Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft: Zur Produktion einer Erfolgsgeschichte in der deutschen Geschichtskultur 9783839452196

Textbooks and German historical culture tell a success story of the "social market economy", which has been co

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German Pages 412 Year 2020

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Table of contents :
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Inhalt
Danksagung
1. Einleitung
2. Schulbücher als Medium der Geschichtskultur und des historischen Lernens
2.1 Schulbücher
2.2 Politicum
2.3 Informatorium und Paedagogicum
3. Nachkriegswirtschaft in der Geschichtswissenschaft
3.1 »Stunde null« versus »Auferstanden aus Ruinen«
3.2 Jalta und Potsdam
3.3 »Deutschlandfrage«
3.4 Eingriffe in die Wirtschaftsstruktur – Landwirtschaft und Industrie
3.5 Reparationen und Demontagen
3.6 Zusammenfassung der Startbedingungen
3.7 Aufbau des Sozialismus
3.8 »Wirtschaftswunder« im Westen
3.9 DDR-Wirtschaft
3.10 Protest in West und Ost
4. Schulbuchanalysen und Lehrpläne
4.1 Allgemein
4.2 Bundesrepublik
4.3 DDR
4.4 Lehrpläne der Bundesländer
5. Methodik und Auswahl der Bücher
5.1 Überblick
5.2 Fachliche Triftigkeit
5.3 Narrative Triftigkeit
5.4 Normative Triftigkeit
6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern
6.1 Klett
6.2 Buchner
6.3 Westermann
6.4 Cornelsen
7. Auswertung der Ergebnisse
7.1. Fachliche Triftigkeit BRD
7.2 Fachliche Triftigkeit DDR
7.3 Narrative und normative Triftigkeit
7.4 Schulbuchproduktion und Geschichtskultur
8. Fazit
Abkürzungsverzeichnis
Quellen- und Literaturverzeichnis
Literatur
Schulgeschichtsbücher
Lehrpläne
Archivmaterial
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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft: Zur Produktion einer Erfolgsgeschichte in der deutschen Geschichtskultur
 9783839452196

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Kai Krüger Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

Public History – Angewandte Geschichte  | Band 4

Für Mia und Theresa

Kai Krüger ist als Lehrer an einer Berliner Gemeinschaftsschule tätig. Zuvor studierte er Geschichte und Physik, war Lehrbeauftragter und promovierte am Arbeitsbereich Geschichtsdidaktik an der Freien Universität Berlin.

Kai Krüger

Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft Zur Produktion einer Erfolgsgeschichte in der deutschen Geschichtskultur

Diese Arbeit wurde im April 2019 am Friedrich-Meinecke-Institut (Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften) der Freien Universität Berlin als Dissertation verteidigt. Erst- und Zweitgutachter waren Prof. Dr. Martin Lücke und Prof. Dr. Arnd Bauerkämper. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung durch die Ernst-Reuter-Gesellschaft und die Rosa-Luxemburg-Stiftung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:// dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2020 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildungen: Jubiläumsfeier anlässlich der Fertigstellung des einmillionsten Volkswagens in Wolfsburg, 1955 | © ullstein bild - ullstein bild (Cover); Montage des Trabant VEB Sachsenring Automobilwerke Zwickau, 1988 | © ullstein bild / EschKenkel (Umschlagrückseite) Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5219-2 PDF-ISBN 978-3-8394-5219-6 https://doi.org/10.14361/9783839452196 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

Danksagung .................................................................................... 7 1. Einleitung ................................................................................... 9 2. Schulbücher als Medium der Geschichtskultur und des historischen Lernens ............... 21 2.1 Schulbücher............................................................................................................ 21 2.2 Politicum ...............................................................................................................22 2.3 Informatorium und Paedagogicum .............................................................................. 27 3. Nachkriegswirtschaft in der Geschichtswissenschaft ..................................... 35 3.1 »Stunde null« versus »Auferstanden aus Ruinen« ......................................................... 35 3.2 Jalta und Potsdam.................................................................................................. 36 3.3 »Deutschlandfrage« ................................................................................................37 3.4 Eingriffe in die Wirtschaftsstruktur – Landwirtschaft und Industrie .................................. 45 3.5 Reparationen und Demontagen ................................................................................. 62 3.6 Zusammenfassung der Startbedingungen.................................................................... 66 3.7 Aufbau des Sozialismus ........................................................................................... 66 3.8 »Wirtschaftswunder« im Westen ................................................................................ 70 3.9 DDR-Wirtschaft .......................................................................................................94 3.10 Protest in West und Ost ......................................................................................... 102 4. Schulbuchanalysen und Lehrpläne.........................................................105 4.1 Allgemein ............................................................................................................. 105 4.2 Bundesrepublik ..................................................................................................... 105 4.3 DDR ..................................................................................................................... 116 4.4 Lehrpläne der Bundesländer .................................................................................... 125 5. Methodik und Auswahl der Bücher ......................................................... 127 5.1 Überblick............................................................................................................... 127 5.2 Fachliche Triftigkeit ................................................................................................129 5.3 Narrative Triftigkeit ............................................................................................... 135

5.4 Normative Triftigkeit ............................................................................................... 141 6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern ...........................145 6.1 Klett .................................................................................................................... 145 6.2 Buchner................................................................................................................ 175 6.3 Westermann ......................................................................................................... 208 6.4 Cornelsen............................................................................................................. 259 7. Auswertung der Ergebnisse ............................................................... 295 7.1. Fachliche Triftigkeit BRD ......................................................................................... 295 7.2 Fachliche Triftigkeit DDR ..........................................................................................314 7.3 Narrative und normative Triftigkeit.............................................................................319 7.4 Schulbuchproduktion und Geschichtskultur................................................................. 329 8. Fazit .......................................................................................351 Abkürzungsverzeichnis...................................................................... 365 Quellen- und Literaturverzeichnis ........................................................... 369 Literatur ................................................................................................................... 369 Schulgeschichtsbücher................................................................................................ 406 Lehrpläne ................................................................................................................. 409 Archivmaterial ............................................................................................................ 410

Danksagung

Ich möchte mich als erstes herzlich bei meinem Betreuer Professor Dr. Martin Lücke von der Freien Universität Berlin (FU) bedanken, denn ohne seine Motivierung hätte ich die vorliegende Dissertation nicht geschrieben. Zudem stand er trotz seines stets übervollen Terminkalenders immer für ein Arbeitsgespräch und viele wertvolle Anregungen zur Verfügung. Dies ist keine Selbstverständlichkeit. Außerdem bedanke ich mich beim Studienwerk der Rosa-Luxemburg-Stiftung, das mir durch ein Promotionsstipendium die Freiheit gegeben hat, eine Dissertation in Vollzeit durchzuführen und sie nach meinen thematischen Interessen zu gestalten. Des Weiteren möchte ich die Ernst-Reuter-Gesellschaft erwähnen, die mich mit einem großzügigen Druckkostenzuschuss bei der Veröffentlichung unterstützt hat. Darüber hinaus muss an dieser Stelle das Kolloquium des Arbeitsbereiches Geschichtsdidaktik der FU Berlin genannt werden, in dem ich viele bedeutende inhaltliche Anregungen, aber auch persönliche Unterstützung erhalten habe. Dabei will ich Sibylla Hesse gesondert hervorheben, die nicht nur einige Texte aufmerksam gelesen, sondern mir durch ihre langjährige Praxiserfahrung als Lehrerin wertvolle Ideen zur Schulbuchanalyse gegeben hat. Ich freue mich darüber, dass die Veröffentlichung in Zusammenarbeit mit dem transcript Verlag erfolgt, mit dem alles professionell, zielorientiert und unkompliziert abgelaufen ist. Schließlich möchte ich Theresa Klostermeyer, Sebastian Schneider, Felix Klostermeyer, Sylvia Krüger, Theresa Tschenker, Maren Streibel, Aaron Bruckmiller und Michael Beron danken, die sich durch meine fertigen bzw. halbfertigen Texte gekämpft haben und dabei größtenteils angemessenes Feedback, Lektorat und viele wertvolle Anregungen gaben. Außerdem wäre ohne ihre persönliche Unterstützung diese Arbeit nicht zu bewältigen gewesen. Abschließend möchte ich meine kleine Familie hervorheben, die mir die endlose Zeit am Computer erträglich gemacht hat. Ich freue mich nun auf mehr Zeit mit Euch und möchte das Buch unserer kleinen Mrs. Glotzkowski widmen. Kai Krüger Berlin, 16.03.2020

1. Einleitung

»Deutsche Geschichte ist seit 1945 vor allem Wirtschaftsgeschichte […] Die westdeutsche Bundesrepublik glich […] lange einer erfolgreichen Wirtschaft auf der Suche nach ihrem politischen Daseinszweck.«1 Obwohl diese Sätze von Werner Abelshauser überspitzt sind, so wird der Kern der Aussage kaum zu bestreiten sein. Für den Liberalismus in Deutschland ist diese Epoche sogar die zentrale Legitimationsfigur. Sie basiert auf der Erzählung, dass in einem völlig zerstörten Land die »Soziale Marktwirtschaft« eingeführt worden sei, in der sich alle hart arbeitenden Deutschen ein Vermögen hätten aufbauen können. Zahlreiche historische Verweise auf diese Epoche zeugen bis heute von der ungebrochenen Bedeutung dieser Erzählung. Beispielsweise kreierte die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) in den Jahren 2013/14 eine breite Werbekampagne mit dem Slogan »Vater des Wirtschaftswunders können Sie nicht mehr werden. Aber Mutter der Vollbeschäftigung«2 , der formal an die neue Regierung von Angela Merkel gerichtet war. Auch der amtierende Wirtschaftsminister Peter Altmaier verknüpft mit seinem Amt eine historische Mission: »Die Soziale Marktwirtschaft muss in jeder Generation einmal [sic!] neu erkämpft werden.«3 Insgesamt nimmt der Bezug auf das »Wirtschaftswunder« sowie die Einführung der »Sozialen Marktwirtschaft« eine wichtige Rolle in der Geschichtskultur der Bundesrepublik Deutschland (BRD)4 ein. Aber auch für andere politische und ökonomische Schulen ist die Wirtschaftsgeschichte der Nachkriegszeit ein zentraler Bezugspunkt. Der keynesianische Ökonom Heiner Flassbeck sieht in Theorie und Praxis des Bretton-Woods-Systems eine wichtige Vorlage für einen gerechten Welthandel und die Beendigung der (Währungs-)Spekulation auf den Finanzmärkten. Zudem hätten die großen staatlichen Wirtschaftssektoren und die Konjunkturpolitik in Europa die »Wirtschaftswunder« in vielen Staaten ermöglicht.5 Sarah Wagenknecht bezieht sich sogar positiv auf Ludwig Erhard, da die-

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Abelshauser (2011), S. 11. Serviceplan Group (2013). Riedel (2018). Die Abkürzung BRD wurde lange Zeit als politisch konnotierte Abkürzung begriffen. Inzwischen steht sie im Duden und wird in der vorliegenden Arbeit als Kurzform genutzt. Flassbeck (2010), S. 7f. Der Buchrücken trägt die Überschrift: »Ein neues Wirtschaftswunder ist machbar.«

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

ser »Wohlstand für alle« durch »echte Reallohnsteigerungen« gefordert und die Machtkonzentration in der Wirtschaft kritisiert habe.6 Für die gesellschaftliche Linke ist die Nachkriegszeit ohnehin von Bedeutung, da sich eine deutliche Mehrheit der Menschen für die Beendigung des Kapitalismus aussprach.7 Die Legitimation von aktueller Politik durch historische Bezüge weist häufig auf problematische Strukturen in der Gegenwart hin. Und tatsächlich steht die Wirtschaft aktuell (Sommer 2018) vor großen Herausforderungen, die ich kurz darstellen werde. •







Der Kapitalismus konnte sein Versprechen von sozialer Gerechtigkeit nicht einlösen, da die (relative) Armut weiter ansteigt, während zugleich für das Produktionsvolumen oftmals die Nachfrage fehlt. Auf der anderen Seite werden sehr große Vermögen angehäuft, deren Verwaltungen auf den Finanzmärkten nach Renditen suchen.8 Außerdem verstärkt die expansive Kreditpolitik der Notenbanken, ohne die die Wirtschaftskrise von 2008/2009 allerdings deutlich heftiger ausgefallen wäre, die spekulative Aufblähung der Finanzmärkte. Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass – sofern es keinen radikalen Politikwechsel gibt – hohe Wachstumsraten und steigende Staatsverschuldungen notwendig sind, um den Status quo der Mehrheit der Bevölkerung zu erhalten und die ambitionierten Renditeansprüche zu bedienen. Der Anstieg der Weltbevölkerung, die Klimaerwärmung und das Artensterben sind jedoch Indizien, dass es eines grundlegenden Wandels bedarf. Gleichzeitig stellt die Sockelarbeitslosigkeit ein gesellschaftliches Problem dar. In Deutschland wird die Arbeitslosigkeit erstens kleingerechnet und zweitens partiell durch die Exportüberschüsse aufgefangen. International betrachtet sind die Exportüberschüsse jedoch ein Teil des Problems und nicht der Lösung, da mit ihnen die Arbeitslosigkeit lediglich exportiert wird. Ein Ansatz für die Beendigung der strukturellen Arbeitslosigkeit ist nicht in Sicht. Vermutlich wird die Weiterentwicklung der künstlichen Intelligenz das Problem von (am Arbeitsmarkt) nicht gebrauchten Menschen zusätzlich verstärken. Derzeit gibt es in Europa ein groteskes Nebeneinander von Arbeitslosigkeit und einem großen Mangel an Menschen in all jenen Bereichen der Gesellschaft, die keine Gewinne versprechen.

Für die Geschichtsdidaktik besteht die Aufgabe darin, diese bedeutenden Gegenwartsprobleme durch wirtschaftshistorisches Lernen zu thematisieren. Hierfür müssen die ökonomischen Fragen jedoch kleinteiliger betrachtet werden.

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Wagenknecht (2012), S. 47ff. Siehe Abschnitt 3.3. Piketty (2014); für Deutschland: Fratzscher (2016). Auch der jährliche Oxfam-Bericht zeigt eine erstaunliche Entwicklung. So besäßen im Jahr 2018 die reichsten 42 Menschen so viel Vermögen, wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung (3,7 Milliarden): Oxfam (2018). Wenn auch die konkreten Zahlen und die Berechnungsmethode umstritten sind, so zweifelt doch niemand die These an, dass einzelne Menschen über mehr Güter verfügen als große Bevölkerungsgruppen und sogar Staaten.

1. Einleitung

Die Epoche des »Golden Age« bietet sich sowohl für konkrete ökonomische Problemstellungen als auch für historische Bezüge in besonderem Maße an. In regelmäßigen Abständen wird beispielsweise die Forderung nach einem »Marshallplan« erhoben, womit ein Konjunkturprogramm für Europa oder für arme Länder – besonders auf dem afrikanischen Kontinent – gemeint ist.9 Die europäische Staatsverschuldungskrise diskutiert die Presse ebenfalls anhand des Vergleichs mit dem Londoner Schuldenabkommen von 1953.10 Auch in die Debatten über die ökonomische Wirkung der Massenmigration fließen Erkenntnisse über die Anwerbeabkommen der 1950er und 1960er Jahre ein.11 Alle diese historischen Ereignisse lassen sich für den Unterricht nutzbar machen: die Staatsverschuldung anhand des Londoner Schuldenabkommens; internationale Kreditverträge und die Politik des Internationalen Währungsfonds (IWF) anhand des »Marshallplans«; Wohnraumknappheit anhand der Bauprogramme der 1950er Jahre; Verteilungskonflikte anhand der großen Gewerkschaftskämpfe und das Weltfinanzsystem anhand von Bretton Woods. Ein großes Potenzial bietet außerdem die Thematik der Alltagsgeschichte, da die Zeit immerhin als Epoche von relativer politischer Stabilität bezeichnet werden kann. Demgegenüber dient die Wirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) lediglich als vermeintlicher Beweis dafür, dass staatliche Wirtschaftspolitik, die in den Mechanismus der freien Preisbildung eingreift, nicht erfolgreich sein kann. Doch auch hierbei lohnt sich ein zweiter Blick. Allein die Entwicklung der chinesischen Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten zeigt, dass staatliche Wirtschaftspolitik differenzierter betrachtet werden muss. Trotz der großen ökonomischen Herausforderungen sind die wirtschaftlichen Kenntnisse in der Bevölkerung vermutlich eher rudimentär. Dies betrifft für die Wirtschaftsgeschichte der BRD ebenfalls die Orte der Expertise. Abelshauser schreibt im Vorwort der Publikation des damaligen Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi) über dessen Jubiläumsfeier im Jahr 2008, dass »die meisten Gäste wohl zum ersten Mal hörten, dass nicht Erhard, sondern ein Leutnant (!) [Hervorhebung im Original, KK] der US-Luftwaffe, Edward A. Tenenbaum, für den Währungsschnitt verantwortlich war. […] Mehr als drei Jahrzehnte nachdem die historische Forschung diese Tatsache herausgearbeitet hat, hielt die Erkenntnis auf höchster Ebene Einzug in die Ideologie der Sozialen Marktwirtschaft.«12 Ohne akkurate Kenntnisse der deutschen Wirtschaftsgeschichte der letzten Jahrzehnte sind jedoch viele Probleme der Gegenwart und gesellschaftliche Diskussionen über Deutschland und Europa nur schwer zu fassen. Gleichzeitig ist die sozioökonomische Bildung ein politisch umkämpftes Feld. Dies zeigte sich erst kürzlich, als der damalige Innenminister Thomas de Maizière auf Druck der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) einen kurzfristigen 9 10 11 12

Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (2017); Eichengreen (2015). Portmann (2015); Häring (2017). Kirst (2015). Abelshauser (2016b), S. 12.

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

Lieferstopp für das bei der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) produzierte Arbeitsbuch Ökonomie und Gesellschaft bewirkte, da das Buch angeblich den Lobbyismus der Wirtschaftsverbände zu kritisch darstelle. Der wissenschaftliche Beirat der BpB verurteilte den Eingriff und der Lieferstopp wurde nach einiger Zeit aufgehoben.13 Heute ist das Buch als digitales Dokument verfügbar, gedruckt wurde die Ausgabe allerdings nicht mehr. Bemerkenswerterweise ist die Wirtschaftsgeschichte von 1945 bis heute sowohl in der Geschichtsdidaktik als auch in der Schulbuchforschung ein Desiderat. Dabei stellt die fehlende Auseinandersetzung mit diesem Themenkomplex ein nicht zu verachtendes gesellschaftliches Problem dar. Viele Menschen fühlen sich in Wirtschaftsfragen nicht kompetent und ohnmächtig gegenüber den Experten. Folglich enthalten sie sich der politischen Debatten. Deshalb sind wirtschaftshistorische Analysen der Geschichtskultur von bedeutendem Interesse. Als Untersuchungsgegenstand bieten sich Schulbücher an, da sie als »Leitmedium« des Unterrichts – wie in Kapitel zwei erläutert wird – eine große Breitenwirkung haben. Mindestens die Lehrer*innen in Deutschland14 , dieser zynische Scherz muss an dieser Stelle erlaubt sein, lesen die Schulbücher akribisch. Weiterhin möchte ich mit der Arbeit eine Bestandsaufnahme der Narrationen eines wichtigen Mediums der Geschichtskultur durchführen. Daran kann festgestellt werden, welche Geschichten für erzählungswürdig befunden werden. Es handelt sich demnach, um die Formulierung von Wolfgang Jacobmeyer aufzugreifen, um eine Analyse der »nationalen Autobiografie«15 . Ich werde untersuchen, welche Thesen der Wirtschaftsgeschichte die Schulbücher reproduzieren. Meistens besteht ein Zusammenhang zwischen diesen Thesen und bestimmten ökonomischen Paradigmen wie dem Liberalismus oder dem Keynesianismus. Außerdem soll analysiert werden, mit welchen historischen Basistheorien die Schulbücher operieren: Erzählen die Schulbücher die wirtschaftliche Entwicklung anhand der Ideen der großen Staatsmänner oder mit Hilfe von längeren Zeiträumen der strukturellen Veränderung? Die Überprüfung der Schulbücher hinsichtlich der didaktischen Qualität des in ihnen verwendeten Materials orientiert sich an dem Anspruch, historisches Lernen und die Entwicklung eines »reflektierten Geschichtsbewusstseins«16 zu fördern. Besonderes Augenmerk lege ich – ausgehend von den Arbeitsaufträgen – auf die Bearbeitung von historischen Quellen. Erstens wird analysiert, ob die Schulbücher die Möglichkeit bieten, um eine gute Quellenanalyse anhand der W-Fragen durchzuführen. Zweitens steht im Fokus, inwieweit mit dem Material eine eigene historische Erzählung der Schüler*innen zu realisieren ist. Die leitenden Fragen können wie folgt zusammengefasst werden: Stellen die Schulbücher die Erkenntnisse der wirtschaftshistorischen Forschung dar und erklären sie damit historische Veränderungen? Versuchen die Schulbücher, multiperspektivische und kontroverse Narrationen anzubieten? Werden die historischen Erzählungen mit paradigmatischen Theorien und gesellschaftlichen Akteuren 13 14

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Lambertz/Apelojg (2014). Siehe folgenden Kommentar: Hedtke (2016). Das Gendersternchen (*) drückt aus, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt. Ein generisches Maskulinum wird in der vorliegenden Arbeit nicht verwendet. Wenn sich im Text eine männliche Form befindet, sind nur Männer gemeint. Jacobmeyer (1992). Schreiber u.a. (2013), S. 24ff.

1. Einleitung

in Verbindung gebracht, um das Verständnis aktueller Diskussionen zu fördern? Animieren die Schulbücher zur politischen Meinungsäußerung? Insgesamt soll jedoch keine »Schulbuch-Schelte«17 entstehen, welche die Schulbücher abgekoppelt von strukturellen und gesellschaftlichen Bereichen analysiert. Stattdessen werden sie im Kontext der Akteure der Schulbuchproduktion und der Geschichtskultur begriffen. Insbesondere erfolgt die Untersuchung der Quellen bezüglich ihrer Herkunft sowie ihrer Bearbeitung durch eine Analyse der deutschen Geschichtskultur. Durch diesen Abgleich können zudem Rückschlüsse auf die Schulbuchproduktion gezogen werden, die bisher eine unerforschte black box darstellt. Die vorliegende Arbeit basiert auf 36 Schulgeschichtsbüchern der Jahrgänge 2014 bis 2016 und 28 zugehörigen Lösungsbänden, mit denen die Lösungen von 31 Schulbüchern erschlossen werden können18 . Für einige diachrone Vergleiche habe ich zusätzlich 16 ältere Schulbücher herangezogen. Da der Anspruch der Arbeit in der Erfassung aller aktuellen Schulbuchdarstellungen liegt, muss der Korpus zwei Kriterien erfüllen: Einerseits sollte im gewählten Zeitraum jedes wichtige Schulbuch neu herausgegeben worden sein und andererseits muss sich der Arbeitsaufwand im Rahmen halten. Immerhin bieten manche Schulbücher der Oberstufe bis zu zehn Seiten Material zum Thema Wirtschaftsgeschichte. Die Vorarbeiten für diese Arbeit zeigten, dass die Jahrgänge 2014-2016 die Kriterien erfüllen. Lediglich Schulbücher mit geringerer Auflage, wie z.B. Geschichte und Gegenwart, Mitmischen oder Zeit für Geschichte, wurden in dieser Zeit nicht neu herausgegeben und folglich nicht verwendet. Insgesamt habe ich mich bei der Auswahl der Schulbücher gegen eine reine Orientierung an ihrer Auflage entschieden, um möglichst viele Schulbuchkonzeptionen einbeziehen zu können. Außerdem berücksichtigt die Auswahl des Korpus nach Jahrgängen die größere (auflagenstärkere) Verbreitung von einzelnen Schulbüchern, da in der statistischen Erhebung mehrere Auflagen für mehrere Bundesländer proportional gezählt werden. Eine methodische Schwachstelle entsteht dadurch, dass die Bundesländer in ungleichem Maße vertreten sind. Überdurchschnittlich viele Schulbücher sind für die Bundesländer veröffentlicht worden, die kurz vor dem oder zu Beginn des Untersuchungszeitraums einen neuen Lehrplan verabschiedet haben. Gleichzeitig deuten meine Vorarbeiten bereits an, dass die Schulbücher für verschiedene Bundesländer bei diesem Thema zumeist wenig durch föderale Vorgaben beeinflusst werden. Methodisch beruht die Arbeit auf einem ausführlichen kategorialen Analyseraster, das einem Fragebogen ähnelt, den ein*e Wissenschaftler*in selbst ausfüllt. Als methodische Grundlage dienen die Arbeiten von Wolfgang Marienfeld, dessen Kategoriensystem vielfach benutzt wird.19 Allerdings werde ich, wie einige aktuelle Schulbuchanalysen, das Fundament der Kategorien durch das Modell der Triftigkeiten von Jörn Rüsen erweitern.20 Diverse Impulse kommen aus dem Buch Analyse von Schulbüchern als Grundlage empirischer Geschichtsdidaktik von Waltraud Schreiber und Alexander Schöner, die versucht haben, eine Kategorialanalyse zu entwickeln, die jedes Wort einschließt.21 Von 17 18 19 20 21

Stein/Beddies (1979). Manche Lösungsbände sind für mehrere Auflagen konzipiert. Marienfeld/Overesch (1986). Rüsen (1983). Schreiber u.a. (2013).

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

Christoph Kühberger sind viele Codierungen der narrativen Triftigkeit übernommen.22 Als Überblickswerke zu Schulbüchern wurden vor allem Schulbucharbeit von Bernd Schönemann und Holger Thünemann sowie der Sammelband Geschichtsdidaktische Schulbuchforschung von Saskia Handro und Schönemann verwendet.23 Das verwendete Kategorialraster besteht erstens aus Codierungen zur empirischen bzw. fachlichen Triftigkeit (siehe ausführlich im fünften Kapitel). Hierfür wird jede vorkommende wirtschaftshistorische These zur Nachkriegswirtschaft von BRD und DDR in ein sechsstufiges System (entspricht in etwa sechs Antwortmöglichkeiten) eingeordnet. Folglich führe ich den komplexen Schulbuchfragebogen als methodische Neuerscheinung in die Didaktik ein. Zweitens erfolgt eine weitere Erhebung hinsichtlich der narrativen Triftigkeit. Die Ergebnisse beider Analyseteile können abschließend mit einfachen statistischen Verfahren ausgewertet werden. Dabei ist es möglich, zu erfassen, wie viele Schulbücher z.B. die These vertreten, dass der sogenannte »Marshallplan« das »Wirtschaftswunder« ausgelöst oder wenigstens unterstützt habe. Auch wird deutlich, wie viele Schulbücher dieser These widersprechen und wie viele Schulbücher den »Marshallplan« überhaupt nicht erwähnen. Drittens werden alle Bausteine der Erzählungen zum »Wirtschaftsaufschwung« in einem ausführlichen deskriptiven Teil dargestellt, um – ausgehend von den Arbeitsaufträgen – die Möglichkeit der Quellenanalyse mitsamt dem Potenzial für eine eigene historische Erzählung zu erfassen. In der Auswertung werde ich die Analysen anhand des theoretischen Modells der fachlichen (empirischen), normativen und narrativen Triftigkeit systematisieren sowie Chancen und Grenzen dieser Einteilung diskutieren. Eine weitere methodische Erweiterung der Schulbuchanalyse besteht darin, dass die Herkunft der Originalquellen sowie deren Weg in die Schulbücher umfassend analysiert werden. Jede einzelne Provenienzangabe wird geprüft und die Veränderung der Quelle24 dokumentiert. Dies ist notwendig, da die Sinnerhaltung einer Vergangenheitserfahrung (fachliche Triftigkeit) ein zentrales Kriterium ist, um sie für historisches Lernen zu benutzen. Aus dieser Auswertung können überraschend viele Hinweise bezüglich der Schulbuchproduktion gewonnen werden. Beispielsweise zeigt sich, aus welchen Veröffentlichungen der Geschichtskultur die Schulbücher ihr Material beziehen und auf welche Weise dieses von den Verlagen überarbeitet wird. Die große Herausforderung für die Arbeit besteht in der Verknüpfung von zwei umfangreichen Forschungsgebieten. Besonders die Literatur zur Nachkriegszeit und zur wirtschaftlichen Entwicklung der beiden deutschen Staaten ist schier unbegrenzt, da sie im Prinzip alle großen Debatten der Zeitgeschichte beinhaltet. Anders stellt sich die Situation in der Schulbuchforschung dar. Einerseits ist die Literatur übersichtlicher; andererseits fehlt es an Systematik und einem umfangreichen aktuellen Standardwerk für die Forschung. Zudem muss konstatiert werden, dass die

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Kühberger/Mellies (2009). Handro/Schönemann (2006). Wie in der Schulbuchforschung üblich, unterscheide ich vor allem zwischen Darstellungstext (häufig als Autorentext bezeichnet) und Quellentext. In diesem Sinne beinhalten Quellentexte sowohl Auszüge aus Forschungsarbeiten als auch zeitgenössische Quellen.

1. Einleitung

Schulbuchforschung trotz ihrer Bedeutung noch kein konsistentes und mehrheitsfähiges Analyseverfahren entwickelt hat. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Geschichtswissenschaft allgemein wenig Wert auf Methoden legt. Bei vielen Themen der Geschichte und der Wirtschaftsgeschichte besteht hierfür auch keine zwingende Notwendigkeit. Bei der Schulbuchanalyse – mit ihrem eindeutig definierten und verfügbaren Quellenkorpus – kann diese Feststellung durchaus verwundern. Viele der angesprochenen Aspekte werden im nächsten Abschnitt vertieft, in dem es eine Einführung zu den Themengebieten Schulbuch, Geschichtskultur und historisches Lernen gibt. Die Darstellung der wirtschaftshistorischen Grundlagen für die Codierung erfolgt im dritten Kapitel. Allerdings ist die Strukturierung herausfordernd, da drei Aspekte zu berücksichtigen sind: Erstens soll die Nachkriegszeit weitestgehend chronologisch erläutert werden, da einige Thesen nur anhand ihrer genealogischen Veränderung zu erschließen sind. Zweitens erfordert jede Codierung des Analyserasters einen eigenen Unterabschnitt, damit sie nachgeschlagen werden kann. Drittens ist die Nachkriegszeit ohnehin als asymmetrisch verflochtene Parallelgeschichte zu betrachten.25 Folglich muss eigentlich jeder Themenbereich künstlich separiert und trotzdem mit den Ereignissen im anderen deutschen Staat verbunden werden. Besonders die Berücksichtigung der Kategorien des Analyserasters macht die Struktur der Abschnitte kompliziert. Als Beispiel kann die Währungsreform (Juni 1948) gelten, die eigentlich in die Phase der Besatzungszeit gehört. In der vorliegenden Arbeit bespreche ich sie aber vor allem bei den Ursachen des »Wirtschaftswunders«. Zusätzlich bestimmte die Währungsreform im Westen die Entwicklung im Osten maßgeblich, weshalb sie ebenfalls mit dem Abschnitt der Besatzungszeit im Osten in Verbindung stehen sollte. Eine besondere Herausforderung entsteht außerdem bei der Auswahl der Literatur. Diese ergibt sich zum einen deduktiv aus dem Literaturüberblick und zum anderen induktiv aus den vielseitigen Schulbuch-bezogenen Anforderungen. Obligatorisch für eine fundierte wirtschaftshistorische Analyse sind die Wirtschaftsgeschichte seit 1945 von Abelshauser und, ebenfalls eng mit diesem Autor verbunden, die Publikation Das Bundeswirtschaftsministerium in der Ära der Sozialen Marktwirtschaft aus dem Jahr 2016.26 Alle paradigmatischen Ansätze zum »Wirtschaftswunder« lassen sich in Ludger Lindlars Das mißverstandene Wirtschaftswunder nachlesen.27 Zwei ältere Überblickswerke habe ich ebenfalls einbezogen: Das Buch The fading miracle von Herbert Giersch/Karl-Heinz Paqué/Herbert Schmieding betont die erfolgreiche Politik Erhards.28 Von Elmar Altvater/Jürgen Hoffmann/Willi Semmler kommt mit Vom Wirtschaftswunder zur Wirtschaftskrise – noch immer – eines der ausführlichsten Bücher zum »Wirtschaftswunder«. Ihre Analyse desselben fußt auf der marxistischen Theorie der Kapitalakkumulation.29 Des Weiteren wird die Funktion Erhards, dessen besondere Rolle sich aus den Schulbüchern entnehmen lässt, mit der (kritischen) Biografie von Volker Hentschel

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Kleßmann (2005). Abelshauser (2011); Abelshauser u.a. (2016). Lindlar (1997). Giersch u.a. (1992). Altvater u.a. (1979).

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

und mit der Gegendarstellung von Alfred C. Mierzejewski analysiert.30 Das European Recovery Program (ERP), zumeist »Marshallplan« genannt, wurde vor allem mit Gerd Hardach erschlossen.31 Als theoretische Basis in wirtschaftshistorischer Hinsicht ist besonders das Buch Das Ende der Wirtschaftswunder von Ferenc Jánossy/Maria Holló von Bedeutung, da es die Grundlage der Rekonstruktionstheorie bietet.32 Für ein tieferliegendes Verständnis der Rekonstruktionstheorie bedarf es zusätzlich der Konjunkturtheorie aus dem Kapital von Karl Marx.33 Der deutsche Liberalismus, und damit auch die Politik von Erhard, wird mit den Werken Grundlagen der Nationalökonomie34 und Grundsätze der Wirtschaftspolitik35 von Walter Eucken erschlossen. Obligatorisch ist für die Wirtschaftsgeschichte des »Golden Age« die Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes von John Maynard Keynes.36 Kein anderes Buch hat in dieser Epoche einen größeren Einfluss auf Theorie und Praxis der Ökonomie ausgeübt. Auf eine fundierte theoretische Erschließung der Catch-up-Theorie, die die Grundlage für das Buch von Lindlar bietet, wird verzichtet, da sie sich für die Erklärung des »Wirtschaftswunders« in Deutschland nicht durchsetzen konnte. In den Schulbüchern bekommen die Plakate und Annoncen der PR-Organisation der BDA, Die Waage, viel Raum. Ausführlich analysiert wurde diese Öffentlichkeitsarbeit in der Publikation Haste was, biste was von Dirk Schindelbeck und Volker Ilgen.37 Für das Verständnis von Theorie und Praxis der »Sozialen Marktwirtschaft« ist außerdem Ralf Ptaks Vom Ordoliberalismus zur Sozialen Marktwirtschaft unverzichtbar, der eine Kritik an der liberalen Konzeption anhand der Analyse der ordoliberalen Grundlagentexte formuliert.38 Von den Protesten gegen die Einführung der Marktwirtschaft bietet Uwe Fuhrmann eine fundierte Analyse.39 Eine Auseinandersetzung mit der Entwicklung der Ökonomie erfordert eine zeitgeschichtliche Kontextualisierung, welche anhand der Standardwerke Die doppelte Staatsgründung40 und Zwei Staaten, eine Nation41 von Christoph Kleßmann erfolgt. Da die Epoche allerdings in eine besondere weltpolitische Situation eingebunden war, müssen zusätzlich Standardwerke zum »Kalten Krieg« beachtet werden. Hierfür bieten Das Zeitalter der Extreme von Eric Hobsbawm und Der Kalte Krieg von Bernd Stöver den Überblick.42 Ein neues Arbeitsfeld der Wirtschaftsgeschichte ist die New economic history – oder auch Kliometrie –, die sich nicht auf die Erschließung neuer Akten, sondern auf die mathematische Testung von bestehenden Thesen fokussiert. Jochen Streb und Mark

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Hentschel (1998); Mierzejewski (2005). Hardach (1994). Jánossy/Holló (1966). Marx (1963). Eucken (1940). Eucken/Eucken-Erdsiek (1952). Keynes (2009). Schindelbeck/Ilgen (1999). Ptak (2004). Fuhrmann (2017). Kleßmann (1991). Kleßmann (1997). Hobsbawm (2012); Stöver (2007).

1. Einleitung

Spoerer bestätigen in ihrem Überblickswerk der Kliometrie weitestgehend die bisherigen Forschungen zum »Wirtschaftswunder«.43 Auf die zahlreichen Aufsätze, die in der vorliegenden Arbeit verwendet wurden, kann ich an dieser Stelle nicht eingehen. Die Literatur zur Wirtschaftsgeschichte der DDR ist überschaubarer, dafür sind die zeitgeschichtlichen Arbeiten zur DDR schlichtweg unübersichtlich. Besonders wichtig sind die Überblicksdarstellungen Von Plan zu Plan von André Steiner und Momente deutsch-deutscher Wirtschafts- und Sozialgeschichte von Jörg Roesler.44 Außerdem erschien kürzlich die Publikation Die zentrale Wirtschaftsverwaltung in der SBZ/DDR (SBZ = Sowjetische Besatzungszone, KK), herausgegeben von Dierk Hoffmann u.a., die aus einem großen Forschungsprojekt im Auftrag des Wirtschaftsministeriums hervorging und vor allem die administrative Ebene betrachtet.45 Im Sammelband The East German Economy von Uta A. Balbier und Hartmut Berghoff können viele Forschungsarbeiten des letzten Jahrzehnts im Aufsatzformat nachgelesen werden.46 Als wichtige theoretische Grundlage für alle Arbeiten, die den systemimmanenten Defekt der Planwirtschaft betonen, ist das Buch Das sozialistische System von János Kornai obligatorisch.47 Es dürfte auch die Basis für Steiners Überblickswerk gewesen sein. Viele Arbeiten zur Wirtschaftsgeschichte der DDR sind allerdings für die Schulbücher zu spezialisiert. Beispielsweise thematisieren die Schulbücher die Wirtschaftsreform der 1960er Jahre höchstens rudimentär. Folglich habe ich auf die Einarbeitung der Monografie Die DDR-Wirtschaftsreform der sechziger Jahre von Steiner verzichtet.48 Auch das Thema Preisbildung in der Planwirtschaft geht zu sehr ins Detail. Deswegen wurde auch Vom Wert des Notwendigen von Jennifer Schevardo nicht berücksichtigt.49 Für die DDR-Wirtschaft sind – nach Abgleich mit den Schulbüchern – besonders die ersten Jahre der SBZ als wichtig zu erachten, die zumeist unter dem Stichwort »Aufbau der Planwirtschaft« firmieren. Dieses Feld, also die Wirtschaft der SBZ, wird durch den Sammelband Wirtschaftliche Folgelasten des Krieges in der SBZ/DDR, herausgegeben von Christoph Buchheim, und ganz besonders durch die Monografie Wirtschaft und Arbeit in Ostdeutschland von Wolfgang Zank erschlossen.50 Die Transformation der Landwirtschaft ist sowohl in den Schulbüchern als auch in der Politik eines der wichtigsten Themen der DDR-Wirtschaft, weshalb es in dieser Arbeit entsprechend berücksichtigt wird. Am bedeutendsten sind die umfangreichen Publikationen Ländliche Gesellschaft in der kommunistischen Diktatur von Arnd Bauerkämper und SED-Agrarpolitik unter sowjetischer Kontrolle von Elke Scherstjanoi.51 Eine zentrale Rolle spielen die Reparationszahlungen an die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR), die Rainer Karlsch in Allein gezahlt? mit einer fundierten Arbeit berechnet hat.52 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52

Streb/Spoerer (2013). Steiner (2007); Roesler (2006). Hoffmann u.a. (2016). Berghoff/Balbier (2013). Kornai (1995). Steiner (1999). Schevardo (2006). Buchheim (1995b); Zank (1987). Bauerkämper (2002); Scherstjanoi (2007). Karlsch (1993).

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

Auch die Analyse der DDR-Wirtschaft bedarf einer allgemeinen historischen Einbettung. Hierfür wurden Hermann Webers DDR-Geschichte, Hoffmanns Von Ulbricht zu Honecker, die bereits erwähnten Publikationen von Kleßmann und Mary Fulbrooks Ein ganz normales Leben verwendet.53 Fulbrooks Arbeit überzeugt durch ihre soziologische Perspektive und die Offenheit für neue Gedanken zur DDR. Auch an dieser Stelle muss auf die Auflistung von bedeutenden Aufsätzen verzichtet werden. Der Quellenzugang stellte das geringste Problem für meine Arbeit dar. Alle untersuchten Schulbücher sind in der Bibliothek des Georg-Eckert-Instituts in Braunschweig verfügbar. Bei den Lösungsbänden konnten, wie bereits erwähnt, 28 Exemplare für 31 Schulbücher gefunden werden. Für die Ausgaben Die Reise in die Vergangenheit (Thüringen und Sachsen), das mbook Geschichte, Anno 3 sowie Exploring History existieren keine Lösungsbände. Forum Geschichte 11 hat ebenfalls keinen separaten Lösungsband. Allerdings konnte der Lösungsband von 2009 verwendet werden, da die Aufgaben nahezu identisch sind. Bei Buchners Geschichte Kompendium sind Lösungsvorschläge digital beim Verlag erhältlich. Die Recherche einiger Originalquellen – bzw. ihrer Autoren –, die sich in den Schulbüchern befinden, machte zusätzliche Besuche in Archiven notwendig. Einige Personalakten konnte ich im Bundesarchiv in Berlin finden. Alle relevanten Zeitungen der 1950er Jahre waren im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz und in der Zeitungabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz erhältlich. Die besprochene Literatur bildet die Grundlage für das sechste Kapitel. Hier werden alle Schulbücher und ihre Elemente deskriptiv analysiert und die Zuteilung der Codierungen innerhalb des Rasters nachvollziehbar gemacht. Ausführlich werden die Quellen beschrieben, auf ihre Herkunft geprüft, die Arbeitsaufträge analysiert und die vorgesehenen Lösungsvorschläge besprochen. Allerdings ist es nicht möglich, jede zugewiesene Codierung im Fließtext zu erwähnen. In Kapitel sieben findet schließlich die systematische Auswertung statt. Erstens werden die in den Schulbüchern vorgebrachten Thesen hinsichtlich der Häufigkeit ihres Vorkommens und weiterer statistischer Aspekte diskutiert. Im zweiten Teil erfolgen die Sortierung der Ergebnisse nach Verlagen und die Diskussion der Resultate entlang der Akteure der Schulbuchproduktion. Drittens wird anhand der Literaturverzeichnisse der Schulbücher und anhand von Vergleichen der Formulierungen mit wichtigen Publikationen der Geschichtskultur analysiert, welche Publikationen für die Produktion der Schulbücher benutzt werden. Die Hypothese für die vorliegende Arbeit, wie bereits an anderer Stelle formuliert54 , lautet, dass die Schulbücher weitestgehend die Erfolgsgeschichte der »Sozialen Marktwirtschaft« mit ihren Komponenten »Stunde null«, Währungsreform und Erhard reproduzieren, die Albrecht Ritschl als »Mythos«55 vom deutschen »Wirtschaftswunder« bezeichnet. Dabei werden wissenschaftliche Kontroversen, anhand derer historisches Lernen stattfinden kann, größtenteils nicht berücksichtigt. Die Wirtschaft der DDR übernimmt hierbei, wie Heike Christina Mätzing es zusammenfasst56 , die Funktion einer »negativen Gegenfolie« zu Westdeutschland. In Bezug auf die didaktische Funktion 53 54 55 56

Weber (2006); Hoffmann (2013); Fulbrook (2011). Krüger (2018), S. 85. Ritschl (2005), S. 151. Zum Thema »Mythos« im Schulbuch siehe folgenden Sammelband: Bernhard u.a. (2017). Mätzing (2004), S. 367.

1. Einleitung

der Schulbücher ist zu erwarten, dass die Quellen und Aufgabenstellungen weitestgehend der Illustration der westdeutschen Erfolgsgeschichte dienen. Besonders der Anforderungsbereich (AFB) III, also das selbstständige Bewerten oder Diskutieren, wäre dann nicht durchführbar und folglich nur rudimentär in den aktuellen Schulbüchern enthalten.

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2. Schulbücher als Medium der Geschichtskultur und des historischen Lernens

2.1 Schulbücher Diese Schulbuchanalyse hat folgende Ziele: Erstens die Analyse eines wichtigen Mediums der Geschichtskultur und zweitens, inwieweit Schulgeschichtsbücher Material zur Verfügung stellen, mit denen historisches Lernen möglich wird. Schulbücher haben laut Schönemann und Thünemann – im Gegensatz zu einigen Prognosen in der Vergangenheit – keineswegs ihre Bedeutung als »Leitmedium des Geschichtsunterrichts« verloren.1 Simone Lässig prognostiziert ihnen außerdem eine wichtige Funktion für die Zukunft, da sie aufgrund der Kompetenzorientierung, der offenen Lehrpläne und der mangelnden Vorbereitungszeit für Lehrer*innen vermutlich »erst recht zum ›heimlichen Lehrplan‹« werden.2 Auch eine aktuelle Umfrage unter Lehrenden, durchgeführt von Roland Bernhard, kommt zu dem Ergebnis, dass Schulbücher »definitiv das zentrale Leitmedium« des Unterrichts seien.3 Folglich sind Schulbücher – neben Museen, Gedenkstätten, Jahrestagen und Filmen – eines der wichtigsten Medien der Geschichtskultur.4 Nach Jörn Rüsen haben Gegenstände der Geschichtskultur eine »kognitive«, 1

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Schönemann/Thünemann (2010), S. 14. Hier findet sich im ersten Kapitel eine ausführliche Diskussion um die geschichtsdidaktische Kontroverse der Bedeutung des Schulbuchs: Schönemann/Thünemann (2010), S. 9ff. Kritisch hatte sich z.B. Thomas Höhne geäußert: Höhne (2003), S. 20ff. Ebenfalls betonen die Bedeutung des Schulbuches: Rüsen (1992), S. 237; Handro/Schönemann (2006), S. 4; Heuer (2006), S. 60; Gautschi (2010), S. 127; Kühberger/Mellies (2009), S. 18; Sauer (2013b), S. 254; Baumgärtner (2015c), S. 152; Brauch (2014), S. 105. Lässig (2012), S. 47. Die Diskussion über einen »heimlichen Lehrplan« gab es bereits in den 1970er Jahren: Zinnecker (1975). Handro und Schönemann urteilen: »Bislang auch nicht widerlegt ist die Bedeutung des Schulbuches als ›heimlicher Lehrplan‹, der in normativer Hinsicht möglicherweise weiter reicht als staatliche curriculare Steuerungsversuche«: Handro/Schönemann (2006), S. 5. Der These des heimlichen Lehrplans schließen sich an: Kühberger/Mellies (2009), S. 18f.; Rohlfes (2005), S. 310. Bernhard (2018), S. 50. Jedoch ist die exakte Bedeutung von Schulbüchern (sowie von Unterricht) innerhalb der Geschichtskultur weiterhin umstritten: Christian Heuer hebt den Stellenwert anderer geschichtskultureller Elemente hervor: »Ob es allerdings das wichtigste Medium ist, muss angezweifelt werden.

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

»ästhetische« und »politische Dimension«.5 Gerd Stein entwickelte bereits in den 1970er Jahren ähnliche Kategorien für Schulbücher. Demnach seien diese »Politicum«, »Informatorium« und »Paedagogicum«.6

2.2 Politicum Obwohl die Komponenten selbstverständlich nicht präzise trennbar sind, wird an dieser Stelle das Politicum bzw. die politische Dimension betrachtet. Der Geschichtsunterricht solle, so beschreibt Lässig mit kritischer Note die weitläufige Meinung, »Identität« und »nationale Zugehörigkeit« schaffen. Weiterhin stünden Schulbücher für staatlich legitimiertes Wissen einer »Deutungselite« Durch den Zwang zur Reduktion würden sie besonders zeigen, welche Inhalte in das »kulturelle Gedächtnis einer Nation bzw. Gesellschaft eingeschrieben werden sollen.«7 Handro und Schönemann bescheinigen dem Schulbuch zudem die »entscheidende Steuerungsfunktion bei der Formierung des Geschichtsbewusstseins der nachwachsenden Generation […]« und es »spiegelt [weiterhin] die kollektiven Tradierungsbedürfnisse einer Nation« wieder.8 Handro hebt den Erziehungsaspekt sogar noch stärker hervor, wenn sie betont, dass mit Schulgeschichtsbüchern »eine Nation die für sie konstituierenden ›Geschichten‹ an die nachfolgenden Generationen weiterreicht«. Gleichzeitig sagt sie: »Im diachronen Vergleich geben Schulbuchdarstellungen Einblicke in die Transformation des kulturellen Gedächtnisses.«9 Jacobmeyer prägte hierfür, wie bereits erwähnt, den Begriff der »nationalen Autobiogra-

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In Zeiten des öffentlichen Geschichts- und Memory-Booms ist historisches Lernen nicht mehr primär an den Geschichtsunterricht gebunden«: Heuer (2006), S. 61. Rüsen (1997a); Rüsen (2001), S. 88ff. Laut Pandel seien die Kategorien von Rüsen, die er als Macht (Politik), Wahrheit (Wissenschaft), Kunst (Ästhetik) wiedergibt, zu eng, da Ökonomie und Ethik fehlen würden: Pandel (2013), S. 165. Gerd Stein kritisiert damit die eindimensionale Betrachtung von Schulbüchern. Stattdessen müssten politische, pädagogische und fachliche Aspekte berücksichtigt werden: Stein (1977), S. 9, 231241; Stein (1979), S. 26ff. Auf die Definition Bezug nehmend: Schreiber u.a. (2013), S. 46; Heuer (2006), S. 64. Thomas Höhne bezeichnet das Schulbuch – angelehnt an Stein – als »Träger eines hochsensibel austarierten Konsenswissens […], das wesentlich durch soziale bzw. politische und nicht nur wissenschaftliche Einflussfaktoren erzeugt wird«: Höhne (2003), S. 160ff. Darauf bezieht sich: Gorbahn (2006), S. 178. Ähnlich: Schreiber u.a. (2013), S. 52. Ich halte den Terminus »Konsenswissen« für irreführend, da die Produktion von Wissen – wie Höhne selber ausführt – stark an politische Macht gekoppelt ist und zudem die Inhalte, wie in dieser Arbeit gezeigt wird, manchmal nicht einmal die Mehrheitsmeinungen in der Wissenschaft abbilden. Lässig (2012), S. 46f. Handro/Schönemann (2006), S. 5. Handro (2006), S. 200; ähnlich: Wiater (2003), S. 16; Heuer (2006), S. 64. Ein interessanter Ansatz findet sich auch bei de Keghel: »Die in ihrer jeweiligen Zeit tonangebenden, massenwirksamen Schulbücher fasse ich mit dem französischen Historiker Pierre Nora als Erinnerungsorte auf, in denen längerfristige Identitätsangebote und Deutungsmuster konserviert werden«: Keghel (2006), S. 139.

2. Schulbücher als Medium der Geschichtskultur und des historischen Lernens

phien«.10 Folglich sind Schulbücher oftmals Teil von politischen Auseinandersetzungen. Schönemann/Thünemann schreiben: »In Anlehnung an Erich Weniger, der von einem ›Kampf um den Lehrplan‹ gesprochen hat, lässt sich auch von einem Kampf um das Schulbuch sprechen, der erkannt werden soll – ein Kampf, der zwischen konkurrierenden ›Bildungsmächten‹, beispielsweise Staat und Kirche, Wirtschaft und Gesellschaft, ausgetragen wird, weil diese geistigen Einfluss auf die nachwachsende Generation ausüben wollen und deshalb dafür sorgen, dass Unterrichtsmedien mit entsprechenden Werten und Normen imprägniert sind.«11 Allerdings kann die Transformation dieser Auseinandersetzungen in die Schulbuchproduktion kaum nachvollzogen werden, da alle wichtigen Akteure der Schweigepflicht unterliegen. Am offensichtlichsten ist die formale Einflussmöglichkeit der Kultusministerien12 , die bisweilen kontrovers diskutiert wurde13 . Die komplizierten Verfahren von Zulassung, Auswahl der Autor*innen und Finanzierung sind kaum erforscht und können hier nicht thematisiert werden.14 10

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Rohlfes hat die »nationale Autobiografie« vom Kaiserreich bis 1985 analysiert: Die Bücher im Kaiserreich würden demnach größtenteils monarchistische Staatsmänner, deren Kriege und die nationale Erfolgsgeschichte der Gründung des deutschen Staates behandeln. In der Weimarer Republik habe es nur wenige Schulbücher gegeben, die dieses Bild durch eine Bezugnahme auf die Demokratie veränderten. Erst im Nationalsozialismus seien die Schulbücher, die den Faschismus – mithilfe der Rassentheorie – als Ende der Geschichte Deutschlands dargestellt hätten, grundlegend verändert worden. Der Bezug auf Rassentheorie und Faschismus wäre dann, so Rohlfes, zugunsten einer demokratischen Entwicklung aus den Büchern der BRD verschwunden: Rohlfes (1985), S. 244ff. Eine starke Zäsur der Schulbuchdarstellungen erfolgte durch den gesellschaftlichen Wandel der siebziger Jahre und den »Siegeszug der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte«: Rohlfes (1985), S. 244, 248. Insgesamt resümiert Rohlfes mit einer weitestgehend positiven Bewertung der aktuellen (im Jahr 1985, KK) Geschichtsschulbücher: Rohlfes (1985), S. 257, 261f. Schönemann/Thünemann (2010), S. 179. Zu den »Bildungsmächten« ebenfalls: Demantowsky (2006), S. 155. Hessenauer (2006), S. 270; Wiater spricht vom »Herrschaftsinstrument des Staates«: Wiater (2003), S. 16; Zum Einfluss der Ministerien: Schöner (2013), S. 68f. Eine Kritik am Zulassungsverfahren formulieren: Müller (1977), S. 300ff.; Becker (1978), S. 23f. Siehe die Debatte in der Zeitschrift Geschichte in Wissenschaft und Unterricht (GWU) im Jahr 1998: In dieser Ausgabe stellt Sauer die Geschichte der Schulbuchzulassung bis in die 1890er Jahre dar. Seitdem habe sich nichts Grundlegendes geändert. Es gebe keine Vorschriften, bestimmte Bücher zu benutzen, dafür aber eine Negativkontrolle (d.h. eine Absegnung durch das Ministerium): Sauer (1998). In einem weiteren Beitrag übt Rohlfes scharfe Kritik an den Ministerien. Er wirft ihnen bezüglich der Zulassungen Intransparenz, Willkür und »political correctness« vor und fordert den freien Wettbewerb der Schulbücher: Rohlfes (1998). Ebenfalls: Rohlfes (2005), S. 324ff. Dem begegnet Stillemunkes mit dem Verweis auf die sehr allgemeine Polemik und die Notwendigkeit von Qualitätsprüfungen durch die Kultusministerien. Zusätzlich betont er, dass einige progressive Entwicklungen in den Schulbüchern – wie die moderne Darstellung der Frau – ohne die Ministerien nicht umgesetzt werden würden: Stillemunkes (1998). Ein Aufsatz von Knepper verteidigt ebenfalls die Ministerien. Darin hebt er hervor, dass es legitim sei, wenn die Länder überprüfen, ob ihr Curriculum im Lehrbuch berücksichtigt wird. Ohne Kontrolle würde dieses den ökonomischen Interessen der Verlage zum Opfer fallen: Knepper (1998). Siehe hierzu einführend: Hessenauer (2006), S. 265ff.; Schönemann/Thünemann (2010), S. 99ff.; Kühberger/Mellies (2009), S. 30ff. Ebenfalls befinden sich einige Beiträge im folgenden Sammel-

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

In der Geschichte der BRD gab es zahlreiche politische Debatten um die Ausrichtung von Schulbüchern, die im Folgenden exemplarisch vorgestellt werden. Institutionell waren die Kontroversen in die Geschichte des heutigen Georg-Eckert-Instituts (GEI) in Braunschweig und in das Institut für Schulbuchforschung in Duisburg eingebunden. Während der Anspruch des GEI in der europäischen »Völkerverständigung« durch gemeinsame Schulbuchrevision liegt, konzentrierte man sich in Duisburg bei der Überarbeitung von Schulbüchern eher auf die gesellschaftliche Funktion und eine antiautoritäre Kritik.15 Besonders in den siebziger Jahren gab es heftige Auseinandersetzungen um neue Schulbuchkonzeptionen, wie beispielsweise bei dem Band sehen beurteilen handeln (1971), dem die Erziehung zum Kommunismus sowie die Anstiftung zum Aufruhr gegen Eltern, Schule und Gesellschaft nachgesagt wurde. Das hessische Kultusministerium hatte die Zulassung erteilt; in den meisten Bundesländern wurde die Verwendung nicht genehmigt.16 Auch ein Biologiebuch führte zu großer öffentlicher Empörung konservativer Kreise.17 Der gesellschaftliche Umbruch von 1968 zeigte sich deutlich in der didaktischen Schulbuchforschung.18 Gerd Stein, der im Duisburger Institut arbeitete, prägte den Terminus »Schulbuchschelte« als Kritik an der pauschalisierenden und einfach zu formulierenden Kritik an Schulbüchern. Vor allem war der Vorwurf der Schulbuchschelte an diejenigen gerichtet, die das Versagen der Schule einzig dem Schulbuch zuschrieben, anstatt eine umfassende Schulkritik zu formulieren. Folglich waren damit insbesondere jene Konservativen gemeint, welche die Revision der Schulbücher, die sich in der Folge des Umbruchs von 1968 abzeichnete, verhindern wollten.19 Eine ironische Schulkritik schrieb beispielsweise Walter Müller im Jahr 1977: »Da auch die heutigen Schulbuchentscheidungen ihre primäre, tatsächliche Legitimation in politisch-weltanschaulichen Überlegungen haben, kann diese Feststellung auf die gegenwärtigen Verhältnisse im öffentlichen Schulwesen übertragen werden. […]

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band: Tewes (1979). Keghel urteilt: »Als normative Texte und Instrumente staatlicher Geschichtspolitik unterliegen Schulbücher besonders strengen Diskursregeln. Dies gilt v.a. für die Auswahl der Autor/innen und der Inhalte«: Keghel (2006), S. 139. Pöggeler (2003), S. 38ff.; Die Geschichte des GEI beschreiben: Schönemann/Thünemann (2010), S. 29ff. Schreiber kritisiert die deutsch-französische Schulbuchkommission, da diese versuche eine gemeinsame Geschichte zu schreiben, obwohl dies weder »historischen noch aktuellen Erfahrungen entspricht«. Stattdessen solle lieber produktiv mit den unterschiedlichen Perspektiven umgegangen werden: Schreiber u.a. (2013), S. 41. George/Hilligen (1971); Müller (1977), S. 230ff. Siehe dazu die Stellungnahme des Autors: Hilligen (1979). Müller (1977), S. 230ff. Als wichtige Arbeiten sind zu nennen: Schallenberger (1964); Friedeburg/Hübner (1964); Fohrbeck u.a. (1971); Hoffacker/Hildebrandt (1973); Kühnl (1973). Explizit über das Thema Schulbuch und Politik schreibt: Becker (1978), S. 15ff. Bemerkenswert sei, so Becker, ein Gutachten aus dem hessischen Kultusministerium [ab 1974 von der CDU geführt, KK], das ein Schulbuch aus dem faschistischen Griechenland (für die Kinder der Arbeitsmigranten) mit grundgesetzwidrigen Inhalten als »politisch unbedenklich« eingestuft habe: Becker (1978), S. 38f. Stein (1979), S. 26ff.

2. Schulbücher als Medium der Geschichtskultur und des historischen Lernens

Ziel staatlicher Schulbuchentscheidungen kann es deshalb nicht sein, den Schüler ›zur Selbstständigkeit im Denken freizugeben‹.«20 Zumeist wird die grundlegende Überarbeitung der Schulbücher in den 1970er Jahren positiv bewertet. Ein kritisches Resümee zieht Franz Pöggeler im Jahr 2003: »Seit Anfang der siebziger Jahre wurde das Interesse an der Erforschung von Schulbüchern immer resoluter politisch motiviert. […] Von Ärgernis konnte insofern die Rede sein, als Schulbücher von diversen Gruppen und Personen nur noch als Transporteure von Ideologien betrachtet wurden. […] Die neu gewonnene Sachlichkeit und Distanz zum Thema ›Politik in Schulbüchern‹ fand 1985 im gleichnamigen Projekt der Bundeszentrale für politische Bildung ihren Ausdruck.«21 Das Duisburger Institut konnte sich langfristig nicht mehr finanzieren und musste 1991 abgewickelt werden. Ein weiterer didaktischer Begriff von Stein, der nichts an Aktualität eingebüßt hat, ist seine Forderung nach einem »Schulbuchwissen«, da »Lehrer, Eltern und Schüler« über wenig »Schulbuch-Bewußtsein« verfügen würden.22 Die Forderung nach stärkerem Schulbuchwissen entspricht in etwa der nach höherer Gattungskompetenz (Pandel) oder jener, die Schulbücher selbst wie eine Quelle zu behandeln. Eine wichtige historische Debatte wurde hinsichtlich der Darstellung der DDR geführt. Nach den bereits 1956 beschlossenen »Empfehlungen zur Ostkunde« der Kultusministerkonferenz (KMK) segnete diese am 5. Juli 1962 die »Richtlinien« zur Behandlung der DDR im Unterricht ab: »Die Auseinandersetzung mit dem Totalitarismus gehört zu den wesentlichen Aufgaben der politischen Bildung unserer Jugend. Die Lehrer aller Schularten sind daher verpflichtet, die Schüler mit den Merkmalen des Totalitarismus und den Hauptzügen des Bolschewismus und des Faschismus als den wichtigsten totalitären Systemen des 20. Jahrhunderts vertraut zu machen.«23

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Müller (1977), S. 310. Pöggeler (2003), S. 45ff. In dieser Publikation rechnet Rohlfes im Ton der »neuen Sachlichkeit« mit den Reformern ab: »Die bis in die sechziger Jahre vorherrschende Verklärung der innergesellschaftlichen Harmonie, die das Verständnis für die plurale Demokratie in fataler Weise erschwerte, wurde zu Beginn der siebziger Jahre ziemlich abrupt beendet und von einem kaum minder einseitigen Konfliktdenken abgelöst. Der lange verpönte Klassenkampf kam zu neuen Ehren, das Ideal der nationalen Solidarität verschwand entweder in der Versenkung oder wurde als Verdummungsmanöver der Herrschaftselite ›entlarvt‹. Doch scheint es, als sei diese neue Einäugigkeit mehr in Politik- als in Geschichtsbüchern zu finden. Die Geschichtsbücher von heute bemühen sich sichtlich um das rechte Maß: mehr als ihre Vorgänger heben sie die politischen, sozialen, wirtschaftlichen Konflikte in allen Zeiten und Räumen hervor, […]«: Rohlfes (1985), S. 257. Stein (1977), S. 233, 241. Borcherding (1965), S. 99. Zum Beschluss 1956: Borcherding (1965), S. 90ff. Außerdem zum Beschluss von 1962: Dudek (1995), S. 275. Eine scharfe Kritik findet sich bei Richard Kühn, der erstens den Grundsatz der Freiheit von Forschung und Lehre ausgehebelt sieht und zweitens die Bestimmung verurteilt, ein theoretisches Konzept anzuwenden, das in der Wissenschaft als widerlegt gelte: Kühnl (1973), S. 203ff. In den 1990er Jahren hat die Totalitarismustheorie allerdings eine Renaissance erfahren. Analytisch ist das Konzept nach wie vor fraglich, es betrachtet Politik nur top

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In den »Empfehlungen zur Gestaltung der Schulbücher« steht geschrieben: »Die Lehrbücher sollen alle totalitären Erscheinungen und Tendenzen als die entscheidende Bedrohung unserer Welt kennzeichnen. Sie sollen die Auseinandersetzungen der Demokratie mit dem Totalitarismus (besonders Faschismus und Kommunismus) und den Widerstandskampf freiheitlicher Kräfte darstellen.«24 De facto bedeutete dies, dass allen Schulbüchern, die die umstrittene Totalitarismustheorie nicht anwendeten, die Zulassung verweigert werden konnte.25 Laut Handro (im Jahr 2006, KK) gelte dieser Beschluss auch heute noch.26 Am 23. November 1978 verabschiedete die KMK jedoch eine weitere Richtlinie für »Die deutsche Frage im Unterricht«, die eine Bewertung der DDR anhand des Grundgesetzes und vieler politischer Einzelaspekte beinhaltete.27 Die Regierung Kohl, so Gerhart Neuner, versuchte ein noch präziser definiertes DDR-Bild vorzuschreiben.28 Seit dem Beitritt der DDR zur BRD am 3. Oktober 1990 existieren Kontroversen darüber, inwieweit die Schulbücher einerseits die Alltags- und Sozialgeschichte der DDR und andererseits den Herrschaftsapparat fokussieren sollten, wie später ausführlich dargestellt wird. Jacobmeyer verweist darauf, dass die Darstellung der DDR im Schulbuch mit einer »erheblichen Hypothek« belastet sei, da die Schulbücher in beiden deutschen Staaten »zum Teil […] Instrumente dieses Konfliktes« (»Kalter Krieg«, KK) gewesen seien.29 In Hinblick auf die Wirtschaft entstanden vor allem Auseinandersetzungen um das Bild von Unternehmern in Schulbüchern. Diese Diskussion entflammte vor einiger Zeit nochmals kurzzeitig, als – wie bereits in der Einleitung erwähnt – das Buch Ökonomie und Gesellschaft der Bundeszentrale für politische Bildung auf Druck der Arbeitgeberverbände verboten bzw. dessen Auslieferung beendet wurde, da darin der Einfluss der Wirtschaftsverbände zu kritisch als Lobbyismus dargestellt werde. Auch eine andere aktuelle Kontroverse soll an dieser Stelle durch Nicola Brauch erwähnt werden, gleichwohl sie die Lehrpläne und nicht explizit Schulbücher betrifft: »Die politische Färbung der je amtierenden Regierung spielt in deren Ausrichtung ebenso hinein wie die geschichtsdidaktische und geschichtswissenschaftliche Prägung der zur Mitarbeit eingeladenen Personen. Der gesellschaftliche Mainstream, der Zeitgeist oder die Ausrichtung des Geschichtsbewusstseins der Gesellschaft spielt dabei eine mal mehr, mal weniger bedeutsame Rolle, wie am Beispiel des Themas

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to bottom, vernachlässigt die Gesellschaft, und ist für die DDR ohnehin nicht plausibel anwendbar: Jessen (1995). Kritisch dazu ebenfalls: Fulbrook (2011). Borcherding (1965), S. 98. Hier wären Forschungsarbeiten spannend, die untersuchen würden, welche Auswirkungen diese Beschlüsse auf die Schulbuchproduktion hatten. Handro (2006), S. 207. KMK (1979), S. 343ff. Kritisch zu diesem Beschluss: Knabe (1979); Oestreich (1991), S. 292f. Kritik an Knabe: Lau (1980). Neuner (2000), S. 435. Jacobmeyer (1999), S. 51.

2. Schulbücher als Medium der Geschichtskultur und des historischen Lernens

Transsexualität in der Diskussion um den baden-württembergischen Lehrplan gezeigt wurde.«30 In der Didaktik existieren zusätzlich fruchtbare methodische Debatten darüber, wie mit dem Politicum Schulbuch zu verfahren sei. Klaus Bergmann weist ebenfalls auf die Gefahr einer Ideologisierung von Geschichtsunterricht hin und begegnet dieser mit Multiperspektivität als didaktischem Konzept. Er schreibt: »Geschichtsunterricht – das kann man daraus lernen – ist immer in der Gefahr ideologisch bestimmt zu sein – und wir haben wenig Grund, uns über die Früheren zu erheben, aber viel Grund, uns eigener Anfälligkeiten bewusst zu sein und die Vorläufigkeit von Deutungen zu erkennen.«31 Schönemann und Thünemann formulieren – angelehnt an Bergmann – die Methodik der »Ideologiekritik durch synchronen und diachronen Schulbuchvergleich« für den Geschichtsunterricht. Auch Handro/Schönemann fordern eine »kritische Analyse« der Lehrwerke.32

2.3 Informatorium und Paedagogicum 2.3.1 Geschichtsphilosophie Nachdem im vorherigen Abschnitt die politische Funktion von Schulbüchern betrachtet wurde, geht es nun um das Informatorium und das Paedagogicum sowie die kognitive Dimension. Eine wichtige Aufgabe von Schulgeschichtsbüchern ist die Förderung eines »reflektierten« Geschichtsbewusstseins.33 Hierfür ist laut aktueller Tendenz in der Geschichtsdidaktik vor allem historisches Lernen notwendig. Die nächsten drei Teilkapitel vermitteln einen Überblick über die Theorien des Geschichtsbewusstseins und des historischen Lernens sowie deren jeweiliger Relevanz für die Schulbuchforschung. Grundlegend für die unterschiedlichen Ansätze des Geschichtsbewusstseins ist die Theorie der Narrativität, die laut Pandel, aufbauend auf den Konzepten des Historismus, des Historischen Materialismus, der Historischen Sozialwissenschaft und der »Annales-Historiker«, unser heutiges Geschichtsverständnis prägt.34 Geschichte als Narrativität wurde vor allem durch Arthur Danto und Hayden White entwickelt. Danto 30 31 32 33

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Brauch (2014), S. 106. Die Analyse, wie sich diese Auseinandersetzung in den Schulbuchzulassungen niederschlägt, würde sicherlich eine interessante Forschungsarbeit sein. Bergmann (2007), S. 141ff. Zitat: Bergmann (2007), S. 149. Schönemann/Thünemann (2010), S. 178ff.; Handro/Schönemann (2006), S. 5. Ähnlich: Brüning (2012), S. 98, 103ff.; Brieske (2007), S. 29ff. Schreiber u.a. (2013), S. 33. Pandel kritisiert den Begriff »reflektiert«, der sich an der Licht-Metapher orientiere und nach Altersstufen zu differenzieren sei: Pandel (2013), S. 134. Rüsen hat die Kriterien für ein »ideales Schulbuch« entworfen, die konsensfähig erscheinen: Rüsen (1992), S. 239ff. Pandel beschreibt folgenden Einfluss der Theorien auf das Geschichtsbewusstsein von heute: Ranke habe Geschichte als Politik der großen Ereignisse und des Idealismus beschrieben. Von Marx/Engels sei die Abhängigkeit der Erkenntnis und der Perspektive von den Lebensumständen – besonders die Stellung im Produktionsprozess – übernommen worden. Max Weber präge die Geschichtswissenschaft, so Pandel, vor allem mit seiner Sicht auf Geschichte als unendlich verzweigte Geschichten, aus denen wir einzelne Aspekte herausgreifen und hiermit eine spezifische Auswahl der Geschichte liefern könnten. Die Annales-Schule habe dagegen – in Abgrenzung zur Ereignis-

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zeigte anhand des Gedankenexperiments des fiktiven »idealen Chronisten«, dass die Kernaufgabe von »Historikern« nicht das Auswerten von Quellen, sondern deren logische Verknüpfung zu einer historischen Erzählung sei.35 Hans-Michael Baumgartner kategorisierte dieses narrative Geschichtsbild mit den Begriffen »Konstruktcharakter«, »Retroperspektivität« und »Partikularität«.36 Hayden White hatte im Kontext des linguistic turns bezüglich der Geschichtswissenschaft formuliert, dass Geschichte nur über Sprache zugänglich und als Diskurs zu betrachten sei. Das explizit Historische bestehe deshalb lediglich im historischen Schreiben. Daraus schlussfolgerte White die Nichtexistenz einer wirklichen oder »wahren« Geschichte: »Alle Geschichten sind erfunden […]«.37 Um diesen Aspekt entstehen in der Geschichtstheorie die meisten Kontroversen. Hobsbawm und Richard J. Evans kritisieren die Unschärfe in Bezug auf Fiktion und Realität. Jens Pape weißt gar den Zusammenhang von Geschichtsdarstellungen und Erzählungen zurück und plädiert anstatt eines »Relativismus« für einen »Kausalkettenansatz der Veränderungen« und die »bessere Argumentation« als Mittel zur Annäherung an die Geschichte.38 Für die Geschichtsdidaktik ist die Historik von Rüsen zentral, worin dieser die empirische, normative und narrative Triftigkeit definiert39 (auf die später nochmal ausführlicher eingegangen wird), und welcher zufolge die Geschichten immer neu erzählt werden müssten und eine »Steigerung ihres Erfahrungs-, Bedeutungs- und Sinngehaltes« als Annäherung an Objektivität erfolge.40 Deshalb wird häufig von der »intersubjektiven Überprüfbarkeit« gesprochen, die von historischen Darstellungen eine Quellenarbeit und Argumentation verlangt, die von allen Menschen nachvollziehbar sein muss.41 Rüsen hat sich von seinen Begriffen entfernt und spricht nun – wie später noch ausführlicher gezeigt wird – von »empirischer […], theoretischer […], normativer […] und narrativer Plausibilität« sowie dem Begriff »Intersubjektivität«.42 Laut Michele Barricelli ist Narrativität keine »Vorstufe zur ›reinen‹ historischen Erkenntnis, sondern […] historisches Wissen selbst«. Folglich müsse der Frage, wie »es wirklich gewesen ist«, entgegengewirkt werden, um die letzte Stufe des Erkenntnisprozesses von Narrativität zu erreichen.43 Insgesamt beinhalten alle Konzepte eine Einschränkung einer möglichen historischen Objektivität. Hinsichtlich der Schulbuchdarstellungen entsteht dabei die Brisanz,

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und Politikgeschichte – die Berücksichtigung der Wirtschafts- und Sozialgeschichte eingefordert sowie die langfristige Wirkung und Zähigkeit von Strukturen betont: Pandel (2013), S. 61ff. Danto (1974), S. 240ff.; ausführlich diskutiert bei: Pandel (2013), S. 87ff. Baumgartner (1972), S. 310f.; Baumgartner (1997), S. 157. Pandel verweist jedoch darauf, dass der Konstruktivismus keine neue Basiskategorie der Geschichtstheorie, sondern eng an Weber angelehnt sei. Außerdem sei die Postmoderne nicht viel mehr als eine »Moderichtung«: Pandel (2013), S. 84f. White (1996), S. 67f., 78. Ursprünglich wurden die Thesen formuliert in: White (1973). Hobsbawm (1998), S. 7f., 238-255; Evans (1998), S. 222ff.; Pape (2006), S. 128f. Ursprünglich: Rüsen (1982), S. 138f. Rüsen (1997b); Rüsen (1983), S. 82f. Hartmann Wunderer kritisierte 2006, dass dem Thema in der Geschichtsdidaktik zu »wenig Aufmerksamkeit geschenkt« werde: Wunderer (2006), S. 137. Huhn (1994), S. 18. Rüsen (2013), S. 57ff. Barricelli (2008), S. 9, 11.

2. Schulbücher als Medium der Geschichtskultur und des historischen Lernens

dass es keine richtige DDR-Geschichte, sondern nur ein Nebeneinander unterschiedlicher sinnbildender Erzählungen gäbe. Gerade bei einem zeitgeschichtlich umkämpften Thema wie dem »Kalten Krieg« und/oder der Deutung der DDR trägt der (radikale) Konstruktivismus ein großes Konfliktpotenzial in sich.

2.3.2 Geschichtsbewusstsein und historisches Lernen In dieses Geschichtsverständnis mitsamt seiner Kontroversen sind die Theorien über Geschichtsbewusstsein und historisches Lernen eingebettet. Ihr Ursprung wird zumeist in den Thesen von Karl-Ernst Jeismann gesehen, der im Jahr 1977 den Zusammenhang von Vergangenheitsdeutung, Gegenwartsverständnis und Zukunftserwartung als Geschichtsbewusstsein und das Geschichtsbewusstsein als zentrale Kategorie der Geschichtsdidaktik identifizierte.44 Pandel hingegen verweist auf Theodor Schieder, der im Jahr 1973 diesen Zusammenhang definierte.45 Schönemann teilt drei didaktische Zugänge zum Geschichtsbewusstsein ein – nämlich strukturanalytische-, funktionstypologische und genetische Ansätze, auf die im Folgenden eingegangen wird.46 Strukturanalytische Ansätze versuchen demzufolge, das Geschichtsbewusstsein in Dimensionen aufzuspalten. Jeismann definierte diese als Analyse, Sachurteil und Wertung, die miteinander verwoben seien.47 In der konkreten Praxis in der Schule werden sie jedoch aufgesplittet und hierarchisch gegliedert, um Lernziele zu formulieren. Ein anderes strukturanalytisches Modell der Dimensionen kommt von Pandel, der sieben Doppelkategorien formuliert, die sich innerhalb von Basisdimensionen bewegen, an denen die Tiefenschärfe einer historischen Erzählung und folglich des Geschichtsbewusstseins betrachtet werden kann. Hierzu gehören Zeitbewusstsein (früher – heute), Historizitätsbewusstsein (statisch – veränderlich), Realitätsbewusstsein (real – imaginär) und vier weitere, die der Gesellschaftlichkeit subsumiert sind: Identitätsbewusstsein (wir – ihr/sie), politisches Bewusstsein (oben – unten), soziales Bewusstsein (arm – reich) und moralisches Bewusstsein (falsch – richtig). Neuerdings hat er alle Formen durch die Komponente »Emotionalität« erweitert.48

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Der Inhalt des Aufsatzes von Jeismann besteht vor allem aus der Definition des Arbeitsgebiets Geschichtsdidaktik als umfassende Beschäftigung mit Geschichte. Zudem richtet Jeismann eine scharfe Kritik an die traditionelle, vorgeblich unpolitische Geschichtswissenschaft, die sich der Selbstreflexion verweigere: Jeismann (1977). Ebenfalls: Jeismann (1997); Handro/Schönemann (2006), S. 5; Meyer-Hamme (2006), S. 89. Laut Schreiber ist der Zusammenhang bzw. die »Unterscheidung« von »Vergangenheitspartikeln, vergangenheitsbezogenen Deutungen und gegenwarts-/zukunftsbezogenen Sinnbildungen common sense der Geschichtsdidaktik«, auch wenn die Begriffe anders verwendet werden würden: Schreiber u.a. (2013), S. 17, 25. Schieder (1974), S. 73ff.; Pandel (2013), S. 135. Pandel und Bergmann verweisen im Jahr 1975 in ihrer bissigen Einführung zum »veröffentlichten Geschichtsbewusstsein« und der Kritik am Herrschaftsmechanismus Geschichte auf diesen Ursprung: Bergmann/Pandel (1975), S. 19, 37. Schönemann (2012), S. 102ff. Eine aktuelle Zusammenfassung: Baumgärtner (2015c), S. 31ff. Jeismann (1977), S. 26; Jeismann (1997), S. 43. Ausführlicher zu den Formen Analyse, Sachurteil, Werturteil siehe: Jeismann (1978), S. 58ff. Pandel (1987), S. 132. In seiner neuesten Monografie wurde die Emotionalität ergänzt: Pandel (2013), S. 148ff.

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Der funktionstypologische Ansatz steht eher im Kontext der Frage, weshalb sich Menschen mit Geschichte beschäftigen und wie sich daraus ein Geschichtsbewusstsein konstituiert. Rüsen beantwortet ausgehend von Danto diese Fragen damit, dass Geschichtsbewusstsein durch »Erzählen« als »Sinnbildung über Zeiterfahrung« entstehe – womit sich zugleich die Motivation zur Beschäftigung mit Geschichte erklären lasse. Folgerichtig besteht die zentrale Bedeutung historischen Erzählens in seiner Funktion als »elementare Bewußtseinsoperation«.49 Diese hat Rüsen in seiner Matrix des historischen Denkens visualisiert, die bereits mehrfach überarbeitet wurde, wie am Vergleich der Modelle von 1983 und 2013 deutlich wird.50 Ausgangspunkt der Matrix sind die vier Dimensionen des Geschichtsbewusstseins »Wahrnehmung/Erfahrung, Deutung, Orientierung, Motivation«, aus denen sich der »Sinn« zusammensetze.51 Er erklärt historisches Denken innerhalb dieser Dimensionen in etwa wie folgt: Das Subjekt werde durch ein gegenwärtiges Problem, das nicht in das Schema der bisherigen Erfahrungen passt, animiert, sich mit der Geschichte – also historischen Quellen oder historischen Deutungen – zu beschäftigen. Es analysiere, interpretiere und formuliere daraus eine historische Erzählung als Antwort auf die Fragestellung. Aus dieser Geschichtsnarration entstehe eine neue Orientierung für die Gegenwart und die Zukunft, die erneut durch Ereignisse und Erfahrungen herausgefordert werde.52 Diesen Kreislauf bezeichnet Rüsen als historisches Denken bzw. die »Prinzipien des historischen Sinns«. Daraus resultiert für historisches Lernen als oberstes Lernziel die »Fähigkeit der narrativen Kompetenz, die Fähigkeit also, sich durch historisches Erzählen in der Zeit zu orientieren.«53 Diese narrative Kompetenz und die unterschiedlichen Formen des Erzählens können nach Rüsen noch in traditionelle, exemplarische, kritische und genetische Sinnbildung zerlegt werden, um für den Unterricht und Lernprozesse kategorisierbar und anwendbar zu werden.54 Der genetische Ansatz hingegen, den Bodo von Borries 1983 als weiter zu entwickelnden Vorschlag konzipiert hat, ist ein Stufenmodell zur Erlernung des Geschichtsbewusstseins. Dieses verbessere sich qualitativ von »Historischer Unkenntnis« zu »Historischer Einsicht«, von »Unvermeidlicher Geschichtsbestimmtheit« zu »Kritischer Geschichtsreflexion«, von »Vorbewusster Vergangenheitsgleichgültigkeit« zu »Aufarbeitender Vergangenheitsbewältigung« und von »Emotionaler Zugehörigkeit« zu »Verantwortlichem Handeln«. Laut Schönemann gerate dieser Ansatz »zu Unrecht in Vergessenheit«.55

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Rüsen (1982), S. 133ff.; ähnlich: Rüsen (1983), S. 51; Rüsen (2013), S. 44ff. Ursprüngliche Matrix: Rüsen (1983), S. 29. In neuester Version heißt es »Prinzipien des historischen Sinns«: Rüsen (2013), S. 68. Hasberg und Körber haben das Konzept ausdifferenziert bzw. dynamisiert: Körber/Hasberg (2003), S. 177ff. Darauf Bezug nehmend: Schreiber u.a. (2013), S. 27, 139. Rüsen (2013), S. 35. Rüsen (2013), S. 66ff. Jedoch seien alle Bereiche gleichberechtigt. Rüsen kritisiert die Meinung, dass sich der historische Sinn »ausschließlich« aus der Gegenwart ergebe: Rüsen (2013), S. 39. Rüsen (1982), S. 153; Rüsen (1992), S. 240f; ähnlich: Rüsen (2013), S. 76f. Rüsen (1982), S. 141ff.; darauf Bezug nehmend: Schönemann (2012), S. 107; Schreiber u.a. (2013), S. 18. Jeismann kommentiert wie folgt: »Sieht man sie als Stufenfolge, läßt sich der Übergang vom Geschichtsbild zum Geschichtsbewußtsein ausmachen«: Jeismann (1997), S. 43. Borries (1983b), S. 18ff.; Schönemann (2012), S. 107.

2. Schulbücher als Medium der Geschichtskultur und des historischen Lernens

In der Geschichtsdidaktik finden große Kontroversen über den Inhalt des Begriffes »Kompetenzen« statt, die aus den verschiedenen Ansätzen der Kategorisierung des Geschichtsbewusstseins resultieren.56 Ich werde in der vorliegenden Arbeit aufgrund der Auseinandersetzungen keine Analyse der Kompetenzen in den Schulbüchern durchführen, sondern die Schulbücher hinsichtlich der Operationen des historischen Lernens untersuchen. Die vorliegende Schulbuchanalyse orientiert sich vorwiegend am funktionstypologischen Ansatz, wie noch gezeigt wird. Dabei sollen ebenfalls die Dimensionen Pandels berücksichtigt werden.

2.3.3 Geschichtsbewusstsein, historisches Lernen und Schulbücher Im kommenden Abschnitt wird der Anspruch an die Verbesserung des Geschichtsbewusstseins mit einigen einleitenden Beschreibungen von Schulbüchern in Verbindung gesetzt. Nach Rüsen haben die Schulbücher den »Zweck […] historisches Lernen zu ermöglichen, zu initiieren und zu fördern«57 . Für diese Operationen bedarf es allerdings entsprechender Materialien im Schulbuch. Pädagogisch gesehen können Schulbücher nach Joachim Rohlfes als Lehrbuch, kombiniertes Lehr- und Arbeitsbuch, Arbeitsbuch, Lesebuch sowie programmiertes Unterrichtswerk eingeteilt werden. Heute haben sich die kombinierten Lehr- und Arbeitsbücher durchgesetzt.58 Eine andere Kategorisierung 56

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Ausgangspunkt der Kompetenzdebatte ist die Frage, welche Kernkompetenzen das Fach Geschichte begründet – bspw. in Abgrenzung zum Fach Deutsch. Sie basiere – laut Pandel – auf dem Kompetenzbegriff von Noam Chomsky und, so Barricelli u.a., auf der Definition von Franz Weinert: Pandel (2013), S. 209; Barricelli u.a. (2012), S. 212. Weitestgehende Einigkeit herrscht über die zentrale Rolle der »narrativen Kompetenz«, die besonders Barricelli hervorhebt und die im ehemaligen Berliner Rahmenlehrplan verwirklicht worden sei: Barricelli (2008), S. 7ff.; Barricelli u.a. (2012), S. 221f. Auch Peter Gautschi stellt in seinem stark schülerzentrierten Modell diese Kompetenz (auch für Schulbücher) in den Fokus und ergänzt sie durch »Wahrnehmungskompetenz, Erschließungskompetenz, Interpretationskompetenz« und – angelehnt an Rüsen – »Orientierungskompetenz für Zeiterfahrung«: Gautschi (2010), S. 129; Barricelli u.a. (2012), S. 222ff. Derzeit ist das Modell der FUER-Gruppe am einflussreichsten, das die Matrix des historischen Denkens von Rüsen um die Kompetenzen (Methoden-, Sach-, Frage-, Orientierungskompetenz) erweitert hat und handhabbare Instrumente für die Konzeption und Bewertung von Unterricht liefert. Die Kompetenzen graduiert die FUER-Gruppe zusätzlich in basales, konventionelles und elaboriertes Niveau: Schreiber u.a. (2013), S. 28ff.; Barricelli u.a. (2012), S. 219ff. In Konkurrenz zu diesem Modell steht die älteste Konzeption von Pandel, die – am praktischen Umgang der Schüler*innen mit Geschichtskultur orientiert – in »narrative Kompetenz«, »Interpretationskompetenz«, »Gattungskompetenz« und »Geschichtskulturelle Kompetenz« eingeteilt ist: Pandel (2013), S. 211ff.; Barricelli u.a. (2012), 217f. Außerdem – in der Didaktik allerdings sehr umstritten – existiert das auf Schulalltag, Graduierung und historisches Wissen bezogene Kompetenzmodell des Geschichtslehrerverbands: Barricelli u.a. (2012), S. 226ff. Eine kurze Übersicht der Modelle bieten: Schönemann/Thünemann (2010), S. 140f.; Baumgärtner (2015c), S. 75ff. Ausführlicher im Sammelband: Handro/Schönemann (2016). Rüsen (1992), S. 239. Rohlfes (2005), S. 311ff. Die Didaktik forderte vielfach reine Arbeitsbücher ohne Darstellungstexte. Jedoch konnten sich die Arbeitsbücher nicht auf dem Markt etablieren, wie das Buch Fragen an die Geschichte gezeigt hat: Schmid (1975). Vermutlich benötigen diese Bücher zu viel Vorbereitungszeit für die Lehrkräfte. Die Umsetzung des didaktischen Konzeptes ist aber nach wie vor erstrebenswert.

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findet sich – mit Katechese, Leitfaden, Arbeitsbuch, kombiniertes Arbeits- und Lehrbuch – bei Thünemann/Schönemann.59 Die Unterscheidung der modernen Schulbücher erfolgt über den Umfang der unterschiedlichen Komponenten eines Schulbuches, die nun kurz vorgestellt werden: Als Kernelement hat sich erstens der »Autorentext« oder »Verfassertext« etabliert. Ich werde in der vorliegenden Arbeit den genderneutralen Begriff »Darstellungstext« (DT) verwenden. Er übernimmt zumeist die Funktion der leitenden Erzählung, wobei seine Rolle nicht genau definiert ist. Zweifelsohne soll er in ein Thema einführen, auf Zusammenhänge verweisen und den Abschnitt in den Gesamt-Plot des Buches einfügen. Rüsen formuliert einen weiteren Anspruch an die Schulbücher wie folgt: »Ihre Argumentation muß durchsichtig sein, und insbesondere müssen sie [Darstellungstexte, KK] Unterschiede und Zusammenhänge von Sachurteilen, Hypothesen und Werturteilen grundsätzlich erkennbar machen.«60 Ein sehr interessantes Konzept, das in der Didaktik große Zustimmung erfährt, sich aber in der Praxis (noch?) nicht durchgesetzt hat, ist ein Text mit »aufgerauter Oberfläche« nach Rolf Schörken. Er sieht im »Aufbrechen der Harmonie« von Texten ein großes Lernpotenzial. Dies könne z.B. durch das Unterbrechen der Darstellung durch Selbstreflexion über die Textproduktion oder »opponierendes Erzählen« – also These und Antithese – erfolgen. Auch nennt er »identifizierendes und verfremdendes Erzählen« – z.B. die Formulierung einer ungewöhnlich provokativen Meinung – oder »zeitgestaffeltes Erzählen«, bei dem deutlich wird, dass die Zeitzeugen das Ende der Geschichte nicht kennen, als gute Ansatzpunkte.61 Andere Möglichkeiten wären laut Schönemann/Thünemann das exemplarische Erzählen nach Rüsen sowie das rezensierende Erzählen nach Pandel.62 Gleichzeitig ist der Darstellungstext der umstrittenste Teil der Schulbücher. So schreibt z.B. Pandel: »Aus dem allwissenden ist in der Geschichtsschreibung der fragende Autor geworden. Diese Wende haben Schulbuchtexte nicht mitgemacht. Wissenschaftskritische Elemente fehlen, und die Verfassertexte deuten weder sprachlich an, dass aus einer Perspektive erzählt wird, noch machen sie Andeutungen zur Plotstruktur. So wird das Schulbuch doktrinär; es trägt keinen erwägenden Charakter und redet sich damit raus, dass ab und an einmal multiperspektivische Quellen abgedruckt sind.«63 59

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Schönemann/Thünemann (2010), S. 49ff. Darauf bezieht sich: Baumgärtner (2015c), S. 153. Die Entwicklung der modernen Schulbücher – vor allem in Abgrenzung zur Katechese – beschreibt: Jacobmeyer (2006). Rüsen (1992), S. 248. Schörken (1997), S. 731ff. Schönemann/Thünemann (2010), S. 122. Zum Verfassertext allgemein: Schönemann/Thünemann (2010), S. 84ff. Laut Pandel fehlt eine Theorie über einen Schulbuchtext: Pandel (2006), S. 37. Pandel (2006), S. 22. Ebenfalls: Pandel (2013), S. 101ff. Auf Pandel beziehen sich: Kühberger/Mellies (2009), S. 158. Zur Kritik an der These von Pandel siehe: Schreiber u.a. (2013), S. 48f. Eine interessante Formulierung kommt von Borries: »30 oder 35 Jahre nach dem Beginn der großen Reform der Geschichtsbücher seit 1970 stehen wir in mancher Hinsicht vor einem Scherbenhaufen, obwohl oder gerade weil die Schulbücher so viel besser geworden sind«: Borries (2006), S. 42. Weiterhin – so Pandel – hätten Schulbücher zwar die Methoden der Geschichtswissenschaft integriert, ansonsten wären sie aber »Ereigniskonfetti« und keine narrative Erzählung von Strukturen und Veränderungen: Pandel (2013), S. 101f. Brauch schreibt hierzu: »Zweitens geht es hier um die bereits

2. Schulbücher als Medium der Geschichtskultur und des historischen Lernens

Schöner hingegen betont, dass aktuelle Schulbücher keine »Meistererzählung« mehr seien.64 Zweitens besteht das Schulbuch aus zeitgenössischen Quellen in Text- oder Bildform. Sie sind in den letzten Jahrzehnten ein wichtiger Bestandteil des Buches geworden – besonders Bildquellen wurden in der jüngsten Vergangenheit nochmals stark aufgewertet. Die ästhetische Dimension der Geschichtskultur gewinnt mehr und mehr an Bedeutung, so dass laut Kühberger die Bilder nicht nur ergänzend seien, sondern »teilweise« die »Wissensvermittlung« übernehmen würden. Außerdem: »Schulbücher werden demnach nicht mehr geschrieben, sondern ›designed‹ und artikulieren sich eben auch über ihren multimodalen Charakter«.65 Deshalb muss eine Schulbuchanalyse ein besonderes Augenmerk auf die Bilder legen. Rüsen bescheinigte Bildern bereits 1992 »eine besonders wichtige Funktion« für das historische Lernen. Allerdings dürften sie nicht nur »illustrative Funktion« haben, um die Aussagen des Darstellungstextes zu bestätigen.66 Drittens beinhalten Schulbücher nach Pandel »Fremdtexte«, historiografische Texte und Quellen in Form von Meinungen von Politikern bzw. renommierten Historikern. Jedoch würden die Textgattungen in den Schulbüchern durch »Stilbrüche […] dermaßen von den Autoren verändert«, dass Quellen beispielsweise nicht mehr als diese erkennbar seien. »Historikerzitate« müssten hingegen aktuelle wissenschaftliche Kontroversen sowie Forschungsstände abbilden, sonst könnten die Schüler*innen nicht die geschichtskulturelle Relevanz erschließen.67 Schönemann und Thünemann erläutern die Schwierigkeiten bei der Konzeption guter Zitate und stellen die Notwendigkeit der Aktualität in Frage. Es sei nur wichtig, dass die verwendeten »Historikerzitate […] profilierte Meinungen« darstellen.68 Viertens verwenden Schulbücher Paratexte, wie z.B. ein Glossar, um bestimmte Wörter oder Zusammenhänge zu erläutern, bei denen von unterschiedlichen Niveaus der Schüler*innen ausgegangen wird (Binnendifferenzierung).69

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angesprochene Problematik des Verfassertextes, der auf den ersten Blick selten als standortgebundenes Narrativ transparent dargestellt wird«: Brauch (2014), S. 115. Schöner (2013), S. 75. Kühberger/Mellies (2009), S. 168. An anderer Stelle heißt es: »Meist fragen sich Historikerinnen und Historiker bzw. Lehrerinnen und Lehrer nicht, ›ob das Bild gut platziert ist, ob es zu klein ist, welche Funktion es auf der Seite erfüllt, sondern [sie versuchen] zu bestimmen, ob das Dokument – denn für Historiker ist das Bild ein Dokument – gut ausgewählt, parteiisch oder unvollständig beziehungsweise aufschlussreich ist‹«: Kühberger/Mellies (2009), S. 171. Zu Bildern im Schulbuch siehe auch: Hamann (1998), S. 278ff.; Bickel (2002), S. 50ff. Rüsen (1992), S. 245. Dies betreffe auch Textquellen: »Da die Textquellen Erfahrungen vermitteln, Vergangenheit in ihrer Eigenart und zeitlichen Differenz zur Gegenwart präsentieren sollen […], dürfen sie auf gar keinen Fall bloß illustrativen Charakter im Verhältnis zur Darstellung haben. […] Für sie gilt ähnliches wie für Bildquellen: Sie müssen ansprechenden, herausfordernden, anregenden Charakter haben, Fragen induzieren und problembezogen interpretierbar sein«: Rüsen (1992), S. 245f. Zu visuellen Medien: Schönemann/Thünemann (2010), S. 89ff. Illustrative Funktion: Schönemann/Thünemann (2010), S. 70. Pandel (2006), S. 23. Schönemann/Thünemann (2010), S. 88. Pandel merkt an, diese seien nicht Teil der Narration des Schulbuchs: Pandel (2006), S. 18. Schöner kritisiert Pandel, da Paratexte Teil der Gesamtnarration seien: Schöner (2013), S. 73f.

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Fünftens sind die Aufgabenstellungen wichtige Elemente des Schulbuchs, die idealerweise zu einer Quellenanalyse und einer eigenen historischen Erzählung animieren. Die Aufgabenstellungen müssen verständlich und normativ triftig – d.h. die Bewertungsgrundlage ist transparent – sein.70 Zu vermeiden sind Suggestivfragen, die historisches Lernen eher behindern als fördern.71 Pandel kritisiert die Aufgabenstellungen in vielen Büchern scharf: »Die Darstellung des Geschehens durch den Verfasser enthält absichtlich ›Löcher‹, Leerstellen, die Schülerinnen und Schüler selbst auffüllen müssen.« Schöner hingegen verweist darauf, dass bei allen Texten die Rezeption über Löcher geschehe.72 Die Schwierigkeit bei den Arbeitsaufträgen besteht folglich darin, möglichst wenig von der Antwort vorwegzunehmen, aber anderseits eine verständliche und konkrete Aufgabe zu stellen. Für die Schulbuchanalyse bedarf es eines invertierenden Instruments, da geprüft werden soll, ob Schulbücher historisches Lernen fördern. Historisches Lernen nach Rüsen beinhaltet als Kernelement die »Dekonstruktion« und »Rekonstruktion« von historischen Narrationen. Dies sei jedoch nur möglich, wenn – so Kühberger, angelehnt an Rüsen73 – die Schulbuchnarrationen fachliche, narrative und normative Triftigkeit aufweisen. Folglich müssen für die Schulbuchanalyse die Triftigkeiten codiert werden, um ein Untersuchungsraster zu erstellen. Die Erläuterungen zur Methodik und den Triftigkeiten erfolgt im fünften Kapitel.74

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Heuer schreibt Folgendes: »Für die Förderung narrativer Kompetenz durch Aufgabenformate bedeutet diese Einsicht, dass Schülerinnen und Schüler durch die konkreten Aufgaben dazu herausgefordert werden müssen, bereits vorhandene Geschichte(n) (also eine Quelle, einen Darstellungstext im Schulbuch, eine Fotografie) in eine neue Erzählung zu transformieren, […]«: Heuer (2011), S. 450f. Weiterhin stellt er Analysekriterien vor, die jedoch für mein großes Korpus zu differenziert sind: Heuer (2011), S. 456. Siehe zu Arbeitsaufträgen in Schulgeschichtsbüchern auch: Schönemann/Thünemann (2010), S. 91ff. Ob ein Operator verständlich und gut gewählt ist, muss im Einzelfall geprüft werden: Schreiber u.a. (2013), S. 36, 51, 58; Schöner (2013), S. 80f. Arbeitsaufträge bei Rüsen: »Sie sollten Suggestivfragen und bloße Entscheidungsfragen vermeiden, da damit das entscheidende Lernelement der Selbstständigkeit, des eigenen Denkens und Argumentierens, eingeklammert wird«: Rüsen (1992), S. 244. Kühberger und Mellies urteilen: »Derartige Frageformen suggerieren bereits die erwünschte Antwort (Suggestivfragen) und geben den Lernenden wenige Chancen zur selbstständigen Urteilsbildung, vor allem dann nicht, wenn Wertungen bereits in der Frage grundgelegt werden«: Kühberger/Mellies (2009), S. 163. Brauch untersucht Aufgabenstellungen dahingehend, ob sie historisches Lernen am Beispiel von Charles de Gaulle und dem Holocaust fördern und kommt zu dem Ergebnis, die politische Dimension verhindere eine »gute Argumentation«: Brauch u.a. (2011), S. 248. Pandel (2006), S. 26; Schöner (2013), S. 74. Kühberger/Mellies (2009), S. 14ff. Der Vollständigkeit halber soll noch erwähnt werden, dass Thünemann und Schönemann anregende Gedanken und Vorschläge zum historischen Lernen mit dem Schulbuch formuliert haben – u.a. die Betrachtung von Schulbüchern als Quelle: Schönemann/Thünemann (2010), S. 135ff., 178190. Christina Mätzing plädiert ebenfalls für die Verwendung der Schulgeschichtsbücher als historische Quellen: Mätzing (2010), S. 97. Allerdings kann in der vorliegenden Analyse das Potenzial zur Verwendung der DT bzw. der Schulbücher als historische Quellen nicht als positiver Indikator für die Bücher gelten, da diese eigenständig durch Texte, Bilder und Aufgabenstellungen zum historischen Denken beitragen sollen.

3. Nachkriegswirtschaft in der Geschichtswissenschaft

3.1 »Stunde null« versus »Auferstanden aus Ruinen« Die Nachkriegswirtschaft, so ist sich die Wirtschaftsgeschichte heute einig, hatte keine »Stunde null« wie in Westdeutschland kommuniziert und kein »Auferstanden aus Ruinen« wie die Nationalhymne der DDR suggerierte. Der Mythos von der »Stunde null«1 entstand in den Nachkriegsjahren durch den Anblick der z.T. vollkommen zerstörten Innenstädte, deren Bilder durch die Welt gingen. Eine im Auftrag der US-Luftwaffe eingesetzte Expertenkommission stellte jedoch im Oktober 1945 fest, dass die Bombenangriffe auf die Kriegswirtschaft ein »katastrophaler Misserfolg« und mit hohen Verlusten verbunden gewesen seien. Die wichtigste Industrie habe oftmals geografisch nicht erreichbar, flakgeschützt oder unterirdisch gelegen. Durch die Zerstörung der Infrastruktur und der Innenstädte habe man der Kriegswirtschaft trotzdem einen indirekten Schaden zugefügt.2 Abelshauser resümiert über die Lage der Wirtschaft im Mai 1945: »Bezogen auf das Jahr 1936 war das Brutto-Anlagevermögen der Industrie sogar um 20 % gestiegen.« Zugleich seien die meisten Maschinen sehr neu gewesen und hätten eine geringe Abschreibungsquote gehabt.3 Streb und Spoerer kritisieren diese Präzisierung, da die Zahlen von Rolf Krengel, auf dessen Ergebnissen Abelshausers Berechnung basiert, nicht fundiert seien.4

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Ritschl (2005), S. 151; Abelshauser (2011), S. 22ff.; Kleßmann (1991), S. 37. Ähnliche Beschreibung: Prollius (2006), S. 15; Streb/Spoerer (2013), S. 209ff.; Roesler (2006), S. 38f.; Altvater u.a. (1979), S. 61. Abelshauser (2011), S. 67f. Siehe auch: Overy (2014), S. 655ff.; Lindlar (1997), S. 230ff. Langfristig hatten die zerstörten Wohnviertel auf die wirtschaftliche Entwicklung große Auswirkungen, da Fachkräfte nicht mehr bei den Fabriken wohnen konnten. Abelshauser (2011), S. 69. Die Studie von Krengel, so die Autoren, basiere auf den Kriegsverlusten, die Krengel »ad hoc« geschätzt habe. Alle weiteren Berechnungen hätten sich auf diese Zahlen bezogen. Jedoch habe Jonas Scherner nachgewiesen, dass die Bruttoanlageinvestitionen des Nationalsozialismus unterschätzt worden seien; somit müssten die Zerstörungen am Bruttoanlagevermögen größer gewesen sein: Streb/Spoerer (2013), S. 213f.; Scherner (2010), S. 450f. Tamás Vonyó unterscheidet zwischen Strukturen des Bruttokapitalstocks, die zwischen 1938 und 1946 um ca. neun Prozent, sowie

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Die Produktionskapazitäten der SBZ (bei Werkzeugmaschinen nur 6,5 Prozent Verluste) hat Zank ebenfalls anhand der Ergebnisse der Kommission der US-Luftwaffe geschätzt. Demnach bestätigen die Berichte aus einzelnen Fabriken seine Ergebnisse.5 Trotz der Kritik an der Genauigkeit der Werte ist die grundsätzliche Einschätzung der geringen Kriegsschäden am Kapitalstock unumstritten. Der zweite wichtige Aspekt ist die Situation auf dem Arbeitsmarkt. In Deutschland entstand durch die Migration aus dem Osten die ungewöhnliche Situation, dass trotz der vielen Kriegstoten die Anzahl der potenziell arbeitenden Menschen höher war, als zu Kriegsbeginn (siehe ausführlicher: Abschnitt 3.9.1). Die Ausgangsbedingungen waren zunächst, sowohl in den Westzonen als auch in der SBZ, äußerst günstig.

3.2 Jalta und Potsdam Vom 4. bis 11. Februar 1945 fand in Jalta die Konferenz der Alliierten statt, deren Bedeutung aus heutiger wirtschaftshistorischer Perspektive vor allem in den Beschlüssen zu den Reparationszahlungen besteht. Die zeitgenössische Debatte um die Reparationen kann nur im historischen Kontext verstanden werden, da die Reparationspolitik nach dem Ersten Weltkrieg zu Recht als gescheitert angesehen wurde. Deshalb einigte man sich in Jalta – so Abelshauser – auf Demontagen, Entnahmen aus laufender Produktion und »Zwangsarbeit«.6 Zusätzlich sollte die UdSSR Reparationsgüter im Wert von ca. zehn Mrd. Dollar aus allen Besatzungszonen bekommen.7 Auf der Dreimächtekonferenz von Berlin in Potsdam zwischen dem 17. Juli und dem 2. August 1945 einigten sich die Alliierten auf folgende Punkte: Erstens sei die deutsche Wirtschaft »zu dezentralisieren mit dem Ziel der Vernichtung der bestehenden übermäßigen Konzentration der Wirtschaftskraft, dargestellt insbesondere durch Kartelle, Syndikate, Trusts und andere Monopolvereinigungen.« Zweitens müsse Deutschland als »wirtschaftliche Einheit« betrachtet werden.8 Drittens seien die Reparationsansprüche aus den jeweiligen Besatzungszonen zu entnehmen. Zusätzlich erhalte die UdSSR 15 Prozent der industriellen Reparationen aus den Westzonen gegen Nahrungsmittel und Rohstofflieferungen sowie zehn Prozent der industriellen Reparationen der West-

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Maschinen und Ausrüstung, die um ca. 27 Prozent gestiegen seien (eigene Berechnungen; Zahlen von Vonyó): Vonyó (2014), S. 155f. Zank nimmt Bezug auf eine Rede von Friedrich Spennrath, der den Vorsitz der AEG und des Industrie-Ausschusses für Berlin innehatte: Zank (1987), S. 20. Abelshauser (2011), S. 73. Ciesla führt das Entgegenkommen der USA und GB in der Reparationsfrage in Jalta auf das Ziel zurück, die UdSSR für den Kriegseintritt gegen Japan zu gewinnen: Ciesla (1995), S. 83. Hinsichtlich der Warenform der Reparationen habe es – so Jochen Laufer – bereits im Dezember 1941 eine Übereinkunft zwischen GB und der UdSSR gegeben: Laufer (1995), S. 30. Kleßmann (1991), 30, 347. Doernberg (1984), S. 187f.

3. Nachkriegswirtschaft in der Geschichtswissenschaft

zonen »ohne Bezahlung oder Gegenleistung irgendwelcher Art«.9 Einige Historiker sehen darin bereits einen (ungewollten) Beschluss der Teilung Deutschlands.10 Konfliktlinien innerhalb der Verhandlungen taten sich schließlich vor allem bei der Frage auf, ob die Beschlüsse von Jalta durch die Ergebnisse von Potsdam revidiert oder ergänzt werden sollten. Die UdSSR, so Rolf Steininger, »vertrat die Auffassung, daß die Beschlüsse von Jalta nicht durch das Potsdamer Abkommen revidiert worden wären. Daher hielt sie neben Demontagen auch Entnahmen aus der laufenden Produktion und Leistungen deutscher Arbeitskräfte für rechtens«. Die USA hätten hingegen nur das Potsdamer Abkommen für gültig gehalten.11 Karlsch urteilt außerdem: »Gemessen an den ungeheuren Verlusten war die sowjetische Forderung nach Reparationen in Höhe von zehn Milliarden Dollar durchaus maßvoll.«12 Aus den Beschlüssen von Potsdam entwickelten die Alliierten den Industrieplan, in dem eine Industrieniveau-Absenkung auf etwa 50-55 Prozent des Standes von 1938 vorgesehen gewesen war.13

3.3 »Deutschlandfrage« Die Ausgangssituation infolge des Krieges wird oftmals als Dichotomie zwischen den Westmächten, die eine demokratische Ordnung hätten aufbauen wollen und der Sowjetunion, die an einer Etablierung einer stalinistischen Diktatur interessiert gewesen sei, dargestellt. Diese Sichtweise ist nicht nur vereinfacht, sondern auch qualitativ nichtzutreffend. Die französische Besatzungsmacht hatte im Kontext des dritten Angriffskrieges von Deutschland innerhalb von zwei Generationen vor allem ein Interesse an einer Zerschlagung der industriellen Großmacht Deutschland. Laut Tony Judt war die Regierung von Frankreich traditionell außenpolitisch eng an Russland gebunden, sie habe aber die amerikanischen Kredite benötigt. Zusätzlich habe sie durch den verlorenen Krieg ihren Einfluss verloren und darum zunächst die Umsetzung der Potsdamer Beschlüsse blockiert, an denen sie nicht mitwirken durfte.14

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Doernberg (1984), S. 189f.; Karlsch (1993), S. 30. Die Reparationsleistungen aus dem Westen an die UdSSR werden gelegentlich in ihrer Relevanz heruntergespielt. Steiner schreibt bspw.: »Darüber hinaus sprach man der Sowjetunion einen gewissen Anteil an den in den Westzonen zu demontierenden Industrieanlagen zu«: Steiner (2007), S. 27f. Es geht hierbei immerhin um zehn Prozent der zunächst geplanten (sehr hohen) Reparationsleistungen des Westens. Steininger (1983a), S. 62ff. Auch Ciesla resümiert: »In agreeing that they should each settle their reparations demands within their own zones, the Allies set the course for the division of Germany.« Hier finden sich auch Literaturhinweise zu zahlreichen Vertretern dieser These: Ciesla (2013), S. 54. Karlsch (1993), S. 31. Karlsch (1993), S. 223. Karlsch (1993), S. 33; Abelshauser (2011), S. 65. Roesler benennt die Zahlen mit 70-75 Prozent des Standes von 1936: Roesler (2006), S. 43. Zum Industrieplan weiterhin: Hardach (1979), S. 107ff. Er ist als Dokument abgedruckt in: Harmssen (1948), S. 91ff. Judt (2006), S. 139ff. Auch Kleßmann schreibt: »Als Hindernis einer gemeinsamen Deutschlandpolitik erwies sich nach Potsdam zunächst vor allem Frankreich, […]«: Kleßmann (1991), S. 34. Ebenfalls: Abelshauser (2011), S. 65; Gimbel (1976), S. 4.

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Die Rolle der Sowjetunion wird sehr unterschiedlich bewertet. Hobsbawm resümiert: »Die Sowjetunion lag nach dem Krieg in Trümmern; sie war ausgeblutet und erschöpft; ihre Friedenswirtschaft war in Stücke gegangen; und ihr Regime stand voller Mißtrauen einer Bevölkerung gegenüber, die (von den Großrussen abgesehen) einen deutlichen und verständlichen Mangel an Loyalität gezeigt hatte. […] Ihre Grundhaltung nach dem Krieg war nicht aggressiv, sondern defensiv.«15 Judt hingegen charakterisiert die Außenpolitik der UdSSR als expansiv, da die Führung der UdSSR – neben dem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber den Weststaaten aufgrund der Eingriffe in den Bürgerkrieg – geopolitisch gestärkt und optimistisch gewesen sei.16 Die Deutung von Hobsbawm wird durch eine wenig beachtete Quelle über einen Vortrag von George Kennan – immerhin wichtigster US-Geostratege in Bezug auf die UdSSR – an der Genfer Universität bestätigt, in der er, laut des Korrespondenten der London Times, Folgendes gesagt habe: »In creating Nato […] they had drawn a line arbitrarily across Europe ›against an attack no one was planning‹«.17 Im Hinblick auf die Haltung der UdSSR zur Deutschlandfrage beziehen sich einige Historiker auf die Arbeit von Norman Naimark, der das Fehlen eines Gesamtplans betont.18 Die Haltung der US-Regierung zur Deutschlandfrage ist schwierig einzuschätzen, da es innerhalb der US-Führung große Kontroversen gab. In der deutschen Geschichtskultur wird größtenteils die Etablierung von Marktwirtschaft und Demokratie als Ziel der US-Politik angegeben. Die Durchsetzung des Kapitalismus, auch um einen neuen Absatzmarkt hinzuzugewinnen, kann als unbestritten gelten. Laut Hobsbawm hat sich »die amerikanische Regierung nach dem Krieg einer aggressiven Expansionspolitik zugewendet«19 und dabei zahlreiche rechte, antidemokratische Regierungen unterstützt. Folglich ist es fraglich, inwieweit der Aufbau eines demokratischen Systems bedeutend

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Hobsbawm (2012), S. 293f. Judt (2006), S. 143ff. London Times (1965). Eine Kommentierung des Artikels und des Vortrags findet sich bei: Deutscher (1969), S. 18ff. Auch eine interne Denkschrift vom November 1947 von Kennan besagt, dass die UdSSR keinen neuen Krieg führen wollte: Kleßmann (1991), S. 454f. Naimark (1997), S. 586; Judt (2006), S. 147; Steiner (2007), S. 39f., 56. Auch Aleksej Filitov hält Stalins Absicht eines vereinigten, neutralen Deutschlands für möglich: Filitov (2006), S. 37. Ciesla charakterisiert die sowjetische Politik als »extremely contradictory«: Ciesla (2013), S. 72. Hobsbawm (2012), S. 348. Laut Hobsbawm glaubte Kennan nicht, dass sich die UdSSR auf einem »kommunistischen Kreuzzug« befände. Trotzdem habe er Russland sowohl im Zarenreich als auch im Bolschewismus als »barbarische Gesellschaft« gesehen, die es zu bekämpfen gelte. Von Demokratie »hielt er wenig«: Hobsbawm (2012), S. 294.

3. Nachkriegswirtschaft in der Geschichtswissenschaft

war.20 In einer internen Strategieschrift des State Department wurde die geplante Außenpolitik im Jahr 1948 wie folgt definiert: »Furthermore, we have about 50 % of the world’s wealth but only 6.3 % of its population. This disparity is particularly great as between ourselves and the peoples of Asia. In this situation, we cannot fail to be the object of envy and resentment. Our real task in the coming period is to devise a pattern of relationships which will permit us to maintain this position of disparity without positive detriment to our national security. To do so, we will have to dispense with all sentimentality and day-dreaming; and our attention will have to be concentrated everywhere on our immediate national objectives. We need not deceive ourselves that we can afford today the luxury of altruism and world-benefaction. (…) We should stop putting ourselves in the position, of being our brothers' keeper and refrain from offering moral and ideological advice. We should cease to talk about vague and – for the Far East – unreal objectives such as human rights, the raising of the living standards, and democratization. The day is not far off when we are going to have to deal in straight power concepts. The less we are then hampered by idealistic slogans, the better.«21 Judt hingegen betont zwar ebenfalls eine geostrategisch agierende US-Führung, akzentuiert aber eine kompromissbereite Politik bis 1947.22 Die Konfliktlinien verliefen anhand der Frage, ob Deutschlands Wirtschaft aufgebaut werden darf oder nicht.23 Offiziell war bis Juli 1947 die – von Franklin D. Roosevelt und Finanzminister Henry Morgenthau geprägte – amerikanische Direktive JCS (Joint Chiefs of Staff) 1067 in Kraft, die eine »konsequente« Entnazifizierung vorsah. Außerdem sollten keine Schrit-

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Hobsbawm führt zahlreiche Beispiele an, wie flexibel die amerikanische Außenpolitik gewesen sei, um die eigenen Interessen durchzusetzen. So »etablierten« die USA in Italien und Japan eine Ordnung, die langfristig in einem »Einparteiensystem« endete. Für den Fall des Sieges der KPI bei den Wahlen von 1948 in Italien hätten die USA bereits einen Plan für ein militärisches Eingreifen in der Hinterhand gehabt: Hobsbawm (2012), S. 300f. Francos Spanien wurde lediglich kurzzeitig international isoliert. Kennan empfahl, so Bernecker, bereits 1947 die Beziehungen zu normalisieren. Im Februar 1948 seien alle Sanktionen aufgehoben worden und im Jahr 1950 habe es den ersten Großkredit gegeben: Bernecker (2010), S. 220f. Das rechte Regime in Griechenland hat nicht nur militärische Unterstützung, sondern auch ERP-Gelder bekommen: Foreman-Peck (2014), S. 22. Auch in Korea wurde ein antikommunistisches Regime einer demokratischen Entwicklung per Wahlen vorgezogen: Song/Werning (2012), S. 57ff. In Vietnam verhinderte die US-Regierung 1956 Wahlen, da die Việ t Minh diese zweifelsohne gewonnen hätten: Hess (2009), S. 27; Stöver (2007), S. 113. Diese Liste könnte noch weiter verlängert werden. Auch innenpolitisch zeigte sich vielfach ein fragwürdiges demokratisches Verständnis, da bspw. die African Americans bis 1965 bei der Ausübung des Wahlrechts in vielen Staaten massiv behindert wurden: Finzsch u.a. (1999), S. 496ff. Auch für die Bundesrepublik existieren Hinweise, dass die Demokratie nur gewünscht war, solange die entsprechenden Parteien gewählt wurden. Adenauers Berater Klaus Skibowski berichtet jedenfalls, dass die US-Führung im Jahr 1952 eine Änderung des Wahlrechts erwogen habe, da ein Sieg der SPD bei den Wahlen 1953 erwartet wurde: Weber (2008), 34:20 (Minuten:Sekunden). Kennan (1948). Judt (2006), S. 134f. Judt (2006), S. 130f.

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te zum wirtschaftlichen Aufbau Deutschlands unternommen werden.24 Demgegenüber verlangten Harry S. Truman und der General Lucius D. Clay den – antikommunistisch motivierten – Wiederaufbau Deutschlands. In Großbritannien wird die Zeit nach dem Krieg die Phase der »Austerität« genannt, da die neu gewählte sozialistische Regierung von Clement Attlee mit harten Sparmaßnahmen (»Austerity«) gegen den drohenden Bankrott vorging. Trotzdem wurde ein breites öffentliches Gesundheitsprogramm finanziert und ca. 20 Prozent der Industrie verstaatlicht. Jedoch stand die sozialistische Regierung der Communist Party of Great Britain (CPGB) und der Sowjetunion sehr ablehnend gegenüber. Folglich agierte die britische Regierung von Beginn an für einen westdeutschen Staat und den schnellen Wiederaufbau.25 Die Debatten über das Zerbrechen der Anti-Hitler-Koalition sowie über die StalinNoten gehören zu den bedeutendsten Kontroversen in der Zeitgeschichte. Denn hierbei geht es letztlich um nicht weniger als die Frage, wer die Schuld an der Teilung Deutschlands trägt. Relativ unstrittig ist der Zeitpunkt der Spaltung der Alliierten, die sich rund um die Außenministerkonferenz im Winter 1947 in London vollzog. Innerhalb der Zeitgeschichte wird der Konflikt zwischen »Traditionalisten«, »Revisionisten« und »Postrevisionisten« ausgetragen. Die »Revisionisten« argumentieren, »dass die ökonomischen Globalziele der USA, die legitimen Sicherheits- und Wiederaufbauinteressen der im Krieg ruinierten Sowjetunion in Frage gestellt und damit entsprechende sowjetische Gegenreaktionen provoziert hätten«.26 In der Literatur der Wirtschaftsgeschichte

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Kleßmann (1991), S. 22f. Laut Judt sei bereits im März 1945 in einem internen Papier des britischen Finanzministeriums die Teilung Deutschlands präferiert worden. Churchill habe bereits im März 1946 vom »Eisernen Vorhang« gesprochen. In der sozialistischen Partei hätten die Befürworter eines neutralen, entmilitarisierten Deutschlands nur eine Minderheit gestellt. Premier Attlee sei für einen separaten Weststaat gewesen: Judt (2006), S. 135ff. Zur britischen Rolle ausführlich: Steininger (1983a), S. 167ff. Kleßmann (1991), S. 22f.

3. Nachkriegswirtschaft in der Geschichtswissenschaft

stimmen viele Thesen eher mit revisionistischen Ansätzen überein.27 Die »Traditionalisten« sehen dagegen im Expansionsbestreben der UdSSR die Ursache für den »Kalten Krieg«.28 Demnach habe die UdSSR mit den rigorosen Strukturveränderungen in ihrer Zone gegen das Potsdamer Abkommen verstoßen.29 Heutzutage sind »postrevisionistische« Ansätze sehr verbreitet, die sich besonders mit der gegenseitigen Wahrnehmung als Ursache der Auseinandersetzung befassen. Eine der bedeutendsten Debatten der Zeitgeschichte dreht(e) sich um die Noten von Josef Stalin an die USA/Westdeutschland im Jahr 1952, in denen er die Wiedervereinigung – unter der Bedingung der Blockfreiheit und Entmilitarisierung – anbot. Die Mehrheit der Historiker hält die Stalin-Noten für ein »Störfeuer«, um die deutsche Regierung und die westlichen Verbündeten zu diskreditieren sowie den Aufbau des Sozialismus in der DDR zu legitimieren. Deren prominenteste Vertreter sind aktuell Gerhard Wettig und Peter Ruggenthaler. Jochen Laufer sah die Noten als Vorwand, jedoch habe der Westen trotzdem die Chance verpasst, sie zu nutzen, um die UdSSR zur Wiedervereinigung zu bewegen.30 Wilfried Loth hält das Angebot der UdSSR für einen ernstgemeinten und verhandelbaren Vorschlag.31 Steininger zeigt anhand von westlichen Quellen, dass die Politik der UdSSR zu diesem Zeitpunkt sehr diffus gewesen sei,

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Aus wirtschaftshistorischer Sicht spricht, so Steiner, hierfür Folgendes: »Die Sowjetunion hatte bis dahin (Gründung des Wirtschaftsrates der Bizone, KK) vermieden, eine übergreifende Instanz (Deutsche Wirtschaftskommission DWK, KK) für ihre Zone zu gründen, weil sie weiter eine gesamtdeutsche Regelung vorzog.« Zudem seien nach dem Scheitern der Londoner Außenministerkonferenz die Kompetenzen für die DWK erweitert worden: Steiner (2007), S. 57f. Auch Ciesla beschreibt das Reagieren der UdSSR auf die Entwicklung der Bizone. Er positioniert sich deutlich dazu, dass die Westalliierten die gesamtstaatliche Lösung verworfen hätten: Ciesla (2013), S. 73ff. Eine diffuse Argumentation findet sich bei Karlsch hinsichtlich der Reparationen. Einerseits betont er die »harte Haltung« der USA gegenüber der UdSSR, andererseits trage die Sowjetunion die Verantwortung für das Scheitern der alliierten Zusammenarbeit, da diese nicht in der Lage gewesen sei, »mit demokratischen Parteien zu verhandeln«. Dabei liefert er jedoch ein weiteres Indiz für das Interesse der UdSSR an einem Gesamtdeutschland, da Stalin – laut Karlsch – Ulbricht noch im Jahr 1948 erklärte, dass ein Oststaat ohne Stahlproduktion für die UdSSR eine Belastung sei: Karlsch (1993), S. 98. Roesler macht ebenfalls die USA für das Ende der Anti-Hitler-Koalition verantwortlich: Roesler (2006), S. 34. Prollius positioniert sich nicht explizit, zeichnet aber eher die Kehrtwende der amerikanischen Politik nach: Prollius (2006), S. 32ff. Abelshauser schreibt deutlicher, wie sich die Politik der US-Regierung nach dem Antritt von Außenminister Marshall von einer kompromissbereiten hin zu einer Fokussierung der eigenen geostrategischen Interessen veränderte: Abelshauser (2011), S. 113. Kleßmann (1991), S. 171. Judt nennt die Persönlichkeit von Stalin sowie dessen »System« als Ursache für das Aufbrechen der Koalition: Judt (2006), S. 154. Auch Jochen Laufer hat kürzlich noch einmal die These bekräftigt, Stalin habe eine Teilung Deutschlands langfristig präferiert: Laufer (2006), S. 534f. Diese Meinung ist nicht mehrheitsfähig, wie beispielsweise die Rezension von Stefan Creuzberger – sicherlich kein Revisionist – zeigt: Creuzberger (2008). Zuletzt: Wettig (2015), S. 186f.; Ruggenthaler (2007), S. 16-21, 29-45. Bei Wettig findet sich eine aktuelle, ausführliche Vorstellung der Kontroverse mitsamt der Kategorisierung der verschiedenen Meinungen in Angebotsthese, Disziplinierungsthese und Propagandathese: Wettig (2015), S. 26ff. Zu den Schwächen der Argumente und des Materials von Ruggenthaler, auf das sich auch Wettig bezieht, siehe folgende Rezension: Laufer (2009). Loth (2007), S. 216-220, 233ff.

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die Westmächte und Konrad Adenauer allerdings nicht bereit gewesen wären, in die Verhandlungen einzutreten.32 Peter Sichel, der nach dem zweiten Weltkrieg CIA-Chef in Berlin war, sagte vor wenigen Jahren in einem Interview: »Wir waren nicht unglücklich über die Teilung Deutschlands und Adenauer war es auch nicht. Aber wir mussten alle so tun, als ob wir die Wiedervereinigung wollten.«33 Er betont mit Nachdruck, dass die Stalin-Noten ernstgemeint waren.34 Michael Gehler hat kürzlich eine umfangreiche Studie vorgelegt, in der er am Beispiel von Österreich, welches ebenfalls in vier Besatzungszonen eingeteilt war, argumentiert, dass ein neutrales Deutschland ohne NATO-Mitgliedschaft möglich gewesen sei.35 Nach dem Scheitern der drei Stalin-Noten proklamierte die DDR den »Aufbau des Sozialismus«, wie im Folgenden ausgeführt wird. Nach dem zweiten Weltkrieg führte die Frage um die zukünftige Wirtschaftsordnung in Deutschland ebenfalls zu großen Kontroversen. Eine große Mehrheit der Menschen sah den Kapitalismus36 und die liberale Wirtschaftsordnung aufgrund der Weltwirtschaftskrise sowie aufgrund des Faschismus37 als gescheitert an.38 Joseph A. Schumpeter, der politisch eher als konservativ bezeichnet werden kann, schreibt über die internationale Stimmung im Jahr 1942 Folgendes: »Die Atmosphäre der Feindschaft gegenüber dem Kapitalismus, die wir gleich noch zu erklären haben, macht es viel schwieriger als es sonst wäre, sich eine vernünftige Ansicht über seine wirtschaftlichen und kulturellen Leistungen zu machen. Die öffentliche Meinung ist allgemach so gründlich über ihn verstimmt, daß die Verurteilung des Kapitalismus und aller seiner Werke eine ausgemachte Sache ist, – beinahe ein Erfordernis der Etikette der Diskussion.«39 32

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Steininger (1983b), S. 409ff.; Steininger (2014), S. 146ff. Dierck Hoffmann resümiert, dass Stalins Motive auch heute noch »unklar« seien. Er geht aber ebenfalls von mehreren Optionen und von Kompromissbereitschaft aus: Hoffmann (2009), S. 587. Die Überblicksdarstellungen zur DDRWirtschaft betonen ebenfalls ein ernstgemeintes Angebot: Steiner (2007), S. 81; Roesler (2006), S. 56f. Zwei Überblickswerke zur BRD-Wirtschaft verzichten auf die Erwähnung der Stalin-Noten: Abelshauser (2011); Prollius (2006). Weber (2008), 24:40 (Minuten:Sekunden). Weber (2008), 29:50 (Minuten:Sekunden). Gehler (2015), S. 1237ff. Der Begriff Kapitalismus galt in der Geschichtswissenschaft lange Zeit als normativer Begriff. Seit der Wirtschaftskrise 2007/2008 ist er im wissenschaftlichen Bereich wieder etabliert und auch eine kritische Betrachtung der wirtschaftlichen Entwicklung erscheint notwendig: Welskopp (2014), S. 1f.; Kocka (2013), S. 6ff.; Plumpe (2014). Der Begriff Faschismus ist in der Wissenschaft umstritten: Bauerkämper (2006), S. 13ff. In der vorliegenden Arbeit wird er als Bezeichnung für den Faschismus in Deutschland der Jahre 19331945 verwenden, da der Begriff Nationalsozialismus aus wirtschaftshistorischer Perspektive keinen Sinn ergibt, wie in diesem Abschnitt erläutert wird. Zur Diskreditierung des Liberalismus siehe: Foreman-Peck (2014), S. 40. Hobsbawm schreibt, dass es im »Golden Age« Konsens gewesen sei, dass das freie Unternehmertum vor sich selbst geschützt werden müsse: Hobsbawm (2012), S. 345. Zudem hätten viele Menschen in der Nachkriegszeit den Nationalsozialismus als Folge des Kapitalismus gesehen: Kleßmann (1991), S. 162f.; Eichengreen (2007), S. 132. Schumpeter (2005), S. 107. Schumpeter begründet in diesem Werk allerdings selbst das Scheitern des Kapitalismus (siehe Seite 106).

3. Nachkriegswirtschaft in der Geschichtswissenschaft

Zusätzlich hatte der sowjetische Sozialismus aufgrund des ökonomischen Aufschwungs in den dreißiger Jahren und des militärischen Sieges über Deutschland nun auch in der so genannten »Intelligenz« großen Eindruck hinterlassen.40 Zudem war die Theorie der »Wirtschaftsdemokratie« wirkmächtig, die die Änderung des ökonomischen Systems als notwendige Grundlage für die Schaffung von Mitbestimmung und Demokratie ausmachte.41 Folglich strebten viele Menschen in Deutschland einen Sozialismus in unterschiedlichen Ausprägungen an.42 Im »Kalten Krieg« konnte sich jedoch erstaunlich schnell die Erzählung etablieren, dass die Interpretation des Faschismus als Ausformung des Kapitalismus durch marxistische Ideologie geprägt sei. Stets wurden die Zäsuren, sowohl zwischen Weimarer Republik und Faschismus als auch zwischen Faschismus und BRD, betont. Eine Kontinuität postulierte man nun, angelehnt an die Totalitarismustheorie, in Bezug auf die vermeintlichen Fortsetzung der »Befehlswirtschaft« des Faschismus in der DDR.43 Allerdings fehlt dieser Kontinuitätsthese die empirische Fundierung. Ritschl macht den Unterschied deutlich: »In Deutschland hatte während der NS-Zeit das System privater Eigentumsrechte an den Produktionsmitteln im Prinzip fortbestanden.«44 Viele aktuelle Forschungsarbeiten zeigen zudem, dass die Unternehmer den Faschismus überdurchschnittlich unterstützten und von ihm profitierten. Folglich passt die Bezeichnung »gelenkte Marktwirtschaft« für die Ökonomie der NS-Zeit besser.45 Ritschl hat zu40

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Hobsbawm (2012), S. 96, 128; Hesse (2013), S. 96; Ciesla (2013), S. 72; Karlsch (2016), S. 257. Judt kritisiert die Verbindung vom positiven Sozialismusbild und der Entwicklung in der UdSSR: Judt (2006), S. 87. Die Argumentation stützt sich darauf, dass lediglich in Staatskonzernen und Genossenschaften, in denen die wichtigsten Entscheidungen durch gewählte Vertreter*innen oder die Belegschaft getroffen werden, Demokratie möglich sei. Dagegen würden sich ein unkontrollierter Markt und Unternehmen in Privateigentum der Mitbestimmung der Menschen entziehen: Naphtali (1966), S. 22. Steiner (2007), S. 41f. Ciesla betont, dass die KPD, die SPD und – mit Einschränkungen – auch die CDU »economic planning« wollten: Ciesla (2013), S. 71. Roesler hebt das Wahlprogramm der SPD von 1949 hervor, das ökonomische Planung, Lastenausgleich, Sozialisierung der Großindustrie und »zügige Bodenreform« beinhaltet hätte: Roesler (2006), S. 60. Zum »christlichen Sozialismus« der CDU siehe: Ambrosius (1977), S. 14ff. Ebenfalls: Konrad-Adenauer-Stiftung (2015). Weitere Quellen zur antikapitalistischen Haltung der zukünftigen Volksparteien: Steininger (1983a), S. 115ff. Insbesondere liberale Ökonomen haben die Kontinuitätsthese auf diesem Themenfeld betont: Hayek (1981); auch Peter Temin versucht im Zuge des Vergleiches von UdSSR und Nationalsozialismus, deren Ähnlichkeiten aufzuzeigen: Temin (1990). Prollius bezieht sich auf Hayeks Deutung: Prollius (2006), S. 16. Ritschl (2005), S. 158. Ralf Ahrens kritisiert ebenfalls die Vorstellung einer Ähnlichkeit zwischen sowjetischer Zentralwirtschaft und Nazi-Wirtschaft: Ahrens (2014), S. 317. Jaromír Balcar/Jaroslav Kučera stellen für Böhmen und Mähren »gravierende Unterschiede« fest. Die Nazi-Wirtschaft sei »marktwirtschaftlicher« und die Volksdemokratie »planwirtschaftlicher« gewesen als häufig angenommen: Balcar/Kučera (2013), S. 445f. Tooze (2007), S. 127ff. Scherner/Buchheim verwenden, aufgrund der weitgehenden Entscheidungsfreiheit der Unternehmen, den zeitgenössischen Begriff der »gelenkten Marktwirtschaft« für die Nazi-Wirtschaft: Buchheim/Scherner (2003), S. 97; Scherner/Buchheim (2009). Schanetzky zeigt die Anreize, die das Nazi-Regime den Unternehmen für die Kriegsproduktion geboten habe: Schanetzky (2015), S. 243ff. Die meisten deutschen Unternehmen hätten – so Ritschl – nach dem Jahr 1933 »massive Übergewinne« gemacht: Ritschl (2005), S. 156. Demgegenüber betont Pe-

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dem festgestellt, dass das Wirtschaftssystem der BRD maßgeblich von Hjalmar Schacht und seinen Mitarbeitern bereits im Faschismus entwickelt und umgesetzt wurde (siehe Abschnitt 3.8.1).46 Insgesamt wird an der Kriegswirtschaft vor allem deutlich, dass die Ökonomie des Faschismus keine besonderen Merkmale gegenüber den anderen Marktwirtschaften aufweist. Abelshauser betont, dass die westlichen Marktwirtschaften im selben Maße geplant und dirigiert wurden, die britische Wirtschaft sogar stärker als jene innerhalb des deutschen Faschismus.47 Hierdurch wird verständlicher, warum viele Wirtschaftsfachleute im Jahr 1945 von der Notwendigkeit eines radikalen Neuanfangs ausgegangen sind. In Hamburg fand am 21./22. Juni eine Wirtschaftstagung statt, auf der die Gestaltung der Nachkriegsordnung debattiert wurde. Alfred Müller-Armack sei hier, so Abelshauser, als Vertreter des Liberalismus geladen worden, den er »aber nur – wie er [Müller-Armack, KK] betonte – ›als advocatus diaboli‹ zu erfüllen bereit war«. Für die anderen Ökonomen wie Gerhard Weisser, Wilhelm Kromphardt und Otto Suhr drehte sich die Frage lediglich darum, wie grundlegend die wirtschaftliche Planung ausgeführt werden solle. Suhr habe gar Kromphardt für dessen Modell eines – am sowjetischen Beispiel orientierten – ergänzenden Marktes kritisiert.48 Letztlich konnten sich Adenauer und Erhard, mit Rückendeckung der US-Besatzung, durchsetzen und die bestehende Wirtschaftsordnung erhalten. Christopher Kopper und Abelshauser schreiben Folgendes: »Als der Parlamentarische Rat am 1. September 1948 seine Arbeit aufnahm, war der anfangs von einer breiten Mehrheit aller politischen Kräfte in Westdeutschland getragene Versuch, eine gemeinwirtschaftlich bestimmte Wirtschaftsordnung zu etablieren, schon am hinhaltenden Widerstand der Militärregierung gescheitert.«49 Trotzdem wurde das wirtschaftliche System im Grundgesetz der BRD offengelassen.50 Auch das Bundesverfassungsgericht bestätigte dies in seinem berühmten Urteil zum Investitionshilfegesetz im Jahr 1954: »Die wirtschaftspolitische Neutralität des Grundgesetzes besteht lediglich darin, dass sich der Verfassungsgeber nicht ausdrücklich für ein bestimmtes Wirtschaftssystem

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ter Hayes – als scharfe Kritik an Scherner/Buchheim – die harte Repression und die Zwangswirtschaft im Nationalsozialismus: Hayes (2009b); Hayes (2009a). Zu den Unternehmern im Faschismus siehe: Osterloh (2014). Abelshauser spricht von einer »sozial gebundenen Marktwirtschaft«: Abelshauser (2011), S. 94. Ritschl (2005), S. 162. Auch personell gesehen ist ein Bruch zwischen Faschismus und Bundesrepublik kaum feststellbar. Löffler zeigt, dass nahezu das gesamte Führungspersonal des BMWi bereits im Nationalsozialismus im öffentlichen Dienst angestellt gewesen sei: Löffler (2016), S. 113. Nach einer kurzen Phase der Entnazifizierung kamen demnach auch die NSDAP-Mitglieder zurück in das BMWi: Im Jahr 1957/58 seien ca. 80 Prozent und im Jahr 1964/65 sogar ca. 84 Prozent der Angestellten der Führungsebene ehemalige NSDAP-Mitglieder gewesen: Löffler (2016), S. 117. Abelshauser (2016b), S. 6. Abelshauser (2011), S. 90f. Abelshauser/Kopper (2016), S. 26. Das Grundgesetz der BRD ermöglicht die umfassende Enteignung von Unternehmen und Betrieben, sofern es dem Gemeinwohl dient: Abelshauser (2011), S. 187ff.; Kleßmann (1991), S. 198.

3. Nachkriegswirtschaft in der Geschichtswissenschaft

entschieden hat. Dies ermöglicht dem Gesetzgeber, die ihm jeweils sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik zu verfolgen, sofern er dabei das Grundgesetz beachtet. Die gegenwärtige Wirtschafts- und Sozialordnung ist zwar eine nach dem Grundgesetz mögliche Ordnung, keineswegs aber die allein mögliche.«51 Im Hinblick auf die DDR passt der Dualismus von Markt- und Planwirtschaft ebenfalls nur bedingt, da die DDR-Ökonomie der fünfziger Jahre eher die Kriterien einer Mischwirtschaft erfüllte (siehe Abschnitt 3.7.1). Ein fundamentaler Unterschied bestand laut Roesler darin, dass die Menschen im Westen über die Ausrichtung abstimmen konnten – im Osten aber nicht.52 In der gesamten Epoche des »Golden Age« dominierten staatliche Wirtschaftspolitik und »Planung«.53 Daniel Speich Chassé resümiert über die historische Rückprojektion: »The fundamental antagonism of the Cold War has largely been remembered as an assumed opposition between centrally planned economies of the Soviet style and the open market societies of the West. But if we look at the importance of economic planning on both sides of the Iron Curtain, things become a little more complicated – and much more interesting.«54 Auch die konkreten wirtschaftlichen Veränderungen in der Nachkriegszeit stellen den Dualismus in Frage, wie in den folgenden Abschnitten gezeigt wird.

3.4 Eingriffe in die Wirtschaftsstruktur – Landwirtschaft und Industrie 3.4.1 Bodenreform Als erstes wird die Bodenreform dargestellt, die in der Zeitgeschichte scharf diskutiert wird. Julia Küppers zählte im Jahr 2013 546 Publikationen in Deutschland zu diesem Thema. An dieser Stelle sollen die wichtigsten Thesen und Publikationen diskutiert werden.55 Einleitend ist festzuhalten, dass Bodenreformen bereits eine lange Geschichte haben. So wurde während der Französischen Revolution 1789 das gesamte Land der 51 52 53

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Zitiert nach: Adam (2015), S. 450. Roesler (2006), S. 60f. Judt (2006), S. 87ff. Grabas und Nützenadel stellen ebenfalls fest: »The boom of industrial policy during the postwar decades was closely connected to the idea that state interventions and planning were beneficial for economic development«: Nützenadel/Grabas (2014), S. 5. Speich Chassé schreibt: »From 1945 up to the ›neo-liberal‹ counter-revolution of the late 1970s, the need for a strong state and the call for planned state intervention into the continuum of economic interaction were unquestioned features in Western political economy«: Speich Chassé (2014), S. 205. Speich Chassé (2014), S. 204. Die Dissertation von Küppers bietet einen guten Überblick über die Literatur. Allerdings hat sie einige wichtige Arbeiten, wie beispielsweise von Scherstjanoi, nur rudimentär zur Kenntnis genommen. Küppers Arbeit ist vor allem eine postmoderne Kritik an den »wahrheitsgläubigen Erzählern« der Bodenreform, für deren Kritik sie besonders die Arbeiten von Bauerkämper analysiert: Küppers (2014), S. 120. Ihre Einteilung der Erzählungen zur Bodenreform bietet allerdings eine übersichtliche Rezeptionsgeschichte der Bodenreform: Küppers (2014), S. 23ff. Hierzu ist auch die Habilitation von Bauerkämper obligatorisch: Bauerkämper (2002), S. 22ff.

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Kirche und vieler Fürsten enteignet, um deren Herrschaft einzuschränken.56 In Preußen und vor allem östlich der Elbe wuchs der Großgrundbesitz durch das »Bauernlegen«, also die vielfältige Enteignung der kleinen Bauern, im 18. Jahrhundert erneut stark an.57 Den ersten Schritt machte die französische Besatzungsmacht von Napoleon, die im Jahr 1807 die Leibeigenschaft formal abschaffte. In den ostelbischen Gebieten, wie beispielsweise in Pommern, mussten sich die Bauern oftmals mit dem Großteil ihres Landes freikaufen, wodurch der Großgrundbesitz nochmals größer wurde.58 Nach dem Sturz der Monarchie in Deutschland 1919 beschlagnahmte die Regierung unter Friedrich Ebert die Ländereien der Adligen – enteignete sie aber nicht.59 Jedoch konnten die Grundbesitzer ihr Land während der Weimarer Republik auf juristischem Wege zurückbekommen oder hohe Entschädigungen erhalten, da die Reichsverfassung die Eigentumsfrage nicht deutlich regelte und die Richter größtenteils Monarchisten waren.60 Folglich kann gesagt werden, dass die Eigentumsverhältnisse des Bodens in Deutschland im Jahr 1945 denen der Kaiserzeit ähnelten und in den ostelbischen Gebieten eine besonders hohe Konzentration von Landbesitz bei den »Junkern« existierte. Mario Niemann schreibt bezüglich Statistiken des Jahres 1937 für Mecklenburg: »Dabei konnten sehr viele Adelsfamilien auf eine jahrhundertealte Tradition als Grundeigentümer in Mecklenburg zurückblicken«.61 Im Potsdamer Abkommen verständigten sich die Alliierten auf eine grundlegende Veränderung der Eigentumsfrage in Deutschland als Basis für eine demokratische Gesellschaft. Dabei blieb die Bodenreformfrage, obwohl es zumindest über die Notwendigkeit der Entmachtung der »Junker« einen Konsens gab62 , undefiniert.63 Auf der Moskauer Außenministerkonferenz vom 10. März bis 24. April 1947 beschlossen die Alliierten konkreter, dass in allen vier Besatzungszonen Bodenreformen durchgeführt werden sollten.64 Laut Uwe Bastian habe besonders die Sowjetunion auf eine Bodenreform in Deutschland hingearbeitet und eine solche bereits seit 1944 geplant. Scherstjanoi zufolge hingegen gebe es, außer der Vorarbeit deutscher Exilanten wie Erwin Hoernle, keine Hinweise auf eine derartige Planung in der UdSSR – zumal die Konzepte von

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Kruse (2005), S. 119. Niemann (2000), S. 55f. Zu Mecklenburg siehe folgende Arbeit: Nichtweiß (1954). Die Gutsherrschaft analysiert: Kaak (1991). Für Brandenburg ist die Arbeit von René Schiller bedeutend, in der er zeigt, dass die Anzahl der adligen Großgrundbesitzer gegenüber den Bürgerlichen zwar sank, sie jedoch weiterhin die größten Ländereien besaßen und diese – sowie ihre Einnahmen – sogar vergrößern konnten: Schiller (2003), S. 499ff. Bastian (2003), S. 64. Kolb/Grzesinski (2001), S. 288. Jung (1990), S. 234; Schüren (1978), S. 32ff. KPD und SPD versuchten im Jahr 1926 mit Hilfe des »Volksentscheides zur Fürstenenteignung« nochmals die Ländereien zu enteignen. Sie scheiterten im Votum knapp. Dabei ist sehr wahrscheinlich, dass eine undemokratische Abstimmung stattgefunden hat: Schüren (1978), S. 184ff.; Jung (1990), S. 792ff. Niemann (2000), S. 55. Bauerkämper (2002), S. 72; Sandford (1983), S. 82. Laut Andreas Dix prägte das Buch Bread and Democracy in Germany (1943) vom Harvard-Ökonom Alexander Gerschenkron die internationale Meinung: Dix (2002), S. 129. Doernberg (1984), S. 187ff. Enders (1996), S. 170f.

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Hoernle bei der Umsetzung kaum Berücksichtigung gefunden hätten. Sie schließt daraus: »Die Politik der östlichen Besatzungsmacht folgte keinem festgefügten Konzept für Deutschland.«65 Das als »Demokratische Bodenreform« bezeichnete »Gesetz zur Durchführung der Bodenreform in der Provinz Sachsen« wurde am 3. September 1945 erlassen. Als Ziel beschloss man, neben der Entnazifizierung, die Schaffung »neuer selbstständiger Bauernwirtschaften für landlose Bauern, Landarbeiter und kleine Pächter. […] Der Grundbesitz [ist] […] Privateigentum.« Um dies zu erreichen, wurde ein Bodenfond durch Enteignungen, z.B. von »Kriegsverbrechern und Kriegsschuldigen«, angelegt. Außerdem heißt es: »Gleichfalls wird der gesamte feudal-junkerliche Boden und Großgrundbesitz über 100 Hektar mit allen Bauten, lebendem und totem Inventar und anderem landwirtschaftlichen Vermögen enteignet.« Die Umsetzung sollte durch regional gewählte Kommissionen erfolgen.66 In den anderen Ländern der SBZ folgten kurz darauf ähnliche Gesetze, die dann zügig umgesetzt wurden. Die meisten Historiker*innen erkennen die Bodenreform als Teil der Entnazifizierungsmaßnahmen an. So schreibt Hermann Weber, dass sogar die CDU die Landreform als Entnazifizierungsmaßnahme betrachtet habe. Insgesamt resümiert er: »Die Bodenreform war eine radikale, aber keine kommunistische Maßnahme. Alle vier Parteien waren für eine Reform in der Landwirtschaft. Allerdings lehnte die CDU-Führung eine entschädigungslose Enteignung ab, und es kam deswegen zu einer Parteikrise.«67 Steiner ordnet die Intention der Besatzungsmacht wie folgt ein: »Die Sowjetunion schien einen Konsens mit den Westalliierten noch nicht ausschließen zu wollen. Sie betrachtete die Bodenreform in erster Linie als einen Schritt, um Militarismus und Faschismus den Boden zu entziehen.«68 Gregory W. Sandford betont die Einigkeit von UdSSR und USA hinsichtlich der »reactionary nature of the ›Junker caste‹ and the need to break its grip in the rural life […]«.69 In der Dissertation von Ulrich Enders können zahlreiche Regierungsdokumente nachgelesen werden, für die das Folgende als repräsentativ gelten kann: »The Junkers [Absatz] This group has formed the kernel of political and social reaction in Germany … Under the Weimar republic, the majority of the Junkers supported and encouraged all movement aiming at the overflow of the Republic. They comprised the most reactionary and antidemocratic group of Germany in that period … […] Incontrovertible political considerations will necessitate the dissolution of the Junkers holdings. Their continuation would constitute one of the most formidable obstacles to the establishment of a lasting democracy in Germany, for the holders of these es-

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Bastian (2003), S. 82f.; Scherstjanoi (2007), S. 43. Pieck (1945), S. 35f. Weber (2006), S. 89. Steiner (2007), S. 44. Sandford (1983), S. 82.

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tates have been consistent and active opponents of democratic government and their ideology conforms in many instances to that of the Nazis.«70 Auch Scherstjanoi schreibt hinsichtlich der Entnazifizierung: »Es besteht kein Anlaß, solche Ziele in Abrede zu stellen.«71 Ebenfalls spricht für die Interpretation der Bodenreform als Entnazifizierungsmaßnahme, dass die Sowjetische Militäradministration Deutschland (SMAD) – aus heutiger Perspektive verwunderlich – gegen den Willen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und Teilen der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) die Überführung des Landes in Privateigentum und nicht die Sozialisierung durchsetzte.72 Allerdings kann die Aufteilung des Landes in Privateigentum ebenfalls mit der These der Bodenreform als »Klientelgewinnung« erklärt werden: Bei Sandford wird als zweites und nachrangiges Ziel der Bodenreform Folgendes genannt: »Creation of firm personal and organizational bonds between country and city, and above all between the industrial workers, the laboring peasantry and the farm workers.«73 Hierfür muss zunächst geklärt werden, ob es in der Bevölkerung eine Zustimmung zur Bodenreform gab. In der Geschichtswissenschaft überwiegt deutlich die Meinung derer, die die Haltung der Bevölkerung zur Bodenreform als positiv einordnen. Siegfried Kuntsche argumentiert mit den guten Ergebnissen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED)

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Enders (1982), S. 12f. Scherstjanoi (2007), S. 42. Weitere Autoren stellen die Bodenreform ebenfalls als Entnazifizierung dar: Ciesla (2013), S. 69; Badstübner (2007), S. 29; Badstübner (1999), S. 158ff.; Felbick (2003), S. 49. Auch in einem Sammelwerk von Hans Modrow findet sich diese These häufig – vor allem von Menschen mit Ost-Sozialisation: Modrow (2005). Die Ansicht, dass der Großgrundbesitz eine wichtige Stütze des Faschismus gewesen sei, war zeitgenössisch – wie bereits gezeigt – sehr verbreitet. Heute wird sie von einigen Wissenschaftler*innen als Ideologie des Marxismus-Leninismus bezeichnet – so z.B. von Bastian. Er bescheinigt den Großgrundbesitzern die Gegnerschaft zum Nationalsozialismus und »vielen« eine Beteiligung am Widerstand des 20. Juli 1944: Bastian (2003), S. 88. Auch Constanze Paffrath vertritt diese Auffassung: Paffrath (2004), S. 60. Diese Interpretationen sind jedoch unhaltbar: Nahezu alle (!) Großgrundbesitzer waren bis 1928 DNVP-nah und absolute Gegner von Demokratie und Gleichberechtigung: Niemann (2000), S. 263. Sie können fast durchweg als Träger eines »militaristischen und nationalistischen Gedankengut[s]« bezeichnet werden: Niemann (2000), S. 320. Prozentual im Vergleich zur Gesamtbevölkerung waren Großgrundbesitzer doppelt so häufig NSDAP-Mitglied und traten viel früher in die Partei ein: Niemann (2000), S. 271, 275. Außerdem »vollzogen viele jüngere Großgrundbesitzer den Schritt vom Jungstahlhelm zur SA und SS«: Niemann (2000), S. 321. Die Faschisten wurden – wenn überhaupt – von den Großgrundbesitzern wegen deren »niederer Herkunft« und dem »ruppigen Verhalten« abgelehnt: Niemann (2000), S. 267. Bauerkämper beschreibt für Brandenburg ebenfalls die weitgehende Übereinstimmung der Gutsbesitzer mit den Zielen des Nazismus. Nur »einzelne« Gutsbesitzer seien »kompromisslos« dagegen gewesen: Bauerkämper (2002), S. 228. Höchst fragwürdig sind Ausführungen von Mario Janello, der in seiner Dissertation von »ethnischen Säuberungen« der Sowjets an den Großgrundbesitzern spricht: Janello (2012), S. 25. Eine Legitimität von Entnazifizierungsbestrebungen ist in seinen Äußerungen nicht erkennbar. Badstübner (2012), S. 138f.; Bastian (2003), S. 86. Auch innerhalb der Parteien erfolgten heftige Kontroversen um die Aufteilung in Parzelleneigentum. Die SPD und die Basis der KPD wären aber für eine Transformation in Genossenschaften gewesen: Zur SPD: Malycha (1995), S. 113; Malycha (1996), S. 40ff.; Zur KPD: Badstübner (2012), S. 138. Sandford (1983), S. 116.

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bei den ersten Wahlen. So habe es zwar – besonders auf Gemeindeebene – eine unfaire Wahl gegeben. Trotzdem sei der deutliche Stimmenzuwachs der SED auf dem Land auf die Bodenreform zurückzuführen.74 Hermann Weber bestätigt ebenfalls die positive Wirkung der Bodenreform – zumindest für die Landtagswahlen in Brandenburg und Mecklenburg.75 Auch in den Texten zur Volksabstimmung in Sachsen und zum Verfassungsreferendum von Hessen wurde die Enteignung des Großgrundbesitzes als historische Notwendigkeit bezeichnet und mit überwältigender Mehrheit angenommen (siehe Abschnitt 3.4.3). Auf der anderen Seite ist Bauerkämper der Meinung, dass die Bodenreform »nur auf verhaltene Resonanz« stieß. Er begründet dies mit überlieferten Dokumenten aus den Gemeinden Schlaitz, Bitterfeld und Delitzsch, die alle in Sachsen liegen.76 Boris Spix hat das Wahlverhalten der Neubauern in Prignitz untersucht und kommt zu einem ambivalenten Ergebnis. Einerseits habe die SED es nicht geschafft, die Neubauern für die Partei zu gewinnen; andererseits seien aber »neue Wählerschaften« erschlossen worden. Einen Zusammenhang des »großen Erfolges der SED« und der Bodenreform hält er für »naheliegend«.77 Bauerkämper sieht die Perspektive der Bodenreform als Entnazifizierungsmaßnahme »nachhaltig erschüttert« und bezeichnet die Bodenreform als »Klientelgewinnung«. Scherstjanoi kritisiert die Priorisierung dieser Absicht bei der Durchführung der Bodenreform und verweist darauf, dass nahezu jede politische Maßnahme darauf gerichtet sei, Anhänger in der Bevölkerung zu gewinnen.78 Eine weitere Debatte hinsichtlich der Bodenreform dreht sich um deren ökonomische Folgen. Die meisten Historiker sehen in der Aufteilung des Bodens in Kleinparzellen die Ursache für das Scheitern der Bodenreform. Die Grundlage der Entscheidung war die Annahme, dass das Parzelleneigentum – wie zunächst auch im Westen geplant79 – in der Nachkriegswirtschaft effizienter sei. Zank verweist hier auf den Bodenreform-Theoretiker Hoernle, der in Anbetracht von zerstörter Infrastruktur und einem großen Arbeitskräftereservoir von einer Überlegenheit der kleinbäuerlichen Landwirtschaft gegenüber dem Großbetrieb ausgegangen sei. Laut Zank bestätigte sich Hoernles These in Bezug auf »veredelte Erzeugnisse und Viehhaltung«, jedoch sei die Produktion von »unveredelten Felderzeugnissen (Getreide, Kartoffeln, Rüben)« zurückgegangen. Folglich hätte die Aufteilung des Bodens je nach Verwendungszweck differenziert werden müssen.80 Auch Steiner und Jens Schöne stellen das ökonomische Scheitern der Bodenreform dar, im Zuge dessen die Pro-

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Kuntsche (1996), S. 63. Weber (2012), S. 18. Bauerkämper (2005), S. 6f. In der Habilitationsschrift Ländliche Gesellschaft positioniert sich Bauerkämper jedoch ambivalenter. Einerseits verweist er auf die reservierte Haltung der Bauern: Bauerkämper (2002), S. 74. Andererseits stellt er die Wahlerfolge und die positive Wirkung dar: Bauerkämper (2002), S. 114ff. Spix (2001), S. 89. Bauerkämper (2002), S. 30, 67, 112; Scherstjanoi (2007), S. 41ff. Bauerkämper (2002), S. 122. Zank (1987), S. 153f.

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duktion von landwirtschaftlichen Gütern eingebrochen sei.81 Kuntsche sieht aber am Beispiel von Mecklenburg-Vorpommern, in dem immerhin ein Drittel des enteigneten Bodens lag, die Folgen der Reparationslasten als »Hauptgrund« für das »Scheitern der Neubauern«.82 Weiterhin sei diese Region am stärksten vom Krieg betroffen gewesen.83 Sandford, der sich auf Studien von Philip Raup bezieht, sagt: »This decline was undoubtedly due to the effects of war and occupation.« Jedoch habe die Bodenreform zu ca. zehn Prozent zum Abschwung beigetragen.84 Eine Quelle, auf die Bernhard Ciesla referiert, wirft jedoch ein anderes Licht auf die Situation in der SBZ. In dieser Quelle warnt Clay im März 1946 – also ein halbes Jahr nach Beginn der Bodenreform – vor einem »Communist Germany«, da in der SBZ 1500 statt 1000 Kalorien (in den westlichen Zonen) pro Kopf aufgebracht werden könnten.85 Demnach wäre die Versorgungslage in der SBZ besser als in den Westzonen gewesen. Der Widerspruch vom Scheitern der Bodenreform und der (vermuteten) besseren Versorgung könnte durch einen Hinweis von Karlsch erklärt werden, der den Vorteil der SBZ durch den großen landwirtschaftlichen Sektor betont, welcher jedoch »teilweise« durch die Bodenreform zerstört worden wäre.86 Allerdings bleibt fraglich, ob der landwirtschaftliche Sektor in der SBZ tatsächlich so bedeutend war. Kleßmann argumentiert gegen die »häufige Vermutung«, dass die SBZ ein »agrarisches Überschussgebiet« gewesen sei. Vielmehr seien nur bestimmte Gebiete agrarisch geprägt gewesen und es habe große Anstrengungen erfordert, um überhaupt die »niedrigen Rationen« sicherzustellen.87 Eine Synthese von Scheitern und Erfolg der Bodenreform versucht Bauerkämper an einer Stelle zu entwickeln: »Die Bewirtschaftung kleiner Höfe und Parzellen […] [hatte] die akute Not gelindert, […] verhinderte aber den Strukturwandel.«88 Im Jahr 1947 zerbrach das Bündnis von Westalliierten und der UdSSR. Die Bodenreform wird in einigen Arbeiten als Grund für die Zerwürfnisse genannt. Bauerkämper wirft der UdSSR »das rigorose, rechtsstaatlichen Verfahren widersprechende Vorgehen

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Schöne (2014), S. 150; Schöne (2005), S. 57ff.; Steiner (2007), S. 53f. In Bezug auf die Darstellungen des ökonomischen Scheiterns der Bodenreform irritiert die Nichterwähnung der schweren Oderflut 1947, die zu einem immensen Ernteausfall führte. Lediglich Bauerkämper beschreibt die schweren Folgen der Flut. Er berücksichtigt sie in seiner Bewertung aber ebenfalls nicht: Bauerkämper (2002), S. 270f. Kuntsche (1996), S. 68. Hinweise auf Zahlen befinden sich außerdem bei Karlsch, der von »zehntausenden Rindern, Schweinen und Pferden« als »Beute« berichtet: Karlsch (1993), S. 58. Zu den Kriegszerstörungen auch grundlegend: Bauerkämper (2002), S. 232ff. Kuntsche (1996), S. 64. Sandford (1983), S. 114. Bauerkämper sagt, es existiere keine »systematische Analyse« zu den Folgen der Kriegsschäden bzw. den Auswirkungen der Bodenreform: Bauerkämper (2002), S. 261. Er nimmt jedoch keinen Bezug auf die Berechnungen von Raup. Ciesla (2013), S. 67. Allerdings stellt Ciesla im weiteren Verlauf des Aufsatzes die Bodenreform selbst als wirtschaftlichen Fehlschlag dar: Ciesla (2013), S. 69f. Bei Kleßmann sind divergierende Zahlen zur Kalorienversorgung nachzulesen. Jedoch rangiert die SBZ ebenfalls auf dem zweiten Platz der vier Zonen. Kleßmann führt dies auf die effiziente und kompetente Besatzungspolitik der SMAD zurück: Kleßmann (1991), S. 47ff. Karlsch (1993), S. 35. Kleßmann (1991), S. 67. Bauerkämper (2002), S. 287f.

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gegen die Gutsherren« vor.89 Deshalb habe es, so Enders, in den »Agrarverbänden, Parteien, Parlamenten und Regierungen« des Westens Widerstand gegen Bodenreformen gegeben, der mit der »geringen wirtschaftlichen Bedeutung des Großgrundbesitzes« und den »Risiken für die Ernährungslage« im Westen begründet wurde. Sie konnten die Umsetzung in den Westzonen verschleppen, da laut Enders die Westalliierten den »Schutz des privaten Eigentums als wesentliches Element des demokratischen Rechtsstaates« angesehen und deshalb die Entscheidung der Eigentumsfrage auf die deutschen Verwaltungen bzw. die Regierungen übertragen hätten. Günter J. Trittel hingegen betont für die britische Zone die »Unfähigkeit« und das »Desinteresse« der Besatzungsmacht für eine konsequente Bodenreform.90 Die Ausführungen von Enders widersprechen außerdem seinen eigenen Forschungsergebnissen, in denen er diverse Dokumente auflistet, aus denen hervorgeht, dass die US-Regierung die Bodenreform als »politisch wünschenswert« eingestuft habe. Außerdem seien von Seiten der Rechtsabteilung der US-Militärverwaltung keine Einwände bzgl. der Rechtsstaatlichkeit vorhanden gewesen, da das Potsdamer Abkommen die entsprechende Grundlage geboten habe. Zudem habe in der Öffentlichkeit der Eindruck vermieden werden sollen, dass die USA gegen eine Bodenreform wären.91 Überdies sind die öffentlichen Argumente der fehlenden demokratischen Grundlage in Anbetracht dessen unglaubwürdig, dass in Hessen die amerikanische Militärverwaltung die Umsetzung des Abstimmungsergebnisses hinsichtlich einer Sozialisierung bestimmter Wirtschaftsbereiche inklusive des Großgrundbesitzes (siehe Abschnitt 3.4.3) verhinderte.92 Kleßmann schreibt, dass das Argument der Radikalität der Bodenreform zudem oft von Menschen bemüht worden sei, die dieser ohnehin ablehnend gegenüber gestanden hätten – wie beispielsweise der Militärgouverneur der amerikanischen Besatzungszone Clay.93 Auch die Tatsache, dass die Besatzungsmacht einen Be-

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Bauerkämper (1996a), S. 10. Port zeigt für die Stadt Saarfeld allerdings, dass die Besatzungsmacht durchaus bereit war, die Enteignungen zu revidieren. Allerdings sei dies aufgrund der vielen Fehlinformationen schwierig gewesen. Es habe sowohl fälschliche Denunziationen wie auch das Verschweigen von Nazi-Aktivität gegeben: Port (2010), S. 46ff. Zusätzlich wurde bei der Bodenreform durchaus Widerstandsaktivität berücksichtigt: Bei Niemann ist nachzulesen, dass bei beweisbarer Widerstandstätigkeit oder deutlicher Gegnerschaft zum Nazismus die betreffenden Personen oder deren Angehörige ein Restgut von 25 ha behalten konnten, sofern die Ländereien hinterher bewirtschaftet wurden: Niemann (2000), S. 337f., 346. Bauerkämper beschreibt ebenfalls solche Fälle, betont aber eher die Ungerechtigkeiten bei der Enteignung von Widerstandskämpfern: Bauerkämper (2002), S. 93ff.; Bauerkämper (1994), S. 623ff. Enders (1996), S. 175ff.; Trittel (1975), S. 168ff. Die amerikanische Besatzungsmacht habe laut Trittel ohnehin kein Interesse an Strukturveränderungen gehabt, da der Kapitalismus aufgebaut werden sollte: Trittel (1975), S. 16. Bauerkämper führt das »Scheitern ähnlicher Konzepte in Westdeutschland« auf die »überstürzte und radikale Durchführung« in der SBZ zurück: Bauerkämper (1996a), S. 12. Kleßmann schreibt gleichermaßen von der »abschreckenden Wirkung« der Bodenreform: Kleßmann (1991), S. 16. Allerdings schätzte die SPD die Stimmung in der BRD im Jahr 1949 zu einer Bodenreform wohl positiv ein, denn sie trat mit der Forderung nach einer »zügigen Bodenreform« zur Wahl an: Roesler (2006), S. 60. Enders (1982), S. 21ff. Abelshauser (2011), S. 102. Kleßmann (1991), S. 85.

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schluss des Landtages von Schleswig-Holstein zur Durchführung eines Volksentscheides nicht genehmigte,94 lässt das Demokratie-Argument fragwürdig erscheinen. Hanns Christian Löhr hingegen nennt die Veränderung der politischen Strategie der USA im Kontext der Truman-Doktrin als Hauptgrund für das Zerwürfnis. Er kommt in seiner juristischen Analyse zu folgendem Fazit: »Bis 1949 bemühten sich die Sowjets, die Enteignungen in Ostdeutschland im Einklang mit den Alliierten und dem Völkerrecht durchzuführen.« Scherstjanoi weist außerdem auf eine Sitzung im Dezember 1948 hin, auf der Stalin der SED-Führung das Abrücken von der Privatwirtschaft untersagt habe. Nach Löhr habe sich Stalin »die Tür für eine gemeinsame Verständigung der Siegermächte in der deutschen Frage offengehalten«.95 Nicht mehr zeitgemäß sind Narrative des »Kalten Krieges«, die die Bodenreform als »Sowjetisierung« oder – eng an dieses Konzept angelehnt – als erste Stufe zum Aufbau des Sozialismus darstellen. Diese These wird im wissenschaftlichen Bereich jenseits der DDR-Totalitarismusdeutung – wie z.B. von Klaus Schroeder – nicht mehr vertreten.96 Die Agrarpolitik von SMAD und SED bietet zudem eine interessante Perspektive auf die Debatte um die Stalin-Noten. Wie im folgenden Abschnitt über die LPG gezeigt wird, gab es erst nach dem Scheitern der Stalin-Noten einen Umschwung in der Agrarpolitik. Abschließend wird Zank zitiert, der ein bemerkenswertes Fazit zur Bodenreform zieht: »Während also in der Sowjetzone eine Bodenreform verwirklicht worden ist, bei der viele Ungerechtigkeiten begangen wurden, beging man im Westen die eine ganz große Ungerechtigkeit: den Verzicht auf die Bodenreform.«97

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Jung (1994), S. 118f. Löhr (2006), S. 331ff.; Scherstjanoi (2007), S. 103f. Zum Begriff »Sowjetisierung«: Bauerkämper (2002), S. 27f.; Schöne (2005), S. 22f. Die Theorie vom Stufenkonzept besagt, dass die UdSSR in ihren Besatzungsgebieten nach dem Lenin´schen Konzept (siehe zum Konzept: Bauerkämper (2002), S. 51ff.) ihre Agrarpolitik – angelehnt an die Politik der UdSSR am Ende der 1930er Jahre – umsetzte. Demgegenüber stehen folgende Argumente: Dix zeigt deutlich, dass das Konzept der Bodenreform durch deutsche Agrardiskussionen und nicht durch russische Konzepte geprägt war: Dix (2002), S. 95ff. Eichengreen verweist auf die Rückständigkeit der Oststaaten und sieht das Fehlen von Landreformen im Osten – nach dem Krieg – als schlechte Vorbedingung für Wachstum. Demzufolge sei es logisch, dass insbesondere in den Oststaaten flächendeckend Bodenreformen durchgeführt wurden: Eichengreen (2007), S. 132. Scherstjanoi schlussfolgert, dass das Fernziel Sozialismus auf dem Land zunächst nicht wichtig gewesen sei: Scherstjanoi (2007), S. 597. Bauerkämper beschreibt die Agrarpolitik »ideologisch konditioniert, aber nur bedingt programmatisch determiniert«: Bauerkämper (2002), S. 498. Schroeder hält das Konzept der »Sowjetisierung« zu Bodenreform und Kollektivierung aufrecht. Allerdings hat er die gesamte Literatur zur Bodenreform nicht zur Kenntnis genommen: Schroeder (2013), S. 53ff. Das Gleiche gilt für Paffrath, sie benutzt aber den Term »Sowjetisierung« nicht: Paffrath (2004), S. 53ff. Im Buch Klassenkampf gegen Bauern der Stasi-Unterlagenbehörde vertreten fast alle Autor*innen die Meinung, dass die Bodenreform eine anschließende Kollektivierung implizierte. An keiner Stelle wird auf gegenläufige Positionen hingewiesen: Beleites (2010). Ein Sammelband sollte aber differierende Positionen und gängige Forschungsmeinungen berücksichtigen. Zank (1990).

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3.4.2 Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) Die Kollektivierung der bäuerlichen Höfe zu LPG beschloss die II. Parteikonferenz der SED vom 9. Juli bis zum 12. Juli 1952. Allgemein wird die Kollektivierung im Mai 1960, in dem sich 84,4 Prozent der Landwirtschaftlichen Nutzfläche (LN) in Bewirtschaftung der LPG befanden, als abgeschlossen betrachtet. Insgesamt acht Prozent der LN blieben in rein privatwirtschaftlicher Nutzung. Besonders die Phasen von 1952/53 und 1959/60 sind für den Kollektivierungsprozess von großer Bedeutung.98 Bis zur II. Parteikonferenz war die Bildung von Genossenschaften durch die SED unterbunden worden. Ab Juli 1952 sollten nun Zusammenschlüsse auf »freiwilliger Basis« stattfinden.99 Es wurden diverse ökonomische Anreize zur Gründung von LPG beschlossen100 , die vor allem Neubauern zur Gründung von LPG animierten. Allerdings nahm die SED – angesichts der angespannten politischen Lage – im Spätherbst 1952 einen Strategiewechsel vor. Spätestens ab März 1953 erfolgten Repressionen und Enteignungen von Großbauern, denen – teilweise zu Unrecht – »Sabotage« vorgeworfen wurde.101 Viele von ihnen flüchteten in den Westen. Nach dem 17. Juni 1953 und dem 98

Bauerkämper (2002), S. 159ff.; Steiner (2007), S. 81-83, 101-105. Zum Prozess des Beschlusses zur Kollektivierung: Schöne (2005), S. 87ff. Sehr ausführlich zur Entwicklung der Kollektivierung: Scherstjanoi (2007), S. 345ff. 99 Hierzu existieren unterschiedliche Darstellungen. Schöne beschreibt nahezu alle LPGGründungen als Zwangszusammenschlüsse. Die Ausnahmen führt er auf ökonomische Not zurück: Schöne (2005), S. 12, 24, 99, 127. Scherstjanoi kritisiert Schönes allgemeine Fixierung auf den SED-Apparat, da es diverse Erkenntnisse über genossenschaftliche Ideen und bestehende Zusammenschlüsse gebe: Scherstjanoi (2007), S. 362f., 369f., 374, 376, 384, 442. Siehe auch: Bauerkämper (2002), 330-334, 367. Wolfgang Zank schreibt ebenfalls: »Dennoch begann die überwiegende Mehrheit der Neubauern (in Mecklenburg etwa 90 v. H.) zunächst nicht mit der Individualbewirtschaftung, vielmehr wurde der Gutsbetrieb mit Unterstützung fast aller Treuhänder, Bürgermeister und Agrarexperten in Form einer Gemeinwirtschaft weitergeführt«: Zank (1987), S. 155. Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Heidenreich/Heun unterscheiden dabei zwei Formen: Erstens sehen sie einen »reaktionären Typ, bei dem es um das Hinauszögern der Bodenreform und um den Erhalt der Gutswirtschaft ging«. Bei der zweiten Form habe es sich um einen Zusammenschluss gehandelt, »der aus rein rationalen und psychologischen Erwägungen« von »ehemals befehlsgewohnten Landarbeitern« durchgeführt wurde: Heun/Heidenreich (1990), S. 32. Die erste Form wird auch bei Bauerkämper beschrieben. Demnach hätten die Gutsherren in ihren Gemeinden den informellen Einfluss aufrechterhalten können: Bauerkämper (2005), S. 14; Bauerkämper (2002), S. 421. Einen interessanten Aufsatz hat hierzu Ines Langelüddecke veröffentlicht, die einen Briefwechsel zwischen einer ehemaligen Angestellten und einem geflohenen Gutsbesitzer auswertete: Langelüddecke (2013). Der zweite Typ ist bei Heidenreich/Heun ausführlich anhand des Hauses Zeitz in der Provinz Sachsen dargestellt, bei der die Umsetzung der Parzellenaufteilung – trotz mehrfacher Aufforderung der Verwaltungsorgane – herausgezögert wurde. Vermutlich habe es sogar eine Scheinaufteilung des Bodens gegeben: Heun/Heidenreich (1990), S. 38f. Als einige Jahre später die Kollektivierung begann, hätten die Menschen sofort eine LPG gegründet: Heun/Heidenreich (1990), S. 41. Auch in einer Publikation von ehemaligen LPG-Landwirten ist von vielen freiwilligen Zusammenschlüssen die Rede: Schmidt (2009), S. 200ff. 100 Bauerkämper (2002), S. 167; Scherstjanoi (2007), S. 375; Schöne (2005), S. 106. 101 Zum Kurswechsel: Scherstjanoi (2007), S. 436, 603. Hinsichtlich der Repressionen: Scherstjanoi (2007), S. 499ff.; Schöne (2005), S. 123; Bauerkämper (2002), S. 169f. Allerdings waren die Großbauern tatsächlich sehr feindlich gegenüber neuen Bauern sowie den Genossenschaften eingestellt.

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»Neuen Kurs« der SED konnten die Großbauern ihr Land zurückbekommen, jedoch blieben die meisten in der BRD.102 Innerhalb der fünfziger Jahre etablierten sich diverse LPG und ihr Anteil an der LN erhöhte sich bis 1959 auf 43,5 Prozent. In den Jahren 1959/60 beschloss die SED die Kampagne des »Sozialistischen Frühlings«, in der massiv für den Eintritt in die LPG geworben wurde. Die Methoden reichten von Kompromissen und Zugeständnissen bis hin zu massivem Druck und Verhaftungen. Laut Schöne habe es sogar Todesurteile gegen widerständige Bauern gegeben.103 Im Mai 1960 wurde die Kampagne beendet und die Kollektivierung für abgeschlossen erklärt.104 Langfristig konsolidierten sich die LPG und schlossen sich später zu großen Kooperativen bzw. zu agrarindustriellen Komplexen zusammen. In der Geschichtswissenschaft bestehen vor allem Kontroversen um die Konfliktlinien und die Bewertung der Kollektivierung. Bauerkämper und Schöne stellen den Prozess vor allem als »Zwangskollektivierung« der SED dar, die ihre landwirtschaftliche Ideologie gegen den Willen der ländlichen Bevölkerung habe durchsetzen wollen. Weber sieht den flächendeckenden Zwang erst in den Jahren 1960/61 und noch nicht 1952/53.105 In einer neueren Publikation spricht Schöne aufgrund der Übertragung des Sowjetmodells von »Sowjetisierung«, liefert aber keine neuen Argumente.106 Der Widerstand der Bauern wird von ihm – wie von Bauerkämper – positiv hervorgehoben.107 Christel Panzig und Scherstjanoi betonen hingegen, dass es tatsächlich vielerorts das Bestreben gab, LPG zu gründen. Panzig hält den Begriff der »Zwangskollektivierung« deshalb für »reduziert« und weist darauf hin, dass vor allem Frauen – aber auch viele andere Bauern – den LPG aufgeschlossen gegenüberstanden.108 Scherstjanoi stellt

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So sind gewalttätige Übergriffe auf Menschen und Geräte, Brandstiftungen und Morddrohungen dokumentiert: Scherstjanoi (2007), S. 416f.; Schöne (2005), S. 107; Bauerkämper (2002), S. 434ff. Letztlich erscheint es realistisch, dass harte Strafmaßnahmen gegen »echte und vermeintliche Klassengegner« durchgeführt wurden: Scherstjanoi (2007), S. 503f. Bauerkämper (2002), S. 294ff.; Steiner (2007), S. 90, 104; Schöne (2005), S. 167; Staritz (1996), S. 102. Die vermehrte Flucht sollte aber, so Scherstjanoi, neben der Repression gegen die Großbauern ebenfalls auf die neuen Einwanderungsgesetze der BRD, die ihnen das Notaufnahmeverfahren erleichterten, zurückgeführt werden: Scherstjanoi (2007), S. 500. Am häufigsten wurden Erleichterungen und Vergünstigungen ausgehandelt. Panzig erwähnt die schnelle Lieferung eines Privatautos: Panzig (1999), S. 172. Zur Agitation: Bauerkämper (2002), S. 186f., 478f. Schöne spricht von vier Todesurteilen und verweist auf Werkentin: Schöne (2005), S. 291. Allerdings sind hier nur zwei Todesurteile aufgeführt – erstens gegen Walter Praedel, der laut Werkentin eine Scheune und zweitens gegen Gottfried Strympe, der 28 Scheunen angezündet haben soll: Werkentin (1995), S. 108ff. Meines Erachtens ist ein Zusammenhang mit der LPG-Politik nicht eindeutig. Schöne (2005), S. 180ff.; Bauerkämper (2002), S. 184ff. Weber (2006), S. 238f., 285ff. Schöne (2014), S. 168. In seiner Dissertation hatte er die Ablehnung dieser Klassifikation zuvor als Konsens der Geschichtswissenschaft anerkannt: Schöne (2005), S. 25. Die sogenannte »Sowjetisierung« leitet der Autor dann daraus ab, dass in der DDR ein festgelegtes marxistisch-leninistisches Agrarprogramm umgesetzt worden sei: Schöne (2014), S. 156ff. Bauerkämper (2002), S. 429ff., 459, 469f., 482; Schöne (2005), S. 107, 111, 134. Panzig (1999), S. 153, 161, 168ff., 185.

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die Politik von SMAD, Sowjetischer Kontrollkommission (SKK) und SED bis 1953 weniger ideologisch – wie die »Sowjetisierung« suggeriert –, sondern vielmehr pragmatisch und flexibel dar, um Produktionssteigerungen zu erreichen.109 Marcel Boldorf verweist ebenfalls auf die Offenheit des langfristigen Prozesses und resümiert: »Von einer Sowjetisierung kann keine Rede sein.«110 Ein weiteres Argument gegen diesen Terminus ist die Einschätzung von Bodenreform und Kollektivierung als Teil des deutschen Strukturwandels, den Andreas Dix anhand des Siedlungsbaus sehr überzeugend darstellt.111 Auch Bauerkämper zeigt die Vielschichtigkeit der Auseinandersetzungen auf: Neben den unterschiedlichen Positionen von Frauen und Männern verweist er auf Konflikte zwischen Jüngeren und Älteren sowie von Menschen aus der Stadt und vom Land.112 Gleichzeitig habe die Erinnerung an die jüngste Vergangenheit, wie die Kolchosengründung in der UdSSR, mitsamt den unterschiedlichen Wahrnehmungen von Freiheit ist Eigentum versus Kollektiv ist Freiheit 113 sowie die Perspektive auf das ländliche Leben vor 1945 Konflikte geschürt: »Many villagers obviously interpret German history before 1945 not as a disaster and burden but rather as a treasure and source of security.«114 Dennoch ordnet er die Kollektivierung insgesamt als Versuch der herrschaftlichen Durchdringung der ländlichen Gesellschaft ein.115 In ökonomischer Perspektive waren die LPG zunächst nicht erfolgreich, da es an Fachkräften, Gebäuden, Maschinen und Vieh mangelte. Analog zur Debatte bei der Bodenreform stehen sich unterschiedliche Bewertungen hinsichtlich der Ursachen gegenüber, die entweder die mangelnde Investitionsfähigkeit durch Kriegs- und Reparationsfolgen oder eine schlechte agrarökonomische Politik betonen. Bauerkämper und Schöne stellen eher die ökonomischen Nachteile der LPG gegenüber den alteingesessenen Bauern und die besseren Ergebnisse der traditionellen Wirtschaft dar.116 Auch 109 Scherstjanoi (2007), S. 593f., 605; zur »Sowjetisierung«: Scherstjanoi (2007), S. 598f. Bauerkämper findet ihr Fazit »überzeugend«, jedoch unterschätze sie den »ideologisch geprägte[n] (aber keineswegs bestimmten) Handlungs- und Erwartungshorizont«: Bauerkämper (2008). 110 Boldorf (2016), S. 169. 111 Dix (2002), S. 399ff. Steiner argumentiert ebenfalls gegen eine »Sowjetisierung«: Steiner (2007), S. 82. Insgesamt folgte, laut Steiner, die DDR damit einem allgemeinen Trend, der durch die Bodenreform »verzögert« wurde. So »tendierte die Entwicklung zur […] Beseitigung von Kleinstrukturen, zu neuen Anbaumethoden, erhöhtem Einsatz von Energie, Chemie und moderner Agrartechnik sowie zur Produktdiversifizierung«: Steiner (2007), S. 133. Einen kurzen einführenden Vergleich des Strukturwandels liefert Kluge, der einige Ähnlichkeiten bei der Entwicklung der Modernisierung der Landwirtschaft in beiden Staaten sieht: Kluge (2000), S. 305ff. Ein aus der Teilung resultierender Nachteil der DDR-Landwirtschaft betraf den Mangel an Maschinen, deren Produktion zu 80 Prozent im Westen gelegen habe: Bauerkämper (2002), S. 266. 112 Männer/Frauen: Bauerkämper (2014), S. 422; Bauerkämper (2002), S. 394. Generationenkonflikt: Bauerkämper (2002), S. 390. Beides: Bauerkämper (2002), S. 466. Stadt/Land: Bauerkämper (2014), S. 414. 113 Bauerkämper (2014), S. 414. 114 Bauerkämper (2014), S. 420. 115 In seinem Fazit werden die genannten Konflikte nur noch angedeutet und deren Instrumentalisierung benannt. Letztlich ist die ganze Zusammenfassung auf den Widerspruch von Partei und Bauern angelegt: Bauerkämper (2014), S. 423ff. 116 Bauerkämper (2002), S. 342ff.; Schöne (2005), S. 299. Die Zahlen, auf die Bauerkämper und Schöne verweisen, stützen ihre Argumentation. Dabei vernachlässigen sie aber, dass der ökonomische

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Steiner beschreibt das »Scheitern der SED-Agrarpolitik«. Allerdings verweist er auch auf erfolgreiche Phasen in den Jahren 1953-55 bzw. 1957/58 und auf externe Faktoren bei der Kampagne in den Jahren 1959/60: Die Kollektivierung »led to a crop failure in 1961, which was exacerbated by unfavorable weather«.117 Scherstjanoi betont dagegen – aufgrund der im Vergleich zur BRD unterschiedlichen volkswirtschaftlichen Strukturen – die Sinnhaftigkeit der zentral-geplanten Agrarwirtschaft bis 1953 und bezeichnet sie im europäischen Vergleich als »einigermaßen effizient«.118 Der These der schwierigen Startbedingungen für die LPG schließt sich auch Panzig an. Trotzdem seien langfristig erfolgreiche Strukturveränderungen durchgesetzt worden, die gute Arbeitsbedingungen hervorgebracht hätten.119 Diese sollten ebenfalls Teil einer ökonomischen Bewertung sein. Außerdem sind viele Neubauern und LPG daran gescheitert, dass die alteingesessenen Bauern ihnen feindselig gegenüberstanden. Sie wurden aus der Dorfgemeinschaft isoliert, das Ausleihen von Maschinen verweigert, Anschläge verübt und Angehörige angegriffen oder bedroht.120 Insgesamt verwundert – besonders bei Schöne – die äußerst positive Darstellung der alteingesessenen Bauern als Widerstandskämpfer gegen die SED-Herrschaft. Deren Motive resultierten oftmals aus einer autoritären, sozialchauvinistischen, rassistischen und revisionistischen Einstellung.121 Auch patriarchale

Erfolg auch aus den Pfadabhängigkeiten – wie gutem Boden, billigen Arbeitskräften und guter Ausstattung – resultierte und nicht aus der juristischen Form der Betriebe. Eine Krise entstand z.B., wie sie selbst schreiben, aus dem neuen Arbeitsschutzgesetz: Schöne (2005), S. 70f.; Bauerkämper (2002), S. 142f. Auch die überfällige Lohnerhöhung 1958 traf die Großbauern schwer: Bauerkämper (2002), S. 389. 117 Zum »Scheitern« der Agrarpolitik siehe: Steiner (2007), S. 74-76, 82f. Steiner schätzt die Entwicklung von 1953 bis 1955 positiv ein. Auch nennt er ein internes Dokument der SPK, in der diese von einem Produktivitätsrückstand der DDR gegenüber der BRD von lediglich zehn Prozent im Jahr 1955 ausging. Nach 1955 habe es eine Schwächung der Landwirtschaft gegeben: »Neben landwirtschaftlichem Sachverstand fehlte es an ertragreichen Böden und leistungsfähigem Vieh.« Laut Steiner waren die LPG 1957 und 1958 sehr erfolgreich und stiegen sprunghaft an: »Neben günstigen Wetterbedingungen« seien die »Agitation« von erfolgreichen Mittelbauern »möglicherweise« die Ursache gewesen: Steiner (2007), S. 104f. Die Anzahl der LPG erhöhte sich 1958/59 stark, jedoch verfügten privatwirtschaftliche Betriebe weiterhin über die Hälfte der Nutzfläche und hätten eine höhere Produktivität gehabt: Steiner (2007), S. 130. Im Gegensatz zu Steiner erwähnt Schöne bei seiner ökonomischen Beurteilung der Kollektivierung nicht den wetterbedingten Einfluss auf die Missernte 1961. Dies ist für einen agrarkundigen Menschen eigenartig. Allerdings verweist er auf den Ölmangel als strukturelles Problem: Schöne (2005), S. 229f. In den sechziger Jahren stiegen Produktion und Produktivität: Bauerkämper (2002), S. 399. 118 Scherstjanoi (2007), S. 598f. 119 Panzig (1999), S. 169f., 174. Zur Industrialisierung der Landwirtschaft siehe: Heinz (2011). 120 Kleßmann (1991), S. 277. Explizit zu den Neubauern auch der Aufsatz Die Neubauern in der SBZ/DDR 1945-52: Bauerkämper (1996b). Grundsätzlich wurden aber alle Bauern im Dorf isoliert, die sich positiv zur LPG positionierten: Bauerkämper (2002), S. 464f. Zu den Anschlägen siehe Fußnote 101 in diesem Kapitel. 121 Die politische Einstellung stellt Bauerkämper – Schöne jedoch nicht – dar, sie wird aber nicht in die Bewertung der Altbauern einbezogen. Zum Rassismus: Bauerkämper (2002), S. 364. Siehe zum autoritären/sozialchauvinistischen Verhalten: Bauerkämper (2002), S. 481; Panzig (1999), S. 179. Bauerkämper beschreibt selbst eine Geschichte, in der Großbauern und der VdgB-Vorsitzende (Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe) die Nichtbelieferung der LPG ausklüngeln und anschlie-

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Strukturen sind sehr wahrscheinlich. Es gibt allerdings wenig Forschung zu diesem Thema.

3.4.3 Volksentscheid in Sachsen 1946 und Verfassungsreferendum in Hessen 1946 Im Jahr 1946 fanden sowohl in der SBZ als auch in der amerikanischen Zone jeweils Abstimmungen statt, die die Wirtschaftsstruktur betrafen. Sie waren zeitgenössisch große Ereignisse und sind für die Debatten um die Nachkriegsordnung der beiden Staaten von großer Bedeutung, finden jedoch kaum Eingang in die aktuelle Geschichtskultur. In Hessen gab es am 1. Dezember 1946 ein Referendum zur Änderung der Landesverfassung. Erstens beinhaltete die neue Verfassung die »Überführung« von Bergbau, Eisen- und Stahlerzeugung, Energiewirtschaft sowie des Verkehrswesens in »Gemeineigentum« (Artikel 41) und zweitens (Artikel 42) den »Einzug« des Großgrundbesitzes, da dieser »die Gefahr politischen Missbrauchs« und »militaristische Bestrebungen in sich birgt«.122 Diese Artikel wurden neben der gesamten Verfassung gesondert abgestimmt, so dass die 71,9 Prozent Jastimmen eine aussagekräftige Validität enthalten.123 Die Umsetzung des Artikels 41 wurde von der Besatzungsmacht zunächst verschleppt und später außer Kraft gesetzt.124 Auch der Gesetzgebungsprozess zum Artikel 42 lief aufgrund eigener politischer Positionen von Clay, dem Einfluss einiger deutscher Politiker und »gut organisiertem Widerstand der Großgrundbesitzer« sehr schleppend. Letztlich wurden in der gesamten amerikanischen Zone nur 24 701 ha eingezogen.125 In Nordrhein-Westfalen beschloss der Landtag am 6. August 1948 »mit großer Mehrheit« die Sozialisierung des Kohlebergbaus. Die britische Regierung »intervenierte« auf Druck der US-Militärregierung und verwies auf die Zuständigkeit einer zukünftigen Bundesregierung.126 Eine Erklärung für die geringe Beachtung des Themas in der Geschichtswissenschaft könnte die antikapitalistische Grundtendenz des Ergebnisses des Referendums ßend das »Deutschlandlied« singen: Bauerkämper (2002), S. 472. Zur reaktionären Einstellung siehe auch: Bauerkämper (2002), S. 460ff. In seinem Fazit distanziert sich Bauerkämper erstmalig aufgrund deren »antiliberalen und antidemokratischen Potential«, allerdings weist er gleichzeitig auf den positiven Einfluss bezüglich der »demokratischen Kultur« nach 1990 hin: Bauerkämper (2002), S. 513. 122 Tiedemann (2015). 123 Der Verfassung insgesamt stimmten 76,8 Prozent der Menschen zu: Winter (1974), S. 159; ebenfalls: Abelshauser (2011), S. 102. 124 Zur Entwicklung des Paragrafen 41: Winter (1974), S. 159. Zunächst akzeptierte die US-Verwaltung die Abstimmung. Je konkreter die Umsetzung allerdings wurde, desto mehr schritt die Besatzungsmacht ein. 1948 und 1950 beschloss die Besatzungsmacht das Kontrollratsgesetz 75 und das Gesetz der Alliierten Hohen Kommission 29 und setzte damit den Verfassungsparagrafen außer Kraft: Winter (1974), S. 162ff. Dazu auch: Fuhrmann (2017), S. 94ff. 125 Trittel (1975), S. 15ff. 126 Abelshauser (2011), S. 102; Fuhrmann (2017), S. 97ff. Zu Sozialisierungsinitiativen in Westdeutschland und zur hessischen Verfassung siehe auch: Badstübner (1999), S. 189ff.; Badstübner (2007), S. 46ff. Haltlos erscheint vor diesem Hintergrund die Interpretation von Stefan Grüner, der die angebliche »planned economy« des Nationalsozialismus sowie die schlechten Erfahrungen durch die DDR als Grund für das Nichterfolgen von Enteignungen in der Industriepolitik der BRD erklärt: Grüner (2014), S. 105.

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sein, da dieses nicht in die Erfolgsgeschichte der freien Marktwirtschaft, die angeblich auf der Demokratie basiere, passt. Das Aushebeln dieser Beschlüsse war sicherlich kein demokratischer Akt. In einem internen Bericht der amerikanischen Militärverwaltung in Stuttgart wurde notiert, dass das Vorgehen »den Arbeitern wie ein Hohn auf die Demokratie erschien«.127 Außerdem ist der Volksentscheid am 30. Juni 1946 in Sachsen zu nennen, bei dem 77,6 Prozent128 für die »Enteignung von Großgrundbesitzern und Kriegsverbrechern« votierten. Im Vorfeld der Abstimmung wurden die Betriebe in die Gruppen A (Enteignung), B (Keine Enteignung) und C (Überführung in sowjetische Verwaltung) eingeteilt. Um die Kategorisierung der einzelnen Betriebe gab es im Vorfeld große Kontroversen, da die CDU versuchte, möglichst viele Betriebe von Kategorie A auf B umzustufen. Letztlich wurden 1831 Firmen enteignet und 600 Fabriken in sowjetische Verwaltung überführt – 2239 Betriebe landeten auf Liste B.129 Innerhalb der aktuellen Geschichtswissenschaft ist dieser Volksentscheid kein bedeutendes Streitfeld. Otmar Jung kritisiert die fehlende »klassische Räson des Protestes und [die] Parlamentskorrektur«. Stefan Creuzberger moniert das Eingreifen der Besatzungsmacht und Winfried Halder sowie Ulrich Kluge kritisieren zusätzlich die strategischen Absichten der KPD, der es lediglich um die Enteignung und weniger um die Bestrafung gegangen sei.130 Letztlich sind diese Beiträge für eine makrohistorische Analyse aber müßig, denn das Ergebnis ist eindeutig und liegt nur leicht über dem Wert von Hessen, wo eine Besatzungsmacht die Sozialisierung von Betrieben unbedingt verhindern wollte. Steiner schreibt hierzu: »Die Propagandakampagne der SED […] trug zweifelsohne zum Erfolg bei […], eine noch größere Rolle spielte aber wohl der Zeitgeist, die weitverbreitete Ansicht, die NS-Diktatur sei zu einem guten Teil Folge des Kapitalismus gewesen.«131

3.4.4 Enteignungen der Industrie Die Debatten der Wirtschaftsgeschichte um die Enteignungen der Industrie der SBZ, die bereits im vorherigen Abschnitt zum Volksentscheid in Sachsen angerissen wurden, sind den Debatten um die Bodenreform sehr ähnlich. In der Praxis begannen einige 127 128

Zitiert nach: Fuhrmann (2017), S. 100. Manchmal wird auch als Ergebnis 77,7 Prozent angegeben. Die Zahl 77,6 Prozent ist als Notiz auf einer telefonischen Mitteilung bei Kluge/Halder abgedruckt: Kluge/Halder (1996), S. 129. 129 Braun (1993), S. 381f. 130 Jung (1994), S. 145. Gleichzeitig sagt Jung, dass bei aller Kritik das Ergebnis »nicht wegzudiskutieren« sei: Jung (1994), S. 147. Creuzberger listet Dokumente auf, aus denen hervorgehe, dass Stalin Ulbricht angewiesen habe, den Volksentscheid durchzuführen: Creuzberger (1995), S. 120f. Zusätzlich habe die SMAD in allen Bereichen – auch auf die SED – während der Kampagne Druck ausgeübt, damit der Volksentscheid erfolgreich verlaufe: Creuzberger (1995), S. 124ff. Auch Badstübner sieht die Besatzungsmacht als den radikaleren Akteur. Er bewertet die Enteignung als erfolgreiche Strukturveränderung, die durch eine breite Mehrheit getragen wurde: Badstübner (1999), S. 193ff.; Badstübner (2007), S. 45f. Zu den Thesen von Kluge/Halder: Kluge/Halder (1996), S. 107ff.; Halder (1999), S. 610f. 131 Steiner (2007), S. 46. Ähnlich: Boldorf (2016), S. 146; Braun (1993), S. 383. Umfangreiche Materialien zum Volksentscheid befinden sich in: Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (1976).

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Aneignungen bereits beim Einmarsch der Roten Armee, denn vielerorts übernahmen Arbeiter*innen und Angestellte die Betriebe. Juristisch wurden Unternehmen der führenden NSDAP-Mitglieder, der NSDAP sowie »herrenloses« Vermögen mit den SMADBefehlen 124 (30. Oktober 1945) und 126 (31. Oktober 1945) vorerst beschlagnahmt.132 An diesen Ereignissen setzt die Kritik von Historikern an, die der SED das Entnazifizierungsargument als Vorwand für den Aufbau des Sozialismus vorwerfen. So schreibt beispielsweise Steiner, dass Fritz Selbmann – Vizepräsident der sächsischen Landesverwaltung für Wirtschaft und Arbeit – intern angemerkt habe, es ginge vor allem um die Klassenfrage und nicht darum, ob jemand belastet sei. Schroeder bezeichnet die Maßnahmen vor allem als »Zerschlagung der bürgerlichen Gesellschaftsordnung« sowie als »Vernichtung der kapitalistischen Klasse der Bourgeois«, anstatt der »Bestrafung der am Krieg schuldigen«. Die Sicherstellung von Reparationen erwähnt Schroeder ebenfalls, sie stehen aber nicht im Fokus seiner Argumentation.133 Nach Steiner sind die Befehle zum Zwecke der Einschränkung der wilden Demontagen, als Strafmaßnahme sowie zur Sicherstellung der Reparationen erfolgt.134 Boldorf kann dagegen überzeugend darstellen, dass die Initiative zu den Enteignungen von Selbmann ausging, als dieser die Enteignung der Betriebe von Friedrich Flick anordnete. Deshalb habe die SMAD mit den Befehlen 124 und 126 lediglich die Praxis bestätigt und die SBZ dem Rechtszustand in der amerikanischen und britischen Besatzungszone angeglichen, die bereits die Sequestrierung der Vermögen angeordnet hatten.135 Insgesamt ist ein struktureller Unterschied zur Bodenreform erkennbar, denn die Enteignungen der Industrie waren für die Reparationszahlungen bedeutend wichtiger als die Bodenreform. Deshalb resümiert Steiner: »Enteignungen und erste Schritte zur Befehls- und Planwirtschaft erachteten sie vor allem als notwendig, um die Reparationen sicherzustellen.«136 Roesler diskutiert diese Strukturveränderung – wie bereits im Kapitel zum Potsdamer Abkommen von Karlsch angedeutet – als unterschiedliche Form der Interpretation des Potsdamer Abkommens.137 Der staatliche Sektor wurde nach dem Volksentscheid 1946 und in den weiteren Jahren – so Steiner – durch die »Benachteiligung« der Privatwirtschaft und mittels der »vollen Härte« des Wirtschaftsstrafrechts ausgebaut. Er wuchs von 60 Prozent im Jahr 1948 über 75 Prozent im Jahr 1950 auf ca. 80 Prozent im Jahr 1955 an.138

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Karlsch (2016), S. 256. Steiner (2007), S. 46; Schroeder (2013), S. 62. Steiner (2007), S. 45. Boldorf (2016), S. 142f. Steiner (2007), S. 50. Auch Sandford argumentiert gegen den Aufbau des Sozialismus durch die Struktureingriffe: »In all cases these measures [Bodenreform, Enteignungen der Industrie, KK] were introduced under the banner of national regeneration, not [Hervorhebung im Original, KK] of socialism«: Sandford (1983), S. 219. Roesler (2006), S. 47f. Ciesla argumentiert jedoch: »These orders were in accord with the agreements the Allies had made at the Potsdam Conference«: Ciesla (2013), S. 70. Steiner (2007), S. 47, 83. Siehe ebenfalls: Roesler (2006), S. 59.

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3.4.5 Personelle Entnazifizierung Die personelle Entnazifizierung wiederum wurde in der Geschichtswissenschaft ausführlich diskutiert. Als Kompromissformel kann gesagt werden, dass die Entnazifizierung im Western gescheitert ist und im Osten instrumentalisiert wurde, um den »antifaschistischen Staat« zu legitimieren. Für die Wirtschaftsgeschichte besteht die Bedeutung darin, auf welche Weise sich die Entnazifizierung auf die Entwicklung der wirtschaftlichen Ordnung auswirkte. Die Schwierigkeiten deuteten sich bereits zu Beginn der Besatzung an, da die von Hitler eingesetzte Übergangsregierung noch bis zum 23. Mai 1945 im Amt war und erst dann verhaftet wurde.139 Zunächst gab es – besonders in der amerikanischen und sowjetischen Besatzungszone – einen radikalen personellen Austausch der Führungskräfte und allgemein der NSDAP-Parteimitglieder.140 Die britische und französische Verwaltung vermied aus ökonomischen Gründen eine radikale Entnazifizierung. In allen Westzonen erfolgten die Entnazifizierungsverfahren ab 1946 in deutschen Spruchkammern, die im Prinzip fast alle Beschuldigten – darunter ranghohe Nazi-Persönlichkeiten – als Mitläufer oder minderbelastet einstuften.141 Auch die Reeducation scheiterte zunächst. In Meinungsumfragen stieg die Popularität des Faschismus im Westen bis 1949 an.142 Letztlich konnten die meisten Nazi-Führungskräfte in der BRD erneut Karriere machen.143 Der ökonomische Erfolg der BRD und das Bekenntnis dieser Eliten zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung wird häufig als Rechtfertigung für diese Politik benutzt. Durch die Abwanderung dringend benötigter Fachkräfte in den Westen schwenkte die SMAD auf einen pragmatischen Kurs um und stellte vor allem belastete Ingenieure

139 Stalin soll deshalb sehr sauer gewesen sein: Kleßmann (1991), S. 37. 140 In der SBZ galt zunächst die Anweisung alle (!) Parteimitglieder zu entfernen. Letztlich wurde im Einzelfall auch pragmatisch verfahren: Zank (1987), S. 47ff. Kleßmann nennt die – seiner Ansicht nach – vermutlich zu hohe Schätzung von 520.000 Entlassenen: Kleßmann (2007), S. 55. In der Industrie wurden vor allem ehemalige Betriebsräte und der technische Mittelbau die neuen Unternehmensleiter: Boldorf (2010), S. 50, 68. Die anfängliche Entnazifizierung in der US-Zone beschreibt Ahrens wie folgt: »Die Direktive verlangte die Entlassung aller NSDAP-Mitglieder, ›die nicht nur nominell in der Partei tätig waren‹, aus ›wichtigen Stellungen‹ auch der Privatwirtschaft«: Ahrens (2010), S. 29. Ein pikantes Detail stellen die Befehle an die Führungskräfte im vorläufig amerikanisch besetzten Teil dar, die eine Übersiedlung in den Westen anwiesen: Zank (1987), S. 53. 141 Ahrens (2010), S. 37ff. 142 Kleßmann (1991), S. 56, 91. Laut Hans-Ulrich Wehler löste Adenauer in den Meinungsumfragen im Westen erst 1954 Hitler als beliebtesten Politiker ab: Wirtschaftswoche (2009); Wehler (2003), S. 982. Kleßmann nennt weitere Werte: »Die Zahl derer, die Hitler für einen der größten Politiker hielt, sank von 48 % (1955) auf 32 % (1967)«: Kleßmann (1997), S. 61. 143 Einen thematischen Überblick über besonders schwerwiegende Fälle bietet: Frei/Freimüller (2003). Grundlegend ist immer noch das aufsehenerregende Braunbuch, das in der BRD verboten wurde: Norden (1968). Auch die Lehrstühle an den Universitäten im Westen wurden den NaziProfessoren freigehalten, sollten sie noch entlastet werden: Kleßmann (1991), S. 97f. Der Hohe Kommissar der Amerikaner, John McCloy, notierte 1950 selbstkritisch, man hätte die leitenden Nationalsozialisten sofort hart bestrafen und die Masse der kleinen Nazis integrieren müssen: Hardach (1979), S. 114.

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und technische Leiter wieder ein.144 In den Behörden und allgemein im öffentlichen Dienst der SBZ erfolgte der Austausch des Personals jedoch rigoros.145 Eine wichtige These hierzu formuliert Sandford: »These failings of Western denazification serve to highlight the best features of the Communist program. […] Isolating a relative small group of active Nazis and economic leaders as the real criminals, they thereby enlisted the political energies of genuine anti-fascist on behalf of reconstruction, and offered a path of rehabilitation to the mass of lesser Nazis and to Germans in general.«146 Eine hitzige Debatte entbrannte 2015 um die »Speziallager«, die die Alliierten zur Internierung der Festgenommenen etabliert hatten. Oftmals benutzten sie die ehemaligen Konzentrationslager. Insbesondere der SMAD wird vorgeworfen, dass sie die Lager nicht nur für Kriegsverbrecher, sondern generell für politische Gegner verwendet habe, von denen einige hingerichtet und viele in den Lagern verhungert oder an Krankheiten gestorben sind. Allerdings sind Zählungen zufolge tatsächlich größtenteils Kriegsverbrecher in den Lagern eingesperrt gewesen.147 Trotz der konsequenten Umsetzung der Entnazifizierung in der SBZ, kann das Arbeitskräftereservoir in der SBZ als intakt bezeichnet werden.148 Zugleich stellte die Flucht einer Vielzahl gut ausgebildeter Menschen in den Westen während der ersten Nachkriegsmonate gleichwohl einen wichtigen ökonomischen Faktor dar. Die mangelnde Entnazifizierung war im beginnenden Systemkonflikt ein Wettbewerbsvorteil für die BRD.

144 Steiner (2007), S. 48. Allerdings waren viele von den neuen Leitern nicht entsprechend qualifiziert: Roesler (1978), S. 12. 145 Zank (1987), S. 47ff. Im Bildungsbereich entließ die SMAD bis Januar 1946 20.000 Lehrer. Auch in den Hochschulen fand eine grundlegende Transformation statt: Zank (1987), S. 52, 161f. Besonders stark wurde der juristische Bereich entnazifiziert, in Sachsen verloren 800 von 1000 Richtern bzw. Staatsanwälten ihre Posten: Zank (1987), S. 52. Es bekamen daraufhin viele »Arbeiter und Frauen wichtige Stellen«: Kleßmann (1991), S. 98. Ebenfalls: Kleßmann (1997), S. 370f. 146 Sandford (1983), S. 227. In einer aktuelleren Arbeit resümiert Annette Weinke: »Da die Sowjets nicht gewillt waren, ihr Ziel einer revolutionären Umwälzung zu gefährden, blieben Rehabilitierung und Wiedereingliederung in der DDR im Wesentlichen auf nominelle NSDAP-Mitglieder beschränkt. Zudem wurden ihnen strategisch wichtige Positionen in Verwaltung, Exekutive und Justiz bis auf weiteres verwehrt. Im Westen hingegen konnten neben den zahlreichen Mitläufern auch schwer belastete Mitglieder der früheren Nazi-Funktionseliten in fast alle Positionen des öffentlichen Dienstes und der freien Wirtschaft einrücken, weigerten sich doch Legislative und Judikative aus politischen und rechtlichen Gründen, die Rechtskraft der alliierten Urteile anzuerkennen«: Weinke (2002), S. 334. 147 Walther (2015). Angesichts der schweren Verbrechen von SS und Wehrmacht sowie der – aufgrund des Krieges – grassierenden Hungersnot in der Sowjetunion ist die Kritik an der schlechten Versorgung von deutschen Kriegsgefangenen deplatziert. 148 Zank (1987), S. 56.

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3.5 Reparationen und Demontagen Ein wichtiges Forschungsfeld der Geschichtswissenschaft beinhaltet die Reparationszahlungen der SBZ/DDR an die UdSSR. In regelmäßigen Abständen gab es Debatten um die alleinige Zahlung der Reparationen durch die DDR und Forderungen nach finanziellem Ausgleich an die BRD.149 Fundierte Zahlen existieren jedoch erst seit der Öffnung der Archive Anfang der 1990er Jahre, die große Kontroversen zur Folge hatte. Speich Chassé beschreibt das Vorgehen der Besatzungsmächte wie folgt: »While the Soviets and the French pursued such a destructive reparation strategy, the British and the US based their foreign policy upon productivity. Starting with General Lucius D. Clay´s decision not to allow the further dismantling, […].« Dabei hatten die UdSSR und Frankreich ein berechtigtes Interesse – wie in Potsdam vereinbart – an der industriellen Abrüstung der Kriegsmacht Deutschland sowie an einer Entschädigung für die eigenen Kriegsschäden. Die UdSSR ging, so Abelshauser, von einer kommenden Wirtschaftseinheit aus und wollte deshalb »vollendete Tatsachen« schaffen. Folglich hätten die meisten Demontagen bis Ende 1946 stattgefunden.150 Insgesamt wurden ca. 2000-2400 Betriebe demontiert und die Industrie sehr geschwächt.151 Hierfür ist nicht ausschließlich das absolute Ausmaß der Demontagen verantwortlich, sondern vor allem – wie Roesler und Karlsch erläutern – der Abriss gesamter Industriezweige, Teile des Schienennetzes sowie der hochmodernen Werke.152

149 Den Anfang machte Arno Peters im Jahr 1964: Er sagte, die BRD schulde der DDR 88 Mrd. DM: Karlsch (1993), S. 11. Für große Aufmerksamkeit sorgte dann das Buch Wehen und Wunder der Zonenwirtschaft von Hans Apel im Jahr 1966. Seine These: Die schlechte Lage durch Demontage und Reparationen führte zur Abwanderung von Arbeitskräften. Folglich habe der Aufschwung im Westen auf Kosten der DDR stattgefunden: Apel (1966), S. 65ff. Eine große Diskussion löste ebenfalls die Forderung in Höhe von 100 Milliarden Mark aus, die Ministerpräsident Willi Stoph beim Treffen mit Willy Brand 1970 in Erfurt erwähnte. Peters hat 1989/1990 neuere Berechnungen nachgelegt und einschließlich Zinsen eine Schuld von 727,1 Mrd. Mark summiert. Karlsch ist der Meinung, dass Peters mit »fragwürdigen Methoden« rechne. Auch die Modrow-Regierung forderte im Jahr 1990 15 Mrd. DM für den Osten als Schuldendienst: Karlsch (1993), S. 11ff. 150 Speich Chassé (2014), S. 205f.; Abelshauser (2011), S. 73f. Oftmals wird der Punkt der Abrüstung übergangen: »It is important to keep in mind that the main aim of the Soviet dismantling program was to destroy Germany´s capacity to wage war«: Karlsch (2013), S. 82. 151 Karlsch (1993), S. 85. 152 Roesler (2006), S. 45f. Eine übersichtliche Tabelle findet sich bei: Karlsch (1993), S. 47. Für ihn sind besonders die Metallurgie-Werke (z.B. Stahl- und Walzwerke) von Bedeutung, die bis Frühjahr 1946 zu 80 Prozent demontiert wurden, um »das Kriegspotential zum Erliegen zu bringen«: Karlsch (1993), S. 75ff. Der Abbau der Eisenbahnen (bis März 1947) habe insgesamt 11 800 km Schienen betragen – davon 6300 km zweites Gleis. Er resümiert:»Kaum ein anderer Wirtschaftsbereich ist durch Demontagen und Reparationslieferungen derart nachhaltig und langfristig geschwächt worden wie das Eisenbahnwesen«: Karlsch (1993), S. 82. Ähnlich: Steiner (2007), S. 117. Außerdem seien 200 Lokomotiven in Halle (immerhin 1/3 des Bestandes des lokalen Werkes) von den USA beschlagnahmt und in den Westen gefahren worden: Karlsch (1993), S. 60. Die Autoindustrie wurde ebenfalls zu 80 Prozent demontiert. Laut Ciesla habe lediglich die SAG AUTOWELO bestehen bleiben dürfen, allerdings habe diese größtenteils für die UdSSR produziert: Ciesla (2013), S. 64.

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Hinsichtlich der Entschädigungen war die Demontage allerdings nicht effizient. Viele Werke konnten in der UdSSR nicht aufgebaut werden.153 In der späteren Bizone liefen die Demontagen sehr langsam an. Während offiziell die JCS 1067 galt und auf dieser Grundlage die Potsdamer Beschlüsse gefasst wurden, setzten sich intern schnell Kräfte – wie z.B. Clay – durch, die ein Interesse an einem wirtschaftlich starken Westdeutschland hatten und die auf die Sicherheitsinteressen von Frankreich und der UdSSR wenig Rücksicht nahmen.154 Zunächst stoppte Clay am 3. Mai 1946 »einseitig« die Demontage sowie die Reparationslieferungen, um die UdSSR und Frankreich in den weiteren Verhandlungen unter Druck zu setzen. In der aktuellen Geschichtswissenschaft wird weiterhin vereinzelt die angebliche Verweigerung der sowjetischen Lebensmittellieferungen angeführt, auf die die US-Militärregierung lediglich reagiert habe.155 Allerdings sind die historischen Quellen eindeutig. Clay selbst hat in seinem Bericht über die »allgemeine Lage« vom 26. Mai 1946 an Präsident Dwight D. Eisenhauer den Stopp mit der mangelnden Umsetzung der wirtschaftlichen Einheit begründet, für die er besonders Frankreich verantwortlich machte.156 Nach der Rede von James F. Byrnes in Stuttgart sowie der Truman-Doktrin im März 1947 wurde der Industrieplan zusammengestrichen, die Demontage beendet und somit endgültig ein anderer Fokus gesetzt. Die Entscheidung für den Wirtschaftsaufbau im Westen war gefallen.157 Die SMAD änderte ebenfalls im Sommer 1946 ihren Kurs, um die Besatzungszone lebensfähig zu halten und trotzdem – dies war der bedeutendste Aspekt – maximale Reparationen entnehmen zu können.158 Sie transformierte die wichtigsten Großkonzerne in Sowjetische Aktiengesellschaften (SAG) und nahm die Produktionsgüter als Reparationen. Diese Maßnahme wird von vielen Historikern als sinnvoll eingeschätzt, da die Wirtschaft in Gang kam und trotzdem Reparationen bezahlt werden konnten.159 Bis

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Karlsch (1993), S. 63. Besonders überhastete Beschlagnahmungen hätten sich oftmals als sinnlos erwiesen. Zusätzlich hätten bis 1947 große Mengen Rohstoffe nicht abtransportiert werden können. Sie seien schließlich zurückgegeben worden: Karlsch (1993), S. 58. Kleßmann (1991), S. 22f. Zum Demontagestopp siehe: Lehmann (2000), S. 94f.; Kleßmann (1991), S. 100. Prollius greift diese Argumentation ebenfalls auf: Prollius (2006), S. 30, 34. Die Theorie, die das Scheitern der Reparationsvereinbarung der UdSSR anlastet, geht auf Latour/Vogelsang zurück: Latour/Vogelsang (1973), S. 157ff. Ruhl (1982), S. 349, 352; ähnlich: Hardach (1994), S. 23. Roesler (2006), S. 44f.; Kleßmann (1991), S. 100ff.; Abelshauser (2011), S. 73ff. Karlsch (1993), S. 110. Ciesla schreibt: »Moscow´s principle motivation in restarting the economy there was to enable production for its own needs«: Ciesla (2013), S. 72. Zusätzlich wäre, so Karlsch, »für die sowjetische Reparationspolitik 1948 klar [gewesen], daß mit Leistungen aus dem Westen nicht mehr zu rechnen war«: Karlsch (1993), S. 109. Ein Ende der Reparationen – wie oftmals von deutschen Politikern (auch der SED) gefordert – wäre aus innenpolitischen Gründen nicht in Frage gekommen, da in der UdSSR »bittere Armut« geherrscht habe: Karlsch (1993), S. 104. Ein Überblick zur Zerstörung in der UdSSR findet sich hier: Ciesla (2013), S. 56. Laut Karlsch sei die SAG-Bildung als Existenzerhalt »zu würdigen«: Karlsch (1993), S. 102. Er schreibt außerdem: »Der französische Historiker Richard Castillon konstatierte, daß die Sowjetunion mit dieser Entscheidung (SAG-Bildung, Anm. KK) ›unvergleichlich viel mehr Phantasie, Flexibilität und Realismus‹ entwickelt haben als die Westmächte mit ihrer bloßen Demontagepolitik«: Karlsch (1993), S. 111. Die SAG sei, so Abelshauser, eine »kreative Form der Reparationsleistungen«: Abels-

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zum Jahr 1953 ergingen die Reparationszahlungen in Form von »immateriellen« Reparationen (Arbeitskräfte, Knowhow, Patente), SAG-Gütern und Außenhandelsverlusten (durch nachteilige Wechselkurse). Frankreich verfolgte eine ähnliche Politik wie die SMAD und konnte die Reparationen ihrer Zone in den »planwirtschaftlichen Rahmen«, so Abelshauser, integrieren. Für die Marktwirtschaften waren günstige Reparationsgüter hingegen eine Belastung, da sie den einheimischen Markt zerstörten. Neben der geänderten Strategie im »Kalten Krieg« dürfte dies der Grund für das Abrücken von den Potsdamer Beschlüssen gewesen sein. Laut Abelshauser sei Frankreich der Bizone deshalb zunächst nicht beigetreten.160 Insgesamt beliefen sich die Reparationen im Westen auf etwa 3,1-5,3 Prozent der Kapazitäten. Die Auswirkung auf die Westwirtschaft wird als gering eingeschätzt.161 In der Wirtschaftsgeschichte gab es um den Umfang der geleisteten Reparationen in der SBZ einige Kontroversen. Während Harmssen von Restkapazitäten der Industrie nach den Demontagen von 50 Prozent im Vergleich zu 1936 spricht, beziffert Zank diese mit 80 Prozent. Karlsch schätzt nach seinen Untersuchungen die Gesamtkapazitäten »zwischen mindestens 50 % und höchstens 70 %« ein. Für das Bruttoanlagevermögen (Gebäude und Material) der Industrie resultieren daraus 1948 im Vergleich zu 1936 die Werte 74-84 Prozent.162 Das Westniveau des Kapitalstocks lag 1948 – so hat Abelshauser berechnet – bei 111 Prozent gegenüber 1936.163 In der abschließenden Bewertung der Debatten kommt Kurt Arlt zu dem Fazit, die sächsische Industrie sei »faktisch in die Bedeutungslosigkeit« zurückgeworfen worden, während Zank, Buchheim und (u.a. mit Bezug auf Zank) Ritschl die Auswirkungen gering einschätzen.164 Durch die umfangreichen Analysen von Karlsch sind diese Einschätzungen aber nicht mehr zeitgemäß. Den hauser (2011), S. 74. Laut Ciesla stellten sie allerdings keine sozialistischen Musterbetriebe dar, sondern »traditional business structures«, die »little differed from capitalist companies«: Ciesla (2013), S. 64. Wehler schreibt hingegen in fragwürdiger Polemik: »Damit nicht genug: 200 der größten Unternehmen, die für 30 % der ostdeutschen Gesamtproduktion verantwortlich waren, wurden in die neue koloniale Rechts- und Eigentumsform der ›Sowjetischen AG‹ überführt, […]«: Wehler (2008), S. 90. 160 Abelshauser (2011), S. 73ff. 161 Die Zahlen finden sich bei Abelshauser. Zusätzlich betont er, dass vermutlich kein wichtiger Sektor stark beeinträchtigt worden sei: Abelshauser (2011), S. 79f. Ebenfalls: Roesler (2006), S. 45f.; Steiner (2007), S. 39. Es existieren wenige Arbeiten, die einen großen »immateriellen Schaden« im Westen beklagen. Abelshauser nennt sie »aus der Luft gegriffen«, um den »Interessenstandpunkt zu untermauern«: Abelshauser (2011), S. 80f. 162 Harmssen (1951), S. 86; Zank (1987), S. 191. Kritik an Zank und Harmssen plus eigene Schätzungen: Karlsch (1995), S. 54ff. 163 Abelshauser (1975), S. 114ff.; Abelshauser (2011), S. 80. 164 Arlt (1993), S. 374; Zank (1987), S. 189ff.; Ritschl (1996), S. 507; Buchheim (1995a), S. 210. Große Bedeutung ebenfalls bei: Hoffmann (2013), S. 19f.; Baar u.a. (1993), S. 106; Sleifer (2006), S. 72f. In einer neueren Publikation resümieren Ritschl/Vonyó »a dramatic decline« (im Jahr 1950 ca. 2/3 des Westkapitalstocks), allerdings sei die Teilung des Wirtschaftsraumes noch schlimmer gewesen: Ritschl/Vonyó (2014), S. 169ff. Zank hat außerdem einige Fehler in seiner Analyse: Er argumentiert gegen die Entnazifizierung und die Reparationen als signifikante Ursachen des wirtschaftlichen Rückstands. Als größtes Problem der SBZ-Wirtschaft macht er das Transportwesen aus, dessen Vernachlässigung angeblich auf der Ideologie des Marxismus beruhe, da diese die Schwerindustrie priorisiert habe: Zank (1987), S. 24-26, 182f. Diese Argumentation ist nicht schlüssig. Das Eisenbahnnetz war sicherlich ein großes Hindernis für den Wiederaufbau (siehe oben). Allerdings ha-

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Geldwert der geleisteten Reparationen, der früher auf um die 100 Mrd. Mark eingestuft worden wäre, benennt Karlsch – bei einer hohen Dunkelziffer – mit »mindestens 54,4 Mrd. Mark« (14 Mrd. Dollar, in Preisen von 1938). Der Wert liege damit unter dem von Fisch/Köhler, die 16,3 Mrd. Dollar berechnet hätten.165 Die »enorme Leistung« der SBZ werde vor allem bei der Betrachtung der Reparationen im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt (BSP) deutlich, deren Wert 1945/46 bei 50 Prozent, bis 1949 bei 30 Prozent und danach im Durchschnitt bei 15 Prozent gelegen habe.166 Schärfere Auseinandersetzungen resultierten aus der Bewertung der Reparationen für die wirtschaftliche Entwicklung der DDR. Dabei steht die Frage im Fokus, ob das Scheitern der DDR auf die »schlechteren Anfangsbedingungen« oder auf die »ineffiziente Planwirtschaft« zurückzuführen sei (siehe ausführlich 3.9.2). Folgendes kann als eindeutig bezeichnet werden: »All in all, the GDR starting position was made significantly worse by the extraordinary heavy reparations it had to make. […] It had to shoulder the burden of Soviet and Polish reparation demands almost entirely alone.«167 Zudem hatte dies Auswirkungen auf die tägliche Politik. Karlsch schreibt: »Die Belastungen der Bevölkerung der SBZ/DDR infolge der sowjetischen Reparationsforderungen führten zu einer tiefen Skepsis und weitgehenden Ablehnung gegenüber dem sowjetischen Gesellschaftsmodell. Einen Wettlauf mit den Westalliierten um die Gunst der Deutschen mußte die Sowjetunion unter diesen Prämissen verlieren, auch wenn ihre Propaganda etwas anderes behauptete.«168

be man eben jene Schwerindustrie für den Bau der Eisenbahn gebraucht, wie auch Ritschl/Vonyó feststellen: Ritschl/Vonyó (2014), S. 176f. 165 Karlsch (1993), S. 231; Karlsch (1995), S. 76f. Allerdings stimmt die Behauptung von Karlsch nicht, dass seine Arbeiten erstmals diese geringen Werte nennen. Apel schreibt im Jahr 1966 von durchschnittlichen Schätzungen zwischen 50 und 75 Milliarden Mark: Apel (1966), S. 44. Außerdem positioniert sich Apel selber wie folgt: »Allzu hohe Schätzungen westlicher Autoren« gehen von ›sowjetischer Ausbeutung‹ in Höhe von 70 Mrd. Mark aus, »fast das Doppelte der hier geschätzten Summe von 36 Milliarden Mark«. Er kommt insgesamt auf den Wert von 107 Milliarden Mark [allerdings bis 1961, Anm. KK], in dem der Vermögenstransfer und die Abwanderung der Arbeitskräfte eingerechnet sind: Apel (1966), S. 47ff., 252. 166 Karlsch (1993), S. 235. 167 Karlsch (2013), S. 81f. Zudem schreibt Karlsch hinsichtlich der Diskussion über den West/OstVergleich: »Den einseitigen Reparationsleistungen der DDR wurden in der Vergangenheit immer wieder die nach 1953 einseitig von der Bundesrepublik erbrachten Leistungen gegenübergestellt. Diese Art des gegenseitigen Aufrechnens war in starkem Maße politisch motiviert. In den Kontext der Reparationen gehören die Wiedergutmachungs- und Schuldenleistungen indessen nicht. Sie konnten zudem über einen sehr langen Zeitraum gestreckt und aus einer prosperierenden Volkswirtschaft entnommen werden, ohne daß dadurch das verfügbare Bruttoinlandsprodukt dramatisch beeinträchtigt wurde«: Karlsch (1993), S. 236f. 168 Karlsch (1993), S. 238.

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3.6 Zusammenfassung der Startbedingungen Insgesamt zeigt sich bei einer ökonomischen Betrachtung keine Dichotomie zwischen der SBZ und den Westzonen: »Zudem wies die Wirtschaftspolitik der Besatzungsmächte bis 1947 durchaus eine Reihe von formalen Ähnlichkeiten auf. […] Die stärkste Ausprägung fand das Bewirtschaftungs- und Befehlssystem in der französischen und in der sowjetischen Besatzungszone.«169 Auch ist eine Interpretation der Wirtschaft in der SBZ als »Sowjetisierung« nicht haltbar.170 Trotzdem entstanden in den verschiedenen Teilen von Deutschland unterschiedliche Ausgangsbedingungen. Die zukünftige DDR-Wirtschaft wurde durch Demontage, Reparationen und die Abwanderung von jungen Menschen sowie Unternehmen aufgrund der Enteignungen und der Entnazifizierung nachhaltig geschwächt.171 Besonders schwer wirkte sich zudem die Teilung des Wirtschaftsraumes auf den Osten aus, wie im kommenden Abschnitt ausführlicher erläutert wird. So betrug das BIP/Kopf 1950 in der DDR nur ca. zwei Drittel dessen der BRD und des Vorkriegsstandes, obwohl die SMAD – so Kleßmann, Abelshauser und Zank – eine wirtschaftlich effiziente und kompetente Aufbaupolitik betrieben habe.172 In den Westzonen hingegen war die Ausgangslage äußerst günstig. Durch den Abbruch von Entnazifizierung und Strukturveränderungen war das Produktionsregime nahezu erhalten. Ein permanenter Zustrom von qualifizierten jungen Menschen stellte die Verwaltung zunächst vor Probleme, war mittel- und langfristig jedoch ein immenser Gewinn an Arbeitskraft. Die größten Produktionsstätten Europas waren nur noch durch die alliierten Beschränkungen in ihrer erneuten Expansion gehemmt. Der vielfach angestellte empirische Vergleich zwischen Planwirtschaft und Marktwirtschaft ist folglich fragwürdig.173 In einem physikalischen Labor würde bei so unterschiedlichen Voraussetzungen ein Experiment vermutlich nicht einmal durchgeführt werden.

3.7 Aufbau des Sozialismus 3.7.1 Das sozialistische System Wie bereits in den vorherigen Kapiteln angedeutet, war der Aufbau des Sozialismus ein mehrstufiger Prozess. Wichtige Wendepunkte sind die Jahre 1948, in dem die Deutsche Wirtschaftskommission (DWK) entstand und der erste Zweijahresplan konzipiert wurde, und 1952 mit der offiziellen Verkündung des »Aufbaus des Sozialismus« und dem Umbau der Landwirtschaft. Steiner sieht den Prozess der Etablierung der Planwirtschaft »sowjetischen Typs« bis 1950 als abgeschlossen, Roesler hingegen erst in der 169 170 171 172

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Karlsch (1993), S. 226. Boldorf (2016), S. 150, 163. Bis 1953 gingen mehr als 4.000 Betriebe mit Fachleuten in den Westen: Steiner (2013), S. 23. Zu den Zahlen des BIP: Steiner (2013), S. 23. Siehe ausführlich im Abschnitt 3.9.2. Zur ökonomischen Bewertung der Politik der SMAD: Abelshauser (2011), S. 112f.; Kleßmann (1991), S. 71; Zank (1987), S. 22. Zur positiven ökonomischen Entwicklung auch: Steiner (2007), S. 73. Exemplarisch: Kornai (1995), S. 342; Ritschl (1996), S. 498.

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ersten Hälfte der fünfziger Jahre.174 Zweifelsohne hat in mehreren Etappen ein fundamentaler Wandel der Wirtschaftsstruktur stattgefunden. Er war gekennzeichnet durch Brüche der Rechtsformen, der Eigentumsverhältnisse, des Führungspersonals sowie der Wirtschaftspolitik. Die Zerstörung des alten Produktionsregimes ging mit (nicht zu unterschätzenden) Verlusten der Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit sowie der Produktivität einher.175 Das langfristige Ziel der DDR-Wirtschaft habe, so Steiner, in der »Totalplanung« und der Abschaffung des Geldes gelegen.176 Andreas Malycha zeigt allerdings in einer umfassenden Analyse der Staatlichen Plankommission für die gesamte Phase der DDR, dass »vom Bild eines hochgradig zentralisierten Leitungs- und Planungssystems deutliche Abstriche zu machen« sind.177

3.7.2 Die Veränderung der Handelsströme Bevor auf die ersten Wirtschaftspläne eingegangen wird, soll zunächst die Veränderung der Handelsströme dargestellt werden. Durch die Aufteilung des Deutschen Reiches in vier Besatzungszonen und die Blockbildung seit 1947 wurde ein vernetzter Wirtschaftsraum geteilt. Für die DDR hatte dies große Auswirkungen, da sie erstens geografisch kleiner war und zweitens weder über Steinkohlevorkommen noch über eine Stahlproduktion verfügte. Die Unternehmen in Ost und West versuchten zwar die Handelsbeziehungen aufrechtzuerhalten; letztlich mussten sich die westdeutschen Unternehmen der amerikanischen Besatzungsmacht beugen, die mit dem Coordinating Committee for Multilateral Export Controls (CoCom) über diverse Güter ein Handelsembargo der North Atlantic Treaty Organization (NATO) verfügte, das der DDR große Schwierigkeiten bereitete.178 Einige Wirtschaftshistoriker deuten die Autarkiebestrebung als Teil des Systems des Sozialismus.179 Demgegenüber betont Roesler das Interesse der DDR

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Steiner (2007), S. 69. Allerdings schreibt Steiner selbst über substanzielle Veränderungen durch den »Aufbau des Sozialismus« ab dem Jahr 1952: Steiner (2007), S. 81. Ebenfalls: Roesler (2006), S. 59ff. Eichengreen sieht in der DDR einen Ausnahmefall innerhalb der RGW-Staaten (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe), da es bis 1972 eine »mixed economy« gegeben habe, in der ein Drittel der Betriebe privatwirtschaftliches Eigentum geblieben seien: Eichengreen (2007), S. 134. Auch Kleßmann hebt hervor, dass es noch im Jahr 1955 einen großen privaten Sektor in der DDR gegeben habe: Kleßmann (1991), S. 272. Steiner (2007), S. 80; Abelshauser (2011), S. 404ff.; Hoffmann (2013), S. 18ff. Mit Fokus auf die Produktivität und Systemfehler: Ritschl (1996), S. 498ff. In einer aktuellen Publikation akzentuiert Ritschl die Änderung der Handelsströme: Ritschl/Vonyó (2014), S. 175ff. Aus dem liberalen Spektrum gibt es weiterhin Versuche die These Friedrich von Hayeks von der Kontinuität der Zwangswirtschaften vom NS zur DDR aufrechtzuerhalten: Kopstein (2013). Steiner (2007), S. 65. Malycha (2016), S. 132. Karlsch (1993), S. 41ff., 82, 184, 196; Abelshauser (2011), S. 408 (siehe auch nächste Fußnote). Zudem benutzten die Westmächte Steinkohlelieferungen als Druckmittel, zum Teil waren nur 15 Prozent des Bedarfes der SBZ gedeckt: Steiner (2007), S. 53. Der Interzonenhandel betrug 1950 nicht einmal zehn Prozent des Vorkriegsniveaus: Karlsch (1993), S. 43. Einerseits verweist Karlsch auf »autarky« als »›genetic code‹ of the socialist system«, andererseits sieht er die Notwendigkeit infolge des Embargos, das die DDR schwer belastet habe: Karlsch (2013), S. 77; Karlsch (1993), S. 187f. Auch Steiner geht auf das Embargo ein, führt die Probleme des

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am Handel mit dem Westen.180 Ahrens resümiert, dass man der Umorientierung der Handelsströme nach Osten, den die DDR vornahm, »ökonomische Rationalität schwer absprechen« könne.181 Ein weiterer Nachteil der Verlagerung der Handelsströme in den Osten lag darin, dass die späteren RGW-Staaten (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe) zunächst fast ausschließlich Agrarstaaten waren, wenige internationale Devisen besaßen und zumeist, so Steiner, »simple, sturdy products«182 gebraucht hätten. Buchheim bezeichnet den Außenhandel als »Achillesferse« der DDR-Ökonomie. Insgesamt besteht weitestgehende Einigkeit darüber, dass die Änderung der Handelsströme für den Osten eine schwere Hypothek für die weitere Entwicklung bedeutete.183 Die DDRFührung versuchte – auch durch große Kampagnen wie »Störfreimachung« in den Jahren 1961/62 – die Abhängigkeit vom Westen zu verringern.184 In der heutigen DDRWirtschaftsgeschichte werden die schweren Auswirkungen des Handelsembargos zumeist nicht in die Bewertung einbezogen.185

3.7.3 Die Wirtschaftspolitik bis 1971 Aus den veränderten Bedingungen durch die wirtschaftliche Teilung des ehemaligen Deutschen Reiches resultierte die Wirtschaftspolitik der frühen DDR. Im ersten und zweiten Wirtschaftsplan hatte der Aufbau einer Stahlindustrie (und überhaupt die Grundstofferzeugung) oberste Priorität.186 Entgegen einiger Darstellungen in der

Außenhandels aber letztlich auf die Wirtschaftsordnung zurück: Steiner (2013), S. 18, 25; Steiner (2007), S. 24, 70, 116. 180 Roesler (2006), S. 82ff. Laut Buchheim sei die DDR nach der »politischen Instrumentalisierung« des Interzonenhandels »verständlicherweise bestrebt [gewesen,] ihre Abhängigkeit von Westdeutschland zu mindern«: Buchheim (1995c), S. 349f. Auch die Hallstein-Doktrin deutet auf eine erzwungene Autarkie hin. 181 Ahrens (2016), S. 528. 182 Steiner (2013), S. 25. 183 Zitat: Buchheim (2006), S. 91ff. Teilung: Abelshauser (2011), S. 408ff.; Kleßmann (2007), S. 49; Karlsch (1993), S. 240. Ritschl und Vonyó beurteilen: »The main factors contributing to this divergence were already present earlier. In particular, structural disproportions in industrial production caused by the division of a previously well-integrated German economy created input–output bottlenecks that thwarted recovery in East Germany from the immediate post-war years«: Ritschl/Vonyó (2014), S. 175ff., 182. Zum RGW und den Nachteilen siehe: Buchheim (1995c), S. 341ff.; Hoffmann (2013), S. 52ff.; Steiner (2007), S. 159f.; Ahrens (2016), S. 526ff. Ausführlich: Ahrens (2000). 184 Roesler (2006), S. 123. Karlsch sagt, dass die Autarkiebestrebungen, den Hafen von Rostock ausgenommen, scheiterten: Karlsch (2013), S. 85ff. Ähnlich: Steiner (2007), S. 141f.; Steiner (2013), S. 27. Eine Feststellung von Dolores Augustine weist ebenfalls darauf hin: »Its dependence on Western suppliers made the GDR vulnerable to sudden changes in COCOM embargo lists. The fear in SED circles was that foreign intelligence agencies might identify such vulnerabilities, which could then be exploited by the West«: Augustine (2013), S. 104. 185 Exemplarisch kann der aktuelle Aufsatz von Ahrens erwähnt werden, der in seinem Beitrag zur Außenhandelspolitik der DDR dem Boykott auf 90 Seiten zwei Sätze (!) widmet: Ahrens (2016), S. 535. 186 Der Beschluss zum Aufbau einer eigenen Stahlindustrie gibt einen Hinweis auf den Zeitpunkt der Planung eines separaten Staates. Er erfolgte vermutlich erst im Oktober 1947: Karlsch (1993), S. 78. Siehe zur Notwendigkeit einer Stahlproduktion in der DDR: Karlsch (2016), S. 272; Ritschl/Vonyó

3. Nachkriegswirtschaft in der Geschichtswissenschaft

Vergangenheit war der Aufbau einer Stahlindustrie in der DDR – durch die Teilung des Wirtschaftsraumes und die politische Instrumentalisierung der Lieferungen aus dem Westen – alternativlos. Ohne Stahl hätte es keinen Wohnungsbau, keine Infrastruktur und keine Konsumgüterindustrie gegeben. Im zweiten Fünfjahresplan von 1956-1961 wurden zusätzlich der Maschinenbau sowie eine »Rohstoffbasis [durch] Braunkohle und Kaliindustrie sowie Grundstoffchemie« ausgebaut.187 Einen Einschnitt stellte der »Neue Kurs« und der Aufstand im Juni 1953 dar (siehe Abschnitt 3.10), da er die DDR-Führung zu einer Ausweitung der Investitionen im Konsumgütersektor zwang.188 Im Laufe der fünfziger Jahre und endgültig nach dem Bau der Mauer im Jahr 1961 verbesserte sich die ökonomische Situation beträchtlich.189 Eine einschneidende wirtschaftspolitische Veränderung war zudem das Neue Ökonomische System (NÖS) im Jahr 1963 und das Ökonomische System des Sozialismus (ÖSS) im Jahr 1967/68, die beide das Ziel hatten, mehr Dezentralisierung und Eigenbewirtschaftung der Mittel in den Betrieben zu erreichen.190 Mit diesen Maßnahmen erhofften sich das Politbüro und der zuständige Minister Erich Apel Produktivitätssteigerungen. Nach dem Führungswechsel von Walter Ulbricht zu Erich Honecker galt die neue Ausrichtung der »Reformer« als gescheitert. Steiner vertritt die Meinung, dass die marktwirtschaftlichen Reformen aufgrund des fehlenden Preismechanismus und

(2014), S. 178; Loth (2007), S. 89; Hoffmann (2016a), S. 13. Fragwürdig erscheinen Ausführungen, die den Aufbau der Schwerindustrie als Ideologie bezeichnen, z.B.: Zank (1987), S. 182f. Besonders polemisch: Wehler (2008), S. 89ff. Zurückhaltender: Kleßmann (2007), S. 259ff. 187 Siehe zum ersten Fünfjahresplan (1951-1955): Steiner (2007), S. 72. Im zweiten Fünfjahresplan lag der Fokus auf der Petrochemie, der Kohlechemie sowie einer Ausweitung der fordistischen Produktion. Steiner bescheinigt dem zweiten Plan einen gewissen Erfolg: Steiner (2007), S. 96ff. Ahrens und Karlsch sehen in den ersten Plänen ebenfalls eine logische Schwerpunktsetzung: Ahrens (2014), S. 306; Karlsch (2013), S. 86. Auch die Repressionen gegen Privatbetriebe änderten sich. Während sie bis Mitte der 1950er Jahre unter starker Repression litten, entspannte sich deren Lage von 1956-1960. Dafür wurden staatliche Beteiligungen »erzwungen« und folglich stieg die Anzahl solcher Betriebe von 144 auf 4455: Roesler (2006), S. 59; Steiner (2007), S. 102. 188 Erstaunlicherweise wurden die Ziele des ersten Fünfjahresplans (1951-1955) dennoch erreicht. Allerdings litt die Produktivität unter der Material- und Energiezufuhr: Steiner (2007), S. 94f.; Roesler (2006), S. 78f. 189 Die Versorgung mit Lebensmitteln verdoppelte sich in vielen Segmenten zwischen 1950 und 1960, jedoch konnte das Angebot die Nachfrage nicht befriedigen. Die Preise für Genussmittel, Bekleidung und Schuhe waren deutlich teurer als im Westen, Grundnahrungsmittel, Mieten und Verkehr allerdings deutlich günstiger: Steiner (2007), S. 121ff. Die 1960er Jahre wurden in der DDR »positiv erinnert«: Steiner (2007), S. 180. 190 Der Grundpfeiler des NÖS war die Umwandlung der Betriebe in ökonomische Einheiten, deren Planvorgaben nun nach Gewinn bemessen wurden. Zusätzlich mussten Abgaben an den Staat gezahlt werden: Steiner (2007), S. 146ff. Roesler zitiert den Wirtschaftsberater Ulbrichts, Wolfgang Berger: »Es ging darum, die volkseigenen Betriebe als sozialistische Warenproduzenten zu organisieren«: Roesler (2006), S. 108f. Im ÖSS wurden viele Handelshemmnisse beseitigt und ein System der bevorzugten Investitionsbereiche geschaffen, in die Betriebe aufsteigen konnten: Steiner (2007), S. 161ff.; Roesler (2006), S. 124. Ausführlicher: Steiner (1999).

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der Planvorgaben nicht entsprechend wirken könnten. Demgegenüber bewertet Roesler die Reformen als erfolgreich.191 Bei einer ökonomischen Betrachtung erzielten der Aufbau und die Rekonstruktion der Industrie bis zur Krise im Jahr 1971 beachtliche Resultate. Fast alle fehlenden Industriezweige wurden aufgebaut und in einigen Bereichen exportierte die DDR Hochtechnologie.192 Auch hierbei muss die weltweite Konjunktur in Betracht gezogen werden, die diesen Aufschwung begünstigte.193 Trotzdem hätten sich, laut Steiner, bereits der fehlende »wirtschaftlich induzierte Strukturwandel«, die verhinderte Arbeitslosigkeit und der Innovationsmangel bemerkbar gemacht.194

3.8 »Wirtschaftswunder« im Westen 3.8.1 Ordnungspolitik und »Soziale Marktwirtschaft« Der starke Anstieg des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von 1945-1973 wird oftmals als »Wirtschaftswunder« bezeichnet. Es gibt unüberschaubar viele Publikationen zu den Ursachen des starken Anstiegs des BIP, von denen viele eine analytisch fragwürdige Erfolgsgeschichte erzählen. Ritschl fasst dieses Narrativ wie folgt zusammen: »Gemäß dem Mythos von der Stunde Null hat es weniger Kontinuität als vielmehr einen radikalen Neuansatz zur Wirtschaftsordnung gegeben, verbunden mit Ludwig Erhard, dem Programm der Sozialen Marktwirtschaft und der gleichzeitigen Reform von Währung und Bewirtschaftung im Jahr 1948.«195 Eine große Kontroverse drehte sich in den 1980er Jahren um die Frage, ob im Jahr 1948 – mit Währungsreform und den Leitsätze-Gesetzen – der Aufschwung begann, ob eine ordnungspolitische Zäsur stattgefunden habe und welchen Inhalt der Terminus »Soziale Marktwirtschaft« eigentlich in sich trägt.

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Steiner bewertet wie folgt: »Trotz des neuen Anreizsystems strebten die Betriebe und VVB weiter nach möglichst hohen Inputs und möglichst niedrigen Zielen, […]«: Steiner (2007), S. 156. Ähnlich: Steiner (2013), S. 28ff.; Buchheim (1995a), S. 204ff.; Ahrens (2014), S. 308. Zum fehlenden Preismechanismus: Steiner (2007), S. 186; Steiner (1999), S. 551ff. Demgegenüber: Roesler (2006), S. 112f.; Kleßmann (1997), S. 342. 192 Augustine (2013), S. 97. Zum schnellen Wachstum in den 1950er und 1960er Jahren: Maier (1999), S. 151f.; Eichengreen (2007), S. 139ff.; Roesler (2006), S. 103f., 112; Roesler (1978), 102ff. Darauf Bezug nehmend: Karlsch (1995), S. 57. Mit Einschränkungen ebenfalls: Steiner (2007), S. 104f., 121ff. Erfolgreiche technologische Entwicklungen waren in den 1960er Jahren der Ausbau der Elektrotechnik, »Spitzenentwicklungen« der Fertigungssysteme Rota F und Prisma 2 sowie Autos (Trabant, Wartburg, W50) gemessen am »internationalen Entwicklungsstand«: Steiner (2007), S. 175. Ähnlich: Roesler (2006), S. 112ff. 193 Steiner schreibt: »Von dem weltweiten Boom der 50er und 60er Jahre profitierte mittelbar sogar die DDR, wenn auch bei weitem nicht in dem Maße wie marktorientierte Wirtschaften«: Steiner (2007), S. 17. 194 Steiner (2007), S. 175f. 195 Ritschl (2005), S. 151. Vom Mythos sprechen auch: Münkler (2009), S. 455ff.; Hein-Kircher (2013); Streb/Spoerer (2013), S. 226.

3. Nachkriegswirtschaft in der Geschichtswissenschaft

Lange Zeit galt die Nachkriegswirtschaft – mit Bezug auf die Arbeiten von Henry C. Wallich aus dem Jahr 1955 – der BRD als ökonomischer Bruch mit dem Faschismus und die ordoliberalen Theoretiker der Freiburger Schule als Teil der Widerstandsbewegung.196 In jüngerer Vergangenheit haben Giersch/Paqué/Schmieding, Michael von Prollius, Norbert Kloten, Mierzejewski sowie in Ansätzen Rainer Klump und Bernhard Löffler diese These weiterhin vertreten. Demnach hätten Wissenschaftler wie Eucken, Franz Böhm, Erhard und Müller-Armack während des Nationalsozialismus – in Abgrenzung zu »totalitären« Ideologien – eine ordoliberale Wirtschaftsordnung entwickelt, in der der Staat – im Kontrast zum klassischen Liberalismus – einen ordnungspolitischen Rahmen zur Entfaltung des freien Marktes schaffen solle. Weiterhin wäre demnach die »Soziale Marktwirtschaft« im Jahr 1948 durch Müller-Armack, Leonhard Miksch und Erhard als ökonomisches System der BRD eingeführt worden. Die Vertreter dieser Strukturbruch-These stehen allesamt der Freiburger Schule nahe.197 Allerdings kann sie aus heutiger Perspektive als widerlegt gelten, wie im Folgenden gezeigt wird. Hierbei ist es sinnvoll, zwischen der ideengeschichtlichen Betrachtung des Ordoliberalismus und der konkreten Wirtschaftspolitik nach 1945 zu differenzieren. Um die Ideengeschichte des Ordoliberalismus zu erschließen, muss die Zeit nach der Wirtschaftskrise von 1929 in den Blick genommen werden. Nach der Auffassung führender Liberaler wie Böhm, Müller-Armack – der bereits 1933 in die NSDAP eintrat – und Eucken sei die Weimarer Republik durch die Grabenkämpfe der Interessengruppen (vor allem Gewerkschaften bzw. »Massen«) zerstört worden198 und die parlamentarische Demokratie allgemein nicht funktionsfähig.199 Folglich müsse der »starke Staat«, Alexander Rüstow und Müller-Armack benutzten den Terminus des »totalen Staats« von Carl Schmitt, für einen funktionierenden Wettbewerb sorgen.200 Herbert v. Beckerath, Erwin v. Beckerath und Müller-Armack verweisen zudem auf das positive Beispiel des italienischen Faschismus.201 Der Titel des Aufsatzes Wirtschaftsverfassung des Faschismus von Erwin v. Beckerath hebt den zentralen Aspekt des Ordoliberalismus hervor – nämlich die Entwicklung einer Wirtschaftsverfassung, die das Unternehmertum bzw. die vollständige Konkurrenz schütze. 196 Wallich (1955), S. 109. 197 Klump nennt einerseits die engen Verbindungen von Wissenschaft und NSWirtschaftsplanungen, andererseits stellt er die Mitglieder der Freiburger Schule mal direkt und mal indirekt als NS-Gegner dar: Klump (1997), S. 133, 151-153. Löffler zeigt einige Verknüpfungen von NS und Mitgliedern der Freiburger Schule (z.B. Müller-Armack) auf; er misst der Arbeit für das Nazi-Regime aber eine geringe Bedeutung bei: Löffler (2002), S. 48f., 56ff., 70ff. Diverse Wirtschaftshistoriker sehen den Ordoliberalismus in Opposition zum Nationalsozialismus: Prollius (2006), S. 50ff.; Kloten (1997), S. 168; Giersch u.a. (1992), S. 26ff.; Mierzejewski (2005), S. 47ff.; Maier (2014). Grüner definiert das »normative framing« der »Sozialen Marktwirtschaft« durch das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen von 1957, die »Unabhängigkeit der Zentralbank« sowie die »Liberalisierung des Außenhandels«. Durch NS und DDR seien »planned economies« diskreditiert worden: Grüner (2014), S. 89, 105. Scholtyseck geht ebenfalls von einem ordnungspolitischen Bruch aus, der entscheidend zum Aufschwung beigetragen habe: Scholtyseck (2012). 198 Böhm (1937), S. 188. 199 Eucken (1932), S. 307ff. 200 Rüstow (1932), S. 66f.; Müller-Armack (1933), S. 47f. 201 Beckerath, Herbert (1932), S. 338f.; Beckerath, Erwin von (1932), S. 357ff.; Müller-Armack (1932), S. 126f.

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Der wichtigste Text der unmittelbaren Nachkriegszeit ist Müller-Armacks Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft vom Dezember 1946, in dem vermutlich zum ersten Mal das Wort »Soziale Marktwirtschaft« auftaucht.202 In dieser Publikation formuliert Müller-Armack die Notwendigkeit, den Markt durch einen Sozialstaat sowie ausgewählte konjunkturpolitische Maßnahmen zu ergänzen.203 Allerdings schrieb er das Buch in einer Phase, in der er sich kurzzeitig vom Liberalismus abgrenzte, weshalb es nicht repräsentativ für Müller-Armacks ökonomisches Denken gelten kann. Auch zählt Müller-Armack nicht zum engsten Kreis der Ordoliberalen. Deren zentraler Bezugspunkt sind die Monografien von Eucken, der ebenfalls der Namensgeber des Instituts in Freiburg ist. In seinen 1940 veröffentlichten Grundlagen der Nationalökonomie kritisiert er vor allem die Historische Schule.204 Eucken bezieht sich auf die Grenznutzentheorie und sieht Geld als reine Recheneinheit.205 Er entwirft ein statisches Modell der Ökonomie, die mit der Einteilung in »zentralgeleitete Wirtschaft«, die in vier Formen bestehe, und der »Verkehrswirtschaft«, in der jeweils fünf Formen von Angebot und Nachfrage existieren würden, zu erfassen sei.206 Ein wichtiges ökonomisches Problem sei die wirtschaftliche Macht, die in der zentralen Verwaltung am größten und bei vollständiger Konkurrenz nicht vorhanden sei.207 Außerdem resultiere aus vollständiger Konkurrenz ein stabiles Gleichgewicht der Wirtschaft.208 In den Grundlagen verweist Eucken jedoch darauf, dass die »zentralgeleitete Wirtschaft« nicht mit dem »Kommunismus« zu verwechseln, sondern ein Idealtyp sei, den es partiell zu jedem Zeitpunkt in jedem Land gegeben habe – z.B. in einem klassischen Bauernbetrieb. Als dezidiert antikommunistisches Buch kann erst Grundsätze der Wirtschaftspolitik gelten, das posthum veröffentlicht wurde. Es ist als wirtschaftstheoretische Erweiterung von Friedrich A. Hayeks Der Weg zur Knechtschaft zu lesen. Analog zu Hayek entwirft Eucken seine Geschichtsphilosophie, nach der allen Formen jenseits der vollständigen Konkurrenz der Trend innewohne, sich zur »Zentralverwaltungswirtschaft« und folglich zum »Totalitarismus« zu entwickeln.209 Neben den vielen Fragmenten zu wirtschaftstheoretischen Debatten versucht er die Wettbewerbsordnung zu konkretisieren. 202 Ptak (2004), S. 207f. 203 Müller-Armack (1990), S. 116ff. 204 Eucken (1940), S. 29ff. Merkwürdigerweise befinden sich in diesem Buch kaum Verweise auf die Debatten um die General Theory von Keynes, die vier Jahre vorher erschien und breit diskutiert wurde. 205 Eucken (1940), S. 105ff., 158ff. 206 Eucken (1940), S. 93ff. 207 Eucken (1940), S. 103, 126f., 226, 230f. 208 Eucken (1940), S. 248. 209 Eucken/Eucken-Erdsiek (1952), S. 133, 149f., 370f. Er folgt hier der Dichotomie von Hayek. Demnach hätten auf der einen Seite der Faschismus in Deutschland und der Staatssozialismus in Russland ähnliche Eigenschaften gehabt. Manchmal zählt er die sozialdemokratische Regierung im Nachkriegsengland auch hinzu. Auf der anderen Seite sieht er die freiheitlichen, marktwirtschaftlichen Demokratien: Eucken/Eucken-Erdsiek (1952), S. 58ff. Die vermeintlichen Beweise für die Eigenschaften der »Zentralverwaltungswirtschaft« gewinnt Eucken zumeist durch die Analyse des Nachkriegsdeutschlands in der Zeit von 1945-1948: Eucken/Eucken-Erdsiek (1952), S. 116, 141, 157, 353, 368. Die große Nähe zu Hayek wird auch daran deutlich, dass Eucken wohl der deutsche Vertraute von Hayek in der Mont Pèlerin Society gewesen sei: Walpen (2004), S. 124.

3. Nachkriegswirtschaft in der Geschichtswissenschaft

Hierfür nennt er als Forderungen eine stabile Währung mit Warenkorbbindung, offene Märkte, Privateigentum, Vertragsfreiheit, Haftung und Konstanz der Wirtschaftspolitik.210 Bezüglich der fehlenden Haftung durch die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) und die Aktiengesellschaft (AG), der Widersprüchlichkeit des Rechtsstaates sowie der Vertragsfreiheit beweist Eucken durchaus einen scharfsinnigen Blick, wenn er konstatiert, dass diese oftmals »Machtgruppen« stärken würden.211 Die Gewährleistung der »Konstanz der Wirtschaftspolitik« bleibt allerdings unklar. Insgesamt sieht Eucken die Demokratie und die politische Gleichberechtigung durch die Funktion des Menschen als Konsumenten für hinreichend gegeben.212 Die Wirtschaftsdemokratie der SPD kritisiert er scharf213 , zum Parlamentarismus äußert er sich im gesamten Buch nicht. Die einzige Kritik, die er – immerhin wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg – am Faschismus formuliert, ist die vermeintlich starke Lenkung der Wirtschaft. Sozialpolitik beinhaltet für ihn die Steigerung der Produktivität; die Sozialversicherungen und die Mitbestimmung durch Betriebsräte lehnt er ab.214 Dass das Verhältnis von Ordoliberalismus und parlamentarischer Demokratie spannungsgeladen ist, zeigt ebenfalls ein Beitrag von Erwin v. Beckerath in der hauseigenen Zeitschrift ORDO im Jahr 1953: »Auch die parlamentarische Demokratie, die von Parteien dirigiert wird, welche ihrerseits Bündnisse mit wirtschaftlichen und sozialen Machtkörpern eingehen, die sie kaum zerstören werden, paßt nicht zu dem von Eucken entwickelten Ordnungsgebilde.«215 Ludolf Herbst, Michael Brackmann und Ptak haben mit ihren Arbeiten zudem auf die beruflichen Karrieren von Ordoliberalen im Faschismus hingewiesen. Eucken sei einer von acht Wirtschaftswissenschaftlern gewesen, die das Reichswirtschaftsministerium um Gutachten zur wirtschaftlichen Lage gebeten habe. Des Weiteren hätten seine Schüler der Freiburger Schule nahezu alle im Beratungsgremium Gruppe IV der Akademie für deutsches Recht gearbeitet.216 Erhard war für die Reichsgruppe Industrie mit der wirtschaftlichen Ausbeutung der besetzten Gebiete Österreich, Elsass-Lothringen und Polen beschäftigt und bekam das Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse. Laut Hentschel hielt Erhard die totale Ausrichtung der Wirtschaft auf den Krieg für »gut und recht« – im Vergleich zu vielen anderen Ökonomen, die durchaus Kritik geäußert hätten. Ulrike Hermann hat ebenfalls viele zeitgenössische Texte von Erhard analysiert und dabei

210 Eucken/Eucken-Erdsiek (1952), S. 285ff. 211 Eucken/Eucken-Erdsiek (1952), S. 48ff., 73, 307. 212 Eucken/Eucken-Erdsiek (1952), S. 163, 300f. Die politische Lage der Arbeiter in Preußen am Ende des 19. Jahrhunderts schätzt er wie folgt ein: »Aber während Freiheit und Gleichberechtigung der Menschen politisch und rechtlich gesichert erschienen, waren wirtschaftlich und sozial die Arbeiter unfrei«: Eucken/Eucken-Erdsiek (1952), S. 185. Das Dreiklassenwahlrecht für Männer (Frauen dürfen nicht wählen) beurteilt Eucken folglich als politische Gleichberechtigung. Die Pyramidenform der Gesellschaft sieht er als unveränderbar: Eucken/Eucken-Erdsiek (1952), S. 188. In den Grundlagen hatte er ebenfalls die Mitbestimmung über den Konsum definiert: Eucken (1940), S. 230. 213 Eucken/Eucken-Erdsiek (1952), S. 334f. 214 Eucken/Eucken-Erdsiek (1952), S. 314ff. 215 Beckerath (1953), S. 296. 216 Ptak (2004), S. 64. Ausführlich bei: Herbst (1982), S. 148f.; Ptak (2004), S. 62-71, 136ff.; Brackmann (1993), S. 75ff., 126ff.

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sein Denken in »völkischen Kategorien« festgestellt.217 Am Ende des Krieges arbeitete Erhard im Stahl-Kreis an der Nachkriegsplanung mit.218 Sowohl die Akademie IV als auch der Stahlkreis standen unter der Schirmherrschaft von Otto Ohlendorf, Chef des berüchtigten Sicherheitsdienstes (SD) und Anhänger des Wirtschaftsliberalismus, und strebten die Entwicklung einer Nachkriegswirtschaft an. Brackmann bezeichnet diese Phase als »Siegeszug des Ordoliberalismus im Nationalsozialismus«.219 Müller-Armack war Direktor des wirtschaftlichen Instituts der Universität Münster und, so Ptak, ebenfalls für die Kriegsorganisation verantwortlich. Von ihm gebe es zahlreiche Texte, in denen er eindringlich die Nazi-Propaganda vertrete.220 Auch der Aufsatz von Akihiko Amemiya zeigt anhand von Texten von Böhm, Eucken, von Beckerath, Rüstow und Miksch die ökonomische und geistige Nähe mit den »economics of fascism« sowie die Arbeit im Nazi-System. Demnach habe der NS – so die ordoliberalen Vordenker – den »Pluralismus« der Interessengruppen in der Weimarer Republik zerschlagen und somit den Staat und den Markt wieder funktionsfähig gemacht.221 Moritz Haarmann kritisiert, zumindest in Bezug auf Eucken, diese Interpretation, da sich Euckens Position vom strammen Nationalliberalen zu einer »teils offenen oppositionellen Haltung gegenüber dem Regime« verändert habe, so dass er im Alltag mehrfach mit den Institutionen des NS in Konflikt gekommen sei.222 Die Gegnerschaft zu den Interessengruppen, insbesondere zu den Gewerkschaften, stellte auch in der BRD ein zentrales Element des Ordoliberalismus dar. Ptak hebt das problematische Verhältnis des Ordoliberalismus zur parlamentarischen Demokratie nach 1945 hervor, da beispielsweise Böhm die Demokratie im Markt enthalten gesehen habe.223 Abelshauser sieht durchaus Widersprüche der Ordoliberalen mit dem Nationalsozialismus, schreibt aber ebenfalls, dass die Vorstellung von der »Sozialen Marktwirtschaft« als eine Reaktion auf staatliche Kontrolle während des NS »korrekturbedürftig« sei.224 Der Begriff »Soziale Marktwirtschaft« wurde von Müller-Armack formuliert, der – zumindest in der Nachkriegszeit – innerhalb der »Verkehrswirtschaft« für die Möglich217 218

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Herrmann (2019), S. 62. Hentschel (1998), S. 29ff.; Erhards positive Einstellung zur Kriegswirtschaft: Ptak (2004), S. 79. Außerdem allgemein zur Nazi-Vergangenheit: Imholz (2014). Die wichtigsten Originaldokumente finden sich bei: Roth (1998); Gerlach (1997). Zitat zum Stahl-Kreis: Brackmann (1993), S. 127. Ohne Bezug auf diese Werke betont Mierzejewski die Gegnerschaft Erhards zum Nationalsozialismus und verweist auf seine Nähe zum Kreis vom 20. Juli: Mierzejewski (2005), S. 38ff. Bei Prollius beginnt Erhards Biografie – ganz im Sinne der Kalter-Krieg-Mentalität – ohne jeglichen Verweis auf die Kriegsjahre mit »Fragen der Wirtschaftsentwicklung für die Nachkriegszeit«, um danach die BRD-Karriere aufzulisten: Prollius (2006), S. 55. Löffler versucht Erhard positiv darzustellen und dabei wissenschaftliche Standards einzuhalten. Hier heißt es, dass Erhard kein Widerstandskämpfer gewesen sei und »mitunter Kontakt zu NS-Stellen« gehabt habe. Jedoch »setzte [er] sich in prinzipiellen Punkten vom NS-System« ab: Löffler (2010), S. 488. Ausführlicher: Löffler (2002), S. 56ff. Brackmann (1993), S. 101, 127. Ptak (2004), S. 85. Amemiya (2008). Haarmann/Lange (2015), S. 402. Ptak (2004), S. 292. Abelshauser (2011), S. 95ff.

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keit von Mindestlohn, Umverteilung durch Steuerpolitik und Mietzuschüsse eintrat.225 Erhard hingegen sah die soziale Komponente immanent in der Marktwirtschaft enthalten226 , weshalb er ein entschiedener Gegner des umfassendsten sozialpolitischen Gesetzes der Nachkriegszeit – nämlich der Rentenreform 1957 – war227 . Gerold Ambrosius hat gezeigt, dass der Begriff taktisch ausgesucht wurde, da die CDU aus strategischen Gründen »Begriffe der ›freien Wirtschaft‹ oder der ›liberalen Marktwirtschaft‹« vor den Wahlen 1949 »peinlich vermieden« hätte. Dies galt umso mehr für Erhard, der – so Spoerer – den Begriff »Soziale Marktwirtschaft« nur widerwillig und lediglich als »rhetorisches Instrument« benutzt habe.228 Letztlich muss angemerkt werden, dass Erhard von Hentschel, der eine wirklich beeindruckend recherchierte Biografie verfasst hat, als inkompetent und faul dargestellt wird.229 Es fällt grundsätzlich schwer, den Wirtschaftsminister als weitestgehend einflusslose Person zu begreifen. Allerdings kann Hentschel zahlreiche gute Argumente liefern, da sich Erhard bei allen seinen politischen Schwerpunktthemen – wie frühzeitige Konvertibilität der Währungen, Freihandelszone mit den USA und Großbritannien, Dezentralisierung der Bundesbank, ein restriktives Kartellgesetz sowie die Verhinderung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) nicht durchsetzen konnte.230 Als erste umfassendere Darstellung der liberalen Interpretation kann das Buch von Giersch/Paqué/Schmieding gelten, die die Wirtschaftspolitik nach 1948 als marktwirtschaftliche »shock therapy« bezeichnen, da sie entsprechende Investitionsanreize für Unternehmen geboten hätte.231

225 Müller-Armack (1990), S. 65ff., 116-121. 226 Hentschel (1998), S. 101f.; Prollius (2006), S. 50; Ambrosius (1977), S. 174; Abelshauser (2011), S. 90f.; Roesler (2006), S. 81, 110. Interessant ist hierzu die Analyse des Buches Wohlstand für alle, das Wolfram Langer als Ghostwriter Erhards schrieb: Bührer (2010), S. 227ff. Erhard habe sich darin vermutlich auf Eucken bezogen, der die Marktwirtschaft ebenfalls als immanent sozial einstuft: Prollius (2006), S. 59. In der Praxis habe, so Abelshauser, die soziale Komponente während der Zeit von Erhard in der bereits überlieferten Sozialversicherung gelegen: Abelshauser (2011), S. 160. Kleßmann verweist ebenfalls auf die große Armut im »Wirtschaftswunder«: Kleßmann (1997), S. 39ff. 227 Hentschel (1998), S. 355f., 366-370. 228 Ambrosius (1977), S. 196; Spoerer (2007), S. 29ff. Abelshauser spricht von einem Postulat, da die »Soziale Marktwirtschaft« in der Nachkriegszeit einfach liberal und nicht sozial gewesen sei: Abelshauser (2011), S. 159f. Diese Meinung teilt Hentschel, da Erhard seine »Werbewirksamkeit begriffen« habe: Hentschel (1998), S. 102. Roesler bezieht sich auf Ambrosius: Roesler (2006), S. 60. 229 Hentschel (1998), S. 37, 42f., 48, 143, 293f., 298, 311, 408, 476, 502, 520, 527, 567, 575. Ein anderes Fazit zieht Mierzejewski, der ihn als großen Wirtschaftspolitiker und Macher des »Wirtschaftswunders« darstellt: Mierzejewski (2005), S. 321. Letztlich widerlegt Mierzejewski an keiner Stelle eine Quelleninterpretation von Hentschel. Stattdessen bestätigt er selbst, dass Erhard eher ein Spaßmensch gewesen sei, der »Schreibtischarbeit scheute« und nach 1948 politisch weitestgehend unwirksam geblieben sei: Mierzejewski (2005), S. 144, 268f., 326f. Auch Löffler präsentiert Erhard – in seiner ansonsten sehr überzeugenden Studie – als erfolgreichen Politiker und ökonomischen Fachmann. Die Argumente von Hentschel, der die Wirtschaftspolitik dieser Zeit Adenauer, Müller-Armack und vor allem dem Staatssekretär Ludger Westrick zuschreibt, kann Löffler nicht entkräften: Löffler (2002), S. 581f., 587. Udo Wengst erzählt ebenfalls die Geschichte vom großen Wirtschaftspolitiker Erhard, ohne eine Quelleninterpretation von Hentschel zu widerlegen: Wengst u.a. (2010). 230 Hentschel (1998), S. 223-304, 420-440. Ähnlich: Ritschl (2016b), S. 329. 231 Giersch u.a. (1992), S. 271.

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Mancur Olson hat ebenfalls eine ordoliberale Argumentation entwickelt, die den Erfolg der Nachkriegszeit auf die Zerschlagung der Interessenverbände – z.B. auch Kartelle – zurückführt, welche vorher die Entfaltung des Marktes gehemmt hätten.232 Von einer Auflösung der Kartelle in Westdeutschland kann allerdings keine Rede sein.233 Bezüglich des vermeintlichen Strukturbruches 1948 zeigt Ritschl auf der administrativen Ebene, dass viele ordnungspolitische Elemente (Handwerksordnung, duale Industrieausbildung, Kreditwesen, Personen- und Güterbeförderung, Energiewirtschaft, Kammersystem mit Zwangsmitgliedschaft wie z.B. für Ärzte) vom Reichswirtschaftsministerium im Nationalsozialismus umgesetzt wurden und die Wirtschaft bis heute prägen.234 Das Steuersystem der BRD basierte in den 1950er und 1960er Jahren, so Hentschel, ohnehin auf den Errungenschaften der Weimarer Republik.235 Auch Altvater/Semmler/Hoffmann kritisieren die Vorstellung von einem neuen System durch »Institutionen und große Männer«. Insgesamt distanzieren sich viele Wirtschaftshistoriker von der These des Strukturbruches nach 1945.236 Spoerer argumentiert, dass die »Soziale Marktwirtschaft« kein erfolgreicheres Wachstum und Einkommensniveau – als z.B. die französische »Planification« – sowie keine sozialere Einkommensverteilung als vergleichbare Länder erreicht habe. Die Einkommensverteilung sei sogar in der Zeit des »›Wirtschaftswunders‹ […] ungleicher […] als in vielen europäischen Nachbarstaaten« gewesen.237 Andere Wissenschaftler betonen, dass die bedeutendsten sozialpolitischen Gesetze erst 1952 mit dem Lastenausgleichsgesetz und 1957 mit der Rentenreform verabschiedet worden seien. Jedoch stellte der Lastenausgleich keine fundamentale Umverteilung der Vermögen dar.238 Zudem ist eindeutig, dass die Sozialpolitik nicht auf das »System« der CDU

232 Olson (1982), S. 75ff. 233 Hentschel führt aus, dass die angebliche Zerschlagung der Kartelle für Westdeutschland nicht zutreffe: Hentschel (1998), S. 272, 360f., 409f. Giersch/Paqué/Schmieding betonen außerdem, dass die Gewerkschaften trotz NS und Enteignung durch die Währungsreform schlagkräftig gewesen seien: Giersch u.a. (1992), S. 73f. 234 Ritschl (2005), S. 159ff.; Ritschl (2016b), S. 331. 235 Hentschel (1983), S. 256ff. 236 Altvater u.a. (1979), S. 61, 78; Eichengreen/Ritschl (2009), S. 194, 206ff.; Lindlar (1997), S. 235f., 304; Streb (2012), S. 83. Abelshauser terminiert den Ursprung des »Produktionsregimes« an das Ende des 19. Jahrhunderts. Allerdings benennt er die Berufsausbildung als bedeutenden Faktor für die Nachkriegszeit. Weiterhin habe es »lediglich zwei graduelle Kontinuitätsbrüche« durch den NS gegeben, nämlich die Aufhebung der bestehenden Arbeitsbeziehungen und die Einführung der Massenfertigung im NS: Abelshauser (2011), S. 49f., 58. Judt schreibt: »Die soziale Marktwirtschaft von Ludwig Erhard hatte ihre Wurzeln in der Politik von Albert Speer – viele der jungen Manager und Planer, die nach dem Krieg in hohe Positionen von Wirtschaft und Politik aufstiegen, begannen ihren beruflichen Werdegang unter Hitler; sie brachten in die Ausschüsse, Planungsbehörden und Firmen der Bundesrepublik die Strategien und Praktiken ein, die von den NS-Bürokraten bevorzugt worden waren«: Judt (2006), S. 393. 237 Spoerer (2007), S. 34ff.; Streb/Spoerer (2013), S. 226, 229. Eine »überdurchschnittliche Verringerung der Einkommensunterschiede« habe es – so Spoerer – erst in den siebziger Jahren unter der sozialliberalen Koalition gegeben. Hentschel resümiert wie folgt: »Westdeutsche Marktwirtschaft blieb sich eines Gutteils schuldig, ›soziale‹ Marktwirtschaft zu sein«: Hentschel (1998), S. 354. Ähnlich: Lindlar (1997), S. 219. 238 Altvater u.a. (1979), S. 286; Buchheim (1988), S. 220; Abelshauser (2011), S. 161, 334f.

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zurückzuführen, sondern von SPD, KPD (bis 1956) und den Gewerkschaften erkämpft worden ist. Außerdem konnte die Sozialpolitik vermutlich lediglich aufgrund der bestehenden Konkurrenz, durch die Existenz der DDR, erkämpft werden. Kleßmann resümiert, die »sozialpolitischen Errungenschaften [seien] auch aus der Systemkonkurrenz mit der DDR herzuleiten«.239 Ptak schreibt, dass der Begriff des Sozialen »wenig« über die »inhaltliche Substanz« aussage und vielmehr ein »sozialer Mythos« mit »identitätsstiftender Bedeutung« sei.240 Spoerer nennt die »Soziale Marktwirtschaft« eine »Leerformel« und ein Synonym für den unbeliebten Kapitalismus und bewertet sie »als geniales Marketinginstrument«.241 Allerdings hat sich die Bedeutung des Begriffes gewandelt. Nach Abelshauser habe sie zunächst als »Bindung der Marktwirtschaft« an eine »staatliche Ordnung« bestanden, mit dem Kartellgesetz als sogenanntes »Grundgesetz« der Wirtschaft; im weiteren Verlauf sei sie durch den Sozialstaat erweitert worden, um unter Karl Schiller zur »Sozialen Marktwirtschaft à la Keynes« zu werden.242 In einer aktuellen Publikation spricht Abelshauser in Bezug auf die Nachkriegszeit von der »Ideologie der ›Sozialen Marktwirtschaft‹«.243 Außerdem schreibt er: »›Soziale Marktwirtschaft‹ ist im Laufe der Geschichte der Bundesrepublik zum Synonym für die jeweils herrschende Wirtschaftspolitik geworden.«244 Aufgrund der ablehnenden Stimmung in der Bevölkerung zum Kapitalismus bzw. der »Sozialen Marktwirtschaft« wurde jahrelang ein großer Werbefeldzug, insbesondere durch Die Waage, betrieben. Die Waage/Gemeinschaft zur Förderung des sozialen Ausgleichs war eine Lobbyorganisation der deutschen Industrie – vor allem der ehemaligen IGFarben-Konzerne Bayer, BASF und Höchst – und hatte die Aufgabe, »propagandistische Arbeit« für die »Soziale Marktwirtschaft« auszuführen.245 Auch erfolgte eine enge Zusammenarbeit zwischen Wirtschaftsministerium und Privatwirtschaft bei Zeitungsgründungen, so z.B. bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Das Wirtschaftsministerium stand ohnehin mit der gesamten wichtigen Presse, z.B. Handelsblatt, Die Zeit und

239 Kleßmann (1991), S. 17. 240 Ptak (2004), S. 22. Ritschl spricht vom »Mythos der Durchsetzung der Sozialen Marktwirtschaft«. Diese Wirtschaftsordnung sei eher durch Hjalmar Schacht als von Erhard geprägt, obwohl Erhard im Reichswirtschaftsministerium an der Nachkriegsordnung mitgearbeitet habe: Ritschl (2005), S. 164f. Für Rolf Badstübner ist der Begriff einfach der Name für ein neoliberales Programm: Badstübner (1999), S. 384. Eine andere Meinung vertritt Rainer Klump, der sie als »entwickeltes Konzept« im Kontext der Währungsreform und als »konkrete Ausgestaltung« der Nachkriegswirtschaft bezeichnet: Klump (1997), S. 131f., 159f. Zweynert sieht den Fokus an anderer Stelle: »Die Soziale Marktwirtschaft ist weder ein Realkonzept noch eine reine Marketingformel. Vielmehr beruht ihr Erfolg darauf, dass sie ein wissenschaftliches Konzept in eine politische Integrationsformel transformiert«: Zweynert (2008), S. 337. 241 Spoerer (2007), S. 29ff. 242 Abelshauser (2009), S. 29ff. Zur Wettbewerbsordnung der Bundesrepublik: Hardach (2016). Die Kontroversen um die Wettbewerbsordnung der BRD sind sehr bündig zusammengefasst bei: Ritschl (2016b), S. 326. 243 Abelshauser (2016b), S. 12f. 244 Abelshauser (2016b), S. 17. 245 Schindelbeck/Ilgen (1999), S. 4f., 39ff., 203. Siehe auch: Speth (2004), S. 14.

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Springer, zwecks Propaganda für die »Soziale Marktwirtschaft« im engen Austausch.246 Heute bewertet Spoerer den Begriff trotzdem als Erfolg, da er »integrativ« gewirkt habe.247

3.8.2 Währungsreformen in West/Ost und »Leitsätzegesetze« Als politische Umsetzung des ökonomischen Ordnungssystems der »Sozialen Marktwirtschaft« werden häufig die Verabschiedung der »Leitsätzegesetze« und die Währungsreform 1948 genannt. Unumstritten war die Notwendigkeit einer Währungsreform, um den enormen Geldüberhang, der durch die Kriegswirtschaft geschaffen worden war, zu beseitigen. Außerdem musste das Vertrauen der Menschen in die Währung wiederhergestellt werden.248 Einer zügigen Umsetzung der Währungsreform, die bereits in den USA vorbereitet worden war, standen lediglich deutschlandpolitische Gründe im Wege. Häufig wird die Einschätzung über vielversprechende Verhandlungen bis zum Frühjahr 1947 vertreten, die die Westmächte letztlich scheitern ließen, da die UdSSR an einer Verzögerung interessiert gewesen wäre. Zumindest letzteres ist fragwürdig.249 Abelshauser resümiert den weiteren Verlauf bis zum Sommer 1948 wie folgt: »Bei den Verhandlungen im Kontrollrat ging es deshalb vor allem um die Schuldzuweisung für eine aus Sicht der Westmächte unvermeidliche Teilung des Währungsund Wirtschaftsgebietes.« Die Westmächte hätten das »chicken game« um die Schuld an der Teilung verloren.250 246 Hentschel (1998), 260f., 413. Die Zusammenarbeit mit Verlagen und Zeitungen stellt Löffler als gelungene PR-Arbeit des Wirtschaftsministeriums dar: Löffler (2002), S. 269ff. 247 Spoerer (2007), S. 41. 248 Abelshauser (2011), S. 119. Zu der Entstehung der hohen Staatsverschuldung infolge der »geräuschlosen Kriegsfinanzierung« siehe auch: Buchheim (1988), S. 198f. 249 Buchheim beschreibt die anfänglichen Bedenken der britischen Regierung gegen den amerikanischen Vorschlag, da sie erstens eine Deflationskrise erwartet und zweitens soziale Bedenken hinsichtlich der totalen Streichung der Staatsschulden gehabt habe. Zwischen dem Herbst 1946 und dem Anfang des Jahres 1947 sei es zu einer weitgehenden Einigung gekommen, jedoch hätte inzwischen die UdSSR ein Veto ausgesprochen. Hierfür seien das voraussehbare Scheitern einer – durch Frankreich blockierten – wirtschaftlichen Zentralverwaltung und die russischen Erfahrungen in Österreich, wo die sowjetische Zone nicht ausreichend mit Geld versorgt worden wäre, ausschlaggebend gewesen. Buchheim beschreibt die – daraus resultierende – Forderung der UdSSR nach zusätzlichen Druckplatten für einen Standort Leipzig und die Ablehnung durch die amerikanische Regierung. In internen britischen Dokumenten, die Buchheim referiert, lautet das Resümee: »Angesichts dieser Tatsachen sei die amerikanische ablehnende Haltung schwer zu verstehen und könne eigentlich nur aus politischen Überlegungen heraus erklärt werden«: Buchheim (1988), S. 206. Auch Abelshauser bescheinigt den Forderungen der UdSSR »eine gewisse Logik«: Abelshauser (2011), S. 122. Außerdem schreibt Buchheim, dass die UdSSR von ihrem Standpunkt bedingungslos abgerückt sei, als die Pläne einer separaten Währungsreform in den Westzonen bekannt wurden. Buchheim interpretiert diese Reaktion als Beweis für die Verzögerungstaktik: Buchheim (1988), S. 209. Ebenfalls: Wandel (1989), S. 42ff. Allerdings erscheint es schlüssiger, dass die UdSSR schlichtweg über keine Alternativen verfügte. Immerhin haben die Verhandlungsführer annehmbare Forderungen gestellt, wie auch Steiner bestätigt: Steiner (2007), S. 60. 250 Abelshauser (2011), S. 122, 125. Auf die Währungsreform in den Westzonen folgte die BerlinBlockade, die – so Kleßmann – eine nachvollziehbare Reaktion gewesen sei, um das unkontrollierte Fluten der eigenen Zone mit dem neuen Geld zu verhindern. Als Folge der separaten Wäh-

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Die Währungsreform wurde von einem amerikanischen Team unter der Leitung von Eduard A. Tenenbaum entwickelt und die Banknoten aus den USA nach Deutschland gebracht. Die Vorschläge von deutschen Ökonomen fanden wenig Beachtung.251 Am 20. Juni 1948 konnten alle deutschen Staatsbürger*innen 40 Mark umtauschen, einige Wochen später nochmal 20 Mark. Für Sparguthaben, die in einem längeren Prozess ermittelt und dann umgerechnet wurden, betrug der Wechselkurs 1:10. Löhne, Gehälter, Mieten und Sachwerte stellt man 1:1 um. Die Unternehmen bekamen zusätzlich für jede angestellte Person 40 Mark und das Bilanzierungsgesetz bot viele Möglichkeiten der Wertbestimmung.252 So konnten die Aktiengesellschaften (AG) ca. 96 Prozent ihres Eigenkapitals 1:1 umrechnen.253 Letztlich resultierte aus all diesen Faktoren eine durchschnittliche Umrechnung von 10,9:1; folglich mussten vor allem die Besitzer*innen von Sparguthaben die »Aufwertung« von 100 RM auf 6,5 Mark, also ein Verlust von 93,5 Prozent des Sparguthabens, bezahlen. Als Fazit schreibt Kleßmann: »Dieser Währungsschnitt […] bedeutete eine große soziale Härte und Ungerechtigkeit, da er einseitig die Sparer traf und die Sachwertbesitzer verschonte.«254 Steininger urteilt weitgehender: »Die Währungsreform war tatsächlich die größte Enteignungsaktion für Bargeldbesitzer in der deutschen Geschichte; sie brachte ungewöhnliche Ungerechtigkeiten mit sich.«255 Einerseits wurde das Gesetz über Leitsätze der Bewirtschaftung und Preispolitik nach der Währungsreform vom Kontrollrat abgesegnet, das Erhard die Kontrolle über die Preise übertrug sowie die Aussetzung diverser Preisstopps der Konsumgüter enthielt. Für die meisten Preise – viele Grundnahrungsmittel, Erdöl, Kohle, Verkehrstarife, Agrarprodukte und Dienstleistungen – gab es weiterhin Obergrenzen. Trotzdem betonen viele Wirtschaftshistoriker die Bedeutung der Preisfreigaben für das Funktionieren des Marktes.256 Andererseits blieb der Lohnstopp aus der Nazi-Zeit bis zum November 1948

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rungsreform im Westen wäre immerhin das alte Geld schlagartig entwertet worden und eine eigene geplante Währungsreform unmöglich gewesen. Auch die französische Regierung habe dieses Anliegen verstanden und die Einführung der Ostmark in Westberlin vorgeschlagen: Kleßmann (1991), S. 191f. Bekanntlich wurde dies von den USA abgelehnt. Unumstritten ist die klare Entscheidungsgewalt bei den Alliierten. Einige Wirtschaftshistoriker sehen eine Annäherung des amerikanischen Plans an die Vorschläge der deutschen Kommission: Buchheim (1988), 212ff.; Möller (1989), S. 60ff. Möller ist allerdings auch Teilnehmer der deutschen Kommission gewesen. Derzeit ist allerdings die Nichtberücksichtigung der Vorschläge überzeugender: Benz (1984), S. 137ff.; Abelshauser (2011), S. 123; Hentschel (1998), S. 60f. Einen wichtigen Hinweis bietet ein abschließender Brief der deutschen Sachverständigen an die amerikanischen Verantwortlichen, in denen sie ihre Sorge über das Konzept der Währungsreform betonen und die »alleinige Verantwortung« den Westalliierten zuweisen: Benz (1984), S. 141. Zu den Details der Währungsreform: Buchheim (1988), S. 217ff.; Möller (1989), S. 60ff.; Abelshauser (2011), S. 122ff. Buchheim (1988), S. 228; Badstübner (1999), S. 385; Altvater u.a. (1979), S. 287. Roesler sagt, dass viele Aktiengesellschaften ihren Wert 1:1 umrechnen konnten. Insgesamt hätte Aktienkapital 18 Prozent an Wert eingebüßt: Roesler (2008c), S. 820. Kleßmann (1991), S. 190. Ähnlich: Roesler (2008a), S. 26f. Steininger (1983b), S. 373. Irmgard Zündorf resümiert, dass ein »Großteil« der Preise marktwirtschaftlich gebildet wurde, allerdings ist ihre Liste mit Höchst- und Festpreisen umfangreich: Zündorf (2006), S. 54f. Die Preispolitik habe jedoch insgesamt durch den Agrarbereich, die Mieten, den Verkehr sowie durch die

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bestehen. In der Bevölkerung und bei vielen Politikern stieß das Gesetz auf scharfe Ablehnung, letztlich hatte Erhard aber die Unterstützung von Clay und konnte das Gesetz umsetzen.257 Die Rechnung für die Politik ging teilweise auf. Erhard hatte in einer Rede vor dem Wirtschaftsrat implizit zum Horten von Waren aufgefordert, um die Erwartungen in die Währungsreform zu erhöhen. Die plötzlich auftauchenden Waren hatten laut Abelshauser »die Zeitgenossen verblüfft und auf lange Zeit ihren Mythos als eigentliche Initialzündung […] des Wiederaufbaus gefestigt.«258 Zur Vorgeschichte der Geldmenge in der SBZ bestehen unterschiedliche Einschätzungen. Dies beginnt schon bei der Abschätzung des Ausmaßes des inflationären Überhangs. Steiner schreibt, dass die SMAD den Geldüberhang noch vergrößert habe, während Buchheim und Frank Zschaler die Schließung der Banken im Jahr 1946 bereits als bedeutenden Währungsschnitt einordnen.259 Nach dem Scheitern der gesamtdeutschen Lösung musste die SMAD schnell reagieren, um ein Fluten der SBZ mit altem Geld zu verhindern. Am 21. Juni 1948 konnten die Menschen in der SBZ und Ost-Berlin 70 Kupon-Mark im Verhältnis 1:1 gegen 70 Reichsmark tauschen. Alles sonstige Bargeld wurde im Verhältnis 10:1 umgebucht; zusätzlich musste bei Beträgen über 5000 RM deren Herkunft belegt werden. Giralgeld (z.B. Sparguthaben) wurde – sozialpolitisch motiviert – progressiv gewechselt. Sonderregeln gab es für staatliche Konzerne, Besatzungsbehörden und Parteien, die oftmals zum Kurs von 1:1 umrechnen konnten. Folglich wurden staatliche Institutionen gestärkt und die Privatwirtschaft benachtei-

Importförderung, so ihr Fazit, eine große Bedeutung behalten: Zündorf (2006), S. 305ff. Lindlar spricht von einer »30 % Marktwirtschaft« nach den Leitsätze-Gesetzen im Jahr 1948: Lindlar (1997), S. 237. Ritschl schreibt, dass die Preisfreigaben »eng limitiert« gewesen wären: Ritschl (2016b), S. 273. Giersch/Paqué/Schmieding betonen die große Bedeutung der umfassenden Preisfreigaben: Giersch u.a. (1992), S. 270f. Spannend ist eine Statistik bei Altvater, die das drastische Ansteigen der Schwarzmarktpreise nach der Währungsreform zeigt. Dies weist eher auf einen dysfunktionalen Markt hin: Altvater u.a. (1979), S. 285. 257 Lange Zeit wurde das Narrativ reproduziert, Erhard habe gegen den Willen der Alliierten die Preisfreigabe entschieden. Erstens gibt es andere wissenschaftliche Erkenntnisse und zweitens konnte kein Gesetz ohne die Zustimmung der Alliierten erlassen werden. Trotzdem behaupten verschiedene Historiker*innen Erhards Alleingang: Prollius (2006), S. 55; Kloten (1997), S. 163ff.; Möller (1989), S. 56; Zündorf (2006), S. 52. Teilweise auch: Mierzejewski (2005), S. 115f. Auf Mierzejewski nimmt Eichengreen Bezug: Eichengreen (2007), S. 72. Ambrosius schreibt: »Im Rückblick ist die mit der Währungsreform herbeigeführte Wende in der Wirtschaftspolitik, deren rechtliche Grundlage das Leitsätzegesetz war, eng, fast ausschließlich mit der Leistung und der Person von Erhard verbunden worden. […] Entscheidend war letztlich aber das Wohlwollen General Clays, der Erhard gegen die Sachverständigen der eigenen Militäradministration unterstützte«: Ambrosius (1977), S. 180. Hentschel betont ebenfalls, dass Clay dem Gesetz zustimmte: Hentschel (1998), S. 86. Ebenfalls: Buchheim (1988), S. 221. Ptak weist darauf hin, dass Clay das Gesetz – wie häufig vorgekommen – ohnehin nicht genehmigt hätte, wenn er es nicht gewollt hätte: Ptak (2004), S. 243. 258 Zum Horten: Hentschel (1998), S. 67; Abelshauser (2011), S. 119. In Wohlstand für alle beschreibt Langer (für Erhard) dies als bewusste Strategie: Erhard/Langer (1957), S. 26. Bezüglich der öffentlichen Wahrnehmung: Abelshauser (2011), S. 126. 259 Steiner (2007), S. 59; Zschaler (1997), S. 199; Buchheim (1988), S. 207. Karlsch folgert ebenfalls: »Das in der Literatur immer wieder auftauchende Bild von einer völlig zügellosen Geldpolitik der SMAD ist folglich korrekturbedürftig«: Karlsch (1993), S. 204f.

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ligt.260 Insgesamt sind in der Wirtschaftsgeschichte drei Bewertungen der Währungsreform in der SBZ zu finden: Erstens sei die Geldmenge mit einem Verhältnis von 6,8:1 (Bargeld) oder 7,5:1 (Gesamt) nicht ausreichend reduziert worden261 ; zweitens habe die Währungsreform den Sozialismus vorprogrammiert. Steiner urteilt im positiven Sinne, dass die Währungsreform im Westen einen »gänzlich anderen Charakter« gehabt hätte, da zusätzlich die Preise freigegeben worden wären.262 Allerdings fehlt in dieser Einschätzung einerseits die Berücksichtigung der Auswirkungen der Reparationen auf die Inflation und andererseits eine sozialpolitische Bewertung. Drittens hebt Boldorf als »Primärziel« die Funktionalisierung der Währungsreform zur Enteignung der »Kapitalisten« und »Kriegsgewinnler« hervor.263 In der Wirtschaftsgeschichte wird sie auch als »vergessene Währungsreform« bezeichnet. Dagegen ist die Währungsreform in den Westzonen einer der Hauptbestandteile des »Wirtschaftshistorikerstreits« um die Ursachen des »Wirtschaftswunders«. Die amtlichen Produktionsziffern für die Bizone und die französische Besatzungszone zeigen einen starken Anstieg im weiteren Verlauf des Jahres 1948. Mathias Manz und Abelshauser zweifeln jedoch die Aussagekraft der Produktionsziffern an, da durch Verkauf auf dem Schwarzmarkt, Horten für die Währungsreform sowie Instandsetzung von Produktionsmitteln die tatsächliche Produktion über die offiziellen Statistiken nicht erfasst wurde. Sie datieren den Beginn des Rekonstruktionsprozesses auf den Herbst 1947. Ihre Argumente beruhen auf der Analyse des Stromverbrauchs (bzw. des Kohleverbrauchs bei Manz), der als ein Äquivalent für die Produktionsziffern gelten kann.264 Ritschl hat die Benutzung der Stromproduktivität als Konstante kritisiert und schließt aus dem unterschiedlichen Verlauf des Wachstums – in der französischen Besatzungszone (verspätete Wirtschaftsreform) und in der Bizone (parallele Wirtschaftsreform) – auf einen wirtschaftlichen Erfolg in der Bizone, der durch die Wachstumsraten korrekt wiedergegeben worden sei.265 Abelshauser räumte daraufhin die Schwäche seines Modells ein, jedoch sei die Grundaussage weiterhin richtig. Er habe bloß eine »quellengestützte Tatsache«, also das Horten von Waren sowie statistisch nicht erfasste Produk260 Zschaler (1997), S. 207f.; Zank (1987), S. 102; Abelshauser (2011), S. 125; Steiner (2007), S. 60ff. Roesler nennt jedoch den Wert von 3.000 Mark, von welchem an eine Prüfung erfolgte: Roesler (2008c), S. 821. 261 Die Werte beziehen sich auf die akribische Rechnung von Zschaler, korrigiert in Bezug auf das Giralgeld und die Bevölkerungszahl von Steiner: Zschaler (1997), S. 219; Steiner (2007), S. 62, 268f. Laut Steiner sei die Geldmenge pro Kopf damit doppelt so hoch wie im Westen gewesen. Zank verweist noch auf die nachträgliche Schwächung der Ostmark durch die Reparationen: Zank (1987), S. 178f. Anschließend gab es in der SED viele Diskussionen darüber, wie mit dem Geldüberhang zu verfahren sei: Broosch (1998), S. 44. Zu den politischen Konflikten innerhalb der SED: Broosch (1998), S. 174ff. 262 Steiner (2007), S. 62. Ebenso bewertet dies: Zschaler (1997), S. 223. 263 Boldorf (2016), S. 172. 264 Laut der offiziellen Zahlen betrug das Wachstum der Produktion in der Bizone im Übergang vom zweiten zum dritten Quartal 29,8 Prozent. Nach den von Abelshauser korrigierten Zahlen waren es 14,6 Prozent: Abelshauser (1975), S. 57, 61. Für die französische Zone siehe: Manz (1985), S. 27ff. Zum Untersuchungsäquivalent: Abelshauser (1975), S. 55. Einen Überblick über die Produktion in allen Besatzungszonen befindet sich bei: Abelshauser (2011), S. 107, 126. 265 Kritik an Abelshauser: Ritschl (1985), S. 146, 149, 157. Kritik an Manz: Ritschl (1985), S. 156. Zum Fazit des Erfolges von Währungsreform/Leitsätze-Gesetzen: Ritschl (1985), S. 160f.

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tion, mathematisch zeigen wollen. Ritschl rechne zwar besser, aber das Ergebnis widerspreche den Tatsachen. Zumal erklären, so Abelshauser, die Demontagen, die Reparationen und die schlechten Rekonstruktionsbedingungen durch Arbeitskräftemangel die schlechtere Entwicklung der französischen Zone.266 Buchheim akzeptiert die Rekonstruktionstheorie und den Effekt der gehorteten Waren, argumentiert aber gegen den Aufschwung im Herbst 1947, da erst die Währungsreform und die Leitsätze-Gesetze die entsprechenden Produktions- und Arbeitsanreize gegeben hätten.267 Außerdem argumentiert Abelshauser mit dem weiteren Verlauf der Konjunktur, da der Kurs der deutschen Wirtschaft bis zum April 1950 zwischen »inflationärem Boom« und »relativer Stagnation« geschwankt habe. Dadurch habe die Gefahr des Vertrauensverlustes in die Währung bestanden, weil allein im zweiten Halbjahr 1948 die Inflation für Lebensmittel und Industriegüter 14 Prozent betragen habe.268 Erst mit dem »KoreaBoom« habe der Aufschwung seinen Lauf genommen. Seit dieser Auseinandersetzung sind diverse neue Studien veröffentlicht worden, die unabhängig von der Stromproduktivitätsdebatte die Wichtigkeit der Währungsreform für das »Wirtschaftswunder« bestreiten.269 Dennoch wird die Bedeutung der Währungsreform durch einige Wirtschaftshistoriker aufrechterhalten. Plumpe schreibt beispielsweise: »Zugleich erzwang die Währungsreform, weil sie de facto auf eine weitgehende Enteignung der Masse der Menschen hinauslief, eine durchgreifende Änderung des Arbeitsverhaltens, […].« Insgesamt erstaunt aus sozialer Perspektive, mit welchem Selbstverständnis die Währungsreform bzw. die Leitsätze-Gesetze als großer Erfolg gefeiert werden. Viele liberale Wirtschaftshistoriker benennen die sozialen Verwerfungen entweder gar nicht oder nur am Rande.270 Abelshauser sieht den Streit seit 266 Abelshauser (1985), S. 216ff. Ritschl wollte mit seinen Argumenten auch die Rekonstruktionstheorie widerlegen. Er hat Abelshauser sogar vorgeworfen, die Theorie nicht zu verstehen: Ritschl (1985), S. 161. Tatsächlich hat Abelshauser die Rekonstruktion verstanden und kann die Entwicklung erklären. Ritschl deutet den Konjunkturverlauf in aktuelleren Publikationen ebenfalls mit der Rekonstruktionstheorie: Eichengreen/Ritschl (2009). 267 Buchheim (1989), S. 100. Der scharfen Kritik schließen sich an: Klemm/Trittel (1987), S. 623. Der Sammelband Währungsreform und Soziale Marktwirtschaft, in dem auch der Aufsatz von Buchheim publiziert wurde, vermittelt einen Eindruck des Widerstands gegen die Thesen Abelshausers. Fast alle Beiträge – auch der des ehemaligen Wirtschaftsministers Karl Schiller – distanzieren sich deutlich vom Rekonstruktionsansatz: Schiller (1989), S. 82f.; Schlesinger (1989), S. 16; Möller (1989), S. 67ff.; Wandel (1989), S. 53; Hampe/Buchheim (1989), S. 13. Ein weiterer Sammelband mit ordoliberalem Schwerpunkt trägt den gleichen Titel: Fischer (1989). 268 Abelshauser (2011), S. 128. 269 Vonyó (2014), S. 143f. An anderer Stelle wird die Währungsreform nicht mal erwähnt: Vonyó (2008). Ebenfalls: Lindlar (1997), S. 49ff.; Eichengreen/Ritschl (2009), S. 207. Streb/Spoerer sehen die Währungsreform als Start des Aufschwungs, die Ursache des »Wirtschaftswunders« sei jedoch der Rekonstruktionsprozess gewesen: Streb/Spoerer (2013), S. 217f., 230. 270 Plumpe (2008), S. 391. Ähnlich: Giersch u.a. (1992), S. 271. Prollius spricht aufgrund der »Härte des Währungsschnitts« von einem Erfolg: Prollius (2006), S. 66. Erhard argumentierte bisweilen grenzwertig; Ambrosius zitiert ihn sinngemäß aus einem Protokoll des Wirtschaftsausschusses: »Alles was ›krank, faul und untätig‹ war, müsse ausgeschaltet werden«: Ambrosius (1977), S. 173. Damit habe Erhard die Notwendigkeit der Leistungsbereitschaft gemeint, die durch die »Leitsätzegesetze« entstehen werden würde. Mierzejewski bezeichnet die Währungsreform als »Erhards größten Erfolg« und als Ursache für den Wirtschaftsaufschwung: Mierzejewski (2005), S. 321. Allerdings lässt seine Analyse eine gewisse Tiefenschärfe vermissen, da er beispielsweise die wirtschaftli-

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den 1990er Jahren als entschieden an, da die »Soziale Marktwirtschaft« und die Währungsreform nach dem Anschluss der DDR an die BRD nicht zum Wirtschaftswunder im Osten geführt hätten.271 Ritschl äußert sich heutzutage ambivalent, da es nach dem »stürmischen Aufschwung« zur Stagnation und einer Krise gekommen sei, die die »Dirigisten« gestärkt habe, während in der französischen Zone ein »kontinuierliches ruhiges Wachstum« erfolgte.272 Mit Bezug auf die asymmetrisch verflochtene Parallelgeschichte betont Roesler, dass die Währungsreformen im Jahr 1948 viele Gemeinsamkeiten gehabt hätten. Erstens seien beide Währungsreformen zur Annullierung der Staatsverschuldung erfolgt – in der SBZ zu Lasten der größeren Privatunternehmen und in der Trizone zu Lasten der Kleinsparer. Zweitens habe in beiden Teilen Deutschlands nachjustiert werden müssen, um die gravierendsten Folgen der Inflation zu beseitigen. In der SBZ seien – entgegen aller Beteuerungen des Aufbaus der Planwirtschaft – die Handelsorganisation-Läden (HO) geöffnet worden, mit denen man per Preisbildung über Nachfrage den Schwarzmarkt bekämpfen wollte. Dagegen wurde Erhard, so Roesler, mit dem »Jedermann-Programm« zur Teilrevision von Preisfreigaben gezwungen, um die Inflation in den Griff zu bekommen. Laut Hentschel war Erhard zu diesem Zeitpunkt der »unpopulärste Mann Deutschlands«.273 Infolgedessen kam es zum größten Streik der BRD-Geschichte, an dem sich über neun Mio. Menschen beteiligten. In Stuttgart fuhren zwei Wochen vorher sogar amerikanische Panzer auf, um Ausschreitungen zu unterbinden (siehe Abschnitt 3.10). Der Protest blieb nicht auf die politische Linke beschränkt. Linus Kather von der CDU stellte mit Blick auf die »Vertriebenen« die folgende rhetorische Frage: »Ist es zuviel gesagt, wenn man unter diesen Umständen behauptet, daß ein großer Prozentsatz dieser Aermsten [sic!] der Armen durch die Währungsreform geradezu zum Selbstmord reif gemacht worden ist.«274

3.8.3 ERP (»Marshallplan«) Das ERP, auch »Marshallplan« genannt, wurde am 3. April 1948 vom Kongress verabschiedet und beinhaltete größtenteils Warenlieferungen im Wert von ca. 13 Mrd. Dollar, die über die Organization for European Economic Cooperation (OEEC) in Europa verwaltet wurden. Auf Deutschland entfielen davon, koordiniert durch die European Cooperation Administration (ECA) in Frankfurt, Waren im Wert von ca. 1,57 Mrd. Dollar. Im konkreten Verfahren beantragten die Unternehmen bei der ECA Lieferungen, für die sie einen chen Probleme zwischen 1948 und 1950 kaum erwähnt. Die soziale Not wird ebenfalls von Möller verharmlost: Möller (1989), S. 70. Kloten sieht nicht die Währungsreform, sondern die Freigabe der Preise, die Erhards »Coup« gewesen seien, als Ursache des Aufschwungs: Kloten (1997), S. 163ff. Sichtlich um Ausgewogenheit ist Scholtyseck bemüht, der die »Initialzündung« der Währungsreform nennt, jener aber den von Abelshauser vorgebrachten Bedeutungsverlust entgegenstellt: Scholtyseck (2012), S. 114f. Dies überzeugt aber nicht. 271 Abelshauser (2011), S. 444. 272 Ritschl (2016b), S. 279. 273 Roesler (2008c), S. 823ff. Zu Erhard: Hentschel (1998), S. 89, 119, 208f. 274 Zitiert nach: Fuhrmann (2017), S. 210.

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Betrag in den Gegenwertfond einzahlten. Aus diesem wurden Investitionen gefördert und als Schulden der BRD gegenüber den USA notiert. Über die Verwendung konnten die USA mitentscheiden. Diese Gegenwertmittel und die entstandenen Zinsen sind die Grundlage der heutigen Kreditanstalt für Wiederaufbau (Kf W).275 Zunächst führte das ERP zu einem neuen Konflikt, da die UdSSR keine Kredite bekommen sollte. Außerdem bemühte sich die US-Regierung um die Teilnahme der zukünftigen RGW-Staaten, um sie dem russischen Einfluss zu entziehen. Jedoch untersagte die Führung in Moskau den Ostblockstaaten die Unterzeichnung der Kreditbedingungen.276 Das ERP wird politisch und ökonomisch unterschiedlich bewertet. Aus politischer Perspektive steht das ERP mehrheitlich für ein wichtiges Papier, das die Einbindung der BRD in die westliche Staatengemeinschaft manifestierte. Dadurch sei die Isolation überwunden und der Weg in eine westliche, demokratische Ordnung in Europa geebnet worden.277 Auf der anderen Seite kritisieren Historiker, das ERP habe zur Spaltung Europas und der Welt beigetragen. Es sei ein Instrument zur Herrschaftssicherung der amerikanischen Kapitalinteressen und das »wirtschaftliche Fundament« der TrumanDoktrin gewesen.278 Umgekehrt verhält es sich bei der ökonomischen Bewertung: Galt der »Marshallplan« bis in die siebziger Jahre als Sinnbild für das »Wirtschaftswunder«279 , so schätzen die meisten Wirtschaftshistoriker heutzutage die Wirkung des ERPs eher gering ein. Laut Abelshauser kamen die Waren zu spät und hatten zudem einen geringen Umfang. Insgesamt könne ein Subventionsprogramm für die eigene Bevölkerung in den Südstaaten erkannt werden. Die Lieferungen seien für die Nahrungsmittelversorgung

275 Streb/Spoerer haben den Marshallplan sehr anschaulich visualisiert: Streb/Spoerer (2013), S. 216. 276 Kleßmann geht davon aus, dass die UdSSR ebenfalls Kredite in Anspruch nehmen wollte. Jedoch hätten die USA dies von vornherein abgelehnt: Kleßmann (1991), S. 184. Auch der DDR wurde die Inanspruchnahme untersagt. Erst am Ende der Rekonstruktionsperiode, nämlich 1958-60, bekam die DDR Kredite aus der UdSSR: Roesler (2006), S. 74f. 277 Link (1990), S. 79f., 93f. Ähnlich: Knapp (1990b), S. 59; Kleßmann (1991), S. 184; Buchheim (1990), S. 69ff.; Hardach (1994), S. 323ff.; Berger/Ritschl (1995), S. 519; Lindlar (1997), S. 175ff. Lehmann möchte sogar zeigen, dass der Marshallplan eine neue amerikanische Ordnungspolitik durchgesetzt habe, die das »Wirtschaftswunder« verursacht habe: Lehmann (2000), S. 138ff. Es hat allerdings, abgesehen von Bretton Woods, kein neues Wirtschaftssystem gegeben. 278 Deppe/Axt (1986), S. 474ff. Eichengreen positioniert sich nicht eindeutig, zitiert aber Dean Acheson: »The result was to marginalize the Communists«: Eichengreen (2007), S. 66. Auch Lehmann räumt – wenn auch nicht als Kritik formuliert – die Spaltung durch den Marshallplan ein: Lehmann (2000), S. 11, 66f. John Gimbel hat eine große Kontroverse ausgelöst, indem er das ERP nicht als Teil der Truman-Doktrin, des »Kalten Kriegs« sowie als Reaktion auf die US-Depression einstuft, sondern lediglich als Plan, um die europäischen Länder vom Wiederaufbau Deutschlands zu überzeugen: Gimbel (1976), S. 4. Knapp argumentiert, dass der Marshallplan ein »Kernstück« der Eindämmung gewesen sei: Knapp (1990a), S. 29f. Ähnlich: Loth (2000), S. 168f.; Mausbach (1996), S. 344. Hardach bewertet das ERP als »ein Programm für die geteilte Welt« und des »Wirtschaftskriegs«: Hardach (1994), S. 67, 324. Auch Milward spricht von einem »klaren Beschluss, Deutschland zu spalten«: Milward (1997), S. 51. Laut Lehmann wird die Position von Gimpel wenig geteilt: Lehmann (2000), S. 66ff. 279 Für Knapp ist das ERP die »Initialzündung«: Knapp (1990b), S. 49; ähnlich: Link (1990), S. 92f. Erich Ott bleibt hinsichtlich der ökonomischen Wirkung reservierter: Ott (1990), S. 74ff.

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und einige Engpassindustrien wichtig, aber »keine Initialzündung« für die deutsche Wirtschaft gewesen.280 Buchheim, Borchardt, Trittel und Klemm kritisieren Abelshauser und betonen die große Bedeutung für das Vertrauen der Unternehmer, für einzelne Sektoren sowie den Umfang des ERP-Gegenwertfonds.281 Helge Berger/Ritschl heben die Bedeutung der »Rekonstruktion der Arbeitsteilung in Europa« für den ökonomischen Aufschwung hervor, der nicht nur in den Jahren des »Marshallplans«, sondern ebenso danach wirksam gewesen sei.282 Letztlich ist unstrittig, dass die Lieferungen von Agrarprodukten für Kleidung und Ernährung von Bedeutung war. Wenn es allerdings um die Ursachen des »Wirtschaftswunders« geht, spielt das ERP sicherlich nur eine Nebenrolle. Ein interessantes Indiz ist zudem, dass Großbritannien, welches 25 Prozent der gesamten ERP-Gelder bekam, das geringste Wachstum in Europa hatte. Die Rekonstruktionstheorie und die Betrachtung der Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit bieten bessere Erklärungen.

3.8.4 Korea-Boom und Wechselkurse Die Wirtschaftskrise am Ende des Jahres 1948 legte sich im Verlauf des Jahres 1949, jedoch halbierte sich das Wachstum und die Arbeitslosigkeit stieg rasant an. Wie bereits gezeigt, konnte das ERP – trotz der Bedeutung für die Ernährungsfrage und die Rohstofflieferungen – daran grundsätzlich nichts ändern. Das entscheidende Ereignis war hierfür, so die deutliche Mehrheit der Wirtschaftshistoriker, der Beginn des KoreaKriegs.283 Einerseits führte der Korea-Krieg zur Eskalation des »Kalten Kriegs« mit unabsehbaren Folgen. Deshalb entschied sich die Regierung der USA, Westdeutschland

280 Abelshauser (1975), S. 163ff.; Abelshauser (1981), S. 566ff.; ausführlich: Abelshauser (1990), S. 150ff. Größtenteils identisch: Abelshauser (2011), S. 129ff. Zitat: Abelshauser (2012). Der Wertung einer geringen Wirkung schließt sich an: Milward (1984), S. 110ff.; Milward (1992), S. 475ff.; Milward (1997), S. 49. Altvater u.a. positionieren sich widersprüchlich: Altvater u.a. (1979), S. 78, 83, 287f. Hardach sagt, dass der Aufbau durch »eigene Anstrengung« erfolgt sei: Hardach (1994), S. 327. Eichengreen/Long schätzen das jährliche Wachstum durch das ERP auf 0,5 Prozent BIP/Kopf (als Durchschnitt für Westeuropa), Milward auf 0,3-0,6 Prozent: Long/Eichengreen (1991); Milward (1997), S. 49. Auch Kleßmann stuft das ERP eher als Subvention für US-Waren ein: Kleßmann (1991), S. 209. Zur Überproduktion von Agrargütern und den Interessen der US-Wirtschaft siehe: Kretzschmar (1964), S. 52, 63, 129. 281 Borchardt/Buchheim kritisieren das Argument der verspäteten Lieferung, da bereits die rechtzeitige Ankündigung die Verwendung der Lagerbestände bewirkt habe. Zusätzlich hätten sich positive Einflüsse auf Baumwoll- und Elektrizitätsindustrien ergeben: Borchardt/Buchheim (1987), S. 330. Hierfür werden auch die Gegenwertmittel hervorgehoben. Beispielsweise schätzt Link, dass 2025 Prozent der 9-10 Mrd. DM an Investitionen im Jahr 1950 aus ERP-Gegenwertmitteln gestammt hätten: Link (1990), S. 93. Ähnlich: Maier (1992), S. 17, 47ff. Auch Lehmann schreibt eine ökonomische Erfolgsgeschichte mit besonderer Bedeutung der Gegenwertmittel: Lehmann (2000), S. 147. Abelshauser kritisiert die Betrachtung der Gegenwertmittel bei der Bewertung des ERP, da diese inländische Mittel gewesen seien und auch über Steuern verfügbar gewesen wären: Abelshauser (1990), S. 169f., 174; Abelshauser (2011), S. 146ff. Ähnlich: Hardach (1994), S. 327. 282 Berger/Ritschl (1995), S. 519. 283 Wallich (1955), S. 4, 83ff.; Adamsen (1981), S. 83ff.; Streb/Spoerer (2013), S. 218; Altvater u.a. (1979), S. 156ff., 277, 289; Klemm/Trittel (1987), S. 592, 595; Giersch u.a. (1992), S. 62f., 70, 104ff., 271; Eichengreen (2007), S. 81f., 93f.; Nützenadel (2005), S. 62, 234; siehe außerdem die folgenden Fußnoten.

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aufzurüsten und die Produktionsbeschränkungen, z.B. für Stahl, schwere Werkzeugmaschinen und Schiffsbau, aufzuheben.284 Zweitens generierte die weltweite Aufrüstung eine große Nachfrage nach Gütern der Schwerindustrie. Westdeutschland verfügte – besonders aufgrund der NS-Kriegswirtschaft – über große Kapazitätsreserven.285 Abelshauser resümiert: »Der Krieg in Ostasien hat damit den Lauf der westdeutschen Rekonstruktion stärker beeinflusst als alle wirtschaftspolitischen Planspiele.«286 Lindlar kritisiert das Argument des Korea-Booms. Er möchte anhand von Berechnungen beweisen, dass sich der Exportaufschwung bereits 1949/50 vollzogen habe und es anschließend vor allem zu Turbulenzen gekommen sei. Seine These ist aber mit den Produktionsdaten schwer vereinbar. Insgesamt verdoppelten sich, wie auch Lindlars Berechnungen zeigen, die Exporte von Mitte 1950 bis Ende 1952.287 Zudem vernachlässigt er, dass die Stahlproduktion sowie alle damit verbundenen Güter ohne den Krieg de facto einem Fertigungsstopp unterlegen hätte. Auch Ritschl kritisiert die Korea-BoomThese. Er führt das Wachstum Anfang der fünfziger Jahre auf das ordnungspolitische »Sanierungsprogramm einer Troika aus EZU [Europäische Zahlungsunion, KK], OEEC und der von der amerikanischen Besatzungsmacht dominierten Hohen Kommission« zurück.288 Für den Exportboom existiert eine weitere wichtige These, die innerhalb der Wirtschaftsgeschichte weitestgehend unstrittig ist, aber wenig Raum einnimmt. Heiner Flassbeck/Frederike Spieker sowie Barry Eichengreen betonen, dass die Deutsche Mark im festen Wechselkurssystem von Bretton Woods permanent unterbewertet gewesen sei und es somit einen Preisvorteil für deutsche Unternehmen gegeben habe. Hierfür spricht die Tatsache, dass oftmals große Devisenbestände nach Deutschland flossen, da auf das Steigen des Kurses der DM spekuliert wurde. Insgesamt musste die DM

284 Roesler (2006), S. 63. In der Eisen- und Stahlindustrie hätten zunächst 5,8 Mio. Tonnen/Jahr und ab 1949 11,1 Mio. Tonnen/Jahr produziert werden dürfen. Durch den Koreakrieg hätten die Westmächte die Überschreitung toleriert und ab August 1951 die vermehrten Rüstungsanstrengungen eingefordert: Abelshauser (2011), S. 156. Ebenfalls zum Stahl: Eichengreen (2007), S. 37. Auch seien in diesem Kontext die Befehle zur Demontage wichtiger Betriebe, wie beispielsweise der Stahlwerke Salzgitter, aufgehoben worden: Hardach (1979), S. 107ff. 285 Laut Abelshauser habe der Produktionshöchststand im November 1950 um 33 Prozent über dem von 1949 gelegen. Zum Jahreswechsel 1950/51 sei es, infolge von Problemen in der Handelsbilanz und der Preissteigerungen für Rohstoffimporte, zur Stagnation gekommen, obwohl die Weltmarktnachfrage hoch geblieben sei: Abelshauser (2011), S. 156f. Das Defizit sei durch die EZU übernommen worden. Aus diesem Grund spricht Hentschel von einem »unschätzbaren Glücksfall« für Deutschland, da es ohne EZU keinen Korea-Boom, sondern eine »Korea-Krise« gegeben hätte: Hentschel (1989), S. 717, 757f. 286 Abelshauser (2011), S. 159. 287 Lindlar (1997), S. 244ff. Kritisch ebenfalls: Temin (1995). Temin bestreitet den überdurchschnittlichen Export. Zudem argumentiert er mit dem fehlenden Anstieg der Importe in den USA und den verschlechterten Terms of Trade für die BRD aufgrund der Rohstoffpreissteigerungen. Altvater u.a. zeigen jedoch die enorme Dynamik vieler Sektoren hin zu einer Orientierung auf den Export: Altvater u.a. (1979), S. 156ff. Auch Prollius betont die Bedeutung des Korea-Booms für Maschinenbau, Elektrotechnik, chemische, feinmechanische und optische Industrie: Prollius (2006), S. 85f. 288 Ritschl (2016b), S. 286f.

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zweimal aufgewertet werden. Nach dem Ende des Bretton-Woods-Systems stieg der Kurswert der DM folgerichtig stark an.289 Die DDR hatte durch den Korea-Krieg keine Vorteile, da es wegen der Reparationslieferungen und der Demontage keine freien Kapazitäten gab. Zusätzlich konnte aufgrund der Aufrüstungsverpflichtung infolge des Korea-Kriegs der Zweijahresplan nicht erfüllt werden. Der Krieg führte – so Roesler – zur »ersten Existenzkrise« der DDR.290 Auch der Wechselkurs der Währung stellte einen Nachteil für den Osten dar, weil die DDR eine der wohlhabendsten Regionen im RGW-Raum war. Folglich legte die UdSSR – auch zu Reparationszwecken – einen ungünstigen Wechselkurs für die DDR fest.291 Insgesamt eröffnete der Aufschwung auch in Deutschland das »Golden Age«. In der gesamten Welt kam es zu einem enormen Konjunkturanstieg, der über zwei Jahrzehnte anhielt. In vielen Staaten wird anhand dieser Epoche eine nationale Erfolgsgeschichte erzählt, obwohl sie aus global-geschichtlicher Perspektive über keine analytische Grundlage verfügt. Systemunabhängig erlebten viele Menschen in ihren Ländern ein »Wirtschaftswunder«.292

3.8.5 Rekonstruktionstheorie Jánossy/Holló veröffentlichten im Jahr 1966 das viel beachtete Buch Das Ende der Wirtschaftswunder, das vor allem eine Kritik des sowjetischen Planungsoptimismus sein sollte. Sie analysieren darin ebenfalls die westlichen Länder und sagen das Ende der »Wirtschaftswunder« und eine normale Konjunkturentwicklung voraus. Die von ihnen vorgebrachte Rekonstruktionstheorie kann das »Wirtschaftswunder« am besten erklären.293 Jánossys/Hollós Rekonstruktionstheorie geht davon aus, dass sich Staaten, in denen ein ökonomischer Schock, z.B. durch Krieg oder eine schwere Wirtschaftskrise, stattfindet, relativ schnell durch ein hohes Wachstum wieder dem langfristigen Wachstumspfad annähern, der durch eine Trendlinie approximiert werden kann. Dies geschehe aufgrund der schnellen Reproduzierbarkeit von Produktionsmitteln, sofern die Anzahl der zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte und deren Ausbildung nicht beeinträchtigt seien. Die Trendlinie hänge »nur von der Entwicklung der Arbeitskraft ab«.

289 Flassbeck/Spiecker (2007), S. 151f. Eichengreen schreibt, dass die DM in den Jahren 1950-1955 im Vergleich zu 1938 nur die Hälfte des Wertes gegenüber dem Dollar gehabt habe: Eichengreen (2007), S. 38f. Zum Wechselkursverlauf: Lindlar (1997), S. 261f. Ebenfalls: Plumpe (2008), S. 384; Altvater u.a. (1979), S. 34, 161f. Buchheim hingegen meint, die Preise in Deutschland seien zwar hoch gewesen, der Export habe jedoch vor allem durch historische und geografische Handelswege angezogen. Die DM sei nicht unterbewertet gewesen: Buchheim (1990), S. 171ff., 178. Lindlar argumentiert ähnlich: Lindlar (1997), S. 282f. 290 Roesler (2006), S. 63ff.; Steiner (2007), S. 82f. 291 Karlsch schätzt, dass hierdurch ca. 1 Mrd. RM Verluste (Vorkriegspreise) pro Jahr entstanden – zumindest bis 1956. Allerdings habe es wiederum günstige Kredite und verbilligte Rohstofflieferungen gegeben: Karlsch (1993), S. 202f. 292 Lindlar sagt, dass es »Wirtschaftswunder« in Österreich, Frankreich, Italien, Niederlande usw. gegeben habe. Eine deutsche Sonderrolle sei »nicht belegbar«: Lindlar (1997), S. 17f., 32. Ebenfalls: Eichengreen (2007), S. 15ff.; Hobsbawm (2012), S. 324ff.; Altvater u.a. (1979), S. 17ff. Frankreich wird dabei häufig mit Deutschland verglichen: Lindlar (1997), S. 32ff. 293 Kritik am Wachstumsoptimismus in der UdSSR: Jánossy/Holló (1966), S. 25.

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Jánossy/Holló zeigen die Konjunkturentwicklung und die Trendlinie für die BRD im Zeitraum von 1900-1965.294 Erstaunlicherweise wird in der Wirtschaftsgeschichte nirgendwo erwähnt, dass die Rekonstruktionstheorie eine marxistische Theorie ist, wie der Bezug zur Arbeitswert- und Mehrwerttheorie ziemlich offensichtlich zeigt.295 Abelshauser hat die Theorie und die Grundlagen aufgegriffen und daraus für Westdeutschland ein fundiertes Gesamtwerk gemacht, das – verkürzt dargestellt – zusätzlich auf dem intakten Anlagevermögen basiert. Lediglich das Verkehrssystem sei, so Abelshauser, schwer beschädigt gewesen. Trotz der zahlreichen Kriegstoten hätten die Westzonen – durch den Zuzug der »Vertriebenen« oder »Umsiedler« – über ein ausreichendes und qualifiziertes Arbeitskräftepotenzial (ausführlicher im Abschnitt 3.9.1) verfügt. Die Rekonstruktion habe 1947 durch die Überwindung der Verkehrskrise eingesetzt. Im Kontext des Korea-Kriegs hätten die Alliierten die Produktionsbeschränkungen aufgehoben und die deutsche Exportwirtschaft hätte vom internationalen »KoreaBoom«, vor allem die Nachfrage für Produkte der Schwerindustrie, profitieren können. Außerdem sei die Konjunktur durch die gut ausgebildeten DDR-Flüchtlinge befeuert worden.296 Die Dissertation von Abelshauser führte in den 1980er Jahren zu heftigen Kontroversen.297 Dabei wurde besonders kritisiert, dass nach Abelshauser Währungsreform, Leitsätze-Gesetze und Marshallplan wenig Einfluss gehabt hätten. Letztlich bietet die Rekonstruktionstheorie – trotz Ungenauigkeiten und Vereinfachungen – heutzutage die beste analytische Erklärung298 und Abelshausers Wirtschafts294 Zu den Grundlagen der Theorie: Jánossy/Holló (1966), S. 16ff. Zitat: Jánossy/Holló (1966), S. 104; BRD: Jánossy/Holló (1966), S. 43ff. 295 Abelshauser sagt, Jánossy vertrete eine neoklassische Wachstumstheorie, da er von einem Gleichgewichtszustand der ökonomischen Entwicklung ausgehe: Abelshauser (2011), S. 290. Diese Ansicht vertritt auch: Lindlar (1997), S. 61. Insgesamt verwundert diese Einteilung, denn Holló/Jánossy gehen explizit von kapitalistischen Krisen aus: »Es kommt häufig vor, dass das tatsächliche Produktionsniveau nicht einmal das tatsächliche Wirtschaftspotenzial erreicht. Dies ist der Fall, wenn aus irgendeinem Grunde Arbeitslosigkeit herrscht, obwohl die zur Vollbeschäftigung notwendigen Produktionsmittel vorhanden sind, z.B. während einer Überproduktionskrise«: Jánossy/Holló (1966), S. 105. 296 Abelshauser (1975), S. 167ff. Den Korea-Boom erwähnt er 1975 nicht: Abelshauser (2011), S. 293ff. 297 Trittel/Klemm kritisierten den angeblichen Determinismus und die »Erfolgsgeschichte« von Abelshausers Ansatz: Klemm/Trittel (1987), S. 598, 621f. Ersteres ist jedoch nicht berechtigt, denn sowohl Holló/Jánossy als auch Abelshauser sprechen stets von einem Potenzial. Zusätzlich weisen Trittel/Klemm auf Ungenauigkeiten bei der Bestimmung der Arbeitsproduktivität durch Vernachlässigung von Ernährung und Wohnraum hin: Klemm/Trittel (1987), S. 600. Klump versucht anhand von Ausreißer-Ländern wie Jugoslawien und Schweiz sowie mit der neoklassischen Wachstumstheorie Holló/Jánossy bzw. Abelshauser zu entkräften: Klump (1985), S. 37ff. 298 Roesler (2006), S. 73. Mit Abstrichen ebenfalls: Altvater u.a. (1979), S. 17ff.; Borchardt bezieht sich in einer Publikation auf die Rekonstruktion, in einer anderen jedoch eher auf Catch-up: Borchardt (1985b), S. 72f.; Borchardt (1985a), S. 206ff. Streb/Spoerer nennen die Rekonstruktionstheorie und den Korea-Boom als wichtigste Faktoren, um an anderer Stelle zu schreiben: »Die eigentliche Leistung sind die ordnungspolitischen Weichenstellungen, die 1948 vorgenommen wurden«: Streb/Spoerer (2013), S. 217f., 230. Ähnlich: Löffler (2002), S. 47. Ohne Korea-Boom: Buchheim (1997), S. 92ff. Plumpe sieht bezüglich der Ursachen Währungsreform und Rekonstruktion als vereinbar an: Plumpe (2008), S. 392. Ebenfalls Prollius, der die Rekonstruktionstheorie anscheinend jedoch nicht gelesen hat: Prollius (2006), S. 92ff. Insgesamt ist die Kritik von Lindlar sehr pointiert, der den »Neoliberalen« eine »kontrafaktische Vorannahme« unterstellt, wenn diese behaupten,

3. Nachkriegswirtschaft in der Geschichtswissenschaft

geschichte hat sich als Standardwerk durchgesetzt. Neuere Arbeiten aus der Kliometrie bzw. New economic history haben unterschiedliche Erklärungsansätze anhand von Produktionsfunktionen mathematisch analysiert und bestärken nochmals Jánossys/Hollós Rekonstruktionstheorie.299

3.8.6 Keynesianismus Die größte Bedeutung für die Nachkriegswirtschaft hatte der Keynesianismus. Er basiert auf dem bereits erwähnten Hauptwerk von Keynes. In diesem kritisiert er das Gleichgewichtsparadigma von Märkten (Say´sches Theorem), die stattdessen – so Keynes – ein Nachfragedefizit und folglich Arbeitslosigkeit hervorrufen würden.300 Weiterhin habe die klassische Ökonomie ein falsches Verständnis von Geld und Zins, da diese ökonomisch nicht neutral wären.301 Als realpolitische Maßnahmen fordert er in Krisenzeiten eine expansive Geldpolitik durch niedrige Zinssätze und staatliche Konjunkturpolitik.302 In Bezug auf die Nachkriegswirtschaft war Keynes maßgeblich an den Verhandlungen in Bretton Woods beteiligt. Er konnte sich jedoch mit seiner zentralen Forderung von einer fiktiven Währung als Umrechnungseinheit, anstatt des Dollars und dessen Bindung an Gold, nicht durchsetzen.303 Allgemein, so Alexander Nützenadel, habe sich der Keynesianismus zwar nirgendwo durchgesetzt, prägte aber die Wirtschaftspolitik in Deutschland und allen großen Industrieländern seit der Krise von 1929 und besonders nach 1945.304 Dies habe sich durch Bretton-Woods-System, EWG, staatliche Investitionspolitik, Devisenkontrollen, expansive Geldpolitik und die Professionalisierung von Wirtschaftspolitik gezeigt.305

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dass nur die erfolgten ordnungspolitischen Weichenstellungen zum Erfolg geführt hätten: Lindlar (1997), S. 48f. Damit ist nämlich nicht bewiesen, dass eine andere Währungsreform oder eine andere Wirtschaftsordnung gescheitert wären. Vonyó schreibt: »The economic miracle in the Federal Republic was clearly driven by post-war reconstruction and, to a lesser extent, by robust labour-force growth«: Vonyó (2008), S. 235. Darauf beziehen sich auch: Streb/Spoerer (2013), S. 228ff. Ähnlich: Vonyó (2014), S. 142. Eichengreen/Ritschl resümieren: »But of the convergence, structural change and postwar shock hypotheses, both theory and evidence suggest that the third factor was the most important. […] None of this is to imply that policy did not matter. […] If there is anything surprising about Germany’s postwar setup, it is the high degree of institutional continuity and the absence of any radical turn in policy«: Eichengreen/Ritschl (2009), S. 215. Geringfügige Unterschiede existieren in der Analyse hinsichtlich der Kapitalakkumulation. Vonyó räumt dieser eine größere Wichtigkeit ein als Eichengreen/Ritschl: Eichengreen/Ritschl (2009), S. 202. Andersherum gestehen Eichengreen/Ritschl der TFP-Rekonstruktion (Totale Faktorproduktivität) mehr Gewicht zu als Vonyó: Eichengreen/Ritschl (2009), S. 215; Vonyó (2014), S. 142. Keynes (2009), S. 4ff. Keynes (2009), S. 140ff. Keynes (2009), S. 316ff. Bordo (1992), S. 15f., 31ff. Nützenadel (2012), S. 120, 128; Nützenadel/Grabas (2014), S. 5. Ausführlicher: Nützenadel (2005). Abelshauser schreibt hingegen, der Keynesianismus habe sich in Deutschland nicht durchgesetzt: Abelshauser (2011), S. 92. Zur Prägung der internationalen Wirtschaft durch den Keynesianismus siehe auch: Hobsbawm (2012), S. 338ff.; Hesse (2013), S. 116. Nützenadel (2012), S. 128ff.

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Den konkreten Aufschwung während des »Golden Age« erklärt Hermann Adam – neben den bekannten Argumenten des großen Kapitalstocks und des »Import[s] von Humankapital« – mit der umfangreichen staatlichen Wirtschaftspolitik (besonders Landwirtschaft, Wohnungsbau, Verkehrspolitik) sowie der Einbettung in den »Kondratieff-Zyklus«. Außerdem, so Adam, habe die »unterbewertete D-Mark« im Vergleich zum Dollar den Export beflügelt.306 Spieker und Flassbeck sehen ebenfalls im stark regulierten Weltmarkt, in der öffentlichen Wirtschaftspolitik sowie in den Wechselkursen die Kernelemente des Aufschwungs.307 Abelshauser und Eichengreen bewerten die »kooperative Marktwirtschaft« (Abelshauser) und den »coordinated capitalism« (Eichengreen) als günstige ökonomische Bedingungen. Hiermit ist gemeint, dass staatliche Investitionspolitik sowie konstruktive Tarifparteien bessere Angebotsund Nachfragebedingungen geschaffen hätten. Allerdings betont Abelshauser eher die deutsche Tradition der Wirtschaftspolitik, anstatt sie mit Keynes zu begründen.308

3.8.7 Catch-up/Konvergenz Lindlar hat in seiner Arbeit nicht nur die Rekonstruktionstheorie kritisiert, sondern auch ein ergänzendes Erklärungsmodell für Das mißverstandene Wirtschaftswunder, so der Titel des Buches, geliefert. Er wendet die neoklassische Konvergenztheorie – auch Catch-up oder Aufholprozess genannt – auf Westdeutschland an. Hinter den vielen (kompliziert wirkenden) statistischen Rechnungen verbirgt sich ein verständliches Argument: Wenn in einem Land stabile politische Verhältnisse und ein entsprechend ausgebildetes »Humankapital« vorhanden seien, könne durch Kapitalbildung, Strukturwandel und Technologietransfer ein Aufholen gegenüber anderen Ländern – bis hin zum Weltmarktführer – stattfinden.309 Lindlars Arbeit besteht vor allem aus einer mathematischen Auswertung ökonomischer Daten. Anhand derer kann er zwei Aspekte sehr überzeugend darstellen: Erstens habe es in allen europäischen Staaten und in Japan – hierauf beschränkt sich seine Analyse – ein sogenanntes »Wirtschaftswunder« gegeben. Zweitens sieht er folgende Gesetzmäßigkeit: »Je weiter das Produktivitätsniveau eines Landes zurücklag, desto

306 Adam (2009), S. 134ff. Zur Unterbewertung der DM siehe ausführlicher: Adam (2015), S. 106f. 307 Flassbeck/Spiecker (2007), S. 148ff. 308 Eichengreen (2007), S. 90ff.; Abelshauser (2011), S. 163ff. James Foreman-Peck kritisiert Eichengreen mit dem »Belot national coordination index«, der anhand der Ziffern eins bis drei den Umfang von Tarifverhandlungen und Kooperation in einem Land kategorisiert. Er möchte zeigen, dass BIP und Belot index nicht korrelieren: Foreman-Peck (2014), S. 34ff. 309 Die Catch-up-Theorie basiert auf der Arbeit von Alexander Gerschenkron, der anhand des Aufholens durch Technologieimporte des europäischen Festlandes gegenüber England den Vorteil der »relative backwardness« postulierte: Gerschenkron (1962), S. 7ff. Weiterführend: Abramowitz (1986); Lindlar (1997), S. 89f.; Eichengreen (2007), S. 2. Lindlar kritisiert die umfassende Arbeit von Altvater/Semmler/Hoffmann, erwähnt aber nicht, dass diese den Aufholprozess ebenfalls betonen: Lindlar (1997), S. 58ff.; Altvater u.a. (1979), S. 32-38, 160f. Lindlars Kritik an der Rekonstruktion bezieht sich darauf, dass die Produktivität die Trendlinie um ein Vielfaches überschritten hätte: Lindlar (1997), S. 68f. Jedoch kann diese Entwicklung leicht – im Sinne Hollós/Jánossys – mit dem hohen Zuzug von Fachkräften und Knowhow aus der DDR erklärt werden.

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rascheres Wachstum konnte es durch Kapitalbildung, Strukturwandel und Technologieimport erzielen.«310 Für den spezifischen Fall BRD (im Verhältnis zu den USA) analysiert er Imitationen von Technologien, Import von Investitionsgütern, Direktinvestitionen und die Migration von Arbeitskräften und kommt zu folgendem Ergebnis: »Ein ausgeprägter Technologietransfer läßt sich gut belegen.«311 Vollständig überzeugt das Ergebnis allerdings nicht. Erstens kann er den Rekonstruktionseffekt nicht hinreichend separieren. Zweitens argumentieren Abelshauser und Wehler sehr verständlich, dass es in Deutschland schlichtweg keinen technischen Rückstand gegeben hätte.312 Ein weiterer Aufsatz, der die Konvergenztheorie für Europa besonders im angelsächsischen Raum bekannt gemacht hat, ist ein Beitrag von Peter Temin, der den Catchup-Effekt ökonometrisch anhand des Strukturwandels beweisen wollte. Sein Fazit lautet: Je höher der Anteil des Primärsektors gewesen sei, desto höher sei das Wachstum in den einzelnen Ländern ausgefallen. Es existiert allerdings methodische und analytische Kritik an der Arbeit.313 Letztlich gesteht auch Lindlar ein, dass das Wachstum in den 1950er Jahren vor allem ein Rekonstruktionseffekt war.314 Trotzdem ist die Catch-upTheorie ein wichtiger Beitrag für die Diskussion um das »Wirtschaftswunder«. Für die 1960er und 1970er Jahre dürfte, da die Rekonstruktion hier ihren Abschluss gefunden hatte, die Konvergenz-Theorie wichtige analytische Erklärungen beisteuern. Bezüglich der DDR irritiert die Nichtanwendung dieser Theorie auf die Konjunkturentwicklung – zumindest ab den 1960er und 1970er Jahren.

310 Lindlar (1997), S. 339. Als wichtige Faktoren zur Realisierung des Potenzials nennt er die Reorganisation des europäischen Wirtschaftsraums, wachstumsfördernde Makropolitik sowie die Liberalisierung des Handels- und Zahlungsverkehres: Lindlar (1997), S. 335. Er schreibt, dass nur »Marktwirtschaften ausländische Technologien ungehindert erwerben« konnten: Lindlar (1997), S. 286. Hier wird ein Boykott-Gesetz des »Kalten Krieges« als ökonomisches Argument umgedeutet. 311 Lindlar (1997), S. 333. 312 Bei den Imitationen und dem Einkauf von Investitionsgütern hat Lindlar keine relevanten Strukturen gefunden und das qualifizierte »Humankapital« ist eher in die USA ausgewandert als andersherum. Zusätzlich argumentiert Lindlar nicht überzeugend gegen die These vom »Humankapital« als Beitrag zum »Wirtschaftswunder«. Seine These, dass die Bildungseinrichtungen im Vergleich schlecht gewesen seien, spricht nicht gegen ein enormes Arbeitskräfteangebot, niedrige Löhne und Zuwanderung von Hochqualifizierten aus der DDR: Lindlar (1997), S. 310. Lediglich die Direktinvestition von US-Konzernen hätten sich seit Ende der fünfziger Jahre vervielfacht: Lindlar (1997), S. 325ff. Zur Kritik: Abelshauser (2011), S. 288; Wehler (2008), S. 50f. Hobsbawm stellt fest, neue Technologien seien erst nach 1973 wichtig geworden: Hobsbawm (2012), S. 341. 313 Temin (2002), S. 19. Vonyó kritisiert die Nichtberücksichtigung von »comparative advantages« – auch von Agrargütern – sowie das Scheitern der Theorie für Länder wie Irland und Portugal: Vonyó (2008), S. 224. Methodische Kritik: Eichengreen/Ritschl (2009), S. 203f. Eichengreen/Ritschl akzeptieren die Strukturwandel-These von Temin, aber Jánossys Rekonstruktion sei »quantitiv more important«: Eichengreen/Ritschl (2009), S. 206. Den Aufholprozess betont ebenfalls: Foreman-Peck (2014), S. 34ff. Allerdings argumentiert er eher mit der Rekonstruktionstheorie, die er aber nicht erwähnt. 314 Lindlar (1997), S. 25, 91f.

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3.8.8 Londoner Schuldenabkommen Ein weiteres grundlegendes Ereignis für die westdeutsche Wirtschaft war der Schuldenerlass durch das Londoner Schuldenabkommen im Jahr 1953, der in Staatsschuldenkrisen ein gutes Thema ist, um im Geschichtsunterricht einen aktuellen Bezug herzustellen. Im Prinzip sind sich alle Wirtschaftshistoriker*innen einig, dass der Schuldenerlass für Deutschland zentrale Bedeutung für den Konjunkturanstieg besaß.315 Dennoch ist das Londoner Schuldenabkommen in der Wirtschaftsgeschichte nahezu unberücksichtigt.316 In London wurde Folgendes vereinbart: Erstens sollten die ausstehenden Reparationen bis zum Abschluss eines Friedensvertrages aufgeschoben werden. Diese Bestimmung sorgte kürzlich für große Kontroversen, da der Zwei-plus-Vier-Vertrag im Jahr 1990 absichtlich nicht als Friedensvertrag bezeichnet wurde, um Rechtsansprüche auf Reparationen zu vermeiden. De facto handelt es sich jedoch um einen Friedensvertrag.317 Zweitens wurden auf der Konferenz die Schulden der BRD neu berechnet. Im Laufe der Verhandlungen konnten die Ansprüche, von denen bereits zu Beginn ein Großteil der Vorkriegsschulden (aus Dawes-Anleihe, Young-Anleihe und Kreuger-Anleihe) gestrichen wurden, von ca. 30 Mrd. DM – inklusive Besatzungskosten und MarshallplanGelder seit 1945 – auf ca. 14 Mrd. DM herunter gehandelt werden.318 Am Wichtigsten war vermutlich, dass die Restschulden der Dawes-Anleihe erst 1969 und der YoungAnleihe erst 1980 bedient werden mussten.319 Zusätzlich koppelten die Bestimmungen

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Rombeck-Jaschinski (2005), S. 443; Lindlar (1997), S. 189f.; Eichengreen/Ritschl (2009), S. 214; Abelshauser (2011), S. 227f.; Giersch u.a. (1992), S. 114; Streb/Spoerer (2013), S. 238. Allerdings wird die Thematik zumeist nur in einem Absatz behandelt. Ritschl äußert sich zu dem Schuldenabkommen in einem Zeitungsinterview wie folgt: »Für Deutschland ist das lebenswichtig gewesen, es war die eigentliche finanzielle Grundlage für das Wirtschaftswunder«: Ritschl (2016a). Die einzige ausführliche Arbeit ist eine politikwissenschaftliche Analyse: Rombeck-Jaschinski (2005). Zusätzlich existiert ein kurzer Aufsatz von Buchheim. Er beschränkt die ökonomische Wirkung des Schuldenerlasses jedoch auf das Ansteigen der Auslandsinvestitionen infolge der Einführung der Konvertibilität der DM im Jahr 1958, die eine Folge der Wiederherstellung der Kreditwürdigkeit durch das Abkommen gewesen sei: Buchheim (1986), S. 226ff. Er vernachlässigt jedoch die Tatsache, dass ohne den Schuldenschnitt Investitionen – ähnlich wie in der DDR – und niedrige Steuern als Investitionsanreize nicht möglich gewesen wären. Klaus Stern schreibt: »Ein zusätzlicher Friedensvertrag ist daher weder geplant noch machte er Sinn. Alles, was ein Friedensvertrag füglich enthalten sollte, ist mithin geregelt. Der Zwei-plusvier-Vertrag ersetzt damit kraft seines auf mehr als Frieden gerichteten Inhalts jeden Friedensvertrag mit den Kriegsgegnern«: Stern (2000), S. 135. Der Spiegel zitiert den damaligen Staatssekretär Friedrich Voss: »An einem ›Friedensvertrag‹ könne man ›aus finanziellen Erwägungen kein Interesse haben‹«: Spiegel online (2015). Georg Ress urteilt: Ein Friedensvertrag »hätte zwangsläufig alle früheren Kriegsgegner des Deutschen Reiches als potentielle Vertragspartner auf den Plan gerufen […]«, woran aber »weder die Vier Mächte noch die beiden deutschen Staaten […] ein Interesse [haben konnten]«: Beyerlin (1995), S. 832. Rombeck-Jaschinski (2005), S. 10. Geringfügig divergierende Zahlen nennen: Buchheim (1986), S. 223; Abelshauser (2011), S. 228. Rombeck-Jaschinski (2005), S. 457; Karlsch (1993), S. 237.

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diverse Zahlungen an Handelsbilanzüberschüsse. Aus der Perspektive der Bundesregierung konnten die Verhandlungen in London als großer Erfolg verbucht werden. Letztlich übten die USA entsprechenden Druck auf die anderen Regierungen aus, um dieses Ergebnis mitzutragen.320 Zweifelsohne stellt diese Vereinbarung eine der wichtigsten Bedingungen für die westdeutsche Konjunkturentwicklung dar – jedoch auf Kosten der Staaten, die durch den Krieg immense Schäden erlitten hatten. Bis heute bieten die Ergebnisse zudem die Grundlage für die BRD, Entschädigungsansprüche von Zwangsarbeiter*innen abzuwehren, da die Bundesregierung Entschädigungsansprüche aus Zwangsarbeit den Reparationszahlungen zuordnet.321 Herbert Schui kritisiert diesen Aspekt scharf, da die »Ausbeutung der Zwangsarbeiter« ebenfalls einen wichtigen Beitrag für das spätere »Wirtschaftswunder« geliefert habe.322 »Paradoxerweise«, so Jan-Otmar Hesse, sei Westdeutschland im Vergleich zu den anderen verschuldeten Ländern wie Frankreich und Großbritannien »wenig mit den Kriegsfolgen belastet worden«.323

3.8.9 Marxismus Altvater/Hoffmann/Semmler haben in einer umfassenden Analyse Vom Wirtschaftswunder zur Wirtschaftskrise bereits 1979 viele der genannten Aspekte verknüpft und in eine marxistische Theorie der Profitrate und der Konjunktur der Zyklen eingebettet. Letztere wurde von Kondratjew, Schumpeter und schließlich Keynes weiterentwickelt und nach der Wirtschaftskrise von 1929 sehr bekannt.324 Nach Altvater/Hoffmann/Semmler ist Jánossys Rekonstruktion der Anfang einer Akkumulationsphase, die durch die Zerschlagung der Gewerkschaften und der Arbeiterbewegung durch das Nazi-Regime begünstigt worden sei.325 Das Buch von Altvater/Hoffmann/Semmler unterscheidet sich vor allem durch die Fokussierung auf die Profitrate, die in etwa dem modernen Ausdruck der Kapitalrentabilität entspricht. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist diese Profitrate, so Altvater/Hoffmann/Semmler, durch das bestehende Anlagevermögen, die billigen und zahlreichen Arbeitskräfte sowie den starken Export sehr hoch gewesen.

320 Rombeck-Jaschinski (2005), S. 446f. 321 Bundesarchiv (2018). 322 Schui (2000); Rombeck-Jaschinski schreibt: »Eine wichtige Entscheidung im Vorfeld der Schuldenkonferenz war die Ausklammerung sämtlicher während des Krieges entstandener finanzieller Forderungen an Deutschland«: Rombeck-Jaschinski (2005), S. 449. Eine aktuelle Untersuchung von Johann Custodis schätzt, dass während des Krieges zehn Prozent des Bruttosozialproduktes des Deutschen Reiches durch Zwangsarbeit geschaffen worden sei: Custodis (2015), S. 99. 323 Hesse (2013), S. 136f. Ebenfalls: Eichengreen/Ritschl (2009), S. 214. 324 Marx formulierte die Gesetze der kapitalistischen Zyklen und den tendenziellen Fall der Profitrate: Marx (1963), S. 183ff.; Marx (1964), S. 221ff. Kondratjew versuchte durch empirische Analysen die Länge der Zyklen quantitativ zu bestimmen: Kondratjew (1926), S. 573ff. Schumpeter ergänzte die Zyklen von Kondratjew um zwei weitere kürzere Zyklen und stellte ein Gesetz dieser drei überlagerten Wellen auf: Schumpeter (1961), S. 171ff. Die Länge der Zyklen sei vor allem durch die Lebensdauer des »fixen Kapitals«, also der Produktionsmittel (Altvater u.a.) bzw. der Innovationen (Schumpeter) bestimmt: Altvater u.a. (1979), S. 229; Schumpeter (1961), S. 95ff., 176ff. Für eine umfassende aktuelle marxistische Konjunkturtheorie siehe: Krüger (2010), S. 321ff. 325 Altvater u.a. (1979), S. 160, 188.

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Jedoch fiele sie, wie es im Kapitalismus unvermeidbar sei, im Laufe des »Wirtschaftswunders« aufgrund der höheren Kapitalintensität, der steigenden Löhne, der Überakkumulation des Kapitals – welches weniger Anlagemöglichkeiten findet –, der Überproduktion und aufgrund des steigenden Zinsniveaus auf dem Geldmarkt. Letztlich habe diese Abschwächung der Profitrate in die Krise der siebziger Jahre geführt.326 Obwohl Altvater/Hoffmann/Semmler eine der ausführlichsten Analysen des »Wirtschaftswunders« veröffentlicht haben, werden deren Thesen in der Wirtschaftsgeschichte kaum beachtet.

3.8.10 Terms of Trade Ein unumstrittener Aspekt des Wirtschaftsaufschwungs ist die günstige Entwicklung der Terms of Trade, also das Verhältnis der Preise von Exportgütern zu Importgütern, für Westdeutschland. Altvater/Semmler/Hoffmann haben berechnet, dass sich die Terms of Trade für die BRD von 1950 bis 1973 um ca. 50 Prozent verbessert hätten – »zu Lasten der ›3. Welt‹«.327 Anschaulicher formuliert es Hobsbawm, der den »Preis für ein Barrel saudisches Öl« als wichtige Ursache für das »Golden Age« benennt.328 Die Terms of Trade sind ohnehin für die Globalgeschichte ein interessantes Thema, da sie oftmals auf postkolonialen oder neokolonialen Machtverhältnissen beruhen. In der Wirtschaftsgeschichte existieren leider keine Arbeiten zur Globalgeschichte von BRD und DDR.329 Im folgenden Abschnitt wird zusätzlich die Arbeitskräftesituation für die BRD und die DDR besprochen. Aufgrund der Ost-West-Migration ist es sinnvoll, die Thematik in einem gemeinsamen Abschnitt zu behandeln. Da die Auswirkungen für die DDR einschneidender waren, befindet sich die Analyse bereits im Teil zur DDR-Wirtschaft.

3.9 DDR-Wirtschaft 3.9.1 Rekonstruktion im Osten und Arbeitskräftemigration Die Rekonstruktionstheorie führt zu einem weiteren wichtigen Punkt für die ökonomische Entwicklung in Ost und West: Die Anzahl der Arbeitskräfte sowie deren effizienter Einsatz. Letzteres beinhaltet beispielsweise, ob die Wohnraumsituation und die vorhandene Infrastruktur die Arbeit im gelernten Beruf ermöglichen. Neoklassische Produktionsfunktionen berücksichtigen diesen Aspekt im relativ abstrakten Term der Totalen Faktorproduktivität (TFP).

326 Zu den günstigen Angebots- und Nachfragebedingungen: Altvater u.a. (1979), S. 277. Zum Nachkriegszyklus: Altvater u.a. (1979), S. 61ff. Zum Zyklus bis zur Krise der siebziger Jahre: Altvater u.a. (1979), S. 206ff. 327 Altvater u.a. (1979), S. 160, 188. 328 Hobsbawm (2012), S. 331. 329 Ansätze erfolgen in den folgenden Beiträgen: van der Heyden (2012), S. 351ff.; Klenke (2012), S. 509ff. Der komparative Kostenvorteil von Ricardo gilt – so Otmar Hesse – »als überholt«: Hesse (2013), S. 186. Folglich hat die Analyse der Terms of Trade große Bedeutung.

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Wie bereits ausgeführt, wurden die Kriegstoten durch die Migration aus Schlesien, Ostpreußen und Pommern kompensiert. Das Arbeitskräftepotenzial war sowohl in West als auch in Ost vorhanden; jedoch stellte die Wohn- und Ernährungssituation deren Verfügung in Frage.330 Trotzdem profitierte der Westen überproportional, da die SBZ wie ein »Filter« wirkte. Rassistische und antikommunistische Einstellungen, eine nachvollziehbare Angst vor russischer Vergeltung sowie die vermutete bessere ökonomische Situation im Westen führten dazu, dass junge und/oder gut ausgebildete Menschen in den Westen weiterzogen, während sich körperlich oder sozial schwächere Menschen diesen Weg nicht zutrauten.331 Die Arbeitskräftemigration machte die Rekonstruktion der westdeutschen Wirtschaft möglich. Abelshauser berechnete den jährlichen ökonomischen Wert der OstWest-Migration bis zum Mauerbau mit ca. 2,6 Mrd. DM (West) – somit insgesamt mit ca. 30 Mrd. DM. Die BRD habe davon profitiert, dass die DDR doppelt so viele Ingenieure wie die BRD ausgebildet habe.332 Roesler folgert daraus: »Dieser Mangel an Arbeitskräften hatte wesentlich dazu beigetragen, dass das Wirtschaftspotenzial der Rekonstruktionsperiode in der DDR nicht voll ausgeschöpft werden konnte.« Die Übersiedlungen aus dem Westen in den Osten hätten dies nicht annähernd kompensieren können.333 Kontroversen bestehen hinsichtlich der Fluchtursachen. Insgesamt überwiegen die Argumente, wonach Flucht oder Migration viel häufiger aus der Veränderung der ökonomischen Lebensbedingungen als aus politischer Repression resultierte.334 Die 330 Ritschl/Vonyó (2014), S. 181; Abelshauser (2011), S. 48ff., 66ff.; Zank (1987), S. 30-34, 46; Ritschl (2005), S. 152. Die Wohnungszerstörung habe, so Ciesla, bei 14 Prozent in der SBZ und bei 24 Prozent im Westen gelegen. Trotzdem sei der Pro-Kopf-Wohnungsbestand in der SBZ aufgrund der vielen Flüchtlinge schlimmer als im Westen gewesen. Anfang des Jahres 1949 habe die Bevölkerung der SBZ zu fast 25 Prozent aus »refugees and displaced persons« bestanden: Ciesla (2013), S. 59f. Ausführlicher: Zank (1987), S. 82f. Aufgrund der fehlenden Infrastruktur habe es, so Karlsch, im Osten an vielen Orten trotzdem Fachkräftemangel und Unterernährung gegeben: Karlsch (1993), S. 40. Für den Westen betont Lindlar und für den Osten Ritschl eine Verschlechterung des Arbeitskräfteangebots: Lindlar (1997), S. 229f.; Ritschl/Vonyó (2014), S. 181. 331 Zur rassistischen Einstellung gegenüber »Russen« siehe: Kleßmann (1991), S. 372. Zum »Filter« SBZ: Zank (1987), S. 38; Abelshauser (2011), S. 293; Ciesla (2013), S. 57; Steiner (2007), S. 25f.; Karlsch (1993), S. 38; Kleßmann (1991), S. 276. 332 Abelshauser (2011), S. 294f.; Roesler (2006), S. 104f. Ähnlich: Altvater u.a. (1979), S. 98ff.; Vonyó (2008), S. 230. Ambrosius erkennt ebenfalls die Wichtigkeit der Arbeitskräftemigration an, allerdings bewertet er die quantitative Analyse als verkürzt: Ambrosius (1996), S. 70f. Die staatliche Plankommission berechnete die Verluste für die DDR in den 1950er Jahren auf 136 Mrd. DM (Ost): Hoffmann (2013), S. 21. 333 Roesler (2006), S. 112; Steiner (2007), S. 117f.; Karlsch (1993), S. 44. Laut Roesler seien »junge Arbeiterfamilien« und »ungelernte« von West nach Ost, »Facharbeiter« und »Akademiker« von Ost nach West migriert. In den 1950er Jahren seien ca. 2,6 Millionen von Ost nach West und ca. 590.000 von West nach Ost übergesiedelt: Roesler (2006), S. 88ff. Auch die Ausreise vom Westen in die USA, so Abelshauser, sei – relativ – marginal gewesen: Zwischen 1949 und 1966 seien ca. 1800 Naturwissenschaftler*innen und 4200 Techniker*innen in die USA ausgewandert: Abelshauser (2011), S. 82. 334 Roesler (2004), S. 30ff.; Roesler (2006), S. 87f.; Heidemeyer (1994), S. 57; Ackermann (1995), S. 282; Kleßmann (1997), S. 321; Kleßmann (2007), S. 494. Es gibt einige Hinweise darauf, dass sich die Flüchtlingszahlen symmetrisch zum Konjunkturverlauf im Westen veränderten: Hoffmann (2016b), S. 459. Karlsch betont, dass die Abwanderung eine Folge »der Systemtransformation« ge-

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DDR versuchte durch den Strafbestand »Republikflucht« im Jahr 1957 und den Bau der Mauer im Jahr 1961, die absurderweise »antifaschistischer Schutzwall« genannt wurde, diese Migration zu unterbinden.335 Im Westen führten der »Sputnik-Schock« und der Bau der Mauer zur Entdeckung der sogenannten »Bildungskatastrophe«336 . Eine weitere wirtschaftshistorische Diskussion dreht sich um den Zusammenhang von Arbeitsmigration und Lohnhöhe. Viele Wirtschaftshistoriker*innen betonen die positiven Effekte von niedrigen Löhnen für Investitionen.337 Allerdings werde dabei übersehen, so Lindlar, dass Lohnsteigerungen zu Rationalisierungen und folglich zu Produktivitätssteigerungen zwingen würden.338 Heike Knortz hat dieselbe Debatte hinsichtlich der sogenannten »Gastarbeiter« ausgelöst. Dabei ist unstrittig, dass die Arbeitsmigrant*innen aus Südeuropa und der Türkei einen enormen Beitrag für den Aufschwung in der BRD geleistet haben.339 Abschließend soll noch auf zwei weitere Aspekte verwiesen werden, welche die Arbeitsmigration und die Wirkung der Arbeit für die Rekonstruktion der Wirtschaft betreffen: Erstens hatte die DDR aufgrund der konsequenteren Entnazifizierung einen entscheidenden Produktivitätsnachteil; beispielsweise wurden tausende Jurist*innen entlassen; gelernte Facharbeiter*innen, die an anderer Stelle dringend benötigt wurden, übernahmen deren Stellen, während die Jurist*innen im Westen erneut eingestellt wurden. wesen sei, da der Stalinismus zur Flucht von »Wissenschaftlern, Ingenieuren und leitenden Angestellten« geführt habe: Karlsch (1995), S. 77; Karlsch (1993), S. 44. Jeannette von Laak sieht einen Zusammenhang von Migration und Repressionswellen, die im Kontext von Bodenreform, Kollektivierung, Uranbergbau, Aufbau des Sozialismus, Aufbau der kasernierten Volkspolizei und dem Ungarn-Aufstand erfolgt seien. Sie räumt aber die Möglichkeit der wirtschaftlichen Fluchtgründe ein: van Laak (2013), S. 107ff. Ähnlich: van Melis (2006), S. 112ff. Steiner positioniert sich ambivalent, zeigt jedoch eine Tendenz zu den ökonomischen Bedingungen: Steiner (2007), S. 86, 118f.; Steiner (2013), S. 26. Laut Hoffmann seien »nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische und private Gründe« ausschlaggebend gewesen: Hoffmann (2013), S. 20. In der bisherigen Forschung ist nicht systematisch unterschieden worden, inwieweit Nazi-Vergangenheit zur politischen Flucht gezählt wird: Heidemeyer (1994), S. 53ff. 335 Roesler (2006), S. 88. Nach dem Mauerbau hätte sich, so Steiner, die Arbeitskräftesituation stabilisiert. Ab Mitte der 1960er Jahre erfolgte die Anwerbung von »Vertragsarbeitern«: Steiner (2007), S. 137f., 143. Er urteilt: »Building the Wall solved neither the basic problem confronting the GDR nor the economic crises of 1960-1«: Steiner (2013), S. 27. 336 Das Bildungssystem der BRD habe in den 1950er Jahren, so Kleßmann, schon fast anachronistisch gewirkt, da keinerlei Reformen durchgeführt worden seien. Folglich habe es viel zu wenige »qualifizierte Absolventen« gegeben: Kleßmann (1997), S. 256ff. 337 Wallich (1955), S. 279ff.; Giersch u.a. (1992), S. 270f. Altvater/Hoffmann/Semmler verweisen ebenfalls auf den Effekt von niedrigen Löhnen, allerdings steht das Argument bei ihnen im Kontext ihrer Kapitalismuskritik: Altvater u.a. (1979), S. 83. 338 Lindlar (1997), S. 266f., 272, 316, 339. Ebenfalls: Giersch u.a. (1992), S. 136ff. Darauf beziehen sich: Streb/Spoerer (2013), S. 223. 339 Die Arbeitsmigrant*innen verrichteten die anstrengendsten und gefährlichsten Arbeiten, erhielten geringe Löhne, waren Konsumenten und zahlten in die Sozialversicherungen ein. Weiterhin ermöglichten sie vielen Deutschen den sozialen Aufstieg: Höhne (2014), S. 8ff.; Meier-Braun (2009). Demgegenüber betonen Giersch/Paqué/Schmieding und Knortz die Verhinderung von Produktivitätsinvestitionen durch den konservierten Niedriglohnsektor: Giersch u.a. (1992), S. 136ff.; Knortz (2008), S. 222; Knortz u.a. (2016), S. 13f., 185.

3. Nachkriegswirtschaft in der Geschichtswissenschaft

Zweitens habe der DDR, so einige Wirtschaftshistoriker, die »Disziplinierung« durch die »drohende Arbeitslosigkeit« gefehlt, da für Arbeitsplatzverluste immer die SED-Führung verantwortlich war. In der BRD konnten sich die Politiker hingegen auf die Sachzwänge durch den Markt berufen. Besonders bei der Kollektivierung der Landwirtschaft sowie der Modernisierung der Industrie sollte dies besonders relevant werden.340 Auf die Situation der arbeitenden Menschen in der DDR kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Die Rekonstruktionstheorie wird – außer von Zank und Roesler – nicht auf die DDR angewendet.341

3.9.2 Die Bewertung des »Aufbaus des Sozialismus« Die Beurteilung des Sozialismus bzgl. der ökonomischen Leistungsfähigkeit veränderte sich im Laufe der Zeit deutlich. Zwischen den 1930er und den 1960er Jahren gab es eine Vielzahl von Ökonomen und Politikern, die die ökonomische Entwicklung in der UdSSR – je nach politischer Einstellung – bewunderten oder als ernsthafte Bedrohung ansahen. Auch die Konjunktur der DDR wurde in den 1950er und 1960er Jahren ähnlich bewertet und im Westen anhand des Begriffes des »roten Wirtschaftswunders« diskutiert.342 Erst zu Beginn der 1980er Jahre entstanden Debatten um die hohe Verschuldung der DDR. Allerdings wird heutzutage oftmals übersehen, dass die Diskus340 Liberale Wirtschaftshistoriker wie Kopstein kritisieren hiermit den großen Einfluss der Arbeitenden. Er spricht sogar vom »veto power« der Arbeiterklasse: Kopstein (1997), S. 2. Ähnlich: Kornai (1995), S. 245; Hoffmann (2013), S. 122; Port (2010), S. 200ff. Laut Steiner habe sich diese Struktur aufgrund der Einsetzung der Betriebsräte durch den SED-nahen FDGB entwickelt, der die Rolle des »Gesamtunternehmers« übernommen habe. Hiermit sei die »Interessenvertretung« und der »Leistungsanreiz durch Mitbestimmung« ausgefallen: Steiner (2007), S. 49. Olaf Klenke hingegen interpretiert die gleiche Analyse kapitalismuskritisch: »Die zentrale Rolle des krisenhaften Arbeitsmarktes, ›der die Belegschaft diszipliniert‹, wird in der Diskussion um neue Arbeitsformen und eine Steigerung der Ausbeutung bis heute vernachlässigt. […] Es war ein Ausdruck für die politische Schwäche der SED, dass sie ein Modell der Leistungspolitik verfolgte, das aus der Zeit des weltweiten Aufschwungs stammte. Vor dem Hintergrund von Krise und Umstrukturierung besaß die westliche Konkurrenz mit der ›Reservearmee‹ ein wirkungsvolleres Mittel zur Steigerung der Ausbeutung«: Klenke (2008), S. 199ff. Den Akkord- und Leistungslohn analysieren: Steiner (2007), S. 63ff.; Roesler (1984), S. 778ff. Allgemein zur Arbeit in der DDR siehe: Kleßmann (2007). 341 Zank (1985), S. 339ff.; Roesler (2006), S. 70ff. 342 Den Begriff »rotes Wirtschaftswunder« prägte: Schenk (1969). Ähnlich: Nawrocki (1967); Apel (1966); Zank (1987), S. 12; Zank (1985), S. 327ff. Kleßmann kommentiert dies wie folgt: »Daß in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre in Ost und West das ›Wirtschaftswunder Ost‹ entdeckt wurde, war sicherlich eine ebenso große Übertreibung wie die unkritischen Lobeshymnen auf das Original in der Bundesrepublik der fünfziger Jahre«: Kleßmann (1997), S. 345. Weitere Autoren, die ein hohes Wachstum in der DDR beschreiben, sind: Borchardt (1976), S. 725f.; Ambrosius/Hubbard (1986), S. 136ff., 153; Port (2010), S. 16. Besondere Bedeutung erlangte die Veröffentlichung von Stolper, der die Konjunktur in BRD und DDR als »fast gleich« einschätzte: Stolper (1959), S. 358. Zu den zeitgenössischen Debatten um das DDR-Wachstum siehe auch: Nützenadel (2005), S. 177ff. Hobsbawm schreibt, dass das Wachstum bis 1960 im gesamten Ostblock größer gewesen sei als im Westen: Hobsbawm (2012), S. 471. Ebenfalls: Kornai (1995), S. 224. Eine tabellarische Übersicht mit unterschiedlichen Versuchen der Bestimmung des BIP der DDR befindet sich bei: Sleifer (2006), S. 47.

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

sion vielfach nicht dem Dualismus von Marktwirtschaft und Planwirtschaft entsprach, sondern die Ursachen der weltweiten Verschuldung thematisierte. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks 1989/1990 fand eine Verschiebung der Debatte statt. Der Sozialismus nach sowjetischem Vorbild wurde nachträglich als zwangsläufig gescheitert und ökonomisch unterlegen erklärt. Besonders der ökonomische Vergleich von BRD und DDR biete – so die Argumentation – ein deutliches Ergebnis. Vermutlich wird sich diese These nicht behaupten können, sobald sich die wissenschaftliche Diskussion um den »Kalten Krieg« von der stark normativen Debatte gelöst hat. Zunächst werde ich verschiedene Berechnungen des Wirtschaftswachstums der DDR darstellen, da das Nationaleinkommen bzw. das BIP wichtige Kenngrößen sind. Für eine hinreichende Bewertung einer Volkswirtschaft bedarf es allerdings weiterer Indikatoren, wie beispielsweise des Inequalityadjusted Human Development Index (IHDI).343 Dennoch gilt die Berechnung des BIP als wichtigstes Kriterium für die Messung der volkswirtschaftlichen Leistung. Eine Erfassung des BIP der DDR ist jedoch kompliziert, weil dem jährlich bestimmten Nationaleinkommen eine andere Berechnung zugrunde lag – es berücksichtigte bspw. Dienstleistungen nicht. Außerdem wird über die Validität der Zahlen gestritten. In der Wirtschaftsgeschichte zur DDR herrscht weitgehende Übereinstimmung, dass die offiziellen Zahlen propagandistisch aufgebläht worden seien. Jedoch habe die Staatliche Zentralverwaltung für Statistik über die richtigen Zahlen verfügt, die heute in den Akten eingesehen werden können.344 Folglich sind, so Gerhard Heske, alle Berechnungen vor der Freigabe der Archive mangelhaft. Seit 1990 wurden einige Publikationen veröffentlicht, die kurz besprochen werden. Stefanie Wahl/Wilma Merkel (1991) und Oskar Schwarzer (1999) versuchen anhand eines Umrechnungskoeffizienten den Wechselkurs von DM (Ost) zu DM (West) zu bestimmen, um mit dem Nationaleinkommen das BIP zu bestimmen.345 Besonders die vielfache Zitierung von Wahl/Merkel verwundert, da die Ergebnisse schlichtweg unrealistisch sind.346 Besonders umfassend sind hingegen die bereits erwähnten Arbeiten 343 Hesse (2013), S. 25ff. 344 Ahrens sagt allerdings, dass die Zahlen zum BIP/Nationaleinkommen nicht verwendbar seien. Er begründet dies nicht, hat anscheinend keine Kenntnis von den Berechnungen von Sleifer und Heske und beruft sich lediglich auf Steiner: Ahrens (2014), S. 301. Steiner verweist auf die strengen Vorschriften, die es für die Betriebe schwierig gemacht hätten, die Statistiken zu verändern. Bei der staatlichen Statistik seien viele Fälschungen nachgebessert worden und die Zahlen weitaus zuverlässiger als in öffentlichen Publikationen: Steiner u.a. (2006), S. XIIIff. Zur Validität der internen Zahlen siehe: Heske (2009), S. 32ff., 37, 211; Hölder (1992), S. 303f. Laut Schwarzer sind die Berechnungen »nicht schlechter als in anderen, westlichen Staaten«: Schwarzer (1999), S. 110. Hübner bezeichnet die Zahlen als »korrekte Angaben«, aber auch als kritikbedürftige historische Quellen: Hübner (1998), S. 157f. Auf Unternehmens- und Verwaltungsebene vermutet Sleifer einen »system-induced bias«: Sleifer (2006), S. 37. Trotzdem sei es am sinnvollsten, die Statistiken in West-Standards umzurechnen: Sleifer (2006), S. 30. Ruck schreibt, dass die Zahlen das ganze Ausmaß der Fälschung wiedergeben würden: Ruck (2013), S. 213. Jedoch führt er keine Argumente an. 345 Merkel/Wahl (1991), S. 46f.; Schwarzer (1999), S. 155ff. 346 Zur Kritik der Berechnung siehe: Sleifer (2006), S. 36ff.; Heske (2009), S. 214ff. Die Zahlen von Wahl/Merkel führen bei Buchheims Einführung in die Wirtschaftsgeschichte dazu, dass es z.B. in den 1960er Jahren nahezu kein Wachstum in der DDR gegeben haben könne: Buchheim (1997), S. 108ff. Dies widerspricht allen wirtschaftshistorischen und sozialgeschichtlichen Erkenntnissen.

3. Nachkriegswirtschaft in der Geschichtswissenschaft

von Jaap Sleifer und Heske. Sleifer versucht mit einer Form der Erzeugnisreihenmethode die Schwierigkeit der preislichen Entwicklung und Umrechnung zu umgehen, da in dieser Methode mit Produktionseinheiten wie Tonnen, Kubikmeter usw. gerechnet wird.347 Heske hat stattdessen eine Primärberechnung (1970-1989) und eine Umrechnung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) der Jahre 1950-1970 nach dem System National Account (SNA) vorgenommen und anhand von Kaufkraftparitäten den Wechselkurs in DM anhand des Bezugsjahres 1995 bestimmt.348 Abbildung 1: Jährliche Wachstumsraten des BIP der DDR und BRD nach Zeitperioden, in % (nach Heske) Zeitperiode

DDR

BRD

1951-1955

8,5

9,3

1956-1960

6,8

7

1961-1965

4

5,3

1966-1970

5

3,9

1971-1975

4

2,3

1976-1980

3,6

3,3

1981-1985

3,1

1,2

1986-1989

2,1

2,9

1951-1989

4,5

4,3

Laut Heske war das Wachstum der DDR geringfügig größer als jenes der BRD (vgl. Abb. 1). Sleifer resümiert: »Based on GDP per capita the East German economy performed well from 1950 to 1989, there is only little falling behind relative to West Germany. At the same time, based on GDP per worker, the East German economy performed badly.« Das BIP/Kopf der DDR sei während des »Kalten Kriegs« stets bei ca. 56 Prozent des BIP/Kopf der BRD gewesen.349 Die Grundlage für den Trend nach 1989/1990 legten die Werke Economics of Shortage (1980) und The Socialist System (1992) von Kornai, der anhand von mikroökonomi347 Sleifer (2006), S. 39f. Durch die starke Differenzierung der Produkte ist diese Methode allerdings sehr umstritten. Zur Kritik siehe: Heske (2009), S. 223. 348 Heske (2009), S. 51ff. 349 Sleifer (2006), S. 52. Sie zeigen auch eine ähnliche Tendenz wie die Zahlen zum Nationaleinkommen: Steiner u.a. (2006), S. 63. Steiner bezeichnet die Methodik von Sleifer als problematisch: Steiner u.a. (2006), XXV. Im Sammelband von Berghoff/Balbier und bei Hoffmann werden weder die Wachstumsraten von Sleifer noch von Heske berücksichtigt: Berghoff/Balbier (2013); Hoffmann (2013); Hoffmann (2016b), S. 506. Steiner verweist an einer Stelle auf die [unvollständigen, KK] Berechnungen von Heske aus dem Jahr 2005, wobei er sich den Ergebnissen nicht anschließt: Steiner (2013), S. 38. Streb und Spoerer benutzen keine Zahlen zum Wachstum der DDR, da es »keine verlässlichen Schätzungen« gebe und schreiben in der Fußnote: »vgl. für die DDR Heske 2009«: Streb/Spoerer (2013), S. 29. Michael Ruck kritisiert die damaligen Berechnungen der Wachstumsraten der DDR, zeichnet ein totales Scheitern und verweist auf die heutigen Berechnungen von Sleifer: Ruck (2013), S. 213. Die Zahlen bei Sleifer und die Deutung von Ruck stehen allerdings in einem scharfen Widerspruch.

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

scher Anreiz- und Informationstheorie von Friedrich von Hayek den Sozialismus als »Mangelwirtschaft« charakterisiert. Der Begriff beinhaltet »alle Formen erzwungener Änderung von Absichten« bei Kauf und Verkauf von Gütern. Eine »Mangelwirtschaft« existiere beispielsweise, wenn Personen eine Ware nicht jederzeit kaufen können, obwohl sie über das Geld verfügen und den Preis angemessen finden.350 Der Begriff sagt also nichts über die humanitäre Situation in einem Land aus. Folgt man der Logik von Kornai, dann wäre ein kapitalistischer Staat in der so genannten »Dritten Welt«, in dem eine Hungerkrise herrscht, keine »Mangelwirtschaft«, solange wohlhabende Menschen alles jederzeit kaufen können. Insgesamt erscheint es fragwürdig, dieses Konzept als Bewertungskriterium für die Güte einer Ökonomie zu verwenden. Auch ist die empirische Beweisführung für die Überlegenheit des Kapitalismus gegenüber dem Sozialismus nicht ausreichend. Kornai versucht diese anhand einer Tabelle zu belegen, in der er alle großen Erfindungen des 20. Jahrhunderts auflistet, die nahezu ausschließlich in kapitalistischen Staaten entstanden seien.351 Überzeugen kann die Methode nicht, denn die Liste stellt lediglich dar, dass fast alle Erfindungen in den USA, dem reichsten Land der Erde, stattfanden und – bei genauerer Betrachtung – vor allem aus großen staatlichen Grundlagenforschungsprogrammen resultierten. So wäre beispielsweise die Computertechnologie niemals ohne militärische und staatliche Forschung sowie staatlich abgesicherte »Märkte« entstanden.352 Anhand der Thesen von Kornai argumentiert Steiner, der die DDR-Wirtschaft als »staatlich induzierten Krisenzyklus« periodisiert.353 Die Erzählung basiert darauf, dass das Fehlen eines marktwirtschaftlich bestimmten Preises als Knappheitsindikator sowie mangelnde Leistungsanreize (durch das Fehlen von Profit) zu einer geringeren Produktion und vor allem zu einer »systemimmanenten Innovationsschwäche« geführt hätten.354 Außerdem hätten (auf Unternehmensebene) die staatlichen Betriebe niemals Liquiditätsengpässe gehabt. Somit seien sie nicht gezwungen worden, Rationalisierungsmaßnamen durchzusetzen. Auch für die Arbeiter habe es durch fehlende Mehrverdienstmöglichkeiten und Vollbeschäftigung nicht genug »Leistungsanreize« gegeben.355 Insgesamt hätten, so Steiner, die Planerfüllungen problematische Anreize und

350 351 352 353 354

355

Kornai (1995), S. 257ff., 271, 321f., 325. Kornai (1995), S. 334ff.; Kornai (2014), S. 5ff. Castells (2001), S. 77ff. Steiner (2007), S. 18. Steiner (2007), S. 14f. Es habe »keine Lenkung nach Angebot und Nachfrage [gegeben], der Bedarf musste geschätzt werden«: Steiner (2007), S. 127. Auch: Steiner (2007), S. 66f. Zu den Preisen ausführlicher: Schevardo (2006); Heske (2009), S. 136ff. Zur Betriebsleitung: »Ob ein Betrieb gut oder schlecht wirtschaftete, ließ sich kaum ermitteln. Bei Verlusten wurden die Betriebe subventioniert«: Steiner (2007), S. 66. Weiterhin, so Steiner, seien die Arbeitsnormen »zu weich« gewesen: Steiner (2007), S. 64. Folglich hätten »Leistungsanreize« für die Industriearbeiter gefehlt, da sich die SED-Führung nicht getraut habe, die Normen zu erhöhen: Steiner (2007), S. 108. Hierzu finden sich weitere Hinweise im Abschnitt 3.9.1 zur Arbeitsmigration. Letztlich vermisst man in der Wirtschaftsgeschichte bisweilen einen Kommentar, dass fehlende Angst vor Arbeitslosigkeit oder ein hoher Lohn grundsätzlich anzustreben sind.

3. Nachkriegswirtschaft in der Geschichtswissenschaft

eine »Tonnenideologie«356 hervorgebracht: »Die Produktion wurde zu hoch ausgewiesen und die Betriebe belohnt, wenn sie ihre Erzeugnisse mit möglichst großem Aufwand herstellten.«357 Die übermäßige Zentralisierung der DDR-Wirtschaft und die Unterdrückung der kleinen privatwirtschaftlichen Betriebe sind unbestritten.358 Allerdings bestehen Kontroversen über den systemimmanenten Defekt und die Innovationsschwäche. Einerseits wird dem Realsozialismus das Potenzial zu »extensivem Wachstum« – also die Ausweitung der Produktion – zugesprochen, andererseits sei »intensives Wachstum« – die Steigerung der Produktivität – nur bedingt möglich.359 Auch betonen einige Wirtschaftshistoriker*innen den systemischen Nachteil durch die Abwanderung der »Intelligenz« sowie den Elitenwechsel.360 Roesler sieht dagegen die Ursachen der ökonomischen Probleme in den schlechten Startbedingungen durch Reparationen und Demontage. Diese hätten zu einer dauerhaften Knappheit von Investitionsmitteln361 , die aufgrund der Teilung des Wirtschaftsraumes und der Engpässe im Energie-, Transport- und Grundstoffsektor wichtig gewesen wären, geführt. Durch die daraus resultierenden schwierigeren Lebensbedingungen hätten viele Menschen die DDR verlassen, wodurch das Problem verschärft worden

356 Der Begriff »Tonnenideologie« taucht bereits in internen Debatten im ZK der SED auf: Roesler (1978), S. 161. 357 Zitat: Steiner (2007), S. 107; ähnlich: Steiner (2013), S. 22. Er bezieht sich hier auf den Terminus »weiche Budgetbeschränkungen« von Kornai, der zu unwirtschaftlicher Kredit- und Rohstoffaufnahme motivierte: Kornai (1995), S. 155ff. Weiterhin habe, so Steiner, der Druck zu möglichst hoher Bruttosozialproduktion (bei unzureichendem Zwang zur Effizienzsteigerung) zu einem schlechten Verhältnis von »Lagerinvestitionen« und »Anlageinvestitionen« geführt. Allerdings hätten auf diese Weise in den 1950er Jahren die Kapazitäten schnell erschlossen werden können: Steiner (2007), S. 68. Auch habe es oft Materialhortung und die Produktion »nicht absetzbarer Waren« gegeben: Steiner (2007), S. 177. 358 Zur ausufernden Bürokratisierung: Roesler (2006), S. 40; Steiner (2007), S. 106; Steinitz (2007), S. 72ff. Zum Druck auf private Betriebe: Roesler (2006), S. 59; Steiner (2013), S. 20. 359 Siehe zur These der fehlenden Innovationen: Steiner (2007), S. 69; Steiner (2013), S. 24; Buchheim (1995a), S. 200, 208; Hoffmann (2013), S. 159; Karlsch (2013), S. 85; Ahrens (2014), S. 305ff. Ähnlich: Hobsbawm (2012), S. 336. Demgegenüber betont Roesler, dass die Planwirtschaft auch Vorteile habe, da jenseits von Profitabilität große Forschungsanstrengungen und Erneuerungen durchgeführt werden könnten, wie er am Beispiel von NC-Steuerungen darstellt: Roesler (2006), S. 113ff. Ähnlich: Steinitz (2007), S. 72ff. Steiner nennt als Beleg für das Innovationshemmnis das Mikroelektronik-Programm: Steiner (2013), S. 34. Dabei nimmt er die schwerwiegenden Auswirkungen des Handelsembargos nicht ausreichend zur Kenntnis, die bei Klenke und Augustine nachzulesen sind: Klenke (2008), S. 61ff.; Augustine (2013), S. 105. 360 Hoffmann (2013), S. 22; Augustine (2013); Ritschl/Vonyó (2014), S. 181; Karlsch (2013), S. 83. 361 Roesler (2006), S. 64. Siehe zu den mangelnden Investitionsmitteln ebenfalls: Karlsch (1993), S. 238. An einigen Stellen wird über die falsche Verwendung der Gelder diskutiert: Zank (1987), S. 182f.; Wehler (2008), S. 89ff.; Steiner (2013), S. 25. Dabei ist im Gesamtüberblick deutlich, dass es durchgehend einen Mangel an Investitionskapital gab.

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

sei. Zusätzlich hätten die Handelssanktionen die Probleme bei der Modernisierung der Wirtschaft verschärft.362 Neben Steiner betonen Buchheim, Hans-Jürgen Wagener und viele andere die systembedingten Ursachen des Scheiterns.363 Letztlich ist der Systemdefekt der Planwirtschaft in der aktuellen Forschung mehrheitsfähig. Allerdings ist diese Erklärung fragwürdig: Erstens kann von den Sanktionen der reichen Länder der Welt und den Ausgangsbedingungen nicht abstrahiert werden. Zweitens fehlt eine Berücksichtigung von Rekonstruktionstheorie und Catch-up-Theorie. Drittens widersprechen statistische Arbeiten, wie bspw. von Heske und Sleifer, dem ökonomischen Scheitern. Bedenklich stimmt zudem, dass diese Arbeiten schlichtweg ignoriert werden.364 Die DDR-Wirtschaftsforschung hat sich dem Erklären des Scheiterns mit größtem Aufwand angenommen, dabei bleiben wichtige Fragen leider ausgespart. Eine plurale Diskussion wäre wünschenswert, sie legitimiert auch nicht die »partizipatorische Diktatur«365 .

3.10 Protest in West und Ost In beiden Teilen Deutschlands gab es in der Nachkriegszeit politische Proteste gegen wirtschaftspolitische Gesetze. In der Bizone formierten sich von Anfang August 1948, also ca. zwei Monate nach der Währungsreform, bis November 1948 die größten Streiks

362 Roesler (2006), S. 43ff.; Roesler (2008b), S. 9f. Ähnlich: Steinitz (2007), S. 56ff. Siehe zur Kritik am »monokausalen« Systemfehler: Roesler (1999), S. 213ff. Ciesla betont ebenfalls eher die Startbedingungen als den Systemfehler: Ciesla (2013), S. 67. Ritschl/Vonyó erklären die Produktivitätslücke durch die Trennung des Wirtschaftsraumes und den Boykott und gestehen dem »Kommunismus« eine große Aufbauleistung zu. Die systemischen Defekte seien erst später durch die Abwanderung der Akademiker relevant geworden: Ritschl/Vonyó (2014), S. 175, 181. Die Behauptung von Kornai, die Ausgangslage in Ost- und Westdeutschland wäre »ungefähr dieselbe« gewesen, ist substanzlos: Kornai (1995), S. 342. Hobsbawm sagt, in der DDR »sah die allgemeine Bilanz völlig negativ aus«; trotzdem könne aus dem »Scheitern des sowjetischen Sozialismus« nichts über Sozialismus allgemein geschlossen werden: Hobsbawm (2012), S. 494, 616. 363 Steiner (2007), S. 18; Steiner (2013), S. 23; Buchheim (1995a), S. 194ff.; Wagener (1996), S. 21ff.; Kopstein (1997), S. 195ff.; Boldorf (2016), S. 180f.; Berghoff/Balbier (2013), S. 6; Hoffmann (2016b), S. 509; Eichengreen (2007), S. 142ff.; Streb/Spoerer (2013), S. 228. Abelshauser bezeichnet die Schwierigkeiten der DDR-Wirtschaft als »Last des Systemwechsels« und führt als wesentliche Punkte die Zerstörung des »alten Produktionsregimes« und die Verdrängung des »Unternehmertums« an. Weiterhin nennt er die »Umorientierung der Handelswege«, sinkende Wettbewerbsfähigkeit, »Embargopraxis« des Marshallplans und den primären Export in devisenschwache Länder: Abelshauser (2011), S. 405ff. 364 Im voluminösen Forschungsprojekt des Wirtschaftsministeriums findet die Publikation von Heske keinerlei Berücksichtigung. Sie steht zwar im Literaturverzeichnis, inhaltlich wird sie allerdings nicht erwähnt: Hoffmann (2016a) 365 Der Terminus von Fulbrook soll gleichzeitig auf ihren äußerst gelungenen sozialwissenschaftlichen Ansatz sowie ihre Interpretation der Geschichte der DDR verweisen: Fulbrook (2011). Eine ähnlich differenzierte Darstellung wäre für die Wirtschaftsgeschichte jenseits des wirtschaftshistorischen Totalitarismus von Plan und Markt notwendig.

3. Nachkriegswirtschaft in der Geschichtswissenschaft

der bundesdeutschen Geschichte. Fuhrmann sieht als Ursache vor allem die Preissteigerungen von Gütern des täglichen Bedarfes um 25-150 Prozent (Obst bis 200 Prozent, Eier sogar 200-500 Prozent) bei anhaltendem Lohnstopp. Jedoch sei nicht die schlechte Lage an sich, sondern vor allem die ungerechte Verteilung der Anlass für die Proteste gewesen.366 Nach der ersten Welle im August mit hunderttausenden Teilnehmern367 und einer ruhigen Phase im September fanden in Stuttgart am 28. Oktober 1948 spontane Streiks, Plünderungen und Ausschreitungen statt. Dabei fuhren sogar amerikanische Panzer auf.368 Diese zweite Welle, so Fuhrmann, sei wahrscheinlich durch die gesetzlichen Grundlagen zur Umstellung der Sparkonten am 4. Oktober 1948 ausgelöst worden.369 Zwei Wochen später riefen die Gewerkschaften zu einem eintägigen Generalstreik ohne Demonstrationen auf.370 Die Streikbeteiligung war enorm. Gerhard Beier geht von 9,25 Mio. Menschen aus. Folglich betrug die Streikbeteiligung, bei einer Gesamtzahl der Arbeitenden von 11,7 Millionen, etwa 79 Prozent.371 Die Forderungen der Teilnehmenden lassen sich im zentralen Streikaufruf des Gewerkschaftsrats nachlesen: Neben verwaltungstechnischen Aspekten stehen vor allem Preiskontrollen und Ausgleichszahlungen für Sachwertbesitz an den ersten Stellen. Jedoch werden auch grundsätzliche Forderungen wie die »Überführung der Grundstoffindustrien und Kreditwirtschaft in Gemeineigentum« sowie die Demokratisierung der Wirtschaft erhoben.372 Interessant ist die zeitgenössische Deutung der Gewerkschaften bezüglich der Auswirkungen der Währungsreform, in deren Folge »die Arbeitenden mit leeren Taschen vor vollen Schaufenstern« gestanden hätten.373 Dieser Generalstreik findet in der Wirtschaftsgeschichte nahezu keine Beachtung. In den Überblicksdarstellungen ist er zumeist in wenigen Sätzen abgehandelt, in einigen Publikationen fehlt er gänzlich. Am 15. Juni 1953 begann mit dem Bauarbeiterstreik auf der Stalinallee gegen die geplante Erhöhung der Arbeitsnormen der größte Protest der Geschichte der DDR. Die Bauarbeiter organisierten eine spontane Großdemonstration, in deren Folge die Normerhöhung aufgehoben wurde. Jedoch entstand ein viel weitreichenderer Protest gegen die Politik der SED-Führung, so dass für den nächsten Tag der Generalstreik ausgerufen wurde. Vom 16. bis 21. Juni ereigneten sich vielfältige spontane Proteste, die von Betriebsversammlungen, Demonstrationen und Streiks bis hin zu Kaufhausbränden, Anschlägen auf Parteibüros sowie (vereinzelt tödlichen) Angriffen auf Beamte der Sicherheitsorgane reichten. Der Aufstand wurde von der sowjetischen Armee niedergeschlagen. Insgesamt starben bei den Auseinandersetzungen nach derzeitigen Schätzungen 55 Personen, von denen fünf den Sicherheitsorganen angehörten.374 366 367 368 369 370

Preissteigerungen: Fuhrmann (2017), S. 167. Ungerechtigkeit: Fuhrmann (2017), S. 68, 170f. Fuhrmann (2017), S. 172ff. Fuhrmann (2012), S. 107ff.; Fuhrmann (2017), S. 196ff.; Roesler (2008a), S. 47ff. Fuhrmann (2017), S. 170. Beier hat das Demonstrationsverbot auf den Beschluss der amerikanischen Besatzungsmacht zurückgeführt: Beier (1975), S. 38f. Fuhrmann betont demgegenüber den Unwillen der Gewerkschaftsführung: Fuhrmann (2017), S. 224. 371 Beier (1975), S. 44. Daran anschließend: Roesler (2008a), S. 68. 372 Quelle abgedruckt in: Fuhrmann (2017), S. 215; ebenfalls: Rosa-Luxemburg-Stiftung (2013). 373 Fuhrmann (2017), S. 216. 374 Kleßmann (2007), S. 362.

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In der Geschichtswissenschaft wird darüber gestritten, ob es sich um einen »Volksaufstand« oder einen »Arbeiteraufstand« gehandelt hat. Kleßmann ist der Meinung, dass Hermann Wentker mit der Charakterisierung »ein im Kern von Arbeitern getragener Volksaufstand mit revolutionären Zügen« ein Kompromiss gelungen sei. Andrew Port hingegen aktualisiert die Kritik am »Volksaufstand«, da sich nur ein geringer Teil der Bevölkerung beteiligt habe.375 Auch die Perspektive des »17. Juni« als Konflikt zwischen Bevölkerung und SED greift zu kurz, da sich viele SED-Mitglieder an den Protesten beteiligten. Außerdem gab es heftige Auseinandersetzungen in den Führungsebenen der Parteispitze, vor allem zwischen Ulbricht und dem Chefredakteur der Zeitung Neues Deutschland Rudolf Herrnstadt sowie dem Minister des Ministeriums für Staatssicherheit Wilhelm Zaisser. Letztere verlangten eine Abkehr vom Stalinismus.376 Ebenfalls ist es schwierig, die diffusen Forderungen zu vereinheitlichen. Kleßmann schreibt, dass sich diese zunächst auf die Normerhöhungen gerichtet hätten, im weiteren Verlauf sei es um eine »tiefgreifende Veränderung des politischen Systems und das Verschwinden seiner Führungsfiguren, ja sogar über die Abschaffung über freie Wahlen und Wiedervereinigung [gegangen]: Zweifellos war das gesamtdeutsche Element stark ausgeprägt. Wie es konkret zu gewichten ist, lässt sich kaum rekonstruieren. Denn bei aller elementaren Orientierung einer erdrückenden Bevölkerungsmehrheit am Westen, mußte eine solche Ausrichtung nicht ohne weiteres den grundsätzlichen Verzicht auf bestimmte Strukturreformen bedeuten, die von der SED als spezifisch sozialistische Errungenschaften gefeiert wurden. […] Ob Adenauer der große Hoffnungsträger der DDR-Bevölkerung war, lässt sich empirisch ebenso wenig belegen wie die gegenteilige Ansicht aus dem Umfeld der SPD«.377 Port schließt sich Siegfried Prokop an: »The privileges that the intelligentsia enjoyed were, over and over again, the bone of contention [Stein des Anstoßes] for the striking workers.«378 In der Folge des Massenaufstands wurde neben der Rücknahme der Normerhöhung die Konsumindustrie stärker gefördert. Auch sollte das Datum für die zukünftige Entwicklung der DDR von großer Bedeutung sein, da die Führung der SED bei politischen Auseinandersetzungen um Arbeitsbedingungen stets einen ähnlichen Aufstand befürchtete. Roesler ist der Meinung, dass die großen Proteste der Nachkriegsgeschichte die beiden Systeme sozialer gemacht hätten.379 375

Kleßmann (2007), S. 316; Port (2013), S. 121. Maximal zehn Prozent der arbeitenden Bevölkerung hätten sich an den Protesten beteiligt: Port (2010), S. 112. In der Wirtschaftsgeschichte spricht Hoffmann vom »Volksaufstand«; Roesler und Steiner äußern sich nicht zu dieser Frage: Hoffmann (2013), S. 42; Roesler (2006), S. 78f.; Steiner (2007), S. 87ff. 376 Kleßmann (2007), S. 358ff. Entgegen der Darstellung der DDR-Geschichtswissenschaft als »faschistischer Putsch« wurde der Aufstand nicht durch den Westen geplant und initiiert. Trotzdem waren wohl alle vom Westen unterstützten Gruppen, wie u.a. die terroristische – vom CIA finanzierte – Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit, aktiv am Aufstand beteiligt: Stöver (1999), S. 213. Auch zum Bund Deutscher Jugend (BDJ) finden sich einige Hinweise, die auf politische Aktionen rund um den 17. Juni hinweisen: Müller (2008), S. 83f., 113f., 129. 377 Kleßmann (2007), S. 344. 378 Port (2013), S. 122. 379 Roesler (2006), S. 79.

4. Schulbuchanalysen und Lehrpläne

4.1 Allgemein In diesem Kapitel erfolgt eine Auseinandersetzung mit bestehenden Schulbuchanalysen, welche die Darstellung von DDR und BRD unter einem der folgenden Gesichtspunkte betrachten: Zum einen die Arbeiten, die Schulbücher hinsichtlich der politischen Dimension untersuchen, solche, die sie hinsichtlich der kognitiven Dimension betrachten und jene, die den Themenbereich Wirtschaft in den Blick nehmen. In Bezug auf die Arbeiten zur BRD ist vorab zu bemerken, dass es keine Schulbuchanalysen explizit zur Nachkriegswirtschaft oder dem »Wirtschaftswunder« gibt. Stattdessen finden sich lediglich einige Arbeiten zum Thema, wie »Unternehmer« im Schulbuch dargestellt werden. Auch zur Wirtschaft der DDR existieren nur wenige, veraltete Arbeiten. Dafür werde ich umfassend die Schulbuchanalysen vorstellen, die sich der Darstellung des »SEDStaates« widmen, da diese die politische Dimension diskutieren und zudem wirtschaftliche Teilaspekte beinhalten. Insgesamt fällt auf, dass die kognitive Dimension in diesen Themenfeldern nicht analysiert wird. Weiterhin stelle ich am Ende des Kapitels in einem kurzen Abschnitt die Lehrpläne der 16 Bundesländer vor. Hierbei wird gezeigt, ob und wie die Kultusministerien curriculare Vorgaben machen, an denen sich die Schulbuchverlage orientieren müssen.

4.2 Bundesrepublik Im Gegensatz zur DDR-Wirtschaft wurden zur Wirtschaft der BRD einige Schulbuchanalysen veröffentlicht.1 Die meisten Publikationen sind normative Forschungen: Aus 1

An dieser Stelle soll auf einige Arbeiten verwiesen werden, die nicht näher betrachtet werden, aber den Leser*innen auch nicht vorenthalten werden sollen, da sie für einen Überblick über die wirtschaftshistorische Didaktik relevant sind: Klaus Hildebrandt kritisiert 1973 – in einer marxistischen Polemik – fünf Schulbücher für deren Darstellung von Industrieller Revolution und Weltwirtschaftskrise 1929, da sie die Krise auf subjektive Einflüsse wie Erfindungen oder das Phäno-

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

dem gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Umfeld existieren keine aktuellen Arbeiten.2 Sie stammen nahezu ausschließlich von den Arbeitgeberverbänden oder sind durch diese beauftragt und finanziert worden. Der inhaltliche Rahmen ist daher eine Analyse der Darstellung von Unternehmern in Schulbüchern und dabei vor allem eine Kritik daran, dass die Unternehmer entweder als »böse Kapitalisten« negativ konnotiert seien oder, dass ihre vermeintlich zentrale Rolle als Triebkräfte der Wirtschaft nicht entsprechend gewürdigt werde. Die These der überdurchschnittlichen Relevanz von Unternehmern wird dabei zumeist als nicht weiter erklärungsbedürftiges Postulat aufgestellt. Deshalb findet an dieser Stelle eine präzise Analyse statt. Besonders wichtig sind hierfür die Werke Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung (TwE) von 19113 sowie Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie (englisches Original 1939, deutsche Ausgabe 1944), in denen Schumpeter die Theorie des innovativen Unternehmers als Motor des Kapitalismus entwickelte. In der TWE beschreibt er, dass die wirtschaftliche Entwicklung von Unternehmern ausgehe, die neue Produkte herstellen, andere Absatzmärkte, neue Techniken oder Bezugsquellen erschließen würden – ökonomisch gesprochen in irgendeiner Form Produktionsfaktoren neu kombinieren. Der Unternehmer sei immer nur in dieser zeitlichen Phase Unternehmer und somit nicht deckungsgleich mit Firmenchef, Kapitalist, Aktienbesitzer, Einzelhändler oder ähnlichem. Er sei ein »Führer«, ähnlich dem »Feldherrn« und müsse sich gegen den sozialen Widerstand einer Mehrheit durchsetzen.4 Dieser Vorgang hebe den wirtschaftlichen Kreislauf auf eine neue Ebene. Damit der Unternehmer diese Funktion ausfüllen kann, brauche er Kredit, der zunächst inflationär wirke, aber sobald die Neuerung produktiv werde, gebe es erneut einen Kreislauf. Die Motivation des Unternehmers sieht Schumpeter in psychologischen Faktoren wie dem »Machtgefühl«, der »Freude am Gestalten« oder dem »Siegerwille« und nicht im materiellen Gewinn.5

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men der sogenannten Panikverkäufe verengen. Darüber hinaus kritisiert er die Fokussierung auf die politische Geschichte, anstatt die ökonomischen Strukturen einer bestimmten Epoche zu erklären: Hildebrandt (1973), S. 91. Ein aktuellerer Beitrag von Gerhard Henke-Bockschatz kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Sein Aufsatz ist jedoch didaktisch besser eingebettet: Henke-Bockschatz (2010). Auch der Aufsatz von Werner Plumpe zur historischen Perspektive der Wirtschaftskrise von 2008/2009 im selben Band der GWU, in dem er die Normalität und die produktive Wirkung von Krisen im Kapitalismus aufzeigt, ist lesenswert, wenn auch inhaltlich streitbar: Plumpe (2010). Die Ausnahme sind zwei ältere Arbeiten, die aber keine Schulgeschichtsbücher, sondern Politikbücher analysieren. Böttcher untersucht einige ausgewählte Schulbücher hinsichtlich ihrer Darstellung der Gewerkschaften. Zwar weist die Arbeit methodische Mängel auf; dies macht jedoch ihr grundsätzliches Resultat, dass über die Gewerkschaften in der Nachkriegszeit »fast nichts ausgesagt« werde, nicht weniger aussagekräftig: Böttcher (1976), S. 206. Jacobi und Bettien kommen bei der Analyse von neun Sozialkundebüchern mit gleicher Fragestellung zu einem ähnlichen Resultat: Jacobi/Bettien (1980). Durch das geringe Korpus der Bücher sind beide Arbeiten aber nicht repräsentativ. Ich verwende die siebte Auflage von 1987, die identisch mit der zweiten Auflage von 1926 ist, in der viel Kritik an der ersten Auflage eingeflossen ist. Die grundlegenden Kapitel zwei und drei wurden laut dem Vorwort im Vergleich zur ersten Auflage neu geschrieben. Schumpeter (1987), S. 100f., 116, 124ff. Schumpeter (1987), S. 138, 141-165.

4. Schulbuchanalysen und Lehrpläne

In Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie hat er seinen berühmten Terminus der »schöpferischen Zerstörung« formuliert.6 Zumeist wird heutzutage der schöpferische Teil dieses dialektischen Begriffspaares hervorgehoben. Dabei entwickelte Schumpeter den berühmten Terminus in einem Buch, in dem er das Scheitern des Kapitalismus begründet, welcher sich seiner eigenen Grundlage beraube. Schumpeter argumentiert mit der aufkommenden Rationalität im Kapitalismus, denn diese habe folgende Wirkung: Erstens entziehe sie Unternehmern durch die Automatisierung und Bürokratisierung Gewinn und Funktion.7 Zweitens verlören sie – und die sie schützenden Schichten des alten Feudalregimes – ihre Autorität, weshalb sie ihre Führerfunktion nicht mehr ausüben könnten. Drittens würden Bourgeoisie und Unternehmer dem Hedonismus verfallen, anstatt zu sparen und Kinder zu bekommen. Ihre Schicht löse sich somit auf. Viertens stünden Bourgeoisie, Intellektuelle und besonders die Arbeiterschaft dem Kapitalismus immer kritischer gegenüber.8 Nach Schumpeter hat Hayek die Theorie über die bedeutende Rolle der Unternehmer aufgegriffen – nun in der Form, wie es heute zumeist zitiert wird. Er hat zwar keine explizite Theorie entwickelt; in seinem bedeutenden Werk Der Weg zur Knechtschaft hebt er jedoch an vielen Stellen die Rolle des innovativen Unternehmertums hervor.9 Die einzige Arbeit in der Wirtschaftsgeschichte zum Konjunkturverlauf der BRD, die versucht einen empirischen Beweis durchzuführen, kommt von János Kornai (siehe Seite 99). Sie beinhaltet ein Negativ-Argument – nämlich die systemimmanente Innovationsschwäche der Planwirtschaft. Ich bin bereits auf die Schwächen seiner Argumente eingegangen. Hiermit kann ebenfalls nicht die Wirkung vom Unternehmer belegt werden, der sich vom Anreiz des Marktes oder der Anerkennung leiten lasse. Insgesamt muss an Schumpeter kritisiert werden, dass es keinerlei empirische makroökonomische Befunde zu seiner Theorie gibt und aus wirtschaftshistorischer Perspektive eher fragwürdig erscheint, ob tatsächlich mutige große Männer die wirtschaftliche Entwicklung bestimmen. Die Theorie ist in der Wirtschaftsgeschichte zum »Wirtschaftswunder« berechtigterweise nicht präsent. Gleichzeitig bietet Schumpeter ein faszinierendes Geflecht unterschiedlicher Theorieansätze, die als eigenwillig, absurd und gleichzeitig inspirierend bezeichnet werden können. Ich kann an dieser Stelle kein abschließendes Urteil über die Arbeiten von Schumpeter insgesamt treffen, aber für die Entwicklung der Wirtschaft der BRD sowie der sogenannten »Sozialen Marktwirtschaft«, die umfassend erforscht ist, sind keine Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Unternehmern, Konjunkturentwicklung und sonstigen sozio-ökonomischen Fortschritten erkennbar. Selbstverständlich sind gut ausgebildete Menschen von hoher Bedeutung, aber ob leitende Unternehmer, deren Betriebe oftmals andere Firmen oder sich selbst in die Insolvenz führen, wichtiger sind als Krankenpfleger, Ingenieurinnen, Feinmechaniker oder Ärztinnen, dürfte fraglich sein. Angelehnt an die Theorien von Schumpeter und ausgehend von den politischen Forderungen der Europäischen Kommission hat die Wirtschaftsdidaktik das pädago-

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Schumpeter (2005), S. 134ff. Schumpeter (2005), S. 213-218, 513ff. Schumpeter (2005), S. 219-264, 513ff. Zum Beispiel: Hayek (1981), S. 58ff.

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

gische Konzept der »Entrepreneurship-Education« entwickelt. Durch die Ausführungen zum Unternehmertyp von Schumpeter dürfte deutlich geworden sein, dass die »Entrepreneurship-Education« ein fragwürdiges bildungspolitisches Ziel darstellt. Es ist mit einem demokratischen und anti-patriarchalen Gesellschaftsverständnis nicht vereinbar.10 Ohnehin ist die Europäische Kommission keine didaktische und wissenschaftliche Instanz, sondern ein politisches Exekutivorgan, dessen Beschlüsse für die Wissenschaft keine Relevanz haben sollten. Dennoch fragen einige, im Folgenden betrachtete, Schulbuchanalysen, ob die »Entrepreneurship-Education« in den Schulbüchern berücksichtigt wird.11 Allerdings wird diese Herangehensweise an sich nicht kritisch hinterfragt. So ist die Frage nach der »Entrepreneurship-Education« der Ausgangspunkt für die Arbeit von Helmut E. Klein, der 42 Schulgeschichtsbücher betrachtet hat. Außerdem analysiert er die Darstellung der »Sozialen Marktwirtschaft«, die er mit Eucken definiert.12 Kleins Methode besteht darin, die Schulgeschichtsbücher nach Schlüsselbegriffen wie »Wirtschaftsordnung, Soziale Marktwirtschaft, Arbeitslosigkeit, Sozialpartner, Wirtschaftswachstum usw.« abzusuchen. Anhand von Zitaten aus einzelnen Schulbüchern will er sodann zeigen, dass die häufige Nennung des Begriffes »Soziale Marktwirtschaft« einen zu hohen »Grad der Stoffvermittlung vortäuscht«13 , da die Inhalte nicht vermittelt werden würden. Damit zeigt er selbst die geringe Aussagekraft seiner Methodik. Er zitiert darüber hinaus aus einigen Schulbüchern, wie diese die Ursachen des Wirtschaftswachstums und in diesem Zusammenhang die »Soziale Marktwirtschaft« erklären und kritisiert dabei, dass »weitere Ausführungen«, »sachkundige Zusatzerklärungen«, »weiterführende Erläuterungen«, »wirtschaftliche (Kreis- und Ordnungs-)Zusammenhänge«, »Hinweise auf Wettbewerb, Produktivität und Kostenprinzip« fehlen würden.14 Insgesamt müssten die Schulbücher demnach alles ausführlicher erklären. Dies ist allerdings eine schwache Kritik, denn Schulbücher müssen den Text leicht verständlich und kurz formulieren. Andererseits stört es Klein nicht, wenn die Schulbücher den Boom mit der »Sozialen Marktwirtschaft«, Erhard, »Unternehmern« und »zurückhaltenden Gewerkschaften« erklären, womit die wichtigsten Thesen der Wirtschaftsgeschichte (intakte Industrie, Kontinuität des Produktionsregimes, weltweiter Aufschwung, Korea-Boom, viele Arbeitskräfte durch Migration, Rekonstruktion, Catch-up) nicht beachtet werden. Die Standardwerke der Wirtschaftsgeschichte hat Klein nicht berücksichtigt. Insgesamt kommt er zu dem Fazit, »dass in den meisten Geschichtsbüchern unternehmerund marktkritische Werthaltungen teilweise offen, teilweise unterschwellig gefördert werden«. Die einzige Stelle aus den 42 Schulbüchern, die er jedoch für diese generalisierende Aussage zitiert, ist die Folgende:

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Siehe ausführlich: Krüger (2019). Grindel (2009), S. 18; Lässig/Grindel (2007), S. 46; Klein/Schare (2011), S. 48. Klein/Schare (2011), S. 32. Klein/Schare (2011), S. 60. Klein/Schare (2011), S. 60ff.

4. Schulbuchanalysen und Lehrpläne

»In den letzten 40 Jahren hat sich die Bundesrepublik zu einer der modernsten und wohlhabendsten Gesellschaften der Welt entwickelt. Massenkonsum und Wohlfahrtsstaat wurden besonders in den letzten 20 Jahren bis an die Grenzen des Überflusses der finanziellen Möglichkeiten und der ökologischen Gefährdung ausgebaut.«15 Grundsätzlich fehlen in der Analyse sämtliche Bezüge zu Bildern, Aufgabenstellungen und Quellen, aus denen sich eine Gesamtnarration der Schulbücher zusammensetzt. Letztlich beinhaltet der Kommentar von Klein lediglich den Abgleich der Schulbücher mit den Theorien des Neoliberalismus. Nahezu alle Kritikpunkte treffen auch für den Aufsatz von Justus Lenz zu, der laut Selbstbeschreibung 17 Schulgeschichtsbücher analysiert hat. Zur Nachkriegswirtschaft schreibt er zwei Seiten, auf denen ohne Methode wenige Ausschnitte kommentiert werden. Fast schon amüsant ist, wenn man die äußerst positive Darstellung in deutschen Bildungsmedien kennt, folgende Behauptung: »Die Beschreibung der Sozialen Marktwirtschaft ist aber nicht grundsätzlich negativ, […].« Viel Raum widmet er dem »fragwürdigen Inhalt« der schlechteren Startbedingungen für die DDR. So habe – auf diesen Aspekt fokussiert sich Lenz besonders – die Teilung des Wirtschaftsraumes schließlich beide Staaten betroffen.16 Allerdings führt er diese fragwürdige Aussage – z.B. mit wirtschaftshistorischer Literatur – nicht aus. Ähnlich ist die Arbeit von Gary Merret zu bewerten, der eigenartigerweise durch seine These der »Hetzjagd gegen die freie Marktwirtschaft an deutschen Schulen« große Aufmerksamkeit erregt hat – an der Qualität seiner Publikation kann es jedenfalls nicht liegen.17 Eine weitere Schulbuchanalyse mit dem Titel Ludwig Erhard im Spiegel bayrischer Schulbücher, die immerhin als Dissertation an der Universität Tübingen eingereicht wurde, hat Christine Barthel verfasst. Ihre These lautet: »Ludwig Erhards Soziale Marktwirtschaft wird in den Schulbüchern immer noch aus dem Vergleich mit administrativen Wirtschaftssystemen abgeleitet. Für moderne Wirtschaftsschulbücher müsste aber gelten, dass die Soziale Marktwirtschaft aus ihren liberalen Traditionen abzuleiten wäre, damit Schüler sie als gültiges modernes Konzept für eine komplexe, global verfasste Welt begreifen und verinnerlichen können.«18 Selbstverständlich könnte man diese normative und unhistorische Perspektive ausführlicher betrachten, aber ich denke, die Kritik an Barthel sollte eher an anderen Bereichen ansetzen: Einerseits fehlt die Schulbuchanalyse als Methodik: Außer zwei Aufsätzen von Wiater und Stein führt sie keinerlei Lektüre zur Schulbuchanalyse an. Laut eigener Aussage hat sie sich für die »hermeneutische Methode« entschieden19 , wodurch ihre Arbeit 15 16 17

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Klein/Schare (2011), S. 60. Lenz (2010), S. 33. Er analysiert nur ein einziges Schulgeschichtsbuch, nämlich Geschichte und Geschehen, und bewertet es lediglich dahingehend, ob es die Theorien von Mises (explizit genannt) und Hayek (implizit mit seiner Deutung der Krise 1929 genannt) wiedergibt: Merret (2008), S. 11ff. Ansonsten werden einzelne Politik- und Erdkundebücher beschrieben. Barthel (2007), S. 11. Barthel (2007), S. 12ff.

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zur willkürlichen Zitatenschau wird. Andererseits ist die fachwissenschaftliche Ebene zu kritisieren, für die eine Rezension von Löffler herangezogen werden kann. Löffler schreibt, »dass eigentlich alle einschlägigen wirtschaftshistorischen Arbeiten souverän ignoriert werden: Die Namen Abelshauser, Borchardt, Buchheim, Lindlar, Nützenadel etc. sind der Autorin offenbar gänzlich unbekannt«20 . Dem schließe ich mich an. Noch relevanter erscheint mir allerdings die Nichtberücksichtigung der wichtigsten Biografie über Erhard von Hentschel. Es lohnt sich nicht, auf die unzähligen möglichen Kritikpunkte einzugehen. Es drängt sich die Frage auf, wie diese Arbeit von der Universität Tübingen als Dissertation angenommen werden konnte. Meine hier formulierte Kritik an Arbeiten aus dem Spektrum der Arbeitgeberverbände ist nicht neu. Bereits Stein kritisiert das Institut der deutschen Wirtschaft für dessen instrumentelle Haltung zur Schule: »Die geistige und politische Auseinandersetzung über die Rolle des Unternehmertums in unserer freiheitlichen-demokratischen von der sozialen Marktwirtschaft geprägten Staats- und Gesellschaftsordnung wird auf vielen Feldern, auch dem der Schule [sic!] geführt. Dazu bedient man sich nicht selten schulischer Unterrichtsmittel.«21 Besonders treffend formuliert er die Kritik an der Konzeption der Arbeiten, die ziemlich genau denen von Lenz, Klein, Merret und Barthel entspricht: »Die derzeit populäre Schulbuch-Schelte ist an eingehenden Schulbuchuntersuchungen im Grunde überhaupt nicht interessiert; sie basiert zumeist auf nur partiellen ›Inhaltsanalysen‹ von Lehr- und Lernmitteln und betreibt ›Schulbuch-Kritik‹ als selektive Zitatenschau.«22 An dieser Stelle möchte ich noch Peter Meyers zitieren, der fordert: »Wertungen über Schulbücher sollen nur vorgenommen werden, wenn sich die Personen in den Wissenschaftsbereich eingearbeitet haben.«23 Bei den bisher genannten Autor*innen ist dieser Anspruch nicht erfüllt worden. Eine kürzlich veröffentlichte Arbeit von Jürgen Schlösser und Michael Schuhen, die 40 Schulbücher aus Politik, Geschichte, Erdkunde und Gesellschaftslehre untersuchte, hat zumindest eine didaktische Konzeption24 – wenn auch sämtliche aktuelle Schul-

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Löffler (2008), S. 1. Stein/Beddies (1979), S. 18. Er bezieht sich auf die Arbeit von Hanne Michalak, die anhand von 21 Politikschulbüchern die überwiegend kritische Darstellung von Unternehmern bemängelt: Michalak (1978), S. 255ff. Wesentlich differenzierter ist die Arbeit von Hanne Braun, die 33 Politikbücher der Jahre 1977/78 theoretisch fundiert nach der Darstellung der Unternehmer analysiert. Ihr Fazit fokussiert stärker die unterschiedlichen Vorstellungen von Unternehmern: Braun (1981), S. 543ff. Sie zeigt im konkreten Fall der Nachkriegswirtschaft der BRD, dass den Unternehmern eine wichtige Rolle für den Aufschwung zugeteilt wird: Braun (1981), S. 310ff., 369ff. Aber auch Braun verklärt an vielen Stellen das Unternehmertum, z.B.: Braun (1981), S. 304ff. Vermutlich aufgrund dieser Arbeiten urteilt Pöggeler wie folgt: »Schulbuchautoren sind ferner mitverantwortlich dafür, dass Unternehmer in vielen Schulbüchern überhaupt nicht vorkommen«: Pöggeler (2003), S. 48. Stein/Beddies (1979), S. 25. Meyers (1976), S. 69. Schlösser/Schuhen (2017), S. 7ff.

4. Schulbuchanalysen und Lehrpläne

buchanalysen unberücksichtigt bleiben. Ich werde die Studie am eigenen Anspruch messen: »Dementsprechend werden innerhalb unseres Bezugsrahmens die inhaltlichen Bausteine der Sozialen Marktwirtschaft/des Unternehmertums sowie die in diesem Zusammenhang zentralen didaktischen Merkmale auf Inhalts- und Vermittlungsebene beschrieben bzw. durch Leitfragen charakterisiert. Bei der Bewertung interessiert zunächst aus fachwissenschaftlicher Perspektive, ob Inhalte vollständig und korrekt nach der herrschenden Lehrmeinung im Schulbuch wiedergegeben werden.«25 Im Abschnitt zu den Geschichtsbüchern werden zunächst die industrielle Revolution sowie die Darstellung von Industriellen wie Alfred Krupp beschrieben. Dabei resümieren die Autoren, dass letztlich die technischen Innovationen und nicht die »Unternehmerpersönlichkeit« im Fokus stehen würden. Besonders interessant ist der Abschnitt zum deutschen »Wirtschaftswunder«. Gleich zu Beginn kritisieren Schlösser/Schuhen die nahezu fehlende Erwähnung von »unternehmerischer Dynamik« für den Aufschwung. Danach heben die Autoren aus dem Schulbuch Zeitreise das folgende Zitat (eingeschränkt) positiv hervor: »Für den Boom gab es viele Gründe: Durch die Gelder des Marshall-Plans konnten die Unternehmer moderne Maschinen anschaffen und so die Produktion steigern. Hochwertige Industrieprodukte waren auf dem Weltmarkt gefragt, sodass der Export deutscher Produkte ins Ausland zunahm. Den Gewinn investierten die Unternehmer wieder. Auch das Angebot an Konsumgütern wuchs, denn die Nachfrage nach dem Krieg war hoch.«26 Wenn Schuhen und Schlösser diesen Abschnitt loben, stellt sich die Frage, ob sie die Funktion des ERP verstanden haben (siehe Seite 83). Zudem bestanden die ERPLieferungen aus Agrargütern. Aus dem Buch Das waren Zeiten wird eine Beschreibung der »risikobereiten Unternehmer« zitiert, die Arbeitsplätze schaffen würden und das »Wirtschaftswunder« ermöglicht hätten. Außerdem loben Schlösser/Schuhen die Formulierung über die »zurückhaltenden Gewerkschaften« in Buchners Kolleg. Einige Absätze weiter steht die Betrachtung der Wirtschaftsordnung in Ost und West im Fokus.27 Positiv bewerten die Autoren das Schulbuch Geschichte entdecken und verstehen für die Darstellung der ökonomischen und rechtlichen Rahmenordnung der BRD, die sich durch »Privateigentum«, »Streikrecht« und den Ausbau des Sozialstaates erschließe. Diese Definition charakterisiert die ökonomische Nachkriegsordnung allerdings nur bedingt. Selbige Rahmenordnung fehle, so die Autoren, in Geschichte kennen und verstehen. Hier erfolge die Erklärung des »Wirtschaftswunders« anhand von »Ludwig Erhards Modell der sozialen Marktwirtschaft«, dem »Marshallplan«, den vom Staat begünstigten Investitionen der Unternehmer, den zurückhaltenden Lohnforderungen der Gewerkschaften und anhand der Zuwanderung durch Flüchtlinge und Vertriebene.

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Schlösser/Schuhen (2017), S. 11. Schlösser/Schuhen (2017), S. 20. Schlösser/Schuhen (2017), S. 22ff.

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

Schlösser/Schuhen kommen zu dem Schluss, dass die spezifisch deutsche Ordnungspolitik stärker in die Analyse einbezogen werden müsse. Sie halten diese Position für so selbstverständlich, dass ein Abgleich mit der Standardliteratur der Wirtschaftsgeschichte offenbar nicht für notwendig gehalten wird. Wie in den vorherigen »Schulbuchanalysen« fehlt jegliche relevante Literatur. Auf einer einzigen Seite gehen die Autoren auf die Darstellung der Planwirtschaft ein und beschreiben, dass diese zumeist »kontrastierend« stattfinde. Dabei wollen Schlösser/Schuhen die »negativen Auswirkungen« der Planwirtschaft, die anscheinend selbstverständlich sind, aus den Schulbüchern ermitteln. Sie bewerten die Schulbücher positiv, da diese »Fehlplanungen, Versorgungsengpässe« und »Repressionen« thematisieren und schlagen zudem die Hervorhebung des Wettbewerbs von Unternehmern und Konsumenten vor, um damit die Ursprünge von Innovationen zu ergründen. Auch hier fehlt die Standardliteratur der Wirtschaftsgeschichte. In einem anderen Abschnitt kritisieren die Autoren, an dieser Stelle ausnahmsweise überzeugend, einen DT in Geschichte entdecken und verstehen, der das plötzliche Auftauchen der Waren nach der Währungsreform 1948 beschreibe. Denn er führe zu keinerlei analytischem Verständnis. Als Gegenbeispiel, welches dieser Aufgabe besser gerecht werde, zitieren sie einen Auszug aus Das waren Zeiten: »Der radikale Währungsschnitt nahm – zum zweiten Mal während einer Generation – den Unter- und Mittelschichten ihre Sparguthaben und bevorzugte die Eigentümer von Grundstücken, Häusern und Schmuck. Er drängte den Schwarzhandel zurück und bescherte den Lohn- und Gehaltsempfängern neue Kaufkraft.« Allerdings bleibt fraglich, ob sich die Kaufkraft für Lohnempfänger*innen wirklich erhöht hat. Die Währung besaß zwar nach der Währungsreform Kaufkraft, aber viele Menschen hatten keine Währung. Auf die Währungsreform wird an vielen Stellen nochmals eingegangen. Schlösser und Schuhen bewerten Das waren Zeiten als eines der besten Bücher. Ich werde Das waren Zeiten in Abschnitt 6.2.1 analysieren. Eine erfreuliche Ausnahme bei der Betrachtung bestehender Schulbuchanalysen bildet die Studie von Simone Lässig und Susanne Grindel, die ebenfalls das Bild von Unternehmern im Schulbuch (davon 20 Schulgeschichtsbücher der Jahre 1999-2007) analysieren, da diese tatsächlich didaktisch fundiert ist. Weshalb die Geschichtsdidaktikerinnen des Georg-Eckert-Instituts sich dieser bereits normativ ausgerichteten Fragestellung annahmen, ist jedoch unklar. Die Tatsache, dass das Drittmittelprojekt durch die INSM finanziert wurde, könnte einen Hinweis auf den Hintergrund dieser Entscheidung geben. Lässig/Grindel zeigen zunächst auf, welche Ansätze es in der ökonomischen Bildung gibt und stellen danach ihre Methodik vor, die aus Frequenzanalyse, qualitativer Inhaltsanalyse und hermeneutischer Inhaltsanalyse besteht (siehe ausführlicher in Kapitel fünf).28 Meiner Ansicht nach ist die Methodik jedoch nicht hinreichend aussagekräftig. So beinhaltet die qualitative Inhaltsanalyse eine Überprüfung der Grundbegriffe der Wirtschaftsordnung, Unternehmer/Unternehmen, Interessenvertretung und Staat anhand der Abstufungen »ausführlich, knapp, punktuell, keine«. Welche Kriterien 28

Lässig/Grindel (2007), S. 9ff. Eine Kurzfassung der Studie: Grindel (2009), S. 18ff.

4. Schulbuchanalysen und Lehrpläne

z.B. einer »knappen« Berücksichtigung der Wirtschaftsordnung zu Grunde liegen, ist allerdings nicht erläutert.29 Ihre hermeneutischen Aussagen über alle Schulgeschichtsbücher lassen trotzdem nachvollziehbare Schlüsse zu. So heißt es hier: »Die gesamte wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands in den beiden ersten Jahrzehnten nach 1945 scheint ohne Unternehmer auszukommen. Im Spiegel der meisten Schulbücher waren es Institutionen und politische Entscheidungen, die den Wiederaufbau westdeutscher Wirtschaftsstrukturen ermöglichten. Dabei lassen die Geschichts- und Gemeinschaftskundebücher zwar Wirtschaftsminister Ludwig Erhard als starken personalen Einflussfaktor gelten, nicht jedoch einzelne Unternehmer.«30 Weiterhin stellen die Autorinnen fest, dass eine ausführliche Behandlung des Wirtschaftssystems der »sozialen Marktwirtschaft« zu finden sei, deren Herleitung besonders aus dem Vergleich der Systeme heraus erfolge.31 In der Bewertung der Ergebnisse finden sich jedoch Aussagen, die sich widersprechen und damit das Ergebnis an sich in Frage stellen: »Kurzum: Deutsche Schulbücher fordern über die Gegenüberstellung von Wirtschaftstheorien, fiktiven Streitgesprächen, einander widerstreitenden Quellenausschnitten oder Karikaturen zur konstruktiv-kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema (soziale) Marktwirtschaft auf und versuchen die Schüler zu eigenständiger Urteilsbildung und problemlösendem Denken anzuregen.«32 Demgegenüber: »Bei der Darstellung der Wirtschaftsordnung ist das klare Bekenntnis zum Modell der sozialen Marktwirtschaft unübersehbar. Hier spiegelt sich offenbar ein breiter gesellschaftlicher Konsens, an dem nicht gerüttelt wird. In vielen Büchern werden Ludwig Erhard und das von ihm vertretene Konzept der sozialen Marktwirtschaft ausschließlich positiv konnotiert und oft ohne realisierbare Alternative präsentiert. Schülern dürfte es insofern recht schwer fallen, sich im Vergleich mit anderen Konzepten eine fundierte Meinung über die Vorzüge, Nachteile und Entwicklungsperspektiven dieses Modells zu bilden.«33 Auch wenn die Arbeit von Lässig/Grindel sicherlich die beste Untersuchung zur BRDNachkriegswirtschaft im Schulbuch ist, bleibt vieles unklar: Zumeist wird versucht, in einem Absatz die Darstellungen von diversen Büchern zusammenzufassen und anhand einzelner Zitate eine Feststellung hervorzuheben. Welchen Inhalt die Darstellungstexte konkret haben, welche Quellen angeboten werden und wie die Aufgabenstellungen

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Das ausführliche Analyseschema ist in der Studie nicht angehängt, kann aber bei den Autorinnen angefordert werden. In diesem Anhang findet sich die qualitative Inhaltsanalyse für Schulgeschichtsbücher (S. 41ff.). Die Methodik ist angelehnt an: Marienfeld/Overesch (1986), S. 9ff. Darin ist die Zuordnung zu Inhaltskategorien überzeugender, denn jede Kategorie wird anhand der Seiten- und Zeichenzählung als »ausführlich, knapp, punktuell, keine Information« eingeteilt. Lässig/Grindel (2007), S. 26. Lässig/Grindel (2007), S. 38f. Lässig/Grindel (2007), S. 43. Ähnlich: Grindel (2009), S. 24f. Lässig/Grindel (2007), S. 45.

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strukturiert sind, bleibt vage. Für Lässig/Grindel gilt ebenfalls: Es fehlen sämtliche wirtschaftshistorischen Standardtexte. Dem Thema Unternehmer widmet sich auch Matthias Steinbach in seinem anfänglich sehr spannenden Aufsatz zur Analyse von Industrieellenbildern in den Schulbüchern der BRD und der DDR. Leider übernimmt er im weiteren Verlauf nahezu unkritisch die Erzählung über die Unternehmer als ökonomische Triebkraft und fordert für die Didaktik: »[Es] müsste die Darstellung und Bewertung wirtschaftsbürgerlicher Wertschöpfung künftig verstärkt zum Gegenstand vergleichender Schulbuchuntersuchungen gemacht werden.«34 Besonders für die Didaktik finde ich diesen Aspekt sehr bedenklich: Der mutige Unternehmer als großer Mann der Geschichte und als (exponentiell) wertschöpfende Figur, als Antriebskraft der Wirtschaft und der Geschichte, ist ein kognitiver Rückschritt.35 Nicht akzeptabel ist zudem die Formulierung, in Deutschland gebe es eine »weitverbreitete Logik des totalen Sozialstaats« und eine »Dämonisierung von Reichtum«. Angesicht der drastisch auseinanderklaffenden Vermögen ist die Nazi-Anspielung auf den totalen Staat fehl am Platz.36 An welcher Stelle in dieser Gesellschaft Reichtum »dämonisiert« wird, ist ebenfalls nicht nachvollziehbar. Pandel hingegen kritisiert die Schulbücher für die verklärende Darstellung der Unternehmer. Diese trügen wohl zu dem »inkongruenten Erklärungsmodell« von Armut und Reichtum bei, das er bei Schüler*innen beobachtet habe: »Während Armut überwiegend als durch unbeeinflussbare Gegebenheiten … verursacht gesehen wird, soll Reichtum wesentlich die Frucht individueller Bemühungen sein.«37 Zusätzlich zu den bisher rezensierten Arbeiten wurden Publikationen herausgegeben, die entweder nur wenige Schulbücher oder primär andere thematische Aspekte der Nachkriegszeit analysiert haben. Hier möchte ich kurz deren wirtschaftliche Aspekte besprechen. Uwe Uffelmann hat Anfang der 1980er Jahre einen Aufsatz und eine zweibändige didaktische Konzeption für die Wirtschafts- und Sozialgeschichte veröffentlicht, die »neue Forschungsergebnisse« berücksichtige. Der fachwissenschaftliche Teil, der von Trittel und Klemm scharf kritisiert wurde38 , nimmt allerdings einen großen Anteil ein.39 Trotzdem verwendet Uffelmann interessante Materialien – von denen 34

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Steinbach (2006), S. 232. Auch an anderer Stelle finden sich die neoliberalen Paradigmen: So kritisiert Steinbach die Darstellung von Bergmann, der Arbeit vor allem als anstrengend und entfremdet und Unternehmer vor allem als besitzend und nicht arbeitend charakterisiere: »Keine Spur von Lust, Kreativität, Selbsttätigkeit und Können, von den Frühaufstehern, von Ehrgeiz, Leistungswillen oder religiösen Eifer […]. Ob hiermit »das Schlüsselproblem ›sozialer Ungleichheit‹ adäquat zu erfassen ist, erscheint mir jedenfalls höchst fraglich«: Steinbach (2006), S. 227. Zu Beginn des Aufsatzes heißt es demgegenüber: »Mit guten Gründen wandte sich eine emanzipatorische Geschichtsdidaktik, wie sie dann von Anette Kuhn, Bergmann u.a. vertreten wurde, gegen den am Beispiel Borsigs gezeigten personalisierenden Zugriff. Mit dem Mythos vom guten Firmengründer wie vom omnipotenten Herrscher, so ihr Einwand, würden autoritäre Ordnungsund Verhaltensmuster propagiert und eine latente Furcht vor Sozialdemokratie und Sozialismus geschürt«: Steinbach (2006), S. 224. Steinbach (2006), S. 228, 231f. Siehe die bemerkenswerte Studie von Marcel Fratzscher über die extreme Ungleichheit in Deutschland und die geringe gesellschaftliche Mobilität in Deutschland: Fratzscher (2016), S. 9f., 52, 58. Pandel (1987), S. 137f. Klemm/Trittel (1985), S. 1ff. Uffelmann (1982), S. 3ff.; Uffelmann (1984a), S. 13ff.

4. Schulbuchanalysen und Lehrpläne

jedoch viele zu umfangreich für den Unterricht sind –, die vielseitiger sind als in den meisten Schulbüchern. Er räumt den Kontroversen um den Kapitalismus, der Alltagswahrnehmung vieler Menschen sowie den Gewerkschaften größeren Raum ein.40 Darauf aufbauend fragt eine Schulbuchanalyse, die aus drei Aufsätzen besteht, ob die neuen wirtschaftshistorischen Erkenntnisse (vor allem Abelshauser) Eingang in die Schulbücher gefunden hätten: Uffelmann untersucht zwei exemplarische Schulbücher und die Lehrpläne von Baden-Württemberg und stellt dabei fest, dass das Wirtschaftsparlament der Bizone nicht berücksichtigt werde, obwohl es große Bedeutung für die BRD gehabt habe.41 Heinz Pfefferle kritisiert sechs »repräsentative Schulbücher« für die starke »Uniformität«, die sich größtenteils auf Währungsreform und Marshallplan stützen würde. Die Zeit bis 1948, die wirtschaftspolitische Vereinbarung von Potsdam sowie die ordnungspolitische Debatte um den Kapitalismus würden ausgeblendet werden.42 Doris Obschernitzki analysiert 17 Schulbücher (acht Schulgeschichtsbücher) für die Berufsschule und kommt zu dem Ergebnis, dass die neuen Forschungen nicht berücksichtigt worden seien: »Noch herrscht das Bild der total zerstörten deutschen Wirtschaft vor, für die erst durch den Marshallplan und die Währungsreform das ›Wirtschaftswunder‹ anbrach.« »Das Volk« bleibe bei der Darstellung »passiv«. Ein Vergleichsbuch für das Gymnasium sei jedoch differenzierter.43 Eine weitere Schulbuchanalyse von Rolf Oberliesen und Klaus Jürgen Bönkost im Auftrag des Bildungsministeriums (1997) betrachtete nur zwei Geschichtsschulbücher, die sich mit dem Thema meiner Arbeit beschäftigten. Laut den Autoren werden in den Büchern die Währungsreform, der »Marshallplan« und die »Soziale Marktwirtschaft« erklärt, weitere Ausführungen machen sie dazu nicht.44 Michael Friemel hat die Vermittlung der Nachkriegszeit anhand von 21 Schulbüchern analysiert. Dabei hat er u.a. die Darstellung der Währungsreform untersucht und bescheinigt lediglich zwei bis drei von 21 Büchern eine »kritische Darstellung« der Währungsreform. Zudem würden wichtige ökonomische Begriffe wie »Kapitalbildung« und »Kapitalismus« vermieden werden.45 Eine didaktisch fundierte Analyse haben Kühberger/Mellies mit dem Titel Inventing the EU veröffentlicht. In Erweiterung der empirischen Konzepte von Schreiber und Schöner wurden fünf deutsche Schulgeschichtsbücher bezüglich der fachlichen, narrativen und normativen Triftigkeit der Narrationen zur Geschichte der Europäischen Union (EU) hin überprüft. Sie kommen zu einem ambivalenten Ergebnis, da einerseits narrative Bausteine vorhanden sind, andererseits jedoch eine wenig kontroverse Erfolgsgeschichte der EU erzählt wird. Während die Arbeit insgesamt sehr überzeugend ist, muss aus wirtschaftshistorischer Perspektive trotzdem Kritik angemerkt werden, da die Literatur für die fachliche Triftigkeit zur EU lediglich aus politikgeschichtlichen Arbeiten (vor allem Gerhard Brunn und Tony Judt) besteht. Wirtschaftshistorische Erkenntnisse – z.B. zum ERP, zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) und 40 41 42 43 44 45

Uffelmann (1984b). Uffelmann (1986). Müller u.a. (1986), S. 33ff. Müller u.a. (1986), S. 35ff. Bönkost/Oberliesen (1997), S. 287ff., 299ff. Friemel (1973), S. 150.

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zur EWG – bleiben unberücksichtigt46 , obwohl diese Betrachtungen viel kontroverses Material liefern würden, wie es die Autor*innen selbst für wünschenswert halten. Hier könnten – um dies beispielhaft zu zeigen – Erkenntnisse einfließen, die das ERP und die westeuropäische Integration vor allem als Instrument des »Kalten Kriegs« charakterisieren und somit der Meistererzählung der EU als Friedensprojekt deutlich entgegenstehen. Auch aus zeitgenössischer Perspektive spielte die westeuropäische Integration als Element des »Kalten Kriegs« eine wichtige Rolle. Dies zeigen (nicht zuletzt) die Debatten innerhalb der SPD und der großen Friedensbewegung, die die Konflikt verschärfende Wirkung der Einbindung in die NATO – ohne die es eine Integration nicht gegeben hätte – kritisieren.47 Quellen zu diesen Meinungen würden die Triftigkeit der Schulbuchnarration sicherlich deutlich erhöhen. Auch für die Darstellung der Euro-Zone würde eine wirtschaftshistorische Perspektive das Material bereichern. Der Schulbuchanalyse liegt fast ausschließlich die europäische Idee zugrunde, wobei nicht gefragt wird, welches konkrete ökonomische Interesse die Staaten an der Euro-Zone hatten bzw. haben.48 Die Codierungen der Schulbuchanalyse könnten enthalten, dass die BRD von der Abwertung des Euros durch die wirtschaftlich »schwächeren« Länder in Süd- und Osteuropa einen Vorteil im Exportsektor hat. Auch die Restrukturierung der amerikanischen Schulden im Verfassungskonvent 1787, die Alexander Hamiltons Theorie der Notwendigkeit von Ausgleichszahlungen bzw. gemeinsamer Schulden innerhalb einer Währungsunion Realität werden ließ, wären mit einer didaktischen Reduktion für den Unterricht verwendbar. Daran wird deutlich, dass die Wirtschaftsgeschichte hilfreichen Stoff für die aktuellen politischen Probleme der EU bietet.49 Letztlich bleibt als Resümee aus der Arbeit von Kühberger/Mellies deren didaktische und methodische Qualität, die meiner Arbeit als wichtige Grundlage dient, und die Feststellung, dass Schulbuchanalysen und die Geschichtsdidaktik wirtschaftshistorische Perspektiven brauchen.

4.3 DDR 4.3.1 Schulbücher zwischen SED-Staat und Alltagsgeschichte In der Geschichtsdidaktik wird eine Debatte um die politische Darstellung der DDR geführt, die im besonderen Maße mit der Schulbuchforschung verknüpft ist. Bereits

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Kühberger/Mellies (2009), S. 70ff.; Kühberger/Mellies (2009), S. 84ff. Zur EWG/EU urteilt Stöver: »Zunächst jedoch blieb auch die EWG ein Instrument des Kaltes Kriegs«: Stöver (2007), S. 100. Ähnlich: Abelshauser (2016a), S. 540ff. Spannend ist außerdem die Personalie Walter Hallstein als erstem Präsidenten der Europäischen Kommission, der unter Adenauer im Auswärtigen Amt Staatssekretär gewesen war. Dieser konzipierte gemeinsam mit seinem Mitarbeiter Wilhelm Grewe – übrigens NSDAP-Mitglied seit 1933 und begeisterter Anhänger des Russlandfeldzugs – die Hallstein-Doktrin als wichtigste deutsche politische Leitlinie im frühen »Kalten Krieg«. Zu Grewe: Norden (1968), S. 332f., 344. Auch die EGKS entsprang eher nationalen Interessen und nicht einer Europaidee: Abelshauser (2016a), S. 520f. Kühberger/Mellies (2009), S. 186. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2011), S. 112f.

4. Schulbuchanalysen und Lehrpläne

in den 1980er Jahren war das DDR-Bild in westlichen Schulbüchern das Thema eines wichtigen Forschungsprojektes des Georg-Eckert-Instituts, aus dem heraus zahlreiche Publikationen zur »Deutschen Frage« erschienen sind. Wolfgang Marienfeld und Manfred Overesch kommen dort zu dem Ergebnis, dass die DDR in der ersten Schulbuchgeneration nach 1945 nicht existiert habe.50 Zum Ende der 1950er Jahre stieg ihnen zufolge die Anzahl der Seiten zur DDR stark an und mit ihr die Fokussierung auf den Herrschaftsapparat sowie auf moralische Bewertungen.51 In den siebziger Jahren sei das moderne Lern- und Lesebuch entstanden und damit einerseits eine Ausweitung der Politik auf die Handlungen der normalen Menschen, andererseits der Verlust der »Selbstgewißheit« der »uneingeschränkt positiv« wahrgenommenen Bundesrepublik. Marienfeld/Overesch kritisieren manche Bücher gar für eine Verklärung der DDR.52 Erst die Schulbücher Anfang der 1980er Jahre würden, so die Autoren, wieder stärker die DDR als Herrschaftssystem thematisieren. Dennoch sehen die Autoren auch einige dieser Schulbücher kritisch, da bspw. der »17. Juni« nicht mehr als »Kampf für Einheit, Recht und Freiheit des deutschen Vaterlandes«, sondern als »Aufstand einer Minderheit […] um soziale Fragen« dargestellt werde.53 Die meisten aktuellen Arbeiten zum Thema DDR im Schulgeschichtsbuch veröffentlichte Heike Christina Mätzing. In ihrem Aufsatz Zirkel im Ehrenkranz kommt sie zu dem Ergebnis, dass es zwei Generationen von Schulbüchern hinsichtlich der DDR gebe, deren Wendepunkt im Jahr 2000 liege.54 Als charakteristisch für Bücher bis 2000 sieht sie folgende Art der Erzählung, die aufgrund ihrer Bedeutung für diese Arbeit ausführlich zitiert werden soll: »In der Regel werden dabei beide Teilstaaten in zwei großen Kapiteln oder Unterkapiteln dargestellt, wobei identische Themen, also etwa die Wirtschaftsordnung, auch auf gegenüberliegenden Seiten erscheinen. Mit dieser Darstellungsart wird die ostdeutsche gegenüber der westdeutschen Geschichte zwar rein optisch aufgewertet und vermeintlich im Sinne einer Parallelgeschichte präsentiert, doch bei näherem Hinsehen ist dieses Verfahren problematisch. Denn gerade bei direktem Vergleich beider Ökonomien, die in den Büchern bis Ende der 90er Jahre besonders stark thematisiert wurden, konnte die DDR nur als negative Gegenfolie zum westdeutschen Staat erscheinen, so dass letztlich das Bild vom ›Sieger‹ und vom ›Verlierer‹ noch unterstrichen wurde.« Auch sei die DDR vor allem auf ihren autoritären Charakter reduziert worden, so dass für die Schüler*innen kein differenziertes Urteil möglich gewesen sei.55 Als Erklärung

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Marienfeld/Overesch (1986), S. 27ff. Marienfeld/Overesch (1986), S. 52f., 57f. Marienfeld/Overesch (1986), S. 60f., 76ff. Marienfeld/Overesch (1986), S. 80f. Mätzing (2007), S. 172. Mätzing (2004), S. 367. Auch in einem Beitrag im Jahr 1999 fordert sie eine stärkere Berücksichtigung der Alltagsgeschichte. Zudem müsse die sozialistische Idee, also der Unterschied zwischen vielen Theorien des Marxismus und der Politik in der DDR, differenzierter behandelt werden: Mätzing (1999). Dagegen fordert Jacobmeyer im gleichen Sammelband – ohne den Begriff Totalitarismus zu benutzen – eine Erkenntnis-gewinnende Zusammenlegung der »Diktaturen des 20. Jh.«: Jacobmeyer (1999), S. 51ff.

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für diese Narrationen benennt Mätzing das Problem der Perspektive, da fast ausschließlich Autor*innen aus dem Westen die Schulbücher verfasst hätten. Eine Ausnahme bildet Expedition Geschichte, an dem auch Autor*innen aus dem Osten beteiligt gewesen seien. Dort findet sich eine andere Erzählung, in der die Startschwierigkeiten der DDR-Wirtschaft wegen der hohen Reparationszahlungen genannt werden.56 Insgesamt kritisiert sie eine stark normative Darstellung innerhalb der Schulgeschichtsbücher zu diesem Themenkomplex. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Neuner in zwei Aufsätzen. Allerdings sieht er nicht den Vergleich von BRD- und DDR-Wirtschaft an sich als Problem, sondern die Art der Erzählung. So seien zwar die Reparationszahlungen des Ostens vereinzelt erwähnt worden, als Ursache für die Startschwierigkeiten der DDR werde jedoch immer die sozialistische Wirtschaftsplanung genannt.57 Auch resümiert Neuner über Unsere Geschichte, Band 3 (1991), welches beispielhaft für die Narrationen sei, Folgendes: »Das geringere Tempo des Wiederaufbaus, das Niveau wirtschaftlicher Entwicklung sowie der Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern werden alsdann ausschließlich mit Verstaatlichung der Industrie, mit Bodenreform und ›Zwangskollektivierung‹ begründet, allein die Sozialisierung war schuld.«58 Dabei werde, so Neuner, nicht oder nur am Rande erwähnt, dass die Enteignung von Kriegsverbrechern und die Sozialisierungen auf große Zustimmung innerhalb der Bevölkerung gestoßen seien. Dies hätten die Volksabstimmungen in Sachsen, Hessen und Nordrhein-Westfalen oder das Ahlener Programm der CDU eindrücklich gezeigt.59 Demgegenüber werde, ebenfalls ohne die Nennung der genauen Ursachen für den Aufschwung, die »soziale Marktwirtschaft« der BRD als die »prosperierende, überlegene Gesellschaft« dargestellt.60 Um dieses Bild nicht zu trüben, seien in der Neuauflage (1996) von Die Menschen und ihre Geschichte kritische Passagen zur Währungsreform und Kontroversen bezüglich der »sozialen Marktwirtschaft« gestrichen worden.61 Bereits zu Beginn der 1990er Jahre hatte Klaus Oestreich ähnlich geurteilt: »Es ist ein objektiver Tatbestand, daß die DDR-Geschichte in den Lehrbüchern aus der Bundesrepublik beträchtliche Defizite einer unausgewogenen Geschichtsdarstellung aufweist.«62 Auch wenn die Kritik von Mätzing, Neuner und Oestreich sicherlich ihre Berechtigung hat, muss an dieser Stelle trotzdem darauf hingewiesen werden, dass ihre Aussagen aufgrund des begrenzten Korpus der Schulbuchanalysen nicht verallgemeinerbar sind. Zusätzlich fehlen eine konsistente Methodik sowie eine hinreichende Betrachtung der Fachwissenschaft. Mätzing weist jedoch wiederum in ihrer o.g. Unterscheidung darauf hin, dass die zweite Generation der publizierten Schulgeschichtsbücher nach 2000 ein anderes Bild

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Mätzing (2004), S. 372. Neuner (1999), S. 33, 35; Neuner (2000), S. 442. Neuner (1999), S. 35f. Neuner (1999), S. 33, 36. Neuner (1999), S. 34. Neuner (1999), S. 38; Neuner (2000), S. 444. Tatsächlich ist die Streichung des langen Absatzes sehr interessant; siehe: Mütter/Hüttenberger (1988), S. 225; Mütter/Hüttenberger (1996), S. 221. Oestreich (1991), S. 291.

4. Schulbuchanalysen und Lehrpläne

vermittle. Eine deutliche Veränderung, die Mätzing begrüßt, ist die Berücksichtigung der Alltagsgeschichte der beiden Staaten. Zudem hebt sie hervor, dass es – anstatt der oben genannten Gegenüberstellung von DDR und BRD – eher eine »integrative Darstellung« in einem Kapitel gebe. Dabei fänden sich nun sogar positive Werturteile zu einigen Aspekten der DDR.63 Gleichwohl sind in den Aufsätzen von Mätzing recht unterschiedliche Einschätzungen zu lesen. So endet beispielsweise ihre Untersuchung der Schulbücher hinsichtlich des 17. Juni 1953 mit einem durchweg positiven Resümee und der Feststellung, dass die »Zeiten der politischen Instrumentalisierung innerhalb des Systemkonfliktes der Vergangenheit angehören«.64 Ganz anders fällt dagegen das Resultat des Aufsatzes Zirkel im Ehrenkranz aus. Hier kommt Mätzing zu der Einschätzung, die neuen Darstellungen würden »Systemunterschiede und totalitäre Strukturen« verharmlosen. Als Kernargument führt sie eine Untersuchung über den Umfang der Thematisierung der Staatssicherheit (Stasi) in den Büchern an. Sie schließt mit dem Fazit, dass »beide Diktaturen angemessen thematisiert werden sollten«: »Wenn auch das Ausmaß der Verbrechen in keiner Weise miteinander vergleichbar ist, so wird doch sehr deutlich, dass die Opfer des NS sehr ausführlich zu Wort kommen, während sie beim Thema Stasi (zumindest bisher) weder Stimme noch Gesicht haben.«65 Dieser Satz ist in sich widersprüchlich. Wenn die Verbrechen nicht vergleichbar sind – eine Aussage, die ich unterstreichen möchte –, so ist auch der Umfang der Stimmen der Opfer nicht vergleichbar. Sie hätte einfach fordern können, den Stasi-Opfern Stimme und Gesicht zu geben. Einen ähnlichen Schwerpunkt legt Ulrich Arnswald, der »die ideologische Indoktrination aller gesellschaftlichen Bereiche […] und den Zusammenhang mit der Machtausübung durch die SED« vernachlässigt sieht.66 Überhaupt nehme die DDR insgesamt in den Schulbüchern zu wenig Raum ein.67 Nicht berücksichtigt wird von Arnswald der Unterschied zwischen den Publikationen vor und nach dem Jahr 2000. Das Fazit von Arnswald aufgreifend, untersuchen Monika Deutz-Schroeder und Klaus Schroeder, mittels Umfragen bei Schüler*innen, vier ausgewählte Schulbücher, die die DDR ausführlich behandeln. Dabei kommen sie zu dem Resultat, dass »alle ein Grundwissen über die DDR vermitteln«. Für das Schulbuch Geschichte Plus heben Deutz-Schroeder/Schroeder besonders das Vorhandensein von »Werturteilen« hervor.

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Mätzing (2007), S. 174. An dieser Stelle möchte ich auf ein interessantes Interview verweisen. Hilke Günther-Arndt bekam 1999 den Preis für eine Schulbuchkonzeption, die laut Jury »einen wesentlichen Beitrag zum Zusammenwachsen Deutschlands« leisten könne, indem die Bundesrepublik nicht als eindimensionale Erfolgsgeschichte gegenüber der DDR dargestellt werde. Auf die Frage, wie sie das realisiert habe, antwortete die Autorin in besagtem Interview, dass die BRD im Vergleich zur DDR nun mal eine »Erfolgsgeschichte« gewesen sei und dass auf positive Werturteile über die DDR – mit Ausnahme der Oppositionellen – zu verzichten sei: Günther-Arndt (2000), S. 491, 494. Folglich widerlegt Günther-Arndt im Interview explizit die Begründung der Jury für den Preis. Mätzing (2010), S. 110. Mätzing (2007), S. 175f. Arnswald (2006), S. 82. Arnswald (2006), S. 77.

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Bezüglich der Umfragen kommen sie zu dem Urteil, dass die Schüler*innen über ein ungenügendes Wissen verfügen würden sowie ein verklärendes DDR-Bild hätten.68 Zusammenfassend lässt sich bei den vier Autor*innen die Forderung nach weitergehender politischer Erziehung als Aufgabe der Schulgeschichtsbücher feststellen. Die genannten Untersuchungen (Mätzing ausgenommen) wurden von Borries aus didaktischer Perspektive scharf kritisiert. Borries bezieht sich vor allem auf die Arbeit von Deutz-Schroeder/Schroeder, nennt aber ebenfalls Arnswald. Zum einen habe er »gravierende methodische Einwände«. So mangele es an »Repräsentativität«, die Fragebögen seien »ausgesprochen suggestiv« und bei der Auswertung fehle eine »multivariable Analyse«. Neben diesen technischen Aspekten kritisiert er die stark normative Auswertung, die fehlende Berücksichtigung von kultureller Überlieferung und kommunikativem Gedächtnis und eine didaktisch falsche Auslegung von Bewertung. Denn diese beinhalte nicht eine bestimmte politische Meinung, sondern eine »Argumentationsqualität« zur deutsch-deutschen Geschichte. Außerdem liefere jede Art von Studie Ergebnisse, dass historisches Wissen nur rudimentär sei. Die Forderung nach einer Ausweitung der DDR-Geschichte beantwortet Borries mit vielen anderen wichtigen Themen, die sich gar nicht im Schulbuch befinden. Jedoch glaubt er, dass es den Studien sowieso nur um die »Lufthoheit an den Stammtischen« gehe.69 Lässig distanziert sich ebenfalls von totalitarismustheoretischen Ansätzen und teilt das positive Ergebnis der Berücksichtigung »ausgewählter Aspekte der Gesellschaftsgeschichte« nach 1999, da vorher lediglich der »autoritäre Charakter« der DDR im Fokus gestanden hätte. Dennoch resümiert sie im Hinblick auf die Schulgeschichtsbücher bis zum Jahr 2011: »Dort, wo die DDR nicht als Repressions- und Überwachungsstaat visualisiert wird, begegnet sie Lernenden als freudlose Zumutung in Gestalt von grauen Plattenbauten, biederen Schrebergärten oder langen Warteschlangen vor Lebensmittelläden.« Damit werde die »Konsumgesellschaft des Westens fast automatisch eine leuchtende und überlegen scheinende Kontrastfolie«.70 Gleichzeitig bescheinigt Lässig den »Schulbuchautoren« in Deutschland einen sensiblen Umgang mit der Schaffung von nationaler Identität und »Mythenbildung«.71 Auch Andreas Helmedach sieht die Sozialgeschichte weiterhin vernachlässigt.72 Torsten Oppelland kritisiert die »geschichtskulturelle Konzentration auf das verbrecherische Herrschaftssystem«, da das Ziel historischer Bildungsarbeit »die eigene politische Urteilskraft« sein müsse.73 Barricelli hingegen schließt sich der Kritik von Mätzing an, wenn er sagt, »der Unterdrückungsapparat werde (im Gegensatz zur Behandlung des NS-Terrorregimes)

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Deutz-Schroeder/Schroeder (2008), S. 149, 607f. Borries (2011), S. 124, 130-137. Lässig (2012), S. 51f. Lässig (2012), S. 54. Weiterhin attestiert sie der deutschen Schulbuchlandschaft eine »beispiellose Breite« Lässig (2012), S. 48. Fazit von Helmedach: »Die Darstellung des Alltags der Menschen in der Zeit des Sozialismus wird nach wie vor zu wenig berücksichtigt, […]. […]. Der Sozialismus sollte nicht nur als von der Sowjetunion aufgezwungenes politisches System, sondern auch als Ideologie und Massenbewegung behandelt werden«: Helmedach (2004), S. 344. Oppelland (2013), S. 113.

4. Schulbuchanalysen und Lehrpläne

schöngeredet«. Dabei räumt er die Vorrangigkeit der BRD-Perspektive ein und betont die bereits existierende, anregende Darstellung für »offene Diskussion und Reflexion, mehrdimensionale Deutungen sowie differenzierte Urteile«.74 Woher er seine positive Einschätzung hinsichtlich der Schulgeschichtsbücher gewinnt, begründet er dabei jedoch nicht. Ähnlich urteilt Sylvia Schütze bei ihrer Analyse der Aufgabenstellung zur DDR, da sich die Schulbücher an der Neutralität des »Beutelsbacher Konsens« orientieren würden. Außerdem werden, so Schütze, die Schüler*innen auf den pluralistischen und demokratischen Staat vorbereitet sowie zur »freien Meinungsäußerung erzogen«.75 Handro kommt in einer umfangreichen Untersuchung zu den Ereignissen 1989 in der DDR, in der sie Narrationstypen hinsichtlich der DDR bestimmt, zu einem anderen Urteil. So seien nur zehn Prozent der gesichteten 62 Schulgeschichtsbücher ihrem Typ Narration als Aufgabe zuzuordnen, den sie durch differenzierte Quellenauswahl, offene Aufgabenstellungen und wenig Darstellungstext charakterisiert.76 Insgesamt kommt sie zu folgender Einschätzung hinsichtlich der betrachteten Schulbücher: »Die Typen ›Einheit als Ziel‹ (37 %) und ›Demokratie als Wert‹ (47 %) dominieren und damit folglich politisierende Versuche, die Geschichte des Jahres in eine traditionelle Meistererzählung der Nation oder der Demokratie zu integrieren.«77 Innerhalb des ersten Typs sieht Handro auch die folgende Erzählung zur Wirtschaft: »Die westdeutsche Erfolgsgeschichte einer stabilen Demokratie, einer florierenden Marktwirtschaft und eines funktionierenden Rechtsstaates wird der zum Scheitern verurteilten Geschichte des Herrschafts- und Repressionssystems der SED und einer maroden Planwirtschaft gegenübergestellt.«78 Allerdings sieht Handro diese Meistererzählung nicht grundsätzlich kritisch. Denn sie räumt ein, dass Multiperspektivität, Kontroversität und historisches Denken keine geeigneten Mittel wären, um eine bestimmte politische Meinung zu generieren. Letzteres wäre jedoch in Bezug auf die Erinnerung an die DDR »nachvollziehbar und notwendig«, um das »Bewusstsein für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu schärfen«.79 Auch Handro hat die Schulgeschichtsbücher hinsichtlich einer Veränderung zwischen den Zeiträumen 1990-1999 und 2000-2009 hin untersucht. Dabei sei lediglich eine »graduelle Veränderung« hinsichtlich einer »stärkeren Kontextualisierung und Differenzierung der dargestellten Ereignisse« festzustellen.80 Zum Thema Normierung durch Schulgeschichtsbücher wird bei der Betrachtung der geschichtsdidaktischen Literatur bezüglich der DDR teilweise ein sehr unkritisches Verhältnis zu Nation und Identität in der BRD deutlich. So stellt Mätzing als bedeutsam heraus, dass auch demokratische Staaten »Vergangenheit in legitimierender Ab-

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Barricelli (2011). Schütze (2011), S. 161f. Handro (2011), S. 100, 102. Handro (2011), S. 101. Handro (2011), S. 95. Handro (2011), S. 101. Handro (2011), S. 103.

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sicht kennen«.81 Weiterhin äußerte sie im Hinblick auf die Fußballweltmeisterschaft 2006 die Hoffnung, dass diese eventuell mehr Wirkung für eine gemeinsame deutsche Geschichte habe, als jedes »noch so gescheit konzipierte Geschichtsbuch«.82 Welche Auswirkungen eine unreflektierte gemeinsame nationale Identität hat, ist hinlänglich bekannt und zeigt sich aktuell (2018) in der Abgrenzung von den Flüchtlingen. Auch bei Waltraud Schreiber findet sich ein eigenartiges Verständnis von Normierung und Narrativität in Schulbüchern, wenn sie bei der Entwicklung von Analysekategorien für »hochideologische Narration« von Diktaturen verwundert scheitert, da die Kategorien in Schulbüchern aus Demokratien ebenso ideologische Tendenzen aufweisen und somit noch ein Analyseraster entwickelt werden müsse, welches Schulbücher aus Demokratien und Diktaturen hinreichend unterscheide.83 Dieses Unverständnis kann eigentlich nur daher kommen, dass die Autor*innen die oben beschriebenen Normierungen von Identität und nationaler Zugehörigkeit in Demokratien als nicht zu hinterfragendes Resultat kultureller Tatsachen sehen, anstatt sie als Teil von ideologischer Konstruktion zu begreifen. Der Widerspruch zwischen historischem Lernen und politischer Erziehung kann abschließend mit Handro zusammengefasst werden, die hinsichtlich der DDRGeschichte schreibt: »So häufen sich in den neuen Bundesländern durch empirische Befunde motivierte Forderungen nach der Vermittlung eines richtigen DDR-Bildes, das die Unterschiede zwischen Diktatur und Demokratie klar hervorhebt, um ›freiheitlich-demokratische Werte bei Jugendlichen zu verankern‹ und ›diktatorischen Verführungen jeglicher Art entgegenzuwirken‹. […] Die Prämissen eines modernen Geschichtsunterrichts, der nicht auf die Vermittlung von Geschichtsbildern, sondern auf die Entwicklung eines reflektierten Geschichtsbewusstseins zielt, geraten dagegen in der moralisch-normativ aufgeladenen Debatte um die ›richtige DDR-Geschichte‹ leicht in Vergessenheit.«84 Gleichzeitig äußert sie Verständnis für die Intention der politischen Erziehung bei der Behandlung der DDR-Geschichte im Unterricht.85 Zum Thema EU, aber unter ähnlicher Fragestellung, zitiert Kühberger Wilhelm Wittenbruch: »Gleichzeitig gilt jedoch: ›Wenn Erziehung auf die Selbstbestimmung des zu Erziehenden zielt, dann kann es keine Erziehung zu Europa geben. […] Wenn in bildungstheoretischen Schriften der Europäischen Gemeinschaft formuliert wird, daß es die Aufgabe der Bildungsinstitutionen sei, staatsbürgerliches Bewußtsein herauszubilden, wozu ›der Wille zur Mitarbeit am europäischen Aufbauwerk gehör[t]‹, dann überschreiten die Bildungsinstitutionen ihre Aufgabe.‹«86 Bei der Betrachtung dieser unterschiedlichen Meinungen zur Schulbuchkonzeption zur DDR scheint ein alter Konflikt der Geschichtswissenschaft durch. So hatten in der Ver81 82 83 84 85 86

Mätzing (2010), S. 105. Mätzing (2007), S. 176. Schreiber u.a. (2013), S. 19ff. Handro (2011), S. 90. Handro (2011), S. 105. Kühberger/Mellies (2009), S. 10

4. Schulbuchanalysen und Lehrpläne

gangenheit beispielsweise Fulbrook und Evans totalitarismustheoretische Ansätze, die mangelnde Berücksichtigung der Sozialgeschichte sowie eine fehlende internationale Perspektive kritisiert.87 Pandel bekräftigt in seiner Monografie die Kritik: »Neohistoristen, die die Geschichte als Abfolge von Ideen auffassen, sind in der Geschichtswissenschaft rar geworden. Aber solche, die Ereignisgeschichte von Staat, Nation und Politik schreiben, gibt es weiterhin genug. Insbesondere die DDR-Geschichte ist zurzeit ein Tummelplatz jener Ereignisgeschichte geworden, die Historiker der Annales so attackiert haben.«88 In Hinblick auf Schulbücher schreibt Andreas Helmedach: »Wenn die Träume von der besseren Welt, dem Reich der Freiheit und Gleichheit auch auf der ganzen Linie gescheitert sind, in den Schulbüchern sollte der Sozialismus mehr sein als nur eine Sackgasse der Geschichte oder eine bedauerliche Abweichung vom nationalen Entwicklungsweg. Die eigentliche Bedeutung der DDR-Geschichte, so Konrad H. Jarausch, liege ›in dem paradigmatischen Scheitern einer progressiven Utopie‹.«89 Borries hat eindrucksvoll für die Didaktik eingefordert, die Geschichte der DDR auf gleicher Augenhöhe – auch und gerade mit den Erfahrungen vieler Menschen im Osten – aufzubereiten. Dabei dürfe es keine isolierte Betrachtung einer DDR-Geschichte, sondern immer eine kritische Geschichte beider Staaten geben, in denen es zu vielseitigen Werturteilen kommen können müsse.90 Dem würde ich mich anschließen. Es bleibt in der Diskussion manchmal unklar, was manche mit demokratischer Erziehung verbinden. Oft klingt es so, als müsse die Erfolgsgeschichte des westlichen Parlamentarismus auswendig gelernt werden, anstatt ein kritisches historisches Denken zu entwickeln. Meines Erachtens ist letzteres viel wichtiger, wenn wir mit Demokratie die Möglichkeit zur Mitbestimmung meinen.

4.3.2 Wirtschaft Im Vergleich zu zahlreichen politischen Beiträgen zur DDR existieren lediglich die Kollektivarbeit DDR im Schulbuch aus dem Jahr 1983 und der Aufsatz Wirtschafts- und Sozialpolitik von Bernhard Marquardt aus dem Jahr 1999 zur DDR-Wirtschaft im Schulbuch. Erstere untersucht 28 Schulbücher (13 Geschichte) aus Hessen sowie zehn Schulbücher (ausschließlich Politik) aus NRW als Vergleichsstudie. Die methodische Konzeption erfolgt anhand von drei Bereichen: Erstens, inwieweit der aktuelle Forschungsstand berücksichtigt wird. Zweitens, ob die Schulbuchkonzeptionen zum »Antikommunismus« beitragen und drittens, ob die Schulbücher den Sozialismus als »Alternative zum eigenen System« darstellen. Das Untersuchungsraster besteht aus einer quantitativen Aus87

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Evans kritisierte das »zwei deutsche Diktaturen« Paradigma, da die DDR für einen »Vergleich zwischen rechts- und links-totalitärer Diktatur wenig tauglich« sei. Es habe dafür zu viele Unterschiede gegeben: Evans (2005), S. 9. Zur Auseinandersetzung über die DDR-Geschichte: Bispinck (2005); Fulbrook (2011). Pandel (2013), S. 84. Helmedach (2004), S. 341. Borries (2011), S. 121ff.

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wertung sowie einem umfassenden Fragenkatalog, der didaktisch sehr modern ist.91 Die Auswertung ist – ohne dass ich die Aussagen überprüft habe – aussagekräftig, da sich die Autor*innen um eine Verknüpfung von These und Häufigkeit bemühen. So heißt es beispielsweise, dass nur ein Buch die »schwierige ökonomische Ausgangssituation« der DDR wiedergebe. Weitere Analysen zur unmittelbaren Nachkriegswirtschaft ergeben laut der Autor*innen, dass 39 Prozent der Schulbücher die Bodenreform erwähnen, elf Prozent die Zielsetzung der Beseitigung der »Macht der Junker« und Großgrundbesitzer nennen, 43 Prozent die »Umwälzungen der Eigentumsverhältnisse in der Industrie« und elf Prozent den Volksentscheid in Sachsen erwähnen. Der »überwiegende Teil« ordne alle diese Aspekte in die »Sowjetisierung« ein. Demgegenüber werde nicht dargestellt, dass die Bodenreform und die »Enteignung monopolkapitalistischer Unternehmen« über eine befürwortende Mehrheit in der Bevölkerung sowie in den Gewerkschaften, Arbeiterparteien und sogar in den »bürgerlichen Parteien« des Westens verfügt habe.92 Die DDR-Wirtschaft ab 1949 stellen die Autor*innen auf fünfzehn Seiten dar. Die statistischen Auswertungen müssen an dieser Stelle übergangen werden. Zunächst wird kritisiert, dass die Planwirtschaft nicht logisch erklärt werde. Demnach würden nur vier Bücher die »Ziele der Planwirtschaft erörtern«. Auch erkläre nur ein Buch die Preisbildung in der Planwirtschaft, die allerdings – so die Autoren – nicht auf »politische Erwägungen« reduziert werden könne, wie es das Schulbuch tue. Insgesamt diene die Veranschaulichung der Planwirtschaft in den Schulbüchern lediglich der Illustration der SED-Herrschaft.93 Der ökonomische Verlauf werde überwiegend als dysfunktionale Planwirtschaft mit Schwerpunkt Schwerindustrie charakterisiert, allerdings würden auch einige (Zahlen nennen die Autoren*innen an dieser Stelle nicht) den ökonomischen Erfolg erwähnen. Das NÖS werde in den Schulbüchern – so die Autoren – fälschlicherweise als marktwirtschaftliches Element charakterisiert und nicht als Anpassung der Wirtschaftsstruktur an »neue Produktivkräfte«.94 In Bezug auf den RGW, den alle Schulbücher zumindest erwähnen würden, schreiben die Autoren: »Festzuhalten verdient hier, daß sich zu diesem Thema der einzige Fall nachweisen läßt, daß ein G-Buch [Geschichte, KK] mit zwei unterschiedlichen politischen Quellen arbeitet [Unterstreichung im Original, KK].«95 Nicht eingegangen wird an dieser Stelle auf die Vergleichsliteratur, da es sich hier um Politik- bzw. Sozialkundebücher handelt. Die politische Stoßrichtung der Arbeit dürfte wohl der Grund sein, warum diese didaktisch vermutlich beste Arbeit zur DDR-Wirtschaft im Schulbuch in der aktuellen Literatur fast nirgendwo erwähnt wird. Marquardt stellt für seinen Aufsatz die Frage, wie die »Wirtschafts- und Sozialordnung […] in Abhängigkeit […] der SED-Diktatur […] dargelegt wird«.96 Die wirt91

92 93 94 95 96

Zum Beispiel: »Werden überhaupt verschiedene Standpunkte referiert und diskutiert? Finden sich Quellen aus der DDR oder wird auf Quellen verwiesen? Wird die Auswahl der Quellen begründet? […]«: Aubel (1983), S. 19ff. Eine prägnante Kurzfassung der Studie existiert ebenfalls: Sareik (1985). Aubel (1983), S. 36. Aubel (1983), S. 46ff. Aubel (1983), S. 50ff. Aubel (1983), S. 53. Marquardt (1999), S. 164.

4. Schulbuchanalysen und Lehrpläne

schaftshistorische Grundlage beruht lediglich auf dem Buch Schlußbilanz DDR von Günter Kusch (u.a.) und auf Thesen von Marquardt, die so zahlreich fragwürdig sind, dass sie an dieser Stelle nicht kommentiert werden können. Seine »Schulbuchanalyse« ist eine konzeptlose, didaktisch fragwürdige Zitatenschau, die jedes Schulbuch kritisiert, das irgendeinen Aspekt erwähnt, der positiv im Hinblick auf die DDR gedeutet werden könnte. Um zwei Beispiele zu nennen: Die Bodenreform, wie es das Schulbuch Von … bis mache, als »Vorhaben« zu bezeichnen, »das auf eine gerechte Verteilung des Bodenbesitzes abzielt«, bezeichnet er einfach als »falsch«. Das selbstbewusste Auftreten der Arbeiter in der DDR, so Geschichte konkret 4, da sie wüssten, sie würden gebraucht werden, nennt er simpel »problematisch« – ohne Begründung.97 Auch zur Methodik und zum historischen Lernen führt Marquardt keine einzige Publikation an.

4.4 Lehrpläne der Bundesländer Am Ende des Kapitels soll abschließend ein Blick auf die Lehrpläne der Bundesländer geworfen werden. Dabei analysiere ich die Frage, ob die Lehrpläne bestimmte inhaltliche Vorgaben bezüglich der Auswahl der Narrationen zur Wirtschaftsgeschichte der Nachkriegszeit formulieren. Eine ausführliche Darstellung der Lehrpläne würde allerdings den Rahmen sprengen, da es immerhin in jedem Bundesland fünf bis zehn verschiedene Lehrpläne gibt, von denen allein mindestens vier für die untersuchten Schulbücher relevant sind. Beispielsweise existieren für Hessen jeweils ein Curriculum für Hauptschule, Realschule, Gymnasium (G8), Gymnasium (G9), Gymnasiale Oberstufe und Integrierte Gesamtschule (IGS). Insgesamt müssten bei einer vollständigen Analyse bis zu 70 Lehrpläne ausführlich betrachtet werden. Die Sichtung der Lehrpläne zeigt, dass die meisten eine normative Unterrichtskonzeption im Sinne des Dualismus Demokratie versus Diktatur verlangen; bzgl. der Wirtschaftsgeschichte sind oftmals aber lediglich Schlagwörter wie Währungsreform, »Marshallplan« oder – besonders häufig – »soziale« bzw. »Soziale Marktwirtschaft« genannt, die im Unterricht behandelt werden sollen/können.98 Eine Interpretationsvorgabe findet sich zumeist nicht. Besonders aufschlussreiche Formulierungen werde ich im Folgenden zitieren, für alle anderen Curricula sei auf die Seite der Kultusministerkonferenz (KMK) verwiesen, auf der alle Lehrpläne verlinkt sind.99 Einige Kultusministerien haben Interpretationen formuliert. Im Curriculum für die Hauptschule von Hessen ist die Dichotomie von »Sozialer Marktwirtschaft und ›Wirtschaftswunder‹« sowie die »Planwirtschaft und ihre Folgen«, die aus Krisen bestanden hätte, gefordert. Im Gymnasium (G9) soll »Ludwig Erhard und die ›soziale Marktwirtschaft‹« behandelt werden.100

97 98

Marquardt (1999), S. 168f. Nahezu keine Vorgaben machen die Lehrpläne für Hamburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, NRW, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Die Lehrpläne von Berlin und Brandenburg beinhalten keine Wirtschaftsgeschichte. 99 Kultusministerkonferenz (2018). 100 Lehrplan Hessen (2017b); Lehrplan Hessen (2017a).

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Im Lehrplan für Baden-Württemberg wird die Verwendung des Eucken´schen Begriffes der »Zentralverwaltungswirtschaft« verlangt. Besonders interessant ist eine Formulierung hinsichtlich der »inhaltsbezogenen Kompetenzen«, die fordert, »den wirtschaftlichen Aufschwung in Ost- und Westeuropa bis Anfang der 1970er-Jahre am deutsch-deutschen Beispiel [zu] analysieren und [zu] vergleichen«. Hier wird zutreffend auf den gesamteuropäischen Boom des »Golden Age« verwiesen. Eine weitere normative Bezugnahme auf die DDR befindet sich in der vermeintlichen Charaktereigenschaft der Planwirtschaft »Primat der Schwerindustrie«.101 Eine normative Vorgabe enthält ebenfalls der Lehrplan Bayern (neunte Klasse, Mittelstufe), wenn die Schlagwörter in der Reihenfolge »Ära Adenauer, soziale Marktwirtschaft, ›Wirtschaftswunder‹« und »Aufbau des Sozialismus, Planwirtschaft, 17. Juni 1953, Mauerbau« aufgelistet sind.102 Das Curriculum für die Oberstufe Bayern ist – in Bezug auf die Wirtschaft – dagegen offen formuliert. Im Lehrplan für das Saarland befindet sich eine Auflistung der wichtigen Begriffe. Der Anhang für die Klasse neun (Gymnasium) stellt jedoch mit der Gegenüberstellung von »soziale Marktwirtschaft im Westen« sowie »Kollektivierung, Verstaatlichung, Planwirtschaft im Osten, ›Mangelwirtschaft‹« eine klar normative Positionierung dar. Außerdem sind für die Oberstufe des Saarlandes Westbindung und »Wirtschaftswunder in der Bundesrepublik« sowie »Volksaufstand« und »Mauerbau« für die DDR gefordert.103 Die Curricula für Sachsen unterscheiden sich deutlich: Für die Oberschule neunte Klasse sind »Wirtschaftswunder, soziale Marktwirtschaft« und »Planwirtschaft, MFS« vorgesehen; für das Gymnasium zehnte Klasse werden lediglich einige Begriffe aufgelistet; im Leistungskurs Geschichte ist unter dem Begriff »Wirtschaftswunder« das »Konzept der Sozialen Marktwirtschaft« und der »Zusammenhang von Wirtschaftswachstum und Wohlstand« gefordert. Bezüglich der DDR verlangt der Lehrplan die »Wirtschaftsentwicklung bis zum Mauerbau«.104 Das Curriculum für die Oberstufe Schleswig-Holstein schreibt »Die fünfziger Jahre: Wirtschaftswunder und Italiensehnsucht«.105 Im Lehrplan für Thüringen soll die Wirtschaft unter dem Dualismus von Demokratie und Diktatur behandelt werden.106 Insgesamt wird deutlich, dass die inhaltlichen Vorgaben der Kultusministerien ziemlich unkonkret sind. Hinsichtlich der normativen Gestaltung bzw. der Auswahl, welche Inhalte der Geschichtswissenschaft bzw. der Wirtschaftsgeschichte in die Schulbücher einfließen, haben die Schulbuchverlage einen großen Handlungsspielraum.

101 102 103 104 105 106

Lehrplan Baden-Württemberg (2018b); Lehrplan Baden-Württemberg (2018a). Lehrplan Bayern (2018). Lehrplan Saarland (2018). Lehrplan Sachsen (2018b); Lehrplan Sachsen (2018a). Lehrplan Schleswig-Holstein (2018). Lehrplan Thüringen (2018b); Lehrplan Thüringen (2018a).

5. Methodik und Auswahl der Bücher

5.1 Überblick Im folgenden Kapitel wird die Auswahl und die Methodik vorgestellt, nach der die Schulgeschichtsbücher untersucht werden. Das Korpus ist durch Erscheinungsjahr und Typus definiert. So umfasst die Analyse alle »Schülerbände«, die von 2014-2016 erschienen sind und über die Suchmaske der Homepage des Georg-Eckert-Instituts unter den Stichworten »Wirtschaftswunder, Soziale Marktwirtschaft, Planwirtschaft, DDR, Bundesrepublik« zu finden waren (Stand: Januar 2017). Darin sind auch Ausgaben enthalten, die wenig überarbeitet erneut aufgelegt wurden, sowie Schulgeschichtsbücher, die leicht verändert für unterschiedliche Bundesländer konzipiert wurden. Die Anzahl der Zulassungen in bestimmten Bundesländern oder die Auflage spielt für die Auswahl keine Rolle. Überarbeitete Auflagen und deren Veränderungen sowie Veröffentlichungen in verschiedenen Bundesländern mit gleichen oder veränderten Texten sind in der Auswertung berücksichtigt. Nach Einteilung von Schönemann/Thünemann (»Historische Schulbuchanalyse«, »Internationale Schulbuchanalyse« und »Didaktische Schulbuchanalyse«) handelt es sich vor allem um eine historische und didaktische Arbeit, wobei die analysierte Zeit die Gegenwart ist.1 Die Methode beinhaltet eine qualitative Analyse, die jedoch zusätzlich statistisch ausgewertet wird. Das Analyseverfahren ist an Arbeiten von Schreiber und Kühberger, aber auch an Höhne, Marienfeld2 sowie Handro orientiert. Schreiber und Kühberger 1

2

Schönemann/Thünemann (2010), S. 114. Schulbücher und »Völkerverständigung: Schönemann/Thünemann (2010), S. 29. Laut Rohlfes können Schulbuchanalysen nach fachlichen, politischen, historischen oder didaktischen Problemstellungen eingeteilt werden: Rohlfes (2005), S. 317ff. Zur Schulbuchforschung siehe auch: Pandel (2013), S. 435f. Marienfeld hat drei wichtige Verfahren der Schulbuchanalyse beschrieben: Erstens »quantifizierende Untersuchungsverfahren«, die statistisch z.B. die Verwendung einzelner Wörter oder Themengebiete messen. Zweitens »deskriptiv-analytische Verfahren«, die weitestgehend offen versuchen Kernaussagen einzelner Schulbücher zu erfassen. Wegen der Unvollständigkeit dieser Methoden schlägt Marienfeld als dritte Variante die qualitative Inhaltsanalyse vor, die anhand von Kategorien operiert: Marienfeld (1979), S. 130ff. Diese Untersuchungstypen werden heute weitgehend als die drei Methoden zur Untersuchung von Schulbüchern angesehen. Als Unterform der qualitativen Inhaltsanalyse ergänzt Rohlfes die ideologiekritische Methode, die analysiert,

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

haben – ausgehend von Rüsen – die Überprüfung der fachlichen, narrativen und normativen Triftigkeit als Ausgangspunkt für die Schulbuchanalyse formuliert.3 Rüsen veränderte in seiner aktuellen Historik die Kriterien für eine triftige historische Erzählung. Er kategorisiert sie nun in »empirische, theoretische, normative und narrative Plausibilität«.4 Schreiber und Schöner haben – angelehnt an sozialwissenschaftliche Methoden – ein umfassendes System entwickelt, um Schulbücher zu analysieren.5 Das Analyseraster ist nach Tiefenstrukturen eingeteilt. Insgesamt kann es als überkomplex, an vielen Stellen diffus und überarbeitungsbedürftig bezeichnet werden, weshalb ich es nicht verwenden werde. Außerdem ist die vorliegende Arbeit an ein bestimmtes Thema gebunden, so dass viele Analysepunkte nicht passen.6 Die vorliegende Schulbuchanalyse

3 4 5

6

durch welche Ideologien die Schulbücher bewusst oder unbewusst beeinflusst werden. Schönemann/Thünemann kritisieren dies, da die ideologiekritische Methode in allen Untersuchungstypen vorkommen könne: Schönemann/Thünemann (2010), S. 114f.; Rohlfes (2005), S. 328ff. Einen grundlegenden methodischen Fragenkatalog für Schulbuchanalysen hat veröffentlicht: Scholle (1997), S. 369ff. Schreiber u.a. (2013), S. 13ff.; Kühberger/Mellies (2009), S. 14. Rüsen (2013), S. 57ff. Im weiteren Verlauf des Kapitels wird näher auf die Plausibilitäten eingegangen. Ursprünglich sollte die Analyse von historischen Narrationen auch eine Lernmethodik sein. Schönemann/Thünemann urteilen, dass der Versuch, die wissenschaftlichen Schulbuchanalysen für den Unterricht verwendbar zu machen, »leider erfolglos« gewesen sei: Schönemann/Thünemann (2010), S. 42f. Auch für die empirische Forschung scheint das Verfahren nicht hinreichend ausgearbeitet zu sein, der Datensatz des Eichstädter Forschungsprojektes wurde anscheinend noch nicht für eine konkrete empirische Untersuchung verwendet: Schreiber u.a. (2013), S. 125. Zum besseren Verständnis soll das Raster von Schreiber/Schöner kurz skizziert werden: Es beginnt mit den »inhaltsbezogenen und medienspezifischen Analysen« als »Tiefenstruktur I«. Hierbei sei jeder Satz des Textes in »inhaltsbezogene Kategorien« der zeitlichen Veränderung (z.B. Träger, Ziele, Aktionen, Deutungsmuster) zu codieren und auszuwerten: Schreiber u.a. (2013), S. 58; Schöner (2013), S. 78f. Als »kategoriale Substrukturierungen« der Kategorie Zeit gebe es Fortschritt, Verfall, Wandel und Kontinuität: Schöner (2013), S. 95. Weitere Kategorien seien beispielsweise Gender, Umwelt, Politik, Gesellschaft und Kultur: Schöner (2013), S. 97. Schöner beschreibt ausführlicher die Kategorie Raum, die nach dem spatial turn nicht mehr rein physikalisch, sondern auch politisch, kulturell und sozial verstanden werde. Außerdem seien Handlungsraum und Wirkungsraum nicht immer identisch, er nennt als Beispiel den Fall der Mauer: Schöner (2013), S. 99. Zusätzlich werden die Überschriften der Kapitel nach den Kategorien Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Religion etc. codiert: Schreiber u.a. (2013), S. 47. Außerdem sollen auf dieser Ebene die Aufgabenstellungen anhand der Operatoren betrachtet werden. Bedeutender als Tiefenstruktur I sei jedoch, so Schreiber, die »Tiefenstruktur II«, die »sich auf stärker theoretisierender Ebene mit narrativen Strukturen auseinandersetzt« und vor allem die Basiskonzepte von »De-Konstruktion« und »Re-Konstruktion« beinhalte: Schreiber u.a. (2013), S. 36. Dies entspricht meiner Analyse der narrativen Triftigkeit. Zusätzlich solle mithilfe einer computergestützten Analyse jedes (!) Wort der Schulbücher ausgewertet werden, um z.B. versteckte Wertungen und Orientierungen ausfindig zu machen. So würde bspw. die Verwendung des Präsens oder Futur eine Orientierung beinhalten: Schreiber u.a. (2013), S. 18; ausführlicher: Schöner (2013), S. 102ff. Während in der »Tiefenstruktur II« vor allem analysiert wird, inwieweit die Schulbuchnarrationen empirisch, narrativ und normativ triftig sind, so beinhalte die »Tiefenstruktur III« nach Schreiber die Überprüfung der Kompetenzen des FUERKonzeptes: Schreiber u.a. (2013), S. 37, 158-170. Das Analyseschema ist auch in Skriptform vorhanden: Schreiber (2008b).

5. Methodik und Auswahl der Bücher

entspricht weitestgehend dem Konzept von Kühberger. Jedoch wurden die Analysekriterien sowie die Auswertungsstatistiken deutlich erweitert. In den nächsten Abschnitten erfolgt eine Vorstellung der Codierungen, anhand derer ich die Schulbücher geprüft habe. Mit einer relativ allgemeinen, aber zutreffenden Beschreibung einer guten Schulbuchkonzeption möchte ich Brauch zitieren: »Die Materialien sind dann gut ausgewählt, wenn das gesamte Sample sich multiperspektivisch und binnendifferenziert bearbeiten lässt und sich nicht darauf beschränkt, den Verfassertext zu illustrieren oder Teilaspekte des Verfassertextes zu vertiefen.«7 Außerdem ist wichtig, dass Schulbücher analytisch arbeiten, um das Verstehen von Zusammenhängen zu fördern.

5.2 Fachliche Triftigkeit Im ersten Teil, der Analyse der fachlichen Triftigkeit, geht es um die empirische und statistische Auswertung der Frage, welche Thesen der Wirtschaftsgeschichte in den Schulbüchern berücksichtigt werden und welche nicht. Rüsen definiert empirische Triftigkeit wie folgt: »Empirisch triftig sind Geschichten, wenn die in ihnen behaupteten Tatsachen durch Erfahrungen gesichert sind.« Die »empirische Plausibilität« ist weitestgehend identisch.8 Schreiber formulierte die empirische Triftigkeit weitergehend: »Empirisch-triftig ist ein Text, der vor wissenschaftlichen Kriterien bestehen kann (schlüssige Fragestellung, methodisch regulierte Erarbeitung, inhaltlich plausibel, auf den Fachdiskurs Bezug nehmend, Kontroversen nicht ignorierend).«9 Kühberger hingegen betont, nicht jedes Detail auf seine Richtigkeit prüfen zu wollen, sondern zu analysieren, ob die »Kernideen« der Schulbuchnarration mit denen des »wissenschaftlichen Fachdiskurses« übereinstimmen.10 Er benutzt hierfür den Term »fachliche Triftigkeit«. Dieser ist ohnehin für eine Schulbuchanalyse besser geeignet, da die empirische Triftigkeit direkte Erfahrungen aus der Vergangenheit – z.B. Zeitzeugenberichte – und keine wissenschaftlichen Thesen beinhaltet.

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Brauch (2014), S. 111. Rüsen (1983), S. 82; ähnlich: Rüsen (1982), S. 138f. Siehe ausführlich zu den drei Triftigkeiten: Rüsen (1983), S. 85ff. Empirische Plausibilität: Rüsen (2013), S. 60f. Das Konzept der Triftigkeiten entwickelte Rüsen, um die Stärken von »bürgerlicher« und »marxistischer« Theorie im Hinblick auf die Debatte um Objektivität zu vereinen: Rüsen (1980), S. 188ff. Schreiber u.a. (2013), S. 44. Schöner ergänzt weiterhin, dass, neben der »Plausibilität und Konsensfähigkeit der thematisierten Vergangenheitspartikel«, auch die damit verbundenen »Deutungen und Sinnbildungen« geprüft werden. Hierbei kann auch die Verknüpfung zu den Sinnbildungsmustern von Rüsen, also traditionell, exemplarisch, kritisch und genetisch, hergestellt werden: Schöner (2013), S. 84f. Diese Einteilung kann in der vorliegenden Arbeit aufgrund der Fülle des Korpus nicht realisiert werden. Kühberger/Mellies (2009), S. 17, 63. Bei Kühberger wird ebenfalls die »zeitgebundene Triftigkeit« analysiert, um zu betrachten, über welches Wissen die Autor*innen zu einem Zeitpunkt verfügen konnten. Dieses interessante Konzept hat für die vorliegende Arbeit eine geringe Bedeutung, da erstens aktuelle Schulbücher analysiert wurden und es zweitens in der Wirtschaftsgeschichte zur Nachkriegswirtschaft in den letzten Jahren kaum neue Erkenntnisse gab: Kühberger/Mellies (2009), S. 67.

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Folgt man den oben genannten Definitionen, bedarf es eines kategorialen Analyserasters für die Untersuchung der Schulbücher. Die vorliegende Methodik basiert auf den Arbeiten von Kühberger.11 Sie wird meinerseits durch die Kategorien Akteure, Ereignisse, politische-/ökonomische Theorien und normative Begriffe12 sowie die Codierung aller relevanten Thesen der Fachwissenschaft deutlich erweitert (vgl. Abb. 2). Darüber hinaus habe ich eine Unterteilung der Codierungen in Doppelplus (++), Plus (+), Fragezeichen (?), Minus (-), Doppelminus (- -) und Null (0) eingeführt, da hiermit Hauptargumente, Nebenargumente, Neben-Gegenargumente und HauptGegenargumente differenziert betrachtet werden können. Die Einteilung Null (0) steht für das Fehlen der These und die Einteilung Fragezeichen (?) für die Ungenauigkeit der Codierung im Schulbuch. Letztlich kann mein Analyseschema als ein Fragebogen betrachtet werden, den die forschende Person ausfüllt. Jedes Schulbuch ist mit diesem Raster einzeln begutachtet worden, die Gesamtauswertung erfolgt ganzheitlich bezogen auf alle Schulbücher. Einerseits entsteht hierdurch ein Bild davon, welche unterschiedlichen Thesen der Wirtschaftsgeschichte ein einzelnes Buch beinhaltet, und folglich welches Erzählmuster es aufweist. Andererseits kann in der Gesamtauswertung gezeigt werden, wie viele Schulbücher eine bestimmte These reproduzieren – z.B. 25 von 36 Schulbüchern (Wert fiktiv, KK) nennen den KoreaBoom als wichtige Ursache für das »Wirtschaftswunder«. Durch das Analyseraster wird eine sprachliche Auswertung jedes einzelnen Wortes – wie es Schöner vorschlägt13 – hinfällig, da wertende Adjektive oder Verben automatisch in die Auswertung eingehen. Die Entwicklung eines Analyseschemas zur wirtschaftlichen Entwicklung in der BRD ist relativ einfach, da ein Konsens über die Existenz eines großen Wirtschaftsaufschwungs besteht. Für das Schema müssen lediglich die unterschiedlichen Argumente mit den bereits genannten Überkategorien aufgelistet werden. Demgegenüber wird die ökonomische Entwicklung der DDR – so zeigten die Vorarbeiten – zumeist negativ bewertet. Somit ist das Analyseraster für die DDR mit dem »Scheitern der DDRWirtschaft« überschrieben und es wird unter dem Aspekt »politische und ökonomische Theorien« (vgl. Abb. 3) extra abgefragt, ob ein Schulbuch eine erfolgreiche Entwicklung bis in die 1970er Jahre betont. Eine weitere methodische Herausforderung ist die präzise Definition der Hauptund Nebenargumente. Die Grundlage für ein Doppelplus bei der fachlichen Triftigkeit

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12 13

Kühberger/Mellies (2009), S. 107f.; ähnlich: Bergau (2006), S. 129; Gorbahn (2006), S. 188. Diese Methode der Auswertung, die ihre Ursprünge bei Marienfeld haben dürfte, wird auch heute noch verwendet. So bspw. bei: Lässig/Grindel (2007). Marienfeld unterteilt sein Analyseraster nach den Kriterien, ob »Die Eroberung von Jerusalem, Das Blutbad« »ausführlich«, »knapp« oder »punktuell« dargestellt wird: Marienfeld (1979), S. 149f. Die Aussagekraft einer solchen Feststellung ist gering, weshalb anstelle von Themen besser Thesen überprüft werden sollten. Deutlich ausgebaut hat diese Methode Peter Meyers: Er analysiert, ebenfalls ausgehend von fachwissenschaftlichen Erkenntnissen, die Darstellung Friedrich II. in Schulbüchern der DDR, die er als Hypothesen für das Analyseraster erfasst. Da seine Hypothesen allerdings mehrere Aspekte umfassen, sind die Kategorien relativ ungenau. Trotz allem hat seine Arbeit eine signifikant höhere Tiefenschärfe: Meyers (1983), S. 122f., 240f. Zur Kategorisierung ebenfalls: Meyers (1976), S. 62ff. Zur normativen Funktion von Begriffen im Schulbuch: Kühberger/Mellies (2009), S. 168. Schöner (2013), S. 70ff.

5. Methodik und Auswahl der Bücher

ist eine Erwähnung im Text zum »Wirtschaftswunder« oder im Hauptabschnitt zur DDR-Nachkriegswirtschaft. Zusätzlich muss eines der folgenden Kriterien erfüllt sein: • • • •

Dem Argument wird ein eigenes Kapitel, das den wirtschaftlichen Erfolg/Misserfolg betont, gewidmet. Das Argument ist Teil der Überschrift des Kapitels zum Wirtschaftsaufschwung bzw. zur DDR-Wirtschaft. Das Argument wird im Hauptkapitel zur Wirtschaft im ersten Satz in eine Kausalbeziehung zum ökonomischen Verlauf gesetzt. Das Argument taucht an mehreren Stellen im Haupttext zur Wirtschaft auf.

Alle weiteren Thesen codiere ich mit Plus (+), sofern sie in den wirtschaftshistorischen Abschnitten erwähnt werden. Außerhalb dieser Abschnitte erfolgt die Codierung Fragezeichen (?). Außerdem beinhaltet die Codierung Fragezeichen (?) die Aussagen, die sich zwar in den Schulbüchern in den wirtschaftshistorischen Abschnitten befinden, deren Aussagen jedoch hinsichtlich einer ökonomischen Bewertung nicht eindeutig sind. Die Codierungen Minus (-) und Doppelminus (- -) fragen, ob Schulbücher bestimmten Thesen widersprechen. Für die Codierung Doppelminus (- -) gelten die gleichen Bestimmungen wie für Doppelplus (++). Beispielsweise könnte ein Kapitel-Überschrift Das Golden Age – kein westdeutsches »Wirtschaftswunder« lauten. Diese Beispielstelle würde innerhalb der Kategorie Raum und der Unterkategorie Westdeutscher Aufschwung als Doppelminus (- -) codiert werden. Bei allen Codierungen ist zu beachten, dass sie bzgl. BRD und DDR eine entgegengesetzte Bedeutung haben. Mit Bezug auf die BRD handelt es sich also beispielsweise bei einer (++)-Einordnung um Argumente, durch welche der ökonomische Erfolg bestätigt wird; hinsichtlich der DDR werden Thesen unter (++) eingestuft, wenn sie eine negative Entwicklung untermauern. Die Notwendigkeit für diese Aufteilung ergibt sich induktiv aus den gesichteten Schulbüchern. Im sechsten Kapitel befindet sich die Gesamtauswertung der fachlichen Triftigkeit. Dabei werden im ersten Schritt die einzelnen Codierungen für die Entwicklung in Westund Ostdeutschland betrachtet. Danach erfolgt die Einteilung nach Schulbuchverlagen, um zu analysieren, ob bei einzelnen Verlagen bestimmte Erzählmuster überrepräsentiert sind. Hierfür wird eine statistische Berechnung vorgenommen. Abschließend werden die Schulbücher nach den verschiedenen Schultypen (Gymnasium und Real-/Hauptschule) sortiert. Dabei kann festgestellt werden, ob bestimmte Narrationen in Schultypen überwiegen oder nicht. Schönemann kommt beispielsweise in einer historischen Schulbuchanalyse zu dem Befund, dass »Gesinnung« an Volksschulen weitaus stärker gelehrt wurde als an Gymnasien.14 In dieser Arbeit wird folglich

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Schönemann (1989), S. 120, 125; Schönemann/Thünemann (2010), S. 29. Zudem habe, so Friemel, Werner Hofmann im Jahr 1966 Folgendes über Gemeinschaftskundebücher gesagt: »Die Wahl der Mittel geistiger Beeinflussung wird […] um so bedenklicher, je niedriger die Schulstufe der Jugendlichen, […] gilt es doch vor allem, unsere Volksschüler, die ganz überwiegend den arbeitenden Schichten angehören, vermittels des Unterrichts für ihr ganzes weiteres Leben gegen klas-

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geprüft, ob die fachliche Triftigkeit in den Schulbüchern für das Gymnasium höher als in denen für Haupt- und Realschule ist. Abbildung 2: Fachliche Triftigkeit BRD Wirtschaftsaufschwung in der BRD

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Akteure Ludwig Erhard Vertriebene/Flüchtlinge Arbeiter*innen Migration aus Südeuropa Gewerkschaften Unternehmer Raum Weltweiter Aufschwung Europaweiter Aufschwung Westeuropäischer Aufschwung Westdeutscher Aufschwung Ereignisse Produktionskapazitäten zerstört Produktionskapazitäten weitestgehend intakt Währungsreform Währungsreform durch Erhard Niedrige Löhne Arbeitskräfte aus dem Osten Die Menschen wollten etwas leisten Leitsätze-Gesetze/Freigabe der Preise Leitsätze-Gesetze durch Erhard Leitsätze-Gesetze gegen den Willen der USA Korea-Boom/Korea-Krieg European Recovery Program (ERP) Gewerkschaften zurückhaltend/maßvolle Forderungen Gewerkschaften wurden zerschlagen Bretton Woods, günstiger Wechselkurs DM/Dollar Verbände (Gewerkschaften/Monopole) waren geschwächt Londoner Schuldenabkommen

senkämpferische Einflüsterungen gefeit zu machen«: Friemel (1973), S. 160. Siehe zur »scharfen Trennung der beiden Schuletagen« ebenfalls: Schönemann/Thünemann (2010), S. 28.

5. Methodik und Auswahl der Bücher Generalstreik 1948 genannt (nicht als Ursache für Aufschwung) Kapitalismuskritik/Mehrheit für den Sozialismus (nicht als Ursache für Aufschwung) Verfassungsreferendum Hessen/Nordrhein-Westfalen (nicht als Ursache für Aufschwung) Politische und ökonomische Theorien Soziale Marktwirtschaft Freie Marktwirtschaft Kapitalismus Kooperative Marktwirtschaft/Rheinischer Kapitalismus Rekonstruktionstheorie Catch-up-Theorie Sonstige normative Begriffe Wirtschaftswunder in Anführungsstrichen Soziale Marktwirtschaft in Anführungsstrichen Vater des Wirtschaftswunders Vater des Wirtschaftswunders in Anführungsstrichen

Abbildung 3: Fachliche Triftigkeit DDR Scheitern der DDR-Wirtschaft Akteure SED Vertriebene/Flüchtlinge/Migrant*innen Arbeiter*innen Gewerkschaften Unternehmer Raum DDR/SBZ Sowjetischer Einflussbereich Europa Weltweit

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft Ereignisse Bodenreform führte zu schlechter Versorgung Bodenreform erfolgreich LPG führten zu schlechter Versorgung LPG erfolgreich VEB/Enteignungen der Betriebe Volksentscheid Sachsen (nicht als Ursache für Scheitern) Produktionskapazitäten zerstört Produktionskapazitäten weitestgehend intakt Demontagen/Reparationen in den Potsdamer Beschlüssen Reparationen Demontagen Osten agrarisch geprägt Falsche Investitionen (Schwerindustrie) Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe Arbeitskräfteabwanderung in den Westen Umorientierung der Handelsströme/Disproportionalitäten der Teilung Boykott, CoCom, Hallstein-Doktrin Korea-Krieg Nichtteilnahme ERP Politische und ökonomische Theorien Planwirtschaft Mixed Economy Relativer Wohlstandvergleich (Wachstum) Absoluter Wohlstandvergleich DDR-Wirtschaft anfangs erfolgreich DDR-Wirtschaft bis in die 70er Jahre erfolgreich Rekonstruktionstheorie Catch-up-Theorie Sonstige normative Begriffe Mangelwirtschaft Mangelwirtschaft in Anführungsstrichen

5. Methodik und Auswahl der Bücher

5.3 Narrative Triftigkeit Im zweiten Schritt wird die narrative Triftigkeit erhoben. Allerdings existieren, so wurde bereits gezeigt, zwei (verwandte) theoretische Definitionen von narrativer Triftigkeit. Einerseits geht es um die Frage, ob sich die historischen Darstellungen der Schulgeschichtsbücher mit den Prinzipien »Retroperspektivität, Temporalität, Konstruktivität, Selektivität und Partialität« begreifen lassen.15 Ausgehend von dieser Definition hat Schöner das Konzept des »aufgerauten Textes« von Schörken als Ziel eines Schulbuchtextes übernommen. Dabei wird durch Motive der Erzählung, verschiedene Perspektiven sowie durch widersprüchliche oder provozierende Aussagen in der Argumentation die konsistente Struktur aufgebrochen und die Erzählung tritt hervor.16 Die zweite Vorstellung basiert auf der folgenden Definition der narrativen Triftigkeit von Rüsen: »Narrativ triftig sind Geschichten, wenn der von ihnen als Kontinuität und Zeitfluss dargestellte Sinnzusammenhang zwischen Tatsachen und Normen durch Sinnkriterien (Ideen als oberste Gesichtspunkte der Sinnbildung) gesichert ist, die in der Lebenspraxis der Adressaten wirksam sind.«17 Hierbei steht weniger die Form der Erzählung im Fokus, sondern vielmehr, ob kausale Zusammenhänge einen Sinn ergeben und auf heute angewendet werden können. Ein thematisches Beispiel hierfür wäre die Frage, ob die »Soziale Marktwirtschaft« die Ursache für die Lohnsteigerungen der Menschen war und ob wir uns heute stärker an den Grundsätzen der »Sozialen Marktwirtschaft« orientieren sollten. Folglich werde ich die narrative Triftigkeit in zwei Schritten prüfen. Für den ersten Schritt werden viele Teile der Methodik von Kühberger übernommen, der ein Codierungsraster für die narrative Triftigkeit als Konstruktions-Analyse entworfen hat.18 Die Auswahl (vgl. Abb. 4) begründet sich wie folgt: Auf die flächendeckende Analyse der Bausteingruppe I (bei Kühberger) wird verzichtet. Sie umfasst die Erhebung der Vollständigkeit der Provenienzangaben, die Verwendung von Auslassungszeichen und die

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Pandel (2013), S. 95. Nach der Definition von Baumgartner: Schöner (2013), S. 85f. Schöner (2013), S. 82f.; Ebenfalls: Kühberger/Mellies (2009), S. 114. Rüsen (1983), S. 83. Die Bedeutung der »narrativen Plausibilität« hat Rüsen in aktueller Version leicht verändert. Er definiert sie nun als »Explikation eines zustimmungsfähigen Sinngehaltes […] im kulturellen Orientierungsgefüge der menschlichen Lebenspraxis«: Rüsen (2013), S. 62. Auch Schreiber verwendet die Triftigkeiten als Analyseinstrument. Als Beispiel verwendet sie einen Ausschnitt über »Irische[n] Missionare bei den Franken«. Erstens werden die Textteile nach den Kategorien Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Religion etc. codiert. Zweitens codiert sie Definition, Argumentationsmuster, Passivkonstruktion, Grenzen der Objektivität, diachrone Kontextualisierung, Gegenwartsbezug, die für die Analyse empirischer und narrativer Triftigkeit von Bedeutung sind und deren Grundlagen aus der Fachwissenschaft resultieren würden: Schreiber u.a. (2013), S. 55, 59. Diese dient als Basis für die Betrachtung historische[r] Erzählungen und die Auswahl von bestimmten Begriffen, die Ursachen für Veränderungen und Sinnbildungen enthalten. Nach Schreiber sind dies Begriffe wie Revolution, Staat und Individuum etc.: Schreiber u.a. (2013), S. 21, 36. Wie im vorherigen Abschnitt gezeigt wurde, analysiere ich vor allem normativ aufgeladene Begriffe wie »Soziale Marktwirtschaft, Vater des Wirtschaftswunders, Mangelwirtschaft«. Deshalb erfolgt die Analyse der Schulgeschichtsbücher deduktiv: Schreiber (2008a), S. 2.

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

Hinweise auf die Übersetzung des Materials.19 Der Aufwand für die umfassende Analyse von 36 Schulbüchern wäre an dieser Stelle zu hoch. Abbildung 4: Narrative Triftigkeit Narrative Triftigkeit Konstruktivität Namen Autor*innen: Quellen Namen Autor*innen: DT Quotient: QT/DT Passivkonstruktionen Konjunktiv »Meiner Meinung nach ...« Laut Historiker*in …/Laut der Theorie … Retroperspektivität und Multiperspektivität Kontroverse im DT Kontroverse zwischen DT und QT Kontroverse zwischen QT und QT Unterschiedliche Perspektiven gewählt Temporalität Laut derzeitigem Forschungsstand ... Ist derzeit umstritten ... Forschungsergebnisse haben sich gewandelt Ist unbekannt ... Selektivität Begründung der Auswahl der Quellen Partialität Zum Beispiel u. a. gilt vielen als vielfach derartig Sonstiges Aufgabenstellungen Bildquellen Lebensweltlicher Bezug

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Kühberger/Mellies (2009), S. 125ff.

++ +

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--

0

5. Methodik und Auswahl der Bücher

Ebenso verfahre ich mit der Erhebung der Präzision der Kohärenzen20 und der sprachlich logischen Verknüpfung des Textes (Bausteingruppe II21 ). Dennoch werden diese Aspekte bei ausgewählten Textstellen und vor allem bei diversen Quellen betrachtet, lediglich eine kategoriale Erfassung entfällt. Aus der Bausteingruppe II fließt daher nur die Überprüfung einer Ausgangsfragestellung oder einer These in das Analyseschema ein. Sollten in einem Text wichtige Auslassungen oder unvollständige Provenienzangaben erfolgen, werden diese als Teil der normativen Triftigkeit erfasst. Die Bausteingruppe III22 mit der Codierung der Autorenschaft von Texten ist ein wichtiger Bestandteil der Arbeit. Hierfür gibt es eine obligatorische Analyse der Oberflächenstruktur, die den Anteil von Darstellungstext und Quellentext (QT) sowie die Anzahl von Bildquellen und Aufgabenstellungen erfasst.23 Da die Abgrenzung der wirtschaftshistorischen Themen im Schulbuch bisweilen schwierig ist, muss ich sie definieren. In der vorliegenden Arbeit werden die Abschnitte Nachkriegswirtschaft, Planwirtschaft und »Wirtschaftswunder« vollständig aufgenommen. Außerdem werden die Abschnitte vom »Marshallplan«, die einen wirtschaftlichen Bezug haben, sowie Währungsreform, LPG und Bodenreform in der DT/QT-Analyse beachtet. Die gleiche Abgrenzung gilt für das Zählen der Bilder und Aufgabenstellungen. Weiterhin wird geprüft, ob der DT mit einem*r Autor*in gekennzeichnet ist und damit die Konstruktivität theoretisch erkennbar ist. Ein bedeutender Teil ist die Bausteingruppe IV, in der die Auskunft über die Selektivität untersucht wird. Die leitenden Fragen lauten: Weshalb haben die Schulbuchautor*innen das Material ausgesucht und weisen sie darauf hin, dass andere Texte/Bilder möglich gewesen wären. Auch die Temporalität, also die Kennzeichnung einer Meinung zu einer bestimmten Zeit oder der Vorläufigkeit eines Urteils ist wichtig, um Geschichte als Erzählung zu begreifen. Sie wird ebenfalls mit dem Analyseraster erhoben. Die Bausteingruppe V, die die Retroperspektivität der Geschichte beinhaltet, findet ebenfalls Berücksichtigung: Einerseits wird die Multiperspektivität, deren Konzept und Bedeutung Bergmann entwickelt hat, analysiert. Nach dieser Theorie hat die Perspektive auf Geschichte eine soziale Standortgebundenheit – so sehen z.B. Frauen und Männer oder Arme und Reiche den gleichen Gegenstand eventuell von einem vollkommen anderen Standpunkt aus. Andererseits wird die Kontroversität erhoben, die aus unterschiedlichen (Forschungs-)Meinungen entsteht, welche z.B. aus politischen Meinungen oder anderen theoretischen Zugängen resultiert.24 Zwei Punkte zur Multiperspektivi20 21 22 23 24

Schreiber misst die Kohärenzen anhand der Eindeutigkeit und des Abstands: Schreiber u.a. (2013), S. 139ff. Kühberger/Mellies (2009), S. 130ff. Kühberger/Mellies (2009), S. 137ff. Klassisch z.B.: Schreiber u.a. (2013), S. 35; Scholle (1997), S. 370. Bergmann hat 1972 mit dem Begriff von Christian Meier und entlang der marxistischen Geschichtstheorie (Marx, Engels, Benjamin) den »multiperspektivischen Geschichtsunterricht« als Kritik an der Personalisierung und am Historismus eingefordert: Bergmann (1972), S. 16-26, 64-91. Theoretisch stärker an Rüsen und die heutige Geschichtsdidaktik angelehnt, veröffentlichte er das Konzept als Monografie mit zahlreichen Anwendungsbeispielen: Bergmann (2000), S. 25ff., 86ff. Dessen hohe geschichtsdidaktische Bedeutung (für Schulbücher) ist unumstritten: Lücke (2012), S. 288; Rüsen (1982), S. 163ff.; Rüsen (1992), S. 246; Rohlfes (2005), S. 313; Pandel (2013), S. 124, 352. Zu Kontroversität ergänzt: Schönemann/Thünemann (2010), S. 121. Multiperspektivität gehöre zur

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

tät sollen hervorgehoben werden: Erstens, so Bergmann, ist der Geschichtsunterricht in allen politischen Systemen zumeist nur eine monoperspektivische nationale Erfolgsgeschichte, die durch Multiperspektivität aufgebrochen werden könne.25 Zweitens hat sie große Bedeutung für den kognitiven Bereich des historischen Lernens. Zur Frage, ob Schulbücher bereits multiperspektivisch bzw. kontrovers sind, gibt es unterschiedliche Einschätzungen, wie bereits gezeigt wurde.26 Zusätzlich möchte ich an dieser Stelle ein Urteil von Katja Gorbahn zur Darstellung von Griechenland und Persien zitieren: »Das gilt zum Teil gerade auch für dort, wo versucht wird, die Forderung nach Multiperspektivität umzusetzen. Statt das Fehlen persischer Quellen, die den griechischen vergleichbar sind, ausdrücklich zu thematisieren, suchen manche Bücher Zuflucht in handlungs- und produktionsorientierten Aufgaben oder repräsentieren die persische Perspektive kurzerhand mittels Auszügen aus Herodot, die dann oft auch noch manipulativ zugeschnitten werden. Das so wichtige Prinzip der Multiperspektivität wird hier zum Teil in einer Weise ad absurdum geführt, die weder etwas mit Perspektivität noch mit ›Multi‹ zu tun hat, sondern bipolaren Strukturen entgegenkommt und genutzt wird, um die Überlegenheit von Freiheit gegenüber Despotie zu unterstreichen.«27 Die Vorarbeiten zu dieser Arbeit geben Hinweise darauf, dass die Aussage von Gorbahn möglicherweise eins zu eins auf die Darstellung von BRD und DDR übertragbar ist. Konkret wird im Analyseschema Folgendes überprüft: Wird mit Passivkonstruktionen die Stärke der Aussage abgemildert? Sind Einschübe wie beispielsweise laut der Historiker*in … oder laut der Theorie … vorhanden? Auch die Frage, ob es Kontroversen zwischen Verfassertext und Quellentext oder zwischen einzelnen Quellen gibt, wird erhoben.28 Dabei überschneidet sich die Analyse bereits mit der normativen Triftigkeit: So stellen Schönemann/Thünemann fest, dass »perspektivische Doppelungen« bei »Darstellungstext« und »Materialauswahl« leicht »doktrinäre Züge« annehmen könnten.29 Ohnehin

25 26

27 28

29

narrativen Triftigkeit: Kühberger/Mellies (2009), S. 122. Siehe zum Unterschied von Kontroversität und Multiperspektivität: Borries (1983a), S. 569ff.; Lücke (2012), S. 284: Pandel (2013), S. 352. Pandel hebt besonders hervor, dass mit Quellen, die heutigen Darstellungen widersprechen, sehr gut gelernt werden könne: Pandel (2000), S. 9. Es gibt aber auch Kritik an einzelnen multiperspektivischen Konzepten: Martin Lücke betont, dass eine Perspektivenübernahme der »historisch stummen Gruppen« nicht möglich und problematisch sei: Lücke (2012), S. 288. Bergmann (2000), S. 18f. »Die allgemeine Hochschätzung der Multiperspektivität findet sich im Schulbuch allerdings nicht wieder«: Pandel (2006), S. 22. Demgegenüber bescheinigt Kühberger »allen deutschen und österreichischen Schulbüchern […] Ansätze für eine multiperspektivische Darstellung, die nach Schörken und Bergmann die wichtigste Grundlage zur Förderung von Geschichtsbewusstsein ist«: Kühberger/Mellies (2009), S. 152f. Gorbahn (2006), S. 190f. Dies hatte bereits Borries 1980 als wichtigen Punkt hervorgehoben: Borries (1980), S. 29ff. Anscheinend wurde dieser Aspekt bei vielen konkreten Schulbuchanalysen wenig berücksichtigt. Zum Verhältnis von Quelle zu DT siehe auch: Günther-Arndt (2008), S. 4ff. Brauch fordert diesbezüglich: »Es sollten auch solche Materialien vorhanden sein, die SchülerInnen in die Lage versetzen, Aussagen des Verfassertextes zu hinterfragen und in neuer Perspektive selbst neu erzählen zu können«: Brauch (2014), S. 111. Schönemann/Thünemann (2010), S. 87.

5. Methodik und Auswahl der Bücher

sind laut Kühberger – mit Bezug auf Rüsen – fachliche und normative Triftigkeit notwendige Bedingungen für narrative Triftigkeit.30 Ebenfalls ein Teil der narrativen Triftigkeit ist der lebenspraktische Bezug, da die Schulbücher Sinnbildungen hinsichtlich bedeutender Fragen für die Zukunft formulieren sollen.31 Allerdings ist dies meiner Ansicht nach ambivalent zu bewerten. Einerseits können Schulbücher die großen Fragen, wie Mitbestimmung, wirtschaftliche Entwicklung, Verteilungsfragen und die komplizierte ökologische Herausforderung thematisieren. Andererseits beinhaltet der lebenspraktische Bezug aber eine weitere, schwer verallgemeinerbare Komponente – nämlich die Bedeutung des Themas für die aktuelle Umgebung der Schüler*innen. Um ein Beispiel zu nennen: Ich habe in einer Berliner Oberstufe die Weimarer Republik unterrichtet, als in Berlin der Volksentscheid zur Zukunft des Tempelhofer Feldes in Kürze anstand. Alle Schüler*innen waren wahlberechtigt. Somit bot es sich an, die Volksentscheide der Weimarer Republik zum Thema zu machen, deren historischer Bezug für heute wichtig ist. Denn es gibt weiterhin die Theorie, dass sich der Parlamentarische Rat aufgrund der »Weimarer Erfahrungen« gegen bundesweite Volksentscheide entschieden habe. Diese Anknüpfung an ein tagesaktuelles Thema hätte ein Schulbuch nur bedingt leisten können, hierfür sind die verschiedenen Möglichkeiten zu vielfältig. Folglich ist dies eine wichtige Aufgabe der Lehrkraft. In Bezug auf die narrative Triftigkeit ist das sechsstufige Analyseraster schwieriger zu bestimmen. Das Vorgehen bzgl. der Namen der Autor*innen dürfte allerdings präzise sein: Die Codierung Doppelplus (++) ist erfüllt, wenn alle untersuchten Texte mit einem Namen versehen sind. Fehlt der Name einer Quelle, codiere ich Plus (+). Bei den Codierungen Passivkonstruktionen, Konjunktiv, ist derzeit umstritten, Forschungsergebnisse gewandelt und Begründung Auswahl der Quellen – also bei allen, die sich auf den gesamten Text beziehen – muss die Codierung andersherum erfolgen. Diese Erkenntnis wurde induktiv aus den Schulbüchern gewonnen. Natürlich könnte der Maßstab angelegt werden, dass beispielsweise jede Quelle in ihrer Auswahl begründet werden soll. Allerdings wäre ein solches Vorgehen praxisfern, denn die Schulbücher haben nur einen begrenzten Raum für Material. Außerdem geht es in der vorliegenden Analyse darum, möglichst aussagekräftige Ergebnisse über die Schulbücher zu gewinnen und diese sind nur durch induktiven Abgleich der Methode zu gewinnen. Wäre die Codierung Doppelplus (++) nur definiert durch die Begründung der Auswahl von jeder einzelnen Quelle, dann wäre die Codierung zu schwierig zu erfüllen und in keinem Schulbuch gegeben. Deshalb benutze ich folgende Definition: Ist die Codierung an einer Textstelle erfüllt, wird sie Plus (+) eingeordnet; ist die Codierung an mindestens zwei Stellen erfüllt, wird sie Doppelplus (++) definiert. Der lebenspraktische Bezug unterscheidet sich von beiden Varianten der Auswertung nochmals deutlich. Hier ordne ich die Codierung

30 31

Kühberger/Mellies (2009), S. 123. Forderung nach Gegenwartsbezug: Borries (1980), S. 35ff. Aktueller: »Schulbücher weisen nur verhältnismäßig wenige Gegenwartsbezüge auf, d.h. sie verbergen den Prozess der ›Sinnbildung‹ eher, als ihn aufzudecken, und neigen dazu, ›Deutungen‹ wie ›Tatsachen‹ zu behandeln, allerdings nicht zur ›kontroversen‹ Diskussion zu stellen«: Borries (2006), S. 43.

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Doppelplus (++) einer Aufgabenstellung zu, in der ein historisches Problem für eine aktuelle Problemstellung herangezogen werden soll. Ein Plus (+) wird vergeben, wenn das Schulbuch eine Verknüpfung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vornimmt. Der zweite Teil zur narrativen Triftigkeit soll die Schulbücher in Erzähltypen kategorisieren. Dieser Ansatz geht auf Christine Pflüger und Handro, die ihre Erzähltypen jedoch nicht mit der narrativen Triftigkeit in Verbindung bringen, zurück. Pflüger fordert weitgehender eine Hinterfragung von etablierten Zusammenhängen. Deshalb ist für sie relevant, »die Darstellungen historischer Zusammenhänge im Schulbuch nicht nur auf Zuschreibungen hin zu untersuchen, sondern sowohl die Erzählmuster als auch die analytischen Kategorien […] zur Untersuchung von politischen Systemen, gesellschaftlichen Verhältnissen, wirtschaftlichen Entwicklungen usw. […] zu erfassen.«32 Als Beispiele für Erzählmuster nennt sie Aufstieg und Fall sowie Gleichgewicht als Grundmuster der Systemtheorie von Niklas Luhmann. Ihren Ursprung sieht sie wie folgt: »Durch die Kombination von Ereigniskonstituenten und temporalen Erfahrungsmodi werden die von Pandel so genannten ›Grundkategorien des Denkens‹ – hierbei handelt es sich um dichotomische Paare wie arm-reich, gut-böse, stark-schwach usw. – mit einer Dynamik versehen, und aus dieser Operation ergeben sich Erzählmuster.«33 Ihre Kritik richtet sich daran, dass die Erzählmuster nicht transparent gemacht und somit als normale Antriebskräfte der Geschichte verstanden werden. Für das vorliegende wirtschaftshistorische Thema sind Erzählmuster hinsichtlich der Akteure (Arbeitende, Unternehmer, Politiker), das theoretische Konzept des Gleichgewichtes (Say´sches Theorem) als Angebotstheorie, Nachfragetheorie und der Verteilungskampf (historischer Materialismus) als Triebfeder von ökonomischer und historischer Entwicklung wichtig. Vermutlich lassen sich diese lediglich implizit finden – zumindest beklagt Pandel das Fehlen von historischen Basistheorien im Schulbuch.34 Allerdings dürfte die Kritik an den Grundmustern der Erzählung bei 36 Schulbüchern nicht befriedigend zu erfassen sein. Handro hat in ihrer Arbeit anhand von »Quellenmaterial […], Visualisierungskonstruktionen […] und Kontinuitätskonstruktionen« verschiedene »narrative Strukturformen« induktiv ermittelt und in einem »typologisierenden Zugriff« beschrieben. Letzteres bezeichnet die Einteilung der narrativen Strukturen in eine bestimmte Anzahl von Erzähltypen. Handro möchte nicht fehlende Sachinhalte oder falsche Informationen kritisieren, sondern die bewusste Auswahl des Materials kategorisieren.35 Die Kategorisierung der Erzähltypen in der vorliegenden Arbeit resultiert aus der Auswertung der Analyseraster der fachlichen Triftigkeit. Dabei werden die Schulbücher mit bestehenden wirtschaftshistorischen Erzählungen verglichen. Beispielsweise kann die Erzählung von Abelshauser mit intakter Industrie, Arbeitskräften, Korea-Boom und 32 33 34 35

Pflüger (2006), S. 70f. Pflüger (2006), S. 73f. Pandel beklagt das Verschwinden von Geschichtstheorien aus dem Unterricht und insbesondere des historischen Materialismus: Pandel (2013), S. 85. Handro (2011), S. 92f.

5. Methodik und Auswahl der Bücher

Rekonstruktion (vereinfacht) charakterisiert werden. Sofern sich diese Thesen in einem Schulbuch befinden, ist das Schulbuch dem Erzähltyp zuzuordnen.

5.4 Normative Triftigkeit 5.4.1 Theorie der normativen Triftigkeit Nach Rüsen beinhaltet die normative Triftigkeit Folgendes: »Normativ triftig sind Geschichten, wenn die in ihnen behaupteten Bedeutungen durch geltende Normen gesichert sind.«36 Da dieser Satz irreführend sein kann, möchte ich ein Beispiel von Rüsen bemühen. Normative Triftigkeit sei dann gegeben, wenn deutlich ist, mit welchen Theorien und Denkmustern eine historische Erzählung begründet wird. Rüsen erklärt dies wie folgt: »So sind z.B. für Angehörige einer Klasse, die sich kämpferisch von der Unterwerfung durch eine andere Klasse befreien will, alle die Geschichten normativ triftig, in denen die Geschichte als Klassenkampf erscheint.« Kühberger verschiebt den Fokus der normativen Triftigkeit geringfügig und definiert, dass die moralische Grundlage der Bewertung offengelegt werden müsse.37 An anderer Stelle fasst er zusammen: »Hoch triftig ist dasjenige Schulbuch, welches den Lesenden bzw. Lernenden einerseits die eigenen Bewertungsgrundlagen in einer Standpunktreflexion offen legt und sie andererseits ausdrücklich zur eigenständigen Beurteilung auffordert.«38 In der vorliegenden Schulbuchanalyse wird sich an der Definition von Kühberger orientiert. Rüsen hat der Standpunktreflexion bei der normativen Plausibilität in der aktuellen Historik ebenfalls ein größeres Gewicht beigemessen.39

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Rüsen (1983), S. 82f. Rüsen (1983), S. 98f.; Kühberger/Mellies (2009), S. 154ff. Auch: »Dabei ist es entscheidend klarzustellen, welche moralische Wertebasis für die Beurteilungen herangezogen wird. Handelt es sich um Bewertungen, die aufgrund unserer westlichen bzw. europäischen Wertebasis getroffen werden oder versuchten die Autoren/Autorinnen auf der Grundlage einer zeitgenössischen Wertebasis zu urteilen«: Kühberger/Mellies (2009), S. 16. Kühberger/Mellies (2009), S. 174. Rüsen nennt die Begriffe nicht mehr Triftigkeiten, sondern »Plausibilitäten«. Sie sind an den Dimensionen des Geschichtsbewusstseins (Wahrnehmung/Erfahrung, Deutung, Orientierung, Motivation) ausgerichtet. Die »empirische Plausibilität« ist deckungsgleich mit der empirischen Triftigkeit. Die »normative Plausibilität« wurde verändert, da die Erhöhung der Plausibilität durch die Berücksichtigung unterschiedlicher Standpunktreflexionen – also Argumentationen auf Basis normativer Konzepte – definiert wurde. So könne eine Betrachtung sowohl von »Täter- als auch Opferperspektiven« oder Deutungen von Modellen der »Geschichte von unten« sowie der »Geschichte von oben« die Erzählung plausibler machen. Aus der normativen Triftigkeit ausgegliedert bzw. neu ergänzt wurde die »theoretische Plausibilität«, die darüber reflektiert, inwieweit geschichtsoder gesellschaftstheoretische Modelle verwendet und in die Erzählung integriert wurden. Auch die »narrative Plausibilität« unterscheidet sich nur rudimentär von der narrativen Triftigkeit. Die narrative Plausibilität beruht auf der Abfrage der »narrativen Kohärenz der Erzählung« durch die »Explikation eines zustimmungsfähigen Sinngehaltes«, der zudem der »Lebensdienlichkeit« entsprechen müsse: Rüsen (2013), S. 58ff.

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Eine umfangreiche Debatte, die für die normative Triftigkeit von Bedeutung ist, dreht sich um das Lernziel Bewerten bzw. ein Werturteil formulieren. Dabei sind zwei Stränge erkennbar: Eine klassische Kritik richtet sich gegen das Bemühen der Schulbücher um Neutralität und plädiert für deutliche (transparente) Werturteile. Dabei gibt es ebenfalls unterschiedliche Meinungen. Joachim Rohlfes fordert schlichtweg normative Positionen: »Als unverzeihliche pädagogische Sünde gilt es heute auch, wenn ein Buch dem Schüler fertige Urteile und Deutungen vorsetzt und ihm nicht genügend Gelegenheit gibt, die historischen Einsichten selbst zu erarbeiten.«40 Hierbei scheint ein sehr konservatives Lernmodell durch. Rüsen hingegen fokussiert eine didaktisch reflektierte Bewertung: »Viele Schulbücher vermeiden explizite historische Urteile und bemühen sich um den Anschein strikter Neutralität. Damit verschließen sie den Schülerinnen und Schülern eine Lernchance. Es wäre didaktisch sinnvoller, historische Urteile mit ihrem Wertbezug und ihrer argumentativen Verwendung von Erfahrungen und Deutungen zu thematisieren, […].«41 Vermutlich entstand durch diese Kritik der Hype um die Bewertungs-Operatoren. Jedes Schulbuch in Deutschland beinhaltet heutzutage Übungsaufgaben mit Operatoren des Anforderungsbereiches (AFB) III (Bewerte, Beurteile, Diskutiere u.a.) und suggeriert damit offene Aufgabenformate. An diesem Aspekt setzt der zweite Strang der Debatte an: Schreiber kritisiert, dass die Reflexionsebene nicht existiere und explizite Werturteile zur Orientierung nur bei bestimmten Themen geboten werden. Das Verstecken der Werturteile erschwere die didaktische Auseinandersetzung.42 Eine andere Kritik an den modernen Schulbüchern besteht darin, dass die Schulbüchern gar keine individuellen Bewertungen zulassen, sondern normative Positionen in vorgeblich offenen Aufgabenformaten unterbringen würden.43 Kühberger schreibt zur

40 41 42

43

Rohlfes (1985), S. 249. Rüsen (1992), S. 249. Sie schreibt: »Vielfach zeigen aber Schulbuchanalysen, die nach diesen prinzipiellen Aspekten suchen, dass die Autoren sich oft schwer damit tun, Perspektivität, Konstruktcharakter oder Partialität zum Thema zu machen bzw. explizite Aussagen zu historischer Orientierung zu treffen […] Explizite Gegenwartsbezüge werden i.d.R. nur da hergestellt, wo sie als ›political correct‹ erwartet werden. […] Dass in den Texten aber sehr wohl Urteile stecken, […] kann nur durch exakte Analysen der Tiefenstruktur und durch Kombination geeigneter Codes offen gelegt werden. […] Schülern wird es schwerfallen, sich solch subtile Wertungen bewusst zu machen; deren Wirkung bleibt aber trotzdem bestehen. Was von den Autoren also vermutlich im Sinne des Beutelsbacher Konsens als Vermeidung von Beeinflussung gedacht ist, erschwert Schülern die Auseinandersetzung mit der Orientierungsfunktion von Geschichte«: Schreiber u.a. (2013), S. 52f. Zu den versteckten Urteilen sagt Rohlfes: »Mit einigem Recht kann man deswegen der Auffassung sein, das ausdrückliche Werturteil sei unbedenklicher als das beiläufige und verdeckte, weil man bei jenem weiß, woran man ist, bei diesem aber womöglich gar nicht merkt, daß und wie man ›indoktriniert‹ wird«: Rohlfes (2005), S. 313. Krüger (2017); Krüger (2018).

5. Methodik und Auswahl der Bücher

Darstellung der Geschichte der EU: »Kritisch daran ist, dass die transportierten ProEU-Haltungen meist hinter einer scheinbar eigenständigen Meinungsbildungsmöglichkeit versteckt werden.«44 Pandel spottet zusätzlich, wie offensichtlich die erwünschte Antwort oftmals ist: »Wenige Bücher gehen einen anderen Weg und blocken die Arbeitsaufträge nach mehreren Seiten. Dadurch gibt es Zuordnungsprobleme und das Buch muss formale Kohäsionsmittel einsetzen und den Schülerinnen und Schülern zeigen, an welcher Buchstelle (»Siehe S. 87«) sie die Antworten suchen sollen.«45 Neben der Bedeutung der normativen Grundlage von Bewertungen ist wichtig, ob zeitgenössische Theorien bzw. wirkmächtige Diskurse berücksichtigt werden. So sollten – für eine normativ triftige Analyse einer Quelle im Schulbuch – die damals verfügbaren und gängigen Narrative als Maßstab verwendet und nicht etwa heutige Werturteile angelegt werden.46 Ein gutes Beispiel ist die Währungsreform. Die Interpretation einer historischen Quelle vom Juni/Juli 1948 muss anhand der sozialen Situation der Menschen in diesen Monaten und nicht mit den Informationen von heute erfolgen. Insofern eine aktuelle Bewertung verlangt wird, muss die Aufgabenstellung darauf hinweisen und die Perspektive thematisieren. Ein Beispiel wäre: Wie würde vermutlich ein heutiges Urteil lauten? Warum unterscheiden sie sich? Für die vorliegende Arbeit ist nochmal Schöner hervorzuheben: »Sichergestellt sein muss, […] dass ein Aspekt, der in der Forschung kontrovers diskutiert wird, nicht als konventionelle und damit in der Gesellschaft des jeweiligen Landes gültige Interpretation dargestellt wird.«47

5.4.2 Analyse der normativen Triftigkeit Die Untersuchung der normativen Triftigkeit beinhaltet die konkrete Gestaltung der einzelnen Schulbuchseiten mit all ihren Elementen, der Intertextualität, Kohärenz oder das Zusammenspiel als »multimodulare Gesamttexte«48 . Dabei spielen auch Elemente der narrativen Triftigkeit eine Rolle, die nicht immer exakt abtrennbar sind. Ich werde, ausgehend von den Aufgabenstellungen und den Operatoren, die für historisches Lernen eine große Bedeutung haben49 , überprüfen, inwieweit die Schulbuchdarstellungen zur Quellenarbeit, einer eigenen historischen Erzählung und Bewertung animieren. Dabei sind folgende Fragen leitend: Welches Quellenmaterial steht für die Aufgaben zur Verfügung und wie soll es verknüpft werden? Sollen die Schüler*innen Wertungen 44 45 46 47 48

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Kühberger/Mellies (2009), S. 194. Pandel (2006), S. 27. Schöner (2013), S. 87; Schreiber u.a. (2013), S. 45. Schöner (2013), S. 89. Kühberger/Mellies (2009), S. 171. Außerdem nennt Schreiber den Begriff »Kohärenzen« für das wechselseitige Verhältnis von Oberflächenstruktur und Tiefenstruktur. Allerdings versteht sie Kohärenz sehr technisch – z.B. den Verweis vom DT zur Quelle M4: Schreiber u.a. (2013), S. 36, 116ff., 139ff. Pandel spricht ebenfalls von Kohärenz, jedoch nennt er den Sinnzusammenhang »Intertextualität« sowie »Plot«: Pandel (2006), S. 16, 19, 32. Thünemann/Schönemann definieren wesensverwandt die »fachdidaktisch-funktionale Ebene, auf der die Schulbuchanalyse ihren höchsten Komplexitätsgrad erreicht«: Schönemann/Thünemann (2010), S. 116. Siehe dazu: Thünemann (2018), S. 25ff.; Bramann (2018).

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vornehmen und steht hierfür eine Kontroverse zur Verfügung? Welchen Plot, welche Narration bietet die Gesamtseite bzw. eine Doppelseite? Finden sich »implizite Wertungen«?50 Werden diese transparent gemacht? Wird zu perspektivischen Wertungen aufgerufen? In der vorliegenden Schulbuchanalyse wird konkret ein Teil des Schulbuches als Gegenstand definiert, der von den Schulbuchautor*innen als Einheit betrachtet wird – im einfachsten Fall eine Doppelseite mit dem Thema Nachkriegswirtschaft und allen Elementen des Schulbuches. Bei komplizierteren Darstellungen, z.B. wenn sich die Aufgabenstellungen am Ende des Kapitels befinden, orientiere ich mich an den Schulbuchkonzeptionen; d.h. ich folge den Kohärenzen, die die entsprechenden Teile miteinander verbinden und definiere sie als Analyseeinheit. Schwierige Abgrenzungen werden im Einzelfall erläutert. Auf den Schulbuchseiten werden alle Aufgabenstellungen in den Fokus genommen, die eine Bearbeitung der Quellen und/oder irgendeine Form von Meinungsbildung bzw. Wertung beinhalten. Zumeist entsteht hierbei ein Zusammenwirken von klassischen Quellen, historiografischen Texten, dem Darstellungstext und der Aufgabenstellung. Dieses Narrativ der Schulbuchseite wird ausführlich auf die Triftigkeit geprüft. Besonderes Augenmerk liegt auf der Frage – wie es Michael Friemel so charmant in der Sprache der siebziger Jahre formuliert hat –, »ob indoktriniert wurde oder ob man verschiedene historisch mögliche Antworten zuließ«.51 Ich werde zwei weitere methodische Neuerungen einführen, um die narrative und normative Triftigkeit zu erheben. Erstens sollen alle Lösungsbände der Schulbücher analysiert werden, um die Intention der Schulbuchautor*innen nachvollziehen zu können. Besonders bei Bewertungsaufgaben sind die Lösungsbände äußerst aufschlussreich. Zweitens wird die Herkunft der Quellen ausführlich analysiert, da Vorarbeiten zeigen, dass die Schulbücher Quellen benutzen, deren historische Erfahrung verändert wurde, die jedoch als Grundlage für die Bewertung dienen.52 In der Auswertung am Ende der Analyse werden zusätzlich Erkenntnisse zur Schulbuchproduktion gewonnen. Hierfür erfolgt erstens, wie bereits erwähnt, eine Betrachtung der Veränderung der Quellen im Kontext der Schulbuchproduktion. Zweitens werden (sofern möglich) die ausgewählten Thesen der Schulbücher anhand der Literaturverzeichnisse und, daran anschließend, des Vergleiches mit den Texten in den dort aufgeführten Büchern auf deren Herkunft in der Geschichtswissenschaft geprüft. Im nächsten Abschnitt erfolgt jedoch zunächst die umfassende Analyse aller Schulbücher, geordnet nach Verlagen.

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Bezüglich der impliziten Wertungen schreibt Kühberger: »Dass selbst dort normative Elemente einfließen, wo es sich um eine scheinbar harmlose Aufzählung von Daten und Fakten handelt, wird oft nicht stark genug wahrgenommen (z.B. Auswahl der Daten unter bestimmten Fragestellungen, Gewichtung der Themen oder der Herangehensweisen nach geschichtswissenschaftlichen Schulen)«: Kühberger/Mellies (2009), S. 162. Ebenfalls: Schreiber (2008a), S. 5, 8. Friemel (1973), S. 143. Krüger (2017), S. 182ff.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

6.1 Klett 6.1.1 Geschichte und Geschehen 3/4 Die Analyse beginnt mit den Schulbüchern des Klett-Verlags. Als erstes Schulbuch wird Geschichte und Geschehen für Rheinland-Pfalz aus dem Jahr 2016 thematisiert. Es ist für die gymnasiale Oberstufe konzipiert und behandelt zunächst die »Wirtschaftlichen Weichenstellungen in Ost und West«1 . Die erste Doppelseite beginnt mit einem DT zum »Marshallplan«, dessen Entwicklung wie folgt beschrieben wird: »George C. Marshall forderte 1947 ein umfassendes Hilfsprogramm – finanziert durch die Vereinigten Staaten. Aus diesem ›Marshallplan‹ konnten alle europäischen Staaten Geld erhalten. Bedingung dafür war, dass sie sich vorher über eine gemeinsame europäische Wirtschaftspolitik verständigten. Das akzeptierte die Sowjetunion nicht, da sie ein freies marktwirtschaftliches Wirtschaftssystem und jede Einflussnahme des Westens in dem von ihr kontrollierten Osteuropa ablehnte. Daher zwang die Sowjetunion auch alle Staaten in ihrem Einflussbereich, das Programm abzulehnen. Dagegen erklärten 16 westeuropäische Länder ihre Bereitschaft, wirtschaftlich eng zusammenzuarbeiten, und erhielten daher die Marshallplangelder.« Weiterhin nennt das Schulbuch die Organisationsform OEEC, den Umfang der Zahlungen im Wert von »mehr als 11 Milliarden Dollar« sowie die Vorschrift des Imports von amerikanischen Waren. Im zweiten Abschnitt wird die Notwendigkeit einer Währungsreform durch den Geldüberhang beschrieben. Geschichte und Geschehen erklärt die 60 Mark Kopfgeld, die Umstellung der Sparguthaben und die Freigabe der Preise – nicht aber den nahezu vollständigen Erhalt der Sachwerte und des Aktienkapitals. Allerdings erwähnt das Schulbuch die »scharfen Proteste« aufgrund der Preissteigerungen, wenn auch nur in einem Satz.

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Brütting (2016a), S. 270ff.

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

Direkt neben diesem DT befindet sich die Quelle Q1 mit der Überschrift »Schaufenster einer Fleischerei nach der Währungsreform« (vgl. Abb. 5). Die Schüler*innen sollen folgende Aufgabe bearbeiten: »Stelle zusammen, was die Frauen wahrscheinlich dachten, als sie das neue Angebot sahen.« Im DT gibt es Hinweise auf das Funktionieren der marktwirtschaftlichen Ordnung sowie die hohen Preise nach der Währungsreform. Ein anderer wichtiger Aspekt ist nicht genannt, der die misstrauischen, verblüfften und entsetzten Blicke erklären könnte – nämlich das Horten der Waren durch die Geschäftsleute vor dem 20. Juni 1948. Eine bemerkenswerte Textquelle zur Wut und zum Entsetzen vieler Menschen nach der Währungsreform2 befindet sich im Quellenband von C hristoph Kleßmann/Georg Wagner3 (siehe auch Seite 181). Der Lösungsband formuliert als Antwortmöglichkeiten mehrere Sätze zu den hohen Preisen, zur Qualität der Waren, zur Freude über die Einkaufsmöglichkeiten und sogar (als Andeutung) zum Horten der Waren vor der Währungsreform. Eine Meinung, die das Entsetzen über die wohlhabenden Menschen und die Politik zum Ausdruck bringt, ist nicht dabei.4

Abbildung 5: Schaufenster nach der Währungsreform

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Lutz Niethammer hat Anfang der 1980er Jahre mit zahlreichen Zeitzeugen gesprochen. Zur Währungsreform und dem Auftauchen der Waren heißt es: »Aber es gibt so gut wie keinen unter unseren Gesprächspartnern, der den Zauber nicht durchschaut und den Betrug vergessen hätte: die Ungerechtigkeit, daß Geldbesitzer beraubt und Warenbesitzer belohnt wurden, daß ein Lastenausgleich für die Kriegsopfer ausblieb und nur in kleinen Dosen nachgeholt wurde, daß die Gauner und Asozialen, die notwendige Versorgungsgegenstände einer elenden Bevölkerung vorenthalten und gehortet hatten, nun prämiert wurden, daß das Eigentum an Immobilien und Produktionsmitteln auf das Zehnfache aufgewertet wurde, während die neue betriebliche Kostendisziplin viele Arbeitskräfte vernichtete«: Niethammer (1983), S. 82. Eine Umfrage des Allensbacher-Instituts bestätigte ebenfalls die schlechte Stimmung nach der Währungsreform: Noelle-Neumann (1956), S. 149, 151. Kleßmann (1993), S. 176. Brütting (2016b), S. 247.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

Der rechte Teil der Doppelseite zur Nachkriegswirtschaft behandelt die SBZ und besteht aus einer kritischen Perspektive auf die Enteignungen der Industrie und die Bodenreform: »[Die neuen Machthaber] verbreiteten die kommunistische These, dass die ›Monopolherren‹ (Großunternehmer) und ›Landjunker‹ (Großgrundbesitzer) die nationalsozialistische Diktatur und den Krieg erst ermöglicht hätten.« Durch diese Strukturveränderungen sei das »sowjetische Modell« durchgesetzt worden. An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass diese Einschätzung keine »kommunistische These«, sondern zunächst Konsens der alliierten Siegermächte war.5 Im weiteren Verlauf des DT werden die Bodenreform, die erzwungenen Zusammenschlüsse zu LPG sowie die Flucht vieler der Enteigneten in den Westen beschrieben. Die Demontagen »verschärften« die Situation zusätzlich. Weiterhin habe die UdSSR die Währungsreform im Westen zum Abbruch der Zusammenarbeit mit dem Westen genutzt. Außerdem befindet sich hier ein Plakat mit folgender Beschreibung: »Q2 Plakat von 1945 aus der SBZ zur Bodenreform«. Auf dem Plakat thront ein großer Bauer mit einer Milchkanne und einem großen Laib Brot in den Händen über einem Dorf. Die Aufschriften lauten »Junkerland in Bauernhand« und »Der Bauer sichert die Ernährung der Städter«.6 Die Aufgabenstellung heißt: »Erläutere die politische Aussage des Plakats. Mit welchen Gefühlen wird hier ganz bewusst gearbeitet?« Die Aufgabenstellung verlangt eindeutig eine kritische Interpretation des Plakats und der Bodenreform allgemein. Eine andere Meinung, wie bspw. von Scherstjanoi7 , bietet das Schulbuch nicht. Diese Form der Aufgabenstellung kann trotzdem historisches Lernen fördern, wenn grundsätzlich bei allen Werbeplakaten zu einer kritischen Antwort aufgefordert wird. Dies geschieht in Geschichte und Geschehen jedoch nicht. Auf der folgenden Doppelseite wird das ERP thematisiert.8 Die linke Seite besteht aus einem Auszug der Rede von Marshall in Harvard und einem Werbeplakat für den Marshallplan. Auf der rechten Seite befinden sich der Auszug einer Rede, die Molotow in Paris hielt, und ein Plakat gegen das ERP. Insgesamt wirkt die Doppelseite (oberflächlich betrachtet) wie eine gelungene multiperspektivische Konzeption. Das Plakat »Freie Bahn dem Marshallplan« zeigt einen Lastkraftwagen (LKW), an dessen Dach die Fahnen der europäischen Länder wehen, durch eine Zollschranke fah5

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Die Alliierten beschlossen am 12. Januar 1946 die Kontrollratsdirektive 24 mit der Zielanweisung: »Entfernung von Nationalsozialisten und Personen, die den Bestrebungen der Alliierten feindlich gegenüberstehen, aus Ämtern und verantwortlichen Stellungen.« Gleich im ersten Absatz werden Personen aus »verantwortlichen Stellungen in bedeutenden privaten Unternehmen« aufgelistet. Nach der Erläuterung aller Berufsgruppen folgt diese Kategorisierung: »Die Ausmerzung des Nationalsozialismus und Militarismus macht es erforderlich, Personen, die voraussichtlich undemokratische Traditionen verewigen würden, von allen ausschlaggebenden oder einflußreichen Stellungen zu entfernen und auszuschließen. a) Berufsoffiziere der Deutschen Wehrmacht, einschließlich der früheren Reichswehr b) Personen, die die preußische Junkertradition verkörpern«: Webarchiv (o.J.). Brütting (2016a), S. 271. Ich habe dieses und die folgenden Plakate zum ERP schon einmal an anderer Stelle analysiert: Krüger (2017), S. 179ff. Scherstjanoi (2007), S. 41ff. Brütting (2016a), S. 272f.

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

ren. An der Front des LKW, oberhalb der Motorkühlung, ist eine Plakette mit der Aufschrift »ERP« befestigt. Direkt neben der Quelle finden die Schüler*innen folgende Aufgabenstellung: »Weise mithilfe des Plakates nach, dass durch den Marshallplan die Zusammenarbeit von Staaten gefördert wurde.« Der Lösungsband fordert lediglich die Beschreibung des Plakats und den Hinweis auf den DT, der die Zusammenarbeit der Staaten auf das ERP zurückführt.9 Insgesamt ist es aber fragwürdig, ein Werbeplakat für einen Nachweis, also für einen seriösen Beleg, zu verwenden. Auf der nächsten Seite wird die Bewertung des »Plakat[es] gegen den Marshallplan« aus der SBZ »mithilfe der Informationen im VT [Verfassertext, KK]« verlangt.10 Auf dem Plakat flüchtet ein amerikanischer Geschäftsmann im Scheinwerferlicht, im Hintergrund sind große Fabriken und gepflügte Felder zu sehen. Im oberen Teil steht »Hinaus« und im unteren Teil »Wir brauchen keinen Marshallplan, [Absatz] wir kurbeln selbst die Wirtschaft an« geschrieben. Hierbei ist die gewünschte Antwort oder das implizierte Urteil ebenfalls eindeutig. Die ERP-Gelder sind im DT als Hilfsmaßnahme beschrieben, über eine Unterordnung unter die ökonomischen Interessen der USA, wie das Plakat suggeriert, findet sich nichts. Stattdessen vertritt der DT sogar die These, dass sich die europäischen Staaten, um am ERP teilnehmen zu können, auf eine gemeinsame Wirtschaftspolitik hätten einigen müssen. Dies sagte Marshall sinngemäß in seiner Rede.11 Geschichte und Geschehen kürzt diese Aussage, die kritisch analysiert werden müsste, aus der Rede von Marshall, übernimmt sie allerdings im Infinitiv in den vermeintlich objektiven DT. Das Plakat »Hinaus!« kann von den Schüler*innen dementsprechend nur als Propaganda gedeutet werden, wie auch im Lösungsband für die Lehrer*innen ersichtlich ist.12 Und selbstverständlich stellt es ein Propagandaplakat dar. Für das Plakat »Freie Bahn dem Marshallplan« gilt dies allerdings ebenso – die Bereitstellung der für diese Interpretation erforderlichen Informationen bleibt jedoch aus. Dabei hätte eine Kontroverse durchaus Potenzial für historisches Lernen. Tatsächlich wurde das ERP zeitgenössisch kontrovers diskutiert13 und dessen Annahme bedeutete eine Ausrichtung an amerikanischen Interessen. Beispielsweise mussten sich die Länder an den Boykott-Bestimmungen gegenüber dem Osten beteiligen, dessen Auswirkungen für viele Unternehmen, auch in Westdeutschland, zunächst schwerwiegend waren.14 Abelshauser bezeichnet die Embargopraxis des CoCom als die »wohl schärfste und langfristig wirksamste Waffe des Marshallplans auf dem wirtschaftlichen Schau-

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Brütting (2016b), S. 248. Brütting (2016a), S. 270, 273. Wörtlich sagte Marshall: »It would be neither fitting nor efficacious for this Government to undertake to draw up unilaterally a program designed to place Europe on its feet economically. This is the business of the Europeans. The initiative, I think, must come from Europe. […] The program should be a joint one, agreed to by a number, if not all European nations«: Marshall (2010). Brütting (2016b), S. 248. Siehe hierzu: Borsdorf (1986), S. 204ff.; Schmidt (1986); Ehni (1986). Fritz Baade (SPD) äußerte sich im ERP-Ausschuss und im Bundestag ebenfalls sehr kritisch zum ERP: Hardach (1994), S. 122. Ein Auszug aus dem Protokoll wäre für Schulbücher gut geeignet. Hardach (1994), S. 189, 192ff.; Neebe (2004), S. 186ff.; Abelshauser (2016a), S. 503ff.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

platz des Kalten Krieges«.15 Des Weiteren betrieben die USA über die Verwendung der Gegenwertmittel durchaus Interessenpolitik.16 Die Aufgabenstellung wurde im Vergleich zu einer Ausgabe von 2012 geändert, dort hieß es noch: »Vergleichen Sie die Aussage des Plakates mit den politischen Realitäten.«17 Folglich fand eine Modernisierung der Aufgabenstellung statt, die erwartete normative Antwort ist allerdings erhalten geblieben. Letztlich ist der Operator »bewerte« nicht angemessen, er impliziert eine Offenheit für verschiedene Werturteile, die nicht gegeben ist. Auf der gleichen Seite finden die Schüler*innen einen Auszug aus der Rede von Molotow, die er auf der Pariser Außenministerkonferenz am 2. Juli 1947 hielt. In jenem Teil der Rede beschuldigt Molotow zunächst die britische und die französische Regierung, die »amerikanische Wirtschaftshilfe« als »Vorwand« zu nutzen, um sich in die »inneren Angelegenheiten« der »kleinen und schwächeren Länder« einzumischen. Laut Molotow schreiben diese Organisationen (OEEC und ECA, KK) den Ländern vor, welche Investitionen sie tätigten und welche Produkte sie herstellen sollten. Folglich sei keine »wirtschaftliche Unabhängigkeit« möglich. Die Kredite würden nicht dem Wiederaufbau dienen, sondern die Spaltung Europas vorantreiben. Außerdem befindet sich in Geschichte und Geschehen ein Auszug aus der berühmten Rede von Marshall in Harvard.18 Sie beginnt mit der Feststellung der dramatischen Lage in vielen Ländern. Weiterhin erläutert er, dass die Länder Europas Nahrungsmittel und »lebenswichtige Güter« aus den USA bräuchten, die sie allerdings nicht bezahlen könnten. Die USA hätten ein Interesse an »normalen wirtschaftlichen Verhältnissen«. Danach folgt der berühmte Satz, nach der die Politik der USA nicht »gegen irgendein Land oder eine Anschauung« gerichtet sei, sondern die Wiederherstellung der Wirtschaft anstrebe. Alle Länder, die den Wiederaufbau verhindern würden, müssten mit der »Gegnerschaft der Vereinigten Staaten rechnen«. Die Schüler*innen sollen in der ersten Aufgabe die Aussagen von Marshall »zusammenfassen« und in der zweiten Aufgabe »Gründe benenne[n], warum der Marshallplan auch den USA zugute kam [sic!]«. In der dritten Aufgabe wird Folgendes verlangt: »Bewerte Molotows Haltung zum Marshallplan. Beurteile seine Argumente und vergleiche sie mit Marshalls Argumenten.« Aus didaktischer Perspektive ist dies eine perfekte Aufgabenstellung. Das Problem wird jedoch bei genauer Betrachtung deutlich, da das Schulbuch keine Informationen enthält, um die Ausführungen von Molotow als schlüssig zu bewerten.19 Hierfür müssten die politischen Bedingungen, also die Boykott-Bestimmungen und die Kontrolle der USA über die Investitionen aus Gegenwertmitteln, erläutert werden. Auch ein Hinweis darauf, dass die UdSSR vermutlich auch am ERP hätte teilnehmen 15 16

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Abelshauser (2011), S. 408. Abelshauser schreibt: »Weil Gegenwertmittel [also inländische Investitionsmittel, KK] nur mit Zustimmung der amerikanischen Marshallplan-Verwaltung verwendet werden konnten, wurden sie zu einem wichtigen Instrument amerikanischer Einflussnahme auf die deutsche Wirtschaft«: Abelshauser (2011), S. 141. Ebenfalls: Hardach (1994), S. 66f. Krüger (2017), S. 181. Brütting (2016a), S. 273. Brütting (2016a), S. 272f.

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wollen, wäre von Bedeutung.20 Stöver schreibt zum Angebot von Marshall, dass bei »genauem Hinhören« der »antikommunistische Vorbehalt« deutlich wurde. Weiterhin schreibt Stöver: »In den internen Schreiben wurde Klartext gesprochen. George Kennan unterstrich hier bereits im Mai 1947, man müsse die Angebote so formulieren, daß die sowjetischen Satellitenstaaten durch die gestellten Bedingungen sich entweder von vorneherein selbst ausschlössen oder aber bei Annahme gezwungen seien, auch die politischen Vorstellungen zu übernehmen. Tatsächlich herrschte in den westlichen Planungsgruppen die Vorstellung, die UdSSR und ihre Satelliten könnten die Hilfe gar nicht akzeptieren, ohne gleichzeitig ihre politische Kontrolle aufzuweichen. Umso überraschter war man, als die Sowjets am 27. Juni 1947 bei den ERP-Verhandlungen mit einer 89köpfigen Delegation erschienen.«21 Im Falle einer Ergänzung dieser Informationen würde in dem Schulbuch eine interessante Kontroverse dargestellt werden. Der Lösungsband zeigt deutlich, wie unkritisch die Schulbuchautor*innen die Meinung von Marshall rezipieren: »Marshall will die wirtschaftliche Not lindern, indem amerikanische Gelder freigegeben werden, er spricht nicht davon, den Empfängern ihren Konsum zu diktieren.«22 Hardach ordnet genau diese Deutung, wie sie im Lösungsband steht, als Fehlinterpretation des ERP ein.23 In der besprochenen Aufgabenstellung wird eigentlich keine Bewertung, sondern die Wiedergabe der Interpretation des DT verlangt. Im weiteren Verlauf des Buches befindet sich der Abschnitt »Soziale Marktwirtschaft [++] im Westen«.24 Nach der Zwischenüberschrift »Ein Wirtschaftswunder?« schreiben die Autor*innen: »Die Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik wurde lange Zeit von ihrem ersten Wirtschaftsminister Ludwig Erhard [++] geprägt. Sein Konzept ging davon aus, dass Produktion und Handel durch die Nachfrage am Markt reguliert würden. Doch gleichzeitig sollte der Staat kontrollierend und steuernd in die Wirtschaft eingreifen können, wenn es notwendig war. Damit sollte der freie Wettbewerb vor übermäßiger Monopolbildung geschützt, unzumutbare soziale Ungleichheiten ausgeglichen und damit Wohlstand für alle erreicht werden. Dieses Konzept wird als soziale Marktwirtschaft bezeichnet.« Erhard gehörte allerdings nicht zu den nachfrageorientierten Ökonomen und eine Steuerung durch den Staat lehnte er ab. Ein Glossar definiert die »Soziale Marktwirtschaft« als Kombination des freien Marktes und des Sozialstaates. Als anfängliche Sozialleistungen benennt das Schulbuch die Kinderbeihilfe, die Miet- und Wohnungsbauzuschüsse sowie den Lastenausgleich. Danach wird das »niemals zuvor« dagewesene Wachstum bis hin zur Vollbeschäftigung beschrieben.

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Kleßmann (1991), S. 180f. Stöver (2007), S. 79f. Brütting (2016b), S. 248. Hardach (1994), S. 46. Brütting (2016a), S. 298.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

Die Hauptargumente für den Konjunkturanstieg in Geschichte und Geschehen sind Erhard und die »Soziale Marktwirtschaft«. Deshalb werden sie Doppelplus (++) codiert. Als Nebenargument finden sich die Leitsätze-Gesetze (+), der »Marshallplan« (+) und die Währungsreform (+). In einem weiteren Abschnitt erklärt der DT den Strukturwandel der sechziger Jahre und die Debatten um die Arbeitslosigkeit sowie die Ökologie ab den 1970er Jahren. Auf der nächsten Seite bietet das Schulbuch einen Textauszug aus dem Buch Wohlstand für alle von Erhard (geschrieben von Wolfram Langer).25 In diesem Ausschnitt (Q5) betont der Autor drei Aspekte: Erstens kritisiert er die »Gruppeninteressen« in der Bundesrepublik; zweitens vergleicht er die Rolle des Staates in Wirtschaftsfragen mit einem Schiedsrichter beim Fußball; und drittens polemisiert er gegen die »Ruf[e] nach kollektiver Sicherheit im sozialen Bereich«. Der Lösungsband bietet ausführliche Erläuterungen zum Buch »Wohlstand für alle« – allerdings keine darüber, wer das Buch geschrieben hat.26 Zusätzlich finden die Schüler*innen eine sehr große Bildquelle. Sie zeigt ein gezeichnetes Plakat, auf dem eine Holzwand zu sehen ist, in die ein Nagel mit einem Haken eingeschlagen ist. Am Haken sind viele Zettel aufgespießt. Der oberste Zettel ist deutlich lesbar: »Bezugsschein für ein Paar Schuhe mit Holzsohle.« In großen Buchstaben steht am unteren Bildrand geschrieben: »Darum [Absatz] weiterhin Aufstieg und Fortschritt durch [Absatz] ERHARDS SOZIALE MARKTWIRTSCHAFT.« Die Bildbeschreibung des Schulbuches lautet: »Nie Wieder. Plakat der Industrie zur Unterstützung der CDU und Ludwig Erhards im Bundestagswahlkampf 1953.« In der Aufgabenstellung heißt es: »Erkläre, worauf das Plakat Bezug nimmt. Nenne Gründe, warum die Industrievertreter für Ludwig Erhard Wahlkampf betreiben. Nimm dazu auch den Text Q5 zur Hilfe.« Laut dem Lösungsband erwartet die Industrie vom Staat, dass dieser nicht in den Markt eingreift, sondern die Nachfrage am Markt geregelt werde. Des Weiteren schreibt der Lösungsband: »Bezugsscheine und Lebensmittelmarken, die auf dem Plakat an den Nagel gehängt wurden, sind immer ein Beleg dafür, dass Not herrscht und sich der Staat mit Regulierungen in die Wirtschaft einmischt.«27 Demnach formuliert der Lösungsband eine sehr idealistische Interpretation (sprich: die Industrievertreter vermitteln eine gesellschaftliche Idee), die zudem auf eine Quellenkritik verzichtet. Allerdings ist der Textauszug von Erhard insgesamt schlecht geeignet, um den Schüler*innen die Unterstützung durch Die Waage zu vermitteln. Denn im ersten Absatz der Quelle kritisiert Erhard die »Gruppeninteressen«, mit denen er bekanntlich sowohl Gewerkschaften als auch Unternehmerkartelle – allerdings nur den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) – meinte. Die BDA hingegen gründete Die Waage und unterstützte Erhard.28 Folglich wird deutlich, wie komplex die Interpretation anhand des Textes von Erhard werden würde.

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Brütting (2016a), S. 300. Brütting (2016b), S. 265. Brütting (2016b), S. 266. Schindelbeck/Ilgen (1999), S. 202.

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Allerdings kann das Bezugsschein-Plakat mit einer klassischen Quelleninterpretation bearbeitet werden, die die Gründung der Waage thematisiert. Das Ergebnis könnte folgendermaßen lauten: Im September 1952 gründete der Arbeitgeberverband BDA Die Waage als Propagandaorganisation für die CDU und die Marktwirtschaft, da eine Wahlniederlage zu diesem Zeitpunkt realistisch erschien, und die SPD einen demokratischen Sozialismus einführen wollte. Erhard passte durch sein sympathisches Auftreten und durch seine liberalen Ansichten ins Werbeprofil der BDA.29 Am Ende des Abschnitts bietet das Schulbuch drei Aufgabenstellungen zur Wirtschaftsgeschichte. Darin sollen die Schüler*innen die Rolle von Staat und Gesellschaft bei Erhard »herausstellen« (Aufgabe eins) und die Eltern und Großeltern nach ihren Erinnerungen zum Begriff »Wirtschaftswunder« befragen (Aufgabe drei). Hervorheben möchte ich die zweite Aufgabe, die zwar nicht zur Nachkriegswirtschaft gehört, aber wegen ihres Gegenwartsbezugs bzgl. der ökologischen Frage gewürdigt werden soll. Sie lautet: »Gestalte ein Flugblatt, das sich mit den Schattenseiten einer ständig auf wirtschaftliches Wachstum orientierten Gesellschaft auseinandersetzt. Welche Lösungsstrategien werden heute diskutiert?«30 Die Wirtschaft der DDR wird auf einer Doppelseite mit dem Titel »Sozialistische Planwirtschaft im Osten« behandelt.31 Bereits der Teaser ist sehr aussagekräftig: »Die SED-Machthaber versprachen den DDR-Bürgern ein Leben in Wohlstand. Die sozialistische Art zu wirtschaften sei der westlichen Marktwirtschaft in allen Belangen überlegen, verkündeten sie. Doch was wurde am Ende aus all den vollmundigen Versprechungen?« Der Darstellungstext – unter der Zwischenüberschrift »VEB, LPG und PGH [Produktionsgenossenschaft des Handwerks, KK] anstelle von Privatunternehmen« – beschreibt zunächst die Veränderung der Eigentumsordnung bis zum Abschluss im Jahr 1972, ab dem es »praktisch keine Privatunternehmer mehr gab«. Jedoch werden diese Maßnahmen hier nicht explizit bewertet. Der nächste Abschnitt mit der Zwischenüberschrift »Zentralverwaltungswirtschaft anstelle der Marktwirtschaft« geht auf die Funktion der Planwirtschaft ein, die die »freien Unternehmer« ersetzt habe. Hier positioniert sich Geschichte und Geschehen bzgl. der ökonomischen Wirkung deutlicher. Ich möchte aber zunächst Aufgabe A vorstellen, die lautet: »Erläutere, wie sich die Verstaatlichung der gesamten Wirtschaft auf das Denken und die Motivation der Menschen auswirken musste.« Die Antwort ist deutlich im DT erkennbar, sie muss lediglich abgelesen werden. Es heißt hier: »Die Entscheidungsfreiheit der Leiter und Mitarbeiter in den Betrieben wurde damit ganz stark beschnitten. Eine derartige Entmündigung führte dazu, dass viele Menschen kaum noch motiviert waren, effizient zu arbeiten.« Das Schulbuch vertritt demnach die These, dass Menschen in verstaatlichten Betrieben nicht motiviert sind zu arbeiten. Folglich codiere ich VEB und LPG Doppelplus (++).

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Schindelbeck/Ilgen (1999), S. 9ff.; Hentschel (1998), S. 258ff. Brütting (2016a), S. 301. Brütting (2016a), S. 304f.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

Das neoliberale Postulat, nachdem Menschen in Staatsbetrieben oder in verstaatlichten Betrieben keine Anreize zum Arbeiten haben, muss an dieser Stelle nicht kommentiert werden. Auch ökonomietheoretisch sind DT und Aufgabenstellung normativ nicht triftig. Hier wird eine Mikro-Theorie, die ganz stark an Arbeiten von Ludwig v. Mises und Hayek zum Informations- und Anreizproblem erinnert, als Erklärung benutzt und nicht als solche transparent gemacht. Den Schulbuchautor*innen muss allerdings zugutegehalten werden, dass sich die Forschung zur DDR-Wirtschaftsgeschichte im Prinzip indirekt an Hayek und solchen Argumenten orientiert. Insgesamt erklärt das Schulbuch das Scheitern der DDR-Wirtschaft unzweifelhaft mit der Planwirtschaft (++). Auf der nächsten Seite finden die Schüler*innen die Aufgabe D, die eine Diskussion des »Werbeplakates zum Fünfjahresplan 1952« (Q3) anhand des Darstellungstextes verlangt.32 Dieses zeigt Ulbricht mit einem Bauplan in der Hand, wie er umherstehenden Menschen etwas erklärt. Im Hintergrund sind Fabrikanlagen erkennbar; das Bild wird durch die starke Sonneneinstrahlung insgesamt in vielen Gelbtönen gezeichnet. In schwarzer Schrift steht im oberen Drittel des Bildes »Schwerindustrie« und am Fuß des Plakats »Grundlage der Unabhängigkeit und des Wohlstands« geschrieben. Der DT beschreibt, dass die Fokussierung auf die Schwerindustrie in der DDR, durch die Teilung des Wirtschaftsraumes, »in gewisser Weise notwendig« war. Allerdings erwähnt das Schulbuch ebenfalls die Kehrseite, nämlich die fehlenden Mittel für die Konsumgüterindustrie und den Wohnungsbau. Anhand dieser Konzeption ist es möglich, das Werbeplakat mit verschiedenen Argumenten zu diskutieren.

6.1.2 Geschichte und Geschehen (Qualifikationsphase, Oberstufe NRW) In diesem Abschnitt werden zwei weitere Ausgaben von Geschichte und Geschehen, eines für die Qualifikationsphase33 und eines für die Oberstufe34 allgemein, analysiert. Auf insgesamt sechs Seiten thematisieren sie die Wirtschaft von BRD und DDR bis zum Jahr 1990. Die Schulbücher stellen in der Kapitelüberschrift und dem Teaser die Systemfrage als Leitfrage: »Welcher deutsche Staat ist das bessere und gerechtere Deutschland? [Hervorhebung im Original, KK]   Der Wiederaufbau des zerstörten Landes bot aus Sicht vieler Verantwortlicher in Politik, Wirtschaft, anderen gesellschaftlichen Bereichen und auch der jeweiligen Besatzungsmacht die Chance zu beweisen, welches Gesellschaftssystem das bessere, gerechtere und leistungsfähigere sei.«35 Im Darstellungstext wird zunächst die Entwicklung der BRD, die mit »Wiederaufbau und Wirtschaftswunder im Westen« überschrieben ist, erklärt. Aufgrund der Kürze kann der gesamte Text zitiert werden: 32 33 34 35

Brütting (2016a), S. 305. Droste (2015b). Droste (2015a). Droste (2015b), S. 328; Droste (2015a), S. 566.

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

»Grundlage für das Wiederaufbauprogramm im Westen war der nach dem amerikanischen Außenminister benannte Marshallplan. Die Bildung eines einheitlichen Wirtschaftsraums in den Westzonen, der Durchführung einer Währungsreform und schließlich die Gründung der Bundesrepublik 1949 waren weitere Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Gesundung. Aber auch der Wille vieler Verantwortlicher, die sozialen Gegensätze zu vermitteln, spielte eine wichtige Rolle: In einer neuen Form der Wirtschaftsordnung – der ›sozialen Marktwirtschaft‹ – sollten kapitalistischer Wettbewerb und soziale Absicherung miteinander verbunden werden.«36 Folglich codiere ich Marshallplan, Währungsreform und »Soziale Marktwirtschaft« mit Doppelplus (++). Des Weiteren beschreibt der DT die Entwicklung des Wirtschaftsaufschwungs und besonders der Steigerung der Konsumgüter, wobei darauf hingewiesen wird, dass die Lebensverhältnisse insgesamt »sehr bescheiden« gewesen seien. Außerdem habe es in den 1960er und 1970er Jahren Probleme durch »Überindustrialisierung« und Massenarbeitslosigkeit gegeben. Der Abschnitt endet mit einem – im Schulbuch – selten gelesenen Satz: »Trotz der Krisen schien der Grundgedanke der ›sozialen Marktwirtschaft‹ sein Ziel erreicht zu haben. Für viele Menschen im Westen waren die Jahre des ›Wirtschaftswunders‹ daher bald ein Mythos, den sie zunehmend verklärten.«37 Im nächsten Abschnitt thematisiert Geschichte und Geschehen den »Aufbau der Planwirtschaft«. Hier heißt es: »Trotz schlechter Startbedingungen – der Osten Deutschlands war von jeher eher agrarisch und nicht industriell geprägt – und ohne finanzielle Unterstützung aus dem Ausland wie durch den Marshallplan im Westen begann die DDR-Führung das Land aufzubauen. Alle vorhandenen Betriebe wurden nach und nach enteignet und in ›Volkseigentum‹ überführt. Mit ›Plänen‹ organisierten sie die Entwicklung der Produktion in Industrie und Landwirtschaft. Wie in der Sowjetunion galt der Aufbau einer modernen Schwerindustrie, also z.B. Rohstoffgewinnung, Energiesektor und Metallverarbeitung, als Schlüssel zu wirtschaftlichem Erfolg – zu Lasten der Konsumgüterindustrie.«38 Im zweiten DT wird auf die hohen staatlichen Ausgaben – z.B. für Kinderkrippen – und den Nachteil der fehlenden Investitionen für die Modernisierung der Wirtschaft verwiesen. Die Planwirtschaft sei »schwerfällig« (+). Sie wird Doppelplus (++) codiert, da sie an mehreren Stellen erwähnt wird. Außerdem sind Osten agrarisch geprägt, die Nichtteilnahme am ERP, die falschen Investition und die Enteignung der Betriebe allesamt Plus (+) codiert. Interessant fokussieren die beiden Schulbücher auch die schlechten Startbedingungen. Jedoch beinhaltet diese Theorie eigentlich die Argumente der Reparationen und der Demontagen, die Abwanderung der Arbeitskräfte sowie die Trennung des Wirtschaftsraumes. Demgegenüber betont Geschichte und Geschehen – fachlich fragwürdig – den Nachteil durch den agrarisch geprägten Osten. In Mecklenburg-Vorpommern und 36 37 38

Droste (2015b), S. 328; Droste (2015a), S. 566. Droste (2015b), S. 329; Droste (2015a), S. 567. Droste (2015b), S. 329f.; Droste (2015a), S. 567f.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

Brandenburg basierte die wirtschaftliche Produktion tatsächlich größtenteils auf der Landwirtschaft; Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen waren hingegen hoch industrialisiert. Auf der gleichen Seite ist eine Wandtafel für die Schulbildung in der BRD aus dem Jahr 1954 als Quelle abgebildet, die die »Soziale Sicherung« mitsamt der einzelnen Sozialversicherungen anhand vieler Bilder darstellt. Laut der Tafel haben Arbeiter und Angestellte eine Kranken-, Renten- und Arbeitslosensicherung, die sie zur Hälfte mitfinanzieren müssen. Die Unfallversicherung finanziert jedoch der Arbeitgeber. Demgegenüber bezahlen Selbstständige die Kranken-, Unfall-, Lebens- und Sach-/Haftpflichtversicherung vollständig. Auf die Darstellungstexte folgen drei Quellen, die die Situation der BRD mit der DDR vergleichen. Erstens wird – anhand von vier Balkendiagrammen – die Entwicklung der Kartoffel- und Getreideproduktion mit den Werten der Jahre 1935/38, 1950, 1960 und 1974 dargestellt. Zweitens bieten die Schulbücher – erneut anhand von Balkendiagrammen – eine Gegenüberstellung der langlebigen Gebrauchsgüter (Waschmaschine, PKW, Kühlschrank, Telefon, Fernseher und Kraftrad, Stand 1982), die einen deutlichen Unterschied zwischen BRD und DDR sichtbar macht. Allerdings gehört das Jahr 1982 nicht zum Analysezeitraum dieser Arbeit. Dennoch muss die Grafik an dieser Stelle beschrieben werden, da die Aufgabenstellungen die gemeinsame Bearbeitung verlangt. Auf der nächsten Seite folgen weitere Quellen:39 Die Quelle Q2 besteht aus einer Fotografie von modernen Plattenbauten in Halle (Saale) und einer kurzen Bildbeschreibung, die auf die »Erfolge im Wohnungsbau« hinweist. Der Auszug aus dem Fünfjahresplan von 1956-1960 (Q3) thematisiert die Forderung nach einem verstärkten sozialistischen Wettbewerb und die Modernisierung des Einzelhandels. In der Quelle (Q4) mit dem Titel »Ein erfolgreiches Land« erläutert Gerhard Schürer (Vorsitzender der Plankommission) im Jahr 1974 die Erfolge der Planwirtschaft durch die »moderne Industrie«, die »leistungsfähige Landwirtschaft« sowie das »hohe Bildungs- und Kulturniveau«, das nur durch die zentrale Planung möglich gewesen sei. Am Ende des Textes kritisiert er die Inflation und die wachsende Arbeitslosigkeit im Westen, die es trotz der enormen Profite der Konzerne gebe. Die Fotografie (Q5) zeigt ein Bild des verseuchten »Silbersees« der Filmfabrik Wolfen bei Bitterfeld. Der Mangel an Ersatzteilen wird durch die Quelle Q6, anhand einer Eingabe einer Trabant-Besitzerin an Honecker, beschrieben. Im Folgenden werden die Arbeitsaufträge besprochen, die sich gebündelt am Ende des Kapitels befinden. Allerdings verzichte ich auf die Wiedergabe der Aufgaben aus dem AFB I. Die Aufgabe zwei betrifft die Wandtafel zu den Sozialversicherungen und fragt nach den »politischen Absichten hinter einem solchen Plakat«. Die Schulbuchautor*innen erläutern im Lösungsband, dass die soziale Lage in den 1950er Jahren ziemlich angespannt war und »zudem die SPD noch ihrem alten Programm anhing«. Folglich erschien es der »Regierung notwendig, über die Grundlagen und Leistungen der sozialen Marktwirtschaft zu informieren«.40 Anstelle dieser affirmativen Deutung

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Droste (2015b), S. 332ff.; Droste (2015a), S. 570ff. Droste (2015c), S. 223; Drescher (2016), S. 381.

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wäre es für historisches Lernen besser, wenn ein zusätzlicher wirtschaftshistorischer Text darstellt, wie rudimentär der Sozialstaat zu diesem Zeitpunkt ausgebildet war. In der vierten Aufgabe sollen die Schüler*innen anhand der Quellen eine Liste der »Erfolge und Misserfolge der Planwirtschaft anfertigen«.41 Einerseits ist die Aufgabenstellung gelungen, denn die Schüler*innen können Wohnungsbau und Landwirtschaft als Erfolg sowie den Umweltschutz, die Versorgung mit Ersatzteilen für Autos und langlebige Konsumgüter als Mangel benennen. Andererseits müssen für eine ökonomische Bewertung der Konsumgüterversorgung relative Zahlen bereitgestellt werden, da sie sonst für die Fragestellung nicht geeignet sind. Zudem verwundert das Fehlen von Indikatoren wie dem Nationalprodukt/BIP. Der Lösungsband listet als Misserfolge die schlechtere Konsumgüterproduktion, die »höheren« Preise für »Verbraucher«, die »geringen Produktionssteigerungen«, die »schlechte Verkaufskultur« und die »veralteten Arbeitsmethoden« auf. Als Erfolge nennt Geschichte und Geschehen »die Produktionssteigerungen« – »wenn auch langsam« –, die geringen Kosten für Miete, Verkehr sowie »persönliche Ausstattung«, »keine Inflation«, »keine Arbeitslosigkeit« und keine »Diskriminierung am Arbeitsplatz«.42 Die Aufgabe sechs beinhaltet das Verfassen von Honeckers Antwortschreiben auf die Eingabe der Trabant-Besitzerin, die auf der Suche nach Ersatzreifen ist – eine durchaus anregende Aufgabe. Die Schüler*innen verfügen über Material, um auf einige ökonomische Erfolge der DDR hinzuweisen, ansonsten sind keine guten Argumente für Honecker vorhanden. In der siebten Aufgabe wird Folgendes verlangt: »Diskutieren Sie die Aussage in Q4, die sozialistische Planwirtschaft vermöge, ›allen Werktätigen die wachsende Befriedigung ihrer Lebensbedürfnisse, die freie und allseitige Entfaltung ihrer Persönlichkeit und soziale Sicherheit zu gewährleisten.‹« Diese Aufgabe muss nicht kommentiert werden, die Suggestivfrage ist eindeutig. Alle Schüler*innen in der Oberstufe werden erkennen, welche Antwort die Schulbuchautor*innen vorsehen. Die Aufgabe sollte um die Formulierung Diskutieren Sie die Aussage kritisch erweitert werden, damit die Intention der Aufgabenstellung transparent ist. Zusätzlich stellt Geschichte und Geschehen zwei längere Textquellen zur Verfügung.43 Die erste Quelle mit dem Titel »Mehr, besser und billiger« beinhaltet einen Redeauszug von Erhard aus dem Jahr 1953. Hier betont er die rasante Entwicklung der BRD in den letzten Jahren und die Bedeutung der Währungsreform, die den »schöpferischen Geist des Unternehmers« und den »Fleiß unserer Arbeiter« angespornt habe. Dennoch gebe es zahlreiche Probleme in der »unzureichenden Versorgung«. Auch müsse sich – im wirtschaftlichen Sinne – für die Verteidigung Europas angestrengt werden. In der zweiten Quelle (Q8) berichtet Mensch und Arbeit. Zeitschrift für schöpferische Betriebsführung im Jahr 1956 »über die Folgen des ›Wirtschaftswunders‹«. Der anonyme Autor erzählt über einen befreundeten Ingenieur, der zunächst 1947 in den Osten gegangen und später in den Westen zurückkommen sei und sich gefragt habe, warum hier so viel gearbeitet werde: »Ihr seid anscheinend nicht mehr bei Sinnen hier!« Ausführlich

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Droste (2015b), S. 335; Droste (2015a), S. 573. Droste (2015c), S. 224. Droste (2015b), S. 333ff.; Droste (2015a), S. 571ff.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

schildert er die hohe Belastung der leitenden Angestellten. Zusätzlich fragt sich der Ingenieur, wohin diese ganze Arbeit führen solle: »Ein Lebensstandard à la Schweden (der ja noch höher sein soll als der US-amerikanische)? Oder ein ›Deutschland, Deutschland über alles‹ auf wirtschaftlichem Gebiet?« Der Text heißt: »Zuviel ›Deutsches Wunder‹«. Die Aufgabe zehn verlangt, die beiden Texte »in Beziehung zu setzen«. Dies ist gut möglich, denn der Ingenieur bestätigt Erhards Thesen vom besonderen Fleiß, den die Währungsreform angestiftet habe. Der Lösungsband interpretiert den Text des Ingenieurs allerdings auf bemerkenswerte Weise. Demnach sei Konsum nicht alles für »den kleinen Mann« und die Politik müsse sich mehr an dessen Lebenswirklichkeit orientieren.44 Dabei übersehen die Autor*innen des Lösungsbands, dass der Text nicht die Probleme der »kleinen« Leute anspricht, denn bei diesen gab es 1956 flächendeckende Armut, sondern die Situation der leitenden(!) Angestellten. Die Zeitschrift ist schließlich für Führungskräfte der Wirtschaft konzipiert. In Aufgabe elf sollen die Schüler*innen, im Namen des Ingenieurs, einen Brief an Erhard »über Erfolge und Folgen der ›sozialen Marktwirtschaft‹« schreiben. Die Aufgabenstellung (im Kontext der Seiten zur Wirtschaft) impliziert, dass das System der BRD zu großem Wohlstand, aber zu schwerer Arbeitsbelastung geführt habe. Im Lösungsband wird die Absurdität der Nivellierung der unterschiedlichen Lebensrealitäten von Führungskräften und armen Menschen im Jahr 1956 nochmals deutlich: Hier schreibt die fiktive Person im Brief an Erhard: »Um welchen Lebensstandard geht es eigentlich – oder ist Arbeit inzwischen zu einem undefinierbaren Selbstzweck geworden, bei dem wir uns alle – bewusst oder unbewusst – selber bzw. gegenseitig kaputt machen?« Weiterhin schlägt der fiktive Autor sogar die Senkung der Löhne bei Arbeitszeitverkürzung vor.45 Ohnehin basieren die Ausführungen auf der – nicht triftigen – These, dass die Arbeitszeit in Westdeutschland höher war als in anderen europäischen Staaten. Hierbei widersprechen sich die beiden Schulbücher eventuell gegenseitig, denn im DT zur DDR heißt es: »Für die Menschen in der DDR bedeutete dies zunächst, immer mehr zu arbeiten.«46 Wenn es Geschichte und Geschehen darum geht, die grundsätzliche Frage aufzuwerfen, wohin das ganze Wachstum und die viele Arbeit eigentlich führen soll – ähnlich der Geschichte Der kluge Fischer von Heinrich Böll –, dann sollte das Schulbuch nicht das Jahr 1956, in dem weitverbreitete Armut existierte, wählen. Möglich wäre auch, die Aufgabe auf die Führungskräfte zu reduzieren: Welche Auswirkungen hatte die wirtschaftliche Entwicklung in der BRD auf die leitenden Angestellten? Die Arbeitsaufträge 13 und 14 beziehen sich auf die Quelle von Erhard.47 In den digitalen Arbeitsmaterialien sollen die Schüler*innen eine Regierungserklärung von Angela Merkel heraussuchen und darin die Bedeutung der »Sozialen Marktwirtschaft« für heute nachschlagen. Die Aufgabenstellung ist theoretisch gut für historisches Lernen geeignet, denn anhand der Thematik könnte herausgearbeitet werden, wie heute mit der 44

45 46 47

Droste (2015c), S. 224; Drescher (2016), S. 382. Der Autor des Artikels ist Heinz Hoffmann. Die Zeitschrift heißt heute Personal – Zeitschrift für Human Resource Management und erscheint im Handelsblatt-Verlag. Droste (2015c), S. 225; Drescher (2016), S. 383. Droste (2015b), S. 330; Droste (2015a), S. 568. Droste (2015b), S. 335; Droste (2015a), S. 573.

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

Geschichte Politik gemacht wird. Allerdings bietet das Buch keine kritische Perspektive auf diese Erfolgsgeschichte. Aufgabe 14 lautet: »Vergleichen Sie dieses Programm mit dem Ludwig Erhards aus der Zeit der Gründung der Bundesrepublik. Schreiben Sie darüber einen Artikel für Ihre Schülerzeitung unter dem Titel: ›Soziale Marktwirtschaft – einst und jetzt.‹« Die Texte von Merkel und Erhard verbindet der positive Bezug auf den freien Markt. Der Unterschied bestehe, so die Lösungsbände, in Merkels Bekenntnis zur Sozialpartnerschaft.48 Als Lösung erwarten die Schulbuchautor*innen Folgendes: »Dieser Artikel sollte zunächst eine grundlegende Gemeinsamkeit – die Idee der freien Entwicklung der Marktkräfte als Voraussetzung für Wohlstand [–] [sic!] betonen.«49 Eine quellenkritische Interpretation der Texte von Erhard und Merkel wird nicht verlangt. Dagegen sehen die Lösungsbände, ganz im Sinne der Rede von Merkel in Davos 200950 , die Umsetzung der damals erfolgreichen »Sozialen Marktwirtschaft« unter Erhard nun als globale Aufgabe. Außerdem möchte ich Bedenken dahingehend äußern, dass die Übungsaufgaben die Inhalte der »Schülerzeitung« beeinflussen. Diese sollte thematisch durch die Interessen der Schüler*innen bestimmt sein.

6.1.3 Geschichte und Geschehen (Oberstufe Baden-Württemberg) Das Schulbuch Geschichte und Geschehen für die Oberstufe von Baden-Württemberg unterscheidet sich deutlich von den Ausgaben für Nordrhein-Westfalen und RheinlandPfalz. Am Beginn des Kapitels finden die Schüler*innen u.a. den ökonomischen Systemvergleich als Leitfrage: »[…] Welches Land war sozial gerechter, welches wirtschaftlich erfolgreicher? […].«51 Auch in der Überschrift des wirtschaftshistorischen Abschnitts lautet die Problemstellung: »Markt oder Plan? Unterschiedliche Wege der Wirtschaftspolitik.«52 Im DT heißt es: »Mit der Währungsreform und dem Marshallplan waren für die Bundesrepublik bereits die Weichen für die Entwicklung eines marktwirtschaftlichen Systems gestellt worden. Der Anfang war jedoch schwer. Noch bis 1951 kam der Wiederaufbau der vielerorts im Krieg zerstörten Industrie nur schwer in Gang. […] Während die SPD und die Gewerkschaften für die Schaffung von Rahmenbedingungen eintraten, die in wichtigen Wirtschaftsbereichen staatliche Lenkung erlaubt hätte, lehnte Wirtschaftsminister Ludwig Erhard größere Eingriffe des Staates ab. Er vertrat das Konzept der ›sozialen‹ Marktwirtschaft. Darin erkannte er die freie Preisbildung als regulierendes Prinzip des Marktes an, da sonst fairer Wettbewerb nicht möglich sei. Im Gegenzug sollte sich der Staat verpflichten, eine soziale Grundsicherung der wirtschaftlich Schwachen zu gewährleisten.«

48 49 50 51 52

Droste (2015c), S. 225; Drescher (2016), S. 383. Droste (2015c), S. 225; Drescher (2016), S. 383. Merkel (2009). Dietzsch (2015a), S. 296. Dietzsch (2015a), S. 324f.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

Das Schulbuch fasst die »›soziale‹ Marktwirtschaft« demnach als Kombination von Marktwirtschaft und Sozialstaat auf. Im weiteren Schulbuchtext wird diese Definition kohärent weiterverwendet, sie passt jedoch nicht zum Wirtschaftsverständnis von Erhard. So listet das Schulbuch zahlreiche Sozialgesetzgebungen auf. Die Rentenreform wird beispielsweise ausführlich und die Änderung in ein Umlageverfahren gut verständlich erläutert. Dabei entsteht der Eindruck, als ob die BRD bereits in den 1950er Jahren über ein besonders ausgebautes Sozialversicherungssystem verfügt habe. Auch erwähnt der DT die »umfangreichen staatlichen Subventionen« für die wichtigsten Sektoren der Ökonomie. Außerdem beschreibt das Schulbuch den »belebten« Weltmarkt der 1950er Jahre, der sich positiv auf die Konjunktur ausgewirkt habe. Allerdings wird nicht explizit der Korea-Boom genannt, weshalb der Korea-Boom Fragezeichen (?) codiert wird. Geschichte und Geschehen hebt Erhard – zusätzlich zum DT – mit einer Fotografie und einer Textquelle hervor. Deshalb codiere ich Erhard Doppelplus (++). Das Schulbuch formuliert die ökonomische Bewertung zurückhaltend. Insgesamt erscheint das Wirtschaftssystem der »sozialen Marktwirtschaft« ausschlaggebend für den Aufschwung (++). Die Währungsreform und das ERP werden im ersten Satz, im DT und in mehreren Quellen (einige Seiten vorher) behandelt, so dass sie insgesamt ebenfalls Doppelplus (++) codiert werden.53 Die Nachkriegswirtschaft der DDR behandelt Geschichte und Geschehen in einem DT, der etwa halb so lang ist wie jener zur BRD. Hier weist das Schulbuch im ersten Satz auf die »schwierigen Startbedingungen« hin, da die DDR landwirtschaftlich geprägt (+) und über eine einseitige Industriestruktur verfügt habe, die von Rohstofflieferungen abhängig gewesen sei. Letzteres kann als Plus-Codierung (+) hinsichtlich der Umorientierung der Handelsströme/Disproportionalitäten der Teilung betrachtet werden. Allerdings sind beide Argumente nicht Doppelplus (++) codiert, da im weiteren Verlauf des Textes die Ausgangsbedingungen nicht mehr berücksichtigt werden. Im weiteren Text erläutern die Schulbuchautor*innen die Umgestaltung der Wirtschaft durch die Enteignungen der Schlüsselindustrien, die Übernahme des »Sowjetischen Konzeptes der Planwirtschaft« im Jahr 1950 sowie die Großbaustellen von Eisenhüttenstadt, Schwedt und Leuna. Eine eindeutige Bewertung ist an dieser Stelle nicht erkennbar. Im letzten Satz des Abschnitts heißt es lediglich, dass die Wirtschaft nicht mit den Vorgaben des Fünfjahresplans »Schritt halten konnte«. Des Weiteren finden die Schüler*innen zwei Plakate, von denen das »DDRPropagandaplakat« – so die Bildbeschreibung – mit dem Slogan »ALLE KRAFT FÜR DEN AUFBAU DES SOZIALISMUS« (siehe Seite 274) für den ersten Fünfjahresplan und den Aufbau der Stahlindustrie wirbt. Das »CDU-Wahlplakat der 1950er Jahre« zeigt – in staffierter schwarzer Zeichnung – eine Frau, die zwei Kinder in den Armen hält. In sehr großen, roten Buchstaben steht die Aufschrift geschrieben: »Die Frau [Blockschrift] [Absatz] als Hüterin der christlichen Familie wählt [Schreibschrift] [Absatz] CDU [Blockschrift].«

53

Dietzsch (2015a), S. 310, 314ff., 324.

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

Eine indirekte ökonomische Bewertung erfolgt durch den Umfang des Darstellungstextes, denn der Abschnitt zum »Arbeiteraufstand 1953« ist fast doppelt so lang wie der Text zur Nachkriegswirtschaft und hat einen wirtschaftshistorischen Schwerpunkt.54 Dabei beschreibt der DT die Bedeutung der Abwanderung für die ökonomische Entwicklung (+). Allerdings beginnt die Migration in Geschichte und Geschehen erst durch die Politik der SED. Schwierig ist die Zuordnung der Codierung für die Planwirtschaft, denn in den Abschnitten zur Nachkriegswirtschaft ist sie nicht als Hauptargument aufgeführt. Allerdings folgt diese Schwierigkeit aus der epochalen Beschränkung auf die Nachkriegswirtschaft. In den nächsten zwei Absätzen thematisiert Geschichte und Geschehen die DDR-Ökonomie bis zum Jahr 1990 und bewertet die Entwicklung mit den Mängeln der Planwirtschaft. Am Ende ist Folgendes zu lesen: »Gleichzeitig versuchte die DDR, letztlich viel zu spät, mit neuen, modernen Technologien wie der Computer- und Mikrochip-Technologie dem internationalen Strukturwandel zu begegnen. All diese Maßnahmen überforderten jedoch die schwerfällige DDR-Planwirtschaft.« Der nächste Abschnitt behandelt das Thema Arbeitsmigration. In der Darstellung zur BRD zählt das Schulbuch die Länder der Anwerbe-Abkommen auf und nennt die Zahl von »fünf Millionen ausländischen Arbeitskräften«. Folglich habe es in den 1950er Jahren die ersten Pizzerien und in den 1970er Jahren die ersten »Döner-Stuben« gegeben. Nicht erwähnt werden die unmenschlichen Arbeitsbedingungen sowie die schlechten Unterbringungen, unter denen die Migrant*innen litten.55 Außerdem druckt das Schulbuch die Fotografie von Armando Rodrigues de Sá ab, die entstand, da er als einmillionster »Gastarbeiter« ein Moped geschenkt bekam. Geschichte und Geschehen thematisiert jedoch nicht, dass eben jener Rodrigues de Sá bei der harten Arbeit schwer erkrankte, in seine Heimat Portugal zurückkehrte und im Alter von 53 Jahren (vermutlich) an den Spätfolgen seines Arbeitseinsatzes in Deutschland starb.56 Das Schulbuch erläutert zusätzlich die Geschichte der »Vertragsarbeiter« in der DDR. Hier verweist das Schulbuch (in sehr kritischen Formulierungen) auf die befristeten Aufenthaltsgenehmigungen, die »Abschottung in separaten Wohnblocks« und die »drohende Abschiebung bei Schwangerschaft«.57 Die historische Erzählung im Abschnitt lautet zusammengefasst, dass die »Vertragsarbeiter« in der DDR unterdrückt wurden und die »Gastarbeiter« in der BRD Mopeds geschenkt bekamen sowie Pizzerien und »Döner-Stuben« aufmachen konnten. Auf den nächsten sechs Seiten befinden sich Quellen zur Wirtschaft in Ost und West58 ; die Quellen zur DDR sind jedoch nahezu ausschließlich auf die Wirtschaft seit den 1970er Jahren bezogen. Am Kopf der Seite steht folgende Leitfrage: »Welche gravierenden Unterschiede gibt es zwischen Marktwirtschaft und zentraler Planwirtschaft?« Eine Tabelle (M4) visualisiert anhand von Fragen die »Erwartung an den Bürger«, den Zusammenhang von individueller sowie volkswirtschaftlicher Entscheidungsfin54 55 56 57 58

Dietzsch (2015a), S. 326. Siehe hierzu: Gitmez (2004); Wallraff (1988). Ludwig (2006). Dietzsch (2015a), S. 326f. Dietzsch (2015a), S. 328ff.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

dung und die politischen sowie die rechtlichen Voraussetzungen der Dichotomie der Wirtschaftssysteme. Im Buch von Herbert Uhl (Hg.), aus dem die Tabelle entnommen ist, wird allerdings deutlich, dass es sich um ein Modell, »eigentlich sogar [um eine] Wunschvorstellungen«, handelt. Der »wirkliche Markt«, so Uhl, sei ebenfalls durch »Soziale Härte«, »Rücksichtslose Arbeitsbedingungen«, »Ausbeutung der Natur und Vernachlässigung öffentlicher Aufgaben […]« geprägt.59 Diesen Teil hat Geschichte und Geschehen nicht übernommen. Im Schulbuch wird aus den »Wunschvorstellungen« bei Uhl ein vorhandenes Wirtschaftssystem in der BRD gemacht. Da an dieser Stelle erneut das System als ausschlaggebend für die ökonomische Entwicklung erscheint, codiere ich die Planwirtschaft mit Doppelplus (++). Die nächste Quelle besteht aus einem Textauszug, in dem Erhard am 25. Februar 1949, so die Schulbuchautor*innen, »den fundamentalen Unterschied beider Ordnungsmodelle […] erläutert«.60 Allerdings stellt sich die Frage, wie diese Textgattung als Erläuterung bezeichnet werden kann. Ich zitiere den ersten Absatz vollständig: »Es ist eine völlige Illusion, etwa zu glauben, dass die Planwirtschaft sich von sozialen Aspekten leiten ließe und dass dieses Prädikat ›sozial‹ der Marktwirtschaft nicht zukomme. Gerade das Gegenteil ist der Fall, und die Wahrheit beruht im Gegenteil. Die Planwirtschaft ist das Unsozialste, was es überhaupt gibt, und nur die Marktwirtschaft ist sozial. Abgesehen davon, dass die Dinge sich rechnerisch feststellen lassen, dass der Nachweis erbracht werden kann, dass der Anteil von Lohn und Gehalt am Fertigprodukt in der Marktwirtschaft immer höher ist als in der Planwirtschaft und dass die Planwirtschaft der Diktatur und Sklaverei immer mehr abnimmt an Volkseinkommen, ist diese Wahrheit auch noch anders zu begründen. […]« Eine Erläuterung ist nicht erkennbar. Die weitere Begründung besteht aus der – ebenfalls polemischen – Wiedergabe der Argumente von Mises (»calculation problem«), nach denen die Gesamtrechnung im Sozialismus nicht funktionieren könne. Die wissenschaftliche Kontroverse hatte von Mises aber unbestreitbar verloren, wie beispielsweise Schumpeter urteilte.61 Die Rede zeigt Erhards Verständnis der »sozialen Marktwirtschaft«, deren sozialer Kern in der Marktwirtschaft immanent enthalten sei. Von einem Sozialversicherungssystem ist im Quellenauszug, wie in der Originalquelle62 , keine Rede. Diese Feststellung widerspricht allerdings dem DT von Geschichte und Geschehen. Dabei kann die Quelle durchaus als interessantes Material für historisches Lernen dienen, sofern sie – entsprechend ihrer Gattung – als politische Kampfrede im historischen Kontext analysiert wird. Hierfür müssten die Schüler*innen erfahren, dass Erhard im Februar 1949 eine schwierige Zeit überstanden hatte. Die schwere soziale Krise nach der Währungsreform war überstanden und Erhard hatte – entgegen aller Erwartungen – sein Amt nicht verloren. Auch in der BRD entwickelte sich die Konjunktur, wenn auch verspätet. Vor

59 60 61 62

Uhl/Ackermann (2007), S. 72ff. Dietzsch (2015a), S. 328f. Schumpeter (2005), S. 275ff. Bucher (1990), S. 463ff.

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

diesem Hintergrund sind die scharfen Angriffe auf die Anhänger der Planwirtschaft zu sehen, gegen die er sich – auch innerhalb der CDU – auf der Tagung in Königswinter durchsetzen musste.63 Im Lösungsband ist die Quelle nicht kommentiert. Als nächste Quelle (7) bietet Geschichte und Geschehen den Text einer »wissenschaftlichen Untersuchung« (Begründung der Auswahl der Quelle = +) von Werner Abelshauser mit dem Titel »Chancen und Grenzen der Konsumgesellschaft«.64 In diesem Auszug werden – so der Teaser – die »Merkmale« und »Probleme« der Konsumgesellschaft in der Bundesrepublik thematisiert. Der Quellentext beginnt mit einem kurzen Hinweis, dass die Gesellschaft der BRD an die Entwicklung der 1930er Jahre anknüpfen konnte. Allerdings wäre der erste Satz von Abelshauser im Originaltext als Einstig deutlich besser geeignet. Hier heißt es: »Westdeutschland trat nach dem zweiten Weltkrieg mit großer Verspätung gegenüber den anderen Industrieländern in das ›Zeitalter des Massenkonsums‹ […] ein.«65 Der nächste Absatz lautet: »Neu für die Fünfzigerjahre war der […] Konsum in nahezu allen Schichten«. Im weiteren Verlauf erklärt der Quellenauszug die Motorisierung des Lebens, die sich auf alle Bereiche ausgewirkt habe. Ähnlich sei es mit dem Tourismus gewesen. Das Zwischenfazit des Quellentextes hebt hervor, dass sich die »Hauptstützen der ›Konsumgesellschaft‹ – Motorisierung, Tourismus und Massenmedien […] im Lebensgefühl der Massen […] zu Recht auf das ›Wirtschaftswunder‹ […] zurückführen lassen«. Den folgenden Satz lässt das Schulbuch weg: »Ihre Ansätze im ›NS-Wirtschaftswunder‹ der dreißiger Jahre sind indessen nicht ohne Bedeutung geblieben.« Hiermit wird die Aussage von Abelshauser deutlich verändert. Zuletzt erfahren die Schüler*innen die Probleme, die durch die »autogerechte« Welt und die Umweltbelastung entstanden sind. Hierbei werden die Abhängigkeit vom Weltmarkt und den Rohstoffen, die Durchindustrialisierung des Lebens sowie die Schwierigkeiten des Strukturwandels zusammengefasst. Bemerkenswert sind die Abschnitte, die die Schulbuchautor*innen gekürzt haben. Sie lassen sich in zwei Bereiche, nämlich die Verknüpfung mit dem Faschismus und die Ungleichheit in der BRD, einteilen: »Den Autokult der dreißiger Jahre […] lenkte das NS-Regime durch massiven Druck auf die Preise gängiger Wagentypen […] und durch die Neuentwicklung einfacher und preisgünstiger Modelle (KdF-Wagen = Volkswagen) in Richtung Massenkonsum; […] Das NS-Regime hatte […] den länger werdenden Urlaub der Arbeitnehmer als ›seelischen Erneuerungsprozeß‹ und ›nationale Pflicht‹ zur Festigung der ›NSVolksgemeinschaft‹ zu organisieren […] Der Erfolg war offensichtlich: 1937 vermittelten die deutschen Reisebüros mehr als 10 Millionen Reisen, ein Drittel davon für Arbeiter; […] Die Nivellierung der Konsumchancen weckte die Illusion, auch eine breite ›Querverteilung‹ der Vermögen liege in Reichweite und könne als ›Volkskapitalismus‹ den wirtschaftlichen und sozialen Antagonismus der Klassengesellschaft überwinden. Am Ende der Langen Fünfziger Jahre war aber ungeachtet aller Verbesserungen

63 64 65

Zum Kontext der Quelle: Hentschel (1998), S. 100ff. Dietzsch (2015a), S. 329. Abelshauser (1987), S. 56.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

im Konsumbereich die Verteilung des Produktivvermögens noch ungleichmäßiger geworden.«66 Aus einem facettenreichen und ganz der Tradition der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte verpflichteten Text von Abelshauser, der die langsame Veränderung der gesellschaftlichen Struktur mit einer internationalen Perspektive analysiert, wurde eine Geschichte des »Wirtschaftswunders« in den 1950er Jahren. Als Quelle 6 finden die Schüler*innen die Karikatur »Nicht wahr, Michelchen – keine Experimente« von Hanns Erich Köhler (siehe Seite 206). Die Bildbeschreibung nennt den Zeichner und die Anlehnung an den »CDU-Werbeslogan ›Keine Experimente‹, 1957«. Allerdings wird die Zeichnung weder interpretiert noch in eine Aufgabenstellung eingebunden. Die »Quelle 8« zeigt eine Fotografie von einer Menschenmenge, die auf einem Parkplatz steht. Zwischen den Menschen parkt – oder fährt – ein Trabant, der mit Blumen geschmückt ist. Auf der Frontscheibe steht die Aufschrift »500 000.« geschrieben. Das Schulbuch gibt der Fotografie den Titel »Entwicklung durch zentrale Planwirtschaft«. In der Bildbeschreibung weisen die Schulbuchautor*innen auf die Feier der Produktion des 500 000. Trabants am 16. April 1968 und dessen Produktionsstandort Zwickau hin. Dort seien von 1957 bis zum Produktionsstopp 1991 über drei Millionen Trabants gefertigt worden. Durch den Titel wird deutlich, dass der Trabant in Geschichte und Geschehen symbolisch für die Planwirtschaft steht. Eine weitere Fotografie (Quelle zehn), in der Größe der halben Schulbuchseite, stellt eine junge Frau dar, die einen weiß-lila Mantel, Hut, Handschuhe und Stöckelschuhe mit Pfennig-Absätzen (alles in weiß) trägt und sich an einen roten Wartburg (vermutlich Typ 313) lehnt. Die Bildbeschreibung weist auf die Präsentation einer Damenkollektion in Altenburg (Thüringen) im Jahr 1961 hin. Die gesamte Inszenierung vermittelt Wohlstand. Bemerkenswert sind die letzten beiden schriftlichen Quellen zur DDR-Wirtschaft, die allerdings nicht zum historischen Untersuchungszeitraum gehören. Sie üben scharfe Kritik an der Diskriminierung der »Vertragsarbeiter« aus den »Bruderstaaten«.67 Hierzu gibt es eine Zusatzaufgabe, in der eine Präsentation zum Vergleich von »Gastarbeitern« und »Vertragsarbeitern« vorgeschlagen wird. Hinsichtlich der »Gastarbeiter« in der BRD bietet Geschichte und Geschehen – wie bereits erwähnt – keinen einzigen kritischen Satz. In der ersten Aufgabenstellung verlangt das Schulbuch die Nennung der Merkmale der Konsumgesellschaft während des »Wirtschaftswunders«.68 Allerdings sind in der Musterlösung im Lösungsband lediglich die Merkmale der freien Marktwirtschaft aufgelistet (Privateigentum, Preise durch Wettbewerb, »Konsument« entscheide über die Nachfrage, der Staat greife nicht in die Wirtschaft ein). Einen Bezug zum Quellenausschnitt von Abelshauser bietet der Lösungsband nicht.69 Mit dieser Musterlösung wird weder die Konsumgesellschaft noch die Wirtschaft der 1950er Jahre beschrieben. 66 67 68 69

Abelshauser (1987), S. 56ff. Dietzsch (2015a), S. 332f. Dietzsch (2015a), S. 333. Dietzsch (2015b), S. 159.

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

Aufgabe zwei beinhaltet das »Erläutern« der »positiven und negativen Folgen« der »Demokratisierung des Konsums«. Hier erwarten die Schulbuchautor*innen die Wiedergabe der Inhalte des Auszugs von Abelshauser. In den Aufgaben drei und vier sollen die Schüler*innen die Merkmale der Planwirtschaft »herausarbeiten« und bezüglich ihrer Ziele und Methoden »charakterisieren«. Der erste Teil bezieht sich auf die Zusammenfassung der Tabelle M4 (siehe Seite 160), wobei sie im Lösungsband als M6 bezeichnet wird. Der Lösungsvorschlag lautet: »Entscheidend für die Charakterisierung ist, dass die staatliche Planung versuchte, die Bedürfnisse der Menschen zentral zu lenken.«70 Die Antwort ist nichtzutreffend. Eine bessere Antwort wäre: Die Planwirtschaft der DDR versuchte und scheiterte daran, die Produktion und die Verteilung des Nationaleinkommens zentral zu lenken, um die Bedürfnisse zu erfüllen. Wenn die Frage lauten würde, wie Erhard die Planwirtschaft charakterisieren würde, dann wäre die Antwort gelungen formuliert. Insgesamt fällt auf, dass alle Aufgaben nur unter AFB I und II fallen. Des Weiteren befindet sich im Lösungsband ein dreiteiliger »Vorschlag für einen Unterrichtsverlauf«.71 In der ersten Einheit wird die Leitfrage »Marktwirtschaft sozialer als Planwirtschaft?« bearbeitet, für welche die Einstiegsfrage »Ein ›Wirtschaftswunder‹ dank freier Marktwirtschaft?« vorgesehen ist. Die Erarbeitung der Problemstellung soll mit dem DT, dem optimierten Auszug M7 von Abelshauser und der »Vorwissensaktivierung« anhand der »wirtschaftlichen Bedeutung des Marshallplans und der Währungsreform für die BRD« erfolgen. Hinsichtlich der Ergebnissicherung schlägt der Lösungsband das Aufführen der »Gründe« der »wirtschaftlichen Stabilisierung« und die gesellschaftlichen Folgen vor. Die Leitfrage der Unterrichtsreihe ist suggestiv. Sie kann und muss – laut dem Material in Geschichte und Geschehen – mit Ja beantwortet werden. Eine Leitfrage sollte genau diese Möglichkeit ausschließen. Der Zusammenhang von »freier Marktwirtschaft« und »Wirtschaftswunder« führt zu der Kontroverse, ob die »soziale«, die laut Geschichte und Geschehen aus der Politik Erhards bestehe, oder die »freie Marktwirtschaft« den Boom hervorgerufen hätte. Für die Bearbeitung empfiehlt der Lösungsband die Materialsammlung Das geteilte Deutschland 1949-1961 von Jürgen Theil. Dieses Heft beschreibt die Erhard´sche »Soziale Marktwirtschaft« ebenfalls als Erfolgsgeschichte – mitsamt der Planwirtschaft als negativer Gegenfolie.72 Für den zweiten Teil der Unterrichtsreihe zur Planwirtschaft wird folgende Problemstellung formuliert: »Vom 17. Juni bis zum Mauerbau am 13. August 1961 – Folgen einer verfehlten Wirtschaftspolitik?« Da die Wirtschaftspolitik in Geschichte und Geschehen größtenteils mit den beiden Krisen der 1950er Jahre beschrieben wird, dürfte die Bewertung der Schüler*innen wohl eindeutig ausfallen. Auf diese gewünschte Interpretation weist ein Vorschlag zur »Vertiefung« hin, in der es zu M2 (Plakat zum ersten Fünfjahresplan, KK) heißt: »Propagandaplakat M2 [Absatz] Widerspruch zu steigender Übersiedlerzahl.« Diese Kausalbeziehung ist allerdings nicht belegbar. Eine massenhafte Arbeitsmigration lässt keine Rückschlüsse auf die Qualität der Wirtschaftspolitik

70 71 72

Dietzsch (2015b), S. 159. Dietzsch (2015b), S. 157f. Theil (2013), S. 30ff.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

in den jeweiligen Ländern zu, sondern lediglich, wo sich die Menschen bessere Lebensbedingungen erhoffen. Der Vektor der Bewegungsrichtung von Arbeitsmigrant*innen zeigt grundsätzlich von ärmeren nach wohlhabenderen Regionen und Ländern, unabhängig von der jeweiligen Regierung. Ein zweiter Unterrichtsvorschlag zur DDR-Wirtschaft ist mit dem Titel »Aufschwung durch Abschottung« überschrieben. Auch die Leitfrage, ob die »DDRWirtschaft nach 1961 eine Erfolgsgeschichte« gewesen sei, ist als Suggestivfrage zu identifizieren. Lediglich im DT heißt es an einer Stelle, es habe nach 1961 eine »spürbare ökonomische Stabilisierung« gegeben.73 Geschichte und Geschehen bietet ebenfalls Material zur Wirtschaft in den Besatzungszonen – so beispielsweise einen umfangreichen Quellenauszug des Potsdamer Abkommens.74 Hierbei fällt die Kürzung im Abschnitt »Reparationen« auf, da lediglich von der Entnahme der Reparationen aus den jeweiligen Besatzungszonen die Rede ist; es fehlt jedoch der Absatz zu den vereinbarten Ansprüchen der UdSSR an die Westzonen. Didaktisch ansprechend sind drei zeitgenössische Pressestimmen, der Prawda, der Le Monde und der niederländischen Zeitung Het Parool, zum Potsdamer Abkommen. Sie wurden aus einer Ausgabe von Praxis Geschichte (Westermann), in der sich Kommentare aus fünf Zeitungen befinden, übernommen und bearbeitet.75 Der Auszug aus der Zeitung Le Monde beginnt wie folgt: »Reparationen und Demilitarisierung sind die bestimmenden Faktoren für den Umgang mit der deutschen Industrie. Man hat sich bemüht, diese beiden Forderungen zu verbinden, indem festgeschrieben wurde, dass eine bestimmte Menge abtransportiert wird, sodass diese nicht mehr zur Kriegsproduktion zur Verfügung steht.« Der nächste Satz wurde (gekennzeichnet) in Geschichte und Geschehen gekürzt. Er lautet: »Davon sollen die Empfänger profitieren, in erster Linie die UdSSR.«76 Des Weiteren äußert sich die Le Monde – an dieser Stelle sinnvoll gekürzt – skeptisch, ob das Kriegspotenzial der deutschen Wirtschaft damit langfristig eingedämmt werden könne. Die Zeitung Het Parool thematisiert die wirtschaftlichen Aspekte nur am Rande.77 Auch die Prawda hebt vor allem die politischen Übereinkünfte hervor. Sie berichtet über die Reparationen lediglich indirekt, und zwar in dem Sinne, dass sich auf die »Dezentralisierung« und die »Vernichtung […] der übermäßigen Konzentration« geeinigt worden sei.78 Dieser Teil wurde allerdings bereits in Praxis Geschichte gekürzt. Zwei Quellentexte, von Golo Mann und Adenauer, kommentieren die Reparationsfrage ebenfalls nicht. 73 74 75 76 77

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Dietzsch (2015a), S. 326. Dietzsch (2015a), S. 303. Sonnemann (2011), S. 34ff. Sonnemann (2011), S. 38. Im gesamten (ungekürzten) Text befindet sich lediglich ein Satz zur Reparationsfrage: »Ook de regeling van de herstelbetalingen waarbij men de Russische methode om het industriële apparaat weg te helen, tot een systeem verheft, gaat uit van de werkelijkheid van de verdeling in een Russische en een Westelijke zone.«: Het Parool (1945). Die Übersetzung lautet in etwa: »Auch die Regelung der Reparationszahlungen, im Zuge derer man die russische Methode zum System macht, um den industriellen Komplex mitnehmen zu können, geht von der Wirklichkeit einer Aufteilung in eine russische und eine westliche Zone aus.« Tägliche Rundschau (1945), S. 3.

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Eine komplexe Aufgabenstellung befindet sich in den »übergreifende[n] Arbeitsvorschläge[n]«:79 »Im Potsdamer Abkommen heißt es unter ›B. wirtschaftliche Grundsätze‹: ›Während der Besatzungszeit ist Deutschland als eine wirtschaftliche Einheit zu betrachten:‹ Beurteilen Sie, ob die Besatzungsmächte sich an diese Abmachung gehalten haben. Ziehen Sie dazu auch das Kapitel Urteilsbildung im Anhang heran.« Hierfür ist jedoch fraglich, ob die Schüler*innen über die entsprechenden Informationen verfügen. Der Lösungsband beantwortet die Frage anhand des Verweises auf den (vermeintlichen) Widerspruch im Potsdamer Abkommen, da dieses »den Abbau von Industrieanlagen in der sowjetischen Zone« erlaubt und somit gegen die »gleichen Bedingungen« verstoßen hätte.80 Angesicht der Fragestellung verwundert die Kürzung der entsprechenden Passagen, sowohl in der Quelle zum Potsdamer Abkommen als auch im Artikel der Le Monde. Für die Bearbeitung der Frage wären weiterhin Informationen über die Kontroverse bzgl. der Einstellung der Reparationslieferungen durch Clay im Mai 1946, über die Gründung der Bizone und über die Währungsreform hilfreich. Diese Themen bearbeiten die Schüler*innen im nächsten Abschnitt anhand von zwei Darstellungstexten zum ERP und zur Währungsreform.81 Der erste DT begründet die Motivation der USA für die Konzeption des ERP mit den hohen Besatzungskosten. Des Weiteren hätte die Sowjetunion, aufgrund der Befürchtung, die USA würden über das ERP ihren Einfluss auf Osteuropa ausweiten, die »Ausdehnung« auf ihre Gebiete unterbunden. Der zweite DT thematisiert die Währungsreform und beginnt mit der Notlage nach dem Krieg in Deutschland, in der der Schwarzmarkt floriert habe. Zusätzlich zum »Marshallplan« sei eine Währungsreform notwendig gewesen. Allerdings habe die UDSSR die neue Währung abgelehnt, da sie ein »weiterer Schritt« zur Gründung eines Staates in Westdeutschland gewesen sei. Zusätzlich seien, bei einer separaten Währungsreform in den Westzonen, die wertlosen Bargeldbestände in die SBZ geflossen und hätten dort eine Inflation ausgelöst. Außerdem finden die Schüler*innen einen längeren Auszug aus der Rede von Marshall in Harvard (M8), die bereits zitiert wurde (siehe Seite 149). 82 Darin beschreibt Marshall die Zerstörung in Europa und das Bedürfnis der Länder nach kreditierten Waren aus den USA. Weiterhin sagt er, dass die USA mit allen Ländern, die Europa aufbauen wollten, zusammenarbeiten würden, um Frieden herzustellen und die Weltwirtschaft anzukurbeln. Zusätzlich folgt in der Ausgabe für Baden-Württemberg ein Abschnitt, der in der Ausgabe für Rheinland-Pfalz gekürzt wurde. Demnach müssten die Länder Europas, so Marshall, eine Einigung über den Weg finden, da die USA diesen ja nicht vorgeben könnten: »Das ist Sache der Europäer. […] Das Programm sollte von den europäischen Nationen gemeinsam aufgestellt und von einer Anzahl derselben, wenn nicht von allen, gebilligt werden.«

79 80 81 82

Dietzsch (2015a), S. 307. Dietzsch (2015b), S. 145. Dietzsch (2015a), S. 310. Dietzsch (2015a), S. 314f.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

Eine zweite Quelle (M9) zeigt ein Plakat mit der Aufschrift »Amerika hilft mit Textilien« im oberen Teil und »ERP [Absatz] MARSHALLPLAN-EUROPA« im unteren Teil des Plakates. In der Mitte des Bildes hängt ein weißer Frack an einem Kleiderhaken, der von einem Arm gehalten wird, dessen Ärmel die Farben der amerikanischen Nationalfahne trägt. Ein deutlich kleiner gezeichneter Mensch schaut auf diesen Frack hinauf. Neben zwei Aufgaben, in denen die Inhalte wiedergegeben werden sollen, gibt es eine weitere Aufgabenstellung (AFB III), die lautet: »Bewerten Sie anhand von M8 und M9 sowie im historischen Kontext, in wieweit der Marshallplan aus amerikanischer Sicht als uneigennützig bezeichnet werden kann.« In den Lösungen ist eine Tabelle mit Argumenten für zwei mögliche Perspektiven vorhanden, in der einerseits auf die »traditionelle Verbindung zu Europa« und die Fortsetzung der Befreiung Europas hingewiesen wird. Andererseits könne mit den Absatzmärkten und dem »Einfluss« in Europa sowie der »Ankurbelung« des Weltmarktes argumentiert werden. Die Aufgabenstellung wirkt durch die kontroversen Standpunkte für historisches Lernen geeignet, eine quellenkritische Perspektive auf die Rede von Marshall verlangt das Schulbuch nicht. In Geschichte und Geschehen folgen nun zwei Quellen zur Währungsreform. Die erste Quelle (M10) ist ein Auszug aus einem Zeitungsartikel des Telegraf, in dem ein*e Journalist*in die »Kompensationsgeschäfte« beschreibt. Sie bestünden aus dem Tauschen der Waren in der Stadt, um sie dann möglichst gewinnbringend auf dem Land erneut zu tauschen.83 Ein zweiter Text des »Historiker[s] Theodor Eschenburg« (M11) hat folgende Überschrift: »Die Währungsreform: Ende des Elends?«. Eschenburg beschreibt die Auszahlung von zunächst 40 DM (im August nochmals 20 DM) an »jede natürliche Person« und verweist auf die »Illusion« der »Egalität«, da die gesetzlichen Bestimmungen von den meisten Menschen nicht verstanden worden seien. Im weiteren Verlauf erläutert er die Betroffenheit der Besitzer von Sparguthaben auf der einen Seite und die Begünstigung der Eigentümer von Sachwerten auf der anderen Seite. Dennoch fällt sein Urteil, das unverkennbar auf liberaler Theorie basiert, eindeutig aus: »Die soziale Ungerechtigkeit ist ebenso unverkennbar wie die währungspolitische Zweckmäßigkeit einleuchtend.« In der zugehörigen Aufgabe wird Folgendes verlangt: »Bewerten Sie mithilfe von M11, wie die Situation sich in Deutschland mit der Währungsreform verändert hat.« Auch hier sieht der Lösungsband unterschiedliche Antwortmöglichkeiten vor, die sich aus der Quelle von Eschenburg ergeben. Als Kritik an der Währungsreform schlägt der Lösungsband vor, dass »nur die Wirtschaft und nicht der Mensch« bei der Währungsreform »im Mittelpunkt« gestanden hätte.84 Die Schüler*innen können anhand dieser Quelle ein persönliches Werturteil formulieren. Auf eine kleine Formulierung möchte ich allerdings hinweisen. So bezeichnet der Lösungsband die »Besitzer großer Sparguthaben« als Verlierer der Währungsumstellung. Allerdings verfügen diese Menschen zumeist ebenfalls über andere Formen von Vermögen. In den meisten (wirtschafts-)historischen Publikationen werden die Men-

83 84

Die Quelle wurde deckungsgleich aus dem Quellenband übernommen: Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte (1960), S. 90. Dietzsch (2015b), S. 152f.

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

schen mit normalen oder geringen Sparguthaben als die großen Verlierer*innen der Währungsreform bezeichnet.85 Die Bildquelle M12 zeigt einen Zehn-Mark-Schein, der, so das Schulbuch, aus dem Jahr 1948 stammt. Eine Aufgabenstellung verlangt die Beschreibung und die Verknüpfung des Bildmotivs mit dem historischen Kontext in Deutschland. Laut Wikipedia wurde der Schein im Jahr 1951 gedruckt und die Qualität des Artikels lässt keinen Zweifel an der Kompetenz der Neuzeit-Numismatiker aufkommen.86 Der Schein stelle, so der Lösungsband, die Allegorien für Gerechtigkeit, Aufbau und Arbeit dar und »erinnert […] an die Dollar-Scheine«. Meiner Ansicht nach werden die Schüler*innen mit dieser Aufgabe Schwierigkeiten haben, da sie keine weiteren Informationen zum Geldschein bekommen. Die letzte Aufgabenstellung zum Abschnitt der Besatzungszonen lautet: »Erörtern Sie abschließend, inwieweit es sinnvoll [sic!] von 1945 als der ›Stunde Null‹ zu sprechen.« Für die Kritik an der »Stunde Null« schlagen die Schulbuchautor*innen die personellen Kontinuitäten vor; das wirtschaftshistorische Argument der weitestgehend intakten Industrie, die aufgrund des Kriegs massiv erweitert worden war, fehlt dagegen. Stattdessen lesen die Lehrer*innen im Lösungsband, dass die »Wirtschaft am Boden« gewesen sei.87

6.1.4 Zeitreise In der Schulbuchreihe Zeitreise wurden drei Ausgaben von Zeitreise 3 (Realschule Niedersachsen88 , Geschichte/Politik für Bremen/Niedersachsen89 , Realschule RheinlandPfalz90 ) und eine Ausgabe von Zeitreise 5 für Sachsen91 veröffentlicht. Sie sind alle für die Sekundarstufe I von Haupt-, Realschule und Gesamtschule und nach dem Doppelseitenprinzip92 konzipiert. Zeitreise stellt den Aufschwung in den Kontext der Wirtschaftssysteme.93 Der Teaser der Schulbuchdoppelseite lautet in allen Ausgaben: »Die beiden deutschen Staaten entwickelten sich sehr unterschiedlich – auch in der Wirtschaft. In der DDR hieß es bald: ›Wirtschaften nach Plan!‹ In der Bundesrepublik regierte der freie Markt. Hier sprach man bald von einem ›Wirtschaftswunder‹.« Nach der Zwischenüberschrift »Soziale Marktwirtschaft im Westen« beschreiben die Schulbücher Folgendes:

85 86 87 88 89 90 91 92 93

Siehe Abschnitt 3.8.2. Wikipedia (2018). Dietzsch (2015b), S. 153. Christoffer (2015). Christoffer (2014). Christoffer (2016a). Heiter (2016). Laut Brauch sind die Doppelseiten für eine 45-minütige Schulstunde gedacht: Brauch (2014), S. 110. Christoffer (2015), S. 104f.; Christoffer (2016a), S. 198f.; Christoffer (2014), S. 104f.; Heiter (2016), S. 22f.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

»In der Bundesrepublik regelte der Markt die Wirtschaft. Das weitgehend freie Zusammenspiel an Angebot und Nachfrage bestimmt, was und wie viel produziert wurde und zu welchem Preis. Wirtschaftsminister Ludwig Erhard entwickelte dieses Konzept zur ›sozialen Marktwirtschaft‹ weiter.« Die zentrale Rolle von Erhard wird außerdem durch einen Textauszug aus Wohlstand für alle hervorgehoben. Deshalb sind Erhard, »Freie Marktwirtschaft« und »Soziale Marktwirtschaft« jeweils Doppelplus (++) codiert. Im weiteren Verlauf erfüllt der DT – hinsichtlich der Ursachen für das »Wirtschaftswunder« – die Codierungen Arbeitskräfte aus dem Osten, ERP und zurückhaltende Gewerkschaften (alle +). Allerdings betonen sowohl Zeitreise 3 als auch Zeitreise 5 die ökonomische Wirkung des ERP zusätzlich auf den Doppelseiten zu den Besatzungszonen, weshalb sich die Codierung auf Doppelplus (++) summiert.94 Zwei Paratexte erläutern die Wirtschaftssysteme. Der erste Paratext definiert die Marktwirtschaft durch »Privateigentum«, freie Berufswahl, »freien Wettbewerb« von Angebot und Nachfrage und die Korrektur durch soziale Hilfen. Im zweiten Paratext heißt es, die Planwirtschaft bestünde aus einem Wirtschaftssystem, in dem Produktion, Verteilung und Preise von staatlichen Stellen festgelegt werden. Des Weiteren finden die Schüler*innen einen DT unter der Zwischenüberschrift »Planwirtschaft im Osten«. Die DDR-Wirtschaft sei durch »staatliches und genossenschaftliches Eigentum« gekennzeichnet und »weniger leistungsfähig als die Marktwirtschaft« (++) gewesen. Zusätzlich erwähnt das Schulbuch die Verstaatlichung der Betriebe und den Zwang zum Eintritt in die LPG als negative ökonomische Aspekte (+). Die Bodenreform wird auf einer vorherigen Seite beschrieben, deren wirtschaftliche Bewertung ist allerdings nicht eindeutig (Codierung = ?).95 Zentrale Akteure sind im DT zur BRD – neben Erhard – die Unternehmer, die im kurzen Text an drei Stellen hervorgehoben werden (ebenfalls ++): »Durch die Gelder des Marshall-Plans (siehe S. 88) konnten die Unternehmer moderne Maschinen anschaffen und so die Produktion steigern […]; Den Gewinn investierten die Unternehmer wieder […]; Zum Aufschwung trug bei, dass ständig qualifizierte Arbeitnehmer und Unternehmer aus der DDR in den Westen flohen. Diese Unternehmer brachten viele Ideen mit und bauten ihre Betriebe in der Bundesrepublik wieder auf.« Im folgenden Satz lernen die Schüler*innen, welche Funktion die Gewerkschaften, laut Zeitreise, für die Wirtschaft haben: »Weitere Stützen des Aufschwungs waren die Gewerkschaften. Sie stellten Lohnforderungen, die den Aufbau der Wirtschaft nicht gefährdeten.« Neben den Darstellungstexten befinden sich zwei schriftliche Quellen. Der Textauszug »Bundesminister Ludwig Erhard 1957 über die soziale Marktwirtschaft« (Q4) aus dem Buch Wohlstand für alle betont ebenfalls die Wirtschaftskraft durch »private Initiative« oder auch der »Initiative der Persönlichkeit«. Weiterhin polemisieren Erhard und Langer gegen die Sozialpolitik: 94 95

Christoffer (2015), S. 100f.; Christoffer (2016a), S. 192f.; Christoffer (2014), S. 100f.; Heiter (2016), S. 88f. Christoffer (2015), S. 98; Christoffer (2016a), S. 190; Christoffer (2014), S. 98; Heiter (2016), S. 16.

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»[…] Wenn dagegen die Bemühungen der Sozialpolitik darauf abzielen, dem Menschen schon von der Stunde seiner Geburt an die volle Sicherheit gegen alle Widrigkeiten des Lebens zu gewährleisten (…), dann kann man von solchen Menschen einfach nicht mehr verlangen, dass sie das Maß an Kraft, Leistung [und] Initiative (…) entfalten. […]« Dabei wird ein Widerspruch deutlich, da die – im Sinne von Erhard/Langer – Leistungsträger der Gesellschaft, wie die großen deutschen Unternehmer oder Erhard selbst, allesamt in absoluter sozialer Sicherheit aufgewachsen sind. In einer weiteren Quelle (Q3) beklagt der Zeitzeuge Christoph Pollmer, wie lange er auf seinen Trabant warten musste. Als Bildquelle (Q1) drucken die Schulbücher die bekannte Fotografie der Jubiläumsfeier bei Volkswagen (1955) ab, als der einmillionste VW-Käfer über das Band läuft (siehe Titelbild). Sie prägt durch ihre Größe (ca. ein Siebtel der Schulbuchseite) und die farbliche Gestaltung die gesamte Doppelseite. Die Bildbeschreibung weist darauf hin, dass die Fotografie nachgefärbt wurde. Die Quelle Q2 zeigt eine deutlich kleinere Fotografie eines Fließbands des Trabantwerks in Zwickau aus dem Jahr 1977 (siehe Titelbild). Sie wird in schwarz-weiß belassen und die Bildbeschreibung weist auf die Wartezeit von »etwa zwölf Jahren« hin. Die Aufgabenstellungen eins bis fünf beinhalten die Ausarbeitung der Unterschiede von Planwirtschaft und Marktwirtschaft sowie die Rolle der Sozialpolitik in der BRD. Bemerkenswert ist Aufgabe sechs, die die Bearbeitung der verschiedenen Quellen verlangt: »Erläutere die Auswirkungen der Wirtschaftssysteme in der DDR und in der Bundesrepublik bis in die 1980er-Jahre hinein (Q1-Q3).« Die implizite, intertextuelle Antwort oder die multimodulare Narration der Gesamtseite ergibt Folgendes: Marktwirtschaft und Privateigentum führen schnell zum einmillionsten Volkswagen, während Planwirtschaft und staatliches Eigentum Christoph Pollmer von 1977 bis 1990 vergeblich auf seinen Trabant warten lassen. Der Lösungsband formuliert die erwartete Antwort geringfügig anders.96 Zudem wird das Narrativ durch die Bilder verstärkt. Allerdings fehlt der Erzählung die Triftigkeit. Der einmillionste VW wurde im hundertprozentigen Staatskonzern VW hergestellt. Im Jahr 1961 verkaufte der Staat zwar große Aktienpakete, jedoch blieb das Land Niedersachsen Großaktionär. Bis heute behält das Bundesland eine Sperrminorität an Aktien, um sich politisch gegen die »private Initiative« abzusichern, da VW zu wichtig für die Region ist. Herfried Münkler bezeichnet die Geschichte von VW als ein wichtiges »Symbol« des »Mythos vom westdeutschen Wirtschaftswunder«, aber auch als Ursache der Handelsbilanzüberschüsse.97

96

97

In den Begleitbänden steht als Antwort für die sechste Aufgabe: »Die Planwirtschaft der DDR führte zum Aufbau eines grundlegenden Wohlstandes nach dem Krieg. Die Bedürfnisse der Bevölkerung konnten jedoch auf Dauer nur unzureichend befriedigt werden. Es dauerte z.B. mindestens 10 Jahre, bis ein bestelltes Auto geliefert wurde. Die Produktion richtete sich nicht nach den Wünschen der Konsumenten. In der BRD regelten Angebot und Nachfrage die Produktion und den Preis. Immer mehr Güter und Waren führten zu einem sehr hohen Lebensstandard. Die persönliche Kaufkraft und die sozialen Unterstützungen bestimmten, was man sich leisten konnte«: Christoffer (2016b), S. 105; Balkenhus (2014), S. 60; Klett Verlag (2016), S. 14. Zu der Ausgabe Realschule Niedersachsen existiert kein Lösungsband. Münkler (2009), S. 466.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

Zusätzlich gehöre zur normativen Triftigkeit, so Schreiber, dass zeitgenössische Urteile zu berücksichtigen sind.98 Folglich sollte erwähnt werden, dass nach der Krise 1929 und dem Zweiten Weltkrieg die Meinung mehrheitsfähig war, dass Unternehmer eine potenzielle Gefahr für die Wirtschaft seien.99 Selten war die Wirtschaft so reguliert wie in den Zeiten von Bretton Woods, und selten waren so viele Konzerne unter staatlicher Verwaltung. Insgesamt kann der Vergleich mit der DDR über die Autoindustrie als fragwürdig bezeichnet werden. In der SBZ betrafen die Demontagen ca. 80 Prozent der Automobilindustrie100 , während beispielsweise bei VW ca. 93 Prozent der Maschinen des modernen Werks technisch einwandfrei liefen und nicht demontiert wurden.101 Zusätzlich wäre beim Thema Autoindustrie ein lebensweltlicher Bezug wünschenswert, da der Individualverkehr in den kommenden Jahren vermutlich ein breit diskutiertes Thema wird. Zeitreise stellt die Nachkriegswirtschaft ebenfalls im Doppelseitenformat dar. Die Überschriften lauten »Aufbau nach sowjetischem Vorbild« und »Aufbau nach demokratischem Vorbild«.102 Im DT zur SBZ wird Folgendes beschrieben: »Unter der Parole ›Enteignung der Naziaktivisten und Kriegsverbrecher‹ überführten sie praktisch alle Großbetriebe in Volkseigene Betriebe.« Hinsichtlich der KPD heißt es, sie setze »ihre Vorstellungen mit Gewalt durch, auch wenn die politischen Gegner die Mehrheit hatten«. Als Quelle Q1 finden die Schüler*innen ein »Werbeplakat zur Bodenreform« von Alfred Stiller, das unter der Parole »Rotte dieses Unkraut aus!« einen Fuß mit einem Spaten zeigt. Fuß und Spaten entfernen Distelgewächse mit Köpfen, welche Faschisten und Großgrundbesitzer darstellen sollen. Zusätzlich beschreiben die Schulbücher auf der nächsten Seite den Begriff Antifaschismus in einem Paratext wie folgt: »Doch oft nutzte sie [die DDR, KK] den Antifaschismus als Vorwand, um Zwangsmaßnahmen zu rechtfertigen.« Direkt neben diesem Paratext »berichtet« in der Textquelle Q3 »ein Freiherr über das Schicksal seiner Vorfahren auf Schloss Seerhausen (SBZ)«. Darin beschreibt er die Verhaftungen seiner Verwandten Hugo und dessen Bruder Karlo: den »tagelangen Transport im Güterwagen«; deren Flucht mit einem Fischerboot; den Tod von Hugo durch eine folgende Lungenentzündung. Karlo »nahm sich daraufhin das Leben«. Das Schloss Seerhausen »wurde zur Plünderung freigegeben […] [und] 1948 gesprengt«. Mit Bezug auf die Module (DT, Q1, Q3) sollen die Schüler*innen eine vorgeblich offene Aufgabe bearbeiten: »Bewerte das Vorgehen der KPD gegen die adligen Großgrundbesitzer«. Im Lösungsband heißt es: »Die KPD ging strickt [sic!] nach ihrer Ideologie

98 99 100 101

Schreiber u.a. (2013), S. 45. Hobsbawm (2012), S. 345. Steiner (2007), S. 32. Mommsen/Grieger (1996), S. 954. Die verschiedenen Ausgangsbedingungen werden auch im (didaktisch ansonsten interessanten) Aufsatz zum Käfer und Trabant im Geschichtsunterricht von Martin Thunich übergangen: Thunich (2005), S. 211. 102 Christoffer (2015), S. 98f.; Christoffer (2016a), S. 190f.; Christoffer (2014), S. 98f.; Heiter (2016), S. 16f. Den Abschnitt zur SBZ habe ich bereits in einer anderen Publikation analysiert: Krüger (2017), S. 182ff.

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vor und nutzte die Umbruchsituation nach dem Krieg zu einer sozialistischen Bodenreform.«103 Anhand des vorliegenden Materials können die Schüler*innen das Vorgehen gegen die Großgrundbesitzer nur verurteilen. Hierbei habe sie ihre Ideologie, also den Antifaschismus, zur Rechtfertigung der Zwangsmaßnahmen benutzt. Allerdings fehlen für die Bewertung der Quelle (Q3) alle wichtigen Informationen. Der originale Text ist ein ausführlicher Bericht von Thomas Freiherr von FritschSeerhausen aus dem Jahr 1980.104 Darin beschreibt er – neben den Auszügen in Zeitreise 3 und Zeitreise 5 – die Heldentaten seiner Vorfahren im Zweiten Weltkrieg, deren militärische Ränge beachtlich sind. Über einen Mann berichtet Thomas Freiherr von Fritsch-Seerhausen begeistert, er habe sich »trotz seiner siebzig Jahre zum Volkssturm gemeldet […] [und] freiwillig mit der Panzerfaust im freien Feld einsetzen lassen. Er hat bedauert, dass die feindlichen Panzer nicht an dieser Straße vorbeikamen.« Der verhaftete Hugo Freiherr von Fritsch-Seerhausen – selbst Major – habe sich den »Russen […] hochaufgerichtet und gelassen wie immer« am Eingang des Schlosses entgegengestellt. Das Schloss sei nach dem Krieg an seinen Neffen Wolf, der »Major und Generalstabsoffizier« gewesen sei, vererbt worden. Der gesamte Bericht, im militärischen Pathos geschrieben, stellt eine Verehrung der Familienmitglieder dar, deren Männer allesamt Offiziere waren. Die Biografie des Autors macht den Duktus des Textes nachvollziehbar. Thomas Freiherr von Fritsch-Seerhausen trat bereits 1929 (!) in die NSDAP ein und wurde als SS-Obersturmführer (später Hauptsturmführer) im »Reichskommissariat Ostland« eingesetzt.105 Außerdem muss ergänzt werden, dass die Quelle nicht das Vorgehen der KPD thematisiert, sondern jenes der Roten Armee. Die Aufgabestellung ergibt also erstens keinen Sinn, da anhand dieser Quelle nur das Verhalten der Soldaten der UdSSR gegen die Großgrundbesitzer »bewertet« werden kann. Zweitens brauchen die Schüler*innen Informationen zur Offiziersfamilie, zur politischen Einschätzung der Alliierten bzgl. der Großgrundbesitzer sowie zur NSDAP- und SS-Vergangenheit des Autors. Ansonsten können sie das Vorgehen nicht bewerten. Stattdessen wurden sogar alle Hinweise auf diese Aspekte aus der Quelle entfernt. Hier schließt sich die Frage an, wie die Quelle im Schulbuch entstanden ist. Als Provenienzangabe geben die Schulbuchautor*innen die Quellenedition Ein unglaublicher Frühling von Alexander von Plato/Almut Leh an. In dieser Publikation wird auf die Mitteilungen des Sächsischen Heimatschutzes (1993) verwiesen, in denen sich der vollständige Bericht von Fritsch-Seerhausen befindet.106 Von Plato/Leh kürzten bereits die Offiziersränge und die vermeintlichen Heldentaten der tapferen Männer; es gibt aber weiterhin Textpassagen, an denen die militärische Sprache erhalten bleibt, wenn bspw. von der

103 Christoffer (2016b), S. 101; Balkenhus (2014), S. 57; Klett Verlag (2016), S. 11. 104 Zum Zeitpunkt der ersten Recherche war dieser Bericht im Internet zu finden. Inzwischen ist er gelöscht; ich bin aber im Besitz eines Screenshots. Weiterhin befindet sich der Bericht ungekürzt in folgender Publikation: Sobotka (1998), S. 68ff. 105 Lehmann (2012), S. 459. 106 Fritsch-Seerhausen (1993).

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»feindlichen Artillerie« gesprochen wird.107 Dennoch fokussiert sich der Quellenauszug bei Plato/Leh bereits auf die Verhaftung von Hugo/Karlo und die Plünderung des Schlosses. Auch hier sind keine Informationen zum Autor vorhanden. Die Ausgaben von Zeitreise haben die letzten kämpferischen Elemente gekürzt, den Text anonymisiert und eine klare normative Bewertung hinzugefügt. Insgesamt finde ich es erstaunlich, wie unkritisch eine Opfergeschichte eines Großgrundbesitzers aus dem Jahr 1946 aufgegriffen wird. Zudem entsteht der Eindruck, dass lediglich eine Quelle gesucht wurde, um die Instrumentalisierung des Antifaschismus für die Bodenreform zu beweisen. Ironischerweise belegt die Quelle, dass die Verstrickung von Großgrundbesitzern und Faschismus mehr als eine Ideologie war. Auf der Doppelseite »Aufbau nach demokratischem Vorbild« unterscheiden sich die Ausgaben von Zeitreise. In Zeitreise 3 wird das ERP an dieser Stelle behandelt, in Zeitreise 5 in einem anderen Kapitel des Schulbuchs im Kontext der internationalen Blockbildung.108 Die These von Zeitreise 3 kann am Glossar veranschaulicht werden. Hier heißt es: »Marshall-Plan[:] finanzielles Hilfsprogramm der USA zum Wiederaufbau der europäischen Länder, benannt nach dem Außenminister der USA, George C. Marshall. Es führte zur schnellen wirtschaftlichen Erholung Westeuropas. Die Sowjetunion verbot den osteuropäischen Staaten und der SBZ/DDR die Teilnahme.« Der DT entspricht in den wichtigsten Punkten diesem Paratext. Zusätzlich finden die Schüler*innen einen sehr kurzen Textauszug (Q4) aus der Rede von Marshall in der Harvard Universität, der vollständig zitiert werden kann: »Unsere Politik richtet sich weder gegen ein anderes Land noch gegen eine politische Doktrin (Grundsatz) [sic!], sondern gegen Hunger, Armut, Verzweiflung und Chaos. Die Wiederherstellung einer funktionsfähigen Weltwirtschaft zur Schaffung von politischen und sozialen Verhältnissen, unter denen freiheitliche Einrichtungen gedeihen können, muss künftig die Aufgabe unserer Außenpolitik sein.« Weitere Informationen zum Marshallplan gibt Zeitreise 3 nicht. Außerdem deckt das Plakat »Freie Bahn dem Marshallplan« ca. ein Drittel der Seite ab (siehe Seite 147). Die Schüler*innen sollen folgende Aufgabe bearbeiten: »Beurteile die machtpolitischen Hintergründe des Marshall-Plans (VT4, Q3, Q4).« Die gewünschte Lösung kann direkt im DT abgelesen werden: »Dabei spielten für die USA auch machtpolitische Gründe eine Rolle: Ein marktwirtschaftlich erfolgreiches Westeuropa sollte eine Ausbreitung des Kommunismus verhindern. Die Westzonen profitierten enorm vom Marshall-Plan.« An diesem Zitat ist deutlich erkennbar, dass der Satz nach dem Doppelpunkt als Antwort erwünscht ist. Der Lösungsband sieht exakt diese Antwort als AFB II/III vor: »Die Wirtschaftshilfe sollte auch eine Ausbreitung des Kommunismus in Westeuropa und damit einen größeren Einfluss der UdSSR verhindern helfen.« Auch erfahren die Lehr-

107 Plato/Leh (1997), S. 263f. 108 Christoffer (2015), S. 100f.; Christoffer (2016a), S. 192f.; Christoffer (2014), S. 100f.; Heiter (2016), S. 88f.

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kräfte im Lösungsband, dass die USA durch das ERP einen »Vorteil« hatten, jedoch nicht welchen.109 Die nächste Aufgabe der Schulbücher fragt, weshalb das ERP »in der SBZ abgelehnt wurde«. Als Antwort ist Folgendes vorgesehen: »Der Marshall-Plan wurde in der SBZ abgelehnt, da er die sowjetische Einflusssphäre destabilisiert und den Aufbau eines kommunistischen Systems nach sowjetischem Vorbild unterlaufen hätte.« Zeitreise 5 beinhaltet ebenfalls den zitierten Paratext.110 Hier wird zusätzlich darauf verwiesen, dass die UdSSR einen zu starken Einfluss der USA befürchtete. Außerdem sind die innenpolitischen Interessen der USA angedeutet: »Die amerikanische Wirtschaft war stark und brauchte für ihre Produkte dringend Handelspartner und Absatzmärkte in Europa.« Dieser Satz sollte eher heißen: In den USA wurde zu viel produziert, deshalb brauchten die USA Absatzmärkte für ihre Waren. Insgesamt habe die BRD Kredite im Wert von 1,4 Mrd. Dollar erhalten. Das Schulbuch beschreibt als Folge des »Marshallplans« ebenfalls die Vertiefung der Teilung Deutschlands. Allerdings machen die Schulbuchautor*innen hierfür nicht den Handelsboykott verantwortlich, sondern die unterschiedlichen ökonomischen Entwicklungen. Weiterhin bietet das Schulbuch drei Quellen. Auf der ersten Fotografie (Q1) ist ein Güterwaggon aus dem Jahr 1948 mit der folgenden Aufschrift abgebildet: »AMERIKA HILFT BEIM AUFBAU EUROPAS. DIESE GÜTERWAGEN LIEFERTE DER MARSHALL PLAN.« Die zweite Quelle zeigt die Fotografie von der Werbewand (Q3) »Deutscher Aufbauplan gegen Marshallversklavung«. Laut der Bildbeschreibung steht die Tafel während der Leipziger Herbstmesse 1948 vor der ausgebrannten Leipziger Oper. Auf der Werbewand sind zwei tatkräftige junge Menschen (Frau und Mann) am rechten Rand abgebildet, die lachend vor einer Drehmaschine stehen. Im Hintergrund können rauchende Schornsteintürme erkannt werden. Von links unten bis rechts oben der Werbewand ist ein stetiger Graph gezeichnet, der die angepeilte Produktionssteigerung von 1947 bis 1950 um 35 Prozent visualisiert. Als dritte Quelle finden die Schüler*innen den Auszug aus der Rede von Molotow (Q2), die dieser auf der Pariser Außenministerkonferenz 1947 hielt. Molotow kritisiert darin, dass das ERP den »kleinen Ländern« die Souveränität nehme und die europäischen Länder gegeneinander ausspiele (siehe Seite 149). Die ersten Arbeitsaufträge verlangen lediglich die Reproduktion der Inhalte der Quellen. Deshalb werden sie nicht weiter analysiert. In der fünften Aufgabe sollen die Schüler*innen »die Marshallversklavung« erklären. Hierfür stehen die Argumente von Molotow zur Verfügung. Im nächsten Arbeitsauftrag verlangt Zeitreise 5: »Diskutiere darüber, wie glaubwürdig die Erklärung von Molotow ist (Q2).« Eine Diskussion ist allerdings laut Lösungsband nicht vorgesehen. Hier können die Lehrkräfte Folgendes lesen: »Die Quelle ist nicht glaubwürdig. Die Sowjetunion hatte in ihrem Einflussbereich faktisch fast alle

109 Christoffer (2016b), S. 102; Balkenhus (2014), S. 58. 110 Heiter (2016), S. 88f.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

Staaten ihrer Souveränität beraubt und ihnen ihr wirtschaftliches System aufgezwungen.«111 Geschichte und Geschehen verweist berechtigterweise auf die Unglaubwürdigkeit der Quelle. Allerdings ist der Text von Marshall ebenfalls unglaubwürdig. Für historisches Lernen wäre es sinnvoll, entweder beide Quellen zu dekonstruieren und auf ihre propagandistische Ebene hin zu prüfen; oder die Quellen gegenüberzustellen und die Kontroverse zu führen, die auch eine aktuelle Relevanz besitzt. Beispielsweise sind für internationale Kreditprogramme genau diese Fragen zu diskutieren. In der letzten Aufgabe fordert das Schulbuch, »das Vorgehen der USA zu bewerten, Deutschland nicht zu bestrafen, sondern zu unterstützen«. Die Formulierung »individuelle Schülerlösung« im Lösungsband wirkt unpassend, da im gesamten wirtschaftlichen Teil von Zeitreise 5 keine Informationen zu finden sind, die eine negative Bewertung der Strategie begründen könnten.

6.2 Buchner 6.2.1 Das waren Zeiten 3 In den kommenden Abschnitten werden die Schulbücher des Buchner-Verlags analysiert. Die Ausgaben Das waren Zeiten 3 für Thüringen112 und Hessen113 legen anscheinend einen Schwerpunkt auf Wirtschaftsgeschichte. Sie bieten umfangreiches Material. Folglich können nicht alle Texte und Quellen umfassend besprochen werden. Der erste Satz zur Nachkriegswirtschaft lautet: »Während die westlichen Besatzungsmächte – zum Teil gegen den Willen breiter Bevölkerungskreise – eine freie Wirtschafts- und Eigentumsordnung wollten, wurden in der SBZ mit Unterstützung vieler Bürger schon im Herbst 1945 die Weichen für eine sozialistische Entwicklung gestellt.«114 Im weiteren DT beschreiben die Schulbücher die Enteignung von 7000 Großgrundbesitzern und die Übergabe des Landes an 500 000 »Landarbeiter, landlose Bauern, Vertriebene und Flüchtlinge«. Außerdem seien unter der Parole »Enteignung von Nazis und Kriegsverbrechern« 9000 Unternehmen verstaatlicht worden. Das waren Zeiten 3 geht im Folgenden auf den Konflikt bzgl. der Reparationen ein. Während die USA und Großbritannien die Selbstversorgung ihrer Besatzungszonen angestrebt hätten, »mussten die Sowjets ihr zerstörtes Land aufbauen« und »pochten auf hohe Wiedergutmachung«. Dabei vertreten die Schulbücher die fragwürdige These, dass die UdSSR den Konflikt eskaliert habe, da vereinbarte Güter nicht geliefert worden seien (siehe Seite 63). Der Abschnitt für Thüringen schließt wie folgt:

111 112 113 114

Klett Verlag (2016), S. 61. Brückner/Focke (2014). Brückner/Focke (2015). Brückner/Focke (2014), S. 193; Brückner/Focke (2015), S. 187.

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»Die Westzonen verloren deshalb durch Demontagen nur vier bis sieben Prozent ihrer Industriekapazitäten, dagegen minderten sich die Industrieleistungen in der Sowjetischen Besatzungszone langfristig um über 40 Prozent (vom Stand des Jahres 1938 aus gerechnet).« In der Ausgabe für Hessen ist lediglich von »stärkerer« Belastung der Ostzone gegenüber den Westzonen die Rede. Besonders der DT in der Ausgabe Thüringen ist insgesamt positiv hervorzuheben; kaum ein Schulbuch betont die umfassenden Reparationen115 und die relative Offenheit der Bevölkerung für den Sozialismus (+). Auf der gegenüberliegenden Seite sind – in der Ausgabe für Thüringen – Auszüge der Gründungsaufrufe der Parteien SPD, CDU, FDP und SED abgedruckt, die verglichen werden sollen (Aufgabe eins).116 Die SED fordert das Ende von Krisen und Armut durch die Umwandlung der Produktionsmittel in »gesellschaftliches Eigentum«. Im Programm der SPD werden zunächst die zahlreichen Sektoren aufgelistet, deren Verstaatlichung vorgesehen ist. Außerdem fordert sie die Umsetzung einer »antifaschistisch-demokratischen Staatsauffassung«, welche Grundrechte gegenüber dem Staat vorsieht. Die Wirtschaft ist auch das zentrale Thema im Auszug der »Richtlinien der FDP«. Hier wird darauf hingewiesen, dass die Planung nur zur Linderung der Not umzusetzen sei: »Die Planwirtschaft darf nicht Selbstzweck werden, damit nicht schließlich alles Leben und alle freie Leistung im staatlichen Zwang erstickt.« Im Auszug des CDU-Programms steht Folgendes geschrieben: »Das Recht muss wieder die Grundlage des ganzen öffentlichen Lebens werden. […] Die Unabhängigkeit und der geordnete Gang der Rechtspflege sind wiederherzustellen. […] Wir bejahen das Privateigentum, das die Entfaltung der Persönlichkeit sichert, aber an die Verantwortung für die Allgemeinheit gebunden bleibt. Industrie, Handel und Gewerbe sind zu entscheidender Mitarbeit am Wiederaufbau berufen und deshalb planmäßig zu fördern.« Der Lösungsband fasst das CDU-Programm zusammen: »Wiederherstellung des Rechts; Schutz des Privateigentums; Verantwortung des Privateigentums für die Allgemeinheit.« Die zweite Aufgabe verlangt von den Schüler*innen: »Erläutere am Beispiel der Parteien die unterschiedlichen Entwicklungen in den [sic!] Ost- und Westzone (M2 bis M5).« In den Lösungsvorschlägen lesen die Lehrer*innen: »Die SED strebt den Sozialismus an und lehnt den Kapitalismus ab. […] Alle anderen Parteien wollen in erster Linie Rechtssicherheit, Demokratie und soziale Verantwortung der Wirtschaft.«117 Diese Interpretation kann aus den Quellen nicht gewonnen werden. Den Kapitalismus lehnte nicht bloß die SED ab, wie das Schulbuch im DT selbst schreibt. Auch wird den Schüler*innen Widersprüchliches vorenthalten: Die Sätze im CDUProgramm direkt vor der Formulierung »Wir bejahen das Privateigentum« lauten:

115 116 117

Im Haupttext zu den Problemen der DDR-Nachkriegswirtschaft sind die Reparationen hingegen gar nicht erwähnt, so dass die Reparationen mit Fragezeichen (?) codiert sind. Brückner/Focke (2014), S. 192. Brückner/Focke (2016b).

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

»Das unermeßliche Elend in unserem Volke zwingt uns, den Aufbau unseres Wirtschaftslebens [sic!] die Sicherung von Arbeit und Nahrung, Kleidung und Wohnung ohne jede Rücksicht auf persönliche Interessen und wirtschaftliche Theorien in straffer Planung durchzuführen. Das geht allen voran. Dabei ist es unerläßlich, schon um für alle Zeiten die Staatsgewalt vor illegitimen Einflüssen wirtschaftlicher Machtzusammenballungen zu sichern, daß die Bodenschätze in Staatsbesitz [Hervorhebung im Original, KK] übergehen. Der Bergbau und andere monopolartige Schlüsselunternehmungen unseres Wirtschaftslebens müssen klar der Staatsgewalt unterworfen sein.«118 Die Kürzung der beiden letzten Sätze verändert die Aussage der Quelle grundlegend. In der Quellensammlung Deutschland 1945-1990 von Mike Dennis/Johannes-Dieter Steinert, aus denen der Abschnitt entnommen ist, befinden sich diese Sätze; allerdings fehlt hier bereits die Hervorhebung des Originals.119 Die Ausgabe für Hessen thematisiert die Debatte um die Sozialisierung der Schlüsselindustrien in Hessen im Jahr 1946 anhand von zwei Quellen.120 Hierfür bietet das Schulbuch die Quelle M2 mit dem Titel »Eine neue Wirtschaftsordnung für Hessen?«, die die Meinung von vier Abgeordneten der Landtagsparteien SPD, CDU, KPD und LDPD dargestellt. Erich Altwein von der SPD listet die umfangreichen Bereiche auf, die verstaatlicht werden sollen. Auch der Vertreter der CDU (Erich Köhler) bekennt sich zur Entflechtung der Monopole und zur Sozialisation zahlreicher Bereiche der Wirtschaft. Leo Bauer (KPD) kritisiert die CDU, da die Formulierung »Eigentum verpflichtet« nicht ausreichend sei; es müsse sich klar gegen jeden Trust positioniert werden. Demgegenüber plädiert August-Martin Euler (LDPD) für »außerordentliche Vorsicht« bei »Wirtschaftsfragen«, da eine hessische Regelung für die Wirtschaft nicht möglich sei, die sich von anderen Bundesländern unterscheide. In der zweiten Quelle M3 berichtet Helmut Berding 1978 über den politischen Prozess des Sozialisierungsartikels 41, der die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien anordnet. Laut Berding »meldet« Clay am 14. Oktober 1946 »Bedenken gegen den Artikel an«. Jedoch genehmige Clay, nach Protesten von SPD, CDU und KPD, eine gesonderte Abstimmung. Am 1. Dezember votierten 72 Prozent der Menschen für Artikel 41. Dennoch »untersagt General Clay die Ausführung des Artikels 41« am 14. August 1947. Diesen Schritt begründe Clay, so Berding, mit dem vielen Geld, das die USA in Deutschland investiert hätten. Als Bildquelle M1 beinhaltet das Schulbuch ein Plakat der SPD, welches mit dem Ergebnis der Abstimmung wirbt: »Hessen hat den Weg gewiesen. Zweidrittel aller Wähler haben für die Sozialisierung gestimmt … Mach´s wie sie [Schrift größer] SPD.« Auf dem

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CDU (1945). Dennis/Steinert (2005), S. 70f. Allerdings haben nicht Steinert/Dennis die Hervorhebung entfernt. Diese übernahmen die Quelle aus: Flechtheim (1963), S. 27ff. Flechtheim wiederum gibt als Provenienzangabe folgende Publikation an, in der die Hervorhebung bereits fehlt: Mahler (1945), S. 11ff. 120 Brückner/Focke (2015), S. 186. In der Ausgabe Das waren Zeiten 3 für das Bundesland SchleswigHolstein (2011) wird sogar das kapitalismuskritische Ahlener Programm der CDU zitiert: Brückner (2011), S. 228. Die Quelle wurde aus folgendem Bericht erstellt und sinnvoll gekürzt: Berding/Lange (1996), S. 610ff.

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rot-gefärbten Plakat sind im Hintergrund ein Paar (Mann und Frau) in traditioneller Kleidung zu sehen. In der ersten Aufgabe sollen die Schüler*innen die Aussage des Plakates »erläutern«. Die zweite Aufgabe verlangt die Herausarbeitung, »wie die Parteien zur Sozialisierung standen.« Bemerkenswert ist Aufgabe drei: »Beurteile die Haltung der USMilitärregierung (M3). Formuliere ein kurzes Schreiben an Clay, in dem du deine Auffassung begründest.« Der Lösungsband vertieft die Ausführungen des Schulbuchs und verzichtet auf eine normative Beurteilung.121 Die Aufgabenstellung ist fachlich, narrativ und normativ triftig und für historisches Lernen geeignet. Ein weiterer Schwerpunkt von Das waren Zeiten 3 ist die Bodenreform. Neben dem erwähnten Abschnitt im DT finden die Schüler*innen in beiden Schulbüchern eine ganze Seite mit Quellen und Aufgaben zur Bodenreform.122 Der erste Quellentext (M1) ist ein Auszug der Anordnung zur Bodenreform in Sachsen-Anhalt. In der zweiten Quelle (M2) erklärt Rudolf Friedrich (Präsident der Landesverwaltung Sachsen) im Sommer 1946 vor »Funktionsträgern«, dass die Enteignung der »Kriegsverbrecher« das »Vertrauen der Völker« in die deutsche Politik stärken würde. Eine Fotografie (M3) stellt den »Auszug zur Landverteilung«, so die Bildbeschreibung, im September 1945 dar. Weiter heißt es: »Menschen auf dem Weg zum Rittergut Kränzlin II.« Auf der Fotografie sind marschierende Menschen zu sehen, die, angeführt von Musik und Fahnen (eine davon mit Hammer und Sichel), durch ein Dorf ziehen. Die Quelle M4 ist ein Bericht vom »ehemaligen Gutsbesitzer« und »CDU-Mitglied« Hans Schlange-Schöningen, der in der britischen Zone das Zentralamt für Landwirtschaft und Ernährung leitete. Er berichtet über einen Besuch in Thüringen im Jahr 1946, bei dem er die desolate Lage der »kommunistischen Mustergüter« gesehen habe, die früher mal »hoch intensiv« gewesen seien. Er prognostiziert Thüringen den Status eines »Hungerlandes« in zwei Jahren, wenn diese Wirtschaftsordnung weitergeführt werden würde. Die Quelle ist überschrieben mit »Folgen der Bodenreform«. In der ersten Aufgabe sollen die Schüler*innen die Ziele und Motive der Bodenreform und in der zweiten Aufgabe die Gründe »nennen«, warum 78 Prozent der Menschen beim Volksentscheid für die Enteignungen gestimmt hätten. Die dritte Aufgabe verlangt die Bestimmung des politischen Ziels der Veröffentlichung der Fotografie M3. Hervorzuheben ist Aufgabe vier: »Erläutere die Einschätzung von SchlangeSchöningen. Nimm dazu Stellung!« In der Ausgabe für Schleswig-Holstein (2011) hieß es noch: »Stimmst du ihnen zu?«123 Grundsätzlich ist die Konzeption gelungen, da die Bodenreform unter verschiedenen Facetten beleuchtet wird und unterschiedliche Antworten möglich sind. Auf der Lehrer-DVD befindet sich folgende Einschätzung: »Der Autor spricht hier als ehemaliger Gutsbesitzer, für den die Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft im Sinne des Sozialismus a priori eine negative Entwicklung darstellt. Er urteilt aus der Perspektive eines Mitgliedes der besitzenden Schicht und kann und will sich eine Alternative zur Privatwirtschaft offenbar nicht vorstellen.«

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Brückner/Focke (2016a). Brückner/Focke (2014), S. 195; Brückner/Focke (2015), S. 189. Brückner (2011), S. 232.

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Demnach sehen die Schulbücher eine Quellenkritik vor. Auch möchte ich positiv hervorheben, dass das Schulbuch die Kontextualisierung von Schlange-Schöningen als Gutsbesitzer ergänzt hat. Denn diese Information befindet sich im Quellenband von Kleßmann/Wagner, aus dem der Text stammt, nicht.124 Weiterhin beinhaltet Das waren Zeiten 3 eine ganze Seite Darstellungstext zur Bizone und dem »Marshall-Plan«.125 Das ERP wird als bedeutende ökonomische Maßnahme charakterisiert, der letzte Satz lautet wie folgt: »Damit half er, Freiheit und Demokratie zu sichern.« Außerdem befindet sich in Das waren Zeiten 3 eine Grafik zum »Marshallplan«, anhand derer die Schüler*innen seine »Funktion« erläutern sollen (vgl. Abb. 6). Ein sehr wesentlicher Faktor stimmt in der Grafik allerdings nicht: Die deutschen Betriebe zahlten kein Geld an US-Firmen, sondern in den ERP-Sonderfonds, mit denen wichtige Investitionen vorgenommen wurden (vgl. Abb. 7). Dieser Fonds finanziert auch heute noch die »Kreditanstalt für Wiederaufbau«. Gleichzeitig sei erneut darauf hingewiesen, dass durch das ERP vor allem Nahrungsmittel und Rohstoffe (ca. 90 Prozent der Gelder) und nur wenige Maschinen (2,3 Prozent der Gelder) geliefert wurden.126 Zusätzlich finden die Schüler*innen die Quellen »Freie Bahn dem Marshallplan« und »Hinaus!« (siehe Seite 147) sowie eine Tabelle der Verteilung der Gelder für Europa – allerdings ohne dazugehörige Aufgabenstellungen.

Abbildung 6: Funktion des ERP nach Das waren Zeiten

124 Kleßmann (1993), S. 164f. Weitere Informationen zur Quelle: Abelshauser (1979), S. 661ff. 125 Brückner/Focke (2014), S. 194; Brückner/Focke (2015), S. 188. 126 Abelshauser (2011), S. 137.

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Abbildung 7: Funktion des ERP (eigene Darstellung)

Eine Schulbuchseite thematisiert die wirtschaftliche Entwicklung in den Westzonen und der Ostzone. Unter der Überschrift »Soziale Marktwirtschaft im Westen« ist zunächst die Wirtschaftsverwaltung beschrieben.127 Im weiteren Verlauf heißt es: »Der Direktor des Wirtschaftsrates, der parteilose Ludwig Erhard, und seine Mitarbeiter setzten auf die Marktwirtschaft, in der Angebot und Nachfrage über die Preise der Waren entscheiden. […] Allerdings sollten gesetzliche Rahmenbedingungen für soziale Sicherheit sorgen. Für diesen Plan der Sozialen Marktwirtschaft gewann Erhard im Juni 1948 die Mehrheit im Wirtschaftsrat.« Demgegenüber sei in der Ostzone die »Planwirtschaft« eingeführt worden: »Sie lenkten die Wirtschaft zentral und setzten den Weg in die Planwirtschaft fort. Privatbetriebe wurden verstaatlicht und in Volkseigene Betriebe (VEB) umgewandelt. Damals begrüßten viele Bürger diese Entscheidungen, da sie Versorgung und Arbeitsplätze zu sichern schienen.« Eine abschließende ökonomische Bewertung findet an dieser Stelle nicht statt. Im nächsten Abschnitt des Darstellungstextes sind die technischen Details der Währungsreform kurz und anschaulich beschrieben. Dabei betonen die Schulbücher, dass die Währungsreform die »Klein- und Mittelschichten« belastete und die »Besitzer« von Sachwerten »bevorzugte«. Das Resümee des Abschnitts ist eindeutig: »Ihre besondere Wirkung entfaltete die Währungsreform [+] erst dadurch, dass Erhard gleichzeitig die Bezugsscheinwirtschaft [+] beendete.« Auch zur Währungsreform bieten die Schulbücher eine ganze Seite mit Quellen.128 Die erste Quelle (M1) mit dem Titel »Was ist mit den Sparguthaben?« besteht aus einem Auszug der Rundfunkansprache des CDU-Politikers Hermann Pünder, der die har127 128

Brückner/Focke (2014), S. 197; Brückner/Focke (2015), S. 191. Brückner/Focke (2014), S. 199; Brückner/Focke (2015), S. 193.

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ten Einschnitte in die Sparguthaben ankündigt und betont, dass die Menschen hierfür Adolf Hitler und den Krieg verantwortlich machen müssten. In der dazugehörigen Aufgabe heißt es: »Diskutiert, ob die Erklärung (M 1) die Bevölkerung überzeugt haben kann. Berücksichtigt dabei die Ansichten der Sachwertbesitzer und Sparer sowie der Anhänger und Gegner des NS-Regimes.« Besonders gelungen ist die Aufforderung, verschiedene soziale Perspektiven zu berücksichtigen. Allerdings fehlen Informationen, die die Alternativlosigkeit in Frage stellen, nach der die so genannten Kleinsparer für den Währungsschnitt aufkommen müssten. Das waren Zeiten 3 könnte der Meinung von Pünder eine Quelle gegenüberzustellen, die eine andere Verteilung der Lasten vorsieht. In der zweiten Quelle (M2) mit der Überschrift »Alles war ›plötzlich wieder kaufbar‹« berichtet Klaus-Jürgen Geißler, »Sohn eines Arbeiters«. Sie wird aufgrund ihrer Bedeutung vollständig zitiert: »Und am Währungsstichtag, das war der Sonntag, da mussten wir extra von Wedau nach Essen kommen, um diese 40 DM Kopfgeld, wie sie damals genannt wurden, einzutauschen. Und wie wir an dem Abend zurückkamen, da hatten wir auch ´ne Gaststätte, wo wir schon mal, wenn wir keine offiziellen Gruppenabende hatten, uns trafen. Da gab´s also plötzlich in der Gaststätte, am gleichen Tag, konnte man also Wein kaufen. Vorher gab es nur Dröppelbier; an dem Tag war sofort Wein da. Und am Montag: Das Erstaunliche war, dass man also wieder Waren angeboten bekommen hat, die vorher überhaupt nicht auf dem Markt waren. Also innerhalb der ersten Woche konnte man Fahrräder, Kochtöpfe und Gott weiß was alles wieder kaufen, was es vorher nicht gab. Zu diesem Zeitpunkt waren dann plötzlich wieder Angebote an Lebensmitteln da, die vorher gar nicht da waren: Obst tauchte auf und so weiter, was also vorher irgendwo in finstere Kanäle verschwand. Aber nachdem wieder ´ne vernünftige, stabile Währung da war, war alles plötzlich wieder kaufbar. War für uns junge Leute – damals war ich siebzehn Jahre alt – völlig unbegreifbar.« In Aufgabe zwei sollen die Schüler*innen seine Erinnerungen beschreiben und die Frage beantworten, worauf er das plötzliche Warenangebot zurückführt. Der Lösungsvorschlag sieht die »finsteren Kanäle« als Antwort vor.129 Jedoch wurden die wichtigsten Interpretationen zur Beantwortung der Frage gekürzt. Im Quellenband von Kleßmann/Wagner, den das Schulbuch als Provenienz angibt, folgt ohne weitere Auslassungen dieser Teil (I = Interviewer, G = Klaus-Jürgen Geißler, KK):130 »I.: ›Und hat das Ihr Vertrauen zu dem neuen Staat erhöht unter den Westmächten, oder?‹ G.: ›Zu dem Staat? Ich habe das damals gar nicht so sehr in Verbindung mit dem Staat gesehen, sondern damals mehr so gesehen, daß diejenigen, die also Sachmittel besaßen, die also zurückhielten, weil mit dem Geld nicht viel anzufangen war, wo plötzlich wieder Geld, das ´ne stabile Basis hatte, da war, plötzlich dann ihre gehorteten – Dat war also mehr so´n Gefühl gegenüber den Kapitalisten, die sich jetzt wieder da

129 Brückner/Focke (2016b). 130 Kleßmann (1993), S. 176. Das Interview ist aus: Niethammer (1983), S. 83f.

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sichtbar breit machten. Also das wurde gar nicht so sehr mit dem Staat in Verbindung gebracht.‹ I.: ›Also war das eher ein Gefühl der Erbitterung?‹ G.: ›Der Erbitterung, ja natürlich. Daß man also plötzlich, nachdem also nun die neue Währung da war, plötzlich ein Warenangebot auf dem Markt war, das ja vorher auch da (gewesen) sein mußte, denn es kann ja nicht plötzlich vom Himmel fallen. Wo also die Sachbesitzer, die Produktionsmöglichkeiten hatten, die zurückgehalten hatten. (…) Also es war unvorstellbar, wat man wieder alles kaufen konnte. […]‹« Durch die Kürzungen der Quelle entsteht eine Erzählung, wie sie mit der Erfolgsgeschichte kompatibel ist, lediglich ein unbedeutender Nebensatz weist auf die »finsteren Kanäle« hin. Ansonsten könnte die Quelle im Schulbuch wie eine euphorische Berichterstattung über die Währungsreform verstanden werden. Die Kürzung der Quelle verändert die Grundaussage von Geißler. Auch die nächste Quelle im Sammelband von Kleßmann/Wagner kritisiert die Währungsreform. »Frau Schäfer« schreibt hier: »So schwer war es noch nie, die Familie satt zu bekommen, wie gerade jetzt nach der Währungsreform.«131 Insgesamt entsteht der Eindruck, als habe eine gewisse Systematik dahintergesteckt, welche Aussagen zur Währungsreform in das Schulbuch kommen und welche nicht. Denn die nächste Quelle aus dem Quellenband, direkt hinter »Frau Schäfer«, wurde ebenfalls für Das waren Zeiten 3 verwendet. In den Schulbüchern befindet sie sich als Quelle M4 mit der Überschrift »Die ›Lage der Ostzonen-Deutschen‹« und folgender Beschreibung: »Eine in Ost-Berlin erscheinende Zeitung berichtet in der ersten Ausgabe des Jahres 1948.« Die erste Hälfte des Textes lautet: »Nachdem das erste Geschrei über die ›sozialere‹ Form der Geldneuordnung in der Ostzone verpufft ist, zeigt sich, je länger die Zeit ins Land geht, um wie viel hoffnungsloser die Lage für die OstzonenDeutschen geworden ist.« Der diesbezügliche Arbeitsauftrag lautet: »Erläutert, wie sich die westliche Währungsreform für die Menschen in der Sowjetischen Besatzungszone auswirkte (M4).« Auch diese Quelle hat Das waren Zeiten 3 grundlegend verändert: Erstens lautet der Titel – sowohl bei Kleßmann/Wagner als auch in der Originalquelle – »Die Ostzone nach der Geldreform«.132 Zweitens haben die Schulbuchautor*innen den Satz über die Herkunft der Zeitung – angeblich die Ostzone – hinzugefügt, denn bei Kleßmann/Wagner befindet sich diese Information nicht. Tatsächlich ist der Erscheinungsort der Zeitung Der Leuchtturm der Ort Krottenmühl bei Rosenheim in Bayern. Drittens sollte dieser Artikel durch einige Informationen eingeleitet werden, da Der Leuchtturm personell133 und historisch eine rechtsradikale Vertriebenen-Zeitung 131 132 133

Kleßmann (1993), S. 177. Hirche (1948), S. 2; Kleßmann (1993), S. 178. Der wichtigste Initiator der Zeitung war Alfred Noske: Hirche (1948), S. 2. Nach 1945 trat er in die Partei »Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung« (WAV) ein – immerhin benannt nach der faschistischen Verbindungsorganisation von Alfred Rosenberg aus der Weimarer Republik. Im Jahr der Gründung der Zeitung Der Leuchtturm war Noske ein wichtiges Mitglied der völkischen Gruppe

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war.134 Immerhin kann den Schulbuchautor*innen zugutegehalten werden, dass Kleßmann/Wagner den Leuchtturm ebenfalls nicht kontextualisieren. Problematisch ist die Hinzufügung des Erscheinungsortes. Durch die Formulierung wird der Eindruck einer regionalen und authentischen Zeitung aus Ost-Berlin erweckt. Zusätzlich kann mit der Aufgabenstellung die Frage nicht beantwortet werden, weil die Quelle M4 lediglich über die Situation in der SBZ allgemein sowie die Auswirkungen der sowjetischen Währungsumstellung berichtet. Eine weitere Quelle (M3) zeigt die Konsumgüter der 1950er Jahre anhand der Ausstellungsvitrine zur Währungsreform im Haus der Geschichte der Bundesrepublik in Bonn. Im nächsten Abschnitt erläutert ein DT mit dem Titel »›Wirtschaftswunder‹ im Westen?« den Konjunkturaufschwung: »In der Bundesrepublik wurde anfangs bezweifelt, ob das von Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard [++] eingeleitete Experiment der Sozialen Marktwirtschaft [++] gelingen würde. Die Entwicklung nach der Währungsreform schien den Skeptikern recht zu geben: Die Preise stiegen und die Arbeitslosigkeit wuchs. Doch ab 1951 begann ein Wirtschaftsaufschwung. […] Dieser Erfolg war kein Wirtschaftswunder, sondern das Produkt mehrerer Faktoren.«135 Die Schulbücher nennen als Faktoren: die Unterstützung der Westalliierten (vermutlich ist das ERP gemeint, KK) (+); die Investitionsanreize der Regierung und die »risikobereiten Unternehmer« (+), die Arbeitsplätze geschaffen hätten. Außerdem hätten die Gewerkschaften »maßvolle Lohnforderungen« gestellt (+) und »die Menschen wollten etwas leisten« (+) – scheinbar im Gegensatz zu heute. Außerdem befindet sich auf dieser Seite eine Erhard-Karikatur – jedoch ohne Aufgabenstellung. Die Karikatur wird ausführlich bei Anno 3 und Anno 6 besprochen (siehe Seite 211). Im weiteren Verlauf betont Das waren Zeiten 3 die »sozialpolitischen Maßnahmen«, zu denen die Kriegsopferversorgung und das Lastenausgleichsgesetz zählen würden. Allerdings fiel die soziale Wirkung durch das Lastenausgleichsgesetz, das die Ungerechtigkeiten der Währungsreform ausgleichen sollte, eher spärlich aus. Die Besteuerung des Vermögens umfasste durch den Lastenausgleich zwischen zwei bis drei Prozent

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Der Deutsche Block, die sich von der WAV abspaltete: Historisches Lexikon Bayerns (2018); Antifaschistisches Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin e.V. (2018). Über den Hauptschriftleiter des Leuchtturms Lothar Franke ist wenig bekannt; eventuell ist er identisch mit einem Lothar Franke, der wegen seiner Verbindungen zum Verfassungsschutz aus dem Bund der Schriftsteller ausgeschlossen wurde: Zeitgeschichte in Hessen (2018). Keine Informationen besitze ich hinsichtlich des Verlegers Joachim Zetzsche. Der Autor des Artikels, Walter Hirche, trat nach seiner Tätigkeit für den Leuchtturm nicht mehr in rechtsradikalen Strukturen in Erscheinung. Auch in der NachfolgeZeitung Ost-West-Kurier konnte – bei grober Durchsicht – kein Artikel von ihm gefunden werden. Wahrscheinlich hat er seine Tätigkeit beim Leuchtturm als Lohnerwerb begriffen. Alle Zeitungen, in die der ehemalige Leuchtturm aufging, zählen zweifelsohne zum rechtsradikalen Spektrum: Leuchtturm – Ost-West-Kurier – Deutsche Wochen-Zeitung – Deutscher Anzeiger – Deutsche Nationalzeitung: Staatsbibliothek Berlin (2018); Kurth (1953), S. 243f. Brückner/Focke (2014), S. 207; Brückner/Focke (2015), S. 201.

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pro Jahr bis 1952 und nach der Verabschiedung des Gesetzes noch weniger136 . Dagegen betrug die Streichung der Sparguthaben ca. 93 Prozent. Die nächste Doppelseite vermittelt den Eindruck, von besonderem didaktischem Interesse zu sein.137 Auf der ersten Seite sind folgende Quellen abgedruckt: ein vornehm ausgestattetes Wohnzimmer der 1950er Jahre (M1); eine Werbefotografie aus dem Jahr 1958, die eine elegant gekleidete Frau vor einem vollen Kühlschrank zeigt (M4); eine Tabelle mit den prozentualen Ausgaben des Verbrauchs für Konsumgüter eines vierPersonen Arbeitnehmerhaushalts in den Jahren 1950, 1955 und 1960 (M2); eine Fotografie der Baustelle Constructa-Siedlung in Hannover von 1951 (M3); ein Plakat der ersten Exportmesse Hannover von 1947 (M5). In der ersten Aufgabe sollen die Schüler*innen anhand aller Quellen den beginnenden Wohlstand herausarbeiten. Die Auflistung der Konsumgüter zeigt allerdings, dass sich die wichtigsten Indikatoren für Arbeitende zwischen 1950 und 1960 nicht derart verändert haben, wie das »Wirtschaftswunder« suggeriert. Zwar sind die Ausgaben für Nahrung von 46,5 Prozent auf 38 Prozent gesunken und für den Hausrat von 6,5 Prozent auf zehn Prozent gestiegen; die Ausgaben für Bildung und Freizeit stiegen jedoch lediglich von sieben Prozent auf 8,5 Prozent – immerhin in zehn Jahren. Eine Differenzierung nach unterschiedlichen Einkommensgruppen würde sicherlich ebenfalls interessante Ergebnisse liefern. Die zweite Aufgabe verlangt, die Gründe der Besatzungsmächte für die Eröffnung der Exportmesse zu »nennen«. Bemerkenswert sind die Hinweise, die Das waren Zeiten in den Lehrmaterialien gibt. Hier wird erläutert, dass die Regierungen der USA und GB – im »gewissen Widerspruch [zur] […] Potsdamer Konferenz« – die Wirtschaft Deutschlands wieder »auf eigene Beine« stellen wollten.138 In der dritten Aufgabe sollen die Schüler*innen die Bedeutung des Hermes-Kopfes ausarbeiten, der das Symbol der Exportmesse ist. An dieser Stelle ist ein Bezug auf Hermes als den Gott für Handel, Verkehr und Jugend vorgesehen. Außerdem finden die Schüler*innen die Methoden-Seite »Karikaturen analysieren«. In der oberen Hälfte der Seite befindet sich die Karikatur M1 mit dem Titel »Blick zurück – nicht im Zorn«. Die weitere Bildbeschreibung lautet: »›Och, guckʼ mal, Onkel Ludwig, das waren wir, vor zehn Jahren!‹ Karikatur von Hanns E. Köhler aus der Wochenzeitung ›Die Zeit‹ vom 19. Juni 1958.« Die Karikatur zeichnet Erhard äußerst beleibt. Außerdem trägt er auf dem rechten Arm (durch ein Tuch geschützt) ein unrealistisch großes Eine-Mark-Stück mit einem Gesicht. Laut einer handschriftlichen Beschreibung symbolisiert die Münze ein Mädchen. Seinen linken Arm legt Erhard um ein kleines Kind, das den kleinen Michel (also einen typischen Deutschen) darstellt. Sie schauen gemeinsam in ein Fotoalbum und zeigen jeweils auf eine Album-Seite mit einem Bild, auf dem beide (Kind und Münze) sehr dünn und abgemagert sind. Über den Bildern steht jeweils »1948« geschrieben. In der linken oberen Ecke befindet 136

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Abelshauser (2011), S. 333ff. Insgesamt, so Karl Hardach, habe die Besteuerung der Vermögen nach der Währungsreform ca. zehn bis zwanzig Prozent betragen: Hardach (1979), S. 229. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass jene Vermögen jedes Jahr beträchtliche Gewinne abwarfen. Brückner/Focke (2014), S. 208f.; Brückner/Focke (2015), S. 202f. Brückner/Focke (2016b); Brückner/Focke (2016a).

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sich eine Geburtstagstorte mit brennenden Kerzen. Rund um die Karikatur haben die Schulbuchautor*innen erklärende Hinweise zu den Elementen geschrieben. Unterhalb der Karikatur geben die Schulbücher Hinweise, wie eine Karikatur bearbeitet wird. Folgende Arbeitsaufträge stehen zur Verfügung: »1. Recherchiere (z.B. im Internet) über den Zeichner und die politische Haltung der Zeitung, in der die Karikatur veröffentlicht wurde.   2. Informiere dich über die wirtschaftliche Entwicklung zwischen 1948 und 1958 (lies dazu auch Seite 197 und 207).   3. Interpretiere die Karikatur. Wie beurteilt der Zeichner die Entwicklung von 1948 bis 1958? Wie bewertest du die Aussage? Berücksichtige dabei alle dir vorliegenden und recherchierten Informationen.« Die methodische Konzeption und die Formulierungen der Impulse in den Aufgabenstellungen überzeugen. In der dritten Aufgabe wird ein hohes Niveau verlangt. In den digitalen Lehrmaterialien ordnen die Schulbuchautor*innen die Wochenzeitung Die Zeit als damals eher »konservative und rechte« Zeitung ein. Des Weiteren beschreiben sie Köhlers journalistische Karriere im Nationalsozialismus139 , seine spätere Arbeit bei Die Welt und der FAZ sowie die vielen Details der vorliegenden Karikatur. Im Zuge der Recherchen für die vorliegende Arbeit wurden Dokumente gefunden, welche die NSDAP-Mitgliedschaft von Köhler ab dem 1. Januar 1942 (Mitgliedsnummer 8 602 840) beweisen.140 Ein bedeutender Hinweis zur Zeitung Die Zeit wäre außerdem, dass deren Verleger, Redakteur und Gesellschafter Gerd Bucerius zum engsten Kreis 139

In den Lösungen heißt es: »Der im damaligen Österreich-Ungarn geborene Hanns-E. Köhler (19051983) war seit den 1930er-Jahren als Karikaturist tätig; in der NS-Zeit unter anderem für die Wochenzeitung ›Das Reich‹, die regelmäßig Leitartikel des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels veröffentlichte. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete Köhler viele Jahre für ›Die Welt‹ und die ›Frankfurter Allgemeine Zeitung‹«: Brückner/Focke (2016b); Brückner/Focke (2016a). 140 Köhler stellte am 17. Dezember 1941 seinen Aufnahmeantrag in die NSDAP. Als besondere Anmerkung schreibt er: »Da ich bis zum Juli 41 ungarischer Staatsbürger war, konnte ich früher weder der SdP [Sudetendeutsche Partei, KK] noch bis jetzt der NSDAP beitreten, habe jedoch nachweisbar für die Bewegung gearbeitet.« Der SS-Obergruppenführer und Gauleiter Konrad Henlein ordnete am 12. Februar 1942 die »bevorzugte Bearbeitung« des Antrags an: BArch R 9361 II/547015 (o.J.). In einem Schreiben der Kanzlei des Gauleiters (09. Februar 1942), verfasst von Richard Lammel, an die Universität Prag – bezüglich Köhlers Berufungsverfahrens zur Professur – wird die »nominelle« ungarische Staatsbürgerschaft als Grund für seinen späten Antrag angegeben. Seit Oktober 1941 sei er jedoch, entsprechend seiner »Abstammung«, eingebürgert. Des Weiteren heißt es: »Herr Köhler hat jedoch seit 1934 in Prag als politischer Zeichner für die Presse der sudetendeutschen Partei Konrad Henleins gearbeitet und stand in der ersten Reihe der sudetendeutschen Künstler, die sich von Anfang an der Bewegung zur Verfügung stellten. Der Parteileitung lag aus gewissen Gründen an der Anonymität des Künstlers, der seine politischen Zeichnungen und Karikaturen unter dem Namen Erik [Hervorhebung im Original, KK] veröffentlichte und unter diesem Namen zur Zeit für führende Blätter des Reiches propagandistisch arbeitet. Die politische Zuverlässigkeit des Herrn Köhler steht ausser Zweifel und seine Aufnahme in die NSDAP wurde durchaus befürwortet«: BArch R 31/402 (o.J.). Am 16. März 1942 wird intern der Eintritt in die NSDAP zum 01. Januar 1942 vermerkt: BArch R 9361 II/547015 (o.J.).

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an Erhard-Vertrauten gehörte, die seine politische Arbeit publizistisch begleiteten bzw. für ihn Propaganda machten.141 Auch Köhler dürfte enge Kontakte zu Erhard gehabt haben, denn im Buch Wohlstand für alle sind größtenteils Erhard-Karikaturen von Köhler abgebildet, die Erhard als großen ideellen Kämpfer zeichnen.142 In diesem Sinne ist ebenfalls die vorliegende Karikatur zu interpretieren. Sie wurde einen Tag vor dem zehnjährigen Jubiläum der Währungsreform veröffentlicht und würdigt Erhards politische Leistung, die den kleinen Michel und das Mädchen wohlgenährt gemacht hätten. Die dritte Aufgabe fordert zur Bewertung der Aussage des Zeichners auf. Allerdings bietet Das waren Zeiten 3 ausschließlich die Erfolgsgeschichte der Politik von Erhard; im Lösungsband steht zur zweiten Aufgabe Folgendes: »Marshall-Plan, Währungsreform und die Politik der Sozialen Marktwirtschaft von Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard ermöglichten seit Anfang der 1950er-Jahre eine anhaltend positive Entwicklung der deutschen Konjunktur.«143 Die Schüler*innen können die Karikatur nicht »bewerten«, da ihnen alle wichtigen Gegenargumente zur Erfolgsgeschichte von Erhard und der Währungsreform vorenthalten werden. Insgesamt ist das Fazit ernüchternd. Die Schulbücher für Hessen und Thüringen widmen der Bearbeitung der Karikatur mitsamt umfangreichen didaktischen Hinweisen eine gesamte Schulbuchseite, um den Gründungsmythos der BRD nacherzählen zu lassen. Diese Seite steht symbolisch für ein Problem der Schulbücher und der Schule allgemein. Hier trifft eine Diagnose von Steinbach zu, der die Verwendung von Karikaturen als »ideologische Reduktion« in »neuen medialen Gewändern« kritisiert.144 Ein Abschnitt mit der Überschrift »Nach sowjetischem Vorbild: Die DDR« thematisiert u.a. die Wirtschaft der DDR.145 Hier heißt es unter der Zwischenüberschrift »Aufbau des Sozialismus«: »Die Güterproduktion wurde von der Regierung zentral geplant und durch Fünfjahrespläne gelenkt. Dabei hatten die Konsumbedürfnisse der Menschen hinter dem Aufbau der Schwerindustrie [+], der chemischen Industrie und der Energiewirtschaft zurückzustehen. Folge des starren Systems waren ständige Engpässe in der Belieferung der Industrie (z.B. mit Ersatzteilen) sowie in der Versorgung der Bevölkerung mit Gütern des täglichen Lebens. Der Lebensstandard blieb trotz hoher Arbeitsleistungen deutlich niedriger als in der Bundesrepublik.« Folglich codiere ich die Planwirtschaft Doppelplus (++). Im weiteren Verlauf wird auf die Verstaatlichung und vor allem die Kollektivierung der Landwirtschaft eingegangen, die zur »schlechten Versorgung« (+) beigetragen hätten. Erstaunlicherweise werden die Reparationen und Demontagen, die laut Das waren Zeiten 3 (in der Ausgabe Thüringen) die Industrieproduktion um 40 Prozent minderten, nicht in die Beurteilung einbezogen. Deshalb codiere ich sie im Analyseschema mit Fragezeichen (?). An dieser Stelle befinden sich keine Übungsaufgaben zur DDR-Wirtschaft. Das waren Zeiten 3 weist zu-

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Hentschel (1998), S. 572f.; Mierzejewski (2005), S. 272. Erhard/Langer (1957), S. 136, 240, 260, 299. Brückner/Focke (2016b); Brückner/Focke (2016a). Steinbach (2006), S. 220. Brückner/Focke (2014), S. 218; Brückner/Focke (2015), S. 212.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

dem auf einen Videoclip mit dem Titel »Die Wirtschaft in der Frühphase der DDR« hin.146 Die Thesen des Filmes werden nicht für das Analyseraster berücksichtigt. Im weiteren Verlauf der Schulbücher erheben zwei Doppelseiten mit dem Titel »Zwei deutsche Konsumgesellschaften« den Anspruch, die ökonomischen Systeme zu vergleichen.147 Allerdings beziehen sich die meisten Materialien auf die wirtschaftlichen Prozesse der 1970er und 1980er Jahre. Die Seiten beginnen mit dem Abschnitt »Gegensätzliche Wirtschaftssysteme«, in dem es heißt: »Beide deutsche Staaten waren fortgeschrittene Konsumgesellschaften, in denen das jahrzehntelange Wachstum der Industrie einen hohen Wohlstand ermöglichte. Dabei erwies sich die marktwirtschaftliche Bundesrepublik der planwirtschaftlichen DDR als klar überlegen.« Als Vergleichsmaßstab dient die Autoindustrie. Hierfür stellt Das waren Zeiten 3 jeweils eine Fotografie des VW1300 und des Trabant P60 zur Verfügung. Die Bildunterschrift weist auf die stetige Weiterentwicklung des Volkswagens hin; demgegenüber sei der Trabant von 1950 bis 1990 »kaum verändert« worden. Für den Kauf eines VWs hätte es Ende der sechziger Jahre fünf Monatsgehälter gebraucht, für einen Trabant in etwa ein Jahresgehalt. Jedoch fehlt die Angabe des Jahres. Die Quellen haben an dieser Stelle eine illustrative Funktion für die Aussage des Darstellungstextes. Tatsächlich ist der Vergleich der Autoindustrie sinnvoll (siehe Seite 170). Dabei können die schlechten Ausgangsbedingungen der DDR aufgrund von Demontage veranschaulicht werden. Demgegenüber profitierte die BRD von der NaziRüstungsproduktion in Wolfsburg mitsamt der nicht erfolgten Demontage. Durch die Exporte verfügte die BRD über größere Investitionsmittel zur Modernisierung der Industrie mit westlicher Hochtechnologie. Der DDR fehlten durch die Reparationen erstens Investitionsmittel und zweitens konnten wichtige technologische Erzeugnisse aufgrund der Boykott-Bestimmungen nicht erworben werden. Außerdem bietet Das waren Zeiten 3 die Konjunkturdaten zur wirtschaftlichen Entwicklung der BRD; entsprechende Zahlen zur DDR sind nicht vorhanden.

6.2.2 Geschichte entdecken Unter der Doppelseiten-Überschrift »Welche Wirtschaftsordnung schafft Wohlstand?« beschreiben Geschichte entdecken 3148 und Geschichte entdecken 4149 zunächst die Planwirt-

146 Das Video ist eine Ko-Produktion von Buchner und history-vision. Es beginnt mit der Hervorhebung der Bedeutung des ERP für die Westwirtschaft. Demgegenüber habe die Ostwirtschaft an den umfangreichen Demontagen und Reparationen gelitten. Das Video beschreibt die Struktureingriffe Bodenreform, LPG, VEBs sowie die Einführung der Planwirtschaft mit der Gründung der DDR. Im ersten Fünfjahresplan – so der Film – sei die Schwerindustrie überstürzt ausgebaut worden. Insgesamt führt das Video die Versorgungsengpässe auf das starre System der Planwirtschaft zurück. In den sechziger Jahren hätten sich die Lebensumstände der Menschen gebessert: C.C. Buchner (2018). 147 Brückner/Focke (2014), S. 262ff.; Brückner/Focke (2015), S. 258ff. 148 Bühler (2015). 149 Bühler (2014).

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schaft der UdSSR.150 In dieser habe es kein Privateigentum und den Anspruch, die Menschen nach der Arbeitszeit – aber möglichst gleich – zu bezahlen, gegeben. Geschichte entdecken fokussiert ausschließlich die Wirtschaftsordnung; deshalb wird die Planwirtschaft Doppelplus (++) codiert. Weiterhin erwähnen die Schulbücher in einem anderen Abschnitt die Bodenform, die Enteignungen der Betriebe und die Demontagen; die ökonomische Bewertung dieser Maßnahmen ist jedoch nicht eindeutig (Codierung = ?).151 Im Westen herrsche dagegen die Marktwirtschaft, in der Unternehmer frei handeln könnten und die Konkurrenz am Markt entscheide. Der Abschnitt mit der Zwischenüberschrift »Soziale Marktwirtschaft [++] in der BRD« beschreibt die Nachkriegswirtschaft: »In der Bundesrepublik gab es ab 1951 einen rasanten Wirtschaftsaufschwung. Er war kein ›Wirtschaftswunder‹ [- -], wie er genannt wurde. Gründe für ihn waren, dass die Allierten [sic!] und die deutsche Regierung die Wirtschaftsbetriebe förderten, die Gewerkschaften nur maßvolle Löhne forderten [+] und die Menschen etwas leisten wollten [+].« Im weiteren Verlauf werden nochmals die »Soziale Marktwirtschaft«, die Arbeitskräfte aus der DDR (+) sowie die »Gastarbeiter« (+) genannt. Die Wirtschaft der DDR charakterisiert Geschichte entdecken mit der Arbeitslosenquote »null Prozent«; dem »niedrigeren Lebensstandard«; dem Fehlen von Kaffee, Schokolade und Bananen; den Warteschlangen vor den Geschäften. Außerdem verweisen die Schulbücher auf den Videoclip »Die Wirtschaft in der Frühphase der DDR« (siehe Seite 187). Außerdem beinhalten die Schulbücher zwei Quellen und drei Statistiken. Die Quelle Q1 besteht aus einer Zeichnung mit folgender Beschreibung: »Alternativer Blick auf das Wirtschaftswunder. Karikatur aus der DDR 1967«. Sie zeigt ein Flugzeug, das über einen See fliegt. Dabei schauen die Fluggäste aus den kleinen Fenstern und sehen vier Häuser mit Steg, auf denen jeweils »Meins, Seins, Ihms, Ihrs« steht. Eine Ente, die durch den See schwimmt, trägt eine Fahne auf dem Kopf mit der Aufschrift »Privat«. Weiterhin sind Schilder mit den Aufschriften »Privatweg, Privatwasser, Privatwiese, Privatberg« rund um den See aufgestellt. Den Bezug zum »Wirtschaftswunder« haben die Schulbuchautor*innen hinzugefügt; in der Publikation des Eulenspiegels, aus der die Karikatur entnommen wurde, befindet sich keine Kommentierung der Zeichnung. Hier kann allerdings der Name der Zeichners Louis Rauwolf ermittelt werden.152 Die Quelle Q2 mit dem Titel »Reichtum?« und der Bildunterschrift »Werbefoto aus der Bundesrepublik von 1958« zeigt eine elegant gekleidete Frau vor einem gefüllten, modernen Kühlschrank. Ein Arbeitsauftrag zu Q2 verlangt Folgendes: »Überlege, wie DDR-Bürger in den 1950er Jahren auf solch ein Foto reagiert haben.« Tatsächlich sieht

150 Bühler (2014), S. 134f.; Bühler (2015), S. 144f. Die Ausgaben sind nahezu identisch; in Geschichte entdecken 3 wurde lediglich ein Textteil entfernt, der sich in Geschichte entdecken 4 sowohl im DT als auch im Paratext befindet. 151 Bühler (2014), S. 130; Bühler (2015), S. 140. 152 Eulenspiegel Verlag (2009), S. 79.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

die CD-ROM des Lehrmaterials vor, das Bild kontrovers zu diskutieren: Eine mögliche Antwort lautet: »Für Menschen, die nicht den Sozialismus befürworten, könnte es darstellen, dass […] die Versorgung […] besser funktioniere als im eigenen Land.« Auch könne sie, so die Lösungs-CD, als Propaganda-Fotografie der BRD gedeutet werden, da ein Teil der Bevölkerung den Überfluss auf Kosten anderer genieße.153 Außerdem befinden sich auf der Doppelseite mehrere Tabellen zur wirtschaftlichen Entwicklung. Aus der Tabelle M1 können die Schüler*innen die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in der BRD von elf Prozent (1950) auf 1,3 Prozent (1960) ablesen. M2 stellt die Verfügung über die langlebigen Gebrauchsgüter PKW, Kühlschrank, Gefrierschrank, Fernsehgerät und Farbfernsehgerät in der BRD und in der DDR zwischen den Jahren 1962-1988 dar. Die Tabelle M3 zeigt den Schüler*innen das durchschnittliche Gehalt in Ost und West und die Preise von alltäglichen Gebrauchsgütern in Bezug auf das Jahr 1985. Zwei weitere Aufgabenstellungen beinhalten Interpretationsaufgaben. In der dritten Aufgabe sollen die Schüler*innen den Lebensstandard von BRD und DDR vergleichen, allerdings wird kein Referenzjahr angegeben.154 Bemerkenswert ist Aufgabe vier: »Die Soziale Marktwirtschaft – die bestmögliche Wirtschaftsform? Diskutiert. Nehmt dabei auch Bezug auf die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung.« Das Lösungsmaterial sieht Folgendes vor: »Der Vergleich zwischen Bundesrepublik Deutschland und Deutscher Demokratischer Republik sowie der Zusammenbruch des Kommunismus 1989 haben gezeigt, dass sich die Marktwirtschaft gegenüber der Planwirtschaft als das leistungsfähigere Wirtschaftssystem herausstellte. Allerdings zeigen die aktuellen Entwicklungen in (Süd-)Europa (hohe private Verschuldung, hohe Staatsverschuldung, hohe Arbeitslosigkeit), dass es auch in kapitalistischen, also marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaft [sic!] zu Wirtschaftskrisen kommen kann.« Der Gegenwartsbezug ist gelungen; das Schulbuch greift eine aktuelle Debatte auf. Allerdings bleibt fraglich, weshalb der Zusatz »Soziale« in der Aufgabenstellung steht, wenn der Lösungsband lediglich vom Kapitalismus oder der Marktwirtschaft spricht. Auf einer Seite weiter vorne im Schulbuch wird der »Marshallplan« thematisiert.155 Der DT unter der Zwischenüberschrift »Konfrontation« kann nahezu vollständig zitiert werden: »Da in Krisenzeiten der kapitalistischen Wirtschaft die Kommunisten vielfach an Zustimmung gewannen, wollte Truman zugleich die wirtschaftliche Lage Europas verbessern. Sein Außenminister George Marshall legte ein milliardenteures Hilfspro-

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Kohl/Bühler (2014). Im digitalen Lehrermaterial steht: »Sieht man einmal von den Fernsehgeräten ab, verfügten die Westdeutschen über deutlich mehr wichtige Gebrauchsgüter als die Menschen in der DDR: Mitte der 1960er-Jahre etwa besaßen drei- bis viermal so viele Westdeutsche wie DDR-Bürger ein Auto. Andererseits fällt auf, dass viele Güter des täglichen Bedarfes (Straßenbahnfahrt, Brot, Kartoffeln) sowie Mieten in der DDR deutlich günstiger waren als in der Bundesrepublik«: Kohl/Bühler (2014). Bühler (2014), S. 126f.; Bühler (2015), S. 132f.

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gramm auf, welches dem kriegszerstörten Europa beim Wiederaufbau helfen und der US-Wirtschaft einen zahlungskräftigen Absatzmarkt verschaffen sollte.« Außerdem beinhaltet das Buch die beiden Plakate »Freie Bahn dem Marshallplan« und »Hinaus!«, zu denen allerdings keine Aufgabenstellung vorliegt. Bemerkenswert ist der Hinweis unter dem Plakat »Hinaus!«, in dem Geschichte entdecken auf die Anordnung des Diktators Stalin verweist, den »Marshallplan« abzulehnen. In der dritten Aufgabe sollen die Schüler*innen erklären, weshalb die USA Westeuropa finanziell unterstützt haben. An den Schulbüchern von Geschichte entdecken fällt auf, dass sie keine Textquellen zur Wirtschaft beinhalten. Insgesamt weisen die Bücher von Geschichte entdecken eine geringe fachliche Triftigkeit auf. In den Lösungen zu den Arbeitsaufträgen schlagen die Schulbuchautor*innen allerdings verschiedene Bewertungen vor.

6.2.3 Buchners Kolleg Oberstufe NRW, Ausgabe N, Kompendium Geschichte Im nächsten Abschnitt werden verschiedene Schulbücher für die Oberstufe der Reihe Buchners Kolleg (Ausgabe NRW 156 , Ausgabe N 157 und Kompendium158 ) analysiert. Die Ausgangslage in den Westzonen beschreibt die Ausgabe NRW wie folgt: »Die Westmächte wollten die deutsche Bevölkerung zu Demokraten umerziehen und förderten den demokratischen und kapitalistischen Aufbau ›von unten‹.«159 Allerdings widerspricht dieser Darstellung die Verhinderung von Plebisziten bzw. die Blockade der Ausführung der Abstimmungsergebnisse zur Sozialisierung von Wirtschaftssektoren (siehe Seite 42). Außerdem betont das Schulbuch, dass vor allem Frankreich eine gemeinsame alliierte Wirtschaftspolitik blockiert habe – eine durchaus seltene Formulierung in deutschen Schulbüchern. Das Kompendium erklärt die Ausgangslage mit einer starken Idealisierung der amerikanischen Außenpolitik: »Die sowjetische Diktatur konnte nur überleben, wenn sie sich gegen die demokratischen Prinzipien der freien Wahlen, der Rechtsstaatlichkeit und der Freiheit des Einzelnen sowie der Marktwirtschaft abschirmte. Die USA dagegen konnten sich eine friedliche Welt ohne freie Märkte und freie Gesellschaftsordnungen nicht vorstellen.«160 Alle drei Schulbücher betonen eine wirtschaftliche Zäsur. Die Ausgabe NRW schreibt: »Anfang 1948 beschlossen in Frankfurt a.M. Vertreter aller Landtage der Westzonen eine Neuorientierung der westdeutschen Wirtschaft. Die Initiative ging von Ludwig Erhard aus, der für eine Soziale Marktwirtschaft warb.«161

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Langendorf (2015). Lanzinner/Schulte (2014a). Lanzinner (2016). Langendorf (2015), S. 317. Lanzinner (2016), S. 391. Langendorf (2015), S. 320.

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In der Ausgabe N und im Kompendium wird der Alleinkämpfer Erhard noch stärker hervorgehoben: »Anfang 1948 setzte der neu gewählte parteilose Wirtschaftsdirektor Ludwig Erhard im Frankfurter Wirtschaftsrat gegen den heftigen Widerstand der sozialdemokratischen Fraktion eine Neuorientierung der Wirtschaftsordnung im Sinne einer Sozialen Marktwirtschaft durch.«162 Die Ausgabe N und die Ausgabe NRW enthalten eine Kurzbiografie sowie die Ausgabe NRW zusätzlich eine Fotografie von Erhard. In allen Schulbüchern wird die »Soziale Marktwirtschaft« mit der liberalen Definition als »soziale Gerechtigkeit« durch eine »leistungsbezogene Wettbewerbsordnung« beschrieben. Für die Belebung des Marktes sei – so alle Schulbücher – eine Neuordnung des Geldes notwendig gewesen, die die USA durchgeführt hätten. Es werden die Kopfgelder von 40 Mark und 20 Mark, die Umstellung der Mieten, Löhne und Gehälter im Verhältnis von 1:1 sowie die Abwertung der Schulden im Verhältnis von 1:10 beschrieben. Die profitable Wertbestimmung der Unternehmen bleibt jedoch unerwähnt. Hinsichtlich der Bewertung der sozialen Ungerechtigkeiten im Kontext der Währungsreform unterscheiden sich die Schulbücher. In der Ausgabe N und dem Kompendium steht: »Sparer wurden mit einem Schlag nahezu enteignet, denn die Guthaben in Reichsmark konnten nur zu einem Bruchteil umgewandelt werden«; dagegen heißt es in der Ausgabe NRW: »Angespartes Guthaben wurde nur zu einem Bruchteil in DM umgewandelt.« Alle Schulbuchautor*innen sind sich einig, dass die Währungsreform eine große Aufbruchstimmung ausgelöst habe. Demnach seien die Waren in den freien Markt gekommen, die die Händler vorher gehortet hätten. Leider verweisen die Bücher nicht auf das Horten in den Fabriken. Bemerkenswert sind die unterschiedlichen Narrationen zum Beginn des Aufschwungs, die wie folgt lauten (in Klammern ist die jeweilige Ausgabe vermerkt): »Die dauerhafte Belebung der westdeutschen Wirtschaft begann in den 1950erJahren.« (Ausgabe NRW)   »Die Währungs- und Wirtschaftsreform setzte in kurzer Zeit ungeheure Kräfte frei, die zur baldigen wirtschaftlichen Erholung Westdeutschlands beitrugen.« (Kompendium)   »Unmittelbar nach der Währungsreform und der Umstellung auf die Soziale Marktwirtschaft blieb der erhoffte Aufschwung zunächst aus. Die Zahl der Arbeitslosen nahm sprunghaft zu. Steigenden Preisen versuchte Wirtschaftsminister Ludwig Erhard mit ›Preisregeln‹ gegenzusteuern. Auch in Erhards Partei, der CDU, wurde der Ruf nach stärkeren staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft immer lauter. Erst während des sogenannten ›Korea-Booms‹ wurden Kräfte freigesetzt, durch die sich Westdeutschland wirtschaftlich rasch erholen konnte.« (Ausgabe N) Besonders die Ausgabe N fällt auf, da wenige Schulbücher von der Krise im Verlauf des Jahres 1948 berichten. 162

Lanzinner/Schulte (2014a), S. 445; Lanzinner (2016), S. 403.

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Die Darstellungen des ERP in der Ausgabe N und im Kompendium sind nahezu identisch.163 Zunächst weist der Text auf die umfangreichen Mittel hin, die bereits vor dem ERP aus den USA nach Europa geflossen seien. Aufgrund des »wachsenden politischen Drucks der Sowjetunion« hätten die USA das ERP entworfen: »Der wegweisende und völlig neue Gedanke dieses Hilfsprogramms war die amerikanische Forderung nach zwischenstaatlicher Zusammenarbeit der Empfänger.« Hierfür sei, so das Schulbuch, die OEEC gegründet worden. Das Angebot hätte sich »formal« auch an die UdSSR gerichtet; diese habe jedoch abgelehnt und den Staaten des Ostblockes die Teilnahme untersagt. »Selbstverständlich« habe das ERP auch den USA genutzt. Außerdem beinhalten die Schulbücher die Plakate »Freie Bahn dem Marshallplan« und »Hinaus« (siehe Seite 147), zu denen allerdings weder Aufgabenstellungen noch Lösungen vorhanden sind.164 In der Ausgabe NRW wurde der Text grundlegend überarbeitet, viele Aussagen sind jedoch ähnlich geblieben.165 Die Ausgabe NRW schreibt zur ökonomischen Wirkung, dass »der Marshallplan« den »Wiederaufbau erheblich beschleunigt« habe. Trotz der ausführlichen Darstellung in den drei Schulbüchern codiere ich das ERP lediglich Plus (+), da es bei der Auflistung der Argumente zum »Wirtschaftswunder« nicht auftaucht. Der Titel des Abschnittes »Das bundesdeutsche ›Wirtschaftswunder‹«, der in der Ausgabe N und der Ausgabe NRW fast identisch ist, zeigt die Perspektive auf den Aufschwung als westdeutsches Phänomen.166 Es heißt weiterhin: »Als geistiger Vater und Repräsentant des ›Wirtschaftswunders‹ galt Wirtschaftsminister Ludwig Erhard. Der Erfolg seines Konzepts der ›Sozialen Marktwirtschaft‹ [++] war spätestens 1952 unübersehbar«. Im Kompendium lautet der Textteil: »Populäres Symbol des ›Wirtschaftswunders‹ war Wirtschaftsminister Ludwig Erhard. Die Erfolge seines Konzeptes der ›Sozialen Marktwirtschaft‹ [++] waren spätestens 1952 unübersehbar.«167 Außerdem werden die Leitsätze-Gesetzte und die Währungsreform im Kompendium mit Doppelplus (++) codiert. Im weiteren Verlauf stimmen die drei Bände – bis auf Veränderungen durch das Lektorat – inhaltlich überein. Die Schulbücher führen eine lange Liste von Faktoren auf, von denen »die Entwicklung profitierte«, die ich allesamt mit Plus (+) codiere. Darin argumentieren sie mit: »[Q]ualifizierten und motivierten Arbeitskräften«; geringeren Kriegsschäden als erwartet; »bewusst zurückhaltender Tarifpolitik der Gewerkschaften«; hoher Nachfrage; staatlicher Verwaltung in Engpasssektoren; »Einfuhr moderner Technologie«; Korea-Boom; ›harter‹ DM durch die »unabhängige Bundesbank«; EWG. Für die Ausgabe N summiert sich die Codierung zum Korea-Boom auf Doppelplus (++). Der letzte Aspekt lautet: »Nicht zu unterschätzen ist die damalige Grundstimmung in der Bevölkerung, bei der Zukunftsvertrauen, Überlebenswille und die Sehnsucht nach Normalität vorherrschten.« Für die »harte« Währungspolitik der »unabhängigen Bundesbank« gibt es keine Codierung; das Argument verwundert insgesamt, da die DM in der Zeit von Bretton 163 164 165 166 167

Lanzinner/Schulte (2014a), S. 444f.; Lanzinner (2016), S. 402. Buchner Verlag (2018). Langendorf (2015), S. 319f. Langendorf (2015), S. 328f.; Lanzinner/Schulte (2014a), S. 455. Lanzinner (2016), S. 424f.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

Woods permanent unterbewertet, also zu billig für ihren eigentlichen Kurs, war. Stattdessen stimmte der Zentralbankrat bis 1968 stets gegen eine Aufwertung der DM. Laut Carl-Ludwig Holtfrerich ist die relative Geldwertstabilität auf die Politik der Tarifparteien und bis 1957 auf die Politik der Bundesregierung (Aufbau des »Juliusturms«) zurückzuführen. Des Weiteren weist er (durchaus wohlwollend) darauf hin, dass die Bundesbank – entgegen ihrer heutigen Positionen – ihre Aufgabe nicht nur in der Geldwertstabilität, sondern ebenfalls in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gesehen hätte.168 Demnach scheint an dieser Stelle des Schulbuchs eine liberal-monetaristische WunschRückprojektion durch. Insgesamt führen die Formulierungen bezüglich Erhard und des »deutschen Wirtschaftswunders« zu einer eigenartigen narrativen Mixtur, wobei dies nicht für alle drei Schulbücher im gleichen Maße gilt. Das Kompendium fokussiert sich auf das traditionelle »Wirtschaftswunder«-Narrativ mit der Befreiung des Marktes durch Erhard, das lediglich durch einige Faktoren ergänzt wird. Obwohl diese Erzählung die geringste fachliche Triftigkeit hat, wird zumindest eine inhaltliche Stringenz deutlich. In der Ausgabe N und der Ausgabe NRW entstehen dagegen Widersprüche, da sie wirtschaftshistorische Erkenntnisse berücksichtigen, aber anscheinend nicht auf »Ludwig Erhards ›Soziale Marktwirtschaft‹« verzichten wollen. Eine andere mögliche Erklärung wäre der Zeitdruck und die Unterfinanzierung bei der Schulbuch-Überarbeitung (siehe Seite 332). Auf den Seiten zum »Wirtschaftswunder« ist jeweils eine Quelle zu Erhard vorhanden. In der Ausgabe N und der Ausgabe NRW finden die Schüler*innen ein Plakat mit einem gezeichneten Kopf des Wirtschaftsministers und der Aufschrift »ERHARD hält, was er verspricht [Absatz] Wohlstand für alle durch die [Absatz] SOZIALE MARKTWIRTSCHAFT«. Die Bildbeschreibung datiert das Plakat auf den Bundestagswahlkampf 1957, in dem »die CDU [auf] Erfolge des Wirtschaftsministers«, der als »›Vater des Wirtschaftswunders‹ galt«, gesetzt habe.169 Hierzu sind kritische Anmerkungen notwendig. Erstens wurde das Plakat nicht von der CDU konzipiert – nicht zufällig fehlen die Parteikürzel. Zweitens setzte die CDU im Wahlkampf von 1957 nicht auf Erhard, sondern auf Adenauer und den Slogan »Keine Experimente«.170 Es handelt sich, nach Text und Layout, eindeutig um ein Plakat von Die Waage.171 In der Ausgabe N verweisen die Schulbuchautor*innen auf weitere Informationen zur »Sozialen Marktwirtschaft« auf der beiliegenden CD-ROM. Die Inhalte sind identisch mit der CD-ROM der Materialien des Kompendiums.172 Dort finden die Schüler*innen einen Text von Müller-Armack.173 Begründet wird die Verwendung des Textes von 1948 mit dem Hinweis, dass der Autor der »Vater der Sozialen Marktwirtschaft« sei. In dem Textauszug betont Müller-Armack – ganz der These von Hayek folgend – die Notwendigkeit, sich entweder für die Marktwirtschaft oder die Wirtschaftslenkung entscheiden zu müssen. Die Marktwirtschaft sei sozial, da sie durch die »höhere Güter168 Holtfrerich (1998), S. 428ff. 169 Auch im Haus der Geschichte wird das Plakat auf diese Weise interpretiert: Haus der Geschichte (2018). 170 Kitzinger/Kitzinger (1960), S. 46ff., 66ff. 171 Schindelbeck/Ilgen (1999), S. 142ff. 172 Hein-Mooren/Lanzinner (2010), S. 149. 173 Dennis/Steinert (2005), S. 208f.

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menge« und die niedrigeren Preise die Kaufkraft der Löhne erhöhe. Dennoch müsse es einige soziale Maßnahmen geben. Im Folgenden listet er elf Punkte auf, die diese Maßnahmen »umreißen« würden: »soziale Betriebsordnung […]; Wettbewerbsordnung […]; Antimonopolpolitik […]; konjunkturpolitische Beschäftigungspolitik […]; Einkommensausgleich […]; Siedlungspolitik und sozialer Wohnungsbau; Einbau [sic!] genossenschaftlicher Selbsthilfe […]; Ausbau der Sozialversicherung; Städteplanung; Minimallöhne […]; Sicherung der Einzellöhne durch Tarifverhandlungen […].« Der Text wurde aus der Quellensammlung Deutschland 1945-1990 übernommen; diese Publikation verweist in der Provenienzangabe auf den Quellenband Die zweite Republik. Allerdings fanden hier bereits Kürzungen ohne entsprechende Auslassungszeichen statt.174 Der Originaltext von 1948 beinhaltet tagespolitische und deutschlandpolitische Forderungen, vor allem die möglichst umfassende Preisfreigabe bei der Währungsreform. Der kurze Abschnitt zur »Sozialen Marktwirtschaft« erscheint dabei nebensächlich. Als Quelle aus dem Jahr 1948 ist der Text durchaus interessant; als theoretischer Umriss für die »Soziale Marktwirtschaft« taugt er nicht. Auch der Politiker Müller-Armack kann mit dem Aufsatz nicht verstanden werden. Er verfolgte als Staatssekretär eine ordoliberale Politik und positionierte sich zumeist gegen sozialpolitische Gesetze, wie bspw. die Rentenreform.175 Dennis/Steinert formulieren ebenfalls die dreizeilige Vorstellung von MüllerArmack, die allerdings seine NSDAP-Mitgliedschaft von 1933-1945 nicht erwähnt; bei einem Text aus dem Jahr 1948 sollte dies obligatorisch sein. Die Beschreibung von Müller-Armack wurde von den Schulbuch-Autor*innen übernommen. Auf beiden CD-ROMs befinden sich drei Aufgabenstellungen zum Text von MüllerArmack, in denen zunächst die Merkmale von Planwirtschaft und Marktwirtschaft erfasst werden sollen. Die zweite Aufgabe verlangt die Wiedergabe von Müller-Armacks Positionierung zum Sozialen in der »›modernen‹ (= sozialen) Marktwirtschaft«. Als dritte Aufgabe folgt die »Bewertung«, ob die Ausführungen noch aktuell sind. Hierbei fällt die, im Vergleich zum DT, differierende Auffassung zur »Sozialen« bzw. »sozialen« Marktwirtschaft auf. Das Kompendium zeigt im Schülerband als Bildquelle eine Fotografie, auf der Erhard im Jahr 1959 hinter einer überdimensionalen Eine-Mark-Münze posiert. In der Bildunterschrift wird der Hinweis auf ein Werbebild mit dem »Vater des Wirtschaftswunders« gegeben. Eine dazugehörige Aufgabenstellung existiert nicht. Zudem befindet sich auf der CD-ROM eine Statistik zum Wohlstand der BRD und der anderen großen westlichen Industrieländer.176 Im langfristigen Vergleich (1913-1985) ist ein Abfallen des Wohlstands in Großbritannien und ein Angleichen des Wohlstands in Österreich und in Italien an die Länder mit dem höchsten BIP/Kopf (besonders die USA) sowie ein rasanter Aufstieg Japans zu erkennen. Die deutsche Wirtschaft fällt in langfristiger Perspektive nicht nennenswert auf. In der zweiten Aufgabe sollen die

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Löwenthal (1974), S. 144ff. Der gesamte Text befindet sich hier: Müller-Armack (1974), S. 98ff. Abelshauser/Kopper (2016), S. 44f. Hein-Mooren/Lanzinner (2010), S. 150.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

Schüler*innen die interessante Frage beurteilen, ob die Messung BIP/Kopf eine »geeignete Kategorie« sei. Informationen zu dieser Problemstellung finden sie aber nicht. Des Weiteren sind im Kompendium und in der beiliegenden CD-ROM der Ausgabe N zwei Grafiken zum Wirtschaftswachstum und zur Entwicklung der Arbeitslosigkeit im Zeitraum von 1950-1989 vorhanden.177 In den drei Schulbüchern folgt auf den Darstellungstext zum »Wirtschaftswunder« ein Abschnitt »Von der Arbeits- zur Konsumgesellschaft«.178 Zunächst wird der Anstieg der durchschnittlichen Arbeitszeit auf 49 Stunden pro Woche – bei einem Jahresurlaub von zwei bis drei Wochen – beschrieben. Erst im Jahre 1956 habe es den freien Samstag gegeben. Bis zum Ende der 1950er Jahre sei, so die Ausgabe N und die Ausgabe NRW, die Wochenarbeitszeit auf 44 Stunden gesunken. Außerdem beschreiben die Schulbücher die »Fress-, Kauf- und Reisewelle«. Insgesamt habe es bei den Einkommen und Vermögen keine »Angleichung« gegeben, da auch in der Mitte der 1960er Jahre 1,7 Prozent der Bevölkerung »74 % des Produktivvermögens (Unternehmen, Aktien)« besessen habe. Die Ausgabe N und die Ausgabe NRW beenden den Absatz mit einem Hinweis auf den »Stolz« der Bevölkerung, weil der »›Wohlstand für alle‹ Realität zu werden schien«. Einen Widerspruch sehen die Schulbücher darin nicht. Das Kompendium fügt einen Absatz hinzu, der die Mentalität der Menschen mit dem Verlangen nach bürgerlicher Normalität, dem fehlenden politischen Interesse und den materiellen Wünschen charakterisiert. Außerdem hätten die Menschen »viel und gerne gearbeitet«. In der Ausgabe N und der Ausgabe NRW wird zudem das bekannte Plakat des DGB mit der Forderung »Samstag gehört Vati mir« abgedruckt. Darauf hebt ein kleiner Junge warnend den Arm. In großen Buchstaben steht geschrieben: »1. MAI. Deutscher Gewerkschaftsbund«. Zwischen den soeben beschriebenen Abschnitten thematisiert die Ausgabe NRW – unter der Zwischenüberschrift »geglückte Integration« – die Bedeutung des Wirtschaftsaufschwungs für die Integration der »Flüchtlinge und Vertriebenen«. Hierfür wären vor allem der staatliche Wohnungsbau und das Lastenausgleichsgesetz wichtig gewesen. Der »Solidaritätsbeitrag (bis 2001: 74,3 Mrd. Euro)«, den die »Besitzenden« als »Vermögensabgabe« bezahlt hätten, habe den Einfluss der Vertriebenenverbände zurückgedrängt und die Demokratie gestärkt. In der beigefügten Grafik ist der Umfang des Lastenausgleichs von 1949-2003 mit 65,1 Mrd. Euro angegeben. Vermutlich kann die Differenz der Zahlen zwischen DT und Grafik damit erklärt werden, dass die Grafik den Posten »sonstige Leistungen« mit 0,8 Mrd. Euro angibt, obwohl sie bis Ende des Jahres 2004 – laut Bundesausgleichsamt – bei fast neun Mrd. Euro gelegen hätten.179 Insgesamt bekommt der Lastenausgleich, wenn auch die Kritik an den Vertriebenenverbänden nachvollziehbar ist, in der Ausgabe NRW eine zu große Bedeutung: Erstens ergab sich zwar über die Jahrzehnte ein großer Gesamtbetrag, betrachtet im historischen Kontext und der immens ungleich verteilten Betroffenheit vom Währungsschnitt kann die jährliche Vermögensabgabe von unter fünf Prozent jedoch als margi-

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Lanzinner (2016), S. 435. Langendorf (2015), S. 330; Lanzinner (2016), S. 425; Lanzinner/Schulte (2014a), S. 456. Bundesausgleichsamt (2014).

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nal gesehen werden (siehe Seite 183); den zwangsweisen »Solidaritätsbeitrag« leisteten vor allem die Sparguthaben. Zweitens ist der Terminus »Solidaritätsbeitrag«180 nicht angemessen; immerhin steckte hinter dem Lastenausgleich die Idee, dass nicht nur die Sparguthaben den Währungsschnitt bezahlen. Im weiteren Verlauf der Schulbücher Ausgabe NRW und Ausgabe N befindet sich ein fachwissenschaftlicher Text zur Konsumgesellschaft von Abelshauser. Ich habe diese Quelle bereits im Abschnitt zu Geschichte und Geschehen (siehe Seite 162) ausführlich besprochen und empfehle den Lesenden das Nachschlagen der Seiten.181 Geschichte und Geschehen kürzt sämtliche Hinweise auf Kontinuitäten von NS-Wirtschaft und BRDWirtschaft. In der Ausgabe N und der Ausgabe NRW wird eine weitere Stelle (bzgl. Fernsehen und Tourismus) hinzugefügt, die die Entwicklung seit den 1930er Jahren beschreibt. Die Autor*innen der Ausgabe NRW entfernen zudem den Satz, dass sich die »Hauptstützen der Konsumgesellschaft« im »Lebensgefühl der Massen« zu Recht auf das »Wirtschaftswunder« zurückführen lassen. Die Kürzung ist sinnvoll, lautet doch der folgende Satz: »Ihre Ansätze im ›NS-Wirtschaftswunder‹ der dreißiger Jahre sind indessen nicht ohne Bedeutung geblieben.« In der Ausgabe N steht weiterhin nur der erste Satz. In beiden Schulbüchern sollen die Schüler*innen in den Arbeitsaufträgen die »Kennzeichen der Konsumgesellschaft« und die »Folgen der ›Demokratisierung des Konsums‹« herausarbeiten.182 Die Lösungen sind nahezu deckungsgleich: »Kennzeichnend für die Konsumgesellschaft der 1950er-Jahre war zunächst einmal, dass sie alle Schichten umfasste. Auch untere Schichten konnten sich durch die steigenden Reallöhne Konsumgüter wie Fernseher, Kühlschränke oder Ähnliches leisten. Dies führte zu einer Nivellierung und Demokratisierung der Gesellschaft. […] Zunächst bedeutet die Demokratisierung des Konsums, dass alle am Konsum teilhaben konnten, was gesellschaftliche Spannungen verminderte. Es führte zu einem optimistischen Lebensgefühl. Jeder konnte anscheinend [in der Ausgabe N: »scheinbar«, KK] durch Leistung etwas erreichen und zu Eigentum kommen.«183 Außer der duktischen Spitzfindigkeit des Wortes »scheinbar« in der Ausgabe N fehlt in beiden Ausgaben eine Betrachtung der sozialen Ungerechtigkeiten, wie sie Abelshauser im Originaltext betont. Dass diese nicht vorgesehen ist, zeigen die inhaltlichen Ausführungen und der Term »Nivellierung«. Weiterhin weisen die Lösungs-CDs auf die Umweltprobleme hin, die durch den massenhaften Konsum entstanden sind. Die letzte Aufgabe lautet: »Beurteilen Sie aus heutiger Sicht das damalige Konsumverhalten.«184 In den Lösungsvorschlägen steht: »Die Menschen konsumierten scheinbar grenzenlos,

180 Langendorf (2015), S. 329. 181 Langendorf (2015), S. 336f.; Lanzinner/Schulte (2014a), S. 470. Allerdings haben die Schulbücher den Text aus der Wirtschaftsgeschichte und nicht aus dem Quellenband Die langen fünfziger Jahre, wie bei Geschichte und Geschehen, entnommen. Die Textabschnitte sind identisch: Abelshauser (2004), S. 336ff. 182 Langendorf (2015), S. 337; Lanzinner/Schulte (2014a), S. 471. 183 Lanzinner/Schulte (2014b); Langendorf/Bauer (2016). 184 Langendorf (2015), S. 337; Lanzinner/Schulte (2014a), S. 471.

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ohne an die langfristigen Folgen zu denken.« Seit den 1970er Jahren würden diese Probleme ernst genommen werden. Die Aufgaben stimmen weitestgehend mit Geschichte und Geschehen überein, gleichwohl es sich um zwei verschiedene Verlage handelt. Zudem befindet sich in der Ausgabe NRW ein bemerkenswerter Zeitungsartikel, der auf die schwierigen Lebensbedingungen und die harte Arbeit der Arbeitsmigrant*innen aus Südeuropa mit einer integrationspolitischen Perspektive eingeht.185 Das Schulbuch wählt für den Auszug aus der Wochenzeitung Der Spiegel aus dem Jahr 1970 den Titel »gekommen und geblieben«, welcher im Original – so auch die Provenienzangabe – »komm, komm, komm – geh, geh, geh« lautet.186 In diesem Artikel berichtet ein Autorenkollektiv187 über den griechischen Arbeiter Theodoros Soulidis, der seit 1958 in Hamburg arbeite und lebe. Laut des Auszugs in der Ausgabe NRW produziere er im Drei-Schicht-Betrieb mit einer Imprägniermaschine Tesakrepp und seine Familie wohne mit ihren zwei Kindern in einer feuchten Kellerwohnung. Deutsche Freunde hätten sie bisher nicht gefunden; zurück nach Griechenland könnten sie aus politischen Gründen nicht; und die vielen Wohnungsreparaturen würden Sparen unmöglich machen. Das Zwischenfazit ist kritisch: »Gastarbeiter sind in Deutschland keine Gäste. Sie bekommen nichts geschenkt, sie genießen keine Vorrechte, eingeladen sind sie nur zum Produktionsprozess […].« Im Folgenden beschreiben die Autoren, dass die meisten »Gastarbeiter« vermutlich in Deutschland bleiben würden und sich die Politik vor der Integrationsaufgabe drücke. Die »Gastarbeiter« seien »Novizen der Industriegesellschaft«, »die landläufig als primitiv gelten mögen«. Doch die Gesellschaft hindere sie daran, diesem »Kuli-Dasein« zu entfliehen: »Darauf zu warten, dass Integration irgendwie und irgendwann passiert, statt sie bewusst mit Partnern zu vollziehen, ist freilich nicht nur unsozial, sondern auch ökonomisch inkonsequent: Da die bundesdeutsche Geburtenquote rückläufig tendiert […] und die unselbstständige Erwerbsbevölkerung stagniert, fehlen heute schon qualifizierte Gastarbeiter.« Die Politik tue dagegen immer noch so, als würde die Beschäftigung von NichtDeutschen ein »vorübergehendes Phänomen« sein. In den Arbeitsaufträgen sollen die Schüler*innen die Lebensbedingungen in einer Karikatur »veranschaulichen«, die »Haltung der Bundesrepublik zur Integration der Ausländer herausarbeiten«, die Entwicklungshilfe durch Ausbildung »erläutern« und »de[n] Verfasser« des Textes auf seine Vorurteile prüfen. Für die letzte Aufgabe wird die Kategorisierung der »›Gastarbeiter‹ als eine Masse von Ungelernten am unteren Ende der Sozialskala« im Lösungsband als »Vorurteil« bezeichnet.188 Der Artikel im Spiegel zeigt jedoch deutlich, dass dies nicht nur ein Vorurteil, sondern bittere Realität war. Zugleich wird der Lösungsband dem Artikel nicht

185 Langendorf (2015), S. 337f. 186 Spiegel online (1970). 187 Die Autoren sind: Jürgen Bertram, Jörg R. Mettke, Wolfgang Bayer, Hans Werner Kilz, Gerd Kröncke, Ulrich Leisner, Dieter Uentzelmann und Michael Zick. 188 Langendorf/Bauer (2016).

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gerecht, da die Autoren alle möglichen Vorurteile aufgreifen, sie mit soziologischen Argumenten kritisieren und mit spöttischen Kommentaren versehen. Um den Rassismus gegenüber den Arbeitsmigrant*innen zu kritisieren, hätten die Schulbuchautor*innen eines der zahlreichen Beispiele des Zeitungsartikels verwenden können. Die Aufforderung zu einer kritischen Perspektive auf den Text verwundert vor allem deshalb, weil die heftigsten Anklagen entfernt wurden. Dennoch muss abschließend die Auswahl und die Zusammenstellung der Quelle gewürdigt werden, da die Ausgabe NRW von Buchner, wie kein zweites Schulbuch dieser Analyse, die schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeitsmigrant*innen thematisiert. Der Abschnitt zur Wirtschaft in der SBZ mit der Überschrift »Umgestaltung der ostdeutschen Wirtschaft« ist in zwei unterschiedlichen Konzeptionen vorhanden. In den Schulbüchern Kompendium und Ausgabe N wird mit einer gewagten These begonnen: »Bei der Umgestaltung der SBZ erwiesen sich die Demontagen in ihrer Wirkung schlimmer als die unmittelbaren Kriegszerstörungen.«189 Die Ausgabe NRW hingegen leitet wie folgt ein: »Da die Sowjetunion von allen Siegermächten die größten Kriegsschäden erlitten hatte, war sie stärker an den Reparationsleistungen und den Demontagen kriegswichtiger Industrie interessiert als die westlichen Alliierten.«190 Alle Schulbücher beschreiben danach die Veränderungen der Eigentumsverhältnisse durch die Industriereform, bei der 9000 Firmen inklusive Banken und Versicherungen verstaatlicht worden seien. Das Kompendium und die Ausgabe N fügen kritisch hinzu: »Die ehemaligen Besitzer wurden pauschal als Nazis und Kriegsverbrecher abqualifiziert.« An dieser Stelle sollte eine Begründung erfolgen. Durch die Zwangsarbeit hatten sich tatsächlich viele Unternehmen sowie deren Besitzer*innen der Kriegsverbrechen schuldig gemacht. Alle Ausgaben berichten über den Volksentscheid in Sachsen, bei dem es 77 Prozent Jastimmen (Kompendium und Ausgabe N) und 67 Prozent Jastimmen (Ausgabe NRW) gegeben habe; richtig sind 78 Prozent. Im selben Abschnitt erklären die Schulbücher die Bodenreform, die auf sowjetischen Befehl erfolgt sei. Hierbei seien – unter der Parole »Junkerland in Bauernhand« – 7000 Großgrundbesitzer enteignet und deren Land verteilt worden. Die Ausgabe NRW ergänzt die Zustimmung aller Parteien zu dieser Maßnahme. Im letzten Satz des Abschnitts hat sich in der Ausgabe N und in der Ausgabe NRW vermutlich ein Fehler eingeschlichen. Dort heißt es: »Auf die Umverteilung folgte die Kollektivierung: Die Bauern schlossen sich auf staatlichen Druck hin seit 1952 in ›Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften‹ (LPG) [Hervorhebung im Original, KK] zusammen, wobei die meisten Höfe so wenig Land zugewiesen bekamen, dass keine funktionsfähigen Betriebe entstehen konnten [+].« Vermutlich möchten die Autoren*innen darauf hinweisen, dass viele Betriebe bei der Bodenreform in zu kleine Einheiten eingeteilt worden seien. Skurril wird der Satz im Kompendium:

189 Lanzinner (2016), S. 401; Lanzinner/Schulte (2014a), S. 444. 190 Langendorf (2015), S. 318f.

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»Im Zuge einer mit staatlichem Druck betriebenen Kollektivierung schlossen sich diese Bauern seit 1952 in Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) zusammen. Gegen den Widerstand von CDU und LDPD hatten die meisten Höfe so wenig Land zugewiesen bekommen, dass keine funktionsfähigen Familienbetriebe entstehen konnten [+].« Es ist unverständlich, ob hiermit Widerstand gegen die Bodenreform, gegen die Kollektivierung oder die Forderung nach mehr Land für die Bauern gemeint sein soll. Die Schulbücher unterscheiden sich auch in den Bildquellen zur SBZ-Wirtschaft. In der Ausgabe N finden die Schüler*innen eine Fotografie des Hauses der SED in Leipzig, auf dessen gesamter Fassade der folgende Spruch angebracht ist: »AUF ZUM VOLKSENTSCHEID! Betriebe der Kriegs- und Naziverbrecher in die Hand des Volkes [Absatz] Für die Sicherung des Friedens [Absatz] Für die Bestrafung der Kriegsschuldigen [Absatz] Jeder gibt sein JA zum Volksentscheid [Absatz] Zum Wohle unseres Volkes«.191 Aus der Bildbeschreibung können die Schüler*innen die Einordnung als »Propaganda für den Volksentscheid« und das Ergebnis von »Zwei Drittel« Jastimmen entnehmen; dieser Wert steht im Widerspruch zur folgenden Seite, auf der das korrekte Ergebnis von »über 77 Prozent« Jastimmen steht. Außerdem beinhaltet die Ausgabe N das »Propagandaplakat für die Bodenreform, 1945« mit dem Titel »Junkerland in Bauernhand«, das im Vordergrund einen Bauern, der gerade die Samen aussät, und im Hintergrund eine ländliche Idylle zeigt.192 Im Kompendium finden die Schüler*innen die Fotografie von der Aufteilung des Gutes Kränzlin in der Nähe von Neuruppin (siehe Seite 178).193 Das Schulbuch für NRW enthält ein anderes Plakat mit der Aufschrift »Junkerland wird Bauernland«, bei dem eine große rote Faust (ca. ein Viertel des Plakates) auf einem Feld aufliegt.194 Aus der Richtung des Armes, der nicht im Bild ist, fliegen gelbe (Königs-)Kronen als Symbolisierung des Adels davon. Unter dem Bild steht: »In der SBZ sollte eine Bodenreform die ehemaligen Nationalsozialisten bestrafen und die Versorgung der Bürger sicherstellen. […] Erklären Sie, wer Junker sind und weshalb sich die Parole der Bodenreform gerade gegen sie richtete.« Den Begriff »Junker« können die Schüler*innen durch den DT erklären, da diese hier als Großgrundbesitzer bezeichnet werden. Im digitalen Lösungsband wird zusätzlich die zentrale Rolle der Großgrundbesitzer für den Nationalsozialismus hervorgehoben.195 Die Ausgabe N und das Kompendium beinhalten übereinstimmende Texte zu den Reparationen in einem separaten Abschnitt mit Zwischenüberschrift196 – die Ausgabe NRW thematisiert die Reparationen nicht. Im ersten Satz schreiben die beiden Schulbücher über die Verständigung der Alliierten auf eine »drastische Absenkung« der Industrieproduktion. Die »Westmächte« hätten jedoch nur fünf Prozent der Kapazitäten im Ver191 192 193 194 195 196

Lanzinner/Schulte (2014a), S. 443. Lanzinner/Schulte (2014a), S. 444. Lanzinner (2016), S. 401. Langendorf (2015), S. 319. Langendorf/Bauer (2016). Lanzinner/Schulte (2014a), S. 439; Lanzinner (2016), S. 399.

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gleich zu 1936, die UdSSR jedoch ca. 30 Prozent der Kapazitäten mit einem Wert von ca. 14 Mrd. Dollar abgebaut und somit, so die Schulbücher, mehr als die ursprünglich geforderte Summe. Zum Konflikt um die Reparationslieferungen heißt es:   »Die Sowjetunion weigerte sich bald, die in Potsdam vereinbarten Gegenleistungen aus ihrer Zone (vor allem Nahrungsmittel) für ihren Anteil an den in den Westzonen demontierten Industrieausrüstungen zu liefern. Im Mai 1946 stoppte deshalb General Clay die amerikanischen Reparationslieferungen in die UdSSR.« Diese Interpretation ist nichtzutreffend; Clay stoppte die Reparationszahlungen, weil die US-Regierung erstens kein Interesse mehr daran hatte, diese zu zahlen und zweitens, um Frankreich unter Druck zu setzen (siehe Seite 63). Das Kompendium beinhaltet zusätzlich einen umfangreichen Quellenauszug des Potsdamer Abkommens, in dem die »Wirtschaftlichen Grundsätze« und die »Reparationen« mit allen wichtigen Teilen dargestellt werden.197 Hierzu sollen die Schüler*innen unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten finden, »ihre Meinung [zu den Interpretationen] begründen« sowie Widersprüche zwischen den politischen und wirtschaftlichen Übereinkünften »herausarbeiten«. In den Lösungsskizzen fehlt die Aufgabe. Im nächsten Kapitel des Buches befindet sich der Abschnitt »Planmäßiger Aufbau des Sozialismus« (Ausgabe N und Kompendium, Codierung = ++) bzw. »›Soziale Revolution‹ von oben« (Ausgabe NRW), die allerdings inhaltlich nahezu übereinstimmen.198 Demnach seien die Bauern in die LPG »gezwungen«, die VEB »durch die Enteignung und politische Verfolgung der Mittelschichten« ausgebaut, die Schwerindustrie »ohne Rücksicht auf die Versorgung« (+) gefördert und das Militär auf Kosten der sozialen Einrichtungen »finanziert« worden. Im Folgenden unterscheiden sich die Bücher: Die Ausgabe NRW schreibt über die historische Mission der Abschaffung des Privateigentums im Sozialismus. Am Ende des Abschnitts heißt es: »Der ›Wohlfahrtsstaat DDR‹ hatte durchaus Erfolge aufzuweisen: Es gelang unter schwierigsten Startbedingungen, die Lebensverhältnisse der Menschen allmählich zu verbessern. Gleichzeitig wurden Einkommensunterschiede eingeebnet. Trotzdem fiel der Lebensstandard gerade im Vergleich zur Bundesrepublik immer weiter zurück.« Außerdem bietet die Ausgabe NRW ein Werbeplakat für den ersten Fünfjahresplan mit der Aufschrift »Der Aufbau geht so schnell voran, daß keine Lüge folgen kann«. Auf dem Bild lässt sich im Hintergrund ein neuer Hochofen eines Stahlwerkes erkennen. Im Vordergrund mauern zwei Männer und eine Frau mit Freude ein neues Gebäude, welches zum gleichen Werksgelände gehört. Sie sind bereits beim ersten Stockwerk angekommen. Auf Bodenhöhe versuchen ein Mann in brauner Militäruniform und vier Männer in Herrenanzügen den Neubau mit einer Plane zu verdecken, die aus Flicken mit den Aufschriften »Lügen« und »Hetze« genäht wird. Aufgrund der Höhe des neuen

197 Lanzinner (2016), S. 414f. 198 Langendorf (2015), S. 340f.; Lanzinner (2016), S. 445; Lanzinner/Schulte (2014a), S. 477.

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Gebäudes sind sie sichtlich überfordert, die Plane anzubringen. In der Bildbeschreibung »Erfolge des ersten Fünfjahresplans« lesen die Schüler*innen vom darin artikulierten Anspruch einer Verdoppelung der Industrieproduktion von 1951 bis 1955, dessen Planziele »anders als bei späteren Plänen« erreicht und »zur Propaganda genutzt« worden seien. Dieselbe Bildbeschreibung steht in der Ausgabe N unter einer anderen Quelle, nämlich unter dem Plakat mit dem Titel »Bauten des Fünfjahresplanes«.199 Auch wird die Bildbeschreibung um weiteren Text ergänzt, der auf die »6000 Tonnen Schmiedepresse im Stahlwerk Gröditz [hinweist], die in vorbildlicher kollektiver Arbeit der Werktätigen des VEB Schwermaschinenbaus […] hergestellt wurde.« Das Bild zeigt eine riesige Maschine, aus deren Ofen – klein wirkende – Menschen ein sehr großes glühendes rechteckiges Stück Stahl ziehen. Dennoch bewertet die Ausgabe N, dieses Zitat befindet sich ebenfalls im Kompendium, den ersten Fünfjahresplan sehr negativ: »Zwar gelang es in einigen Industriezweigen, das Vorkriegsniveau wieder zu erreichen und zu übertreffen; dennoch fiel die DDR wegen der einseitigen Konzentration auf den Rüstungssektor und die Schwerindustrie sowie der starren Strukturen in den Betrieben immer wieder hinter die Produktionsvorgaben zurück.« Insgesamt wird die Planwirtschaft sowohl in der Ausgabe N als auch im Kompendium Doppelplus (++) codiert, wie bereits an der zitierten Überschrift deutlich wurde. Die Ausgabe NRW beschreibt die ökonomischen Probleme oftmals, ohne sie jedoch unter die Überschrift Planwirtschaft zu setzen. Folglich codiere ich in Ausgabe NRW die Planwirtschaft Plus (+). In der Ausgabe NRW befindet sich ein weiteres Plakat (aus dem Jahr 1956): Es zeigt eine große offene Handfläche mit einem Miniaturmodell einer modernen Industrieanlage, die in der Hand liegt, als wäre die Hand ein Tal. An den einzelnen Türmen der Fabrik wehen zwei kleine rote Flaggen und eine kleine Deutschland-Flagge. In der Mitte der Miniaturfabrik steht in der Anlage in weißen Buchstaben »VEB«. Über der Hand heißt es in kleinerer Schrift »30. Juni 1946 [Absatz] Enteignung der Kriegsverbrecher« und unter der Hand in großer Schrift: »30. Juni 1956 [Absatz] 10 Jahre in Volkes Hand«. Anhand dieses Plakats soll das Selbstverständnis der DDR herausgearbeitet werden. Es ist eine gelungene Aufgabe, die aber keine Kontroversen beinhaltet. Ebenfalls verweist das Schulbuch auf den Video-Clip »Die Wirtschaft in der Frühphase der DDR« (siehe Seite 187). In der Ausgabe N wird hingegen ein Plakat mit folgender Überschrift abgedruckt: »UNSER GEBURTSTAGSGESCHENK. Steigerung der Konsumgüterproduktion und Übererfüllung des Exportplans«.200 Das Plakat zeigt eine Hand, in deren Fläche zahlreiche bunte Konsumgüter liegen. Durch die Bildunterschrift erfahren die Schüler*innen den Bezug zum zehnten Jahrestag des Bestehens der DDR; eine Aufgabenstellung gibt es nicht.

199 Lanzinner/Schulte (2014a), S. 478. 200 Lanzinner/Schulte (2014a), S. 481.

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Alle drei Schulbücher beschreiben – in einem ähnlichen Abschnitt – die Stabilisierung der DDR-Wirtschaft.201 Demnach habe die UdSSR die Reparationsverpflichtung aufgehoben und die SED durch eine konsumfreundlichere Politik die politische Lage stabilisiert. Die Ausgabe NRW und die Ausgabe N ergänzen die Rückkehr von Technikern aus der UdSSR sowie die neue Ausrichtung der Wirtschaftspolitik auf Chemie, Aluminium, Metallverarbeitung und Hochseeschiffbau. Folgendes Resümee befindet sich in der Ausgabe N: »In den Fünfzigerjahren verzehnfachte sich die Ausstattung mit Waschmaschinen, doch gab es nur für sechs Prozent der Haushalte einen Kühlschrank und nur für drei Prozent ein eigenes Auto.« Alle Schulbücher betonen, dass Ulbricht diese Stabilisierung zum Ausbau des Sozialismus genutzt habe, indem die Bauern zur Kollektivierung »gezwungen« worden seien. Deshalb habe die Wirtschaft »stagniert«; daraus sei die massenhafte Abwanderung und der Bau der Mauer resultiert. Beim Lesen dieses Abschnittes irritiert die Darstellung, der zufolge die Bauern scheinbar zum zweiten Mal zur Kollektivierung gezwungen worden seien. In der Ausgabe NRW verbinden zwei Arbeitsaufträge die Flucht aus der DDR mit der wirtschaftlichen Entwicklung. Für die erste Aufgabe steht eine Grafik mit einem Balkendiagramm zur Verfügung, die die Migration sowohl von Ost nach West als auch von West nach Ost zwischen den Jahren 1949 bis 1990 darstellt.202 Allerdings weist die Grafik viele Fehler auf: Erstens beträgt die Anzahl der Menschen, die zwischen 1949 und 1961 aus der DDR in die BRD migrierten, nicht ca. 3,9 Mio. Menschen, sondern – laut Judt, auf den das Schulbuch hinsichtlich der Provenienz verweist – ca. 2,7 Mio. Menschen (nach westlichen Daten).203 Zweitens sind sämtliche Werte der jährlichen Fluchtzahlen zu hoch und die Balken demnach zu groß. Drittens werden die jährlichen Zahlen für die Migration von West nach Ost zu niedrig angegeben und die Balken im Verhältnis zu klein gezeichnet. Letzteres ist umso kurioser, da der Gesamtwert der »Zuzüge in die DDR« zwischen 1951 und 1961 von 622 767 Personen mit den Zahlen von Judt übereinstimmt. Die dazugehörige Aufgabe lautet: »Erläutern Sie die Folgen der Abwanderung für Staat, Gesellschaft und Wirtschaft der DDR.«204 Eine weitere Aufgabe befindet sich zwei Seiten weiter und hat folgenden Arbeitsauftrag: »Setzen Sie die wirtschaftliche Entwicklung und die Fluchtbewegung in Beziehung.«205 In der Grafik könnten die Schüler*innen erkennen, dass bspw. in den Jahren 1958/59 die Anzahl der Flüchtlinge drastisch zurückging. Im DT ist nachzulesen: »Mit einer konsumfreundlicheren Planwirtschaft als bislang erreichte die SED eine Konsolidierung des Regimes. Als unmittelbares Indiz ging die Zahl der Flüchtlinge in den Westen 1959 auf unter 150 000 zurück, den niedrigsten Stand seit Gründung der DDR.«206

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Lanzinner/Schulte (2014a), S. 480; Lanzinner (2016), S. 447; Langendorf (2015), S. 342f. Langendorf (2015), S. 343. Judt (1998), S. 545f. Langendorf (2015), S. 343. Langendorf (2015), S. 345. Langendorf (2015), S. 343.

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Zudem wäre eine Grafik des Nationaleinkommens der DDR sinnvoll, an der die Schüler*innen den Anstieg der Konjunktur in den Jahren 1958/59 ablesen könnten. Außerdem sollte Buchners Kolleg diese Thematik mit den aktuellen Migrationsbewegungen von Südeuropa nach Deutschland und von Afrika nach Europa verbinden. Im Geschichtsunterricht ist es oftmals schwierig, einen guten Gegenwartsbezug herzustellen; bei diesem Thema drängt er sich auf. Eine weitere bemerkenswerte Quelle befindet sich in der Ausgabe N. Hier berichtet Friedrich Schorn – »Rechnungsprüfer« und »Sprecher der Arbeiter, die sich gegen die SED-Herrschaft erheben« – über die Ereignisse des »17. Juni 1953« in Halle.207 Im Quellenauszug der Ausgabe N schildert Schorn, wie er an der Spitze des Demonstrationszuges nach Merseburg gelaufen sei. Während der Demonstration habe die »Malerkolonne« an den Leuna-Werken die »alten Parolen« entfernt und mit »unseren Freiheitslosungen bestrichen«. Schorn führt weiterhin aus: »Mehrfach wurden alle drei Strophen des Deutschlandliedes und Brüder zur Sonne zur Freiheit gesungen.« Ob von Letzterem nur die ersten drei Strophen von Hermann Scherchen oder ebenso die vierte Strophe aus der Zeit des Faschismus gesungen wurde, präzisiert er nicht. An den Buna-Werken, so Schorn, hatten 100 000 Menschen den »Freiheitslosungen«, die er nicht näher benennt, gegen die »SED-Tyrannei« zugejubelt. Er habe persönlich zur Disziplin aufgerufen, da die Menge ziemlich aktivistisch eingestellt gewesen sei. Die Buna-Streikleitung hätte dann 200 Personen losgeschickt, um gefangene Arbeiter zu befreien. Der Lösungsband interpretiert die Forderungen als: »Freiheit«; »Mitbestimmung«; »Schutz vor der Willkür und ›Tyrannei‹.« Weiterhin hätten die Aufständischen die Wiedervereinigung gefordert: »Durch das Singen des Deutschlandliedes, seit 1952 offizielle Nationalhymne der Bundesrepublik, forderten sie aber auch implizit die Wiedervereinigung mit dem westdeutschen Staat.«208 Anscheinend haben die Schulbuchautor*innen die Brisanz der Ausführungen nicht erkannt, denn Schorn spricht von allen drei Strophen des Deutschlandliedes. Eine Quellenkritik ist nicht vorgesehen. Bemerkenswert ist die Personalie, denn der Autor ist in der Geschichtswissenschaft bekannt. Friedrich Karl Schorn (geb. 16. September 1914) war Berufssoldat, seit 1933 NSDAP-Mitglied, später SS-Offizier und seit 1945 vier Jahre im Speziallager Buchenwald209 wegen »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« interniert.210 Nach der Haft und dem Aufstand im Juni 1953 migrierte er in 207 Lanzinner/Schulte (2014a), S. 491. 208 Lanzinner/Schulte (2014b). 209 Schorn war bei der SS-Panzerdivision »Hitlerjugend«: Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SEDDiktatur (2018). Diese Einheit beging ein Massaker an kanadischen Kriegsgefangenen in Frankreich: Lieb (2007), S. 158. 210 Eisenfeld u.a. (2004), S. 522ff. Insgesamt irritieren einige Interpretationen zur Rolle von Schorn. So ist sich Ilko-Sascha Kowalczuk sicher, dass Schorn am 17. Juni keine »faschistischen Forderungen« vertrat, sondern sich als »Sprachrohr« für »Demokratie und Wiedervereinigung« engagierte: Kowalczuk/Weber (2003), S. 203; Kowalczuk (2006), S. 76. Quellenbelege kann er hierfür nicht anführen. Demgegenüber kann das Singen der drei Strophen des »Deutschlandliedes« im Jahr 1953 sehr wohl als faschistische Meinung interpretiert werden. Kowalczuk betont mehrfach – entgegen der eigenen Darstellung von Schorn –, dass Schorn gemeinsam mit den anderen Teilnehmern nur die dritte Strophe des »Deutschlandliedes« gesungen habe: Kowalczuk/Weber (2003), S. 202; Kowalczuk (2006), S. 72f.

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die BRD und engagierte sich in den rechtsradikalen Gruppen »Komitee 17. Juni« und »Vereinigung 17. Juni 1953«. Sein gesamtes politisches Umfeld sowie Schorn standen in der späteren BRD, also zum Zeitpunkt der Verschriftlichung der Quelle, der NPD oder den Republikanern nahe.211 Vor wenigen Jahren ist seine Agententätigkeit für den Bundesnachrichtendienst (BND) bis zum Aufstand im Juni 1953 bekannt geworden. Der BND hat, so Ronny Heidenreich, die Zusammenarbeit quittiert, da Schorn als »sprunghaft und unausgeglichen« eingestuft worden sei.212 Ohne diese Informationen kann die Quelle im Schulbuch nicht interpretiert werden. Das Schulbuch hat den Text vermutlich von der Homepage 17. Juni 1953, einem Projekt der BpB und des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF) Potsdam übernommen.213 Auf dieser Webseite wird auf den Quellenband 17. Juni 1953. Arbeiteraufstand in der DDR (Erstauflage 1982) verwiesen.214 Für diese Publikation bot vermutlich die Veranstaltung und/oder das Protokoll der 41. Pressekonferenz der Arbeitsgemeinschaft 13. August vom 14. Juni 1978 im Checkpoint Charlie die Grundlage.215 Bereits dieses Protokoll erwähnt die Nazi-Vergangenheit von Schorn nicht. Laut dem Protokoll basiert der Text auf einem Interview von Rainer Hildebrandt mit Friedrich Schorn im Juli 1953. Dieses Interview ist nicht aufzufinden; es existiert aber ein langer Artikel mit identischen und abweichenden Textabschnitten in der Zeitschrift The New Yorker in der Ausgabe vom Oktober 1953. Auch befindet sich in der Oktoberausgabe 1953 der Zeitschrift Der Monat ein Textauszug – allerdings anonymisiert.216 Viele Abschnitte sind identisch mit dem Text von 1978; bei einigen Ereignissen widersprechen sie sich deutlich.217 Folglich muss der Text von 1978 nicht als Auszug eines Textes von 1953, sondern als neue Fassung gelesen werden. Zum Zeitpunkt der Pressekonferenz am Checkpoint Charlie und der Veröffentlichung des Textes war Schorn bekennender Rechtsextremist. Abschließend wird die »Zusammenfassung« vom Kompendium analysiert, in der die Schüler*innen in einer Aufgabe die »Grundideen der ›Sozialen Marktwirtschaft‹« und

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Eisenfeld u.a. (2004), S. 560ff. Heidenreich (2013), S. 73f. Bundeszentrale für Politische Bildung (2013). Spittmann/Fricke (1982), S. 118ff.; Spittmann/Fricke (1988), S. 140ff. Das Protokoll der Sitzung ist nicht veröffentlicht, es befindet sich unter der Signatur ZVN 701 in der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin. Leithäuser (1953), S. 54f. Die Zeitschrift Der Monat war eine antikommunistische Zeitung, die linksliberale Menschen für die Außenpolitik der USA gewinnen sollte. Sie wurde u.a. von der CIA finanziert: Gmehling (2010), S. 184ff. In der Fassung von 1978 erobert Schorn persönlich den Werkfunk mit dem Betriebsraum; im Bericht von 1953 übernimmt er bloß das aufgebaute Mikrofon im Hof. Die ausführliche Version von 1953 beinhaltet keine ängstlichen russischen Soldaten, die als undemokratisch kritisiert werden. Auch der russische Offizier, der die Streikenden anfeuert und sagt, dass sie in einem Jahr »in Rußland auch so weit« seien, existiert in der langen Version von 1953 nicht. Statt 70 000-80 000 Menschen sind im Bericht von 1978 100 000 Menschen in Merseburg. Außerdem befindet sich Schorn während der großen Kundgebung permanent auf dem Uhlandplatz, während ausgesuchte 200 Leute die Gefangenen befreien. In der Fassung von 1953 befreit Schorn persönlich die Gefangenen: Wechsberg (1953); Bundeszentrale für Politische Bildung (2013).

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die Verknüpfung mit dem politischen System »erläutern« sollen.218 In den Lösungsvorschlägen ist ein Bezug auf Müller-Armack vorgesehen. Die Ideen lauten: »Zur freien Entfaltung des Marktes (keine staatliche Festlegung von Produktion, Verteilung und Preise der Güter; Produktions- und Handelsfreiheit, Wettbewerbsfreiheit, Freiheit der Berufs- und Arbeitsplatzwahl, Freiheit der Nutzung des Eigentums) beschränkt sich der Staat darauf, den Ordnungsrahmen für die Wirtschaft vorzugeben (u.a. Verhinderung von Kartellen und anderen Konzentrationen wirtschaftlicher Macht; Sicherung der Geldwertstabilität durch unabhängige Zentralbank).«219 In einer weiteren Aufgabe soll zudem die Planwirtschaft und die »Wechselwirkungen« mit den politischen Entscheidungen »dargestellt« werden. Die Planwirtschaft wird wie folgt definiert: »Staatliche Planungsstellen bestimmen Produktion, Verteilung und Preise aller produzierten Güter; Abhängigkeit von sowjetischen Planvorgaben; politische und wirtschaftliche Zielvorstellungen sind zugrunde gelegt.«220 Eine theoretische Erklärung findet nicht statt. Außerdem erfolgt eine Zusammenfassung der wirtschaftlichen Entwicklung.

6.2.4 Buchners Kolleg Abitur Das Schulbuch Buchners Kolleg für das Abitur in Niedersachsen 2017 orientiert sich nahe am Thema »Deutsches Selbstverständnis nach 1945«, das der Rahmenlehrplan vorgibt. Folglich befindet sich hier lediglich eine kurze Textstelle zur Wirtschaft in Ost und West.221 Im Abschnitt zur BRD beginnt das Schulbuch mit einer kurzen Einführung über die Notwendigkeit und den Verlauf des Währungsschnitts, um anschließend die zentralen Aspekte des Aufschwungs zu benennen: »Die Währungsreform [++] und die 1948 von dem späteren Wirtschaftsminister Ludwig Erhard [++] mit Unterstützung der Amerikaner durchgesetzte Einführung der Sozialen Marktwirtschaft [++] [Hervorhebungen im Original, KK] schufen die Grundlagen für einen beispiellosen Wirtschaftsaufschwung, der für die Zeitgenossen einem ›Wirtschaftswunder‹ gleichkam.« Der weitere Text verweist anhand der »Fress-, Kauf- und Reisewelle« auf den wachsenden Wohlstand, aber auch auf die »bleibenden sozialen Unterschiede«. Mit der Einführung der »Sozialen Marktwirtschaft« dürfte das Schulbuch die Freigabe der Preise, also die Leitsätze-Gesetze, meinen. Allerdings sind sie nicht explizit erwähnt, weshalb die Leitsätze-Gesetze mit Fragezeichen (?) codiert werden. Zusätzlich zum DT bietet Buchners Kolleg die Fotografie der Jubiläumsfeier anlässlich des einmillionsten Volkswagens (siehe Seite 170). Der DT zur Nachkriegswirtschaft der DDR kann nahezu vollständig zitiert werden: 218 219 220 221

Lanzinner (2016), S. 474. Buchner Verlag (2018), S. 56. Buchner Verlag (2018), S. 58. Barbian (2015), S. 393ff. Die Kohärenz von DT und Quellenarbeit bezüglich der Bodenreform habe ich an anderer Stelle bereits kommentiert: Krüger (2017), S. 181f.

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»Die sowjetische Besatzungsmacht verzichtete nicht auf Reparationen und Demontage. Hunderte Industrieanlagen wurden in Ostdeutschland abgebaut. Die Einführung der sozialen Planwirtschaft [Hervorhebung im Original, KK], die Verstaatlichung der Industrie, die Kollektivierung der Landwirtschaft und Enteignung vieler kleiner Handels- und Handwerksbetriebe sowie die zentral von der Regierung geplante Güterproduktion – all diese von Moskau verordneten Maßnahmen lähmten die Wirtschaft.« Diese Argumente werden Doppelplus (++) codiert. An anderer Stelle verweist Buchners Kolleg auf den Volksentscheid in Sachsen, allerdings – wie auch in Buchners Ausgabe NRW – mit einem falschen Abstimmungsergebnis (67 Prozent anstatt 78 Prozent Jastimmen).222 Die These Arbeitskräfteabwanderung in den Westen ist mit Fragezeichen (?) codiert, da sie lediglich als Folge und nicht als Ursache der wirtschaftlichen Entwicklung eingeordnet wird. Zusätzlich finden die Schüler*innen eine Fotografie, auf der eine Warteschlange vor einem Lebensmittelgeschäft steht. In Buchners Kolleg formen die Bilder das Narrativ des Buches. VW und die Warteschlange würden demnach die Situation in Ost und West charakterisieren. Dass Buchners Kolleg in dieser Ausgabe keinerlei Aufgabenstellungen und Quellen zur Nachkriegswirtschaft bereitstellt, kann dem Schulbuch – aufgrund der Abiturvorgaben – nicht vorgeworfen werden. Folglich ist keine der Codierungen zur narrativen Triftigkeit erfüllt. Allerdings beinhaltet das Schulbuch eine Quelle von Herfried Münkler, in der er die westdeutschen Konsummythen benennt.223 Eben in jenem Band, aus dem der Auszug stammt, stellt Münkler die Erzählung des »Wirtschaftswunders«, die fast deckungsgleich (und unhinterfragt) in Buchners Kolleg abgedruckt ist, als den großen Gründungsmythos der BRD dar.224 Das Schulbuch setzt andere thematische Schwerpunkte und dennoch ist es kritikwürdig, wenn gerade ein Buch, das sich selbst die Dekonstruktion von Geschichtsbildern als Ziel gesetzt hat, den – laut Münkler – wichtigsten deutschen Mythos reproduziert. Außerdem beinhaltet Buchners Kolleg eine Methodenseite zur Karikatur-Analyse225 , deren verwendete Karikatur für die Wirtschaftsgeschichte eine gewisse Bedeutung hat und in anderen Schulbüchern an den wirtschaftshistorischen Teil angegliedert ist. Es handelt sich um die Karikatur »Zufrieden – ›Nicht wahr Michelchen – keine Experimente!‹« von Hanns Erich Köhler. Sie zeigt eine ältere Nonne, deren Gesicht dem Adenauers ähnelt. Das Adenauer-Double schiebt einen (Kinder-)Wagen, der die Form eines VW-Käfers hat. In dem Wagen liegt ein Baby mit einem Schnuller im Mund, in dessen Gesicht Erhards Züge hineininterpretiert werden können. Die Beschreibung in Buchners Kolleg sieht in dem Baby lediglich einen typischen Deutschen. Es hat einen Fernseher und einen Kühlschrank in Miniaturform im Arm. Außerdem befindet sich ein Geldsack mit der Aufschrift »DM« im Wagen. Zusätzlich ist ein Kanonenrohr am vorderen Teil des Wagens befestigt. Die Nonne steuert den Wagen in einen sehr dunkel gezeichneten

222 223 224 225

Barbian (2015), S. 389. Barbian (2015), S. 410f. Münkler (2009), S. 455ff. Barbian (2015), S. 402f.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

Teil, wohingegen der Rest des Bildes hell ist. Das Kanonenrohr, so Buchners Kolleg, stehe für den NATO-Beitritt und die Wiederbewaffnung. Auf dem anderen Teil der Doppelseite folgen ausführliche Informationen zur Karikatur. Didaktisch ist die Seite gut aufgebaut. Der Zeichner wird als wichtiger Karikaturist der »politisch eher konservativen« FAZ, in der die Zeichnung veröffentlicht worden sei, charakterisiert. Für die Veröffentlichung gibt Buchners Kolleg lediglich 1957 an. Dabei ist für die Interpretation wichtig, an welchem Tag das Bild gezeichnet wurde; schließlich haben Zeitungskarikaturen zumeist tagespolitischen Bezug. Danach wird die Karikatur beschrieben und der historische Kontext mit dem Wirtschaftsaufschwung und der Wiederbewaffnung dargestellt. Die Interpretation nimmt das Schulbuch wie folgt vor: »Der Karikaturist will dem Wähler einen Spiegel vorhalten und ihn daran erinnern, seine politische Verantwortung ernst zu nehmen. […] Der Karikaturist wendet sich nicht gegen Adenauers Politik, sondern das Desinteresse, mit dem sich die Deutschen ihre gerade erst zurückgewonnene politische Mündigkeit aus Bequemlichkeit abnehmen lassen.« Allerdings ist unklar, woher die Interpretation stammt und was es überhaupt bedeutet, dass die Wähler ihre Verantwortung wahrnehmen sollen.226 Ich würde die Karikatur anders deuten. Zunächst müssen einige Präzisierungen vorgenommen werden: Die Karikatur von Köhler erschien nicht in der FAZ, sondern am 24. August 1957 in der Deutschen Zeitung mit Wirtschaftszeitung227 , die kurze Zeit später vom Handelsblatt aufgekauft wurde. Sie galt ebenfalls als regierungsnah, allerdings war Köhler als Erhard-Anhänger228 durchaus kritisch gegenüber Adenauer eingestellt, wie zahlreiche Zeichnungen von Köhler belegen.229 Zusätzlich sollte das Schulbuch auf die NS-Vergangenheit (siehe Seite 185) von Köhler hinweisen. Außerdem wurde der Titel der Zeichnung verändert; er lautet nicht »Zufrieden«, sondern »Wahlparolen«. Dadurch wird deutlich, dass sich die Kritik eben nicht an die Menschen richtete, sondern an die Wahlparolen – also an Adenauer und seine Berater. Des Weiteren fehlt ein wichtiger Teil zur historischen Kontextualisierung: Wenige Monate vor Entstehung der Zeichnung entstand in Deutschland eine große Kontroverse um die Forderung von Adenauer nach atomarer Bewaffnung der BRD sowie seine Verharmlosung der Sprengköpfe als »Weiterentwicklung der Artillerie«.230 Bei der Analyse der Ausgaben der Deutschen Zeitung vom 24. August 1957 und den vorherigen Ausgaben vom 21. August, 17. August und 14. August finden sich einige Artikel, die die Form des Wahlkampfes, also die Parolen, kritisieren.231 Zusätzlich wurde der Wahlkampf der Op-

226 Sie könnte von Rosemarie Wildermuth entnommen sein, welche die Karikatur ähnlich interpretiert und keinen Bezug zur Kanone und der dunklen Zukunft herstellt: Wildermuth (1987), S. 231. 227 Köhler (1957). 228 Köhler/Mücke (1960), S. 6ff. 229 Freisburger (1955), S. 19, 49, 64, 68f.; Freisburger (1963), S. 42, 61, 75. 230 Kleßmann (1997), S. 70f. 231 Besonders: Deutsche Zeitung (1957a), S. 1.

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position als gescheitert erklärt, da diese es nicht geschafft habe, den Konflikt um die Atomwaffen oder die Wiederbewaffnung in den Wahlkampf zu tragen.232

6.3 Westermann 6.3.1 Anno, Horizonte 10 In den kommenden Abschnitten analysiere ich die Schulbücher des Verlags Westermann. Anscheinend führt dieser Verlag die Schulbuchreihe Anno nicht weiter, sondern veröffentlicht sie zukünftig als Horizonte. Deshalb sind die Schulbücher Anno 3233 , Anno 6234 und Horizonte 10235 sehr ähnlich und werden gemeinsam analysiert. Horizonte für die Qualifikationsphase unterscheidet sich deutlich von den genannten Ausgaben. Folglich wird es im nächsten Abschnitt gesondert besprochen. Anno 3 und Anno 6 haben keine separierten wirtschaftshistorischen Abschnitte.236 Horizonte 10 beinhaltet dagegen eine Doppelseite mit der Überschrift »Das ›Wirtschaftswunder‹ in der Bundesrepublik«. Die bedeutendste Stelle zur Westwirtschaft lautet: »Entscheidenden Anteil an der Akzeptanz der Parteien hatten aber die wirtschaftsund sozialpolitischen Weichenstellungen, die von der Bundesregierung in den Fünfzigerjahren getroffen wurden. Sie trugen wesentlich dazu bei, dass sich in Westdeutschland eine funktionierende Demokratie entfalten konnte.   Das ›Wirtschaftswunder‹   CDU/CSU bekannten sich zur Sozialen Marktwirtschaft, die Wirtschaftsminister Ludwig Erhard mit dem Motto ›Wohlstand für alle‹ propagierte.«237 Erhard wird zusätzlich durch eine Karikatur – auf die ich in Kürze ausführlicher eingehe – hervorgehoben, die seine angeblich zentrale Rolle für das »Wirtschaftswunder« betont. Somit sind Erhard und die »Soziale Marktwirtschaft« Doppelplus (++) codiert. Weiterhin schreiben alle drei Ausgaben: »Der Krieg hatte viele Industrieanlagen zerstört [+], andere fielen der Demontage zum Opfer. Somit mussten die Unternehmer [+] neue Fabriken errichten, was eine rationelle Produktion ermöglichte und international Wettbewerbsvorteile brachte.«

232 233 234 235 236

Deutsche Zeitung (1957b). Andres/Baumgärtner (2014). Andres u.a. (2015). Baumgärtner (2016). Besonders bei Anno 3 sind die Abschnitte sehr verteilt. Anno 6 wurde übersichtlicher umstrukturiert. 237 Andres/Baumgärtner (2014), S. 282f.; Andres u.a. (2015), S. 70f.; Horizonte 10 wurde in der Formulierung leicht verändert: Baumgärtner (2016), S. 66, 68.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

Der Satz ist nicht triftig. Folgt man dieser Logik, dann wäre es am sinnvollsten gewesen, alle Fabriken zu zerstören, um eine bestmögliche Modernisierung zu erzielen.238 Zusätzlich kann die Formulierung, dass die »Unternehmer« neue Fabriken »errichten […] mussten«, als unstatthafte Personalisierung bezeichnet werden. Als weitere Faktoren für den Aufschwung nennen die Schulbücher »das niedrige Lohnniveau«, »gut ausgebildete Fachkräfte«, die Einstellung der Reparationsverpflichtung und den »Marshallplan« (alle +). Anno 3 erwähnt den »Marshallplan« ebenfalls in der Zusammenfassung: »Auf der Basis des Marshallplans und einer sozialen Marktwirtschaft entwickelte sich in der Bundesrepublik nach 1949 ein ›Wirtschaftswunder‹.« Deshalb wird das ERP bei Anno 3 Doppelplus (++) codiert. In der überarbeiteten (und neueren) Version von Anno 6 ist dieser Satz gestrichen worden239 ; Horizonte 10 beinhaltet gar keine Zusammenfassung. Alle Schulbücher berichten außerdem, dass die Produkte aus Deutschland als »hochwertig und günstig« gegolten hätten. Die Thematik der Unterbewertung der DM zum US-Dollar könnte an dieser Stelle aufgeführt werden. Fragwürdig ist die Aussage über die Hochwertigkeit der deutschen Produkte, da sie nur für einige Wirtschaftssektoren zutrifft: Der überall angeführte VW-Käfer war lediglich preisgünstig und nicht hochwertig.240 Des Weiteren beinhalten Anno 3, Anno 6 und Horizonte 10 einen zweiten DT, in dem der Ausbau des Sozialstaats anhand des sozialen Wohnungsbaus, des Lastenausgleichsgesetzes und der Rentenreform erläutert wird.241 Alle drei Bücher bieten zudem zwei Quellen zur Bearbeitung an:242 Die erste Quelle (M2) – mit der Bildbeschreibung »Wirtschaftswunder. Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard, Karikatur von 1959« – zeigt einen zufrieden grinsenden Erhard, im Smoking gekleidet, mit Zigarre im Mund und den Händen in den Taschen, wie ein Ballon aus den Trümmern aufsteigend (vgl. Abb. 8). In Horizonte 10 lautet die Beschreibung: »Ludwig Erhard (1897-1977), der ›Vater des Wirtschaftswunders‹, war Bundeswirtschaftsminister von 1949 bis 1963.« Die zweite Quelle ist eine Fotografie der Jubiläumsfeier bei VW. Die nächste Doppelseite beinhaltet vier Quellen zum »Wirtschaftswunder«.243 M7 zeigt drei Grafiken zur Industrieproduktion, zur Erwerbslosigkeit sowie zur Entwicklung des Bruttostundenlohns zwischen 1950 und 1960. Quelle M8 besteht aus einem Textauszug von Müller-Armack zur »Sozialen Marktwirtschaft«, der bereits ausführlich besprochen wurde (siehe Seite 193). Allerdings wurde der Text einer Publikation von Müller-Armack entnommen und war folglich noch nicht gekürzt. Müller-Armack wirft die Schicksalsfrage der notwendigen Entscheidung 238 Tatsächlich befindet sich dieses Argument in einer Publikation der BpB in einem Text von Wolfgang Benz, der eventuell als Vorlage gedient haben könnte: Benz (1998), S. 38. Dieser Text ähnelt ohnehin der klassischen deutschen Erfolgsgeschichte der Erhard´schen Marktwirtschaft: Benz (1998), S. 41f. 239 Andres/Baumgärtner (2014), S. 334; Andres u.a. (2015), S. 134. 240 Lutz Budrass sagte in einem Interview bzgl. der fünfziger Jahre: »Der VW-Käfer ist kein gutes Auto. Im Vergleich […] zur Automobiltechnik […] andere Länder ist er naja Mittelmaß […] und auf einen möglichst geringen Preis hin zugeschnitten«: Weber (2013), 25:45 (Minuten:Sekunden). 241 Andres/Baumgärtner (2014), S. 284; Andres u.a. (2015), S. 72; Baumgärtner (2016), S. 69. 242 Andres/Baumgärtner (2014), S. 283; Andres u.a. (2015), S. 71; Baumgärtner (2016), S. 68. 243 Andres/Baumgärtner (2014), S. 286f.; Andres u.a. (2015), S. 74f.; Baumgärtner (2016), S. 70f.

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für eines der beiden Wirtschaftssysteme auf. Hierfür verwendet er das Hayek´sche Argument, das alle Formen wirtschaftlicher »Lenkungssysteme […] unvermeidlich zu einer mehr oder weniger weitgehenden Vernichtung der Wirtschaftfreiheit [sic!] des Einzelnen führen [würden], also mit demokratischen Grundsätzen unvereinbar sind«. Ohnehin sei – wie bei Buchner bereits ausgeführt – die Marktwirtschaft durch die bessere Entwicklung der Kaufkraft die sozialere Wirtschaftsordnung. Zudem »zwingt die freie Konsumwahl« den Produzenten, die Bedürfnisse der Konsumenten zu berücksichtigen. Folglich entstehe wahre »Marktdemokratie«. In dieser Form der »Demokratie«, wie sie Müller-Armack beschreibt, würde sich die Mitbestimmung aber nur auf die kaufkräftigen Menschen reduzieren – eine fragwürdige Perspektive für politische Bildung. Weiterhin beinhalten die Textauszüge aus Anno 3, Anno 6 und Horizonte 10 das zehnPunkte Programm, von denen fünf Punkte gekürzt wurden – u.a. der »Ausbau der Sozialversicherung« und die »Minimallöhne«. Insgesamt wurde die Quelle liberalisiert. Die Auslassungen entsprechen zwar den späteren Standpunkten von Müller-Armack, für eine historische Quellenanalyse sind sie aber äußerst problematisch. An dieser Stelle sei nochmal erwähnt, dass die Grundintention des Textes von 1948 vor allem aus anderen wichtigen Forderungen, wie der Werbung für eine möglichst umfassende Preisfreigabe bei der Währungsreform, bestand. Die Auswahl der Quelle wird damit erklärt, dass Müller-Armack als »Begründer der Sozialen Marktwirtschaft gilt«. Für die narrative Triftigkeit ist dies positiv hervorzuheben. Auch hier sollte seine NSDAP-Mitgliedschaft von 1933-1945 erwähnt werden. Die Quellen M9 und M10 zeigen Werbeplakate, für die in Anno 3 und in Anno 6/Horizonte 10 jeweils unterschiedliche Motive verwendet wurden. In Anno 3 ist M9 ein Plakat von Sinalco mit dem Untertitel »aus frischen Früchten hergestellt« aus dem Jahr 1954. Im Zentrum des Plakates trägt eine Frau mit weißem Kleid einen Teller mit Südfrüchten. Der Hintergrund stellt eine tropische Insellandschaft mit einem Kreuzfahrtschiff dar. M10 zeigt ein Werbeplakat von Miele. Auf dem Bild steht eine lächelnde Frau mit gestreiftem Kleid und Lockenwickler-Frisur vor einer geöffneten Waschmaschine. In Schreibschrift steht oben der Schriftzug »wunderbar« und unten »meine Miele 155« geschrieben. Anno 6 und Horizonte 10 verwenden zwei andere Plakate. Quelle M9 präsentiert eine »Werbeanzeige« von »4711«, also Kölnisch Wasser. Hier sehen die Schüler*innen ein junges Paar in Abendgarderobe, das sich vergnügt anlacht. Auf dem Plakat von M10 ist eine junge Frau in einer damals modernen Fünfzigerjahre-Küche abgebildet, die vor ihrem Herd steht und lächelnd einen Topf hochhält. Neben ihr sind in einem Regal drei Töpfe in den Farben gelb-rot-schwarz angeordnet. Die Bildunterschrift verweist auf »Werbung für Edelstahl-Kochtöpfe«. Warum die Bilder geändert wurden, bleibt unklar, da eine didaktische Funktion nicht erkennbar ist. Alle Schulbücher bieten fünf Arbeitsaufträge zum Thema »Soziale Marktwirtschaft/Wirtschaftswunder« und vier Aufgaben zur Analyse der Werbeplakate, die – auch für die verschiedenen Plakate – identisch sind. »Aufgabe 3a« verlangt die Zusammenfassung der Aussagen von Müller-Armack. »Aufgabe 3b« fragt, warum sich »dieses System« in der Bundesrepublik »durchsetzen konnte«. Eine quellenkritische Betrachtung der Ausführungen von Müller-Armack se-

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

hen die Lösungsbände nicht vor.244 Bezüglich dieser Thematik möchte ich nochmals Ritschl/Eichengreen zitieren: »If there is anything surprising about Germany’s postwar setup, it is the high degree of institutional continuity and the absence of any radical turn in policy.«245 In den Lösungsbänden von Anno 6 und Horizonte 10 können die Lehrer*innen folgende Antwort nachlesen: »Nach der staatlichen wirtschaftlichen Lenkung des Dritten Reiches war es ökonomisch ersichtlich, dass lediglich ein marktwirtschaftlich ausgerichtetes System breiten Bevölkerungsschichten zu Wohlstand verhelfen kann.«246 Folglich ist die Aussage nicht triftig und wirkt wie eine liberale Rückprojektion auf die Nachkriegssituation. Außerdem steht in den Lösungsbänden geschrieben: »Des Weiteren führte die Etablierung der sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik, natürlich auch bedingt durch Währungsreform und finanzielle Hilfen (MarshallPlan), dazu, dass ein Großteil der Bevölkerung am wirtschaftlichen Aufschwung der l950er-Jahre partizipieren konnte.« In der »Aufgabe 3c« sollen die Schüler*innen die Statistiken analysieren; Aufgabe »3d« fordert die Erklärung des Begriffes »Wirtschaftswunder«. In den Schulbüchern finden die Schüler*innen allerdings nur die deutsche Erfolgsgeschichte. Deshalb kann der Begriff »Wirtschaftswunder« nicht erklärt werden.247 Die höchste Schwierigkeitsstufe beinhaltet »Aufgabe 3e«: »Analysiere die Karikatur zum ›Wirtschaftswunder‹ von 1959 → Text, M2, M7, M8«. Laut der Lösungsbände betont die Karikatur Erhards »Personifizierung« des »Wirtschaftswunders« und verweist auf eine »sonnige« Zukunft.248 Dabei benennen die Schulbücher nicht einmal den Zeichner Rolf Peter Bauer.249 Trotz umfangreicher Recherchen ist es mir nicht gelungen, Hinweise für diese Deutung zu bekommen. In der Ausstellung »70 Jahre Soziale Marktwirtschaft« der Arbeitgeberverbände wird die Zeichnung auf die gleiche Weise interpretiert. Allerdings konnte der Kurator der Ausstellung mir keine Gründe für diese Interpretation nennen. Weder ist der Ort der erstmaligen Veröffentlichung noch ein genaueres Datum als 1959 bekannt. Besonders das Jahr 1959 zeigt die Brisanz, denn hier verlor Erhard den Kampf um die Kanzlerkandidatur, bekam den bösen Spitznamen rubber lion (Gummilöwe) und sei, so Daniel Koerfer, für viele Karikaturisten eine Vorlage für Witzfigur-Zeichnungen geworden. Demnach hätten sie ihn für einen »aufgeblasenen«, inkompetenten und selbstgefälligen Politiker gehalten, den Adenauer einfach durch kleine Nadelstiche zerstören könne.250 Auf diese Weise könnte die Karikatur ebenfalls interpretiert werden. Insgesamt erscheint fragwürdig, dass die Schulbücher 244 Andres/Baumgärtner (2015), S. 37; Andres (2016), S. 55. Laut Auskunft des Verlages Westermann ist für Anno 3 kein Lösungsband vorgesehen. 245 Eichengreen/Ritschl (2009), S. 215. 246 Andres/Baumgärtner (2015), S. 37. 247 Absurderweise fordern die Lösungsbände eine kritische Betrachtung, für die es im gesamten Buch keine Informationen gibt:»Ein kritisches Hinterfragen, ob es sich hier tatsächlich um ein ›Wunder‹ oder doch eher um eine wirtschafts- und gesellschaftspolitische Gesetzmäßigkeit gehandelt hat, ist auf jeden Fall erforderlich«: Andres/Baumgärtner (2015), S. 38; Andres (2016), S. 56. 248 Andres/Baumgärtner (2015), S. 38; Andres (2016), S. 56. 249 Die Karikatur ist hier abgedruckt: Bauer (1962), S. 28. 250 Koerfer (1987), S. 334; Lukomski (1965), S. 224ff.

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Abbildung 8: Karikatur Ludwig Erhard

– ohne jegliche Informationen über die Zeichnung – die Karikatur so deutlich normativ interpretieren und dies als unumstrittene Lösung vorgeben. In der »Aufgabe 4a« wird die Beschreibung der Werbeplakate und in den Aufgaben 4b und 4c der Vergleich mit heutiger Werbung verlangt. Vermutlich möchten die Schulbücher an dieser Stelle einen lebenspraktischen Bezug herstellen. Allerdings bleibt diffus, auf welche Weise die Werbung quellenkritisch für eine historische Erzählung und einen aktuellen Vergleich genutzt werden kann. In Horizonte 10 wurde eine weitere Karikatur, nämlich Hanns Erich Köhlers »Nicht wahr Michelchen. Keine Experimente« (siehe Seite 206), hinzugefügt. 251 Horizonte 10 nennt, im Vergleich zu Buchners Kolleg, allerdings keine Zeitung, in der die Karikatur angeblich veröffentlicht wurde. Auch bei Horizonte 10 fehlt der Titel »Wahlparolen«. Die Interpretation im Lösungsband deutet an, dass die Schulbuchautor*innen eine kritische Zeichnung über Adenauer für möglich halten. Dennoch legen sie ebenfalls den Fokus auf den deutschen Michel, der sich »einlullen lässt«. Ein Zusammenhang mit der Wiederaufrüstungs- und Atomwaffen-Debatte wird lediglich angerissen und der schwarze Hintergrund im Bild nicht in die Interpretation einbezogen.252 Die Nachkriegswirtschaft zur BRD wird in den Schulbüchern Anno 3 und Horizonte 10 anhand des ERP thematisiert; Anno 6 integriert das ERP ausschließlich in das Kapitel des »Kalten Kriegs«. Im Darstellungstext von Anno 3 und Horizonte 10 schreiben die Autor*innen: »Dem Konzept [Trumans, KK] folgte der amerikanische Außenminister George C. Marshall, als er ein ›Europäisches Wiederaufbauprogramm‹ entwickelte, das die USA 1947 251 Baumgärtner (2016), S. 67. 252 Andres (2016), S. 53ff.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

als Wirtschaftshilfe für das kriegszerstörte Europa einleiteten. Es umfasste Rohstoffe, Maschinen, Nahrungsmittel und Kredite, bildete die Grundlage eines Neuanfangs und ging als ›Marshallplan‹ in die Geschichte ein.«253 Beide Schulbücher beinhalten zudem als Quellentext die Rede von Marshall in der Harvard-Universität mit den berühmten Passagen, die in dieser Arbeit bereits zitiert wurden (siehe Seite 149). Die Überschrift der Quelle lautet »Gegen Hunger und Armut«. Des Weiteren finden die Schüler*innen ein Balkendiagramm, in dem die »Hilfen aus dem Marshallplan 1948 bis 1952« visualisiert sind. Laut der Grafik hatte die BRD 1,413 Mrd. Dollar erhalten.254 Außerdem bieten Anno 3 und Horizonte 10 zwei Plakate zum ERP, die jedoch nicht identisch sind und folglich weiter unten analysiert werden. In beiden Schulbüchern sollen die Schüler*innen zunächst den »Marshall-Plan« und die »Zielsetzung […] darstellen«. Hierfür können sie sowohl den DT als auch die Rede von Marshall verwenden. Bemerkenswert sind die Ausführungen im Lösungsband von Horizonte 10, das eine kritische Interpretation der Rede von Marshall vorsieht. Demnach weise die Aussage, »die Politik der Vereinigten Staaten [sei] nicht gegen ein Land oder eine Doktrin gerichtet«, eher auf das Gegenteil hin. Zusätzlich wird im Lösungsband ausgeführt, dass ein liberal-demokratisches und kapitalistisches System die Voraussetzung für die Teilnahme am ERP gewesen sei.255 Letzteres ist allerdings nichtzutreffend, denn immerhin wurde die Regierung des Faschisten António de Oliveira Salazar in Portugal und das sozialistische Jugoslawien ebenfalls im ERP berücksichtigt. Dennoch überzeugt die Quellendiskussion im Lösungsband von Horizonte 10. Die »Aufgabe 2b« fordert von den Schüler*innen das Informieren über die Funktionsweise des »Marshallplans«. Dieser Arbeitsauftrag ist schwierig zu lösen, da es kaum Material mit didaktischer Reduktion gibt, das die Funktionsweise gut erklärt. Hilfreich wäre an der Stelle beispielsweise die Grafik, die oben (siehe Seite 180) bereits erläutert wurde. Die »Aufgabe 2c« erscheint ebenfalls ambitioniert, sie beinhaltet den Vergleich von Dawes-Anleihe und ERP. Für die »Aufgabe 2d« sollen die Schüler*innen zwei Plakate zum ERP miteinander vergleichen. Allerdings unterscheiden sich nun die Ausgaben von Anno 3 und Horizonte 10. Anno 3 beinhaltet das Plakat »Freie Bahn dem Marshallplan« (siehe Seite 147), welches einen LKW mit europäischen Fahnen zeigt, der eine Zollschranke passiert. Auf dem zweiten Plakat sind zwei Frachtschiffe zu sehen, die in entgegengesetzter Richtung fahren. Ein Schiff trägt die Aufschrift »Einfuhr« und das andere »Ausfuhr«. Die Schiffe sind außerdem mit den Begriffen »Rohstoffe« bzw. »Fertigerzeugnisse« und jeweils mit einer Prozentzahl versehen. Die Überschrift des Plakats lautet: »Deutschland-Plan«. Neben dem oberen Schiff steht in großen Buchstaben die Formel: »Ostzone: Einfuhr von Rohstoffen [Absatz] Ausfuhr von Fertigwaren [Absatz] = Arbeit«. Unterhalb der Schiffe steht in großen Buchstaben »Marshall-Plan« und die Formel: »Westzone: Ausfuhr von Rohstoffen [Absatz] Einfuhr von Fertigwaren [Absatz] Arbeitslosigkeit«. Das Schulbuch fordert zum Vergleich der Plakate auf. Hierbei sollen die Quelle von Marshall (M9), die 253 Andres/Baumgärtner (2014), S. 201; Baumgärtner (2016), S. 39. 254 Andres/Baumgärtner (2014), S. 204; Baumgärtner (2016), S. 42. 255 Andres (2016), S. 37.

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Statistik über die »Hilfe aus dem Marshallplan« (M10) und das Internet berücksichtigt werden. Ein Lösungsband für Anno 3 ist nicht verfügbar. Insgesamt bestätigt das Material die Aussagen des Plakats »Freie Bahn dem Marshallplan«. Der Text von Marshall hebt die großzügige Hilfe hervor und die Grafik stellt die Kredite für die gleichen Länder dar, deren Flaggen an dem LKW befestigt sind, der durch die offene Zollschranke fährt. Hier wird die positive Seite einer europäischen Freihandelszone betont. Tatsächlich ist das Plakat aus Ostdeutschland nicht triftig, da die Lieferungen über das ERP größtenteils aus Rohstofflieferungen bestanden und die Produktion von Fertigwaren wie bspw. Textilien begünstigten. Gleichzeitig reproduziert das Schulbuch selbst das Narrativ der Maschinenlieferungen und der Kreditzahlungen durch das ERP. In der Ausgabe Horizonte 10 gibt es zwei Neuerungen, die die Aufgabe grundlegend verändern. Erstens wurde »Freie Bahn dem Marshallplan« durch ein anderes Plakat ersetzt, auf dem ein großes, rotweißes Warnschild mit der Aufschrift »Achtung Bauarbeiten« zu sehen ist. Außerdem beleuchtet eine Baustellenlampe das Warnschild. In weißer Schreibschrift steht auf dem Plakat: »Es geht vorwärts durch den Marshallplan«. In der Bildunterschrift heißt es: »Westdeutsches Plakat, um 1949«. Zweitens beinhaltet Horizonte 10 ein Interview mit Abelshauser zur ökonomischen Wirkung des ERP, das 2007 von der Tageszeitung Die Welt durchgeführt wurde.256 In diesem Interview begründet Abelshauser seine These von der geringen ökonomischen Bedeutung des ERP, da die Warenlieferungen (vor allem Baumwolle, Tabak, Nahrungsmittel) zu teuer gewesen, nach amerikanischen Exportbedürfnissen ausgewählt worden und zu spät eingetroffen seien. Das ERP sei lediglich für die Befriedung der Reparationsgläubiger und zur Einbindung der Bundesrepublik in die Westwirtschaft wichtig gewesen. Das Interview wurde von den Schulbuchautor*innen, obwohl nicht gekennzeichnet, deutlich gekürzt. Allerdings fassen die Auszüge die Inhalte des Interviews gut zusammen.257 Anscheinend haben die Schulbuchautor*innen aber nicht gemerkt, dass die Aussagen von Abelshauser denen des Schulbuches widersprechen. Einerseits lautet die Überschrift des Interviews: »Es kam kein einziger Dollar«; andererseits finden die Schüler*innen auf der gegenüberliegenden Seite das Balkendiagramm M10, in dem von 1413 Millionen Dollar die Rede ist. Der Lösungsband wurde an einigen Stellen ebenfalls nicht überarbeitet: »Die amerikanischen Finanzhilfen liefen über Kredite und Investitionsgüter in einer Höhe von insgesamt ca. 15 Milliarden US-Dollar, von denen Deutschland etwa zwei Milliarden erhielt.« Der Lösungsband schlägt eine weitere fragwürdige Intention der USA für den Vergleich von ERP und Dawes-Anleihe vor. Demnach habe das ERP das Ziel gehabt, die Produktion von »günstigen Gütern für die USA« anzukurbeln. Es diente wohl eher der Schaffung eines Absatzmarktes. Durch das Interview mit Abelshauser kann nun das Plakat »Achtung Bauarbeiten«, welches auf Investitionen in die Infrastruktur anspielt, quellenkritisch bearbei256 Baumgärtner (2016), S. 43. 257 Die Welt online (2007).

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

tet werden. Sachdienliche Hinweise fehlen weiterhin für die Bearbeitung des Plakates »Deutschland-Plan«. Der Lösungsband reduziert es auf die Aussage, wie gut die Wirtschaft im Osten vorankomme.258 Dabei lautet die Kernthese, dass Deutschland durch das ERP zum kolonialen Rohstofflieferanten werde. Horizonte 10 bietet zusätzlich drei Aufgaben zur Auswertung des Interviews an. Die erste Aufgabe sieht die Zusammenfassung des Interviews vor. In der zweiten Aufgabe sollen die Schüler*innen »die Ausführungen Abelshausers mit denen Marshalls vergleichen«. Der Lösungsband arbeitet gut die Widersprüche der Texte heraus; die Aufgabe ist insgesamt sehr gut gelungen, da sie zur Quellenkritik animiert. Die dritte Aufgabe, in der eine Darstellung zur »Bedeutung« des ERP »für den Wiederaufbau« gefordert wird, motiviert zu einer historischen Erzählung. Es bleibt allerdings fraglich, ob die Schüler*innen mit dem vorliegenden Material die Funktionsweise des ERP und folglich das Interview von Abelshauser verstehen können. Die Ausgabe Anno 6 hat das Material bzgl. des ERP deutlich reduziert und in den thematischen Abschnitt »Feindbilder des Kalten-Kriegs« integriert. Es besteht lediglich aus den Plakaten »Hinaus!« (siehe Seite 148) und »Achtung Bauarbeiten«. Die Aufgabenstellungen berücksichtigen nur das Plakat »Hinaus!«, das mit fünf anderen Zeichnungen, die Feindbilder darstellen, verglichen werden soll.259 Eine wirtschaftshistorische Perspektive wird nicht verlangt. Alle drei Schulbücher behandeln ebenfalls die Währungsreform, jedoch in ungewöhnlicher Kürze.260 Laut Anno 3, Anno 6 und Horizonte 10 drohte eine Inflation. Deshalb sei die DM durch die Währungsreform 1:10 abgewertet worden. Zusätzlich finden die Schüler*innen in Anno 3 und Horizonte 10 die bekannte Fotografie der Frauen, die vor einem Schaufenster stehen (siehe Seite 146). Eine Übungsaufgabe bieten die Schulbücher nicht an. Die Darstellung der DDR-Nachkriegswirtschaft wurde bei der Überarbeitung von Anno 3 hin zu Anno 6 und Horizonte 10 nur geringfügig verändert. In allen Ausgaben finden die Schüler*innen umfangreiches Material zur Bodenreform.261 Das erste Plakat (M4) gibt es in Anno 3 und Horizonte 10, nicht aber in Anno 6, wohingegen der Rest fast identisch ist. M4 zeigt im Vordergrund einen Bauern, der gerade die Samen aussät, und im Hintergrund eine ländliche Idylle. In großen Buchstaben steht der Slogan »Junkerland in Bauernhand« geschrieben. Als Bilduntertext lesen die Schüler*innen: »Propagandaplakat für die Bodenreform, 1945«. Die zweite Quelle (M5) mit dem Titel »Bodenreform 1945« wird als »Zuteilung von Landparzellen des ehemaligen Rittergutes Helfensberg (bei Dresden)« beschrieben. Sie ist in allen drei Schulbüchern enthalten. Auf der Fotografie sind stehende Männer zu sehen, die gemeinsam eine große Karte betrachten. Zwei Männer haben Schilder mit den politischen Parolen »Parzellen der Industriearbeiter« und »Die Zukunft unserer Jugend« in der Hand. Die zugehörige Aufgabenstellung lautet in Anno 3 und Anno 6: »Beurteile den Erfolg der Bodenreform. Berücksichtige dabei politische, wirtschaftliche und gesellschaftli-

258 259 260 261

Andres (2016), S. 39f. Andres u.a. (2015), S. 8, 11. Baumgärtner (2016), S. 40; Andres u.a. (2015), S. 56; Andres/Baumgärtner (2014), S. 202. Andres/Baumgärtner (2014), S. 192; Andres u.a. (2015), S. 56; Baumgärtner (2016), S. 30.

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che Aspekte (Text, M4, M5).«262 In der Ausgabe Horizonte 10 wurde der Operator in »diskutiert« geändert.263 Tatsächlich bietet die Aufgabe in politischer Hinsicht einen Beurteilungsspielraum, da im DT darauf hingewiesen wird, dass die Großgrundbesitzer »nicht selten die Nationalsozialisten aktiv unterstützt hatten«. Allerdings wäre folgende Formulierung angemessener: Sie waren oftmals Nationalsozialisten, Sturmabteilung (SA)- und Schutzstaffel (SS)-Mitglieder sowie Offiziere der Wehrmacht. Denn die vorliegende Version erwähnt lediglich die Unterstützung. Auch die gesellschaftliche Beurteilung ist offen und somit eine gelungene Aufgabenstellung mit hoher narrativer und normativer Triftigkeit. Der abschließende Satz im DT, der für die wirtschaftliche Bewertung bedeutend ist, fasst eine mögliche Forschungsperspektive zusammen: »Auch wenn diese Maßnahmen vielen eine neue Lebensgrundlage bot [sic!], waren sie wegen der geringen Betriebsgrößen wirtschaftlich nicht erfolgreich« (+).264 Der Hauptabschnitt zur DDR-Nachkriegswirtschaft unterscheidet sich in den drei Schulbüchern deutlich, wenn auch teilweise die gleichen Textbausteine verwendet wurden. In Anno 3 beginnt der Abschnitt wie folgt: »Schon während der Besatzungszeit waren industrielle Großbetriebe, Banken und ein Teil des ländlichen Besitzes über 100 Hektar verstaatlicht worden. Ein zentraler Plan legte Produktionsmengen und Preise fest und wies den Volkseigenen Betrieben (VEB) Aufträge und Rohstoffe zu, gab Arbeitszeiten vor und legte Löhne fest. Was der Bürger zum Leben brauchte, kaufte er in den staatlichen HO-Läden, den Läden des Konsum oder in den noch zahlreichen privaten Läden. Die schwerfällige Planwirtschaft litt jedoch an organisatorischen Mängeln, sodass sich vor den Geschäften oft lange Schlangen bildeten.«265 Folglich sind Planwirtschaft (++) und Verstaatlichungen (+) codiert. Anno 6 ergänzt den Text um folgende Zeilen: »In den 1950er-Jahren gelang der DDR ein beträchtliches Wirtschaftswachstum. Dies gilt allerdings vor allem für den Bereich der Schwerindustrie, während die Produktion von Konsumgütern zunächst vernachlässigt wurde. Erst als Reaktion auf den 17. Juni 1953 korrigierte die SED ihre Wirtschaftspolitik.«266 In Horizonte 10 fehlt der zuerst zitierte Abschnitt. Die Doppelseite zur DDR-Wirtschaft beginnt mit dem Zitat, das in Anno 6 hinzugefügt wurde.267 Danach beschreibt Horizonte 10 die »schwerfällige Planwirtschaft« (++).

262 Andres/Baumgärtner (2014), S. 195; Andres u.a. (2015), S. 59. 263 Baumgärtner (2016), S. 33. 264 Der Lösungsband für Horizonte 10 zeigt ein gutes Beispiel für die geforderte Diskussion: »Zwar konnten mithilfe der Bodenreform eine gerechte Landverteilung umgesetzt, hunderttausenden Bauern eine Erwerbsmöglichkeit gegeben und ehemals mit den Nationalsozialisten sympathisierende Landbesitzer enteignet und verhaftet werden. Allerdings führte die Parzellenwirtschaft nicht zum gewünschten wirtschaftlichen Aufschwung, weil die geringen Flächen nicht ertragreich bewirtschaftet werden konnten«: Andres (2016), S. 22. 265 Andres/Baumgärtner (2014), S. 298. 266 Andres u.a. (2015), S. 92. 267 Baumgärtner (2016), S. 82f.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

Ab dieser Stelle sind alle Schulbücher beinahe identisch. Demnach habe die Kollektivierung der Landwirtschaft 1960 zu einer »schweren Versorgungskrise« (+) geführt. Die wetterbedingte Missernte wird allerdings nicht erwähnt. Anno 6 und Horizonte 10 haben zusätzlich eine Formulierung über die schwerwiegenden ökonomischen Wirkungen der Migration in den Westen (+) in den Abschnitt der Wirtschaft integriert. Auch die Arbeitsaufträge haben sich verändert: In Anno 3 befindet sich nur eine Aufgabenstellung zur Wirtschaft: »Beschreibe das Bild ›Eisenhüttenkombinat Ost‹ [EKO] von 1952 und vergleiche es mit dem Selbstverständnis der DDR.«268 Die genannte Quelle ist das Gemälde von Herbert Aschmann, welches die Großbaustelle des EKO mit mindestens vier Hochöfen zeigt. Bei drei Öfen kommt bereits Rauch aus dem Schornstein. In der Bildbeschreibung heißt es (mit Bezug auf den Arbeitsauftrag), dass das EKO als »sozialistische Großtat« gegolten habe und nach Osten ausgerichtet gewesen sei. Es habe 20 000 Menschen beschäftigt und für »die Arbeiter« sei extra die Stadt »Stalinstadt« – nach der Entstalinisierung »Eisenhüttenstadt« – als Wohnraum errichtet worden. Im Abschnitt »Selbstverständnis der DDR« können die Schüler*innen lesen, dass die Überlegenheit der Planwirtschaft gegenüber dem Kapitalismus habe demonstriert werden sollen. Vermutlich sieht das Schulbuch diese Verknüpfung vor. In Anno 6 und Horizonte 10 ist das Gemälde durch drei schriftliche Quellen und drei Fotografien, die Ulbricht (nur Anno 6), Montagearbeiten am Plattenbau und eine Lebensmittelkarte zeigen, ersetzt worden.269 Die Aufgabenstellungen in Anno 6 und Horizonte 10 beziehen sich allerdings ausschließlich auf die Textquellen: »Zwei Stimmen zur DDR-Wirtschaft«.270 Hier finden die Schüler*innen einen Zeitungsartikel der Märkischen Allgemeinen aus dem Jahr 1953, der von besorgten Zuschriften aufgrund der Knappheit der Windeln berichtet. Ein zweiter Text trägt die Überschrift: »Aus der offiziellen DDR-Geschichtsschreibung«. In der Quelle werden einerseits »stürmische Fortschritte« der Wirtschaft und andererseits »Engpässe« im Rohstoffbereich beschrieben, die aus Störungen »des kapitalistischen Sektors der Volkswirtschaft« sowie der »Wirtschaftsblockade des Imperialismus« resultieren würden. Trotzdem seien die Werktätigen für die kommenden Anstrengungen bereit. Die dritte schriftliche Quelle stellt einen Auszug aus einem Text der Bundeszentrale für politische Bildung dar, der die positive Entwicklung der sechziger Jahre nach der Wirtschaftsreform in der DDR beschreibt. Demnach seien immer mehr Konsumgüter verfügbar gewesen. Trotzdem habe die Realität dem Anspruch auf ein überlegenes Wirtschaftssystem entgegengestanden – besonders im Vergleich zu Westdeutschland. Die Arbeitsaufträge zur Wirtschaft lauten in Anno 6: »1a) Stelle Anspruch und Wirklichkeit der DDR-Planwirtschaft einander gegenüber. […] 1c) Verfasse eine kurze Darstellung zum Thema: ›Die ökonomische Situation der DDR Ende der 60er-Jahre‹. → Text, M6, M7« 268 Die zweite Aufgabe im Block »Wirtschaft und Politik« behandelt den »17. Juni 1953« und den Mauerbau, die in Anno 3 jedoch einen politikgeschichtlichen Schwerpunkt haben. 269 Andres u.a. (2015), S. 92f.; Baumgärtner (2016), S. 82. 270 Andres u.a. (2015), S. 95; Baumgärtner (2016), S. 83.

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Leider gibt das Schulbuch die Antworten bereits durch die Formulierungen vor. Der Hinweis auf die »offizielle DDR-Geschichtsschreibung« verlangt unmissverständlich eine kritische Betrachtung. Demgegenüber fehlt eine entsprechende Einordnung der BpB. Dabei steht die BpB, als Teil der Behörde des Bundesministeriums des Innern, ebenfalls für eine offizielle Geschichtsschreibung – selbst wenn diese differenzierter ausfällt. Doch die Schüler*innen sollen nur den zweiten Text von M6 kritisch lesen und die Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit der DDR wiedergeben. Historisch denken müssen sie hierfür nicht. Horizonte 10 stellt für die gleichen Quellen weitere Arbeitsaufträge zur Verfügung. Erstens sollen die Schüler*innen »aufzeigen«, dass die DDR-Quelle »Propaganda« ist. Laut dem Lösungsband kann dies an den Begriffen »Arbeiterklasse« und »Werktätige«, die »marxistische Kampfbegriffe« seien, und die »Bezichtigung« des Westens als Boykotteure erkannt werden.271 Durch die unkritische Rezeption des BpB-Artikels wird das Schulbuch an dieser Stelle leider selbst propagandistisch. Dabei sind die Quellen grundsätzlich gut ausgewählt. Die Aufgabenstellung könnte – neben der kritischen Einordnung des Textes der BpB – lauten: Vergleiche die Geschichtsschreibung der DDR mit jener der heutigen BRD. Auf welche Ursachen führen sie die wirtschaftlichen Probleme der DDR zurück? In der Quelle der DDR-Geschichtsschreibung müsste ein Hinweis auf die schwierigen Startbedingungen auftauchen. Das würde eine Kontroverse ermöglichen, wie sie in der Wissenschaft geführt wird. Eine weitere Verbesserung wäre die Personalisierung der Quellen und eventuell die Formulierung eines Streitgespräches. Die letzte Aufgabe für Horizonte 10 lautet: »Vergleiche die Planwirtschaft mit der Sozialen Marktwirtschaft (S. 68-71 in diesem Schulbuch) anhand selbstgewählter Kriterien und präsentiere deine Ergebnisse.« Der Lösungsband sieht an dieser Stelle die Unterscheidung zwischen Fünfjahresplänen und der »freien Wirkung von Angebot und Nachfrage« vor.

6.3.2 Horizonte Qualifikationsphase Horizonte für die Qualifikationsphase in NRW ist deutlich anders konzipiert, vor allem beinhaltet es andere Textbausteine als die soeben besprochenen Schulbücher. Der ökonomische Abschnitt zur BRD beginnt mit der Einführung der Marktwirtschaft durch die USA.272 Des Weiteren heißt es: »In ihrer Ausprägung als ›Soziale Marktwirtschaft‹ – theoretisch geprägt von namhaften liberalen Ökonomen und vorangetrieben von dem Direktor des Frankfurter Wirtschaftsrates der Bizone Ludwig Erhard – trug diese wirtschaftliche Ordnung viel zum politischen Erfolg der Westzonen und der frühen Bundesrepublik bei. Einige Bereiche wie etwa der Wohnungsbau unterlagen gleichwohl noch bis in die 1950er-Jahre der staatlichen Zwangsbewirtschaftung.«

271 Andres (2016), S. 73. 272 Baumgärtner (2015a), S. 401f.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

Ein Paratext zum Stichwort »Marktwirtschaft« beschreibt diese Ordnung als Ökonomie, in der die Produktion nach dem »freien Spiel der Kräfte des Marktes« funktioniere und von der Nachfrage bestimmt werde. Sie unterliege »keiner Lenkung« durch den Staat. Weiterhin werden als Voraussetzung u.a. Privateigentum und Vertragsfreiheit genannt. In der »sozialen Marktwirtschaft«, an dieser Stelle kleingeschrieben, korrigiere der Staat durch Sozial-, Struktur- und Konjunkturpolitik. Außerdem befindet sich in Horizonte als Quelle M4 die Fotografie von Erhard, auf der er das Buch Wohlstand für alle liest. In der Bildunterschrift wird auf die Herausgeberschaft Erhards hingewiesen. Zumindest die Lehrer*innen können an dieser Stelle erahnen, dass Erhard das Buch nicht selbst geschrieben hat. Der Lösungsband ergänzt biografische Stationen von Erhard, zur Nazi-Zeit heißt es lediglich, er sei »wissenschaftlich tätig« gewesen.273 Weitere Ausführungen zur Ökonomie der BRD folgen erst einige Seiten weiter. Hier schreibt Horizonte über den »unübersehbare[n] Erfolg der Sozialen Marktwirtschaft [++] in Gestalt des ›Wirtschaftswunders‹«, den es seit dem Korea-Krieg gegeben habe.274 Den Korea-Krieg codiere ich mit Fragezeichen (?), da der Krieg eher als Zeitangabe und weniger als Ursache erscheint. Durch den Aufschwung, so Horizonte, habe der Sozialstaat, in Form der Rentenreform und des sozialen Wohnungsbaus, ausgebaut werden können. Aufgrund der Tarifpartnerschaft habe es zudem wenige Streiks gegeben. Folglich ist die Codierung »zurückhaltende Gewerkschaften« erfüllt (+). Erhard wird von Horizonte, wie der zitierte Text deutlich macht, als sehr bedeutend eingestuft (++). Zusätzlich finden die Schüler*innen die Karikatur von Rolf Peter Bauer, die Erhard als einen aufsteigenden Ballon aus den Trümmern inszeniert (siehe Seite 212). Die Bildbeschreibung, wie in Horizonte 10, lautet »Vater des Wirtschaftswunders« (++). Eine Aufgabenstellung existiert nicht. Außerdem beinhaltet Horizonte die Jubiläumsfotografie anlässlich des einmillionsten »Käfers«. Sie ist beschrieben mit dem Werbeslogan »Er lief und lief und lief«, der Bezeichnung »Exportschlager« und dem Hinweis, dass der »Käfer« stellvertretend für den guten Ruf von »Made in Germany« gestanden habe. Die Währungsreform wird im Text zum »Wirtschaftswunder« nicht erwähnt, folglich bekommt sie die Codierung Plus (+) zugewiesen. Dabei bietet das Schulbuch einen umfangreichen Text zur Währungsreform, der in etwa der Länge des Textes zum »Wirtschaftswunder« entspricht.275 Die Autor*innen beschreiben hier die Vorbereitung der Währungsreform in den USA, die 60 Mark »Kopfgeld«, die Umstellung 1:10 bei Sparguthaben sowie die Umstellung von 1:1 für Löhne, Mieten und Gehälter. Abschließend heißt es: »Scheinbar über Nacht waren die Ladenregale und Schaufenster wieder gut gefüllt mit lange entbehrten Waren. Von der Währungsreform profitierten besonders die Besitzer von Sachwerten, während Besitzer von Vermögen ihre Guthaben weitgehend einbüßten. Westdeutschland startete in eine wettbewerbsorientierte freie Marktwirtschaft.« Allerdings sind Sachwerte ebenfalls Vermögen. Eine Formulierung wie Sparguthaben wäre sicherlich präziser. Auf derselben Schulbuchseite finden die Schüler*innen

273 Baumgärtner (2015b), S. 299. 274 Baumgärtner (2015a), S. 415. 275 Baumgärtner (2015a), S. 396.

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ebenfalls – wie in Anno und Horizonte 10 – die Schaufensterfotografie des WurstFeinkostgeschäftes. Eine Aufgabenstellung wird hierzu nicht angeboten. Das ERP codiere ich mit Fragezeichen (?), da es zwar genannt wird, aber keine ökonomische Bewertung erfolgt.276 Im Abschnitt zur Nachkriegssituation steht ein informativer Satz, der eigentlich das Wirtschaftskapitel einleiten sollte. Er lautet: »Trotz aller Zerstörungen in Deutschland waren zahlreiche Industrieanlagen bei Kriegsende noch weitgehend intakt. Auch wenn den Zeitgenossen das Jahr 1945 als radikaler Einschnitt erschien, blieb in den Westzonen vieles gleich: Das Wirtschaftssystem auf Basis des Privateigentums wurde grundsätzlich aufrecht erhalten und die mit ihm verbundenen Eliten verblieben im Großen und Ganzen in ihren Positionen.«277 Aufgrund der Position der Textstelle, die sich außerhalb der wirtschaftshistorischen Abschnitte befindet, codiere ich die intakte Wirtschaft nur mit Fragezeichen (?). Am Ende des Kapitels folgen Quellen und Aufgabenstellungen.278 Zusätzlich zu der Karikatur beinhaltet das Schulbuch einen Textauszug von Erhard. Horizonte zufolge handelt es sich dabei um einen Aufsatz mit dem Titel: »Das System eines freien Leistungswettbewerbs kommt dem Verbraucher zugute«. Erhard polemisiert in der ersten Hälfte des Textes gegen »Arbeiter« und »Sozialdemokraten«, da sie die Marktwirtschaft kritisch betrachten und durch ihre Anhängerschaft zur Planwirtschaft gegen ihre eigenen Interessen kämpfen würden. Er argumentiert im Folgenden, dass die Marktwirtschaft deshalb sozial sei, da sie das Gesamtprodukt vergrößere. Deshalb sei, wie bereits zitiert, der »Leistungswettbewerb für alle Verbraucher das Beste«. Danach kritisiert Erhard mit den Theorien von Hayek und Mises – wenngleich er sie nicht erwähnt – die Planwirtschaft, welche auf der »Illusion beruht, dass eine Massenbürokratie in der Lage sei, die Bedarfswünsche von 50 Millionen Menschen exakt zu ermitteln und demgemäß die Produktion lenken zu können.« Weiterhin führe eine »Verteilungsequilibristik (= Gleichverteilung)« zum »Leistungsabfall«. Den Begriff »Gleichverteilung« hat das Schulbuch hinzugefügt. Erhard verklausulierte mit dem Fachbegriff seine Äußerung, deren These er weder belegt noch erläutert. Aufgrund der Leistungsgerechtigkeit in der Marktwirtschaft, so Erhards letzte Behauptung, könnten weder »arbeitslose Renten« noch »Pfründe« entstehen, wie das in der Planwirtschaft der Fall sei. Wenn man die letzte These zur Kenntnis nimmt, wird verständlich, weshalb Hentschel Erhard als ideologischen Stammtischredner, der von Ökonomie keine weitreichenden Kenntnisse habe (siehe Seite 75), charakterisiert. Im Schulbuch wird der »Aufsatz« nicht weiter in einen Kontext gestellt. Die Entstehungszeit des Beitrags (10. Januar 1953) hat jedoch große Bedeutung, da sich die CDU in einer schweren Krise befand und eine kommende Wahlniederlage befürchtet wurde. In einem Abschnitt, den das Schulbuch gekürzt hat, finden sich mehrere Appelle an die Unternehmer, für »weitestgehende Aufklärung« zu sorgen279 , die als Spendenaufrufe

276 277 278 279

Baumgärtner (2015a), S. 395. Baumgärtner (2015a), S. 384. Baumgärtner (2015a), S. 419. Erhard (1953), S. 41.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

an den – soeben gegründeten – Lobby-Verein die Waage interpretiert werden können. Für eine erkenntnisorientierte Analyse von ökonomischen Modellen taugt der Aufsatz nicht. Die Schüler*innen sollen anhand des Textes »die beiden Wirtschaftsordnungen gegenüber stellen«. Der Lösungsband sieht als Antwort die Dichotomie des freien Leistungswettbewerbs auf der einen und den staatlich-bürokratischen Aufbau auf der anderen Seite vor. Erhards Polemiken werden weder kommentiert noch hinterfragt. Quellenkritik verlangt der Lösungsband maximal bei den »angeblich vorhandenen Meinungen zur Plan- und zur Marktwirtschaft«280 , womit die Kritik von »Arbeitern« und »Sozialdemokraten« an der Marktwirtschaft und die verbreitete Sympathie für die Planwirtschaft gemeint sein dürften. Die Schulbuch-Autor*innen haben anscheinend die Quellengattung nicht erfasst. Es handelt sich nicht um einen theoretischen, wissenschaftlichen Text, sondern um einen Aufruf in Krisenzeiten. Die zweite Aufgabe lautet: »Nehmen Sie Stellung zu der These, wonach die Geschichte der Bundesrepublik im Wesentlichen eine Geschichte ihres ökonomischen Erfolgs gewesen sei.« Dafür sollen die Schüler*innen die VW-Käfer-Jubiläumsfotografie, die Karikatur »Nicht wahr, Michelchen, keine Experimente« von Köhler (siehe Seite 206), die Karikatur über Erhard und den Aufsatz von Erhard benutzen. Auch hier wurde der wichtige Titel »Wahlparolen« der Karikatur von Köhler entfernt. Der Lösungsband verweist auf Abelshauser als Begründer der These und gesteht ihre oberflächliche Plausibilität zu. Jedoch vernachlässige sie die »politische und militärische Absicherung […] durch die Westbindung«.281 Die DDR-Wirtschaft wird unter dem Teaser »Die II. Parteikonferenz und ihre Folgen« thematisiert.282 So habe die Konferenz dem Ziel gegolten, die »nichtsozialistischen Überreste der Gesellschaft [zu] beseitige[n] und die Sowjetisierung der DDR zum Abschluss« zu bringen. Zusätzlich erklärt ein Paratext die Planwirtschaft als Wirtschaftssystem, in dem der Staat alle ökonomischen Prozesse plant und kontrolliert. Die Planwirtschaft ist folglich Doppelplus (++) codiert. Probleme würden, so Horizonte, die Reparationsleistungen (+) und die Kosten für den Sicherheitsapparat bereiten. Die Regierung der DDR habe auf die Verstaatlichung der Wirtschaft (VEB) und im ersten Fünfjahresplan – »gemäß dem Vorbild Sowjetunion« – auf den Ausbau der Schwerindustrie gesetzt, wobei Letzteres negativ bewertet wird (+). Außerdem seien die kleinen Betriebe, die aus der Bodenreform resultiert seien, zu LPG zusammengeschlossen worden – zunächst »auf freiwilliger Basis«, später durch »Zwangsmittel«. Die Bodenreform bekommt an dieser Stelle eine negative ökonomische Bewertung (+); die LPG können nicht zugeordnet werden (?). In den politikgeschichtlichen Abschnitten sind zusätzlich die schwerwiegenden Auswirkungen der Abwanderung der Arbeitskräfte283 sowie die »wirtschaftlichen Erfolge«284 der DDR erwähnt. Da sich die Argumente in anderen Abschnitten befinden, werden sie mit Fragezeichen (?) codiert. Weiterhin druckt

280 281 282 283 284

Baumgärtner (2015b), S. 319. Baumgärtner (2015b), S. 319. Baumgärtner (2015a), S. 446. Baumgärtner (2015a), S. 447. Baumgärtner (2015a), S. 452.

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das Schulbuch das Plakat Neubauernhöfe ab (siehe Seite 227), das jedoch nicht in Arbeitsaufträge eingebunden ist, und deshalb an dieser Stelle noch nicht analysiert wird. Auch die Darstellung der Nachkriegszeit bestätigt die Fokussierung auf die Planwirtschaft: »In der SBZ bemühte sich die Sowjetische Militäradministration (SMAD) dagegen, eine sozialistische Planwirtschaft zu etablieren: staatliche Lenkung der Industrie, zentrale Planung statt privater Verfügungsrechte über Produktionsmittel und Bedarfsdeckung statt Gewinnmaximierung.«285 Als eines der wenigen Bücher beschreibt Horizonte die Situation in der SBZ vor der Währungsreform. So verweist das Schulbuch zutreffend auf die bessere Situation der Währung, da große Geldvermögen (z.B. der Banken) bereits beschlagnahmt wurden, sowie die Befürchtung der SMAD, die westliche Geldreform würde durch das Einsickern der Währung die Wirtschaft gefährden.286 Zum Aufbau der Planwirtschaft gibt es keine Aufgabenstellungen. Allerdings thematisiert Horizonte die Bodenreform mit drei Quellen auf einer gesamten Schulbuchseite.287 Sie ist der Publikation Geschichte der DDR der BpB (2011) entnommen, worauf das Schulbuch in den Provenienzangaben hinweist.288 Oberflächlich betrachtet ist die Konzeption multiperspektivisch angelegt. Sie besteht aus drei Quellen, die die Perspektive der Betroffenen, der »Neubauern« und der SED darstellen sollen. In der ersten Quelle, mit der Beschreibung »Aus der Sicht eines Betroffenen«, erzählt der anonyme Autor, wie seine Frau und er nach dem Krieg auf die verwahrlosten Felder zurückgekommen seien. Am 29. September 1945 habe er die Anweisung bekommen, »[s]ein Gut«289 zu verlassen. Daraufhin seien sie zunächst zu »befreundeten Bauern« und danach zu Bekannten nach Schwerin gegangen. Hier habe er von seiner geplanten »Deportation« erfahren, woraufhin sie in den Westen gegangen seien – nur mit einem Rucksack als Gepäck. Warum er festgenommen werden sollte, erläutert der unbekannte Autor nicht. Die Quelle stammt ursprünglich, wie Horizonte schreibt, aus dem Weißbuch über die Bodenreform. Hier wird der Autor ebenfalls anonymisiert. Zudem existieren keine Quellenangaben. Das Weißbuch über die Bodenreform ist insgesamt, wie eigentlich beim ersten Blick in das Buch deutlich wird, von fragwürdiger wissenschaftlicher Qualität. Im Vorwort der ersten Auflage von 1955 begründet der Herausgeber Joachim Friedrich von Kruse sein Anliegen damit, dass begangene »Unrecht« an den Bauern wachzuhalten und dieses Wissen bei der »Planungsarbeit« für die »Wiedervereinigung« zu

285 Baumgärtner (2015a), S. 402. 286 Baumgärtner (2015a), S. 396. Auf der nächsten Doppelseite, die eine ideologiekritische Analyse der Berlin-Blockade beinhaltet, wurde dieser Aspekt nicht berücksichtigt. Hier positioniert sich der Lösungsband eindeutig, dass die UdSSR den Konflikt ausgelöst habe: Baumgärtner (2015b), S. 298f. 287 Baumgärtner (2015a), S. 404. 288 Bei zwei Quellen stimmt allerdings die Seitenzahl nicht. Richtig ist folgende Angabe: Malycha (2011), S. 12. 289 In der Quelle schreibt er »mein Gut«.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

nutzen. Weiterhin beschreibt Kruse in der Einleitung den »Massenterror« gegen die »Landwirte« durch Enteignung, Ausweisung aus dem Heimatkreis und die »Deportation« in »Konzentrationslager«. Kruse kritisiert nicht nur die Enteignung des Großgrundbesitzes über 100 Hektar, sondern ebenfalls derjenigen Gruppe, »deren Eigentümer als ›Kriegs- und Naziverbrecher‹ erklärt« wurden.290 Als Belege für seine Thesen dienen die insgesamt 146 Berichte, die er aus 500 eingegangenen Berichten ausgewählt habe. Die Ortsangaben und Namen hätten aufgrund der »möglichen Gefährdung« von Familienangehörigen entfernt werden müssen. Die Berichte befänden sich, so Kruse, im Archiv der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Landwirte und Bauern und könnten dort eingesehen werden. Im Vorwort der dritten überarbeiteten Auflage (1988) interpretiert er die Geschichte wie folgt: Demnach gehöre es »zu den vielen absurden Treppenwitzen der Geschichte […], daß ausgerechnet Preußen und das konservativ bodenständige Junkertum in der Propaganda der alliierten Siegermächte […] als ›Junker‹, ihr Berufsstand als ›Hort des preußischen Militarismus, der Reaktion und des Faschismus‹ […] abgestempelt wurde […]. Es ist eine unwiderlegbare Tatsache, daß es keine andere Schicht in Deutschland gab, die in so scharfer Opposition zu Hitler stand, wie die ostelbischen Junker.«291 Auch in dieser Ausgabe werden die Berichte weiterhin anonym gehalten. Inzwischen, so Kruse, seien die Originale in die Stiftungen der jeweiligen Landsmannschaften übergegangen.292 Der wissenschaftliche Mitarbeiter Florian Ostrop der Stiftung Mecklenburg versicherte jedoch, dass diese Berichte bzgl. Mecklenburgs dort nicht existieren würden. Ernst Vögel (vom gleichnamigen Verlag), der sich gut an die Veröffentlichung der dritten Auflage erinnern konnte, sagte, dass Kruse die Berichte privat gesammelt habe und es keine Möglichkeit gebe, sie einzusehen. Auch die wissenschaftliche Integrität von Kruse ist fragwürdig. Dem »Treppenwitz der Geschichte« entsprechend trat Kruse (geb. 16. August 1912 in Neetzow-Anklam) am 01. Mai 1932 (!) mit der Mitgliedsnummer 1 162 840 in die NSDAP ein.293 Zusätzlich dürfte ein persönliches Interesse bei der Konzeption des Buches leitend gewesen sein, denn Kruse wäre der Alleinerbe des Ritterguts Neetzow (724 ha) mitsamt des Schlosses sowie der Rittergüter Klein Below und Krusenfelde (als Summe nochmals 662 ha) gewesen.294 Dass er die Erkenntnisse, die sich aus seinen persönlich zusammengestellten Berichten ergeben, bei der Wiedervereinigung berücksichtigt sehen möchte, ist verständlich. Sie erfüllen jedoch keine wissenschaftlichen Standards und sind als Vergangenheitserfahrung sowohl für die Wissenschaft als auch für die Schulbücher nicht geeignet. Die zweite Quelle, mit der Beschreibung »Aus der Sicht der SED«, ist ein Artikel aus der Zeitung Neues Deutschland (ND) vom 24. September 1970. In diesem Artikel schreibt Paul Gabriel über ein damaliges Fest der Landaufteilung auf der Wiese des »Gutsparkes von Plänitz im Kreis Ruppin«. Demnach hätten 60 Bewerber Land bekommen. Auf dem 290 291 292 293 294

Kruse (1955), S. 5f. Kruse (1988), S. 13f. Kruse (1988), S. 21. BArch R 9361-IX KARTEI/23691290 (o.J.). Niehmus (2018).

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

Fest sei die erste Urkunde Ernst Paris, »Vater von elf Kindern«, übergeben worden. Er begründet die Enteignung der 300 Hektar vom Gut Kränzlin II damit, dass es ein klassisches Beispiel des »zusammengeraubten« ostelbischen Grundbesitzes gewesen sei: »Letzter Besitzer (…) war ein Sturmführer bei Hitlers Reiter-SA.« Der Besitzer wurde bereits in der Quelle der BpB anonymisiert. Es handele sich, so das Neue Deutschland, um den »Rittmeister a. D. Scherz«.295 Damit ist Erich Scherz Junior (geb. 28. Mai 1899) gemeint, der am 1. Mai 1933 mit der Mitgliedsnummer 2 629 684 in die NSDAP eintrat.296 Für die Perspektive »eines Neubauern« wählt Horizonte (ebenfalls nach der Vorlage der BpB) einen Textauszug, in dem eine anonymisierte Person über die Bodenkommission, die in der Bahnhofskneipe getagt habe, berichtet: »Sie bestand zum Teil aus Leuten aus dem Ort, die politisch ihr Mäntelchen in den Wind hängten und sich unter dem neuen Regime Chancen für die eigene Zukunft ausrechneten. […] Mehr als neun Hektar durften pro Neubauer nicht verteilt werden. Und die besten Stücke haben wir natürlich auch nicht bekommen. […] Vor der Bodenreform glich auf dem Gut der hohe Ertrag der guten Böden die niedrigeren Ernten auf den schlechteren Äckern aus. Doch jetzt stand der Neubauer mit seinem bisschen Land da und musste sehen, wie er zurechtkam. Eine unserer Flächen war das übelste Stück des Gutes. […] Wir konnten nicht frei entscheiden, was wir anbauen wollten, wofür unsere Böden am geeignetsten waren. Wir mussten Getreide, Raps, Mohn, Zuckerrüben und sogar Tabak anbauen. […] Unsere Leistung wurde genau kontrolliert.« Der Bericht weckt soziologische Zweifel an der Kategorisierung als »Neubauern«, da sich die Neubauern zumeist über das Land gefreut haben. Im Originaltext, der sich im Quellenband Auferstanden aus Ruinen von Dieter Zimmer befindet, berichtet Stephan Kühne vor allem über die Enteignung des Gutes. Nach eigenen Angaben ist sein Vater Güterdirektor eines Adelsgutes in der Nähe von Stendal. Im Text heißt es außerdem: »Für meine Eltern war die Bodenreform ein ungeheurer sozialer Abstieg. Mein Vater war zwar nur Angestellter des Grafen, aber wir waren genauso betroffen wie die Besitzer.«297 Dabei hat er allerdings wichtige Informationen unterschlagen. Stephan Otto Kühne (geb. 8. April 1927 in Kläden), so sein ganzer Name, ist Mitglied der Familie Kühne, die in Sachsen-Anhalt zahlreichen Großgrundbesitz und viele weitere Eigentümer besaß.298 Sein Vater heißt Otto Kühne, der zusätzlich zur Funktion als Güterdirektor in Kläden im Vorstand der familieneigenen Zuckerfabrik in Stendal saß, und sein Onkel Otto Albert Stephan Kühne299 , dem das Gut Nienhagen bei Halberstadt gehörte. Auf diesem Gut heiratete seine Kusine Tilla Maria Kühne im Jahr 1937 Nicolaus von Below – immerhin Oberst der Luftwaffe und persönlicher Luftwaffenadjutant von Adolf Hitler. 295 Paul Gabriel (1970). 296 BArch R 9361-IX KARTEI/37210500 (o.J.). Zusätzlich hat die Familie Scherz die zweifelhafte Ehre, Teil eines Romans von Louis-Ferdinand Céline zu sein, der von erschreckenden Verhältnissen in Kränzlin berichtet: Céline (1985). 297 Zimmer (1989), S. 56f. 298 Amtsrats-Kühne-Stiftung (2017). 299 Bennecke (2013); Kühne (2016); Gieseler (2017).

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

Das enteignete Gut in Kläden, auf dem Stephan Kühne und seine Geschwister aufwuchsen, verwaltete Otto Kühne für seinen Konsemester aus der Burschenschaft Saxo-Borussia, nämlich den von der Bodenreform »betroffenen« – so Stephan Kühne – Werner Graf von Bassewitz-Levetzow300 , der als Kapitän zur See und Kommandeur der 2. Marine-Infanterie-Division mit dem Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes die höchste militärische Auszeichnung des Faschismus bekam.301 Otto Kühne (geb. 27. Juli 1892 in Nienhagen) stellte am 12. Januar 1936 seinen Antrag auf Mitgliedschaft in der NSDAP. Zum 1. April 1936 wurde er unter der Nummer 3 738 309 aufgenommen.302 Die Beschreibung von Stephan Kühne als »Neubauer« ist wissenschaftlich unzulässig. Dabei stellt sich die Frage, wie diese Bezeichnung entstanden ist. In der ersten Auflage der Geschichte der DDR (1991) der BpB ist der identische Quellenauszug mit der Überschrift »Berichte der Betroffenen« (!) eingeleitet, wobei auch hier keine Quellenkritik erfolgt.303 Für die zweite Auflage der Publikation wurde diese Überschrift in »… aus Sicht der Neubauern« geändert. Folglich soll dieser Bericht repräsentativ für viele Neubauern stehen. Horizonte hat die normative Optimierung der BpB abgeschrieben. Die Aufgabenstellung im Schulbuch wurde allerdings von den Schulbuch-Autor*innen von Horizonte ergänzt. Sie lautet: »Arbeiten Sie aus den Quellen zur Bodenreform den Ablauf der Enteignung und der Landverteilung sowie den jeweiligen politischen und sozialen Standort der Verfasser heraus und prüfen Sie die ›Objektivität‹ der Berichte.« Der Lösungsband sieht folgende Interpretation vor: »Prüfung der Objektivität: […]; stärkste ideologische Färbung wohl bei M8b [Quelle aus der Sicht der SED, KK], das den früheren Besitzer des enteigneten Landes als Sturmführer der SA diskreditiert und so suggeriert, Ähnliches sei bei allen Gutsbesitzern, die hier als ›Junker‹ bezeichnet werden, der Fall gewesen.«304 Nach der tiefer-gehenden Analyse der Quellen entpuppt sich die multiperspektivische Konzeption als Farce. Hinsichtlich einer Quelle fehlen alle wissenschaftlichen Standards für die fachliche Triftigkeit. Ein weiterer Quellenauszug macht aus einem Mitglied der Gutsbesitzer-Dynastie Kühne einen armen »Neubauern«, der nicht genug Land erhalten habe. Dennoch kommen die Schulbuch-Autor*innen, nach Prüfung vom »politischen und sozialen Standort der Verfasser«, zu der Einschätzung, dass deren Darstellung objektiver als ein Zeitungsartikel aus dem ND sei. Ebenfalls erscheint es fragwürdig, die »ideologische Färbung« anhand der »Diskreditierung« des SA-Sturmführers zu begründen. Dass die Mitgliedschaft in der SA »typisch« – wie es im Zeitungsartikel des ND heißt – für junge Großgrundbesitzer war, ist nicht nur eine ideologische Sicht der SED, sondern entspricht den Erkenntnissen der 300 Kühne (1984), S. 93. 301 Scherzer (2007), S. 204. 302 BArch 9361-IX KARTEI/23870490 (o.J.). Auch der ältere Bruder von Stephan Kühne, Karl Otto Kühne (geb. 30. Dezember 1923 in Kläden), trat am 1. Juli 1941 mit der Mitgliedsnummer 8 740 406 in die NSDAP ein: BArch R 9361-IX KARTEI/23870065 (o.J.). 303 Pötzsch u.a. (1991), S. 59f. 304 Baumgärtner (2015b), S. 302.

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

aktuellen Geschichtswissenschaft. Wie das Schulbuch selbst beweist, liefert (fast) jede überprüfbare Geschichte der »Betroffenen« der Bodenreform den Hinweis auf NSDAPMitgliedschaften und/oder wichtige Funktionen der Enteigneten im Faschismus.

6.3.3 Exploring History Das Schulbuch Exploring History wurde für bilingualen Unterricht in englischer Sprache der Oberstufe konzipiert. Im Vergleich zu den anderen Schulbüchern fällt die politik-geschichtliche Konzeption auf; Wirtschaftsgeschichte wird dagegen wenig thematisiert. Das Schulbuch legt einen Schwerpunkt auf die alliierten Aushandlungsprozesse, die über mehrere Doppelseiten dargestellt sind. Ein kurzer Abschnitt mit der Überschrift »Problems of Currency Reform«305 erläutert die Entwicklung der BRD-Wirtschaft: »As the Western Allies moved to reform the currency in their zones, the Soviet Union protested and left the meeting of the Control Council on 20 March 1948. The new currency was secretly printed in the US, then transported to the Western zones. […] Forty reichsmarks per capita were exchanged for forty new German marks (a month later twenty additional marks were allowed). At the insistence of Ludwig Erhard, Director of Economics in the Bizone, price and production controls adopted by the military governors were abolished. Shops suddenly filled with previously hoarded goods; the black markets abruptly closed down.« Demgegenüber sei, so das Schulbuch, in der Sowjetzone 70 Mark pro Kopf 1:1 getauscht worden. Die ökonomische Bewertung fällt eindeutig aus: »However, the lack of goods kept the market from flourishing; remaining black markets were visible proof that the new currency reform was not as successful as in the West.« Die Quoten der Umstellung der Sparkonten und der sonstigen Vermögen werden nicht erwähnt, so dass die Währungsreform eigentlich weder verstanden noch bewertet werden kann. Exploring History erklärt den ökonomischen Erfolg mit einer monetaristischen Perspektive, die jedoch verkürzt ausfällt und fachlich nicht triftig ist. Normativ triftig wäre folgender Satz: Aus der Sicht von Milton Friedman oder der monetaristischen Schule aus Chicago gilt die Währungsreform als erfolgreich. Für das Auswertungsraster codiere ich die Währungsreform Doppelplus (++) und die Leitsätze-Gesetze Plus (+). Im weiteren Text folgt eine Überleitung zur Berlin-Blockade, welche die UdSSR im Zuge der Währungsstreitigkeiten verhängt habe. Der Erfolg der Währungsreform wird durch eine Fotografie (M5) visualisiert, die zwei ältere Menschen zeigt, die in ein vollgefülltes Schaufenster – vor allem mit Fleischprodukten – schauen. Die Bildbeschreibung datiert die Fotografie auf »after currency reform«. Einige Seiten später finden die Schüler*innen eine dazugehörige Aufgabenstellung, die sie zu einer Umfrage bei den Großeltern und anderen älteren Menschen auffordert. Bei dem anschließenden Bericht für die Klasse sollen die Quelle M5 und der Darstellungstext hinzugezogen werden.306 305 Brabänder u.a. (2014), S. 182f. 306 Brabänder u.a. (2014), S. 189.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

In einem späteren Abschnitt beschreibt das Schulbuch das Anwerben von »guest workers« als Folge des Aufschwungs. Dabei wird nicht erwähnt, dass sie zum Boom beigetragen haben. Deshalb codiere ich die Migrant*innen aus Südeuropa Fragezeichen (?) und nicht Plus (+). Zusätzlich druckt Exploring History die Fotografie des einmillionsten »Gastarbeiters« Armando Rodrigues de Sá ab, als dieser ein Moped geschenkt bekommt (siehe Seite 160). Das Schulbuch informiert allerdings nicht über seine schweren körperlichen Beeinträchtigungen und seinen frühen Tod, die wahrscheinlich auf den Arbeitseinsatz in Deutschland zurückzuführen sind. Außerdem stellt das Schulbuch den Beginn der europäischen Integration dar.307 Bemerkenswert ist das komplette Fehlen des Begriffes der »Sozialen Marktwirtschaft«. Die Wirtschaft von DDR/SBZ bekommt in Exploring History sogar geringfügig mehr Raum als die der BRD. Im Abschnitt »Ulbricht Introduces German Socialism« befinden sich die wichtigsten Sätze: »Under his leadership the 1952 Second Party Congress adopted a Soviet-style system: The party set economic production guidelines with five-year plans; heavy industry, the chemical industry and generation of energy took precedence over consumer production. By 1955, 83 % of industrial production was concentrated in state-owned businesses (volkseigene Betriebe, VEB). Small businesses and trades were grouped into ›trade organizations‹ (Handelsorganisationen, HO).«308 Weiterhin misst das Schulbuch den Reparationen eine wichtige Rolle bei. Sie sind an mehreren Stellen als ökonomisches Problem genannt (++).309 Auch beinhaltet Exploring History einen ausführlichen Quellenauszug aus dem Potsdamer Abkommen, in dem die Zerstörung der Wirtschaftsmacht, die Dezentralisierung und die Reparationsleistungen aufgezählt werden.310 Die vereinbarten Reparationsleistungen an die Sowjetunion seien von Clay eingestellt worden, um die wirtschaftliche Einheit zu erreichen.311 Die Nachkriegswirtschaft wird in einer großen Tabelle dargestellt, die die »Sovietization« in einen politischen und einen sozial-ökonomischen Teil gliedert. Hier sind die Bodenreform, die Bildung von LPG und die Verstaatlichung von Banken und Industrie aufgelistet.312 Eine direkte ökonomische Bewertung ist nicht zu erkennen. Allerdings wird an anderer Stelle auf die schlechte Versorgung mit Waren und die anschließende Flucht von vielen Menschen in den Westen hingewiesen.313 Deshalb codiere ich die Planwirtschaft Plus (+). Außerdem stellt das Schulbuch zwei Quellen zur Bodenreform zur Verfügung. Die erste Quelle M16 zeigt ein »Propaganda poster«, auf dem im Hintergrund ein Gutshaus zu sehen ist, das von drei Neubauten (teilweise) verdeckt wird. In großen Druckbuchstaben heißt es oberhalb »NEUBAUERNHÖFE« und unterhalb »AUS ABBRUCHMATERIAL [Absatz] [kleinere Schrift] VON KASERNEN UND HERRENSITZEN«. Die Quelle 307 308 309 310 311 312 313

Brabänder u.a. (2014), S. 208f. Brabänder u.a. (2014), S. 209. Brabänder u.a. (2014), S. 180, 216. Brabänder u.a. (2014), S. 177. Brabänder u.a. (2014), S. 181. Brabänder u.a. (2014), S. 192f. Brabänder u.a. (2014), S. 210.

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Abbildung 9: Quelle zur Bodenreform

M17 besteht aus einer Fotografie vom Gutshof Hesseroda aus dem Jahr 1948, die aus einem abgerissenen Haus herausgeschossen wurde (vgl. Abb. 9). Die suggestive Aufgabenstellung lautet: »Contrast the plans for farm reconstruction with the problems it raised in reality (M16, M17).« Wie die Schüler*innen anhand dieser Fotografie die – tatsächlich vorhandenen – Materialprobleme erkennen können, ist nicht ersichtlich. Selbst in vielfacher Vergrößerung von M17, die ich vorgenommen habe, sind keine Informationen für die Lösung der Aufgabe zu erkennen. Das Finden der erwünschten Antwort, also die Bewertung des Plakates M16 als Propaganda, dürfte den Schüler*innen trotzdem nicht schwerfallen. Sie können die Lösung der Bildunterschrift von M16 entnehmen. Aufgrund dieser Quellen codiere ich die schlechte Versorgung durch die Bodenreform mit Plus (+). Demgegenüber ist die allgemeine Wirtschaft der DDR in der Kapitel-Zusammenfassung relativ erfolgreich beschrieben: »By 1963 both East and West Germany had rebuilt their political systems and were transforming their economies into powerhouses in their blocs – an outcome utterly unexpected in 1945.«314 Exploring History ist besonders hinsichtlich der narrativen und normativen Triftigkeit bemerkenswert. Einerseits bietet das Schulbuch nahezu keine Quellen zur Bearbeitung und besteht größtenteils aus Darstellungstext. Andererseits erzählt das Schulbuch über historische Forschung. Zur Potsdamer Konferenz heißt es: »Only recently have Western historians gained access to Soviet archives. Therefore, the exact Soviet intentions in Germany are still uncertain«315 ; zum ERP steht »is debated among historians today«316 geschrieben; hinsichtlich der Entnazifizierung erläutert das Buch: »Scholars have questioned how effective denazification actually was – the trials tended to reinforce German sympathies and proved counter-productive.« Zum Ergebnis der For-

314 315 316

Brabänder u.a. (2014), S. 216. Brabänder u.a. (2014), S. 180. Brabänder u.a. (2014), S. 182.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

schung lesen die Schüler*innen: »is debated« (+).317 Da das Schulbuch keinen Quellentext zur Wirtschaftsgeschichte beinhaltet, kann der Quotient von DT/QT nicht erfasst werden. Auch sind die wirtschaftshistorischen Teile so sehr in die politik-geschichtliche Darstellung eingebettet, dass das Ergebnis der Zählung der Wörter kritisch zu betrachten ist.

6.3.4 Die Reise in die Vergangenheit Im folgenden Abschnitt werden drei Ausgaben, nämlich Die Reise in die Vergangenheit 3 (NRW) für Haupt- und Realschule318 , Die Reise in die Vergangenheit 9 (Sachsen) für Mittelstufe und Oberschule319 sowie Die Reise in die Vergangenheit 9/10 (Thüringen) für die Regelschule320 besprochen. Allerdings hat Westermann nur für die Ausgabe des Bundeslandes NRW einen Lösungsband veröffentlicht. Bei allen Schulbüchern lautet die Überschrift für den ökonomischen Teil der BRD »Wirtschaftswunder im Westen«; lediglich die Ausgabe von Thüringen benutzt Anführungsstriche für das »Wirtschaftswunder« (Anführungsstriche = ++). Der Darstellungstext beginnt mit folgendem Satz: »Durch den Marshallplan und die Währungsreform von 1948 waren wichtige Voraussetzungen für den wirtschaftlichen Aufbau in den westlichen Besatzungszonen geschaffen worden.«321 Da Währungsreform und ERP (wie noch gezeigt wird) in anderen Abschnitten ebenfalls als bedeutend hervorgehoben werden, summiert sich die Codierung auf Doppelplus (++). Im weiteren Verlauf des Textes heißt es in allen drei Ausgaben: »1949 berief Bundeskanzler Konrad Adenauer als ersten Wirtschaftsminister Ludwig Erhard in die Bundesregierung. Erhard vertrat die Soziale Marktwirtschaft und unterstützte so Maßnahmen für den Wiederaufbau der zerbombten Städte und die Gründung neuer Fabriken und Industrien im Westen. Viele Westdeutsche befürworteten den Wiederaufbau.«322 Dieser Abschnitt bleibt in seiner Narration diffus. Es ist nicht nachvollziehbar, warum der Aufschwung eingesetzt hat. Fragwürdig bleibt außerdem, wie die SchulbuchAutor*innen zu der These kommen, dass einige »Westdeutsche« den Wiederaufbau nicht (!) befürwortet hätten. Die »Soziale Marktwirtschaft« (++) wird in einem Paratext durch Privateigentum, »freien Wettbewerb«, der Möglichkeit des Staates durch »finanzielle Hilfen« und Steuererleichterungen »in den Wettbewerb einzugreifen« sowie der Möglichkeit zu »sozialem Ausgleich« definiert. Letzteres vertrat Erhard sicherlich nicht. Erhard wird zudem auf einer Fotografie abgebildet, auf der er das Buch »Wohlstand für alle« und eine Zigarre in der Hand hält. Folglich ist Erhard Doppelplus (++) codiert. Weiterhin hebt Die Reise in die Vergangenheit den wichtigen Beitrag von »Flüchtlingen und ehemals Vertriebenen« (+) für den Aufschwung hervor. Dieser Aspekt ist in der 317 318 319 320 321 322

Brabänder u.a. (2014), S. 181. Ebeling u.a. (2014). Ebeling u.a. (2015a). Ebeling u.a. (2015b). Ebeling u.a. (2014), S. 134; Ebeling u.a. (2015a), S. 44; Ebeling u.a. (2015b), S. 180. Ebeling u.a. (2014), S. 134; Ebeling u.a. (2015a), S. 44; Ebeling u.a. (2015b), S. 180.

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Wirtschaftsgeschichte unbestritten und kann als fachlich triftig gelten. Auch verweisen die Bücher auf die Anziehungswirkung des Aufschwungs auf die Menschen in der DDR. Eigentlich wäre es wichtig zu betonen, dass der Boom durch die Migration aus der DDR unterstützt wurde. Außerdem finden die Schüler*innen eine Quelle Q1 mit folgender Beschreibung: »Der Journalist Hellmuth Karasek blickt 1978 auf die Jahre des ›Wirtschaftswunders‹ zurück.« Der gesamte Quellenauszug lautet: Fresswelle hieß die erste Etappe: Der Kuchen mit Schlagsahne wurde wieder entdeckt, wiedererobert. Dann warf man sich in Schale: Die Bekleidungswelle rollte. Dann begann man wieder zu reisen … die Deutschen erreichten Kärnten, das Salzkammergut, den Lago Maggiore.« Allerdings hatte der Artikel zeitgenössisch eine andere Bedeutung. Er ist Teil der Titelgeschichte »Mythos der 50er« der Wochenzeitung Der Spiegel vom 3. April 1978, die aus dem Leitartikel »Heimweh nach den falschen Fünfzigern« und dem bissigen Kommentar von Karasek mit dem Titel »Deutscher Ritt über den Bodensee« besteht.323 Auch die Autor*innen von Die Reise in die Vergangenheit leiteten den Text in der Ausgabe von 1995 mit der Beschreibung »Die Jahre des Wiederaufbaus in kritischer Sicht« ein.324 Das Schulbuch zitierte damals die ersten Sätze des ursprünglichen Artikels: »Da die Deutschen das Jahr 1945 als ›Zusammenbruch‹ erlebten (und nicht das Jahr 33), das Kriegsende als ›Stunde Null‹, konnte es eigentlich nur bergauf gehen. Und in den fünfziger Jahren ging es stürmisch bergauf. Scheinbar war es ein Start mit totaler Chancengleichheit, da die Währungsreform von 48 alle gleich arm gemacht hatte. Gründerstimmung, Gründeroptimismus lag in der Luft. Man sah das Ziel und konnte deshalb den Weg übersehen.« Natürlich musste auch diese Ausgabe Kürzungen vornehmen, die ich zitieren werde, um einen weiteren Eindruck des originalen Textes zu vermitteln: »Der Beamten-Staat lebte (Globke hin, Globke her) weiter, und mitten in den GründerBoom der Chicago-Karrieren mit Schwindlern, Bankrotteuren, neureichen Neckermännern und den ewigen Flicks und Krupps hinein stellten die Deutschen das Modell von der sozialen Marktwirtschaft, den Fight um die D-Mark zwischen Unternehmern und Gewerkschaftlern, ein Sozial-System, das sich, ohne rot zu werden, auf Bismarck berufen konnte: Zuckerbrot ohne Peitsche, so schien es.«325 Innerhalb des Westermann-Verlags entschied man sich anscheinend, den kritischen Artikel zukünftig zur Illustration des »Wirtschaftswunders« und des »Wohlstands für alle« zu benutzen. Der Lösungsband für NRW gibt den Lehrer*innen zusätzlich folgende Informationen: »Der Journalist Hellmuth Karasek nennt einige Folgen des Wirtschafts-

323 Der Spiegel (1978). 324 Ebeling/Birkenfeld (1995), S. 97. 325 Karasek (1978), S. 98.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

wunders: Fresswelle, Wunsch nach modischer Bekleidung, Reiselust in den Süden.«326 Die Grundaussage des Textes ist völlig verändert. Am unteren Ende der Seite sind zusätzlich drei Bildquellen zu sehen – ein Werbeplakat für ein Messerschmitt Auto, eines für eine Miele-Waschmaschine und eines für den Film Grün ist die Heide. Laut dem Lösungsband stünden die Plakate für Technisierung, Wohlstand und dem Wunsch nach Normalität. Auf der gegenüberliegenden Seite unterscheiden sich die Ausgaben. Die Bände für Thüringen und NRW beginnen an dieser Stelle bereits mit der DDR-Wirtschaft. Im Schulbuch für Sachsen werden dagegen der »Kaufrausch« und die Reisewelle vertiefender ausgeführt. Bemerkenswert ist der letzte Abschnitt zu den »Schattenseiten des Wirtschaftswunders«.327 Hier beschreibt das Schulbuch, dass im Jahr 1955 20 Prozent der Bevölkerung von Sozialleistungen abhängig gewesen seien und dass »eine Millionen Haushalte« unter der »Armutsgrenze von 130 Mark Monatseinkommen« gelebt hätten. Das Schulbuch gibt nicht an, woher die Zahlen stammen. Im Internet finden sich mehrere Webseiten, welche die gleichen Zahlen benutzen.328 Eventuell haben die Schulbuchautor*innen sie übernommen. Bei der Zusammenstellung der Zahlen sind allerdings einige gravierende Fehler passiert. Die grundlegende Arbeit zu diesem Thema veröffentlichte Hans Günter Hockerts im Jahr 1980, aus der hervorgeht, dass im Jahr 1955 ca. eine Millionen Einpersonenhaushalte (!) unter der Armutsgrenze von 130 Mark (für einen ErwerbslosenEinpersonenhaushalt)329 gelebt hätten. Hockerts listet alle Formen von Haushalten auf, die Sozialleistungen bekamen. Jedoch setzt er diese nicht in Relation zu den Armutsgrenzen für Mehrpersonenhaushalte, so dass keine Gesamtstatistik zur Armutsgrenze ausgerechnet wurde. Zusätzlich weist Hockerts auf ein grundlegendes Problem für die Analyse der Armut hin. Die Daten beziehen sich nämlich nur auf Haushalte, die Sozialleistungen bekommen konnten.330 Darin würden allerdings Haushalte von kinderreichen Familien ohne Anspruch auf Sozialleistungen fehlen.331 Auch die Zahl, nach der 20 Prozent der Menschen auf Sozialleistungen angewiesen gewesen seien, wurde vermutlich falsch abgeschrieben. Hockerts hat berechnet, dass 20 Prozent der Bevölkerung in Abhängigkeit der Rentenzahlungen gelebt hätten. Hierbei bleiben Personen unberücksichtigt, die von den Rentenempfänger*innen abhängig waren. Werden diese hinzugefügt, liegt die Schätzung für das Jahr 1955 bei 28,2 Prozent bzw. 31,3 Prozent der Einwohner der BRD.332 Allerdings gelten diese Zahlen 326 327 328 329

Ebeling (2014), S. 56. Ebeling u.a. (2015a), S. 45. WDR (2006); Haus der bayrischen Geschichte (2018); Ginster (2005). Hockerts (1980), S. 210. Die Definition der Armutsgrenze von 130 Mark für einen Einpersonenhaushalt geht auf folgende Arbeiten zurück: Hansen (1955), S. 282; Münke (1956), S. 31ff. Diese berechneten die Armutsgrenze aus dem Grundbetrag für einen Haushalt von 80 Mark plus des Betrags für jeden Menschen im Haushalt. Dieser Betrag wurde für Erwerbstätige = 70 Mark, Arbeitslose = 60 Mark, Nichterwerbstätige = 50 Mark, Kinder = 40 Mark geschätzt. 330 Hockerts (1980), S. 210. 331 Es gibt eine Dissertation zur Kinderarmut in Deutschland. Jedoch ist es nicht trivial, aus diesen Daten eine vergleichbare Armutsgrenze für kinderreiche Familien zu berechnen: Reichwein (2012), S. 59ff. 332 Hockerts (1980), S. 202f.

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lediglich für Rentenempfänger*innen, nicht für andere Sozialleistungen. Eine weitere Statistik bei Hockerts kommt zu dem Ergebnis, dass ca. 20 Prozent der Haushalte fast ausschließlich von Sozialleistungen gelebt hätten. Dabei würden jedoch Haushalte fehlen, die z.B. 50 Prozent ihres Einkommens durch Sozialleistungen erhalten hätten. Insgesamt, so Hockerts, »floß [im Frühjahr 1955, KK] in der Bundesrepublik in jeden zweiten Haushalt Einkommen aus Sozialleistungen«.333 Die verwendeten Zahlen in Die Reise in die Vergangenheit verharmlosen die Armut im »Wirtschaftswunder«. Am Ende des Abschnitts schreiben die Autor*innen des Schulbuchs einen Satz, der – aufgrund der Seltenheit in den Schulbüchern – hervorzuheben ist: »Zugleich erkämpften auch die Gewerkschaften wesentliche Verbesserungen der sozialen Situation der Arbeitnehmer.«334 Dennoch werden die Gewerkschaften lediglich mit Fragezeichen (?) codiert, da nur deren Rolle für die soziale Situation, nicht aber für die Konjunkturentwicklung betont wird. Solch eine Formulierung wäre beispielsweise: Die inländische Nachfrage trug wesentlich zum Wirtschaftsaufschwung bei. Sie wurde durch die erfolgreichen Lohnkämpfe der Gewerkschaften angekurbelt. Außerdem bietet eine Doppelseite von Die Reise in die Vergangenheit für Sachsen einige Arbeitsaufträge. Es sind fast ausschließlich Wiedergabeleistungen. Lediglich die »Aufgabe 1a« verlangt nach einer Erläuterung des Begriffes »Wirtschaftswunder«. Jedoch können die Schüler*innen eine Erläuterung mit dem vorhandenen Material nicht leisten. Die Ausgabe für Thüringen unterscheidet sich bereits auf der Seite zum »Wirtschaftswunder« durch ein Element: So ist – anstatt des Bildes von Erhard mit dem Buch Wohlstand für alle – die Karikatur von Erhard abgebildet, auf der er wie ein Ballon aus den Trümmern aufsteigt (siehe Seite 212). 335 Auch in diesem Schulbuch wird weder der Name des Zeichners noch das Datum der Veröffentlichung genannt. Auf der anderen Seite der Doppelseite erfolgt der Vergleich mit der DDR-Wirtschaft. Unter der Überschrift »Zentralverwaltungswirtschaft im Osten« stellen die Autor*innen zunächst fest, dass »auch die DDR« unter den Folgen des Zweiten Weltkriegs gelitten habe. Außerdem wird die Versorgungslage beschrieben, die, Südfrüchte ausgenommen, ab 1958 gesichert gewesen sei. Das Wirtschaftssystem, das aus einer vollständigen zentralen Planung mit Fünfjahresplänen bestanden habe, sei von der Sowjetunion übernommen worden. Weiterhin hätten sich die Betriebe »bedingungslos« an die Planung halten müssen. Die »Voraussetzung« für die »Zentralverwaltungswirtschaft« seien die Enteignungen der Industrie und die Kollektivierung des Bodens gewesen.336 Deshalb codiere ich die Planwirtschaft Doppelplus (++), die Enteignungen der Industrie Plus (+) und die LPG Plus (+). In einem zweiten Abschnitt beschreibt das Schulbuch für Thüringen den Aufbau der Schwerindustrie als Schwerpunkt des ersten Fünfjahresplans. Dabei werden weder die Ursachen benannt noch die wirtschaftspolitische Entscheidung bewertet.

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Hockerts (1980), S. 209. Ebeling u.a. (2015a), S. 45. Ebeling u.a. (2015b), S. 180. Ebeling u.a. (2015b), S. 181.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

Bemerkenswert ist die Erweiterung der Aufgabenstellung in der Ausgabe für Thüringen. Sie lautet: »Erläutere die Begriffe ›Wirtschaftswunder‹ und ›Zentralverwaltungswirtschaft‹.« Der Begriff »Zentralverwaltungswirtschaft« ist eine normative Bezeichnung von Eucken, die – wie das ganze Werk von Eucken – außerhalb Deutschlands wenig Beachtung gefunden hat.337 Demgegenüber ist Planwirtschaft sicherlich der bessere und verbreitetere Begriff. In der zweiten Aufgabe sollen die Schüler*innen die wirtschaftliche Entwicklung in Ost und West »vergleichen«. Für den Westen können die Schüler*innen mit dem Material die unterschiedlichen Konsumwellen auflisten und für den Osten die Aufhebung der Lebensmittelkarten und die Warteschlangen für hochwertigere Konsumgüter benennen. Die dritte Aufgabe verlangt den Vergleich von drei Werbeplakaten aus dem Westen mit dem »Propaganda-Plakat« Der Aufbau geht so schnell voran, daß keine Lüge folgen kann (siehe Seite 200) und dem »Plakat zum ersten Fünfjahresplan der DDR«. Letzteres zeigt die Baustelle der Hochöfen vom Eisenhüttenkombinat Ost (EKO). Die Auswahl der Plakate ist nicht für historisches Lernen geeignet. Besser wäre es gewesen, dem »Propaganda-Plakat« anstelle der Produktwerbung ein politisches Plakat von Die Waage gegenüberzustellen. Die letzte Aufgabe besteht darin, zu »überprüfen«, ob »sich auch in der wirtschaftlichen Entwicklung Grundlagen des wirtschaftlichen Systems widerspiegeln«. Auch an dieser Stelle ist mit dem vorhandenen Material nur eine Antwort im ordoliberalen Sinne möglich. In der Ausgabe für Sachsen ist der Darstellungstext neu strukturiert und um die besondere Belastung durch die Reparationszahlungen (+) – neben den Kriegsschäden in der Wirtschaft – erweitert worden.338 Bis auf wenige Elemente ist der DT mit der Ausgabe von Thüringen identisch. Außerdem finden die Schüler*innen eine Grafik zum »System der Planwirtschaft«. Sie ist in einem ovalen Bild dargestellt und über der gesamten Grafik steht geschrieben: »Totale staatliche Planung in allen Wirtschaftsbereichen«. In der Zeichnung wird durch Pfeile visualisiert, dass der Staat alle Bereiche der Wirtschaft (Landwirtschaft, Banken und Versicherungen, Haushalte, Handel, Handwerk und Industrie) mit den Kennziffern Produktion, Verbrauch, Arbeitseinsatz, Einkommenshöhe und Investitionen plane und kontrolliere. Zusätzlich finden die Schüler*innen eine Fotografie eines Hochofens. Auf der rechten Hälfte der Doppelseite wird die Kollektivierung der Landwirtschaft behandelt, die »im Sinne einer sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft« erfolgen sollte. Das Buch spricht von wirtschaftlichen Schwierigkeiten, da sich unrenta337

Eine kritische Rezeption zu Eucken findet sich hier: Ptak (2004), S. 109ff. Ptak kritisiert überzeugend, dass das Eucken´sche Modell von unterschiedlichen Formen von Wirtschaftssystemen, die Eucken danach einteilen würde, in welchem Ausmaß es freie Konkurrenz gebe, nicht überzeugend sei. Beispielsweise reduziere er die wirtschaftliche Macht auf die Möglichkeit Preise festlegen zu können. Dabei ignoriere Eucken, dass ökonomische und politische Macht vor allem über die Verfügung über Eigentum erfolge, die oftmals vererbt werden. Nach Eucken sei die Zentralverwaltungswirtschaft dann der Extremwert von ökonomischer und politischer Macht: Ptak (2004), S. 118ff. Zur Kritik an Eucken siehe auch Seite 72. 338 Ebeling u.a. (2015a), S. 48.

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ble Betriebe vereinten. Außerdem hätten sich »erfolgreiche« Bauern nicht als Kollektiv zusammenschließen wollen. In der Quelle Q1 berichtet Josef Vahsen von den Repressionen gegen seinen Vater, der ebenfalls nicht in die Genossenschaft eintreten wollte.339 Letztlich sei dem Vater nichts anderes übrig geblieben, als in die LPG einzutreten. Daraufhin habe Josef Vahsen den Hof verlassen, da er seine Erbansprüche verloren habe.340 Als weitere Quelle M3 finden die Schüler*innen eine Zeichnung, die die Veränderung eines »Gutshofes in der Nähe von Greifswald« abbildet. Das Bild zeigt die Flächen des Gutshofes als Gutssiedlung um 1900, nach der Bodenreform im Jahr 1945 und als vollgenossenschaftliches Dorf im Jahr 1970. Die erste Aufgabe besteht in der Nennung der Herausforderungen der DDRWirtschaft. Danach sollen die Schüler*innen die Rolle des Staates und die Funktion der Planwirtschaft »erläutern«. In der dritten Aufgabe heißt es: »Nimm Stellung zu den Aussagen in Q1.« Folglich verlangt das Schulbuch, das Vorgehen gegen den Bauern Vahsen zu verurteilen. Eine Quellenkritik ist mit dem Material nicht möglich. Die Quelle kann zudem nicht geprüft werden, da sie anscheinend nicht veröffentlicht wurde. Die Ausgabe für Nordrhein-Westfalen behandelt die DDR-Wirtschaft auf weniger als einer halben Seite. Hier heißt es: »In der DDR wurde die wirtschaftliche Entwicklung durch den Staat geplant und gelenkt. In Fünfjahresplänen wurden die Mengen an Waren, die produziert und verbraucht werden sollten, genau festgelegt. In der Landwirtschaft waren viele kleinbäuerliche Betriebe zu landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) zusammengefasst worden. Immer mehr Betriebe wurden enteignet. Die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln konnte nicht sichergestellt werden.«341 Deshalb sind Planwirtschaft Doppelplus (++), Enteignungen Plus (+) und LPG Plus (+) codiert. Weiterhin wird der »17. Juni 1953« beschrieben, der aus dieser wirtschaftlichen Entwicklung resultiert habe. Zumeist wurde in der vorliegenden Arbeit die Darstellung der Proteste vom Juni 1953 nicht analysiert, da sie als politische Geschichte separiert behandelt werden. In diesem konkreten Fall stellt Die Reise in die Vergangenheit die Proteste direkt in den Kontext der wirtschaftlichen Entwicklung, weshalb ich sie in die Analyse einbeziehe. Zunächst werden die Arbeitsnormen-Erhöhung und der Beginn der Proteste auf der Stalinallee beschrieben, die sich zu einem »Volksaufstand« ausgeweitet hätten. Daraufhin hätten die sowjetischen Truppen eingegriffen und den Aufstand niedergeschlagen. Außerdem bietet das Schulbuch einige Quellen. In der Textquelle Q1, in eckigen Klammern habe ich einen gekürzten Satz ergänzt, beschreibt der »ehemalige SED-Politiker Heinz Brandt« Folgendes:

339 Meiner Kenntnis nach existieren keine veröffentlichten Dokumente zu diesem Fall. In den Provenienzangaben von Die Reise in die Vergangenheit wird lediglich auf eine »mündliche Erzählung« von Josef Vahsen verwiesen: Ebeling u.a. (2015a), S. 204. Quellenkritische Hinweise, wie sie bei Oral history besonders wichtig sind, fehlen. 340 Ebeling u.a. (2015a), S. 49. 341 Ebeling u.a. (2014), S. 135.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

»Es war wie zu Beginn eines Bürgerkrieges. Unter die streikenden Demonstranten hatten sich inzwischen auch zahllose Westberliner, zumeist Jugendliche, gemischt. Funktionärsautos wurden angehalten und umgekippt, Transparente und DDREmbleme abgerissen und in Brand gesteckt. [Spontane Demonstrationszüge und organisierte Sprechchöre, Kuriere auf Fahrrädern, meist Westberliner Herkunft, Ansprachen von Autos und improvisierten Podesten, KK] … SED-Mitgliedern wurden die Parteiabzeichen abgerissen.«342 Der Originaltext, nämlich das Buch Ein Traum, der nicht entführbar ist. Mein Weg zwischen Ost und West aus dem Jahr 1967, beinhaltet jedoch weitaus interessantere Passagen. Ich zitiere direkt nach dem Abschnitt des Schulbuches: »Johlende Gruppen setzten sich wirr, auf zufällige Zurufe hin, in Bewegung: ›Auf zum Glaspalast!‹ – ›Zum Ministerium!‹ – ›Zum Brandenburger Tor!‹ Der Erhebung fehlte das Selbstverständnis, also fehlten ihr auch die Lieder. Sie vermochte noch nicht sich zu artikulieren. So sang man ›Brüder, zur Sonne, zur Freiheit‹, aber ebenso auch das ›Deutschland-Lied‹ – und doch drückte beides nicht das aus, was die Menschen wollten und dumpf empfanden. In der allgemeinen Turbulenz machte mich das Deutschland-Lied am meisten betroffen. Das war das letzte – so empfand ich –, was hierher gehörte. Gewiß waren es nicht nur Arbeiter, die aus Westberlin hinzugeströmt waren. Gewiß traten auch Rowdys und politische Abenteurer mit dunklen Zielen und dunklen Auftraggebern in Aktion. Sie fanden hier ein günstiges Betätigungsfeld. Aber sie fanden es auf der Grundlage einer elementaren Massenerhebung. Alles, was ich in diesen Stunden, in diesen Straßen sah, waren immer wieder Arbeiter und Arbeiterinnen, die ihre ›volkseigenen‹ Betriebe verlassen hatten, weil sie die Stunde für gekommen hielten, eine Ordnung zu ändern, die ihnen unerträglich geworden war, sich einer Obrigkeit zu entledigen, die sie nicht mehr dulden wollten. Wie unscharf und nebulös auch ihre Ziele waren, so wollten sie doch eines gewiß nicht: eine Reise zurück in die Vergangenheit, eine Wiederherstellung der alten Besitzverhältnisse des ostelbischen Großgrundbesitzes und des Konzerneigentums der Wehrwirtschaftsführer und Rüstungsindustriellen. So manch einer aber von denen, die hier aus Westberlin zum Dienst eingesetzt waren – von obskuren Diensten –, diente gewiß anderen Zielen.«343 Weiterhin ist bedeutend, dass Brandt das Buch direkt nach seiner Haftentlassung aus Bautzen schrieb. Warum er lediglich als ehemaliger SED-Funktionär beschrieben wird und weshalb alle politischen Passagen bis zum rein deskriptiven Teil entfernt wurden, ist nicht verständlich. Der längere Quellenausschnitt wäre für historisches Lernen sehr gut geeignet, da es sich um einen informativen, emotionalen Bericht handelt, der vielen politisch instrumentalisierten Darstellungen in Ost und West widersprechen würde. In der zweiten schriftlichen Quelle (Q2) wird »ein Arbeiter« zitiert, der »in einer Rede am 17. Juni 1953« Folgendes gesagt habe:

342 Ebeling u.a. (2014), S. 135. Ich habe in eckigen Klammern die gekürzte Passage eingefügt. 343 Brandt (1967), S. 242.

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»Kollegen, es geht hier nicht mehr um die Normen und um die Preise. Es geht hier um mehr … [Wir kommen nicht nur von der Stalinallee, sondern aus ganz Berlin]. Wir wollen frei sein. Die Regierung muss aus ihren Fehlern Konsequenzen ziehen. Wir fordern freie und geheime Wahlen.« In den eckigen Klammern ist der Satz eingefügt, den das Schulbuch aus der Publikation Der Aufstand entfernt hat. Dieser Satz hat aber große Bedeutung, denn eventuell bedeutet er, dass der Redner aus Westberlin kommt. Auch bei Heinz Brandt kürzen die Schulbuchautor*innen die Formulierung mit der »Westberliner Herkunft«. Laut einer Veröffentlichung der Konrad-Adenauer-Stiftung sei der Vortragende Alfred Brun.344 Beide Überlieferungen sind höchst fragwürdig und widersprechen sich zudem gegenseitig.345 Folglich sollte diese Quelle nicht verwendet werden. Außerdem gibt es eine Fotografie (M5), auf der Menschen an einer LKW-Ladefläche anstehen, die mit Kartoffeln gefüllt ist. Laut der Bildunterschrift sind es Ostberliner, die sich am Oranienplatz in Kreuzberg, also Westberlin, mit Essen eindecken. M6 zeigt 344 Der Beweis soll eine Fotografie sein, auf der der Enkel (Malte Brun) von Alfred Brun meint, seinen Großvater zu erkennen. Meiner Ansicht nach ist die Person auf der Fotografie nicht zu identifizieren: Vgl.: Konrad-Adenauer-Stiftung (2003), S. 5ff. Woher die zitierten Sätze stammen, schreibt die »Studie« ebenfalls nicht. 345 Das Schulbuch beruft sich auf folgende Quelle: Brant/Bölling (1954), S. 107. Die Publikation hat Klaus Harpprecht unter dem Pseudonym Stefan Brant als Sonderauflage für das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen veröffentlicht. In dieser Monografie ist explizit von einer unbekannten Person und nicht von Alfred Brun die Rede. Außerdem weist Harpprecht der Person mit dem Kittel, die Malte Brun als sein Großvater identifiziert, eine andere Aussage zu. Harpprecht beschreibt den Mann, der die freien Wahlen gefordert haben soll, wie folgt: »Oberkörper nackt, braungebrannt, sein Gesicht mager, scharf.« Allerdings ist an keiner Stelle deutlich, woher der Autor seine Informationen bezieht. Auch das Vorwort mit dem Hinweis auf den »Einfall der sowjetischen Eroberer« in Deutschland lässt das Buch eher als vom Ministerium finanzierte Propagandaschrift erscheinen. Harpprecht arbeitete zu dieser Zeit anscheinend bei der Zeitung Christ und Welt, die 1948 von den USA als »under-cover Nazi-paper« bezeichnet wurde: Hodenberg (2003), S. 289. Die Beschreibung von Harpprecht ähnelt der Darstellung bei Rainer Hildebrandt, der sich auf Aussagen von Horst Schlafke beruft. Demnach habe Schlafke einem Mann namens »Hanne, de[m] Steinträger vom Block C […] mit halbnacktem Oberkörper«, beim Klettern auf den Tisch abgestützt, der Folgendes zu Selbmann gerufen habe: »Wir stehen hier nicht nur wegen der Normen. Wir stehen für ganz Ost-Berlin und für die ganze Sowjetzone. Was du hier siehst, ist eine Volkserhebung. […] Wir fordern den Rücktritt der Regierung und freie geheime Wahlen.« Er habe damit auf die Aussage von Selbmann reagiert, der die Rücknahme der Normerhöhung für die Arbeiter der Stalinallee bekanntgegeben habe: Hildebrandt (1966), S. 28ff., 40ff. Eine andere Darstellung der Ereignisse, die in der DDR verboten wurde, kommt von Fritz Selbmann, der vom Redner – hier besteht Einigkeit – zur Seite geschoben wurde. Er überliefert einen ähnlichen Wortlaut wie Schlafke und bestreitet, dass der Redner ein Arbeiter gewesen sein könne, da sein Kittel zu sauber und seine Rede zu professionell gewesen seien: Selbmann (1999), S. 266f. Auch Alfred Brun hat sich in einem Interview zu Wort gemeldet: Seine Aussagen widersprechen den genannten Schilderungen und sind meiner Ansicht nach nicht glaubwürdig. Er führt aus, er habe »freie und geheime Wahlen« gefordert, könne sich aber nicht an den präziseren Wortlaut erinnern. An die Begleitung von Fritz Selbmann, immerhin Heinrich Rau, kann er sich nur durch den Hinweis des Interviewers erinnern. Auch die Betonung des absolut friedlichen Protestes mitsamt einer Schilderung, wie ein Parteiauto umgekippt wurde, klingt eher nach einer gewünschten Rückprojektion als einer zwangsläufig ambivalenten Beschreibung: Köbele/Beier (1993), S. 61f.

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die allseits bekannte Fotografie von den zwei Jugendlichen, die Steine auf sowjetische Panzer werfen. Die Übungsaufgaben sind ähnlich wie in der Ausgabe von Thüringen. Zunächst sollen die Schüler*innen »die Unterschiede der wirtschaftlichen Entwicklung […] zusammenfassen.« Die Reise in die Vergangenheit sieht folgende Lösung vor: »In der Bundesrepublik kam es zu einem starken wirtschaftlichen Wachstum, das ein Wohlstand [sic!] für viele Bürger bedeutete. Ludwig Erhard entwickelte das Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft (Privateigentum, freier Wettbewerb, Förderung des Unternehmertums, Sozialleistungen). In der DDR herrschte eine große Knappheit an Lebensmitteln und Waren. Das System der Planwirtschaft (staatliches Eigentum, zentrale Lenkung der Wirtschaft, fehlende Motivation) führte zu Versorgungsengpässen.«346 In der zweiten Aufgabe sollen die Schüler*innen – wie bereits in der Ausgabe von Sachsen diskutiert – den Begriff »Wirtschaftswunder« erklären. Der Lösungsband beschreibt die klassische Erfolgsgeschichte der BRD, eine kritische Einordnung des Begriffes ist nicht vorgesehen.347 In »Aufgabe 2b« verlangt das Schulbuch eine Beschreibung der Auswirkungen des »Wirtschaftswunders« auf die deutsche Gesellschaft. Ausdrücklich sollen auch »negative Entwicklungen beachtet« werden. Dies ist eine schwierige Aufgabe, denn das Schulbuch erwähnt keine negativen Auswirkungen – im Unterschied etwa zur Ausgabe von Sachsen, in der auf die umfangreiche Armut im Jahr 1955 hingewiesen wird. Erstaunlicherweise verlangt der Lösungsband als Antwort die »Fresswelle«.348 In den restlichen drei Aufgaben geht es um den »17. Juni«, für den die Schüler*innen einen Zeitungsartikel verfassen und das Vorgehen der DDR-Regierung gegen die Bevölkerung »bewerten« sollen. In der letzten Aufgabe steht die »Erörterung« des ehemaligen gesetzlichen Feiertages 17. Juni in der BRD im Fokus. Das Verfassen des Zeitungsartikels zielt sicherlich auf den Augenzeugenbericht von Brandt, der allerdings deutlich andere Punkte thematisiert (zumindest in der längeren Fassung) als das der Lösungsband vorsieht. Der Lösungsband verlangt, ironischerweise nach der Aussage »individuelle Schülerlösung«, »die antidemokratische Entwicklung in der DDR, die diktatorische Politik von Walter Ulbricht sowie die Teilung Deutschlands«. Auch für die anderen zwei Aufgaben sieht der Lösungsband »individuelle Schülerlösungen« vor.349 Die unmittelbare Nachkriegsentwicklung ist in den beiden Ausgaben für NRW und Thüringen fast identisch. Hier heißt es zur »Entwicklung in den westlichen Besatzungszonen«: »Die westlichen Verbündeten Großbritannien, Frankreich und die USA verfolgten in ihren Besatzungszonen ähnliche politische Ziele. Wichtigstes Ziel war es, ein leistungs-

346 347 348 349

Ebeling (2014), S. 56. Ebeling (2014), S. 56. Ebeling (2014), S. 56. Falsch ist sogar der folgende Hinweis zur Bewertung des Vorgehens gegen die Bevölkerung:»Die Bevölkerung hatte erfahren, dass ihre Forderungen ignoriert und mit Gewalt, Strafen und Sanktionen beantwortet wurden«: Ebeling (2014), S. 56. Die Arbeitsnormerhöhung wurde bereits am 16. Juni zurückgenommen, hier wurden die Demonstrationen noch nicht bekämpft.

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fähiges Wirtschaftsgebiet auf der Grundlage der freien Marktwirtschaft [+] [Hervorhebung im Original, KK] zu schaffen.«350 Dass Frankreich und Großbritannien in der BRD eine »freie Marktwirtschaft« einrichten wollten, ist nichtzutreffend. Außerdem hatten, wie bereits an anderer Stelle betont, die UdSSR und Frankreich durch die letzten zwei Weltkriege sehr ähnliche Sicherheitsinteressen. Der Paratext zur »freien Marktwirtschaft« wurde in der Ausgabe für Thüringen bereits in »Marktwirtschaft« geändert. Im zweiten Abschnitt wird das ERP als Hilfsprogramm für Europa charakterisiert, das aus der Lieferung von »Maschinen, Rohstoffen und Nahrungsmittel« sowie Krediten bestanden habe. Dabei ist die Reihenfolge der Auflistung bemerkenswert, hatten die Maschinen doch nur ca. zwei Prozent der Lieferungen betragen. Zur Illustration bieten die Schulbücher den Kurz-Auszug der Rede Marshalls (siehe Seite 173) als Quelle Q2 an. Das ERP wird im DT wie folgt bewertet: »Der Marshall-Plan bildete die wichtigste Hilfe für den wirtschaftlichen Wiederaufstieg in Westdeutschland.« Zusätzlich beschreiben die Schulbücher die Notwendigkeit für eine Währungsreform sowie deren Umsetzung am 20. Juni 1948. Auf der gleichen Seite finden die Schüler*innen drei weitere Quellen: M1 ist das Plakat »Freie Bahn dem Marshallplan« (siehe Seite 147), M2 ein Balkendiagramm mit der Verteilung der ERP-Gelder auf die europäischen Länder und M3 eine Fotografie bezüglich der Währungsreform. Für diese Quellen sind allerdings keine Arbeitsaufträge vorhanden. Auf der nächsten Seite folgt eine Darstellung der Berlin-Blockade mit der berühmten Fotografie der jubelnden Kinder an der Einflugschneise des Flughafens Tempelhof (ca. 40 Prozent der Fläche der Seite).351 Der Schulbuchtext gibt indirekt der Sowjetunion die Schuld an der Eskalation. Nicht erwähnt wird die Weigerung der USA, der Sowjetunion eine Geldpresse für das gemeinsame Geld zur Verfügung zu stellen. Auch den Grund für die Blockade, nämlich die Angst der UdSSR vor einer Währungsinstabilität infolge der Währungsreform im Westen, erfahren die Schüler*innen nicht. In der ersten Aufgabe der Arbeitsaufträge für die Ausgabe NRW sollen die Schüler*innen anhand der Quellen M1-M3 die Stärkung der Wirtschaft der westlichen Zonen beschreiben. Die erwartete Antwort besteht aus Marshallplan plus Währungsreform.352 Das Schulbuch für Thüringen beinhaltet den Arbeitsauftrag, die gemeinsamen Ziele der westlichen Verbündeten zu »nennen«. Die zweite Aufgabe lautet: »Erläutere die Ziele des Marshall-Planes (Ql).« Allerdings können die Schüler*innen das ERP nicht erläutern. Die treffende Aufgabenstellung – auch in Bezug auf die Lösungsvorschläge im Lösungsband von NRW353 – würde heißen: Gib die Aussage von George C. Marshall wieder. Die nächsten zwei Aufgaben, in denen die Schüler*innen die Bedeutung der Luftbrü-

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Ebeling u.a. (2014), S. 124; nahezu deckungsgleich: Ebeling u.a. (2015b), S. 156. Ebeling u.a. (2014), S. 125; Ebeling u.a. (2015b), S. 157. Ebeling (2014), S. 52. Hier steht geschrieben: »Hauptziel des Marshall-Plans war der wirtschaftliche Wiederaufbau im Westen. Eine positive wirtschaftliche Entwicklung wurde als Grundlage auch für gesellschaftliche und politische Stabilität angenommen«: Ebeling (2014), S. 52.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

cke für »die Berliner« herausarbeiten sowie einen fiktiven Bericht des 16-jährigen Hans aufschreiben sollen, sind nicht mehr im Bereich Wirtschaftsgeschichte anzusiedeln. Bedeutend ist allerdings die fünfte Aufgabe. Sie beinhaltet Folgendes: »Beurteile das Vorgehen der westlichen Verbündeten beim wirtschaftlichen Aufbau Deutschlands.« Da die gesamte Doppelseite nur positive Aspekte des politischen und wirtschaftspolitischen Vorgehens der westlichen Besatzungsmächte schildert, bleibt die Frage, wie die Schüler*innen an dieser Stelle ein eigenes Werturteil formulieren sollen. Der Operator ist an dieser Stelle nicht angemessen. Die Schulbuchautor*innen sind sich anscheinend ihrer einseitigen Darstellung nicht bewusst. Im Lösungsband heißt es: »Individuelle Schülerlösung.«354 Die nächste Doppelseite in den Ausgaben für Thüringen und NRW thematisiert die Entwicklung in der SBZ.355 Auf einer halben Seite geht es zunächst um die Vereinigung von SPD und KPD zur SED. Danach folgt ein DT zur Bodenreform, bei der diese als »wirtschaftlicher Misserfolg« (+) bewertet wird. Außerdem gibt es eine Fotografie, auf der »Bauern« und »Arbeiter« eingehakt in einer Reihe stehen. Die Bildunterschrift lautet: »Arbeiter helfen den Bauern bei der Durchführung der Bodenreform.« Zweitens beinhalten die Schulbücher das Plakat »Hinaus!« (siehe Seite 148), das die Ablehnung des so genannten »Marshallplans« bewirbt. Zu diesen Quellen sind keine Arbeitsaufträge, aber eine Deutung im Lösungsband vorhanden: »Das Plakat M3 vermittelt, dass die SBZ selbstständig in der Lage ist, die Situation für die Bevölkerung stabil zu gestalten. Die Bodenreform zeigt deutlich, dass eine wirtschaftliche Orientierung am sowjetischen System gewollt ist. Dazu gehört auch die staatliche Lenkung von Wirtschaftprozessen [sic!], der sog. Planwirtschaft. Bodenreform und Planwirtschaft zudem basieren [sic!] maßgeblich auf der Enteignung ehemaliger Besitzer.«356 Der nächste Abschnitt »Verstaatlichung und Planwirtschaft« lautet: »Auch die wichtigsten Industrie- und Gewerbebetriebe wurden bereits 1945 verstaatlicht und als Volkseigene Betriebe (VEB) weitergeführt. […] Die gesamte DDR-Wirtschaft wie auch die Landwirtschaft sollte sich nach den Prinzipien der sowjetischen Planwirtschaft [++] entwickeln. Dies bedeutete, dass alle wirtschaftlichen Vorgänge durch eine Planungsbehörde zentral gelenkt und kontrolliert wurden. Ein mehrjähriger Plan für die Produktion wurde aufgestellt, an den sich die Betriebe halten mussten. Die Versorgungslage der Bevölkerung blieb jedoch schlecht.«357 Unterhalb des Textes befindet sich ein Bericht Q2 an die Provinzialverwaltung über die Lage in Senftenberg im September 1945. Darin wird die schlechte Versorgung mit Butter, Eiern, Brot und Kartoffeln deutlich. Zusätzlich finden Schüler*innen die Quelle M5, die »Das System der Planwirtschaft« grafisch zeigen soll: Demnach bestimme das »Planungsministerium« die gesamte Wirtschaft. Diese Darstellung ist nichtzutreffend.

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Ebeling (2014), S. 53. Ebeling u.a. (2014), S. 126f.; Ebeling u.a. (2015b), S. 158f. Ebeling u.a. (2014), S. 126f.; Ebeling u.a. (2015b), S. 158f. Ebeling u.a. (2014), S. 127; Ebeling u.a. (2015b), S. 159.

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Malycha resümierte kürzlich: »Insofern sind vom Bild eines hochgradig zentralisierten Leitungs- und Planungssystems deutliche Abstriche zu machen.«358 Des Weiteren ist eine Fotografie M6 abgebildet, auf der ein Wagen mit Planierraupen große Holzkisten zieht, die die Aufschrift »CCCP« – also UdSSR – tragen. Als Bildbeschreibung können die Schüler*innen lesen: »Eine Industrieanlage wird durch die sowjetische Besatzungsmacht demontiert.« In der Ausgabe für NRW sind folgende Arbeitsaufträge formuliert. Die erste Aufgabe betrifft die Gründung der SED. Zweitens wird eine Beschreibung der Wirtschaft nach »sowjetischen Vorbild« verlangt. Der Lösungsvorschlag lautet: »Durch eine Bodenreform und die Schaffung eines Systems der Planwirtschaft sollte die Idee vom ›Arbeiterund Bauernstaat‹ umgesetzt werden. Dazu wurden Landwirte und Unternehmer enteignet.«359 In der dritten Aufgabe sollen die Schüler*innen nach einer Auflistung der Lebensmittelzuteilungen einen Dialog über die Zuteilung führen, um abschließend folgende Aufgabe zu bearbeiten: »Bewerte die Versorgungslage (Q1).« Das Schulbuch erwartet von den Schüler*innen die schlechte Situation nach dem Krieg nachzuerzählen, die sie in der Quelle Q1 finden, und sie mit der heutigen Situation zu vergleichen.360 Der Operator »bewerte« ist nicht angemessen. Gleichzeitig finde ich die Fragestellung missverständlich. Zunächst wird im DT die schlechte Lage durch die Besatzungspolitik betont und die schlechte Versorgung hervorgehoben. Darauf folgt eine Quelle, die unmittelbar nach dem Krieg – also vor den politischen Veränderungen – die fehlenden Lebensmittel beklagt. Vermutlich werden die Schüler*innen die Quelle als Beweis für die Thesen des DT zitieren. Die vierte Aufgabe beinhaltet die »Erläuterung« des Systems der Planwirtschaft. Dabei empfehlen die Autor*innen des Lösungsbands die neoliberale Interpretation von Kornai als Antwort: »Die Verstaatlichung der Wirtschaft führte zu einer Mangelwirtschaft, die nicht auf die Bedürfnisse der Menschen abgestimmt war.«361 In der letzten Aufgabe stellt Die Reise in die Vergangenheit den Einfluss der sowjetischen Besatzungsmacht auf die »politische und wirtschaftliche Umgestaltung« zur »Diskussion«. Trotz des Bekenntnisses des Schulbuches zur »individuellen Schülerlösung« gibt der Lösungsband die Interpretation der »Übernahme des sowjetischen Systems« vor. In der Ausgabe von Thüringen sind die Aufgaben marginal verändert worden. Eine weitere interessante Quelle befindet sich nur in der Ausgabe für Sachsen. Hier heißt es unter dem Titel »Anpassung und Widerstand«: »Zahlreiche junge Menschen waren mit der Entwicklung des neu gegründeten Staates nicht einverstanden. Mit Flugblättern oder Schriftzügen an Mauern prangerten sie unter anderem die fehlenden demokratischen Entscheidungsmöglichkeiten bei den Wahlen an. Eine dieser Jugendlichen war die Thüringerin Elisabeth Graul. Sie hatte sich einer Widerstandsgruppe angeschlossen und ist deshalb im Juli 1951 verhaftet 358 Malycha (2016), S. 132. Zu den Berichten des ehemaligen Führungspersonals der DDR-Wirtschaft siehe: Kurzek (2014). 359 Ebeling (2014), S. 53. 360 Ebeling (2014), S. 53. 361 Ebeling (2014), S. 53.

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worden. Sie und ihre Freunde wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Erst nach elf Jahren wurde Elisabeth Graul entlassen.« Darauf folgt ein Quellenauszug aus ihren »Erinnerungen«: »Ich habe als junger Mensch einer Widerstandsbewegung angehört, weil ich mit vielem nicht einverstanden war und vieles gern verhindert hätte, und ich habe das nicht als bezahlter Agent getan, sondern aus Überzeugung. Ich habe damit meine Zukunft aufs Spiel gesetzt, was ich wohl wusste, und habe die Quittung auch dafür bekommen. Man hat mich und die anderen von vornherein zu Feinden erklärt und nicht einmal den Versuch gemacht, die wirklichen Motive zu prüfen.«362 Die »Widerstandsgruppe« wird eigenartigerweise anonymisiert. Es handelt sich um den »Widerstandskreis der Jugend der Sowjetzone«, die Jugendorganisation der terroristischen, rechtsradikalen Gruppe Bund Deutscher Jugend (BDJ). Der BDJ war eine von der CIA finanzierte Gladio-Gruppe, dessen Mitglieder vorher zumeist in der Wehrmacht oder der SS waren.363 In ihrem Buch Die Farce betont Graul, sie habe nichts von den Geheimdienstkreisen bzw. den Faschisten mitbekommen und sich später inhaltlich mit einigen Mitgliedern verworfen. Beim Lesen ihrer Erinnerungen erscheint einiges unglaubwürdig. So bemerkte sie schon, dass die Gruppe aus unbekannten Quellen Geld bekam und ein Aktivist (Wolfgang Kaufmann) sogar zweimal mit einer amerikanischen Militärmaschine nach Westdeutschland geflogen sei.364 Auch kommt in ihrer Autobiografie ein unreflektiertes Weltbild zum Faschismus deutlich zum Vorschein. Ihr gesamter Familien- und Bekanntenkreis bestand aus erfolgreichen und wohlhabenden Menschen, die im Faschismus Karriere gemacht haben.365 Den Entschluss zur Migration in den Westen hat sie anscheinend getroffen, nachdem ein Wehrwirtschaftsführer aus ihrem Bekanntenkreis zum Tode verurteilt wurde.366 Graul folgte – nach eigener Aussage – Hans Joachim Moser, der aufgrund seiner »Parteizugehörigkeit im Dritten Reich aus Weimar verdrängt« wurde, an das Stern´sche Konservatorium nach Westberlin. Sie ist voller Bewunderung und sieht eine Vaterfigur in Moser367 , der zusätzlich zu seiner frühen NSDAP-Mitgliedschaft (1936) eine leitende Funktion im Propagandaministerium hatte und Autor für das SS-Organ Germanien gewesen war.368 Im gesamten Buch von Graul fehlt ein Verständnis für die russische Besatzung infolge der Nazi-Verbrechen in der UdSSR sowie eine kritische Perspektive auf die Täter. Zweifelsohne war das Gerichtsurteil gegen Graul unverhältnismäßig. Trotzdem ist es nicht zu rechtfertigen, dass das Schulbuch sie durchweg positiv als Mitglied einer

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Ebeling u.a. (2015a), S. 46. Das Original findet sich hier: Graul (1991), S. 229f. Zum BDJ: Schmidt-Eenboom/Stoll (2016), S. 57ff. Für die Jugendgruppe fehlt eine gute Darstellung. Graul (1991), S. 56, 82. Graul (1991), S. 40ff., 102, 107, 197. Sie schreibt wörtlich: »Und vom Mann der Schwester [der Bekannten, KK], den man als Wehrwirtschaftsführer 1945 abgeholt hat, weiß man, daß er zum Tode verurteilt wurde. Ich muß hier auch weg, denke ich, wie schon so oft in letzter Zeit«: Graul (1991), S. 42. 367 Graul (1991), S. 50f., 55, 62, 147, 188. 368 Klee (2007), S. 417f.

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»Widerstandsbewegung« für Demokratie darstellt. Leider findet sich diese Perspektive hinsichtlich Elisabeth Graul ebenfalls auf der Webseite der Stiftung Aufarbeitung.369 Die Nachkriegswirtschaft der Besatzungszonen stellt die Ausgabe für Sachsen bedeutend umfangreicher dar. Auf der ersten Doppelseite betont das Schulbuch den Dualismus aus Demontage und Reparationen im Osten sowie dem Marshallplan im Westen.370 In keinem anderen Schulbuch wird die Reparations- und Demontagepolitik der UdSSR ausführlicher thematisiert. Neben den Informationen im DT gibt es zusätzlich zwei Tabellen. Die erste Tabelle (M1) listet die verschiedenen Formen auf, wie die UdSSR die Reparationsleistungen mit der Gesamtsumme von 66,4 Milliarden Mark entnommen habe. Die Summe von 66,4 Mrd. Mark (Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen)371 ist zwar eine hohe Schätzung, aber fachlich triftig und verwendbar. Eine zweite Tabelle schlüsselt die Demontagen der verschiedenen Wirtschaftszweige im Verhältnis zur Kapazität von 1936 (in der Einheit Prozent) auf. Eigenartigerweise verwenden die Schulbuchautor*innen aber ausgerechnet eine Tabelle, die keine Angaben zur Autoindustrie enthält.372 Die Dichotomie mit den Westzonen unter der Überschrift »Zwei Wege – Wiederaufbau und Ausbeutung« ist allerdings nicht gelungen. So stellt das Schulbuch den Wiederaufbau als Strategie der besseren Reparationsleistung dar. Für die Politik der USA wählt das Schulbuch für Sachsen einen Quellenauszug von Trumans Rede (Q1) vor dem Kongress 1947, in dem er die Unterstützung der »freien Völker« zusagt. Außerdem beinhaltet es einen Auszug der Rede (Q2) von Marshall in Harvard. Hier betont Marshall das Ziel der Wiederbelebung der Wirtschaft durch ein Programm, das sich die Europäer geben sollten. Zusätzlich finden die Schüler*innen das ERP-Plakat »Achtung Bauarbeiten« (siehe Seite 214) und das Balkendiagramm mit der Verteilung der ERP-Gelder auf die europäischen Staaten. Die Darstellung misst dem ERP große Bedeutung zu, wie u.a. am letzten Satz der Doppelseite deutlich wird: »Damit bestand für die sowjetische Besatzungszone keine Möglichkeit mehr, die Gelder aus dem Hilfsprogramm zu erhalten und damit einen wirtschaftlichen Aufschwung herbeizuführen.« Die Arbeitsaufträge beziehen sich allesamt auf die Wiedergabe der Inhalte des DT. Zunächst (Aufgabe eins und zwei) sollen die Schüler*innen die Reparationen und die Demontagen »beschreiben« und die Folgen »nennen«. Die dritte Aufgabe lautet: »Erkläre das Umdenken der Amerikaner mithilfe von Q2.« In der Aufgabe vier wird die Ausarbeitung der Ziele des »Marshallplans« und die »Erläuterung« der »Haltung der UdSSR zum Hilfsprogramm und deren Folgen« verlangt. Die erwarteten Antworten sind eindeutig. Die nächste Doppelseite ist die Methodenseite »Propagandaplakate im Vergleich«373 , die die Analyse von Propagandaplakaten beschreibt. Für die Anwendung sind zwei Plakate zum ERP, nämlich »Freie Bahn dem Marshallplan« (siehe Seite

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Werkentin (2016). Ebeling u.a. (2015a), S. 22f. Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (1985), S. 1121f. Ohnehin fehlen in der Auflistung einige schwer betroffene Bereiche: Steiner (2007), S. 32. Ebeling u.a. (2015a), S. 24f.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

147) und »Deutschland-Plan. Marshall-Plan« (siehe Seite 213), vorgesehen. 374 Die Reise in die Vergangenheit bietet allerdings keine Informationen, um das Werbeplakat für das ERP kritisch zu beleuchten. Zusätzlich bedarf es für die Analyse des Plakates aus der SBZ weiterer Informationen, da die Import/Export-Anspielung auf koloniale Wirtschaftsstrukturen schwer zu verstehen ist. Als nächste Doppelseite folgt der Abschnitt »In der sowjetischen Besatzungszone«.375 Hier wird – ganz ähnlich den Ausgaben für NRW und Thüringen – die Umgestaltung nach sowjetischem »Vorbild« beschrieben. Der Darstellungstext endet mit folgender Bewertung der Planwirtschaft und des »Plans«: »Er ließ keinerlei Möglichkeiten zu, auf veränderte wirtschaftliche Bedingungen zu reagieren. Somit blieb die Versorgungslage im Gegensatz zu den westlichen Besatzungszonen schlecht.« Zudem wird die Grafik zum »System der Planwirtschaft«, die den totalen Zentralismus darstellt, und das Plakat »Hinaus!« angeführt. Eine Aufgabenstellung lautet: »Stelle wirtschaftliche Risiken der Planwirtschaft in einer Mindmap vor.« Insgesamt irritiert bei dieser Doppelseite das Fehlen des Volksentscheides von 1946, der ja immerhin in Sachsen stattfand. Ausführlich beschreibt das Schulbuch die Bodenreform auf einer ganzen Schulbuchseite. Dabei heißt es: »Enteignet wurden die Besitzer von Höfen mit mehr als 100 Hektar Grundbesitz und Besitzer, denen vorgeworfen wurde, führende Nationalsozialisten gewesen zu sein. […] Die Bauern verloren durch die Enteignungen insgesamt 3,3 Millionen Hektar Land.«376 Die Formulierung relativiert die antidemokratischen Strukturen des Großgrundbesitzes und die Beteiligung an NS-Verbrechen (siehe Abschnitt 3.4.1). Außerdem wurde ebenfalls das Parteivermögen enteignet. Die Bezeichnung der Großgrundbesitzer als »Bauern« entbehrt jeder soziologischen Grundlage. Ökonomisch wird die Bodenreform als »wirtschaftlicher Misserfolg« (+) bewertet. Des Weiteren bietet das Schulbuch für Sachsen einen Quellenauszug von »Wolfgang Leonhardt [sic!]. Mitglied der Gruppe Ulbricht« an, in dem die euphorische Stimmung unter den (neuen) Bauern bei der Verteilung des Landes beschrieben wird. Dadurch entsteht der Ansatz einer multiperspektivischen Konzeption, da die Schüler*innen unterschiedliche Wahrnehmungen je nach sozialer Herkunft erkennen können. Eigentlich müssten die Menschen hierfür aber selbst zu Wort kommen. In der vierten Aufgabe sollen die Schüler*innen die Bodenreform und die Folgen »schildern«. Die Quelle ist leider in mehrfacher Hinsicht problematisch. Erstens ist der Name von Leonard falsch geschrieben, zweitens ist der Text nicht von Leonard, sondern von Hans Warnke377 und drittens sollte Leonard als ehemaliges (oder damaliges) SEDMitglied bezeichnet werden. Die Entwicklung in den Westzonen wird bemerkenswert kurz beschrieben. Unter dem Teaser »Eine neue Währung ist notwendig« schreiben die Autor*innen:

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Die gleiche Auswahl befindet sich in Anno 3. Ebeling u.a. (2015a), S. 26f. Ebeling u.a. (2015a), S. 27. Warnke (1955), S. 24.

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»Nicht nur die wertlose Reichswährung, sondern auch die immer noch notwendigen Lebensmittelkarten, der Schwarzhandel und die wirtschaftliche Neuorientierung des Landes erforderten die Einführung einer neuen Währung. […] Zunächst erhielten die Menschen 40 Deutsche Mark gegen Abgabe von 400 Reichsmark. Sparguthaben mussten angemeldet werden und wurden im Verhältnis 10:1 umgewertet. Durch die finanziellen Hilfen des Marshallplanes stieg die Produktion in den Betrieben an. Somit gelangten die produzierten Waren wieder in die Geschäfte. Die Menschen konnten mit der neuen Währung einkaufen, sodass der Schwarzmarkt an Bedeutung verlor.«378 Dabei erwähnt das Schulbuch nicht die Umrechnung für Sachwerte und Vermögen, z.B. für Aktienbesitz. Somit wird die ungerechte Verteilung der Kriegslasten nicht deutlich. Außerdem finden die Schüler*innen das Bild mit den Frauen vor dem Schaufenster (siehe Seite 146). Die vorgegebene Interpretation steht in der Bildunterschrift: »M1 Frauen stehen staunend vor den gefüllten Schaufenstern nach der Währungsreform.« Hierzu gibt es den Arbeitsauftrag: »Nenne Ursachen und Folgen der Währungsreform in der östlichen und in den westlichen Besatzungszonen.« Da das Schulbuch die Hortung der Waren nicht erwähnt, müssen die Schüler*innen die plötzliche Produktion auf die neue Währung zurückführen. Das Staunen kann in Kombination mit dem DT nur positiv gedeutet werden. Auch an dieser Stelle sei auf die ältere Ausgabe von 1995 hingewiesen, in der dieselbe Fotografie wie folgt beschrieben wird: »Über Nacht waren die Schaufenster der Geschäfte gefüllt mit den Dingen, die bisher gehortet worden waren. […] Mit unterschiedlichen Reaktionen standen die Menschen vor diesem ›Wunder‹.« Zusätzlich befindet sich in der Ausgabe von 1995 ein Quellentext des Ökonomen Gustav Stolper: »In den Warenhäusern wurden die wunderlichsten Erzeugnisse der ›freien‹ Wirtschaft feilgeboten. […] Aber die Versorgung der Bevölkerung mit den nötigsten Gütern des Massenbedarfs wurde nicht besser, sondern schlechter.«379 Diese spannenden Passagen sind in den Überarbeitungen entfernt worden. Der Rest der Doppelseite in der Ausgabe von 2015 beschäftigt sich umfassend mit der Berlin-Blockade. Insgesamt betrachtet gehören die Schulbücher von Die Reise in die Vergangenheit zu den überarbeitungsbedürftigen Büchern. Die fachliche Triftigkeit ist nicht gegeben, die Schulbücher beinhalten den klassischen Mythos von der deutschen Erfolgsgeschichte durch Erhards »Soziale Marktwirtschaft« mit Währungsreform und Marshallplan. Fragwürdig sind besonders die zahlreichen Quellen, die in ihrer Grundaussage verändert wurden. Eine Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart versuchen zwei Aufgaben herzustellen. Im Kontext des »Marshallplans« existiert die Aufgabe, nach heutigen »Hilfsprogrammen« zu recherchieren, und zur Landwirtschaft der Auftrag, im jeweiligen Wohnort nach Auswirkungen der Kollektivierung zu suchen.380

378 Ebeling u.a. (2015a), S. 30. 379 Ebeling/Birkenfeld (1995), S. 75. 380 Ebeling u.a. (2015a), S. 23, 49.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

6.3.5 Durchblick Das Schulbuch Durchblick wurde für die Realschule in Niedersachsen entworfen. Auf zwei Doppelseiten befindet sich die Nachkriegswirtschaft. Die erste Doppelseite stellt, so die Überschriften, das »Wirtschaftswunder im Westen« der »Planwirtschaft – Mangelwirtschaft im Osten« gegenüber.381 Sie beginnt mit dem Satz: »Ludwig Erhard [++], der erste Wirtschaftsminister, führte die soziale Marktwirtschaft ein.« Danach wird die »soziale Marktwirtschaft« durch freie Preisbildung und soziale Absicherung charakterisiert. Den Aufschwung erklärt Durchblick wie folgt: »Angekurbelt und unterstützt durch Hilfen aus dem Marshallplan [++], führte die soziale Marktwirtschaft [++] in den 1950er-Jahren zu einem wirtschaftlichen Aufschwung, der auch im Ausland als ›Wirtschaftswunder‹ bezeichnet wurde.« Danach habe es nicht nur eine gesicherte Versorgung, sondern einen gewissen Luxus gegeben. Außerdem beinhaltet Durchblick eine Quelle vom »US-Politiker J.F. Dulles« (1948), in der dieser fordert, die BRD schnellstmöglich in das »westliche Wirtschaftssystem« zu integrieren und einen »attraktiven Zustand« zu erreichen, so dass die UdSSR Ostdeutschland aufgeben müsse.382 Zusätzlich finden die Schüler*innen einen Quellenauszug zum »Wirtschaftswunder«: Er lautet folgendermaßen, wobei ich in eckigen Klammern eine – nicht gekennzeichnete – Kürzung hinzugefügt habe: »1953: Fünfjahre harter Arbeit liegen hinter uns. Das graue Gespenst der Arbeitslosigkeit wurde gebannt. Fast drei Millionen neue Arbeitsplätze wurden geschaffen. Wohnungen für über fünf Millionen wurden gebaut. [Unerbittlich wacht Erhard über den festen Wert des Geldes]. Die D-Mark ist heute so kerngesund wie der Dollar. Der deutsche Export ist in vier Jahren um das Siebenfache gestiegen. In Deutschland ist der Mensch nicht verstaatlicht, sondern Staat und Wirtschaft sind dem Menschen dienstbar gemacht worden!«383 Die Quelle ist beschrieben mit: »Der Historiker Werner Abelshauser über die ›langen 50er-Jahre‹ (Auszug)«. Neben der allgemeinen Sprache verrät der letzte Satz offensichtlich, dass es sich um einen zeitgenössischen propagandistischen und nicht um einen aktuellen wissenschaftlichen Text handelt. Es ist eine Zeitungsannonce, die im Buch Die langen fünfziger Jahre von Werner Abelshauser, das Durchblick selbst als Quelle angibt, veröffentlicht wurde. Hier finden sich die Sätze, die vom Schulbuchverlag gekürzt worden sind: »1948 Ein zerstörtes Land, ein durch Hunger geschwächtes Volk, eine zerrüttete Währung. Ehrliche Arbeit hatte ihren Sinn verloren. Mit schnellem Entschluß zerreißt Ludwig Erhard am Tag der Währungsreform die Karten und Bezugsscheine der Zwangswirtschaft. Seine Ideen feuern die Wirtschaft an: Zeige jeder, was er kann. Sicherheit des Daseins 381 Bahr/Eßer (2016), S. 78f. 382 Das Schulbuch bezog den Text aus: Hoffmann/Ripper (1982), S. 178. 383 Bahr/Eßer (2016), S. 78.

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soll jeder aus sich selbst, aus seiner schöpferischen Arbeit gewinnen. […] Deshalb gilt es unseren friedlichen Wiederaufbau zu sichern und morgen unsere Stimme einer der Parteien zu geben, die sich bekennen zu Erhards Sozialer Marktwirtschaft [kursiv bei Abelshauser, KK].«384 Insgesamt entspricht der Werbetext in allen Formulierungen den Werbetexten von Die Waage. In der originalen Zeitungsannonce, die übrigens in der Größe A2 erschien, fehlt die Angabe des Auftraggebers allerdings ebenfalls.385 Die Annonce wird bei Abelshauser korrekt zitiert. Lediglich eine Erhard-Zeichnung, die im Original vorhanden ist, übernahm Abelshauser nicht in die Quellensammlung. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Abelshauser ein Text in den Mund gelegt wird, dessen Thesen er die letzten Jahrzehnte scharf kritisierte. An dieser Stelle lohnt es sich, die Entstehung der Quelle im Verlag Westermann zu analysieren. In der Ausgabe Anno 10 aus dem Jahr 2000 sind sowohl der Abschnitt zu 1948 als auch zu 1953 abgedruckt. Zudem wird die Quelle mit folgendem Satz eingeleitet: »1953 zog die CDU Bilanz.«386 Dadurch wird deutlich, dass Abelshauser den Text nicht verfasst hat. Bei Durchblick wurde dieser sehr wichtige Satz und zusätzlich alle direkten Erhard-Bezüge gestrichen. Ein redaktioneller Fehler kann an dieser Stelle ausgeschlossen werden. Auf der gegenüberliegenden Seite erfolgt die Darstellung der »Mangelwirtschaft«. In einem kurzen DT, der denen von Die Reise in die Vergangenheit ziemlich ähnlich ist, wird die Planwirtschaft, die durch die Enteignungen (+) herbeigeführt wurde, kurz beschrieben. Weiterhin habe die Planwirtschaft die schlechte Versorgung mit Konsumgütern nicht lösen können. Im Juni 1953 sei es deshalb zu »Protesten und Streiks« gekommen, an denen 400 000 Menschen teilgenommen hätten. Die Besatzungsmacht habe den Aufstand niedergeschlagen und dabei »kamen 200 Demonstranten ums Leben«. Laut der Forschungen der Geschichtswissenschaft sind es allerdings 50 Teilnehmer*innen und fünf Sicherheitskräfte (siehe Seite 103). Außerdem finden die Schüler*innen, wie in Die Reise in die Vergangenheit, die Grafik, die die Funktion der Planwirtschaft darstellen soll. Demnach plane und bestimme die Planbehörde von oben bis zu den Betrieben alles (Planwirtschaft = ++). Die desolate Situation in der DDR illustriert die Quelle M7 von einem »kolumbianischen Journalisten (1959)«. Er schreibe, so das Schulbuch, Folgendes: »Die Läden sind schäbig mit geschmacklosen Artikeln von mittelmäßiger Qualität. Es gibt ganze Straßen mit zerbombten Gebäuden … Die Menschen leben (darin) zusammengedrängt in den unteren Stockwerken, ohne sanitäre Anlagen und ohne Wasser … Nachts leuchtet anstelle der Leuchtreklamen (Westberlins) auf der Ostseite der rote Stern.«387

384 Abelshauser (1987), S. 115f. 385 Die Waage (1953); Zweifelsohne gehört die Anzeige in die Reihe von Die Waage: Schindelbeck/Ilgen (1999), S. 109ff., 272. 386 Askani/Wagener (2000), S. 44. 387 Bahr/Eßer (2016), S. 79.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

Der Quellenauszug in Durchblick vermittelt das Bild vom trostlosen Osten und dem schönen Westen und stammt, so das Schulbuch, aus dem Quellenband Das gespaltene Land von Kleßmann/Wagner. Den Titel mit anonymem Autor haben die Schulbuchautor*innen aus dem Quellenband übernommen. Allerdings ist der erste Satz durch (nicht gekennzeichnete) Auslassungen verändert worden. Bei Kleßmann/Wagner heißt es: »Die Läden sind schäbig. Hinter durch die Bombardements entstandenen Schießscharten verschanzt, mit geschmacklosen Artikeln von mittelmäßiger Qualität.«388 Es handelt sich um einen Auszug aus dem Zeitungsartikel »Diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs« aus der Frankfurter Rundschau vom 27. September 1986 des Schriftstellers Gabriel García Márquez, der 1957 Berlin besuchte. In diesem Zeitungsartikel kritisiert er weiterhin den voluminösen Aufbau der Stalinallee, in der die Arbeiter »besser« und »billiger« wohnen würden als »irgendwo auf der Welt«, während der Rest der Stadt noch ziemlich zerstört sei und von den Kosten vermutlich hätte aufgebaut werden können.389 Westberlin sieht Márquez jedoch nicht als positives Gegenstück, sondern als »riesige Agentur für kapitalistische Propaganda«, die nicht den wirtschaftlichen Realitäten der abgeschnittenen Stadt entsprechen könne und hoch subventioniert sein müsse. Allerdings wurde dieser Abschnitt bereits bei Kleßmann und Wagner gekürzt. Durch die Kürzungen entsteht (im Schulbuch) der Eindruck, dass der Autor eine Systemkritik an der DDR formuliert. Wenn Márquez auch sehr kritisch – vor allem bzgl. der fehlenden Lebensfreude und des Stalinismus – aus der DDR berichtet, so ist der Text des überzeugten Sozialisten sicherlich keine allgemeine Kritik an der Planwirtschaft. Stattdessen fragt sich Márquez nach einem Besuch in einer Kantine, wie die Menschen trotz der umfangreichen Verpflegung so unglücklich sein können. Die Aufgabenstellung verlangt die gewünschte Systemkritik mit Hilfe der Quelle: »Beschreibt die Auswirkungen der Planwirtschaft auf das Leben der Menschen (Text, M7).« Die Antwort im Lösungsband lautet »Versorgungsengpässe«, »Warteschlangen«, »teure Importgüter«, »schleppender Wiederaufbau« und »Misswirtschaft«.390 Das Schulbuch verzerrt die Aussagen von Márquez bis zur Unkenntlichkeit. Bei zwei weiteren Aufgaben sollen die Schüler*innen den »17. Juni« darstellen und die schlechte Versorgung sowie die politische Unzufriedenheit der Menschen als Ursachen benennen. Der letzte Arbeitsauftrag lautet: »Vergleicht das System der Planwirtschaft (M5) mit dem der sozialen Marktwirtschaft.« Im Lösungsband gibt es keine inhaltliche Fokussierung, sondern nur die Empfehlung, eine tabellarische Übersicht zu erstellen. Das Material im Schulbuch bietet allerdings nur den Dualismus, wie ihn auch die Überschriften präsentieren an: »Soziale Marktwirtschaft«, freier Markt, »Wirtschaftswunder« auf der einen und Planwirtschaft, zentralistisch, »Mangelwirtschaft« auf der anderen Seite. Eine weitere Doppelseite im Schulbuch Durchblick thematisiert die gesellschaftlichen Veränderungen.391 Im DT steht der bemerkenswerte Satz: »Der wachsende Wohlstand seit Mitte der 1960er-Jahre wurde auch durch ausländische Arbeitnehmer ge388 Kleßmann (1993), S. 508. 389 Kleßmann (1993), S. 509; Márquez (1986b); der gleiche Text befindet sich in folgender Publikation: Márquez (1986a), S. 87ff. 390 Bahr (2016), S. 19. 391 Bahr/Eßer (2016), S. 80f.

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schaffen, die als ›Gastarbeiter‹ den Arbeitskräftemangel beheben sollten« (+). Die weiteren Abschnitte des DT beziehen sich auf die Entwicklung seit den 1970er Jahren, die nicht in die Analyse einfließen. Außerdem finden die Schüler*innen einen Quellentext des »Politikwissenschaftlers Stefan Luft«, in dem dieser nochmals die Bedeutung der Arbeitsmigration hervorhebt: »Deutschland brauchte Arbeitskräfte, die Türkische Republik litt unter hoher Arbeitslosigkeit und profitierte von den Devisen, die türkische Arbeiter nach Hause schickten. In 12 Jahren kamen fast 900 000 Menschen. Jene, die geblieben sind und ihre Nachkommen, die in Deutschland leben, prägen die heutige Bundesrepublik.« Auch wenn es aus der Perspektive des wirtschaftshistorischen Lernens sinnvoller gewesen wäre, dieser Meinung die These von Heike Knortz hinsichtlich der ökonomischen Wirkung entgegenzustellen (siehe Seite 96) und hiermit eine interessante Kontroverse zu konzipieren, so ist es politisch sinnvoll, dass Durchblick die Leistung der Migrant*innen würdigt. Denn diese bekommen in deutschen Schulbüchern wenig Raum. Zusätzlich wäre es notwendig, die unmenschlichen Umstände darzustellen, unter denen die »Gastarbeiter« bei den vorrangig für sie vorgesehenen Tätigkeiten ihre Arbeit zu verrichten hatten (siehe Seite 160). Auf der gegenüberliegenden Seite »Im Osten: Konsumverzicht und verordnete Gleichheit« wird zunächst die staatliche Regulierung des Konsumverhaltens beschrieben. Danach heißt es: »Aber auch das war bereits seit den 1960er Jahren DDR-Realität: Frauen waren in der Arbeitswelt gleichberechtigt und in sogenannten Männerberufen anzutreffen. Für berufstätige Mütter gab es z.B. ein bezahltes Babyjahr, Plätze für die Kinder in Kinderkrippen, Kindergärten und Horte [sic!] sowie verkürzte Wochenarbeitszeiten bei vollem Lohn.«392 Unterhalb des Textes befindet sich eine Fotografie eines Trabants mit dem Hinweis: »Lieferfrist 12 Jahre.« Auf der gegenüberliegenden Seite ist dagegen ein westdeutscher Parkplatz mit zahlreichen Autos abbildet. Vermittelt wird durch die Bilder folglich das Seitennarrativ, wonach es im Westen alles gebe und der Osten durch »Konsumverzicht« geprägt sei. Dass der geringere Konsum für viele Bereiche in der DDR nicht galt und dass bei den Autos ein Zusammenhang mit der Demontage existiert, erfahren die Schüler*innen nicht. Die Entwicklung in den Besatzungszonen ist auf einer Seite zusammengefasst. Zunächst werden die Reparationen beschrieben, die für den Osten 66,4 Milliarden Mark und für den Westen 16 Milliarden Mark betragen hätten. Wie Die Reise in die Vergangenheit verwendet Durchblick die Zahlen des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen aus dem Jahr 1985. Truman und Marshall hätten sich, so Durchblick, für den Wiederaufbau entschieden. Im weiteren Text heißt es: »Die drei Westzonen wurden am amerikanischen Wiederaufbauprogramm für Europa (Marshallplan/ERP) beteiligt [+]. Die UdSSR lehnte den Marshallplan ab und untersag-

392 Bahr/Eßer (2016), S. 81.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

te der SBZ und den osteuropäischen Staaten die Teilnahme am ERP. Die Reichsmark war wertlos geworden und wurde nicht mehr als Tauschmittel akzeptiert. Mit der Einführung der D-Mark in den drei Westzonen und Westberlin am 20. Juni 1948 wurde die deutsche Wirtschaft in Schwung gebracht [+]. Im Gegenzug führte die UdSSR am 24. Juni 1948 in der SBZ die Ostmark ein. Weil die Westalliierten die D-Mark eingeführt hatten und in ihren Zonen einen Staat planten, blockierte die UdSSR alle Zufahrtswege nach Westberlin.«393 Außerdem findet sich eine Quelle mit folgendem Titel: »Ein Historiker über Demontagen in der sowjetischen Zone (1993).« Der Historiker führt aus, dass die Demontagen in allen Bereichen der Gesellschaft nach den Interessen der Sowjetunion und zunächst ziemlich unkoordiniert erfolgten. Der Text wurde aus dem Quellenband von Kleßmann/Wagner entnommen und stammt von John Peter Nettl aus dem Jahr 1953.394 In der ersten Übungsaufgabe sollen die Schüler*innen die Auswirkungen der Reparationen für den Aufbau im Osten beschreiben. Hierbei können sie sich am Text von Nettl orientieren. Der zweite Arbeitsauftrag beinhaltet das »Erläutern« der Ziele des ERP und die »Beurteilung« des Vorgehens der USA. Für diese Aufgabe steht zusätzlich eine Fotografie einer Werbewand (M3) »DEUTSCHER AUFBAUPLAN GEGEN MARSHALLVERSKLAVUNG« zur Verfügung (siehe Seite 174). Die Schüler*innen können die Politik der USA trotzdem nur gutgeheißen, denn nirgendwo findet sich eine Bestätigung der Argumente des »Plakat[s] in Leipzig zum Marshallplan«. Eine »Beurteilung« ist mit dem Material nicht möglich. In den Lösungen wird lediglich die Wiedergabe der Informationen des DT verlangt.395 Die dritte Aufgabe lautet: »Nenne Ziele und Folgen der Währungsreform (Text, M1)«. Die Quelle M1 ist die berühmte Schaufensterfotografie (siehe Seite 146). Als Ziel der Währungsreform können die Schüler*innen das Ersetzen der wertlosen Reichsmark durch eine neue Währung »nennen«; für die Folgen fehlen allerdings wichtige Informationen. Einerseits sind – mit dem vorhandenen Material – die unzufriedenen Gesichter der Fotografie nicht zu erklären. Andererseits müsste das Schulbuch die größten Proteste der deutschen Nachkriegsgeschichte bis hin zum Generalstreik im November 1948 darstellen, wenn die Schüler*innen die Folgen richtig »nennen« können sollen. Die Lösungen sehen Folgendes vor: »Ziel der Währungsreform: Beendigung des Schwarzmarkthandels, Einführung einer stabilen Währung, Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern, Schaffung eines einheitlichen Wirtschaftsraumes in den drei Westzonen. Folgen: Währungsreform auch in der SBZ, Blockade Berlins.«396 Auch in Bezug auf die narrative und normative Triftigkeit ist Durchblick eher ein schlechtes Buch. Die Quellen bestätigen lediglich die Aussagen der Darstellungstexte. Hier wurden zudem die Verfasser der Texte anonymisiert, Fehler bei der Zuordnung 393 394 395 396

Bahr/Eßer (2016), S. 58. Kleßmann (1993), S. 162f.; Nettl (1953), S. 183ff. Bahr (2016), S. 15. Bahr (2016), S. 15.

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gemacht und zwei Quellen normativ verändert. Es wird keine Kontroverse konzipiert und an keiner Stelle gibt es einen Hinweis auf fachwissenschaftliche Theorien oder sich wandelnde Erkenntnisse. Das Buch präsentiert die deutsche Erfolgsgeschichte mit ihren klassischen Komponenten als triftige Wahrheit.

6.3.6 Denk mal In Denk mal für die Realschule in Rheinland-Pfalz aus dem Jahr 2016 finden sich Elemente des »Wirtschaftswunders« – eine Zeichnung von der Jubiläumsfeier bei Volkswagen und eine Fotografie von Erhard mit dem Buch Wohlstand für alle in der Hand – bereits nach dem Aufklappen des Buches und in der Rubrik »Fragen an die Epoche«.397 Die Kapitelauftaktseite zu den zwei deutschen Staaten symbolisiert mit dem Bild des verwüsteten Vorplatzes des Brandenburger Tors, ohne auf diese Weise bezeichnet zu werden, die »Stunde null«.398 Der Hauptabschnitt zur Wirtschaft der BRD heißt »Soziale Marktwirtschaft« (++).399 Im Text steht Folgendes: »Die Wirtschaft in der Bundesrepublik erholte sich bald von den Kriegsfolgen und erfuhr durch die Einführung der D-Mark 1948 [++] einen raschen Aufschwung.400 Als Vater dieses Wirtschaftswunders [++] wird der damalige Wirtschaftsminister Ludwig Erhard [++] bezeichnet. Nach seinem Verständnis sollte der Staat auf dem Wirtschaftsmarkt den freien Wettbewerb schützen und durch keinerlei Regeln beschränken. Die Menschen sollten in diesem System durch Sozialversicherungen, wie der Arbeitslosenversicherung, abgesichert werden. Dieses System nennt man soziale Marktwirtschaft.« Das Schulbuch versucht demnach, die Sozialpolitik im Konzept von Erhard zu verorten – an dieser Stelle mit der Arbeitslosenversicherung aus der Weimarer Republik. Auf der Seite befindet sich zusätzlich die Textquelle Q1, die ein Auszug aus dem Buch Wohlstand für alle ist. Hier erklärt Erhard (bzw. sein Ghostwriter), dass sich der Staat nicht in Erhards (bzw. des Ghostwriters) Angelegenheiten einmischen und nicht so viel Geld vom Einkommen seiner Arbeit einbeziehen solle. Außerdem finden die Schüler*innen eine Fotografie von Erhard, unter der seine Amtszeiten aufgelistet sind. Denk mal bietet zwei weitere Quellen: Eine davon (M1) ist die Fotografie eines »Lebensmittelladen[s] in Bayern (1950)«, auf der eine Verkäuferin einer Kundin eine Dose aus dem gut gefüllten Regal reicht. M2 zeigt eine Grafik über die Entwicklung der Industrieproduktion, des BSP und der Agrarproduktion von 1950 bis 1960. Die Schüler*innen sollen in Aufgabe drei anhand von M2 die wirtschaftliche Entwicklung der BRD »beschreiben«. Dabei können sie die Verdoppelung des BSP in dieser Dekade feststellen. In der vierten Aufgabe verlangt das Schulbuch, sich in die Kundin von M1 hineinzuversetzen, um die Veränderung im Vergleich zum Kriegsende zu »beschreiben«. 397 398 399 400

Graham (2016), S. 173. Graham (2016), S. 179. Graham (2016), S. 196. Immerhin wurde im Vergleich zur Ausgabe von 2011 der Satz gestrichen, dass sich Erhard mit den Leitsätze-Gesetzen gegen die Alliierten durchsetzen konnte: Derichs (2011), S. 91.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

Auf der gegenüberliegenden Seite behandelt der Abschnitt »Orientierung nach Osten« die DDR-Wirtschaft401 , die besonders an der Sowjetunion ausgerichtet gewesen sei, die »besonderen Wert auf die Schwerindustrie« (falsche Investitionen = ++) gelegt habe. Außerdem sei die DDR dem RGW beigetreten. Es folgt ein längerer Text zu den LPG, in dem aber – wie bzgl. des RGWs – keine ökonomische Bewertung stattfindet (beide Codierungen = ?). Abschließend schreibt das Buch: »Die Fünfjahrespläne konnten die Versorgung der Bevölkerung allerdings nur notdürftig sicherstellen. Immer wieder kam es zu Engpässen. Der Lebensstandard blieb deutlich hinter dem in Westdeutschland zurück.« In der Quelle Q1 wird die Volkskammer-Abgeordnete Elli Schmidt zitiert, die im Jahr 1952 die schlechte Versorgung mit Lebensmitteln und Konsumgütern, vor allem für Kinder, kritisiert. Die Aufgabenstellungen beinhalten die Beschreibung der Kollektivierung (Aufgabe sechs) und die »Erläuterung der Merkmale der Planwirtschaft« (Aufgabe sieben). In der achten Aufgabe sollen die Schüler*innen die beiden »wirtschaftlichen Systeme […] vergleichen«, wobei das Buch auf einen Paratext als Starthilfe hinweist. Dieser lautet: »Merkmale wie z.B. individuelle Gestaltungsfreiheit oder Förderung des Gemeinwohls können dir helfen.« Für alle diese Aufgaben existieren keine Lösungsvorschläge. Da der Arbeitsauftrag auf der Seite »Zusammenfassung« deutliche Ähnlichkeiten aufweist und sich hier die gewünschte Antwort findet, beschreibe ich zunächst diesen Teil. Auf der Doppelseite »Zusammenfassung« und »Selbstüberprüfung« finden sich nochmals DT und Aufgaben.402 Die Zusammenfassung zur Nachkriegswirtschaft zitiere ich vollständig: »In der DDR bestimmten Planwirtschaft und Kollektivierung das Wirtschaftssystem. Preise, Löhne und Produktionszahlen wurden zentral festgelegt. Dagegen entwickelte die Bundesrepublik das System der Sozialen Marktwirtschaft. Sie sollte jedem Einzelnen wirtschaftliche Entfaltungsmöglichkeiten zusichern und gleichzeitig eine soziale Absicherung durch den Staat ermöglichen. Schon in den 1950er-Jahren erreichte die BRD einen besseren Lebensstandard als die DDR.« Hiermit kann die Aufgabe sieben von Seite 197 beantwortet werden. Der letzte Satz ist besonders aufschlussreich, da die Formulierung gleiche Ausgangsbedingungen suggeriert. Auf der Seite »Selbstüberprüfung« sind außerdem zwei anonyme Quellen abgedruckt, die »jeweils [begründet] einem deutschen Staat zugeordnet« werden sollen. Der erste Text artikuliert die Notwendigkeit des gesellschaftlichen Eigentums, um die Teilnahme aller Menschen am Leben zu gewährleisten. Hieraus erfolge eine Friedenswirtschaft nach einheitlichen Plänen. Der zweite Text grenzt die »sozial gebundene Marktwirtschaft« von der »freien Marktwirtschaft« ab, die für Individuum, Persönlichkeit und Leistung am förderlichsten sei.

401 Graham (2016), S. 197. 402 Graham (2016), S. 200f.

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In der letzten Aufgabe der Selbstüberprüfung sollen die Schüler*innen »die Erfolge der Wirtschaftspolitik der beiden deutschen Staaten bewerten.« Die Antwort finden die Schüler*innen im eben zitierten DT. Andere »Bewertungen« sind, selbst unter Einbezug aller Schulbuchseiten zur Nachkriegswirtschaft, nicht möglich.403 Der Operator »Bewerten« kann mit dem Material nicht durchgeführt werden. Im Abschnitt zu den Besatzungszonen betont Denk mal die Ausrichtung der Wirtschaft in der SBZ am sowjetischen Vorbild. Weiter heißt es: »Industrie- und Gewerbebetriebe wurden enteignet, teilweise demontiert und als Reparation in die UdSSR gebracht. Die verbliebenen Betriebe wurden Volkseigene Betriebe (VEB). Eine Bodenreform enteignete 1945 alle Großbauern, die mehr als 100 Hektar besaßen. Das Land wurde per Los an Landarbeiter, Vertriebene oder Kleinbauern verteilt.«404 Allerdings bewertet das Schulbuch an dieser Stelle die Enteignungen nicht. Einige Seiten nach dem Hauptteil befindet sich eine weitere Seite zur DDRWirtschaft, von der ich ausschließlich den ersten DT in die Analyse einbeziehe, da sich der zweite Teil auf die 1970er und 1980er Jahre bezieht.405 Der DT thematisiert die Zeit nach dem Mauerbau, welcher die Arbeitskräfteabwanderung gestoppt habe (+), und das NÖS, das »Anreize« und »Gewinne« eingeführt und zu »wirtschaftlichen Erfolgen« geführt habe. Trotzdem sind die Stellen zum anfänglichen Erfolg der DDR-Wirtschaft mit Fragezeichen (?) codiert, da sich diese Sätze nicht im Hauptabschnitt befinden. Außerdem finden die Schüler*innen eine Fotografie der Leipziger Messe (M4) und eine Statistik der vorhandenen Konsumgüter Kraftwagen, Krafträder, Radios, Fernseher, Kühlschränke und Waschmaschinen (M3), welche die Werte von der DDR für 1960 und 1969 sowie von der BRD nur für 1969 vergleicht. Dabei kann ein großes Wachstum in der DDR in den 1960er Jahren und trotzdem ein deutlicher Rückstand zur BRD erkannt werden.406 In der Aufgabe vier sollen die Schüler*innen den Vergleich durchführen. Allerdings sind die Zahlen lediglich für einen soziologischen und nicht für einen ökonomischen Vergleich zu gebrauchen, da die Entwicklung in der BRD fehlt. Zusätzlich finden die Schüler*innen in Denk mal eine Seite zum »Marshallplan«.407 Laut des DT hat Marshall die Idee gehabt, für alle europäischen Staaten ein zugängliches Hilfsprogramm zu schaffen. Als historischen Beleg bietet Denk mal einen Auszug von der Rede Marshalls (siehe Seite 173), allerdings in stark gekürzter Form. Unterhalb der Texte befinden sich zwei Bildquellen zum ERP. Die erste Quelle zeigt die Zeichnung des Schiffs Europa mit den europäischen Nationalfahnen als Segel, das

403 In den digitalen Lösungen wird neben dem Wirtschaftssystem »soziale Marktwirtschaft« der »Marshallplan« genannt. Die DDR bliebe wegen des Wirtschaftssystems und den Reparationszahlungen hinter der Bundesrepublik zurück. Letztlich heißt es: »Folglich war die soziale Marktwirtschaft das erfolgreichere Wirtschaftssystem.« Gleichzeitig wird auf die schlechteren Startbedingungen hingewiesen, woraus sich eigentlich ein Widerspruch zum DT und dem Vergleich allgemein ergibt. 404 Graham (2016), S. 188. 405 Graham (2016), S. 221. 406 Kleßmann differenziert nach unterschiedlichen Berufs- und Einkommensklassen: Kleßmann (1997), S. 485. 407 Graham (2016), S. 207.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

vom Wind »ERP« beschleunigt wird. Die zweite Quelle ist ein »Ostdeutsches Plakat gegen den Marshallplan«, welches anhand der Produktionszahlen des Zweijahresplans von 1948 – unter der Überschrift »DEUTSCHER AUFBAUPLAN GEGEN MARSHALLVERSKLAVUNG« (siehe Seite 174) – zum tatkräftigen Arbeiten aufruft. Aufgabenstellung sind nicht vorhanden. Letztlich ist aber eindeutig, dass die beiden Plakate verglichen werden sollen. Allerdings beinhaltet Denk mal nur Informationen, die das Westplakat in seiner Aussage bestärken.

6.3.7 Zeiten und Menschen Qualifikationsphase Das »Wirtschaftswunder« beruht laut Zeiten und Menschen auf »ganz nüchternen Ursachen: Neben dem offensichtlich erfolgreichen Konzept der sozialen Marktwirtschaft [++] spielten auch günstige historische Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle.«408 Diese seien der »Korea-Boom« (+); die Entscheidung der »Westalliierten« gegen die Reparationen und für den »Marshallplan« (+); der »Wiederaufbau«, der »Wachstumsenergien freisetzte«; die Verfügung über zahlreiche Arbeitskräfte. Eine Definition der »Sozialen Marktwirtschaft«, dieser Terminus wird in Zeiten und Menschen mal groß- und mal kleingeschrieben, erfolgt einige Seiten vorher im Buch.409 Hier heißt es: »Die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik ist unter der Bezeichnung ihres wissenschaftlichen Begründers, Alfred Müller-Armack, als ›soziale Marktwirtschaft‹ bekannt geworden. Nach seinen Worten besteht der Grundgedanke dieser Ordnung darin, ›…das Prinzip der Freiheit auf dem Markte mit dem des sozialen Ausgleichs zu verbinden‹.« Gleichzeitig sei die »Soziale Marktwirtschaft« durch die vier Grundprinzipien »Wettbewerbsprinzip […], Sozialprinzip […], Konjunkturpolitisches Prinzip […] [und] Prinzip der Marktkonformität« charakterisiert. Woher diese Definition stammt, erwähnt das Schulbuch nicht. Möglich wäre die Herleitung dieser vier Grundprinzipien aus einem Artikel zur »Sozialen Marktwirtschaft« von Müller-Armack aus dem Jahre 1956, in dem dieser – wenn auch nicht im exakten Terminus – diese Aspekte erläutert.410 Das Schulbuch macht aus dieser Theorie eine Wirtschaftsordnung. Außerdem ist der Begriff »Marktkonformität«, den Müller-Armack von Wilhelm Röpke übernommen hat, ziemlich diffus: Marktkonform sollen staatliche Maßnahmen sein, die die freie Preisbildung nicht beeinträchtigen. Allerdings wirkt sich jedes Gesetz auf die Preisbildung aus, erst recht im internationalen Vergleich. Es wäre interessant zu wissen, welche Gesetze im Jahr 1956, in dem diverse bedeutende Sektoren der Wirtschaft nicht der Preisbildung unterlagen, als marktkonform galten. Nach dem Abschnitt zum »Wirtschaftswunder« wird das Wachstum des Wohlstands, das Lastenausgleichsgesetz sowie die Rentenreform als sozialpolitische Gesetzgebung beschrieben. Außerdem stellt das Buch eine Theorie vor:

408 Austermann/Lendzian (2015), S. 469. 409 Austermann/Lendzian (2015), S. 463. 410 Beckerath (1956), S. 390ff.

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»Der allgemein steigende Wohlstand verschmolz – trotz weiter vorhandenen Vermögens- und Einkommensunterschiede [sic!] – die Sozialstruktur zu einer ›nivellierten Mittelstandsgesellschaft‹ – so die griffige Formulierung des zeitgenössischen Soziologen Helmut Schelsky.«411 Wissenschaftliche Theorien in die Schulbücher einzubringen, ist grundsätzlich anzustreben. Allerdings eignet sich die Theorie von Schelsky aus dem Jahr 1953 nicht, um die Sozialstruktur der BRD zu beschreiben. Schelsky untersuchte vor allem die Sozialstruktur der »Vertriebenen« und daran wollte er das Phänomen der Auflösung der traditionellen Klassen zeigen.412 Hierzu schreibt Kleßmann: »So konnte das 1953 von dem Soziologen Helmut Schelsky formulierte Theorem der ›nivellierten Mittelstandgesellschaft‹ zu einem Schlagwort avancieren, obwohl es eher auf politischen und sozialen Wunschvorstellungen als auf sozialstrukturellen Tatbeständen basierte. […] Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung hatte den Wettlauf in das Wirtschaftswunder bereits am Start, nämlich zum Zeitpunkt der Währungsreform verloren. Die Ausgangskonstellation blieb in den fünfziger und auch in den sechziger Jahren durchaus noch prägend und schlug sich in einer extrem ungleichen und ungerechten Einkommens- und Vermögensverteilung nieder.«413 Ralf Dahrendorf kritisiert die »nivellierte Mittelstandsgesellschaft« als »deutsche Ideologie«, die der Volksgemeinschaft des NS ähnlich sei.414 Deshalb war Schelsky, der 1932 der SA, 1933 dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund und 1937 der NSDAP beitrat, zeitgenössisch sehr umstritten.415 Auch aktuell müsste, bzgl. der gesellschaftlichen Bildung in der Schule, darüber nachgedacht werden, ob angesichts der geringen gesellschaftlichen Mobilität und der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich über Klassen gesprochen werden sollte, anstatt sie – wie im Schulbuch – zu negieren. Sogar Paul Nolte forderte deshalb vor fast zwanzig Jahren, das »Klassenbewusstsein« zu fördern.416 Pandel bekräftigte kürzlich diesen Bildungsauftrag.417 Zusätzlich befindet sich auf der Seite des »Wirtschaftswunders« ein »Werbefoto (1952)«, auf dem sich eine junge Frau, die einen Badeanzug trägt, an einem Bergsee abtrocknet. Am rechten Bildrand spielen zwei Kinder und hinter ihr parkt ein VWKäfer. In der Bildunterschrift steht geschrieben: »Das ›Wirtschaftswunder‹ führte in

411 Austermann/Lendzian (2015), S. 470. 412 Schelsky (1953), S. 218ff. 413 Kleßmann (1997), S. 36. Bei Abelshauser ist zudem nachzulesen, dass im Jahr 1960 1,7 Prozent der deutschen Haushalte über 70 Prozent des Produktivvermögens und 35 Prozent des Gesamtvermögens besaßen: Abelshauser (2011), S. 352. 414 Dahrendorf (1971), S. 142f. Darauf Bezug nehmend: Ritschl (2016b), S. 367. 415 Seeliger (1965), S. 79ff. 416 Nolte (2001). 417 Pandel schreibt: »Ihre Vertreter sind von der Geschichte eingeholt worden, die gezeigt hat, dass soziale Ungleichheit sich doch nicht in eine ›nivellierte Mittelstandsgesellschaft‹ oder in Lebensstilmilieus auflöst. Die harten Fakten der ökonomischen Ungleichheit treten wieder hervor. […] Der Historiker Paul Nolte plädiert dafür, den tabuisierten Begriff des Klassenbewusstseins wieder aufzunehmen«: Pandel (2013), S. 146f.

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den Gründungsjahren der Bundesrepublik zu regelrechten Konsumwellen (›Fresswelle‹, ›Wohnwelle‹, ›Reisewelle‹), […].« Es gibt jedoch keine Aufgabenstellung, die dieses Bild einbezieht. Der Abschnitt zur Herausbildung der zwei Staaten hebt die Währungsreform für den Aufschwung hervor (+).418 Hier heißt es: »Ebenso bedeutsam wie die Währungsreform selbst war das von Ludwig Erhard gleichzeitig vorbereitete ›Leitsätzegesetz‹ [+]. Es hob alle Preisfestlegungen auf und etablierte damit den freien Preismechanismus als zentrales Lenkungsinstrument der Wirtschaft.« Nicht erwähnt wird, dass nur ein Teil der Preise freigegeben wurde und, aufgrund der Krise im Herbst 1948, weitere preispolitische Maßnahmen erfolgten. Zusätzlich möchte ich kritisch vermerken, dass Zeiten und Menschen die Währungsreform auf die Umrechnung der Guthaben von 10:1 und das »Kopfgeld« von 60 Mark reduziert. Über den Erhalt der Sachwerte und des Aktienkapitals erfahren die Schüler*innen nichts. Als Bildquelle bietet das Schulbuch die Fotografie der Frauen vor dem gefüllten Schaufenster (siehe Seite 146), allerdings ohne Arbeitsaufträge. Auch möchte ich bemerken, dass die Berlin-Blockade vor der Währungsreform behandelt und kein Zusammenhang hergestellt wird. Die DDR-Wirtschaft beschreibt das Schulbuch wie folgt: »Der Umbau von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft nach dem Vorbild der Sowjetunion hatte bereits 1946 in der SBZ begonnen und war im Oktober 1949 zum Zeitpunkt der Gründung der DDR bereits weitgehend abgeschlossen. Die neue Regierung setzte sie bruchlos fort: In der Wirtschaft wurde das sowjetische System der Fünf-Jahres-Pläne eingeführt, der erste Plan galt ab 1950. 1952 verkündete die SED auf ihrer III. Parteikonferenz (9.-12.7.1952) den ›Aufbau des Sozialismus‹. Sie forcierte die Verstaatlichung der Wirtschaft: Ende der 1950er-Jahre betrug der Anteil der ›Volkseigenen Betriebe‹ (VEB) an der Industrieproduktion bereits mehr als 90 Prozent. Auch im Handel dominierte der staatliche Sektor, während das Handwerk noch weitgehend privat blieb. Zum ›Aufbau des Sozialismus‹ gehörte auch die Kollektivierung der Landwirtschaft ab 1952.«419 Allerdings wurde der »Aufbau des Sozialismus« auf der II. Parteikonferenz beschlossen. Ohnehin ist der Abschnitt widersprüchlich: Einerseits, so Zeiten und Menschen, sei der Umbau bei der Gründung der DDR bereits (nahezu) vollendet gewesen, andererseits listet das Schulbuch die zahlreichen Maßnahmen nach 1952 auf. Die ökonomischen Unterschiede zwischen BRD und DDR erklärt Zeiten und Menschen mit den schlechteren Bedingungen: »Die wirtschaftliche Erholung in der DDR brauchte lange, denn – im Unterschied zur Bundesrepublik – standen keine Wiederaufbaukredite zur Verfügung [+], im Gegenteil erschwerten sowjetische Demontagen [+] und Reparationszahlungen [+] bis 1953 den Wiederaufbau.« Gleichzeitig sei der erste Fünfjahresplan mit durchschnittlichen zehn Prozent Wachstum der Schwerindustrie erfolgreich gewesen, jedoch seien die Konsumgüterindustrie

418 Austermann/Lendzian (2015), S. 401f. 419 Austermann/Lendzian (2015), S. 476f.

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und der Wohnungsbau »vernachlässigt« worden (+). Auf der nächsten Seite ist die Einführung des NÖS, die Mobilisierung von Arbeitskräften sowie die »fundierte Berufsausbildung« beschrieben, die »Erfolge erzielen konnten«. Dennoch fokussiert das Schulbuch die systemimmanenten Mängel der Planwirtschaft. Die Probleme werden (einige Seiten vorher) auf eineinhalb Schulbuchseiten anhand des Informationsdefizits, der Fehlplanungen, der Versorgungsengpässe, den »politisch motivierten Vorgaben der Staats- und Parteiführung«, dem Interesse der Betriebe an geringen Planauflagen und der »Tonnenideologie« dargestellt.420 Eine Grafik visualisiert einen »vereinfachten […] Planungsprozesses«. Insgesamt wird die Planwirtschaft mit Doppelplus (++) codiert. Auch zur Wirtschaft der DDR stellt das Schulbuch keine Quellen zur Verfügung. Am Ende des Kapitels befindet sich die »Arbeitsanregung«, die beiden unterschiedlichen Systeme anhand einer Mindmap darzustellen und zu vergleichen. Der Lösungsband schreibt – neben den schematischen Abbildungen von grundsätzlichen Abläufen der Wirtschaft – über die »Funktion« der BRD-Wirtschaft: »Befürworter: Effektive Ausrichtung an den Bedürfnissen + sozialer Ausgleich bei Marktversagen. Verweis: ›Wirtschaftswunder‹.« Eine kritische Meinung ist nicht vorgesehen. Demgegenüber besteht die Mindmap zur DDR größtenteils aus der Rubrik »Funktionsprobleme«.421 Abschließend muss der beeindruckende Umfang des Materials zur DDR-Wirtschaft erwähnt werden. Zeiten und Menschen bietet ebenfalls viel Material zum ERP. Zunächst wird das ERP im DT als wirtschaftlicher Teil der Truman-Doktrin bezeichnet. Durch Rohstoff- und Fertigwarenlieferungen habe es der Ankurbelung der Wirtschaft gedient. Gleichzeitig hätten sich die Staaten den wirtschaftspolitischen Vorstellungen der USA unterordnen müssen, weshalb die UdSSR den Staaten ihres Einflussbereichs »die Annahme der Hilfe« verboten habe.422 Außerdem hat Zeiten und Menschen eine didaktisch anspruchsvolle Doppelseite zum ERP konzipiert.423 Im einleitenden Satz heißt es: »Hilfe der USA für das vom Krieg zerstörte Europa – wer sollte da Arges vermuten? Doch die Motive der USA waren durchaus umstritten.« Die Schüler*innen sollen Aufgaben zu der Fragestellung bearbeiten, welche Motive die USA in der Öffentlichkeit vertraten und wie »zeitgenössische Karikaturisten in Ost und West« darüber urteilten. Nach einigen methodischen Hinweisen lesen sie einen Quellenauszug aus der Rede von Marshall, der in dieser Arbeit bereits mehrfach zitiert wurde (siehe Seite 149). Hiermit können die Schüler*innen die erste Aufgabe bearbeiten. Für die zweite Aufgabe finden die Schüler*innen eine Karikatur aus dem Daily Mirror (New York, Januar 1949), die aus zwei Bildern besteht. Beide Zeichnungen zeigen ein Vogelnest in einer Astgabel. Auf dem linken Bild mit der Überschrift »DER MARSHALL PLAN« füttert ein großer Vogel mit Uncle-Sam-Mütze viele hungrige kleine Vögel, die

420 421 422 423

Austermann/Lendzian (2015), S. 467f. Austermann (2016), S. 163f. Austermann/Lendzian (2015), S. 385. Austermann/Lendzian (2015), S. 392f.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

im Nest sitzen, mit einem Wurm. Auf dem rechten Bild mit dem Titel »DER MARSCHALL STALIN PLAN« sitzt ein großer Vogel (mit den Zeichen Hammer und Sichel auf der Brust) im Nest und ein Wurm fliegt ihm in den Schnabel. Um das Nest herum sitzen auf einem runden Ast hungrige, abgemagerte, traurige Vögel, die jeweils einen Wurm im Schnabel haben, den sie vermutlich gleich dem großen Vogel geben müssen. Davon ausgeschlossen ist ein kleiner Vogel mit der Aufschrift »Tito«, der auch keinen Wurm hat. Die Karikatur ist überschrieben mit: »Planmäßige Fütterung hüben und drüben.« Die zweite Karikatur »Der amerikanische Weg« ist, laut Zeiten und Menschen, eine sowjetische Karikatur aus der Zeitschrift Krokodil vom Februar 1949. Darauf sieht man einen römischen Streitwagen, der von einem Geschäftsmann mit Geiergesicht und Uncle-Sam-Hut gelenkt wird. Er hält eine Angel mit Schnur, an deren Ende ein Sack befestigt ist, auf dem »Anleihe« steht. Vor dem Wagen sind – anstatt der Pferde – einige Menschen gespannt, die anscheinend die Politiker Europas darstellen sollen. Einer der Männer hat eine tropfende blutige Nase. Diese Personen versuchen den Sack zu erreichen und ziehen dabei den Streitwagen. Die Karikaturen sind gut ausgewählt, sie zeigen anschaulich die unterschiedlichen politischen Perspektiven auf das ERP. Auch der Lösungsband schlägt tatsächlich zwei mögliche Interpretationen vor.424 Die gesamte Doppelseite ist narrativ und normativ triftig. Auch zur Bodenreform bietet Zeiten und Menschen vielseitiges Material. Im DT beschreibt das Schulbuch, dass die Großgrundbesitzer enteignet und deren Land verteilt worden sei. Laut der »kommunistischen Deutung« hätten die Großgrundbesitzer »als treibende Kraft hinter den Nationalsozialisten gestanden«.425 Unter der Überschrift »Meilensteine auf dem Weg zur Demokratie? – Die ›Entnazifizierung‹ in Ost und West« finden die Schüler*innen Quellen zur Bodenreform.426 Die Zeichnung M2 (1947) zeigt einen jungen Mann mit einer Axt, der neben einem abgeholzten großen Baum und einem gepflanzten jungen Bäumchen steht. Der gefällte Baum hat ein Hakenkreuz als Ast und auf seinem Stumpf wachsen neue Triebe, die mit »Junkertum«, »Monopolkapital«, »Reaktion«, »Nationalismus« und »Imperialismus« beschrieben sind. Unter dem Bild steht geschrieben: »Wenn das Bäumchen wachsen soll, werde ich diese Wurzeln, die ihm die ganze Kraft entziehen, doch wohl abhacken müssen.« Der Zeichner Poltiniak wird als KPD-Mitglied und als ehemaliger Häftling im KZ Oranienburg beschrieben. Als Quelle M1 druckt das Schulbuch einen Bericht von Robert Siewert, damals Innenminister von Sachsen-Anhalt, ab, der die Notwendigkeit der »demokratischen Bodenreform« begründet. Neben der »Brechung [der] Macht der Junker« führt er den Bedarf an Grund und Boden für die »Ernährung der Bevölkerung« und für »Umsiedler und Heimkehrer« an. Er lobt die Arbeit der Gemeindebodenkommission, die von den Gemeinden gewählt worden sei und innerhalb kürzester Zeit »1841 Großgrundbesitzer

424 Austermann (2016), S. 147ff. 425 Austermann/Lendzian (2015), S. 401. 426 Austermann/Lendzian (2015), S. 426f.

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mit über 100 ha« und »739 Nazi- und Kriegsverbrecher« enteignet habe. Außerdem berichtet Siewert über die berühmte Festnahme der Freiherrin Elsa von Bonin, die sich in ihrem Bett verschanzt habe und daraufhin mitsamt ihrem Bett herausgetragen worden sei. In der Quelle M3, einem Zeitungsartikel aus dem Neuen Deutschland vom 28. Februar 1948, führt Ulbricht aus, dass »nicht die Werktätigen und der Mittelstand die Träger des Faschismus waren, sondern die Konzern-, Bankherren und Großgrundbesitzer, (…).«427 Diese Einschätzung wird in Quelle M7 kritisiert. Hier kommentiert Kleßmann die »Schuldzuweisung an Großkapital und Großgrundbesitz« wie folgt: »Die Frage nach den Mitläufern und Stützen des Regimes in der breiten Bevölkerung trat so ganz in den Hintergrund und wurde auf die Vorstellung der manipulativen Verführung begrenzt.« Auch ein Text von Manfred Stolpe (M8) steht der Aussage von Ulbricht entgegen, jedoch geht Stolpe nicht auf den Großgrundbesitz ein. Das Buch widmet den Arbeitsaufträgen eine gesamte Seite.428 Neben der Beschreibung der Entnazifizierung sollen vier Fragen beantwortet werden: Wie gingen die Besatzungsmächte und Behörden in Ost und West mit der Nazi-Vergangenheit um? »Wie urteilen Zeitzeugen über beide Modelle?« Wie können die Unterschiede in der Praxis in Ost und West erklärt werden? Und wie sind die Unterschiede »aus heutiger Sicht zu beurteilen«? Für die Bearbeitung der Fragen bekommen die Schüler*innen eine Anleitung für eine Flipchart-Präsentation sowie Hinweise zu Methodenseiten. Keine Aufgabenstellung nimmt offensichtlich ein mögliches Ergebnis vorweg. Letztlich bietet Zeiten und Menschen als eines der wenigen Bücher Quellen aus DDR-Perspektive, die nicht mit (direkten oder indirekten) Suggestivfragen bearbeitet werden sollen. Die narrative Triftigkeit in Zeiten und Menschen ist sehr unterschiedlich einzuschätzen. Einerseits sind die Darstellungstexte durch viele narrative Elemente gekennzeichnet. Es wird auf eine Theorie von Müller-Armack verwiesen und durch grammatikalische Elemente – z.B. eine Passivkonstruktion – eine Distanz zu der Theorie aufgebaut. Weiterhin bezeichnet das Schulbuch mehrfach historische Zusammenhänge als »umstritten« – allerdings nicht auf der Seite zum »Wirtschaftswunder« und zur DDRWirtschaft. Andererseits stellt das Buch zum Thema dieser Arbeit – außer einer Doppelseite zum Marshallplan und zur Bodenreform, die allerdings politikgeschichtlich ausgerichtet sind – keine Quellentexte zur Verfügung. Der Schwerpunkt des Buches liegt wohl auf anderen Themen. Die normative Triftigkeit ist ebenfalls ambivalent: Einerseits sind die Darstellungen zur Bodenreform und zum ERP sehr gelungen, andererseits sind die Erzählungen zur Wirtschaft der BRD in Zeiten und Menschen weder fachlich noch normativ triftig.

427 Austermann/Lendzian (2015), S. 428. 428 Austermann/Lendzian (2015), S. 426.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

6.4 Cornelsen 6.4.1 Entdecken und verstehen In den nächsten Abschnitten werden die Schulbücher des Cornelsen-Verlags analysiert. Cornelsen veröffentlichte im untersuchten Zeitraum vier Schülerbände von Entdecken und verstehen für die Bundesländer Thüringen429 , NRW430 , Rheinland-Pfalz431 und Hessen432 . Sie sind für die Sekundarstufe I konzipiert, die Ausgabe Hessen explizit für Realschule und Gesamtschule. Alle Ausgaben unterscheiden sich nur marginal und überschreiben die Doppelseite zur Wirtschaft der BRD mit der Frage: »Was bewirkte die Soziale Marktwirtschaft?«433 Zu den Ursachen des Aufschwungs heißt es: »Das ›Wirtschaftswunder‹ beruhte auf der ›Sozialen Marktwirtschaft‹ [++]. Sie verband die freie Marktwirtschaft mit staatlichen sozialen Maßnahmen.« Des Weiteren erklären die Schulbücher: »Die weltweite Nachfrage nach deutschen Maschinen und Werkzeugen war durch den Koreakrieg (siehe S. 117) ausgelöst worden [+]. Dadurch sanken die Arbeitslosenzahlen von fast zwei Millionen 1950 auf etwa 200 000 in den Siebzigerjahren.« An dieser Stelle sollte der – durchaus zutreffende – Zusammenhang in irgendeiner Form kommentiert werden. Dabei könnte es ausreichen, das Wort zynischerweise einzusetzen. Ansonsten müsste das Verhältnis von Krieg und Wirtschaft grundsätzlicher behandelt werden. In einem anderen Kapitel sind das ERP und die Währungsreform als Faktoren für den Aufschwung genannt (jeweils +).434 Die Ausgaben für NRW, Thüringen und Rheinland-Pfalz definieren die »Soziale Marktwirtschaft« in einem Paratext. Demnach »sichert« der Staat in der »Sozialen Marktwirtschaft« die »freie Preisbildung«, das Privateigentum an Produktionsmitteln und das Aushandeln der Löhne ohne Einmischung des Staates. Hierbei bleibt die Frage offen, welche ökonomische Funktion der Staat in der »Sozialen Marktwirtschaft« eigentlich hat. Nach der Darstellung der Entwicklung des Sozialstaates betont Entdecken und verstehen – positiv konnotiert – die zentrale Rolle der Gewerkschaften für die Arbeitszeitverkürzung. Die erste Aufgabe lautet: »Untersucht die Bilder 1 und 2 und beschreibt – ohne den Text zu lesen –, was sie über die wirtschaftliche Situation in der Bundesrepublik um 1955, zehn Jahre nach dem Krieg, aussagen.« Auf dem ersten Bild ist ein Schaufenster eines gefüllten Feinkostladens435 und auf dem zweiten Bild eine Kleinfamilie beim Pick-

429 430 431 432 433

Berger-von der Heide (2014a). Berger-von der Heide (2015). Berger-von der Heide (2016). Berger-von der Heide (2014b). Berger-von der Heide (2014b), S. 166f.; Berger-von der Heide (2014a), S. 60f.; Berger-von der Heide (2015), S. 172f.; Berger-von der Heide (2016), S. 60f. 434 Berger-von der Heide (2014b), S. 114f., 158; Berger-von der Heide (2014a), S. 24f., 52; Berger-von der Heide (2015), S. 158f., 164; Berger-von der Heide (2016), S. 26f., 52. 435 In der Ausgabe für Hessen ist ein anderes Feinkostgeschäft auf der Fotografie zu sehen als in den Bänden für Thüringen, Rheinland-Pfalz und NRW. Die Grundaussage verändert sich jedoch nicht.

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nicken an einem schönen Sommertag im Wald zu sehen. Neben ihnen parkt ein VWKäfer. Beide Fotografien stellen Wohlstand dar. Hinsichtlich der fachlichen Triftigkeit muss angemerkt werden, dass die Fotografien die soziale Lage der meisten Menschen im Jahr 1955 verklären. Dies könnten die Schüler*innen eventuell bei der Aufgabe drei herausfinden, bei der sie ältere Menschen nach ihren Erfahrungen im »Wirtschaftswunder« befragen sollen. Im Schulbuch für NRW befindet sich zusätzlich eine Aufgabe, in der gefragt wird, welches Bild die beiden Fotografien von der jungen Bundesrepublik vermitteln. Folglich ist die Aufgabenstellung mit der ersten Aufgabe fast identisch. Jedoch wirkt die Formulierung didaktisch besser, da die Analyse der Bilder im Fokus steht. Vermutlich handelt es sich bei der Doppelung um einen Fehler der Redaktion; im Lösungsband existiert jedenfalls nur ein Arbeitsauftrag.436 Eine weitere Übungsaufgabe in allen Bänden lautet: »Schreibt für die Schülerzeitung einen Bericht über das ›Wirtschaftswunder und seine Ursachen‹.« Letztlich müssen die Schüler*innen lediglich den Abschnitt über die »Soziale Marktwirtschaft« aus dem DT herausschreiben. Im Lösungsband steht geschrieben: »Individuelle Schülerlösung.«437 Auch hier gilt die bereits geäußerte Kritik an der Einflussnahme der Schulbücher auf die Inhalte der »Schülerzeitung« (siehe Seite 158). Die DDR-Wirtschaft stellt Entdecken und verstehen ebenfalls auf einer Doppelseite dar.438 Im kurzen DT erläutert das Schulbuch: »In der sozialistischen Planwirtschaft bestimmte ein staatlicher Fünfjahresplan, was in der DDR produziert und verkauft wurde. Auch die Materialien (Rohstoffe) wurden den Betrieben nach Plan zugeteilt. Es stand unter Strafe, wenn der Plan nicht erfüllt wurde. Deshalb fälschten viele Betriebe ihre Zahlen. Sie meldeten die Erfüllung des Plans, auch wenn sie Waren und Maschinen nicht produziert hatten.« Folglich wird die Planwirtschaft mit Doppelplus (++) codiert. An dieser Stelle soll ausnahmsweise mal ein Satz kommentiert werden, obwohl er für die Nachkriegszeit nicht relevant ist. Er lautet: »In fast allen Bereichen, besonders in der modernen Computerindustrie, verlor die DDR-Wirtschaft den Anschluss an den Weltmarkt.« Dabei wäre ein Hinweis auf die internationalen Sanktionen angemessen (siehe Seite 67). In der ersten Aufgabe sollen die Schüler*innen die Planwirtschaft und deren Probleme darstellen. Laut der Lösungsbände sei anstelle des »privaten Eigentums der Unternehmer« das Eigentum der Genossenschaften und des Staates getreten. Letzterer habe zudem den Betrieben die Auswahl und die Produktionsmenge der Güter vorgeschrieben. Weitere Probleme seien – neben dem Fälschen der Zahlen – aufgrund der mangelnden Flexibilität durch die langfristige Planung entstanden.439 Auch in der zweiten Aufgabe steht das System im Fokus: »Zeigt die Auswirkungen der Planwirtschaft im Alltag mithilfe von M 1 und Bild 1 auf.« Die Quelle M 1 besteht 436 Berger-von der Heide (2015), S. 173; Möhlenkamp (2015), S. 117f. 437 Möhlenkamp (2015), S. 118; Zimmermann (2014), S. 171; Zimmermann (2016), S. 43; Zimmermann (2015), S. 94. 438 Berger-von der Heide (2014b), S. 168f.; Berger-von der Heide (2014a), S. 62f.; Berger-von der Heide (2015), S. 174f.; Berger-von der Heide (2016), S. 66f. 439 Möhlenkamp (2015), S. 118; Zimmermann (2014), S. 172; Zimmermann (2016), S. 45; Zimmermann (2015), S. 94.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

aus einem Auszug des Katalogs des Berliner DDR-Museums. Hier wird der »Mangel« damit begründet, dass sich die Wirtschaft in der DDR nicht nach Angebot und Nachfrage gerichtet habe, sondern vieles subventioniert gewesen sei. Auf dem Bild eins sehen die Schüler*innen eine lange Schlange vor einem Lebensmittelgeschäft, wie die Bildlegende verrät. Der suggestive Charakter der Aufgabenstellung ist deutlich erkennbar. Historisches Denken ist für die Lösung nicht notwendig. Das gleiche gilt für die Aufgabe A auf der nächsten Seite, die zum Entwerfen einer Wandzeitung zur Planwirtschaft anregt. Eine weitere Aufgabenstellung befindet sich in den Ausgaben für NRW, Thüringen und Rheinland-Pfalz, in der Ausgabe für Hessen jedoch nicht. Hier heißt es: »Entwerft ein Schaubild, in dem ihr die Sozialistische Planwirtschaft und die Soziale Marktwirtschaft vergleicht (Produktion, Versorgung, Preisbildung, Löhne).« Die Schulbücher sehen zwei Lösungsmöglichkeiten vor. Beide Varianten folgen im Wesentlichen dem Dualismus von staatlicher Gängelung in der DDR und dem freien Markt in der BRD.440 Für die Nachkriegswirtschaft trifft dieser Dualismus nicht zu. Bemerkenswert wirkt der Gesamteindruck der beiden Doppelseiten, die jeweils durch zwei große Bilder geprägt sind. Die BRD erscheint durch eine Urlaubsfotografie mit strahlendem Sonnenschein, einer – im konservativen Sinne – Bilderbuchfamilie in der Natur sowie einem gefüllten Geschäft bunt und positiv. Die DDR wird durch eine Warteschlange von älteren Menschen vor einem Geschäft und der grauen Haftanstalt Bautzen charakterisiert. Schlussendlich möchte ich auf die »Kompetenzerwartung« hinweisen, die in den Lösungsbänden wie folgt lautet: »Während es im Westen mit der Einführung der Sozialen Marktwirtschaft zu einem ›Wirtschaftswunder‹ kam, herrschte durch die Einführung der sozialistischen Planwirtschaft in der DDR Mangelwirtschaft.«441 Eine wichtige Kompetenz für Schüler*innen wäre es, diese normative Bewertung als solche erkennen zu können, anstatt sie zu wiederholen. Hervorzuheben ist außerdem, dass Entdecken und verstehen den normativen Begriff »Mangelwirtschaft« (siehe Seite 100) bereits für die Nachkriegszeit verwendet. Am Ende des Kapitels befindet sich eine »Zusammenfassung«, in der die Autor*innen folgendes Fazit ziehen: »In der Bundesrepublik führte die Westbindung zum ›Wirtschaftswunder‹. In der DDR hatte die Planwirtschaft am Anfang Erfolg. Später führte sie zunehmend zu wirtschaftlichen und sozialen Problemen.«442 Allerdings fehlen im restlichen Buch die Hinweise auf die anfänglichen Erfolge der Planwirtschaft. Das Schulbuch für Rheinland-Pfalz hat eine weitere Doppelseite mit dem Titel »Wirtschaftsentwicklung in der Bundesrepublik: Nur aufwärts?« hinzugefügt: Hier finden die Schüler*innen eine Grafik zur Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts 440 In der Ausgabe NRW sind die ökonomischen Komponenten noch differenzierter ausgeführt: Möhlenkamp (2015), S. 119. Die Lösungsbände für Rheinland-Pfalz und Thüringen verzichten auf wirtschaftliche Kriterien und betonen, dass in der DDR der Alltag ebenfalls vom Staat dominiert wurde: Zimmermann (2016), S. 46; Zimmermann (2015), S. 95. 441 Zimmermann (2014), S. 159. Zimmermann (2016), S. 37; Möhlenkamp (2015), S. 101; Zimmermann (2015), S. 88. 442 Berger-von der Heide (2014b), S. 201; Berger-von der Heide (2014a), S. 99; Berger-von der Heide (2015), S. 187; Berger-von der Heide (2016), S. 97.

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von 1951 bis 2006 mit dem Titel »Berg- und Talfahrt der Konjunktur«, welche die Konjunkturzyklen der BRD visualisiert, und eine Grafik zur Entwicklung der Arbeitslosigkeit von 1947/49 bis 2013. Der DT beschreibt nochmals die hohen Wachstumsraten in der Zeit des »Wirtschaftswunders«. Am Ende der 1960er Jahre habe sich eine Wirtschaftskrise entwickelt, die durch die erfolgreiche Politik des neuen Wirtschaftsministers Schiller bewältigt worden sei.443 Diese Thematik gehört allerdings nicht zum Untersuchungsbereich. Die Ausgaben von Thüringen und Rheinland-Pfalz haben eine Rubrik »Das kann ich« ergänzt, in der zwei gezeichnete Werbeplakate für die Automobile VW und Trabant abgebildet sind. Die gewünschte Deutung liefert die Bildbeschreibung, die beim Volkswagen »Symbol des Wirtschaftswunders« lautet. Für das DDR-Auto werden folgende Informationen bereitgestellt: »Der Trabant war das Auto der DDR, wer ihn bestellte, musste bis zu zehn Jahren [sic!] auf die Auslieferung warten.«444 Dabei wird die Situation der Automobilindustrie (indirekt) über das Wirtschaftssystem und nicht über die Demontage erklärt. Im Lösungsband befinden sich keine Interpretationen der Plakate. Dafür formulieren die Lösungsbände aller vier Schulbücher das finale Ergebnis der Lernsequenzen zu den Wirtschaftssystemen: »Soziale Marktwirtschaft (Hervorhebungen im Original, KK): Die Mittel aus dem Marshallplan setzten eine Entscheidung für die freie Marktwirtschaft voraus. Sie wurde von dem Wirtschaftspolitiker Ludwig Erhard (CDU) ergänzt durch soziale Gesichtspunkte, die es dem Staat erlaubten, in den freien Markt dann einzugreifen, wenn wirtschaftlich und sozial unerwünschte Wirkungen eintreten. Planwirtschaft: Wirtschaftsordnung, in der der Staat alle Entscheidungen über Produktion und Preise trifft und sie in staatlichen Plänen festlegt. Diese Pläne sind auf mehrere Jahre festgelegt.«445 Demnach beschreibt Entdecken und verstehen Erhard als Sozialpolitiker. Außerdem sind die Kapitelauftaktseiten zu erwähnen: Die Ausgaben für Thüringen und NRW drucken die nachgefärbte Fotografie der Jubiläumsfeier bei Volkswagen ab; das Schulbuch für Rheinland-Pfalz verwendet die schwarz-weiß Fotografie; die Ausgabe für Hessen verzichtet auf ein wirtschaftshistorisches Bild und platziert an dessen Stelle ein Bild der Berliner Mauer.446

443 Berger-von der Heide (2016), S. 62. 444 Berger-von der Heide (2014a), S. 100. Ebenfalls in: Berger-von der Heide (2016), S. 89. 445 Zimmermann (2015), S. 111; Zimmermann (2014), S. 185; Zimmermann (2016), S. 57. Im Lösungsband für die Ausgabe NRW heißt es: »Soziale Marktwirtschaft (Bundesrepublik) [Hervorhebung im Original, KK]: Die Soziale Marktwirtschaft ergänzt die Freie Marktwirtschaft durch den staatlichen Schutz der schwachen und hilfsbedürftigen Marktteilnehmer. Solche Maßnahmen sind zum Beispiel die von den Arbeitgebern und Arbeitnehmern je zur Hälfte finanzierte Kranken- und Rentenversicherung.« Der Abschnitt zur Planwirtschaft ist identisch: Möhlenkamp (2015), S. 125. 446 Berger-von der Heide (2015), S. 145; Berger-von der Heide (2014a), S. 51; Berger-von der Heide (2016), S. 51; Berger-von der Heide (2014b), S. 147.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

Entdecken und verstehen thematisiert das ERP ebenfalls auf einer Doppelseite.447 Im DT wird die bedeutende Wirkung des »Marshallplans«, das Verbot der Teilnahme für die Länder Osteuropas durch die UdSSR und die Bedingung der Einführung der Marktwirtschaft beschrieben. Im letzten Satz heißt es: »Der Marshallplan half den Ländern Westeuropas beim Aufbau ihrer Wirtschaft. Er trug aber auch zu einer weiteren Spaltung Europas bei.« Außerdem beinhalten die Schulbücher einige Quellen und Arbeitsaufträge. Die Quelle Q1 besteht aus einem Auszug der Rede Marshalls mit dem folgenden – oft zitierten – Satz: »… Unsere Politik ist nicht gegen irgendein Land oder irgendeine Doktrin, sondern gegen Hunger, Armut, Verzweiflung und Chaos gerichtet. Ihr Zweck soll es sein, die Weltwirtschaft wiederherzustellen, um das Entstehen politischer und sozialer Verhältnisse zu ermöglichen, unter welchen freie Institutionen existieren können. …« Die Quelle Q2, ein Auszug von Allen Dulles, kann vollständig wiedergegeben werden: »… Der Plan gründet auf unserem Wunsch, am Wiederaufbau eines Europas mitzuwirken, das mit uns auf den Weltmärkten konkurrieren kann und schon deshalb erhebliche Mengen unserer Produkte kaufen wird. …« Als konträren Standpunkt druckt Entdecken und verstehen einen Redeauszug von Malenkow (Q3) aus der Gründungsversammlung des Kommunistischen Informationsbüros (Kominform) ab. In diesem Beitrag kritisiert er das ERP und die Truman-Doktrin als Strategie des »amerikanischen Imperialismus« und des »Monopolkapitals« zur Festigung der Position in Europa und als Plan, um die »geschwächten kapitalistischen europäischen Länder« in die »Vorbereitung der neuen Kriegspläne« gegen die UdSSR einzubinden. Die Schüler*innen sollen, nach der Wiedergabe der Thesen Malenkows, folgenden Arbeitsauftrag durchführen: »Vergleicht Q3 mit Q1 und Q3 auf S. 113 [Text von Truman, KK] und prüft, ob es Belege für die Aussagen des sowjetischen Politikers gibt.« In den Texten gibt es einige Belege für die Thesen von Malenkow, wie auch die Lösungsbände für Thüringen und NRW feststellen.448 Der Lösungsband für Hessen geht nicht auf die Aufgabenstellung ein.449 Im Lösungsband für Rheinland-Pfalz werden die Aussagen von Malenkow zurückgewiesen: »Für Kriegspläne der USA gegen die Sowjetunion finden sich in den Quellen keine Belege. Marshall sagt explizit, dass sich die Politik der USA nicht gegen ein Land oder eine Doktrin richtet.«450 Allerdings ist fraglich, weshalb nur der Text von Malenkow quellenkritisch analysiert werden soll, denn die Rede von Marshall könnte ebenfalls auf seine Aufrichtigkeit geprüft werden. Immerhin ist es unstrittig, dass der »Marshallplan« sehr wohl gegen ein Land gerichtet war. Die vierte Aufgabe beinhaltet die »Beschreibung der Auswirkungen des Marshallplans«. Dabei ist das ökonomische Urteil über das ERP in den Lösungen eindeutig:

447 Berger-von der Heide (2014b), S. 114f.; Berger-von der Heide (2014a), S. 24f.; Berger-von der Heide (2015), S. 158f.; Berger-von der Heide (2016), S. 26f. 448 Möhlenkamp (2015), S. 109; Zimmermann (2015), S. 75. 449 Zimmermann (2014), S. 142. 450 Zimmermann (2016), S. 20.

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Demnach sei es die »Grundlage für das spätere ›Wirtschaftswunder‹ in Westdeutschland« gewesen.451 In einer weiteren Aufgabe sollen die Schüler*innen erklären, warum die »Sowjetunion den Ländern Osteuropas die Teilnahme untersagte«. Dabei können sie die Bedingung der Einführung der Marktwirtschaft sowie die Einflussnahme der USA auf die Politik der Länder nennen, wie es auch die Lösungsbände vorschlagen.452 In der Aufgabe sechs fragt das Schulbuch für Hessen anhand der Plakate »Freie Bahn dem Marshallplan« und »Hinaus!« (siehe Seite 147), wie der »Marshallplan« in West und Ost dargestellt wird. Die Ausgaben für NRW, Rheinland-Pfalz und Thüringen haben »Hinaus!« gegen das Plakat »DEUTSCHER AUFBAUPLAN GEGEN MARSHALLVERSKLAVUNG« (siehe Seite 174) ausgetauscht. Alle Konzeptionen sind für historisches Lernen geeignet und regen mehrperspektivisches Lernen an. Zusätzlich versuchen die Schulbücher von Entdecken und verstehen in der letzten Aufgabe, einen Gegenwartsbezug herzustellen: »Für die armen Ländern [sic!] in Afrika und Asien wird auch heute ein Marshallplan gefordert. Informiert euch im Internet über solche Pläne und berichtet der Klasse.«453 Die Nachkriegswirtschaft der SBZ beschreibt Entdecken und verstehen mit folgendem Tenor: »Auch im wirtschaftlichen Bereich folgte die SED dem sowjetischen Vorbild: Der Großgrundbesitz wurde enteignet und die Industrieunternehmen wurden verstaatlicht.« Nach einer kurzen Quelle zu den Bestimmungen der Bodenreform folgen Erläuterungen zur Bodenverteilung sowie den »gezwungenen« Zusammenschlüssen zu LPG. Auf eine ökonomische Bewertung der landwirtschaftlichen Politik verzichten die Schulbücher. Im weiteren DT sind die Verstaatlichungen bis 1948 beschrieben, die nach Anweisung der UdSSR und dem Volksentscheid in Sachsen – mit dem korrekten Ergebnis von 78 Prozent Jastimmen – begonnen hätten. Außerdem finden die Schüler*innen das Plakat »Junkerland in Bauernhand«, das einen Bauer zeigt, der die Saat auf dem Feld verteilt. Die Schüler*innen sollen in den zwei Aufgabenstellungen die wirtschaftlichen Maßnahmen auflisten und das Bild einer der Maßnahmen zuordnen.454 Die Ökonomie in den westlichen Besatzungszonen reduziert Entdecken und verstehen – neben dem ERP – auf die Währungsreform. Hierzu kann der gesamte Text zitiert werden: »Am 20.6.1948 führten die Westmächte in der Trizone eine neue, stabile Währung ein: die D-Mark. Sie ersetzte die wertlose Reichsmark und schuf so die Voraussetzung für den wirtschaftlichen Wiederaufstieg im Westen. Jeder Westdeutsche erhielt zunächst 40, dann 20 DM. Bargeld wurde im Verhältnis RM: DM = 10:1 umgetauscht. Die bisherige Rationierung von Lebensmitteln und Waren wurde aufgehoben. Plötzlich waren die Schaufenster in den Geschäften voll und fast alles war wieder zu kaufen.«455 451 452 453 454 455

Möhlenkamp (2015), S. 109; Zimmermann (2014), S. 142; Zimmermann (2016), S. 20. In der Ausgabe für Thüringen fehlen einige Lösungen: Zimmermann (2015), S. 74f. Möhlenkamp (2015), S. 109; Zimmermann (2014), S. 142; Zimmermann (2016), S. 20. Berger-von der Heide (2014b), S. 114f.; Berger-von der Heide (2014a), S. 24f.; Berger-von der Heide (2015), S. 158f.; Berger-von der Heide (2016), S. 26f. Berger-von der Heide (2014b), S. 162f.; Berger-von der Heide (2014a), S. 56f.; Berger-von der Heide (2015), S. 168f.; Berger-von der Heide (2016), S. 56f. Berger-von der Heide (2014b), S. 158; Berger-von der Heide (2014a), S. 52; Berger-von der Heide (2015), S. 164; Berger-von der Heide (2016), S. 52.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

Dieser Text vermittelt den problematischen Eindruck, als habe es einen gerechten Neuanfang für alle gegeben. Außerdem können die Schüler*innen durch den Text das »plötzliche« Auftauchen der Waren nicht verstehen.

6.4.2 Forum Geschichte 9/10 Die Schulbücher der Reihe Forum Geschichte für die Bundesländer Rheinland-Pfalz und Thüringen unterscheiden sich deutlich in ihrer Konzeption, weshalb sie nacheinander behandelt werden. In der Ausgabe Thüringen für das Gymnasium beginnt das Kapitel für die Zeit nach 1945 mit einer Fotografie der totalen Zerstörung rund um das Brandenburger Tor. Hiermit könnte das Narrativ der »Stunde null« reproduziert werden.456 Für die Darstellung der Nachkriegswirtschaft ist vor allem die Doppelseite »Markt und Plan: Zwei Wirtschaftsmodelle« bedeutend.457 Auf der linken Seite wird, unter dem Teaser »›Wirtschaftswunder‹ mit sozialer Marktwirtschaft?«, die Einführung der »sozialen Marktwirtschaft« (++) als Grund für den Aufschwung genannt, nachdem die Ausgangslage zunächst desolat gewesen sei. Das genannte Wirtschaftssystem bestehe, so Forum Geschichte, aus dem freien Wettbewerb, der durch Fusionskontrollen überwacht werde und »Sozialgesetze[n] wie Arbeitslosenhilfe und Lohnfortzahlung bei Krankheit«. Weiter heißt es: »Ludwig Erhard [++] gilt bis heute als ›Vater‹ der sozialen Marktwirtschaft.«458 Dagegen ist anzumerken, dass Erhard die Arbeitslosenhilfe ebenso wenig befürwortete wie die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Die Modifikation der Lohnfortzahlung erkämpften die Gewerkschaften in wochenlangen Streiks im Jahr 1956; die Gleichstellung von Arbeiter*innen und Angestellten bei der Lohnfortzahlung erfolgte erst durch ein Gesetz der Großen Koalition im Jahr 1969. Erhard kommentierte die Änderungen von 1956 mit scharfen Angriffen auf die Gewerkschaften.459 Immerhin schwächt das Schulbuch die Aussage durch die Passivform »gilt« geringfügig ab. Im weiteren Darstellungstext sind der »Marshallplan« (+), die europäische Integration und die niedrigen Löhne (+) als Ursachen der Konjunkturentwicklung genannt. Letztere hätten die deutschen Produkte auf dem Weltmarkt billig gemacht. Einen anderen wichtigen Grund für die günstigen Weltmarktpreise, nämlich die Unterbewertung der DM, erwähnt das Schulbuch jedoch nicht. Im fortlaufenden DT beschreibt Forum Geschichte 9/10 die gestiegenen Konsumwünsche und Realisierungschancen durch das »Wirtschaftswunder«. Zusätzlich verweist das Schulbuch auf weiterhin bestehende Armut. Die »Arbeitskräfte aus dem Osten« werden mit Fragezeichen (?) codiert, da sie als Deckung des Bedarfes genannt sind, aber nicht als Ursache für den Aufschwung. Auf der rechten Seite der Doppelseite erläutern die Schulbuchautor*innen die Wirtschaft der DDR unter dem Teaser »Aufbau des Sozialismus mit zentraler Planwirt456 Regenhardt (2014), S. 228f. 457 Regenhardt (2014), S. 244f. 458 Im Lösungsband heißt es außerdem: »Der Direktor der Verwaltung für Wirtschaft des vereinigten Wirtschaftsgebietes und spätere Wirtschaftsminister im Kabinett Adenauer, Ludwig Erhard (18971977), setzte nach der Währungsunion [sic!] das Konzept der sozialen Marktwirtschaft durch und stellte damit die Weichen für das ›deutsche Wirtschaftswunder‹«: Regenhardt/Asch (2014), S. 177. 459 Koch-Baumgarten (2013), S. 63ff., 147.

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schaft?« (++). Demnach sei eine Planwirtschaft nach dem Vorbild der UdSSR eingeführt worden, so dass der Produktionsumfang von Waren und Gütern durch Fünfjahrespläne gesteuert worden sei. Im Folgenden kontrastiert Forum Geschichte 9/10 die Situation nach dem Zweiten Weltkrieg: »Die Ausgangsbedingungen waren schwieriger als in der Bundesrepublik: Zum einen hatte die sowjetische Besatzungsmacht die meisten Industriebetriebe demontiert [+] und mehr Reparationen entnommen [+] als die Besatzungsmächte in den westlichen Zonen. Zum anderen wanderten viele qualifizierte Arbeitskräfte in den Westen ab [+].« Außerdem erklärt das Schulbuch die Probleme in der DDR durch die fehlende Schwerindustrie, die auf Kosten der Konsumgüterindustrie aufgebaut werden musste. Diese triftige Aussage findet sich in keinem anderen Schulbuch. Abschließend wird die fehlende Konkurrenzfähigkeit genannt, die auf mangelnde Leistungsanreize durch die staatlich festgelegten Löhne zurückzuführen sei. Forum Geschichte ist eines der wenigen Bücher, das sachlich auf die schwierigen Startbedingungen eingeht und dabei wichtige Erkenntnisse der Wirtschaftsgeschichte wiedergibt. Jedoch fließen diese Aspekte nicht in die »Zusammenfassung« am Ende des Kapitels ein. Dort heißt es, dass die »soziale Marktwirtschaft« zu »Wirtschaftswunder« und Wohlstand sowie die Planwirtschaft zu Engpässen in der Versorgung geführt habe.460 Des Weiteren finden die Schüler*innen zwei Grafiken zur »Sozialen Marktwirtschaft« und zur Planwirtschaft (vgl. Abb. 10), welche die Wirtschaftssysteme in Ost und West visualisieren sollen.461 Demnach seien, so die Grafik, alle Sektoren der Westwirtschaft durch die »Unternehmerische Eigenplanung« bestimmt; der Staat überwache bloß die Ergebnisse. Hier stellt das Schulbuch die »Soziale Marktwirtschaft« ganz im Sinne des Ordoliberalismus vor. Die Grafik ist der Redaktion Zahlenbilder entnommen, die sie explizit auf den »Neoliberalismus der Freiburger Schule« zurückführt.462 Als theoretische Darstellung eines normativen Konzeptes wäre die Grafik folglich gut geeignet; mit der Wirtschaftsordnung zu Zeiten des »Wirtschaftswunders« hat sie aber wenig gemein. Hierfür müsste mindestens Folgendes geändert werden: • •



Verkehr: o Staatliche Planung Industrie und Handwerk: o Staatliche Planung o Unternehmerische Eigenplanung Banken und Versicherungen: o Staatliche Regulierung o Staatliche Planung

460 Regenhardt (2014), S. 254f. 461 Die Grafik zur »Sozialen Marktwirtschaft« befindet sich (mit anderem Layout) bei: Schlösser (2007), S. 31. Ob die Inspiration durch diese Publikation entstand, ist unklar. 462 Redaktion Zahlenbilder (1983), S. 12f. In der Auflage von 1977 wird außerdem »zum Vergleich« die »Zentrale Planwirtschaft« abgebildet, in der ebenfalls die Ursprünge der Grafik aus Forum Geschichte 9/10 zu erkennen sind: Redaktion Zahlenbilder (1977), S. 8f. Beide Grafiken orientieren sich am Dualismus der Wirtschaftssysteme, wie von Eucken postuliert.

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o Unternehmerische Eigenplanung Landwirtschaft: o Staatliche Regulierung o Unternehmerische Eigenplanung

Abbildung 10: »Soziale Marktwirtschaft« und Planwirtschaft

Die Grafik zur DDR-Wirtschaft bedarf ebenfalls einer grundlegenden Bearbeitung; beispielsweise müssen die Sektoren Handwerk und Industrie getrennt werden. Zudem sollten die Aushandlungsprozesse zwischen Regierung, staatlicher Planbehörde und den Betrieben einfließen. Die Wirtschaft der Besatzungszonen spielt in Forum Geschichte 9/10 lediglich eine marginale Rolle; die Bodenreform, der »Marshallplan« und die Währungsreform werden in einer politikgeschichtlichen Betrachtung kurz aufgelistet, um die Verantwortung der UdSSR für die Spaltung Deutschlands zu betonen. Auch die Berlin-Blockade erklärt

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das Schulbuch auf diese Weise.463 Insgesamt erzählen die Schulbuchautor*innen die idealisierte Erfolgsgeschichte der Gründung der BRD. Bemerkenswert, angesichts der vielen Eingriffe der Besatzungsmächte bzgl. der Sozialisierungen (siehe Seite 57), ist die Schilderung der demokratischen Beteiligung: »Die westdeutsche Bevölkerung konnte ihre Verfassungsgebung weitgehend eigenständig diskutieren und beschließen.«464 Am Ende des Kapitels finden die Schüler*innen auf der Doppelseite »Kann ich das? – Kompetenz-Check« im Bereich der »Sachkompetenz« zwei Quellen und eine Aufgabe mit wirtschaftshistorischem Schwerpunkt.465 Die erste Quelle (M2) besteht aus einer Fotografie einer großen Plakatwand mit folgender Aufschrift: »Durch den Eintritt in die LPG treten wir Adenauer auf den Zeh.« In der Bildbeschreibung steht geschrieben: »Propaganda in der DDR, Foto, 1959«. Auf dem zweiten Bild (M4) hingegen sehen die Schüler*innen das Bezugsschein-Plakat der Waage (siehe Seite 151). Anders als in Geschichte und Geschehen lautet die Bildbeschreibung in Forum Geschichte 9/10: »Plakat zur Bundestagswahl 1953, veröffentlicht durch: Die Waage. Gemeinschaft zur Förderung des Sozialen Ausgleichs e. V. Köln.« Der Arbeitsauftrag verlangt, die verschiedenen Wirtschaftssysteme anhand der Begriffe »Plan« und »Markt« sowie der beiden Quellen zu »zeigen«. Insgesamt sind die Quellen gut ausgewählt, um historisches Denken zu fördern. Jedoch geben die Bildunterschriften die Interpretation unzulässig vor. Entweder muss M2 ebenfalls durch die Selbstbezeichnung der Urheber-Institution beschrieben werden oder das Plakat der Waage wird auch als Propagandaplakat kategorisiert. Letzteres wäre vermutlich besser, da es ohnehin fragwürdig ist, die Selbstbezeichnung der Waage als »Gemeinschaft zur Förderung des Sozialen Ausgleichs« unkritisch zu reproduzieren. Wer sich jedoch den Lösungsband kauft, bekommt wichtige Informationen zur Waage: Hier wird sie zutreffend als Werbeorganisation der Industrie beschrieben, die das Ziel gehabt habe, das Unternehmerbild aufzupolieren, die höchst umstrittene Politik von Erhard zu bewerben und den Begriff der »sozialen Marktwirtschaft« zu etablieren.466 Die Wirtschaftssysteme sieht der Lösungsband durch die Form des Eigentums, »freien Marktteilnehmern […], Angebot und Nachfrage oder Abhängigkeit von der Planvorgabe« charakterisiert.467 Eine Quellenanalyse wird nicht vorgeschlagen. Das nächste Kapitel Leben im geteilten Deutschland enthält eine Methodenseite468 plus Material zum Stationenlernen. Eine Station thematisiert die ökonomischen Lebensbedingungen in Ost und West; das Material besteht aus acht Quellen, die sich auf einer Doppelseite befinden.469 M1 zeigt eine Fotografie eines Orchesters mit Blasinstrumenten auf einer Demonstration am ersten Mai; ein Transparent fordert die 40-StundenWoche bei vollem Lohnausgleich. M2 stellt eine Tabelle mit langfristigen Konsumgütern in Haushalten in Ost und West zwischen 1969-1978 dar. Die Quelle M3 ist ein Auszug aus einem Interview mit Walter Schäfer, der 1946 das Ruhrgebiet verlassen habe, um 463 464 465 466 467 468 469

Regenhardt (2014), S. 234f. Regenhardt (2014), S. 234. Regenhardt (2014), S. 256. Regenhardt/Asch (2014), S. 184. Regenhardt (2014), S. 366. Regenhardt (2014), S. 258f. Regenhardt (2014), S. 262f.

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bei Volkswagen zu arbeiten. Er beschreibt seine bescheidenen und wertkonservativen Lebensziele und berichtet darüber, wie hart er gearbeitet habe, um sich etwas leisten zu können und um »im Werk wieder mit aufzubauen«. Auf der Fotografie von M4 sieht man eine Kleinfamilie, deren Auto gerade entladen wird. Sie werden von den Angestellten oder den Besitzern eines »Ristorante« empfangen. Die Bildunterschrift weist auf einen Italien-Urlaub am Gardasee mit einem VWKäfer im Jahr 1955 hin. In einem Textauszug (M5) mit der Überschrift »Planwirtschaft vor Ort« berichtet der frühere Mitarbeiter Lothar Ritter des EKO in Eisenhüttenstadt im Jahr 1994 über die Parteisitzungen im EKO, aus denen er habe schließen können, dass am Ende des Monats die Unterlagen gefälscht worden seien, um die Planvorgaben zu erfüllen. Schwer verständlich ist die Quelle M6 mit dem Titel »Mehrarbeit – wofür?«, in der Helmut Schönstedt über den VEB Gartenbau (Eisenhüttenstadt) berichtet. »Wenn im Betrieb Not am Mann war, haben in den Anfangsjahren die Frauen am Tage ihre eigentliche Arbeit gemacht und kamen nachmittags, wenn die Männer Feierabend hatten, mit ihren Männern und haben mit der Schubkarre die Erde in die Gewächshäuser reingekarrt … Sie haben mit Duldung des Betriebes Leistungen erbracht, die ihre Frauen nach dem Leistungsprinzip vergütet bekamen. Sie haben es nur gemacht, weil die Familie sich eben auch eine Waschmaschine, einen Fernseher, einen Trabbi anschaffen wollte. In unserem Betrieb wurde ja nur durch Leistungsvergütung Geld verdient, die Grundlöhne waren ja gering. Durch die spätere Möglichkeit, Jahresendprämien zu zahlen, konnten gute Arbeitsleistungen zusätzlich belohnt werden.« Im Originaltext erläutert Schönstedt zusätzlich, dass in dem Gartenbaubetrieb größtenteils Frauen arbeiteten, da die Männer fast ausschließlich im Stahlwerk EKO beschäftigt waren.470 Diese Information fehlt für die Nachvollziehbarkeit. Außerdem wurde die Quelle vom Schulbuch normativ in ihrer Grundaussage verändert. Der – auf den Schulbuchauszug – folgende Satz lautet: »Wir hatten eine Stammbelegschaft, die sich eigentlich gehalten hat. Es gab eben eine gewisse Zufriedenheit, weil es immer weiter ging.« Außerdem bezeichnet Schönstedt nicht die Grundlöhne in der DDR allgemein als gering471 , sondern er sagt, dass die Grundlöhne in seinem Betrieb im Vergleich zu anderen Betrieben in der Stadt besonders niedrig gewesen seien.472 Insgesamt ist der Text von Schönstedt keine Kritik an den Zuständen in der DDR und auch keine Kritik am VEB Gartenbau, sondern eher ein nüchterner, aber auch stolzer Bericht.473 Die

470 Schönstedt (1999), S. 207. Der Quellenausschnitt befindet sich bereits in einem älteren Schulbuch: Regenhardt (2003), S. 226. 471 Im Lösungsband steht: »Die in der staatlichen Planwirtschaft gezahlten Grundgehälter waren nicht nur gering, sondern auch wenig differenziert, um Unterschiede zwischen den einzelnen Schichten aufzuheben. Zur Leistungssteigerung wurden daher verschiedene Anreizsysteme, wie die ›Zweite Lohntüte‹ oder Prämien, entwickelt«: Regenhardt/Asch (2014), S. 192. 472 Schönstedt (1999), S. 207. 473 Schönstedt (1999), S. 203ff.

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Überschrift »Mehrarbeit – wofür?«, welche die Schulbuchautor*innen hinzugefügt haben, wird dem Autor nicht gerecht. Eigentlich lautet der Titel: »Unter Glas und Plaste. Stadtgärtnerei Stalinstadt – VEB Gartenbau – Gartenbau GmbH Eisenhüttenstadt.« Man muss die Einschätzung (über den relativen Erfolg des Betriebes) von Schönstedt nicht teilen. Auch kann ein weiterer Bericht einer Arbeiterin abgedruckt werden, die eventuell eine andere Perspektive einnehmen würde. Eine normative Veränderung des Textes ist jedoch unseriös. Material sieben zeigt eine Fotografie von einem Fertigungsband im Automobilwerk. Auf dieser Fotografie führen im Vordergrund zwei Arbeiter Montagearbeiten an einem PKW durch. Die Bildunterschrift verweist auf das Wartburg-Werk in Eisenach. Zusätzlich lesen die Schüler*innen den folgenden (schlecht formulierten) Satz: »Die Pkws konnten nur bestellt werden, mit einer Wartezeit von zwölf bis 15 Jahren.« Auf der Fotografie von M8 ist die Tafel eines Lebensmittelgeschäfts im Jahr 1962 zu sehen, auf der mit Kreide geschrieben steht: »Möhren [Absatz] für Kinder bis drei Jahren [Absatz] Weinkraut [Absatz] Sauerkraut.« Die Schüler*innen sollen die »Entwicklung des Lebensstandards« in der BRD und die »Konsum- und Produktionsbedingungen« in der DDR »beschreiben« bzw. »untersuchen«.474 Insgesamt erzählt die Doppelseite das klassische Masternarrativ.475 Abschließend kann hinzugefügt werden, dass Forum Geschichte 9/10 für Thüringen größtenteils einen Schwerpunkt auf die Politikgeschichte legt. Demgegenüber bekommen wirtschafts- und sozialgeschichtliche Themen wenig Raum. Dies zeigt sich an der Worterfassung, die für Forum Geschichte 9/10 bei 421/829 (Quellentext/Darstellungstext) liegt. Zudem verzichtet das Schulbuch, welches für das Gymnasium bestimmt ist, auf kontroverses Material.

6.4.3 Forum Geschichte 4 Im Schulbuch Forum Geschichte 4 beginnt das Kapitel zur Nachkriegszeit mit einer interessanten didaktischen Konzeption. So sollen die Schüler*innen auf der Kapitelauftaktseite zu den Besatzungszonen, die den Gemüseanbau vor dem zerstörten Brandenburger Tor zeigt, die Frage bearbeiten, warum das Schulbuch dieses Bild ausgewählt habe. Auf der nächsten Seite, die »Orientierung im Kapitel«, ist die berühmte Schaufensterfotografie abgebildet (siehe Seite 146). Hierzu werden die Schüler*innen aufgefordert, eine Frage zu formulieren, die sie gerne beantwortet haben möchten.476 Der Lösungsband gibt bedauerlicherweise eine fragwürdige Interpretation vor: »Der staunend-sehnsüchtige Blick, mit dem die Frauen auf der Fotografie die Schaufensterauslagen einer Metzgerei begutachten, verweist auf den seit Kriegsende durchlebten Man-

474 Regenhardt (2014), S. 259. 475 Der Lösungsband sieht diesen Zusammenhang wie folgt: »Wie die Materialien auf S. 263 des Schülerbandes zeigen, traten mit der Einführung der zentralen Planwirtschaft verschiedene Probleme auf. Da die staatlich festgelegten Produktionsmengen vielfach aufgrund fehlender Rohstoffe nicht erreicht werden konnten, mussten sich die Konsumenten bei bestimmten Artikeln auf z.T. jahrelange Wartezeiten einrichten«: Regenhardt/Asch (2014), S. 192. 476 Cornelissen/Willig (2016), S. 8ff.

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gel.«477 Eine Verbitterung über das Horten und über die hohen Preise sieht das Schulbuch nicht als mögliche Interpretation vor. Außerdem verweist Forum Geschichte 4 auf einen Webcode »DDR/BRD – Wirtschaftsmodelle«478 und den Film »1955 Das Wirtschaftswunder« aus der Reihe Momente der Geschichte479 . Der Film erzählt den klassischen Mythos vom »Wirtschaftswunder«. Auch sollte er (wie jeder Film) in irgendeiner Form quellenkritisch begleitet werden – sprich: Wer macht den Film? Mit welchen Mitteln arbeitet der Film? Welche Thesen werden vertreten? Das Schulbuch gibt hierzu leider keine Informationen. Für wirtschaftshistorisches Lernen ist ohnehin die ARD-Dokumentation Unser Wirtschaftswunder – Die wahre Geschichte von Christoph Weber, trotz des reißerischen Titels, besser geeignet.480 Der Haupttext zur DDR-Wirtschaft geht zunächst auf den Aufbau des Sozialismus nach 1952 ein, der durch weitere Verstaatlichungen und die Gründung der LPG – »oft unter Zwang« – erfolgt sei. Eine ökonomische Bewertung der LPG findet nicht statt (daher Codierung = ?). Im weiteren Verlauf erläutert das Schulbuch die Fünfjahrespläne, welche die Mengen für Gebrauchsgüter und Produktionsmittel festgelegt hätten, und die schwierige Ausgangslage durch Reparationen (+) und Demontagen (+). Auch die Priorisierung der Schwerindustrie erwähnt Forum Geschichte 4, allerdings ohne eindeutige ökonomische Bewertung (?).481 Der Abschnitt endet mit dem Verweis auf die »Steigerung der Wirtschaftsleistung bis 1960 auf das Zweieinhalbfache«.482 Letzteres erfüllt die Codierung »Wirtschaft bis 1970er Jahre erfolgreich« mit Plus (+). Forum Geschichte 4 bezeichnet als grundlegende Schwäche der Planwirtschaft Folgendes: »Da Löhne und Preise staatlich festgesetzt waren und es praktisch für jeden eine Jobgarantie gab, war die Produktivität gering.« Wie bereits ausgeführt (siehe Seite 99), existieren abweichende Analysen zur Produktivitätsentwicklung. Ein Paratext definiert die Planwirtschaft: »Bezeichnet eine Wirtschaftsordnung, in der die Produktion und die Verteilung von Gütern und Dienstleistungen planmäßig und zentral gesteuert werden. Eigeninitiative und freien Wettbewerb gibt es nicht. Löhne und Preise werden staatlich festgelegt.« Insgesamt summiert sich die Codierung Planwirtschaft auf Doppelplus (++). Die Darstellung der Nachkriegswirtschaft fokussiert sich auf die Bodenreform. Sie wird wie folgt beschrieben: »Diese Bodenreform war sowohl eine Entnazifizierungsmaßnahme wie eine Strukturreform: Unter den Großgrundbesitzern befanden sich ehemalige NS-Größen, die nun enteignet wurden, um das Land an Kleinbauern, landlose Bauern und Umsiedler zu

477 Asch (2016), S. 18. 478 Er beinhaltet Links zu den Definitionen von Planwirtschaft (von Haunisland und BpB) und Fünfjahresplan (von der Konrad-Adenauer-Stiftung). 479 ZDF (2011). 480 Weber (2013). 481 Cornelissen/Willig (2016), S. 74. 482 Die Zahlen stammen vermutlich aus: Ciesla (1997), S. 39.

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übergeben. Die Enteigneten wurden vertrieben, verhaftet, viele von ihnen in sowjetische Arbeitslager verschleppt. Wirtschaftlich war diese Bodenreform nicht erfolgreich [+].«483 Im weiteren Verlauf seien die Bauernhöfe zu LPG zusammengeschlossen worden. Ein ähnliches Muster habe, so Forum Geschichte 4, zur Bildung der VEB geführt. Der wirtschaftliche Aufschwung »ließ« aufgrund der Zerstörungen der Betriebe, der Reparationen und der Demontagen »auf sich warten«. Für den Umfang der Demontagen wird eine Tabelle angeführt. Nach dieser Tabelle seien in der SBZ 2400 Industrieanlagen mit einem Wert von 6,1 Mrd. Reichsmark abgebaut worden. Dies entspreche einem Kapazitätsverlust von 30 Prozent. Demgegenüber habe es im Westen lediglich Kapazitätsverluste von 3 Prozent gegeben, die einem Abbau von 800 Betrieben im Wert von 2,7 Mrd. Reichsmark entsprechen würden.484 Als Quelle M1 finden die Schüler*innen das Plakat »Junkerland in Bauernhand«, das einen großen Bauern zeigt, der mit einem Laib Brot und einer Milchkanne über einem Dorf thront (siehe Seite 147). Sie sollen es mit den Methodenhinweisen zu »Propagandaplakate untersuchen« bearbeiten.485 Zwei wichtige Punkte fehlen in der Darstellung der DDR-Wirtschaft – nämlich die Zerstörung der Handelswege sowie die Boykottbestimmungen, welche die USA gegen die DDR durchgesetzt haben. Auch der Abschnitt »Krise und Untergang der Planwirtschaft« argumentiert fragwürdig und vor allem mit falschen Zahlen.486 Allerdings ist dies nicht das Thema der vorliegenden Analyse. Die Wirtschaft der BRD wird im Abschnitt »Soziale Marktwirtschaft im Westen« (++) thematisiert: »In den Westzonen entstand seit 1946 eine liberale Marktwirtschaft. Der Markt sollte die Wirtschaft regeln. Kapital, Fabriken, Maschinen und Bauernhöfe blieben in Privatbesitz. Verschiedene Firmen konkurrierten mit einer Vielzahl von Produkten um die Gunst der Kunden.«487 In einem Paratext erläutern die Autor*innen zusätzlich die »Soziale Marktwirtschaft«, die aus dem freien Markt, der Wettbewerbskontrolle (z.B. bei Firmenzusammenschlüssen) und den Sozialversicherungen bestehe. Zur Entstehung der »Sozialen Marktwirtschaft« lässt sich Folgendes nachlesen: »Das Modell der sozialen Marktwirtschaft wurde maßgeblich von Alfred Müller-Armack entwickelt und unter Wirtschaftminister [sic!] Ludwig Erhard verwirklicht.« Im DT wird ausgeführt, dass das Zusammenspiel des 483 484 485 486

Cornelissen/Willig (2016), S. 22. Cornelissen/Willig (2016), S. 22. Cornelissen/Willig (2016), S. 23 Die Verschuldung ist mit 49 Mrd. Mark viel zu hoch angegeben. Laut Bericht der Deutschen Bundesbank vom August 1999 betrug die Nettoverschuldung im Jahr 1989 19,9 Mrd. Mark (West): Wenzel (2015), 68f. Zudem wird der Eindruck erweckt, die BRD hätte in einer großzügigen Tat (zwei Milliardenkredite) die hoffnungslose DDR gerettet. Laut Edgar Most, ehemaliger Vize-Präsident der Staatsbank der DDR und nach 1990 leitender Manager der Deutschen Bank, war die DDR ein kreditwürdiger Schuldner und hätte wahrscheinlich Darlehen aus Österreich, Frankreich, England oder Japan bekommen: Most (2009), S. 11f. 487 Cornelissen/Willig (2016), S. 75.

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freien Marktes durch »Sozialgesetze eingegrenzt« worden sei. Forum Geschichte 4 nennt als Beispiele die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Rentenreform 1957 und das Kindergeld. Die Gewerkschaften als wichtiger sozialpolitischer Akteur werden nicht genannt. Im weiteren Verlauf erklärt das Schulbuch den Aufschwung, ohne den Begriff »Wirtschaftswunder« zu benutzen. Die Konjunkturentwicklung wird anhand des »Marshallplans«, der EWG und des Korea-Booms (+) in den Kontext der westlichen Märkte gestellt. Weiterhin heißt es: »Aufgrund eines für die Abnehmer im Ausland günstigen Wechselkurses [+], niedriger Löhne in Deutschland [+] und guter Qualität der westdeutschen Produkte boomte der Export, und die BRD wurde binnen kürzester Zeit zum drittgrößten Industriestaat der Erde.« Außerdem weist das Schulbuch auf die sozialen Ungerechtigkeiten hin, die es trotz des Ausbaus des Sozialstaats gegeben habe. Auf der nächsten Seite folgt ein Abschnitt unter dem Titel »Wirtschaftlicher Aufstieg im Westen«.488 In diesem Abschnitt schreiben die Schulbuchautor*innen: »Die Westmächte erließen den Deutschen zwei Drittel ihrer Vorkriegsschulden [+] und stellten durch den Marshallplan erhebliche finanzielle Mittel für den Wiederaufbau bereit. Der Aufschwung war aber auch durch den hohen Leistungswillen der Bevölkerung [+] erzielt worden.« Insgesamt summiert sich das Argument »Marshallplan« auf die Codierung Doppelplus (++), da er – neben den bereits genannten Hervorhebungen – außerdem im Abschnitt zur Nachkriegszeit genannt wird. Die Zusammenfassung des Kapitels lautet: »In den 1950er Jahren erlebten die Bundesbürger, wie die meisten Länder Westeuropas, eine [sic!] stetigen Konjunkturanstieg, der mit dem Begriff ›Wirtschaftswunder‹ verklärt wurde.«489 An keiner anderen Stelle in den analysierten Schulbüchern ist der Begriff »Wirtschaftswunder« kritisch anhand des Verweises auf den internationalen Charakter des »Golden Age« kommentiert. Auch möchte ich an dieser Stelle positiv hervorheben, dass Forum Geschichte 4 als einziges der untersuchten Schulbücher den Schuldenschnitt und den günstigen Wechselkurs der DM erwähnt. Zusätzlich beinhaltet Forum Geschichte 4 einige Arbeitsmaterialien zur Wirtschaft von DDR und BRD. M1 und M2 bestehen aus zwei Grafiken, in denen jeweils die Sektoren der Wirtschaft »Industrie und Handwerk«, »Verkehr«, »Banken und Versicherungen«, »Landwirtschaft«, »Haushalte« und »Handel« in einem Viereck angeordnet sind. Im Zentrum der ersten Grafik steht »Markt« und in der Mitte der zweiten Grafik »Staatliche Vorgaben« geschrieben. Zusätzlich zeigt ein Kasten die, laut dem Schulbuch, möglichen politischen Maßnahmen des Staates im jeweiligen System, mittels derer Einfluss 488 Cornelissen/Willig (2016), S. 76. 489 Cornelissen/Willig (2016), S. 104.

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auf die unterschiedlichen Sektoren genommen werden könnte. Inhaltlich sind die Grafiken identisch mit denen aus Forum Geschichte 9/10 (siehe Seite 267) – jedoch sind sie übersichtlicher. Bereits bei Forum Geschichte 9/10 habe ich erläutert, dass die Grafiken nicht der Wirtschaftsstruktur des »Golden Age« entsprechen. In den Arbeitsaufträgen sollen die Schüler*innen die Unterschiede der Systeme herausarbeiten. Die »Aufgabe 2b« enthält den Vergleich und die »Vor- und Nachteile beider Modelle«. Im Lösungsband sind allerdings kaum Vorteile der Planwirtschaft benannt. Hier steht lediglich geschrieben, dass es eine »niedrigere soziale Ungleichheit« gegeben habe; der Gegenpol »höhere soziale Ungleichheit« bei der Marktwirtschaft wird im Lösungsband mit dem Zusatz »Gegensteuerung durch staatliche Eingriffe« versehen.490 Anscheinend darf die Planwirtschaft keine positiven Merkmale aufweisen. Dabei existieren zweifelsohne auch positive Seiten. Hier könnten neben der geringeren Ungleichheit die gezielte Investitionslenkung, Klimaschutz, die politische Bestimmung von besonders wichtigen Preisen und Löhnen sowie die Politisierung der Ökonomie aufgelistet werden. Auf der nächsten Doppelseite befinden sich weitere Quellen und Aufgaben.491 Die Hälfte der Fläche der Seite besteht aus einem »Westdeutschen Werbeplakat, 1955« (M1) und einem »Propagandaplakat für den Fünfjahresplan, 1951« (M2). Auf dem Plakat M1, das für Volkswagen wirbt, fährt im unteren Teil ein Automobil eine kurvige Straße entlang. Daneben steht geschrieben: »1 Millionen Volkswagen – bei steigender Qualität und sinkenden Preisen.« Im oberen Teil lüftet eine Hand mit weißem Handschuh einen Zylinder von einem Kopf, der aus einer Weltkugel besteht. In weißer Schrift heißt es: »In aller Welt zieht man den Hut«. Das Plakat M2 zeigt einen Stahlarbeiter und eine Bäuerin im großen Format. Links unten ist das Symbol des Fünfjahresplans zu erkennen. Der Hintergrund des Bildes besteht aus einem modernen Werk der Schwerindustrie, an dem zwei Deutschlandfahnen und eine rote Fahne hängen. Am unteren Rand steht in großen Buchstaben geschrieben: »ALLE KRAFT FÜR DEN AUFBAU DES SOZIALISMUS«. Die Schüler*innen sollen die Plakate beschreiben und dabei die methodischen Hinweise zur Bearbeitung von Propagandaplakaten nutzen, die sich an anderer Stelle im Buch befinden. Jedoch können sie damit nur das DDR-Plakat kritisch analysieren. Die zweite Aufgabe lautet: »Lege dar, weshalb sich in ihnen das jeweilige Wirtschaftssystem widerspiegelt.« Laut dem Lösungsband für die Lehrer*innen steht das VW-Plakat symbolisch für die Wirtschaftsordnung, da es »potenzielle Kunden umwirbt«, während das DDR-Plakat die Bevölkerung zu »Produktivität animieren« möchte.492 Ich vermute, dass das Plakat eher wie folgt interpretiert wird: Die Marktwirtschaft führe zu Modernisierung und dem berühmten Volkswagen als Konsumgut, während die Ideologie der Planwirtschaft einzig die veraltete Schwerindustrie bevorzugt habe. Außerdem enthält Forum Geschichte 4 zwei Textquellen M3 und M4 sowie eine Fotografie von einer Warteschlange vor einem Lebensmittelgeschäft – laut Schulbuch aus

490 Asch (2016), S. 72. 491 Cornelissen/Willig (2016), S. 76f. 492 Asch (2016), S. 72.

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dem Jahr 1983. Im ersten Text beschreibt der Arbeiter Lothar Ritter, wie im Eisenhüttenkombinat die Planziffern am Ende des Jahres manipuliert wurden. Der zweite Text ist ein Auszug aus Die da drüben von Irene Böhme, die drei Jahre vor der Erscheinung des Buches (1983) in den Westen migrierte. Sie beschreibt »den sozialistischen Gang«, der aus Tauschgeschäften von Waren und Beziehungen bestanden habe.493 Die »Aufgabe 2a« lautet: »Erarbeite anhand von M3 bis M5, weshalb die Menschen in der DDR häufig über zehn Jahre auf ein Auto warten mussten und weshalb sich meist lange Schlangen vor den Läden bildeten.« Mit dem vorliegenden Material kann die Frage bezüglich der Autoindustrie entweder mit den Mängeln der Planwirtschaft oder der Fokussierung auf den öffentlichen Nahverkehr beantwortet werden. Der Lösungsband sieht allerdings nur die Mängel der Planwirtschaft als Antwort vor.494 Auch die Demontage der Automobilindustrie in der SBZ (siehe Seite 171) wird als Antwort nicht in Betracht gezogen. In den weiteren Aufgaben sollen die Schüler*innen den »sozialistischen Gang« und den Gegensatz von Erfahrung und Ideologie anhand der Quellen »erklären«. Die gewünschten Antworten sind erkennbar, historisches Denken ist nicht erforderlich. Auch zum Marshallplan bietet Forum Geschichte 4 eine Aufgabenstellung an. Hier sollen die beiden Plakate »Freie Bahn dem Marshallplan« und »Hinaus!« (siehe Seite 147) verglichen werden. 495 Laut des Darstellungstextes ist den »Westmächten« bewusst gewesen, dass lediglich eine »stabile Versorgungslage […] Freiheit und Demokratie« fördere. Weiterhin verweist das Schulbuch auf Internetmaterialien (FG642335-025) zum »Marshallplan«.496 Der Lösungsband beschreibt lediglich die beiden Plakate.497 Insgesamt betrachtet hat Forum Geschichte 4 eine (verhältnismäßig) hohe fachliche Triftigkeit. Jedoch wird diese nicht genutzt, um kontroverse und multiperspektivische Quellenkonzeptionen zu entwickeln. Der Lösungsband verlangt meist einseitige und eindeutige Bewertungen.

6.4.4 Forum Geschichte 11, Kursbuch Geschichte Die Oberstufen-Ausgaben Kursbuch Geschichte für NRW498 und Forum Geschichte 11499 für Bayern des Cornelsen-Verlags sind in vielen Textpassagen deckungsgleich. Deshalb wer-

493 494 495 496

Die Quelle wurde erstellt aus: Böhme/Götze (1983), S. 72ff. Asch (2016), S. 72. Cornelissen/Willig (2016), S. 24f. Der erste Link führt zur Homepage von geschichte-lexikon.de, die das ERP gesamteuropäisch beschreibt. Demnach sei der »Marshallplan« vor allem ein humanitäres Investitionsprogramm. Die ökonomische Bewertung fällt diffus aus; allerdings wird seine Rolle als »Basis für die europäische Einigung« betont: Geschichte Lexikon (2018). Ein zweiter Link verweist auf die Internetseite wirtschaftslexikon24.de, auf der ein guter Artikel das ERP zutreffend zur Finanzierung von Warenlieferungen einordnet und den Gegenwertfond erklärt: Wirtschaftslexikon24 (2017). Allerdings ist dieser Artikel zu anspruchsvoll für die Schule. Der dritte Link führt zur Homepage der BpB: Bundeszentrale für Politische Bildung (2005). Der Umfang des Materials ist allerdings zu groß, um es hier zu besprechen. 497 Asch (2016), S. 29f. 498 Laschewski-Müller/Rauh (2015). 499 Bäuml-Stosiek (2014).

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den sie in einem Kapitel behandelt. Beide Schulbücher thematisieren die Wirtschaft ausführlich. Der Text zum Wirtschaftsboom ist in beiden Schulbüchern nahezu identisch, allerdings sind die Kapitel anders strukturiert. Forum Geschichte 11 teilt die Darstellung in drei Unterabschnitte mit den Überschriften »Ausgangsbedingungen«, »Soziale Marktwirtschaft« und »Weltwirtschaft« ein. Im Kursbuch Geschichte sind die Inhalte in zwei Abschnitte mit den Überschriften »Soziale Marktwirtschaft« und »Wirtschaftswunder« gegliedert. In der folgenden Analyse orientiere ich mich an der Struktur von Forum Geschichte 11. Der Abschnitt »Ausgangsbedingungen« beginnt mit der Währungsreform, die Preise und Löhne sowie den Handel mit Waren freigegeben habe. In der Folge sei das »wirtschaftliche Denken und Handeln« vom »freien Markt« bestimmt worden.500 Auch an anderen Stellen wird die Währungsreform ökonomisch gewürdigt (++).501 Als weiteres Argument nennen die Schulbücher »das großzügige Hilfsprogramm des Marshallplans«, das als »Hilfe zur Selbsthilfe gedacht war« und ebenfalls in weiteren Abschnitten der Schulbücher ökonomisch hervorgehoben wird (++).502 Außerdem verweisen beide Schulbücher auf die vorhandenen Industriekapazitäten, da die Kriegsschäden »weniger stark als zunächst befürchtet waren« (+), und auf »Flüchtlinge und Vertriebene« aus den »deutschen Ostgebieten« und der DDR, die als »gut ausgebildet, flexibel und aufstiegswillig« charakterisiert werden. Des Weiteren seien sie bereit gewesen, »hart zu arbeiten« (+) und »niedrige Löhne in Kauf zu nehmen« (+). Der nächste Abschnitt der »Ursachen des Aufschwungs« in Forum Geschichte 11 heißt »Soziale Marktwirtschaft«:503 »Im Westen Deutschlands setzte sich das von Ludwig Erhard und seinem Mitarbeiter und späteren Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Alfred Müller-Armack (19011978), vertretene Ordnungsmodell der Sozialen Marktwirtschaft durch (M5, M10, M12). Mit dieser Wirtschaftsordnung, in der Freiheit und soziale Gerechtigkeit zu Wohlstand für alle führen sollten, wurde sowohl einem reinen liberalkapitalistischen Wirtschaftssystem als auch einer Planwirtschaft nationalsozialistischer wie kommunistischer Herkunft eine entschiedene Absage erteilt. Die Aufgabe des Staates bestand in der Sozialen Marktwirtschaft vor allem darin, den freien Wettbewerb durch kontrollierende Institutionen und eine aktive Wirtschaftspolitik zu gewährleisten.« Allerdings erfahren die Schüler*innen nicht, welche Aspekte das Schulbuch unter »aktiver Wirtschaftspolitik« der »Sozialen Marktwirtschaft« versteht. Auch der Unterschied zwischen dem »freien Wettbewerb« der »Sozialen Marktwirtschaft« und »einem liberalkapitalistischen Wirtschaftssystem« ist nicht verständlich. Die Autor*innen verstricken sich an dieser Stelle in mehrere Widersprüche, da sie anscheinend unbedingt einen ökonomischen Strukturbruch zwischen »nationalsozialistischer Planwirtschaft« und »So-

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Bäuml-Stosiek (2014), S. 263; Laschewski-Müller/Rauh (2015), S. 370. Bäuml-Stosiek (2014), S. 234, 239; Laschewski-Müller/Rauh (2015), S. 348. Bäuml-Stosiek (2014), S. 238f.; Laschewski-Müller/Rauh (2015), S. 344f., 348, 366. Bäuml-Stosiek (2014), S. 263f.

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zialer Marktwirtschaft« erklären wollen, den es nun mal nicht gab (siehe Seiten 34ff, 61ff, 205).504 Außerdem hebt der DT die Bedeutung der »Geldwertstabilität« durch die »unabhängige Bundesbank« hervor, die ich an anderer Stelle bereits kritisiert habe (siehe Seite 192). Für den »Leistungswettbewerb« werden zudem das »grundgesetzlich garantierte Recht auf Privateigentum an Produktionsmitteln«, die Berufs-, Gewerbe-, Konsumund Vertragsfreiheit sowie die freie Preisbildung genannt. Des Weiteren »verbot ein Gesetz Wettbewerbsbeschränkungen«. Die Schulbücher erzählen die ordoliberale Erfolgsgeschichte, die wenig mit dem Wirtschaftssystem der BRD in der Nachkriegszeit gemein hat: Ein Grundrecht auf Privateigentum an Produktionsmitteln existierte nicht; das Kartellgesetz war ein zahnloser Tiger; und es gab zahlreiche Einschränkungen von Gewerbe- und Berufsfreiheiten sowie der freien Preisbildung. Im Kursbuch Geschichte wird die »Soziale Marktwirtschaft« zusätzlich aufgewertet, da der gesamte Abschnitt hiermit überschrieben ist. Der dritte Abschnitt der »Ursachen des Aufschwungs« beinhaltet die »Weltwirtschaft«. Demnach habe »der Korea-Krieg (1950 bis 1953; M6) eine weltweite Hochkonjunktur ausgelöst«, v.a. in der Stahlproduktion habe es eine große Nachfrage gegeben. Die Quelle M6 zeigt ein US-Kampfflugzeug, das gerade Bomben abwirft (Korea-Boom = ++). Die Verknüpfung von Krieg und Wirtschaft eröffnet eine interessante pädagogische Debatte. Allerdings könnte (und sollte) ein Schulbuch eine kritische Perspektive auf diese Absurdität des Kapitalismus bieten. Im Kursbuch Geschichte ist das Argument des Aufschwungs durch den Korea-Krieg in den Abschnitt »Soziale Marktwirtschaft« eingebettet, der Satz bezüglich der Stahlproduktion gestrichen sowie das Bild des Bombers entfernt worden. Deshalb codiere ich den Korea-Boom lediglich Plus (+). Auch wird in der Kategorie Raum der weltweite Boom nur Fragezeichen (?) codiert, da zwar von »weltweiter Hochkonjunktur« gesprochen, aber nicht auf die »Wirtschaftswunder« in vielen Staaten verwiesen wird. Dies mag haarspalterisch klingen, aber im Schulbuch entsteht nicht der Eindruck, dass die deutsche Konjunkturentwicklung ebenso in anderen Staaten stattgefunden hat. Außerdem sei, so die Schulbücher, der Aufschwung durch die »Liberalisierung des Welthandels«, die »Stabilität der Wechselkurse« (Bretton Woods) und durch den »freien Welthandel« (GATT/WTO) »begünstigt« worden.505 Innerhalb dieser Ausführungen können die Schüler*innen jedoch nicht den besonderen Vorteil der Stabilität der Wechselkurse, vor allem der Unterbewertung der DM, für die BRD analytisch erkennen. Vielmehr steht an dieser Stelle eine Aufreihung von Schlagwörtern. Dies gilt ebenfalls für das letzte Argument der Schulbücher, nämlich der »europäischen Integration«, die die »Ausweitung der Wirtschaft und die Erhöhung des Lebensstandards ermöglichte«. 504 Selbst die Kriegswirtschaft war nicht überdurchschnittlich staatlich zentriert. Abelshauser schreibt Folgendes: »Durch den Sachzwang der Kriegswirtschaft pragmatisch sanktioniert, stand dabei das Ausmaß an Planung und Lenkung in den westlichen Demokratien den Praktiken der Nazi-Wirtschaft in Deutschland in nichts nach. Großbritannien übertraf das Dritte Reich, was Härte und Konsequenz von Staatseingriffen angeht, sogar noch beträchtlich«: Abelshauser (2016b), S. 6. 505 Bäuml-Stosiek (2014), S. 264f.; Laschewski-Müller/Rauh (2015), S. 370. Die Abkürzungen bedeuten: General Agreement on Tariffs and Trade und World Trade Organization.

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Im weiteren Darstellungstext wird die Sozialpolitik, welche vor allem aus dem Lastenausgleichsgesetz 1952 und der Rentenreform 1957 bestanden habe, als wichtiger Pfeiler der Nachkriegszeit dargestellt. Zudem listet ein Paratext die Sozialpolitik auf506 , ohne dabei auf die Rolle der Gewerkschaften einzugehen. Sie fehlen in der gesamten wirtschaftshistorischen Darstellung. Unter der Überschrift »Wirtschaftswunder« beschreiben beide Schulbücher die Veränderung des Lebensstandards der Bevölkerung, der sich in der Fress-, Konsum-, Verkehrs- und Reisewelle niedergeschlagen habe. Sowohl Kursbuch Geschichte als auch Forum Geschichte 11 weisen auf den »ungleich verteilten Wohlstand« hin.507 Kursbuch Geschichte beschreibt zusätzlich ein umfassendes Bemühen um sozialen Ausgleich: »Diesen Zielen diente die intensive staatliche Sozialpolitik der Jahre zwischen 1949 und 1966.« In der wirtschaftsgeschichtlichen Forschung wird der Ausbau des Sozialstaates, die Rentenreform ausgenommen, eher in der Zeit nach 1966 gesehen. Beide Schulbücher heben die Bedeutung von Erhard überdurchschnittlich hervor (++). Erstens beinhalten sie eine große Fotografie (M5) einer Schaufensterauslage eines Textilgeschäftes »um 1949/50«, bei dem ein Kopf von Erhard von innen an die Scheibe geklebt wurde. Rund um seinen Kopf steht der Schriftzug: »ERHARD BEFIEHLT [Absatz] WIR FOLGEN«. Außerdem befindet sich, von einem Kreis unterlegt, folgender Schriftzug an der Scheibe: »UND SENKEN DIE PREISE«. Zweitens finden die Schüler*innen in beiden Ausgaben einen Lebenslauf von Erhard als Paratext: Er beginnt mit der wissenschaftlichen Tätigkeit bis 1942; darauf folgt eine Lücke bis 1945 (!); und er endet mit der Formulierung: »Erhard setzte die soziale Marktwirtschaft um und gilt als ›Vater‹ des ›Wirtschaftswunders‹.« Kursbuch Geschichte ergänzt diesen Lebenslauf um ein Porträt aus dem Jahr 1958. Bei Forum Geschichte finden die Schüler*innen stattdessen die Fotografie »Westdeutsche Familie […] am Gardasee […], 1955« (siehe Seite 269) und eine Grafik über das Wirtschaftswachstum in der BRD von 1949 bis 1990. Der Lösungsband sieht für M5 (Schaufenster) folgende Interpretation vor: »Der Einzelhandel sollte also mit einer Preissenkung einen Beitrag zum Konjunkturaufschwung leisten, worüber er nicht besonders erbaut war.«508 Ökonomisch betrachtet ergibt dieser Satz keinen Sinn. Für die Konjunkturentwicklung im Kapitalismus sind sinkende Preise grundsätzlich nicht förderlich. Vermutlich steht die Fotografie im Kontext der drastischen Preisanstiege, die Erhard fast sein Amt gekostet hätten, da die Maßhalteappelle selbstverständlich keine Wirkung zeigten.509 Jedoch waren die Maßhalteappelle eher ein misslungener Beitrag zum sozialen Frieden als zum Konjunkturaufschwung.

506 »1949 Tarifvertragsgesetz […] 1950 Bundesversorgungsgesetz […] 1952 Lastenausgleichsgesetz […] 1954 Wiedereinführung des von den Alliierten abgeschafften Kindergeldes […] 1957 Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für Arbeiter […] 1959 Sparprämiengesetz […] 1961 Vermögensbildungsgesetz […] 1967 40-Stundenwoche erreicht 1969 Lohnfortzahlung stellt Arbeiter und Angestellte gleich.« 507 Bäuml-Stosiek (2014), S. 262; Laschewski-Müller/Rauh (2015), S. 371. 508 Bäuml-Stosiek (2009), S. 152. Der Lösungsband zu Kursbuch Geschichte ergänzt: »Die versteckte Anspielung auf die Nazi-Parole ›Führer befiehl, wir folgen …‹ kann auch als verhaltene Kritik an vermeintlich dirigistischen Eingriffen im Rahmen der Wirtschaftspolitik Erhards gedeutet werden«: Gliffe (2015), S. 235. 509 Hentschel (1998), S. 89, 119, 208f.

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Des Weiteren befinden sich in beiden Schulbüchern – mit gewissen Unterschieden – diverse Quellen und Aufgabenstellungen mit dem Schwerpunkt »Soziale Marktwirtschaft«.510 Unter der Überschrift »Die soziale Marktwirtschaft und ihre Folgen« bietet Kursbuch Geschichte eine Grafik zur Funktion der »Sozialen Marktwirtschaft« (siehe Seite 267) und einen Auszug von Müller-Armack zu den »Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft« – einschließlich des Umrisses des 11-Punkte-Programms (siehe Seite 193). Letzteres beinhaltet auch Forum Geschichte 11. In beiden Schulbüchern sind die letzten fünf Punkte (z.B. Mindestlohn und Ausbau der Sozialversicherungen) nicht – wie in Anno und Horizonte (siehe Seite 210) – gekürzt worden. Allerdings wurde im Kursbuch Geschichte Punkt 11 (Minimallöhne und Tarifverhandlungen) um einen Abschnitt aus dem weiteren Text von Müller-Armack ergänzt, der allerdings nicht zum Punkt 11 gehört. In diesem Teil wird ausschweifend die Bedeutung der Freiheit betont. Es bleibt die Hoffnung eines Formatierungsfehlers. Die Grafik zur »Sozialen Marktwirtschaft« visualisiert, wie bereits betont, die ordoliberale Utopie und erklärt nicht das Wirtschaftssystem zur Zeit des »Wirtschaftswunder«. Der Lösungsband511 erläutert die Grafik mit den »Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft«, die sich aus »Marktkonformität, Wettbewerbsordnung, Stabilität der Währung und Sozialprinzip« zusammensetzen würden.512 Insgesamt fällt im Kursbuch Geschichte der bedenkenlose Wechsel der Groß- und Kleinschreibung bei der »sozialen« bzw. »Sozialen Marktwirtschaft« auf; dabei verbergen sich hinter der Orthografie ideologische Differenzen, die durchaus bedeutend sind. In der ersten Aufgabe sollen die Schüler*innen die Grundzüge der »Sozialen Marktwirtschaft« anhand der Quelle ausarbeiten. Als Lösung ist die Kombination von Wettbewerbsordnung und Sozialstaat vorgesehen. Laut dem Lösungsband braucht die »Soziale Marktwirtschaft« als »Voraussetzungen«: »Privateigentum, Wirtschaftsfreiheit und Demokratie«.513 Das Schulbuch glättet an dieser Stelle die fragliche Erfolgsgeschichte der »Sozialen Marktwirtschaft«, die als sehr autoritäre Konzeption in der NS-Zeit begann und deren theoretische Grundlagentexte die Demokratie zumeist mit der Möglichkeit der Konsumentenentscheidung verwirklicht sehen (siehe Seite 73). Die zweite Aufgabe beinhaltet den Vergleich mit anderen Wirtschaftsformen. Erwartet wird die Abgrenzung zur Planwirtschaft und zur »angelsächsischen […] ›reinen‹ kapitalistischen Marktwirtschaft«.514 Die dritte Aufgabe fragt nach dem Menschenbild, welches der »sozialen Marktwirtschaft« zu Grunde liegt. Im Lösungsband wird der homo oeconomicus als Antwort genannt und stichpunktartig erläutert. Eine Aufgabenstellung, die Theorien und Modelle miteinander verknüpft, ist grundsätzlich begrüßenswert. Jedoch fehlt eine Kritik am homo oeconomicus.515 510 Bäuml-Stosiek (2014), S. 266ff.; Laschewski-Müller/Rauh (2015), S. 379ff. 511 Für Forum Geschichte 11 hat Cornelsen keine neue Auflage für die Lösungen herausgegeben und verweist auf die Ausgabe von 2009. Hier sind die Seitenzahlen nicht deckungsgleich und vereinzelt fehlt eine Lösung, wenn in der Neuauflage eine geringfügige Änderung vorgenommen wurde. 512 Gliffe (2015), S. 243. 513 Gliffe (2015), S. 243. 514 Gliffe (2015), S. 244. 515 Zur Kritik siehe: Fischer (2014).

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Arbeitsauftrag vier ist als Aufgabe des Anforderungsbereiches III gekennzeichnet und bemerkenswert. Er lautet: »Erörtern Sie den Zusammenhang von sozialer Marktwirtschaft und Demokratie.« In der Antwort wird nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, die »Marktdemokratie« abgefragt, sondern »Freiheit, Pluralismus« und »eigenverantwortliches Handeln« aufgelistet516 – insgesamt eher eine schwammige Antwort. Allerdings kann das Schulbuch bei einer solchen Fragestellung das bedeutende Konzept der Wirtschaftsdemokratie von Fritz Naphtali eigentlich nicht übergehen. Weiterhin finden die Schüler*innen zwei Grafiken. M25 stellt die Entwicklung des Bruttosozialproduktes der BRD als Konjunkturwellen in Abständen von drei bis sieben Jahren dar. M26 besteht aus mehreren Graphen, die die Bevölkerungsentwicklung, die Erwerbstätigkeit sowie deren Differenz (die Arbeitslosigkeit) im Kontext der Migration aus Ost- und Südeuropa abbilden. Der Arbeitsauftrag eins verlangt die Beschreibung der Entwicklung, die im Lösungsband lautet: »Auffallend ist das enorme Wachstum in den Jahren nach dem Krieg, bedingt durch den Nachholbedarf und Marshallplanhilfen.«517 Allerdings stellt das Schulbuch keine Verbindung zur Darstellung der Zyklen her. Einen Graphen zur Entwicklung des BSP/Nationaleinkommens in der DDR oder zum Human Development Index (HDI) beinhaltet Kursbuch Geschichte auch nicht. In den nächsten zwei Quellen geht es um das Nominaleinkommen bzw. Realeinkommen von Industriearbeitern sowie die Versorgung mit Konsumgütern. Außerdem wird die Verwendung einer Statistik der vorherigen Seite verlangt, die den Besitz der Konsumgüter PKW und Fernseher bei »Arbeitern« und Angestellten in jeweils zwei Einkommensklassen im Jahr 1968 vergleicht. Die Schüler*innen sollen, wiederum AFB III, »erörtern […], inwiefern der Wirtschaftsaufschwung mit einer Wohlstandssteigerung verbunden war, und wer davon profitierte.« Im Schulbuch Forum Geschichte 11 unterscheiden sich die Aufgabenstellungen und verlangen im Wesentlichen die Wiedergabe des Darstellungstextes.518 In beiden Schulbüchern lautet die letzte Aufgabe: »Erläutern Sie vor dem Hintergrund der Wirtschaftsdaten den Begriff ›Wirtschaftswunder‹.« Die Lösungsbände verlangen allerdings die Erläuterung des Aufschwungs, anstatt des Begriffes: »Die Schülerinnen und Schüler benennen und analysieren innere und äußere Faktoren für die einmalige Phase der Hochkonjunktur in der Bundesrepublik zwischen Anfang der 1950er und dem letzten Drittel der 1960er-Jahre.«519 In Forum Geschichte 11 ist die Quellenarbeit umfangreicher. Wie bereits erwähnt, enthält es die Quelle von Müller-Armack, der »1948 über die Grundgedanken der Sozialen Marktwirtschaft schrieb« (siehe Seite 193). Allerdings reduziert Forum Geschichte 11 den Text auf die zehn Punkte und wird von einem Satz zur Notwendigkeit von sozialen Maßnahmen in der Marktwirtschaft eingeleitet. Es folgt ein langer Quellenauszug über die »Bundestagsdebatte zur Rentenreform«.520 Ausführlich zitiert das Schulbuch Anton »Storch, Bundesminister für Arbeit (CDU)«, der die Rentenreform mit der Aufhebung der traditionellen Familienstruktur 516 517 518 519 520

Gliffe (2015), S. 244. Gliffe (2015), S. 244. Bäuml-Stosiek (2009), S. 153. Gliffe (2015), S. 246; ähnlich: Bäuml-Stosiek (2009), S. 153f. Bäuml-Stosiek (2014), S. 267f.

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begründet, da die Mehrzahl der Menschen nun abhängig beschäftigt sei und über keine soziale Absicherung durch die Familie verfüge. Abschließend betont er den psychologischen Effekt, weil den Menschen das Gefühl gegeben werden müsse, dass sie sich den Lebensunterhalt im Rentenalter verdient hätten. Als weiteren Redner zitiert das Schulbuch, allerdings sehr kurz, »Dr. Schellenberg (SPD)«, der sich über die Berücksichtigung einiger Vorschläge der SPD erfreut zeige, wobei es jedoch »viel zu wenige« gewesen seien. Ein sehr langer Quellenauszug gibt die Rede von Dr. Dehler (FDP) wieder, der zunächst ein rhetorisches Bekenntnis zur Lösung eines der wichtigsten Probleme der Gegenwart vornimmt, um anschließend die geplante Rentenreform zu kritisieren. Dabei warnt er vor den wirtschaftlichen Folgen. Wichtiger sei ihm jedoch die »Preisgabe der individuellen Selbstverantwortung« durch die »Versicherungspflicht […], selbst da, wo ein Schutzbedürfnis nicht mehr gegeben ist«. Das Schulbuch orientiert sich nahe an der Quellenzusammenstellung, wie sie im Buch Die fünfziger Jahre vorzufinden ist.521 In der ersten Aufgabe sollen die Schüler*innen die Argumente wiedergeben. Die zweite Aufgabe beinhaltet das »Bewerten« der Motive zur Verabschiedung der Rentenreform anhand der Quellen. Für die Bewertung wären allerdings Statistiken über die Altersarmut im »Wirtschaftswunder« hilfreich. Des Weiteren fällt in den Lösungen die fehlende Erwähnung des Wahlkampfes von 1957 auf522 , der sicherlich nicht ohne Bedeutung war. Die dritte Aufgabe lautet: »In seiner ersten Regierungserklärung sagte Adenauer 1949: ›Die beste Sozialpolitik ist eine gesunde Wirtschaftspolitik.‹ Diskutieren Sie diese These am Beispiel der frühen Bundesrepublik (M10, M11).« Im Lösungsband fehlt, vermutlich aufgrund der Neuauflage des Schülerbandes, die Antwort für die dritte Aufgabe. Allerdings wäre es sehr hilfreich, die vorgesehene Antwort nachschlagen zu können. Denn meiner Ansicht nach entstehen durch die Aufgabe (nicht geplante) Widersprüche, da das Schulbuch die umfassende Sozialpolitik der Regierung Adenauer betont. Hiermit wird das Zitat unlogisch. Für die Bearbeitung der Aufgabe wäre eine kritische Stimme zur Sozialpolitik in der Regierungszeit Adenauers notwendig. Das Schulbuch stellt die Rentenreform in den Kontext des Konzeptes der »Sozialen Marktwirtschaft«, deren Vertreter die Rentenreform aber vehement ablehnten. Es wäre für die Aufgabenstellung interessanter, die Meinung von Erhard zur Rentenreform zu lesen. Abgerundet wird die Erfolgsgeschichte der »Sozialen Marktwirtschaft« in Forum Geschichte 11 durch ein Werbeplakat von Die Waage, das folgendermaßen eingeleitet wird: »Ziel der 1962 von Unternehmern gegründeten ›Waage‹ war es, über die Soziale Marktwirtschaft und ihre Erfolge zu informieren, den sozialen Frieden zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu fördern und das Unternehmeransehen zu verbessern.« Ein Vertreter des Vereins Die Waage hätte diesen Text nicht besser schreiben können. Allerdings fand die Gründung im Jahr 1952 statt. Das Plakat besteht aus einer Zeichnung 521 Abelshauser (1987), S. 141ff. 522 Bäuml-Stosiek (2009), S. 154.

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von Erhards Kopf, der Text lautet: »ERHARD hält, was er verspricht [Absatz] Wohlstand für alle durch die [Absatz] SOZIALE MARKTWIRTSC HAFT« (siehe Seite 193). Es soll im Kontext der Geschichte der BRD »interpretiert werden«. Die erwartete Antwort im Lösungsband ist allerdings keine Quelleninterpretation, sondern die Wiedergabe der vermeintlichen Erfolgsgeschichte von Erhard: »Ludwig Erhard (1897-1977) stand stellvertretend für die herausragenden Leistungen, die den Menschen in Westdeutschland ein besseres Leben ermöglichten. Der Erfolg des Konzepts der sozialen Marktwirtschaft verhalf dem ›Vater des deutschen Wirtschaftswachstums‹ in den 1950er-Jahren zu großer Popularität im In- und Ausland, er leistete einen bedeutenden Beitrag zu den Wahlerfolgen Adenauers. Er selbst lehnte den Begriff ›Wirtschaftswunder‹ ab (›Es gibt keine Wunder‹) und bestand darauf, dass das Wirtschaftswachstum Ergebnis erfolgreicher Politik sei.«523 Eine gute Interpretation des Plakates ist schwierig. Wichtige Hinweise zu diesem Plakat finden sich bei Schindelbeck/Ilgen: »Da schon der Begriff der Sozialen Marktwirtschaft, spröde und abstrakt wie er nun einmal war, konkret und überzeugend am ehesten als Qualitäts-Produkt einer Person zu bewerben war, hatte man im Vorfeld der Bundestagswahl 1953 faktisch Image- und Wahlwerbung für Ludwig Erhard betreiben müssen. Der Mythos vom Wirtschaftswundermann, zum großen Teil gerade durch die Propaganda-Arbeit der WAAGE in der Vorstellung der Bevölkerung erzeugt, erwies sich für den Verein zur Zeit der Maßhalteappelle ab Herbst 1955 aber als schwere Hypothek.«524 Für eine Quelleninterpretation sind vor allem Kenntnisse vom Konflikt der BDA mit Adenauer notwendig. Eine gute Aufgabenstellung präsentiert Forum Geschichte 11 hingegen mit zwei Quellen von Karlheinz Niclauß und Hans-Ulrich Wehler, die eine Kontroverse über die Frage darstellen, ob der Wirtschaftsboom der entscheidende Grund für die Stabilität der Demokratie der Bundesrepublik gewesen sei.525 Niclauß betont hierbei, dass von einem kausalen Zusammenhang nicht auszugehen sei. Stattdessen sieht er vielmehr ein »Regierungswunder«, da zum Zeitpunkt des Durchbruchs zu einem selbsttragenden Wachstum ab Mitte des Jahres 1952 der Regierungstyp der »Kanzlerdemokratie« mit sicheren Parlamentsmehrheiten bereits fest verankert worden sei. Demgegenüber geht der Textauszug von Wehler vom Wirtschaftsboom der Nachkriegszeit aus. Er schlussfolgert: »Insofern trug das ›Wirtschaftswunder‹, das Weimar versagt geblieben war, das ›Demokratiewunder‹ der zweiten Republik.« Die Quellen bieten eine gute Grundlage für historisches Lernen. Auf den folgenden Seiten befindet sich – in beiden Schulbüchern – weiteres Material zur Sozialstruktur der BRD. Da das Kursbuch Geschichte diese Sozialstruktur mit der DDR vergleicht, werde ich zunächst die DDR-Darstellung analysieren. In Forum Ge-

523 Bäuml-Stosiek (2009), S. 154f. 524 Schindelbeck/Ilgen (1999), S. 142. 525 Bäuml-Stosiek (2014), S. 268f.

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schichte 11 fehlt die DDR-Wirtschaft dagegen fast völlig. Kursbuch Geschichte beginnt den DT sogleich mit dem wichtigsten Argument: »Während im Westen die soziale Marktwirtschaft einen raschen ökonomischen Aufschwung ermöglichte, blieb die ostdeutsche Planwirtschaft trotz Wirtschaftswachstums in allen Bereichen gegenüber dem Westen zurück (M18-M20). […] Die entscheidenden Gründe für die Ineffizienz der ostdeutschen Wirtschaft sehen Wissenschaftler in der kommunistischen Planwirtschaft (Zentralverwaltungswirtschaft) [Hervorhebung im Schulbuch, KK].«526 Folglich ist die Planwirtschaft Doppelplus (++) codiert. Das Schulbuch richtet die gesamte Argumentation auf die Wirtschaftsordnung aus, so dass die anderen Codierungen schwierig zu bestimmen sind. Beispielsweise werden die Bodenreform, die Verstaatlichungen der Industrie und die LPG als Maßnahmen zum Aufbau der Planwirtschaft genannt, in ihrer ökonomischen Funktion jedoch nicht explizit bewertet. Folglich codiere ich die drei Maßnahmen Fragezeichen (?). Das Schulbuch kritisiert außerdem die – »nach sowjetischem Vorbild« – Vernachlässigung der Konsumgüterindustrie aufgrund der Fokussierung auf die Schwerindustrie (+). Kursbuch Geschichte benutzt die fragwürdigen Begriffe »Zentralverwaltungswirtschaft« und »Mangelwirtschaft«, um die wirtschaftliche Entwicklung zu erklären. Im nächsten Abschnitt erfolgt eine umfassende Darstellung der schwierigen Startbedingungen.527 Das Schulbuch beschreibt die umfangreichen Demontagen (+) sowie die hohen Reparationen (+), die 1950 noch immer 33 Prozent des Inlandsproduktes ausgemacht hätten. Außerdem habe die DDR den »Marshallplan« nicht annehmen dürfen (+) und viele qualifizierte Arbeitskräfte seien in den Westen migriert (+). Weshalb das Schulbuch erst die Bewertung anhand der Planwirtschaft vornimmt, um danach die schwierigen Startbedingungen zu erläutern, bleibt unverständlich. Insgesamt sei, so Kursbuch Geschichte, das Wachstum des Lebensstandards »langsam« verlaufen. Eine Grafik zu den Konsumgütern, die sich im Schulbuch befindet, zeigt allerdings ein hohes Wachstum. Auch Hermann Weber interpretiert die vorliegende Statistik auf diese Weise: »Langlebige Konsumgüter wurden 1970 erheblich mehr hergestellt als 1961. […] Der Lebensstandard stieg kontinuierlich.«528 Außerdem beinhaltet das Schulbuch eine Fotografie, die eine »Käuferschlange vor einem Konsum-Geschäft in Leipzig« aus dem Jahr 1988 zeigt. Die erste Quelle zur DDR-Wirtschaft ist die mehrfach kommentierte Grafik zur Planwirtschaft, die eine totale Planung durch den Staat suggeriert (siehe Seite 267).529 Im Quellentext M19 beschreibt Ulbricht die Schwerpunkte des Fünfjahresplans 19511955. Es handelt sich um einen Auszug der Rede vom III. Parteitag der SED im Jahre 1950. Dabei beginnt er mit dem Ziel der »Verdoppelung« der Industrieproduktion im Vergleich zum Jahr 1936. Hiermit werde das »imperialistische Deutschland« übertroffen. Ausführlich stellt Ulbricht die Modernisierung der Landwirtschaft durch Wissen-

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Laschewski-Müller/Rauh (2015), S. 368. Laschewski-Müller/Rauh (2015), S. 368f. Laschewski-Müller/Rauh (2015), S. 379; Weber (1980), S. 136. Laschewski-Müller/Rauh (2015), S. 378.

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schaft, Maschinen und Kunstdünger dar. Im letzten Abschnitt bewirbt er den eigenständigen Weg, den die DDR ohne »imperialistischen Marshallplan« bestreite. Eine weitere Quelle M20 besteht aus einem Interview mit dem ehemaligen Kombinatsdirektor Rudi Rosenkranz, der im Jahr 1993 rückblickend die Allgegenwärtigkeit des Plans beschreibt. Erstens habe sich die Leitung permanent mit dem Abgleich und dem Erstellen des nächsten Jahresplans beschäftigen müssen. Zweitens hinge das »Öffentlichkeitsbild« in der Stadt und die Anerkennung vom Erfüllen des Plans ab, so dass alle leitenden Funktionäre in einer permanenten »Angst« vor dem Scheitern gestanden hätten. Deshalb seien sogar Zahlen manipuliert worden. Der Auszug endet mit folgendem Satz: »Das vernebelte das Bild über die wahre Situation der Wirtschaft im Lande, und nichts anderes ist geschehen.« Zu den Quellen bietet Kursbuch Geschichte drei Arbeitsaufträge: Nach der Zusammenfassung der Aussagen von Ulbricht (Aufgabe eins) sollen die Schüler*innen seinen Anspruch an die DDR-Wirtschaft überprüfen. Für die erwartete Antwort braucht es keinen Lösungsband, die Schüler*innen haben festzustellen, dass die Wirtschaft der BRD erfolgreicher gewesen sei und Ulbricht falsche Versprechungen abgegeben habe.530 Für ökonomisches Lernen wäre ohnehin der Textabschnitt interessanter, in dem Ulbricht die Fokussierung auf die Schwerindustrie begründet.531 Der dritte Arbeitsauftrag beinhaltet die »Erörterung« der Probleme der Planung anhand des Auszugs von Rosenkranz. Im Schulbuch dient der Text als empirischer Beleg für die Dysfunktion der Planwirtschaft. Vermutlich wollte Rosenkranz aber eher eine Kritik an den Führungspersonen wie Günter Mittag äußern. Es ist zu bedauern, dass das Schulbuch von den interessanten Beiträgen in Das war die DDR, die das ökonomische Spannungsfeld der DDR in der Nachkriegszeit in einfachen Worten beschreiben, lediglich diesen Text benutzt.532 Allerdings besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Quellen von Ulbricht und Rosenkranz aus dem Quellenband Deutschland 1945-1990 übernommen wurden.533 Auf der nächsten Seite finden die Schüler*innen Statistiken über langfristige Konsumgüter in der BRD und der DDR.534 Aus der Tabelle für die BRD können die Schüler*innen die Verwendung von PKW und Fernseher im Jahr 1968 für jeweils zwei Einkommensklassen von »Arbeitern« und Angestellten ablesen. Bei den »Arbeitern« liege in besagtem Jahr der Anteil derer, die ein Auto besitzen, bei 27 Prozent (niedrigere Einkommensklasse) bzw. 45 Prozent (höhere Einkommensklasse) und bei den Angestellten bei 33 Prozent/56 Prozent. Laut der Statistik haben 82 Prozent bzw. 84 Prozent der »Arbeiter« und 65 Prozent bzw. 85 Prozent der Angestellten einen Fernseher. Der einzige Ausreißer in den Zahlen gibt den Sachverhalt wieder, dass mehr geringer verdienende »Arbeiter« einen Fernseher besäßen als geringer verdienende Angestellte.

530 Siehe trotzdem die Angabe zur Lösung: Gliffe (2015), S. 242. 531 SED (1951), S. 356. In den Provenienzangaben im Schulbuch befindet sich ein Fehler; die zitierten Absätze sind an folgender Stelle: SED (1951), S. 339ff. 532 Kenntemich (1993), S. 59ff. 533 Dennis/Steinert (2005), S. 210ff. 534 Laschewski-Müller/Rauh (2015), S. 379.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

Die zweite Quelle, die ebenfalls bereits thematisiert wurde, betrifft die Entwicklung von langlebigen Konsumgütern in der DDR für die Jahre 1955, 1960, 1966 und 1970.535 Die Schüler*innen sollen in einem Arbeitsauftrag die Ausstattung in der BRD mit jener in der DDR »vergleichen«. Aus den Tabellen bekommen sie das eindeutige Bild, dass die Menschen in der BRD in allen Bereichen mehr Konsumgüter besitzen würden. In Kursbuch Geschichte folgt auf die Darstellungstexte ein Kapitel »Unterschiede der Sozialstruktur zwischen West und Ost«.536 Forum Geschichte 11 beinhaltet einen ähnlichen Text, allerdings mit der Leitfrage: »Abschied von der Klassengesellschaft?«537 Beide Schulbücher stellen die Abschwächung der Einkommensunterschiede, Forum Geschichte 11 sogar der »Klassengegensätze«, in der BRD fest. Der »marxistische Begriff« wird in einem Glossar erklärt. Daher, so die Schulbücher, habe der Soziologe Helmut Schelsky den Begriff »nivellierte Mittelstandsgesellschaft« entwickelt (siehe Seite 254), der jedoch – so umschreiben die Schulbücher die Kritik an Schelsky – nicht ausschließlich an der subjektiven Einschätzung festgemacht werden könne. Im Folgenden unterscheiden sich die Schulbücher beträchtlich. Forum Geschichte 11 weist auf die Widerlegung der These von Schelsky durch ökonomische Daten hin und erwähnt Ralf Dahrendorf, der das Fortbestehen »sozialer Unterschiede und ein Oben und Unten« festgestellt habe. Kursbuch Geschichte begründet die bestehende Ungleichheit mit individuellen »Marktchancen«. Auf dieses Thema wird in Kürze nochmals eingegangen. Auf der gegenüberliegenden Seite bietet Forum Geschichte 11 eine Tabelle über die Einkommensverteilung in der BRD von 1928-1974, die das Gesamteinkommen prozentual in die obersten zehn Prozent, die mittleren 40 Prozent und die unteren 50 Prozent der Bevölkerung einteilt.538 Die Grafik zeigt, dass sich die Verteilung der Einkommen zwischen den Jahren 1950 und 1974 wenig verändert hat. Die bedeutendste Aussage zu diesem Thema haben die Autor*innen des Lösungsbandes allerdings übersehen.539 Laut Grafik haben sich die Einkommen der wohlhabendsten zehn Prozent der Bevölkerung in den »Wirtschaftswunder«-Jahren (1950-1961) von 34 Prozent auf 38 Prozent des Gesamteinkommens erhöht und diejenigen der mittleren Einkommen von 46 Prozent auf 40 Prozent verringert. Folglich haben sich die sozialen Gegensätze in dieser Zeit verstärkt und nicht verringert, wie beide Schulbücher behaupten. Die Schüler*innen sollen anhand dieser Tabelle die Einkommensverteilung der BRD »charakterisieren«.

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Der Lösungsband verweist zunächst auf eine deutliche Steigerung der Produktion. Den Rückstand zur BRD erklärt der Lösungsband mit den Subventionen: »Die DDR subventionierte vor allem Dinge des täglichen Bedarfs, die dadurch relativ billig waren. Technische Geräte und andere Konsumgüter waren dagegen oft sehr teuer oder schwer erhältlich, da die Konsumgüter produzierenden Betriebe und Kombinate nicht annähernd in der Lage waren, den steigenden Bedarf zu decken. Die Folge war eine Mangelwirtschaft. So betrug die Wartezeit beim Kauf eines Pkw meist 10 Jahre und vielfach mehr«: Gliffe (2015), S. 243. 536 Laschewski-Müller/Rauh (2015), S. 372. 537 Bäuml-Stosiek (2014), S. 272. 538 Bäuml-Stosiek (2014), S. 273. 539 Der Lösungsband von Forum Geschichte 11 vergleicht nur die Veränderung zwischen den Jahren 1928 und 1974: Bäuml-Stosiek (2009), S. 156.

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

Einige Seiten weiter beinhaltet Forum Geschichte 11 einen Textauszug von Dahrendorf aus dem Jahr 1965, der die These der »nivellierten Mittelstandsgesellschaft« kritisiert.540 Der Text beginnt mit folgendem Satz: »Die Rede von der ›relativen Angleichung der wirtschaftlichen Positionen‹ ist […] leichtfertig, wenn wir an die 12 000 Einkommens-Millionäre und die 90 % mit einem Jahreseinkommen von weniger als 12 000 DM im Jahre 1960 in der Bundesrepublik denken.« Auch kritisiert Dahrendorf die fehlende soziale Mobilität, in der bestenfalls zehn Prozent der »Arbeiterkinder« die Chance zum Aufstieg hätten. Die Thesen von Schelsky würden auf falschen Prämissen basieren und letztlich dem »sozialen Status quo« der »Eliten« sowie deren »Herrschaftsposition« dienen. In der Aufgabenstellung zur Quelle verlangt das Schulbuch die »Diskussion« der Argumente gegen die »nivellierte Mittelstandsgesellschaft«. Der Lösungsband beschreibt die Aussagen von Schelsky wie folgt: »Er stellte fest, dass immer mehr Menschen aus den Unterschichten in die Mittelschicht auf- und aus der Ober- in die Mittelschicht absteigen würden.«541 Außerdem fasst der Lösungsband die Aussagen von Dahrendorf zusammen. Dabei fehlt jedoch eine methodische Einordnung, da Schelsky seine These an der Untersuchung der Vertriebenen und nicht an einem Querschnitt der Gesellschaft entwickelt hat. Auch seine Nazi-Vergangenheit, die sich – so Dahrendorf – inhaltlich in der Arbeit niederschlage, müsste erwähnt werden. Dennoch kann die Aufgabe insgesamt positiv hervorgehoben werden, da sie eine wissenschaftliche Debatte der Vergangenheit thematisiert, die zudem eine aktuelle gesellschaftliche Relevanz hat. Die »Zusammenfassung« des Kapitels in Forum Geschichte 11 lautet: »Nach den Jahren der Not erschien der rasche und kräftige Wirtschaftsaufschwung seit den 1950er-Jahren vielen Menschen als ›Wirtschaftswunder‹. Grundlage für die Entstehung einer erfolgreichen Wohlstandsgesellschaft war die Liberalisierung der Wirtschaftsverfassung auf der Basis der Sozialen Marktwirtschaft.« Zusätzlich zu dieser These bietet das Schulbuch an dieser Stelle eine Grafik, die dem Buch Von der Quelle zum Tafelbild von Hartmann Wunderer und Herbert Kohl entnommen ist.542 Hier wird ein Tafelbild mit dem Begriff »Wirtschaftswunder« in der Tafelmitte und rundherum die verschiedenen Aspekte, die für das »Wirtschaftswunder« wichtig seien, vorgeschlagen. Inhaltlich stimmen sie mit dem DT überein. Interessant ist nun aber, welches Material von Wunderer/Kohl nicht berücksichtigt wurde. Auf der gleichen Seite wie das Tafelbild befindet sich eine Tabelle unter der Überschrift »Deutschland – Land des ›Wirtschaftswunders‹?«, die aus dem Quellenband Die langen fünfziger Jahre von Abelshauser543 stammt. Sie zeigt die höchsten Wachstumsraten des Sozialprodukts von 1949-1959 in der UdSSR, in Polen und in der Tschechoslowakei – allesamt Planwirtschaften. Westdeutschland hat tatsächlich die höchsten Wachstumsraten der Marktwirtschaften. Jedoch erläutert ein Quellenauszug von Lindlar – eine Seite

540 541 542 543

Bäuml-Stosiek (2014), S. 275. Bäuml-Stosiek (2009), S. 158. Kohl/Wunderer (2008), S. 68f. Abelshauser (1987), S. 77.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

vorher – die Gründe. Demnach sei die Produktivitätslücke vor 1949 vor allem auf die alliierten Beschränkungen zurückzuführen, wohingegen die anderen westeuropäischen Staaten im Jahr 1949 ihren bisherigen Höchststand längst wieder überschritten hätten. Wunderer/Kohl konzipieren eine kritische Perspektive auf das deutsche »Wirtschaftswunder« und bieten zudem mit dem Auszug von Lindlar einen wirtschaftshistorischen Quellenausschnitt an. Das Schulbuch kopiert leider nur das Tafelbild, das ohne den Text und die Grafik seinen didaktischen Wert verliert. Eine Darstellung der Nachkriegswirtschaft der DDR in Forum Geschichte 11 ist lediglich rudimentär vorhanden. Zu Beginn des Kapitels im Abschnitt »Grundwissen« listet das Schulbuch, neben der »deutschen Frage«, nur den »17. Juni« und den Mauerbau auf.544 Im Abschnitt »Besatzungspolitik der Sowjetunion« befinden sich wenige Sätze.545 Ich zitiere den gesamten relevanten Text: »Die SMAD setzte mit Befehlen vom Oktober 1945 die Beschlagnahmung des gesamten Eigentums des deutschen Staates, der NSDAP und ihrer Amtsleiter sowie der Wehrmacht in der SBZ durch. Überdies legte sie die Grundlagen für eine sozialistische Wirtschaftsordnung: 1945 wurden zahlreiche schwerindustrielle Betriebe in Sowjetische Aktiengesellschaften überführt, Banken und Sparkassen verstaatlicht und andere Wirtschaftsunternehmen 1946 den deutschen Verwaltungsorganen unterstellt. Die SMAD war ebenfalls die treibende Kraft bei der Enteignung der Großgrundbesitzer, die 1945 den Kern der Bodenreform [Hervorhebung im Schulbuch, KK] bildete.« Dieses Vorgehen habe auf der »Überzeugung […] beruht«, dass der »Nationalsozialismus eine Folge der kapitalistischen Wirtschaftsordnung gewesen sei«. Der nächste Abschnitt zur DDR-Wirtschaft kommt erst zwanzig Seiten später im Kontext von »1989«.546 Als Paratext finden die Schüler*innen eine »Wirtschaftsgeschichte der DDR«.547 Im Abschnitt »Mangelwirtschaft« (++) gehen wenige Sätze auf die Nachkriegswirtschaft ein. Einerseits sei der Lebensstandard seit den 1950er Jahren »kontinuierlich gestiegen«; andererseits sei die DDR in der Ausstattung mit Konsumgütern immer hinter der BRD sowie dem täglichen Bedarf zurückgeblieben und eine »Mangelwirtschaft« gewesen. Der Begriff wird in einem Paratext als »westlicher Begriff« eingeordnet und wie folgt definiert: »Während nachgefragte Waren fehlen, ist Geld zum Kauf von Waren genügend vorhanden.« Eine kritische Einordnung des Begriffes ist nicht

544 545 546 547

Bäuml-Stosiek (2014), S. 280. Bäuml-Stosiek (2014), S. 282. Bäuml-Stosiek (2014), S. 304f. Sie beinhaltet Folgendes: »Sommer 1945 Bodenreform; 1945/46 Schwerindustrielle Betriebe in Sowjetische Aktiengesellschaften überführt, Verstaatlichungen; Okt. 1947 Deutsche Wirtschaftskommission (DWK): erste zentrale Planungsbehörde der SBZ; Juni 1948 Währungsreform; Okt. 1949 Gründung der DDR: Planwirtschaft, Recht auf Arbeit; 1951 Erster Fünfjahresplan; 1952-1960 Zwangskollektivierung der Landwirtschaft; Mai 1953 Normerhöhung um 10 %; 1958 Einführung des ›Unterrichtstages in der Produktion‹; 1963 ›Neues System der ökonomischen Planung und Leitung‹; 1968 ›Ökonomisches System des Sozialismus‹; 1971 Ausbau der Sozialpolitik unter Honecker; 1973/74 Weltweite Ölkrise; 1980 Zwangsumtausch für westliche Reisende in die DDR erhöht; 1982 Finanzkrise der DDR; 1983/84 Milliardenkredite der BRD«: Bäuml-Stosiek (2014), S. 304.

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vorhanden. Der zweite Paratext erläutert die Planwirtschaft als Ökonomie, in der »Produktion, Preise und Löhne« von Staat festgelegt werden würden und es keinen »freien Wettbewerb von Angebot und Nachfrage« gebe. Insgesamt hebt Forum Geschichte 11 ausschließlich die Planwirtschaft für die Entwicklung der Wirtschaft in der DDR hervor (++). Da die Aufgabenstellungen allesamt die Endphase der DDR thematisieren, werden sie nicht weiter analysiert. Allerdings bieten die Abschnitte zu den Besatzungszonen noch einige wirtschaftshistorische Aspekte. Auf der Kapitelauftaktseite von Forum Geschichte 11 deutet sich bereits der Schwerpunkt auf das deutsche »Wirtschaftswunder« an.548 Eine gesamte Seite besteht aus einer Fotografie, die einen Familienausflug mit einem VW-Käfer in die Eifel im Jahr 1957 abbildet (siehe Seite 259).549 Mit folgendem Satz wird in das Kapitel eingeleitet: »Der Historiker Werner Abelshauser hat einmal geschrieben, dass die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland vor allem ihre Wirtschaftsgeschichte sei: ›Nichts hat den westdeutschen Staat stärker geprägt als seine wirtschaftliche Entwicklung. Auf keinem anderen Gebiet sind seine Leistungen greifbarer als dort: Ihnen verdankt die zweite, die westdeutsche Republik jene Stabilität und Handlungsfreiheit, die der Republik von Weimar gefehlt haben.‹« Im weiteren Text wird diese Aussage zurückhaltend relativiert und als Leitfrage für das Kapitel formuliert: »War es wirklich ›nur‹ der durch das ›Wirtschaftswunder‹ der 1950er-Jahre entstandene Wohlstand, der die Deutschen in der Bundesrepublik mit dem demokratischen Verfassungsstaat versöhnte?« Die nächste Doppelseite beginnt mit der Rubrik »Grundwissen«: Bezüglich der Entwicklung der Wirtschaft schreibt Forum Geschichte 11 über das Potsdamer Abkommen und die Regelung, dass jede Besatzungsmacht ihre Ansprüche aus der eigenen Zone entnehmen würde.550 Die vereinbarten Zahlungen aus der westlichen Zone an die Sowjetunion werden nicht genannt. Des Weiteren »gilt die Währungsreform in den Westzonen als positiver Faktor für die wirtschaftliche Entwicklung«. Zusätzlich finden die Schüler*innen eine Fotografie einer Wechselstube am Kurfürstendamm zur Zeit der Währungsreform, an der viele Menschen anstehen. Hierfür sollen sie in einer »Testaufgabe« Hypothesen zur Lage der Bevölkerung »zur Zeit der Währungsreform« aufstellen.551

548 Bäuml-Stosiek (2014), S. 233f. 549 Im Lösungsband findet sich folgende Beschreibung: »Der VW-Käfer wurde wie kaum ein anderes Produkt zum Symbol der Wirtschaftswunderzeit und der neuen Mobilität, er stand für Solidität und Wohlstand für jedermann und wurde der Exportschlager der Nachkriegswirtschaft. Die Produktion wurde 1948 nach der Beseitigung der schweren Kriegsschäden am VW-Werk in Wolfsburg allmählich wieder aufgenommen und schon 1955 rollte der millionste Käfer als vergoldetes Sondermodell vom Band«: Bäuml-Stosiek (2009), S. 140. 550 Bäuml-Stosiek (2014), S. 234. 551 Weder zu der Fotografie noch zu der Aufgabe existiert ein Lösungsvorschlag: Bäuml-Stosiek (2009), S. 140.

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

Die wirtschaftliche Entwicklung integriert Forum Geschichte 11 in die Abschnitte der Besatzungspolitik der Alliierten552 ; im Kursbuch Geschichte sind die Sätze identisch, aber auf verschiedene Abschnitte verteilt553 . Forum Geschichte 11 schreibt Folgendes: »Im Juni 1947 verkündeten die USA den Marshallplan [Hervorhebungen im Schulbuch, KK] (M4). Dieses Hilfsprogramm zum Wiederaufbau Europas versprach 1948 allen kooperationswilligen Staaten, also auch Deutschland, amerikanische Wirtschafts- und Finanzhilfe. […] 1948 bereiteten die Westmächte mit deutschen Verwaltungsstellen unter strengster Geheimhaltung eine Währungsreform vor, die das Fundament für den ökonomischen Wiederaufbau Westdeutschlands legen sollte. […] Um die Währungsreform im Westen zu verhindern und die Westmächte zu zwingen, ihre Pläne zur Bildung eines West-Staates aufzugeben, verfügte die Sowjetische Militäradministration (SMAD) im Juni 1948 eine totale Blockade aller Land- und Wasserwege zu den Westsektoren Berlins.« Außerdem ergänzt ein Paratext zum ERP, dass der wirtschaftliche Aufbau der »politischen Stabilisierung« gedient habe, damit die Länder weniger »anfällig« für den Kommunismus gewesen wären. Eine Tabelle zeigt die Länder, die in den Jahren 1948/49 »Marshallplan-Hilfsmittel« bekommen hätten. Auch beinhaltet Forum Geschichte 11 das Plakat »Freie Bahn dem Marshallplan«.554 Auf der nächsten Doppelseite finden die Schüler*innen einen Auszug aus dem Potsdamer Abkommen.555 Der ökonomische Teil wurde auf die Zerschlagung der Kartelle und die Vereinbarungen zur Behandlung Deutschlands als wirtschaftliche Einheit gekürzt. Auch im Kursbuch Geschichte fehlen die Reparationsvereinbarungen des Potsdamer Abkommens, allerdings verweist der DT an anderer Stelle auf die Reparationsverpflichtungen der Westzonen.556 Trotzdem sollte einer der kontroversesten Abschnitte des Potsdamer Abkommens nicht gekürzt werden. Des Weiteren bietet Kursbuch Geschichte zwei Quellen zur Bodenreform.557 Die erste Quelle wird als »Plakat zur Bodenreform in der SBZ« beschrieben. Sie zeigt eine große rote Faust, die das Land einnimmt (siehe Seite 199). Die zweite Quelle ist ein Auszug der »Verordnung der Provinz Sachsen über die Bodenreform« (M16). In Artikel 1, Absatz 1 wird die politische Bedeutung der Bodenreform betont, da der Großgrundbesitz »eine Bastion der Reaktion und des Faschismus« sei. Absatz 2 verkündet die Ziele der Bodenreform. Diese solle bestehende Höfe vergrößern und die Neuansiedlung von »Bauern« – vor allem von »Umsiedlern und Flüchtlingen« – ermöglichen. Artikel 2 definiert die zu enteignenden Güter, welche die »Kriegsverbrecher und Kriegsschuldigen«, die aktiven Mitglieder der NSDAP, »ihre Gliederungen«, alle Regierungs-/Reichstagsmitglieder sowie den Großgrundbesitz über 100 Hektar betreffen würde. Zur Bearbeitung der Quelle enthält das Buch eine Aufgabe: »Überprüfen 552 553 554 555 556 557

Bäuml-Stosiek (2014), S. 238f. Laschewski-Müller/Rauh (2015), S. 344f., 348. Im Lösungsband wird das Plakat nicht kommentiert: Bäuml-Stosiek (2009), S. 140. Bäuml-Stosiek (2014), S. 241. Laschewski-Müller/Rauh (2015), S. 346, 355. Laschewski-Müller/Rauh (2015), S. 347, 356.

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

Sie mithilfe von M16 die These des Historikers Hermann Weber (2006): ›Die Bodenreform war eine radikale, aber keine kommunistische Maßnahme.‹« Der Lösungsband bestätigt die These von Weber.558 Im Hinblick auf die Methodik zeigen die beiden analysierten Schulbücher die Notwendigkeit der zweistufigen Plus-Codierung, da beide Schulbücher viele Aspekte auflisten, jedoch in ganz unterschiedlicher Gewichtung. Narrative und normative Triftigkeit können bei der schlechten fachlichen Triftigkeit – beide Schulbücher erzählen die ordoliberale Erfolgsgeschichte – nicht hinreichend sein. Trotzdem beinhaltet Forum Geschichte 11 zwei gute Aufgaben zur sozialen Ungleichheit und zur Debatte um das Verhältnis von Wohlstand und Demokratie, die für historisches Lernen gut geeignet sind. Auch machen viele Stellen deutlich, dass Geschichte eine Wissenschaft ist.

6.4.5 mbook Geschichte Das mbook Geschichte ist die einzige digitale Publikation, die in dieser Arbeit analysiert wird.559 Nach den Angaben der Autor*innen kann das Schulbuch in der Sekundarstufe I der Gymnasien aller Bundesländer verwendet werden. Ein Lösungsband existiert nicht. Sehr überzeugend ist das Interview am Anfang von jedem Kapitel, in dem die Autor*innen ihren persönlichen Zugang zum Thema erklären. Folglich wird die Codierung Autor*in Darstellungstext Doppelplus (++) codiert. Als leitende Idee für das konkrete Kapitel formuliert der Autor den Anspruch, »beiden Staaten gerecht zu werden«. Das Thema habe aktuelle Relevanz, da sich die Situation seit 1990, als »in Frieden und Freiheit alles möglich schien«, deutlich verschlechtert habe und erneut eine Blockbildung drohe. Der Abschnitt »Soziale Marktwirtschaft [++] und Wirtschaftswunder« beginnt wie folgt:560 »Einer der wichtigsten Gestalter der westdeutschen Wirtschaftsordnung war Ludwig Erhard [++]. Bereits vor Gründung der Bundesrepublik hatte er an der Einführung der D-Mark mitgearbeitet. Als Wirtschaftsminister verband er die kapitalistische Wirtschaftsordnung (freie Marktwirtschaft) mit einer sozialen Sicherung durch den Staat und die Tarifpartner (Arbeitgeber und Gewerkschaften). Diese Kombination nannte er ›soziale Marktwirtschaft‹. Auf die schwierigen Nachkriegsjahre folgte ein starker wirtschaftlicher Aufschwung in der Bundesrepublik.« An dieser Stelle muss nicht näher erläutert werden, dass Erhard sowohl ein Gegner der sozialen Sicherung durch den Staat als auch der Tarifparteien BDI und Gewerkschaften war. Im nächsten Abschnitt erklärt das mbook den Beginn des Booms mit dem »Marshallplan« (++). Das ERP wird Doppelplus codiert, da es im Kapitel zur Besatzungszeit ebenfalls hervorgehoben wird. Außerdem seien die Förderung der Unternehmer (+) durch Erhard, die Modernisierung durch die Demontage und der Arbeitswille der Deutschen (+) bedeutend gewesen. Die fachliche Triftigkeit ist nicht gegeben.

558 Gliffe (2015), S. 231. 559 Sochatzy/Ventzke (2016). 560 Marcus Ventzke, Kapitel 39.3, in: Sochatzy/Ventzke (2016).

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

Im mbook können die Schüler*innen zusätzlich eine Erhard-Galerie öffnen. Hier finden sie eine Zeichnung von Erhards Kopf und dem Text »ERHARD hält, was er verspricht: [Absatz] Wohlstand für alle durch die [Absatz] SOZIALE MARKTWIRTSC HAFT« (siehe Seite 193). Allerdings wird das Plakat der Waage als Plakat der C DU für den Wahlkampf 1957 bezeichnet. Die zweite Fotografie der Galerie zeigt Erhard mit dem Buch Wohlstand für alle von Wolfram Langer. Ein bemerkenswertes Schulbuchelement ist ein YouTube-Video, in dem sexistische Werbefilme der 1950er Jahre zu sehen sind, welche die Rolle der Frau auf die Versorgung des Ehemanns reduzieren. Die Arbeitsaufträge fordern zur kritischen Analyse der Filme auf und sind für historisches Lernen gut geeignet. In einer weiteren Galerie, die geöffnet werden kann, befinden sich zahlreiche Bilder unter der Überschrift »Wirtschaftswunderjahre«. Sie sind nicht in Aufgabenstellungen eingebunden und werden deshalb nur kurz beschrieben. Die Fotografien zeigen den Innenraum eines Wurstladens, ein Straßencafé am Kurfürstendamm, einen Verkaufsstand mit Südfrüchten auf der Messe Leipzig und eine Nahaufnahme des einmillionsten Käfers, der mit goldenem Lack bestrichen wurde. Des Weiteren finden die Schüler*innen einen Arbeitsauftrag, der die Organisation einer Podiumsdiskussion zum »Wirtschaftswunder« beinhaltet. Hierfür sollen sie Gäste einladen – vor allem die Großeltern –, einen Fragenkatalog und provokative Thesen entwickeln sowie die Diskussion moderieren. Diese Aufgabe steht sinnbildlich für das Dilemma der Geschichtsdidaktik. Sie ist didaktisch sehr gut durchdacht, niveauvoll und macht vermutlich sogar Spaß. Die Schüler*innen werden sogar zu einer kontroversen Auseinandersetzung aufgefordert, es fehlt ihnen aber an kontroversem Material. Gerade die Erkenntnisse der Wirtschaftsgeschichte, welche die mythische deutsche Wirtschaftswunder-Geschichte widerlegen, sollten für die Diskussion zur Verfügung stehen. Stattdessen erzählt das mbook den Mythos des »Wirtschaftswunders« und fordert zur Kontroverse auf. Im Abschnitt zu den Besatzungszonen wird das ERP ausführlich thematisiert und als »finanzielle Aufbauhilfe« im Umfang von 13 Mrd. Dollar beschrieben.561 Laut dem Schulbuch sind sich die »Historiker heute einig«, dass die direkte Wirkung für Deutschland eher gering, die psychologische Wirkung aber »beachtlich« gewesen ist. Folglich wird die Codierung laut derzeitigem Forschungsstand erfüllt (+). Eine weitere Galerie beinhaltet sechs Bilder zum ERP u.a. mit zwei Plakaten. Eines zeigt das Schiff »Europe«, dessen Segel aus den Fahnen der europäischen Staaten bestehen, von Reijn Dirksen. Auf dem zweiten Plakat ist ein Windrad zu sehen, dessen Flügel ebenfalls die Fahnen der Staaten tragen. Darauf folgen zwei Fotografien von Werbetafeln mit den Aufschriften »Zur Stärkung der freien Welt […] Hier hilft der Marshallplan« und »BERLINER-NOT-PROGRAMM [Absatz] Mit [Absatz] MARSHALLPLANHilfe«. Letztere ist hinter einer großen Baustelle angebracht. Die Bildbeschreibung weist auf den Wiederaufbau in Berlin hin. Außerdem visualisiert eine Europakarte anhand von Balken-Diagrammen die Verteilung der ERP-Lieferungen. Als Quelle 16 stellt das mbook einen kurzen Auszug mit dem Titel »(…) George C. Marshall über die Ziele der amerikanischen Wirtschaftshilfe (1947)« zur Verfügung, in 561

Marcus Ventzke, Kapitel 39.2, in: Sochatzy/Ventzke (2016).

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

der Marshall als Ziel des ERP eine stabile Weltwirtschaft angibt. Außerdem könne jedes Land, das sich am Wiederaufbau beteilige, mit der Unterstützung der USA rechnen. Des Weiteren erklärt ein DT die Währungsreform unter dem Gesichtspunkt des Beitrags zur Spaltung Deutschlands. Folglich codiere ich die ökonomische Wirkung der Währungsreform Fragezeichen (?). Der Abschnitt zur Nachkriegszeit beginnt mit einem ausführlichen Auszug über die »Alliierten Maßnahmen zur wirtschaftlichen Wiedergutmachung« (Quelle 2) von Potsdam, in dem die Ansprüche der einzelnen Staaten und zusätzlich die Ansprüche der UDSSR auf Reparationen aus den Westzonen aufgeführt sind. Die Aufgabenstellungen beziehen sich auf die territoriale Frage sowie die Form der Bestrafung. Allerdings wird der Auszug aus dem Potsdamer Abkommen nochmals in »Quelle 7 Demontage« wiedergegeben, die allerdings deutlich unübersichtlicher formatiert ist. Im zweiten Teil des Abschnitts wird der Mythos der »Stunde Null« kritisch thematisiert. Die »Darstellung 1« betont die immensen Zerstörungen nach dem Krieg. Ein Text (Darstellung 2) des Historikers Alf Lüdtke verweist jedoch auf die durchweg funktionsfähigen Strukturen der Verwaltung und der Produktion. Zudem werde in der historischen Perspektive deutlich, »dass eine umfassende gesellschaftliche Umwälzung von den (…) Alliierten überhaupt nicht beabsichtigt war, jedenfalls nicht von den westlichen.« In der bemerkenswerten »Darstellung 3« kritisiert Jürgen Kocka die vielfach bearbeitete Fragestellung, ob es eine »kapitalistische Restauration« oder einen »demokratischen Neubeginn« gegeben habe. Vielmehr müsse von einer »kapitalistischen Kontinuität« und einem »demokratischen Neubeginn« gesprochen werden. Ein vierter Text (Quelle 8) besteht aus einem Auszug der berühmten Rede von Weizsäcker aus dem Jahr 1985. Demnach habe es keine »Stunde Null«, aber einen demokratischen Neuanfang gegeben. Der zweite Text von Weizsäcker wurde der gleichen Rede entnommen, heißt diesmal aber »Darstellung 4«. Hier spricht er über den 8. Mai 1945 als »Tag der Befreiung« und führt aus, dass die »schweren Leiden für viele Menschen nach dem 8. Mai« nicht vom 30. Januar 1933 zu trennen seien. Eine Übungsaufgabe lautet: »Lies die Darstellung 2 und markiere die Argumente Alf Lüdtkes gegen den Begriff ›Stunde Null‹.« In der folgenden Aufgabe sollen die Schüler*innen mit Hilfe der Texte von Kocka und Lüdtke die Darstellung von Weizsäcker kritisieren. Eine Kontroverse ist zwischen den Texten aber nicht erkennbar. Dennoch möchte ich die Konzeption und die interessanten Texte positiv hervorheben. Allerdings entsteht hierdurch ein unproduktiver Widerspruch zum nächsten Kapitel, in dem die Einführung eines neuen Wirtschaftssystems durch Erhard beschrieben wird. Die restlichen Arbeitsaufträge beziehen sich nicht auf die Ökonomie. Insgesamt entsteht der Eindruck, als ob das Kapitel zu den Besatzungszonen didaktisch neu konzipiert und das Kapitel zum »Wirtschaftswunder« aus älteren Schulbuchdarstellungen übernommen wurde. Der Beginn des Abschnitts zur DDR-Geschichte wirft bemerkenswerte Leitfragen auf:562

562 Marcus Ventzke, 39.4, in: Sochatzy/Ventzke (2016).

6. Die Nachkriegswirtschaft in aktuellen Schulgeschichtsbüchern

»Im Rückblick gehen die Autoren von Büchern, Filmdokumentationen oder Geschichtszeitschriften oft kritischer mit der DDR um als mit der Bundesrepublik Deutschland. Warum ist das so? Wird die DDR vielleicht vorverurteilt, weil sich die BRD schließlich 1989 im Ringen der Blöcke zusammen mit den anderen Ländern des Westens durchgesetzt hat? Schreiben die Sieger die Geschichte?« Demgegenüber deutet das Schulbuch die wirtschaftliche Entwicklung anhand des typischen Dualismus: »Während im Westen die soziale Marktwirtschaft aufgebaut wurde, entstand im Osten eine sozialistische Planwirtschaft nach sowjetischem Vorbild.« Im Abschnitt »Planwirtschaft« (++) lautet die Definition: »Diese Ordnung wird ›Planwirtschaft‹ genannt, weil die Wirtschaft von einer Zentrale (hier: der SED) geplant wurde. Die Menschen konnten also nicht mehr selbst darüber entscheiden, welche Produkte sie herstellen und verkaufen wollten. Dies wurde jetzt zentral geplant und dieser Plan durfte nicht kritisiert werden.« Außerdem erwähnt der DT die »marxistische Lehre« der Ungleichheit durch Privatbesitz, aufgrund derer die SED die wichtigen Industriezweige und den Großgrundbesitz verstaatlicht habe. Hinsichtlich der ökonomischen Wirkung positioniert sich das mbook nicht eindeutig (Codierung = ?). Des Weiteren habe die SED den Schwerpunkt auf den Ausbau der Schwerindustrie gesetzt und die Produktion von Konsumgütern vernachlässigt (+). Deshalb sei das »materielle Lebensniveau« deutlich hinter dem Westen zurückgeblieben. Zusätzlich bietet das mbook drei Quellen und eine Aufgabenstellung zur Bodenreform. Die erste Quelle ist ein Auszug, Artikel 1 und Artikel 2, der Verordnung zur Bodenreform in Sachsen (siehe Seite 47 und 289). In der zweiten Quelle befinden sich zwei anonyme Texte aus dem Weißbuch über die Bodenreform von Kruse, das keine wissenschaftlichen Standards einhält und quellenkritisch betrachtet werden sollte (siehe Seite 222ff.). Das mbook verwendet ebenfalls den Text eines Großgrundbesitzers aus der Nähe von Schwerin, der sich in einer Publikation der BpB befindet (siehe Seite 222).Der zweite Bericht eines »Bauern« erläutert die »Willkürmaßnahme« gegen seinen Betrieb, da er mit »37,8 ha nicht unter das Bodenreformgesetz fiel«. Er habe später drei Viertel der Fläche zurückbekommen, jedoch sei das Land schlecht eingeteilt worden, so dass er seinen Ablieferungspflichten nicht hätte nachkommen können. Folglich seien sie in den Westen geflohen. Beide Quellen sind aufgrund der fraglichen Überlieferung nicht für den Unterricht geeignet. Als dritte Quelle enthält das mbook eine Urkunde, die ein Neubauer für ein 8,5 ha großes Areal in Kyritz bekommen hat. Außerdem finden die Schüler*innen eine schwarz-weiß Fotografie einer Industrieanlage des EKO in Eisenhüttenstadt. Der Allgemeine Deutsche Nachrichtendienst (ADN) hebe, so die Bildbeschreibung im Schulbuch, die Bedeutung des EKO für die Freundschaft zwischen Polen, UdSSR und Ostdeutschland hervor. In den vier Arbeitsaufträgen zur DDR-Wirtschaft sollen die Schüler*innen die Bodenreform beschreiben, die Begründung ihrer Durchführung erläutern und die Auswirkungen schildern. Die letzte Aufgabe ist besonders hervorzuheben: »Beurteile die Auswirkungen der Bodenreform und der Schwerindustrieentwicklung für die Wirtschaft der DDR.« Die Antworten können die Schüler*innen aus der Quelle sowie dem DT ab-

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

lesen. Eine wirkliche Beurteilung ist nicht möglich. Hierfür fehlen die ökonomischen Argumente für die Kleinparzellierung und die Erläuterung, weshalb so viele Investitionsmittel in die Grundstoffindustrie flossen. Die Bewertung der Ökonomie im nächsten DT fällt durch die Formulierung »scheinbar« eindeutig aus: »Die Wirtschaftsordnung der DDR hatte also scheinbar auch positive Seiten: Vollbeschäftigung (keine Arbeitslosigkeit), mehr Arbeitsmöglichkeiten für Frauen und mehr Gerechtigkeit in der Einkommensverteilung. Der Preis für diese positiven Seiten war jedoch hoch: Enteignungen, Bevormundung durch die Partei und fehlende Konsumgüter. Leistungswille und Fantasie der Menschen wurden dadurch stark eingeschränkt. Viele Berufstätige warteten nur noch auf Anweisungen ›von oben‹.« Letztlich wird hinsichtlich der Leitfragen vom Anfang des Kapitels eben selbst die Sieger-Geschichte reproduziert. Im Abschnitt zur Nachkriegszeit in den Besatzungszonen beschreibt das mbook die Reparationen und Demontagen. Demnach seien allein in Sachsen 1000 Betriebe demontiert worden. Auch hebt das Schulbuch die schwerwiegenden Folgen des Abbaus des zweiten Gleises hervor. Laut dem Schulbuch betrug der Wert der demontierten Fabriken 2,6 Mrd. Dollar und der Warenentnahmen aus der laufenden Produktion sieben Mrd. Dollar (Reparationen und Demontagen = +). Insgesamt ist das mbook ambivalent einzuschätzen. Einerseits ist die fachliche Triftigkeit bezüglich der Wirtschaftsgeschichte nicht gegeben. Andererseits finden sich viele Elemente, welche die Konstruktion der Geschichte und der Schulbuchseiten deutlich machen. Besonders die Erläuterung des Autors am Beginn des Kapitels und einige Aufgabenstellungen – leider wenige zur Wirtschaftsgeschichte – sind gelungen. Lediglich das Quellenmaterial zur »Stunde Null« bietet fachlich triftiges, für historisches Lernen geeignetes Material. Bemerkenswert ist zudem, dass die fachlichen Ausführungen nicht zu den sonstigen Texten von Cornelsen passen, sondern eher an Ausgaben des Buchner-Verlags erinnern.

7. Auswertung der Ergebnisse

7.1. Fachliche Triftigkeit BRD In diesem Kapitel werden die gesamten Codierungen ausgewertet. Betrachtet man die Hauptargumente (++) zur Wirtschaft in der BRD isoliert, ergibt sich das klassisch deutsche Master-Narrativ zum sogenannten »Wirtschaftswunder« (vgl. Abb. 11). Mit einer Ausnahme, Forum Geschichte 4 ist Fragezeichen (?) codiert, erzählen alle Schulbücher das »Wirtschaftswunder« als westdeutschen Aufschwung. Insgesamt 26 Schulbücher stellen Erhard als den Macher des »Wirtschaftswunders« dar. Als einzigen weiteren Akteur werden die Unternehmer (4) angeführt. Im Bereich der Ereignisse werden die Währungsreform (12) und das ERP (15) genannt. Am wichtigsten sei jedoch das System der »Sozialen Marktwirtschaft«, das von 35 Schulbüchern als Hauptursache für das »Golden Age« in Deutschland ausgemacht wird. Lediglich die englischsprachige Ausgabe Exploring History verzichtet auf die »Soziale Marktwirtschaft«. Dies verwundert nicht, da die Existenz eines vermeintlich eigenen ökonomischen Systems namens »Soziale Marktwirtschaft« nur in Deutschland bekannt ist. International wird die kooperative Marktwirtschaft oder der Rheinische Kapitalismus debattiert; diese Begriffe werden an keiner Stelle erwähnt. Alle untersuchten Schulbücher erzählen eine Zäsur der westdeutschen Wirtschaft im Jahr 1948; Narrationen, die von der Wirtschaftskrise 1929 oder der Nazi-Wirtschaft unter Albert Speer ausgehen, finden sich in keinem dieser Schulbücher. Bemerkenswert ist die besondere Betonung von Erhard, da die Forschung seine Bedeutung für das »Wirtschaftswunder« nahezu vollständig relativiert hat. Die Darstellung in den Schulbüchern korrespondiert mit den Bestrebungen der BDA, Erhard entsprechend zu würdigen. Die wichtigste Publikation zum damaligen Wirtschaftsminister wird nicht zur Kenntnis genommen. Gleichzeitig können alle Formulierungen wie Erhard führte die Soziale Marktwirtschaft ein als »unstatthafte Personalisierungen«1 kritisiert werden. Diesem Geschichtskonzept liegt auch eine problematische Denkfigur zugrunde: Ein großer Mann mit einer großen Idee setzt gegen massiven Widerstand das ökonomisch Notwendige durch. Für die politische Bildung ist die Heroisierung solch autoritären Handelns ohnehin ungeeignet. 1

Rohlfes (2005), S. 322.

296

Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

Abbildung 11: Fachliche Triftigkeit BRD 1 Codierung

++

+

?

-

--

0

Erhard

26

3

1

0

0

6

Vertriebene

0

9

0

0

0

27

Arbeiter*innen

0

6

11

0

0

19

Migration/Südeuropa

0

3

9

0

0

24

Gewerkschaften

0

3

19

0

0

14

Unternehmer

4

7

2

0

0

23

Aufschwung Welt

0

1

2

0

0

33

Aufschwung Europa

0

0

0

0

0

36

Aufschwung Westeuropa

0

1

0

0

0

35

Aufschwung BRD

35

0

1

0

0

0

Industrie zerstört

0

8

2

0

0

26

Industrie intakt

0

6

1

0

0

29

Währungsreform

12

11

9

0

0

4

Währung/Erhard

0

0

1

0

0

35

Niedrige Löhne

0

11

4

0

0

21

Arbeitskräfte/Osten

0

11

1

0

0

24

Leistungsbereitschaft

0

17

0

0

0

19

Leitsätze-Gesetze

1

6

6

0

0

23

Leitsätze/Erhard

1

5

2

0

0

28

Leitsätze/USA

0

0

1

0

0

35

Korea-Boom

2

9

2

0

0

23

ERP

15

17

2

0

0

2

Lohnforderungen

0

15

0

0

0

21

Gewerkschaften/NS

0

0

0

0

0

36

Wechselkurs

0

1

2

0

0

33

Verbände schwach

0

0

0

0

0

36

Schuldenabkommen

0

1

4

0

0

31

Generalstreik 1948

0

0

0

0

0

36

Mehrheit/Sozialismus

0

4

2

0

0

30

Referendum

0

1

0

0

0

35

Akteure 

Raum

Ereignisse

7. Auswertung der Ergebnisse Ökonomische Theorien  Soziale Marktwirtschaft

35

0

0

0

0

1

Freie Marktwirtschaft

5

10

6

0

0

15

Kapitalismus

0

2

4

0

0

30

Korporatismus

0

0

1

0

0

35

Rekonstruktion

0

0

0

0

0

36

Catch-up

0

0

0

0

0

36

»Wirtschaftswunder«

28

1

3

0

0

4

»Soziale Marktwirtschaft«

6

3

4

0

0

23

Vater d. Wirtschaftswunders

9

0

0

0

0

27

»Vater d. Wirtschaftswunders«

8

0

1

0

0

27

Normative Begriffe

Abbildung 12: Fachliche Triftigkeit BRD 2 Codierung

(+)+

?

0

Erhard

29

1

6

Vertriebene

9

0

27

Arbeiter*innen

6

11

19

Migration/Südeuropa

3

9

24

Gewerkschaften

3

19

14

Unternehmer

11

2

23

Aufschwung Welt

1

2

33

Aufschwung Europa

0

0

36

Aufschwung Westeuropa

1

0

35

Aufschwung BRD

35

1

0

Industrie zerstört

8

2

26

Industrie intakt

6

1

29

Währungsreform

23

9

4

Währung/Erhard

0

1

35

Niedrige Löhne

11

4

21

Arbeitskräfte/Osten

11

1

24

Leistungsbereitschaft

17

0

19

Leitsätze-Gesetze

7

6

23

Leitsätze/Erhard

6

2

28

Leitsätze/USA

0

1

35

Korea-Boom

11

2

23

Akteure

Raum

Ereignisse

297

298

Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft ERP

32

2

2

Lohnforderungen

15

0

21

Gewerkschaften/NS

0

0

36

Wechselkurs

1

2

33

Verbände schwach

0

0

36

Schuldenabkommen

1

4

31

Generalstreik 1948

0

0

36

Mehrheit/Sozialismus

4

2

30

Referendum

1

0

35

Soziale Marktwirtschaft

35

0

1

Freie Marktwirtschaft

15

6

15

Kapitalismus

2

4

30

Korporatismus

0

1

35

Rekonstruktion

0

0

36

Catch-up

0

0

36

»Wirtschaftswunder«

29

3

4

»Soziale Marktwirtschaft«

9

4

23

Vater d. Wirtschaftswunders

9

0

27

»Vater d. Wirtschaftswunders«

8

1

27

Ökonomische Theorien

Normative Begriffe

Die »Soziale Marktwirtschaft« wird in den Schulbüchern als eigenartige Mixtur dargestellt, die nicht nachvollzogen werden kann. Eine gute Begriffserklärung, die die Entwicklung des unpräzisen Schlagwortes erläutert, erfolgt in keinem Schulbuch. Stattdessen werden die sozialdemokratische Übernahme des Schlagwortes (Marktwirtschaft plus Sozialstaat) und die (ursprüngliche) ordoliberale Fassung des funktionsfähigen Marktes in unterschiedlichen Formen erläutert, manchmal auch (vermutlich unbewusst) in einem Buch an verschiedenen Stellen angewendet und relativ willkürlich mit Erhard – manchmal auch Müller-Armack – in Verbindung gebracht. Die Karrieren von Erhard und Müller-Armack sowie die Ursprünge der liberalen Ausformung der »Sozialen Marktwirtschaft« im Faschismus werden ebenfalls in keinem Schulbuch erwähnt. Ein Unterrichtsvorschlag, der die unterschiedlichen paradigmatischen Definitionen der »Sozialen Marktwirtschaft« und der »sozialen Marktwirtschaft« sowie die wichtigsten Quellentexte zum wirtschaftshistorischen Lernen berücksichtigt, wurde kürzlich veröffentlicht.2 Für das kognitive Verstehen der Schüler*innen ist es ein desolates Ergebnis, dass das Master-Narrativ zum Wirtschaftsaufschwung in deutschen Schulbüchern nirgendwo präzise verständlich gemacht wird. 2

Krüger (2019).

7. Auswertung der Ergebnisse

Immerhin schreiben 28 Schulbücher den Begriff »Wirtschaftswunder« in Anführungszeichen, bei der »Sozialen Marktwirtschaft« sind es bloß sechs Schulbücher. Den Terminus »Vater des Wirtschaftswunders« verwenden neun Schulbücher, acht setzen ihn in Anführungszeichen. Als weitere Hauptargumente kommen lediglich Freie Marktwirtschaft (5), Korea-Boom (2) und Leitsätze-Gesetze (1) vor – wobei viele Schulbücher vermutlich mit Währungsreform auch die Leitsätze-Gesetze meinen. Für die – von den Wirtschaftsverbänden ausgehende – Diskussion über die Erwähnung der Unternehmer ergibt sich Folgendes: Tatsächlich nehmen Unternehmer in den Schulbüchern einen geringen Raum ein. Nach den Forschungsergebnissen der Wirtschaftsgeschichte besteht jedoch kein Grund, dies zu ändern. Kritisch ist zusätzlich anzumerken, dass die Unternehmer in den Schulbüchern größeren Raum als die Gewerkschaften bzw. die Arbeiter*innen bekommen und auch Arbeitsbedingungen kaum zur Sprache kommen. Dennoch könnten die Bildungsmaterialien wichtige Akteure und Unternehmer darstellen, dann aber mitsamt ihren Biografien und ihrer Geschäftspraxis im Faschismus. Besonders die Zwangsarbeit ist ein wirtschaftshistorischer Aspekt, der noch immer auf gesellschaftliche Aufarbeitung wartet. Eine bedeutende Person aus diesem Umfeld hat tatsächlich die Wirtschaft der frühen BRD entscheidend mitgestaltet: Es handelt sich um den ehemaligen Vorsitzenden der Vereinigten Industrieunternehmen AG (VIAG) Ludger Westrick, wichtiges Mitglied der Reichsgruppe Industrie (die Vorläuferorganisation des BDI), Wehrwirtschaftsführer und unter Erhard Staatssekretär im Wirtschaftsministerium.3 Als Vertrauter Adenauers und als praxisnaher Experte in Wirtschaftsfragen hat er die Wirtschaftspolitik der BRD mehr geprägt als Erhard, dessen wirtschaftspolitische Projekte allesamt scheiterten. Auch andere bedeutende Unternehmerpersönlichkeiten wie Hermann Josef Abs und Robert Pferdmenges könnten vorgestellt werden. Für die Erweiterung der Analyse habe ich eine weitere Tabelle erstellt (vgl. Abb. 12), die insgesamt übersichtlicher ist. Hier wurden die Codierungen Doppelplus (++) und Plus (+) summiert, um darzustellen, welche Aussagen sich überhaupt in den Schulbüchern befinden. Zusätzlich sind die Codierungen Minus (-) und Doppelminus (- -) entfernt, da die Schulbücher nicht mit Gegenargumenten arbeiten (vgl. Abb. 11). Dabei wären Formulierungen wie …entgegen langjähriger Behauptungen kann der Wirtschaftsaufschwung nicht auf die deutsche Politik zurückgeführt werden, sondern es handelte sich um ein internationales Phänomen… für wirtschaftshistorisches Lernen durchaus gut geeignet. Bei der erweiterten Auswertung entsteht ein leicht verändertes Bild. Auf die »Soziale Marktwirtschaft« (35) folgen »Marshallplan« (32), Erhard (29) und die Währungsreform (23). In dieser Darstellung kommt somit dem ERP in den Schulbüchern eine höhere Bedeutung zu als der Währungsreform. Die zweitrangigen Thesen zum »Wirtschaftswunder« lauten: Die Menschen wollten etwas leisten (17); zurückhaltende Gewerkschaften (15); Freie Marktwirtschaft (15); niedrige Löhne (11); Korea-Boom (11); Arbeitskräfte aus dem Osten (11). Die Kampfbereitschaft der Gewerkschaften erscheint in den Schulbüchern in voluntaristischer Form. Kein Schulbuch stellt einen Zusammenhang zwischen der strukturellen Schwäche der deutschen Gewerkschaften und ihrer Zerschlagung – z.T. der physischen

3

Hentschel (1998), S. 195ff.

299

300

Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

Vernichtung – im Faschismus her. Alle Schulbücher, in denen die gewerkschaftliche Aktivität auf »zurückhaltende Gewerkschaften« reduziert ist, werden bei den Akteuren als (?) einsortiert. Für eine positive Codierung hätte bspw. die Bedeutung der erkämpften Lohnsteigerungen für die Binnenkonjunktur hervorgehoben werden müssen. Weiterhin sind die Codierungen jener Attribute interessant, die besonders selten erfüllt wurden. Forum Geschichte 4 fällt besonders auf, da es als einziges Schulbuch zwei wichtige Thesen zum Wirtschaftsboom erwähnt – erstens die Unterbewertung der DM gegenüber dem Dollar als wichtigem Faktor für den Export und zweitens die Entschuldung der BRD durch das Londoner Schuldenabkommen. Einige Schulbücher nennen den Schuldenschnitt und die Wechselkurse; die Argumente sind aber trotzdem mit Fragezeichen codiert, da sie sich nur rudimentär in anderen Kapiteln wiederfinden lassen. Damit fehlen ausgerechnet zwei Themen, die in den Schulbüchern eine Doppelseite bekommen könnten. Sie sind für das Verständnis von deutscher Währungspolitik, Handelsbilanzen und Staatsverschuldung zentral. Das Londoner Schuldenabkommen ist zudem ein besonders geeignetes historisches Beispiel, um die Staatsverschuldung in der Euro-Krise zu diskutieren. Anhand der festgelegten Wechselkurse im BrettonWoods-System könnten die Schüler*innen erarbeiten, wie sich Währungskurse auf Import/Export sowie Handelsbilanzen und wie sich Spekulationen auf Währungen auswirken. Beide Themen widersprechen allerdings einer deutschen Erfolgsgeschichte. Die folgenden Codierungen beziehen sich nicht auf die analytische Erklärung des Wirtschaftsaufschwungs, sondern auf ökonomisch wichtige Mentalitäten und Ereignisse: Nur vier Schulbücher erwähnen das politische Klima nach dem zweiten Weltkrieg, in dem sich eine deutliche Bevölkerungsmehrheit für eine sozialistische Wirtschaft aussprach. Lediglich eine Ausgabe nennt das Verfassungsreferendum in Hessen, kein Schulbuch die Abstimmung in NRW. Außerdem stellt keines der 36 Schulbücher die Proteste des Sommers 1948, den Generalstreik 1948 und/oder die »Stuttgarter Unruhen« dar. Gerade politische Proteste mit konkreten Alltagskämpfen bieten jedoch für Schüler*innen gute kognitive Anknüpfungspunkte und folglich die Möglichkeit des Lernens mit lebenspraktischem Bezug. Auch hierfür gilt die Inkompatibilität mit der Erhard´schen Erfolgsgeschichte. Diese Themen sollten Teil einer sozioökonomischen Bildung in der Schule sein. Denn schließlich können sich Schüler*innen – im Gegensatz zum Abschluss eines Handyvertrages, der als Thema im Unterrichtsfach Wirtschaft gefordert wird – die Bedeutung von Wechselkursen, Staatsverschuldung und gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen nur schwer ohne professionelle Begleitung erarbeiten. Im Folgenden wird untersucht, ob einzelne Schulbuchverlage bestimmte Codierungen besonders häufig/besonders selten erfüllen. Die Ergebnisse sind in zwei Tabellen (vgl. Abb. 13 und vgl. Abb. 18) dargestellt. Sie ergeben sich aus folgender Berechnung: Ich habe die Codierung eines bestimmten Schulbuchverlages (bspw. ++/+ Währungsreform bei Klett = vier) durch die Gesamtzahl der Schulbücher des Verlages (bei Klett: acht Schulbücher) geteilt und das Ergebnis durch das Resultat der Codierung (++/+ Währungsreform in allen Verlagen = 23) im Verhältnis zur Anzahl der Schulbücher gesamt (immer 36) dividiert. Der Zusammenhang wird durch folgende Formel beschrieben:

x=

Codierungen (Verlag) Anzahl der Schulbücher (Verlag) Codierungen (gesamt) Anzahl der Schulbücher (gesamt)

;

7. Auswertung der Ergebnisse

beispielsweise: 36∗4 x= = 0,78 (auf zwei Dezimalstellen gerundet) . 23∗8 Dadurch kann festgestellt werden, inwieweit bei einem bestimmten Verlag die Codierung eines Attributs vom Gesamtergebnis seiner Codierung abweicht und somit, wie sich ein Schulbuchverlag von den anderen Schulbuchverlagen unterscheidet. Bei den Resultaten bedeutet 1,00 keine Abweichung von der Relation des Gesamtergebnisses, 2,00 eine doppelt so große und eine 0,50 eine halb so große relative Häufigkeit im Vergleich mit dem Gesamtergebnis. In der Beispielrechnung wurde der Wert 0,78 ermittelt. Folglich ist der Anteil der Schulbücher im Klett-Verlag, die die Währungsreform hervorheben, um ca. 22 Prozent geringer als im Durchschnitt aller untersuchten Schulbücher. Das Ergebnis 0,00 bedeutet, dass die Codierung des Attributs bei dem bestimmten Verlag 0,00 ist, andere Verlage jedoch positive Zahlenwerte aufweisen. Hingegen bedeutet die leere Menge (∅), dass alle untersuchten Schulbücher das Ergebnis Null haben und entsprechend durch Null dividiert wird (vgl. Abb. 13 und vgl. Abb. 18). Aussagekräftig sind vor allem die Werte, bei denen die Codierung insgesamt (in allen Schulbüchern) häufig erfüllt ist. Folglich habe ich die Analyse auf diese Codierungen fokussiert.

301

302

Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

Abbildung 13: Auswertung BRD (nach Verlagen)

Verlag

Klett

Buchner

Westermann

Cornelsen

Codierung

(+)+

?

0

(+)+

?

0

(+)+

?

0

(+)+

?

0

1,24

0

0

0,93

0

1,5

1,24

0

0

0,55

4

2,67

Vertriebene

2



0,67

0



1,33

1,09



0,97

0,89



1,04

Arbeiter*innen

0

0,41

1,66

1,5

2,05

0,24

1,64

0,89

0,86

0,67

0,73

1,26

Migration

0

0,5

1,31

3

1

0,75

1,09

1,82

0,68

0

0,44

1,33

1,5

0,95

0,96

0

1,66

0,32

1,09

0,69

1,4

1,33

0,84

1,14

1,64

0

0,78

0,82

4,5

0,78

1,19

0

1

0,36

0

1,39

4,5

0

0,95

0

0

1,09

0

0

1,09

0

4

0,85

Europa





1





1





1





1

Westeuropa

0



1,03

0



1,03

0



1,03

4



0,91

1,03

0



1,03

0



0,94

3,27



1,03

0



Industrie zerstört

0

0

1,38

0

0

1,38

2,86

1,64

0,38

0,5

2

1,08

Industrie intakt

0

0

1,24

2,25

0

0,78

0

3,27

1,13

2

0

0,83

Währungsreform

0,78

0

4,5

0,98

1,5

0

1,14

1,09

0

1,04

1,33

0

Währung/Erhard



0

1,03



0

1,03



3,27

0,94



0

1,03

Niedrige Löhne

0

4,5

0,86

1,64

0

0,86

0,89

0

1,25

1,45

0

0,95

1,64

0

0,75

0,82

0

1,13

0,89

0

1,09

0,73

4

1

Leistungsbereitschaft 1,59



0,47

1,85



0,24

0



1,89

0,94



1,05

0,64

0,75

1,17

2,57

1,5

0,39

0,94

1,09

1

0

0,67

1,39

Leitsätze/Erhard

0

0

1,29

3

4,5

0,32

1,09

0

1,05

0

0

1,29

Leitsätze/USA



0

1,03



0

1,03



3,27

0,94



0

1,03

Korea-Boom

0

2,25

1,37

1,23

0

0,98

0,3

1,64

1,28

2,55

0

0,35

ERP

1,13

0

0

0,98

0

2,25

0,82

3,27

1,64

1,13

0

0

Lohnforderungen

1,2



0,86

2,1



0,21

0,87



1,09

0



1,71

Akteure Erhard

Gewerkschaften Unternehmer Raum Welt

BRD Ereignisse

Arbeitskräfte/Osten

Leitsätze-Gesetze

7. Auswertung der Ergebnisse

Gewerkschaften/NS





1





1





1





1

Wechselkurs

0

0

1,09

0

0

1,09

0

0

1,09

4

4

0,73

Verbände schwach





1





1





1





1

Schuldenabkommen

0

0

1,16

0

1,13

1,02

0

2,45

0,84

4

0

1,03

Generalstreik 1948





1





1





1





1

4,5

0

0,6

0

4,5

0,9

0

0

1,2

0

0

1,2

0



1,03

4,5



0,9

0



1,03

0



1,03

1,03



0

1,03



0

0,94



3,27

1,03



0

Fr. Marktwirtschaft

1,5

0

0,9

0

0,75

2,1

1,31

0,55

0,87

1,07

2,67

0,27

Kapitalismus

4,5

0

0,9

0

2,25

0,9

0

0

1,2

0

2

0,93

Korporatismus



0

1,03



0

1,03



0

1,03



4

0,91

Rekonstruktion





1





1





1





1

Catch-up





1





1





1





1

Wirtschaftswunder

1,24

0

0

0,93

3

0

0,79

1,09

2,45

1,1

0

1

Vater Wirtschaftsw.

0



1,33

2



0,67

0,73



1,09

1,33



0,89

Mehrheit/Sozialismus Referendum Ökon. Theorien Soz. Marktwirtschaft

Normative Begriffe

303

304

Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

Hinsichtlich der Elemente des Master-Narratives – also Währungsreform, Erhard, ERP und »Soziale Marktwirtschaft« – ist lediglich bei Erhard eine starke Abweichung (++ und +) auszumachen. So porträtiert Cornelsen Erhard in nur – im Verhältnis zu den anderen Verlagen – vier von neun Büchern (0,55) als wichtige Person. Eigenartigerweise benutzen davon drei Schulbücher den Terminus »Vater des Wirtschaftswunders« (1,33), der sich sonst fast ausschließlich bei Buchner (2,00) findet. Westermann und Klett heben Erhard besonders hervor (jeweils 1,24). Den zweiten – laut den Schulbüchern – bedeutenden Akteur, die Unternehmer, stellen ebenfalls Klett (1,64) und Westermann (1,19) überproportional häufig dar. Cornelsen verzichtet (mit Ausnahme des mbooks) auf die Unternehmer als Akteure (0,36). Bezüglich der Ausgangsbedingungen der Wirtschaft ergeben sich demgegenüber extreme Werte. So stammen alle sieben erfüllten Codierungen der zerstörten Produktionsanlagen aus den Schulbüchern des Verlags Westermann (2,86). Demgegenüber berücksichtigen nur Buchner (2,25) und Cornelsen (2,00) die intakten Produktionsanlagen. Da die Gesamtzahl der erfüllten Codierungen für die Währungsreform höher ist, sind selbstverständlich die Zahlenwerte der Abweichung eines Verlages geringer. Folglich fällt Westermann bereits mit 1,14 als Spitzenreiter der erfüllten Codierungen zur Währungsreform auf. Am wenigsten relevant ist die Währungsreform beim Klett-Verlag (0,78), der zusätzlich alle Schulbücher publiziert, die die Währungsreform gar nicht erwähnen (4,50). Cornelsen (1,45) und Buchner (1,64) reproduzieren die These der niedrigen Löhne als Motor des Booms. Die Klett-Schulbücher folgen dieser Erzählung nicht (0,00). Demgegenüber betont Klett die Arbeitskräfte aus dem Osten (1,64). Das Narrativ Leistungsbereitschaft findet sich vor allem bei Buchner (1,85) und Klett (1,59), deutlich weniger bei Cornelsen (0,94) und gar nicht bei Westermann (0,00). Auch bei den zurückhaltenden Gewerkschaften ist Buchner (2,10) Spitzenreiter, diese These taucht wiederum gar nicht bei Cornelsen (0,00) auf. Die Häufigkeit der Codierung Korea-Boom variiert ebenfalls verlagsspezifisch; Cornelsen verwendet das Attribut am häufigsten (2,55); bei Westermann (0,30) und Klett (0,00) wird es kaum bzw. gar nicht erfüllt. Als weitere wichtige Codierung ist das ERP zu nennen, das bei Cornelsen und Klett jeweils 13 Prozent über dem Durchschnitt und bei Westermann 18 Prozent darunter liegt. Von den ökonomischen Theorien erscheint nur die Freie Marktwirtschaft von Bedeutung, da die anderen Codierungen entweder von allen Schulbüchern (»Soziale Marktwirtschaft«) oder von keinem Schulbuch dargestellt werden. Der Wert für die Freie Marktwirtschaft beträgt bei Klett 1,50; bei Westermann 1,31; und bei Cornelsen 1,07. Unter den Büchern des Buchner-Verlages wurde Freie Marktwirtschaft in keinem mit Doppelplus oder Plus codiert (0,00).

7. Auswertung der Ergebnisse

Abbildung 14: Auswertung BRD Gymnasium Codierung

(+)+

?

0

Erhard

20

1

0

Vertriebene

2

0

19

Arbeiter*innen

4

7

10

Migration/Südeuropa

0

9

12

Gewerkschaften

2

9

10

Unternehmer

7

0

14

Aufschwung Welt

1

2

18

Aufschwung Europa

0

0

21

Aufschwung Westeuropa

1

0

20

Aufschwung BRD

20

1

0

Industrie zerstört

5

1

15

Industrie intakt

6

1

14

Währungsreform

14

7

0

Währung/Erhard

0

1

20

Niedrige Löhne

9

0

12

Arbeitskräfte/Osten

2

1

18

Leistungsbereitschaft

11

0

10

Leitsätze-Gesetze

7

4

10

Leitsätze/Erhard

6

2

13

Leitsätze/USA

0

1

20

Korea-Boom

7

2

12

ERP

17

2

2

Lohnforderungen

9

0

12

Gewerkschaften/NS

0

0

21

Wechselkurs

1

2

18

Verbände schwach

0

0

21

Schuldenabkommen

1

4

16

Generalstreik 1948

0

0

21

Mehrheit/Sozialismus

0

2

19

Referendum

1

0

20

Akteure

Raum

Ereignisse

305

306

Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft Ökonomische Theorien Soziale Marktwirtschaft

20

0

1

Freie Marktwirtschaft

5

5

11

Kapitalismus

2

2

17

Korporatismus

0

1

20

Rekonstruktion

0

0

21

Catch-up

0

0

21

»Wirtschaftswunder«

19

0

2

»Soziale Marktwirtschaft«

5

4

12

Vater d. Wirtschaftswunders

8

0

13

»Vater d. Wirtschaftswunders«

8

0

13

(+)+

?

0

Erhard

9

0

6

Vertriebene

7

0

8

Arbeiter*innen

2

4

9

Migration/Südeuropa

3

0

12

Gewerkschaften

1

10

4

Unternehmer

4

2

9

Aufschwung Welt

0

0

15

Aufschwung Europa

0

0

15

Aufschwung Westeuropa

0

0

15

Aufschwung BRD

15

0

0

Industrie zerstört

3

1

11

Industrie intakt

0

0

15

Währungsreform

9

2

4

Währung/Erhard

0

0

15

Niedrige Löhne

2

4

9

Arbeitskräfte/Osten

9

0

6

Leistungsbereitschaft

6

0

9

Leitsätze-Gesetze

0

2

13

Leitsätze/Erhard

0

0

15

Leitsätze/USA

0

0

15

Normative Begriffe

Abbildung 15: Auswertung BRD Haupt-/Realschule Codierung Akteure 

Raum

Ereignisse

7. Auswertung der Ergebnisse Korea-Boom

4

0

11

ERP

15

0

0

Lohnforderungen

6

0

9

Gewerkschaften/NS

0

0

15

Wechselkurs

0

0

15

Verbände schwach

0

0

15

Schuldenabkommen

0

0

15

Generalstreik 1948

0

0

15

Mehrheit/Sozialismus

4

0

11

Referendum

0

0

15

Soziale Marktwirtschaft

15

0

0

Freie Marktwirtschaft

10

1

4

Kapitalismus

0

2

13

Korporatismus

0

0

15

Rekonstruktion

0

0

15

Catch-up

0

0

15

»Wirtschaftswunder«

10

3

2

»Soziale Marktwirtschaft«

4

0

11

Vater d. Wirtschaftswunders

1

0

14

»Vater d. Wirtschaftswunders«

0

1

14

Ökonomische Theorien

Normative Begriffe

Für zwei weitere Tabellen wurden die Datensätze nach Schultypen sortiert ausgewertet (vgl. Abb. 14 und vgl. Abb. 15). Dabei konnten einige Differenzen zwischen den Schulbüchern für Haupt-/Realschule und Gymnasium festgestellt werden. Während Erhard in nahezu allen Schulbüchern für das Gymnasium eine zentrale Rolle einnimmt, gilt dies bei solchen für Haupt-/Realschule nur für ca. 60 Prozent der Ausgaben. Ansonsten fallen die Schulbücher für Haupt-/Realschule vor allem dadurch auf, weniger Codierungen zu erfüllen. Beim Attribut der Codierung niedrige Löhne unterscheiden sich die Verhältnisse zwischen ca. 52 Prozent (Gymnasium) und ca. 13 Prozent (Haupt-/Realschule) deutlich. Die Leistungsbereitschaft und zurückhaltende Gewerkschaften sind mit jeweils 40 Prozent identisch. Hierbei zeigt sich, dass die Schulbücher für Haupt-/Realschule nicht grundsätzlich wirtschaftsliberaler sind als die Bände für das Gymnasium. Eine deutliche Ausnahme stellt jedoch die Kategorie Freie Marktwirtschaft als Motor des Aufschwungs dar: Während lediglich ca. 24 Prozent der Schulbücher für das Gymnasium die Freie Marktwirtschaft betonen, sind dies für Haupt-/Realschule ca. 67 Prozent. Weiterhin fällt der Wert für die intakten Produktionsanlagen auf, der für Haupt-/Realschule gleich Null ist. Insgesamt deutet die Auswertung der Argumente auf das Schema hin,

307

308

Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

dass die Schulbücher für Haupt-/Realschule weniger differenziert, deshalb aber nicht notwendigerweise normativer im Sinne des Master-Narrativ-Paradigmas sind. Die potenziell aussagekräftige Auswertung nach Bundesländern konnte nicht durchgeführt werden, da die Anzahl der analysierten Schulbücher nicht ausreicht. Im Vergleich zu den vier Schulbuchverlagen liegt die Anzahl der Bundesländer mit 16 deutlich zu hoch für 36 Schulbücher. Eine Ausweitung der Forschung auf die Jahre 2007-2013 würde vermutlich ausreichen, um verwertbare Ergebnisse zu erhalten. Bei diesem Quellenkorpus könnte mit dem Vergleich zwischen den Berechnungen nach Verlagen und den Berechnungen nach Bundesländern der Einfluss der Kultusministerien abgeschätzt werden. Statistisch formuliert: Ist die Korrelation von Narrativen der Schulbücher mit den Verlagen oder mit den Bundesländern höher? Dabei muss allerdings die Gestaltungsfreiheit der Autor*innen mitgedacht werden. Weiterhin kann durch die vorliegende Arbeit keine umfassende Aussage zur diachronen Entwicklung der Schulbücher bezüglich der Darstellung der Wirtschaft in Schulbüchern abgegeben werden. Diese Erweiterung der Perspektive wäre sicherlich erkenntnisreich. Im Laufe des Forschungsprojektes wurden einige ältere Schulbücher eingesehen, die darauf hinweisen, dass Schulbücher keiner Modernisierungstheorie folgen, nach der eine fortlaufende Progression stattfinden müsste. Als Beispiel kann für die fachliche Triftigkeit das Schulbuch Geschichte in Perspektiven aus dem Jahr 1977 angeführt werden, in dem der (genannte) Autor des Darstellungstextes Arnold Sywottek sehr viel näher am derzeitigen wirtschaftshistorischen Forschungsstand schreibt als die aktuellen Schulbücher.4

4

Abelshauser (1977), S. 241ff.

7. Auswertung der Ergebnisse

Abbildung 16: Fachliche Triftigkeit DDR 1 Codierung

++

+

?

-

--

0

SED

12

10

5

0

0

9

Vertriebene

0

1

6

0

0

29

Arbeiter*innen

0

5

2

0

0

29

Gewerkschaften

0

0

0

0

0

36

Unternehmer

0

1

5

0

0

30

DDR/SBZ

36

0

0

0

0

0

RGW

1

0

2

0

0

33

Europa

0

0

0

0

0

36

Welt

0

0

0

0

0

36

Bodenreform

0

14

17

0

0

5

Bodenreform erfolgreich

0

2

17

0

1

16

LPG

5

10

14

0

0

7

LPG erfolgreich

0

0

14

0

2

20

Enteignungen/Betriebe

2

14

18

0

0

2

Volksentscheid Sachsen

6

4

1

0

0

25

Industrie zerstört

0

0

3

0

0

33

Industrie intakt

0

0

0

0

0

36

Reparationen/Potsdam

2

0

6

0

0

28

Reparationen

3

12

5

0

0

16

Demontagen

1

13

7

0

0

15

Osten agrarisch

0

3

0

0

0

33

Invest./Schwerindustrie

2

13

6

0

0

15

RGW

0

0

12

0

0

24

Migration/Westen

1

7

7

0

0

21

Disproportionalitäten

0

1

1

0

0

34

CoCom

0

0

0

0

0

36

Korea-Krieg

0

0

0

0

0

36

ERP

0

10

10

0

0

16

Akteure

Raum

Ereignisse

309

310

Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft Ökonomische Theorien Planwirtschaft

33

3

0

0

0

0

Mixed Economy

0

0

0

0

0

36

Rel. Wohlstandvergl.

1

6

6

0

0

23

Absol. Wohlstandvergl.

1

8

6

0

0

21

Anfangs erfolgreich

0

6

9

0

0

21

Bis 1970er erfolgreich

0

3

6

0

0

27

Rekonstruktion

0

0

0

0

0

36

Catch-up

0

0

0

0

0

36

Mangelwirtschaft

5

1

5

0

0

24

»Mangelwirtschaft«

0

0

0

0

0

36

Normative Begriffe 

Abbildung 17: Fachliche Triftigkeit DDR 2 Codierung

(+)+

?

0

SED

22

5

9

Vertriebene

1

6

29

Arbeiter*innen

5

2

29

Gewerkschaften

0

0

36

Unternehmer

1

5

30

DDR/SBZ

36

0

0

RGW

1

2

33

Europa

0

0

36

Welt

0

0

36

Bodenreform

14

17

5

Bodenreform erfolgreich

2

17

16

LPG

15

14

7

LPG erfolgreich

0

14

20

Enteignungen/Betriebe

16

18

2

Volksentscheid Sachsen

10

1

25

Industrie zerstört

0

3

33

Industrie intakt

0

0

36

Reparationen/Potsdam

2

6

28

Reparationen

15

5

16

Demontagen

14

7

15

Akteure

Raum

Ereignisse

7. Auswertung der Ergebnisse Osten agrarisch

3

0

33

Invest./Schwerindustrie

15

6

15

RGW

0

12

24

Migration/Westen

8

7

21

Disproportionalitäten

1

1

34

CoCom

0

0

36

Korea-Krieg

0

0

36

ERP

10

10

16

Planwirtschaft

36

0

0

Mixed Economy

0

0

36

Rel. Wohlstandvergl.

7

6

23

Absol. Wohlstandvergl.

9

6

21

Anfangs erfolgreich

6

9

21

Bis 1970er erfolgreich

3

6

27

Rekonstruktion

0

0

36

Catch-up

0

0

36

Mangelwirtschaft

6

5

24

»Mangelwirtschaft«

0

0

36

Ökonomische Theorien

Normative Begriffe

311

312

Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

Abbildung 18: Auswertung DDR (nach Verlagen)

Verlag Codierung

Klett

Buchner

(+)+

?

0

(+)+

Westermann ?

Cornelsen

0

(+)+

?

0

(+)+

?

0

Akteure SED

0,82

0

2

1,02

0

1,5

1,34

0,65

0,36

0,73

3,2

0,44

Vertriebene

4,5

0

1,09

0

2,25

0,78

0

1,64

0,9

0

0

1,24

Arbeiter*innen

0,9

0

1,09

0

2,25

1,09

2,62

0

0,79

0

2

1,1

Gewerkschaften Unternehmer





1





1





1





1

4,5

0,9

0,9

0

1,8

0,9

0

0,65

1,09

0

0,8

1,07

Raum DDR/SBZ

1





1





1





1





RGW

0

2,25

0,95

0

0

1,09

3,27

0

0,99

0

2

0,97

Europa





1





1





1





1

Welt





1





1





1





1

Ereignisse Bodenreform

0

1,32

2,7

1,29

0,79

0,9

1,87

0,39

0,65

0,57

1,65

0

Bodenreform erfolgr.

0

1,29

0,82

0

0,77

1,37

3,18

0,37

1,39

0

1,8

0,27

1,5

0,32

1,29

1,8

0

1,29

0,87

1,4

0,47

0

2

1,14

LPG LPG erfolgreich



0,91

1,06



0

1,7



0,88

1,08



1,89

0,38

1,97

0,25

0

1,69

0,5

0

0,61

1,09

3,27

0

2

0

Volksentscheid

0

0

1,44

2,25

4,5

0,36

0,33

0

1,31

1,6

0

0,8

Industrie zerstört



0

1,09



3

0,82



1,09

0,99



0

1,09

Industrie intakt





1





1





1





1

Repar./Potsdam

0

0,75

1,13

2,25

0,75

0,96

1,64

1,09

0,94

0

1,33

1

Reparationen

0,3

0,9

1,69

1,2

1,8

0,56

1,31

1,31

0,61

1,07

0

1,25

Demontagen

0,64

0

1,8

1,29

2,57

0

0,94

1,4

0,87

1,14

0

1,33

Osten agrarisch

4,5



0,68

0



1,09

0



1,09

0



1,09

Inv. Schwerindustrie

0,6

1,5

1,2

1,5

0

0,9

1,31

1,09

0,65

0,53

1,33

1,33



0,38

1,31



1,13

0,94



1,91

0,55



0,33

1,33

0,56

0

1,5

0

1,93

1,07

2,05

1,87

0,31

1

0

1,33

Enteignungen

RGW Migration/Westen

7. Auswertung der Ergebnisse

 

 

Disproportionalitäten CoCom Korea-Krieg

4,5

0

0,93

0

0

1,06

0

0

1,06

0

4

0,94





1





1





1





1





1





1





1





1

1,35

0,45

1,13

0

0,9

1,69

1,64

0,65

0,82

0,8

2

0,5

Planwirtschaft

1





1





1





1





Mixed Economy





1





1





1





1

1,29

0,75

0,98

1,93

1,5

0,59

0

0,55

1,42

1,14

1,33

0,87

Absol. Vergleich

1

0,75

1,07

1,5

1,5

0,64

0,36

0,55

1,4

1,33

1,33

0,76

Anfangs erfolgreich

0

3

0,43

0,75

0,5

1,29

2,18

0,36

0,94

0,67

0,44

1,33

Bis 1970er erfolgr.

0

2,25

0,83

0

0,75

1,17

2,18

1,09

0,85

1,33

0

1,19

Rekonstruktion





1





1





1





1

Catch-up





1





1





1





1

0

0

1,46

0

0,88

1,28

1,59

0,64

0,93

2,19

2,63

0,36

ERP Theorien

Rel. Vergleich

Norm. Begriffe Mangelwirtschaft

313

314

Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

7.2 Fachliche Triftigkeit DDR Für die DDR wurden die gleichen statistischen Auswertungen erstellt. Als HauptNarrativ kann den Doppelplus-Codierungen Folgendes entnommen werden: So sei die DDR-Wirtschaft vor allem aufgrund der Planwirtschaft (31), welche die SED (12) durchgesetzt habe, gescheitert. Auch hier bestimmt eine nationale Betrachtung (36) das Narrativ. Weiterhin hätten die Versorgungsengpässe durch die LPG (5) und die Reparationen (3) zum Scheitern beigetragen. Die Codierungen VEBs, Osten agrarisch geprägt, Nichtteilnahme ERP und Investitionen in die Schwerindustrie sind jeweils zwei Mal erfüllt. Außerdem fallen drei Codierungen, die in den Schulbüchern nahezu unberücksichtigt bleiben, auf: Die Arbeitskräfteabwanderung (1), die Disproportionalitäten der Teilung (0) und der Handelsboykott durch das ERP/CoCom (0) sind die wichtigsten Aspekte der wirtschaftlichen Probleme in der DDR, aber nicht Teil der Schulbuchdarstellungen. Zum ersten Punkt, der Arbeitskräfteabwanderung, sind Ergänzungen notwendig: Viele Schulbücher schreiben von der Migration in den Westen als Folge der Planwirtschaft; die Codierung bezieht sich jedoch auf die These, dass die Migration die Folge der größeren Kriegszerstörungen sowie von Demontagen/Reparationen gewesen sei. Die permanente Abwanderung, welche die DDR-Wirtschaft schwer belastete, wäre demnach durch einen exogenen Faktor hervorgerufen worden. Werden nun die Codierungen Doppelplus (++) und Plus (+) summiert, so ergibt sich folgendes Bild (vgl. Abb. 17): Bei den Akteuren tauchen neben der SED (22) nun die Arbeiter (5) auf, vor allem, wenn das Schulbuch den Aufstand vom Juni 1953 in den wirtschaftshistorischen Teil integriert. Eine deutliche Veränderung zeigt sich bei der Wirtschaft der Besatzungszone, da LPG (15) und Bodenreform (14) nun eine nahezu gleiche Gewichtung und die Enteignung der Betriebe (16) sogar eine höhere Wertigkeit aufweist. Auch die These der schlechten Startbedingungen bekommt durch die Demontagen (14) und Reparationen (15) in dieser Zählweise einen größeren Raum. Dies trifft ebenfalls auf die Arbeitskräfteabwanderung (8) und den Nachteil der Nichtteilnahme am ERP (10) zu. Keine Auswirkungen hat die Summierung der Positivcodierungen auf das Fehlen der Argumente der Disproportionalitäten der Teilung (1) und der umfangreichen Handelsboykotte gegen die DDR (0). Insgesamt fünfzehn Schulbücher reproduzieren das fragliche Argument der falschen Investitionen in die Schwerindustrie. Interessant ist auch, dass kein Schulbuch die Entwicklung der LPG als ökonomisch erfolgreich bewertet. In den Schulbüchern befindet sich vor allem die Perspektive der ehemaligen Großgrundbesitzer, welche die traditionelle Produktionsweise glorifizieren. Ein spannendes Ergebnis zeigt sich bei den ökonomischen Theorien: So wird die Planwirtschaft (36) nun in allen Schulbüchern als Ursache für das Scheitern genannt. Partielle Abweichungen von dieser Erzählung bieten nur wenige Schulbücher. So stellen lediglich sechs Ausgaben einen anfänglichen Erfolg der Wirtschaft dar und nur drei Schulbücher bescheinigen der DDR-Wirtschaft einen relativ erfolgreichen Verlauf bis in die 1970er Jahre. Interessant ist der Vergleich mit der BRD: Während die Schulbücher für die BRD oftmals Statistiken zur ökonomischen Entwicklung – wie das BIP – bieten, so zeigt keine einzige Grafik den Verlauf der Konjunktur für die DDR. Vermutlich folgen die Schulbücher der Wirtschaftsgeschichte zur DDR, die seit den Neuberechnungen der Daten den Vergleich, der anscheinend nicht mehr die gewünschten Ergebnisse

7. Auswertung der Ergebnisse

liefert, für unbrauchbar erklärt. Im veralteten Standardwerk zur Wirtschaftsgeschichte von Buchheim wurden noch bedenkenlos die groben Schätzungen von Wahl/Merkel verwendet (siehe Seite 98). Es wäre interessant zu überprüfen, ob ältere Schulbücher die damaligen Graphen noch verwendeten, als diese dem Master-Narrativ entsprachen. Sehr unpräzise sind die Codierungen relativer Wohlstandvergleich (7) und absoluter Wohlstandvergleich (9), deren Betrachtung in den Schulbüchern über den definierten Zeitraum hinaus erfolgt. Zumeist wird der Besitz von langlebigen Konsumgütern von den 1960er Jahren bis zu den 1980er Jahren verglichen. Dabei zeigt sich eine methodische Schwäche der Auswertung der Nachkriegswirtschaft. Für die DDR hätte sich die Analyse der Wirtschaft über den gesamten Zeitraum der DDR erstrecken sollen, da die Planwirtschaft zumeist im Kontext von 1989 ausführlich diskutiert wird. Zusätzlich müsste der Unterschied zwischen absolutem und relativem Vergleich sprachlich präziser definiert werden. Auch für den normativen Begriff Mangelwirtschaft stellt die Eingrenzung des Themas voraussichtlich eine Quelle für Ungenauigkeit dar. In den Schulbüchern taucht der Begriff – entgegen der Hypothese – nur rudimentär, nämlich fünf Mal (++) bzw. sechs Mal (++ und +), auf. Vermutlich würde sich dieses Ergebnis deutlich (mit Annäherung an 100 Prozent) erhöhen, wenn die Analyse den Zeitraum bis zum Jahr 1989 beinhalten würde. Außerdem wird anhand der Mangelwirtschaft eine weitere Baustelle der Methodik sichtbar. In einigen Schulbüchern5 taucht das Wort nicht auf, dafür aber in den zugehörigen Begleitbänden. Es bleibt die Frage, ob die Ausführungen in den Begleitbänden Teil der Analyse sind. Ich habe mich in der vorliegenden Arbeit dafür entschieden, die Codierung mit Fragezeichen einzuordnen und in den Rohdaten mit einem »L« zu vermerken. In der Auswertung nach Verlagen erscheint bei den Akteuren nur die Betrachtung der SED als relevant, da alle anderen Kategorien in zu geringer Anzahl erfüllt wurden. Die SED ist vor allem bei Westermann (1,34) ein wichtiger Akteur. Beim Klett-Verlag hingegen wird die SED in Bezug auf die Wirtschaft kaum erwähnt (2,00). Interessanter sind die Ereignisse: Die Bodenreform als Krisenfaktor nennen fast ausschließlich die Verlage Westermann (1,87) und Buchner (1,29), wobei wiederum Westermann (3,18) der einzige Verlag ist, in dessen Publikationen die Bodenreform teilweise als relativ erfolgreich angesehen wird. Hierbei zeigt sich eine Schwäche der Methodik, da die sehr hohe Zahl 3,18 (= 318 Prozent häufiger als im Durchschnitt) für lediglich zwei Schulbücher steht, welche die Bodenreform als einzige Schulbücher bedingt erfolgreich (+) darstellen. Cornelsen thematisiert die Bodenreform, ohne eine ökonomische Bewertung vorzunehmen (1,65). Bei der schlechten Versorgung durch die LPG sind die Verlage Buchner (1,80) und Klett (1,50) führend. Cornelsen ist dagegen am häufigsten mit Fragezeichen codiert (2,00). Klett (1,97) und Buchner (1,69) führen die Probleme der Wirtschaft zusätzlich auf die

5

Im Lösungsband der Ausgabe Die Reise in die Vergangenheit für NRW befindet sich neben der »Mangelwirtschaft« auch die These der Reparationen und der Unternehmer als Akteure, die allesamt nicht im »Schülerband« enthalten sind: Ebeling (2014), S. 53. Die »Mangelwirtschaft« steht ebenfalls in allen vier Begleitbänden von Entdecken und verstehen: Zimmermann (2014), S. 159; Möhlenkamp (2015), S. 101; Zimmermann (2016), S. 37; Zimmermann (2015), S. 88.

315

316

Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

Enteignungen und die Umwandlung der Betriebe in VEB zurück. Cornelsen fällt erneut durch eine nicht eindeutige Bewertung auf (2,00). Der Volksentscheid Sachsen findet sich fast ausschließlich in den Büchern von Cornelsen (1,60) und Buchner (2,25). Die nächsten relevanten Codierungen sind die Reparationen, die bei Buchner ca. 20 Prozent (1,20) und bei Westermann ca. 30 Prozent (1,31) über dem Durchschnitt liegen. Klett erwähnt die Reparationen nur rudimentär (0,30). Die Demontagen hebt Buchner (1,29) hervor, Klett weist dagegen den höchsten Wert der Nichterwähnung auf (1,80). Ebenfalls formuliert Buchner am häufigsten die These der falschen Investitionen in die Schwerindustrie (1,50), gefolgt von Westermann (1,31). Bei Cornelsen ist diese (fachlich fragwürdige) These nur in zwei Büchern präsent (0,53). Als letzte wichtige Codierung der Ereignisse betrachte ich die Nichtteilnahme ERP, die in Klett (1,35) und Westermann (1,64) überproportional hervorgehoben wird. Vor allem der Verlag Buchner fällt durch eine besondere Betonung der Strukturveränderungen in der SBZ auf. Demgegenüber bewerten die Schulbücher von Cornelsen die Struktureingriffe am wenigsten. In der Auswertung nach Schultypen ist erkennbar, dass die Schulbücher für das Gymnasium stärker differenzieren. Die Schulbücher für Real-/Hauptschule nennen als Argument für die Entwicklung der DDR-Wirtschaft fast ausschließlich die Planwirtschaft (vgl. Abb. 19 und vgl. Abb. 20). Allerdings kann dieses Phänomen leicht auf den geringeren Umfang der Schulbücher zurückgeführt werden, so dass eine stärkere normative Fokussierung mit dieser Auswertung nicht belegt werden kann. Hierfür müssten weitere Kriterien oder Auswertungsformen entwickelt werden, für welche die bestehenden Rohdaten genutzt werden könnten. Insgesamt erzählen die Schulbücher das Master-Narrativ des systemimmanenten Scheiterns der Planwirtschaft. Hierbei muss den Schulbuchautor*innen allerdings zugutegehalten werden, dass die Wirtschaftsgeschichte der DDR ebenfalls eine systemische epistemologische Schranke aufweist. Folglich sind die Darstellungstexte und die Auswahl der Quellen in Bezug auf die DDR im Schulbuch deutlich näher an der fachwissenschaftlichen Diskussion als die BRD im Schulbuch. Im Abschnitt 7.4 zur Schulbuchproduktion wird vertiefender auf diese Thematik eingegangen.

7. Auswertung der Ergebnisse

Abbildung 19: Auswertung DDR Gymnasium Codierung

(+)+

?

0

SED

18

1

2

Vertriebene

1

4

16

Arbeiter*innen

3

2

16

Gewerkschaften

0

0

21

Unternehmer

1

4

16

DDR/SBZ

21

0

0

RGW

1

2

18

Europa

0

0

21

Welt

0

0

21

Bodenreform

11

6

4

Bodenreform erfolgreich

2

6

12

LPG

10

7

4

LPG erfolgreich

0

9

10

Enteignungen/Betriebe

9

11

1

Volksentscheid Sacwhsen

6

1

14

Industrie zerstört

0

2

19

Industrie intakt

0

0

21

Reparationen/Potsdam

2

5

14

Reparationen

13

3

5

Demontagen

12

3

6

Osten agrarisch

3

0

18

Invest./Schwerindustrie

14

4

3

RGW

0

9

12

Migration/Westen

7

5

9

Disproportionalitäten

1

1

19

CoCom

0

0

21

Korea-Krieg

0

0

21

ERP

6

3

12

Akteure

Raum

Ereignisse

317

318

Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft Ökonomische Theorien Planwirtschaft

21

0

0

Mixed Economy

0

0

21

Rel. Wohlstandvergl.

5

5

11

Absol. Wohlstandvergl.

6

5

10

Anfangs erfolgreich

6

4

11

Bis 1970er erfolgreich

3

5

13

Rekonstruktion

0

0

21

Catch-up

0

0

21

Mangelwirtschaft

4

1

16

»Mangelwirtschaft«

0

0

21

(+)+

?

0

SED

4

4

7

Vertriebene

0

2

13

Arbeiter*innen

2

0

13

Gewerkschaften

0

0

15

Unternehmer

0

1

14

DDR/SBZ

15

0

0

RGW

0

0

15

Europa

0

0

15

Welt

0

0

15

Bodenreform

3

11

1

Bodenreform erfolgreich

0

11

4

LPG

5

7

3

LPG erfolgreich

0

5

10

Enteignungen/Betriebe

7

7

1

Volksentscheid Sachsen

4

0

11

Industrie zerstört

0

1

14

Industrie intakt

0

0

15

Reparationen/Potsdam

0

1

14

Reparationen

2

2

11

Demontagen

2

4

9

Normative Begriffe

Abbildung 20: Auswertung DDR Haupt-/Realschule Codierung Akteure

Raum

Ereignisse

7. Auswertung der Ergebnisse Osten agrarisch

0

0

15

Invest./Schwerindustrie

1

2

12

RGW

0

3

12

Migration/Westen

1

2

12

Disproportionalitäten

0

0

15

CoCom

0

0

15

Korea-Krieg

0

0

15

ERP

4

7

4

Planwirtschaft

15

0

0

Mixed Economy

0

0

15

Rel. Wohlstandvergl.

2

1

12

Absol. Wohlstandvergl.

3

1

11

Anfangs erfolgreich

0

5

10

Bis 1970er erfolgreich

0

1

14

Rekonstruktion

0

0

15

Catch-up

0

0

15

Mangelwirtschaft

2

4

8

»Mangelwirtschaft«

0

0

15

Ökonomische Theorien

Normative Begriffe

7.3 Narrative und normative Triftigkeit 7.3.1 Die narrative Triftigkeit als Konstruktions-Analyse Aufgrund der unterschiedlichen Definitionen der narrativen Triftigkeit habe ich die Auswertung in zwei Abschnitte eingeteilt. Im ersten Teil basiert die Analyse auf der Frage, ob die Schulbücher ihren Text als Konstruktion kennzeichnen. Im zweiten Teil folgt die Auswertung, welche Erzählungen zu den Veränderungen in der Vergangenheit in den Schulbüchern zu finden sind. Das Analyseraster besteht aus den Kategorien Konstruktivität, Retroperspektivität, Temporalität, Selektivität und Partialität (vgl. Abb. 21). Im Bereich Konstruktivität zeigt sich deutlich, dass ein Großteil der Schulbücher die Namen bei den Quellen vollständig (21) und fast vollständig (8) angibt. An einigen Stellen wurde die Nennung der Institutionen als hinreichend bewertet – wie bspw. bei Zeitungsartikeln, die mit Pseudonym arbeiten oder von mehreren Autoren erstellt wurden. Auch bei offiziellen Berichten ist die Autorenschaft nicht immer ausgewiesen. Negativ fiel in dieser Frage das Schulbuch Durchblick auf, in welchem die Namen anonymisiert wurden. Kein einziges Schulbuch

319

320

Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

informiert angemessen über die Autorenschaft der Darstellungstexte in den Kapiteln, im Inhaltsverzeichnis oder in der Kapitelüberschrift. In einzelnen Ausgaben kann die Autorenschaft von Schulbuchseiten im Anhang aufgeschlüsselt werden. Das mbook Geschichte beinhaltet ein Interview mit dem Autor zu Beginn des Kapitels und wurde folglich als einziges Buch Doppelplus (++) codiert. Didaktisch sinnvoll wäre es, jeden Text mit einer Autorenschaft zu kennzeichnen.

7. Auswertung der Ergebnisse

Abbildung 21: Narrative Triftigkeit 1 Codierung

++

+

?

-

--

0

Konstruktivität

 

 

 

 

 

 

Autor*innen: Quellen

21

8

2

1

0

4

Autor*innen: DT

1

0

0

0

0

35

Passivkonstruktionen

4

8

4

0

0

20

Konjunktiv

1

0

2

0

0

33

»Meiner Meinung nach...«

0

0

0

0

0

36

Theorie Historikerin YX

2

1

1

0

0

32

Retro- u. Multiperspektivität

 

 

 

 

 

 

Kontroverse im DT

3

1

3

0

0

29

Kontroverse DT und QT

0

7

2

0

0

27

Kontroverse QT und QT

12

2

3

0

0

19

Versch. soz. Perspektiven

12

10

3

0

0

11

Temporalität

 

 

 

 

 

 

Laut Forschungsstand..

1

2

0

0

0

33

Ist derzeit umstritten...

1

3

2

0

0

30

Forschungen gewandelt

2

1

0

0

0

33

Ist unbekannt...

1

0

0

0

0

35

Selektivität

 

 

 

 

 

 

Begründung/Quelle

1

7

1

0

0

27

Partialität

 

 

 

 

 

 

Zum Beispiel

0

0

1

0

0

35

U.a.

0

0

1

0

0

35

Gilt als

1

9

2

0

0

24

Vielfach

0

0

1

0

0

35

Derartig

0

0

1

0

0

35

Sonstiges

 

 

 

 

 

 

Lebensweltlicher Bezug

11

3

4

0

0

18





QT (Wörter)

672

402

DT (Wörter)

1145

1045

QT/DT

0,6

0,54

Aufgaben

11

12

Bildquellen

9

8

321

322

Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

Abbildung 22: Narrative Triftigkeit 2 Codierung

(+)+

?

0

Konstruktivität

 

 

 

Autor*innen: Quellen

29

2

4

Autor*innen: DT

1

0

35

Passivkonstruktionen

12

4

20

Konjunktiv

1

2

33

»Meiner Meinung nach...«

0

0

36

Theorie Historikerin YX

3

1

32

Retro- u. Multiperspektivität

 

 

 

Kontroverse im DT

4

3

29

Kontroverse DT und QT

7

2

27

Kontroverse QT und QT

14

3

19

Versch. soz. Perspektiven

22

3

11

Temporalität

 

 

 

Laut Forschungsstand..

3

0

33

Ist derzeit umstritten...

4

2

30

Forschungen gewandelt

3

0

33

Ist unbekannt...

1

0

35

Selektivität

 

 

 

Begründung/Quelle

8

1

27

Partialität

 

 

 

Zum Beispiel

0

1

35

U.a.

0

1

35

Gilt als

10

2

24

Vielfach

0

1

35

Derartig

0

1

35

14

4

18

Sonstiges Lebensweltlicher Bezug

In vier Schulbüchern wird an mehreren Stellen eine Passivkonstruktion verwendet (++) und in weiteren acht Schulbüchern konnte eine Textstelle (+) mit einer Passivkonstruktion gefunden werden. Der Konjunktiv – in Bezug auf eine wissenschaftliche These – findet sich nur im Schulbuch Forum Geschichte 11. Insgesamt ist auffällig, dass sich die Schulbuchautor*innen – ohne Konjunktiv – fast ausschließlich von Aussagen von Politikern aus der DDR und der UdSSR distanzieren. An keiner Stelle steht bspw.: Erhard behauptete, er habe das Konzept der »Sozialen Marktwirtschaft« entwickelt oder Die Bundesre-

7. Auswertung der Ergebnisse

gierung stellte es immer so dar, als habe sich die deutsche Industrie nicht an Kriegsverbrechen beteiligt.6 Da kein einziger Darstellungstext mit einer Autorenschaft gekennzeichnet ist, taucht die Formulierung meiner Meinung nach ebenfalls in keinem Text auf. Bedenklich stimmt die Tatsache, dass nur drei Schulbücher (++ und + summiert, vgl. Abb. 22) bestimmte Thesen im DT mit dem Namen eines Historikers in Verbindung bringen; Wirtschaftshistorikerinnen existieren in den Schulbüchern gar nicht. Im Sektor Retroperspektivität und Multiperspektivität konnten vier Schulbücher gefunden werden, die eine Kontroverse im DT enthalten. Die Zuordnung der Codierung Kontroverse zwischen DT und QT gestaltet sich komplizierter als gedacht, da sie sehr viel Interpretationsspielraum bietet. Wird die Codierung sehr eng gefasst, etwa indem gefordert wird, dass im DT eine These und im QT eine Gegenthese vorgestellt wird, dann ist die Codierung fast nirgendwo erfüllt. Würde hingegen ein inhaltliches Gegenargument, welches sich drei Seiten weiter in einer Quelle befindet, ausreichen, dann sind es – wie in meiner Auswertung – sieben Schulbücher (+). Viele Resultate ließen sich für die Codierung Kontroverse zwischen QT und QT (14, davon 12-mal ++) erhalten. Allerdings zeigt die genauere Betrachtung, dass sich fast alle Kontroversen auf das ERP beziehen. Eine signifikante Anzahl besteht aus den beiden Plakaten (»Freie Bahn dem Marshallplan« und »Hinaus!«) zum ERP. Über die Entwicklung der Wirtschaft der BRD findet sich dagegen keine einzige kontroverse Darstellung, in der bspw. zwei unterschiedliche Wirtschaftshistoriker*innen einen fiktiven Disput führen. Außerdem müsste eine Kontroverse fachlich triftig sein und eine Bandbreite von Antwortmöglichkeiten bieten. Dies ist leider sehr selten der Fall. Folglich beschönigt die gewählte Methodik die Schulbücher. Ähnlich ist die Codierung verschiedene soziale Perspektiven, also Multiperspektivität, einzuordnen. In meiner Auswertung sind 22 Schulbücher (davon 12-mal Doppelplus) multiperspektivisch codiert. Vermutlich müsste die Codierung viel enger gefasst werden. Dabei resultieren auch diese Zahlen zu einem signifikanten Anteil aus den Seiten zum ERP. Multiperspektivität besagt hier, dass zwei Meinungen unterschiedlicher Spitzenpolitiker von Ländern gegenübergestellt werden, die in einem Konflikt zueinanderstehen. Dagegen fehlt die Multiperspektivität im Hinblick auf das »Wirtschaftswunder« fast gänzlich. Entweder werden (wie bei der Rentenreform in Forum Geschichte 11) nur die Meinungen verschiedener Politiker verwendet, oder die zeitgenössischen Stimmen werden so ausgewählt bzw. gekürzt (wie bei der Währungsreform in Das waren Zeiten 3), dass sie in die Erfolgsgeschichte der BRD passen. Auch für das Verstehen der (relativen) Stabilität der DDR ist Multiperspektivität von Bedeutung. Denn die DDR bot – wie Fulbrook überzeugend formulierte – vielen Menschen aus der Arbeiterklasse Aufstiegsmöglichkeiten, die zur Zustimmung zum neuen Staat beitrugen.7 Auch hierbei ist entscheidend, ob diese Perspektiven im Schulbuch lediglich erwähnt werden, oder ob sie eine ernstzunehmende Meinung für die Sinnbildung über Zeiterfahrung bieten.

6

7

Inwieweit der Konjunktiv den gewöhnlichen Darstellungstext prägen sollte, ist schwierig zu beurteilen. Wissenschaftspropädeutisch wäre es sicherlich wünschenswert, insofern die Verständlichkeit der Texte dadurch nicht beeinträchtigt wird. Fulbrook (2011), S. 19.

323

324

Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

Die Betrachtung der Temporalität liefert ein deutlicheres Ergebnis. Die Codierungen laut derzeitigem Forschungsstand (3), ist derzeit umstritten (4), Forschungsergebnisse gewandelt (3) und ist unbekannt (1), sind nur rudimentär erfüllt, wobei ich sogar die quantitativ höhere Auswertung (++ und + summiert) gewählt habe. Dabei ist die Temporalität eigentlich leicht im Schulbuch umzusetzen. Insgesamt reicht die Anzahl (sowie die erfüllten Codierungen) nicht aus, um eine Auswertung der Konstruktionsanalyse nach Verlagen vorzunehmen. In einer Ausweitung der Ergebnisse auf die Schulbücher bis 2007, wie bereits an anderer Stelle erwähnt, könnte dies erfolgen. Die Ergebnisse der Sektoren Selektivität und Partialität lassen sich besonders gut durch eine Auswertung nach Doppelplus (++) verdeutlichen, da sie dann in keinem Schulbuch erfüllt sind. Bei der Zählung nach beiden positiven Codierungen (++ und +) fallen zwei interessante Werte auf: Immerhin acht Schulbücher begründen die Auswahl der Quelle und zehn Schulbücher benutzen das distanzierende starke Verb gilt, und zwar fast immer für die Aussage: »Erhard gilt als Vater des Wirtschaftswunders.« Häufig betont jedoch der Darstellungstext die vermeintlich zentrale Rolle von Erhard für den Boom. Folglich verliert das Verb seine relativierende Wirkung. Für die Codierung Lebensweltlicher Bezug wird ebenfalls eine niedrige Codierungsschwelle gesetzt. Eine Doppelplus-Codierung erfolgt bspw. für Entdecken und verstehen, da hier ein neuer »Marshallplan« für Afrika diskutiert werden soll. Insgesamt elf Schulbücher entsprechen diesem Kriterium und weitere drei Schulbücher bieten eine Verknüpfung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft an und wurden folglich Plus (+) eingeordnet. Wie bereits in der Methodik formuliert, ist ein Lebenspraxisbezug nicht primär die Aufgabe des Lehrbuches, wenngleich entsprechende Aufgabenstellungen erfreulich sind. Eine sinnvolle Verknüpfung von tagespolitischen Aspekten mit Geschichte ist die Königsdisziplin der Didaktik und im Schulalltag – bei der hohen Arbeitsbelastung – schwierig umzusetzen. Die Schulbücher können wenig Hilfe bieten, da aktuelle Diskussionen nicht einige Jahre im Voraus erkannt werden können. Gleichzeitig bieten sich einige Themengebiete der Wirtschaftsgeschichte sehr gut für lebenspraktische Fragestellungen an und müssen sich nicht an der Tagespolitik orientieren. Debatten um Kreditprogramme, Schulden-Konferenzen, Währungsräume und Wechselkurse, Löhne und Gehälter, Außenhandelsbilanzen sowie Zentralbankpolitik bleiben immer aktuelle Themen und lebenspraktische Aufgaben für diese Bereiche sind notwendig. Insgesamt konzipieren die Schulbücher umfangreiches Quellenmaterial, im Durchschnitt ca. 672 Wörter (ganzzahlig gerundet), für die Wirtschaftsgeschichte der Nachkriegszeit, wobei die Spannweite von 0 bis 2343 Wörtern ziemlich groß ist (vgl. Abb. 21). Folglich ist es sinnvoll, zusätzlich den Median zu ermitteln, da er den Einfluss einzelner Ausreißer verkleinert. Der Median teilt das gesamte Ergebnis in zwei Hälften, zeigt die Werte im Übergang der Hälften zueinander an und beträgt im vorliegenden Fall 402 Wörter. Folglich haben mehr als die Hälfte der Schulbücher einen Quellenumfang unter 400 Wörtern. Des Weiteren korrigiert der Median den Quotienten von QT/DT, der von ca. 64 Prozent auf ca. 54 Prozent sinkt. Trotzdem ist dieses Ergebnis beeindruckend und positiv hervorzuheben. Der Mittelwert von elf Aufgabenstellungen (Median zwölf) und neun Bildquellen (Median acht) ist ebenfalls erfreulich. Allerdings verwenden die Schulbücher die Zeitzeugenberichte häufig nicht als Quellen, sondern zur Illustration des Master-Narratives. Oftmals können die klassischen W-Fragen, bei

7. Auswertung der Ergebnisse

den Quellen zur DDR in höherem Maße, nicht beantwortet werden. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Schulbücher bunt, vielseitig und ansprechend konzipiert sind, jedoch wenig Raum für plurale Meinungen sowie normative Deutungen jenseits des nationalen Master-Narratives bieten. Hinsichtlich der Methodik muss auf die Grenzen des Zählverfahrens hingewiesen werden. In manchen Schulbüchern ist das Zählen der Wörter eher eine Schätzung, da diese Ausgaben – wie bspw. Exploring History – über keine wirtschaftshistorischen Abschnitte verfügen. Folglich besteht großer Interpretationsspielraum, welcher Abschnitt in diese Rubrik gehört und welcher nicht. Die Trennung zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wird an dieser Stelle zu einem methodischen Problem. Schwierigkeiten bereitet auch, wenn – wie in Denk mal – die Wirtschaft der DDR in den 1960er/70er/80er-Jahren auf einer Doppelseite zusammengefasst und deshalb nicht eindeutig ist, welche Argumente in die Auswertung und welche Darstellungstexte sowie Quellen in die Zählung aufgenommen werden. Die Ausführungen zeigen, dass bezüglich der narrativen Triftigkeit als Konstruktions-Analyse die Methodik noch nicht ausgereift ist und wissenschaftlicher Ergänzungen bedarf. Vor allem stellen sich die überprüften Codierungen als komplizierter dar als bei der fachlichen Triftigkeit, da sie sich alle im schwierigen Spannungsfeld von didaktischer Reduktion, Platzmangel, Notwendigkeit der Auswahl von Themen und Verständlichkeit bewegen. Trotzdem bieten die Ergebnisse einige Hinweise auf die generelle Konzeption der Schulbücher zum vorliegenden Thema.

7.3.2 Die narrative Triftigkeit als historische Erzählung Eine zweite Form der narrativen Triftigkeit bezieht sich auf die Frage, wie eine Veränderung zwischen zwei Zeitpunkten erklärt wird. Ist die narrative Triftigkeit als Konstruktionsanalyse mit der normativen Triftigkeit verwandt, so gibt es nun Überschneidungen mit der fachlichen Triftigkeit. Handro kategorisiert innerhalb einer Schulbuchanalyse zu »1989« die Schulbücher in Erzähltypen. Die Auswertung der Schulbücher mit dem verwendeten fachwissenschaftlichen Fragebogen erleichtert die Definition der Erzähltypen. Bei der Betrachtung der Hauptargumente (++) findet sich allerdings nur ein Erzähltyp, nämlich die nationale Erfolgsgeschichte durch die »Soziale Marktwirtschaft« mit all ihren Nebenkomponenten. Durch den Einbezug der zweitrangigen Argumente (++ und +) kann zwischen den Schulbuchverlagen differenziert werden. In Bezug auf die Akteure hebt Klett, im Verhältnis zum Durchschnitt aller Verlage, besonders die Unternehmer (1,64) und Erhard (1,24) hervor. Der gleiche Verlag betont folgende Ereignisse: ERP (1,13); Leistungsbereitschaft (1,59); die Arbeitskräfte aus dem Osten (1,64); und die Freie Marktwirtschaft (1,50). Demnach wird bei Klett überproportional die klassische »Wirtschaftswunder«-Geschichte erzählt. Allerdings passt die deutliche Unterrepräsentation der Währungsreform (0,78) nicht in dieses Bild. Der Verlag Buchner kann am stärksten als Verfechter einer liberalen Interpretation verstanden werden. Zwar sind die Werte bezogen auf die Währungsreform auf den ersten Blick leicht unterdurchschnittlich, dafür argumentiert der Verlag häufig mit den Leitsätzegesetzen (2,57). Insgesamt betrachtet hebt Buchner die Politik von 1948 hervor.

325

326

Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

Außerdem sind die Thesen niedrige Löhne (1,64), Leistungsbereitschaft (1,85) und zurückhaltende Gewerkschaften (2,10) in den Büchern vom Buchner-Verlag stark präsent. Modernisiert wurde diese Erzählung durch die intakten Produktionskapazitäten (2,25). Ausgerechnet Buchner erwähnt nicht die Freie Marktwirtschaft. Dies lässt sich mit dem Bezug auf die »Soziale Marktwirtschaft« erklären. Neben Buchner positioniert sich Westermann überdurchschnittlich wirtschaftsliberal. Als Akteure sind Erhard (1,24) und die Unternehmer (1,19) häufiger als im Gesamtergebnis genannt. Das Argument der zerstörten Industrie befindet sich nur bei Westermann (2,86); die Währungsreform (1,14) und die Freie Marktwirtschaft (1,31) werden ebenfalls überproportional hervorgehoben. Außerdem sind der revisionistische Korea-Boom (0,30) und das ERP (0.82), welches sowohl in eine keynesianische als auch in eine liberale Deutung passt, unterdurchschnittlich repräsentiert. Meiner Interpretation widerspricht allerdings die Nichtberücksichtigung der Leistungsmotivation (0,00) in den Schulbüchern von Westermann. Die stärkste Abweichung vom Master-Narrativ erfolgt bei Cornelsen. Erstens spielt Erhard (0,55) eine deutlich geringere Rolle. Zweitens prägen die intakten Produktionsanlagen (2,00) sowie der Korea-Boom (2,55) die Narrationen bei Cornelsen. Andererseits sind die niedrigen Löhne (1,45) überproportional präsent. Das ERP (1,13) wird ebenfalls überdurchschnittlich häufig genannt. Die Erzähltypen zur DDR-Wirtschaft sind im Haupt-Narrativ ebenfalls einheitlich. Alle Schulbücher erzählen die Nachkriegswirtschaft als nationale Geschichte des Scheiterns aufgrund der systemischen Schwächen der Planwirtschaft. In der Tiefenstruktur können trotzdem Unterschiede festgestellt werden. Der Verlag Cornelsen stützt die gesamte Argumentation auf die Dysfunktionalität der Planwirtschaft. In der Auswertung fallen lediglich die Strukturveränderungen (Bodenreform, LPG, VEB) auf, die häufig mit Fragezeichen codiert sind. Die These der schlechten Startbedingungen ist ebenfalls nicht erkennbar, denn die Werte für Reparationen (1,07) und Demontagen (1,14) sind nur leicht überproportional. Der Verlag Westermann betont hingegen Bodenreform (1,87), Reparationen (1,31), falsche Investitionen (1,31), Arbeitskräfteabwanderung (2,05) und die Nichtteilnahme am ERP (1,64). Auch muss erwähnt werden, dass die Codierungen erfolgreiche DDR-Wirtschaft in der Anfangszeit und bis in die 1970er Jahre fast ausschließlich bei Westermann zu finden sind (jeweils 2,18).8 Folglich fällt es schwer, in diesen Ergebnissen ein Gesamtnarrativ zu erkennen. Besonders stark werden die Strukturmaßnahmen in der Besatzungszone bei Buchner kritisiert. So sehen die Autor*innen dieses Verlags Bodenreform (1,29), LPG (1,8) und VEB/Enteignungen der Betriebe (1,69) überproportional als wichtige Faktoren des Scheiterns. Dennoch wird die Belastung durch Reparationen (1,2) und Demontagen (1,29) häufiger als in anderen Verlagen erwähnt. Die Schulbücher des Buchner-Verlags folgen somit keiner typisierbaren Narration. In die These des Scheiterns der Politik passt die starke Betonung der falschen Investitionen (1,5). Ein Schulbuch von Buchner erwähnt anfängliche Erfolge der DDR-Wirtschaft.

8

Nominal bedeutet dieser hohe Wert allerdings nur vier von elf Schulbüchern.

7. Auswertung der Ergebnisse

In den Schulbuch-Erzählungen des Klett-Verlags werden hingegen die Bodenreform, die Reparationen und die falschen Investitionen wenig bis gar nicht berücksichtigt. Stattdessen heben die Ausgaben von Klett die schlechte Versorgung durch die LPG (1,5), die Enteignungen der Betriebe (1,97) und die Nichtteilnahme am ERP (1,35) hervor. Hinweise auf wirtschaftliche Teilerfolge finden in den Schulbüchern von Klett keine Erwähnung. Ein weiterer interessanter Aspekt der Schulbücher und ihrer Analyse besteht in den Bildern und den aus ihnen hervorgehenden Erzählungen. Diese wurden in den Codierungen berücksichtigt, sollen jedoch an dieser Stelle nochmal gesondert hervorgehoben werden. Sie haben eventuell einen größeren Einfluss als die Texte. Die Geschichte der BRD wird zumeist mit den Bildern der staunenden Frauen bei der Währungsreform, dem ERP-LKW (der die Flaggen der Westeuropäischen Länder hisst und einen freien Markt symbolisiert), der Feier im Volkswagenwerk 1955, von Werbe-Fotografien mit Konsumprodukten und von Erhard ikonisiert. Bei Erhard drängt sich der Gedanke auf, dass er eher aufgrund seines Körperumfangs und der Zigarre, die beide für Wohlstand stehen (standen), als durch seine Politik zur Personifikation des »Wirtschaftswunders« wurde. Alle Fotografien der Schulbücher stellen die fünfziger Jahre in der BRD als eine Zeit des Wohlstands dar. Auch die Auswahl der Fotografien suggeriert eine ökonomische Zäsur, da mit dem Jahr 1948 die (vermeintliche) Trümmerlandschaft verschwindet. Demnach wären – so die Schulbücher – die zerstörten Städte, die Wohnungsnot, die Armut und die grassierende Kriminalität verschwunden. Die fachliche Triftigkeit ist nicht gegeben. Kein einziges Schulbuch zeigt Bilder über Armut in den 1950er Jahren. Demgegenüber erscheint die DDR auf den Bildern flächendeckend dunkler. In Zeitreise ist gar die Fotografie vom Trabantwerk in Zwickau aus dem Jahr 1977 in schwarzweiß abgedruckt, während die Volkswagen-Feier aus dem Jahr 1955 nachgefärbt wurde. Da das DDR-Narrativ in den Schulbüchern vor allem aus einer politischen Geschichte besteht, sind repräsentative Bilder zur Wirtschaft schwieriger zu bestimmen. Insgesamt wird die DDR-Wirtschaft in den Schulbüchern mit Fotografien der Schwerindustrie, des Trabants und der Warteschlangen vor Geschäften (bzw. zum Warenmangel) bebildert. Eine interessante Ausnahme befindet sich in Geschichte und Geschehen für BadenWürttemberg, da hier ein Wartburg-Sportwagen mit einer wohlhabenden Dame farbig dargestellt wird. Die Fotografie irritiert bei der Betrachtung, da sie nicht zur ikonischen Erzählung in den Schulbüchern zur DDR passt. Insgesamt ist Folgendes zu konstatieren: Auf der Makroebene der Narration erzählen alle Schulbücher die nationale Erfolgsgeschichte der »Sozialen Marktwirtschaft« – hinsichtlich der DDR das entsprechende Pendant des Scheiterns der Planwirtschaft. Demnach könnte der These von Pandel, gemäß der Schulbücher nicht erzählen, widersprochen werden. Allerdings zeigt die Tiefenanalyse, dass die Narrationen insgesamt ziemlich diffus sind. Weder für einzelne Schulbücher noch für Schulbuchverlage können konsistente Argumentationen – also Erzähltypen – gefunden werden. Folglich bestätigt sich ein Ergebnis der Auswertung des sechsten Kapitels, in dem sich andeutet, wie Schulbücher entstehen – nämlich in einem langen genealogischen Prozess, der zerstückelt, partiell, ohne Gesamtkonzept und vermutlich unter hohem Zeitdruck erfolgt. Zusätzlich analysiert die vorliegende Arbeit unterschiedliche Themen und Zeitabschnitte, die in keinem Schulbuch in einer Gesamtkonzeption aktualisiert

327

328

Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

wurden. In diesem Sinne bestätigt die vorliegende Schulbuchanalyse die Aussage von Pandel, nach der Schulbücher nicht erzählen.9

7.3.3 Normative Triftigkeit Für die normative Triftigkeit wurde in dieser Studie kein Analyseschema entwickelt, da eine adäquate Verwirklichung im Rahmen einer numerischen Analyse unrealistisch erschien. Gleichwohl können den Analysen im sechsten Kapitel hinreichende Aspekte zur Bewertung der normativen Triftigkeit entnommen werden. Insgesamt fällt das Fazit negativ aus. Eine Quellenkonzeption mit einer normativ triftigen Aufgabenstellung befindet sich in den Schulbüchern nur vereinzelt. Vor allem bringt die Auswertung der Lösungsbände einen großen Erkenntnisgewinn. Zwar kann eine Aufgabenstellung ohne den Lösungsband didaktisch untersucht werden. Ebenso sollte der Lösungsband nicht vom kritischen Blick ablenken, wie eine Aufgabe oder eine Quelle interpretiert werden kann. Dennoch bietet er gute Informationen darüber, wie die Schulbuch-Autor*innen sich die »Erläuterung«, »Bewertung« oder »Diskussion« von Quellen vorstellen. Ich konnte folgende Aspekte ausmachen, die die normative Triftigkeit betreffen. I. Darstellungstext: Wie bereits in den vorherigen Kapiteln gezeigt, ist der DT oftmals fachlich und narrativ nicht triftig. Dies ist eine schlechte Grundlage für normative Triftigkeit. Zudem bestimmt der DT die Konzeption des Gesamt-Narratives, die Quellen bekommen lediglich eine illustrative Funktion. Auch eine zeitgenössische Bewertung kann bei fehlender fachlicher Triftigkeit im DT nicht stattfinden. II. Quellen: Durch die Angaben zur Quelle (Name Autor*in, Funktion Autor*in, Ort, Jahr, Überschrift, Quellenbeschreibung) und die Kürzungen werden viele Kernaussagen der Quellen verändert. In den untersuchten Abschnitten der Schulbücher finden sich diverse Quellen, für deren Interpretation hinreichende Informationen fehlen, die in ihrer Kernaussage verändert oder die schlichtweg falsch interpretiert wurden. Bei einigen Quellen kann sogar von Geschichtsfälschung gesprochen werden. Auf die Veränderung und den Umgang mit den Quellen gehe ich in den Abschnitten 7.4.1.2 und 7.4.2.2 nochmal ausführlicher ein. Außerdem fehlen, wie bereits mehrfach erwähnt, durchweg Gegenpositionen zu Quellentexten. III. Aufgabenstellungen: Zumeist sind Schulbuchkonzeption schon deshalb nicht normativ triftig, da von den Schüler*innen keine historische Erzählung, sondern ein Ablesen der gewünschten Antwort aus dem DT verlangt wird. Jedoch offenbaren auch komplexere Aufgaben, die einen ergebnisoffenen Operator beinhalten, didaktische Missstände. Oftmals wird eine

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Pandel (2006), S. 30ff. Laut Pandel betreiben die Schulbücher »Ereigniskonfetti«: Pandel (2013), S. 101f. Schöner kritisiert Pandel, da Schulbuchtexte nicht nicht narrativ sein könnten. Alles sei eine historische Erzählung: Schöner (2013), S. 86. Dabei übergeht Schöner m.E. die eigentliche Kritik von Pandel. Denn dieser möchte gegen das bloße Aufzählen irgendwelcher Details und für eine logische Verknüpfung plädieren.

7. Auswertung der Ergebnisse

solche Aufgabe in ihrer Sinnhaftigkeit durch die klare normative Positionierung im Lösungsband eingeschränkt. Eine andere häufige Variante fehlender normativer Triftigkeit besteht aus einer hoch normativen Aufgabenkonzeption, zu welcher der Lösungsband eine vermeintlich offene Antwortmöglichkeit suggeriert, z.B. als »individuelle Lösung« bezeichnet. Außerdem nutzen Schulbücher zahlreiche Mittel nicht, wie normative Triftigkeit umgesetzt werden könnte. Ich habe an zahlreichen Stellen in der Arbeit darauf hingewiesen, dass z.B. eine perspektivische Bewertung leicht umzusetzen wäre. Bei den vorliegenden Schulbuchkonzeptionen ließe sich die Qualität schon dadurch erhöhen, indem bei Aufgabenstellungen, bei denen die Schüler*innen eine wirtschaftshistorische Bewertung vornehmen sollen, explizit eine wirtschaftsliberale Bewertung verlangt würde. Auch zur »Sozialen Marktwirtschaft« kann an vielen Stellen in liberaler Denktradition, in der Meinung von Erhard oder aus der Sicht von CDU/FDP hinzugefügt werden und schon gewinnt die Aufgabe an normativer Triftigkeit. Besonders auffällig sind zudem die Aufgabenstellungen, die vorgeben, dem AFB III zu entsprechen. Zwar erfüllen diese Arbeitsaufträge formal (durch den verwendeten Operator) die Anforderungen, faktisch verlangen sie aber eine bloße Wiedergabe des DT. Bereits in der Formulierung ist zumeist erkennbar, welcher Satz (AFB I entsprechend lediglich) aus dem DT wiedergegeben werden soll. Die Lösungsbände bestätigen zumeist das Offensichtliche. Folge dieser Aufgabenkonzeption ist die bloße Vermittlung einer vorgefertigten Haltung. Die Schüler*innen lernen, dass sie die Aussage einer Quelle aus der BRD-Perspektive nacherzählen und eine Quelle aus der DDR-Perspektive kritisieren sollen. Als »Erzählmuster« nach Pflüger kann die Einteilung Ost = böse, West = gut festgestellt werden. Insgesamt ist es schwierig einzuschätzen, wie anspruchsvoll eine Kontroverse sein darf; aber wenn die »Bewertung« reproduziert – also abgelesen – werden kann, sollte die Aufgabe nicht als Transferleistung deklariert sein.

7.4 Schulbuchproduktion und Geschichtskultur 7.4.1 Schulbuchproduktion zur BRD-Geschichte 7.4.1.1 Darstellungstexte Im sechsten Kapitel und den vorherigen Abschnitten wurden die Schulbücher ausführlich beschrieben, analysiert und kritisiert. Nun soll versucht werden, die Entstehung dieser Schulbuchdarstellungen zu erklären. Hierfür ist es notwendig, die Schulbücher als Medium der Geschichtskultur der BRD zu betrachten. Bereits Erich Kästner beschäftigte sich mit der Schulbuchproduktion. Er schrieb im Jahr 1969: »Misstraut gelegentlich euren Schulbüchern! Sie sind nicht auf dem Berge Sinai entstanden, meistens nicht einmal auf verständige Art und Weise, sondern aus alten Schulbüchern, die aus alten Schulbüchern entstanden sind, die aus alten Schulbü-

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

chern entstanden sind, die aus alten Schulbüchern entstanden sind. Man nennt das Tradition.«10 Für eine wissenschaftliche Arbeit sollte die »Tradition« jedoch differenzierter ausgeführt und hierfür die Akteure der Schulbuchproduktion einbezogen werden. Sie bestehen aus den Schulbuchautor*innen, den Verlagen, den Kultusministerien, der BpB und gesellschaftlichen Gruppen – wie bspw. Parteien, Kapitalverbände, Gewerkschaften und Kirchen. Am Beginn der Schulbuchproduktion steht die Entwicklung der Rahmenlehrpläne. Im Abschnitt zeigt sich allerdings, dass diese den Verlagen und Schulbuchautor*innen großen Spielraum für die Gestaltung der Lehrinhalte gewähren. In den bisherigen Analysen deuten sich bereits Erklärungen an, die an dieser Stelle vertieft werden sollen; sowohl die widersprüchlichen Aussagen zwischen den einzelnen Schulbuchseiten als auch das Fehlen eindeutiger Erzähltypen in den Schulbüchern und in den Verlagen lassen sich auf eine kleinschrittige Überarbeitung zurückführen, bei der vor allem ökonomische Effizienzkriterien und die Entscheidungen der Autor*innen wichtig sind. Um diese Beobachtungen zu verifizieren, werden erstens ältere Ausgaben der Schulbücher eingesehen, um die Veränderungen der Darstellungstexte nachzuvollziehen, und zweitens die Literaturverzeichnisse der Schulbücher im Hinblick auf die Grundlagen ihrer Narrationen geprüft. In den älteren Ausgaben der Schulbücher befinden sich neu konzipierte Seiten zur Wirtschaft der BRD lediglich in der ersten Auflage. Die (oberflächlichen) Betrachtungen der weiteren Auflagen offenbaren, dass sich die Schulbücher Das waren Zeiten 311 , Horizonte 10/Anno 3/Anno 612 , Die Reise in die Vergangenheit 13 , Zeiten und Menschen 214 und Forum Geschichte 9/1015 in den letzten zehn – manchmal bis zu zwanzig – Jahren nur rudimentär verändert haben. Außerdem zeigen die Analysen der vorliegenden Arbeit: Die Schulbuchautor*innen benutzen bei der Überarbeitung der bestehenden Ausgaben renommierte Quellensammlungen, Veröffentlichungen der Bundeszentrale für politische Bildung und politikgeschichtliche Überblickswerke. Allerdings werden Publikationen der Wirtschaftsgeschichte zur BRD anscheinend kaum berücksichtigt. Folglich werde ich die Suche nach den Ursprüngen der diffusen Erzähltypen auf weitere Literatur ausweiten. Um bessere Aussagen treffen zu können, habe ich in allen verwendeten Schulbüchern nach Literaturhinweisen gesucht. Sie befinden sich – sofern überhaupt vorhanden – in den Kapitelzusammenfassungen, als Paratext am Rand des Darstellungstextes oder im Schlussteil des Buches. Die Lehrwerke des Klett-Verlags führen grundsätzlich keine Literaturverzeichnisse. Lediglich in der älteren Ausgabe von Geschichte und Geschehen 5/6 aus

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Kästner (1969), S. 182f. Brückner (1999), S. 160ff. Nahezu identisch mit: Andres (2009), S. 242ff. Vieles wurde übernommen aus: Askani/Wagener (2000), S. 44ff. Sehr ähnlich mit: Ebeling/Birkenfeld (2009). Ähnlichkeit besteht mit: Bröhenhorst/Lendzian (2002), S. 222ff. Eine grundlegend andere Konzeption findet sich in: Immisch (1995), S. 54ff. Die Ursprünge sind zu finden in: Regenhardt (2003), S. 222ff.

7. Auswertung der Ergebnisse

dem Jahr 201316 , das mit der Konzeption für Rheinland-Pfalz 2016 nahezu identisch ist, konnte eines gefunden werden. Es wirkt allerdings eher wie ergänzende Leseempfehlungen, da es fast ausschließlich aus Jugendromanen besteht. Als einziges Buch, das als Provenienz gedient haben könnte, ist Hermann Vinkes Die Bundesrepublik17 aufgeführt. Signifikante Überschneidungen von den Darstellungstexten zwischen Geschichte und Geschehen sowie Vinkes Buch existieren jedoch nicht. Die Ausgaben von Buchner für die Oberstufe, also Buchners Kolleg Ausgabe N, Ausgabe NRW und das Kompendium, enthalten dagegen ausführliche »Literaturtipps«. Besonders interessant ist das Verzeichnis von Buchners Kompendium, das auf der ersten Auflage von 200818 basiert. Es beinhaltet keine wirtschaftshistorische Literatur, aber die Überblickswerke von Marie Luise Recker19 , Dominik Geppert20 , Manfred Görtemaker21 , Peter Graf von Kielmansegg22 und Kurt Sontheimer23 . Ein Einfluss der genannten 16 17

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Sauer (2013a), S. 375. Vinke beschreibt die Währungsreform, die durch die Amerikaner durchgeführt wurde, und die ungleiche Verteilung der Lasten. Dennoch hebt er die Rolle Erhards hervor, der durch die »Parole ›Wohlstand für alle‹ und dem Modell der Sozialen Marktwirtschaft […] nahezu unschlagbar« gewesen sei. Zusätzlich erklärt Vinke den Boom mit dem »unbändigen Fleiß und eisernen Leistungswillen« der Deutschen, mit der Währungsreform, mit dem »Marshallplan« sowie mit dem »Zwang zur Modernisierung« durch die Demontage: Vinke (2009), S. 46f., 60ff. Lanzinner (2008). Recker verknüpft für die Erklärung des »Wirtschaftswunders« das »Konzept« der »sozialen Marktwirtschaft« von Erhard mit dem Korea-Boom. Weiterhin habe aus diesem »Konzept« der Sozialstaat und somit der »rheinische Kapitalismus« resultiert: Recker (2009), S. 29ff. Geppert weist auf den Boom im gesamten Westen hin. Dennoch seien die Zahl der Arbeitskräfte, die hohen Investitionsraten, das ERP, die amerikanische Unternehmensführung und die Exportnachfrage für den besonders ausgeprägten Boom in der BRD verantwortlich. Die Exportsteigerung sei durch die Unterbewertung der DM, die restriktive Geldpolitik der Bundesbank und die keynesianische Nachfragepolitik der anderen Länder befeuert worden: Geppert (2002), S. 23ff., 60ff. Görtemaker erkennt im Abschnitt »Der Erfolg der Marktwirtschaft« zunächst die gute Ausgangssituation durch die Industrie und die zahlreichen »qualifizierten und motivierten Arbeitskräfte« an, um danach die Erhard´sche Erfolgsgeschichte des Neoliberalismus zu erzählen: Görtemaker (2004), S. 54ff. Dabei verzichtet er auf wirtschaftshistorische Literatur sowie auf Fußnoten im Text. Das einzige wirtschaftshistorisch relevante Buch im Literaturverzeichnis von Görtemaker ist die Biografie von Hentschel, dessen Thesen aber keine Berücksichtigung im Text finden: Görtemaker (2004), S. 401ff. Kielmansegg erklärt ausführlich den internationalen Charakter des Aufschwungs. Dennoch sei es Erhard gewesen, der den »Kampf durchfocht« und der mit der Freigabe der Preise eine »neue Wirtschaftsverfassung« durchgesetzt habe: Kielmansegg (2007), S. 437f. Bei der Konkretisierung der neuen »Verfassung« nennt Kielmansegg allerdings nur die Gesetze von 1957 (Kartellgesetz, Bundesbank), als der Boom schon wieder abklang. Einige Seiten später ist die »Soziale Marktwirtschaft« erneut durch Währungsreform plus Leitsätzegesetze definiert, mit deren vermeintlicher Wirkung er Abelshauser kritisieren will. Trotzdem erkennt Kielmansegg die Rekonstruktionstheorie an. Es hat jedoch den Anschein, als habe er sie noch nicht gänzlich durchdrungen, da er den technischen Fortschritt als wichtigstes Element der Rekonstruktionstheorie sieht: Kielmansegg (2007), S. 460. Jánossy/Holló argumentierten explizit gegen die Wichtigkeit der Kapitalinvestitionen und für die Bedeutung der (ausgebildeten) Arbeitskraft. Kielmansegg betont außerdem die »motivierten Arbeitskräfte«, die steuerliche Begünstigung der Investitionen, die Unterbewertung der DM, den »Korea-Boom« und den »Marshall-Plan«: Kielmansegg (2007), S. 432ff. Sontheimer erklärt den Aufschwung mit der »radikalen Liberalisierung« durch die Leitsätzegesetze, mit dem Korea-Boom und den günstigen Exportbedingungen, die aus der Weltkonjunktur, der

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

Bücher auf den Darstellungstext ist erkennbar. Die »qualifizierten und motivierten Arbeitskräfte«, die intakte Industriestruktur und die Erhard´sche Erfolgsgeschichte von Währungsreform/Leitsätzegesetzen stammen vermutlich von Görtemaker.24 Die Zahlen zum Sozialprodukt, die Selbstfinanzierung der Industrie, die Exporterzeugnisse sowie die Rolle der Bundesbank sind wahrscheinlich von Sontheimer übernommen25 ; für die Selbstfinanzierung und die Werte zum Wachstum wurde eventuell Kielmansegg hinzugezogen26 . Eine deutliche Veränderung erfährt der Text zur Entwicklung nach der Währungsreform in Buchners Kolleg Ausgabe N, das von krisenhaften Erscheinungen bis zum »KoreaBoom« berichtet. Außerdem wurde das Literaturverzeichnis neu konzipiert: die vorherigen Überblickswerke sind nicht mehr aufgeführt – dafür das Buch Die geglückte Demokratie von Edgar Wolfrum. Dieser erzählt die modifizierte Erfolgsgeschichte der »sozialen Marktwirtschaft«.27 Hier findet sich eine Doppelseite mit ähnlichen Formulierungen zur Währungsreform wie in der Ausgabe N.28 Zusätzlich weist ein Paratext im Kapitel auf die Werke von Michael Gehler29 und Kleßmann/Jens Gieseke30 hin. Eine Überarbeitung der Abschnitte zur Wirtschaft anhand der Bücher von Gieseke/Kleßmann und Gehler ist allerdings nicht erkennbar. Auch Geschichte entdecken für die Realschule/Hauptschule führt Literaturhinweise an. Demgegenüber fehlt bei den Oberstufenausgaben von Das waren Zeiten jegliche Provenienz. Die nahezu deckungsgleiche Ausgabe Das waren Zeiten 3 für Schleswig-Holstein aus dem Jahr 2011 gibt jedoch »Lesetipps«. Sowohl in Geschichte entdecken als auch in Das

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Exportförderung und der Unterbewertung der DM resultierten. Außerdem hebt er die »Stabilitäts«-Politik der Bundesbank hervor: Sontheimer (2003), S. 97ff. Görtemaker (2004), S. 55f., 70. Sontheimer (2003), S. 100, 103, 105. Kielmansegg (2007), S. 433, 461. Bei Wolfrum nimmt die »soziale Marktwirtschaft« – bei ihm ist »sozial« ein Adjektiv – ebenfalls großen Raum ein. Dies ist insofern logisch, als Wolfrum die Geschichte der Bundesrepublik als Umsetzung einer Idee betrachtet – wie der Titel Die geglückte Demokratie verdeutlicht. Er erklärt den Boom mit den großen Kapazitätsreserven, den qualifizierten und »leistungsorientierten Arbeitskräften«, der »maßvollen Lohnpolitik der Gewerkschaften«, dem Korea-Boom, der Liberalisierung des Weltmarktes und mit der Unterbewertung der DM. Außerdem nennt er die Entschuldung durch das Londoner Abkommen. Dennoch, so Wolfrum, wäre das Konzept der »sozialen Marktwirtschaft«, das »originär deutschen Ursprungs« sei, von großer Bedeutung gewesen. Auch bei ihm bleibt die Bedeutung der »sozialen Marktwirtschaft« diffus. Die »Grundgesetze der sozialen Marktwirtschaft«, wie er selbst schreibt, wurden erst 1957 beschlossen. Zu diesem Zeitpunkt war der Zenit des Booms allerdings bereits überschritten. Der »Katalysator« Währungsreform ist analytisch ebenfalls nicht greifbar. Insgesamt erzählt Wolfrum die nationale Erfolgsgeschichte und verwendet dabei kaum wirtschaftshistorische Literatur: Wolfrum (2007), S. 75ff. Wolfrum (2007), S. 78. Gehler positioniert sich gegen die Wirkung vom »Marshallplan« und erklärt, dass die »kaputten Produktionsstätten« durch die »soziale Marktwirtschaft«, das Ende der Demontagen, »Arbeitsfleiß und Leistungswille«, die Währungsreform, den Korea-Boom sowie die steuerlichen Investitionsanreize wiederaufgebaut wurden und zum »Wirtschaftswunder« geführt hätten: Gehler (2010), S. 78, 82. Die beiden Autoren heben Währungsreform/Leitsätzegesetze, Ludwig Erhards »soziale Marktwirtschaft« (die aus dem freien Markt plus Absicherung bestehe), die weitestgehend intakte Industrie, die vielen Arbeitskräfte und den Korea-Boom hervor: Kleßmann/Gieseke (2009), S. 44f., 70f.

7. Auswertung der Ergebnisse

waren Zeiten 3 sind das bereits zitierte Buch von Kleßmann/Gieseke sowie die Werke von Nikolaus Piper31 , Manfred Mai32 und Peter Zolling33 aufgelistet.34 Das Schulbuch Das waren Zeiten 3 ist allerdings in den Darstellungstexten, wie bereits erwähnt, nahezu identisch mit der Ausgabe von Das waren Zeiten 4 von 1999. Folglich können die Texte nicht aus der angegebenen Literatur konzipiert worden sein, da diese Bücher allesamt später erschienen. Weiterhin sind die Kernthesen des Schulbuches Geschichte entdecken weitestgehend deckungsgleich mit jenen von Das waren Zeiten.35 Im Verlag Westermann enthält ausschließlich das englischsprachige Schulbuch Exploring History Literaturangaben.36 Allerdings konnten keine Übereinstimmungen zwischen den Werken von Tony Judt, John Laver/Chris Rowe/David Williamson, die dort aufgeführt sind, und dem Schulbuch gefunden werden. Ohnehin erklärt Judt das »Wirtschaftswunder« mit der Wirtschaftspolitik aus dem Nationalsozialismus.37 Besonders viele Literaturverzeichnisse befinden sich bei Cornelsen: In den Ausgaben Forum Geschichte 11 und Kursbuch Geschichte erfolgen umfassende Provenienzangaben, die mit den Kapiteln logisch zusammenhängen. Deutlich erkennbar sind die Einarbeitungen von Die geglückte Demokratie von Edgar Wolfrum bei Forum Geschichte 11 und Kursbuch Geschichte.38 Die vier Ausgaben von Entdecken und verstehen beinhalten Verzeichnisse von Jugendsachbüchern.39 Als Grundlage für die Schulbücher könnten aus

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Eine besonders pointierte Erfolgsgeschichte der Erhard´schen »sozialen Marktwirtschaft« erzählt Nikolaus Piper. Demnach hätten der »Wettbewerb«, der durch die DM ausgelöst worden sei, und der Alleingang von Erhard den Boom verursacht. Des Weiteren nennt er das ERP als wichtige Voraussetzung des Wirtschaftswachstums: Piper (2002), S. 152ff. Im Buch Europäische Geschichte findet sich die Erfolgsgeschichte durch das ERP und den freien Handel der EWG: Mai (2007), S. 170f., 181ff. Bei Zolling wird der Boom mit Ludwig Erhards »sozialer Marktwirtschaft«, dem ERP und der Währungsreform erklärt: Zolling (2009), S. 253ff., 274ff. Brückner (2011), S. 363. Diese sind: Förderung durch Alliierte; Investitionsanreize durch Regierung; »Risikobereite Unternehmer«; Gewerkschaften stellten »maßvolle Lohnforderungen«; »Die Menschen wollten etwas leisten«. Brabänder u.a. (2014), S. 216. Judt (2006), S. 393f. Einige Überschneidungen lassen sich ebenfalls mit dem Buch von Görtemaker feststellen. Der Satz, »die Industrieproduktion betrug in der zweiten Jahreshälfte nur noch etwa 20 Prozent des Standes von 1936«, ist nahezu identisch: Görtemaker (2004), S. 55. Eine Formulierung zu den »qualifizierten, flexiblen und leistungsorientierten Arbeitskräften […] durch das Millionenherr von Flüchtlingen« erinnert an Kielmansegg und Wolfrum: Kielmansegg (2007), S. 461; Wolfrum (2007), S. 87. Auch der Satz zum weltweiten Freihandel und der Abschnitt zur Sozialpolitik ähnelt den Formulierungen bei Wolfrum: Wolfrum (2007), S. 80. Fast deckungsgleich mit Sätzen von Ulrich Herbert sind die Sätze zu den im Krieg modernisierten Industrieanlagen und zu den »qualifizierten«, »flexiblen«, »motivierten« und »aufstiegsorientierten« Arbeitskräften: Herbert (2014), S. 623. Eine umfangreiche Analyse der älteren Ausgaben von Kursbuch Geschichte und Forum Geschichte 11 würde sicherlich noch präzisere Erkenntnisse bringen. Berger-von der Heide (2015), S. 256; Berger-von der Heide (2014a), S. 218; Berger-von der Heide (2014b), S. 218; Berger-von der Heide (2016), S. 189.

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

der Liste lediglich die Bände von Eckhard Mieder40 , Manfred Mai41 und Peter Bender42 verwendet worden sein. Die Argumentation, besonders bei Mieder und Mai, ähnelt durchaus den Ausgaben von Entdecken und Verstehen, da diese den Aufbau von neuen Industrieanlagen durch die westliche Hilfe betonen. Es ist folglich möglich, dass die Jugendsachbücher als Grundlage für die Schulbücher dienten. Lediglich in Forum Geschichte 9/10 fehlen Literaturhinweise gänzlich. Die Analyse der Literaturverzeichnisse und der Vergleich der entsprechenden Texte erhärten den Verdacht, dass für die Schulbücher nahezu ausschließlich Gesamtdarstellungen zur deutschen Geschichte und keine Fachliteratur zur Wirtschaftsgeschichte verwendet werden. Gleichzeitig konnten wenige Zusammenhänge zwischen den Ausgaben der Informationen zur politischen Bildung und den Schulbüchern festgestellt werden. Für die vorliegende Arbeit wurden ein Artikel von Werner Bührer in Deutschland in den 1950er Jahren43 , die Ausgabe Staat und Wirtschaft von Hans Jürgen Schlösser44 und ein Abschnitt von Wolfgang Benz (Ausgabe Deutschland 1945-1949)45 mit den Schulbüchern verglichen. Schlösser und Benz erzählen die liberale Erfolgsgeschichte. In einer umfas-

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Mieder formuliert einen interessanten Text mit unterschiedlichen Akzenten. Sein Kapitel »Wirtschaftswunder West und Ost« beginnt mit einer kritischen Einordnung des Begriffes »Wirtschaftswunder«, da damit bereits die Vollbeschäftigung im »Hitler-Staat« bezeichnet wurde. Als wichtigsten Aspekt hebt Mieder den »Korea-Boom« hervor. Durchaus widersprüchlich wirken im Folgenden die Ausführungen, dass die Wirtschaft mit den Mitteln des ERP neu aufgebaut worden sei. Der »Korea-Boom« konnte schließlich vor allem von vorhandenen Kapazitäten profitieren. Außerdem betont Mieder die vielen Arbeitskräfte, die »billig« und »entwurzelt« gewesen seien sowie die »maßvollen Lohnforderungen« der Gewerkschaften. Dennoch äußert er Kritik an der ungerechten Verteilung der Vermögen und Einkommen: Mieder (2002), S. 68ff. In der Deutsche(n) Geschichte hebt Mai vor allem das ERP hervor, durch das, anstelle der »zerstörten und demontierten«, moderne Produktionsanlagen entstanden seien. Zusätzlich wird Erhards »Soziale Marktwirtschaft« betont, die den freien Markt mit der Sicherung der »sozial Schwachen« verbinde: Mai/Jusim (2010), S. 162f. Bei Bender ist kein Abschnitt zur Wirtschaftsgeschichte vorhanden: Bender (2009). Bührer erklärt das »Wirtschaftswunder« mit dem Exportboom durch den Korea-Krieg, mit den »großen Kapazitätsreserven« und den zahlreichen »hochmotivierten« Arbeitskräften. Die »Währungs- und Wirtschaftsreform« habe »den Boden bereitet«. Außerdem sei das ERP von großer Bedeutung gewesen: Bührer (1997), S. 34, 39. Bei Schlösser wird zunächst die »Soziale Marktwirtschaft« anhand der vier Elemente »Freiheit, Gerechtigkeit, Sicherheit, Fortschritt« und der ordnungspolitischen Grundsätze Preise, Wettbewerb sowie Marktkonformität definiert. Neben der traditionellen ordoliberalen Theorie erwähnt Schlösser Sozialleistungen und »ergänzende […] kollektive Daseinsvorsorge«. Außerdem bedürfe es der »unabhängigen Zentralbank« und einer »Wettbewerbsbehörde«. In der historischen Perspektive beschreibt Schlösser lediglich, dass Erhard und Müller-Armack die Ideen von Eucken »zu einem Konzept zusammengefügt und in konkrete Wirtschaftspolitik umgesetzt« hätten. Anhand einer Grafik stellt er zudem den (funktionsfähigen) freien Markt dar: Schlösser (2007), S. 31ff. Die Grafik der »Sozialen Marktwirtschaft« ist fast identisch mit der Grafik der »Freien Marktwirtschaft«, die sich bei Wolfgang Benz befindet: Benz (1998), S. 42. Sie wird besonders bei Cornelsen verwendet. Benz erklärt das westdeutsche »Wirtschaftswunder« mit den Demontagen, die eine Modernisierung der Fertigungsanlagen bewirkt hätten, dem ERP sowie dem »atemberaubenden Experiment« der »wettbewerbsorientierten Marktwirtschaft«, die ein »kühner« Erhard durchgesetzt habe. Nach einer kurzen Krise hätte sich der Erfolg dieser Wirtschaftspolitik gezeigt: Benz (1998), S. 35ff.

7. Auswertung der Ergebnisse

senden diachronen Forschung könnte die Entstehung der Darstellungstexte nachvollzogen werden. Dennoch kann festgestellt werden, dass die Monografien der BpB eine wichtige Grundlage für die Darstellungstexte der Schulbücher liefern und somit einen indirekten Einfluss ausüben. Bereits im vorherigen Kapitel habe ich zudem auf den Einfluss der Rechtsform des profitorientierten Unternehmens hingewiesen, der sich in rudimentärer Überarbeitung niederschlägt. Dadurch entsteht die Situation, dass sich Textteile unbeabsichtigt widersprechen. Ein plastisches Beispiel bietet Horizonte 10, in dem ein Quellenauszug eines Interviews mit Abelshauser zum ERP eingefügt wurde. Dieser sagt, dass »kein einziger Dollar« nach Deutschland gekommen sei. Auf der gegenüberliegenden Seite erfahren die Schüler*innen, dass es ca. 1,4 Mrd. Dollar gewesen seien. Der Lösungsband wiederum nennt zwei Mrd. Dollar (siehe Seite 214). Vermutlich findet die Entstehung der Schulbuchseiten wie folgt statt: Die Schulbuchautor*innen wollen bestimmte (für sie neue) Inhalte berücksichtigen, können aber unter dem Zeitdruck nicht das gesamte Kapitel überarbeiten. Deshalb befinden sich verschiedene Geschichtsnarrationen auf den gleichen Schulbuchdoppelseiten. Die These des ökonomischen Drucks kann jedoch nicht erklären, warum Quellen in ihrer Grundaussage verändert wurden. Folglich werde ich diesen Vorgang nun ausführlich kategorisieren und erläutern.

7.4.1.2 Die Metamorphosen der Quellen (BRD) Der Prozess der Aufnahme von Quellen in die Schulbücher kann wie folgt (vgl. Abb. 23) systematisiert werden. Zumeist wird eine Quelle aus einem Archiv durch die Geschichtswissenschaft veröffentlicht (Übergang eins). Aus dieser Publikation erreicht sie die Schulbücher entweder direkt (Übergang fünf) oder sie wird in einer weiteren wissenschaftlichen Quellensammlung veröffentlicht (Übergang zwei). Die Publikation durch die BpB definiere ich als Übergang drei, die erneute Auflage in der BpB als Übergang vier und die Übernahme aus der BpB in die Schulbücher als Übergang sechs. Eine erneute Berücksichtigung innerhalb der Schulbuchverlage heißt Übergang sieben. Auf die Schulbuchproduktion wirken außerdem gesellschaftliche Akteure ein – wie beispielsweise Parteien, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften. Selbsterklärend ist zudem der Einfluss der Kultusministerien. Allerdings kann derzeit nur der Bereich innerhalb der gestrichelten Linie durch die Wissenschaft erfasst werden. In theoretischer Perspektive verändern sich die Quellen bei jeder Kürzung oder jeder didaktischen Reduktion. Die Quellen in den Schulbüchern sind, wie ich es für die Geschichtsdidaktik nennen möchte, das Endprodukt der Metamorphose der dialektischen schriftlichen Zeugnisse der Vergangenheit zur Einpassung in die nationale Autobiografie.

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

Abbildung 23: Schulbuchproduktion

Originalquelle

1 2 Wissenschaft

Wissenschaft

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BpB

6

z.B. Kapitalverbände

5

BpB

z.B. Parteien

Schulbuch

7

Schulbuch

Kultusministerium

z.B. Gewerkschaften

Abbildung 24: Quellen in den Schulbüchern Schulbuch

Quelle

Veränderung [Übergang]

GuG, Rheinland-Pfalz

Schaufensterfotografie

Wut über Horten nicht genannt; fragwürdige Interpretation [?, (5)]

GuG, Rheinland-Pfalz

Annonce Die Waage

Kritik an den Gruppeninteressen widerspricht der Aufgabenstellung [5]

GuG Q-Phase, NRW

Text Mensch und Arbeit

Quelle eines leitenden Angestellten, Schulbuch verlangt Perspektive auf Arbeiter [5]

GuG Oberstufe, NRW

Text Mensch und Arbeit

Quelle eines leitenden Angestellten, Schulbuch verlangt Perspektive auf Arbeiter [5]

GuG, BadenWürttemberg

Grafik Marktwirtschaft

Schulbuch kürzt die Beschreibung „Wunschvorstellungen“ zum Markt [5]

GuG, BadenWürttemberg

Text Abelshauser

Bezug zum Faschismus und soziale Ungleichheit gekürzt [5]

GuG, BadenWürttemberg

Text Le Monde

Satz bzgl. Reparationen gekürzt – trotz Aufgabenstellung zu Reparationen [5]

GuG, BadenWürttemberg

Text Potsdamer Abk.

Satz bzgl. Reparationstransfer gekürzt – trotz Aufgabenstellung zu Reparationen [5]

Zeitreise 3, Nieders./Bremen

Bilder VW u. Trabant

VW wird indirekt als privatwirtschaftliches Unternehmen bezeichnet [5]

Zeitreise 3, Nieders./Bremen

Text Seerhausen

Militärischer Pathos entfernt; Autor anonymisiert; SSund NSDAP-Mitgliedschaft fehlt [1, 2]

Klett

7. Auswertung der Ergebnisse

  Zeitreise 3, Niedersachsen

Bilder VW u. Trabant

VW wird indirekt als privatwirtschaftliches Unternehmen bezeichnet [5]

Zeitreise 3, Niedersachsen

Text Seerhausen

Militärischer Pathos entfernt; Autor anonymisiert; SSund NSDAP-Mitgliedschaft fehlt [1, 2]

Zeitreise 3, Saarland

Bilder VW u. Trabant

VW wird indirekt als privatwirtschaftliches Unternehmen bezeichnet [5]

Zeitreise 3, Saarland

Text Seerhausen

Militärischer Pathos entfernt; Autor anonymisiert; SSund NSDAP-Mitgliedschaft fehlt [1, 2]

Zeitreise 5

Bilder VW u. Trabant

VW wird indirekt als privatwirtschaftliches Unternehmen bezeichnet [5]

Zeitreise 5

Text Seerhausen

Militärischer Pathos entfernt; Autor anonymisiert; SSund NSDAP-Mitgliedschaft fehlt [1, 2]

Das waren Zeiten 3, Thüringen

Berliner Programm CDU

Sätze bzgl. Verstaatlichung der Bodenschätze und Schlüsselindustrien gekürzt [1, 5]

Das waren Zeiten 3, Thüringen

Grafik ERP

Funktionsweise des ERP falsch dargestellt [?, (5)]

Das waren Zeiten 3, Thüringen

Text Geißler

Abschnitt zur Empörung über das Horten und über „die Kapitalisten“ entfernt [5]

Das waren Zeiten 3, Thüringen

Text Der Leuchtturm

Herkunft der Zeitung verändert; Nähe zum Faschismus nicht berücksichtigt [1, 5]

Das waren Zeiten 3, Hessen

Berliner Programm CDU

Sätze bzgl. Verstaatlichung der Bodenschätze und Schlüsselindustrien gekürzt [1, 5]

Das waren Zeiten 3, Hessen

Grafik ERP

Funktionsweise des ERP falsch dargestellt [?, (5)]

Das waren Zeiten 3, Hessen

Text Geißler

Abschnitt zur Empörung über das Horten und über „die Kapitalisten“ entfernt [5]

Das waren Zeiten 3, Hessen

Text Der Leuchtturm

Herkunft der Zeitung verändert; rechtsextreme Zeitung nicht kenntlich gemacht [1, 5]

Buchners Kolleg Ausgabe N

Zeichnung Erhard

Plakat von Die Waage als Plakat der CDU bezeichnet, falsche Interpretation [?]

Buchners Kolleg Ausgabe N

Text MüllerArmack

Wichtigste Thesen der Quelle gekürzt; NSDAPMitgliedschaft nicht genannt [2]

Buchners Kolleg Ausgabe N

Text Abelshauser

Soziale Ungleichheit gekürzt. Lösungsband suggeriert soziale Nivellierung [5]

Buchners Kolleg Ausgabe N

Text Schorn

Fragwürdige Interpretation: Drei Strophen Deutschlandlied als Hymne der BRD; NSDAP-, SS-, BNDMitgliedschaft fehlt [1, 2, 5]

Buchners Kolleg, NRW

Text Abelshauser

Soziale Ungleichheit gekürzt. Lösungsband suggeriert soziale Nivellierung [5]

Buchners Kolleg, NRW

Zeichnung Erhard

Plakat von Die Waage als Plakat der CDU bezeichnet; falsche Interpretation [?]

Buchners Kolleg, Nieders.

Karikatur Köhler

Zeitung falsch; Titel geändert; vermutlich falsche Interpretation; NS-Karriere fehlt [?, (5)]

Buchner

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338

Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

  Westermann Anno 3

Text MüllerArmack

Text 1974; Forderungen Sozialversicherungen, Mindestlöhne usw. gekürzt [5]

Anno 3

Karikatur Erhard

Datum und Interpretation der Quelle unklar [?]

Anno 6

Text MüllerArmack

Text 1974; Forderungen Sozialversicherungen, Mindestlöhne usw. gekürzt [5]

Anno 6

Karikatur Erhard

Datum und Interpretation der Quelle unklar [?]

Horizonte 10

Karikatur Erhard

Datum und Interpretation der Quelle unklar [?]

Horizonte 10

Karikatur Adenauer

Titel fehlt; Datum fehlt; unvollständige Interpretation [?, (5)]

Horizonte Q-Phase

Karikatur Erhard

Datum und Interpretation der Quelle unklar [?]

Horizonte Q-Phase

Text Bodenreform

Urheber unbekannt; Quellenkritik notwendig (Hrsg.: von Kruse); Überlieferung fragwürdig [1, 5]

Horizonte Q-Phase

Text Kühne

Autor wird als Neubauer bezeichnet; Großgrundbesitz der Familie, NS-Verstrickung und Besitzer nicht erwähnt; Schulbuch stuft den Bericht als objektiv ein [1, 3, 4, 6]

Horizonte Q-Phase

Text Neues Deutschland

Quelle wird als unglaubwürdig eingestuft, da sie den Besitzers des Gutes als „Sturmführer der SA […] diskreditiert“ [5]

Die Reise in die Verg., Thüringen

Karikatur Erhard

Datum und Interpretation der Quelle unklar [?]

Die Reise in die Verg., Thüringen

Text Karasek

Alle kritischen Aussagen zu den 1950er Jahren entfernt [5, 7]

Die Reise in die Verg., NRW

Text Brandt

Satz zur Herkunft der Kuriere aus Westberlin entfernt; Kontext: SED-Funktionär, Haftzeit in Bautzen fehlt; alle wichtigen Deutungen entfernt [5]

Die Reise in die Verg., NRW

Text „Arbeiter“

Satz zur Herkunft aus Westberlin gekürzt; Überlieferung der Quelle fragwürdig [1, 5]

Die Reise in die Verg., NRW

Text Karasek

Alle kritischen Aussagen zu den 1950er Jahren entfernt; Interpretation fragwürdig [5, 7]

Die Reise in die Verg., Sachsen

Text Karasek

Alle kritischen Aussagen zu den 1950er Jahren entfernt [5, 7]

Die Reise in die Verg., Sachsen

Text Vahsen

Quelle unbekannt; Quellenkritik nicht möglich [5]

Die Reise in die Verg., Sachsen

Text Graul

BDJ- Mitgliedschaft nicht genannt; Schulbuch suggeriert elfjährige Haftzeit für Flugblätter [1, 5]

Die Reise in die Verg., Sachsen

Text Leonhard

Falscher Autor [5]

7. Auswertung der Ergebnisse

  Die Reise in die Verg., Sachsen

Schaufensterfotografie

Wut über Horten nicht genannt; fragwürdige Interpretation [?]

Durchblick

Text Die Waage

Propaganda-Annonce von Die Waage als Text von Abelshauser bezeichnet [5, 7]

Durchblick

Text quez

Már-

„Westberlin Agentur für kapitalistische Propaganda“ entfernt; Quelle falsch interpretiert [1, 5]

Forum Geschichte 9/10

Grafik Marktwirtschaft

Grafik stellt dar, die gesamte Wirtschaft der BRD funktionierte über den Markt [2, 5]

Forum Geschichte 9/10

Text Schönstedt

Quelle schlecht gekürzt; positive Bewertung des VEB gekürzt; fragwürdige Interpretation [5]

Forum Geschichte 4

Schaufensterfotografie

Frauen staunen angeblich nur; fragwürdige Interpretation [?]

Forum Geschichte 4

Grafik Marktwirtschaft

Grafik stellt dar, die gesamte Wirtschaft der BRD funktionierte über den Markt [2, 5]

Kursbuch Geschichte

Grafik Marktwirtschaft

Grafik stellt dar, die gesamte Wirtschaft der BRD funktionierte über den Markt [2, 5]

Kursbuch Geschichte

Text MüllerArmack

Wichtigste Thesen der Quelle gekürzt; NSDAPMitgliedschaft nicht genannt [2]

Forum Geschichte 11

Zeichnung Erhard

Gründungsjahr von Die Waage falsch; Interpretation fragwürdig [?, (5)]

Forum Geschichte 11

Tafelbild, Wirtschaftsw.

Tafelbild aus dem Kontext gerissen, kritischer Text und Grafik nicht berücksichtigt worden [5]

mbook

Text Bodenreform 1

Urheber unbekannt, Quellenkritik notwendig (Hrsg.: von Kruse); Überlieferung fragwürdig [1, 5]

mbook

Text Bodenreform 2

Urheber unbekannt, Quellenkritik notwendig (Hrsg.: von Kruse); Überlieferung fragwürdig [1, 5]

mbook

Zeichnung Erhard

Plakat von Die Waage wird als Plakat der CDU bezeichnet [?]

Cornelsen

Erläuterung: ? = Herkunft der Quelle nicht bekannt; (5) = wahrscheinlich Übergang fünf   Die Tabelle (vgl. Abb. 24) zeigt eine Liste von Quellen, deren Konzeption und/oder Interpretation fragwürdig sind. Insgesamt wurden 64 Quellen aus 26 Schulbüchern gefunden, deren Vergangenheitserfahrung grundlegend verändert wurde bzw. deren Interpretation falsch oder mindestens zweifelhaft ist. In der letzten Spalte sind der Übergang und folglich der Akteur festgehalten, an der die kommentierte Metamorphose stattfindet. Die Liste beinhaltet alle Auflagen der Schulbücher und somit tauchen einige Quellen mehrfach auf. Eine andere Zählweise hätte kein aussagekräftiges Gesamtbild

339

340

Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

ergeben. Insgesamt befinden sich in über 70 Prozent aller untersuchten Schulbücher normativ veränderte bzw. fragwürdig interpretierte Quellen – nur in den Abschnitten zur Wirtschaftsgeschichte. Hinzu kommen normative Selektionen, bei denen gezielt einzelne Quellen aus einer kontroversen Konzeption entnommen wurden. Ein gutes Beispiel ist eine Grafik zum »Wirtschaftswunder«, die sich zuvor mit einer Textquelle und einer Tabelle als Ländervergleich in einer fertigen Unterrichtskonzeption von Wunderer/Kohl befand (siehe Seite 286). Die Selektion verändert die Quelle in ihrer Bedeutung. Solche Beispiele berücksichtigt die Zählung nicht. Die Tabelle (vgl. Abb. 24) vermittelt allerdings nur eine Makroperspektive und ist sehr oberflächlich. Im Folgenden werden deshalb einige anschauliche Metamorphosen kleinschrittig nachvollzogen. In der Grafik (vgl. Abb. 25) sind Quellen-Metamorphosen zur BRD dargestellt. Am linken Rand der Grafik befinden sich die Namen der Autor*innen bzw. eindeutige Zuschreibungen zu den Quellen. Wichtig ist die X-Achse, die die Metamorphosen der Quellen bestimmt. Ein Text-Kästchen, das sich nahe an der Y-Achse befindet, beinhaltet eine bestimmte Erfahrung über die Vergangenheit. Hierbei handelt es sich um die ursprüngliche (auffindbare) Primärquelle. Wenn die Quelle sinnerhaltend gekürzt oder vollständig in eine weitere Publikation übernommen wurde, bekommt das nächste Kästchen einen neuen Platz auf der Y-Achse. Der x-Wert bleibt konstant. Findet dagegen eine Veränderung der Aussage der Quelle statt, rückt das Kästchen auf der X-Achse weiter nach rechts, bis es beim Schulbuch – also der nationalen Autobiografie (xNA) – angekommen ist. Bei jedem Pfeil, der eine Verschiebung auf der X-Achse beschreibt, befindet sich ein kommentierendes Kästchen. Außerdem ist dort durch eine Zahl die Stelle der Metamorphose gekennzeichnet, die oben definiert wurde (vgl. Abb. 23). Für die Erzählung zur BRD stehen hier beispielhaft folgende Quellen: Klett kürzt in einem Text von Abelshauser (Geschichte und Geschehen) alle Ursprünge der Wirtschaft im NS und zur bestehenden Ungleichheit. Beim Verlag Buchner wurde im Berliner Programm der CDU die Verstaatlichung von Bodenschätzen und Schlüsselindustrien sowie in einer weiteren Quelle die Empörung eines Arbeiters über die Hortung der Waren vor der Währungsreform entfernt. Westermann legt dem bekannten Schriftsteller Márquez eine Kritik der Planwirtschaft in den Mund und der Text eines Propagandaplakates von Die Waage wird in einen Text von Abelshauser umgewandelt, womit die Kernaussage gravierend verändert wird. Die beschriebenen sechs Quellen befinden sich elfmal in den Schulbüchern. Dabei zeigt sich, dass die normative Quellen-Metamorphose zur bundesrepublikanischen Wirtschaftsgeschichte zumeist zwischen Quellenband/Fachwissenschaft und den Schulbüchern (Übergänge fünf, sechs und sieben) stattfindet. Lediglich das Berliner Programm der CDU wurde im Übergang eins sinnverzerrend überarbeitet, allerdings nur durch die Entfernung der Texthervorhebung. Folglich kann die Spurensuche der Schulbuchproduktion für die BRD-Wirtschaft auf die Verlage, die Kultusministerien und die gesellschaftlichen Gruppen eingeschränkt werden.

7. Auswertung der Ergebnisse

341

Abbildung 25: Normative Metamorphosen der Quellen zu BRD-Wirtschaft

y

Hanns Erich Köhler

5: Datum nicht recherchiert; falsche Zeitung; Titel geändert; NSDAP-Mitgliedschaft fehlt; Interpretation fragwürdig Unbekannt Schulbuch

Werner Abelshauser 5: Bezüge zum Faschismus u. soz. Ungerechtigkeit gekürzt Abelshauser 1987 Schulbuch Klaus Jürgen Geißler Interview Geißler Niethammer 1983

5: Empörung über Horten u. die Kapitalisten gekürzt

Kleßmann 1993 Schulbuch Hellmuth Karasek Der Spiegel 1978

7: „Kritische Sicht" entfernt; alle wichtigen Passagen gekürzt; neuer Titel hinzugefügt Schulbuch (DRidV)

5: Kürzungen; Titel entfernt; Beschreibung „kritische Sicht" hinzugefügt

Schulbuch (DRidV)

Annonce Die Waage Rhein-Neckar-Zt. 1953 Abelshauser 1987

7: CDU-Satz gestrichen; Herausgeber wird zum Autor der Quelle; Kürzungen, alle Sätze mit Erhard entfernt Schulbuch (Anno)

5: „1953 zog die CDU Bilanz“ hinzugefügt; Kürzungen

Berliner Programm der CDU Aufruf CDU 1945

Schulbuch (Durchblick)

5: Forderung nach Verstaatlichungen gekürzt; Interpretation als Bekenntnis zur Marktwirtschaft Mahler 1945 Flechtheim 1963 Dennis/Steinert 2005

1/2: Hervorhebung „Bodenschätze in Staatbesitz“ entfernt

xNA= Nationale Autobiografie

Schulbuch

x xNA

342

Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

Erstens zeigt die vorliegende Arbeit in Kapitel sechs, dass die Verlage selbst ein wichtiger Akteur bei den normativen Inhalten der Schulbücher sind. Eine mögliche Erklärung, die die Veränderung von Quellen einbezieht, sind die politischen Vorgaben der Verlage, die in einen Widerspruch geraten: Einerseits sollen die neuesten Erkenntnisse der Wirtschaftsgeschichte eingearbeitet werden, andererseits muss – nach normativer Vorgabe – die nationale bzw. liberale Erfolgsgeschichte der »Sozialen Marktwirtschaft« erzählt werden. Allerdings sind die verschiedenen Ausgaben der Verlage insgesamt zu widersprüchlich für diese Erklärung. Eher weist die Untersuchung der Schulbücher auf einen großen Einfluss der Autor*innen-Teams hin. Zweitens läge in den politischen Vorgaben der Kultusministerien ein möglicher Erklärungsansatz für die Metamorphosen der Quellen. Allerdings deutet die vorliegende Schulbuchanalyse eher auf einen geringen Einfluss der Kultusministerien hin. Es wäre interessant, die Studie auf sechzig bis siebzig Schulbücher auszuweiten, um mögliche Korrelationen mit einer Sortierung nach Bundesländern zu finden. Hierbei könnte analysiert werden, ob bestimmte Auflagen von Schulbüchern bei bestimmten Bundesländern überdurchschnittlich von der Konzeption der Schulbuchreihe abweichen. Drittens lässt sich die Veränderung mit den gesellschaftlichen Gruppen erklären, die Einfluss auf die Verlage ausüben. Die Gewerkschaften als Pressure-Group müssen nicht in die Diskussion einbezogen werden, da in den Schulbüchern schlichtweg die Inhalte fehlen, die Gewerkschaften vertreten. Weder sind die Gewerkschaften selbst ein wichtiger Akteur in den Schulbüchern, noch finden sich keynesianische Erklärungen des Wirtschaftsaufschwungs. Die starke Betonung der »Sozialen Marktwirtschaft« von Erhard in den Verlagen Westermann, Buchner, Klett und Cornelsen deutet auf einen Einfluss der BDA als wichtigen Akteur hin. Zudem sind die Schulbuchverlage selber in Arbeitgeberverbänden organisiert.46 Laut Geschäftsbericht der BDA findet eine produktive Zusammenarbeit statt: »In Kontakt mit Schulbuchverlagen werden die Gestaltung von Schulbüchern und die ausgewogene und realistische Darstellung von Wirtschaftsthemen aktiv von der BDA unterstützt.«47 Allerdings lassen sich ansonsten keine Hinweise finden. Die Zusammenarbeit müsste, sofern sie existiert, informell erfolgen. Dies wirft die Frage auf, ob die Kultusministerien mehr Aufsicht über die Schulbuchproduktion ausüben sollten. In den 1970er Jahren wurde schon einmal darüber debattiert, ob Schulbuchverlage verstaatlicht werden sollten.

46

47

Insgesamt ist es schwierig, die Vernetzung der Schulbuchverlage mit Arbeitgeberverbänden zu rekonstruieren. Die Westermann-Gruppe gehört zum Medienimperium der Familie Schwab (Medien Union GmbH), über die kaum Informationen verfügbar sind. Gleichzeitig ist Westermann Druck über den Verband Druck und Medien Nordost im Bundesverband Druck und Medien in der BDA organisiert: Verband Druck und Medien NordOst e.V. (2018). Alle vier Schulbuchverlage sind zudem Mitglied im Börsenverein des deutschen Buchhandels: Börsenverein des deutschen Buchhandels (2018). Letzterer betreibt zusammen mit dem Verband Deutscher Zeitschriftenverleger, ebenfalls ein Verband der BDA, die Deutsche Fachpresse, in der Cornelsen seit 2017 Mitglied ist: Deutsche Fachpresse (2018). Auch betätigen sich – mindestens Westermann und Cornelsen – im didacta Verband der Bildungswirtschaft, auf dessen Homepage als wichtigster Partner der BDA angegeben ist: Didacta. Verband der Bildungswirtschaft (2018). Außerdem sind alle Schulbuchverlage im Verband Bildungsmedien als Arbeitgeberverband organisiert. Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (2009), S. 97.

7. Auswertung der Ergebnisse

Eine weitere Erklärung, insofern die Kapitalverbände geringen Einfluss auf die Inhalte der Schulbücher ausüben, wäre die Rechtsform der Verlage. Die unternehmerische Eigenplanung und das Konkurrieren zwingt die Verlage derzeit zu einer schnellstmöglichen Fertigstellung nach Bekanntgabe eines neuen Rahmenlehrplans. Die Qualität der Schulbücher ist dabei höchstens zweitrangig. Hierdurch könnten ebenfalls Mängel produziert bzw. konserviert werden. Am sinnvollsten erscheint folgende Zusammenfassung: Die Schulbuchverlage müssen schnell ein Buch auf den Markt bringen. Aus arbeitsökonomischen Gründen greifen sie auf politikgeschichtliche Überblickswerke sowie die Publikationen der BpB zurück, da diese im Zulassungsverfahren durch das Kultusministerium als seriöse Literatur angesehen werden.48 In den aktuellen Standardwerken wird jedoch zumeist eine Geschichte der BRD erzählt, bei der die Idee der Demokratie im Zentrum der Erzählung steht und die Wirtschaftsgeschichte weitestgehend vernachlässigt wird. Die Autor*innen-Teams bearbeiten die Schulbücher zusätzlich in normativer Hinsicht, wobei die Unterscheidung zwischen Opportunismus, da für die nationale und liberale Erfolgsgeschichte der geringste Widerstand zu erwarten ist, und einer eigenen politischen Agenda schwierig abzuschätzen ist. Auch drängt sich aufgrund der Inhalte in den Schulbüchern die Annahme auf, dass die Arbeitgeberverbände Einfluss ausüben.

7.4.2 Schulbuchproduktion und DDR-Wirtschaft 7.4.2.1 Darstellungstext Der Abschnitt zur Schulbuchproduktion im Hinblick auf die DDR-Wirtschaft wird anders strukturiert. Da die Darstellungstexte bzgl. der These des systemimmanenten Scheiterns der Planwirtschaft mit der hegemonialen Forschung übereinstimmen, wird auf eine ausführliche Literaturerfassung verzichtet. Dennoch möchte ich auf die relevanten Publikationen der Reihe Informationen zur politischen Bildung eingehen, weil die Schulbuchautor*innen aus diesen Ausgaben Quellenmaterial verwendet haben. Das systemimmanente Scheitern wird in der Ausgabe Geschichte der DDR von Malycha49 besonders stark betont. Außerdem sind viele Schulbuchquellen der Publikation 48 49

Laut Schönemann/Thünemann würden sich Schulbuchverlage nicht trauen, zum Verwaltungsgericht zu gehen, um gegen eine Ablehnung zu klagen: Schönemann/Thünemann (2010), S. 106f. Malycha beschreibt die Entwicklung der Nachkriegswirtschaft der DDR ohne internationalen Bezug und durch die Ideologie der SED bestimmt. Dass bei der Transformation der Wirtschaft internationale und klassische Forderungen der Arbeiterbewegung umgesetzt wurden, erfährt man hier nicht. Trotzdem betont Malycha die schweren Ausgangsbedingungen durch Reparationen und Demontagen sowie die Zerstörung der »historisch gewachsenen Arbeitsteilung«: Malycha (2011), S. 13f. Die Ausgabe beinhaltet außerdem die veränderte Quelle von Stephan Kühne (siehe Seite 224). Die Wirtschaft der 1950er Jahre beschreibt Malycha mit dem Aufbau der Schwerindustrie und bescheinigt ihr »expansives Wirtschaftswachstum«, das sich ebenfalls in der Versorgung der Bevölkerung bemerkbar gemacht habe. Für ein »ökonomisch rationales Verhalten« hätten aber die »finanziellen Anreize« gefehlt. Folglich hätten sich im Vergleich mit der Bundesrepublik »die grundlegenden Mängel des planwirtschaftlichen Systems« gezeigt: Malycha (2011), S. 29ff. Ein weiterer Abschnitt mit der Überschrift »Die Grenzen des Systemwettbewerbs« vergleicht die Wirtschaft anhand der langfristigen Konsumgüter. Hierbei ist eine hohe Steigerung des Konsums in der DDR in den 1960er Jahren zu erkennen. Dennoch, Malycha verweist auf Steiner, sei die DDR

343

344

Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

DDR-Geschichte in Dokumenten von Matthias Judt entnommen.50 Die Veröffentlichung Deutschland in den fünfziger Jahren enthält einen Text zur DDR-Wirtschaft von Burghard Ciesla. Er analysiert die DDR-Wirtschaft wesentlich differenzierter als allgemein üblich.51 Mit hoher Wahrscheinlichkeit, wie aus Kapitel sechs hervorgeht, verwenden die Schulbücher auch für die Darstellung der DDR-Wirtschaft fast ausschließlich politikgeschichtliche Arbeiten und selten Veröffentlichungen zur Wirtschaftsgeschichte. An vereinzelten Stellen sind Quellen aus Steiners Überblickswerk entnommen. Der vermutlich bedeutendste Wirtschaftshistoriker zur DDR, Jörg Roesler, wird in keinem Schulbuch berücksichtigt.

7.4.2.2 Die Metamorphosen der Quellen (DDR) Von den Quellen zur DDR-Geschichte konnten fast doppelt so viele Metamorphosen lohnend veranschaulicht werden wie von jenen zur BRD-Geschichte (vgl. Abb. 26 und vgl. Abb. 27).

50

51

weiter hinter die BRD zurückgefallen. Die »alltägliche Praxis« der Wirtschaft wird mit der Automobilindustrie erklärt und somit als repräsentatives Beispiel eingestuft: Malycha (2011), S. 46f. Der DT in der Dokumentensammlung von Matthias Judt wird von den Schulbuchverlagen jedoch nicht verwendet, obwohl hier das systemimmanente Scheitern der Planwirtschaft vertreten wird: Judt (1998), S. 87ff. Ciesla misst den Reparationen und Demontagen – also den Startbedingungen – eine große Bedeutung bezüglich der schlechteren Wettbewerbsfähigkeit zu. Außerdem bescheinigt er der DDRWirtschaft in der Makroperspektive der fünfziger Jahre für den »extensiven« Aufbau eine erfolgreiche Entwicklung. Als schwierigstes Problem bezeichnet er den Wohnungsbau, der stillschweigend von »national, schön und großzügig« in »besser, billiger und schneller bauen« geändert worden sei. Demgegenüber habe die kostenlose medizinische und soziale Betreuung in der DDR große Anerkennung durch die Bevölkerung bekommen. In der gedruckten Fassung befinden sich sogar eine Tabelle zu den Zuwachsraten des jährlichen Nationaleinkommens und eine Statistik zu den Reparationen, in der die Autoindustrie aufgeführt ist. Er argumentiert aber ebenfalls mit den systemischen Schwächen: Ciesla (1997), S. 39ff.

7. Auswertung der Ergebnisse

345

Abbildung 26: Normative Metamorphosen der Quellen zu DDR-Wirtschaft 1

y

Friedrich Schorn Interview Hildebrandt 1953 Artikel Der Monat

2: Kürzungen; Beschreibung als Rechnungsprüfer

Artikel The New Yorker

5/6: Kürzungen; Interpretation: Drei Strophen des Deutschlandsliedes Bekenntnis zur BRD; BND-Arbeit fehlt

Checkpoint Charlie 1978

Spittmann/Fricke 1982 1: NSDAP-Mitglied, SS-Offizier, NPD-Nähe fehlt; Haftzeit als Kriegsverbrecher nicht erwähnt

Spittmann/Fricke 1988 BpB Website 17. Juni 53 Schulbuch

Thomas Fr. v. Fritsch-Seerhausen

2: Kürzungen; Militärischer Pathos und Offiziersränge entfernt

Bericht 1980

5: Kürzungen; Interpretation: Ungerechte Behandlung Sächs. Heimatschutz 1993 von Plato/Leh 1997 1: NSDAP-Mitglied seit 1929 und SS-Offizier fehlt

Schulbuch

Stephan Otto Kühne Bericht unbekannt

3: Kürzung: Leitungsfunktion des Vaters 4: Änderung: „Betroffene der Bodenreform“ in „Neubauer“

Zimmer 1989

BpB 1991 Pötzsch

6: Bewertung als glaubwürdiger Bericht BpB 2011 Malycha

1: Großgrundbesitz der Familie, Offiziersränge, Besitzer des Gutes und Freund Werner Graf von Bassewitz-Levetzow nicht erwähnt

Schulbuch

Autor unbekannt Bericht unbekannt

2: Kürzungen; Hrsg. Joachim von Kruse nicht kontextualisiert von Kruse 1955

6: Bewertung als glaubwürdiger Bericht

von Kruse 1988 BpB 1991 Pötzsch BpB 2011 Malycha 1: Autor anonymisiert; Grund für Haftbefehl nicht genannt

xNA= Nationale Autobiografie

Schulbuch x

xNA

346

Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

Abbildung 27: Normative Metamorphosen der Quellen zu DDR-Wirtschaft 2

y Heinz Brandt

5: Deutungen des Juni-Aufstands entfernt; Autor lediglich als ehem. SED-Mitglied bezeichnet, Haftzeit in Bautzen nicht erwähnt Brandt 1967 Schulbuch

Elisabeth Graul

5: BDJ-Mitgliedschaft nicht erwähnt; Passagen zur Perspektive auf NS gekürzt; Schulbuch suggeriert elfjähr. Haftzeit für Flugblätter Graul 1993 Schulbuch

Anonymer „Arbeiter“

5: Satz zur Herkunft (vieler) aus Westberlin gekürzt; Quellenkritik fehlt Bericht unbekannt Harpprecht 1953 1: Autor anonymisiert; keine Quellenangaben

Neues Deutschland

Schulbuch

Neues Deutschland 1970 BpB 1991 Pötzsch BpB 2011 Malycha 6: Bewertung als unglaubwürdige Quelle, da der Autor einen 'Junker' als „Sturmführer der SA diskreditiert“ und heuristisch deutet

Schulbuch

Gabriel García Márquez 5: Kriegszerstörungen entfernt; Quelle wird als Kritik der Planwirtschaft bezeichnet

Buch Márquez 1986 Artikel FR Márquez 1986

Kleßmann 1993 Schulbuch 1: Westberlin „eine Agentur für kapitalistische Propaganda“ gekürzt

Walter Hirche 5: Überschrift geändert; Erscheinungsort Ost-Berlin ergänzt Der Leuchtturm 1948 Kleßmann 1993 1: Autor anonymisiert; Erscheinungsort (Rosenheim) entfernt; politischer Hintergrund (rechtsextreme Vertriebenen-Zeitung) nicht genannt

xNA= Nationale Autobiografie

Schulbuch

x xNA

7. Auswertung der Ergebnisse

An den Grafiken ist gut nachvollziehbar, dass die normative Metamorphose bei den Quellen zur DDR (im Gegensatz zur BRD-Wirtschaft) bereits in den Übergängen eins, zwei, drei und vier, also innerhalb der Geschichtswissenschaft, stattfindet. Von den zehn dargestellten Metamorphosen beginnen sieben Quellen bereits in diesem Bereich. Lediglich die Texte von Brandt, Graul und Gabriel (Neues Deutschland) wurden erst in den Schulbüchern normativ bearbeitet. Des Weiteren weisen die Veränderungen der DDR-Quellen in den Übergängen fünf und sieben einen anderen Charakter auf. Während bei den Texten zur BRD-Wirtschaft häufig normative Kürzungen erfolgen, besteht hier die (letzte) Metamorphose in der Einordnung und Interpretation der Quelle im Sinne des Master-Narratives. Physische Metamorphosen hingehen, vollziehen sich bereits in der Geschichtswissenschaft. Folglich muss der Ursprung der Quelle gesucht werden. Dabei zeigt sich, dass aktuell verwendete Quellen in den Schulbüchern bereits mehrfach verändert wurden und deren ursprüngliches Dokument manchmal nicht mehr auffindbar ist. Bei den Übergängen der Metamorphosen muss berücksichtigt werden, dass es neue Forschungsergebnisse geben kann. In der Grafik (vgl. Abb. 26) ist dies bei Friedrich Schorn relevant, da seine BND-Tätigkeit erst seit 2013 belegt ist. An den Beispielen kann gesehen werden, wie sich die Quellen mit jeder Überarbeitung an das herrschende Geschichts-Narrativ oder die nationale Autobiografie annähern. Dabei geht die Möglichkeit einer sauberen Quellenanalyse anhand der klassischen W-Fragen und ein kritisches Geschichtsbild verloren. Das Erstaunliche an den Metamorphosen sind nicht nur die einzelnen Veränderungen, sondern die Tatsache, dass Dutzende an Mitarbeitenden die Quellen lektoriert sowie hunderte (vielleicht tausende) Lehrer*innen die Quellen gelesen haben. Anscheinend hat aber niemand die Quellen recherchiert oder die Veränderung wurde gebilligt. Im Vergleich mit den Quellen zur Geschichte der BRD ist deutlich, wie zentral die DDR-Forschung für die Veränderung der Quellen ist. Folglich kann nur die Geschichtskultur in Deutschland eine analytisch logische Erklärung bieten, warum diese Quellen durch die zahlreichen Lektorate und Unterrichtsstunden gekommen sind. Die Metamorphosen der Quellen können mit fünf Aspekten der DDR-Geschichtsschreibung erklärt werden: Erstens erscheint die DDR-Geschichte, man verzeihe mir die Umgangssprache, bisweilen auf dem rechten Auge blind. Ein wichtiger Flügel des DDR-Widerstands war von Beginn an im rechtsextremen Spektrum anzusiedeln. Daraus darf man nicht den Schluss ziehen, wie die DDR-Führung ihn propagierte, dass Widerstand gegen die DDR stets faschistisch motiviert war. Er speiste sich aus unterschiedlichen politischen Spektren mit verschiedenen politischen und besonders wirtschaftlichen Motiven. In der Geschichtskultur der BRD gilt Widerstand gegen die DDR aber grundsätzlich als positiv und demokratisch motiviert. Der rechtsextreme Flügel wird dabei positiv verklärt. Zudem konnten (ehem.) Faschisten hierdurch langfristig als gefragte Zeitzeugen und Wissenschaftler agieren. Die DDR-Geschichte bietet auch heutzutage ein gefördertes Arbeitsfeld für die politische Rechte.52

52

Deutlich wird dies an zahlreichen Personalien, wie bspw. Klaus Schröder, Olaf Kappelt, Georg Pazderski, Christian Fuchs, Michael Beleites, Lothar Fritze, die sich aktuell (April 2018) – mal mehr, mal weniger offen – zur AFD bekennen. Auch die Opferverbände sind – trotz der internen Kontroversen darüber – ein wichtiges Aktionsfeld der Neuen Rechten. Die Debatte um Siegmar Faust und

347

348

Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

Zweitens übersieht die DDR-Geschichtsschreibung den zeitgenössischen Revisionismus. Dies zeigt sich vor allem am fehlenden Verständnis für ein logisches Sicherheitsbedürfnis der UdSSR nach dem zweiten Weltkrieg. Dabei hatten die Menschen in der Sowjetunion den dritten militärischen Überfall aus dem Westen innerhalb von zwanzig Jahren erlebt.53 Hier kann zusätzlich die moralische Frage aufgeworfen werden, ob es überhaupt legitim ist, die UdSSR aus deutscher Perspektive als aggressiv und expansiv darzustellen. Die Rede von Joachim Gauck im Sommer 2014 in Polen, in welcher der Bundespräsident Putin implizit mit Hitler verglich und am Gedenktag zum Beginn des Zweiten Weltkriegs die sowjetischen Opfer mit keinem Wort erwähnte, macht deutlich, dass das Problem nicht nur in den Schulbüchern existiert.54 Widerstand gegen die Besatzungsmacht und ihre Vasallen der SED kann wenige Jahre nach den Verwüstungen in der Sowjetunion nicht von diesem Kontext gelöst betrachtet werden. Drittens fehlt eine Auseinandersetzung mit der rechten Vergangenheit von Konservativismus und Liberalismus und ihrem spannungsreichen Verhältnis mit der Demokratie. Im Master-Narrativ werden die liberalen und konservativen Parteien jedoch als Vorreiter der Demokratie präsentiert. Die Besatzungsmacht UdSSR wusste demgegenüber durchaus, dass die NSDAP per Wahlen zur Macht kam und dass alle Parteien rechts von KPD und SPD dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt und sich zumeist loyal verhalten hatten. Nicht zufällig traten die meisten (ehem.) Faschisten in die CDU und insbesondere in die FDP ein. Ähnlich ist viertens der Rassismus gegenüber den russischen Menschen einzustufen. So zeigten Umfragen, die der Führung der UdSSR sicher bekannt waren, dass im Jahr 1945 92 Prozent der Menschen in Deutschland »Russen« als »›minderwertiges‹ Volk« einstuften.55 In der DDR-Forschung wird dieser Aspekt nicht reflektiert. Gegnerschaft zur UdSSR wird automatisch positiv und als demokratische Opposition bewertet. Fünftens ist der Antifaschismus vieler Akteure in der Frühphase der DDR anzuerkennen. Die Schulbücher stellen diesen ausschließlich als politische Strategie dar. Empirisch gesehen hat jedoch die größte (westliche) politische Massenentlassung der Welt stattgefunden. Viktor Klemperer brachte die Meinung vieler Gegner des Faschismus zum Ausdruck, als er im November 1945 über die KPD schrieb: »Wenn ich schon in eine Partei muss, dann ist diese das kleinste Übel. Gegenwärtig zum mindesten. Sie

53 54

55

Jörg Kürschner in der Gedenkstätte Hohenschönhausen zeigt das Problem. Faust hat, laut Markus Decker in der Berliner Zeitung, in den Führungen der Gedenkstätte offen für die AFD geworben und in einem Gespräch die Haftstrafe gegen Horst Mahler wegen Holocaust-Leugnung kritisiert. Weiterhin gibt es in der Gedenkstätte, so Faust, »wenige[,] die anders denken«: Decker (2018a); Decker (2018b); Decker (2018c). Die westliche Intervention beim russischen Bürgerkrieg wird oft übersehen. Jochen Hellbeck kritisiert ihn wie folgt: »Wenn die Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert überhaupt eine Erkenntnis für die heutige Zeit birgt, dann jene, dass eingedenk der von Deutschen in Osteuropa angerichteten Verwüstungen politische Vertreter unseres Landes sich dort mit besonderem Nachdruck für Frieden und Ausgleich bemühen müssen. Das gilt für Russland nicht weniger als für Polen und die Ukraine. Der deutsche Angriff auf Polen führte nahtlos zum Krieg gegen die Sowjetunion und gipfelte in unvorstellbarem Massenmord. Gauck verlor hierüber kein Wort«: Süddeutsche Zeitung (2014). Kleßmann (1991), S. 372.

7. Auswertung der Ergebnisse

allein drängt wirklich auf die radikale Ausschaltung der Nazis.«56 Zusätzlich entsteht die moralische Frage, wie man den SED-Kadern der ersten Stunde den Antifaschismus absprechen kann. Fast alle waren in die Organisation des bedeutendsten Widerstands gegen den Faschismus involviert und haben hierfür größte persönliche Opfer gebracht. Ob die Frage des Antifaschismus in der DDR für die 1970er und 1980er Jahre anders diskutiert werden muss, kann an dieser Stelle nicht thematisiert werden. Selbstverständlich sind diese Ausführungen zur DDR-Geschichtskultur nicht hinreichend belegt. Es existieren aber zahlreiche Indizien für die Thesen und sie machen die Metamorphosen erklärbar und verständlich. Abschließend soll noch der Eindruck geäußert werden, dass in der Geschichtswissenschaft zur DDR nicht die Qualität der Wissenschaft, sondern die normative Bewertung für Publikationen ausschlaggebend ist.57

56 57

Judt (1998), S. 50. Der Zustand der DDR-Geschichtswissenschaft offenbart sich besonders deutlich anhand des Aufsatzes Der deutsch-deutsche Schäferhund, in dem die Geschichte einer Hundefamilie, die vom KZHund bis zum Mauerhund unter den »zwei deutschen Diktaturen« gelitten habe, erfunden wurde. Der Beitrag ist so geschrieben, dass jede Person, die sich gut mit der DDR-Geschichte auskennt, die Satire darin erkennen müsste. Er nutzt auf kluge Weise die Totalitarismus-Doktrin aus und wurde in der Institutszeitschrift des Hannah-Arendt-Instituts in Dresden veröffentlicht: Schulte (2015).

349

8. Fazit

Schulbücher haben als Teil der Geschichtskultur und als »Leitmedium« des Geschichtsunterrichts eine wichtige gesellschaftliche Bedeutung. Als »Politicum« werden die Inhalte der Schulbücher stets von Kontroversen begleitet – besonders bei gesellschaftlich umstrittenen Themen wie dem »Kalten Krieg«. Im Hinblick auf die Funktion als »Informatorium« und als »Paedagogicum« hingegen besteht in der Geschichtsdidaktik Einigkeit darüber, dass Schulbücher historisches Lernen und die Verbesserung des Geschichtsbewusstseins fördern sollen. Auch die Konzeption einer idealtypischen Schulbuchseite ist weitestgehend unstrittig. Demnach leitet ein Darstellungstext in eine Thematik ein, die dann anhand von Quellen inhaltlich bearbeitet wird. Aufgabenstellungen mit unterschiedlichen Anforderungsbereichen animieren die Schüler*innen zu einer eigenen historischen Erzählung. Die didaktische Kritik an bestehenden Schulbuchausgaben bemängelt vor allem fehlende Kontroversen, eine illustrative Funktion der Quellen und wenige offene Arbeitsaufträge. Die Entwicklung einer Methodik, um die Erzählungen zur deutschen Wirtschaftsgeschichte zu analysieren, erfordert eine Darstellung des wirtschaftsgeschichtlichen Forschungsstands. In der meinungsführenden Literatur wird deutlich, dass der Nachkriegsboom kein deutsches »Wirtschaftswunder«, sondern eine Rekonstruktionsperiode der zerstörten Infrastruktur war, die sich in allen europäischen Staaten – auch im Osten – vollzog. Die theoretische Grundlage für diese Perspektive bietet die Rekonstruktionstheorie von Holló/Jánossy, deren Bedeutung für die Analyse des »Golden Age« allgemein anerkannt ist. Demnach kann eine Volkswirtschaft infolge eines externen Schocks – wie einer Naturkatastrophe oder eines Krieges – relativ schnell auf den langfristigen Pfad der Konjunkturentwicklung zurückkehren. Da die Konjunkturentwicklung jedoch maßgeblich durch die Anzahl der Arbeitskräfte sowie deren Ausbildung bestimmt wird, ist es besonders relevant, ob das Arbeitskräftepotenzial intakt bleibt. Dies war in der BRD durch den Zuzug aus den ehemaligen Ostgebieten und der DDR im hohen Maße der Fall. Die wirtschaftsgeschichtliche Forschung bestätigte in den letzten Jahren mehrfach sowohl die Angleichung der Konjunktur an den langfristigen Trend als auch den Zusammenhang, dass die Länder mit den größten Kriegszerstörungen die höchsten Rekonstruktionsraten hatten.

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

Einige andere Aspekte begünstigten zusätzlich die Wirtschaft der BRD: Erstens verfügte die Industrie über große Kapazitätsreserven, deren Anlagevermögen im Jahr 1945 jenes von 1938 um ca. elf Prozent übertraf. Deshalb leitete bereits die Reparatur der schwer beschädigten Infrastruktur das »Golden Age« ein. Zweitens musste zweifelsohne eine Währungsreform durchgeführt werden. Allerdings stellte es keine ökonomische Notwendigkeit dar, dass allein die Besitzer*innen von Sparguthaben für die Verschuldung des Reiches aufkommen mussten, während die Sachvermögen unangetastet blieben. Einen Wirtschaftsboom hätte es auch mit einer gerechten Verteilung der Lasten gegeben. Drittens benötigte die BRD die Aufhebung der Produktionsbeschränkungen, die im Kontext des Korea-Kriegs erfolgte. Außerdem löste der große Krieg in Südostasien einen Nachfrageboom nach Schwerindustrie-Produkten aus. Viertens verzichteten im Londoner Schuldenmemorandum viele kriegsgeschädigte Länder – auf Druck der USA hin – auf Ansprüche an Deutschland. Hiermit erlangte die BRD schlagartig die Kreditwürdigkeit zurück. Vermutlich war die Streichung der Schulden die bedeutendste Maßnahme der Politik für den Aufschwung in der BRD. Fünftens stellte die Unterbewertung der DM durch das Bretton-Woods-Wechselkurssystem einen bemerkenswerten Vorteil dar, da sie dazu führte, dass die deutschen Produkte auf dem Weltmarkt günstiger angeboten werden konnten. Sechstens versorgte die Zuwanderung aus den ehemaligen Ostgebieten und der DDR die westdeutsche Wirtschaft mit ausgebildeten Arbeitskräften. Hierdurch profitierte die BRD indirekt von den Bildungsinvestitionen der DDR. Noch nicht hinreichend untersucht ist der Einfluss der Zwangsarbeit während des Krieges auf den Ausbau der Industrie und somit auch zum »Wirtschaftswunder«. Das klassisch deutsche Erfolgs-Narrativ der Wirkung der »Sozialen Marktwirtschaft« kann als widerlegt gelten. Neben den oben genannten, die wirtschaftspolitische Situation begünstigenden Aspekten, zeigen aktuelle Arbeiten große Kontinuitäten zwischen der faschistischen und der bundesrepublikanischen Wirtschaftsordnung auf; von einer Zäsur 1945 (oder 1948) kann keine Rede sein. Die westdeutsche Wirtschaftspolitik von 1945 bis 1973 war auch keineswegs den Konzeptionen der Theoretiker der »Sozialen Marktwirtschaft« nachempfunden. In keiner anderen Friedensepoche regulierte die Politik die Wirtschaft so stark wie in dieser Zeit. Ordoliberale wie Erhard konnten sich mit ihren Vorstellungen kaum durchsetzen. Wenn es wichtige Personen gab, die die Wirtschaft der BRD prägten, so waren dies Adenauer und sein Berater Hermann Josef Abs, Fritz Berg vom BDI sowie Staatssekretär Ludger Westrick – bis auf Adenauer allesamt NS-Karrieristen und personeller Ausdruck der ökonomischen Kontinuität. Des Weiteren wurde der Forschungsstand zur Wirtschaftsgeschichte der DDR für die Analyse der Schulbücher erschlossen. Die relevanten Werke der Wirtschaftsgeschichte lassen nicht den Schluss auf ein systemimmanentes Scheitern der Planwirtschaft zu, denn diese litt unter ungleich schlechteren Ausgangsbedingungen. An vier Punkten kann diese These festgemacht werden: Erstens entstand der gesamte Ostblock auf den verwüsteten Gebieten des Ostfeldzugs der Wehrmacht. Hier waren die Kriegsschäden, vor allem in der Landwirtschaft, besonders stark. Zweitens wurde die DDR vom Hauptkriegsgegner besetzt. Die UdSSR brauchte – und forderte – umfassende Kriegsentschädigungen. Insgesamt hatten die Reparatio-

8. Fazit

nen, die sich auf bis zu 50 Prozent des BSP der SBZ beliefen, und die Demontagen – etwa des gesamten zweiten Gleises des Schienennetzes – immense Auswirkungen auf die langfristige wirtschaftliche Entwicklung. Die daraus resultierende deutlich schlechtere Versorgungslage als im Westen, die Angst vor russischer Vergeltung und/oder strafrechtlicher Verfolgung führten zu einer massenhaften Migration. Besonders die Mitglieder der Oberschicht mussten mit Konsequenzen rechnen, da sie häufig im Faschismus Karriere gemacht und wichtige Ämter bekleidet hatten. Zusätzlich hatten sich viele Unternehmer der mittleren und großen Betriebe durch Zwangsarbeit der Kriegsverbrechen schuldig gemacht. Drittens resultierten die Strukturprobleme der DDR-Wirtschaft aus den Disproportionalitäten der Teilung eines gewachsenen Wirtschaftsgebietes. Folglich verfügte die SBZ/DDR über nahezu keinerlei Grundstoffindustrien, die im Ruhrgebiet konzentriert waren. Dies machte die enormen Investitionen in die Schwerindustrie notwendig, die dann im Konsumgütersektor, in der Infrastruktur und im Wohnungsbau fehlten. Nach der politischen Krise von 1953 konnte die DDR zentrale Verbesserungen der Lebensbedingungen bis zum Ende der fünfziger Jahre erreichen. Ein großes Problem blieb weiterhin die Abwanderung der Arbeitskräfte, die durch den Mauerbau verhindert werden sollte. In den sechziger Jahren erlebten die Menschen in der DDR das ostdeutsche »Wirtschaftswunder«, das ebenfalls auf die (verspätete) Rekonstruktionsperiode zurückgeführt werden muss. Viertens litt die Wirtschaft während des gesamten Bestehens der DDR unter dem internationalen Handelsboykott, dessen Einhaltung eine Bedingung für ERPLieferungen war. Folglich mussten die osteuropäischen Planwirtschaften, außer der Tschechoslowakei allesamt Länder der aufholenden Modernisierung, alle Technologien selbst entwickeln, anstatt von den Vorteilen des Catch-ups zu profitieren. Zudem konnten wichtige Absatzmärkte nicht erschlossen werden. Insgesamt sind alle bisher unternommenen Versuche, das systemimmanente Scheitern der Planwirtschaft zu erklären, nicht überzeugend. Der Boykott gegen den Ostblock, als sehr relevanter externer Faktor, wird sogar weitestgehend ignoriert. Stattdessen ist es eher erstaunlich, zu welchen ökonomischen Leistungen die Planwirtschaften des Ostens – trotz der boykottbedingten Abkoppelung von den reichsten Ländern der Erde – fähig waren. Trüge man den unterschiedlichen Rahmenbedingungen Rechnung, ist die Konjunkturentwicklung im sowjetischen Einflussbereich vermutlich sogar als deutlich erfolgreicher zu bewerten.1 Dass die zentralisierte Planwirtschaft politisch nicht wünschenswert ist, ist ein hiervon unabhängiges Argument. Ein weiterer Teil der Arbeit vermittelt einen Überblick über bisherige Analysen von Schulbüchern bezüglich der darin enthaltenen Darstellung des »Kalten Krieges« und der Wirtschaft in Deutschland. Hierbei konnten sehr gegensätzliche Tendenzen hinsichtlich der Analysen der DDR- und der BRD-Darstellung festgestellt werden.

1

Dieser Aspekt kann, so Robert Kurz, mit den größeren Zerstörungen, einer nachholenden Modernisierung mit ungeheurer Inanspruchnahme der Arbeitskraft, wie sie in den kapitalistischen Staaten bereits im 19. Jahrhundert erfolgt war und einer äußerst effizienten strategischen Planung mit nahezu militärischem Gehorsam erklärt werden: Kurz (1999), S. 459ff.

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

Zur Wirtschaft der DDR gibt es keine aktuellen Arbeiten der Schulbuchforschung. Allerdings wurden umfangreiche Debatten geführt, wie normativ Schulbuchdarstellungen zur DDR sein dürfen bzw. sollen: Viele Didaktiker*innen erkennen eine Veränderung der Darstellung der DDR seit dem Jahr 2000. Demnach liege der Schwerpunkt der historischen Narrationen bis zum Jahr 2000 auf einer Politikgeschichte mit deutlichen normativen Tendenzen, um den diktatorischen Charakter der DDR hervorzuheben. Die Förderung einer eigenen historischen Sinnbildung der Schüler*innen nehme hierbei eine untergeordnete Rolle ein. Im neuen Jahrtausend sei die DDR-Darstellung aufgewertet worden – erstens durch den Umfang und zweitens anhand einer integrativen deutschen Geschichte, die durch Alltagsgeschichte und offene Aufgabenformate erweitert worden sei. Hiermit habe sich der Fokus von der Normierung in Richtung Narrativität verschoben. Diese Entwicklung wird von den meisten Historiker*innen und Didaktiker*innen positiv vermerkt. Lediglich aus dem Forschungsverbund SED-Staat wird kritisch bemerkt, dass das »Unrechtsregime« durch diese Neugewichtung weniger berücksichtigt werde. Einige Didaktiker*innen stellen auch weiterhin eine starke politische Normierung und wenig Raum für das Erlernen von Geschichte als Narration in den Schulbüchern fest. Bezogen auf die Darstellung der BRD in Schulbüchern wird im Gegensatz dazu keinerlei normative Diskussion geführt. Was Publikationen zur Wirtschaft der BRD betrifft, so bestehen die einzigen Exemplare aus Auftragsarbeiten der Arbeitgeberverbände, welche die vermeintliche Unternehmerfeindlichkeit des Lehrmaterials kritisieren. Die Auftragsarbeiten genügen wissenschaftlichen Standards so grundlegend nicht, dass sie den Charakter von Pamphleten haben. Hier bestätigt sich die Kritik von Stein, nach der Schulbuchanalysen oftmals »selektive Zitatenschau« betreiben, um den jeweiligen politischen Standpunkt zu untermauern. Umso erstaunlicher ist es, wie breit diese Arbeiten in der Presse zitiert wurden. Aber auch insgesamt zeigen viele Schulbuchanalysen methodische Defizite. In der vorliegenden Arbeit wurde deshalb die Schulbuchanalyse weiterentwickelt. Sie baut auf Vorarbeiten von Marienfeld, Schreiber/Schöner und Kühberger auf. Die erste Neuerung ist ein umfangreicher Analysebogen mit Codierungen als Grundlage der Methodik, erstellt anhand der existierenden wissenschaftlichen Ansprüche an die Gestaltung von Schulbüchern. Diese Codierungen sind von Doppelplus bis Doppelminus skaliert – ähnlich wie ein Fragebogen mit Likert-Skala von stimme vollständig zu über stimme teilweise zu bis stimme vollständig dagegen. Diese Methodik erfährt eine zweite Erweiterung durch eine Tiefenanalyse von Quellen in Schulbüchern. In der Tiefenanalyse werden Herkunftsort und Textfassung der ursprünglichen Quelle betrachtet sowie biographische Informationen über die Quellenverfasser*innen miteinbezogen. Sie erfüllt zwei Funktionen: Erstens ist eine präzise konzipierte Quelle eine notwendige Voraussetzung für historisches Lernen. Wenn die Quelle signifikant verändert wurde, ist sie für eine Sinnbildung über Zeiterfahrung nicht geeignet, da sie weder fachliche, narrative noch normative Triftigkeit besitzen kann. Historisches Lernen ist nur möglich, wenn eine Quelle gut recherchiert und sinnerhaltend gekürzt wurde. Zweitens bietet die Tiefenanalyse von Quellen Einblicke in das Schulbuch als Medium der Geschichtskultur. Daraus ergeben sich Erkenntnisse

8. Fazit

über die Entstehung von Schulbüchern, die Bearbeitung von historischen Quellen und allgemein über die Produktion der Geschichtskultur. Als dritte Neuerung werden die Lösungsbände (oder auch Begleitbände) einbezogen. Die Lösungsbände sind in zweierlei Hinsicht interessant: Erstens wird aus didaktischer Perspektive deutlich, ob der vom Schulbuch gewählte Operator in der Antwort angewendet wird. Zweitens offenbaren die Begleitbände die normative Interpretation der Schulbuchautor*innen, da die vorgegebenen Antworten vielfach eine politische Bewertung beinhalten. Besonders bei politisch umstrittenen Themen – wie dem »Kalten Krieg« –, bei denen Schulbüchern ein normativer Auftrag zukommt, ist eine Analyse der Lösungen der Arbeitsaufträge mit bewertenden Operatoren aussagekräftig. Eine vierte Neuerung ergibt sich aus dem Anspruch, den Entstehungsprozess von Schulbüchern abschätzen zu können. Um die leitende Frage, wie Schulbuchtexte entstanden und vor allem überarbeitet wurden, beantworten zu können, wurde die Tiefenanalyse ergänzt um eine Überprüfung der Literaturverzeichnisse der Schulbücher und um eine statistische Auswertung der Analysebögen. Bei der Analyse der fachlichen Triftigkeit zeigt sich deutlich, dass die 36 Schulbücher der Jahrgänge 2014-2016 weitestgehend die klassische Erfolgsgeschichte des deutschen »Wirtschaftswunders« erzählen. Werden nur die Hauptargumente der Schulbücher, die ich mit Doppelplus (++) codiert habe, ausgewertet, ergibt sich folgende Erzählung: Mit der Einführung der »Sozialen Marktwirtschaft« (35 Schulbücher) sei durch Ludwig Erhard (26) eine wirtschaftspolitische Zäsur durchgeführt worden, die, unterstützt durch »Marshallplan« (15) und Währungsreform (12), das deutsche »Wirtschaftswunder« ermöglicht habe. Erfolgt die Auswertung über Hauptargumente (++) und Nebenargumente (+), wird das Master-Narrativ bestätigt, wenngleich die Schulbuchnarrationen hierdurch differenzierter wirken. Neben »Sozialer Marktwirtschaft« (35), ERP (32), Erhard (29) und Währungsreform (23) erklären folgende Aspekte den Aufschwung: die ausgeprägte Arbeitsmotivation der Deutschen (17); die zurückhaltenden Gewerkschaften (15); die niedrigen Löhne (11); der Korea-Boom (11); die Arbeitskräfte aus dem Osten (11). In vielen Schulbüchern ähnelt die Konzeption einem historistischem Narrativ, nach dem große Männer mit großen Ideen eine große Nation voranbringen. Eine wissenschaftlich fundierte gesellschafts- und wirtschaftspolitische Strukturanalyse würde dem Anspruch an einen bundesweiten Bildungsauftrag wesentlich gerechter. Demgegenüber fehlen alle Erklärungen, die der deutschen Erfolgsgeschichte widersprechen: Erstens nennen die Schulbücher neben Erhard und Müller-Armack keine relevanten Akteure. Die Gewerkschaften tauchen in den meisten Schulbüchern lediglich unter dem (positiv konnotierten) Aspekt der »zurückhaltenden Lohnforderungen« auf. Eine Erläuterung des Zusammenhangs von Lohnsteigerungen und Binnenkonjunktur enthält keines der Schulbücher. Die Massenarmut der fünfziger und sechziger Jahre wird ebenfalls nicht erwähnt. Zweitens fehlt eine internationale Perspektive. Dabei geht es nicht darum, die Rekonstruktion in allen europäischen Staaten zu thematisieren, sondern zu zeigen, dass es in ganz Europa – eben auch im Osten – das »Golden Age« gegeben hat. Drittens werden lediglich in einem Schulbuch, nämlich Forum Geschichte 4, der Schuldenschnitt in London und der günstige Wechselkurs durch das Bretton-Woods-Abkommen mit dem Aufschwung in Verbindung gebracht. Die kapitalismuskritische Stimmung der Nachkriegszeit wird in einem Schulbuch und der Ge-

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Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft

neralstreik von 1948 in keinem Schulbuch erwähnt. Viertens arbeiten die Schulbücher kaum mit ökonomischen und politischen Theorien. Für das »Wirtschaftswunder« wäre es möglich, die Rekonstruktionstheorie – eventuell auch die Catch-up-Theorie – zu erklären. Auch wirtschaftspolitische Thesen von Keynes oder Marx sollten in den Schulbüchern vorgestellt werden, denn sie sind für die Analyse des »Golden Age« sicherlich von größerer Bedeutung als ein unbedeutender Textauszug von Müller-Armack, der an diversen Schulbuchstellen zitiert wird. In keinem Schulbuch wird darüber hinaus der Industrieplan (als Zusatzvereinbarung nach der Potsdamer Konferenz) erwähnt, nach dem die Wirtschaft der BRD auf 70 Prozent der Kapazitäten des Standes von 1938 zurückgebaut werden sollte. Das ERP und der Politikwechsel à la Byrnes und Marshall stellen einen klaren Bruch dieser Vereinbarung dar. Die Darstellung der DDR-Wirtschaft ist die negative Gegenfolie zur westdeutschen Erfolgsgeschichte: Sie ist eingebettet in eine permanente Krisenerzählung zwischen sowjetischer Besatzung, Aufstand im Juni 1953 und Mauerbau. Das leitende Konzept der Erzählung der wirtschaftlichen Entwicklung besteht ebenfalls aus der Umsetzung einer gesellschaftlichen Idee von großen Männern und nicht aus einer gesellschaftlichen Strukturanalyse. Folglich findet sich als einziges Hauptargument (++) für den Misserfolg der DDR-Wirtschaft das, an ihren immanenten Schwächen gescheiterte, Konzept der Planwirtschaft (33). Werden zusätzlich die Nebenargumente (+) ausgewertet, argumentieren die Schulbücher neben der Planwirtschaft (36) mit den Enteignungen der Betriebe (16), den LPG (15), den Reparationszahlungen (15), den Demontagen (14) und der Nichtteilnahme ERP (10). Allerdings werden diese Nachteile zumeist auch auf die falsche Ideologie der Besatzungsmacht oder der SED zurückgeführt, anstatt Ausgangsbedingungen, gesellschaftliche Strukturen und Kausalitäten zu erklären. 40 Prozent der Schulbücher betonen zudem, dass die SED durch die falsche Wirtschaftspolitik – die Fokussierung auf die Schwerindustrie – die Konsumgüter vernachlässigt habe. Nur zwei Schulbücher erklären, warum die Teilung des Wirtschaftsgebietes diese Investitionen notwendig machten, nämlich Forum Geschichte 9/10 und Geschichte und Geschehen 3/4. In wenigen Schulbüchern (6) wird in kurzen Anmerkungen auf partielle Erfolge der DDR-Wirtschaft hingewiesen. Hiermit ist entweder die Steigerung der Industrieproduktion in den 1950er Jahren oder die bessere Konsumgüterversorgung in den 1960er Jahren gemeint. Insgesamt fallen bei den Bewertungen der Ökonomien in Ost und West die unterschiedlichen Messkriterien auf. Während die BRD ganz klassisch mit Wachstumsraten des BIPs bzw. der Veränderung der Güterversorgung bewertet wird, werden bezogen auf die DDR stets absolute Werte im Vergleich zur BRD dargestellt. Zwar mag dieser Vergleich für die ostdeutsche Bevölkerung besonders wichtig gewesen sein, er eignet sich jedoch nicht für eine ökonomische Analyse, wie die Schulbücher sie anstreben. In besonderem Maße verdeutlichen die Schulbücher die wirtschaftliche Entwicklung in den beiden Staaten anhand großer Bilder vom Automobil. Es symbolisiert im Westen das »Wirtschaftswunder« und im Osten die »Mangelwirtschaft«. Hierzu erfolgen später weitere Ausführungen.

8. Fazit

Die Analyse der narrativen Triftigkeit offenbart eine methodische Herausforderung, da sich erstens oftmals Schnittmengen, sowohl mit der fachlichen Triftigkeit als auch mit der normativen Triftigkeit, zeigen. Zweitens existieren unterschiedliche Verständnisse von narrativer Triftigkeit, die eine Folge der Kontroverse um den Konstruktivismus sind. Ich habe mich mit dem entwickelten Analyseraster an der konstruktivistischen Analyse der narrativen Triftigkeit orientiert und überprüft, wie sehr die Schulbücher ihre Darstellungen als subjektive Erzählung kennzeichnen. Dennoch wurde auch die zweite Auffassung der narrativen Triftigkeit, die eher die Plausibilität einer historischen Veränderung für die Nutzung in der Gegenwart beinhaltet, verwendet. Sie lässt sich – bis auf den Gegenwartsbezug – aus dem Analyseraster der fachlichen Triftigkeit gewinnen, indem die Haupt-/und Nebenargumente zu Erzähltypen summiert werden. Aufgrund der verschiedenen Vorstellungen von narrativer Triftigkeit habe ich zwei Abschnitte formuliert: Der erste Teil zur narrativen Triftigkeit resultiert aus dem gleichnamigen Analyseschema. Hierbei wurde geprüft, inwieweit die Schulbücher nach den Kriterien Retroperspektivität, Temporalität, Konstruktivität, Selektivität und Partialität aufgebaut sind. In diesem Teil offenbarten sich die größten methodischen Probleme, vor allem in der Abgrenzung einer Codierung. Bereits bei den Vorarbeiten deutete sich an, dass die Schulbücher weiterhin mit objektiven anonymen Darstellungstexten arbeiten, für welche die Quellen oftmals nur zusätzliche illustrative Funktion haben. Folglich wurden die Ansprüche des Analyserasters niedrig gesetzt. Um eine DoppelplusCodierung zu erhalten, reichten zwei Stellen im Schulbuch, die der Codierung entsprechen. In der Auswertung zeigte sich zudem, dass die absolute (und nicht relative) Zählweise die Bücher für die Gymnasien bevorteilt, da eine Korrelation zwischen der Anzahl der Seiten pro Buch und der Anzahl der erfüllten Codierungen festgestellt werden konnte. Die Ergebnisse im Detail lauten: Insgesamt werden Quellen zumeist mit den Namen der Autor*innen gekennzeichnet; nur einzelne Bücher verzichten darauf. Dagegen werden Darstellungstexte nicht mit einer Urheberschaft versehen. Diese Herangehensweise sollte geändert werden. Insgesamt finden sich im Bereich Konstruktivität wenige Passivkonstruktionen, wenig Konjunktiv und keine Kennzeichnungen von Passagen als Meinungen. Nur vereinzelt wird eine These einem Historiker zugeordnet, Historikerinnen tauchen in der gesamten Wirtschaftsgeschichte nicht auf. Auch im Bereich Temporalität konnten – trotz der großzügigen Auslegung der Codierungen – eigentlich keine nennenswerten Ergebnisse gefunden werden. In diesem Segment hat das mbook tatsächlich gute Fortschritte erzielt. Auch an die Multiperspektivität, ein bedeutendes Thema der Didaktik, mussten geringe Maßstäbe angelegt werden, um Unterschiede feststellen zu können. Insgesamt zwölf Schulbücher beinhalten mindestens zwei Stellen, an denen sich verschiedene soziale Perspektiven befinden. Weitere zehn Schulbücher weisen ein multiperspektivisches Element auf. Eine große Anzahl der gefundenen Elemente bezieht sich auf die Poster und Texte zum ERP und bestehen aus zwei Meinungen von Politikern aus Ost und West. Allerdings müssten multiperspektivische Konzeptionen in den Schulbüchern auch andere soziale Perspektiven wie Klassenzugehörigkeit oder Geschlecht abbilden. Dies ist jedoch wenig bis gar nicht der Fall. Bezeichnend für dieses Phänomen ist, dass an einer der wenigen Stellen, an denen ein Arbeiter zitiert wird (in Das waren Zeiten 3),

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die Aussage des Mannes sinnverändernd gekürzt wurde und somit ihre gesamte multiperspektivische Qualität verliert. Die bemerkenswerteste Pseudo-Multiperspektivität befindet sich in Horizonte (Qualifikationsphase), in dem ein Mitglied einer GutsherrenFamilie seine Meinung zur Bodenreform als »Neubauer« schildern darf. Im zweiten Abschnitt zur narrativen Triftigkeit wurden die Einzelthesen in Erzähltypen eingeteilt. Hierfür bietet sich eine Sortierung nach Verlagen an, da die Darstellungen innerhalb der Verlage starke Ähnlichkeiten aufweisen. Mit Hilfe einer einfachen mathematischen Formel konnte berechnet werden, wie sich das Vorkommen einer These in einem Verlag zu der gleichen These in allen Verlagen verhält. Als Resultat wird deutlich, welche Thesen bestimmte Verlage besonders häufig oder besonders selten reproduzieren. Durch die sehr einheitliche Darstellung des »Wirtschaftswunders« und der Planwirtschaft in den Schulbüchern ist die Suche nach Auffälligkeiten allerdings beschränkt. Dennoch zeigt die Methodik einige Ergebnisse: Die Schulbücher der Verlage Westermann, Buchner und Klett liegen mit ihren Schulbüchern deutlich näher am Master-Narrativ als Cornelsen. Der Verlag Cornelsen führt einige Schulbücher, die versuchen, aktuellere Erkenntnisse der Wirtschaftsgeschichte zu berücksichtigen. Insgesamt kann durch diese statistische Auswertung jedoch gezeigt werden, dass weder einzelne Schulbücher noch Schulbücher einer Verlagsgruppe eine konsistente Narration vertreten. Auch sind deutliche Unterschiede innerhalb der Verlage auf die verschiedenen Herausgeberschaften zurückzuführen. Folglich haben die Schulbuchautor*innen offenbar eine signifikante Gestaltungsfreiheit. Eine Auswertung hinsichtlich des Einflussfaktors Bundesland bzw. Kultusministerium konnte leider nicht vorgenommen werden, da die Anzahl der untersuchten Bücher im Verhältnis zur Anzahl der Bundesländer zu klein ist. Die Ergebnisse hätten somit wenig Aussagekraft. Für Aussagen hinsichtlich der Schulbuchproduktion wären diese Erhebungen wertvoll, da so eventuell die Abweichungen innerhalb der Schulbuchverlage erklärbar werden könnten. Allerdings deutet einiges darauf hin, dass dies weniger an den Kultusministerien und mehr an den Autor*innen-Teams liegt. Des Weiteren wurden die Schulbücher nach den Schulformen Gymnasium und Realschule/Hauptschule ausgewertet. Die Schulbücher für die Gymnasien erfüllen aufgrund der umfangreicheren Texte zwar viel mehr Codierungen, in der grundsätzlichen Argumentation sind aber nur geringe Unterschiede erkennbar. Im Folgenden werde ich weitere typische multimodulare Narrationen zusammenfassen. Bei den Beispielen fällt es schwer, die narrative von der normativen Triftigkeit zu trennen. Das erste Beispiel ist der Systemvergleich anhand der Autoindustrie. Wie bereits an einigen Stellen ausgeführt wurde, sind die Darstellungen in den Schulbüchern nicht triftig. Eine hochmoderne, nahezu unversehrte Autoindustrie im Westen stand einer demontierten Industrie im Osten gegenüber. Tatsächlich ist der Vergleich interessant und sogar repräsentativ für die Wirtschaft der beiden Länder, jedoch erwähnt kein Schulbuch die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen. Zusätzlich steht Volkswagen in den Schulbüchern oftmals sinnbildlich für die Wirkungskraft der privaten Wirtschaft und/oder der »Sozialen Marktwirtschaft«. Dabei widerspricht die Geschichte von VW so ziemlich allem, wofür die »Soziale Marktwirtschaft« steht. Immerhin war VW ein großer monopolartiger Konzern, der aus politischen Gründen aufgebaut wurde und sich bis 1961 zu 100 Prozent in Staatseigentum befand. Nicht der Bruch mit dem Fa-

8. Fazit

schismus, sondern die wirtschaftliche Kontinuität bot die Grundlage für die deutsche Autoproduktion. Weiterhin ist erstaunlich, wie unkritisch ein Thema aufgegriffen wird, das in der Lebenspraxis der Schüler*innen wohl noch eine spezielle Relevanz bekommen wird. Aus heutiger Perspektive kann die Individualmotorisierung – die mit dem Abbau der Straßenbahnen in Westdeutschland begann –, die viele Ressourcen verbraucht, die Gesundheitsschäden verursacht, die für eine immense Zahl an Verkehrstoten verantwortlich ist und die einen gewichtigen Beitrag zum Klimawandel beisteuert2 , nicht als reine Erfolgsgeschichte erzählt werden. Das zweite Beispiel ist der »Marshallplan«. Hier wird oft vermeintlich kontroverses Material, in Form von zwei politischen Plakaten (aus Ost und West), angeboten. Allerdings ignorieren die Schulbücher die politischen Bedingungen, die an die Kreditvergabe bzw. die Warenlieferungen geknüpft waren. In keinem Schulbuch sind die Boykottbestimmungen aufgeführt, die bei den westdeutschen Unternehmern für großen Unmut sorgten, da sie den Handel mit dem Osten einstellen mussten. Auch die Abgabe der Hoheit über die Strukturpolitik an die ECA in Paris wird nicht erwähnt. Stattdessen argumentieren einige Schulbücher, wie bspw. Geschichte und Geschehen, mit einer – meines Erachtens naiven – Darstellung, nach der eine »Zusammenarbeit der europäischen Länder« die Vorbedingung für Kredite war. Diese Aussage stammt aus einer öffentlichen Werberede von Marshall. Geschichte und Geschehen übernimmt die Aussage in den scheinbar objektiven Darstellungstext. Dies trägt wenig dazu bei, dass Schüler*innen lernen, die Reden der Politiker zu dechiffrieren und deren Thesen hinter den rhetorischen Mitteln zu entdecken – besonders bei internationalen Kreditverträgen von Relevanz. Bei der Analyse der Schulbücher wurde insgesamt deutlich, dass russische oder ostdeutsche Politiker kritisch zu betrachten seien. Demgegenüber würden amerikanische und westdeutsche Politiker stets die zu rezipierende Wahrheit sagen. Schüler*innen lernen hier – somit kann die vorliegende Arbeit an der inflationären Kompetenzschöpfung partizipieren – die antizipierende Kompetenz. Sie beinhaltet die Fähigkeit und die Motivation, herauszufinden, welche Antwort die Lehrkraft oder das Schulbuch hören möchte. Das dritte Beispiel ist eine Quelle, die in vielen Schulbüchern genutzt und wahrscheinlich falsch interpretiert wird. Es ist die berühmte Fotografie mit den staunenden Menschen vor dem Schaufenster eines Wurstladens (siehe Seite 146). In vielen zeitgenössischen Quellen kann die weitverbreitete Empörung über die Geschäftsleute nachgelesen werden, als auffiel, wie viel die wohlhabenden Menschen in den Zeiten der Not, in denen viele Menschen verhungerten, gehortet hatten. Besonders ein gut gefüllter Wurstladen dürfte Entsetzen hervorgerufen haben. Die Gesichter auf der Fotografie drücken meines Erachtens genau diese Emotion aus. Ein relativ kritischer Verweis in einem älteren Schulbuch, der in Bezug auf die Fotografie von »unterschiedlichen Reaktionen« sprach, wurde in einer Überarbeitung von Die Reise in die Vergangenheit entfernt (siehe Seite 244). Dabei wird die Problematik der Nutzung von Fotografien als Quel-

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Wolf (2009).

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len deutlich, da die notwendigen Informationen für eine Interpretation zumeist nicht verfügbar sind – wie bereits Eigler/Kühberger feststellten.3 Viertens fällt die Verwendung von Karikaturen auf. Diese Veränderung im Kontext des iconic turns ist grundsätzlich zu begrüßen, jedoch weisen die Schulbücher erhebliche Mängel bei der Anwendung der Karikaturen für historisches Lernen auf. Vor allem wird die Herkunft der Quelle nicht gewissenhaft recherchiert. Beispielsweise befindet sich in diversen Schulbüchern die Karikatur Nicht wahr, mein Michelchen – keine Experimente von Köhler, bei der zumeist die Überschrift der Karikatur fehlt, das Publikationsorgan entweder falsch oder gar nicht angegeben wird sowie das Datum der Veröffentlichung unbekannt ist. Datum und Ort der Veröffentlichung sind jedoch bei Karikaturen von zentraler Bedeutung, da diese tagespolitische Bezüge herstellen. Als logische Folge entsteht eine fragwürdige Interpretation, wie bei der Zeichnung von Köhler. Auch zu einer Erhard-Karikatur von Rolf Peter Bauer fehlen alle wichtigen Informationen (siehe Seite 212). In den Lösungsbänden wird die Karikatur als Lobpreisung der Erhard´schen Wirtschaftspolitik verstanden. Dabei musste Erhard in der Presse des Jahres 1959, aus dem die Karikatur stammt, viel Spott über sich ergehen lassen. Folglich haben die Karikaturen in den Schulbüchern fast ausschließlich eine affirmative Funktion für die deutsche Meistererzählung. Damit verlieren sie, sofern sie überhaupt richtig gedeutet werden, ihren besonderen Reiz. Karikaturen sind vor allem deshalb interessant, da sie als Teil der Kunst beißende Kritik an den Machthabern äußern dürfen. Fünftens kann festgestellt werden, dass die Quellen zur DDR-Nachkriegszeit einer grundlegenden Überarbeitung bedürfen. In ca. 70 Prozent der Schulbücher befinden sich Quellen, die in ihrer Überlieferung fragwürdig sind oder nicht hinreichend in einen Kontext gestellt werden. Insgesamt ist auffällig, wie viele Menschen mit schwerer NS-Belastung sich (zum Teil sogar anonym) über die Repressionen der DDR bzw. der Besatzungsmacht äußern dürfen. Insgesamt wird bei der Darstellung der Nachkriegswirtschaft beider deutscher Staaten in keinem der 36 Schulbücher eine ehemalige NSDAP-Mitgliedschaft eines Autors erwähnt. Die vorliegende Arbeit kommt zu dem Ergebnis, dass 64 Quellen (Mehrfachzählung bei verschiedenen Auflagen) fragwürdig interpretiert, in ihrer Kernaussage grundlegend verändert wurden oder wichtige Informationen zur Bewertung fehlen. Die Arbeitsaufträge weisen ebenfalls nicht auf unbekannte Information hin, sondern fordern zumeist zur Interpretation der Quelle im Sinne der Erfolgsgeschichte der BRD auf. Auch wird nicht deutlich gemacht, dass die Interpretation auf einer normativen Grundlage basiert. Stattdessen verlangen die Schulbücher die Wiedergabe der gewünschten Antwort aus dem Darstellungstext. Hiermit bestätigen sich bereits bestehende Schulbuchkritiken, nach denen Quellen in den Schulbüchern lediglich eine illustrative Funktion erfüllen. Folglich sind viele Schulbücher nicht für historisches Lernen geeignet. Aus diesen Ergebnissen entsteht nun zwangsläufig die Frage, warum die Schulbücher auf diese Weise konzipiert sind. Der Bereich der Schulbuchproduktion ist die black

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Eigler/Kühberger (2018), S. 169.

8. Fazit

box der Schulbuchanalyse, da sowohl die Schulbuchverlage als auch die Ministerien keine Einblicke in den Prozess zulassen. Innerhalb der Untersuchung der vorliegenden Arbeit konnten trotzdem viele Erkenntnisse über die Schulbuchproduktion gewonnen werden. Grundsätzlich muss Folgendes beachtet werden: Die vier (für Geschichte) relevanten Schulbuchverlage sind privatwirtschaftliche Unternehmen, die dementsprechend an Profit und an der Gewinnung von Marktanteilen interessiert sind. Ihre Bücher sind für die Lehrer*innen konzipiert, da diese die Bestellung in Auftrag geben. Bei jedem neu erstellten Lehrplan versuchen einzelne oder alle Schulbuchverlage möglichst schnell ein überarbeitetes und an den Lehrplan angepasstes Buch auf den Markt zu bringen. Dieses muss in den meisten Bundesländern vom Kultusministerium zugelassen werden. Durch die umfassenden Inhaltsanalysen der Schulbücher und die statistische Auswertung zeigt sich, dass die Autor*innen-Teams in der konkreten Ausgestaltung des vorgegebenen Rahmens über einen relativ großen Spielraum verfügen. Der Einfluss der Kultusministerien ist grundsätzlich als eher gering einzuschätzen. Trotzdem ist es möglich, dass einzelne Kultusministerien normativ in die Schulbuchkonzeption eingreifen. Um dies zu untersuchen, könnte eine umfassende diachrone Analyse empirisch ansetzen bei den unterschiedlichen Konzeptionen ein und desselben Schulbuches für verschiedene Bundesländer. Eine solche Forschungsarbeit wäre wünschenswert. Der Gestaltungsspielraum der Autor*innen innerhalb des privatwirtschaftlichen Konkurrenzkampfes führt dazu, dass die Schulbücher bei einer Neuauflage nur rudimentär überarbeitet werden. Weiterhin haben die Verlage vermutlich kein Interesse an einer gewagten (kritischen) Konzeption, da sie sonst eventuell Auseinandersetzungen mit den Kultusministerien austragen müssten und Marktanteile verlieren würden. In der vorliegenden Analyse wurde, anhand von älteren Auflagen und deren Literaturverzeichnissen, versucht, die Ursprungstexte – auf denen die aktuellen Schulbücher basieren – auf ihre wissenschaftlichen Belege zu prüfen. Dies ist jedoch sehr mühsam, da die Provenienzangaben erstens nicht vollständig und zweitens häufig mit den Leseempfehlungen vermischt sind. Es konnte dabei festgestellt werden, dass vor allem die politikgeschichtlichen Überblickswerke zur deutschen Geschichte verwendet werden und dabei besonders diejenigen, die über eine Lizenzausgabe von der Bundeszentrale für politische Bildung gedruckt wurden. Die BpB-Publikationen bieten durch den Herausgeber (Bundesministerium des Innern) möglicherweise eine Art informeller ministerieller Beglaubigung. Eventuell fungiert die Herausgeberschaft des BMI wie ein amtlicher Leitfaden mittels weicher Steuerung. Die meisten Hinweise auf den internen Ablauf der Schulbuchproduktion ergeben sich aus der Analyse der diachronen Veränderung der Quellen. Ich nenne den Entwicklungsprozess einer Quelle von ihrer ersten schriftlichen Fixierung bis zur Einarbeitung in ein aktuelles Schulbuch die normative Metamorphose der Quelle in die Meistererzählung der nationalen Autobiografie. Die normative Metamorphose kann schwach ausgeprägt sein. Ist sie stark ausgeprägt, besteht Deckungsgleichheit mit Geschichtsfälschung. Allerdings bezieht sich der Terminus Geschichtsfälschung zumeist auf einen einmaligen Vorgang, wie z.B. die Entfernung von Trotzki aus den Bildern der Russischen Revolution. Demgegenüber beschreibt die normative Metamorphose häufig einen mehrstufigen Prozess. Eine einzelne Veränderung innerhalb der Metamorphose oder der Vergleich

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der Originalquelle mit der Schulbuchquelle kann trotzdem in schwerwiegenden Fällen als Geschichtsfälschung bezeichnet werden. Die Darstellung der Metamorphosen offenbart einen bedeutenden Unterschied zwischen den Schulbuchkapiteln zur BRD (vgl. Abb. 25) und zur DDR (vgl. Abb. 26 und vgl. Abb. 27). In Bezug auf die westdeutsche Geschichte findet die normative Veränderung zumeist beim Übergang von geschichtswissenschaftlichen Publikationen in die Schulbücher statt. Beispielsweise verwendet der Verlag Westermann einen Propagandatext der Waage aus dem Jahr 1953, der in ein älteres Schulbuch als Text der CDU einfließt. In der neubearbeiteten Ausgabe von Durchblick wird die Autorenschaft dann dem Wirtschaftshistoriker Abelshauser zugeschrieben, in dessen Quellenband sich dieser Text befindet. Ein weiteres Beispiel ist das Berliner Programm der CDU, aus dem in Das waren Zeiten alle kapitalismuskritischen Sätze entfernt wurden, um anhand des Programms zu zeigen, weshalb sich im Westen eine Marktwirtschaft entwickelte. In der vorliegenden Untersuchung deutet sich an, dass die Metamorphosen der Quellen nicht auf eine Zensur der Kultusministerien zurückzuführen sind, sondern auf das politische Wirken der Schulbuchverlage. Eine mögliche These diesbezüglich zielt auf die Organisation der Schulbuchverlage in den Arbeitgeberverbänden. Hiermit könnten die marginale Rolle der Gewerkschaften und die Lobeshymnen auf Erhard und die »Soziale Marktwirtschaft« erklärt werden. Jedoch existieren keine direkten Hinweise auf diesen Zusammenhang, der Einfluss der Arbeitgeberverbände auf die Schulbuchgestaltung könnte allerdings informell erfolgen. Deshalb müsste die Untersuchung um die Rolle der Kultusministerien erweitert werden, um deren Einfluss abschätzbar zu machen. Hinsichtlich der normativen Metamorphosen zur DDR konnte demgegenüber festgestellt werden, dass diese bereits innerhalb der Geschichtswissenschaft selbst stattfinden. In den Schulbüchern wird häufig lediglich die gewünschte Interpretation der Quelle ergänzt. Die Blüten dieser deutschen Geschichtskultur befinden sich in den deutschen Schulgeschichtsbüchern, wenn etwa Friedrich Schorn als ehemaliges NSDAPMitglied und Hauptscharführer der SS, der aufgrund von Kriegsverbrechen vier Jahre inhaftiert war, als bekennender Rechtsextremist am Checkpoint Charlie vortragen kann und ein Auszug dieses Referats, über mehrere geschichtswissenschaftliche Publikationen, im Schulbuch Buchners Kolleg landet. Hier wird dann das Singen aller drei Strophen des Deutschlandliedes, über das Schorn berichtet, als Bekenntnis zur westlichen Demokratie uminterpretiert. Auch Thomas Freiherr von Fritsch-Seerhausen (in Zeitreise), als SS-Offizier der ersten Stunde (NSDAP-Mitglied seit 1929), und Stephan Otto Kühne (in Horizonte), dessen Gutsherren-Familie ebenfalls im Faschismus in den höchsten Kreisen verkehrte, werden als glaubwürdige Zeugen der repressiven und ungerechten Besatzungsmacht (bzw. der KPD) anonym zitiert. Kühne wird dafür sogar zum authentischen »Neubauern« gemacht. Als weitere Zeugnisse der unverhältnismäßig agierenden Besatzungsmacht dienen außerdem Quellen zur Bodenreform, die Joachim von Kruse – ebenfalls ehemaliges NSDAP-Mitglied (seit 1932) – anonym zusammengestellt hat und für die keine wissenschaftlichen Standards eingehalten wurden. Außerdem hatte der Herausgeber ein persönliches Interesse am enteigneten Vermögen seiner Familie in Mecklenburg, für das eine rechtliche Entscheidung zum Zeitpunkt der Publikation noch ausstand. Der BDJ

8. Fazit

wird in Die Reise in die Vergangenheit ebenfalls in den Kreis der demokratischen Opposition aufgenommen und dessen Aktivistin Elisabeth Graul, deren oppositioneller Aktivismus durch die strafrechtliche Verfolgung von NS-Tätern in ihrem Bekanntenkreis entstand, wird als Ikone des Widerstands in den Schulbüchern dargestellt. Eine umfangreiche Forschung zu rechtsextremen Personen und Gruppierungen in den aktuellen Schulbüchern und in der Geschichtskultur zur DDR wäre notwendig. Im Beutelsbacher Konsens heißt es im »Überwältigungsverbot«: »Es ist nicht erlaubt, den Schüler – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der ›Gewinnung eines selbständigen Urteils‹ zu hindern.« Die Überschrift von Punkt zwei lautet: »Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen.«4 Beide Bedingungen des Überwältigungsverbots werden durch die Schulbücher verletzt. Es bleibt das Spannungsfeld zwischen dem Anspruch kritisches Denken zu lehren einerseits und der Erziehung zur Demokratie andererseits. Letztere ist jedoch offenbar mit einem festgelegten Geschichtsbild ausgestattet. Meiner Ansicht nach verfolgen die Akteure der Geschichtspolitik an dieser Stelle den falschen Weg, denn nicht die Indoktrination von Demokratie, sondern eine kritische Betrachtung der Master-Narrative birgt demokratisches Potenzial in sich. Den besten historischen Beleg bietet die 1968er-Bewegung, die gerade durch ihre radikale Kritik an der Politik und am herrschenden Geschichtsbild mehr Demokratie im Sinne von Mitbestimmung und Mitsprache in die Gesellschaft gebracht hat, als jede unkritische Erfolgsgeschichte der BRD. Historisches Lernen kann nicht affirmativ sein, es entsteht stets im Spannungsfeld zum Master-Narrativ und muss dieses herausfordern. Nicht zuletzt wird der Geschichtsunterricht erst durch eine kritische Perspektive spannend. Als gutes Beispiel kann der Spiegel-Artikel von Hellmut Karasek in Die Reise in die Vergangenheit genannt werden, aus dem alle kritischen, provokativen und spannenden Äußerungen zur Gesellschaft der 1950er Jahre entfernt wurden (siehe Seite 230). So kann Geschichtsunterricht keinen Spaß machen. Zudem bietet das Geschichtsbild, das in den Schulbüchern vermittelt wird, einen Nährboden für den wiedererstarkten Rechtsextremismus. Die enorme ökonomische Polarisierung der BRD findet in den Darstellungen der Schulbücher keine Erwähnung. Stattdessen erzählen sie die nationale Erfolgsgeschichte der 1950er Jahre, in der es allen Deutschen gut gegangen sei. Hier kann die politische Rechte anknüpfen, indem sie wachsende soziale Ungleichheit und angeblichen Verfall des »Abendlandes« mit den Migrant*innen begründet. Außerdem lernen die Schüler*innen in den Schulbüchern als politisches Subjekt der Wirtschaft nur die großen Männer, in diesem Fall Erhard, mit den großen Ideen kennen. Hiermit kann bewirkt werden, dass Hoffnungen für die Zukunft in einen weiteren großen Mann gelegt werden. Eine Schulbuchanalyse sollte nicht enden, ohne bestimmte Schulbücher positiv oder negativ hervorzuheben. Folglich werde ich abschließend ein paar Bewertungen vornehmen. Dabei dürfen die Lesenden jedoch nicht übersehen, dass der Grundtenor der Arbeit einen anderen Schwerpunkt hat, da die Schulbücher als gewachsenes geschichtskulturelles Konstrukt begriffen werden. Demnach sind die Urteile nicht ausschließlich 4

Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (2018).

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an die konkreten Herausgeber adressiert, sondern an die gesamte Schulbuchproduktion, die sich aus kapitalistischen Verkaufsmotiven, geschichtskultureller Überlieferung, politischen Interessen des Verlages und der Kultusministerien und nicht zuletzt den persönlichen Meinungen der Verfasser*innen zusammensetzt. Insgesamt fällt das Urteil über die Schulbücher sehr kritisch aus. Positiv hervorheben möchte ich – im Hinblick auf die fachliche Triftigkeit – das Buch Forum Geschichte 4 für Rheinland-Pfalz. Besonders kritisch sehe ich die Ausgaben Durchblick für die Realschule in Niedersachsen und Die Reise in die Vergangenheit für die Mittelschule in Sachsen, in denen sowohl fachliche Triftigkeit als auch – durch viele fragwürdige und stark veränderte Quellen – narrative und normative Triftigkeit nicht gegeben sind. Dies trifft auch auf die zwei Ausgaben von Das waren Zeiten 3 zu. Jedoch beinhaltet Das waren Zeiten 3 ebenfalls gute Quellenzusammenstellungen, die historisches Lernen fördern können. Das viel gelobte mbook Geschichte schneidet mäßig ab. Einerseits überzeugt das Schulbuch durch viele Quellen und konstruktivistische Elemente; andererseits erzählt es auf erstaunlich platte Weise die deutsche Erfolgsgeschichte. Schlussendlich ist wichtig zu betonen, dass ich durch die Kritik an den Schulbüchern keinen Wechsel zu anderem, bereits fertig konzipiertem, Schulmaterial empfehlen möchte. Besonders im Themengebiet Wirtschaft muss mit Bedacht vorgegangen werden, möchten die Lehrer*innen nicht einfach die Meinungen der Arbeitgeberverbände BDI und BDA reproduzieren. Vielmehr soll die Arbeit zu einer Debatte über die Entstehung von Lehrmaterial sowie dessen Ausrichtung am geltenden Forschungsstand anregen. Für die tägliche Arbeit der Lehrer*innen kann die alte Forderung von Stein hervorgehoben werden, nach der die Lehrenden über »Schulbuchwissen« verfügen sollten. Dieses entspricht in etwa der Gattungskompetenz von Pandel und führt zu dem pragmatischen Ansatz, das Schulbuch als Quelle zu benutzen. Einen Beitrag zum Schulbuchwissen möchte auch diese Arbeit leisten.

Abkürzungsverzeichnis

AFB Anforderungsbereich AT Autor*innentext BDA Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände BDJ Bund Deutscher Jugend BND Bundesnachrichtendienst BpB Bundeszentrale für politische Bildung BSP Bruttosozialprodukt C oC om C oordinating C ommittee for Multilateral Export C ontrols DIW Deutsches Institut für Wirtschaft DT Darstellungstext DWK Deutsche Wirtschaftskommission ECA Economic Cooperation Administration EGKS Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl EKO Eisenhüttenkombinat Ost ERP European Recovery Program EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft HDI Human Development Index IGS Integrierte Gesamtschule INSM Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft GATT General Agreement on Tariffs and Trade

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KAS Konrad-Adenauer-Stiftung Kf W Kreditanstalt für Wiederaufbau LPG Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft LN Landwirtschaftliche Nutzfläche NÖS Neues Ökonomisches System OEEC Organization for European Economic Cooperation ÖSS Ökonomisches System des Sozialismus QT Quellentext RGW Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe SA Sturmabteilung SS Schutzstaffel SAG Sowjetische Aktiengesellschaft SKK Sowjetische Kontrollkommission SMAD Sowjetische Militäradministration Deutschland TFP Totale Faktorproduktivität

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 Jährliche Wachstumsraten des BIP der DDR und BRD nach Zeitperioden, in % (nach Heske) .............................................................................................................. 99 Abbildung 2 Fachliche Triftigkeit BRD ............................................................................. 132 Abbildung 3 Fachliche Triftigkeit DDR ............................................................................. 133 Abbildung 4 Narrative Triftigkeit.................................................................................... 136 Abbildung 5 Schaufenster nach der Währungsreform......................................................... 146 Abbildung 6 Funktion des ERP nach Das waren Zeiten ......................................................... 179 Abbildung 7 Funktion des ERP (eigene Darstellung)............................................................ 180 Abbildung 8 Karikatur Ludwig Erhard............................................................................... 212 Abbildung 9 Quelle zur Bodenreform............................................................................... 228 Abbildung 10 »Soziale Marktwirtschaft« und Planwirtschaft ................................................ 267 Abbildung 11 Fachliche Triftigkeit BRD 1 .......................................................................... 296 Abbildung 12 Fachliche Triftigkeit BRD 2 ......................................................................... 297 Abbildung 13 Auswertung BRD (nach Verlagen).................................................................. 302 Abbildung 14 Auswertung BRD Gymnasium ....................................................................... 305 Abbildung 15 Auswertung BRD Haupt-/Realschule .............................................................. 306 Abbildung 16 Fachliche Triftigkeit DDR 1 .......................................................................... 309 Abbildung 17 Fachliche Triftigkeit DDR 2 ..........................................................................310 Abbildung 18 Auswertung DDR (nach Verlagen)...................................................................312 Abbildung 19 Auswertung DDR Gymnasium ........................................................................ 317 Abbildung 20 Auswertung DDR Haupt-/Realschule ............................................................. 318 Abbildung 21 Narrative Triftigkeit 1 .................................................................................321 Abbildung 22 Narrative Triftigkeit 2 ............................................................................... 322 Abbildung 23 Schulbuchproduktion ................................................................................ 336 Abbildung 24 Quellen in den Schulbüchern....................................................................... 336 Abbildung 25 Normative Metamorphosen der Quellen zu BRD-Wirtschaft.................................341 Abbildung 26 Normative Metamorphosen der Quellen zu DDR-Wirtschaft 1 ............................. 345 Abbildung 27 Normative Metamorphosen der Quellen zu DDR-Wirtschaft 2 ............................. 346

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