAB, Bestand RFR (R 26/III) dokumentiert. Hermann: Projekt Paperclip, weist auf weitere Listen hin, die zu deutschen und österreichischen Wissenschaftlern angefertigt wurden (259–261). Die im Internet veröffentlichte Liste „Objective List of German and Austrian Scientists (1.600 Scientists). Joint Intelligence Objectives Agency, 2. 1. 1947“ verzeichnet über 120 Akteure dieses Buches. 1134 Vernehmung Geists in Dustbin, NARA, RG 319, Ent: IRR, Box 58, Bl. 6 ff. 1135 Erhard Geißler: Die Rolle deutscher Biowaffenexperten in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg (erweiterte Fassung eines Vortrages auf der Tagung „Die universitäre Medizin nach 1945. Institutionelle und individuelle Strategien im Umgang mit der Vergangenheit“, Gießen, 5.–7. Oktober 2005. Prof. Geißler ist für eine Kopie seines Vortrages zu danken, im Druck in: Sigrid Oehler-Klein, Volker Roelcke (Hg.): Vergangenheitspolitik in der univer-
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Natürlich war man auch an den Wissenschaftler von WaF stark interessiert. So wurde beispielsweise Bodlien, der sich zuletzt auf dem Versuchsplatz Hillersleben aufhielt, „kurz vor der russischen Besetzung durch die englische Einheit ‚TForce‘ nach Bad Gandersheim gebracht“.1136 Sachsse, der in Vers. Gottow u. a. an der Hohlladungsforschung beteiligt war, hielt sich ab 1946 mit Familie bei Bielefeld auf. 1947 holten ihn die Briten (Mission BIOS) für sieben Wochen nach England, um ihn über seine Tätigkeit während des Krieges zu befragen. Sie machten ihm ein Angebot, in Südafrika tätig zu werden. Sachsse lehnte dies jedoch ab.1137 Ein englisches Fahndungsteam erarbeitete am 28. Februar 1946 einen ausführlichen Bericht zu den Flussspatgruben in Stulln und zum Seewerk Falkenhagen. Darin hieß es u. a.: „Dr. Glupe, der offensichtlich ein guter Kenner der Fluorchemie ist, gab uns einige spezielle Hinweise zu der Anlage in Falkenhagen. Er sagte, daß die Zeichnungen zu dieser Anlage vorher von der ‚Amerikanischen Mission‘ weggeschafft worden sind.“
Glupes Aussagen ermöglichten den Engländern eine ziemlich genaue Rekonstruktion des Herstellungsverfahrens von N-Stoff.1138 Intensiv wurde, vor allem durch die Engländer, nach Schumann gesucht. Ihm gelang es jedoch, sich zunächst zu verbergen. Erst später gab er sich ihnen zu erkennen (ausführlich Kapitel 22). Von erheblicher Bedeutung waren auch die FIAT-Berichte (nicht zu verwechseln mit der FIAT-Mission), die namhafte deutsche Wissenschaftler zwischen 1946 und 1947 für die westlichen Alliierten schrieben und die in über 80 Bänden in deutscher Sprache veröffentlicht wurden. Heisenberg, Wirtz u. a. Kernphysiker lieferten für diese Reihe Beiträge über die Uranversuche, Schardin und Werner Döring über Hohlladung und Detonationsvorgänge, Strecke über mathematische Innenballistik, Schaffernicht über Ultrarot, Walther und Dreyer über mathematische Geräte. Diese Ausarbeitungen enthalten – wie im Teil II „Experimente“ an verschiedenen Stellen gezeigt – zahlreiche Angaben über die Forschungen von WaF und die daran beteiligten Wissenschaftler. Einen ersten Überblick zu den deutschen wehrwissenschaftlichen Forschungen während der NS-Zeit gab Ende der vierziger Jahre Leslie E. Simon mit seinem Buch „German Research in World War II“. Er konnte dafür Einblick in zahlreiche von Alsos usw. erbeutete Dokumente nehmen, z. B. in das schon mehrfach zitierte Schreiben Osenbergs an Geist über die Inspektion 1944 in der Vers. Gottow. Auf dieser Grundlage beschrieb er verschiedene Forschungskomplexe von WaF, ging auf Schumann ein und berichtete über die Arbeiten an der TAL und in Peenemünde. Zugleich setzte er sich in
sitären Medizin nach 1945. Institutionelle und individuelle Strategien im Umgang mit dem Nationalsozialismus, Stuttgart 2007 (= Pallas Athene, 22), S. 97–120. 1136 Lebenslauf Bodlien (o. D., wahrscheinlich 1952), BA-MA, NL 625/79, Buchstabe B. 1137 Mitteilung seiner Tochter Kriemhild Helmetage vom 23. Oktober 1998; Auszüge aus BIOS-Verhörprotokollen vom August 1947, IfZ, SI, ED, Bl. 31694 f. 1138 BIOS-Finalreport No. 261 vom 28. Februar 1946 „Hydrofluorid Acid-Vereinigte Flußspatgruben GmbH Stulln“, ITEM No. London 1946, auszugsweise in deutscher Übersetzung wiedergegeben bei Hofmann: Objekt „Seewerk“, 80–84.
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seiner Einschätzung mit der Organisation und den Widersprüchen der deutschen Forschungen unter der Führung des RFR auseinander.1139 Ein großartiger Coup, der weitreichende Folgen haben sollte und verblüffende Einsichten zur Kontinuität von Rüstungsforschung vermittelt, gelang im Frühjahr/Sommer 1945 den Franzosen in Württemberg. In den letzten Kriegsjahren war ein Teil der TAL von Berlin-Gatow nach Biberach an der Riß verlagert worden. Dort traf Ende Mai der Chef des Ballistischen Instituts der TAL, Hubert Schardin – Anfang 1945 noch schnell zum Bevollmächtigten des RFR für ballistische Forschungen ernannt und mit dem Ritterkreuz des Kriegsverdienstkreuzes mit Schwertern dekoriert –, mit dem französischen Militäringenieur Pierre Fayole zusammen. Man verhandelte, wie unter den gegebenen, für die Deutschen doch recht dramatischen Umständen das wissenschaftliche Potential des Instituts Schardin erhalten werden könne.1140 Der französische General Cassagnon soll die Idee gehabt haben, in einem stillgelegten Fabrikgebäude von Saint-Louis (nahe am Rhein, nördlich bei Basel) eine neue, gemeinsame Forschungsstelle für Ballistik einzurichten. Wohnen sollten die deutschen Mitarbeiter in Weil am Rhein, gelegen auf der deutschen Seite des Flusses. Schon Mitte August 1945 war alles unter Dach und Fach. Schardin trat mit ca. 40 seiner ehemaligen Mitarbeiter in den Dienst des französischen Verteidigungsministeriums und wurde zugleich Leiter der deutschen Gruppe. Unterstellt waren die Wissenschaftler der „Direction des Études et Fabrikations d’Armement (DEFA)“. Ihnen wurde ein großer Teil der Geräte, Apparaturen und der Bibliothek des ehemaligen Instituts Berlin-Gatow zur Verfügung gestellt. Am 1. August 1945 begann der Aufbau des Instituts, dem jetzt schon etwa 95 deutsche Kräfte angehörten. Es erhielt den Namen „Laboratoire de Recherche Technique de Saint-Louis (LRSL), 1959 umbenannt in „Deutsch-Französisches Forschungsinstitut Saint-Louis (ISL)“.1141 Gleichsam nahtlos wurden die Forschungen, die in Berlin-Gatow zur Hohlladung, zur Ballistik, zu Detonationsvorgängen, zur Röntgenblitztechnik, zu Bild1139 Leslie Earl Simon: German Research in World War II. An analysis of the Conduct of Research, New York/London 1947, 2. Aufl. New York 1951. 1140 In einer Untersuchung aus dem Jahre 1995 macht Ulrich Albrecht darauf aufmerksam, dass den Franzosen „an geschlossenen Arbeitsgruppen von Waffenfachleuten“ gelegen war. Er nennt acht verschiedene Teams, die nach 1945 für Frankreich arbeiteten. Insgesamt schätzt er die Zahl der für Frankreich tätigen deutschen Rüstungsexperten auf knapp 500: Ulrich Albrecht: Rüstungsfragen im deutsch-französischen Verhältnis 1945–1955, in: Dokumente – Zeitschrift für den deutsch-französischen Dialog 51 (1995) Heft 6, 448–453, 52 (1996) Heft 2, 140–146; vgl. auch Maier: Forschung als Waffe, 680–686, zu den französischen Bemühungen, deutsche Metallforscher für die Luftfahrtforschung zu gewinnen. 1141 Festschrift 25 Jahre Deutsch-Französisches Forschungsinstitut Saint-Louis 1959–1984, hg. vom ISL, Saint-Louis 1984; Hans-Eberhard Caspary: Nachruf „Hubert Schardin. Das Schicksal einer Generation“, in: Jahrbuch der Wehrtechnik 1/1966, 19–22; Richard Emil Kutterer: Das Deutsch-Französische Forschungsinstitut Saint-Louis ISL, in: Jahrbuch der Wehrtechnik 3/1968, 36–42. Die von Albrecht: Rüstungsfragen (wie Anm. 1140) und Caspary genannten Jahreszahlen sowie die Anzahl der 1945 in Saint-Louis tätigen Personen weichen erheblich voneinander ab. Der Darstellung hier Buch liegen die Angaben von Caspary zugrunde.
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wandlern für Kurzzeitaufnahmen und anderen Themen erfolgt waren, in SaintLouis wieder aufgenommen und weiterentwickelt. Schardin vermerkte dazu: „Die wissenschaftlichen Arbeiten wurden anfangs ausschließlich von den deutschen Kräften getragen. Die französischen Mitarbeiter waren entweder Verwaltungsangestellte oder Hilfskräfte“.1142 Seine Entscheidung, für die Franzosen tätig zu werden, sah Schardin gänzlich emotionslos und ausgesprochen „praktisch“: „Was die wissenschaftlichen Ergebnisse betrifft, so ist es völlig unerheblich, wo wir arbeiten, wenn wir nur die Möglichkeit und die Mittel bekommen. Es gibt weder eine speziell deutsche Physik, noch eine speziell französische, wie es einige Male in den letzten Jahren behauptet wurde. Die Ergebnisse, die für militärische Zwecke eingesetzt werden können, werden in erster Linie dem französischen Staat dienen. Inzwischen bin ich überzeugt, daß es keine Meinungsverschiedenheit mehr zwischen der deutschen Regierung und dem französischen Volk geben wird.“1143
Schardin war von Beginn an bestrebt, für die neue Forschungsstätte die besten Wissenschaftler zu gewinnen. Er lenkte deshalb schon bei den ersten Gesprächen die Aufmerksamkeit seiner französischen Partner auf den kleinen Ort Ummendorf bei Biberach. Hierher hatte man im Frühjahr 1944 die Mathematischen Institute der TH Aachen und der TH Karlsruhe verlagert. Wenige Tage nach der Besetzung von Ummendorf erschienen auf Veranlassung Schardins französische Spezialisten, denen bald Experten der englischen und amerikanischen Streitkräfte folgten. Sie alle studierten sehr aufmerksam die Einrichtung sowie deren Gerätschaften und ließen sich Filme über ballistische Arbeiten vorführen. Die Franzosen beschlagnahmten das gesamte Inventar und „legten den Angestellten nahe, im französischen Auftrag zu arbeiten“.1144 Trotz eines Verbotes der französischen Behörden, den Kreis Biberach zu verlassen, waren Ende Juni 1945 die beiden Mathematik-Professoren Robert Sauer und Wilhelm Fucks verschwunden. Die Amerikaner hatten sie für sich abgeworben. Einige Engländer, die ähnliche Absichten verfolgten, setzte der französische Orts-Kommandant vorübergehend fest. Prof. Heinrich Pösch, der zusammen mit Sauer den Forschungsauftrag von WaF zur Schaffung einer Universal-Integriermaschine realisiert hatte, entschied sich anders. Er nahm im August 1945 eine Anstellung bei Schardin an und leitete bis 1956 bei ihm die Rechenabteilung.1145 Ein anderer Experte, der nach Weil am Rhein kam, war Rudi Schall. Er galt auch außerhalb des HWA als einer der erfolgreichsten Wissenschaftler der Forschungsabteilung: „Dies war auch der Grund, weshalb H. Schardin nach dem Krieges alles daran setzte, R. Schall für das neue Institut in Saint-Louis zu gewinnen. Er konnte den Engländern und Ame1142 Caspary: Nachruf Schardin (wie Anm. 1141), 20; Jacques Pergent: Das deutsch-französische Forschungsinstitut Saint-Louis, in: Wehrkunde 4 (1965), 201–205. 1143 Michael Fahlbusch: Wissenschaft im Dienste der nationalsozialistischen Politik? Die „Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften“ von 1931–1945, Baden-Baden 1999, 29. 1144 PA Sauer und Bösch, UA TH Aachen. 1145 Ebd. Aus der Verlagerung nach Ummendorf erklärt sich auch, warum die Forschungsberichte zur Integriermaschine (vgl. Kapitel 11) unter den Bezeichnungen UM Nr. 723 und 723/2 registriert wurden.
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III. Schicksale rikanern, die sich ebenfalls um R. Schall bemühten, zuvorkommen und ihn ab Sommer 1946 nach Saint-Louis verpflichten. In den folgenden Jahren intensiver Forschungsarbeit verfasste Schall den größten Teil seiner über 70 Publikationen aus der Detonik, der Stoßwellen- und Röntgenphysik.“
1965 erhielt Schall die Berufung als kommissarischer Leiter der Wissenschaftsabteilung der NATO in Paris und beriet den Generalsekretär der NATO in Wissenschaftsfragen. Nach Frankreichs vorübergehendem Ausscheiden aus der NATO ging Schall in gleicher Eigenschaft nach Brüssel. Als 1969 der damalige Direktor des ISL, der deutsche Ballistiker Prof. Dr.-Ing. Richard E. Kutterer, in den Ruhestand verabschiedet wurde, trat Schall dessen Nachfolge an.1146 Die französische Zeitung „L’Express“ berichtete 1999 zu Schall, er sei an der Entwicklung der französischen Atombombe beteiligt gewesen, wofür er sein Fachwissen über Sprengköpfe und Zündmaterialien eingebracht habe. Wegen seiner früheren Mitgliedschaft in der NSDAP habe der französische Verteidigungsminister den Vorschlag, Schall ebenso wie alle anderen Beteiligten an diesem Vorhaben auszuzeichnen, nicht bestätigt.1147 Auch Schardin soll an den Arbeiten zur französischen Atombombe beteiligt gewesen sein.1148 Mitarbeiter des ISL wurden auch zwei ehemalige Doktoranden Schumanns: Freiwald und Hensel.1149 Nach und nach stießen weitere Mitarbeiter des früheren HWA zur Mannschaft des ISL so die Ballistiker Dr.-Ing. Hellmuth Mohlitz, Dr. H. Oertel und der schon erwähnte Kutterer. Auch ein früherer wissenschaftlicher Mitarbeiter des RFR, Werner Müller, war von 1945 bis 1948 in St. Louis, zuletzt als Gruppenleiter. Müller promovierte 1953 an der TH München und war bis 1962 Gruppenleiter für Ballistik in Meppen. Wie schnell das Institut in Saint-Louis für zahlreiche Gelehrte aus Deutschland, den USA, aus Belgien, England, Frankreich und der Schweiz zu einem Ort der Diskussion und des Gedankenaustausches wurde, zeigen die von Schardin organisierten Tagungen. Im August 1947 stand z. B. das Thema „Nichtstationäre Probleme der Gasdynamik“ auf der Tagesordnung, wozu u. a. Sauer und Schultz-Grunow referierten. Zwei Monate später ging es um 1146 Festschrift 25 Jahre ISL (wie Anm. 1141); Festschrift zum 65. Geburtstag von Dr. Schall, (= Beiträge zur Ballistik, Detonations- und Kurzzeitphysik, BMfV-FBWT 79–1). III–VI; Richard E. Kutterer: Dr. Schall 60 Jahre, in: Wehrtechnik 1/1974, 35; Rudi Schall: Wissenschaft und Technik in der Nato, in: Jahrbuch der Wehrtechnik 3/1968, 30–34. Aus seinen Forschungen nach 1945 resultieren mehrere Patentanmeldungen Schalls 1980 bzw. 1982, die 1988 offen gelegt wurden: „Geschoß zum Transport von Systemen zur Erzeugung detonierbarer Brennstoff-Luftgemische“ (DE 3038462 A 1 bzw. C 2), „Treibladung mit stark progressiven Abbrandverhalten für Rohrwaffen“ (DE 3028020 A 1) und „Auskleidung für Hohlladungssprengkörper und Verfahren zu deren Herstellung“ (DE 3218205 A 1). Interessant ist, dass die von Schall patentierte „Progressive Treibladung“ offenbar jenes Problem löste, an den sich bei WaF Schweikert und andere Forscher die Zähne ausgebissen hatten (vgl. Kapitel 7). 1147 L’Express vom 20. Mai 1999, 62 f. 1148 Heiko Petermann: Mininukes – Geheimpatente und Hintergründe in der Bundesrepublik Deutschland. Eine erste Bestandsaufnahme, in: Karlsch, Petermann (Hg.): Für und Wider, 327–345, insb. 338–342. 1149 Vgl. u. a. Heinz Freiwald, Rudi Schall: Detonationswellen, in: Explosivstoffe 9 (1962), 1–5.
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Fragen der Strömungsforschung. Dazu hielten Schardin, Sauer, Dr. Schubert (früher Peenemünde), Betz und der einstige Ballistiker des HWA, Dr. Hermann Athen (*1911), die Vorträge.1150 Mit dem Ende des Dritten Reiches setzte auch die Suche der Sieger nach den Verantwortlichen ein, die ganz Europa gnadenlos mit Krieg und Zerstörung überzogen, die einen bisher nie gekannten Völkermord in Gang gesetzt setzten und zahllose entsetzliche Verbrechen begangen hatten. Das System der Nazi-Diktatur samt seiner Organisationen, vor allem SS, SD und Gestapo, sollte offen gelegt und sein verbrecherischer Charakter enthüllt werden. Die erklärte Absicht bestand darin, jene politischen, militärischen und wirtschaftlichen Kräfte namhaft zu machen, die dem NS-Regime mit zur Macht verhalfen, es unterstützten und bis zum Letzten am Leben hielten. Nach der Kapitulation Hitler-Deutschlands richteten die vier Siegermächte zu diesem Zweck den Internationalen Militärgerichtshof (International Military Tribunal, IMT) in Nürnberg ein. Ein solcher Vorgang war in der bisherigen Geschichte einmalig. Tonnenweise wurde für die juristische Ahndung von Nazi- und Kriegsverbrechen Beweismaterial zusammengetragen und Tausende von Zeugen wurden ausfindig gemacht. Dabei spielten auch jene Dokumente eine Rolle, die Alsos und die anderen Spezialkommandos erbeutet hatten.1151 Den juristischen Schritten kam entgegen, dass die Mehrzahl der Führungskräfte des Dritten Reiches in die westlichen Besatzungszonen geflüchtet war und dort dinghaft gemacht werden konnte. Viele befanden sich bereits bei Kriegsende in der Gefangenschaft von USA, Großbritannien und Frankreich. Der erste große Prozess gegen die Hauptverbrecher fand vom 14. November 1945 bis zum 1. Oktober 1946 statt. Angeklagt waren in Nürnberg führende deutsche Politiker und Militärs wie Göring, Heß, Speer, Kaltenbrunner, von Ribbentrop, Schacht, Keitel und Jodl. In diesem Prozess fielen – im Zusammenhang mit den Vorbereitungen für eine biologische Kriegsführung – die Namen Schumann, Blome und anderer damit befasster Personen. Eppinger aus Wien gab zu den ihm bekannten Aktivitäten, die auf Versuche an Menschen hinwiesen, eine eidesstattliche Erklärung ab. Doch gemessen an der Überfülle der zur Sprache gebrachten Verbrechen erschienen diese Angaben als eine eher „nebensächliche“ Episode, die nicht näher untersucht wurde.1152 Mentzel wurde in etlichen Dokumenten genannt, die die Einrichtung medizinischer Forschungsstätten für die SS und die Menschenversuche der SS in den KZ zum Gegenstand hatten.1153 Weit mehr und genauere Einzelheiten förderten die Nachfolgeprozesse ans Licht, die in den Jahren 1946 bis 1949 zu Teilen der Elite aus Politik, Militär und Wirtschaft stattfanden. Im Einsatzgruppenprozess wurde u. a. der Chef des Amtes 1150 Zeitschrift für Angewandte Mathematik und Mechanik 25/27 ( 1947), 42, 208; zu Mohlitz Schall et. al.: Ausgewählte Beiträge, III–V. 1151 Vgl. Eckert: Kampf um die Akten, Kapitel I. 1152 Dokumente IMT (wie Anm. 792), Bd. 21, 603–606; Bd. 22, 106–108; Eidesstattliche Erklärung Eppingers, IfZ, NO 522, Bl. 1–3. Einen Überblick zu den Nürnberger Prozessen gab Gerd R. Ueberschär (Hg.): Der Nationalsozialismus vor Gericht. Die Alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten 1943–1952, Frankfurt/M. 1999. 1153 Dokumente IMT (wie Anm. 792), Bd. 25, 9–15.
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III des SD, Otto Ohlendorf – der frühere Vorgesetzte von Spengler und Fischer – im April 1948 zum Tode verurteilt und Anfang Juni 1951 gehenkt. Hinzuweisen ist auch auf den OKW-Prozess gegen hohe Offiziere aller drei Wehrmachtsteile sowie des Oberkommandos der Wehrmacht, bei dem sich der Vorgesetzte Schumanns, General Reinecke, zu verantworten hatte. Er wurde zu lebenslanger Haft verurteilt.1154 Im Prozess gegen die I. G. Farben machte der einstige Leiter des Sonderausschusses „Chemische Kampfmittel“ und des Hauptausschusses „Pulver und Sprengstoffe“ beim Rüstungsamt, Prof. Otto Ambros, umfangreiche Aussagen über die Kampfstoff-Forschung und die Kampfstoff-Produktion. Ausführlich äußerte er sich zu den Vorgängen um die Seewerke Falkenhagen. Etliche Zeugen ergänzten wichtige Details.1155 Von eminenter Bedeutung für die Erhellung des Zusammenspiels von wissenschaftlicher Forschung unter der Regie des RFR mit den verbrecherischen Machenschaften der SS wurde der Ärzte-Prozess. Vom 9. Dezember 1946 bis zum 20. August 1947 verhandelte der amerikanische Militärgerichtshof Nr. 1 gegen 23 Angeklagte, unter ihnen Karl Brandt, Handloser, Blome, Beigelböck und Gebhardt. Auf der Anklagebank saß auch SS-Standartenführer Sievers, bekanntlich der ehemalige stellvertretende Leiter des Geschäftsführenden Beirates im RFR. Ihn hatten die Amerikaner gleich bei Kriegsende vereinnahmt. Der Gerichtshof verurteilte Sievers und sechs weitere Angeklagte zum Tode. Vollstreckt wurden diese Strafen am 2. Juni 1948 in Landsberg. Zu Blome erkannte man auf Freispruch! Aus dem als Beweismittel vorgelegten Tagebuch Sievers’, aus anderen Dokumenten und vielen Zeugenaussagen ergaben sich auch klare Belege für eine Beteiligung von Schwab an den Versuchen mit N-Stoff, die an Häftlingen erfolgt waren. Schwab fehlte allerdings auf der Anklagebank. Er befand sich zu dieser Zeit in (möglicherweise amerikanischer) Kriegsgefangenschaft. Ob seine Rolle während der NS-Zeit und seine Tätigkeit bei der SS den Alliierten bekannt waren, kann nur vermutet werden. Breiten Raum nahmen im Ärzte-Prozess auch das Thema „Biologische Kriegsführung“ und die Tätigkeit der Arbeitsgruppe „Blitzableiter“ ein. Dabei wurde immer wieder auf die Aktivitäten Schumanns als Chef von OKW W Wiss hingewiesen. Mehrfach tauchte in den Dokumenten der Name seines Stellvertreters Bayer auf. Natürlich waren auch die Beteiligung Blomes an diesen Vorgängen sowie die Entstehung und Tätigkeit seines Instituts in Posen Gegenstand der Verhandlungen. In seinen Vernehmungen machte Blome Angaben zu den Aufgaben der Kriegswirtschaftsstelle des RFR und deren Leiter Graue (z. B. Vergabe der Forschungsaufträge, Festlegung von Dringlichkeitsstufen entsprechend der 1154 Kazimierz Leszynski, Siegmar Quilitzsch (Hg.): Fall 9. Das Urteil im SS-Einsatzgruppenprozess, gefällt am 10. 4. 1948 in Nürnberg vom US-Militärgerichtshof II der Vereinigten Staaten von Amerika, Berlin 1963; Fall 12. Das Urteil gegen das Oberkommando der Wehrmacht, gefällt am 28. Oktober 1948 in Nürnberg vom Militärgerichtshof V der Vereinigten Staaten von Amerika, Berlin 1960. 1155 Radant: Fall 6. Zum Verlauf der Vorbereitungen dieses Prozesses vgl. Enzensberger (Hg.): OMGUS. Ermittlungen gegen die I. G. Farben. Die Kampfstoff-Problematik ist in dieser Veröffentlichung ausgeklammert.
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Vorschläge der Fachspartenleiter und Bevollmächtigten). Klenck trat als Zeuge in Sachen N-Stoff und der Rolle von Schwab auf. Die vorgelegten Beweismittel boten zudem tiefe Einblicke in die Verstrickung von Mentzel, Thiessen, Graue, Stantien (ehemals Wa Prüf 9) und weiterer Personen in die verbrecherischen Menschenversuche der SS.1156 Die im Ärzteprozess bekannt gewordenen und erschreckenden Tatsachen waren für die zuständigen US-Behörden kein Hindernis mit Blome zusammenzuarbeiten. Bereits während des Prozesses brachte man ihn wegen seiner militärischen Kenntnisse mehrmals zu speziellen Vernehmungen in die Camps von Oberursel und Darmstadt. Nach dem Freispruch gingen die Befragungen, zu denen eigens Experten der amerikanischen B-Waffen-Forschung aus Fort Detrick angereist waren, unvermindert weiter. Blome kam auf die Liste der „Paperclip-Personen“, der amerikanischen Operation zur Gewinnung deutscher Wissenschaftler für die USA. Im August 1951 erhielt er sogar einen Anstellungsvertrag des „US-Departement of the Defense“. Schreiber, der im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher als Zeuge des sowjetischen Anklägers vorgeführt worden war, und später aus sowjetischer Haft in den Osten Deutschlands entlassen worden war, wechselte sogleich in den Westen. Bald darauf arbeitete er für die Amerikaner.1157 Die bei der CIA angestellten Mediziner werteten ab April 1950 die Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses sehr genau aus. Besonders wichtig waren für sie die Hinweise auf Versuche mit „Wahrheitsdrogen“ und Aufputschmitteln. Zur Verschleierung dieser und anderer neu aufgenommener Forschungen in den USA wurde – wie Geißler herausfand – der amtliche Prozessbericht „ausgiebig und gezielt zensiert … Das Thema ‚biologische Kriegsführung‘ wird nur ein einziges Mal marginal erwähnt, und zwar in der Begründung für den Freispruch Blomes.“1158 Bestandteil der juristischen Verfolgung von Unrecht, begangen zwischen 1933 und 1945, waren die verschiedensten Entnazifizierungsmaßnahmen und die von deutschen Spruchgerichten durchgeführten Verfahren gegen Nazi-Aktivisten. Vor einem solchen Spruchgericht hatte sich ab 1947 Mentzel zu verantworten. Er war wenige Tage vor Kriegsende voller Angst und in großer Eile vor den heranrückenden Truppen der Roten Armee in den Westen Deutschlands geflohen, wo ihn die Alliierten am 30. Mai 1945 aufgriffen und internierten.1159 Das Spruchgericht 1156 Dörner et al.: Ärzteprozess, Erschließungsband zur Microfiche-Edition. 1157 Hansen: Biologische Kriegsführung, 166–168; Koch, Wech: Deckname Artischocke, insb. 89–92. 1158 Koch, Wech: Deckname Artischocke, 90–92; Geißler: Anthrax und das Versagen, 170 f. Geißler verweist zu Recht darauf, dass die 1999 erfolgte vollständige Ausgabe zum Ärzteprozess auch deshalb zu begrüßen ist, weil sie Klarheit zu den Einzelheiten der Aussagen Blomes und anderer Personen bringt. 1159 Dorothea Florek, Tochter Peter Adolf Thiessens, berichtet in ihren Erinnerungen an die Jahre 1944/45, wie sie als junges Mädchen Prof. Mentzel erlebte. (Die Familien Thiessen und Mentzel wohnten zusammen im Gebäude des KWI für Physikalische Chemie und Elektrochemie, Berlin-Dahlem.) Bei Bombenangriffen machte „Prof. Rudolf Mentzel, der auch Obersturmführer der SS war, uns übrige ‚Kellerkinder‘ verrückt mit seiner kindischen Angst. Er zitterte am ganzen Körper, weinte fast“. Mitte April 1945 floh Mentzel „mit der Familie überstürzt nach Westdeutschland, so daß er viele für uns belastende Dinge in seiner Wohnung lie-
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Bielefeld sollte jetzt klären, ob Mentzel als Belasteter der Gruppe III einzustufen sei. In dem Verfahren forderten verschiedene der als Zeugen geladenen Personen, z. B. Prof. Dr. Leo Ubbelohde (ehemals TH Berlin), auch Schumann als Belasteten gerichtlich zu belangen, da er eng mit Mentzel zusammengearbeitete habe. Das erfolgte jedoch nicht. Schumann wurde lediglich als Zeuge vernommen. Während des Verfahrens erhob der frühere SD-Mitarbeiter Fischer schwere Vorwürfe gegen den ehemaligen Chef von WaF. Deren Inhalt und die Details der Kontroverse zur Person Schumanns während dieses Verfahrens sind Gegenstand der biographischen Skizze zu ihm (vgl. Kapitel 22). Das Spruchverfahren gegen Mentzel endete 1949. Vom Gericht wurde er als „Belasteter“ eingestuft und zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Wegen der Internierung, die am 23. Januar 1948 aufgehoben wurde, galt die Strafe als verbüßt. Nach seiner Entlassung arbeitete Mentzel in der Industrie.1160 Fischer geriet am 10. Mai 1945 nahe der tschechischen Stadt Tepl (Westböhmen) in amerikanische Gefangenschaft und wurde interniert. Auch er musste sich vor einer Spruchkammer verantworten, die ihn als „minderbelastet“ befand und lediglich zu drei Jahren auf Bewährung verurteilte. Sein ehemaliger Vorgesetzter, SS-Standartenführer Wilhelm Spengler, teilte ihm wenig später mit, „die Amerikaner seien an ihn herangetreten, um Auskünfte über die deutschen naturwissenschaftlichen Forschungen zu erhalten. Er wäre dazu bereit, wollte mich aber dabei haben.“1161 Fischer sagte zu. Beide wurden von den Amerikanern nach Heidelberg ins Hauptquartier „eingeladen“, zu einem Oberst für das Sachgebiet Chemie. „Die Kernfrage an uns lautete: Was haben deutsche Forscher während des Krieges an wichtigen Erkenntnissen erzielt und was davon gelangte zur Kenntnis der Sowjets?“
Die ehemaligen SD-Männer berichteten ausführlich über ihr Wissen, so über das Seewerk Falkenhagen, die Tätigkeit von Thiessen, Hertz, Volmer, Bewilogua, über die Forschungen des Nikolaus Riehl und seiner Mitarbeiter in den Auerwerken Oranienburg sowie viele weitere Einzelheiten. Außerdem machten sie darauf aufmerksam, was durch die genannten Personen und durch die Einnahme des Seewerkes den sowjetischen Stellen bekannt wurde. Mit Genugtuung registrierte Fischer die Reaktion der Gesprächspartner: „Die Amerikaner behandelten Spengler und mich sehr höflich. Wir saßen mit ihnen bei dezenter Tafelmusik im Kasino des Hauptquartiers und wurden als Gäste in einem von den amerikanischen Besatzungsbehörden beschlagnahmten Hotel in Heidelberg bestens untergebracht. Wir ließen uns Zeit mit der Erstellung eines abschließenden Berichtes und unternahmen auf Kosten der Amerikaner auch noch eine Reise in den Harz, nach Hahnenklee, um dort Dr. Graue zu treffen, der inzwischen aus sowjetischer Gefangenschaft entlassen worden war. … Und vor Erstellung des Abschlußberichtes besuchte ich auch noch unseren alten Bekannten vom HWA, den General Schneider … Es erfüllte uns mit einer gewissen Genugtuung,
gen ließ: Orden und Ehrenzeichen, seinen Ehrendolch, Uniformteile, Naziliteratur. Wir vergruben alles in unserem Garten, böse über seine Rücksichtslosigkeit.“ Dorothea Florek geb. Thiessen: Erinnerungen (wie Anm. 272), 176, 181. 1160 Spruchverfahren Mentzel, BAK, Z 42 IV/4059. 1161 Fischer: Erinnerungen, Bd. II, 272.
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dass die Amerikaner, die 1945 noch hochmütig auf die deutsche Forschung herabgesehen und bestenfalls die Raketenentwicklung und die kernphysikalischen Arbeiten einer näheren Betrachtung für Wert befunden hatten, vier Jahre später immerhin gemerkt hatten, dass bei den Deutschen doch mehr zu holen und zu lernen war. Nur waren ihnen jetzt die Sowjets bei der Auswertung deutscher Forschungsergebnisse um Jahre voraus.“1162
Fischer nahm nach seiner Internierung eine Stelle bei einem Hamburger Verlag an. Seine „Erinnerungen“ sowie anderen Buchveröffentlichungen und Zeitungsartikel, die vornehmlich der Wissenschaftslandschaft während der NS-Zeit galten, belegen, dass Fischer seine Zugehörigkeit zum SD in keiner Weise bedauerte oder sich gar mit ihr kritisch auseinandersetzte. Ähnliches ist von Spengler zu berichten, der von 1945 bis 1947 interniert war. 1951 wurde er Vorstandsmitglied und Pressewart der „Stillen Hilfe für Kriegsgefangene und Internierte“, einer NeonaziOrganisation. Zwei Jahre später stieg er als Lektor beim Gerhard Stalling Verlag in Oldenburg ein und begann sich schriftstellerisch zu betätigen. Zusammen mit Fischer schrieb er für das Buch „Bilanz des Zweiten Weltkrieges“ anonym das Kapitel „Größe und Verfall der deutschen Wissenschaft“.1163 Die Grundaussage dieses Beitrages wurde von der Geschichtsschreibung – soweit sie die Rüstungsforschung betraf – viele Jahre kritiklos übernommen, wohl auch deshalb, weil seine Verfasser unbekannt waren. Erst Maier hat sich mit dieser Thematik auseinandergesetzt und überzeugenden Beweise dafür vorgelegt, dass die Organisation der Rüstungsforschung während der NS-Zeit doch weithin erfolgreichreich war und von einer Wissenschaftsfeindlichkeit des NS-Regimes in dieser Absolutheit keine Rede sein kann.1164 Durch die „Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltung Ludwigsburg“ (ZSt) wurden 1967 in der BRD erneut Ermittlungen zu Mentzel und anderen ehemaligen Angehörigen des RFR aufgenommen. Anlass waren Erkenntnisse, die die ZSt in einem Verfahren gegen die SS Forschungs- und Lehrgemeinschaft „Ahnenerbe“ gewonnen hatte. Dabei stellten die ermittelnden Staatsanwälte fest, dass durch Mitarbeiter des RFR, im Zusammenhang mit den Menschenversuchen der SS, dem „Ahnenerbe“ zahlreiche Forschungsaufträge erteilt worden waren. Die ZSt konnte bei ihren Vorermittlungen vor allem auf Dokumente der Nürnberger Prozesse, des amerikanischen „Berlin Document Center“ (BDC) sowie Akten des Bundesarchivs zurückgreifen. Hauptbeschuldigter war Mentzel. Geprüft wurden u. a. die von ihm namens des RFR an die Professoren Haagen und Hirt sowie an Dr. Siegfried Rascher vergebenen Forschungsaufträge. Alle drei waren bekanntlich sehr intensiv an den Häftlingsversuchen der SS beteiligt. Gegenstand der Ermittlungen waren des 1162 Ebd. 1163 Wildt (Hg.): Nachrichtendienst, 357; Oliver Schröm, Andreas Röpke: Stille Hilfe für Braune Kameraden. Das Geheime Netzwerk der Alt- und Neonazis, Berlin 2001, 42; Fischer: Erinnerungen, Bd. II, 274; Ernst Klee: Was sie taten – Was sie wurden. Ärzte, Juristen und andere Beteiligte am Kranken- oder Judenmord, Frankfurt/M. 1986, Abschnitt IX: „Die Stille Hilfe“. Für die Bilanz des Zweiten Weltkrieges hatte auch General a. D. Schneider ein Kapitel verfasst. 1164 Maier: Forschung als Waffe, 30–38. Die Urheberschaft von Größe und Verfall, die Maier leider übersehen hat, bekannte Fischer in: Hitlers Apparat, 217.
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wieteren die medizinischen Versuche mit neuartigen Kampfstoffen an Insassen der Berliner Strafanstalt Plötzensee, Versuche bei den I. G. Farben in LudwigshafenOppau und die Förderung von Forschungen des Prof. Carl Clauberg (in Oberschlesien) zu Kampfstoffen durch den RFR. Ermittelt wurde auch gegen Graue in seiner Eigenschaft als Leiter der Kriegswirtschaftsstelle, da von ihr die „Kriegsaufträge“ vergeben bzw. registriert/kontrolliert wurden und die KWSt für die Beschaffung von Geräten, Versuchsmaterialien, Laborausrüstungen zuständig war. In die Ermittlungsakten der ZSt fanden wiederum die Namen Schumann, Blome, Sievers, Kliewe, Thiessen und anderer Personen Eingang. Erneut wurden die Aktivitäten zur Biologischen Kriegsführung sowie zur Gründung des Posener Instituts juristisch untersucht. Fischer sagte im Februar 1968 als Zeuge aus und wiederholte seine schon früher zu Protokoll gegebenen Aussagen. Zu einer Anklage kam es nicht.1165 Relativ glimpflich überstanden die meisten der Wissenschaftler, die mit Schumanns Forschungsabteilung zusammengearbeitet hatten, die Entnazifizierung. Viele verschwiegen ihre engen Kontakte zu WaF und das dabei oft demonstrierte Engagement, ebenso die Kriegsaufträge, die sie von Luftwaffe, Marine oder SS erhalten und erfüllt hatten. Wo ein Verschweigen nicht möglich war, deklarierte man die Zusammenarbeit als „reine Grundlagenforschung“, als „saubere, ehrenwerte Wissenschaft“, die lediglich der Weiterentwicklung und Profilierung der jeweiligen naturwissenschaftlichen oder technischen Disziplin gedient habe. An politischen oder ideologischen Aktivitäten sei man nicht beteiligt gewesen, von der Nazipartei oder ihren Gliederungen habe man sich ferngehalten. Nicht selten ist in den betreffenden Autobiographien, Lebenslaufdarstellungen einschließlich biographischer Würdigungen aus Anlass von Jubiläen oder in Nachrufen die NSZeit regelrecht ausgeblendet oder mit einigen dürren, nichts sagenden Sätzen abgetan. Es finden sich auch kategorische Behauptungen, wie zu Czerny, er habe nie mit dem HWA zusammengearbeitet.1166 Manche Wissenschaftler verklärten ihr Verhalten zwischen 1933 und 1945 gar als „Widerstand“. So bezog sich z. B. Rajewsky in seinem Entnazifizierungsverfahren auf die Auseinandersetzung mit 1165 BA-AL, B 162 ARZ 6700501, Bd. IV, Bl. 643–688 (Ergebnisse der Vorermittlungen), Bd. II, Bl. 268–279 (Vernehmung Fischers). 1166 Beispiele, wie in Lebensläufen usw. die NS-Zeit reflektiert wurde: Prof. H. Albers (beteiligt am Uranprojekt): „erhielt 1936 einen Ruf an die TH Danzig, wo er Nachfolger Butenandts wurde. 1945 mußte Albers Danzig verlassen“; Prof. Günther (Arbeit für das OKW): „übernahm 1939 die Nachfolge von Max Bodenstein an der Universität Berlin. Im April 1946, nach Rückkehr aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft, Ordinariat für physikalische Chemie an der TH Karlsruhe“; Prof. Matossi (beteiligt an den UR-Arbeiten der WaF): „bis zum Ende des Krieges galt seine wissenschaftliche Arbeit der Infrarot- und Ramanspektroskopie. Nach dem Krieg in den USA Arbeiten zur Elektroluminiszenz und verwandte Erscheinungen der Halbleitertechnik“; Prof. Picht (beteiligt an der militärischen Schallforschung): „nach 1933 Prof. für theoretische Physik, physikalische und technische Optik an der TH Berlin, hielt neben vorwiegend optischen Vorlesungen auch in den Jahren der Naziherrschaft Vorlesungen über Einsteins Relativitätstheorie. Nach 1945 Gründung eines eigenen Instituts für Forschung zur Physik, Mathematik und Optik“. Zu Czerny vgl. Eintrag von Müser im Internet.
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Schumann, Mentzel und Gerlach um die Lieferung des der 3 MeV Hochspannungsanlage, die nicht seinem KWI, sondern der „Forschungsstelle Lebus“ zugeschlagen worden war (vgl. Kapitel 18), und stellte sich deshalb als Opfer von NSWillkür hin.1167 Verbreitet war es Praxis, sich gegenseitig „Unbedenklich-keitserklärungen“ auszustellen, die Mitgliedschaft in der NSDAP als lediglich „nominell“ oder „erzwungen“ zu bagatellisieren. All diesen Reinigungsversuchen kam entgegen, dass die Beteiligung an der „Kriegsforschung“ strengen Geheimhaltungsbestimmungen unterlag. Selbst Vorgesetzte wussten häufig nicht oder nur andeutungsweise, woran dieser oder jener Wissenschaftler im Auftrag des HWA oder einer anderen Militärdienststelle arbeitete. Einen Zugriff zu den Dokumenten des BDC gab es während der Entnazifizierung für deutsche Behörden nicht. Andererseits war die Bereitschaft an den Wissenschaftseinrichtungen, sich mit den Ereignissen und dem Verhalten während der NS-Zeit auseinanderzusetzen, nur gering. Die hehre Wissenschaft konnte doch nicht beschmutzt werden! Fähige und anerkannte wissenschaftliche Fachkräfte sollten nicht vergrault, sondern für die jeweilige Einrichtung erhalten werden. Sie wurden ja dringend gebraucht. Selbst unter Historikern war es nach 1945 lange Zeit verpönt, die Geschichte einer Hochschule, Universität oder anderen Einrichtung während der NS-Zeit kritisch zu beleuchten. Erst ab etwa 1980/1990 wurde diese Aufgabe durch gezielte Forschungen in Angriff genommen, z. B. mit dem Projekt der Präsidentenkommission der Max-Planck-Gesellschaft zur „Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus“.1168 Jetzt erschienen auch zahlreiche Studien zur Geschichte von Hochschulen und Universitäten während der NS-Zeit, die von akribischen, tiefgründigen Recherchen zeugen, die wichtige Fakten über das Zusammenspiel von ziviler Forschung mit dem Militär ans Tageslicht förderten und das Handeln von Personen untersuchten, die für WaF oder andere militärische Auftraggeber tätig waren.1169
1167 Karlsch: Boris Rajewsky, 398. 1168 Vgl. u. a. Buchreihe: Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus, Göttingen (bis 2009 17 Bände); Ergebnisse 1–28, herausgegeben von der Präsidentenkommission MPG. In diesen Veröffentlichungen werden zahlreiche Angehörige der WaF, des II. PI und der OKW W Wiss genannt. 1169 Vgl. u. a. Eberle: Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (genannt werden u. a. die Kontakte von Freiesleben, Harms, Ziegler und Stamm zum HWA bzw. zur WaF); Hoßfeld et al.: „Kämpferische Wissenschaft“. Der Band enthält Angaben zu Esau, Siedentopf, Labes, Goubau, Hettner und weiteren Wissenschaftlern, die für die WaF tätig waren. Erwähnenswert ist auch der Umstand, dass zugleich neue Fakten zur Beteiligung dieser Universität an der Kampfstoff-Forschung im Auftrag der zuständigen Abteilung des HWA, Prüf 9, vorgelegt werden; Kalkmann: Die Technische Hochschule Aachen. In der Dissertation wird u. a. herausgearbeitet, welche Beiträge zur Wehrforschung die Mathematiker Sauer und Pösch leisteten. Untersucht wurde die Tätigkeit von Robert Brüderlink, Fritz SchultzGrunow, Eugen Piwowarski und Hermann Ulich, die, hinausgehend über ihre Arbeiten für WaF, an einer Reihe militärischer Projekte aller drei Wehrmachtsteile mit wirkten. Verdienstvoll ist, dass Kalkmann eine größere Anzahl von Untersuchungen zur Geschichte ein-
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Wie nach 1945 Wissenschaftler ihre Tätigkeit für Schumanns Abteilung Forschung im HWA bzw. Abteilung Wissenschaft im OKW verschwiegen und geradezu glänzend vertuschten, lässt sich markant am Beispiel des Dr. Erich Pietsch vorführen. Er erhielt 1947 eine Professur in Clausthal, später in Frankfurt/M. und wurde Direktor des 1948 gegründeten „Gmelin-Instituts für Anorganische Chemie und Grenzgebiete der Max-Planck-Gesellschaft“. In der wissenschaftlichen Welt der BRD genoss er hohes Ansehen. Manche Ehrung wurde ihm zuteil. Seine Zugehörigkeit zu OKW W Wiss, seine Beteiligung an der Ausplünderung der besetzten Gebiete und dem Missbrauch von Häftlingen (vgl. Kapitel 4) kamen nie zur Sprache. Auch die 1962 erschienene „Festschrift Erich Pietsch“ vermeidet dieses Thema sorgfältig. In einer Publikation zur Geschichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft (1967) wird lediglich mitgeteilt, wie sich Pietsch 1945 um den Erhalt der Dokumente des Gmelin-Institutes bemühte. Ein Aufsatz von 1988 zu eben dieser Einrichtung kam nicht umhin zuzugeben, dass das „Wehr- und Rüstungsamt des OKW vermutlich der größte militärische Auftraggeber“ war bzw. dass die Redaktion des Gmelin-Handbuchs „Sonderaufgaben für mehrere Dienststellen“ erledigte. Das ist aber auch alles zur Vergangenheit des Dr. Pietsch unter Hitler. Auch die „Forschungsstelle Babelsberg“ wird nur mit einem Halbsatz erwähnt. Ausführlich werden hingegen die unbestrittenen Verdienste um die Rettung der Archivbestände des Gmelin-Institutes gewürdigt, nach denen sowohl sowjetische als auch französische und britische Institutionen gierten.1170 Der historischen Gerechtigkeit halber sei an dieser Stelle angemerkt, dass in der SBZ/DDR weit genauer, mitunter sehr rigide geprüft wurde, welche Rolle ein Wissenschaftler während der Naziherrschaft einnahm. Die Entnazifizierung erfolgte gründlicher und umfassender. Aber auch im Osten wurde mitunter Missliebiges „unter den Teppich gekehrt“. Das geschah vor allem aus politischen Erwägungen. Gut vorführen lässt sich dies an den Beispielen Thiessen, Pflücke und Picht, deren Zusammenarbeit mit WaF und dem RFR in der DDR öffentlich nie ein Thema war. Ein Mitarbeiter Thiessens, Dr. Hans Witzmann, der im Institut als „SS-Führer bekannt war und sich gern in SS-Uniform zeigte“, wurde 1945 von sowjetischen Behörden verhaftet, jedoch nach kurzer Zeit frei gelassen. Einer mehrjährigen Tätigkeit in der Industrie in Thüringen folgte 1953 seine Berufung zum Direktor des Instituts für Physikalische Chemie der Universität Greifswald. Seine Forschung in der DDR galt vor allem der Lumineszenz. 1964 wurde er mit dem Vaterländischen Verdienstorden der DDR ausgezeichnet.1171 Gleiches gilt für zelner Hochschulen und Universitäten während der NS-Zeit analysiert und den Forschungsstand auf diesem Gebiet bilanziert. 1170 Alfons Kotowski (Hg.): Dokumentation im Gmelin-Institut, Erich Pietsch zum 60. Geburtstag von seinen Mitarbeitern, Frankfurt/M. 1962; Ruske: 100 Jahre Deutsche Chemische Gesellschaft, insb. 179–200; Gmelin-Institut (wie Anm. 186), insb. 59–71. 1171 Eibl: Thiessen, 225–290; Günter Nagel: Das „Chemische Zentralblatt“ wurde zu seiner Lebensaufgabe. Auf den Spuren eines Potsdamer Gelehrten. Prof. Dr. Maximilian Pflücke ruht auf dem Neuen Friedhof, in: Potsdamer Neueste Nachrichten, Nr. 200 vom 28. August 1998, 12; Joachim Kleber: Johannes Picht zum 60. Geburtstag, in: Wissenschaftliche Zeit-
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jene Kernphysiker, die am Uranprojekt beteiligt waren und nach ihrer Rückkehr aus der Sowjetunion in der DDR Karriere machten.1172 Etliche Wissenschaftler, die für WaF tätig waren, deren Zugehörigkeit zur SS oder anderen Naziorganisationen bzw. deren aktive Unterstützung des NS-Regimes kaum kaschiert werden konnte, zogen es 1945 oder kurz danach vor, Deutschland bzw. Österreich zu verlassen. Zu ihnen gehörte der SS-Sturmbannführer und Gauhauptmann der Steiermark, Prof. Armin Dadieu. Er geriet 1945 in russische Gefangenschaft, aus der er sich „geschickt befreien konnte“. 1948 wählte Dadieu den Weg nach Argentinien, wo er „Leiter der Chemischen Abteilung des Forschungs- und Entwicklungsdepartements der argentinischen Militärfabriken (Raketenentwicklung)“ wurde. Gleichzeitig fungierte er als Hauptberater der Aluminium- und Magnesiumindustrie. 1958 kam er nach Deutschland zurück und wurde 1960 Leiter des Instituts für Raketentreibstoffe der DVL in Stuttgart. 1971 folgte er einem Ruf nach Indien.1173 SS-Hauptsturmführer P. H. Brodersen ging 1948 nach Argentinien, an die Universität Nac. de la Plata, später nach Buenos Aires. Er kehrte erst nach 1953 in die BRD zurück und arbeitete auf seinem Gebiet bei der DVL.1174 Nach dem Ausbruch des Korea-Krieges (1950) entschieden sich Hardliner unter den amerikanischen Militärs für eine Neuauflage von „Paperclip“, diesmal genannt „Projekt 63“. Mit ihm sollten deutsche Wissenschaftler in die USA gebracht werden, um sich an der militärischen Forschung zu beteiligen. Dazu gehörte wiederum Blome, auf den man nicht verzichten wollte. Einen entsprechenden Vertrag bekam auch der Ultrarot-Spezialist Marianus Czerny, den die Amerikaner als Experten für Spektroskopie sehr schätzten: „Er hatte bereits als ‚Paperclip‘-Wissenschaftler in Kalifornien gearbeitet, war aber wegen der Reaktion auf seine Kontakte mit hohen Nazis und seine Gestapotätigkeit nach Deutschland zurückgeschickt worden. Jetzt, während des Koreakrieges glaubte das Pentagon die unbestrittenen Machtbefugnisse zu haben, den Aufenthaltsort, die Arbeit und das Schicksal von Wissenschaftlern wie Blome und Czerny zu lenken und zu manipulieren.“
Wegen der starken Proteste der Öffentlichkeit beim Bekanntwerden dieser dubiosen Vorgänge musste die US-Army die Verträge mit Blome und Czerny wieder schrift der Pädagogischen Hochschule Potsdam, Math.-Nat. Reihe 3/1957, 1 f. Den Hinweis zu Witzmann gab Prof. Dr. Klaus Thiessen im Gespräch am 24. November 2006. Er teilte mit, dass auch Dr. Winkel 1945 von sowjetischen Kommandos verhaftet wurde, jedoch beim Transport in ein Internietungslager (Sachsenhausen oder Ketschendorf) fliehen konnte und danach in der BRD lebte. Vgl. auch Klaus Beneke: Die Kolloidwissenschaftler Peter Adolf Thiessen, Gerhard Jander, Robert Havemann, Hans Witzmann, Nehmten 2000 (= Beiträge zur Geschichte der Kolloidwissenschaften, 9/Mitteilungen der Kolloid-Gesellschaft), 1–214, der allerdings die Mitgliedschaft von Witzmann in der SS nicht erwähnt. 1172 Nagel: Atomversuche, Kapitel „Lebenswege nach 1945“, 222–254. 1173 Hermann Ibler: Nachruf auf Prof. Dr. Armin Dadieu, in: Akademisches Leben, Juni 1978, I–III; Jürgen Scheffran: Die heimliche Raketenmacht. Deutsche Beiträge zur Entwicklung und Ausbreitung der Raketentechnik, in: Informationdienst Wissenschaft und Frieden 9 (1991) Heft 1/2, Dossier Nr. 8, 47–62. 1174 Stanley: Rüstungsmodernisierung.
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aufheben.1175 Ähnlich heftige Empörung begleitete die vom US-Militär erfolgte Anwerbung des Generalarztes Schreiber, der während des Nürnberger Prozesses durch die sowjetische Anklage als Zeuge zur Entwicklung biologischer Waffen präsentiert worden war.1176 Die bisher Genannten waren bei weitem nicht die einzigen Wissenschaftler, die nach 1945 ins westliche Ausland gingen: Der Sprengstoff-Experte Robert Haul, zuletzt an der Heeresforschungsstelle Prag tätig, arbeitete nach 1945 in seinem Fach in Pretoria/Südafrika. Die Rückkehr nach Deutschland erfolgte 1958. Zuerst erhielt Haul eine Professur an der Universität Bonn, 1964 an der TH Hannover.1177 Wilhelm Eitel, Direktor des KWI für Silikatforschung, wurde ab 1946 in den USA tätig, ebenso der Nachrichtenspezialist Georg Goubau, bisher Professor. an der Universität Jena. Der HWA-Waffenexperte Karl Justrow übte 1946 eine Beratertätigkeit bei Ministry of Supply in London aus und arbeitete 1949 als Technischer Sachbearbeiter, mit dem Titel eines Professors, beim Kriegsministerium in Santiago de Chile. Edgar Kutzscher, Doktorand bei Schumann und beteiligt an der UR-Forschung, setzte dieselbe in Sherman Oks, Kalifornien fort. Klaus Oswatitsch (AVA) verdiente sich sein Brot vorübergehend in England. Prof. Kurt G. Möller, ehemals HWA, danach PTR, war ein „Paperclipboy“ bei Naval Engineering Experimental Station. Die Liste ist damit noch nicht beendet.1178 Spruchverfahren gegen Wissenschaftler, die für WaF arbeiteten, waren selten. Hinausgehend über die bereits erwähnten Verfahren, kann der Fall des Dr. Matthias Nacken genannt werden. Er hatte sich wegen seiner SS-Zugehörigkeit der 4. Spruchkammer des Spruchgerichtes Recklinghausen zu stellen.1179 Für die Mehrzahl der Forscher von WaF bedeutete der Zusammenbruch 1945 zunächst das Ende jeglicher wissenschaftlichen Tätigkeit. Sie nahmen dort, wo es sich anbot, einfache Stellen in der Industrie an, schlugen sich als Vertreter durch, versuchten sich im Schuldienst, gründeten eigene kleine Firmen oder verdienten auf andere Weise ihren Lebensunterhalt. Einigen wenigen gelang die Anstellung in staatlichen Einrichtungen. Zu ihnen gehörte Günter Venzke, der am II. PI zur Akustik geforscht hatte und ab 1953 bei der PTR zur Raumakustik arbeitete. Nischk hatte sich in Wiesbaden niedergelassen, wo er sich darum bemühte, wieder auf seinem früheren Arbeitsgebiet, dem Patentwesen, tätig zu werden. Er stand u. a. mit Pflücke in Berlin in Kontakt. Im April 1948 bot ihm Pflücke an, für 1175 Bower: Verschwörung Paperclip, 361; vgl. auch Koch, Wech: Deckname Artischocke, 107, 110; zu „P 63“ ausführlich Hermann: Project Paperclip, 397,405. 1176 Hermann: Project Paperclip, 401–405: Koch, Wech: Deckname Artischocke, 29–32, 90 f. 1177 Kürschners Deutscher Gelehrtenkalender 1950, 727; Auskunft des UA Bonn zu Haul vom 14. Februar 2005. 1178 Adalbert Bärwolf: Da hilft nur beten, Frankfurt/M. 1956, 38, 231 (zu Kutzscher); Hermann: Projekt Paperclip, 281 (zu Goubau); Albrecht: Rüstungsfragen (wie Anm. 1140), 142 (zu Oswatitsch); Oberst Justrow zum 80. Geburtstag, in: Wehrtechnische Monatshefte 60 (1963) Heft 11, 437 f.; Stoff: Eine zentrale Arbeitsstätte (wie Anm. 885), Abschnitt 7: „Nach 1945. Wilhelm Eitel als Paperclip-Boy“, 44–47. 1179 Kalkmann: Die Technische Hochschule Aachen, 51. Der dort auf 52 genannte Prof. Nacken ist nicht mit Matthias Nacken identisch (vgl. Kapitel 14 und 17).
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sein Chemisches Zentralblatt Patentschriften zu referieren. Nischk sagte zu und teilte mit, dass er und „seine Mitgesellschafter“ auf die Lizenzierung ihres Antrages zur Gründung eines eigenständigen Unternehmens warten. Nischk betonte, dass „bei unserer politischen Lage nur die private Initiative uns in der Dokumentation als Werkzeug deutscher Forschung weiter bringt“.1180 Nachdem der erste Schock vorüber war, die politische Lage in Deutschland sich klärte und die Konturen des einsetzenden Kalten Krieges sichtbar hervortraten, begannen die einstigen Mitarbeiter von WaF in den drei Westzonen die Kontakte neu zu knüpfen. Zu einem wichtigen Kristallisationspunkt dieser Bestrebungen wurde der General a. D. Erich Schneider. An ihn wandten sich viele ehemalige Mitarbeiter von WaF sowie der anderen Abteilungen der Amtsgruppe Wa Prüf. Sie schilderten ihm ihre derzeitige Situation und baten um Vermittlung von Beziehungen einschließlich neuer Arbeitgebiete.1181 Soweit es ihm möglich war, half Schneider auch mit Rat und Tat. Durch seine rege publizistische Tätigkeit über die Wehrtechnik des Heeres, seinen Beitrag zur Wiederbelebung der Wehrtechnischen Monatshefte (1953) und die Arbeit als deren Hauptschriftleiter sowie durch andere Aktivitäten empfahl er sich als kenntnisreicher und sehr erfahrener militärischer Fachmann. In der 1961 gegründeten „Carl-Cranz-Gesellschaft“, einem Sammelbecken zahlreicher ehemaliger Rüstungs-Forscher, bestimmte Schneider als Vorstandsmitglied maßgeblich die Richtung mit.1182 Sein Rat war im Zuge der Wiederbewaffnung und Aufrüstung der BRD bald gefragt. 1952 kritisierte er in einem Gutachten verschiedene, ihm unklare Bestimmungen des zur Ratifizierung vorgesehenen Vertrages über die Bildung einer „Europäischen Verteidigungsgemeinschaft“ (EVG). Für das im Aufbau befindliche „Amt Blank“, Vorläufer des späteren Bundesverteidigungsministeriums (BMfV), war Schneider als Chef der Unterabteilung Entwicklung vorgesehen. Dieser lehnte jedoch das Konzept einer zivilen Rüstungsverwaltung ab und beendete deshalb die mit dem Amt Blank aufgenom1180 ABBAW, Briefwechsel Pflücke–Nischk im Nachlass M. Pflücke, mitgeteilt von Dr. Eberhard Gering. Darin erwähnt Nischk einen von ihm geschriebenen Beitrag in der Zeitschrift für gewerblichen Rechtsschutz 2/1948, 103–106: Das Literaturproblem beim Wiederaufbau deutscher naturwissenschaftlich-technischer Forschung. Ein Vorschlag zu seiner Lösung, 103–106. Nischk weist dort darauf hin, dass während des Krieges „in steigendem Maße Wert auf eine schnelle Literaturauswertung“ auf technischem und wissenschaftlichem Gebiet gelegt wurde. Dennoch hätten zwei Drittel aller Anmeldungen nicht zu Patenten geführt. Deshalb – so der Kern seiner Vorschläge – müsse jetzt eine „Nachweisstelle für das Naturwissenschaftlich-technische Schrifttum geschaffen und als „neutrale Stelle dem Patentamt angegliedert werden. Die entsprechenden Verfahrensweisen müsste das zu erwartende neue Patentgesetz enthalten. Nischk teilt mit, dass er seine Vorschläge in Form „einer Denkschrift zur Wiedereröffnung des Patentamtes einem kleineren Kreis interessierter Persönlichkeiten bekannt gegeben“ habe. 1181 Schneiders Nachlass im Militärarchiv Freiburg (NL 625) enthält dafür zahlreiche Belege. 1182 Vgl. u a. die Arbeiten Schneiders: Technik und Waffenentwicklung im Kriege, in: Bilanz des Zweiten Weltkrieges, 225–244; Waffenentwicklung. Erfahrungen im deutschen Heereswaffenamt, in: Wehrwissenschaftliche Rundschau 3 (1953) Heft 3, 24–35; Wehrtechnik von heute und morgen, Vortrag vom 29. 4. 1960 bei der Arbeitsgruppe für Wehrtechnik, in: WTH 57 (1960) Heft 6, 235–242; Carl Cranz Gesellschaft, in: WTH 58 (1961), 370 f.
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menen Verhandlungen über eine Einstellung. Der ehemalige General Heusinger, mitbeteiligt am Aufbau von Amt Blank, ließ sich allerdings dadurch nicht stören und lud Schneider weiterhin zu Beratungen des Gutachtergremiums „Waffenstudienkommission“ ein.1183 Mit der Entstehung des Amtes Blank, später des BMfV, konnten auch verschiedene frühere Mitarbeiter von WaF wieder auf militärischem Gebiet arbeiten. Trinks wurde 1953, nach einer kurzen Episode in Schweden, wo er Leichtakkumulatoren entwickelte, Referent in der Dienststelle Blank. Bei Erreichen des Pensionsalters war er Referent für Ballistik und Sprengstoffphysik in der Rüstungsabteilung „Feuer und Bewegung“ des BMfV. Über eine Sondergruppe der „Nato Defense Research Group“ arbeitete Trinks mit den Militärs anderer Staaten zusammen.1184 Erfolgreich bewarben sich bei den neu gebildeten Streitkräften der BRD Allekotte, Bodlien, Freiwald und wahrscheinlich auch Schweikert. Glupe fand ebenfalls eine Anstellung im BMfV, wo er zuletzt im Bereich Forschung das Referat T II/4 (Chemie) leitete. Sein Wechsel im Jahre 1944 zur SS war entweder nicht bekannt geworden oder spielte bei der Einstellung ins BMfV keine Rolle.1185 Am 6. Mai 1952 hatte Glupe – als Erfinder, damals wohnhaft in Bad Sooden-Allendorf – ein Patent Nr. 944.550 für das „Verfahren zur Herstellung organischer fluorhaltiger Halogenverbindungen“ beantragt. Bekannt gemacht wurde die Anmeldung (mit 7 Ansprüchen) am 29. Dezember 1955, die Patenterteilung am 30. Mai 1956. Es bestehen kaum Zweifel, dass Glupe sich damit Forschungsergebnisse schützen ließ, die er bei WaF erzielte. In der Erprobungsstelle Meppen fanden eine lohnende und vertraute Aufgabe Günter Sachsse und Fritz Trogisch, ebenso Dr. Wilhelm Burgsmüller, der seine Laufbahn in Kummersdorf begonnen und zeitweilig mit Schumanns Abteilung zusammengearbeitet hatte. Auch andere Angehörige des HWA, die in Kummersdorf an der Grundlagenforschung beteiligt waren, stießen zum BMfV, so Dr. Zwarg, der zuletzt Direktor der Unterabteilung für Elektronik, Wehrtechnik und Beschaffung war. Herbert Gärtner brachte es bis zum Chef der Unterabteilung für Elektronik, Fernmeldetechnik, Feinmechanik, Optik. 1973 wirkte er als Berater des NatoAusschusses für Nachrichtentechnik und Gefechtsfeldaufklärung. Hubert Schardin wechselte 1964 vom ISL zum BMfV, wo er die Abteilung Technik führte. Als Gutachter für das BMfV und das Wirtschaftsministerium betätigte sich Friedrich Geist. Gerhard Hensel, einst mit Geheimpromotion bei Schumann Doktor geworden und von 1942 bis 1945 Leiter der „spreng- und waffentechnischen Amtsgrup1183 Dieter Krüger: Das Amt Blank. Die schwierige Gründung des Bundesministerium für Verteidigung, Freiburg 1993 (= Einzelschriften zur Militärgeschichte, 38), 108 f. 1184 Festschrift 65. Geburtstag Trinks (= Beiträge zur Ballistik, Detonations- und Kurzzeitphysik, BMfV-FB W 7, 75–13), III–VI. 1185 Mehrere Anfragen an das BMfV zu ehemaligen Angehörigen von WaF, die ab 1956 wieder in der Bundeswehr dienten, wurden entweder nicht oder nur ausweichend beantwortet. Da die Vermutung nahe lag, dass sich das MfS der DDR für ehemalige Wehrwissenschaftler und andere Forscher, die ab 1956 bei der Bundeswehr arbeiteten, interessiert haben könnte, wurde 2001 eine entsprechende Anfrage an die Bundesbeauftragte für die Staatssicherheitsunterlagen gestellt. Eine Antwort hat der Autor nicht erhalten.
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pen der Polizeiakademie Berlin“, betrieb ab 1959 sprengstoffphysikalische Forschungen für das BMfV und wechselte 1960 als Referent für Pulver und Sprengstoffe, im Range eines Ministerialrates, zum BMfV.1186 Möglicherweise fand auch Hans Schellhoß, ehemals Vers. N und danach Wa Prüf 7, eine seinen wissenschaftlichen Fähigkeiten entsprechende Beschäftigung beim Amt Blank bzw. dem BMfV. Darauf deutet z. B. die Patentschrift 1.044.906 „Verfahren zur Beseitigung von Fehlzielanzeigen in einem Radar-Impuls-Panoramabild“ hin, angemeldet am 28. Mai 1957, bekannt gemacht am 27. November 1958 und erteilt am 4. Juni 1959. Als Wohnort nannte der Erfinder Bad Godesberg. 1958 gab es von ihm eine weitere Patentanmeldung zur Radar-Technik. Schellhoß wird auch im Zusammenhang mit der „Wullenweber“- Technologie genannt, die nach 1945, beruhend auf deutschen Arbeiten während des Krieges, beim Antennenbau für Peilung und, Nachrichtenübertragung, besonders im militärischen Bereich, große Verbreitung fand.1187 Bei der Bundeswehr zeigte man von Anfang an starkes Interesse an der Arbeit des Instituts in Saint-Louis. Schnell erkannten der Bundesminister für Verteidigung und sein französischer Kollege, welche Möglichkeiten eine noch engere Zusammenarbeit bei der Forschung und Entwicklung neuer Waffentechnik bietet, zumal es eine Einrichtung wie die in Saint-Louis in der BRD noch nicht gab. Deshalb wurde am 22. Juni 1959 das Abkommen über das gemeinsame Deutsch-Französische Forschungsinstitut (ISL) in Kraft gesetzt. Damit verfügte die BRD wieder über eine spezielle Forschungsstätte für Ballistik. Trinks wurde Sprecher der deutschen Delegation im wissenschaftlichen Beirat des ISL, in dem Bodlien, Freiwald, Hensel, Glupe, Gärtner sowie der Mathematiker Prof. Sauer Sitz und Stimme hatten.1188 Diebner folgte 1957 einem Angebot des Verteidigungsministers Franz Josef Strauß zur Arbeit im Range eines Regierungsdirektors in dessen Ministerium. Bereits nach einem Jahr schied Diebner wieder aus. Während dieser Zeit äußerte er sich gegenüber Pressevertretern, dass es ihm, zusammen mit anderen Kernphysikern, gelungen sei, eine Fusion der Kerne leichter Elemente zu erreichen, ähnlich der bereits beschriebenen Arbeiten von Schumann, Trinks und anderen Wissenschaftlern der Forschungsabteilung. Auch seine Patentenanmeldungen belegen entsprechende Aktivitäten bzw. Kenntnisse: 1956, zusammen mit Prof. Friedwardt Winterberg, „Verfahren zur Zündung thermonuklearer Reaktionen mittels konvergenter Detonationsverdichtungsstöße“; November 1957, Alleinanmeldung
1186 Angaben zusammengestellt nach Hinweisen aus dem Nachlass Schneider (BA-MA, NL 625), Veröffentlichungen in Wehrtechnik, Wehrtechnische Monatshefte, Soldat und Technik, anderen Fachzeitschriften sowie Mitteilungen von Familienangehörigen einiger genannter Personen. 1187 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Wullenweber-Kreisantennenanlage. 1188 Festschrift 65. Geburtstag Trinks (wie Anm. 1184); Caspary: Nachruf auf Schardin; Festschrift 25 Jahre ISL (beide wie Anm. 1141).
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in England über „Thermonukleare Reaktion“; 1958, zusammen mit Dr. Erich Bagge, „Verfahren zur Herstellung hoher Temperaturen und hoher Drücke“.1189 In einer Publikation von 1984, an der auch Bodlien, Freiwald, Gärtner und Trinks beteiligt waren, wird ausdrücklich vermerkt: „Für den Aufbau [der Wehrtechnik] war es von großem Vorteil, sowohl in der Industrie, als auch auf der Amtseite, daß ehemalige Angehörige früherer Organisationen, wie z. B. Heereswaffenamt, Marinewaffenamt, Technisches Amt der Luftwaffe oder einschlägiger Firmen, ihre Erfahrungen wieder zur Verfügung stellten.“1190
Dies gilt – wie am Beispiel des ISL bereits vorgeführt – für die Rüstungsforschung insgesamt, nur lief sie jetzt unter der Bezeichnung „Verteidigungsforschung“. Zusätzlich zum ISL vollzog sich 3 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, noch vor der Gründung der Bundesrepublik, im damaligen Westdeutschland, die Bildung einer wissenschaftlichen Forschungseinrichtung, die den Namen „Fraunhofer-Gesellschaft“ (FhG) erhielt. An den ersten Beratungen dafür waren der Mineraloge Friedrich Karl Drescher-Kaden und der Atomphysiker Walther Gerlach beteiligt. Gerlach kam sogleich als Kandidat für das Präsidentenamt ins Gespräch und übte diese Funktion von 1949 bis 1951 aus. Kreichgauer, der an der WTF u. a. mit militärischer Schallforschung befasst war, erarbeitete eine Denkschrift zu den Aufgaben der neuen Gesellschaft und legte einen Entwurf für deren Satzung vor. Zum Zeitpunkt der Gründung lebte Kreichgauer nicht mehr. Kurz nach der Entstehung der Bundeswehr bat das neu geschaffene BMfV die Fraunhofer-Gesellschaft, die „Verwaltungshilfe für diejenigen Hochschulprofessoren, Institute und Einzelforscher zu übernehmen, welche Forschungsaufträge dieses Ministeriums durchführen“. Dem wurde auch entsprochen, da es „für die Fraunhofer-Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit sein [muss], die Verteidigungsforschung als einen Zweig der angewandten Forschung ebenso zu unterstützten, wie die gemeinnützige wirtschaftsnahe Forschung“.1191
Bis 1959 waren vier Institute der Gesellschaft entstanden, die für das BMfV unmittelbare, verteidigungsrelevante Forschungen durchführten und ihre Mittel zunächst ausschließlich vom BMfV erhielten: Institut für Elektrowerkstoffe (IWE), 1957 in Freiburg i. Br. gegründet. Leiter wurde Prof. Reinhard Mecke, der mit WaF zur UR-Forschung zusammen gearbeitet hatte (vgl. Kapitel 14), Ernst-Mach-Institut für Kurzzeitdynamik (EMI), 1959 ebenfalls in Freiburg i. Br. etabliert. Chef wurde Schardin. Auch Frank Kerkhoff (UR-Forschung) fand 1189 Petermann: Mininukes (wie Anm. 1148). Diebners Nachkriegskarriere ist ausführlich dargestellt bei Nagel: Atomversuche, 231–233. 1190 Theodor Benecke, Günther Schöner: Wehrtechnik für die Verteidigung, Bundeswehr und Industrie – 25 Jahre Partner für den Frieden (1956–1981), Koblenz 1984, 11, zur Beteiligung von Bodlien u. a. Personen 406 f. 1191 Zitiert bei Helmuth Trischler, Rüdiger vom Bruch: Forschung für den Markt. Geschichte der Fraunhofer-Gesellschaft, München 1999, 73.
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beim EMI ein Betätigungsfeld und wurde dort später Abteilungsleiter. Am EMI wurde vor allem zu Druckstoßwellen geforscht. Institut für Chemie der Treib- und Explosivstoffe (ICT), 1959 in Karlsruhe gegründet. Unter der Leitung von Karl Meyer forschte man vor allem zu Treibstoffen für Raketen und „Rohrwaffen“ sowie zu Sprengstoffen und Verbrennungsvorgängen. Prof. Paul Günther war nach seiner Emeritierung 7 Jahre lang Vorsitzender des Kuratoriums des ICT. Institut für Aerobiologie (IAe), 1959 in Grafschaft gegründet. Das IAe bearbeitete u. a. Themen der ABC-Abwehr, insbesondere zu den Kampfstoffen Sarin, Soman und Tabun. Dem Kuratorium des IAe gehörte der Biowaffen-Experte aus der NS-Zeit, Heinrich Kliewe, bis 1963/64 an. Zuständig für alle 4 Institute war im BMfV das Fachreferat T II/4 unter der Leitung von Siegfried Glupe. Führende Männer der Fraunhofer-Gesellschaft konstatierten 1960, wenn sie überwiegend Aufträge des BMfV realisierten, dann seien sie „das frühere Heereswaffenamt mit eigenen Instituten“ bzw. befanden: „Verteidigungsministerium benutzt FHG gerne, um unter neutraler Flagge zu segeln“.1192 Bei der Fraunhofer-Gesellschaft war noch ein anderer Forscher aus der NS-Zeit untergekommen: Prof. Dr. Franz Matossi, beteiligt an der UR-Forschung von WaF. Kurz nach Ende des Krieges ging er von Graz in die USA und arbeitete auf seinem Gebiet in den Marinelaboratorien von White Oak. Ab 1958, jetzt Ordinarius für physikalische Chemie in Freiburg, war er gleichzeitig Mitarbeiter der FhG. Auf seine Initiative geht eine 1966 in Freiburg abgehaltene „NATO-Tagung über optische Eigenschaften von Festkörpern“ zurück.1193 Aus der Gründung der Bundeswehr zog indirekt auch Ernst Haeuseler, ehemals WaF I c, seinen Nutzen. Er hatte sich nach dem Krieg kurzzeitig als Unternehmer in der Pyrotechnik betätigt. Ab 1957 baute er in Leverkusen eine Außenstelle der Bundesanstalt für Materialprüfung (BAM) auf. Die wurde 1962 dem neu geschaffenen „Institut für chemisch-technische Untersuchungen“ (CTI) in Swistall-Heimerzheim (westlich bei Bonn) zugeordnet und 1972 zum „Bundesinstitut für chemisch-technische Untersuchungen“ (BICT) umgebildet. Aufgabe des CTI war es, in Zusammenarbeit mit der BAM und dem BMfV Untersuchungen und Gutachten aller Art zu Explosivstoffen vorzunehmen, Prüfverfahren zu entwickeln, technische Vorschriften zu erarbeiten usw. Haueseler bekleidete am CTI verschiedene Funktionen, zuletzt als Geschäftsführender Direktor. Er gehörte zahlreichen wissenschaftlichen Gremien an, so der Deutschen Gesellschaft für 1192 Ausführlich ebd.; zum IAe vgl. Erhard Geißler: Biowaffen für die Bundeswehr? Dr. Petras und „Die Entlarvung der westdeutschen B-Waffen-Rüstung“ durch das MfS, in: Zeitschrift des Forschungsverbandes SED-Staat 18 (2005), 72–103. In beiden Quellen auch Hinweise zu Glupe. Trischler, vom Bruch: Forschung für den Markt (wie Anm. 1191) kamen im Ergebnis zu dem bemerkenswerten Schluss: „Vormalige Rüstungstechnologen hatten sich auch nach dem Krieg wieder in einflussreichen Netzwerken mit weitgehend unverändert rückwärts gewandten Denkmustern etabliert; das Geld sprudelte nur so im Verteidigungsministerium“, 244. Zu Kliewe (Kuratorium des IAe) vgl. Geißler: Die Rolle (wie Anm. 1135), 18 f. 1193 Mitteilung des UA Freiburg vom 28. September 2005 zur Biographie Matossis.
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Wehrtechnik. In Fachkreisen war er durch seine zahlreichen Veröffentlichungen bekannt.1194 Das CTI bot auch ein neues Betätigungsfeld für Joachim Strecke, der 1946 vorübergehend am Institut in Saint-Louis untergekommen war. Zusammen mit Haeuseler und anderen Mitarbeitern des CTI entstanden zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten. Unterstützt von Haeuseler und Freiwald (BMfV) promovierte Strecke 1978 – im Alter von 67 Jahren! – an der TU München mit einer Untersuchung zu den ballistischen Eigenschaften einer speziellen Pulversorte.1195 Einer der Väter der Hohlladung, Prof. Dr. Franz-Rudolf Thomanek, der einige Jahre am Institut von Schardin in Berlin-Gatow gearbeitet hatte und danach eine eigene „Sprengstoff-Versuchs-Gesellschaft m. b. H.“ (Berlin, Kaufbeuren) gegründet hatte, blieb nach dem Krieg seinem Spezialgebiet treu. Er leitete ab 1958 als Direktor eine bedeutende Forschungs- und Entwicklungsstelle für Explosivstoffe in Schrobenhausen (nördlich von München), die zur Bölkow-Gruppe gehörte. Thomanek zählte man in der BRD zur „Elite der deutschen Wehrwissenschaft“. In einem Beitrag zur Hohlladung hob er hervor: „Seit 1958 ist es den deutschen Fachleuten durch intensive Arbeit wieder gelungen – besonders dank der zielbewußten Förderung der Hohlladungsforschung durch Herrn Min.-Rat Dr. Trinks, BMVtdg T II 6 – Spitzenleistungen zu erzielen und damit zu kompetenten Gesprächspartnern in den Nato-Gremien zu werden.“1196
22. PROFESSOR DR. ERICH SCHUMANN – EINE BIOGRAPHISCHE SKIZZE Kaum eine andere maßgebliche Person im Wissenschaftsbetrieb des NS-Regimes ist so umstritten und wird so widersprüchlich dargestellt wie Dr. phil. Dr. rer. nat. Karl Erich Schumann (5. Januar 1898–25. April 1985). Die Zahl der über ihn abgebenen oberflächlichen oder abwertenden Beurteilungen ist beträchtlich. Das betrifft sowohl seine politische Haltung, seine beruflichen Positionen und den damit verbundenen Einfluss, als auch seine wissenschaftlichen Leistungen und persönlichen Eigenschaften. Grobe ungerechtfertigte Fehleinschätzungen sind genauso vertreten wie simple Fehler, die, einmal in der Welt, immer wieder aufgegriffen werden. Gern kolportiert wird z. B. die Mär von seiner „Verwandtschaft“ mit dem 1194 Karl Heinz Ide: Das Institut für chemisch-technische Untersuchungen (CTI) und seine Beziehungen zur Bundesanstalt für Materialprüfung (BAM) im Rahmen des Neuen Sprengstoffgesetzes, in: Amts- und Mitteilungsblatt der BAM 1/1970, Nr. 2, 2–9; Dr. Haeuseler 60 Jahre, in: Wehrtechnik 6/1972, 269; Mitteilungen von Frau Hildegard Haeuseler vom 7. Dezember 2002, Dr. Karl Otto Leiber vom 27. Oktober 2002 und Dr. Friedrich Trimborn vom 30. Oktober 2000. 1195 Joachim Strecke: Einfluß von Restlösemitteln auf die ballistischen Eigenschaften eines Nitrocellulosepulvers, Dissertation, 21. März 1978, Universität München. 1196 10 Jahre Werk Schrobenhausen, in: WTH 65 (1968), 252 f.; vgl. auch Friedrich Trimborn: Explosivstoffabriken in Deutschland. Ein Nachschlagewerk zur Geschichte der deutschen Explosivstoffindustrie, 2. Aufl. Köln 2002, 211; Rudolf Thomanek: Die Hohlladung, in: Jahrbuch der Wehrtechnik 3/1968, 76.
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Komponisten Robert Schumann oder vom Führen des Dienstgrades eines Generals (Oberstleutnants, Obersts usw.). Von einigen dieser Irrtümer, denen auch Zeitgenossen aufsaßen, wurde schon berichtet. Zwei weitere Beispiele sollen das noch deutlicher machen. Prof. Dr. Friedrich Glum, von 1920 bis 1937 Generalsekretär und Generaldirektor der KWG, war nach 1933 beunruhigt „über die merkwürdigen Zustände und Zusammenhänge“ im ehemals Haberschen KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie. Darüber wollte er sich mit der Reichswehrführung beraten und wurde an Oberst von Reichenau, damals Chef des Stabes (zuletzt Generalfeldmarschall), verwiesen. Über diese Begegnung berichtet Glum: „Reichenau empfing mich in einer weißen Sommerlitewka, äußerst salopp auch in seinem Auftreten und Sprechen. Er hatte offenbar keine Ahnung von der Bedeutung der wissenschaftlichen Arbeit für die Reichswehr und keine Neigung, sich in eine Angelegenheit, die politischen Anstrich hatte, hineinzumischen. Er lief damals der Partei nach, betonte seine demokratische Gesinnung, seine Teilnahme am Volkssport des Fußballspiels, und ließ mich ziemlich deutlich merken, daß wir ganz hinter dem Mond seien, wenn wir es nicht verstünden, uns mit der Partei gut zu stellen. Es stellte sich ferner heraus, daß er ganz abhängig von einem Professor Schumann war, den ich auch alsbald kennen lernte und der neben Mentzel die merkwürdigste Figur gewesen ist, die mir auf dem Gebiet der Wissenschaft über den Weg laufen sollte. Daß mir, als ich Schumann näher kennen lernte, wie der Berliner sagt, die Spucke weg blieb bei dem Gedanken, ein Generalstabsoffizier aus der alten Schule könne sich einer solchen Persönlichkeit bedienen, um sich bei der Partei angenehm zu machen, wird man gleich sehen. Nur die völlige Ahnungslosigkeit gegenüber Menschen, die nicht aus der eigenen Sphäre stammen, kann dies erklären. Schumann war der Sohn eines Militärmusikers, der Physik, speziell Akustik studiert hatte und an der Akademie für Militärmusik in Berlin Professor war. Er trug die Uniform des Militärbeamten im Oberstenrang. Jedenfalls, als ich Reichenau besuchte und dieser mich an ihn verwies, war er sowohl dem Stabe von Reichenau in der Bendlerstraße als auch von General Liese im Heereswaffenamt hinter dem Bahnhof Zoo zugeteilt. Aber er hatte es auch verstanden, sich im Kultusministerium festzusetzen … Um sich eine wertvolle Kraft zu sichern, zog Rust Schumann dann auch noch in das Kultusministerium hinein, das ihn wiederum als ordentlichen Professor der Physik in die naturwissenschaftliche Fakultät der Universität Berlin setzte und zum Direktor des Instituts für Physik in der Luisenstraße, also zu einem Kollegen von Planck, machte. So hatte Professor Schumann fünf Dienstzimmer, in denen er aber nie zu erreichen war, indem er immer angeblich in einem der anderen war. Eingeweihte suchten ihn in der Konditorei Telschow unter dem Eisenbahnbogen der Hardenbergstraße, nahe dem Heereswaffenamt. Ich traf ihn eines Tages dort, als ich mit einem Offizier frühstückte. Aber dieser begann nur noch zu flüstern, als er ihn sah. Sie hatten alle Angst vor ihm. Dabei habe ich nie etwas von ihm erlebt, was Hand und Fuß gehabt hätte.“1197
In der Tat: Schumann firmierte unter mehreren Anschriften, je nachdem, in welcher seiner Funktionen er auftrat. Als Chef der Forschungsabteilung war er zu erreichen über Jebensstraße 1 oder Hardenbergstraße 10, als Chef der Abteilung Wissenschaft unter Tirpitzufer 72–76, dem Sitz des OKW und des OKH. Häufig verwandte er die Adresse des II. Physikalischen Instituts: Neue Wilhelmstraße 15. Auch WaF griff häufig auf diese Adressen zurück. Glum prägte in seinen Erinne1197 Glum: Zwischen Wissenschaft, S. 450–452. Zu Friedrich Glum vgl. Kohl: Die Präsidenten, insb. 74–85, 134–136. Hachtmann: Eine Erfolgsgeschichte
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rungen zugleich den Begriff von „dem Mentzel-Thiessen-Gang“, dem Schumann bald zugerechnet wurde.1198 In nahezu die gleiche Kerbe wie Glum, nur weniger heftig, schlug der Nobelpreisträger Prof. Dr. Johannes Stark, der von 1933 bis 1939 als Präsident der PTR vorstand und von 1934 bis 1936 die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft leitete. Politisch bekannt wurde er durch seine vorbehaltlose Zustimmung zum Nationalsozialismus und als Erfinder der berüchtigten „Deutschen Physik“. Zu Schumann äußerte sich Stark u. a. wie folgt: „Er war von Haus aus experimenteller Psychologe und hatte eine mehr physikalische Arbeit in experimenteller Psychologie gemacht. Am Heereswaffenamt hatte er unter General Becker den Verkehr des Amtes mit wissenschaftlichen Mitarbeitern an staatlichen Instituten, die Verteilung von Forschungsaufgaben und ihre Kontrolle übernommen. Als wissenschaftlicher Forscher konnte er nicht betrachtet werden, da ihm die eigene Erfahrung hierfür fehlte. Von dieser Tätigkeit am Heereswaffenamt her war er offenbar auf den Einfall gekommen, nach der ihm bekannten militärischen Schablone die gesamte deutsche Forschung zu organisieren. Er konnte dieses Ziel nur über das Reichsministerium für Wissenschaft erreichen. Darum suchte und fand er in diesem Einfluß. Er war ein außerordentlich geschickter praktischer Psychologe und verstand es ausgezeichnet, maßgebenden Personen seine eigenen Pläne so beizubringen, daß sie sie für die eigenen hielten und sich für sie einsetzten. Dies war ihm bei General Becker gelungen und gelang ihm jetzt bei Reichsminister Rust. Ich halte es für möglich, daß er mit diesem gar nicht viel sprach, aber er wirkte auf ihn wohl durch dessen Vertrauten, Prof. Mentzel, ein, der früher Kreisleiter unter Rust gewesen und dessen Duzfreund und Tröster bei seinen angeblich manischen Depressionen gewesen sein soll. An Prof. Mentzel machte sich Schumann heran. Ihn und sich ließ er zu Professoren machen, sich gleich an einem besonderen physikalischen Institut, das in eine geheimnisvolle Verbindung mit dem Heereswaffenamt gebracht wurde.“1199
Sind diese harschen Vorwürfe von Glum und Stark gerechtfertigt? War Schumann wirklich ein solcher wissenschaftlicher Scharlatan und schwarz-brauner Karrierist, als der er hier charakterisiert wurde? Das Studium seines Lebensweges wird mit helfen, viele Anschuldigungen zu widerlegen oder zu entkräften bzw. zu bestätigen, positive oder negative Urteile kritisch zu hinterfragen und damit ein wesentlich differenzierteres Bild zu zeichnen.
1198 Glum: Zwischen Wissenschaft (wie Anm. 1197), 452, ergänzte zum „Mentzel-ThiessenGang“: „Bei einem Essen in späterer Zeit im Harnackhaus, wo sie bis in den frühen Morgenstunden nicht wichen, haben sie mir, Cranach und dem Ministerialdirektor Brandenburg vom Verkehrsministerium in der Besäufnis das Kultusministeriumslied vorgesungen: ‚Wir sind die Rustika, wir sind die Rustika, so was war niemals da, so was war niemals da!‘ Und als sie meine Entlassung durchgesetzt hatten, riefen sie mich nachts um 2 Uhr bei einem Gelage, das sie miteinander feierten, an und machten sich über mich lustig.“ 1199 Stark: Erinnerungen, 125.
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Aufstieg und Ämter Geboren wurde Schumann am 5. Januar 1898 in Potsdam. Über sein Elternhaus berichtete er, sein Vater Gustav sei – zum Zeitpunkt der Abgabe der Dissertation – Kanzlei-Vorsteher gewesen. Die Mutter hieß Anna geborene Nitzsche. Getauft wurde der Junge evangelisch, so auch erzogen und konfirmiert.1200 Wie bereits zu lesen war, soll der Vater Musikmeister im Kaiserlichen Heer gewesen sein, laut Luck beim 1. Garderegiment zu Fuß. Mangels entsprechender Quellen lässt sich dies jedoch nicht belegen. Lediglich ein Vermerk im Potsdamer Adressbuch, Ausgabe 1882: „Schumann, G., Mittelstraße 33“, ließ sich finden, der auf die Familie hinweisen könnte.1201 In späteren Ausgaben erscheint der Name nicht mehr. Möglicherweise hängt dies mit dem Umzug der Familie nach Berlin zusammen, wo Schumann die Realschule I und danach die Siemens-Oberrealschule in Charlottenburg besuchte. Aus dem Beruf des Vaters als Musikmeister konstruierte Irving 1967 in seinem Buch „Der Traum von der deutschen Atombombe“ kühn die Legende: „Als Nachkomme des Komponisten Schumann war er selbst kein schlechter Komponist von Militärmusik und war von den Tantiemen für die Märsche, die er komponiert hatte, reich geworden“.1202 Seitdem wird diese Behauptung zu seiner Abstammung gern übernommen, wenn von Schumann zu berichten ist. Der Autor wollte es genau wissen und wandte sich in dieser Sache an den Direktor des Robert-Schumann-Hauses in Zwickau. Die Antwort lautete bestimmt: „Nein“, Schumann war kein Nachfahre des Komponisten. Lediglich die Feststellung Irvings, dass der Professor Militärmusik komponierte, ist zutreffend. Doch davon später.1203 Bei Kriegsausbruch 1914 verließ Schumann mit „der Reife für Prima“ die Oberrealschule und meldete sich als Kriegsfreiwilliger. Er wurde Frontsoldat und diente an der Westfront bei einem elsässischen Infanterieregiment, wo er zuletzt zum Leutnant der Reserve befördert wurde. 1917 kehrte er der Infanterie den Rücken, um als Fliegeroffizier bei der Fliegerabteilung 238 in Flandern zu kämpfen. Für seine Fronteinsätze erhielt der junge Offizier das Eiserne Kreuz I. und II. Klasse sowie das Fliegerabzeichen. Im Juni 1918 wurde er abgeschossen und geriet verwundet in englische Gefangenschaft. Bei Kriegsende, „nach der Revolu-
1200 Lebenslauf Schumanns in seiner philosophischen Dissertation: Die Abhängigkeitsbeziehungen zwischen der objektiven und subjektiven Tonintensität, 11. März 1922, Universität Berlin. 1201 Adreßbuch Potsdam, Ausgaben 1882, 1903 und 1905; Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129). 1202 Irving: Der Traum, 44. 1203 Mitteilung von Dr. Thomas Synofzik, Direktor des Robert-Schumann-Hauses Zwickau, vom 8. Februar 2006, in der es u. a. heißt: „Ich habe unsere Stammtafeln durchgesehen, danach ist auszuschließen, dass Erich Schumann direkter Nachfahre von Robert Schumann, einem seiner Geschwister und auch der Geschwister seines Vaters August Schumann ist.“ Auch Prof. Jobst P. Fricke betonte, er habe von einer verwandtschaftlichen Beziehung Schumanns zu dem Komponisten Robert Schumann (auch einer entfernt verwandten) nie etwas gehört. Mitteilung vom 2. Februar 2006. Die Lesart, Schumann sei ein Nachkomme des Komponisten, findet sich auch bei Fischer: Hitlers Apparat, 154, 189.
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tion“, zog man Schumann zu den Demobilisierungsarbeiten in Berlin, in Johannisthal-Adlershof heran. An diesem Ort wurden vor allem Flugzeuge unter Aussicht der Alliierten zusammengeführt und verschrottet.1204 Hier in Johannisthal diente zuletzt auch Johannes Kadow, der 1916 an der Universität Berlin studierte, sich im Mai 1917 zum Militär meldete und bei der Marine-Landflieger-Abteilung eine Flugausbildung absolvierte. Danach kämpfte er bei der I. Marine-Jagdstaffel in Flandern.1205 Neben den Arbeiten in Johannisthal legte Schumann sein wegen des Krieges verschobenes Abiturexamen ab und erwarb sich so die Voraussetzung für ein Studium. Sportlich war er schon immer. Man berichtete, er sei „in seiner Jugend- und Schülerzeit ein guter Schlittschuhläufer gewesen und auf den großen und breiten Straßen Berlins wohl auch Rollschuh gelaufen“. So verwundert es nicht, dass der junge Mann 1920 an der Landesturnanstalt Spandau das Turnlehrerexamen bestand.1206 Schon während des Krieges, als Soldat an der Westfront, „las er viel Wissenschaftliches“. Dies und der Umgang als Flieger mit Technik, wahrscheinlich auch verbunden mit ersten Erfahrungen zum Schallmessverfahren, hatten Einfluss auf die Studienrichtung. Schumann belegte an der Berliner Universität die Fächer Mathematik, Physik, Musikwissenschaft und Psychologie. Später kam für kurze Zeit noch Medizin dazu. Zu seinen Lehrern gehörten prominente Berliner Professoren wie der Mathematiker Ludwig Bieberbach, die Physiker Max Planck und Arthur Wehnelt oder der Psychologe und Physiologe Wolfgang Köhler, der von 1922 bis 1935 Direktor des Psychologischen Instituts der Universität Berlin war, von den Nazis seines Lehramtes enthoben wurde und 1935 in die USA emigrierte. Ein besonderer Dank Schumanns bei Abschluss seines Studiums galt dem Musikwissenschaftler Prof. Dr. Johannes Wolf, dem späteren Direktor der Musikabteilung der Preußischen Staatsbibliothek. Außerdem schloss Schumann auch Bekanntschaft mit dem Ballistiker Gustav Schweikert, der ihn bei seiner Doktorarbeit beriet.1207 Bereits im März 1922 erwarb sich Schumann mit einem akustischen Thema den Titel eines Doktors der Philosophie. „Doktorvater“ war der berühmte Philosoph und Psychologe Prof. Carl Friedrich Stumpf (1848–1936), der als einer der Mitbegründer der funktionalen Psychologie gilt und auf diesem Gebiet stark beachtete Werke verfasste. Ihm und Prof. Köhler – so Schumann – sei er für die „persönliche Anteilnahme zur Förderung“ dieser Arbeit zu großem Dank verpflichtet.1208 Wie es dazu kam, dass Schumann bei Stumpf promovierte, geht aus einer Aktennotiz dieses Gelehrten, verfasst in seiner Eigenschaft als Direktor des Instituts für systematische Musikwissenschaften, hervor:
1204 Luck: Erich Schumann und die Studentenkompanie, 27 f.; Derselbe: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129); Lebenslauf Schumanns (wie Anm. 1200). 1205 PA Kadow, AHUB. 1206 Mitteilung Jobst P. Frickes vom 15. Juni 2005; Lebenslauf Schumanns (wie Anm. 1200). 1207 Lebenslauf Schumanns (wie Anm. 1200); vgl. auch Luck: Erich Schumann und die Studentenkompanie, 28. 1208 Lebenslauf Schumanns (wie Anm. 1200).
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„Da dem Physikalischen Institut für solche Versuche die notwendigen Apparate fehlten, mein Institut aber mit einer Interferenzeinrichtung und sonstigen Hilfsmitteln für akustische Versuche ausgestattet war, und in meinem Institut vom Kriege her Erfahrungen auf dem Gebiet der Schallanalysen, des Richtungshörens und der Feststellung der Schallentfernung vorlagen, wurde Herr Schumann von seinen Lehrern Wehnelt und Planck an mich verwiesen … Seit dieser Zeit assistierte Schumann bei meinen akustischen Versuchen, unterrichtete Studierende in physikalischer, physiologischer und technischer Akustik, Radiophonie und Tonpsychologie und arbeitete zusammen mit den Schallmess- und Fliegerabwehrreferaten des Heeres.“1209
12 Jahre später, am 5. November 1934, schrieb Stumpf eine ausführliche „Mitteilung für die Personalakte des Prof. Dr. Erich Schumann“. Der aktuelle Anlass dafür ist nicht überliefert. Möglicherweise besteht ein Zusammenhang mit der Tätigkeit Schumanns im REM von 1934 bis 1937. In diesem Dokument äußerte sich Stumpf nochmals zum Dissertationsverfahren: „Inhalt: Kritik der Apparate und Methoden der physikalischen Tonstärkemessung, Bericht über einen von Schumann weiterentwickelten und vervollkommneten Tonintensitätsmessapparat, Beschreibung und Resultate der Versuche über physikalische und subjektive Tonstärken und im letzten Kapitel eine mathematische Formulierung des gefundenen Abhängigkeitsgesetzes. Sein Hauptfach, in dem ich prüfte, ist am genauesten umrissen durch die von dem Physiker Helmholtz in seiner „Lehre von den Tonempfindungen“ zusammengefassten, vornehmlich mit der Physik, Tonpsychologie und Musik sowie auch mit der Physiologie und Technik zusammenhängender Gebiete der Akustik. Weitere Prüfungsfächer waren Physik und als Pflichtfach Philosophie … Auf dem Gebiet der Schallanalyse und -synthese, der verzerrungsfreien Aufnahme und Registrierung von Schallschwingungen mittels elektromagnetischer Schwingungsschreiber und der mathematischen Auswertung der aufgenommenen Schwingungskurven hat sich Schumann nach seiner Promotion zu einem der ersten Spezialisten seines Faches entwickelt.“1210
Als Assistent von Stumpf blieb Schumann der Musikwissenschaft/Akustik weiterhin verpflichtet. Gleichzeitig war er Universitätsassistent bei Wehnelt im Fach Physik. Zu dieser Zeit arbeitete er an seiner Habilitationsschrift „Physik der Klangfarben“, einer Arbeit „in der Nachfolge von Stumpfs Untersuchungen an den Stumpfschen Experimentiereinrichtungen“. Dafür nutzte Schumann „das im Charlottenburger Schloß aufgestellte Interferenzröhrensystem zur Klanganalyse“. Er ging nach der Fourieranalyse* vor, wandte den Maderschen Analysator an und setzte Kondensatormikrophone für die Klangaufnahmen ein.1211 Vom Fleiß des jungen Doktors zeugte sein 1925 veröffentlichtes Buch „Akustik“, das allerdings unter Verwendung des Vornamens Karl in den einschlägigen Bibliographien verzeichnet ist und deshalb oft in der Liste der Schumannschen Veröffentlichungen fehlt. Für die „Akustik“ hatte Schumann wesentliche Teile seiner Dissertation verwendet.1212 Möglicherweise arbeitete Schumann gleichzei1209 PA Schumann, AHUB; auch zitiert bei Luck: Erich Schumann und die Studentenkompanie, 28. 1210 Carl Stumpf: Mitteilung für die Personalakte vom 5. November 1934, NL Schumann (Hervorhebungen im Original). 1211 Mitteilung Jobst P. Frickes vom 15. Juni 2005. 1212 Karl Erich Schumann: Akustik, Breslau 1925. Das Buch erschien in der Reihe des Hirt-Verlages: Jedermanns Bücherei. Natur aller Länder/Religionen und Kultur aller Völker. Wissen und Technik aller Zeiten in der Abteilung Musik, die Johannes Wolf herausgab.
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tig an einer zusätzlichen theoretisch-physikalischen Arbeit, mit der er (an der TH Berlin?) erfolgreich zum Doktor rer. nat. promovierte. Schließlich soll er auch eine medizinische Dissertation in Angriff genommen haben, die jedoch wegen Arbeitsüberlastung über das konzeptionelle Stadium nicht hinaus kam.1213 Seine Habilschrift reichte Schumann Ende 1928 ein. Erstbegutachter war Stumpf, der mit Lob nicht geizte. Auch die anderen Gutachter, die Professoren Schering (Musikhistorisches Seminar), Max von Laue, Walter Nernst und Max Planck schlossen sich diesem Urteil an. Planck hob die „Gewissenhaftigkeit und Sauberkeit in der Ausführung“ hervor.1214 Stumpf ging in seiner schon erwähnten Mitteilung von 1934 nochmals auf diese Habilitationsarbeit ein, die auf experimentellen Untersuchungen, geführt „mit großem Geschick, ungeheurer Sorgfalt und bedeutendem Erfolg“, beruhte. Schumann sei es damit gelungen, „die Helmholtz’sche Relativtheorie, die sich seit über 50 Jahren in allen Büchern gehalten hat, experimentell zu widerlegen und die Zusammensetzung der verschiedenen Klangfarben aus ihren letzten Bestandteilen aufzuzeigen“.1215 Jahre später sollte diese Arbeit in mehreren Bänden im Leipziger Verlag Breitkopf & Haertel in Druck gehen. Der 1. Band war für die theoretische Grundlegung und die Auseinandersetzung mit anderen Arbeiten vorgesehen, Band 2 für die Holzblasinstrumente, Band 3 und 4 für die Blechblas- und die Streichinstrumente. Zur Vollendung dieses aufwändigen verlegerischen Vorhabens kam es jedoch nicht, da bei einem Bombenangriff auf Leipzig die Druckstöcke zerstört wurden. Erhalten geblieben ist lediglich eine Kopie der Korrekturfahnen mit handschriftlichen Vermerken Schumanns.1216 Nach dem Habilitationserfolg stand der Erteilung der Venia legendi an Schumann für die „Systematische Musikwissenschaft mit besonderer Berücksichtigung der Akustik“ nichts mehr im Wege. 1929 erhielt er den Titel eines Privatdozenten an der Universität Berlin. Ergänzend wurde ihm – wie Stumpf in seiner „Mitteilung“ schrieb – „dann im Jahre 1931 außerdem [Hervorhebung im Original, G. N.] die Venia legendi für das Gesamtgebiet der Physik, also der experimentellen und theoretischen Physik, auf Vorschlag sämtlicher Physik-Ordinarien der Berliner Philosophischen Fakultät verliehen“. 1213 In den einschlägigen Bibliographien ist eine zweite Doktor-Arbeit Schumanns nicht nachweisbar, auf deren Existenz u. a. Dr. Kunz, Dr. Mertens und Schumann selbst (Fragebogen 1959–1961 für das „Hugo Riemann Musiklexikon“, NL Schumann) aufmerksam machten. Eine Erklärung für das Fehlen in den Bibliographien könnte sein, das diese Dissertation eine Geheimarbeit war (vgl. Kapitel 4). 1214 Habilitationsverfahren Schumanns, AHUB. 1215 Mitteilung Jobst P. Frickes vom 15. Juni 2005. 1216 Mitteilung Jobst P. Frickes. Das von ihm erwähnte Dokument „Autorenkorrektur“ befindet sich bei der Abteilung Systematische Musikwissenschaft des musikwissenschaftlichen Instituts der Universität Köln. In Stumpfs „Mitteilung“ von 1934 heißt es dazu: „Wegen der durch das reichhaltige photographische Kurvenmaterial bedingten hohen Druckkosten, die auf 25.000 M veranschlagt wurden, und weil Herr Schumann auf eine ungekürzte Veröffentlichung Wert legte, wird erst das in den Jahren 1930 bis 1933 noch ergänzte, in fünf Manuskriptbänden fertig gestellte Werk erscheinen. Ein Band liegt gedruckt zur 2. Korrektur vor.“ (wie Anm. 1206).
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Stumpf sah darin die „ausdrückliche Anerkennung der wissenschaftlichen Fähigkeiten des Herrn Schumann auf so verschiedenen Gebieten“.1217 Parallel zu diesem frühen Abschnitt seiner wissenschaftlichen Laufbahn entstanden feste Beziehungen zum Militär. Eine maßgebliche Rolle spielten hierbei Verbindungen aus der Zeit des Ersten Weltkrieges, die weitreichende Folgen zeitigten. Das Elsässer Regiment, in dem Schumann einst gedient hatte, unterhielt während der Weimarer Republik in Berlin einen Offiziersklub. Neben Schumann waren dort auch Kadow und Mentzel Mitglieder. In der nach 1933 geschaffenen Deutschen Wehrmacht entstand das in Nikolsburg/Mähren stationierte Infanterieregiment (IR) 131. Zu dessen Traditionsregiment wurde das einstige elsässische Regiment, dem Schumann angehört hatte. Im IR 131 leisteten von 1941 bis 1943 mehrere Gruppen der Studentenkompanie ihre Fronteinsätze.1218 Für die Entscheidung Schumanns, sich 1926 als beamteter Physiker beim Reichswehrministerium (RWM) zu bewerben, dürften die Kontakte zu zwei Personen von Gewicht gewesen sein. Das war einmal Schweikert, der bekanntlich 1918/19 dem Militärversuchsamt angehörte und auf den Schumann in seiner Doktorarbeit hingewiesen hatte. Der andere war Dr. Alfons Kreichgauer (*1889). Der Akustiker und Musikwissenschaftler hatte in Wien studiert. 1917 war er im Range eines Leutnants der Reserve Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter bei der Artillerieprüfungskommission, ab 1919 Referent für Messwesen im RWM. Zuletzt leitete er dort das messtechnische, akustische Labor. Daneben gehörte er seit 1919 als Assistent dem Psychologischen Institut von Prof. Stumpf an, wo das Phonogrammarchiv betreute. Von 1919 bis 1931 arbeitete er als Lektor für Akustik an der Hochschule für Musik in Berlin.1219 Noch im Jahr der Bewerbung erfolgte Schumanns Einstellung bei der „Zentralstelle für Heeresphysik und Heereschemie“, die damals der spätere General Karl Becker leitete. Becker hatte im gleichen Jahr wie Schumann promoviert und an der TH Berlin den Titel eines Dr. Ing. erworben.1220 Becker und Schumann verstanden sich offenbar von Anfang an sehr gut. Beide hatten nahezu identische Auffassungen vom Wert wissenschaftlicher Grundlagenforschung für die Entwicklung neuer, leistungsfähigerer Waffensysteme und bemühten sich nach Kräften um deren Förderung. Bereits 1929 trat Schumann die Nachfolge Beckers als Chef der Zentralstelle an. Becker wechselte zur Amtsgruppe Prüfwesen (Wa Prüf) des HWA, wo er zuerst die Abteilung Wa Prüf 1 (Ballistik und Munition) übernahm, danach (1932) Chef der gesamten Amtsgruppe Prüfwesen und schließlich (1938) Chef des HWA wurde. Das RWM ernannte Schumann 1932 zum Ministerialrat und beauftragte ihn gleichzeitig mit dem Umbau 1217 Wie Anm. 1210. 1218 Luck: Erich Schumann und die Studentenkompanie, 27, sowie unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129). 1219 PA Kreichgauer, AHUB. 1220 Zu Becker vgl. insb. Ciesla: Ein Meister, 264–287; Derselbe: Abschied von der „reinen“ Wissenschaft. Wehrtechnik und Anwendungsforschung in der Preußischen Akademie nach 1933, in: Wolfram Fischer, Rainer Hohlfeld, Peter Nötzold (Hg.): Die Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1914–1945, Berlin 2000 (= Interdisziplinäre Arbeitsgruppen, 8), 483–511.
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der bisherigen Zentralstelle zur Forschungsabteilung. Ebenfalls im Jahre 1932 gab Schumann ein kurzes Gastspiel beim „Wehrpolitischen Amt der NSDAP“. Diese im Herbst 1932 gebildete Einrichtung führte General Franz Ritter von Epp, der ab 1933 Reichsstatthalter in Bayern wurde. Mitarbeiter dieses Wehrpolitischen Amtes war auch der spätere SS-Führer Dr. Otto Schwab. Nach der Schaffung der Wehrmacht wurde dieses Amt der NSDAP 1934 aufgelöst.1221 Die ersten zwei Jahre nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten sollten für Schumann zu einer Art Karriereschub werden. Dazu gehörte die bereits im Kapitel 3 geschilderte Gründung des II. PI, ein Ereignis, dass Schumann den Professorentitel einbrachte. Die Vorgänge um diese Ernennung verdienen ihre kurze Wiedergabe: Bereits Anfang 1933 unternahm das RWM entsprechende Schritte. Becker schrieb am 8. Februar 1933 an Ministerialrat Dr. Windelbrand im Preußischen Kultusministerium einen kurzen Brief mit der Bitte: „im Anschluß an unsere Besprechung über Wehrwissenschaften wäre ich ihnen dankbar, wenn die Ernennung des Ministerialrates Priv. Doz. Dr. Schumann zum Honorarprofessor aus den Ihnen seinerzeit mündlich angegebenen Gründen noch in diesem Semester erfolgen würde.“1222
In diesem Sinne wandte sich wenige Tage später das Preußische Kultusministerium an die Philosophische Fakultät der Universität Berlin und ersuchte um eine Stellungnahme. Am 2. März tagte die zuständige Kommission der Universität Berlin. Dabei unterrichtete der Dekan die anwesenden Professoren von einer Unterredung mit dem „Chef des Ministeramtes im Reichswehrministerium, Oberst von Reichenau“. Dieser habe erklärt, dass im RWM „nicht das geringste Interesse“ an einer Ernennung Schumanns bestehe. Entsprechend fiel auch der Beschluss der Kommission aus, die ihre Zustimmung verweigerte. Begründet wurde die Ablehnung damit: „Seine wissenschaftlichen Leistungen, soweit sie bis heute vorliegen, erscheinen nicht groß genug, um nach einer Dozententätigkeit von knapp 3 1/2 Jahren eine solche Ernennung zu rechtfertigen, die der Herr Minister bei Gelehrten von international anerkanntem Ruf wiederholt unter Berufung auf die entgegen stehenden Satzungen der Universität abgelehnt hat.“1223
Welche Gründe für die unterschiedliche Position Beckers und v. Reichenaus vorlagen und welche Auseinandersetzungen sich nach diesem Beschluss hinter den Kulissen um die Ernennung Schumanns abgespielt haben mögen, geht aus den Akten nicht hervor. Umso überraschender ist der Bescheid des Preußischen Kultusministeriums vom 29. September 1933 an Schumann. Ihm wurde nämlich mitgeteilt: „Der Herr Preußische Ministerpräsident [Göring, G. N.] hat Sie zum ordentlichen Professor an der philosophischen Fakultät der Universität Berlin ernannt.
1221 Fischer: Hitlers Apparat, 44. Auf die Zugehörigkeit Schumanns zum Wehrpolitischen Amt weist auch Maier hin: Forschung als Waffe, 359. 1222 Zitiert bei Luck: Erich Schumann und die Studentenkompanie, 30. 1223 Berufungsunterlagen (zu Schumann), AHUB, im Bestand Philosophische Fakultät, Nr. 1440, Bl. 366, 370 f.
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Indem ich Ihnen die darüber ausgefertigte Bestallung übersende, bemerke ich, daß es sich hier um die Übertragung eines persönlichen Ordinariats handelt. Sie erhalten durch diese Ernennung die mit Ihrer neuen Eigenschaft verbundenen Rechte im Rahmen der akademischen Korporation. Dagegen erwerben Sie keinen Anspruch gegen den Staat, insbesondere nicht auf Übertragung eines planmäßigen Lehrstuhls. Ihren Lehrauftrag in der genannten Fakultät habe ich für das Lehrgebiet ‚Physik und systematische Musikwissenschaft‘ festgesetzt. Den Herrn Reichswehrminister sowie die beteiligten akademischen Behörden der Universität Berlin habe ich benachrichtigt.“1224
Warum die von der Reichswehr nachhaltig gewünschte Ernennung Schumanns zum Honorarprofessor nicht erfolgte, sondern abgeändert wurde zum persönlichen Ordinarius (Führen des Titels ohne entsprechende Bezahlung), verraten die einschlägigen Quellen nicht. Die Vermutung liegt nahe, daß es ein Kompromiss gewesen sein könnte, um die ablehnende Stellungnahme der Universitätskommission vom März 1933 zu umgehen. Bezahlt wurde Schumann ohnehin vom RWM bzw. OKH. Doch dieser Zustand währte nicht lange. Im März 1935 beantragte der Professor beim REM die Bewilligung „einer einmaligen Vergütung in Höhe von 3.000 RM“. Er vertrete als persönlicher Ordinarius an der Universität Berlin die experimentelle und theoretische Physik. Ab April 1935 sei ihm ein Lehrauftrag für Wehrphysik in Aussicht gestellt worden. Zusätzlich „bereite ich seit dem 1. 10. 1934 die Herausgabe eines Lehrbuches der neueren Ballistik vor“. Dafür arbeite er überwiegend außerhalb der Dienstzeit. Das REM reagierte prompt und gewährte – außer den Vorlesungshonoraren – eine jährliche „kürzungsfreie Vergütung von jährlich 3.600 RM“ sowie für die Lehrtätigkeit im Sommersemester 1935 einmalig 1.800 RM.1225 Auch andere Ereignisse belegen den wachsenden Einfluss Schumanns als Vertreter des RWM. Am 17. Oktober 1933 tagte der „Ausschuß zur Vereinheitlichung der Deutschen Wissenschaft“ des Reichsinnenministers. Ihm gehörten zwei Vertreter des Reichsinnenministeriums (RIM), Johannes Stark von der PTR, Prof. Erwin Baur vom KWI für Züchtungsforschung (Müncheberg), Prof. Erich Rothacker von der Universität Bonn und Min. Rat Prof. Theodor Vahlen vom REM an. Schumann vertrat das RWM und gleichzeitig die Universität Berlin. Beschlossen wurde eine „Denkschrift für Forschungsgemeinschaft und Forschungsdienst“, mit der die „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“ und die KWG enger zusammengeführt werden sollten. Im Aktenvermerk zu dieser Sitzung heißt es: „Mit dem Reichswehrministerium – Ministerialrat Schumann – ist vereinbart worden, daß dieses alle seine Wünsche zunächst an das Reichsinnenministerium heranträgt und daß dieses dann die Länder und deren wissenschaftlichen Institute, die zu Wehrzwecken benötigt werden, in jedem Fall nach Berlin zusammenruft und ihnen dort mit dem nötigen Nachdruck die im Interesse der Landesverteidigung vordringlichen Aufgaben übermittelt.“
Das RWM „und seine beteiligten Stellen“ werden zu diesen Beratungen hinzugezogen. Alle Teilnehmer dieser Zusammenkunft vom 17. Oktober erklärten sich
1224 Ebd, Nr. 1478, Bl. 94. 1225 BAB, BDC zu Schumann, DS A 0064, Bl. 1442, 1448.
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III. Schicksale
mit den „Aufgehen der Notgemeinschaft und der KWG in die gesamte wissenschaftliche Organisation einverstanden“.1226 20 Tage später tagte der Ausschuss erneut, um weitere Fragen zu beraten. Im Dezember 1933 kam es zu der schon im Kapitel 2 geschilderten Zusammenkunft unter Vorsitz des Staatssekretärs Pfundner vom RIM, der auch die oben mitgeteilte Ausschussberatung leitete. Thema waren die Einzelheiten, wie das KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie für „die Zwecke der Wehrwissenschaft im Sinne des Reichswehrministeriums zur Verfügung gestellt wird“. Das RWM wurde bei dieser Sitzung vertreten durch Becker und Schumann.1227 Die engen Kontakte Schumanns zu diesem KWI, die sich in der Folge noch bedeutend verstärken sollten, wurden ergänzt durch feste Beziehungen zu weiteren KWI. 1934 gehörte Schumann dem Kuratorium des KWI für Metallforschung an. Im Forschungsinstitut für Wasserbau und Wasserkraft der KWG war er Mitglied des Verwaltungsrates.1228 Das Jahr 1934 bescherte Schumann – zusätzlich zu seinen Funktionen als Direktor des II. PI sowie in der Forschung beim OKH – ein weiteres wichtiges Amt. Durch die Umbildung des Preußischen Kultusministeriums war zum 1. Mai 1934 das „Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung“ entstanden, das bald unter der offiziellen Abkürzung „Reichserziehungsministerium“ (REM) lief. Mit der Umbildung zum REM wurde auch ein „Amt Wissenschaft“ neu etabliert. Zum Chef desselben ernannte man einen Monat später den Mathematiker Theodor Vahlen, den wir schon als SS-Obergruppenführer kennen gelernt haben und der seit März 1933 dem Preußischen Kultusministerium angehörte. In seiner neuen Funktion bestimmte Vahlen maßgeblich die Politik des REM gegenüber der KWG, der Preußischen Akademie der Wissenschaften und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Zu Vahlens Bereich im REM gehörte auch die Forschungsabteilung W II. Zu den Hintergründen der Entstehung von W II äußerte sich der Kenner nationalsozialistischer Wissenschaftspolitik, Helmut Heiber: „[Es] war eine Dependance der Bendlerstraße [Sitz des OKW, G. N.], im Juli 1934 ausdrücklich geschaffen, als eine Stelle, von der aus die Wehrmacht alle zivilen Institute überblicken und gegebenenfalls für ihre Zwecke verwenden konnte. Sie war aus einer Übereinkunft zwischen Rust und General Becker, dem faktischen Chef des Heereswaffenamtes entstanden und wurde geleitet von jenem Mann, der wiederum hinter Becker stand und die treibende Kraft der gesamten Wehrwissenschaft zur damaligen Zeit war: Prof. Erich Schumann.“1229
Zur Einsetzung Schumanns ließ Minister Rust am 25. Juni 1934 eine hausinterne Mitteilung kursieren:
1226 BAB, R 2501/5328, Bl. 211, 313. 1227 Sitzungsbericht vom 6. Dezember 1933 „Betreffend das Kaiser-Wilhelm-Institut für physikalische Chemie und Elektrochemie“, BAB, R 2/12495. 1228 Vahlen am 24. Oktober 1934 an den Präsidenten der KWG, mit dem Vorschlag, Schumann als Vertreter des REM in das Kuratorium des KWI für Metallforschung zu entsenden, AMPG, I. Abt. KWG, Rep. 1A Generalverwaltung, Nr. 1903/1, Bl. 10. Vgl. auch Maier: Forschung als Waffe, 359. 1229 Heiber: Walter Frank, 645.
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„In der HA für Wissenschaft werden die der freien Forschung auf physikalisch-technischen Gebieten dienenden Einrichtungen und Angelegenheiten von den übrigen wissenschaftlichen Angelegenheiten abgezweigt. Diese Einrichtungen und Angelegenheiten werden zu einer neuen Abteilung innerhalb der HA vereinigt und unter eine besondere Leitung gestellt. Die Leitung dieser neuen Abteilung, die mit der Bezeichnung ‚Abteilung für wissenschaftliche Forschung und Technik‘ in den Geschäftsplan des Ministeriums eingegliedert wird und deren weitere Abgrenzung noch vorbehalten bleibt, habe ich Ministerialrat Prof. Dr. Schumann übertragen.“1230
Im Sommer 1934 stieß Mentzel als Referent für Naturwissenschaften und gleichzeitig Stellvertreter Schumanns zu der neuen Abteilung W II. Wahrscheinlich erfolgte auch dieser Schritt in Abstimmung mit dem bzw. auf Wunsch des RWM. Damit begnügte sich die Reichswehrführung allerdings nicht. Im November 1934 wurde Dr. Walter Hinz, ein Iranologe an der Universität Berlin, zu Schumanns Abteilung im REM delegiert. Auch Hinz, Schwiegersohn des Chefs des Heeresunterrichtswesens, im REM zum Regierungsrat befördert, kam in seine Funktion „mit dem ausdrücklichen Auftrag, die Forschung in die Hand der Wehrmacht zu bekommen“.1231 Schließlich ist noch ein weiterer Referent zu nennen, der im REM für zwei Jahre in Schumanns Abteilung arbeitete. Es handelte sich um Dr. Willi Willing, der 1937 Professor an der TH Berlin wurde. Willing galt als strammer Nazi. Er war Gaudozentenführer in Berlin, gehörte ab 1932 dem SD an und war zuletzt dem Höheren SS- und Polizeiführer im Generalgouvernement in Krakau zugeteilt. Dort bestand seine Aufgabe vor allem darin, den Einsatz „wissenschaftlich vorgebildeter Häftlinge“ für Forschungszwecke zu organisieren. Dazu arbeitete er vor allem mit dem „Institut für Deutsche Ostarbeit“ zusammen und stimmte die Aktivitäten der SS mit Schumanns Abteilung Wissenschaft im OKW ab, worüber bereits ausführlich berichtet wurde.1232 Dass Schumanns Tätigkeit beim REM eng mit Grundfragen der Aufrüstung des NS-Regimes verknüpft war, lässt sich an den zahlreichen Beispielen belegen auf die bei den verschiedenen Forschungsthemen bereits aufmerksam gemacht wurde. Darüber hinaus delegierte das nunmehrige Reichskriegsministerium (RKM) ihn oft zu Beratungen, bei denen es um weitreichende Entscheidungen ging, wie die am 2. März 1936 zum „Ausbau der wehrtechnischen und luftfahrttechnischen Einrichtungen an der Technischen Hochschule“ Berlin. Gegenstand dieser Zusammenkunft war die Verteilung von Millionenbeträgen für die WTF. Der verhinderte Reichskriegsminister hatte Schumann für diese Zusammenkunft als seinen Vertreter benannt.1233 1937 wurde die Forschungsabteilung W II des REM auf ein Referat reduziert. Schumann hatte sich schon 1936 aus dem Ministerium Rust zurückgezogen, um sich seine zahlreichen anderen Aufgaben im Dienst der Wehrforschung stärker widmen zu können. Sorgen über den Verlust einer einflussreichen Position musste er sich dabei nicht machen. Das Feld im REM war gut bestellt, denn Mentzel 1230 1231 1232 1233
BAB (wie Anm. 1225), Bl. 1414. Heiber: Walter Frank, 646. Zu Willing vgl. ebd., insb. 818 f. Der Reichkriegsminister am 28. Februar 1936 an das REM, BAB, R 4901/981, Bl. 147
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III. Schicksale
blieb, übernahm W II und avancierte 1939 zum Chef des „Amtes Wissenschaft“. Außerdem stieg Mentzel, der bis Kriegsschluss im REM arbeitete, 1937 zum Geschäftsführer im RFR auf und wurde 1939 dessen Vizepräsident. Bei der DFG war er ab November 1936 zuerst kommissarischer, bald jedoch dauerhafter Präsident. Heiber kommentierte diese Vorgänge aus seiner Sicht: „Die Gruppe Schumann beherrschte in jenen Jahren weitgehend die wissenschaftliche Personalpolitik, jedenfalls soweit sie für die Wehrmacht von Interesse war. Das freilich war bald nicht mehr übermäßig der Fall, entstammte doch der ganze Plan der Becker-Leute, die deutsche Forschung über das Reichswissenschaftsministerium zu kontrollieren, noch der Gedankenwelt des in den Versailler Schranken gehaltenen 100.000-Mann-Heeres. Nachdem die Aufrüstung nicht mehr illegal war, sondern alles ganz offiziell vor sich ging, war diese kaschierte Kommandostelle weitgehend uninteressant geworden. Nun konnte die Wehrmacht, ohne noch Tarnung nötig zu haben, ihre eigenen Institute aufbauen und ihre eigenen Professoren halten.“ 1234
Die Heibersche Lesart von der Schumann-Gruppe (1966) wurde seither wiederholt von den Historikern aufgegriffen, zuletzt von Hammerstein und Maier. Hammerstein gelangt dabei zu dem Schluss, dass Mentzel gemeinsam mit seinen „Freunden“ wie Peter Adolf Thiessen, Erich Schumann, später Konrad Meyer und Wolfram Sievers (vom „Ahnenerbe“) „nachhaltig die NS-Wissenschaftspolitik und damit auch die DFG“ bestimmte. „Mentzel war und blieb der entscheidende Mann für die Forschungsförderung und die generelle Wissenschaftspolitik des Ministeriums“.1235 Maier beschreibt eine „erweiterte Schumann-Mentzel-Gruppe 1935/36“. Außer Schumann, Mentzel, Thiessen und Willing zählte er dazu folgende Persönlichkeiten: Dr. Carl Krauch von der IG Farben (bekannt als „Generalbevollmächtigter Görings für Sonderfragen der chemischen Erzeugung“, in der Kurzform: GB Chemie bzw. GeBeChem), Dr. Ernst Telschow, zuletzt Generalsekretär der KWG, sowie SS-Obersturmführer Dr. Fritz Baur, der während des Ersten Weltkrieges bei Haber als Chemiker in der Kampfstoff-Forschung arbeitete. Mit Mentzel habe Baur eine Duz-Freundschaft verbunden.1236 Die wohl wichtigsten Aktivitäten Schumanns zur Einflussnahme auf die Wissenschaftspolitik nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten und ihre Bestrebungen zur „Neuordnung der Wissenschaft“ hängen mit der Gründung des RFR und seiner ereignisreichen, verwickelten Vorgeschichte zusammen. Diese habe bereits vor 1933 begonnen, wie Schumanns früherer Vorgesetzter General a. D. Dr. Kurt Waeger zu Protokoll gab. 1234 Heiber: Walter Frank, 817 f. 1235 Hammerstein: Deutsche Forschungsgemeinschaft, 134, 213. Bei K. Meyer handelt es sich um Prof. Dr. Konrad Meyer (geb. 1901), Landbauwissenschaftler, Mitglied der Kuratorien der KWI für landwirtschaftliche Arbeitswissenschaften und Seenforschung, ab 1933 bei der SS, 1935–1939 SS-Führer im Stab des Reichssicherheitshauptamtes, Leiter einer Fachgliederung im RFR, nach 1945 angeklagt wegen Kriegsverbrechen. Vgl. zu ihm u. a. Mechthild Rössler, Sabine Schleiermacher (Hg.): Der „Generalplan Ost“. Hauptlinie der nationalsozialistischen Planungs- und Vernichtungspolitik, Berlin 1993 (= Schriften der Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts), an zahlreichen Stellen, insb. 7–14 1236 Maier: Forschung als Waffe, 359 f.
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„Schumann hatte schon 1932 einen Plan für die Organisation der deutschen Forschung zusammen mit General Becker fertig gestellt (Reichforschungsakademie) und diesen Plan mit Männern des Pr. Kultusministerium diskutiert. Darüber wurde ich von General Becker nach Übernahme meiner Tätigkeit bei ihm informiert. Die Akademie sollte keinem Ministerium unterstehen, um jedes Hineinreden auszuschalten. Die vier an der Spitze stehenden Wissenschaftler (einer für Geisteswissenschaft, Prof. Dr. Wiegand, einer für Naturwissenschaften, Prof. Dr. Planck, einer für Medizin, Prof. Dr. Sauerbruch und einer für Technik: Prof. Dr. Dr. Becker) sollten nur dem Staatsoberhaupt verantwortlich sein, d. h. praktisch die Dinge absolut selbständig leiten. Für jede wissenschaftliche Disziplin war ein Wissenschaftler vorgesehen, der für dieses Fach die beratenden Ausschüsse und Arbeitsgemeinschaften bilden und das Geldbewilligungsverfahren organisieren sollte. Also eine absolut freie Forschung, eine wissenschaftliche Selbstverwaltung, wie sie sich in den deutschen Fakultäten und an den Hochschulen bestens bewährt hatte. [Hervorhebungen im Original, G. N.]. Dieser Becker-Schumann-Plan wurde dann ab 1933 immer mehr verwässert.“1237
Stark empfahl „seinem Führer“ am 30 April 1934 einen anderen Plan, der die gleichzeitige Schaffung einer „Reichsakademie der Wissenschaften“ und eines „Reichsforschungsrates“ vorsah. Beiden Gremien sollte Hitler vorstehen. Während die „Reichsakademie“ die gesamte deutsche Wissenschaft im In- und Ausland zu repräsentieren hatte – so Stark –, sollte der „Reichsforschungsrat“ die Richtlinien für die Entwicklung der deutschen Forschung bestimmen und deshalb die „hervorragendsten deutschen Forscher“ in einer naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Abteilung zusammen führen bzw. in fünf Forschergruppen gegliedert sein. Das REM hatte hingegen nur eine „Reichsakademie der Forschung“ ins Auge gefasst. Sie stellte eine Mischung der Starkschen Reichsakademie und seines Reichsforschungsrates dar. Gleichzeitig sollte die DFG im Sinne der Vorstellungen von Rust Bestandteil der Reichsakademie werden.1238 Vom Konzept des REM bekam Stark schnell Wind. Er erkannte sofort, dass der „eigentliche Vater des Gedankens der Rustschen Reichsakademie“ Schumann war, und fuhr fort: „Aber den Plänen Schumanns … stand die Notgemeinschaft Schmidt-Otts im Wege; dazu winkten die 4 Millionen, die sie jährlich für die Förderung der Forschung verausgaben konnte. Sie musste also zunächst unter seinen Einfluss kommen um sie dann durch seine Reichsakademie ersetzen zu können … Nach einigen Tagen kam Prof. Schumann zu mir in die Dienststelle der Notgemeinschaft im Schloss. Er wollte von mir Aufschlüsse über den Geschäftsgang der Notgemeinschaft. Ich gab sie gerne, wenn auch etwas verwundert über sein Interesse. Er fühlte vorsichtig mit der Frage vor, ob er auch beteiligt werden könne. Ich stutzte und erklärte ihm offen, es sei nicht notwendig, daß er sich bemühe und würde allein mit der Leitung der Notgemeinschaft fertig werden. Er machte ein etwas verblüfftes Gesicht und schwieg überlegend einige Sekunden. Ich konnte durch sein verschlossenes Gesicht hindurch seine Gedanken lesen. Er hatte sich in
1237 Eidesstattliche Erklärung Dr. Kurt Waegers vom 17. Mai 1949 im Spruchverfahren gegen Mentzel, BAK Z 42 IV/4059, Bl. 146. Ciesla, der diese Quelle nicht nutzte, datiert die Pläne Beckers auf das Jahr 1933 (Abschied von der „reinen“ Wissenschaft (wie Anm. 1220), Bl. 497). 1238 Details dazu bei Fischer, Hohlfeld, Nötzoldt (Hg.): Die Preußische Akademie der Wissenschaften (wie Anm. 1220), 547–552. Als Begriff war auch die Bezeichnung „Reichsring der deutschen Wissenschaften“ im Gespräch, vgl. BAB, R 1501/5328.
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III. Schicksale der Einschätzung meiner Persönlichkeit geirrt. Ich war nicht der weiche, lenksame Mann, den er in mir wegen meines Entgegenkommens in militärisch-wissenschaftlichen Fragen in der Reichsanstalt vermutet hatte. Offensichtlich verstimmt empfahl er sich. Schumann trat von da an in dem Kampf um die Forschungsgemeinschaft in den Hintergrund. Es war ihm unterdes gelungen, Rust seinen Plan mit der Reichsakademie der Forschung so beizubringen, daß dieser sich mit seinem Ministerium immer hartnäckiger dafür einsetzte.“1239
Auch Schmidt-Ott berichtet von wiederholten Besuchen Schumanns, der mit ihm „von der Betätigung der Notgemeinschaft für die Landesverteidigung“ Sondierungsgespräche führte und dabei die Gründung einer „Reichsfakultät“ ins Spiel brachte.1240 Nach verbissenen Kämpfen rivalisierender Kräfte um die künftige Wissenschaftspolitik, vor allem ausgetragen zwischen Rust und Stark, begleitet von Intrigen verschiedener Protagonisten, an denen auch Schumann seinen Anteil hatte, entschied schließlich Hitler im Sommer 1936 die Gesetzesvorlage (vom Herbst 1934, mehrmals variiert) über die „Gründung einer Reichsakademie der Forschung“ abzusetzen.1241 Das bedeutete jedoch keineswegs das Ende der gemeinsamen Bemühungen von REM und HWA um eine neue Forschungsorganisation, die den Vorstellungen und Bedürfnissen der Heeresführung besser entsprach. Das Ergebnis wurde im März 1937 präsentiert, als Minister Rust seinen Erlass über die Bildung eines „Reichsforschungsrates“ (RFR) veröffentlichen ließ. Zwei Monate später, am 25. Mai, fand die feierliche Eröffnung des RFR in Anwesenheit Hitlers und anderer NS-Größen statt. Präsident des RFR wurde General Becker, der nach Rust als zweiter Redner eine ausführliche Begründung der Notwendigkeit und Aufgaben dieser neuen Organisation gab. Vizepräsident wurde der Germanist SS-Oberführer Dr. Otto Wacker, der kurz zuvor als Chef des Amtes Wissenschaft im REM den scheidenden Vahlen abgelöst hatte.1242 Als geistiger Vater des RFR-Erlasses gilt allgemein Schumann, der sich dazu ausgiebig mit Thiessen beraten hatte, wobei auch die organisatorischen Formen der Arbeit des RFR zur Debatte standen. Eine wichtige Entscheidung war die Bildung von Fachgliederungen (später Fachsparten), zu deren Leitern renommierte Wissenschaftler berufen wurden. Es kann als sicher gelten, dass Schumann dabei mit Besetzungsvorschlägen, die er mit Mentzel und Becker diskutierte, nicht sparte.1243 Schumann gehörte zwar nominell dem neu geschaffenen RFR (noch) nicht an, hatte jedoch damit seine Position deutlich ausbauen können. Äußerlicher Ausdruck dafür war seine am 1. April 1938 erfolgte Beförderung durch das RKM zum Ministerialdirigenten, ein Beamtenrang, der in etwa dem eines Generalmajors gleich kam und der Schumann zum Tragen einer entsprechenden Uniform berechtigte. Bis Kriegsende blieb es bei dieser Würde eines Ministerialdirigenten. Wae1239 1240 1241 1242 1243
Stark: Erinnerungen, 125 f. Schmidt-Ott: Erlebtes und Erstrebtes, 293. Ausführlich Heiber: Walter Frank, insb. 798–814. Zur feierlichen Eröffnung des RFR Hammerstein: Deutsche Forschungsgemeinschaft, 205–212. Vgl. u. a. Maier: Forschung als Waffe, 365–373, der sich auch zu den Gründen äußert, warum der RFR Anfang 1937 durch Rust und Mentzel ins Leben gerufen wurde. Zur Zusammenarbeit Schumann/Thiessen bei der Gründung des RFR vgl. Eibl: Thiessen, insb. 133.
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ger äußerte sich nach 1945 leicht verwundert: „Schumann ist meines Erachtens sogar der einzige Wehrmachtsbeamte seines Ranges, der im Krieg nicht befördert wurde.“1244 Genau ein halbes Jahr nach dieser Beförderung wurde Schumann – zusätzlich zu seinen anderen Dienststellungen – Leiter der Abteilung Wissenschaft im OKW, die der Amtsgruppe für Allgemeine Wehrmachtsangelegenheiten (AWA) zugeordnet war. Damit erhielt er auch einen weiteren Vorgesetzten, General Reinecke, Chef des AWA (vgl. Kapitel 4).1245 Der Beginn des Zweiten Weltkrieges brachte einen weiteren Karriereschub: Am 2. Oktober 1939 erfuhr der Kurator der Berliner Universität von seinem Rektor, dass Rust Schumann in den RFR berufen hatte. Sechs Wochen später konnte Schumann stolz auf seine Ernennung zum Präsidialmitglied (als Vertreter von Keitel) im RFR verweisen.1246 Zwischen diesen beiden Ereignissen lag die Ende Oktober 1939 vollzogene Übergabe des soeben fertig gestellten „Hauses der Wissenschaften“ (Berlin-Steglitz, Grunewaldstraße 35), das zum gemeinsamen Sitz von RFR und DFG wurde. Zu den hochrangigen Gästen gehörten u. a. der erste Präsident der DFG SchmidtOtt, der stellvertretende Reichsärzteführer Blome, Krauch in seiner Eigenschaft als Leiter des Reichsamtes für Wirtschaftsausbau (RWA) sowie der Generalsekretär der KWG Telschow. Die Wehrmachtsführung war vertreten durch Schumann. Von den drei Vorträgen – Krauch zur Forschung im Vier-Jahres-Plan, Dr. Wolff, Leiter der Kolonialwissenschaftlichen Abteilung im RFR, zu den Aufgaben der deutschen Kolonialforschung – ist der von Mentzel von besonderem Interesse. Er hatte die Leiter der Fachgliederungen ersucht, aus ihrer Sicht eine Forschungsbilanz zu ziehen. Auf dieser Grundlage gab Mentzel eine „großzügige Überschau [zu] 20 Jahren deutscher Forschung“. Man kann sicher sein, Schumann hatte die abgelieferten, z. T. sehr ausführlichen Berichte genau studiert.1247 Am 8. April 1940 erschoss sich General Becker. Mit den Umständen dieses Suizids und seinen Hintergründen hat sich ausgiebig Ciesla auseinandergesetzt. Er weist vor allem auf die kurz nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges eingetretene „Munitionskrise“ hin, die Ende 1939 ihrem Höhepunkt zustrebte. Im HWA versuchte man der Situation durch „strukturelle und personelle Maßnahmen“ Herr zu werden. Doch durch die von Hitler befohlene Gründung des Reichsministeriums für Bewaffnung und Munition am 17. März 1940 ging dem HWA die bis dahin ausgeübte Rüstungsoberhoheit verlustig.1248 Mit dem Tod Beckers verlor Schumann einen wichtigen Gönner und Förderer. Das letzte, was er für ihn noch tun konnte, war ein ausführlicher Nachruf im „Völkischen Beobachter“. Darin würdigte Schumann den Professor-General als eine herausragende Persönlichkeit, die sich vor allem bemühte, zur Entwicklung der Wehrtechnik die „Verbindungen
1244 Eidesstattliche Erklärung Waegers vom 17. Mai 1949 (wie Anm. 1237), Bl. 139. 1245 Zu den Daten der Beförderung bzw. der Ernennung zum Leiter der Abteilung Wissenschaft vgl. PA Schumann, AHUB. 1246 PA Schumann, AHUB. 1247 Vgl. Hammerstein: Deutsche Forschungsgemeinschaft, 302–311. 1248 Ciesla: Das Heereswaffenamt, 62–66.
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III. Schicksale
zwischen Wehrmacht und Wissenschaft immer enger zu gestalten“. Das habe auch „seitens der deutschen Wissenschaft gebührende Anerkennung“ gefunden: „Zahllose Fäden verbanden ihn in immer stärkerem Maße mit der gesamten wissenschaftlichen Welt.“ Als Fazit stellte Schumann heraus: „Überblickt man das an Erfolgen so reiche Lebenswerk Karl Beckers, so erscheinen seine Leistungen auf wissenschaftlichem wie auf militärischem Gebiet in gleicher Weise unvergänglich. Dort hat er sich nicht nur als Forscher durch zahlreiche Veröffentlichungen, sondern auch als Organisator des Einsatzes der deutschen Wissenschaft ein bleibendes Denkmal gesetzt. Hier konnte er gerade auf Grund seiner engen Beziehungen zur Wissenschaft an höchst verantwortlicher Stelle des Heeres die Aufrüstung der deutschen Wehrmacht zu der gegenwärtig allgemein anerkannten und von den Feindmächten gefürchteten technischen Überlegenheit vorantreiben.“1249
Welchen Einfluss der Selbstmord des Generals auf die Position Schumanns hatte, lässt sich nur schwer abschätzen. Manches deutet darauf hin, dass seine Stellung im OKH bzw. OKW kaum betroffen war. Mit Beckers Nachfolger, General der Artillerie Erich Leeb, arrangierte sich Schumann offenbar recht schnell; jedenfalls gibt es keine gegenteiligen Hinweise. Bei Keitel, dem Chef des OKW, stand Schumann sowieso in großem Ansehen. Nach Meinung Waegers sei Schumann nach dem Tod Beckers „von der Partei und auch vom Ministerium vollkommen abgeriegelt und grundsätzlich lahm gelegt worden“. General Oster, Chef des Stabes bei Canaris im OKW, Amt Ausland/Abwehr, habe empfohlen „vom Heer aus Schumann weiterhin zu unterstützen“.1250 Diese Angaben Waegers sind, wie die Ereignisse um das weitere Schicksal des RFR zeigen, mit Vorsicht zu genießen. Mit dem Ende General Beckers war die Präsidentschaft des RFR zunächst verwaist. Der vorübergehende Amts-Inhaber, der angeblich „schwache Minister Rust“, konnte nur eine Notlösung sein. Jetzt mehrten sich – vor allem unter dem Eindruck des immer kritischeren Kriegsverlaufes – die Bemühungen maßgeblicher Kräfte aus dem Bereich der Industrie und der Wissenschaft, das Forschungswesen neu zu organisieren und den RFR umzubauen. Einen ersten Vorstoß hatte Krauch am 6. April 1940 mit einer Denkschrift an Göring unternommen, worin vom Versagen des RFR und der KWG die Rede war. Weitere Schritte folgten, beispielsweise die Reorganisation der Luftfahrtforschung.1251 Schumann schaltete sich auch diesmal ein und bemühte sich nach Kräften, in den Umbau des RFR seine eigenen Vorstellungen und Absichten einzubringen. So nutzte er beispielsweise im Juli 1942 eine Besprechung zwischen Telschow, Heisenberg, Diebner und ihm selbst, betreffend die offizielle Abgabe des Uranprojektes an den RFR, zu einem persönlichen Gespräch mit Telschow. Dieser vermerkte zum Inhalt in einem Schreiben an Vögler:
1249 Erich Schumann: General Becker als Wissenschaftler, in: Völkischer Beobachter, Nr. 101 vom 10. April 1940, S. 5, in: Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, PAW (1812–1945) II–III–47 (Personalia Karl Becker). Hervorhebung im Original. 1250 Waeger (wie Anm. 1237), Bl. 145. 1251 Ausführlich bei Maier: Forschung als Waffe, insb. S. 475–515; vgl. auch Hammerstein, Deutsche Forschungsgemeinschaft, 366 f.
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„Schumann hat auch unaufgefordert etwa zwei Stunden mit mir über den Reichsforschungsrat gesprochen und mir die einzelnen Entwürfe gezeigt. Unter ihnen ist derjenige, den Sie mir neulich zeigten, also wohl Entwurf Speer (soll aber nicht von ihm stammen), noch bei weitem der beste. Er soll angeblich in der nächsten Woche zusammen mit den anderen durch Keitel dem Führer zur Genehmigung vorgelegt werden. Ich halte aber den Aufbauplan, den Sie mir heute als Skizze zuschickten, noch für wesentlich zweckmäßiger, da die Wehrforschung nicht auf einen langen Instanzen- und Kommissionenweg angewiesen ist, sondern ihre Ergebnisse unmittelbar über Speer oder seinen Bevollmächtigten in die Praxis tragen kann. Nur scheint mir die Verbindung von den Natur- und technischen Wissenschaften zum Ministerium Speer nicht genügend gesichert, da sie nur über Rust und das Präsidium möglich ist. Wie gesagt ist meiner Ansicht nach dieser Vorschlag aber weitaus der beste, der bisher gemacht wurde. Die Skizze gebe ich in der Anlage mit Dank zurück. Sch. kannte übrigens durch Mentzel die Anregung, die Sie für die Besetzung der Organisations- und Verwaltungsabteilung gegeben hatten, also K. Er sagte, daß diese Persönlichkeit nicht in Frage komme, sondern Mentzel. Gegenüber einem anderen Kandidaten, der auch genannt wurde, scheint mir diese Lösung die bessere. Sch. erzählte außerdem noch von einigen Dingen, die sich hinter den Kulissen abspielen und über die ich Sie lieber mündlich unterrichten möchte.“1252
Bereits am 9. Juni 1942 hatte Hitler einen Erlass unterschrieben, mit dem Reichsmarschall Hermann Göring mit der Neugründung des RFR beauftragt wurde und selbst den Vorsitz zu übernehmen hatte. Die Vorgabe des Diktators war eindeutig: „Führende Männer der Wissenschaft sollen auf ihren Sondergebieten in Gemeinschaftsarbeit in erster Reihe die Forschung für die Kriegsführung fruchtbar gestalten.“1253 Am 24. Juli 1942 ernannte der neue Präsident des RFR, Göring, die Mitglieder der verschiedenen Gliederungen. Dem Präsidialrat gehörten u. a. Himmler, Keitel, Mentzel, Leeb und Speer an, die als ihre Vertreter benannten: Schwab (für Himmler), Schumann (für Keitel), Basche (für Leeb) und Geist (für Speer). Leiter des geschäftsführenden Beirates wurde Mentzel, sein Stellvertreter SS-Standartenführer Sievers. Dem Beirat war auch die KWSt unterstellt (zuerst Kühn, später Graue). Zu den 14 Fachspartenleitern gehörten u. a. Gerlach (Physik) und Thiessen (Anorganische Chemie). Gleichzeitig wurden 21 Forschungsbevollmächtigte benannt, die einzelne Bereiche übernahmen. Schumann wurde „Bevollmächtigter für Sprengstoff-Physik“. Andere Bevollmächtigte, die im Zusammenhang mit den einzelnen Forschungsprojekten von WaF schon wiederholt genannt wurden, waren Gerlach (Kernphysik), Esau (Hochfrequenz), Schardin (Ballistik), Schmidt (Strahlvortrieb), Schreiber (Seuchen), Blome (Krebs) und Schulz-Kampfhenkel (Geographie).1254 Zeitgleich zu seiner Ernennung zum Bevollmächtigten bekam Schumann an der Berliner Universität ein zweites Ordinariat für Theoretische Physik. Mentzel selbst hatte die betreffende Anfrage befürwortet und soll hand-
1252 Telschow am 24. Juli 1942 an Vögler, AMPG, I. Abt., Rep. 1A, Nr. 203. 1253 RGBL, 1942, Teil I, 64. 1254 Die personelle Besetzung des neuen RFR ist wiedergeben bei Hammerstein: Deutsche Forschungsgemeinschaft, 550–553.
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III. Schicksale
schriftlich hinzugefügt haben: „Die Berufungsvereinbarung mit Schumann bitte ich auf der Basis des Höchstgehaltes und der Höchstgarantie abzuschließen“.1255 Der hochrangig besetzte, jedoch nie zusammengetretene Präsidialrat des RFR galt allgemein als führerlos. Deshalb gab es im Mai 1943 Überlegungen, an seine Spitze eine maßgebliche Persönlichkeit zu stellen. Wieder trat Schumann in Aktion. Er wandte sich telefonisch an Telschow und teilte ihm vertraulich mit, als einziger Kandidat käme Albert Vögler infrage. „Weder Parteimänner noch Ministerialbeamte, noch Militärs erfüllten die notwendigen Voraussetzungen“. Mit Mentzel sei alles abgeklärt. Telschow riet nach dem Gespräch Vögler, den bald zu erwartenden offiziellen Ruf Görings anzunehmen. Dazu kam es jedoch niemals.1256 Ende 1943 scheint Schumann eine Ahnung davon befallen zu haben, dass gegen ihn reichliche Intrigen gesponnen wurden und seine Stellung beim HWA erschüttert sein könnte. Darauf deutet eine Unterredung vom 11. Februar 1944 hin, die Schumann mit dem zuständigen Amtschef im REM hatte. Dabei bat er, „der seine Bezüge vom Oberkommando des Heeres in seiner Eigenschaft als Leiter der Forschungsabteilung“ erhält, ihn in eine Planstelle bei der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Berliner Universität einzuweisen. Dieser Bitte wurde auch zugestimmt.1257 Auf Anordnung Görings in dessen Eigenschaft als Präsident des RFR erfolgte am 24. August 1944 die Bildung der „Wehrforschungs-Gemeinschaft“ (WFG), eine der letzten verzweifelten Maßnahmen, um im Bereich Forschung den „Erfordernissen des totalen Krieges“ gerecht zu werden. Dem wenig später zusammengestellten „Wissenschaftlichen Führungsstab“ der WFG gehörte auch Schumann an.1258 Es sollte seine letzte Berufung während der NS-Zeit gewesen sein. Ende 1944/Anfang 1945 kam es zu der schon beschriebenen Ablösung als Chef der Forschungsabteilung. Seine Stellung als Leiter der Abteilung Wissenschaft im OKW behielt Schumann bis zur Kapitulation am 8. Mai 1945.
Ein überzeugter Nationalsozialist? Schumanns hohe militärische Ämter, seine Aktivitäten in der Wissenschaftspolitik während des NS-Regimes – verbunden mit tiefen Einblicken in die politischen und militärischen Geheimnisse des Dritten Reiches, die engen Kontakte zu maßgeblichen Vertretern des Staates und der NSDAP sowie die partielle Zusammen1255 Ebd., 137. 1256 Telschow am 6. Mai 1943 an Vögler, Präsident der KWG, AMPG, I. Abt., Rep. 1A, Nr. 2. 1257 Aktenvermerk vom 21. Februar 1944 „Zu WP Schumann c.“, BAB, BDC, DS A 0064, Bl. 1492. 1258 Zur Bildung der WFG vgl. Rundschreiben Nr. 5 des Planungsamtes des RFR, Leiter: W. Osenberg, vom 7. September 1944. Eine Teilnehmerliste einer Beratung des wissenschaftlichen Führungsstabes der WFG vom 17. November 1944 verzeichnet u. a. Blome, Gerlach, Graue, Hensel, Lattemann (SS), Mentzel, Osenberg, Sievers, Schneider, Schwab, Schumann, Schreiber, Spengler (SD) und Thiessen. BAB, R 26 III/ 276. Vgl. auch Maier: Forschung als Waffe, 668-476.
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arbeit mit der SS – führen zwangsläufig zur schwierigen Frage nach seinem politischen Standort. Geht man von Geist und Buchstabe seines Beitrages aus dem Jahre 1939 „Wehrmacht und Forschung“ aus, glaubt man schnell, an einen bedingungslosen Parteigänger Hitlers geraten zu sein. Besonders Sätze wie diese vermitteln einen derartigen Eindruck: „Die von der nationalsozialistischen Bewegung geschaffene völkische Geschlossenheit und die Durchdringung des deutschen Volkes mit dem Geist der Wehrhaftigkeit bildeten den sicheren Rückhalt für einen großzügigen Ausbau der wehrtechnischen Wissenschaften. Lehrstühle, Assistenten, Versuchspersonal, Apparate, Geldmittel usw. standen sogleich im ausreichenden Maße zur Verfügung, so dass die wehrtechnische Forschung sehr schnell auf eine breitere Basis gestellt werden konnte.“1259
Dazu kommen Urteile von Zeitgenossen, die mit Schumann dienstlichen oder anderen Umgang hatten. Der SD-Mann Fischer behauptete, dass Schumann für Hitler „ein maßgeblicher Fachmann“ war, und: „Auch an der politischen Zuverlässigkeit Schumanns konnte es für Hitler keinen Zweifel geben, hatte doch Schumann einst in einem Bund nationalsozialistischer Wehrmachtsbeamter, den es später nicht mehr gab, eine Rolle gespielt.“
Gegenüber Schwab habe Schumann behauptet, „als überzeugter Nationalsozialist wäre er bei der SS besser aufgehoben, als bei den ‚reaktionären Elementen‘ des Heereswaffenamtes“.1260 Sehr drastisch reagierte Graue im Interview mit Irving auf die Frage, ob er Schumann kenne: „Den haben sie vergessen in Nürnberg zu hängen.“ E sei der „böse Geist von Mentzel“ gewesen und habe „persönlich oder durch Berichte den Nimbus der Wunderwaffen bei Adolf dem Tausendjährigen sehr stark unterstützt.“1261 Laue bezeichnete – gleichfalls nach 1945 – Mentzel und Schumann als „die größten Verbrecher, die sich im Dritten Reich herumtrieben“.1262 Andere schwere Vorwürfe gegen Schumann wurden im Spruchverfahren (1947) gegen Prof. Dr. Boris Rajewsky, ehemals Direktor des KWI für Biophysik, erhoben. Dr. Forstmann, früher tätig bei der KWG, bezog sich auf ein Gespräch 1944 mit Schumann. Dieser habe gesagt: „Ein Mensch wie Sie [gemeint ist Rajewsky, G. N.], der mit dem Juden Dessauer zusammen gearbeitet hätte und befreundet wäre, sei unzuverlässig.“ Vier ehemalige Mitarbeiter Rajewskys gaben für ihn eine Erklärung ab, in der u. a. von dem „berüchtigten Nazi der Physik, Prof. Schumann in Berlin“ zu lesen war.1263
1259 Schumann: Wehrmacht und Forschung, 147. 1260 Fischer: Erinnerungen, Bd. II, 56, 58. 1261 Interview Irvings mit Graue am 4. April 1966 für das Buch: Der Traum, IfZ, SI, Bl. 291267. 1262 Erklärung Max von Laues vom 20. April 1949 im Spruchverfahren gegen Mentzel, zitiert bei Heiber: Walter Frank, 646. 1263 Dr. Walter Forstmann am 24. Januar 1947 an Rajewsky: „Erklärung vier ehemaliger Institutsmitarbeiter“ (ohne Datum), Kopien aus dem Spruchverfahren gegen Rajewsky, in AMPG, II. Abt. MPG, Rep. 1U Präsidentenkommission KWG im Nationalsozialismus, BStU-Bestand Timofèeff-Ressovsky, Projekt Rajewsky; vgl. auch Karlsch: Boris Rajewsky, 446–448.
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Nach dem Krieg behauptete Schumann gegenüber guten Bekannten, er sei kein „PG“ (Parteigenosse) gewesen. Er soll Wert darauf gelegt haben, schon vor 1945 auf seine Nichtmitgliedschaft hingewiesen zu haben.1264 Doch die Akten sprechen eine andere Sprache. Schumann stellte im April 1933 den Antrag zur Aufnahme in die NSDAP. Mit Wirkung vom 1. Mai 1933 wurde er als Mitglied (Nr. 2.594.845) geführt und gemäß seinem damaligen Wohnsitz dem Gau Berlin zugeteilt. Wegen eines Umzuges war bald eine andere Berliner Ortsgruppe für Schumann zuständig. Der zahlte allerdings, nach einer Übereinkunft mit dem stellv. Gauleiter, seine Beiträge weiter in jener Ortsgruppe, bei der der Aufnahmeantrag gestellt worden war. Davon wusste jedoch die neue Ortsgruppe nichts. Sie beantragte deshalb die Ablehnung der Aufnahme, die durch einen Beschluss des zuständigen Kreisgerichtes vom 7. Februar 1936 wirksam und so in die Reichskartei der NSDAP eingetragen wurde. Am 5. Februar 1938 richtete SS-Sturmbannführer Ohlendorf, der noch im gleichen Jahr Chef des SD-Amtes III wurde, eine Anfrage an die Zentralabteilung der NSDAP und erhielt am 7. Februar die Auskunft, dass Schumanns Aufnahmeantrag 1936 abgelehnt worden und er deshalb nicht Mitglied der NSDAP sei. Ob Schumann vom Interesse des SD an seiner Person erfuhr, kann nicht beurteilt werden. „Nach seiner Ernennung zum Ministerialdirigenten“ und der „in Aussicht genommenen Verleihung des Deutschen Nationalpreises“ wurde Schumann, wahrscheinlich Mitte 1940, bei der NSDAP Gauleitung Berlin vorstellig. Er beantragte „die Wiederherstellung der Mitgliedschaft“ und konnte glaubhaft nachweisen, dass er gegen die Ablehnung 1936 mehrfach Einspruch erhoben hatte. Das Gaugericht Berlin beschloss am 31. Oktober 1940, dass die Ablehnung der NSDAP-Mitgliedschaft „seinerzeit zu Unrecht erfolgte und auf das Zusammenwirken unglücklicher Umstände zurückzuführen ist“.1265 Die kritische Analyse der wenigen Schriftstücke zu Schumanns Mitgliedschaft in der NSDAP zeigt: Er hat sich in dieser Naziorganisation nicht sonderlich engagiert. Auch die anderen durchgesehenen Unterlagen ergaben nichts Gegenteiliges. Von jenen Männern, die mit Schumann dienstlich zusammenarbeiteten bzw. denen er unterstellt war, hat sich nur ein einziger ausführlich zu seinem politischen Standort geäußert, sein früherer Vorgesetzter Waeger. Er übergab am 17. Mai 1949 dem „öffentlichen Ankläger bei dem Spruchgericht Bielefeld“ eine siebenseitige „Eidesstattliche Erklärung“ zu Schumann. Darin betont der General a. D. eingangs, dass es während der NS-Zeit darum gegangen sei, „parteipolitische Einflüsse auf die wissenschaftliche Arbeit unter allen Umständen auszuschalten“. Er kenne „aus eigenem Erleben den ungleichen Kampf, den Schumann zusammen mit Mentzel gegen die wachsenden Parteiansprüche im Wissenschaftssektor und die parteipolitischen Quertreibereien geführt hat.“ Schumann habe zu jenen Offizieren des Heeres gehört, die das „Parteibonzentum restlos ablehnten“. Für die „mit Kulturdingen befassten NS-Stellen“ sei er ein gefährlicher Gegner gewesen, vor allem weil er stets den „Standpunkt des Waffenamtes und der dieses Amt beratenden bedeutenden Wissenschaftler (zu denen z. B. Geheimrat Planck gehörte) 1264 Mitteilung Jobst P. Frickes vom 2. Februar 2006. 1265 BAB, BDC zu Schumann, PK LO 127, Bl. 32, 34 f., 40–42, 50.
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gegen die sich zum Nachteil der Wissenschaft auswirkenden Maßnahmen durchzusetzen verstand.“ Die Nazis hätten bei ihren Angriffen gegen Schumann „gern ins Feld geführt“, dass er noch von Minister Schleicher, „dem großen Feind Hitlers“, zum Ministerialrat befördert worden sei. 1934 soll Schumann auf der Liste von 52 Heeresangehörigen gestanden haben, die die SA-Führung unter Röhm umzubringen gedachte. Dafür, dass Schumann bei der Gründung des 1. RFR zunächst keinen Posten erhielt, hätten Bormann und Himmler gesorgt. Waeger wies konsequent zurück, dass Schumann „Hitlers Ohr gehabt“ und ihn beraten habe. Dies müsse „geradezu als ein Witz bezeichnet werden.“ Für die „vollkommen verdrehte Meinung, [die] bei Todt und Speer über Schumann herrschte“, hätten der SD, das Amt für Technik der Partei, der NS-Dozentenbund, die Führerkanzlei, der Stab Heß und andere Parteidienststellen gesorgt. Mit Unterstützung des ihm vorgesetzten Amtes habe sich Schumann auch für die von den Rassegesetzen betroffenen Wissenschaftlern eingesetzt. Seinem Freund, dem Psychologen Prof. Wolfgang Köhler, der sich in einem Zeitungsartikel offen für die Juden aussprach, soll er Schutz gewährt und nach Amerika verholfen haben. Ebenso habe sich Schumann für die Professoren von Hornborstel und Sachs verwandt. An der Trauerfeier für Prof. Haber soll er „in Wehrmachtsuniform dann später teilgenommen haben“ obwohl es dazu ein Verbot der KWG gab.1266 Bei den Angaben Waegers – für die keine weiteren Belege zu finden waren – muss unbedingt berücksichtigt werden, dass gerade in den nach 1945 durchgeführten Spruchverfahren von den „Entlastungszeugen“ wider besseres Wissen sehr oft beschönigende Erklärungen, die berüchtigten „Persilscheine“, abgegeben wurden. Außerdem wurde an anderer Stelle bereits nachgewiesen, dass Waegers Aussagen nicht immer den Tatsachen entsprachen. Dennoch besteht Anlass, die Grundtendenz seiner Erklärung zur politischen Haltung Schumanns ernsthaft zur Kenntnis zu nehmen. Prof. Hans-Peter Reinecke (1926–2003), dem Schumann „schon in früher Jugend den Weg zu den Grenzgebieten der Musikwissenschaft gewiesen hat“ und ihm auch sonst als „treuer Mentor zur Seite“ stand, hörte in den letzten Kriegsjahren häufig Schumanns Bemerkung: „Der Gefreite muß 1266 Eidesstattliche Erklärung Waegers (wie Anm. 1237), Bl. 138–148. Bei den von Waeger genannten zwei Professoren handelt es sich zum einen um Prof. Dr. Erich Moritz Ritter von Hornborstel (1877–1935), ein aus Wien stammender Musikwissenschaftler, der 1900 nach Berlin kam und an der Universität ab 1905 als Assistent bei Carl Stumpf vor allem zur vergleichenden Musikforschung arbeitete. Von 1915 bis 1918 gehörte er als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter der Artillerie-Prüfungskommission an und war auf Kriegsschiffen und U-Booten tätig. Zusammen mit Max Wertheimer entwickelte er 1915 ein patentiertes Gerät zur Bestimmung der Schallrichtung. Kurz vor dem Krieg arbeitete er zeitweilig mit C. Sachs zusammen. Ab 1917 gehörte v. Hornbostel zur Universität Berlin. Da die Mutter Jüdin war, entzog ihm der preußische Minister für Wissenschaft im April 1933 die Lehrbefugnis. Fünf Monate später emigrierte er mit Familie in die USA. Und zum anderen um Prof. Dr. Curt Sachs (1881–1959). Sachs war ebenfalls Musikwissenschaftler. 1922 wurde er Professor an der Berliner Hochschule für Musik. Wegen seiner jüdischen Herkunft emigrierte er 1933 nach Frankreich, später in die USA. Beide Professoren gehörten der Kommission bei der Habilitierung Schumanns im Jahre 1929 an.
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weg!“ Nach dem 20. Juli 1944 habe Himmler versucht „auch Schumanns habhaft zu werden“.1267 Der ehemalige Angehörige der Studentenkompanie Claus Cobarg ist einer der ganz wenigen Zeitzeugen, die zwischen Februar 1942 und Kriegsende 1945 mehrere, über normale dienstlich/militärische Belange hinausgehende Gespräche mit Schumann hatten bzw. daran beteiligt waren. Auf Bitten des Autors versuchte er, deren Inhalte zu rekonstruieren. Sie werden nachfolgend zusammengefasst wiedergegeben: Seinen Berichten stellte Cobarg einige Angaben zu seinem Vater, Dr. Leo Cobarg (1888–1967), voran. Dr. Cobarg hatte Architektur studiert und trat ca. 1923 in Potsdam als Regierungsbaumeister in preußische Staatsdienste, ab etwa 1928 war er Regierungsbaurat. Ende Februar 1933 bekam er die Aufgabe, die Potsdamer Garnisonskirche für den Staatsakt am 21. März 1933, die als Kulisse für die Reichstagseröffnung ausgewählt worden war, bautechnisch vorzubereiten. Bei diesem „Tag von Potsdam“ erlebte er Hitler aus unmittelbarer Nähe und konnte sich ein neues eigenes Bild von ihm machen. Gleich nach dieser politisch-propagandistischen Großveranstaltung des Nazi-Regimes leitete Dr. Leo Cobarg seine Versetzung in den Ruhestand ein, die 1934 vollzogen wurde. Erst ab 1936 durfte er als freier Architekt tätig sein. Im Familienkreis kommentierte er seinen Schritt damit, dass er als „preußischer Beamter“ diesem Kerl nicht dienen könne. Hitler, „dieser gefährliche Friseurinnungsgehilfe“, werde Deutschland, ja ganz Europa, noch ins Unglück stürzen. Als Claus Cobarg, der Sohn, sich entsprechend der Ausschreibung des OKH Anfang 1942 für die Studentenkompanie beworben hatte, erhielt er eine Aufforderung zum Vorstellungsgespräch bei Schumann. Überraschend war dessen Bitte, seinen Vater mitzubringen. Möglicherweise hatte Prof. Johannes Kadow, der Dr. Leo Cobarg gut kannte, Schumann von dessen ablehnender Einstellung zum Nationalsozialismus unterrichtet. Bei der einstündigen Unterhaltung Schumanns mit Dr. Cobarg – im Beisein des Sohnes – machte dieser keinen Hehl aus seiner Ablehnung Hitlers. Abschließend meinte Schumann, es sei „eine interessante Darstellung“ gewesen. Aber er selbst habe eine „positivere Einstellung“ zu diesen Dingen, war aber doch irgendwie beeindruckt. Im Frühjahr 1943, als die Studentenkompanie planmäßig von Tübingen nach Berlin zurückkam – die verlorene Schlacht von Stalingrad (Kapitulation der 9. Armee am 2. Februar 1943) hatte die Wende des Krieges eingeleitet – fand eine erneute Begegnung zwischen Claus Cobarg und Schumann am II. PI statt. Dabei erkundigte sich Schumann zum Schluss, wie der Vater die Lage jetzt sehe. Die gleiche Frage stellte Schumann im November/Dezember 1943, als die Bombenangriffe auf Berlin weiter zunahmen. Cobarg ergänzte aus seiner Erinnerung dazu: Bis Mitte 1943 habe Schumann ihm gegenüber noch die Ansicht vertreten, der Krieg sei zu gewinnen. Außerdem erinnerte er sich an eine wörtliche Äußerung Schumanns: „Die schlimme, kleinkarierte braune Bande muss weg. Das besorgen wir aber lieber aus eigener Kraft und nicht durch Amerikaner und Engländer“. 1267 Gespräch mit Prof. Dr. Hans-Peter Reinecke, 2002.
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Kurz nach dem 20. Juli 1944 vertrat Dr. Leo Cobarg im Freundeskreis die Meinung, es sei gut für Deutschland und für seine Geschichte gewesen, dass dieses Attentat stattgefunden habe. Der Fehlschlag sei zwar bedauerlich, aber er hätte auch eine gute Seite, weil so die Bildung einer neuen Dolchstoßlegende verhindert werde. Eine Wiederholung des Versuches, Hitler zu beseitigen, wäre jetzt allerdings sehr unwahrscheinlich. Auch diesmal wollte Schumann vom Sohn wissen, welche Meinung der Vater verträte. Claus Cobarg nannte ihm die im Freundeskreis vertretene Ansicht seines Vaters. Schumann machte sie sich zu eigen. Im Herbst 1944 teilte Schumann Cobarg mit, er habe eine Einladung zu Freislers Volksgerichtshof erhalten, um dort als Zuschauer den Prozess gegen Teilnehmer der Verschwörung zu erleben. Er frage sich, ob er hingehen solle oder nicht. Cobarg meinte, er werde in beiden Fällen Ärger bekommen, bei Nichtanwesenheit jetzt, bei Anwesenheit nach dem Krieg. Kurz darauf teilte Schumann mit, er sei dort gewesen. Es war gut, dass er gegangen sei, denn so konnte er vielen Freunden Tipps zum Verhalten geben, vor allem wie sie sich schützen könnten. Als Resümee seiner Erinnerungen stellte Cobarg heraus, dass Schumann seiner Meinung nach in Hitler zunächst eine Chance sah, wie viele, darunter auch sein Vater. Die Weimarer Republik schien mit vielen Problemen – voran die hohe, weiter wachsende Arbeitslosigkeit – nicht fertig zu werden. Durch das Erleben Hitlers in der Garnisonkirche fand Leo Cobarg zu seiner kritischen Haltung. Die politischen Vorgänge im „Dritten Reich“ und der Kriegsverlauf ließen auch Schumann zunehmend nachdenklicher werden und führten allmählich zu einer distanzierten Haltung – wohl auch befördert durch die immer wieder nachgefragte Kritik Leo Cobargs.1268 Zum Verhalten Schumanns während der NS-Zeit äußerte sich im Oktober 1946 Max Planck in einem kurzen Schreiben an den neu gebildeten Dozentenausschuss der Universität Berlin. Danach habe sich Schumann auch während „seiner Tätigkeit im OKH mit Hingabe für eine sachgemäße Wissenschaftsbetreuung eingesetzt. Er wirkte ganz im Sinne der wissenschaftlichen Selbstverwaltung und trat dafür ein, daß Berufungen gegen den Willen der Fakultäten nicht vorgenommen und möglichst nur solche Dozenten zu Ordinarien ernannt werden sollten, die sich vor 1933 habilitiert hatten.“ Planck betonte, Schumann „förderte insbesondere die nicht zweckgebundene Forschung und bekämpfte alle dem Geist einer freien Wissenschaft entgegenstehenden nationalsozialistischen Maßnahmen“. Deshalb plädiere er dafür, Schumann weiterhin als Hochschullehrer zu beschäftigen. Eine ähnliche Empfehlung schickte Planck am 21. August 1947 an „Mr. R. Purchase von der Research Branch in Göttingen, Bunsenstraße 10“.1269
1268 Tonbandaufzeichnung der Erinnerungen Cobargs, 2004 und im Januar 2008, ergänzt durch persönliche Gespräche und kurze schriftliche Mitteilungen. Die hier gegebene Zusammenfassung wurde von ihm autorisiert. Vgl. auch Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129). Luck wies außerdem darauf hin, dass in der Studentenkompanie Schumanns Spruch umging: „Es gibt weder eine deutsche noch eine amerikanische Physik“. 1269 Der Wortlaut des Briefes von 19. Oktober 1946 bei Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129), ebenso der Hinweis auf das Schreiben an „Purchase“. Auf die beiden
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Gegenüber der allgemein gängigen These, Schumann sei hinsichtlich seiner Geisteshaltung ein Parteigänger Hitlers gewesen, sind also berechtigte Zweifel angezeigt. Völlig unglaubwürdig ist hingegen Schumanns Behauptung nach 1945, er habe zusammen mit Mentzel und anderen Leuten eine Widerstandsgruppe im Bereich Wissenschaft gebildet. Diese Mär wurde bereits im Kapitel 20 behandelt. Die Widersprüchlichkeit und zugleich Tragik des Professor Schumann besteht vor allem darin, dass er zwar zunehmend die verderbliche Politik Hitlers und seiner Paladine erkannte, jedoch durch seine engagierte wissenschaftliche Arbeit in der Rüstungsforschung die verbrecherischen Machenschaften des NS-Regimes weitgehend unterstützte und dadurch zugleich mithalf den Krieg zu verlängern. Sehr markant unterstreichen dies seine Aktivitäten im letzten Kriegsjahr zum Zusammenführen von Spreng- und Kernphysik, mit dem er auf dem besten Weg war, dem Naziregime zu einer völlig neuartigen, fürchterlichen Waffe zu verhelfen – noch dazu aus eigenem Antrieb! In diesem Kontext steht auch die Beteiligung seines Amtes Wissenschaft im OKW an der wissenschaftlichen Ausplünderung der besetzten Territorien. Die Untersuchung und Würdigung der wehrwissenschaftlichen Leistungen wird noch deutlicher vorführen, welchen Anteil Schumann an der waffentechnischen Entwicklung bis 1945 hatte.
Wehrwissenschaftliche Leistung In der Literatur finden sich immer wieder abwertende Stellungnahmen, Schumann sei ein „drittrangiger bzw. mittelmäßiger Physiker“ gewesen, er habe „wohl etwas von Physik verstanden“. Sein „physikalische Hobby war … das Schallmesswesen“, einhergehend mit „schwacher Sympathie für fremde Gebiete“. Am Beispiel der Kernphysik habe sich gezeigt, „dass seine Sachkompetenz keineswegs mit seinem Geltungsbedürfnis und seinem Einfluss Schritt hielt“.1270 Um eine schlüssige Antwort auf diese und andere Anwürfe zu finden, ist zu fragen erstens nach den eigenständigen wissenschaftlichen Arbeiten Schumanns und deren Wert, sowie zweitens nach jenen Ergebnissen, die unter seiner Leitung als Wissenschaftsorganisator erzielt worden sind. Dies ist von Natur aus schwierig, da beiden Bereichen der Stempel strengster Geheimhaltung aufgedrückt war. Beispielweise sind die von Schumann herausgegebenen, durchweg als „Geheime Reichssache“ deklarierten „Sprengphysikalischen Berichte“ und deren Inhalte in der Öffentlichkeit bisher nicht bekannt geworden. Erst durch die Recherchen für dieses Buch konnten einige dieser geheimen Berichte in den Beständen des Bundesarchivs gefunden werden, ebenso wie zahlreiche andere geheime Dokumente. Im Nachlass Schumanns gibt es – über die Schriftstücke Plancks wies auch Prof. Reinecke hin. Leider konnte er deren Kopien in seinen Unterlagen nicht mehr finden. 1270 Vgl. u. a. Hammerstein: Deutsche Forschungsgemeinschaft, 138; Heiber: Walter Frank, 645, 792; Irving: Traum, 44; Hubert Laitko: Wissenschaft in Berlin. Von den Anfängen bis zum Neubeginn nach 1945, Berlin 1987, 538.
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schon ausgewerteten Materialien zur Hohlladung, zur Kernforschung und anderen Bereichen hinaus – weitere Belege für die wissenschaftlichen Arbeitsergebnisse Schumanns sowie der ihm unterstellten Einrichtungen. Bemerkenswert ist ein bisher unbekanntes Schreiben Wehnelts vom 10. Januar 1944 an einen namentlich nicht genannten General. Dieser General hatte Wehnelt gebeten, sich zur Person Schumanns und zu seinen fachlichen Qualitäten zu äußern. Wehnelt bezog sich in seiner Stellungnahme ausdrücklich auf die ihm erteilte „Ermächtigung, auch auf die mir während meiner engen Zusammenarbeit mit Herrn General Prof. Dr. Becker bekannte gewordenen, geheim zu haltenden Angelegenheiten einzugehen“. Eingangs seines vierseitigen Schreibens bezieht sich Wehnelt nochmals auf Schumanns Dissertation und seine Habilitationsschrift. Er betont seine völlige Übereinstimmung mit den von Stumpf und Planck seinerzeit gegebenen „Sondergutachten seiner beiden Fachkollegen“. Seine Stellungnahme schließt Wehnelt mit dem Hinweis, dass die Professoren Esau, Planck, Thiessen und Vahlen, „die dem Forschungsbeirat des Waffenamtes angehören …, genaue Kenntnis der Arbeiten des Herrn Schumann haben“.1271 „Kürschners Gelehrtenkalender“ enthält eine beachtliche Aufzählung eigenständiger wissenschaftlicher Arbeiten Schumanns. Es handelt sich um: „Theorie einer neuen Methode zur absoluten Intensitätsmessung akustischer Druckwellen“ (1932), „Strenge und allgemeine Theorie der kapazitiv-induktiven Kopplung von Hochfrequenzschwingungskreisen (Siebketten mit gemischter Kopplung)“, „Theorie der Nachwirkung der Pulvergase bei Rohrrücklaufgeschützen“ (beide 1940), „Experimentelle Untersuchungen zur Bestimmung des durch Geschosse oder Detonationen in Wasser und Luft erzeugten Druckfeldes mittels Ultraschall und Schattengittern“ (1940), „Sprengstoffe und ihre Wirkung als physikalisches Problem“ (1940), „Über ein Beugungsgitterinterferometer und seine Anwendung in der Ballistik“ (1940), „Strahl oder Geschoß – Hohlsprengkörper-Problem“ (1940), „Die wissenschaftliche Grundlegung des Hohlsprengkörpereffektes“ (1943, in: Sprengphysikalische Berichte), „Grundlagen und Auswirkungen der innerballistischen Verwendung von Flüssigkeiten zum ‚Aurol‘-Vorhaben“ (1943) sowie „Über Sprengwaffen“ (1943). Zusätzlich werden drei Arbeiten zur Hohlladung genannt, die Schumann 1943/44 gemeinsam mit Hinrichs, Schall bzw. Trinks verfasste.1272 All diese Arbeiten sind nicht veröffentlicht worden, unstrittig aus Gründen der Geheimhaltung. Der Nachweis ihrer Existenz ist deshalb schwierig, ge1271 Schreiben Wehnelts vom 10. Januar 1944: „An Herrn General“, NL Schumann. Die Echtheit der Unterschrift Wehnelts auf diesem Brief wurde am gleichen Tag von Schwietzke mit Unterschrift und Stempel der Dozentenschaft der Universität Berlin bestätigt. Hinweise zu den Hintergründen, die zu dem Brief führten, gibt es nicht. Bei dem Empfänger könnte es sich sowohl um General Leeb, General Schneider oder einen anderen maßgeblichen Militär gehandelt haben. Auszüge aus diesem Schreiben wurden vom Autor erstmals publiziert in seinem Aufsatz: Sprengstoff- und Fusionsforschung an der Berliner Universität, in: Karlsch, Petermann (Hg.): Für und Wider, 229–260, insb. 244–247. 1272 Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender, u. a. Ausgaben 1961, 1897; 1980, 3593; 1985, 4256. Mit hoher Wahrscheinlichkeit stammen die darin enthaltenen Angaben von Schumann selbst.
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lang jedoch in einigen Fällen: Die Ausarbeitung zum „Aurol-Vorhaben“, fixiert in zwei Forschungsberichten (WaF/ I, Nr. 257 und 258, vom 1. Juli 1943), ist belegt durch ein handschriftliches Vortragskonzept Schumanns und weitere Aufzeichnungen Schumanns in seinem Nachlass (vgl. Kapitel 13). Auf Weisung des Chefs des HWA wurde der Vortrag später vor dem Forschungsbeirat wiederholt.1273 Exakt dokumentiert werden kann die Arbeit zum „Beugungsgitterinterferometer“, auf deren Existenz Waeger in seiner „Eidesstattlichen Erklärung“ aufmerksam machte. Wehnelt äußerte sich zu dieser Weiterentwicklung des Interferometers* durch Schumann mit hohem Lob: „Wegen ihres allgemeinen wissenschaftlichen Wertes erwähne ich von den sonstigen Arbeiten Schumanns insbesondere die Abhandlung über das von ihm vorgeschlagene Beugungsgitterinterferometer. Dieses liefert bei geringem apparativem Aufwand, ohne Justierungsschwierigkeiten und ohne Verwendung monochromatischen Lichtes quantitativ auswertbare Interferenzbilder von großem Gesichtsfeld. Es wird wegen seiner wesentlich gesteigerten Leistungen sowohl das klassische Zehnder-Machsche Interferometer als auch das bekannte Schlierenverfahren verdrängen.“1274
Die Arbeit war für eine Veröffentlichung im Verlag J. A. Barth, Leipzig, vorgesehen. Dazu kam es jedoch aus unbekannten Gründen nicht. In dem erhalten gebliebenen Korrekturexemplar Schumanns, das eine ausführliche Beschreibung des Instrumentes gibt, heißt es u. a.: „Die besonderen Vorteile des Beugungsgitterinterferometers – großes Gesichtsfeld bei geringem apparativen und wenig kostspieligem Aufbau, Unabhängigkeit des Interferenzstreifensystems von der benutzten Wellenlänge, so daß auch bei Funkenbeleuchtung überall scharfe Streifen entstehen – lassen dieses gerade für ballistische, sprengstoffphysikalische, akustische und aerodynamische Zwecke besonders geeignet erscheinen.“ 1275
Der Brief Wehnelts vom 10. Januar 1944 enthält eine ausführliche Beurteilung der sprengphysikalischen Forschungen Schumanns. In „bewundernswerter Vorausschau“ habe er 1934 das bis dahin an Universitäten und Hochschulen nicht vertretene Fach „Sprengstoffphysik“ gegründet, eine „für die jetzige Kriegführung bedeutende wissenschaftliche Disziplin“. Sie werde durch „seine persönlichen Arbeiten“ und den von „ihm herangebildeten Nachwuchs … von der Schule Schumann beherrscht“. Insbesondere für die „Kriegswissenschaft“ stellten die so erarbeiteten Grundlagen „einen namhaften Beitrag“ dar. 1273 Handschriftliches Manuskript Schumanns von 7. Juli 1943, 7 Blatt, mit Korrekturhinweisen zu den beiden Forschungsberichten WaF I (Der Bericht Nr. 257 umfasste mindestens 51 Seiten, der Bericht 258 mindestens 32 Seiten.); 6 Seiten (vom 2. Juli 1943) maschinenschriftlich zum gleichen Thema, NL Schumann. 1274 Eidesstattliche Erklärung Waegers (wie Anm. 1237), Bl. 148; Schreiben Wehnelts vom 10. Januar 1944 (wie Anm. 1271), Hervorhebung im Original. 1275 Korrekturexemplar (2. Korrektur) E. Schumann, Universität Berlin, 2. Physikalisches Institut: Über ein Beugungsgitterinterferometer und seine Anwendung in der Ballistik, für Verlag J. A. Barth, Leipzig. Die Kopie dieses Exemplars sowie ein Originalfoto mit handschriftlichem Vermerk Schumanns sind im Besitz des Autors. Durch die Deutsche Bücherei Leipzig konnte auf eine Anfrage des Autors hin nicht ermittelt werden, ob diese Schrift erschienen ist.
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„Im einzelnen verweise ich auf seine das gesamte Gebiet ‚Sprengstoffe und ihre Wirkung als physikalisches Problem‘ umfassende Untersuchung über die Schwaden im Zerfallszustand, das Problem der Zündführung, die Wirkungssteigerung der Hohlsprengkörper und die grundlegende Lösung des Hohlsprengkörperproblems, den Detonationsdruck, die Schwadenströmungserscheinungen, die erstmalige Verwendung von Röntgenblitzen zur Klärung des Detonationsverlaufes, die Staffelzündung und auf die vielen in seinen ‚Sprengstoffphysikberichten‘ und Geheimpatenten festgelegten Erkenntnisse, Anregungen und originellen Vorschläge, die z. B. bei der Konstruktion der panzerbrechenden Geschosse, Bomben und Pioniersprengmittel von ausschlaggebender Bedeutung sind.“1276
Die sprengphysikalischen Arbeiten Schumanns waren für Leeb Anfang 1943 Anlass, ihn „in Ansehung gerade dieser Verdienste zum Träger des Deutschen Nationalpreises für Kunst und Wissenschaft“ vorzuschlagen.1277 Auf die von Schumann 1940 geschaffene „Theorie der Nachwirkung der Pulvergase bei Rohrrücklaufgeschützen“ wiesen – ohne Einzelheiten nennen zu können – sowohl Luck und Kunz als auch Waeger hin.1278 Dass am II. PI auch zum Thema „Ultraschall“ gearbeitet wurde, bestätigte Dr. Hans-Joachim Gollmick, der ab 1936 dazu im Auftrag Schumanns seine Forschungen für eine entsprechende Doktorarbeit begann und dabei von Wehnelt, z. T. auch von Braunsfurth, gut unterstützt wurde (vgl. Kapitel 3).1279 Geradezu frappierend ist die von Schumann und Trinks hartnäckig verfolgte originelle Idee, den Hohlladungseffekt für die Herbeiführung einer Kernfusion leichter Elemente zu nutzen, so wie im Kapitel 9 ausführlich beschrieben. Die wichtigste wehrwissenschaftliche Leistung Schumanns war allerdings anderer Natur. Sie war die eines Wissenschaftsorganisators. Schumann erkannte rechtzeitig neue, Erfolg versprechende Forschungsrichtungen. Er verstand es, darauf seine Mitarbeiter „anzusetzen“, und schuf sich zahlreiche Verbündete an Universitäten, Hochschulen, KWI und anderen Forschungsstätten. Mit vielen renommierten Gelehrten, vor allem auf den Gebieten Physik und Chemie, stand er in regem Kontakt und sorgte dafür, dass die betreffenden Institute und Labors, in Abstimmung mit dem RFR und der Leitung der KWG reichlich mit wehrwissenschaftlichen Forschungsaufgaben zu Grundlagenthemen bedacht wurden. Oft wurden die Institutsdirektoren von ihm persönlich angesprochen und beauftragt. Sehr anschaulich widerspiegelt dies das Uranprojekt, in das die meisten führenden deutschen Kernphysiker eingebunden waren. Die bissige Bemerkung Irvings zu einer der ersten Zusammenkünfte des zweiten Uranvereins, bei dem Schumann 1276 Schreiben Wehnelts (wie Anm. 1271). Die Existenz zahlreicher Geheimpatente, die Schumann und seine Mitarbeiter einreichten, steht außer Frage. Nach Auskünften des Deutschen Patentamtes existieren die Geheimpatente nicht mehr. Vgl. auch unten Abschnitt: „Leben in der Bundesrepublik Deutschland“. 1277 Mentzel am 9. März 1943 an Ministerialrat Dr. Görnnert, Stabsamt des Reichsmarschalls Göring, BAB, R 26 III/209. 1278 Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129); Gespräch mit Dr. Herbert Kunz im April 2005; Eidesstattliche Erklärung Waegers (wie Anm. 1237), Bl. 144. 1279 Promotionsverfahren Hans-Joachim Gollmick und Willi Horn, AHUB; Protokoll über zwei Telefongespräche (21. September 2005 und 29. Januar 2006) mit Dr. Hans-Joachim Gollmick.
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nicht anwesend war: „Eine kleine Sitzung, an der die Elite der Kernphysik teilnahm, war wirklich das allerletzte Milieu, in dem sich Schumann freiwillig aufgehalten hätte“, ist völlig fehl am Platz und zeugt von sehr oberflächlicher Kenntnis der Person Schumanns.1280 Auch bei anderen Forschungsvorhaben von WaF und II. PI lässt sich das wissenschaftsorganisatorische Wirken Schumanns nachweisen, so bei den Themen „Ultrarot und Sichtweitenforschung“, „Trommsdorff-Geschoss“ oder „N-Stoff“ (vgl. die betreffenden Kapitel). Ein Arbeitsstil übrigens, dem sich auch viele seiner Mitarbeiter zu eigen machten, die mit beachtlichem Engagement und Erfolg wissenschaftliche Kapazitäten außerhalb des HWA erschlossen und einbezogen. Zusätzlich zu seinen Ausführungen über die sprengphysikalischen Arbeiten unter der Leitung Schumanns, die auf wesentliche wissenschafts-organisatorische Aspekte hinwiesen, führte Wehnelt in seiner Beurteilung die Raketenforschung an: „Wie ich aus persönlicher, genauer Kenntnis der Dinge bestätigen kann, und wie dies von General Prof. Dr. Becker des öfteren mir gegenüber anerkennend erwähnt wurde, gehen die ersten systematischen, die Grundlagen der Flüssigkeitsraketenantriebes [Hervorhebung im Original, G. N.] betreffenden Untersuchungen auf die wissenschaftliche Initiative des Dr. Sch. zurück. Sie sind niedergelegt in der im Laboratorium Schumanns entstandenen und von ihm geleiteten Dissertation seines Schülers Wahmke und in weiteren Arbeiten seines Instituts bzw. seiner Schießplatzforschungsstelle in Kummersdorf. Diese Ergebnisse und vornehmlich die exakten Messungen als Vorarbeiten für diese Untersuchungen waren entscheidend für die Meinungsbildung und das Eintreten des Generals Becker für die neue Waffe.“1281
Zum Komplex „Wissenschaftsorganisation“ gehört unbedingt auch die Praxis der Vergabe, Betreuung und Abnahme von Doktorarbeiten am II. PI, mit denen überwiegend wehrwissenschaftliche und deshalb geheime Themenstellungen untersucht wurden (vgl. Kapitel 3 sowie Anhang II: Geheimdissertationen). Hervorzuheben ist ferner Schumanns Wirken im RFR, zumeist im Zusammenwirken mit Mentzel. Die Untersuchung der über dieses Gremium erteilten Aufträge zur Grundlagenforschung – soweit sie von WaF und II. PI initiiert wurden – und die dazu erzielten Ergebnisse verdeutlicht, in welchem Ausmaß der RFR Vorhaben der Rüstungsforschung des Heeres, aber auch der anderen Wehrmachtsteile, förderte, Davon, dass beim Militär „eine ausnehmend geringe Meinung von Universitäten, wissenschaftlichen Instituten und Forschungsinteressen“ vorherrschte, kann in Bezug auf das HWA in keiner Weise die Rede sein.1282 Berücksichtigt man, dass außer WaF nahezu alle Abteilungen der Amtsgruppe Prüfwesen des HWA eigenständig Aufträge zur Grundlagenforschung bzw. „Zweckforschung“ an Einrichtungen außerhalb des Heeres vergaben – ebenfalls über den RFR und häufig mit Unterstützung durch Schumann – dann wird die Absurdität obiger These noch deutlicher. In einer neueren Untersuchung kam Sören Fla1280 Irving: Traum, 45. 1281 Schreiben Wehnelts (wie Anm. 1271). Waeger wies ausdrücklich darauf hin, „dass der erste Raketenofen, an dem exakte Messungen über den Reaktionsdruck eines Gasstrahles, ferner andere thermodynamischen Messungen [erfolgten], im Laboratorium Schumann brannte“ (wie Anm. 1237), Bl. 148 (vgl. auch Kapitel 11). 1282 Hammerstein: Deutsche Forschungsgemeinschaft, 442, ähnlich auch an anderer Stelle.
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chowsky zu dem vollauf berechtigten Schluss, dass es den Nationalsozialisten „gelang, Ressourcen für bestimmte Projekte punktgenau zu mobilisieren, um sie für ihre verbrecherischen Ziele wirksam zu machen“.1283 Und genau in diesem Sinne wirkte Schumann als Wissenschaftsorganisator! Der Vollständigkeit halber ist darauf aufmerksam zu machen, dass sich Schumann, zusammen mit Becker, auch als Herausgeber der Reihe „Wehr und Wissenschaft“ versuchte. Das anspruchsvolle Projekt des Verlages J. A. Barth, Leipzig, soll für 26 Bände konzipiert gewesen sein. Erschienen sind drei. Im Band 4 gab Dr. Oskar Ritter von Niedermayer, Oberst und Direktor des Wehrpolitischen Instituts der Universität Berlin, sein Debüt mit „Wehrpolitik. Eine Einführung und Begriffsbestimmung“. Darin erklärte er, dass Becker und Schumann seit 1928 gemeinsam „Anschauungen über Gliederung und Entwicklung der Wehrwissenschaften“ vertraten, die sich in der Schaffung der Institute an der neu gegründeten WTF widerspiegelten. In gleicher Weise „sollen in Zukunft in der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der geplanten Wehrhochschule die Lehrstühle und Institute für Wehrpolitik, Wehr- und Kriegsgeschichte, Wehr- oder Rüstungswirtschaft, Wehrgeographie, Wehr- und Kriegsrecht vereinigt werden. Mit dieser Anerkennung des von Becker und Schumann verfochtenen Standpunktes werden auch die unfruchtbaren Bestrebungen, ein umfassendes Fach ‚Wehrwissenschaft‘ zu begründen, ihr Ende finden“.1284 Der Psychologe Prof. Dr. Walter Malmsten Schering von der Universität Berlin legte im Band 5 eine Betrachtung zur „Wehrphilosophie“ vor, die ein „notwendiger Bestandteil der Gesamtphilosophie“ sei.1285 1941 erschien der Band 26 „Kampfstoffwirkung und Heilung“. Autor war Dr. Wilhelm Richter, Professor an der Universität Greifswald und Mitglied des RFR.1286
Komponist und Musikwissenschaftler In den biographischen Nachschlagewerken „zerfällt“ Schumann meist in zwei Teile. Je nach Ausrichtung der betreffenden Publikation wird entweder sein Wirken als Physiker oder als Schöpfer von Militärmusik in den Vordergrund gerückt. Eine „Zusammenschau“ findet kaum statt. Dabei hat Schumann selbst immer wieder auf die enge Verbindung zwischen Physik und Musik hingewiesen. Sein etwas ironischer Wahlspruch soll gelautet haben: „Ob man einen Bunker sprengt oder eine Klarinette bläst – es ist immer eine Frage der Wellenlänge“. Schwingungs1283 Flachowsky: Der Bevollmächtigte, 206. Der von Flachowsky geführten Polemik gegen die angeblich „grundsätzlich fehl geleitete, ineffektiven Wissenschaftsorganisation im Nationalsozialismus“ ist aus der Sicht der Dokumente zur Tätigkeit der Forschungsabteilung und ihres Chefs Schumann unbedingt zuzustimmen. 1284 Karl Becker, Erich Schumann (Hg.): Wehr und Wissenschaft, Bd. 4: Oskar Ritter v. Niedermayer: Wehrpolitik. Eine Einführung und Begriffsbestimmung, Leipzig 1939, 160. 1285 Ebd., Bd. 5: Walter Malmsten Schering: Wehrphilosophie, Leipzig 1939, VI. 1286 Erich Schumann (Hg.): Wehr und Wissenschaft (Gegründet von Karl Becker und Erich Schumann), Bd. 26: Wilhelm Richter: Kampfstoffwirkung und Heilung, Leipzig 1941.
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und Wellenlehre gehörten für ihn zusammen. Beim HWA sprach man mitunter scherzhaft vom „musikalischen Physiker und physikalischen Musiker“.1287 Seine musikalische Prägung erhielt Schumann durch das Elternhaus. Der Großvater in Dolgelin, ein gelernter Dachdecker, war ein guter Geigenspieler. Vom Vater, dem Musikmeister im Potsdamer 1. Garderegiment, wurde schon berichtet. In späteren Jahren kam es durchaus vor, dass man sich zu dritt zusammenfand und Schumann mit seinem Vater und seinem 1924 geborenen Sohn Joachim gemeinsam auf Flügel und Geige musizierte. Joachim Schumann kam am 12. Februar 1968 bei einem Verkehrsunfall ums Leben.1288 Bereits im Alter von 16 Jahren versuchte sich Schumann als Komponist. Während seines Studiums befasste er sich bei den Professoren Carl Stumpf und Johannes Wolf mit Musikwissenschaft. Wolf, zuletzt Direktor der Musikabteilung der Preußischen Staatsbibliothek, arbeitete vor allem zur Musikgeschichte, gab das „Archiv für Musikgeschichte“, die „Zeitschrift für vergleichende Musikgeschichte“ sowie die „Abteilung: Musik“ in „Jedermanns Bücherei“ des Breslauer Verlages Hirt heraus. Er ermöglichte in dieser Reihe auch das Erscheinen von Schumanns Buch „Akustik“. Bei dem Physiologen Prof. Dr. Karl Ludolf Schaefer, der an der Berliner Hochschule für Musik vor allem zu physiologisch-akustischen und psycho-physiologischen Problemen las, studierte Schumann Fragen der medizinischen Akustik. Zusätzlich belegte er an der Hochschule für Musik die Fächer Instrumentation und Komposition. Die solide musikwissenschaftliche Ausbildung und eine offenkundige Begabung waren eine gute Grundlage für die nach und nach entstehenden Eigenkompositionen, anfangs mit Unterstützung durch Kadow und mit wohlwollendem Interesse Beckers. Schumann schrieb vor allem Ouvertüren und Märsche für symphonische Blasorchester. Dazu kamen Filmmusiken und Bearbeitung anderer Kompositionen. Als Pseudonyme nutzte Schumann oft die Namen Jo von Dolgelin, Welka Olsa und Gustav Smittbern. In einer Aufstellung für das „Hugo Riemann Musiklexikon“, Ausgabe 1959– 1961, zählte Schumann 18 Stücke auf, die er selbst zu den erfolgreichsten rechnete. Ihre Titel zeigen, dass die musikalischen Werke oft aus persönlichen Erlebnissen resultierten, so z. B. die „Ouvertüre Flieger-As“ mit dem „JagdfliegerMarsch“, der Flieger-Marsch „Roter Milan“ oder „Feldmarsch des Infanterieregimentes 131“, der unter dem Titel „Kameradengruß“ bekannt wurde. Für seinen ehemaligen Studenten Wernher v. Braun schrieb er den flotten Marsch „Alle Düsen auf“.1289 Sein Marsch „Panzerschiff Deutschland“ wurde 1939 offiziell zum Heeresmarsch erkoren und als „Parademarsch für Fußtruppen“ eingesetzt. In dem mehrbändigen Werk „Armeemärsche“, in dem Schumann auch mit einer Abbildung vertreten ist, heißt es dazu:
1287 Gespräch mit Prof. Hans-Peter Reinecke (der auf diesen Wahlspruch hinwies) sowie NL Schneider, BA-MA, NL 625/ 39. 1288 Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129). 1289 Aufstellung Schumanns in seinen Unterlagen für den „Riemann-Musik-Kalender, NL Schumann; Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129).
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„Eine geniale Komposition und ebenso geniale Instrumentation liefert uns der UniversitätsProfessor Erich Schumann mit seinem Marsch Panzerschiff Deutschland. Das ist gekonnt! Kein Marsch ist so breit fundiert auf Tuben. Und modern! Im Jahr 1939 wird er als Heeresmarsch II, 156 aufgenommen und die Marine ergreift von ihm Besitz.“
An anderer Stelle wird die „prachtvolle Kontrapunktik“ des „Panzerschiff Deutschland“ gerühmt. Erwähnung finden auch die Schumannschen Märsche „Der Eiserne“ und „Alle Düsen auf“, die „weit über das übliche Maß gut gelungen“ sind. Da „ansprechend in Melodie-Führung und rhythmischer Gestaltung“, seien sie volkstümlich und fröhlich. Schumanns „glücklich-leichter Regattamarsch“ habe „Herz und Seele. Da kann man fröhlich mitmarschieren, mitwandern …“.1290 Viele der Schumannschen Kompositionen wurden auch nach 1945 als Schallplatte verlegt. Bundeswehrkapellen spielen heute noch gern seine Märsche. Ende 1932 erfolgten Absprachen Schumanns mit der Berliner „Hochschule für Musikerziehung und Kirchenmusik“ über die inhaltliche Ausgestaltung eines Lehrfaches „Systematische Musikwissenschaft“, wofür Schumann einige Vorlesungen übernehmen wollte. Das REM gab für diese Pläne seine Zustimmung. Ab 1. Dezember 1932 wurde das neue Lehrfach für die künftigen Militärmusiker verbindlich eingeführt. Schumann nahm an den Prüfungen dieser Musikmeisteranwärter teil und hielt Vorlesungen, die sich ab Juni 1933 zusätzlich mit „Gehörbildung und Musikdiktat“ befassten.1291 Die Ausbildung von Militärmusikern erfolgte bereits in der Kaiser-Zeit an der Berliner Musikhochschule. Auch nach dem Versailler Vertrag und der Bildung der Reichswehr war dies der Fall. Mit der Machtübernahme 1933 durch die Nationalsozialisten und ihren pompös inszenierten Militäraufmärschen gewann die Ausbildung von Militärmusikern zunehmend an Wichtigkeit. Bei der Eröffnung der Olympiade 1936 führten z. B. 90 Militärmusikstudenten zusammen mit dem Hochschulchor und -orchester Händels Werk „Herakles“ auf. In diesem Studienjahr waren von den insgesamt 239 Studenten 89 Angehörige der Wehrmacht.1292 Mit dieser Entwicklung stieg auch der Bedarf an erfahrenen Ausbildern der Wehrmacht, da alle Waffengattungen ihre Militärmusiker an dieser Hochschule studieren ließen. Schumann war durch seine Wehrforschungsarbeiten kaum noch in der Lage seine an der Hochschule eingegangenen Verpflichtungen wahrzunehmen. Er unterrichtete deshalb am 16. Dezember 1933 den Direktor der Hochschule von seiner Absicht, „Dr. Kadow, Referent im RWM“ an der Ausbildung von Militärmusikern (für das Heer) zu beteiligen. Zugleich sollte Kadow der Professorentitel zuerkannt werden. In seiner Stellungnahme für das REM wies Direktor Stein auf die bisher erfolgte Unterrichtstätigkeit Schumanns hin, die auch Einzelübungen beinhaltete. Dabei habe Kadow schon assistiert. Er sei eine „außerordentlich befä1290 Joachim Toeche-Mittler: Armeemärsche, 3 Bde., Neckargmünd 1971, Bd. 1, 167, Bd. 3, 166, 235. Abbildung Schumann in Bd. 2, 92. 1291 PA Schumann, Archiv der Universität der Künste Berlin, II-I-251, Bd. 1. 1292 Karl Rehberg: Erinnerungen an die Hochschule für Musikerziehung und Kirchenmusik 1936–1945, in: Christine Fischer Defey: Kunst, Macht, Politik – Die Nazifizierung der Kunst- und Musikhochschule in Berlin, Berlin 1988, insb. 227–231, auch in: Zeitschrift für Musikpädagogik 7 (1982) Heft 18, 3–21.
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higte Kraft“ und habe seine „hervorragende Lehrbegabung“ bewiesen. Kadows Tätigkeit hielt er „im Interesse der Militärschüler für sehr wünschenswert“. Der Antrag wurde befürwortet. Kadow bekam den Professorentitel. Ab 1936 durfte er auch die beiden Wissenschaftler Dr. Otto (WaF) und Dr. Kluge (II. PI) als Assistenten zur Ausbildung von Militärmusikern hinzuziehen.1293 Am 20. April 1938 verlieh Hitler allen Musikmeistern der Wehrmacht den Offiziersrang. Diese Entscheidung soll Schumann angeregt und „durchgedrückt“ haben. Vor allem Schumanns Vater habe sich darüber gefreut, weil bis dahin die Musikmeister lediglich eine „Zwischenstellung“ inne gehabt hätten.1294 Zur gleichen Zeit, als Schumann bereits an der Hochschule für Musik unterrichtete, wurde Dr. Eugen Bieder – am 1. Oktober 1933 – als Lehrer an diese Einrichtung berufen und rückte im Juni 1934 als Nachfolger für den abgesetzten Direktor Hans Joachim Moser auf diesen Posten nach. Einzelheiten über die Verbindung Schumann–Bieder sind nicht bekannt, allerdings die Tatsache, dass Bieder gleich bei Kriegsausbruch zu WaF einberufen wurde. Über seinen Frankreich-Einsatz wurde bereits berichtet (vgl. Kapitel 9). Die Lebenswege Schumanns und Bieders zeigen erstaunliche Parallelen: Bieder diente im Ersten Weltkrieg bei der Infanterie, wurde 1918 Leutnant der Reserve und nahm nach der Entlassung – am 15. Januar 1919 – das Studium an der Universität Berlin auf (Musikwissenschaft und im Nebenfach Physik), wo er auch 1923 promovierte. Seine Prüfer waren u. a. Stumpf, Wehnelt und Wolf. Am 1. Mai 1933 trat Bieder der NSDAP bei. Anders als bei Schumann liegen zu Bieder Dokumente vor, die ihn als waschechten Nazi ausweisen. 1938 forderte er z. B. „binnen kürzester Frist aus der Bibliothek sämtliche Werke jüdischer Autoren zu entfernen“. Den Kriegsbeginn 1939 begrüßte er mit einem flammenden „Appell an alle Musikerzieher des deutschen Volkes“. Darin behauptete er, dass Deutschland zu den Waffen greifen musste, um sein Lebensrecht zu verteidigen. In gleicher Weise kommentierte er am 22. Juli 1944 den fehlgeschlagenen Putsch gegen Hitler: „ausgelöst durch die Hand eines gemeinen Verbrechers, der im Auftrag einer ehrgeizigen kleinen Clique handelte“. Mitte Januar 1941 hatte Bieder in Paris einen schweren Verkehrsunfall, bei dem er einen Oberschenkelbruch, eine komplizierte Kniegelenksplitterung sowie Kopfverletzungen erlitt. Schumann sorgte, mit Unterstützung des Amtes Wissenschaft im REM, dafür, dass Bieder nach Hohenlychen, ins SS-Klinikum verlegt wurde, wo man ihn operierte. Am 17. September 1943 übernahm Bieder, neben seiner Tätigkeit bei WaF, erneut die Leitung (nominell) der Musikhochschule.1295
1293 PA Kadow, Archiv der Universität der Künste Berlin, II-I-299, Bd. 1. Zu Dr. Otto und Dr. Kluge vgl. Anhang I: Wer war wer und Anhang II: Geheimdissertationen. 1294 Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129); Rehberg: Erinnerungen (wie Anm. 1292), 229–232. 1295 Rehberg: Erinnerungen (wie Anm. 1292) 226, 282, 332–337. Schreiben Schumanns vom 23. Januar 1941 an Mieder, Musikhochschule Berlin, BAB, BDC zu Mieder, RK NO 002, Bl. 2692. Zur SS-Einrichtung in Hohenlychen Hans Waltrich: Aufstieg und Niedergang der Heilanstalten Hohenlychen (1902 bis 1945), Blankensee 2001.
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Zusätzlich zu seinen wehrwissenschaftlichen Arbeiten fand Schumann noch Zeit, Dissertationen auf akustischem und naturwissenschaftlichem Gebiet zu betreuen. Geradezu symptomatisch zeigt der 5. Februar 1936 die „beiden wissenschaftlichen Seelen“ des Prof. Schumann. An diesem Tag wurden von ihm zwei Doktoren gekürt. Der eine war Jürgen Rottgardt, der bei Schumann und Wehnelt eine physikalische Arbeit mit beachtlichem Erfolg verteidigte (vgl. Kapitel 3). Der andere war Johannes Reschke (*1897), der an der Universität Berlin bei Prof. Wolf Musikgeschichte studiert hatte und bei Schumann in die systematische Musikwissenschaft eingeführt worden war. Auf Anregung von Schumann erarbeitete er eine Dissertation „Studie zur Geschichte der brandenburgisch-preußischen Heeresmusik“, die Wolf und Schumann auch annahmen.1296 Ab 1932 studierte Wolfgang Geiseler (*1914) an der Universität Berlin Musikwissenschaft und Physik. Die von ihm am 15. Oktober 1939 verteidigte Doktorarbeit „Akustische Untersuchung von Knallen“ wurde von Schumann und Prof. Dr. Arnold Schering mit „sehr gut“ beurteilt. Die Begründung verwies auf „wertvolle experimentelle Ergebnisse“, die Grundlagen für weitere Untersuchungen biete. Der Doktorand habe mit „der lichtelektrischen Knallsirene das für die Untersuchung brauchbarste Knallerzeugungsmittel gefunden“. Deshalb beabsichtigte Schumann auch, die Arbeit in einem Sammelband zu veröffentlichen.1297 Mit dem nichts sagenden Titel „Akustische Untersuchungen“ erwarb sich Georg Kandler im März 1940 an der Berliner Universität den Doktortitel. Gutachter dieser Arbeit waren ebenfalls Schumann und Schering, die die Note „gut“ vergaben. Die Dissertation, die an der Humboldt-Universität nicht mehr vorliegt, war eine „analytische Arbeit über Infanterie- und Luftwaffenmusik“. Sie untersuchte „Entstehungsgeschichte und Typen der in- und ausländischen Blasorchester, insbesondere Militärmusikorchester“. Bieder vermerkte für die spärlichen Promotionsunterlagen am 31. März 1940 die Absicht, die Doktorarbeit in der von ihm herausgegebenen Schriftenreihe „Völkische Musikerziehung“ zu veröffentlichen.1298 Die etwas eigenartigen Umstände der Annahme der Doktorarbeit der Appolonia Keitel, Tochter des Generalfeldmarschalls Wilhelm Keitel, Chef des OKW, geben immer wieder Anlass zu Spekulationen, auch deshalb, weil die Schrift sowohl an der Universität Berlin als auch in anderen wissenschaftlichen Einrichtungen nicht vorhanden ist. Die Arbeit „Subjektive und objektive Vokalanalyse“, mit der Klangunterschiede von Männerstimmen untersucht worden sein sollen, nahmen
1296 Promotionsverfahren Reschke und Rottgardt, AHUB, beide in Phil. Fak. 806. 1297 Promotionsunterlagen Geiseler, AHUB. Die Dissertationsschrift selbst ist nicht mehr vorhanden, lediglich der Hinweis, dass es sich wegen der Einberufung des Doktoranden bei Kriegsausbruch um eine „Notpromotion“ gehandelt habe. Der Musikwissenschaftler Prof. Dr. Arnold Schering (1877–1941) folgte 1929 einem Ruf als Professor für Musikgeschichte an die Universität Berlin. Er war u. a. Vorsitzender der Kommission der „Denkmäler deutscher Tonkunst“ und Präsident der Gesellschaft für Musikgeschichte. 1298 Promotionsunterlagen Kandler, AHUB.
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Schumann und Wehnelt an. Unstimmigkeiten bei den Daten führten zu der Vermutung, dass die Dissertation umgeschrieben wurde.1299 Schumann bemühte sich erfolgreich, aus seiner musikwissenschaftlichen Tätigkeit auch anderen Gewinn als „nur“ Aufführungshonorare für seine Kompositionen zu erzielen. Im Mai 1941 ersuchte er darum, neben seiner Zugehörigkeit zur Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät (Ordinarius für Physik) auch als Ordinarius für „Systematische Musikwissenschaft“ der Philosophischen Fakultät zugeteilt zu werden. Hintergrund war die im April 1936 erfolgte Abzweigung der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät von der Philosophischen Fakultät. Schumann begründete seinen erst jetzt gestellten Antrag, er habe ihn „seinerzeit versäumt“.1300 Für die „Durchführung von wissenschaftlichen Arbeiten auf dem Gebiet der Militärmusik (Akustik der Instrumente, Instrumentationsfragen und historische Untersuchungen)“ wurde Schumann von der DFG, mit Unterschrift seines Präsidenten Mentzel, am 23. Juni 1944 eine Sachbeihilfe von 5.000 RM bewilligt. Wofür dieser Betrag tatsächlich an Schumann ausgereicht wurde, geht leider aus dem Schreiben nicht hervor.1301 Eine Veröffentlichung aus dem Jahre 1996 rückt den Musikwissenschaftler Schumann in ein dubioses Licht. Mit dem Buch „Sonderstab Musik“ wurde eine Untersuchung vorgelegt, die sich mit den NS-Plünderungen im Bereich der Musik befasst: Kurz nach der Kapitulation Frankreichs gründete Rosenberg seinen „Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg“ (ERR), der in den besetzten westlichen Territorien „verlassenes“ jüdisches sowie anderes Kulturgut aufspüren und für das Dritte Reich beschlagnahmen sollte. Dazu wurden mehrere „Sonderstäbe“ gebildet. Den für Musik führte Dr. Herbert Gerigk vom Hauptamt Musik der „Dienststelle des Beauftragten des Führers für die Überwachung der geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP“. Diese Dienststelle unterstand Rosenberg. Erfahrungen in der Plünderung von Kulturgut hatte Gerigk bereits 1939 gesammelt, als er nach dem Überfall auf Polen 1939 polnische Musikbibliotheken durchsuchte. Danach widmete er sich dem Aufbau der von Rosenberg geplanten „Hohen Schule“. Für dieses Projekt wurden ab Mai 1940 verschiedene Musikwissenschaftler freigestellt, die Gerigk unterstützen sollten. Zu ihnen gehörten Prof. Dr. Karl Gustav Fellerer (1902–1984), Universität Köln, und Schumann. Sie sollten an einem umfangreichen Vorhaben der „Hohen Schule“ beteiligt werden, der Schaffung einer Musik-Enzyklopädie, die ganz der Ideologie der „völkischen Bewegung“ verpflichtet war. Schumann war das Gebiet Akustik zugedacht. Der Ver1299 Promotionsunterlagen Keitel, AHUB; Luck: Erich Schumann und die Studentenkompanie, 34; Protokoll zu zwei Telefongesprächen mit Hans-Joachim Gollmick (wie Anm. 1279), der u. a. darauf hinwies, dass es sich Schumann wegen dieser Dissertation leisten konnte, bei General Keitel für die Einrichtungen von WaF 20 Leute zusätzlich anzufordern, was Keitel auch bewilligt habe; vgl. auch Heiber: Walter Frank, 818; Ursula Maria Martius: Vieleant Consules, in: Deutsche Rundschau 70 (1947) Heft 1, 99. Für diesen Hinweis ist Prof. Dr. Dieter Hoffmann zu danken. 1300 BAB, BDC zu Schumann, DS A0064, Bl. 1484. 1301 Mitteilung Mentzels (als Präsident der DFG) am 23. Juni 1944 an Schumann, BAB, DS BO 040, Bl. 2798.
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fasser des „Sonderstab Musik“ kommt in seinem Buch zu dem Schluss, dass Fellerer, Schumann und weitere Musikwissenschaftler alle „in irgend einer Weise zu Rosenbergs Einsatzstab gehörten, entweder als Fachleute, die für die hohe Schule arbeiteten, oder als Mitarbeiter in Gerigks Hauptstelle Musik.“1302 Während dieser Vorwurf zu Fellerer belegt ist – er durchsuchte z. B. die Musikabteilung der Bibliothèque Nationale sowie das berühmte französische Kloster von Solesmes –, fehlt in dem Buch ein solcher Beleg zu Schumann.1303 Am 17. August 1940 eröffnete Gerigk in Paris ein Büro seines Sonderstabes. Sein „erstes Opfer“ sollte der „Ethnomusikologe Curt Sachs“ sein, doch Gerigk wusste nicht, dass Sachs schon 1937 in die USA emigriert war.1304 Fellerer und Schumann waren seit ihrer Jugend befreundet. Nach seiner Promotion 1925 an der Universität München kam Fellerer nach Berlin, um bei J. Wolf, C. Sachs und E. M. von Hornborstel weiterführende Studien zu betreiben. Danach habilitierte er sich 1927 in München und wurde 1939 Direktor des Musikwissenschaftlichen Instituts der Universität Köln. Für die Festschrift zum 70. Geburtstag Fellerers schrieb Schumann einen kurzen Beitrag zu seinen 1929 in der Habilitationsschrift formulierten vier Klangfarbengesetzen.1305
Kriegsende und Prozesse Legenden zur Person Schumanns ranken sich auch um sein „Untertauchen“ in den letzten Kriegstagen, andauernd bis 1947. Mancher Buchschreiber sah ihn schon für sowjetische Stellen im Osten arbeiten und vermutete ihn in der Schweiz oder an anderer Stelle.1306 Zur Verwirrung hat Schumann selbst aktiv beigetragen. Er setzte verschiedene Varianten in die Welt und äußerte sich nur gegenüber besten Freunden konkret. Sein Schüler Dr. Paul Heinrich Mertens teilte z.B. mit: „Nur aus einer kurzen Bemerkung Schu’s weiß ich, dass er sich nach dem Zusammenbruch dem alliierten Zugriff, mit dem er auf Grund seiner exponierten Stellung rechnen musste, dadurch entzogen hat, dass er in einem süddeutschen Kloster als Laienbruder (im Habit) unter1302 Willem de Vries: Sonderstab Musik – Organisierte Plünderungen in Westeuropa 1940– 1945, Köln 1998, 111. Für den Hinweis auf diese Veröffentlichung ist Prof. Jobst P. Fricke zu danken. Er teilte ergänzend mit, dass das Projekt „Musik-Enzyklopädie“ über die Planung nicht hinaus kam. „Es wurde nach dem Krieg in Form der MGG (= Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, Verlag Bärenreiter/Metzler) unter der Herausgeberschaft von Friedrich Blume verwirklicht – ohne Mitwirkung Schumanns“. Blume wird im „Sonderstab Musik“, 111, ebenfalls genannt. 1303 Ebd., 168 f. Zur politischen Haltung Fellerers vgl. MGG (wie Anm. 1302), Bd. 6, 934. Eine Beteiligung Schumanns bezweifelt auch Fricke völlig zu Recht, da ein entsprechender Beweis durch de Vries nicht erbracht wird. 1304 Ebd., 166–170. 1305 Erich Schumann: Zur Physik der Vokalklangfarben, in: Heinrich Hüsch (Hg.): Musicae Scientiae Collectanea, Festschrift Karl Gustav Fellerer zum 70. Geburtstag am 7. Juli 1972, Köln 1973, 527–531. 1306 Hansen: Biologische Kriegsführung, 167 („Erich Schumann war z. B. bei Kriegsende im sowjetischen Sektor“).
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III. Schicksale tauchte und Orgeln repariert hat. Seine Diskretion, auf die ich mich immer verlassen konnte, verbot ihm, leutselig über diese kuriose Begebenheit ausführlicher zu sprechen.“1307
Cobarg erinnert sich an eine andere Begebenheit: „Kurz vor Kriegsende, im April 1945 rief Prof. Kadow, der damals Schumann vertrat, mich und Borisch in sein Amt (irgendwo in Berlin), und sagte, Prof. Schumann läßt grüßen und er sei in diesen Tagen in die Schweiz gegangen. Der Krieg ist verloren und wir sollten selbst wählen, wohin wir gehen. Er werde uns dazu einen Versetzungsbefehl ausstellen. Kadow und Schumann empfahlen uns in die „Festung Deutschland“ zu gehen, in Süddeutschland, wo man sichere Verteidigungspositionen aufgebaut habe. Ich aber schlug aus persönlichen Gründen Schleswig vor. Dort wohnten die 1943 in Berlin ausgebombten Eltern. Der daraufhin ausgestellte Versetzungsbefehl ging davon aus, daß wir in Kiel die Arbeit an einer rückstoßlosen Waffe fortsetzen könnten. Kadow fragte uns noch im Auftrag Schumanns, wer aus der Studentenkompanie genügend „nazifest“ sei, um auch ein solches Papier zu bekommen. Wer diese Eigenschaft „nazifest“ nicht besaß, konnte nämlich auch Schumann oder Kadow gefährlich werden. Wir nannten einige Namen, nach bestem Wissen und Gewissen. Kadow hat dann noch weitere auf diesem Weg weggeschickt, deren Namen Schumann (telefonisch oder per Bote?) bestimmte, zuletzt etwa knapp Zehn.“1308
Gollmick berichtete, dass er sich vom 30. April bis 2. Mai 1945 in einem kleinen Dorf bei Grevesmühlen aufhielt, wohin ein Teil des Personals vom II. PI verlagert worden war. Dort traf er zum letzten Mal mit Schumann zusammen, der „seine Beamten-Uniform auszog“.1309 Eine weitere Version, die Schumann später Prof. Hans-Peter Reinecke offerierte, lautete, dass er sich rechtzeitig falsche Dokumente besorgt habe, die ihn als den Orgelbauer Erich Smittbern (ph.) aus Ostpreußen auswiesen. Mit diesen Papieren gelangte er nach Schleswig. Der englische Geheimdienst hatte bald den Verdacht, dass es sich in Wirklichkeit um Schumann handelte, der überall gesucht wurde. Die Geheimdienstler engagierten einen Orgelbauspezialisten, dem Schumann vorspielen und Rede und Antwort stehen musste. Diese „Prüfung“ bestand Schumann vorerst, erhielt jedoch die Auflage, Schleswig nicht zu verlassen. Erst 1947 habe er sich dem englischen Geheimdienst offenbart. Dies bestätigte Schumann im August 1947 in einer Notiz: „Hiermit erkläre ich, daß Herr Dr. Ernst Telschow auf meine Bitte hin mich mit englischen Dienststellen in Göttingen in Verbindung gebracht hat“.1310 Eine etwas andere, diesmal schriftliche Darstellung der Ereignisse gab Schumann im Januar 1957. Darin heißt es – unter Bezug auf seine „Stellungen während des Krieges“ – ihm sei bewusst gewesen, dass sowohl die östlichen als auch die westlichen Besatzungsmächte „erhöhtes Interesse daran hatten, meiner habhaft zu werden.“ Zuletzt sei er polizeilich in Dolgelin wohnhaft gewesen. Eine Rück1307 Mitteilung Dr. Paul Heinrich Mertens’ vom 27. November 2004. 1308 Interview mit Cobarg vom 27. Dezember 2004; Luck ergänzte in seinem unveröffentlichten Manuskript (wie Anm. 129), dass diese Papiere von OKW W Wiss ausgestellt worden waren. 1309 Protokoll über zwei Telefongespräche mit Dr. Hans-Joachim Gollmick (wie Anm. 1279). 1310 Handschriftliche Notiz Schumanns vom 14. August 1947, AMPG, III. Abt., Rep. 83 Nachlass Ernst Telschow, Nr. 286 (Hervorhebung im Original); Gespräch mit Prof. Hans-Peter Reinecke (wie Anm. 1287).
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kehr dorthin „wäre mit einer unmittelbaren Gefahr für meine persönliche Freiheit verbunden gewesen.“ Deshalb blieb er dort gemeldet, ließ sich aber in Dolgelin „nicht mehr sehen“.1311 Der ehemalige Bürgermeister von Lebus, Dornfeld (vgl. Kapitel 18) bestätigte, dass Schumann von 1943 bis 1945 in Dolgelin als wohnhaft gemeldet war. Es sei ihm nach dem 8. Mai 1945 nicht zuzumuten gewesen, dahin zurückzukehren, da zweifellos für ihn die Gefahr für Freiheit und Leben bestand. In einem Runderlass der zuständigen Kreisbehörde Lebus/Seelow wurde 1946 mitgeteilt, dass wegen „Kriegsverbrechen usw., u. a. Dornfeld, Konrad sowie Schuhmann, Erich (Dolgelin) enteignet wurden“.1312 In der Erklärung Schumanns von Januar 1957 heißt es weiter: „Ich hielt mich zwischen Mai 1945 und Mai 1947 bei Bekannten auf, meist in Berlin. So entging ich zunächst einer Fest- bzw. Gefangennahme. Erst im Frühjahr 1947 habe ich mit Herrn Geh. Rat. Prof. Dr. Planck (damals in Göttingen) wegen meiner Einfädelung im Westen Verbindung aufgenommen. Dieser empfahl mir, nachdem er bei englischen Dienststellen hatte anfragen lassen, eine persönliche Meldung bei den Engländern in Göttingen. Daraufhin meldete ich mich im Juli 1947 bei der englischen Besatzungsbehörde in Göttingen (unter Übergabe eines Abmeldescheines damaligen Datums aus Dolgelin, wo ich mich nicht persönlich abmeldete, aber abmelden ließ. Ein guter Bekannter überbrachte mir den Abmeldeschein.) Die englische Besatzungsbehörde veranlaßte dann a) Befragung (aber noch auf freiem Fuß), b) Gefangennahme, c) Registrierung meines Einganges in die britische Zone (festgesetzt auf den 14. 08. 1947 – aber bereits in Lübeck – s. anliegende Abschrift des englischen Registrierscheines Nr. 001013 vom 1. 9. 1947, Intelligence Team Friedland Camp), d) Entlassung aus der Gefangenschaft und e) Zuzugsgenehmigung durch den Regierungspräsidenten Hildesheim (Bezirksflüchtlingsamt) vom 9. 9. 1947 (s. Anlage zu 25 c).“
Als Wohnorte gab Schumann an: Göttingen 1947, Hamburg 1948, Düsseldorf 1953 und Detmold 1956.1313 Für die von Planck empfohlene Verbindungsaufnahme mit englischen Stellen in Göttingen nutzte Schumann seine frühere Bekanntschaft mit Telschow, der sich in Göttingen aufhielt – damals Sitz der aus Berlin ausgewichenen KWG. Am 4. August 1947 stellte Telschow den Kontakt Schumanns mit den Engländern her. Zwei Monate später übergab Schumann in Göttingen an „Herrn Porhase (AVA)“ einen kurzen Bericht über das Reichweitengeschoss, der für einen Mister Groves bestimmt war. Dieser Vorgang belegt ein weiteres Mal die bekannte „SituationsGeschicklichkeit“ (Cobarg) Schumanns. Vergleicht man nämlich den dürftigen Bericht (eine Schreibmaschinenseite!) mit den tatsächlichen Forschungsergebnissen zum Trommsdorff-Geschoss (vgl. Kapitel 12), dann weiß man sofort: Schu-
1311 Schriftliche Erklärung Schumanns vom 5. Januar 1957 „Anlage zu 24c und 25a“, NL Schumann. Die Gründe, die zu dieser Erklärung führten, sind nicht bekannt. 1312 Bescheinigung von Dornfeld für Schumann, ausgestellt am 15. Mai 1957, NL Schumann; BLHA, Rep. 250 Landratsamt Lebus/Seelow, Nr. 387, Runderlass 129. Einzelheiten zu Schumann enthält diese Akte nicht. 1313 Wie Anm. 1311.
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mann hielt den Engländern einen kleinen Happen hin, den eigentlichen Braten behielt er für sich.1314 Was Schumann damals alles seinen „neuen englischen Freunden“ von den Geheimnissen der deutschen Rüstungsforschung preisgab, lässt sich nur erahnen. Aber es muss – wie noch an anderer Stelle belegt wird – so ergiebig und wertvoll gewesen sein, dass die Engländer hin und wieder ihre schützende Hand über den Professor hielten. Solche Art Fürsorge hatte Schumann in den ersten Jahren nach dem Krieg mitunter auch bitter nötig, vor allem wegen einiger Prozesse, in denen seine Person eine Rolle spielte. Erstmals fiel sein Name im Prozess des Internationalen Militärtribunals in Nürnberg (IMT) gegen die Hauptkriegsverbrecher. Die sowjetische Anklagevertretung präsentierte dort am 26. August 1946 den ehemaligen Generalarzt Prof. Dr. Walter Schreiber, der über die Vorbereitungen des bakteriologischen Krieges aussagte. Dabei benannte dieser u. a. „Schuhmann von der Abteilung Wissenschaft des Heereswaffenamts“ (gemeint war das OKW), andere einbezogene Personen sowie das Institut Posen. (Die Einzelheiten wurden im Kapitel 16 bereits erörtert.)1315 Eine erkennbare Reaktion der Anklagebehörde zu Schumann geht aus den veröffentlichten Dokumenten des IMT nicht hervor. Ergiebiger war da schon der Nürnberger Ärzteprozess 1946/47. Dabei kamen die Themen „Biologische Waffen“ und „AG Blitzableiter“ sowie Erprobung und Produktion des N-Stoffes recht ausführlich zur Sprache. Zahlreiche Zeugenaussagen belasteten Schumann sowie einige seiner Mitarbeiter. Aber sie blieben alle unbehelligt und wurden nicht einmal als Zeugen geladen. Lediglich Dr. Jürgen von Klenck vernahm man zum Seewerk Falkenhagen.1316 Am 30. Mai 1945 hatten die westlichen Alliierten Mentzel verhaftet, der 1947 von der Verteidigung im Ärzteprozess als Zeuge angefordert worden war, aber weiterhin interniert blieb. Er musste sich in einem eigenen Verfahren wegen seiner tiefen Verstrickung in die NS-Machenschaften verantworten. Es erfolgte gemäß der Anklageschrift vom 7. Januar 1948 vor dem Spruchgericht Bielefeld (vgl. Kapitel 21). Diesmal ließ sich eine Vorladung Schumanns nicht umgehen. Mentzel hatte sich nämlich auf ihn als Zeugen berufen und gab am 4. Dezember 1948 zu Protokoll: „Schumann ist zu erreichen in Hamburg, Schröttleringsweg 11, bei Prof. Eugen Bieder. Er arbeitet zur Zeit in Pönitz bei Lübeck und ist mit der Errichtung eines wissenschaftlichen Labors beschäftigt. Er ist als Leiter einer Widerstandgruppe Forschung anerkannt.“1317
1314 Briefwechsel Schumann/Telschow 1947/48, AMPG, III. Abt., Rep. 83, Nr. 286. Interessant ist, dass in dem kurzen Vermerk auf den Bericht „Reichweitengeschoss“ hingewiesen wird, dieses Dokument jedoch im Nachlass Telschow nicht vorhanden ist. Eine Kopie befand sich im Nachlass Schumann, mit handschriftlichem Vermerk zum Termin der Abgabe an „Porhase“, bestimmt für den Empfänger Groves. 1315 Dokumente IMT (wie Anm. 792), Bd. 21, 603–609; Bd. 22, 106 f. 1316 Dörner et al.: Ärzteprozess, Erschließungsband, 433, Stichwörter „Biologische Kriegsführung“, „Chemische Kriegsführung“. 1317 Aussage Mentzels vom 4. Dezember 1948 im Spruchverfahren (wie Anm. 1237), Bl. 79.
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In seiner Vernehmung vom 24. Februar 1949 sagte Schumann u. a. aus, es habe tatsächlich eine Widerstandsgruppe „Wissenschaft“ gegeben, der auch Dr. Pfefferkorn angehörte. Verschiedene Zeugen belasteten während des Spruchverfahrens gegen Mentzel den ehemaligen Ministerialdirigenten Schumann schwer. Dr. Leo Ubbelohde, zuletzt Professor für technische Chemie an der TH Berlin, erhob gegen Mentzel und Schumann schwere Vorwürfe, insbesondere wegen ihrer Personalpolitik im Wissenschaftsbereich. Schumann sei angeblich der Berater Hitlers in Sachen Wunderwaffen gewesen. Durch sein enges Verhältnis zu den IG-Farben habe er auch maßgeblich den Bau des Seewerkes Falkenhagen und zuletzt der dort errichteten Kampfstoffproduktionsanlage vorangetrieben. 400 Millionen RM sollen dafür verbraucht worden sein. Aus diesen Gründen forderte Ubbelohde vehement ein eigenständiges Spruchverfahren gegen Schumann.1318 Ähnlich äußerten sich andere Personen, die das Gericht vorgeladen hatte, so ein Dr. Hagert und der sattsam bekannte SD-Mann Fischer. Fischer erwies sich in dem Spruchverfahren gegen Mentzel geradezu als ein Intimfeind Schumanns, „der eine Fülle von schiefen Behauptungen und bewussten Verdrehungen der Wahrheit“ vorgebracht habe. Nur der Umstand, dass man ihn nicht vereidigte, habe Schumann „vor einem mehrfachen Meineid gerettet“. Fischer gab daher am 12. Mai 1949 eine neunseitige, eng beschriebene, maschinenschriftliche Erklärung zu Schumann ab. Darin offerierte er u. a. die „Machenschaften der Clique Schumann-Mentzel-Willing“ und das von ihr aufgezogene Spitzelsystem, die besondere Gönnerschaft des Erich Hilgenfeldt, Leiters des Hauptamtes für Volkswohlfahrt (NSV) der NSDAP („über den Schumann an Goebbels herankam“), Schumanns vorgebliches Versagen mit dem Uran-Verein, seine angebliche Sabotage bei der Verlegung der Ingenieur-Offiziersanwärter nach Stuttgart (vgl. Kapitel 6) usw. Außerdem erfand Fischer die Geschichte von Schumanns Abhörapparaten, die er an der Universität Berlin installiert habe, um verschiedene Gespräche zu belauschen. Ebenso behauptete Fischer, Schumann sei in der Lage gewesen in geheime SD-Berichte Einsicht zu nehmen.1319 Wenige Tage danach konterte General a. D. Waeger, Schumanns ehemaliger Vorgesetzter, mit einer eidesstattlichen Erklärung für Schumann.1320 Nachteilige, d. h. gerichtliche Folgen, hatte dieser heftige Schlagabtausch im Spruchverfahren gegen Mentzel für Schumann nicht. Fischer blieb indes auch danach nicht untätig. In seinen verschiedenen Veröffentlichungen zwischen 1982 und 1988 bekräftigte er unentwegt die Angriffe auf Schumann und schmückte sie verschiedentlich mit weiteren Einzelheiten aus.1321 Als 1967 die „Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen Ludwigsburg“ unter dem Stichwort „Reichsforschungsrat“ ein Vorermittlungsverfahren gegen Mentzel 1318 Prof. Ubbelohde am 15. Oktober 1948 an das Spruchgericht Bielefeld (wie Anm. 1237), Bl. 61. 1319 Schriftliche Erklärung Fischers vom 12. Mai 1948 für das Spruchgericht Bielefeld (wie Anm. 1237), Bl. 231–238. 1320 Eidesstattliche Erklärung Waegers (wie Anm. 1237), Bl. 138–148. (Das BAK wies darauf hin, das wegen eines Zählfehlers in der Akte die Blätter 141–143 nicht existieren.) 1321 Fischer: Erinnerungen, Bd. I und II; Hitler und die Atombombe; Hitlers Apparat; Der totale Staat und das totale Durcheinander, in: FAZ 121 vom 27. Mai 1982, 10.
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einleitete, wurde Fischer erneut als Zeuge geladen. Er wiederholte verschiedene Anwürfe gegen Schumann, diesmal jedoch milder und kürzer als 1949.1322 Möglicherweise angeregt durch die „FIAT-Berichte“ und andere Veröffentlichungen, in denen sich führende deutsche Kernphysiker zu ihren Kenntnissen über das Uransprojekt 1939 bis 1945 äußerten, entschloss sich Schumann (1947!) zu einer Darstellung aus seiner Sicht.1323 Das Buch mit dem Arbeitstitel „Die Wahrheit über die deutschen Arbeiten und Vorschläge zum Atom-Energie-Problem (1939–1945)“ sollte vor allem darstellen, wie die Gebiete „Hohlladung“ und „Kernphysik“ unter seiner Leitung zusammengeführt und auf diesem Weg eine „neue Waffe“ entwickelt wurde (vgl. Kapitel 9). Dazu hatte Schumann drei Teile konzipiert: Im Kapitel I „Die Freisetzung von Atomenergie durch Kernspaltung bei schweren Elementen“ wollte Schumann, ausgehend vom internationalen Stand 1939, erörtern, welche Versuche unter der Führung des HWA bis zur Entscheidung Speers über die Weiterführung von „Versuchen im kleinen Maßstab“ erfolgten. Das Kapitel II „Die Freisetzung der Atomenergie durch Kernsynthese bei leichten Elementen“ war für die Behandlung der zwei unterschiedlichen Wege zur Auslösung einer Kernsynthese vorgesehen: „A) Zündung durch U- bzw. Pu- Bbe (nach Blackett, wahrscheinliche Lösung jetzt in Amerika). B) X-Zündung (deutscher Vorschlag Schumann-Trinks)“. Kapitel III hatte die Überschrift: „Kritik der Meinungen ausländischer Wissenschaftler und Militärs“. Für verschiedene, als „überraschende Offenbarungen“ gedacht, sollte ein Anhang des geplanten Buches sorgen: Neben „Elemente-Tabellen“, Umsetzungs-Schemata, medizinischer Nuklearanwendung „schon“ während des Krieges usw. Gleichzeitig wollte Schumann erstmals eine Übersicht zu den bis 1945 existierenden ausländischen und deutschen „Atomforschungsanlagen“ geben, kurz über die Zusammensetzung des Forschungsbeirates des HWA und die „deutsche Führung und [das] Atomenergieproblem“ berichten sowie mit „Bemerkungen über N-Stoff, R-Kanone, Rakete“ aufwarten.1324 Für seine sicherlich Aufsehen erregende Veröffentlichung versicherte sich Schumann der Mitarbeit ehemaliger maßgeblicher Angehöriger von WaF. Belegt ist dies für Diebner, der sich 1948 deshalb mit Schumann (bei Bieder in Hamburg) treffen wollte, ihn aber dort verfehlte. In einem Brief an Schumann schrieb Diebner wenig später: „Im übrigen bin ich gern bereit unsere wissenschaftlichen und organisatorischen Anteile in einem Bericht zu verarbeiten, der allerdings einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Ich habe die letzte Originalarbeit hier.
1322 „Vorermittlungsverfahren gegen Prof. Dr. Rudolf Mentzel“, BA-AL, B 162, ARZ 6700501, Bd. II, Bl. 268–278. 1323 FIAT-Berichte, Bde. 13 und 14 Kernphysik; Karl Wirtz: Historisches zu den Uranarbeiten in den Jahren 1940–1945, in: Physikalische Blätter 3 (1947), 371–379; Werner Heisenberg: Über die Arbeiten zur technischen Ausnutzung der Atomkernenergie in Deutschland, in: Naturwissenschaften 33 (1947), 325–329. 1324 Entwurf Bucheinteilung, NL Schumann.
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Da ich gerade dabei bin, eine größere Gesellschaft aufzubauen und eine größere Fabrikation in Gang bringe, kann ich mich an einen Termin allerdings nicht binden. Die Einzelheiten können wir ja persönlich besprechen.“
Außerdem beantwortete Diebner eine Anfrage Schumanns und stimmte ihm zu, dass „die Zerstörung der Norsk Hydro-Anlagen übertrieben ist“. Man habe mit weiteren Angriffen auf das norwegische Werk gerechnet und deshalb die Hochkonzentrierungsanlage [für die Gewinnung von schwerem Wasser, G. N.] abbauen lassen und nach Deutschland gebracht. Es habe sich dabei jedoch nicht um norwegisches Eigentum gehandelt, betonte er.1325 Etwa zur gleichen Zeit wandte sich Schumann erneut an Telschow in Göttingen. Er schrieb ihm am 2. April 1948 einen ausdrücklich als „vertraulich“ gekennzeichneten Brief. Darin verwies er auf die von ihm zusammen mit Trinks im Oktober 1943 bei den sprengphysikalischen Forschungen angestellten Überlegungen, dass es möglich sein müsse, mittels HL-Sprengkörpern „Umwandlungen z. B. von Kohle in Diamanten vorzunehmen und ferner Atomenergie durch Reaktionen zwischen leichten Elementen frei zu machen“ (Hervorhebung im Original, G. N.). Zugleich erinnerte Schumann Telschow daran, dass die Geheimakten zu dieser Thematik „weisungsgemäß“ 1945 vernichtet „und 1947 nach Rücksprache mit Ihnen für die dortigen Behörden von Dr. Trinks rekonstruiert“ wurden (vgl. unten, S. 501). Da dieses Schriftstück die theoretischen Erwägungen (von 1943/44) zur Schaffung einer neuen Waffe nochmals in konzentrierter Form zusammenfasste, sollen einige längere Passagen daraus vollständig wiedergegeben werden: „Prinzip: Die außerordentliche Verdichtung der Materie und die damit einhergehende ungeheure Temperatursteigerung, wie sie sich im Entwicklungsgang der Sterne infolge der Gravitation vollzieht, soll im Experiment dadurch erzwungen werden, daß man die hohe sprengstoff-physikalisch gewonnene kinetische Energie einer großen Masse auf eine wesentlich kleinere Masse überträgt. (Siehe nachstehende schematische Darstellung.) Die zu verdichtende Substanz wird im gasförmigen Zustand in einer metallischen Hohlkugel untergebracht, welche außen mit einer Schicht eines brisanten Sprengstoffs belegt ist. Bei geeigneter, gleichmäßig über die ganze Oberfläche der Sprengstoffschicht eingeleiteter Zündung wird für eine gewisse kurze Zeit ein sehr hoher Druck auf die metallische Kugelschale ausgeübt, unter dessen Einwirkung das Metall in den plastischen Zustand gerät und zum Kugelmittelpunkt hin beschleunigt wird. Dadurch wird die eingeschlossene Gasmasse außerordentlich rasch verdichtet und sehr hoch erhitzt … Besteht beispielsweise die erwähnte Kugelschale aus Eisen, die Füllung aus Wasserstoffgas vom Anfangsdruck 1 Atm., beträgt die Wandstärke der Kugelschale etwa 1/50 ihres Durchmessers und rechnet man weiter mit einer Anfangsgeschwindigkeit der Schalenelemente von etwa 3.200 m/sek, welche noch bequem erreichbar erscheint, so ergibt sich – nach Trinks – im Endzustand ein Energieinhalt des verdichteten Wasserstoffgases von etwa 1015 erg/g, d. h. mehr als 10.000 mal soviel, wie die brisantesten Sprengstoffe besitzen. Geht man von einem herabgesetzten Anfangsdruck des eingeschlossenen Gases aus, so ist mit noch höheren Energiedichten zu rechnen, also z. B. bei 0,1 Atm. etwa mit 1016 erg/g, das ist das 100.000-fache des Wertes für die brisantesten Sprengstoffe.
1325 Diebner an Schumann (ohne Datum, handschriftlicher Vermerk „1948“), NL Schumann.
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III. Schicksale Durch extrem anwachsende Strahlungsverluste beim Überschreiten der Temperaturgrenze des nichtentarteten Elektronengases, sowie durch sprunghaft erhöhte Kompressibilität bei Überschreitung der Druckgrenze des entarteten Elektronengases werden die theoretisch möglichen Zustandwerte (Temperaturen von 10 bis 100 Millionen Grad und Drucke von 100 Milliarden bis 100 Billionen Atm.) allerdings nur annähernd erreicht werden können. Diese Schwierigkeiten beginnen jedoch erst von etwa 4 Millionen Grad bei einem Druck von 250 Millionen Atm. an merklich zu werden, während unter ihrer Inrechnungsetzung ein weiterer Anstieg auf etwa 10 Millionen Grad bei einem Druck von etwa 10 Milliarden Atm., das ist nahezu der Zustand im Sonnenmittelpunkt, erwartet werden kann.“
Aus einer Gleichung, die Schumann anschließend zu den „Deutonen-Reaktionen“ zog, und sie unter Bezug auf die Arbeiten von Bethe, Gamov, Teller und anderen Physikern (1936–1939) knapp begründete, gelangte er zu der Schlussfolgerung: „Wird z. B. ½ Kubikmeter (ca. 9 g) schweren Wasserstoffgases vom Druck 0,1 Atm. Vollständig nach den obigen Reaktionsgleichungen umgesetzt, so wird ein Energiebetrag von rund 1019 erg, entsprechend etwa 275 to Trinitrotoluol, frei. Noch erheblich höhere Beiträge könnten unter Heranziehung anderer leichter Elemente, z. B. Lithium oder Bor, gewonnen werden.“1326
Als enger Vertrauter Schumanns war Prof. Winkhaus, ehemals TH Berlin, über die Einzelheiten des Buchprojektes unterrichtet.1327 Ein verbindlicher Vertrag über „Die Wahrheit …“ war 1948 mit dem Hamburger Rowohlt-Verlag zustande gekommen. Schumann erhielt im Dezember 1948 einen Vorschuss von 5.000 DM, geriet jedoch bald in zeitlichen Verzug. Grund war ein 1949 erschienenes Buch des englischen Nobelpreisträgers für Physik, Blackett, dessen Inhalt Schumann unbedingt berücksichtigen wollte.1328 Dazu kamen noch die inzwischen erschienenen Veröffentlichungen über die sowjetische Atombombe und die amerikanische Wasserstoffbombe. Um aktuell zu sein, hatte Schumann sein Manuskript zweimal umgeschrieben. Der springende Punkt war jedoch ganz anderer Art: Von Wissenschaftlern, denen Schumann seinen „Atombuch“ -Entwurf vorlegte, wurde er darauf hingewiesen, dass eine Veröffentlichung „1.) gegen das die verbotene Forschung betreffende Kontrollratsgesetz und 2.) insbesondere gegen das die Atomforschung behandelnde Kontrollratsgesetz verstoßen würde“. Vor allem Winkhaus hatte darauf aufmerksam gemacht und zugleich den „wohlmeinenden dringenden Rat“ gegeben, die X-Zündung der H-Bbe (= Abkürzung für Wasserstoff-Bombe) im II. Kapitel wegzulassen. Dagegen sträubte sich Schumann in seiner Antwort ganz energisch: „Ich kann es mir aber nicht leisten unter meinem Namen ein Buch herauszugeben, das längst bekannte und oft veröffentlichte Dinge lediglich in anderer Darstellung bringt. Gerade die Veröffentlichung folgender Tatsachen rechtfertigt die Herausgabe des Buches und garantiert den Verkaufserfolg: 1326 Schumann am 2. April 1948 an Telschow, AMPG, III. Abt., Rep. 83 Nachlass Ernst Telschow, Nr. 286. 1327 Briefwechsel Schumann/Winkhaus 1950, NL Schumann. 1328 Patrick Maynard Stuart Blackett: Military and Political Consequences of Atomic-Energie, London 1948. Deutsche Ausgabe: Furcht, Krieg und die Bombe, Zürich 1949.
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a) Möglichkeit der Zündung der H-Bbe mittels reichlich vorhandener Stoffe. (X-Zündung), also ohne Zuhilfenahme von U oder Pu. b) Bericht darüber, daß diese Möglichkeit schon im Krieg erörtert wurde, und Prof. Thiessen, der 1945 freiwillig nach Rußland ging, davon Kenntnis hatte. c) Hinweis darauf, dass Rußland deshalb wahrscheinlich den (Thiessen ja genau bekannten) Weg gegangen ist, also: H-Bbe mit X-Zündung (d. h. weder für eine U- bzw. Pu-Bombe entwickelt, noch für die Kernsynthese Bbu oder Pu zur Zündung benutzt hat). Dafür spricht auch, daß nach den Schätzungen amerikanischer Fachleute Rußland die Entwicklung einer Ubzw. Pu-Bombe frühestens (Hervorhebung im Original, G. N.) im Jahre 1954 hätte abschließen können.“
Es kam zu einer juristischen Auseinandersetzung „Rowohlt-Verlag gegen Schumann“ vor einem Hamburger Gericht. Schumann argumentierte nun – abweichend von der früheren, oben dargestellten Position – dass bei einem Erscheinen sowohl „Verleger und Autor“ sich strafbar machen würden. „Nur weil Verleger und Autor die Bestimmungen der Kontrollratsgesetze nicht kannten, bzw. nicht beachteten, konnte eine Lage wie die augenblickliche entstehen“. Man einigte sich „nach langem hin und her“ im September 1950 auf einen Vergleich: Schumann zahlte den Vorschuss zurück. Das Buch erschien nicht. Alle Beteiligten schwiegen sich über den Inhalt des Manuskriptes aus.1329 Zu einem letzten gerichtlichen Verfahren, in dem Schumann und mehrere seiner ehemaligen Mitarbeiter zu einem Vorgang von 1941/42 gehört wurden, kam es 1968 beim Landgericht Detmold. Anlass war ein am 4. April 1942 ergangenes Feldurteil des Gerichtes der Wehrmachtskommandantur Berlin gegen den Oberzahlmeister Heinrich Brinkmann. Ihn hatte man für schuldig befunden, im September 1941 an Hitler jenen anonymen Brief geschrieben zu haben, in dem die geplante Verlegung der Ingenieur-Offiziers-Akademie (IOA) von Berlin nach Stuttgart (vgl. Kapitel 6) als „Unsinn“ bezeichnet worden war.1330 Brinkmann konnte in dem nun wieder aufgenommenen Verfahren nachweisen, dass er seinerzeit die Tat nicht begangen hatte. Begründet wurde dies durch Schreiben, eidesstattliche Erklärungen bzw. Zeugenaussagen, die Schumann, Kadow, Dinse, Leeder, Schmude, Winkhaus, Hogrefe und Kühr abgaben. Auch Mentzel und Willing wurden gebeten, sich zu den damaligen Ereignissen zu äußern. Das Landgericht Detmold folgte der Argumentation der Rechtsanwälte des Heinrich Brinkmann, die begründet aufzeigten, dass das damalige Feldurteil lediglich auf einer lückenhaften, zudem widersprüchlichen Indizienkette beruhte.1331 1329 Briefwechsel Schumanns und Winkhaus’ mit Rechtsanwalt Dr. Bruno Schaper, 1950 (abgewickelt über die Anschrift Prof. Bieders in Hamburg), NL Schumann. 1330 Brinkmann wurde wegen schwerer Urkundenfälschung in Tateinheit mit vorsätzlich falscher Anschuldigung und übler Nachrede gegen einen Vorgesetzten zu einem Jahr und neun Monaten Gefängnis verurteilt. Zusätzlich wurde auf Dienstentlassung erkannt. In: Antrag H. Brinkmanns an das Landgericht Detmold (vom 31. Juli 1968) zur Wiederaufnahme des Verfahren, Bl. 1, NL Schumann. 1331 Unterlagen zur Wiederaufnahme des Verfahrens, NL Schumann. Tatsächlicher Briefschreiber war mit hoher Wahrscheinlichkeit der damalige Adjutant der Akademie, ein Major Dr. B., der nach Abschluss des Kriegsgerichtsverfahrens an die Front versetzt wurde und dort fiel. Das Verfahren widerlegt auch die von Fischer gegebene Darstellung der Vorgänge bei der Verla-
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Leben in der Bundesrepublik Deutschland Nach dem blutigen Ende des verbrecherischen Hitler-Reiches war für den damals 47jährigen Schumann eine weitere Karriere als Hochschullehrer undenkbar. Wie nahezu alle seiner ehemaligen Mitarbeiter musste er sich neu orientieren. Am ehesten kamen dafür seine Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet der Akustik und der Musikwissenschaft in Frage. Doch erst 1951 gelang ihm in Köln bzw. später in Berlin die Gründung des „Helmholtz-Instituts für Tonpsychologie und medizinische Akustik“, das bis 1963 existierte und dessen Direktor er war. Zweck der Einrichtung waren akustische Forschungen. Einer seiner Mitarbeiter war Dr. Wolfgang Geiseler, der zuletzt als Abteilungsleiter beim Sender RIAS wirkte und dem der Professoren-Titel verliehen wurde.1332 Die von Schumann in seiner Dissertation und der Habilitationsschrift unternommenen Vorstöße zur Klärung physikalischer und physiologischer Zusammenhänge in der Musik sowie seine Kompositionstätigkeit fanden in seinem Bekanntenkreis großen Widerhall. Tief beeindruckt davon war auch Hans-Peter Reinecke (1926–2003), der Sohn des Generals Reinecke, Schumanns ehemaligen Vorgesetzten, 1948 verurteilt im OKW-Prozess (vgl. Kapitel 21). Schumann gab dem jungen Mann im gleichen Jahr den Rat, sich mit den Grenzgebieten der Musikwissenschaften zu befassen. Reinecke studierte 1946/47 an der Universität Göttingen mehrere Semester Musikwissenschaften, Phonetik, Physik sowie verwandte Gebiete und setzte danach sein Studium in Hamburg fort. Dort begann er mit Untersuchungen für eine Dissertation „Experimentelle Beiträge zur Psychologie des musikalischen Hörens“, die 1953 abgeschlossen wurde. Schumann und Reinecke blieben Zeit ihres Lebens in ständigem Kontakt.1333 In einer Veröffentlichung von 1966 ging Reinicke nochmals auf die Habil-Arbeit Schumanns ein und hob ihren wissenschaftlichen Wert hervor, „die Tatsache nämlich, dass sowohl in der akustischen Schwingungs- und Wellenlehre auch in Bezog auf diesen Sachverhalt [Physik der elektromagnetischen Strahlung, G. N.] direkte Analogien herrschen“.1334 Nahezu parallel zur Arbeit am Buchmanuskript über die kernphysikalischen Versuche bei WaF bemühte sich Schumann, die während des Krieges eingereich-
gerung der IOA nach Stuttgart und die angebliche Rolle, die Schumann dabei gespielt habe. Vgl. Fischer am 12. Mai 1949 an Spruchgericht Bielefeld (wie Anm. 1237), 238. 1332 Mitteilung Jobst P. Frickes (wie Anm. 1206); Unterlagen Schumanns für das „Hugo Riemann Musiklexikon“, NL Schumann. 1333 Gespräch mit Reinecke (wie Anm. 1267); Hans-Peter Reinecke: Experimentelle Beiträge zur Psychologie des musikalischen Hörens, Dissertation, Universität Hamburg 1953, Hamburg 1964 (= Schriftenreihe des Musikwissenschaftlichen Instituts der Universität Hamburg, III). Reinecke, 1967 zum Professor ernannt, war zuletzt Direktor des staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz und Direktor des Berliner Musikinstrumenten-Museums. Vgl. hausinterner Nachruf des Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Prof. Dr. Klaus Dieter Lehmanns, zum Ableben Reineckes am 25. Juli 2003. 1334 Hans-Peter Reinecke: Stereo-Akustik. Einführung in die Grundlagen stereophonen Musikhörens, Köln 1966, 53 f. Vgl. auch Gespräch mit Reinecke (wie Anm. 1267).
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ten Geheimpatente zur Sprengphysik (nach 1945 „verschollen“) zu rekonstruieren. Zusammen mit „einem Teil der damaligen Mitarbeiter“ wurden vor allem 1946 die theoretischen Überlegungen fortgesetzt und „ein kleines Experiment“ unternommen, das „labormäßig ein positives Ergebnis“ brachte. Auf dieser Grundlage entstand ein ausführlicher, 80 Schreibmaschinenseiten umfassender Bericht, der 1947 dem Generaldirektor der Max-Planck-Gesellschaft in Göttingen zur sicheren „Aufbewahrung in einem Panzerschrank“ übergeben wurde. Telschow lieferte jedoch aus unbekannten Gründen die Schrift dem „englischen Überwachungsdienst“ aus. Eine Reaktion von dort erfolgte nicht. „Vermutlich haben die Engländer die Tragweite nicht erkannt oder die in dem Bericht eröffneten Perspektiven nicht geglaubt. Es ist auch möglich, daß deutsche und englische Experten die Durchführung des Verfahrens gutachtlich für undurchführbar erklärten“,
vermerkte dazu Schumann.1335 Ab 1949 versuchten Schumann und Winkhaus namens der „Erfindergruppe“, Wirtschaftsunternehmen in der BRD, amerikanische Konzerne wie Dupont sowie Kräfte in der Schweiz bzw. in Spanien für dieses Verfahren zu interessieren. Auch an die damals angelaufenen „Atomversuche in Argentinien“ wurde gedacht. All diese Bemühungen erwiesen sich jedoch als wenig erfolgreich, ja sogar gefährlich, da die Sicherung der Ansprüche der „Erfindergruppe“ in keinem Fall gewährleistet werden konnten. Zu ihr zählten – mit unterschiedlichen Anteilen – Winkhaus, Nischk, Schall, Schumann, Kadow, Waeger, Trinks und Schwenninger (letzterer ehemals HWA, Prüf 1, Mitglied der damals tätigen Arbeitsgruppe „Hohlladung“, vgl. Kapitel 8).1336 Um 1952 hielt man die Zeit für gekommen, die Patentrechte neu beim Patentamt in München anzumelden. Gleichzeitig sollten in Absprache mit der Leitung dieses Amtes Wege gefunden werden, um die Patente nicht offen legen zu müssen. Das war wichtig, denn: „Eine offene Anmeldung der Patente hätte dann dazu geführt daß, a) die Besatzungsmächte das Verfahren als Beute beschlagnahmt hätten, auch dann, wenn nachzuweisen war, daß das Verfahren erst nach Kriegsschluß entwickelt worden ist, b) hätten sich die Bearbeiter nach den Kontrollratsbestimmungen strafbar gemacht, c) hätten natürlich auch die Russen Kenntnis bekommen können.“1337
Die Gelegenheit für eine interne Behandlung erschien günstig, da der einstige Mitarbeiter von WaF, Kurt Nischk, wieder in seinem früheren Beruf als Patentanwalt nach München zurückgekehrt war. Am 13. Februar 1952 besprach er die Angelegenheit mit dem Präsidenten des Patentamtes und dessen Stellvertreter. Beide waren der Überzeugung, dass eine „Sonderbehandlung“ zwar möglich sei, aber eine hundertprozentige Geheimhaltung nicht garantiert werden könne.140 Über den Umfang der Ansprüche wurde Nischk im April 1952 informiert. Winkhaus sollte ihm „in wenigen Tagen“ vier Mappen übergeben. Sie enthielten:
1335 Aufzeichnungen Gedächtnisstütze, Bl. 15, im NL Schumann. 1336 Ebd., Bl. 16. 1337 Ebd., Bl. 16.
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III. Schicksale „Mappe I: Verfahren und Vorrichtungen zur Erzeugung höchster Drucke und Temperaturen. 21 Ansprüche nebst zwei Hauptansprüchen. Mappe II: Modifikationsumwandlungen von Elementen (und auch synthetischer Herstellung von Diamanten und harten Kohlenstoff Verbindungen), 7 Ansprüche neben einem Hauptanspruch. Mappe III: Atomkernreaktionen, ergänzt durch technische Anwendungen (z.B. Herstellung radioaktiver Isotope!), 11 Ansprüche und ein Hauptanspruch. Mappe IV: Alle das HK-Problem [= Hohlkörper] betr. Verfahren und Vorrichtungen, 15 Patentansprüche.“1338
In den dazu gegebenen Erläuterungen wurde von Schumann hervorgehoben, dass das „Gebiet der Physik höchster Drucke und Temperaturen“ und die „Untersuchung der Materie unter extremen Bedingungen“ so viele neue Erkenntnisse ergeben werde, dass „ganze Industriezweige damit befasst werden“. Das Verfahren zur billigen und einfachen Herstellung radioaktiver Isotope sei in seiner wirtschaftlichen Bedeutung kaum abzuschätzen. Als Persönlichkeit ihrs Vertrauens benannten „die Erfinder“ Prof. Winkhaus. Er sollte a) als Anwärter auftreten, b) die Verträge „mit der Gruppe X“ oder einer anderen kapitalträchtigen Gruppe abschließen, und c) „mit X“ für die wirtschaftliche Auswertung der Patente sorgen.1339 Im August 1952 wurden von Schumann und Trinks die Patente Nr. 977825 und 977863 angemeldet. Beide Patente verdienen eine kurze inhaltliche Betrachtung: Als Erfinder werden „Dr. Dr. Erich Schumann, 2000 Hamburg-Hochkamp und Dr. Walter Trinks, 3400 Göttingen“ genannt. Patenthalter war die „Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Bundesminister der Verteidigung, 5300 Bonn“. Die Patentierung für das „Gebiet der Bundesrepublik Deutschland“ galt ab 13. August 1952. Bekannt gemacht wurde die Patenterteilung am 8. April 1971. Das Patent Nr. 977825 „Vorrichtung um ein Material zur Einleitung von mechanischen, thermischen oder nuklearen Prozessen auf extrem hohe Drücke und Temperaturen zu bringen“ war das Hauptpatent (mit 17 Ansprüchen), die Nr. 977863 „Vorrichtung zur Behandlung von Material mit hohen Drücken und Temperaturen“ das Zusatzpatent (mit 5 Ansprüchen). Beiden Patenten sind entsprechende Zeichnungen beigefügt. Das Hauptpatent beinhaltet eine ausführliche Begründung der schon vorgestellten theoretischen Erwägungen und Berechnungen, wie mittels Hohlladungen Kernreaktionen leichter Elemente ausgelöst werden können (Kapitel 9, sowie Brief Schumanns nach 1945 an Telschow, vgl. oben, S. 498). Als „Erfindergedanke“ wird „eine Kombination des Ramsauerschen Vorschlages mit den bei den Hohlsprengkörpern angewandten Verfahrens“ genannt (Patentschrift, S. 2). Als Verwendungszweck wird, außer der Erzeugung so hoher Temperaturen, wie sie „für Kernverschmelzungsprozesse notwendig sind“, auf Temperaturen und Drücke für die „Diamantensynthese“ aufmerksam gemacht (Patentschrift, S. 10). Als „in Betracht gezogene Druckschriften“ nennen Schumann und Trinks das am 21. 1338 Ebd., Bl. 27–29 1339 Schumann am 24. April 1952 an Nischk, NL Schumann. Nischk war nicht der einzige Mitarbeiter von WaF, der nach 1945 beim Patentamt München arbeitete (vgl. Kapitel 21).
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Dezember 1934 erteilte Patent Nr. 662036 „Verfahren zur Anregung und Durchführung von Kernprozessen“, Erfinder: Arno Brasch, New York, und Dr. Fritz Lange, Charkow, UdSSR; Patenthalter: AEG. Das Zusatzpatent Nr. 977863 befasst sich eingehend – darauf weisen die Erfinder ausdrücklich hin – nicht mit der Kernspaltung, sondern mit der Verschmelzung von Kernen leichter Elemente „z. B. leichter und schwerer Wasserstoff, Lithium, Beryllium und Bor“. Sie heben zugleich hervor: „Wesentlich wichtiger als die Befreiung von Atomenergie zu militärischen Zwecken ist die Herstellung von Neutronen für friedliche Aufgaben“. Erreicht werden könne dies durch die Auskleidung des „Innenraumes der Druckzelle“ mit einer Uranschicht (Patentschrift, S. 5). Da Schumann und Trinks jedoch in beiden Patenten an mehreren Stellen auf die ungeheuren Geschwindigkeiten hinweisen, mit denen die von ichnen beschriebenen Kernreaktionen ablaufen, stellt man sich u. a. bang die Frage, ob sie nicht etwas gänzlich anderes, nämlich eine „Neutronenbombe“, im Blick gehabt haben können. Bereits vor der Gründung der Bundeswehr bemühte sich Schumann darum, dass der Vorläufer des Bundsverteidigungsministeriums die Verwertung der Erfindungen besorgte. Das erfolgte durch Kontaktaufnahme mit dem „Technischen Amt Blank in Koblenz“. Dazu hatte sich Schumann mit seinem ehemaligen Referenten Dr. Siegfried Glupe ins Benehmen gesetzt, der im Amt Blank erneut im Bereich Forschung tätig war und eine solche Funktion später auch im Bundesministerium für Verteidigung ausübte.1340 In den Unterlagen für das „Hugo Riemann Musiklexikon“ gab Schumann an, dass er „nach der Pensionierung“ als Komponist und Gutachter („medizinische Physik und E-Akustik“) tätig war. Hinter dieser „Gutachtertätigkeit“ verbirgt sich folgendes: Im November 1965 schloss Schumann mit der Braun AG, Frankfurt/M. – ein durch sein eigenständiges Funktional-Design angesehener Hersteller hochwertiger Elektrogeräte (u. a. HiFi-Produkte und Scherfolienrasiergeräte) – einen Beratungsvertrag.1341 Der Kontakt zum Vorstand der Braun AG wurde auf 1340 Aufzeichnungen Gedächtnisstütze, vgl. Anm. 1335 im NL Schumann, Bl. 80; Schumann am 14. Juli 1957 an Nischk „Betr.: W 9200IX-72d, W 9197 IV a/12 g, W 9198 IV a/12 g, W 9199 VIII c/91 g und die Ausscheidungsanmeldung“. Einzelheiten über die Gespräche Schumanns mit dem „Amt Blank“ bzw. dem BMfV sind nicht bekannt. In einem Brief vom 8. Juli 1957 (aus Schweden) an Winkhaus (im NL Schumann) setzte sich Trinks kurz mit einem Spiegel-Artikel auseinander, in dem Diebner die Entwicklung eines Verfahrens zur Vereinigung von Deuteriumkernen mittels Sprengstoff zugeschrieben wurde. (Der Spiegel, Nr. 11 vom 20. März 1957, 50 f.) Darin hieß es unter Bezug auf die deutschen Arbeiten zur Hohlladung bis 1945, dass Bagge und Diebner einen „Kunstgriff“ anwenden wollen, mit dem „bei der Detonation einer Hohlladung … die Verschmelzung von schwerem Wasserstoff in Gang kommt“. Versuche sollten mit Unterstützung der Babcock-Werke erfolgen. Außerdem bedauerte Trinks, dass sich die Patentsache zu lange hinziehe, weshalb er gern selbst mit Nischk sprechen wollte. 1341 Zur Fa. Braun vgl. Claus C. Cobarg: 85 Jahre Braun-Innovationen, 50 Jahre Braun-Design. Von der einfachen Werkstatt für Apparatebau zum Weltmarktführer, in: Route der Industriekultur Rhein-Main, Frankfurt/M. 2006, 66–69. Zu Braun selbst Hans Wichmann: Mut zum Aufbruch. Erwin Braun 1921–1996, München 1998, darin, 250, Biographie C. C. Cobargs.
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III. Schicksale
Wunsch von Schumann von Dipl. Phys. Claus C. Cobarg, ehemals Angehöriges der Studentenkompanie, hergestellt. Dieser hatte nach 1945 zu Schumann engen Kontakt gehalten. Cobarg war bei Braun seit 1958 in leitenden Positionen tätig. 1965 bereitete er sich als Leiter der Grundlagenentwicklungsabteilung Haustechnik auf die kommende Position „Technischer Leiter“ im Vorstandsbereich „Neue Produkte“ vor, einem Bereich, der möglicherweise an den Ideen von Schumann Interesse zeigen könnte. In dem Beratungsvertrag verpflichtete sich Schumann, alle von ihm gemachten Erfindungen, die das Tätigkeitsgebiet der Braun AG tangieren, zuerst dem Unternehmen anzubieten. In diesem Rahmen schlug er 1967 Braun vor, die in seiner Habilitationsschrift von 1929 niedergelegten Erkenntnisse zu nutzen, z. B. bei der Entwicklung von Lautstärkereglern, die die Klangfarben der einzelnen Instrumente nicht verfälschen. Die zuständigen Fachleute von Braun waren allerdings skeptisch. Die von Schumann gefundenen Gesetze stimmten nicht mit der gängigen Lehrmeinung überein. Sie wandten sich daher an die Hauptabteilung Grundlagenforschung. Dort wurde der Leiter der Abt. Physik, Dipl. Ing. Paul Heinrich Mertens (*1927) beauftragt, den internationalen Wissensstand und auch die Patentlage zu erkunden. Bei der Vorstellung der Ergebnisse dieser Recherche, bei der Schumann zugegen war, wandte sich dieser in seiner unnachahmlichen Berliner Art spontan an den jungen Physiker: „Männecken, Sie sind der erste, der dat kapiert hat, wat ick meene! Woll’n se nich mit det Thema promovieren?“ Mertens stürzte sich sofort in diese Aufgabe. 1975 legte er an der Universität Köln seine Dissertation „Die Schumannschen Klangfarbengesetze und ihre Bedeutung für die Übertragung von Sprache und Musik“ vor. Darin befasste er sich auch mit der „Anwendungsbreite“, die sich aus den von Schumann gefundenen Gesetzen ergab, und verwies zugleich auf Ergebnisse, die dazu an der Universität Köln von Prof. Jobst P. Fricke und den Doktoren W. Voigt und J. Schmitz erzielt und 1975 auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin vorgestellt wurden.1342 Schumann hatte inzwischen beim Deutschen Patentamt mehrere Patentanmeldungen zur Musikübertragung registrieren lassen. Es handelt sich um „Elektroakustische Übertragungsvorrichtung“ (Nr. 2041429), „Elektrische Verstärkervorrichtung“ (Nr. 2041396) und „Formantintervall-Hervorhebung bei Musikinstrumenten“ (Nr. 2050220). Dazu kam noch der Anspruch „Klangfarbengetreues elektrisches Musikinstrument“ (Nr. 2041426), mit dem erstmalig eine exakte klanggetreue elektrische Orgel vorgeschlagen wurde. All diese Patente wurden 1972 offen gelegt.1343
1342 Mitteilung Cobargs; Mitteilung Mertens’ vom 24. Januar 2005; Paul Heinrich Mertens: Die Schumannschen Klangfarbengesetze und ihre Bedeutung für die Übertragung von Sprache und Musik, Frankfurt/M. 1975 (= Das Musikinstrument, 30). 1343 Unterlagen für den „Hugo Riemann Musikkalender“ (wie Anm. 1332), 3, NL Schumann. Hinausgehend über diese Musikpatente, hatte sich Schumann weitere Erfindungen patentrechtlich schützten lassen, u. a. Nr. 586441 (1933) „Schallaufnahmegerät mit Zwischenreflektoren zur Schallübertragung von dem aufnahmemittel zur Hörstelle“, Nr. 893138 „Frischhaltung von Lebensmitteln“, Nr. 892464 (1963) „Empfangsgerät für elektronische
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Braun plante damals bis auf weiteres keine Nutzung der nur in Deutschland registrierten Schutzrechte. Zwei Instrumentenhersteller aber griffen das Gebiet auf: Im Juni 1975 fand bei der Firma Ernest Martin KG ein Demonstrationsvortrag zur Entwicklung neuartiger elektronischer Blasinstrumente auf der Grundlage „eines neuen dritten Weges der synthetischen Klangerzeugung“ statt. Die dabei vorgestellten Instrumente waren das Ergebnis der Arbeiten von Fricke, Voigt und Schmitz (Köln). Im gleichen Jahr brachte die Firma Realton (Euskirchen) ein elektronisches Blasinstrument „Variophon“ auf den Markt. Damit konnten „auf einer Klaviertastatur, wie auf einer Blockflöte die Klänge von Oboe, Klarinette, Fagott, Saxophon, Trompete, Posaune und Panflöte dynamisch korrekt und mehrstimmig“ gespielt werden. Am musikwissenschaftlichen Seminar der Universität Köln entstand ein Tonmischpult für die EMI-Electrola, wofür der von Fricke und seinen Mitarbeitern entwickelte „spektral-dynamic-processor“ entscheidend war. Diese Fortschritte basierten sämtlich auf Schumanns „Physik der Klangfarben II“ aus dem Jahre 1929.1344 Eine außerordentlich hohe Anerkennung seiner frühen Forschungen erfuhr Schumann im August 1977 beim Jahreskongress des Internationalen Musikzentrums (IMZ) in Salzburg. Bei dieser Zusammenkunft des IMZ, einer Organisation für die Förderung der Musik in den technischen Medien, stellte Fricke „das Schumannsche Mischpult, den spektral-dynamic-processor“ vor. In dem ausführlichen Bericht über diese Tagung wurde ausdrücklich hervorgehoben: „Erst der jetzige hohe Stand der elektronischen Minitechnik macht es im wirtschaftlich vertretbaren Rahmen nunmehr möglich, die von E. Schumann entdeckten und in seine Physik der Klangfarben mitgeteilten Gesetze bei der elektroakustischen Aufnahme und Ausstrahlung von Klängen in Anwendung zu bringen.“1345
Es äußerten sich dazu hervorragende Fachleute aus Wissenschaft und Praxis, deren Kommentare allesamt übereinstimmten und die die Bedeutung der Schumannschen Gesetze unterstrichen. Zu diesen Fachleuten gehörten die schon genannten Wissenschaftler Reinecke, Fricke, Kadow, Geiseler, Voigt und Schmitz. Weiter kamen zu Wort: Prof. Dr. S. Goslich (Akustiker aus München, Vorsitzender der Audiogruppe im Internationalen Musikzentrum Wien), Hochschuldozent M. Fouqué. (Cheftonmeister bei Teldec = Telefunken/Decca), H. Lindner (Cheftonmeister bei Ariola), W. Gülich (Tonmeister in Köln bei EMI-Electrola, Tonmeister von Karajan) sowie Dr. K. Berkey (bei der Kölner Fa. E. Martin KG, verantwortlich für die Koordinierung von Forschung, Entwicklung und Fertigung).1346
Schwingungen“, Nr. 952826 (1963) „Hörgerät für Schwerhörige“ und Nr. 1107278 (1961) „Hörbrille“, zusammen mit Erich Wenmakers und Dr. Heinz Kümmerlein, Essen. 1344 Mitteilung Mertens’ vom 27. November 2004. 1345 Jürgen Sieber: Spektraldynamik, in: Das Musikinstrument 36 (1977) Heft 9, 1163–1166, insb. 1163. Darin wird u. a. darauf verwiesen, dass das „Mischpult der Zukunft“ auf einer Patentoffenlegung Nr. 2512905 beruht, als deren Erfinder Dr. E. Schumann, Dr. J. Fricke und H. Reuter genannt sind. 1346 Ebd.
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III. Schicksale
Mertens bekleidete nach der Überführung der Grundlagenforschung (Leiter Dr.-Ing. Otto Anna, bis 1971) in das 1971 neu gegründete und von Cobarg geleitete „Zentrallabor“ den Posten eines Stellvertreters. 1973 übernahm Mertens dann die Leitung der wichtigen Produktentwicklung „Elektrorasiergeräte“. Mertens, der mit Schumann lange Jahre zusammenarbeitete, konstatierte zu diesem zusammenfassend: „Auf dem Gebiet der Rasiererentwicklung unterbreitete Schu eine Fülle von Ideen und Vorschlägen. Ich habe versucht, diese vertraulichen Vorschläge zu rekonstruieren. Es sind mindestens 23. Hinzu kommen Vorschläge auf elektro-medizinischem Gebiete. Ein Feld, das heute von BRAUN erfolgreich bedient wird. Inwieweit diese Denkanstöße Schu’s gewirkt haben, vermag ich nicht zu sagen, weil ich nicht bei allen Gesprächen Schu’s im Hause BRAUN dabei war. Auch unterbreitete Schu Vorschläge zu organisatorischen Maßnahmen und zur Tarnung von Forschungs- und Entwicklungsvorhaben … Von einem unmittelbaren Kontakt Schu’s zur NASA, genauer zu Wernher von Braun kann ich berichten. In der Grundlagenforschung hatte BRAUN ein Elektrorasiergerät mit elektrostatischer Rasierstaubbindung entwickelt, besonders geeignet für eine Verwendung im schwerelosen Raum. Schu rief damals Wernher von Braun, dessen Geheim-Nr. er kannte, unmittelbar aus dem Büro von Dr. Anna während einer Besprechung dieses Projektes an, und stimmte einen Besuchstermin zur Vorstellungen unseres Prototypes ab … Schu hatte viele originelle Einfälle und eine starke Kombinationsgabe. Sachliches, reales Denken und Phantasie ergänzten sich. Sein Begeisterungsvermögen wurde durch Selbstkontrolle gezügelt. Es konnte gesprächig sein und in der Gegenrede lebhaft. Im geselligen Umgang war er warmherzig und großzügig, wie meine Frau und unsere Kinder es oft erfahren durften. Er hatte viel Humor und war im privaten Umfeld zu Späßen aufgelegt. Seine Haltung war vornehm zurückhaltend.“1347
Den nach 1945 abgerissenen Faden zu Wernher v. Braun knüpfte Schumann Mitte 1952 neu. V. Braun reagierte ohne Verzug und schrieb an Schumann einen kurzen Brief, in dem es u. a. hieß: „Mich hat es ja inzwischen auf eine andere Seite dieses problematischen Planeten verschlagen. Aber meine Begeisterung für die Raketensache, in der ich seinerzeit durch Ihr Eingreifen auf einen soliden Kurs gebracht wurde [Hervorhebung durch den Autor], brennt immer noch mit dem alten Feuer.“1348
1952, als v. Braun eine Reise durch die Bundesrepublik Deutschland unternahm, ließ sein dichtes Programm kein Treffen mit Schumann zu, was v. Braun sehr bedauerte. Er teilte seinem „Doktor-Vater“ stolz mit, dass nunmehr die ehedem geheime Dissertation als Sonderheft der Zeitschrift „Raketentechnik und Raumfahrtforschung“ veröffentlicht werde. Für die erfolgreiche Verwirklichung von Schumanns „neuartigen Gedanken auf dem Gebiet der Tonpsychologie und medizinischen Akustik“ übermittelte er seinem Mentor die besten Wünsche.1349 Gelegen1347 Mitteilung Mertens’ vom 27. November 2004. 1348 Wernher v. Braun am 24. September 1952 an Schumann, Kopie von Luck zur Verfügung gestellt. 1349 v. Braun am 22. September 1959 an Schumann (Briefkopf: Army Ballistic Missile Agency. U. S. Army Ordnance Missile Comand. Redstone Arsenal Alabama. Brief gerichtet an: Prof. Schumann p. Adr. Diana-Tonfilm, Neue Kantstraße 7, Berlin-Charlottenburg). Eine Kopie des Dokumentes stellte Luck zur Verfügung.
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heit für eine persönliche Begegnung v. Braun mit Schumann gab es erst im Januar 1963 im damaligen West-Berlin, als Wernher von Braun für seine Verdienste um den Raumflug zum Ehrendoktor der TU gekürt wurde. Bei der Zusammenkunft überreichte Schumann seinem einstigen Schüler eine Schallplatte mit eigenen Kompositionen, zu denen auch der Marsch „Alle Düsen auf!“ zählte. Der Zeitungsbericht zur Verleihung der Ehrendoktorwürde kam nicht ohne die bei vielen Gelegenheiten vorgetragene Behauptung Wernher v. Brauns aus, der Vorwurf, seine Forschung habe nur militärischen Zwecken gedient, sei ungerechtfertigt. Er und seine „alten Raketenleute“ hätten die militärische Anwendung „lebhaft bedauert“.1350 Den Bericht über das erste Mondlandungsunternehmen mit Apollo 11 überschrieb „Bild“ am 19. Juli 1969 mit: „Alle Düsen auf! – Ein flotter Marsch erklingt seit einigen Tagen im Weltraumbahnhof Kap Kennedy – Ein Berliner Professor hat ihn für Wernher von Braun komponiert“. Schumann, abgebildet zusammen mit v. Braun, wurde mit den Worten zitiert: „Nicht auf die militärische Anwendung war sein Streben gerichtet, sondern einzig auf den Schuß ins Weltall, auf die friedliche Eroberung des Weltraumes.“1351 Für die Glückwünsche zum Erfolg von Apollo 11 bedankte sich v. Braun in einem offiziellen Schreiben der NASA an Schumann. Dabei erwähnte er „mit besonderer Dankbarkeit … die Hilfestellung und großzügige Förderung“, die ihm Schumann gewährt hatte: „Ich weiß nur zu gut, daß meine berufliche Entwicklung ohne den Erfahrungsschatz und die Anleitung zur systematischen Verfolgung praktischer und theoretischer Entwicklungs- und Forschungsprobleme, die Sie mir seinerzeit zuteil werden ließen, wohl kaum zu den bisherigen Zielen geführt hätte.“1352
Die ehemaligen Angehörigen der Studentenkompanie trafen sich wenige Jahre nach dem Krieg erstmals im damaligen West-Berlin wieder. Später wurde die in Frankfurt/M. alle drei Jahre stattfindende Veranstaltung „Achema“ (Internationale Ausstellung der chemischen Industrie) genutzt. Daran nahm auch der einstige Kompaniechef Dr. Wilhelm Schlicht, teil. Hin und wieder erschien Schumann. Cobarg berichtete von einer eigentümlichen Episode bei einer dieser Zusammenkünfte. Schlicht hatte nämlich „dabei den Mut, besser gesagt die Frechheit gehabt, Schumann als Retter von vielen von uns zu bezeichnen“, obwohl Schlicht noch in den letzten Kriegstagen Kadow ein Kriegsgerichtsverfahren – wegen der oben von Corbarg beschriebenen Ausstellung von Marschbefehlen – anhängte. Manche der ehemaligen Studenten verließen bei diesem Auftritt Schlichts den Raum oder spuckten aus. Schumann ertrug die Anmaßungen Schlichts gelassen. Kadow kommentierte dies gegenüber Cobarg, Schumann sei „immer sehr generös und nicht nachtragend“ gewesen.1353
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Telegraf vom 9. Januar 1963. Margarete Roemer: Alle Düsen auf!, in: Bild vom 19. Juli 1969, 1. v. Braun am 14. September 1969 an Schumann, Kopie von Mertens zur Verfügung gestellt. Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129); Interview mit Cobarg am 27. Dezember 2004.
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III. Schicksale
Anfang April 1985 erfuhr Werner Luck, der, ebenso wie verschiedene andere, näheren persönlichen Kontakt zu Schumann unterhielt, von dessen Erkrankung. Er übermittelte ihm noch tief besorgte Genesungswünsche, erfuhr aber wenige Tage später, dass Schumanns Leben am 25. April 1985 „nach kurzem Leiden“ zu Ende gegangen war. „Auf seinem letzten Weg zur Familiengruft in Homberg-Hülsa begleiteten ihn nicht nur seine Familie und Freunde, sondern auch viele seiner Schüler, viele Menschen, denen ‚Schu‘ wie er im vertrauten Kreise respektvoll genannt wurde, Lehrer, Wegweiser, Helfer, Freund und in den Wirren des Krieges sogar Lebensretter geworden war.“
Angehörige des Heeresmusikcorps aus Kassel intonierten an seinem Grabe „Ich hatt’ einen Kameraden …“. Der Dienstälteste der ehemaligen Studentenkompanie, Dr. Dietrich Becker, sprach namens der Angehörigen dieser Einheit am Grabe: „Lieber Schu! Die Studentenkompanie des Heereswaffenamtes war Dein Werk. Ihre ehemaligen Angehörigen verdanken Dir viel. Sie haben die Erwartungen, die in sie gesetzt wurden, seinerzeit nicht mehr erfüllen können. Aber ihr späterer Werdegang in Forschung und Lehre, in leitenden Stellungen in staatlichen Institutionen und in der freien Wirtschaft hat bewiesen, dass Dein Gedanke, rechtzeitig für wissenschaftlichen Nachwuchs zu sorgen, richtig war. Lieber Schu, wir danken Dir. Ruhe in Frieden!“1354
Schumanns erste Frau Martha war 1965 gestorben. Nach ihrem Tod heiratete Schumann Frau Dr. Hildegard Motz, die er schon aus der Zeit der „Zentralstelle“ – bei der Inspektion für Waffen und Gerät – kannte und die ab 1934 am II. PI arbeitete. Sie starb 2005.
1354 Paul-Heinrich Mertens und H. K. Herzog: Nachrufe zu Schumann, in: Das Musikinstrument 34 (1984) Heft 7, 4; Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129).
DANK Dieses Buch wäre ohne die tatkräftige Mithilfe vieler Menschen nie entstanden; sei es durch Auskünfte, Überlassen von Fotos und Dokumenten, Literaturbeschaffung, kritische Anregungen oder in anderer Weise. Mancher meiner Gesprächspartner ahnte nicht, wie wichtig seine Information im Detail, seine Hinweise auf mögliche Zusammenhänge oder ein Recherchetipp waren. Jeden an dieser Stelle ausdrücklich zu nennen, ist nicht möglich. Aber aller ist in den Anmerkungen gedacht. Dank gilt zuallererst jenen Zeitzeugen, die mir – oft schon in hohem Alter stehend – ihre Erinnerungen schriftlich oder mündlich mitteilten bzw. von Begegnungen mit den Akteuren des Geschehens berichteten, vor allem Dr. Hans-Joachim Gollmick, Frau Mirza Karbaum, Frau Ursula Schulze, Frau Magda Wolfschlag; ebenso Prof. Jobst P. Fricke, Dr. Paul Heinrich Mertens, Dr. Carl-Otto Leiber, Dr. Friedrich Trimborn (†). Besonders dankbar erinnere ich mich an die Zusammenkünfte mit Frau Gisela Fehlberg-Guderian (†), einst Sekretärin bei Prof. Walther Gerlach, die sich mit großer Geduld an der Entzifferung der Tagebucheintragungen ihres ehemaligen Chefs beteiligte und mir wertvolle Fotos schenkte. Aus dem Kreis der einstigen Studentenkompanie gewährten in herausragender Weise Unterstützung Dipl. Phys. Claus Christian Cobarg, Dr. Hasso Döring, Prof. Werner Luck (†) und Dr. Herbert Kunz. Ihnen sind viele aufschlussreiche Episoden und Unterlagen zu verdanken, die ohne sie nie bekannt geworden wären. Dank zu sagen ist auch zahlreichen Familienangehörigen ehemaliger Mitarbeiter der Forschungsabteilung des Heereswaffenamtes, des II. Physikalischen Instituts sowie der Abteilung Wissenschaft im Oberkommando der Wehrmacht, die mein Vorhaben aufgeschlossen unterstützten, wie Prof. Joachim Pfefferkorn, Frau Kriemhilde Helmetage und Norbert Kühr. Letzterer stellte mir Fotos vom „B-Feld Ost“ zur Verfügung. Vor allem gilt mein Dank Frau Gesine Schumacher, der Tochter von Dr. Heinz-Otto Glimm, die in bewundernswerter Weise von Anfang an meine Arbeit begleitete, meine Entwürfe genauestens unter die Lupe nahm und kritisch begutachtete. Ihr Mann, Prof. Hans-Joachim Schumacher, half mir sehr durch etliche Arbeitsübersetzungen aus dem Englischen. Zu danken ist auch allen Leitern und Mitarbeitern jener Archive, in deren Beständen ich recherchierten konnte oder die schriftliche Auskünfte erteilten. Besonders angenehm waren die Arbeitsbedingungen im Archiv der Max-Planck-Gesellschaft (Berlin), verbunden mit der Hilfe, die mir Prof. Eckart Henning, Dr. Lorenz Beck, Frau Dr. Marion Kazemi und ihre Mitarbeiter gewährten; Dank auch dafür, dass ich im Juni 2007 bei den Dahlemer Archivgesprächen Gelegenheit bekam, Teile meiner Forschungsergebnisse vorzutragen. Im Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin bemühten sich Dr. Winfried Schultze und seine Mitarbeiterinnen rege um die Erfüllung meiner vielen Wünsche. In Wien waren es vor allem Hofrat Dr. Kurt
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Dank
Mühlberger (Archiv der Universität) und in der Österreichischen Zentralbibliothek für Physik Hofrat Mag. Dr. Wolfgang Kerber und Dr. Juan Gorraiz. Ungezählte Gespräche hatte ich mir Dr. Rainer Karlsch, der mir manchen guten Rat gab und Einblick in diverse Dokumente gestattete, die er bei seinen Recherchen in Moskauer und anderen Archiven fand. Dafür und für die gute Zusammenarbeit meinen herzlichen Dank! Das gilt auch für Dr. Helmut Maier, mit dem ich etliche Diskussionen führen konnte, der mir seine Habilitationsschrift zur Verfügung stellte und Zugang zu anderen Dokumenten ermöglichte. Danken möchte ich auch für die interessanten fachlichen Konsultationen, die mir Prof. Erhard Geißler (zu „Biologische Waffen“), Dr. Walter Hauk (zu „Kernphysik“ und entsprechenden Begriffen des Glossars), Dr.-Ing. Holge Krebs (zu „Explosion und Detonation“) und Prof. Armin Klein (zu den chemischen Begriffen des Glossars) gewährten. Mögliche Fehler, die sich dennoch eingeschlichen haben, gehen natürlich allein auf mein Konto. Im oberbayrischen Grainau war Manuel Brükl mein fester, überdies sehr gastfreundlicher Partner. Er klärte viele Fragen zu den Ereignissen in Bayern, vor allem in und um Schloss Kranzbach, sowie zu den verschiedenen „Uranaktivitäten“ in Garmisch-Partenkirchen. Vielen Dank dafür! Die wiederholten Besichtigungen der Versuchsstellen und anderer Örtlichkeiten auf dem Kummersdorfer Areal hätten ohne die Unterstützung der Bürgervereinigung Kummersdorf, vertreten durch die Herren Ralf Kaim und Gerhard Zwicker, nie stattfinden können. Sie ermöglichten mir und meiner Frau den Zugang, begleiteten uns und knüpften manchen nützlichen Kontakt. Ihnen ist zu danken, ebenso Michael Hartlieb, der mit uns mehrmals in Kummersdorf unterwegs war und mir auch nach seinem Wegzug aus Kummersdorf mit ausführlichen Mitteilungen über seine Funde im Militärarchiv Freiburg sowie in der Fachpresse „auf die Sprünge“ half. Der Vereinigung „Garnisongeschichte Jüterbog ‚St. Barbara‘ e. V., AG Zeitgeschichte“, ist zu danken für die Erlaubnis zum Abdruck ihrer Nachzeichnung „Lageplan Vers. Gottow“ samt ergänzenden Angaben, ebenso für die Angaben zum Objekt „Lynow“. Natürlich ist auch meiner Familie sehr zu danken, vor allem meiner Frau Karin, die mich durch die Gegend kutschierte, viele Schreibarbeiten erledigte und die Fotos aufnahm. Annett fertigte die Zeichnungen und Organigramme, wobei sie geduldig wiederholte Änderungswünsche entgegen nahm. Für die Möglichkeit der Veröffentlichung dieser Arbeit in der Reihe „Pallas Athene“ des Franz Steiner Verlages ist dem Herausgeber, Dr. Lorenz Beck, Direktor des Archivs der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V. zu danken.
ABKÜRZUNGEN ABBAW AEG AHA AHUB AMPG APK APS AVA AWA BAA BA-AL BAB BAK BAM BA-MA BDC BLHA BMfV CPVA CTR DA DBE DDR DFG DM DVL DWM EER FEP FIAT GEMA GFM GG GKdos GPK HF HL HWA IDO
Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft Allgemeines Heeresamt Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin Archiv der Max-Planck-Gesellschaft Artillerie-Prüfungskommission Amt für Physikalische Sonderfragen Aerodynamische Versuchsanstalt Allgemeines Wehrmachtsamt Bundesarchiv Aachen/Abteigarten (Zentralnachweisstelle) Bundesarchiv, Außenstelle Ludwigsburg Bundesarchiv Berlin Bundesarchiv Koblenz Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung Bundesarchiv-Militärarchiv Berlin Document Center (jetzt im BAB) Brandenburgisches Landeshauptarchiv Bundesministerium für Verteidigung Chemisch-Physikalische Versuchsanstalt Chemisch-Technische Reichsanstalt Dienstanweisung Deutsche Biographische Enzyklopädie Deutsche Demokratische Republik Deutsche Forschungsgemeinschaft Deutsches Museum München Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt e.V. Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg Forschung, Entwicklung, Patente Deutsche Fassung der FIAT-Revue of German Science Gesellschaft für elektroakustische und mechanische Apparate mbH Generalfeldmarschall Generalgouvernement Geheime Kommandosache Gewehrprüfungskommission Hochfrequenz Hohlladung Heereswaffenamt Institut für deutsche Ostarbeit
508 IfZ insb. IMKK IOA ISL IWG KB KVK KVR KWG KWI KWKW KWSt LG LKA MfS MTA MPG MPI MVA NARA NDB NDW NL NSDAP NSDStB OB Lw OKH OKM OKW OMGUS PA PI ph. Prüf PTR REM RFR RGBL RKM RLM RM RMI
Abkürzungen
Institut für Zeitgeschichte München insbesondere Interalliierte Militär-Kontrollkommission Ingenieuroffizier-Akademie Deutsch-Französisches Forschungsinstitut Saint-Louis Inspektion für Waffen und Gerät Konstruktionsbüro Kriegsverdienstkreuz Kriegsverwaltungsrat Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft Kaiser-Wilhelm-Institut Kaiser Wilhelm Stiftung für kriegstechnische Wissenschaft Kriegswirtschaftsstelle Leichtgeschütz Luftkriegsakademie Ministerium für Staatssicherheit Militärtechnische Akademie Max-Planck-Gesellschaft Max-Planck-Institut Militärversuchsamt National Archives Washington Neue Deutsche Biographie Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft Nachlass Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund Oberbefehlshaber der Luftwaffe Oberkommando des Heeres Oberkommando der Marine Oberkommando der Wehrmacht Office Military Government for Germany, United States (Militärregierung der Vereinigten Staaten für Deutschland) Personalakte Physikalisches Institut der Universität Berlin phonetisch siehe WaF Prüf Physikalisch-Technische Reichsanstalt Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (bzw. Reichserziehungsministerium) Reichsforschungsrat Reichsgesetzblatt Reichskriegsministerium Reichsluftfahrtministerium Reichsmark Reichsministerium des Inneren
Abkürzungen
RPF RSHA RWA RWM SA SD S, SS, DE SI SMAD SS TA TAL TH TU UA U. k. (u. k.) UR Vers. WaF Wa Prüf WASAG WTF WFG WTH WWA W Wiss z.b.V. ZS
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Reichspostforschung Reichssicherheitshauptamt Reichsstelle/Reichsamt für Wirtschaftsausbau Reichswehrministerium Sturmabteilung Sicherheitsdienst der SS Dringlichkeitsstufen des RFR für Forschungsförderung Sammlung Irving Sowjetische Militäradministration in Deutschland Schutzstaffel der NSDAP Truppenamt Technische Akademie der Luftfahrt Technische Hochschule Technische Universität Universitätsarchiv unabkömmlich Ultrarot Versuchsstelle Forschungsabteilung des Heereswaffenamtes (Gruppe I–V – vgl. die Aufstellung S. 40) [Heeres] Waffenamt, Prüfwesen (Abt. 1–11 – vgl. die Aufstellung S. 49 f.) Westfälisch-Anhaltinische Sprengstoff AG Wehrtechnische Fakultät Wehrforschungsgemeinschaft Wehrtechnische Monatshefte Wehrmachtswaffenamt Abteilung Wissenschaft im OKW zur besonderen Verwendung Zentralstelle für Heeresphysik und Heereschemie
GLOSSAR Aceton, klare, farblose, aromatisch riechende und feuergefährliche Flüssigkeit, die zu den explosionsfähigen Stoffen (→Explosivstoffe) gehört. A. wird u. a. als spezielles Lösungsmittel verwandt. Aerodynamik, Teilgebiet der Strömungsmechanik, das sich mit der Bewegung von Luft, anderen Gasen und Flüssigkeiten befasst und insbesondere das Umströmen von festen Körpern durch die genannten Medien untersucht. Aerosole, allgemeine Bezeichnung für Systeme aus Gasen, z. B. Luft, mit darin verteilten kleinen, festen oder flüssigen Teilchen (sogen. Schwebstoffen) von etwa 10–7 bis 10–3 cm Durchmesser. Man unterscheidet Stäube oder Rauche (feste Komponenten) bzw. Nebel (flüssige Komponenten). A.n kommt in der Erforschung und beim Einsatz von Kampfstoffen eine große Rolle zu. Adcock-Peiler, von dem britischen Physiker F. Adcock 1919 erfundene Peilantenne für stationäre Anlagen, die einen Peilfehler unterdrückt, der durch den so genannten Dämmerungseffekt verursacht wird. Modernisierte A. sind aktuell im militärischen Bereich im Einsatz. Amylnitrat, brennbare, explosive Flüssigkeit der Formel CH3-CH2-CH2-CH2CH2-O-NO2. Wirkt oxidierend, Zusatz zu Dieselkraftstoff als Zündbeschleuniger. Amylnitrite, analog Amylnitrat, nur ein Sauerstoffatom weniger im Molekül: ...O-NO. Autofrettage, besonderes technologisches Verfahren bei der Herstellung von Rohren für Schusswaffen, auch „Kaltstreckung“ genannt. Das im kalten Zustand befindliche Rohr wird im Inneren hydraulisch unter Druck gesetzt, so dass es sich über seine Elastizitätsgrenze ausdehnt und eine kleine, bleibende Erweiterung erfährt. Durch diese plastische Verformung wird beim Schuss eine gleichmäßige Spannungsverteilung über den gesamten Rohrwandquerschnitt erreicht und dadurch die Lebensdauer des Rohres beim Schiessen erhöht. Azide, anorganische Salze oder organische Abkömmlinge (Derivate) der StickstoffWasserstoff-Säure HN3. Schwermetallazide zerfallen bei Erwärmung, besonders auch auf Schlag, explosionsartig. Bekannt ist vor allem das Bleiazid, das wegen seines außerordentlichen Zündvermögens in sehr geringen Mengen eingesetzt werden kann, z.B. können 0,04 g Bleiazid 0,36 g Knallquecksilber (ebenfalls ein Azid) ersetzen, um den Sprengstoff Trinitrotoluol (TNT) zu zünden. Das wesentlich teurere Silberazid verändert sich im feucht-warmen Klima nicht. Es wird oft für Geschützladungen mit sehr hohem Zerstörungsvermögen verwandt. Auch organische A. zersetzen sich häufig explosionsartig, besonders heftig das Methylazid.
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Barbiturate, organische Verbindungen aus einfachen Kohlenwasserstoffen und Barbitursäure. Sie wirken beruhigend und werden deshalb Schlafmitteln zugesetzt. Bei zu hohen Dosen führen B. zum Tod durch Lähmung des Atemzentrums, deshalb das am häufigsten verwandte Arzneimittel zur Selbsttötung. Bentonit, Tonmineral, häufig Begleitmineral des →Montmorillonit. Betatron →(Elementar-)Teilchenbeschleuniger. Beugungsgitterinterferometer →Interferometer. Bildwandler, Gerät, um Bilder, die in einem dem menschlichen Auge nicht zugänglichen Frequenzbereich, z.B. →Infrarot, Ultraviolett oder Röntgenstrahlung, vorhanden sind, sichtbar zu machen. Kernstück des Bildwandlers ist das Bildwandlerrohr, eine evakuierte Glasröhre, in der sich die Photokathode, ein elektrooptisches Linsensystem und ein Leuchtschirm befinden. Auf dem Leuchtschirm erscheint das transformierte, jetzt sichtbare Bild. Moderne B. arbeiten zumeist mit Festkörper- und Halbleiterbauelementen. Bleiazid →Azide. Bolometer, thermischer Infrarotdedektor, Gerät zum Messen der Energie elektromagnetischer Strahlung im Bereich infraroten Lichtes →Infrarot. Erstmals wurde ein Metall-Bolometer 1878 von S.P. Langley entwickelt: In einem evakuierten Glaskolben befand sich eine schwarze Platinfolie, die beim Auftreffen von Strahlung diese sofort in Wärme umsetzte. Die dabei entstehende Widerstandszunahme konnte gemessen werden. Bombe (Versuchsgerät), starkwandiges, allseitig dicht geschlossenes Stahlgefäß mit Anschlüssen für verschiedene Messgeräte, z. B. für Temperaturen, frei gesetzte Wärmemengen, Drücke oder zeitliche Abläufe. In die B. werden genau abgewogene Mengen von Spreng- oder anderen Stoffe eingebracht, die danach elektrisch oder in anderer Weise zur Reaktion gebracht werden. B-Stoff, Deckbezeichnung für Hydrazinhydrat (H2N – NH2xH2O2), eine an der Luft rauchende, ätzende und giftige Flüssigkeit mit fischartigem Geruch, die als krebserregend gilt. B. fand u. a. Verwendung bei der Herstellung von →Bleiazid, Katalysatoren oder als Bleichmittel. Butadien, gasförmige Kohlenwasserstoffverbindung. Mit Luft im Verhältnis 1–12 Volumenprozent explosiv. Ausgangsstoff für die Herstellung von synthetischem Kautschuk (Gummi). Centralite (Bezeichnung abgeleitet von „Centralstelle“), Harnstoffe eines bestimmten Typs, die die Zerfallstendenz nicht völlig reiner Nitrocellulose herabsetzen und zugleich den zeitlichen Ablauf des Abbrennvorganges von Nitrocellulose beeinflussen. Dadurch wirken sie als Stabilisatoren/Regulatoren und verbessern die ballistischen Eigenschaften des Nitrocellulosepulvers. Deuterium →Schweres Wasser.
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Duraluminium, auch Dural oder Duralumin, harte Aluminiumlegierung, die meist aus Kupfer (ca. 4%) Magnesium (ca. 0,5%), Mangan (ca. 0,6%) sowie Spuren von Eisen und Silizium besteht. Erstmals hergestellt wurde D. 1906 von den Metallurgen A. Wilm. Heute verwendet man D. für hoch beanspruchte Teile in Flugzeugen, Fahrzeugen oder im Maschinenbau. Dichlorethylen, gemeint ist hier das 1,2-Dichlorethylen, bei dem beide Kohlenstoffatome mit je einem Chloratom „besetzt“ sind. D. ist eine Flüssigkeit mit einem Siedepunkt von 47 °C, die sich gut als Lösungsmittel für organische Substanzen eignet (→Tetralin). Disthen (auch Kyanit, Cyanid – von griech. kyanos = blau), ein oxidisches Aluminium-Silicium-Mineral von blauer Farbe, das nur von Flusssäure angegriffen wird und als Rohmaterial für hochfeuerfeste Werkstoffe dient. Einstoffsystem →Treibstoffe. Elektron, hier: technischer Werkstoff, eine Legierung aus etwa 90% Magnesium und 10% Aluminium, Schmelzpunkt ca. 650 °C, verbrennt unter großer Wärmeund Lichtabgabe bei 2.200 °C. E. wurde von der Fa. Griesheim (später GriesheimElektron) 1908 entwickelt und vor allem für den Flugzeugbau eingesetzt. E. wird auch genutzt für die Hülle von „Elektron-Thermit-Brandbomben“. (Elementar-)Teilchenbeschleuniger, (veraltet bezeichnet als Hochspannungsgerät oder Hochspannungsgenerator) sind seit den 30er Jahren eng mit dem Aufschwung der kernphysikalischen Forschung verknüpft. Als kernphysikalische Großgeräte übertrafen sie die natürlichen Neutronenquellen (radioaktive Elemente, kosmische Höhenstrahlung) beträchtlich. Da ihre Stärke und Intensität genau bekannt und regulierbar war, ermöglichten sie eine gründlichere Erforschung des Atomkerns. E. bestehen sämtlich aus einem elektrischen System zur Beschleunigung eines Teilchenstrahles, Magneten zur Lenkung und Fokussierung (Bündelung) des Strahles sowie einem Vakuumrohr, in dem sich die Teilchen bewegen. Der Teilchenstrahl wird auf das zu untersuchende/zu verändernde Ziel gelenkt, um aus den daraufhin erfolgten kernphysikalischen Reaktionen Schlussfolgerungen abzuleiten. Unterschieden wird zwischen Linearbeschleunigern, („Hochspannungsbeschleunigern“, Kaskaden-, van-de-Graaff- und Stoßgenerator) und Ringbeschleunigern („Hochfrequenzbeschleunigern“, Zyklotron, Betatron, Synchotron). Letztere erreichen höhere Teilchenenergien und sind ringförmig konstruiert. Die Leistung von E. wird in Millionenelektronenvolt (MeV) angegeben. Das Zyklotron wurde 1929 von Lawrence in Berkley/USA erfunden. In Europa verfügten als erste Niels Bohr (Kopenhagen), Frédéric Joliot-Curie (Paris) und Paul Scherer (Zürich) über ein Zyklotron. In Deutschland arbeitete Fritz Lang mit seinen Mitarbeitern (Universität Berlin) seit Ende der 20er Jahre an E. und hatte einen Stoßgenerator für 1 MeV konstruiert. Wegen seiner Emigration 1933 wurde dieser Typ nicht weiter entwickelt. E. sind durchweg teure und große Geräte. In den 30er Jahren wurde in den USA ein van-de-Graaff-Generator mit einer Spannung von 5 MeV gebaut, dessen beide Säulen über 10 m hoch waren und einen Durchmesser
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von reichlich 3 m besaßen. Die aufgesetzte Kugel hatte einen Durchmesser von etwa 10 m. Für das Zyklotron von Lawrence wurden u. a. 65 t Magnetstahl und 9 t Kupferdrahtwicklung benötigt. Evaporographie (Verdampfungsaufzeichnung), fotografische Aufzeichnung mittels Einstrahlung von infrarotem Licht, das auf einem dünnen Ölfilm fällt und ein Temperaturbild des zu untersuchenden Objektes erzeugt. Es ist das älteste Verfahren der Thermographie, erfunden durch den Astronomen Herschel (1840), der damit das Sonnenspektrum im infraroten Spektralbereich fotografierte. Explosivstoff, chemische Verbindung oder Stoffgemisch, das in Molekülen relativ „locker“ gebundenen Sauerstoff enthält. Bei Erwärmung, mechanischer Einwirkung (Schlag, Stoss), Lichteinfluss oder Initialzündung wird dieser Sauerstoff frei und oxidiert verbleibende bzw. umgebenden Substanzen in äußerst kurzer Zeit. Die dabei entstehenden Gase nehmen ein sehr viel größeres Volumen als der E. ein und üben einen schlagartigen, plötzlichen Druck auf die umgebenden Medien aus, z.B. Metall oder Gestein. E. werden eingeteilt in Schießstoffe, Sprengstoffe und Zündmittel. Schieß- und Sprengstoffe können fest oder flüssig sein. Nach ihrer Verwendung unterscheidet man z. B. gewerbliche oder militärische Schieß- und Sprengstoffe. Sehr bekannte E. sind das wohl älteste Spreng- und Schießmittel Schwarzpulver (in der Zusammensetzung von 75% Kalisalpeter, 10% Schwefel, 15% Kohlepulver) oder das Dynamit (hochexplosives Nitroglycerin, aufgenommen von 25% Kieselgur und von anderen Ballaststoffen). Explosionsfähig sind auch Stäube, Erdgas, Dämpfe von Benzin und Dieselkraftstoffen, Kohlenmonoxid, Wasserstoff usw., wenn Sauerstoff zugegen ist und die Oxidationsreaktion durch Wärme, Funken, Flammen usw., ausgelöst wird. Ferrite, oxidkeramische Werkstoffe, die sogen. Alpha-Eisen = Ferrit, enthalten. F. verfügen über gute magnetische Eigenschaften, weshalb sie u. a. in der Elektround Elektroniktechnik eingesetzt werden. Ihre Herstellung erfolgt durch Sinterung gemischter pulverisierter Oxid-Komponenten. Fluorglimmer, ein flächenhaft spaltbares Tonerdesilikat mit Anteilen des Nichtmetalls Fluor. Glimmer ist ein sogen. Industriemineral, das u. a. in der Elektroindustrie für Isolationszwecke eingesetzt wird. Fourieranalyse, nach dem französischen Physiker und Mathematiker Baptist Joseph Fourier benanntes Verfahren in der Akustik, der gezeigt hatte, dass jede periodische Schwingung, z. B. die der Saite eines Musikinstrumentes sich als eine Summe so genannter Sinusschwankungen darstellen lässt, deren Frequenzen in einem bestimmten Verhältnis zueinander stehen und die für den Klangfarbeneindruck von großer Bedeutung sind. Die F. oder harmonische Analyse zerlegt eine Schwingung und untersucht u. a. ihre Überlagerungen bzw. ihren Verlauf. Furfurol, veraltet für „Furfural“, eine giftige, stark die Schleimhäute reizende Flüssigkeit, verwendet zur Reinigung von Rohöl.
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Goniometer, (griech.: Winkelmesser), Gerät, das a) in der Funktechnik als Teil eines Funkpeilers arbeitet (→Adcock-Peiler) und b) in der Kristallographie und Optik zum Messen der Winkel zwischen ebenen Flächen an Kristallen, Prismen usw. verwandt wird. Ein Gerät nach b) wurde erstmals 1783 entwickelt. Seit 1913 werden G. in der Röntgenstrukturanalyse verwandt. In der Mathematik bedeutet Goniometrie allgemein die Winkelmessung, speziell des Teilgebietes der Winkelfunktion. In der Augenheilkunde wird zur Diagnostik die Gonioskopie eingesetzt. Hauptproblem der Innenballistik, es besteht in der folgenden Aufgabe: Für eine zu bauende Waffe ist Kaliber, Verbrennungsraum, Rohrlänge, Geschoss, Drall, Pulverladung und Pulversorte vorgeschrieben. Es soll der Verlauf des Gasdruckes und die Geschossgeschwindigkeit als Funktion des Geschossweges und der Zeit ermittelt werden (Ludwig Hänert: Geschütz und Geschoss, 3. Aufl., Berlin 1940, 77 ff). Das so genannte spezielle Hauptproblem der äußeren Ballistik verlangt die Untersuchung der Bewegung des Geschossschwerpunktes unter der Annahme eines stets in Richtung der Geschossachse wirkenden Luftwiderstandes. Histochemie, Wissenschaftszweig, der sich mit der chemischen Zusammensetzung und den chemischen Strukturen biologischer Zellen und Gewebe befasst, wobei auch Beziehungen zwischen Strukturen und molekularen Vorgängen erkundet werden. Gängige Analysemethode ist die Auslösung chemischer Reaktionen auf mikroskopischen Gewebeschnitten. Auftretende Färbungen, Fluoreszenzen und anderes, weisen auf bestimmte chemische Zell- bzw. Gewebesubstanzen hin. Hochspannungsgerät →(Elementar-)Teilchenbeschleuniger. Hohlladung (HL), Sprengladung mit einem dem Sprengobjekt zugewandten, sehr verschieden geformten Hohlraum, innen zumeist mit Material, vor allem Metall, ausgekleidet. Durch die Detonation der Sprengladung entsteht ein zum Sprengobjekt hin gerichteter „Strahl“, auch Stachel genannt, mit hoher kinetischer Energie, der die Wirkung auf das Sprengobjekt ausübt. Die Vorgänge bei HL können durch die Theorie der →Hydrodynamik beschrieben werden. Hydrodynamik, Lehre vom Strömungsverhalten nicht zusammenpressbarer Medien, insbesondere von Flüssigkeiten. Hydronalium Sammelbezeichnung, besonders für Aluminium-Magnesium-ZinkLegierungen von hoher Festigkeit und Korrosionsbeständigkeit. Beimengungen von Silizium machen H. seewasserfest. Hypoxie, Sauerstoffmangel in Körpergeweben durch verminderten Sauerstoffanteil in der Atemluft, z. B. beim Aufenthalt in großen Höhen. An der Erforschung der sich daraus ergebenden Folgen war vor allem die Luftwaffe interessiert, da ihre Piloten oft in Höhen mit sehr geringem Sauerstoffanteil operierten. Unter Beteiligung von Luftfahrtmedizinern führte die SS dazu verbrecherische Versuche an Häftlingen durch. Infrarot, früher auch Ultrarot (UR), Bereich des elektromagnetischen Spektrums, das sich auf der langwelligen (roten) Seite an den sichtbaren Bereich an-
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schließt und zwischen rund 800 nm und einigen 100 nm befindet. Modern werden als einzelne Bereiche nahes I. (NIR), mittleres I. (MIR) und fernes I. (FIR) unterschieden. Strahlungsempfänger für den infraroten Frequenzbereich, genannt Infrarotdedektoren oder Infrarotempfänger, wandeln die einfallenden Infrarotstrahlen in elektrische Signale um oder machen sie sichtbar. Thermische Infrarotdedektoren, wie Bolometer, Thermistoren und Thermoelemente zeigen Temperaturerhöhungen infolge von Infrarotabsorbtion an. Photoelektrische Infrarotdedektoren bewerten die Strahlungsenergie. Heutige Infrarot- oder Wärmepeiler sind Geräte zur Entdeckung, Darstellung oder Richtungsermittlung von Triebwerken, Fahrzeugen, Häusern, Bäumen und anderer Objekte mit thermischer Ausstrahlung. Bei der Infrarotlenkung handelt es sich um ein Zielsteuerungsverfahren im militärischen Bereich, bei dem mittels Infrarotpeilern Flugkörper ins Ziel gesteuert werden. Ein wichtiges Verfahren der instrumentellen Analytik zur Messung der Spektren von Gasen, Flüssigkeiten und Festkörpern ist die Infrarotspektroskopie, z. B. um die Struktur chemischer Verbindungen aufzuklären. Integriergerät (Integrator), mathematisches Gerät zur graphischen oder numerischen Bestimmung von Flächeninhalten, zur Lösung von Differenzialgleichungen oder anderer Aufgaben. Man unterscheidet mechanische I., die mit Kugeln, Walzen oder speziellen Gerieben arbeiten, sowie elektronische I., die auf besonderen Schaltungsanordnungen in Rechnern beruhen. Im weitesten Sinne sind rechnende Maschinen sehr einfache „Vorläufer“ unserer heutigen Computer. Interferometer, optisches Gerät, das die Interferenz des Lichtes zur Messung physikalischer Größen nutzt. Als Interferenz bezeichnet man die Überlagerungen von zwei oder mehr Wellenlängen (Wasserwellen, Schallwellen, Lichtwellen und andere elektromagnetische Wellen). I. werden in der Physik schon lange für die Erforschung von Wellen eingesetzt, wofür mehrere Grundformen entwickelt wurden, z. B. das Mach-Zehnder-Interferometer, an dessen Erschaffung der Physiker E. Mach maßgeblich beteiligt war. Er nutzte dieses Gerät u. a. für Untersuchungen der Wellenbildung durch Geschosse. Sein Sohn, L. Mach, modifizierte das Gerät und setzte 1892/93 die Versuche seines Vaters fort. Eine ausführliche Beschreibung des Verfahrens, zum Aufbau des Versuchapparates und die rechnerische Auswertung der gewonnenen Geschossbilder gab der Ballistiker Carl Cranz in seinem mehrbändigem „Lehrbuch der Ballistik“. Das von Schumann vorgeschlagene neuartige Beugungsgitter-I. war eine Weiterentwicklung der bisher bekannten I. Isotope, Kerne ein und derselben Atomart, die die gleiche Anzahl von Protonen, aber eine unterschiedliche Anzahl von →Neutronen haben, während in der Elektronenhülle die Zahl der Elektronen gleich ist. I. verhalten sich chemisch gleichartig und können deshalb mittels chemischer Verfahren nicht, sondern nur mit physikalischen Verfahren getrennt werden →Isotopentrennverfahren. Isotopentrennverfahren, Trennrohr: von Clusius/Dickel in München entwickelte Methode für gasförmige Isotope. Das Gas wird zwischen zwei konzentrische Röhren mit verschiedenen Temperaturen gebracht. Die leichteren Isotope konzentrieren sich an der wärmeren Oberfläche. Für Uran nicht anwendbar, da die
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thermischen Unterschiede der zu trennenden Isotope nahezu Null sind. Gegenstrom: Von Clusius und Fleischmann stammender Vorschlag, wonach sich die Isotope in zwei verschiedenen gegeneinander strömenden Flüssigkeiten konzentrieren sollen. Elektromagnetisch: In einem durch einen →Massenspektrographen erzeugten Magnetfeld verlaufen die geladenen Teilchen unterschiedlicher Masse in verschieden gekrümmten Bahnen. Der Nachteil besteht darin, dass trotz des hohen Aufwandes nur geringe Mengen getrennt werden können. Von Ardenne entwickelte eine wirksame Variante, bei der eine Plasma-Ionenquelle die Teilchen trennt. Diffusion: Verfahren, das der Berliner Physiker Gustav Hertz Anfang der 30er Jahre entwickelte. Dabei erfolgt die Trennung, indem ein Gas durch eine poröse Membran geleitet wird. Die D. erfordert sehr kostspielige Apparaturen und einen hohen Energieverbrauch. Das Verfahren wurde zuerst von den USA und danach in der Sowjetunion großtechnisch angewandt. Isotopenschleuse: Durch Bagge Anfang 1941 entwickelte neuartige Methode, bei der das zu trennende, gasförmige Isotopengemisch durch ein System rotierender Blenden geleitet wird, wobei die schweren Isotope teilweise am Durchtritt gehindert werden, die leichteren aber passieren. Ein Versuchsmuster wurde Ende 1941 am KWI für Physik, Berlin Dahlem, erprobt und danach der Firma Bamag-Meguin ein Auftrag zum Bau einer Anlage erteilt. Mit ihr wurden Mitte 1942 erfolgreich Silberisotope getrennt. Zentrifuge: 1938 von einem amerikanischen Physiker erstmals beschriebenes und von Martin (Kiel) weiter entwickeltes Verfahren, bei dem die zwei Isotope eines gasförmigen Gemisches in eine ultraschnell rotierende Zentrifuge geleitet werden, wobei das schwerere Isotop nach außen geschleudert wird. Martin entwarf eine Gegenstromzentrifuge, die Groth (Hamburg) zu einer Mehrkammerzentrifuge umbaute. 1941 erhielt Beyerle (Anschütz & Co., Kiel) den Auftrag für den Bau eines Musters (UZ I), das im April 1942 in Betrieb ging. Anfang 1943 entstand in Kiel eine Doppelzentrifuge (UZ III A), mit der Uran 235 auf etwa 7% angereichert wurde. Bei allen Gasverfahren kam eine Verbindung von Uran mit Fluor „Uranhexafluorit (UF6)“ zum Einsatz, die jedoch sehr giftig und aggressiv war. Für die Apparaturen mussten daher korrosionsfeste Materialien verwendet werden. Im Herbst 1939 wurden erstmals etwa 100 Gramm UF6 von der IG Farben/Leverkusen für die Hamburger Versuche geliefert. Karbondisulfid, veraltet für Kohlenstoffdisulfid (Schwefelkohlenstoff), eine farblose, bereits bei 102 °C sich selbst entzündende, sehr feuergefährliche, im Verhältnis1–60 Prozent mit Luft explosive Flüssigkeit. Kaskadengenerator →(Elementar-)Teilchenbeschleuniger. Kolloidale Pulver (colloidal = fein verteilt). Pulversorten, deren einzelne Partikel im Hinblick auf Oberfläche, Volumen und geometrische Form weitgehend gleich sind und in einer solchen Weise verbrennen, die den Bedingungen der Inneren Ballistik, z. B. langsame Umsetzung, gleichmäßiger Druckverlauf bei der Umsetzung, Vollständigkeit der Verbrennung, maximal gerecht werden. Schweikert untersuchte z. B. prismatische Pulver (Partikel mit „drei an einem Eckpunkt zusammenstoßende und aufeinander senkrecht stehende Kanten“) röhrenförmige Pulver
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(gleichmäßiger innerer und äußerer Durchmesser, Länge, Oberfläche, Volumen) sowie plattenförmige Pulver. Dabei fand er verschiedene Formen des Verbrennungsgesetzes und konnte es als den Druckverlauf in der Zeit berechnen. Sch. bezeichnete dieses Forschungsgebiet als „Pyrostatik“. Kolloidchemie, Teilgebiet der physikalischen Chemie, das sich mit kolloiden Materiesubstanzen befasst. Als Kolloide bezeichnet man besonders fein zerteilte Stoffe, die so klein sind, dass sie sich meist wie einzelne Moleküle verhalten und dadurch auch ihre Eigenschaften verändert werden. Die K. nimmt wegen ihrer großen Bedeutung in der Industrie, Biologie, Landwirtschaft und Medizin eine Sonderstellung ein. Zu den kolloiden Systemen gehören die →Aerosole, fein verteilte feste oder flüssige Stoffe in der Luft, z. B. Rauch, Staub, Nebel oder Sprays. Die KampfstoffForschung interessierte sich außerordentlich stark für Aerosole, da Kampfstoffe, die sich z. B. in der Atemluft befinden, auf diese Weise in den menschlichen Körper gelangen und dort ihre schädigende Wirkung entfalten, ebenso wenn Aerosole mit Kampfstoffen beladen mit der Haut in Berührung gelangen. Aerosole spielen auch bei der Entwicklung biologischer Waffen eine Rolle. Kolloidforschung →Kolloidchemie. Lanthanoxid, schneeweißes, lockeres, unlösliches Pulver, das bei der Verbrennung des metallischen Elementes Lanthan (La) entsteht. Hochreines L. wird z. B. bei der Herstellung optischer Gläser für Kameralinsen eingesetzt. Lanthan gehört zu den Seltenerdmetallen (Elemente 58–71 im Periodensystem). Laval-Düse, nach dem schwedischen Erfinder und Ingenieur Carl Gustaf Patrik de Laval benannte Düse (1889), mit der hohe Überschallgeschwindigkeiten erzeugt werden können. Die L. hat die Form einer zuerst zusammenlaufenden, danach divergenten (auseinanderstrebenden) Düse. Die dadurch entstehende Düsenverengung wird Hals genannt. Vor ihr werden die strömenden Gase oder anderen Medien „zusammengedrückt“, danach entspannen sie sich mit hohen Geschwindigkeiten. Lignin, hochmolekulare, organische Molekülketten- und Molekülringverbindungen, die sich bei Pflanzen in die Räume zwischen Zellwänden einlagert und zur Verholzung führt. Koniferenholz besteht in der Trockenmasse zu 27–33%, Laubholz zu 22% aus L. Militärische L.-forschung war auf die Gewinnung geeigneter „Ballaststoffe“ für die Stabilisierung von →Explosivstoffen gerichtet. Linearmotor, lt. Hänseler: „Zwei parallele Stromschienen werden durch einen beweglichen Leiter, von uns im folgenden Treibflügel genannt, verbunden. Auf Grund des senkrecht auf der Stromschleifebene stehenden Magnetfeldes und des durch den Treibflügel fließenden Stromes tritt eine Kraft senkrecht zu beiden auf, so dass sich der Treibflügel in Bewegung setzt“ (Waffenrevue 122, 25 ff.). Entwickelt wurde der L. 1916–1918 von dem Franzosen Fauchon-Villiplee. Lithium (Li), silberweißes, weichzähes, unedles Leichmetall, das aus zwei stabilen →Isotopen besteht. L. bildet aber auch radioaktive Isotope mit Halbwertzeiten im Bereich von 8–850 Millisekunden. Als Legierungsmetall erhöht L. die Festig-
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keit von Aluminium und Blei sowie die Korrosionsbeständigkeit von Magnesium. In der Kerntechnik wird Li zur Herstellung von Tritium (überschwerer Wasserstoff), zum Nachweis thermischer →Neutronen, als Abschirmmittel und als Reaktorkühlmittel verwandt. Die in der Wasserstoffbombe ablaufende Kernreaktion, unter Mitwirkung von L., gilt als die aussichtsreichste thermonukleare Reaktion zur Gewinnung von Kernenergie. Die Ausgangsstoffe können dabei in Form von Lithiumdeuterid eingesetzt werden. Mach-Zahl (M), wichtige Kennzahl in der Strömungslehre, die auf Arbeiten des werden. österreichischen Physikers und Pioniers der →Aerodynamik, Ernst Mach (1838–1916), zurückgeht. M. stellt das Verhältnis von Strömungsgeschwindigkeit c zur Schallgeschwindigkeit a, bzw. das Verhältnis der Geschwindigkeit eines Körpers zur Schallgeschwindigkeit im den Körper umgebenden Medium, z. B. Luft, dar. Mit M1 wird gewöhnlich die „Schallgrenze“ bezeichnet. Nach ihrem Durchbrechen bewegt sich der Körper, z. B. ein Flugzeug, mit mehr als 1 M. Massenspektrograph (bzw. Massenspektrometer), Gerät, das in der Massenspektroskopie (oder Massenspektrometrie) Verwendung findet. Die Massenspektroskopie ist ein physikalisches Verfahren, das Ionen (elektrisch geladene Teilchen von atomarer oder molekularer Größenordnung) entsprechend ihrem Verhältnis auftrennt oder registriert. Die Registrierung erfolgt entweder auf einer Fotoplatte oder elektrisch als Ionenstrom. Ein M. besteht gewöhnlich aus drei Teilen: Einrichtung zur Erzeugung von Ionen (Ionenquelle), Trennvorrichtung (auch Analysator) und einem „Auffänger“ zur Registrierung (z. B. Faraday-Käfig). Dazu kommt zahlreiches Zubehör, z. B. Pumpen für das benötigte Vakuum in der Ionenquelle oder die Anlage zur Erzeugung von Magnetfeldern in der Trennvorrichtung. Der M. wird u. a. in der analytischen Chemie für die Identifizierung von Substanzen eingesetzt. Moderne M. wie die Flugzeitmassenspektrometer, ermöglichen Aufnahmen von bis zu 10.000 Spektren pro Sekunde und werden deshalb zur Untersuchung sehr schneller Vorgänge wie Explosionen/Detonationen herangezogen. Moderator, Stoff, der sich als Stoßpartner für schnelle →Neutronen eignet und deren hohe kinetische Energie elastisch übernimmt. Dadurch erfolgt eine Abbremsung auf thermische (niedrigere) Energien und schließlich ein Einfangen der Neutronen. Übliche M. sind gewöhnliches (leichtes) Wasser, →schweres Wasser oder Graphit. Die Wirksamkeit eines M. ist temperaturabhängig. Bei hohen Wassertemperaturen mit Dampfbildung nimmt z. B. die Dichte des Wassers ab und die Abbremsungsrate sinkt. Montmorillonit, häufig vorkommendes Tonmaterial, bestehend aus wasserhaltigen Aluminium- und Siliziumoxiden, hauptsächlich verwendet als keramisches Rohmaterial, Bindemittel für Gießereisande, Filtermaterial, Entfärber- oder Absorptionsmittel, Trägersubstanz für Düngemittel, Pestizide, gefährliche Chemikalien usw., benannt nach der Fundstätte Montmorillon in Südfrankreich. Myrol, eigentlich Methylnitrat CH3-ONO2 (→Amylnitrat), leicht flüchtige, brennbare Flüssigkeit, verpuffend bei 150 °C. M. fand, versetzt mit 25% Metha-
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nol, im militärischen Bereich als Raketentreibstoff oder flüssiger Sprengstoff Verwendung. M. gehört als Sauerstoffträger zu den „Einstoffsystemen“ →Treibstoffe. Nach F. Hahn (Waffen und Geheimwaffen, Bd. I) wurde M. bei der Firma DEGUSSA entwickelt, die zur Herstellung ein Geheimpatent erwarb. Neutron (N), ein 1933 entdeckter elektrisch neutraler Bestandteil des Atomkernes, der in großen Mengen in Neutronensternen oder Pulsaren vorhanden ist. Die N.-Strahlung ist außerordentlich durchdringend und biologisch stark schädigend. Man unterscheidet zwischen schnellen N., die mit hoher Energie aus dem Kern austreten und thermischen (langsamen) N. Langsame N. sind durch →Moderatoren, wie Paraffin, Wasser, →schweres Wasser oder Graphit, abgebremste schnelle Neutronen. Eine starke natürliche N.-Quelle, die sich gut für die Kernforschung eignet, ist ein Gemenge aus Radium und Beryllium, eingeschmolzen in ein Glasröhrchen (in der Größenordnung von einigen Milligramm bis etwa 10 g). Bei dem radioaktiven Zerfall des Radiums werden Neutronen aus dem Berylliumkern frei gesetzt. Trifft ein N. den Kern eines U 235 Atoms (Isotop des natürlichen Urans 238), spaltet es ihn in die zwei Teile Barium und Krypton. Dabei werden 2–3 Neutronen und so genannte Bindungsenergie frei. Erfolgt dies in angereicherten Uran (höherer Anteil des Isotop U 235), spalten die freigesetzten N. weitere Kerne aus U 235. Es entsteht, je nach den Bedingungen, eine gesteuerte oder explosionsartige Kettenreaktion. Niedere Kohlenwasserstoffe (auch einfache Kohlenwasserstoffe), relativ kurze Kohlenstoffketten, wie Propan, Butan, Hexan. N. Kohlenwasserstoffe sind brennbare Gase (Hexan = leicht siedende Flüssigkeit, Siedepunkt 68 °C, explosiv), eingesetzt als Lösungsmittel, z. B. für schnell trocknende Lacke oder als Reaktionsmedien bei der Kunststoffherstellung. Nitrierung, chemisches Verfahren in der Sprengstoffherstellung zur Einführung von Nitro-Gruppen in organische Verbindungen. Als einfaches Nitrier-Reagenz findet eine Mischung von Salpeter und Schwefelsäure (Nitriersäure) Verwendung. So lässt sich z.B. eine Nitro-Gruppe (-NO2) an Benzol binden, oder drei NitroGruppen an Toluol zu Trinitrotoluol (TNT). Viele Nitroverbindungen sind →Explosivstoffe. Nitrokörper, veralteter militärischer Fachbegriff, offenbar verwandt für explosive, kristalline, organische Nitroverbindungen wie Dinitrobenzol oder Trinitrotoluol (TNT), die zu typischen militärischen Füllstoffen und Sprengladungen von hoher Brisanz geformt oder gepresst worden sind. Nitropenta (PETN), eine durch →Nitrierung herstellbare (im Wasser unlösliche, in Alkohol, Ether und Benzol schwer lösliche) Substanz, die als brisantester aller praktisch anwendbaren, kristallinen (also festen) Explosivstoffe gilt und deshalb vielseitig Verwendung findet, besonders für Sprengkapseln und Sprengschnüre. Pharmazeutisch dient N. in geringen Dosen als Mittel zu Gefäßerweiterung. Nomogramm (Netztafel), zweidimensionales Diagramm, an dem eine mathematische Funktion näherungsweise abgelesen werden kann. Die Nomographie (Lehre
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zur Erstellung von Nomogrammen) wurde 1850 von Leon Lalanne und Maurice d’Ocagne begründet. Die Genauigkeit, mit der die Funktionswerte abgelesen werden, hängt von der Genauigkeit ab, mit der die Markierungen ablesbar sind. Ein N. enthält gewöhnlich Skalen, an denen bekannte Werte aufgetragen sind, sowie eine Skala, auf der das Ergebnis abgelesen werden kann. Wenn das N. eine Funktion zweier Variablen darstellt, dann sind zwei Skalen gegeben, auf denen die Werte der Variablen zu finden sind und eine Skala, die die gesuchten Werte/Ergebnisse enthält. Verbindet man die beiden Punkte auf den Skalen, wo die variablen Werte liegen, durch eine Gerade, schneidet diese die Ergebnisskala. Der Schnittpunkt mit der Ergebnisskala gibt den Funktionswert an (nach Wikipedia). Nonne, Schmetterling, der zu den Trägspinnern zählt und dessen Raupe Nadelbäume befällt; deshalb bei den Forstleuten wegen seiner explosionsartigen Vermehrung und dadurch angerichteten Schäden sehr gefürchtet. Opiate, Arzneimittel, die Opium enthalten, ein getrockneter Milchsaft, der durch Anritzen von Samenkapseln des Schlafmohnes gewonnen wird. O. gelten als Betäubungs- bzw. Suchtmittel. Pfeilgeschoss, auch Peenemünder Pfeilgeschoss, da die wesentlichen Entwicklungsarbeiten in Peenemünde erfolgten. Das P. unterscheidet sich von den allgemein üblichen Geschossen dadurch, dass es länger ist, mit einem Treibspiegel versehen war und im Flug durch Leitflächen am Ende stabilisiert wurde (pfeilartiges Aussehen). Es wurde für glatte und gezogene Rohre der schweren Feldhaubitze (15 cm) und der Ferngeschütze K 3 (24 cm) und K 5 (28 cm) erprobt. Statt 60 km (bei einer 28 cm Normalgranate) wurden z. B. mit P. 90 km maximale Schussweite erreicht. Treib-Spiegel-Geschosse waren „unterkalibrige Geschosse“, versehen mit Führungsringen und einer Platte am Geschossboden, dem Treibspiegel. Die Pulvergase der Treibladung wirkten dadurch voll auf ein verkleinertes und leichteres Geschoss. Die Führungsringe verblieben im Rohr oder fielen nach Verlassen des Rohres ab. Piezo-Quarz, verschiedene natürlicher Kristalle wie Quarz, Turmalin sind in der Lage, mechanische Energie in elektrische Energie zu transformieren und umgekehrt. Dieser Piezo-Effekt (griechisch = pressen, drücken) wurde 1880 von Jaques und Pierre Curie entdeckt. Keramische piezoelektrische Werkstoffe haben inzwischen eine große wirtschaftliche Bedeutung erlangt. P. sind wesentlicher Bestandteil des Piezo-Gasdruckmessers, der z. B. in der Ballistik zur Registrierung des Druckes der Pulvergase bei der Pulververbrennung in einer Waffe genutzt wird. Plutonium (Pu), das bezüglich seiner Atommasse schwerste natürlich vorkommende metallische chemische Element. Seine zahlreichen →Isotope sind alle radioaktiv mit Halbwertzeiten zwischen 26 Minuten und fast 8 Millionen Jahren. Technisch wichtig ist das Pu-Isotop 239, das in Leichtwasser-Kernreaktoren durch Einfangen von Uran-Neutronen gewonnen wird. Pu 239 kann aus abgebrannten Brennelementen von Leichtwasserreaktoren mit chemischen Methoden isoliert
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werden. Pu 239 lässt sich auf Grund seiner Spaltbarkeit als Energiequelle nutzen, aber auch für Kenwaffen (Plutoniumbombe) missbrauchen. Purin, kristalline organische Stickstoffverbindung, die zwar in der Natur nicht vorkommt, aber den chemischen Grundkörper der in der Natur weit verbreiteten Purinbasen („Purine“) darstellt. Purine werden zu Harnsäure abgebaut. Gichtpatienten sollten deshalb auf purinarme Ernährung achten. Rauchquarz, Mineral, eine braune, durchsichtige Quarzart (Siliziumdioxyd), deren schleifwürdige Kristalle zu Schmucksteinen verarbeitet werden. Retikulo-endotheliales-System (RES), Zusammenwirken der biologisch sehr aktiven Zellschichten an den Innenflächen der Blut- und Lymphgefäße (endothel) mit ortständigen Zellen von Knochenmark und lymphatischem Gewebe (Retikulumzellen) vor allem zur Abwehr gegen eindringende Keime (Immunkörperbildung) und zur Realisierung verschiedener Stoffwechselvorgänge. Schlierenverfahren. Beim Mischen von Flüssigkeiten und Gasen oder ihrer lokalen Erwärmung kommt es zu Unterschieden in der Dichte, die unterschiedliche Lichtbrechungsverhältnisse ergeben. Auch bei festen Stoffen entstehen solche Unterschiede in den Brechungsverhältnissen. Im täglichen Leben kann man die Wirkung von Schlieren oft beobachten, z. B. bei fehlerhaften Glasscheiben, flimmernder Luft über Heizkörpern oder stark erwärmten Asphaltstraßen. Durch entsprechende Versuchsanordnungen können Schlieren sichtbar gemacht und in ihrem genauen Verlauf nachgewiesen werden. Die Toeplersche Anordnung arbeitet z. B. mit zwei optischen Systemen und einer Lichtquelle. S. werden u. a. genutzt für die Untersuchung von Linsen, Hohlspiegeln, Flachglas, thermo-hydrodynamischen Strömungsvorgängen in Gasen sowie in der Ballistik. Eine Übersicht bietet die Arbeit von H. Schardin „Die Schlierenverfahren und ihre Anwendung“ (in: Ergebnisse der exakten Naturwissenschaften, Bd. 20, Berlin 1942, 303–439), dort auch schöne Abbildungsbeispiele für fliegende Geschosse. Schweres Wasser (Deuteriumoxid, D2O), farb- und geruchlose, wasserähnliche Flüssigkeit, bei der der gewöhnliche Wasserstoff (H) durch sein schwereres, stabiles und natürliches →Isotop Deuterium (D) ersetzt ist. Gegenüber normalem Wasser (H2O) hat D einige andere Eigenschaften. So liegt seine Dichte mehr als 10% höher. Der Gefrierpunkt liegt bei 3,82 °C, der Siedepunkt bei 101,42 °C. Auch in chemischer Hinsicht verhält es sich etwas anders als Wasser und kann unter bestimmten Umständen sogar giftig sein. Gewonnen wird S. durch die sehr energieaufwändige Elektrolyse aus dem normalen Wasser, in dem es zu 0,02% enthalten ist (in Gletscherwasser etwas mehr). S. eignet sich sehr gut als →Moderator zum Abbremsen schneller →Neutronen. Silberazid →Azide. Soleonide, Drahtspulen aus isoliertem Leitungsdraht, der in schraubenartigen Windungen um ein isoliertes Metall-Rohr/Zylinder gewickelt wird, durch den elektrischer Strom fließt. Die dabei entstehenden Magnetkräfte können genutzt
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werden, um ein im Rohr/Zylinder befindliches Geschoss in Bewegung zu setzen. Je mehr solcher Drahtspiralen hintereinander angeordnet sind, umso stärker wird das Geschoss beschleunigt. S. waren in der Waffentechnik seit langem bekannt, da man mit ihrer Hilfe die Geschwindigkeit eines Geschosses, das eine solche Spule berührungsfrei durchflog, sehr exakt messen konnte. Derartige Konstruktionen wurden in der Heeresversuchsstelle Kummersdorf bei Geschütz- und anderen Erprobungen von Feuerwaffen eingesetzt (Abbildungen bei Fleischer: Heeresversuchsstelle, Bd. 1, 127). Spannungsoptik (Elastooptik), Verfahren zur Darstellung mechanischer Spannungen durch Verwendung von polarisiertem, d. h. in einer Ebene schwingendem Licht. Dadurch können Größe, Richtung und räumliche Verteilung von Spannungen an belasteten Konstruktionsteilen nachgewiesen werden. Stickoxidul (N2O), eigentlich Distickstoffoxid, ein farbloses, schwach süßlich riechendes Gas, das beim Einatmen krampfartige Lachlust oder rauschartige Zustände hervorruft, deshalb auch als Lachgas bekannt. S. kann als ein, allerdings schwaches Narkosemittel eingesetzt werden. Als eines der Oxide des Stickstoffes gehört es zu jenen Stoffen, die man allgemein als nitrose Gase bezeichnet. S. hat oxidierende und brandfördernde Eigenschaften. Supraleitung (Spuraleitfähigkeit), Erscheinung, die bei sehr tiefen Temperaturen bei einer Reihe von elektrischen Leitern auftritt und im Wesentlichen durch das Verschwinden des elektrischen Widerstandes und durch die vollständige oder teilweise Verdrängung eines äußeren Magnetfeldes aus dem Leiter gekennzeichnet ist. Der Übergang zur S. geht mit einem sehr engen Temperaturintervall vor sich („Sprungtemperatur“). Entdeckt 1911 bei Tieftemperaturen am Quecksilber durch Kammerlingh Onnes. Teilchenbeschleuniger →(Elementar-)Teilchenbeschleuniger. Tetralin, farblose Flüssigkeit von naphtalinartigem Geruch, deren, bei 207 °C entstehende Dämpfe, zusammen mit Luft explosible Gemische ergeben. T. reizt Augen, Haut und Schleimhäute, wirkt in hohen Konzentrationen narkotisch. Es findet vor allem als Lösungsmittel für Fette, Harze, Öle, Wachse usw. Verwendung. Thioether, wasserunlösliche, organische Flüssigkeit, in deren Molekülen die für Ether typische Sauerstoff„brücke“ zwischen Kohlenwasserstoffresten durch ein Schwefelatom ersetzt ist (CH3-O-CH3 = einfachster Ether; CH3-S-CH3 = einfachster Thioether; thio ... griech.: theion = Schwefel). Titanate, Salze hypothetischer Titansäuren (H2TiO3, H2TiO4), aus Oxiden der Erdalkalimetalle Beryllium, Strontium und Barium bei Umsetzung mit Siliziumdioxid Erdalkalititanate direkt herstellbar. Sie gehören zu den elektrotechnischen Sondermaterialien (Ferroelektrika, Piezoelektrika, Dielektrika, Supraleiter), die sich durch weit höhere Dielektrizitätskonstanten auszeichnen als TiO2-haltige Massen. Treibstoffe (auch Ergole oder Sonderkraftstoffe), allgemeine Bezeichnung für alle chemischen Stoffe, die bei ihrer Verbrennung durch Umwandlung freier Ver-
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brennungsenergie in mechanische Energie „etwas antreiben“. Dazu gehören Motortreibstoffe, Flugkraftstoffe, Raketentreibstoffe u. a. Letztere z. B. setzen gasförmige Produkte frei, deren Ausstoß aus einer Brenndüse einen Vorschub der Rakete (nach dem Rückstoßprinzip) bewirkt. Unterschieden werden: Einstoffsysteme (Monergole), deren Zersetzung durch Temperaturerhöhung oder Katalysatoreneinfluss in Gang kommt. Dazu gehört z. B. →Wasserstoffsuperoxid. Zweifachtreibstoffe (Diergole), das sind Kombinationen von zwei Flüssigkeiten (Brennstoff und Oxidator), die meist getrennt in Brennkammern eingespritzt werden. Mehrstoffsysteme (Hybridtreibstoffe oder Litergole), sind Gemische mehrerer Verbindungen (meist flüssig, aber auch flüssig/fest), mit Zusätzen, z. B. Bor, Aluminium, Magnesium. Die jeweilige Zusammensetzung war meist geheim, oder es wurden Decknamen verwendet, z. B. für Wasserstoffsuperoxid: Aurol, T-Stoff, Ingolin. Dressel/Giehl (in: Die Deutschen Raketenflugzeuge 1933–1945, Stuttgart 1998, 17) stellen folgende Übersicht zusammen: A – Stoff B – Stoff C – Stoff M – Stoff R – Stoff S – Stoff Sv – Stoff T – Stoff Z – Stoff
= flüssiger Sauerstoff = Hydrazinhydrat = Gemisch aus 30% Hydrazinhydrat, 57% Methanol, 13% Wasser mit Kalium-Kupfer-Cyanid-Anteilen = Methanol = Tonka 250, Gemisch aus 50% Rohxylidin F und 50% Triaethylamin = Salbei, Gemisch aus 96% Salpetersäure und 4% Eisenchlorid = Salbei, Gemisch aus 90–98% rauchende Salpetersäure, 2–10% Schwefel-Säure = Wasserstoffsuperoxid = Wässrige Lösung aus Natrium- oder Kaliumpermanganat
T-Stoff, 1. Deckname für Xylylbromid und/oder Methylbenzylbromid, ein Augenreizstoff, mit dem im Ersten Weltkrieg bei der Entwicklung chemischer Kampfstoffe experimentiert wurde, u. a. in Kummersdorf. Das T. steht für Dr. Tappen, der als erster die Verwendung als Kampfstoff vorschlug („Weißkreuz“Kampfstoff). Da T. bei starker Kälte nur geringe Wirkung zeigt, und das Eisen von Granatkörpern angreift, wurde auf einen Einsatz als Kampfstoff verzichtet. 2. Deckname für →Wasserstoffsuperoxid, im Zweiten Weltkrieg in höherprozentigen Lösungen als Treibstoff für Raketen und U-Boote genutzt. Ultrarot →Infrarot. Uran (U), natürliches radioaktives Element, ein Schwermetall mit der relativen Atommasse 238. Zu seinen natürlichen zugleich wichtigen Isotopen gehört U 235 (0,71%). Durch Beschuss mit Neutronen lässt sich U 235 in kleinere Atomkerne spalten, wobei erhebliche Mengen Energie freigesetzt werden (Kernkettenreaktionen in Kernwaffen und Atomkraftwerken). Durch →Isotopentrennung angereichertes U 235 wird als Spaltstoff für Kernreaktoren oder Kernwaffen genutzt. Verbrennungsbombe →Bombe.
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Wasserstoffsuperoxid (H2O2, veraltet für Wasserstoffperoxid) farblose, kältefeste Flüssigkeit, die als Sauerstoff- und Energieträger zur Gewinnung von Antriebsenergie, insbesondere in Raketentechnik, Verwendung findet. Erstmals wurde W. durch H. Walter genutzt, der 1933 einen Sauerstoffträger für Unterwasser-Schiffsantriebe suchte. Er entwickelte das so genannte kalte Verfahren (Zersetzung eines hoch temperierten Sauerstoff-Dampfgemisches mittels Katalysatoren) und das heiße Verfahren (Verbrennung eines Brennstoffes, wobei der frei gewordene Sauerstoff die Temperatur des Gasgemisches bis auf etwa 2.000 °C erhöht). 1935 entstanden die ersten Raketentriebwerke (Walter-Rakete) nach dem kalten Verfahren. Walter entwickelte verschiedene nach ihm benannte Starthilfen und Triebwerke für Flugzeuge und Gleitbomben. Tarnbezeichnung für W. sind u. a. Aurol, Ingolin und T-Stoff →Treibstoffe. Xenon-Vergiftung, Xenon (Xe), gasförmiges Element (einatomiges Edelgas), das mehrere natürliche →Isotope enthält und zahlreiche künstliche Isotope bilden kann. Es gehört zu den seltensten Elementen der Erde und wird bei der Sauerstoffherstellung durch Luftzerlegung gewonnen. Beim Betrieb eines Reaktors entstehen verschiedene radioaktive und stabile Xe-Isotope, von denen das Xe-135 Neutronen einfängt. Die X. ist die Fachbezeichnung für die Verringerung von Kernreaktorenleistungen durch Ansammlung größerer Mengen Xe-135 Isotopen mit einer Halbwertszeit von knapp 10 Stunden. Xylole (Dimethylbenzole), Gemisch von 3 Isomeren (Stoff, der trotz gleicher Summenformel verschiedene physikalische und chemische Eigenschaften zeigt), das technisch meist nicht getrennt wird. Es ist eine farblose, stark aromatisch riechende brennbare Flüssigkeit, die Haut- und Schleimhaut reizend wirkt. Ihre Dämpfe reizen Augen und Nase bzw. erzeugen Benommenheit. X. werden z. B. Kraftstoffen zur Erhöhung der Oktanzahl beigemischt oder als Lösungsmittel eingesetzt. Xylylbromide, falsche Bezeichnung für Bromxylole oder Methylbenzylbromide, die als heftig wirkende Tränenreizstoffe bekannt sind. Unter der Bezeichnung →T-Stoff wurden sie als Tränengas eingesetzt und zu den Weißkreuz-Kampfstoffen gezählt. Bereits geringe Konzentrationen verursachen starken Tränenfluss. In stärkeren Konzentrationen werden Atemwege und Atmungsorgane geschädigt.
ARCHIVE UND AUSGEWÄHLTE LITERATUR ARCHIVE Benutzte Archive Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, Historisches Archiv Krupp Archivalische Sammlung Stadt Lebus (jetzt Stadtarchiv Lebus) Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (ABBAW) Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin (AHUB) Archiv der Max-Planck-Gesellschaft (AMPG) Archiv der Universität der Künste Berlin Archiv des Deutschen Museums, München (DM) Brandenburgisches Landeshauptarchiv (BLHA) Bundesarchiv Aachen, Zentralnachweisstelle, Abteigarten (BAA) Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (BAB) Bundesarchiv Koblenz (BAK) Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg (BA-MA) Institut für Zeitgeschichte, München (IfZ) Österreichisches Staatsarchiv, Kriegsarchiv Universitätsarchive TU Berlin, Freiburg, Rostock, Wien, TU Wien (UA)
Auskünfte erteilten, z. T. in Verbindung mit Kopien von Dokumenten: Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung (Koblenz) Militärgeschichtliches Forschungsamt (Potsdam) Universitätsarchive (UA): TH Aachen, Universität Bonn, TU Braunschweig, TU Darmstadt, TU Dresden, Universität Erlangen-Nürnberg, Universität Frankfurt/M., Universität Graz, Universität Göttingen, Universität Greifswald, Universität Halle-Wittenberg, Universität Hamburg, Universität Innsbruck, Universität Jena, TH Karlsruhe, Universität Köln, Universität Leipzig, Universität Marburg, TU München, Universität München, Universität Stuttgart.
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Archive und ausgewählte Literatur
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Archive und ausgewählte Literatur
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Archive und ausgewählte Literatur
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Archive und ausgewählte Literatur
Matthias Uhl: Stalins V-2. Der Technologietransfer der deutschen Fernlenkwaffentechnik in die UdSSR und der Aufbau der sowjetischen Raketenindustrie 1945 bis 1959, Bonn 2001 (= Wehrtechnik und wissenschaftliche Waffenkunde, 14). Derselbe: Skizzen zur Tätigkeit sowjetischer Nachrichtendienste in Deutschland 1930–1947, in: Demokratie im Diskurs, Erfurt 1999 (= In guter Verfassung. Erfurter Beiträge zum Verfassungsschutz, 5), S. 485–560. Tadeusz Urbanski: Chemie und Technologie der Explosivstoffe, 3 Bde., Leipzig 1961–1964. Rudolf Vierhaus/Bernhard vom Brocke (Hg.): Forschung im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft. Geschichte und Struktur der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft, Stuttgart 1990. Manfred von Ardenne: Sechzig Jahre für Forschung und Fortschritt, Berlin 1988. Derselbe: Ich bin ihnen begegnet. Wegweiser der Wissenschaft, Pioniere der Technik, Köpfe der Politik, unter Mitarbeit von Manfred Lotsch, Düsseldorf 1997. Derselbe: Die Erinnerungen, München 1990. Mark Walker: Die Uranmaschine. Mythos und Wirklichkeit der deutschen Atom-Bombe (Originalausgabe: German National Socialism and the Quest for Nuclear Power 1939–1949, Cambridge 1989), Berlin 1990. Burghard Weiss: „Forschungsstelle D“. Der Schweizer Ingenieur Walter Dällenbach (1892–1990). Die AEG und die Entwicklung kernphysikalischer Großgeräte im nationalsozialistischen Deutschland, Berlin 1996. Michael Wildt: Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg 2002. Derselbe (Hg.): Nachrichtendienst, politische Elite und Mordeinheit. Der Sicherheitsdienst des Reichsführers SS, Hamburg 2003. Karl Wirtz: Im Umkreis der Physik, Karlsruhe 1988. Manfred Zeidler: Reichswehr und Rote Armee 1920–1933. Wege und Stationen einer ungewöhnlichen Zusammenarbeit, Stuttgart 1996 (= Beiträge zur Militärgeschichte, 36). Kurt Zierold: Forschungsförderung in drei Epochen. Deutsche Forschungsgemeinschaft. Geschichte – Arbeitsweise – Kommentar, Wiesbaden 1968.
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PERSONENREGISTER Der Name Erich Schumann wird aufgrund seiner Häufigkeit im Text nicht indiziert. Abramow (Abramov), B. B. 418 Achelis, Prof (REM) 67 Albers, Henry 181, 383, 442 Albrecht, Fritz 288 f., 294 Albrecht, Ulrich 434 Alexandrow (Aleksandrov), V. V. 418 Allekotte, Paul 81, 277, 280 f., 285, 290– 294, 442 Ambros, Otto 296, 298, 304–306, 438 Anna, Otto 502 Anta-Gomez, Häftling 115 Ardenne, Manfred von 79, 124, 187 f., 272 f., 360, 413 Arend, Hans 183 Arndt, Wilhelm 286 f. Arnold, Karl-Heinz 118, 128, 148 Arzimowitsch, L. A. 412 Asmus, Erik 285 Athen, Hermann 214, 437 Atkinsons 200 August, Prinz von Preußen 21 Baars, Ernst 369 Bachér, Franz 378 Backenköhler, Vizeadmiral 326 Badstein, Dr. (RFR) 158, 233, 253 f., 271, 310, 397 Baeumker, Adolf 77 Bagge, Erich 44, 46, 165 f., 170, 179, 181, 186, 197, 450, 499 Baltzer, Friedrich 42 f. Banneitz, Friedrich 272 Bär, Dr. 253 Barth, Hans 211 Basche, Walter 46, 46, 57, 60, 82, 109, 137, 164 f., 167 f., 184, 191, 194 f., 201, 268 f., 270, 272, 285, 407, 414, 432, 469 Bauer, Dr. (Zentralstelle) 32 f., Baumkötter, Heinz 309 Baur, Erwin 416 Baur, Fritz 464 Bayer, Erwin 39, 46, 61, 79, 94, 320, 323 f., 326, 330 f., 347
Bechmann, Gerhard 368 Beck, Georg Ludwig 29, 59, 131 Beck, Lorenz 505 f Becker, Dietrich 118, 504 Becker, Karl E. 28–35, 40, 52, 56 f, 60, 62– 65, 117, 136, 146, 150, 165 f, 168, 213, 228 f, 231 f. 235, 238, 248, 262, 273, 282, 346, 387, 390, 398, 454, 459 f, 462, 465–468, 477, 480–482 Becker, Kurt 146 Becker, Ludwig 59 Becker, Richard 156 Begehr, Heinrich 114 Behnke, H., Leutnant 333 Beigelböck, Wilhelm 317, 438 Beinhorn, Frau 205 Below, Fritz 84 Bergau, Werner 43, 45, 80, 336–338,341– 343, 350 Berger, Gottlob 187 Berger, Mechaniker (WaF) 404 Berger, R., Ing. 266, 268 f. Berghaus, Hans Richard 120, 127, 140, 153, 403 Bergmann, Emil 22 f. Bergmann, Ludwig, 272, 275, 365 Berija, Lawrenti P. 351, 412 Berkei, Friedrich 76, 165, 167, 171, 178 f., 192, 194, 198, 208, 210, 413 f., 429 Berkey, K., Dr. 502 Bethe, Hans 200, 210, 494 Betz, Albert 255, 437 Beuthe, Hermann 204, 416 Bewersdorff, Oskar 43, 60, 76, 79, 82, 401 Bewilogua, Ludwig 168, 350, 413, 440 Beyerle, Konrad 180 f. Bickenbach, Otto 307, 379 Bieberbach, Ludwig 46, 214, 386, 418, 456 Bieder, Eugen 46, 170, 187, 484 f., 491, 493, 495 Bier, Gerhard 145 Bingel, Dr. 245
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Personenregister
Birkeland, Prof. 365 Bismarck, Otto Fürst von 107 Blackett, Patrick, Maynart St. 492, 494 Blau, Marietta 172 Bleicher, Ernst 341 Blomberg, Werner von 51 f, 64, 67 Blome, Kurt 207, 323, 326–332, 437 f., 442, 445 f., 467, 469 f. Blume, Friedrich 487 Blume, Wilhelm 383 Bodenstein, Max 87, 144, 375, 377, 442 Bödewadt, Uwe Tim 67, 105, 113, 208 Bodlien, Karl-Heinz 76, 216 f., 224–228, 433, 448–450 Boepple, Dr. 90 Boethke, Julius 38 Bohartirtschuk, Prof. 100 Böhm, H. 254 Böhme, Horst 128, 301, 380 Böhnisch, Alfred 173 Bol, Gerrit 109 Böll, Alfred 211 Bollé, Erwin 22, 43, 216 Bolz, Hans 120, 127 Bonhoeffer, Karl Friedrich 400, 415 Bönicke, Ernst 201 Borisch, Franz 70 Bormann, Martin 326, 399, 473 Born, Hans Joachim 414 Borstell, von, Oberst 320, 330 Boseck, Karl-Heinz 109–112, 114–116, 239 Bothe, Walther 22, 47, 165, 169, 178, 182 Bouché, Karl de 403 Brandenburg, Min.-Direktor 454 Brandmeyer, Dipl.-Ing. 151 Brandt, Karl 382, 438 Brandt, Reinhard 192 Brasch, Arno 499 Brauchitsch, Walter von 225 Braun, Wernher von 10, 184 f., 228, 231 f., 235, 245, 367, 410, 483, 502 f. Braun, Erwin 500–502 Braunsfurth, Günther 46, 129, 136, 140–143, 270, 387 f., 401, 406, 479 Breckheimer, Walter 128 Brender, Rudolf 121 Breuer, Ministerialrat (REM) 67 Brinkmann, Heinrich 495 f. Brintzinger, Herbert 301 Brodersen, Heinz-Peter 284, 301 f., 388, 445 Brückels, Paul 392 Bruckl, Alfred 173
Brückl, Manuel 211, 429, 506 Brüderlink, Robert 342 f. Bruhat, Prof. (Häftling) 115 Brundi, Dr. 304 Bublitz, Renate 274 Buchmann, Dipl.-Ing. 254 Buchwald, Eberhard 292 f. Bucklisch, Hauptmann 155, 157 Büdow, Hauptmann (Prüf 9) 323 Bullig, Günter 208 Bünning, Erwin 100 Bürger-Prinz, Hans 382 Burgsmüller, Wilhelm 201 f., 448 Bürker, Oberst 314, 323–326 Busemann, Adolf 249, 251 Busse, Ernst 336 Butenandt, Adolf 79, 129 Buttmann, Dr. (RIM) 135 f. Canaris, Wilhelm 196, 247, 468 Capptuller, Horst 258 f. Cario, Günther 266 Cassagnon, General 434 Catsch, Alexander 414 Chariton, J. B. 412 Christophorides, Grieche 408 Ciesla, Burghard 126, 229, 467 Clauberg, Carl 442 Cleven, Bibliothekarin 241 Clusius, Klaus 167, 175, 180 f., 187, 190 f., 195 Cobarg, Claus Christian 17, 38, 124, 237, 474 f., 490, 500, 502, 504 f. Cobarg, Leo 474 f. Coblitz, Wilhelm 90, 82, 95–97, 362 f. Collorio, Prof., Dr.-Ing. 391 Conti, Leonardo 327 Correns, Carl 345 Cranach, Lukas Max von 454 Cranz, Carl 20 f., 26, 31, 34, 117, 213, 215, 217, 372 Cremer Hubert 109 Criegee, Rudolf 145 f. Czerny, Marianus 71, 274, 282, 285, 289– 292, 376, 394, 442, 445 f. Czimatis, Albrecht 61 Czulius, Werner 38 f, 165, 171, 173, 179, 194, 404, 412–415 Dadieu, Armin 101, 177, 264 f., 445 Dällenbach, Walter 281 Dames, Wilhelm 68 f., 76 Damköhler, Wilhelm 252 Dänzer, August 170
Personenregister Debeye, Peter 153, 168, 336 Dechend, von, Oberst 323, 332 Deichmann, Ute 315 Deiters, Dr. 323 Denner, Major 323 Dennhard, Alfred 96 Deschle, Otto 351 Dessauer, Friedrich 471 Deubner, Alexander 66 Deubner, Ludwig 66 Dickes, Ministerialrat (Zentralstelle) 32 Diebner, Jörg 17 Diebner, Kurt 14, 40, 44 f, 47 f, 57, 75, 126, 153, 163, 165, 167 f., 169, 173, 178, 182–185, 187, 189 f., 191–197, 205, 209–211, 234, 342, 404 f., 412 ,414– 417, 429 f., 449, 468, 493, 499 Dieckmann, Erich 76, 235 Dietzel, Adolf 301, 345–347 Dinghas, Alexander 239 Dinse, Bernhard 32 f., 68, 385 f., 469 Dirksen, Bernhard 186 Doelter, Dr. (RFR) 158, 161, 254, 310 Dolgelin, Jo von 482 Donati, Marie Luise 76, 388 Dönitz, Karl 60 Donnevert, Richard 32, 377, 386 Döpel, Gustav Robert 178 Dörge, Karl 221 Döring, Hasso 16, 126 f., 140, 250 f., 406, 418 f., 421 f., 505 Döring, Werner 433 Dornberger, Walter 228, 230–233, 245 Dornfeld, Conrad 354 Drape, Oberst 354 Drescher-Kaden, Friedrich/Fritz 44, 247, 287, 450 Dreyer, Mathematiker 433 Drossbach, Paul 95 Droste, Gottfried von 164 Dubois, Paul 289 f., 294 Duttenhofer, Max von 20, 57 Dziergwa, Herbert 139 Eberhard, Otto Ritter von 19 f., 215 Eberspächer, Otto 128 Eberspächer, Paul 220 Ebert, Fritz 220 Ebert, Hans 74 Edenhaster, Paul 341 Ehmann, Emil A. 296, 304 Ehrenberg, Wolfgang 360 Ehrke, Gerhard 315 f.
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Eichholz, Präsident (GG) 97 Eidmann, Hermann 62, 319 f. Einstein, Albert 172 Eitel, Wilhelm 63, 86, 301, 345–348, 392, 446 Eitzenberger, Josef 418 Engel, Rolf 105 Epp, Franz Ritter von 460 Eppinger, Hans 316–318, 329, 437 Erbach, Otto 178 Erhard, Dr. (dt. Spezialist) 420 Ersen'ev, Anatolij Petrovic 420 Esau, Abraham 41, 49, 107, 164 f., 183, 190, 197, 201, 273, 283, 301 f., 336, 416, 443, 469, 477 Eschenbach, Wolfram 41, 44 f., 52, 57, 62, 135, 295, 297, 312, 315, 317–319, 432 Esterer, M. 248 Eucken, Arnold 252 Ewald, Heinz 181 Fassbender, Heinrich 337, 341, 344 Fayole, Pierre 434 Fellerer, Gustav 487 Fenner, Dr. (RPF) 282, 284, 293 Feußner, Karl 289 Findeisen, Dr. (SS) 209 Finkelnburg, Wolfgang 287, 292 Finkemeier, Dirk-Adolf 313 Fischbeck, Kurt 267 Fischer, Christian 171 Fischer, Emil 25 Fischer, Franz 392 Fischer, Helmut 104, 106–108, 110 f., 115, 204, 207, 295 f., 301 f., 314 f., 328, 378 f., 369, 399, 404, 438, 440–442, 492 f. Fishmann, Jakow M. 409 Flachowsky, Sören 481 Fleischer, Wolfgang 10 Flerow, Georgi 412 Flickenschild, Heinz 355, 362 f. Florek, Dorothea 124, 439 Flügge, Siegfried 164 f Flury, Ferdinand 379 Fock, Ilse 274 Foitzik, L. 290, 294 Fontane, Theodor 124 Förster, Dr. (MA von Köster) 350 Förster, Friedrich, 50 Förster, Max von 20, 149 Forster, Samuel, F. 365 Förster, Siegfried 68 f, 76, 80, 388 Forstmann, Walter 168, 471 Fouqé, M. 502
538
Personenregister
Franck, James 24 Frank, Hans 90 f, 94 f. Frank, Helmar 288 Frank, Rudolf 128, 148 Franz, Hermann 201 Freiesleben, Rudolf 333, 443 Freiwald, Heinz 76, 157, 262, 436, 449 f., 452 Frenzel, Ursula 16, 39, 41, 403 Frerichs, Dr. 197 Frey, Josef 340 Freytag, Karl-Heinz 126, 219 Fricke, Barbara 362 Fricke, Jobst P. 455, 458, 487, 500–502, 505 Fridmann, Samuil Ljubowitsch 420 Friedrich I., König von Preußen 116 Friedrich II., König von Preußen 21,116 Friedrich Wilhelm I., König von Preußen 116 Friese, Hermann 54, 307, 378 f. Fritsch, Werner Freiherr von 118, 232 Fromm, Friedrich 78, 122, 190, 326 Fry, Adolf 274 Füchtbauer, Christian 292 Fucks, Wilhelm 435 Fugmann, Ernst 95 Fünfer, Erwin/Ewald 178 Gaidukow (Gajdukov), L. M. 428 Gamov, Georgi 200, 494 Gärtner, Heinrich 102, 303 Gärtner, Herbert 14, 281, 283, 293, 448–450 Garve, Kurt 240 Gebhardt, Karl 308, 438 Gefroi, Hugo 143 Gehm, K. H. 218 Geib, Karl Hermann 179 Geiger, Hans 23, 165, 178, 186, 190 f. Geiseler, Wolfgang 485, 496, 502 Geißler, Erhard 13, 315, 317, 321, 324, 432, 439, 506 Geist, Friedrich 61, 100, 132, 166, 242, 253, 264, 282 f., 312 f., 315, 317, 321, 324, 358 f., 369 f.. 396, 399, 401, 432 f., 449, 469 Gengenbach, Walter 120, 129 Gentner, Wolfgang 44, 46, 169 f., 188, 197 Georgii, Walter 93 Gerigk, Herbert 486 f. Gering, Eberhard 83, 88, 447 Gerlach, Walther 47, 59, 96, 107, 112, 175, 187, 191–195, 197, 200, 203, 205–211, 281–283, 357, 389, 397, 401, 404 f., 416, 430, 443 ,450, 469 Gerthsen, Christian 71, 175, 274, 425
Giebler, Gerhard 76, 237 Gierke, Tischler (II. PI) 355, 362, 364 Gießmann, Ernst-Joachim 126, 224, 268, 403 Gladenbeck, Friedrich 343 f., 351 Glagow, Richard 39, 57, 165, 178, 198, 251, 279 Gleu, Karl 277 Glien, Heinz 43 Glimm, Heinz-Otto 41, 44, 57, 124, 126 f., 129, 131, 137, 216–219, 222–226, 232, 236 f., 248, 255, 270 f., 394, 396, 406, 505 Glücks, Richard 309, 333 Glum, Friedrich 51 f., 453 f. Glupe, Siegfried 42, 53, 57, 62, 80, 298–301, 304, 310, 433, 448 f., 451, 499 Gmelin, Leopold 87 Goebbels, Joseph 491 Goldammer, Rudolf 336, 344 Gollmick, Hans-Joachim 17, 75, 350, 363, 388, 426, 488, 505 Gollmick, Jürgen 17 Göring, Hermann 59 f., 92, 150, 174, 188, 200, 206, 265, 297, 317, 329 f., 343 f., 353 f., 397, 437, 460, 464, 468, 470 Görnnert, Friedrich 160 f., 200, 343 Gorraiz, Juan 506 Goslich, S., Dr. 502 Goubau, Georg 340, 443 Goudsmit, Samuel 99 Grassman, Wissenschaftler 44 Gratkowski, Hans-Wolf von 62, 143 f., 301, 348 Graue, Georg 59 f., 82, 112, 127, 167, 203, 207, 291 f., 301, 312, 397, 401, 404, 424, 438, 440, 442, 469–471 Grawitz, Ernst 308, 331 Grebe, Leonhard 183 Greiser, Arthur 325, 329 Gresky, Gerhard 213 Groll, Gustav 390 Groß, Karl Josef 329 Grosse, Hans 238 Groth, Wilhelm 164, 167, 181 Grothmann, Werner 195, 204 f., 208 f., 305 Groves. Mister 490 Gruner, Fritz 129 Grützmacher, M. 24 Gudden, Bernhard 275 f., 280, 282, 286, 288, 292, 349 Guderian, Gisela, verh. Fehlberg-G. 404 Guderian, Heinz 356
Personenregister Guderley, Gottfried 195, 249 Gülich, W. 502 Günther, Paul 22, 73, 94, 144, 310, 367, 376, 380, 401 f., 422, 442, 451 Haagen, Eugen 441 Haase, Ernst 140 Haase, Helmut 186 Habann, Erich 44, 46, 181, 337, 340, 351 f., 418 f. Haber, Fritz 24 f., 117, 311, 374 f., 379, 464, 473 Hachtmann, Rüdiger 318 f. Haeuseler, Ernst 14, 44, 135, 137, 232 f., 261–263, 268, 451 f., 452 Haeuseler, Hildegard 403 Hagert, Dr. 491 Hahn, Fritz 245, 256 f. Hahn, Otto 24, 60, 129, 164, 175, 182, 187, 192, 195 Hahnke, Hans 368 Haid, August 23 Hallig, Christian 364 Hammerstein, Notker 464 Handel, Fotograf 355 Handel, Paul Freiherr von 338 f. Handloser, Siegfried 327, 438 Hänert, Ludwig 216 f. Hanle, Wilhelm 164 f. Hannay, Dr.(Oberstleutnant) 241 f. Hansen, Franz Heinrich 128, 148 Hansen, Friedrich 13, 315, 324 Hänsler, Joachim 364–366, 368 f., 371–373 Harms, Helmut 56, 349, 443 Harnack, Adolf (von) 24 Harteck, Paul 47, 164 f., 164 f., 179, 181, 190 f., 211, 367, 415 Hartlieb, Michael 506 Hartmann, Konrad 422 Hartrott, Richard 201 Hartung, Ulrike 85 Hartwig, Georg 165, 171, 413–415, 429 Hase, Rudolf 290 Hauck, Leonhard 383 Hauk, Walter 506 Haul, Robert 147 f., 446 Hausleiter, Leo 83 Havemann, Robert 415, 422 Haxel, Otto 186, 210, 351, 405 Heiber, Helmut 375, 462, 464 Heim, Linus 270 Heim, Susanne 318 f. Heimann, Dr. (RPF) 277, 282, 293
539
Heinrich, Karl-Heinz 344 Heisenberg, Werner 47, 90, 153, 165 f., 168, 171, 178, 180, 190, 192, 200, 207, 336, 362, 429, 433, 468 Helmetag, Kriemhild 17, 407, 505 Helmholtz, Hermann 23, 65, 457 Helmsen, August 331 Hennig, Willi 165, 194 Henning, Eckart 505 Hensel, Gerhard 76, 152, 207, 436, 449, 470 Herben, Ivan 116 Hermann, Rolf 128, 148 Hernegger, Friedrich 173, 198 Herrmann, Walter 405, 413 f. Hertz, Gustav 440 Hertz, Heinrich 182 Herzog, Richard 173 f., 181 Heß, Rudolf 437 Hettner, Erhard 274, 281, 292 f., 443 Heubner, Wolfgang 208 Heusinger, Adolf 448 Heydenreich, Bernhard 344, 349 Heydrich, Reinhard 102 Heylandt, Paul 229 Hilgenfeldt, Erich 491 Hilgert, Dr., Uni Straßburg 109 Hilgert, Hans-Joachim 76, 223, 235, 248, 255 Himmler, Heinrich 50, 96, 102–105, 150, 204–206, 213 f., 284, 303–308, 326– 328, 354, 361, 403, 469, 473 f. Hindenburg, Paul von 64 Hinderer, Hermann 68, 75 f., 123, 387 f. Hinrichs, Gerd 152, 157 f., 160 f., 201, 355, 362, 477 Hinz, Walter 463 Hirsch, A., Dr. (W Wiss) 79, 100 Hirsch, Walter 309, 321, 323, 432 Hirt, August 307, 379, 381, 441 Hirt, Dr. 405 Hitler, Adolf 23, 34 f., 64, 122, 149 f., 205 f., 224, 238, 244 f., 247, 269 f., 295–297, 300, 302–305, 322, 346, 361, 399, 444, 466, 469, 475 f., 495 Hochstein, Dr. 362 Höcker, Karl-Heinz 168 Hofe, Christian von 54 Hoffmann, Dieter 486 Hoffmann, Gerhard 165, 169, 171, 178, 181 f., 184, 415 Hoffmann, Walter 333 Hofmann, Major 223 Hofmann, Fritz 30
540
Personenregister
Hofmann, Heini 13 Hofschult, Alfred 202 Hogrefe 469 Hohendorf, Gefreiter (WaF) 406 Holfelder, Hans 329 Hollmann, Hans 115 Holm, Wilhelm 68 Holper, Friedrich 292 Holt, Erich, Ritter von 238 Holtz, Friedrich 330 Holtz, Werner 66, 72, 181, 198, 201, 376, 401 Honigmann, Bertold 131 Hoppe, Dr. (HWA) 360 f. Horn, Erich 140, 253 Horn, Ilse 255 Horn, Prof. 388 Horn, Willi 75 f., 355, 362 f., 388 Hornborstel, Erich Moritz Ritter v. 473, 487 Horst, Fräulein (WaF) 405 Horstig von, d' Aubigny von Engelbrunner Ritter 228, 231 Horvath, Clemens von 265 Houtermanns, Friedrich 183, 194, 200, 210 Hückel, Walter 272 Hülsmann, Siegward 194, 404 f., 413, 415 Hund, Friedrich 200 Hunger, Manfred 354 Hunke, Heinrich 32 f., 385 Hurka, Dr. (Uni. Graz) 383 Huttern, Helmuth von 150 Iglisch, Rudolf 109 Ihwe, Egon 176 Iljitshov, Ivan I. 212 Irving, David 455, 471, 480 Jacobi, Dr. 340 Jähnert, ORR (REM) 80 Jander, Gerhard 52, 375, 377 Janke, Alexander 383 f. Jaschow, Oberst 316 Jeanson, Johann 336 Jebens, Dr. 38 Jensen, Johannes 211 Jentschke, Willibald 173 f. Jodl, Alfred 326, 437 John, Richard 369, 399, 432 Johnson, Brian 259 f. Jokisch, Arthur 70 Joliot-Curie, Frédéric 164, 169, 192 Joos, Georg 164 f., 187 Jordan, Pascual 186 Jost, Wilhelm 264 Juilfs, Johannes 208
Junck, Wilhelm von 303, 399 f. Junginger, Hermann 275 Justrow, Karl 28–30, 64, 117, 215, 273, 365, 394, 446 Jüttner, Hans 102 f., 207, 284, 305 Kadmer, Erich 391 Kadow, Walter 33 f., 43, 45, 49, 57, 60, 79, 83, 122, 167, 201, 385, 401, 456, 459, 474, 484, 488, 469 f., 502, 504 Kaim, Ralf 17, 506 Kalkmann, Ulrich 241, 444 Kaltenbrunner, Ernst 102, 108, 437 Kamenicky, Fritz 36, 316 Kamin (Ehefrau von K., Erwin) 404 f. Kamin, Erwin 46, 165, 404 f. Kammler, Hans 104 Kandler, Georg 485 Kapitza, P. L. 372 Karas, Karl 220 Karbaum, Kurt-Günter 283, 293 Karbaum, Mirza 505 Kargin, V.A. 423 f. Karlik, Berta 173, 175 Karlsch, Rainer 16 f., 132, 143, 163, 192– 194, 198, 206, 210, 212 f., 223, 246, 404, 412, 420, 432, 416 Karmann, Theodor von 240 Karn, Oberst (HWA) 344 Karolus, August 275, 282 Kast, Hermann 28 f., 87, 144 Kaule, Ing. 344 Kazemi, Marion 505 Keeser, Eduard 382 Keitel, Appolonia 486 Keitel, B., General 297 Keitel, Wilhelm 77 f., 322, 326, 331, 437, 467, 469, 486 Kemper, Joachim 331 Kerkhof, Frank 291, 45 Kielpinski, Walter von 83, 88, 423 Kikoin, Isaak K. 412, 415 Kindereit, Luftwaffenhelferin 289 Kindler, Karl 380 Kipper, Dipl.-Ing. 254 Kirchner, Fritz 178, 183, 211, 405, 430 Kirchner, Stefan 382 Kleider, E. 219 Klein, Armin 506 Klein, Felix 26 Klemm, Alfred 181 Klemt, Martin 139 Klenck, Jürgen von 298, 304 f., 490
Personenregister Kliefoth 292 Kliewe, Heinrich 321–323, 325, 331 f., 432, 442, 451 Klose, Alfred 44, 46, 67, 74, 109 f., 113, 124, 129, 156, 216, 219–221, 239 f., 248, 250, 253, 344, 356, 390, 402, 406, 418 f., 422 Kluge, Prof. (TH Prag) 285 Kluge, Wolf 68, 76, 484 Knapp, Victor 284 Kneifel, Sekretärin 363 Knoll, M., Dr. (AEG) 280 Knoll, Otto 277, 282, 286, 290 Knothe 239 Koch, Franz-Joseph 365 Koch, Peter-Ferdinand 309 Koester, Werner 50, 350 Kofink, Walter 291 Kögel, (SS) 93 Köhler, Dr., Chemiker (WaF) 62, 179, 277, 301 Köhler, Dr. (Lichttechnische Gesellschaft) 83 Köhler, Karl-Heinz 126 f., 129, 270, 422 Köhler, Walther 41, 62, 336, 346–352, 403 Köhler, Wolfgang 456, 473 Kolb, August 115 Kölle, Hans-Wolfgang 414 Kömmnick, Joachim 72, 215, 217 f., 223, 387 Kompanjeiski, Prof. 287 Konew, Iwan S. 361 Koppe, Wilhelm 96 f., 111, 116, 329 Koppel, Leopold 25 Körber, Friedrich 59 Kork, A. J. 409 Korn (SS) 97 Koroljow (Korelev), Sergej P. 410 Korsching, Horst 168, 180 Koschitzki, Herbert 139 Koschmieder, Harald 289 f. Köster, Werner 59 Kraemer, Otto 266 Krafft, Fritz 192 Kraft, Dr. (RWM) 208 Kraftschenkow (Kravtchenkov), V. A. 416 f. Krahn, Handwerker (WaF) 404 Kramer (HWA) 405 Kramish, Arnold 247 f. Krass, Fritz 221 Krauch, Carl 61, 87, 277, 301, 320, 348. 464, 467 f. Krause, Heinz 245 Krebs, Holger 146, 169, 506
541
Kreichgauer, Alfons 450, 459 Kreuzer, Josef 291 Kritzinger, Hans-Hermann 34, 365 Krotzky, Wolf 195 Krug, Herbert 295 Krüger, A., Schlosser 143, 426 Krüger, Friedrich Wilhelm 386 Krüger, Karl 84 Krüß, Hugo Andres 83 Kubicki, Postrat (RPF) 185 Kudinow, Prof. 100 Kühn, Studienrat 221 Kühn, Dr. (SS) 60, 99, 469 Kühn, Martin 92 Kuhn, Richard 302, 424, 431 Kühnau, Joachim 382 Kühne, Hans 365, 361 f. Kühne, Siegfried 141, 356, 361 Kühr, Norbert 324, 505 Kühr, Werner 45, 324 f., 469 Kümmerlein, Heinz 501 Künsberg, Eberhard Freiherr von 85 Kunz, Herbert 17, 125, 127, 458, 473, 505 Kunze, Gerhard 341 Kupzow, A. 413 Kurtschatow (Kurchatov), Igor 359, 412 f., 417 Kurtzke, Herbert 71 f. Kutterer, Richard Emil 215, 223, 436 Kutzscher, Edgar 273 f., 282, 446 Laaf, Otto 183 Labes, Richard 383 Landt, Erhard 66, 72 Lange, Friedrich 330 Lange, Fritz 499 Langenbeck, Wolfgang 277 Langer, Trude 376 f. Langweiler, Heinz 80, 151 f., 223, 366 ,372 Lass (Mitarbeiter von Ruff) 295 Laternser, Dr. (Verteidiger) 314, 325 Lattemann, Wilhelm 207, 344, 470 Laue, Max von 40, 43, 239, 458, 471 Lawrence, Ernest Orlando 187 Leeb, Emil 23, 40, 48 f., 51, 142, 166, 186, 189 f., 192, 201, 214, 252, 268 f., 290, 296, 302, 321, 326, 344, 350, 394, 399, 401, 403, 468 f., 477, 479 Leeder, Gerhard 118, 125, 141, 356, 363, 469 Lehmann, Hans-Albert 148 Lehmann, Willi, alias Breitenbach 410 Leiber, Carl-Otto 261, 452, 505 Leimert, Erika 210
542
Personenregister
Leist, Karl 266 Leukert, Wilhelm 369 Lieb, Hans 383 Liese, Kurt 311, 453 Lietke, Fritz 368 Lietz, Werner 368 Linck, Major 431 Linde, Dietrich 274 Linde, Hans Jürgen von 68, 300 Lindemann, Rudolf 68 Lindner, H. 502 Linke, Franz 290 Linn, Philipp 121 f. Lintner, Karl 173–175, 198 Löhner, Kurt 266 Lommel, W. (Chemiker) 25,374 Loos, Wilhelm 36, 297, 395 Lorenz, Dr. (OKM) 93 Lorin, René 246 Luck, Werner 16 f., 38, 120–123, 125, 130, 250, 270, 278, 394, 403, 406, 422, 455, 475 f., 505, 479, 504 Ludwig, Günther 239, 283 Ludwig, Max 30 Lupus, B. M. 30 Lüschen, Friedrich 359 Lütgens, Rudolf 382 Lüttringhaus, Arthur 57, 63, 79, 145 f., 277 Maaß, Albrecht 132 Maaß, Dr. (SS) 209 Machnev, V. A. 412 Mader, Julius 230 Maier, Helmut 13, 19, 52, 61, 397, 441, 464, 506 Malenkov, Georgi, M. 411, 413, 428 Malmsten, Walter 481 Manegold, Erich 375 Mannkopff, Reinhold 165 Marguerre, Johannes 323 Markgraf, Friedrich 333 Markhoff, Dr. (OKW) 83 Martin, Hans 180 f. Martin, Helgo Hinrich 381 Martineck, Dr. (SS) 307, 379 Marx, Erwin 80 Marzahn, Ing. 254 Matheus, Horst 336 Matossi, Frank 285, 442, 451 Mattauch, Joseph 165, 173 Matzka, Ing. (SS) 206 Maurer, Gerhard 307 Maus, Fritz 127 f.
May, Eduard 320, 328 f. Mayer, Dr. 161 Mecke, Reinhard 57, 285, 290, 292, 450 Medwedew, Prof. 96 Meißner, Elektriker (II. PI) 355 Meißner, Walther 292 Mentzel, Rudolf 15, 33 f., 46, 49 f., 59–61, 66, 69, 72, 82 f., 91, 94, 97, 100 f., 104, 108 f., 116, 144, 160. 166, 168 f., 205, 207, 289, 293, 301 f., 307, 312, 314, 318, 326–327 f., 330 f., 342, 358, 375 f., 378 f., 401, 430 f., 437, 439 f., 440, 443, 453 f., 459, 463 f., 469 f., 476, 480, 486 Merhaut, Otto 173 Mertens, Hans 127, 422, 458, 488, 500, 502 f. Mertens, Paul Heinrich 17, 505 Mettich, Dr. (W Wiss) 79, 91 Meyer, Erwin 219 Meyer, Karl 451 Meyer, Konrad 464 Meyren, von, Prof. 285 Mialki, Werner 206 Mick, Ernst 95 Milch, Erhard 190 f., 233, 326 Milenin, General 414 Misney, Oberst 159 Model, Walter 159 Moers, von (OKH) 83 Möglich, Friedrich 40 Mohlitz, Hellmuth 436 Mohr, Ernst 109, 122–114, 160, 407 f. Möller, Dr., Chemiker (WaF) 406 Möller, Heinz 42, 68, 135, 145 Möller, Kurt G. 24, 29, 75, 165, 275, 337, 341, 344, 387, 446 Moltke, Helmuth Graf von 107 Monjé, Manfred 384 Moser, Hans Joachim 484 Mossmann, Dr. (HWA) 238 Motz, Hildegard 32, 68, 355, 386, 504 Motz, Oberbaurat 355 Muck, Otto 368, 370–372 Mühlberger, Kurt 506 Müller, C., (PTR) 273 Müller, Hans-Paul Friedrich 93, 97, 111 Müller, Paul 168 Müller, Reinhard 127, 140, 406 Müller, Rolf-Dieter 85 Müller, Rudolf 340 Müller, Theodor 275, 281 Müller, Werner 436 Müller-Darss, F., (SS) 329
Personenregister Münch, Oberst 323 Munroe, Ch. E. 149 Muth, Max 353 Nacken, Matthias 208, 283 f., 348, 446 Nacken, Richard 284, 348, 446 Nagel, Carl 323 Nämsch, Werner 301 Nebe, Arthur 108 Nebe, Heinz 125, 127 f., 131, 264 Nebel, Rudolf 228 f. Neiss, Oskar 57, 272 Nernst, Walther 23 f., 26, 66, 144, 217, 228, 458 Neuert, Hugo 183 Neumann, Alexander 379 Neumann, Kurt 149, 265 Neumann, M. 149 Neunhoeffer, Otto 271 f. Niedermayer, Oskar Ritter von 481 Niethammer, G., Dr. 333 Nikitin, Pjotr N. 423 Nikuradse, Alexander 113 Nikuradse, Johannes 113 f. Nischk, Kurt 43, 208, 362, 446, 497 f., 500 Noack, Dr., Chemiker 300 Nordhausen, Kurt 355 Ochsner, Hermann 424 Oertel, H., Dr. 436 Ohlendorf, Otto 106, 208, 438, 472 Ohnesorge, Wilhelm 187, 191, 204, 284 Ohrenstein, Felek 98 f. Ohrenstein, Fred 98 Okuniew, Major 316 Olmesdahl, Dr. 292 Olsa, Welka 482 Orthmann, Wilhelm 223, 240 Ortmann, Henry 277, 414 Ortner, Gustav 63, 175, 415 Osenberg, Werner 67, 61, 79, 101, 114, 159– 161, 204, 207, 252 f., 255, 267 f., 271 f., 299, 327, 349, 395–397, 399, 432 f., 470 Oster, Hans 196, 468 Oswatitsch, Klaus 249 f., 254, 446 Otting, Gerhard 351 Otto, Ernst 56 Otto, Hans-George 78, 80, 141, 484 Otto, Johannes 235 Page, Charles G. 365 Pallo, A. V. 410 Panzinger, Friedrich 309 Paschen, Friedrich 23 Peinert, Baurat (HWA) 300
543
Pétain, Philipp 169 Peters, Johannes 141 Peters, Werner 43, 46, 60, 82, 121 f., 363 Petersen, Waldemar 370 Peuker, Emil 116 Pfefferkorn Joachim 17, 140, 402, 505 Pfefferkorn, Gerhard 69, 140, 356, 362, 402 Pfeil, Gräfin 99 Pflücke, Maximilian 83, 87 f., 423 f., 447 Pfundtner, Dr. (RIM) 462 Picht, Johannes 54, 219, 387–389, 422, 442 Pietsch, Erich 46, 61, 79, 86 f., 91. 94, 96 f., 100 f., 111, 341, 347, 423, 444 Pistorius, Werner 42, 57, 391 f. Pitzken, Hermann 238 Piwowarski, Eugen 203, 443 Planck, Max 49, 51, 165 f., 190 f., 265, 453, 456–458, 465, 472, 475, 477, 489 f. Plas, Wilhelm 53, 148, 364, 372, 399 f., 403, 409 f. Plendl, Hans 335, 338 f. Plötner, Kurt 308 Plumeyer, Wolfgang 68, 76, 274, 283, 285 Pohl, J. (AEG) 280 Pohl, Oswald 102, 109, 111, 305 Pohlhausen, Ernst 105 Pollaczek, Hilde 67 Poltz, Henry 253 f. Pongratz, Alfred 63, 101, 146, 264–266 Poppe, Kurt 317–319 Poppenberg, Otto 22, 31, 146 f., 150 Portmann, Miss 367 Pösch, Heinrich 240 f., 435, 443 Pose, Heinz 164, 167–169, 173, 178, 182, 184, 360, 413 f., 415 Prandtl, Ludwig 30, 114, 203, 249, 254 Prankl, Friedrich 173 f. Predeek, Albert 82 f. Pringsheim, Peter 72 Prinzhorn, Fritz 83 Prokowski, M. K. 418 Purchase/Porhase 476, 490 Putzer, Hannfrit 177 Raab, Friedrich 390 Rackow, Paul 43, 57 f., 79 f. Rackwitz, Heinz 405, 413 f. Raeder, Erich 79 Rajewsky, Boris 172, 183, 357–359, 443, 471 Rammelt, Peter-Paul 120 Ramsauer, Carl 197, 499 Rascher, Siegfried 308, 441 f. Rathje, Werner 128, 130
544
Personenregister
Rausenberger, Fritz 20 Rechinger, K. H., Dr. 333 Reeger, Ernst 279 Regel, Christoph 202 Rehbein (Frau) 405 Rehbein, Fritz 405 Reichelt, Ing. 248 Reichenau, Walter von 65, 183, 453, 460 Reiher, Hermann 220 Reinecke, Hans-Peter 32, 473, 476, 488, 496 f., 502 Reinecke, Hermann 78, 132, 325 f., 438, 467, 496 Reinknecht (OKH) 269 Rekitte, Horst 227, 403 Rellich, Franz 109 Reschke, Johannes 485 Reuter, H. (Erfinder) 501 Reuter, von, Vizeadmiral 248 Rexer, Ernst 164, 168 f., 178, 184, 360, 413 f. Rhein, Wilhelm 99 Riabouchinsky, D. P. 245 Ribbentrop, Joachim von 437 Richter, Prof. (OKW) 321 Richter, Ronald 360 f. Richter, Wilhelm 481 Riedel, Klaus 228 Riehl, Nikolaus 277, 413 f., 416, 426, 440 Riehm, Dr. (OKW) 321 Riewe, Karl Heinrich 177 Riezler, Wolfgang 170, 183, 211, 405 Rimarski, Walter 23, 49, 302 Riml, Franz 42 Ritter, Franz 43 Rittler (Prüf 9) 63, 320 Rogge, E., Dipl.-Ing. 365 f. Rogowski, Walter 79 Röhm, Ernst 465 Rompe, Robert 425 f. Roon, Albrecht Graf von 107 Rosbaud, Paul 248 Rose, Gerhard 323 Rose, Lawrence 207 Röseler, Erich 231 Rosenberg, Alfred 85, 486 Rosenberger, Rudolf 376, 378 Rossmann, Theodor 216 Rothacker, Erich 461 Rothe, Dr. 387 Rothmaler, Werner 333 f. Rottgardt, Jürgen 72, 485 Rubens, Heinrich 66, 274
Rüchardt, Eduard 195 Ruff, Otto Karl 295 Rupieper, Hermann J. 74 Rust, Bernhard 51, 60, 247, 453 f., 462, 465– 469 Saburow (Saburov), M. S. 417 Sacharov, Vladimir 145 Sachs, Curt 473, 487 Sachs, Dr. (SS) 308 Sachsse, Günter 137, 153, 156, 201, 407, 433, 448 Sack, Werner 128–130, 148 Sander, Friedrich Wilhelm 238 Sänger, Eugen 246 Sauer, Robert 113, 240 f., 435, 437, 443, 449 Sauerbruch, Ferdinand 59, 465 Sauter, Eva 76 Sauter, Fritz 157 Schaadt, Ing. 420 Schaar, Dr. 313 Schacht, Hjalmar 437 Schaefer, Karl Ludolf 482 Schäfer, Clemens 292, 365 Schäfer, Ernst 320 Schäfer, Klaus 299 Schaffernicht, Walter 277, 279 f., 282, 285, 293 Schall, Rudi 14, 126 f., 137 f., 140, 155 f., 158, 201, 435 f., 477, 497 Schardin, Hubert 50, 135, 149, 151 f., 154, 157, 159, 216 f., 221, 223, 241, 310, 365, 433–437, 448, 450, 469 Scharfer, Dr. (SS) 97 Scharnhorst, Gerhard von 21, 117 Schellenberg, Walter 105 f. Schellhoß, Hans 44 f., 337–339, 449 Schenck, Rudolf 26, 79, 145 f. Schering, Arnold 485 Schieber, Walter 284, 307 Schiffler (OKH) 296 Schilling, Dr. (RFR) 310 Schilling, Ernst Carl Magnus 62 Schilling,Claus 308, 310 Schintlmeister, Josef 173–175, 415 Schleicher, Kurt 473 Schlicht, Wilhelm 123, 234, 394, 504 Schlottau, Rolf 210 Schlubach, Hans-Heinrich 382 Schmager, Hermann 248 Schmaltz, Florian 13, 373 Schmidt (Prüf 9) 63 Schmidt, A.W. (TU München) 42
Personenregister Schmidt, Albrecht 25 Schmidt, C. H. 266 Schmidt, Dipl.-Ing. (Prüf 7) 351 Schmidt, Dr. (OKH) 317 Schmidt, Ernst 105, 238 f., 251, 469 Schmidt, Hans 375 Schmidt, Major (HWA) 316 Schmidt-Ott, Friedrich 25,136 Schmiedebach, Heinz-Peter 382 Schmieden, Heiko 38 Schmilewski, Ing. 250 Schmitz, J. Dr. 500–502 Schmitz, Wilhelm 183 Schmitz-Dumont, Wilhelm 181 Schmude, Bismarck 35, 45, 469 Schnadel 192 Schnaufer, Kurt 270 Schneider, Erich 15, 19, 122 f., 126, 152, 159, 166, 191, 198, 207, 207, 238, 240, 253, 283, 287, 301, 305, 315, 341, 365, 379, 394, 397–441, 447 f., 470, 477 Schneider, Gerd 29 Schneidereit, Rolf 356 Schoepke, Erhart 179 Scholtis, Kurt 266 Scholz, R., Prof. 43 Schomann, Ing. 241 Schönfeld, Wilhelm 201 Schönwald, Bernhard 41, 123, 126 f., 274– 280, 285–287, 289–292, 394, 407 Schoon, Theodor 129 Schotten, Wolrad 391 Schran, Hans 128 Schreiber, Walter 207, 313–315, 320 f., 323, 439, 446, 469 f., 490 Schubert (SS) 93 Schubert, Gustav 384 f. Schubert, Karl 399 Schubert, Kurt 53, 215 Schubert, Wilhelm 116 Schukow (Zukov), G. K. 417 Schüler, Hermann 123 Schuler, Karl-Heinz 12 f. Schüller, H. 189 Schultz, Prof. (OKH) 327 Schultze, Johann F. 67 Schultze, Winfried 505 Schultz-Grunow, Fritz 203, 240, 443 Schulz, Günter 67 Schulz, Otto 38 Schulze (Wetterdienst) 289 Schulze, A. (PTR) 46
545
Schulze, Ortwin 76, 118, 125, 131, 155 f., 362 f. Schulze, Ursula 16, 125, 129, 131, 362, 505 Schulz-Kampfhenkel, Otto 92, 289, 469 Schulz-Wulkow, Woldemar 353 Schumacher, Gesine 17, 394 f., 406, 505 Schumacher, Hans-Joachim, Berlin 505 Schumacher, Hans-Joachim, Frankfurt/Main 301 f. Schumann, Anna 455 Schumann, Günther 355 Schumann, Gustav 454 Schumann, Joachim 482 Schumann, Martha 505 Schumann, Robert 453 Schütz, Wilhelm 210 Schützmeister, Luise 210 Schwab, Otto 34, 102–105, 117, 145, 205, 208 f., 214, 283, 303 f., 307, 309 f., 344, 351, 388, 438 f., 460, 469–471 Schwarte, Max 272 Schwarz, Otto 253, 334 Schwarz-Bergkampf, Erich 440 f. Schwedler, Werner von 368 Schweikert, Gustav 31, 43–45, 124, 133, 216, 218, 220–223, 229, 236–241, 248, 436, 448, 456, 459 Schwenninger (HWA) 497 Schwietzke, Werner 73, 79, 181, 201, 205 Seeckt, Hans von 27 f. Seeger, Bruno 210 Seel, Hans 330 f. Seel, Karl 403 Seeliger, Dieter 160 Seemann, Hugo 143 Seewald (TH Aachen) 244 Seidel, Dr. 248 Seifert, Ernst 235 Sexl, Theodor 173 Sicherer, Leopold von 379 Siebel, Erich 301 Siedentopf, Heinrich 278 f., 290 Sieke, Erich 266 Sievers, Wolfram 61, 93 f., 101, 110–112, 114, 204, 207, 307 f., 329, 354, 362, 379, 397, 438, 447, 464, 469 f. Simon, L. E. 433 Smittbern, Gustav 482, 488 Sommer, Johann Jakob 242, 369 Sommer, Rolf 175 Sorge, Gustav 116 Spänkuch, Dietrich 288
546
Personenregister
Specht, Walter 145, 209, 307 f., 310, 351 Speer, Albert 50, 61, 149, 190 f., 205 f., 208 f., 233, 253, 269, 284, 302–307, 311, 313, 326, 357, 359, 403, 437,468 f., 473, 492 Spengler, Wilhelm 88, 94, 106–108, 204, 207, 327 f., 397, 404, 438, 440 f., 470 Stalin, Josef W. 410 Stamm (Universität Halle-Wittenberg) 443 Stampe, Gerhard 273 Stange, Rolf 419, 421 f. Stantien, Kurt 323, 374, 439 Stark, Johannes 23, 454, 461, 465 Starke, Kurt 192 Staudinger, Hermann 58, 145 Stauffenberg, Claus Graf Schenk von 402 Steinhoff, Ernst 344 Steinkopf, Wilhelm 25, 374 Steinmann, Laborant (WaF) 130 Steinmaurer, Rudolf 175 Stenzel, Wilhelm 237 Sterzel, August 356 Stetter, Georg 63, 173–175, 181, 198 Stierstadt, Otto 71 Stintzing, Hugo 209, 287, 341 Stranski, Ivan N. 130 f., 422 Straßburger, Horst 329 Strassmann, Fritz 164 Strauch, Dr. 281 Strauß, Franz Josef 449 Strecke, Joachim 215, 222, 227, 452 Streit, Hans 328 Stribeck, Richard 20 Stroh, Hans-Hartwig 128–130, 148 Strubecker, Karl 109, 255 Stubbe, Hans 79, 332, 335 Stubbe, Michael 334 Stumpf, Carl Friedrich 456–459, 473, 477, 482, 484 Sudakow (Sudakov), N. A. 418 Suess, Hans 179 Suhnkel/Sunkel, Reinhard 170 Suhr, Klaus Albert 415 Suhrmann, Rudolf 277, 282, 285, 292 Süß, Susanne 266 Süss, Wilhelm 112, 114 Swetkoff, Major 313 Synofzik, Thomas 473 Tamm (HWA) 405 Tannenberg, Walter Meinel von 158, 294, 341 Teller, Edward 200, 494 Telschow, Ernst 166, 170, 191, 316, 328, 464, 467 f., 470, 489 f., 493, 499
Theile, Dr. (AEG) 280 Thiel, Walter 164, 233 f., 235 Thiessen, Klaus 445 Thiessen, Peter Adolf 25, 59 f., 63, 74, 79, 82, 93 f., 97, 107, 124, 127 f., 130, 144, 147 f., 201, 207, 235, 237, 265 f., 297, 301 f., 308, 310–313, 328, 348, 376– 378, 380, 392, 395, 401, 413, 418, 423, 430 f., 439, 440, 442, 445, 454, 464, 466, 469 f., 477, 495 Thilo, Günther 365 Thirring, Hans 173, 282 Thomanek, Franz-Rudolf 150 f., 156, 452 Thomer, Gustav 223, 310 Timoféeff-Ressovsky, Nikolaus 426 Tomaschek, Prof. 285, 292 Tönnies, Wilhelm 33, 68, 385 Traubenberg, Heinrich Rausch von 58, 197 f. Trimborn, Friedrich 261 f., 452, 505 Trinks, Hauke 160 Trinks, Walter 14, 40, 44, 75, 81, 124, 126 f., 131, 135, 137, 153–160, 196–203, 209, 223, 294, 342, 418–421, 448–450, 452, 477, 492 f., 497–500 Trögel, Inspektor 268 Trogisch, Fritz 233, 448 Trommsdorff, Wolff 14, 44, 129, 245, 247– 257, 270 Trubetzkoy, Nikita Fürst 177 Tschertok, B. E. 410 Tuchatschewski (Tuchacevskij), M. N. 410 Turba, F. Dr. 147 Ubbelohde, Leo 440, 491 Ulich, Hermann 266, 443 Ulmann, Prof. 63 Unverzagt, Wilhelm 90, 353 f., 362 Utermark, Dr. (W Wiss) 79 Vahlen, Theodor 30, 49, 67, 102, 109, 213 f., 216, 221, 302, 328, 461 f., 477 Venzke, Günter 68, 446 Viebahn-Hänsler, Renate 17, 373 Viereck, Dr. 201 Voellmke, Heinz 230 f. Vögler, Albert 49 f., 53, 88, 166, 190, 302, 358, 392, 470 Vogt, Heinrich 199 Voigt, W., Dr. 500–502 Völker, E. 218 Volkmann, Harald 292 Vollard-Bockelberg, Alfred von 52 Volmer, Max 351 f., 440 Volz, Helmut 210
Personenregister Voss, Vizeadmiral 132 Wächtler, Fritz 95 Wacker, Otto 466 Waeger, Kurt 165 f., 230, 244, 296, 314, 464 f., 472 f., 480, 491, 497 Wagner (Prüf 9) 63, 32 Wagner, Hans 300 Wagner, Herbert 188 f. Wagner, R., Flugzeugführer 278 Wahmke, Kurt 229–232, 235, 261, 480 Walcher, Wilhelm 180 Walchner, Otto 249, 255 Walter, Hellmuth 111 f., 246, 259 Walter, Kurt 93 Walther, Alwin 433 Wambacher, Hertha 173 f. Warburg, Emil 66, 274 Warburg, Otto Heinrich 23, 58 Warlimont, Walter 314 Watzlawek, W. 189 Wehnelt, Arthur 26, 32, 41, 43, 68 f., 72–74, 123, 137, 140 f., 147, 153, 216 f., 219, 228 f., 231 f. Wehnelt, Arthur 235–237, 245, 265, 273 f., 336, 344, 356, 387 f., 390, 456 f., 477, 480, 484–486 Weichert, Prof. 387 Weigel, Rudolf 277, 282, 286 f., 292 Weil, Egon. 178 f. Weiß, Dr. 239, 405 Weiss, Carl-Friedrich 178, 204, 209, 415 f. Weißenberg, Joseph 102 Weizsäcker, Carl Friedrich 168, 184 f., 192, 200, 207 Wempe, Johann 278 f., 290 Wenmakers, Erich 501 Wertheimer, Max 473 Wesch, Ludwig 277, 292 Westmeyer, Hans-Georg 414 Wettstein, Otto von 333 f. Wicht, Heinrich 337 Widerö, Rolf 187 Wiebe, Werner 79, 183 Wiedenfeld, Pfarrer 368 Wiegand, Horst 128 Wiegand, Karl 465 Wien, Max 337 Wienskowski, Dagmar von 405 Wieselberger (TH Aachen) 244 Wildhagen, Eduard 386 Wilhelm II., Kaiser 107 Will, Wilhelm 22
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Willing, Willi 93, 97 f., 101, 104 f., 111, 116, 401, 463 f., 491, 496 Wilsdorf, Heinz 356 Windelbrand, Dr. 65 Winkel, Laborantin (WaF) 131 Winkel, August 33, 93, 127 f., 147 f., 264, 301, 311, 348, 445 Winkel, Dr.(Zentralstelle) 33 Winkhaus, Hans 141 f., 146, 165, 190 f., 218, 220, 248, 385, 387, 494, 496–499 Winterberg, Friedwardt 449 Wirth, Wolfgang 321, 409 Wirths, Günter 277, 414 Wirtz, Karl 168, 433 Wittkopf, Hans 39, 80 Witzell, Karl 186, 190, 326 Witzmann, Hans 378 f., 444 f. Wolf, Dr. (RFR) 467 Wolf, Johannes 456 f., 482, 484 f. Wolf, Karl 102 Wolf, Paul Max 277 Wolff, Albert 233, 369 Wolff, Günter 128, 130 Wolff, Walther 22 Wolfschlag, Curt 130 f., 219, 422 Wolfschlag, Magda 16, 38, 131, 336, 402 f., 422 Wolk, Kurt 201 Wörner, Theodor 139, 355, 362 f. Woroschilow, K. E. 410 Wülfken, Friedrich 137, 150, 154 Wurbs, Bertold 274 Würfel, Sekretärin (WaF) 404 Wurtzbacher, Ludwig 137, 150, 154 Wüst, Walter 111 Zadrazil, Gefreiter 238 Zanke, Gerd 238 Zanssen, Gerhard 184 Zapf, Franz 145 Zeiger, Karl 381 Zeiss, Dr. (REM) 67 Zeiß, Heinrich 331 f. Zelle, Dr.-Ing. 220 Zepp, Ing. 250 Zeyss, Wilhelm 223–227, 233, 310, 425 Ziegenbalg, Fahrer (II. PI) 362 Ziegler, Karl 57, 63, 79, 145 f., 348, 443 Zimmer, Karl-Günter 182 Zimmermann, K., Dr. 333 Zöllner, Robert 332, 403 Zwarg, Dr. 80, 215, 223, 448 Zwicker, Gerhard 17, 506 Zwölfer, Wilhelm 332
ANHANG I. WER WAR WER IN WAF, OKW W WISS UND AM II. PHYSIKALISCHEN INSTITUT? Hinweise: Die nachfolgende alphabetische Übersicht soll es dem interessierten Leser ermöglichen, sich schnell über Personen zu informieren, die in einer der drei genannten Einrichtungen tätig waren. Aufgenommen wurden in der Reihenfolge: Name, Vorname, Titel, Geburts- bzw. Sterbedatum, Ausbildungsstätte und dort vorgelegte Abschlussarbeit (Diplom = Dipl., Dissertation = Diss., Habilitation = Habil.) mit dem Vermerk G = Geheim, O = Offen, Zugehörigkeit (WaF – einschließlich ZS, OKW, II. PI) und Zeitdauer derselben, verschiedentlich auch Publikationen (P: Titel in Kurzfassung und Jahr). Fehlen entsprechende Angaben, so konnten diese nicht ermittelt werden. Nicht eindeutig belegte Angaben sind mit einem Fragezeichen versehen, z. B. „Diss. G (?)“.Für die Übersicht wurden vor allem genutzt: Auskünfte des Bundesarchiv Aachen (Zentralnachweisstelle), Telefonverzeichnis der Forschungsabteilung (Ohne Datum, Stand wahrscheinlich 1943, Bundesarchiv-Militärarchiv RH 8/v 1917), Dissertationen an der Universität Berlin, PA im Archiv der Humboldt-Universität.
Abele, Karl, Chemiker, WaF II, Vers. Gottow. Allekotte, Paul, Reg. Baurat d. Reserve, Dr. phil., 11. 09. 1910–?, Diss. G (?), WaF I f P: Reichweite optischer Geräte. In: Das Licht 11/1941, Möglichkeiten der Bildverstärkung. In: Jahrbuch der Wehrtechnik 2/1967. Bagge, Erich, Dr., Diplom-Physiker, 30. 05. 1912–05. 06. 1996, Mitarbeiter bei Heisenberg an der Universität Leipzig, 1939–1942 einberufen zu WaF I a, Mitarbeit am Uranprojekt. Baierbeck, Technischer Inspektor, WaF, Stab, Ref. B. Baluschek, Angestellte WaF, Stab, Ref. C. Baltzer, Friedrich, Dr., Diplomchemiker, 21. 10. 1905–?, Diss. Universität Rostock 1931, O, WaF II e, 1939–? Basche, Walter, Min.-Rat, Dr. phil., 21. 10. 1907–22. 04. 1945 (gefallen bei Siethen), Diss. Universität Berlin 1926, O, Wa Prüf 7 (1936–1938), danach WaF, Leiter Bereich I (Physik). Bayer, Erwin, Reg. Baurat d. Reserve, Dr.-Ing., 08. 05. 1900 (?)–?, Diss. TH Wien 1938, O, WaF Stab, Ref. D, zugleich OKW W Wiss, Leiter U-Trupp 23, offiziell TH Wien. Becker, Dietrich, Dr., 28. 01. 1917–?, Diss. Universität Berlin 1944, G, II. PI 1942. Becker, Georg Ludwig, Dipl.-Ing., 03. 06. 1898–?, WaF, Stab ?–01. 09. 1944, danach RFR. Bergau, Werner, Min.-Rat, Dr.-Ing., 29. 02. 1904–?, Diss. TH Berlin 1934, G, WaF III 1932–1942, Gruppenleiter, danach Wa Prüf 7, Gruppenleiter. Berger, WaF I a, Handwerker. Berkei, Fritz, Dr., 02. 04. 1911–25. 09. 1966, Diss. Universität Berlin 1938, O, WaF I a, 1939– 1942/43, danach offiziell PTR bzw. RFR, Mitarbeiter der Diebner-Gruppe.
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Bewersdorff, Oskar, Reg.-Baurat, Dr. phil., 08. 04. 1909–?, Diss. Universität Berlin 1936, O, WaF V b, zugleich OKW W Wiss. Bieder, Eugen, Kriegsverwaltungsrat, Regierungsbaurat d. Res., Prof. Dr. phil., 23. 01. 1897–1952, Diss. Universität Berlin 1923, O, als Direktor der Hochschule für Musikerziehung, Berlin, am 07. 09. 1939 einberufen zu WaF, Stab, später zeitweilig Leiter einer Dienststelle Schumanns in Paris, ab 01. 12. 1942 bei WaF in Berlin, gleichzeitig wieder Direktor der Hochschule P: Hg.: Musikblätter für die Volksschule, Völkische Musikerziehung. Bodlien, Karl Heinz, Dr., 03. 04. 1910–?, Diss. Uni Berlin 1938, O, WaF I c 1938–1942, danach Wa Prüf 1 bzw. 4 P: Zeitschrift für das gesamte Schieß- und Sprengstoffwesen 2/1939 f., Rohr- und Flächenfeuer. In: Jahrbuch der Wehrtechnik 4/1969. Bock und Polach, Karl von, Oberst, Dipl.-Ing., 26. 06. 1901–?, 13. 11. 1944 OKH/AHA/Sonderstab B, zeitweise tätig in Vers. Gottow, WaF I c (?). Bödewig, Albert, („Onkelchen“), Ing., WaF I. Bölke, Wilhelm, WaF II b, Vers. Gottow, Werkstattmeister. Borisch, Franz, 26. 08. 1892–17. 07. 1969, Werkzeugmacher/Einrichter, Meister, Leiter der mechanischen Werkstatt II. PI. Boseck, Karl-Heinz, Dipl.-Mathematiker, 11. 12. 1915–?, Diplom Universität Berlin 1943, G, WaF I c März 1943–September 1944, danach SS, KZ Sachsenhausen, verantwortlich für Mathematisches Institut. Brandenburger, Reg. Ob. Inspektor, WaF I. Bublitz, Renate, Dr., 23. 03. 1912–?, Diss. Uni Berlin 1937, O, ab Sommer 1935 II. PI. Busse, Ernst, Dr., 06. 09. 1902–?, Diss. Universität Jena 1927, O, WaF I bzw. Vers. N. Zeitpunkt? Casloo, (Frau de Casloo, ph.), WaF, Sekretärin im Stab. Czulius, Werner, Dr. phil, 23. 08. 1914, Diss. Universität Wien 1937, O, WaF I a 1939–1943, danach offiziell PTR, Arbeitsgruppe Diebner P: Eine Methode zur Abscheidung radioaktiver Kernbruchstücke (mit J. Schintlmeister). In: Anzeiger der Akademie der Wissenschaften Wien 6/1939. Dames, Wilhelm, Dr. phil., 14. 02. 1904, Diss. Universität Würzburg 1931, O, II. PI 1935 bis 1938, danach PTR u. REM. Diebner, Kurt, Reg. Baurat, Dr. rer. nat., 13. 05. 1905–13. 07. 1964, Diss. Universität Halle 1931, O, WaF I c 1934, Leiter WaF I a 1939–1943, danach offiziell PTR bzw. RFR, zuletzt Leiter der „Diebner-Gruppe“ in Stadtilm P: Kolonnenionisation Alphastrahlen. In: Annalen der Physik 1931, Künstliche Radioaktivität (mit Grassmann) 1939, Absorption/Streuung von Neutronen (mit Grasse u. Herrmann). In: Physikalische Zeitschrift 21/1942, Der deutsche. Forscheranteil. In: Die Zeit vom 18. 08. 1955, Die deutschen Geheimarbeiten. In: Atomkernenergie 1956, S. 368 f., 423 f., Über die Neutronenvermehrung (mit Czulius, Herrmann, Hartwig, Berkei, Kamin). In: Atomkernenergie 1956, S. 264 ff., Von der Uranspaltung (mit Bagge, Jay) 1957, Fusionsprozesse. In: Kerntechnik 3/1962, Zehn Jahre KernenergieStudiengesellschaft (mit Bagge) 1965. Dinse, Bernhard, Dr., 20. 01. 1909–?, Diss. Universität Berlin, G, Zentralstelle 1932–1934, danach II. PI, Assistent, akustische Abteilung.
I. Wer war wer in OKW W Wiss, WaF und am II. Physikalischen Institut?
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Diekmann, Erich, Dr., Dipl.-Chemiker, 22. 04. 1909–?, Diss. Universität Berlin 1940, G, WaF, wiss. Mitarbeiter ab 1937, ab 1940 in Vers. Gottow, wahrscheinlich WaF I c. Donati, Marie-Louise, Dr., 23. 01. 1916–?, Diss. Universität Berlin 1943, G, II. PI 1939, ab 1942 wiss. Angestellte. Ehlert, Handwerker WaF I a. Ehrke, Gerhard, Dr. phil., 20. 10. 1908–?, Diss. Universität Berlin 1931, O, WaF II (Biologische Waffen in Vers. Ost) 1938–1940. Eidmann, Hermann, Prof. Dr. rer. nat., 21. 02. 1897–04. 09. 1949, Diss. Universität München 1921, O, Habil. Universität München 1928, O (Forstentomologie), ab 1941/42 (?) tätig mit Forschungsauftrag für OKW, eingezogen am 19. 01. 1945 zu OKW W Wiss 2 P: Lehrbuch Entomologie 1941, über 200 Beiträge, vor allem zu Forstschädlingen und anderen Insekten. Eimbeck, Ing., Leiter der Elektrozentrale in Vers. Gottow. Entrodacher, Angestellte WaF V, Sekretärin (?) bei Kadow. Eschenbach, Wolfram, Oberreg. Rat, Prof., Dr. rer. nat., 08. 10. 1887, Diss. Universität Freiburg, O, Vers. Gottow 01. 11. 1935, WaF, Leiter Bereich II (Chemie) 1939–1945 P: Zwei Patente 1936 und 1938 über Verfahren zur Herstellung von Säurehalogeniden bzw. Säureanhydriden. Flickenschild, Mechaniker, II. PI 1937, Forschungsstelle Lebus 1944. Freiwald, Heinz, Fl.-Stabsing. der Luftwaffe, Dr., 19. 04. 1911–?, Diss. Universität Berlin 1938, G, WaF I c 1939 bis 10/1942, danach TAL. Frentzel, Ursula, WaF, 1943, Stenotypistin bei Dr. Köhler, Ltr. Vers. N. Freytag, Karl-Heinz, Dr., 11. 08. 1912–?,Diss. Universität Berlin 1938, G, danach WaF I c (?). Fricke, Barbara, II. PI, Hilfskraft, ab 1944. Förster, Siegfried, Reg. Baurat, Dr., 18. 11. 1907–14. 08. 1941 (gefallen an der Ostfront), Diss. Universität Berlin 1936, G, WaF 1936, ab 1938 Assistent II. PI. Fulda, Hans-Walter, Reg. Baurat, Dipl.-Ing., 17. 07. 1909–?, WaF 1936–1942, danach LFM. Gentner, Wolfgang, Dr., 23. 07. 1906–04. 09. 1980, Assistent KWI Heidelberg, 1939–1942 einberufen zu WaF I a, Mitarbeit am Uranprojekt. Gersitz, Feldwebel, WaF V a. Giebler, Gerhard, Dipl.-Chemiker, Dr., 27. 03. 1910–?, Diss. Universität Berlin 1938, G, WaF 1936, Bereich II? Glagow, Richard, Oberst, Stabsgruppenleiter, 12. 01. 1883–?, WaF, Stab ab 01. 09. 1939, vorher (ab 1933) Vertragsangestellter bei Wa Prüf Z. Glasow, Angestellter, WaF V a. Glien, Heinz, Dr.-Ing., Diss. Universität Dresden 1934, O, WaF. Glimm, Heinz-Otto, Reg. Baurat, Dr. phil, 04. 01. 1911–21. 04. 1945 (gefallen in Kummersdorf), Diss. Universität Berlin 1935, G, WaF 10. 05. 1935, zuletzt Referatsleiter I c.
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Anhang
Müller, Mechaniker, II. PI, Laborant, ab März 1939. Nämsch, Werner, Dipl.-Chemiker, Dr., 28. 04. 1911–?, Diss. Universität Berlin 1941, G, bis 1936 KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie bei Thiessen, danach WaF, Vers. Gottow. Niehus, Reg. Baurat, Dipl.-Ing. (?), WaF I b (?). Nischk, Kurt, Techn. KVR, Dr.-Ing., 17. 03. 1895, Diss. TH Berlin 1921, O, WaF V d. Otto, Hans George, Dr., 05. 04. 1909–?, Diss. Universität Berlin 1939, G, II. PI 1935–1938, danach wahrscheinlich TAL P: Notiz zum Kristallsystem des Knallquecksilbers. In: Schieß- und Sprengstoffe 1943, S. 85. Otto, Johannes, Reg. Baurat, Dr. Phil., 04. 03. 1910–?, Chemiker, Diss. 1935, bibliographisch nicht nachgewiesen, G?, eventuell identisch mit jener, die im Schrifttum G-Diss. Seifert erwähnt (vgl. Anhang II: Geheimdissertationen), WaF 1940. Pagel, Oberfeldwebel, Stab WaF, Ref. B. Peitz, Martin, Reg.-Baurat, Dipl.-Ing. (Eisenhüttenkunde), 14. 04. 1899–?, Vers. Gottow 1937. Peters, Gerhard, Dr., Diss.?, WaF V b P: Entwicklung der Waffentechnik. In: Technik der Neuzeit, Bd. 21. Potsdam 1941, H 4/5, S. 192 ff., eventuell auch über Kampfstoffe. Pietsch, Erich, Dr., Chemiehistoriker, 06. 05. 1902–09. 04. 1979, Diss. Universität Berlin 1926, O, als Leiter der „Gmelin-Redaktion“ nach Kriegsausbruch (Zeitpunkt?) als KVR eingezogen zu OKW W Wiss, zuletzt dort Heerskriegsrat, zuständig u. a. für Institut für Deutsche Ostarbeit, Leiter „Forschungsstelle Babelsberg“. Pistorius, Werner, Reg.-Baurat, Dr.-Ing., 14. 05. 1904–?, Diss. TH München 1937, O, Ref.-Leiter WaF II a, 1937. Plas, Wilhelm (Österreicher), 10. 05. 1894–15. 11. 1978, Oberst, Dipl.-Ing., Prüf 1 1939–1945, danach letzter Chef WaF 15. 02.–08. 05. 1945. Pfefferkorn, Gerhard, Dr., 13. 01. 1913–29. 06. 1989, Diss. Universität Berlin 1938, O, II. PI. Plumeyer, Wolfgang, Dr., 11. 03. 1910–?, Diss. Universität Berlin?, G?, Habil. TH Berlin, WTF, 1941/42, G, II. PI 1932–?. Rackow, Paul, Reg. Rat, Dr. phil., 25. 09. 1894–?, Diss. Universität Berlin 1926, O, WaF V ab 01. 10. 1942 bzw. OKW W Wiss. Rackwitz, Heinz, Ing. 01. 10. 1912–?, WaF I a, danach Diebner-Gruppe Stadtilm. Rehbein, Fritz, Dr., 29. 10. 1912–?, Diss. Universität Berlin 1943, O, seit 1939 KWI f. Chemie, dort Arbeit für WaF I a, nach 1943 Diebner-Gruppe Stadtilm P: Verstärker und Netzgerät. In: Chem. Techn. 29 (1942), S. 15; Über Massenspektrometer. In: Die Naturwissenschaften 31/1942, S. 235 und 31/1943, S. 235, Mechanische Zählwerke. In: Physikalische Zeitschrift 45/1944, S. 126. Reichelt, Ing., WaF I c (Mitarbeiter von Trommsdorff). Riml, Franz, (auch gen. Riml von Altrosenburg), Reg. Baurat, Dr.-Ing., 16. 06. 1898–?, Diss. TH München 1932, O, Ref.-Leiter WaF II b. Röseler, Erich, bei Unglück in Vers. West (Tod Wahmke) schwer verletzt.
I. Wer war wer in OKW W Wiss, WaF und am II. Physikalischen Institut?
553
P: zusammen mit Diebner (siehe dort), nach 1955 zahlreiche Aufsätze in Kernenergie, Atompraxis, Isotopenschutz, Spektrum u. a. Fachzeitschriften. Herzog, Ing., Leiter des Betriebsbüros Vers. Gottow. Hilgert, Hans-Joachim, Dr., 14. 01. 1913–?, Diss. Universität Berlin 1938, G, WaF I c, ab? Hinderer, Hermann, Regierungsrat, Dr., 07. 05. 1909–?, Diss. Universität Berlin 1933, O, Habil. TH Berlin, G, Assistent/Dozent II. PI 1932–Ende 1940, danach CTR P: Experimentelle Untersuchungen an Leuchtschirmen. In: Zeitschrift für Physik 1942, S. 397. Hinrichs, Gerd, Dr., 23. 10. 1912–?, Diss. Uni Berlin 1939, G, beteiligt an HL-Sprengversuchen von WaF I b. Hirsch, Dr., Heereskriegsrat bei OKW W Wiss, zuletzt in Forschungsstelle Babelsberg. Hochstein, Heinz (?), Dr., II. PI. Hogrefe, Heinrich, Reg. Ob. Insp., WaF Stab, Leiter Ref. A. Holm, Wilhelm, Ob. Reg. Baurat, Dr. phil., 09.01.1892–?, Diss. 1935, in Bibliographie nicht nachgewiesen, G?, II. PI 1936, WaF 1937. Holtz, Werner, Reg. Baurat d. Res., Dr. phil, 08. 03. 1908–?, Diss. Universität Berlin 1934, O, 1941 als KVR zu WaF, ab August 1944 OKW W Wiss. Hoepner, Stabszahlmeister, WaF, Stab, Ref. C. Hohendorf, Angestellter in Schreibstube Vers. Gottow. Horn, Erich, Reg. Baurat, Dr. rer. nat, 18. 11. 1906–?, Diss. Universität Berlin 1941, G, Versuchsplatz Kummersdorf 1932–1939, danach WaF, Vers. Gottow. Horn, Willi, Dr., 30. 12. 1912–?, Diss. Universität Berlin 1939, G?, II. PI 1939. Leiter akustisch-optische Abteilung. Hülsmann, Siegward, Elektroingenieur, WaF I a, ?–April 1945. Hunke, Heinrich, Dr., 08. 12. 1902, Diss. Universität Halle 1928, O, Zentralstelle 1927–1933. Imgrund, Reinhard, Reg. Baurat, Dipl. Ing. 1932, 20. 01. 1902, Vers. Gottow 1942. Jäkel, Otto, 10. 12. 1903, Vers. Gottow. Jeanson, Johann, Dr., Diss. Universität Berlin 1939, O, II. PI 1936–? Jokisch, Arthur, Technischer Inspektor, II. PI 1934–?, Verwaltungsleiter. Kadow, Johannes, Min.-Rat, Prof. Dr. phil., 26. 03. 1897–?, Diss. Universität Berlin 1926, O, Zentralstelle 01. 11. 1924, danach WaF, zuletzt Leiter WaF V, OKW W Wiss 01. 02. 1945 (keine Habilschrift, Titel verliehen). Kamin, Erwin, Chemotechniker, 05. 10. 1914–?, WaF I a 1939–1942, danach offiziell PTR bzw. RFR, Diebner-Gruppe Stadtilm. Karbaum, Kurt-Günter, Reg. Baurat d. Res. Dr.-Ing., 14. 09. 1913–13. 05. 1945 (nach Kriegsverletzung im Lazarett), Diss. in Bibliographien nicht nachgewiesen, G?, WaF Versuchstrupp Caspar. Kaspari, Rudolf, Dr., 09. 03. 1899–?, Diss. Universität Köln 1928, O, WaF. Kastner, Mechanikermeister, WaF I c, Laborleiter bei Dr. Glimm.
554
Anhang
Klose, Alfred, Prof. Dr., 19. 09. 1895–21. 02. 1953, Diss. Universität Breslau 1921, O, Habil. Universität Greifswald 1922, O, Direktor Institut angewandte Mathematik Universität Berlin, ab September 1939–1945 ständig tätig für WaF P: zahlreiche Beiträge zur Mathematik und Astronomie. Kluge, Wolf, Dr., 25. 12. 1911–26. 04. 1943 (gefallen an der Ostfront), Diss. Universität Berlin 1935, G, II. PI, Wissenschaftlicher Assistent, ab Juli 1935. Kneifel, Sekretärin, II. PI. Koal, Angestellter WaF, Stab, Ref. C. Kölle, Hans Wolfgang, Dr., 17. 03. 1908–?, Diss. Universität Berlin 1938, O, WaF II c, ab?, Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter. Köhler, Walther, Ob. Reg. Baurat, Dr. phil., 17. 08. 1903–?, Diss. Universität Jena 1931, O, WaF ab 08. 01. 1934, zuletzt Leiter WaF I d und e bzw. Vers. N. Köhler, Dr., Chemiker. Krahn, Handwerker bei WaF I a. Krause, Else, langjährige Angestellte WaF, am 28. 06. 1942 tödlich verunglückt. Krüger, A., Schlosser WaF II/Vers. Gottow. Kühr, Werner, Oberstleutnant, 13. 12. 1893–10. 10. 1972, 16. 10. 1939–November 1939 WaF, danach Wehrmachtsfürsorge-Offizier in Jüterbog und Berlin, ab 27. 03. 1944 kommandiert zu OKW W Wiss, B-Feld Ost als Platzwart (bei Kommandantur B-Feld Ost), zuletzt stellv. Kommandant B-Feld Ost. Langer, Ingeborg, verheiratete Gollmick (November 1943), Chemotechnikerin, 06. 01. 1923–April 2006, Techn. Angestellte II. PI ab 01. 04. 1942 bis 31. 10. 1944, Chemisches Labor bei Dr. Möller. Lapa, Angehöriger Werkstatt II. PI. Lindemann, Rudolf, Dipl.-Ing., Dr.-Ing., 23. 03. 1907–?, Diss. Universität Berlin 1937, G, Assistent II. Institut 1934, 1933–1934 Abt. Pharmakologie beim Reichsgesundheitsamt. Matheus, Horst, Dr., 25. 03. 1914–August 1943 (gefallen in Sizilien), Diss. Universität Berlin 1939, G, WaF, Vers. N. 1938. Mentzel, Rudolf, Prof. Dr., Ministerialdirektor, SS-Brigadeführer, 28. 04. 1900–04. 12. 1987, Diss. Uni Göttingen 1925, O, Habil. Uni Greifswald 1933, G, 06. 09. 1939 eingezogen (pro forma) als KVR zu WaF, Gutachter für Kampfstoffe, ab 21. 07. 1944 Wehrdienst (pro forma) bei OKW W Wiss, zuvor wegen „besonderer Aufgaben“ u. k. gestellt, tatsächliche Tätigkeit ab 01. 05. 1939 Amtschef Wissenschaft im REM und ab 1942 Leiter des Geschäftsführenden Beirates des RFR. Mettich, Dr., KVK bei OKW W Wiss., Verbindungsmann zur Zentrale für Ostforschung. Meyer, Erich, 04. 05. 1906–?, Laborant II. PI, ab März 1939. Meyer, Rudolf, Reg. Baurat d. Res., Dipl.-Ing. (Elektrotechnik), 05. 04. 1904–April 1945 (tödlich verunglückt beim Transport von Sprengstoffen), WaF II/Vers. Gottow. Möller, Heinz, Reg. Baurat, Dipl.-Ing., Dr.-Ing., 25. 12. 1907–?, Diss. TH Berlin 1932, O, Habil. TH Berlin 1939, O, WaF ab 1940 (von TH), Ref. Leiter II c. Motz, Hildegard, verheiratete Schumann (nach 1945), Dr., 17. 06. 1906–2005, Diss. Universität Berlin 1935, G?, IWG Oktober 1926–September 1928, danach Studium und ab April 1934 II. PI.
I. Wer war wer in OKW W Wiss, WaF und am II. Physikalischen Institut?
555
Müller, Mechaniker, II. PI, Laborant, ab März 1939. Nämsch, Werner, Dipl.-Chemiker, Dr., 28. 04. 1911–?, Diss. Universität Berlin 1941, G, bis 1936 KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie bei Thiessen, danach WaF, Vers. Gottow. Niehus, Reg. Baurat, Dipl.-Ing. (?), WaF I b (?). Nischk, Kurt, Techn. KVR, Dr.-Ing., 17. 03. 1895, Diss. TH Berlin 1921, O, WaF V d. Otto, Hans George, Dr., 05. 04. 1909–?, Diss. Universität Berlin 1939, G, II. PI 1935–1938, danach wahrscheinlich TAL P: Notiz zum Kristallsystem des Knallquecksilbers. In: Schieß- und Sprengstoffe 1943, S. 85. Otto, Johannes, Reg. Baurat, Dr. Phil., 04. 03. 1910–?, Chemiker, Diss. 1935, bibliographisch nicht nachgewiesen, G?, eventuell identisch mit jener, die im Schrifttum G-Diss. Seifert erwähnt (vgl. Anhang II: Geheimdissertationen), WaF 1940. Pagel, Oberfeldwebel, Stab WaF, Ref. B. Peitz, Martin, Reg.-Baurat, Dipl.-Ing. (Eisenhüttenkunde), 14. 04. 1899–?, Vers. Gottow 1937. Peters, Gerhard, Dr., Diss.?, WaF V b P: Entwicklung der Waffentechnik. In: Technik der Neuzeit, Bd. 21. Potsdam 1941, H 4/5, S. 192 ff., eventuell auch über Kampfstoffe. Pietsch, Erich, Dr., Chemiehistoriker, 06. 05. 1902–09. 04. 1979, Diss. Universität Berlin 1926, O, als Leiter der „Gmelin-Redaktion“ nach Kriegsausbruch (Zeitpunkt?) als KVR eingezogen zu OKW W Wiss, zuletzt dort Heerskriegsrat, zuständig u. a. für Institut für Deutsche Ostarbeit, Leiter „Forschungsstelle Babelsberg“. Pistorius, Werner, Reg.-Baurat, Dr.-Ing., 14. 05. 1904–?, Diss. TH München 1937, O, Ref.-Leiter WaF II a, 1937. Plas, Wilhelm (Österreicher), 10. 05. 1894–15. 11. 1978, Oberst, Dipl.-Ing., Prüf 1 1939–1945, danach letzter Chef WaF 15. 02.–08. 05. 1945. Pfefferkorn, Gerhard, Dr., 13. 01. 1913–29. 06. 1989, Diss. Universität Berlin 1938, O, II. PI. Plumeyer, Wolfgang, Dr., 11. 03. 1910–?, Diss. Universität Berlin?, G?, Habil. TH Berlin, WTF, 1941/42, G, II. PI 1932–?. Rackow, Paul, Reg. Rat, Dr. phil., 25. 09. 1894–?, Diss. Universität Berlin 1926, O, WaF V a 01. 10. 1942 bzw. OKW W Wiss. Rackwitz, Heinz, Ing. 01. 10. 1912–?, WaF I a, danach Diebner-Gruppe Stadtilm. Rehbein, Fritz, Dr., 29. 10. 1912–?, Diss. Universität Berlin 1943, O, seit 1939 KWI f. Chemie, dort Arbeit für WaF I a, nach 1943 Diebner-Gruppe Stadtilm P: Verstärker und Netzgerät. In: Chem. Techn. 29 (1942), S. 15; Über Massenspektrometer. In: Die Naturwissenschaften 31/1942, S. 235 und 31/1943, S. 235, Mechanische Zählwerke. In: Physikalische Zeitschrift 45/1944, S. 126. Reichelt, Ing., WaF I c (Mitarbeiter von Trommsdorff). Riml, Franz, (auch gen. Riml von Altrosenburg), Reg. Baurat, Dr.-Ing., 16. 06. 1898–?, Diss. TH München 1932, O, Ref.-Leiter WaF II b. Röseler, Erich, bei Unglück in Vers. West (Tod Wahmke) schwer verletzt.
556
Anhang
Sachsse, Günther, Reg. Baurat, Dr. phil., 03. 08. 1910–02. 04. 2001, Diss. Universität Leipzig 1935, O, WaF I b 1937. Sauter, Eva, Dipl.-Physikerin, Dr., 25. 10. 1921–?, Diss. Universität Tübingen 1948, O, Assistentin bei Schumann, II. PI, 1942, danach KWI f. Physik, Arbeit an Diss. (durch Kriegsende unvollendet) bei Prof. Schüler. Schall, Rudi, Dr., 29. 11. 1913–2002, Diss. Universität Berlin 1937, O, Assistent II. PI (zuerst Gebiet Akustik, danach Sprengphysik) ab 1937 P: nach 1945 zahlreiche Artikel über Röntgenblitzfotografie, Kurzzeitphotographie und Detonationsvorgänge (WTM 1957, Soldat u. Technik 3/1961, Zeitschrift für Physik, 6 und 8/1952 u. a. Fachzeitschriften), Wissenschaft und Technik in der Nato. In: Jahrbuch der Wehrtechnik 3/1968, 1980–1982 Anmeldung mehrerer Patente zur HL u. ä. Schellhoß, Hans, Dr., 31. 12. 1905–1978, Diss. Uni Göttingen 1932, O, WaF, Vers. N, ab?, danach Prüf 7 P: Zwei Patente: Modulation Scheinwerferlicht, Optische Überwachung Gesichtsfeld 1939. Anmeldung von Patenten zur Radartechnik nach 1945. Schlicht, Wilhelm, Oltn., Dipl.-Physiker, Dr., 13. 02. 1913–?, Diss. Universität Berlin 1939, G, WaF Chef Studentenkompanie. Schlottau, Rolf, Ing., Inspektor, vom RFR um 1943 (?) zu WaF I a, Diebner-Gruppe Stadtilm. Schmidt, Marianne, Chemotechnikerin, Chemisches Labor II. PI, 01. 04. 1942–1945. Schmilewski, Ing. WaF I c, Aufbau Prüfstand. Schmude, Bismarck, Major, 05. 10. 1897–?, kaiserliches Heer bis 1920, danach kaufmännische Ausbildung und Angestellter Maschinefabrik Grossert, 1934 reaktiviert, 01. 08. 1935–31. 03. 1936 Aufbau Vers. Ost, danach militärischer Leiter Vers. Ost in Kummersdorf. Schneidereit, Rudolf, Dr., 08. 01. 1913–?, Diss. Universität Berlin, G, später O, Wissenschaftliche Hilfskraft, II. PI ab 18. 11. 1939, ab 01. 01. 1942 Wissenschaftlicher Angestellter. Schönwald, Bernhard, Reg. Baurat, Dr. rer. nat., 22. 08. 1907–20. 04. 1945 (gefallen im Stadtgebiet Berlin), Diss. Universität Erlangen 1933, O, Habil. Universität Prag 1943, O, WaF, Leiter Ref. I f P: Mehrere Beiträge in Das Licht (u. a. 9/1939, S. 197, 11/1941, S. 15), Sichtregistriergerät Junginger. In: Zeitschrift für technische Physik 1942, S. 30 ( mit Th. Müller). Schopenhauer, Abgestellter WaF II, bei Leiter Eschenbach. Schulz (aus Dorf Stülpe b. Kummersdorf), WaF I a, Laborant/Hilfsarbeiter. Schulze, Ortwin, Dr., 14. 04. 1920–1991, Diss. Universität Berlin 1944, G, II. PI 1942, WaF 1943. Schumann, Erich, Min-Dir., Prof. Dr. Dr. phil, 05. 01. 1898–25. 04. 1985, Diss. Universität Berlin 1922, O, 2. Diss. nicht ermittelt, TH Berlin?, eventuell G, Habil. Universität Berlin 1929, O, Zentralstelle seit 01. 06. 1926, danach Chef WaF bis Ende 1944, Direktor II. PI ab 1934, Chef OKW W Wiss 1938–08. 05. 1945 P: Akustik. Breslau 1925 (unter „Karl Erich Sch.“); Wehrmacht und Forschung. In: Donnevert (Hg.): Wehrmacht und Partei. Leipzig 1939, S. 133 ff. Schwarz, WaF, Leiter Registratur. Schweikert, Gustav, Min. Rat, Prof. Dr. phil, 01. 03. 1890–?, Diss. Universität Bonn 1914, O, Habil. Uni Prag?, 1917/18 MVA, danach ZS und übernommen von WaF, zuletzt Leiter WaF IV
I. Wer war wer in OKW W Wiss, WaF und am II. Physikalischen Institut?
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P: Innere Ballistik 1923; Zur Theorie der Detonation. In: Zeitschrift für das gesamte Schieß- und Sprengstoffwesen 10/1936; Detonation von Sprengstoffen. In: Zeitschrift für das gesamte Schießund Sprengstoffwesen 2, 6, 7/1934, Patente: Netzanschlussgerät 1934, Abstimmbare Siebkette 1935. Schwietzke, Werner, Reg. Baurat d. Res., Dr. phil., 02. 03. 1910–?, Diss. Universität Berlin 1937, O, WaF ab 10. 08. 1940, OKW W Wiss ab 15. 08. 1944 (blieb angeblich Mitarbeiter II. PI). Seibt, Kurt, WaF II/Vers. Gottow, Schweißer. Sommers, Hans, Chemiker, 07. 09. 1914, Spezialist für Flourchemie, wahrscheinlich Mitarbeiter bei Dr. Glupe, WaF II c. Spengler, Ing., Kriegstechniker, WaF I d, e (Vers. N) ab? Steinmann, WaF I b, Vers. Gottow (bei Sprengstoffversuch beide Hände verloren). Stenzel, Wilhelm, Dr., 28. 08. 1912–?, Diss. Universität Berlin 1938, G, WaF I c, ab? Sunkel, Reinhard, Ministerialrat, Dr.?, 09. 02. 1900–08. 05. 1945, WaF, Stab, zuständig in Paris für Zyklotron. Thiel, Walter, Dipl.-Ing., Dr.-Ing., 03. 03. 1910–18. 08. 1943 (Angriff auf Peenemünde), Diss. TH Breslau 1935, O, WaF ab (?) bis 1936/37, danach Wa Prüf 11/Peenemünde. Trinks, Walter, Ob. Reg. Baurat, Dr. phil., 14. 11. 1910–?, Diss. Universität Berlin 1935, O, Habil. TH Berlin 1944 (G), WaF ab 1936 (?), zuletzt Leiter Ref. I b, P : nach 1945 Beiträge in militärischen Fachzeitschriften zur Hohlladung (Soldat und Technik 7/1969, Waffenlexikon 1808-100-1) und Kernexplosion (WTM 1966, S. 449; Soldat und Technik 4/1962). Tönnies, Wilhelm, Dr., 18. 01. 1898–?, Diss. Universität Berlin 1935, G?, Zentralstelle Oktober 1927–September 1928, anschließend Studium und ab April 1935 freiberuflich für II. PI, ab 1940 am II. PI Assistent. Trögel, Inspektor, WaF I c. Trogisch, technische Kraft, WaF I c. Trommsdorff, Wolf, Dr., 09. 09. 1904–?, Diss. Universität Göttingen 1935, O, WaF I c ab 1935 P: 1940 Stielhandgranate, wahrscheinlich noch weiteres Geheimpatent. Nach 1945: Staustrahltriebwerk. In: Zeitschrift für Flugwissenschaft 9/1954, Diffussoren. In: Luftfahrttechnik 12/1960, Feststoffraketen. In: Luftfahrt 2/1959 sowie weitere einschlägige Beiträge (Bibliographie in: DVL-Berichte, Nr. 100), Raumfahrt und Waffentechnik“. In: Wehrkunde 6/1959, Technischer Krieg. In: Wehrkunde 5/1960. Patente 1955 und 1980. Ulle, WaF I a, Sekretärin. Utermark, Walter?, Dr., Diss?, KVR bei OKW, W Wiss. Veldung, Erich, WaF II c, technischer Mitarbeiter. Venzke, Günther, Dipl.-Physiker, Dr., 22. 10. 1910–?, Diss. Universität Berlin 1935, G, Assistent II. PI ab 1934. Voellmke, Heinz, Oberfeuerwerker, WaF, tödlich verunglückt 16. 07. 1934 (mit Wahmke). Wahmke, Kurt, Dr., 02. 03. 1904–16. 07. 1934 (tödlicher Unfall bei Versuch in Vers. West), Diss. Universität Berlin 1933, G, WaF ab 1932 (?).
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Anhang
Warmbier, Uschi, WaF I, Sekretärin bei Basche. Weidig, WaF, Stab B, Angestellter. Weil, Dipl.-Kaufmann, Dr., Diss.?, WaF I a, ab 1939? Weiss, Reg. Baurat, II. PI. Wicht, Hans-Heinrich, Reg. Baurat d. R. des Heeres, Dipl.-Ing. (TH Hannover), Dr.-Ing., 02. 02. 1907–?, Diss. TH Hannover 1937, O, 8/36 wiss. Hilfsarbeiter im RKM, Vers. N. Wienskowski, von, WaF, Sekretärin. Wille, Inspektor, WaF, Stab (Veraltungsaufgaben), ab 1941. Winkel, verheiratete Gießmann, Laborantin, Sekretärin bei WaF I c. Winkhaus, Hans, Prof. Dr., 31. 05. 1896–1962, Diss. Universität Berlin 1930 abgeliefert, bestätigt jedoch erst 21. 11. 1939, da nach Fertigstellung Sonderaufgaben für Schumann, O, ZS, Referent 1930–1933, danach TH Berlin, Prof. für Gerätetechnik, führend beim Aufbau WTF. Wittkopf, Hans, Reg. Baurat, Dr. rer. nat. tech., 28. 07. 1911–?, Diss. TH Berlin 1937, G, WaF, Stab, Ref. E, ab 01. 06. 1940. Wolfschlag, Magda, WaF I c, Sekretärin bei Glimm 1943, nach Heirat mit W. (Studentenkompanie) 1944 ausgeschieden. Wörner, Theodor, Oltn. d. Res., Dipl.-Ph., Dr., 23. 06. 1917–?, Diss. Universität Berlin April 1945, G, II. PI 1944. Wolk, Kurt, Dr., 10. 05. 1918–?, Diss. Universität Berlin 1938, G, II. PI (oder WaF?) ab 1940, beteiligt an sprengphysikalischen Arbeiten. Würfel, WaF, Sekretärin. Zadrazil, Angestellter in Schreibstube Vers. Gottow. Zdrojewski, WaF, Angestellte, Vorzimmer Schumann. Zehler, WaF IV, Angestellte, Vorzimmer Schweikert. Ziege, April 1945 bei Kämpfen in Kummersdorf gefallen, WaF, Vers. Gottow, Hilfsarbeiter. Ziegenbalg, männliche Hilfskraft II. PI. Zöllner, Robert, Techn. Inspektor, 20. 08. 1905–?, WaF I d und e, ab 1938.
II. Geheimdissertationen am II. Physikalischen Institut
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II. GEHEIMDISSERTATIONEN AM II. PHYSIKALISCHEN INSTITUT Wissenschaftliche Geheimarbeiten (insbesondere Habilitationsschriften und Dissertationen), vorgelegt von 1933 bis 1945 an der Universität Berlin, überwiegend betreut bzw. angenommen von den Proff. Schumann, Thiessen und Wehnelt. Angehörige von WaF, die an anderen Einrichtungen Geheimdissertationen vorlegten (z. B. Bergau oder Glupe) wurden hier nicht aufgenommen.
1. Becker, Dietrich: (Diss.), 28. 01. 1917 „Experimentelle Bestimmung von Änderungen des optischen Brechungsindexes in einem Ultraschallfeld in Luft“ geheim, 1944, Schumann/Klose Anmerkung: Geheimhaltung wurde von Schumann in seiner Eigenschaft als Chef OKW/AWA/W Wiss verfügt. Verfasser bat im November 1950 Humboldt-Universität um Bestätigung der erfolgten Promotion, da er keine Originaldokumente im Besitz hatte. Quelle: Promotionsunterlagen AHUB. 2. Becker, Kurt: (Diss.), 27. 12. 1906 „Über Versuche zur Ermittlung von Detonationstemperaturen“ geheim, 1934, Schumann/Wehnelt Anmerkung: Schumann schrieb zu dieser Arbeit: „Es werden Molekulargeschwindigkeiten der Zersetzungsgase von im Vakuum detonierenden Initialsprengstoffen gemessen, daraus Rückschlüsse auf die bei dem Zerfallsvorgang wirksamen Temperaturen gezogen. Als wesentliches Resultat ergibt sich, dass die bisher in Ansatz gebrachten Explosions-Temperaturen zu niedrig sind, und mit ziemlicher Sicherheit das Mehrfache betragen. Die benutzte Messmethode erlaubt nicht eine genaue Analyse der Zerfallsvorgänge; die gemessenen Werte werden höchstwahrscheinlich den leichtesten Elementen zuzuschreiben sein. Die angegebenen Temperaturwerte sind daher nur als vorläufig zu betrachten. Das Ergebnis zeigt jedoch, dass die bisher benutzten thermodynamischen Messmethoden für die Beurteilung von Detonationsvorgängen nicht ausreichend sind. Der Untersuchung kommt daher grundsätzliche Bedeutung zu.“ Quelle: Promotionsunterlagen, AHUB, Phil. Fak., 759. 3. Bock, Alfred: (Diss.), 04. 12. 1913 „Spezielle Temperatur- und Strahlungsmessungen“ geheim, 1938, Schumann/Wehnelt 4. Böhme, Horst: (Habil.), 30. 05. 1908 „Untersuchungen über Thioäther“ geheim, 1938 Anmerkung: Der tatsächliche Titel lautete: „Darstellung und Eigenschaften hologenierter Thioäther“ und behandelte ein Thema der chemischen Kampfstoffe. Bei der wissenschaftlichen Aussprache zur Annahme der Schrift waren u. a. anwesend Thiessen und Günther. Die Einstufung als Geheim erfolgte durch WaF V, bestätigt durch Schumann. Außerdem forderte WaF die Schrift an, da sie „dringend benötigt wird“. Der Pharmazeut Böhme arbeitete seit 1936 mit dem HWA zusammen und leitete seit 1938 eine nicht näher bezeichnete „Außenstelle des HWA“.
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Anhang
Quelle: Schmaltz: Kampfstoff-Forschung, S. 159–161; BAB, R 4901/12877, Bl. 32–36, 93–101 sowie BDC, DS 27 und DS A 7. 5. Boseck, Karl-Heinz: (Diplomarbeit), 11. 12. 1915 „Untersuchungen zur Außenballistik von Spezialgeschossen“ geheime Reichssache, 1944, Schumann/Klose Anmerkung: Schumann beantragte namens des OKW beim REM, Ende 1944, dass die von Boseck vorgelegte Abhandlung als Diplomarbeit anerkannt wird. Quelle: BAB, R 4901/12850, Bl. 253. 6. Braun, Wernher von: (Diss.), 23. 03. 1912 „Über Brennversuche“ geheim, 1934, Schumann/Wehnelt Anmerkung: Der tatsächliche Titel lautete: „Konstruktive, theoretische und experimentelle Beiträge zu dem Problem der Flüssigkeitsraketen“ (im Original abgekürzt: Fl.R). Ein vollständiger Nachdruck erschien in: Raketentechnik und Raumfahrtforschung, Sonderheft 1, o. J. (etwa 1960). 7. Diekmann, Erich: (Diss.), 22. 05. 1909 „Beiträge über Untersuchungen von Verbrennungserscheinungen“ geheim, 1940, Schumann/Thiessen 8. Dinse, Bernhard: (Diss.), 20. 01. 1909 „Über die Geeignetheit des Überlagerungsverfahrens als subjektives oder objektives Peilkriterium“ geheim, 1935, Schumann/Wehnelt Anmerkung: Die Experimente für diese Arbeit erfolgten überwiegend auf dem „Prüffeld in Kummersdorf“. Die bereits im Februar 1934 fertig gestellte Schrift musste „wegen militärischer Wünsche nochmals umgearbeitet“ werden. Quelle: Promotionsverfahren Dinse, AHUB. 9. Döring, Hasso: (Diplomarbeit), 03. 03. 1920 „Messung der Ausbreitungsgeschwindigkeit von Verdichtungsstößen und Schwaden in Flüssigkeiten“ geheim, 1945, Schall Anmerkung: Das tatsächliche Thema lautete: „Röntgenblitzuntersuchungen zur Ausbreitung von Detonationsschwellen und Schwaden in Flüssigkeiten“. Quelle: Mitteilung von Dr. Döring am 02. 01. 2003. Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129) notierte dazu: „In dieser Arbeit wurden Sprengstoffstäbchen von 60 mm Länge und Querschnitt von 15 x 15 mm mit einem in Celluloid eingehülltem Wasser verbunden. Es konnte gezeigt werden, dass im Wasser die von der Detonation ausgebildete Druckwelle langsam ihre Geschwindigkeit, ausgehend von 7.000 Meter/sec verkleinert. Ein Röntgenblitz dauert etwa10–7 Sekunden. Mit ihm konnten Geschwindigkeiten von 8 x 105 cm/sec im Sprengkörper gemessen werden, wobei als Zeitmarke eine in einem Stück Zündschnur mit konstanter Geschwindigkeit sich ausbreitende Welle diente.“
II. Geheimdissertationen am II. Physikalischen Institut
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10. Dziergwa, Herbert: (Diss.), 19. 12. 1909 „Ein Verfahren zur Kurzzeitmessung“ geheim, 1938, Schumann/Wehnelt 11. Donati, Marie-Louise: (Diss.), 23. 01. 1916 „Eine neue Methode zur Bestimmung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit von Ultraschallwellen in atmosphärischer Luft“ geheim, 1943, Schumann/Wehnelt 12. Förster, Siegfried: (Diss.), 18. 11. 1907 „Untersuchung der akustischen Struktur der englischen Vokale“ geheim (?), 1936, Schumann/Horn Anmerkung: Die Diss. ist weder an der Berliner Universität noch an anderen Einrichtungen vorhanden sowie in Bibliographien nicht nachweisbar. Ein ausdrücklicher Hinweis auf eine Geheimschrift existiert nicht. Die „äußerst wertvolle Arbeit“ (Schumann) befasste sich erstmals mit der von Prof. Stumpf geschaffenen Methode der Vokalanalyse, angewandt auf englische Vokale. Quelle: Promotionsverfahren und PA Förster, AHUB. 13. Freiwald, Heinz: (Diss.), 19. 04. 1911 „Beiträge zum Verhalten von Peroxyden in Gegenwart katalytisch wirksamer Substanzen“ geheim, 1938, Schumann/Thiessen Anmerkung: Der tatsächliche Titel lautete: „Über Eigenschaften von hochprozentigem Wasserstoffsuperoxyd und Beiträge zu seinem Verhalten in Gegenwart von Katalysatoren“. Gegenstand der Dissertation war die „Herstellung von 90–100%igen H2O2“ (H2O2 = Wasserstoffsuperoxyd, vgl. Kapitel 13). F. prüfte das Verhalten bei Erwärmung, Erschütterung, Stoß, Initialstöße durch Sprengkapseln bzw. detonierende Sprengstoffe, Einwirken auf Metalle (Korrosion). Die Zersetzung wurde für zwei Zwecke untersucht: a) Verwendung als Sauerstofflieferant in Atemgeräten, b) Antrieb von Turbinen, Raketen und ähnliches. Als Detonationsgeschwindigkeit wurden bei 100%igen H2O2 6.600 m/sec. ermittelt. Die Sprengversuche erfolgten gemeinsam mit Haeuseler. Quelle: Geheimdissertation Freiwald, BA-MA, RH 8/v 1463. Haeuseler gibt in seinem Beitrag in: Explosivstoffe 6–7/1953, S. 67, einige Hinweise auf den Inhalt der Dissertation. 14. Freytag, Karl-Heinz: (Diss.), 11. 08. 1912 „Versuch einer gaskinetischen Herleitung von Strömungsgeschehen durch Blenden“ geheim, 1938, Schumann/Wehnelt/Klose 15. Garve, Kurt: (Diss.), 07. 05. 1910 „Zur Außenballistik von Spezialgeschossen“ geheim, 05. 03. 1945, Klose/Ortmann Anmerkung: G. gehörte seit Mai 1937 dem HWA an und war wissenschaftlicher Sachbearbeiter bei Wa Prüf 1/A/1 (Prüf 1 = Ballistik und Munition). General Schneider erteilte G. am 09. 11. 1943 die Genehmigung zum Beginn der Arbeit „Außenballistik am Raketengeschoss“. Noch während der Arbeit an der Dissertation wurde beim Patentamt Schutzanspruch über einen „Flugbahnzeichner für Schauversuche“ angemeldet, der „Wehrmathematischen und physikalischen Lehrzwecken“ dient.
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Klose urteilte u. a.: „Die Arbeit stellt einen Versuch dar, die klassischen Methoden der Außenballistik auf gewisse Spezialgeschosse anzuwenden. Der mathematische Apparat ist ganz auf die praktischen und numerischen Anwendungen ausgerichtet.“ Quelle: Promotionsunterlagen AHUB, sowie BAB, R 4901/12850, Bl. 259. 16. Giebler, Gerhard: (Diss.), 27. 03. 1910 „Untersuchungen über die Absorptionsfähigkeit von Kohle“ geheim, 1938, Schumann/Thiessen Anmerkung: Gegenstand dieser Dissertation war die Erforschung von Ursachen für die Detonation von „Schwarzpulverpreßlingen“, die für Versuche mit Feststoffraketen verwandt wurden (siehe auch Diss. von Stenzel, Pos. 55). Quelle: E. Haeuseler: Zur Geschichte der Raketenforschung. In: Weltraumfahrt 4/1956, S. 105 f. 17. Glimm, Heinz-Otto: (Diss.), 04. 01. 1911 „Ballistische Untersuchungen“ geheim, 1935, Schumann/Wehnelt Anmerkung: Der tatsächliche Titel lautete: „Über die Rückstoßkraft von Gasstrahlen, die durch explosive Verbrennungen moderner kolloidaler Pulver in einer Bombe mit Ausströmöffnung erzeugt werden“. Die Arbeit befasst sich mit grundlegenden Fragen des Raketenantriebes und wurde im Mai 1932 begonnen. Sie stellt eine experimentelle Überprüfung der von Schweikert aufgestellten „Theorie über den Zusammenhang zwischen Innendruck und Rückstoß“ dar, konstatiert dazu einen Widerspruch zu den experimentellen Ergebnissen und formuliert ein „von Schweikert abweichendes Gesetz des Druckabfalls, dessen experimentelle Prüfung noch aussteht“. Eine Kopie dieser Arbeit rettete Diplomphysiker C. C. Cobarg (Angehöriger der Studentenkompanie) bei Kriegsende. 1999 konnte der Autor den Kontakt zu Cobarg herstellen, der dankenswerter Weise sofort sein Exemplar zur Verfügung stellte und gestattete, dass sowohl die Tochter von Dr. Glimm, das Archiv der Humboldt-Universität, als auch der Autor eine Kopie von der Zweitschrift der Dissertation erhielten. 18. Gratkowski, Hans Wolf v.: (Diss.), 06. 12. 1915 „Untersuchungen über Komplexe saurer Salze“ geheime Kommandosache, 1941, Schumann/Thiessen 19. Groll, Gustav: (Diss.), 18. 04. 1892 „Über ein Ortungsgerät“ geheim, 1937, Schumann/Wehnelt/Klose Anmerkung: Glagow notierte am 08. 07. 1937, dass der Doktorand 1936 bei Schumann mit dieser Untersuchung begann, die sich mit einem „Flugabwehr-Kommandogerät, Flakog“ befasste. Das abgedeckte Thema legte Glagow fest. Quelle: Promotionsunterlagen AHUB. 20. Haase, Ernst: (Diss.), 26. 12. 1914 „Untersuchungen an Leuchterscheinungen von Sprengstoffschwaden“ geheim, 1942, Schumann
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21. Haeuseler, Ernst: (Diss.), 17. 05. 1912 „Über die Detonation flüssiger Sprengstoffe“ geheime Reichssache, 1938, Schumann/Wehnelt Anmerkung: Inhalt der Dissertation war die Entdeckung einer „dritten Detonationsgeschwindigkeit in flüssigen Sprengstoffen“. Eine Kurzfassung ist enthalten in E. Haeuseler: Über die Detonation flüssiger Sprengstoffe, insbesondere auf der Basis von Wasserstoffsuperoxyd. In: Explosivstoffe 6– 7/1953, S. 64–68. 22. Heim, Linus: „Untersuchungen über Geschosstreibmittel“ geheime Reichssache, 1944, Schumann/Klose Anmerkung: Schumann beantragte namens der OKW beim REM Ende 1944, die von Heim vorgelegte Abhandlung als Diplomarbeit anzuerkennen. Quelle: BAB, R 4901/12850, Bl. 251. 23. Heinrich, Karl-Heinz: (Diss.), 10. 10. 1914 „Fernsteuerung zweidimensionaler Bewegungen mit einem Halbleiter-Flächenwiderstand und die Amplitudenmodulation pulsierender Gleichspannung“ geheim, 1938, Schumann/Wehnelt/Klose Anmerkung: Das Patentamt in Berlin Tempelhof erteilte dazu bereits am 24. 02. 1936 die Patentschrift Nr. H 147343 VIII a/21 a 1, 2. Quelle: Promotionsunterlagen, AHUB. 24. Hensel, Gerhard: (Diss.), 19. 11. 1911 „Messung der Ionisation in Gasentladungen“ geheim, 1938, Schumann/Wehnelt/Klose Anmerkung: Die Arbeit „war mit der Entdeckung des Effektes der mechanischen Ionentrennung“ verbunden, in: WTM 1963, S. 432, Nachruf auf „Ministerialrat Dr. Hensel“. 25. Hinderer, Hermann: (Habil.), 07. 05. 1909 „Ein tragbarer Kathodenoszillograph für Mehrfachaufnahmen“ geheim, 1936, Schumann/Wehnelt Anmerkung: Gegenstand der Schrift war eine von H. entwickelte Apparatur, die vom Chef des HWA, General Becker, als „geheimes Gerät der Schallmessung“ vorgesehen war. Ab Ende 1937 wurde die Geheimhaltung aufgehoben. Die Arbeit ist jedoch im Original nirgends erhalten. Quelle: Habilitationsverfahren, AHUB. 26. Hilgert, Hans-Joachim: (Diss.), 14. 01. 1913 „Untersuchungen über turbulente Strömungsvorgänge in Röhren“ geheim, 1938, Schumann/Wehnelt Anmerkung: Gegenstand waren Messungen an Brennkammern und Brenndüsen zur Entwicklung von Flüssigkeitstriebwerken für die Raketentechnik. Quelle: E. Haeuseler: Zur Geschichte (wie bei Pos. 21).
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27. Hinrichs, Gerd: (Diss.), 23. 10. 1912 „Untersuchungen über Achtermikrophone“ geheim, 1939, Schumann/Wehnelt 28. Horn, Erich: (Diss.), 18. 01. 1906 „Theorie des Flüssigkeitsschlages“ geheim, 1941, Schumann/Wehnelt 29. Horn, Willi: (Diss.), 30. 12. 1912 „Einfluss der Interferenzfähigkeit des Lichtes auf die Abbildung von Ultraschallwellen, insbesondere in Gasen“ Wahrscheinlich geheim, 1940, Schumann/Wehnelt Anmerkung: In Promotionsunterlagen AHUB nicht vorhanden, jeder Hinweis auf Verbleib fehlt. In Bibliographien nicht nachweisbar. 30. Ihringer, Max: (Diss.), 11. 10. 1904 „Reflexionsmessungen im Ultrarot an aufgestäubten und aufgedampften Metallschichten“ geheim, 1937 Schumann/Wehnelt Anmerkung: Der Verfasser, Mitarbeiter im Hauptamt der Ordnungspolizei, begann 1934 mit dieser Arbeit am II. PI. Durch OKW W Wiss wurde am 19. 01. 1943 die festgelegte Geheimhaltung bekräftigt, da das tatsächliche Thema „Herstellung von aufgedampften und aufgestäubten Rhodiumschichten und Messungen des Reflektionsvermögens im Ultrarot“ dies erfordere. Quelle: Promotionsunterlagen, AHUB. 31. Kesslau, Helmuth: (Diss.), 22. 11. 1911 „Chemische Untersuchung über die Verbrennung von Pulvern“ geheim, 1944, Schumann/Thiessen Anmerkung: Der Doktorand, Chemiker bei der Fa. Düneberg/Dynamit AG, nahm durch Vermittlung Schumanns ab 1940 die Arbeit an der Dissertation auf. Ihr tatsächliches Thema lautete: „Chemische Untersuchung moderner rauchschwarzer Pulver im Geschütz und in der Bombe“. Quelle: Promotionsunterlagen, AHUB. 32. Klemt, Martin: (Diss.), 02. 11. 1913 „Methode zur Bestimmung von Schallgeschwindigkeiten in stabförmigen Körpern kurzer Länge“ geheim, 1938, Schumann/Wehnelt 33. Kluge, Wolf: (Diss.), 25. 12. 1911 „Untersuchungen über Restladungserscheinungen“ geheim, 1935, Schumann/Wehnelt Anmerkung: In den Unterlagen findet sich lediglich der Vermerk „Text und Titel geheim“. Schumann prüfte den Kandidaten vor allem zu Photoeffekt, Lichttheorie, Lichtbogen, Gasentladung. Quelle: Promotionsunterlagen, AHUB.
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34. Köhler, Karl-Heinz: (Diss.), ? „Untersuchungen von Kohlestaubexplosionen“ geheim, 1944 oder 1945, wahrscheinlich Schumann Anmerkung: „Ziel war es, Bedingungen zu finden, unter denen Kohlenstaubexplosionen zum Austreiben von Geschossen eingesetzt werden können.“ Quelle: Mitteilung von Dr. Köhler (verst. 2002) am 20. 04. 2002. Promotionsunterlagen existieren im AHUB nicht. Die geheime Diplomarbeit Köhlers: „Untersuchungen zur Möglichkeit der Zündung von Sprengstoffen auf lichtelektrischem Wege“ wurde wahrscheinlich 1943 angenommen (Mitteilung Luck, ohne Einzelheiten). 35. Koschitzki, Herbert: (Diss.), 06. 02. 1902 „Untersuchungen über Methoden zur Messung hoher Gasdrücke“ geheim, 1938, Schumann/Wehnelt 36. Krass, Fritz: (Diss.), 15. 03. 1914 „Untersuchung des Einflusses von Pendelungen auf die Ballistik des Bombenwurfes“ geheim, 1939, Klose/Vahlen Anmerkung: K. realisierte seine Untersuchungen an Bord von Flugzeugen und bearbeitete damit ein „wenig geklärtes Gebiet der Ballistik“. Schardin vom Ballistischen Institut der TAL teilte am 19. 03. 1939 mit, dass von der Dissertation das RLM, LC 7 und LC 1, die Forschungsanstalt für Luftfahrt, Braunschweig, die Erprobungsstelle Rechlin sowie Rheinmetall-Borsig, Düsseldorf, informiert wurden. Quelle: Promotionsunterlagen, AHUB. In den FIAT-Berichten, Mathematik, Bd. 2, Teil 1, S. 151, wird auf diese Diss. hingewiesen. 37. Krause, Heinz: (Diss.), 14. 12. 1910 „Bestimmung der Thermokräfte einiger Legierungen“ geheim, 1937, Schumann/Wehnelt Anmerkung: Die Arbeit mit dem eigentlichen Thema: „Bestimmung der Thermokräfte einiger Tellurlegierungen“ begann im November 1934 bei Schumann. Quelle: Promotionsunterlagen, AHUB.
38. Kühne, Hans: (Diss.), 08. 09. 1919 „Untersuchung der Struktur und der Zersetzung von Bariumazid mit Hilfe von Röntgen- und Elektronenstrahlen“ geheim, 12. 04. 1945, Schumann/Klose Anmerkung: Die Arbeit diente der Klärung von Ursachen der bekannten „besonderen sprengstofftechnischen Eigenschaften des Bariumazids“. Quelle: Halbseitiger Vermerk Schumanns vom 12. 04. 1945 in den Promotionsunterlagen des AHUB, vollständig zitiert im Kapitel 18 bei „Forschungsstelle Lebus“. 39. Leeder, Gerhard: (Diss.), 25. 12. 1918 „Röntgenographische Untersuchungen der thermischen Zersetzung des Silberazids“ geheim, 1944, Schumann/Klose
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40. Lemcke, Kurt: (Diss.), 09. 03. 1913 „Über Hörschwelle nach Schwebungsversuchen“ geheim, 1937, Schumann/Wehnelt 41. Linde, Dietrich: (Diss.), 22. 07. 1909 „Untersuchungen über die Durchlässigkeit und Reflexion verschiedener Rußarten im sichtbaren und ultraroten Spektralbereich“ geheim, 1936, Schumann/Wehnelt 42. Ludwig, Günter: (Diss.), 12. 01. 1918 „Günstigste Wahl der Koeffizienten eines charakteristischen Polynoms, das die Stabilität eines schwingungsfähigen physikalischen Systems beschreibt“ geheim, 1943, Schumann/Klose Anmerkung: Gegenstand war ein mathematisches Thema der Raketenballistik, das in Peenemünde bearbeitet wurde. Quelle: Promotionsunterlagen, AHUB; Begehr (Hg.): Mathematik in Berlin, 1. Halbbd., Aachen 1998, S. 298 f. 43. Matheus, Horst: (Diss.), 29. 03. 1914 „Stabilisierung von Hochfrequenzsendern“ geheim, 1938, Schumann/Wehnelt 44. Müller, Reinhard: (DA) „Messung der dynamischen Kompression bei Stoßwellen in Flüssigkeiten nach der Röntgenmethode“ geheim, 1944, Schall Anmerkung: Laut Luck „verfolgte Müller die durch Sprengstoff ausgelösten Stoßwellen in Wasser, Alkohol, Aceton und Ether in verschiedenen Abständen und identifizierte sie als nichtadiabatisch. An den Flüssigkeitsgrenzen wurde eine Teilreflexion der Detonationswellen beobachtet.“ 45. Möller, Kurt: (Diss.), 27. 02. 1896 „Über die Störung der Ausbreitung elektromagnetischer Wellen“ geheim, 1938, Schuhmann/Wehnelt Anmerkung: M. wurde Anfang 1917 Mitarbeiter bei der neu gegründeten Technischen Abteilung für Funkgeräte und war beauftragt mit dem „Bau von Richtfunkgeräten in Richtempfangsstationen (Funk-Peil-Stellen)“. Nach deren Abwicklung am Ende des Krieges erhielt M. im Mai 1919 die Aufgabe, bei der „Beschaffungsstelle für Nachrichtengeräte“ ein fernmeldetechnisches Labor einzurichten. Im gleichen Jahr übernahm ihn die damals gegründete Inspektion für Waffen und Gerät, wo er sich mit der „Entwicklung nachrichtendienstlicher Sondergeräte“ befasste. Ab 1933 war M. beamteter a. o. Prof. an der WTF der TH Berlin (für militärische Fernmeldetechnik), nebenberuflich Leiter der physikalisch-technischen Gruppe der fernmeldetechnischen Abteilung im HWA. 1939: 1. Vizepräsident der PTR, 1941: Vorstand des Instituts für militärische Fernmeldetechnik an WTF der TH Berlin. Quelle: Lebenslauf in Promotionsunterlagen, AHUB.
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46. Müller, Johannes: (Diss.), 11. 08. 1910 „Über akustische Peilung“ geheim, 1937, Schumann/Wehnelt 47. Nämsch, Werner: (Diss.), 28. 04. 1911 „Gleichgewichtsuntersuchungen in der Gasphase“ geheime Kommandosache, 1941, Schumann/Thiessen 48. Plumeyer, Wolfgang: (Diss.), 11. 03. 1910 Arbeitete seit August 1932 unter der Leitung von Schumann am II. PI an einer Geheimarbeit zu Ultrarot. Einzelheiten sind nicht bekannt. Anmerkung: P. legte Ende 1941 an der WTF der TH Berlin seine geheime Habil-Schrift mit dem offiziellen Titel „Untersuchung über spezielle Anwendung der UR-Strahlung“ vor. Die Einstufung als geheim erfolgte im Februar 1942 durch OKW W Wiss. Quelle: BAB, R 4901/1468, Bl. 16; R 4901/12850, Bl. 265. 49. Otto, Hans George: (Diss.), 05. 04. 1909 „Röntgenographische Untersuchungen“ geheim, 1939, Schumann/Wehnelt Anmerkung: Aus dem kurzen Beitrag von Dr. H. G. Otto (Berlin-Spandau): Notiz zum Kristallsystem des Knallquecksilbers. In: Zeitschrift für das gesamte Schieß- und Sprengstoffwesen 1943, S. 85, kann geschlussfolgert werden, das dies eventuell der Gegenstand der Dissertation war. 50. Rosenberger, Rudolf: (Diss.), 14. 02. 1912 „Neue Wege zur Darstellung organischer Additionsverbindungen mit Salzcharakter“ geheim, 1939, Mentzel/Thiessen Anmerkung: R. war später am KWI von Thiessen mit Kampfstoff-Forschung befasst, folglich könnte bereits die Diss. dieser Thematik verpflichtet gewesen sein. Auch das Mentzel als Gutachter fungierte, deutet darauf hin. 51. Schlicht, Wilhelm: (Diss.), 13. 02. 1913 „Theoretische und experimentelle Untersuchung über die Spektren der Wasserstoff-Sauerstoffverbindungen“ geheim, 1939, Schumann/Wehnelt Anmerkung: Bereits 1937 befasste sich Schlicht in Vers. Ost mit „Spektroskopischen Untersuchungen des Verbrennungsvorganges in R-Öfen“, einem Grundlagenthema der Flüssigkeitstriebwerke. Quelle: Laboratoriumsbericht vom 01. 04. 1937 (gKdos), BA-MA, RH 8/v 1260.
52. Schulze, Ortwin: (Diss.), 14. 04. 1920 „Untersuchungen über elektrische Zünder“ geheime Reichssache, 1944, Schumann/Klose Anmerkung: Zusammen mit Schall legte Schulze am 10. 09. 1943 einen ausführlichen Bericht „Kurzzeitzünder mit geringem Energiebedarf“ vor, registriert als „Sprengphysikalischer Bericht 44/13 (aus dem II. Phys. Institut)“, vor.
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Quelle: BAB, R 3/1419. Bei den Experimenten für diese Arbeit ereignete sich eine Sprengstoffdetonation, die Schulze ein Trommelfell zerriss. Schulze war zunächst durch Diebner an das KWI für Physik, Berlin-Dahlem, gekommen und sollte dort seine Diss. mit einem Thema zur Früherkennung von Krebsmetastasen beginnen. Nachdem das KWI durch das HWA 1942 zurückgegeben worden war, wurde er mit dem kriegswichtigen Thema „Zünder“ betraut. Betreuer des Doktoranden war Schall. Quelle: Werner Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129); Brief der Ehefrau 1994 an die Teilnehmer eines Treffens der Studentenkompanie, Kopie von Dr. Kunz zur Verfügung gestellt. 53. Schneidereit, Rolf: (Diss.), 08. 01. 1913 „Über neue thermisch-mechanische Strahlungsempfänger für Wechsellicht“ geheim, später offen, 1939, Schumann 54. Seifert, Ernst: (Diss.), 12. 03. 1911 „Untersuchungen über Verbrennungsvorgänge“ geheime Kommandosache, 1938, Schumann/Thiessen Anmerkung: Gegenstand der Arbeit mit dem tatsächlichen Titel: „Über die Eignung verschiedener Kraftstoffe als Brennstoff für das Rauchspurgerät II, insbesondere den 20 kg Heylandt-Ofen“, war ein Grundlagenthema der Raketentechnik, das unter besonderer Förderung durch General Becker stand. Realisiert wurden die Versuche, die u. a. die Ergebnisse der Geheimdissertationen von Braun, Otto und Wahmke berücksichtigten, in der Versuchsstelle Ost. Auszüge aus dieser Dissertation, von der 1945 ein Exemplar amerikanischen Stellen in die Hände fiel, sind im Bestand der von der Bürgervereinigung Kummersdorf (Ständige Ausstellung zur Geschichte der Heeresversuchsstelle) gesammelten Dokumente vorhanden. Kopien der Seiten 1–6 im Besitz des Autors. 55. Stenzel, Wilhelm: (Diss.), 28. 08. 1912 „Untersuchungen über die Absorptionsfähigkeit von Kohle“ geheim, 1938, Schumann/Wehnelt Anmerkung: Gegenstand war die Erforschung von Ursachen der Detonation von „Schwarzpulverpreßlingen“, die für die Versuche mit Feststoffraketen verwandt wurden (siehe Anm. zur Pos. 16). 56. Trinks, Walter: (Habil.), 14. 01. 1910 „Rechnerische Untersuchung über die Wirkung von Sprengkörpern“ geheime Kommandosache, 1944, Schumann/unbek. Wiss. TU Berlin, WTF Anmerkung: Die Arbeit befasste sich grundlegend mit den hydrodynamischen Prozessen bei Hohlladungskörpern. Dieses Thema wurde erstmals von Trinks rechnerisch untersucht und begründet (vgl. Kapitel 8). Quelle: BAB, R 4901/12850, Bl. 245. 57. Tönnies, Wilhelm: (Diss.), 28. 01. 1898 „Zur Theorie des Richtungshörens“ geheim, 1934, Schumann/unbek. Wiss. Anmerkung: In Promotionsunterlagen AHUB Diss. nicht vorhanden, keine Hinweise auf Inhalt, in Bibliographien nicht nachweisbar.
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58. Venzke, Günter: (Diss.), 22. 10. 1910 „Eine Methode zur Untersuchung der Phasenverhältnisse bei der Umwandlung von Luftschall in Wechselspannung“ geheim, 1935, Schumann/unbek. Wiss. 59. Wahmke, Kurt: (Diss.), 02. 03. 1904 „Untersuchungen über die Ausströmung von Gasen durch zylindrische Düsen“ geheime Kommandosache, 1933, Schumann/Wehnelt Anmerkung: Aus der wissenschaftlichen Tätigkeit des später bei einer Explosion in der Vers. West getöteten Forschers geht eindeutig hervor, dass die Dissertation sich mit Grundfragen der Raketentechnik befasste. Auch Wehnelt wies in seinem Brief an einen namentlich nicht genannten General darauf hin (vgl. Kapitel 22). 60. Weitzenmiller, Kurt: (Diss.), 19. 01. 1912 „Die Abschirmungswirkung von Widerstandsflächen gegen das elektrische Wechselfeld“ geheim, 1937, Schumann/Wehnelt 61. Wörner, Theodor: (Diss.), 23. 06. 1917 „Momentphotographie von Metalldampf- und Sprengstoffschwaden mit Hilfe des Interferenzfraktrographen von E. Schumann zur Ermittlung der Dichteverteilung unter besonderer Berücksichtigung des Dichtesprungs an der Schwadenfront“ geheim, 09.04.1945, Schumann/Klose Anmerkung: Gegenstand der Arbeit war eine neue Methode zur Untersuchung von Detonationsvorgängen. Die Beurteilung Schumanns dazu ist vollständig zitiert im Kapitel 7. Quelle: Promotionsunterlagen, AHUB. 62. Wolfschlag, Curt: (Diss.), 15. 05. 1918 „Innenballistische Untersuchungen an Handfeuerwaffen“ geheim, 1945, Schumann/Klose 63. Wolk, Kurt: (Diss.), 10. 05. 1918 „Ionisationsmessung an Gasentladungen“ geheim, 1938, Schumann/Wehnelt
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An der Universität Berlin wurden außerhalb des Verantwortungsbereiches von Schumann weitere wissenschaftlichen Arbeiten vorgelegt, die auf Veranlassung Schumanns (sowohl als Leiter von WaF, als auch Chef von OKW W Wiss) zur Geheimsache erklärt wurden. Dazu gehörten u. a.: Eilers, Johannes: (Diss.) (Angehöriger der Luftwaffe) „Arbeiten des Heereswetterdienstes in den Anfängen“ geheim, 1942 Anmerkung: Arbeit befasste sich mit dem ersten Gasangriff des Ersten Weltkrieges in Ypern. Höcker, Karl-Heinz: (Diss.), 27. 12. 1915 (Mitarbeiter KWI für Physik Berlin) „Wirkungsquerschnitte der Reaktion zwischen Neutronen und Deuteronen“ geheim, von Laue/von Weizsäcker, 1940. Auf Initiative des KWI 1942 Geheimhaltung aufgehoben. Anmerkung: Arbeit war Bestandteil des deutschen Uranprojektes, vgl. dazu Nagel: Atomversuche. Karaschewski, Horst: (Diss.), 26. 01. 1912 (Heeresbaumeister, seit 1938 Meteorologe beim Heereswetterdienst) „Wie weit ist die Annahme eines konstanten Luftgewichtes im 8 km Niveau gerechtfertigt?“ geheim, betreut von Dr. Foitzik, Aeronautisches Institut Lindenberg (zu Foitzig vgl. Kapitel 14). Körner, Hans: (Diss.) 01. 03. 1911 (Angehöriger des HWA, Wa Prüf 7, Nachrichtengerät) „Physikalische Einflüsse der Umgebung auf ortsbewegliche Fernmeldekabel“ geheim, 1941, betreut von Wa Prüf 7 Lucke, Otto: (Diss.) 01. 08. 1908 (Heeresbaumeister, tätig beim Heereswetterdienst Jüterbog) „Über die Witterungseinflüsse auf Flugbahnen der Geschosse“ geheim, 1940, Mitbetreuung durch Klose Sauerwein, Kurt: (Diss.) (Mitarbeiter KWI Physik) „Über den Resonanzeinfang von Neuronen beim Uran“ geheim, 1941, Flügge/von Laue Anmerkung: Arbeit erfolgte am KWI, jedoch vorgelegt bei Universität Berlin als Bestandteil des deutschen Uranprojektes. Eine Kopie der Arbeit befindet sich im Archiv des DM, Bestand „Atomdokumente“.
III. Wissenschaftler an Universitäten und technischen Hochschulen
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III. WISSENSCHAFTLER AN UNIVERSITÄTEN UND TECHNISCHEN HOCHSCHULEN, DIE FORSCHUNGSAUFGABEN FÜR WAF BEARBEITETEN Wissenschaftler an Universitäten und Technischen Hochschulen (außer Österreich, vgl. Anhang IV), mit denen WaF/OKW/W Wiss längere Zeit direkt zusammen arbeitete (ZA), ihnen Forschungsaufträge (FA) erteilte oder zu ihnen Anfragen (A) an das REM stellte bzw. in anderer Wiese Interesse an ihnen bekundete. (Wegen der großen Anzahl wurden jene Wissenschaftler, die am Uranprojekt beteiligt waren, nicht aufgenommen.) Anmerkungen: Zahlreiche der genannten Wissenschaftler arbeiteten gleichzeitig für andere Wehrmachtsteile, die SS, das RWA bzw. andere Auftraggeber. Wechsel von Wissenschaftlern an andere Universitäten/Hochschulen wurden nicht berücksichtigt. Es wird stets jene Einrichtung genannt, an denen der Betreffende zum Zeitpunkt der Erteilung eines FA, einer A bzw. überwiegend tätig war. FA von WaF, die ohne konkrete Namensnennung erteilt wurden, sind gekennzeichnet durch NN. Die Quellenbelege sind in den Anmerkungen zu den einzelnen Kapiteln enthalten
TH Aachen Brüderlink, Robert
ZA, FA
Nacken, Matthias Piwowarsky, Eugen Pösch, Heinrich Sauer, Robert Schultz-Grunow, Fritz
FA FA FA FA FA
Lehrstuhl praktische E-Technik/Institut für Starkstromtechnik Physikalisches Institut Gießerei-Institut Institut für Mathematik Institut für Mathematik Lehrstuhl für Mechanik
TH Berlin Arndt, Wilhelm Bachér, Franz Braunsfurth, Günter Brückels, Paul Burstyn, Walter Everling, Emil Fauner, Ernst Kucharski, Walter Kunze, Gerhard Loos, Wilhelm Picht, Johannes Poppenberg, Otto Schmeidler, Werner Winkhaus, Hans
FA FA ZA FA A A A A FA ZA FA ZA A ZA, FA
Beleuchtungstechnisches Institut Organisch-Chemisches Institut WTF: Institut für Sprengstoffchemie Forschungsinstitut für. Kälte-Trocken-Technik Physik Flugmechanik WTF: Institut militärisches Kfz-Wesen Mechanik WTF: Institut für Nachrichtentechnik Wehrtechnisches Bauwesen WTF: Institut für theoretische Physik WTF: Institut für Sprengstoffchemie Institut für allgemeine Wissenschaft Dekan WTF
Universität Berlin Brodersen, Heinz-Peter Schmidt, Erhard Wehnelt, Arthur
FA A ZA, FA
Physikalisch-Chemisches Institut Mathematik I. Physikalisches Institut (1938 emeritiert)
572
Anhang
Universität Bonn Füchtbauer, Christian Holper, Friedrich Olmesdahl, Wilhelm
FA ZA ZA
Physikalisches Institut Physikalisches Institut Physikalisches Institut
TH Braunschweig Friese, Hermann Cario, Günter Leist, Karl Löhner, Eugen Grundmann, Walter Pfanhauser, Wilhelm
FA FA FA FA A A
Institut für organische Chemie Physikalisches Institut Institut für Triebwerkslehre Institut für Kolbenmaschinen/Verbrennungs- Motoren Meteorologische Messtechnik Technische- und Elektrochemie
TH Breslau Neuhoeffer, Otto Ruff, Otto Suhrmann, Rudolf NN
FA FA FA FA
Chemisches Institut Anorganisch- chemisches Institut Physikalisch- chemisches Institut Institut für chemische Technologie
TH Brünn Jehlicka, Josef Kohtny, Erdmann Kriso, Karl Weichold, Josef
A A A A
Institut für Verbrennungskraftmaschinen
TH Danzig Albers, Henry Buchwald, Erhard Kosselt, Walter
A FA A
Biochemie/Pharmakologie Physik Experimentelle Physik
TH Darmstadt Stintzing, Hugo
FA
Institut für Röntgenphysik und Röntgentechnik
TH Dresden Falkenhagen, Hans Kirschmer, Otto Langenbeck, Wolfgang
A A FA
Manegold, Erich Müller, Friedrich Steinkopf, Wilhelm
A FA ZA
Institut für Theoretische Physik Fluglehre/Maschinenbau/Hydrodynamik Institut für organische Chemie und organische technische Chemie Institut für Kolloidchemie Institut für physikalische Chemie Institut für Organische Chemie
Universität Erlangen Lange, Erich Hauck, Leonhard
A A
Institut für physikalische Chemie/Thermodynamik Klinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten
Mechanik
III. Wissenschaftler an Universitäten und technischen Hochschulen Universität Frankfurt/M. Czerny, Marianus Frisch, Peter Kofink, Walter Linke, Franz Müller, Eugen Nacken, Richard Schumacher, Hans-J.
ZA, FA FA FA FA A FA FA?, A
Physikalisches Institut Institut für anorganische Chemie Physikalisches Institut Meteorologisch-geographisches Institut Organische Chemie Mineralogisch-petrographisches Institut Institut für physikalische Chemie
Universität Freiburg Kerkhof, Frank Kreuzer, Josef Mecke, Reinhard Staudinger, Hermann Wittig, Georg Zapf, Franz NN
ZA ZA ZA, FA FA A FA FA
Institut für Theoretische Physik Institut für Theoretische Physik Institut für Theoretische Physik Institut für physikalische Chemie Organische Chemie Institut für physikalische Chemie Institut für physikalische Chemie
Universität Göttingen Correns, Carl Eidmann, Hermann Schäfer, Klaus NN
FA ZA, FA FA FA
Mineralogisch-petrographisches Institut Zoologe an der Forstlichen Fakultät Physikalisch chemisches Institut Institut für Physikalische Chemie
Universität Greifswald Lüttringhaus, Arthur NN
FA FA
Chemisches Institut Physikalisches Institut
Universität Halle Freisleben, Rudolf Harms, Helmut Stamm, Helmuth Ziegler, Karl Wolf, Lothar
FA ZA FA FA A
Institut für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung Institut für Physikalische Chemie Chemisches Institut Chemisches Institut Institut für Grenzflächenphysik
Universität Hamburg Bürger-Prinz, Hans Keeser, Eduard Kühnau, Joachim Lütgens, Rudolf Martin, Helgo Hinrich Schlubach, Hans-H. Zeiger, Karl
A A A A FA A FA
Psychiatrie/Medizin Pharmakologie Physikalisch-Chemisches Institut Geographie (Wirtschaftsgeographie) Anatomisches Institut Chemisches Staatsinstitut Anatomisches Institut
TH Hannover Bartels, Hans Klein, Ludwig Neumann, Kurt
FA A FA
Physikalisches Institut Fördertechnik Verbrennungskraftmaschinen
573
574
Anhang
Universität Heidelberg Fischbeck, Kurt
FA
Institut für Physikalische Chemie
Universität Jena Frey, Josef Labes, Richard Müller, Rudolf Reeger, Ernst Siedentopf, Heinrich Wempe, Johann
A FA FA FA FA ZA, FA
Technisch-Physikalisches Institut (HF-Technik) Pharmakologisches Institut Technisch-Physikalisches Institut (HF-Technik) Universitätssternwarte Universitätssternwarte Universitätssternwarte
TH Karlsruhe Criegee, Rudolf Kammüller, Karl Knoll, Hans Raab, Friedrich Richter, Rudolf Ulich, Hermann Weigel, Rudolf
FA A FA FA A FA FA
Chemisches Institut Eisenbahnbetonbau Lichttechnisches Institut Institut für Verkehrs- und Straßenwesen Elektrotechnisches Institut Institut für Phys. Chemie/Elektrochemie Lichttechnisches Institut
A
emeritiert, ehem. Institut für experimentelle Physik
Universität Köln Dörge, Karl
FA
Mathematisches Institut
Universität Leipzig Bonhoeffer, Karl-Friedrich Jost, Wilhelm Magnus, Alfred Otto, Ernst Thomas, Karl
FA A A ZA A
Institut für Physikalische Chemie Physikalisch-Chemisches Institut Physikalisch-Chemisches Institut Physik Physiologisch-Chemisches Institut
Universität Marburg Asmus, Erik Feußner, Karl NN
FA ZA FA
Physikalisch-Chemisches Institut Physikalisches Institut Physikalisch-Chemisches Institut
TH München Bleicher, Ernst Edenhaster, Paul Kadmer, Erich
FA FA FA
Reuther, Otto Rößle, Karl Schnauffer, Kurt Tomaschek, Rudolf
A A FA FA
Institut für elektronische Nachrichtentechnik (HF) Institut für elektronische Nachrichtentechnik (HF) Institut für chemische Technologie/Versuchslabor für Mineralöle Volkswirtschaft, Betriebswirtschaftslehre Volkswirtschaft, Betriebswirtschaftslehre Forschungsinstitut für Flug- u. Kraftwagenmotoren Physikalisches Institut
Universität Kiel Traubenberg, Rausch v., Heinrich A.
III. Wissenschaftler an Universitäten und technischen Hochschulen Universität München Glaser
A
Theoretische Physik/angewandte Mechanik
Universität Posen Förster, Theodor Monje, Manfred NN NN
A A FA FA
Physikalische Chemie Physiologie Physikalisch-Chemisches Institut Physiologisches Institut
TH Prag und Universität Prag Gudden, Bernhard ZA, FA Karas, Karl FA Kluge, Werner A Meyren, Wilhelm v. FA Schubert, Gustav A Treu, Martin A Waldmann, Hans A NN FA
Physikalisches Institut Ordinarius für Mechanik Institut für Technische Physik Institut für Experimentalphysik Physiologisches Institut Physikalisches Institut Organische Chemie Physikalisches Institut
Universität Rostock Poppe, Kurt
ZA
Mikrobiologie
Universität Straßburg Finkelnburg, Wolfgang Hilgert Strubecker, Karl
FA FA FA
Physikalisches Institut Mathematisches Institut Mathematisches Institut
TH Stuttgart Fricke, Robert Reiher, Hermann
A A, FA
Anorganische Chemie Institut für Technische Physik
575
576
Anhang
IV. ÖSTERREICHISCHE WISSENSCHAFTLER, DIE FÜR WAF BZW. OKW AWA/W WISS TÄTIG WAREN, oder an denen WaF interessiert war und deshalb zu ihnen Anfragen (A) an das REM stellte – geordnet nach Universitäten. Hinweis: Verschiedentlich arbeiteten die Genannten auch für andere Abteilungen von Wa Prüf, andere Wehrmachtsteile oder RAW. TH Graz Prof. Dr. Dadieu, Armin Prof. Dr. Pongratz, Alfred (beide zeitweilig auch an Universität Graz) Universität Graz Prof. Dr. Blume, Wilhelm Prof. Dr. Lieb, Johann Hans Prof. Dr. Matossi, Franz Dr. Matossi, Ottilie Dr. Mayer, Robert Prof. Dr. Pestemer, Max
20. 08. 1901–06. 04. 1978 10. 02. 1897–15. 08. 1953
(A) (A)
(A)
1893–? 20. 07. 1887–12. 12. 1979 24. 02. 1902–07. 04. 1968 15. 05. 1904–? 16. 10. 1915–? 01. 08. 1908–1975
Universität Innsbruck Prof. Dr. Knorr, Carl Angelo Prof. Dr. Steinmaurer, Rudolf
07. 01. 1894–12. 01. 1960 11. 03. 1903–?
Montanuniversität Leoben Prof. Dr. Schwarzkopf-Bergkampf, Erich
29. 12. 1904–30. 12. 1996
Technische Universität Wien Dr. Bayer, Erwin* Prof. Dr. Brückmann, Alexander Prof. Dr. Kuba, Franz Prof. Dr. Janke, Alexander Prof. Dr. Rella, Anton Prof. Dr. Richter, Ludwig Prof. Dr. Sequenz, Heinrich Prof. Dr. Urbanek, Julius
(A) (A) (A) (A) (A) (A)
08. 05. 1900 (?)–? 19. 08. 1880–22. 03. 1954 25. 07. 1894–? 07. 12. 1887–12. 08. 1974 24. 03. 1888–08. 04. 1945 24. 11. 1888–15. 01. 1970 13. 01. 1895–11. 05. 1987 06. 02. 1881–16. 04. 1949
* abgestellt ab? (spätestens 1942) zu OKW, AWA W Wiss Universität Wien Prof. Dr. Bönisch, Alfred Prof. Dr. Brukl, Alfred Dr. Czulius, Werner* Prof. Dr. Eppinger, Hans Prof. Dr. Hernegger, Friedrich Prof. Dr. Herzog, Richard Prof. Dr. Jentschke, Willibald
20. 03. 1915–? 03. 03. 1894–? 23. 08. 1914 05. 01. 1879–25. 09. 1946 23. 05. 1908–? 13. 03. 1911–? 06. 12. 1911–?
IV. Österreichische Wissenschaftler Prof. Dr. Karlik, Berta Prof. Dr. Merhaut, Otto Prof. Dr. Lintner, Karl Prof. Dr. Prankl, Friedrich Prof. Dr. Schintlmeister, Josef Prof. Dr. Sexl, Theodor Prof. Dr. Stetter, Georg Carl Prof. Dr. Wambacher, Hertha
(A)
24. 01. 1904–04. 02. 1990 19. 10. 1904–? 28. 04. 1917 20. 06. 1914–? 16. 06. 1908–14. 08. 1971 08. 11. 1899–06. 09. 1967 23. 12. 1895–14. 07. 1988 09. 03. 1908– 24. 04. 1950
* ab Oktober 1939 Mitarbeiter der Gruppe Diebner in Vers. Gottow.
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Anhang
V. FORSCHUNGSBEIRAT DES HEERESWAFFENAMTES (NACHGEWIESENE MITGLIEDER) Quellen: Nachlass Schumann, unveröffentlichtes Manuskript: Die Wahrheit ..., Nachlass Schneider, BA-MA, NL 625/9, Bericht Glagows: Die Uran-Atomkernspaltung, Schreiben an Schneider vom 01. 06. 1968, S. 2, Schreiben Wehnelts 1944 an unbekannten General, NL Schumann, BAB, BDC zu Vahlen: DS 8200 A 71 (Nr. 1531), Bl. 3245, BAB, R 26 III/719 (zu Dadieu), Kohl: Die Präsidenten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, S. 211, Schmaltz: Kampfstoff-Forschung, S. 189 (S. weist hier auch auf den Präsidenten des staatlichen Materialprüfungsamtes Dr. Ing. Erich Siebel hin. Ob dieser Mitglied des Forschungsbeirates war, kann nicht beantwortet werden.) Im Bundesarchiv Berlin, R 26 III/8, befindet sich eine Karteikarte zu dem Physiker Dr. Erwin Fünfer, *27. 07. 1911, Oberassistent am Physikalischen Institut der Universität Gießen, beteiligt am Uranprojekt, mit dem Vermerk: „Wissenschaftlicher Beirat im OKW“. Ob es sich dabei um die Mitgliedschaft im Forschungsbeirat des HWA handelt, konnte nicht geklärt werden.
Prof. Dr. Armin Dadieu (10. 08. 1901–06. 04. 1978) Tätigkeit/Stellung, wissenschaftliche Tätigkeit: Direktor der Institute für Physikalische Chemie der Universität Graz und der TH Graz. Raketentreibstoffe, Erforschung des Raman-Effektes. Politische Betätigung in der NS-Zeit: Landesstatthalter, Gauhauptmann der Steiermark 1938, NSDAP 1932, SS 1938, zuletzt Standartenführer, Gaudozentenführer (1941), und andere Funktionen. Tätigkeit nach 1945: 1946 zur Verhaftung ausgeschrieben, Festnahme, Flucht, wissenschaftliche Arbeit in Argentinien zu Raketentreibstoffen, 1958 Institut in Stuttgart. Prof. Dr. Abraham Esau (07. 06. 1884–15. 05. 1955) Tätigkeit/Stellung, wissenschaftliche Tätigkeit: Präsident der PTR, Professor an der WTF (1939–1941), Bevollmächtigter für Kernphysik (1942– 1943), Bevollmächtigter für HF-Forschung (ab 1944), Fachspartenleiter des RFR für Physik und Maschinenbau, Stiftungskommissar bei der Carl-Zeiss-Stiftung, wissenschaftlicher Führungsstab der WFG 1944, HF-Technik, UKW-/Nachrichtentechnik. Politische Betätigung in der NS-Zeit: NSDAP 1933, KVK 1944. Tätigkeit nach 1945: 1945 interniert, Prozess 1948/49 vor Sondergerichtshof der Niederlande, mit Freispruch. Entnazifizierungsverfahren, Gastprofessur TH Aachen, Institutsleiter für HF-Technik bei DVL.
V. Forschungsbeirat des Heereswaffenamtes
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General der Artillerie Emil Leeb (17. 06. 1881–08. 09. 1961) Tätigkeit/Stellung, wissenschaftliche Tätigkeit: Nach zahlreichen militärischen Kommandos ab 1940 Chef des HWA. Organisation Wehrtechnik. Politische Betätigung in der NS-Zeit: Mitglied im Aufsichtsrat der Reichswerke AG für Waffen- und Maschinenbau „Hermann Göring“. Tätigkeit nach 1945: Mitbegründer und maßgebliche Mitarbeit in „Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik“, Wehrtechnische Beratung der Industrie. Prof. Dr. Rudolf Mentzel (28. 04. 1900–04. 12. 1987) Tätigkeit/Stellung, wissenschaftliche Tätigkeit: Min.-Dirigent, Amtschef Wissenschaft im REM, Präsident der DFG, Vizepräsident und Leitender Geschäftsführender Beirat des RFR, Vizepräsident der KWG, wissenschaftlicher Führungsstab der WFG 1944. Kampfstoff-Forschung. Wehrchemie. Politische Betätigung in der NS-Zeit: NSDAP 1925, SA bis 1932, SS ab 1932, zuletzt Brigadeführer. Bulgarischer Nationalorden für Zivilverdienste, I. Klasse 1942. Tätigkeit nach 1945: 1945 interniert, Spruchverfahren: Verurteilung zu zweieinhalb Jahren Haft, 1948 entlassen, danach Industrietätigkeit. Prof. Dr. Max Planck (23. 04. 1858–04. 10. 1947) Tätigkeit/Stellung, wissenschaftliche Tätigkeit: Bis zur Emeritierung 1926 Inhaber des Lehrstuhls für theoretische Physik, Universität Berlin, Präsident der KWG 1930–1937, Ordentliches Mitglied und Sekretar der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Begründer der Quantentheorie und Förderer der Relativitätstheorie. Politische Betätigung in der NS-Zeit: Gespräch 1933 mit Hitler zur Milderung der Folgen des nationalsozialistischen Beamtengesetzes. 1935 Trauerfeier für seinen jüdischen Kollegen Fritz Haber. Tätigkeit nach 1945: 1945/46 Präsident der KWG (1949 Max-Planck-Gesellschaft). Dr. Walter Rimarski (07. 08. 1874–24. 12. 1963) Tätigkeit/Stellung, wissenschaftliche Tätigkeit: MVA 1905–1921, CTR ab 1921, ab 1932 Direktor/Präsident der CTR, Vorsitz des Deutschen Verbandes für Schweißtechnik und Acethylen. Sprengstoffchemie, Technische Gase, Schweißtechnik. Tätigkeit nach 1945: Abteilungsleiter am Staatlichen Materialprüfungsamt. Generalleutnant Dipl.-Ing. Erich Schneider (12. 08. 1894–03. 08. 1980) Tätigkeit/Stellung, wissenschaftliche Tätigkeit: HWA 1928 (dazwischen verschiedene militärische Kommandos): Referent für Ballistik und Raketen, Chef Wa Prüf 1, Wa Prüf 4, zuletzt Chef der Amtsgruppe Wa Prüf, Wiss. Führungsstab der WFG. Ballistik, Organisation, Wehrtechnik.
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Anhang
Politische Betätigung in der NS-Zeit: Ritterkreuz mit Eichenlaub zum Eisernen Kreuz (für Fronteinsatz). Tätigkeit nach 1945: Gründer der AG für Wehrtechnik, später umbenannt in „Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik e.V.“, 1. Vorsitzender bzw. Ehrenvorsitzender und Hauptschriftleiter der WTH, Berater der Bundeswehr. Prof. Dr. Erich Schumann (05. 01. 1898–25. 04. 1985) Tätigkeit/Stellung, wissenschaftliche Tätigkeit: Min.-Dirigent, Leiter der Abteilung Forschung des HWA 1932–1944, Chef Abteilung Wiss des OKW 1938, Direktor des II.PI 1933, Mitglied des RFR, Bevollmächtigter für Sprengstoffphysik, Mitglied verschiedener Gremien der KWG, im wissenschaftlichen Führungsstab der WFG 1944. Sprengstoffphysik, Musikwissenschaft, Komponist. Politische Betätigung in der NS-Zeit: NSDAP 1933, Vorschlag für Auszeichnung mit Deutschem Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft 1943.
Tätigkeit nach 1945: Untergetaucht, danach kurzzeitige Festnahme durch britische Behörden, Industrietätigkeit bei der Braun AG, 1951–1963 Direktor des von ihm gegründeten „Helmholtzinstituts“ für Tonphysiologie und medizinische Akustik. Prof. Dr. Peter Adolf Thiessen (06. 04. 1899–08. 03. 1990) Tätigkeit/Stellung, wissenschaftliche Tätigkeit: Direktor des KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie ab 1935, Fachspartenleiter Chemie des RFR 1937, Ordentliches Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Wissenschaftlicher Führungsstab der WFG 1944. Physikalische Chemie, Kolloid- und Elektrochemie, physikalische und chemische Grundlagen der Verfahrenstechnik. Politische Betätigung in der NS-Zeit: 1922 NSDAP und SA (von 1926/28–1933 unterbrochen), 1933 aktiver Dienst in einem SS-Fliegersturm, Förderndes Mitglied der SS (wahrscheinlich ab 1933). Tätigkeit nach 1945: 1945 Zusammenarbeit m. sowjetischen Stellen, anschließend (bis 1956) Spezialist in der UdSSR und Mitarbeit an Atomprogramm, 1957–1965 Vorsitz des Forschungsrates der DDR. 1960–1963 Mitglied des Staatsrates der DDR, zahlreiche wissenschaftliche und gesellschaftliche Funktionen. Prof. Dr. Theodor Vahlen (30. 06. 1869–16. 11. 1945) Tätigkeit/Stellung, wissenschaftliche Tätigkeit: Min.-Dirigent, Chef des Amtes Wissenschaft im REM 1934, Professor an der Universität Berlin, 1937 emeritiert, Ordentliches Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften, 3. Vizepräsident der KWG. Mathematik, Ballistik. Politische Betätigung in der NS-Zeit: 1923/24 „Großdeutsche Volkspartei“ (Ersatzorganisation der NSDAP), 1924–1927 Gauleiter in Pommern, SS-Brigadeführer, 1944 Vorschlag Leebs/Schumanns für den „Adlerschild des Deutschen Reiches“, Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft 1939.
V. Forschungsbeirat des Heereswaffenamtes
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Dipl. Ing. Albert Vögler (08. 02. 1877–14. 04. 1945) Tätigkeit/Stellung, wissenschaftliche Tätigkeit: Senator der KWG ab 1920, Präsident der. KWG 1941–1945, Mitglied des Industrierats für Luftwaffengerät 1942, Fördergemeinschaft der Deutschen Industrie 1942 u. a. Funktionen in der Industrie. Politische Betätigung in der NS-Zeit: Mitglied des Reichstages ab 1933, Förderer der NSDAP, Teilnahme am Geheim-Treffen führender Wirtschaftsvertreter mit Hitler (1933). Tätigkeit nach 1945: Selbstmord, um der Verhaftung durch US-Army zu entgehen.
582
Anhang
VI. STUDENTENKOMPANIE Angehörige der Studentenkompanie: Wissenschaftliche Qualifikation und Tätigkeit nach 1945. Zusammengestellt nach Luck: unveröffentlichtes Manuskript (wie Anm. 129); Gespräche und Mitteilungen von Arnold, Capptuller, Cobarg, Döring, Gießmann, Karl–Heinz Köhler, Maus, Frau U. Schulze, Frau M. Wolfschlag; Hinweise im Nachlass Schumann; Dissertationsschriften; Unterlagen AHUB, AMPG (in: II. Abt. MPG, Rep. 1 u Präsidentenkommission KWG im Nationalsozialismus, I. Abt. Rep. 34, KWI für Physik, Nr. 38, 1–4); biographische Nachschlagewerke; Mitteilungen verschiedener Einrichtungen (Militärische Dienstgrade wurden nicht berücksichtigt)
Arnold, Karl–Heinz: 24. 11. 1920– Dr., Diplomchemiker, September 1944, Promotion Universität Erlangen 1948, danach Industrietätigkeit in BRD, zuletzt (1965–1983) Betriebsleiter/Werkleiter Bayer Leverkusen. Becker, Dietrich: 28. 01. 1917– Dr., Diplomphysiker, Promotion (Geheim) Universität Berlin April 1944, nach 1945 Polizeioffizier in BRD, zuletzt an einer Polizeischule. Becker, Herbert: Diplomphysiker 1944/45, nach 1945 Industrietätigkeit in BRD als Physiker in Düsseldorf. Berghaus, Hans Richard: 10. 12. 1919– Dr., Diplomphysiker Januar 1945, Promotion Universität Mainz 1953, danach Industrietätigkeit, zuletzt AGFA-Photofabrik Leverkusen. Bolz, Hans-Martin: Dr., Diplomphysiker 1944/45, Promotion Universität Rostock 1950, ab 1946 Meteorologisches Observatorium Warnemünde, nach 1950 bei VEB Zeiss Jena Konstrukteur, 1957 Flucht in die BRD, Industrietätigkeit, vorwiegend Arbeit zu Infrarot, zuletzt Abteilungsleiter und Prokurist Fa. Perkin Elmer. Borisch, Walter: Diplomphysiker 1944/45, 1960–1985 Leiter Gewerbeaufsichtsamt Kiel. Breckheimer, Walter: 29. 05. 1920–2003 Dr., Diplomingenieur vor 1945, Promotion TU Berlin 1951, danach Assistent TH Berlin, anschließend Industrietätigkeit (Lackchemie) in BRD. Capptuller, Horst: 01. 12. 1919– Prof. Dr.-Ing., Diplomphysiker Januar 1945, 1947 Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) bis 1984, Promotion TH Hannover 1960, 1962 Reg. Rat, 1965 Ober Reg. Rat, zuletzt als Direktor und Fachgruppenleiter „Elektronische Präzisionsmessung“ in Abt. 2 Elektrizität (u. a. Arbeiten zum Magnetismus). Cobarg, Claus Christian: 13. 10. 1921 Diplomphysiker, März 1945 Universität Berlin, Herbst 1946 Gründung eines Labors für technische Physik, ab 1958 tätig bei Fa. Braun, leitend auf verschiedenen Gebieten bis 1986, danach weiter mit Braun verbunden, sowie zahlreiche Funktionen auf den Gebieten Wissenschaft und Technik. Inhaber von über 150 Patenten und Gebrauchsmustern. Döring, Hasso: 03. 03. 1920 Dr., Diplomphysiker März 1945, Promotion TH Berlin 1951, 1946 sowjetisches Institut Berlin, 1948 Deutsche Forschungshochschule Berlin-Dahlem, Industrietätigkeit in BRD, 1964–1981 Prokurist und Direktor Ruhrgas Essen, 1982–1985 Geschäftsführer in Essen.
VI. Studentenkompanie
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Dressel, Armin: Verbleib unbekannt. Eberspächer, Otto: 03. 08. 1920– Dr.-Ing., Diplomchemiker März 1945, Promotion TH Stuttgart 1945, Industrietätigkeit, zuletzt bei Siemens München. Frank, Rudolf: 21. 06. 1920– Dr., Diplomchemiker Ende 1944, Promotion Universität Marburg 1948, Industrietätigkeit in BRD bei Farbwerke Höchst, zuletzt Vorstandsmitglied für Farbstoffe. Freier, Rudolf: Diplomchemiker 1944/45, Industrietätigkeit in BRD, zuletzt E-Werke Hamburg. Gengenbach, Walter: Diplomchemiker April 1945, Industrietätigkeit in BRD, 1946–1958 als Chemiker, leitend in der Forschung, ab 1959 Patentamt, zuletzt Abteilungsleiter. Gießmann, Ernst-Joachim: 12. 02. 1919–17. 10. 2004 Prof. Dr.-Ing. habil., Diplomphysiker 1943, Promotion Universität Berlin 1948, Habil. 1954, zeitweise Staatssekretär bzw. Minister für Hoch– und Fachschulwesen der DDR, Buchveröffentlichungen. Grocke, Hans-Werner: Nach 1945 Lehrer. Gruner, Fritz: Gefallen (?) 1945 in Schlesien. Haase, Ernst: Verbleib unbekannt. Hansen, Franz: 20. 02. 1920– Dr., Diplomchemiker März 1945, Promotion Universität Hamburg 1951, Industrietätigkeit, zuletzt Vorstandsmitglied Deutsche Shell. Hartmann, Konrad: Nach sowjetischer Gefangenschaft (bis 1948) an Lungenentzündung gestorben. Heim, Linus: Diplomphysiker 1944/45, nach 1945 Studiendirektor, Ltd. Oberstudiendirektor Oberschulamt Speyer. Hermann, Karl, Rheinhold, Rolf: 26. 11. 1920–2000 Dr., Diplomchemiker Dezember 1944, Promotion Humboldt-Universität Berlin 1948, Industrietätigkeit in BRD, zuletzt leitender Chemiker bei Fa. OSRAM. Hettesheimer, Karl: Verbleib unbekannt. Honigmann, Bertold: 02. 11. 1921– Dr., Diplomphysiker Januar 1945, danach KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie Berlin, Promotion TH Berlin 1949, Industrietätigkeit in BRD bei BASF als Hauptlaborleiter, zuletzt Leiter eines Röntgenlabors. Klatt, Gerhard: 11. 12. 1912– Dr., Diplomchemiker 1943, Promotion (NfD) 30. 03. 1945 Universität Berlin. Kluge, Gerhard: Diplomchemiker 1944/45, kurz nach Kriegsende bei Bergtour tödlich verunglückt.
584
Anhang
Kobbe, Ulrich: Diplomphysiker 1944/45. Köhler, Johannes: Dr., Diplomphysiker 1944/45, nach 1945 Industrietätigkeit, zuletzt Direktor Kokerei bzw. Bergwerksdirektor. Köhler, Karl–Heinz: –2002 Dr., Diplomphysiker 1944, Promotion (geheim) Universität Berlin 1945, sowjetische Gefangenschaft bis 1947, danach in BRD Dozent in Ingenieurschule und Industrietätigkeit. Krauss, Berthold: 06. 04. 1921– Dr., Diplomchemiker 1949, Promotion TH Stuttgart 1952, danach tätig bei Milchwirtschaft Kiel. Kühne, Hans: 08. 09. 1919– 1965 Dr., Diplomphysiker 1944, Promotion (geheim) Universität Berlin 20. 04. 1945, nach 1945 Assistent KWI/MPI für Physik, 1950–1953 Universität München, 1956 Patentamt München, ab 1957 Atomministerium Bonn, zuletzt Regierungsdirektor. Kuhn, Hans-Wilhelm: Diplomphysiker (?), nach 1945 tätig in väterlicher Großhandlung. Kuntze, P.: Verbleib unbekannt. Kunz, Herbert: 07. 02. 1921 Dr., Diplomphysiker 1946 TU Braunschweig, Promotion (extern) TH Braunschweig 1986, Industrietätigkeit, zuletzt Regierungsdirektor PTB Braunschweig. Leeder, Gerhard: 25. 12. 1918– Dr., Diplomphysiker 1943, Promotion Universität Berlin (geheim) April 1944, 1946 Lehrer an höherer Lehranstalt in Berlin (West), danach Bundesanstalt für Materialprüfung, 1968 Generalvertreter Nürnberger Versicherungen in Berlin. Lehmann, Hans-Albert: 01. 05. 1919–August 1998 Prof. Dr., Diplomchemiker November 1943, ab 1946 Chemisches Institut Humboldt-Universität Berlin, Promotion Humboldt-Universität Berlin 1949, zuletzt Professor für anorganische Chemie TH Dresden. Luck, Werner: 03. 04. 1922– 06. 04. 2008 Prof. Dr. Dr. h. c., Diplomphysiker 13. 04. 1945, Promotion Universität Tübingen 1951, Habil. 1968, Prof. Universität Marburg, Gründer: „Gesellschaft für Verantwortung in der Wissenschaft“ 1966, Hg.: Zeitschrift Wissenschaftler und Verantwortung, Buchveröffentlichungen und Herausgabe. Maaß, Albrecht: Diplomphysiker 1944/45, nach 1945 bei Enttrümmerung verunglückt (teilweise gelähmt), Industrietätigkeit in BRD, zuletzt im E-Werk Bremen und im Eichwesen. Maus, Fritz: 28. 06. 1920– Dr., Diplom 1944/45, Promotion TH Berlin 1948, ab 1943 Industrietätigkeit AGFA Leverkusen, Verfahrenstechnik. Matthes, Rolf: 1942 gefallen Mertens, Hans: Dr. Ing., Diplomchemiker 1944/45, bis 1948 sowjetische Gefangenschaft, Promotion TH Berlin 1951, danach Industrietätigkeit, 1951–1956 GASAG Berlin, anschließend Chefchemiker im Bergbau und 12 Jahre Leiter eines Instituts für Umweltschutz.
VI. Studentenkompanie
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Müller, Reinhard: Diplomphysiker 1944/45, nach 1945 Industrietätigkeit in BRD, u. a. Leiter eines Versuchsfeldes bei Siemens. Nebe, Heinz: 03. 04. 1921 Dr., Diplomchemiker November 1944, Bergakademie Freiberg 1946–1948, danach wissenschaftlicher Mitarbeiter Deutsches Lederinstitut, Promotion TH Dresden 1951, Industrietätigkeit Filmfabrik Wolfen in leitenden Funktionen, 1982 wegen Weigerung zum Eintritt in SED von Funktion abgelöst. Nordhausen, Kurt: Dr., Diplomphysiker 1943/44, Promotion (geheim) an Universität Berlin 1945?, nach 1945 Kripo in BRD. Paul, Wolfgang: Diplomphysiker 1944/45, nach 1945 Industrietätigkeit in BRD, zuletzt Hauptlabor Zementwerke Heidelberg. Prahst, Wilhelm: Verbleib unbekannt. Preckel: bei Bombenangriff auf Berlin 1944 umgekommen. Rammelt, Peter Paul: Prof. Dr., Diplomchemiker 1944, Promotion TH Dresden 1954, Industrietätigkeit ab 1946 bei Fahlberg-List Magdeburg, 1955 Flucht in die BRD, Industrietätigkeit, zuletzt Farbwerke Höchst. Ramthun, Heinz: 17. 01. 1920– Prof. Dr., Diplomphysiker März 1945, danach bis 1949 wissenschaftlicher Assistent Humboldt– Universität Berlin, danach Westberlin und Promotion TH Berlin 1956, danach von 1958–1984, zuletzt Direktor und Professor bei der PTB, Fachgruppenleiter „Metrologie der Reaktorneutronen“ in Abt. 7, Reaktorstrahlung. Rathje, Werner: 05. 06. 1922–1967 Dr., Diplomchemiker Dezember 1944, Promotion TU Berlin 1948, ab April 1946 KWI für physikalische Chemie und E–Chemie Berlin, Flucht in BRD, dort Industrietätigkeit, zuletzt Direktor WASAG Chemie. Rudow, Wolfgang: 1942 gefallen. Sack, Werner: 18. 08. 1918– Dr., Diplomchemiker 1943/44, Promotion Universität Berlin 30. 03. 1945, nach 1945 Industrietätigkeit in der BRD, zuletzt Forschungsleiter Fa. Schott/Mainz. Schlicht, Wilhelm (Kompaniechef): 13. 02. 1913– Dr., Diplomphysiker, Promotion (geheim) Universität Berlin 1939, nach 1945 Industrietätigkeit in der BRD, zuletzt Leiter der Niederlassung Fa. Zeiss/Köln, bis 1978, danach Ruhestand. Schran, Hans: 20. 04. 1917– Diplomchemiker 1944/45, nach 1945 Industrietätigkeit in USA. Schuler, Karl-Heinz: 31. 01. 1921 Diplomchemiker 1944/45, nach 1945 Industrietätigkeit in der BRD, u. a. Laborleiter, zuletzt Direktor bei AEG Nürnberg. Schulze, Ortwin: 14. 04. 1920–1991 Dr., Diplomphysiker 1944, Promotion (geheim) Universität Berlin April 1944, 1949–1956 Industrietätigkeit bei Siemens (Erlangen und München), danach Vorsitzender Richter am Bundespatentamt.
586
Anhang
Steckner, Rolf: Mai 1945 bei Volkssturm in Berlin gefallen. Schwarzhans, Hans: Dr., Diplomchemiker, Promotion TH Berlin 1951, danach Industrietätigkeit in der BRD, zuletzt Werksleiter und Werksdirektor bei Texaco in BRD. Schwieger, Horst: 26. 04. 1920– Prof. Dr., Diplomphysiker 1944/45, Promotion Universität Halle 1950, bis 1961 Deutsche Akademie der Wissenschaften der DDR, danach Flucht in BRD, tätig TH Aachen und Universität Bonn, zeitweilig Lehrtätigkeit in USA und Indien, Buchveröffentlichungen. Simon, Heinz: Verbleib unbekannt. Stange, Rolf: 20. 04. 1919– Dr., Diplomphysiker 1945 (vor Kriegsende), Promotion Humboldt-Universität Berlin 1959, Assistent Humboldt-Universität Berlin, danach Flucht in die BRD. Stroh, Hans-Hartwig: 28. 12. 1921– Prof. Dr., Diplomchemiker Dez. 1944, Promotion 1959 Humboldt–Universität Berlin, danach Professor an landwirtschaftlicher Hochschule Berlin (DDR). Vetter, Hans–Helmut: Diplomphysiker 1944/45, nach 1945 Lehrer in der BRD, zuletzt Schuldirektor in Bremen. Wiegand, Horst: 11. 12. 1919– Diplomchemiker 1944/45, nach 1945 Industrietätigkeit in der BRD, zuletzt Direktor einer Shell– Raffinerie. Wörner, Theodor: 23. 06. 1917– Dr., Diplomphysiker, Promotion (geheim) Universität Berlin 10. 04. 1945, nach 1945 Industrietätigkeit in der BRD bei Siemens (zentrale Entwicklungsaufgaben). Wolfschlag, Curt: 15. 05. 1918–1991 Dr., Diplomphysiker 1944, Promotion Universität Berlin 1945, nach 1945 Lehrer in Berlin, ab 1947 Industrietätigkeit bei Siemens in BRD. Wolff, Günther: 31. 03. 1918– Dr., Diplomchemiker 29. 01. 1945, Promotion TU Berlin 1948, ab Oktober 1945 KWI für Physikalische Chemie und Elektrochemie, später Industrietätigkeit in USA. Wildermuth, Karl: 25. 07. 1921– Prof. Dr., Diplomphysiker 1944/45, Promotion Universität Göttingen 1949, 1951–1954 Universität München, danach Kernphysiker CERN Kopenhagen und Genf, Professor in USA und an Universität Tübingen, Buchveröffentlichungen. Wilsdorf, Heinz: 25. 06. 1917–17. 12. 2000 Prof. Dr., Diplomphysiker 1945, Promotion Universität Göttingen 1947, zuletzt Professor in USA. Zech, Hermann: vermutlich 1944/45 bei Bombenangriff auf Berlin ums Leben gekommen.
VII. Denkschrift zur Gründung eines Reichsinstituts
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VII. DENKSCHRIFT ZUR GRÜNDUNG EINES REICHSINSTITUTS FÜR NATURWISSENSCHAFTLICH-TECHNISCHE BERICHTERSTATTUNG UND FÜR DAS AUSKUNFTSWESEN BEIM REICHSFORSCHUNGSRAT, 1943 Als Arbeitsgrundlage ausgearbeitet im Oberkommando der Wehrmacht, Abteilung Wissenschaft, April 1943, handschriftlich signiert von Schumann. Eine Kopie dieses Dokumentes (Umfang: 41 Seiten) konnte nach langem Suchen im Institut für Zeitgeschichte München, Bestand MA 654, gefunden werden. Es handelt sich um einen Mikrofilm minderer Qualität von Dokumenten des OKW in den National Archives (NA) Washington, angefertigt für das IfZ. Die Denkschrift ist gegliedert in: I. Notwendigkeit der Organisation des Berichts- und Auskunftswesens auf den naturwissenschaftlich technischen Gebieten. II. Aufgabenbereich des Reichsinstituts. III. Die Durchführung der Gemeinschaftsarbeit. IV. Eingliederung des Reichsinstitutes in den Rahmen der Verwaltung und allgemeine Schlussbemerkungen. Hier der wesentliche Inhalt in Paraphrase: I. Unter Bezugnahme auf die „sprunghafte Entwicklung von Wissenschaft und Technik“ wird auf „ein außerordentliches Anschwellen“ des betreffenden Schrifttums hingewiesen, wodurch die Literaturauswertung immer aufwändiger werde. „Ständige vielfache Doppelarbeit“ tausender wissenschaftlicher Kräfte sei die Folge. Reichlich zwei Drittel der Patentanmeldungen führten nicht zur Patenterteilung. Selbst große Firmen seien gezwungen, Sonderabteilungen für die „Literaturverfolgung und sammlung“ zu unterhalten. Die von den „Fachorganisationen“ verschiedener Gebiete begründeten Literatursammlungen und Literaturauskunftsstellen seien wenig wirksam, ebenso das 1937 vom „Deutschen Normenausschuss“ herausgegebene „Verzeichnis von Schrifttumsauskunftsstellen der Technik und verwandter Gebiete“. Es fehle eine Leitstelle, die „allgemein ordnend“ tätig sei. II. Im dem Hauptteil der Denkschrift wird der Vorschlag für ein „Reichsinstitut“ entwickelt, das eine „Gemeinschaftsarbeit aller bereits mit der Literaturerfassung, -sammlung und Auskunftserteilung beschäftigter Stellen“ gewährleisten soll. Dazu gehöre vor allem das Reichspatentamt (RPA). Empfohlen werden vier „Arbeitsgebiete“ des Reichsinstituts, und zwar zur Organisation: des naturwissenschaftlich-technischen Berichtswesens, der Literatursammlung und -beschaffung, des Auskunftsdienstes, des geheimen Schrifttums für die Zwecke der Wehrmacht und anderer staatlicher Stellen. Ausgehend von der aktuellen Situation und den am stärksten hemmenden Problemen werden diese Aufgabengebiete inhaltlich detailliert erläutert. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie Doppelarbeit vermieden bzw. der Arbeitsaufwand minimiert werden kann. Beispielhaft wird auf die „vorbildliche Arbeit des Chemischen Zentralblattes“ verwiesen. Unabdingbar sei der „Aufbau einer öffentlichen Zentralkartei für das noch nicht in den Registern erfasste neueste Schrifttum“, z. B. Kataloge, Prospekte und andere Firmenschriften. Großen Raum nimmt die Zusammenarbeit von Reichsinstitut und Reichspatentamt ein, da das RPA „wie keine andere öffentliche oder private Organisation“ über geordnetes und gut zugängliches Schriftmaterial der Wissenschaft und Technik ver-
588
Anhang
füge. Um diese „Informationsquelle“ für das Reichsinstitut voll zu nutzen, sei zugleich „eine räumliche Anlehnung des Reichsinstituts an das Reichspatentamt erforderlich“. Auch für das RPA ergäben sich Vorteile, vor allem wenn der „Patentanmelder in Zukunft angehalten wird, vor der schriftlichen Eingabe einer Patentanmeldung an Hand einer konkreten Fragestellung eine Literaturauskunft bei dem Reichsinstitut einzuholen“. So könne erreicht werden, dass der Anteil der nicht erfolgreichen Patentanmeldungen beträchtlich gesenkt und eine „Entlastung und Vereinfachung des patentrechtlichen Verfahrens“ eintritt. Ebenso werde sich der „Nachweis von Bezugsquellen, eine weitere Hauptaufgabe des Reichsinstituts“, positiv auswirken. Zum geheimen Schrifttum sollen die Geheimpatente „karteimäßig ausgewertet“ werden. Das betreffe auch die laufenden Forschungsarbeiten, und zwar in Abstimmung mit dem Reichsforschungsrat. III. Drei Aufgabenbereiche des Reichsinstituts werden genannt, deren inhaltliche Ausgestaltung „in den laufenden Arbeiten“ erfolgen müsste und die „von Fall zu Fall gesondert zu behandeln seien: Literaturerfassung, Literaturauswertung, Auskunftserteilung in „Gemeinschaftsarbeit“ mit den „auf diesem Gebieten tätigen Organisationen“, Eingriffe in das „Fachzeitschriftwesen auf naturwissenschaftlich-technischem Gebiet“ zwecks „Konzentration und Ordnung“, Zusammenarbeit mit militärischen Stellen und dem RPA zu Geheimpatenten. IV. Es wird für zweckmäßig erachtet, das Reichsinstitut verwaltungsseitig als „Einrichtung des Reichsforschungsrates“ auszuweisen. Die Verwaltung und Finanzierung solle „nach Art der Institute der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft“ erfolgen. Der Personalbedarf werde „sich in engen Grenzen halten“, da das Institut „die technischen Mitglieder des Reichspatentamtes als Mitarbeiter benutzt“, zugleich jedoch „eine großzügig angelegte Literaturstelle des Reichspatentamtes darstellt“. Der Denkschrift sind vier „Tafeln“ beigefügt, die in der Art eines Organigramms Übersichten bieten. Die Tafel I „Plan zur Gründung eines ‚Reichsinstituts für naturwissenschaftlich technische Schriftsammlung und Schrifttumsauskunft‘ beim Reichsforschungsrat“ nennt drei große Gruppen von Beteiligten: (1) Behörden (RPA, HWA, RLM, Reichspostzentralamt, PTR, KWI, Hochschulen usw.), (2) Wissenschaftliche Verbände (Deutsche Chemische Gesellschaft, Deutsche Physikalische Gesellschaft und Gesellschaft für technische Physik, Verein Deutscher Eisenhüttenleute, Deutsche Glastechnische Gesellschaft, Verein Deutscher Ingenieure, Forschungsdienst für die Deutsche Landwirtschaft, Verein für bergbauliches Interessen usw.), (3) Bibliotheken (Technische Hochschule Berlin, Preußische Staatsbibliothek usw.). In den kurzen Bemerkungen zu den „Auswirkungen der Gemeinschaftsarbeit“ wird u. a. hervorgehoben: „Die Einrichtung dient, wehrpolitisch betrachtet, den Interessen der Landesverteidigung“. Die Tafel II ist eine „Übersicht über die Zusammenhänge“ und verweist u. a. auf die Beziehungen zur NSDAP, Hauptamt für Technik. Die Tafel III enthält einen „Arbeitsplan“ für die Leitung des Reichsinstituts, die Verwaltung und fünf Arbeitsgebiete: I. Organisation des Berichtswesens, II. Organisation der Literatursammlung und -beschaffung, III. Organisation des Auskunftsdienstes, IV. Organisation des geheimen Schrifttums, V. Technische Einrichtungen. Die Tafel IV zeigt den „Geschäftsgang einer Literaturrecherche beim Reichsinstitut“.
Strukturschemata
VIII. STRUKTURSCHEMATA
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Anhang
Strukturschemata
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DokuMeNte
Schumann an Vögler (AMPG, I. Abt., Rep. 1 A, Nr. 1123-7)
594
Abbildungen
kriegsauftrag an eitel, Bl. 1 (AMPG, I. Abt., Rep. 42, Nr. 705)
Dokumente
kriegsauftrag an eitel, Bl. 2 (ebd.)
595
596
Abbildungen
Schnellbrief an die kWG (AMPG, I. Abt., Rep. 1 A, Nr. 188)
Dokumente
Schnellbrief an den RFR (BAB, R 26 III/268)
597
598
Abbildungen
erklärung Graues (AMPG, I. Abt., Rep. 1 A, Nr. 1188)
Dokumente
Forstmann an Becker (AMPG, I. Abt., Rep. 1 A, Nr. 2959-3)
599
600
Abbildungen
telschow an eschenbach (AMPG, I. Abt., Rep. 1 A, Nr. 2947-6)
Dokumente
eppinger an telschow (ebd.)
601
602
Abbildungen
Gerlach an telschow (AMPG, I. Abt., Rep. 1 A, Nr. 203-1)
Dokumente
okW W Wiss. an das kWI Bastfaser-Forschung (AMPG, I. Abt., Rep. 1 A, Nr. 2209-3)
603
604
Abbildungen
kWI für Bastfaserforschung an die Generalverwaltung der kWG (AMPG, I. Abt., Rep. 1 A, Nr. 2210-1)
Dokumente
thiessen an telschow (AMPG, I. Abt., Rep. 1 A, Nr. 1175-4)
605
606
Abbildungen
SS an die universität Berlin in Sachen Boseck (AHuB, PA Boseck)
Dokumente
osenberg an Prandtl, Bl. 1 (AMPG, III. Abt., Rep. 61, Nr. 1323)
osenberg an Prandtl, Bl. 2 (ebd.)
607
608
Abbildungen
RFR, Süss, an die SS, Sievers (BAB, R 26 III/200)
Dokumente
Prandtl an osenberg, Bl. 1 (AMPG, III. Abt., Rep. 61, Nr. 1323)
609
610
Abbildungen
Prandtl an osenberg, Bl. 2 (ebd.)
Vermerk zu Pfefferkorn (AHuB, PA Pfefferkorn)
Dokumente
okW W Wiss. zur Habilitation trinks’, Bl. 1 (BAB, R 4901/12800)
okW W Wiss. zur Habilitation trinks’, Bl. 2 (ebd.)
611
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Abbildungen
Studentenkompanie (kopie von Cobarg)
Dokumente
Bescheinigung Döring (kopie von Döring)
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Abbildungen
Programm Sprengstoff-Physik (BAB, R 3/3292)
Dokumente
Protokoll Hohlladungs-Sitzung (ebd.)
615
616
Abbildungen
Vortragsnotiz entwicklung Hohlladung, Bl. 1 (ebd.)
Dokumente
Vortragsnotiz entwicklung Hohlladung, Bl. 2 (ebd.)
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Abbildungen
Vortragsnotiz entwicklung Hohlladung, Bl. 3 (ebd.)
Dokumente
Hohe V0 (BAB, R 26 III/53)
619
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Abbildungen
Mecke an den BHF zu ultrarot in kummersdorf (BAB, R 26 III/511)
Dokumente
Schneider an Gerlach zu ultraviolett (ebd.)
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622
Abbildungen
Gerlach an Czerny (ebd.)
Dokumente
Winkhaus an das ReM, Bl. 1 (BAB, R 4901/14530)
623
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Abbildungen
Winkhaus an das ReM, Bl. 2 (ebd.)
Dokumente
Winkhaus an die universität Posen, Bl. 1 (BAB, R 26 III/3)
625
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Abbildungen
Winkhaus an die universität Posen, Bl. 2 (ebd.)
Dokumente
Forschungen Dadieus (BAB, R 26 III/257)
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Abbildungen
Winkel an den RFR, Bl. 1 (BAB, R 26 III/228)
Dokumente
Winkel an den RFR, Bl. 2 (ebd.)
Stellungnahme thiessens zum Antrag Winkels (ebd.)
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Abbildungen
kriegsverwaltungsrat Pietsch, Bl. 1 (AMPG, III. Abt., Rep. 22, Nr. 11)
Dokumente
kriegsverwaltungsrat Pietsch, Bl. 2 (ebd.)
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632
Abbildungen
kriegsverwaltungsrat Pietsch, Bl. 3 (ebd.)
Dokumente
kriegsverwaltungsrat Pietsch, Bl. 4 (ebd.)
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634
Abbildungen
kriegsverwaltungsrat Pietsch, Bl. 5 (ebd.)
Dokumente
kriegsverwaltungsrat Pietsch, Bl. 6 (ebd.)
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Abbildungen
kriegsverwaltungsrat Pietsch, Bl. 7 (ebd.)
Dokumente
kriegsverwaltungsrat Pietsch, Bl. 8 (ebd.)
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Abbildungen
Dank Glimms in seiner Dissertation (Geheimdissertation Glimms, Archiv Nagel)
Notiz Gerlachs zur Habilitation Diebners (BAB, R 26 III/515)
Dokumente
Briefwechsel Czulius’ mit der PtR, Bl. 1 (AMPG, I. Abt., Rep. 34, Nr. 53)
639
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Abbildungen
Briefwechsel Czulius’ mit der PtR, Bl. 2 (ebd.)
Dokumente
Briefwechsel Czulius’ mit der PtR, Bl. 3 (ebd.)
641
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Abbildungen
Briefwechsel Czulius’ mit der PtR, Bl. 7 (ebd.)
Dokumente
Briefwechsel Czulius‘ mit der PtR, Bl. 8 (ebda.)
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644
Abbildungen
Briefwechsel Czulius‘ mit der PtR, Bl. 9 (ebda.)
Dokumente
Briefwechsel Czulius‘ mit der PtR, Bl. 10 (ebda.)
645
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Abbildungen
Gerlach an Basche (BAB, R 26 III/515)
Dokumente
ReM an die universität Berlin zu Schumann (AHuB, PA Schumann)
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648
Abbildungen
korrektur Schumanns zum Beugungsgitterinterferometer (BA-MA, Nachlass Schumann, kopie von Dr. kunz)
Dokumente
Bucheinteilung Schumanns (ebd.)
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Abbildungen
von Braun an Schumann (kopie von Luck)
Dokumente
von Braun an Schumann (kopie von Dr. Merten)
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Abbildungen
Diebner an Schumann (BA-MA, Nachlass Schumann)
Dokumente
todesanzeige Schumanns
653
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Abbildungen
trinks an Frau Motz (BA-MA, Nachlass Schumann)
Dokumente
Schreiben an Sawenjagin (AMPG, I. Abt., Rep. 34, Nr. 101)
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Abbildungen
FotoGrAFien und ZeichnunGen
Lageplan der Vers. Gottow (Sammlung Bürgervereinigung Kummersdorf)
Fotografien und Zeichnungen
Lageplan der Vers. ost (Sammlung Bürgervereinigung Kummersdorf)
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Abbildungen
erich Schumann als Ministerialdirigent in der uniform eines Generalmajors (Sammlung nagel)
Widmung Schumanns auf der rückseite seines Fotos für Werner Kühr (Sammlung nagel)
Prof. erich Schumann (Foto: dr. P. h. Merten, 1970)
Fotografien und Zeichnungen
treffen der ehemaligen Angehörigen der Studentenkompanie, v. r.: rudolf Frank, Werner Luck, erich Schumann (Sammlung Luck)
treffen der ehemaligen Angehörigen der Studentenkompanie, v. r.: Bertold honigmann, Wilhelm Schlicht, einst Kompaniechef der Studenten, horst capptuller (Sammlung Luck)
659
660
Abbildungen
Gruppe namentlich nicht bekannter offiziere auf dem Versuchsfeld B-ost (Sammlung nagel)
erich Schumann (3. v. r.) mit offizieren des Versuchsfelds B-ost (Sammlung nagel)
661
Fotografien und Zeichnungen
offiziere auf dem Versuchsfeld B-ost (Sammlung nagel)
oberstleutnant Werner Kühr (Sammlung nagel)
Gruppenbild eines Lehrganges von heeresoffizieren am 28. September 1935 (1. reihe: 2. v. r. hauptmann Geist, 5. v. r. General Becker) (Sammlung nagel)
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Abbildungen
Angehörige der Studentenkompanie in tübingen, v. r.: rolf Stange, curt Wolfschlag, hans helmut Vetter (Sammlung Luck)
Angehörige der Studentenkompanie in tübingen, v. r.: curt Wolfschlag, dietrich Becker, unbekannt (Sammlung Luck)
Fotografien und Zeichnungen
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Angehörige der Studentenkompanie vor der universität Berlin auf dem Weg zur Vorlesung, v. r.: heinz ramthun, Werner Luck, hermann Zech (Sammlung Luck)
Werner Luck als Angehöriger der Studentenkompanie (mit Stahlhelm) als unteroffizier vom dienst im Ari-regiment 75 eberswalde, rechts der „Spieß“ (hauptfeldwebel) (Sammlung Luck)
Werner Luck als Angehöriger der Studentenkompanie vor dem eingang zur universität tübingen (Sammlung Luck)
Student rolf Stange in tübingen (Sammlung Luck)
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Abbildungen
Angehörige der Studentenkompanie in tübingen, v. r.: hans helmut Vetter, rolf Stange, Albrecht Maaß, curt Wolfschlag (Sammlung Luck)
der ehemalige Angehörige der Studentenkompanie dipl.-ing. claus christian cobarg (aus: Mut zum Aufbruch: erwin Braun, 1921–1992, Prestel-Verlag 1998, S. 250)
dr. Georg Graue, Leiter der Kriegswirtschaftsstelle (Sammlung nagel)
Fotografien und Zeichnungen
dipl.-ing. Wilhelm Zeyss, Fliegerstabsingenieur bei Wa Prüf 11 (Sammlung nagel)
Prof. dr. Walther Gerlach, 1949 (Sammlung nagel)
Prof. dr. Kurt Möller, der vom hWA (Fernmeldetechnik) zur Ptr wechselte und bei Schumann/Wehnelt seine Geheimdissertation schrieb (Sammlung nagel)
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Abbildungen
namentlich nicht bekannter Angehöriger Wa Prüf 7 in Kummersdorf bei der Arbeit an einem chiffriergerät (Sammlung nagel)
Sekretärin dr. Karl-heinz Köhlers, ursula Frenzel, in der Vers. n (Sammlung nagel)
dr. Kurt diebner, 1936, zuletzt referatsleiter Wa F i a (Sammlung nagel)
Fotografien und Zeichnungen
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dr. ernst rexer, dr. Kurt diebner, dr. heinz Pose (v. r.) in Jena vor dem Alten Physikalischen institut, helmholtzweg (Sammlung nagel)
dr. Kurt diebner (l.) an der universität halle, rechte Person unbekannt (Sammlung nagel)
dr. Fritz Berkei, WaF i a (Foto aus dem Pass: Karin nagel)
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Abbildungen
dr. ernst rexer, beteiligt an den uranarbeiten der diebnerGruppe (Sammlung nagel)
dr. Georg hartwig, WaF i a, 1942 (Sammlung nagel)
Vier Mitarbeiter der diebner-Gruppe vor der uranversuchsanlage in der Vers. Gottow, die für den Versuch G i (mit giftigem uranoxid) Schutzbekleidung tragen, Personen konnten nicht identifiziert werden (Sammlung nagel)
Fotografien und Zeichnungen
trommsdorff 65 Jahre (aus: Zeitschrift für Flugwissenschaft 1969 h. 9, S. 313)
dr. Günther Sachsse, WaF i c (Sammlung nagel)
dr. ernst haeuseler, WaF i c (Sammlung nagel)
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dr. heinz-otto Glimm, WaF i c, referatsleiter (Foto: Frau Gesine Schumacher)
dr. ernst haueseler, Aufnahme nach 1945 (Sammlung nagel)
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Abbildungen Mitarbeiter des ii. Physikalischen instituts in der Ausweichstelle Schloss Wulkow (Forschungsstelle Lebus) vor der dorfstraße 25, heute nr. 46, wahrscheinlich aufgenommen am 20.04.1944, v. l.: dr. horn, Frau dr. donati, oberleutnant dr. Wörner (in uniform), Flickenschild (mit hut), handel, Meißner (Sammlung nagel)
historische Aufnahme von Schloss Wulkow, um 1930? (Sammlung nagel)
Fotografien und Zeichnungen
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inventarschild des ii. Physikalischen instituts, aufgefunden von herrn Günter Schumann, Booßen (Foto von ihm zur Verfügung gestellt)
ritterkreuzträger herr Grollmus bei Sprengarbeiten in Wulkow auf Befehl der SMAd 1948 (Foto: Sammlung curt Galke, Bildtitel festgelegt von herrn curt Galke, 2005)
Verladung der Gruppe Stadtilm für den „rückzug“ nach Bayern ende April 1945 (Sammlung nagel)
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Abbildungen
Verladung der diebner-Gruppe in Stadtilm für den „rückzug“ nach Bayern, im hintergrund die für uran-Versuche genutzte Mittelschule (Sammlung nagel)
Zwischenstopp der diebner-Gruppe beim „rückzug“ nach Bayern ende April in ronneburg (handschriftlicher Vermerk diebners auf der Foto-rückseite: „radium, 25–30 gr. nach Bad tölz.“) (Sammlung nagel)
Fotografien und Zeichnungen
der abgeschleppte PKW (vgl. Bericht hülsmanns) beim „rückzug“ nach Bayern, im hintergrund die Voralpen bei Kochel am See (Sammlung nagel)
historische Ansichtskarte des Schlosses Kranzbach, um 1954
die 1943–1945 weitgehend für Kriegsforschung genutzten Gebäude auf der Zugspitze (Sammlung nagel)
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Abbildungen
Zyklotron in Paris (aus: Wolfgang riezler: einführung in die Kernphysik, Berlin/Buxtehude 1950, tafel iii)
Askania-integrieranlage, gebaut nach den Forschungsergebnissen von robert Sauer und heinrich Pösch (aus: FiAt-Berichte, A. Walther: Mathematik, teil 1, S. 154)
Fotografien und Zeichnungen
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Vier Varianten des trommsdorff-Geschosses (aus: th. Benecke/A. W. Quick: history of German Guided Missiles development, Brunswick 1957, S. 368–371)
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Abbildungen
Flugkörper d 6000 (entwurf trommsdorff) (aus: Zeitschrift für Flugwissenschaft 1954, h. 9, S. 236)
Fotografien und Zeichnungen
Zwei Modelle des trommsdorff-Geschosses, die in der AVA Göttingen getestet wurden (aus: Bericht oswatitschs zum trommsdorffgeschoss)
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Abbildungen
Abbildung eines Geschosses aus der unveröffentlichten Arbeit Schumanns „Über ein Beugungsgitterinterferometer und seine Anwendung in der Ballistik“ (Sammlung nagel)
nachzeichnung einer Abbildung aus der dissertation heinz-otto Glimms (Zeichnung: Anett Klos)
Fotografien und Zeichnungen
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Abbildungen aus Schumanns unveröffentlichtem Manuskript zur Atomforschung (nachlass Schumann)
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nachzeichnung zweier Abbildungen aus den Patentschriften Schumanns/trinks’, nr. 977863 und 977869 (Zeichnung: Anett Klos)
Abbildungen
Fotografien und Zeichnungen
telegraf vom 9. Januar 1963 (zur Verfügung gestellt von dr. Kunz)
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Abbildungen
Bild-Zeitung vom 19. Juli 1969
erich Schumann im Völkischen Beobachter vom 10. April 1940 zum tod von General Becker
Fotografien und Zeichnungen [diese und nächste Seite] Gebäude und ehemalige Versuchstände in der Vers. Gottow um 1970, z. t. hergerichtet für eine geplante, aber nicht realisierte holzbearbeitung (Pilzproduktion) (alle Fotos: hans Koskar)
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Abbildungen
Fotografien und Zeichnungen
dienstausweis dr. Kurt-Günter Karbaums, Vorder- …
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… und rückseite (Sammlung nagel)
dienstausweis dr. Kurt-Günter Karbaums für hillersleben (Sammlung nagel)
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Abbildungen
tischkarte dr. Kurt-Günter Karbaums für eine tagung (Sammlung nagel)
Mitteilung des Standortältesten über das Schießen auf dem Gelände der heeresversuchsstelle Kummersdorf (Sammlung nagel)
Fotografien und Zeichnungen
Manuskript erich Schumanns zur Aurol-Forschung, aus dem nachlass (Foto: Karin nagel)
Seewerk Falkenhagen: reste der Abdeckung einer Baugruppe der Sarin-Anlage (Foto: Karin nagel, 1999)
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Abbildungen
Seewerk Falkenhagen: ruinen des Behälterlagers für n-Stoff (Foto: Karin nagel, 1999)
Seewerk Falkenhagen: unterkellerter teil eines traktes der Sarin-Anlage, nicht fertig gestellter rohbau (Foto: Karin nagel, 1999)
Fotografien und Zeichnungen
Seewerk Falkenhagen: ruine des Kraftwerkes (Foto: Karin nagel, 1999)
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Seewerk Falkenhagen: unterirdische Anlage unbekannter Zweckbestimmung an der Geländegrenze (Foto: Karin nagel, 1999)
Schlossruine Wulkow (Foto: Karin nagel, 2006)
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Abbildungen
Schloss Kranzbach (Foto: Karin nagel, 2005)
Jebensstraße in Berlin, einst vom hWA genutzte Gebäude (Foto: Karin nagel, 2002)
Fotografien und Zeichnungen
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oben und unten: dokumente von dr. hasso döring zu seiner tätigkeit 1946/48 bei der „Gema“ für sowjetische Behörden (Kopien von dr. döring zur Verfügung gestellt)
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Abbildungen
oben und unten: rückseite der dokumente dörings, mit unterschrift von Prof. Alfred Klose (Kopien zur Verfügung gestellt von dr. döring)
Fotografien und Zeichnungen
Standortübersicht (Zeichnung: Anett Klos)
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Lage der WaF-Forschungsstellen in der Heeresversuchsstelle Kummersdorf (Zeichnung: Anett Klos)
694 Abbildungen
Fotografien und Zeichnungen
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Rekonstruktionszeichnung zur Vers. Gottow, angefertigt von Mitgliedern der Arbeitsgruppe Zeitgeschichte in „Garnisonsgeschichte Jüterbog St. Barbara e. V.“
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Abbildungen
Linke und und rechte Seite: Beschreibung zur Rekonstruktionszeichnung
Fotografien und Zeichnungen
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Abbildungen
Beschreibung zur Rekonstruktionszeichnung
Luftbild der Vers. Gottow in Ost-West-Richtung, ganz links am Bildrand die Straße von Kummersdorf nach Schönefeld/Dorf Gottow (Foto: Karin Nagel, 2000)
Fotografien und Zeichnungen
Erich Schumann bei der Feier zu seinem 80. Geburtstag, links seine zweite Frau, geb. Dr. Hildegard Motz (Sammlung Nagel)
Dr. Werner Czulius (Foto: Karin Nagel, 1999)
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Abbildungen
Dienstausweis Dr. Werner Czulius’, Vorderseite …
… und Rückseite (Foto: Karin Nagel, 1999)
Gebäuderuine in der Vers. Ost, mit unbekannter Zweckbestimmung (Foto: Karin Nagel, 2006)
Fotografien und Zeichnungen
Alle Bilder: Gebäuderuine in der Vers. Ost
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Abbildungen
Gebäuderuine in der Vers. Ost
Gebäuderuine in der Vers. Ost (Foto: Karin Nagel, 2006)
Gebäuderuine in der Vers. Ost, l. Herr Zwicker, Bürgervereinigung Kummersdorf, r. der Autor (Foto: Karin Nagel, 2006)
Fotografien und Zeichnungen
Einstiger Versuchsstand
Einstiger Versuchsstand
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Abbildungen
Einstiger Versuchsstand in der Vers. Gottow, wahrscheinlich genutzt für Raketen-Triebwerksversuche (Foto: Karin Nagel, 2006)
Einstiger Versuchsstand in der Vers. Gottow mit unbekannter Zweckbestimmung, nach Freilegung 2005 durch die Bürgervereinigung Kummersdorf (Foto: Karin Nagel, 2006)
Fotografien und Zeichnungen
„Unterirdischer Bahnhof“ der Vers. Gottow, noch deutlich erkennbar der Verlauf der herausgerissenen Gleise (Foto: Karin Nagel, 1998)
Versuchsbau in Kummersdorf, deutlich erkennbar die parabolartige Ausformung, wahrscheinlich genutzt für Schallversuche (Foto: Karin Nagel, 2007)
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Abbildungen
Südwestliche Ecke der Vers. Gottow mit Standort der Urananlage (roter Punkt) (Foto: Karin Nagel, 2000)
Reste der Uranversuchsanlage in der Vers. Gottow, Innenansicht (Foto: Karin Nagel, 1998)
Fotografien und Zeichnungen
Die in der Vers. Gottow entwickelte Würfelanordnung, Nachbildung im Atomkeller-Museum Haigerloch (Foto: Karin Nagel, 1998)
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Herr Ralf Kaim, Bürgervereinigung Kummersdorf, erklärt in der Vers. West Besuchern die Funktion einer Abgasschurre (Foto: Karin Nagel, 2007)
Besuch Dr. Werner Czulius’ in Kummersdorf zur Besichtigung der Vers. West, ganz rechts (Foto: Karin Nagel, 2000)
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Abbildungen
Angehörige der Familie Glimm 2001 auf dem Gelände von Kummersdorf zur Erklärung, wo Dr. Heinz-Otto Glimm 1945 ums Leben kam (2. v. l. Frau Gesine Schumacher, 3. v. l. Prof. Werner Luck, 1. v. r. Gerhard Zwicker, 2. v. r. Werner Nitschmann, beide Bürgervereinigung Kummersdorf) (Foto: Karin Nagel)
Arbeitstisch von Prof. Erich Habann in Wilhelmshagen, seit seinem Tod 1968 unverändert erhalten (Foto: Karin Nagel, 2004)