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German Pages 306 Year 1995
DEUTSCHES INSTITUT FÜR WIRTSCHAFTSFORSCHUNG
BEITRÄGE ZUR STRUKTURFORSCHUNG HEFT 157 · 1995
Thomas Döring, Kurt Geppert, Manfred Horn, Eckhard Kutter, Dieter Vesper
Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin
DUNCKER & HUMBLOT · BERLIN
DEUTSCHES
INSTITUT
FÜR
WIRTSCHAFTSFORSCHUNG
gegründet 1925 als INSTITUT FÜR KONJUNKTURFORSCHUNG von Prof. Dr. Ernst Wagemann Königin-Luise-Straße 5 · D-14195 Berlin (Dahlem)
VORSTAND Präsident Prof. Dr. Lutz Hoffmann Sir Leon Brittan · Prof. Dr. Johann Eekhoff · Dr. Norbert Meisner · Wolfgang Roth · Dr. Ludolf-Georg von Wartenberg Kollegium der Abteilungsleiter* Dr. Heiner Flassbeck · Dr. Fritz Franzmeyer · Dr. Kurt Hornschild · Prof. Dr. Wolfgang Kirner · Prof. Dr. Eckhard Kutter Dr. Rolf-Dieter Postlep · Dr. Wolfram Schrettl · Dr. Bernhard Seidel · Dr. Hans-Joachim Ziesing KURATORIUM Vorsitzender: Dr. Alexander von Tippeiskirch Stellvertretender Vorsitzender: Dr. Thomas Hertz Mitglieder Der Bundespräsident Bundesrepublik Deutschland Bundesministerium der Finanzen Bundesministerium für Wirtschaft Bundesministerium für Verkehr Bundesministerium für Post und Telekommunikation Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Bundesministerium für Forschung und Technologie Land Berlin Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung Senatsverwaltung für Wirtschaft und Technologie Senatsverwaltung für Verkehr und Betriebe Senatsverwaltung für Bundes- und Europaangelegenheiten Freistaat Bayern, vertreten durch das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr Freie und Hansestadt Hamburg, vertreten durch die Behörde für Wirtschaft Land Niedersachsen, vertreten durch das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Technologie und Verkehr Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch das Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie Land Baden-Württemberg, vertreten durch das Wirtschaftsministerium Deutsche Bundesbank Bahn AG Postbank Deutsche Bundespost Postdienst Deutsche Bundespost Telekom Bundesanstalt für Arbeit Wirtschaftsvereinigung Bergbau Christlich-Demokratische Union Deutschlands Sozialdemokratische Partei Deutschlands Freie Demokratische Partei Deutscher Gewerkschaftsbund Industriegewerkschaft Metall Bankgesellschaft Berlin AG Berlin Hyp Berliner Hypotheken- und Pfandbriefbank AG 1KB Deutsche Industriebank AG Berliner Kraft- und Licht (Bewag)-Aktiengesellschaft Vereinigung der Freunde des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Persönliche Mitglieder Dr. Günter Braun Dr. Dieter Hiss Dr. Karl-Heinz Narjes * Präsident und Abteilungsleiter sind gemeinsam für die wissenschaftliche Leitung verantwortlich.
DEUTSCHES INSTITUT
FÜR
WIRTSCHAFTSFORSCHUNG
BEITRÄGE ZUR STRUKTURFORSCHUNG
HEFT 157
Thomas Döring, Kurt Geppert, Manfred Horn, Eckhard Kutter, Dieter Vesper
Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin
Vinài ) (ΊVrriUiL
DUNCKER & HUMBLOT
BERLIN
1995
Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin / Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung. Thomas Döring ... - Berlin : Duncker & Humblot, 1995 (Beiträge zur Strukturforschung ; H. 157) ISBN 3-428-08373-3 NE: Döring, Thomas; Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung < Berlin >; GT
Verzeichnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Wissenschaftliche
Bearbeitung
Thomas Döring (Kapitel 3.2 und 4.9), Kurt Geppert (Projektleitung, Kapitel 2 und 4), Manfred Horn (Kapitel 3.3), Eckhard Kutter (Kapitel 3.1), Dieter Vesper (Kapitel 3.4.1-3.4.8)
Programmierung Jacqueline Sawallisch und Dagmar Svindland
Statistik Marie Karagouni-Roß und Edwin K. Wohlgemuth
Textverarbeitung Nicole Haase, Sibylle Kremser, Monika Neuwald und Anja Spahn
Herausgeber: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Königin-Luise-Str. 5, D-14195 Berlin Telefon (0 30) 8 97 89-0 — Telefax (0 30) 8 97 89 200 Schriftleitung: Dr. Rolf-Dieter Postlep Alle Rechte vorbehalten © 1995 Duncker & Humblot GmbH, Carl-Heinrich Becker-Weg 9, D-12165 Berlin Druck: 1995 bei ZIPPEL-Druck, Oranienburger Str. 170, D-13437 Berlin Printed in Germany ISSN 0171-1407 ISBN 3-428-08373-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 @
Inhaltsverzeichnis
1
Vorbemerkungen
2
Ländergliederung, Verwaltungskooperation zienz
2.1 2.2 2.3
9 und wirtschaftliche Effi11
Brandenburg-Berlin in der Konkurrenz der Regionen Öffentliche Verwaltung im Verhältnis Stadtstaat-Flächenland Probleme bei der Bestimmung wirtschaftlicher Effekte einer Ländervereinigung
29
3
Einzelne Politikfelder
33
3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3
Verkehrspolitik Zielsetzungen der regionalen Verkehrsbewältigung Integration des Verkehrs führt zur Neudefinition des Handlungsfeldes . Die Region muß aus ihrer verkehrspolitischen Bedeutungslosigkeit herausgeführt werden Skizze der Option Verkehrsvermeidung durch Gestaltung des regionalen Raumes Potentiale an Verkehrsvermeidung in der Metropol region BrandenburgBerlin Wirkungsebenen und Instrumente bei der Gestaltung der regionalen Raumstruktur (im Sinne der Verkehrsvermeidung) Konzept der Verkehrsbewältigung durch Gestaltung der regionalen Raumstrukturen Eigenverkehr der Region als Hauptproblem der regionalen Entwicklung Metropol region Brandenburg-Berlin hat enormes Verkehrsvermeidungspotential Region benötigt Flächensteuerung und Integration des Verkehrs Regionale Handlungsebene entscheidende Vorbedingung Gestaltung der Verkehrsfunktion als Flankierung Umsetzung der Verkehrsbewältigung durch Gestaltung der regionalen Raumstruktur - besser "mit" oder besser "ohne" Fusion?
33 34 35
3.1.4 3.1.5 3.1.6 3.1.7 3.1.7.1 3.1.7.2 3.1.7.3 3.1.7.4 3.1.7.5 3.1.8 3.2 3.2.1 3.2.1.1 3.2.1.2 3.2.2 3.2.2.1 3.2.2.2 3.2.2.3 3.2.3 3.2.3.1 3.2.3.2 3.2.3.2.1
Umweltpolitik Umweltschutz als relevanter Politikbereich unter Vereinigungsaspekten Veränderungen in der Organisationsstruktur der Umweltpolitik Rückwirkungen vereinigungsbedingter wirtschaftlicher Effekte auf den Umweltbereich Ökologische Situation in den Ländern Brandenburg und Berlin Die Umweltbedingungen im Land Brandenburg Die Umweltbedingungen im Land Berlin Zwischenergebnis Theoretischer Bezugsrahmen zur Beurteilung des Vereinigungsprozesses unter Umweltaspekten Vorbemerkungen Zur Bewertung der Umweltpolitik in einem gemeinsamen Flächenstaat vor dem Hintergrund der ökonomischen Föderalismustheorie Föderativer Staatsaufbau, Umweltpolitik und das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz
11 20
38 42 48 66 74 74 75 76 78 80 82 87 87 88 91 93 94 100 105 106 106 109 109
3
3.2.3.2.2 3.2.4 3.2.4.1 3.2.4.1.1 3.2.4.1.2 3.2.4.2 3.2.4.2.1 3.2.4.2.2 3.2.4.3 3.2.4.3.1 3.2.4.3.2 3.2.4.4 3.2.4.4.1 3.2.4.4.2 3.2.4.5 3.2.5 3.2.5.1 3.2.5.2 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3. 3.4.3.1 3.4.3.2 3.4.3.3 3.4.3.4 3.4.3.5 3.4.4 3.4.4.1 3.4.4.2 3.4.4.3 3.4.5 3.4.6 3.4.7 3.4.8 3.4.9 3.4.9.1 3.4.9.2
4
Institutioneller Wettbewerb und umweltpolitische Konsequenzen Mögliche Auswirkungen einer Länderfusion vor dem Hintergrund umweltbezogener Verflechtungen und länderübergreifender Probleme . . . Raumordnung und Flächennutzung aus ökologischer Sicht Landesplanung und Regionalentwicklung Landschaftspflege, Naturschutz und Naherholung Abfallbeseitigung und Altlastensanierung Abfallaufkommen und gemeinsames Abfallentsorgungskonzept Mögliche Auswirkungen eines gemeinsamen Bundeslandes Wasserversorgung, Abwasserentsorgung und Gewässerschutz Wasserwirtschaftliche Probleme zwischen Berlin und seinem Umland . WasserwirtschafItiche Beziehungen innerhalb der Gesamtregion Berlin-Brandenburg Luftverschmutzung und Luftreinhaltung Räumliche Verflechtungen bei den Luftbelastungen Luftreinhaltung in einem gemeinsamen Flächenstaat Zusammenfasssende Schlußfolgerungen Versuch einer Schätzung vereinigungsbedingter ökonomischer Effekte im Umweltbereich Investitionsausgaben und Preiseffekte Kosteneinsparungen bei Personal und Verwaltung
113 116 117 118 124 126 127 133 136 137 143 146 146 153 155 157 159 163
Energiepolitik Einleitung Energiepolitische Zielsetzungen Struktur und Entwicklung des Energieverbrauchs Möglichkeiten und Kosten eines zusätzlichen Braunkohleeinsatzes in bzw. für Berlin Zusammenfassung
165 165 167 168
Finanzpolitik Problemfelder Zum Aufgaben- und Finanzierungsverbund in föderalen Systemen . . . . Der Länderfinanzausgleich Die wesentlichen Elemente der Reform 1995 Die Auswirkungen für Berlin und Brandenburg Das Stadtstaatenprivileg Die Steuerzerlegung Ergebnisse von Simulationsrechnungen Das kommunale Finanzsystem Steuer- und Gebührenfinanzierung Kommunaler Finanzausgleich Das Finanzproblem einer kreisfreien Stadt Berlin Einsparpotentiale bei den Verwaltungskosten Finanzierungs- und Nutzungskonflikte zwischen Stadtstaat und Umland Mögliche Konsequenzen einer Vereinigung für öffentliche Unternehmen Ein Zwischenfazit Mittelzuflüsse vom Bund und von der Europäischen Union Einleitung Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern nach Art. 91 a und 91 bGG
180 180 181 185 185 187 191 192 193 203 203 206 209 213
174 179
220 223 225 227 227 231
3.4.9.2.1 3.4.9.2.2 3.4.9.2.3 3.4.9.2.4 3.4.9.3 3.4.9.3.1 3.4.9.3.2 3.4.9.4 3.4.9.5
3.4.9.5.2 3.4.9.5.3 3.4.9.5.4 3.4.9.5.5 3.4.9.6
Ausbau und Neubau von Hochschulen Verbesserungen der regionalen Wirtschaftsstruktur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes Bildungsplanung und Forschungsförderung Fördermaßnahmen der Europäischen Union Förderung durch die Strukturfonds der EU Förderung durch Einzel initiativen und Gemeinschaftsprogramme Geldleistungen des Bundes nach Art. 104 a Abs. 3 GG Finanzhilfen des Bundes an Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) nach Art. 104 a Abs. 4 GG Förderung des sozialen Wohnungsbaus und der Schaffung von Studentenwohnraum Förderung der Fernwärmeversorgung im Beitrittsgebiet Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Städten und Gemeinden . Maßnahmen zur Stadtsanierung und Stadtentwicklung Sonderprogramm "Investitionsförderungsgesetz Aufbau Ost" Zusammenfassung
253 256 257 258 261 262
4
Die Sicht wirtschaftlicher Akteure - eine Unternehmensbefragung
266
4.1
Vorbemerkung
266
4.2
Qualität der öffentlichen Verwaltung
267
4.3
Außendarstellung der Region
273
4.4
Ausbau der Infrastruktur
274
4.5
Landes- und Regionalplanung
276
4.6
Fazit
277
5
Zusammenfassung und Schlußfolgerungen
279
3.4.9.5.1
Literaturverzeichnis
....
231 234 238 240 242 244 247 249 252
298
5
Verzeichnis der Tabellen
Tabelle 1
Spektrum der Maßnahmen im Rahmen von Strategien zur Verkehrsbewältigung 36
2
Werktägliche Verkehrsleistung von Bewohnern der Region Berlin-Brandenburg
51
3
Kenngrößen der bis 2010 erwarteten Siedlungsentwicklung in Berlin und Brandenburg
54
4
Siedlungsstrukturelle Veränderungen in der Region Berlin-Brandenburg
55
5
Verkehrserzeugung im Personenverkehr bei "freier Entwicklung" der Region . . 57
6
Verkehrserzeugung im Personenverkehr bei "Stärkung der zentralen Orte" . . . . 58
7
Räumliche Struktur der in den Regionszonen in Abhängigkeit von der Quellzone (Wohnung) erbrachten Kfz-Fahrleistungen
59
Räumliche Struktur der in den Regionszonen in Abhängigkeit von der Quellzone (Wohnung) erbrachten ÖV-Beförderungsleistungen
61
Räumliche Differenzierung der Besiedlungsdichte und des Pkw-Verkehrs in der Region Berlin-Brandenburg
63
Räumliche Verteilung der Pkw-Fahrleistungen und lokale Urheberschaft der Belastungen durch Verkehr
64
Abwasserentsorgung und Trinkwasserversorgung in Brandenburg und Berlin (Stand 1991)
96
12
Schadstoffemissionen nach Schadstoffarten (einschließlich Verkehr)
98
13
Schadstoffemissionen nach Schadstoffarten (einschließlich Verkehr)
98
14
Wasserverbrauch nach Nutzungsarten
103
15
Energieverbrauch und Strombilanz in den Ländern Berlin und Brandenburg 1992 und 2010
170
Struktur des Energieverbrauchs und der Strombilanz in den Ländern Berlin und Brandenburg 1992 und 2010
171
8
9 10 11
16 17
Energieverbrauch und Strombilanz in den Ländern Berlin und Brandenburg im Jahr 2010
172
18
C02-Emissionen in den Ländern Berlin und Brandenburg 1990 und 2010 . . .
175
19
Projektion der Einnahmen und Ausgaben Berlins und Brandenburgs
188
6
Tabelle 20
Finanzielle Auswirkungen des Förderalen Konsolidierungsprogramms auf die Bundesländer 1995
190
21
Wirkungen im Umsatzsteuervorwegausgleich, Model Rechnungen für 1999 . . 197
22
Wirkungen im Länderfinanzausgleich i.e.S., ModelIrechnung für 1999
198
23
Berechnung der Fehlbetrags-Ergänzungszuweisungen, Modellrechnung für 1999
200
24
Personal der Flächen- und Stadtstaaten nach Aufgabenbereichen 1992
214
25
Relationen im Hochschulbereich Wintersemester 1991/92
217
26
Erteilte Unterrichtsstunden je Schüler an allgemeinbildenden Schulen 1992 . . 217
27
Ausgaben des Bundes im Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91 a und 91 b GG 232
28
Förderung der EG-Strukturfonds in Ostdeutschland
29
Ausgaben des Bundes zur Mitfinanzierung von Länderaufgaben im Rahmen ausgewählter Geldleistungsgesetze nach Art. 104 a Abs. 3 GG 251
30
Ausgaben des Bundes zur Mitfinanzierung von Länderaufgaben im Rahmen ausgewählter Finanzhilfen nach Art. 104 a Abs. 4 GG 255
31
Beurteilung der kommunalen Verwaltung und der Infrastruktur durch Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes
243
269
32
Inanspruchnahme von Beratung und deren Beurteilung durch Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes - alle Unternehmen 270
33
Inanspruchnahme von Beratung und deren Beurteilung durch Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes - ohne Handwerk 271
34
Infrastruktur in Berlin-Brandenburg und in Ostdeutschland 1992
275
Verzeichnis der Übersichten
Übersicht 1 2
Gesetzliche und finanzielle Regelungen im Zusammenwirken für ei ne verkehrssparsame Raumstruktur der Region Befragte Unternehmen
67 268
7
Verzeichnis der Abbildungen
Abbildung 1
Wesentliche Einflußgrößen für das Entstehen von Personenverkehrsleistung . . . 43
2
Vergleich von Tagesdistanzen für West- und Ostdeutschland
49
3
Selbstverstärkender Prozeß aus Verschlechterung der städtischen Lebensbedingungen und Randwanderung
77
Ohnmacht lokaler Verkehrsgestaltung als Folge administrativer "Fehlschaltungen"
79
Autoinduzierte Entwicklungen im Siedlungs-Verkehrs-System und Folgen für die anderen Verkehrssysteme
81
Entwicklung von der Anpassungsplanung zur umfassenden Gestaltung des Raum-Zeit-Systems einer Region
82
4 5 6 7
Leitbild "Dezentrale Konzentration"
120
8
Anfallschwerpunkte für Abfälle von Haus-, Sperr- und Geschäftsmüll im Land Brandenburg nach Kreisen 131
9
Anfallschwerpunkte für Bauabfälle im Land Brandenburg nach Kreisen
10
Trinkwasservorbehaltsgebiete und -Schutzzonen sowie übergeordnete Anlagen
132
der Trinkwasserversorgung
139
11
Abwasseranschlußgrad 1992 in Berlin und Brandenburg
141
12
Schwefeldioxid-Emissionsdichte 1991 in Berlin und Brandenburg
148
13
Staub-Emissionsdichte 1991 in Berlin und Brandenburg
149
14
Stickoxid-Emissionsdichte 1991 in Berlin und Brandenburg
150
15
Kohlenmonoxid-Emissionsdichte 1991 in Berlin und Brandenburg
151
8
1
Vorbemerkungen
Im Oktober 1993 wurden das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und das Brandenburgische Wirtschaftsinstitut (BWI) vom Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie, Brandenburg beauftragt, ein Gutachten über "Volkswirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin" zu erstellen. Mit dieser Themenstellung wird der Kernpunkt der aktuellen Vereinigungsdiskussion angesprochen, denn ohne die Erwartung nachhaltiger wirtschaftlicher Vorteile hätte eine Länderfusion wohl nur wenige Befürworter. Freilich wäre es viel zu kurz gegriffen, sich auf die Betrachtung der wirtschaftlichen Vorgänge in einem engen und unmittelbaren Sinn zu beschränken. Sowohl für Unternehmer als auch für Arbeitnehmer sind Landesgrenzen Nebensache. Sie praktizieren die Einheit des Wirtschafts- und Arbeitsraumes auch ohne politische Neugliederung. Wichtiger ais direkte wirtschaftliche Auswirkungen einer Ländervereinigung - hier wird immer wieder auf Einsparungen in der Verwaltung verwiesen - dürften Effekte sein, die auf Umwegen zustande kommen. Das ökonomische Entwicklungspotential einer Region wird wesentlich bestimmt von Faktoren wie -
der bereits existierenden Wirtschaftsstruktur,
-
dem Arbeitskräftepotential,
-
der wirtschaftsnahen Infrastruktur,
-
dem Forschungs- und Innovationspotential sowie
-
der Lage im Raum.
Die einzelne Region muß also - soweit sie überhaupt Einflußmöglichkeiten hat - bemüht sein, ihre relative Position im Hinblick auf diese "harten" Standortfaktoren zu halten oder zu verbessern. Von großer Bedeutung sind darüber hinaus aber auch "weiche" Faktoren, die sich vor allem im Image einer Region und in der Lebensqualität, die sie ihren Bewohnern bietet, niederschlagen. Wichtige Fragen in diesem Zusammenhang sind, -
auf welche Weise ein Raum besiedelt und nach Nutzungen strukturiert wird (Raumordnung),
-
wie die Verkehrsströme gestaltet bzw. bewältigt werden,
9
-
wie die Region mit den Problemen der Versorgung und der Entsorgung sowie mit den darüber hinausgehenden Umweltfragen fertig wird,
-
wie die verschiedenen regionalen Akteure miteinander kooperieren ("regionale Netze", "Wirtschaftsklima", "sozialer Konsens") und nicht zuletzt
-
wie die Region sich nach außen darstellt.
Aspekte der Lebensqualität spielen gerade bei der Ansiedlung von Zukunftsindustrien und Dienstleistungsunternehmen eine Rolle. Dieser Zusammenhang gewinnt künftig noch dadurch an Bedeutung, daß das Standortprofil eines Bundeslandes sich im Wettbewerb der Regionen nicht nur auf nationaler Ebene behaupten muß, sondern mehr und mehr auch im Kontext internationaler Konkurrenzbeziehungen.
Aus der Vielfalt der die regionale Entwicklung beeinflussenden Größen ergab sich ein sehr breites Spektrum von Tatbeständen, die unter dem Aspekt der Ländervereinigung zu untersuchen waren. Da die Schlußfolgerungen sich meist im Qualitativen, manchmal sogar im Spekulativen bewegen, war eine Zusammenführung der verschiedenen Einzelaspekte zu einem formalisierten volkswirtschaftlichen Gerüst zwar nicht möglich, dies ändert aber nichts an der Eindeutigkeit der Ergebnisse auf der qualitativen Ebene.
Die vorliegende Publikation enthält nicht die Gesamtheit der Untersuchungsergebnisse, sondern nur die vom DIW bearbeiteten Teile und eine ausführliche Zusammenfassung. Der Bericht repräsentiert den Informationsstand vom Spätsommer 1994.
10
2
Ländergliederung; Verwaltungskooperation und wirtschaftliche Effizienz
2.1
Brandenburg-Berlin in der Konkurrenz der Regionen
Volkswirtschaftliche Effekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin bestimmen zu wollen heißt auch, den Blick über die Grenzen der Region hinaus zu richten. Dies gilt um so mehr, als sich die politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen in Europa in jüngster Zeit grundlegend verändert haben. Die weitere Integration und die Vergrößerung der Europäischen Union, die Öffnung Mittel- und Osteuropas und nicht zuletzt die Vereinigung Deutschlands zeitigen regional sehr unterschiedliche wirtschaftliche Auswirkungen. Welche wirtschaftliche Entwicklung die Region Brandenburg-Berlin nimmt, hängt zu einem erheblichen Teil davon ab, wie sie die ökonomischen Implikationen dieser Umwälzungsprozesse verarbeitet. Nur wenn dieser Hintergrund in die Betrachtung einbezogen wird, macht es Sinn, nach wirtschaftlichen Effekten einer Länderfusion zu forschen.
Durch die weitgehende Liberalisierung der Märkte in Europa wurden der Internationalisierung der wirtschaftlichen Aktivitäten neue Impulse verliehen. Die Herstellung eines einheitlichen Binnenmarktes hat eine Erhöhung der Mobilität von Gütern und Produktionsfaktoren und eine Intensivierung des Wettbewerbs zur Folge. Dieser Prozeß wird sich mit der Gründung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion fortsetzen, auch wenn der in den Maastrichter Beschlüssen vorgesehene Zeitplan wohl nicht eingehalten werden wird. Insgesamt wird die vertiefte wirtschaftliche Integration Europas zu einer beschleunigten Produktivitätssteigerung und einer Stimulierung des Wachstums führen, auch wenn es über die Größe dieser Effekte unterschiedliche Einschätzungen gibt. Auf die einzelnen Unternehmen und Regionen werden sich Chancen und Risiken dieser Entwicklung unterschiedlich verteilen. Die erweiterten Operationsmöglichkeiten dürften vor allem von größeren Unternehmen genutzt werden können, die ohnehin schon stark international orientiert sind. In Anbetracht der räumlichen Allokation dieser Unternehmen dürfte es zu einer weiteren Stärkung der zentral gelegenen und mit Infrastruktur und Humankapital gut ausgestatteten Verdichtungsgebiete kommen (vgl. Koll, Nam 1992). Periphere und wirtschaftlich schwach strukturierte Gebiete werden dagegen relativ an Gewicht verlieren, so daß sich die Disparitäten innerhalb der Europäischen Union auf der Ebene der Regionen eher vergrößern werden.
11
Ein solches Verlaufsmuster dürfte sich vor allem in den wirtschaftlich weit entwickelten Ländern herausbilden. Im Zuge der zunehmenden Internationalisierung der Produktion werden die wirtschaftlich schwachen Gebiete der Hochlohnländer verstärkt damit konfrontiert
werden, daß einfachere und arbeitsintensive Produktionsbereiche
ins
kostengünstigere Ausland verlagert werden. Der Wegfall von Handelshemmnissen wirkt dabei zusammen mit technologischen Veränderungen im Produktionsprozeß - computergestützte integrierte Fertigung (CIM) in Verbindung mit moderner Telekommunikation - und der Einführung neuer Organisationskonzepte in Unternehmen - lean production, global sourcing (Hamm, Klemmer 1993)1.
Zu einer gewissen räumlichen Ausbreitung der von der wirtschaftlichen Integration Europas ausgehenden Wachstumsimpulse dürfte es erst in einer späteren Phase kommen, wenn Sekundäreffekte wirksam werden und sich in den Verdichtungsgebieten zunehmend auch Agglomerationsnachteile bemerkbar machen. Davon werden dann aber wohl weniger die ländlichen Gebiete als die verkehrsgünstig gelegenen ballungsnahen Regionen profitieren (Gornig u.a. 1993, S. 20 ff.). Die ab 1995 wirksam werdende Erweiterung der EU wird die Tendenz zur Internationalisierung noch verstärken. Für den nordostdeutschen Raum wird sich dabei die Lage insofern etwas verbessern, als er durch die Einbeziehung Schwedens und Finnlands mehr ins Zentrum der vergrößerten Europäischen Union rückt. Von einem intensivierten wirtschaftlichen Austausch mit Nordeuropa dürften vor allem die Regionen Hamburg, Bremen, Hannover und Berlin profitieren.
Wirtschaftlich noch bedeutender als die Integration im Westen dürfte auf längere Sicht die Öffnung Mittel- und Osteuropas sein (Ifo 1992, S. 58 ff.), aber auch dies ist keine Einbahnstraße. Mittel- und Osteuropa wird als Markt und als Kooperationspartner nur
1
Die technologischen Möglichkeiten der Steuerung und Vernetzung der Produktionsabläufe und neue Organisationsformen erzeugen keineswegs durchgängig solche Verlagerungstendenzen. Der Dezentralisierung stehen vielmehr Transportkosten, ungenügende Infrastruktur und der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften entgegen. Diese Hemmnisse sind um so bedeutender, je komplexer die Produktionsprozesse sind (Gornig u.a. 1993, S. 5 ff.). Gerade das Bestreben, den Material- und Produktfluß zu optimieren und Lagerung zu vermeiden, läßt räumliche Nähe in der Lieferverflechtung vielfach zu einem wichtigen Kriterium werden. Im Umland Berlins gibt es bereits eine Reihe von neuen, nach modernsten Maßstäben konzipierten Industriebetrieben, bei denen die Abwägung zwischen niedrigeren Produktionskosten im Ausland und Vorteilen der Nähe zum Hauptbetrieb gegen eine Verlagerung ausgegangen ist. 12
interessant sein, wenn der in einigen Ländern bereits zu beobachtende Prozeß des wirtschaftlichen Aufschwungs sich noch wesentlich verbreitert und intensiviert. Dies wiederum wird nur in dem Maße geschehen, wie sich westliche Unternehmen in Form von Direktinvestitionen engagieren und wie die mittel- und osteuropäischen Länder Zugang zu westlichen Märkten finden. Der von diesen Ländern ausgehende Angebotsdruck wird sich auf absehbare Zeit auf technologisch weniger anspruchsvolle Produktgruppen konzentrieren; in Frage kommen z.B. Agrarerzeugnisse, Baustoffe, Stahlprodukte, einfachere Investitionsgüter sowie Verbrauchsgüter. Neben der Lieferung von Waren dürften die mittelund osteuropäischen Länder auch verstärkt Bauleistungen (einschl. des Stahlbaus) exportieren. Der Importbedarf dieser Länder ergibt sich vor allem aus dem desolaten Zustand der Infrastruktur, der technologischen Rückständigkeit der Produktionsanlagen und dem Mangel an produktionsorientierten Dienstleistungen.
In räumlicher Hinsicht dürfte sich die Öffnung Mittel- und Osteuropas ähnlich auswirken wie die Integration Westeuropas: Begünstigt werden leistungsstarke Regionen, die hochwertige Investitionsgüter sowie Handels-, Beratungs- und Finanzdienste anbieten, während sich ländliche Gebiete stärkerem Konkurrenzdruck ausgesetzt sehen - sowohl beim Warenangebot als auch im Hinblick auf die Ansiedlung von Betrieben. Die sektoralen und regionalen Effekte eines verstärkten Austausches mit Mittel- und Osteuropa dürften sich zunächst wegen der räumlichen Nähe bzw. wegen der leichteren verkehrlichen Erreichbarkeit vor allem in den östlichen Regionen Deutschlands bemerkbar machen. Neben dem normalen Austausch von Waren und Leistungen düfte dabei in Zukunft der gezielte Aufbau von Vorlieferungsbeziehungen zur Ausnutzung der enormen Kosten unterschiede eine gewichtige Rolle spielen. Dem stehen heute noch der Zustand der Infrastruktur in diesen Ländern und das ungenügende Angebot - sowohl was die Art, als auch was die Qualität der Produkte angeht - entgegen. Zumindest Angebotsprobleme können aber durch Betriebsgründungen westlicher Unternehmen und durch Joint-ventures abgebaut werden. Ein solcher Prozeß kommt offenbar allmählich in Gang. Der Aufbau solcher Vorlieferungsverflechtungen führt zwar einerseits zur Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland. Auf der anderen Seite stellt die Möglichkeit, auf engem Raum große Kosten unterschiede auszunutzen, einen erheblichen Standortvorteil der östlichen Regionen Deutschlands dar. Dies gilt für die Entwicklung der ansässigen Unternehmen ebenso wie für die Ansiedlung neuer Betriebe.
13
Welche Auswirkungen haben nun die fortschreitende Integration Westeuropas und die Öffnung Mittel- und Osteuropas auf die wirtschaftliche Entwicklung in Brandenburg und Berlin? Nimmt man die Herstellung eines einheitlichen europäischen Binnenmarktes für sich, so werden wohl weder Brandenburg noch Berlin zu den Gewinnern in der Konkurrenz der europäischen Regionen zu rechnen sein. Beide Länder liegen abseits von den wirtschaftsstarken Zentralregionen der Europäischen Union. Große Teile Brandenburgs sind zudem ländlich strukturiert, diese Regionen werden es sehr schwer haben, ihre schwache industrielle Basis auszubauen. Sie stehen in einem härter werdenden Wettbewerb mit ähnlichen, aber wesentlich kostengünstigeren Regionen in Südeuropa, zumal sie - anders als ländliche Gebiete in Westdeutschland - nicht einmal den Vorteil einer gut ausgebauten Infrastruktur vorweisen können.
Aber auch Berlin wird nicht zu den Regionen gehören, die aus dem Prozeß der westeuropäischen Integration als Gewinner hervorgehen werden. Die periphere Lage, die ungünstige Struktur der Produktion, der geringe Grad an intraregionaler Verflechtung, der relativ niedrige Anteil hochwertiger Arbeitsplätze, die deutliche Schwäche auf dem Gebiet der industriellen Forschung und Entwicklung, der Mangel an überregional ausgerichteten produktionsorientierten
Dienstleistungen und das fast vollständige Fehlen größerer
Unternehmenszentralen sind in der Konkurrenz mit anderen europäischen Ballungsräumen gravierende Nachteile der Stadt. Allein die Erweiterung der Europäischen Union um Schweden und Finnland stellt eine gewisse Verbesserung der Entwicklungsmöglichkeiten Berlins - und der anderen ostdeutschen Bundesländer - dar.
Ein insgesamt günstigeres Bild für die Region Brandenburg-Berlin ergibt sich im Hinblick auf die Öffnung Mittel- und Osteuropas. Hier muß allerdings deutlich differenziert werden: Die brandenburgische Wirtschaft ist sowohl im Hinblick auf die Exportstruktur der aufstrebenden mittel- und osteuropäischen Länder, als auch was deren Importbedarf angeht ungünstig strukturiert. Der hohe Anteil von Ernährungsgütern und Grundstofferzeugnissen läßt erwarten, daß die brandenburgische Wirtschaft relativ stark unter Konkurrenzdruck gerät. Gleichzeitig bietet das geringe Gewicht von Investitionsgütern keinen Anlaß für Hoffnungen darauf, daß die brandenburgische Industrie auf den sich mittel- und längerfristig sicher stark entwickelnden osteuropäischen Märkten überdurchschnittliche Erfolge erzielen wird.
14
Auch die bereits erwähnte aus der räumlichen Lage resultierende Möglichkeit, enge Zulieferverflechtungen mit Unternehmen in angrenzenden Ländern aufzubauen und so die großen Kostendifferenzen auszunutzen, ist ambivalent zu bewerten. Zunächst werden dadurch Arbeitsplätze exportiert; ein positiver Effekt für Brandenburg kommt dabei nur heraus, wenn der Standortfaktor "räumliche Nähe zu mittel- und osteuropäischen Ländern" tatsächlich in erheblichem Umfang zur Neuansiedlung von Betrieben und zur Expansion vorhandener Unternehmen beiträgt. Ob dies der Fall sein wird, hängt auch von politischen Aktivitäten - Wirtschaftsförderung, Infrastrukturausbau etc. - kb.
Günstiger sind dagegen die Voraussetzungen der Berliner Wirtschaft im Hinblick auf den Austausch mit mittel- und osteuropäischen Ländern. Die Stadt verfügt über eine relativ leistungsfähige Investitionsgüterindustrie, die von dem Bedarf der osteuropäischen Länder an Infrastrukturgütern, z.B. an Einrichtungen der Telekommunikation, profitieren dürfte. Freilich wird im Zuge von Produktionsverlagerungen ins Umland auch das Land Brandenburg daran partizipieren. Darüber hinaus hat Berlin - nicht zuletzt aufgrund traditioneller Bindungen und räumlicher Nähe - die Chance, auf den Gebieten Informationsaustausch, Beratung und Finanzierung eine bedeutende Rolle im sich entwickelnden OstWest-Austausch zu übernehmen. Ein entsprechendes Angebot war zum Zeitpunkt der Grenzöffnung nur in Ansätzen vorhanden, in den letzten Jahren ist es aber sehr stark ausgebaut worden. Alles in allem werden die politischen und wirtschaftlichen Veränderungen in Europa - Integration und Erweiterung der Europäischen Union sowie Öffnung der mittel- und osteuropäischen Länder - in absehbarer Zeit also nicht unbedingt zu einer Stärkung der Region Brandenburg-Berlin im Wettbewerb der Regionen führen. Dies ergibt sich aus den vergleichsweise ungünstigen wirtschaftsstrukturellen Ausgangsbedingungen, der geographischen Lage und dem Zeitbedarf für einen breiten wirtschaftlichen Auf hol prozeß in Osteuropa. Eine andere tiefgreifende Veränderung der Situation, die Vereinigung Deutschlands, wird aber zu einer ganz entscheidenden Positionsverbesserung der Region führen. Berlin nimmt in der Städtehierarchie Ostdeutschlands eine herausgehobene Stellung ein. Viele Unternehmen, die ihre Marktposition in den neuen Bundesländern auf- bzw. ausbauen wollen, wählen die Stadt als Basis. Wichtige Gründe dafür sind die Größe der Stadt, die für sich allein schon einen erheblichen Markt darstellt, das Wirtschafts- und Infrastrukturpotential
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West-Berlins sowie die infrastrukturelle Anbindung; dies gilt für den Fernverkehr ebenso wie für moderne Telekommunikationseinrichtungen. Wesentlich wichtiger noch als diese Metropolenfunktion Berlins innerhalb Ostdeutschlands ist die Ausfüllung seiner Funktion als Hauptstadt Deutschlands. Die Entscheidung, Bundesregierung und Parlament nach Berlin zu verlagern, dürfte jetzt wohl endgültig sein. Der Umzug ist inzwischen auch zeitlich so eingegrenzt und durch beginnende Investitionsmaßnahmen so verfestigt, daß er als verläßliche Größe in die Planungen privater Unternehmen und Organisationen einfließen wird. Die aus der Übernahme der Hauptstadtfunktion resultierenden wirtschaftlichen Effekte werden keineswegs auf Berlin begrenzt bleiben. Zumindest für den engeren Verflechtungsraum sind deutliche Impulse zu erwarten. Erst durch die Zusammenführung der verschiedenen Einflußkomponenten- westeuropäische Integration, Öffnung Mittel- und Osteuropas und Vereinigung Deutschlands - und unter Berücksichtigung der vorhandenen Wirtschaftsstruktur läßt sich ein vollständiges Bild über die
Entwicklungsaussichten
der Region Brandenburg-Berlin
gewinnen.
Das Land
Brandenburg ist außerordentlich heterogen strukturiert. Dem engeren Verflechtungsraum mit Berlin stehen sehr schwach strukturierte ländliche Regionen und das Bergbaugebiet gegenüber. Diese Regionen haben aufgrund ihrer räumlichen Lage, ihrer Infrastrukturausstattung und ihrer Wirtschaftsstruktur ei η relativ geringes Entwicklungspotential. Zusätzlicher Konkurrenzdruck wird von südeuropäischen Regionen und zum Teil auch von mittel- und osteuropäischen Ländern ausgehen.
Auch im engeren Verflechtungsraum mit Berlin ist das wirtschaftliche Potential noch relativ schwach. Durch die bereits in Gang gekommene Suburbanisierung von Gewerbe und Bevölkerung wird das Umland der Stadt aber deutlich gestärkt werden. Darüber hinaus bietet dieser Raum auch für auswärtige Investoren interessante Standorte. Die Nähe zu Berlin, die schon relativ günstige und im weiteren Ausbau befindliche überregionale Verkehrsanbindung und die geringen Entfernungen zu osteuropäischen Ländern sind dabei wichtige Standortfaktoren. Von ausschlaggebender Bedeutung für die wirtschaftliche Zukunft der Gesamtregion wird die Entwicklung in Berlin sein. Die Bedingungen für einen dynamischen Wachstumsprozeß in der Stadt sind ganz eindeutig vorhanden:
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-
Berlin ist die "Metropole" Ostdeutschlands. Die Stadt liegt inmitten eines Gebiets, das zwar ökonomisch noch schwach ist, dessen Wirtschaft aber in den kommenden Jahren stark expandieren wird. Zweifellos wird sich Berlin viele Aufgaben mit Leipzig und Dresden teilen müssen; dies entspricht der dezentralen Struktur Deutschlands insgesamt. Auch ist nicht zu erwarten, daß sich das über viele Jahre gewachsene Netzwerk der Städte in Westdeutschland auflöst, es wird aber allmähliche Veränderungen im Zuge der Integration Ostdeutschlands in dieses System geben, und dabei wird Berlin aufgrund seiner Größe, seiner geografischen Lage sowie seines wissenschaftlichen und kulturellen Potentials eine führende Rolle einnehmen.
-
Berlin verfügt - auch in technischen Fachrichtungen - über ein großes Potential an Ausbildungs- und Forschungsstätten, das unter den Bedingungen der Teilung der Stadt nur unzureichend wirtschaftlich genutzt wurde. In Zukunft wird dieses Potential einen immer stärker ins Gewicht fallenden Standortfaktor darstellen. Aber auch wenn - wie es inzwischen der Fall zu sein scheint- die erforderlichen organisatorischen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen geschaffen werden, darf nicht erwartet werden, daß der Raum Berlin schlagartig zu einem Mekka der High-tech-Unternehmen wird. Die Konkurrenz ist auf diesem Gebiet sehr groß. Über entsprechende Ausbildungs- und Forschungseinrichtungen verfügen viele Großstädte bzw. Ballungsräume, und fast alle unternehmen große Anstrengungen, technologieorientierte Unternehmen anzusiedeln. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß bereits vorhandene räumliche Konzentrationen selbstverstärkende Kräfte entfalten, wie sich nicht nur am Beispiel Silicon Valley zeigen läßt (vgl. z.B. den Raum München). Die Entwicklung des europäischen "sunbelt" - ein Gebiet, das sich von Nordostspanien bis Norditalien erstreckt - zeigt, daß bei einer entsprechenden Kombination von Standortfaktoren auch Regionen außerhalb der traditionellen Verdichtungsräume Chancen bei der Entwicklung von High-techPotentialen haben (vgl. Nerb, Reuter, Russ 1992).
Berlin trifft bei der Ansiedlung technologieorientierter Unternehmen also auf viele Konkurrenten, und es wird länger dauern, bis von diesem Sektor spürbare Beschäftigungsimpulse in der Region ausgehen. Anders als früher hat die Stadt aber jetzt wenigstens die Chance, ein ihrer Größe entsprechendes Potential aufzubauen. -
Berlin wird ab Ende dieses Jahrzehnts die Hauptstadtfunktion wahrnehmen. Der direkte Beschäftigungseffekt des Umzugs von Regierung und Parlament wird zwar nur gering
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sein, weil eine Reihe von Bundesbehörden als Kompensation für Bonn und zur Stärkung anderer Regionen aus Berlin abgezogen wird. Von enormer Bedeutung werden aber die indirekten Auswirkungen sein: Eine große Rolle spielt dabei die Verlagerung von Parteien, Berufs- und Wirtschaftsorganisationen sowie von ausländischen Vertretungen. Auch wenn bei weitem nicht alle diese Institutionen nach Berlin ziehen werden, wird es ab Ende dieses Jahrzehnts zu einer Zuwanderungswelle kommen, die im Ergebnis mehrere zehntausend Arbeitsplätze umfassen wird. Neben der quantitativen Komponente ist dabei auch der qualitative Aspekt zu berücksichtigen; bei einem Großteil der neuen Arbeitsplätze wird es sich um hochwertige Arbeitsplätze handeln.
Ein weiterer indirekter Effekt des Regierungsumzugs ist der zu erwartende Imagegewinn für Berlin. Welche Rolle ein so diffuser Tatbestand wie "Image" bei der Standortwahl von Unternehmen spielt, ist nicht genau zu sagen, auch wenn es zu diesem Thema eine Vielzahl von Befragungen gibt. Für das Bild, das in- und ausländische Investoren von Berlin haben, bedeutet die Hauptstadtrolle aber eine radikale Veränderung. Dabei spielt natürlich auch die Erwartung eine Rolle, der Regierungsumzug werde das Wachstum von Wirtschaft und Bevölkerung der Stadt beflügeln.
Schließlich sind die ökonomischen Sekundärwirkungen des Umzugs von Regierung und Parlament zu berücksichtigen. Von der zu erwartenden zusätzlichen Nachfrage werden viele Wirtschaftszweige profitieren, vor allem aber das Baugewerbe und baunahe Branchen. Dabei geht es nicht nur um den Neubau bzw. die Modernisierung von Regierungsgebäuden, sondern auch um den beschleunigten Ausbau der Infrastruktur, insbesondere der Verkehrsinfrastruktur. Diese Investitionen kommen zu dem ohnehin anstehenden Ausbau der Infrastruktur in Ost-Berlin und im Umland der Stadt hinzu.
-
Berlin wird aller Voraussicht nach wieder zu einem bedeutenden mitteleuropäischen Zentrum von Handel, Verkehr und Kommunikation werden. Die Stadt kann ihre frühere Rolle im Nord-Süd-Verkehr und vor allem im West-Ost-Verkehr nach und nach wiedergewinnen. Die Planung und der Ausbau der entsprechenden Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur
ist - mit Ausnahme des Flugverkehrs - schon weit
vorangeschritten.
Das Volumen des wirtschaftlichen Austauschs mit den mittel- und osteuropäischen Ländern ist noch gering, es wird aber in den nächsten Jahren deutlich zunehmen. In Polen und der
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Tschechischen Republik hat der Wachstumsprozeß bereits eingesetzt, in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion geht es allerdings zunächst noch weiter deutlich bergab. Langfristig dürfte die Zentrumsfunktion im Ost-West-Austausch zum hervorstechenden Charakteristikum Berlins werden. Daneben werden aber auch andere Städte, vor allem Wien (vielleicht auch Prag), bedeutende Positionen einnehmen.
Wie sich all dies bei der Entwicklung von Produktion und Beschäftigung in Brandenburg und Berlin quantitativ niederschlägt, läßt sich schwer abschätzen. Geht man von einem eher optimistischen Szenario der Wirtschaftsentwicklung in Ostdeutschland aus, bei dem für die Jahre von 1992 bis 20Ö0 eine durchschnittliche Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts von 10 vH (Görzig, Gornig, Schulz 1994) und für die Zeit von 2000 bis 2010 eine solche von 4 vH veranschlagt wird, so ergibt sich für 2010 eine Erwerbstätigenzahl (am Wohnort) von rund 6,6 Millionen. Dies entspricht dem heutigen Beschäftigtenstand, der allerdings 300 000 ABM-Kräfte einschließt. Für das Land Brandenburg ist mit einer regional stark differenzierten Beschäftigungsentwicklung zu rechnen. Die nördlichen und südlichen Landesteile werden in erheblichem Umfang Arbeitsplätze verlieren, während die Beschäftigung im Verflechtungsraum mit Berlin expandieren wird. Insgesamt dürfte sich im Land Brandenburg die Beschäftigung ganz ähnlich entwickeln wie im Durchschnitt Ostdeutschlands. Dies würde bedeuten, daß im Jahr 2010 rund 1,1 Millionen Einwohner des Landes einen Arbeitsplatz hätten. Auch in diesem eher optimistischen Zukunftsbild wären noch knapp 100 000 Menschen als arbeitslos registriert, die Arbeitsmarktlücke insgesamt wäre auf 150 000 bis 170 000 zu veranschlagen.
Für Berlin ist unter den Bedingungen dieses Szenarios bis zum Jahr 2000 mit einer Erhöhung der Beschäftigtenzahl um 80 000 auf 1,65 Millionen zu rechnen. Bis zum Jahr 2010 ist eine weitere Erhöhung um etwa 180 000 möglich. Besonders expansiv wird sich der private Dienstleistungssektor entwickeln; hier wird die Zahl der Arbeitsplätze bis zum Jahr 2010 um mehr als 250 000 zunehmen. Der Anteil dieses Wirtschaftsbereichs an der Gesamtbeschäftigung würde dann rund 40 vH betragen, ein Niveau, das Städte wie Frankfurt und München allerdings schon heute erreicht haben. Trotz dieser starken Beschäftigungsexpansion werden die Arbeitsmarktprobleme Berlins im Grundsatz bestehen bleiben, da die Zahl derjenigen, die Arbeitsplätze nachfragen, ebenfalls deutlich steigen wird. Geht man von einer eher zurückhaltenden Schätzung der Zuwandererzahlen aus, so ergibt sich für das Jahr 2010 eine Arbeitslosenzahl von 150 000;
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dies würde einer Arbeitslosenquote von gut 8 vH entsprechen. Die Arbeitslosigkeit droht aber nicht nur, als quantitatives Problem noch lange erhalten zu bleiben, zu befürchten ist auch, daß die strukturellen Probleme auf dem Arbeitsmarkt sich noch wesentlich verschärfen werden.
Die Berechnungen, die den angegebenen Zahlen zur Beschäftigungs- und Arbeitsmarktentwicklung in Brandenburg und Berlin zugrunde liegen, werden hier nicht im einzelnen dargestellt. Auf zwei grundlegende Parameter dieser Schätzungen ist aber ausdrücklich zu verweisen:
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Ausgangspunkt ist ein relativ optimistisches Bild über die künftige Entwicklung der Wirtschaft in Ostdeutschland insgesamt.
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Bei der Abschätzung der Position Brandenburgs und Berlins in diesem Prozeß wurde unterstellt, daß die skizzierten regionalen Entwicklungspotentiale auch tatsächlich ausgeschöpft werden.
In welchem Maße letzteres der Fall sein wird, hängt sicher von einer Reihe von Faktoren ab, die auch das Verhalten der wirtschaftlichen und politischen Akteure mit einschließt. Die zentrale Fragestellung dieser Untersuchung ist, welche Rolle die Ländergliederung dabei spielt. 2.2
Öffentliche Verwaltung im Verhältnis Stadtstaat-Flächenland
Im Hinblick auf das Verhältnis der Stadtstaaten zu den sie umgebenden Flächenländern stellen sich Fragen nach Kooperation und Verwaltungseffizienz zwar mit besonderer Dringlichkeit, im Gesamtzusammenhang der Ländergliederung sind dies aber keineswegs die einzigen Problemfälle. Bei der Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurden die Ländergrenzen im wesentlichen nach dem Willen der Besatzungsmächte gezogen. Dabei entstanden Einheiten von sehr unterschiedlicher Größe und Wirtschaftskraft. Durch das spätere Hinzutreten des Saarlandes wurde das Spektrum noch um eine weitere Facette ergänzt. Daß dies für einen föderalistischen Staat, in dem die Länder eine tragende und vor allem eigenständige Rolle spielen sollen, keine optimale Struktur ist, war den Beteiligten durchaus
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bewußt. Die Notwendigkeit einer Länderneugliederung wurde sogar im Grundgesetz verankert (Art. 29 GG und für den Sonderfall der südwestdeutschen Länder Art. 118 GG)2. Trotz einer umfangreichen Diskussion und vieler Vorschläge zur Neuabgrenzung der Bundesländer ist diese Verfassungsvorschrift jedoch nicht umgesetzt worden. Ein erneuter Anlauf wurde 1970 mit der Einsetzung einer Sachverständigenkommission unternommen, aber auch deren Vorschläge (vgl. Timmer o.J.) wurden nicht aufgegriffen. Stattdessen wurde der ursprünglich zwingende Grundgesetzauftrag zur Neugliederung in eine Kannvorschrift umgewandelt, wobei gleichzeitig die Verfahrensregelungen und die Zuständigkeiten so geändert wurden, daß sie ein fast unüberwindbares Hindernis für eine Neugliederung darstellen (vgl. Ernst 1993).
Aktuell wurde dieses Thema dann erst wieder mit der Vereinigung Deutschlands. In Anbetracht der Dynamik dieses Prozesses und der Fülle der damit zusammenhängenden sonstigen Probleme ist es aber nicht verwunderlich, daß es weder zu einer ernsthaften Neugliederungsdiskussion in Westdeutschland noch zur Bildung ausreichend großer und damit in der Perspektive auch leistungsfähiger Länder in Ostdeutschland kam. Für die Länder Brandenburg und Berlin gibt es allerdings die Chance der nachträglichen Korrektur. Artikel 5 des Einigungsvertrages enthält die Empfehlung, diesen beiden Ländern den Zusammenschluß im Wege einer Sonderregelung zu ermöglichen. Zu diesem Zweck soll Art. 118 GG entsprechend ergänzt werden. Daß es bisher trotz aller Diskussionen und Vorschläge nicht zu einer Länderneugliederung gekommen ist, zeugt vom Beharrungsvermögen bestehender Verwaltungsstrukturen. In der Sache gibt es viele Gründe dafür, daß eine Neuabgrenzung erhebliche politische und ökonomische Vorteile hätte. Die wirtschaftliche und damit die finanzielle Leistungsfähigkeit der Bundesländer ist eine wesentliche Grundlage für die Wahrnehmung ihrer Rolle im föderalen Machtgefüge der Bundesrepublik. Je weniger die Steuereinnahmen einzelner Länderausreichen, ähnliche Lebensbedingungen wie im übrigen Bundesgebiet herzustellen, umso mehr geraten sie nicht nur in finanzielle sondern nach aller Erfahrung auch in politische Abhängigkeit von finanzstarken Ländern und vor allem vom Bund.
2
Art. 29 GG war bis 1955 durch Vorbehalt der Alliierten suspendiert. Dieser Vorbehalt erstreckte sich jedoch nicht auf die drei südwestdeutschen Länder, so daß für diese Fälle eine gesonderte Verfassungsvorschrift eingefügt werden konnte. 21
Hinzu kommt, daß finanzschwache Länder versucht sind, wo dies möglich ist, Bundesbehörden zur Mitfinanzierung von Länderaufgaben zu veranlassen. Dadurch ist es in der Vergangenheit zu einer schleichenden Erosion der Länderkompetenzen gekommen, der sich schließlich auch die finanzstarken Länder nicht mehr entziehen konnten (Timmer o.J., S. 45). Als Kompensation für die Ausweitung der Bundeskompetenzen versuchen die Länder, Einfluß im Bereich der Bundesgesetze zu gewinnen. Aus dieser weitgehenden Vermischung von Aufgaben und Finanzierung resultiert aber im Grunde eine weitere Aushöhlung der Unabhängigkeit der Länder mit nachteiligen Rückwirkungen bis auf die kommunale Ebene (Sauberzweig/Schmidt-Eichstaedt 1992, S. 40). Die Eigenständigkeit der Länder dürfte umso eher gewährleistet sein, je ausgewogener das Verhältnis von wirtschaftlich starken und schwächer strukturierten Regionen ist, so daß notwendige Ausgleichsprozesse landesintern bewältigt werden können. Für eine solche ausgewogene Struktur ist in der Regel eine bestimmte Größe der Länder notwendig.
Ein gerade in wirtschaftlicher Hinsicht bedeutsamer Aspekt bei der Ländergliederung ist die Frage der Verwaltungseffizienz. Jedes Land benötigt zur bedarfsgerechten Erfüllung seiner Aufgaben eine gewissen Ausstattung mit öffentlichen Einrichtungen. Die Auslastung dieser Kapazitäten ist jedoch in vielen Fällen erst von einer gewissen Größe der Länder an gewährleistet. Eine nach Aufgabenbereichen differenzierte Untersuchung hat Mindesteinwohnerzahlen zwischen 3,9 Mill, für die Unterhaltung von Hochschulen und 8 Mill, für Landeszentralbanken ergeben (Wagener 1973). Ingesamt kommt die Analyse zu dem Ergebnis, daß für die wirtschaftliche Erfüllung der Verwaltungsaufgaben der Länder mindestens 5 Mill. Einwohner erforderlich sind, eine Zahl, die heute nur von 5 der 16 Bundesländer erreicht wird.
Vor diesem Hintergrund wird übrigens die Zweischneidigkeit des Länderfinanzausgleichs und insbesondere der "Einwohnerveredelung" der Stadtstaaten deutlich. Solange ein solcher Ausgleich gewährleistet ist, gibt es für die kleinen Länder keinen zwingenden Anlaß, über die UnWirtschaftlichkeit der Verwaltungsstrukturen nachzudenken (vgl. Kapitel 3.4). Neben den politischen Implikationen der Ländergliederung für das Funktionieren des förderalen Systems und der Frage der Verwaltungseffizienz sind die Auswirkungen auf das Verwaltungshandeln selbst und auf die davon Betroffenen von Bedeutung. Diese Problematik stellt sich überall dort, wo Verdichtungsräume und Stadtregionen von Landesgrenzen durchschnitten werden, also vor allem in Stadtstaaten. Auf der einen Seite
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stellt die intensive soziale und wirtschaftliche Verflechtung in diesen Räumen hohe Anforderungen an das Potential, Nutzungskonflikte zu bewältigen und Infrastrukturplanungen abzustimmen. Auf der anderen Seite wird die Kooperationsfähigkeit gerade durch die Existenz eigenständiger Länder stark eingeschränkt. Die Notwendigkeit der Koordination wird zwar anerkannt, und es gibt auch vielfältige Versuche des gemeinsamen Vorgehens. Dies ist aber immer mit großen Reibungsverlusten verbunden, und - wie die Erfahrung zeigt - halten sich die Erfolge in Grenzen.
Hier zeigt sich ein Grundproblem bei der Koordinierung von Politik über Verwaltungsgrenzen hinweg. Die Vertreter einer Gebietseinheit betreiben in der Regel eine Politik der Nutzenmaximierung für ihren unmittelbaren Zuständigkeitsbereich. Ein anderes Verhalten wäre gegenüber den zuständigen Gremien und gegenüber den Wählern nur schwer zu vertreten und würde möglicherweise der eigenen Karriere schaden. Freiwillige Koordination mit anderen Gebietseinheiten kann es bei einer solchen Handlungsorientierung nur geben, wenn die Interessen ohnehin weitgehend gleichgerichtet sind oder wenn für Zugeständnisse in einem Punkt im politischen Verhandlungsprozß an anderer Stelle etwas herausgeholt werden kann. Greifen solche Ausgleichsmechanismen nicht, so unterbleibt die Koordination. Es kommt dann zu regionalen Alleingängen oder zur völligen Unterlassung von Vorhaben. Beide Resultate sind aus übergeordneter Sicht i.d.R. ungünstiger als eine Entscheidung, die von einer für den Gesamtraum zuständigen Regierung getroffen worden wäre 3.
Das Problem regionsegoistischen Verhaltens gibt es auf allen Ebenen. Während aber der Wirkungskreis einer Gemeinde nicht nur regional sondern auch sachlich relativ eng begrenzt ist, haben die Länder ein weit gespanntes Aufgabenfeld. Dazu gehören z.B. die Schul- und Hochschulpolitik, die Umweltpolitik, die Landes- und Regionalplanung, der Ausbau der überörtlichen Infrastruktur und die regionale Strukturpolitik. Die Folgen von Koordinationsmängeln sind auf dieser Ebene also wesentlich gravierender, als es im zwischengemeindlichen Verhältnis der Fall sein kann.
3
Im Prinzip haben die Eigenständigkeit von Regionen und die sich daraus ergebende Konkurrenz zwischen ihnen auch positive Aspekte; dies spräche gegen eine Vereinigung von Bundesländern. Bei sehr kleinen Ländern und vor allem in den Fällen, wo eng verflochtene Ballungsräume von Landesgrenzen durchschnitten werden, dürften allerdings die Nachteile der Trennung eindeutig überwiegen. 23
Stadtstaaten und die entsprechenden Flächenländer sind nicht nur bei der Lösung von StadtUmlandproblemen, sondern zu einem erheblichen Teil auch bezüglich der überregionalen Infrastruktur aufeinander abgewiesen. In Anbetracht der Vielschichtigkeit der Abstimmungsprobleme erscheint es sinnvoll, diese beiden Bereiche getrennt zu behandeln:
Stadt-Umland-Bereich Das ohnehin in vieler Hinsicht schwierige Verhältnis zwischen Stadt und Umland wird durch die Landesgrenzen noch komplizierter (vgl. Scharpf/Benz 1991, S. 35). Auf der einen Seite fehlt ein institutionalisierter Ausgleichsmechanismus, wie er in Flächenländern mit dem kommunalen Finanzausgleich gegeben ist, auf der anderen Seite wirken sich viele Entscheidungen unmittelbar oder mittelbar auf die Steuerverteilung und den Finanzausgleich zwischen den beteiligten Ländern aus. Dies führt dazu, daß an finanziellen Verteilungsfragen immer wieder Konflikte aufbrechen. Auch ein anderer Ausgleichsmechanismus fällt im Verhältnis zweier Länder zueinander aus: In Flächenländern werden viele in Großstädten angesiedelte Einrichtungen - Staatstheater, Landesmuseen etc. - vom Land unterhalten. Dadurch wird der Nutzungskonflikt zwischen Stadt und Umland entschärft. Eine Komplizierung im Stadt-Umland-Verhältnis resultiert im Falle der Stadtstaaten auch daraus, daß in die interkommunale Koordination fast immer die Landesebene eingeschaltet ist. Die Kommunen und Kreise im Umland des Stadtstaates haben also landespolitische Vorgaben zu berücksichtigen. Durch Konflikte zwischen Land und Kommunen kann es zur Blockade bei der Suche nach Lösungen im Stadt-Umland-Verhältnis kommen (Scharpf/Benz 1991, S. 68).
Eines der schwierigsten Politikfelder im Verhältnis Stadt-Umland ist die Regionalplanung. Der von den Städten ausgehende Suburbanisierungsprozeß auf der einen Seite und das Bestreben der angrenzenden Gemeinden, Einwohner und Gewerbebetriebe zu gewinnen auf der anderen Seite, haben in den meisten Ballungsräumen zur Zersiedelung des Stadtumlandes geführt. Für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung ist diese Erfahrung allerdings insofern nur von begrenztem Wert, als es zu solchen Fehlentwicklungen gekommen ist, ganz unabhängig davon, ob es sich um einen Stadtstaat oder um eine Großstadt in einem Flächenland handelte. Die entscheidende Frage für Brandenburg-Berlin ist, ob die allseits gewollte Vermeidung der in früheren Jahrzehnten andernorts gemachten Fehler durch die Vereinigung der beiden Länder wahrscheinlicher würde. Die wechselvolle
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Geschichte der Regionalplanung im Raum Hamburg (Scharpf/Benz 1991, S. 36 ff.) und das Konzept der Regionalplanung in Brandenburg sprechen dafür, diese Frage zu bejahen. Es erscheint äußerst zweifelhaft, daß auf der Basis des brandenburgischen "Tortenstückmodells" eine wirksame Regionalplanung im engeren Verflechtungsraum Berlin geleistet werden kann (Sauberzweig/Schmidt-Eichstaedt 1992, S. 68 ff.). Gegen die Einrichtung einer den Ballungsraum Berlin abdeckenden Planungsregion wurde von brandenburgischer Seite u.a. vorgebracht, dadurch entstünde wegen der Dominanz Berlins eine Nebenlandesregierung, und unter der Bedingung getrennter Länder ist dies auch durchaus nachvollziehbar. In einem gemeinsamen Bundesland würde ein solches Argument aber wohl viel von seiner Überzeugungskraft verlieren.
Spannungen zwischen Stadt und Umland treten auch auf dem Gebiet der Wirtschaftsförderung auf. Hier gibt es ohnehin einen intensiven interkommunalen Wettbewerb. Die Gemeinden im Umland der Städte profitieren von der Suburbanisierung des Gewerbes. Für viele Unternehmen können sie günstigere Standortbedingungen bieten als die Kernstädte. Im Falle der Stadtstaaten wird dieser - durchaus nicht in jeder Hinsicht als schädlich zu bewertende - "Bürgermeisterwettbewerb" aber überlagert von einem Wettbewerb der Länder um Gewerbebetriebe. Wie das Beispiel Hamburg zeigt, steigt dadurch die Gefahr von Fehlallokationen (Scharpf/Benz 1991, S. 46). Darüber hinaus ist zu befürchten, daß es den Gemeinden im Windschatten dieser Länderkonkurrenz leichter möglich ist, sich über Ziele der Raumordnung hinwegzusetzen. Im Ergebnis werden also Ressourcen verschwendet und regionalplanerische Vorstellungen über eine auf Schwerpunktorte und Achsen gebündelte Entwicklung konterkariert, ohne daß aus der Sicht der Gesamtregion ein Gewinn an Wirtschaftspotential und Arbeitsplätzen erzielt würde. Derzeit gibt es auf dem Gebiet der Wirtschaftsförderung zwischen Brandenburg und Berlin zwar keinen offenen Streit, in den Verwaltungen besteht aber durchaus Mißtrauen. Die in der Region Hamburg gemachten Erfahrungen zeigen, daß hier ein erhebliches Konfliktpotential angelegt ist.
Neben den Kooperationsproblemen in einzelnen Politikfeldern gibt es im Stadt-UmlandVerhältnis eine Fülle von Nutzungskonflikten 4. Diese ergeben sich daraus, daß Maßnahmen und Leistungen der einen Seite positive oder negative Auswirkungen für die andere Seite haben. Können diese externen Effekte nicht durch gemeinsames Handeln, etwa unter
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Nutzungskonflikte gibt es auch über das Stadt-Umland-Verhältnis hinaus, vgl. dazu die Kapitel 3.2 und 3.3. 25
dem Dach eines Zweckverbandes, oder durch andere Mechanismen wie Ausgleichszahlungen und Koppelgeschäfte internalisiert werden, so besteht die Gefahr, daß das Angebot an den Kosten- und Bedarfsstrukturen vorbeigeht (vgl. dazu auch die Kapitel 3.2 und 3.4). Unabhängig davon, welche Erfolge mit solchen Ausgleichslösungen erzielt werden, haben die Versuche, diese Nutzungskonflikte zu lösen, erhebliche Transaktionskosten zur Folge. Die Höhe dieser Kosten ergibt sich aus der generell asymmetrischen Interessenskonstellation zwischen Stadt und Umland und aus den Kooperationsschwierigkeiten von Stadtstaat und Flächenland. Auch hier liefert die Untersuchung über den Hamburger Raum reichhaltiges Anschauungsmaterial (vgl. Scharpf/Benz 1991).
Abstimmungsprobleme bei überregionalen Aktivitäten
Interessensasymmetrien treten auch jenseits der Stadt-Umland-Probleme auf. So hat Hamburg neben dem eigenen Gebiet noch das Umland der Stadt im Blickfeld, es interessiert sich aber wenig für die Entwicklung in den weiter entfernten Regionen. Die Landesregierung Schleswig-Holstein konzentriert sich dagegen auf die Förderung eigener Entwicklungszentren und muß verhindern, daß die strukturschwachen Gebiete allzu weit zurückbleiben (Scharpf/Benz 1991, S. 56). Unter diesen Bedingungen verwundert es nicht, daß eine gemeinsame Wirtschaftsförderungspolitik nur in Ansätzen zustande kommt. Angesichts des zunehmenden interregionalen Wettbewerbs wäre aber gerade ein vereintes Werben um Unternehmensansiedlungen, bei dem die komplementären Standorteigenschaften der Teilregionen zur Geltung gebracht werden können, dringend erforderlich.
Koordinationsdefizite sind auch im Infrastrukturbereich zu befürchten. Dies gilt zum einen für Einrichtungen im Zuständigkeitsbereich der Länder. Eine der Aufgaben wäre hier die Herstellung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Konkurrenz und Komplementarität im Hochschulbereich, wodurch sich Mittel einsparen ließen. Zum anderen ist die enge Abstimmung der Länder von großer Bedeutung, wenn es um die Berücksichtigung der Region in Planungen auf übergeordneter Ebene geht. Gelingt eine Einigung auf gemeinsame Prioritäten nicht, so verringern sich die Durchsetzungschancen im Wettbewerb mit anderen Regionen. Auf lange Sicht sind dann Ausstattungsdefizite zu befürchten. Für den norddeutschen Raum wird dies z.B. bezüglich des Autobahn- und Bundesbahnnetzes konstatiert (Scharpf/Benz 1991, S. 90).
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Aus der Betonung von Abstimmungsdefiziten und Kooperationsproblemen zwischen Stadtstaat und Flächenland sollte indes nicht geschlossen werden, daß es generell unmöglich wäre, an einem Strang zu ziehen. Im norddeutschen Raum gibt es eine ganze Reihe von gemeinsamen Einrichtungen, um die Kapazitäten besser auszulasten. Darüber hinaus ist es in vielen Punkten auch gelungen, Planungen und Aktivitäten aufeinander abzustimmen. Solche Regelungen sind aber immer nur in Teilbereichen möglich, und wie die Erfahrung zeigt, handelt es sich häufig nur um temporäre Erfolge 5. Auf Regierungsebene erzielte Vereinbarungen geraten oft in der Phase der konkreten Umsetzung in Schwierigkeiten; sie unterliegen darüber hinaus der Gefahr, dem Wechselspiel der Koalitionsbildungen in den jeweiligen Ländern zum Opfer zu fallen.
In Anbetracht der Funktionsmechanismen des politischen Systems und der im norddeutschen Raum gemachten Erfahrungen kann es keinen Zweifel daran geben, daß das Nebeneinander von Stadtstaaten und sie umgebenden Flächenländern zu erheblichen Koordinationsdefiziten führt (vgl. Timmer o.J., Heuer/Knopf 1976, Scharpf/Benz 1991). Bei einem einheitlichen Bundesland gäbe es zwar auch Abstimmungsprobleme im StadtUmland-Verhältnis, unterschiedliche Prioritäten beim Infrastrukturausbau und Bestrebungen, regionale Egoismen durchzusetzen. Das Steuerungspotential der einheitlichen Landesregierung gegenüber den Regionen und Gemeinden und der erhöhte Zwang, Kompromißlösungen zu finden, die auf längere Sicht alle Teilregionen zufriedenstellen müssen, lassen aber erwarten, daß eine Länderneugliederung dem Status quo eindeutig überlegen ist.
Die im norddeutschen Raum gemachten Erfahrungen können auf Brandenburg und Berlin übertragen werden. Die grundsätzlichen Konstellationen sind in beiden Fällen gleich: Es handelt sich jeweils um das Verhältnis zwischen einer Großstadt und einem bevölkerungsschwachen Flächenland. Letzteres verfügt über keine eigene Metropole, so daß der Stadtstaat in erheblichem Umfang oberzentrale Funktionen auch weit über seinen engeren Einzugsbereich hinaus wahrnimmt. Aus diesem Größenverhältnis ergeben sich bei beiden Flächenländern Vorbehalte bezüglich einer möglichen Dominanz der jeweiligen Metropole. Die beiden Flächenländer bestehen zu großen Teilen aus wirtschaftlich relativ wenig entwickelten, ländlich geprägten Regionen. Dies veranlaßt die Landesregierungen zu Ausgleichsmaßnahmen, während die Stadtstaaten vorwiegend auf ihr eigenes Gebiet und
5
So ist das immer wieder als Beispiel für die Lösung von Nutzungskonflikten angeführte Nordwestschweizer MLastenausgleichsmodelI" letztlich gescheitert (Sauberzweig/SchmidtEichstaedt 1992, S. 41). 27
das nähere Umland orientiert sind. Auch die Stadtstaaten haben strukturelle Probleme. Aus unterschiedlichen Gründen sind sie in der Vergangenheit in der wirtschaftlichen Entwicklung hinter dynamischen Ballungsgebieten Deutschlands zurückgeblieben. Für die Zukunft zeichnen sich indes - wiederum in beiden Fällen - günstigere Perspektiven ab.
Die in Brandenburg verbreitete Angst, in einem gemeinsamen Land ständig von Berlin überstimmt zu werden, und die Befürchtungen Berlins, zur Sanierung der strukturschwachen Gebiete des Nachbarlandes herangezogen zu werden, stellen aus der jeweiligen Partialsicht worst-case-Szenarien dar. Dabei werden die realen Abhängigkeiten der Teilräume untereinander und die Mechanismen der politischen Meinungsbildung weitgehend ausgeblendet. Eine Großstadt ist in vielen zentralen Punkten nicht nur von ihrer unmittelbaren Umgebung, sondern auch von dem weiteren Umland abhängig. Selbst wenn das Stimmenverhältnis im Parlament es gestatten würde, hätte sie gar nicht die Möglichkeit, nur die eigenen Interessen durchzusetzen. Umgekehrt wäre ein Land Brandenburg-Berlin auf das Wirtschaftspotential und die Anziehungskraft der Metropole Berlin angewiesen. Eine landesinterne Ausgleichspolitik, die die Position der Stadt im Wettbewerb mit anderen Ballungsräumen schwächen würde, liefe letztlich auf eine Gefährdung der wirtschaftlichen Entwicklung des gesamten Landes hinaus. Die gegenseitigen Abhängigkeiten sind also viel zu stark, als daß einzelne Teilräume sich auf Kosten anderer Landesteile entwickeln könnten.
Abgesehen von diesen Interessensverflechtungen spricht aber auch die Art und Weise, wie die politische Willensbildung in der Realität abläuft, gegen eine strukturelle Benachteiligung von Teilräumen. Die Stimmenverhältnisse auf Parteitagen und in Parlamentsfraktionen setzten nämlich einzelne Regionen immer wieder in den Stand, ihren Interessen Geltung zu verschaffen (vgl. dazu das Beispiel Baden-Württemberg, Scharpf/Benz 1991, S. 26).
Zusammengefaßt ergibt sich folgendes Bild über die wirtschaftlich relevanten Aspekte der Zweiteilung von Brandenburg und Berlin: -
beide Länder erreichen bei weitem nicht die "Mindestgröße" eines Bundeslandes. Daraus ergibt sich eine relativ geringe Verwaltungseffizienz
im Sinne der betriebswirt-
schaftlichen Relation von Input zu Output. -
Der Verhandlungs- und Abstimmungsprozeß zwischen beiden Landesverwaltungen verursacht hohe Kosten und hat Entscheidungsverzögerungen zur Folge.
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-
Trotz vorhandener Bemühungen gibt es gravierende Koordinationsdefizite
und
Kooperationsprobleme zwischen Stadtstaat und Flächenland, und nach allen Erfahrungen läßt sich dies auch nicht grundlegend ändern. Konsequenzen der ungenügenden Abstimmung sind erhöhte öffentliche Ausgaben im Infrastrukturbereich, Verzögerungen beim Ausbau der Infrastruktur bis hin zur völligen gegenseitigen Blockade, Defizite in der Außendarstellung der Region - vor allem auf dem Gebiet der Unternehmensansiedlung und bei der Berücksichtigung der Region in Infrastrukturentscheidungen übergeordneter Ebenen (Bund, EU) sowie Einschränkung der Steuerungspotentiale bei der Umsetzung der Landes- und Regionalplanung.
Daraus ergibt sich, daß eine Vereinigung von Brandenburg und Berlin zweifellos wirtschaftliche Vorteile hätte. Zu untersuchen ist, welcher Art diese Effekte im einzelnen sind und welche Größenordnung sie annehmen können. Zu untersuchen ist auch, ob es neben diesen aus verbesserter Kooperation in der Region resultierenden positiven Effekten auch negative wirtschaftliche Auswirkungen einer Vereinigung gäbe. 2.3
Probleme bei der Bestimmung wirtschaftlicher Effekte einer Ländervereinigung
Es ist ganz allgemein schwierig, ökonomische Effekte verschiedener Politikvarianten abzuschätzen. Am ehesten ist dies noch möglich, wenn es sich um die Evaluation einzelner Politikbereiche handelt. Bei einer umfassenderen Betrachtung, wie sie im Rahmen dieser Untersuchung erforderlich ist, ergibt sich jedoch ein sehr komplexes Wirkungsgeflecht, zumal neben den unmittelbaren Auswirkungen einer Ländervereinigung auch Sekundäreffekte in Rechnung gestellt werden müssen. Es ist daher weder möglich noch sinnvoll, die gesamte staatliche Aktivität und alle Tatbestände, die irgendwie ökonomisch von Bedeutung sein könnten, in die Analyse einzubeziehen. Die Untersuchung konzentrierte sich auf solche Politikfelder und Problembereiche, die wirtschaftlich von besonderer Bedeutung sind und in denen die Länder über erhebliche Aktionsspielräume verfügen. Ausgeklammert wurden dagegen Aufgabengebiete, in denen einerseits der Bund, (z.B. Forschungsförderung) und andererseits die Gemeinden (z.B. kommunale Gewerbeförderung) relativ autonom entscheiden. Dies heißt jedoch nicht, daß die Bundesebene und die kommunale Ebene gänzlich aus der Betrachtung ausgeklammert werden können, denn bei der intensiven "Politikverflechtung" zwischen den Gebietskörperschaften können Veränderungen auf der
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Landesebene auch zu Verhaltensänderungen bei Bund und Gemeinden führen (vgl. z.B. Abschnitt 2.2).
Von den staatlichen Aufgabenfeldern hat das DIW die Verkehrspolitik, die Umweltpolitik und die Energiepolitik eingehend betrachtet. Dabei werden jeweils auch Verbindungslinien zu Problemen der Raumordnung berücksichtigt. Großen Stellenwert hat darüber hinaus die Analyse der finanzpolitischen Implikationen eines Zusamenschlusses der Länder sowie der Konsequenzen für die staatlichen Aktivitäten und die Struktur des öffentlichen Sektors in der Region. In diesem Zusammenhang wurde auch geprüft, ob eine Ländervereinigung Auswirkungen auf den Zustrom finanzieller Mittel vom Bund und von der Europäischen Union hätte. Schließlich wurde untersucht, welchen Stellenwert diejenigen einer Länderneugliederung beimessen, die die regionale Wirtschaft im Kern repräsentieren, die privaten Unternehmen.
Im Laufe der Untersuchung wurde schnell klar, daß der Grad von Konkretheit und Genauigkeit bei der Bestimmung von Fusionseffekten sich von Untersuchungsfeld zu Untersuchungsfeld stark unterscheiden würde. Klar wurde vor allem, daß eine Quantifizierung solcher Effekte nur in Einzelfällen möglich ist. Auch aus der Befragung von Unternehmen haben sich keinerlei quantitative Anhaltspunkte über wirtschaftliche Auswirkungen einer Ländervereinigung ergeben. Die ursprüngliche Hoffnung, wie ungenau auch immer, zwei alternative wirtschaftliche Entwicklungspfade für die Region berechnen zu können, ließ sich daher nicht realisieren.
Dies wird nachvollziehbar, wenn man sich die methodischen Probleme bei der Identifikation von Vereinigungseffekten vergegenwärtigt. Für die Bestimmung von Auswirkungen verschiedener Politikvarianten müssen zwei Entwicklungen gegenübergestellt werden. Ein Status-quo-Szenario und ein Handlungsszenario. Bezieht sich eine solche Evaluation auf die Vergangenheit, so ist einer der Entwicklungspfade mehr oder weniger genau bekannt. Zu ermitteln ist dann, was passiert wäre, wenn ... bzw. wenn nicht..., also eine hypothetische Entwicklung. Methodische Ansätze sind hier der intertemporale Vergleich, der interregionale Vergleich, d.h. der Analogieschluß von einer Region auf die andere sowie die Befragung involvierter Akteure.
Bezogen auf die Zukunft ist ein solcher Vergleich wesentlich schwieriger, da keiner der beiden gegenüberzustellenden Entwicklungspfade bekannt ist. Zu ermitteln ist dabei die
30
Differenz zwischen einem Handlungsszenario und einem prognostizierten
Status-quo-
Szenario. Bei dem hier zu untersuchenden Tatbestand kommt hinzu, daß beide Varianten schon inhaltlich nur schwer zu fassen sind. Weder ist im Falle getrennter Länder mit einer chaotischen Entwicklung zu rechnen, noch kann davon ausgegangen werden, daß mit einer Fusion alle Konflikte zwischen der Großstadt Berlin und ihrer Umgebung gelöst würden. Für beide Varianten müssen also Annahmen über Verwaltungskooperation und Politikinhalte getroffen werden. Von diesen Annahmen hängen die zu ermittelnden schaftlichen Effekte
wirt-
einer Vereinigung ganz entscheidend ab.
Eine zusätzliche Komplizierung resultiert daraus, daß nach dem zwischen beiden Ländern verabredeten Zeitplan mit einer Vereinigung erst Ende 1999 gerechnet werden kann. Die Frage ist also nicht, inwieweit die jetzt anstehenden Aufgaben in einem vereinigten Land besser bewältigt werden können, sondern welche wirtschaftlichen Fusionseffekte von 2000 an erwartet werden können. In der Zwischenzeit fallen natürlich Entscheidungen, beispielsweise auf der Gebiet der Regionalplanung oder in der Verkehrspolitik, die prägende Kraft für lange Zeit haben und damit die möglichen Effekte einer Zusammenlegung der Länder ab dem Jahr 2000 beeinflussen. Es müssen also auch Annahmen darüber getroffen werden, wie die beiden Länder in der Zeit vor der formellen Fusion kooperieren.
Ebenso schwer wie die Bestimmung der zu vergleichenden Szenarien ist es, die wirtschaftlichen
Effekte - selbst auf einem abgegrenzten Politikfeld - einigermaßen
vollständig zu identifizieren. Dies kann am Beispiel der Verkehrspolitik verdeutlicht werden: Durch eine auf Entwicklungsschwerpunkte und Achsen konzentrierte Raumentwicklung wird das Verkehrsaufkommen vermindert. Die Frage ist, wie dadurch die Investitionen und die laufenden Aufwendungen in diesem Bereich beeinflußt werden. Für den Fall, daß die Verkehrsaufwendungen öffentlicher und privater Institutionen sinken, sind für die Region zunächst eher kontraktive wirtschaftliche Effekte zu erwarten. Erst auf einer zweiten Stufe kommen expansive Wirkungen zum Tragen - durch die alternative Verwendung der im Verkehrsbereich eingesparten Mittel sowie durch die gesteigerte Attraktivität der Region.
Aus diesen methodischen Problemen ergibt sich, daß wirtschaftliche Auswirkungen einer Neugliederung im Raum Brandenburg-Berlin in den meisten Fällen nur pauschal und der Tendenz nach bestimmt werden können. Quantifizierungen sind im wesentlichen nur im Hinblick auf die finanzpolitischen Implikationen einer Fusion möglich. An eine Schätzung
31
gesamtwirtschaftlicher Wachstums- und Beschäftigungseffekte ist in dieser Situation nicht zu denken.
Um bei dieser Untersuchung methodisch überhaupt Grund zu finden und sich nicht in einer unübersichtlichen Fülle von Varianten und Möglichkeiten zu verstricken, wurden folgende Szenarien gegenübergestellt:
-
Szenario "Vereinigung": Die Fusion der beiden Länder wird 1995 beschlossen und Ende 1999 vollzogen. In der Zwischenzeit verfolgen die beiden Länder eine vereinigungsgerichtete Politik. Der Bund und die anderen Länder unternehmen nichts, was diesen Prozeß hemmt oder verhindert.
-
Szenario "Zwei Länder": Berlin und Brandenburg bleiben eigenständig. Die Koordination und Kooperation zwischen ihnen erreicht ein "normales" Niveau. Als Referenzgröße dient dabei die Situation im Raum Hamburg/Schleswig-Holstein (vgl. Abschnitt 2.2).
Nach den bisherigen Ausführungen ist klar, daß diese beiden Szenarios in den einzelnen Untersuchungsbereichen nicht formal durchgerechnet oder durchgespielt werden können, sie bilden lediglich den gedanklichen Hintergrund für die Analyse.
32
3
Einzelne Politikfelder
3.1
Verkehrspolitik
Um die ökonomischen Effekte einer Vereinigung der beiden Länder Brandenburg und Berlin im Bereich der Verkehrspolitik zu untersuchen, bieten sich grundsätzlich zwei unterschiedliche Vorgehensweisen an: -
Zum einen könnte die Analyse unmittelbar an den aktuellen verkehrspolitischen Problemen vor Ort ansetzen, um abzuschätzen, inwieweit eine Fusion beider Länder zur Lösung dieser Probleme beitragen könnte. Dies betrifft vor allem solche Vorhaben, die einen hohen Abstimmungsbedarf zwischen Berlin und Brandenburg erfordern. So sind Detailfragen im Rahmen laufender Planfeststellungsverfahren (z.B. der Bau der Autobahn Richtung Teltow-Kanal) umstritten. Darüber hinaus bestehen Konflikte hinsichtlich der Prioritätensetzung beim Ausbau des S-Bahn-Netzes. Zum Teil stoßen die bisherigen Planungen im Bereich des Straßenverkehrs und der Eisenbahnwege auf Brandenburger Widerstand; sie gelten als zu stark auf Berlin orientiert und als zu wenig am raumordnerischen Dezentralisierungsmodell des Landes ausgerichtet. Mit Blick auf den öffentlichen
Personennahverkehr besteht für den von Berlin und Brandenburg
angestrebten Verbund der Verkehrsträger nach wie vor keine befriedigende Lösung sowohl was die konkrete Organisationsform eines solchen Verbundes als auch was die Aufteilung der damit verbundenen Finanzierungslasten betrifft. Es ließen sich noch weitere Problemfelder benennen, die die aktuellen verkehrspolitischen Planungen beider Landesregierungen in gleicher Weise betreffen.
-
Zum anderen besteht aber auch die Möglichkeit, losgelöst von konkreten Einzelproblemen und dem bestehenden Rahmen der institutionellen und der politischadministrativen Gliederung beider Länder grundsätzlich nach den Eckpunkten einer tragfähigen Verkehrspolitik zu fragen. Vor diesem Hintergrund würde die Untersuchung sich dann darauf konzentrieren, neben der Skizzierung eines solch "idealen" Verkehrskonzeptes nach den besseren (oder schlechteren) Voraussetzungen der Umsetzung unter den Bedingungen eines vereinigten Bundeslandes Brandenburg-Berlin zu fragen.
Im Rahmen dieses Beitrags wird der zweite Weg beschritten, da bei der Frage nach einer Länderfusion weniger die aktuellen und damit die eher kurzfristigen Probleme, die häufig nur aus unzureichenden oder unkooridiniert angewendeten Instrumenten resultieren,
33
sondern Überlegungen zu einer langfristigen Bewältigung der anfallenden Verkehrsströme in der Region, vor allem im Bereich des Individualverkehrs, im Vordergrund stehen. Vor dem Hintergrund der langfristigen Betrachtung besteht in der Verkehrswissenschaft inzwischen ein breiter Konsens darüber, daß die in den regionalen Lebensräumen durch Verkehr installierten Prozesse aus Verkehrsmöglichkeiten, raumstrukturellen Veränderungen und sekundärem Verkehrserfordernis ("Verkehrsspirale") keineswegs durch das gängige Instrumentarium der Verkehrsplanung und -politik allein beeinflußt werden können. Die Änderung der Prozesse und die Abwanderung des immanenten regionalen Verkehrswachstums bedürfen einer grundlegend anderen Herangehensweise, die die Verkehrsbelange in den Rahmen der Wirtschafts-, Standort- und Siedlungsentwicklung in der Region integriert.
3.1.1
Zielsetzungen der regionalen Verkehrsbewältigung
Absichten zur Bewältigung der Verkehrsproblematik hatten im Zeitverlauf vielfältige Anlässe: Spektakuläre Unfallzahlen, Energiekrisen und die Furcht vor Krisenanfälligkeit, das Waldsterben und neuerdings die Klimaproblematik. Diese Anlässe waren oft sehr speziell - und so wurden vorrangig auch spezielle Lösungsansätze entwickelt. Eine umfassendere Sicht der Probleme bildete sich allerdings in den Städten heraus, wo die Unvereinbarkeit von Urbanität und freier Verkehrsentfaltung, der prinzipielle
Widerspruch
zwischen der
Dichte städtischer Nutzung und den Flächenansprüchen des Individualverkehrs seit mindestens drei Jahrzehnten bekannt und Diskussionsgegenstand ist. Hier ist auch der Zusammenhang zwischen verkehrsinduzierten Möglichkeiten und Effekten bei der Siedlungsentwicklung und den daraus resultierenden neuerlichen Verkehrseffekten besonders deutlich. Dies hat schon früher zu theorieorientierten Überlegungen geführt, wie der Verkehr mit ganzheitlichen Konzepten an der Wurzel bewältigt werden sollte; genauso besteht inzwischen wohl Konsens darüber, daß derartige ganzheitliche Konzepte auf einer neu zu definierenden regionalen Ebene in Angriff genommen werden müssen.
Die folgenden Überlegungen zur Verkehrsbewältigung Wirtschaftsraum
Brandenburg-Berlin
und -gestaltung im Lebens- und
gehen von der unabdingbaren regionalen Betrachtung
aus und ordnen den Verkehrsbereich den wichtigeren gesamtgesellschaftlichen Zielen unter: Wohlfahrtsziele:
Verkehrssystem im Interessedes Gesamtsystems funktionsfähig Verkehrsbedürfnisse der Wirtschaft Verkehrssektor finanzierbar
34
halten.
erhalten,
angemessen befriedigen,
Schutzziele:
Lebensqualität (in Stadt und Freiraum) erhalten, vorsorgender Umgang mit den Ressourcen, Beachtung der globalen Schutzziele (z.B. Klima).
3.1.2
Integration des Verkehrs führt zur Neudefinition des Handlungsfeldes
Entsprechend der skizzierten Ziel Vorstellung, nicht mehr wie in früheren Jahren von "Verkehrszielen" auszugehen (und z.B. über Wegeausbaupläne und Generalverkehrspläne sektoral zu befinden), sondern mit der Einbindung des Verkehrs in übergeordnete Wohlfahrts- und Schutzziele den Verkehr wieder ausschließlich in seiner dienenden Funktion zu betrachten6, wird das Maßnahmenspektrum der Verkehrspolitik stark erweitert: Der klassische Ausbau der Wegeinfrastruktur (der mit seinen positiv besetzten Angeboten sehr gut politisch verkäuflich war) muß um eine ganze Palette von Maßnahmen (vgl. Tabelle 1) ergänzt werden. Dieses Spektrum von Maßnahmen allerdings ist nicht als Liste zu verstehen, aus der nach Belieben genehme Einzeleingriffe ausgewählt werden können; vielmehr sind die Maßnahmen insbesondere bezüglich der Forderung Bewältigung des Verkehrs
vielfältig untereinander vernetzt und können entsprechend auch nur als Bündel
effizient wirken.
Die Einordnung und Bewertung der Maßnahmen in Tabelle 1 ermöglicht es, durch das Aufzeigen von Wirkungen und Wirkungsrichtungen die zueinander passenden Maßnahmen zusammenzustellen und Kontraeffekte auszuschließen. Dabei ist es vorentscheidend, die Maßnahmen nach dem Kriterium "Beitrag zur generellen Bewältigung des Verkehrs", etwa nach den Kategorien - Abbau der Verkehrsorientierung -
unveränderte
(vorrangig auf der Wirkungsebene Indivudialverkehr),
Verkehrsorientierung
(also weiterhin dynamisches Verkehrswachstum)
zu differenzieren. Dies kann einen Teil der Maßnahmen - unabhängig von ihrem möglichen direkten Minderungsbeitrag - aus der weiteren Strategiediskussion ausklammern.
Die Bewertung von Maßnahmen und Maßnahmenbündeln ist darüber hinaus stark abhängig von der wirtschaftlichen Einordnung der "Transportfunktion". Wird der Beitrag von Verkehr
6
Dies ist zunächst unabhängig davon zu sehen, welche Maßnahmen, Instrumente und praktischen Anstrengungen im einzelnen erforderlich sind, um den notwendigen Wandel der Werthaltungen im/zum Verkehr herbeizuführen. 35
36
•
regional
•
Β
Β
|
I
|
Β
B
I
B
B
I
I
I
B
B
I B
•
H
|
B
I
B B |
H |
•
|
|
|
I
Schätzung der quantitativen Minderungs-Potentiale1'
Bemerkungen: z.B. Bedingungen und erforderliche Flankierungen für Wirksamkeit, kontraproduktive Wirkungen, Verflechtungen
I
(|)
|
I
B
I
B
[| ]
B
|
5-0 % ^ Verstärkung der vom MIV ("Verkehrsspirale") ausgehenden indu5-0 % Λ zierenden Wirkungen, effizienzmindernd für ÖV-Strategien 6-3 % -
2-3 %
|
Raumwiderstand generell höher, Preis- u. Ordnungspolitik nützlich
generell höherer Raumwiderstand nützlich, Verteuerung der Transporte unverzichtbar
20-30%
alternative Bahnangebote erforderlich, EU-Politik
flankierende Ordnungspolitik, Stufenpläne zwingend, passende Raumordnung vorteilhaft 1-2 %4> 3% alternative Angebote (ÖV) erforderlich 1-2 % 3% flankierende Nahausstattung nützlich 5% alternative Angebote (ÛV) nützlich
5 %
30-40%
2-3 %
• 20-25 %3> 30 % flankierende Preispolitik, Tempolimit wegen Sicherheit 4> B 2-3 % 5 % Hauptbedeutung als Flankierung, Überwachung erforderlich I 0-1 % 2 % alternative Angebote (ÖV) erforderlich, Aus weichreaktionen müssen 0-1 % unterbunden werden (z.B. Nahbereiche, Verkehrserzeugungsabgabe)
1-2 % 10 %
20-25 %31
|
I
4%
2-3 % 3-5 % andere Raumstruktur erforderlich, Preispolitik (MIV) nützlich 0-1 % 1-2 % Bahnausbau, Preis-und Ordnungspolitik nützlich 2-3 % 3-5 % Verträglichkeit MIV erforderlich, attraktive Nahbereiche erforderlich 0-1 % 2 % alternative Angebote erforderlich
• 11 ] I • ΙΚ l — — — • • • -
remotoridurch durch mittellängere regiogiosierter EffiTechfristig Perspeknal nal IV zienz nik (bis 2010) tiven
I
·2> -
interVMWahl
Nut-
zung
direkte Minderung
Zusammenstellung von Potentialen auf der Grundlage der Angaben in den Anhörungen "Verkehr" der EK (1992), Einbeziehung der komplexen Gesamtwirkungen (z.B. induzierende Wirkungen); Minderungen beziehen sich auf Energieverbrauch des gesamten Verkehrssektors. - 2) Die Zeichen symbolisieren starke (BK schwache (| ) und nur bedingte (t| ]) Wirkung. - 31 Minderungen durch Limits und höhere Kosten entstehen vor allem durch TechnikWeiterentwicklung, dieses Technik-Potential kann alternativ durch Preis- oder Ordnungspolitik oder durch Kombinationen aus beidem erreicht werden, die Kombination führt aber nicht zur Erhöhung des Gesamtpotentials. - 4) "Nachgeordnete" preis- und ordnungspolitische Maßnahmen sind mit ihren Wirkungen i.d.R. in der Wirkung der generellen Maßnahme enthalten, die ausgewiesenen Potentiale beziehen sich also auf den Fall, daß eine solche Maßnahme isoliert durchgeführt wird. Kuttor, 94
11
Bewirtschaftung Stellpl./Straßen Verkehrserzeugungsabgabe Hohe Fixkosten (insbes. Pkw) I B I
Variable Kosten (km-abh.)
PREISPOLITISCHE INSTRUMENTE
Restriktionen Fern-Lkw
Emissionslimits, "down sizing" Tempolimit Reduktion Stell-/Parkplätze Lokale Fahrverbote
ORDNUNGSRECHT UND -POLITIK
Struktur der Regionen verkehrssparend anlegen Arbeitsteilung international mindern, mehr regional
I
generell
GESTALTUNG VON RAUMSTRUKTUR UND ARBEITSTEILUNG
ÖPNV-Ausbau, Bahn-Ausbau GVZ, Logistikzentren Infrastruktur Fuß/Rad Straßenrückbau I B I
Straßennetz-Ausbau „Λ L Lenk-, Leiteinrichtungen Straße ....... ... Flexibilisierung mot. IV
interregional AUSBAU DER VERKEHRSINFRASTRUKTUR
I
mehr Verflechtung
VermeidungsWirkungen
Bedeutung ÖV gesteigert
Unveränderte VerkehrsOrientierung
Veränderte Verkehrsorientierung ("Verkehrswende")
Grobe qualitative Einordnung der Wirkungen
Tabelle 1: Spektrum der Maßnahmen im Rahmen von Strategien zur Verkehrsbewältigung
und Transport zum Wirtschaftswachstum ohne Einschränkung befürwortet, so werden einzelne Maßnahmen anders bewertet als bei einer Reduktion des Verkehrs auf seine "Mittel-zum-Zweck-Funktion". Die Skizze der Abhängigkeiten und Bedingtheiten erfolgt unter der Überzeugung, daß der Verkehrssektor insgesamt auch auf einem "niedrigeren Niveau" seine Funktionen voll erfüllen kann und daß erst bei dieser Strategie die erwünschten Lebensqual itäts- und Umweltziele erreichbar werden. Die skizzierten Zusammenhänge machen einige grundsätzliche Ausgangsbedingungen deutlich: 1. Wenn die Dynamik der induzierenden Wirkungen, die vom Individualverkehrssystem ausgehen, gemindert werden soll, ist Kapazitätsbereitstellung, Beschleunigung und Flexibilisierung im Straßensystem mit Vorbehalten zu betrachten. Alle anderen Maßnahmen, die insgesamt auf "weniger Verkehr", "andere Aufteilung" und "mehr Effizienz" zielen, würden dadurch konterkariert und in ihrer Wirksamkeit abgemindert. 2. Ähnliche Vorbehalte gelten auch für die Infrastrukturbereitstellung in den übrigen Verkehrssystemen (ÖPNV-Ausbau, Infrastruktur Fuß/Rad), deren Erfolg stark abhängig ist von flankierenden Maßnahmen in anderen Bereichen. Dies gilt besonders für den Ausbau des ÖV, der nur dann im Sinne der angestrebten Ziele wirkt, wenn beispielsweise die Konzeption der Raumstruktur hierzu paßt (konzentrierte Bebauung an wenigen Punkten).
3. Grundsätzlich nimmt die Gestaltung der regionalen Raumstruktur für nahezu alle anderen Eingriffe in den Verkehrssektor eine Schlüsselposition ein: Einerseits hängt der Erfolg vieler Maßnahmen von zweckentsprechender Raumstruktur ab, andererseits ermöglicht und begünstigt eine Struktur der Regionen, in der Verkehrssparsamkeit möglich ist, die diversen ordnungs- und preispolitischen Maßnahmen. 4. Zwischen Gestaltung der Raumstrukturen und ordnungs- sowie preispolitischen Maßnahmen, aber auch zwischen Ordnungs- und Preispolitik ergeben sich eine Reihe von wechselseitigen Bedingtheiten; so benötigt beispielsweise die Gestaltung der Raumstruktur der Regionen die "passende" Preispolitik, und umgekehrt ist Preispolitik erst dann durchsetzbar, wenn im Raum die entsprechenden Ausweichmöglichkeiten vorgehalten werden. Ähnliches gilt für die "soziale Flankierung" von Preispolitik durch stützendes Ordnungsrecht.
37
Diese grobe Bewertung führt insgesamt zu einer Totalrevision der bisherigen Perspektiven zu der Frage, mit welchen Mitteln konzeptionelle Vorstellungen im Verkehr operieren können:
Im Sinne der Vorsorgeziele sind klassische Maßnahmen - insbesondere Straßenausbau zur Förderung des Verkehrsflusses, Lenk- und Leiteinrichtungen, aber auch die Erweiterung der Nutzerkreise des Individualverkehrs (IV-Flexibilisierung) - prinzipiell nicht empfehlenswert, da sie die langfristigen Lösungen nachhaltig erschweren und noch dazu die Problemlage kurzfristig verschleiern. Besonders langfristig tragfähige, also "nachhaltige" Perspektiven eröffnet dagegen die Strategie der verkehrssparsamen Raumstruktur. Die hierbei möglichen Potentiale können in den regionalen Strukturen relativ unabhängig von internationalen Verflechtungen und Wirtschaftserfordernissen aktiviert werden. Neben den planerischen Instrumenten, die über Baugesetzbuch, Landesbauordnungen, Finanzverteilung usw. zu aktivieren sind, benötigt die Raumgestaltung allerdings Unterstützung durch verkehrspolitische Maßnahmen, deren Raumwirkungen in die gleiche Richtung gehen. Erforderlich und nützlich sind Infrastruktur für Fuß/Rad, Tempolimit, Parkraumreduktionen, Verkehrserzeugerabgabe und eine zweckentsprechende Gestaltung der variablen Kosten des Individualverkehrs. In diesen Stichworten werden allerdings bereits einige prinzipielle Widersprüche deutlich, denn hervorragende Akionsebene ist zwar die Region, aber die angesprochenen Maßnahmen sind heute meist auf ganz anderen Ebenen im förderativen Aufbau der Bundesrepublik angesiedelt (Zuständigkeiten).
3.1.3
Die Region muß aus ihrer verkehrspolitischen Bedeutungslosigkeit herausgeführt werden
Es existiert ein prinzipieller Widerspruch zwischen städtischen Lebensformen (hohe Dichte, "Nähe") und den Ansprüchen des motorisierten Individualverkehrs und des auf dieser Grundlage besiedelten Umlandes. Städtische Lebensform verträgt nur eine begrenzte Menge von Verkehrsvorgängen.
Diese Begrenzung läßt sich aber nur durch umfassende
Organisation und Lenkung der Verkehrsfunktion erzielen, und dies wiederum ist nicht leistbar, wenn Kernstadt und Umland gegeneinander operieren oder die sektoralen Interessen etwa von Verkehr und Siedlungsentwicklung gegeneinander ausgespielt werden.
Auswege aus diesem regionalen Dilemma der Verkehrsbewältigung (durch Spezialisten) kann es offensichtlich nur mit Eingriffen "vor dem Verkehr" geben. Ein hierfür erforderliches
38
Gesamtprogramm hat die folgenden wesentlichen Komponenten, die insbesondere auch nicht auf das heutige Wirkungsfeld der kommunalen Ebene begrenzt sein dürften, sondern den ganzen Lebensraum, die Region, umfassen müssen:
-
Konsequente Ausrichtung der räumlichen Gesamtplanung auf den verschiedenen Planungsebenen auf die Verkehrsvermeidung und hierfür eine Stärkung der Durchsetzungskraft der Planungsinstrumente,
-
Lenkende Infrastrukturpolitik - mit dem Ziel einer bewußten Gestaltung des "Raumwiderstandes" - als Maßnahme gegen Standortdiffusion und gegen die Auflösung der kleinteiligen Aktionsräume (zur Flankierung des Konzepts), und im gleichen Sinn die Flankierung des erwünschten Abbaus der Distanzorientierung durch stetig steigende Transportkosten.
Vor dem Hintergrund dieses hohen regionalen Anspruchs ist die Frage zu klären, welche Möglichkeiten die Region denn heute tatsächlich hat. Dabei dürfte der Vorsatz der Änderung des bestehenden Zustandes - bzw. der üblichen Auslegung bestehender gesetzlicher Regelungen - von erheblicher Bedeutung für die Frage sein, ob eine Länderfusion im Sinne des Vorsorgeziels "Verkehrsbewältigung 11 nützlich ist. Verkehrsrelevante
investive Maßnahmen
Das klassische Instrumentarium der Wegeplanung (insbesondere: Finanzierung durch den Bund, Länder haben nur Ausführungsaufgaben) arbeitet mit Mitteln der Bereitstellung von Kapazitäten (Bundesverkehrswegeplan, Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG)); die Möglichkeiten der Gemeinden bzw. der Region, diese Mittel auch im Sinne der Lenkung zu verwenden, sind damit stark eingeschränkt:
-
Zu den viel diskutierten Maßnahmen kommunaler Bewirtschaftung der Verkehrsinfrastruktur gehören der Um- und Rückbau, die bauliche Einschränkung der Parkflächen sowie auch die stadtgerechte Gestaltung von Bundesstraßen und Autobahnen innerhalb der Kommune; derartige Maßnahmen sind heute entweder nur in Eigenfinanzierung möglich oder sogar unter Verzicht auf Bundesmittel (häufiger Automatismus: Eine Straße wird autobahnmäßig - wider bessere Erkenntnis - ausgebaut, weil dies vom Bund finanziert wird).
39
-
Die Bereitstellung von regionalen Nahverkehrsnetzen lief bisher über das GVFG. Hier sind aber weder die oft entscheidenden Betriebsausgaben mit einbezogen, noch wird eine Flankierung durch die Verbesserung der Bedingungen für die "Eigenfortbewegung" (Fuß/Rad) vorgenommen; die notwendige allgemeine verkehrspolitische Flankierung - z.B. über Kostenmodelle für den Autoverkehr - befindet sich bisher nicht im Zugriff der regionalen Ebene. Derartige Aufgabenstellungen müssen im Zuge der Regionalisierung des Nahverkehrs selbstverständlich gelöst werden, wenn der zukünftige ÖPNV "am Markt" operieren soll.
-
Die zur Lösung der Güterverkehrsproblematik
in der Diskussion befindlichen
Maßnahmen wie Rangierbahnhöfe, Anlagen für den kombinierten Ladungsverkehr, Güterverkehrszentren stellen bisher isolierte Einzelaktionen auf Ebenen dar, die nicht in regionale Gesamtverkehrskonzepte - auch mangels Existenz der regionalen Ebene eingepaßt sind.
-
Vor dem Hintergrund völlig ungeklärter Finanzierungsprobleme werden organisatorische Konzepte (Verkehrssystem-Management, Leitsysteme, Organisation des ÖPNV) als "Geheimtip" gehandelt; auch derartige Teil Strategien scheinen nur im Rahmen regionaler Gesamtverkehrskonzepte zweckentsprechend integrierbar.
-
Einflußnahme auf die Ursachen der Ausprägung der Verkehrsverflechtung in der Region - Flächennutzungsplanung, Standortförderung, Bodenmarkt -gehören bezeichnenderweise in der Regel nicht einmal zum Repertoire sogenannter verkehrspolitischer Maßnahmen.
Ordnungspolitische
Rahmenbedingungen
Die maßgeblichen Vorschriften zur Fahrzeugauslegung, zu Emissionsgrenzwerten, zu Sozialvorschriften sowie Geschwindigkeiten werden auf Bundesebene bzw. sogar auf EUEbene geregelt. Theoretisch besteht zwar die Möglichkeit räumlich und zeitlich begrenzter Einschränkungen und Verbote sowie der restriktiven Stellflächenpolitik auf kommunaler Ebene, aber ein Erfolg derartiger Maßnahmen hätte zur Vorraussetzung, daß die "aktionsräumliche Gesamtfläche", also ein vollständiger Lebensraum mit allen Gelegenheiten (Einrichtungen), die für das tägliche Leben und Wirtschaften genutzt werden (können), in ein schlüssiges Gesamtkonzept einbezogen werden. Am Beispiel dieser ordnungsrecht-
40
liehen Vorgaben zur Gestaltung des Verkehrs und seiner Abwicklung wird die Notwendigkeit einer regionalen Handlungsebene besonders deutlich (vgl. hierzu Kap. 3.1.7.1).
Preispolitische
Maßnahmen
In diesem Bereich liegt - ähnlich wie bei der Ordnungspolitik - die Zuständigkeit für die wichtigsten Instrumente (Mineralölsteuer, Transporttarife, km-Pauschale) beim Bund und darüber hinaus bei der EU. Konzeptionell besteht zwar sehr wohl die Möglichkeit, regional sowohl auf die Fixkosten der Kraftfahrzeuge als auch auf die variablen Kosten des Verkehrs einzuwirken, aber auch dies ist nur dann gezielt möglich, wenn eine regionale Handlungsebene geschaffen werden kann:
-
Die Merkposten Kfz-Steuer, Parkplatzsteuer/Gebühr für Laternengarage könnten im Zusammenhang mit einer Verkehrserzeugerabgabe auf den Motorisierungsgrad und die Präferenzen für Außenstandorte einwirken; dabei gilt es, über die regionale Ebene die Abstimmung zwischen "Innen" und "Außen" sicherzustellen, um Kontraeffekte auszuschließen.
-
Parkgebühren sowie Tarifstrukturen im ÖPNV erfordern zur Sicherung eines effizienten Einsatzes gleichfalls den Konsens auf regionaler Ebene, die durch flankierende Maßnahmen (z.B. bei Standortgenehmigungen, beim Gefüge der Bodenpreise) eine zielgerichtete Wirksamkeit sicherstellen müßte.
Resümierend bleibt festzuhalten, daß sich von den in der Diskussion befindlichen verkehrspolitischen Maßnahmen nur wenige im Zugriff der Gemeinden bzw. (besser) der Regionen befinden. Und die wenigen, die es tatsächlich sind, könnten nur dann wirksam werden, wenn die regionale Ebene tatsächlich mit Kompetenzen ausgestattet würde. Die Frage, "was kann die Region beeinflussen", ist also mit "nur die Region kann etwas beeinflussen" zu beantworten. Und die dringlichste Vorleistung hierfür wiederum ist die Schaffung der regionalen Ebene auch in der Entscheidungsrealität und die Entwicklung einer raumstrukturellen Rahmenkonzeption für die ganze Region.
41
3.1.4
Skizze der Option Verkehrsvermeidung durch Gestaltung des regionalen Raumes
Der Zusammenhang zwischen dem raumstrukturellen Konzept einer Region - dem Gesamtsystem der Nutzungen/Einrichtungen unter Einbeziehung der Entfernungen bzw. "Zeitdistanzen11 - und dem für das Leben und Wirtschaften in dieser Region erforderlichen Gesamtverkehr ist vom Grundsatz her trivial. Genauso einfach und plausibel ist die Idee eines Gesamtkonzepts, das die Verkehrsbewältigung dadurch erleichtert, daß die materielle Umwelt - also der Raum - optimal auf Lebens- und Wirtschaftsabläufe abgestimmt und hiermit der entstehende und erforderliche Verkehr gering gehalten wird. Trotzdem ist der hierfür verwendete Begriff der Verkehrsvermeidung
nach wie vor äußerst umstritten. Er
bedarf offensichtlich einer genaueren Erläuterung.
Exkurs: Was ist und was will Verkehrsvermeidung
Schlüssel zur Definition der Verkehrsvermeidung - hier verstanden als Vermeidung von Verkehrsleistung in Form von Personen- oder Tonnenkilometern - ist eine objektive Auseinandersetzung mit dem vielschichtigen Begriff der "Verkehrsmobilität". Diese Verkehrsmobilität oder auch "räumliche Mobilität" -
bezeichnet außerhäusige Bewegungsvorgänge von Personen oder Wirtschaftssubjekten,
-
erfolgt aus individuellem Bedürfnis oder aus sachlicher Notwendigkeit,
-
kann sowohl Mittel zum Zweck sein (der Weg zu einem Ziel), als auch ein Zweck an sich (der Weg ist das Ziel).
Mobil zu sein (als Mittel zum Zweck) bedeutet darüber hinaus, alle gewünschten oder notwendigen Ziele in einer akzeptablen Zeit erreichen zu können. Dabei ist die Erreichbarkeit der Ziele im Raum eine Funktion von Entfernung und Geschwindigkeit, also eine Funktion der räumlichen Verteilung der Gelegenheiten und der verfügbaren Verkehrsmittel. Wer seine Ziele im Nahbereich vorfindet, ist bei gleichem Verkehrsmittelangebot mobiler als derjenige, dessen Ziele sich in weiter Entfernung befinden, und umgekehrt ist derjenige mobiler, der bei gleicher Entfernung der Ziele über das schnellere Verkehrsmittel verfügt. Aus der Rolle von Entfernungen und/oder Geschwindigkeiten bei der Realisierung von täglichen Lebensabläufen folgt unmittelbar, daß vergleichbare Personen mit ähnlichen
42
Bedürfnissen - je nach Umfeld - sehr unterschiedliche Verkehrsaufwendungen haben können. Diese Verkehrsaufwendungen sind das Ziel von Vermeidungsstrategien.
Während Wege- und Aktivitätenzahlen und auch der damit verbundene Zeitaufwand (für Verkehr) im Zeitverlauf eine sehr stabile Größe darstellten, sind die mit den Aktivitäten verbundenen Entfernungen insgesamt laufend gestiegen: Man führt zwar kaum mehr Aktivitäten durch, benötigt hierfür jedoch immer mehr Verkehrsleistung. Die Aktivitätenzahlen - also die primären Dinge - einerseits und der im Raum realisierte Verkehr mit den Entfernungsaufwendungen andererseits, müssen strikt unterschieden werden, um die Vermeidungsstrategie zu erläutern. Selbstverständlich sind nicht die konstanten Aktivitätenzahlen das Ziel der Strategie (dies wäre ja tatsächlich echte Einschränkung), sondern die dabei anfallenden Entfernungsaufwendungen. Ihre Entstehung kann grob folgendermaßen umrissen werden: Den Aktivitäten, die die Menschen aufgrund von Bedürfnissen, gesellschaftlichen Vereinbarungen und entsprechend ihrem Status verrichten, steht in der Region ein Umfeld mit Angeboten in spezifischen Entfernungen zur Verfügung; diese Angebote werden auf eine bestimmte Art und Weise genutzt, und es wird dabei auf Entfernungen und Erreichbarkeiten in bestimmter Weise reagiert (vgl. Abbildung 1). Abbildung 1 Wesentliche Einflußgrößen für das Entstehen von Personenverkehrsleistung Gesellschaftliche Randbedingungen
Raumordnung, Infrastrukturvorleistung. Ordnungsvorstellungen
Bedürfnisse, / Wunsch nach AktiviV täten im Tagesverlauf
Marktmäßige Randbedingungen, Internationale Verflechtung
f Materielle Umwelt ( Einrichtungen, Gelegen \heiten, Verkehrsnetze
Gebaute Umwelt
Gewohnheit e η, Prinzipien Λ . ι
43
Vom Grundsatz her ergeben sich daraus zwei Optionen für die Vermeidung von Verkehr:
-
Einmal kann man die "Gelegenheiten" räumlich anders anordnen, Entfernungen verändern, Raumwiderstände modifizieren (Verkehr beschleunigen und verlangsamen), sozusagen an den räumlichen Rahmenbedingungen drehen; wie die Bevölkerung auf das Spektrum dieser Rahmenbedingungen reagiert, ist aus der empirischen Verkehrsforschung bekannt, und unter Annahme konstanter Reaktionsweisen lassen sich die entsprechenden Verkehrseffekte von Veränderungen in der gebauten Umwelt ableiten.
-
Andererseits kann darauf hingewirkt werden, die Reaktionsweisen der Menschen zu verändern, also z.B. ein anderes Reagieren auf Entfernungen zu erreichen oder die heute gebräuchlichen ökonomischen Prinzipien bei der Arbeitsteilung zu verändern.
Aus der komplexen Vernetzung der Komponenten (vgl. Abbildung 1) ergibt sich, daß die Optionen "Veränderung der Raumstrukturen" und "Änderung der Verhaltensweisen" kaum trennscharf spezifiziert werden können: Gewohnheiten und Ansprüche basieren auf ökonomischen Rahmenbedingungen, die gebaute Umwelt wurde in ihrer Entstehung durch Werthaltungen und ökonomische Kriterien beeinflußt. Dies führt dazu, daß Handlungskonzepte auf eine Doppelstrategie angewiesen sind: Wenn durch gezielte Entwicklung der Raumstruktur "räumliche Optionen" - mit weniger Entfernungsaufwand - angeboten werden, muß parallel auch auf eine Nutzung dieser Optionen hingewirkt werden. Und umgekehrt ist Verhaltensbeeinflussung nur dann akzeptabel, wenn gleichzeitig die besseren (näheren) räumlichen Optionen vorhanden sind.
Kernfrage des Konzepts Verkehrsvermeidung ist eine schlüssige Antwort darauf, wieso durch Gestaltung der Stadt- und Raumstruktur Verkehr bzw. Verkehrsleistung (Pkm und tkm) vermieden werden kann. Eine vorhandene Stadt erfordert für das Leben und Wirtschaften selbstverständlich einen bestimmten Verkehrsaufwand. Um die Jahrhundertwende war dieser Aufwand geringer als heute, die Stadt war dichter bebaut und wurde intensiver genutzt. Dieser Aufwand ist gestiegen, weil die Städte beim Wiederaufbau bzw. bei der Erweiterung nach den Regeln der Funktionstrennung
ausgebaut wurden. Ursache
der Verkehrssteigerungen sind also einerseits Prinzipien beim Umbau der Stadt. Aber andererseits haben auch - gewissermaßen "von selbst" - Entwicklungen stattgefunden, die erst durch Verkehrsmöglichkeiten
angestoßen wurden. Und letzteres ist schließlich auch
der Grund, warum Entwicklungen - in Richtung auf noch mehr Verkehrsintensität -
44
weiterlaufen, also ein Konzept der verkehrsvermeidenden Raum- und Standortgestaltung überhaupt Sinn macht: Während auf der einen Seite Verkehrserfordernisse Raumstruktur
durchaus befriedigt
erhebliche Möglichkeiten,
werden
aus gebauter
müssen, bestehen auf der anderen Seite
die weitere Raumentwicklung in eine erwünschte Richtung zu
beeinflussen.
Entscheidende Bestimmungsgröße für eine Option Vermeidung von Verkehrsaufwand ist das Vorhandensein und die Qualität von "Attraktion" im Nahbereich und Wohnumfeld; die für das Leben notwendigen Einrichtungen sollten möglichst zahlreich zu Fuß oder per Rad erreichbar sein. Diese Erreichbarkeit wiederum hängt nicht nur von Distanzen, sondern auch von qualitativen Merkmalen des Nahbereichs ab. Dies ist auch der Grund dafür, daß Größen- oder Dichtekennwerte allein noch keine ausreichende Garantie für Verkehrssparsamkeit liefern: Örtliche Identität, Eigenständigkeit, Aufenthaltsqualität, Sicherheit und Lokalbewußtsein müssen hinzukommen.
Beispielhaft für derart skizzierte Strukturen - mit vielfältigen Angeboten in der Nähe der Wohnstandorte - sind dichte großstädtische Altbauviertel. Die Ausgangsbedingungen in den Ballungsräumen sind nämlich auch heute noch sehr vorteilhaft: Zwei Drittel der Wege haben eine Länge von weniger als 5 km, die "Eigenfortbewegung" (zu Fuß/mit Rad) hat hierbei auch heute noch einen Anteil von etwa 55 vH, während der ÖPNV im Kurzstreckenbereich mit 6 vH nahezu bedeutungslos ist. Die "kompakte Stadt" schafft aber dennoch bessere Möglichkeiten, den ÖPNV für die weiten Verkehrsverflechtungen effizient anzubieten.
Exkurs: Quantitative
Potentiale
Die Ableitung bilanzierender Befundezum erforderlichen Verkehr bestimmter Standort- und Besiedlungskonzepte ist eine komplexe Aufgabe, die von der Betrachtungsperspektive abhängt: Verkehrsplaner betrachten die Verkehrserzeugung bisher meist "qupllbezogen" (je Einwohner, auf die Fläche bezogen) und für Werktage. Das Motiv ist dabei die Abwicklung des Berufs- und Wirtschaftsverkehrs. Die Verkehrserzeugung dieser Werktage hat sich aber schon allein dadurch verändert, daß tägliche Einkäufe durch kumulierten Einkauf am Samstag substituiert werden. Die Gesamtverkehrsleistung während der 7-Tage-Woche expandiert darüber hinaus insbesondere durch Ausflüge am Wochenende. Schließlich hängt die lokale Belastung durch Verkehr sehr stark davon ab, wie attraktiv der jeweils betrachtete
45
Standort für die Besucher/Kunden aus dem Umland ist. Zusätzlich ist für die Wertung der Verkehrserzeugungszahlen von erheblicher Bedeutung, ob die lokale Situation beschrieben oder landesweite bzw. sogar globale Bilanzen erstellt werden sollen. Insgesamt macht dies deutlich, daß es keineswegs einfache Patentrezepte für verkehrsvermeidende Siedlungsstruktur geben kann, sondern daß die Gesamtverkehrserzeugung in der konkreten Region aus den vielfältigen, örtlichen Teil verkehren jeweils besonders zusammengestellt werden muß. Geht man von konstanten Aktivitätenzahlen am Werktag (Mo - Fr) aus, so verhalten sich bei der motorisierten Verkehrsleistung verkehrssparsamste Lagen in der Stadt zum Dorf wie 1:3. Bei den Mittelzentren im Umland scheint ein Optimum bei 100 000 Einwohnern zu liegen. Natürlich verbergen sich hinter diesen Zahlen auch differenzierte Sozialstrukturen mit differierenden Aktivitätenzahlen, so daß nicht alle Unterschiede als Folge der Raumstruktur interpretiert werden können.
Die Fahr(Geh)leistungs-Gesamtbilanz des Tages ist mit ihren Unterschieden demgegenüber abgemindert, da an den Orten der geringeren spezifischen Entfernungen höhere Aktivitätenzahlen pro Einwohner vorliegen; inwiefern die geringeren Aktivitätenzahlen bei "unattraktiverem" Umfeld bereits auf ein gewisses "Ökonomisieren" (Einsparen von Aktivitäten) zurückgehen, ist bei der vorhandenen Datenlage nicht beantwortbar.
Umlandgemein den Ortsgröße [Einw.] bis
5.000 20.000 45.000 100.000
Ballungszentren (zum Vergleich)
Stadtteile ιund "Stadtlagen" in Ballungsräumen
Fahrleistung Aktivität 20,5 14,5 13,3 10,0
[km]
Lage
Rand Rand Rand Kern
Ausstattung mit Einrichtungen schlecht mittel gut sehr gut
Fahrleistung Aktivität
[km]
18,3 14,0 12,3 6,5
13,5
Mit diesen Vorbedingungen ergibt sich für die "Werktagsdistanzen" folgendes Verkehrsbild für Ortsgrößenklassen: Die sehr kleine Gemeinde produziert nahezu in allen Bereichen die höchsten Entfernungsaufwendungen, besonders extrem sind die Unterschiede beim
46
Berufsverkehr. Ein Optimum der Verkehrsverträglichkeit scheint bei dieser Betrachtungsweise eher bei Orten mit über 100 000 Einwohnern zu liegen; hierbei ist allerdings zu bedenken, daß dort die größere Attraktion wiederum mehr Verkehr von außen anzieht, so daß die Gesamtbilanz wieder negativ beeinflußt wird.
Ortsgröße [Tsd. Einw.]
Tagesgesamtd i stanz/E i η w. alle Verkehrsmittel
bis 5 5-20 20-50 50-100 100-200
28,2 27,6 23,8 24,0 20,4
im Pkw 23,3 22,2 19,0 18,8 14,9
Index Pkw-Distanz 156 149 128 126 100
Eine weitere Veränderung des Bildes der einwohnerbezogenen Verkehrserzeugung ergibt sich, wenn man anstelle der bisher von der Planung bevorzugten Werktage die gesamte Woche - unverzichtbar für die Erstellung von Gesamtbilanzen - betrachtet (vgl. EnquêteKommission "Schutz der Erdatmosphäre", Studienprogramm "Verkehr", 1993, Teilstudie B, "Vermeidung von Verkehr").
Ortsgröße [Einw.]
Wochendistanzen pro Einwohner alle Verkehrsmittel
im Pkw
Index Pkw-Distanz
über 1 Mill.
200 km
95 km
127
500 Tsd. - 1 Mill.
130
75
100
unter 10 Tsd.
200
125
167
In den sehr großen Städten kommt es aufgrund der "Zurückhaltung" während der Werktage offensichtlich zu kompensatorischem Verhalten am Wochenende ("Fluchtverkehre"); dies wird noch verstärkt durch die erheblich höhere Anzahl von Flug-Fernreisen in den Metropolen. Rechnet man zu diesen "quellbezogenen" Bilanzen die Verkehrserzeugung aufgrund hoher Attraktion hinzu, spricht einiges für Verkehrsvermeidung durch kompakte Strukturen "auf niedrigem Niveau". Ergänzt werden müßten entsprechende "MittelzentrenStrategien" durch gezielte Standortpolitiken, die übermäßige Konzentrationen insbesondere bei den relevanten Einrichtungen (Versorgungsstruktur, Arbeitsstätten, aber auch Freizeitein-
47
richtungen) zu verhindern suchen (Verkehrserzeugerabgabe, Zuschüsse für dezentrale Arbeitsstätten statt km-Pauschale etc.). Verkehrsvermeidung durch Beeinflussung der Siedlungsstruktur ist als Idee aus der Betrachtung der Verhältnisse "vor Ort" entstanden. Folgerichtig hat sie ihre größten Potentiale bei der Bewältigung der lokalen Verkehrsproblematik. Ihre Wirkung wird verstärkt durch zweckentsprechende Verkehrspolitiken auf den übergeordneten Ebenen, die zur Stärkung der regionalen gegenüber den internationalen Verflechtungen beitragen (Abbau der extremen Transportorientierung). In der Metropol regi on Berlin besteht zusätzlich die Möglichkeit, an die historisch überlieferten räumlichen Strukturen der neuen Länder anzuknüpfen und sich die dort (noch) gegebenen Bedingungen für die Gestaltung der Entwicklung der Siedlungsstruktur zunutze zu machen. Dabei ist inzwischen sehr gut bekannt (vgl. Abbildung 2), welche positiven Wirkungen von dieser klassischen Versorgungsstruktur ausgehen: Ost-Stadtregionen produzieren im täglichen Personenverkehr etwa 20 vH weniger Verkehrsaufwand als West-Stadtregionen, bezogen auf die Umlandbewohner sind dies sogar 30 vH weniger.
3.1.5
Potentiale an Verkehrsvermeidung in der Metropolregion Brandenburg-Berlin
Die im folgenden skizzierten Modellsimulationen der Verkehrsentstehung im Personenverkehr der Region Brandenburg-Berlin gehen vorrangig auf die Besonderheiten der Verkehrsentstehung ein, die im Zusammenhang mit dem Gegenüber von Kernstadt und Umland eine Rolle spielen. Die darauf aufbauende Argumentation betrifft i.d.R. den regionalen Raum bis etwa 80 km Distanz vom Mittelpunkt; die Aussagen zu den peripheren Gebieten sind von geringerer Genauigkeit, da der verwendete Modellalgorithmus als Ballungsraummodell entwickelt wurde und hier die höchste Übereinstimmung mit der Realität erreicht wird. Für die tägliche Personenverkehrsleistung in einer Region ist neben der Größe der Region die Verteilung von Bewohnern und Beschäftigten auf Kernstadt und Umland maßgebend. Beim standortspezifischen täglichen Verkehrsaufwand der Regionsbewohner bestehen zwischen diesen beiden Teilräumen große Unterschiede (Tabellen 2 und 5). Ein Umlandbewohner hat werktags um 75 vH höhere Kfz-Fahrleistungen als ein Berliner; und die ungeordnete Besiedlung des näheren Umlandes ("Speckgürtel") verursacht noch einmal um 25 vH höhere Kfz-Fahrleistungen als eine Siedlungsentwicklung an wenigen Schwerpunkten. Die Konzentration von Einwohnern und Beschäftigten an wenigen Standorten höherer
48
Abbildung 2 Vergleich von Tagesdistanzen für Westund Ostdeutschland - spezifische Verkehrsarbeit (Pkm/P, d) 1) K O N T I V 1 9 8 9 (gewichtet vom D I W )
5-20
20-100 100-200 200-500 Über 500 Gerneindegröße (Einwohner In Tausend)
Landeswert
SrV-Plus 1991
5-20
20-100
100-200 200-500 Ûb«f 500 Qemetndegr66e (Bnwohrw in Tausend)
Landesw«rt
1) Alle Personen; Wochentagtyp: mittlerer Werktag. Abkürzungen: KONTIV - Kontinuierliche Befragung zum Verkehrsverhalten; SrV - System repräsentativer Verkehrserhebungen; MIV - Motorisierter Individualverkehr; OPV - Öffentlicher Personenverkehr; Pkm/P, d - Personenkilometer pro Person und Tag. Quellen:
TU Dresden: 'Verhaltensänderungen im Stadtverkehr - Ursachen und Trends in den östlichen Bundesländern, spezielle Auswertung des SrV-Plus 1991 und der Vergleich mit KONTIV 1989; DIW. 49
Zentralität führt insgesamt zu besseren Angeboten im Nahbereich, und dies wiederum ist Ursache höherer Anteile von zu Fuß oder mit dem Rad zurückgelegten Wegen. Aber auch Hie Fahrleistung im ÖPNV ist um gut 20 vH höher, weil diese Systeme hier besser erreichbar sind. Entsprechend niedriger sind die Fahrleistungen im motorisierten Individualverkehr.
Die in Tabelle 2 ausgewiesenen Kenngrößen der täglichen Verkehrsleistungen zeigen für Umland und Kernstadt stark voneinander abweichende spezifische "Verkehrsproduktionen" auf. Derartige Unterschiede sind keineswegs typisch für alle Ballungsräume; die relative Verkehrssparsamkeit in Berlin beruht auf einer ausgeprägten Polyzentralität, die Berlin als Funktionsraum bestehend aus "funktionierenden mittleren Großstädten" definiert. Diese Besonderheit, die unter ökologischen Aspekten einen großen Vorteil darstellt, macht es allerdings auch unmöglich, in diesem speziellen Ballungsraum mit Analogieschlüssen aus der Vorerfahrung in westdeutschen Ballungsräumen (etwa Hamburg und München) zu arbeiten. So erfolgt z.B. die Wahl der Ziele von Aktivitäten in einem polyzentralen Raum in ganz anderen - kürzeren - Entfernungsrelationen als in einem ausgeprägt monozentralen Raum.
Im Vergleich zu den Unterschieden Kernstadt-Umland weisen die Kennziffern der Verkehrsproduktion für die Standorte im Umland relativ geringe Unterschiede aus; gleichwohl sind beispielsweise die im motorisierten Individualverkehr erzeugten täglichen Fahrleistungen in allen Entfernungsbereichen auf dem "flachen Land" um 22 vH (Ring I) bis 26 vH (Ring II) höher als in den zentralen Orten. Dieser Befund begrenzt also das theoretisch durch Raumordnung mögliche Einsparpotential bzgl. des Individualverkehrs auf etwa ein Fünftel.
Überlegungen zu einer Einsparung bzw. Vermeidung von Verkehrsleistung sind heute sehr stark geprägt durch die Diskussion um Energieverbrauch und C02-Emissionen. Gleichwohl sollte dabei nicht vergessen werden, daß die dem skizzierten Verkehrsvermeidungskonzept zugrundeliegende raumordnerische Konzeption (einer Betonung der zentralen Standorte im Umland) auch andere, beachtenswerte Vorteile aufweist: Bei der Konzentration auf die "ausgestatteten" Standorte wird vorhandene Infrastruktur effizienter ausgelastet; Landschaft und Erholungsräume können leichter von unverträglicher Nutzung freigehalten werden. 7
7
Selbstverständlich bedarf es hierzu der Schaffung wirkungsvoller Ausgleichsmechanismen, der "instrumenteilen Ausstattung" einer soichen Planung der Nichtentwicklung; vgl. hierzu Anmerkungen zur erforderlichen regionalen Ebene. 50
51
102 163
18,2
20 441
8 148 12 293
24,1
6 083 9 010 11 169
15,0
24,8
23,8 25,6 0,6
0,8 0,5
16,2
8,0 1 046
23
48 2
Quelle: Eigene Berechnungen, insbesondere im Rahmen des Gutachtens "Verflechungsmatrix
II" im Auftrag der Senatsverwaltung für Verkehr und Betriebe.
5
26 20
57 21 429 617
31
22
20 27 19
44 2
37 21 48 21
ÖPNV
362 467 565
35
42 31
8,9 7,3
6,0 7 151
14,1 17,8
7,6 1 394
6,7 8,6 7,3
5,0 4 711
14,5 14,6 17,8
10,8
'
Individualverkehr
Motorjs
davon (in vH)4)
Fuß/Rad
3)
4,2 1 470 5,4 3 241
(i^Tsd )
8,2
15,9
0,7 0,8 0,5
1,4
0,6
21,9 24,0 25,6
1,8
6,0 9,2
Individualverkehr
.... taten
Tägliche
1) Da der Großraum heute noch keine ausgeprägte Region entwickelt hat, wird der vom DIW für 2010 erwartete Zustand betrachtet. - 2) Schätzungen mit dem "Berliner Personenverkehrsmodell", Senator für Verkehr und Betriebe (div. Fassungen). - 3) Hauptaktivitäten als Kern einer Reise von der Wohnung zur Wohnung zurück. - 4) Diese Aufteilung wird üblicherweise als "modal split" bezeichnet. - 5) Gesamtfläche innerhalb des inneren S-Bahn-Ringes. - 6) Entfernungsbereich 17 bis 40 km (ab Stadtmitte), i.d.R. als "engerer Verflechtungsbereich" bezeichnet. - 7) Entfernungsbereich 40 bis 80 km (ab Stadtmitte); hierin enthalten ist der sogenannte "dritte Städtering". - 8) Als Region wird hier Berlin und seine Umgebung in einem Radius von 80 km betrachtet.
5 614
824
Insgesamt
26 262
343 481
1 090
278 376 436
Städtekranz Ländlicher Raum
Insgesamt
Randgemeinden Städte, Nahraum Sonst. Gemeinden
55 460
3 700
Insgesamt
Fuß/Rad
1,9 1,7
Insgesamt
12,1 16,3
(Tsd. km)
1 172 14 210 2 528 41 250
(in Tsd.)
Motorjs
Tägliche Verkehrsleistung/Einw. (km)
|eisUjng2)
Verkehrs-
Tägliche
201Ql)
Szenario
Einwohner
Werktägliche Verkehrsleistung von Bewohnern der Region Berlin-Brandenburg
Innenstadt5' Außenstadt
Gesamte REGION8'
RING II71
RING l6)
BERLIN
,. , 0 . . . ο · Räumliche Bereiche der Region
Tabelle 2
Das Prinzip Verkehrsvermeidung beruht siedlungsstrukturell auf den beiden Komponenten "Kernstadt besser als Umland" sowie "zentraler Ort besser als Dorf". Die weiter unten ausgewiesenen Unterschiede in der Verkehrsproduktion (Fahrleistungen im motorisierten Individualverkehr) gehen von heute gültigen planerischen Vorstellungen der Länder Brandenburg und Berlin mit einer mittelfristigen Perspektive bis 2010 aus. Diese sind durch zwei wesentliche Merkmale geprägt:
-
Das Land Berlin selbst rechnet mit einem beachtlichen Einwohner- und Beschäftigungszuwachs.
-
Unter Beachtung dieses von Berlin abgeschöpften Zuwachses weisen die derzeitigen Perspektiven für Brandenburg alle mehr oder weniger starke Abnahmen der Einwohnerzahlen aus. Dies könnte sich als folgenreiche Fehlannahme erweisen, zu der komplementär die folgenden Perspektiven zumindest in der Diskussion berücksichtigt werden sollten.
Die Metropol regi on Berlin-Brandenburg hat heute insbesondere deshalb eine relativ geringe Gesamtverkehrsleistung im Personenverkehr, weil die Bedeutung des Umlandes (34 vH der Einwohner) gegenüber der Kernstadt stark abfällt. Der Gesamtraum hat allerdings buchstäblich
unbegrenzte
Möglichkeiten,
"Stadtflucht"
und
Funktionstrennung zu
praktizieren und sich fast beliebig in die Fläche hinein zu entwickeln. Bei gleichbleibenden Rahmenbedingungen (trendgemäße Weiterentwicklung der Motorisierung) absolvieren die Bewohner der Region im Jahr 2010 täglich etwa 48 Mill. Autokilometer. Stiege der Anteil des Umlandes an der Gesamtregion auf 50 vH 8 , so würden diese Fahrleistungen um 12 vH auf über 54 Mill. Autoki lometer steigen9. Das raumordnerische Vermeidungspotential bei dieser Kern-Umland-Umschichtung beträgt etwa 2 Mill. Auto-km (= 3,7 vH). Würde die Gesamtregion darüber hinaus aber um 1 Mill. Einwohner - die sich überwiegend im Umland ansiedeln - anwachsen, wären durch gezielte Raumordnungspolitik schon 6 Mill. Auto-km (= 8,3 vH) vermeidbar (bei 2 Mill, zusätzlichen Einwohnern 11,1 vH, bei 3 Mill.
8
Ein solches Zahlenverhältnis entspricht durchaus den in längerer Frist zu erwartenden Entwicklungen: Das Land Hamburg hat heute einen Anteil von 46 vH, Stuttgart (einschließlich der Gemeinden im Nachbarschaftsverband) einen Anteil von 54 vH an der gesamten Region. 9
Selbst bei konstanter Einwohnerzahl der Gesamtregion wächst also die Personenverkehrsleistung in der Region, weil Berliner in das Umland abwandern und dort verkehrsaufwendiger leben.
52
13,0 vH usw.). Dies sind dann durchaus schon Potentiale der Verkehrsvermeidung in Wirkungsbereichen, wie sie auch durch die Aktivierung besserer Fahrzeugtechnik angesprochen werden.
Die in Tabelle 3 zusammengestellten Kenngrößen der mittelfristigen Siedlungsentwicklung legen für Berlin die Eckwerte des "räumlichen Strukturkonzepts 93" zugrunde und gehen von den aktuellen Perspektiven des DIW für Brandenburg aus; dabei sind die Strukturvarianten durch folgende Merkmale gekennzeichnet:
-
Bezogen auf 1990 wandern die Einwohner prinzipiell von der Peripherie in Richtung "Speckgürtel". Diese räumliche Schwerpunktverlagerung betont das westliche Umland. Im Falle stärkerer Ordnung des Raumes wird die zentripetale Veränderung abgeschwächt, und die zentralen Orte erhalten mehr Zuwachs bzw. erleiden weniger Abwanderung.
-
Bei den Arbeitsplätzen fallen die zentripetalen Veränderungen noch stärker aus, im Falle gezielter Raumordnung wird dies abgeschwächt. Die realistische Einschätzung der Beschäftigtenzahlen im "Speckgürtel" wird dabei durch die Tatsache erschwert, daß schon die bisherigen Flächenausweisungen einen (theoretischen) Zuwachs von 400 000 Arbeitsplätzen ermöglichen würden.
Die mit diesen Annahmen mittelfristig erwartete Entwicklung (vgl. Tabelle 4) hat folgende Hauptmerkmale der zukünftigen Einwohnerverteilung: Trotz des für Berlin zugrundegelegten Einwohnerzuwachses von 260 000 ( + 7,5 vH) wächst der "Ring I" (Speckgürtel) um 35 vH; Ring II und Brandenburgs Peripherie nehmen dagegen um etwa 13 vH ab. In der zweiten Variante ist der Zuwachs im Ring I auf 23 vH abgemindert, die übrigen Brandenburger Gebiete können dagegen zwischen 45 vH und 35 vH der zentripetalen Abwanderung vermeiden. Diese Zahlen zur Einwohnerentwicklung werden ergänzt durch Entwicklungssprünge bei der Motorisierung: In der gesamten Region steigt die Zahl der Pkw/1000 Einwohner um etwa 45 vH, dies bedeutet einen um 56 vH größeren Pkw-Bestand, eine Entwicklung, die natürlich auch das resultierende Verkehrsbild im Einwohner-Personenverkehr maßgebend bestimmt. Die größten Zuwächse verzeichnet mit 72 vH der "Ring I", gefolgt von "Ring II" mit 58 vH; aber selbst die Berliner Innenstadt dürfte mit +41 vH weit über dem
53
Tabelle 3
Kenngrößen der bis 2010 erwarteten Siedlungsentwicklung in Berlin und Brandenburg
Räumliche Bereiche
Einwohner
(1 000)
Erwerbspersonen
Pkw/1000 E.
Arbeitsplätze
(1 000)
(1 000)
A: Vergleichszustand 1990 Kernstadt Berlin Zentrum West außen Ost außen
3 441 1 299 1 201 941
1 329 520 509 301
312 274 361 302
1 456 743 463 250
Brandenburg Randgemeinden Berlin Potsdam Städte Speckgürtel Rest westl. Speckgürtel Rest östl. Speckgürtel Städtekranz bis 80 km Restgemeinden bis 80 km Cottbus, Schwedt Restgemeinden Brandenburg
2 571 192 142 164 191 118 381 566 198 619
1 426 97 86 74 104 49 231 309 121 356
306 277 233 303 264 311 302 310 315 340
1 187 95 74 93 78 44 203 222 95 283
Brandenburg und Berlin
6 012
2 756
309
2 643
B: Schätzung 2010 für "freie Entwicklung1* Kernstadt Berlin Zentrum West außen Ost außen
3 1 1 1
700 172 220 308
1 614 511 534 569
420 387 447 424
1 810 858 469 482
Brandenburg Randgemeinden Berlin Potsdam Städte Speckgürtel Rest westl. Speckgürtel Rest östl. Speckgürtel Städtekranz bis 80 km Restgemeinden bis 80 km Cottbus, Schwedt Restgemeinden Brandenburg
2 623 278 163 213 277 159 343 481 183 526
1 192 128 80 96 130 75 158 212 82 232
486 510 397 422 522 484 430 526 420 531
1 052 93 80 95 81 44 183 174 80 222
Brandenburg und Berlin
6 323
2 806
447
2 862
C: Schätzung 2010 für "Stärkung der zentralen Orte" Kernstadt Berlin Zentrum West außen Ost außen
3 1 1 1
700 172 220 308
1 614 511 534 569
420 387 447 424
1 810 858 469 482
Brandenburg Randgemeinden Berlin Potsdam Städte Speckgürtel Rest westl. Speckgürtel Rest östl. Speckgürtel Städtekranz bis 80 km Restgemeinden bis 80 km Cottbus, Schwedt Restgemeinden Brandenburg
2 622 259 159 188 244 145 369 509 191 557
1 190 119 78 85 115 68 170 224 86 245
485 510 397 422 522 484 420 526 414 531
1 069 93 78 92 81 44 190 179 85 228
Brandenburg und Berlin
2 623
2 803
446
2 879
Quelle: Schätzungen des DIW.
54
55
947
Insgesamt
6 012
5 614
6 323
334
309
818
305
307
302 310
276
3 700
447
709
5,2
502
8,1
486
430 526
35,2
7,5
-9,8 18,0
510 411 508 475
440
824
343 481
1 090
278 376 436
420
387 435
Verän-
58,3
Quelle: Eigene Berechnungen, insbesondere im Rahmen des Cutachtens "Verflechungsmatrix Betriebe.
II" im Auftrag der Senatsverwaltung
5 5
6 32
50,3 44,7
-13,3
80
84,1
3 70
2
42,4 69,7
44,3
-13,0
-10,0 -15,0
72,1
44,8 22,9 52,2 41,1
34,6
41,2 1 172 29,9
gegenüber Pkw/ t nwonner ig9Q 1000 E.(,n Tsd) in vH
201Q derung
für Verkehr und
1) Aktuell für 2010 erwartete Rahmendaten (Schätzungen des DIW). - 2) Schätzungen mit dem "Berliner Personenverkehrsmodell", Senator für Verkehr und Betriebe (div. Fassungen). - 3) Entfernungsbereich 17 bis 40 km (ab Stadtmitte), "engerer Verflechtungsraum". - 4) Entfernungsbereich 40 bis 80 km (ab Stadtmitte). - 5) Berlin und Umgebung in einem Radius von 80 km.
Brandenburg und Berlin insgesamt
Peripherie Brandenburgs
5 195
381 566
Städtekranz Ländlicher Raum
806
Insgesamt
277 270 282
312
192 306 309
3 441
Insgesamt
1 172 2 528
Einwohner
CSri„mkMr
Veränderung gegenüber 1990 in vH "gestaltet"
Pkw/ Einwohner Pkw/ 1000 E. (in Tsd.) 1000 E. 274 335
Randgemeinden Städte, Nahraum Sonst. Gemeinden
1 299 2 142
Einwohner (in Tsd.)
2010 7iKtanH 199Ω Zustand 1990 "freie Entwicklung"
Siedlungsstrukturelle Veränderungen in der Region Berlin-Brandenburg
Innenstadt Außenstadt
Gesamte REGION5*
RING ll4)
RING l3)
BERLIN
Räumliche Bereiche der Region
Tabelle 4
Bundesdurchschnitt liegen, da hier neben der Angleichung in östlichen Bezirken die "Verjüngung" der Einwohner und die Innenentwicklung in Richtung "höherwertiges Wohnen" das Motorisierungswachstum maßgeblich beeinflussen.
Die in den Tabellen 5 und 6 dokumentierten Kenngrößen der Personenverkehrsverflechtungen in Brandenburg und Berlin unterscheiden sich nur geringfügig: "Quellbezogen" produziert ein Regionsbewohner bei freier Entwicklung knapp 19 km Gesamtverkehr pro Tag und bei gestalteter Entwicklung etwa 18,6 km, also knapp 2 vH weniger. Für die Fahrleistungen mit dem Pkw fällt diese Differenz (9,11 km gegenüber 9,39 km/E.) etwas deutlicher aus. Dieser nur marginale Wirkungsgrad gezielter Raumordnungspolitik erklärt sich unmittelbar aus der für die Planung recht geringen "Dispositionsmasse" bei den derzeit gültigen Schätzungen bezüglich der Bevölkerungsentwicklung bis zum Jahr 2010. Auf längere Sicht ist es aber durchaus denkbar, daß im Großraum Berlin 6 bis 8 Mill. Einwohner leben. Für diesen Fall sind wesentlich größere Potentiale der Verkehrsvermeidung durch entsprechende Raumgestaltung, die jetzt in Angriff genommen werden muß, zu veranschlagen. Aufgrund der räumlichen Struktur der Verkehrsverflechtungen allerdings, die geprägt ist durch die generell vorhandene Empfindlichkeit gegenüber Distanzen, weisen die beiden raumstrukturellen Varianten erheblich größere Unterschiede im Detail auf (vgl. Tabelle 7). Diese Unterschiede weisen auf mögliche positive Effekte für die gesamte weitere raumstrukturelle Entwicklung der Region hin:
-
Der Personenverkehr in der Region ist auch bei der Variante "freie Entwicklung" stark auf den jeweiligen eigenen Bereich konzentriert; dieser Effekt wird aber durch das siedlungsstrukturelle Konzept "Stärkung der zentralen Orte" noch vergrößert. Die Verkehrsanteile im "eigenen Bereich" steigen von 59 vH auf 63 vH (Innenstadt), von 71 vH auf 79 vH (Außenstadt) und von 68 vH auf 75 vH (Städtekranz im Ring II).
-
Die Verflechtungen des Umlandes mit der Kernstadt (und umgekehrt) nehmen im Gestaltungsszenario sehr viel stärker ab als die Gesamtverkehrserzeugung. Der entwicklungsbezogen
"zurückgenommene"
Speckgürtel wirkt weniger stark als
Verbindungszone zwischen "Innen" und "Außen", da er weniger Gelegenheiten (Nutzungen) anbietet.
56
57
I
^ Zu Fuß
Motori s. Ι Rad
^ ~ Individualverkehr Mitfahrer
14 210 1 752 526 5 737 1 296 4 899 20 720 1 185 810 9 706 2 265 6 754 20 530 1 547 794 9 136 2 108 6 945 6 083 104 67 3 292 749 1 871 3 881 78 51 1 812 482 1 458 5 129 89 70 2 562 631 1 777 7 067 57 64 4 029 892 2 025 4 102 37 37 2 356 502 1 170 8 148 163 106 3 805 1 012 3 062 12 293 99 110 7 009 1 552 3 523 4 325 76 60 2 123 541 1 525 13 545 123 122 7 781 1 656 3 863 120 033 5 310 2 817 59 348 13 686 38 872
Werktäglich zurückgelegte Entfernung (in 1 000 km)
1) Vollständige Folge von Wegen von der Wohnung bis zur Wohnung zurück. Quelle: Eigene Berechnungen.
Zentrum West außen Ost außen Randgemeinden Berlin Potsdam Städte Speckgürtel Rest westl. Speckgürtel Rest östl. Speckgürtel Städtekranz bis 80 km Restgemeinden bis 80 km Cottbus, Schwedt Restgemeinden Brandenburg Summe Brandenburg und Berlin
insgesamt
OPNV
1 172 1 470 292 540 514 75 039 450 233 89 109 315 397 1 220 1 577 072 370 789 96 356 628 145 143 925 337 857 1 308 1 663 910 463 069 85 027 618 734 154 356 342 724 278 361 431 59 543 14 747 171 672 40 901 74 568 163 201 212 45 693 8 159 76 862 24 805 45 693 213 265 543 65 109 8 085 100 217 32 555 59 577 277 357 611 58 357 14 105 172 030 40 103 73 016 159 207 327 27 750 8 453 104 939 23 444 42 741 343 429 350 95 944 17 133 168 245 52 084 95 944 481 617 303 96 709 24 538 299 270 69 765 127 021 183 227 870 55 872 6 938 85 999 27 936 51 125 527 684 634 91 636 27 912 346 530 77 416 141 140 6 324 8 063 555 1 970 985 386 492 3 222 876 776 399 1 706 803
ίΐπΤίηΧ tin ι uuu)
Zahl der werktäglichen Reisen1)
Verkehrserzeugung im Personenverkehr bei "freier Entwicklung" der Region
Zentrum West außen Ost außen Randgemeinden Berlin Potsdam Städte Speckgürtel Rest westl. Speckgürtel Rest östl. Speckgürtel Städtekranz bis 80 km Restgemeinden bis 80 km Cottbus, Schwedt Restgemeinden Brandenburg Summe Brandenburg und Berlin
Lage der Wohnung
Tabelle 5
58
Quelle: Eigene Berechnungen.
Mitfahrer verkehr
OPNV
Werktäglich zurückgelegte Entfernung (in 1 000 km)
467 945 544 031 76 211 446 715 87 936 313 052 573 413 374 448 98 796 615 948 141 485 342 736 665 217 466 993 88 951 605 653 153 048 350 572 55 436 13 730 159 833 38 080 69 425 44 819 7 947 74 380 24 158 43 706 55 903 7 153 86 771 28 798 53 644 51 515 12 452 151 860 35 401 64 455 25 283 7 701 95 612 21 360 38 942 105 253 18 465 179 484 56 135 105 253 102 399 25 982 311 783 73 870 132 457 59 445 7 240 88 977 28 770 54 110 96 993 29 544 361 216 81 943 145 490 039 748 1 982 518 394 172 3 178 232 770 984 1 713 842
~ Individual-
13 980 1 759 531 5 593 1 271 4 826 20 263 1 190 813 9 306 2 250 6 704 20 208 1 558 802 9 002 2 027 6 819 5 665 97 63 3 065 698 1 742 3 779 76 49 1 765 469 1 420 4 537 79 62 2 266 558 1 572 6 189 50 56 3 507 788 1 788 3 699 34 34 2 117 454 1 060 8 404 176 114 3 874 1 091 3 149 12 641 104 117 7 108 1 613 3 699 4 362 80 63 2 099 549 1 571 13 937 130 129 7 893 1 719 4 066 117 664 5 333 2 833 57 595 13 487 38 416
1 172 1 1 220 1 1 308 1 278 336 504 163 195 010 213 232 269 277 315 683 159 188 898 343 464 590 481 646 491 183 238 542 527 715 186 6 324 8
^ Motori s. I insgesamt Zu Fuß Rad
1) Vollständige Folge von Wegen von der Wohnung bis zur Wohnung zurück.
Zentrum West außen Ost außen Randgemeinden Berlin Potsdam Städte Speckgürtel Rest westl. Speckgürtel Rest östl. Speckgürtel Städtekranz bis 80 km Restgemeinden bis 80 km Cottbus, Schwedt Restgemeinden Brandenburg Summe Brandenburg und Berlin
Zentrum West außen Ost außen Randgemeinden Berlin Potsdam Städte Speckgürtel Rest westl. Speckgürtel Rest östl. Speckgürtel Städtekranz bis 80 km Restgemeinden bis 80 km Cottbus, Schwedt Restgemeinden Brandenburg Summe Brandenburg und Berlin
I (in 1 UUU)
Zahl der werktäglichen Reisen1*
Verkehrserzeugung im Personenverkehr bei "Stärkung der zentralen Orte"
Lage der Wohnung nTmnf
Tabelle 6
59
Einwohner M nnnx Π υυυ>
Summe
Zentrum (5 km) Ring Berlin (5-17 km) Speckgürtel (17-40 km) Städtekranz (40-80 km) Restgemeinden Brandenburg 6 323
Summe
Zentrum (5 km) Ring Berlin (5-17 km) Speckgürtel (17-40 km) Städtekranz (40-80 km) Restgemeinden Brandenburg 6 323
1 172 2 528 996 312 879 748
3
4
5
19 048 15 814 10 324
9 058
59 347
4,0 9,0
3,9
Summe
5 301
0,5
-4,0 7,0 -20,0
19 145
-20,6 13,6 -2,1
-46,0 -39,0 -11,0 94,0 -22,0 11,0
1 2 555 11 725
-13,0 8,0
8 871
-2,9
0,0
57 597
3 534 1 823 220 16 0 5 593 1 453 14 391 2 363 95 7 18 309 2 830 8 493 1 054 32 12 721 2 100 1 425 8 192 1 272 10 991 0 1 54 2 368 7 560 9 983
5 103
Zentrum (5 km) Ring Berlin (5-17 km) Speckgürtel (17-40 km) Städtekranz (40-80 km) Restgemeinden Brandenburg
Quelle: Eigene Berechnungen.
1 2 3 4 5
Differenz zwischen beiden Szenarien in vH
1 2 3 4 5
2
1 172 3 399 1 897 409 32 0 5 737 2 528 1 328 13 436 3 874 190 13 18 841 1 090 372 3 550 9 560 544 26 14 052 824 4 161 1 824 7 364 1 460 10 813 709 0 4 147 2 194 7 559 9 904
Modellfall "Stärkung der zentralen Orte"
1 2 3 4 5
1
-9,5 1,6
Verkehrsaufwand (in 1 000 km) im Zielgebiet
0,8
-2,5 -2,8
Räumliche Struktur der in den Regionszonen in Abhängigkeit von der Quellzone (Wohnung) erbrachten Kfz-Fahrleistungen
Fall "freie Entwicklung" der Siedlungsstruktur
Quellgebiet
Tabelle 7
Summe
-
Gleichzeitig vermag der "Städtekranz" (Ring II) mehr Aktivitäten im eigenen Bereich zu binden und er zieht auch mehr Verflechtungen aus dem umliegenden Brandenburger Raum an. Dies dürfte in hohem Maße den Erwartungen/Hoffnungen der Brandenburger Raumordnung entsprechen 10.
Insgesamt ist also festzustellen, daß die Bedeutung der "Nähe" durch die unterstellten siedlungsstrukturellen Veränderungen (Raumordnung) überproportional verstärkt wird. Es entstehen weniger Wege/Fahrten über größere Distanzen bzw. über die Grenzen des eigenen Bereiches hinaus. Dies erklärt auch, warum im Szenario "Stärkung der zentralen Orte" die Reduktion der Verkehrsleistungen im an Berlin angrenzenden Umland insgesamt mit -21 vH sehr viel höher ist als die Abnahme des eigenen Erzeugungspotentials dieser Zone mit -9 vH.
Im Prinzip entspricht der nach diesen Model Ischätzungen zu erwartende Effekt bei der Verkehrsverflechtungsstruktur in hohem Maße einem möglichen Leitbild der Verkehrsgestaltung für die Zukunft; danach dürften die Transportkosten auf mittlere und längere Sicht erheblich ansteigen und den allgemeinen Raumwiderstand erhöhen. Und für diesen Fall gewinnen raumordnerische Leitbilder, die die Nähe gegenüber der Ferne betonen, eine wesentlich größere Bedeutung als heute. Darüber hinaus hat die variable Entwicklung der unmittelbar an Berlin angrenzenden Randbereiche eine enorme Bedeutung für die in der Berliner Innenstadt unverzichtbaren Bemühungen um wesentlich stärkere Gestaltung des Autoverkehrs: Eine derartige Restriktion für den Autoverkehr hat nur dann Erfolgsaussichten, wenn gleichzeitig die zu erwartenden - und stark verkehrserzeugenden - Abwanderungen des Innenstadt-Einzelhandels in die Standorte im Randbereich "in Maßen" gehalten werden können.
Die hier zusammengestellten Abschätzungen mit dem "Berliner PersonenverkehrsmodelI" wurden für die Gesamtregion vorgenommen, da nur bei dieser Vorgehensweise vollständige Aktionsräume, die keine Landesgrenzen zwischen Kern und Umland zur Kenntnis nehmen, abgebildet werden können. Während der Schwerpunkt der bisher diskutierten raumordnerischen Möglichkeiten verständlicherweise im Umland liegt, dürfte die Verkehrspolitik - auch eines gemeinsamen Bundeslandes - darüber hinaus stark bestimmt sein durch die Verkehrssituation in der Kernstadt. Aber auch hier liefern die für den Gesamtraum
10
60
Alle Effekte im ÖPNV (Tabelle 8) in abgeminderter Form sehr ähnlich.
61
1 QQ0)
Einwohner
6 323
1 172 2 528 1 090 824 709
Summe
Zentrum (5 km) Ring Berlin (5-17 km) Speckgürtel (17-40 km) Städtekranz (40-80 km) Restgemeinden Brandenburg
Summe
Zentrum (5 km) Ring Berlin (5-17 km) Speckgürtel (17-40 km) Städtekranz (40-80 km) Restgemeinden Brandenburg
Quelle: Eigene Berechnungen.
1 2 3 4 5
Verkehrsaufwand (in 1 000 km) im Zielgebiet 3 4 5 2
5 338
13 228
8 424
7 078
4 805
38 873
3 566 1 154 166 14 0 4 900 1 666 11 185 782 66 0 13 699 104 845 6 862 483 6 8 300 2 44 608 5 672 259 6 585 0 0 6 843 4 540 5 389
ι
6 323
12 853
7 356
7 734
2,2
-2,8
-12,7
9,3
4,4
3,3 -13,4 -23,5 14,3 1,0 -1,7 -2,2 25,8 -13,5 -1,5 -13,2 44,7 · · -16,6 6,9 3,8
5 457
38 418
-1,2
-1,3 -8,7 -2,3 4,8
5 018
1 172 3 684 999 127 16 0 4 826 2 528 1 682 10 993 765 83 0 13 523 996 90 832 5 954 699 . 6 7 581 879 1 29 507 6 061 253 6 851 748 0 0 3 875 4 759 5 637
Differenz zwischen beiden Szenarien in vH
1 2 3 4 5
Modellfall "Stärkung der zentralen Orte"
Summe
1 Zentrum (5 km) 2 Ring Berlin (5-17 km) 3 Speckgürtel (17-40 km) 4 Städtekranz (40-80 km) 5 Restgemeinden Brandenburg
Fall "freie Entwicklung" der Siedlungsstruktur
(jn
4,0 4,6
-1,5
SUmmG
Räumliche Struktur der in den Regionszonen in Abhängigkeit von der Quellzone (Wohnung) erbrachten ÖV-Beförderungsleistungen
Aufwand in Quelle
Tabelle 8
"erzeugten" Zahlen einige Informationen speziell über die stark lokale Orientierung des Verkehrs, die schon deutliche Hinweise auf eine erforderliche Neubestimmung der verkehrspolitischen Aufgabenstellungen enthalten.
Im Gegensatz zu den - im Vergleich mit westdeutschen Ballungsräumen - moderaten Werten für Berlin insgesamt ist beispielsweise die Berliner Innenstadt extrem hoch verkehrsbelastet und gehört durchaus zu den "Spitzenreitern" in Europa11. Die Innenstadt mit ihrer außergewöhnlichen Nutzungsdichte (Tabelle 9) weist eine hohe Pkw-Dichte und enorme Kfz-Fahrleistungen pro Quadratkilometer auf, die sie erheblich von der Außenstadt und besonders krass vom Umland unterscheiden. Die Bewohner der flächenhaften Innenstadt mit 80 km 2 Gesamtausdehnung und einer perfekten - von anderen Städten beneideten - Funktionsmischung absolvieren werktags zwar sehr geringe spezifische Kfz-Fahrleistungen (Tabelle 10), aber dafür werden hiervon auch fast 60 vH "vor der Haustür" abgewickelt. Dies wiederum ist Ursache einer starken Dominanz des Einwohnerverkehrs (zwei Drittel der Fahrleistungen) in der Innenstadt Hierzu trägt auch die ausgeprägte polyzentrale Struktur Berlins bei, in der die Attraktionen auf "mehrere Großstädte" in der Stadt verteilt und nicht auf eine herausragende City konzentriert sind. Dieser Befund ist grundsätzlich positiv, da die innerstädtischen Fakten weitgehend der Idealvorstellung von einer verkehrssparsamen Raumstruktur entsprechen. Diese aber ist durch Verkehrsfolgen gefährdet, und entscheidend wird nunmehr die Frage, ob die in diesem Zusammenhang diskutierten Lösungsvorstellungen der tatsächlichen Problemlage angemessen sind.
Die bisher für Berlin diskutierten verkehrspolitischen Vorschläge beruhen im wesentlichen auf der historischen (Wunsch-)Vorstellung, die Verkehrsprobleme entstünden hauptsächlich durch das Pendeln von außen nach innen. Wäre dies der Fall, könnten die Verflechtungen alternativ auch durch die verträglicheren öffentlichen Nahverkehrssysteme ermöglicht werden. Dieses Konzept betrifft in der Berliner Verkehrsrealität aber nur etwa 16 vH des Personengesamtverkehrs bzw. etwa 22 vH des motorisierten Verkehrs (ohne Fußgänger und Radfahrer). Damit wird deutlich, daß die "Eigenverkehrsproblematik" Berlins und speziell
11
Diese kritische Belastungssituation in der Berliner Innenstadt war schon 1990 Anlaß zur Vergabe einer Studie "Ökologische und siadtverträglich Belastbarkeit der Innenstadt durch den Kfz-Verkehr" durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz. 62
63
Randgemeinden Städte, Nahraum sonst. Gemeinden
Städtekranz ländlicher Raum
RING l3)
RING ll4)
5 195
381 566
192 306 309
1 299 2 142
pkw/
305 5 614
302 310
277 270 282
274 1 172 335 2 528
1000 E. (in Tsd.)
440
343 481
20 130 2 560
.
Besch./
km )
(km/km )
tä8 Pkw'· Fahr" FahrPkw^ leistung (Pkw/ Fläche (Tsd.Kfz „ „ 2 x
Kenngrößen des Verkehrsbildes 20102'
„ °'43 Λ 357
393
26
123
. _ _ 400
0,36
8 130
47 944
^
518
2 382
538
125
0,73 454 5 675 5 103 63 788 0,38 1 100 1 375 19 044 23 805
BeschäfE n ' ' (in Tsd.)
0,46 2 472
430 Ì 526l·5100
} 4 150
858 952
p|äche
80 800
p|
23 379
376
3 711
19 292
49
7
19
47 944
5 103
19 044
23 797
100
100
100
100
17
81 5)
1) Fahrleistung an einem "mittleren Werktag" (Mo.-Fr.). - 2) Schätzungen mit dem "Berliner Personenverkehrsmodell", Senator für Verkehr und Betriebe. - 3) Zahl der Einwohner im Szenario 2010 (Fortschreibung des DIW, Stand Juni 1994). - 4) Die Gesamtfahrleistung beträgt 12,99 km, die restliche Distanz wird außerhalb der "80 km-Region" zurückgelegt. 5) Die Spaltenstruktur dokumentiert eindringlich die überragende Bedeutung des Binnenverkehrs (der Einwohner) der jeweiligen räumlichen Bereiche. Quelle: Eigene Berechnungen, insbesondere im Rahmen der Cutachten "Verflechtungsmatrix II" im Auftrag der Senatsverwaltung für Verkehr und Betriebe sowie "Fusion Brandenburg-Berlin" im Auftrag des Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie, Brandenburg.
64
der Berliner Innenstadt größere Bedeutung hat als die "Pendelproblematik", die hier von den Anteilen her deutlich geringer ausfällt als in anderen Ballungsräumen12.
Aber ausgerechnet diese "Eigenverkehrsproblematik" ist sehr viel weniger gebündelt, besteht aus sehr dispersen Einzelbeziehungen, und für die Abwicklung dieser Binnenverkehre ist das Automobil nahezu ideal geeignet. Dieser Sachverhalt schränkt leider auch die Möglichkeiten des verkehrsgestaltenden Eingriffs (z.B. Parkraumbewirtschaftung, roadpricing) erheblich ein, da dem Individualverkehrsnutzer bei der gegebenen Netzverfügbarkeit (Straßen sind universell nutzbar) im Regelfall auch Ausweichreaktionen möglich sind.
Nach heutiger Kenntnis über Verkehrsgewohnheiten und Verhaltensweisen im Verkehr und ihrer Anwendung in der Verkehrssimulation führt nämlich die örtlich begrenzte Restriktion für den Pkw-Verkehr zu folgendem Szenario: Während die Maßnahme im Berufsverkehr erfolgreich sein kann, wird sie von den Einzelhandelskunden und Freizeitbesuchern nur eingeschränkt akzeptiert. Deren räumliche Umorientierung (nach außen) trifft mit Abwanderungstendenzen
(in den "Speckgürtel") beim Einzelhandel
und anderen
Einrichtungen zusammen. Im Ergebnis wird dann noch mehr Autoverkehr erzeugt. In der Innenstadt erfolgen Umnutzungen, die Bedeutung als Arbeitsstandort nimmt tendenziell zu. Dies wiederum erzeugt mehr Pendelverkehr, mindert die innerstädtische Lebensqualität und befördert so die weitere Funktionstrennung ("Verkehrsspirale").
Damit befindet sich die Berliner Verkehrspolitik in einer Zwickmühle zwischen der Erhaltung verkehrssparender historischer Strukturen, für die es aber keine gängigen "Verkehrsrezepte" gibt, und einer ganz normalen Ballungsraumentwicklung, die alle Fehler der westdeutschen Entwicklung nachvollzieht und viel mehr Verkehr notwendig macht, von dem dann gewisse Teile - diese umfassen weniger als die Hälfte - mit einem teuren Schienensystem besser abgewickelt werden könnten.
12
Im Hamburger Gesamtverkehrsbild (vgl. Arbeitsgemeinschaft Prognos, Kessel & Partner, "Integrative Verkehrsentwicklung Hamburg", Freiburg/Basel, 1993) liegen diese "Außen-InnenVerflechtungen" mit 31 vH des Gesamtverkehrs (und 40 vH der Fahrverkehrswünsche) deutlich höher; Ursache ist der höhere Besatz mit Arbeitsplätzen (0,9 Beschäftigte pro Einwohner in Hamburg gegenüber in Berlin knapp 0,6 bzw. 0,73, angenommen für 2010). Auch die heute zu Diskussionen Anlaß gebenden 123 000 Ost-West-Pendler (vgl. Struktur der Arbeitslosigkeit und ihre Veränderung in Berlin. Bearb.: Klaus-Peter Gaulke. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 32/94) stellen angesichts der für 2010 erwarteten Pendlerbeziehungen insgesamt - 460 000 von außen nach innen, 510 000 zwischen Außenbezirken - durchaus einen Normalzustand dar. 65
Da die zweite Variante absurd erscheint, verbleibt eigentlich nur die Aufwertung des Modells der verkehrssparenden Mischung. Dies wiederum benötigt die Flankierung auf der regionalen Ebene: Der Erfolg von verkehrsgestaltenden Eingriffen innen hängt entscheidend davon ab, räumliche Ausweichreaktionen in Grenzen zu halten. Das heißt aber auch, daß die Genehmigung von Gewerbe- und Wohnungsbauflächen (insbesondere im Umland) in das Interesse des regionalen Gesamtsystems einzubinden ist. Und die Berliner Innenstadt selbst muß über Wege nachdenken, wie die "Vollmotorisierung" in einem Gebiet, in dem man grundsätzlich auch sehr gut ohne Auto leben kann, abgemindert werden könnte 13 .
In diesen Überlegungen zeigt sich, daß die generelle Diskussion über den "Raumwiderstand", über Regeln für die Autonutzung und den Preis des Verkehrs aus der Verkehrsdiskussion in der Metropol regi on Brandenburg-Berlin nicht wegzudenken sein wird. Und dies wiederum wertet die raumordnerischen Vorstellungen zur Siedlungsentwicklung auf, da erst sie für die Bereitstellung der räumlichen Alternativen sorgen, ohne die die "Kostenschraube" im Verkehr - die Erhöhung des Raumwiderstandes - an Umsetzungsproblemen scheitern muß.
3.1.6
Wirkungsebenen und Instrumente bei der Gestaltung der regionalen Raumstruktur (im Sinne der Verkehrsvermeidung)
Städtebau und Raumordnung und ihre institutionellen Regelungen und Instrumente haben für die "verkehrssparsamere" Gestaltung der regionalen Lebensräume ohne Zweifel die Schlüsselfunktion. Sie geben den konzeptionellen Rahmen vor, in dem verkehrsvermeidendes Leben und Wirtschaften möglich werden könnte. Für die konkrete Umsetzung allerdings bedarf es der Ausstattung der Handlungsebenen vor Ort - besser: "vor Region" mit weiteren wirksamen Instrumenten, die u.a. auch den Bodenmarkt und die finanziellen Möglichkeiten betreffen. Dieses komplexe Zusammenwirken der verschiedenen Ebenen (vgl. hierzu Übersicht 1) ist bisher nicht Grundlage der tatsächlich praktizierten Planungsabläufe.
13
Damit wird die Transport- und Mobilitätsorientierung unseres Lebens und Wirtschaftens Gegenstand der Politik; Werthaltungen, Meinungen und Einstellungen sind zu hinterfragen. In der speziellen Berliner Situation geht es dabei um die Frage, ob das urbane Wohnen in der Innenstadt kombiniert werden kann (darf) mit drei Fahrzeugen pro Haushalt für die Freizeit (für andere Zwecke sind sie hier nicht unbedingt erforderlich). 66
67
Definition der Nutzungen (Korr. der Mehr Mischung der Funktionen Monofunktionalitlt) (bester· Möglichkeiten Im Nahbereich) F Motorlaierung bleibt niedriger \ Oef. der 'ErechlieÜung" Iggft. ÔV einbeziehen) \ Bettere Anblndung der Nutzungen an den öv Abstimmung zwischen ÔV und J groften Erzeugerstandorten Institutionelle Regelungen für reg. \ Planung / •Reglonalitlerung* der Plenungshoheit Standorte
Modifiketion von Beuge•etzbuch, Landesbeuordnungen, Bau Nut* VO
Bessere Kooperetlon (regionale Blume)
X
\
Autwirkungen euf Ausprägungen de« Verkehr»
Y^ // X \Jj
I
/ / F/ S Kutter. 94
Neue Flnanzlerungsquellen (Verkehrtabgeben, Parkgebühren) Förderung der Nahvereorgung Positive und negative VerkehrtRestriktionen für #AuÛenetandort·" erzeugerabgab· (grOne Wiete)
Neue preispolitische Instrumente
zurückgelegt
Gittere Distanzen F \ Y q werden vermehrt
\
Andere Modelltlten beim Flnenz1 Abbeu det Konkurrenzdenkene / y\J ausgleich: Einbeziehung der Qej * j Α werbesteuer, Entgelte fOr BePrioritäten für verkehrsspara. Standorte SV /I/>\ schrlnkung euf "Elgenentwlck• '/^J/ lung" Betsere Bedingungen für FuQ/Rad und ÔVF / >λ oie Im täglichen / 1 ^^νΛ Leben erfordert!· Andere Modelltlten bei Mittel· andere Prioritlten bei Syttemeutwahl Ô /j ^S Chen Dlatanzen Zuweisungen fOr Verkehr (OVFO, (z.B. kottenorient. Entacheldg. für Streb.) // / tlod Insgesemt BVWP) • // / ganger mehr Angebotsquelltlt Im ÖV {Netzdichte, / j / Modifiketion der Förderung fOr Betrieb) Ô / / Wohnungsbeu / /
/\\//
/\
F S
^
Änderung finanzieller Regelungen
Änderungen ordnungtreglonele Zuständigkeiten für 1 Verträglichkeit dea Verkehre, rechtlicher Zuständigkeit Tempollmlt, Zonenregelungen, ÔVf 'Aufentheltsquelltlt· mUd m tan Stenderds, -Reglont-Loglttlk· (f. J ^^frClM * Wlrtscheftaverkehr ) Quelitlt dee ÔV ô^
Höhere Dichten. Freihelten von "entfernten" Legen, besserer ÔV-Antchluft
Abbau dea Konkurrenzdenkens \ \ Mehr Erledigungen » \ \ und Wege werden ,υ Konzentration auf verkehrssparsame S \ ^S/i dufc h \ ός /Il 0eiûhf t
^ \
Änderungen der Inhaltlichen Au·· Wirkungen In den verkehnrelevenlen Reumstruktugesteltung von Instrumenten ren und Stendortgefügen
MeGnahmanketegorlen Inetrumente, Institutlonelle Regelungen
Gesetzliche und finanzielle Regelungen im Zusammenwirken für eine verkehrssparsame Raumstruktur der Region
Übersicht 1
Eine wesentliche Erschwerung der Verkehrsvermeidung durch Gestaltung der Raumstrukturen besteht beispielsweise darin, daß die eigentlichen Maßnahmen und Instrumente (Baugesetzbuch, Landesbauordnungen, Förderprogramme, Ausgleichsregelungen bei den Finanzen) sehr komplex auf die Verteilung und Ausprägung von Nutzungen in Stadt und Umland einwirken und die eigentliche "Verkehrswirkung" dann, sofern die stadtplanerischen und raumordnerischen Prinzipien richtig ausgerichtet wurden, als Nebeneffekt auftreten (Übersicht 1). Anders ausgedrückt: Zielgröße der Aktivitäten ist ein als Endergebnis sich ausprägendes Verkehrsbild, die Aktionen finden aber nicht vorrangig im Verkehr, sondern in diversen vorgelagerten Bereichen statt. Um diese Sachverhalte etwas näher zu erläutern, wird das Zustandekommen dieser Verkehrsbeeinflussung im folgenden (von der Zielgröße Verkehr her) erläutert.
Die angestrebte Modifikation der städtischen und regionalen Raum-bzw. Siedlungsstruktur zielt insbesondere auf drei Ebenen der Verkehrsentstehung
und der Verkehrsdurchführung
(vgl. Übersicht 1, rechte Spalte): -
Die Einrichtungen, die für das tägliche Leben - z.B. den Einkauf - erforderlich sind, sollen zu Fuß oder mit dem Rad erreichbar sein;
-
falls die "Eigenfortbewegung" (Fuß/Rad) aufgrund vorgefundener Distanzen ausscheidet, sollen für möglichst viele "Fahrten" öffentliche Verkehrsmittel benutzt werden können;
-
durch gezielte Einflußnahme auf die generelle Konzeption der Besiedlung einer Region kann bei stärkerer Konzentration der Entwicklung erreicht werden, daß die in der Region für Lebens- und Wirtschaftsabläufe erforderlichen Distanzen insgesamt geringer sind.
Für die Verkehrsausprägungen ist es entscheidend, in welchem Maße folgende Ziele bezüglich der verkehrsverursachenden Raumstruktur erreicht werden:
-
Höhere Dichte und vielfältigere Funktionen in den Nahbereichen sowie mehr Nähe der Einrichtungen zum Kunden für die Eigenfortbewegung;
-
bessere Koordination zwischen dichter Bebauung und Netzen des ÖV für die Benutzbarkeit des öffentlichen Systems;
-
die Einhaltung der "zentralen-Orte-Struktur" für die prinzipielle Verkehrssparsamkeit der Gesamtregion.
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Im wesentlichen lassen sich also drei Handlungsbereiche
zur Herbeiführung einer
verkehrssparsameren regionalen Raumstruktur herausarbeiten:
-
Dichte und qualitativ hochwertige Funktionsmischung als Grundelement,
-
die strikte Koordination zwischen der Flächenplanung und sämtlichen Erschließungsund Verbindungs-(Verkehrs-)Überlegungen,
-
das Anstreben einer die gesamte Region umfassenden optimalen (verkehrssparsamen) Gesamt-Standortstruktur.
Diese komplexe Aufgabenstellung wird im folgenden durch weitere Stichworte und Anregungen erläutert, ohne dabei an dieser Stelle ein in allen Details abgesichertes Gesamtkonzept vorlegen zu können.
Gestaltungsebene Dichte und Funktionsmischung
Eine qualitativ bessere Funktionsmischung ist beispielsweise durch horizontale und vertikale Mischung von Wohnen, Arbeiten, aber auch Versorgen und Erholen unter Nutzung und Revitalisierung vorhandener, gut erschlossener Flächen und konsequente Nachverdichtung denkbar. Mischung bedeutet aber auch eine teilweise Funktionsbereinigung, z.B. Vermeidung von Angeboten im ruhenden Verkehr (Parkhäuser), die über den unmittelbaren Bedarf des Gebietes hinausgehen. Zur Erzielung eines qualitativ ausreichenden Angebotes, das die Bedürfnisse der Bewohner tatsächlich abdecken kann und angenommen wird, ist eine derartige Mischung nicht nur statistisch herzustellen, sondern den vielfältigen Bedürfnissen muß ein ebenso vielfältiges Angebot gegenüberstehen. In der Regel wird dies nur möglich sein, wenn die konzeptionellen räumlichen Einheiten den Aktionsbereichen der Bewohner möglichst gut entsprechen. Dies erfordert meist bestimmte Mindestgrößen.
Nutzungskonzepte für die Kernstadt müssen einerseits durch Nutzungspläne und Standortkonzepte auf der regionalen Ebene ergänzt werden, andererseits sind geeignete Nutzungskonzepte genauso für die zentralen Orte des Umlandes zu entwickeln. Mit der Einbeziehung der Überlegungen für die Siedlungsstruktur im Außenbereich der Regionen wird bereits die großräumige Standortstruktur angesprochen, die in das Aufgabengebiet der Raumordnung fällt.
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Gestaltungsebene Optimierung der regionalen Standortstruktur
Mittelfristig ist für die Entwicklung des Gesamtverkehrsaufwandes einer Region entscheidend, ob es gelingt, die weitere Siedlungsentwicklung durch eine Kombination aus Anreizen und restriktiven Vorgaben so zu lenken, daß Orte in einer gewissen Größenordnung entstehen. Nach der bisherigen Erfahrung (vgl. Abschnitt 3.1.4) stellt die gleichmäßige Verteilung der Bautätigkeit über die gesamte Fläche des Umlandes die verkehrsintensivste Variante dar, während die Konzentration auf wenige zentrale Orte den täglichen Verkehrsaufwand maßgeblich verringern kann. Für die Beurteilung einer Option "Verkehrsvermeidung durch regionale Standortstruktur" ist es dabei ausschlaggebend, daß die Entwicklungsperspektive für das Umland nicht nur durch Einwohnerzuwachs der Region zustandekommt, sondern durch Bautätigkeit infolge steigender Wohnansprüche oder Verdrängungswettbewerb um Geschoßflächen in den Kernstädten. Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist hierbei die Frage nach den heute für den Wohnungsbau verfügbaren Finanzmitteln, die sich auf absehbare mittlere Frist eher in privater Hand befinden dürften.
In den neuen Bundesländern allgemein und in der Metropol region Brandenburg-Berlin speziell kommt der Außenwanderung von Gewerbe und großflächigem Einzelhandel besondere Bedeutung zu: Einerseits besteht für diese Prozesse aufgrund der historischen Situation enormer Nachholbedarf, andererseits sind hier mit diesen Prozessen aufgrund von komplementären Effekten in den klassischen Standorten Umorganisationen der (als "Zielfeld" der Aktivitäten dienenden) Raumstruktur verbunden, die enorme verkehrserzeugende Wirkungen haben können (z.B. Pendeln von innen und außen, Einkauf auf der "grünen Wiese").
Gestaltungsebene Koordination
zwischen Bebauung und ÖPNV
Während der Zusammenhang zwischen Dichte und guter Ausstattung des Nahbereichs sowie den Anteilen der Eigenfortbewegung offensichtlich ist und auch keine Probleme bei den institutionellen Zuständigkeiten auftreten, wird der ÖPNV, insbesondere das Schienennetz, von ganz anderen Instanzen geplant? Dies hat eine mangelnde Abstimmung zwischen Flächennutzungs- und Verkehrsplanung zur Folge. Hier wäre dafür zu sorgen, daß der Neubau von Wohn- oder Gewerbegebieten vorrangig in den zentralen Orten an den Entwicklungsachsen erfolgt und der Anschluß an ÖPNV und Schiene schon zu Beginn der Erschließungsarbeiten und des Baubeginns vorliegt oder bis zum Erstbezug erstellt ist. Nur
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dadurch wird eine verkehrssparsame, ÖPNV-orientierte Ausrichtung der Aktionsbereiche von Nutzern neuer Wohn- und Gewerbegebiete ermöglicht. Dabei sollte auch im Bereich der Haltestellen schienengebundener öffentlicher Nahverkehrsmittel auf eine städtebauliche Verdichtung hingewirkt werden.
Diskutiert wird in diesem Zusammenhang eine baugesetzliche Neuregelung, die nicht nur die Straßenerschließung und den Stellplatznachweis fordert, sondern auch den Nachweis eines ÖPNV- bzw. im Einzelfall eines Bahnanschlusses für Güterverkehr. Dabei kann auch die Ablösung der Stellplatzbereitstellungspflicht durch den Nachweis einer ausreichenden ÖPNV-Anbindung diskutiert werden. Während die genannten Überlegungen in den Verdichtungsräumen generelle Wirkungen entfalten könnten, betreffen sie im Umland insbesondere den Verkehr zwischen den zentralen Orten, also die Relationen, auf denen genügend Verkehrsnachfrage zu erwarten ist. Für den ländlichen Raum und die tangentialen Beziehungen im Umland muß über neue Formen des ÖPNV nachgedacht werden (z.B. Taxenrufsystem), da die heute gebräuchlichen Systeme wegen der geringen Nachfragekonzentration hier kaum effizient eingesetzt werden können.
Das letztlich für die angemessene Gestaltung der räumlichen Bedingungen in der Region erforderliche Instrumentarium umfaßt weitaus mehr als planerische Kategorien (vgl. Spalte 1 der Übersicht 1): Neben die baurechtlichen Regelungen treten Kooperationsformen oder auch neue gesetzliche Regelungen für die Region als Ganzes, die durch Zuständigkeiten auch für das regionale Ordnungsrecht im Verkehr ergänzt werden sollten. Diese planerischen Neuregelungen allerdings können nur dann zur vollen Wirkung kommen, wenn sämtliche finanziellen Regelungen an die Ziele auf der regionalen Ebene angepaßt werden; in diese Überlegungen sollten auch neue preispolitische Instrumente einbezogen werden. Im einzelnen sind zu den eigentlichen Instrumenten (der Verkehrsvermeidung) die folgenden weiteren Stichworte zu nennen: Innerhalb des Zuständigkeitsgebietes einer Kommune hat die Bauleitplanung als Instrument zur Verkehrsvermeidung erhebliche Möglichkeiten, sofern sie die "Verkehrsrelevanz" der Flächennutzungen in ihre Überlegungen einbezieht und die Verkehrsfragen in die Planung integriert sowie das Spektrum der Verkehrsmaßnahmen um Aspekte von Ordnungspolitik und Preisen erweitert. Entsprechende Bedeutung kommt darüber hinaus vor dem Hintergrund der "überkom-
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munalen" Definition von Lebensräumen all jenen Regelungen zu, die dazu beitragen, die Konkurrenz zwischen Kommunen in einer Region abzubauen.
Die zumeist bestehende Konkurrenz der Kommunen vor allem um Gewerbebetriebe führt aufgrund der geltenden Baunutzungsverordnungen ganz besonders im Umland zu verkehrserzeugenden und ökologisch nicht verträglichen Strukturen. Um eine nicht nur für die einzelne Kommune, sondern für die ganze Region vorteilhafte Raumstruktur zu schaffen, ist eine Revision der institutionalisierten interkommunalen Zusammenarbeit unverzichtbar. Von großem Einfluß auf die Raumstruktur ist in diesem Zusammenhang die Gestaltung des kommunalen Finanzausgleichs. Zu denken wäre beispielsweise an eine neue Form der Ausgleichsregelungen, bei denen nicht allein Einkommensteuerzuweisungen sowie Gewerbesteueraufkommen der Kommunen zugrunde gelegt werden. Damit müßte verhindert werden, daß Gemeinden, die nicht Entwicklungsschwerpunkt sind, finanzielle Nachteile erleiden.
Neben den Instrumenten der Raum- und Stadtplanung sowie den finanziellen Ausgleichsregelungen gibt es eine Reihe weiterer gesetzlicher Regelungen, die gleichfalls wegen ihrer Verkehrsbedeutung einzubeziehen sind. Zu denken wäre beispielsweise an eine stärkere Berücksichtigung von Verkehrsgesichtspunkten überall dort, wo der Staat regelnd eingreift (z.B. bei der Wohnungsbauförderung). Zur Flankierung der Wirksamkeit dieser Bedingungen müssen auch Maßnahmen ergriffen werden, die dafür sorgen, daß der Verkehr insgesamt verträglicher, die Aufenthaltsqualität in den Städten verbessert wird und das Angebot des ÖPNV auch wirklich eine Alternative darstellt. Eng mit den Finanzfragen verbunden ist auch die Gestaltung der über die kommunalen Grenzen hinausgehenden Verkehrsverbünde, deren heute ungelöste Probleme im Rahmen der Regionalisierungdes Nahverkehrs einer generellen Lösung zugeführt werden müssen. Angesichts der für die Vermeidung von Verkehr erforderlichen generellen Umorientierung von Planungsprinzipien, Bewertungskriterien und insbesondere gesamtwirtschaftlichen Einordnungen - anstelle von betriebswirtschaftlichen Optimierungen - scheinen nahezu unüberwindliche Hürden aufgebaut. Es kommt hinzu, daß "schlüssige Beweise" für die Effizienz eines bestimmten Konzepts nur sehr schwer angetreten werden können. Für die Umsetzung von verkehrsvermeidenden
Regionalstrukturen
dürfte es deshalb von
entscheidender Bedeutung sein, für die dabei wesentlichen Grundideen zunächst überhaupt Verständnis zu wecken und darauf aufbauend Akzeptanz zu erreichen:
72
-
Große Kenntnisdefizite bestehen heute noch über Verkehrskonsequenzen
von
Standortkonzepten. Viele Beteiligte können sich nicht vorstellen, welche Vielzahl von Verflechtungen modernes Leben und Wirtschaften erfordert und welche Anforderungen daraus entstehen würden, wenn sich das Standortgefüge in "völlig freier Entfaltung" entwickelt. -
Es existieren meist keine genauen Vorstellungen über die umfassenden Gesamtkosten einzelner Standortkonzeptionen, z.B. über die Folgekosten eines "Grüne-WieseStandortes" für die Gemeinschaft, aber auch für den Endverbraucher, auf den die Wirtschaft mit ihren Konzentrationen ja große Teile der Kosten "externalisiert" - die externen Kosten im Bereich der Umweltgüter seien dabei nur am Rande erwähnt.
Selbstverständlich können derart komplexe und umfassende Fragestellungen im Rahmen dieser Studie nicht befriedigend abgedeckt werden. Hier könnte nur eine großangelegte Untersuchung für die gesamte Metropol region bessere Zahlengrundlagen liefern. Dabei existieren besonders gravierende Kenntnisdefizite für den Bereich des regionalen Wirtschafts- und Güterverkehrs, dessen von der Wirtschaft - notwendigerweise, mangels besserer Kenntnis - unwidersprochen dargestellte Engpaßprobleme oft eine nüchterne Abwägung über notwendigen oder unnötigen Verkehr völlig unmöglich machen. Nichtsdestoweniger reichen auch die bisherigen Kenntnisse über die Folgen regionaler Entwicklungen
dazu aus, bei allen räum- und verkehrsrelevanten Entscheidungen in der
gesamten Metropol region z.B. die folgenden Abprüfkriterien anzuwenden: -
Förderung der Urbanen Lebensmöglichkeiten
("Umfeldqualität", Verminderung der
Einschränkung "urbaner Qualitäten") und damit z.B. der "Eigenfortbewegung"; -
Stärkung der Nahbereiche und der regionalen Kreisläufe
bis hin zu einer zweckdienli-
chen Einbeziehung der Peripherie Brandenburgs; -
Senkung des Entfernungsaufwandes
und der Transportorientierung
bei allen Lebens-
und Wirtschaftsvorgängen; -
Steigerung der Effizienz
und der Auslastung der bestehenden Verkehrssysteme;
-
Förderung der ökonomischen Effizienz
-
langfristige Bezahlbarkeit nicht nur der Infrastruktur, sondern auch des Verkehrsbetriebes
der als "besser" eingeordneten Systeme;
und letztlich des gesamten Regionalsystems im Verkehr und bei sonstigen Infrastrukturvorleistungen.
73
3.1.7
Konzept der Verkehrsbewältigung durch Gestaltung der regionalen Raumstrukturen
3.1.7.1
Eigenverkehr der Region als Hauptproblem der regionalen Entwicklung
Stadtregionen und Ballungsräume definieren sich funktional in der Abgrenzung räumlicher Einheiten, in denen sich das Leben und Wirtschaften unserer Gesellschaft in kurzfristiger Perspektive - tägliche Arbeit, Ausbildung, Versorgung und Tagesfreizeit - vollzieht. Von der Anzahl der Aktivitäten her macht dieser lokal bezogene Verkehr etwa 6/7 aller Aktivitäten aus. Vom Aufwand her ist dieser Anteil - wegen der relativ kürzeren Wege - geringer; noch immer aber ist der Hauptanteil der ballungsraumbezogenen Verkehrsprobleme auch aus dieser Perspektive sozusagen "hausgemacht": Bei den
Personenverkehrsleistungen
beispielsweise sind über 60 vH innerregionaler Verkehr. Dieser Verkehr hat vor allem deshalb so große Bedeutung, weil er unmittelbar von der Expansion der Lebensräume abhängt und deshalb auch in Brandenburg-Berlin ein enormes Potential an Verkehrszunahme darstellt.
Wichtige weitere Erkenntnis aus der Expansion von westdeutschen Ballungsräumen ist die Fortentwicklung der klassischen Umland-Kernstadt-Beziehung: Nur noch 60 vH der Pendler fahren aus dem kleinen Ort in zentrale Orte höherer Ordnung ("Zentrale-Orte-Prinzip"), die übrigen pendeln gewissermaßen "kreuz und quer", in der Hierarchie abwärts (z.B. in die Grüne-Wiese-Standorte) oder zwischen Umland-Standorten. Diese Tendenzen wirken enorm verkehrssteigernd, weil für Verkehrsvermeidung die klassische Zentrale-Orte-Struktur ein Optimum darstellt, während die "disperse Stadt" (ohne Konzentration auf gewichtige Außenstandorte nach den Wunschvorstellungen der "dezentralen Konzentration") ein Maximum an Verkehr erzeugt. Dabei entsteht der Großteil dieses Verkehrs nicht im Berufsverkehr sondern erst im Anschluß an die Wohnstandortverlagerung als "Folgeverkehr" zu Schulen, Einkaufseinrichtungen, Freizeitplätzen. Dies unterstreicht eindeutig die Notwendigkeit,
Verkehrsbewältigungsstrategien
für die täglichen
Lebensräume zu
entwickeln, also für die ganze Metropol regi on. Abgesehen von der skizzierten Mengenproblematik-je stärker die Entwicklung in Richtung disperse Stadtregion, desto mehr Verkehrsleistung ist für das Leben und Wirtschaften in diesem Raum erforderlich - führt die Expansion in den Raum hinein zu einem Spannungsverhältnis zwischen Verursachern/Handelnden und Betroffenen, solange die überlieferte
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Verwaltungsteilung zwischen der Kernstadt und der "Expansionsfläche" Umland nicht umgestaltet wird (Beispiele):
Ursächliche Handlung Verwaltungsebene
Veränderung bei den Nutzungen
Verkehrs-Wirkung
Ebene/Raum der Hauptbelastungen
Flächengenehmigungen im Umland
Suburbanisierung (Wohnen)
Pendeln Außen Innen, höhere Entfernungen
Vorhaltung ÖPNV (Kosten), höhere Emissionen
(Bodenpreise) (Gewerbesteuer)
Außenwanderung von Gewerbe
Pendeln Innen Außen, Nicht-Affinität zum ÖPNV
stärkerer Autoverkehr, höhere Emissionen insgesamt
Außenwanderung des Einzelhandels
Zwang zur Autonutzung
höhere Emissionen, Abbau Einzelhandel innen
à
(Umland)
3.1.7.2
Konflikte
t (Kernstadt)
Metropol region Brandenburg-Berlin hat enormes Verkehrsvermeidungspotential
Die skizzierten Entwicklungen im Rahmen der räumlichen Ausdehnung der Metropol region lassen sich - schon allein wegen der Entwicklungsstaus aufgrund der Berliner Inselsituation nicht vollständig verhindern. Mit einer gestalteten Raumentwicklung
in Brandenburg-
Berlin können jedoch die zu erwartenden Verkehrswirkungen abgewandelt und folglich auch die Belastungen durch Verkehr modifiziert werden. Größenordnungen der zu erreichenden, effizienteren Verkehrsgestaltung liefern die Verkehrsschätzungen im Rahmen der empirisch fundierten Szenarien in Kapitel 3.3.5. Bei der Bewertung der hiermit möglichen Minderungen der Verkehrsorientierung, Verkehrsintensität und resultierender Belastungen sollte beachtet werden, daß ein entsprechendes räumliches Strukturkonzept den Einstieg in den Abbau der "Verkehrsspirale" darstellt. Dies ist ggfs. höher zu bewerten, als ein spektakuläres kurzfristiges Minderungsergebnis wie es z.B. durch den - nicht auf der regionalen Ebene regelbaren - Anstoß zu schneller Aktivierung der besseren Technik im Kraftfahrzeug möglich wäre. Aus der Sicht der Region wertet dies die Option verkehrsver-
75
meidende Raumstruktur
zweifellos auf; hieran schließt sich die Frage an, mit welchen
Methoden sich diese Raumstruktur denn überhaupt erreichen läßt. 3.1.7.3
Region benötigt Flächensteuerung und Integration des Verkehrs
Die Entwicklungen der Regionen produzieren, sofern sie nach dem bekannten westdeutschen Muster ablaufen, eine neuartige Struktur der Verkehrsnachfrage. Die Nachfrage folgt dem Wandel vom monozentralen Raum hin zur polyzentralen, vielfältig vernetzten Struktur. Die verfügbaren Verkehrsinstrumente
aber, sektorale Planung der Netze, Finanzierungs-
instrument GVFG (für Schienenausbau), Verkehrsverbünde "für das schnelle Erreichen des Oberzentrums", entsprechen diesen gewandelten Nachfragestrukturen nur noch unvollkommen. Mit ihrem sektoralen Herangehen ist Verkehrsplanung in der Region auf Angebotsplanung im Verkehrssystem begrenzt. Dies funktionierte gut, solange die öffentlichen Institutionen gleichzeitig "Monopolist" in diesem Angebotsbereich waren (ζ. B. Stadt des Massenverkehrs). Da im regionalen Bereich von Ubiquität der Straßen infrastruktur (Verpflichtung zur Erschließung) ausgegangen werden kann, ist dieses Monopol im Zeitalter des Individualverkehrs nicht mehr gegeben. Der Stadt und der Region fehlen also - bei Beibehaltung der sektoralen Begrenzungen - die wirksamen Eingriffe in die Kostenstrukturen des Verkehrs, aber auch die regelnden Rahmenbedingungen. Dabei ist diese Beschneidung sowohl bedingt durch die verkehrsbezogene (auf das Spezialgebiet beschränkte) Sichtweise als auch durch verwaltungsmäßige Begrenzungen (Zuständigkeiten; vgl. Abschnitt 3.1.3). Die Analyse der bisher in westdeutschen Ballungsräumen abgelaufenen Entwicklungen belegt eindringlich, daß Erscheinungen der "Verkehrsspirale" (vgl. hierzu Abbildung 3) in keiner Weise mit den Mitteln der Verkehrsplanung - in der Beschränkung auf die sektorale Infrastrukturbereitstellung - abgemindert oder gar beseitigt werden können. Dies gilt für Engpaßbeseitigung im Straßenverkehr ebenso wie für "Nahverkehrs-Investitionsstrategien", und dies wird genauso für die Aktionen im Rahmen der "Regionalisierungdes Nahverkehrs" gelten, die gleichwohl aus finanziellen Gründen in Angriff genommen werden muß. Hieraus kann gefolgert werden, daß -
zur Einbindung des Verkehrs in die Belange der Region ein Gesamtkonzept zur Gestaltung der "Raum-Zeit-Funktion" (konzeptionelle Vorbereitung der Abwicklung von
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Abbildung 3 Selbstverstärkender Prozeß aus Verschlechterung der städtischen Lebensbedingungen und Randwanderung
UMLAND
KERNGEBIET
"flaches Land" geringe Dichte wenig Ausstattung
Urbanität Dichte + Mischung •Gelegenheiten"
Siedlungstätigkeit im Umland
Orientierung auf Freiräume und Erholung
Stadtbewohner empfindet schlechte Lebensbedingungen
Wahrnehmung von Umwelt und Lebensqualität Grundstücksmarkt und Eigentumsförderung
ni
Erfahrung der Ausstattungsdefizite
r
erschlech-
dingungen Ausnutzung individueller Verkehrsmöglichkeiten
Beibehaltung der Kerns tadtorientierung
Steigerung der Verkehrsleistungen "Kernorientiert"
77
Aktivitäten und Wirtschaftsabläufen in einem regionalen Raum unter Einbeziehung gewollter
- und nicht zufällig zustandekommender - Verkehrsvorgänge) praktiziert
werden muß 14 , und
-
hierbei den Überlegungen zur Gestaltung der Raumstruktur, der gewollten Verteilung von Standorten in der Region eine enorme rahmensetzende Bedeutung zukommt, die auch weitaus mehr gestaltende Wirkung haben kann als die Bereitstellung von Verkehrswegen, die ja im heutigen System immer nur ein zusätzliches Angebot darstellen.
Eine der wenigen auf kommunaler und Landesebene verbleibenden Stellgrößen ist die regionale
Standortstruktur/Flächenzuordnung,
deren Ausprägung,
Gestaltung
und
Steuerung in den Zuständigkeitsbereich einer entsprechenden regionalen Kompetenz fallen muß. Auch wenn entsprechende "Flächensteuerung" vor dem Hintergrund des individualisierten Verkehrssystems bisher nur ein geringes Potential zu haben schien, wird ihr für die Verkehrsbewältigung der Zukunft die Schlüsselposition zukommen. Umweltziele werden vermutlich zur generellen Verteuerung des Transports zwingen. Transport könnte wieder ein echter Standortfaktor werden und "räumliche Nähe" sowie "Unnötigkeit von Verkehr" könnten wieder Bedeutung erlangen. "Verkehrsentwicklungsplanung" allerdings macht vor diesem Hintergrund nur dann Sinn, wenn sie schon bei den Standortdiskussionen und der Entwicklung von regionalen Raumkonzepten mitwirken kann. Entsprechend müßte sie zur regionalen Struktur-
und Verkehrsentwicklungsplanung
erweitert
werden.
Standpunkt erlangt besondere Bedeutung im "Umland Brandenburg", da die strukturellen Ausgangsbedingungen hier (noch!) die Konzeption einer verkehrsverringernden Flächensteuerung begünstigen. 3.1.7.4
Regionale Handlungsebene entscheidende Vorbedingung
Bereits unter 3.1.7.1 wurden die Konflikte angesprochen, die sich - unter den heutigen Rahmenbedingungen - aus Interessenlagen in der Kernstadt und konträren Interessen der Umlandstandorte bzw. des gesamten Umlandes ergeben. Die tatsächliche Existenz dieser Handlungsebenen "gegeneinander" macht zusätzlich einen Großteil der (unter eben diesen
14
Man mag beklagen, daß ein solches Konzept der Liberalität in einem Verkehrsmarkt widerspricht; wird diese Liberalität den berechtigten Umwelt- und Lebensqualität-Interessen übergeordnet, sollte man konsequenterweise allerdings den Anspruch auf "ökologisch verträglichen Verkehr" aufgeben. 78
Dieser
Rahmenbedingungen ergriffenen)
Maßnahmen ineffizient oder gar kontraproduktiv.
Beispielsweise ergreift die Kernstadt in ihrem Zentrum "Pkw-restriktive" Maßnahmen, um Individualverkehr auf den ÖPNV umzuschichten (Wunschvorstellung). Für den Berufsverkehr ist dies leidlich erfolgreich, ein Teil der Einzelhandelskunden akzeptiert dies jedoch nicht, sondern orientiert sich räumlich anders. Trifft dies nun mit Trends bei großflächigem Einzelhandel zusammen, und wird dieser Trend durch großzügige Genehmigungspraxis im "Speckgürtel" gestützt, verändert sich die räumliche Ausrichtung der "Versorgung", der Verkehr nimmt enorm zu und ist zudem auf das Auto fixiert. Zu allem Überfluß werden zusätzlich die Einzelhandelsumsätze im Zentrum der Kernstadt zurückgehen - die Gegner jeder gestaltenden Überlegung im Verkehr hätten also wieder einmal Recht behalten (Abbildung 4).
Abbildung 4
Ohnmacht lokaler Verkehrsgestaltung als Folge administrativer "Fehlschaltungen"
ZERSIEDLUNG —^
Weitere Auflösung der Zentren In den Raum hinein
Verkehrsfolgen mindern die Lebensqualität
Permanente Steigerung der Verkehrsleistungen
····· I..J Entstehung neuer Standorte Im Umland (MIV-"gerecht")
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