Wilhelm II.: Der Aufbau der Persönlichen Monarchie 1888 - 1900 [2 ed.] 9783406482298, 9783406704673, 3406482295

Der international renommierte Historiker John Röhl legt hier die Fortsetzung seiner "... unendlich kenntnisreichen

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German Pages 1437 [1438] Year 2012

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Table of contents :
Cover
Titel
Zum Buch
Über den Autor
Impressum
Widmung
Inhalt
Vorwort
Kapitel 1 Die Thronbesteigung
1. Statt einer Krönung
2. Die Charismatisierung des Kaisertums
3. Die Kosten des Kaisergedankens
4. Das «Wilhelminische Zeitalter» beginnt
Kapitel 2 Antrittsbesuche
1. Die Reise an den Peterhof
2. Der Antrittsbesuch bei den skandinavischen Höfen
3. Die Reise an die deutschen Königshöfe, nach Wien und nach Rom
4. Bedenkliche Reiselust
Kapitel 3 Der Kaiser und seine Mutter
1. Kaiserin Friedrich und Kaiser Wilhelm II.
2. Der «Kreuzzug» gegen die Kronprinzenpartei
3. Von Potsdam nach Kronberg
4. Der Nachlaß Kaiser Friedrichs III.
5. Kaiser Friedrichs Kriegstagebuch
6. Der Abbruch der Beziehung zwischen Mutter und Sohn
7. Der Einfluß der Queen Victoria
Kapitel 4 Ominöser Familienzwist: Das spannungsgeladene Verhältnis zu den englischen Verwandten
1. Die Frankfurter Rede des Kaisers
2. Der Wiener Zwischenfall
3. Die Rolle der Bismarcks und des Kaisers Franz Joseph
4. Nachwirkungen des Wiener Zwischenfalls
5. Die Admiralsuniform
6. Der Englandbesuch des Kaisers
Kapitel 5 Der junge Kaiser: Eine Skizze nach der Natur gezeichnet
1. Der Kaiser und die Staatsgeschäfte
2. Der Kaiser und das «monarchische Prinzip»
3. Der Kaiser und die deutsche Gesellschaft
Kapitel 6 Außenpolitische Anfänge
1. Der «bevorstehende Kampf mit Frankreich und Rußland»
2. Kaiser Wilhelm II. und Österreich-Ungarn
3. England, Amerika und die Kolonialpolitik
4. Die «Marinepassion» des Kaisers
Kapitel 7 Die Säulen der kaiserlichen Macht
1. Das Ministerium des Königlichen Hauses
2. Das «Militärische Gefolge»
3. Liebenau und das Oberhofmarschallamt
4. Die neuen Kabinettschefs
5. Das neue Marinekabinett
6. Generalstab und Kriegsministerium
7. «Die Umgebung des jungen Herrschers»
Kapitel 8 Die Bismarckherrschaft und ihre Gegner
1. Der Kaiser und die Bismarcks
2. Philipp Eulenburg, «der beste Freund des Kaisers»
3. Miss Love: Das Ende der Affäre
Kapitel 9 Der Beginn der Kanzlerkrise
1. Waldersee als Vertrauensmann des Kaisers
2. Erste Konflikte
3. Der «entscheidende Wendepunkt»
4. Der Konflikt Bismarck-Waldersee
5. Die Rußlandpolitik und der Besuch des Zaren Alexander
6. Waldersee fällt in Ungnade
Kapitel 10 Kaiser, Kanzler und Kartell
1. Der «Kartellkaiser»
2. Der Kanzler und das katholische Deutschland
3. Kaiserliche Erklärungen für das Kartell
4. Der Kreis der Bismarckgegner
5. Das Kesseltreiben gegen die Bismarckianer am Hofe
Kapitel 11 Verfassungs- und sozialpolitische Konflikte
1. Bismarcks Staatsstreichgedanken
2. Wilhelms Arbeiterschutzpläne
3. Konflikt im Kronrat
4. Übergang zu einem neuen System
Kapitel 12 Das Ende der Bismarckherrschaft
1. Die Taktik des Reichskanzlers
2. Der Entscheidung entgegen
3. Der «vollständige Sieg der Kaiserlichen Sache»
4. Wiederkehr der Staatsstreichgedanken
5. Die letzten Tage der Bismarckherrschaft
6. «Der große Krach»
7. Die Entlassungskrise als Machtkampf zwischen Kaiser und Kanzler
Kapitel 13 Der improvisierte Übergang: Von den Bismarcks zum Neuen Kurs
1. Nachspiel der Bismarckkrise: «Welch ein Dolchstoß für mein Herz!»
2. Der neue Reichskanzler
3. Der neue Staatssekretär des Auswärtigen Amts
4. Die neuen Minister und Staatssekretäre
5. Liebenaus Ende
Kapitel 14 In Bismarcks Fußstapfen: Die Außenpolitik des Neuen Kurses
1. Die Nichterneuerung des russischen Geheimvertrages
2. Der Kaiser und die Außenpolitik des Neuen Kurses
3. Kolonial- und flottenpolitische Anfänge
4. Der Englandbesuch vom Juli 1891
5. Wilhelm und die russisch-französische Annäherung
6. Des Kaisers Leitmotiv: «eine Art Napoleonische Suprematie» in Europa ?
Kapitel 15 Der Dualismus der Macht
1. Der Kaiser und die «verantwortliche Regierung»
2. Die erste Kanzlerkrise des Neuen Kurses
3. Der Kaiser und die Innenpolitik
4. Hinzpeter redivivus
Kapitel 16 Der Sturz der Hofgeneräle
1. Waldersees «Niedergang»
2. Versetzung als «Vizekönig» nach Stuttgart?
3. Das fatale Kaisermanöver an der Neiße
4. Waldersees Entlassung
5. Die Versetzung des Grafen von Wedel ins Auswärtige Amt
6. Der Abgang des Generaladjutanten Adolf von Wittich
Kapitel 17 Kaiser und Regierung nach der Schulgesetzkrise
1. Die Volksschulgesetzkrise in Preußen
2. Die Folgen der Ämtertrennung
3. Der Kampf um die große Armeevorlage
4. Der Kaiser und die Konservativen
Kapitel 18 Dynastische Diplomatie
1. Wilhelm II. zwischen Rußland und England
2. Die russische Hungersnot
3. Wilhelms Werben um die englische Freundschaft
4. Das «Lechzen nach Uniformen»
5. Die polnische Frage und der russische Handelsvertrag
6. Wilhelm II. und Frankreich
Kapitel 19 Das böse Erwachen
1. Das Klagelied der Kaiserin Friedrich
2. Kritik in der Königsfamilie und der Hofgesellschaft
3. Das böse Erwachen des Grafen von Waldersee
4. Bestürzung in der Wilhelmstraße
Kapitel 20 Der vorausgeahnte Untergang: Wilhelm II. und die «Öffentliche Seele» Deutschlands
1. «Es können böse Tage kommen»
2. Die «Öffentliche Seele» und der Kaiser
3. Der Vertrauensverlust bei den «staatserhaltenden» Parteien
4. Der Mißmut in der Armee
5. Von der «grenzenlosen Liebe» zum «besten aller Könige»
Kapitel 21 Caprivis Entlassung
1. Der Kaiser und sein Reichskanzler
2. Die «Versöhnung» mit Bismarck
3. Die Angriffe des Kladderadatsch
4. Die Wiederaufnahme der Staatsstreichpläne
5. Der Sturz Caprivis und Botho Eulenburgs
Kapitel 22 Familienoberhaupt
1. Die regierende Kaiserin
2. Prinz und Prinzessin Heinrich
3. Die Schwestern des Kaisers
4· Der «Herzog-Rammler» Ernst Günther von Schleswig-Holstein
5. Skandal in Schloß Glienicke
6. Aribert und Louise von Anhalt
7. Die Kotze-Affäre
Kapitel 23 Der Kaiser und der «Neueste Kurs»
1. Die Ernennung «Onkel Chlodwigs» zum Reichskanzler und Ministerpräsidenten
2. Die neuen Minister
3. Der Kaiser und die Regierung Hohenlohe
4. Die Eröffnung des Kaiser-Wilhelm-Kanals im Juni 1895
Kapitel 24 Innenpolitische Aggressionen
1. Der Volksfeind: Kaiser Wilhelm II. gegen Parlament und Nation
2. Minister- und Kanzlerkrisen
Kapitel 25 Weltpolitische Alleingänge
1. Der Kaiser und die Außenpolitik des Neuesten Kurses
2. Wilhelm II. und die skandinavische Krise
3. Der Kaiser und der Krieg in Ostasien
4. Die mißglückte Buhlerei um die Freundschaft Rußlands
5. Der Balkan und ein Blankoscheck für Österreich
Kapitel 26 England und das Gespenst der Einkreisung
1. Der Kaiser und England
2. Britische Beleidigungen
3. Die Ziele der deutschen Kolonialpolitik
4. Der Malet-Zwischenfall
5. Die Krüger-Depesche
6. Die Reaktionen auf das Kaisertelegramm
7. Der Kaiser und England nach der Krüger-Depesche
Kapitel 27 Endspiel: Der Durchbruch zur unumschränkten Entscheidungsgewalt
1. Ein Zustand hochgradiger Erregung
2. Die Bronsart-Krise und das Bolstein-Komplott
3. Konfrontation in Prökelwitz
4. Die Umgestaltung der Regierung von oben
5. Der Entscheidungskampf
6. Der Reichskanzler als «Strohpuppe» des Kaisers
Kapitel 28 Persönliche Monarchie: Wilhelm II. auf dem Höhepunkt der Macht
1. Das Gesicht des Persönlichen Regiments
2. Der Kaiser und die Staatsstreichpläne Waldersees
3. Der Kult um «Kaiser Wilhelm den Großen»
4. Die «große Komödie» um Bismarcks Tod
5. Der Kaiser als «sein eigener Reichskanzler»
6. Zweierlei Herausforderung: Zuchthausvorlage und Kanalrebellion
Kapitel 29 Der Kaiser und die Kunst
1. Wilhelm II. und die «Staatsaufgaben» der Kunst
2. Der Kaiser und die Baukunst
3. Der «Allerhöchste Lieblingswunsch»: der Bau des Berliner Doms
4. «Majestät, das geht nicht.» Paul Wallot und der Reichstagsbau
5. Der Kaiser und die Malerei
6. Die Siegesallee und die «Rinnsteinkunst»
Kapitel 30 Herausforderung: Von der Kontinental- zur Weltpolitik
1. Wilhelm und die Weltpolitik
2. Die wilhelminische Kontinentalpolitik
3. Zukunftspolitik
4. Armeniengreuel und Kretakrise
5. Wilhelms Orientreise und der Plan eines deutschen Judenstaates in Palästina
6. Die Annexion von Kiautschou
7. Prinz Heinrich von Preußen im Stillen Ozean
Kapitel 31 Der Kaiser und England
1. Wilhelm und die «welterlösende Idee» eines Bündnisses mit England
2. Der kaiserliche Kriegshetzer
3. Die Coburger Sukzession
4. Der Kaiser, Lord Salisbury und Queen Victoria
Kapitel 32 Uferlose Flottenpläne: Der Weg zum Schlachtflottenbau
1. Die «uferlosen Flottenpläne» Wilhelms II.
2. Von der Kreuzerflotte zum Schlachtflottenbau
3. Tirpitz ante portas
4. Das erste Flottengesetz
5. Der «Riesenflottenplan». Zu den Zielen des Schlachtflottenbaus unter Wilhelm II.
6. Die Flottennovelle von 1900
Kapitel 33 «Jung Deutschland, Dein Kaiser!» oder Was fehlte Wilhelm II.?
1. Das neue Jahrhundert
2. Eulenburg und die Entzauberung des Kaisertums
3. Nervenschwäche, Geistesstörung, schlechtes Blut – Was fehlte Wilhelm II.?
Anhang
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Verzeichnis der benutzten Archivbestände
Verzeichnis der Bildquellen
Personenregister
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Wilhelm II.: Der Aufbau der Persönlichen Monarchie 1888 - 1900 [2 ed.]
 9783406482298, 9783406704673, 3406482295

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John C. G. Röhl

WILHELM II. Der Aufbau der Persönlichen Monarchie 1888-1900

Verlag C.H.Beck München

Mit 55 Abbildungen Die erste Auflage dieses Buches erschien 2001.

eBook 2018 Diese Ausgabe entspricht der gedruckten 2., durchgesehenen Auflage von 2010. © John C.G. Röhl, München 2001, 2010, 2018 Umschlaggestaltung: Fritz Lüdtke, München Umschlagmotiv: Wilhelm II. in der Uniform eines englischen Admiral of the Fleet 1889, Öl auf Leinwand von Rudolf Wimmer (1849–1915). Royal Collection Trust, © Her Majesty Queen Elizabeth II 2017 ISBN Buch 978 3 406 48229 8 ISBN eBook 978 3 406 70467 3 Die gedruckte Ausgabe dieses Titels erhalten Sie im Buchhandel sowie versandkostenfrei auf unserer Website www.chbeck.de. Dort finden Sie auch unser gesamtes Programm und viele weitere Informationen.

Für

RosEMARIE

Inhalt

Vorwort Seite If Kapitel I

Die Thronbesteigung Seite 2 I r . Statt einer Krönung . . . . . . . . . . . 2. Die Charismatisierung des Kaisertums 3. Die Kosten des Kaisergedankens . . . . 4· Das «Wilhelminische Zeitalter» beginnt .

21 31 37 42

Kapite/2

Antrittsbesuche Seite 49

Die Reise an den Peterhof . . . . . . . . . . 2. Der Antrittsbesuch bei den skandinavischen Höfen . 3 . Die Reise an die deutschen Königshöfe, nach Wien und nach Rom . . . . . 4· Bedenkliche Reiselust . . . . . . . . . . . . . . . . .

I.

49 61

Kapitel;

Der Kaiser und seine Mutter Seite 73 r . Kaiserin Friedrich und Kaiser Wilhelm I I . . . .

2. 3· 4· 5· 6. 7·

Der «Kreuzzug» gegen die Kronprinzenpartei . Von Potsdam nach Kronberg . . . . Der Nachlaß Kaiser Friedrichs 111. Kaiser Friedrichs Kriegstagebuch . . Der Abbruch der Beziehung zwischen Mutter und Sohn . Der Einfluß der Queen Victoria . . . . . . . . . . . . . . .

73 75 8o 83 86 88

91

Kapite/4

Ominöser Familienzwist: Das spannungsgeladene Verhältnis zu den englischen Verwandten Seite 97 r . Die Frankfurter Rede des Kaisers 2. Der Wiener Zwischenfall . . . . . . .

97 IOI

8 3· 4· 5. 6.

Inhalt

Die Rolle der Bismarcks und des Kaisers Franz Joseph Nachwirkungen des Wiener Zwischenfalls Die Admiralsuniform . . . . . . Der Englandbesuch des Kaisers . . . .

I 09 II5 I 27 I30

Kapitel 5

Der junge Kaiser: Eine Skizze nach der Natur gezeichnet Seite 136 I . Der Kaiser und die Staatsgeschäfte . . . . . . 2. Der Kaiser und das «monarchische Prinzip>> 3 · Der Kaiser und die deutsche Gesellschaft

I37 145 I 59

Kapitel 6

Außenpolitische Anfänge Seite 169 1. 2. 3· 4·

Der «bevorstehende Kampf mit Frankreich und Rußland» . Kaiser Wilhelm II. und Österreich-Ungarn . England, Amerika und die Kolonialpolitik Die «Marinepassion» des Kaisers . . .

I 69 I 77 I 79 I 84

Kapitel l

Die Säulen der kaiserlichen Macht Seite 191 1. 2. 3· 4· 5. 6. 7·

Das Ministerium des Königlichen Hauses . Das «Militärische Gefolge» . . . . . . . . Liebenau und das Oberhofmarschallamt Die neuen Kabinettschefs . . . . . . Das neue Marinekabinett . . . . . . . . . Generalstab und Kriegsministerium . . . «Die Umgebung des jungen Herrschers» Kapitel S

Die Bismarckherrschaft und ihre Gegner Seite 212 1 . Der Kaiser und die Bismarcks . . . . . . . . . . . . . 2. Philipp Eulenburg, «der beste Freund des Kaisers» 3 . Miss Love: Das Ende der Affäre . . . . . . . . . . . Kapitel 9

Der Beginn der Kanzlerkrise Seite 238 1 . Waldersee als Vertrauensmann des Kaisers . 2. Erste Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . .

2I2 22 I 23 I

Inhalt 3· 4· 5· 6.

Der «entscheidende Wendepunkt>> . . . . . . . . . . . . . . Der Konflikt Bismarck-Waldersee . . . . . . . . . . . . . . Die Rußlandpolitik und der Besuch des Zaren Alexander. Waldersee fällt i n Ungnade . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9 248 254 257 264

Kapitel I O

Kaiser, Kanzler und Kartell Seite 267 r . Der «Kartellkaiser» . . . . . . . . . . . . . . . . .

2. 3. 4· 5.

Der Kanzler und das katholische Deutschland . Kaiserliche Erklärungen für das Kartell . . . . . Der Kreis der Bismarckgegner . . . . . . . . . . Das Kesseltreiben gegen die Bismarckianer am Hofe Kapitel I I

Verfassungs- und sozialpolitische Konflikte Seite 298 I.

Bismarcks Staatsstreichgedanken .

2. Wilhelms Arbeiterschutzpläne . . 3 . Konflikt im Kronrat . . . . . . . . 4· Übergang zu einem neuen System Kapitel I2

Das Ende der Bismarckherrschaft Seite 3 I 4 r . Die Taktik des Reichskanzlers . . . . . . . . . . 2. 3. 4· 5· 6. 7·

Der Entscheidung entgegen . . . . . . . . . . . . Der «vollständige Sieg der Kaiserlichen Sache» Wiederkehr der Staatsstreichgedanken . . Die letzten Tage der Bismarckherrschaft . . . . «Der große Krach» . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Entlassungskrise als Machtkampf zwischen Kaiser und Kanzler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel I3

345

Der improvisierte Übergang: Von den Bismarcks zum Neuen Kurs Seite 3 5 0 I.

2. 3· 4· 5.

Nachspiel der Bismarckkrise:

in Europa? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38I 390 400 409 4I4 4I7

Kapitel 15

Der Dualismus der Macht Seite 421 I. 2. 3· 4·

Der Kaiser und die «verantwortliche Regierung» . Die erste Kanzlerkrise des Neuen Kurses Der Kaiser und die Innenpolitik. Hinzpeter redivivus . . . .

42 I 434 448 459

Kapitel 16

Der Sturz der Hofgeneräle Seite 464 1.

2. 3· 4· 5. 6.

Waldersees «Niedergang>> . . . . . . . . . . . Versetzung als «Vizekönig» nach Stuttgart? . Das fatale Kaisermanöver an der Neiße . . . Waldersees Entlassung . . . . . . . . . . . . . Die Versetzung des Grafen von Wedel ins Auswärtige Amt Der Abgang des Generaladjutanten Adolf von Wittich

464 467 470 472 480 487

Kapitel 17

Kaiser und Regierung nach der Schulgesetzkrise Seite 492 1.

Die Volksschulgesetzkrise in Preußen . .

2. Die Folgen der Ämtertrennung . . . . . . 3 · Der Kampf um die große Armeevorlage . 4· Der Kaiser und die Konservativen . . . Kapitel 18

Dynastische Diplomatie Seite 535 I . Wilhelm II. zwischen Rußland und England 2. Die russische Hungersnot . . . . . . . . . . .

535 5 40

Inhalt

11

3 · Wilhelms Werben um die englische Freundschaft 4· Das «Lechzen nach Uniformen» . . . . . . . . . . 5· Die polnische Frage und der russische Handelsvertrag 6. Wilhelm II. und Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 19

Das böse Erwachen Seite 568 r . Das Klagelied der Kaiserin Friedrich . . . . .

2. Kritik in der Königsfamilie und der Hofgesellschaft .

3 · Das böse Erwachen des Grafen von Waldersee 4· Bestürzung in der Wilhelmstraße . . . . Kapitel 2o

Der vorausgeahnte Untergang: Wilhelm li. und die «Öffentliche Seele» Deutschlands Seite 6o8 I . «Es können böse Tage kommen» . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die «Öffentliche Seele» und der Kaiser . . . . . . . . . . . . .

3 · Der Vertrauensverlust bei den «staatserhaltenden>> Parteien 4· Der Mißmut in der Armee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5· Von der «grenzenlosen Liebe>> zum «besten aller Könige>>

6o8 6I4 628 63 3 642

Kapitel 21

Caprivis Entlassung Seite 65o I . Der Kaiser und sein Reichskanzler . 2. Die «Versöhnung» mit Bismarck . . . . 3 · Die Angriffe des Kladderadatsch . . . .

4· Die Wiederaufnahme der Staatsstreichpläne . Der Sturz Caprivis und Botho Eulenburgs



Kapitel 22

Familienoberhaupt Seite 693 I . Die regierende Kaiserin . . . . 2. Prinz und Prinzessin Heinrich . . . .

3 · Die Schwestern des Kaisers . . . . . . 4· Der «Herzog-Rammler>> Ernst Günther von Schleswig-Holstein . . . . . . . . 5· Skandal in Schloß Glienicke . . . 6. Aribert und Louise von Anhalt . 7· Die Kotze-Affäre . . . . . . . . .

728 737 740 74 I

I2

Inhalt

Kapitel 23

Der Kaiser und der «Neueste Kurs» Seite 756

Die Ernennung «Onkel Chlodwigs>> zum Reichskanzler und Ministerpräsidenten . . . . . . . . . . . . . . 2. Die neuen Minister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 · Der Kaiser und die Regierung Hohenlohe . . . . . . . . . 4· Die Eröffnung des Kaiser-Wilhelm-Kanals im Juni 1 89 5 I.

756 76 1 767 773

Kapitel 24

Innenpolitische Aggressionen Seite 780

Der Volksfeind: Kaiser Wilhelm II. gegen Parlament und Nation . . . . . . . . . . . 2. Minister- und Kanzlerkrisen . . . . . . .

I.

78 0 793

Kapitel 25

Weltpolitische Alleingänge Seite 814 I.

2. 3· 4· 5·

Der Kaiser und die Außenpolitik des Neuesten Kurses Wilhelm II. und die skandinavische Krise . . . . . . . . Der Kaiser und der Krieg i n Ostasien Die mißglückte Buhlerei um die Freundschaft Rußlands Der Balkan und ein Blankoscheck für Österreich 0



0



0











8 14 825 830 833 845

Kapitel 26

England und das Gespenst der Einkreisung Seite 852 I.

2. 3· 4· 5· 6. 7·

Der Kaiser und England . . . . . . . . . . Britische Beleidigungen . . . . . . . . . . . Die Ziele der deutschen Kolonialpolitik . Der Malet-Zwischenfall . . . . . . . . . . Die Krüger-Depesche . . . . . . . . . . . . Die Reaktionen auf das Kaisertelegramm Der Kaiser und England nach der Krüger-Depesche .

8p 857 8 64 8 67 871 8 76 882

Kapitel 27

Endspiel: Der Durchbruch zur unumschränkten Entscheidungsgewalt Seite 888

Ein Zustand hochgradiger Erregung . . . . . . . 2. Die Bronsart-Krise und das Bolstein-Komplott 3 · Konfrontation in Prökelwitz . . . . . . . . . . . . I.

888 896 906

Inhalt

IJ

4· Die Umgestaltung der Regierung von oben 5. Der Entscheidungskampf . . . . . . . . . . . 6. Der Reichskanzler als «Strohpuppe» des Kaisers .

913 923 93 1

Kapitel 28

Persönliche Monarchie: Wilhelm II. auf dem Höhepunkt der Macht Seite 935 r . Das Gesicht des Persönlichen Regiments . . . . .

2. 3· 4· 5· 6.

93 5 94 5 953 960 968

Der Kaiser und die Staatsstreichpläne Waldersees Der Kult um «Kaiser Wilhelm den Großen» Die «große Komödie» um Bismarcks Tod . . . . Der Kaiser als «sein eigener Reichskanzler» . . . Zweierlei Herausforderung: Zuchthausvorlage und Kanalrebellion . . . . . . . . . . . .

974

Kapitel 29

Der Kaiser und die Kunst Seite 985 r . Wilhelm II. und die «Staatsaufgaben» der Kunst .

2. Der Kaiser und die Baukunst . . . . . . . . . . . . 3 · Der «Allerhöchste Lieblingswunsch>>: der Bau des Berliner Doms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4· «Majestät, das geht nicht.>> Paul Wallot und der

Reichstagsbau . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 . Der Kaiser und die Malerei . . . . . . . . . 6. Die Siegesallee und die «Rinnsteinkunst>> .

. 1 003 . 1 008 . 1016

Kapitel 3o

Herausforderung: Von der Kontinental- zur Weltpolitik Seite 1027 r . Wilhelm und die Weltpolitik . . . . . .

Die wilhelminische Kontinentalpolitik Zukunftspolitik . . . . . . . . . . . . . . Armeniengreuel und Kretakrise . . . . . Wilhelms Orientreise und der Plan eines deutschen Judenstaates in Palästina . . . . . . . . . . . . . 6. Die Annexion von Kiautschou . . . . . . . . . 7· Prinz Heinrich von Preußen im Stillen Ozean

2. 3· 4· 5.

. . . .

1 02 8 1032 1 03 8 1 042

. 1050 . 1 060 . 1 067

14

Inhalt

Kapitel JI

Der Kaiser und England Seite 1 073 1 . Wilhelm und die «welterlösende Idee» eines Bündnisses mit England . . . . . . . . . . 2. Der kaiserliche Kriegshetzer . . . . . . . . . . . . 3 · Die Coburger Sukzession . . . . . . . . . . . . . 4· Der Kaiser, Lord Salisbury und Queen Victoria

. !073 . !093 . 1 09 8 . 1 1 00

Kapitel J2

Uferlose Flottenpläne: Der Weg zum Schlachtflottenbau Seite I 1 0 9

Die «uferlosen Flottenpläne» Wilhelms II. . . . . Von der Kreuzerflotte zum Schlachtflottenbau . Tirpitz ante portas . . . . . . . . . . . . . . . . Das erste Flottengesetz . . . . . . . . . . . . . Der «Riesenflottenplan». Zu den Zielen des Schlachtflottenbaus unter Wilhelm II. 6. Die Flottennovelle von 1 900 . . . . . . . 1. 2. 3· 4· 5.

. 1 1 09 . 1113 . I 128 . 1 137 . ! 1 42 . 1 1 47

Kapitel 33

«Jung Deutschland, Dein Kaiser! » oder Was fehlte Wilhelm II. ? Seite II53 1 . Das neue Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eulenburg und die Entzauberung des Kaisertums . 3 · Nervenschwäche, Geistesstörung, schlechtes Blut Was fehlte Wilhelm II. ? . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anhang Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . Verzeichnis der benutzten Archivbestände Verzeichnis der Bildquellen . Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . .

. 1153 . 1 1 59

. I185 . 1 3 94 . 1413 . 141 5 . 1416

Vorwort

Den ersten Band dieser Biographie Wilhelms II., der die Kindheit und Jugend des künftigen Kaisers bis zu seiner Thronbesteigung behandelte, habe ich mit der Aussage Heraklits begonnen, die Seele eines Menschen sei ein ferner Kontinent, den man weder aufsuchen noch erforschen könne. Mit diesem zweiten Band über die erste Hälfte seiner langen und umstrittenen Regierung betrete ich ein Land, das ich erstmals vor vierzig Jahren aufgesucht habe und dessen Bewohner mir zum Teil vertrauter erscheinen als meine eigenen Zeitgenossen. Nicht nur für mein erstes Buch Deutschland ohne Bismarck,1 sondern auch während meiner lang­ jährigen Tätigkeit als Herausgeber der dreibändigen Edition der Korre­ spondenz Philipp Eulenburgs,2 des besten Freundes Wilhelms II., habe ich mich intensiv mit den Ereignissen und Gestalten jener Übergangs­ epoche zwischen Bismarck und Bülow auseinandergesetzt und die bei­ nahe unüberschaubare Fülle der hinterlassenen Briefe, Tagebücher und Aufzeichnungen des Kaisers und der kaiserlichen Familie, der in- und ausländischen Staatsmänner und Diplomaten der Zeit, die in öffentlichen und privaten Archiven lagern, durchgesehen. Schon bei der Archivforschung für diese frühen Studien wurde mir, entgegen der Überzeugung der Fachhistoriker, unabweisbar klar, daß Wilhelm II. eine Schlüsselfigur der neueren deutschen Geschichte auf ihrem fatalen Weg von Bismarck zu Hitler darstellte. Wilhelms narziß­ tische Gefühlskälte, sein dynastischer Dünkel, seine extrem aggressive Haltung gegenüber der bundesstaatliehen Reichsverfassung, dem Parla­ mentarismus, dem politischen Katholizismus, der Sozialdemokratie, der jüdischen Minderheit und den überall, selbst bei den Konservativen, spürbar werdenden demokratischen Bestrebungen verleiteten ihn von Anfang an zu den verletzendsten Äußerungen gegenüber der Mehrheit seines eigenen Volkes, die sehr rasch den Hohenzollernthron ins Wan­ ken brachten. Seine Ruhmsucht, sein Hypernationalismus, sein ausge­ prägter Militarismus und seine Passion für die Marine bildeten den Aus­ gangspunkt eines atemberaubenden langfristigen Strebens, das Deutsche Kaiserreich zur ersten Großmacht der Welt - zur europäischen Welt­ macht - zu erheben, was für die untereinander weitgehend verfeindeten Weltmächte Rußland, Frankreich und Großbritannien eine lebensgefähr­ liche Bedrohung bedeutete und sie zu einem Zusammenschluß gegen die ihnen gemeinsam dräuende Gefahr bewog. Solche Erkenntnisse setzten sich zwar im Zuge der großen Kontro­ verse der r96oer und 1 97oer Jahre um die Thesen Fritz Fischers für das

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Vorwort

wilhelminische Deutschland im allgemeinen durch; die entscheidende Rolle aber, die Wilhelm II. bei der Einleitung dieser illusionistischen und selbstzerstörerischen Welt- und Flottenpolitik gespielt hat, wurde ver­ kannt und sogar - trotz der überwältigenden Fülle von Quellenbelegen - vehement verneint. Der letzte Kaiser, so hieß es links wie rechts, sei ein bloßer Schattenkaiser gewesen, zu impulsiv, um wirksam in die Poli­ tik eingreifen zu können, zu lächerlich, um von der Geschichtswissen­ schaft ernst genommen zu werden.3 Die Folge einer solchen Vernachläs­ sigung war jedoch, objektiv gesehen, eine weitgehende Verschonung des Kaisers im Urteil der Historiker, denn mangels einer kritischen For­ schung blieben die zahlreichen Archivbelege unentdeckt, die Licht auf seinen wahren Charakter und sein desaströses polirisches Wirken hätten werfen können. Extrem entgegengesetzte Urteile über Wilhelm II. stan­ den unvermittelt nebeneinander im Raum - immer ein Zeichen, daß die erforderliche konsensfördernde Forschungsarbeit nicht geleistet worden ist.4 Lange Jahre hindurch blieb ich mit meinen Ansichten über die mon­ archische Verfassungswirklichkeit, die Bismarck geschaffen hatte - noch im Augenblick seiner Entlassung bezeichnete der Reichsgründer das Sy­ stem der Persönlichen Monarchie, in dem der König tatsächlich regierte, stolz als eine seiner größten Leistungen -, sowie die überragende Ent­ scheidungsgewalt Wilhelms II. nahezu allein.5 Zwar sind mehrere andere Studien, sobald sie auf empirischer Archivforschung basierten, vor allem im englischsprechenden Raum, zu ähnlichen Ergebnissen gelangt. 6 Eine generelle Revision des Geschichtsbildes jener Ära, die auf diese Erkennt­ nisse hätte folgen sollen, blieb jedoch aus.7 Also kehre ich mit diesem Band in das mir wohlbekannte Land, das preußisch-deutsche Kaiserreich der r 89oer Jahre, zurück. Mit noch rei­ cheren Quellen als bei der ersten Forschungsreise ausgestattet und von einer höheren Warte - dem kaiserlichen Hof statt dem Staatsapparat der Wilhelmstraße -, schildere ich detailgenau den Aufbau der persönlichen Machtstellung Kaiser Wilhelms II. innerhalb der in der Bismarckschen Reichsverfassung angelegten monarchisch-militaristischen Strukturen und versuche, die daraus resultierenden Konsequenzen zu ziehen. Daß es sich bei dieser Fragestellung um viel mehr als um Personengeschichte handelt, ja, daß es hierbei um einige der grundsätzlichsten Fragen der Geschichte überhaupt geht, liegt auf der Hand. Denn zweifellos hätte die deutsche Politik eine andere Wendung genommen, wenn der Macht­ kampf zwischen dem Kaiser und den obersten Staatsmännern, der das Hauptthema dieser Biographie bildet, anders ausgegangen wäre. Es geht in diesem Buch also nicht nur um Kaiser Wilhelm II., sondern auch um die Frage, wer den mächtigen deutschen Staatsapparat im Herzen Euro­ pas kontrollierte und wie die Richtlinien der Innen- und Außenpolitik bestimmt wurden. Es geht um die Überlebenschancen der monarchi­ schen Staatsform im zwanzigsten Jahrhundert. Und es geht um die Frage

Vorwort

nach der Kontinuität beziehungsweise der Zwangsläufigkeit der deut­ schen Geschichte in ihrem Verlauf von der Reichsgründung zum Dritten Reich. Die allmähliche Machtübernahme Wilhelms II. in den Jahren 1 8 89 bis 1 896 - das belegt dieser Band in aller Deutlichkeit - war nämlich alles andere als unvermeidlich, alles andere als vorgegeben. Sie war vielmehr das Ergebnis unzähliger Krisen und Machenschaften am Hohenzollern­ hof, im Offizierskorps und in den Amtsstuben der Staatsmänner und mußte fast gewaltsam gegen den zunehmend demokratischen Geist der Zeit durchgesetzt werden. Früh und eindringlich warnten nicht nur Par­ lamentarier und Journalisten, sondern auch die Reichskanzler, Staatsmi­ nister, Staatssekretäre, Geheimräte, Diplomaten, Generäle, Bundesfür­ sten, fremde Monarchen und Botschafter und sogar Mitglieder der eige­ nen Familien händeringend vor der Wiedereinführung - hundert Jahre nach der großen Französischen Revolution - einer halbabsolutistischen Persönlichen Monarchie im föderalistischen Kaiserreich in einem Zeital­ ter der industrialisierten Massengesellschaft mit seiner schrankenlosen Gedankenfreiheit und Publizität. Überall und immer aufgeschreckter zog man Vergleiche mit den gescheiterten Stuarts in England im sieb­ zehnten und den Bourbonen in Frankreich im achtzehnten Jahrhundert und sagte sowohl das Ende der Hohenzollernmonarchie als auch die Einkreisung des Reiches und einen alles zerstörenden Weltkrieg voraus. Schon bald nach dem Regierungsantritt fragte man sich allenthalben, ob denn der Allerhöchste Herr mit seinem Machtanspruch, den man als un­ zeitgemäß und gleichsam dem Cäsarenwahn entwachsen empfand, über­ haupt noch zurechnungsfähig sei, und bereits wenige Jahre später trug man sich, wie das letzte Kapitel zeigt, ernsthaft mit dem Gedanken, die Abdankung dieses Kaisers zu erzwingen. Vergebens. Schließlich erwie­ sen sich sämtliche Opponenten, so zahlreich, prominent und einfluß­ reich diese auch waren, hilflos gegenüber dem elementaren Machtwillen des jungen Herrschers mit seinen treuen Flügeladjutanten, schlauen Hofbeamten und verblendeten Günstlingen. Seit Mitte 1 896 war der dramatische Machtkampf hinter den Kulissen so gut wie vorüber, die Entscheidungsgewalt Wilhelms II. in der Innen- und Rüstungspolitik allenfalls noch durch die beiden Berliner Parlamente, den Reichstag und den Preußischen Landtag, eingeschränkt. Entsprechend dem Bismarck­ schen System der Persönlichen Monarchie war deren Meinung im Be­ reich der Außen- und Militärpolitik ohnehin nicht gefragt. Die voraus­ geahnten Folgen ließen dann auch nicht lange auf sich warten. Im Hinblick auf die noch ungeklärte Forschungslage und die Brisanz der inhärenten Grundsatzfragen habe ich mich in diesem Band wieder für einen Erzählstil entschieden, in dem die sehr aussagekräftigen Brief­ stellen und Tagebuchaufzeichnungen der Hauptkontrahenten ausführ­ lich zitiert werden. Damit kann der Leser selbst die Archivquellen ken-

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Vorwort

nenlernen, die mich zu meiner eigenen Auffassung von der wachsenden Macht und dem verderblichen Einfluß Wilhelms II. bewogen haben. Er soll sehen, daß die hier gebotene Interpretation von den dramatischen Entwicklungen hinter den glänzenden Kulissen des Kaiserreiches nicht allein die meinige ist, sondern durchaus auch die der unmittelbar Betei­ ligten war. Durch die zahlreichen in dieser Biographie angeführten Do­ kumente werden längst vergessene, seinerzeit aus guten Gründen ge­ heimgehaltene Meinungsäußerungen der Zeitgenossen Wilhelms II. zu neuem Leben erweckt und ermöglichen uns einhundert Jahre später, die Gedankenmuster, Überzeugungen, Leidenschaften, Ränkespiele und menschlichen Schwächen jener Übergangsgeneration nachzuempfinden. Sie sollen helfen, unser Verständnis für diese Kultur im Umfeld des un­ tergehenden Hohenzollernthrons und des letzten deutschen Kaisers zu vertiefen, der die elementaren Voraussetzungen für das Überleben der Monarchie in der modernen Gesellschaft nicht verstehen konnte oder wollte. Die quellennahe Darstellungsform wurde zudem deshalb gewählt, weil mehrere gedruckte Brief- und Tagebucheditionen, die nach dem Trauma von 1 9 1 8 herausgegeben wurden - laut Artikel 227 des Versailler Vertrags sollte der nach Holland geflüchtete Wilhelm als Kriegsverbre­ cher vor ein internationales Tribunal gestellt werden -, nachweislich durch schonende Auslassungen und schönfärbende Entstellungen des authentischen Textes korrumpiert worden sind. Diese Verfälschung, durch die sich bis heute ein denkbar ungenaues Geschichtsbild vor allem von Kaiser Wilhelm II. und seiner Herrschaftsweise erhalten hat, kann nur durch eine Rückkehr zu den ursprünglichen Quellen korrigiert wer­ den. Das gilt in erster Linie für die Tagebücher des ehrgeizigen, erzkon­ servativen und wohlinformierten Generals Alfred Graf von Waldersee, die 1 922-23 in einer geradezu skandalös beschönigten Fassung veröffent­ licht wurden. 8 Der Originaltext der Tagebücher mit seinen vernichten­ den Urteilen über Wilhelm II. wird in der vorliegenden Biographie erst­ mals systematisch ausgewertet; die Abweichungen von der gedruckten Version sind in den Anmerkungen nachgewiesen. Einen weiteren bedeutsamen, in Deutschland jedoch wenig beachteten Quellenbestand, der die Machtfülle Kaiser Wilhelms li. eindrucksvoll belegt, bildet die Korrespondenz seiner englischen Verwandten, die in den Royal Archives zu Windsor Castle aufbewahrt wird. Durch die Heranziehung dieser Briefschaften und ihre Einarbeitung (in deutscher Übersetzung) in die Erzählung hoffe ich ebenfalls, zur Erhellung der Persönlichkeit des letzten deutschen Kaisers und vor allem zum besseren Verständnis der internationalen Tragweite seines rastlosen politischen Handelns beigetragen zu haben. Ich danke Ihrer Majestät Queen Eliza­ beth II. für die Erlaubnis, jene Archivbestände auch für diesen Teil der Biographie auswerten zu dürfen.

Vorwort

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Wie im Vorwort zum ersten Band bereits dargelegt wurde, habe ich die Archivforschung für dieses Buch vor zwanzig Jahren aufgenommen, als ich die Eulenburg-Edition abgeschlossen hatte. Die vielen erforderli­ chen Archivaufenthalte wurden mir durch großzügige Stipendien der British Academy, der Robert Bosch Stiftung und der Robert Bosch Jubi­ läumsstiftung 1 9 8 6 im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft er­ möglicht. Nochmals danke ich an dieser Stelle auch den Archivaren der damaligen Zentralen Staatsarchive der DDR in Merseburg und Potsdam (jetzt beide in Berlin) für ihre Hilfe vor allem bei der Auswertung der Bestände des Brandenburg-Preußischen Hausarchivs und der Akten des Geheimen Zivilkabinetts. Das Bundesarchiv in Koblenz, das Bundesar­ chiv-Militärarchiv in Freiburg und das Politische Archiv des Auswärti­ gen Amtes, damals in Bonn und j etzt auch in Berlin, enthalten ebenfalls wichtige Bestände - Nachlässe bedeutender Staatsmänner und Militärs, einschlägige diplomatische Berichte und das Asservat mit den haarsträu­ bendsten Randvermerken des Kaisers, die auf Anordnung der Reichs­ kanzler und Staatssekretäre sekretiert werden mußten -, die für diese Biographie ausgewertet werden konnten; auch für diese Möglichkeit habe ich zu danken. Ganz außerordentlich dankbar bin ich S. K. H. dem Landgrafen Moritz von Hessen und dem Prinzen Rainer von Hessen für die Erlaubnis, mehrere Monate lang im Hessischen Hausarchiv arbeiten und den reichhaltigen Nachlaß der in mancher Hinsicht erstaunlich fort­ schrittlichen Mutter Wilhelms II., Victoria Kaiserin Friedrich, auch für diesen Band uneingeschränkt nutzen zu dürfen. Mein Dank gebührt fer­ ner S. D. Fürst Ferdinand von Bismarck und dem Leiter der Otto von Bismarck-Stiftung, Dr. Michael Epkenhans, für die Bereitstellung der Friedrichsruher Geheimakte über den Ankauf der Liebesbriefe Wilhelms II. an Miss Love, die, wie wir zeigen werden, zum Bruch des Kaisers mit den Bismarcks geführt haben könnten. Und last but not least: Die Ar­ chivarinnen der Royal Archives, allen voran Sheila Lady de Bellaigue, haben meine Arbeit nicht nur mit der Bereitstellung von Material, son­ dern auch mit ungewöhnlicher Sachkenntnis und klugem Rat in dan­ kenswerter Weise unterstützt und mich vor manchem Fehler bewahrt. Darüber hinaus haben mir zahlreiche Privatpersonen in ihrem Besitz befindliche Archivalien für diese Biographie zur Verfügung gestellt. Vor allem danke ich in dieser Beziehung The Earl of Lonsdale, Lowther/ Cumbria, Ramona Gräfin von Oeynhausen-Sierstorpff und Peter Graf von Wedel, Bad Driburg, Gustav Graf von Wedel, Frankfurt a.M., Her­ mann Graf Stolberg-Wernigerode, Frankfurt a.M., Karl-Wilhelm Frei­ herrn von Plettenberg, Essen, Herrn und Frau Joachim von Natzmer, München, Frau Margot Leo-Hoffmann, St. Georgen/Schwarzwald, Frau Ruth von Samen, Wennigsen/Niedersachsen, Adrian Freiherrn von Holzing-Berstett, Bollschweil/Breisgau und Freifrau von Seyfried, Oberkirch/Baden. Professor Dr. Margarete J archow, Dr. Reinhold Zilch,

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Dr. Kristin Lammerting, Dr. Anastasia Hackett, Dr. Ragnhild Fiebig­ von Hase, Hagen Graf Lambsdorff, Dr. Raphael Haugg, Dr. Thomas Otte, Dr. Roderick McLean, Dr. Annika Mombauer, Dr. Matthew Selig­ mann, Dr. Matthew Stibbe, Dr. Christopher Duggan, Dr. Lothar Höbelt, Dr. Jost Rebentisch, Miss Frances Dimond, Mr. Arthur Addington, Frau Liesbeth Ruitenberg, Frau Dr. Friedhild den Toom-Jacobi und Drs. Th. L. J. Verroen haben sich mit Auskünften und Materialien ebenfalls um das Buch verdient gemacht. Die Arbeiten an diesem Band der Biographie habe ich unter idealen Bedingungen im Januar 1 994 am Institute for Advanced Study in Prince­ ton beginnen und im Wissenschaftsj ahr 1 997-98 am National Humani­ ties Center in North Carolina fortsetzen können. Sodann trugen Auf­ enthalte am Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Stu­ dien in Potsdam sowie am Bellagio Study and Conference Center der Rockefeiler Foundation am Corner See erheblich zur Weiterentwicklung des Manuskripts bei. Auch meine eigene Universität an der englischen Südküste hat die Arbeit mit mehrmaliger Freistellung von der Lehr- und Verwaltungstätigkeit großzügig gefördert. Während des letzten Stadiums der Fertigstellung des Buches wurde mir das Glück zuteil, mittels eines generösen Forschungsstipendiums des britischen Arts and Humanities Research Board jene wissenschaftliche Assistenz zu sichern, ohne welche diese Studie noch lange nicht fertig geworden wäre. Annika Mombauer und vor allem Pauline von Hellermann haben mir sowohl bei der Erforschung einiger Teilaspekte der Biographie als auch bei der stilistischen Überarbeitung meiner Entwürfe in hervorragender Weise geholfen. Auch Privatdozent Dr. Holger Afflerbach, der sich im Früh­ j ahr 200 1 im Rahmen eines Feodor-Lynen-Stipendiums an der Univer­ sity of Sussex aufhielt, stand mir bei den abschließenden Arbeiten mit wertvollem Rat und großem Fachwissen zur Seite. Meine Schülerinnen und Schüler und vor allem meine altbewährten Freunde Wilhelm und Ursula Deist, Hartmut Pogge von Strandmann und Bernd und Britta Sösemann haben mir in den Stunden Mut zugesprochen, als die Arbeit nicht mehr zu bewältigen schien. Meinen Lektoren im Verlag C. H. Beck, Dr. Stefan von der Lahr und Peter Schünemann, danke ich ebenso wie Frau Dr. Franziska Jäger-von Hoeßlin für ihre genaue und einfühlsame Korrekturarbeit am fertigen Manuskript. Vor allem aber meinen Kin­ dern Stephanie, Nicky und Christoph und meiner Frau Rosemarie von Berg Röhl, der dieser Band gewidmet ist, danke ich ganz besonders herzlich für die geduldige Anteilnahme an diesem langjährigen Projekt. ]ahn Röhl

Sussex, im Juni 200 1

Kapitel 1

Die Thronbesteigung r . Statt einer Krönung

In einer anderen Monarchie hätte man nach dem Tod von zwei Kaisern binnen drei Monaten zur Stabilisierung des Thrones wohl eine glän­ zende und weihevolle Krönungszeremonie inszeniert, im komplizierten, von Bismarck konstruierten Deutschen Kaiserreich mit seinen fein aus­ tarierten Kräften wäre das jedoch eine Unmöglichkeit gewesen. Allein schon die föderalistische Struktur des Reichs mit vier Königreichen (Preußen, Bayern, Sachsen und Württemberg), sechs Großherzogtümern (Baden, Hessen-Darmstadt, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Stre­ litz, Oldenburg und Sachsen-Weimar-Eisenach), fünf Herzogtümern (Anhalt, Braunschweig, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Coburg-Gotha und Sachsen-Meiningen), sieben Fürstentümern (Lippe, Schaumburg-Lippe, Reuß Älterer und Jüngerer Linie, Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarz­ burg-Sonderhausen und Waldeck), drei freistaatliehen Hansestädten (Hamburg, Bremen und Lübeck) und dem von einem kaiserlichen Statt­ halter verwalteten Reichsland Elsaß- Lothringen schloß eine Krönung Wilhelms II. als Kaiser aus. Selbst der Gedanke, im fernen Königsberg eine Selbstkrönung als König von Preußen abzuhalten, wie sie der Großvater Wilhelm I. noch im Oktober I 8 6 I veranstaltet hatte, hätte I 8 8 8 im neuen Reich falsche Akzente gesetzt und wurde von nieman­ dem ernsthaft erwogen.1 Statt dessen wurde nach den Erschütterungen des Dreikaiserjahres auf andere Methoden zurückgegriffen, um den Ho­ henzollernthron zu stabilisieren und die Herrschaft des neunundzwan­ zigj ährigen bisherigen Kronprinzen als Deutschen Kaiser und König von Preußen zu legitimieren. Noch am 15. Juni I 8 8 8 , unmittelbar nach dem Tod seines Vaters, ließ Wilhelm II. zwei Proklamationen verlautbaren, die in aller Welt mit Spannung aufgenommen wurden, versprach man sich doch von diesen ersten Äußerungen des neunundzwanzigjährigen Herrschers einen Hin­ weis auf kommende Dinge. In dem «Armee-Befehl>> dieses Tages, seinem «ersten Wort>> an «Seine Armee>>, hob Wilhelm das besondere Verhältnis hervor, das seine «glorreichen Vorfahren>> immer schon zur Armee ge­ habt hätten. «In der Armee>>, so erklärte der neue Oberste Kriegsherr, «ist die feste unverbrüchliche Zugehörigkeit zum Kriegsherrn das Erbe, welches vom Vater auf den Sohn, von Generation zu Generation geht, und ebenso verweise Ich auf Meinen Euch Allen vor Augen stehenden Großvater, das Bild des glorreichen und ehrwürdigen Kriegsherrn, wie es

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Die Thronbesteigung

schöner und zum Herzen sprechender nicht gedacht werden kann, - auf Meinen theuren Vater, der Sich schon als Kronprinz eine Ehrenstelle in den Annalen der Armee erwarb, - und auf eine lange Reihe ruhmvoller Vorfahren, deren Namen hell in der Geschichte leuchten und deren Her­ zen warm für die Armee schlugen. So gehören wir zusammen - Ich und die Armee, - so sind wir für einander geboren und so wollen wir unauf­ löslich fest zusammenhalten, möge nach Gottes Willen Friede oder Sturm sein.>> Die Armee, so fuhr er fort, werde ihm jetzt den Eid der Treue und des Gehorsams schwören, und er gelobe seinerseits, «stets des­ sen eingedenk zu sein, daß die Augen Meiner Vorfahren aus jener Welt auf Mich hernieder sehen und daß ich Ihnen dermaleinst Rechenschaft über den Ruhm und die Ehre der Armee abzulegen haben werde ! »2 Zur gleichen Zeit ließ Wilhelm - diesmal in seiner Eigenschaft als Deutscher Kaiser - einen Erlaß > kommentierte die Kaise­ rinwitwe bissig diesen Vorgang.33 Immerhin mag Douglas' Handeln ver-

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Die Charismatisierung des Kaisertums

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ständlich scheinen, wenn man bedenkt, daß er erst kurz zuvor, am 20. Au­ gust r 8 8 8, von Wilhelm II. in den Grafenstand erhoben worden war. 34 Die Rede erklärte die Stärkung der Macht des Deutschen Reiches nach außen hin und die Festigung des kraftvollen, tatsächlich regieren­ den Monarchen im lnnern zu den beiden Leitgedanken des Kaisers. «In den denkwürdigen Thronreden, mit denen er Reichstag und Landtag im Juni eröffnete, hat sich Kaiser Wilhelm zu dem Vermächtniß seiner gro­ ßen Vorfahren bekannt>>, verkündete Douglas. «Und dieses Vermächtniß besteht in der Stärkung und Festigung des Deutschen Reiches auf der einen und Stärkung und Festigung des monarchischen Prinzips auf der anderen Seite. [ . . . ] Was Kaiser Wilhelm I. durch sein siegreiches Schwert für Deutschland erworben hat, will und wird Kaiser Wilhelm II. fest­ halten. Nicht minder will und wird er festhalten, was Kaiser Wilhelm gethan hat, um den Gedanken und das Bewußtsein einer starken Monar­ chie in die Herzen seines Volkes einzugraben. Es hat eine Zeit gegeben und diese Zeit liegt nicht fern, in welcher man über den Einfluß des Herrschers spöttelte und ihm die Rolle einer lediglich repräsentativen Figur zudiktiren wollte, wie das noch heute das Ziel der demokratischen und auf demokratische Ziele steuernden Parteien ist. Die Thaten des Kaisers Wilhelm I. haben aller Welt gezeigt, was ein kraftvoller Herr­ scher Großes zu leisten im Stande ist, und wenn jemals daran gezweifelt worden ist, heute hat Jeder, der sein Vaterland liebt, die tiefe Ueberzeu­ gung, daß Preußen nicht nur durch die Hohenzollern groß geworden ist, sondern daß auch die gesammte Zukunft Deutschlands und Preußens, ja die des Weltfriedens, mit dem Hause der Hohenzollern unzertrennlich verknüpft ist. Das ist das große Vermächtniß, das unserem erhabenen Kaiser von seinen Vorfahren überkommen ist, und er würde kein Ho­ henzoller sein, wenn er nicht die vornehmste Aufgabe seines Wirkens darin erkannte, auf dem Grunde, den seine Väter gelegt haben, weiter zu bauen, zu Deutschlands, zu Preußens Ehre und Segen.»35 Unübersehbar bildeten die persönlichen Charaktereigenschaften des Kaisers die Problemstelle dieses gewagten monarchischen Konzepts, denn in einer erblichen Monarchie kann die Fortführung geeigneter staatsmännischer Begabung von Generation zu Generation nicht ge­ währleistet werden. Allein schon aus dieser inneren Logik heraus sah sich Rottenburg bei der Ausarbeitung des Redeentwurfs gezwungen, die hervorragende persönliche Eignung Kaiser Wilhelms II. für den mäch­ tigen preußisch-deutschen Thron hervorzuheben. Daß er dabei trotz besseren Wissens in fast j edem einzelnen Punkt die Wahrheit auf den Kopf stellen mußte, steht auf einem anderen Blatt. Keineswegs zufälligerweise begann die Rede also mit einer heroischen Schilderung der außergewöhnlichen Vorbereitung Wilhelms auf sein ver­ antwortungsvolles Amt.36 Nie zuvor habe ein preußischer Prinz «mit eigenen Augen so viel vom praktischen Leben gesehen» wie Kaiser Wil-

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helm II., erklärte Douglas. Mit «einsichtiger Weisheit>> habe Kaiser Friedrich 111. «die traditionellen Schranken der abgesonderten Prinzen­ erziehung>> durchbrachen, indem er seinen Sohn in die Schule nach Kas­ sel geschickt und ihn «so mit den Kreisen des praktischen Lebens in Be­ rührung>> gebracht habe. «Es war ein kühner Versuch, den Erben des preußischen Thrones in Cassel auf die Gymnasialbank zu setzen und ihm die Aufgabe zu stellen, zu lernen, was seine Mitschüler zu lernen hatten>>, doch dank der «zähen Willensenergie>> des Prinzen sei das Ex­ periment «glänzend>> gelungen, «so daß die praktischen Eindrücke der Gymnasialzeit nunmehr auch im akademischen Leben zu Bonn nachwir­ ken und sich weiter ausgestalten>> konnten. Heute noch - so Douglas idealisierend weiter - wüßten Wilhelms Bonner Studiengenossen begei­ stert von «seinem frischen, echt kameradschaftlichen Wesen wie von sei­ ner unvergleichlich kräftigen Klinge>> zu erzählen. ,, Unser junger Kaiser hat eine gründliche wissenschaftliche Ausbildung genossen, er hat anhal­ tend und ausdauernd arbeiten gelernt, und er hat es verstanden, die Ein­ drücke des praktischen Lebens mit den Ergebnissen seiner wissenschaft­ lichen Studien auf das Glücklichste zu verbinden.>> Auf diese gelungene Erziehung in Verbindung mit der «ungewöhnlichen natürlichen Bega­ bung>> sei «ohne Zweifel das treffende Urtheil und die schnelle glück­ liche Auffassung zurückzuführen, die unseren jetzigen Kaiser zum Er­ staunen aller Derer auszeichnen, die berufen sind, geschäftlich mit ihm zu verkehren>>. Auf Kassel und Bonn sei sodann bekanntlich eine «streng militairische Schulung>> erfolgt. «Mit der zielbewußten Energie, die ihm eigen ist, und mit dem, dem Hause Hohenzollern angeborenen warmen Interesse für die Armee, [ . . . ] wurde Prinz Wilhelm ein begei­ sterter und schneidiger Soldat>>, der «gehorchen lernte [ . . . ], um dereinst befehlen zu können>>. Trotz aller Passion für das Soldatenleben lasse der Kaiser j edoch das Interesse für die bürgerlichen Angelegenheiten des Staates niemals zurücktreten. «Schon als Prinz, als er von den höchsten Beamten unserer staatlichen Verwaltung mit den Geschäften der Zivilbe­ hörden, der allgemeinen Landesverwaltung, des kirchlichen und Unter­ richtswesens, mit den wirtschaftlichen und sozialen Funktionen des Staatslebens, mit den steuerlichen, finanziellen und Etatsgrundsätzen, auf denen das Gedeihen des preußischen Staates in so hohem Maße be­ ruht, vertraut gemacht wurde, überraschte seine schnelle Auffassungs­ gabe, sein gesundes, praktisches Verständniß, sein lebhaftes, den einzel­ nen Erscheinungen auf den Grund gehendes Interesse für alle diese Dinge. So ist es auch nach der Thronbesteigung geblieben>>, versicherte der Graf. Dieser «Gesammtbildungsgang>> des Prinzen habe einen schlichten und dennoch majestätischen Königscharakter in Wilhelm hervorge­ bracht. Dank ihm habe sich bei dem jungen Herrscher «ein rastloser Thätigkeitstrieb und eine ernste Schaffensfreudigkeit>> sowie die Über-

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zeugung herausgebildet, hätten. Der Zauber der Hohenzollern, der allen drei deutschen Kaisern so eigen sei, ginge auch von Wilhelm II. aus «durch die schlichteste Natürlichkeit und Leutseligkeit, herzgewinnen­ des Wohlwollen, verbunden mit vollster Majestät>>. Kaiser Wilhelm II. kenne «keine Unthätigkeit, keine Erholung. Keine Stunde ist ihm zu früh, keine Unbequemlichkeit und Anstrengung zu groß, wenn es sich darum handelt, seine Regierungspflichten zu erfüllen. Eine durch ener­ gische Leibesübung und Mäßigkeit gestählte Gesundheit und ein durch eiserne Selbstzucht errungenes schönes Ebenmaß in allen seinen Aeuße­ rungen und Lebensgewohnheiten befähigen ihn zu einer Leistungskraft und Hingebung an seinen königlichen Beruf, welche, häufig erinnernd an unseren großen König Friedrich II. und das ideale Beispiel seines er­ habenen Großvaters fortführend, für alle Kreise unseres Volkes geradezu vorbildlich wirken muß.>> Bei allem unermüdlichen Einsatz für Land und Volk bewahre der Kaiser stets eine «unerschütterliche Ruhe>>, be­ hauptete Douglas. «Nie wird er ungeduldig, nie hastig und unruhig.>> Außerdem finde der Kaiser durch eine «wohlwollende Eintheilung sei­ nes Tages>> trotz der militärischen Anstrengungen «immer noch die aus­ giebige Zeit, um die Regierungsgeschäfte aller Ressorts mit gleicher Liebe, gleichem Interesse und gleich lebhaftem Verständniß gewissenhaft zu erledigen>>. Hervorzuheben sei ferner, daß der Kaiser «Niemand über Dinge zum Worte verstartet oder ihm sein Ohr leiht, der nicht durch sein Amt berufen ist, gerade diese Angelegenheiten ihm vorzutragen», und gerade darin liege die «nicht hoch genug zu schätzende Gewähr da­ für, daß der Kaiser allem Koterie- und Kamarillawesen entschieden feind ist, und daß er für Einflüsterungen von unberufener Seite niemals ein Ohr hat. [ . . . ] Auch die völlige Unzugänglichkeit für persönliche Schmeichelei und Liebdienerei und ein gesunder Blick für die richtige Würdigung der an ihn herantretenden, ein energisches Abweisen alles sich hervordrängenden Streberthums kennzeichnen ihn ebenso, wie auf der anderen Seite eine seltene Empfänglichkeit für ein offenes, ehrliches und wahres Wort, das der Kaiser selbst dann zu würdigen weiß, wenn es seinen persönlichen Anschauungen nicht entspricht. Das sind Eigen­ schaften des jungen Kaisers, die nicht nur seinem Charakter zur höch­ sten Ehre gereichen, sondern auch für das Land von unberechenbarem Werthe sind.» Hinzu komme noch eine «wahrhaft königliche [ . . . ] Dank­ barkeit» und eine «pietätvolle Anerkennung» für die Verdienste seiner leitenden Ratgeber. Innenpolitisch stehe der Kaiser auf dem Boden des «monarchischen Prinzips» über den Parteien erhaben. Er wolle «keine Parteiregierung>>, dazu sei sein Blick «viel zu weit und unbefangen». Er verlange von seiner Regierung «sachliches Handeln [ . . . ] und er hat es wiederholt

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ausgesprochen, daß sein Leben dem ganzen Volke gehört ohne Unter­ schied des Glaubens, der Abstammung oder der politischen Parteistel­ lung. Der Kaiser kennt nur einen Maßstab in dieser Beziehung, die treue Liebe zum Vaterlande und zum Throne. Dieser Maßstab allein entspricht dem monarchischen Prinzip. Er allein bleibt und wird blei­ ben, wenn die vergänglichen Schlagworte des j eweiligen politischen Par­ teitreibens längst verhallt sind.>> Allerdings habe Wilhelm ein starkes «> auch unter dem neuen Kaiser sicherstellen würde, so war doch nicht zu übersehen, daß auch andere Kräfte am Werk waren, welche den Mythos der Persönlichen Monarchie zur Wirk­ lichkeit werden lassen wollten. Dazu gehörte in erster Linie natürlich Kaiser Wilhelm Il. selber, der dem tatsächlichen Beginn seiner Selbst­ regierung mit Ungeduld entgegenstrebte, wie wir noch erkennen wer­ den. Aber auch andere einflußreiche Personen setzten sich aus ver­ fassungs- und konservativen gesellschaftspolitischen Gründen für eine Stärkung der monarchischen Macht ein. Auch sie plädierten dafür, unter dem dynamischen jungen Kaiser das «monarchische Prinzip>> zum «Hort der Reichsidee>> aufzubauen und als Bastion gegen die immer hö­ her steigende demokratische Flut einzusetzen. So äußerte beispielsweise der saarländische Großindustrielle Carl Freiherr von Sturnm-Halberg die Überzeugung, daß angesichts der sich zuspitzenden demokratischen Gefahr «unsere Könige absolut nicht mehr vermeiden können, ihre Per­ son gegen die auflösenden Tendenzen einzusetzen>>.38 Daß in einer sol­ chen Charismatisierung der Hohenzollernmonarchie allerdings auch große Gefahren lagen, blieb selbst dem glühendsten Royalisten nicht verborgen. Bernhard von Bülow, der künftige Reichskanzler, sprach vom «Untergehen>>, wenn der Versuch mißlingen sollte,39 und Philipp Eulenburg, der beste Freund des Kaisers, hat den verzweifelten «Alles­ oder-nichts-Charakter>> dieser innenpolitischen Krisenstrategie in den Sätzen festgehalten: «Nein, man kann unter solchen Umständen nur zu dem Resultat kommen, für den Kaiser sans phrase einzutreten. Wenn wir nicht daran arbeiten, Ihn als die Personifizierung Deutschlands zu be­ trachten - auch wenn uns seine Eigenschaften die Arbeit schwer ma­ chen! - so verlieren wir alles .>> 40 3. Die Kosten des Kaisergedankens

Die Betonung des monarchischen Prinzips, die mit der Thronbesteigung Wilhelms II. erneut anhob, fand ihr erstes hörbares Echo, indem bald nach dem Thronwechsel sowohl in Regierungskreisen als auch in der Öffentlichkeit eine lebhafte Auseinandersetzung über die Finanzverhält­ nisse des kaiserlichen Hofes begann. Jeder wußte, daß die relativ be­ scheidenen Mittel, die der preußisch-deutschen Krone unter Wilhelm I.

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zur Verfügung gestanden hatten, unter dem dynamischen neuen Herr­ scher nicht ausreichen würden. Jeder wußte auch, daß, während sich der sprichwörtlich altpreußisch-frugale Wilhelm I. eher als König von Preu­ ßen gesehen und die Kaiserwürde fast als ein etwas lästiges Ehrenamt betrachtet hatte, der Enkel ganz andere Vorstellungen von seinen Auf­ gaben als Deutscher Kaiser hatte - Vorstellungen, die von vielen Deut­ schen aller Schichten geteilt wurden. Man scheute sich nicht, Zahlen zu nennen. Nach Gesprächen mit einem «der ersten hiesigen Hofwürdenträger» (es war vermutlich Graf Stolberg) konnte der Österreichische Geschäftsträger Artbur von und zu Eissenstein-Lhotta am 29. Oktober r 8 8 8 nach Wien berichten, der alte Kaiser Wilhelm I. habe ein Privatvermögen von 24 Millionen Mark in Papieren und außerdem noch Liegenschaften im Wert von 3 Millionen Mark hinterlassen. Von den Wertpapieren habe beim Tod des Kaisers seine Witwe, Kaiserin Augusta, 3 Millionen und seine Tochter Luise, Großherzogin von Baden, r ,7 Millionen Mark erhalten, während die Liegenschaften dem Prinzen Heinrich, dem Bruder des jetzt regieren­ den Kaisers, zugefallen seien. Der Rest der Hinterlassenschaft Wilhelms I. sei dem preußischen Kronfideikommiß zugeschlagen worden. Unter Vorwissen und mit Billigung Wilhelms II. habe Kaiser Friedrich III. aus der Hinterlassenschaft Wilhelms I. den Betrag von 9 Millionen Mark herausgenommen; davon hätten beim Tode Friedrichs dessen Witwe Victoria eine Million und deren vier Töchter je 2 Millionen Mark ge­ erbt. Beide Kaiserinwitwen - Augusta und Victoria - erhielten zu­ dem eine «Wittung>> von jährlich 6oo.ooo Mark, wobei der Hofstaat der Kaiserin Augusta aus der Schatulle Wilhelms II. bestritten werde, nicht aber der der Kaiserin-Mutter, die jedoch von ihrem eigenen Ver­ mögen jährlich 2oo.ooo Mark beziehen könne. Kaiser Wilhelm II. selbst, so stellte der Geschäftsträger fest, verfüge über «ein jährliches Einkommen von 20 Millionen Mark; und zwar von q'h Millionen Zi­ villiste, und der Restbestand als Erträgnis des preußischen Kronfidei­ kommisses>>.41 Diese letztgenannten Summen reichten jedoch für die Regierungs­ weise, die Wilhelm zu pflegen gedachte, bei weitem nicht aus. Allein schon die prunkvolle, etwas schwere und überladene Innenausstattung der Schloßräume in Berlin kostete zweimal so viel wie die Renovierung des Charlottenburger Schlosses, die Friedrich und Victoria unternom­ men hatten.42 Eine neue kaiserliche Jacht wurde für viereinhalb Millio­ nen Mark bestellt.43 Die Umgestaltung und «Ausdehnung des Hofhalts überhaupt>> - bald mußten , ferner zwei Frotteure, fünf Portiers, ein Kellerdie­ ner und zwei Hoffouriere angestellt werden44 -, die im Zusammenhang mit dem rastlosen Lebensstil des jungen Kaisers standen, führte bald nach dem Thronwechsel zu Forderungen nach Erhöhung sowohl der

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Die Kosten des Kaisergedankens

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preußischen Krondotation (oder Zivilliste) als auch des «Allerhöchsten Dispositionsfonds>>, also der Summe, die dem Monarchen zur Ausfüh­ rung seiner Aufgaben in der Eigenschaft als Deutscher Kaiser zugespro­ chen wurden. Oberhofmarschall Eduard von Liebenau überzeugte den Kaiser davon, daß er vom preußischen Parlament weitere sechs Mil­ lionen Mark im Jahr anfordern sollte - er drängte außerdem auf die Her­ stellung eines Hofzugs -, während Hausminister von Wedell eine Er­ höhung der Zivilliste um drei Millionen Mark befürwortete und der Meinung war, ein solcher Antrag würde vom Landtag ohne Diskussion «glatt bewilligt» werden.45 Anfangs stießen diese Vermehrungswünsche auf den entschiedenen Widerstand Bismarcks, der von einer Parlamentsdebatte über die Kosten der Monarchie eine Gefährdung derselben befürchtete. Er mahnte, daß selbst im preußischen Landtag, wo dank des Dreiklassenwahlrechts wenigstens keine Sozialdemokraten vertreten waren, die Verhandlungen höchstens fünf Minuten dauern und keine Debatte zugelassen werden dürfe, denn «jede Discussion schädige das Ansehen der Krone»; eine Ablehnung der Forderung würde das Staatsministerium sogar zum Rücktritt nötigen. Nur die Konservativen seien mit Sicherheit für die Er­ höhung der Zivilliste zu gewinnen, und selbst unter ihnen seien mehrere, die nur «mit bangem Herzen» zustimmen würden, meinte der Kanzler. Bei den Freikonservativen seien , und die Natio­ nalliberalen seien für die Vorlage wahrscheinlich überhaupt nicht zu haben. Daß der Kaiser «große Ausgaben habe durch die 2 Kaiserinnen­ Witwen, die jede 900.000 [sie] Mark jährlich erhielten, und durch seine 5 Kinder, sei ganz klar>>, räumte er ein; eine darauf basierende Ausnah­ meforderung sei daher nur billig. «Eine dauernde Erhöhung aber, nach­ dem alle Welt wisse, daß Kaiser Wilhelm I. in 25 Jahren 27 Millionen erspart habe, würde viel böses Blut machen.» Es drohte also ausgerech­ net in dieser, dem kommenden Machtkampf zwischen Krone und Staats­ gewalt vorgreifenden Frage eine erste direkte Konfrontation zwischen Kaiser und Kanzler. Am 2. Dezember 1 8 8 8 notierte General Graf Alfred von Waldersee, der Nachfolger des alten Generalfeldmarschalls Graf von Moltke als Chef des Großen Generalstabs: «Die Angelegenheit macht [ . . . ] dem Kanzler ernste Beunruhigungen; er muß [ . . . ] bald eine Ent­ scheidung herbeiführen. [ . . . ] Das wird einen schweren Stand geben.>> 46 Schließlich wurde eine Kompromißlösung erzielt, nachdem Wilhelm II. persönlich mit nationalliberalen und freikonservativen Parteiführern (in erster Linie mit Bennigsen und Douglas) verhandelt hatte.47 Als im Februar r 8 89 die Vorlage im preußischen Abgeordnetenhaus zur Diskussion kam, plädierte der freikonservative Parteiführer Chri­ stoph von Tiedemann für die einstimmige Annahme. «Sie können über­ zeugt sein, das ganze deutsche Volk steht in dieser Frage hinter Ihnen», rief er den Parlamentariern zu. Er machte geltend, daß seit der Reichs-

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gründung die Repräsentationspflichten der preußischen Krone vor allem den süddeutschen und den außerdeutschen Staaten gegenüber enorm ge­ stiegen seien. Die Frage aufgreifend, ob nicht das Reich insgesamt «ZU einer Dotation der Kaiserkrone verpflichtet>> sei, argumentierte er, «daß die Dotation der Krone als Ehrenpflicht Preußens betrachtet werden müsse». Opposition kam nur aus den Reihen der Fortschrittspartei: Ru­ dolf von Virchow enthielt sich der Stimme, und Eugen Richter sprach sich gegen eine dauernde Erhöhung der Kronfideikommißrente um 3 , 5 Millionen Mark jährlich als nicht gerechtfertigt aus, obwohl e r die Not­ wendigkeit einer einmaligen Erhöhung anerkannte. Sowohl in den Korn­ missionsberatungen als auch im Plenum wies Richter darauf hin, daß der alte Kaiser Millionen habe sparen können, und machte geltend, daß die zusätzlichen Pflichten des Kaisertums bereits durch die Erhöhung der Krondotation von I 868 berücksichtigt worden seien. Schließlich wurde die Vorlage aber mit großer Mehrheit angenommen. Das preußische Par­ lament bewilligte eine Erhöhung der Zivilliste um jährlich 3 , 5 Millionen Mark, von I 2,2 Millionen auf I 5,7 Millionen Mark im Jahr.48 Nicht nur dieser parlamentarische Erfolg, sondern auch andere Anzei­ chen sprechen dafür, daß Bismarcks Angst vor einer allgemeinen De­ batte über den Sinn der Monarchie möglicherweise übertrieben war.49 Seit der Reichsgründung siebzehn Jahre zuvor hatte das Hohenzollern­ kaisertum selbst im Süden und Westen des Reiches und sogar in Teilen der Arbeiterschaft50 Wurzeln geschlagen. Die führende Rolle, die der energische junge Monarch als Deutscher Kaiser zu spielen beabsichtigte, entsprach durchaus einer verbreiteten Sehnsucht im Volk und im Reichs­ tag. 51 Überall war nach der Stagnation erst des alten und dann des kran­ ken Kaisers ein gewaltiger Aufschwung fühlbar, so zum Beispiel in Frankfurt am Main, wo das geplante Reichspostgebäude durch eine Allerhöchste Kabinettsordre vom 26. Januar I 8 89 mit dem Zusatz ge­ nehmigt wurde, daß darin ein «Absteigequartier für Seine Majestät» gebaut werden müsse: Die neue Wohnung kostete immerhin zwei Mil­ lionen MarkY Gleichzeitig beschloß der Reichstag den Bau eines Kai­ serpalastes in Straßburg. Die Volkstümlichkeit des Kaisergedankens war so groß, daß einige darin eine Gefährdung des bundesstaatliehen Cha­ rakters des Reiches erblickten: Der Prinzregent von Bayern sprach die Befürchtung aus, daß, wenn Wilhelm II. als Kaiser eine zusätzliche Zivil­ liste bekäme, die Zivillisten der übrigen deutschen Monarchen - wenig­ stens in ihrer bisherigen Höhe - in Frage gestellt werden könnten. Der bayerische Gesandte und Bundesratsbevollmächtigte in Berlin, Hugo Graf von Lerchenfeld-Köfering, räumte ein, daß der Kaiser gewichtige Repräsentationspflichten habe, daß diese unter dem energischen neuen Monarchen stark anschwellen würden und daß deswegen eine Remune­ ration aus Reichsmitteln tatsächlich erforderlich sei. Er plädierte den­ noch für die Beibehaltung einer «ErsatZ>>-Lösung, wie es der «Aller-

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höchste Dispositionsfonds» darstellte, und lehnte eine «förmliche Civil­ liste» im Reiche abY Auch Bismarck nahm zunächst dezidiert Stellung gegen eine Kaiserliche Zivilliste. Im August I 8 8 8 stellte er fest, er habe «noch nie von dem jetzigen Kaiser eine Aeußerung darüber gehört, noch erwarte er eine solche. Analoge Vorschläge habe er zur Zeit Kaiser Wil­ helms I. a limine bekämpft oder abgelenkt, und werde dies auch ferner thun, wenn sie an ihn kämen.»54 Trotz dieser föderativen Bedenken wuchs der Druck zugunsren einer Kaiserlichen Zivilliste weiter an. Wie der Österreichische Geschäftsträger Eissenstein im November I 8 8 8 berichten konnte, war in Kreisen der Reichstagsabgeordneten die feste Absicht vorhanden, demnächst «den Antrag auf Herstellung einer Civilliste für den Deutschen Kaiser» ein­ zubringen; die Höhe derselben solle auf jährlich 5 Millionen Mark fest­ gesetzt werden. Auch die offiziösen Zeitungen hätten schon seit einiger Zeit darauf hingewiesen, «daß der Deutsche Kaiser, Höchstwelchem in dieser Eigenschaft eine Menge von bedeutenden Auslagen zugewachsen sind, unmöglich mit den ohnehin bescheidenen Einkünften eines Königs von Preußen auskommen könne. Das Deutsche Reich habe daher die Verpflichtung, diesem Uebelstande abzuhelfen, und müßte dem Kaiser für die vielen im Interesse des ganzen Landes zu machenden Auslagen alljährlich eine bestimmte Summe zur Verfügung stellen.» Wie die regie­ rungsnahen Zeitungen betont hätten, habe Kaiser Wilhelm I. es «in Sei­ nem Zartgefühl widerstrebt, von dem Reiche die Votierung einer Civil­ liste anzunehmen, da Höchstderselbe als erster Deutscher Kaiser für Seine Person in der U eberreichung der Kaiserkrone nur ein Ehrenamt erblicken wollte, mit welchem keinerlei pekuniäre Vonheile verbunden seien». Der alte Kaiser habe aber stets hervorgehoben, daß seinen Nach­ folgern nicht zugemutet werden könne, die Auslagen, welche dem Kö­ nig von Preußen in seiner Stellung als Deutschem Kaiser erwuchsen, allein aus seinen preußischen Einnahmen zu bestreiten. Es sei daher nicht daran zu zweifeln, berichtete Eissenstein, «daß der Reichstag einen hierauf abzielenden Antrag, der aus seinem eigenen Schoße hervorgehen wird, mit Acclamation annehmen>> werde. 55 Anfang I 8 89 votierte der Reichstag für eine gewaltige Anhebung der dem Kaiser jährlich zukommenden Mittel, obwohl die preußische Kron­ dotation die Pflichten der Kaiserkrone bereits ausdrücklich mitberech­ net hatte. Zwar wurde aus Rücksicht auf den Charakter des Reiches als Monarchenbund der Name «Kaiserliche Zivilliste» gemieden, aber der I 8 74 zu diesem Zweck eingeführte sogenannte «Allerhöchste Dispositi­ onsfonds>> wurde um das Zehnfache erhöht, nämlich von 3 0o.ooo Mark auf drei Millionen Mark jährlich. Die von den beiden Parlamenten be­ willigten Gelder, die Wilhelm II. insgesamt erhielt, stiegen also unmittel­ bar nach seiner Thronbesteigung, wie Liebenau gefordert hatte, um 6,2 Millionen Mark, von I 2. 5 oo.ooo auf I 8 .7oo.ooo Mark im Jahr. 56

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Das «Wilhelminische Zeitalter» beginnt

Unübersehbar war eine neue Ära - die «Wilhelminische Epoche>>, wie sie genannt werden sollte - angebrochen. Für j eden, der Gelegenheit hatte, die Kaiserproklamationen, die Eröffnungszeremonien des Reichs­ tags und des preußischen Parlaments im Weißen Saal des Berliner Schlosses, die amtlich nachgedruckten Schmeichelreden und Huldi­ gungsadressen,57 die öffentlichen Debatten über die Anhebung der Krondotationen in Preußen und im Reich, die zahlreichen Antrittsbe­ suche an deutschen und fremden Höfen oder auch die neuartige Feier des Kaisergeburtstags zu beobachten, war offenkundig, daß die Thron­ besteigung des neunundzwanzigjährigen Kaisers kein landläufiges Ereig­ nis war, sondern einen tiefen Einschnitt in die noch junge Geschichte des Bismarckreiches bedeutete.58 Die Kombination der ererbten Macht der Hohenzollernkrone mit der jugendfrischen Energie und dem Macht­ willen, den Kaiser Wilhelm II. ausstrahlte, stellte sowohl im unmittelba­ ren politischen Bereich als auch darüber hinaus in der gesellschaftlichen und kulturellen Sphäre eine fast unbezwingbare - wenn auch vorerst noch latente - neue Kraft dar. 59 Kurz nach der Thronbesteigung erschienen in zahlreichen Städten des Reiches Schriften und Zeitungsartikel über den Kaiser, die teils aus Unwissen, teils aus Kalkül die Schönfärberei und das Wunschdenken der Donglassehen Rede fortsetzten. Der Schwäbische Merkur begrüßte schon im September 1 8 8 8 die Tatsache, daß das deutsche Volk nunmehr das bekommen habe, «was wir an der Spitze des Reiches brauchen: einen Karakter». Die Gewißheit, daß die Regierung Wilhelms li. «der seines Großvaters an Ehre und Treue nicht nachstehen werde, gewann ihm hier schnell die Herzen», schrieb das Stuttgarter Blatt. Allgemein habe sich «das Vertrauen befestigt, daß Deutschlands Geschicke auf den rechten Wegen>> seien.60 Im Sommer 1 8 89 machte die anonyme Schrift Wallende Nebel und Sonnenschein, die selbst im Urteil des Auswärtigen Amts auf eine «Verherrlichung des regierenden Kaisers» hinauslief, überall viel Aufsehen.61 Die in Karlsruhe erscheinende Badische Presse jubelte, das «jugendliche Reich [habe] nun das Glück einen Kaiser zu bekommen, der sein eigener Kanzler zu sein vermöge>>. Bisher sei, da Kaiser Wil­ helm I. «schon zu bejahrt» und «sein edler Sohn Kaiser Friedrich schon zu leidend» gewesen sei, der «segensreiche Einfluß» einer «thätigen, kraftvollen Monarchie» nicht zur vollen Entwicklung gekommen. «Aber Kaiser Wilhelm II. in seiner Jugend und Thatkraft ist für die neue Phase der Reichsentwicklung [ . . . ] der rechte Mann am rechten PlatZ.>>62 Selbst im Ausland war die Bewunderung zunächst groß. Im Sommer 1 8 89 er­ schien in Paris unter dem Titel L'Empereur Guillaume II et la premiere annee de sa regne eine für ein französisches Werk überraschend günstige

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Beurteilung des deutschen Souveräns.63 Der Verfasser dieser Schrift, Edouard Simon, war freilich ein gebürtiger Deutscher, der die französi­ sche Staatsangehörigkeit angenommen hatte, aber auch der renommierte französische Historiker Ernest Lavisse stellte in einer im Figaro ver­ öffentlichten Charakteristik des deutschen Kaisers bewundernd fest: «Regieren [regner] genügt Wilhelm II. nicht: Er will herrschen [gouver­ ner] wie seine Vorfahren, die Preußen Stück für Stück in ihren könig­ lichen Händen geformt haben.»64 Eine italienische Zeitung sprach von der großen «Liebe, [ . . . ] welche dem Hohenzollern Geschlecht und na­ mentlich dem erlauchten Haupte dieser Dynastie im deutschen Volke entgegengebracht>> werde.65 Der amerikanische Jugendfreund des Kai­ sers, Poultney Bigelow, meldete sich in einer polnischen Zeitung mit einer schmeichelhaften Charakterskizze des Kaisers zu Wort.66 Der Engländer Harold Frederic verfaßte eine «Glorifizierung>> der Jugend­ jahre Wilhelms II., die außer in Bad Hornburg und Windsor überall gut aufgenommen wurde. 67 Hinter den Kulissen des Machtapparats machten sich j edoch selbst in dieser frühesten Zeit der Wilhelminischen Ära schwere Sorgen um die neue Lage und den neuen Herrscher bemerkbar, die nie wieder verstummen sollten. Obschon der dreiundsiebzigjährige Reichsgründer noch fest im Sattel saß, hatten sich mit der Thronbesteigung Wilhelms II. am 1 5 . Juni 1 8 8 8 die Gewichte zwischen Kanzler und Kaiser merklich und nachhaltig ver­ schoben. Knapp vier Wochen nach dem Thronwechsel faßte der britische Botschafter Sir Edward Malet die grundlegende Wandlung, die sich auch ohne formelle Verfassungsänderung durch die Thronbesteigung Wil­ helms II. vollzogen hatte, zusammen und warnte mit Scharfblick vor der Brüchigkeit der Stellung Bismarcks. «Die Lage hat sich geändert: ein jun­ ger Prinz hat den Thron bestiegen. [ . . . ] Während wir uns in den letzten Jahren der Regierung Kaiser Wilhelms [1.] nur noch nach Bismarcks Ab­ sichten richten mußten, sollten wir unsere Aufmerksamkeit jetzt erheb­ lich mehr dem neuen Kaiser zuwenden. [ . . . ] Handelte es sich hierbei um ein Land, in dem Außenpolitik von der Regierung gelenkt wird und nicht vom Souverän, fiele dies nicht so sehr ins Gewicht, doch ist dies nicht der Fall. [ . . . ] Es ist daher besonders wichtig, den Kaiser auf unserer Seite zu wissen. Seine Einstellung wird eine große Rolle in der künftigen Englandpolitik des Reiches spielen. Die Stellung des Kanzlers ist nicht mehr so stark wie unter Kaiser Wilhelm, und er wird den jungen Herr­ scher sehr umwerben müssen, um seine eigene Macht zu bewahren.»68 Die würdigen Proklamationen und theatralischen Feiern der ersten Tage kontrastierten scharf mit dem hektischen, unkonventionellen Re­ gierungsstil, den Wilhelm sehr rasch an den Tag legte. Von Trauer für seinen verstorbenen Vater war wenig zu spüren; im Gegenteil, Beobach­ ter sprachen von einem Rauschzustand, der den ganzen Sommer lang andauerte. 69 Wilhelms Mutter äußerte der Queen Victoria und auch der

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Die Thronbesteigung

Kaiserin Augusta gegenüber die Ansicht, daß für den Charakter des Kai­ sers nichts hätte verderblicher sein können als die frühe Thronbestei­ gung. «>, warnte sie im April 1 8 89.70 Nicht nur Wilhelm und seine Kaiserin, auch der gesamte Hof und überhaupt der ganze neue Lebensstil seien «so weit entfernt von dem was ich für würdevoll, taktvoll . . . & fein halte ! >>71 Die meisten Beobachter waren geneigt, das «ungestüme>> Tempo, das seit Mitte Juni 1 8 8 8 in Berlin gefahren wurde, durch Wilhelms noch un­ ausgeglichene Persönlichkeit zu erklären und einen Trost darin zu er­ blicken, daß Bismarck noch im Amt war, um die Gefahren eines solchen rastlosen Regierungsstils abzuwenden. So berichtete der weise österrei­ chisch-ungarische Botschafter Szechenyi bereits drei Wochen nach dem Thronwechsel besorgt nach Wien: «Als Kaiser Friedrich 111. den Thron bestieg und kaum zur Regierung gelangt mit einem krankhaften Drang, Aenderungen und Neuerungen rasch eine auf die andere folgen ließ, so fand man dies, indem man den Schwächen der menschlichen Natur Rechnung trug, bei einem Herrscher begreiflich, der wenn auch nicht die Gewißheit so doch die Ahnung in sich tragen mußte, daß die Zeit seines Wirkens eine kurz bemessene und schnell vorübereilende sein dürfte; wenn aber ein jugendkräftiger Monarch mit einer wahrscheinlich langen Zukunft vor sich, kaum daß die sterblichen Überreste Seines Va­ ters und Vorgängers im Grabe vollends erkaltet sind, fast mit noch grö­ ßerer Hast und Eile neu organisirt, verabschiedet, pensionirt, so ist dies darnach angethan ernste Bedenken zu erwecken.>> Unter solchen Um­ ständen sei es alles andere als verwunderlich, daß man in Berlin «be­ unruhigt ist, der Zukunft nicht ohne Besorgniß entgegenblickt und daß Viele in den höheren Stellungen der Verwaltung und der Armee anfan­ gen, sich in ihrer Haut nicht mehr sicher zu fühlen>>.72 Ähnlich notierte die Baronin Spitzemberg Mitte August in ihr Tagebuch: «Ja, der junge Kaiser hetzt seine Leute schön herum, besonders die Militärs, und die Zugluft, die gegenwärtig in Berlin weht, mag manchem gefährlicher dünken als ein Feldzug! Auf das greisenhafte Tempo des alten Kaisers folgt nun unvermittelt das eines ungestümen, tatendurstigen jungen Mannes - man hat seine Freude daran, und das Aufräumen tat der Ar­ mee not. Aber stände nicht als letzter der Helden der großen Zeit unser Kanzler hinter dem jungen Draufgeher, es könnte einem ab und zu bange werden vor dem Übereifer, der allzu scharf dareinfährt.>>73 Selbst Waldersee, der auch nach dem Thronwechsel zu den engsten Beratern

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Wilhelms II. gehörte und mit am meisten von der Gunst des jungen Herrschers profitierte, machte sich Sorgen über die Ruhelosigkeit des Kaisers.74 Am 26. August 1 8 8 8 trug er in sein Tagebuch ein: «Der Kaiser ist unglaublich wenn nicht sogar maaßlos [sie] thätig, auch wohl etwas zu viel auf militärischem Gebiet. Es ist kaum Zeit zu Vorträgen übrig und also sehr schwer an den Kaiser heran zu kommen.»75 Als charakteristische «Signatur der Neuzeit» deutete Szechenyi die neuartige Feier zum Kaisergeburtstag, die im Januar I 8 8 9 eingeführt wurde. Er berichtete darüber nach Wien: «Während unter Kaiser Wil­ helm I. die Glückwünsche lediglich in den Privatgemächern des Palais entgegengenommen worden sind, und von den Vertretern des Auslandes nur die Botschafter sich daran betheiligten, findet diesmal eine große kirchliche Feier statt, welcher die Beglückwünschenden beizuwohnen haben und zu welcher auch das ganze männliche Diplomatische Corps eingeladen ist.»76 Merkwürdig empfand es der alte Botschafter auch, daß der neue Kaiser in einem Erlaß an den Reichskanzler, den er zu veröf­ fentlichen befahl, den «Allerhöchsten Dank» für die ihm anläßlich seines Geburtstages dargebrachten zahlreichen Glückwünsche aussprach.77 «Zu aller Erstaunen>> sei Fürst Bismarck zu der Kaisergeburtstagsfeier in der Schloßkapelle erschienen, und als Szechenyi zu ihm sagte, es wäre dies das erste Mal, daß er ihm bei einer Feier bei Hofe begegne, habe der Reichskanzler erwidert, es sei dies «der erste Geburtstag des gegenwärti­ gen Kaisers und käme ich nicht, so könnte mein junger Herr glauben, daß ich Ihn manquiren wolle.» Der Botschafter wertete diese bezeich­ nende Episode als «Beleg» dafür, daß Bismarck >, teilte Wilhelm ihr mit. «Hauptsächlich aber mache ich die Reise für unseren lieben Alliirten den Kaiser von Oesterreich. Ich habe die Hoffnung, daß es bei eventuellem Meinungsaustausch mir ge­ lingen wird den Czaren über die verschiedenen Phasen und Fragen mit Oesterreich zu ruhigen und vernünftigen Anschauungen zu bringen. So­ daß alsdann eine ruhigere Zeit eintreten möge, in der dann auf diploma­ tischem Wege verhandelt werden könnte, um berechtigte beiderseitige Wünsche zum Austrag zu bringen. Freilich hängt viel davon ab inwie­ fern der Kaiser [Alexander] noch die Macht wirklich in der Hand hat.>>6 Unmittelbar vor seiner Abreise nach Kiel teilte Wilhelm auch seinem «Freund>>, dem Kronprinzen Rudolf von Österreich, in «aller Offen­ heit>> das «dreifache Ziel» seiner bevorstehenden Reise zum Zaren mit. In einem Brief vom 1 2. Juli führte er aus, daß er die wirtschaftlichen und finanziellen Beziehungen zwischen Deutschland und Rußland regeln, den Streit zwischen Österreich und Rußland über Bulgarien beilegen und die bedrohliche Situation an der russisch-österreichischen Grenze beseitigen wolle.7 Auffallend kühler, ja beinahe frostig, fiel die Mitteilung der Reisepläne an die englische Großmutter aus. Hatten sich Queen Victoria und Lord Salisbury schon am 27. Juni über die Nichterwähnung Englands in der Thronrede und über Anzeichen einer Annäherung Deutschlands an Rußland gewundert,8 so machte die Königin aus ihrer Verärgerung kein Geheimnis, als die Nachricht über Wilhelms Reiseabsichten in den Zei­ tungen erschien. «Es gibt jetzt viele Gerüchte, daß Du Souveräne be­ suchen möchtest>>, schrieb sie ihrem Enkel am 3· Juli. «Ich hoffe, daß Du wenigstens noch einige Monate warten wirst, bevor Du derartige Unter­ nehmungen machst, da es noch nicht einmal 3 Wochen her ist, daß Dein geliebter Papa uns genommen wurde, und da wir alle noch so tief um ihn trauern.>>9 In seinem Antwortschreiben wies Wilhelm die Einmi­ schung der Queen entschieden zurück und gab dabei die außen- und innenpolitischen Aspekte seiner klar zu erkennen, in­ dem er die Bedeutung seines persönlichen Verhältnisses zu Franz Joseph und dem Zaren im Kampf gegen Parlamentarismus, Demokratie und So­ zialismus energisch hervorhob. , schrieb er. «Dies wird eine gute Wir­ kung auf den Frieden in Europa haben & zur Beruhigung meiner Ver­ bündeten beitragen. Ich wäre, wenn es möglich gewesen wäre, gerne später aufgebrochen; aber Staatsinteressen haben persönlichen Gefühlen gegenüber Vorrang, & das Schicksal, das manchmal über Nationen hängt, wartet nicht bis die Trauerzeit, die uns die Hofetikette vor-

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schreibt, vorüber ist. Und da ich ganz d'accord mit dem Fürsten Bis­ marck bin, erhoffe & verspreche ich mir sehr viel von diesem geplanten Treffen; da ich es als notwendig erachte, daß Monarchen sich oft treffen & sich aussprechen sollten, um sich auf die Gefahren, die dem monar­ chischen Prinzip in der ganzen Welt durch die demokratischen & repu­ blikanischen Parteien drohen, einzustellen. Es ist viel besser, daß wir Kaiser fest zusammenhalten mit Italien, als daß zwei von ihnen sich gegenseitig die Köpfe einschlagen, aus keinem irgendwie ersichtlichen Grund, außer um ein paar elende Dörfer mehr oder weniger zu ergat­ tern; was nur den Anarchisten hier wie dort den Weg bereiten würde.» Die seltsame Unterschrift «Willy I.R.>> in diesem ersten Brief als Kaiser an die englische Großmutter verriet, wie eng hier Persönliches und Fa­ miliäres mit der großen Politik verstrickt war, ein Umstand, der, wie wir sehen werden, zu unzähligen Konflikten führen sollte.10 In seinen späteren Aufzeichnungen behauptet Herbert von Bismarck, daß die Idee eines Antrittsbesuchs am Zarenhof direkt als Revancheakt gegen das britische Königshaus konzipiert worden war, und zwar noch vor dem Tod Friedrichs 111., als Queen Victoria Berlin besuchteY «Das wieder stark prävalirende antienglische Bedürfniß, der Wunsch, gleich beim Regierungsantritt zu hatte schon im Mai - kurz nach Abreise der Queen, u. nachdem Großfürst Wladimir schon Ende April in Berlin war - den Plan der baltischen Reise reifen lassen: er wurde nun nach der Beisetzung [Kaiser Friedrichs 111. am I 8 . Juni] dem Großfürst Wladimir eröffnet u. russischer Seits bereitwilligst acceptirt.»12 Diese Be­ hauptung Herben Bismarcks findet in dem schon erwähnten Brief Wil­ helms an Kronprinz Rudolf vom I 2. Juli eine Bestätigung, in dem er von der Notwendigkeit spricht, in Petersburg den Machenschaften Frank­ reichs und vor allem Englands gegen ihn ein Ende zu bereiten. Er müsse «in Petersburg die letzten Manifestationen französischer Intrigen zerstö­ ren, zu denen sich seit meiner Thronbesteigung auch noch die Intrigen Englands gesellt haben. [ . . . ] Die letzteren, die unter bestimmten Um­ ständen die Kraft und die Wirksamkeit der ersteren verstärken können, schätze ich sogar als die gefährlicheren ein>>, erklärte darin der Kaiser.13 In Wirklichkeit verließ Wilhelm II. nicht erst Ende des Monats, son­ dern schon am I J . Juli abends Berlin, um auf der Hohenzollern von Kiel aus über Stettin und Danzig nach Kronstadt zu fahren. Nur eine Woche nach dem Tod seines Vaters hatte er durch eine Allerhöchste Ordre die Pläne für die Flottenmanöver umgeworfen und der Marine befohlen, sich zu seiner Verfügung bereitzuhalten.14 Seine Mutter schrieb am I 3 · Juli in ihr Tagebuch: « Wie unpassend mir diese Reise vorkommt da 4 Wochen noch nicht verstrichen sind, kann ich garnicht sagen! Es ver­ letzt mich namenlos - u. muß im Ausland schmerzliches Befremden her­ vorrufen! - Als könnte man es nicht erwarten, sich zu zeigen, sich zu amüsiren, auszugehen, fetirt zu werden, die äußeren Ehren der neuen

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Stellung zu genießen. Es widert mich an! Natürlich wird er auch noch dazu getrieben um ihm vollends den Kopf zu verdrehen! >>15 Mit dieser Meinung stand die Kaiserinwitwe nicht allein. Der Österreichische Bot­ schafter meldete nach Wien, «nicht ohne Bedenken» frage man sich überall, «ob es denn auch nöthig war, diesen Besuch schon während der ersten Tage der Regierung anzukündigen und ihn nach Ablauf kaum eines Monats bereits auch auszuführen ? ?»16 Jedenfalls ließ die Antrittsreise des Kaisers zu den Ostseestaaten von Trauer für den gerade erst verstorbenen Vater nicht viel erkennen. Bei der Ankunft Wilhelms in Kiel standen die Admirale und Kommandan­ ten am Bahnhof und freuten sich, als der Kaiser in der von ihm selbst entworfenen neuen Kontre-Admiralsuniform dem Zug entstieg: «Das war noch nicht dagewesen! » jubelte einer der SchiffskommandantenY Im Hafen waren alle Schiffe beflaggt. Dreihundertunddreißig Schüsse wurden zum Salut für den Kaiser abgefeuert. Unter Musik und Hurra­ rufen wurde eine Flottenparade abgehalten.18 Auf der achtzehntägigen Rundreise nach St. Petersburg, Stockholm und Kopenhagen wurde die von Prinz Heinrich kommandierte kaiserliche Jacht von einem Ge­ schwader von zehn größeren Kriegsschiffen - 4 Panzerschiffen, 4 Schul­ schiffen und 2 Avisos - und einigen Torpedobooten begleitet.19 Mit dem Kaiser und seinem Bruder reisten der Staatssekretär Graf von Bismarck, der diensttuende Generaladjutant Adolf von Wittich und der Flügel­ adjutant Gustav von Kessel, der Hausminister Maximilian Freiherr von Lyncker, der Leibarzt Dr. Rudolf Leuthold, der württembergische Di­ plomat Alfred von Kiderlen-Wächter als Vertreter des Auswärtigen Amts und der Geheime Hofrat Willisch als Vorsteher des Chiffrier-Bu­ reaus, sowie der Adjutant des Prinzen Heinrich, Albert Freiherr von Seckendorff. Man segelte bewußt langsam, um nicht vor dem 19. Juli nachmittags in Petersburg einzutreffen. Die Stimmung an Bord war aus­ gelassen und ungeniert. «S.M. ist in rosigster Laune», berichtete Herbert Bismarck seinem Vater am q. Juli, gefüllt war. Die Begrüßung Alexanders 111. war herz­ lich, das «übrige Publikum war entschieden nervös vom Warten! Wir wurden auch von allen Seiten auf unsere Verspätung angeredet», meldete Kiderlen nach Berlin. «Die beiden Kaiser saßen lange apart. Unserer sprach ab und zu, dem anderen sah man an, wie er nach Themata suchte.»23 Unter den deutschen Seeoffizieren herrschte die Überzeu­ gung, daß der als «kalt» empfundene Empfang als bewußte Brüskierung des deutschen Monarchen gedacht war. Es sei «auffallend» gewesen, schrieb einer von ihnen, «daß der Zar unserem Kaiser nicht entgegen­ gefahren kam, daß nur der Sohn, nicht auch der Vater, auf der Hohen­ zollern zur Begrüßung erschienen war».24 Trotz dieses stockenden Anfangs verlief das sechstägige Programm äußerlich leidlich ab. Mittelpunkt der politischen Gespräche bildete die Privataudienz, die Herbert Bismarck am 2 2. Juli mit dem Zaren Alexan­ der hatte, in der der deutsche Außensekretär mit verblüffender Offen­ heit die intimsten Verhältnisse in der deutschen Kaiserfamilie ausführlich zur Sprache brachte. Höchst sonderbar war die Vorstellung des Zaren, daß die deutsche Kaiserwürde nicht automatisch an die Krone Preußens gebunden wäre, daß also beim Tode Kaiser Friedrichs 111. möglicher­ weise ein anderer deutscher König einen Anspruch auf die Kaiserkrone 4

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hätte geltend machen können: Er sei deshalb darauf gefaßt gewesen, daß Wilhelm II. bei seiner Thronbesteigung Schwierigkeiten haben würde. Herbert Bismarck konnte den Zaren nicht nur davon überzeugen, daß nach der Reichsverfassung die deutsche Kaiserwürde erblich an das preußische Königshaus geknüpft war, sondern auch, daß unter den vier Königen in Deutschland nur der preußische Monarch ein König aus eigener Souveränität sei, da die Könige von Bayern, Sachsen und Würt­ temberg ihre Krone erst im Unglücksjahr 1 8o6 von Napoleon erhalten hätten. Im übrigen aber, so fuhr der Staatssekretär fort, hätten die deut­ schen Reichsfürsten längst erkannt, daß «das feste Zusammenhalten der Reichsglieder den einzigen sicheren Schutzwall gegen die radikalen Ni­ vellierungsbedürfnisse und Bedrohung der monarchischen Kronrechte» bilde. Gerade deswegen hätten sich die Fürsten zu der «großartigen Demonstration ihres einmütigen Erscheinens bei der Reichstagseröff­ nung>> entschieden, durch die «das Reichsgebäude jetzt fester gefügt als je dastehe>>. Als Alexander 111. sodann auf das Verhältnis zwischen Wilhelm II. und dessen Mutter überging, antwortete der Staatssekretär äußerst frei­ mütig, daß die Entfremdung zwischen Mutter und Sohn unter der Ober­ fläche weiterhin fortbestünde und daß die verwitwete Kaiserin die allei­ nige Schuld daran trage, denn sie habe dem jetzigen Kaiser «niemals das entgegengebracht [ . . . ], was man im gewöhnlichen Leben unter mütter­ lichen Gefühlen>> verstehe. Die Kaiserin-Mutter fühle sich «ganz als Engländerin>> und habe bis zum Tode ihres Mannes ihren Lebenszweck darin gesehen, «als solche möglichst lange das ihr unsympathische Deutschland zu regieren>>. Damit nicht genug, der Kanzlersohn holte weiter aus und schilderte zynisch die Haltung der verschiedenen Mit­ glieder der kaiserlichen Familie in der Battenberg-Angelegenheit, sprach von dem Eingreifen des englischen Königshauses in dieselbe und «von den systematischen Bemühungen der Kaiserin Viktoria, den Kaiser Friedrich gegen unseren jetzigen Herrn einzunehmen. Dies datiere Jahr und Tag zurück und sei leider nicht immer erfolglos gewesen>>, führte er aus. Wilhelm II. habe ihm vor längerer Zeit einmal selbst gesagt, so er­ zählte Herbert weiter, als er «von seinen fruchtlosen Bemühungen bei seiner hohen Mutter sprach: Ich sehe, daß alles, was ich tun kann, ver­ geblich sein wird: wir stehen auf anderen Basen, meine Mutter bleibt immer Engländerin, und ich bin Preuße, wie sollen wir da kongruie­ ren?>> Damit nicht genug, der Staatssekretär sprach sodann noch «Über die Rolle der englischen Ärzte, über die Krankenpflege, über die Zwecke der Beschönigung, über die Geschäftsbehandlung, sowie über das Ge­ baren der englisch-freisinnigen Kamarilla>> während des Todeskampfes des letzten Kaisers. Er teilte dem Zaren außerdem mit, daß «der Prinz von Wales unseren Kaiser durch lästige Ratschläge behelligt» sowie «alle möglichen Wünsche bezüglich Cumberlands durch seine Frau und di-

Antrittsbesuche

rekt zur Sprache gebracht>> hätte. «> bestehe «eine Art Kultus des reinen Familien­ prinzips>>, erläuterte Herbert Bismarck dem Zaren, «und die Königin Viktoria wird als eine Art absoluter Chef aller Glieder des Koburgschen Stammes und seiner Abzweigungen angesehn>>. Ziel der englischen Poli­ tik sei es ohnehin, «auf dem Kontinent Zwist und Streit zu stiften und zum Frommen Englands die anderen Großmächte zu verhetzen». In die­ sem Sinn habe der Prinz von Wales im vorigen Herbst den jetzigen Kai­ ser bei ihm, dem Zaren, «angeschwärzt, um gegenseitiges Mißtrauen zu erwecken, und hat die Queen 3 Tage vor unserer Abreise an Kaiser Wil­ helm geschrieben, um ihn von der Fahrt hierher dringend abzuraten. Seine Majestät ist dieser ungebetenen Bevormundung aber satt und hat der Queen so klar geantwortet, daß eine Wiederholung derselben wohl kaum stattfinden dürfte.»25 Selbst derjenige, der die Preisgabe solcher intimen Familienverhältnisse an einen fremden Monarchen im Staats­ interesse gutheißt, muß über die Unbekümmertheit staunen, mit der Herbert Bismarck in dieser Unterredung von dem Schwager des Zaren sprach. Immerhin war die Zarin Maria Feodorowna die Schwester der Prinzessin von Wales. Ansonsten bestand der Rußlandbesuch aus Zeremonien, Festen und Paraden. Wilhelm und Heinrich legten Kränze auf dem Grab des ermor­ deten Zaren Alexander II. nieder.26 Die Junggesellen Herbert Bismarck und Kiderlen-Wächter, die des Nachts noch «kneipten» oder Damen­ besuche abstatteten, kamen manchmal erst gegen 6 oder 7 Uhr morgens ins Bett.U Am zweiten Tag fuhr die ganze Gesellschaft hinaus nach Krassnoje Selo, der einige Kilometer südwestlich von St. Petersburg ge­ legenen Sommerresidenz des Zaren, wo alle übernachteten. Überall wa­ ren Truppen längs der Wege aufgestellt, die nicht wie in Deutschland dreimal, sondern so lange Hurrah riefen, als irgendein Mitglied der Suite noch in Sicht war. «Es wurde einem ganz schwindlig von diesem asia­ tischen Geheul», bemerkte Kiderlen. Nach einem ausgiebigen Umritt versammelte sich die ganze Gesellschaft um ein Zelt, «wo dann großer Zapfenstreich, Gebet, Kanonenschießen etc.>> stattfanden. Am folgenden Morgen war Parade, die der Zar, wie Kiderlen berichtete, «auf einem kleinen, scheußlich dicken Gaul vorführte. Unser Kaiser führte nachher auf seinem großen eleganten Fuchse sein Regiment vor, zu allgemeiner Bewunderung der Russen.» Die Parade, bei der «nach russ. Art allerlei Extrascherze eingeschaltet» wurden, verlief glänzend. «Der weiße Zar war auch sichtlich guter Laune, die ihren Gipfel erreichte, als unser Herr beim Frühstück im Zelte auf den französ. Toast des Zaren in russischer Zunge antwortete. Dies hat überhaupt großen Eindruck bei allen Russen hervorgerufen, um so mehr als es ganz unerwartet kam. Unser Herr sagte sein Sprüchlein auch ganz stramm und ohne Anstoß», meldete Kid erlen. 28

1.

Die Reise an den Peterhof

57

Dem ursprünglichen Programm zufolge sollte die deutsche Partie nach der russischen Messe, dem gemeinsamen Frühstück und einem Ga­ ladiner am Sonntagabend, dem 2 2. Juli, wieder an Bord gehen und noch in jener Nacht gegen Stockholm abreisen. Der Aufenthalt wurde jedoch auf Wunsch Wilhelms um zwei Tage verlängert, da er an einem großen Kavallerieexerzieren teilnehmen - die speziell für den Kaiser zugeritte­ nen Pferde waren aus Berlin mittransportiert worden - und vor allem dem Zaren eines seiner Panzerschiffe zeigen wollte. Die Kavallerieübung war dem Kaiser von Großfürst Wladimir und dem Thronfolger Niko­ laus angeboten und zunächst freudig angenommen worden, dann aber kamen Wilhelm Zweifel, da er sich fragen mußte, ob der gute Eindruck des Besuchs nicht durch ein zu langes Bleiben gefährdet werden könnte. Hinzu kam, daß die Einladung nicht vom Zaren selbst - bekanntlich kein Freund des Reitens - ausgegangen war. Diese Probleme wurden zu­ nächst dadurch gelöst, daß der Zar die Einladung dann doch persönlich aussprach und gleichzeitig erklärte, nicht mit Wilhelm und Wladimir ins Lager gehen zu wollen. «Am Sonntag sagte auf einmal der Zar, der im­ mer besserer Laune wurde, er würde auch mitgehen. Da nun aber der Zar nicht gern so früh aufsteht, als es notwendig gewesen wäre, wenn man erst früh ins Lager abgefahren wäre, ging alles schon abends nach Krassnoj e, wo übernachtet wurde.» Kaiser Wilhelm war, wie Kiderlen zu berichten wußte, über diese Entwicklung nicht erbaut. «Er hatte nämlich gehofft, auf seinem Pferde ordentlich herumjagen zu können und Hindernisse zu nehmen etc., wie seinerzeit in Potsdam bei der letz­ ten Besichtigung der Husaren.» Wilhelm sei besonders unglücklich ge­ wesen über die Kommandierung des «ganz uralten» Generals Glinka zu seinem Ehrendienst - man hatte diesen Achtzigjährigen nur deshalb aus­ gewählt, weil er als einziger das Band zum Roten-Adler-Orden besaß ! und habe sich «riesig» darauf gefreut, «den Jubelgreis a Ia Albedyll über Hindernisse zu j agen». Es sei wohl ganz gut, daß dies unterblieben sei, meinte der Diplomat, «indem unser Herr die meiste Zeit fein säuberlich oben vom Zelte aus mit dem Zaren dem Exerzieren zusehen mußte. Es wäre doch nicht von günstigem Eindruck gewesen, wenn sich so ein alter russischer General den Hals gebrochen hätte.>>29 Am letzten Abend fand für Wilhelm und seinen Bruder mit den rus­ sischen Verwandten zusammen eine Familientafel statt, während die Diplomaten und Hofbeamten an der Marschallstafel teilnehmen mußten - in den Augen Kidedens «eine der törichsten Erfindungen, die es auf diesem Erdboden gibt>>. Das kaiserliche Familiendiner gipfelte in einer Schlacht mit naßgemachten Handtüchern zwischen dem Zaren und sei­ nem Sohn auf der einen Seite und Wilhelm und Heinrich auf der ande­ ren, womit nach Kidedens Meinung «jedenfalls der Lokalton des Peter­ hofer Hoflagers des Selbstherrschers aller Reussen getroffen>> war. Am Dienstagmorgen vor der Abreise besichtigten beide Kaiser je mit Ge-

Antrittsbesuche

folge noch das schön geputzte deutsche Flaggschiff Baden.30 Zu den rus­ sischen Besuchern gehörten der Großfürst Wladimir mit seiner meck­ lenburgischen Frau Marie sowie der Großfürst Sergius und dessen hes­ sische Gemahlin Ella, Schwägerin des Prinzen Heinrich und Wilhelms erste Liebe.31 «Es wurde uns nichts geschenkt», bemerkte Kiderlen, als der Besuch zu Ende war. «Trepp auf, Trepp ab mußte alles besichtigt werden, Maschinenräume, Küche, Mannschaftszimmer etc. Dann Ge­ schützexerzieren, Exerzieren der Seesoldaten mit Platzpatronen etc.»32 Der russische Hof war von den Einrichtungen und der Mannschaft ent­ sprechend «imponirt>>.33 Schließlich wurde noch einmal bei spiegelglat­ tem Wasser und hellem Sonnenschein auf der Hohenzollern gefrüh­ stückt. Bei «unablässigem Kanonendonner schieden wir in der größten Innigkeit>>, schrieb Herbert Bismarck seinem Schwager Kuno Rantzau. «Von Politik war garnicht mehr die Rede, unser Herr hat ganz dicht gehalten, u. dies stimmte wohl den Zaren so behaglich.>>34 Die Laune des deutschen Kaisers war nicht minder vergnügt. «Sei es bei der Aus­ fahrt, daß es das Gefühl war, den zeremoniellen Zwang los zu sein, sei es, daß das gute Frühstück vereint mit der Freude über den wohlgelun­ genen Besuch eine besondere Feststimmung hervorrief>>, reflektierte Kiderlen in seinem Bericht an Holstein, «kurz, S.M. war in der ausge­ lassensten Laune und klopfte einem [ . . . ] auf den Bauch, aber diesmal ganz buchstäblich genommen.>> Auf der Fahrt von Kronstadt nach Stockholm am 2 5 . Juli konnte Kiderlen seinen Gesamteindruck des Petersburger Aufenthaltes dahin zusammenfassen, daß die Russen «nie [ . . . ] so entgegenkommend, so klein, so windelweich>> gewesen seien; 35 Wenn der Antrittsbesuch Kaiser Wilhelms II. in Petersburg überhaupt als Erfolg gelten kann, so doch nur in dem Sinn, daß er nicht, wie nicht wenige befürchtet hatten, zum Desaster wurde.36 Auf beiden Seiten stellte man mit Erleichterung fest, daß man während der gesamten Zu­ sammenkunft politische Gespräche erfolgreich vermieden hatte. Der Erste Botschaftssekretär an der deutschen Botschaft in Petersburg, Graf Friedrich von Pourtales, mochte es als einen Erfolg empfinden, . Das einzige Terrain, worauf er sich eine günstige Wirkung der Mon­ archenzusammenkunft versprach, war das des persönlichen Eindrucks, schrieb Pourtales an Holstein. .39 Wie der britische Botschafter in St. Petersburg, Sir Robert Morier, in Erfahrung bringen konnte, war die Familie Alex­ anders III., dessen ganzes Leben ein häusliches sei, «outriert von dieser abscheulichen, vom Sohn gebilligten Hetze auf das Andenken des Va­ ters>>. Morier berichtete nach London von der «großen Anwiderung, die der Befehl, daß die Trauer während des Besuchs des Kaisers unter­ brochen werden sollte, sowie das Signal zur allgemeinen festlichen & fröhlichen Stimmung, hervorgerufen hatten>>. Noch verletzender sei allerdings das Benehmen Herbert Bismarcks gewesen, der - «wie im­ mer tierisch betrunken>> - in einer lauten Stimme, die man auf der anderen Straßenseite hören konnte, den frühen Tod Friedrichs als eine Erlösung begrüßt habe. «Sein Thema war, was alles über Deutschland gekommen wäre & wie die Schleusentore sich vor Demokratie & Juden & Gott weiß was allem geöffnet hätten, wenn die Regierung Kaiser Friedrichs und Kaiserin Victorias sich noch länger hingezogen hätte. Aber, fügte er hinzu, un bon petit cancer nous a sauve ! >> (« . . . ein netter kleiner Krebs hat uns gerettet! ») Diese Geschichte sei «ganz authen­ tisch, ganz charakteristisch, und hat hier tiefste Abscheu hervorgeru­ fen>>, schrieb Morier.40 Der Leibarzt des Kaisers meinte ebenfalls, daß das Ergebnis des Ruß­ landbesuchs trotz aller vorgetäuschten Freundlichkeit schlecht ausge­ fallen und daß dies dem jungen Kaiser nicht entgangen sei. In einem Ge­ spräch mit einem Mitglied der österreichisch-ungarischen Botschaft ge­ stand Leuthold: Zurückhaltung der Russen auf. Sowohl auf hoher als auch auf untergeordneter Ebene hatte er deutlich das Gefühl eines «kal­ ten Empfanges>>. Während des ganzen Aufenthalts habe sich gezeigt, «daß die russischen Marine-Offiziere keinen engeren Verkehr mit unse­ rem Korps anstrebten>>. Zwar wurden die Schiffskommandanten öfters eingeladen, aber selbst solche Zusammentreffen hätten einen «steifen Charakter>> gehabt, und von den sonstigen deutschen Offizieren wurde niemand eingeladen, was bei einem Besuch im Ausland «ganz unge­ wöhnlich>> sei. Wiederholt sei ihm aufgefallen, schrieb Senden, daß die russischen Offiziere «nicht Deutsch sprechen wollten>>, sondern «immer mit Französisch die Unterhaltung einleiteten>>. In den Kabinen der russi­ schen Offiziere hätten neben Porträts des Zaren vielfach Bilder Napo­ leons gehangen. Nirgends habe er eine deutsche Flagge wehen sehen. Insgesamt hatte er den Eindruck, «daß der kalte Empfang einer An­ regung von Oben entsprach». Man habe in Petersburg auch viel von einer mit Frankreich sympathisierenden Partei gehört, die unter Alexan­ der 111. immer einflußreicher werde.42 Von den hochgesteckten Zielen, die Wilhelm in seinen Briefen an Kai­ ser Franz Joseph, Kronprinz Rudolf, Kaiserin Augusta und Queen Vic­ toria angekündigt hatte, ging jedenfalls keines in Erfüllung. Vor der Reise hatte Waldersee die Meinung vertreten, daß der russisch-öster­ reichische Gegensatz viel zu stark sei, um anders als durch einen euro­ päischen Krieg gelöst zu werden. In einem Brief an den mit ihm be­ freundeten künftigen Kriegsminister General Verdy du Vernois sagte der Stellvertretende Generalstabschef voraus: «Es sind Anzeichen vorhan­ den, daß die Reise des Kaisers nach Rußland in der großen Politik nichts ändern wird; die Verschiedenheit der Interessen Österreichs und Ruß­ lands ist eine so bedeutende u. auf beiden Seiten die Neigung irgend etwas nachzugeben so gering, daß ein Krach unausbleiblich ist; Alles was wir erreichen werden ist ihn etwas hinzuhalten, was Bismarcks Ziel ist; daß es für uns besser wäre, ihn herbeizuführen, darüber werden wir wohl einig sein. Für den Moment scheint es den Russen noch an Geld zu fehlen, sie werden es aber finden, nachdem wir geholfen haben die Kurse zu heben.>> 43 Als der Kaiserbesuch zu Ende gegangen war, brachte Waldersee die Sache mit dem lapidaren Urteil auf den Punkt: Kaiser Wilhelm mag in Petersburg auch noch so gut gefallen haben, «das ändert aber an der ganzen Situation nichts».44

2.

Der Antrittsbesuch bei den skandinavischen Höfen

61

2. Der Antrittsbesuch bei den skandinavischen Höfen

Der viertägige Besuch in Schweden wurde zu einem unzweifelhaften Er­ folg, der - nicht zuletzt, weil der Aufenthalt am Peterhof enttäuschend ausgefallen war - auf Wilhelm II. einen bleibenden Eindruck hinterließ: Er nannte seinen fünften Sohn, der in diesen Tagen geboren wurde, nach dem König Oskar II. von Schweden und Norwegen.45 Gleich bei der Ankunft in Stockholm am 26. Juli war die kaiserliche Reisegesellschaft beeindruckt von der Schönheit der Stadt und der Herzlichkeit des Emp­ fangs.46 Der König kam der kaiserlichen Jacht entgegengefahren, und auf dem Weg in den Hafen «stand das Volk in großen Massen an den Ufern; es begrüßte unseren Kaiser in herzlichster Weise, theils vom Lande, theils von Dampfern aus. [ . . . ] Wo man hinsah, fanden wir [ . . . ] winkende Taschentücher u. freundliche Gesichter», hielt Senden fest. «Das war ganz etwas Anderes als in Rußland.>> Da die Königin von Schweden in Norwegen war, führte der Kaiser die schwedische Kronprinzessin Vik­ toria, seine Cousine aus Baden, zur Tafel.47 Rückschauend auf den Auf­ enthalt schrieb Herben Bismarck genüßlich: «Wir hatten nach dem Di­ ner in dem entzückend gelegenen Schloß Drottningholm, von wo die Rückfahrt auf dem von der sinkenden Sonne vergoldeten Mälar See mär­ chenhaft schön war, noch ein souper auf der Hohenzollern, mit Kano­ nendonner u. Feuerwerk, nachdem Mittags schon der Hafen erzittert war von dem Salutkrachen unserer dicken Panzer zur Bekräftigung der Geburt des 5 · Prinzen. Die Schweden waren äußerst innig, dem rex roll­ ten vor Rührung dicke Thränen herunter, er wurde auch gleich zum Pathen gebeten. Die Lage Stockholms ist prächtig, wohl die einzige Kö­ nigsstadt, in der die Panzerschiffe unmittelbar am Quai des imposanten Schlosses anlegen können. >> 48 Als er Ende August auf seine Ostseereise zurückblickte, war es vor allem der Aufenthalt in Stockholm, der in Wilhelm II. glückliche Erin­ nerungen wachrief. An seinen Freund Philipp Eulenburg, den Verfasser der «Skaldengesänge>>, schrieb er in schwärmerischer Begeisterung für die nordische Welt: «Was für ein bewegter Sommer war das ! Aber wie herrliche Momente brachte er mir! Was hätte ich darum gegeben, wenn Sie in Stockholm gewesen wären, als wir einliefen! Das war ein stolzes Gefühl, als wir um Sandhammer einbogen und nun durch den zauberi­ schen Gürtel der Seheeren mit dem gewaltigen Geschwader dahinzo­ gen. Sahen meine schon imposant auf dem Wasser im freien Ozean aus, wie wirkten sie erst enorm in den engen Serpentinen, durch die sie sich hindurchwanden. Und nun der Moment, als wir um die letzte Spitze bogen und die herrliche Stadt vor uns lag und das erste deutsche Geschwader seinen ehernen Gruß an den Palast des nordi­ schen Königs sandte, unter den Augen von 1 00 oooden von Menschen

Antrittsbesuche

herandampfend. Ja das war ein Moment! Mir war es, als sähe ich un­ sere alten nordischen Freunde in den Wolken mit wohlgefälligem Lä­ cheln den Zug der betrachten und sich freuen, daß ein Ge­ schlecht, ihrer würdig, in sein urangestammtes Land kam mit Mannen viel 1 000 an der Zahl! - Mir ist das ganze Stockholm wie ein Traum er­ schienen, denn ich lebte derweilen in der Zeit von Erik, Hokan und Fritjof und vergaß darob fast der Lebenden, das heißt doch nicht ganz, denn so eine Masse von schönen Mädchen und Frauen wie in Stockholm habe ich mein Lebtag noch nimmer zusammen gesehen. Und wie frisch und rosig, lustig und freundlich sahen sie alle aus. Ich dachte mir, wenn die Walküren wären, es eine wahre Lust sein müßte, Held in Walhall zu sein. Von den Schönsten geworfene Blumen hob ich zum Vergnügen des Königs auf und steckte sie ins Knopfloch, worauf der König jedesmal dieses durch Winken der holden Spenderin zeigte und großes Vergnügen hervorrief. Beim Besteigen der Telefonie - nur des Gebäudes leider standen die schönsten Telefonistinnen auf den Treppenabsätzen und streuten Blumen. Untere Etage war in Tüll montant, im obersten Stock Atlas tief ausgeschnitten angezogen, noch dazu eine schöne Rothaarige mit blendendem Teint! Was meine besondere Admiration ist! Was konnte man mehr verlangen? Antwort: Die Dunkelheit und eine Lager­ statt! - Das war das liebe Schweden. [ . . . ] Der König von Schweden hat mich a la suite seiner Marine gestellt, gerade so wie er die Uniform un­ serer trägt, also bin ich nun auch ein Stück schwedisch und rücke dem alten Yarl- und Wickingerlande noch näher.»49 König Oskar verstand es wohl, über den Germanenkult50 das Wohlwollen des neuen Herrschers des mächtigen Nachbarreichs für sein Land zu sichern. Auf dem Gala­ diner in Stockholm hielt er in Deutsch eine herzliche Ansprache auf die «Brüdervölker germanischer Abstammung, sowohl die, welche in Ger­ manien wohnen, als die, welche im Norden angesiedelt sind». 51 In seiner Dankesrede sprach der Kaiser allerdings «sehr schnell»; diese machte daher «nicht den Eindruck wie die des Königs mit seiner vornehmen Sprache».52 Für die Gefahr, die in der Vermischung dieser Wikingerromantik mit der Marineleidenschaft des Monarchen lag, hatten die deutschen Diplo­ maten zu dieser Zeit noch wenig Gespür. Jedenfalls empfand Kiderlen nur Spott bei der Enttäuschung des Kaisers darüber, daß «die zwei dick­ sten Panzerschiffe bei Oskar-Frederiksborg zurückbleiben [mußten], weil sie zuviel Tiefgang hatten, um in den Hafen einzulaufen. Und o Schmerz ! » rief er bissig aus, «in Kopenhagen müssen wir gar 3 zurück­ lassen ! >> Der Württemberger ärgerte sich nur, daß der Kaiser auch in Stockholm darauf bestand, das geblieben war. «In den Straßen von Kopenhagen wäre zwar überall bei der Vorüberfahrt des Kaisers die preußische Königshymne und die Wacht am Rhein gesungen worden, allein dies hätten die zahlreichen zur Zeit dort anwesenden Deutsche[n] besorgt, und die Dänen hätten zu diesen Kundgebungen keineswegs erfreute Mienen gezeigt.>>56 Das Mißtrauen, das ohnehin zwischen dem dänischen und dem deut­ schen Hof herrschte und das durch Briefe der Queen Victoria noch ge­ schürt wurde,57 war durch das Eintreten der weitverstreuten dänischen Königsfamilie für die Rechte des Herzogs Ernst August von Cumber­ land, dessen Vater I 866 das Königreich Hannover an Preußen abzutre­ ten gezwungen war, wieder akut geworden: Thyra - die jüngste Schwe­ ster der Zarin Maria Feodorowna, der Prinzessin Alexandra von Wales sowie des Königs von Griechenland - war mit dem welfischen Präten­ denten verheiratet. Hatten sich der Prinz und die Prinzessin von Wales in Berlin sowie die Zarin in Petersburg für die Belange ihres hannove­ ranischen Schwagers eingesetzt, so machte sich jetzt in Kopenhagen die Mutter der drei einflußreichen dänischen Prinzessinnen, die I 8 I 7 gebo­ rene Königin Luise, eine gebürtige Prinzessin von Hessen-Kassel, eben­ falls für die Interessen des Hauses Cumberland stark. Wie der Kaiser nach seiner Rückkehr nach Potsdam an seine Großmutter Augusta schrieb: «Die Kaiserin [von Rußland] war liebenswürdiger denn je, tischte mir aber noch in der Scheidestunde einige Cumberland-Klagen und Wünsche auf, welche ich natürlich nur Registriren [sie] konnte. [ . . . ] Die Königin [von Dänemark], deren intelligente unglaublich jugendlichen Züge die Neigung zum erkennen lassen tischte mir in der liebenswürdigsten Weise beim Essen die ganzen Cumberlandiana nochmals auf, die ich ebenso kühl wie in Russland be­ handelte. Später hat sie noch den Grafen H. Bismarck angegangen, der ihr ziemlich deutlich in meinem und des Kanzlers Namen geantwor­ tet.>>58

Antrittsbesuche

Am 3 1 . Juli abends traf die Hohenzollern wieder in Kiel ein, und die Gesellschaft fuhr noch in der Nacht per Extrazug nach Friedrichs­ ruh, dem Wohnsitz des alten Reichskanzlers östlich von Hamburg. Aus Rücksicht auf den Kanzler wollte Wilhelm II. ursprünglich noch eine weitere Nacht auf dem Schiff zubringen und erst am 1 . August nach Friedrichsruh fahren, aber Herbert Bismarck gelang es, ihm klar­ zumachen, daß sein Vater in der Erwartung noch unruhiger schlafen würde, als wenn er den Kaiser sicher unter seinem Dach wüßte. Dar­ auf erklärte Wilhelm dem Staatssekretär: «Gutt, ich will nur Ihren Va­ ter möglichst wenig stören; dann telegraphiren Sie ihm aber meinen ausdrücklichen Befehl, daß er zur gewohnten Stunde zu Bett geht u. mich nicht etwa empfängt oder erwartet.» Als Herbert lächelnd «zu befehlen» antwortete, «hob S.M. drohend den Finger u. sagte - Ohne Spaß, wünscht S.M. aber vom Bahnhof un­ mittelbar zu Bett zu gehn», fügte der Staatssekretär entschärfend hin­ zu.s9 So ging die Antrittsreise Kaiser Wilhelms II. zu den östlichen und nördlichen Nachbarhöfen zu Ende. In einem Brief an seine Großmutter Augusta vom 9· August 1 8 8 8 resümierte er den Verlauf der Reise und gab sich betont zuversichtlich über deren voraussichtliche Folgen. «Mit dem Kaiser von Russland habe ich nicht über Politik gesprochen, da er mich nicht darauf angeredet und ich nichts besonders zu sagen hatte», bekannte er. «Es geschah das nach Verabredung mit dem Reichskanzler. Dagegen hat Graf H. v. Bismarck eine lange Audienz beim Czaren ge­ habt, in welcher derselbe überaus offen und herzlich gegen den Grafen gewesen ist und lange mit ihm geredet hat. Zum ersten Mal ist kein Wort über Oesterreich noch Bulgarien über seine Lippen gekommen, was man als ein gutes Zeichen betrachten darf. [ . . . ] Der sichtliche Er­ folg in Russland ist der, daß nach eben eingelaufenen Nachrichten eine für die oesterreichische Grenze bestimmte russische Division den Be­ fehl erhalten hat in ihre Quartiere zurückzukehren. In Stockholm war Wärme und Herzlichkeit im höchsten Maaß vertreten und fühlte man sich wie zu Haus. Auch war der König auf das eifrigste bestrebt die feste Anlehnung an Deutschland möglichst scharf zu accentuiren; wie denn auch der früher vorherrschende französische Einfluß fast ganz verschwunden ist. Kopenhagen blieb in Nichts hinter den vorhergehen­ den Ländern zurück. Die Familie war ebenso herzlich, wie die anderen und der König von ganz besonderer Liebenswürdigkeit. [ . . . ] So kann ich als das Gesammtresultat der Reise wohl angeben, daß der bisher im Norden überall vorwiegende Französische Einfluß, einen fühlbaren und vielleicht verhängnisvollen Stoß erlitten, wo er überall bisher gegolten hat.>>60

J.

Die Reise an die deutschen Königshöfe

3 · Die Reise an die deutschen Königshöfe,

nach Wien und nach Rom Kaum war Wilhelm von seiner Ostseefahrt zurückgekehrt, mußten die Vorbereitungen für seine Antrittsbesuche in Sachsen,61 Stuttgart, Mün­ chen, Wien und Rom, die er gleich nach der Thronbesteigung angekün­ digt hatte, getroffen werden. Der Kanzler befürwortete die Reisen mit Entschiedenheit, und als Wilhelm Mitte August andeutete, daß er die süddeutschen Königshöfe eventuell aussparen wollte, ließ Bismarck ihn durch das Auswärtige Amt wissen, für wie bedeutsam er den kaiser­ lichen Besuch in j enen Hauptstädten erachtete. Wie Kuno Rantzau dem Unterstaatssekretär Graf Maximilian von Berchem am r 6. August mit­ teilte, habe der Kaiser dem Reichskanzler «bei Allerhöchstdessen Anwe­ senheit in Friedrichsruh gesagt, daß Seine Majestät die Absicht hätten, von Berlin aus den König von Sachsen, und von Baden-Baden aus, wo­ hin der Kaiser zum Geburtstag der Kaiserin Augusta gehen wollte, auf der Reise nach Wien den König von Württemberg und den Prinzregen­ ten von Bayern in Friedrichshafen und München zu besuchen. Aus Ihrem Brief ersähe er, der Reichskanzler, daß diese beabsichtigten Besu­ che an den deutschen Königshöfen wieder ungewiß geworden wären. Er bäte Sie, Seiner Maj estät gelegentlich vorzutragen, daß er bedauern würde, wenn dieselben unterblieben, nachdem die Deutschen Fürsten zur Eröffnung des Reichstages in Berlin erschienen wären und durch ihren Besuch der Kaiserlichen Stellung einen erheblichen Dienst erwie­ sen hätten. Bei dem Character der hohen Herren würde das durch ihr Entgegenkommen angebahnte gute Verhältniß nur durch sorgsame Pflege der persönlichen Beziehungen erhalten werden können, auf wel­ che unter Umständen mehr Werth gelegt würde, als auf die politischen. Nachdem Seine Maj estät die Monarchen von Rußland, Schweden und Dänemark besucht hätten, würde es um so auffälliger sein, wenn Aller­ höchstdieselbe die Deutschen Fürsten nicht besuchte, welche dem Kai­ ser nicht nur den ersten Besuch gemacht, sondern Seiner Majestät da­ durch auch einen erheblichen politischen Dienst geleistet hätten.»62 Bereits am 2 5. September 1 8 8 8 verließ der Kaiser Berlin, um zur Jagd nach Detmold zu fahren. Ende September fuhr er von dort über Frank­ furt (wo Herbert Bismarck zu ihm stieß) und Stuttgart nach der Insel Mainau, um den Geburtstag der Kaiserin Augusta zu feiern. Am 1. Ok­ tober traf er zu einem zweitägigen Aufenthalt in München ein, am 3· Oktober morgens kam er in Wien an.63 Aus Mürzsteg, wo er wie in alten Zeiten mit dem Kaiser Franz Joseph jagen wollte, schrieb er seiner Großmutter Augusta, daß das Wetter abscheulich und die Jagden deswe­ gen abgesagt worden seien, daß sonst aber die Reise vortrefflich verlaufe, da «in Wärme des Empfanges [ . . . ] die Sympathieen der Bevölkerung

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Antrittsbesuche

und der Regentenhäuser einander zu überbieten gesucht» hätten. 64 Rou­ tinierte Diplomaten im Gefolge des Kaisers schätzten den Wiener Emp­ fang nüchterner ein. Ludwig Raschdau berichtete, im Vergleich zu Stuttgart und München sei die Begrüßung in Wien «milde gesagt [ . . . ] ein sucd:s d'estime» gewesen. Es habe «mehr Neugierde als Jubel» ge­ herrscht, und «auch von äußerer Ausstattung war nicht viel die Rede. Dagegen waren die Leute in der Hofburg sehr entgegenkommend, und der Verkehr in der Kaiserlichen Familie schien mir sehr herzlich.» Aller­ dings sei Franz Joseph über die demonstrative Nichtdekorierung des Ministerpräsidenten Taaffe durch Wilhelm II. - die Bismarcks und der Kaiser warfen dem «Landesverderber>> Taaffe vor, durch seine protsche­ chische Politik in Böhmen die Habsburger Monarchie zu unterminieren - verstimmt gewesen.65 Wie in Petersburg fiel Herbert Bismarck durch sein taktloses Benehmen unangenehm auf.66 Differenzen zwischen Wil­ helm II. und Kronprinz Rudolf, auf die wir noch zurückkommen wer­ den, sowie der unablässige Regen, der die Jagdtage in den Bergen ver­ darb, trugen ferner dazu bei, den Antrittsbesuch des deutschen Kaisers in Österreich zu einem Mißerfolg zu gestalten. «Was mir an dem Ergeb­ niß der kaiserlichen Reise am wenigsten gefällt>>, schrieb Waldersee, >88 Der Großherzog von Hessen äußerte die Besorgnis, daß Wilhelms «glorious Triumphzug» [sie] ihm in den Kopf steigen könne, da er die Neigung habe, die ihm erbrachten Ovationen als persönliche Huldigungen aufzu­ fassen.89 Nur mit Mühe und mit der Hilfe Liebenaus konnten die Bis­ marcks Wilhelm daran hindern, auf dem Rückweg von Italien nach Deutschland noch einmal nach Wien zu fahren.90 Als noch in Mürzsteg Pläne für eine Kaiserreise nach Spanien und eine Seereise nach Athen und Konstantinopel erörtert wurden, versuchte Herbert Bismarck ver­ geblich, dem Kaiser klarzumachen, daß er damit den Eindruck der be­ reits gemachten Besuche abschwächen würde. An seinen Vater schrieb er: «> vermutete die Kaiserin.5 Die Vereinsamung, anfangs gewollt, fiel ihr schon bald schwer. «Ich muß mich nun daran gewöhnen, eine Person zu sein, die unter dem jetzigen Regime niemand mehr berücksichtigt und an die nie­ mand denkt & finde das gar nicht so leicht ! >> klagte sie im September.6 Ihren ältesten Sohn sah die Kaiserin nur ganz selten. Täglich besuche er seine Großmutter in Babelsberg, aber zu ihr, seiner Mutter, komme er so gut wie nie, jammerte sie. «Mein Haus existiert nicht! Wilhelm kommt niemals; & ich werde nicht beachtet! »7 Über den lieblosen, kalten, selbst­ bezogenen Charakter ihres Sohnes machte sie sich nach wie vor keine Illusionen. «Zuneigung können Menschen, die das Gefühl nicht kennen & nicht in ihrem Herzen haben, auch nicht geben ! >> meinte sie in einem Brief an ihre Mutter vom 2 1 . August. «Er wird es auf dieser Welt sehr viel einfacher haben als sein geliebter Papa oder ich, aber er wird auch nie Menschen wirklich an sich binden oder nur die Hälfte der Liebe empfangen, die sein Vater fand, & ich glaube auch nicht, daß er sie will, sehr viel darum geben oder sie begreifen würde ! >>8 In einem Vergleich zwischen Wilhelm und seinem Bruder stellte sie fest, daß zwar beide die gleichen widerwärtigen politischen Ansichten hätten, aber Heinrich habe «gewiß mehr Gefühl & ist weniger verwöhnt & egoistisch & rücksichts­ los ! >>9 Wilhelms Gefühlskälte machte sich in kleinen wie in großen Fra­ gen bemerkbar.10 Sie war gekränkt, daß Wilhelm seinen fünften Sohn nicht nach ihr, sondern nach dem König von Schweden nannte, nachdem

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Der Kaiser und seine Mutter

der vierte Sohn, August Wilhelm, den Namen der Kaiserin Augusta bekommen hatte.11 Selbst der sechste Sohn Joachim wurde nicht auf den Namen Victor getauft, wie sowohl die Kaiserinwitwe als auch ihre Mut­ ter gehofft hatten. «I think they might have called one of the 6 boys Victor after me ! Particularly as they know how much I wished it», schrieb die jüngere Victoria an ihre Tochter Victoria. Erst mit der Ge­ burt der Tochter Viktoria Luise ging ihr Wunsch in Erfüllung.12 Victoria wurde in politischen Fragen ganz ausgeschaltet, nie um ihre Meinung gefragt, von der amtlichen Welt gemieden und hatte daher nicht den geringsten Einfluß auf die Politik.U Auch am Hof wurde ihr eine untergeordnete Stellung zugeteilt, die sie nur leidvoll ertragen konnte. Unter den drei Kaiserinnen stand sie j etzt an dritter Stelle, nach der Kai­ serin Augusta und der Kaiserin Auguste Viktoria ( «Dona» ),14 wie sie im August r 8 8 8 feststellen mußte. >128 Als Herbert ihm diesen Bericht vorlegte, schrieb Wil­ helm darauf eine wütende Randbemerkung, die Bismarck sekretieren lassen mußte: «Der Empfang scheint die am englischen Hofe deutschen Offizieren mehrfach erzeigte Formlosigkeit und Unhöflichkeit zu bestä­ tigen. Hiernach dürfte sich für die Zukunft die Behandlung der Briten unsrerseits etwas zu modifiziren haben.»129 Am 4· Juli sprach der junge Kaiser mit dem seit Jahren mit ihm befreundeten englischen Militäratta­ che Oberst Leopold Swaine, der höchst alarmiert an den Privatsekretär der Königin berichtete: «Der Kaiser ist sehr beleidigt. Ich entnehme dem Interview mit ihm nach der heutigen Parade, daß er sich mehr als Enkel denn als deutscher Kaiser behandelt sieht. Ich hoffe, er wird es diesmal nicht weiter übelnehmen, bin aber doch deswegen sehr besorgt, denn viele seiner Ratgeber, die seine Empfindung teilen, sind bereit, es ihm zu empfehlen. Niemand bemüht sich mehr als [Botschafter] Malet, ein gu­ tes Einvernehmen zwischen den beiden Ländern herzustellen, und es heißt wirklich, ihm den Boden unter den Füßen wegzuziehen, wenn al-

Der Kaiser und seine Mutter

les, was er tut, durch unseren Hof unterminiert wird. Ich weiß, daß Sie alles tun, um Öl auf die unruhigen Wasser zu gießen, und Sie werden [ . . . ] erkennen, wie notwendig es ist, dasselbe bei jeder Gelegenheit wie­ der zu tun. Ich bin über die unglückliche Wendung, welche die Dinge genommen haben, ganz betrübt und möchte von hier wegkommen.» 130 Queen Victoria dachte aber keineswegs daran, ihre Behandlung von Winterfeldt zu bereuen. Als ihr Swaines Brief durch Ponsonby vorgelegt wurde, antwortete sie äußerst bestimmt in der dritten Person: «Die Queen hört mit Sicherheit gerne, daß Gl. Winterfeldt sagt, er sei, wenn auch höflich, so doch kalt empfangen worden, denn dies war ihre Absicht. Er hat seinen geliebten Herren verraten & hat nicht einmal seinen Namen ausgesprochen, geschweige denn ein Wort des Bedauerns, & hat nur von der Freude gesprochen, die er darüber empfand, dazu ausgewählt worden zu sein, die Thronbesteigung seines neuen Herren zu verkünden! ! Hätte die Queen ihn in einer anderen Weise empfangen können, so ergeben, wie sie dem Gedenken an den geliebten & edlen Kaiser Friedrich ist, dem & ihrer Tochter gegenüber sich Gl. Winterfeldt so verräterisch ver­ halten hat, - & sie hofft & bittet Sir Henry, Oberst Swaine mitzuteilen, was sie gerade gesagt hat. - Ld. Salisbury glaubt nicht, daß Oberst S. ein kluger Mann ist. - Jedenfalls durchschaut er die Menschen nicht.»131 Händeringend machte der englische Botschafter in Berlin, Sir Edward Malet, auf die Gefahren dieses Zwists innerhalb der deutsch-englischen Königsfamilie für das Verhältnis der beiden Reiche zueinander aufmerk­ sam, zumal mit der Thronbesteigung Wilhelms II. das monarchische Ele­ ment im Kaiserreich gegenüber der von Bismarck verkörperten Staatsge­ walt so sehr an Bedeutung zugenommen hatte. In der neuen Situation würden die ganz persönlichen Gefühle des Kaisers zwangsläufig die deut­ sche Politik England gegenüber mitbestimmen. Wie Swaine mahnte auch Malet, daß Großbritannien daher alles vermeiden müsse, was den unreifen und empfindlichen jungen Kaiser vor den Kopf stoßen könnte. «Nichts wäre mehr darauf berechnet, seine Gefühle gegenüber England zu ändern, als der Verdacht, daß all seine Bemühungen, sich bei dem Empfang der englischen Offiziere, und bei anderen kleinen Gelegenheiten, freundlich zu zeigen, [ . . . ] vergeblich waren, um den falschen Eindruck zu berichti­ gen, der im Ausland bezüglich seiner [anti-englischen] Ansichten entstan­ den ist. Er ist ein sehr feuriger Fürst, und er hat uns sein königliches Wort gegeben, daß wir uns irren. Es besteht die Befürchtung, daß ständige An­ zeichen von Mangel an Vertrauen in ihm in dieser besonderen Phase sei­ nes Lebens zu einem Umschwung in seinen Gefühlen führen könnten, die bis jetzt ausgleichend gewirkt haben, und daß er auf seine Bemühungen, sich England gegenüber freundlich zu zeigen, verzichtet [ . . . ] & mit sei­ ner Freundlichkeit aufhört.»132 In dem furchtbaren Sturm, der sich im Herbst r 8 8 8 zwischen Deutschland und England entladen sollte, waren derartige Stimmen der Staatsweisheit j edoch kaum vernehmbar.

Kapitel 4

Ominöser Familienzwist: Das spannungsgeladene Verhältnis zu den englischen Verwandten 1.

Die Frankfurter Rede des Kaisers

Am 1 6. August I 8 8 8 , dem Jahrestag der Schlacht bei Thionville und Mars la Tour, hielt Kaiser Wilhelm II. in Frankfurt an der Oder anläß­ lich der Errichtung eines Standbildes des siegreichen Heerführers Prinz Friedrich Karl von Preußen eine Rede, die als bewußte Beleidigung sei­ nes Onkels Albert Edward (Bertie), des Prinzen von Wales, aufgefaßt wurde und auch so gemeint war. «Es giebt Leute>>, rief der Kaiser aus, «die sich nicht entblöden zu behaupten, daß Mein Vater das, was er mit dem seligen Prinzen [Friedrich Karl] gemeinsam mit dem Schwert er­ kämpfte, wieder herausgeben wollte. Wir alle haben ihn zu gut gekannt, als daß wir einer solchen Beschimpfung seines Andenkens nur einen Au­ genblick ruhig zusehen könnten. Er hatte denselben Gedanken als wir, daß nichts von den Errungenschaften der großen Zeit aufgegeben wer­ den kann. Ich glaube, daß wir [ . . . ] in der gesamten Armee wissen, daß darüber nur eine Stimme sein kann, daß wir lieber unsre gesamten I 8 Armeecorps und 42 Millionen Einwohner auf der Walstatt liegen lassen, als daß wir einen einzigen Stein von dem, was Mein Vater und der Prinz Friedrich Karl errungen haben, abtreten.>>1 Nach der Rede wandte sich der Kaiser an Feldmarschall von Blumenthai und sagte laut: «>2 Diese wütende Äußerung spiegelte ganz allgemein die gereizte und gekränkte Haltung des Kaisers gegenüber den Einmischungsversuchen seiner englischen Verwandten wider, die im vorangegangenen Kapitel zur Sprache kamen. Speziell aber stellte sie Wilhelms Antwort auf Be­ merkungen dar, die der Prinz von Wales acht Wochen zuvor, als er Mitte Juni mit seiner Frau nach Berlin gekommen war, um der Beisetzung sei­ nes Schwagers beizuwohnen und seiner Schwester beizustehen, gemacht haben soll. Wie fast unausbleiblich bei so viel Mißtrauen auf beiden Sei­ ten, ist Klarheit über das, was der englische Thronfolger tatsächlich ge­ sagt hatte, kaum zu gewinnen. Der Kaiserin Friedrich zufolge hatte ihr Bruder in einem Gespräch mit Herbert Bismarck die deutsche Verwal­ tung in Elsaß-Lothringen kritisiert und außerdem die Hoffnung aus­ gedrückt, daß das I 866 von Preußen annektierte Königreich Hannover eines Tages an den Herzog Ernst August von Cumberland zurückgege-

Ominöser Familienzwist

ben werden würde. Graf Bismarck habe dies an Wilhelm weitererzählt, was sie «für sehr häßlich [very nasty] >> hielt, und daraufhin habe Wil­ helm dann in seiner Rede in Frankfurt an der Oder seinen Onkel öffent­ lich angegriffen.3 In der regierungsnahen Presse wurde sie, die Kaiserin­ Mutter, als Anstifterio des Prinzen von Wales dargestellt, was sie vehe­ ment abstritt. Die Bismarcks wollten den Anschein erwecken, so teilte sie ihrer Mutter mit, «ich hätte Bertie & Alix aufgehetzt, was ganz tö­ richt ist, da ich wirklich kaum weiß, was sie gesagt haben! >> Es sei «Ziemlich unheilvoll, daß überhaupt etwas gesagt wurde, da die Bis­ marks [sie] es als Waffe gegen mich gebrauchen. Sie haben es nicht allein Wilhelm übermittelt, und ihn veranlaßt, die törichte Rede in Frankfurt a.d.O. zu halten, sondern haben es auch durch die Norddeutsche und die Kölnische Zeitung verbreiten lassen, um mir zu schaden; so glaubt man es weit und breit. Ich bin an alledem ganz unschuldig. [ . . . ] Es ist wirklich ziemlich töricht, von Intrigen meinerseits für die dänischen Wünsche zu sprechen, da Fritz & ich alles, was wir konnten, zugunsren der schleswig-holsteinschen und nicht der dänischen Aspirationen taten! [ . . . ] Ich schäme mich wirklich über so dummes Zeug, aber den Bismarks & Wilhelm nützt es in den Augen einer weitverbreiteten Klasse Deutschlands. Ihr Überpatriotismus hat wieder eine feine Reklame; Mißtrauen wird gegen mich gesät, und Zweifel werden an Fritzens Ab­ sichten geknüpft. Es ist ein häßliches Spiel [abominable game], das aber bei einer gewissen Art von Leuten immer Erfolg hat ! >>4 Der Prinz von Wales stellte sein Gespräch in Berlin etwas anders dar. Er habe tatsächlich geglaubt, daß Kaiser Friedrich III. die Rückgabe Elsaß-Lothringens an Frankreich erwogen habe, um die Feindschaft mit Frankreich zu begraben. In seiner Unterredung mit Herbert Bismarck im Juni 1 8 8 8 habe er aber nur die Frage gestellt, ob dies wahr sei. Als Herbert Bismarck antwortete, es sei nichts als ein substanzloses Ge­ rücht, habe er die Sache fallenlassen. Von einer Rückgabe Schleswigs an Dänemark und des 1 8 66 beschlagnahmten Vermögens des Königs von Hannover an den Herzog von Cumberland habe er nur ganz nebenbei gesprochen, behauptete Albert Edward in einem Brief vom April 1 8 89 an seinen Schwager Prinz Christian von Schleswig-Holstein. Herbert Bismarck, so vermutete er, habe in der Wiedergabe des Gesprächs an seinen Vater und an Wilhelm II. aus dieser Frage einen konkreten Vor­ schlag gemacht, den der Kanzler dann schamlos gegen seine Schwester, die verwitwete Kaiserin, gewendet habe. Herbert habe den Vorfall ferner dazu mißbraucht, um Wilhelm gegen England und für Rußland einzu­ nehmen. Angesichts dieser Entstellung durch die Bismarcks sei es nicht verwunderlich, daß der junge Kaiser so erzürnt gewesen sei.5 Der Reichskanzler war seinerseits bestrebt, vor allem Rußland gegen­ über die Frankfurter Rede ins richtige Licht zu rücken. Das Auswärtige Amt wies er an, in vertraulichen Gesprächen mit dem russischen Außen-

1.

Die Frankfurter Rede des Kaisers

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minister und den russischen Großfürsten klarzustellen, daß der Kaiser in der Rede «die fortwährenden Insinuationen Seines Onkels, des Prinzen von Wales, habe zurückweisen wollen, und daß man gänzlich auf dem Holzwege sei, wenn man eine Drohung gegen Frankreich darin suche. Man werde die Aeußerungen Seiner Majestät erklärlich finden, wenn man wüßte, daß der Prinz und namentlich die Prinzessin von Wales dem Kaiser allerhand Zumuthungen von welfischen Concessionen gemacht habe, und daß zu Zeiten Kaiser Friedrichs theils mit theils ohne Barten­ bergische Einmischung die Hoffnung erweckt und genährt worden wäre, als könnte man in Deutschland irgendwie geneigt sein, die mit Mühe erworbene nationale Vormauer das Elsaß den Franzosen wieder als Ausfallsbastion ausliefern. Die Verstimmung Sr. Majestät über diese Zumuthungen und Insinuationen sei gewiß erklärlich, und habe die Energie des Ausdrucks veranlaßt, aber wenn dieser Ausbruch des Un­ willens irgend eine bestimmte Adresse gehabt habe, so sei es die eng­ lische und zwar die französisch-englische, welcher der Prinz von Wales angehört habe.>>6 In den nachträglichen Aufzeichnungen Herbert Bismarcks wird die Unterredung mit dem Prinzen und der Prinzessin von Wales wiederum anders dargestellt und die Schuld für Wilhelms Überreaktion der Zu­ trägerei der Prinzessin Charlotte und den Intrigen des russischen Groß­ fürsten Wladimir zugeschrieben. Während der Beisetzung seines Vaters sei der Kaiser von seinem Onkel «nicht genug als [ . . . ] Kaiser, sondern zu sehr als [ . . . ] Neffe, u. immer noch als grüner behandelt>> wor­ den, heißt es dort. Die Behauptung des Prinzen von Wales, «Kaiser Friedrich würde das Reichsland wieder abgetreten haben pp.>>, wurde dem Kaiser von seiner Schwester Charlotte Meiningen «mit freudiger Gehässigkeit>> und vom Großfürsten Wladimir «in geschickter poli­ tischer Berechnung>> erzählt, schreibt Herbert, mit dem Erfolg, daß das «antienglische Bedürfniß>> Wilhelms wieder stark zum Vorschein gekom­ men sei. Unmittelbarer Anlaß zu der Rede Wilhelms gegen den Prinzen von Wales in Frankfurt seien «wahrscheinlich Peterhofer Reminiscenzen u. erneute Anzapfungen der Meininger Prinzeß>> gewesen, vermutete der Kanzlersohn. Jedenfalls habe er selbst bei dem Zwischenfall keineswegs die Rolle gespielt, die ihm später «als Sündenbock>> zugeschoben worden sei. Die Äußerungen des Prinzen von Wales im Juni seien nicht im Ge­ spräch mit ihm, Herbert, gefallen, sondern in der Begegnung zwischen dem englischen Thronfolgerpaar und dem Reichskanzler. «Damals hat­ ten beide den Kanzler empfangen u. waren ihm mit verschiedenen indis­ creten Fragen u. Zumuthungen über Cumberland, Braunschweig, Wel­ fenfonds zu Leibe gerückt, so daß S[eine] D[urchlaucht] verstimmt von der Audienz zurückkehrte. Am andern Morgen schickte mir Malet eine mehrere Seiten lange vom Pr[ince] of W[ales] aufgestellte Registratur über die gestrige Audienz, mit dem Ersuchen, ich solle sie S.D. vorlegen,

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Ominöser Familienzwist

damit der sie ratihabire ev. corrigire. Ich bat Malet gleich zu mir, u. er­ suchte ihn das Schriftstück brevi manu u. vertraulich zurückzunehmen», erinnerte sich der Staatssekretär. «Als ein amtliches sei es nicht anzusehn, da Malet sich auf keine Instruction von Salisbury beziehn könne, u. ich würde vom Kanzler mit Recht getadelt werden u. Sr.M. wie Sr.D. gegen­ über in die größte Verlegenheit kommen wenn ich durch amtliche Ent­ gegennahme vom Botschafter meine Regierung en demeure setzen wollte, sich dem unverbrieflichten Pr. of W. gegenüber ganz einseitig in wichtigen inneren Fragen zu erklären u. schriftlich zu binden. Malet wurde roth u. verlegen, gab mir freilich Recht, entschuldigte sich damit, daß der Prinz bei ihm wohne, u. ihm keine Ruhe gelassen hätte: so habe er nachgegeben, obgleich er mein Verhalten vorhergesehn: er schloß: [Englisch im Original] Später sagte mir [Lord] Rosebery, der Prinz of W sei so [verletzt] gewesen, weil jene Aufzeichnung die erste von ihm hergestellte war, auf die er mit großem Stolz geblickt hätte. Aber auch Rosebery gab mir vollkommen Recht.>>7 Es kann nicht geleugnet werden, daß Herben Bismarcks detaillierte Darlegung des Vorgangs plausibler klingt als die vage Version des eng­ lischen Thronfolgers. Die Aufzeichnung Herberts aus dem Jahr 1 89 1 er­ fährt Unterstützung durch die Mitteilungen, die der Staatssekretär dem Zaren Alexander in St. Petersburg am 2 2. Juli 1 8 8 8 (also mehr als drei Wochen vor der Frankfurter Rede) machte, die er wenige Tage später schriftlich fixierte. In seiner Audienz habe er, Herben, dem Zaren ge­ sagt, «daß der Prinz von Wales unseren Kaiser durch lästige Ratschläge behelligt habe, die abgelehnt wurden», worüber er, wie Herbert von dem englischen Botschafter erfahren habe, verstimmt gewesen sei. Der jün­ gere Bismarck teilte dem Zaren ferner mit, «daß der Prinz von Wales alle möglichen Wünsche bezüglich Cumberlands durch seine Frau und di­ rekt zur Sprache gebracht habe. Die fin de non recevoir, welche ihm hätte aus Staatsraison entgegengesetzt werden müssen, habe dem Prinzen augenscheinlich das peinliche Gefühl erweckt, daß er zu weit gegangen sei.>> Sodann habe man in Berlin von den Versuchen des Prinzen von Wales erfahren, im Herbst 1 8 8 7 den Prinzen Wilhelm beim Zaren Alex­ ander «anzuschwärzen», was natürlich auch zu einer Belastung des Ver­ hältnisses zwischen Kaiser Wilhelm II. und seinem englischen Onkel ge­ führt habe. Schließlich habe der Kaiser in einem Brief seiner Großmut­ ter, in dem sie ihm dringend von der Fahrt nach Rußland abgeraten habe, eine «ungebetene Bevormundung>> gesehen, die ihn sehr geärgert habe.8 Die Behauptung Herbert Bismarcks, daß Großfürst Wladimir, der Bruder des Zaren, der mit Herzogin Marie von Mecklenburg-Schwerin verheiratet war, zu der Verstimmung Wilhelms gegenüber seinem eng­ lischen Onkel beigetragen habe, wird ebenfalls durch die Akten des

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Der Wiener Zwischenfall

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Auswärtigen Amts bestätigt. In einem Gespräch mit einem Mitglied der deutschen Botschaft in St. Petersburg im September 1 8 8 8 erzählte Wla­ dimir, daß ihm gegenüber der Prinz von Wales in Berlin «allen Ernstes die Frage der Möglichkeit einer Rückgabe Elsaß- Lothringens seitens Deutschlands berührt>> habe.9 Ganz gleich aber, ob Albert Edward in einer Audienz mit Bismarck Vorschläge machte oder nur Fragen stellte, ganz gleich, ob Kaiser Wil­ helm den Brief seiner Großmutter als Bevormundung empfand, ganz gleich, ob Großfürst Wladimir und Charlotte Meiningen durch Zuträge­ reien die Verstimmung Wilhelms noch verschärft haben - die öffentliche Beschimpfung des britischen Thronfolgers in einer kaiserlichen Rede acht Wochen später stellte eine Beleidigung dar, die noch sehr lange nachwirken mußte. Man wäre versucht, die Frankfurter Rede des jungen Kaisers als absoluten Tiefpunkt in seinem Verhältnis zu den englischen Verwandten zu bezeichnen, wenn nicht die bald darauf folgende nächste Konfrontation ein noch befremdlicheres Licht auf Wilhelms Empfin­ dungen für sie geworfen hätte. Gemeint ist die von der Geschichtswis­ senschaft bisher kaum beachtete, von der Psychologie kaum erklärbare Entscheidung Wilhelms II., für die Dauer seines mehrtägigen Antrittsbe­ suchs in Wien im Oktober I 8 8 8 seinen Onkel Bertie aus der Österreichi­ schen Hauptstadt zu verbannen. 2.

Der Wiener Zwischenfall

Anfang September I 8 8 8 besuchte eine Gruppe englischer Offiziere, dar­ unter Graf «Eddie>> Gleichen, der Sohn des Prinzen Viktor zu Hohen­ lohe-Langenburg und Laura Seymours, die Armeemanöver in Potsdam und Berlin. Die Offiziere wurden von Wilhelm mit großer Freundlich­ keit empfangen. Der Kaiser betonte, wie wichtig solche Offizierszusam­ menkünfte für das gute Verhältnis der beiden Länder zueinander seien. Er behandelte Graf Gleichen wie einen Prinzen, sprach deutsch mit ihm und duzte ihn, um die Verwandtschaft zu ihm zu unterstreichen.10 In diesen Tagen besuchte Wilhelm seine Mutter mehrmals, da der junge Kronprinz von Griechenland, Konstantin, um die Hand der Prinzessin Sophie von Preußen, Wilhelms Schwester, angehalten hatte: Konstantins Vater war, wie wir wissen, der Bruder der Prinzessin von Wales, der Zarin und der Herzogin von CumberlandY Um diese Zeit äußerte Wil­ helm den Wunsch, einen ähnlichen Eisenbahnwaggon wie jenen des Prinzen von Wales zu besitzen, und schickte einen Beamten aus dem Hofmarschallamt nach Gmunden, um den dort eingefahrenen Waggon des Prinzen zu inspizieren.12 Für einen trügerischen Augenblick schienen das gegenseitige Mißtrauen und der Ärger des Sommers verflogen, die Beziehungen zwischen Mutter, Onkel und Sohn sich endlich zu bessern.

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Ominöser Familienzwist

Am 2. September schrieb der Prinz von Wales, der sich auf dem Weg nach Österreich in Bad Hornburg aufhielt, einen im Ton warmen Brief an den Kaiser, in dem er ihm für die freundliche Aufnahme der eng­ lischen Offiziere dankte und die Hoffnung äußerte, Wilhelm demnächst in Wien zu sehen. Auf diesen Brief hat der englische Thronfolger nie eine Antwort erhalten. Als er am 1 0. September in Wien eintraf und mit Kaiser Franz Joseph und Kronprinz Rudolf sein Programm für den Auf­ enthalt in Österreich-Ungarn durchsprach, erfuhr Albert Edward, daß der deutsche Kaiser am 3 · Oktober in Wien eintreffen würde. Obgleich sich der Prinz von Wales zu diesem Zeitpunkt dem Programm nach in Ungarn aufhalten sollte, glaubte er, nach Wien zurückkehren zu sollen, da seine Abwesenheit von der Österreichischen Hauptstadt während des Besuchs seines Neffen falsch ausgelegt werden könnte. Er wollte sogar einen Boten nach Berlin schicken, um für die Zusammenkunft mit Wil­ helm seine preußische Husarenuniform zu holen. Am I I. September erfuhr der englische Thronfolger jedoch, daß der deutsche Botschafter in Wien, Prinz Heinrich VII. Reuß, dem österreichisch-ungarischen Außenminister Graf Kalnoky, dem Ersten Obersthofmeister Prinz Con­ stantin zu Hohenlohe-Schillingsfürst und dem englischen Botschafter in Wien, Sir Augustus Paget, mitgeteilt hatte, «daß Kaiser Wilhelm seinen Onkel lieber nicht in Wien antreffen würde - daß es sogar den Erfolg seines Besuches gefährden könnte, wenn sie beide gleichzeitig da wä­ ren>>. Diese amtliche Mitteilung des Botschafters, von der der Prinz mit «äußerster Überraschung>> und erfuhr, wurde bald in ganz Wien bekannt und zeitigte schlimme Folgen. Der Adjutant des Prinzen, General Arthur Ellis, stellte fest: Der Prinz bedauere besonders, daß der Kaiser, falls er einen per­ sönlichen Groll gegen ihn, seinen Onkel, hege, ihm nicht direkt ge­ schrieben habe, anstatt den amtlichen Weg über den Botschafter zu wäh­ len. Um Kaiser Franz Joseph nicht weiter in Verlegenheit zu versetzen, werde der Prinz von Wales in der Zeit, in der sich Wilhelm II. in Wien aufhalte, nach Rumänien reisen, schrieb Ellis, aber Oberst Swaine solle eiligst in Berlin herausfinden, was hinter dieser unerhörten Beleidigung stecke. Der Prinz von Wales könne nur glauben, «daß dieses unglück­ selige mal entendu auf irgendeinem großen Mißverständnis beruhen muß, für dessen Aufklärung keine Zeit verloren gehen darf>>Y Dem sonst so eng mit dem Kaiser befreundeten englischen Militär­ atrache war es unmöglich, Klarheit über die Absichten des Monarchen zu gewinnen. Seine Bitte um eine persönliche Audienz wurde von Wil­ helm mit dem Hinweis abgeschlagen, Swaine könne vor der Militär­ parade mit ihm sprechen. Als aber der Oberst sich dort melden wollte, fand er den Kaiser umringt von mehreren Generälen, so daß ihm die Er-

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A bb.

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Der Wiener Zwischenfall

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Der Prinz von Wales in Marienbad um 189 0.

örterung des peinlichen Vorfalls nicht möglich war. Er entschied sich dafür, dem Monarchen einen Brief zu schreiben, dem er den Brief des Generals Ellis beifügte. Am 19. September hatte der Kaiser mehrfach Gelegenheit, ein Wort mit Swaine zu wechseln; er tat jedoch so, als hätte er den Militärattache nicht gesehen, und gab diesem, der sich ganz in seiner Nähe aufhielt, nicht einmal die Chance, ihm zu salutieren. Am 20. September verließ der Kaiser Berlin, um über Detmold, Stuttgart, die Insel Mainau und München nach Wien und Rom zu reisen, ohne ein Wort an Swaine gerichtet zu haben. Der Oberst, der soviel Vertrauen in Wilhelm gesetzt hatte, fand den Gedanken, unter solchen Umständen in Berlin zu bleiben, unerträglich. «Bei all der Güte, ja fast Zuneigung, die ich für den jungen Kaiser empfinde, kann ich solche Behandlung Eurer Königlichen Hoheit nicht erlauben oder ertragen>>, meldete er dem Prin­ zen von Wales, «und meine Stellung hier würde sicherlich zu einer völ­ ligen Entfremdung zwischen dem Kaiser und mir führen, was für den Dienst nicht von Vorteil wäre, und die Erreichung des Ziels, das ich die letzten sechs Jahre angestrebt habe, unmöglich machen würde.»14 Ende September reichte Oberst Swaine sein Entlassungsgesuch ein.15 Swaines Brief wurde zusammen mit dem von General Ellis der Queen Victoria und dem Premierminister Lord Salisbury in Kopie zuge-

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schickt.16 An ihren Sohn Arthur Herzog von Connaught, der mit Prin­ zessin Luise Margarete von Preußen verheiratet war, schrieb die Königin entrüstet über «das äußerst empörende Benehmen von Willy dem Gr[o­ ßen] (& dem Bösartigen, fürchte ich) Bertie gegenüber>>. Wilhelm habe wahrhaftig seinen Onkel offiziell durch Reuß, Kalnoky und Paget wis­ sen lassen, daß es ihm unangenehm sein würde, ihn in Wien anzutreffen, «nachdem Bertie ihm 3 Wochen vorher überaus zuvorkommend ge­ schrieben hatte, wie sehr er sich freuen würde, ihn dort zu treffen! ! ! Natürlich war Bertie getroffen & unbeschreiblich verletzt. Um jedoch Wm. jede Gelegenheit zu geben, noch einmal davonzukommen, hat Ber­ tie an Oberst Swaine schreiben lassen, daß er um eine Unterredung mit Wm. bitten soll, um ihm den Brief von Bertie bzw. von General Ellis (von B[ertie] diktiert & ein ausgezeichneter Brief) zu geben, und sich zu erkundigen, was dies alles zu bedeuten habe & was dem zugrunde läge. Obgleich Wm. sagte, daß er ihn empfangen würde, hat er ihn auf der Parade vollkommen ignoriert & ist dann weggegangen! Bertie ist, wie Du Dir vorstellen kannst, wütend und auch tief verletzt & sagt, daß er, falls er keine Entschuldigung erhält, würde. Oberst Swaine sagt, er ist so schockiert, daß er, falls W[ilhelm] B [ertie] nicht antwortet, zurücktreten und Berlin verlassen wird, da er nach einer solchen Beleidigung nicht bleiben könne. Den Prinzen von W - den ältesten Sohn eines der g[röß]ten Souveräne in E1:1rops. der Welt [sie], & seinen eigenen liebenswürdigen Onkel auf diese Art zu be­ handeln, ist eine der größten Unverschämtheiten, die je begangen wur­ den! B. mußte seine Pläne ändern & diese peinliche Geschichte wird zweifellos bald herauskommen. Die Leute werden hier & überall er­ zürnt sein, & ich bin sicher Louisehen wird entsetzt sein.>>17 Der Fall zog immer weitere Kreise. Kronprinz Rudolf, der den Prin­ zen von Wales zur Jagd in Siebenbürgen eingeladen hatte und seiner Frau Stephanie schrieb, er würde «den Wilhelm [ . . . ] höchstens einladen, um ihn durch ein elegantes Jagdabenteuer aus der Welt zu schaffen>>, schürte durch Indiskretionen das Feuer in Wien.18 Bald wurde der Vor­ fall in den Klatschzeitungen erörtert.19 In dieser brenzligen Lage unter­ nahm der englische Botschafter in Wien, Paget, den ungewöhnlichen Schritt, den Prinzen von Wales davor zu warnen, sich über Wilhelm II. zu äußern, denn in Wien gäbe es wie überall, in hoher wie in niedriger Stellung, bösartige Klatscher, die nur zu gerne jede Äußerung des Prin­ zen über dessen Neffen verdrehen und weitertragen würden. Er wisse mit Sicherheit, daß auch der jetzige Zwischenfall auf derartige Zuträge­ reien - man habe Kaiser Wilhelm Äußerungen hinterbracht, die der Prinz von Wales gemacht haben soll - beruhe.20 Problematisch war allerdings die Haltung, die der Botschafter bei sei­ ner Begegnung mit dem deutschen Kaiser einnehmen sollte. Lord Salis­ bury telegraphierte ihm auf dem Weg zu seinem Urlaubsort Nizza, er

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solle sich, sofern Wilhelm II. anwesend sein sollte, möglichst von allen Zeremonien absentieren und den Monarchen so weit wie möglich mei­ den, ohne jedoch einen Skandal zu verursachen.21 Das aber war, wie Pa­ get in seiner Antwort zu bedenken gab, die Quadratur des Zirkels, denn, wenn er den Skandal vermeiden wolle, müsse er sich wie jeder andere Botschafter verhalten: Jede Abweichung von der Norm würde man bemerken und mißliebig kommentieren.22 Der Prinz von Wales und General Ellis baten den Botschafter, in seiner Audienz mit dem Kaiser natürlich unter Wahrung der Würde des Prinzen - Wilhelm die Versöh­ nungsbereitschaft seines Onkels zu signalisieren und ihn direkt zu fra­ gen, ob er dem Prinzen etwas mitzuteilen hätte; anders als Paget, der eine Zurückweisung durch den Kaiser befürchtete, die die Lage noch weiter verschlimmert hätte, versprachen sie sich von diesem Schritt eine Erhel­ lung des mysteriösen Vorgangs.23 Durch ein weiteres Telegramm von Sa­ lisbury erhielt Paget jedoch die Instruktion, auf keinen Fall die Frage des Zwischenfalls anzuschneiden, falls der Kaiser nicht selbst darauf zu spre­ chen käme. Obwohl die Audienz schließlich von mehr als zehnminütiger Dauer war, fand der Botschafter zum Bedauern des Prinzen von Wales keine Gelegenheit, dessen Auftrag auszuführen, da der Monarch nur von gleichgültigen Dingen sprach. 24 Wilhelm habe sich nicht einmal nach dem Wohlergehen der Queen erkundigt! Später erfuhren Königin Victo­ ria und der Prinz von Wales durch Kronprinz Rudolf, daß Wilhelm ur­ sprünglich sogar die Absicht gehabt hatte, dem Botschafter demonstrativ den Rücken zu kehren, und nur durch die Intervention Kaiser Franz Jo­ sephs und Rudolfs davon abgehalten werden konnte. Als Rudolf - in Ausführung des Wunsches Edwards - den deutschen Kaiser fragte, ob er irgendeine Botschaft für seinen Onkel hätte, den er, Rudolf, demnächst auf der Jagd in Siebenbürgen sehen werde, habe Wilhelm dies verneint und nur gesagt, wenn sein Onkel ihm einen sehr freundlichen Brief schreiben sollte, würde er - Wilhelm - «vielleicht darauf antworten! 1»25 Die Krise spitzte sich noch weiter zu, als am 26. September r 8 8 8 der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes dem Botschafter Malet in Berlin mitteilte, Kaiser Wilhelm II. wünsche im kommenden Jahr - etwa im Mai - einen längeren Besuch in England abzustatten!26 Eine derartige Einladung auszusprechen hielt nicht nur das englische Königshaus, son­ dern auch die englische Regierung für undenkbar, solange sich der Kai­ ser nicht förmlich für sein Verhalten dem Prinzen von Wales gegenüber entschuldigte. Spätestens an dieser Stelle standen also die Empfindungen der beiden Königsfamilien in direktem Widerspruch zu den staatspoli­ tischen Interessen der beiden Großmächte. Mitte Oktober fanden peinliche Auseinandersetzungen zwischen Sa­ lisbury, der zu dieser Zeit sowohl Premierminister als auch Außenmini­ ster war, und Graf Hatzfeldt, dem deutschen Botschafter in London, statt, bei denen sich herausstellte, daß der Botschafter über den Wiener

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Zwischenfall nicht nur ungenügend unterrichtet war, sondern regelrecht Angst hatte, die Angelegenheit mit den Bismarcks zu erörtern. Am 1 3 . Oktober las Hatzfeldt Salisbury eine längere Denkschrift des Reichs­ kanzlers vor, in der dieser die erzwungene Abwesenheit des Prinzen von Wales während des Besuchs des deutschen Kaisers in Wien zunächst mit außenpolitischen Argumenten zu rechtfertigen suchte: Der Zar würde sich über eine Zusammenkunft des englischen Thronfolgers mit dem deutschen und dem Österreichischen Kaiser geärgert haben, und dies sei für Deutschland gefährlich, da Großbritannien noch nicht bereit sei, als Kompensation für das dadurch erweckte Mißtrauen Rußlands ein echtes Bündnis mit Deutschland abzuschließen. In der Denkschrift ging Bis­ marck dann aber doch, wenn auch nur zögernd und indirekt, auf die persönlichen Aspekte des Zwischenfalls ein. Kaiser Wilhelm II., so hörte Salisbury aus den Ausführungen des Kanzlers heraus, werfe dem Prin­ zen von Wales drei Dinge vor: Albert Edward habe, erstens, einem russi­ schen Großfürsten, der es dem Kaiser weitererzählt habe, gesagt, Kaiser Friedrich hätte, wenn er länger gelebt hätte, Zugeständnisse in der Elsäs­ ser und der nordschleswigschen Frage angeboten und den Wünschen des Herzogs von Cumberland Geltung verschafft; er habe, zweitens, zusam­ men mit seiner Frau in einem Gespräch mit Bismarck die Interessen Cumberlands vertreten, die gebotene Rücksichtnahme des Kanzlers auf die Prinzessin dabei mißbraucht und ihm, dem Fürsten Bismarck, schließlich ein Memorandum über das Gespräch aufzuzwingen versucht; und drittens habe der Prinz von Wales Wilhelm wie seinen Neffen und nicht als einen Kaiser behandelt, der, wenn auch noch jung, immerhin schon seit längerem großjährig sei. Die Denkschrift Bismarcks habe, so Salisbury, nichts gesagt über «die Bitte, daß der Prinz von Wales Wien aus persönlichen Gründen verlassen sollte, oder über Wilhelms Ankün­ digung, daß er nicht nach Wien gehen würde, während der Prinz von Wales dort sei; oder davon, Oberst Swaines Brief nicht zur Kenntnis ge­ nommen zu haben, oder darüber, es versäumt zu haben, sich im Ge­ spräch mit Sir A. Paget nach der Gesundheit der Queen zu erkundigen>>. Hatzfeldt hörte offenbar erstmals von diesen Dingen. Salisbury warnte ihn dringend davor, unter diesen Umständen einen England-Besuch des Kaisers anzuregen, denn ein derartiger Vorschlag wäre in der j etzigen Situation für Großbritannien schlicht unannehmbar. Dennoch insistierte der Premierminister, daß der persönliche Konflikt zwischen Kaiser Wil­ helm und dem Prinzen von Wales die allgemeine Politik der beiden Staa­ ten zueinander nicht belasten dürfe, was, wie Hatzfeldt bestätigte, durchaus auch die Überzeugung Fürst Bismarcks seiY Am folgenden Abend trafen Salisbury und Hatzfeldt abermals zusam­ men. Der Premierminister war beunruhigt, wie er der Queen berichtete, daß der Botschafter aus Angst vor Bismarck nichts über die Wiener Zwischenfälle nach Berlin gemeldet und namentlich seine Regierung

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nicht gewarnt hatte, «daß, so lange diese Vorfälle nicht aufgeklärt sind, es unmöglich für Eure Majestät sein würde, den Kaiser zu empfangen. Er hatte einfach Angst davor.» Salisbury drängte den Botschafter, doch irgendeine Warnung nach Berlin gelangen zu lassen, denn wenn der Kai­ ser sich anbieten würde und die Königin sich genötigt sehe, ihn abzu­ weisen, würde die Kluft zwischen den beiden Großmächten nur noch tiefer werden. Salisbury sprach von dem «Terror des Botschafters» und schloß aus seiner Haltung, daß seine Stellung eine unsichere sei. Die Lage sei ihm recht unheimlich, denn «wenn es niemand wagt, Fürst Bis­ marck die Wahrheit zu sagen, wer weiß, was er dann macht>>.28 Diese Gespräche, zusammen mit weiteren Informationen über Wil­ helms Verhalten, die sie durch die Prinzessin von Wales erhielt, brachten Queen Victoria zu der Überzeugung, daß ihr Enkel Wilhelm nicht mehr ganz zurechnungsfähig sei. So sehr auch sie bestrebt sei, die guten Bezie­ hungen zwischen England und Deutschland aufrechtzuerhalten, zweifele sie doch, ob dies möglich sein würde, solange Wilhelm regiere und das Reich sich in den Händen der beiden Bismarcks befände. Sie fand die Gründe, die der Reichskanzler für das unmögliche Benehmen des Kai­ sers angegeben hatte, «schlichtweg absurd>>. Wie könne Bismarck be­ haupten, daß der Zar über eine Begegnung zwischen Wilhelm und sei­ nem Onkel verärgert gewesen wäre, wo doch der Prinz von Wales der Schwager des Zaren sei, fragte sie verblüfft. Was der Prinz über Elsaß­ Lothringen gesagt habe, stehe noch nicht fest. Er sei allerdings mit allen russischen Großfürsten sehr eng vertraut, so daß eine Äußerung über die Konzessionsbereitschaft Friedrichs 111. in dieser Frage nicht undenkbar sei. Übel sei nur, daß diese Äußerung weitergetragen worden war. Was der Prinz in seinen Gesprächen mit den beiden Bismarcks über Braun­ schweig und Cumberland gesagt habe, sei dem Premierminister vollauf bekannt, erklärte die Königin. Entrüstet fuhr sie fort: «Was die Behaup­ tung, der Prinz würde seinen Neffen nicht als Kaiser behandeln, anbe­ trifft, so ist sie wirklich beinahe zu vulgär und zu absurd und unwahr, als daß man sie glauben könnte. Wir sind immer sehr intim mit unserem Enkel und Neffen gewesen, und so zu tun, als müsse er sowohl privat als auch in der Öffentlichkeit als behandelt werden, ist völlig verrückt! Er ist genauso behandelt worden, wie wir seinen geliebten Vater & selbst seinen Großvater behandelt hätten und wie die Queen selbst immer von ihrem lieben Onkel König Leopold be­ handelt worden ist. Wenn er solche Ideen hat, soll er besser für immer von hier weg bleiben. Diesen Affront wird die Queen nicht schlucken.>> Was nun die Tatsachen beträfe, daß Kronprinz Rudolf dem Prinzen von Wales mitgeteilt habe, es sei Wilhelms Absicht gewesen, dem englischen Botschafter den Rücken zu kehren, und daß der deutsche Kaiser von diesem unerhörten Schritt nur durch die dringende Intervention Rudolfs und Franz J osephs abgehalten worden sei, und daß Wilhelm zu Rudolf

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gesagt habe, er wäre «vielleicht» bereit, auf einen Brief seines Onkels zu antworten, aber nur, wenn Edward ihm besonders freundlich schreibe, so meinte Queen Victoria: «All dies zeugt von einem sehr ungesunden und unnatürlichen Geisteszustand & man muß ihm zu verstehen geben, daß seine Großmutter und sein Onkel solche Unverschämtheit nicht dulden werden. Der Prinz von Wales darf eine solche Behandlung nicht hinneh­ men. Was die politischen Beziehungen der 2 Regierungen zueinander an­ geht, so stimmt die Queen vollkommen zu, daß diese (soweit wie mög­ lich) nicht von diesen elenden persönlichen Streitigkeiten beeinträchtigt werden sollten, allerdings befürchtet die Queen doch sehr, daß mit ei­ nem so hitzblütigen, eingebildeten und verdrehten, dazu völlig gefühl­ losen jungen Mann dies jeden Moment unmöglich werden könne.»29 Trotz aller Bemühungen, die politischen Auswirkungen des Zwi­ schenfalls in Grenzen zu halten, weitete sich die Krise immer mehr aus. Da Bismarck als Begründung für Wilhelms Verhalten unter anderem von der respektlosen Art gesprochen hatte, in der Queen Victoria mit ihrem Enkel korrespondiert hätte, wurden Abschriften ihres Briefes an Wil­ helm vom 3 . Juli und von seiner Antwort vom 6. Juli angefertigt und nach Wien geschickt. Alle, die den Briefwechsel zu lesen bekamen - Sir Augustus Paget, Graf K.ilnoky, Kaiser Pranz Joseph - waren von der unerklärlichen Diskrepanz zwischen dem korrekten Wortlaut beider Briefe und der nachträglichen Darstellung betroffen.30 Am 1 4· Novem­ ber schrieb Queen Victoria direkt an Kaiserin Augusta, um sich «Über unseren Enkel Wilhelm» zu beklagen, der sich «so unfreundlich, rück­ sichtslos und eigenthümlich gegen seinen stets so sehr freundlichen On­ kel Bertie benommen hat und überhaupt sich so wenig verwandtschaft­ lich gegen seine Englischen Verwandten zeigt». Es wäre gut, riet sie, wenn Augusta den jungen Herrscher auf die Folgen einer solchen Hal­ tung, die zu einer Abkühlung im Verhältnis zwischen beiden Ländern führen könne, aufmerksam machen würde. Wilhelm wisse sich offenbar nicht zu benehmen, befände sich in nicht guter Umgebung und höre nicht auf guten RatY Die neunzigjährige Kaiserin entgegnete, sie könne nur eingreifen, wenn Wilhelm sie um ihren Rat frage. Er sei aber «Über­ haupt dem Rath weniger zugänglich>>, als die Queen annehme. Augusta sprach die Ansicht aus, daß Wilhelms Verstimmung gegen England mehr als ein Jahr zurückreiche, denn er sei schon «verletzt» vom Jubiläum der Königin nach Deutschland zurückgekehrt. Außerdem habe das Batten­ berger Heiratsprojekt eine unheilvolle Rolle gespielt. 32 Der Prinz von Wales konnte sich Wilhelms Entgleisung33 ebenfalls nur als Ausdruck von Wahnsinn erklären. Er meinte sogar, diese Erklärung sei für Wilhelm vorteilhafter als die einzige andere mögliche Erklärung daß er wisse, was er tue ! Nach seiner Rückkehr aus Österreich schrieb er seiner Schwester: «Nichts von dem, das Dein Sohn Wilhelm unternimmt, überrascht mich - ich habe nur Zweifel, ob er richtig bei Verstand ist!

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Vielleicht ist es noch wohlgesonnener, ihn für verrückt zu halten.» Doch wie dem auch sei: «Bis er für die groben Beleidigungen, mit denen er mich im Ausland überhäuft hat, irgendeine Entschuldigung hervorge­ bracht hat, muß ich natürlich jeden Kontakt mit ihm abbrechen. »34 Auch wenn eine politische Krise für den Augenblick vermieden wer­ den konnte, das Benehmen Wilhelms II. hatte zweifellos großen Schaden angerichtet. Am 1 7. Oktober 1 8 8 8 , vier Monate nach Wilhelms Thron­ besteigung, schrieb Alexandra Prinzessin von Wales an ihren Sohn, den künftigen König George V., von der Sühne, die man sich eines Tages für diese Beleidigung verschaffen müsse. Wilhelm sei ein «Esel>>, dessen Be­ nehmen vor allem seiner Mutter gegenüber von Tag zu Tag schlimmer werde. Jetzt sei er auch noch «persönlich ganz entsetzlich unhöflich & impertinent zu Papa>> gewesen und habe sich «tatsächlich geweigert, ihn in Wien zu treffen! ! Er ist völlig aufgebracht gegen England, das Biest. [ . . . ] Oh, er ist verrückt & ein eingebildeter Esel - der auch behauptet, Papa & Großmama würden ihn nicht mit dem Respekt behandeln, der dem Kaiser des Allmächtigen Deutschlands gebührt! Doch hoffe ich dar­ auf, daß sein Stolz eines Tages zu einem gewaltigen Sturz führt! ! - Was werden wir uns dann freuen.>>35 3· Die Rolle der Bismarcks und des Kaisers Franz Joseph

Die einzige andere Erklärung, die man in England für das Betragen Wil­ helms II. fand, war, daß der junge Kaiser von den Bismarcks manipuliert worden sei. Für den Prinzen von Wales stand es fest, daß Wilhelm «auf­ gehetzt» worden war von «diesem Halunken [scoundrel] Herbert Bis­ marck, dessen Undankbarkeit für all die Freundlichkeit, die ich ihm all die Jahre erwiesen habe, keine Grenzen kennt>>.36 Der dritte Sohn der Queen, Arthur Herzog von Connaught, konnte sich das «äußerst abson­ derliche & unziemliche>> Benehmen auch nur als Produkt einer antieng­ lischen und antikonstitutionellen Intrige der Bismarcks erklären. «Mein eigener Eindruck ist, daß jemand absichtlich Zwietracht zwischen Wil­ liam & Bertie gesät hat, um ein Treffen zwischen ihnen zu verhindern. Ich wäre nicht überrascht, wenn die Bismarks [sie] hierzu etwas zu sagen hätten, wo sie doch jeden englischen Einfluß auf William so zu fürchten scheinen. Sie haben ganz klar Angst, daß Willie irgendwelche Verfassungsideen in den Kopf gesetzt werden, & sie glauben, daß jeder in seiner Familie sich in die diktatorische Regierungsweise einmischen könnte, die er nach ihren Wünschen ausüben soll, & daß besonders Ber­ tie William gute Ratschläge zu geben geneigt sein könnte.»37 Was also war die Rolle der beiden Bismarcks in diesem verwirrenden Zwischenfall ? Für die Beantwortung dieser Frage ist wieder jene Dar­ stellung von besonderem Interesse, die Herbert Bismarck nach seiner

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Entlassung verfaßte. Er leugnete darin, wie wir gesehen haben, jede Ver­ antwortung und behauptete, die Ursache des internationalen Zwischen­ falls sei am Österreichischen Hof zu finden. Er meinte, Wilhelm II. habe den Schlußpassus in dem Brief des Prinzen von Wales, in dem dieser seiner Freude über die kommende Begegnung in Wien Ausdruck verlie­ hen hatte, möglicherweise gar nicht gelesen. Außerdem seien «bei der Häufung der hastigen Reisen u. wegen der Manöver [ . . . ] viele Sachen liegen [geblieben], manche amtliche Schriftstücke sogar wochenlang un­ eröffnet. Jedenfalls erhielt der Pr. of Wales keine Antwort, u. dies, im Verein mit den Zuträgereien über Genesis der Frankfurter Rede Sr.M. wirkte schon verstimmend auf ihn. Beim Besuch des Erzherzogs Carl Ludwig in Potsdam, Ende August od. Anfang Sept., sprach S.M. zu die­ sem sehr abfällig über Pr. of Wales, so daß der Erzherzog den Eindruck mitnahm, eine Begegnung beider in Wien würde dem Kaiser uner­ wünscht, mithin peinlich sein: Dieser Eindruck hatte um so mehr Be­ rechtigung, als S.M. des Briefes des Pr. of W. und seiner öffentlich fest­ gestellten Anwesenheit in Östreich [sie] nicht erwähnte, so daß auch Kaiser Franz Joseph im Sinne Sr.M. zu handeln glaubte, wenn er den Pr. of W. von Wien entfernte. Er nahm die Initiative u. ließ durch Kalnoky dem englischen Botschafter sagen, er bedauere, bei der großen Deut­ schen Suite in der Burg keinen Platz zu haben u. böte ihm für die betr. Zeit Jagden in Ungarn an. Der Pr. of W. verstand diesen Wink nicht, oder wollte ihn nicht verstehn, u. ließ sagen, er würde für die Kaisertage in ein Hotel gehn, wünsche nur zu allen Festlichkeiten eingeladen zu werden. Kaiser Franz Joseph, so an die Wand gedrückt, wurde nun ganz deutlich, u. sagte dem englischen Botschafter, es ginge nicht an, daß Pr. of W. die Kaiserentrevue mitmache. Ob Franz Joseph dies auch damit motivirr hat, daß Sr.M. die Anwesenheit des Onkels nicht passen würde, habe ich nicht feststellen können, halte es aber nicht für unwahrschein­ lich. Das Resultat war eine tiefe Kränkung des Pr. of W., der in großem Zorn abreiste u. sofort sehr gereizte Briefe an die Queen u. Kaiserin Friedr. schrieb des Inhalts, . Die Queen schrieb empört an verschiedene (u.a. Duchess of Edinburgh), [Englisch im Original], mit allen möglichen Epitheten über den Enkel. Da man eng­ lischerseits Sr.M. nicht gern die ganze Verantwortung für diese zuschieben wollte, wurde ich als Sündenbock gewählt, u. die auf mein Conto gesetzt.>> Er, Herbert Bismarck, sei jedoch auf Urlaub in Ostende gewesen, während sich der Zwischenfall am 1 1. September in Wien abspielte. «Auch unsere Acten enthielten nichts darüber, u. ich kam erst mehrere Wochen später in die Lage, mir die Episode zu reconstruiren. Bei den nachfolgenden Aussprachen hatten wir anfänglich die Schwierigkeit, daß wir den Kaiser Franz Joseph nicht blasstellen wollten, u. deshalb immer auf Paget verweisen mußten.»38

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Die Rolle der Bismarcks und des Kaisers Franz Joseph

III

In der entscheidenden Zeit war Herbert Bismarck tatsächlich nicht in Berlin. Er kehrte erst am I 5 . September nach Friedrichsruh zurück. Am folgenden Tag nahm er, wie er in sein Tagebuch notierte, an einem «Di­ ner im Schloß mit Erzherzog Albrecht, Großfürst Nicholas pp.>> teil, nach welchem er nur Gelegenheit zu einem «hastigen Vortrag bei S.M.» fand.39 Am I 7· September verließ Herbert abermals Berlin, um fünf Tage lang auf den livländischen Gütern des russischen Botschafters Graf Paul Schuwalow zu j agen. Er kehrte erst am 24. September nach Berlin zu­ rück und hatte am 2 5 . mit seinem Vater zusammen Immediatvortrag im Marmorpalais, bevor der Kaiser mittags zur Jagd nach Detmold abreiste. Am 26. September abends fuhr Herbert Bismarck, wie wir oben schon gezeigt haben, nach Frankfurt am Main, von wo er «mit S.M. vereint» nach Stuttgart, München und Wien weiterreiste.40 Trotz der Behauptung Herbert Bismarcks, daß die Akten des Auswär­ tigen Amts nichts über den Vorfall enthielten, lassen gerade die dort auf­ bewahrten Unterlagen erkennen, wie es in Wirklichkeit zu der verlet­ zenden Ausladung des Prinzen von Wales gekommen ist. Nach der Ab­ reise des Staatssekretärs am 3 I . August nach Ostende traf ein Bericht des Militärattaches Adolf von Deines aus Wien ein, wonach der englische Thronfolger am I O. September in Wien ankommen und am folgenden Tag den Österreichischen Kaiser zu den Manövern in Kroatien begleiten würde.41 Zu dieser Mitteilung schrieb Kaiser Wilhelm II. folgende scharfe Bemerkung auf den Umschlag: «Es würde sich empfehlen den Kaiser [Franz Joseph] auf die intriguanten Anlagen des Prinzen auf­ merksam zu machen. Vertraulich ihm die Behauptung wegen Heraus­ gabe vom Reichslande seitens Papa's mittheilen und warnen, militärisch wichtige Dinge über Aufmarsch oder Grenzschutz dem Prinzen zu erzählen. Da solche Dinge leicht über Copenhagen durch die Schwäge­ rinnen in Russland bekannt werden könnten.>> 42 Als diese Marginalie in Friedrichsruh eintraf, ordnete Fürst Bismarck durch seinen Schwiegersohn Graf Kuno Rantzau die sofortige Mitteilung des kaiserlichen Argwohns gegen den Prinzen von Wales nach Wien an. Der Kanzler war darum bemüht, das Verhältnis zwischen Deutschland und dem englischen Königreich distanziert zu halten, und sah in der Aufbauschung der kaiserlichen Randbemerkung die Möglichkeit, Zwie­ tracht zwischen Wilhelm und England zu säen. Das Auswärtige Amt wurde von Friedrichsruh aus angewiesen, dem deutschen Botschafter in Wien, Reuß, und dem dortigen Militärattache Deines mitzuteilen, der Kaiser habe . Diese Vorkommnisse hätten auch die bekannte Rede Wilhelms II. in Frankfurt an der Oder veranlaßt, die nicht gegen Frankreich, sondern vielmehr gewesen sei, .44 Es nimmt nicht wunder, daß Kaiser Franz Joseph durch die amtliche Mitteilung des Wilhelms II. den Eindruck gewann, der deutsche Kaiser hege einen tiefen Groll gegen seinen eng­ lischen Onkel und wolle ihn während seines Wiener Aufenthaltes nicht treffen. Er beschloß, nach den Manövern in Kroatien den Prinzen von Wales bis Gödöllö zu begleiten und sich dort von ihm zu verabschieden, weil - wie Reuß am 1 3 . September nach Berlin berichtete - es ihm . Der Prinz von Wales aber, der , versetzte seinen Gastgeber mit der Mitteilung in Verlegenheit, er wolle doch nach Wien kommen, um seinem Neffen . Als der Obersthofmeister am Wiener Hof, Prinz Constantin zu Hohenlohe-Schillingsfürst, die dadurch entstandene heikle Lage mit ihm, dem deutschen Botschafter, besprach, bestärkte

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Reuß Hohenlohe «energisch in der Absicht, [ . . . ] das Wiedererscheinen des Prinzen am hiesigen Hofe zu hintertreiben», da er, Reuß, «annehme, daß es Seine Majestät unser Allergnädigster Herr ebenfalls vorziehen würden, AllerhöchstSich hier nicht mit andern Fürstlichkeiten zu begeg­ nen, und daß die Annahme mit Bezug auf Seine Königliche Hoheit den Prinzen von Wales besonders anwendbar» sei. So habe er, Reuß, dem Obersthofmeister deutlich zu verstehen gegeben, «daß es Seine Majestät vorziehen würde, AllerhöchstSeinen Herrn Oheim anderwärts als ge­ rade hier zu begegnen>>. Reuß hat aber auch - was für den späteren Ver­ lauf der Affäre von Bedeutung sein sollte - direkt mit dem englischen Botschafter Sir Augustus Paget gesprochen und auch diesem nahegelegt, dem Prinzen von Wales die Absicht eines zweiten Wiener Aufenthaltes auszureden. Seinem eigenen Bericht zufolge gab der deutsche Botschaf­ ter für diese Anregung zwei Gründe an: Erstens würde der Prinz von Wales durch einen solchen Besuch «den hiesigen Hof nur geniren>>, und zweitens würde «Seine Majestät [Wilhelm II.] wahrscheinlich nicht>> er­ warten, «den Prinzen hier zu finden>>. Pagets erster Versuch, den Prin­ zen von Wales von Wien fernzuhalten, blieb jedoch erfolglos, da der Prinz diese Einwände nicht verstehen wollte und beteuerte, er werde, um dem Wiener Hof nicht zur Last zu fallen, in einem Hotel wohnen; er hielte es «für den öffentlichen Eindruck und für die Beziehungen zwi­ schen beiden Familien für nützlich sich mit unserm Kaiser hier freundschaftlich zu begegnen>>. Durch dieses gewollte Nichtverstehen der Situation seitens des eng­ lischen Thronfolgers wurde die Verlegenheit Kaiser Franz Josephs nur schlimmer. Reuß meldete: Da der Habsburger Monarch «durch die ge­ heimen Mittheilungen, die ich beauftragt war dem Grafen Kalnoky über den Prinzen von Wales zu machen, darüber informirt war, wie das Ver­ trauen, welches unser Allergnädigster Herr AllerhöchstSeinem Oheim schenkt, nicht gerade hervorragend ist, so ergriff der Kaiser [Franz Jo­ seph] die Gelegenheit nach dem vorgestrigen Hofdiner, mit Sir A. Paget über die Sache zu sprechen und ihn zu bitten, dem Prinzen zu sagen, es würde Ihm lieber sein, wenn Seine Königliche Hoheit bei Gelegenheit des Kaiser-Besuches im Oktober nicht hierher käme, weil Er zu wissen glaube, daß es unser Allergnädigster Herr vorziehen würde, hier mit kei­ nen andern fremden Fürstlichkeiten zusammen zu treffen.» Dieser «Kai­ serliche Auftrag>>, den er durch den englischen Botschafter erhielt, habe den Prinzen von Wales «sehr erstaunt>>, berichtete Reuß. «Er hat durch­ gefühlt, daß der hiesige [Wiener] Hof der Meinung ist, als würde seine Anwesenheit unserm Allergnädigsten Herrn nicht angenehm sein, und scheint ihn diese endlich auftauchende Erkenntniß sehr erregt zu ha­ ben.>> Dem Botschafter wäre es, wie er schrieb, sehr erwünscht gewesen, , aber Kalnoky habe ihm bestätigt, es sei die Frage nicht anders zu arrangieren gewesen, nachdem der Prinz «die an­ fänglich gegebenen Winke durchaus nicht verstehen wollte>>. Dem Öster­ reichischen Kaiser wäre es «hauptsächlich darum zu thun gewesen>>, so habe Kalnoky erklärt, daß Kaiser Wilhelm «hier keine Begegnungen machte, die Ihm hätten unerwünscht sein können, und da sei Ihm nichts anderes übrig geblieben, als so zu reden, wie Er es dem englischen Bot­ schafter gegenüber gethan habe>>.45 Aus diesem wichtigen Bericht geht unzweifelhaft hervor, daß die Ursache für den Wiener Zwischenfall in dem Groll Wilhelms II. auf seinen Onkel zu suchen ist, daß Kaiser Franz Joseph sich nur mit Rücksicht auf die ihm in dieser Sache mehrmals amt­ lich überbrachte geheime Mitteilung zu handeln genötigt sah und daß die Erklärung des Zwischenfalls, die Franz Joseph die alleinige Initiative bei der Ausladung des Prinzen von Wales zusprach, der Wahrheit nicht ge­ recht wurde.46 Ganz eindeutig hat Prinz Reuß in Gesprächen mit dem englischen Botschafter, dem Österreichischen Außenminister und dem Obersthofmeister Prinzen Hohenlohe die Unerwünschtheit einer Begeg­ nung zwischen Wilhelm II. und seinem Onkel in Wien wiederholt und mit großer Bestimmtheit hervorgehoben. Reuß handelte dabei nach den ausdrücklichen amtlichen Instruktionen Fürst Bismarcks, der offensicht­ lich bestrebt war, dem «französisch-englischen>> Einfluß des Prinzen von Wales auf den jungen Kaiser einen Riegel vorzuschieben. Obwohl Wil­ helm II. nie den Wunsch direkt ausgesprochen hat, den Prinzen in Wien nicht zu sehen, ist dennoch die Grundursache des Wiener Zwischenfalls in dessen «Groll>> gegen seinen Onkel zu sehen, der sich nicht nur in der Frankfurter Rede und in Äußerungen an Erzherzog Karl Ludwig be­ merkbar gemacht hatte, sondern auch und vor allem in einer hitzigen Marginalie, deren Inhalt auf persönliche Anordnung des Reichskanzlers auf dem amtlichen Weg über den deutschen Botschafter und den Öster­ reichischen Außenminister dem Kaiser Franz Joseph überbracht worden war. Franz Joseph handelte nicht «ganz aus eigenem Antriebe>>, sondern weil er glaubte, der ihm mehrfach übermittelten tiefen Abneigung Wil­ helms II. gegen den englischen Thronfolger Rechnung tragen zu müssen. Noch am r 6. September r 8 8 8 schrieb Herben Bismarck nach seinem «hastigen» Immediatvortrag seinem Vater schadenfroh: «Über die Ab­ wehr des Prinzen von Wales, der Wien mitmachen wollte, durch den Kaiser Franz Joseph freute S.M. Sich unsinnig. He bears him a grudge. [Englisch im Original].>> 47 Viel klarer als die Bismarcks erkannte der Habsburger Kaiser die gravierenden außenpolitischen Gefahren, die in der unerhörten Brüskierung des englischen Thronfolgers lagen. Nach­ dem Herben Bismarck am 4· Oktober r 8 8 8 eine anderthalbstündige Audienz bei Franz Joseph hatte, vermerkte der Staatssekretär lakonisch in sein Tagebuch über die Haltung des alten Monarchen: «Prince of Wales, unnöthige Besorgniß wegen Rückschlag auf England>>.48

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Der Wiener Zwischenfall war vor allem deswegen so gravierend, weil die internationale Lage Deutschlands alles andere als gesichert war. Wie die Kaiserin Friedrich am 20. April 1 8 89 nach Windsor meldete, seien «alle ernsten, wichtigen und gut informierten Leute» über den innen­ und außenpolitischen Zustand des Reiches besorgt. Bismarck habe in seiner europäischen Politik den «fatalen Fehler» begangen, Österreich so sehr zu schwächen, daß es als Bundesgenosse beinahe wertlos geworden sei. Sobald die in Polen stationierten russischen Regimenter vollends vorbereitet seien, werde Rußland Österreich «bestimmt angreifen», auch wenn der Zar dagegen sein sollte. Zwar seien auch die Franzosen noch nicht ganz parat, aber ihr neues Infanteriegewehr würde im Lauf der nächsten zwölf Monate eingeführt werden, während Deutschland «noch nicht so weit» sei. «Wenn die Russen Österreich angreifen und wir ge­ zwungen sind, ihnen zu helfen, werden die Franzosen sich die günstige Gelegenheit, uns zu überfallen, nicht entgehen lassen! Wir müßten dann [ . . . ] gegen Rußland und Frankreich zugleich kämpfen! Wie furchtbar würde das sein! ! [ . . . ] Vielleicht braucht alles das nicht zu passieren, aber wir scheinen in diese Richtung zu treiben.>> Jedenfalls aber sei Bismarck angesichts der bedrohlichen Situation sowohl auf dem Kontinent als auch in Übersee «j etzt um Englands Freundschaft sehr besorgt>>.49 Das größte Hindernis zu einem guten Einvernehmen zwischen dem Deut­ schen Reich und der Seemacht im Westen bildete zu diesem Zeitpunkt aber gerade das gespannte Verhältnis zwischen den beiden königlichen Familien. Plötzlich sollten die Mißhelligkeiten daher schnellstens wieder aus dem Weg geräumt werden. 4· Nachwirkungen des Wiener Zwischenfalls

Im Februar 1 8 89 wiederholte Wilhelm II. seine erstmals im September ausgesprochene Absicht, im bevorstehenden Frühsommer England zu besuchen. Sein Wunsch traf aber, da der ungeheure Wiener Vorfall alles andere als vergessen war, am englischen Hof nach wie vor auf schärfste Ablehnung. «William darf dieses Jahr nicht kommen>>, erklärte Queen Victoria ihrem Sohn, als ihr der Wunsch des Kaisers am 7· Februar mit­ geteilt wurde. «Du könntest ihn nicht treffen, & ich könnte es auch nicht, nach dem, was er gesagt & getan hat. Ich bin mir sicher, er würde von niemandem besonders herzlich empfangen werden.>>50 Der Prinz von Wales erkannte die politischen Vorteile des Besuchs durchaus, je­ doch auch er weigerte sich entschieden, Wilhelm zu empfangen, solange nicht wenigstens ein Wort des Bedauerns für den Wiener Zwischenfall ausgesprochen worden war. «Was Williams Besuch hier im nächsten Sommer betrifft - natürlich wäre es nur gut & richtig, wo er schon alle wichtigen Länder in Europa besucht hat, außer England. Aber es wäre

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unmöglich für mich, ihn zu treffen, bis er >, schrieb er ihr.5 Die Erfahrungen, die die Staatsmänner, Diplomaten, Hofbeamten und Militärs unmittelbar nach dem Thronwechsel mit ihm machten, legen j edoch ein untrügliches Zeugnis für das genaue Gegenteil einer geregel­ ten, pflichttreuen, «würdevollen>> Arbeits- und Lebensweise ab. Auf der Antrittsreise nach Rußland und Schweden im Juli 1 8 8 8 gelang es kei­ nem der Fahrtgesellen, den Kaiser zum Arbeiten zu bewegen. «Mit hat hier niemand Glück, dem entzieht sich S.M. soviel als möglich>>, stellte Kid erlen-Wächter fest; Wilhelm wolle sich «nur amü­ sieren>>.6 Der Vertreter des Auswärtigen Amtes in der kaiserlichen Rei­ segesellschaft teilte Holstein mit, wie Herbert Bismarck tagelang ver­ geblich versucht habe, «S.M. zum Vortrag [ . . . ] ranzukriegen>>, bis es ihm endlich am 1 8 . Juli eine halbe Stunde vor dem Frühstück gelang, Wilhelm die Instruktion des Reichskanzlers für die Begegnung mit dem Zaren vorzulesen und zu übergeben. Der Kaiser, so fuhr Kiderlen bissig fort, «schien das aber alles für sehr verschwindend zu halten gegenüber der Frage, wie Er mit seiner Flotte einfahren werde>>.7 In seinen eigenen Aufzeichnungen bemerkte Herbert Bismarck, daß sein Vater auf Wunsch des Kaisers für die Reise eine Denkschrift über das erforderliche Verhalten Wilhelms am russischen Hof ausgearbeitet und ihm, Herbert, mitgegeben hatte. «General Wittich, dem ich sie unterwegs zu lesen gab, war voll Bewunderung darüber, sagte, S.M. sollte sie täglich 2 mal lesen, anstatt die langweiligen Schiffsmanöver zu treiben, war ganz verblüfft, als ich bemerkte, S.M. habe sie noch garnicht angesehn. Endlich, kurz vor Kronstadt, las S.M. sie auf dem Vordeck rasch durch.»8 Während des Aufenthalts in Rußland, so berichtete Kiderlen ferner, habe sich der Kai­ ser nur einmal für politische Angelegenheiten interessiert. Als eine «kleine charakteristische Sache>> teilte er Holstein mit, Wilhelm sei, bis er zum zweitenmal in Krassnoje Selo übernachtete, «für Geschäfte kaum zu fassen>> gewesen. Dann aber ließ er plötzlich nachts um halb I Uhr den Militärbevollmächtigten von Villaurne aus dem Bett holen «und fragte ihn eine Stunde lang über alles Mögliche aus ! ! ! >> 9 Auf der Fahrt von Petersburg nach Stockholm wunderte sich Kiderlen abermals über die Einstellung «unseres neuen Herrn» zu seinen staat-

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liehen Pflichten. Wiederholt klagte der schwäbische Diplomat über die Schwierigkeit, die j eder hatte, den Kaiser zu Unterschriften oder gar zum Vortrag zu bringen. «Mit W.II. ist das Geschäft [ . . . ] in mancher Beziehung nicht ganz leicht», schrieb er an Holstein. «Man kriegt ihn so schwer zum Vortrag ran. Wittich schleift schon auf der ganzen Fahrt das neue Exerzierreglement mit, dessen Entwurf einer Kommission unter­ breitet werden soll, wenn es von S.M. genehmigt ist. Dazu ist aber S.M. noch nicht zu bringen gewesen. Außerdem rechnet Wittich noch auf viele Reisen, außer Wien und Rom [ . . . ] wird S.M. wahrscheinlich eine Menge Jagdeinladungen annehmen; Wi[ttich] meint, es fehle ihm bei Annahme solcher noch das rechte Unterscheidungsvermögen. Man fragt sich auch schon, wie es werden soll, wenn er nach Hause kommt, wo eine Masse Geschäfte lagern. Man hofft alles von der Energie des Hrn. v. Lucanus.>>10 Während der Ostseereise hatten die mitreisenden Diplomaten und Militärs Gelegenheit, auch andere Charaktereigentümlichkeiten des neuen Kaisers zu beobachten, die mit dem in der Öffentlichkeit sich festsetzenden Bild wenig übereinstimmten. So schilderte Kideden­ Wächter in einem Brief an Holstein kopfschüttelnd die Auseinanderset­ zung zwischen dem Kaiser und seinem Bruder Heinrich, die sich ereig­ nete, als dieser vom Zaren ein Regiment verliehen bekam. Als Wilhelm von der Verleihung erfuhr, hielt er seinem Bruder vor, «das sei etwas ganz Außergewöhnliches und ginge eigentlich gar nicht, man könne nur Chef sein, wenn man Oberst sei, er, Pz. H., sei aber erst Korvettenkapi­ tän, also Major. Pz. H. dokumentierte nun, da es in der russ. Garde kei­ nen Major u. Oberstleut. gebe, so sei der nächsthöhere Rang nach dem Hauptmann Oberst, er habe diesen nächsthöheren Rang, sei also russ. Oberst; quod erat demonstrandum! ! ! >>11 Was es mit dem «hohen sittlichen Ernst des Kaisers» auf sich hatte, von dem die Douglas-Rede und zahlreiche andere Schriften schwärmten, davon wußten die kaiserlichen Fahrtgenossen an Bord der Hohenzollern einiges zu berichten. Gleich am dritten Tag der Ostseefahrt schrieb Kiderlen an Holstein: «Die Mahlzeiten nehmen wir stets an der Tafel von S.M. ein; bisher wurde hauptsächlich von Scheißen, Kotzen, Pissen und Vögeln gesprochen; pardon, daß ich Ihr Ohr mit diesen harten Wor­ ten froissiere, aber ich konnte keine anderen wählen, wenn ich Ihnen ein richtiges Bild geben wollte.»12 Der Leibarzt des Kaisers hatte gleich­ falls Gelegenheit, über die Unreife seines hohen Patienten nachzusinnen. Er gab der überlangen Dienstzeit Wilhelms in Potsdam die Schuld am rauhen Umgangston in der kaiserlichen Umgebung, den er für ausge­ sprochen gefährlich hielt. «Er [Wilhelm] kennt die Welt zu wenig und beurtheilt Alles noch etwas von dem Standpuncte des früheren Husa­ ren-Obersten>>, meinte Leuthold in einem Gespräch mit dem Österrei­ chischen Botschaftsrat Eissenstein. «Ich fürchte sehr», fuhr der Leibarzt =

Der junge Kaiser

fort, «daß mein allergnädigster Herr noch so manche Enttäuschung ha­ ben und manche traurige Erfahrung machen werde, bis Sein Urtheil ein unbefangenes und gereiftes werden wird. Auch in Seinem persönlichen Umgange kann Sich der Kaiser noch nicht in Seine neue Stellung hinein­ finden», sagte er. «So ging es zum Beispiel auf dem Schiff, besonders des Abends, gar bunt zu, und man hatte ordentlich Mühe, den anderen Tag wieder den richtigen Ton zu finden. Manche der Herrn seien auch durch die so oft Platz greifende Intimität schon verwöhnt worden, und neh­ men sich in Folge dessen hie und da Manches heraus, was dem Kaiser denn doch nicht angenehm ist. Dies werde sich wohl Alles mit der Zeit geben, aber für jetzt lägen in diesen Vorkommnissen doch gefährliche Keime zu Unzukömmlichkeiten, die leicht zu Stürmen und Krisen füh­ ren könnten.»13 Auch Waldersee, der durch Holstein davon erfuhr, war über den «Ton bei Tische» auf der kaiserlichen Jacht beunruhigt. Er habe gehofft, vermerkte er, daß die Thronbesteigung eine Wandlung in dieser Hinsicht gebracht haben würde, und machte den Einfluß Herbert Bis­ marcks für den unkaiserlichen Ton an Bord verantwortlich.14 Nach Ge­ sprächen mit zahlreichen Mitreisenden trug er Ende August r 8 8 8 in sein Tagebuch ein: «Leider ist der Ton bei der Seefahrt kein schöner gewesen, natürlich hauptsächlich durch die Anwesenheit [Herbert] Bismarcks. Der Kaiser geht ja leicht auf einen etwas leichten Ton ein, indeß begreift er doch ganz gut daß es eine Taktlosigkeit ist, daß B. ihm gegenüber denselben Ton sich erlaubt, der schon dem Prinzen Wilhelm gegenüber kaum zulässig war.»15 Gespannt versuchte man in Hof- und Regierungskreisen zu erraten, ob derartige AuffäHigkeiten des Kaisers nur Eingewöhnungsschwierig­ keiten waren oder dauerhafte Charaktereigenschaften bilden würden. Nur wenige Tage nach der Rede des Grafen Douglas im Oktober r 8 8 8 vermerkte Waldersee, der sich zu dieser Zeit noch zu den vorsichtigen Optimisten zählte, daß die Umgebung des Kaisers weiterhin über den unruhigen und unkonzentrierten Lebensstil des Monarchen besorgt sei. «Die Herren, die mit ihm zu arbeiten haben, fangen schon seit einiger Zeit darüber an zu klagen, daß es schwer sei ihn zu Vorträgen zu brin­ gen - er macht gern Ausflüchte u. verschiebt bis zum letzten Moment>>, notierte der General. «Zieht man in Betracht, was er sich zurnuther u. wie danach seine Zeit besetzt ist, so ist es allerdings verständlich, daß zu Vorträgen nicht viel Zeit bleibt; andrerseits müssen doch aber die Ge­ schäfte erledigt werden und müßten dadurch die anderen Thätigkeiten eingeschränkt werden. Ich hoffe, daß beim Schluß der [Auslands-]Reisen mehr Ruhe u. Regelmäßigkeit in die ganze Lebensweise des Kaisers kommen wird, denn es muß durchaus vermieden werden, daß die Ge­ schäfte übers Knie gebrochen werden. Die nothwendige u. bedauerliche Folge wird die sein, daß der Kaiser sich zu sehr in die Hand des Vortra­ genden begiebt.» Waldersee plädierte für die Einführung eines verab-

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redeten Stundenplans, um mehr Regelmäßigkeit und Stetigkeit in die Ausübung der kaiserlichen Macht zu bringen. «Will der Kaiser in der Art die Geschäfte führen wie sein Großvater - und er möchte es - so muß zunächst die Woche und dann der Tag bestimmt eingerheilt wer­ den; ohne feste Eintheilung geht es unbedingt nicht. Es giebt aber schon Leute die in dieser Beziehung Besorgnisse haben; ich gehöre nicht dazu. Der Kaiser ist ja ungewöhnlich lebhaft, interessirt sich für zahllose Fra­ gen die ihm doch schließlich immer etwas Zeit fortnehmen und hat auch das Bestreben seinen Vergnügen nicht ganz zu entsagen. Er hat aber andrerseits einen so guten Fond, daß er schon den richtigen Weg finden wird. Die erste Zeit seines Regiments mit den vielen Reisen ist auch gar­ nicht dazu angethan sich ein bestimmtes Urtheil zu bilden. Uebrigens muß nicht vergessen werden, daß der Kaiser ganz ungewöhnlich schnell arbeiten kann. Er hat eine schnelle Auffassung, vortreffliches Gedächt­ niß u. raschen Entschluß. Das bringt ihm wieder Zeit ein.»16 Trotz der Bereitschaft, die guten Seiten Wilhelms aufzuzählen und die besonderen Umstände des Thronwechsels für die anfänglichen Fehler verantwortlich zu halten, erkannte Waldersee sehr wohl die Gefahr, daß die neue Machtstellung und der Erfolgsrausch Wilhelm in den Kopf steigen könnten. Es sei zu befürchten, mahnte er am 1 3 . Oktober r 8 8 8 , «daß die großen Erfolge die der junge Herr in seiner kurzen Regierungszeit er­ rungen, und daß ihm Alles zujubelt wo er hin kommt, u. daß alle destructiven Elemente ihn jetzt schon fürchten [ . . . ] ihm fehlerhafte Auf­ fassungen über den eigenen Werth geben können. Es liegt unbedingt die Gefahr vor, daß er sich doch noch für bedeutender hält als er ist und gutem Rath schwer zugänglich wird. Allerdings wird es mit den Erfol­ gen nicht so weiter gehen und können Rückschläge gar nicht ausbleiben. Das Aufsteigen geht zu schnell.» 17 Allenthalben vernahm man noch Monate nach der Regierungsüber­ nahme Klagen, daß Wilhelm sich zwar für militärische Angelegenheiten, nicht aber für die zivilen Staatsgeschäfte interessiere. «Kaiser Wilhelm II. soll fast nie einen politischen Bericht lesen>>, meldete Graf Szechenyi im Januar r 8 89 nach Wien, «während er von den militärischen stets mit eigenen Augen genau Kenntnis nimmt. So geschieht es denn, daß er sich über erstere nur Vortrag halten läßt, wobei es natürlich viel auf den Ton ankommt, in dem ihm der Gegenstand dargestellt wird.>>18 In der kaiser­ lichen Familie erzählte man sich sogar, daß Wilhelm Briefe, die ihm un­ angenehm waren, ungelesen in die Ecke werfe.19 Andererseits las er die ihm vorgelegten Zeitungsartikel mit großer Leidenschaft. Schon Anfang Oktober r 8 8 8 mußte Fürst Bismarck Wilhelms Verlangen nach einer Gesetzesnovelle, die die Pressefreiheit einschränken würde, als aus­ sichtslos und bedenklich ablehnen: Wilhelm müsse sich «die hinrei­ chende Preßschwiele>> bilden und sich weniger von der Zeitungskritik aufregen lassen. Der Kanzler lehnte auch den Vorschlag seines Sohnes,

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wonach dem Kaiser Zeitungsausschnitte nicht mehr wie bisher vom Literarischen Büro, sondern durch den Unterstaatssekretär im preußi­ schen Staatsministerium ausgesucht und vorgelegt werden sollten, als undurchführbar ab, da kein Beamter bei der Auswahl der Artikel «die Mittelstraße zwischen langweilig und bedenklich» würde finden können. Die Ausschnitte für den Kaiser müßten eben «pikant» sein, und das würde immer gefährlich bleiben, solange sich der Monarch von Zei­ tungsartikeln beeindrucken und aufregen ließe. 20 Im Sommer 1 8 89, ein Jahr nach der Thronbesteigung, faßte Herbert Bismarck für seinen Vater die Hauptmerkmale der Arbeitsweise des Kai­ sers zusammen. In einem Brief an den Schwager Rantzau führte er aus: «S.M. verfährt in Seiner Politik hastig und stoßweise, und das kommt daher, daß Ihm die soliden, auf Studium und Nachdenken gegründeten Unterlagen bisher fehlen. S.M. liest nicht gern längere Schriftstücke (Wittich sagte mir, sobald sie über 4 Seiten betrügen, schriebe Er regel­ mäßig darauf ohne sie zu lesen) wenigstens nicht, sobald es Ar­ gumentirungen und Auseinandersetzungen sind: erzählende Berichte schon eher, u. am liebsten Zeitungsartikel. Ph. Eulenburg hat auch wie­ derholt beobachtet, daß Er bei allen Eingängen die Zeitungsausschnitte gern u. zuerst liest, das Schriftliche meist zunächst bei Seite legt. So kommt es, daß S.M. Sich Seine Meinungen auf Grund mündlicher Mit­ theilungen und Unterredungen bildet, mitunter beeinflußt durch Preß­ stimmen. Ich habe Papa wiederholt von meiner Erfahrung gesprochen, daß man mit S.M. mündlich viel weiter kommt u. leichter verhandelt, als schriftlich. Darum melde ich mich oft zum Vortrag, wenn ich auch nur Sachen vorzulesen habe, denn ich bin sicher, daß S.M. dabei stets die eine oder die andere Frage Selbst anregt, über die dann mündlich leicht Verständigung zu erzielen ist. Schriftliche Berichte werden, wie gesagt, nur obiter gelesen, u. quadriren sie nicht mit S.M.'s vorgefaßter Mei­ nung, so fordern sie Widerspruch nebst Eigensinn heraus u. erhalten grobe Marginalien. Im mündlichen Verkehr ist S.M. immer sehr höflich u. verbindlich. Sein Großvater war übrigens grade so.>>21 Herbert hatte gut reden, denn er hatte fast uneingeschränkten Zugang zum Herrscher; abgesehen von den Militärs und den Marineführern kamen die übrigen Minister und Staatssekretäre nicht an ihn heran. Selbst Holstein, der zu dieser Zeit noch zugab, «nun mal was für ihn übrig» zu haben, regi­ strierte im November 1 8 89 die «allgemeine Klage darüber, daß S.M. sich vor den Vorträgen>> drücke. Dabei lese Wilhelm dreißig bis vierzig Zei­ tungsausschnitte hintereinander weg und mache Randbemerkungen dar­ auf. Er sei eben «ein eigener Charakter>>.22 Immer lauter wurden die Klagen wegen der - äußeren und inneren ­ Regellosigkeit des Kaisers. Zur Zeit der Douglasschen Rede, die die «unerschütterliche Ruhe>> Wilhelms II. gelobt, zur Zeit der Veröffent­ lichung der Hinzpetersehen Schrift, die zum Schluß den «gesetzten,

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reservierten, würdevollen» Charakter Wilhelms hervorgehoben hatte, bedauerte man in Regierungskreisen verbreitet die «Reisepassion>> des Kaisers.23 In Potsdam nannte man ihn wegen seiner beständigen Ab­ wesenheit «Wilhelm den Auswärtigen>>.24 Nach der ersten Nordland­ reise im Sommer r 8 89 beklagte Philipp Eulenburg die große Rastlosig­ keit des Kaisers, indem er schrieb: «Die Gesundheit des Kaisers war vortrefflich - seine Unruhe unermeßlich. Sein schwankendes Ausse­ hen läßt leider auf eine gewisse nervöse Disposition schließen, die Leut­ hold beunruhigt, doch ist Leuthold ein Schwarzseher schlimmster Sorte.>>25 Vom 2 r . Oktober bis zum r 2. November r 8 89 hatte ein bürgerlicher Außenseiter, der Kommandant des Panzerschiffes Kaiser, Vize-Admiral Paul Hoffmann, Gelegenheit, auf der Mittelmeerreise von Genua nach Athen und Konstantinopel Wilhelm II. genau zu beobachten. Auch er war frappiert von der offenen Weigerung des Monarchen, Vorträge ent­ gegenzunehmen. Wiederholt habe der Kaiser zum mitreisenden Chef des Militärkabinetts gesagt, «auf See werden keine Vorträge gehört».26 Wäh­ rend der ganzen Reise habe Wilhelm nur einmal Vorträge entgegenge­ nommen, und zwar in Athen, «sonst lehnt er alles ab», stellte Hoffmann verwundert fest. Als der Flügeladjutant Freiherr von Senden-Bibran bei der Ankunft in Athen darum bat, einen Vortrag im Auftrag des Auswär­ tigen Amts zu erledigen, wandte sich der Kaiser zu Hoffmann und sagte: «Man kann doch nicht verlangen, daß ich Vorträge höre, wenn ich zum ersten Mal Griechenland zu sehen bekomme.»27 Weigerte sich der Kaiser, während der Mittelmeerreise Vorträge entge­ genzunehmen, so brachte er andererseits täglich mehrere Stunden mit kindischen Spielen zu. Verständnislos hielt Hoffmann in seinem Tage­ buch die «große Zähigkeit» fest, mit der Wilhelm II. j eden Tag das Wurfringspiel «Bleiglatt» spielte. «Dieses Spiel wird bis zur Erschlaffung betrieben und ich habe absolut keinen Sinn dafür. Auch allen anderen Teilnehmern ist es auf die Dauer herzlich langweilig geworden, aber der Kaiser ist unermüdlich.»28 Als Unterhaltungslektüre habe sich Wilhelm die soeben erschienenen Vorlesungen seines früheren Germanistiklehrers Carl Werder über Schillers Wallenstein mitgebracht,29 aber von ernsthaf­ ter Arbeit könne nicht die Rede sein, konstatierte der Vize-Admiral, nachdem er den Kaiser mehr als zwei Wochen hatte beobachten können. Den typischen Tagesablauf an Bord schilderte er wie folgt: «Nachmit­ tags wurde wieder bis Dunkelwerden auf dem Hinterdeck ge­ spielt. Nach dem Mittagessen setzte sich der Kaiser zum PikettspieL Höchst selten kommt es vor, daß der Kaiser einmal eine Stunde sich selbst beschäftigt, und dann liest er zu seiner Unterhaltung z.B. Vorträge über Schiller's Wallenstein. Daß er allein , d.h. sich mit Dienst­ sachen allein beschäftigt, habe ich noch nicht erfahren. In der Regel ver­ langt er gesellschaftliche Unterhaltung, Zerstreuung irgendwelcher Art

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und ist bei jeder Art derselben mit großer Lebhaftigkeit bei der Sache, andauernder als alle Teilnehmer.»30 Im November 1 8 89 hielt Waldersee in seinem Tagebuch erstmals eine Abnahme in der Beliebtheit des Kaisers fest. Plötzlich höre man überall Klagen darüber, daß Bismarck dem Kaiser gegenüber zu nachgiebig sei. Nur der Reichskanzler hätte die Autorität gehabt, gegen zwei kostspie­ lige Projekte Wilhelms - die neue Hohenzollern für viereinhalb Millio­ nen und die kaiserliche Wohnung in Frankfurt für zwei Millionen Mark - Einspruch zu erheben. Die anfängliche Popularität des Kaisers, die darauf beruhte, daß außer der extremen Linken jede Partei ihn für sich gewinnen wollte, habe bereits ihren Höhepunkt überschritten und werde demnächst «rückwärts gehen», urteilte er. 31 Zum ersten Mal kritisierte der Chef des Generalstabes jetzt - nach­ dem er tieferen Einblick gewonnen hatte - die Persönlichkeit und die Regierungsweise Wilhelms II., die er allerdings hier noch als Folge des Bismarckschen Systems interpretierte. des Kaisers bestellt war. 2.

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Gewiß gehörte es zu den vorrangigsten Zielen Wilhelms II., wie Douglas in seiner Rede hervorhob, das «monarchische Prinzip>> in Preußen und Deutschland zu festigen, doch unterschied sich seine Auffassung dieser Aufgabe in einigen wesentlichen Punkten von jener Bismarcks. War nach der Überzeugung des Reichsgründers das Verfassungsprinzip der «Persönlichen Monarchie>> als legale Fiktion gedacht, mit der sich der Obrigkeitsstaat gegen die Flutwelle des Parlamentarismus und der De­ mokratie würde schützen können, nahm Wilhelm die Theorie wörtlich und verstand sie als Legitimierung seiner Eigenherrschaft, ja mehr noch: als ihm vom Himmel auferlegte Verpflichtung zur Verteidigung der Monarchie von Gottes Gnaden. Nichts regte ihn so sehr auf wie der Verdacht, die Reichs- oder Staatsregierung, der Reichstag, die politi­ schen Parteien oder die Presse könnten versucht sein, seine Prärogative als König von Preußen und Oberster Kriegsherr zu beeinträchtigen. «Ich bin gewohnt, daß mir gehorcht wird, [ . . . ] auf Diskussionen lasse ich mich nicht ein. [ . . . ] Ein Kaiserwort soll man nicht drehen oder deu­ teln>>, insistierte er schon in der Zeit vor der Entlassung Bismarcks.34 Zu diesen aus der absolutistischen Zeit überkommenen Rechten der preußi­ schen Krone kamen in seinen Augen die Würde und Machtfülle des neuen Kaisertums hinzu, das er - auch darin wich sein Verfassungsver­ ständnis drastisch von der Bismarckschen Interpretation ab - durchaus als Fortsetzung des mittelalterlichen Kaisertums mit seinen universalen Reichsansprüchen betrachtete, wie dies wohl am klarsten in jener denk­ würdigen Äußerung an seine Mutter kurz nach Bismarcks Tod zum Ausdruck kam: 35

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Von Anbeginn seiner Regierung bis ans Lebensende faßte Wilhelm II. den Verteidigungskampf des monarchischen Prinzips gegen die Demo­ kratie als einen internationalen Konflikt zwischen Gut und Böse auf, den zu führen in erster Linie ihm als dem Deutschen Kaiser oblag. r 893 erklärte er Papst Leo XIII.: «Wir Monarchen repräsentieren das Gottes­ gnadentum und die konservative Politik. Die Republik und mit ihr der Radikalismus dagegen basiere auf Königsmord, Abschaffung des lieben Gottes und habe zum Zweck den Umsturz aller bestehenden Ordnung. [ . . . ] Das [französische] Volk komme nicht zur Ruhe und Stabilität, weil es seinem Könige, der ihm von Gott gesetzt, den Kopf abgeschlagen, die Kirche geschändet und die Gottheit verhöhnt habe.>>36 Noch im Welt­ krieg, als Millionen gefallen waren, erklärte er dem ungläubigen ameri­ kanischen Botschafter gegenüber, nur Kaiser und Könige wie er, der Zar und George V. hätten das Recht, über Krieg und Frieden zu entscheiden; bloße Republiken wie die Vereinigten Staaten und Frankreich könnten in solchen Fragen nicht mitsprechen.37 Mit jedem Jahr - mit jedem Wahlsieg der Sozialdemokratie, mit j edem neuen Zeichen der Demokratisierung der katholischen Zentrumspartei, mit dem Durchbruch der Vereinigten Staaten von Amerika zum Welt­ machtstatus - hätte der Kaiser erkennen müssen, daß er mit seiner mon­ archischen Ideologie auf verlorenem Posten stand. Zudem wurde das von ihm hochgehaltene Prinzip der Persönlichen Monarchie nicht nur von unten und vom westlichen Ausland, sondern auch von innen - von seinen schwächeren und weniger autokratisch auftretenden Königs­ «Kollegen>> - zunehmend in Frage gestellt, und Wilhelm reagierte auf alle diese Bedrohungen mit einer in der Geschichte der europäischen Fürstenhäuser wohl beispiellosen Heftigkeit. Im Sommer r 89 5 schrieb er dem Kronprinzen Gustav von Schweden und Norwegen, dessen Vater Oskar II. müsse sich zusammenraffen und Härte zeigen, wenn er nicht als Verräter des monarchischen Prinzips in die Weltgeschichte eingehen wolle. «Auch das monarchische Prinzip als solches würde auf das emp­ findlichste leiden>>, warnte er, wenn König Oskar nicht mit Entschieden­ heit gegen die Freiheitsbewegung in Norwegen vorginge. Das monarchi­ sche Prinzip sei «SO schon durch Portugals, Serbiens und Griechenlands König in Mißkredit gekommen. Möge Dein Vater davor bewahrt blei­ ben, solchen Kollegen zugezählt zu werden. Seine Pflicht als Monarch und König ist es, seine persönlichen Gefühle hintenan zu setzen und seiner Pflicht zu gehorchen, die von ihm erheischt, daß er Respekt und Gehorsam vor der königlichen Autorität in seinen Landen schafft.>>38 Die bemerkenswerteste Quelle, die uns Zugang zu der eigentümlichen Gedankenwelt Kaiser Wilhelms gewährt, sind dessen Randbemerkungen auf diplomatischen Berichten. Zahlreiche solcher Bemerkungen, anfangs oft auf kleinen Trauerumschlägen geschrieben, sind bis heute unbekannt geblieben, da die Bismarcks sie in einem Blechkasten im Auswärtigen

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Amt sekretieren ließen: Sie waren selbst für den internen Geschäftsgang in den Räumen der Wilhelmstraße zu brisant.39 Bereits in der Kronprin­ zenzeit, als er seinen Vater vertrat, mußte der Reichskanzler Dokumente mit Wilhelms Marginalien verschließen lassen.40 In den ersten Regie­ rungsmonaten befahl Bismarck sodann die Sekretierung von mehreren Dutzend Auslandsberichten, die allzu grobe Randbemerkungen des Kai­ sers trugen. Selbst der Reichsgründer fand offensichtlich nicht den Mut, dem jungen Kaiser von dieser verheerenden Unsitte abzuraten. Statt des­ sen erhielt eine Schreibkraft den Auftrag, da der ursprüngliche Text für die Bearbeitung im Auswärtigen Amt benötigt wurde, die Berichte ohne die Marginalien abzuschreiben.41 Bismarcks Nachfolger, General von Caprivi, hielt zunächst an der Bismarckschen Praxis fest, ließ dann aber in seiner zweiten Amtshälfte immer mehr Dokumente mit den Randbe­ merkungen Wilhelms in den Amtsräumen umlaufen. Unter Reichskanz­ ler Fürst zu Hohenlohe und erst recht unter Bernhard von Bülow hielt es keiner mehr für möglich oder nötig, die Marginalien Wilhelms zu ver­ heimlichen. Dieser schleichende Sittenverfall im öffentlichen Leben spie­ gelt den Aufstieg der kaiserlichen Macht gegenüber der Staats- und Reichsverwaltung im ersten J ahrzwölft der Regierung Wilhelms II. exakt wider. Er führte aber später, als die Akten des Auswärtigen Amts in den 1 92oer Jahren in mehr als vierzig Bänden veröffentlicht wurden, ge­ wissermaßen zu einer optischen Täuschung. Ohne Kenntnis der sekre­ tierten Marginalien mußte der aufmerksame Leser aus der Aktenpubli­ kation den Eindruck gewinnen, als wäre Wilhelm erst nach und nach auf den Geschmack gekommen, die amtlichen Berichte seiner Diplomaten mit ruppigen Randbemerkungen zu versehen. Tatsächlich aber setzte diese Unart, wie erwähnt, schon vor der Thronbesteigung ein. Diese frü­ hen Randbemerkungen, die heute in einem Asservat des Auswärtigen Amts aufbewahrt werden, werfen ein grelles Licht nicht nur auf die merkwürdige Kaiserideologie Wilhelms II., sondern auch auf seine ab­ schätzige Meinung von anderen Monarchen gleich zu Beginn seiner Regierung. Wilhelms schwindelerregende, quasi-absolutistische Auffassung von seiner Rolle als Kaiser äußerte sich (wie in einem Spiegelbild, das seiten­ verkehrt und dennoch wahrheitsgetreu das eigene Gesicht zeigt) in seiner höhnischen Verachtung für andere Regenten, die gewillt oder gezwungen waren, konstitutionelle Formen zu wahren. Ganz besonders verachtete er seinen Coburger Verwandten Dom Pedro, der als Kaiser von Brasilien abgedankt hatte. Seitdem sei das Land in einem schrecklichen Zustand, donnerte er, und alles, «weil der Monarch feige seinen Posten den ihm Gott anvertraut verließ ! >>42 Verachtung mischte sich mit Entrüstung, als ihm der Übertritt des Erbgroßherzogs Wilhelm von Luxemburg, der als Nassauer von Wilhelm von Oranien abstammte, in die katholische Kir­ che gemeldet wurde. Den Religionswechsel bezeichnete der Kaiser als

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«beschämend» und «entsetzlich! » «Die Epigonen sind des großen Ora­ niers völlig unwerth>>, stieß er aus und erklärte, «jetzt geht die Pflicht [als Hort des Protestantismus] auf mein Haus als das nächste über>>.43 Mit Widerwillen verfolgte Wilhelm die Entwicklung in Rumänien, die in der farbigen, bereits j etzt schon auf ihn zugeschnittenen Berichterstat­ tung des dortigen Gesandten Bernhard von Bülow, des nachmaligen Au­ ßensekretärs und Reichskanzlers, einprägsam dargestellt wurde. Dem König Carol, der aus dem verwandten (katholischen) Hause Hohenzol­ lern-Sigmaringen stammte, warf der Kaiser vor, durch seinen verfas­ sungskonformen Regierungsstil an der Beseitigung der monarchischen Ordnung seines Landes «tapfer>> mitzuwirken. Der «kurzsichtige>> König merke gar nicht, daß man ihn beseitigen wolle; er höre nicht auf Berlin, das ihm «schon wer weiß wie lange» die Gefahr einer parla­ mentsfreundlichen Politik vor Augen zu führen suche. Dank der «Schlappheit>> und Blindheit des Königs sei Rumänien auf dem besten Wege, ein zweites Polen zu werden, das von Rußland «einfach gefres­ sen>> werden würde. «Polnische Zustände>> herrschten j etzt schon in Ru­ mänien, behauptete Wilhelm im Februar I 8 89 und schrieb das Wallen­ stein-Zitat «Du bist blind mit Deinen sehenden Augen! » an den Rand eines Berichts: Er las gerade, wie wir wissen, die Schiller-Vorlesungen von Carl Werder. Die rumänische Monarchie werde «an ihrem confusen Idealismus zu Grunde gehen! ! » prophezeite der junge deutsche Herr­ scher. «Unglaublich! >> fand er die von Bülow gemeldete Ernennung der liberalen Regierung unter der Leitung Lascar Catargis im Februar I 8 89: Der neue Premierminister sei ein «Hundsfott! >>, er und sein Außenmini­ ster «Schlappschwänze ! >>, das Kabinett ein «Angenehmes Pack! », das «einem Ministerium Richter-Windthorst-Rickert-Virchow» gleiche, er­ klärte er. Der «Segen des mit constitutionellem Königthum verbündeten Parlamentarismus» werde die Anarchie sein, sagte Wilhelm im Novem­ ber I 8 89 voraus. Die Konzessionsbereitschaft König Carols - Wilhelm nannte ihn spöttisch «Carol den Großen» 44 - konnte er sich nur mit dem fehlerhaften Kalkül erklären, dem «Bock [ . . . ] einige Kohlköpfe» zu geben, «damit er nicht den ganzen Garten abfrißt». 47 Der König möge «sie doch in eine Wasserheilanstalt>> stecken, vermerkte er, sie sei doch nichts als ein «verrückter Blaustrumpf! >> 48 Überhaupt habe sie als Frau die Finger von der Politik zu lassen, denn «Unterröcke gehören nicht in die Politik, vollends nicht wenn sie blaue Strümpfe haben>>.49 «Bei Allem Unheil: ehereher la femme! » kritzelte er an den Rand eines Berichts aus Bukarest.50 Angesichts der fortschreiten­ den Parlamentarisierung Rumäniens war Wilhelm nur froh, keinen enge­ ren Kontakt zu diesem Land zu haben. Auf die Klage eines rumänischen Nationalisten, daß Rumänien dank seines deutschen Herrscherhauses zu einer deutschen Provinz herabgesunken sei, antwortete der Kaiser: «Gott sei Dank nicht, was sollte ich mit solchen Viechkerls ? ! Ihr seid alle Froschärsche in Deutschlands Augen! »51 Es sei nur gut, wenn der russische Einfluß in Rumänien immer stärker würde. «Im Uebrigen rollt der Rubel ohne Unterlaß ruhig weiter oben und unten.>>52 Voller Spott und Hohn äußerte sich Wilhelm auch über Bulgarien, wo sein Vetter Ferdinand aus dem Hause Sachsen-Coburg und Gotha im Juli I 8 8 7 von der Nationalversammlung zum Fürsten erwählt worden war. Auf der Rückseite eines Trauerumschlags, den Bismarck in Fried­ richsruh sekretierte, schrieb der junge Kaiser: «Petit Ferdinand hält sich blos darum weil die Mächte sich über keinen andren einigen können, und nur solange als Muttern [eine geborene Prinzessin von Bourbon­ Orleans] mit Geld um sich wirft. Einige Klauseln des alten Berl[iner] Vertrages werden mit Energie vertheidigt weil sie augenblicklich passend scheinen; und sollen anscheinend als heilig und unantastbar gelten.>>53 Kaum weniger leidenschaftlich war das Interesse Wilhelms II. an den dramatischen Ereignissen in Serbien, wo sich sein Jugendfreund Milan im Oktober I 8 8 8 scheiden ließ und sodann am 6. März I 8 89 auf den Thron verzichtete. Zunächst wollte der Kaiser von der Ernsthaftigkeit der Absichten Milans nichts wissen. «Wenn einer mit der Pistole in der Tasche umherläuft und Jedem versichert er werde sich umbringen», äußerte er im November, «dann ist I OO zu I zu wetten, daß er es ganz bestimmt nicht thut! Also auch hier! »54 Als sich jedoch die Nachrichten von der bevorstehenden Abdankung des Königs verdichteten, trat Wil­ helm mit verschiedenen Vorschlägen hervor, um Milan zum Verbleib zu bewegen und dadurch den Österreichischen Einfluß in dem Balkanstaat zu bewahren. Im Dezember I 8 8 8, als Prinz Reuß aus Wien berichtete, daß die Russen dem ihnen verhaßten Serbenkönig möglicherweise eine Pension anbieten würden, um ihm den Entschluß zum Verzicht auf den Thron zu erleichtern, erklärte Wilhelm: «Soweit ich den Charakter und die Persönlichkeit König Milan's kenne, scheint mir die Idee der durchaus wahrscheinlich und glaubhaft. Wäre ihm nicht noch mit einer Gesterreichischen Pension zu helfen ? Der Einfluß Oester­ reichs darf in Serbien nicht verloren gehn, und muß mit allen Mitteln dort aufrecht erhalten bleiben. Sonst sind die Oesterreicher später in ihrer Flanke gefährdet ! » Geduldig mußte Bismarck auf die Absurdität dieses Gedankens mit der Bemerkung hinweisen: «Wenn Milan abdicirt hat so ist aber durch die Subvention nichts mehr zu gewinnen. Oestr. müßte ihn bestechen daß er bleibt! >>55 Einige Tage später schlug Wilhelm vor, daß er, da er «dem König sehr nahe stehe und intim>> mit ihm sei, ihm einen «Zuredenden ermunternden Brief>> schreiben könnte.56 Auf diesen Vorschlag ging der Kanzler ein und legte dem Kaiser einen Ent­ wurf zu einem eigenhändigen Brief an den Serbenkönig vor, der diesen zum Verzicht auf die Abdankung bewegen sollte. Als Reuß daraufhin nach Berlin meldete, daß Milan behaupte, abdanken zu müssen, «weil er bestimmt fürchte, wahnsinnig zu werden, wenn er in seinem j etzigen Verhältniß verbleibe>>, trat ein deutlicher Umschwung in dem Verhalten Wilhelms ein. Mehrmals empfahl er in seinen Randbemerkungen die Einlieferung seines Freundes in die Kaltwasseranstalt in Bad Godesberg und schrieb: «Kalt Wasser auf dem Kopf und Friedrichshaller Ritterwas­ ser wo immer wird schon helfen! » Anfang März, als die Nachricht vom bevorstehenden Thronverzicht Milans in der deutschen Hauptstadt ein­ traf, kommentierte sie Wilhelm trotzig mit den Worten: «Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende ! >>57 Und auf einem weiteren Bericht über die Orientreise, die Milan nach der Abdankung unternahm, bemerkte der Kaiser, der Ex-König scheine «tüchtig gev. . . lt [sie] zu haben».58 Die in dieser Randbemerkung zum Vorschein kommende Faszination Wilhelms II. im Hinblick auf das Sexualleben anderer Monarchen und deren Familienangehörigen war ein Charakteristikum der kaiserlichen Marginalien überhaupt, das interessante Rückschlüsse auf seine eigene psychosexuelle Beschaffenheit ermöglicht: Er scherzte einmal, daß er «sehr gerne>> den Sultan wieder besuchen würde, .59 Vom Kronprinzen Ferdinand von Rumänien, der sich zeitweilig mit der Absicht trug, Wilhelms jüngste Schwester zu heiraten, schrieb der Kaiser auf einem offiziellen diplomatischen Bericht: «Mehr als v. . .ln [sie] kann der auch nicht, und das besorgt er hier auch schon.>>60 Als Nachrichten eintrafen, wonach König Carol wegen der schwächlichen Gesundheit Ferdinands besorgt sei, vermerkte Seine Ma­ j estät an den Rand: «In Potsdam hielt er alles gut aus und deckte die Mädchen daß es eine Freude war ! >>61 Die Vermählung des ehemaligen Fürsten von Bulgarien, Prinz Alexander von Battenberg, mit der Schau­ spielerin Johanna Maria Loisinger im Februar 1 8 89 rief erwartungsge­ mäß ebenfalls schmähliche Randvermerke des Monarchen hervor. Den Prinzen charakterisierte Wilhelm als «Hundsfott! >>, und der Braut warf

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er Unvorsichtigkeiteil «horizontaler Natur>> vor. Zu der Namensände­ rung des Prinzen Alexander, der sich nach der Vermählung Graf Harte­ nau nannte, meinte der Kaiser verächtlich: «Pollack bleibt Pollacb.62 Den einstweiligen Tiefpunkt in dieser Beziehung erreichte der Kaiser wohl im Juli r 8 89, als Schweinitz aus St. Petersburg meldete, daß die russischen Prinzen Johann und Gabriel Konstantinowitsch später einmal orthodoxe Bräute auf dem Balkan würden suchen müssen. Kaiser Wil­ helm II. hielt es für angebracht, auf dem amtlichen Bericht des Botschaf­ ters der Überzeugung Ausdruck zu verleihen, die Prinzen würden sich «wohl solange anderweitig helfen! >>63 Zu diesem Zeitpunkt waren die Söhne des Großfürsten Konstantin drei beziehungsweise zwei Jahre alt. Derartige Kommentare bildeten jedoch keineswegs eine Ausnahme. Als Schweinitz meldete, daß sich der Zarewitsch Nikolaus auf seinen Bildungsreisen in Ägypten, Indien und Japan eine habe, urteilte der Kaiser: 64 Auf einem Bericht des Grafen Casimir Leyden aus Kairo, nach dem der Thronfolger Nikolaus und der griechische Kronprinz Georg auf ihrer Nilfahrt die kleinen Mädchen, welche ihnen Blumensträuße überreichten, mit Bril­ lantnadeln bedacht hätten, vermerkte der Allerhöchste Herr: 65 Als er durch einen weiteren Bericht aus St. Peters­ burg von einem Zwist zwischen dem Großfürsten Sergius und einem Archimandriten der russisch-orthodoxen Kirche erfuhr, er­ klärte sich Wilhelm II. den Vorfall mit den Worten: 66 Die Ehefrau des hochadeligen Botschafters der französischen Republik in St. Petersburg bezichtigte er, Y Als die deutsche Botschaft in Petersburg von der großen gesellschaftlichen Beliebtheit der (ursprünglich bürgerlichen) Gräfin Montebello vor allem in großfürstliehen Kreisen berichtete, meinte der Kaiser: 68 Andere Fürsten dienten einfach als Zielscheibe des kaiserlichen Spotts. So vermerkte Wilhelm auf einem Bericht aus Athen, in dem das organisatorische Talent des dem dänischen Hause enstammenden Königs Georg von Griechenland hervorgehoben wurde, daß sich der König viel­ leicht mehr zum Hofmarschall eigne.69 Auf einen engli-

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sehen Zeitungsartikel, der die konstitutionelle Regierungsweise des grie­ chischen Königs lobte, schrieb Wilhelm erregt: «Blödsinn! >>, «Blech ! >> und «richtiger Quatsch! >>70 Als ihm berichtet wurde, daß französische Diplomaten befürchteten, die Verlobung seiner (Wilhelms) Schwester Sophie mit dem griechischen Thronfolger könne dazu führen, daß Grie­ chenland sich von Frankreich ab- und Deutschland zuwenden würde, sah Wilhelm darin nur ein Anzeichen beginnenden Wahnsinns seitens der Franzosen und schrieb einen seiner Lieblingssprüche, «Quos deus perdere vult! etc>>, an den Rand des Berichts. Er erhoffte sich allerdings von dieser französischen Haltung eine heilsame Wirkung auf das däni­ sche Königshaus. «Hoffentlich wird dieses Benehmen in Kopenhagen den etwa noch latirenden Franzosenfreundlichen Gesinnungen einen Wirksamen Stoß geben>>, äußerte er.71 Als sie Mitte I 890 von den primi­ tiven Umständen berichtete, unter denen ihre Tochter Sophie in Athen ihr erstes Kind zur Welt gebracht hatte, bat die Kaiserin Friedrich ihre Mutter, nichts darüber an Wilhelm weiterzuerzählen, denn: «Er zieht immer über den König und die Griechen her & das wird ihnen hinter­ bracht & macht alles so schwierig & ungemütlich; er ist ja so hastig, unklug, unbesonnen & rücksichtslos.>>72 Nach dem Glaubenswechsel So­ phies zur griechisch-orthodoxen Konfession73 gestaltete sich das schon lange gespannte Verhältnis des Deutschen Kaisers zum griechischen Kö­ nigshaus immer feindseliger. Der König der Hellenen sei «vielleicht von Muttern in Copenhagen einstudirt>>, schrieb Wilhelm II. voller Verach­ tung auf einen Bericht aus Athen.74 «Diese Unterröcke sollten doch die Finger von den Dingen lassen>>, schimpfte er, als ihm I 897 von dem Ein­ fluß der dänischen, russischen und englischen Verwandten in Athen be­ richtet wurde.75 Eine Bemerkung des Königs von Sachsen aufgreifend, schrieb Wilhelm, der König der Hellenen «ist und bleibt der wie König Albert ihn immer nennt. Und herrscht über eine Diebesbande>>.76 «Wie kann man Höflichkeit von einem so würde- und manierlosen Mann wie vom erwarten! ! >> fragte er.77 Die Söhne des Königs seien «Lümmels ohne jede Erziehung>>, schrieb er auf einen Gesandtenbericht.78 In weiteren Randbemerkungen notierte der Kaiser, die Griechen seien «elende Hallunken>> und die Athener «unzuverlässige Schufte>>.79 Auf einen Bericht des deutschen Gesandten in Athen, wonach weder der griechische Hof noch das grie­ chische Volk von seinem, des Kaisers, Geburtstag viel Notiz genommen hätten, schrieb dieser, die kühle Haltung der griechischen Majestäten sei «sehr bezeichnend>>, denn «wir lieben uns nicht>>. Die Griechen seien «piquirt>>, meinte er, «da ich ihnen Constantinopel nicht besorgt habe>>.80 Als dann noch ein Bericht aus Lissabon eintraf, wonach am 27. Januar der portugiesische König Carlos niemand zur Gratulation in die deut­ sche Gesandtschaft geschickt hatte, nannte Wilhelm II. auch diesen «Kollegen>> einen «manierlosen Rüpel wie der Hellene».81 -

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Die Monarchenzusammenkunft in Athen anläßlich der Trauung seiner Schwester Sophie am 27. Oktober 1 8 89 bestätigte das überwiegend ne­ gative Urteil des Kaisers über seine Mitregenten. Als der Kaiser auf der Hohenzollern in Piräus eintraf, kam kein griechisches Schiff zur Begrü­ ßung entgegen, der Empfang war formlos, man hatte nichts vorbereitet, weder der König noch die Königin von Griechenland waren anwesend. Selbst die Befähigung als Hofmarschall sprach Wilhelm dem König der Hellenen jetzt ab, indem er «seinem Mißfallen über die herrschende Ver­ wirrung offenen Ausdruck» gab. 82 Die Griechen galten fortab in seinen Augen als ein «jammervolles, prätentiöses Volb.83 Der bürgerliche Kommandant des Panzerschiffes Kaiser, der an der Athener Galatafel teilnehmen durfte, schilderte anschaulich die zur Hochzeit versammel­ ten Fürstlichkeiten: Die Mutter der Braut, Kaiserin Friedrich, habe in hellgrauer Robe wieder viel jünger ausgesehen; ihr Bruder, der Prinz von Wales, sei wie gewöhnlich ein Bild der Gesundheit; dessen dänische Frau Alexandra «fast ebenso jung wie ihre beiden Töchter, der Sohn Eddy [Albert VictorJ mit dem Schwanenhals etwas geckig, der zweite [George] recht vernünftig.» Der Zarewitsch Nikolaus habe andererseits den Eindruck eines «moskowitischen halbwüchsigen Jungen» gemacht und sei «möglichst dreist im Auftreten» gewesen; der König und die Kö­ nigin von Dänemark seien eher wie ein «spießbürgerliches Geheimrat­ Ehepaar>> erschienen. Bei dem als «baisemain>> bezeichneten Fest am fol­ genden Tag, auf dem die Prinzessin Sophie im neugriechischen Kostüm erschien, weigerten sich die amerikanischen und französischen Gesand­ ten - «wohl als Republikaner! >> -, die Hand der Braut zu küssen.84 Am 3 1 . Oktober dampfte das deutsche Geschwader, bestehend aus Kaiser, Hohenzollern, Deutschland, Preußen, Friedrich der Große, Irene, Pfeil, Wacht, dem für das sehr zahlreiche Gefolge gemieteten Lloyd­ Dampfer Danzig und dem Flaggschiff des Admirals Deinhard, Leipzig,

weiter nach Konstantinopel, wo ihnen drei große Dampfer, bepackt mit Deutschen, entgegenkamen, von denen sie «mit unendlichem Hurra­ geschrei, Gesang patriotischer Lieder und Tücherschwenken>> begrüßt wurden.85 Für den Empfang durch Sultan Abdulhamid II. legte Kaiser Wilhelm II. die rote Husaren-Uniform an, «gewiß>>, vermutete Vize­ Admiral Hoffmann, «weil sich das grüne Ordensband auf derselben recht türkisch ausnimmt>>.86 Hier tat sich für deutsche Augen eine exoti­ sche, fast sündhaft opulente monarchische Welt auf. Der Kiosk, in dem der Kaiser und die Kaiserin im Yildiz untergebracht wurden, war «Über­ reich>> und mit allem möglichen Luxus ausgestattet. 87 «Das Diner war sehr reich, die Tafel prunkvoll arrangiert, man speiste nur von Gold. Alle Tafelaufsätze waren Gold und Bronze, ebenso Löffel, Messer und Gabel. [ . . . ] Die Verschwendung, welche beim Sultan zur Schau getragen wird, stößt ab, weil man weiß, wie elend es im Staate geht. Der Sultan ist in der Mitte der Vierziger>>, konstatierte Hoffmann, «er ist mager, hat

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sehr scharfe, jüdische Züge und macht einen nervenkranken Ein­ druck.»88 Der Kaiser hatte als Geschenke für den Sultan eine große Ro­ koko-Uhr mit Figurenschmuck zum Preis von I 8 oo Mark und zwei neunarmige Kandelaber im Wert von I I OO Mark mitgebracht,89 doch diese kostbaren Gaben wurden von den Gastgeschenken des Sultans weit übertroffen: Dem Kaiser verehrte Abdulhamid zum Abschied «einen ungemein kostbaren Säbel», der Kaiserin unter anderem ein Schmuckstück, dessen Wert allein auf I o.ooo Pfund geschätzt wurde.90 Allgemein war man in der kaiserlichen Umgebung von dem «sinnlosen Luxus», dem «Hoftaumel, Ordensschwindel und Etikettenjammer» in Konstantinopel angewidert.91 Bei der Einschiffung am 6. November konnte Hoffmann feststellen, daß auch «die hohen Herrschaften>> froh waren, wieder an Bord zu sein, zumal die Kaiserin behauptete, in ihren Gemächern Wanzen gefunden zu haben.92 Politisch brachte der Antritts­ besuch Wilhelms li. in Konstantinopel, der in Rußland mit Argwohn beobachtet wurde, wenig Vorteile. Beim Abschied sprach der Kaiser die Hoffnung aus, daß der Sultan «seine (des Kaisers) Politik von nun an nicht mehr mit Mißtrauen>> ansehen werde, worauf Abdulhamid antwor­ tete, daß man «leider versuche, die deutsche Politik bei ihm zu verdäch­ tigen und daß dies sogar in den Tagen der Anwesenheit seines hohen Gastes noch versucht worden sei>>.93 Wenige Jahre später bezeichnete Wilhelm II. den Sultan als «elenden Schurken der nicht mehr Beachtung verdient>>.94 Die ambivalenten Eindrücke, die Kaiser Wilhelm li. von seinen kö­ niglichen «Kollegen>> in Athen und Konstantinopel empfing, waren also nicht dazu angetan, seinen Glauben an die Widerstandskraft der monar­ chischen Ordnung im Kampf gegen die demokratische Strömung der Zeit zu festigen. Er wurde auch nicht gerade verstärkt durch die Ge­ heimnachrichten, die während der Hochzeitsfeier in Athen über den Tod König Luiz' von Portugal eintrafen: Als die Ärzte mit der Autopsie an der «Leiche>> begannen, vernahmen sie die Bitte des scheintoten Kö­ nigs, ihm doch nicht so weh zu tun!95 Ebensowenig war seine Begeg­ nung mit Schah Nassr ed-din von Persien, dem , in Berlin im Juni I 8 89 geeignet, etwaige innere Zweifel zu beseitigen. Noch auf der Mittelmeerreise im November erzählte der Kaiser von ihm und sagte zu Hoffmann: und sei jedenfalls «so aufgekratzt und guter Laune wie ich ihn nie ge­ sehn>>. Trotzdem sei er offenbar verstimmt über die ihm zuteil gewor-

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Der Kaiser und das «monarchische Prinzip»

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dene Behandlung in Rußland und vor allem über seine Abschiebung nach Warschau, wo er gezwungen war, dreizehn Tage zu verbringen. «Varsovie pas belle ville>>, habe der Schah geklagt. Bei Tisch am I r . Juni habe er den Kaiser eingehend über die Zustände in der italienischen Ar­ mee und Marine ausgefragt und habe wissen wollen, als ihm der «Pariser Einzugsmarsch>> vorgespielt wurde, «ob wir noch einmal hineinmar­ schieren würden, worauf ich erwiderte wenn wir dazu gezwungen wer­ den ja>>. Darauf habe der Schah dem Kaiser leise zugeflüstert: «Fran'>, und als dieser eingestand, «daß nicht ganz leicht mit ihnen zu leben sei>>, habe der Schah erwidert: «Ce sont des Saltimbanques.>>97 Dem britischen Botschafter teilte Wilhelm anschlie­ ßend mit, daß der Zar dem Schah mit dem Einmarsch von I Oo.ooo Mann gedroht habe, falls er Zugeständnisse an die Engländer mache; zweimal habe der Perser ihn, den Deutschen Kaiser, für einen solchen Notfall um Hilfe gebeten.98 Mit seiner Verachtung für seinen - allerdings sehr eigentümlichen englischen Vetter Albert Victor, den ältesten Sohn des Prinzen von Wales, wußte der Kaiser kaum an sich zu halten, als jenem, dem präsum­ tiven künftigen König von England, I 89o der Titel Herzog von Clarence verliehen wurde. In einer längeren Randbemerkung, in der er sogar auf das umlaufende Gerücht von der Homosexualität des neuernannten Herzogs anspielte, schrieb der Kaiser: «Na! ich danke ! Deutsch kann er nicht, Französisch auch nicht; wußte nicht ob München ein Fluß oder eine Stadt sei, und hatte keine Ahnung wer Fried. d. Große sei! Dafür stand er unter bedenklichem Verdacht im vorigen Herbst. Und das nennt man vortrefflich vorbereitet [auf seinen fürstlichen Beruf] ! ! ! Im Grunde ist es in England egal da er doch nichts zu sagen haben soll und wird.>>99 Als im Januar I 892 die Nachricht von dem plötzlichen Tod des Herzogs eintraf, brach der Kaiser nicht einmal sein Jagdvergnügen in Bückeburg ab, was in der Familie sehr übel aufgenommen wurde.100 Colonel Leopold Swaine, der Anfang I 892 nach einer Abwesenheit von drei Jahren als Militärattache nach Berlin zurückkehrte, war empört über die Herzlosigkeit Wilhelms II. und besonders über die Tatsache, daß der Kaiser sich sogar geweigert habe, an dem Gottesdienst für den verstorbenen Vetter teilzunehmen. «Das außergewöhnliche, an Herz­ losigkeit grenzende Benehmen des Kaisers anläßlich des Todes des Her­ zogs von Clarence hat Überraschung und Bedauern selbst in seiner eng­ sten Umgebung ausgelöst, doch es fand keiner am Hofe den Mut, seine Meinung offen zum Ausdruck zu bringen>>, schrieb der Militärattache degoutiert.101 Von den deutschen Bundesfürsten verlangte Kaiser Wilhelm II. ein «nationales>> Verhalten - und sah sich in dieser Erwartung nicht selten enttäuscht. Das traf namentlich auf das katholische bayerische Königs­ haus zu, das eine stark partikularistische Haltung an den Tag legte. Als

Der junge Kaiser

der württembergische Gesandte in München, Soden, wegen gewisser militärischer Abmachungen zwischen Württemberg und Preußen in Bayern angegriffen wurde, schrieb Wilhelm II. auf den Bericht aus Mün­ chen: «Dann soll Soden seine Pflicht thun und den hochnäsigen Wirtels­ bachern antworten, was der König von Württemberg thue gehe Nie­ mand was anl >>102 Mit Argwohn betrachtete der Kaiser die engen Bezie­ hungen zwischen Großherzog Ludwig IV. von Hessen-Darmstadt und den englischen und russischen Königshäusern: Ludwig war mit der 1 8 78 verstorbenen Prinzessin Alice von Großbritannien, der Schwester der Kaiserin Friedrich, verheiratet gewesen, und seine Tochter Ella war mit dem jüngeren Bruder des Zaren Alexander 111. vermählt. Als Schweinitz im Frühjahr r 8 89 eine Verlängerung des Aufenthalts des Großherzogs in St. Petersburg bis nach dem Geburtstag des Zaren meldete, schrieb Wil­ helm voller Hohn auf den Bericht: «Kreuzmillionen Donnerwetter! Er wird doch nicht den Charakter als Großfürst erhalten ? ! >>103 Zum Erstau­ nen vieler verhielt sich Wilhelm II. im Falle eines anderen deutsch-eng­ lischen Fürsten wenigstens dem Scheine nach ganz anders. Als sein Großonkel, der Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg-Gotha im August 1 893 starb, soll der Kaiser «in Thränen gebadet vor dem Sarge gekniet, wie manche sagen gelegen>> haben, wie Waldersee vermerkte, der aller­ dings den kaiserlichen Schmerz nicht ernst nehmen konnte, da «der Großonkel [ . . . ] dem Kaiser innerlich nie nahe gestanden>> habe und es «dem letzteren unmöglich entgangen sein>> könne, «wie wenig Achtung der Herzog in der Welt genossen habe>>. In Waldersees Augen konnte es in der Tat «kaum Jemand geben, der einem Throne so wenig Ehre macht als dieser Coburger>>. Der verstorbene Herzog sei nämlich «ein mora­ lisch sehr tief stehender Mann>>, der «völlig karakterlos, falsch, verlogen, renommistisch u. intriguant» gewesen sei. Der Nachfolger auf dem Thron war Alfred Herzog von Edinburgh, der zweite Sohn der Queen Victoria, was zunächst als bedenklich galt, da man sich einen englischen Prinzen und Admiral nicht gut als deutschen Fürsten vorstellen konnte; doch die Stimmung wandelte sich, als der neue Herzog einige der Günstlinge und Mätressen des alten «fortjagte>>.104 Besonders erzürnt war der Kaiser auch über die Gewohnheit des württembergischen Königs Karl, zusammen mit seinen homosexuellen amerikanischen Günstlingen den Winter an der lebenslustigen französi­ schen Riviera zuzubringen. Auf einem Bericht aus Stuttgart regte er an, «in vertraulicher Weise dem betreffenden nahe zu legen wie es sich für regier: Reichsfürsten nicht passe in Cannes sich mit Internationalen zu amüsiren, derweilen deutsche Bürger recht- und schutzlos in Frankreich sind. Dazu wäre auf den Aufenthalt an der ital: Riviera aufmerksam zu machen.>> Wilhelm mußte freilich einräumen, daß «leider>> auch andere deutsche Fürstlichkeiten sich durch die gespannte politische Lage nicht abhalten ließen, jeden Winter in Cannes oder Nizza zu verbringen.105

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Der Kaiser und das «monarchische Prinzip»

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Nach dem Tod König Karls im Oktober r 89 r warnte Waldersee vor den partikularistischen Neigungen seines Nachfolgers, Wilhelm II. von Württemberg, der durch den Einfluß seines Hofmarschalls Plato, «eines sehr üblen Burschen», und seiner intriganten Frau in seiner preußen­ feindlichen Haltung bestärkt werde. «Der Kaiser meinte aber soviel Gewalt über den Prinzen [Wilhelm] zu haben, daß er nicht auswei­ chen würde.>>106 Am Ende waren es nur zwei Bundesfürsten, für die Wil­ helm II. einen gewissen Respekt bewahrte, König Albert von Sachsen und Großherzog Friedrich von Baden, aber selbst deren Einfluß auf den jungen Kaiser war gering und zeitlich begrenzt. Als König Albert im Sommer r 896 eine Englandreise unternehmen wollte, erhielt er zwar vom Kaiser die Versicherung, daß er politisch dagegen keine Bedenken habe, aus seinem Ressentiment angesichts der Einladung des Sachsenkö­ nigs machte er jedoch keinen Hehl. An den Rand eines Berichts aus Dresden schrieb er: «Na was da der biedere Deutsche zu sagen wird ! ich soll nicht nach Cowes aber der König geht sogar nach London etc. ! Der ist ja anscheinend überhaupt im Reiche jetzt der Erste ! >>107 In einem Fall glaubten die engsten Vertrauten des Kaisers allerdings noch eine uncharakteristische jugendliche Schüchternheit feststellen zu können, die darauf hindeute, daß er «seinen älteren Verwandten gegen­ über immer noch nicht genug das Gefühl [habe], Souverän und Kaiser zu sein>>; «Das muß die Zeit noch ändern>>, meinte Herbert Bis­ marck.108 Diese Bemerkung bezog sich auf den verlegenen Eindruck, den der Kaiser in seinen Gesprächen mit Philipp Eulenburg im Berliner Schloß am 2. Januar r 8 89 machte, als die beiden Freunde auf die «son­ derbaren welfischen Absichten>> des Prinzregenten Albrecht von Braun­ schweig zu sprechen kamen. Dieser preußische Prinz, ein Onkel des Kaisers, der seit r 8 8 5 als Prinzregent in Braunschweig fungierte, war mit Prinzessin Marie von Sachsen-Altenburg verheiratet, deren Tante wie­ derum die Mutter des Herzogs Ernst August von Cumberland, also des Prätendenten auf den Thron von Hannover, Braunschweig und Lüne­ burg war. Der Kaiser, der hinter den «welfischen Absichten>> seines On­ kels «wie gewöhnlich>> eine englische Intrige erblickte, konnte sich die angeblich preußenfeindliche Haltung des Prinzregenten nicht erklären und sagte «in einem Ton leicht herabgestimmter Energie», wie Eulen­ burg dem Staatssekretär berichtete: «> Eulenburg gewann bei diesem Gespräch den Eindruck, «daß es Sr. Majestät peinlich ist, den Präzeptor des Onkels zu spielen>>.109 Später ließ Wilhelm seinem Freund wissen, wie es seiner Überzeugung nach in Wirklichkeit mit dem «Cha­ rakter und der ganzen Stimmung>> des Prinzregenten Albrecht bestellt sei. «Die mehrfachen Kuren, welchen sich der Onkel in Dresden unter­ zieht, sind offiziell auf Stärkung der Nerven gemünzt. In Wahrheit liegt

Der junge Kaiser

die Sache viel ernster: durch das kolossale Schnupfen hat er seine Kopf­ und Nasennerven dergestalt überreizt, daß bereits bedenkliche Aus­ strahlungen dieser Überreizung nach dem Gehirn stattfinden. Es ist dies mit einem Wort eine Nicotinvergiftung des Gehirns durch Schnupf­ tabak, welche drohend im Hintergrunde steht; dieselbe könnte zu Kalt­ wasser- oder Irrenanstalt führen.»110 Nichts demonstrierte deutlicher die menschliche und politische Brü­ chigkeit der überkommenen monarchischen Welt, die Kaiser Wilhelm II. repräsentierte und gegen den Strom der Zeit aufrechtzuerhalten ent­ schlossen war, als der Tod seines früheren Freundes und Altersgenossen, des Kronprinzen Rudolf von Österreich, in Mayerling am 29. Januar 1 8 89. Mit Recht meldete Herbert Bismarck nach Friedrichsruh, daß der Kaiser durch dieses Ereignis «sehr erschüttert» sei und «auch jetzt nur schwer an einen Selbstmord glauben>> könne.111 Der Österreichische Bot­ schafter in Berlin berichtete, daß der Kaiser, nachdem er die Todesnach­ richt erhalten hatte, eine geraume Zeit bei ihm zugebracht habe, «und ich kann versichern, daß es keine konventionelle Trauerkundgebung war, welche bei Ihm zu Tage trat, sondern eine tiefgehende Erschütterung und eine innige, herzliche Theilnahme. Der Kaiser hatte keine Ruhe und wechselte beständig Platz, theils stehend, theils sitzend, und bei Allem was Er sprach, gab sich Seine innere Erregung kund.» Wilhelm äußerte den für ihn «doch natürlichen» Wunsch, der dann nicht in Erfüllung ging, in eigener Person zur Beisetzung nach Wien zu fahren, schrieb Szechenyi. Auch nach dem Trauergottesdienst in Berlin verbrachten Wilhelm und die Kaiserin längere Zeit in der Österreichischen Botschaft und legten von ihrer «innigen Theilnahme und der tiefen Betrübniß, welche die beiden Majestäten edüllte, Zeugniß ab». Die Kaiserin sei durch die Todesnachricht zutiefst erschüttert, meldete Szechenyi, und sei in einen förmlichen Weinkrampf verfallen.112 Durch Rudolfs Freund Philipp Herzog von Coburg hörte Wilhelm allerdings, wie er an Queen Victoria schrieb, «daß Wahnsinn schon im Hintergrund gelauert hatte & daß die Selbstmordmonomanie ihre stille, aber sichere Arbeit an einem übererregbaren Hirn getan hatte».113 Als Wilhelm im September r 89o erstmals das Grab «des unglücklichen Rudolf» besuchen sollte, schrieb ihm Auguste Viktoria einfühlsam: «Ein Jugendbekannter in derselben Lebensstellung u. wie verschieden, Gott L[ ob] der Lebenslauf! Da sieht man recht welch Unterschied ob einer auf dem rechten Grund gebaut hat oder nicht! ! »114 Im Urteil zahlreicher Zeitgenossen, vor allem derer, die die Torturen seiner Kindheit nicht kannten, war die eklatante Selbstüberhebung Kai­ ser Wilhelms II. auf seinen angeblich sorglosen bisherigen Lebensweg zurückzuführen. So stellte Vize-Admiral Hoffmann r 8 89 während des Zusammenlebens an Bord fest: «Ein großes Selbstgefühl ist eine wesent­ liche Charaktereigenschaft des Kaisers. [ . . . ] Bei einem jungen, hoch be-

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Der Kaiser und die deutsche Gesellschaft

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gabten Menschen, welcher plötzlich Kaiser wird, üble Erfahrungen nie gemacht hat, dem alles mundgerecht gemacht wird, kann sich das kaum anders entwickeln. Die große Redegewandtheit, welche ihm in seltenem Maße eigen ist, kommt dazu. Gestern erzählte er, sowohl der Kaiser von Österreich wie der König von Italien könnten nicht ein Wort frei spre­ chen, sie läsen jede Tischrede etc. vom Blatt ab.»115 Wie dem auch sei, belegbar ist, daß die sonderbare Kaiserideologie und die außergewöhn­ liche Selbstgefälligkeit in Wilhelm II. eine Verachtung für schwächere und weniger herrisch auftretende Königs-«Kollegen>> hervorbrachte, die in der Geschichte der europäischen Fürstenhäuser wohl ohne Beispiel ist. Überblickt man die regierenden Herrscherhäuser zur Zeit der Thron­ besteigung Kaiser Wilhelms II., so muß allerdings eingeräumt werden, daß sein Gefühl der Überlegenheit objektiv gesehen nicht ganz grundlos war. Mit der möglichen Ausnahme der englischen Königsfamilie war un­ ter den Monarchen und Thronfolgern weit und breit kein redegewandter, energievoller, vielfach interessierter Fürst zu sehen, kein charismatischer Machtmensch, der sich mit Wilhelm hätte messen können. Wo er auch hinblickte, sah er Selbstmord, Thronverzicht, drohenden (oder tatsäch­ lichen) Wahnsinn, eheliche Zerrüttung, sexuelle Exzesse, dünkelhafte Borniertheit, kleinbürgerliche Beschränktheit, simple Unfähigkeit und giftiges lntrigantentum. Im Vergleich zu seinen «Kollegen» konnte Wil­ helm II. trotz aller seiner Fehler in der Tat, wie ein englischer Lord spä­ ter schreiben sollte, als «der wichtigste Mann in Europa>> gelten,116 und noch 1 9 1 0, als Edward VII. gestorben war, konnte ein süddeutscher Ba­ ron von Wilhelm II. behaupten: «Nun ist er, wo der König-Onkel tot ist, mehr wie je der ausschlaggebende Mensch in der Welt. Er und Roosevelt werden für die nächste Zeit die Herren der Geschichte sein.>>117 Jedenfalls können seine Erfahrungen mit den übrigen Monarchen seine Überzeu­ gung nur gefestigt haben, daß Preußen-Deutschland unter den Hohen­ zollern von Gott und von der Weltgeschichte auserwählt sei, Hort des «monarchischen Prinzips>> zu sein. Zweifel, ob sein schwindelerregendes monarchisches Programm unter solchen Umständen überhaupt durch­ führbar sei, sind ihm in diesen frühen Jahren offenbar nicht gekommen. 3 . Der Kaiser und die deutsche Gesellschaft

Innenpolitisch äußerte sich die Monarchenideologie des Kaisers einer­ seits in einer Verherrlichung der Militärs, der protestantischen Kirche und des Adels als den natürlichen Stützen des Thrones, andererseits in einer Verachtung für Zivilisten und vor allem für linksliberale und sozialdemokratische Parlamentarier, Katholiken und Juden. Im August 1 8 8 8 übernahm er das Protektorat über den evangelischen Johanniter­ orden und sprach in einer Rede in Sonnenburg von den «großen Auf-

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gaben», die ihm «auf dem Gebiete der inneren Entwicklung Meines Vol­ kes>> oblagen. Er führte dabei aus: «Zur Hebung und moralischen sowie religiösen Kräftigung und Entwicklung des Volkes brauche Ich die Un­ terstützung der Edelsten desselben, Meines Adels. [ . . . ] Ich hoffe von Herzen, daß es Mir gelingen möge [ . . . ], die [ . . . ] Hebung des Sinnes für Religion und christliche Zucht und Sitte im Volke zu bewirken und so die hohen Ziele zu erreichen, welche Ich Mir als Ideale gestellt habe.>>118 Nicht nur Wilhelms Mutter und ihre freisinnigen Freunde waren über die Rede aufgebracht; selbst adelige Diplomaten fanden diese «Anspra­ che an die Schwindelbande von Johannitern als [ . . . ] doch ein bißchen hoch gegriffen>>.119 Zivilisten, vor allem demokratisch gesinnte, waren für Wilhelm dritt­ klassige Menschen. Dem italienischen Botschafter Graf di Launay ge­ genüber erklärte er bald nach der Thronbesteigung: «Was ich nächst Franzosen am meisten hasse, sind Diplomaten und Deputierte.>>120 Wel­ che Haltung er von seinen Diplomaten und Beamten erwartete, das machte er in einer drastischen Randbemerkung auf einer Eingabe klar, in der Fürst Hohenlohe für die Verleihung des Gouverneurtitels an die obersten Beamten in allen deutschen Kolonien plädiert hatte. «Meinet­ wegen können die Herren auch noch einen blauen Knopf auf den Nabel und eine PEauenfeder in den Arsch sich stecken! Wenn sie nur ihrer Pflicht ihrem erhöhten Rang entsprechend erhöhte Aufmerksamkeit schenken.>>121 Geradezu beleidigend fielen einige seiner Äußerungen über Zivilbeamte und Politiker aus. Den langjährigen Bundesratsbe­ vollmächtigten Braunschweigs, Burghard Freiherr von Cramm, bezeich­ nete der Kaiser beispielsweise als 122 Und von einem seiner Diplomaten, der wohl eine auffallend große Nase hatte, schrieb Wilhelm auf einen Immediatbericht des Reichskanzlers: 123 Mit tiefer Verachtung sprach er von Parlamentariern und sonstigen vom Volk gewählten Politikern. Dem König von Italien sagte er bei der Begegnung in Rom im Oktober r 8 8 8 : 132 Der englische Geschäftsträger Beauclerk war gleichfalls der Ansicht, daß Wilhelms Rede das Regierungslager bei den bevorstehenden Wahlen zahlreiche Stimmen kosten würde. Keiner wisse so recht, welche Zeitungsberichte der Kaiser verurteilen wollte - ob es die Artikel über das Bauenbergsehe Heiratsprojekt, Sir Morell Mackenzies Verteidigungsschrift oder das Kriegstagebuch Friedrichs 111. waren, die des Kaisers Zorn erregt hatten. Jeder fände, schrieb Beauclerk, daß die Beschimpfung der Berliner Stadt­ deputation wegen Zeitungsartikeln, die diese weder inspiriert hatte noch kontrollieren konnte, äußerst unpassend und bedenklich gewesen sei. 137 Einen anderen Zentrumsführer nannte Wilhelm einen «Schaafskopf», der «dümmliche Ansichten>> habe und rede.U8 Die Teilnehmer am deutschen Katholikentag in München nannte er «freche Hunde>>, ge­ gen die man der propreußischen bayerischen Regierung des Freiherrn von Lutz «unter allen Umständen den Rücken decken>> müsse. «Lutz gegen die Schwarzen fest unterstützen und von hier meine wärmste An­ erkennung und Theilnahme versichern>>, befahl er. Auf persönliche An­ ordnung des Kaisers wurde dem bayerischen Ministerpräsidenten im Sommer r 8 89 der Schwarze Adler-Orden verliehen.139 In zahlreichen bissigen Randvermerken mokierte sich der Kaiser zudem über den Papst und die vatikanische Politik. Schon bald nach der Thronbesteigung nannte er Papst Leo XIII. ein «Schaaf!>> und einen «alten Dummkopf! >> und rief aus: bildete.143 Im Sep­ tember r 8 8 8 hielt der Chef des Generalstabes fest, daß der Kaiser «in der That die Juden nicht leiden>> könne und daß der Monarch dies auch «oft ausgesprochen» habe.144 Im folgenden Monat schilderte Waldersee in einer längeren Tagebuchnotiz empört, wie man j etzt versuche, «den Kai­ ser als Judenfreund oder wenigstens als keinen Gegner der Juden darzu­ stellen>>; daraus allein könne man ersehen, wie einflußreich die Juden geworden seien. Beim Regierungsantritt Wilhelms II. hätten sie große Sorgen um ihre Zukunft gehabt, weil sie nicht wußten, wie sich der neue Kaiser ihnen gegenüber stellen würde; jetzt aber, nachdem keine Maß­ regel gegen sie erfolgt wäre, seien sie voller Zuversicht «Zur Offensive übergegangen; sie wissen, daß sie unter Nationalliberalen u. Freikonser­ vativen viele Freunde haben und suchen sich mit diesen zu alliiren um gegen die Konservativen loszugehen, in denen sie ihre einzigen Feinde erblicken>>. Nach Waldersees Überzeugung hatte sich jedoch in der anti­ semitischen Grundhaltung Kaiser Wilhelms II. gegenüber dem Vorjahr gar nichts geändert. «Ich halte die Abneigung des Kaisers gegen das Judenthum, wenigstens gegen seine so deutlich hervortretende Überhe­ bung, gegen das Aussaugen der Christen» sowie überhaupt gegen den übergroßen Einfluß, den die Juden ausübten, «für so festgewurzelt, daß auch Bismarck nichts dagegen thun kann>>. Freilich, reflektierte Walder­ see, «ob der Kaiser stark genug ist gegen die Juden dauernd Front zu machen ist eine andere Frage; wahrscheinlich sind wir schon zu weit in das Elend hineingesunken um noch auf legalem [sie !] Wege wieder her­ aus zu kommen>>.145 Noch Ende r 89 r , als die antisemitische Bewegung bedenklich anschwoll und immer weitere Kreise erfaßte, stellte Walder­ see, der es genau wissen mußte, fest: «Der Kaiser ist ein entschiedener Feind der Juden u. hat das noch bis in die neuste Zeit hinein oft zum Ausdruck gebracht und oft genug Bleiehröder als Hund u. Schuft be­ zeichnet, er ist aber nicht im Stande das Getriebe zu durchschauen weil er vielfach mit Leuten verkehrt die jüdischer Herkunft sind oder in voll­ ster Abhängigkeit von Juden stehen.>>146 Die von den Bismarcks im Auswärtigen Amt sekretierten Randbemer­ kungen Wilhelms II. lassen an der Richtigkeit der Einschätzung Wil­ helms durch Waldersee keinen Zweifel. Als er im Frühjahr r 8 89 in einer englischen Zeitung von einer Verschwörung gegen den Zaren las, an der auch Juden beteiligt gewesen sein sollten, schrieb der Kaiser an den Rand: «Die Hunde, natürlich! ! >>147 Einige Wochen später las er in der Zeitung von der Ernennung Nathaniel Mayer Rothschilds, den Queen Victoria bereits r 8 8 5 in das House of Lords berufen hatte, zum Lord Lieutenant der Grafschaft Buckingham. Höhnisch schrieb der Kaiser dazu an den Rand: «Donnerwetter! ! Unglaublich! Bleiehröder dürfte dann wohl als Statthalter von Pommern in Aussicht zu nehmen

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Der Kaiser und die deutsche Gesellschaft

sein! ?>>148 Im November 1 8 89, als Schlözer nach Berlin berichtete, daß sich der päpstliche Nuntius in Wien, Kardinal Luigi Galimberti, im adriatischen Badeort Abbazia «in Begleitung einer schönen Frau semiti­ schen Ursprungs aufgehalten habe, zu der er in sehr nahen Beziehungen zu stehen scheine>>, vermerkte Wilhelm: «Der Glückliche! Es ist besser er sieht die Semitische Schöne nur abends ! >>149 Wie anders war da die Haltung seines Onkels, des Prinzen von Wales ! Erbprinz Ernst Hohen­ lohe, der der Botschaft in London attachiert war, schrieb im Sommer r 8 89, daß der englische Thronfolger ihn vielfach zum Besuch bei jüdi­ schen Familien mitnehme, «die sehr gute Diners in wunderschönen Häusern geben. Sie spielen hier in der Gesellschaft eine große Rolle. Bei ihnen sieht man die elegantesten Leute u. schönsten Frauen u. amüsirt sich am Besten. Da der Prinz sie sehr protegirt, habe ich keinen Grund, wählerisch zu sein.>>150 Als Wilhelm II. im Juni r 8 89 von dem Besuch des Prinzen von Wales in Auteuil in der Zeitung las, bei dem der Thron­ folger das Angebot Baron Gustave de Rothschilds, in seinem Wagen auszufahren, angenommen hatte, schrieb er dazu: «Donnerwetter! Mein Sohn neben Bleichröders Kutscher würde sich im Thiergarten eigenthümlich ausnehmen.»151 Äußerte ein Diplomat in einem amtli­ chen Bericht Kritik an einem fremden Gesandten, so konnte es passie­ ren, daß der Deutsche Kaiser an den Rand schrieb: «War auch ein Jude! »152 Als Schweinitz r 89 r berichtete, daß ein Mr. White in St. Pe­ tersburg eingetroffen sei, um im Auftrag von Baron Hirsch mit Pobj e­ donoszew über die Auswanderung russischer Juden nach Argentinien zu verhandeln, schrieb Wilhelm 11. : «Ei! Ei! », Hirsch sei doch «der Freund von » - also vom Prinzen von Wales. Seufzend fügte er aber hinzu: «Ach wenn wir unsre Uuden] doch auch dahin schicken könnten.>>153 Die Judenfeindschaft Kaiser Wilhelms II., die in solchen Marginalien und auch im Tagebuch Waldersees festgehalten wird, war alles andere als peripher, sie bildete vielmehr ein Kernelement seiner Gedankenwelt, wenn sie auch aus taktischen Gründen vor der Öffentlichkeit geheim­ gehalten werden mußte. So liegt die antisemitische Einstellung Wilhelms vielen seiner Handlungen und Äußerungen zu Grunde und erklärt man­ ches, was den zeitgenössischen und späteren Beobachtern rätselhaft vor­ kam. Wir haben gesehen, wie fast jedem die feindselige Ansprache des Kaisers an die Berliner Stadtdeputation bei der Übergabe des Schloß­ brunnens am 27. Oktober r 8 8 8 unbegreiflich war. Waldersee und seine hochkonservativen Parteifreunde wußten aber genau, was in Wilhelm wirklich vorging: Die Deputation habe vornehmlich aus «fortschrittlich jüdischen Herren» bestanden, deren Absicht es gewesen sei, «sich vor der Welt mit dem Kaiser auf einen guten Fuß zu stellen, ihn womöglich als den ihrigen zu reclamiren>>. Vor allem dagegen habe sich Wilhelm mit einer schroffen Aktion wehren wollen.154 Über die teuflische Rolle, die

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sein Judenhaß in der Bismarckkrise spielen sollte, werden w1r später noch ausführlicher berichten. Die antisemitische Grundeinstellung des Kaisers brachte ihn fast zwangsläufig in die Nähe des Wagner-Kreises, woraus selbst in dieser frühen Zeit ein nicht ungefährlicher Gegensatz zu der von Bismarck ver­ körperten Staatsvernunft entstand. Unmittelbar nach der Thronbestei­ gung richtete Wilhelm II. einen Brief an Cosima Wagner, der in dieser die Hoffnung weckte, der Kaiser würde die Schirmherrschaft über die Festspiele in Bayreuth übernehmen. Schwülstig antwortete sie am 2 3 . August: «Euerer Majestät Gnade gegen mich ist zu groß gewesen, um in mir die Befürchtung aufkommen zu lassen, Euerer Majestät Un­ willen durch meine Bitte erregt zu haben. Dennoch bitte ich Euere Majestät untertänigst, es mir zu verzeihen, daß ich - wohl dazu Aller­ höchst ermuntert, dennoch aber nicht dazu aufgefordert - es mir er­ laubte, dieses Bittgesuch Euerer Majestät zu Füßen zu legen. [ . . . ] Euerer Majestät gnadenreiche Worte an mich haben wie ein Gottesruf meine Seele erfüllt, und unter heißen Tränen habe ich in der Einsamkeit, in welcher ich mich und das Werk so tief empfinde, Gott dafür gepriesen und gedankt, daß aus der höchsten Höhe der Schutz uns kommt, dessen wir bedürfen. Nun begriff ich, warum ich gelitten, und weit über alles Leiden mächtig ist das Gefühl der Hoffnung gewesen, welches mit den Worten Euerer Majestät in mein Herz gedrungen ist. [ . . . ] Wie auch die Entscheidung Euerer Majestät falle, [ . . . ] alles soll mir heilig sein, und in Gefühlen, die ich niemals in Worten zu fassen vermöchte und die als inbrünstiges Gebet zu Gott sich wenden, erbitte ich von dem Allerhöch­ sten Herrn die Gnade, mich nennen zu dürfen Euerer Majestät danker­ füllte untertänigste Dienerin Cosima Wagner.»155 Dieser Brief, dessen Stil an den der Briefe Philipp Eulenburgs erin­ nert, verfehlte seine Wirkung nicht. Wie der Chef des Zivilkabinetts Hermann von Lucanus am 1 8 . September dem Reichskanzler mitteilte, war «Seine Majestät [ . . . ] nicht abgeneigt, dieser Bitte zu entsprechen, zumal Allerhöchstdieselben glauben annehmen zu dürfen, daß Seine Königliche Hoheit der Regent von Bayern ein näheres Interesse an den Festspielen nicht nehmen.»156 Die Neigung des Kaisers zugunsren der Annahme des Protektorats wurde von Philipp Eulenburg genährt, der durch den gemeinsamen Parsifal-Besuch im Sommer 1 8 8 6 die Verbin­ dung zwischen Wilhelm und Bayreuth hergestellt hatte.157 Auch in der Presse wurden Stimmen für die Übernahme des Protektorats über Bay­ reuth «im Interesse der nationalen Kunst>> laut: Sie bezeichneten die Be­ vorzugung des Wagnersehen Kunstwerks als charakteristisch «für die Sinnesart und Geschmacksrichtung des Kaisers>> und stellten die kaiser­ liche Schirmherrschaft als vollendete Tatsache dar.158 Bismarck aber war entschieden gegen die Übernahme des Protektorats durch den Kaiser. In einem von Rantzau konzipierten, von ihm selbst eigenhändig korrigier-

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Der Kaiser und die deutsche Gesellschaft

ten Immediatschreiben vom 20. September legte der Kanzler seine schwerwiegenden Bedenken gegen das Vorhaben dar. Zum einen be­ fürchtete er, daß der Monarch dabei für die finanziellen Interessen des Unternehmens in einem mit jedem Jahre steigenden Maße in Anspruch genommen werden würde. Sodann glaube er, «daß nähere persönliche Beziehungen Euerer [Majestät] zu den Festspielen in Bayreuth dem mühsam und erfolgreich überwundenen Mißtrauen der Bayern bezüg­ lich der Wahrung ihrer vef�S:SStlH!!;SffifißigeH UHS:ahfiHgigkeit Stellung dem Kaiserthum [sie] gegenüber neue Nahrung, und der ultramontanen und Jesuiten-Partei plausible Vorwände geben würden, um die Stim­ mung des Landes gegen uns zu verhetzen. Gerade weil Bayreuth zu den alt-brandenburgischen Gebieten gehört, weil es in Bayern unvergessen ist, daß Kaiser Wilhelm I. im Jahre r 8 66 das Verlangen der Abtretung von Bayreuth nur nach langem und stS:flleffi WiaeFSflFtleh schwierigen Verhandlungen [sie] fallen ließ, und weil die Gleichheit der Konfession die fränkischen Provinzen schon an sich nach Norden hinweist, gerade deshalb ist Bayreuth ein � [sie] empfindlicher Punkt für bayerische Rivalitäten und Befürchtungen.» Er sei deswegen überzeugt, «daß die Erfüllung der Bitte der Frau Cosima Wagner eine Gnade wäre, deren finanzielle Ausbeutung auf Kosten Ew. Majestät nicht unterbleiben würde, und daß ein in Bayreuth domicilirtes Protectorat Euerer [Maje­ stät] die innere Politik des Deutschen Reiches nicht unwesentlich schä­ digen würde.» Wie im Falle der Stoecker-Versammlung im Herbst r 8 8 7 warnte Bismarck den Kaiser auch hier, «im «Allerhöchsten Interesse [ . . . ] Beziehungen [ . . . ] zu Privat-Vereinen in der Form eines Proteetara­ res oder einer andern abzulehnen, da es für den Landesherrn sehr schwierig ist, in dieser Stellung der finanziellen und selbst politischen Ausbeutung Sich zu erwehren, welche sich an solche Verhältnisse unver­ meidlich anknüpft.»159 Dieser Immediatbericht wurde dem Kaiser nach seiner Rückkehr aus Italien durch Herbert Bismarck unterbreitet, er konnte j edoch aus Zeit­ mangel «nur flüchtig>> davon Kenntnis nehmen, so daß eine Entschei­ dung zunächst ausblieb.160 Erst am 3 r . 0 ktober r 8 8 8 konnte der Reichs­ kanzler persönlich dem Kaiser Vortrag über die heikle Angelegenheit halten. Wie Herbert dem Chef des Zivilkabinetts daraufhin mitteilte, hatte Wilhelm beschlossen, «die Uebernahme des Protectorats abzuleh­ nen>>; bezüglich der Fassung der Antwort an Cosima Wagner werde der Kaiser mit ihm, Lucanus, Rücksprache nehmen.161 Anfang r 8 89 über­ nahm sodann Prinzregent Luitpold von Bayern die Schirmherrschaft. Eintracht zwischen Kaiser und Kanzler wurde leichter in der Behand­ lung der Freimaurerei erzielt, in der Wilhelm durchaus Verständnis für die Notwendigkeit zeigte, die Verbindung zwischen der Monarchie und den Freimaurern aufrechtzuerhalten, sich jedoch - anders als sein Vater und Großvater - weigerte, selbst der Bewegung beizutreten. Da auch

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Der junge Kaiser

Wilhelms Bruder Heinrich nicht Mitglied werden wollte, regte der Kai­ ser an, Prinz Friedrich Leopold von Preußen - er sollte im Juni r 8 89 die jüngere Schwester der Kaiserin heiraten - zum Ehrenprotektor der drei altpreußischen Logen zu ernennen, denn es sei «alte Tradition», daß «ein königlicher Prinz Freimaurer» sei.162 Bismarck war «mit der Absicht S.M., Prinz Leopold zur Freimaurerei zu commandiren, [ . . . ] ganz ein­ verstanden; er sagte, das freimaurerische wäre ebenso wie das jüdische ein Element, das nicht ohne erheblichen Einfluß und deshalb der Mon­ archie nicht entfremdet werden dürfte».163 Der erzkonservative Walder­ see hatte natürlich weniger Verständnis für diese staatsmännische Geste, und als Wilhelm einige Jahre später für den Prinzen Leopold in seiner Rolle als hoher Würdenträger der Freimaurer einen Spezialorden «kon­ struierte» und seinem Schwager sogar erlaubte, diesen Orden «bei nicht freimaurerischen Gelegenheiten» zu tragen, verhöhnte der General die­ ses symbolische Zugeständnis an die Liberalen und schrieb, er sei so weit zu glauben, daß der Kaiser «selbst noch Lust bekommt, Freimaurer zu werden>>.164 Auf dem Gebiet der Außenpolitik, das beide Seiten, der dreißigjährige Monarch und der vierundsiebzigjährige Reichskanzler, als ihren Tätig­ keitsbereich par excellence betrachteten, war solche Übereinstimmung weitaus schwerer zu erreichen. Da der «Oberste Kriegsherr» sich zudem als «Militär>> verstand und militärische Fragen als ein Feld ansah, auf dem er kraft seiner Kommandogewalt allein und ohne zivile «Einmi­ schung>> zu befehlen habe, war das Risiko, daß es zu einem Konflikt über außen- beziehungsweise militärpolitische Fragen kommen würde, ganz besonders hoch. Was waren Wilhelms Vorstellungen in diesem Be­ reich und wie weit deckten sie sich mit der von den Bismarcks verfolg­ ten Politik?

Kapitel 6

Außenpolitische Anfänge

Bereits vor seinem Regierungsantritt zeigte Wilhelm II. ein überaus leb­ haftes Interesse an der Außenpolitik. In hitzigen, schnöden, oft derben Randvermerken zu diplomatischen und militärischen Berichten charak­ terisierte er schon in der ersten Zeit die Staatsmänner und Diplomaten fremder Mächte als «Hallunken», «Schufte>>, «Schurken>>, «Schweine>>, «Hunde>>, «Schweinehunde>>, «freche Hunde>>, «Hundsfotte>>, «Affen>>, «Rindvieh>>, «Esel», «Kröten>>, «Schlappschwänze>> und anderes mehr.1 Welche sonstigen Schlüsse auch immer aus solchen Randglossen zu zie­ hen sind, die große Leidenschaftlichkeit, mit der der Kaiser den Gang der internationalen Ereignisse verfolgte, wird in ihnen evident. Es stellt sich die Frage: Kann man in solchen spontanen, sporadischen Äußerun­ gen des jungen Herrschers Zusammenhänge erkennen, die sich, wenn noch lange nicht zu einem außenpolitischen Programm, so doch viel­ leicht zu einem Denkmuster in auswärtigen Fragen verdichten? Wir wollen Wilhelms Haltung gegenüber den europäischen Großmächten und dem Geschehen in Übersee in der Zeit nach der Thronbesteigung etwas näher betrachten. r . Der Die anfänglichen Hoffnungen des Kaisers auf eine Befestigung der öst­ lichen Dreikaiserallianz gegen Frankreich und England und die in West­ europa obwaltenden parlamentarischen Regierungssysteme zerschlugen sich schon nach wenigen Wochen. Grund dafür war das gleichgültige, wenn nicht gar frostige Verhalten der russischen Zarenfamilie sowie die fortdauernden russischen und französischen Rüstungen, die einen allge­ meinen Krieg als nahe bevorstehend erscheinen ließen. An die Stelle der Freundschaftshoffnungen, die Wilhelm an seinen Antrittsbesuch in St. Petersburg geknüpft hatte, traten Frustration und Kränkung. Den Ein­ fluß des Zaren, dem er ohnehin vorwarf, sich durch seine dänische Frau und seine frankophilen Ratgeber manipulieren zu lassen, veranschlagte Wilhelm nicht hoch: Von den kriegerischen Absichten der russischen Militärs habe der Zar offenbar .2 Die Beziehun­ gen des Kaisers zum Thronfolger Nikolaus blieben kühl und distanziert. Als dieser am 1 3 . November r 8 8 8 früh morgens auf der Durchreise nach Darmstadt einen anderthalbstündigen Aufenthalt in Berlin hatte, bat er

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Außenpolitische Anfänge

darum, in Ruhe gelassen und erst auf der Rückreise vom Kaiser empfan­ gen zu werden.3 Der Besuch des Thronfolgers in Berlin am 2 I .I22. November war denn auch kein Erfolg: «Man war hier zu ihm sehr höflich>>, der Kaiser sogar , notierte Waldersee, aber Nikolaus «schien mir außerordentlich kalt zu bleiben>>, und auch seine Umgebung vermied alles, «was nur irgend mit Politik zusammen hängen konnte>>.4 Die Ent­ täuschung des Kaisers war so tief, daß er bei der Defilircour zu seinem 3 0. Geburtstag am 27. Januar I 8 89 den Botschaftern Österreichs, Italiens und Englands demonstrativ die Hand reichte, nicht aber dem russischen Botschafter Graf Schuwalow. «Ich bin überzeugt, daß es Absicht war>>, schrieb der rußlandfeindliche Generalstabschef befriedigt, 5 Im März I 8 89 stellte Waldersee sodann fest, der Kaiser sei mit Blick auf Rußland .6 Mit Argusaugen verfolgte Wilhelm II. nun die russischen Truppenbe­ wegungen und die Rüstung des Zarenreiches zu Lande und zu Wasser. Noch vor seiner Thronbesteigung hatte er auf einem «vortrefflichen>> Militärattachebericht über die russischen Aufmarschpläne vermerkt, es gehe klar daraus hervor, 7 Nach dem gescheiterten Anbiederungsversuch am Peterhof vom Juli I 8 8 8 nahm er diese Haltung von neuem ein. In den ersten Augusttagen I 8 8 8 traf ein Bericht des Hauptmanns Graf York von Wartenburg aus St. Petersburg in Berlin ein, wonach russische Unteroffiziere, die bereit seien, bis Juli I 890 an der Front zu bleiben, eine Prämie von I 50 Rubeln erhalten sollten. Diese Nachricht veranlaßte Kaiser Wilhelm zu der auf­ geregten Randbemerkung: 8 Immer wieder schrieb er in den darauffolgenden Monaten auf Botschaftsberichte aus Petersburg und Paris Bemerkungen wie diese: 9 Oder: 10 Als er Ende I 8 8 8 von russischen Truppenverschiebungen nach

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Der «bevorstehende Kampf mit Frankreich und Rußland>>

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Westen erfuhr, hielt er sie für die letzte Stufe eines mehrjährigen Pro­ gramms und erklärte: «Damit ist der Aufmarsch vollendet und - - -. Das Weitere werden wir wohl noch erleben! >>11 Im November I 8 8 8, als aus Warschau die Nachricht von der Verlegung der I9. russischen Divi­ sion vom Kaukasus an die Österreichische Grenze eintraf, hielt Wilhelm einen russischen Angriff wieder einmal für nahe bevorstehend und schrieb: «Wenn es bereits dazu gekommen ist, daß Uralkosaken, Kirgi­ sen p.p. aus den Steppen herangeholt werden so ist das bereits der Auf­ marsch zum späteren Angriff in des Wortes vollster Bedeutung! >>12 Durch solche russophobischen Marginalien des jungen Kaisers sah sich der Reichskanzler schon am I9. August I 8 8 8 veranlaßt, in einer Denkschrift für Wilhelm die Geheimnisse seiner Ostpolitik aufzudek­ ken. Bismarck bat den Monarchen, seinen Brief «nach genommener Ein­ sicht zu verbrennen>>, da er Dinge und Fragen berühre, die er in der Regel nicht für nützlich halte, dem Papier anzuvertrauen. Speziell er­ wähnte der Kanzler darin den I 8 8 7 auf drei Jahre abgeschlossenen ge­ heimen Rückversicherungsvertrag zwischen Deutschland und Rußland, er räumte aber ein, daß dieses Abkommen «mit unseren österreichi­ schen-italienischen Verpflichtungen>> konkurrierte. Auf die Marginalien Wilhelms anspielend, in denen er vor einem baldigen Angriff Rußlands auf die Türkei warnte, argumentierte der Kanzler, daß nach den wieder­ holten vertraulichen Äußerungen, die hochstehende russische Staats­ männer bei den Vertragsverhandlungen gemacht hätten, er, Bismarck, davon ausgehe, daß zwar sowohl die russische Armee als auch die russi­ sche Schwarzmeerflotte bis zum Jahre I 890 «fertig>> sein würden, daß dieses Faktum aber sei. Andererseits zweifele er nicht an der Absicht Rußlands, . Der Kaiser und sein Generalstabschef waren sich vollkommen einig in der Notwendigkeit, die Etatstärke der Truppen an der deutschen Ostgrenze zu erhöhen und die Artillerie zu verstärkenY Es überrascht nicht, daß der Kanzler nach diesem Immediatvortrag dem Chef des Generalstabs vorwarf, den Kaiser gegen Rußland aufgehetzt zu haben. Waldersee aber protestierte: «Ieh habe den Kaiser keineswegs aufgeregt, sondern fand ihn bereits in diesem Zustand u. wurde er es noch mehr durch den auf mir folgenden Vortrag Herberts, nach dem der Kaiser mir sagte: Schweinitz fängt j etzt endlich auch an die Lage für ernst zu halten.>>28 In den nächsten Tagen und Wochen beschäftigte sich Wilhelm II. sehr ernsthaft mit dem Gedanken eines nahe bevorstehenden europäischen Krieges. Auf der Jagd in Königswusterhausen am r o. November rief er Waldersee mehrmals zu sich, «um über unsere politische Lage u. in Be­ zug darauf über unsere Bewaffnungs-Frage zu sprechen>>. Dasselbe Thema war sodann abends im Berliner Schloß Gegenstand einer mehr­ stündigen Diskussion, an der sich auch der Staatssekretär des Auswär­ tigen Amtes beteiligte. Waldersee zeichnete das denkwürdige Gespräch folgendermaßen auf: «Der Kaiser war sehr ernst und fängt an sich zu

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Der «bevorstehende Kampf mit Frankreich und Rußland>>

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beunruhigen; er glaubt, daß Rußland u. Frankreich sich soweit [geeinigt] haben den Krieg bald zu führen und war gerade jetzt in diesem Gedan­ ken bestärkt durch die Uebersicht die ich ihm unlängst über das Fort­ schreiten der russischen Rüstungen gegeben u. durch die Nachricht, daß man dort eine Anleihe von r Milliarde Mark zu machen beabsichtige, während in Frankreich eine ähnliche Summe für Armeezwecke gefor­ dert wird. Er wünscht nun unsere Artillerie für den Frieden ansehnlich zu vermehren u. die Anfertigung des neuen Infanterie Gewehres zu för­ dern.>> Die drei Männer erörterten sodann die voraussichtliche Haltung Englands in einem europäischen Krieg, wobei Herbert Bismarck die An­ sicht vertrat, daß die Engländer «sehr thöricht>> wären, «wenn sie bei dem großen Kriege nicht mit uns gingen, weil, wenn wir geschlagen seien, sie rettungslos von Frankreich und Rußland überwältigt würden. Der Kaiser sagte sehr richtig», hielt Waldersee fest, daß die Engländer dafür zu «kurzsichtig>> seien. «Sie wollten vor allen Dingen Geld verdie­ nen u. sei dazu ein Krieg auf dem Kontinent das beste Mittel. Was nach­ her komme, das läge ihnen noch zu fern, außerdem seien sie zur Zeit kaum im Stande etwas erhebliches mit Flotte oder Armee zu leisten und zeigten noch garnicht den Willen, sich auf mehr vorzubereiten. Dazu komme noch Irland, welches sie gewaltig geniere.» Der Generalstabs­ chef vertrat die Meinung, daß der Krieg aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gleichzeitig an beiden Fronten beginnen werde; es sei also «Sache der Diplomaten [ . . . ], uns zu sagen, noch wie lange Zeit [wir] hätten, bis wir auch mit dem anderen Gegner rechnen müßten>>, denn davon würde «unsere Kräfte Vertheilung abhängen». Schließlich machte der General noch «Mittheilungen über die wahrscheinlichen Absichten der Russen>> in dem kommenden Krieg. Resümierend stellte er fest: «Die ganze Un­ terhaltung war sehr lebhaft u. kann ich nicht anders sagen, als daß [Her­ bert] Bismarck ganz schlagfertig sprach. Der Kaiser hörte meist zu, haute aber ab u. zu mit einer energischen u. klaren Ansicht dazwischen. Der Schluß war, daß ich unsere Forderung betreffs Vermehrung der Ar­ tillerie im Frieden auf annähernd r oo Batterien berechnete; der Kaiser acceptirte dies u. befahl [Herbert] Bismarck seinem Vater>> diese Ent­ scheidung mitzuteilen. 2 9 Es verwundert nicht, daß der Reichskanzler, wie wir aus dem Tagebuch Waldersees erfahren, über die Mehrforderun­ gen des Kaisers für die Artillerie - und noch mehr wohl über die Art, wie dieser Befehl zustande gekommen war - «sehr verdrossen>> war.30 Mit ausgesuchter Höflichkeit lud er freilich den Chef des Generalstabes zu einer geheimen Besprechung nach Friedrichsruh ein, um Fragen mit ihm zu erörtern, die er «nicht gern zu Papier bringen>> wollte.31 Die Einstellung Wilhelms II. und Waldersees einem europäischen Krieg gegenüber war zu dieser Zeit allerdings weit weniger zuversicht­ lich als noch ein halbes Jahr zuvor, denn sie schätzten die momentane Bereitschaft der deutschen und Österreichischen Armeen im Vergleich zu

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Außenpolitische Anfänge

den französischen und russischen nicht hoch ein. Ende November I 8 8 8 legte der Chef des Generalstabs seinen fatalistischen Standpunkt in aller Klarheit dar. Unter den eingeweihten Leuten in Berlin glaube keiner, daß sich der Friede noch bis zur erstmöglichen Kündigung des Bündnis­ vertrags mit Österreich im Jahre I 89 I halten lasse, sagte er. Deswegen sei es erforderlich, «daß wir uns mit Oesterreich gut stellen». Vor allen Dingen dürfe Deutschland «den Kaiser Franz Joseph, der eine durchaus loyale Natur ist, nicht mißtrauisch machen>>. Gleichzeitig sei es für Deutschland notwendig, «emsig an unserer Weiterwaffnung der Infante­ rie, womöglich auch der Artillerie, zu arbeiten u. so daß wir im Frühjahr I 890 in guter Verfassung sind. Liegen aber die Verhältnisse so, daß wir auf einen Krieg im nächsten Sommer [I 8 89] gefaßt sein müßten, so schlage ich vor, lieber den Krieg jetzt gleich zu beginnen; in diesem Augenblick paßt er weder Franzosen noch Russen.>>32 Gegen Jahresende I 8 8 8 hielt Waldersee nach einem Gespräch mit dem Kaiser fest, daß dieser «die allgemeine politische Lage [ . . . ] durchaus für ernst>> ansehe.33 Pessimistisch faßte der General seine Auffassung der Lage, die sicherlich mit der des Kaisers übereinstimmte, dahingehend zusammen: «Frankreich u. Rußland bereiten sich vor, den Krieg gegen uns gemeinsam zu führen. Wir sehen es seit Jahren mit an, sehen wie die Wolken immer mehr heraufsteigen, finden aber keine Mittel sie zu zer­ streuen u. wagen auch nicht durch einen großen Entschluß zuvorzu­ kommen. Andererseits thun wir nichts, um unsere Freunde fester an uns anzuschließen, haben sogar durch mehrfache Maaßnahmen den sicher­ sten Freund, Oesterreich, mißtrauisch [gemacht] . Es wird dem Kanzler ab u. zu versichert, daß wir die Russen niemals wieder gewinnen kön­ nen, er glaubt es aber nicht u. wiegt sich in dem Wahn, sie könnten einen Angriff auf die Türkei machen. Leider wagen seine Agenten kaum ihm deutlich die Wahrheit zu sagen. Ich kann nicht leugnen, daß mir die Ge­ sammtlage durchaus nicht gefällt. Wie die Sachen jetzt liegen, habe ich dringend gerathen, einen Krieg nun zu vermeiden; noch vor einem Jahr, am besten in diesem Frühj ahr, hatten wir gute Aussichten, wenn wir losbrechen; jetzt ist es zu spät. Die Russen haben erhebliche Truppen­ verschiebungen nach Westen durchgeführt, auch ihre Feldartillerie ver­ stärkt, Frankreich hat ein neues Gewehr eingeführt und ist uns auf die­ sem Gebiet entschieden vorgekommen. Wir dürfen 89 unter keinen Umständen einen Krieg haben, vielleicht müssen wir ihn sogar noch 90 vermeiden. Ich gebe aber die Hoffnung noch nicht auf, daß unsere Ge­ wehre bis I -4-90 fertig werden. Ob es aber gelingen wird ihn solange hinauszuschieben scheint mir fraglich da man im Auslande unsere Schwäche ganz genau kennt.>>34 Zum Jahresbeginn I 8 89 wiederholte Waldersee, er versuche mit aller Kraft, die Infanteriebewaffnung zu beschleunigen, um doch schon I 89o «schlagfertig>> zu sein, der Reichskanzler sei jedoch ein Gegner dieser

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Kaiser Wilhelm

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und Österreich- Ungarn

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forcierten Aufrüstung, «weil er in seinem Argwohn denkt, der Kaiser könnte losschlagen, wenn er die Armee für bereit hält».35 Bismarck hege die Befürchtung, so stellte auch Philipp Eulenburg nach einem Besuch im Auswärtigen Amt fest, daß der Kaiser «losschlagen» könnte, sobald die Armee «fertig» sei, und sei deshalb «der Langsamkeit in der Formie­ rung der Artillerie etc. gewogen». Diese Einstellung werde aber von Holstein und einigen anderen Räten im Auswärtigen Amt nicht geteilt; statt dessen herrsche unter ihnen der «lebhafte Wunsch nach sehr schleu­ niger Fertigstellung der Armee», denn «nur bei sofortiger Fertigstellung wären wir der Situation des Augenblicks gewachsen>>.36 Mit Genugtuung habe Holstein auf Grund der kaiserlichen Randbemerkungen konstatie­ ren können, «daß das Mißtrauen des Kaisers Wilhelm gegen Rußland stetig wächst>>Y Sehr bedenklich fanden Eulenburgs Gesprächspartner in der Wilhelmstraße auch «jede Verdächtigung Österreichs bei Sr. Maje­ stät>>; das Bündnis mit der Donaumonarchie, meinten sie, «brauchen wir absolut>> . Damit spielten sie auf den österreichfeindlichen Einfluß Her­ bert Bismarcks an und bedauerten, daß die «einstmalige schlechte Be­ handlung Herberts durch ein paar Wiener Comtessen immer noch in ihm eine Rolle>> spiele.38 2. Kaiser Wilhelm II. und Österreich-Ungarn

War der Kaiser mit Waldersee in der Beurteilung der französischen und russischen Gefahr einer Meinung, so gingen die Ansichten des Monar­ chen und des Generalstabschefs über den Bündnispartner Österreich­ Ungarn anfangs auseinander. Waldersee beklagte das Mißtrauen des Kaisers gegen die Donaumonarchie, das er auf den Einfluß Herbert Bis­ marcks sowie auf die «unmoralische» Politik des Reichskanzlers zugun­ sren Rußlands und gegen Österreich zurückführte.39 Er nahm sich vor, Wilhelm die Augen zu öffnen und ihm in Anbetracht des offensichtlich bevorstehenden europäischen Konflikts die militärische Notwendigkeit einer Stärkung des deutsch-österreichischen Bündnisses klarzumachen. «Hoffentlich greift der Kaiser, sobald ihm die Sache klar wird, mit ener­ gischer Hand ein>>, bemerkte Waldersee im Januar 1 8 89. 4 0 Wenn Wil­ helm in dieser Frage auch zwischen den Bismarcks und Waldersee hin und her lavierte, so ist doch klar, daß sich auch hier Sprengstoff für eine spätere Explosion ansammelte. Waldersees Wühlarbeit zur Unterstützung Österreichs und zur Unter­ minierung der prorussischen Politik der Bismarcks läßt sich in seinem Tagebuch deutlich verfolgen. Am I. November 1 8 8 8 trug er darin ein: «Mein Eindruck, daß der Kaiser gegen Gesterreich eingenommen wor­ den ist, hat sich bestätigt. Ich bin überzeugt, daß dies überwiegend das Werk des Grafen Bismarck ist. [ . . . ] Es ist ein Unglück, daß Bismarck

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Außenpolitische Anfänge

Vater u. Sohn soviel Neigung für Rußland haben und trotz allen schlech­ ten Erfahrungen immer wieder darauf zurückkommen. Ich bin nun fest entschlossen, für unser Bündniß mit Gesterreich mit aller Entschieden­ heit einzutreten; allein stehen können wir doch wahrlich nicht, wir wür­ den da zweifellos unterliegen; wir brauchen Alliine, da Frankreich u. Rußland gegen uns zusammen halten u. weiß ich nicht auf wen zu rech­ nen wäre wenn nicht auf Oesterreich; auf Italien wahrlich nicht. Ich würde die Politik verstehen wenn wir glauben könnten durch den Zer­ fall Oesterreichs Vonheile zu haben; es ist dies aber nicht der Fall u. muß unser Interesse sein Oesterreich nicht allein zu halten, sondern es zu stärken.>> 41 Wenige Tage darauf schickte der Chef des Generalstabs einen Bericht an Bismarck, in dem er versuchte, «einen besseren Ein­ druck von der Österreichischen Armee zu geben>>, und auf die militäri­ schen Maßnahmen Österreichs in Galizien hinwies, die die «klar zu durchschauende Absicht>> der Österreicher erkennen ließen, den kom­ menden Krieg offensiv zu führen.42 Allerdings war selbst Waldersee em­ pört über die konziliante Politik der Wiener Regierung den Tschechen gegenüber: Auf derartigem Wege werde Österreich «zunächst ein Föde­ rativstaat und geht sodann völlig aus dem Laim>>. Mit der unmißver­ ständlichen Mahnung Bismarcks an Österreich, wonach ein Föderativ­ staat «erheblich weniger bündnißfähig für uns sei», stimmte Waldersee überein.43 Die Einwirkung Waldersees zugunsten Österreichs und gegen die Bis­ marcksche Politik spiegelt sich fast wörtlich in den sekretierten kaiser­ lichen Marginalien wider. Als begrüßte Wilhelm die Nachricht des Militärattaches und Flügeladjutanten Adolf von Deines in Wien, daß Österreich dem deutschen Heer ein möglichst starker Alliier­ ter sein wolle und sich nicht um etwaige Verstimmungen auf politischem Gebiet kümmern werde.44 Als Meldungen über die in der Österreichischen Armee eintrafen, begrüßte der Kaiser auch diese Nachricht als ein Zeichen dafür, daß der >, nunmehr auf alle Teile der Armee übergreife. , meinte er, «daß die Oesterreich: Armee beim Zusammenstoß mit der Russischen derselben gehörige Ueberra­ schungen bereiten wird ! >> 45 Wie Waldersee glaubte auch der Kaiser, die der tschechenfreundlichen Politik der Wiener Regierung werde 46 Auf einen Bericht des deutschen Generalkonsuls in Budapest, Graf Anton Monts, der im Ver­ gleich zu der vergnügungssüchtigen deutsch-österreichischen Aristokra­ tie die Tüchtigkeit der «kleinen, aber energischen und politisch begabten Race>> der Ungarn hervorhob, die ein Bollwerk gegen die bilde, schrieb Wilhelm II. entzückt: «Ein ganz vortrefflich redigirter Bericht! Also wird die nach

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England, Amerika und die Kolonialpolitik

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Buda-Pest durch die größere Einsicht und Klugheit der Ungarn doch noch vor sich gehn! » 47 Energisch sprach sich der Kaiser auch für die Aufrechterhaltung des Österreichischen Einflusses in Serbien aus.48 Nach der Abdankung König Milans, durch die der russische Einfluß in Ser­ bien auf Kosten des Österreichischen merklich zunahm, äußerte der Kai­ ser bei der Fahrt zwischen Korfu und der albanischen Küste: «Hier be­ kommt man ordentlich Annexionsgelüste, es ist gut das wir bald wieder in unserem kalten Norden abgekühlt werden.>> 49 Im Frühjahr 1 8 89 beunruhigte Waldersee die Beobachtung, daß Wil­ helm II. erneut unter den rußlandfreundlichen, anti-österreichischen Einfluß der Bismarcks geraten sei. Auf einem langen Spaziergang mit dem Chef des Generalstabes führte der Kaiser kritisch aus, daß Öster­ reich sich geweigert habe, in eine Teilung der Türkei einzuwilligen: Diese «Thorheit>> der Österreicher hänge, so glaubte der Monarch, mit ihren «Expansions-Ideen>> zusammen, die ein riesiges Donaureich bis zum Schwarzen Meer unter Einschluß Bessarabiens und Odessas zum Ziele hätten. In diesen Ausführungen Wilhelms meinte Waldersee, einen «alten Gedanken>> Bismarcks wiederzuerkennen. Der Kanzler wünsche den «allmähligen Verfall>> Österreichs, weil er immer noch glaube, sich mit Rußland verständigen zu können. Waldersee aber hielt diese Idee für «ganz falsch» und «sehr traurig». «Ich habe nichts dagegen, wenn es un­ ser Interesse erfordert, Oesterreich zertrümmern zu helfen, ich muß aber vorher überzeugt sein, daß wir wirklich Vonheil u. Segen davon haben würden; wie die Sachen jetzt liegen würde Rußland sich mit Be­ hagen uns anschließen wenn es gegen Gesterreich geht; es würde dann aber nicht lange dauern u. wir stehen ohne Bundesgenossen da u. wür­ den von Rußland u. Frankreich erdrückt.» Waldersee war erstaunt, von Wilhelm zu erfahren, daß dieser die angeblichen «Zukunftspläne» Öster­ reichs nie direkt mit Kaiser Franz Joseph besprochen hatte. 5° 3 · England, Amerika und die Kolonialpolitik

Da der große Zweifrontenkrieg auf dem Festland in Bälde erwartet wurde, war ein gutes Einvernehmen mit England, das in dem Konflikt zumindest neutral bleiben mußte, dringend erforderlich, und um diese Neutralität zu gewährleisten, war an eine expansive deutsche Kolonial­ politik vorerst nicht zu denken. In diesem Punkt waren Wilhelm II. und Waldersee anfangs ganz der Meinung der Bismarcks. Der Chef des Ge­ neralstabes hielt die «ganze Kolonial Politik» für einen «Unsinn>> und verurteilte scharf die Kolonialenthusiasten, die in Übersee «energisch auftreten und durch Machtentfaltung imponiren» wollten.51 Sein Einfluß auf den Kaiser ist auch hier unverkennbar. «>52 Be­ sorgt registrierte Waldersee Anfang I 8 89, daß sich die deutsche Politik in Ostafrika weiter vorgewagt habe, als gut sei, und daß man noch nicht wisse, wie man wieder herauskomme.53 Er hatte namentlich Angst, daß Deutschland sich in Ostafrika leicht «mit England [ . . . ] verhaddern» könnte. 54 Noch gefährlicher erschien dem Generalstabschef der verlustreiche Einsatz deutscher Truppen in Samoa, denn aus diesem Vorstoß im Pazi­ fischen Ozean könnten sogar Differenzen mit den Vereinigten Staaten von Amerika entstehen. «Eine Verwicklung mit Amerika fehlte uns ge­ rade noch ! >> stieß Waldersee verzweifelt aus.55 Im März I 8 89 stellte er fest, daß im Auswärtigen Amt endlich ein Licht darüber aufgegangen sei, «daß unsere Kolonial-Politik eine große Thorheit gewesen ist>>. 56 Ve­ hement verurteilte er diejenigen Marineoffiziere und Diplomaten (wie Krauel), die für ein «energisches Vorgehen selbst bis zum Kampfe mit Amerika>> eintraten, denn «einen Krieg mit Amerika>> könne Deutsch­ land «nicht durchführen>>; er wäre . Er beschwor den Kaiser, in der Samoafrage von drauf­ gängerischen Maßregeln abzusehen, weil die Folgen unabsehbar wären und «wir nun nichts anderes im Auge haben dürften, als uns auf den be­ vorstehenden Kampf mit Frankreich u. Rußland vorzubereiten>>. «Ich fand den Kaiser auch ruhig u. hatte er augenscheinlich viel über die Frage nachgedacht; er versprach mir, daß ernste Verwicklungen vermie­ den werden sollten, meinte auch, daß der Kanzler in der Frage ruhiger denke.>>57 Die Kolonialfrage war deshalb so akut geworden, weil die Situation auf der ostafrikanischen Insel Sansibar, auf der sowohl die Deutschen als auch die Engländer stark engagiert waren, seit dem Herbst I 8 8 8 außer Kontrolle zu geraten drohte. Ein englischer Offizier berichtete, daß die Deutsch-Ostafrika-Gesellschaft, von einem deutschen Geschwader un­ terstützt, bereits mehrere Eingeborene hingerichtet habe und daß ein Aufstand gegen den Sultan unmittelbar bevorstehe. «Sansibar selbst ist sehr unangenehm, voll mit Deutschen, die den ganzen Tag lang trinken, auf den Sultan schimpfen & die Engländer finster anstarren>>, meldete er nach London.58 Dieses harte Urteil wurde durch deutsche Berichte voll­ auf bestätigt. Im September I 8 89 schrieb Erbprinz Ernst zu Hohenlohe-

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England, Amerika und die Kolonialpolitik

Langenburg von der deutschen Botschaft in London aus seinem Vater, dem Präsidenten der Deutschen Kolonialgesellschaft: 69 4· Die «Marinepassion>> des Kaisers

Noch bedeutsamer für die Zukunft als die wachsende Kolonialbegeiste­ rung des Kaisers war freilich dessen Flottenbegeisterung, die schon zu dieser frühen Zeit auf alle Beobachter einen sonderbaren Eindruck machte. In Berliner politischen Kreisen wurde sie entweder als persön­ liche Marotte verspottet oder aber als gefährliche Infragestellung des notwendigen Vorrangs der Armee verurteilt. Herbert Bismarck bezeich­ nete sie verächtlich als «Hydrophilie»/0 und der junge Alfred von Kiderlen-Wächter berichtete spöttisch von der Ostseereise im Juli 1 8 8 8 , daß Wilhelm «ein kolossales Marineinteresse>> an den Tag lege. Fortwäh­ rend lese er mit dem Fernrohr Signale ab. Es sei «mit viel Kanonendon­ ner>> ein Seegefecht geübt, an einem anderen Tag ein großes Segelmanö­ ver veranstaltet worden. Sodann 76 Ganz ähnliche Erfahrungen sollte Waldersee als Chef des Generalstabes bald bei den Armeemanö­ vern machen. Von tiefer Bedeutung für Wilhelm war die Vorstellung, daß sein Großvater ihm gewissermaßen den Auftrag gegeben hatte, die Kriegs­ marine zur «ebenbürtigen Schwesterwaffe der Armee>> aufzubauen. Noch im holländischen Exil erinnerte sich der Kaiser lebhaft an den «weihevollen Augenblick>> während der Grundsteinlegung zum Kaiser­ Wilhelm-Kanal in Kiel im Juni 1 8 8 7, als der alte Kaiser ihn mit den Worten überraschte: «Heinrich hat mir soeben gemeldet, Du habest ein so großes Interesse und Verständnis für die Marine, daß diese den Wunsch habe, daß das zwischen Dir und ihr bestehende Band auch äußerlich erkennbar sei. Nach den schönen Eindrücken des heutigen Ta­ ges bin ich besonders gern bereit, diesen Wunsch zu erfüllen, den Du gewiß auch in Deinem lnnern hegst. Daher stelle ich Dich hiermit a la suite des I. Seebataillons.>>77 «>, erinnerte sich der Exilmonarch. «Ein heißer Wunsch ging hiermit in Erfüllung! Heinrich fiel mir sofort um den Hals und drückte mich dergestalt an seine Brust, daß mir der Atem beinahe ausging. Die zur Verabschiedung anwesenden höheren Seeoffi­ ziere [ . . . ] drückten mir begeistert die Hand, nachdem ich in ehrerbieti­ gem Dank dem Kaiser die Hand geküßt hatte.>> Schon auf der Bahnfahrt

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Außenpolitische Anfänge

von Kiel nach Potsdam sei es zu einem Konflikt mit dem preußischen Kriegsminister als Vertreter der Interessen der Armee gekommen, er­ zählte Wilhelm seinem Adjutanten. Zwar habe der Chef des Militärkabi­ netts Emil von Albedyll und auch die übrigen im Abteil anwesenden Generaladjutanten dem jungen Prinzen «aufs wärmste>> zu der neuen Ehre gratuliert und Albedyll sogar gesagt «Das haben Sie verdient, denn ich habe aus Marinekreisen schon erfahren, wie überraschend Sie in ma­ ritimen Dingen zu Hause sind.>> Allein der preußische Kriegsminister General Paul Bronsart von Schellendorf habe in einem Aktenstück wei­ tergelesen, «ohne sich um den Vorgang zu kümmern. Als ich ihm auch in freudiger Erregung meine Meldung machte [sagte der Kaiser], sah er mich über den Kneifer hinweg an, sagte mit kühler Herablassung: , und setzte seine Lektüre fort. Von Zorn entbrannt, antwortete ich ihm: , und verließ das Abteil. Bei der Ankunft in Potsdam trat Exzellenz v. Albedyll zu mir heran und sprach mir unter scharfer Mißbilligung des Verhaltens von Exz. v. Bronsart [ . . . ] das Bedauern desselben über den Vorfall aus, worauf ich dem General dankte mit dem Hinzufügen: >> Wie Caprivi gehörte Bronsart näm­ lich, so führte der Kaiser erklärend aus, «ZU der Gruppe älterer preußi­ scher Generäle, denen jedes Verständnis für die Fragen der Seegeltung und einer entsprechend starken Marine abging. Sie betrachteten diese als ein Anhängsel der Armee und das für sie ausgegebene Geld als der Ar­ mee widerrechtlich entzogen.>/8 Ein Jahr später, kurz nach der Thronbe­ steigung Wilhelms II., mußten sowohl Bronsart als preußischer Kriegs­ minister als auch Caprivi als Chef der Admiralität ihr Rücktrittsgesuch einreichen. In der Absicht, die Flotte zur «ebenbürtigen Schwesterwaffe der Ar­ mee» aufzubauen, erfuhr Kaiser Wilhelm warme Unterstützung durch seinen Bruder Heinrich, der zu dieser Zeit die Torpedobootsdivision kommandierte und in den nächsten Jahren zum Admiral und Flotten­ chef avancieren sollte.79 Nach der Annahme des von Wilhelm angeord­ neten Marineorganisationsgesetzes durch den Reichstag im Frühjahr 1 8 89, wodurch die Flotte eine ähnliche Verwaltungsstruktur erhielt wie die Armee (wir kommen im nächsten Kapitel darauf zurück), antwortete Heinrich begeistert auf ein Telegramm seines Bruders: «Deine Worte werden mir ewig unvergessen bleiben und werde ich dieselben morgen meinem neuen Offizierskorps bekannt geben, als an einem Tage an dem ich zu Deinem und des Vaterlandes Ruhme unsere stolze Flagge hissen

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Die « Marinepassion» des Kaisers

werde. Nur durch einen solchen Geist werden wir befähigt mit Deiner glorreichen Armee in einem Athem genannt zu werden.>>80 In der Armee andererseits löste die Marineleidenschaft des Kaisers schon in den ersten Regierungsmonaten und -jahren schwere Bedenken aus. So verurteilte Waldersee, in diesem Punkt mit seinem Kontrahenten, dem Kriegsminister Paul Bronsart, vollkommen einig, bereits wenige Wochen nach der Thronbesteigung scharf die «Passion» des neuen Kai­ sers «für Seefahren>>. Die Marine müsse doch einsehen, daß sie «nur einen Bruchteil unserer Wehrkraft bildet und keineswegs den wichtig­ sten, wohl aber den teuersten», warnte er. Er beschimpfte die Seeoffi­ ziere und die Männer in der kaiserlichen Umgebung, die diese gefähr­ liche Leidenschaft in Wilhelm schürten.81 Bei den Flottenmanövern im September r 8 8 8 war Waldersee von der dort zu beobachtenden starken «Marine Passion des Kaisers» schlichtweg schockiert. Wilhelm sei «un­ glaublich passioniert» und verbringe den ganzen Tag mit Ausnahme der Mahlzeiten auf Deck. Diese «ganz ausgeprägte» Leidenschaft des Kai­ sers für die Flotte sei «stärker als für uns gut ist» und werde von der Marine in ungehöriger Weise ausgebeutet. «Der Kaiser ist nun auch ent­ schlossen für die Marine erhebliche Geldforderungen zu machen um wieder größere Schiffe zu bauen, was Caprivi nicht für richtig gehalten hatte», klagte Waldersee am 9· Oktober r 8 8 8 .82 Schon im folgenden Mo­ nat mußte der Generalstabschef die Hoffnung aussprechen, daß der Kai­ ser seine Pläne für einen großen Flottenbau zugunsren der dringenden Verstärkung der Armee aufgeben würde. «Mein Wunsch ist», gestand er, «daß der Kaiser seine große Forderung für die Marine - ich glaube r oo Millionen - fallen läßt; er wird es sehr ungern thun, indeß hoffe ich doch, daß er darauf eingeht, wenn er zugiebt daß wir einen Krieg bald haben werden. Panzerschiffe brauchen 3 ]ahre Bauzeit, solange aber läßt der Krieg nicht auf sich warten.»83 Die vielfach belegte starke Flottenleidenschaft Wilhelms II. in dieser Anfangsphase seiner Regierung sollte uns freilich nicht zu der Annahme verleiten, daß wir es hier schon mit Flottenbauplänen gegen England zu tun haben. Der Gedanke, daß das neue Deutsche Reich mit seiner mini­ malen Kriegsflotte binnen weniger Jahre dazu ansetzen könne, der ozea­ nischen Weltmacht Großbritannien die Seeherrschaft streitig zu machen, erschien sowohl den Befürwortern als auch den Kritikern der kaiser­ lichen Marinepassion als so phantastisch, so weit von der Wirklichkeit entfernt, daß man auch nicht im entferntesten daran dachte. Ja, Wilhelm hielt seine Flottenbegeisterung für den Ausdruck seines englischen Erbes und erklärte einem seiner Flügeladjutanten in Doorn: «[M]eine ganz be­ sondere Passion für die Marine [ . . . ] entstammte nicht zum geringsten Teil dem von meiner Mutter herrührenden englischen Blut in mir.»84 Schon Bülow hatte als Reichskanzler den Kaiser darauf aufmerksam ma­ chen müssen, daß es nicht anginge, in einer öffentlichen Rede den kost-

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Außenpolitische Anfänge

spieligen und risikoreichen deutschen Schlachtflottenbau als Ausdruck seiner persönlichen Vorliebe und seiner Jugenderlebnisse in Portsmouth und Plymouth darzustellen!85 In diesen ersten Jahren waren die Marinepläne Wilhelms II. vielmehr in der Wunschvorstellung verankert, daß die englische Kriegsmarine zu­ sammen mit der deutschen Flotte und der preußisch-deutschen Armee den Weltfrieden wahren und, falls ein Krieg sich dennoch als unvermeid­ lich erweisen sollte, gemeinsam den Sieg davontragen würde. In dieser Erwartung drängte der Kaiser förmlich auf eine Vergrößerung der eng­ lischen Flotte und beklagte den Umstand, daß die Engländer «Zur Zeit kaum im Stande [seien], etwas Erhebliches mit Flotte oder Armee zu leisten>> und scheinbar auch nicht den Willen zeigten, «sich auf mehr vorzubereiten>>.86 Als im Frühjahr r 8 89 das Londoner Parlament dann doch die Mittel für siebzig neue Kriegsschiffe bewilligte, sprach Wil­ helm seine Freude über die Verstärkung der englischen Flotte aus.87 Nach der Verleihung der Admiralsuniform und dem erfolgreichen Eng­ landbesuch im Sommer r 8 89 schien Wilhelms Wunsch nach einem deutsch-englischen militärischen Zusammengehen zu Wasser und zu Lande in Erfüllung zu gehen. Im August jenes Jahres schrieb er seiner englischen Großmutter, er wisse, daß die englischen Panzerschiffe «ge­ paart mit meinen & meiner Armee, die stärkste Garantie für Frieden bilden; helfe uns der Himmel, diesen zu bewahren! Sollte uns jedoch die Vorsehung die schwere Prüfung auferlegen, für unsere Heimat & Schicksal kämpfen zu müssen, dann mögen die britische und die deut­ sche Flotte Seite an Seite vorwärtsstreben, und der zusam­ men mit dem gen Sieg marschieren! >>88 Ganz in diesem Sinn vermerkte er auf einem englischen Zeitungsbericht, in dem die Unabhängigkeit der englischen Flotte stolz hervorgehoben wurde, die weder für deutsche noch für die Zwecke anderer Staaten zur Verfügung stehe: «Kurzsichtig! Die Geschichte wird sie eines besseren belehren». 89 Dieser deutsch-englische Wunschtraum gipfelte sodann in einem denkwürdigen Weihnachtsbrief an Queen Victoria vom 2 2. Dezember r 8 89, in dem der Kaiser dringend für eine Verdoppelung des englischen Mittelmeergeschwaders plädierte. «Meine Reise nach Athen & Konstan­ tinopel war überaus interessant>>, schrieb er. «> Es handele sich hier um eine Frage von ganz fundamentaler Bedeutung, und er, Bismarck, könne «mit den Erfahrungen, die ich auf diesem Gebiete 40 Jahre lang gesammelt habe, nicht in Widerspruch tre­ ten>>. Er könne , bekundete der Fürst. 59 Was Eulenburgs Charakter und Fähigkeiten anbetraf, so hielt ihn der Reichskanzler für den schwierigen Gesandtenposten in München für gänzlich ungeeignet. Eulenburg sei zwar beeindrucken, habe «keinen politischen Blick, unter­ scheidet nicht zwischen wichtig und unwichtig, hört auf Klatsch und Hetzereien und kann damit viel schaden>>. Mit Vergnügen könne Eulen­ burg den unbedeutenden Posten in Oldenburg bekommen, schrieb der Kanzler, für München sei er unmöglich, das könne er «nicht blasen>>. Die Versetzung Rantzaus oder die Entlassung Wesdehlens oder eines an­ deren Gesandten, nur um für Eulenburg eine Vakanz zu schaffen, wäre eine ehrenrührige Handlung und würde außerdem dem diplomatischen Dienst schwer schaden, denn solche «Gewaltsamkeiten>>, durch welche die besseren und zuverlässigeren Elemente im auswärtigen Dienst will­ kürlich «unerprobten und unverdienten Günstlingen [ . . . ] geopfert» wür­ den, schafften Unsicherheit und wirkten abschreckend. Wenn der Kaiser Philipp Eulenburg wirklich mehr liebe als irgendeinen anderen Men­ schen, so gehöre er nicht an eine Gesandtschaft, sondern an den Hof. Verklausuliert - aber doch unmißverständlich - deutete der Kanzler an, daß er Dinge über Eulenburg wisse, die er dem Papier nicht anvertrauen könne, sondern für ein vertrauliches Gespräch mit Herbert unter vier Augen aufsparen müsse. 60 Eulenburg war zunächst erleichtert, daß er durch sein offenes Wort mit Herbert Bismarck in München den drohenden Konflikt mit der Familie Bismarck hatte abwenden können. Er wußte allerdings, daß der Kaiser seinen Wunsch nur aufgeschoben, nicht aufgegeben hatte, und warnte den Staatssekretär: «Sie kennen, wie ich, diesen Willen ! >>61 Als er dem Kaiser am I 5 . 0 ktober von seiner Unterredung mit Herbert berich­ tete, stellte Eulenburg die Möglichkeit einer Versetzung Rantzaus auf einen anderen Gesandtenposten, um München für ihn (Eulenburg) zu räumen, als eine beinahe abgemachte Sache dar, die allerdings erst nach Monaten in Edüllung gehen könne. «Den Willen Ew. Majestät bezüg­ lich des Gesandtenpostens kennend, wand er [Herbert] sich wie ein Aal und sprach von künftigen Schiebungen. Gleichwertig mit München wäre für Rantzau Brüssel, Haag und Vatikan>>, setzte Eulenburg dem Monar­ chen auseinander. Im Vatikan gebe es im Sommer wenig Arbeit, der Dienst Rantzaus in Friedrichsruh würde also kaum tangiert werden. «>62 Am 3 I. 0 ktober I 8 8 8 teilte Wilhelm II. seinem Freunde ü herraschend mit, daß er ihn zum Gesandten in Oldenburg, Braunschweig und den beiden Lippes ernannt habe.63 Wenn er durch diese Wendung auch ent­ täuscht gewesen sein mag, so wird Eulenburg wegen der pekuniären Vorteile der Beförderung und auch wegen der Tatsache, daß ihm damit der Konflikt mit der Bismarckfamilie vorerst erspart geblieben war, Er­ leichterung empfunden haben. Er wußte zudem, daß die Versetzung in das nordwestdeutsche Flachland nur von kurzer Dauer sein würde. So

Die Bismarckherrschaft und ihre Gegner

schrieb er überschwenglich an den Kaiser: «>64 Da er mit seinem Verbleib in München gerechnet hatte, konnte sich Eulenburg die Ernennung nach Oldenburg nur als eine Entscheidung der Bismarcks er­ klären, und schrieb auch Herben seinen «unbegrenzten» Dank. 65 Bis­ marcks Schwiegersohn Rantzau, der mit dieser Entwicklung vorläufig auf dem Münchener Gesandtenposten bleiben konnte, war nicht nur aus diesem Grunde über Eulenburgs Versetzung erleichtert. «>, schrieb er Herbert, «bin aber herzlich froh, daß er seine spiritistischen Gauklereien jetzt auf einem anderen Schauplatz ausüben kann.»66 In Wirklichkeit hatte aber der Kaiser seine Absicht, seinen Freund an Rantzaus Stelle zu ernennen, keineswegs aufgegeben. Er konnte Rantzau nicht leiden und sagte zu Eulenburg: «Wenn der nicht die Sache während meines Vaters Regierung gemacht hätte, wären Sie jetzt in München! Aber ich habe bestimmt erklärt, daß ich Sie dort haben will! >>67 Es brauten sich also die ersten Gewitterwolken am Hori­ zont zusammen. Es muß gesagt werden, daß Eulenburg seine Vorteile beziehungsweise Wilhelms Interessen und Schwächen weiterhin geschickt ausnutzte, um den jungen Kaiser zu umschmeicheln. Am r 6. Dezember r 8 8 8 hatte er vor seiner Abreise nach Oldenburg eine längere Privataudienz beim Kai­ ser, in der die beiden Freunde außer der politischen Lage in München und der Frage einer kaiserlichen Schirmherrschaft über die Festspiele in Bayreuth auch noch diverse spiritistische Erlebnisse besprachen. 68 Eulenburg glaubte fest an eine Fortdauer der 69 Er schrieb für den Kaiser Balladen und Wikinger-Fabelgeschichten und las beziehungsweise sang sie ihm vor. «Wie herrlich war der letzte Abend, den ich bei Ew. Majestät verleben durfte», schrieb er ihm in seinem ersten Brief aus Oldenburg. «Ich denke immer daran und an das Ver­ ständnis Ew. Majestät für mein altmodisches Empfinden. Hätte ich j e er­ träumen können, daß mein Kaiser derjenige sein soll, der allein dieses Empfinden ureigendich begreift ! ! »70 Dabei warnte Eulenburg den Kai-

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Philipp Eulenburg, «der beste Freund des Kaisers»

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ser vor den Spiritisten, die sich an ihn, Wilhelm, herandrängen würden, und bat ihn inständig, sich in diesen «heiklen und aufregenden Dingen» nur seiner Vermittlung zu bedienen. Gleichzeitig hielt er das Interesse des Kaisers an der Geisterwelt wach und sammelte eifrig Geheimschrif­ ten und Seanceberichte mit der Absicht, sie dem Monarchen beim näch­ sten Zusammensein vorzulesen.71 «S.M. verwöhnen mich grenzenlos», schrieb er im Februar 1 8 89 und klagte, er habe Mühe, den «lauernden Neid im Zaum zu halten! >>72 Im Herbst 1 8 8 8 lud Eulenburg Wilhelm ein, auf dem Gut Liebenberg seiner Eltern in der Uckermark, weniger als eine Stunde nördlich von Berlin entfernt, zu jagen. Während der Kaiser noch in Italien weilte, schrieb ihm Eulenburg aus Liebenberg: «Hätten wir nur Ew. Maj estät wieder einmal in der alten Mark. Unter Kiefern ruht sich sicherer als unter Pinien und seit Frau Lucretia Borgia den Vatikan verließ, ist dort ja auch nicht recht mehr was los. Die hätte die schönen Augen gut auf­ gerissen über den deutschen Kaiser mit seinen Trakhener Rapphengsten! Ich weiß so herrliche Geschichten von Lucretia - schade, daß ich sie nicht erzählen kann! Ich freue mich grenzenlos, Ew. Majestät wieder einmal ein paar Balladen singen zu dürfen und die Aussicht auf einen Jagdtag in Liebenberg macht mich ganz überglücklich ! ! >>73 Am 19. November 1 8 8 8 traf die Meldung des Flügeladjutanten Gu­ stav von Kessel - er war ein Vetter Eulenburgs - in Liebenberg ein, daß der Kaiser vom 2 5 . bis zum 27. November dort jagen wolle. «> aufzuführen. Wenn sein Vetter Eberhard Graf Dohna ebenfalls kommen dürfe, wäre er «als Frau Venus nicht übel». Er wolle außerdem Herben Bismarck, Gustav von Kessel, Ri­ chard Graf Dohna, August Graf zu Eulenburg und zwei weitere Vettern - Heinrich von Keszycki und Walther Freiherr von Esebeck - zur Lie­ benberger Kaiserjagd einladen. «Der Gedanke meinen geliebten Kaiser in aller Gemütlichkeit hier haben zu sollen, macht mich ganz toll vor Freude! [ . . . ] Wie gut sind Ew. Majestät immer von neuem für mich aber wie liebe ich auch meinen Kaiser! ! >>74 Wegen des Besuchs des Herzogs von Aosta und anderer Verpflichtun­ gen mußte die Kaiserjagd in Liebenberg auf Anfang Januar 1 8 89 ver­ schoben werden. In den darauffolgenden Jahren aber fand der Aufent­ halt Wilhelms regelmäßig im Oktober oder November statt. Gleich für den ersten Besuch wurde eine Fahnenstange über dem Liebenberger Schloßeingang angebracht, an der die Kaiserstandarte, die man aus dem Berliner Schloß kommen ließ, aufgezogen wurde.75

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Die Bismarckherrschaft und ihre Gegner

Unmittelbar nach dem ersten Besuch Kaiser Wilhelms II. in Schloß Liebenberg im Januar r 8 89 meldete der aufmerksame Botschafter Öster­ reich-Ungarns nach Wien: «Es ist wol hier der Ort um Eurer Exzellenz von einem Mann zu sprechen, der, obwol nicht zur offiziellen Umge­ bung des Kaisers gehörig, dennoch eine bedeutende Rolle um die Person des Monarchen spielt, welche mit der Zeit noch bedeutender werden könnte. Es ist dies ein Graf Philipp Eulenburg, der hier bereits nicht selten als bezeichnet wird. Er [ . . . ] ist we­ der ein Altersgenosse des regierenden Kaisers, denn er hat bereits das 42te Lebensjahr erreicht, noch gehört er dem Soldatenstande an. Seiner Majestät wurde er zuerst näher bekannt, als der kaiserliche Herr noch als Prinz Wilhelm wegen seines Ohrenleidens vor ein paar Jahren eine mehrmonatliche Cur in Reichenhall brauchte. Der genannte Graf, ein überaus angenehmer Gesellschafter, künstlerisch begabt, auf's ange­ nehmste schriftstellernd, dichtend und Musik betreibend, war damals Legationssecretär in München und hatte den Auftrag erhalten, sich von Zeit zu Zeit nach Reichenhall zu begeben, um sich zur Verfügung des jungen Prinzen zu stellen. Es gelang ihm da, dermaßen dessen Wohl­ gefallen zu erregen und dessen Zuneigung zu erringen, daß er von der Zeit an ununterbrochen in der immer noch zunehmenden Gunst des künftigen Thronerben verblieb. Als dann nun Kaiser Wilhelm II. die Regierung antrat, war einer seiner ersten Acte, den genannten Gesandt­ schaftssecretär mit Ueberspringung sämmtlicher Botschaftsräthe zum Gesandten in Oldenburg zu machen. lndeß, der neue Missions-Chef weilt weit weniger auf seinem Posten als in Berlin, allwo er fast seine ganze Zeit im königlichen Schlosse verbringt, an den Mahlzeiten Ihrer Majestäten theilnehmend, die Abende zumeist im Schoße der kaiser­ lichen Familie verweilend. Erst vor ganz kurzem ist Kaiser Wilhelm von einem mehrtägigen Jagdaufenthalt zurückgekehrt, zu dem Er Sich nach dem eine halbe Eisenbahnstunde von hier gelegenen Liebenberg [ . . . ] be­ geben hatte, weniger indeß des Waidwerkes halber, als wegen des unge­ störten, Ihm so zusagenden persönlichen Verkehrs mit dem Sohne des Hauses. Vor der Hand scheinen die Fäden, durch welche der Kaiser Graf Philipp Eulenburg an Sich gebunden fühlt, eher ästhetischer Natur zu sein, gesponnen aus Litteratur und Musik, ob sie jedoch dazu bestimmt sind, sich zu ernsten politischen Banden zu verdichten, das dürfte erst die Zukunft lehren. Wie dem auch sei, so ist der genannte Graf jedenfalls eine Persönlichkeit, die fest im Auge zu behalten ist.>>76 Wenige Tage nach der ersten Kaiserj agd in Liebenberg trafen sich Wil­ helm und Eulenburg in Bückeburg wieder: Eulenburg war ja auch an den beiden lippesehen Höfen akkreditiert. Dort stellte ihn der Kaiser seinem Erzieher Hinzpeter, der aus Bielefeld herübergekommen war, mit den Worten vor: «Mein Busenfreund Philipp Eulenburg - und den einzigen, den ich habe.» Ahnungsvoll meinte Eulenburg: «Solche Bemer-

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Miss Love: Das Ende der Affäre

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kungen erfreuen mich und machen mich glücklich - aber wiederholt werden sie mir viel Neider erwecken.>>77 Bald ergab sich allerdings für ihn die Möglichkeit, sich noch auf einem anderen Gebiet dem Monar­ chen dienlich zu zeigen. Er erhielt von Wilhelm den geheimen Auftrag, sich nach den Privatverhältnissen des Prinzen Adolf zu Schaumburg­ Lippe, des im gleichen Jahr wie Wilhelm geborenen jüngsten Sohnes des regierenden Fürsten, zu erkundigen: Nach dem endgültigen Scheitern des Battenberger Heiratsprojekts suchte Wilhelm - nicht zuletzt, um der regen Aktivität seiner Mutter auf diesem Gebiet zuvorzukommen78 nach einem geeigneten Ehemann für seine Schwester Moretta. Als Eulenburgs befürwortender Geheimbericht über die Vermögensverhält­ nisse und das Privatleben des Prinzen Adolf Ende Februar im Berliner Stadtschloß eintraf, dankte Wilhelm seinem Freund «von ganzem Her­ zen>> für seine Mitteilung, die er sofort verbrannte, und schrieb, sie sei «gerade das, was ich brauche und von unschätzbarem Wert. Dadurch er­ sehe ich zu meiner Freude, daß ich in Ihnen für solche Dienste den Richtigen gefunden und daß Sie Ihre Freundesstellung von der richtigen Seite auffassen; bitte fahren Sie in dieser Art und Weise fort.>>79 Eulen­ burgs Freude über diese Dankeszeilen kannte keine Grenzen. «Es ist ein herrliches Gefühl», schrieb er, «von demjenigen anerkennende Worte zu hören, dem man alles zu danken hat. Es macht mich unbeschreiblich glücklich herauszufühlen, wie Euer Majestät den Geist meiner Freund­ schaft erfaßt haben. Bis zu meinem letzten Atemzug werde ich der glei­ che sein ! >>80 Eulenburg war geradezu dazu prädestiniert, zusammen mit Waldersee in der im Frühj ahr I 8 89 beginnenden Bismarckkrise eine zen­ trale Rolle zu spielen. 3 · Miss Love: Das Ende der Affäre

Kurz darauf könnte sich der mysteriöse Zwischenfall ereignet haben, den der Kaiser in späteren Jahren in Gesprächen mit Philipp Eulenburg als denjenigen Augenblick bezeichnete, in dem er innerlich mit Herben Bismarck gebrochen habe. Das Trennende zwischen Kaiser Wilhelm und Herben Bismarck liege «für alle Zeiten>> in jenen «einstmaligen Ver­ suchen Herberts, das hohe Paar innerlich - und äußerlich von einander zu scheiden und auf eine Mätressenwirtschaft hinzuarbeiten>>, teilte Eulenburg I 894 dem Geheimrat von Holstein mit. 81 Diese nachträgliche Bemerkung des Kaiserfreundes möchte ich in Zusammenhang setzen mit dem Erpressungsversuch der «Miss Love>> vom Winter I 8 8 8/89, bei dem, wie wir bereits im ersten Band dieser Biographie sehen konnten, Waldersee eine vermittelnde Rolle zu spielen suchte. Wir erinnern uns, daß Wilhelm II. auf einem eigenhändigen Zettel vom r 8 . April I 8 89 be­ stritt, je mit dieser Dame ein Verhältnis gehabt zu haben, dann aber ein-

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Die Bismarckherrschaft und ihre Gegner

räumte, daß sie schon mehrfach versucht habe, Geld von ihm zu bekom­ men und auch erhalten habe. Auf seinem Zettel für Waldersee fuhr der Kaiser fort: «> Wie Bill Bismarck in seinem Brief be­ merkte, war solch ein Verfahren «nicht hübsch, schon von einem ge­ wöhnlichen Sterblichen, indessen unmöglich durchzuführen, wenn man, wie S.M. gethan zu haben scheint, 6 Briefe geschrieben hat, aus denen die Beziehung zu der Betreffenden noch dazu in besonders pikanter Form unzweifelhaft hervorgehe. Diese Briefe>>, urteilte Bill, «sind eine Gefahr und können einen ungeheuren Skandal hervorrufen, literarisch ausgebeutet sind sie eine große Summe werth.>> Seiner Ansicht nach war Emilie Love nicht auf Erpressung aus, sie bestand j edoch auf Vergütung für Dienste, die sie geleistet hatte, und auf Rückerstattung ihrer Aus­ lagen; es sei ihm aber ganz zweifellos, daß sie von der Waffe Gebrauch machen würde, wenn man sie nicht zufriedenstellte. Französische Ko­ kotten seien bekanntlich eine besonders stolze Spezies und ließen sich nicht «benassauern>>. Der Kaiser, meinte Bill, habe sich einer «weitge­ henden Freibergerei>> schuldig gemacht, die «an solcher Stelle am Wenig­ sten geübt werden sollte>>. «Aber was nun thun?>> fragte er besorgt. «Wie an S.M. rankommen? Wer soll ihm die Nothwendigkeit seine Briefe zu­ rückzuerhalten vorstellen?>> Sicher sei, daß die Briefe, an deren Existenz er nicht zweifle, unbedingt vernichtet werden müßten, doch sei zu be­ fürchten, daß . liege. «Der öffentlichen Meinung gegenüber halte ich die Frage, ob ein junger Herr immer sexuell tugendhaft gewesen ist oder nicht, zwar nicht für gleichgültig aber, soweit es sich nicht um Verfüh­ rung ehrbarer Mädchen handelt, auch nicht für bedenklich.>> Er riet Her­ bert, in beiläufigem Tonfall die Sache selbst mit Wilhelm zu erörtern, zu erklären, wie die Geschichte historisch an Bill herangekommen sei, und ihm anzubieten, die Angelegenheit durch diesen regeln zu lassen. «>, schrieb er seinem älteren Sohn. «Glaubst Du, daß Deine Beziehungen zu S.M. das nicht vertragen», so sei er, der Reichskanzler, selbst bereit, dem Kaiser eigenhändig zu schreiben oder «Behufs mündlichen Vortrages» nach Berlin zu kommen.86 Trotz der Vorahnung, daß dies einen Schatten auf ihre Freundschaft werfen könnte, entschied sich der Staatssekretär daraufhin, bei seinem nächsten Immediatvortrag die «fatale» Sache zur Sprache zu bringen. Seinem Vater versicherte er, seine anfänglichen Bedenken, die Ange­ legenheit dem Kaiser vorzutragen, seien nicht schwerwiegender Natur gewesen, sie fußten nur darauf, «daß bei der Wiener Schwängerungs­ sache (welche mit der Zahlung von 5 000 Thalern todtgemacht ist) Reuss, der an S.M. darüber geschrieben hatte, dabei gerathen hatte, S.M möchte sich an Stolberg oder mich wenden. S.M. hat damals aber Wal­ dersee, als er im Juni [1 8 8 8] zur Notification [der Thronbesteigung] nach Wien fuhr, beauftragt, die Sache mit Reuss u. einem Rechtsanwalt beizulegen. Diese Sache [mit Miss Love] liegt einfacher, da es sich nicht um Schwängerung, sondern einfache Bezahlung gewerbsmäßiger Lei­ stungen handelt. Meine Beziehungen zu S.M. würden es sehr gut vertra­ gen, daß ich die Sache vortrage, ich glaubte nur, S.M. könnte es später

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Miss Love: Das Ende der Affäre

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unerwünscht sein, daß ich um so etwas wisse, aber bei längerer Über­ legung erscheint mir das irrthümlich: Schließlich hast Du Recht, daß es nur auf I.M. ankommt, u. mit der komme ich doch nie näher zusammen. Nach meiner Auffassung ist die Sache kaum ein pudendum. Heutzutage machen solche Sachen nur mehr Lärm als früher, weil die Presse viel verbreiteter u. gemeiner ist, als früher, u. weil der Deutsche Kaiser mehr en vue ist, als irgend ein anderer Mensch oder Monarch, u. von den übelsten Elementen, die die verworfenste Presse haben - Franzosen, Jesuiten, Socialisten, Juden - auf das Bitterste gehaßt wird. Wegen der christlich-germanischen pose könnte eine öffentliche Ausbeutung unbe­ quem sein: Die L. ist Französin: sie kniff r 8 7 r aus Paris vor den commu­ nards aus u. wurde in der Gardecavallerie damals mehrfach benutzt.»87 Die Ereignisse sollten zeigen, daß der ursprüngliche Instinkt des Staats­ sekretärs vielleicht doch der richtigere gewesen war. Der Immediatvortrag Herbert Bismarcks am 2 8 . November r 8 8 8 nahm jedenfalls eine ganz unerwartete Wendung. Wie er seinem Bruder im Anschluß daran verblüfft mitteilte, habe der Kaiser «die Strassburger Begegnung [ . . . ] für richtig» erklärt, «Alles andere aber für erlogen, Briefe seien nicht vorhanden u. die ganze Potsdamer Episode sei eine Er­ findung: es solle also nichts geschehn, nach keiner Richtung».88 In einem Brief an seinen Vater gab Herbert die ganze Unterhaltung in Dialogform wieder. Er habe am Ende seines Vortrags die bewußte Frage in gleichgül­ tigem Ton zur Sprache gebracht, woraufhin «S.M. meinte, das Ganze würde wohl Schwindel sein: ich gab ihm darauf den anliegenden Auszug zu lesen, den ich aus Bills Brief an Dich gemacht hatte. Als S.M. ihn fer­ tig gelesen, sagte Er: Als ich fragte, ? erwiderte S.M., Ich bemerkte darauf nur noch beiläufig, S.M. sagte aber kopfschüttelnd, Ich ließ die Sache darauf fallen, u. sprach von anderen Dingen.>> Ahnungsvoll fügte der Staatssekretär die Bitte an seinen Vater hinzu, er möge den Brief auf­ bewahren oder ihm zurücksenden .96 Wie der Staatssekretär die delikate Frage der Rückgabe der Liebes­ briefe - die signierte Photographie hielt er zurück - schließlich löste, geht aus den Unterlagen nicht hervor. In seinem Tagebuch gibt er nur kryptisch an, in seinem Immediatvortrag vom 9· Mai 1 8 89 die Angele­ genheit des verbrannten Briefes ( «burned letter>>) mit dem Kaiser erör­ tert zu haben.97 Gehen wir aber fehl in der Annahme, daß der Kaiser in diesem Augenblick die ungeheure Macht der Bismarcks zu spüren be­ kommen hat, die ihm bei einer etwaigen Auseinandersetzung bedrohlich werden könnte ? War dies der Moment, in dem er sich blamiert fühlte und sich innerlich von Herbert abwandte ? Fest steht jedenfalls, daß er seit Mai 1 8 89 den Staatssekretär weniger häufig zum Vortrag aufsuchte als bisher,98 wobei allerdings die Tatsache, daß er von Mitte Juni bis Mitte November fast ununterbrochen (und meistens ohne Herbert Bis­ marck) auf Reisen war,99 berücksichtigt werden sollte. Fest steht auch, daß von diesem Moment an ein neuer Ton in seinem Umgang mit der Bismarckfamilie zu erkennen ist, der sich in fast allen Fragen der Innen­ und Außenpolitik bemerkbar machte.

Kapitel 9

Der Beginn der Kanzlerkrise 1.

Waldersee als Vertrauensmann des Kaisers

Während die Herrschaft der Bismarcks sowohl von ihren Gegnern als auch von ihren Mitarbeitern zunehmend als oppressiv empfunden wurde, nahm das ohnehin nicht gerade stiefmütterlich entwickelte Selbstvertrauen «unseres muthigen u. thatkräftigen Kaisers» - so Wal­ dersee am 3 · Juni r 8 89 - täglich weiter zu.1 Die begeisterten Ovationen, die dem jungen Monarchen überall entgegengebracht wurden - sogar in Bayreuth, im Elsaß, im katholischen Rheinland und im welfischen Han­ nover -, erhöhten zusehends sein Selbstbewußtsein.2 Selbst in der süd­ westdeutschen Presse wurde das stärkere Hervortreten Wilhelms mit Freude begrüßt und die persönliche Übernahme der Regierungsgewalt durch den jungen Kaiser wärmstens befürwortet.3 Nach einer Fahnen­ verleihung in Potsdam im Mai r 8 89 lobte der Chef des Generalstabs die «vortreffliche» Rednergabe Wilhelms und vermerkte: «Er hat sich auch auf diesem Gebiet schnell entwickelt und ist schon jetzt ein sicherer Redner. Stets geht durch seine Ansprachen ein frischer soldatischer und in hohem Grade patriotischer Zug; stets gepaart mit Pietät für seine Vor­ gänger.>>4 Neun Monate nach der Thronbesteigung mehrten sich überall die Anzeichen dafür, daß für den Kaiser die Zeit des Wartens nunmehr vorüber war. In seinem Verkehr mit dem Reichskanzler und dessen Sohn kam unverkennbar ein neuer Ton auf, der seine Entschlossenheit deut­ lich an den Tag legte, die wesentlichen Leitlinien sowohl der Außen- als auch der Innenpolitik künftighin persönlich zu bestimmen. Nicht nur in hochpolitischen Fragen, sondern auch in schwierigen Personal- und Familienangelegenheiten5 stützte sich Wilhelm II. nach wie vor auf den Rat seines Ersatzvaters Walderseee, den er im November r 8 8 8 zum Chef des Generalstabes ernannt hatte. Am 26. Januar r 8 89 berichtete Sze­ chenyi: «Man glaubt überhaupt bemerkt zu haben, daß Graf Waldersee dem jungen Kaiser anfängt sympathischer zu werden, als es Fürst Bis­ marck ist.»6 Zehn Monate später konnte Waldersee mit Befriedigung notieren, daß «ein besseres Verhältniß>> zum Kaiser «kaum denkbar» sei. «Ich bin aber auch sehr zurückhaltend, laufe ihm nicht nach, behellige ihn nicht unnütz u. bin überzeugt, daß er Achtung vor mir hat, was z.B. Herbert Bismarck gegenüber unter keinen Umständen der Fall ist.>/ War er auch kein unkritischer Bewunderer des jungen Monarchen, 8 und tat dieser noch lange nicht alles, was der Generalstabschef ihm anriet,9 so ist dennoch unbezweifelbar, daß Waldersee in den ersten zwei Jahren der

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Waldersee als Vertrauensmann des Kaisers

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Wilhelminischen Epoche einen größeren und beständigeren Einfluß auf Wilhelm II. ausübte als irgendein anderer Mensch in seiner Umgebung, und zwar in allen politischen Bereichen: Die scharfe Kritik, die er an anderen übte, die ihre Ressortzuständigkeit überschritten, bezog er kei­ nen Augenblick auf sich selbst. Im Gegenteil, er rühmte sich, von der Kaiserin abgesehen, der einzige in der kaiserlichen Umgebung zu sein, der mit dem Monarchen in allen Fragen ein offenes und ehrliches Wort reden konnte. Im Februar I 8 89 trug er in sein Tagebuch ein: «Lucanus ist nichts als eine Kreatur Bismarcks, Lieberrau hat sich ihnen völlig ergeben, die beiden General-Adjutanten haben sich keine Stellung zu machen gewußt, von den Flügel-Adjutanten konnte höchstens Bissing, der nun leider fort ist, noch ein Wort sagen, es bleiben daher nur die Kaiserin und ich übrig, die an den Kaiser herankommen.» Voller Zuver­ sicht konnte Waldersee über die Bismarckianer am Hof die Vorhersage treffen, «daß dem Kaiser die Augen einmal aufgehen werden und daß diese Gesellschaft von schlechten, theils erbärmlichen Kerls dann ver­ sprengt>> werde.10 Häufig hatte der General Gelegenheit, den Kaiser unter vier Augen zu sprechen, denn abgesehen von seinen amtlichen Immediatvorträgen als Chef des Generalstabs holte ihn Wilhelm regelmäßig zu Spaziergängen und -ritten ab11 und lud ihn zu Herrenabenden und anderen Hoffesten ein.12 Erkrankte er, schickte ihm der Kaiser seinen persönlichen Leib­ arzt, damit die bestmögliche Betreuung gewährleistet war. Häufig be­ gleitete Waldersee den Kaiser wie ein Flügeladjutant auf seinen mor­ gendlichen RittenY Selbst zu Bismarcks Geburtstag am 1 . April I 8 89 erschien der Kaiser zur Gratulation im Reichskanzlerpalais demonstrativ in Begleitung seines Generalstabschefs.14 Anfang März 1 8 89 benutzte Waldersee einen lmmediatvortrag, bei dem er mit Wilhelm allein war und deshalb «völlig offen und frei>> reden konnte, um den Kaiser zur größeren Selbständigkeit anzuspornen. Da die Diplomaten doch nur Bismarck nach dem Munde redeten, regte er an, den Militärattaches, die doch «selbständige Karaktere seien>> und «furchtlos ihre Ansichten sagten>>, das Recht einzuräumen, direkt an den Generalstab und somit an den Kaiser zu berichten. Überhaupt wäre es gut, wenn der Monarch verschiedene Ansichten zu hören bekäme, denn «wenn alle, die er hört, einig seien, so sei das eine Art von Verschwö­ rung, gegen die er doch nicht aufkommen könne. Er könne sicherer regieren, wenn er seine Rathgeber auseinander halte. Das divide et im­ pera passe auch hier>>, soufflierte ihm Waldersee, das künftige System des anempfehlend. Der Kaiser «lachte herz­ lich u. nickte bedeutungsvoll mit dem Kopfe>>, verzeichnete der Gene­ ralstabschef nach dieser Audienz in sein Tagebuch.15 Möglicherweise war es diese Unterredung, auf die Herbert Bismarck anspielte, als er in seinen festhielt, Waldersee habe dem Kaiser gesagt, Friedrich

Der Beginn der Kanzlerkrise

A bb. IJ : General Graf Alfred von Waldersee.

der Große würde nie der Große geworden sein, wenn er bei seinem Re­ gierungsantritt einen so mächtigen Kanzler wie Bismarck vorgefunden und behalten hätte.16 Immer schärfer kritisierte Waldersee seit dem Frühjahr r 8 89 nicht nur die persönliche Machtstellung der Bismarckfamilie; er prangerte auch deren angebliche Lügenwirtschaft und Korruption an. Unablässig klagte er, daß die Lüge bei den Bismarcks mittlerweile zum «alltäglichen Mit­ tel» geworden seiY Im April r 8 89, als Bismarck gegen den Widerspruch der Staatsminister den preußischen Landtag vorzeitig auflösen ließ, sah der Chef des Generalstabes darin nichts als eine korrupte Handlung, durch die der Kanzler das neue Einkommensteuergesetz, das der Kaiser in seiner Thronrede angekündigt hatte, verhindern wollte. Fürst Bis­ marck habe den Verdacht, so der Vorwurf des Generals, «bei dem neuen Einschätzungssystem viel mehr zahlen zu müssen als bisher, auch damit einen Einblick in sein wahrscheinlich kolossales Vermögen gewähren [zu müssen]. Beides sei ihm sehr unbequem wie er auch, seitdem er reich geworden, auch geizig geworden>> sei. Nur dieses persönlichen Vorteils halber habe Bismarck den Landtag vorzeitig schließen lassen.18 Trotz aller Kritik wäre es indessen gänzlich verfehlt, Waldersee schon zu diesem Zeitpunkt als einen Befürworter der Entlassung Bismarcks einzustufen, erkannte er doch zu genau die katastrophalen Folgen für

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Erste Konflikte

die künftige Machtstellung des Kaisers, die eine verfrühte belle sortie des Reichsgründers nach sich ziehen würde. Ja, der Chef des Generalstabes spielte zuweilen sogar mit dem Gedanken, das unersetzliche Prestige des Reichskanzlers für zwei große Zukunftsaufgaben einzuspannen: die Vor­ bereitung eines Krieges gegen Rußland und Frankreich nach außen hin und eine antidemokratische Revidierung der Reichsverfassung im lnnern! Der schlaue Stellvertretende Chef des Generalstabes erkannte den Vorteil, der bei der Vorbereitung auf den in seinen Augen unver­ meidlichen Krieg im internationalen Ansehen des Reichskanzlers lag. Am I 5 . April I 8 89 erklärte er im Hinliek auf den nunmehr vierundsieb­ zigj ährigen Bismarck: «Wir müssen sein großes Geschick u. seine große Stellung in der ganzen Welt [ . . . ] benutzen, einige Zeit den Frieden zu erhalten, uns aber auch gleichzeitig klar werden, daß es, sobald unsere Rüstung fertig ist, die Pflicht ist, den Kampf, zu dem unsere Gegner den Termin zu bestimmen hoffen, selbst herbeizuführen. Bis dahin mit dem Kanzler, wenn es Ernst wird aber ohne ihn, wenn es sein muß auch ge­ gen ihn; auch bin ich überzeugt, daß er dann sich gern freiwillig zurück­ zieht, da er so gewaltiger Aufregungen schwerlich gewachsen sein dürfte.>>19 Sodann drängte Waldersee auf einen Staatsstreich im lnnern mit dem Ziel, das allgemeine Wahlrecht wieder abzuschaffen, solange man im Reichstag noch die rechtsgerichtete Kartellmehrheit zur Verfü­ gung hatte. Die erklärte Absicht der Bismarcks, die Stichwahlen zu be­ seitigen, 20 war in den Augen des Generals nicht radikal genug. «>, meinte er im Frühj ahr I 8 89.22 Nur die Erkenntnis, daß sich im Zuge einer solchen Gewaltpolitik die Machtstellung der Bis­ marcks enorm befestigen würde, hielt den reaktionären Generalstabschef in dieser Frage zurück. 2.

Erste Konflikte

Konnte die von Wilhelm II. hartnäckig geforderte Ernennung Philipp Eulenburgs zum Gesandten in München im Oktober I 8 8 8 durch die Kompromißlösung Oldenburg-Braunschweig-Lippe von Bismarck vor­ erst verhindert werden23 und hatte der Kanzler zu der ganz ohne ihn getroffenen Wahl des Generals von Verdy zum Kriegsminister «gute Miene zum bösen Spiel>> gemacht,24 so begann im Frühjahr I 8 89 ein lan-

Der Beginn der Kanzlerkrise

ges Tauziehen zwischen dem Kanzler einerseits und dem Kaiserpaar mit Waldersee andererseits über die Stellung des «christlich-sozialen» (sprich: antisemitischen) Agitators Adolf Stoecker als Hofprediger, das sozusagen als erstes Wetterleuchten den Beginn einer Dauerkrise signali­ sierte. Gegen die von Bismarck angeordneten Angriffe auf Stoecker in der offiziösen Presse - Waldersee bezeichnete sie als eine «Hetzerei aus der Wilhelmstraße» - machte der zutiefst antisemitische Chef des General­ stabes wie in früheren Jahren geltend, daß Stoecker «für das christliche Bekenntniß gegen die Judenschaft und ihre zahllose christliche Gefolg­ schaft>> kämpfe, die seiner Überzeugung nach reichte; letztendlich kämpfe Stoecker doch . Dem Kaiser, der zu­ nächst mit einem Disziplinarverfahren gegen Stoecker einverstanden war,25 redete Waldersee ein, daß Stoeckers Sturz einen bedeuten würde und daß der Bismarck wolle.26 Diese gegen Bismarck gerichtete, antijüdische Einwirkung Waldersees blieb nicht ohne Folgen, denn der Kaiser entschied, Stoecker unter der Bedingung, daß er sich politischer Agitation enthalte, in seinem Hofpre­ digeramt zu belassen, woraufhin Waldersee frohlockte: Bismarcks Rückschlag in dieser Frage sei sei. Außerdem werde es , sagte der Chef des Generalstabes selbst­ sicher vorausY Wir werden im Laufe der nächsten Kapitel noch mehr­ mals feststellen, welche bisher ungeahnte Rolle der Antisemitismus in der langen Krise spielte, die im Frühjahr r 8 89 begann und ein Jahr spä­ ter mit der Entlassung der beiden Bismarcks endete. Anfang April 1 8 89 registrierte Waldersees Tagebuch einen weiteren Fall, in welchem handelte: Den Wunsch des Kanzlers, den russischen Generalkonsul in Hamburg, Graf Artur Pawlowitsch Cassini, mit einem Orden auszuzeichnen, hatte der Kaiser .28 In den geheimen Akten des Auswärtigen Amts ist die lange Randbemerkung erhalten, mit der der Monarch die Anregung des Reichskanzlers zurückwies. , so erinnerte sich Wilhelm, «befinden sich aus der Zeit, als ich das Regiment befehligte, verschiedene Berichte von Kusse­ row [dem preußischen Gesandten in Hamburg] über den p. Cassini. Derselbe wird darin als ein ganz übles Subjekt bezeichnet, der des schlechtesten Rufes in Harnburg sich erfreut und in der Gesellschaft

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Erste Konflikte

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überhaupt nur desswegen zwangsweise gesehn wird, weil er Russischer Konsul ist. Er hat eine rasende Jeupassion und hat einem Offizier mei­ nes Regiments viel Geld abgenommen. Außerdem lebt er in wilder Ehe mit einer Dame aus den höheren Kreisen; und bietet schon dadurch ein solches Aergerniß in Hamburg, daß anständige Leute nicht mit ihm ver­ kehren. Ich kenne ihn persönlich, und habe selten ein abgefeimteres Spitzbuben= und Gaunergesicht gesehn als seins. Ich halte die ganze Lobeserhebung über Cassini in dem lmm[ediat] Bericht entweder für stark übertrieben oder durch Communion mit Russischer Botschaft be­ stellte Arbeit.»29 (Noch Monate später bezeichnete Wilhelm II. Cassini auf einem amtlichen Bericht als einen «Schweinehund erster Classe! >>30) Der Kanzler sei über diese Zurückweisung seines Vorschlags «wüthend>>, werde sich aber darein finden müssen, stellte Waldersee triumphierend fest.31 Cassini, das «ganz üble Subjekt>>, avancierte zum russischen Bot­ schafter in Washington und vertrat sein Land bei der Konferenz von Algeciras, bei der Deutschland 1 906 seine weltpolitische Isolierung schmerzlich zu spüren bekam. Mitte Mai 1 8 89 nutzte der General die Gelegenheit einer Eisenbahn­ fahrt nach Potsdam, um den Kaiser vor der «Neigung des Kanzlers für Rußland>> zu warnen, worauf Wilhelm II. entgegnete: «Ich habe dem Kanzler neulich gründlich meine Ansicht darüber gesagt.>> Überhaupt habe der Kaiser bei dieser Gelegenheit «sehr schroff gegen Rußland>> ge­ sprochen.32 Beide Bismarcks wiesen auch diesmal den häufig gegen sie erhobenen Vorwurf, «rußlandfreundlich>> zu sein, weit von sich und nahmen eine viel nüchternere, realistischere Haltung ein, die der Staats­ sekretär nach einem langen Morgenspaziergang mit seinem Vater am 2 2. Juli 1 8 89 in dem lapidaren Satz zusammenfaßte, man müsse den «Fa­ den nach Rußland spinnen, solange noch ein Fädchen der Beziehung bleibt>>, da die Tripelallianz mit dem auseinanderfallenden Österreich­ Ungarn und dem immer republikanischer werdenden Italien keine ver­ läßliche Sicherheit biete.33 Nichtsdestoweniger setzte Waldersee seine anti-russische und anti-Bismarcksche «Stänkerei>>, wie Herbert Bismarck sie nannte, unbekümmert fort. 34 Noch im Mai lud Bismarck den Generalstabschef zu sich ein und legte ihm nahe, den in der Türkei wirkenden preußischen Obersten Col­ mar von der Goltz brieflich den Rat zu geben, den Bosporus nicht be­ festigen zu lassen und die türkische Armee schwach zu halten in dem Kalkül, daß Rußland dann eher versucht sein könnte, das wehrlose Kon­ stantinopel einzunehmen.35 Vergebens setzte Waldersee dem Kanzler auseinander, daß die russischen Militärmaßnahmen der letzten Jahre aus­ schließlich auf einen Krieg im Westen ausgerichtet seien: Man müsse also die türkische Armee nicht schwächen, sondern verstärken. Brenzlig wurde die Situation durch die Tatsache, daß - wie Waldersee konstatie­ ren konnte - «der Kaiser ganz meiner Ansicht>> war und seinerseits ver-

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Der Beginn der Kanzlerkrise

langte, er, der Chef des Generalstabes, solle Goltz in seinem Sinne in­ struieren. «Das ist eine ganz ungesunde Lage, daß Kaiser u. Kanzler eine verschiedene Politik treiben>>, notierte er.36 Am 20. Mai gebrauchte Wal­ dersee eine Truppenbesichtigung auf dem Tempelhafer Feld, um diese Frage erneut mit dem Kaiser aufzugreifen, und vermerkte danach, «der Kaiser hält seinen Standpunkt fest u. ist sogar geneigt, den Botschafter Radowitz von Constantinopel abzurufen; dessen Frau ist Russin, u. Schwester der Frau von Nelidow [dem russischen Botschafter in Con­ stantinopel] u. ist schon lange die Befürchtung, daß Nelidow mehr von unseren Absichten erfährt als gut ist>>.37 Die schädlichen Auswirkungen solcher grundsätzlichen Differenzen zwischen Kaiser und Kanzler auf das diplomatische Corps wurden nur allzubald sichtbar. Am 2. Juni I 8 89 verzeichnete Waldersee in sein Tagebuch: «Radowitz, der mich un­ längst besuchte, fängt an zu sehen wie der Wind weht u. spricht so wie der Kaiser es wünscht u. behauptet, dem Kanzler gesagt zu haben wir müßten der Türkei zureden sich stark zu machen. Der Kaiser traut ihm aber nicht recht u. ist völlig klar, daß seine Frau mit ihrer Neigung Poli­ tik zu treiben, u. als Russin u. Schwester der Frau v. Nelidow, eine Gefahr für uns ist.>>38 Nur kurze Zeit darauf konnte auch Holstein im Auswärtigen Amt feststellen: «Gegen Radowitz hat der Kaiser ein Miß­ trauen, was dessen politische Zukunft bedroht erscheinen läßt.>>39 Gleichfalls war Waldersee an einem Zusammenstoß zwischen Kaiser und Kanzler über die künftige Rolle des Reichseisenbahnamtes unmit­ telbar beteiligt. In einem gemeinsamen Vortrag des Chefs des General­ stabes und des neuernannten Kriegsministers von Verdy bezog der Kaiser am 4· Mai I 8 89 eindeutig für die Militärs und gegen den Reichs­ kanzler und den preußischen Minister für Öffentliche Arbeiten, Albert von Maybach, Stellung. Die zwei Armeeführer forderten eine Erwei­ terung der Befugnisse des kleinen Reichseisenbahnamtes, dem sie dann einen höheren Offizier als Chef beizugeben beabsichtigten. Bismarck lehnte diesen Zugriff der Armee auf eines der Reichsämter strikt ab und argumentierte, daß er einer Zentralisierung gleichkäme, die die «bundes­ freundliche Gesinnung im Reiche>> gefährden würde. Er nahm Maybach in Schutz, dem der Kaiser in einer verletzenden Randbemerkung feh­ lende Energie vorgeworfen hatte. «Wir sind schon lange in Unterhand­ lungen>>, konstatierte Waldersee, «doch wird der Kampf jetzt lebhaft.>>40 Bismarck und Maybach mußten vorläufig nachgeben, weil - wie der Ge­ neral frohlockend vermerkte - «der Kaiser kräftig mit mir ging>>. Ende November I 8 89 kam die Frage allerdings wieder auf und spielte in der Endphase der Bismarckherrschaft eine nicht unbedeutende Rolle, wie wir noch sehen werdenY Von nun an häuften sich die Konflikte zwischen Kaiser und Kanzler, und der Gegenstand ihrer Auseinandersetzungen wurde auch immer schwerwiegender. Im Mai I 8 8 9 legten im westfälischen Kohlenrevier die

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Erste Konflikte

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Bergarbeiter die Arbeit nieder; der Arbeitskampf weitete sich rasch aus und verlief stellenweise sehr blutig. Zahlreiche Truppen wurden in das Streikgebiet geschickt, doch von ihrer Verwendung wurde abgesehen, weil Wilhelm, wie Herbert Bismarck behauptete, «von Kiel aus, durch Angebereien Hinzpetcrs veranlaßt, brüsk eingriff». Am r 2. Mai platzte der Kaiser unangemeldet in die Sitzung des Staatsministeriums und erklärte, daß er die «Ansichten [des Reichskanzlers] nicht theile. Die Unternehmer u. Actionäre müßten nachgeben, die Arbeiter seien Seine Unterthanen für die Er zu sorgen habe, wollten die industriellen Millio­ näre Ihm nicht zu Willen sein, so würde Er Seine Truppen zurückziehn, wenn dann die Villen der reichen Besitzer u. Directoren in Brand ge­ steckt, ihre Gärten zertreten würden, so würden sie schon klein wer­ den.» Den Einwand Bismarcks, daß «die Besitzenden doch auch Unter­ tanen seien, die auf den Schutz des Landesherren Anspruch hätten>>, habe der Kaiser «Überhört», so erinnerte sich Herbert. Der Monarch sei «in beträchtlicher Erregung» fortgefahren, nachdem er behauptet hatte: «Wenn keine Kohlen gefördert werden, ist unsere Marine wehrlos, wir können die Armee nicht mobil machen, weil der Kohlenmangel den Aufmarsch per Bahn hindert, wir sind in einer so precären Lage, daß ich jetzt gleich den Krieg erklären würde, wenn ich der Russe wäre.» 42 Kurz nach dieser dramatischen Intervention, die alles andere als geheim blieb, empfing Wilhelm am 14· und r 6. Mai auf eigene Initiative Deputationen sowohl der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber.43 Was den Kanzler empörte, das bejubelte Waldersee, der am 1 9 . Mai in seinem Tagebuch festhielt: Die rasche Beendigung des Bergarbeiterstreiks sei «Überwie­ gend durch die Intervention des Kaisers» erreicht worden, «der Deputa­ tionen beider Partheien empfangen und sehr ernst angelassen hat. Sollte der Erfolg ein bleibender sein, so würde dies für den Kaiser von aller­ größter Bedeutung sein. Er hat völlig aus sich heraus, ohne, zum Theil gegen den Rath des Kanzlers u. des Ministers des lnnern gehandelt; es ist ein Sieg der gesunden Vernunft über den Bureauhatismus u. dazu angethan dem Kaiser ungeheure Sympathien zu verschaffen.»44 Auf einen Immediatbericht Bismarcks vom 2 5 . Mai, in dem der Kanzler dem Monarchen den Beschluß des Staatsministeriums mitteilte, er möge von weiteren solchen Audienzen absehen, kritzelte der Kaiser an den Rand, das Ministerium sei doch «gar nicht von mir um seine Meinung gefragt worden».45 Noch konnte Bismarck halb spöttisch erklären, «der junge Herr» habe die «Auffassung von Friedrich Wilhelm I. über seine Macht­ befugnisse>> und es sei «sehr nötig>>, ihn «vor Übereilungen in dieser Be­ ziehung zu schützen».46 Knapp ein halbes Jahr später sollte gerade diese Frage die Endphase der Bismarckkrise einleiten. Auch in kleineren Fragen kam es, da sich jetzt zwei Willen an lei­ tender Stelle Geltung zu verschaffen suchten, zu Konflikten. Für den Kaiserbesuch in Oldenburg im Frühjahr r 8 89 hatte der neuernannte

Der Beginn der Kanzlerkrise

preußische Gesandte, Eulenburg, eine ungewöhnlich große Zahl hoher Orden für die kleine Bevölkerung des Großherzogtums (eine Viertel­ million) beantragt. Eulenburg wurde dafür vom Kanzler «rectificirt» und dem Kaiser eine Kopie des Erlasses vorgelegt. Als Wilhelm bald darauf bei einem Besuch in Braunschweig von Eulenburg - der auch dort akkreditiert war - Vortrag über Ordensverleihungen befahl, ant­ wortete dieser, daß er sich wohl auf das Notwendigste zu beschränken habe, da doch der Kanzler der Auffassung sei, daß im vergangenen Mo­ nat in Oldenburg zu viele Orden vergeben worden seien. Sofort machte sich der «Allerhöchste Unwille» bemerkbar. «Sehr heftig>> fragte der Kaiser, woher Eulenburg die Auffassung Bismarcks kenne, und war «sehr aufgebracht, als ich Ihm sagte, daß mir dieselbe durch einen Er­ laß bekannt gemacht worden sei».47 Eulenburg konnte nicht ahnen, daß der Erlaß des Reichskanzlers, den Eulenburg dem Kaiser zeigte, diesem erst nachträglich als Abschrift vorgelegt und von ihm mit aufgeregten Randbemerkungen versehen worden war.48 Später erzählte Eulenburg, der Kaiser habe sogar «mit der Faust auf den Tisch geschlagen u. zornig ausgerufen, wer regiert denn nun schließlich, Ich oder Bismarck! »49 Wenig später kam Eulenburg - so erinnerte sich Herbert nach der Entlassung - von der alljährlichen kaiserlichen Rehbockj agd in Ost­ preußen zurück und fing «in mitleidig klagendem Ton an, S.M. sei irri­ tirt über eine Vorlage [des Kanzlers], worin von diesj ähriger Wiederho­ lung des Besuchs in Rom abgerathen. S.M. habe mit Schärfe gesagt, Er wolle nicht immer bevormundet sein, Er wisse allein was Er zu thun habe etc.»50 Als wäre das alles nicht schon mehr als genug, kamen im gleichen Monat Differenzen zwischen Deutschland und der Schweiz auf, über die es wiederum zu gravierenden Auseinandersetzungen zwischen Bismarck und Wilhelm II. kam. Das Ziel des Kanzlers, das argwöhnte wenigstens Waldersee, war kein geringeres, als Deutschland und Rußland durch eine gemeinsame deutsch-russische Invasion der Schweiz zusammenzufüh­ ren! Die Verhaftung und «brutale» Behandlung des deutschen Polizei­ agenten Wohlgemuth in der Schweiz wolle Bismarck offenbar zu einem 61 -, wiederholte er bereits wenige Tage später hinsicht­ lich Bismarcks Finanzpolitik gegenüber Rußland. Mit wachsender Un­ ruhe beobachtete der Chef des Generalstabes in jenen Wochen die posi­ tive Entwicklung der russischen Finanzverhältnisse, die dazu geführt habe, daß deutsches Kapital wieder nach Rußland geflossen sei. Für Waldersee war es keinen Augenblick fraglich, wer für diese seinem Urteil nach äußerst unerwünschte Entwicklung verantwortlich war. Er schrieb unter dem 2 5. März: «Das Haus Rothschild scheint wesentlich geholfen zu haben, natürlich ist daher auch Bleiehröder mit Anhang da­ bei gewesen.>>62 Gerson Bleichröder, dem Bankier des Reichskanzlers, warf Waldersee nicht nur die Stärkung der russischen Wehrkraft vor, er bezichtigte ihn gleichzeitig, die Finanzverhältnisse Österreich-Ungarns unterminieren zu wollen. «In neuster Zeit arbeitet der Schuft Bleichrö­ der, der den Russen ihre Anleihen konvertiren hilft, mit aller Kraft daran den oesterreichischen Kredit zu schädigen u. macht trostlose Berichte über die dortigen Zustände», behauptete er. Reuß, der Botschafter in Wien, sei «der Ueberzeugung daß der Jude sehr stark übertreibt, und ist dies auch meine Ansicht>>.63 Im Juni I 8 89 trat diese Frage, in der Waldersee, wie er hervorhob, stand, wieder in den Vordergrund. Während des Schießens vor dem Schah von Persien in Tegel am I r . Juni I 8 89 rief der Kaiser den Generalstabschef zu sich und sagte ihm: des Kaisers seien «ganz unstatthaft>> und könnten von einem Staatsminister oder -beamten nicht hingenommen werden, urteilten sie. Für den Reichskanzler war dieser «politische>> Gesichtspunkt sogar noch bedeutender als alle sachlichen Gründe, die für die Konversion sprachen, und er ließ seinem Sohn durch Rantzau sagen, «es sei nicht angängig, auf einen durch den diensttuen­ den Flügeladjutanten übermittelten Befehl zu reagieren in politischen Verhältnissen; dann würde die Stellung des auswärtigen Ministers ganz unhaltbar werden, und man dürfte das dem Herrn nicht durchgehen las­ sen>>.69 Herben machte darauf aufmerksam, daß man dies dem Kaiser mündlich sagen müsse, sonst merke er den «Stich>> nicht.70 Für ihn war klar, daß «die Sache zum Hetzen benutzt worden>> war, aber er konnte zunächst nicht herausfinden, «wer S.M. hierüber infor­ mirt>> hatte.71 Mit der Zeit erfuhr er, daß unter anderen der König von Sachsen dem Kaiser gesagt hatte, es sei ein Skandal, daß die Berliner Ban­ kiers den Russen billiges Geld verschafften, das doch nur militärische Verwendung gegen Deutschland fände. Andere, so meldete Herben nach Varzin, hätten die Ansicht vertreten, «man müsse die Russen schroff be­ handeln>>, dann seien sie immer «Zu Kreuze gekrochen». Mit solchen Ar­ gumenten brächten «Hetzer [ . . . ] Sr.M. die Meinung bei, Papa's Politik sei zu rußlandfreundlich>>.72 Auch unter den Flügeladjutanten war die Mei­ nung zu hören, daß «die verderbliche Koalition Bleichräder-Rottenburg a tout prix gesprengt werden>> müsse.73 In erster Linie richtete sich der Verdacht des Kanzlersohns aber natürlich und mit Recht gegen Walder­ see und Verdy. Letzteren fragte er direkt beim Galadiner für den Schah: «Wie kommen Sie dazu S.M. aufzuregen u. sich um Sachen zu kümmern, die Sie nichts angehn, Sie kreuzen die ausw. Politik.» Er mahnte Verdy, «Bemerkungen, die mit Kriegsminister-Ressort nichts zu thun haben, in Zukunft zu unterlassen>>, wußte aber wohl, daß die Militärs ihre Minier­ arbeit fortsetzen würden.74 Und in der Tat: Die Gegenmaßnahmen, die Waldersee dem Kaiser anriet, um zu durchkreuzen, sind symptomatisch für den Verlauf der langen Krise, die neun Monate später mit der Entlassung der beiden Bismarcks enden sollte. Der General empfahl nämlich, die Frage der russischen Konver­ sion direkt mit dem preußischen Finanzminister Adolf von Scholz zu be­ sprechen. Dies aber , der dafür sorgte, daß Scholz seinen Urlaub antrat, ehe der Monarch mit ihm sprechen konnte. Am 30. Juni 1 8 89, zu Beginn der ersten Nordlandreise, verbündete sich Waldersee mit Philipp Eulenburg - beide Kaiserfreunde waren der An­ sicht, daß >79 Heftig griff Bismarcks Sohn Gerson Bleiehröder an und stöhnte: «Ich hätte schon lange gewünscht, daß Papa diesen gefährlichen Juden als bankier abgeschafft hätte, er ist ein zu rücksichtsloser Lügner, und Papa hat durch ihn mehr Aerger u. Mühe gehabt, als er selbst glaubt: wenn dieser geldgierige Semit einige Millio­ nen verdienen kann, ist es ihm egal, was aus Papa u. unserem Vaterlande wird.>>80 Gerade in letzter Zeit sei dem Kaiser gesagt worden (was leider wahr sei, meinte Herbert), «Bleichröder löge herum, der Reichskanzler sei nicht gegen die Conversion [Fürst Bismarck schrieb hierzu an den Rand: «Das ist ganz richtig>>], und Bleiehröder habe sich durch jahrelan­ ges rücksichtsloses Lügen auf Papa's Conto bei der Börse solche Stellung gemacht, daß die anderen Börsianer ihm jetzt generell glaubten, seine Transactionen hätten die Billigung der Regierung, sonst würde er sie gar­ nicht machen>>.81 Anfang Juli 1 8 89 stand der Reichskanzler tatsächlich kurz vor der

Entscheidung, das Handtuch zu werfen. Dem preußischen Gesandten in Karlsruhe, Kar! von Eisendecher, teilte er verdrossen mit: «Ich kann die Politik nur so leiten, wie ich sie verstehe, und ich bin ihrer überhaupt herzlich müde. [ . . . ] Meine Kräfte reichen nicht aus, wenn ich die Bera­ tung bei Seiner Majestät mit entgegenstehenden Einwirkungen zu teilen habe.>>82 Seinem Sohn ließ er durch Rantzau antworten, «wenn der Herr glaubte, die Politik allein klüger leiten zu können, so möge er das tun>>, er, Fürst Bismarck, hätte die Pflicht, , eine Verstimmung Rußlands zu vermeiden, 83 Herberts Antwort auf die­ sen Brief spricht Bände. Er schrieb am 8. Juli an Rantzau: >97 In den Augen des Generalstabschefs war die «rußlandfreundliche» Politik Bis­ marcks nur durch diesen jüdischen Einfluß zu erklären. Unter dem 7· Dezember r 8 89 vermerkte er in sein Tagebuch: «Je mehr ich in die Verhältnisse hineinblicken kann, desto fester wird meine Ueberzeugung u. größer meine Bekümmerniß, daß wir allmählig immer mehr verjuden. Der Kanzler hat sich Hrn. Bleiehröder völlig in die Arme geworfen; wir machen in russischer Freundschaft um die russischen Fonds zu heben u. ihre Konversionen zu erleichtern. Es ist furchtbar aber leider wohl wahr.»98



Die Rußlandpolitik und der Besuch des Zaren Alexander

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5. Die Rußlandpolitik und der Besuch des Zaren Alexander

Nicht nur die antisemitischen Vorurteile des Kaisers, auch dessen Ein­ genommensein gegen die russische Kaiserfamilie konnte Waldersee wir­ kungsvoll gegen Bismarck ausnützen. Seit dem Frühjahr I 8 89 war Wil­ helm zunehmend verstimmt wegen der «Flapsigkeit>> des Zaren, der ihm immer noch nicht mitgeteilt hatte, wann er zu einem Gegenbesuch nach Berlin kommen würde.99 «Die anderen großen Souveräne hätten ihre Ankunft monatelang vorher annonein und der Zar hätte doch wenig­ stens sagen lassen können, ob er überhaupt kommen wolle, wenn er den Termin auch zu secretiren wünsche>>, klagte er.100 Im Juni begrüßte Wal­ dersee die Tatsache, daß der Zar durch seinen Toast auf den Fürsten von Montenegro als Rußlands «einzigen wahren u. aufrichtigen Freund» den Kaiser wieder einmal «erheblich verletzt>> habe.101 Befriedigt stellte der General im Oktober fest, als Alexander 111. endlich seinen Besuch in Berlin ansagte, daß «Kaiser u. Kaiserin die Unhöflichkeit des langen Zö­ gerns mit dem Gegenbesuch stark empfinden. Der Kaiser ist sich völlig klar, daß mit Rußland auf freundlichem Wege nichts mehr zu machen ist; er sagt: Ich bin mit meiner Ansicht fertig, mit dem Kanzler spreche ich garnicht mehr darüber, denn er hat seine eigene u. einigen wir uns nicht mehr.>>102 Auch die plötzliche Besserung in den Beziehungen zwischen Wilhelm und dem englischen Hof, die im August anläßlich des Osborne-Besuchs und der Uniformverleihung zustande kam, brachte eine merkliche Ent­ fremdung zwischen dem Kaiser und den Bismarcks mit sich.103 War einerseits das wärmere deutsch-englische Verhältnis durchaus im Sinne des Reichskanzlers - «die bloße Aussicht von Englands Mitwirkung zu unsren Gunsten im Mittelmeer für den Kriegsfalh trug laut Ernst Hohenlohe wesentlich «Zur Befestigung des Friedens>> bei104 -, so be­ deutete andererseits das wachsende Mißtrauen des Kaisers gegenüber Rußland für die prorussische Politik der Bismarcks eine große Gefahr. Herben Bismarck glaubte, zwischen diesen beiden Entwicklungen ei­ nen inneren Zusammenhang erkennen zu können, indem er Wilhelms Argwohn gegen Rußland auf «Zuträgereien gegen den Zaren in Os­ borne>> zurückführte. Er vermutete, daß vor allem «gepfefferte Wieder­ gaben von Äußerungen, die der Zar über S.M. gemacht u. die durch die Prinzeß v. Wales bekannt geworden>> seien, bei der Wendung des Kai­ sers gegen Rußland eine große Rolle gespielt hätten. Anders, so meinte er, 106 Trotz dieser Einsicht hegte Waldersee weiterhin gegen Rußland das tiefste Mißtrauen. Die Russen «rüsten in großer Hast u. in großem Maaßstab u. nehmen allmählig eine Haltung an, die für uns kaum erträglich ist>>, konstatierte er.107 Im direkten Gegensatz zur rußlandfreundlichen Politik des Kanz­ lers warnte der Generalstabschef den Kaiser, «daß der Krieg, auf den wir uns vorbereiten, der gewaltigste sein wird, der je geschlagen worden u. daß Alles dabei auf dem Spiele stehe». Während eines gemeinsamen lm­ mediatvortrags mit dem Kriegsminister von Verdy im Oktober I 8 89 be­ mühte sich Waldersee, «den Kaiser über den Ernst der Sache nicht in Zweifel zu lassen. Er ist ja schließlich auch der Haupt-lnteressent.»108 Ob es englische Zuträgereien oder Waldersees Einflüsterungen waren, der Kaiser weigerte sich zunächst, im Oktober I 8 89 den Zaren zu einem größeren Staatsbesuch in Berlin zu empfangen! Herbert Bismarck er­ innerte sich nach der Entlassung: «Nachdem im Mai König Humbert u. im August Kaiser Franz Joseph mit den größten militärischen Ehren, Spalier der ganzen Garnison, berittene Escorte, Geschützsalven pp. empfangen worden, war S.M. nicht zu bewegen, für den Zaren ein Glei­ ches im Ocrober zu thun; ich mußte erst Wirtich u. Hahnke zu Hülfe rufen, um vom Standpunkt der persönlichen Sicherheit wenigstens ein volles militärisches Spalier vom Bahnhof für den Zaren zu erreichen; Hahnke überschritt auf meine Bitte dann ein wenig die kais[erliche] Er­ mächtigung, weil er einsah, daß irgend ein Unterschied beim Empfange im Vergleich mit den anderen großen Souveränen unpolitisch u. durch Nichts zu rechtfertigen sein würde.»109 Die nächste Hürde, die der Reichskanzler und der Außensekretär an­ läßlich des Zarenbesuchs zu überwinden hatten, war der Jagdegoismus des Kaisers. Sie hatten Mühe, dem jungen Monarchen klarzumachen, daß er «diesmal nur vornehmer u. liebenswürdiger Wirth» sein müsse, der auf das , urgierten die verantwortlichen Staatsmänner.110 Der vom I I. bis I 3. 0 ktober stattfindende Berlinbesuch Alexan­ ders 111. stand also nicht gerade unter einem guten Stern. Der Empfang der russischen Gäste durch die Bevölkerung war «eisig kühl».111 Der Zar beklagte nicht weniger als sechs Mal den «kriegerischen>> Einfluß Wal­ dersees auf den Kaiser.112 Er äußerte sich ferner beunruhigt über die be­ vorstehende Reise Wilhelms II. nach Konstantinopel: Er müsse sie sehr übelnehmen, da sie so aussehe, «als ob wir die Türken gegen ihn gewin­ nen wollten».113 Wilhelm aber schlug plötzlich «wieder in das andere Extrem um>>, erinnerte sich Herben Bismarck später. Beim Frühstück für das Alexander-Regiment «hielt S.M. einen donnernden Toast auf die alte Waffenbrüderschaft mit besonderer Hervorhebung von Borodino u. Sebastopol im antifranzösischen Sinne u. verfügte wörtlichen Abdruck in der Presse, trotz aller Gegenvorstellungen, die darauf basirten, daß die Spitze gegen Frankreich für den Zaren gegenwärtig ihr Bedenken habe u. er als Gast doch mit Rücksicht zu behandeln sei».114 Schoß der Kaiser mit dieser Rede selbst im Urteil Herberts weit über das Ziel hinaus, so bedauerte der russophobe Waldersee die kaiserliche Entgleisung erst recht. «Mit unserem Kaiser>> sei es «etwas durchgegangen>>, klagte er, «er trank auf die Erinnerung der Helden von Borodino, Arcis sur Aube, Sewastopol u. Plewna u. auf die russische Armee. Ich glaube daß dies weder den Russen noch den Türken, noch Franzosen oder Gesterrei­ chern Freude machen wird.»115 Überhaupt sei der Kaiser dem Zaren förmlich nachgelaufen, so daß man in der Umgebung Alexanders die Meinung geäußert habe, in Berlin habe «alles vor uns auf dem Bauche gelegen>>Y6 In der Zarenfamilie setzte sich die Überzeugung fest, Wil­ helm habe bei dieser Gelegenheit dem Zaren die Teilung «ganz Europas» zwischen Deutschland und Rußland vorgeschlagen, worauf Alexander der sich Gedanken über die Geistesverfassung des Kaisers machen mußte - umgehend geantwortet habe: «Hör' auf, wie ein Derwisch her­ umzuwirbeln, Willy, schau Dich doch mal im Spiegel an! »117 Nach dem Abschied vom Zaren im Salonwagen am Lehrter Bahnhof ging Wilhelm rasch auf Herbert Bismarck mit den Worten zu: «Es ist Alles famos gegangen, der Zar hat mich nach Krasnoje eingeladen u. wir haben uns gegenseitig unsere Chiffre verliehen.»118 Dies wertete der Kai­ ser als eine Garantie dafür, daß Deutschland wenigstens für das kom­ mende Jahr auf Frieden rechnen könne; das sei doch, so sagte er, > nach den Gründen für die Hal­ tung Bismarcks erkundigt hatte und keine überzeugende Erklärung ent­ decken konnte, witterte Waldersee wieder einmal den Einfluß jüdischer Geschäftemacher. «Da kann nur Bleiehröder wieder dahinter sein» dies habe ihm ein «Sachkundiger>> bestätigt.138 Anfang Dezember r 8 89 stellte Waldersee betrübt fest, daß Kaiser Wil­ helm II. «dank der Geschicklichkeit des Kanzlers [ . . . ] zweifellos völlig in das russische Lager eingerückt>> sei.139 Das außenpolitische System Bismarcks bestehe in dem Versuch, so Waldersee, mit anzusehen, urteilte der General, , stellte Waldersee zum Jahresbeginn r 890 fest.140 Der Chef des Generalstabs hoffte , wie er bekannte, > abrücke, «gegen den er krampfhaft ein Gegengewicht>> suche.148 Aller-

6. Waldersee fällt in Ungnade

dings spielte auf beiden Seiten tiefes Mißtrauen weiterhin eine Rolle: Aus den Schreiben des Reichskanzlers gewann Verdy den Eindruck, «daß derselbe mich schließlich für den Ausfall der Wahlen verantwort­ lich zu machen beabsichtigt, wenn diese ein Mißtrauensvotum gegen seine innere Politik ergeben sollten»,149 während die Bismarcks arg­ wöhnten, dem Armeeführer ginge es darum, nach einer etwaigen deut­ schen Niederlage in einem Krieg gegen Frankreich sagen zu können: Von einer festen Absicht, Liebenau zu entlassen, war allerdings immer noch nichts zu spüren, konstatierte der General enttäuscht.100 In der Weihnachtszeit schaltete Philipp Eulenburg also - nachdem sein Vetter August ihn auf die Animosität der Kaiserin Augusta und des Großherzogs von Baden gegen Liebenau aufmerksam gemacht hattetot als zusätzliche Unterstützung den Großherzog und Hinzpeter in die Kabale ein, indem er ihnen von den Klagen des Kaisers erzählte, wonach Liebenau Die Sache habe aber ebensowenig eine Folge gehabt wie alle früheren Auftritte, klagte der Vize-Oberzeremonienmeister, «nur daß die Unhalt­ barkeit des Zustandes und die Schädigung der Würde des Hofes in immer weitere Kreise dringt und auf die Straße getragen wird, wo die Leute sagen, Liebenau müsse doch gefährliche Dinge wissen, derent­ wegen Se. Maj . nicht wage, ein Ende zu machen».104 Je länger die Liebenaukrise andauerte, desto mehr zerbrach man sich den Kopf «nach den geheimnisvollen Gründen, [ . . . ] die ein Vorgehen gegen Liebenau verhinderten».105 Es ist in der Tat nicht einfach, aus den Zeugnissen über die zweideutige Haltung des Kaisers zu seinem Ober­ hofmarschall - die heftige Feindseligkeit auf der einen Seite, die durch

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Kaiser, Kanzler und Kartell

Zögern gekennzeichnete Entschlußlosigkeit auf der anderen - ein klares Bild zu gewinnen. Ob Gefühle der Loyalität, der Dankbarkeit, der Be­ quemlichkeit, der Furcht vor der Lüftung von peinlichen Geheimnissen das Drängen seiner Ratgeber auf Entlassung Liebenaus überwogen? Ob Wilhelm sich auch ihnen gegenüber seine Selbständigkeit bewahren wollte ? Über seine inneren Beweggründe schweigen die Quellen. Nicht zweifelhaft ist hingegen die Tatsache, daß Liebenaus Einfluß auf Wil­ helm in den kritischen Wochen der Entlassungskrise durch die unzäh­ ligen, allseitigen Angriffe auf ihn erheblich geschwächt wurde.106 Erst nach Bismarcks Entlassung war Liebenau bereit, die Unhaltbarkeit sei­ ner Stellung am Hofe einzusehen. Aber selbst dann noch schob der Kai­ ser die Entlassung Liebenaus bis zum Mai I 890 hinaus.107 Fast ebenso giftig, doch in diesen Fällen gänzlich erfolglos, war Wal­ dersees Feldzug gegen die Kabinettschefs von Hahnke und von Lucanus, der ebenfalls im Herbst I 8 89 begann. Welch wichtige Vermittlerrolle der Militärkabinettschef in der Krise spielte, geht aus der Bemerkung Her­ bert Bismarcks vom Dezember I 8 89 hervor, daß Hahnke «der sicherste unter allen Generälen>> sei, der den Kaiser am häufigsten sehe und den er, Herbert, tagtäglich sprechen könne.108 Gerade deswegen sollte er nach Waldersees Plänen aus der kaiserlichen Umgebung entfernt wer­ den. Am 24. September konnte Herben Bismarck seinen Vater warnen: «Wie mir Liebenau secretissime erzählt, läuft Waldersee Sturm gegen Hahnke, welcher ein Corps haben soll, um aus dem Militärkabinett be­ seitigt zu werden. Liebenau will S.M. direkt bitten, hierauf nicht einzu­ gehen.>>109 Sechs Wochen später versuchte Waldersee tatsächlich, den Kaiser davon zu überzeugen, daß Hahnke «kein guter Kabinettscheh sei, kein , aber auch von der Post und der Nationalzeitung ab und schlug als beste Lösung die Kölnische Zeitung vor; falls diese jedoch für den Kaiser zu lang sei, könne er «wenigstens regelmäßig die Wochenübersicht der Kölnischen Zeitung völlig durchlesen>>.116 Nicht ganz zufällig pflegte Holstein jetzt eine enge Beziehung zum Berliner Vertreter dieses Blattes, Dr. Franz Fischer! Nachdem auch der Großherzog von Baden dem Kaiser suggeriert hatte, daß ihm «vieles vorenthalten>> werde, bestellte Wilhelm tatsächlich am I 3 · Januar I 890 durch seinen Korrespondenzsekretär Geheimrat Mieß­ ner die Wochenschau der nationalliberalen Kölnischen Zeitung. 11 7 Gleichzeitig unternahm auch Waldersee Schritte, das von Bismarck praktizierte System der Beeinflussung des Kaisers zu durchbrechen. In einer wütenden Tagebucheintragung vom q . Januar I 89o heißt es: «Ein Betrug allerdreistester Art wird durch den Kanzler verübt bei Vorlage der Zeitungs-Ausschnitte beim Kaiser. Man sollte doch meinen, daß der Kaiser sich solche Ausschnitte vorlegen läßt, weil er nicht die Zeit hat ganze Zeitungen zu lesen aber doch ein Gesammtbild der in der Presse zum Ausdruck kommenden Ansichten haben möchte. Man sollte weiter meinen, daß den ausführenden Organen daraus die moralische u. heilige Pflicht erwüchse mit größter Gewissenhaftigkeit zu verfahren. Das ist aber ein Irrthum. Der Kanzler verlangt, daß dem Kaiser nur solche Presseerzeugnisse vorgelegt werden, die ihm selber passen. Er führt mit vollem Bewußtsein einen schamlosen Betrug aus.>> Die Ausschnitte wür­ den ausgewählt, so Waldersee weiter, von Rudolf Lindau im Auswärti­ gen Amt, «einem völlig karakterlasen Burschen» (Waldersees Wortwahl läßt erkennen: Lindau war jüdischer Abstammung), und von Konstantirr Rößler im preußischen Staatsministerium, «einem alten Beamten u. bra­ ven Mann>>, der sich nach inneren Kämpfen den Bismarcks fügen müsse.118 Am 1 8 . Januar 1 890 nutzte Waldersee seinen Vortrag als Chef des Generalstabes dazu, dem Kaiser eine große Anzahl von Auszügen aus russischen Zeitungen vorzulegen und ihm zu sagen, er sei «sehr wohl in der Lage, dies öfter zu thun>>, auch wenn er dafür vom Kanzler ange­ feindet werde. Wilhelm erwiderte: «Das lassen Sie meine Sorge sein; ich wünsche von Ihnen von nun an wöchentlich russische Zeitungs-Aus­ schnitte vorgelegt zu erhalten.>> Aus dem Ton der ganzen Unterhaltung sei hervorgegangen, so der General, Y9 Ende Januar teilte der Kaiser dem General­ adjutanten von Versen offen mit, daß er sich durch den Generalstab rus­ sische Zeitungen vorlegen lasse, da er vom Auswärtigen Amt erhalte.120



Das Kesseltreiben gegen die Bismarckianer am Hofe

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Der Versuch der Bismarcks, die an Wilhelm II. gelangende außenpoli­ tische Information zu kontrollieren, wurde nicht nur durch Waldersees Ausschnitte aus russischen Zeitungen in Frage gestellt; die geheime Be­ richterstattung der Militärattaches an den Generalstab beziehungsweise an den Kaiser direkt führten zu heftigen Auseinandersetzungen mit dem Kanzler und dem Staatssekretär, zumal Waldersee bestrebt war, diese Militärkorrespondenz zu einer Art Nebendiplomatie auszubauen und Wilhelm nicht davor zurückschreckte, einigen Militärattaches den direk­ ten Briefwechsel mit ihm ausdrücklich zu erlauben. Ende r 8 89 sagten sowohl Waldersee als auch Kriegsminister von Verdy voraus, daß Bis­ marck demnächst die Stellung des Pariser Attaches Freiherrn von Huene durch die Veröffentlichung seiner Berichte in deutschen Zeitungen un­ tergraben würde, «er schreckt vor solchen Mitteln nicht zurück». Der Grund seiner Feindschaft gegen Huene sei die geheime militärpolitische Korrespondenz, die der Militärattache seit einem Jahr mit dem Kaiser führe. Waldersee führte aus: «Daß Huene mir [ . . . ] einige Male geschrie­ ben u. daß ich die Briefe dem Kaiser zu lesen gegeben habe, hat der Graf [Carl] Wedel in Erfahrung gebracht und leider dem Kanzler wieder ge­ sagt; es ist geradezu skandalös und ein Verrath an seinem Herrn, dem er doch allein dienen soll. Er [Wedel] weiß sogar, daß der Kaiser Huene aufgefordert hat, ihn direct vertraulich zu berichten. Mag er dies billigen oder nicht, er mußte vor Allem darüber schweigen. Der Kanzler in sei­ ner argwöhnischen Art hat sich nun ein großes Gebäude von Hirnge­ spinsten aufgebaut; er glaubt, ich unterhalte ein geordnetes politisches Büreau, in dem die Korrespondenz mit allen Militär-Attaches eine Hauptrolle spielt.>> 1 2 1 So bedrohlich Waldersee und seine Militärattaches auch waren, nicht sie, sondern die Clique um Eulenburg, Holstein, Hinzpeter, Marschall von Eiebersteirr und den Großherzog von Baden stellte in der Endphase der Entlassungskrise, in der es vornehmlich um den künftigen Kurs in der Innenpolitik ging, die größte Gefahr für die Bismarcks dar.

Kapitel I I

Verfassungs- und sozialpolitische Konflikte

I . Bismarcks Staatsstreichgedanken Im Mai I 8 89, zur Zeit der schweren rheinischen Bergarbeiterunruhen, hatte der Kaiser während seines Antrittsbesuchs in Braunschweig Phil­ ipp Eulenburg zugeflüstert: «Ich habe furchtbare Schwierigkeiten mit dem Fürsten; Verfassungsänderung und anderes.>> 1 Danach aber war diese schwerwiegende Frage wieder in den Hintergrund getreten. In den Wintermonaten hatte sich Wilhelm wiederholt kämpferisch im Hinblick auf die sozialistische Bedrohung geäußert, so daß bis Dezember I 8 89 Differenzen zwischen ihm und dem Kanzler in der Beurteilung der «sozialen Frage>> kaum zu erkennen waren. Ende November konsta­ tierte Waldersee, man höre überall die Ansicht, «daß die Socialdemo­ kratie in gewaltiger Weise anwachse und daß, da großartige Strikes [sie] im nächsten Jahr kommen würden, es leicht zu blutigen Scenen kom­ men könne».2 Am 24. November registrierte er, daß auch Wilhelm II. sich im Hinblick auf die offenbar bevorstehenden innenpolitischen Kri­ sen «noch gar keine Sorgen» mache. Er habe neulich gesagt: «Mein Großvater hat einige Jahre mit Verfassungskonflikt regiert, da werde ich auch schon durchkommen.» Der General wies darauf hin, daß die Ver­ hältnisse seit dem preußischen Konflikt der I 86oer Jahre ungemein komplizierter geworden seien. «In Preußen würde ich einen Konflikt auch nicht tragisch nehmen>>, meinte er, «im Reiche ist er aber höchst bedenklich.»3 Er räumte allerdings ein, daß «ernsthafte Leute [ . . . ] sehr besorgt um unsere Entwicklung [seien] und sagen: So geht es nicht weiter».4 Erst die Erkenntnis, daß eine gewaltige innenpolitische Auseinander­ setzung die Stellung Bismarcks enorm stärken würde, brachte Wilhelm, Waldersee und einige andere Ratgeber des Kaisers von einer ihnen sonst als wünschenswert erscheinenden Staatsstreichpolitik ab: In der Turbu­ lenz eines Verfassungskonflikts oder gar eines blutigen Staatsstreichs würde der Reichsgründer unentbehrlich sein und dem Kaiser harte Be­ dingungen stellen können.5 Eine derartige geheime Absicht Bismarcks glaubte Waldersee bereits Mitte Dezember I 8 89 erkennen zu können, als der Kaiser ihm von dem Vorhaben des Kanzlers erzählte, die Berliner Garnison «mit Rücksicht auf socialistische Erhebungen» zu verstärken. Der Chef des Generalstabes hielt diesen Gedanken für «ganz thöricht>> und setzte dem Kaiser auf der Bahnfahrt nach Hannover auseinander: «Soweit sind wir doch wahrhaftig noch nicht; es kann noch gar keine

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Bismarcks Staatsstreichgedanken

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Rede sein von Revolten, dazu gehören noch ganz andere Vorgänge»; im Gegenteil herrsche «bei den Socialisten gerade die Absicht sich völlig ruhig zu verhalten>>. In den Berliner Kasernen sei außerdem kein Raum für eine erhöhte Präsenzstärke. Waldersee konnte allerdings erkennen, daß Bismarcks Idee auf den Kaiser «doch Eindruck gemacht>> habe. Er schöpfte den Verdacht, daß der Kanzler den Kaiser «etwas ängstlich ma­ chen>> wolle.6 Am 26. Dezember vermerkte er, offenbar wolle Bismarck mit derartigen Vorschlägen «den Kaiser, der ihm in der Strikesache zu arbeiterfreundlich aufgetreten ist, Angst machen u. gegen die Arbeiter mißtrauisch machen. Jedenfalls haben die Groß-Industriellen, nament­ lich aber Herr Bleichröder, den Kanzler bearbeitet im Sinne den Arbei­ tern nicht mehr nachzugeben», behauptete der GeneraJ.l Zu Beginn des Jahres r 89o führte er aus: «Eine Differenz der Auffassungen zwischen Kaiser u. Kanzler besteht gerade jetzt über die Behandlung der Strikes, sowie überhaupt der socialen Frage. Der Kaiser ist dem Kanzler zu arbeiterfreundlich. Ich habe schon die Auffassung gehört, der Kanzler wolle gern bei den Strikes es zum Einschreiten der Truppen u. zum Schießen kommen lassen, um den Kaiser umzustimmen. Daß er ihn mit socialistischen Unruhen zu ängstigen sucht, ist ganz evident. [ . . . ] Es ist möglich, daß es bei der Berathung des Socialisten-Gesetzes zu Differen­ zen zwischen Kaiser u. Kanzler kommt.»8 Solche Differenzen waren schon in den vorhergehenden Wochen sicht­ bar geworden. In den Verhandlungen mit den Kartellparteien über die Verlängerung des Sozialistengesetzes, das Bismarck durch einen Auswei­ sungsparagraphen noch weiter verschärft hatte, brachte der Kanzler seine starke Verstimmung gegen die Nationalliberalen zum Ausdruck, die nur bereit waren, ein in wesentlichen Punkten abgeschwächtes Gesetz über r 89o hinaus zu verlängern. Da die Konservativen im Gegensatz dazu die Verschärfung des Sozialistengesetzes begrüßten, drohte das Kartell, mit dem sich der Kaiser wiederholt öffentlich identifiziert hatte, auch über diese Frage auseinanderzufallen.9 Als Otto von Helldorff, der Führer der gemäßigten Konservativen, Ende November r 8 89 zu Verhandlungen nach Friedrichsruh fuhr, fand er Bismarck «in aufgebrachter Stimmung wegen der Haltung der Nationalliberalen in der Socialistengesetzfrage>>. «Sehr dringend» mahnte der gemäßigte Parteiführer der Konservativen den Kanzler, «die Nationalliberalen zu schonen um das Kartell nicht zu stören>>.10 Erst als die drei beteiligten Parteien durch eine gemeinsame Kundgebung die Frage der Verlängerung des Sozialistengesetzes bis nach den Reichstagswahlen vertagten, schien die Kartellkrise überwundenY Die Gegensätze innerhalb der Koalition brachen aber bald wieder auf, geschürt durch den Machtkampf zwischen Kaiser und Kanzler. Am 1 3 . Januar r 89o holte der Kaiser Philipp Eulenburg zu einem zweistündigen Spaziergang durch den verregneten Tiergarten ab und schüttete ihm sein Herz aus. «Ich habe kaum bis jetzt so wichtige weit-

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tragende Dinge mit dem Kaiser besprochen>>, vermerkte Eulenburg hin­ terher. «So rückhaltloses Vertrauen machte mich glücklich - aber wie schmerzlich ist es, ihn so jung in Schwierigkeiten sehen zu müssen, die selbst den Erfahrensten entmutigen würden.>> Der Kaiser klagte: «Der Kanzler wolle ein strenges Sozialistengesetz, was ja an und für sich nicht übel sei, doch müßte die Schärfe desselben zu einem Konflikt führen, der eine Verfassungsänderung im Gefolge haben werde, ja, wohl eigent­ lich solle. Er, der Kaiser, sei in einer ganz entsetzlichen Lage, denn seine Regierung mit einer Art Revolution, Schießen und sonstigen Gewalt­ maßregeln zu beginnen, hielte er für bedenklich.>> Für Eulenburg, der in den vorangehenden Tagen lange mit Holstein, Hinzpeter und August Eulenburg konferiert hatte, war die «geheime, innere>> Absicht Bis­ marcks nicht schleierhaft: Der Kanzler wolle «die Zügel der Regierung und den jungen Kaiser in seiner Hand behalten>> und habe kalkuliert, «daß durch eine Verfassungsänderung mit allen Aufregungen, Konse­ quenzen, andauernden Feindschaften - mit einem Worte: daß durch die damit eintretende Hilflosigkeit des Kaisers dieser sich bald und tatsäch­ lich in Abhängigkeit von dem Kanzler befinden müßte>>. Er riet deshalb dem Kaiser: 18 Zu seiner eigenen Über­ raschung befand sich Waldersee, wie die Kaiserin Friedrich, in dieser Frage auf der Seite Bismarcks, der, wie der General am 20. Januar ver­ merkte, darüber «wüthend>> sei, daß Hinzpeter «den Kaiser in der Arbeiter Frage mit Rath versieht. Die Auffassung des Kanzlers geht da­ hin den Arbeitern keine zu großen Konzessionen zu machen u. glaube ich, daß er recht hat.>>19 Am 8. Februar mußte Waldersee bekennen: «Ich stehe zu meinem aufrichtigen Bedauern diesmal mehr auf Seiten des Kanzlers.>>20 Viele Jahre später erinnerte er sich an die ganze Zwiespäl-

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tigkeit der kaiserlichen Haltung in dieser kritischen Phase, indem er schrieb, er habe Wilhelm Anfang 1 890 gesagt, «er würde mit seinen so­ cialreformatorischen Ideen keinen Erfolg haben, da die Leute in ihrer Begehrlichkeit immer mehr fordern u. nicht zur Zufriedenheit kommen würden; er sagte mir darauf, es möge ja sein, daß ich recht habe, er hielte es aber für seine Pflicht, Alles zu versuchen; würden dann die Menschen nicht zufriedengestellt, so - u. nun erging er sich in Drohungen, wie er sie strafen wolle».21 Auf Wunsch des Monarchen führte Hinzpeter Ende Januar 1 890 eine längere Unterhaltung mit dem Kanzler über die Arbeiterschutzideen Wilhelms, in deren Verlauf Bismarck die verächtliche Äußerung machte, die seine Verärgerung über das Ausmaß des Hinzpetersehen Einflusses verdeutlichte: «Sie werde ich als Reichskanzler vorschlagen.»22 Hinz­ peter hielt zwar die Arbeiterfrage für eine akute Existenzfrage der gan­ zen Nation,23 er rechtfertigte aber die anspornende Rolle, die er darin als Berater des Kaisers spielte, mit einer sonderbaren Mischung aus er­ zieherischen Absichten und monarchistischer Verblendung. Holstein gegenüber räumte Eulenburg ein, daß der Erzieher mit der Arbeiter­ frage die an sich begrüßenswerte Idee verbinde, , meldete Eulenburg dem Kaiser am 20. Januar. 35 3 · Konflikt im Kronrat

Da der Reichstag am 2 5 . Januar r 890 aufgelöst werden mußte, um die Neuwahlen zu ermöglichen, spitzte sich die Krise über den einzuschla­ genden Weg - Staatsstreichpolitik oder Reformprogramm - rasch zu. Nur das Fernbleiben des Kanzlers bis nach der Auflösung des Reichs­ tags und eine Modifiziemng beziehungsweise ein Hinausschieben des Sozialistengesetzes bis nach den Wahlen konnte nach Überzeugung der kaiserlichen Berater den Konflikt zwischen Kaiser und Kanzler ver-

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zögern.36 Nach einem Gespräch mit Holstein am 19. Januar schrieb Marschall in sein Tagebuch: «Der Kaiser darf nicht nachgeben.» In einer Unterredung mit seinem Großherzog sprach er die Befürchtung aus, «daß der Reichskanzler, der Mittwoch kommen will, den Kaiser über­ rennen will. Der Kaiser muß jetzt die Schlacht gewinnen.>> Während einer Begegnung mit Herbert Bismarck am 2 r. Januar gewann auch der Großherzog von Baden die Überzeugung, daß der Reichskanzler «Ge­ waltmaßregeln gegen die Arbeiter» plane. Der Kaiser aber bleibe «fest>>; sein «unabänderlicher Wille» sei es, das Sozialistengesetz entweder bis nach den Reichstagswahlen zu vertagen, oder aber so zu gestalten, daß es für alle drei Kartellparteien annehmbar sein würde.37 Ein Zusammen­ stoß zwischen Kaiser und Kanzler, die diametral entgegengesetzte Pro­ gramme befolgten, schien unvermeidlich. Am 1 6. Januar reiste Herbert Bismarck zu Konsultationen mit seinem Vater nach Friedrichsruh. Dort erreichte ihn am folgenden Tag ein vom Unterstaatssekretär Graf Berchem übermitteltes Telegramm des Kaisers, der ihn mit einem seiner Flügeladjutanten in der Wilhelmstraße hatte aufsuchen wollen. Das vom Kaiser gedichtete Telegramm lautete: Aus dem Thiergarten kamen wir - Taps, In Ihr Haus gingen wir - Traps, Dem Hunde gaben wir einen Klaps. Darauf bestellten wir einen Schnaps Aus tranken wir ihn - Schwaps. Wilhelm I.R. und Isaac. 38 Trotz solcher Versuche, den früheren burschikosen Verkehrston wieder anzuschlagen, blieb die Atmosphäre äußerst gespannt; die Krise stand unmittelbar bevor, zumal Bismarck jetzt entschlossen war, nach achtmo­ natiger Abwesenheit nach Berlin zurückzukehren, um der sich immer unheimlicher entwickelnden Lage Herr zu werden. Am 2 2. Januar holte der Kaiser Waldersee zum Spaziergang im Tier­ garten ab und besprach erneut die Frage des Sozialistengesetzes mit ihm. Dabei wiederholte Wilhelm seine Ansicht, daß das Gesetz nicht vor den j etzigen, sondern erst vor den nächsten Reichstag gebracht werden sollte. Bei Herbert Bismarck griffen die beiden dieses Thema im Beisein des Staatssekretärs wieder auf. Dabei sagte Herbert: «Mein Vater kommt morgen u. wird ihn dann das Socialisten Gesetz beschäftigen.>> Der Kai­ ser erwiderte: «Ich weiß davon garnichts, würde es auch für sehr bekla­ genswerth halten u. hatte gemeint, man überließe es dem neu zu wäh­ lenden Reichstage. Jetzt kann nur noch Unglück angerichtet werden u. schädigen wir uns die Wahlen.>> Herbert ließ durchblicken, daß sein Vater bereit war, aus dieser Angelegenheit eine Kabinettsfrage zu ma­ chen, und sagte: «Mein Vater hat in solchen Dingen doch große Erfah­ rungen u. glaube ich wird es gut sein ihm zu folgen.>> Waldersee ver-

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zeichnete: «Natürlich war der Kaiser nicht zu bekehren u. steht die Mehrheit des Reichstags wohl auf seiner Seite.»39 Am späten Vormittag des 2 3 . Januar, einem Donnerstag, erhielt Boet­ ticher als Vizepräsident des preußischen Staatsministeriums durch einen der diensttuenden Flügeladjutanten des Kaisers ohne Erläuterung der Tagesordnung die Mitteilung, der Monarch habe für den folgenden Abend um 6 Uhr im Königlichen Schloß einen Ministerconseil unter seinem Vorsitz - also einen Kronrat - anberaumt.40 Herbert Bismarck und die übrigen Minister konnten nur vermuten, daß der Kaiser in die­ sem Kronrat sozialpolitische Fragen besprechen wollte.41 Auf die tele­ graphische Anfrage Herberts, ob sein Vater noch vor dem Kronrat zum Immediatvortrag angemeldet werden wollte, antwortete der Kanzler zu­ nächst bejahend und bereitete sich auf die sofortige Reise nach Berlin vor.42 Der Staatssekretär beschloß daraufhin, zum Kaiser zu fahren, um seinem Vater Klarheit zu verschaffen und zu fragen, «worüber der Con­ seil beraten soll» und ob des Kanzlers Anwesenheit erwünscht sei. Der Kaiser antwortete: «Den Conseil habe Ich anberaumt, um den Ministern meine Ideen über Behandlung der Arbeiterfrage darzulegen; will Ihr Vater daran teilnehmen, so wird mir das sehr lieb sein.>> Herbert fragte dann noch, ob der Fürst eventuell eine Viertelstunde vor dem Kronrat Vortrag haben könne, was der Kaiser «bereitwilligst» bejahte. In seinem Telegramm nach Friedrichsruh, das die sofortige Abreise nach Berlin empfahl, äußerte Herbert noch die optimistische Überzeugung, für den Kanzler werde es würden.43 Mit dem Eintreffen Bismarcks in Berlin am 24. Januar begann die Endphase der Entlassungskrise, die sieben Wochen später mit dem Rücktritt der beiden wütenden Bismarcks enden sollte. Jeder spürte den herannahenden Sturm. Am Vorabend der Ankunft seines Vaters ver­ brachte Herbert Bismarck zwei Stunden in großer Aufregung am Bett des an Influenza erkrankten Holstein.44 Eulenburg, der in Norddeutsch­ land ebenfalls an der Grippe litt, war bei dem Gedanken an die Krise in der Hauptstadt «gewitterschwül zu Mute>>.45 Schon die erste Handlung des alten Fürsten in Berlin bewies, daß er entschlossen war, den Kampf um die Macht mit dem Kaiser aufzunehmen: Noch vor seinem lmme­ diatvortrag berief er das Staatsministerium zu einer «vertraulichen» Besprechung zusammen und verpflichtete die Minister, ihn im bevorste­ henden Kronrat gegen den Monarchen zu unterstützen. Waldersee regi-

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strierte später, Bismarck sei in der Besprechung gewesen,46 aber aus anderen Quellen wis­ sen wir, daß bei «fast allen Ministern>> große Unzufriedenheit über ihre Behandlung durch den Kaiser herrschte und daß einige unter ihnen ohnehin ihren Hut nehmen wollten. So hatte sich Kultusminister von Goßler wenige Tage zuvor stundenlang bei Herbert Bismarck über den Kaiser beschwert und erst zum Schluß erklärt, er betrachte sein angekün­ digtes Abschiedsgesuch als zurückgezogen. Auch der Minister für Öf­ fentliche Arbeiten, von Maybach, war nach wie vor und in steter Sorge, von ihm «ein grobes rescript zu erhalten>>. Beide Mi­ nister hielten zu Bismarck und meinten, die Stellung des Kaisers zum Ministerium würde ihnen ein langes Verbleiben ohnehin unmöglich ma­ chen.47 Dennoch: Das Dilemma der Minister war akut. Waren sie abso­ lut nicht gewöhnt, gegen den allmächtigen Reichsgründer aufzutreten, so waren sie andererseits als unpolitische Verwaltungsbeamte vom mon­ archischen Prinzip durchdrungen, und Widerstand gegen den ausgespro­ chenen Willen des Königs von Preußen zu leisten schien ihnen schlicht unvorstellbar. Wie sollten sie im bevorstehenden Kronrat votieren? Unmittelbar vor dem Zusammentreffen des Kronrats um 1 8 Uhr hatte Bismarck seinen Immediatvortrag beim Kaiser. Als anschließend das Staatsministerium - Maybach war nicht anwesend - unter dem Vorsitz Wilhelms II. zusammentrat, eröffnete dieser die Sitzung mit einer länge­ ren Ausführung, in der er die rasche Industrialisierung in Deutschland mit der langsameren wirtschaftlichen Entwicklung in England verglich. Die rapide deutsche Industrialisierung habe zu einer Ausbeutung und Proletarisierung der Arbeiterschaft in den Großstädten geführt, die sie für die Lehren der Sozialdemokratie empfänglich gemacht habe. Da fast alle Revolutionen aus der Versäumnis rechtzeitiger Reformen entstün­ den, wünsche er einen Erlaß an das Staatsministerium zu richten, der sein erkennen lassen und Verbes­ serungen auf dem Gebiet der Sonntags- und Nachtarbeit und der Arbeit der Frauen und Kinder ankündigen würde. Er wolle Arbeiterausschüsse in Verbindung mit staatlichen Fabrikinspektionen einführen, Einigungs­ ämter für Streiksituationen schaffen, Sparkassen, Kirchen, Schulen und Krankenhäuser für die Arbeiter errichten. Er regte an, in diesen Fragen eine internationale Übereinkunft anzustreben und schlug die Einberu­ fung eines Kongresses mit Vertretern aus allen Industrieländern nach Berlin vor. Zum Schluß ließ er durch Boetticher ein eigenhändig geschriebenes Programm verlesen, in dem alle die von ihm erwähnten Gesichtspunkte niedergelegt waren.48 Woher hatte Wilhelm II. plötzlich dieses erstaunlich moderne, ge­ radezu zukunftsweisende Programm, das selbst von seiner liberalen Mutter als verworfen wurde ?49 Unmittelbar nach Bismarcks Entlassung suchte der Kaiser den englischen Botschafter Ma-

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let auf und behauptete, er habe das Dokument selbst geschrieben. Zwar habe er «den Vorzug der Beratung durch kluge Fachmänner» genossen, aber das sozialpolitische Programm sei sein eigenes Werk. «> über die soziale Frage für den Kaiser zu entwerfen.53 Als Holstein von diesem Schritt erfuhr, forderte er den Journalisten Dr. Franz Fischer von der Kölnischen Zeitung auf, ebenfalls ein sozialpolitisches Programm auszu­ arbeiten und heimlich an Eulenburg gelangen zu lassen. 54 Nach zwei Tagen waren sowohl Kayser als auch Fischer mit ihren Re­ formplänen fertig. Beide schickten ihre Ausarbeitungen am 1 5 . Januar Eulenburg mit der Bitte zu, nicht als Verfasser genannt zu werden, und Eulenburg leitete das Expose Kaysers am 20. Januar an Wilhelm II. wei­ ter.55 (Ob er Fischers Ausführungen auch eingereicht hat, bleibt un­ geklärt.) Es ist unbestreitbar, daß der Monarch Kaysers Expose ohne Auslassung abgeschrieben hat, denn das sozialpolitische Programm des Kolonialdirektors ist Wort für Wort identisch mit der eigenhändigen «Ausarbeitung S.M. des Kaisers zur Arbeiterfrage>> vom 2 2. Januar, die

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Wilhelm zusammen mit zwei weiteren Aufzeichnungen zum Kronrat mitbrachte und durch Boetticher verlesen ließ. Die Bismarcks haben nie erfahren, daß das Programm von einem ihrer engsten Mitarbeiter in den Räumen des Auswärtigen Amts ausgearbeitet worden war. Erst in den 1 970er Jahren, als Eulenburgs Korrespondenz veröffentlicht wurde, ist der wahre Verfasser bekannt geworden. 56 Nachdem die Minister (wie in der vorhergehenden Besprechung mit Bismarck verabredet) beschlossen hatten, die verschiedenen in der Denkschrift enthaltenen sozialpolitischen Vorschläge zu prüfen und den Text eines kaiserlichen Erlasses zu entwerfen, ging der Kaiser zum zwei­ ten Tagesordnungspunkt, dem Sozialistengesetz, über. «Ausführlich und gut motiviert» trug er seine Ansicht vor, daß die Regierung förmlich er­ klären müsse, das Sozialistengesetz sei für sie auch ohne den umstritte­ nen Ausweisungsparagraphen annehmbar, denn nur durch eine solche Regierungserklärung würde man die Zustimmung der Deutsch-Konser­ vativen Partei ermöglichen und somit das Kartell zusammenhalten; ohne eine derartige Erklärung aber würde nicht nur das Sozialistengesetz fal­ len, sondern das Kartell deroutiert in die Wahlen gehen. Nach diesen Ausführungen des Kaisers stand Bismarck auf und erklärte rundheraus, ohne auf die Argumente des Monarchen einzugehen, unter diesen Urn­ ständen bliebe ihm nichts anderes übrig, als seine Entlassung aus allen Ämtern zu erbitten, da er sich der Meinung des Kaisers nicht anschlie­ ßen könne. Boetticher erinnerte sich, daß der Kanzler «besonders leb­ haft» gesprochen und sich in der Wechselrede mit dem Kaiser zu der mit großer Schärfe ausgesprochenen Bemerkung gesteigert habe: «Ich sehe immer mehr, daß ich nicht mehr an meinem Platze bin ! >> Der Kaiser «blieb ruhig und gemessen>> und fragte jeden der Minister einzeln um seine Ansicht: Alle schlossen sich der Auffassung des Reichskanzlers an. Der Kaiser mußte nachgeben, mit dem Ergebnis, daß am nächsten Tag das Sozialistengesetz mit 1 67 gegen 98 Stimmen abgelehnt wurde; die Deutsch-Konservativen stimmten mit dem Zentrum und den Sozialde­ mokraten gegen die Vorlage, und das Kartell ging schwer geschädigt in den Wahlkampf.57 Verbittert klagte der Kaiser hinterher: «Die Minister sind ja nicht meine Minister, sie sind Minister des Fürsten Bismarck.>>58 Da Wilhelm gegen den ausdrücklichen Willen Bismarcks darauf be­ stand, den Reichstag mit einer Thronrede im Weißen Saal des Schlosses zu schließen, in der er sein persönliches, warmes Interesse für die Arbei­ ter zum Ausdruck brachte,59 war der Konflikt zwischen Kanzler und Kaiser für jeden klar erkennbar. Schon allein die Tatsache, daß Bismarck der Zeremonie fernblieb, demonstrierte die Kluft.60 «Große Erregung>>, vermerkte Marschall an diesem Tag. «Niemand versteht den Reichskanz­ ler.»61 Waldersee konstatierte: «Der Gegensatz zwischen Kaiser u. Kanz­ ler ist im zunehmen. Er besteht [ . . . ] darin, daß der Kaiser noch weiter versuchen will, die Arbeiter durch Nachgeben u. Zeigen von Interesse

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zu beruhigen, während der Kanzler meint, es dürfe nicht mehr nachge­ geben werden, sondern müsse den Arbeitern der volle Ernst gezeigt wer­ den, also auch dazwischen geschossen werden.»62 Der Kaiser sei empört, notierte Waldersee, daß Bismarck «mit ruhigem Blut die Armee miß­ brauchen will, um auf die Arbeiter zu schießen, u. meint, der Kanzler wolle ihm auch hier den Ruhm, diese so große Frage selbst geregelt zu haben, aus der Hand nehmen».63 Mit dieser Bemerkung hatte der Chef des Generalstabes scharfsichtig den eigentlichen Kern des Konflikts zwi­ schen Kaiser und Kanzler getroffen. Weder dem einen noch dem ande­ ren ging es um die Sache selbst, diese war schon längst zum Spielball in ihrem Kampf um die Entscheidungsmacht im Reiche geworden. 4· Übergang zu einem neuen System

Trotz der hochgradigen Erregung über das Verhalten des Kanzlers am 24. und 2 5 . Januar - Wilhelm hat sich tagelang «mehrfach gehörig ausge­ schimpft»64 - gab es unter den Beratern des Kaisers keinen, der zu die­ sem Zeitpunkt die Entlassung Bismarcks befürwortete. Alle waren sich nach wie vor einig, daß eine belle sortie des Reichsgründers der Monar­ chie großen Schaden zufügen würde; sie sahen auch ein, daß das persön­ liche Prestige des jungen Kaisers zwar im Wachsen begriffen sei, jedoch noch nicht den Punkt erreicht hatte, an dem eine Selbstregierung des Monarchen politisch annehmbar gewesen wäre. Holstein faßte seine Meinung zusammen, als er am 27. Januar an Eulenburg - der den Passus quasi als Geburtstagsgeschenk sofort an den Kaiser weiterleitete schrieb: 65 Der Kaiser habe richtig er­ kannt, daß die Zeit für ihn, nicht für den Kanzler, arbeite; er werde bald - in Monaten, nicht Jahren - alles für sich haben.66 Das Verhältnis zwi­ schen Wilhelm und Bismarck sei also nach Holsteins Auffassung . Am 4· Februar insistierte er von neuem: Wilhelm habe eingesehen, 67 Diese Meinung des Geheimrats wurde von der gesamten Berater­ gruppe geteilt. Der badische Gesandte Marschall sah ein, daß der Kaiser

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vor allem vor den Reichstagswahlen keinen Bruch mit Bismarck riskie­ ren dürfe.68 Als Holstein zu der sich später als irrig erweisenden Auffas­ sung kam, daß Hinzpeter dem Kaiser geraten hätte, sich noch vor den Wahlen von Bismarck zu trennen, um dann mit einer Proklamation ans Volk einen glänzenden Wahlsieg zu erzielen, fand er für die vermeint­ liche Dummheit des «tollgewordenen Schulmeisters>> keine Worte.69 Jedoch auch Hinzpeter war von der Notwendigkeit fest überzeugt, «durch gegenseitige Konzessionen die Möglichkeit weiteren vertrauens­ vollen Zusammengehens>> zwischen Bismarck und dem Kaiser zu schaf­ fen.70 Er war, wie Eulenburg Holstein versichern konnte, «tief davon durchdrungen, daß der Kaiser ohne den Kanzler nicht existenzfähig>> sei. «Die Tollheit, dem Kaiser zu raten, den Kanzler vor den Wahlen abzu­ danken, beging er nicht>>, bekräftigte Eulenburg. «Solche Gedanken können in unpolitischen Köpfen entstehen, die den Kanzler hassen, in Militärköpfen, Fürstenköpfen.>> Auch er selber arbeite «an dem Zusam­ menbleiben unserer beiden mit aller Kraft>>, nicht zuletzt, weil er erkannt habe, daß die Entlassung Bismarcks - gleich aus welchen Gründen - «vom Volk immer nur als grausame Tatsache aufgefaßt>> wer­ den würde.71 Selbst Paul Kayser, der Verfasser des Arbeiterschutzprogramms, sah ein, daß die Belassung Bismarcks im Amt noch viel wichtiger war als die sozialpolitische Initiative des Monarchen. «Geht der Kanzler vor den Wahlen, so ist das Kartell nicht zu halten; man wird die einzelnen Be­ standteile wie die Atome im Himmelsraum herumwirbeln sehen. Auf den Grund des Abgangs käme es [ . . . ] gar nicht an; die Tatsache selbst würde genügen, um die Bevölkerung im Reich zu erschüttern.>> Bezeich­ nenderweise fürchteten jetzt selbst «ganz ausgesprochene politische Gegner des Kanzlers, [ . . . ] daß er demnächst abgehen könnte>>, warnte der Kolonialdirektor, wohl im Hinblick auf Waldersee.72 Und in der Tat: Der Generalstabschef hielt die Entlassung Bismarcks zwar auf lange Sicht für unvermeidbar, zum jetzigen Zeitpunkt aber für verfrüht. Als er am 1 2. Januar r 890 erstmals in seinem Tagebuch die Frage gestellt hatte, wie die Entlassung des Reichsgründers taktisch zu handhaben sein würde, hatte er gemeint: «Es kommt darauf an, den Kaiser richtig zu berathen, so daß er nicht den Kürzeren zieht; bei allem Rückgang ist der Kanzler doch immer noch ein kluger u. höchst verschlagener Mann. Seine Stärke war immer, in schwierigen Lagen schnell einen Ausweg zu finden. Der Krach muß unter allen Umständen so gehandhabt werden, daß es vor der Welt nicht so aussieht als ob der Kaiser den Kanzler habe los werden wollen.,/3 In einem Brief vom 1 3 . Januar hatte der General ausgeführt: Wenn Bismarck merke, daß eine «andere Zeit anbricht, so wird er versuchen, ganz herauszukommen>>; er werde aber versuchen, seinem Sohn die Nachfolge zu sichern, «und liegt hier, glaube ich, die Handhabe für Seine Majestät, ihn hinzuhalten. [ . . . ] Solange es irgend

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Übergang zu einem neuen System

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angeht, muß der Kanzler ja auch i m Amte gehalten werden; sollte er in der Tat ausbrechen wollen, [ . . . ] so wählt er den Augenblick so, daß er die öffentliche Meinung für sich hat. Dies muß nicht zugelassen, son­ dern das Gegenteil erstrebt werden.»74 Jetzt, nach dem Krach vom 24. Ja­ nuar, sprach der General seine Bewunderung dafür aus, daß Wilhelm dem Reichskanzler nicht den Stuhl vor die Tür gesetzt hatte. «Eigentlich ist es nahezu unglaublich>>, meinte er, «daß er mit einem Mann noch zu­ sammen wirken will, dem er zutraut, nur aus Eifersucht für seinen Ruhm, Blutbäder herbeizuführen! Leider ist es aber so. Ich glaube nicht, daß es lange so weitergehen wird, aber bin dafür u. suche - soweit meine schwachen Kräfte reichen - dahin zu wirken, daß der Kaiser den Kanz­ ler jetzt nicht fortläßt oder fortschickt, sondern erst die Wahlen gesche­ hen läßt! »75 Bei dieser Haltung gingen die geheimen Berater des Monarchen aller­ dings von der Annahme aus, daß Wilhelm auch mit Bismarck als Reichs­ kanzler viele Aspekte der Politik würde bestimmen können. Im stillen hofften sie, daß Bismarck sich auf das Feld der Außenpolitik zurückzie­ hen würde, um dem Kaiser wenigstens in inneren Fragen Handlungs­ spielraum zu geben.76 Eulenburg faßte das Hauptziel treffend in den Worten zusammen, man müsse Bismarck vorerst halten, jedoch «zu­ gleich den Kaiser selbständig [ . . . ] machen, weil wir ihn selbständig brau­ chen für das, was über uns kommen wird, während der greise Kanzler im Schatten seines Alters wandelt».77 In diesen Vorstellungen von einer reduzierten Machtstellung des Reichskanzlers wurden also die Konturen des späteren wilhelminischen Regierungssystems schon in der Endphase der Bismarckherrschaft sichtbar. Es war, wie wir noch sehen werden, just Bismarcks Weigerung, ein solches System hinzunehmen, die den Kaiser schließlich zu dessen Entlassung provozierte. In ihrer optimistischen Einschätzung wurden Wilhelms Berater durch die Überlegung bestärkt, daß der junge Monarch in den letzten Tagen und Wochen immerhin Beachtliches gegen den Widerstand des Eisernen Kanzlers hatte durchsetzen können. Er hatte mit einer arbeiterfreund­ lichen Rede den Reichstag geschlossen und Ministerberatungen über sein Arbeiterschutzprogramm in die Wege geleitet: In einer Sitzung des Staatsministeriums vom 26. Januar ordnete Bismarck die Ausarbeitung eines Allerhöchsten Erlasses im Sinne der kaiserlichen Ausführungen an und übernahm selbst die Einberufung eines internationalen Kongres­ ses.78 Als Wilhelms Wunsch, Johannes von Miquel zum preußischen Handelsminister zu ernennen, nicht in Erfüllung ging, setzte er die Er­ nennung des Oberpräsidenten Hans Hermann Freiherr von Berlepsch auf diesen Posten durch, den Bismarck wegen seiner arbeiterfreundli­ chen Haltung in der Streikkrise des Vorjahres aufs bitterste getadelt hatte. Die Beförderung von Berlepsch war die erste Ministerernennung im zivilen Bereich, die ganz auf die Initiative Wilhelms II. zurückzufüh-

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Verfassungs- und sozialpolitische Konflikte

ren war; dessen ausdrückliche Aufgabe war es, das sozialpolitische Pro­ gramm des Kaisers in die Tat umzusetzen. Der Erfolg des Kaisers war um so eklatanter, als das Handelsministerium bisher von Bismarck selbst verwaltet worden war. Mehr noch: Der Wirkungskreis des neuen Mini­ sters wurde durch die Abtrennung der Abteilungen für Berg-, Hütten­ und Salinenwesen von Maybachs Ministerium für öffentliche Arbeiten und deren Eingliederung in das Ministerium für Handel und Gewerbe erweitert. 79 Um dieses neue System weiter auszubauen, beabsichtigte der Kaiser nunmehr, die Staatsminister und andere Beamte alle acht bis vierzehn Tage einzeln zum Vortrag zu empfangen.80 Wie Holstein empfand auch Eulenburg diese Entscheidung als «um so großartiger, als die Herren in der bewußten Sitzung [vom 24. Januar] ein j ämmerliches Bild der Un­ selbständigkeit>> gegeben hätten; er verkannte jedoch nicht, daß sich da­ durch «die Frage Kanzler oder Kaiser [ . . . ] viel schärfer» zugespitzt hatte. 81 Am 3 I . Januar nahm Wilhelm unangemeldet an einer Sitzung des Staatsministeriums teil und erkundigte sich nach dem Fortgang der Be­ ratungen über sein Arbeiterschutzprogramm; er äußerte sich befriedigt über die Mitteilung Bismarcks, man habe soeben beschlossen, zwei Er­ lasse - einen an den Reichskanzler über die einzuberufende internatio­ nale Konferenz, den anderen an die Minister für öffentliche Arbeiten und für Handel und Gewerbe - zu entwerfen. 82 Mit Genugtuung konnte dann auch der >, die Leitung der Außenpolitik, behalten. Sei er aus seinen preußischen Ämtern - also auch aus seiner Stellung als preußischer Außenminister - ausgeschieden, dann könne die preußische Stimme im Bundesrat eventuell auch gegen seine Auffassung abgegeben werden.7 Am 8. Februar ließ Bismarck in einer «heftigen Auseinandersetzung>> den Kaiser wissen, daß er sich voll­ kommen aus Preußen zurückziehen und nur als Reichskanzler im Amt bleiben wolle; als Ministerpräsident schlug er ausgerechnet den General von Caprivi vor, den der Monarch selber einige Tage zuvor empfangen hatte; preußischer Außenminister könne sein Sohn Herbert werden. 8 «Der Kanzler hat ganz brav Komödie gespielt und sogar geweint>>, ver­ merkte Waldersee in sein Tagebuch. «Besonders betriebsam war er, zu

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Das Ende der Bismarckherrschaft

ermitteln, wen der Kaiser wohl zu seinem Nachfolger ins Auge gefaßt haben könnte. Der Kaiser ist so klug gewesen, ihm Niemand zu nennen; es würde dann der Kanzler sogleich losgegangen sein, demselben den Ruf zu verderben. [ . . . ] Der Kaiser ist in sehr erregter Stimmung u. be­ klagt sich bitter über den Kanzler, von dem er nun auch das Lügen selbst erfahren hat; ebenso ist er sehr verstimmt über Lerchenfeld, der - sicher­ lich auf Anstiften des Kanzlers - nach München von Kanzler Krisis geschrieben hat, worauf man von dort die Nothwendigkeit den Kanzler zu halten betont hat. Sind das wohl Zustände, die ohne großen Schaden anzurichten lange dauern können?>> fragte sich der Chef des Generalsta­ bes.9 Tags darauf erklärte Bismarck im Staatsministerium, sein Ausschei­ den aus den beiden preußischen Ämtern sei unumgänglich geworden, da der Kaiser sich in der Innenpolitik mit Plänen trage, an deren Durchfüh­ rung er, Bismarck, nicht mitwirken könne. Diesen «Unabänderlichen>> Entschluß habe er mit dem Kaiser bereits vereinbart; sein Rückzug auf das «Altenteil des Auswärtigen Amtes>> müsse am Tag der bevorstehen­ den Reichstagswahl, dem 20. Februar, bekanntgegeben werden; danach werde er den preußischen Ministern so fremd sein wie den bayerischen. Die Minister protestierten nicht, weil auch sie in einem solchen Rückzug die einzige Möglichkeit erblickten, «um einen gänzlichen Bruch zu ver­ hüten>>.10 Nach der Sitzung will Waldersee allerdings erfahren haben, «der Kanzler [habe] die Minister schlecht gemacht u. auch nicht einen einzigen dabei verschont und gesagt, daß keiner von ihnen sein Nachfol­ ger werden könnte>>Y Am 8 . Februar erfuhr Lerchenfeld durch Herben Bismarck Näheres über die Absichten des Kanzlers. Man dürfe nicht vergessen, sagte Her­ bert, .12 Man nahm allgemein an, daß Boetticher zum neuen preußi­ schen Ministerpräsidenten ernannt werden würde, indessen könne man nichts weiter tun, als ,,füglich die Entschließungen Seiner Majestät des Königs über die Besetzung der Stelle des Ministerpräsidenten abzuwar­ ten».13 Dem britischen Botschafter Sir Edward Malet teilte Fürst Bis­ marck noch am 1 0. Februar mit: «Ich kann die Handlungen des Kaisers nicht billigen oder einfach hinnehmen, und es ist nun soweit gekommen, daß ich mich dazu entschlossen habe, von allen Ämtern, die ich inne­ habe, mit Ausnahme von denen des Reichskanzlers und Reichsaußenmi­ nisters, zurückzutreten. [ . . . ] Meine Lage wird eine schwierige sein.» Ahnungsvoll fügte er hinzu: «Herr von Boetticher als preußischer Mini­ sterpräsident wird im Bundesrat über mir stehen, während ich als Kanz­ ler die Politik des Reiches bestimmen werde. Ich bezweifle, daß das so funktionieren wird; es wird wahrscheinlich damit enden, daß ich mich ganz zurückziehen werde>>, sagte Bismarck voraus.14 Am Abend des

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Die Taktik des Reichskanzlers

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gleichen Tages fand sodann eine klärende Unterredung zwischen Bis­ marck und Lerchenfeld statt, die zur Aufgabe aller dieser Überlegungen führen sollte. Bismarck begann das Gespräch mit der Bemerkung, er be­ absichtige, beide preußischen Ämter aufzugeben, «um mit der lnstruie­ rung der preußischen Stimme nichts mehr zu tun zu haben>>; er wolle auf dem Bundesrat und den Reichsämtern eine neue Bastion der Auto­ rität für sich aufbauen. Immer wieder kam das Gespräch jedoch auf die zentrale Schwierigkeit in diesen Kombinationen zurück, nämlich «was entstehen wird, wenn die preußische Stimme [im Bundesrat] gegen seine Ansicht instruiert werden sollte>>. Die nichtpreußischen Staaten wollten sicherlich keine derartige Lösung, erklärte Lerchenfeld, denn «das Ver­ trauen der Einzelregierungen im Reiche zur Zentralgewalt beruhe gerade darauf, daß man wisse: was Preußen wolle, will der Kanzler, und was der Kanzler wolle, will Preußen. Das sei der Kitt, durch welchen die deut­ schen Staaten zusammengehalten würden.» Der bayerische Gesandte be­ richtete anschließend nach München, «daß der Reichskanzler sich selbst über seine künftige Stellung noch nicht klargeworden ist, daß er aber die Schwierigkeiten vollkommen übersieht, welche die Neuordnung der Dinge überall bietet».15 Noch an diesem Abend gab Bismarck seine Pläne auf. Er rief Boetticher zu sich und sagte ihm, er denke nicht daran, sich «lebendig begraben» zu lassen; er werde nicht zulassen, daß er, Boetticher, als preußischer Ministerpräsident neben ihm sitze und ihm befehle, wie er im Bundesrat zu votieren habe.16 Tags darauf teilte er dem sichtlich unangenehm berührten Kaiser mit, er werde unter keinen Um­ ständen aus seinen preußischen Ämtern ausscheiden. Als August Eulen­ burg von der Aufgabe der geplanten Ämtertrennung erfuhr, bedauerte er die Entscheidung Bismarcks mit dem Argument: «Gerade er müßte noch versuchen, diese künftig doch einmal notwendige Grenzlinie [zwi­ schen Reichskanzler und preußischem Ministerium] zu ziehen, und für die nächste Zukunft entsteht der Übelstand, daß bei jedem Ungewitter nunmehr immer mit der vollen Kanzlerkrisis zu rechnen sein wird.»17 Parallel zu diesen komplizierten Überlegungen über eine Reduzierung seines Machtbereichs erwog Bismarck indessen ernsthaft die Möglich­ keit, einfach in den Ruhestand zu treten. Schon im Kronrat vom 24. Ja­ nuar hatte er ja mit seinem Rücktritt aus allen Ämtern gedroht. Ein zweiter Warnschuß fiel am 3 0. Januar, als er Hohenthai eröffnete, daß der Tag, an dem die sächsische Regierung den vom Kaiser angeregten Antrag in der Arbeiterschutzfrage in den Bundesrat einbringe, sein letz­ ter Tag im Amt sein würde.18 Etwas später, vor einem Treffen mit dem Kaiser am 3 · Februar über die beiden Arbeiterschutzerlasse, mahnte er, daß der Wunsch, den Stuhl vor die Tür zu setzen, bei ihm «mit treib­ hausartiger Schnelligkeit in die Höhe» wachse.19 Als die Differenzen zwischen Kaiser und Kanzler in der Sozialpolitik offenkundig wurden, fragten sich viele, warum Bismarck unter solchen Umständen noch im

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Das Ende der Bismarckherrschaft

Amt bleibe und warum der Kaiser ihn nicht einfach entlasse. Der briti­ sche Botschafter, beispielsweise, sprach die Vermutung aus, «daß er nur auf den ausdrücklichen Wunsch des Kaisers hin im Amt bleibt & unter der Bedingung, daß er nichts mit dem Projekt des Kaisers zu tun hat. [ . . . ] Man hätte annehmen können, daß solche Differenzen zum Rücktritt Fürst Bismarcks geführt hätten, doch muß der Kaiser triftige Gründe haben, ihn behalten zu wollen. Er ist der Gründer des Reiches: Und je­ der fühlt, daß er eine Garantie für Frieden darstellt. Auf der anderen Seite wird selbst in Deutschland vermutet, daß, wenn der Kaiser seinen Ehrgeiz nicht auf friedliche Weise ausleben kann, dieser eine gefähr­ lichere Form annehmen könnte, und er selbst weiß, daß das Vertrauen der Öffentlichkeit erschüttert wäre, wenn er Fürst Bismarck nicht mehr an seiner Seite hätte. Der Kanzler empfindet wahrscheinlich, daß es un­ ritterlich & auch gefährlich sein würde, ihn zu verlassen.>>20 Das waren aber nur Mutmaßungen. Zwei Tage später, am 1 0. Februar 1 890, sollte Malet von Bismarck persönlich erfahren, wie ihm wirklich zumute war. In dem Gespräch mit dem Botschafter machte der Reichskanzler aus seinem Herzen keine Mördergrube. Mit erstaunlicher Offenheit verur­ teilte er das System der Selbstherrschaft, das der Kaiser eingeführt habe. In einem geheimen Brief an Lord Salisbury zog Malet aus Bismarcks Aussagen das Fazit: «Der Kaiser hält sich für durchaus in der Lage, allein zu stehen und die äußeren und inneren Angelegenheiten des Rei­ ches ohne die geringsten Zweifel an seinen Fähigkeiten selbst zu bestim­ men.>> Wiederholt ließ der Kanzler durchblicken, daß seine Zeit abgelau­ fen sei, selbst wenn er pro forma noch im Amt bleiben sollte. Durch die unhaltbare Lage, in der er sich befinde, sei er nervös und abgespannt. Sein Entschluß, sich aus den preußischen Ämtern zurückzuziehen, sei durch den Wunsch des Kaisers, selbst zu regieren, unumgänglich gewor­ den; die Ämtertrennung könne aber nicht von Dauer sein. Nur mit Rücksicht auf die Wünsche des Monarchen und im Hinblick auf die be­ vorstehenden Reichstagswahlen verharre er überhaupt noch im Amt. Wörtlich teilte er dem Botschafter mit: «Ich würde ganz zurücktreten, aber der Kaiser will, daß ich bleibe, und ich kann mich nicht weigern denn wenn ich jetzt, am Vorabend der Wahlen, gehen würde, könnte dies Auswirkung auf sie haben, die ich jetzt ebensowenig wünsche wie zu der Zeit, ehe die jetzige Lage entstand. Ich habe selbst nichts damit zu tun gehabt. Der Kaiser ist auf den Pfad, den er genommen hat, von Außenseitern geführt worden. Die Hauptverantwortlichen sind Hinz­ peter, sein alter Erzieher, Freiherr von Douglas, den er zum Grafen er­ nannt hat, der Großherzog von Baden und der König von Sachsen>>, behauptete Bismarck. Im persönlichen Umgang mit ihm sei der Kaiser ausgesprochen freundlich, «doch wünscht er, selbst zu regieren. Er hat noch nicht den Nutzen eines Schutzschildes zwischen sich und seinen Untertanen erkannt, auf den die Hiebe der Unpopularität fallen können,

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Der Entscheidung entgegen

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ohne ihn selbst zu verletzen», erklärte der Fürst. Kaiser Wilhelm habe «keine Zweifel. Er glaubt, daß er alles kann, und möchte alle Anerken­ nung ganz für sich haben. Es hat ihn nicht im geringsten geärgert, als ich ablehnte, den Erlaß gegenzuzeichnen. [ . . . ] Er sieht keine Folgen für seine Beliebtheit, falls das Projekt scheitern sollte.» Selbst in der Außen­ politik glaube der Kaiser, alle Probleme selbst bewältigen zu können. «Er ist ganz beschwingt von dem vermeintlichen Erfolg seiner Besuche in Rußland und anderen Ländern. Er möchte nur, daß ich bleibe, damit ich Reden im Reichstag halte und diesen dazu bringe, Geld zu bewil­ ligen», sagte Bismarck mit Bitterkeit. Er sei froh, erklärte er wörtlich, «daß fünfundsiebzig Jahre hinter und nicht vor mir liegen - meine Ar­ beit ist getan - aber es ist doch traurig erkennen zu müssen, daß der Bau, den ich Ziegel für Ziegel hochgezogen habe, Gefahr läuft, auseinander­ zubröckeln.» Das neue System werde auch Schwierigkeiten in den deutsch-englischen Beziehungen verursachen, die er, Bismarck, nicht mehr werde verhindern können. 21 Sechs Tage später bestätigte Herbert Bismarck in einem Brief an seinen Bruder Bill, daß ihr Vater die Idee einer Trennung seiner Ämter als un­ praktikabel aufgegeben habe und nunmehr «an vollen Abschied zum r . April», seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag, denke. «Wie es schließ­ lich werden soll, weiß ich nicht, aber es wird mehr gehetzt wie je, und da dies doch Mißtrauen erzeugt, wird das dauernde Zusammenleben immer schwerer.»22 Diese Einstellung hatte sich kaum geändert, als Fürst Bis­ marck einige Tage darauf zusammen mit seiner Frau die Kaiserin Fried­ rich besuchte. Er sprach lange mit ihr über Wilhelms sozialpolitischen «Coup>> und über seinen eigenen nahe bevorstehenden Rücktritt, und sagte, Die Kaiserin fand Bismarck Nach Einschätzung der Kaiserin-Mutter waren Bismarcks Rücktrittsgedanken durchaus aufrichtig gemeint, allein sie bezweifelte, ob der Kaiser das Entlassungsgesuch annehmen würde.23 2.

Der Entscheidung entgegen

Wie wir oben haben sehen können, waren die Berater Wilhelms II. in den ersten Wochen des Jahres r 89o nachhaltig von der Notwendigkeit überzeugt, Bismarck im Amt zu belassen. Zu groß war ihre Angst vor

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den Folgen einer belle sortie des Reichsgründers, als daß sie - bei aller Kritik an seinem Regierungsstil und seiner Politik - hätten einen gewalt­ samen Bruch mit ihm riskieren wollen. Bismarck wäre also wohl einige Monate länger im Amt geblieben, 24 wenn sich im kaiserlichen Lager im Laufe des Monats Februar nicht die Auffassung durchgesetzt hätte, daß der Kanzler eine Taktik betreibe, die sein Verbleiben zu einer akuten Gefahr für die Monarchie werden ließe. Ob Bismarck tatsächlich zum Angriff gegen das Kaisertum übergegangen war, wie Wilhelms geheime Ratgeber befürchteten, oder ob es sich bei deren panikartigen Ängsten bloß um Hirngespinste handelte, ist in der Bismarckforschung bis heute umstritten.25 Aus der Fülle der Quellen scheint allerdings klar hervorzu­ gehen, daß die Berater um Wilhelm - und zwar alle - aufrichtig von ihrer Interpretation der Bismarckschen Absicht durchdrungen waren, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil sie Bismarcks Mentalität und Me­ thoden nach jahrelanger Zusammenarbeit mit ihm kannten und sich nur zu gut in seine Lage versetzen konnten.26 Dieses Faktum genügt, um den fatalen Entscheidungsprozeß zu erklären, der bereits Mitte Februar I 890 zu dem Entschluß Kaiser Wilhelms II. führte, die baldige Entlas­ sung Bismarcks ins Auge zu fassen. Unmittelbar nach dem Kronrat vom 24. Januar und dem anschließen­ den Fiasko im Reichstag, als das Kartell über das verschärfte Sozialisten­ gesetz auseinanderbrach, glaubte Holstein, die für den Kaiser äußerst gefährliche Taktik Bismarcks durchschaut zu haben. Erregt schrieb er an Eulenburg: «Was jetzt geschah, hat den Zweck, das Zentrum regierungs­ fähig zu machen. Irrfolge der Blamage, welche der Kanzler den Kartell­ parteien in der Sozialistenfrage zufügte, können die Wahlen nicht anders als schlecht ausfallen, d. h. das Kartell wird die Majorität verlieren. Dann wird der Kanzler dem Kaiser sagen: In dem Augenblick, wo das Zentrum in Preußen regierungsfähig wird, ist es auch regierungsfähig in Bayern. Lutz fliegt dann innerhalb weniger Monate. [ . . . ] Ich glaube, die Folgen wären nicht wieder gutzumachen. Einem schlechten Reichstag kann ein guter folgen. Wenn aber die Ultramontanen in Bayern mal am Ruder sind und sich die Wahlkreise zurechtschneiden können, bekommt man sie ohne Gewaltmittel nicht wieder heraus.» Holstein wies auf die Ähnlich­ keit zwischen der inneren und der äußeren Politik des Kanzlers hin: «>27 Mit der Veröffentlichung der beiden kaiserlichen Erlasse am 4· Fe­ bruar I 890 witterte der stets mißtrauische Holstein sodann neue Gefah­ ren. Nicht nur hatte Bismarck sich geweigert, die Erlasse gegenzuzeich­ nen; er hatte den Wortlaut der Schriftstücke verschärft und dadurch

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Der Entscheidung entgegen

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Unruhe sowohl bei den deutschen Industriellen als auch unter den aus­ ländischen Regierungen hervorgerufen. «Der längere der beiden kaiser­ lichen Erlasse hat einen beängstigenden Eindruck auf die besitzenden Klassen gemacht wegen der Allgemeinheit der Ausdrucksweise, die nicht vom Kaiser, sondern von den Korrekturen des Kanzlers stammt», warnte der Geheimrat am 7· Februar. «Die Menschen glauben danach, daß wir dicht vor einer allgemeinen Besitzveränderung stehen. Es ist nicht gut, wenn diese Unsicherheit lange bestehen bleibt, denn auf die besitzenden Klassen muß sich doch der Kaiser stützen. Der Kaiser als ein entschieden kluger Mann wird wissen, wie er diesen Befürchtungen entgegenzutreten hat>>, sagte er. In diesem Brief, den Eulenburg stellen­ weise an den Kaiser weiterleitete, ließ Holstein noch gelten, daß Bis­ marck die Korrekturen nicht in der Absicht vorgenommen hatte, den Kaiser bloßzustellen, und räumte ein, «daß manches, was wie Arglist aussieht, beim Kanzler einfach das Ergebnis geistiger Schwäche ist, die rasch zunimmt>>.28 Nach Rücksprache mit Adolf Marschall von Bieber­ stein, Paul Kayser und Franz Fischer kam er freilich dann doch zu der Überzeugung, daß Bismarck mit dem Kaiser bewußt ein falsches Spiel treibe. «Es besteht eine große Gefahr darin, daß der Kanzler sich zwei­ felsohne durch das selbständige Vorgehen des Kaisers tief verletzt fühlt», warnte er am r o. Februar. «Er wird gewiß nicht ruhen, sondern darauf sein Bemühen richten, daß der Kaiser sein Unrecht einsieht, allein ge­ handelt und seinem Kanzler nicht gefolgt zu sein. Schon in den Erlassen vom 4· ds. Mts. hat er manches hineingebracht, wodurch die Ausführung erschwert wird, um die Idee des Kaisers scheitern zu lassen, denn dann ist er - so wird kalkuliert - gänzlich in den Händen des Kanzlers.>>29 Der badische Gesandte Marschall war ebenso der Meinung, daß Bismarck den Kaiser als «himmelanstürmenden Idealisten» und sich selbst als «Hort der besitzenden Klassen>> darzustellen bestrebt war. Der Kanzler verkünde «nach allen Richtungen hin seine Unschuld an der kaiserlichen Aktion>>.30 Empört stellte Marschall am 1 2. Februar fest, daß Bismarck die Frage des Achtstundentages auf die Tagesordnung der internationa­ len Arbeiterschutzkonferenz gesetzt hatte, obschon er genau wußte, daß dieser Punkt vor allem für die englische Regierung ein rotes Tuch war.31 Fürchteten die geheimen Ratgeber einerseits, daß Bismarck die sozial­ politischen Ideen des Kaisers durch Übertreibung ad absurdum führen würde, so argwöhnten sie andererseits, er würde die Arbeit sowohl des preußischen Staatsrates als auch die der nach Berlin einberufenen inter­ nationalen Konferenz sabotieren, um die Initiative Wilhelms zum Schei­ tern zu bringen. habe,34 so äußerte er bereits am nächsten Tag die Meinung, daß der gegenwärtige Moment für den Kaiser vorteilhaft sein würde. Seine Argumentation war dabei fast schi­ zophren, denn in der Sache selbst stand er, wie er wiederholt eingestehen mußte, ganz auf seiten Bismarcks.35 Die sozialpolitische Initiative habe gerade bei den Mittelparteien, auf die sich der Kaiser stützen müsse, große Unruhe hervorgerufen. «Die gestrige Börse hat durch eine Pa­ nique in industriellen Werthen dem Kaiser die Antwort auf seine Pro­ klamation gegeben! >> hielt er alarmiert fest. Es sei «das Großkapital, also auch die Judenschaft, gegen die Kaiserlichen Ideen. Der Kaiser wird er­ kennen, daß bei den Nationalliberalen u. Freikonservativen, die er in neuster Zeit sehr protegirte, recht unsichere Leute sitzen. Sie lieben den Kaiser so lange als er ihnen zu guten Geschäften verhilft, und [er] wird viele Enttäuschungen erfahren.>>36 Wie Holstein gewann auch Waldersee die Überzeugung, daß Bismarck die aufgeregte Stimmung unter den be­ sitzenden Klassen für sich ausnutzen und sich dabei «nicht scheuen>> würde, «den Kaiser anzugreifen>>, und diese Erkenntnis war für den Chef des Generalstabes ausschlaggebendY Am 1 0. Februar 1 890 schrieb er zum ersten Mal: «>38 Zwei Tage später sprach er erstmals anderen gegenüber die Meinung aus, daß der Kaiser Bismarck unmittelbar nach der Eröffnung des neuen Reichstags entlassen müsse. «Glauben Sie mir>>, schrieb er am 1 2 . Februar an Philipp Eulenburg, Für alle Welt sei klar, daß der Kanzler ein Gegner der Sozialpolitik Wil­ helms II. sei. fragte der General. «Es ergibt sich daraus notwendiger Weise ein ganz unhaltbarer Zustand, und befinden wir uns deshalb nach meiner Überzeugung in einer wirklich ernsten Kanzler Krisis.>> Bismarck, so habe er erfahren, sei äußerlich sehr ruhig, innerlich jedoch sehr erregt. «Ich meine, daß der Kanzler unbedingt bleiben muß, bis der Reichstag zusammengekommen ist und sein Gesicht gezeigt hat; daß ein längeres Bleiben im Interesse des Kaisers liegen sollte bezweifle ich.>>39 In einem Gespräch mit Hinzpeter am I 5 . Februar sprach der Generalstabschef un­ umwunden die Ansicht aus, daß Bismarck bald beseitigt werden müsse, denn, wenn er noch lange im Amt bliebe, könne der Kaiser nicht viel von seinen Ideen zur Ausführung bringen und würde dadurch eine Nieder­ lage vor dem Kanzler erleiden. Die Gefahr einer sich gegen den Kaiser richtenden Bismarckbewegung nach der Entlassung veranschlagte Wal­ dersee zu diesem Zeitpunkt nicht hoch. «>, meinte er mit Verachtung, «so klappt er bei seinen 7 5 Jahren zusammen u. verlassen ihn seine jetzigen Freunde, haben also auch kein Interesse, ihn zurückkommen zu sehen, wozu der Kaiser übrigens auch nie die Hand bieten würde.>>40 Auch Johannes von Miquel, mit dem Waldersee ausführlich sprach, hielt Bismarcks Tage für gezählt, er bevorzugte j e­ doch im Gegensatz zum Generalstabschef «ein langsames Absterben>>.41 Am I 8. Februar I 890, zwei Tage vor der ersten Runde der Reichstags­ wahl, war die Entscheidung des Kaisers eigentlich schon gefallen. «Die Kanzler Krisis ist in vollem Gange>>, hielt Waldersee an diesem Tag in seinem Journal fest. «Der Kanzler schwankt - auch hierin sieht man wie er ein alter Mann geworden ist - bald will er gehen, bald will er bleiben, ist aber empört durch die Ueberzeugung, daß der Kaiser ihn gern los sein möchte.>> Letzterer habe sich allerdings in die Entlassung «völlig hineingedacht», schrieb Waldersee, «u. geht er nach meinen Erfahrungen dann nicht mehr zurück>>.42 «Der Kaiser hat mit dem Kanzler entschie­ den abgeschlossen>>, heißt es im Tagebuch nach weiteren Gesprächen mit Wilhelm am I9. und 20. Februar.43 Nicht nur habe die Art, in der Bis­ marck seine Ministerkollegen «heruntergerissen>> habe, den Monarchen «geradezu empört; die Lügenhaftigkeit des Kanzlers ist dem Kaiser nun endlich auch zu viel geworden u. fängt er an einzusehen, vielfach vom großen Mann betrogen zu sein>>.44 Am Wahltag selbst besuchte Wilhelm auf seinem Spaziergang den Chef des Generalstabes und sprach mit ihm die schwebenden Fragen durch. Waldersees Aufzeichnung über diese Unterhaltung läßt wieder einmal erkennen, wie sehr er in der Arbeiterschutzfrage sachlich auf der Seite seines Erzfeindes Bismarck stand. In seinem Tagebuch lesen wir: «In der Arbeiterfrage glaubt er [der Kaiser], daß der Staatsrath gute Vor­ schläge machen würde u. daß sich manches erreichen ließe. Es ist dies ganz richtig; es wird einiges erreicht werden wie die Arbeiter Aus­ schüsse, Beschränkung der Sonntags- u. Frauen-Arbeit. Leider wird dies

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aber die Arbeiter auch nicht annähernd befriedigen; er hat ihre Begehr­ lichkeit angeregt u. in die ganze Arbeiterwelt die Unruhe gebracht. Es ist garnicht anders möglich als daß er großen Enttäuschungen entgegen­ geht. Er hat einen Strom entfesselt, der schwer einzudämmen sein wird. Wären alle Arbeiter edle oder auch nur leidlich vernünftige Menschen, so wäre das Alles sehr schön; sie sind es nun aber leider nicht u. werden nun außerdem auch durch Socialisten verrückt gemacht. Es wird nicht lange dauern u. der Kaiser bedauert sein Vorgehen sehr; er wird die Arbeiter nie wieder los.» 45 Trotz dieser fatalistischen Voraussage, die von Bismarck selbst hätte stammen können, drängte Waldersee weiterhin auf die baldige Entlassung des Kanzlers. Am 2 2. Februar holte der Kaiser Waldersee abermals zum Spaziergang ab und kam schon nach wenigen Minuten auf die Kanzlerkrise zu spre­ chen, und zwar mit «einem erheblichen Grad von Verbitterung». Wil­ helm sei «völlig überzeugt>>, so der General, «daß der Kanzler mit der größten Dreistigkeit in der Arbeiterfrage gegen ihn arbeitet; es klingt unglaublich, ist aber leider so>>. Bismarck, so sagte der Kaiser wörtlich, habe «gehen wollen und dann am nächsten Tag sein Gesuch wieder zu­ rück gezogen. Solches Spielen lasse ich mir nicht gefallen; j etzt werde ich den Termin bestimmen, wann er gehen soll u. muß er zunächst noch etwas warten. Sein Unglück ist seine maaßlose Herrschsucht. Er hat ja Alles allmählig untergekriegt und ist verwöhnt; bei mir ist er nun einmal an den Falschen gekommen.>>46 3. Der

Am 14. Februar 1 890, fast gleichzeitig mit Hinzpeter, traf Philipp Eulen­ burg in Berlin ein. , vermerkte Waldersee.47 In den nächsten Tagen und Nächten führte Eulenburg zahl­ reiche längere Gespräche mit Hinzpeter und Waldersee, Paul Kayser, Holstein, Marschall von Bieberstein, Rudolf Lindau, seinen beiden Vet­ tern August Eulenburg und Gustav Kessel, seinen Intimfreunden Axel Varnbüler und Kuno Moltke und vielen anderen der engeren Berater Wilhelms II. Auch mit seinem alten Freund Herben Bismarck hatte Eulenburg mehrere , die .48 Vor allem aber mit Kaiser Wilhelm hatte er täglich über die , die verspottete, was einigermaßen beruhi­ gend auf die Londoner Regierung wirkte.52 Sonst strebe Bismarck, so berichtete Eulenburg weiter, die Reduzierung der Arbeiterschutzvorlage und deren Verschleppung bis nach der internationalen Konferenz an. 53 Auch in dieser Frage war der Kaiser also vorgewarnt, als am 26. Fe­ bruar ein Immediatbericht Bismarcks mit genau diesen Vorschlägen im Schloß eintraf. 54 In «sehr erregter>> Stimmung versah er das Schreiben mit Marginalbemerkungen, in denen er gegen die Verschleppung der Arbeiterschutzvorlage wetterte. Er ließ Paul Kayser rufen und be­ schwerte sich darüber, daß Bismarck ihm damit werfen wolle - das werde er sich nicht gefallen lassen. 55 Noch am I. März, als Waldersee Vortrag beim Kaiser hatte, erzählte dieser, daß Bismarck ihm vorgeschlagen habe, «dem Reichstage erst Vorlagen über Arbeiter Schutz zu machen, nachdem die internationale Konferenz ihre Arbeit beendet; der Kaiser hat sogleich die Absicht, die Sache zu ver­ schleppen, erkannt und ihm geschrieben, daß die Vorlagen dem Reichs­ tage so schnell gemacht werden sollten als irgend möglich>>.56 Im all­ gemeinen - so urteilten um diese Zeit viele - sei die Stimmung jedoch ruhiger geworden, seitdem der Kaiser den Ministern «wieder einen Halt>> gegeben habe. «Die Zuversicht wächst, daß der Kanzler gegen­ über einer solchen Taktik Ew. Majestät in seinen Wünschen bescheide-

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ner, und eine Verständigung mit ihm möglich wird», versicherte Eulen­ burg dem Monarchen. 57 Inzwischen mehrten sich jedoch die Anzeichen, daß Bismarck auf eine Gewaltpolitik hinsteuerte, die die Arbeiterschutzinitiative des Kaisers und damit auch dessen machtpolirische Selbständigkeit - gänzlich in den Schatten stellen würde. Waldersee war empört, als er am 1 6. Februar in Erfahrung brachte, daß Bismarck den Kaiser von der Gefahr einer un­ mittelbar bevorstehenden Revolution zu überzeugen versucht habe. Dauernd suche der Kanzler Wilhelm zu ängstigen, indem er «Gefahren für den Kaiser selbst und Revolution für das Frühjahr, spätestens Som­ mer voraussagt». Es sei dies aber «Alles der reine Schwindel. Die Socia­ listen finden, daß der Kaiser in ihrem Interesse arbeitet und wünschen ihn dringend am Leben zu erhalten. Wir werden Strikes [sie] erleben, wohl auch dabei blutige Zusammenstöße, wer aber eine Revolution jetzt kommen sieht, der ist ein reger Geisterseher oder ein Schwindler; da muß noch mancherlei vorher gehen, ehe es soweit ist.>>58 Als Marschall am 20. Februar mit Eulenburg zusammentraf, waren sich beide einig, daß Bismarck zwar den vom Kaiser proklamierten Arbeiterschutz kon­ zedieren wolle, gleichzeitig aber einen «Systemwechsel>> - gemeint war eine gewaltsame reaktionäre Verfassungsänderung von oben - anstrebe. 59 Auch Otto Fürst von Stolberg-Wernigerode vertrat die Auffassung, daß, während der Kaiser vor der Anwendung «äußerster Mittel>> einen letz­ ten Versuch unternehmen wolle, die öffentliche Meinung zu befriedi­ gen, Bismarck die Überzeugung habe, «daß man annähernd schon beim äußersten angekommen» sei. 60 Am 26. Februar 1 890 blieben Waldersee und Kriegsminister von Verdy du Vernois nach einem gemeinsamen Vortrag beim Kaiser zurück, der ihnen von der am Vortag stattgefundenen Audienz Bismarcks er­ zählte. Dieser habe erklärt, er sei «von Sorge erfüllt, daß der Kaiser, falls es zu ernsten Unruhen, vielleicht Aufständen, käme, nicht mit großer Energie zufassen u. nicht werde schießen lassen. Als dann der Kaiser er­ widert hat, er möge nur beruhigt sein, werde es nöthig, so würde er auch vor den äußersten Maaßnahmen nicht zurückschrecken, sei der Kanzler vergnügt geworden u. habe gesagt, es sei nun ein Alp von ihm genom­ men, der ihn Nacht für Nacht bedrückt habe.» Bissig kommentierte Waldersee diese Mitteilung mit den Worten: «Sowohl Verdy wie ich lachten u. sagten, daß dies wiederum nichts sei als eine Komödie, also Schwindel, u. meine ich, daß der Kaiser der gleichen Ansicht ist.» Wil­ helm erzählte ferner, daß Bismarck sodann auf den für das Kartell nie­ derschmetternden Wahlausgang61 zu sprechen gekommen sei und die Ansicht vertreten habe, der Stimmenverlust bei den Nationalliberalen sei darauf zurückzuführen, «daß viele von ihnen über die Kaiserlichen Er­ lasse unzufrieden seien u. mit dem Fortschritt gestimmt hätten. Es ist dies eine haarsträubende Lüge ! » erklärte Waldersee rundheraus. Schließ-

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Der «vollständige Sieg der Kaiserlichen Sache»

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lieh habe Bismarck gesagt, so fuhr Wilhelm fort, er wolle nunmehr in der Arbeiterschutzfrage «mit dem Kaiser gehen, obwohl er nicht glaube, daß irgend etwas erreicht werden würde. Es hat damit der Kanzler sich dem Kaiser unterworfen u. war letzterer sehr befriedigt», kommentierte Waldersee.62 Ähnlich konnte Marschall nach Karlsruhe berichten, der Reichskanzler habe in der Audienz vom 2 5 . Februar seine Unterstüt­ zung der Arbeiterschutzvorlage unter der Bedingung zugesagt, daß der Kaiser sich bereit erkläre, «für den Fall, daß die von dem Fürsten darauf befürchteten unheilvollen Folgen eintreten würden, Gewalt anzuwenden und schießen zu lassen>>.63 In den letzten Tagen des Februar zeigte Kaiser Wilhelm II. vor einem breiten und sachkundigen Forum seine Führungsfähigkeiten, indem er tagelang den Vorsitz des von ihm einberufenen preußischen Staatsrats persönlich und führte.64 Selbst Wal­ dersee, der gegenüber der Arbeiterschutzinitiative des Kaisers äußerst skeptisch eingestellt war, sah in der Tatsache einen großen Gewinn, «daß der Kaiser das Gefühl hat, etwas Gutes gefördert zu haben u. daß viele Leute, die ihn bisher kaum kannten, ihn kennen u. schätzen gelernt ha­ ben>>.65 Paul Kayser, der eigentliche Urheber des Programms, bewertete das Ergebnis der Beratungen als «vollständigen Sieg der Kaiserlichen Sache>>. «Alle Punkte des Programms Seiner Majestät>> seien im wesent­ lichen vom Staatsrat angenommen worden, stellte er begeistert fest. «Der Sieg der Kaiserlichen Sache ist aber hier ein persönlicher Sieg Sei­ ner Majestät, und was Wilhelm I. von der Armee-Organisation wird Wilhelm II. von der Arbeiterschutzgesetzgebung sagen: .>> Für den Kaiser seien die letzten Tage gewiß «eine schwere Prüfungszeit>> gewesen, aber «auch eine Lehrzeit, die mit dem Meister­ titel» geendet habe, meldete der 66 Nach Abschluß der Staatsratssitzun-

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gen zeichnete demonstrativ aus; er Ein schärferes Sozialistengesetz zu diesem Zeitpunkt wäre für den Kaiser ge­ radezu ein Schlag ins Gesicht, und genau das, nicht die Niederschlagung der Sozialdemokratie, sei ganz offensichtlich der eigentliche Zweck des Reichskanzlers. Die nächste Folge der Einbringung einer solchen Vor­ lage wäre der Rücktritt des soeben ernannten Handelsministers von Ber­ lepsch, dem das Abschiedsgesuch Heinrich von Boettichers alsbald fol­ gen würde. «Die Eile des Kanzlers ist erklärlich>>, argumentierte Kayser. «Er ist 7 5 Jahre und hat nicht mehr viel zu verlieren. Aber der Kaiser ist die Zukunft des Landes; ein Schlag gegen ihn trifft/>> Da die Staatsmini­ ster weiterhin durch Bismarck eingeschüchtert seien, müsse der Kaiser erneut den Staatsrat zusammenrufen; das sei das einzige Mittel, um Überrumpelungen durch den Kanzler zu verhindern. Dann werde Seine Majestät endlich auf dem Berg stehen. «Post nubila Phoebus ! >>90 Eulen­ burg schickte Auszüge aus diesem Brief am 4· März an den Kaiser. Auch er warnte, daß eine verschärfte Sozialistenvorlage im In- und Ausland die «große Wirkung von Euerer Majestät Erlassen>> abschwächen würde. Der Kanzler wolle mit seiner Politik «das Bild zerstören, das jetzt be­ steht», und zwar «j e eher je lieber».91 Empört stellte die kaiserliche Beratergruppe fest, daß Bismarck in der Sitzung des Staatsministeriums vom 2. März den Ministern gegenüber



Wiederkehr der Staatsstreichgedanken

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behauptet hatte, das neue scharfe Sozialistengesetz sei ein «spezieller Wunsch des Kaisers>>.92 Rasch spitzte sich die Krise zu. Als Marschall am 3 · März einem Gespräch mit Wilhelm II. zu entnehmen glaubte, daß der Monarch von der Gefährlichkeit der Bismarckschen Politik über­ zeugt war, aber Angst hatte, den Kanzler zu entlassen, suchte er zu­ sammen mit Holstein den Führer des gemäßigten Flügels der Konser­ vativen, Helldorff, auf, der sich bereit erklärte, am kommenden Tag mit dem Kaiser zu sprechen. Befriedigt konnte Marschall nach Helldorffs Audienz in sein Tagebuch eintragen, der Kaiser sei «fest zum Bruch be­ reit>>. An den Großherzog von Baden telegraphierte er am 4· März: «Helldorff war heute beim Kaiser, beschwor ihn, die Vorlage nicht zu konzedieren: es sei dies eine ganz nutzlose Provokation des Volkes, eine Politik, die auf Skandale ziele, während Ruhe nötig, und alles zerstöre, was Kaiser anstrebe. Helldorff hat Eindruck, daß Kaiser fest ist.>>93 Gestärkt durch die Briefe Eulenburgs und Kaysers sowie den Besuch Helldorffs verhielt sich Wilhelm II. in der Konfrontation mit Bismarck am 4· März unnachgiebig. Unmittelbar nach dem Immediatvortrag wußte Marschall an den Großherzog von Baden zu telegraphieren, der Kaiser sei fest entschlossen gewesen, «nicht nachzugeben und an Caprivi zu tele­ graphieren, wenn Kanzler mit Entlassung drohte>>.94 Am 5 · März drahtete Wilhelm an Eulenburg, Bismarck habe «gestern auf mein Zureden end­ gültig vom Sozialistengesetz Abstand genommen».95 «Damit wäre man also über den Berg», konstatierte Eulenburg erleichtert und lobte die «Festigkeit>> des Kaisers.96 In den nächsten Tagen schienen sich die An­ zeichen einer Besserung in den Beziehungen zwischen Kaiser und Kanz­ ler auch tatsächlich zu mehren. Durch Eulenburgs Einwirkung wurde Paul Kayser zum Sekretär und persönlichen Berichterstatter des Kaisers bei der internationalen Arbeiterschutzkonferenz ernannt.97 Gleichzeitig demonstrierte der Monarch seine Anerkennung der schwierigen Lage, in der sich die preußischen Minister befanden, indem er dem Vize-Präsiden­ ten und Vize-Kanzler Heinrich von Boetticher zum Todestag Kaiser Wil­ helms I. den Schwarzen Adler-Orden verlieh.98 Man schöpfte wieder Hoffnung, daß ein Zusammengehen auf der Grundlage einer beiderseiti­ gen Kompromißbereitschaft und einer Anerkennung des kaiserlichen Be­ dürfnisses, nach dem «Bewußtsein zu regieren», möglich sein würde.99 In seinen Gesprächen mit seinem Bankier Gersan Bleiehröder gab der Reichskanzler zu erkennen, wie jener an die Londoner Rothschilds be­ richtete, «daß vorerst der Fürst nicht demissionieren wird. Ob dies aber doch schon nach wenigen Monaten der Fall, wird von Verhältnissen ab­ hängen, die heute [ 1 0. März 1 89o] noch nicht zu übersehen sind.>>100 Eu­ lenburg war nicht zuletzt deswegen optimistisch gestimmt, weil er gerade in diesen Tagen die Nachricht von seiner Versetzung als Gesandter nach Stuttgart erhalten hatte - ein weiteres Zeichen der aufsteigenden kaiserli­ chen Macht und des allmählichen Rückgangs des Einflusses Bismarcks.101

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5 . Die letzten Tage der Bismarckherrschaft

Bald trafen indessen bei Eulenburg in Oldenburg Nachrichten aus Ber­ lin ein, die nur zu demlieh erkennen ließen, daß der Reichskanzler wei­ terhin zum Kampf für seine «oppositionelle Idee» entschlossen war: Er weigere sich weiterhin, die Arbeiterschutzvorlage vor der Beendigung der internationalen Konferenz in den Reichstag einzubringen, hieß es; er habe den teilnehmenden Staaten mitteilen lassen, daß die Zahl ihrer Delegierten ganz unbegrenzt sei; er habe zuerst die größeren deutschen Bundesstaaten eingeladen, dann aber einzelne, darunter das hochindu­ strialisierte Königreich Sachsen, wieder ausgeladen; er habe Länder wie Spanien und Portugal zu der Konferenz eingeladen, die ohne Export­ industrie und ohne Arbeiterfrage seien; und er habe für die preußische Delegation bewußt nonvaleurs ausgesucht und die besten Kräfte - zum Beispiel Theodor Lohmann und Robert Bosse - nicht ernannt. Alles deute darauf hin, daß Bismarck auf ein Fiasko der internationalen Kon­ ferenz hinarbeite, die doch «das eigenste Werk Sr. Majestät>> sei. In der Gruppe um Holstein setzte sich die Ansicht durch, «daß sich alles zu­ spitzt und der Fürst zum Konflikte drängt>>. 102 Es sei, so beobachtete einer von ihnen treffend, «als ob zwei Regierungen vorhanden sind, und was der Kaiser spinnt, das trennen andere wieder auf>>.103 Plötzlich gesellte sich zu diesen Mißhelligkeiten ein neuer Streitpunkt - die vom Kriegsminister von Verdy ausgearbeitete «ungeheure Militär­ vorlage>>, für die der Reichstag 280 Millionen Mark und ein j ährliches Plus von 70 Millionen Mark bewilligen sollte, was er offenkundig ohne große Gegenleistungen nicht tun würde.104 Verdy, der ohnehin im Ruf stand, mit dem demokratischen Freisinn zu sympathisieren, schien be­ reit, die zweij ährige Wehrdienstzeit zu konzedieren, er stieß damit j edoch auf entschiedenen Widerstand bei Holstein und Marschall, die auch hier wieder an Eulenburgs Hilfe appellierten. Das Zugeständnis der zweijährigen Dienstzeit würde die Macht des Reichstags für immer stei­ gern und die sozialdemokratische Gefahr innerhalb der Armee entschie­ den vergrößern, argumentierten sie. Sei man zu solchen Zugeständnissen aber nicht bereit, so steuere man mit der Einbringung einer derart gro­ ßen Armeevorlage auf den inneren Konflikt mit dem Reichstag zu. «Bis­ marck würde heute mit 7 5 Jahren denselben nicht mehr durchfechten, sondern umgekehrt, der Kaiser würde Bismarcks Politik durchzufechten haben und dabei das Vertrauen wieder verlieren, welches er sich durch sein bisheriges ruhiges und maßvolles Auftreten allmählich erworben hat, und welches die Unterlage der persönlichen Stellung eines j eden wirklichen Regenten ist.>> Dringend warnten die Männer im Auswärti­ gen Amt vor der .105 So



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wie sie erst die Bundesfürsten, dann den Staatsrat gegen die von Bis­ marck kontrollierte zentrale Staatsmacht ins Feld geführt hatten, so rieten sie j etzt zur Einberufung der Kommandierenden Generäle zu einer Beratung, die der Kaiser präsidieren könne. «Die Sache hat einen doppelten Vorteil», urgierte Holstein. «Erstens hört der Kaiser da die richtigsten Ansichten, denn unter unseren Kommandierenden [ . . . ] ist ein Quantum Intelligenz zu finden wie in keiner anderen Menschengruppe in Deutschland. [ . . . ] Zweitens aber würden die Generäle ihrerseits mal ihren Kaiser kennen lernen. Wenn der hohe Herr da wieder so präsidiert wie im Staatsrat, wird er den Führern seines Heeres einen Eindruck ma­ chen, der ihnen durch alle Glieder fährt. [ . . . ] Daß die Armee diesen Ein­ druck habe von ihrem Oberhaupt, das brauchen wir, vielleicht bald, wer kanns wissen, was gebraut wird im Hexenkessel des Schicksals ! »106 Wie gewohnt schickte Eulenburg diesen Brief Holsteins umgehend an den Kaiser weiter, und als am 8. März der Großherzog von Baden wieder in Berlin eintraf, überzeugte Marschall auch ihn davon, daß «der Kaiser die kommandierenden Generäle hören soll>>. Sie wurden, wie wir sehen wer­ den, für den r 8 . März r 89o nach Berlin berufen.107 Die Ankunft des Großherzogs in Berlin nach einer Abwesenheit von zwei Monaten führte zu einer merklichen Verschärfung der Dauerkrise, in der sich die deutsche Regierung seit dem Herbst r 8 89 befand. Walder­ see zeichnete in seinem Tagebuch auf, der Großherzog sei «sehr betrübt über die Zustände>>, die er in der Hauptstadt vorgefunden habe, und dränge auf eine Entscheidung. «Er übersieht den völligen Riß zwischen Kaiser u. Kanzler; der erstere hat auch ganz offen darüber gesprochen u. gesagt, daß der Kanzler nach wie vor gegen ihn intriguire; trotzdem aber wolle er ihn vorläufig behalten, auch vor der Welt so thun als sei er mit ihm auf gutem Fuße. Der Großherzog ist nun der richtigen Ansicht, daß dieser Zustand nicht lange anhalten darf u. daß es doch nicht gut ist, wenn allmählig die ganze Welt sieht, daß der Kaiser Komödie spielt. Sehr besorgt ist der Großherzog über die Wahlen; er sagt, daß sich in Süddeutschland eine ganz auffallende Reichsfeindschaft herausgestellt habe>>, die zum Teil «aus Abneigung gegen den Kanzler>> entstanden sei.108 Besorgt äußerte sich Friedrich I. von Baden aber auch über die ge­ plante Militärvorlage. Am I r . März hatte er mit Waldersee und dem Kriegsminister eine Unterredung, die ihn tief schockierte und die letzte Phase der Kanzlerkrise einleiten sollte. Der badische Herrscher mußte feststellen, daß diese beiden höchstgestellten Militärs, wie andere Gene­ räle auch, keineswegs abgeneigt waren, weitreichende Konzessionen an den Reichstag zu machen, um die gewünschte Armeevergrößerung durchzusetzen. , vermerkte Marschall entsetzt nach Rücksprache mit dem Großherzog. «Zweijährige Dienstzeit, jähr­ liche Festsetzung der Präsenzstärke ist ihnen alles feil! >>109 Der badische Gesandte eilte mit der dringenden Bitte seines Landesherrn ins Auswär-

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tige Amt, Holstein möge Eulenburg zur sofortigen Abreise von Olden­ burg nach Berlin veranlassen. Der Großherzog habe nämlich «von hoch­ gestellten Leuten in Erfahrung gebracht, daß die Gefahr eines sofortigen Konflikts nach innen oder außen nahe bevorsteht». Marschall und Hol­ stein schlossen sich - «ernstlich besorgt und betrübt» - der Bitte um schleuniges Kommen an; sie hätten die Überzeugung, daß «jede Stunde von Wert für den Kaiser» sei. Eulenburg solle als Grund seiner plötz­ lichen Abreise Privatangelegenheiten vortäuschen; er dürfe nicht von Oldenburg, sondern erst von Hannover aus die Zeit seiner Ankunft tele­ graphieren, aber auch dann ohne Unterschrift. Paul Kayser solle von dem Besuch nichts ahnen. Über den Grund dieses panikartigen Appells ließ Holstein nichts durchsickern, er teilte Eulenburg lediglich mit, daß die Aufforderung nichts mit der internationalen Arbeiterschutzkonfe­ renz zu tun habe. «Bei der Konferenz kann vielleicht manches nicht nach Wunsch gehen, aber die Zukunft des Kaisers hängt davon nicht ab.»110 Eulenburg zögerte. Er sei erkrankt an den Kopf- und Magennerven, er erwarte den Besuch seiner Mutter, könne ohnehin nur vermitteln, was der Großherzog von Baden als Onkel des Kaisers genausogut tun könne. Allerdings neige der Großherzog «zum Schwarzsehen», warnte der Kaiserfreund. Die «fieberhafte Stimmung», die Berlin beherrsche, habe offenbar auch ihn, den Großherzog, erfaßt und erschreckt, und j etzt erscheine ihm eine große Krise unvermeidlich. Er, Eulenburg, könne sich zu einer plötzlichen Abreise nach Berlin nicht entschließen, ohne genauer zu wissen, um was es sich handele. Freilich, wenn der Kai­ ser sich zur Entlassung Bismarcks entschlossen habe, so würde auch seine Vermittlung nichts mehr nützen.111 Noch bevor er Einzelheiten über die Konzessionsbereitschaft Verdys und Waldersees in der Militärvorlage erfahren konnte, erreichten Eulen­ burg Nachrichten von einem neuen Skandal in Berlin. Am 1 2. März r 89o empfing Bismarck den Führer des katholischen Zentrums, Ludwig Windt­ horst, zu einem Gespräch über die Bedingungen einer Zusammenarbeit mit dieser Partei im neuen Reichstag. Der Kanzler machte während des Zwiegesprächs keinen Hehl daraus, daß er die Unterstützung des Zen­ trums brauche, «Um sich halten zu können>>. Sein Verbleiben im Amt sei nur noch möglich, «wenn das Zentrum seine Politik im Reichstag und im Abgeordnetenhaus unterstütze>>, gestand er. «Üb Windthorst dazu ge­ neigt sei?>> Sodann sprachen die beiden ehemaligen Erzfeinde über die Bedingungen eines möglichen Bündnisses und scheinen sich prinzipiell geeinigt zu haben. Anschließend erörterte Bismarck im preußischen Staatsministerium die Schulanträge des Zentrums und die Möglichkeit einer Wiederzulassung des Redemptoristenordens. Nach der Entlassung Bismarcks äußerte Windthorst einem Mitarbeiter gegenüber, «für uns sei B. jedenfalls zu früh abgegangen»; nur Bismarck hätte die nötige Auto­ rität besessen, den Abbau der Kulturkampfgesetze durchzuführen.112



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Die Nachricht von diesem Zusammentreffen, das Bismarck gar nicht erst geheimzuhalten suchte, rief «Beklemmungen» in den «patriotischen Seelen» des Holstein-Kreises hervor. «Die Rettung des Reiches durch den jesuitischen Welfen [Windthorst] ist in der Tat der Höhepunkt! » empörte sich Paul Kayser. Das schlimmste sei allerdings, daß Bismarck seine «Machenschaften» in Gang gesetzt habe, . Der Kanzler nütze die Tatsache aus, daß der Kaiser die Militärvorlage wolle, um ihn auf dünnes Eis zu locken. Der Freisinn sei bereit, die Militärvorlage gegen das Zugeständnis der zweijährigen Dienstzeit und des jährlichen Armeebudgets anzunehmen; Windthorst gewähre ein dreijähriges Budget, aber nur gegen Konzessionen auf kir­ chenpolitischem Gebiet. Der gemeinsame Nenner in allen diesen Intrigen sei weiterhin der Versuch Bismarcks, den Kaiser zu entmachten. würdeY6 Die Entscheidung stand also unmittelbar bevor. 6. «Der große Krach>>

Nach einem Zusammentreffen mit Wilhelm II. am 9· März r 89o hatte Waldersee notiert, der Kaiser, der sehr viel erfahre, habe gehört, daß Bis­ marck sich dem französischen Botschafter gegenüber über ihn, den Kai­ ser, beklagt habe. Trotzdem habe der Monarch erklärt: «Ich halte es für zweckmäßig, ihn zunächst noch zu behalten und thue so, als bemerke ich seine Schlechtigkeiten gegen mich nicht; ich werde auch nächstens wieder bei ihm essen, damit die Menschen denken, wir seien auf gutem Fuße.>>117 Noch vier Tage später konnte der Generalstabschef die Beob­ achtung machen, daß nur ganz wenige Eingeweihte den «Riß zwischen Kaiser u. Kanzler>> erkannt hätten: Selbst im Auswärtigen Amt herrsche eine «gewisse dumpfe Stimmung, ohne daß man eine Katastrophe für nahe>> halte. Zwar richteten sich einige «auf das Verlassen des Kanzler­ schiffes>> ein; andere aber glaubten, «daß der Kanzler doch noch einmal die Oberhand erhalten könne>>. An diesem Tag aber registrierte der General die entscheidende Wirkung des Windthorst-Besuchs «in allen gutgesinnten Kreisen».118

6. «Der große Krach»

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Die Nachricht von dem Empfang des Zentrumführers durch Bismarck wirkte auf Wilhelm II. wie ein rotes Tuch, aber seine Entrüstung stei­ gerte sich ins Unermeßliche, als er erfuhr, daß das Treffen durch die Ver­ mittlung des jüdischen Bankiers Bleiehröder zustande gekommen war. Die Kombination Bismarck-Bleichröder-Windthorst bestätigte in den Augen Wilhelms und Waldersees ihre eigene, haarsträubende Deutung der Bismarck-Herrschaft als ein durch und durch korruptes, von den Juden beherrschtes System. Bereits Ende Januar I 89o, nach der ersten scharfen Auseinandersetzung mit dem Kanzler, hatte Waldersee schrei­ ben können, zwischen Wilhelm II. und Bismarck gebe es noch «andere Verstimmungen>>, die «das Wichtigste>> seien. «Dem Kaiser [sei] klar geworden, daß der Kanzler doch mit der Börse erhebliche Beziehungen hat, namentlich mit Bleichröder, u. ist ihm ferner ganz glaublich - was allerdings alle Welt behauptet - der Kanzler schiebe die Ausführung der lange verheißenen Steuer Reform nur deswegen immer zurück, weil ihm klar geworden, daß er alsdann weit mehr zahlen, namentlich die Größe seines wahrscheinlich kolossalen Vermögens darlegen müsse.>>119 Einige Beobachter, die Bismarck gut kannten, gingen noch weiter, stellte der Chef des Generalstabes im Februar fest. «Man ist sogar schlecht genug ihm zuzutrauen durch Bleiehröder in seinem Interesse arbeiten zu lassen. Herr Schwabach ist auch vom Kanzler schon empfangen wor­ den.>>120 In Anbetracht solcher Verdächtigungen sollte es uns nicht über­ raschen, wenn der Kaiser am I 5 . März I 8 90 zu den Generälen Walder­ see, Hahnke und Wittich sagte, er sei überzeugt, daß es sich bei der Vermittlung zwischen Bismarck und Windthorst durch Bleiehröder um «ein Zusammengehen der Jesuiten mit den reichen Juden>> handele.121 Der antisemitische Generalstabschef war schon lange, wie wir wissen, von persönlichem Haß gegen Bismarck erfüllt; gerade in der Endphase der Kanzlerkrise übte er nun durch ständige, giftige Einflüsterung einen diabolischen Einfluß auf Wilhelm aus. Anfang März I 890 schrieb er von Bismarck verächtlich: «> Trotz der hervorragenden Leistun-

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gen Bismarcks in der Konfliktszeit und in den Einigungskriegen, die ihm «einen hohen Platz in der Geschichte für alle Zeiten>> sichern würden, hätten die «großen Mißgriffe des Kanzlers» bereits unmittelbar nach der Reichsgründung angefangen. Seine Regierung sei seit r 8 7 r «mit zu viel schlechter Leidenschaft durchsetzt u. muß dem schönen Bilde viel Ab­ bruch thun». Die Geschichte werde Bismarck schließlich hart beurteilen, sagte Waldersee voraus.123 Als Anfang März r 89o im Zuge der Bismarck­ krise ein Kurssturz an der Berliner Börse eintrat, sah Waldersee auch darin eine «künstliche Mache der großen Kapitalisten, vor Allem Bleich­ röder's», hinter dem Bismarck stehe. Man könne sicher sein, behauptete er, daß die Juden den Sturz Bismarcks «ZU einer großartigen Baisse be­ nützen>> würden, denn «diesen Leuten kann dabei j a nichts passiren; im Gegemheil bringen Schwankungen ihnen immer Gewinn; die Zeche zah­ len die kleinen Spekulanten u. Inhaber kleiner Vermögen, die natürlich sehr ängstlich sind».124 Die Juden seien eben «meist vaterlandslose Gesel­ len, die kein anderes Interesse als Geld Gewinn haben, und wunderbar sich meist zum Freisinn halten, bei Wahlen sogar oft für Socialisten stim­ men».125 Auch in diesem Punkt war der Kaiser mit Waldersee einer Mei­ nung und erklärte sich «die schlechte Tendenz der Börse [ . . . ] als eine künstliche Mache», die er aber «ruhig laufen lassen» wollte.126 Eine weitere Frage - die bereits erwähnte Kabinettsordre aus dem Jahr 1 8 s z, wonach der Ministerpräsident benachrichtigt werden mußte, wenn ein anderer Minister dem Monarchen Vortrag halten wollte machte das Maß dann voll. Nach tagelangem Suchen wurde die Ordre Anfang März r 89o endlich aufgefunden und von Bismarck den preußi­ schen Ministern - mit Ausnahme des Kriegsministers, der direkten Zu­ gang zum Obersten Kriegsherrn hatte - mit der Bitte vorgelesen, sich danach zu richten.127 Da Bismarck gleichzeitig geltend machte, daß «im deutschen Reich [ . . . ] nach der Verfassung der Reichskanzler der allei­ nige Minister>> sei, womit ein direkter Verkehr der Staatssekretäre der Reichsämter mit dem Kaiser nicht statthaft sei,128 lief diese Aktion auf einen letzten Versuch des Kanzlers hinaus, die alleinige Gewalt über den zentralen Regierungsapparat wiederherzustellen.129 Am 1 5 . März r 89o vermerkte Waldersee in sein Tagebuch: «Der große Krach ist da! »130 Bismarcks eigene Schilderung des dramatischen Zusam­ menstoßes zwischen ihm und dem Kaiser in der Dienstwohnung seines Sohnes an j enem Morgen gehört zu den eindrucksvollsten und bekann­ testen Stellen in seinem Memoirenwerk Erinnerung und Gedanke. Um neun Uhr früh sei er mit der Meldung geweckt worden, er müsse in ei­ ner halben Stunde dem Kaiser im Auswärtigen Amt Vortrag halten; die Ausrede Wilhelms, er habe die Bestellung bereits am vorigen Nachmit­ tag hinausgegeben, ließ der Fünfundsiebzigjährige nicht gelten. Als Bis­ marck seinen Vortrag mit der Mitteilung begann, daß Windthorst ihn aufgesucht habe, habe der Kaiser ausgerufen: «Nun, Sie haben ihn doch

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natürlich zur Thür hinauswerfen lassen?>>, worauf der Reichskanzler ihm klarzumachen suchte, er sei nicht nur berechtigt, sondern amtlich verpflichtet, die Absichten des Führers der nunmehr stärksten Fraktion im Reichstag zu erfahren. Als der Monarch darauf bestand, der Kanzler hätte «vorher bei ihm anfragen müssen>>, erwiderte Bismarck, er könne sich in seiner «persönlichen Bewegung im eignen Hause nicht unterwer­ fen>>, was die bezeichnende Entgegnung des Kaisers hervorrief: «Auch nicht, wenn Ihr Souverän es befiehlt?>> Wilhelm habe ferner moniert, daß der Besuch Windthorsts durch Bleiehröder vermittelt worden sei - «Ju­ den und Jesuiten>>, erklärte er, hielten immer zusammen. Der Kanzler machte geltend, daß nicht er, sondern der Zentrumsführer um die Ver­ mittlung Bleichröders nachgesucht habe. Sodann sei der Kaiser auf die Frage der Kabinettsordre vom 8. September I 8 52 übergesprungen, die er als «eine alte vergilbte Ordre [ . . . ], die schon ganz vergessen war>>, be­ zeichnet habe. Er, Bismarck, setzte dem jungen Monarchen auseinander, daß jene Ordre «seit unsrem Verfassungsleben in Kraft stände>> und daß ein Ministerpräsident ohne eine derartige Regelung die Gesamtverant­ wortung für die Regierungspolitik nicht tragen könne. Die «drei Vor­ gänger Sr. Majestät» hätten alle mit jener Ordre regiert. Wilhelm II. aber behauptete, sie schränke seine königliche Prärogative ein und verlangte ultimativ ihre Rücknahme. Zum Schluß ergriff Bismarck die Offensive, indem er - mit geheimen Berichten über die Stimmung des Zaren Alex­ ander in der Hand - dringend von der Rußlandreise abriet, für die sich der Kaiser angemeldet hatte. Wilhelm nahm Bismarck die Schriftstücke aus der Hand und war «mit Recht verletzt>> und «ohne Zweifel schwer gekränkt>> von den darin gemeldeten Äußerungen Alexanders 111. über ihn und seinen letzten Besuch in Petersburg. Die ganze Audienz, so Bis­ marcks Resümee, habe auf ihn den Eindruck gemacht, «daß der Kaiser mich los sein wolle, daß er seine Absicht geändert habe, mit mir die er­ sten Verhandlungen mit dem neuen Reichstage noch durchzumachen und die Frage unsrer Trennung erst im Anfange des Sommers, nachdem man sich klar sei, ob eine Auflösung des neuen Reichstags nöthig sei oder nicht, zur Entscheidung zu bringen». Trotz dieser Einsicht weigerte sich der Kanzler, sich durch die > Nach dieser kaiserlichen Expektoration ergriff Waldersee das Wort und sagte: «Trotz alledem würde der Kanzler seine Entlassung nicht einrei­ chen, er hänge zu sehr am Amt, könne nicht heraus, weil im Hause zu viel schmutzige Wäsche sei u. der Sohn doch der Nachfolger nicht sein

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werde, u. endlich weil er doch durch Hinhalten noch einmal hoffe wie­ der die Oberhand zu gewinnen und leider auch, weil er mit der Juden­ schaft zu sehr liirt sei u. von ihnen nicht loskomme. Da der jetzige Zu­ stand aber ein ganz unhaltbarer sei, so sei es das Beste dem Kanzler wenn er seine Entlassung nicht nehme, sie ihm zu geben, u. sobald als möglich. Sowohl Wirtich als Hahnke stimmten dem zu>>, vermerkte Wal­ dersee. «Der Kaiser meinte dann aber, es sei ihm lieber, wenn der Kanz­ ler um die Entlassung einkäme, es hätte vor der Welt dann ein besseres Aussehen.>> Waldersee ging sodann zum Endkampf gegen Bismarck über, indem er, wie er selbst sagte, «Zum r ten Male dem Kaiser gegenüber offen mit meinen Ansichten über den Kanzler an[trat], aber nun auch schonungslos. Hahnke u. Wirtich waren sehr erstaunt, der Kaiser aber keineswegs; er kannte die verschiedenen Anklagen ganz genau. U. a. sagte ich auch: er hat sehr geschickt den Ruf sich zu erhalten gewußt, auf dem auswärtigen Gebiete ein Meister u. unersetzlich zu sein. Ich kann nicht finden, daß wir uns in einer guten Situation befinden; er hat bei all seiner Kunst es nicht zu verhindern verstanden, daß wir j etzt Frankreich u. Rußland als Feinde gegen uns haben, die von Jahr zu Jahr stärker u. unverschämter werden. Es ist dies wahrlich eine sehr ernste Lage ! Ew. Majestät haben das Reich in einer sehr sehr schwierigen Zeit übernom­ men.» Darauf habe der Kaiser geantwortet: «Es ist eigenthümlich, ge­ stern Abend hat mir Herr v. HelldorfE genau dieselbe Auseinanderset­ zung gemacht u. fand sie völlig begründet. Mit Rußland geht es sogar jetzt ganz schlecht; es wird dort gewaltig gegen mich gehetzt u. spricht Kaiser Alexander in den wegwerfendsten Ausdrücken von mir, sagt u. A. ich sei verrückt. Die üble Stimmung gegen uns nimmt fortwährend zu u. werde ich nunmehr den Besuch in Krasnoe unter keinen Umständen machen. Daß es im lnnern schlecht aussieht, sieht nun jeder; wo bleibt da der große Kanzler? Wo sind seine Verdienste ?» Waldersee empfand bei diesen Äußerungen einige Befriedigung, da er «seit Jahr u. Tag die Situation so ansah, aber selten Glauben fand». Er berichtete sodann über den Ausgang der Besprechung: «Nach vielem Hin u. Her Reden über das unerhörte Benehmen des Kanzlers, mit fremden Diplomaten über den Kaiser abfällig zu urtheilen, sagte ich schließlich: , sagte auch zum Schluß: Er gab mir dann die Hand u. sagte: , und dann in seiner gewöhnlichen lebensfrischen Art: Ich blieb die Antwort nicht schuldig.»134 Da Bismarck sich weigerte, von sich aus zurückzutreten, und Wilhelm nur ungern das Odium der Entlassung auf sich nehmen wollte, waren

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die nächsten zwei Tage von einem Taktieren um propagandistische Vor­ teile gekennzeichnet. Am 1 6. März schickte der Kaiser seinen Militärka­ binettschef zu Bismarck mit dem Befehl, «von ihm die ordre [ . . . ] oder das Entlassungs Gesuch! >> zu verlangen.135 Bismarck wiederholte seinen Standpunkt vom Vortag, wonach sich das Ministerpräsidium ohne die ihm durch die Ordre zugesprochenen Rechte nicht führen ließe; kassiere der Kaiser die Ordre, «so müsse mit dem Titel dasselbe geschehen>>. Hahnke kehrte in der Überzeugung zum Schloß zurück, er würde die Sache doch noch vermitteln können. Am nächsten Morgen erschien er aber wieder bei Bismarck, diesmal mit dem bestimmten Befehl, wie der Kanzler sich erinnerte, «daß ich meinen Ab­ schied einreiche; ich solle am Nachmittage auf das Schloß kommen, um mir denselben zu holen». Bismarck gab vor, dazu nicht wohlauf genug zu sein; er würde schreiben.U6 Am frühen Nachmittag konnte der Kaiser dem Generalstabschef mitteilen, «die Sache ist in Ordnung. Hahnke ist beim Kanzler gewesen, er schickt keine Ordre, aber sein Entlassungs Gesuch.>>137 Als das Rücktrittsgesuch immer noch nicht eingetroffen war, entsandte Wilhelm den Chef des Zivilkabinetts, Hermann von Lu­ canus, mit der Anfrage ins Reichskanzlerpalais, > Zwar bestritt Lucanus Bismarcks Berechtigung >, schrieb er in seinen Erinnerungen, auf die «Laune des Zufalls>> hinweisend, daß ge­ rade an dem Tag, an dem ihm der Vorwurf des Vertuschens eines bevor­ stehenden russischen Angriffs gemacht wurde, der russische Botschafter sich bei ihm mit der Erklärung meldete, er sei ermächtigt, mit Bismarck über die Verlängerung des im Juni 1 890 ablaufenden geheimen Rückver­ sicherungsvertrages zu verhandeln! 140 Schon in der Sondersitzung des Staatsministeriums, die Bismarck am 1 7. März in seiner Amtswohnung anberaumte, konnte der Reichskanzler die Tatsache, «daß er auch die auswärtige Politik Sr. Maj estät nicht mehr vertreten könne>>, zum Hauptgrund seiner Demission hochstilisieren.141 Das tat er dann erst recht in seinem berühmten Entlassungsgesuch vom 1 8 . März 1 890.142 An jenem Abend trafen alle Kommandierenden Generäle und Gene­ ralinspekteure der Armee beim Kaiser im Schloß zusammen. In einer etwa 20 Minuten dauernden Ansprache entwickelte Wilhelm ihnen «in ruhigster Weise>> - so Waldersee - seine Differenzen mit dem Reichs­ kanzler und wies nach, «daß er, um Herr zu bleiben, ihm habe ein Ulti­ matum zur Unterwerfung stellen müssen. Der Kanzler habe sein Ent­ lassungsgesuch verheißen, er würde es annehmen und den Gen[ eral] Caprivi zum Kanzler ernennen.143 Dann sprach der Kaiser über unser Verhältniß zu Rußland, das schlecht sei, über das aber der Kanzler ihn zu täuschen versucht habe.» Niemals werde er zulassen, daß die Russen in Bulgarien einrückten, sagte er noch, denn er habe «dem Kaiser von Oesterreich im vorigen Jahre Treue geschworen und werde sie hal­ ten».144 Keiner der Anwesenden widersprach; erst beim Hinausgehen soll der alte Generalfeldmarschall von Moltke nachdenklich geäußert haben: «Der junge Herr wird uns noch manches zu rathen aufgeben.» 145 7· Die Entlassungskrise als Machtkampf zwischen Kaiser und Kanzler Die verworrene Geschichte der Entlassung Bismarcks wird oft und ganz zu Recht als das Ende einer langen und erfolgreichen Epoche erzählt, als die Geschichte von dem «Zerfall und Verlust der Macht» des Reichs-

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gründers.146 Sie war aber gleichzeitig auch ein Anfang, die Geschichte der Machtübernahme eines jungen Herrschers, die Geburtsstunde eines neuen, ganz andersartigen Regierungssystems mit neuen Werten und einem neuen Stil. Ja, die Entlassung Bismarcks kann überhaupt nur ver­ standen werden als Konflikt zwischen zwei Machtmenschen und den beiden Regierungssystemen, die sie verkörperten. Für einige der han­ delnden Personen - zweitrangige Personen wie Paul Kayser zum Beispiel - mag es in dem Konflikt um die Sache gegangen sein; für die Haupt­ akteure in dem Drama aber waren fast alle Sachdifferenzen, wie wir wie­ derholt feststellen konnten, sekundär. Bei der monatelang anhaltenden Entlassungskrise handelte es sich um einen Kampf um die Macht, in dem eine sachliche Haltung meist nur eingenommen wurde im Hinblick auf den Vorteil, den sie dem eigenen Lager zu bringen und den Schaden, den sie dem Gegner zuzufügen versprach. Der Kern der bitteren Auseinan­ dersetzung läßt sich in zahlreichen exemplarischen Äußerungen der Be­ teiligten erkennen. Ende Januar I 89o, zu Beginn der akuten Phase der Krise, stellte Waldersee als engster Vertrauter Wilhelms II. beispielsweise fest: «Der Kaiser ist verletzt darüber, daß der Kanzler in seiner Presse immer von sprechen läßt; er wünscht selbst als der betrachtet zu werden, der die Politik im Großen dirigirt.>>147 Prinz Heinrich, der Bruder des Kaisers, meinte ebenfalls zu Recht, Bismarcks Rücktritt sei «die naturgemäße Folge der wachsenden Selbständigkeit des Kaisers».148 Wilhelm selbst bestätigte diese Auslegung der Krise, als er im April I 890 von «offenem Ungehorsam und Perfidie» Bismarcks sprach und ausrief: «Soviel ist die Dynastie der Hohenzollern doch wert, daß sie Bismarck nicht Platz zu machen braucht.»149 Hinzpeter, der Er­ zieher des Kaisers, war der Überzeugung, die einzige historisch richtige Auffassung der Entlassung Bismarcks sei die «eines Aktes der Nothwehr der Monarchie gegen die drohende Gefahr der Erdrosselung durch die in der Person des Kanzlers übermächtig gewordene Büreaukratie>>.150 Hinzpeter ging noch einen Schritt weiter. Er, der den Charakter seines Zöglings wohl besser kannte als irgendein anderer, stellte nachträglich fest, die Entlassung Bismarcks sei für Wilhelm II. «ein natürliches Be­ streben [gewesen], seine Persönlichkeit zu retten>>; dieses Bestreben sei in ihm «besonders stark, stärker sogar wie alle anderen Tendenzen und Intentionen, wie sich das ja I 890 gezeigt>> habe.151 Ähnliche psychologi­ sierende Erklärungen waren auch für die Haltung Bismarcks in der Krise gängig, wie wir oben erkennen konnten. So meinte beispielsweise Paul Kayser Anfang März I 890, als die Entlassung des Reichsgründers beschlossene Sache und nur noch eine Frage der Zeit war, man könne dessen widerstrebende Einstellung zur Arbeiterschutzfrage eigentlich nur als den «psychologischen Vorgang in der Seele eines mächtigen Mannes erklären, [ . . . ] der nach Jahren der absoluten Monarchie [sie] sich in seiner Alleinherrschaft bedroht sieht>>.152

7

Die Entlassungskrise als Machtkampf zwischen Kaiser u. Kanzler 347

Es gab zugegebenermaßen bei den beiden Hauptpersonen einige we­ nige Ausnahmefälle, wo es ihnen eher um innere Überzeugung oder persönliche Leidenschaft als um machtpolitisches Taktieren ging. Der Argwohn Wilhelms II. auf die Absichten der russischen Militärs und sein immer wieder aufwallender Haß gegen «Jesuiten und Juden» bieten dafür Beispiele. In der Haltung Bismarcks sind solche Überzeugungsmo­ mente schon schwerer zu entdecken. Sein Bestehen bei dem letzten Zu­ sammenstoß mit Wilhelm auf seinem Recht, j eden Abgeordneten, wenn er es wünsche, in seinem eigenen Haus zu empfangen, sein Beharren auf seiner Befugnis als Ministerpräsident, vor einem Immediatvortrag eines Ministerkollegen von dessen Absichten informiert zu werden, trugen zwar die Form einer unabdingbaren Überzeugung; in beiden Fällen han­ delte es sich jedoch um die Zurückweisung kaiserlicher Forderungen, die, wenn Bismarck nachgegeben hätte, die Machtstellung des Monar­ chen enorm gestärkt, die des Kanzlers aber bis zur Unkenntlichkeit ver­ mindert hätten. Außerdem war in diesem letzten Konflikt zwischen Kai­ ser und Kanzler am I 5 . März I 8 90 die Absicht Wilhelms, Bismarck zu entlassen, bereits zu deutlich zu erkennen, als daß letzterer nicht nach taktisch vorteilhaften Gründen für seinen Rücktritt Ausschau halten würde. Die Behauptung, die schon bald nach der Entlassung von Fried­ richsruh aus kolportiert wurde und die der Hohenzollernmonarchie so viel Schaden zufügte, daß nämlich Bismarck um die geistige Gesundheit Wilhelms II. besorgt sei und nur im Amt hatte bleiben wollen, um sein Lebenswerk zu retten, war, wie wir noch zeigen werden, nur die folge­ richtige Fortsetzung dieses Kampfes um die Macht mit anderen Mitteln. Wo aber, in der langen Krise selbst, die von Sommer I 8 89 bis März I 89o andauerte, findet man, abgesehen von diesen ganz wenigen Aus­ nahmen, eine Meinungsdifferenz zwischen dem jungen Monarchen und seinem fünfundsiebzigjährigen Kontrahenten, die nicht vorrangig von taktischen Überlegungen bestimmt war? Spätestens seit seiner Beteili­ gung an der Stoecker-Versammlung im November I 8 8 7 wußte die ganze Welt von der geistigen Nähe Wilhelms und seiner Frau zum rechten, or­ thodoxen Flügel der Deutschkonservativen Partei, und diese innere Hal­ tung wird durchaus durch das Tagebuch Waldersees bestätigt; doch auf Drängen Holsteins, Eulenburgs und Hinzpeters, die eine für die Monar­ chie gefährliche Wendung Bismarcks zu einer schwarz-blauen Koalition hin witterten, ergriff der Kaiser im Herbst I 8 89 wiederholt und demon­ strativ für das Kartell Partei und sicherte sich somit in dem kommenden Konflikt mit dem Kanzler die Unterstützung des gemäßigt-konservati­ ven und nationalliberalen Bürgertums. Die Initiative Wilhelms II. in der Arbeiterschutzpolitik mochte ursprünglich auf frühere, von Hinzpeter übernommene christlich-soziale Impulse zurückzuführen sein, doch sein eigentlicher Beweggrund im Januar I 89o war die Suche nach Popularität unter den Massen und die Entschlossenheit, endlich wenigstens in die-

Das Ende der Bismarckherrschaft

sem Bereich die Politik persönlich zu bestimmen. Wie wenig inneres Engagement bei dieser dramatischen sozialpolitischen Aktion eine Rolle spielte, zeigte Wilhelm am 7· Februar I 89o, als er Waldersee gegenüber erklärte: «> nicht erfahren hätte.156 Bismarcks Stärke in dem Kampf, abgesehen natürlich von seinem un­ vergleichlichen politischen Geschick und seinem ungeheuren Prestige nach 28 Jahren an der Macht, lag in der strengen Kontrolle des zentralen Staatsapparats. Wir haben feststellen können, wie der Kaiser diese Ba­ stion in den ersten Wochen des Konflikts zu umgehen suchte, indem er an die Unterstützung der Bundesfürsten - speziell des Großherzogs von Baden und des Königs von Sachsen - appellierte. Später diente die Ein­ berufung des preußischen Staatsrats und der internationalen Arbeiter­ schutzkonferenz, ganz zum Schluß die Versammlung der Kommandie­ renden Generäle, einem ähnlichen Zweck. Der Kampf um die Kontrolle der Staatsgewalt bildete aber zwangsläufig und unumgänglich den Kern des Konflikts. Sämtliche Versuche Bismarcks, seine Machtstellung durch Abgabe seiner preußischen Ämter auf ein für Wilhelm annehmbares Maß zu reduzieren, scheiterten sowohl an der strukturellen Unauflös­ barkeit der Reich-Preußen-Symbiose im Kaiserreich als auch an seiner persönlichen «Verantwortlichkeit>>.157 An der Bastion der Staatsmacht führte also kein Weg vorbei. Es lag vollkommen in der Logik der Situa­ tion, daß es sich bei dem endgültigen Zusammenstoß zwischen Kaiser und Kanzler am I 5 . März I 8 90 nicht um sachliche Meinungsdifferenzen handelte, sondern darum, wer von ihnen das Recht besaß, mit den preu­ ßischen Ministern und den Parteiführern im Reichstag zu verhandeln. Mit der Entfernung Bismarcks war nun der Weg zur persönlichen Übernahme der Leitung der deutschen Politik durch Kaiser Wilhelm II. frei. Was das an Gefahren für die Monarchie mit sich brachte, das hat kein anderer als Hinzpeter klar erkannt. An den nachmaligen preußi­ schen Kultusminister Konrad Studt schrieb er fünf Jahre nach der Ent­ lassung Bismarcks, sich auf diese beziehend: «Die damalige Katastrophe bedeutet ja nur der Versuch der Monarchie, sich von der erstickenden Umklammerung der Bürokratie los zu machen. Scheinbar gelang der Versuch durch eine außerordentliche Kraftanstrengung. Die Verantwor­ tung, welche die Monarchie damit auf sich genommen, ist groß. Ist sie dieser nicht gewachsen, so hat sie sich der Gefahr begeben, in der sie umkommen kann.» 158

Kapitel IJ

Der improvisierte Übergang: Von den Bismarcks zum Neuen Kurs 1. Nachspiel der Bismarckkrise: «Welch ein Dolchstoß für mein Herz ! »

Unmittelbar nach Bismarcks Sturz wurde von beiden Seiten der Kampf um das Urteil der fremden Regierungen und der öffentlichen Meinung in Deutschland, um die es in der Entlassungskrise von Anfang an gegan­ gen war, mit anderen Mitteln fortgesetzt. Der Reichsgründer zeigte sich dem Publikum in den acht Tagen nach seiner Entlassung mehr als sonst in einem ganzen Jahr1 und sorgte in wütender Kränkung für die Verbrei­ tung seiner Version seines Sturzes, wonach er vom - geistig nicht ganz gesunden ? - Kaiser «hinausgeschmissen» worden war.2 Herben Bis­ marck, der zusammen mit seinem Vater zurücktrat, und dessen Mutter sprachen «in den unehrerbietigstell Worten über den Kaiser».3 Noch vor seiner Abreise aus Berlin machte Fürst Bismarck deutlich, daß er gegen den Kaiser «frondieren» würde: Er hatte eine «stürmische» Begegnung mit dem Großherzog von Baden, in der er dem Onkel des Kaisers vor­ warf, sich in Angelegenheiten eingemischt zu haben, die allein den Reichskanzler angingen; dieses Treffen verlief mit solcher Heftigkeit, daß der Großherzog abrupt das Zimmer verließ.4 Wilhelm seinerseits tat plötzlich nach Monaten der gegenseitigen Übervorteilungsversuche im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit sein Möglichstes, den verheerenden Eindruck abzumildern, den die Entlassung des Reichsgründers hervor­ rufen mußte. Er überhäufte Bismarck mit Titeln und Ehren, bot ihm das Reichskanzlerpalais als ständige Wohnung an5 und stellte in Telegram­ men und längeren Rechtfertigungsschreiben an Kaiser Franz Joseph, Queen Victoria und andere den Rücktritt als notwendig gewordenen Gnadenakt für einen hochverdienten, aber bedauerlicherweise jetzt lebensgefährlich erkrankten alten Diener dar. Er ging darin so weit, daß selbst seine Flügeladjutanten bisweilen den Eindruck gewannen, als würde er Bismarck am liebsten zurückrufen. 6 Die Umannungstaktik des Kaisers zeigte sich bereits im Augenblick der Entlassung. Am 20. März r 89o erschienen die Kabinettschefs Hahnke und Lucanus im Reichskanzlerpalais mit den beiden blauen Briefen, in denen der Kaiser - auch in seiner Eigenschaft als Oberster Kriegsherr - «betrübten Herzens» das Rücktrittsgesuch des Fürsten an­ nahm und ihm die Würde eines Herzogs von Lauenburg verlieh (die

1.

Nachspiel der Bismarckkrise

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Bismarck mit der bissigen Bemerkung ablehnte, er werde diesen Titel allenfalls dann gebrauchen, wenn er inkognito reisen wolle7) und ihm seine Ernennung zum Generalobersten mit dem Rang eines Generalfeld­ marschalls bekannt gab. 8 Am 22. März (es war der Geburtstag seines verstorbenen Großvaters) teilte er Hinzpeter in einem für die Öffent­ lichkeit bestimmten Telegramm scheinheilig mit: «Mir ist so weh um's Herz, als hätte ich Meinen Großvater noch einmal verloren! Es ist Mir aber von Gott einmal bestimmt, also habe Ich es zu tragen, wenn Ich auch darüber zu Grunde gehen sollte. Das Amt des wachthabenden Offiziers auf dem Staatsschiff ist Mir zugefallen. Der Kurs bleibt der alte: und nun Volldampf voraus ! »9 War die Reaktion auf Bismarcks Sturz in den meisten Teilen Deutsch­ lands zunächst erstaunlich gelassen, so machte man sich in den Haupt­ städten Europas erhebliche Sorgen bei der Vorstellung, daß das mächtige Deutsche Reich nunmehr von einem «unabgeklärten Jüngling>> von ein­ unddreißig Jahren regiert werden würde. Die Stimmung in Rußland wurde von einem jungen Diplomaten in St. Petersburg, dem 1 9 1 4 als dortigen Botschafter die Aufgabe zufallen sollte, Rußland die deutsche Kriegserklärung zu übermitteln, eingehend analysiert. In einem Privat­ brief an Geheimrat von Holstein schrieb der Erste Botschaftssekretär Graf Friedrich von Pourtales am 2o.h r . März 1 890, die Betroffenheit in der russischen Hauptstadt über die Vorgänge in Berlin sei immens, nicht nur, weil Bismarck eine betont rußlandfreundliche Politik betrieben und als Garant einer friedlichen Koexistenz der beiden Reiche gegolten hatte - dem russischen Botschafter teilte der scheidende Reichskanzler sogar mit, er sei wegen seiner rußlandfreundlichen Politik entlassen worden10 -, sondern auch, weil das ohnehin gespannte Verhältnis zwi­ schen Alexander III. und Wilhelm II. durch die arbeiterfreundliche Ini­ tiative des letzteren zusätzlich belastet worden war. Es herrsche in Petersburg das darüber, meldete Pourtales, «daß un­ ser Kaiser sich dazu entschließen konnte, das Entlassungsgesuch anzu­ nehmen>>. Die Entscheidung habe die russische Regierung um so mehr beunruhigt, als «das neueste Vorgehen unseres Herrn auf sozialem Ge­ biete [ . . . ] dem Zaren in höchstem Grade bedenklich>> erschienen sei und ihn dem deutschen Monarchen immer mehr entfremdet habe. In seinem Privatbrief schilderte Pourtales die sich in letzter Zeit rasch ändernden russischen Meinungen über «unseren jungen Herrscher». «Noch vor einigen Monaten wußte man von demselben nur, daß er gern reise und alarmiere, auch dann und wann eine sensationelle Rede hielte.>> Da aber Bismarck die Geschäfte leitete, habe man dies «mit einem gewissen stel­ lenweise schadenfrohen Behagen» angesehen. «Heute liegt die Sache wesentlich anders. Verschiedenes hat die Russen darüber belehrt, daß sie mit Kaiser W II. als mit einem wichtigen Faktor zu rechnen haben. Sein jüngstes Auftreten hat aber zugleich eine Verschiebung in den uns feind-

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Der improvisierte Übergang

lieh gesinnten hiesigen Kreisen hervorgerufen.» Im russischen Mittel­ stand, in dem «demokratische Ideen in hohem Maße vertreten» seien, habe durch die Initiative Wilhelms II. in der Arbeiterfrage der traditio­ nelle Deutschenhaß einer etwas positiveren Stimmung weichen müssen. «Auf der anderen Seite haben in konservativen Kreisen [ . . . ], in welchen noch vielfach aus monarchischen Rücksichten ein Zusammenhalten mit uns gewünscht wurde, die neuesten Vorgänge in Deutschland Kopf­ schütteln hervorgerufen und [ . . . ] den letzten Rest [ . . . ] von Wunsch, mit uns gut zu stehen, erschüttert. Diese Kreise erblicken in dem Auftreten unseres jungen Kaisers ein jugendliches frivoles Vorgehen, durch wel­ ches Er Sich Seinen eigenen Thron und das monarchische Prinzip über­ haupt untergräbt. In diesen Kreisen hörte ich bereits gestern verschie­ dentlich äußern, daß der Rücktritt des Fürsten Bismarck die Aussichten auf einen Krieg vermehrt.>>11 Ein anderer künftiger Botschafter, der Botschaftsrat an der deutschen Botschaft in Wien, Graf Anton Monts, berichtete am 24. März in ganz ähnlicher düsterer Stimmung aus der Österreichischen Hauptstadt von der dortigen Reaktion auf die Entlassung Bismarcks. In einem Privat­ brief an den kaiserlichen Flügeladjutanten Carl Graf von Wedel schrieb er, Kaiser Pranz Joseph sei über die Berliner Ereignisse «sehr besorgt, er fürchtet sich vor Krieg u. vor unberechenbaren Überraschungen, na­ mentlich wenn unser Herr etwa nach mißglückter Socialpolitik sich selbstthätig in der hohen Politik versuchen sollte>>. Die Österreichische Bevölkerung, so urteilte Monts, sei anfangs sehr für Bismarck und gegen Wilhelm II. eingenommen gewesen, hätte sich aber angesichts der Ruhe in Berlin und der frappierenden Teilnahmslosigkeit in Süddeutschland inzwischen beruhigt. Während die meisten Menschen in der Donaumon­ archie von der Undankbarkeit des jungen Kaisers sprächen, seien die «Massen sichtlich [von dem] Mut u. [der] Selbstständigkeit S.M.>> beein­ druckt. Die Wiener Staatsmänner und Politiker freilich seien «allesammt sehr deprimirt>>, fuhr er fort. «Man stünde vor dem Ungewissen, man wäre a la mer> Das Fazit sei, meinte der Diplomat, «daß die traurige lnscenirung des Abgangs, die leider sich bereits deutlich markirende Fronde des Kanzlers u. die Unfertigkeit der Entschlüsse, daß mit einem Worte die letzten 8 Tage uns ein Kapital an Autorität haben aufzehren lassen, was Jahrzehnte lang der große u. gute Kaiser Wilhelm I. mit seinem noch größeren Kanzler gehäuft hatten u. von dessen Zinsen die Nachfahren beider u. dessen Organe viele Jahre hätten leben können>>. Weitere Fol­ gen seien «ganz unübersehbar>>, warnte Monts im Hinblick auf die zweifelhafte Bündnistreue Italiens. «Auch Salisbury verliert unendlich viel.>> «Zeit wäre es>>, so schloß er seine Jeremiade, «daß über Deutsch­ land einmal wieder Sonnenschein sich verbreitete, seit Kaiser Wilhelms

1.

Nachspiel der Bismarckkrise

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Heimgang haben wir nicht viel Frohes erlebt.»12 Nicht minder betrübt war der Vorgesetzte von Monts, der Botschafter Prinz Heinrich VII. Reuß, der am 2. April den «erschreckenden Eindruck>>, den die Ent­ lassung Bismarcks «in Süddeutschland u. im Ausland» gemacht hatte, beklagte und schrieb: «Man kann sich noch gar nicht darüber beruhigen u. die Unheile sind sehr scharf.>>13 Zur Beunruhigung des Habsburger Kaisers trug sein Briefwechsel mit Bismarck bei, der über die wahren Gründe seiner Entlassung keinen Zweifel ließ. In einem ausgesprochen freundlichen Handschreiben vom 22. März dankte Kaiser Franz Joseph (der wohlgemerkt vom deutsch­ russischen Rückversicherungsvertrag nichts ahnte) Bismarck für sein «consequentes und treues Zusammenwirken>> und sprach die Hoffnung aus, daß der durch ihn «festgefügte Oesterreichisch-Deutsche Freund­ schaftsbund in den schweren Zeiten in denen wir leben [ . . . ] als sichere Schutzwehr nicht nur für die Verbündeten, sondern auch für den Frie­ den Europa's>> sich bewähren würde.14 Die Antwort des Altreichskanz­ lers ließ nur zu deutlich erkennen, daß er nicht nur gegen seinen Willen entlassen worden war, sondern daß auch er mit brennender Sorge in die Zukunft blicke. Zwar sprach Bismarck in seinem Schreiben die Über­ zeugung aus, daß die Dauer des deutsch-österreichischen Bündnisses «von jedem Ministerwechsel unabhängig>> sein würde, «weil es auf un­ wandelbaren Bedürfnissen beider Reiche und ihren Völkern>> beruhe, doch bedauerte er, an der weiteren nicht mit­ wirken zu können. Allein, das sei , schrieb er. «>, er­ klärte Bismarck mit Stolz, Und dann fügte der Exkanzler mit großer Bestimmtheit hinzu, er wolle feststellen, .15 Nun war Wilhelm II. an der Reihe, dem Habsburger Monarchen ge­ genüber seine Handlung zu rechtfertigen.16 Am 3. April setzte er sich hin und schrieb Pranz J oseph «völlig selbständig und eigenhändig>> 17 einen zwanzigseitigen Brief, den er erst zwei Tage später zu Ende führen

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Der improvisierte Übergang

konnte. Das Dokument, das dem Österreichischen Kaiser von Carl We­ del überbracht wurde, bildet nicht nur die eingehendste Darstellung der Bismarckkrise aus der Sicht des jungen Kaisers; es ist überhaupt das längste Schriftstück aus seiner Feder in jenen krisenhaften Jahren und ermöglicht uns eine Reihe von interessanten Beobachtungen über seine damalige geistige Verfassung. Wie Fürst Bülow in seinen Erinnerungen bemerkt, enthält das Schreiben zahlreiche «Übertreibungen, Phantaste­ reien und darüber hinaus einige handgreifliche Unwahrheiten».18 Wilhelm leitete seinen Brief mit der Beteuerung ein, daß er es «bei dem innigen und warmen Freundschaftsverhältniß, welches unsere Län­ der und vor Allem uns Beide verbindet>> für seine Pflicht halte, ihm, sei­ nem «theuren Freund» Franz Joseph, «offen und klar einen vertrau­ lichen Ueberblick zu geben über die Entwicklung und das schließliehe Eintreten des Rücktritts des Fürsten v. Bismarcb. Im Gegensatz zu dem «Wust von Vermuthungen, Kombinationen in der Presse» und den «offi­ ziösen und halboffiziellen Entrefilets» wolle er dem verbündeten Kaiser «nur eine einfache Schilderung resp: Aneinanderreihung von Thatsachen [ . . . ] ohne Polemik oder Kritik» bieten. Gleich im voraus wolle er be­ merken, schrieb Wilhelm, «daß es keine Frage der Auswärtigen Politik ist, die zwischen dem Fürsten und mir zu Meinungsverschiedenheiten die Veranlassung bot, sondern rein innere meist taktische Gesichts­ punkte». Er holte dann weit aus und ging auf den Beginn der Krise im Frühsommer 1 8 89 ein. «Als im Mai vorigen Jahres der Kohlestrike aus­ brach und schnell die großen den ganzen Staat in seinem gesammten Er­ werbsleben bedrohenden Dimensionen annahm, wurde naturgemäß, nach Treffen der üblichen Sicherheitsmaßregeln durch Truppendisloka­ tionen etc., nach den Ursachen desselben geforscht. Es wurden Bera­ thungen im Staatsministerium gepflogen, um die ich mich vorläufig nicht kümmerte, während ich durch meine Freunde - besonders durch meinen Erzieher den Geh. Rath Hinzpeter, der Westfale ist und an Ort und Stelle wohnte - Erhebungen und Nachforschungen anstellen ließ über das Verhältniß von Arbeitgeber zum Arbeiter, Lage der Industrie etc. anstellen ließ. [sie] Bald jedoch baten mich die Minister zu den Be­ rathungen zu kommen, da der Fürst ganz untraitabel sei und die Ver­ handlungen nicht einen Schritt vorwärts kämen>>, behauptete Wilhelm und fuhr fort: «> Als diese Krise vorüber war, so erklärte Wilhelm in seinem Brief wei­ ter, «zog sich der Fürst aufs Land zurück, wo er 8-9 Monate bis zum 25 [sie] Januar dieses Jahres verblieb». Er klagte: «In dieser Zeit hatte er so gut wie keinen Verkehr mit dem Inland und hatte in Bezug auf die Arbeiterschutz Anregung nur Verbindung mit dem alten Commerzien­ rath Baare - einem unserer größten Arbeitgeber - welcher der geschwo­ renste Feind dieser Idee war.» Er, Wilhelm, aber benutzte dieselbe Zeit, «um Material über die Arbeiterschutzgesetzgebung zusammentragen zu lassen, ließ mich von allen Seiten über die Lage der Arbeiter, deren mög­ liche und unmögliche Wünsche oriemiren, nahm Fühlung mit dem Reichstage durch seine Häupter etc. Ich kam im Herbste zu der klaren Erkenntniß und Ueberzeugung, daß die Zeit kostbar sei und gebietrisch eine baldige in Angriffnahme [sie] des Arbeiterschutzgesetzes erheischte, daß nicht die Socialdemokraten uns zuvorkommen dürften und diese Angelegenheit auf ihre Fahnen schreiben, wie sie es, nach genauen Nachrichten, vor hatten. Ich ließ daher den Fürsten im Laufe des Herb­ stes und bis in den Januar hinein, in 3 verschiedenen Reprisen erst bit­ ten, dann ersuchen, und schließlich als meinen Wunsch wissen, daß er eine Novelle über den Arbeiterschutz in Angriff nehmen und mir behufs Veröffentlichung eine Ordre darüber vorlegen möge. Er verweigerte dies 3 Mal in sehr kurzer Weise, er wolle es nicht und sei nun einmal grund­ sätzlich dagegen und dabei müsse es sein Bewenden haben. Darauf setzte ich mich hin [so der Kaiser weiter] und arbeitete in 2 Nächten eine Denkschrift aus, welche eine Darlegung der Verhältnisse unserer In­ dustrie in geschichtlicher Form gab und daneben eine Reihe von Haupt­ punkten bezeichnete, welche nach Ansicht aller die schwersten U ebel enthielten, denen man gesetzlich umgehend zu Leibe gehen müßte. So­ bald ich die Arbeit beendet hatte berief ich einen Ministerrath und den Fürsten aus Friedrichsruh. Während dieser Zeit spielten sich die Sozia­ listengesetzdebatten im Reichstage ab, welche sehr unerquicklich waren, und in denen die Kartellparteien durch den unbeugsamen Eigenwillen des Kanzlers gezwungen in die Opposition geriethen. Sie hatten sich verpflichtet ihm das Gesetz durchzubringen, wenn er nur erklären ließe, daß der Ausweisungsparagraph gezogen werde - nicht

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etwa fallen gelassen -. Am 2 5 . [sie] Januar hielt ich die Staatsministerbe­ rathung ab und entwickelte meine Ansichten an der Hand meiner Denk­ schrift und schloß mit dem Wunsch das Ministerium möge unter Vorsitz des Fürsten, die Punkte durchberathen, auch den der Berufung einer internationalen Conferenz, und mir dann darüber 2 Erlasse zur Publika­ tion unterbreiten. Es knüpfte sich hieran eine Erörterung, bei der der Fürst sogleich seinen feindlichen Standpunkt vom Frühjahr [r 8 89] von neuem betonte und die ganze Angelegenheit als unausführbar bezeich­ nete. Die Minister waren so in Angst vor ihm, daß sich keiner zur Sache äußern wollte. Schließlich kam ich auf auf [sie] den Ausweisungspara­ graph im Socialistengesetz, welches am nächsten Tage angenommen oder fallen sollte, und bat auf das Inständigste, der Fürst möge es den Regie­ rungspartheien leicht machen und den Reichstag vor einem solchen kläglichen Ausgang mit einem Mißton bewahren, indem er bei der Schlußabstimmung in Aussicht stelle den Paragraph ; zugleich erwähnend, daß ich direkt von den Königs= und Regierungstreuen Männern auf das innigste gebeten worden sei. Als Antwort darauf warf er mir - es thut mir weh den Ausdruck zu gebrau­ chen - in Unehrerbietigster Weise mit dürren Worten seinen Abschied vor die Füsse. Das Ministerium blieb stumm und ließ mich im Stich. Ich nahm natürlich das Gesuch nicht an, der Fürst hatte seinen Willen, das Gesetz fiel durch und unter allgemeinem Ingrimm und Mißvergnügen, von dem ich unter der Firma Schlappheit etc. auch verschiedenes zu hö­ ren bekam, trennte sich der Reichstag um diese Stimmung als Vorberei­ tung zu den Neuwahlen im Lande zu verbreiten. Die direkten Folgen, derselben sehn wir in ihrem vollsten Umfang jetzt vor uns.>> Damit, so erinnerte sich der Kaiser, war die Bismarckkrise in ein aku­ tes Stadium getreten. «Von dem Moment an kannst Du meinem tiefen Schmerz wohl nachfühlen als ich nun erkennen mußte, daß der Fürst nicht mit mir gehen wollte>>, heißt es in dem Brief an Franz Joseph wei­ ter. «Es begann nun eine entsetzliche Zeit für mich. Während die Erlasse berathen wurden, versuchte er allerhand anderes hineinzubringen und ärgerte die Minister fortdauernd. Als er endlich die 2 Erlasse zur Unter­ schrift brachte, erklärte er mir er sei vollkommen dagegen, sie würden zum Unheil und Verderben des Vaterlandes ausschlagen und er rathe ab. Wenn ich sie dennoch unterschriebe, so werde er nur solange diese Poli­ tik mitmachen, wie er es mit seinen Ansichten vereinbaren könne, ginge das nicht so werde er gehn. Die Erlasse wurden veröffentlicht und der enorme Erfolg, den sie hatten belehrte den vollkommen überraschten Fürsten, daß er völlig auf einem Holzwege gewesen, daß seine ganze Opposition nutzlos und ich im Recht gewesen sei. Es kamen nun die Vorbereitungen zur Einladung der Conferenz, die Berufung des Staats­ raths unter meinem Vorsitz. Er begann zugleich einen kleinen nicht im­ mer mit ehrlichen Mitteln geführten Coulissenkrieg gegen mich, der

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Nachspiel der Bismarckkrise

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mich auf das bitterste betrübte, den ich aber ruhig hinnahm. Mich auf denselben einzulassen war ich einerseits zu stolz, andererseits liebte ich den von mir angebeteten Mann zu sehr noch! Bald jedoch mehrten sich die Conflikte an allen Orten. Er hinderte plötzlich die Minister am Im­ mediatvortrag bei mir durch hervorziehn einer 30 Jahr lang vergrabenen unbekannten Ordre. Er nahm den Reichs=Staatssekretairen alle Arbei­ ten fort und wollte Alles selbst machen und gegenzeichnen. Dabei ging seine Gesundheit von Woche zu Woche zurück, er konnte nicht mehr schlafen, seine Nerven gaben nach. Er bekam Weinkrämpfe in den Nächten und zuweilen auch beim Vortrag. Sein Arzt erklärte falls diese Lage noch 3 Wochen weiter anhielte würde der Fürst an einem Gehirn­ schlage sterben! Endlich gegen Ende Februar erklärte mir der Fürst in einem Vortrage, er könne es mit seinen Nerven und seiner Gesundheit nicht länger machen und bäte um theilweise Entlassung von den Ge­ schäften. Ich bat ihn mir ganz nach seinem Willen und Wunsch Vor­ schläge zu machen, da ich auch nur den Schein vermeiden wollte als schicke ich ihn fort, oder sehne mich nach seinem Abgang. Nach länge­ ren Verhandlungen kam er mit dem Chef meines Zivilkabinets, den er sich dazu ausgesucht hatte, dahin überein, daß er das Präsidium des Staatsministeriums abgeben wollte und blos den Kanzler und das Aus­ wärtige zu behalten wünsche. Nach einigen Wochen wollte er das dann auch abgeben und um den 20. Februar oder Anfang März ganz ausschei­ den. Schweren Herzens willigte ich in seine Vorschläge ein>>, erklärte Wilhelm, «und wurde demgemäß eine Ordre nach seinen Angaben ver­ faßt und bis auf das Datum, welches er sich zu bestimmen vorbehalten, fertiggestellt. Er selbst sprach sich mir mit dieser Lösung völlig zufrie­ den aus und erklärte mir er werde diese Thatsache dem Ministerrath nunmehr mittheilen. 2 Tage darauf kam er zum Vortrag und erklärte mir mit kurzen Worten zu meinem größten Erstaunen, er dächte gar nicht daran zu gehen, er bleibe! Als Grund gab er, auf meine verwunderte Frage an, das Staatsministerium habe ihn bei seiner Abgangsmittheilung nicht sofort gebeten unter allen Umständen zu bleiben und hätten die Herren darüber gemacht. Daraus habe er ge­ schlossen die Herren wollten ihn los sein, und da habe sich der alte Geist des Widerspruchs in ihm geregt, und er werde nun bestimmt blei­ ben ! So schloß er. Ich konnte nur er­ widern, ich freute mich sehr ihn noch ferner an meiner Seite zu wissen, hoffte aber, daß die zunehmende Last der Arbeit und Aufregung seiner Gesundheit keinen Schaden zufügen möge.>> Damit war nach der Schilderung des Kaisers das Endstadium der Krise erreicht. , schrieb er. «> klagte der Kaiser. «, den B[ismarck] so oft hatte ! >>83

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5 . Liebenaus Ende

Fehlte es im preußisch-deutschen Regierungssystem an einem verant­ wortlichen Reichskabinett, so spielte dafür die kaiserliche Umgebung der Oberhofmarschall, das Militärische Gefolge und die drei Kabinetts­ chefs - eine politische Rolle, die in einem parlamentarischen System nicht geduldet worden wäre. Der Abgang der beiden Bismarcks konnte nicht ohne Folgen für die Zusammensetzung der kaiserlichen Umge­ bung bleiben, zu sehr verzahnt waren die Beziehungen zwischen der Wilhelmstraße und dem Berliner Hof. Vor allem der seit langem sich ab­ zeichnende Sturz des Oberhofmarschalls Eduard von Liebenau wurde in dem Moment unvermeidlich, als der Schutz der Familie Bismarck er­ loschen war. Auf dem Höhepunkt der Bismarckkrise eröffnete Liebenau dem Kai­ ser, er sei mit den Nerven so herunter, daß er um eine andere Verwen­ dung bitte, worauf ihm der Monarch - ganz im Sinne seiner Widersacher Waldersee und Eulenburg - die Intendantur der Königlichen Gärten an­ bot. Liebenau aber verlangte seine Ernennung zum Botschafter: Mit Herbert Bismarck habe er sich bereits darüber geeinigt. «Der Kaiser hat laut aufgelacht» und gefragt, wo denn seine Vorkenntnisse für eine solche Stellung wären, hielt Waldersee aufgrund einer Mitteilung August Eulen­ burgs in seinem Tagebuch fest. 84 Das Angebot der Hofgartenintendantur habe Liebenau mit der Bemerkung abgelehnt, daß er so tief nicht herab­ steigen könne. «Der Kaiser rieb sich die Hände und freute sich, daß nun endlich die Initiative zum Abgang von L. selbst ausgegangen sei.»85 Abgesehen von dem Kesseltreiben seiner Feinde, trug freilich Lie­ benaus sprichwörtliche Inkompetenz zu seinem Sturze bei. So war der Monarch zum Beispiel fassungslos, als der Hofmarschall Ende März 1 890 mit der Begründung, Caprivi habe sich bei ihm, Liebenau, nach einem Besuch in Hannover dienstlich noch nicht zurückgemeldet, es un­ terließ, den neuen Reichskanzler zu einem Galadiner für den Prinzen von Wales einzuladen.86 Endlich, am 2 3 . Mai r 89o, faßte Wilhelm II. den Entschluß, den langjährigen (wenn auch schwierigen) Vertrauten zu entlassenY Der Kaiser nahm eine Reihe von weiteren Ungeschicklich­ keiten - Liebenau hatte zum Beispiel versäumt, dem Monarchen mitzu­ teilen, daß ihn nachts auf dem Bahnhof bei der Durchreise durch Elbing eine große Menge Werftarbeiter begrüßen wollte88 - zum Anlaß, den Oberhofmarschall zu entfernen und den Grafen August zu Eulenburg zu seinem Nachfolger zu ernennen. Waldersee meinte, die Befriedigung über Liebenaus Rücktritt sei «ganz allgemein». Er habe der Kaiserin dazu gratuliert, denn vor allem sie habe «von dem bösen Menschen viel zu leiden gehabt».89 Tief verbittert verließ Liebenau Potsdam in dem Augenblick, in dem die Frage seines Wartegeldes geregelt war.90



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A bb. 18: August Graf zu Eulenburg, O berhof- und Hausmarschall 189 0-1 9 18.

Liebenaus Entlassung wurde nicht nur in Friedrichsruh, sondern auch von manch einem am Hohenzollernhof bedauert. Der Flügeladjutant Carl Graf von Wedel, der (wie wir oben schon gesehen haben) Liebe­ nau nahestand, kommentierte den Sturz des Oberhofmarschalls mit den bitteren Worten: «So also denkt der Kaiser über einen Mann wie Liebe­ nau, der ihm vierzehn Jahre treu zur Seite gestanden und der ihm nichts getan hat! Wie einen Lakaien jagt er ihn aus dem Hause, wie einen ab­ getragenen Handschuh wirft er ihn fort! - Mein Gott, das englische Blut hat nichts Gutes in das Hohenzollerngeschlecht gebracht, denn diese Herzlosigkeit dankt der junge Herr seiner Mutter! Sie wird sich im Laufe der Zeit in noch viel schlimmeren Ausbrüchen äußern! »91 Ge­ rade die englische Mutter des Kaisers beklagte jedoch den Wechsel zu­ tiefst, indem sie zwar einräumte, daß Liebenau oft schwierig gewesen sei und viele Personen verletzt habe, dennoch habe er die Dienerschaft unter Kontrolle gehalten und die Hofangelegenheiten effizient verwal­ tet, was man von seinem Nachfolger August Eulenburg nicht erwarten könne.92 Daß Liebenau als Oberhofmarschall durch ihren alten Feind August Eulenburg ersetzt wurde, der drei weitere Hofämter (er wurde gleich­ zeitig Oberhausmarschall und Oberzeremonienmeister und später auch

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Der improvisierte Übergang

Minister des Königlichen Hauses) unter sich vereinte, fand die Kaiserin Friedrich äußerst bedenklich. August Eulenburg, der Liebenaus Stelle schon lange angestrebt habe, sei nicht zu trauen, meinte sie. «Er ist sehr habgierig & ehrgeizig, und doch kann er sich sehr gut einschmeicheln & hat unfehlbare Manieren. [ . . . ] Ich glaube nicht, daß die Dinge gut laufen können, so lange viele Elemente noch um William sind, die solch unend­ liches Unheil angerichtet haben! >>93 Natürlich sah Waldersee die Rolle des neuen Oberhofmarschalls in einem anderen Lichte. August Eulen­ burg, so schrieb er, sei überaus vorsichtig und verstehe perfekt, die Stim­ mung des Kaisers zu beurteilen und sich danach zu richten. Erst später vermerkte der General verwundert, daß der Oberhofmarschall einen selbständigen Einfluß auf den Monarchen auszuüben suche.94 Schon nach wenigen Jahren zählte er zu den einflußreichsten unverantwort­ lichen Figuren am Hohenzollernhof.

Kapitel 1 4

In Bismarcks Fußstapfen: Die Außenpolitik des Neuen Kurses I . Die Nichterneuerung des russischen Geheimvertrages

Die wiederholten Beteuerungen Wilhelms II. in seinen Rechtfertigungs­ briefen an seine Mitregenten, wonach ausschließlich innenpolitische Ge­ gensätze zu der Entlassung Bismarcks geführt hätten, entsprachen, wie wir gesehen haben, nicht ganz der Wahrheit. Die ständigen Einflüsterun­ gen Waldersees und indirekt auch Holsteins, daß die Bismarcks in ge­ fährlichem Maße auf Rußland vertrauten und dafür die beiden mit Deutschland im Dreibund verbündeten Mächte Österreich-Ungarn und Italien vernachlässigten, hatten schon gleich zu Anfang der Kanzlerkrise einen heftigen Zusammenstoß zwischen Bismarck und dem Kaiser we­ gen der russischen Konversion herbeigeführt. Noch in der Schlußphase der Krise, Mitte März I 8 90, konnte der Generalstabschef anband der dem Kaiser verspätet zugespielten Konsularberichte aus Kiew diesen da­ von überzeugen, daß Bismarck ihm wichtige Informationen über rus­ sische Militärvorbereitungen für einen Angriff gegen den Dreibund bewußt vorenthalten hatte. Darüber hinaus hatte das auch in diesen Kri­ senmonaten stark wankende persönliche Verhältnis Wilhelms zu der Za­ renfamilie die Beziehungen zwischen Kaiser und Kanzler wiederholt auf die Probe gestellt, so zum Beispiel in den Wochen vor dem Berlinbesuch Alexanders 111. im Oktober I 8 89 und wieder im Dezember jenes Jahres während der Jagd in Springe mit dem Thronfolger Nikolaus. Noch in der letzten heftigen Auseinandersetzung mit Wilhelm am I 5 . März hatte sich Bismarck an diesem gerächt, indem er ihm tief beleidigende Äuße­ rungen des Zaren in die Hand spielte, aus denen der junge Kaiser selbst den Schluß ziehen mußte, daß Zar Alexander 111. ihn offenbar für «ver­ rückt» halte. Wie das Schicksal es so wollte, fiel gerade in diesen Tagen der allerhöchsten Erregung unmittelbar nach Bismarcks Sturz, als die in der Außenpolitik gänzlich unerfahrenen neuen Staatsmänner Caprivi und Marschall noch nicht Gelegenheit gefunden hatten, sich mit ihren Aufgaben vertraut zu machen, eine der folgenschwersten Entscheidun­ gen der deutschen Außenpolitik überhaupt: die Nichterneuerung des ge­ heimen Rückversicherungsvertrags mit Rußland. Welche Rolle spielte bei diesem fatalen Entschluß, der in der Geschichtsschreibung nahezu einhellig als ein Schritt von fast selbstmörderischer Dummheit gilt, Kai­ ser Wilhelm II. ?1 Eine Untersuchung des Vorgangs zeigt zwar, daß der

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junge Monarch in diesem Fall letztendlich dem Rat der verantwortlichen Staatsmänner der Wilhelmstraße gefolgt ist, sie vermittelt uns aber gleichzeitig ein erschreckendes Bild von der Wirrnis und der Oberfläch­ lichkeit, die in dieser Übergangsphase an entscheidender Stelle hinter der glänzenden Kulisse des Kaiserreiches herrschten. Der von Bismarck am 1 8 . Juni r 8 8 7 auf drei Jahre abgeschlossene Rückversicherungsvertrag mit Rußland, der als Ersatzlösung für den auslaufenden Dreikaiserbund zwischen Deutschland, Rußland und Österreich-Ungarn gedacht war,2 verpflichtete Deutschland bei einem Österreichischen Angriff auf Rußland und ebenso Rußland bei einem französischen Angriff auf Deutschland zur Neutralität. Auf Drängen des russischen Botschafters Graf Schuwalow hatte Bismarck darüber hinaus ein «ganz geheimes» Zusatzprotokoll in den Vertrag aufgenommen, das den Vertrag mit dem Zweibund zwischen Deutschland und Österreich­ Ungarn unvereinbar gestaltete: Dem Zusatz zufolge sollte das Deutsche Reich Rußland auch dann diplomatische und moralische Unterstützung gewähren, falls es die Meerengen besetzen oder seine Interessen durch ein militärisches Eingreifen in Bulgarien wahren sollte.3 Als Ende r 8 89 der Zeitpunkt zur Erneuerung des Vertrages herannahte, hatten weder der Zar noch sein Außenminister Giers Zweifel, daß eine Verlängerung des für Rußland so vorteilhaften Abkommens im Interesse des Landes liegen würde.4 Bereits am 1 0. Februar 1 890 sprach Schuwalow Bismarck auf die Erneuerung an.5 Wie wir in einem früheren Kapitel feststellen konnten, hatte Fürst Bismarck schon kurz nach der Thronbesteigung Wilhelms II. den jungen Kaiser in die Geheimnisse seiner Rußlandpolitik eingeweiht und ihm da­ bei die Existenz des Vertrages mitgeteilt.6 Jetzt - Mitte Februar r 89o ­ gab der Kaiser laut Herbert Bismarck sein Einverständnis zur Erneue­ rung des Vertrages, woraufhin Schuwalow nach St. Petersburg abreiste, um dort die entsprechenden Verhandlungen in die Wege zu leiten. Als er am 1 7. März mit der offiziellen Ermächtigung des Zaren wieder in Ber­ lin eintraf und gleich zu einem Gespräch mit Bismarck geladen wurde, wurde er mit der besorgniserregenden Nachricht empfangen, daß der Reichskanzler - nicht zuletzt wegen Differenzen zwischen ihm und dem Kaiser in der Rußlandpolitik - kurz vor seiner Entlassung stehe. Das aufgeregte Handbillet über die Truppenbewegungen in Kiew, das ihm der Kaiser am Morgen des 1 7. März geschickt hatte, wollte Bismarck offenbar zum eigenen taktischen Vorteil ausnutzen, indem er dem russi­ schen Botschafter die schwerwiegenden internationalen Folgen seines Sturzes an die Wand malte. Der konsternierte Schuwalow telegraphierte die Nachricht unmittelbar nach St. Petersburg.7 Am 19. März abends teilte der Botschafter «beim Glase Bier» seine Besorgnis auch dem noch amtierenden Staatssekretär Herbert Bismarck mit, der in der beunruhigten Haltung Rußlands ebenfalls eine Möglich-

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keit erkannte, die Entlassung seines Vaters, wenn nicht zu verhindern, so doch in ein vorteilhaftes Licht zu rücken. In einem Brief an Wilhelm ging Herbert so weit zu behaupten, Zar Alexander wolle die Ver­ längerung des Vertrages mit neuen, für Deutschland überaus vorteilhaf­ ten Bedingungen abschließen, jedoch nur mit dem Fürsten Bismarck allein. Der von zynischer Eigennützigkeit geprägte Brief Herberts vom 20. März behauptete: «Euerer Majestät melde ich alleruntertänigst, daß der russische Botschafter mir gestern abend ganz vertraulich sagte, er sei von dem Zaren ermächtigt worden, den geheimen russisch-deutschen Vertrag, welcher uns bei einem französischen Angriff Rußlands Neutra­ lität zusicherte, und welcher im Juni dieses Jahres abläuft, auf sechs Jahre zu verlängern, und zwar in der Absicht, die bezügliche Abmachung als eine dauernde anzusehen. Graf Schuwalow habe nun am Tage seiner Rückkehr von St. Petersburg, am 1 7. d. Mts., gleich den Reichskanzler aufgesucht, um ihm die obenerwähnte Eröffnung zu machen; dabei habe er erfahren, daß Euere Majestät an dem gleichen Morgen dem Reichs­ kanzler hätte sagen lassen, Allerhöchstdieselben sähen dem Entlassungs­ gesuch des Reichskanzlers entgegen. Graf Schuwalow habe darauf seine Anerbietungen zurückgezogen; nachdem er nun bis gestern abend erfah­ ren habe, daß Euere Majestät keinen Anstand nehmen würden, die Ent­ lassung des Fürsten Bismarck zu vollziehen, würde der Kaiser Alexan­ der auf die Verlängerung des geheimen Vertrages verzichten, da eine so geheime Angelegenheit mit einem neuen Reichskanzler nicht verhandelt werden könne.»8 Das war natürlich ein reines Lügenmärchen! Über die aufgebrachte Stimmung des Kaisers in diesen entscheidenden Tagen sind wir durch Aufzeichnungen des Flügeladjutanten Carl Wedel unterrichtet, der ihn am 1 7. März abends sah und darüber berichtet, Wil­ helm habe ihn mit den Worten empfangen, «daß es mit dem Fürsten aus sei ! » Der Kaiser habe ihm darauf erzählt, schreibt Wedel, daß Bismarck eine «Zettelung mit Schuwalow engagiert habe>>, die den Plan verfolge, «Rußland in Bulgarien einrücken zu lassen, dadurch Österreich zum Losschlagen zu veranlassen und dann unsererseits den Casus foederis zu negieren. Eine derartige hinter seinem Rücken eingeleitete Machenschaft . Österreich würde dann furchtbar hereingefallen sein, und der arme Kaiser Franz Joseph, dem er sein Wort verpfändet habe, das er halten wolle, hätte die Kosten tragen müssen. Soweit freilich würde es niemals gekommen sein, denn an dem Tage, wo Rußland Miene gemacht haben sollte, etwas Derartiges zu unternehmen, würde auch er mit Österreich gemeinsam den Mobil­ machungsbefehl erlassen haben. Er begreife nun auch, weshalb der Kanzler schon seit einigen Tagen auf Schuwalows Rückkehr gewartet habe. Glücklicherweise habe er früh genug von die­ ser ganzen Intrige - denn Schuwalow sei mit der Genehmigung des Bis­ marckschen Planes aus Petersburg zurückgekehrt - Kenntnis erhalten,

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denn er sei heute morgen gewarnt und ihm der ganze Plan enthüllt wor­ den.>> Wedel vermutete, daß diese Warnung dem Kaiser durch den Groß­ herzog von Baden überbracht worden sei, der die Nachricht von Hol­ stein bekommen habe.9 Als er drei Tage später den Brief von Herben Bismarck erhielt, scheint Wilhelm die teuflische Verschwörung zwischen Bismarck und Schuwalow, hinter seinem Rücken einen russisch-österreichischen Krieg anzufangen, allerdings wieder vergessen zu haben, denn am Kopfe des Briefes vermerkte er: «Einverstanden mit Erneuerung des Vertrages und ermächtige Sie das Schuwaloff mitzurheilen 2o.III.9o.>> Er sah jedoch nicht ein, wieso die Erneuerung des Vertrags nur mit dem alten Reichs­ kanzler verhandelt werden könne, wie sein «Warum?>> am Ende des Briefes bezeugt. Mit diesen Marginalien versehen, ließ er den Brief an den Staatssekretär zurückgehen. Da der Kaiser offensichtlich sein wah­ res Anliegen nicht erkannt hatte, schrieb Herben ihm daraufhin einen zweiten Brief, in dem er nochmals Schuwalows angebliche Betonung der Unersetzlichkeit des Fürsten Bismarck für die Erneuerung des Vertrages hervorhob. 10 Diesen zweiten Brief Herberts erhielt der Kaiser wohl erst spät abends. Abermals verkannte er (vielleicht willentlich) die Absicht des Bismarcksohnes, die Wiedereinstellung seines Vaters zu erzwingen, und wollte immer noch nicht einsehen, warum die Verhandlungen nicht auch ohne Bismarck weitergeführt werden könnten. Um seinen eigenen Füh-

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rungsanspruch Geltung zu verschaffen, ließ er Schuwalow dramatisch noch in der selben Nacht mit einem Bescheid wecken, «durch welchen der Graf für den folgenden Morgen um J �9 Uhr im Überrock zum Kaiser bestellt» wurde.11 Bei dieser Morgenbesprechung versicherte Wil­ helm nun auch Schuwalow, wie der künftige russische Außenminister Graf Wladimir Nikolajewitsch Lamsdorff in seinem Tagebuch aufzeich­ nete, «daß sich abgesehen von einigen Meinungsverschiedenheiten auf innenpolitischem Gebiet, die ich der sehr erregten Stimmung des Kanz­ lers zuschreibe, nichts, wirklich absolut gar nichts in der Richtung unse­ rer Außenpolitik, die ich bis jetzt geführt habe und auch weiter führen will, geändert hat. [ . . . ] Herbert Bismarck sagte mir, daß Sie mit seinem Vater ein Gespräch über die Erneuerung des Geheimvertrages geführt haben und daß Ihr Kaiser ebenso wie ich der Erneuerung unseres Ab­ kommens sympatisch gegenüberstehe; Herbert fügte hinzu, daß Sie in Anbetracht der letzten Ereignisse nicht mehr gewillt seien, die Unterhal­ tungen fortzusetzen. Ich würde das außerordentlich bedauern und bitte Sie, Ihrem Kaiser zu sagen, daß ich meinerseits an unseren Verpflichtun­ gen festhalte; ich bin bereit, sie in vollkommener Übereinstimmung mit den Wünschen Seiner Majestät zu erneuern. Unsere Politik war doch nicht seine, d.h. Bismarcks Politik - es war die Politik meines Groß­ vaters und ist die meinige geblieben.>>12 Eine Stunde später traf der Kaiser beim Empfang des Prinzen von Wales am Bahnhof Herbert Bismarck und teilte ihm mit, daß er eben Schuwalow gesprochen habe, Herbert habe diesen mißverstanden, er werde ihn am Nachmittag aufsuchen und «die Sache in Ordnung brin­ gen>>Y Herbert lehnte jedoch alle weiteren Aktivitäten in dieser Rich­ tung ab, da er beabsichtige, sein eigenes Abschiedsgesuch einzureichen, was der Kaiser zunächst nicht wahrnehmen wollte. Als das Abschieds­ gesuch jedoch noch am selben Nachmittag eintraf, beauftragte Wilhelm den neuen Reichskanzler General von Caprivi, die Vertragserneuerung zu regeln, freilich ohne ihm mitzuteilen, daß er Schuwalow bereits seine ausdrückliche Zustimmung gegeben hatte ! In der Hektik der nächsten Tage scheint Kaiser Wilhelm die Ange­ legenheit vorerst verdrängt zu haben, und als er sich mehrere Tage später wieder mit der Frage der Erneuerung befassen mußte, hatte sich das Blatt vollkommen gewendet. Caprivi war gleich am 2 2. März in die Politische Abteilung des Auswärtigen Amtes gegangen, um die notwen­ digen Unterlagen über den Geheimvertrag einzusehen und sich beraten zu lassen. Holstein, der an diesem Tag - einem Samstag - der einzige Anwesende war,14 schrieb hierzu: 15 Durch Caprivi erfuhr Holstein zum er­ sten Mal von der Absicht des Kaisers, den Vertrag zu erneuern. Sofort

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Gegenmaßnahmen einleitend, überzeugte er den neuen Kanzler, daß er keine Entscheidung treffen sollte, bis er die Meinung der Sachverständi­ gen im Auswärtigen Amt gehört hätte, und arrangierte ein Beratertreffen für den folgenden Tag. Umgehend schrieb er an Philipp Eulenburg: «Morgen um 1 0 werden Berchem, Raschdau und ich gemeinsamen Vor­ trag von mir angeregt, an Caprivi halten. Dann muß man sehen, was Caprivi ausrichtet.>>16 Die Sonntagskonferenz verlief ganz im Sinne Holsteins. Der Geheim­ rat überzeugte nicht nur Caprivi, dem die Doppelzüngigkeit des Rück­ versicherungsvertrages von Anfang an nicht geheuer war, sondern auch den zunächst für ein vorsichtigeres Vorgehen plädierenden Ludwig Raschdau sowie den anfangs im Urteil schwankenden Unterstaatssekre­ tär Graf Maximilian von Berchem.17 Dieser verfaßte den gemeinsamen Bericht über die Ergebnisse der Konferenz, in dem er Gründe für die Nichterneuerung nannte, die sich keineswegs von der Hand weisen lie­ ßen: Der Vertrag habe «den Zweck, kriegerische Ereignisse hervorzuru­ fen, deren Lokalisierung äußerst unwahrscheinlich» sein würde; er stehe «wenn nicht dem Buchstaben, so jedenfalls dem Geiste der Tripieallianz direkt entgegen»; er gewähre zudem «keine Gegenseitigkeit», alle Vor­ teile kämen Rußland zugute. Detailliert malt der Bericht das diploma­ tische Durcheinander aus, das entstehen würde, falls Rußland tatsächlich den «orientalischen Krieg eröffnet, was die Absicht des Vertrages» sei. Von jetzt an müsse eine «ruhige, klare und loyale Politik» geführt wer­ den, da für einen solchen Krieg die in modernen Zeiten so wichtige «leb­ hafte Begeisterung» des Volkes gänzlich fehlen würde; es müsse daher ­ so der Schluß - von der Abrede mit Rußland >.25 Selber erklärte er Schuwa­ low ein paar Jahre später seine Entscheidung damit, daß Caprivi mit sei­ nem Rücktritt gedroht hatte, wenn der Vertrag erneuert werden sollte. Er, der Kaiser, «sei damals eben erst auf den Thron gekommen und habe einen neuen Kanzler berufen. Letzterer habe ihm ein Ultimatum gestellt. Es sei unmöglich gewesen, innerhalb von 24 Stunden eine neue Minister­ krise heraufzubeschwören. Er habe der eigensinnigen Hartnäckigkeit des Grafen [sie] Caprivi nachgegeben. Caprivi sei ein ehrlicher, aber zu­ gleich eigensinniger Mensch gewesen und es habe ihm an Verstand ge­ fehlt.»26 Ganz abgesehen von den Entstellungen und Übertreibungen, die in dieser rückschauenden Selbstrechtfertigung stecken, ist es aller­ dings bemerkenswert, wie schnell und ohne Widerspruch sich der Kaiser dem Kanzler fügte. Daß Wilhelm - der den Nachmittag damit ver­ brachte, einen Entwurf für das Blumengebinde für Bismarcks Entlas­ sungszeremonie eigenhändig zu entwerfen27 - die Konsequenzen dieser abrupten Umentscheidung gar nicht erfaßt hatte, wurde deutlich, als die Frage der Vertragsverlängerung im Mai 1 890 erneut zur Sprache kam. Nach der Unterredung mit dem Kaiser und Caprivi brachte Schwei­ nitz sein ganzes diplomatisches Geschick auf, um erst Schuwalow in Berlin und dann Giers und Lamsdorff in Petersburg, die mit Recht ver­ wirrt und verärgert waren, den plötzlichen deutschen Umschwung zu erklären, und sie zu beruhigen. Dabei betonte er vor allem, daß in der ganzen Wirrnis der Bismarckkrise die neue Regierung sich noch nicht im Stande sähe, derart wichtige Entscheidungen zu treffen, daß sich aber in den deutsch-russischen Beziehungen insgesamt nichts geändert habe. So

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versuchte Giers im Mai r 89o noch einmal, mit der mittlerweile etablier­ ten deutschen Regierung die Erneuerung des Rückversicherungsvertra­ ges durchzusetzen. Am r 6. Mai ließ Schweinitz - der die Nichterneue­ rung inzwischen als groben Fehler ansah - einen amtlichen Bericht, eine eigenhändige, aus dem Gedächtnis angefertigte Wiedergabe des in fran­ zösischer Sprache verfaßten Schuwalowtelegramms vom 2 r . März, und einen eigenhändigen Privatbrief an Caprivi mit dem Feldjäger nach Ber­ lin bringen, in denen er sehr stichhaltige Argumente für die Erneuerung aufzählte. 28 Die Reaktion aus Berlin war aber auch jetzt noch schroff und abwei­ send. Holstein, Marschall von Bieberstein, Kid erlen-Wächter und Raschdau fertigten gleich am 20. Mai Gutachten an, in denen sie ihre Argumente vom März noch verstärkten, die Caprivis Entscheidung zur erneuten Ablehnung des Angebotes bekräftigten.29 Dieser schrieb am 2 3 . Mai ein Resümee, in dem er seine Entscheidung folgendermaßen be­ gründete: «Es soll in der Antwort an General von Schweinitz auf die Unmöglichkeit, unserer öffentlichen Meinung gegenüber ein komplizier­ tes Bündnissystem auch nach dem Ausscheiden des Fürsten Bismarck aufrechtzuerhalten, hingewiesen werden. Sekrete Bündnisse aber abzu­ schließen, verbiete sich jetzt um so mehr, als das Verhalten des früheren Reichskanzlers ohnehin Indiskretionen erleichtere, Unsicherheiten und Mißverständnisse fördere. Unsere Politik aber könne und solle nur eine einfache sein.>> Der Kaiser, dem er das Dokument vorlegte, äußerte hierzu «auf das bestimmteste>>, «daß allerhöchstdieselben sich zu keiner mündlichen oder schriftlichen von den Grundzügen der Skizze abwei­ chenden Äußerungen gegen den Zaren würde bestimmen lassen>>.30 Der Monarch verfügte also am 2 3 . Mai I 89o von neuem, daß die russische Bitte um Erneuerung des Vertrags abgelehnt werden sollte. Wie Caprivi war er dabei der Meinung, daß dies «höflich und freundschaftlich>> ge­ schehen könne, «ohne daß auf russischer Seite eine Verstimmung zu­ rückbleibt>>Y Trotz der höflichen Form der Ablehnung und der Richtigkeit einiger Gedanken, die Holstein und Caprivi vortrugen - vor allem die Unver­ einbarkeit des Geheimvertrages mit dem Zweibund und die Gefahr einer Enthüllung durch den grollenden Bismarck -, gilt die Nichterneuerung des Rückversicherungsvertrages in der Geschichtswissenschaft auch jetzt noch überwiegend als eine der fatalsten Entscheidungen des «Neuen Kurses>>.32 Zwar ist man heutzutage weniger geneigt als die Bismarck­ Orthodoxie früherer Zeiten, in dieser Aufgabe des den Beginn der Weltkriegskatastrophe von 1 9 1 4 zu sehen. Den­ noch sind die längerfristigen «gewaltigen Folgen» der Nichterneuerung vom Frühjahr I 890, wie Thomas Nipperdey klug abwägend geurteilt hat, unverkennbar. , schrieb er knapp sechs Monate nach der Entlassung Bismarcks. «>35 Bereits im April I 890 urteilte er nach einer Aussprache mit Philipp Eulenburg: «Was mich am meisten besorgt macht, ist die Beobachtung, daß der Kaiser noch keine festen Ansichten hat. Er schwankt hin u. her. [ . . . ] Wieviel habe ich ihn schon schwanken sehen zwischen Oesterreich u. Rußland ! Wieviel verschiedene Ansichten habe ich ihn schon entwickeln hören über bestimmte Persönlichkeiten! Es kann einer heute vortrefflich sein u. nach wenigen Tagen schon nichts mehr taugen u. umgekehrt! [ . . . ] Es ist Alles noch ein Gummilappen. Ein kluger Mann, der mit ihm umzugehen weiß, kann ihn sehr leicht zu einer anderen Meinung bekehren. [ . . . ] Nicht erfreulich ist die immer mehr u. sehr deutlich hervortretende Sucht, sich populär zu machen.»36 Einige Monate später schrieb der General wieder einmal in sein Tage­ buch: «Der Kaiser hat noch auf keinem Gebiete eine feste Ansicht u. weiß nicht, worauf er hinaus will. Er ist von leidlich geschickten Leuten leicht zu beeinflußen und macht die überraschendsten Sprünge nach allen Seiten hin.>>37 Und noch im Herbst I 8 9 I lesen wir im Tagebuch Waldersees über den Kaiser: «Und das soll ein energischer Mann sein, der genau weiß was er will! Er ist leider ein schwankendes Rohr, der noch auf keinem Gebiet genau weiß, wo er sein will.>>38 «Wie hat mir noch vor 2-3 Jahren der Kaiser versichert, niemals von dem einmal ein­ geschlagenen Wege abgehen zu wollen, nachdem ich ihn gebeten hatte, doch konsequent zu bleiben, da nichts schädlicher sei als fortwährender Systemwechsel! >>39 Andere Beobachter in der engsten kaiserlichen Umgebung dachten allerdings zu dieser Zeit viel vorteilhafter über die außenpolitische Tä­ tigkeit des jungen Kaisers. Der Flügeladjutant Carl Graf von Wedel, um ein Beispiel zu nennen, rief kurz nach Bismarcks Entlassung im An-

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schluß an ein Gespräch mit Wilhelm II. aus: «Mein Gott, welch hervor­ ragende geistige Eigenschaften hat doch der junge Herr! Welch große und selbständige Gedanken leben in ihm, und wie wird man dennoch manchmal durch die eigentümlichen Wege, die er einschlägt, irritiert! Der Himmel gebe seinen Segen! » 40 Mehrfach rühmte Wedel die «klare, ruhige und kühle Erwägung des Kaisers [ . . . ] in Fragen der auswärtigen Politik>> und meinte noch im Mai 1 89 1 , nachdem er zweieinhalb Jahre in der nächsten Umgebung des Kaisers gedient hatte, daß der «junge Herr [ . . . ] seine Pläne mit einer seltenen Überlegung und KonsequenZ>> ver­ folge !41 Auch Philipp Eulenburg war, wie Waldersee nach dem Treffen mit dem Kaiserfreund feststellen mußte, ein «>, der fest daran glaube, «daß die Vorsehung mit dem Kaiser Besonderes vorhabe>>; er sei «voller Zuversicht u. Hoffnung>>.42 Solche, die darunter direkt zu leiden hatten, bezeugten erst recht die ausgeprägte Willensstärke des Kaisers. So klagte Reichskanzler von Caprivi am 6. Juni 1 890 «Über die sich be­ ständig jagenden neuen Pläne des Kaisers und über die Millionen, die dafür erforderlich, indessen nicht vorhanden seien>>.43 Mag der enttäuschte Waldersee das Fehlen eines klaren außenpoliti­ schen Planes beanstandet haben, über die ungeheure Machtfülle des Kai­ sers, über seinen eisernen Willen, in den Augen der Welt zu glänzen und selbst zu regieren und namentlich den außenpolitischen Kurs des Deut­ schen Reiches zu bestimmen, hatte auch er keine Illusionen. Sein eigenes Tagebuch legt über die rege und selbstbewußte politische Aktivität des jungen Monarchen Zeugnis ab. «Ein Gedanke geht [ . . . ] durch alle Handlungen - das Interesse für seine persönliche Stellung. Er möchte populär sein ! >> stellte er schon bald nach Bismarcks Sturz fest.44 Selbst wenn die Ziele Wilhelms II. noch unklar und verschwommen waren, eins ist sicher: Spätestens seit dem Herbst 1 890, als seine eigene Stellung ins Wanken kam, sollte der Chef des Generalstabes die Macht des Kai­ sers sozusagen am eigenen Leib zu spüren bekommen. Ein Jahr nach der Entlassung Bismarcks fällte Waldersee das Urteil, daß der Reichskanzler es «mit dem Kaiser furchtbar schwer>> habe, denn «der gute Herr kann es nicht lassen, mit zu regieren; er möchte Alles beherrschen u. vor Al­ lem der Welt glauben lassen, er wäre der Mann, der Alles in der Hand hat. Er fährt nun auch munter fort, direct u. auf eigene Faust mit einzel­ nen Leuten zu unterhandeln; es muß dies Verwirrung geben u. ist es mir unfaßlich wie viel Caprivi sich da bieten läßt.>>45 Ein halbes Jahr darauf notierte der General besorgt, immer mehr Beobachter gelangten zu der Einsicht, daß, so viele Fehler Caprivi auch begangen haben mag, die Hauptschuld an der verfehlten Politik nicht der Kanzler, sondern der Kaiser selbst trage. «Mit einem Kaiser von so geringen Erfahrungen, so wenig geklärten Ansichten, so wechselnder Gesinnung u. dabei soviel Neigung Alles selbst zu machen u. soviel Ueberzeugung Alles besser zu verstehen - kann kein Kanzler regieren; es muß ein Jeder scheitern.>>46

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Vor allem die Unsitte, wonach Wilhelm mit den Militärattaches an ver­ schiedenen Botschaften im Ausland korrespondierte und über diese unter Umgehung des Reichskanzlers und des Auswärtigen Amtes Kon­ takt zu fremden Monarchen aufnahm, mußte selbst im Urteil Walder­ sees, der als Generalstabschef ein solches Informationsnetz über die Militärattaches aufzubauen versucht hatte, Verwirrung stiften. Im Januar r 892 registrierte er mit Empörung den vergeblichen Versuch des «wuth­ schnaubenden» Reichskanzlers, den Kaiser davon abzuhalten, durch den Militärattache Engelbrecht mit dem König Humbert von Italien zu kor­ respondieren.47 Nur wenig später gab der Kaiser Waldersee zu erkennen, daß er das Auswärtige Amt und den Botschafter in Petersburg umgan­ gen habe, indem er den dortigen Militärattache Villaurne beauftragt habe, dem Zaren Alexander zu versichern, daß er nicht an Krieg denke. Vollends entsetzt war Waldersee, als der Kaiser nach einer Erörterung der militärischen Auswirkungen der russischen Hungersnot zu ihm sagte: «Hinzpeter hat auch eine ähnliche Auffassung.» «Also auch über solche Dinge spricht dieser elende Schulmeister und lntriguant.>>48 Ca­ privi sei an der traurigen Stimmung und der ernsten Lage im Lande nur mittelbar schuld, urteilte Waldersee, denn . Der Kanzler trage nur insofern für die verfahrene Lage die Verantwortung, .49 Keiner erkannte also deutlicher als Waldersee, daß die Wirkungsmög­ lichkeiten des Kaisers auf dem Gebiet der Außenpolitik größer, unmit­ telbarer und erheblich gefährlicher waren als in den inneren Angelegen­ heiten Preußens und des Reichs. Kurz vor seiner Entlassung als Chef des Generalstabes im Januar r 8 9 1 führte er mit den Botschaftern Reuß (Wien), Radowitz (Konstantinopel) und Münster (Paris) ausführliche Gespräche, bei denen alle vier übereinstimmend feststellten, daß der Rücktritt Bismarcks eine empfindsame außenpolitische Lücke hinterlas­ sen hatte, die Caprivi nicht habe füllen können. Früher, darüber waren sich die Botschafter einig, habe jede fremde Regierung bei jeder Krisen­ situation gefragt, was denn Bismarck dazu sage; das sei jetzt aber vorbei, denn niemand frage nach der Meinung des neuen deutschen Reichskanz­ lers. Überhaupt seien die Vertreter des Reichs im Ausland auf den Ge­ danken gekommen, daß Caprivi «selbst nicht weiß, wohin er steuern soll». Halte sich der Kanzler zu sehr zurück, so zeige andererseits der Kaiser , meinten die Diplo­ maten. Zwar stellte Waldersee in Abrede, daß Wilhelm dabei verfolge, er räumte jedoch ein, daß der Kaiser handele. «Wenn so etwas gefährlich ist, so ist es auf dem Gebiete der großen Politik», mahnte er. Die Erzählungen der Botschaf-

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ter erweckten in Waldersee zudem den Eindruck, als deckten sich die Ausführungen des Kaisers oft nicht mit denen des Kanzlers und seiner Berater in der Wilhelmstraße.50 Nichts zeigt die wachsende Sorge des Generalstabschefs um die Ein­ griffe des Kaisers in die Außenpolitik deutlicher als das nach Bismarcks Sturz und der Nichterneuerung des Rückversicherungsvertrages immer gespannter werdende Verhältnis zu Rußland, dem Waldersee ja selbst zutiefst mißtraute. Der General erkannte, daß auf deutscher Seite Stetig­ keit, Vorsicht und Höflichkeit geboten seien, wollte man das russische Riesenreich nicht vollends in die Arme Frankreichs treiben. Statt dessen äußerte sich Wilhelm, durch Eitelkeit und Unbesonnenheit verleitet, so­ wohl in seinen Privatgesprächen als auch in öffentlichen Reden der­ maßen scharf über Rußland, daß seine Berater oft aufschreckten und bisweilen gar an seinem Verstand zweifelten. Kopfschüttelnd notierte Waldersee nur wenige Tage nach der Entlassung Bismarcks, der Kaiser zeige in seiner Haltung Rußland gegenüber «jetzt oft u. schnell Dekora­ tions-Wechsel». Er bezog sich dabei auf den Wunsch Wilhelms, im Som­ mer doch zu den Manövern nach Rußland zu reisen. «Vor 8 Tagen war der Kaiser fest entschlossen, unter keinen Umständen nach Rußland [ . . . ] zu gehen, während kurz vorher das Gegentheil fest stand.» Dann sei aber Schweinitz mit der persönlichen Einladung des Zaren nach Berlin gekommen, und nun fände der Kaiser «sogleich, daß Rußland doch nicht so schlecht ist und will nun doch hin ! >>51 Trotz des bevorstehenden Be­ suchs hat Wilhelm im Mai I 890, angestachelt durch Interviews, die Bis­ marck russischen und französischen Journalisten gewährt hatte, ausgeru­ fen, Österreich könne ihm nicht dankbar genug sein, daß er «Bismarck an die Luft gesetzt habe>>, da dieser doch im Verein mit Rußland eine «Vernichtung>> der Donaumonarchie beabsichtigt hätte. Wie selbst der treue Carl Wedel bemerkte: «Ich frage mich bei solchen Erzählungen oft, wieweit die Phantasie des Kaisers ihm hier einen Streich spielt oder wieweit geschäftige Anschwärzer ihm unwahre oder entstellt-übertrie­ bene Dinge hinterbringen, denn wirklich richtig können solche Ge­ schichten doch nicht sein! ! >>52 Noch ganz in dieser aufgebrachten Stimmung hielt Wilhelm II. im Mai I 890 während eines Besuchs der Provinz Ostpreußen eine Rede, die in russischen Regierungs- und Armeekreisen für Unruhe sorgte. Er werde sein Bestes tun, den Frieden zu erhalten, sprach er in Königs­ berg; «sollte es aber nach Gottes Ratschluß Mir auferlegt sein, Mich Meiner Haut zu wehren und Meine Landesgrenzen zu verteidigen, so wird Ostpreußens Schwert nicht minder scharf dem Feinde mitspielen, wie es dies im Jahre r 8 7o that>>. Denj enigen, die den Frieden umzu­ stoßen wagen sollten, bliebe eine Lehre nicht erspart, «welche sie in hundert Jahren nicht vergessen werden>>, drohte er in der Rede weiter. Und er versprach: «An der Provinz rühren lasse Ich nicht, und sollte es

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doch versucht werden, so wird Meine Souveränität als ein rocher de bronce sich dagegen setzen.>>53 Diese bombastischen und eindeutig an die Adresse Rußlands gerichteten Worte erregten dort Verärgerung und Mißtrauen. Waldersee bemerkte am 2 1 . Mai, man sei in Rußland «im höchsten Grade aufgebracht über die Rede des Kaisers>>. Die rus­ sische Reaktion habe der Kaiser wiederum «sehr übel genommen>>, so daß die «vielbesprochene Reise>> nach Rußland wieder fraglich gewor­ den sei.54 Besonders erbost war Wilhelm über die im Sommer r 89o mit dem Manifest des Zaren über das finnische Postwesen einsetzende Russifizie­ rungspolitik in Finnland, die er als «Verfassungsbruch>> bezeichnete. Er teile vollständig die pessimistische Ansicht, daß die russische Regierung vorhabe, Finnland nach und nach eine Provinz des Russischen Reiches werden zu lassen, schrieb er auf einen Bericht aus Petersburg. Der finni­ schen und erst recht der schwedischen Bevölkerung könne man es «nicht übelnehmen>>, daß sie wegen der russischen Maßnahmen erbittert sei.55 An die mehrtägige Reise nach der russischen Hauptstadt, die der Kaiser im August r 8 90 unternahm, knüpfte daher weder die deutsche noch die russische Seite große Hoffnungen. Nach der Rückkehr Wilhelms nach Potsdam am 27. August meinte Prinz Ernst zu Hohenlohe-Langenburg, der im Auswärtigen Amt tätig war, daß «in Rußland Alles befriedigend abgelaufen ist u. wenigstens die persönlichen Beziehungen der beiden Kaiser herzlicher geworden>> seien; politische Erfolge seien dabei nicht zu verbuchen gewesen. 56 Das einst so gute Verhältnis zwischen den zwei Kaisern konnte aber doch nicht wiederhergestellt werden und machte auf beiden Seiten einer trotzigen Gleichgültigkeit PlatzY In einer Unterredung, in deren Verlauf der Kaiser dem Zaren erläu­ terte, weshalb Deutschland den geheimen Rückversicherungsvertrag nicht habe verlängern können, kam es zwischen Wilhelm II. und Alex­ ander 111. auch zu einer sonderbaren Auseinandersetzung über Frank­ reich, die durch die Bemerkung des Zaren ausgelöst wurde, daß es im gemeinsamen Kampf der mittel- und osteuropäischen Monarchien gegen Nihilismus und Sozialismus doch wünschenswert wäre, wenn auch in Frankreich die Monarchie wiederhergestellt werden könnte; er werde sich jedenfalls niemals mit Frankreich verbünden, so lange es eine Repu­ blik bliebe.58 Auch der in Rußland anwesende stellvertretende Chef des französischen Generalstabs, General Boisdeffre, rückte mit der Behaup­ tung heraus, daß hohe Offiziere in seinem Land eine monarchische Restauration vorbereiteten.59 Als dann der Flügeladjutant Carl Wedel sich dem Kaiser gegenüber die bekannten Ansichten Bismarcks zu eigen machte, wonach die französische Republik es immer schwerer als eine französische Monarchie haben würde, Bündnispartner unter den übrigen Großmächten zu finden, und zudem die Meinung vertrat, daß sich eine wiederhergestellte französische Monarchie durch einen Krieg mit

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Deutschland zur Rückeroberung Elsaß-Lothringens zu legitimieren suchen würde, sprach sich Wilhelm entschieden gegen diese Auffassung aus. «Der Kaiser teilte merkwürdigerweise diese Ansicht nicht», hielt Wedel erstaunt fest. «Er glaubt, daß wir uns mit der französischen Mon­ archie leichter friedlich auseinandersetzen können und daß diese ihr er­ stes Ziel in der inneren Wiedergeburt erblicken werde, anstatt äußere Abenteuer zu wagen.>>60 Auch Waldersee gegenüber blieb der Kaiser bei der Überzeugung, «daß Boisdeffre recht habe und von den Russen un­ terstützt würde>>. Der deutsche Generalstabschef kommentierte: «>61 Auch in den nächsten Monaten setzte Wilhelm II. seine Versuche fort, «die Franzosen einzufangen>>: Er behandelte Jules Simon, den Staatsprä­ sidenten Carnot, den Botschafter Herbette und den General Gallifet mit ausgesuchter Höflichkeit und führte eine offene Korrespondenz mit Boisdeffre und mit der Witwe des Anfang 1 89 1 verstorbenen Malers J ean-Louis-Ernest Meissonier. 62 Anfang Februar 1 89 1 regte Graf Münster, der deutsche Botschafter in Paris, an, einige französische Künstler sollten dafür gewonnen werden, ihre Bilder in Berlin auszustellen. Wilhelm und Caprivi griffen den Vor­ schlag auf und kamen auf die Idee, zu diesem Zweck die Kaiserin Fried­ rich inkognito - sie nannte sich bei solchen Gelegenheiten Gräfin Lin­ gen - nach Paris zu entsenden: Sie möge den Kontakt zu den franzö­ sischen Künstlern herstellen und die geeigneten Bilder aussuchen. 63 Waldersee, der hinter diesem Schwenk zu Frankreich hin den Einfluß der französischen Frau Hinzpeters witterte, hatte nichts als Spott für diese des Kaisers und Caprivis, «die Franzosen zu ver­ söhnen! Wir sind im Begriff uns zum Gespött der ganzen Welt zu ma­ chen ! >> schrieb er in sein Tagebuch. Der Versöhnungsversuch erwies sich in der Tat allzubald als . 64 Vor allem die Vorstel­ lung, die Anwesenheit der Kaiserin-Mutter und ihrer Tochter Marga­ rethe könne in Paris geheimgehalten werden, war gänzlich illusorisch. In einem in ihren Räumen in der deutschen Botschaft in Paris geschriebe­ nen Brief vom 2 1 . Februar berichtete Vicky ihrem Sohn: 65 Das Lachen verging ihnen jedoch, als chauvinistische Hetzartikel in der Presse zu Massendemonstrationen gegen die Kaiserin aufriefen, die eiligst ihre Reise nach England fortsetzen mußte. Der deutsche Botschafter meinte nun, der Aufenthalt der Kaise­ rin Friedrich hätte viel Nutzen geschaffen, wenn er, wie vorgesehen, vier Tage statt zehn gedauert und hätte.66 schrieb die Kaiserinwitwe ihrer Tochter Moretta.67 Die rechtsgerichteten Berliner Zeitungen aber brachten immer weitere, angeblich aus diplo­ matischen Kreisen stammende Hetzartikel gegen die liberale Kaiserin, in denen unter anderem fälschlich behauptet wurde, sie habe sich ge­ weigert, den russischen Botschafter Mohrenheim und seine Frau zu empfangen, sie habe sich in Paris hauptsächlich jüdische Kunstsamm­ lungen angesehen, habe in den Geschäften nichts eingekauft und den Armen von Paris, obschon sie von der Duchesse de Galliera Millionen geerbt hätte, keinen Sou gegeben.68 In konservativen Kreisen witzelte man, die Kaiserin Friedrich wolle sich nach dieser mißlungenen Reise im Ausland nicht mehr Gräfin Lingen, sondern nur noch Miss Lingen nennen.69 Trotz seines äußerst schlechten Verhältnisses zu seiner Mutter drohte der Kaiser mit ernsthaften Verwicklungen, falls in Paris wären. Als Antwort auf die Demonstrationen gegen seine Mutter in Paris ord­ nete er an, den Paßzwang in Elsaß-Lothringen mit voller Schärfe zu handhaben, was die «recht betrübte>> Kaiserin Friedrich als verurteilte.70 Ihre liberalen Freunde in Berlin hielten die verschärften Paßmaßnahmen für einen großen Fehler und meinten, die Franzosen hätten sich viel mehr für die Ausschreitungen gegen die Kaiserin geschämt, wenn sich Deutschland nicht auch seiner­ seits ins Unrecht gesetzt hätte.71 Nach dem Pariser Vorfall kehrte Wil­ helm vorerst zu seiner früheren feindlichen Haltung gegenüber Frank­ reich zurück. Er zeigte sich schadenfroh, als nur wenige Wochen nach dem Pariser Debakel die , die in Moskau ihre Bilder ausstellen wollten, aus Rußland fliehen mußten.72 Er sprach voller Verachtung von den französischen Republikanern - er nannte sie - und verkannte vollkommen die drohende Gefahr eines Bündnisses zwischen Frankreich und dem Zarenreich. «Für die Franzosen in Moskau gilt auch der Satz: » schrieb er auf einen diplomatischen Bericht vom Mai r 89 r . Als der Österreichische Außenminister Graf Kal­ noky auf die russische Überzeugung hinwies, daß Frankreich auch ohne Bündnisvertrag in einem deutsch-russischen Krieg auf Rußlands Seite stehen würde, vermerkte der Kaiser verächtlich: > hatte. In einer Anspielung an den be­ rühmten Spruch Bismarcks, das Deutsche Reich sei nicht durch Parla­ mentsmehrheiten und -beschlüsse, sondern durch Eisen und Blut ent­ standen, verkündete Wilhelm bei dieser Gelegenheit: «Der Soldat und die Armee, nicht Parlamentsmajoritäteil und -beschlüsse haben das Deutsche Reich zusammengeschmiedet. Mein Vertrauen beruht auf der Armee. Ernste Zeiten sind es, in denen wir leben, und schlimme stehen uns vielleicht in den nächsten Jahren bevor. [ . . . ] Was auch immer kom­ men möge, wir wollen unsere Fahnen und Traditionen hochhalten, ein­ gedenk der Worte und Thaten [des Markgrafen von Brandenburg] Albrecht Achilles', welcher gesagt hat: Dies ist auch Meine Herzensmeinung, darauf beruht Meine unerschütterliche Zuversicht, auf der Treue, dem Mute und der Hingebung Meiner Armee, in erster Linie aller Kameraden, welche an den Grenzen stehen.»76 Obwohl die Staats­ und Hofbeamten versuchten, eine abgeschwächte Version der Rede in die Presse zu bringen, kam der authentische Wortlaut doch über den Pester Lloyd und das Wiener Fremdenblatt in die deutschen Zeitungen. Sowohl der Reichskanzler als auch die Flügeladjutanten Wedel und Zit­ zewitz fragten sich, wo die «kriegerische Stimmung des Kaisers» her­ rühre. Die Meinung Wedels, daß es sich wieder einmal nur um eine bedeutungslose Entgleisung gehandelt habe und daß die kaiserliche

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«Neigung zum Reden überhaupt und der Mangel an Vorbereitung» allein schuld daran seien, mußte er selbst zurücknehmen, als er erfuhr, daß Wilhelm vor kurzem den Befehl erteilt hatte, einen Feldbürowagen bauen zu lassen und einen Mobilmachungsplan für den Marstall auszu­ arbeiten. 77 Auch Waldersee äußerte sich in vernichtender Weise über den Hang des Kaisers, neue Fahnen und Standarten zu verleihen, «die meist mit den Haaren herbeigezogen» würden, und dabei donnernde Reden zu halten. Von der kriegerischen Rede vom r 8 . April r 89 r meinte er, die starke Hervorhebung Luthers habe die Katholiken verletzt, und «wieder ohne Not>> habe Wilhelm die inneren Feinde «hervorgeholt>>. Bei diesen und den pessimistischen Äußerungen des Kaisers über einen künftigen Krieg sei «allen urteilsfähigen Zuhörern [ . . . ] kalt und heiß geworden>>, notierte er. «Der Kaiser selbst aber glaubt, eine hervorragende Rede ge­ halten zu haben und ist am nächsten Morgen ungehalten gewesen, sie nicht im Wortlaut in der Zeitung zu finden.>>78 Die Russen arbeiteten ruhig an ihren Zielen weiter, ohne sich um jemanden zu kümmern, stellte Waldersee fest. «Sie suchen die nicht rein russischen Nationalitä­ ten völlig zu unterdrücken u. unschädlich zu machen u. gleichzeitig ihre Wehrkraft zu steigern u. zu einem raschen Uebergang zum Kriege bereit zu sein. Der Kaiser, der ja so leicht zu beeinflussen ist, glaubt nun bald, es sähe völlig friedlich aus, bald - wenn ihm irgend eine Nachricht wie das Verschieben einer Division oder dergl. zu kommt, wir ständen dicht vor einem Kriege.>> Caprivi mache die Schwankungen des Kaisers mit und habe weder den Verstand noch die Energie, eine konsequente Poli­ tik zu verfolgen, monierte Waldersee. Für ihn war klar, daß es für Deutschland nur zwei Wege gebe, zwischen denen man sich entscheiden müsse: «Entweder wir sagen uns, daß es zum Kriege mit Sicherheit treibt, u. dann müssen wir mit Aufbietung aller Kraft weiter rüsten u. am besten einen Termin fest ins Auge fassen, an dem wir selbst die Ent­ scheidung herbeiführen. Oder wir glauben, es sei ein Ausweg möglich, u. dann müssen wir ihn betreten, d. h. versuchen der Politik eine andere Wendung zu geben: los vom 3 Bund u. Annäherung an Rußland mit oder ohne Oesterreich. Was thun wir aber? Militärisch nichts, politisch reiten wir auf dem kreuzlahmen 3 Bund herum u. koquettiren in maaß­ los ungeschickter Weise mit den Polen. Dabei rennen wir mit Sicherheit ins Verderben.>>79 Im Mai r 8 9 1 vertraute der General seinem Tagebuch an, der Kaiser sei «in besorglicher Stimmung u. glaubt an Krieg noch in diesem Jahre. [ . . . ] Daß die Franzosen im Sommer eine Flotte nach Kronstadt schicken, ist natürlich dem Kaiser ebenfalls sehr unbequem. Er sieht doch deutlich, daß Rußland sehr ungenirt die französische Freundschaft uns zeigt.>> 80

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Caprivis Außenpolitik war in ihrer Hauptorientierung auf eine Absiche­ rung des Deutschen Reiches auf dem europäischen Festland ausgerich­ tet.81 Zu diesem Zweck wollte er vor allem den Dreibund zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien festigen, was die Aufgabe der geheimen Abmachungen mit Rußland und ein vertrauensvolles Ein­ vernehmen mit Großbritannien als Voraussetzungen hatte. Letzteres wiederum setzte eine Zurückhaltung in der deutschen Kolonialpolitik und vor allem in der Flottenrüstung voraus. Diese einfache und gemä­ ßigte, sich auf Mitteleuropa konzentrierende Kontinentalpolitik wurde nicht nur von Friedrich von Holstein, Adolf Marschall von Bieberstein und Alfred von Kiderlen-Wächter im Auswärtigen Amt, sondern an­ fangs auch vom Generalstab unter Waldersee unterstützt. Dieser hatte am 1. Mai I 890 mit Caprivi ein langes Gespräch über außenpolitische Themen, in dessen Verlauf er dem Kanzler entwickelte, «wie wir den Krieg zu führen beabsichtigen>>.82 Caprivi war mit den Erläuterungen des Generalstabschefs vollkommen einverstanden, und dieser freute sich seinerseits, feststellen zu können, daß Caprivi «mit Oesterreich fest zu­ sammen gehen» wolle. «>, dachte Waldersee von seinem Verhältnis zu seinem Generals­ kollegen im Reichskanzlerpalais noch zu diesem Zeitpunkt. 83 Auch ge­ genüber General Carl von Wedel sagte der neuernannte Reichskanzler, er strebe sowohl eine «mitteleuropäische Zollunion>> zwischen Deutsch­ land, Österreich-Ungarn und Italien als auch eine maritime Allianz mit Dänemark und Holland an, denn «wenn man diese beiden [letztgenann­ ten] Länder mit ihrer starken seemännischen Bevölkerung gewinnen könne, dann werde man auch in der Lage sein, eine starke, mächtige Schlachtflotte aufzustellen und zu erhalten, wozu Deutschland allein das Menschenmaterial nicht besitze>>.84 Was die Überseepolitik anbelange, so sei er, Caprivi, im Prinzip ein «Gegner>> von Kolonien, wenn er auch einsehen müsse, daß ein Aufgeben der bisher von Deutschland erworbe­ nen Kolonien nicht mit der nationalen Ehre vereinbar sein würde.85 Ähnlich wie Caprivi lehnte Waldersee nicht nur die deutsche, sondern die «gesammte Kolonial Politik>> der europäischen Mächte ab und sagte weitsichtig ihr baldiges Ende voraus. «Afrika gehört den Afrikanern! Das ist meine Ansicht; u. halte ich es für schmachvoll, seitens der euro­ päischen Mächte sich einfach den Erdtheil zu theilen>>, erklärte er im Sommer I 890. «Die Muhamedaner arbeiten langsam aber sicher, die Ein­ wohner zu ihrem Glauben zu bekehren u. sind uns in ihrer Methode weit überlegen; ich glaube, daß ihnen Afrika gehören wird und daß nach e1mgen Decennien sämmtliche Europäer daraus vertrieben sein wer­ den ! >>86 Trotz der von ihm befohlenen kolonialpolitischen Zurückhal-

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tung mußte Waldersee allerdings schon im Juni besorgt registrieren, daß die Stimmung in England zunehmend deutschfeindlicher wurde.87 Die infolge Caprivis vorsichtiger Festlandspolitik gebotene Ruhe und Zurückhaltung paßte weder zum Naturell noch zu den längerfristigen, ehrsüchtigen Ambitionen Kaiser Wilhelms II. Bereits in der Zeit unmit­ telbar nach der Entlassung Bismarcks kam vielerorts eine «Furcht vor Überraschungen, von ungeahnten Seitensprüngen unseres Kaisers>> auf, dem man «ein Abschwenken auf dem Gebiet der äußeren Politik>> durchaus zutraute. Speziell befürchtete man, Wilhelm könne, «wenn er mit seiner Sozialpolitik Schiffbruch erleide, vielleicht auf dem auswär­ tigen Gebiet experimentieren>>.88 Es schien zunächst, als würde Wilhelm eine expansive Kolonialpolitik in Afrika fordern und dadurch mit dem Kanzler und dem Auswärtigen Amt in Konflikt geraten. Schon Anfang April I 890 vertraute Caprivi dem Flügeladjutanten Wedel an, der Kaiser verfolge in der Kolonialpolitik «weite Ziele, denen er nicht zustimme>>.89 Aus den Tagebüchern Waldersees wissen wir, daß der Kaiser um diese Zeit «entschlossen>> war, in Ostafrika vor England «nicht zurückzuwei­ chen>>, sondern den deutschen Einfluß «bis an die Seen hin zu befestigen, Sansibar zu annektieren oder mindestens das Protektorat darüber zu er­ langen>>. In diesem Sinne habe er sich in jüngster Zeit oft ausgesprochen, wodurch er in Kolonialkreisen große Hoffnungen erweckt habe.90 Der Generalstabschef erkannte sofort, daß dies ein Gebiet sei, «auf dem es zwischen Kaiser u. Kanzler zu Meinungs-Verschiedenheiten kommen>> könne.91 Als Eulenburg den Kaiser Ende April I 89o auf die Gefahr einer Verständigung zwischen England und Frankreich aufmerksam machte, die für Deutschland «große Unbequemlichkeiten in Afrika>> hervorrufen würde, machte diese Bemerkung auf Wilhelm einen sichtbaren Ein­ druck.92 Im Mai I 89o kehrte Major Eduard von Liebert, der spätere Gouver­ neur von Deutsch-Ostafrika, begeistert aus Afrika nach Berlin zurück, nachdem deutsche Truppen bei der Niederschlagung des Buschiri-Auf­ standes I 8 89 der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft zu Hilfe ge­ kommen waren. Lieben erzählte so enthusiastisch von der Entwick­ lungsfähigkeit dieses deutschen Schutzgebietes (des heutigen Tansanias), daß das Auswärtige Amt besorgt war, «er könne den Kaiser noch mehr begeistern u. uns dadurch Schwierigkeiten mit England bereiten>>.93 Als der Afrikaforscher Hermann Wißmann im Sommer I 890 auch noch nach Berlin kam - er erhielt am 24. Juni im Neuen Palais seinen Adelsbrief -, äußerte er sich «sehr betrübt über die bureaukratische Auffassung, mit der vom Kanzler und seinen Leuten die afrikanischen Sachen behandelt>> würden.94 Vom Standpunkt der Wilhelmstraße aus gesehen war es ferner bedenklich, daß Waldersee, der bisher in der Kolonialpolitik für Zurück­ haltung plädiert hatte, nunmehr England gegenüber, dessen Expansions­ ziele in Afrika uns heute allerdings als maßlos erscheinen,95 eine forsche

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Trotzhaltung einnahm. «>.98 Die internationalen Folgen der kaiserlichen Haltung bekam Lord Salisbury zu spüren, der am 2 3 . Mai der Königin mitteilen mußte, daß seine Verhandlungen mit dem Botschafter Graf Hatzfeldt erfolglos geblieben seien, da der Kaiser England von den großen zentra­ len Seen abschneiden wolle, «Was wir nicht hinnehmen können>>.99 Im August 1 890 klagte Queen Victoria nach einem Gespräch mit dem Pre­ mierminister, man habe große Schwierigkeiten mit Deutschland hin­ sichtlich Afrikas.100 Wilhelms Vertrauen in Wißmann und Liebert war so stark, daß er diese Militärs durchaus auch gegen die noch weiterreichenden Ziele der Kolonialenthusiasten zu verteidigen bereit war. Das zeigte sich exempla­ risch im Dezember 1 890, als Wißmann sich gezwungen sah, den Vorstoß des legendären Afrikaforschers und Abenteurers Eduard Schnitzer, der sich Emin Pascha nannte und eine deutsche Expedition an den zentral­ afrikanischen Nyanza-See, den heutigen Lake Victoria, anführte, zur Mäßigung anzuhalten.101 Präsident der Deutschen Kolonialgesellschaft war kein anderer als der Onkel der Kaiserin, Hermann Fürst zu Hohen­ lohe-Langenburg, der am 2 5 . Dezember aufgrund von Zeitungsberichten über die Abberufung Emin Paschas eine eindringliche Bittschrift an den Kaiser richtete. Darin warnte Hohenlohe prophetisch, die Nachricht von der Zurückberufung Emins werde sich in Zentralafrika wie ein Lauffeuer verbreiten und diesen selbst in höchste Gefahr bringen. Die Häuptlinge der kriegerischen Stämme und die Araber, die mit ihm als Vertreter des Kaisers Verträge abgeschlossen und Gebiete an Deutsch­ land abgetreten hätten, würden «den in Ungnade gefallenen Pascha als einen Betrüger u. Verräther ansehen>> und seine Autorität würde auf das tiefste erschüttert sein. «Sollte Emin der Raub- u. Rachsucht der Einge­ borenen zum Opfer fallen [ . . . ], so könnte der Kaiser!. Regierung der

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Vorwurf gemacht werden, sie sei an dem Untergang des Mannes Schuld, den Europa wegen der Selbstlosigkeit bewunderte, womit er sein Leben der Gewinnung Afrika's für die Kultur gewidmet hat.» Es sei jedenfalls zu gewärtigen, argumentierte Hohenlohe, daß Emin bei Erhalt der Nachricht von seiner Abberufung «sich nothgedrungen den Engländern in die Arme werfen wird, was die übelsten Folgen für die ganze künftige Entwicklung der ostafrikanischen Gebiete>> haben würde. und ernste Verwicklungen wären die un­ ausbleibliche Folge. , appellierte Hohenlohe an den Kaiser, die Abberufung Emin Paschas rückgängig zu machen.102 Auf diese Bittschrift antwortete Kaiser Wilhelm II. charakteristisch in aller Bestimmtheit am 27. Dezember 1 890: all den Ge­ rüchten die Grundlagen entzogen würden, wonach der Monarch mit Wißmann unzufrieden sei.104 Bekanntlich endete die unglückselige Expe­ dition Emin Paschas, der sich weigerte, Wißmanns Zurückberufungsbe­ fehle zur Kenntnis zu nehmen, mit seiner Ermordung durch arabische Sklavenhändler am 2 3 . Oktober 1 892 - genau wie Hohenlohe voraus­ gesehen hatte.105 Hatte Wilhelm II. ein Ziel vor Augen, das er noch lieber verfolgte als die Erweiterung des deutschen Kolonialreichs in Afrika, so war das der Aufbau einer Kriegsflotte. Daß er letzterer die Priorität einräumte, zeigte sich im Juni 1 890, als die überraschende Übereinkunft mit Eng­ land bekannt wurde, wonach Deutschland im Austausch gegen Sansibar die strategisch wichtige Nordseeinsel Helgoland erhielt.106 Die Kolonial­ enthusiasten und Vertreter der Exportwirtschaft, die vor allem unter den Freikonservativen und Nationalliberalen vertreten waren, empfanden plötzlich eine große Erbitterung gegen den Kaiser, von dem sie sich erst «vorwärtsgedrängt und dann verleugnet und verlassen>> fühlten. Eine ge­ hässige Stimmung machte sich auch gegen Caprivi breit, die zur Grün­ dung des Alldeutschen Verbandes führen sollte.107 Der Kaiser aber trat voller Begeisterung für den Helgoland-Sansibar-Vertrag ein. Als er Ende Juni 1 890 seine Nordlandreise antrat, setzte er im Beisein des neuer­ nannten Staatssekretärs des Reichsmarineamts, Admirals Friedrich von Hollmann, den strategischen Wert der Insel Helgoland auseinander. Dabei betonte er, daß er für diese kleine Nordseeinsel wenn nötig «noch

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mehr>> als nur Sansibar gegeben hätte, denn er schätze den Wert Helgo­ lands «sehr hoch ein und will oben auf ihr Kanonen oder Haubitzen aufstellen. Die Engländer wüßten gar nicht, was Helgeland strategisch wert sei, und um ihnen das nicht begreiflich zu machen, habe er auch veranlaßt, daß die deutsche Presse darüber schweige, bis der Vertrag ratifiziert sei. Wäre das einmal geschehen, so würde er ihnen schon zu Gemüte führen, welchen Wert die Insel für uns habe.»108 Der Helgaland-Sansibar Vertrag und der kurze Besuch des Kaisers in Südengland Anfang August r 89o führte in jenem Sommer zu einer deut­ lichen Verbesserung in den deutsch-britischen Beziehungen. «Die Eng­ länder u. Belgier scheinen von ihm [Wilhelm II.] sehr entzückt zu sein», berichtete Ernst Hohenlohe, der sich im Auswärtigen Amt auf die diplo­ matische Laufbahn vorbereitete, am 1 3 . August r 890 seinem Vater. «Die englischen Zeitungen wetteifern in Lobeserhebungen und Versicherun­ gen ihrer Freundschaft für Deutschland. Der , das Organ der Regierung, sagt sogar, England gehöre, wenn auch nicht formell, so doch faktisch, zur Tripelallianz u. werde mit ihr Schulter an Schulter gehen. Der Empfang des Kaisers soll, wie mir [August] Eulenburg neulich sagte, sehr herzlich gewesen sein. Ein Gutes hat der berüchtigte [Helge­ land-Sansibar] Vertrag doch gehabt, daß gegenwärtig in England die Stimmung gegen uns, sogar bei Gladstone und der Opposition, ganz zum Guten umgeschlagen ist; und das wiegt doch Manches auf. Die pompöse Übergabe Helgolands [am r o. August r 89o] fand auch ich et­ was lächerlich, auch der Vergleich zwischen diesem Akt u. der Schlacht bei Wörth in der kaiserlichen Rede nicht ganz zutreffend.»109 Diese letzte Bemerkung bezog sich auf die Ansprache des Kaisers an seine «Kameraden der Marine! », in der er ausrief: «Vier Tage sind es her, daß wir den denkwürdigen Tag der Schlacht von Wörth feierten, an dem un­ ter Meinem Hochseligen Großvater von Meinem Herrn Vater der erste Hammerschlag zur Errichtung des neuen Deutschen Reiches geführt wurde. Heute nach zwanzig Jahren verleibe Ich diese Insel als das letzte Stück deutscher Erde dem deutschen Vaterlande wieder ein ohne Kampf und ohne Blut. Das Eiland ist dazu berufen, ein Bollwerk zur See zu werden, den deutschen Fischern ein Schutz, ein Stützpunkt für Meine Kriegsschiffe, ein Hort und Schutz für das deutsche Meer gegen j eden Feind, dem es einfallen sollte, auf demselben sich zu zeigen.»110 Die ganze von Wunschdenken geprägte Ambivalenz Wilhelms II. England gegenüber kommt in der Tatsache zum Ausdruck, daß er in diesem Moment der Besitzergreifung Helgolands einen Trinkspruch aus­ brachte, in dem er Großbritannien als ein «stammverwandtes Land>> und seine Großmutter als diejenige «hohe Frau» bezeichnete, «der wir es zu verdanken haben, daß die Insel wieder deutsch ist. Mit weitschauendem Blick, mit hoher Weisheit regiert die Königin ihr Land, und sie legt Wert darauf, mit Mir und Meinem Volke in Freundschaft zu leben. Sie schätzt

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deutsche Offiziere, deutsche Melodien. Hoch lebe die Königin von Eng­ land! >>111 Ganz in diesem Sinne machte der Deutsche Kaiser von der - ver­ meintlichen - Erlaubnis der Königin Gebrauch, ihr in Marinefragen sei­ nen Rat zu erteilen. Er habe, so schrieb er ihr im Februar I 8 9 I, «sehr große Zweifel an der Tauglichkeit & Effizienz der schwersten Kanonen>> auf den Kriegsschiffen der Royal Navy. Die Wurzel des Übels liege in dem englischen Lieferungssystem, wodurch die Flotte die von Sir W Armstrang in Eiswiek hergestellten Geschütze «mit gebundenen Hän­ den>> annehmen müsse. Er riet, die Flotte solle ihre Geschütze selber im Woolwich Arsenal herstellen oder wenigstens das Recht haben, der Her­ stellungsfirma ihre Wünsche mitzuteilen. In Deutschland würden die Marineexperten der Firma Krupp sagen: «Eine Kanone von dieser oder j ener Sorte wird in der Flotte gebraucht, sie muß eine bestimmte Anzahl von Bedingungen erfüllen, die namentlich aufgeführt werden; dann, wenn die Kanone hergestellt worden ist, wird sie in den Werken gete­ stet. Erst von Krupp, dann von einem Offiziersausschuß, & wenn das noch nicht genügt, wird sie zu dem Regierungsschießübungsplatz ge­ schickt.» Er empfahl der Queen, das deutsche Beschaffungssystem für die Royal Navy einzuführen.112 Zehn Tage später sandte er seiner Groß­ mutter ein herzlich gehaltenes Glückwunschtelegramm zum Stapellauf von zwei neuen Schiffen der britischen Kriegsmarine und betonte dabei wieder einmal die Zusammengehörigkeit der beiden Flotten. «Mögen sich die zwei herrlichen neuen, von britischen Händen erbauten Schiffe als eine mächtige Erweiterung der Royal Navy erweisen, und mögen sie immer [ . . . ] die Ehre der britischen Flagge aufrechthalten. Meine ganze Marine fühlt mit mir die Ehre, die unseren Kampfgenossen erwiesen worden ist, und bittet darum, Eurer Maj estät die ehrfurchtvollsten Gra­ tulationen zu Füßen legen zu dürfen.» Er unterzeichnete das Telegramm als « William German Emperor, King of Prussia, Admiral of the Fleet>>.113 «Lediglich aus politisch-taktischem Kalkül» schlug Lord Salis­ bury der Queen vor, sie möge dem Admiral von der Goltz, der als Ver­ treter des Kaisers an dem Stapellauf teilnehmen würde, einen hohen bri­ tischen Orden verleihen. Die erhoffte Wirkung auf Wilhelm blieb nicht aus.114 Keinem Beobachter konnte es entgehen, wie wohl sich der Kaiser im Kreis der höheren deutschen Marineoffiziere fühlte. Als er am 2 2. April I 890 in der Lahn in Wilhelmshaven ankam, sollte er nach den festgeleg­ ten Dispositionen an Land gehen, aber er schwenkte ab und kam auf die Deutschland, die gerade vom Mittelmeer heimgekehrt war. «Es war eine herzliche Begrüßung>>, hielt Vizeadmiral Paul Hoffmann in seinem Tage­ buch fest. Der Kaiser schritt die Front der Mannschaft ab und «begab sich dann in die Kajüte, wo er sich so zuhause fühlte, daß er zu seinem Gefolge sagte: » Dort übergab er

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Kolonial- und flottenpolitische Anfänge

dem Admiral Friedrich von HoBmann seine Ernennungsurkunde zum Staatssekretär des Reichsmarineamts und unterhielt sich lange mit ihm über Bismarcks Entlassung. Das auffallend kameradschaftliche Verhält­ nis des Monarchen zu HoBmann kam auch an jenem Abend zum Aus­ druck, als dieser und Vizeadmiral Hoffmann zum Kasino unterwegs waren. Als die beiden Seeoffiziere dort eintreten wollten, fuhr der Kaiser gerade vor. Hoffmann notierte: 115 Dieses freundschaftliche Verhältnis konnte nicht lange ohne Folgen bleiben. Die Marineoffiziere, und vor allem der Chef des Marinekabi­ netts Freiherr von Senden-Bibran und der Staatssekretär von Hollmann, der die Gewohnheit hatte, den Kaiser bei seinen Morgenspaziergängen im Tierpark zu überfallen, schürten das persönliche Engagement Wil­ helms für die Vergrößerung der Flotte. Auch Prinz Heinrich, der als begeisterter Marineoffizier in Kiel lebte, übte einen gegen das britische Weltreich gerichteten Einfluß auf seinen Bruder aus. Als seine Mutter Anfang I 8 9 I in seiner Gegenwart die englische Herrschaft in Ägypten lobte, wurde Heinrich «ganz wild». 121 Waldersee, der die Flotten­ revue in Kiel ebenfalls miterlebte, schilderte dieselben Auseinanderset­ zungen nicht minder kritisch: «Es ist ganz eigen wie beim Kaiser die Passion für das Seewesen doch die entwickelteste ist und sieht man hier recht deutlich wie er für die Marine weit mehr Interesse hat als für die Armee; leider sind in der Marine viele die dies ausnutzen u. den Kaiser noch mehr treiben u. möchte ich den Prinzen Heinrich davon nicht aus­ schließen. Die älteren Officiere denken aber meist vernünftig und sehen sie ganz klar wie der Kaiser übertreibt u. die Bedeutung der Marine überschätzt. Der Admiral Hollmann, der neue Staatssecretär, hat bereits ernste Sorgen; der Kaiser hat weitgehende Ideen die natürlich viel Geld kosten und ist der Reichstag keineswegs geneigt für die Marine gewal­ tige Summen aufzubringen.»122 Für die zurückhaltende Kontinentalpolitik, die Caprivi mit still­ schweigender Unterstützung Englands zu führen bestrebt war, bedeutete die Flottenbegeisterung Wilhelms II. schon in dieser ersten Zeit eine ständige Bedrohung. Unmittelbar nach der Ernennung des neuen Kanz­ lers sagte Waldersee voraus, es würden «gleich verschiedene Ansichten über die Entwicklung unserer Marine aufeinanderplatzen», denn .123 Daß Wilhelm II. zum Nachteil der Armee auf eine Vergröße­ rung der Kriegsflotte drängte, mußte Waldersee bereits im Herbst r 89o konstatieren, als er fast ungläubig in sein Tagebuch eintrug, der Kaiser stelle und sei ge­ neigt, diesen Flottenforderungen .141 In seinen Briefen der nächsten Zeit nannte er sie «den oder die der Souveräne Europas, angebetet & verehrt von allen; gefürchtet nur von den Bösen>>.142 Die sich anbahnende deutsch-britische Freundschaft verursachte auf der Insel Verlegenheit, als klar wurde, daß Prinz Heinrich und seine Frau noch zu Gast bei Queen Victoria in Osborne sein würden, wäh­ rend ein französisches Geschwader ihr dort einen offiziellen Besuch ab­ stattete. Mit Erleichterung nahm man daher das Angebot des Kaiserbru­ ders an, vom 19. bis zum 2 1 . August in dem Schiff Aline des Prinzen von Wales einen Ausflug zu unternehmen.143 Während seiner «diploma­ tischen>> Abwesenheit nahm sich Heinrich allerdings vor, wie er seinem «lieben großen Bruder» berichtete, das «erbfeindliche Geschwader>> von außen zu besehen.144 Nach wenigen Tagen konnte er das Ergebnis seiner Spionagetätigkeit, bei der die Prinzessin lrene die französischen Kriegs­ schiffe «fleißig>> photographiert hatte, nach Berlin melden. «Die Schiffe machen keinen Anspruch auf Schönheit, entschieden aber auf Kriegsbe­ reitschaft. Die Armierung ist eine durchgehende, wie auch die Ge­ schützaufstellung gute und numerisch große. Der sieht von weitem einer schimmernden Stadt ähnlich - und bietet mit seinen hohen Aufbauten eine vorzügliche Zielscheibe dar. Vorn, achtern und zu bei­ den Seiten in Ausbauten steht je eine lange Kanone schweren Kalibers (etwa 28 cm) welche jedoch jeglichen Schutzes entbehren. In der Batte­ rie stehen r 6 Stück lange 1 5 cm oder 1 7 cm anscheinend Schnelllade-

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kanonen, also 8 Stück zu jeder Breitseite. Wo ferner überhaupt nur Platz ist ist das Schiff, wie auch die Anderen, gespickt mit kleinen Schnell­ feuerkanonen, allerdings von den allerverschiedensten Modellen und Kalibern. - Der hat gewisse Aehnlichkeiten mit unserer Klasse. [ . . . ] Ferner scheinen weder noch eine Torpedoarmierung zu besitzen, wenigstens habe ich nichts entdecken können! Die Torpedoboote sind ganz miserabele Fahrzeuge und haben gewisse Aehnlichkeit mit den englischen.>>145 Wilhelm leitete die gehei­ men Nachrichten umgehend an das Marinekabinett weiter. Die Zeitungsnachrichten über den glänzenden Empfang des Kaisers in England riefen in Waldersee Erinnerungen an vergangene Zeiten wach, in denen Wilhelm ganz anders über seine zweite Heimat gedacht hatte. >, antwortete er auf das Schreiben Wilhelms.167 Anläßlich der Silberhochzeit des italienischen Königspaares fuhr der Kaiser im April 1 893 nach Rom und hatte dort Gelegenheit, eine längere Unterredung mit Papst Leo XIII. zu führen, in deren Verlauf er wieder­ holt seine monarchische Führungsideologie in Europa beziehungsweise seine vehemente Ablehnung der demokratischen Tendenzen in Frank­ reich, in der katholischen Kirche und der Zentrumspartei betonte. Philipp Eulenburg hatte ihm zu diesem Thema geraten, indem er hervor­ hob, daß «der Gedanke der großen monarchischen Schutzwehr gegen die Revolution>> in ihm, dem Kaiser, liege und von ihm in ihren gemein­ samen Gesprächen «öfters ausgesprochen>> worden sei.168 In seiner Be­ gegnung mit Leo XIII. betonte Wilhelm, «daß sämtliche Monarchien Europas durch das Fortschreiten der radikalen Ideen in monarchischer Solidarität sich gezwungen sähen, allerseits gegen diese Ideen Front zu machen. Der Radikalismus sei der Feind einer fest geordneten Monar­ chie, zugleich aber auch der geschworene Feind der Kirche. Der Radika­ lismus stehe aber nicht selbständig in der Welt da, sondern wurzele im Republikanismus, da seine eigentliche Basis republikanische Tendenzen seien. Er sei daher allen Monarchien gleichmäßig gefährlich, seien sie weltlich oder geistlich.» Er, der Kaiser, könne deshalb nicht verstehen, weshalb der Papst in Frankreich die republikanische Staatsform unter­ stütze. Für ihn, wie für alle Zuschauer, müsse diese Einstellung befrem­ dend erscheinen. Die päpstliche Politik Frankreich gegenüber, sagte Wil­ helm dem Papst, habe «einen großen Teil meiner [Monarchen-] Kollegen sowie mich persönlich mit Besorgnis erfüllt, da er die Republik, wenn auch nur scheinbar, unterstütze. Wir Monarchen repräsentieren das Got-

6. Des Kaisers Leitmotiv

resgnadenturn und die konservative Politik. Die Republik und mit ihr der Radikalismus dagegen basiere auf Königsmord, Abschaffung des lie­ ben Gottes und habe zum Zweck den Umsturz aller bestehenden Ord­ nung. [ . . . ] Das [französische] Volk komme nicht zur Ruhe und Stabi­ lität, weil es seinem Könige, der ihm von Gott gesetzt, den Kopf ab­ geschlagen, die Kirche geschändet und die Gottheit verhöhnt habe. Der Fluch des Herrn laste über dem Lande, und diese Zustände seien seine Strafen.>> Zudem habe der Papst durch seine Haltung «einen nicht unbe­ deutenden Teil meiner katholischen Untertanen, die ihn eine antimonar­ chische Staatsform in einem anderen Lande unterstützen sähen, unsicher gemacht>>, klagte der Kaiser. In jüngster Zeit seien demokratische Zen­ trumsführer wie Lieber, DaUer, Fusangel und Orterer in den Reichstag gewählt worden, sagte er, die der Regierung Schwierigkeiten machten. «Sie hätten meiner Regierung gegenüber eine Sprache geführt, die uner­ hört sei und gewiß nicht im Sinne des Papstes, da sie die Massen direkt zum Ungehorsam gegen die Regierung aufreizten.>>169 Als er im Februar I 894 den Vorsitz einer Sitzung des preußischen Staatsministeriums übernahm, in der der Handelsvertrag mit Rußland auf der Tagesordnung stand, verkündete der Kaiser: «Unsere Suprematie sei nicht nur durch unser Heer, sondern auch durch die Handelspolitik Europa vor Augen zu führen.>> Durch einen zollpolitischen Zusammen­ schluß der europäischen Staaten unter deutscher Führung müsse der Politik der USA, Deutschland von seinem «Hauptabsatzgebiet Südame­ rika>> abzuschneiden, einen Riegel vorgeschoben werden. Das Vormacht­ streben des Reiches müsse aber vor der russischen Seite streng geheim­ gehalten werden, denn sonst würden sich die Vorbehalte Rußlands gegen die neuerliche deutsche Heeresverstärkung nur noch versteifen. Mit Recht weist Konrad Canis auf die Ähnlichkeit zwischen diesen Über­ legungen und den «Napoleonischen>> Vorherrschaftsgedanken hin, die der Kaiser auf der Nordlandfahrt im Juli I 892 geäußert hatteY0 Die Idee einer monarchischen Friedensordnung für Europa, in der er als Deutscher Kaiser die führende Rolle spielen würde, bildete offenbar eine Art Leitmotiv in der kaiserlichen Vorstellungswelt. Dieses übergrei­ fende Doppelziel war jedoch ebensowenig wie einhundert Jahre zuvor das System Napoleons allein auf friedlichem Wege zu erreichen; viel wahrscheinlicher, das ahnte wohl auch Wilhelm II., würden militärische Mittel eingesetzt werden müssen, um die neue europäische Ordnung un­ ter deutscher Führung zu schaffen. Dieser Zusammenhang tritt auch in dem letzten Kaiserzitat zutage, das hier angeführt werden soll. Im Som­ mer I 89 5 , zu einer Zeit also, in der er zu einem rassistischen Vokabular übergegangen war und von den Deutschen regelmäßig als Germanen, den Russen als Slawen und den Franzosen als Galliern oder Romanen sprach, definierte der Kaiser das überragende Ziel seiner Außenpolitik als die Führung der gesamten germanischen Bevölkerung Europas inklu-

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sive Skandinaviens gegen die von Rußland ausgehende slawische Gefahr, die dem mitteleuropäischen Vorherrschaftsgedanken vom Sommer r 892 nicht unähnlich war. In einem Brief vom 2 5. Juli r 895 vertraute er dem Kronprinzen von Schweden an: «Mein ganzes Dichten und Trachten und meine ganzen Gedanken in der Politik sind darauf gerichtet, die germanischen Stämme auf der Welt, speziell in Europa fester zusammen zu führen und zu schmieden, um uns so sicherer gegen die slavisch­ tschechische Invasion zu decken, welche uns alle im höchsten Grade be­ droht. Schweden-Norwegen ist einer der Hauptfaktoren in diesem Bund germanischer Völker. Was soll nun daraus werden, wenn dieses große nordische Staatengebilde mit einem Male ausfällt und womöglich von den Slaven (Russen) absorbiert wird ? Der ganze europäische germani­ sche Norden bildet in dieser Hinsicht die linke Flanke für Deutschland beziehungsweise Europa, ist mithin für unsere Sicherheit von großer Wichtigkeit. Sein Verschwinden würde eine Preisgabe unserer Flanke und eine schwere Bedrohung für uns alle bedeuten.>>171 Bei der vielbeklagten Sprunghaftigkeit des jungen Monarchen ginge es sicherlich viel zu weit, in solchen Äußerungen einen durchdachten au­ ßenpolitischen Plan zu sehen, den er jetzt auszuführen bestrebt war. Gleichwohl ist in diesen über mehrere Jahre hinweg verstreuten Erklä­ rungen Wilhelms doch ein immer wiederkehrendes Gedankenmuster zu erkennen, das darauf hinweist, daß hinter seiner regen und äußerst wil­ lensstark vorgetragenen diplomatischen und rüstungspolitischen Akti­ vität mehr steckte als nur der eitle Wunsch, als Leiter der deutschen Außenpolitik zu gelten. Gerade weil seine Äußerungen auf seinen jewei­ ligen Gesprächspartner taktisch zugeschnitten waren, ist die Beständig­ keit, mit der in den kaiserlichen Äußerungen zwei Grundelemente - die deutsche Vorherrschaft in einem monarchisch verfaßten Europa - hervor­ gekehrt werden, für uns von hohem Erkenntniswert. Die gefühlsgelade­ nen Gedankensplitter der allerersten Regierungszeit Wilhelms II., die in seinen rüden, von Bismarck sekretierten Marginalien ihren beispielhaf­ ten Niederschlag gefunden hatten, haben sich jetzt, nach der Entlassung Bismarcks, wenn zwar noch lange nicht zu einem klaren Programm, so doch zu einer instinktiven Vorstellung von seiner künftigen Aufgabe als Deutscher Kaiser und König von Preußen zusammengefügt. In späteren Kapiteln werden wir verfolgen können, wie sich aus diesem ersten An­ satz die wilhelminische Weltmacht- und Schlachtflottenpolitik ent­ wickelte. Doch vorerst wollen wir uns der Rolle zuwenden, die Kaiser Wilhelm II. in den ersten Jahren des Neuen Kurses in der Innenpolitik spielte.

Kapitel 1 5

Der Dualismus der Macht I.

Der Kaiser und die «verantwortliche Regierung»

Die dominante Rolle, die Wilhelm II. schon bald nach Bismarcks Sturz in der Außen- und Militärpolitik zu spielen vermochte, sollte uns natür­ lich nicht dazu verleiten, ihn als einen Diktator oder Tyrannen anzu­ sehen. Wenn er auch entschlossen war, die enorme ererbte Machtfülle der preußisch-deutschen Militärmonarchie voll auszuschöpfen, wenn er auch von sonderbaren anachronistischen Ideen seines Gottesgnadentums erfüllt war und diese zum Entsetzen seiner Berater zunehmend häufig und lautstark verkündete - er war und blieb ein legitimer König und Kaiser, der innenpolitisch mit den von der preußischen und der Reichs­ verfassung vorgegebenen Ämtern und Parlamenten zusammenwirken mußte. Es entstand somit zwischen dem Monarchen einerseits und der «verantwortlichen Regierung» (also dem Reichskanzler, den preußischen Ressortministern und den Staatssekretären der Reichsämter) andererseits ein Dualismus der Macht, der zwangsläufig auf beiden Seiten von Kon­ flikten, Krisen und wachsender Frustration gekennzeichnet war. Im wei­ teren Verlauf dieser Darstellung werden wir sehen, wie sich die Macht innerhalb der Führungsspitze Schritt für Schritt zugunsren des Kaisers und seines Hofes verschob. Hier wollen wir die Spannungen zwischen Wilhelm II. und seinen «verantwortlichen» Ratgebern in der ersten Zeit nach der Entlassung Bismarcks näher untersuchen. Anfangs genoß in diesem nachbismarckischen System der parallelen Machtzentren der neuernannte Reichskanzler und Ministerpräsident Ge­ neral von Caprivi den Vorteil, daß Wilhelm ihn nicht gleich wieder ent­ lassen konnte. So konstatierte Waldersee im Mai I 8 90, Caprivis Stärke liege in der Tatsache, daß der Kaiser «nicht schnell mit Kanzlern wech­ seln» dürfe und ihn deshalb «mit großer Vorsicht behandeln» und sich sogar «j etzt manchmal fügen» müsse.1 Selbst die strittige Kabinettsordre aus dem Jahr I 8 5 2, die Bismarck hervorgeholt hatte, um seine Autorität über seine Ministerkollegen gegenüber der Krone zu stärken, und die den letzten Anstoß zu seinem Sturz gegeben hatte, wurde durch einen neuen Erlaß ersetzt, der dem Ministerpräsidenten die gleichen Rechte einräumte.2 Anfangs waren Wilhelm und die Kaiserin auch wirklich, wie sie wiederholt beteuerten, «sehr entzückt» von dem «neuen Regime», das sie vorteilhaft mit der letzten Bismarckzeit verglichen.3 Noch im Dezember I 890 schrieb der Kaiser überschwenglich von dem neuen Reichskanzler an Queen Victoria: «Hier vertragen wir uns sehr gut mit

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Der Dualismus der Macht

Caprivi, der schon jetzt von seinen Freunden bewundert wird & den Respekt seiner Feinde erworben hat. Ich halte ihn für einen der groß­ artigsten Charaktere, die Deutschland je hervorgebracht hat, & bin mir sicher, daß Du ihn sehr gerne mögen wirst, sobald Du ihn siehst.>> 4 Zu­ frieden konnte auch Geheimrat von Holstein zu diesem Zeitpunkt kon­ statieren, daß Caprivi das Vertrauen des Kaisers besaß,5 und auch Wal­ dersee mußte einräumen, daß der Kaiser mit dem Kanzler «noch sehr zufrieden>> sei, wenn auch dies «nur möglich» sei, weil Caprivi bisher «geschickt eingelenkt u. nachgegeben» habe. 6 Von Dauer konnte dieses Verhältnis freilich nicht sein, denn je weiter sich der Kaiser zeitlich von der Bismarckkrise entfernte, desto selbstbe­ wußter konnte er auftreten. Andererseits war der neue Reichskanzler bei aller Nachgiebigkeit gewiß nicht der Mann, der unter allen Umständen an seinem undankbaren Posten >.14 Im Juni 1 890 beschuldigte man den Kriegsminister dann während der parla­ mentarischen Verhandlungen «der gröbsten Fehler und Ungeschicklich­ keiten>>: Er habe durch die Bekanntgabe seiner Zukunftspläne, wonach demnächst noch größere Armeevermehrungen erforderlich sein würden, «die ganze Entwicklung in Gefahr gebracht» und «die auseinanderfal­ lende Freisinnige Partei wieder zusammengeschweißt>>, hieß es in Regie­ rungskreisen. Auch im Reichstag genoß der Kriegsminister «nicht die geringste Achtung>>, und als Caprivi ihn mit der Erklärung kompromit­ tierte, ihm, dem Kanzler, sei von weiteren Armeevergrößerungsabsich­ ten nichts bekannt, war der Sturz des Generals besiegelt.15 Ein heftiger Meinungsstreit zwischen dem Kaiser und dem Kriegsmi­ nister in der Frage, ob schwere Artilleriegeschütze besser aus Gußstahl oder aus Bronze gegossen werden sollten - selbst darüber maß sich Wil­ helm ein Urteil an -, brachte dann das Faß zum Überlaufen. Der Kaiser ergriff entschieden die Seite der Firma Krupp für Stahl, während Verdy das Nichtspringen von Bronze als überragenden Vorzug einschätzte, und als drei Bronzegeschütze sprangen, wurde das allgemein als ein «großer Triumph für S.M.>> und als ein Fiasko für Verdy gewertet.16 Auf Anord­ nung Wilhelms II., der nach seiner Rückkehr aus Essen «mit größter Schärfe>> gegen Verdy vorging, erhielt der Kriegsminister vorläufig drei Monate Urlaub mit der Bestimmung, dann pro forma für acht Tage in sein Amt zurückzukehren und zum 1 . Oktober 1 890 seinen Abschied zu nehmen; es durfte ja nicht so aussehen, als wäre ein preußischer Kriegs­ minister einer Stimmung im Reichstag gewichenY Der Chef des Gene­ ralstabes räumte zwar ein, daß sein Protege Fehler begangen und oft an­ gestoßen sei, er bestand aber darauf, daß Verdy ein hochbefähigter Kriegsminister war und sich der Armee sehr verdient gemacht habe. Dank habe er dafür nicht erhalten. «Der Kaiser ist zu ihm sogar in ho­ hem Maaße unfreundlich u. undankbar gewesen», schrieb er, und meinte dann: «Was ich Verdy vorwerfe ist seine zu große Nachgiebigkeit gegen den Kaiser; er wäre vielleicht besser abgeschnitten, wenn er bei Zeiten die ernste Seite herausgekehrt hätte.»18 Waldersee bedauerte den Sturz seines Freundes aus mehreren Gründen, nicht zuletzt auch deswegen, weil sich durch diese Krise seine eigene Stellung gelockert hatte.19 Er bat den scheidenden Kriegsminister, an den Herbstmanövern und auch an der Truppeninspektion in Pasewalk nicht teilzunehmen, da er sich da-

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durch nur «Unfreundlichkeiten von Seiten des Kaisers» aussetzen würde, was auch prompt geschah.20 Waldersee sagte allerdings voraus, daß sich Wilhelm noch manches Mal nach Verdy zurücksehnen würde, denn «einen bequemeren Kriegsminister» werde er nicht bekommen. 21 Als Verdy befehlsgemäß am 1 . Oktober sein Abschiedsgesuch einreichte, konnte Waldersee erkennen, daß er «mit vollem Recht [ . . . ] in hohem Maaße verbittert>> war. «28 Kurz nach seiner Übernahme des Kriegsministeriums gelangte Kaltenborn - genau wie Caprivi und Waldersee - zu der Einsicht, «daß die Schwierigkeiten hauptsächlich beim Kaiser liegen>>.29 Mit welcher Selbstverständlichkeit der Monarch auch im zivilen Be­ reich die Ministerwahl als Prärogative der Krone ansah, zeigte sich in diesen ersten Monaten nach Bismarcks Sturz wiederholt. Als der preußi­ sche Finanzminister Adolf von Scholz am q . Juni 1 890 seinen Rücktritt einreichte, bot Wilhelm II. - ohne sich vorher mit Caprivi abzusprechen - am 20. Juni diesen Schlüsselposten anläßlich eines Besuchs in Essen dem Generaldirektor der Kruppwerke, Johann Friedrich Jencke, an, den er während der Beratungen des preußischen Staatsrats schätzengelernt hatte, obwohl gerade er die sozialpolitischen Pläne Wilhelms entschie­ den verworfen hatte ! Die preußischen Staatsminister, Boetticher voran, waren empört. Sie hielten Jencke für ein Werkzeug der Schwerindustrie, der die Sozial- und die Eisenbahnbaupolitik der Regierung zu untergra­ ben suchen würde. Nur einer von ihnen - es war ausgerechnet der reformfreundliche Handelsminister Freiherr von Berlepsch - sprach die Zuversicht aus, daß Jencke «seine Beziehungen zu Krupp und zur Indu­ strie vollständig lösen>> werde. Reichskanzler von Caprivi hatte ebenfalls schwere Bedenken gegen die Wahl Jenckes, er hielt aber den Entschluß des Kaisers für unwiderruflich und argumentierte, es sei daher wohl klü­ ger, wenn das Staatsministerium sich füge.30 Nicht im Hinblick auf den Protest der Staatsführung also, sondern weil J encke das Finanzministe­ rium ablehnte - er erklärte, er verstehe nichts vom Zollwesen und hätte lieber das Ministerium für öffentliche Arbeiten, das für die preußischen Eisenbahnen zuständig war -, sah der Kaiser von der Ernennung des Kruppdirektors vorerst ab und vermied dadurch eine ernste Kanzler­ krise, denn abgesehen von seinen Bedenken gegen die politische Haltung Jenckes beanspruchte Caprivi, bei der Ernennung seiner engeren Mitar­ beiter doch «gehört zu werden [und] womöglich selbst den Vorschlag zu machen».31 Anstelle Jenckes trug Wilhelm den Posten dem nationallibe­ ralen Oberbürgermeister von Frankfurt am Main, Johannes von Miquel, an, den er ebenfalls im Staatsrat kennengelernt hatte und der sich am 1 2. Juni während einer musikalischen Soiree im Neuen Palais - also un­ mittelbar vor dem Rücktritt von Scholz - durch den Flügeladjutanten Wedel an den Kaiser heranbringen ließ.32 Miquels Ernennung wurde am 2 2. Juni einstimmig von den Staatsministern begrüßt und zunächst auch von Caprivi hingenommen, bis der Kanzler merkte, daß ihm mit Miquel ein Kuckucksei ins Nest gelegt worden war. Der neue Finanzminister, der sich in den nächsten Jahren zu einer der mächtigsten Gestalten der deutschen Politik entwickeln sollte, bewegte sich politisch rasch nach rechts und wurde für den Kanzler zum höchst unbequemen Fürsprecher agrarischer, großindustrieller und bismarckischer Interessen innerhalb des Staatsministeriums. Keinesfalls trug diese Ministerwahl also zur Ein-

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heitlichkeit der Regierung beiY Der Kaiser änderte auch sehr rasch seine Meinung über ihn. Bereits im Dezember I 89o klagte der Monarch, Miquel sei doch «der richtige klugsprecherische Hannoveraner», wozu Waldersee meinte: «Es ist das etwas schnell, wenn man denkt, mit wel­ chem Entzücken der Kaiser noch vor wenigen Monaten sprach, aber ein rechtes Zeichen der Zeit.»34 Zweieinhalb Jahre später zeichnete der Ge­ neral auf, der Kaiser habe Miquel .35 Dennoch sagten viele schon I 89 I die baldige Ablösung des Kanzlergenerals durch Miquel voraus.36 Vorherrschend war der Einfluß Kaiser Wilhelms II. auch in zwei wei­ teren Ministerernennungen jenes Winters. Als im November I 89o der preußische Landwirtschaftsminister Robert Freiherr Lucius von Ball­ hausen mit der Begründung sein Rücktrittsgesuch einreichte, er könne nicht hinnehmen, schied er, wie Lucanus versichern konnte, «im größten Frieden>> und mit der Zustimmung Caprivis aus dem Amt.37 Sein Nachfolger aber, der Großgrundbesitzer und bisherige Re­ gierungspräsident in Frankfurt an der Oder, Wilhelm von Heyden-Ca­ dow, verdankte seine Ernennung vor allem dem Umstand, daß er war.38 Ähnlich vollzog sich zunächst der Abgang des Ministers für öffent­ liche Arbeiten, Albert von Maybach, der Anfang I 89 I angesichts der wachsenden Kritik an seiner Eisenbahnpolitik seitens des Generalstabes, der Industriellen und des allgemeinen Publikums sein Entlassungsgesuch einreichte.39 Sofort verlangte der Kaiser unumwunden die Ernennung des Kruppdirektors Jencke, der sich, wie wir soeben gesehen haben, die­ sen Posten im Sommer ausbedungen hatte. Caprivi hatte seit j enem Ver­ sprechen des Kaisers zwar immer mit der Ernennung Jenckes gerech­ net,40 er hatte aber diesmal etwas mehr Gelegenheit, seine eigenen Vor­ stellungen ins Spiel zu bringen. Er berief das Staatsministerium zu einer Geheimsitzung und stellte zusammen mit seinen Kollegen eine Liste der Bedingungen auf, die Jencke erfüllen müsse, wenn er Minister werden wollte: Er müsse seine Haltung in der Arbeiterschutzfrage und speziell den Eisenbahnarbeitern gegenüber erläutern, seine Einstellung zu Preu­ ßen und zum Reich klären (Jencke war Sachse) und vor allem garantie­ ren, daß er nicht «die Industrie unbillig im Vergleich zur Landwirtschaft protegieren>> würde. Mit dieser Liste eilte Caprivi zum Kaiser und bat ihn, Maybach im Amt zu belassen, bis Jencke sich zu den strittigen Punkten geäußert hätte.41 Unklar ist, weshalb es am Ende nicht zur Er­ nennung des Kruppdirektors kam. Sowohl Holstein als auch Eulenburg, die und gerade durch diese Ministerwahl wollten, bedauerten die Nichternen-

Der Dualismus der Macht

nung J enckesY Bekannt ist nur, daß sich Kaiser, Kanzler und Minister schließlich auf den verdienten, aber unpolitischen Eisenbahnbeamten Karl (seit 1 900 von) Thielen einigten, der bis 1 902 im Amt blieb, j edoch bald ganz unter den Einfluß Miquels geraten sollte. Zu einem weiteren «sehr ernsten» Zusammenstoß, auch diesmal zwi­ schen dem Kaiser und dem gesamten preußischen Staatsministerium, kam es im September 1 8 90, als der Monarch sich weigerte, die Wieder­ wahl des freisinnigen Oberbürgermeisters von Berlin, Max von Forcken­ beck, zu ratifizieren. «Den Kerl bestätige ich nie», sagte er zu einigen Konservativen in Breslau, und auch dem Chef des Zivilkabinetts erteilte er eine glatte Absage, als dieser ihm während der Manöver im schlesi­ schen Rahnstock die Angelegenheit vortrug.43 Caprivi und die übrigen Minister sprachen sich einstimmig für die Ratifizierung der Wahl aus, da sonst die dem preußischen Abgeordnetenhause vorgelegten Gesetzent­ würfe und namentlich die neue Landgemeindeordnung ernstlich gefähr­ det gewesen wären.44 In Schlesien setzte der Reichskanzler dem Monar­ chen die Folgen einer Nichtbestätigung des Oberbürgermeisters ausein­ ander: Die Berliner würden Forckenbeck wiederwählen oder aber für einen noch «schlimmeren» stimmen, dann müsse man zur kommissari­ schen Verwaltung der Hauptstadt übergehen, wobei die große Mehrzahl der unbesoldeten Stadtverordneten ihre Ämter niederlegen würden und ein ganz unhaltbarer Zustand eintreten würde. Der Kaiser blieb aber bei seiner Meinung.45 Wie Waldersee lapidar notierte, wenn Wilhelm bei sei­ ner Haltung beharre, «so giebt es Minister-, vielleicht auch Kanzler Kri­ sis>>.46 Caprivi sprach drohend von einer Demission des gesamten Staats­ ministeriums, das offenbar das Vertrauen des Monarchen nicht mehr besitze. Mit der Unterstützung von Lucanus, der argumentierte, daß Forckenbeck eine solche Krise nicht wert sei, gelang es dem Kanzler, die Sache nochmals ans Staatsministerium zur Begutachtung zu bringen und meinte nun «wieder ganz heiter>> zu Kiderlen-Wächter: «Jetzt gibt der Kaiser nach.>>47 Am 1 0. Oktober 1 890 trug Waldersee in sein Tagebuch ein: «Heute ist ein wichtiger Tag. Caprivi ist nach Potsdam [gefahren] um vom Kaiser die Bestätigung Forckenbeck's zu erlangen; verweigert er sie, so will das ganze Ministerium fort.>>48 Am folgenden Tag ver­ merkte er den ersten «Sieg>> des Reichskanzlers über den Monarchen, indem er schrieb: «Caprivi hat gestern die Bestätigung Forckenbeck's durchgesetzt, ob mit hartem Kampf weiß ich nicht. Jedenfalls ist es ein großer Sieg des Kanzlers, es frägt sich nur, ob der Kaiser ihn nicht sehr übel nimmt u. die Verstimmungen damit anfangen.>>49 Der «Sieg>> des Kanzlers in diesem Fall war eine Ausnahme, die die Regel bestätigt. Ein Jahr später zeigte ein weiterer Vorgang in aller Klar­ heit, wer schon zu dieser frühen Zeit in der Personalpolitik das Heft in der Hand hatte. Der Stellvertretende Reichskanzler und Staatssekretär des Reichsamtes des Inneren, Heinrich von Boetticher, und der Staatsse-

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kretär des Auswärtigen Amtes, Baron Marschall von Bieberstein, holten in einem gemeinsamen Ziffertelegramm an den kaiserlichen Flügeladju­ tanten vom Dienst fast eingeschüchtert die «Allerhöchste Entscheidung» darüber ein, welche Stellung die preußischen Staatsminister gegenüber einer Einladung zu einem Festmahl zu Ehren des Berliner Oberbürger­ meisters Forckenbeck und des weltbekannten Mediziners und fort­ schrittlichen Parlamentariers Rudolf Virchow einnehmen sollten. Als Antwort darauf drahtete der Kaiser herrisch von seinem Jagdschloß Hubertusstock aus: «Theilnahme am Festmahl für Forckenbeck und Virchow nicht opportun. Bin einverstanden mit persönlicher Gratulation bei Forckenbeck. Virchow ist zu ignoriren. Da er als Staatsbeamter seine Pflicht völlig vergessen und versäumt hat. W>>50 Erst im November 1 89 1 besserte sich vorübergehend das Verhältnis des Kaisers zum Berliner Oberbürgermeister. Bei der Enthüllung des Begasbrunnens zeichnete der Monarch Forckenbeck durch besondere Höflichkeit aus, eine Schwen­ kung, die Waldersee zu der Bemerkung veranlaßte: «Vor 2 Jahren miß­ handelte er noch denselben Mann, als er ihm den Brunnen als Geschenk der Stadt antrug, hat ihn auch verschiedentlich als einen der bösesten Demokraten bezeichnet. 0 quae mutatio rerum! >>51 Die Lage der Regierung im Reichstag, wo seit der Wahl vom Februar 1 890 die mandatsstarke Zentrumspartei eine Schlüsselposition zwischen rechts und links innehatte, war noch brenzliger als die im preußischen Parlament. Am 14. Juni 1 890 sagte Wilhelm einem seiner Flügeladjutan­ ten, «er habe heute den ersten Kampf mit dem neuen Reichskanzler ge­ habt>>. Caprivi habe ihn gebeten, den Zentrumsführer Ludwig Windt­ horst zur bevorstehenden parlamentarischen Soiree auf der Ffaueninsel einzuladen, er, der Kaiser, habe dies aber «energisch abgelehnt, denn Windthorst sei ein ganz gefährlicher, feindlich gesinnter Mann, der sei­ ner [Wilhelms] Familie schon furchtbaren Schaden getan>> habe. Auch Caprivi stellte nachträglich fest, er habe mit dem Kaiser «heftig ge­ kämpft>>, bis Wilhelm mit der Erklärung, es sei «gegen seine Ehre, Windthorst einzuladen>>, der Diskussion ein Ende gesetzt hatte. Als Carl Wedel am 20. Juni in den Reichstag ging, hörte er von allen Seiten, wie bedauerlich es sei, «daß der Kaiser sich durch persönliche Antipathien zu unpolitischen Abstoßungen hinreißen>> ließe. Vor allem Miquel machte geltend, daß Wilhelm mit dem Zentrum rechnen müsse, «wolle er es nicht auf einen Staatsstreich ankommen lassen>>.52 Im Herbst 1 890 unternahm Caprivi erneut den Versuch, den Kaiser auf einem parlamentarischen Diner mit Windthorst zusammenzuführen, und diesmal mit Erfolg, wenn auch, wie Waldersee erfuhr, 55 Wieder einmal war Waldersee verblüfft über diesen raschen Meinungswandel und klagte, daß Deutschland nunmehr «völlig im katholischen Fahrwas­ ser>> sei, wobei es doch «unbedingt den Kürzeren>> ziehen würde.56 Am anderen Ende des politischen Spektrums wunderte sich die Kaiserin Friedrich nicht minder über diese Wandlung. Als Windthorst im März I 8 9 I verstarb, schrieb sie erstaunt an Frau von Stockmar: «Man hat ihm vom Hofe aus Blumen geschickt etc . . . Das würde man wohl nicht wenn von unseren Deutsch-Freisinnigen Einer krank würde, unserem hoch­ verdienten Ober-Bürgermeister etc . . . Trotz aller Opposition u. Allem Welfenthum u. Ultramontanismus, steht der conservative Windhorst [sie] doch den jetzigen Machthabern näher als ein freier, unabhängiger, scharf denkender liberaler Mann.>>57 Die taktische Annäherung des Kaisers und der Reichsleitung insge­ samt sowohl an das Zentrum als auch an die linksliberalen Parteien im Reichstag, auf die wir weiter unten zu sprechen kommen werden, unter­ grub die Stellung des preußischen Kultusministers Gustav von Goßler, der unter Bismarck mit der konservativ-nationalliberalen Kartellkombi­ nation zusammengearbeitet hatte. Bereits im Sommer I 890 wurden in der Zentrumspartei Stimmen laut, die sich «wÜtend>> über den Kultus­ minister äußerten und dessen Ersatz durch einen ihnen geneigteren Ultrakonservativen wie etwa den schlesischen Grafen Robert von Zed­ litz-Trützschler verlangten. 58 Nicht die Wünsche der parlamentarischen Parteien aber, sondern die des Monarchen und seiner unverantwort­ lichen Berater hinter den Kulissen bestimmten die Zusammensetzung der Regierung in Preußen und im Reich. So konnte Waldersee im Au­ gust I 89o während der Bahnfahrt nach Kiel das Gespräch auf die Arbei­ terfrage bringen und die Entlassung sowohl Goßlers als auch des Innen­ ministers Ernst Ludwig Herrfurth fordern. Man müsse das Übel des Sozialismus bei der Wurzel fassen, erläuterte er dem Kaiser, und dazu müßten Kirche und Schule zusammengehen, statt sich gegenseitig zu be­ kämpfen. Wilhelm hörte ruhig zu, beschwerte sich aber, daß er «in der Schulreform nicht das geringste vorwärts bringen>> könne, da Goßler

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«kommissarische Beratbungen zahlloser Leute, d. h. die Sache auf die lange Bank schieben» wolle.59 Die herausragende Rolle, die Wilhelm II. im Dezember I 8 90 in der Schulreformfrage spielte, zeigt beispielhaft, wie er mit Hilfe unverant­ wortlicher Ratgeber in einer Angelegenheit, die ihn persönlich inter­ essierte, die Staatsbürokratie einfach hintergehen konnte. 60 Er war es, und nicht der zuständige Kultusminister Gustav von Goßler, der fünf­ undvierzig Vertrauensmänner zu einer mehrtägigen Konferenz nach Berlin einlud. Anstatt sich von Goßler beraten zu lassen, hörte er auf seinen ehemaligen Erzieher Dr. Georg Ernst Hinzpeter, der, wie die Ge­ neralität und die Staats- und Reichsbürokratie konsterniert feststellten, plötzlich tagelang am Hof weilte.61 Zudem ließ er sich wochenlang re­ gelmäßig von Professor Konrad Schottmüller Vortrag halten, der auch die «gewaltige» Rede entwarf, die der Kaiser bei der Eröffnung der Schulkonferenz am 4· Dezember I 890 hielt und die noch heute sowohl verhaltene Bewunderung als auch leidenschaftliche Kritik hervorruft. 62 Ausdrücklich auf seine eigene Erfahrung in Kassel hinweisend, wetterte er in dieser aufsehenerregenden Rede «gegen das übertriebene Lernen» und gab die richtungsweisende Parole aus, «Wir sollen nationale junge Deutsche erziehen und nicht junge Griechen und Römer.» Die Aufgabe der höheren Schulen sei es, «das Gefecht gegen die Socialdemokratie» und gegen die «centrifugalen Tendenzen>> im Reich zu übernehmen, er­ klärte er. 63 Das ungeheure Aufsehen, das diese Kaiserrede erregte, kann man sich nur zu gut vergegenwärtigen. Der badische Gesandte in Berlin, der Bis­ marckianer Arthur von Brauer, berichtete darüber, sie bilde «fast das ausschließliche Tagesgespräch in den Couloirs wie in den Salons, und man darf sich nicht darüber wundern, daß eine so in das Detail einge­ hende, ein ganz bestimmtes, ziemlich radikales Programm enthaltende Rede aus so hohem Munde die verschiedenartigste Beurteilung erfährt und daß die Kritik in privaten und engeren Kreisen nicht immer das­ jenige Maß innehält, welches einem so erlauchten Sprecher gegenüber unter allen Umständen gewahrt werden sollte. Zunächst findet man es vielfach höchst bedenklich, daß der Monarch so sehr ins Detail ging und eine so fest gewurzelte vorgefaßte Meinung öffentlich bekundete, so daß jede freie Meinungsäußerung im weiteren Verlauf, wenn sie zu abwei­ chenden Resultaten kommt, fast wie eine absichtliche Auflehnung gegen den allerhöchsten Willen erscheint. [ . . . ] In zwei diametral entgegenge­ setzten Lagern ist man schon aus formalen Gründen mit der Rede wenig zufrieden: bei den Strengkonservativen, weil sie eine Schädigung des monarchischen Ansehens von dem Herabsteigen des Souveräns in die Arena des Kampfes über brennende Tagesfragen fürchtet - und bei den Strengkonstitutionellen, weil sie das persönliche Eingreifen des Monar­ chen aus doktrinären Gründen prinzipiell verwerfen. [ . . . ] Jeder Deut-

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sehe, der für Jugenderziehung und Schule Herz und Sinn hat, steht heute unter dem mächtigen Eindruck der kaiserlichen Worte. Von den fanati­ schen Anhängern der einen oder anderen Richtung wird der Kaiser mit seiner Rede keinen umgestimmt haben. Dagegen finden im größeren Publikum gerade die positiven Vorschläge des Kaisers begeisterte Zu­ stimmung. S.M. rühmt sich bekanntlich, die Stimmung und Wünsche der jüngeren Generation besser zu verstehen wie seine Minister und Ratgeber, und der Erfolg seiner neuesten Auslassungen scheint diese Be­ hauptung zu bestätigen. Wenigstens finde ich vielfach, namentlich bei jüngeren Leuten, die Ansicht vertreten, der Kaiser habe auch diesmal wieder den Nagel auf den Kopf getroffen, und sie erwarten von der Ab­ schaffung der Realgymnasien und von der Beseitigung des lateinischen Aufsatzes in den Gymnasien eine zauberschnelle Beendigung aller unse­ rer SchulmängeL Daß daneben die Lehrer , ist den zahlreichen Vätern von Söhnen, welche quartaliter mit schlechten Zensuren heimzukommen pflegen, eine ganz besondere Freude und Genugtuung. Auf der anderen Seite hat der patriotische Ton, der aus der Rede hervorschaUt, vielfach freudigen Widerhall gefunden. Der Ge­ danke, daß im Interesse der nationalen Aufgabe der Schule das Deut­ sche, insbesondere der deutsche Aufsatz und die vaterländische Ge­ schichte in den beherrschenden Mittelpunkt des Lehrplans gerückt werden soll, hat gezündet. [ . . . ] Daß die Äußerungen S.M. über die Jour­ nalisten, welche er als und bezeichnete, in der Presse aller Schattierungen übel vermerkt wird, ist natürlich und selbstverständlich. [ . . . ] Es ist übrigens unbegreiflich, daß anscheinend weder das Kultusministerium noch das Geheime Kabinett die Umsicht gehabt haben, die Rede S.M. einer Durchsicht zu unterzie­ hen, bevor sie der Druckerei übergeben worden. Ich nehme das wenig­ stens an, weil es sonst noch unbegreiflicher wäre, wie jener Passus über die Presse und so manches andere stehenbleiben konnte. [ . . . ] Über die Autorschaft der kaiserlichen Rede ist nichts Sicheres bekannt. Soviel steht fest, daß kein amtlich berufener Ratgeber von derselben vorher et­ was gewußt hat. Hinzpeter stand der Rede auch fern. Er hat mir unmit­ telbar nach derselben in nichts weniger als anerkennenden Worten über den Inhalt gesprochen. Als Autor wird vielfach Professor Schottmüller genannt. [ . . . ] Ich habe daher den Eindruck, daß die Rede im wesent­ lichen der unmittelbaren eigenen Inspiration S.M. entflossen ist, wobei der Groll, den er auf dem Gymnasium zu Kassel gegen den übertriebe­ nen klassischen Formalismus durch ungeschickte und pedantische Leh­ rer eingesogen hatte, in seinen Worten deutlichen Ausdruck fand. Im ganzen wird man von der Rede des Kaisers sagen können, was von so manchen seiner früheren, dem Kraftbewußtsein und der jugendlichen Begeisterungsfähigkeit entsprossenen Worte und Taten gilt: S.M. findet damit in den offiziellen, bedächtigen Kreisen der Residenz mehr Kritik

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und Kopfschütteln als Anerkennung, dafür aber Jubel und Begeisterung in den breiten Massen des Volks.»64 Waldersee gehörte zu den vielen, die bedauerten, daß der Kaiser seine eigenen Ansichten zu sehr in den Vordergrund gestellt habe und besser getan hätte, die Beratungen der Konferenz nicht beeinflussen zu wol­ len.65 «Das Auftreten des Kaisers bei Eröffnung der Schulkonferenz hat doch vielfach mißfallen>>, schrieb er. «Man findet, daß der Kaiser über­ haupt zuviel mit seiner Person u. seiner eigenen Ansicht hervortritt, u. hat damit völlig Recht.>>66 Im Verlauf der Konferenz sagte der Kaiser nach einem Diner im Schloß zu Goßler: «> Bissig kommentierte Waldersee diese Äußerung mit den Worten: «Diese Freude ist eine mindestens gerheilte u. sieht man wieder, wie einzelne Schmeichler an den Kaiser heran gekommen sind.>>67 In der Rede, die er in der Schlußsitzung der Schulreformkonferenz am I 7· Dezember I 890 hielt, sprach Wilhelm II. dann selbstgefällig von seiner «vollsten Zufrie­ denheit>> darüber, daß die gelehrten Mitglieder nach ihrem offenen Gedankenaustausch schließlich «dahin gekommen>> seien, «wohin Ich Ihnen den Weg gezeigt habe>>.68 In dieser Situation ist es kaum verwunderlich, daß der Kultusminister die Lust verlor, weiter im Amt zu bleiben! Während der Schulkonferenz waren alle Teilnehmer «ganz entsetzt [ . . . ] über die Jämmerlichkeit des Ministers Goßler>>.69 Als dann im Januar I 89 I noch die Sperrgeldervor­ lage eingebracht wurde, mit der die Regierung im Reichstag die Unter­ stützung des Zentrums für den Österreichischen Handelsvertrag zu er­ kaufen hoffte, spielte Goßler wiederum eine «höchst klägliche» Rolle. «Goßler wird nun wohl von allen als ein trauriger Karakter erkannt sein; nach meinem Gefühl kann er garnicht Minister bleiben>>, urteilte Walder­ see.70 Wilhelm stellte sich zunächst noch vor seinen Minister: Er schickte ihm sein Bild und erklärte öffentlich, dieser sei der beste Kultusminister, den Preußen j e gehabt habe. Dann aber ließ er ihn plötzlich fallen, als ihm hinterbracht wurde, Goßlers Frau habe die Inschrift «sie volo sie ju beo>> («SO will ich, so befehle ich>>), die der Kaiser auf sein Bild ge­ schrieben hatte, auf das schärfste kritisiert.71 Als schließlich Goßler im März I 89 I mit seinem antiklerikalen Volksschulgesetz im preußischen Abgeordnetenhaus eine schwere Niederlage erlitt, genehmigte Wilhelm seine Entlassung. Der Kaiser versprach, ihn zum Trost zum Oberpräsi­ denten der Provinz Ostpreußen zu ernennen, ließ aber auch diesen Ge­ danken fallen, nachdem während der Kaiserjagd in Prökelwitz Mitglieder des ostpreußischen Adels einen «Putsch» gegen Goßler, der ihnen «nicht vornehm genug» war, verübten.72 Am r o. März erhielt Caprivi vom Kai­ ser die Ermächtigung, das preußische Kultusministerium dem Grafen Robert von Zedlitz-Trützschler anzubieten, welches dieser annahm.73

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Überblicken wir die Personalentscheidungen, die in den ersten zwölf Monaten nach Bismarcks Sturz getroffen wurden, so fallen uns zwei Merkmale sofort auf: die Unbeständigkeit und Unsicherheit innerhalb der «verantwortlichen» Regierung und die überwältigende Willens­ stärke des jungen Herrschers. Als der Großherzog von Baden im Okto­ ber I 890 zum 90. Geburtstag des Feldmarschalls Graf von Moltke nach Berlin kam, drängte er auf «mehr Stabilität in den hohen Stellen», denn «die schnellen Wechsel und die fortdauernden Gerüchte über weitere Wechsel>> wirkten höchst beunruhigend.74 Auch Wilhelm von Rauch­ haupt, der Führer der Konservativen, meinte, «das Schlimmste sei die ewige Unruhe, der häufige Wechsel und die daraus entspringende Un­ sicherheit auf vielen Gebieten>>.75 Niemand zweifelte daran, daß die Un­ ruhe auf den Kaiser zurückzuführen war. Im Juni I 890 machte ein Reichstagsabgeordneter die Bemerkung, es sei unglaublich, «welche Angst im Reichstag vor dem Kaiser herrsche>>/6 und dies galt in gestei­ gertem Maße für die Reichs- und Staatsleitung. Mit einer an Leichtsinn grenzenden Selbstverständlichkeit nahm der Monarch für sich in An­ spruch, Männern, die ihm zufällig irgendwo begegnet waren und sein persönliches Gefallen gefunden hatten, die höchsten Staatsämter anzu­ bieten. Daß die Staatsführung durch dieses Verfahren rasch jedwede Ein­ heitlichkeit verlor und auch seelisch in immer größere Abhängigkeit vom Monarchen geriet, kann nicht wundernehmen. Nur sehr zögernd und meist nur in Pattsituationen, in denen der Wunschkandidat des Kai­ sers (Herbert Bismarck, Alvensleben, Jencke) den ihm angebotenen Posten ablehnte - erblickte Caprivi im Verein mit dem Staatsministe­ rium manchmal eine Gelegenheit, mit Gegenvorstellungen hervorzutre­ ten. Ohne das Recht auf Ernennung und Entlassung der Regierungs­ mannschaft in Preußen und im Reich mußte aber die Autorität des Reichskanzlers im Vergleich zu der des Kaisers und Königs mit der Zeit zwangsläufig herabsinken. 2.

Die erste Kanzlerkrise des Neuen Kurses

Als hätte er sich jetzt lange genug zurückgehalten, steigerten sich ab Frühjahr I 89 I - zwölf Monate nach der Entlassung Bismarcks - die selbstherrlichen Neigungen und Äußerungen Wilhelms II. in alarmieren­ dem Maße. Seine Absicht, eine Art Alleinherrschaft auszuüben, verkün­ dete er in zahlreichen Reden, die die Welt aufschrecken ließen, weil sie mit ihren Vorstellungen von Ahnenkult und Gottesgnadentum so über­ aus unzeitgemäß wirkten. Das absolutistische Motto «sie volo sie jubeo>>, das der Kaiser unter sein Porträt für den Kultusminister von Goßler geschrieben hatte, erwies sich nicht als momentane Entgleisung, sondern als authentische Wiedergabe der innersten Überzeugung des

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jungen Hohenzollernherrschers. Am 20. Februar 1 89 1 wetterte dieser in einer Rede vor dem Brandenburgischen Provinziallandtag gegen den «Geist des Ungehorsams>>, der durch das Land gehe, und forderte seine Zuhörer unter Anrufung des Großen Kurfürsten dazu auf, ihm auf dem Weg zu folgen, «den Ich beschreite, und den Ich Mir vorgezeichnet habe, um Sie und uns alle zu Meinem Ziel und zum Heil des Ganzen zu führen. [ . . . ] Sie wissen, daß ich Meine ganze Stellung und Meine Auf­ gabe als eine Mir vom Himmel gesetzte auffasse und daß Ich im Auftrag eines Höheren, dem Ich später einmal Rechenschaft abzulegen habe, be­ rufen bin>>, rief er aus.77 Ähnlich erklärte er im Mai jenes Jahres in der Düsseldorfer Tonhalle anläßlich einer Aufführung des historischen Fest­ spiels «Barbarossa»: «Ich darf auch Meinerseits von den Mir vorgezeich­ neten Wegen, die Ich mit Meinem Gewissen und vor Meinem Gott allein zu verantworten habe, nicht abweichen>>, und proklamierte dann zum Schluß, einer nur sei Herr im Reich, und das sei er; er dulde keinen anderen.78 Am 24. Februar 1 892 setzte er diesen absolutistischen Kund­ gebungen mit einer Rede (wieder einmal beim Festmahl des Branden­ burgischen Provinziallandtags) die Krone auf, die in der ganzen Welt Empörung und Kopfschütteln hervorrief, zumal sie im offiziellen Reichsanzeiger abgedruckt wurde. Darin sprach Kaiser Wilhelm 11. : «Es ist ja leider jetzt Sitte geworden, an allem, was seitens der Regierung ge­ schieht, herumzunörgeln und herumzumäkeln. Unter den nichtigsten Gründen wird den Leuten ihre Ruhe gestört und ihre Freude am Dasein und am Leben und Gedeihen unseres gesamten großen deutschen Vater­ landes vergällt. Aus diesem Nörgeln und dieser Verhetzung entsteht schließlich der Gedanke bei manchen Leuten, als sei unser Land das un­ glücklichste und schlechtest regierte in der Welt, und es sei eine Qual, in demselben zu leben. Daß dem nicht so ist, wissen wir alle selbstver­ ständlich besser. Doch wäre es dann nicht besser, daß die mißvergnügten Nörgler lieber den deutschen Staub von den Pantoffeln schüttelten und sich unseren elenden und j ammervollen Zuständen auf das schleunigste entzögen ? Ihnen wäre dann geholfen und uns täten sie einen großen Ge­ fallen damit. Wir leben in einem Übergangszustande! Deutschland wächst allmählich aus den Kinderschuhen heraus, um in das Jünglings­ alter einzutreten; da wäre es wohl an der Zeit, daß wir uns von unseren Kinderkrankheiten freimachten. Wir gehen durch bewegte und an­ regende Tage hindurch, in denen das Urteil der großen Menge der Men­ schen der Objektivität leider zu sehr entbehrt. Ihnen werden ruhigere Tage folgen, insofern unser Volk sich ernstlich zusammennimmt, in sich geht und unbeirrt von fremden Stimmen auf Gott baut und die ehrliche fürsorgende Arbeit seines angestammten Herrschers. [ . . . ] Brandenbur­ ger, zu Großem sind wir doch bestimmt und herrlichen Tagen führe ich Euch noch entgegen. Lassen Sie sich nur durch keine Nörgeleien und durch mißvergnügliches Parteigerede Ihren Blick in die Zukunft verdun-

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keln oder Ihre Freude an der Mitarbeit verkürzen. Mit Schlagwörtern allein ist es nicht gethan, und den ewigen mißvergnüglichen Anspielun­ gen über den neuen Kurs und seine Männer erwidere Ich ruhig und be­ stimmt: >>79 So betroffen war der gutinformierte badische Gesandte von Brauer von diesen Äußerungen des Kaisers, daß er sich veranlaßt sah, sie psy­ chologisierend dem Großherzog zu erläutern. «Es ist nicht leicht, bei solchen ureigensten Entschlüssen S.M. die unmittelbaren Beweggründe klarzulegen>>, erklärte er. «Vielleicht geht man nicht fehl, wenn man die unmittelbare Ursache weniger in einem gerade vorliegenden politischen Bedürfnis als in der Gepflogenheit S.M. sieht, die Welt bei den Festmah­ len des brandenburgischen Provinziallandtags jeweils mit einer verblüf­ fenden oratorischen Leistung zu überraschen. [ . . . ] Die Rede [ . . . ] ent­ sprang der eigenen Initiative des Kaisers, welcher schon vorgestern früh einem Herrn seiner Umgebung sagte: Die Rede gelangte mittags aus dem Schloß in die Druckerei des Reichsanzeigers, bevor sie gehalten war. Dies ist ein Glück: denn wenn sie nachstenographiert worden wäre, würden noch viel merkwürdigere Worte bekannt geworden sein. So hatte sich S.M. zu der Äußerung hinreißen lassen: ! [ . . . ] Be­ denklich für die Zukunft unseres politischen Lebens ist mir mehr als alles andere der Umstand, daß S.M. sich durch nichts von der Überzeu­ gung abbringen läßt, daß diese seine Reden von der vortrefflichsten Wir­ kung seien. Ehrlichen Leuten, welche ihn auf das Bedenkliche solcher kaiserlichen Auslassungen aufmerksam machten oder machen wollten, erwiderte er triumphierend: . In der Tat liest S.M. nach solchen Reden mit ganz besonderem Vergnügen die oppositionellen Blätter. Als man ihn auf den perfiden Artikel des Berliner Tageblatts aufmerksam machte, welches die Rede S.M. ohne Kritik abdruckte und nur den Arti­ kel 27 der Preußischen Verfassung (Recht j edes Preußen zur freien Mei­ nungsäußerung) wörtlich darunter setzte, meinte S.M. lachend: ! [ . . . ] Die anständigen Blätter befleißigen sich im ganzen einer anerkennungswerten Zurückhaltung. Aber zwischen den Zeilen ist doch, je nach Temperament und politischer Stellung, ein tiefer Groll oder eine stark deprimierte Stimmung durchzulesen. Insbe­ sondere schimmert der Grundgedanke durch, daß die Zeiten des aufge­ klärten Absolutismus vorüber sind und daß kein Fürst heutzutage mehr in der Lage ist, ausschließlich nach eigenen Ideen dem Staate und dem nationalen Kulturleben die Richtung zu bestimmen. In den Kreisen der Regierung und der Parlamentarier gemäßigter Richtung, mit denen ich

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zu verkehren Gelegenheit habe, bin ich noch keinem prinzipiellen Ver­ teidiger der kaiserlichen Worte begegnet. Diese Kreise äußern sich aber mit begreiflicher Zurückhaltung. Unliebsame Vorkommnisse haben ge­ zeigt, daß selbst intime Privatäußerungen nicht sicher davor sind, dem Kaiser in gehässiger Form zugetragen zu werden, und jedermann weiß, daß S.M. zwar unempfindlich ist gegenüber noch so abfälligen Preß­ urteilen, daß er aber sehr empfindlich ist gegenüber dem leisesten Tadel, den sich seine Beamten oder andere Personen der höheren Gesellschaft erlauben. Daher die große Zurückhaltung, die freilich eigentümlich ab­ sticht gegen die unerbietigen Äußerungen, die in anderen Kreisen zirku­ lieren sollen.» 80 Die zunehmende Selbstherrlichkeit des jungen Monarchen machte sich erst recht hinter den Kulissen in seiner Behandlung der zivilen Staatsmänner bemerkbar. Im März 1 89 1 beklagte Geheimrat Friedrich von Holstein die Tatsache, daß . Er machte ne­ ben Waldersee und dem Militärattache Ernst Freiherr von Huene den Prinzenerzieher Dr. Hinzpeter dafür verantwortlich, der seine Hoffnun­ gen auf die Direktoratstelle im preußischen Kultusministerium ent­ täuscht sah. Die «unerfreuliche» Stimmung mache sich vor allem in dem Umgang Wilhelms mit Caprivi bemerkbar. Holstein führte an: «Jetzt ist Se. Majestät plötzlich unzufrieden über Gosslers Abgang, - den der Reichskanzler doch nicht verschuldet hat - sagt letzterem heute, a pro­ pos von Boetticher , und verlangt dann vom Reichskanzler wörtlich, .>>81 Durch eine derartige Behandlung des Reichs­ kanzlers nährte der Kaiser nur die Gerüchte, wonach die Stellung Caprivis meinte Kal­ tenborns Vorgänger.93 Es war gewiß kein Zufall, daß das erste Rücktrittsgesuch des Reichs­ kanzlers durch eine militärpolitische Frage ausgelöst wurde, zumal sich auf militärischem Gebiet die Identifizierung Wilhelms II. mit seinem «Großpapa>>, dem «gewaltigen>> Heldenkaiser Wilhelm 1., am stärksten bemerkbar machte.94 Am 1 5 . Juni r 89 r , dem dritten Jahrestag seiner Thronbesteigung, ordnete der Kaiser durch zwei lange, für seine militär­ monarchische Denkart höchst aufschlußreiche eigenhändige Schreiben an den Kriegsminister beziehungsweise den Reichskanzler die Einbrin­ gung einer großen Heeresvorlage an, die im Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzungen der nächsten zwei Jahre stehen sollte.95 In dem Handschreiben an General von Kaltenborn griff der Kaiser zunächst diejenige Frage auf, die in der Generalität, der Reichsregierung und den Parteien im Reichstag schon lange heftig umstritten war: ob die Vergrö­ ßerung der Armee mit einer Reduzierung der Militärdienstzeit von drei auf zwei Jahre verknüpft werden sollte, wie die Linksparteien und vor allem das Zentrum verlangten. Im Hinblick auf die unnachgiebige Hal­ tung seines Großvaters im preußischen Verfassungskonflikt drei Jahr­ zehnte zuvor setzte sich der junge Wilhelm entschieden für die Beibehal­ tung der dreijährigen Dienstzeit ein. Die «gewiß bestechenden Vorteile>> der zweijährigen Dienstzeit, vor allem «die Bereitstellung einer großen Zahl von ausgebildeten Mannschaften in verhältnißmäßig sehr kurzer Zeit>>, verkenne er keineswegs, räumte er in seinem Schreiben ein. «Al­ lein ich kann mir nicht verhehlen, daß durch diese Maßregel (2 Jahre statt 3) die Solidität und Tüchtigkeit, insbesondere die Disziplin der Armee ganz bedeutend in Frage gestellt, ja wahrscheinlich geradezu ge­ schädigt werden. Gewissenhaft das für und wider prüfend bin ich noch­ mals mit mir zu Rate gegangen und bin doch zu dem Schluß gekommen, das die ganzen Argumente meines hochseligen Großvaters, welche er in seiner Schrift über die Armeeorganisation niedergelegt hat, noch heut völlig durchschlagend sind. Zudem spricht der Erfolg von 3 gewonnenen Feldzügen ein folgenschweres und gewichtiges Wort und kann als glän­ zender Beweis für die 3jährige Dienstzeit gelten. Aber auch noch andere

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Faktoren sind für mich von Bedeutung», fuhr der Kaiser fort. «Die Frage der 2jährigen Dienstzeit ist keine bloße Zweckmäßigkeitsfrage mehr, welche einfach von dem Belieben der Militärverwaltung abhängt und je nach dem geregelt werden kann. Nein sie ist von der Zeit des Konflikts her zu einer Machtfrage seitens der Volksvertretung gestem­ pelt worden, auf die im gegebenen Augenblick stets wieder zurückge­ kommen wird, um den König doch endlich dazu zu zwingen sie anzu­ nehmen. Nun ich eben als Enkel meines Großvaters, als Kriegsherr der Preußischen Armee, der sein Privilegium als Oberster Heerführer zu wahren und zum Wohl seines Heeres anzuordnen bestrebt ist was ihm ­ innerhalb der Tradition - für gut scheint, kann ich eben nicht anders wie Großpapa handeln. Sie werden mich wohl, lieber Kaltenborn, verstehn und es mir nachfühlen. Und gerade am Todestage vom Sieger von Wörth und Sedan [gemeint ist Kaiser Friedrich III.] spreche ich Ihnen unum­ wunden aus, ich werde nie und nimmermehr auf die 2 jährige Dienstzeit eingehn, komme was da wolle, koste es was es wolle, ich kann und werde es nicht tun. Daher habe ich alle auf dieser Basis ruhenden Vor­ schläge, die Sie eingereicht, nicht berücksichtigt sondern mich haupt­ sächlich mit Anl. 3 beschäftigt.>> Nach dieser feierlichen, gefühlsbetonten und sehr bestimmten Erklärung schritt Wilhelm zur Sache. Sein Ziel sei es, so führte er aus, zum einen die Etats der Infanterie zu erhöhen und zum anderen Kader für Reserveformationen zu bilden. Nach der ge­ nauen Auflistung seiner Befehle schloß der Kaiser: «Dieses, mein lieber General, sind die Grundzüge, nach welchen Sie sich zu richten haben werden. Sobald Sie sich dieselben angeeignet und durchgearbeitet haben werden, sehe ich Ihrem Vortrag entgegen. Ich nehme natürlich an, daß diese Neuorganisation das prae haben wird vor allen anderen, und daß die große Artilleriematerialforderung eventuell noch zurückgestellt werde, da ja ein neues Feldgeschütz meines Wissens noch nicht konstru­ iert bezw. noch nicht gemeldet oder probiert worden ist. Ich bitte sich auch wegen dieser Angelegenheit mit dem Herrn Reichskanzler ins Be­ nehmen zu setzen und die nötigen Verabredungen für die Vorbereitung und Einbringung der Vorlage zu ermöglichen. Es wird gewiß einen Strauß geben mit den Hallunken vom Parlament. Das schadet aber nichts; 1 8 6o-66 war es ebenso und Großpapa fand seinen Bismarck und Roon und siegte, glänzend durch die Kriegserfolge gerechtfertigt. Des­ gleichen erwarte ich mit Caprivi und Kaltenborn meinen Sieg zu errin­ gen und im nächsten Kampf ums Dasein Deutschlands, der uns sicher bevorsteht - mit Gottes Hilfe - den Beweis der Richtigkeit meine Grundsätze zu liefern. Daß Sie fest zu mir stehn und für unsre Sache gut fechten werden, verbürgt mir Ihre Persönlichkeit; ich bin, lieber Kalten­ born, Ihr wohlaffektionierter König Wilhelm R.>>96 Noch am gleichen Gedenktag schrieb Wilhelm II. auch dem Reichs­ kanzler einen langen Brief, der dessen Entlassungsgesuch zur unmittel-

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baren Folge haben sollte. Das kaiserliche Schreiben begann mit dem Ausdruck seines «innigsten königlichen Dankes>> für die Durchsetzung der drei großen Reformvorlagen der letzten Legislaturperiode, nämlich des Arbeiterschutzgesetzes, der preußischen Finanzvorlage und der Landgemeindeordnung. Wilhelm schrieb: «Sie haben, wo es galt, in ebenso unerschrockener als politisch gewandter Weise Ihren Kollegen beigestanden, und Ihrer aufopfernden und unter weidliehen Widerwär­ tigkeiten und Schwierigkeiten aller Art und von allen Seiten bewiesenen Kaltblütigkeit ist es mit zum größten Teil zu danken, daß in einer Ses­ sion 3 so bedeutende Gesetze, wie sie noch keine Regierung irgendeines Staats zu Wege gebracht, glücklich durchgeführt sind. Sie haben sich für alle Zeiten einen unauslöschlichen Namen in den Tafeln unserer Landes­ geschichte gemacht, und möge der anerkennende Dank Ihres Königs Ihnen einigen Trost und Befriedigung gewähren nach allen Unannehm­ lichkeiten, die Sie durchzumachen leider oft gezwungen waren.>> Nach diesen drei Vorlagen sei in der inneren Gesetzgebung vorerst eine Ruhe­ pause erforderlich, bestimmte der Monarch. «Daher richtet sich nun­ mehr meine Sorge wieder auf die Armee und ich komme wieder mit den Wünschen für Reorganisation, die ich im vorigen Jahre auf Ihren beson­ deren Wunsch hin zurückgestellt habe, bis Sie Ihre Winterkampagne durchgefochten hatten.» Ähnlich wie in dem Brief an Kaltenborn, und wieder mit dem Hinweis auf seinen seligen Großvater, führte Wilhelm aus, daß er entschieden gegen «das Experiment der zweijährigen Dienst­ zeit>> sei. «Und wenn auch die Armee an Mannschaft zunähme, an inne­ rem Gehalt und Disziplin würde sie verlieren. Außerdem ist durch und seit dem Konflikt 1 8 6o-66 die zweijährige Dienstzeit zu einer Macht­ frage gestempelt worden, welche die Volksvertretung - besonders die radikale Demokratie - jederzeit dem Könige abzutrotzen und aufzu­ zwingen beabsichtigt. Sodann ist mein Großvater gerade von diesen Leuten für den Konflikt beschimpft und verlästert worden und derselbe Konflikt nach wie vor als noch nicht fertiggekämpft betrachtet worden. Ich als Enkel dieses gewaltigen Mannes, in seinen Traditionen und Leh­ ren aufgewachsen, kann es nicht anders als genau so zu handeln wie er. Ich würde mich an Seinem Namen, an Seinem Gedächtnis versündigen, wenn ich nicht völlig in seinen Fußstapfen weiterschritte und dort wei­ terbaute, wo er aufgehört.>> Der Kaiser erklärte aufs bestimmteste, «niemals auf die zjährige Dienstzeit einzugehen>>. Er habe «persönlich eine Reorganisation ausgearbeitet, die - niemand sonst bekannt - ich am heutigen Tage an den Kr.Minister geschickt habe, mit einem Brief, in dem ihm meine Grundsätze, nach denen er hinfüro zu verfahren hat, niedergelegt sind. Er ist angewiesen, sich mit Ihnen ins Benehmen zu setzen zur Vorbereitung einer Vorlage für den Herbst und nächsten Winter unter Zurückstellung aller anderen Militärvorlagen außer Helgo­ land. Ich habe vor allem auf Reserveformationen für Kadres im Mobil-

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machungsfalle Bedacht genommen, Etatserhöhungen, wo sie nötig schei­ nen. Das ganze unter der größten Kostenersparnis ergibt eine Summe von 40 Mill. Der Kr.Minister wird Ihnen Schema und Brief zeigen. Wir sind an demselben Punkt angelangt wie im Jahre 6o, wo mein Großvater auch die Überalterung der Jahrgänge in Reserve und Landwehr zur Aus­ merzung derselben zwangen und damit den Stein ins Rollen brachten. Ich zweifle keinen Augenblick, daß wir darum gerade so fechten werden müssen wie Großpapa, allein das schadet nichts. Die Gelegenheit ist gut, eine feste Auseinandersetzung wird im Parlament und damit im Volke nur klärend wie ein Gewitter die überladene Atmosphäre reinigen kön­ nen. Damals fand Großpapa Bismarck, der ihm fechten und siegen half, heute habe ich Caprivi, von dem ich das felsenfeste Vertrauen habe, daß er auch mit mir kämpfen und siegen wird. - Dazu kommt, daß wir den Vorteil haben, uns auf die Richtigkeit der Grundsätze Großpapas aus den glänzenden Kriegen berufen zu können und dann, falls Bismarck wirklich den Wunsch hat, sich dem König zu nähern oder als zuweilen auch auf dessen Seite stehend zu gelten, daß er mit dem Rest seiner Kräfte dabei mitfechten eventuell würde. Da er ja die 3jährige Dienstzeit mit erobert hat. Umgekehrt wäre es anders. Also ich sehe mit Zuversicht zu Ihnen als meinen thätigen Mitarbeiter an dem absolut nötigen und wichtigen Werke, zu dessen Gelingen Sie beitragen werden. Ihr treu er­ gebener König Wilhelm R.»97 Man kann sich in Caprivis Gefühle beim Empfang dieses Handschrei­ bens hineinversetzen, zumal er in Erfahrung brachte, daß der Kaiser seinen Armeeplan zusammen mit einem seiner Flügeladjutanten ausge­ arbeitet hatte - einer Mitteilung Adolf von Bülows an Waldersee zu­ folge handelte es sich dabei um den «dummen» Freiherrn Gustav von Seckendorff, Bruder des Hofmarschalls des Prinzen Heinrich.98 Nicht nur sah sich der Reichskanzler hier mit dem bisher krassesten Beispiel des «Persönlichen Regiments» konfrontiert, indem der Monarch schlicht dem verfassungsmäßig «verantwortlichen>> Reichskanzler und dem Kriegsminister von oben herab befahl, eine von ihm im Detail ausgearbeitete Gesetzesmaßnahme von unübersehbarer Tragweite im Reichstag einzubringen und durchzufechten. Darüber hinaus ordnete er in direkter Anlehnung an die «heiligen>> Entschlüsse seines Großvaters im preußischen Verfassungskonflikt den Kampf mit dem Reichstag an, der - das wußte Caprivi - leicht in einen Staatsstreichversuch und so­ gar einen Bürgerkrieg mit auswärtiger Einmischung ausarten könnte. Geheimrat von Holstein faßte sich an den Kopf, als er von der katego­ rischen Forderung Wilhelms erfuhr. Sie sei der Beweis, schrieb er an Eulenburg, 99 Caprivi griff sofort zur Feder und setzte zum ersten Mal seit seiner Ernennung im März 1 890 sein Entlassungsgesuch auf. «Ew. Majestät feststehendem Entschlusse gegenüber geziemt es mir nicht, meiner in Bezug auf die Rätlichkeit der Maßregel an sich abweichende Ansicht darzulegen», erklärte er in seinem Schreiben vom 1 6. Juni 1 89 1 . «Da­ gegen habe ich mir die Frage vorlegen müssen, ob und wie weit Aller­ höchstdem Absicht ausführbar sein würde und ob meine Kräfte dazu hinreichen. Nach meinem ehrfurchtsvollen Dafürhalten würde die Durchführung auf Schwierigkeiten stoßen, die ich für unüberwindlich halte. Bei den vorjährigen Verhandlungen im Reichstage habe ich die Ansicht gewonnen, daß eine Mehrbelastung des Reiches mit einer be­ deutenden Summe zu militärischen Zwecken überhaupt sehr schwer, mit dem jetzigen Reichstag das nur unter Gewährung der 2-jährigen Dienst­ zeit für die Infanterie usw. möglich ist. Daß ich die 2-j ährige unter ge­ wissen Kompensationen für besser halte, als den jetzigen Zustand mit seinen Dispositions-Urlaubern und seinen Ersatzreserven, habe ich mir früher erlaubt, ehrfurchtsvoll auszusprechen.» Selbst Neuwahlen nach einer Auflösung des Reichstags würden an dieser grundlegenden Situa­ tion nichts ändern, denn die zweijährige Dienstzeit würde man auch im neuen Reichstag konzedieren müssen, um die Militärvorlage durchzube­ kommen, führte der Reichskanzler weiter aus. «Im weiteren Verfolg des einmal betretenen Weges würden Ew. Majestät dann vor die Frage ge­ stellt sein, ob und wie dann durch irgendein einem Staatsstreich ähnli­ ches Mittel - etwa Änderung des Wahlgesetzes - zum Ziele zu kommen sei. Ich würde unverantwortlich handeln, wenn ich meine Überzeugung, daß ein solcher Staatsstreich in dem locker gefügten deutschen Reiche und unter den heutigen Verhältnissen die Gefahr des Zerfalles dieses Reiches nahelegt, Eurer Maj estät verschweigen wollte. Die politische Lage ist eine vollkommen andere als die in Preußen in den 6oer Jahren. Ich zweifle, daß die verbündeten Regierungen über all den von E.M. ge­ planten Mehrforderungen zustimmen würden, ich habe aber gar keinen Zweifel daran, daß sie zur Zeit der Durchführung eines Staatsstreiches, in welcher Form es auch sei, nicht geneigt sein würden. Vermag ich so­ nach einen gedeihlichen Ausgang auf den von E.M. geplanten Wege nicht vorherzusehen, so bin ich darüber noch klarer, daß meine Kräfte zur Durchführung Allerhöchstderen Absichten auf keinen Fall ausrei­ chen. Ein Wagnis wie das vorliegende kann nur glücken, wenn der, dem die Amtsführung obliegt, an den Erfolg glaubt. Abgesehen von anderen zur Durchführung einer so schwierigen Aufgabe edorderlichen Eigen-

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schaften fehlt mir aber dieser Glaube. Auch darf ich schließlich nicht verhehlen, wie ich dadurch, daß E.M. geruht haben, in einer politisch so überaus wichtigen Frage entscheidende Entschlüsse zu fassen, ohne mir vorher Gehör zu schenken, die Überzeugung gewonnen habe, daß ich Allerhöchstderen Vertrauen nicht in dem Maße besitze, ohne welches ich bei jedem Schritt durch die Besorgnis, einen Fehltritt zu tun, gelähmt werden würde.>> Er erbat daher seine Entlassung aus allen seinen Äm­ tern.100 Holstein, dem der Kanzler beide Schreiben zeigte, bat Eulenburg dringend, unter irgendeinem privaten Vorwand nach Berlin zu kommen, um die Krise, die leicht die Ernennung Waldersees zum Reichskanzler und diej enige Herbert Bismarcks zum Außensekretär zur Folge haben könne, abzuwenden.101 Nach Erhalt des Rücktrittsgesuchs Caprivis antwortete der Kaiser einlenkend: 102 In sei­ ner Audienz am 1 7. Juni warf der Kaiser Caprivi vor, ihm einen geschrieben zu haben und klagte: «Sie haben mir gestern einen sehr unangenehmen Tag gemacht>>, worauf der Reichskanzler mannhaft und würdevoll antwortete: «Ich werde Ew. Majestät immer so schreiben, wenn ich sehe, daß Sie etwas tun wollen, was dem Reich oder Ihrer Per­ son schadet.>> Nachdem der Kaiser sich bereit erklärt hatte, die große Heeresvermehrung - allerdings unter Beibehaltung der dreijährigen Dienstzeit - bis zum nächsten Jahr aufzuschieben, zog Caprivi sein

Der Dualismus der Macht

Demissionsgesuch zurück.103 Mit diesem Einlenken war die Kanzlerkrise jedoch noch lange nicht entschärft. Als der Kaiser am ro. August r 89 r nach seiner Nordlandreise in Kiel landete, wartete Caprivi wegen einer Unterredung über die Militär­ vorlage auf ihn. Nach dem Immediatvortrag konnte Kiderlen mit Er­ leichterung an Holstein schreiben, er sei jetzt «sehr viel beruhigter», denn «bei dem fortwährenden Sichhineinreden Sr.M. in die Militärvor­ lage, die er konstant mit dem besprach, nur um einen Ja-Sager zu haben», sei ihm die Lage «doch recht bedenklich» vor­ gekommen.104 Am 1 2. August empfing Wilhelm auf der Hohenzollern den aus Altona angereisten Waldersee, der ihm seine starken Einwände gegen die Aufgabe der dreijährigen Dienstzeit vortrug. Dem Monarchen setzte der General auseinander, daß Deutschland in Anbetracht der ern­ sten politischen Lage keine Zeit «ZUm Experimentiren [hätte], sondern daß daran gegangen werden müsse, die Armee zu verstärken soweit ir­ gend Mittel dafür aufzutreiben seien». Geschickt erinnerte Waldersee den Kaiser an den preußischen Verfassungskonflikt der r 86oer Jahre, als sein Großvater «gegen einen böse gesinnten Landtag, gegen den Rath zahlloser angeblich wohlmeinenden, gegen die Opposition des Kron­ prinzen u. gegen die Ansicht mancher Generäle an der 3 jährigen Dienstzeit festhielt u. die Armee Vermehrung durchführte». Ein Festhal­ ten an der alten Dienstzeit und eine sofortige Vergrößerung der Armee sei unabdingbar, insistierte er, da «wir wahrscheinlich [ . . . ] vor einem Kampf um unsere Existenz» stünden; verliere Deutschland diesen Exi­ stenzkampf, würde das Reich auseinanderbrechen, das Königtum in Frage gestellt und Preußen zerschlagen werden; im lnnern kämen dann die furchtbarsten Zustände. Für ihn, den Kaiser, gebe es kein besseres Kampffeld als die Armeevermehrung, denn jede Partei, die auf Dauer dagegen stimme, grabe sich ihr eigenes Grab. Der Kaiser räumte den Ernst der außenpolitischen Lage ein und versprach dem General, daß von einer Aufgabe der dreijährigen Dienstzeit «unter keinen Umständen die Rede» sein solle.105 Ende August r 8 9 1 übergab der Reichskanzler seinerseits dem Kriegs­ minister von Kaltenborn eine längere Denkschrift, die seine, der des Kaisers diametral entgegengesetzte Auffassung der erforderlichen Ent­ wicklung der deutschen Wehrkraft niederlegte. Auch er war der Mei­ nung, daß angesichts der Unvermeidbarkeit eines Krieges «Über lang oder kurz» eine Vermehrung der deutschen Streitkräfte «auf das äußerste zulässige Maß» gesteigert werden müsse. Um diese Vermehrung zu er­ reichen, müsse jedoch «die Unterstützung der Nation für die weiteren Schritte gewonnen>> werden, und dies könne nur durch die rechtzeitige Konzedierung der zweijährigen Dienstzeit erreicht werden. Ohne dieses Zugeständnis sei der Konflikt mit dem Reichstag unvermeidlich, in des­ sen weiterem Verfolg ein Staatsstreich liegen würde, der aber «unter

2.

Die erste Kanzlerkrise des Neuen Kurses

447

allen Umständen vermieden werden>> müsse. Caprivi argumentierte: «Schon ehe man den ersten Schritt zu einem Konflikt tut, muß man sich darüber klar sein, ob man die letzten Konsequenzen ziehen kann und will.» Über die Ratsamkeit eines Staatsstreichs aus anderen Gründen, beispielsweise um nach Straßenkämpfen eine Änderung des Wahlgeset­ zes zu erreichen, könne man diskutieren; «um der dreijährigen Dienst­ zeit willen aber kann er zur Auflösung des Deutschen Reiches führen und verhängnisvoller werden, wie ein verlorener Feldzug>>. Genau wie Friedrich von Holstein war auch Caprivi davon überzeugt, daß das «lose gefügte Reich» extreme Mittel nicht ertragen würde -, daß «jedes ern­ stere Zerwürfnis zwischen den verbündeten Regierungen untereinander oder zwischen diesen und der Bevölkerung [ . . . ] nur dem feindlichen Auslande zu Gute kommen» würde. «Ein Konflikt im gegenwärtigen Augenblick würde unseren auswärtigen Gegner als ein Zeichen der Schwäche, als eine Aufforderung zum Kriege erscheinen.» Die gefühls­ betonte dynastische Erinnerung Wilhelms II. an die Haltung seines Großvaters im preußischen Verfassungskonflikt wies der Reichskanzler auch an dieser Stelle mit dem Argument brüsk zurück: «Daß diese Frage vor 3 0 Jahren in Preußen unter vollkommen anderen Verhältnissen zu einer Machtfrage geworden ist, hat nicht zur Folge, daß sie es auch heut werden muß.» Diese Einsichten über die Unzulässigkeit eines Konflikts mit dem Reichstag seien für die beabsichtigte Militärvorlage aber von grundlegender Bedeutung, so Caprivi weiter, denn «von der Beantwor­ tung der Frage: ob man es auf einen Staatsstreich ankommen lassen kann, muß rückwärts konstruiert werden, sie entscheidet alles Weitere. Verneint man sie, so reduziert sich das Übrige auf die Frage: entweder den Status quo in militaribus belassen oder die zweijährige Dienstzeit in den Kauf nehmen.» Es handele sich schlicht um die Frage: «>. Jenes vom Kaiser in Anlehnung an die Umstrukturierung der preußischen Armee des Jahres r 8 6 r ge­ brauchte Wort würde im Ausland den gefährlichen Eindruck erwecken, als sei Deutschland bisher auf falschem Weg gewesen und daher jetzt schwach, was nicht der Fall sei. Sollten diese seine Ansichten Billigung finden, resümierte der Kanzler, so seien «recht ernste parlamentarische Kämpfe» immer noch möglich. Selbst auf diesem Wege des Kompromis­ ses könne es zu einer Auflösung des Reichstages kommen. «Die Aus­ sichten für Neuwahlen sind aber ganz andere, wenn durch die Gewäh­ rung der zweijährigen Dienstzeit ein alter Wunsch weiter Schichten der Bevölkerung gewährt ist. Daß dieser Wunsch ohne militärische Nach­ teile gewährt werden kann, ist mir zweifellos. Die Fiktion, daß die j etzige sogenannte dreijährige Dienstzeit besser sei, als eine gut durch­ geführte zweijährige läßt sich nicht halten. [ . . . ] Wie dem aber auch sei, ich halte dafür, daß die Entscheidung in der Beantwortung der Frage liegt: Kann zur Zeit im Deutschen Reiche um der dreijährigen Dienst­ zeit willen ein Konflikt unter den gesetzgebenden Faktoren gewagt wer­ den? Und ich glaube diese Frage entschieden verneinen zu müssen.>>106 Wie wir weiter unten sehen werden, überschattete der Kampf um die Gestaltung der Heeresvorlage und speziell die leidige Frage nach der Länge der Militärdienstzeit bis zum Sommer r 893 das Verhältnis zwi­ schen Wilhelm II. und dem Reichskanzler aufs schwerste.107 Seit Sommer r 89 r lebte die verantwortliche Regierung mit der ständi­ gen Möglichkeit irgendeines Befehls von oben, der ihre gesamte legis­ lative Strategie desavouieren würde. Holstein, der «das Gefühl der Sicherheit verloren>> hatte, zog den Schluß, man müsse einen der Flügel­ adjutanten - er dachte in erster Linie an Gustav von Kessel - dafür gewinnen, dem Kaiser unangenehme Wahrheiten zu sagen und ihn auf die Folgen seiner Befehle aufmerksam zu machen. , argumentierte er.108 Als im Dezember r 89 r zur Freude der Liberalen und der allgemeinen Bevölkerung109 die Handelsverträge mit einer Mehrheit von 1 9 5 Stimmen im Reichstag angenommen wurden, erhob der Kaiser Caprivi in den Grafenstand.110 Dem Geheimrat von Holstein

3.

Der Kaiser und die Innenpolitik

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verlieh er - und zwar zu seinem, des Kaisers, Geburtstag, um die Aus­ zeichnung «noch wertvoller zu machen>> - das Kreuz der Komture des Königlichen Hausordens von Hohenzollern, das, wie Caprivi ausführte, «nach Allerhöchstem Willen fortan im Range den anderen Orden voran­ gehen soll>>.111 Auch Philipp Eulenburg betonte in seinem Gratulations­ schreiben an Holstein, diese Auszeichnung sei «ein ganz exorbitantes Vertrauenszeichen Seiner Majestät. [ . . . ] Wüßten Sie, welchen Wert Er Seinem Hausorden zurechnet! - Das grenzt fast an Originalität - und wie sich mit der Ordensklasse die Anschauung des Wertes steigert! >>112 Trotz solcher äußeren Zeichen seines Vertrauens herrschte aber weiter­ hin ein allgemeines Gefühl der Unsicherheit und Unzufriedenheit.113 Nicht zu Unrecht konstatierte Waldersee nach der Jagd mit dem Kaiser in Springe im November 1 89 1 , daß man sich eigentlich schon in der Kanzlerkrise befinde, denn Wilhelm habe mehrfach von der Wahl des Nachfolgers gesprochen und dabei die für Caprivi nicht gerade schmei­ chelhafte Meinung vertreten, wer auf dem Kanzlerposten noch kein «gemeiner Kerb sei, der werde es.114 3 · Der Kaiser und die Innenpolitik

Ist es möglich, aus den zahllosen Reden, Randglossen, Briefen und Handlungen des Kaisers in den ersten Monaten nach der Entlassung Bis­ marcks eine halbwegs durchgehende innenpolitische Linie zu erkennen, die uns Aufschlüsse über seine ideologische Grundhaltung vermitteln würde ? Wie in der Außenpolitik gab es auch hier lauter Widersprüche, die manch einen Beobachter zu der Überzeugung brachte, Wilhelm schwanke innenpolitisch ratlos hin und her und habe keine klar umrisse­ nen Ziele - außer vielleicht j enem, populär sein zu wollen. Kurz nach Bismarcks Sturz urteilte zum Beispiel Waldersee irritiert über den Kai­ ser: «In bezug auf Stellung zu den inneren Partheien habe ich ihn schon ultrakonservativ, freikonservativ u. nationalliberal gesehen; viele Leute behaupten er wirthschafte jetzt zu Gunsren der Fortschrittsparthei, an­ dere natürlich, er werde Alles den Arbeiter-Interessen opfern. Es ist da­ her bald soweit, daß keine Parthei weiß, wo sie mit ihm steht. Wäre da­ hinter ein bestimmter Plan, so wäre dies ausgezeichnet; er muß ja keiner Parthei angehören u. wird mit allen am besten fertig, wenn jede glaubt, er neige sich zu ihr. Dieser Plan besteht aber nicht! [ . . . ] Nicht erfreulich ist die immer mehr u. sehr deutlich hervortretende Sucht, sich populär zu machen.>>115 Dieses frühe Urteil über die Wandelbarkeit der politi­ schen Haltung Wilhelms II. sollte der Generalstabschef, wie wir gleich sehen werden, in der Folgezeit erheblich revidieren, aber in einem wich­ tigen Punkt - Wilhelms Einstellung zur Arbeiterfrage - trifft es im wesentlichen zu.

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Der Dualismus der Macht

Von der großen sozialpolitischen Initiative des Kaisers zugunsren der Arbeiter war, sobald Bismarck beseitigt war, nicht mehr viel zu spüren; statt dessen machte sich Wilhelm aus Angst vor einer sozialistischen Revolution zunehmend die Staatsstreichideen zu eigen, die er empört zurückgewiesen hatte, solange sie ihm von Bismarck nahegelegt worden waren. Schon wenige Tage nach der Entlassung des Reichsgründers waren die ersten Anzeichen eines Umschwungs zu bemerken, denn im Gefühl der Entrüstung über die durch Bismarck bewußt herbeigeführte Nichterneuerung des Sozialistengesetzes kritzelte Wilhelm am 26. März I 890 bitter auf einen Artikel der Hamburger Nachrichten, der ange­ sichts der «immer übermüthiger auftretenden>> Arbeiterbewegung nach «Festigkeit und Entschlossenheit der Staatsgewalt in ihrer ganzen Schärfe>> verlangte: «>116 Tags darauf sagte er bereits einem sei­ ner Flügeladjutanten, in Gelsenkirchen gehe der Streik wieder los, er habe die Kommandierenden Generäle angewiesen, «bei der ersten Ge­ legenheit die Repetiergewehre spielen zu lassen ! >> Verblüfft stellte auch dieser Gesprächspartner fest: 117 Wilhelms Bereitschaft, die sozialdemokratische Arbeiter­ bewegung mit militärischer Gewalt niederzuschlagen, kam zudem in seinem Erlaß an die Armee vom April I 890 zum Ausdruck, in dem er dem patriotischen Bürgertum prinzipiell die gleichen Chancen wie dem Adel auf eine Offizierslaufbahn einräumte. (Beim Verkauf des Extra­ blatts soll ein Berliner Zeitungsjunge ausgerufen haben: «Neustes Osterjeschenk des Kaisers. Janzer Adel abjeschafft. Allens nur noch Seelenadel.») Seinem Flügeladjutanten Carl Wedel setzte Wilhelm aus­ einander, seine Absicht sei, In seinem Tage­ buch mokierte sich Wedel zwar über diese Äußerung des Kaisers, in­ dem er darauf hinwies, daß «die bürgerlichen Elemente [ . . . ] doch in der Armee ohnehin weitaus in der Überzahl» seien und sei. Nichtsdestoweniger war er von der darin zum Vor­ schein kommenden Entschlossenheit des jungen Monarchen stark be­ eindruckt.118 Die sich abzeichnende Wandlung in der Einstellung des Kaisers zu den Arbeitern wurde von Waldersee begrüßt, der nach einer Begegnung mit Philipp Eulenburg am 24. April I 89o vermerkte, es sei nun > zwar, er werde noch eine Zeitlang in Berlin bleiben, um den Kaiser mit seiner Mutter auszusöhnen, doch Waldersee sah in dieser Redensart nichts als Renommiersucht, denn Hinzpeter wisse genau wie er, wie aussichtslos ein solches Vorhaben war.182 Noch im Herbst r 894 erfuhr Waldersee al­ lerdings von dem damals amtierenden preußischen Ministerpräsidenten und Innenminister Botho Graf zu Eulenburg, daß Hinzpeter «leider [ . . . ] noch mit dem Kaiser in früherer Weise» verkehre, und auch Philipp Eulenburg war in späteren Jahren immer wieder verblüfft, den andau­ ernden Kontakt zwischen Wilhelm und seinem kratzbürstigen Erzieher wahrzunehmen.183 Jedenfalls stand Hinzpeter im Winter r 890/9 1 in des Kaisers Gunst, und unter dem Einfluß seines früheren Erziehers konnte Wilhelm II. den folgenschweren Entschluß fassen, sich nun auch von seinem langjährigen erzkonservativen Mentor Waldersee zu trennen. Wie der Flügeladjutant Carl von Wedel nach der Entlassung Waldersees bemerkte: Daß Hinzpeter den Sturz des Generalstabschefs «vorbereitet hat, steht außer allem Zweifel, wie ich denn seine Finger in allen diesen Dingen vermute».184

Kapitel 16

Der Sturz der Hofgeneräle

Der Bruch mit den beiden Bismarcks und die Entlassung Liebenaus als Oberhofmarschall hatten als Grundursache das Bestreben Wilhelms II., von nun an die wichtigsten Entscheidungen persönlich zu treffen. Diese Erkenntnis gewinnt an Signifikanz, wenn wir bedenken, daß Wilhelm nur ein Jahr später durch die Absetzung Waldersees und die Versetzung der Hofgeneräle Carl Graf von Wedel und Adolf von Wittich seine eigenmächtige Stellung noch weiter ausbaute. Alle drei Militärs hatten ihm in seinem Konflikt mit den Eltern und dann mit den Bismarcks treu zur Seite gestanden; die beiden Erstgenannten hatten ihm zudem in den dunklen Affären um Anna Homolatsch und Elisabeth Wedel, der Schwägerin des Flügeladjutanten, heikle Vermittlerdienste geleistet. Diese Mitwisserschaft um die intimsten politischen und persönlichen Vorgänge der jüngsten Jahre gestaltete die Entfernung der drei Generäle vom Hof zu einer gefährlichen Aktion, in der sich Wilhelm genötigt sah, j eden Anschein eines Krachs zu vermeiden: Auch nach Entlassung aus dem Hofdienst sollten sich die einflußreichen Militärs ihm gegenüber verbunden fühlen. Daß Wilhelm trotzdem auf ihrer Entfernung aus sei­ ner nächsten Umgebung bestand, ist symptomatisch für das steigende Selbstvertrauen des jungen Kaisers, der keine willensstarken Ratgeber neben sich dulden wollte und sich schon zu dieser Zeit damit brüstete, sein eigener Chef des Generalstabes sein zu wollen. Vor allem die Ent­ lassungsgeschichte Waldersees zeigt eine der bedenklichsten Seiten der Persönlichkeit Wilhelms II., seine Unfähigkeit, Kritik anzunehmen sein Bedarf an Bewunderung und sein Gefühl der gekränkten Eitelkeit, sobald man sich kritisch über ihn äußerte. 1.

Waldersees «Niedergang>>

Die Entlassung des Grafen Alfred von Waldersee als Chef des General­ stabes im Januar r 89 r zählt ohne Zweifel zu den bedeutendsten Ent­ scheidungen der frühen Regierungszeit Kaiser Wilhelms II. Im ersten Band dieser Biographie haben wir die Rolle des Ersatzvaters, die Wal­ dersee in den r 8 8oer Jahren spielte, als Wilhelm im haßerfüllten Gegen­ satz zu seinen liberalen Eltern stand, eingehend geschildert.1 Ihm hat Wilhelm, als dieser Konflikt r 8 8 7/ 8 8 seinen Höhepunkt erreichte, pri­ vate Geheimpapiere zur Aufbewahrung anvertraut. Wann genau und warum der junge Kaiser in diesem engen Verhältnis zum mächtigen Ge-

1.

Waldersees «Niedergang>>

neral etwas Störendes gefunden hat, ist nicht eindeutig zu ermitteln, es ist aber nicht unmöglich, daß der erste Bruch mit dem Versuch Walder­ sees zusammenhing, in der Erpressungsaffäre um Miss Love im April r 8 89 als Vermittler aufzutreten. Wir erinnern uns, daß Wilhelm zunächst jede intime Beziehung zu dieser Frau abgestritten hat und sich dann doch genötigt sah, seine eigenhändigen Briefe an sie aufkaufen zu las­ sen.2 Im Frühjahr 1 8 89 scheint jedenfalls eine erste Trübung in dem Ver­ hältnis zwischen Wilhelm und Waldersee eingetreten zu sein, denn als Prinz Heinrich im März 1 890 die ihn überraschende Nachricht von der Nichternennung Waldersees zum Reichskanzler hörte, bemerkte er vor seinen Seeoffizieren, er habe allerdings «schon seit Jahresfrist>> um Diffe­ renzen seines Bruders mit Waldersee gehört.3 Wie auch der Flügeladju­ tant Oberst von Lippe zu berichten wußte, hatte der Kaiser bereits r 8 89 einige Male darüber geklagt, Waldersee «mische sich in alles>> und «stän­ kere>> überall herum.4 Wie wir oben feststellen konnten, trat Ende r 8 89 eine weitere Trü­ bung ein, als die Bismarckkrise in ihr akutes Stadium eintrat und Wil­ helm sich Gedanken darüber machen mußte, wen er als Bismarcks Nachfolger ernennen würde.5 Nach seiner eigenen Entlassung vermerkte der Generalstabschef rückblickend in sein Tagebuch, daß er seit Januar r 89o vom Kaiser «abgedrängt» worden sei; er machte dafür in erster Linie den Einfluß des Chefs des Militärkabinetts, General Wilhelm von Hahnke, verantwortlich.6 Der entscheidende Bruch ereignete sich so­ dann - und das wird kein Zufall gewesen sein - Mitte März r 89o, auf dem Höhepunkt der Bismarckkrise. Daß Waldersees Stern im Sinken begriffen war, fiel scharfäugigen Be­ obachtern bald nach Bismarcks Entlassung auf. Sie datierten den Um­ schwung in der Stimmung des Kaisers auf einen Vorfall im Frühjahr r 89o, als der Kaiser Waldersee im Generalstabsgebäude vor allen Untergebenen abfällig kritisierte. Unmittelbar zuvor hatte Wilhelm den Chef des Gene­ ralstabes wie gewohnt zu einem Morgenspaziergang abgeholt, bei dem Waldersee politische Äußerungen gemacht haben muß, die dem Kaiser mißfielen, denn auf dem Rückweg sagte Wilhelm zu einem seiner Adju­ tanten verärgert: «> er­ reichen konnte, bemerkte Waldersee nachdenklich, er habe «bisher [!] ge­ schäftliche [!] Schwierigkeiten>> mit dem Kaiser nie gehabt. Die doppelte Einschränkung dieser Äußerung läßt erkennen, daß er eine Trübung in der Beziehung zu Wilhelm empfunden hatte. Er schrieb in sein Tagebuch: «Trotz großer Freundlichkeit glaubte ich doch eine ernste Grundstim­ mung zu erkennen.>>12 Je kühler sich der Kaiser benahm, desto kritischer wurde das Urteil des Generals über den Kaiser. So empfing Waldersee während des Manövers bei Memel «recht traurige Eindrücke>> von Wil­ helms «Verkehr mit den Umgehungen>> und von seinen «Übereilten u. scharfen Urtheilen>>, die er in Gegenwart des Hofmarschalls, des Leib­ arztes und der Dienerschaft über andere fällte. Ein derartig frivoles Vor­ gehen wäre beim alten Kaiser Wilhelm niemals möglich gewesen.U Nach den Herbstmanövern in Schlesien, die durch Überschwemmungen be­ sonders schwierig durchzuführen waren, tadelte der Kaiser die beteilig­ ten Generäle in Gegenwart von jungen und ausländischen Offizieren, was Waldersee wiederum verurteilte, da ja nicht «Urtheilslo­ sigkeit oder Faulheit>> vorlägen. «Jeder hat den besten Willen, jeder ist voller Hingebung u. thut das Äußerste; seit Monaten wird mit Hoch­ druck gearbeitet u. dann kommt hartes u. übereiltes Unheil», schrieb er und klagte: «Der Kaiser giebt sich nicht die Mühe die Umstände zu prü­ fen. [ . . . ] Die so scharf Mitgenommenen gehen mit Bitterkeit ihren Weg weiter u. verlieren die Freudigkeit zum Dienst. Die Untergebenen verlie­ ren die Achtung vor ihren Vorgesetzten, es wird also die Autorität unter­ graben.>>14 Als bedenkliches Zeichen deutete Waldersee die Tatsache, daß Kommandierende Generäle, die nach Berlin kamen, sich nicht mehr beim Kaiser melden ließen. «Wäre dies vor 2 Jahren noch denkbar gewesen, daß ein Komd. General nach Berlin kommt, ohne den Hauptwunsch zu haben, den Kaiser zu sehen?>> fragte er sich verwundert.15

2.

Versetzung als « Vizekönig» nach Stuttgart?

Fatal fand Waldersee - und nicht nur er - die Angewohnheit Wil­ helms II., stets dafür Sorge zu tragen, daß die von ihm selbst in den Manövern geführte Seite siegte. Als Philipp Eulenburg während der Nordlandreise I 890 dieses heikle Thema mit Wilhelm zur Sprache brachte, wurde der Kaiser «sehr lebhaft und bewies mir durch Dar­ legung der militärischen Situation, daß er gesiegt habe». Das Gegenargument Eulenburgs, daß die Armee immer bestrebt sein würde, den König siegen zu lassen, wenn er Partei sei, ließ der Monarch nicht gelten, sondern behauptete, diese Auffassung enthalte «eine schlimme Beleidigung aller meiner Kommandierenden Generäle, die in mir eben­ falls nur den Kommandierenden General sehen. [ . . . ] Wenn [ . . . ] ein Kommandierender General im Kampf mir gegenüber nicht ehrlich wäre, so würde ich ihn sofort aus dem Dienst entlassen.» Den Vorschlag Eulenburgs, in Zukunft von einer aktiven Beteiligung an den Manövern abzusehen, nahm der Kaiser überhaupt nicht an. Er hielt es für sein gutes Recht, sich «militärisch zu üben» und meinte, > nach Stuttgart übersiedeln könnte.ZZ Laut Kiderlen tat «der schlaue W.» so, «als ob er sehr gerne hinginge», machte aber geltend, daß Prinz Leopold von Bayern ein höheres Dienstalter habe und ihm deswegen nicht unterstellt werden könne. Wilhelm überließ daraufhin mit der Bemerkung, er wolle Waldersee nicht «zwingen>>, die schwierige Angelegenheit dem Reichskanzler. 23 In einem einstündigen

2.

Versetzung als « Vizekönig» nach Stuttgart?

Gespräch mit dem Generalstabschef äußerte Caprivi entschieden den Wunsch, daß jener die Stellung in Stuttgart übernehme: Er sei der Rich­ tige und Einzige dafür, und auch seine Frau sei «wie geschaffen für Mit­ wirkung>>. Der Kanzler erklärte, daß auch der Kaiser diese Versetzung wünsche, allerdings unter der Vorbedingung, daß Waldersee gern nach Stuttgart ginge und, wie dieser notierte, «unter keinen Umständen» den Eindruck gewinne, «er wolle sich von mir trennen». Er, Waldersee, «solle sofort den Schwarzen Adler Orden erhalten u. würde der Kaiser auch sonst auf Wünsche von mir eingehen».24 Kiderlen brachte in Erfah­ rung, daß Caprivi dem Chef des Generalstabs außerdem «Ziemlich un­ verblümt» klargemacht habe, daß er in Berlin «doch keinen Boden mehr» habe. 25 Nach einer unruhigen Nacht, in der sich Waldersee diese Vorschläge überlegte, trat plötzlich der Kaiser in sein Schlafzimmer. Ihm setzte der Generalstabschef auseinander, weshalb er den Stuttgarter Posten nicht annehmen könne: Alle Württemberger haßten die Einrichtung, wonach stets ein preußischer General das Kommando des württembergischen Armeekorps innehatte. Der in letzter Zeit ohnehin erstarkte süddeutsche Partikularismus würde durch seine, Waldersees, Ernennung nur noch schlimmer werden, denn die gesamte liberale und katholische Presse würde ihn «als Stöckerianer, Mucker u. Kreuzzeitungsmann» ver­ schreien. Er würde also sofort militärisch sehr scharf auftreten müssen, was nur weitere Unzufriedenheit erzeugen würde. Zudem könne er sich mit den «Zum Theil verächtlichen» Verhältnissen am württembergischen Hof, und namentlich mit der «Lebensweise>> des (homosexuellen) Kö­ nigs Karl, überhaupt nicht abgeben. Waldersee schlug dem Kaiser also vor, mit der bisherigen Praxis zu brechen und einen zuverlässigen würt­ tembergischen General mit dem Stuttgarter Kommando zu betrauen. Der Kaiser griff diesen Gedanken auf, wollte aber auch mit dem Kanzler einen Vorschlag des Königs von Sachsen besprechen, wonach das Kom­ mando dem württembergischen Thronfolger Prinz Wilhelm übertragen werden sollte.26 Nach dieser Auseinandersetzung schrieb Waldersee dem Reichskanzler einen Brief, in dem er erklärte, er würde die Stellung in Sttmgart nicht mit der nötigen Schaffensfreudigkeit antreten können. Wie Caprivi hielt auch der Chef des Militärkabinetts Waldersees Ent­ scheidung für einen Fehler, da er sich in Berlin doch nicht mehr lange würde halten können, «und ein zweites Mal werde ihm S.M. kein sol­ ches Angebot machen>>Y Insgesamt hatte Waldersee den Eindruck, daß es Caprivi nicht un­ angenehm wäre, wenn er aus Berlin fort käme. .30 Der Zufall wollte nun, daß der Kaiser am I 9· September darauf be­ stand, das VI. Armeekorps zu führen, ohne zu ahnen, daß nach dem Manöverplan gerade dieses Korps aller Wahrscheinlichkeit nach gründ­ lich geschlagen werden würde, was auch eintrat, zumal die Dispositio­ nen des Monarchen «entschieden schlecht>> waren: Er brachte die Neiße zwischen seine beiden DivisionenY Auch der Kanzlergeneral erkannte, daß der Kaiser die von Waldersee ausgearbeitete ungünstige Übungsan­ lage durch «einige grobe Schnitzer>> noch verschlechtert habe.32 Für sich faßte der Chef des Generalstabes sein Urteil über Wilhelms Führungs­ fähigkeit lakonisch in den Worten zusammen: «Eine höchst mangelhafte Führung, unreife Ideen, Unerfahrenheit verbunden mit größter Sicher-

3.

Das fatale Kaisermanöver an der Neiße

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heit im Auftreten. Haschen nach Effecten also - Spielerei u. kein Ernst! »33 Viele Teilnehmer, darunter der König von Sachsen und der Erbprinz von Sachsen-Meiningen (der Schwager des Kaisers), hätten die Niederlage des Monarchen in den Manövern als «großes Glück» be­ zeichnet, die ihn in Zukunft vielleicht bescheidener machen würde.34 Zum Schluß der Übung mußte der glücklose Waldersee vor dem Kai­ ser von Österreich, dem König Albert und dem Prinzen Georg von Sachsen, dem Prinzen Ludwig von Bayern, dem Österreichischen Feld­ zeugmeister Beck, dem Generaladjutanten von Wittich und vor zahlrei­ chen anderen Offizieren und Flügeladjutanten Manöverkritik üben, wo­ bei er bestrebt war, ohne zu verletzen alle Fehler doch zu erwähnen. «Der Kaiser, der natürlich scharf beobachtet wurde, soll ein etwas ver­ wundertes u. dann sehr ernstes Gesicht gemacht haben>>, schrieb Walder­ see. «Als ich schloß, nahm er das Wort. Er sagte zunächst, daß er mit Allem, was ich gesagt, einverstanden sei, fing dann aber an zu versuchen sich etwas herauszureden u. war leider recht schwach, ja dürftig in sei­ nen Ausführungen. Abends merkte ich schon, daß er etwas verstimmt war u. hörte dann auch bald, daß er sich sehr geärgert habe u. in der Stimmung war, mir die Schuld für seine schlechte Führung zuzuschie­ ben.>>35 Allen Teilnehmern fiel auf, daß Wilhelm Waldersee nicht wie sonst die Hand reichte. Ein unbeholfener Versuch des Generals von Ver­ sen, die Situation durch Schmeichelei wieder einzurenken, schlug völlig fehl. Kiderlen berichtete, ein «hoher Herr>> habe die Szene mit den Wor­ ten zusammengefaßt, «Versen versuchte S.M. a. A. zu lecken, der wollte sich's aber nicht gefallen lassen! ,,36 Wedel hielt die Manöverkritik seines Rivalen Waldersee für ein Mei­ sterwerk, da es «den entschiedenen Tadel gegen den Kaiser in eine so taktvolle Form kleidete>>; dennoch ahnte er, daß der Monarch durch sie eine tiefe Kränkung erfahren hatte. «Hätte doch Waldersee von Anfang an so klar und bestimmt gesprochen>>, seufzte der Flügeladjutant, «wie günstig hätte er dann auf die militärische Entwicklung des Kaisers ein­ wirken können! So sind nun aber 2 Jahre vergangen, in denen man dem Kaiser beständig wegen seines Weihrauch streute, in denen man seine eklatantesten Fehler hingehen ließ, ohne ihn auch nur darauf aufmerksam zu machen. Kann es denn wundernehmen, wenn er, besonders bei seinem Charakter und seiner zweifellos hohen Begabung, da auf Irrwege gerät und schließlich an sein vielgerühmtes selber glaubt! Kann es wundernehmen und ist es nicht vielmehr psychologisch nur zu erklärlich, wenn er durch die heutige Kritik, trotz ihrer taktvollen Form, sich unangenehm berührt, wenn nicht gar verletzt fühlt ?>> Noch am Abend hörte Wedel, . In seinen, des Flügeladjutanten, Augen war Waldersee Y

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Der Sturz der Hofgeneräle

Als Wilhelm II. am 9· Oktober aus Österreich nach Berlin zurück­ kehrte, stand er im Urteil vieler Beobachter «an einem kritischen Punkt>>, den Waldersee folgendermaßen definierte: «Trägt er mir seine schlechte Truppenführung nach so zeigt er Mangel an Seelengröße und bringt sich in die Lage als kleiner Mann angesprochen zu werden. Hat er aber ruhiger Ueberlegung Raum gegeben u. eine kleine Selbstprüfung abgehalten, so muß er mir danken und sich sagen, daß ich ohne Furcht gehandelt u. meine Pflicht gethan habe; dann könnte man sagen: es steckt doch ein edler Zug in ihm.>>38 Obwohl die Zeitungen nach diesem Vorfall voller Abschiedsgerüchte waren, zeigte sich Wilhelm II. bei sei­ nen nächsten Begegnungen mit Waldersee als ausgesucht liebenswürdig, und dennoch ahnte der Generalstabschef, daß seine Versetzung für das Frühjahr r 89 r beabsichtigt war. «Vielleicht will mich der Kaiser [ . . . ] als­ dann loswerden>>, schrieb er, denn Wilhelm sei immerhin «so klug, den j etzigen Moment nicht für den geeigneten zum Bruch zu halten. Sollte er die Absicht haben, mir ein Armee Korps zu geben, so danke ich u. gehe meinen Weg. Er soll erfahren, daß es doch noch selbständige Leute giebt.>>39 Auch Carl Wedel erkannte, daß « Waldersees Stern nun wirklich im Untergehen begriffen» war. «Daß der Kaiser mit der Absicht umgeht, ihn zu entfernen und diese Absicht in nicht zu ferner Zeit auf die eine oder andere Weise zur Ausführung bringt, davon bin ich bei seinem konsequenten Willen überzeugt. Wer hätte gedacht, daß die Katastrophe so rasch heranreifen werde ! ?>> 40 4· Waldersees Entlassung

Da mehrere Wochen vergingen, in denen der Kaiser Waldersee in der ge­ wohnten Weise behandelte, legten sich langsam seine Befürchtungen. Mitte Dezember r 89o, als Wilhelm die Instruktion Caprivis genehmigte, wonach die Militärattaches sich der politischen Berichterstattung zu ent­ halten hätten, bekam der Generalstabschef aber erneut Grund zur An­ nahme, daß er das Vertrauen des Kaisers nicht mehr besaß.41 Wütend schimpfte er: , denn Caprivis Absicht sei doch gerade, den direkten und indirekten Verkehr der Militärattaches mit dem Kaiser zu unterbinden. Von Hahnke sagte er händeringend: «Das soll ein Kabinettschef u. Rath­ geber sein? Es ist wirklich zum Gott Erbarmen! >> Der Kaiser wisse nicht einmal, daß sich der Kriegsminister und er (Waldersee) selbst als Chef des Generalstabes gegen die Instruktion ausgesprochen hätten. Wilhelm glaube sogar, «daß vieles durch die lnstruction besser geworden sei».43 Nach dieser Auseinandersetzung mit Waldersee erklärte der Kaiser laut­ stark: «> 44 Waldersee glaubte, den inneren Konflikt, in dem sich Wilhelm II. nunmehr befand, erfassen zu können. So schrieb er Anfang r 89 r : «Ich sehe es dem Kaiser öfter an, daß er mit sich in einem inneren Kampfe ist, theils ist er der Alte u. sagt sich, daß ich es auch sei, theils drängt ihn seine Eitelkeit dazu mich unbequem zu fühlen, theils sitzt der Stachel vom Kaiser Manöver noch in ihm.»45 Auch andere bemerkten verschie­ dentlich beim Kaiser eine «gereizte Stimmung>> gegen Waldersee, so zum Beispiel, als er in der Zeitung von der Anwesenheit des Generals bei der Abschiedspredigt Stoeckers las.46 Ein weiteres Zeichen, daß die Endkrise herannahte, sah Waldersee Mitte Januar r 89 r darin, daß er nicht mehr zu den Diners eingeladen wurde, die andere für den Kaiser gaben. Da die Gästelisten dem Monarchen stets vorgelegt wurden und Wilhelm ausgie­ big von dem Recht Gebrauch machte, ihm nicht genehme Namen zu streichen, hatte der Chef des Generalstabes das bestimmte Gefühl, daß der Kaiser hinter seiner Nichteinladung steckte.47 Der genaue Punkt, an dem der Kaiser beschloß, Waldersee als Chef des Generalstabes zu entlassen, wurde vom Flügeladjutanten Carl von Wedel festgehalten, dem Wilhelm erregt von einem Gespräch mit dem Reichskanzler und dem gemäßigten Führer der Konservativen, Otto von Helldorff, erzählte, in dem dieser darüber klagte, daß er in der Partei keinen Einfluß mehr habe, da er «völlig durch den Grafen Waldersee ausgeschaltet» worden sei. Auf Aufforderung des Kaisers habe dann auch Caprivi gesagt, daß er es sei, «nicht ein Wort mehr von den Manövern hören>> wolle. Der Chef des Generalstabes bat Wilhelm II. in seinem Vortrag also, die Öster­ reichische Einladung mit einem Tag Aufschiebung anzunehmen, doch der Kaiser blieb fest und befahl Waldersee, an den Militärattache Adolf von Deines in Wien zu schreiben, er solle erklären, daß Wilhelm nur vom 2. bis 8 . September nach Österreich kommen könne und daher die Vorverlegung der dortigen Manöver verlange. Der Grund für die un­ nachgiebige Haltung des Monarchen war, daß er, wie Waldersee ver­ zweifelt in sein Tagebuch schrieb, «unter allen Umständen am 2 3 . Sep­ tember [ . . . ] in der Rominter Heide zur Jagd sein>> wollte ! «Wirklich be­ trübt>> ging der Generalstabschef von der Audienz fort. «Die Hirsche, also das Vergnügen, spielen die Hauptrolle ! >> seufzte er. «Und welche große Interessen werden hier durch Neigung, dem Vergnügen nachzu­ gehen, verletzt! >>49 Noch am selben Abend sagte der Kaiser zu Waldersee in der Kriegs­ akademie, «ich solle ihm gewisse private ihn betreffende Papiere, die er mir im Jahre 1 8 8 8 in Verwahrung gegeben, zurückstellen u. begründete es damit, daß er sich jetzt einen eisernen Schrank angeschafft habe. Er scheint ein dunkles Gefühl gehabt zu haben, daß es für ihn vielleicht un­ beqem sein könne, wenn diese Papiere noch nach unserer Trennung in meinem Besitze blieben>>, notierte sich Waldersee in einem Rückblick auf seine Entlassung. 50 Trotz dieses Omens war der Generalstabschef gänz­ lich überrascht, als ihm der Kaiser am 27. Januar, seinem 3 2 . Geburtstag, nach der Verleihung des Großkomturkreuzes zum Hohenzollemorden mitteilte, er wolle ihm eine Freude machen und habe deshalb die Ab­ sicht, ihm das Kommando eines Armeekorps zu übertragen. Während eines Essens mit seinen Offizieren - es befanden sich darunter Graf Alfred von Schlieffen und der künftige Kriegsminister Heinrich von

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Waldersees Entlassung

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Goßler - faßte Waldersee den Entschluß, den Kaiser um seinen Rücktritt aus der Armee zu bitten. Er war fest entschlossen, dem Monarchen «sehr deutlich meine Auffassung der Situation zu geben. [ . . . ] Ich glaube auch der Armee u. dem Kaiser selbst einen Dienst zu leisten, wenn ich fest auftrete u. ihm zeige, daß es doch noch Leute giebt, die sich seinem Wil­ len nicht ohne Weiteres unterordnen», schrieb er. 51 Dem Flügeladjutanten Wedel gegenüber hob der Kaiser während einer Spazierfahrt im Grunewald hervor, daß er mit Waldersees Entlas­ sung aus dem Generalstab zeigen wolle, «daß der Chef des Generalstabs nur sein Organ und damit weit davon entfernt sei, über den Komman­ dierenden Generälen zu stehen»; Wedel meinte aber, Wilhelm habe sich dieses Argument nur zurechtgelegt, um sich über seine eigentlichen Be­ weggründe zu täuschen. Die vom Kaiser geäußerte Meinung, daß Wal­ dersee das allgemeine Vertrauen der Armee nicht mehr genieße, wurde allerdings von Wedel bestätigt. Der Flügeladjutant stellte ferner fest, die eingeweihten Militärs am Hofe hätten alle die Empfindung gehabt, «wie seit jener Kritik im vorigen Frühjahr [ r 890] anläßlich der Generalstabs­ arbeiten die Beziehungen [zwischen Wilhelm und Waldersee] sich ge­ ändert hätten und wie auch vielfach die Meinung vorherrsche, daß die Erkaltung seit Waldersees Kritik vom vorigen Herbst weitere Fort­ schritte gemacht habe». Wilhelms Behauptung, er habe Waldersee diese Kritik nicht übelgenommen, empfand Wedel als gänzlich unglaubwür­ dig. «So ist denn nun auch Waldersee gefallen», reflektierte er, «und da­ mit ist ein weiterer, anfangs hell leuchtender Stern der neuen Ära unter­ gegangen! »52 In einer heftigen Auseinandersetzung, die am 2 8 . Januar r 89 r im Ber­ liner Schloß stattfand, weigerte sich Wilhelm entschieden, Waldersees Abschiedsgesuch als Offizier anzunehmen. Verblüfft hörte der General­ stabschef zu, als der Kaiser seine Versetzung nach Altona mit der Be­ gründung zu rechtfertigen suchte, daß sowohl Bismarck als auch die «Sozialisten Verschwörung», die in Harnburg ihr Hauptquartier habe, überwacht werden müßten und daß die Entwicklung an den norddeut­ schen Höfen «sehr bedenklich>> zu werden beginne; außerdem werde sich Waldersees Frau (die Witwe des Prinzen Friedrich zu Schleswig­ Holstein-Sonderburg-Augustenburg, Fürsten von Noer) doch gewiß freuen, in ihre alte Heimat zurückzukehren. Schließlich sei es sein, des Kaisers, Wunsch, die Stellung des Chefs des Generalstabes im Vergleich zum Kriegsministerium und den Kommandierenden Generälen herabzu­ mindern. Wörtlich habe er gesagt: «Der Chef des Generalstabes soll bei mir nur eine Art von amanuensis sein u. dazu brauche ich einen jünge­ ren.>> Waldersee blieb bei seiner Ansicht und sagte dem Kaiser ins Ge­ sicht, er sei überzeugt, ihm und der Armee einen größeren Dienst zu leisten, wenn er den Abschied nehme, als wenn er bliebe. «Üb er den Sinn dieser Worte verstand, weiß ich nicht, er wird ihn aber schon er-

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kennen.» Als Waldersee nach der Audienz mit seinem Vorgänger Feld­ marschall Graf von Moltke zusammentraf, fand auch dieser die Verset­ zung Waldersees nach Altona «völlig unbegreiflich u. sprach sich sehr besorgt über den Kaiser aus>>. Betrübt sann Waldersee darüber nach, daß «das Traurigste» an seiner Entlassung als Chef des Generalstabes die Tatsache sei, «daß mit mir Alle darüber einig sind - der dumme Hahnke ist es auch - daß das Mißgeschick des Kaisers beim Manöver die eigent­ liche Ursache ist, daß der Kaiser mich los sein will u. daß Caprivi dies geschickt benutzt habe, u. so wie wir wird die ganze Welt denken; wie muß dies dem Kaiser schaden! » Er, Waldersee, sehe «recht schwarz» in die Zukunft. «Der Kaiser will sein eigener Chef des Generalstabes sein! Gott schütze das Vaterland ! »53 Waldersees Rücktritt wurde von vielen, nicht nur in der Armee und in der Deutsch-Konservativen Partei, als Fehler von erheblicher politischer Tragweite empfunden, von anderen freilich als große Erleichterung be­ grüßt. Der alte Feldmarschall, der König von Sachsen und Kaiser Franz Joseph sprachen alle ihr lebhaftes Bedauern über sein Scheiden aus. Zum ersten Mal seit drei Jahren wurde Waldersee freundlich von der Kaiserin Friedrich empfangen. Wedel aber empfand die Entlassung als nützlichen Schritt, denn Waldersee sei immer «ein zersetzendes Element» gewesen, der sich «mit allen Mitteln der Intrige» in alles eingemischt und einen «ungemessenen Ehrgeiz» besessen habe. Der Chef des Militärkabinetts, General von Hahnke, erzählte Wedel jetzt, wie «Waldersee sich mit Verdy verbunden habe, um nicht nur Bismarck, sondern auch ihn [Hahnke] zu stürzen>>.54 Als der Kaiser am 3 1 . Januar I 89 I das Entlassungsgesuch Waldersees erhielt, geriet er in eine «große Erregung» und eilte zu Caprivi, der den Eindruck gewann, daß Wilhelm mit der Idee spielte, Waldersee doch noch als Generalstabschef zu belassen. «Caprivi erblickt darin ein Zei­ chen für ein gefühlvolles Herz des Kaisers», schrieb Wedel nach einem Gespräch mit dem Kanzler. Beide Generäle - Caprivi und Wedel waren sich jedoch darin einig, daß der Kaiser fest bleiben müsse, denn ein Rückzug würde jetzt als eine Niederlage für den Monarchen gedeu­ tet werden. > Der Kaiser bestritt diese Be­ hauptung entschieden, doch Waldersee blieb bei seiner Meinung und nannte außer Caprivi noch Holstein, Kiderlen, Lindau und Raschdau «U. wie die Leute alle heißen» als seine Feinde, die seit Wochen an sei­ nem Sturz gearbeitet hätten. Zum Schluß der Unterredung wurde der Kaiser «elegisch» und sagte: «Es ist zu traurig, was ich schon für Erfah-

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rungen habe machen müssen, meine besten Freunde verlassen mich! » Waldersee fuhr, von der Begegnung «tief betrübt>>, nach Hause und trö­ stete sich mit dem Gedanken, daß Karneval sei: Man solle sich also nicht wundern, «wenn tolle Sprünge gemacht werden, denn toll u. unvernünf­ tig ist die ganze Procedur. Ich soll aus der Stellung, die ich gut ausfülle, heraus, damit einer hinein kann, der unbedeutender ist.>>56 An seinen Freund Verdy schrieb Waldersee nach dem Sturz: 57 Waldersees offene Aussprache hat ihre Wirkung auf Wilhelm - wenig­ stens vorübergehend - nicht verfehlt. Als August Eulenburg den schei­ denden Generalstabschef am 1 . Februar aufsuchte, zeigte auch er sich sei. Im Laufe seiner Ver­ handlung mit Waldersee sei dieser «immer schärfer und impertinenter gegen ihn geworden>>, klagte der Kaiser, so daß er, Wilhelm, ihm schließ­ lich mitgeteilt habe, er sei im vorigen Herbst nur deswegen nicht als Kommandeur nach Stuttgart versetzt worden, weil der König von Würt­ temberg erklärt habe, «man möge ihm jeden General schicken, nur nicht Waldersee>>. Obwohl durch diese Bemerkung offenbar tief betroffen, sei Waldersee in seinen Einwänden immer schärfer geworden und habe ihm, dem Kaiser, schließlich vorgeworfen, in der Armee ein Gefühl «hochgra­ diger Unsicherheit» hervorgerufen zu haben. «Hier sei der Kaiser dem Grafen lebhaft ins Wort gefallen und habe ihm vorgehalten, wie er, der sein Freund sein wolle und sein ganzes Vertrauen genieße, ihm eine sol­ che Tatsache, wenn sie bestehe, so lange habe verschweigen können.» Und als Waldersee ferner behauptet habe, die ganze Armee würde durch seinen Rücktritt «auf das lebhafteste bewegt>> werden, habe Wilhelm entgegnet, er täusche sich, denn er wisse aus seinen «verschiedenfachsten Nachrichten>>, daß Waldersee das Vertrauen der Armee nicht genieße.

Der Sturz der Hofgeneräle

Der Kaiser habe dann die Gründe noch einmal aufgezählt, die es wün­ schenswert machten, Waldersee nach Altona zu schicken: Die besondere Ehre, die darin liege, das heimatliche Korps der Kaiserin zu kommandie­ ren; die Überwachung der sozialdemokratischen Bewegung in Harn­ burg; der Umstand, daß verschiedene Kontingente kleiner norddeut­ scher Fürsten zu diesem Armeekorps gehörten; und schließlich «die Überwachung des Einsiedlers von Friedrichsruh>>. Alle diese Argumente habe Waldersee mit dem Hinweis auf seine « Weltstellung>> abgelehnt und beim Abschied gesagt: «> Bald nach dieser hitzigen Auseinandersetzung sei dann ein Brief von Waldersee eingetroffen, erzählte der Kaiser weiter, «der an Impertinenz alles übersteige und wie er wohl noch niemals von einem preußischen General an seinen König geschrieben worden sei>>. Der Brief habe mit der Forderung nach Entlassung aus der Armee geendet. Unmittelbar da­ nach sei Hahnke bei ihm, dem Kaiser, mit der Meldung erschienen, ein Unterhändler Waldersees sei gerade bei ihm gewesen, um die nötigen Vereinbarungen wegen der Übernahme des Armeekorps in Altona zu treffen. Sofort zeigte der Kaiser dem Chef des Militärkabinetts den Brief Waldersees, woraufhin Hahnke «wie vom Blitz getroffen>> auf den Tisch schlug und sagte: «Nun geben Ew.M. ihm aber auf der Stelle den Ab­ schied, denn das ist doch zu stark ! >>61 Der Kaiser hielt «als Freund>> zwar an dem Entschluß fest, Waldersee nach Altona zu versetzen, erging sich jedoch «in den heftigsten Ausfäl­ len>> über Presseberichte, die Einzelheiten enthielten, die sich unter vier Augen abgespielt hatten und daher, wie er glaubte, nur von Waldersee herrühren konnten. Die Abschiedsaudienz des letzteren am 4· Februar dauerte keine zwei Minuten, und hinterher sagte der Monarch nur: «Nun, er scheint sich ja bekobert zu haben.>> Nach einem Gespräch mit seinem alten Rivalen schrieb Wedel: «Wie giftgeschwollen Waldersee war, merkte man aus jedem Wort. Er hatte sich wohl zu sicher gefühlt, um von einem solchen Niedergang träumen zu lassen.>>62 Sollte der Flü­ geladjutant beim Sturze seines Widersachers Waldersee Schadenfreude empfunden haben, was ihm nicht zu verdenken gewesen wäre, so wird ihm das Lachen vergangen sein, als auch er wenige Wochen später aus dem Hofdienst ausscheiden mußte. 5· Die Versetzung des Grafen von Wedel ins Auswärtige Amt

Wie wir mehrfach schon sehen konnten, spielte Carl Graf von Wedel unter den Flügeladjutanten in den ersten Regierungsjahren Kaiser Wil­ helms II. eine herausragende Rolle, möglicherweise weil er aus seiner Zeit als Militärattache in Wien in die Geheimnisse seines Privatlebens



Die Versetzung des Grafen von Wedel ins Auswärtige Amt

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eingeweiht war.63 Philipp Eulenburg erkannte frühzeitig Wedels Bedeu­ tung in der kaiserlichen Umgebung, stellte aber mit Erleichterung fest, daß Wilhelm kein «inneres Interesse» für den General hatte. 64 Sein ande­ rer Rivale, Waldersee, beschimpfte Wedel als «krassen Egoist[en}>, der so «thöricht» gewesen sei, «als er Dienstthuender Flügel-Adjutant wurde, sich sehr aufzuspielen u. vorzudrängen; er glaubte damals den General Wittich zu verdrängen».65 Allein die Tatsache, daß Wedel sich loyal für Bismarck und dann für Caprivi und schließlich auch für den Oberhofmarschall Liebenau einsetzte, genügte schon, um den Zorn Wal­ dersees zu erregen. Unmittelbar nach dem Sturz Bismarcks vermerkte der Chef des Generalstabes hämisch, Wedel sei, «seit er den Kanzler fal­ len sah, ein ganz anderer geworden u. macht einen völlig erschlagenen Eindruck. Der Kaiser hatte ihn endlich als falschen Mann erkannt u. will ihn auch los werden; zu seinem Unglück verlief die Krisis zu schnell, sodaß er nicht mehr vom Kanzler loskommen konnte; sonst würde er ihn wohl verleugnet haben.»66 Waldersees schadenfrohe Vorhersage er­ wies sich zunächst als eine schwerwiegende Fehlprognose, denn Wedel konnte sich nicht nur bis zum Sommer r 89 r halten, er besprach mit dem Kaiser täglich die wichtigsten außen-, innen- und personalpolitischen Fragen, wurde von ihm mit vertraulichen Missionen nach Friedrichsruh und Wien, Kopenhagen und Stockholm beauftragt, begleitete ihn im August r 890 auf seiner Reise nach Rußland und spielte überhaupt in den ersten Jahren der Kanzlerschaft Caprivis und nicht zuletzt auch bei der Entlassung Waldersees eine gewichtige Rolle. 67 Seine Stellung am Hohenzollernhof wurde sogar vorübergehend durch die Ernennung sei­ nes Vetters Ernst zum Oberstallmeister des Kaisers im Herbst r 89o be­ festigt.68 Dann allerdings war auch seine Zeit in der kaiserlichen Um­ gebung abgelaufen. Wedel mußte widerstrebend vom Hofdienst in die diplomatische Karriere überwechseln, weil auch er zu häufig und zu offen seine Meinung gesagt hatte. Wie es zu dieser Überleitung eines hannoverschen Generals und Flü­ geladjutanten in die diplomatische Laufbahn kam und welche Rolle dabei die persönlichen Wünsche des Kaisers spielten, geht exemplarisch aus der Korrespondenz Friedrich von Holsteins mit Philipp Eulenburg sowie aus einem rückschauenden Memorandum Wedels vom Sommer r 894 hervor. Laut Holstein erhielt der Reichskanzler am r o. Mai r 89 r vom Kaiser von Darmstadt aus ein mehrere Seiten langes Telegramm, in dem er behauptete, der bisherige Militärattache in Paris, Ernst Freiherr von Hoiningen genannt Huene, mit dem er in Karlsruhe über die fran­ zösischen Kriegsabsichten gesprochen hatte, sei über Frankreich besser orientiert «als die ganze augenblickliche Botschaft zusammengenom­ men>>; er verlangte daher die sofortige Ersetzung des Botschafters Graf Münster, dem er schon länger «hohles Phrasengedresch ohne ernsten Hintergrund>> und «Naivität und kindliches Vertrauen» vorgeworfen

Der Sturz der Hofgeneräle

hatte, durch seinen Flügeladjutanten Carl Wedel.69 Der Kanzler bat zu­ nächst um einen lmmediatvortrag, war aber entschlossen, seinen Ab­ schied zu nehmen, falls der Kaiser auf eine Entsendung eines Generals nach Paris, die in den Augen der Welt als Kriegsdrohung aufgefaßt wer­ den würde, beharren sollte. Holstein warnte, in ganz Deutschland würde es dann heißen: «Fürst Bismarck hat Recht, wenn er sagt, daß Se. Majestät verrückt ist.>/0 In der Audienz konnte Caprivi eine Vertagung der Abberufung Münsters bis zum Herbst erreichen - tatsächlich blieb er bis I 900 Botschafter in Paris - aber der Kaiser bestand darauf, daß Wedel jetzt schon dem Auswärtigen Amt zugeteilt wurde. Der Reichs­ kanzler ließ den Flügeladjutanten rufen und erklärte ihm, daß ihn der Kaiser schon seit längerer Zeit für einen Botschafterposten in Aussicht genommen habe. Wilhelms Wunsch entspringe, so verriet der Kanzler, «ein wenig mit aus der Absicht, [ . . . ] einen anderen, jüngeren General zum Commandanten Seines Hauptquartiers zu machen>>, und da sei er, Wedel, im Wege. Problematisch sei freilich die Wahl der Botschaft, die der Hofgeneral erhalten solle. Der Monarch sei in jüngster Zeit so sehr gegen Münster in Paris aufgehetzt worden, daß er diesen entlassen und Wedel an seine Stelle setzen wolle; er, der Reichskanzler, habe hingegen politische Bedenken gegen die Entsendung eines Generals als Botschaf­ ter nach Paris, «weil man darin leicht eine ultima ratio erblicken könne>>. Caprivi habe deswegen dem Kaiser geraten, Wedel nach St. Petersburg statt nach Paris zu schicken, denn auch die Verabschiedung des dortigen Botschafters Lothar von Schweinitz werde sich in nicht zu ferner Zeit vollziehen, doch der Kaiser sei bei dem ursprünglichen Plan geblieben, . Trotzdem habe der Kanzler dem Kaiser vorgeschlagen, Wedel als eine Art von Übergang in das Auswärtige Amt zu kommandieren, weil damit seine spätere Ernennung zum Botschafter in Paris etwas an Schärfe ver­ lieren würde. Diesen Vorschlag habe der Kaiser lebhaft aufgegriffen und Wedels Kommandierung zum I 5 . Juni I 89 I , dem dritten Jahrestag seiner Thronbesteigung, befohlen, sagte der Kanzler. Der unglückliche Flügeladjutant machte daraufhin geltend, auch er habe seit längerer Zeit die Empfindung, daß er dem Kaiser sei, allein, er fühle sich als Botschafter in Paris in keiner Richtung gewachsen und wolle seine Zukunft mit dem Monarchen selbst erörtern. Noch am selben Abend fuhr Wedel zur Übernahme des Dienstes als Flügeladjutant zum Neuen Palais. Der Kaiser , worauf der General geant­ wortet habe, er würde dort, wenn er auch Zweifel in seine Eignung setze, «Wenigstens den Versuch wagen>>. Er sei gern bereit, sich als Über­ gang zum Auswärtigen Amt kommandieren zu lassen - ein Schritt, wie er in der Denkschrift vom Juni I 894 einräumte, den er seitdem «nur zu deutlich als einen schweren Fehler erkannt und bereut>> habe.71 Während eines Diners bei Borchardt zur Feier seines Abschieds aus dem Hof­ dienst am I9. Juni r 89 1 , zu dem auch der Kaiser erschien, sprach dieser von Wedel mehrmals als Botschafter und äußerte: «Wer weiß, ob das nicht der Botschafter ist, der uns einmal einen Krieg anzündet.>>72 Nach den Herbstmanövern in Österreich im September I 8 9 I, an de­ nen Wedel auf Wunsch des Kaisers als Mitglied des Hauptquartiers noch teilnahm, bat ihn Caprivi nach Rücksprache mit Wilhelm, eventuell auf kurze Zeit einen Gesandtenposten zu übernehmen. Zu seinem «größten Erstaunen>> eröffnete ihm der Reichskanzler sodann am r 8 . Oktober, «Se.M. habe befohlen, daß ich als Gesandter nach Belgrad gehen solle>>. Gleich am folgenden Morgen lehnte Wedel diesen Posten «zweiter Klasse>> ab und bat den «sichtlich betretenen>> Reichskanzler «in sehr bestimmter Form>> um seine Rückkehr in die Armee.73 Als er noch am gleichen Abend nach einem Diner im Neuen Palais dem Kaiser selbst seine Verweigerung des Belgrader Postens mitteilte, sagte ihm Wilhelm: «Aber, lieber Freund, Sie werden sich doch nicht einbilden, daß Ich auf diesen Gedanken gekommen bin. Ich an Ihrer Stelle würde auch refüsirt haben und die Sache ist damit abgemacht.» Wedels dringende Bitte, in die Armee zurücktreten zu dürfen, lehnte der Kaiser allerdings mit der Bemerkung ab, daß sich schon etwas für ihn finden werde.

Der Sturz der Hofgeneräle

Wedels Versetzung ins Auswärtige Amt beziehungsweise in das diplo­ matische Korps wurde dort nicht gerade mit Freude aufgenommen. Der einflußreiche Geheimrat von Holstein klagte, «er wisse gar nicht, wie er diesen [Wedel] los werden solle u. äußerte sich sehr mißliebig über die Generäle, welche durch Allerhöchsten Befehl diplomatische Posten er­ hielten, dadurch die Karriere verdürben und anständige Leute abschreck­ ten, in die Diplomatie zu gehen>>.74 Der Einschub wirkte auf die Diplo­ maten noch alarmierender, als Eulenburg in Erfahrung brachte, daß Wedel sogar er­ halten hatte.75 Doch, obwohl Wedels Stellung im Auswärtigen Amt > sein Versprechen wieder­ holte, daß diese Stelle zu einer Botschaft darstellen werde. >, erklärte Wedel.78 Wedel trat mißmutig seinen Posten in Stockholm an und tröstete sich mit dem Gedanken an den ihm «amtlich in Aussicht gestellten Wiener Posten>>.79 Einem befreundeten Diplomaten gegenüber klagte er laut Eulenburg, der über «solche Undankbarkeit gegen den Kaiser [ . . . ] em­ pört» war: «Der Kaiser mißhandelt mich, das Auswärtige Amt dito. Ich habe nie etwas anderes als eine Division angestrebt. (! !) Man schmeißt mich heraus und gibt mir eine so lumpige Gesandtschaft wie Stock­ holm.» Eulenburgs schwedische Frau erfuhr zudem, daß Wedel in Stockholm taktlos erzählt habe, er bliebe nur ganz kurze Zeit in Schwe­ den.80 Er rechnete so fest mit seiner bevorstehenden Ernennung zum Botschafter in Wien, daß er sich in einem Porzellanladen der Österreichi­ schen Hauptstadt ein herrliches Geschirr mit seinem Monogramm und der Grafenkrone bestellte ! «Das ist für den Grafen Wedel, der hier deut­ scher Botschafter wird! » erklärte der Ladeninhaber der erstaunten Prin­ zessin Reuß, die sich nach dem Besitzer des Geschirrs erkundigt hatte. 81 Regelrecht bestürzt war Wedel, als er bald nach diesen Verhandlungen von der Ernennung des Hofmarschalls Hugo Fürst von Radolin zum Botschafter in Konstantinopel erfuhr. Mit Recht führte er diese ihn überraschende Entwicklung auf Radolins «besondere Freundschaft [mit] der Camarilla in der Wilhelmstraße» zurück, deren Führer Holstein war. Carl Wedel wurde abermals übergangen, als Schweinitz in St. Petersburg im Januar r 893 durch den General von Werder ersetzt wurde. Als Wedel im April jenes Jahres den Kaiser in Berlin sprach, betonte dieser: «Ja, ich wollte ja eigentlich Sie dorthin haben, dem direkten Wunsche des Cza­ ren [nach Werder] gegenüber mußte ich mich indessen fügen. Im übri­ gen ist es aber auch vielleicht ganz gut so, da Sie als Hannoveraner bei der Kaiserin [von Rußland] nicht persona grata gewesen sein würden.»

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Weder der Kaiser noch der General ahnten, daß auch der «direkte Wunsch» des Zaren Alexander nach dem General von Werder durch die «Camarilla in der Wilhelmstraße» fingiert worden war.82 Die größte Enttäuschung erlebte Wedel freilich in bezug auf den von ihm heiß­ ersehnten Wiener Posten, der nicht ihm, sondern dem Grafen Philipp zu Eulenburg, dem besten Freund des Kaisers und damals noch engsten Mitarbeiter des Geheimrats von Holstein, zufiel. Bereits im Herbst I 893 drangen Gerüchte nach Stockholm, wonach sich Eulenburg in München ganz offen als künftiger Botschafter in Wien geriere; seine näheren Bekannten behaupteten, er habe sich diesen Posten ausgesucht, weil er nur dort seine Kinder erziehen lassen könne. Als Wedel Anfang November 1 893 in Berlin eintraf, suchte er den Reichskanzler auf, um diese Gerüchte offen mit ihm zu besprechen. Ca­ privi, durch Wedels Reklamationen sichtlich in Verlegenheit gesetzt, erwiderte, er wisse von der Sache nichts, er habe allerdings erst vor kur­ zem eine Äußerung des Kaisers gehört, wonach man «in Wien mit Eulenburg sehr zufrieden» sein würde. Als er sich vier Wochen später vor der Rückreise nach Stockholm beim Reichskanzler abmeldete, sagte Caprivi dem niedergeschlagenen Gesandten: «Daß Sie Botschafter wer­ den, dafür trete ich ein. Sie sind jetzt, nachdem Graf Berchem den Posten in Washington abgelehnt hat, der Erste dazu, aber es ist nichts frei und Wien ist für Sie ausgeschlossen.>> Mit tiefer Bitterkeit erinnerte Wedel den Kanzler an sein Versprechen bezüglich der Wiener Botschaft bei der Annahme der Stockholmer Gesandtschaft im Sommer I 892. «Daß der Kaiser dasselbe vergessen würde, darüber sei ich außer Zweifel gewesen, in seinen [Caprivis] Worten hätte ich indessen eine Garantie gefunden.» Der Reichskanzler sei sichtlich «betreten» gewesen, erinnerte sich Wedel, und habe achselzuckend geantwortet, «dem Grafen Eulen­ burg gegenüber sei er ohnmächtig und ich müsse mich mit einer anderen Botschaft begnügen>>. Rom sei eine naheliegende Möglichkeit, denn Graf Solms stehe «beim Kaiser schlecht angeschrieben>> - der Botschafter hatte dadurch, daß er versäumt hatte, ihm während seines Besuchs in Rom von der Garden Party eines englischen Lords Mitteilung zu ma­ chen, den Zorn des Monarchen erregt83 - und werde voraussichtlich bald zurücktreten. Doch unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Stockholm im Dezember I 893 erreichte Wedel die ihn völlig überraschende Nach­ richt, daß Solms durch den bisherigen Gesandten in Bukarest, Bernhard von Bülow, ersetzt worden war. Diese abermalige Enttäuschung war für Wedel der endgültige Beweis, und daß seine Versprechun­ gen daher wertlos waren. Verbittert teilte Wedel am 19. Dezember 1 893 dem Chef des Militärkabinetts seinen Entschluß mit, im nächsten Som­ mer seinen Abschied zu nehmen. Hahnke sprach daraufhin mit dem Kaiser über die Bevorzugung des um einige Jahre jüngeren Bülow für

6. Der Abgang des Generaladjutanten Adolf von Wittich

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Rom, über die Wedel wohl Ursache habe, sich zu wundern, worauf Wil­ helm erwidert habe: «Graf Wedel wird nicht vergessen sein, ich muß aber über die Botschafterposten verfügen, wie es nöthig ist; zudem ist auch W als Diplomat jünger wie Bülow.»84 Der ehemalige Flügeladju­ tant blieb dennoch auf seinem Gesandtenposten in Stockholm, schaffte dann allerdings doch noch den Sprung in die höhere diplomatische Lauf­ bahn: 1 897 wurde er als Nachfolger Bülows Botschafter in Rom, 1 902 der Nachfolger Philipp Eulenburgs auf dem Wiener Posten, und 1 907 Statthalter von Elsaß-Lothringen. Wenige Wochen vor dem Kriegs­ ausbruch 1 9 1 4 ernannte Kaiser Wilhelm II. Carl Graf von Wedel zum Fürsten mit dem Prädikat «Durchlaucht>>. Als Wedel im Mai 1 89 1 zusammen mit Hahnke auf seine zweieinhalb­ jährige Tätigkeit als Flügeladjutant zurückblickte, stellten beide Militärs fest, wie Wedel niederschrieb: «Anfangs sei ja dann auch Alles vortreff­ lich gegangen bis ich dem Kaiser in der Bismarck- und Liebenau-Affaire [ . . . ] entgegen getreten sei und bei Ihm die Überzeugung geweckt habe, daß ich nicht Alles billige was Er tue. Mit der Liebe des Allerhöchsten Herrn sei es ja ein eigen Ding.»85 Wedel beteuerte, er habe längst gefühlt, «daß ich dem Kaiser unbequem sei und ihm, der ja der Herr sei, das volle und ausschließliche Recht zuerkenne, seine Umgebung lediglich nach seinem Geschmack zu wählen.» Hahnke verriet ihm, daß von verschiedenen Seiten und besonders von Waldersee Intrigen gegen ihn, Wedel, gesponnen worden seien, wozu Wedel in seinen Aufzeichnungen noch bemerkte, er habe seit längerer Zeit das Gefühl, daß Hahnke selbst ihn nicht mehr protegiere. Dann fuhr er fort: «Ich bin froh, daß ich aus dieser Geschichte heraus bin, denn mein Charakter paßt für den Kaiser nicht! Er verlangt Kreaturen, die er zwar nicht achtet, die ihm aber be­ quem sind. Nun, ich scheide wenigstens mit dem guten Gewissen, daß ich, wenn ich auch nicht alles sagen durfte und konnte, was ich dachte, doch meines Wissens niemals etwas gesagt habe, was ich nicht dachte, daß ich niemals einer Anschauung oder Handlung zugestimmt habe, die ich nicht billigte. Außerdem war es in den 2Vz Jahren meines Dienstes beim Kaiser mein beständiges, gegen jedermann auftretendes und bis zu einem gewissen Grade auch von Erfolg gekröntes Streben, dem rüdigen Ton in der Umgebung des Kaisers und dem Erzählen zotiger Geschich­ ten zu steuern. [ . . . ] Mein Wollen war redlich und treu, ehrliche Leute aber passen nicht an den jungen Hof."86 6. Der Abgang des Generaladjutanten Adolf von Wittich

Bald nach der Entlassung Waldersees als Chef des Generalstabes und der unfreiwilligen Versetzung Wedels in den diplomatischen Dienst entließ Kaiser Wilhelm II. auch den zweiten Generaladjutanten, den er bei

Der Sturz der Hofgeneräle

A bb. 20: General A dolf von Wittich, Generaladjutant und Kommandant des Allerhöchsten Hauptquartiers 1888-1892.

seiner Thronbesteigung ernannt und ausgezeichnet hatte - der erste, Max von Versen, war ja schon im März 1 890 nach Metz versetzt wor­ den. 87 Anders als Wedel wurde Adolf von Wittich als Kommandeur des XL Armeekorps in Kassel in den aktiven Dienst zurückversetzt. In den Anfangsjahren der Wilhelminischen Ära hatte er zusammen mit Versen einen umstrittenen Einfluß sowohl auf die Entscheidungen des Kaisers als auch auf den Umgangston, der in seiner nächsten Umgebung herrschte, ausgeübt. Wittich hatte es allerdings von Anfang an schwer gefunden, sich an das höfische Leben zu gewöhnen, und schon bald nach der Thronbesteigung des jungen Kaisers hatte Carl Wedel dem Österreichischen Botschafter mitgeteilt, der Generaladjutant habe sich «absolut nicht mit seinen jetzigen Dienstobliegenheiten befreunden» können. Wittich beklage sich «fortwährend über den großen und un­ nützen Zeitverlust den ihm die vielen Hoffeste verursachen» und leide infolgedessen «an einer mit jedem Tage mehr hervortretenden Nervosi­ tät». Es sei nicht zu bestreiten, beteuerte Wedel, «daß General von Wit­ tich, je eher, je besser, dazu berufen ist, einen rein militärischen Wir­ kungskreis zu erhalten». Nicht nur Wittich selbst und die Flügeladju­ tanten um ihn herum, auch Kaiser Wilhelm empfinde, daß Wirtichs «persönliche Beschaffenheit nicht diejenige ist, welche die Art der

6. Der Abgang des Generaladjutanten Adolf von Wittich

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Dienste in seiner jetzigen Stellung erfordert>>.88 Waldersee stellte eben­ falls schon im August r 8 8 8 fest, daß Wittich am Hofe wenig glücklich sei. «Er ist ungeheuer angestrengt, sodaß er es dauernd kaum wird aus­ halten können, und findet an dem Hofleben wenig Geschmack>>, schrieb er.89 Das Kernproblem lag in dem persönlichen Verhältnis Wit­ tichs zum Kaiser. Wie Waldersee bemerkte, war der Generaladjutant «von Natur kritisch angelegt u. hat daher Neigung zur Opposition; der Kaiser weiß es ganz genau und widerspricht ihm häufig und augen­ scheinlich absichtlich». Jedenfalls könne Wittich sich nicht rühmen, den Kaiser «irgend wie zu leiten>>.90 «Daß Wittich gar keine oder besser eine für einen tüchtigen Mann unwürdige Stellung hat, ist jetzt jedermann klar>>, konstatierte Waldersee im November r 8 8 8 . «Er soll nun wieder dem Kaiser kriegsgeschichtliche Vorträge halten und wird dies recht gut machen, dazu sich aber einen Dienstthuenden General-Adjutanten zu halten, ist wohl ein arger Luxus.>>91 Das erstaunliche an dieser Lage war eigentlich, daß Wittich bis Mitte r 892 in seiner Stellung am kaiserlichen Hofe belassen wurde. Seine eigene Frustration äußerte sich indeß in einem zunehmenden Zynismus, der sich höchst negativ auf den Charakter des Kaisers und den Um­ gangston am Hof auswirkte. Schon im Sommer r 890 machte Waldersee Wirtich für manche Schroffheiten des Kaisers verantwortlich. Es sei «wahrhaft empörend», klagte er, wie der Generaladjutant «statt zu mil­ dern noch mehr Schärfen>> in die abfälligen Bemerkungen des Kaisers hineinbringe.92 Wirtich gefalle sich «in beißender Kritik», beanstandete Waldersee. «Er läßt eigentlich an Niemandem ein gutes Haar und hat die große Schwäche ungenirt in Gegenwart jüngerer Officiere zu kritisiren u. zu schimpfen .. [ . . . ] Durch seine Art [ . . . ] hat er schon großen Schaden gethan, da der Kaiser sehr leicht auf Urtheile über Personen eingeht und selbst scharf urtheilt. Wittich hat wesentlich dazu beigetragen, wenn dem Kaiser Achtung vor dem Alter u. der Erfahrung verloren gegangen ist; er hat sich schwer versündigt! >> 93 Der Generaladjutant vergehe sich sogar soweit, schrieb Waldersee, 94 Schon bald nach seiner Ernennung zum Generaladjutanten entstanden also Gerüchte, wonach Wirtich demnächst wieder - sei's als Kriegsmini­ ster, Generalstabschef oder Kommandant einer Infanteriedivision - in den aktiven Dienst zurückversetzt werden würde. Als sich im Sommer r 89o der Sturz des Kriegsministers von Verdy abzeichnete, sah es vor­ übergehend so aus, als ob der Kaiser tatsächlich seinen schwierigen Ge­ neraladjutanten zum Kriegsminister ernennen würde. Waldersee wußte darüber zu berichten: «Wittich hatte sich auf eine längere Rede vorberei­ tet, in der er entwickeln wollte, weßhalb er den Posten nicht annehmen wolle; als er sie anfing u. der Kaiser merkte, worauf es heraus kommen

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Der Sturz der Hofgeneräle

würde, sagte der letztere: , klopfte ihn auf die Schulter u. ließ ihn mit seiner Rede stehen.>> Waldersee ahnte zu Recht, daß Wilhelm befürchtete, mit Wir­ tich als Kriegsminister sofort in Konflikt zu geraten, und daß er erleich­ tert war, dem Kanzler sagen zu können, der Generaladjutant habe den Posten abgelehnt.95 Im Mai I 89 I suchte Wittich Verdy auf, um mit ihm seine eigene Zukunft zu erörtern. Da er von dem Konflikt zwischen Kaltenborn und Caprivi Wind bekommen und auch gesehen habe, daß der neue Generalstabschef Graf Alfred von Schlieffen «bereits anfängt den Kaiser zu langweilen»,96 habe Wittich erklärt, er werde den Posten als Chef des Generalstabes nie annehmen, er werde sich allenfalls für die Stelle des Kriegsministers bestimmen lassen, «jedoch nur unter gewissen Bedingungen, wie alleiniger Vortrag bei Seiner Maj estät, u.s.w. ! !» Der an Erfahrung reiche Verdy meinte dazu: «Es sollte mir leid thun, wenn er diesen Posten übernähme, in ein Paar Wochen geriethe er mit dem Kai­ ser und Caprivi in den tollsten Conflikt! »97 Trotz solchen Sondierungen kam Wittichs Entlassung und Versetzung nach Kassel im Sommer I 892 für alle überraschend. Waldersee wußte darüber nur aufzuzeichnen, daß der Kaiser, der plötzlich gegen den Ge­ neraladjutanten aufgebracht war, erklärt hätte: «Ich habe diesem Poltron ein A[rmee] Korps gegeben.»98 Die Kaiserin Friedrich bedauerte den Abgang Wittichs aus seiner Stellung am Hof, denn er sei «ein ehrlicher, aufrechter, vertrauenswürdiger Mann - ohne Angst davor, seine eigene Meinung auszusprechen», obwohl sie selbst bezweifeln mußte, ob er einen weiten Horizont oder viel Einfluß auf Wilhelm besessen hatte.99 Auch der Reichskanzler von Caprivi verlor an Wirtich eine starke Stütze in der nächsten Nähe des Kaisers. Wittich wurde als Generaladjutant durch den eleganten Hans von Piessen ersetzt, der von I 8 79 bis I 8 8 8 als Flügeladjutant des alten Kai­ sers Wilhelm gedient hatte und von I 892 bis zum Ende der Hohen­ zollernmonarchie «ein guter Camerad wie lieber Freund» Wilhelms II. bleiben sollte.100 Allerdings ist es selbst ihm nicht gelungen, eine Besse­ rung des Umgangstones in der kaiserlichen Umgebung herbeizuführen. «Der Kaiser macht wenig Umstände mit ihm u. hat ihn schon mehrfach barsch angefahren», konnte Waldersee im Herbst I 894 notieren.101 Pies­ sen stimme in den am Hof «üblichen Ton der Naßforschheit>> ein und sei «nicht der Mann, in irgend einer Richtung auf den Kaiser einzuwir­ ken>>.to2 Überhaupt lautete das Urteil über die Entlassung der Generäle Ver­ sen, Waldersee, Wedel und Wittich aus der näheren Umgebung des Kaisers allgemein, es sei zu befürchten, daß Wilhelm noch mehr als bis­ her den Kurs in allen politischen und militärischen Bereichen eigen­ mächtig und ohne den Rat erfahrener älterer Männer selbst bestimmen werde. Unmittelbar nach dem Sturz Waldersees meldete der britische

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A bb. 2 1: General Hans von Plessen, Generaladjutant und Kommandant des Allerhöchsten Hauptquartiers 1892-1 9 18.

Militärattache Colonel Russell treffend nach London, offenbar wolle der Kaiser sein, . In der Öffentlichkeit bedauere man den Sturz des Generalstabs­ chefs vielfach noch mehr als denj enigen des Fürsten Bismarck elf Mo­ nate zuvor, berichtete er. Der Nachfolger Graf von Schlieffen komme zwar aus derselben Schule wie Waldersee, so daß eine Änderung in der militärpolitischen Richtung nicht zu erwarten sei; Schlieffen sei aber äußerst zurückhaltend, habe keine ausgeprägte Individualität und werde deshalb keinen großen Einfluß auf Wilhelm II. gewinnen.103 Einige Jahre nach seinem Sturz stellte Waldersee selbst nach genauer Beobach­ tung der kaiserlichen Umgebung erschüttert fest, diese Männer hätten alle Angst vor dem Kaiser und «wagen auch nicht den geringsten Wi­ derspruch oder Einwurf>>. Wilhelm liebe es, viel zu sprechen, und berührten Kaiser dargelegt haben, «die einzige Parthei auf die man sich stützen könne sei das Centrum, denn es bilde die einzige kompacte Masse! » Der ultrakonservative Waldersee hielt diesen Vorschlag des Kanzlers für eine «wirklich haarsträubende Idee», denn das Zentrum bestehe, wie er be­ hauptete, «zum größten Theil aus notorischen Reichsfeinden>>, auf die man sich unmöglich stützen könne.1 Würde Wilhelm auf Caprivis Vor­ schlag eingehen, fragte sich der General. «Es hat den hohen Herrn dies allerdings sehr verdrossen>>, schrieb er zu der Zeit seinem Freund Verdy, «doch schließt das bekanntlich nicht aus, daß er nächstens befiehlt mit den Leuten zu pactiren.»2 Sobald er das Kultusministerium übernommen hatte, beschäftigte sich Zedlitz-Trützschler persönlich mit der Ausarbeitung eines neuen Volks­ schulgesetzes für Preußen, das für Furore sorgte, als es im preußischen

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Die Volksschulgesetzkrise in Preußen

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Abgeordnetenhaus vorgelegt wurde, da es stark kirchliche Züge trug und nur mit den Stimmen der Deutsch-Konservativen und des katholi­ schen Zentrums gegen die Liberalen aller Schattierungen hätte angenom­ men werden können. Es erklärte die Religion zum höchsten Bildungsgut und räumte der Kirche eine Stellung als oberste Bildungsautorität ein; der Schulvorstand sollte konfessionalisiert und Dissidentenkinder ge­ zwungen werden, am Religionsunterricht teilzunehmen; die Kirchen er­ hielten eine direkte Kontrolle über den Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen und durften außerdem eigene konfessionelle Schu­ len gründen.3 Der als zutiefst reaktionär geltende Gesetzentwurf erregte in ganz Deutschland und vor allem im nationalen Bürgertum, das zu­ sammen mit der ostelbischen Adelselite die wichtigste Trägerschicht des Reiches darstellte, einen Protest von nie dagewesener Heftigkeit. In libe­ ralen Kreisen wurde die Vorlage als «desaströser Fehler>> verurteilt.4 Rudolf von Bennigsen hielt am 22. Januar I 892 im Reichstag eine auf­ sehenerregende Rede, in der er sämtliche liberale Parteien zum Zusam­ menschluß gegen die neue Regierungspolitik aufforderte.5 Von München aus, wo er seit kurzem vom Kaiser zum preußischen Gesandten ernannt worden war, sprach Philipp Eulenburg schon im Januar I 892 von seiner großen Besorgnis «wegen des Schulgesetzes, [ . . . ] das entscheidend für die Existenz der Regierung>> werden könne.6 Der Erbprinz zu Hohen­ lohe-Langenburg kommentierte die Schulgesetzvorlage empört: «Die Concessionen, welche um momentaner Vortheile Willen an Ultramonta­ nismus u. Polanismus gemacht werden, sind doch recht bedenklich, da man aus der ganzen Geschichte sehen kann, wohin solche Schwächen den größten Feinden unserer nationalen Existenz gegenüber geführt ha­ ben u. führen müssen, zumal in einer Zeit, wo man alle Kräfte im Inne­ ren sammeln sollte, um den äußeren Gefahren stark entgegentreten zu können.>>7 Die aufgebrachte Stimmung in Berlin sei «sehr bedauerlich, wenn auch begreiflich>>, meinte der Erbprinz. «Gewiß ist das jetzige Re­ gime mit seiner nur den Bedürfnissen des Augenblickes Rechnung tra­ genden Handlungsweise nicht geeignet, Vertrauen zu erwecken. Das Volksschulgesetz scheint eine weitgehende Konzession an den Ultra­ montanismus zu sein.»8 Bei aller Bewunderung für Zedlitz und seine hochkonservative Richtung hielt selbst Waldersee, der eine Verstärkung des christlichen Elements in der Erziehung im allgemeinen begrüßt ha­ ben würde, den Gesetzentwurf für einen schwerwiegenden Fehler, der zu einer gefährlichen Zunahme des Einflusses der katholischen Kirche und vielleicht sogar zur Rückkehr der Jesuiten nach Deutschland führen würde. Die katholische Kirche sei doch «die schärfste Gegnerin des Deutschen Reiches» und «seine Zertrümmerung würde ihr größter Tri­ umph sein>>, behauptete auch er.9 In des Kaisers Nähe befanden sich allerdings auch konfuse Heißsporne, die sich von dem Zedlitzschen Vor­ stoß einen «heftigen und gewaltsamen [ . . . ] Krieg [ . . . ] auf der ganzen

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Kaiser und Regierung nach der Schulgesetzkrise

Linie» zwischen der «kampffreudigen>> Regierung und dem gesamten deutschen Liberalismus erhofften. «Unter dem Feldgeschrei: hie freiden­ kende deutsche Männer, hie ultramontane Pfaffenknechte>> werde dieser «Krieg>> zu einer «ganz heilsamen>> Erlösung von der «Gedanken-Träg­ heit>> der «stagnierenden Massen>> führen, urgierten sie.10 Wieder einmal richteten sich also Anfang 1 892 alle Augen auf den Kaiser mit der Frage, ob er dem «liberalen Geschrei>> gegenüber fest bleiben oder den Kultusminister und den hinter ihm stehenden Reichs­ kanzler desavouieren würde. Wie zweieinhalb Jahre zuvor, als sich Bis­ marck dem Zentrum zu nähern begann, war Philipp Eulenburg über­ zeugt, daß ein Paktieren der Berliner Regierung mit der katholischen Kirche den Sturz der liberalen Minderheitsregierung in München herbei­ führen und somit die Wiederauflösung des kleindeutschen Kaiserreiches einleiten würdeY Seinen kaiserlichen Freund warnte er in einem Brief vom 2 1 . Januar 1 892 eindringlich vor den Gefahren für die Regierung Crailsheim und die liberalen Parteien in Bayern, die dort «den einzigen Halt für die Reichseinheit bilden>>, die die Erhebung des Zentrums zur Regierungspartei nach sich ziehen würde. Er bezweifelte, ob Graf Zed­ litz diese Gefahren für das Reich richtig eingeschätzt habe und riet Wil­ helm, die Angelegenheit mit dem Minister vertraulich zu besprechen, um diesem klarzumachen, daß er, der Kaiser, in dieser Frage auf dem gemäßigt-liberalen Standpunkt steheY Am 24. Januar konnte Holstein nach München melden, der Kaiser sei am 22. nachmittags, als er Eulen­ burgs Brief noch nicht erhalten hatte, direkt vom Bahnhof zum Reichs­ kanzler gefahren, um sich zu orientieren, vermutlich, weil er von einer anderen Seite erfahren habe. 13 Drei Tage später wurden Holsteins Befürchtungen bestätigt. Bei einer Unterhaltung mit dem Reichskanzler am 27. Januar, dem Geburts­ tag des Kaisers, stellte der Geheimrat fest, Caprivi «möchte mit dem Zentrum gehen, glaubt dort festere Anlehnung zu fin­ den als bei den Nationalliberalen. Die Konservativen seien auch schon fest engagiert. [ . . . ] Er, der R.K., glaubt deshalb, daß die Kommission das Gesetz unverändert annehmen wird. Wie ich von [Franz] Fischer höre, wird in dem Fall nicht nur Miquel, sondern auch Bennigsen abgehen, und es wird dann die reductio ad absurdum des konservativ-klerikalen Prinzips eintreten, und zwar dadurch, daß das Zentrum dann mit seinen Ansprüchen hervortreten wird. Wie lange glauben Sie wohl, daß das deutsche Volk sich das gefallen läßt, und wie denken Sie sich die näch­ sten Wahlen ?»14 Es setzte somit innerhalb der Regierung und auch in der Öffentlich­ keit (wo der Streit hitzig mit Schlagwörtern wie auf der einen Seite und «Geisteskampf gegen Rom und das vereinigte Pfaffentum>> auf der anderen Seite ge­ führt wurde) ein gewaltiges Tauziehen um die Entscheidung Wilhelms II. ein. schrieb Waldersee Ende Januar. Die Lage sei recht eigentümlich, der Ausgang vollkommen unklar. , stellte der General fest. «> In den Augen Waldersees wäre der wünschenswerteste Ausgang der Schulgesetzkrise freilich die Entlassung Caprivis, von dem sich mehr und mehr Leute absetzten: >, weil es «einen Kampf im Reich heraufbeschwört, dessen Folgen für die Stellung Euerer Majestät unheilvoll>> sein würden. Das Gesetz müsse also unbe­ dingt in der Kommission «begraben» werden, falls ein Kompromiß nicht gefunden werden könne. «Dazu wäre allerdings eine Diskretion ohne Grenzen nötig, um Caprivi nicht zu stürzen! >> ermahnte der Freund.29 Obwohl sich Eulenburg später über die vermeintliche «bom­ benartige» Wirkung seines Briefes erschreckte, war es hauptsächlich die Intervention eines anderen «unverantwortlichen Ratgebers», die den unmittelbaren Anstoß zum Eklat bieten sollte. Wie in der Bismarckkrise zwei Jahre zuvor - und wie Waldersee vor­ ausgesagt hatte -, machte sich jetzt auch der Einfluß des gemäßigten Führers der Deutsch-Konservativen, Helldorff, auf den Kaiser bemerk­ bar. HelldorfE war nach wie vor der Überzeugung, daß der von Ham­ merstein geführte rechte Flügel seiner eigenen Partei mit dem katho­ lischen Zentrum zusammenarbeitete, um das kleindeutsche Kaiserreich in einen klerikalen Staat umzuwandeln. Fest entschlossen erklärte er: «>30 Am 7· März r 892 schrieb er dringend an Eulenburg: «Wie ist die Situation zu retten ? Wir müssen Caprivi halten - und des Kaisers Stellung zurechtrücken.>> Um diese Ziele zu erreichen, müsse man zunächst einen Kompromiß suchen, der sowohl für die Na­ tionalliberalen als auch für das Zentrum annehmbar sei. «Das ist die Kartellpolitik im großen Stil - die den Bedürfnissen der Katholiken ge­ recht wird - es ihnen ermöglicht, auf nationalem Boden zu bleiben. Das ist auch eigentlich der ideale Grundgedanke der Vorlage - für den Caprivi eintritt - aber jetzt unheilvoll schief geschoben durch Zedlitz und seine Kreuzzeitungsberater.>> Falls ein solcher Konsens nicht herge­ stellt werden könne, gebe es nur noch einen Weg, der aus den Wirren führe, und der sei die «Ajournierung>> der Vorlage, das heißt ihre . «Das entspricht auch der ursprüng­ lichen Auffassung des Kaisers. - Aber es gilt das Fördern, und dazu ist meines Erachtens auch eine direkte Einwirkung Seiner Majestät nötig. - Er muß meines Erachtens sich aussprechen, nicht öffentlich - nicht in einer Rede (vor solchen ist dringend zu warnen) - aber einzelnen wohl ausgewählten Personen gegenüber, - er muß seine wirkliche Ab­ sicht klarstellen, der Entstellung entgegentreten, die seine [Brandenbur­ ger] Rede gefunden hat. Er braucht nicht jedem alles zu sagen, - jedem nur das, was ihm not tut.>> Der gemäßigt konservative Parteiführer insistierte: «>31 Durch eine seit Wochen andauernde mysteriöse Krankheit des Kaisers konnte Helldorff erst am Abend des r 6. März r 892 mit dem Monarchen sprechen; dann allerdings war die Wirkung seines Eingreifens «bombenartig>>. Was fehlte dem Kaiser in dieser bisher schwersten innenpolitischen Krise seit Bismarcks Sturz ? Nicht zuletzt durch seine katastrophale Brandenburger Rede vom 24. Februar r 892, in der er versprach, das Volk , vor der Eulenburg schon im Januar gewarnt hatte, gerade in dem Augenblick, als die Entscheidung in der Volks­ schulgesetzkrise näher rückte. Seit längerem stellten zahlreiche Beobach­ ter ein unergründliches Unwohlsein beim Kaiser fest, das seine Ent­ schlußfähigkeit zu beeinträchtigen schien. Offiziell wurde ausgegeben, der Kaiser leide an einer Erkältung. Die Kaiserin Friedrich meldete zu­ versichtlich nach London, die Krankheit sei keine schwere, Wilhelm

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sehe gut aus und könne in Hubertusstock, wohin er sich zurückgezogen habe, den ganzen Tag in der frischen Luft verbringen. «Sein Ohr ist in keiner Weise betroffen, er hat jetzt schon längere Zeit keinen mehr gehabt», versicherte sie. Allerdings habe sich Wilhelm über die verheerenden Zeitungskommentare zu seiner neuesten Brandenbur­ ger Rede sehr aufgeregtY Aber viele vermuteten eine Art Nervenzusam­ menbruch.34 Der Oberhofmarschall Graf August zu Eulenburg berich­ tete an seinen Vetter Philipp, den Kaiser habe die heftige Polemik über seine Rede, verbunden mit der «hochgradigen Aufregung» über das Volksschulgesetz, «so affiziert, daß Sein letztes Unwohlsein viel mehr psychisch als körperlich» gewesen sei.35 Wilhelms Leibarzt Rudolf Leut­ hold sprach von einer «auffallenden Schlafneigung», die mit einer körper­ lichen Abspannung und einer «leichten Fiebererregung mit mäßigem Schnupfen» zusammenfiel. Er betrachte «den Vorgang als einfaches Pro­ dukt einer gewissen Nervenabspannung, die bei der vielseitigen Inan­ spruchnahme des Allerhöchsten Herrn [ . . . ] und der zur Zeit wohl nicht recht aequilibrierten psychischen Stimmung zu erwarten war». Er erteilte dem kaiserlichen Patienten Ausgeh- und Arbeitsverbot und verordnete ein «auf einige Tage berechnetes Fernsein von Berlin und dem ganzen Regierungsapparat», am besten in Hubertusstock. Der Zustand biete kei­ nen Anlaß zu Besorgnis, und von einer Beteiligung des Ohres sei zu kei­ ner Zeit die Rede, versicherte auch er.36 Der britische Botschafter meldete nach London, daß die Krankheit eine fieberhafte und daß der Monarch «vor lauter Sorgen mit den Nerven am Ende» sei,37 während Wilhelm selbst in einem Telegramm an seine Großmutter bekannte, «ich war völ­ lig überarbeitet, und der Arzt wünscht, daß ich mich etwas ausruhe».38 Was auch immer die Ursache des kaiserlichen Unwohlseins gewe­ sen sein mag, das «lange und eingehende Gespräch», das Wilhelm am r 6. März nach der Abendtafel mit Helldorff führte, löste ganz ungewollt am folgenden Tag eine gravierende Minister- und Kanzlerkrise aus. Von seiner abendlichen Unterredung mit dem Kaiser berichtete der umstrit­ tene Parteiführer der Konservativen, der bald darauf den Fraktions- und Parteivorsitz verlor, er habe den Kaiser «noch etwas angegriffen aus­ sehend - und von tief deprimierter Stimmung» vorgefunden. «Die Lage, die böswillige Kritik seiner Rede etc. [ . . . ] hatten ihn tief angegriffen - er soll mehrere Nächte nicht geschlafen haben.» Er, Helldorff, habe seine «Auffassung der Lage dargelegt und Seiner Majestät, der über diese fast überall dieselbe Auffassung hatte, ausgesprochen: Daß meines Erachtens die schwierige Lage nur zweckmäßig korrigiert werden könne, wenn im Abgeordnetenhause ein geeigneter Teil der Konservativen die allzu katholikenfreundlichen Punkte korrigiere, und dadurch entweder eine Verständigung auf breiterer Basis, oder eine Versumpfung in anständiger Form eingeleitet werde. Da mit allen Kräften darauf hingearbeitet werde, das Gesetz mit Zentrum und Konservativen möglichst unver-

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ändert durchzudrücken, und die wirkliche Willensmeinung des Kaisers zu verdunkeln - hielte ich es für wichtig, daß Seine Majestät seine Mei­ nung über Behandlung des Gesetzes in diesem Sinne einmal Miquel aus­ spräche, mit dem Auftrag, die Nationalliberalen für eine Verständigung resp. verständnisvolle Haltung zu disponieren - dann hauptsächlich mit einigen Konservativen vertraulich zu sprechen. [ . . . ] Seine Majestät war hiermit einverstanden. [ . . . ] - Davon daß am anderen Morgen Kronrat sei, wußte ich kein Wort.>>39 Obwohl die Schulgesetzvorlage gar nicht auf der Tagesordnung stand und der Kaiser sich vorgenommen hatte, erst nach der ersten Lesung in der Kommission persönlich dazu Stellung zu nehmen, brachte er den­ noch am Schluß der Kronratssitzung vom 1 7. März die durch das Gesetz geschaffene Lage zur Sprache, und zwar in einer Form, die der Kultus­ minister übelnahm und die auch den Ministerpräsidenten von Caprivi verletzte.40 Die Äußerungen Wilhelms, die (wie HelldorfE betonte) «nur eigenster Initiative entsprungen>> seien, wonach er das Schulgesetz nur dann genehmigen werde, wenn es im preußischen Abgeordnetenhaus mit den Stimmen der liberalen Mittelparteien angenommen werden würde, hätten «wie eine Bombe gewirkt>>, indem sie hätten - und «leider auch fast Ca­ privi>>.41 Da sich Zedlitz nach dem Kronrat Bedenkzeit erbat, herrschte in der kaiserlichen Umgebung anfangs die Zuversicht vor, daß der Mini­ ster im Amt bleiben würde und somit auch die drohende Kanzlerkrise beigelegt werden könnte.42 Diese Hoffnung wurde jedoch durch die Ge­ sprächigkeit anderer Minister zerschlagen, die auf einem Diner des württembergischen Gesandten von dem dramatischen Eingriff des Kai­ sers erzählten, wodurch Zedlitz zum Bleiben zu bewegen; der Minister erbat sich zwar zwei Tage Bedenkzeit, doch noch vor Ablauf der Frist erklärte die Gräfin Zedlitz am Bahnhof rundheraus, «sie gingen jedenfalls>>. Entscheidend war jetzt die Frage, ob Caprivi zum Bleiben bewegt werden könnte. «Eine Kanzlerkrisis wäre jetzt wirklich mehr wie vom Übel», bemerkte August Eulenburg.43 Auf das Abschiedsgesuch Caprivis schrieb der Kaiser am 19. März: 44

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In München erfuhr Philipp Eulenburg schon am 1 8 . März durch ein Ziffertelegramm von Holstein von der dramatischen Entwicklung in Berlin. «>45 Eulenburg leitete diese Überlegungen umgehend an den Kai­ ser weiter und machte noch ein anderes Argument gegen einen Kanzler­ wechsel geltend: Es drohe jeden Augenblick durch eine Veröffentlichung in Zürich das Bekanntwerden der Tatsache, daß Bismarck r 8 7o mit Millionen aus dem geheimen Welfenfonds die Zustimmung König Lud­ wigs II. zur Reichsgründung erkauft habe; und wenn diese «Schmutzerei Ludwig II. - Bismarcb, die das bayerische Volksbewußtsein bis in seine Tiefen erschüttern und die Vorgänge bei der Reichsgründung in gefähr­ lichste Erörterungen ziehen könnte, zu einem Zeitpunkt bekanntwerden sollte, in dem der Kaiser den Reichskanzler entlasse, würde eine «große Erschütterung Süddeutschlands» entstehen, die Kaiser und Reich gefähr­ den könnte. «Ein Zusammenfallen solcher Erregungen ist einfach un­ möglich», warnte der Freund.46 Gleichzeitig machte Eulenburg in einem Brief an Caprivi auf die Unmöglichkeit einer Kanzlerkrise zu einem Zeitpunkt, da die Welfenfonds-Enthüllungen drohten, aufmerksam.47 Auch andere - so Prinz Heinrich und der angesehene Präsident des preußischen Abgeordnetenhauses, Georg von Köller - versuchten, beschwichtigend auf Caprivi einzuwirken, doch ohne Erfolg.48 Alle Ver­ mittlungsversuche scheiterten an der entschlossenen Haltung des schei­ denden Kultusministers, der verbittert «die ganze Schuld auf den Kai­ ser>> schob.49 «Den Z[edlitz] muß Majestät arg im Stich gelassen haben. Wir kennen das ja, durch Dick und Dünn ! >> meinte Verdy in einem Brief an Waldersee mit bitterer Ironie.50 Holstein, der vor allem die Ernennung seiner bete noire Waldersee zum Reichskanzler mit Graf Max von Berchem als Staatssekretär des Auswärtigen Amtes befürchtete, fand es «geradezu schauderhaft, daß in diesem furchtbar wichtigen Moment Seine Majestät mit ein paar Adju­ tanten in Hubertusstock sitzt. Es ist da wirklich eine Ähnlichkeit mit

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Ludwig XVI: Und wer weiß, was da beschlossen wird, ohne einen ver­ nünftigen Menschen zu fragen.» Die militärische Umgebung, mit der «Seine Majestät wieder 8 Tage lang [ . . . ] allein im Walde>> sitze, werde es als ganz natürlich empfinden, wenn dieser zum zweiten Mal einen Ge­ neral zum Reichskanzler ernenne, während alle Politiker eine derartige Entscheidung als «unmöglich>> erachteten, führte der Geheimrat aus. Die Kaiserin sei auch für Waldersee, schrieb er tief beunruhigt. Der einzige, der den «Zauberkreis>> um Wilhelm durchbrechen könne, sei Philipp Eulenburg.51 Die Solidarität Caprivis mit dem zurückgetretenen Kultusminister wurde von vielen als «Geradheit>> und «kameradschaftliche Güte>> eines «unentwegten Ehrenmanns>> bewundert und gleichzeitig als politische lnstinktlosigkeit verurteilt. Der Kanzler machte auf Holstein, Marschall, Helldorff und zahlreiche andere den Eindruck, von Zedlitz «hypnoti­ siert>> und «wie mit Ketten an Zedlitz gebunden>> zu sein. Der Chef der Reichskanzlei, Karl Göring, sagte von ihm, «Seit Anfang dieses Jahres ist eine vollständige Veränderung mit ihm vorgegangen.>>52 Andere erkann­ ten in der Haltung des Kanzlers ein Element des Kalküls: Er habe die Überzeugung, «doch in einigen Wochen oder spätestens Monaten mit dem Kaiser wegen der Militär-Forderungen und der damit eventuell zu­ sammenhängenden zweijährigen Dienstzeit aneinander zu geraten>> und glaube, jetzt einen besseren Abgang zu haben. 53 Als Caprivi am 20. März zum Kaiser nach Hubertusstock fuhr, war er bereits entschlossen, wenn überhaupt nur dann als Reichskanzler im Amt zu bleiben, wenn er seine beiden preußischen Ämter - das Mini­ sterpräsidium und die Stellung als Minister für auswärtige Angelegen­ heiten - abgeben könnte. Wilhelm scheint auf diesen Vorschlag einge­ gangen zu sein, denn auch nach seiner Rückkehr aus Hubertusstock mußte Marschall von Bieberstein dem Kanzler darlegen, daß er wenig­ stens die Stellung des preußischen Außenministers behalten müsse, weil dieser die preußische Stimme im Bundesrat instruierte.54 Da Caprivi so­ mit weiterhin Mitglied des preußischen Staatsministeriums sein würde und der Ministerpräsident in Preußen keinerlei verfassungsmäßige Vor­ rechte hatte, hofften seine Anhänger, damit einen modus vivendi gefun­ den zu haben, zumal wenn Marschall als preußischer Minister ohne Por­ tefeuille ins Staatsministerium berufen werden könnte. Alles würde j edoch davon abhängen, wer zum neuen Ministerpräsidenten ernannt werden würde. 55 Nach der Rückkehr Caprivis aus Hubertusstock wußte August Eulenburg seinem Vetter zu berichten: «C. hat dem Kaiser heute mehrere Namen genannt, die aber zunächst alle keinen besonderen Enthusiasmus erregt haben. Boetticher soll keinesfalls Minister-Präsident werden, ebensowenig Miquel oder sonst ein National-Liberaler, sondern ein Konservativer, der Kartellpolitik treiben kann.>> Schließlich entschied sich Caprivi für Botho Graf zu Eulenburg, den Bruder des Oberhof-

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marschalls, und bat letzteren, «ohne Auftrag vom Kaiser», Botho mög­ lichst unauffällig nach Berlin einzuladen.56 Dieser nahm das Minister­ präsidium an, nachdem Caprivi während eines zweiten Besuchs in Hubenussrock am 2 3 . März «die Erfüllung von Bothos Hauptbedin­ gung», nämlich die Ernennung des Staatssekretärs im Reichsjustizamt, Dr. Robert Bosse - «ein gut konservativ, christlich gesonnener Mann», wie Helldorf ihn nannte57 - zum preußischen Kultusminister erreichen konnte. Sowohl Caprivi als auch Bosse selbst äußerten Bedenken gegen diesen Ämterwechsel, «aber der Kaiser hat sich gleich für ihn entschie­ den>>, meldete August Eulenburg nach München.58 Bosse machte gel­ tend, daß er Beamter, nicht Politiker sei und im Parlament nicht ohne Verlegenheit sprechen könne; der Kaiser aber erklärte kategorisch: «Bosse und kein anderer>>, und daraufhin nahm dieser das dornenvolle Amt an, nachdem Caprivi bestätigt hatte, daß er «als anständiger Mann» dem Befehl des Kaisers Folge leisten müsse. 59 Am 24. März erhielten der badische und der sächsische Gesandte, Brauer und Hohenthal, den telegraphischen Befehl, sich am nächsten Tag zum kaiserlichen Jagdschloß Hubertusstock zu begeben, wo Wil­ helm ihnen zwecks Mitteilung an den Großherzog beziehungsweise den König seine Haltung in der Volksschulgesetzkrise darlegte. Brauer schrieb darüber an seinen Landesherrn: «Den vielen törichten Gerüch­ ten gegenüber war es mir eine große Beruhigung konstatieren zu kön­ nen, wie wohl S.M. aussah und sich offenbar fühlte. S.M. war außer­ ordentlich heiter und führte bei Tische eine sehr lebhafte, mit Scherzen gewürzte Unterhaltung. [ . . . ] , begann alsbald S.M. in seiner natürlichen, j ovialen Weise, [ . . . ] Als die erste Aufgabe des neuen Ministerpräsidenten bezeichnete S.M.: Zum Schluß bemerkte S.M.: ! >> 6 0 Um auch der britischen Regierung nachzuweisen, daß er sich nicht, wie überall behauptet wurde, «wie ein Tyrann benommen>> habe, rief Wilhelm am 2. April Sir Edward Malet zu sich und erläuterte auch ihm den Ablauf der Kanzlerkrise aus seiner Sicht. Zunächst beklagte er sich darüber, daß Caprivi ihm erst im vergangenen Herbst von dem neuen Schulgesetz Mitteilung gemacht habe; er fand, er hätte viel eher hinzuge­ zogen werden sollen. Der Kaiser erzählte, er hätte damals schon seine Zustimmung zu dem Gesetz verweigert, wenn Lucanus ihn nicht dazu überredet hätte, doch nachzugeben, da sonst der Reichskanzler und ei­ nige der Minister zurückgetreten wären. Die öffentliche Aufregung des Winters habe ihn in seiner Ansicht nur bestärkt, sagte Wilhelm dem Bot­ schafter, daß es ein Fehler sein würde, das Zedlitzsche Gesetz im Land­ tag durchzudrücken. Am 27. Januar, seinem Geburtstag, sei er, der Kaiser, persönlich ins Kultusministerium gegangen und habe Zedlitz ge­ genüber seinen Wunsch klar zum Ausdruck gebracht, daß das Schul­ gesetz keine parteipolitische Maßnahme sein düde, sondern daß ein Kompromiß mit den liberalen Parteien gefunden werden müsse. Drei Tage später habe er Caprivi angefleht, sich nicht mit dem Gesetz zu identifizieren. Um so größer sei seine Verärgerung und Überraschung gewesen, erklärte der Kaiser, als Caprivi in seiner Rede im Abgeordne­ tenhaus den Fehdehandschuh zugunsren des Gesetzes hingeworfen habe. «Die Aufregung hatte sich nun weit über die Grenzen Preußens hinaus verbreitet. Die Nationalliberale Partei, das Rückgrat des Reiches außer­ halb Preußens, unterstützte die Nationalliberalen in Preußen. General Caprivi & Graf Zedlitz waren dabei, sich blind in die Arme der rechten Fraktionen der konservativen und der klerikalen Parteien zu werfen.>> Er, Wilhelm, habe daraufhin aus allen Teilen Deutschlands Berichte ein-

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gefordert, die sich sämtlich einstimmig gegen das Gesetz ausgesprochen hätten. Als ihn Sir Edward an dieser Stelle fragte, ob er denn nicht in seiner Brandenburger Rede für das Schulgesetz eingetreten sei, erklärte der Kaiser, genau das Gegenteil sei seine Absicht gewesen: Er habe da­ mit sagen wollen, er werde seine Minister bis zum bitteren Ende von der Durchbringung des Schulgesetzes in dieser Fassung abhalten. Dem Be­ richt zufolge schilderte der Monarch das Ende der Krise folgender­ maßen: «Dann kam der berühmte Kronrat: bei dem der Kaiser Graf Zedlitz gefragt hat, ob er nicht irgendeinen Kompromiß annehmen könnte. Letzterer zog eine böse Miene und sagte nichts. Der Kaiser fragte Graf Caprivi um seine Meinung, der sagte, er glaube, daß das Ge­ setz die Zustimmung der Mehrheit des [Abgeordneten-] Hauses finden werde: Nur der Finanzminister meinte, daß es modifiziert werden sollte. Am nächsten Tag erhielt der Kaiser zu seiner größten Überraschung erst das Rücktrittsgesuch von Zedlitz, dann das von Graf Caprivi», fuhr Malet fort. Inzwischen habe der Kaiser erfahren, daß Zedlitz den Ge­ setzentwurf selbst ausgearbeitet habe; die Räte in seinem Ministerium hätten die Mitarbeit daran verweigert. «Wenn es nach Graf Zedlitz ge­ gangen wäre>>, sagte er, «wäre der Kulturkampf in seiner aggressivsten Form wieder aufgenommen & die Nationalliberale Partei vollkommen entfremdet worden.>> Malet resümierte: «Der Kaiser schrieb Graf Capri­ vis Handlung seiner fehlenden parlamentarischen Erziehung und seiner Ritterlichkeit seinem Kollegen gegenüber zu. Dies sei zwar ein edler Zug in ihm, doch habe er ihn in einen Sumpf geführt, aus dem ihn etwas mehr Entgegenkommen für seinen Souverän hätte retten können.>> Auch wenn der Kaiser in diesem Gespräch mit Malet die Hoffnung aussprach, Caprivi werde im Herbst die preußische Ministerpräsidentschaft wieder übernehmen, war in den Augen des Botschafters doch klar, daß das ohnehin brüchige Vertrauensverhältnis zwischen Wilhelm II. und seinem zweiten Kanzler unwiederbringlich zerstört war. 61 , meinte auch Philipp Eulenburg treffend am 26. März I 892.62 Wie bei der Entlassung Bismarcks spürte Wilhelm auch j etzt das Be­ dürfnis, seiner Großmutter gegenüber seine Rolle in dieser Kanzlerkrise in das beste Licht zu rücken. Der in Südfrankreich weilenden Queen schrieb er am I 2. April: «Ich hatte einen ziemlich schlechten Winter die­ ses Jahr wegen all der Schwierigkeiten, die mir das Schulgesetz bereitet hat. [ . . . ] Die ganze Sache ist von dem Ministerium allgemein & von Graf Zedlitz persönlich sehr schlecht gehandhabt worden. Er hat genau das Gegenteil von dem getan, was ich ihm von Anfang an geraten habe; er verprellte die Liberalen, hetzte das Zentrum und die Ultra-Konserva­ tiven (t Zeitung) auf und verwickelte schließlich, hinter meinem Rücken, den Reichskanzler in die ganze Affäre, eine Woche nachdem dieser mir versprochen hatte, keine Rede zu dem Thema zu halten und an der

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Debatte nicht aktiv teilzunehmen. Als ich G[raf] Zedlitz zum letzten Mal vor den Gefahren, die er herbeiführte, warnte, gab er mir keine Antwort, sondern reichte einfach ab irato seine Entlassung ein & ohne irgendeinen guten Grund; den Reichskanzler mit sich ziehend; der wie­ derum mit, wie die Franzosen sagen, un exces de vertu, sich verpflichtet fühlte, dem anderen Minister beizustehen & auch zurücktrat. Dies alles war für mich recht hart, wenn man bedenkt, daß ich doch von Anfang an gegen das Gesetz gewesen bin & daß ich alles versucht hatte, den Grafen davon abzuhalten, die Sache zu vermasseln! Das erstaunlichste an der ganzen Angelegenheit war, daß die Minister überhaupt nie dafür waren, als sie im vergangeneu Herbst durch ihre Unterschriften das Ge­ setz genehmigten; & daß sie jetzt alle vollkommen dagegen waren, außer dem Reichskanzler & Zedlitz, die ihre Kollegen zu einem solchen Grade überstimmt zu haben scheinen, daß diese es nicht wagten, den Mund aufzumachen oder mich darüber zu informieren, daß mein Ministerium hoffnungslos gespalten war, was sie sofort hätten tun sollen.»63 2. Die Folgen der Ämtertrennung

Mit der undurchdachten, fast panikartig erreichten Lösung des Schulge­ setzfiaskos im Wege der Trennung der Reichskanzlerschaft von der Stel­ lung des preußischen Ministerpräsidenten im März I 892 ist die Fähigkeit des Kaisers, in die Regierungsgeschäfte einzugreifen, um ein Vielfaches gestiegen. Statt einem Regierungschef gegenüberzustehen, der von Zeit zu Zeit mit soldatenhafter Ehrlichkeit - und manchmal auch querköpfi­ ger Eigensinnigkeit - die als verhängnisvoll eingeschätzten «Befehle» des Monarchen zurückwies, sah sich Wilhelm II. nunmehr einem von zwei Führern geleiteten Staatsapparat gegenüber, von denen der eine nur widerstrebend im Amt geblieben war,64 während der andere, mit dem Kaiser, dem Hof und der Konservativen Partei aufs beste verbunden und ohne zunächst die Bürde eines Ministerressorts tragen zu müssen, sich naturgemäß Hoffnungen auf die Wiedervereinigung der beiden Posten in seiner Hand machen konnte. «Ich bedauere es sehr, daß Graf Botho (der Bruder des Hofmarschalls) Vizekanzler werden soll & bin mir sicher, daß es nicht mehr lange dauern wird, bis er auch Caprivis Stelle über­ nimmt», sagte die Kaiserin Friedrich bereits am 24. März I 892 voraus.65 Fünf Monate nach seiner Ernennung zum preußischen Ministerprä­ sidenten erfuhr die Stellung Botho Eulenburgs durch seine zusätzliche Ernennung zum Innenminister eine erhebliche Stärkung. Auch diese Personalentscheidung ging auf den Kaiser zurück, der, wie Marschall am I 2. April in seinem Tagebuch festhielt, «sehr gegen Herrfurth, den er durch B. Eulenburg ersetzen will», gesprochen habe. Am folgenden Tag heißt es weiter: «S.M. sehr erregt gegen RK, der ihm schon zweimal mit

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Abgang gedroht. Hat B. Eulenburg wegen Herrfurth schreiben lassen.» Caprivi, der noch im Vorjahr den liberalen Innenminister Herrfurth ge­ gen den Kaiser in Schutz genommen hatte, gab schließlich resignierend seinen Widerstand gegen dessen Entlassung und die Ernennung Botho Eulenburgs zu diesem einflußreichen preußischen Posten auf, woraufhin der Kaiser dem Chef des Zivilkabinetts triumphierend melden konnte: «Lieber Lucanus! Ich war gestern beim Kanzler und sondierte ihm im Laufe des Gesprächs in vorsichtiger Weise über unsere weitere innere Entwicklung im Besetzen von Ministerstellen. Er war zu meiner Freude ganz ergeben und gefaßt in den Abgang von Herrfurth, dem er auch keinen Termin mehr setzte; und als ich andeutete, daß Eulenburg der beste Nachfolger für H. sei, erklärte er sich sogleich damit einverstan­ den, die Hoffnung aussprechend, daß dieser den Posten annehmen möchte. Damit sind alle unsere Besorgnisse von dieser Seite erledigt und können Sie dies sofort Eulenburg mitteilen. W.I.R.» Der Kaiser willigte lediglich in den Aufschub des Ministerwechsels bis nach der Schließung des Landtags ein.66 Die Kaiserin Friedrich hielt das Ausscheiden Herr­ furths aus der Regierung für in jeder Beziehung bedauerlich und sah in der Beförderung Botho Eulenburgs eine weitere Schwächung des Reichskanzlers, denn Eulenburg sei «ein äußerst öliger, schleimiger, ehr­ geiziger, hinterhältiger Mann>>. 67 Die Stellung Caprivis nach der Ämtertrennung wurde weitgehend als auf die Dauer unhaltbar angesehen und von ihm selbst auch so empfun­ den. Bereits im April r 892 notierte Freiherr von Marschall in sein Tage­ buch, der Reichskanzler sei «sehr deprimiert» und habe «nichts zu tun».68 Im Mai wußte Verdy Waldersee aus Berlin zu berichten, der Kanzler gelte «nicht nur in den Augen der Menge als ein todter Mann, sondern auch bei den bevorzugt Unterrichteten. So sagte Lucanus vor 14 Tagen, als ich mit ihm und ein Paar Ministern im kleineren Kreis bei Douglas aß, er gäbe ihm nur noch 6 Wochen, dann würde es wieder brenzlich werden. Von anderer Seite [fuhr Verdy fort] wurde dieser Tage eine niedliche Anecdote erzählt, deren Inhalt Jemand bei einer Tele­ phon-Unterhaltung zwischen [dem freisinnigen Parteiführer] Eugen Richter und einem Fremden mitgehört haben wollte. Fremder: Wie lange geben Sie Capr. noch Zeit? Eug. R. 6 Wochen. Fremder: Das ist zu kurz ! Eug. R. Nun dann 6Vz Wochen. Der Nekrolog liegt schon druckreif bei mir! Ebenso die Biographie des Nachfolgers ! >>69 Waldersee selbst war zunächst der Meinung, daß Caprivi bald zurücktreten und dann auch als Kanzler durch Botho Eulenburg ersetzt werden würde. «Sobald der Kai­ ser erst Gefallen an Eulenburg gefunden, [ . . . ] läßt er Caprivi auf Grund des geringsten Anlasses gehen; der Neue ist beim Kaiser gegen den Alten im Vortheih, und außerdem habe der schmiegsame Botho Eulen­ burg «höchst werthvolle Stützen in seinem Bruder August u. dem Vetter Philipp u. der ganzen ostpreußischen Klique».70 Erst nach einem Besuch

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in Berlin, bei dem er den Kaiser ernster als sonst vorfand, gelangte der General zu der Erkenntnis, daß Wilhelm bei der Berufung Botho Eulen­ burgs doch nicht daran gedacht habe, diesen später zum Reichskanzler zu ernennen. Für den Fall des Rücktritts von Caprivi suche er noch nach einem geeigneten Kandidaten und habe mit dem Statthalter von Elsaß­ Lothringen, dem Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, ver­ handelt. In Waldersees Augen war Hohenlohe schon zu dieser Zeit ein «abgelebter, energieloser Mann», dessen Ablehnung des Kanzlerpostens allerdings den Beweis liefere, «daß er noch einige Selbsterkenntniß» be­ sitze. (Zweieinhalb Jahre später sollte Hohenlohe die Nachfolge Capri­ vis und Botho Eulenburgs antreten.) Auch mit dem Wiener Botschafter Heinrich VII. Prinz Reuß habe Wilhelm wegen der Kanzlerschaft Ver­ handlungen geführt. «Das schlimmste bleibt nur immer, daß der Kaiser bei allem Personalwechsel gar kein bestimmtes System vor Augen hat>>, bemängelte Waldersee sehr zu Recht. Er habe auch «gar kein Verständ­ niß dafür, daß ein Ministerium doch etwas einheitliches, zusammenpas­ sendes sein muß. Die Schulgesetz-Katastrophe hat ihn nun vollends un­ sicher gemacht; er weiß nicht, wo er eigentlich hin, mit wem er gehen soll. Das Schiff treibt ziellos ! Er ist wahrhaftig nicht der Kapitän, es in so schwierigem Fahrwasser zu leiten! »71 Er, Waldersee, der häufig darauf angesprochen werde, denke nicht daran, den Reichskanzlerposten anzu­ streben; dies würde erst möglich werden, «wenn der Kaiser eingesehen, daß mit seiner Art zu regieren es nicht ginge, und sich entschließen würde, nicht heimlichen Rathgebern sein Ohr zu leihen u. Politik zu treiben, ohne daß der Kanzler u. die Minister eine Ahnung davon hät­ ten.»72 Die Stellung Caprivis wurde ferner dadurch geschwächt, daß die zwei einflußreichsten Militärs am Hof, der Generaladjutant von Wittich und der Chef des Militärkabinetts von Hahnke, die ihn bisher verehrt und unterstützt hatten, nach der Schulgesetzkrise mit ihm «fertig» waren und «sein Wirken für ein verderbliches» hielten, wie Waldersee Ende April nach einer längeren Bahnreise mit den beiden Generalskollegen niederschrieb.73 Wittich, der sehe, berichtete, daß Ca­ privi verbittert sei und sich wenig zeige, während Marschall nirgends mehr ernst genommen werde, verbündet habe.74 «Auch Hahnke fand ich in der Stimmung, abfällige Urtheile abzugeben>>, ver­ merkte Waldersee.75 Unter den Flügeladjutanten, die schon lange nichts mehr für Caprivi übrig hatten, machte sich eine geradezu feindselige Stimmung gegen den Kanzler breit. Helmuth von Moltke, der künftige Chef des Generalstabes, teilte Waldersee mit: Als Beleg für dieses Urteil habe Moltke ihm,

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Waldersee, «mit Entrüstung» erzählt, daß Caprivi den Kaiser gegen Zed­ litz eingenommen und alle Schuld für die Krise auf diesen abgewälzt habe mit dem Erfolg, daß der Kaiser sich nunmehr über Zedlitz, den er vor kurzem noch als Mann der Zukunft angesehen habe, «in wegwer­ fendster Weise» äußere. «Wahrlich nicht schön, weder für den Kaiser noch für Caprivi! » urteilte Waldersee. «Ich meine es müßte allmählig allen die mit dem Kaiser je zu thun gehabt haben, doch nachgerade ein Licht darüber aufgehen, wie wenig sicher er ist. Ich kenne in der That keinen, mit dem er auf vertrautem Fuße gewesen, über den er sich nicht abfällig geäußert hätte; Philipp Eulenburg ist vielleicht ausgenommen; es giebt aber auch Leute, die es leugnen.>>76 Ähnliche Ansichten über die Zerfahrenheit der inneren Lage waren jedoch nach der Schulgesetzkrise in allen politischen Kreisen zu hören. Während eines Berlinbesuchs im Mai I 892 vernahm Waldersee, wie ab­ fällig vor allem Freikonservative und Nationalliberale sich über Caprivi und Marschall äußerten, die allgemein als «völlig abgewirthschaftet>> gal­ ten. Der Finanzminister Miquel bemängelte, daß es Minister, aber kein Ministerium gäbe, es liefe alles auseinander. Man spreche offen von der Möglichkeit einer Versöhnung des Kaisers mit Bismarck, die zwangs­ läufig zu Caprivis Rücktritt und zur Ernennung Botho Eulenburgs als Reichskanzler führen müsse. Als mutmaßlicher Nachfolger Marschalls im Auswärtigen Amt gelte der Botschafter in Madrid, Ferdinand Frei­ herr von Stumm.77 In den folgenden Monaten wurden für beide Schlüs­ selposten immer neue Namen genannt, so auch wiederholt der Walder­ sees und der des katholischen Generals Walther Freiherr von Loe.78 Von den Beamtennaturen, die den preußischen Ministerien vorstanden, er­ wartete wahrlich niemand Führungseigenschaft. Es fehle im Staatsmini­ sterium «auch gänzlich an selbständigen, selbstbewußten Männern», klagte Waldersee im Oktober I 892, denn «Thielen, Bosse, Schelling, Ber­ lepsch, Kaltenborn, Heiden sind doch sämmtlich nur Persönlichkeiten zter Ordnung», und Justizminister von SeheHing sei obendrein «ein mo­ ralisch stark anrüchiger Mann».79 In den ersten Monaten nach der Ämtertrennung hielt sich der Kaiser in der Erkenntnis, daß eine erneute Kanzlerkrise dem Ansehen der Monarchie schweren Schaden zufügen würde, noch zurück. Er war be­ strebt, Konflikte zu vermeiden und wies über Philipp Eulenburg den neuen Ministerpräsidenten an, «engsten Anschluß an Caprivi zu neh­ men».80 Hinzu kam, wie Wittich und Hahnke ihrem Kollegen Waldersee auf der Bahnfahrt im April mitteilten, daß der Kaiser wegen der Krise gewissermaßen die Nerven verloren hatte. Wittich, so Waldersee, urteile «immer härter über den Kaiser und spricht ihm jede Entschlußfähigkeit ab; die Hauptsache sei für ihn jetzt, daß man ihn mit ernsten Sachen ver­ schone, er wolle auch nicht an ernste Folgen erinnert sein u. bemühe sich durch allerhand Zerstreuungen Ableitung zu finden.»81 Aufgrund

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solcher Mitteilungen aus der unmittelbaren Umgebung des Kaisers kam Waldersee zu der Auffassung, daß ein Kanzlerwechsel vorerst doch nicht eintreten würde. Der Kaiser wolle «monatelang in Bewegung bleiben>>, schrieb er, und die ganze mit einem Kanzlerwechsel zusammenhängende Unruhe sei ihm «zu unbequem>>; außerdem werde ihm jeder größere Entschluß «sehr schwer>> fallen.82 Des Kaisers vorübergehende nervöse Verunsicherung kam beispielhaft im Frühsommer 1 892 in der Frage der Schloßlotterie zum Vorschein. Trotz der verbreiteten Kritik an dem früheren Lotterieplan für die Nie­ derlegung der Schloßfreiheit, der als «schmutziges>>, auf die Dummheit der breiten Massen berechnetes Geldgeschäft galt, zu dem Wilhelm sei­ nen Segen gegeben hatte, kamen im Mai 1 892 Gerüchte von einer neuen, vom Kaiser selbst lancierten Lotterie auf, diesmal mit dem Ziel, das Schloß noch weiter freizulegen. fragte sich Waldersee. «Ich fürchte, daß Lucanus eine bedenkliche Rolle dabei spielt, oder, falls er hinausgelassen ist, eine unwürdige.>>83 Diesmal war der öffentliche Widerstand so verbreitet, daß sich der Kaiser schließlich genötigt sah, das Projekt zu desavouieren, doch das Ansehen der Monar­ chie hatte durch den Vorfall, der wieder einmal das autokratische Ge­ habe des Kaisers und die unwürdige Stellung der Regierung exponierte, zweifellos Schaden genommen. «Die Minister haben natürlich eine klägliche Rolle gespielt>>, meinte Waldersee degou­ tiert.84 Eine ähnliche Unsicherheit zeigte Wilhelm um diese Zeit im Zusam­ menhang mit der vom Reichskanzler und dem Auswärtigen Amte ge­ wünschten Ernennung des Prinzen Leopold von Bayern zum Armee­ inspektor, gegen welche Philipp Eulenburg «schwere politischen Beden­ ken>> geäußert hatte.85 Während der Nordlandreise im Juli r 892 fragte Eulenburg den stellvertretenden Chef des Militärkabinetts, Oberst von Lippe, wie es trotz seiner Einwände zu der Übertragung der 4· Armee­ inspektion an den bayerischen Prinzen gekommen sei. Lippe antwortete: «Etwa 14 Tage vor dem Beginn der Nordlandreise erhielt das Militärka­ binett den Befehl, die Ordre für den Prinzen festzustellen. Als ich dem Kaiser davon sprach, sagte er: Da ich hieraus entnehmen mußte, daß die Ansichten Seiner Majestät und des Reichskanzlers nicht übereinstimmten, machte ich Meldung an das Kriegsministerium, daß die Ordre noch nicht fertigzustellen sei. Nach kurzer Zeit (es liegt ein Vortrag des Reichskanzlers bei Seiner Majestät dazwischen) erhielt ich den Befehl, die Ordre fertig zu machen. Schließlich hatte ich im Hafen von Kiel, kurz vor der Abfahrt, noch eine Schwierigkeit. Ich hatte zum

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Schluß der Ordre gesagt: < und behalte ich mir hierbei ausdrücklich mein Kaiserliches Inspektionsrecht vor.> Es langte kurz vor der Abreise eine Depesche vom Auswärtigen Amt an, wonach ich in der Ordre den Schlußpassus weglassen sollte, was ich aber unter Hinweis auf den Aller­ höchsten Befehl, wonach die Ordre in dieser Form lauten sollte, ab­ lehnte. »86 Dringend bat auch Eulenburg den Kaiser, trotz der Ernen­ nung Leopolds alle zwei Jahre das oberste Inspektionsrecht auszuüben, um «dieses wichtigste und größte Zeichen von Euerer Maj estät Macht in Bayern nicht aus der Hand zu geben! >> Durch die Beförderung Prinz Leopolds werde das partikularistische Selbstbewußtsein in Bayern stark ansteigen, und «nur durch das persönliche Erscheinen des deutschen Kaisers in regelmäßigen kurzen Zeit-Abschnitten>> könne ein gewisses Gegengewicht dagegen geschaffen werden, argumentierte er.87 In dieser Zeit der latenten Krise erwies sich die Kaiserin als loyale Stütze Caprivis. Während der Abwesenheit Wilhelms auf der Nordland­ reise 1 892 lud sie den vereinsamten Kanzler zum Abendessen ein und sprach die Bismarckfronde und die innen- und außenpolitische Lage ein­ gehend mit ihm durch. «Er gefiel mir wieder so gut in seiner anständigen und uneigennützigen Auffassung aller Sachen>>, teilte sie ihrem Mann mit.88 Für kurze Zeit in jenem Sommer wurde die Kaiserin die Vermitt­ lerin von Briefen und Botschaften zwischen Kaiser und Kanzler, so vor allem in dem Streit darüber, ob man in Berlin eine Weltausstellung ver­ anstalten sollte. Während Caprivi sich nach Verhandlungen mit Indu­ striellen von den Vorteilen einer solchen Ausstellung überzeugt hatte und sowohl an die deutschen Bundesregierungen als auch an die fran­ zösische Regierung geschrieben hatte, erging sich der Kaiser monatelang in «sehr scharfen Äußerungen>> und Randbemerkungen, die an seiner Ablehnung des Vorschlags keine Zweifel ließen. Aufgrund eines Zei­ tungsartikels, den er gelesen hatte, war Wilhelm zu der Ansicht gekom­ men, daß eine derartige Ausstellung für Deutschland große wirtschaft­ liche Nachteile zur Folge haben würde. Er befürchtete ferner das «Arbeiter-Zusammenströmen nach Berlin>>. Im Juli 1 892 sagte er zu Alfred von Kiderlen-Wächter, der auch diesmal als Vertreter des Aus­ wärtigen Amtes die Nordlandfahrt mitmachte: «Schon vor einem halben Jahre, als zuerst von der Weltausstellung gesprochen wurde, habe ich den R[eichs]k[anzler] dringend gebeten, die Sache zu unterdrücken. Er wollte dann immer abwarten. Ich habe ihm aber stets wiederholt, daß ich dagegen sei; er hat aber immer gernuschelt und gemuschelt, und nun haben wir die Bescherung; wenn jetzt erklärt wird, ich wolle nicht, dann heißt es wieder, ich wüßte nicht, was ich wolle und hätte meine Ansicht geändert; und ich habe doch von Anfang an keinen Zweifel darüber ge­ lassen, daß ich dagegen bin.>> Bei dieser Äußerung sei der Kaiser «noch mehr deprimiert als ärgerlich>> gewesen, berichtete der Diplomat. Er meinte, es wäre besser gewesen, da Caprivi die Ansicht des Kaisers • • •

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kannte und wissen mußte, daß dieser nicht nachgeben würde, wenn der Kanzler selbst nachgegeben hätte, um einen Konflikt zu vermeiden.89 Unmittelbar nach diesem Gespräch an Bord der Hohenzollern schrieb Wilhelm seiner Frau, die umgehend antwortete: «Deine Message an Caprivi wegen der Ausstellung in Berlin habe ich ihm sofort geschrieben da ich nicht weiß wann er Zeit haben wird, einmal wieder herzukom­ men, u. es doch Eile hatte. [ . . . ] Ich lege hier Caprivis Antwort bei, über die Berliner Weltausstellung, er theilt mir aber mit, daß er Dir auch schon in diesem Sinne geschrieben hätte. Möchte nur Alles wieder ruhig werden, diese Hetzereien v. überall sind unausstehlich! »90 Auf den Brief seines Reichskanzlers antwortete der Kaiser am 2 0. Juli mit einer trotzigen autokratischen Selbstgefälligkeit, die das Ende der Schonzeit markierte. Die Argumente des Kanzlers zugunsren einer Weltausstellung in Berlin wies er schroff zurück: Er sei «absolut dage­ gen>>. Bereits zweieinhalb Jahre zuvor habe Bismarck nach einem lmme­ diatvortrag einen ähnlichen Vorschlag abgelehnt, und «damit hörte alles nach der Ausstellung zu schreien auf. Meine Ansicht hat sich seit damals in keiner Weise geändert>>, erklärte Wilhelm. Caprivi hätte auf das erneut aufkommende Verlangen nach einer Ausstellung mit einem «energischen Nein» antworten sollen, «wobei die Berufung auf den obigen Entscheid des Fürsten [Bismarck] nach Vortrag beim Kaiser seiner Wirkung nicht entbehrt und voraussichtlich jede Strömung im Keim erstickt hätte>>. Der Gewinnsucht der Berliner Halb- und Unterwelt dürfe man nicht nachgeben. «Der Ruhm der Pariser läßt den Berliner nicht schlafen>>, höhnte Kaiser Wilhelm. «Berlin ist Großstadt, Weltstadt (vielleicht ?), also muß es auch seine Ausstellung haben! Daß dieses Argument natür­ lich für Berliner Gasthäuser, Theater, Tingeltangels etc. sehr verständlich und annehmbar ist, begreift man leicht. Das würden die alleinigen Profi­ tierenden sein! Daher die Reklame. Das Proton pseudos aber liegt in dem Schluß, der Fremdenverkehr allein habe Paris die guten Erträge ge­ liefert. Das ist völlig falsch. Die Hunderte von, auf Monaten dort zum Wohnen und Sichamüsieren sich niedergelassen habenden Millionäre, die stets neue Bekannte aller Herren Länder herangezogen, haben den Kohl fett gemacht. Paris ist nun mal - was Berlin hoffentlich nie wird das große Hurenhaus der Welt, daher die Anziehung auch außer der Ausstellung. In Berlin ist nichts, was den Fremden festhält als die paar Museen, Schlösser und Soldaten; in sechs Tagen hat er alles mit dem roten Buch in der Hand gesehen. [ . . . ] Das macht sich der Berliner nicht klar und würde es auch gründlich übelnehmen, wenn man ihm das sagte.>> Beinahe sich mokierend ging Wilhelm sodann auf Caprivis Ver­ suche ein, nach den Rückschlägen der letzten Zeit die Beliebtheit des Kaisers durch die Förderung einer nationalen Strömung wieder zu heben. «>, schrieb er, «wenn ich in Ihrem Vorschlage - mich an die Spitze zu setzen - ersehe, wie Sie suchen, in diesen für uns

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beide so schweren Zeiten für mich eine gute Gelegenheit zu erspähen, um die Zuneigung meiner Untertanen zu mir zu ersehen, und sage Ihnen dafür warmen Dank. Aber felsenhart ist mein Wille und, was ich für Recht erkannt, halte ich fest, und kein Teufel, nicht einmal Fürst Bis­ marck kann mich davon abbringen. Ich will die Ausstellung nicht, weil sie meinem Vaterland und -Stadt Unheil bringt! Im übrigen sind wir Hohenzollern daran gewöhnt, daß wir unter Mühe, Kämpfen und Par­ teiungen und Verkennungen laborierend nur langsam vorwärtskommen. Wie oft haben meine Vorfahren und noch zuletzt mein in Gott ruhender Herr Großvater - geradezu gegen den Willen des unverständigen Volks­ haufens Maßregeln durchfechten müssen, die erst bekämpft, dann bekrittelt, schließlich gesegnet worden sind. Was kümmert mich die Popularität! Da ich nur das Gebot meiner Pflicht und meines guten Ge­ wissens in Verantwortung Gott gegenüber als Richtschnur für mein Tun habe! Lieber Caprivi, bedenken Sie doch, ich war auf Kugel und Dyna­ mit gefaßt, als ich den Thron bestieg, und ich lebe noch! Ja sogar der Sozialist meint, es läßt sich mit mir reden; na, mehr kann man in zwei Jahren nach dem Fürsten und dem Verschwinden des Sozialistengesetzes nicht erwarten. Unsere Zeit wird kommen, wie für jedermann. Seien wir geduldig und ausdauernd, tun wir unsere Pflicht, ob sich die Menschen daran ärgern oder nicht, ist ja ganz gleich. Der Respekt wird schon kom­ men, er ist schon im , vor Ihrer Vornehmheit und meinem Gottvertrauen. Trauen Sie meiner Führung nur und fechten Sie tapfer, wo ich Ihnen den Weg hinzeige, dann wollen wir schon mit der Bande fertig werden, hierbei sowohl als auch später in rebus militariis ! [ . . . ] Also keine Sorge ! Ausstellung is nich, wie meine Herren Berliner sagen. Leben Sie wohl, beste Grüße Ihren Kollegen und Räten, sowie Holstein. Ihr wohlaffektionierter König Wilhelm I.R.»91 Philipp Eulenburg und Kiderlen-Wächter waren sich bewußt, daß der «teils burleske, teils selbstbewußte» Ton dieses Briefes für den Reichskanzler verletzend sein würde und versicherten, daß er «jedenfalls freundlich beabsichtigt>> und nicht «ironisch>> gemeint war. Selbst Wilhelm war bestrebt, ein befürch­ tetes Demissionsgesuch des Kanzlers zu vermeiden: Er hob hervor, ge­ rade deswegen habe er «das schriftlich gemacht, da kann ich besser den König und Landesvater herausstreichen, mündlich sieht es leicht provo­ zierend aus, wenn ich als junger Mensch so etwas dem viel Älteren sage>>. Immerhin hielt Kiderlen es für ratsam, dem Reichskanzler nicht wissen zu lassen, daß Eulenburg und er den Brief gelesen und daß auch Holstein auf Befehl des Kaisers eine Abschrift davon erhalten hatte.92 Die Weltausstellung in Berlin unterblieb. Als im September 1 892 als Nachfolger für den verstorbenen Forcken­ beck der Fortschrittler Robert Zelle zum neuen Oberbürgermeister der Stadt Berlin gewählt wurde, erwartete man allgemein, daß der Kaiser, der (wie wir wissen) die Wahl Forckenbecks nur höchst widerwillig un-

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ter dem Druck des Staatsministeriums bestätigt hatte, auch in diesem Fall die Ratifizierung verweigern würde. Statt dessen aber bestätigte er die Wahl Zelles umgehend und schickte diesem sogar ein sehr freund­ liches Glückwunschtelegramm.93 Diese überraschende Wendung ist auf die Einwirkung Eulenburgs und Holsteins zurückzuführen, die dem Kaiser auseinandergesetzt hatten, daß die Verzögerung der Bestätigung «sehr böses Blut machen und sehr gegen Seine Majestät ausgebeutet wer­ den» würde. Händeringend hatte der Geheimrat an Eulenburg geschrie­ ben: «Mein Gott, wenn der Herr doch mal die Gaben, welche ihm die Natur in so reichem Maße verlieh, auch dazu verwenden wollte, seine Macht durch Erwerbung von Popularität zu vergrößern! Es ist das keine Eitelkeits-, sondern eben eine Machtfrage l Durch eine entgegenkom­ mende, schmeichelhafte Bestätigung macht S.M. aus Zelle gewisser­ maßen Seinen Kandidaten.»94 Waldersee war fassungslos, als er das kaiserliche Telegramm an Zelle in der Zeitung las. «Auch hier kann man wieder sagen: wir müssen jederzeit auf Alles gefaßt sein und uns über nichts mehr wundern>>, erklärte er. «Wie oft u. in was für Ausdrücken habe ich selbst den Kaiser über die Fortschrittsparthei u. ihre Leute schimpfen hören! Er ist aber für j eden Sprung zu haben; heute so u. morgen so; wer heute ganz unten sitzt, kann morgen ganz nach oben kommen und umgekehrt.>> Augenscheinlich wolle der Kaiser mit der Fortschrittspartei «koquettiren>>, um mit ihren Stimmen die Militärvor­ lage durchzubringen, und trotzdem errege die Art der Bestätigung Zelles im Regierungslager Bekümmernis.95 Der Eindruck, daß der Kaiser we­ gen der Armeevorlage mit dem Fortschritt schön tun wolle, wurde durch dessen freundlichen Empfang Rudolf Virchows, als dieser zum Rektor der Berliner Universität ernannt wurde, noch verstärkt. «Das war vor einem Jahr auch noch nicht möglich>>, kommentierte Waldersee verwundert.96 3 . Der Kampf um die große Armeevorlage

Wie keine andere Frage überschattete die vom Kaiser seit dem Juli r 89 r geforderte Heeresvermehrung weiterhin die deutsche Innenpolitik dieser Jahre.97 Wie wir soeben gesehen haben, war der Schwenk Caprivis zu­ gunsten einer konservativ-klerikalen Schulreform in Preußen zu einem großen Teil durch seinen Wunsch motiviert gewesen, im Reichstag die Stimmen der katholischen Zentrumspartei für die große Militärvorlage zu gewinnen. Mit der Zurückziehung des Zedlitzschen Volksschulgeset­ zes im März 1 892 stand der Kanzler also abermals vor der Frage, wie er im Reichstag eine Mehrheit für die Militärvorlage zusammenbringen sollte. Caprivi selbst zog von Anfang an die gesetzliche Herabsetzung der Militärdienstzeit von drei auf zwei Jahre wenigstens für die Fuß-

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truppen vor. Er nahm diesen Standpunkt nicht nur aus parlamentstakti­ schen Gründen ein, obschon ihm klar war, daß eine Armeevergrößerung unter Beibehaltung der im Volk höchst unbeliebten dreijährigen Dienst­ zeit vom Reichstag nicht angenommen werden würde. Auch aus militä­ rischer Überzeugung - er sah darin einen willkommenen Schritt auf dem Weg zur allgemeinen Wehrpflicht und zur Verjüngung der Infanterie hin - trat der Kanzler-General für die Verkürzung der Dienstzeit auf zwei Jahre ein.98 Andere Militärs - so der ehemalige Kriegsminister von Verdy und der spätere Feldmarschall Colmar von der Goltz - strebten ebenfalls eine Volksarmee an und forderten deshalb die Einführung der zweijährigen Dienstzeit als längst fällige Modernisierungs- und Popula­ risierungsmaßnahme.99 Der Kaiser hatte aber, wie wir sehen konnten, in seinen beiden Schreiben an Kaltenborn und Caprivi vom Juli r 89 r die Konzession der zweijährigen Militärdienstzeit mit fast religiösem Eifer kategorisch abgelehnt100 und sich sodann nur sehr widerstrebend auf einen Kompromiß mit dem Kanzler eingelassen, wonach die zweijährige Dienstzeit zwar für einige Truppenteile, nicht aber für andere einge­ führt werden würde. Jeder fühlte, wie wenig überzeugend diese Kom­ promißlösung und wie prekär die dadurch geschaffene Lage war. Da der Kompromißvorschlag die Linksliberalen keineswegs zufriedenstellte die Linksparteien standen auf dem Standpunkt, daß die Armeevermeh­ rung eine unerträgliche Bürde für die allgemeine Bevölkerung dar­ stellte101 -, war allen klar, daß der Kanzler ohnehin weitere Konzessio­ nen entweder an die beiden Freisinnigen Parteien oder an das Zentrum würde machen müssen, um eine Mehrheit zustande zu bringen. Ande­ rerseits kam der Kaiser durch Familienmitglieder, aus Hof- und Armee­ kreisen und auch seitens einiger Bundesfürsten zunehmend unter Druck, doch an der dreij ährigen Dienstzeit für die gesamte Armee festzuhalten; unter drei Jahren könne man junge Rekruten nicht zu verläßlichen, königstreuen Soldaten erziehen, lautete ihr Argument. Natürlich gehörte auch Waldersee zu den entschiedensten Gegnern der Caprivischen Reformpläne. Bereits im Mai r 89 r vermerkte der einflußreiche ehemalige General­ stabschef in sein Tagebuch, zu seinem habe sich Caprivi für die zweijährige Dienstzeit entschieden und den Kriegsminister von Kal­ tenborn für seinen Standpunkt gewonnen. Der Reichskanzler werde jetzt anfangen, kommen könnte, «denn in der Hauptsache, der 2-jährigen Dienstzeit, ist S.M. intransigent>>.115 Nach einem Gespräch mit dem Reichskanzler am I 6. September notierte der Außensekretär in sein Tagebuch: «Die Militärvorlage ist, wie ich vermutete, von S.M. er­ zwungen worden. Ich bin besorgt wegen dem bevorstehenden Winter und befürchte einen Reichskanzlerkrach.>>116 Die Schwierigkeit für den Kaiser lag darin, daß er einen Rücktritt Caprivis nicht riskieren konnte, denn nach dem Debakel des Schulgeset­ zes wäre eine Kanzlerkrise aufgrund der Militärvorlage nichts weniger als eine Katastrophe für die Monarchie gewesen, die «den Bankrott des Kaisers>> bedeutet hätte.117 Waldersee brachte das Dilemma des Monar­ chen auf den Punkt: «Sollte es richtig sein, daß der Kaiser von Konces­ sionen nichts wissen will, so wird es doch ohne Krach kaum abgehen; macht er erhebliche Koncessionen - u. ohne solche ist doch wohl nichts zu erreichen - so wird die Armee Schaden erleiden u. er selbst wieder mit vermindertem Ansehen heraus kommen.>>118 Alle Augen waren also auf den Kaiser gerichtet, als er am I 8. August I 892 in einer leidenschaft­ lichen Ansprache seine Bevorzugung der dreijährigen Dienstzeit verkün­ dete und sogar äußerte, eine kleine, tüchtige Armee mit dreijähriger Dienstzeit sei ihm lieber «als ein großer Haufen mit zwei Jahren>>.119 Obwohl Waldersee zu den prominentesten Befürwortern der dreijähri­ gen Dienstzeit gehörte, verurteilte er diese Ansprache des Kaisers scharf als «ganz unnÜtZ>>. «Er hat sich - wie ja schon zu mindestens ein Dut­ zend Malen im Laufe des letzten Jahres - gegen die 2 jährige Dienstzeit ausgesprochen, während doch gleichzeitig das Kriegsministerium u. un­ ter seiner Zustimmung eine Heeresorganisation auf Grund der 2 jähri­ gen bearbeitet hat», die demnächst dem Reichstag vorgelegt werden würde, kritisierte er. «Nun fährt er plötzlich mit der Ansprache dazwi­ schen, sodaß Niemand weiß was eigentlich los ist.>> Caprivi habe nach der Ansprache zunächst gedacht, er müsse seinen Abschied nehmen,

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habe sich dann aber wieder «schnell beruhigt», schrieb Waldersee. Voller Verachtung fügte er hinzu: «Üh dieser falsche Bursche ! >>120 In den dann folgenden Wochen ließ sich Wilhelm tatsächlich zum Entsetzen der Reformgegner von Caprivi erneut zu einer Kompromiß­ lösung bewegen, wonach die zweijährige Dienstzeit für die Infanteriere­ gimenter, nicht aber für die Kavallerie eingeführt werden sollte.121 Wie Erbprinz Bernhard im Herbst r 892 Waldersee erregt mitteilte: «Noch in der Ansprache am r 8 . August drückte Seine Majestät in nicht mißzu­ verstehender Weise seine Abneigung gegen Einführung der 2j ährigen Dienstzeit aus; kurze Zeit darauf muß es den jetzt maaßgebenden Facte­ ren gelungen sein, die Bedenken des Allerhöchsten Herrn zu zerstreuen und ihn zu der entgegengesetzten Ansicht zu bekehren. [ . . . ] Ich erstaune [ . . . ] über die Kühnheit, etwas noch gänzlich Unerprobtes mit einem Male einführen zu wollen, eine Conzession an die bethörte öffentliche Meinung zu machen zum ersichtlichen Nachtheil der inneren Tüchtig­ keit der Hauptwaffe, behufs Erlangung anderer Vortheile. Dieses Sich­ beugen vor dem Drängen der Volksstimme hat für mich etwas Beängsti­ gendes, denn nirgends mehr sollte man sich hüten, dieser trügerischen Macht nachzugeben, als in Fragen, in welchen für dieselbe nicht der Drang nach dem Besseren, sondern der egoistische Wunsch nach Ab­ schüttlung einer Last das treibende Motiv ist. Am populärsten wäre natürlich die nulljährige Dienstzeit oder wenigstens ein Milizsystem etwa nach dem Vorbilde der Schweiz; wohin wir damit gelangen wür­ den, ist klar.>> Der Schwager des Kaisers äußerte die Überzeugung, daß Deutschland einer äußerst kritischen Periode seiner Heeresgeschichte entgegengehe; es könne sogar sein, 122 Obwohl die Glaubwürdigkeit der Regierung jetzt davon abhing, kon­ sequent zu bleiben und an der mühsam erreichten Kompromißlösung selbst auf die Gefahr eines Konflikts mit dem Reichstag hin festzuhalten, lavierte der Kaiser weiterhin unentschieden hin und her. Nach einer Aussprache mit Philipp Eulenburg im ostpreußischen Jagdschloß Ro­ minten im September 1 892 ordnete er an, die Reichstagsparteien wissen zu lassen, daß er nicht vor einer Auflösung des Reichstags zurück­ schrecken würde, falls die Vorlage abgelehnt werden sollte.123 Knapp drei Wochen später ließ er erkennen, daß er entschlossen war, mit Ca­ privi «durch dick und dünn>> zu gehen und die Notwendigkeit der zweijährigen Dienstzeit für die Infanterie eingesehen hatte. Ungläubig trug Waldersee in sein Tagebuch ein: «Der Kaiser hat völlig die Waffen gestreckt und ist nun plötzlich zu einem entschiedenen Anhänger der 2jährigen Dienstzeit geworden! Da er ein Meister in der Kunst ist, sich selbst zu belügen und Schuld von sich selbst abzuwälzen, so sagt er nun,

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er habe bisher garnicht gewußt, daß unsere Infanterie nicht 3 , sondern nur 2!A Jahr diente ! ! ! Die Vorlage sei ebenso zweckmäßig als nothwen­ dig u. auch durchführbar. Wer hat sich wohl mehr eingebildet, die Armee genau zu kennen als er, der ja Alles besser weiß als erfahrene Männer, u. nun muß er sagen, daß er über eine der wichtigsten Fragen der Armee, über die er seit Jahren unendlich oft geurtheilt hat, völlig im Unklaren ist! [ . . . ] Was können wir bei solchen Karakteranlagen noch er­ leben! >>124 Die Unterstützung des Kaisers für die Caprivische Vorlage erwies sich als entscheidend, wenigstens innerhalb der militärischen und zivilen Führungselite. Für viele Beobachter betrüblich war die Feststellung, wie rückgratlos selbst die ranghöchsten Militärs sich in dieser Angelegenheit dem Monarchen gegenüber verhielten. Die Armeeführer wüßten jetzt, was man «oben>> wünsche und richteten ihre Berichte dementsprechend ein, klagte der badische Gesandte Arthur von Brauer. seufzte dieser Bismarckianer. 125 Selbst nach der Entscheidung für die zweijährige Dienstzeit für einige Truppenteile blieb das parlamentarische Schicksal der Militärvorlage ungewiß. Die Zentrumspartei, von der die Annahme oder Ablehnung letztendlich abhing, hielt sich bedeckt, um für sich und die katholische Kirche in Deutschland die größtmöglichen Zugeständnisse herauszu­ schlagen. Für die Regierung schien der Umstand günstig, daß die Ableh­ nung , die alle Parteien mit Ausnahme der Sozialdemokraten und der Freisinnigen vermeiden woll­ ten. Das Zentrum, so wurde kalkuliert, hoffte weiterhin mit Caprivi Ge­ schäfte zu machen und erkannte, daß die Ablehnung der Armeevorlage zu seinem Sturz führen würde; die Konservativen und Freikonservativen scheuten sich, in einer militärischen Frage mit dem Kaiser in Konflikt zu geraten; und die Nationalliberalen befürchteten, bei einer Auflösung des Reichstags Stimmen an die antimilitaristischen Linksliberalen zu verlie­ ren.126 Nach einem Besuch in der Hauptstadt im Oktober 1 892 verzeich­ nete Waldersee: 127 Als dem Reichstag die umstrittene Militärvorlage Ende November vorgelegt wurde, herrschte allgemein Mißtrauen ob der Festigkeit des Kaisers.128 Wohl gerade deswegen identifizierte sich Wilhelm zunächst vollkommen mit der Vorlage als würde.129 In einem Brief an Kaiser Franz Joseph sprach er die Zuversicht aus, daß der gegen des Kaisers, «alle solche Sachen zu den seinigen zu machen; statt die Minister in den Vordergrund zu schieben, läßt er sich von ihnen vorschieben, drängt sich auch wohl selbst vor. Wird die Vorlage abgelehnt>>, warnte er, «so ist doch er nun der geschlagene ! >> Der Kaiser ahne überhaupt nicht, «vor wie ernster Situation er steht; es ist bei weitem der größte Schritt, den er seit seinem Regierungsantritte thut u. würde ein völliger Fehlschlag [ . . . ] den Beginn eines Auflösungs-Pro­ zesses des Reiches bedeuten>>, sagte der General voraus. Der Kaiser solle gesagt haben, wenn die Vorlage beim ersten Mal nicht durchginge, so würde sie es vielleicht beim vierten oder fünften Versuch. «Was sind das für unreife, kindliche Auffassungen>>, stöhnte er.131 Zwiespältig war daher die Reaktion auf die militante Neujahrsanspra­ che des Kaisers vor den Kommandierenden Generälen im Januar 1 89 3 , zu der Philipp Eulenburg auf Drängen Holsteins und Kidedens Wilhelm geraten hatte.132 Holstein hielt die Wirkung des Eulenburgsehen Briefes für «beinah zu stark>>, denn der Kaiser habe gleich vom «Wegfegen des Reichstags» gesprochen,133 was vor allem auf die anwesenden nichtpreu­ ßischen Generäle - Prinz Georg von Sachsen, Prinz Arnulf von Bayern, den bayerischen General von Parsefal sowie den Württemberger Wil­ helm von Wölckern - einen peinlichen Eindruck machte. Waldersee, der die Rede mit anhörte, hielt in seinem Tagebuch fest, der Kaiser habe darin behauptet, die Militärvorlage sei «gründlich überlegt, alle Fürsten haben ihr zugestimmt, sie sei eine Nothwendigkeit u. würde er sie durchsetzen. Er sprach davon, daß es zu seiner Kenntniß gekommen, wie in der Armee von Einzelnen eine abfällige Kritik geübt würde; er könne dies nicht gestatten, wenn er eine Vorlage mache, so sei es Pflicht j eden Officiers, unter keinen Umständen sie zu tadeln; er mache es uns zur Pflicht dahin zu wirken, daß die Officiere sich jeder Kritik enthiel­ ten. Sodann wurde er lebhafter u. wandte sich gegen den Reichstag u. sagte etwa: Ich bringe die Vorlage durch, es koste, was da wolle, was weiß dieser Haufen von Civilisten von militärischen Dingen. Ich lasse auch nicht einen Mann u. nicht eine Mark u. jage diesen halbverrückten Reichstag zum Teufel, wenn er mir Opposition macht!» Über die be­ klommene Stimmung unter den hohen Militärs nach der Rede berichtet Waldersee in einer Aufzeichnung: «Als der Kaiser heraus war, bildeten sich sogleich Gruppen u. war wohl der Eindruck im allgemeinen, daß unter keinen Umständen ein Wort der Rede in die Öffentlichkeit kom­ men dürfe. [ . . . ] Die beiden Prinzen u. auch Gen Parceval u. Wölckern haben doch die Pflicht, die Rede ihren Souveränen zu melden; die spre­ chen mit ihren Ministern, u. ist damit das schließliehe Bekanntwerden unvermeidlich. Was kann entstehen, wenn die Worte über den Reichstag wirklich bekannt würden! Das Unglück wäre unabsehbar! »134 Schlimm

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Der Kampf um die große Armeevorlage

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sei, daß der Kaiser sich abermals so persönlich für die Vorlage engagiert habe, denn «nach seinen Äußerungen ist ein Rückzug garnicht möglich, [ . . . ] es sei denn, er habe sich die Konsequenzen einer Reichstags-Auf­ lösung völlig klar gemacht u. sei entschlossen, die Sache durchzufechten. Dazu fehlt es aber an Energie.» 135 Die scharfen Äußerungen des Kaisers blieben in der Tat nicht geheim. Der Erbprinz zu Hohenlohe-Langen­ burg schrieb darüber seinem Vater: 136 Ende April konnte Caprivi nach Verhandlungen mit dem Führer des rechten Flügels der Zentrumsfraktion, Karl Freiherr von Hoiningen­ Huene, > Miquel behaupte, «S.M. jetzt besser zu kennen, als irgend jemand sonst>>, sagte Herbert Bismarck weiter.147 Die Neuwahlen ergaben starke Verluste für die beiden konservativen Parteien (-I 9 % ), aber auch für die beiden freisinnigen Parteien (-2 I % ), während das Zentrum und die Nationalliberalen ihren Stimmenanteil behaupten konnten und die Sozialdemokratie ihre Wählerschaft um wei­ tere 1 8 % auf 1 .79 Millionen (23,) % aller Stimmen) erhöhen konnte. Be­ sorgniserregend war die Zunahme der Agrarier in der Deutsch-Konser­ vativen Partei und der Einzug von r 6 Antisemiten in den Reichstag.148 Trotz dieser Polarisierung stimmte der rechte Flügel des Zentrums zusammen mit den Konservativen, den Antisemiten und den Polen am 14· Juli I 893 für die Heeresvorlage, deren Annahme die Stellung Capri-

Kaiser und Regierung nach der Schulgesetzkrise

vis beim Kaiser vorübergehend befestigte.149 Beglückt telegraphierte die­ ser seiner Großmutter in Windsor: «Army Bill passed easily. Great victory for my Government. Are all very happy.» 150 Begeistert und er­ leichtert schrieb Philipp Eulenburg seinem kaiserlichen Freund aus München, er wäre am liebsten direkt nach Potsdam ins Neue Palais ge­ fahren, hielt; er habe eigentlich «nur die Antisemiten>> hinter sich gehabt. Nun aber, seit dem Tivoli-Par­ teitag, sei die Konservative Partei «durch die Antisemiten über­ schwemmt worden: Waldersees Stellung ist dadurch mit einem Schlage gewachsen, er sieht den Augenblick herangekommen, wo er dem Kaiser wird Gesetze und Bedingungen vorschreiben können.>> 155 Man müsse also den Kaiser zu einer öffentlichen Erklärung gegen den Antisemitis­ mus bewegen, argumentierte er, und begrüßte den Umstand, daß der Reichskanzler «Seine Majestät gebeten [hatte], sich gegenüber den Kon­ servativen mißbilligend über die demagogische Haltung des Parteitages zu äußern>>. Anstatt dies in einer unmißverständlichen Weise zu tun, klagte der Geheimrat, habe «Seine Majestät dem Manteuffel bei der nächsten Begegnung lachend zu[gerufen] : Natürlich betrachtet Manteuffel das als keinen Tadel>>, meldete Holstein an Eulenburg.156 Dieser unterstrich daher in einem sehr wirkungsvollen Brief an den Kaiser vom I 7· Dezember I 892 seine Überzeugung, daß es «im Interesse von Euerer Majestät notwendig [sei], eine pointierte Haltung gegenüber dem Antisemitismus einzuneh­ men, - in irgendeiner Form das Zusammenstehen mit des Reichskanzlers Haltung sehr ernsthaft zu betätigen>>. «>, sagte Eulenburg aus. Aber durch das Zusammengehen der

Kaiser und Regierung nach der Schulgesetzkrise

Konservativen Partei mit den Demagogen der Antisemitenbewegung habe die politische Lage in Deutschland ein «schiefes Gesicht» bekom­ men, das man mit einer rechtzeitigen Ohrfeige wieder zurechtrücken müsse. «Die Fratze, von der ich spreche, ist die neueste Wendung der konservativen Ultras zum Antisemitismus>>, schrieb der Graf. Der Reichs­ kanzler habe bereits dafür gesorgt, daß der Antisemitismus habe; «es kommt aber darauf an, daß nicht der geringste Zweifel obwaltet, daß Euere Majestät dahinterstehen, - sonst wird mit Euer Majestät Sympathie für die Antisemiten ein Keil zwi­ schen Euere Majestät und den Reichskanzler geschoben. [ . . . ] Der Anti­ semitismus selbst hat in der Form, in der er sich zeigt, schwere Beden­ ken. Wenn Euere Majestät die politischen Übergänge glücklich durch­ schifft haben werden, welche der Rücktritt des Fürsten Bismarck mit seiner Fronde hervorgerufen hat, so wird alsdann vielleicht möglich sein, die Form zu ergründen, in welcher den berechtigten Klagen des Antise­ mitismus Abhilfe geleistet werden kann.>> Gegen die j etzige Form des Massenantisemitismus müsse der Staat aber allein schon aus Selbsterhal­ tungsgründen gewaltsam Front machen, ! Mein Glaube an den Frieden ist dadurch jedoch nicht erschüttert, aber ich vertraue auf Preußen, mem gutes Gewissen & meine Armee.»31 3 · Wilhelms Werben um die englische Freundschaft

Die strategische Absicht, die hinter diesem Briefwechsel mit Queen Vic­ toria lag, ist unschwer zu erraten. Keiner erkannte klarer als Wilhelm II., daß mit der russisch-französischen Verständigung die - wenigstens still­ schweigende - Unterstützung Englands wünschenswerter denn je ge­ worden war. Nach dem Englandbesuch des Kaisers vom Sommer I 893 stellte Waldersee zu Recht fest, «er möchte noch immer England zum

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Anschluß an den 3 Bund gewinnen>>,32 und ein halbes Jahr später er­ klärte Wilhelm selbst: «Wir können auf dem Kontinent ohne England nicht fertig werden. [ . . . ] England muß seine Rolle in der europäischen Politik übernehmen.>>33 Trotz des Regierungswechsels in London im Juli I 892, durch den der von Deutschland bevorzugte konservative Salisbury durch den liberalen Glacistone (mit Lord Rosebery als Außenminister) ersetzt worden war,34 war der Kaiser also weiterhin unentwegt bemüht, seine engen dynastischen Beziehungen zum englischen Königshaus spie­ len zu lassen, um für Deutschland außenpolitische Vorteile zu erlangen. Doch gerade auf dynastischem Niveau gab es unzählige Reibereien und Rivalitäten, die das Erreichen des Ziels eines deutsch-englischen Bünd­ nisses erschwerten.35 In der Zurückweisung der auch in Windsor als auf­ dringlich empfundenen Annäherungsversuche des Kaisers sehen wir einen möglichen Keim der deutsch-englischen Flottenrivalität, durch die nur zehn Jahre später das britische Weltreich in die Arme Frankreichs und Rußlands gedrängt werden sollte. Die lästige Zudringlichkeit Wilhelms II. zeigte sich in aller Deutlich­ keit bereits im Frühjahr I 89 I , als Queen Victoria ihren Enkel bat, erst nach der für den 6. Juli festgesetzten Hochzeit des Prinzen Aribert von Anhalt mit Louise Prinzessin von Schleswig-Holstein, der jüngsten Tochter Christian und Lenchen Holsteins, nach England zu kommen, da die Anwesenheit des Kaisers den Vater des Bräutigams, Herzog Fried­ rich von Anhalt, zu sehr in den Schatten stellen würde.36 Der Kaiser aber wollte unbedingt an der Hochzeit, die hauptsächlich er zustande gebracht hatte, zugegen sein und schrieb an seinen Onkel Arthur von Connaught: >44 Um so größer war freilich die Enttäuschung des Kaisers, als seine Yacht in den nächsten Tagen von der Iverna, der Queen Mab und von der kleineren Corsair, die dem Admiral Victor Montagu gehörte, ge­ schlagen wurde. «In dieser Woche von Yachtrennen war dem deutschen Kaiser das Glück nicht hold>>, resümierte die Times am 6. August I 892.45 Diese Erfahrungen in Cowes im Sommer I 892 veranlaßten den Kaiser, seinem Onkel, dem Prinzen von Wales, als Commodore der Royal Yacht Squadron die Einführung eines Wettrennens ausschließlich für größere Yachten von über I oo Tonnen - Meteor hatte 1 1 6 - vorzuschlagen, für das er einen Challenge Shield im Wert von 5: 90 stiften wollte.46 Das Angebot wurde dankbar angenommen.47 Die Segelrivalität zwischen Wilhelm und seinem Onkel, die damit ihren Lauf nahm, sollte j edoch eine verhängnisvolle Auswirkung auch auf ihre politische Beziehung zu­ einander haben. Als die für den 6. Juli I 893 vorgesehene Hochzeit des Herzogs von York (des nunmehrigen präsumtiven Thronfolgers und späteren Königs George V.) mit Victoria Mary (May) Prinzessin von Teck, der Braut seines im Vorj ahr verstorbenen Bruders Eddy, näher rückte, rechnete Wilhelm fest damit, zur Feier in Windsor eingeladen zu werden, Queen Victoria aber befahl erneut dem Botschafter in Berlin, der deutschen Regierung klarzumachen, «daß es ganz unmöglich sein wird [ . . . ] den Kaiser zu der Hochzeit des Herzogs von York einzuladen>>; sie würde die zahlreichen Gäste nicht genügend ehren können, wenn der Deutsche Kaiser anwesend wäre.48 Der bestimmte Ton dieser Anordnung wirkte auf Wilhelm um so verletzender, als bald darauf sein Bruder Heinrich ein Handschreiben von der Queen erhielt, das ihn zusammen mit seiner Frau lrene - auch sie war ja eine Enkelin der Königin - herzlich zur Hochzeit einlud. Beide hatten den «sehr großen>> Wunsch, zur Vermäh­ lung nach England zu gehen; ohne die Erlaubnis des Kaisers konnten sie die Einladung jedoch nicht annehmen, und Wilhelm verweigerte ihnen die Reise mit der Erklärung, es sei seine «Willensmeinung>>, «daß die zeitige Ausübung des Allerhöchsten Dienstes [in der Marine] von jeder darüber hinausgehenden Unternehmung officieller oder familiärer Art ausschließt>>.49 Nicht zu Unrecht witterte der Hofmarschall des Prinzen Heinrich, Albert Freiherr von Seckendorff, daß «diesseits und jenseits

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des Canals [ . . . ] Schwierigkeiten und Palastintriguen» im Spiele seien, die er nicht durchschauen könne.50 Der englischen Seite warf Seckendorff «Ünkelei>> vor, wogegen er beim Kaiser sicherlich zu Recht Verärgerung darüber vermutete, daß Heinrich und nicht er, der Kaiser, zur Hochzeit eingeladen war. Das plötzliche Hervorkehren der Amtspflichten des Prinzen sei jedenfalls sonderbar, bemerkte er, denke man zurück an Heinrichs lang andauernde Mittelmeerfahrt und an «manche sonstige Vergnügungsepisoden>>. In den vergangenen zwei Sommern habe Hein­ rich mit Genehmigung des Kaisers «längere Amüsementsfahrten nach England>> unternommen. Auch als Kommandant der Sachsen müsse der Prinz «als selbstverständlich>> zu jedem Hofball nach Berlin fahren. Er, Seckendorff, könne nicht erkennen, daß eine fünftägige Reise zu einer Familienhochzeit in London schwere militärische Bedenken nach sich ziehen würde.51 Der Chef des Marinekabinetts bestätigte Seckendorffs Vermutung, daß der Grund für die Haltung Wilhelms II. in einem Ge­ fühl der verletzten Eitelkeit zu suchen sei. «Der Kaiser ärgert sich>>, schrieb er, «vielleicht deshalb, weil Er Selbst am Liebsten hinginge und nicht gewünscht ist.>>52 Wiederholt betonte Seckendorff, daß seine «Prinzlichen Herrschaften>> unbedingt korrekt gehandelt und ein absolut reines Gewissen hätten. «Sie haben die Onkelei mit der Politik nicht ver­ quickt, sondern das Element der Politik Seiner Majestät zur Entschei­ dung vorgelegt.>>53 Auf seine direkte Frage an die Prinzessin lrene, «ob von Ihr oder von dem Prinzen [Heinrich] irgend etwas geschehen sei, um die Einladung von England zu provociren>>, habe Seckendorff als Antwort ein rückhaltloses «Nein>> erhalten.54 Diesmal lenkte der Kaiser ein: Am q. Juni konnte ihm die Queen in einem Telegramm aus dem schottischen Balmoral für die Erlaubnis danken, die er seinem Bruder und lrene erteilt hatte, an der Hochzeit teilzunehmen. 55 Wilhelm selbst traf erst Ende Juli r 893 zur Regatta in Cowes ein. Äußerlich verlief der prunkvolle achttägige Kaiserbesuch recht zufrie­ denstellend. Die neue Hohenzollern - «ein Riesenschiff, weiß angestri­ chen", wie Queen Victoria nach der Umsegelung feststellte - wurde all­ seits bewundert, die deutsche Schiffskapelle, diesmal ausschließlich aus Saiteninstrumenten bestehend, spielte «beautifully>> während des Essens, und der neuernannte Flügeladjutant Kuno Graf von Moltke entzückte die hohe Gesellschaft mit seinem improvisierten Klavierspiel, zumal er eigene Kompositionen, Wagner-Melodien und «God save the Queen>> (beziehungsweise «Heil Dir im Siegerkranz>>) miteinander zu verflechten verstand. 56 Selbst zu Wasser herrschte scheinbar deutsch-englisches Ein­ vernehmen, als die Rennyacht des Prinzen von Wales, Britannia, des Kaisers Challenge Cup gewann. Der Erbprinz zu Hohenlohe-Langen­ burg, der als Verwandter und jetzt Londoner Botschaftssekretär Ge­ legenheit hatte, Wilhelm aus der Nähe zu beobachten,57 sprach voller Bewunderung von ihm: «Die Engländer waren vom Kaiser ganz ent-

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zückt. Er war die ganze Zeit in der besten Laune und sehr liebenswürdig mit jedermann. Er hat auch wirklich etwas ungemein Fesselndes in sei­ nem Wesen, und mich frappierte namentlich sein scharfes, lebhaftes und intelligentes Auge.>> Während einer Besichtigung der Docks in Ports­ mouth hätten die sachkundigen Fragen und Bemerkungen des Kaisers bei den englischen Marineoffizieren Erstaunen hervorgerufen. 58 Allein, hinter der glänzenden Kulisse herrschte persönliche Animo­ sität, Kriegsgefahr und - für einen Augenblick - kaiserliche Panik. Wäh­ rend sich der Kaiser ganz der Führung der Yacht seines Onkels wid­ mete, unterhielt sich dieser mit dem Grafen Philipp zu Eulenburg, der zum ersten (und letzten) Mal England besuchte.59 Der englische Thron­ folger mokierte sich bissig über den «Kolonialsport>> seines Neffen, den er ebensowenig begreifen könne wie dessen Vorliebe für die Flotte. «Es sei ja ganz nett, daß sein Neffe sich für Schiffe interessiere>>, soll der Prinz von Wales mit boshaftem Blick gesagt haben. «Aber wenn man ihn mit seinem lahmen Arm derartig hantieren sehe wie oben auf Deck, so müsse einem doch Angst werden, daß er sich Schaden täte.>>60 Die Lage wurde plötzlich ernst, als England und Frankreich sich in Siam (Thailand) am Rande eines Krieges befanden und der von Wilhelm er­ sehnte Anschluß der Inselmacht an den Dreibund in greifbare Nähe zu rücken schien.61 In der Nacht zum 3 1 . Juli übersandte die Queen ihrem Enkel eine Depesche des Außenministers Lord Rosebery, wonach die französische Regierung ultimativ die Zurückziehung der vor Bangkok liegenden englischen Kanonenboote gefordert habe; er, Rosebery, habe die französische Forderung zurückgewiesen und umgehend um ein Gespräch mit dem deutschen Botschafter Hatzfeldt gebeten. 62 Ernst Hohenlohe gab die Auffassung der deutschen Botschaft wieder, indem er seinem Vater schrieb: «Es wäre um ein Haar zum Kriege zwischen Frankreich u. England gekommen. Wie ich aus der offiziellen Korre­ spondenz ersah, wäre wahrscheinlich im Kriegsfalle auch Italien nicht unthätig geblieben. Wir hätten auch nicht ruhig zugesehen, und der europäische Krieg wäre da gewesen.>>63 Philipp Eulenburg hält in einer eindrucksvollen Tagebuchaufzeich­ nung die panikartige Reaktion des Kaisers auf die plötzlich auflodernde Gefahr eines großen Krieges fest: «Der Kaiser ging sogleich nach der Rückkehr auf die Hohenzollern mit mir in seinen Salon und hatte völlig die Nerven verloren. Ich habe ihn eigentlich niemals so fassungslos ge­ sehen und mußte alle Gedanken zusammennehmen, um ihn mit ver­ nünftigen Argumenten zu beruhigen. Es war nach dem Besuch der fran­ zösischen Flotte in Kronstadt 1 89 1 der zweite große Chok, der sich irrfolge der Nichterneuerung des Geheimvertrags mit Rußland einstellte. [ . . . ] Der Kaiser erklärte, >> Eulen­ burg suchte den Kaiser mit der (zutreffenden) Bemerkung zu trösten, daß England nicht gegen Frankreich kämpfen, sondern einen Ausgleich mit ihm suchen würde. Käme es aber trotzdem zum Kriege, so würden die Deutschen vorderhand lachende Zuschauer sein. «Glückte uns eine solche Rolle in einem Kriege der andern Mächte, so würden wir nicht schlecht dabei fahren. Vor allen Dingen solle der Kaiser sich nicht hier für irgend bindende Erklärungen einfangen lassen, sondern möglichst schweigsam die Äußerungen der Engländer mit einem wohlwollenden Lächeln anhören.>> Die hinzugerufenen Diplomaten Kiderlen-Wächter und Wolff-Metternich unterstützten Eulenburgs Argumente. «Als sie gingen>>, erinnerte sich der Kaiserfreund, «schien der Kaiser ruhiger, aber er sah miserabel aus - blaß und nervös an den Lippen kauend. Er tat mir schrecklich leid. Er fühlte sich, mit seinem großen Schiffstrara hier ange­ langt, plötzlich in eine gewisse bescheidene Enge getrieben und politisch ausgeschaltet.>>64 Das «zaghafte Auftreten>> Roseberys in der Krise - er konnte durch Androhung einer gemeinsamen Aktion mit Italien und Deutschland zusammen Frankreich zum Nachgeben bewegen - rettete zwar den Frieden, die «diplomatische Niederlage>>, die England in sei­ nen Augen erlitten hatte, erschütterte jedoch das Vertrauen des Kaisers in den liberalen Außenminister, der bald zum Premierminister avancie­ ren sollte. «Das unangenehme Resultat ist>>, urteilte Hohenlohe, «daß die Engländer in Indien außer der Nachbarschaft Rußlands nun auch die Nähe Frankreichs haben.>>65 Überall in der Welt, und auch im Inneren des Landes, sei das Britische Reich in der Krise, schrieb der junge Diplo­ mat. «Einer gewissen Schadenfreude kann man sich hierbei nicht erweh­ ren. Freilich wäre es fatal, wenn sich aus diesen Anfängen ein allgemei­ ner Weltbrand entwickelte.>>66 Teils durch Hatzfeldts Erkrankung und teils durch die kühle Natur Roseberys kam es in der Siamkrise nicht zu der engen deutsch-eng­ lischen Zusammenarbeit, die sich der Kaiser gewünscht hatte, und er unterließ es nicht, dem englischen Außenminister seine Unzufriedenheit unmißverständlich klarzumachen. Als Hatzfeldt im November 1 893 von einer Unterredung mit Rosebery berichtete, in der dieser beteuerte, er habe im Kabinett auf eine Vermehrung der Flotte gedrängt und werde bei den zu erwartenden ernsten Verwicklungen um die Unterstützung Deutschlands und dessen Verbündete nachsuchen, nahm Wilhelm diese

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Wende in der englischen Außenpolitik ganz für sich in Anspruch und schrieb auf den Bericht aus London: «Der plötzliche neuerliche Um­ schwung Roseberys, der Hatzfeldt verwundert, und zu so voller Offen­ heit und vertraulicher Rücksprache zurückkehrt, stammt von Meiner Initiative. Da Ich durch eine sichere Gelegenheit Rosebery ohne Um­ schweife habe sagen lassen, daß Ich dieses Versteckspielen mit mir nicht länger dulden würde und daß, wenn ihm überhaupt an Meiner Freund­ schaft und Zuneigung noch was gelegen sei und er auf gute Dienste rechne, er zum alten Verhältnis vollster Ehrlichkeit wieder zurückkeh­ ren müsse. Sonst sei Ich für ihn nicht wieder zu sprechen. Es scheint gewirkt zu haben.>>67 Wie sehr sich der Kaiser zu dieser Zeit als stiller Verbündeter Eng­ lands gegen den französisch-russischen Zweibund empfand, geht aus sei­ nen kritischen Äußerungen über die Schwäche der englischen Flotte im Mittelmeer hervor. Als im Juli 1 893 der neuernannte Botschafter Gene­ ral von Werder aus Petersburg meldete, die Russen hätten fünf Panzer­ schiffe nach Toulon entsandt, die ein Jahr lang in der Gegend bleiben würden, sah der Kaiser darin eine Gefährdung der englischen Vormacht­ stellung im Mittelmeerraum und nicht, wie die Russen und Franzosen tatsächlich beabsichtigten, eine gegen Deutschland gerichtete Aktion.68 Besorgt schrieb Wilhelm auf den Bericht Werders: «Diese Verstärkung wird Frankreich willkommen sein und bringt die Anti-Englischen Schlachtschiffe auf 19. Ein Handstreich auf die Dardanellen ist nur noch eine Frage der Zeit.>>69 Vier Monate später teilte er dem britischen Bot­ schafter die geheime Nachricht mit, ein russischer General, der kürzlich beim Zaren Alexander in Fredensborg gewesen sei, habe durchblicken lassen, daß die russischen Schiffe, die jetzt im Mittelmeer seien, auf Alexandretta (den heutigen türkischen Hafen Iskenderun) zusteuerten. Da Rußlands Zugang nach Konstantinopel durch den Balkan gesperrt sei, müsse es sich den Weg nach Süden durch Kleinasien bahnen, erklärte der Kaiser. Als Malet bemerkte, daß sich dadurch Zypern endlich als nützlich erweisen könnte, entgegnete der Kaiser: «Ja [ . . . ] wenn Sie die Schiffe haben. Ich bin davon überzeugt, daß Frankreich an einem Drei­ bund im Mittelmeer arbeitet und versucht, Spanien zum Beitritt zu über­ reden, indem es ihm verspricht, ihm bei der Wiedergewinnung von Gibraltar zu helfen. Sie müssen sehr darauf achten, was in Marokko vor­ geht.>>70 Hinter solchen Mitteilungen stand die Hoffnung, den fran­ zösisch-englischen Gegensatz zu vertiefen und einen Keil zwischen Frankreich und Rußland zu treiben. Jedenfalls kalkulierte Waldersee zu diesem Zeitpunkt: «Je stärker Frankreich sich im Mittelmeer fühlt, desto mehr muß es dort nach Allein Herrschaft streben und kommt dadurch zunächst der Gegensatz zu England - u. kann dies für uns nur vorteil­ haft sein - und weiterhin auch mit Rußland sobald dies erst Herr Con­ stantinopel's ist.>>71

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Das «Lechzen nach Uniformen»

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4· Das «Lechzen nach Uniformen»

Die innere Verbundenheit Kaiser Wilhelms II. mit England und seinen englischen Verwandten kam auch wiederholt in zeremonieller Form zum Ausdruck, so zum Beispiel am 1 2. Januar 1 894, als er seine Großmutter um Erlaubnis bat, seinen Onkel Albert Edward Prince of Wales a la suite des deutschen Dragonerregiments, das er der Königin verliehen hatte, zu ernennen. Ihr schrieb er: «Meine Begeisterung seit meiner Jugend für I.M. Redcoats & ihre Geschichte ist immer sehr groß gewesen; beson­ ders da sie so oft Seite an Seite mit unseren Soldaten gekämpft haben! Dies bringt mich auf die Idee, Dich zu fragen, ob Du, als unse­ rer Gardedragoner, es mir erlauben würdest, an meinem Geburtstag Onkel Bertie a la suite Deines Regimentes zu stellen. Dieser Tag ist näm­ lich der 2 5 . Jahrestag meines Eintritts in das 1 . Garderegiment, & aus diesem Anlaß wird am 27. Uanuar] eine Liste mit militärischen Ehren veröffentlicht werden, & es wäre mir eine große Freude, wie auch eine große Ehre für das Regiment. Vater & Sohn wären dann beide in Dei­ nem .>>72 Die Absicht, die hinter diesem kaiser­ lichen Vorstoß lag, blieb dem Militärattache Oberst Leopold Swaine nicht verborgen. Noch am gleichen Tag regte dieser die Ernennung des Kaisers zum Ehrenkommandeur der ersten Royal Dragoons an. Es sei ein Regiment, betonte er, das England nie verlasse, so daß Seine Maj estät es bei seinen Englandbesuchen immer würde besichtigen können. «Aber vor allem ist seine Uniform von der typischen Farbe.>>73 Daß der Militär­ arrache den innersten Wunsch des Kaisers erraten hatte, zeigte sich schon in einem Gespräch mit ihm am nächsten Tag, als Wilhelm II. betonte, er wolle zwar nicht als Anreger des Vorschlags gelten, er wünsche aber in der Tat eine englische Armeeuniform tragen zu können, da er es leid sei, bei Militärparaden in seiner Admiralsuniform zu Pferde zu steigen. Ver­ blüfft war Swaine nur, von Wilhelm zu erfahren, daß er eigentlich Eh­ renkommandeur eines schottischen Highland-Regiments werden wollte! Bei seinem Besuch in Wimbledon im Sommer r 89 r habe er die Argyll & Sutherland Highlanders bewundert und wünsche, deren Uniform tragen zu dürfen. Als Swaine Bedenken geltend machte und darauf hinwies, daß eine derartige Stellung noch nie an einen ausländischen Fürsten ver­ geben worden sei, entgegnete Wilhelm, «daß alle Regeln früher oder spä­ ter gebrochen werden & daß aus familiären & politischen Gründen für ihn vielleicht eine Ausnahme gemacht werden könnte>>. Falls die Ernen­ nung des Kaisers zum Colonel-in-Chief eines englischen Regiments tat­ sächlich nicht durchführbar sei, könne er vielleicht zum englischen Feld­ marschall ernannt werden, schlug Swaine vor, doch er wies darauf hin, daß die Regimentsuniform in Deutschland höher geschätzt werde als die F eldmarschallsehre. 74

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Der Prinz von Wales, der sich durch Wilhelms Wunsch, ihn a la suite des deutschen Dragonerregiments zu stellen, geschmeichelt fühlte, be­ fürwortete auf das entschiedenste dessen Ernennung zum englischen General oder Feldmarschall. Wilhelm zum Chef eines Regiments zu er­ nennen wäre hingegen schwierig, räumte der Thronfolger ein.75 Pon­ sonby wies ebenfalls darauf hin, daß bei einer früheren Bitte des Kaisers, ihn zum Chef eines englischen Regiments zu ernennen, Erkundigungen ergeben hätten, wie unpopulär sowohl in der Armee als auch in der all­ gemeinen Bevölkerung ein solcher Schritt sein würde.76 Es war Queen Victoria selbst, die mit ihrem Widerwillen gegen dieses «Lechzen nach Uniformen» nicht zurückhielt. Von Wilhelms Wunsch nach einem Regi­ ment meinte sie: «Das würde nie gehen, & er ist ein Admiral. - Die Queen denkt, daß er schon jetzt viel zu verwöhnt ist.>P Der Kriegsmi­ nister Henry Campbell-Bannerman, der auf Wunsch der Königin um seinen Rat gebeten wurde, lehnte ebenfalls die Verleihung eines Regi­ ments an Wilhelm ab. Seine Ernennung zum General oder Feldmarschall wäre zwar rein militärisch gesehen unbedenklich, doch laufe man dann Gefahr, daß auch andere fremde Monarchen eine derartige Auszeich­ nung erwarten würden. Die übertriebene Auszeichnung des Deutschen Kaisers mit englischen Ehren könne Verstimmung in anderen Ländern hervorrufen, warnte er. Der Kriegsminister stellte das Urteilsvermögen von Swaine in Frage, dessen Indiskretion er für das Dilemma, in dem sich London nun befand, verantwortlich machte.78 Noch schwerer fiel das negative Urteil des Außenministers Rosebery ins Gewicht, der argu­ mentierte, daß Wilhelm immerhin schon ein Honorary Admiral war, was ja für eine wie Großbritannien auch eine höhere Ehre als die eines Feldmarschalls sei, und daß außerdem eine neue Aus­ zeichnung, nur vier Jahre nach der Ernennung zum Admiral, als eine richtungweisende politische Erklärung aufgefaßt werden würde, die augenblicklich höchst unerwünscht wäre. 79 Als dann jedoch der alte Herzog von Cambridge, ein Vetter Victorias, als Oberbefehlshaber des britischen Heeres aus Cannes telegraphierte, er sei entschieden für die Verleihung der Feldmarschallswürde an Wilhelm, machte die Königin aus ihrer Verärgerung keinen Hehl. Sie sei diese Ernennung, nicht zuletzt, weil Wilhelm, der als Admiral jetzt schon glaube, zum Eingreifen in die englische Marinepoli­ tik berechtigt zu sein, sich dann auch noch in Armeeangelegenheiten

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Das «Lechzen nach Uniformen»

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einmischen würde. «>, schrieb sie empha­ tisch. 80 In Gesprächen mit ihrem Privatsekretär Sir Henry Ponsonby machte sie geltend, daß Wilhelm militärisch überhaupt nichts geleistet habe, um einen so hohen Rang in der englischen Armee zu verdienen; das fünfundzwanzigjährige Dienstjubiläum sei bei weitem kein ausrei­ chender Anlaß dazu. Sie erinnere sich, sagte sie, daß Wilhelm seinerzeit zum Admiral ernannt worden war, just um den von ihm gewünschten Armeerang zu vermeiden.81 Dennoch plädierte der Prinz von Wales abermals für die Ernennung Wilhelms zum Feldmarschall. Als Enkel der Queen und Chef der besten Armee der Welt könne der Kaiser keinen geringeren als den höchsten Rang erhalten, insistierte er, und diejenigen, die der Königin das Gegenteil beibrächten, verstünden offenbar die deutschen Empfindlichkeiten nicht. Sollten in der Tat die Kaiser von Rußland oder Österreich denselben Rang beanspruchen, was er nicht glaube, so könne die Königin immer mit dem Hinweis auf die enge Familienverwandtschaft mit Wilhelm ausweichen. Entmutigt schrieb Sir Francis Knollys, der Privatsekretär des Thronfolgers, an Ponsonby, es sei doch unglaublich, daß sich Mutter und Sohn schon wieder befehde­ ten. Was Wilhelm anbetraf, so schrieb der engste Berater des englischen Thronfolgers vernichtend: «>; beide redeten «blanken Unsinn wenn sie behaupteten, daß, wenn die Queen Ihren Enkelsohn, der außerdem ein halber Engländer ist, zu einem Feldmarschall macht, Sie anderen Herrschern, mit denen Sie nicht verwandt ist, den gleichen Rang geben muß.>> Die Entscheidung sei für ihn, Albert Edward, um so peinlicher, als Wilhelm ihm soeben durch einen Sonderbotschafter die neue preußische Uniform übersandt habe.87 Victoria war durch den sturen Ernst, mit dem ihr Sohn auf ihre Ent­ scheidung reagierte, erschüttert. Im starken Gegensatz zu der Auffas­ sung Wilhelms seinen berufenen Beratern gegenüber wies die Queen darauf hin, daß sie schließlich verpflichtet sei, den Rat ihrer verantwort­ lichen Staatsmänner anzunehmen.88 Der Herzog von Cambridge sprach ebenfalls sein Bedauern über die Entscheidung der Königin aus. Swaine, sagte er, hätte seine Anregung nicht übermittelt, wenn er nicht von höchster Stelle in Berlin den Wink erhalten hätte, daß der Kaiser bei sei­ nen Besuchen in England die englische Uniform zu tragen wünsche. Da Wilhelm die Admiralsuniform schon habe, könne man ihm doch pro­ blemlos auch die Feldmarschallsuniform geben. Durch die Verleihung von Regimentern und Uniformen an Mitglieder des englischen Königs­ hauses habe der Kaiser seine Verbundenheit mit seiner Großmutter und seinen Onkeln dokumentiert; er, der Herzog, verstehe nicht, weshalb man sein Entgegenkommen nicht durch die einfache Geste der Uni­ formverleihung, die ihm offenbar so viel bedeute, erwidert habe. 89 Selbst der frühere Premierminister Salisbury setzte sich für die Verleihung der hohen Militärwürde an Wilhelm ein. «Wenn unsere momentane Außen­ politik es empfiehlt, sich mit Deutschland gut zu stellen, dann wäre die Verleihung eine weise Entscheidung, da persönliche Überlegungen eine große Rolle spielen>>, lautete sein UrteiP0 Obwohl sich Queen Victoria vorerst durchgesetzt hatte, war ihre Ver­ stimmung gegen Wilhelm Wochen später noch unverkennbar. Nach ei­ nem Hofbesuch im März r 894 berichtete der Erbprinz zu Hohenlohe seinem Vater: 91 In der Tat hatten weder der Prinz von Wales noch der Herzog von Cambridge aufgehört, für die Auszeichnung des Kaisers zu arbeiten, und Rosebery, der inzwischen als Nachfolger Glacistones Pre­ mierminister geworden war, sah sich im April r 894 genötigt, seine ab­ lehnende Haltung zu bekräftigen. Er machte diesmal geltend, daß, falls zu der Admiralswürde j etzt auch noch der Rang eines Feldmarschalls hinzukäme, man für die spätere Zeit nichts mehr zu verschenken hätte. Rosebery befürchtete auch, , was sich nachteilig auswirken könnte, denn «so eine deutliche zusätzliche Ehrung sollte nur dann ver­ liehen werden, wenn es nötig ist, entweder Dankbarkeit oder Freund­ schaft zu signalisieren. Zum jetzigen Zeitpunkt besteht keine Notwen­ digkeit außerordentliche Freundschaft zur Schau zu stellen, und noch viel weniger außerordentliche Dankbarkeit zu demonstrieren.>>92 Schließlich sah sich Queen Victoria trotz alledem veranlaßt, ihrem Enkel den ursprünglichen Herzenswunsch zu erfüllen: Anläßlich der Hochzeit ihres Enkels Ernst Ludwig Großherzog von Hessen-Darm­ stadt in Coburg am 2 1. April r 894 ernannte sie Kaiser Wilhelm II. zum Colonel-in-Chief der First Royal Dragoons, eines Kavallerieregiments.93 Überglücklich dankte dieser für diese ungewöhnliche Auszeichnung - es war das allererste Mal in der englischen Militärgeschichte, daß ein frem­ der Souverän in die Armeeliste aufgenommen wurde -, indem er ihr von der Wartburg aus schrieb: «Die Güte & Liebe, mit der Du mich behan­ delt hast, haben mich ganz überwältigt! Ich fürchte, daß ich unter dem Eindruck dieser so unerwarteten & frohen Überraschung, die Du mir bereitet hast, nicht die richtigen Worte gefunden habe, meine Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Ich danke Dir von ganzem Herzen für die große Ehre, die Du mir erwiesen hast, indem Du mich zum Ehrenoberst der Royals ernannt hast. Ich bin gerührt, tief gerührt, wenn ich daran denke, daß auch ich jetzt, neben der Marineuniform, den traditionellen britischen tragen darf. Wie viele mutige & brillante Soldaten haben ihn getragen & vor allen mein geliebter Großvater! Die Glück­ wünsche, die ich von überall her erhalte, zeigen mir, wie sehr dieses Zei­ chen Deiner Güte hier geschätzt wird & wie froh alle sind, daß die Freundschaftsbande zwischen unseren Ländern & Armeen eine zusätz­ liche Verstärkung erhalten haben. Ich werde die Uniform eines so ausge­ zeichneten & tapferen Regiments sehr gerne tragen & warte voll freudi­ ger Ungeduld auf den Moment, da ich meine Offiziersbrüder treffen werde.»94 Als eine Deputation des Regiments im Juni r 894 in Berlin eintraf, um sich dem Kaiser vorzustellen, telegraphierte dieser begeistert an seine Großmutter, er habe die Abordnung mustergültig gefunden. «Wir sind sehr froh, die Offiziere der Royals als unsere unter uns zu sehen.>>95 In einer Ansprache, die in den englischen Zeitungen mit Zufriedenheit wiedergegeben wurde, erklärte Wilhelm, wie stolz er sei, Colonel-in-Chief des Regiments zu sein. «Ich gehöre dadurch dem eng­ lischen Offizierskorps an, und auf diese Weise ist ein Band frisch ge­ knüpft worden, welches seit einer langen Reihe von Jahren das englische mit dem preußischen Heere verbunden hat.»96 Bei einer musikalischen Soiree im Neuen Palais am r o. Juni, an der die Engländer teilnahmen und der Kaiser die neue rote Dragoneruniform trug, wurde das von Wil­ helm II. komponierte Lied «Sang an Ägir>> uraufgeführt.97 Auch Swaine

Dynastische Diplomatie

Abb. 23 : Wilhelm II. in seiner ersehnten englischen Uniform in Aldershot 1894 .

war begeistert von dem herzlichen Empfang, der den englischen Offizie­ ren in Berlin zuteil wurde.98 Die Kieler Woche im Juni 1 894 gab dann Gelegenheit zu weiteren Demonstrationen der deutsch-englischen Freundschaft, die nicht einmal durch einen in Berlin als unverschämt aufgefaßten Vorstoß Roseberys in der Kongofrage getrübt werden konnte, wenn auch der Kaiser vorübergehend > Nikolaus habe diese Ausführungen mit Interesse angenommen, meldete Wilhelm nach Wien, und habe «eine prononeirre Abneigung ge­ gen Frankreich>> gezeigt. Auf seinen Wunsch hin habe er ihm «obige über Politik schriftlich als aide memoire gegeben, da er den Inhalt seinem Vater haarklein vortragen wolle>>, schrieb der Kaiser. «Wenn es mir gelungen wäre durch Obiges einiges vom Mißtrauen des Zaren gegen den Dreibund zu benehmen und die Nützlichkeit desselben für das Monarchische Prinzip nachzuweisen, wäre ich sehr erfreut. Ich kann noch hinzufügen [schrieb er], daß sowohl der König von Sachsen wie auch der Großherzog von Baden lange Gespräche ähnlichen Inhalts mit dem Thronfolger gehabt haben, die gewiß bei ihm des Eindrucks nicht entbehrt haben werden. Es wird jetzt viel darauf ankommen, wie er versteht, das gesammelte Material in geeigneter Weise seinem Vater gegenüber zu verwenden. Möge es ihm zum Heile aller gut gelingen.>>123 Diese und ähnliche Bekenntnisse zeigen uns, wie wir oben bereits dar­ gelegt haben, welche Vorherrschaftsziele Kaiser Wilhelm trotz aller scheinbaren Schwenkungen in der Außenpolitik befolgte.124 Der Berlinbesuch des russischen Thronfolgers sollte in der Tat schwerwiegende Folgen haben, denn während der Hochzeitsfeierlichkei­ ten verliebte sich Nikolaus in Wilhelms hessische Cousine Alix, deren Schwester Ella einst seine (Wilhelms) große Jugendliebe gewesen und deren andere Schwester lrene mit seinem Bruder Heinrich verheiratet war. Im April des folgenden Jahres, als der junge Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein, der Bruder der Darmstädter Prin­ zessinnen, die Prinzessin Viktoria Melitta von Sachsen-Coburg und Gotha heiratete, gelang es ausgerechnet Kaiser Wilhelm, die religiösen Bedenken seiner hessischen Cousine zu überwinden, die diese bisher ge­ gen eine Ehe mit dem russischen Thronfolger geltend gemacht hatte: In Coburg gab sie Nikolaus ihr Jawort. Wie die älteste Kaiserschwester Charlotte in einem Brief festhielt, waren ihre beiden Brüder Wilhelm und Heinrich über diese Entwicklung «ganz aufgekratzt: der Kaiser ganz besonders, nachdem er die russische Verlobung meiner Cousine Alix herbeigeführt hat: sie sehen beide nett & glücklich aus, möge ihre Zukunft so bleiben: es ist sicherlich äußerlich eine großartige Partie & Verbindung, doch bei näherer Betrachtung keine beneidenswerte Posi­ tion.>>125 Auch Queen Victoria empfand gemischte Gefühle bei dem Ge­ danken, daß ihre Lieblingsenkelin bald so weit entfernt von ihr leben



Die polnische Frage und der russische Handelsvertrag

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würde. «Es schmerzt mich, auch sie so weit weg getragen zu sehen», schrieb sie dem Kaiser.126 Dieser aber setzte die größten politischen Hoffnungen in sein neues Verhältnis zu Nikolaus, der «Deutsch geson­ nen ! » sei und bei dem er, der Kaiser, ein «Prä>> habe, weil «ich die Hei­ rath für ihn gemacht habe! »127 Auch in seinen öffentlichen Reden schlug Wilhelm II. in bezug auf Rußland Töne an, die man aus seinem Munde seit Bismarcks Sturz kaum mehr vernommen hatte. Im Februar I 894 erklärte er in einer Ansprache an das Offizierskorps des Ersten Garderegiments, «er sehe sich als Hort des europäischen Friedens an und habe sich von Jugend auf in diese Aufgabe hinein zu denken gelernt». Verwundert erinnerte sich Walder­ see an die «wesentlich andere Tonart» früherer Äußerungen, in denen Wilhelm verkündet habe, er wolle «die Franzosen u. Russen zerschmet­ tern u. Einzüge in Berlin halten pp. [ . . . ] Was muß der Kaiser für Ge­ fühle haben, wenn er sich einmal eine Stunde ruhigen Nachdenkens gön­ nen und erinnern wollte, was er schon Alles gewollt u. gesprochen hat! Wir müssen da noch auf viele Sprünge u. Front-Veränderungen gefaßt sein.>>128 Kern der Wiederannäherungspolitik an Rußland, die die deutsche Führung in Unkenntnis der Tatsache betrieb, daß sich Rußland und Frankreich nach langen Verhandlungen im Dezember I 893 verpflichtet hatten, im Falle eines deutschen Angriffs sich gegenseitig militärisch zu unterstützen, bildete der für den östlichen Nachbarn vorteilhafte Han­ delsvertrag, der schließlich nach bitteren politischen Auseinanderset­ zungen im März I 894 vom Reichstag angenommen wurde.129 Auch Wil­ helm II. versprach sich von dem russischen Handelsvertrag, den er für «eine der größten je für Preußen und Deutschland erzielten Errungen­ schaften» hielt, eine Verbesserung der deutsch-russischen Beziehungen sowie eine Abkehr Rußlands von der französischen Republik. In einem Rückgriff auf seinen im Juli I 892 und wieder im Januar I 893 geäußerten «Grundgedanken>> von der «Napoleonischen» Vorherrschaft Deutsch­ lands in Europa verkündete er in einem im Berliner Schloß abgehalte­ nen Kronrat am I 8 . Februar I 894: «Unsere Suprematie sei nicht nur durch unser Heer, sondern auch durch die Handelspolitik Europa vor Augen zu führen und als Ziel der weiteren Entwickelung eine Zolleini­ gung der europäischen Staaten zu betrachten, um den wirthschaftlichen Kampf mit Nord-Amerika aufnehmen zu können.» Letzteres suche «uns aus unserem Hauptabsatzgebiet, Süd-Amerika, zu verdrängen, in­ dem es sich durch Bündniß mit der Demokratie daselbst festsetze. Der Aufstand in Chile sei vom Nord-Amerikanischen Gesandten geleitet gewesen, jetzt werde in Brasilien dasselbe Spiel gespielt.» Während die USA somit auf die demokratische Karte setze, sei für das Zustande­ kommen des für Deutschland und Europa so wichtigen Handelsvertrags mit Rußland «das Verhältniß der beiderseitigen Dynastien maßgebend

Dynastische Diplomatie

gewesen», erklärte der Kaiser. Seiner Überzeugung nach sei der Mo­ ment, in dem Rußland sein Entgegenkommen Deutschland handelspoli­ tisch zeigte, «der gewesen, als Seine Majestät der Kaiser von Rußland, aus Dänemark zurückkehrend, die traurige Lage der russischen Land­ wirthschaft erkannt und den Befehl gegeben hätten, mit dem Abschluß des Vertrags ernstlich vorzugehen.» Wilhelm begrüßte den Vertragsab­ schluß «von ganzem Herzen>> und hob hervor, «ein gutes politisches Verhältniß könne zwischen Staaten, deren wirthschaftliche Beziehungen schlechte seien, auf die Dauer nicht bestehen». Den Staatsministern ge­ genüber äußerte er daher die Hoffnung, daß der Handelsvertrag eine «Verbesserung der Beziehungen zwischen Rußland und Deutschland und [eine] Lockerung derjenigen zwischen Rußland und Frankreich>> nach sich ziehen würde.130 Diese hochgespannten weltpolitischen Erwar­ tungen erklären die oben bereits erwähnte Entschlossenheit des Kaisers, den Handelsvertrag auch gegen die virulente Opposition der ostelbi­ schen Agrarier durchzudrücken. Er habe keine Lust, so sagte er doch im Februar r 894, .131 Für einen antirussischen Heißsporn wie Waldersee war die Wende Wilhelms zu Rußland hin unbegreiflich. Mit Verachtung vernahm der General die Behauptung des Kaisers, eine Ablehnung des Handelsvertra­ ges würde zum Krieg mit Rußland führen, bei dem er das rechte Weichselufer preisgeben müsse. , schrieb er kopfschüt­ telnd in sein Tagebuch. Nach der Aussage des Kaisers, die in alle Richtungen telegraphiert worden sei, sei j edem klar, >, schrieb er.139 Als Waldersee wenig später auf der Insel Mainau mit dem Großherzog von Baden zusammentraf, war auch dieser überrascht, von der Absicht des Kaisers zu erfahren, «von Lothringen aus frühzeitig zur Offensive überzugehen>>. Großherzog Friedrich habe geglaubt, «es sei bei meinen Vorschlägen, die ja auch Schlieffens Billigung hätten, geblieben>>, notierte der General. «Ich konnte ihm nur sagen, daß Schlieffens Ansichten allerdings dieselben ge­ blieben seien, daß er aber sich in den Willen des Kaisers füge. Die große Gefahr, die wir dabei laufen, war dem Großherzog völlig klar.>>140 Waldersee, Verdy und der Großherzog von Baden waren längst nicht die einzigen, denen angesichts des sprunghaften, unüberlegten, affektbe­ tonten aber dennoch stets herrischen, keinen Widerspruch duldenden Eingreifens Wilhelms II. in alle Angelegenheiten der Innen-, Außen­ und Militärpolitik unheimlich zumute geworden war. Schon bald nach der Thronbesteigung und erst recht nach Bismarcks Entlassung sahen nicht wenige sogar bei dieser Regierungsweise den Untergang der preu­ ßisch-deutschen Monarchie und des Deutschen Reiches voraus.

Kapitel 1 9

Das böse Erwachen

Vergleicht man die überwiegend günstige und teils sogar begeisterte Stimmung, die r 8 8 8 bei der Thronbesteigung des jungen Kaisers fast überall vorherrschte, mit dem wachsenden Gefühl der bösen Ahnung, das nur wenige Jahre später in politischen Führungskreisen sowie in allen Schichten und Regionen des Reiches und nicht zuletzt auch im Ausland zu vernehmen war, so wird man in etwa ermessen können, wel­ chen Schaden Wilhelm II. in kürzester Zeit dem Ansehen der Hohen­ zollernmonarchie zugefügt hatte. Die ungeduldigen Antrittsbesuche unmittelbar nach dem Tod des Vaters, der Sturz der Bismarcks, dem die Entlassung mehrerer Staatsminister der alten Schule gefolgt war, sowie die Entfernung des Hofmarschalls von Liebenau und der älteren Gene­ räle Versen, Waldersee, Wedel und Wirtich aus der kaiserlichen Umge­ bung erhellten für jeden die gefährliche Exponiertheit des unerfahrenen und unberechenbaren jungen Monarchen. Selbst diejenigen, die den aggressiven und nicht selten obszönen Umgangston in der kaiserlichen Umgebung nicht kannten, selbst diejenigen, die die (schnellstens sekre­ tierten) autokratischen und beleidigenden Randbemerkungen des Kai­ sers auf den diplomatischen Berichten nicht gelesen hatten, konnten dar­ über nicht im Zweifel sein, daß hinter diesen Personalveränderungen in der Reichs- und Staatsführung sowie am Hofe und in der Armee die Ab­ sicht lag, eine Art persönliche Alleinherrschaft auszuüben, denn in zahl­ losen Sprüchen, Reden und Erlassen, die alle Welt aufschrecken ließen, verkündete Wilhelm selbst seine gänzlich unzeitgemäßen Vorstellungen von Gottesgnadentum, Selbstregierung und dynastischem Ahnenkult. Ob es das Motto «sie volo sie jubeo» auf dem Bild für den Kultusmini­ ster von Goßler oder der Spruch «regis voluntas suprema Iex» im Gol­ denen Buch der Stadt München war; ob es die Rede vom 20. Februar 1 89 1 vor dem Brandenburgischen Provinziallandtag war, in der er gegen den «Geist des Ungehorsams» wetterte und das Volk dazu aufrief, ihm auf dem ihm «vom Himmel gesetzten>> Weg blindlings zu folgen; glei­ chermaßen die Düsseldorfer Rede vom Mai 1 89 1 , in der er verkündete, einer nur sei Herr im Reich, und das sei er; der von keinem Minister gegengezeichnete Kaiserliche Erlaß vom Oktober r 89 r über das Zuhäl­ terwesen; die Brandenburger Rede vom Februar r 892, in der er die «mißvergnügten Nörgler>> aufforderte, den «deutschen Staub von ihren Pantoffeln>> zu schütteln, und das Volk dazu einlud, ihm auf den von Gott - der sich «unendliche Mühe mit [ . . . ] Unserem Hause gegeben» habe - vorgezeichneten Weg in eine große und herrliche Zukunft zu fol-

1.

Das Klagelied der Kaiserin Friedrich

A bb. 2 4 : Die Kaiserin-Mutter um 1 9 00.

gen; oder aber die Ansprache vom Januar 1 8 9 3 an die Kommandie­ renden Generäle, in der er damit drohte, den «halbverrückten Reichs­ tag>> fortzujagen, wenn er weiterhin opponieren sollte - an öffentlichen Hinweisen auf Wilhelms II. schwindelerregende quasi-absolutistische Auffassung von seiner Rolle als König und Kaiser hat es wahrlich nicht gefehlt. Einhundert Jahre nach der Französischen Revolution setzte er dazu an, in einem sich rasch zur ersten Industriemacht der Welt ent­ wickelnden Kaiserreich und gegen die demokratische Strömung der Zeit ein «Persönliches Regiment>> zu führen, wie es etwa Karl I. von England, Ludwig XIV. oder Napoleon I. von Frankreich, ein russicher Zar oder die Preußenkönige in der vorparlamentarischen Ära versucht hatten. I . Das Klagelied der Kaiserin Friedrich Den Leser des ersten Bandes dieser Biographie wird es nicht überra­ schen, daß die Mutter des Kaisers in Wilhelms Äußerungen und Hand­ lungen nur eine Bestätigung ihrer schon lange gehegten Befürchtungen erblickte. Bereits am I 5 . März I 890, das Unheil vorausahnend, das sich an jenem Vormittag in der Dienstwohnung Herbert Bismarcks ereignete,

Das böse Erwachen

beklagte die Kaiserinwitwe händeringend das Fehlen von festveranker­ ten verfassungsmäßigen Zuständen im Deutschen Reich, wodurch die ganze Entscheidungsbefugnis in dieser gewaltigen Großmacht nunmehr in den Händen ihres impulsiven Sohnes ruhte. «Wie lobt man sich eine Verfassung wie die britische, wenn man einen jungen Mann, völlig ohne Wissen & Erfahrung - den Despoten spielen sieht, und nichts ihn davon abhalten könnte, in Gefahr zu laufen>>, schrieb sie angsterfüllt an Queen Victoria. «Es gibt nicht einen älteren Mann oder älteren Verwandten, der ihm rechtzeitig einige Ratschläge geben, ihn warnen & ihm sanfte Hin­ weise geben könnte - sowohl in politischen & wichtigen Dingen als auch in Familien- & Hofangelegenheiten ! » 1 Eine Woche später, als Bis­ marck gegangen war, reflektierte sie: «Das Bismarcksche System war durch und durch korrupt und schlecht - dies ist jedoch nicht der Grund, warum W den Wechsel wollte, & er hat es auch gar nicht durchschaut. Das Genie & Ansehen Fürst B's hätte immer noch nützlich & wertvoll für Deutschland & für den Frieden sein können - besonders mit einem so unerfahrenen & unklugen Herrscher -, & ich befürchte, daß er in dieser Hinsicht fehlen wird, da ich auch befürchte, daß die Kombina­ tion, die ihn ersetzen soll, nicht stark genug sein wird ! - W. meint, daß er alles selbst machen kann - Du weißt, daß er das nicht kann. Ein wenig Bescheidenheit und Selbsterkenntnis würden ihm zeigen, daß er nicht das Genie oder der ist, wie er sich einbildet -, & ich fürchte, er wird in Schwierigkeiten kommen», zumal Wilhelms «Vor­ liebe dafür, den Despoten zu spielen & anzugeben, sehr groß ist.»2 Am 2 5 . März teilte die verwitwete Kaiserin nach dem Abschiedsbesuch des Fürsten und der Fürstin Bismarck ihrer Mutter mit: «Leider ist W. der ausgeprägteste Despot & hat dazu ein paar sehr seltsame Ideen in seinem Kopf.»3 Ohne Bismarck werde sich Wilhelm fortab wie ein Zar beneh­ men, sagte die besorgte Kaiserin-Mutter voraus, der Deutschland durch aufsehenerregende Ukase regieren würde. «Alles muß in Eile gemacht werden & muß Staunen hervorrufen! - & von einer Quelle kommen oder so wirken, als ob es von einer Quelle kommt! »4 Wilhelm sei «so unberechenbar, daß man immer auf irgendeinen ganz unerwarteten Coup gefaßt sein muß ! >>5 Wie viele andere empfand sie Wilhelms Hang zu pompösen Zeremonien als lächerlich und furchterregend zugleich. Ende 1 890 schilderte sie die große Gedächtnisparade mit Militärmusik und Kanonendonner, die ihr Sohn zu Ehren des Großen Kurfürsten ver­ anstaltet hatte, und bemerkte dazu, sie schiene ihr sehr an den Haaren herbeigezogen, aber « W. macht die seltsamsten Dinge, der Hang zum Angeben, zu Krach und , dramatischen Effekten etc. tritt sehr deutlich hervor und erscheint mir in diesen ernsten Zeiten als sehr jugendlich.»6 Das passende Ministerium für Wilhelm müßte sich aus Fantasten und Exzentrikern wie Jules Verne, Richard Wagner, Lord Randolph Churchill, Lord Charles Beresford und einigen kühnen Afri-

1.

Das Klagelied der Kaiserin Friedrich

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kaforschern zusammensetzen, spottete sie. Auf eine waghalsige Politik müsse man jedenfalls gefaßt sein, und sie blicke mit Sorge in die Zu­ kunft.7 Als im Frühjahr I 8 9 I ein Jahr seit Bismarcks Entlassung verstrichen war und der Kaiser noch lauter als zuvor seine absolutistischen Herr­ schaftsvorstellungen zu verkünden begann, sagte seine Mutter die schlimmsten Katastrophen für die Monarchie, für Deutschland und für ganz Europa voraus. Im April I 89 I schrieb sie an Freifrau von Stock­ mar: «Mein Sohn [ . . . ] geniest in vollen Zügen seine - die Aus­ übung des , die Befriedigung einer jeden seiner Capricen. - Alles beugt sich, alles schmeichelt u. huldigt ihm u. er hat nahezu den Größen Wahn. Ein tieferes, ernsteres Streben, spontanere u. edlere Regungen, - Bescheiden, Wohlwollen u. Pietät - sehe ich nir­ gends.>>8 «Wie schrecklich war die Rede in Düsseldorf! ! >> rief des Kaisers Mutter im Mai I 89 I aus.9 Und am dritten Jahrestag seiner Thronbestei­ gung urteilte sie in einem Brief an Queen Victoria: «Es ist wirklich für uns alle ein Unglück, daß W zu der Position, die er innehält, so unvor­ bereitet - (schlimmer als unvorbereitet) - von Vorurteilen, falschen Vor­ stellungen & Fehlern eingenommen - gekommen ist; daß ihm so unreif im Charakter & Urteilsvermögen seine Macht, die er so oft mißbraucht, in die Hände gegeben worden ist! Mein größter Schmerz ist, daß er sich zu etwas so viel Besserem hätte entwickeln können, wenn sein lieber Vater für 20 oder sogar I 5 Jahre regiert hätte.>>10 «Die Parthei, die um F[riedrich] W[ilhelm] den IV so viel Schaden that - schon zu F[riedrich] W[ilhelm] 111 Zeiten - lebt noch, wenn sie sich auch ein wenig verändert hat>>; und dieses reaktionäre Herrschaftssystem werde zwangsläufig «verderbliche Früchte tragen>>, lautete das Leitmotiv ihrer Klagelieder.11 Noch Ende I 891 seufzte sie: «Oh wie anders alles doch wäre, wenn jene widerwärtige Partei, die I 848 herbeigeführt & F. W IV wahnsin­ nig gemacht hat - meinen Schwiegervater terrorisiert & die Leibgarde des Bismarckismus gebildet, Fritzens Herz gebrochen und unser ganzes Lebenswerk zerstört, unseren Sohn in Besitz genommen, mich & all unsere Freunde gejagt hat - nicht existierte ! >>12 Im November 1 89 1 , nachdem Wilhelm nach russischem Muster seinen nicht gegengezeichneten Erlaß über das Zuhälterwesen im offiziösen Reichsanzeiger promulgiert hatte, schrieb die Kaiserinwitwe weitsehend an Queen Victoria: «Es ist so verfassungswidrig, und wenn er denkt, daß Deutschland durch regiert werden könne, so befürchte ich, daß er bald seinen Fehler einsehen wird! - Es ist unklug, das Recht zu deh­ nen und die Grenzen der monarchischen Macht & Authorität zu über­ schreiten, in unserem Zeitalter - in Europa - geht das nicht. - Was es in Rußland anrichtet, wo sich die persönliche Regierung täglich von ihrer schlechtesten Seite zeigt, kann jeder sehen! - Es muß dort eines Tages zu einem Zusammenbruch kommen.>> 13 Am gleichen Tag klagte sie in einem

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Das böse Erwachen

A bb. 2 5 : Eintragung Wilhelms I!. in das Goldene Buch der Stadt München 189 1.

Brief an Baronin Stockmar: «Über diesen bin ich außer mir! Wir sind doch ein constitutionelles Land - wenn auch leider sehr wenig aber dies ist leider obenan gar nicht zum Bewußtsein gekommen, u. man

scheint zu glauben es könne u. müsse mit regiert werden - es ist immer derselbe beklagenswerthe Zug, der aus Allem hervorguckt! - u. es ist - the last attempt at personal government in Europe ! Ich bin nur bange, daß dieses einmal kläglich miß­ lingt - da die Zeit zu dergleichen vorbei ist, u. es würde mir leid thun, wenn das was an Autorität u. Macht, welches unter Umständen nützlich sein könnte, - zum Aufhören gebracht würde - weil man sich die Über­ schreitungen nicht gefallen lassen will.»14 Die schlimmsten Befürchtun­ gen der Mutter bewahrheiteten sich nur Tage später, als bekannt wurde, daß Wilhelm den absolutistischen Spruch «suprema lex regis voluntas» in das Goldene Buch der Stadt München eingetragen hatte. Wieder ein­ mal schrieb sie der Queen: «23 Als auch Queen Victoria ihr Entsetzen über die Auszeichnung des Soldaten durch Wilhelm aussprach, führte Vicky aus, der Vorfall habe sie an gewisse frü­ here Handlungen ihres Sohnes erinnert - die Verleihung des Schwarzen Adler-Ordens an Puttkamer, den sein sterbender Vater entlassen hatte, das Telegramm an Treitschke, der seine (Wilhelms) Eltern so gemein angegriffen hatte, das öffentliche Lob für das Hetzbuch von Gustav Freytag - die alle in die gleiche gefährliche Richtung zielten. «Wird es je ein Erwachen aus diesen verfehlten Ideen geben?» fragte sie. «All die Schmeicheleien usw. ließen sie feste Wurzeln in Ws Kopf schlagen! »24 Mit der Schulgesetzkrise und der anschließenden politischen Erregung schienen sich die schlimmsten Befürchtungen zu bewahrheiten, die die verwitwete Kaiserin als ohnmächtige Kritikerin des Bismarckschen Systems seit Jahrzehnten vorausgesehen hatte. In einem herzzerreißen­ den Kassandraruf an Bogumilla von Stockmar schrieb sie Ende April 1 892, das ganze Unheil der künftigen deutschen Geschichte, wie uns scheint, vorwegnehmend: «Welch ein ganz abscheuliches u. nichtswürdi­ ges Stück Antisemitismus haben nun wieder diese elende Norddeutsche Zeitung u. die conservative Parthei geleistet. Man schämt sich wirklich!

Das böse Erwachen

- Überhaupt machen sich jetzt Dinge in Preußen breit, welche ein ver­ nünftiges Culturvolk kaum ertragen kann in moderner Zeit! - Das persönliche Regiment wird geführt u. die conservative Parthei zeigt sich derart grotesque u. unmöglich, daß sie Niemand mehr au serieux nehmen kann! - Hierin liegt aber auch der Trost - u. wurzelt meine Hoffnung. Vielleicht bewirkt die jetzige Reg:, daß man endlich sieht u. lernt, was man thun muß, um gegen alle möglichen Extravagan­ zen geschützt zu sein - u. wie unsere Constitution sich entwickeln u. ausgebaut werden muß - als Schutz der Freiheit - u. auch Schutz der Monarchie ! - Vielleicht folgt dem System Bismark [sie] eine Wiederge­ burt der Deutschen Reichsverfassung auf solider Grundlage - auf festen Prinzipien constitutioneller Freiheit. Er [Bismarck] hinderte das u. hielt es zurück! - Das was er schuf, um diese naturgemäße gesunde Entwick­ lung zu hindern, welche mein geliebter Mann hegen u. pflegen wollte, tritt jetzt zu Tage - die Person sein[ es] Souveräns mußte v. Ansichten er­ füllt sein, wie wir sie leider sehen u. kennen, [ . . . ] die anderen Mittel u. Manöver, deren sich Bism: sonst bediente, um diesen von ihm gewollten Zustand aufrechtzuerhalten - Verleumdung, Bestechung, Preß-Unfug usw. . . gehörten dazu ! [ . . . ] Der Souverän ist aufs Glatteis geführt - hat viel verloren u. riskirt noch mehr. - Caprivi hat manches gute Reform Stück doch ausführen müssen, - u. allmählig wird die Reg:, wenn sie nicht in noch größere Gefahren kommen will, doch mitbauen müssen, an einem starken, fast gesunden Bau mit breiter Grundlage, wenn nicht Deutschland immer tiefer hinabgleiten soll auf der schiefen Ebene, u. zu einer Republik oder gar einen Socialistenstaat. Letzteres könnte ja nie dauern, es käme ein Chaos - u. dann Reaction - Dictatur u. Gott weiß was für Schäden mehr ! >> Ins Englische überwechselnd gestand sie im Hinblick auf Wilhelm: «Für mich ist das Bitterschwerste und Enttäu­ schendste, alle Hoffnungen und Ziele unseres Lebens zerschlagen & nichtig gemacht zu sehen, und das durch genau denjenigen, von dem man hätte hoffen können, daß er sie weitergeführt hätte, wenn es ihm erlaubt gewesen wäre, unter den Einfluß seiner Eltern & ihrer Freunde zu kommen - anstatt durch andere seinen Verstand verbiegen & seine Meinungen vergiften zu lassen.>> Sie bat ihre Korrespondentin, ihren Brief zu verbrennen, «denn selbst jetzt darf man ja auf dem Papier seinen nächsten Freunden gegenüber nicht sagen, wie man denkt, sei es noch so gut und treu gemeint>>.25 Nachdem der Reichstag im Mai 1 893 die Militärvorlage abgelehnt und Wilhelm in einer Rede auf dem Tempelhafer Feld seinem Herzen Luft gemacht hatte, schrieb seine Mutter entrüstet über diesen erneuten Be­ weis seiner verfassungsfeindlichen Einstellung: «Trauernd u. entsetzt vernahm ich die schreckliche Rede ! - Immer kann ich es nicht verstehen, daß ein Kind v. mir - ein Enkel meines Vaters - von der Bedeutung, dem Sinn u. dem Werth einer Constitution so gar nichts versteht, - u. daß alle

2.

Kritik in der Königsfamilie und der Hofgesellschaft

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Anschauungen so himmelweit verschieden v. den Meinigen sind! >> «So viel Egoismus, so viel Selbstgefühl schmerzt mich tief, - wenn ich auch oft entwaffnet bin durch die wahrhaft kindliche Naivität u. Unwissen­ heit! Meine Schuld ist es nicht, u. hierfür bin ich nicht verantwortlich, es ist die BismarkSaat [sie] die aufgeht - u. Alles überwuchert! - Die ganze Jugend ist verBismarkt [sic] ! »26 Ihrer Tochter Moretta gegenüber klagte sie am 1 8 . Mai: «> Gesinnung dieser freisinnigen «Engländerin>> abzuwerten, denn es ist eine nachweisbare Tatsache, daß wortwörtlich gleiche Be­ fürchtungen und Beanstandungen von den übrigen Mitgliedern der kai­ serlichen Familie sowie von vielen Fürsten an deutschen und fremden Höfen geteilt wurden - oft mit fatalen Auswirkungen für das Ansehen der Hohenzollernmonarchie. So hat Wilhelms Schwester Sophie, die Kronprinzessin von Griechenland, laut Waldersee «in Petersburg über ihren Bruder Wilhelm in wegwerfendster u. feindseligster Weise gespro­ chen, u. A. gesagt, die ganze Familie hielte ihn für verrückt».28 Während eines Berlinbesuchs im Frühjahr 1 892 war der Diplomat Bernhard von Bülow schockiert von der hyperkritischen Stimmung, die er dort unter den fremden Diplomaten, aber auch unter Mitgliedern der kaiserlichen Familie - er nannte ausdrücklich die Kronprinzessin von Griechenland und die Großfürstin Ella von Rußland - antraf. Seinem Freund Philipp Eulenburg teilte er besorgt mit, die Kaiserin Friedrich sei «in weiten Kreisen weniger unbeliebt als früher. Prinz Heinrich soll in Darmstadt und England auch in das allgemeine Schimpfkonzert gegen unseren allergnädigsten Herrn eingestimmt haben. Et tu quique! Seine eigene Verwandtschaft - namentlich alles, was russisch, dänisch, englisch, grie­ chisch ist, die ganze Rumpenheimer Clique steht unserem allergnädig­ sten Herrn recht feindlich gegenüber.>>29 Selbst Bernhard von Sachsen­ Meiningen, der mit der ältesten Schwester des Kaisers, Charlotte, verhei­ ratet war und die reaktionären und militaristischen Ansichten Wilhelms eigentlich teilte, äußerte sich zunehmend offen und kritisch über seinen Schwager.30 Nach der zweiten Kaiserrede vor dem Brandenburgischen Provinziallandtag verurteilte sogar der Bruder der regierenden Kaiserin,

Das böse Erwachen

Herzog Ernst Günther von Schleswig-Holstein, die «nicht immer sehr glücklichen» Reden des Kaisers; er tröstete sich allerdings mit der etwas kuriosen Überlegung, daß die deutsche öffentliche Meinung solche Ent­ gleisungen eher vertragen könne als etwa die englische, da in England «die Königin polirisch niemals hervortritt>>.31 Der sowohl mit der regie­ renden Kaiserin als auch mit dem englischen Königshaus verwandte Erbprinz zu Hohenlohe-Langenburg schrieb seinem Vater um diese Zeit, es werde «bei uns [in Deutschland] immer bunter>>; Wilhelms Rede in Brandenburg gleiche «einer Unfehlbarkeitsverkündigung u. hat über­ all je nach Parteistellung Schadenfreude, Hohn oder Zorn hervorgeru­ fen>>.32 Prinz Heinrich VII. Reuß, der langjährige Botschafter in Wien, der mit einer Prinzessin von Sachsen-Weimar-Eisenach verheiratet war, erkannte selbst nach seiner Entlassung die guten Eigenschaften Wil­ helms II. an, er beklagte aber zutiefst die Tatsache, daß diese «SO häufig immer wieder durch Inconsequenzen, durch Übereilungen, namentlich aber durch Überhebung neutralisirt werden! » Er habe gehört, teilte er Carl Wedel mit, «Philli [Eulenburg] u. Consorten hätten es verstanden, ihrem Gönner die Niet[z]sehe-Theorie vom Übermenschen beizubrin­ gen, u. habe dies bedenklich weitergewuchert. Darin könnte man eine Erklärung für Vieles finden. Ich suche mit Eifer jedes Symptom der Besserung zu constatiren, u. wenn ich eins gefunden habe, z. B. das we­ niger reden, so kommt gleich darauf etwas, was die Hoffnungen um­ schmeißt.»33 Ungewöhnlich weitblickend war das Urteil des Herzogs Georg II. von Sachsen-Meiningen, der nach der kriegerischen Rede des Kaisers in Erfurt einem Vertrauten gestand: «Recht fraglich ist, ob wir die Ruhe behalten, welche seit dem Kriege gegen Frankreich herrschte und ob wir nicht kolossalen Stürmen entgegengehn, die vielleicht auch noch in meine Regierungszeit fallen. Es will mir scheinen, als würde man an höchster Stelle bei uns immer chauvinistischer - vielleicht weil man einsieht, daß der bewaffnete Friede uns auch nach und nach rui­ niert, vielleicht aber auch, weil der häufige Anblick großer deutscher Heeresmassen das Vertrauen in die eigene Kraft stärkt. Was werden wir aber besten Fall's erreichen, wenn wir losplatzen?: Die Erhaltung des Status quo. Den besitzen wir schon heute ! Geht die Geschichte aber schief, was dann ?»34 Der Herzog starb wenige Wochen vor dem Kriegs­ ausbruch 1 9 14. Besonders bezeichnend ist die Tatsache, daß die beiden deutschen Bundesfürsten, die den Kaiser in seinem schweren Kampf gegen die Bis­ marcks beigestanden hatten, nämlich Großherzog Friedrich I. von Ba­ den und König Albert I. von Sachsen, schon sehr bald nach der Ent­ lassung des Reichsgründers ebenfalls scharfe Kritik an Wilhelm übten. So äußerten sich schon im Sommer 1 890 der Großherzog und die Groß­ herzogin von Baden «entschieden [ . . . ] besorgt» über den Kaiser und beklagten den Umstand, daß er zahlreiche «Übereilungen» begehe und

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Kritik in der Königsfamilie und der Hofgesellschaft

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in der Öffentlichkeit an Boden verliere. Waren sie damals noch der An­ sicht, «daß bei den vielen guten Eigenschaften [Wilhelms] doch immer noch das Beste zu hoffen>> sei/5 so verflogen solche Hoffnungen allzu­ bald. Als der Großherzog im Oktober I 89o mit Waldersee zusammen­ traf, kam das Gespräch «sofort auf den Kaiser und sagte mir der Groß­ herzog, nachdem ich ihm meine Eindrücke mitgetheilt, er müsse zu seinem Bedauern sagen, daß er ganz dieselben habe>>. Er, Friedrich 1., habe unlängst in Baden dasselbe Thema mit Caprivi erörtert und dabei die Befürchtung ausgesprochen, «daß die Streber jetzt leicht zu Einfluß kommen könnten>>, worauf der Reichskanzler geantwortet habe, es sei leider jetzt schon soweit.36 Nach einem Abend mit dem großherzog­ liehen Paar auf der Insel Mainau im Sommer I 894 vermerkte Waldersee, daß, da beide Herrschaften stets «ein hervorragendes Beispiel in Pflicht­ treue u. in fürstlicher Würde>> abgegeben hätten, es «wahrlich kein Wun­ der>> sei, «wenn sie über den Kaiser tief betrübt sind u. die jetzige Zeit für eine recht schwere ansehen>>.37 Großherzogin Luise, die Tante Wil­ helms II., erklärte, was sie beim Kaiser am meisten empfinde sei «der Mangel an kaiserlicher Würde, der sich ja leicht erkennen läßt, wenn man nur das tägliche Leben des Kaisers u. seinen Verkehr mit den Um­ gehungen, einmal hat sehen können>>. Die Großherzogin erkenne zwar nach wie vor «die seltenen Fähigkeiten des Kaisers, seine schnelle Auf­ fassung u. sein Verständniß für mannigfaltige Dinge voll an, ist aber er­ schreckt durch seine Flüchtigkeit u. Hastigkeit. Die vielen unüberlegten Entscheidungen sind ja eine nothwendige Folge davon>>, resümierte der General. Der Großherzog beklagte seinerseits vor allem die Vergnü­ gungssucht und die mangelnde Ernsthaftigkeit des Kaisers, der (wie er Waldersee erzählte) drei Tage zu Besuch bei ihm gewesen, jedoch jeden Morgen auf Jagd gegangen sei und insgesamt nur eine halbe Stunde mit ihm, seinem Onkel, allein gesprochen habe. Bezeichnend fand der Groß­ herzog die Weise, in der Wilhelm die wichtige Frage der Rückkehr des Redemptoristenordens nach Deutschland entschieden habe: Sein Ent­ schluß sei nämlich «in Kiel in Mitten der unausgesetzten Vergnügungen der Regatta Woche in einem Vortrag von I 5 Minuten getroffen>> wor­ den.38 Der König von Sachsen äußerte sich kaum weniger kritisch über den neuen RegierungsstiL Ein halbes Jahr nach Bismarcks Sturz sprach sich Albert «ein wenig verletzt>> bei Caprivi darüber aus, «daß man fast nie mehr - wie einst unter dem alten Kaiser und früher auch unter dem jet­ zigen - seinen Rat erbitte>>.39 Während der Jagd in Königswusterhausen im Dezember 1 890 hatte Waldersee mehrere Gespräche mit dem König, der die wachsenden Sorgen des Generalstabschefs über den Kaiser voll­ auf teilte.40 Im darauffolgenden Herbst ließ König Albert bei einer Be­ gegnung mit Waldersee in Wilhelmshöhe durchblicken, er schätze den Kaiser zwar sehr, kenne aber «viele seiner Schwächen u. hoffe auf all-

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mählige Beruhigung>>.41 Ende I 894 versuchte der König den Kaiser dazu zu bewegen, «nicht fremde Leute zu Rat zu ziehen, sondern nur die ver­ antwortliche Minister>>. Sein Plädoyer blieb ohne Erfolg.42 Es sollte uns vielleicht nicht überraschen, daß Mitglieder der nächsten Umgebung des Kaisers zu seinen schärfsten Kritikern gehörten, hatten sie doch bisweilen am meisten unter seinen Launen zu erleiden. Nach der Nordlandreise I 89o kam einer der Teilnehmer zu Waldersee und sagte: «Seien Sie froh, daß Sie nicht mit waren, es war schrecklich. Bei­ nahe immer schlechtes Wetter u. dabei auf engem Raum zusammenge­ pfercht wurde der Aufenthalt bald zur Pein. Der Kaiser hat auch nicht eine ernste Konversation geführt; außer Spielereien mit der Flotte, die diese gründlich satt hat, nichts als ärgste Kindereien. Es ist erschreckend, wie der Kaiser zurückgeht, u. dazu eine steigende Nervosität, was soll daraus werden ?»43 Während der Jagd in Grunewald im Januar I 89 I fing der Chef des Geheimen Zivilkabinetts Hermann von Lucanus zum «größten Erstaunen>> Waldersees ein längeres Gespräch mit ihm «Über den Kaiser an u. hauptsächlich über die allgemein unzufriedene Stim­ mung; ich mußte sie ihm ja leider bestätigen>>, schrieb der Generalstabs­ chef, «konnte ihm nur nicht sagen, daß er selbst wohl einen Theil der Schuld trüge, indem er den Kaiser so schlecht berathe.>> 44 Im folgenden Jahr zeichnete der General auf, er habe wieder einmal eine lange Unter­ haltung mit Lucanus geführt, der sich «bitter über des Kaisers Arbeits­ unlust, die nicht geringer würde, sondern zunehme, beklagt>> habe.45 An­ fang I 8 9 I notierte Waldersee in sein Tagebuch, der frühere Erzieher Hinzpeter verurteile hart und «in unglaublichen Ausdrücken>> den des Kaisers.46 Der Oberhofmeister der Kai­ serin, Freiherr von Mirbach, klagte .47 Der Feldpropst Richter war über das Benehmen des Kaisers während eines Gottes­ dienstes in der Garnisonskirche: Wilhelm, klagte er, habe die Predigt langweilig gefunden und seinen Adjutanten zu ihm, Richter, geschickt mit der Bestellung, er wolle diesem Geistlichen nie wieder begegnen. Der Feldpropst räumte ein, daß der Betreffende kein glänzender Kan­ zelredner sei, er sei aber noch jung und außerdem ein ausgezeichneter Seelsorger. 51 In seinem Tagebuch schilderte Waldersee, wie Wittich nach dem Neujahrsempfang für die Kommandierenden Ge­ neräle im Januar 1 892 «tüchtig>> über den Kaiser geschimpft und geklagt habe, «er würde immer unfehlbarer u. größer>>. 52 Nicht weniger kritisch fiel das Urteil des ehemaligen kaiserlichen Generaladjutanten, Max von Versen, aus, der dem Kaiser «früher sehr nahe gestanden>> hatte. Als Waldersee am 19. Dezember 1 890 mit ihm zusammentraf, fand er auch Versen «sehr enttäuscht>> und stellte fest, der General denke «Über die Entwicklung des Kaisers gerade so wie ich». Vor allem klagte Versen darüber, «daß der Kaiser an Zuverlässigkeit sehr eingebüßt» habe - daß niemand wissen könne, «wie er mit ihm dran» sei. «Die nächste Um­ gebung sei soweit [ . . . ], daß Niemand etwas zu sagen wagt, weder ein Kabinettschef, noch Wittich oder ein Flügel Adjutant oder gar Hofmar­ schall. Jeder fürchtet für seine Stellung.» Versen war auch darin mit Wal­ dersee vollkommen einig, daß Bismarck «die Karaktere unterdrückt» habe; unter Kaiser Wilhelm II. «sehen wir aber dasselbe, nur in stärkerer

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u. gefährlicherer Form>>.53 Als die beiden Generäle im Sommer I 89 I er­ neut zusammentrafen, konstatierte Waldersee, Versen urteile weiterhin über Wilhelm «sehr hart>> und sei mit ihm, Waldersee, «darin völlig einer Meinung, daß die Entwicklung desselben ganz anders gegangen ist, als man annehmen konnte>>.54 Von dem neuen Generaladjutanten Hans von Plessen, von dem mancher einen guten Einfluß auf den Kaiser erwartet habe, sei man enttäuscht, denn er besitze «so gut wie garkeinen>> Einfluß und sei «gleichfalls muthlos>>, schrieb Waldersee im Sommer I 894. «Kurz, wo man hin hört Unzufriedenheit u. Mißmuth u. Muthlosigkeit, u. das nicht allein in den hohen Stellen der Armee, sondern bei allen unabhängigen wohlgesinnten Leuten. Ich bin leider nicht der Einzige, der überzeugt ist, daß wir ganz konstant bergab gehen u. daß Katastro­ phen eintreten müssen.»55 Sogar der früher so treue Chef des Militär­ kabinetts, Wilhelm von Hahnke, scheute sich mit der Zeit nicht mehr, in die allgemeine abfällige Kritik der Generäle über den Kaiser einzustim­ men.56 Vier Jahre nach der Entlassung Bismarcks registrierte sein Feind und Rivale Waldersee, daß Hahnke «verstimmt>> sei und «gern heraus>> wolle.57 Ein Jahr danach charakterisierte Waldersee die Stimmung des Militärkabinettschefs in der vernichtenden Eintragung: «Hahnke ist in hohem Maaße verstimmt, hat aber nicht die Energie abzugehen; er spricht ganz offen darüber, daß Niemand heute wissen könne, ob er morgen noch möglich sei u. daß man jederzeit darauf gefaßt sein müsse, daß was heute kohlschwarz sei, morgen für schneeweiß erklärt werden könne.>>58 Auch der ehemalige Kriegsminister General von Verdy sah «mit Betrübniß, wie Alles allmählig bergab geht und wie es der Kaiser selbst ist, der dies bewirkt. Für mit das Schlimmste hält er, daß dem Kai­ ser die vornehme Gesinnung mangelt. Leider hat er hierin nur zu sehr Recht und sind hier die Wirkungen geradezu verheerend», kommen­ tierte der ehemalige Generalstabschef. 59 Ja, kein Geringerer als der alte Generalfeldmarschall Graf Helmuth von Moltke brachte «große Besorg­ nisse über den Kaiser zum Ausdruck>>, als Waldersee ihn im Oktober I 890 in Kreisau besuchte.60 Als Moltke im April 1 8 9 I verstarb, waren es nicht wenige, die von seinem Tod tief betroffen waren, und nicht nur, weil man mit ihm «einen der letzten großen Männer aus unserer rühm­ lichsten Geschichtsperiode» verloren hatte. Ernst Erbprinz zu Hohen­ lohe-Langenburg sprach für viele, als er die Überzeugung äußerte, Moltke «schien bei dem heutigen Überstürzungssystem als Wahrer der alten Traditionen, vor dem Alles Respekt hatte, noch Manches abwen­ den zu können, was die Leute der neuen Ära in ihrem Übereifer aufs Tapet bringen».61

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Das böse Erwachen des Grafen von Waldersee

3 · Das böse Erwachen des Grafen von Waldersee

Für niemand war der Prozeß der Entzauberung freilich schmerzhafter als für Waldersee selber. Es ist eine geradezu erschütternde Erfahrung, in der unbereinigten Fassung seiner Tagebücher die Wandlung nachzulesen, die dieser einst engste Vertraute Wilhelms, der ihn wie kein zweiter erst gegen die Eltern und sodann gegen die Bismarcks aufgestachelt hatte, in seinem Urteil über den jungen Kaiser vollzog. Wie jemand, der aus einem Traum erwacht, wurde Moltkes Nachfolger als Chef des General­ stabes plötzlich gezwungen, den unheilvollen Fehler einzusehen, den er in seiner Verblendung verübt hatte. In immer schärfer werdenden Tönen verurteilte er am Kaiser das selbstherrliche Gehabe, die Eitelkeit und Popularitätssucht, die Prachtliebe und Verschwendung, die Vergnü­ gungssucht und Oberflächlichkeit, das ständige Eingreifen in die Ge­ schäfte der Armee und der zivilen Staatsverwaltung bei gleichzeitiger Inkonsequenz und Gedankenlosigkeit, das unaufhörliche Halten von unglücklichen Reden, die rücksichtslose Behandlung der Mitarbeiter und Untergebenen, den rüden und unwürdigen Umgangston in der kai­ serlichen Umgebung, die Zugänglichkeit für Schmeichelei und Zuträge­ reien von Unberufenen und nicht zuletzt die Unfähigkeit, gut gemeinte Kritik zu erdulden. Je negativer seine Einstellung zu Wilhelm wurde und je fatalistischer er in die Zukunft Preußen-Deutschlands blickte, desto dringlicher sah sich der General mit der Frage konfrontiert, ob sein Urteil über Wilhelm nicht zu hart ausgefallen sei. So schrieb er im Februar 1 894: «Ach wollte Gott, daß ich im Stande wäre, ab u. zu etwas Gutes über den Kaiser zu notieren. Ich frage mich manchmal, ob ich nicht unbillig u. mit Vorein­ genommenheit urtheile, komme doch aber immer wieder darauf zurück, daß der Herr gänzlich unklar in seinen Zielen u. unberechenbar ist.»62 Mehrmals stellte sich Waldersee die Frage, ob er überhaupt das Recht habe, solche Kritik am Kaiser zu Papier zu bringen, und auch da ge­ langte er zu dem Schluß, daß er zwar hoffen müsse, seine Äußerungen würden «lange unentdeckt liegen bleiben>>, es gehöre sich jedoch ande­ rerseits wiederum, «daß der Wahrheit die Ehre gegeben wird u. sind sol­ che Aufzeichnungen nöthig für die dereinst zu schreibende Geschichte dieses ganz eigenartigen Kaisers u. Karakters>>. 63 Freilich, es gab nach­ weislich auch Erlebnisse, die der General sich scheute, zu Papier zu bringen, auch wenn gerade solche Vorfälle für sein Gesamturteil über den Kaiser bestimmend waren.64 Damit, daß der Herausgeber seiner Tagebücher zahllose kritische Stellen über Wilhelm vor dem Druck aus­ streichen würde, um somit jahrzehntelang der Nachwelt ein schönge­ färbtes Geschichtsbild dieses Herrschers und seiner Epoche zu vermit­ teln, scheint Waldersee allerdings nicht gerechnet zu haben.

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Nun wäre es sicherlich verfehlt, jedwede negative Äußerung des ge­ stürzten Generalstabschefs für bare Münze zu nehmen. Nicht nur wegen der klar erkennbaren wachsenden Bitterkeit über die Enttäuschung sei­ ner persönlichen Ambitionen, sondern auch wegen grundlegender Diffe­ renzen in der innen- und außenpolitischen Einstellung werden wir gut daran tun, uns gelegentlich zu fragen, ob wir die Grundüberlegungen, auf die Waldersee seine Kritik an Wilhelm gründete, teilen. In der Han­ delspolitik zum Beispiel nahm der General eine Haltung zugunsten der Großgrundbesitzer und der Landwirtschaft insgesamt ein, die uns heut­ zutage angesichts der tatsächlichen wirtschaftlichen Entwicklung noch abstruser erscheint als der damaligen Generation. Auf das ständige An­ wachsen der Sozialdemokratie hatte Waldersee, wie wir noch sehen wer­ den, nur die halsbrecherische Antwort eines innenpolitischen Präventiv­ krieges, der mit militärischer Gewalt die Wiederabschaffung des allge­ meinen Wahlrechts durchsetzen sollte. In seinen überall im Tagebuch vorkommenden paranoiden Äußerungen über die Haltung der Begleitpersonen unangenehm aufgefallen sein. Wieder einmal bezichtigte Waldersee vor allem Herben Bismarck, der dadurch, daß er «bei den ersten Reisen den Ton angab u. auch so nachtheilig auf den Kaiser selbst einwirkte>>, die Schuld an dieser bedauerlichen Ent­ wicklung tragen müsse. Man könne sicher sein, mahnte Waldersee an, als er von mehreren Seiten von dem Betragen des Kaisers in Rom hörte, daß Erzählungen darüber bei allen Höfen die Runde machen und dort mit Schadenfreude aufgenommen werden würden. 82 Namentlich die Todestage Kaiser Wilhelms 1., die Jahrestage der Thronbesteigung Wilhelms II. und der Entlassung Bismarcks sowie den Geburtstag des jungen Kaisers nahm Waldersee zum Anlaß seiner grü­ belnden Rückbesinnungen beziehungsweise düsteren Vorahnungen über die Zukunft des Kaiserreiches, sich ständig fragend, wie er sich so arg getäuscht haben konnte. Voller Bestürzung blickte Waldersee im Januar r 89 r auf die Entwicklung in der politischen und religiösen Haltung des nunmehr zweiunddreißigjährigen Kaisers zurück. Noch im Frühjahr r 8 8 8 habe dieser als Kronprinz «auf einem festen evangelischen gläubi­ gen Standpunkt>> gestanden und den Mut gefunden, dies offen auszuspre­ chen, konstatierte er. «Er hatte ganz ausgesprochen konservative Gesin­ nung, wie sie doch in heutiger Zeit ein Souverain, der seinen Thron er­ halten will, haben u. kultiviren muß, unbekümmert um das Geschrei der gesinnungs- u. unheilslosen Massen. Und wie sieht es nach kaum 3 Jah­ ren aus ? Ein Kaiser, der von Furcht vor den Social Demokraten geleitet ist, der glaubt durch Koncessionen an die Schreier, durch Haschen nach Popularität, durch Preisgeben seines festen evangelischen Standpunktes sich eine Stellung zu machen; man hat ihm vorgeredet, ein König dürfe keinen strengen konfessionellen Standpunkt vertreten; das hat einen ge­ wissen Sinn, wenn man den Schwerpunkt auf vertreten legt; er soll gewiß nicht anders Denkende verfolgen, mögen es nun Katholiken, Protestan­ ten, Vereinler oder Juden oder sonst etwas sein; er soll aber einen festen Standpunkt haben und sich nicht scheuen, ihn auszusprechen. [ . . . ] Er muß zeigen, daß er der Schirmherr der evangelischen Kirche ist und sich

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rückhaltlos zu dem Glaubensbekenntniß halten, das in unseren evangeli­ schen Kirchen sonntäglich verlesen wird. [ . . . ] Kaiser Wilhelm ist nun lei­ der in der Richtung, es mit Niemand zu halten, also es schließlich mit Allen zu verderben.»83 In den Augen Waldersees faßte der Kaiser seine Rolle als Oberhaupt der Evangelischen Kirche überhaupt falsch auf. «Wie habe ich mir auch das anders gedacht, als der Kaiser auf den Thron kam>>, seufzte er Ende r 89 r . ; statt dessen sei das evangelische Lager zerstritten und man mache den Katholiken den Hof.84 Fassungslos war der General, als er erneut Nachricht von den spiritistischen Neigungen des Kaisers erhielt. Philipp Eulenburg, so schrieb er, sei bereits vor der ersten Nordlandreise dringend gebeten worden, . Anfangs habe Eulenburg auch Wort gehalten, bei dem jüngsten Besuch des Kaisers in München aber habe Eulenburg den Kaiser mit einer Spiritistin zusam­ mengebracht, die, in Trance versetzt, von ihm gefragt wurde, was er von einem Freund in Rußland - gemeint war natürlich Alexander 111. - zu halten habe. «Ist es [ . . . ] nicht entsetzlich, daß solche Komödien aufge­ führt werden ?>> fragte sich Waldersee händeringend. «Ist der Herr in sol­ cher Weise zu beeinflussen, so befindet sich das Wohl des Vaterlandes ja rettungslos in der Hand von Schwindlern. Wir können da eine neue Auf­ lage von Friedrich Wilhelm II. u. Bisehoffwerder erleben! >>85 In einem Rückblick auf die vergangenen drei Jahre stellte der Chef des Generalstabes Anfang r 89 r verbittert fest, wie sehr die Hoffnungen, die er in den jüngeren Wilhelm anfangs gesetzt hatte, enttäuscht worden wa­ ren. «Wenn ich auf das Frühjahr 8 8 zurückgehe, als der Kaiser Kron­ prinz war [ . . . ] u. mich erinnere, wie er mir sein Vertrauen schenkte u. wie ich hoffte, daß er ein vortrefflicher Kaiser werden würde, der unbe­ kümmert um das Geschrei der Massen, fest in seinen religiösen Ueber­ zeugungen, mit Herz für die Armee u. warmem Gefühl für Alles Edle u. Gute die Zügel führen würde, u. wie es für mich der höchste Grad von Befriedigung gewesen wäre, ihm in meinem Fache dabei zu helfen, u. wenn ich denke, daß ich wirklich ein Recht hatte so zu hoffen, so muß ich sagen, der Wandel ist ein gewaltiger.>> Der Generalstabschef holte aus: «Der Prinz Wilhelm war einfach in seinen Lebensgewohnheiten, sprechen, liebte es nicht, sich mit vielen Begleitern zu umgeben, war be­ scheiden u. rücksichtsvoll gegen ältere, hatte eine gewisse Achtung vor denen die in unseren Kriegen gut gedient hatten, er war fleißig, schrieb selbst gern u. viel - manchmal allerdings zu viel - er stand auf einem festen evangelischen gläubigen Standpunkt u. hatte den Muth dies offen auszusprechen, er verwarf den übertriebenen Luxus u. tadelte sehr scharf das Hazardspiel u. die Ausschreitungen der Rennbahn.>> «Und

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wie sieht es nach kaum 3 Jahren aus», fragte sich Waldersee, und gab betroffen als Antwort: «Er ist flüchtig u. arbeitsunlustig geworden u. bleibt ungern lange bei einem Gegenstande. Die Armee behandelt er schlecht u. ist rücksichtslos gegen ältere; alles kameradschaftliche Wesen u. bonhommie, die ihn anfänglich immer beliebt machen, halten auf die Dauer nicht, sodaß namentlich da, wo man ihn öfter sieht, der Eindruck sich bald mindert. Ganz unerwartet ist die Neigung zur Prachtentfal­ tung, zu großartigen Ceremonien u. zum Luxus gekommen u. ist eine recht erhebliche.» Der Kaiser habe unzweifelhaft auch gute Seiten einen schnellen Verstand und «ein Streben nach dem Guten» - und er, Waldersee, habe die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, daß diese Facetten seines Charakters mehr zum Durchbruch kommen und über die schlechten Anlagen triumphieren würden.86 Nur wenige Tage später wurde er als Chef des Generalstabes entlassen. Auch nach seiner Versetzung als Kommandierender General des IX. Armeekorps nach Altona unterhielt General Graf Alfred von Wal­ dersee die besten Beziehungen zu den Militärs und hohen Beamten am Berliner Hof, zum Prinzen Heinrich von Preußen in Kiel, zur Generali­ tät und zum adeligen Großgrundbesitz; er verkehrte und korrespon­ dierte weiterhin mit amtierenden und entlassenen Ministern sowie mit Parteiführern und Journalisten unterschiedlicher Schattierung; er reiste häufig nach Berlin und zur Inspektion und zur Jagd auch in die Provinz. Er muß also auch weiterhin als einer der bestinformierten Männer über die intimen Vorgänge am Hof und in der hohen Politik gelten. Es darf daher nicht verwundern, daß nach seinem offenen Bruch mit Wilhelm II. und seiner Entfernung vom Hof im Januar 1 89 1 sich seine Einstellung zu seinem einstigen Helden nicht änderte; im Gegenteil, sein Urteil blieb so fundiert - und harsch - wie nur denkbar. Im März 1 89 1 nahm er den dritten Todestag des alten Kaisers zum Anlaß, um wieder einmal einen Vergleich zwischen diesem und seinem Enkel zu ziehen, der für letzteren keinesfalls günstig ausfiel. «Der durchgehende Gedanke seiner Amtsführung ist der, daß zu Zeiten seines Großvaters Alles schlecht u. der Verbesserung dringend bedürftig gewe­ sen ist>>, stellte er von Wilhelm II. fest. Doch anstatt besser zu werden, sei in den vergangenen drei Jahren alles nur schlechter geworden. «Und wer trägt die Schuld ? Wahrlich er allein.>> Der jüngere Wilhelm habe es gar nicht verstanden, in der Armee «sich wirklich Liebe zu erwerben, er ist dazu aus zu rohem Holz gehauen, es fehlt ihm der feine Tact u. das Zartgefühl, die eine der Stärken des Großvaters bildeten»Y Mit wach­ sender Sorge äußerte sich Waldersee ein Jahr später über den herrsch­ süchtigen Regierungsstil und die gänzlich oberflächliche Lebensweise Wilhelms II. «Verständige u. durchaus Wohlgesinnte klagen, daß die Neigung zur Arbeit immer mehr abnimmt, ebenso die, die Ansicht an­ derer zu hören>>, vermerkte er. «Er läßt Niemand zu Wort kommen,

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sondern spricht die eigene Ansicht mit größter Sicherheit aus u. wünscht anscheinend keinen Widerspruch. Die Zeit für Arbeit ist ja auch bei sei­ nem Leben eigentlich kaum vorhanden, zumal oft noch freie Stunden in dürftiger Weise ausgefüllt werden; so hat er z. B. neulich auf der Fahrt zur Göhrde im Salonwagen durch fast 3 Stunden ein ganz läppisches Kartenspiel unter Mitwirkung von Lucanus u. Hahnke gespielt. Was hätte er mit diesen beiden [ . . . ] in der Zeit Nützliches schaffen können.>> Zum ersten Mal mußte Waldersee die Möglichkeit ernsthaft ins Auge fassen, daß der Kaiser, in den er jahrelang so viele Hoffnungen gesetzt hatte, geistesgestört sein könnte.88 > Nur der elegische Ton der Rede sei bezeichnend, behaup­ tete der General. «Ich kenne diese Stimmung schon seit längerer Zeit», konstatierte er. «Finden sich erst die großen Enttäuschungen, so kommt mit Sicherheit bei seinem Karakter Muthlosigkeit; zunächst wird er al­ lerdings sich nicht einen Augenblick besinnen, die Schuld auf andere zu werfen>>, sagte er voraus.94 In einem kritischen Rückblick vom Juni 1 893 auf die fünf ersten Re­ gierungsjahre des jungen Kaisers schrieb Waldersee: «Er ist jetzt häufig so weit gegangen, seinen Großvater als müden Greis, der kaum gewußt hat, was in den letzten Jahren um ihn her vorging, darzustellen. In Wahrheit war der alte Herr für uns alle gerade in der Socialisten Frage von unschätzbarem Werth. Die ehrwürdige Persönlichkeit, in der gan­ zen Welt bekannt durch Gewissenhaftigkeit u. Pflichttreue bis zum letz­ ten Athemzuge, mit seiner ganzen Vergangenheit u. nirgends einen An­ griffspunkt bietend für böse Zungen, bot uns einen Schutzwall gegen die Wogen des Umsturzes. Der jetzige Kaiser dagegen züchtet geradezu So­ cial Democraten. Manche Leute, namentlich im Auslande, trauen ihm besondere Energie zu, die große Masse bei uns aber nicht mehr. Man hat erkannt, daß er wankelmüthig ist u. man sich daher nicht darauf verlas-

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sen kann, daß er einen einmal eingeschlagenen Weg auch einhält; zahl­ lose unbedachte Äußerungen [ . . . ] hat [sie] den Verdacht arg genährt, daß er im Herzen ein rücksichtsloser Autokrat sei; seine Vielseitigkeit ent­ puppt sich in den Augen vieler als Flüchtigkeit; sein privates Leben wird aufmerksam verfolgt u. dabei der Schluß gezogen, daß er die meiste Zeit dem Vergnügen erweise. Seine Prachtliebe wird verglichen mit der Ein­ fachheit des Großvaters. Das sind Alles Momente, die in heutiger Zeit einem Herrscher nicht ungestraft vorgeworfen werden können, sie machen üble Stimmung u. drückt solche sich darin aus, daß die Leute erregt socialdemokratisch wählen. Es wäre unbillig, wenn ich sagen wollte, daß der Kaiser hauptsächlich die Schuld trüge, er hat aber fraglos viel Schuld u. mit ihm alle, die ihn berathen. Wir brauchten so weit nicht herunter gekommen zu sein, wie wir es sind ! >>95 Der überall spürbare Wunsch, unabhängige Männer an die Oberfläche kommen zu sehen, richte sich ganz augenscheinlich gegen den Kaiser, da man der Überzeu­ gung sei, daß in der jetzigen Regierung aus Angst, seine Stellung zu ver­ lieren, niemand es wage, ihm die Wahrheit zu sagen. «Es liegt ja hierin leider unzweifelhaft viel Wahres>>, urteilte Waldersee im Sommer I 894. «Der Kaiser hält seine Ansicht, u. wenn er sie auch öfter wechselt, für die allein richtige. Außer Bismarck u. dem Minister Zedlitz wüßte ich Niemand, der ihm fest entgegengetreten wäre u. bei seiner Ansicht be­ harrt hätte.»96 Ungläubig reagierte Waldersee auf den Passus in der Kai­ serrede in Königsberg vom 6. September I 894, in dem Wilhelm behaup­ tet hatte, daß seine Türe j edem offenstände. Ein solcher Satz möge der urteilslosen Masse imponieren, sagte er, aber «wer Bescheid weiß, dem ist es nur zu bekannt, daß der Kaiser bei aller äußeren Offenheit nahezu unnahbar ist. Wie viele haben ihm schon ihre Ansicht sagen wollen! Sie erreichen es nahezu niemals, da der Kaiser niemand hören will, von dem er annimmt, er wolle ihn belehren oder guten Rath ertheilen. Sogar Per­ sonen der allernächsten Umgebung gelingt es oft nicht, ihm auch nur ein Wort unter 4 Augen zu sagen. Und da behauptet er dreist, seine Thüre stehe Jedermann offen.>>97 Bei den Näherstehenden käme immer mehr die Überzeugung zum Durchbruch, in Kiel und Travemünde in jenem Sommer schrieb Wal­ dersee seine vernichtenden Eindrücke in sein Tagebuch nieder. In der kaiserlichen Umgebung traue keiner dem anderen, vermerkte er, und alle hätten «Furcht vor dem Kaiser. Er selbst erkennt das ganz gut u. prote­ girt es, weil er dadurch viel Klatsch erfährt und er der Herr bleibt; nur auf einem Gebiet sieht er nicht, wie er betrogen wird und einem Ratten­ könig gegenübersteht, das ist auf dem Auswärtigen, da regieren die alten Sünder [gemeint war vor allem Friedrich von Holstein] weiter u. wissen ihn in ihrem Sinne zu beeinflussen. [ . . . ] Es ist mir wieder in Kiel, wo Lucanus auch anwesend war, recht entgegengetreten, in welch eigenarti­ gen Zuständen wir uns befinden u. wie thöricht doch die große Masse der Menschen ist. [ . . . ] Der Kaiser ist von jeher eine autokratische Natur gewesen u., obwohl autokratische Aeußerungen ihm wiederholt ent­ schlüpft sind, hält man ihn doch für einen Souverain, der die konstitu­ tionellen Einrichtungen achtet u. sich im Großen u. Ganzen nach ihnen richtet. Das ist nun aber leider unrichtig, er hat für diese Einrichtungen eine Verachtung u. regiert eigentlich ganz unumschränkt auf allen Ge­ bieten, die er betreten will; das sind ganz regelmäßig das Auswärtige, die Armee u. die Marine u. je nach Umständen auch ein Anderes wenn er gerade Neigung hat sich darauf zu werfen. Onkel Chlodwig [Reichs­ kanzler Fürst zu Hohenlohe] leistet nur ab u. zu schüchtern Widerstand, ist im Allgemeinen aber völlig fügsam; auf den anderen Gebieten arbei­ ten die Kabinetschefs. Nun würde das auch schon gehen, wenn der Kai­ ser ein so arbeitsamer u. konsequent denkender Herr wäre wie Friedrich der Große, bei dem die Kabinetschefs nur die gehorsamen Vermittler seines Willens waren. [ . . . ] Er konnte so regieren, weil er kaum Vergnü­ gungen kannte u. immer an der Arbeit saß. Jetzt ist aber leider das Ver­ gnügen die Hauptsache geworden, die Arbeitszeit minimal u. damit der Einfluß der Kabinetschefs ein weiter u. zu groß. Wir haben das bei Fried[rich] Wilhelm II. u. III. ja erlebt u. sind die üblen Folgen nicht ausgeblieben.>>105 Mitte August 1 896 heißt es im Tagebuch Waldersees: «Der Kaiser will autokratisch die auswärtige Politik leiten und die Ar­ mee kommandieren, das ist auf die Dauer nicht durchführbar u. muß zu konstanten Reibungen führen.>> 106 Vernichtend führte der General im Oktober 1 896 aus, es trete jetzt in Erscheinung, «was der Kaiser in seiner kurzen Regierungszeit angerich-

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tet hat im Vernichten von Karakteren, in Verwirrung im lnnern u. Ver­ hetzen der Partheien gegeneinander u. im Züchten von elenden Kreatu­ ren. Bei seinen Umgehungen u. allen die er sich näher kommen läßt, soll die Erbärmlichkeit u. der Byzantinismus nur im Zunehmen sein. Um das Bild des Hofes zu einem recht ansprechenden zu machen kommt noch, daß Niemand dem anderen traut; wenn 2 leise mit einander sprechen, sind gleich mißtrauische da, die sich unbehaglich fühlen. Wirklich wohl fühlt sich Niemand! Als bester u. wahrer Freund gilt immer noch Philipp Eulenburg. Wenn ihn einmal Jemand aufgefordert hat, doch seine Pflicht als Freund zu erfüllen und ein offenes Wort mit dem Kaiser zu sprechen, dann ist er in Thränen ausgebrochen u. hat gesagt: Ach, ich kann ihm doch nicht Unangenehmes sagen! Von solchem Schlage sind unsere ein­ flußreichen Leute ! »107 Im März 1 897 - man feierte den 1 00. Geburtstag Kaiser Wilhelms I. - sprach Waldersee in Berlin mit den Grafen August und Botho Eulenburg, mit dem Oberstkämmerer Christian Krafft Erb­ prinz zu Hohenlohe-Oebringen (einem Neffen des Reichskanzlers), dem Hausminister von Wedell-Piesdorf, dem Chef des Marinekabinetts Admiral Freiherr von Senden-Bibran, dem Kommandierenden General des VIII. Armeekorps in Koblenz Vogel von Falckenstein, dem ehemali­ gen Kriegsminister Verdy du Vernois und einigen Reichstagsabgeordne­ ten und sonstigen alten Bekannten. Bei allen herrschte, wie er vermerkte, «große Besorgniß>> und «tiefe Verstimmung>> wegen des Kaisers. Als Hauptklagepunkte nannten sie das Eingreifen Wilhelms in die äußere Politik, das Forcieren der Flottenvermehrung und seine letzte Rede beim Brandenburgischen Provinziallandtag, die «bei allen Partheien verletzend gewirkt>> habe. , resümierte der General seine Ein­ drücke. 108 Überblicken wir die zahlreichen äußerst kritischen Betrachtungen über den Kaiser, die General von Waldersee in den Jahren 1 890 bis 1 897 in sein Tagebuch niederschrieb, so fällt auf, daß sie immer um dieselben Punkte kreisen. Nur in einer Hinsicht ist eine lineare Entwicklung zu bemerken, die den tatsächlichen Gang der Ereignisse widerspiegelt: In den späteren Jahren registriert das Tagebuch mit Recht die dominante Rolle, die jetzt der Monarch vor allem bei der Gestaltung der Außen-

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politik sowie in Armee- und Marineangelegenheiten zu spielen imstande war. Sonst aber läßt sich Waldersees beständige Kritik bei aller Anerken­ nung der positiven Eigenschaften des Kaisers (seine schnelle Auffas­ sungsgabe, sein gutes Gedächtnis, seine gewinnende Liebenswürdigkeit im persönlichen Verkehr, seine amüsante Konversation und die Sicher­ heit seiner Sprache) etwa folgendermaßen zusammenfassen: - Die an Größenwahn grenzende autokratische Neigung Wilhelms II., die er voller Überzeugung in seinen Reden und Sprüchen als vor­ nehmster Verfechter des Prinzips der «Persönlichen Monarchie>> zu erkennen gab, führte zu einer gefährlichen Überschätzung seiner Fä­ higkeiten. In seinem Unfehlbarkeitsdünkel duldete er keinen Wider­ spruch. - Bei aller Selbstüberschätzung hatte Wilhelm nach Waldersees Über­ zeugung keine festen Ziele, die Triebkraft seiner Handlungen war vielmehr Eitelkeit und Popularitätssucht sowie eine übertriebene, viel­ leicht sogar krankhafte Phantasie. Die Folge war die berüchtigte kai­ serliche Unberechenbarkeit. - Der autokratische Anspruch des Kaisers beruhte nicht auf gewissen­ hafter Gründlichkeit, sondern stand Arbeitsunlust, dem Hang nach Zerstreuung und Spielerei gegenüber. Das Ergebnis waren Oberfläch­ lichkeit und Dilettantismus. - Der Autokratismus Wilhelms II. äußerte sich in Rücksichtslosigkeit und Härte gegen die berufenen Ratgeber in der Reichs- und Staatslei­ tung sowie in der Armee. Starke Charaktere wurden gebrochen, schwächere mutlos und resigniert. Wilhelm regierte lieber mit der Mittelmäßigkeit als mit den besten Kräften des Landes. - Um persönlich zu glänzen und sich gegen seine Minister durchsetzen zu können, hörte der Kaiser auf Zuträgereien von unverantwortlichen Fremden und Unberufenen in seiner Umgebung, die ihm freilich in der Regel nach dem Munde redeten. Die Folge solcher Schusterei wa­ ren eine allgemeine Verhetzung und Vergiftung, vor allem am Hofe, und eine ausgeprägte Unsicherheit bei allen, die die höchsten Ämter bekleideten. Waldersee bemängelte die Unfähigkeit Wilhelms II., in seinen Ratgebern ein Gefühl der Treue zu erwecken. - An der Persönlichkeit Wilhelms II. bedauerte der General zutiefst dessen Empfänglichkeit für Schmeichelei, Luxus und Pomp sowie sei­ nen Hang zum Obszönen. - Wie viele Zeitgenossen im In- und Ausland sah sich Waldersee zuneh­ mend mit der Frage konfrontiert, ob der Kaiser geistig überhaupt noch als normal anzusehen sei. Auf diesen Punkt werden wir später zurückkommen. Bei aller Einsicht in die Problematik der «Persönlichen Monarchie>> un­ ter einem Herrscher wie Wilhelm II. hatte Waldersee - anders als Hol­ stein und Marschall von Bieberstein, die (wie wir sehen werden) den

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Kaiser durch wiederholte Kollektivdemissionen des Reichskanzlers und gesamten Staatsministeriums zu einer Aufgabe seiner desaströsen Regie­ rungsweise zwingen wollten - so gut wie keine Lösung des Dilemmas vorzuschlagen. Seine einzige, paradox klingende Antwort lief auf den Wunsch hinaus, Wilhelm möge einige schwere Rückschläge erleiden, da man nur durch solche Kalamitäten eine Besserung seines Charakters er­ warten könne. Schon bald nach der Entlassung Bismarcks sprach Wal­ dersee die Hoffnung aus, «daß Erfahrungen kommen werden, die zum Besten führen» würden; es sitze «so viel Gutes u. so viele Fähigkeiten im Kaiser, daß das weniger Gute schließlich dagegen zurücktreten» müsse.109 Seine Hoffnung sei es schon lange gewesen, äußerte er im Mai I 890, «daß das Jahr I 890 trübe Erfahrungen u. damit Läuterung bringen sollte>>; jetzt sei man aber «bald im Monat Juni, ohne daß so etwas ein­ getreten wäre».110 Wie Hinzpeter in der Kasseler Gymnasialzeit mehr als anderthalb Dezennien zuvor, so sah Waldersee jetzt in einer heilsamen Demütigung die einzige Rettung vor dem kaiserlichen Übermut. Er be­ tete: «Üh wollte der liebe Gott ihm doch [ . . . ] Enttäuschungen u. Sorgen schicken! Er würde unserem Vaterlande damit große Dienste leisten und viel Schweres ersparen können. »111 Ein Jahr später, als sich die außen­ politische Lage zuspitzte und sich die Krisenstimmung auch im lnnern ausbreitete, schöpfte Waldersee wieder Hoffnung, «daß an den Kaiser nun einmal der Ernst des Lebens herantreten wird; bisher ist ihm bei­ nahe Alles gelungen u. ist er dadurch verwöhnt u. hat sich eine gewaltige Meinung vom eigenen Können angeschafft. Ihm ist nur zu helfen durch ernste Erfahrungen u. Rückschläge, gebe Gott daß sie erfolgen ohne zu viel Interessen dabei zu schädigen.» 112 Die Zeit der 115 Die Rede des Kaisers vor dem Brandenburgischen Provinzialtag am 20. Februar I 8 9 I hat sodann das Vertrauen Holsteins vollends erschüttert. Entmutigt schrieb er darüber: «Es spricht aus derselben eine Verkennung der Zeit, in welcher wir le­ ben. Im Jahre I 89 I , wo nichts geglaubt und alles bezweifelt wird, da ist blindes Vertrauen nicht so leicht zu erlangen.» Wie so viele Kommentatoren meinte auch Holstein, die Rede des Kai­ sers würde besser in ein historisches Melodrama als in die gegenwärtige politische Landschaft passen. «Etwas so Unzeitgemäßes wie die letzte Rede hat er noch garnicht geleistet. Der heuchelt Bewunde­ rung in seinen Blättern. Wenn die Leute aber reden, ich meine die von der freisinnigen Partei, dann klingt das ganz anders. Heute hat einer ge­ sagt: [ . . . ] Nach der Rede fängt das Ge­ rede über Ludwig II. wieder von frischem an.>> Besorgt fragte Holstein Eulenburg als besten Freund des Kaisers, ob es denn niemand in der kaiserlichen Umgebung, die Wilhelm «so wacker hinter seinem Rücken kritisiert>>, gebe, «der das ins Gesicht tut? Sie können doch nicht alle die Rede richtig finden.>>116 «Das Schlimmste in der ganzen Sache ist, daß der Kaiser mehr und mehr in den parlamentarischen Kreisen als geistig nicht gesund angesehen wird>>, mahnte er.117 Ende r 89 r klagte Holstein erneut: «Es ist traurig, daß Se. Majestät bis jetzt alles als Spielerei treibt. Das wird sich furchtbar rächen, in kurzer Frist, denn heute geht alles schnell.» 118 Besonders gefährlich empfand Holstein als Vortragender Rat in der Politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes die wachsende Ange­ wohnheit des Kaisers, persönlich und ohne vorherige Rücksprache mit den zuständigen Behörden in die Außenpolitik einzugreifen. So schrieb er nur wenige Tage nach der ersten Brandenburger Rede klagend an Eu­ lenburg, durch die Entsendung der Kaiserin Friedrich nach Paris habe

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sich «das Mißtrauen gegen den Kaiser und seine Art zu regieren, sehr gesteigert>>. Das «neuerliche Verfahren Sr. Majestät in Sachen der aus­ wärtigen Politik>>, wonach er politische Dinge entscheide, «als ob es Hofangelegenheiten wären>>, bringe große Unruhe hervor. Als Beispiele für solche Eingriffe des Kaisers führte Holstein außer dem Pariser Zwi­ schenfall den Beileidsbrief Wilhelms an die Witwe des Pariser Malers Meissonnier sowie die Reise des Flügeladjutanten Wedel nach Kopenha­ gen an. «Alles das wird verfügt, ohne sich um das Auswärtige [Amt] viel zu kümmern>>, lamentierte er. «Das Publikum fängt an, dahinter zu kommen, daß Se. Majestät sein eigener auswärtiger Minister ist, und die Beunruhigung darüber ist sehr groß. [ . . . ] In Deutschland hat sich da­ durch das Mißtrauen gegenüber dem Kaiser und seine Art zu regieren, sehr gesteigert>>, warnte er und sagte voraus, daß, wenn Caprivi und Marschall nicht energischer gegen den Kaiser auftreten würden, «wir noch allerlei Merkwürdiges erleben werden».119 Innerhalb des diplomati­ schen Corps sorgte die Tatsache für Mißmut, daß seit der Entlassung Bismarcks beinahe jeder Gesandtenposten mit einem Vertreter aus der Armee oder dem Konsularwesen besetzt worden sei ( 1 893 nannte Kider­ len- Wächter als Beispiele Wedel, Werder, Krauel, Treskow und Rado­ lin).120 Durch die Neigung Wilhelms, «die Diplomatie als eine Preisehaar zu behandeln, welche ihre Cadres und ihre Bildung durch Elemente von Gott weiß woher erhalten soll», fühlte sich Holstein dermaßen verletzt, daß er im September 1 892 mit seinem Rücktritt drohte; seine Lust am Geschäft vermindere sich «immer crescendo», sagte er.121 Genau wie Waldersee sah der Geheimrat durch die Rastlosigkeit und fehlende Ernsthaftigkeit Wilhelms die Würde der Monarchie gemindert und sogar den Bestand des Hohenzollernthrones gefährdet. Im Februar 1 89 1 schrieb er betrübt: «Am 2 8 . geht Majestät in den Kaiserhof zum Fest der Bonner Preußen. Ich sprach noch keinen Menschen, [ . . . ] der nicht dieses Vorhaben lebhaft bedauert hätte. Dadurch, daß er überall hingeht, überall ißt, überall spricht, steigt Se. Majestät zu sehr von seiner Höhe herab. Wenn er dann plötzlich seine Autorität ausüben will, wie der Große Kurfürst oder Friedrich der Große, wird die Sache nicht ernst genommen. [ . . . ] Sie wissen, daß es meiner innersten Natur widerspricht, den Kaiser zu kritisieren. Aber ich kann leider nicht anders. An vielem, was geschieht, ist der Kaiser selber schuld.»122 Man vergleiche dieses Urteil Holsteins mit der Reaktion Waldersees auf das Auftreten Wil­ helms in Bonn, «wo er in die Korpskneipe geht, mit der Studenten­ Mütze auf und den ganzen Unfug selbst dirigirt. Das ist einfach eines Kaisers nicht würdig! » empörte sich der General. Durch einen derarti­ gen «kindischen Unfug» werde «das monarchische Gefühl tief verletzt und muß der Kaiser sich um alles Ansehen bringen>>, befürchtete er. «Heute im Hermelinmantel, morgen in der Bierjacke - das geht nicht, wir halten das auf die Dauer nicht aus. Das monarchische Gefühl wird



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tief verletzt und allmählig vernichtet. Kronprinzen haben so etwas trei­ ben können; man vergab es ihnen, sobald sie auf dem Throne den Ernst zeigten; Souveräne können es ungestraft nicht thun.» Am allerfurchtbar­ sten fand Waldersee die Tatsache, daß Wilhelm II. in Bonn den Großher­ zog Adolf von Luxemburg im Studentenkostüm zum Bahnhof geleitet habe. Diese Tat, so meinte er, setze dem «unwürdigen Auftreten» des Kaisers die Krone auf. Es sei «ein Schlag ins Gesicht für alle Souveräne. Gerade die deutschen Fürsten, bei denen die Stimmung schon sehr schlecht ist, werden sich tief verletzt fühlen u. sich sagen, daß so etwas ihnen auch passiren kann.»123 Die Empörung über das Auftreten Wil­ helms als Alter Herr in Bonn zog, wie Holstein und Waldersee befürch­ teten, weite Kreise. Der Vertreter Badens kritisierte seine dortige Rede mit dem Kommentar, das Publikum verstehe nicht, «wie S.M. Einrich­ tungen öffentlich preisen konnte wie die Mensuren, welche nun einmal vom Staatsgesetze unter Strafe gestellt sind und von der katholischen Kirche mit der kleinen Exkommunikation geahndet werden. [ . . . ] Auch der mangelnde Fleiß und der übertriebene Luxus in den Korps gibt we­ nig Veranlassung, diese bei der überwiegenden Mehrheit der Studenten sehr verhaßte Institution von höchster Stelle aus öffentlich zu verherr­ lichen.» 124 Ganz wie die Kaiserin Friedrich bezeichnete Holstein den Spruch «suprema lex regis voluntas», den der Kaiser in das Goldene Buch der Stadt München eingetragen hatte, als ein «nationales Unglück». «Er macht sich nicht verhaßt, sondern lächerlich>>, schrieb er entmutigt an Eulenburg. «Die Geringachtung, in der er steht, nimmt zu.>>125 Betroffen sah sich Eulenburg genötigt, seinem Mahnbriefe zu schreiben und ihm zu raten, bei der nächsten Gelegenheit das Motto zu verwenden - nicht bedenkend, daß dies der Wahlspruch des Prinzen von Wales war und daß Wilhelm ausgerechnet mit diesem Spruch seinen Onkel verhöhnt hatte.126 Im Auswärtigen Amt war man sich nur zu sehr bewußt, daß die üble Stimmung gegen den Kaiser nicht nur durch Sozialisten, Demokraten, Katholiken und Partikularisten, sondern auch - und nicht selten am wirksamsten - durch die Bismarckfronde geschürt wurde. Gerade des­ wegen aber verurteilte man die leichtfertige und unruhige Regierungs­ weise Wilhelms, die für seine Feinde ein gefundenes Fressen war. Der Außensekretär Marschall von Bieberstein warnte unmittelbar nach der Düsseldorfer Rede vom 4· Mai 1 89 1 : 127 Nicht nur im Auswärtigen Amt, son­ dern auch unter den preußischen Ministern herrschte das unheimliche Gefühl vor, daß man hilflos in eine Katastrophe steuere. So notierte Wal­ dersee im Januar r 892 nach einer längeren Unterredung mit dem Finanzminister Miquel, auch dieser sehe «sehr schwarz u. ist sich auch über den Kaiser völlig klar>>.128 Die zweite Brandenburger Rede Wilhelms vom 24. Februar r 892 konnte nicht anders als verheerend auf die Stimmung unter den verant­ wortlichen Staatsmänner wirken. «Ü, über diese Reden! >> stöhnte der kaisenreue Führer der Konservativen Partei, Otto von Helldorff-Bedra. «Wann wird die so unerläßliche Vorsicht kommen?>>129 Der Reichskanz­ ler von Caprivi erblickte in der Rezeption der Rede den «Beweis, wie argwöhnisch man in allen Kreisen gegen autokratische Tendenzen ge­ worden ist. Man zieht aus der Summe der Kaiserlichen Reden ein facit, das man nicht akzeptieren will. Darin sind alle Parteien einig.>> Die all­ gemeine kritische Stimmung sei neuerlich auch in der Berliner Dombau­ Frage zum Ausdruck gekommen, fuhr Caprivi fort. «Man hatte sich be­ reit erklärt, dem Kaiser ro Millionen zur Verfügung zu stellen gegen die Zusicherung, daß diese Summe nicht überschritten werden sollte. Jetzt haben die Vertreter aller Parteien des Abgeordnetenhauses in neuer Konferenz erklärt, nichts geben zu können. Die sachliche Behandlung aller Geschäfte wird sehr erschwert, wenn man überall auf den Argwohn stößt, es handle sich um Liebhabereien, Launen des Monarchen, und wenn die Neigung, dem Monarchen entgegenzukommen, mehr und mehr schwindet. Ich sehe nicht schwarz und glaube, daß sich das über­ winden wird, aber wir dürfen fürs erste unser Konto nicht mehr bela­ sten.>>130 Einige Monate darauf sorgten Wilhelms Pläne, mittels einer Lotterie den Berliner Schloßplatz zu verschönern, überall für solch vehemente Kritik, daß das Vorhaben aufgegeben werden mußte. Händeringend mahnte Holstein, daß derartige Baupläne unweigerlich an die Märchen­ schlösser des geisteskranken Bayernkönigs Ludwigs II. erinnerten: «Die Stellung des Kaisers ist zur Zeit nicht so, daß er sich dergleichen erlau­ ben kann>>, erklärte er. Wenn das Staatsministerium dem Kaiser in dieser Frage nachgeben sollte, wäre es .131 Auch Philipp Eulenburg hielt die geplante Schloßlotte­ rie für und warnte aufgrund der aufgebrachten Stimmung in Bayern, die Baupläne des Kaisers erinnerten an die



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Schloßbauten des verstorbenen Königs. Als er auf dem dienstlichen Weg an Marschall berichtete, er hielte es «im Interesse unseres Allergnädig­ sten Herrn für außerordentlich wünschenswerth [ . . . ], wenn sich die phantastischen Proj ekte [ . . . ] lediglich als Phantasien herausstellen, oder sich doch auf ein bescheidenes Maaß reduzieren sollten>>, versah Wil­ helm diese Äußerung mit der bitteren Randbemerkung: «Aber Philipp ! et tu Brute! »132 Wenn schon der beste Freund, der laut Waldersee eine «völlig ideale Auffassung vom Kaiser>> hatte,133 solche Sorgen hegte, so ist es kaum verwunderlich, daß die Feinde des Kaisers darüber frohlockten. Im Bis­ marckschen Lager kursierten bösartige Witze über die neuesten Krank­ heitserscheinungen, die sich beim Kaiser bemerkbar gemacht haben soll­ ten: Er leide an Fahnenbandwurm, Defilirium, Alarmblasenkatarrh und NordpolutionenY4 Immer dringender lauteten die Mahnungen aus der Wilhelmstraße, daß der Kaiser sich vor den giftigen Angriffen der Bis­ marckfronde in acht nehmen müsse, wenn er seinen Thron nicht aufs Spiel setzen wolle. Holstein warnte Eulenburg im April 1 892: «Seine Majestät weiß, daß er von Feinden bewacht wird. Die April-Nummer der Contemporary Review bringt einen Artikel, . Aus dem Deutschen übersetzt. Das Feinste und Bitterste, was noch gegen den Kaiser geschrieben worden ist. Seine Majestät hat den Artikel gelesen. [ . . . ] Sie werden daraus ersehen, daß der Kaiser seine Worte und Hand­ lungen mehr als bisher abwägen muß, wenn er nicht - bildlich gespro­ chen - unter die Räder kommen will.>>135 Im folgenden Monat schickte Alfred von Kiderlen-Wächter dem Kaiserfreund denselben Artikel mit den Marginalien des Kaisers zu und sagte, er, Eulenburg, werde daraus ersehen, «welche insiduösen Angriffe noch immer gegen Seine Majestät gerichtet» würden; gewisse darin vorkommende Redewendungen wie «Hypothek der Eitelkeit», «Degen des preußischen Offiziers>> und ähn­ liches seien unverkennbare Ausdrücke der Bismarcks - «ein Engländer kann doch unmöglich auf solche Dinge kommen».136 Schließlich sah sich Eulenburg genötigt, den Kaiser vor der akuten Gefahr zu warnen, die ihm aufgrund seiner autokratischen Haltung drohte. und der Kaiser

Wie reagierte aber das deutsche Volk auf die kaiserliche Verkündung von Gottesgnadentum und Selbstherrschaft? War die deutsche «Öffentliche Seele>> (Heinrich Mann) wirklich so unpolitisch, wie Lavisse und der Verfasser des Artikels in der St. ]ames ' Gazette behaupteten, um auf konstitutionelle Formen wenig Wert zu legen und den Autokratismus Wilhelms II. als den Preis, den man für nationale Einheit und innere Ordnung zu zahlen hatte, hinzunehmen? Hat die deutsche Nation sogar, wie Walther Rathenau nach dem Sturz der Monarchie hervorgehoben hat und wie heute noch von (Krypto-)Monarchisten gern geglaubt wird, in Kaiser Wilhelm II. ihr Ebenbild erkannt? «Dies Volk in dieser Zeit, bewußt und unbewußt, hat ihn so gewollt und nicht anders gewollt. Hat sich selbst und ihn so gewollt - nicht anders gewollt>>, heißt die be­ rühmte und vielzitierte Äußerung Rathenaus über Wilhelm aus dem Jahre 1 9 1 9 . «Niemals zuvor hat so vollkommen ein sinnbildlicher Mensch sich in der Epoche, eine Epoche sich im Menschen gespiegelt. Nicht einen Tag lang hätte in Deutschland regiert werden können, wie regiert worden ist, ohne die Zustimmung des Volkes.>>10 Nicht aus per­ sönlichem Vorurteil oder ideologischer Voreingenommenheit, sondern aus Liebe zur Wahrheit und aus Respekt vor den wirklichen Empfin­ dungen jener Generation des deutschen Volkes müssen wir angesichts der zeitgenössischen Quellen, die die wachsende Unruhe und Verärge­ rung in sämtlichen Volksklassen und Gebieten reichlich bezeugen, die­ sem rückschauenden Urteil entschieden widersprechen. Das «böse Erwachen>> Waldersees im Sommer 1 890 hing ursächlich mit seiner Wahrnehmung der wachsenden Unbeliebtheit des Kaisers im Volke zusammen. Es sei «ganz fraglos, daß die Stimmung gegen den Kaiser in schnellem Zunehmen>> sei, hieß es im Tagebuch schon wenige Wochen nach dem Sturze BismarcksY In der Armee, den Parteien und der Bevölkerung insgesamt stellte Waldersee bereits im Mai I 890 fest, «daß eine unzufriedene Stimmung über ihn [Wilhelm II.] weitere Krei­ sen erfaßt; ich dachte mir>>, schrieb er, «daß er in der Jugend sehr fanati­ sche Verehrer haben würde, gerade aber in diesen Kreisen [ . . . ] soll arg über ihn geschimpft u. seine Eitelkeit u. Hang zum Soldatenspielen kri-

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tisirt werden.» Diese Stimmung sei um so gefährlicher, als die Bismarcks von Friedrichsruh aus offenbar bemüht seien, «den Kaiser als verrückt darzustellen>>.12 Drei Monate später wuchsen die Sorgen des Chefs des Generalstabes weiter. Lese man die deutsche Presse, sagte er, so müsse man denken, es gebe «keinen populäreren Mann u. Herrscher [ . . . ] als Kaiser Wilhelm>>, doch dieser Eindruck sei trügerisch. «Die Besorgniß, die mir schon im vorigen Jahr manchmal kam u. sich in diesem Jahre langsam entwickelte, daß der Kaiser nicht so geworden, wie zu hoffen war, hat sich allmählig bestätigt. Leider mache ich aber die Erfahrung, daß viele Leute denselben Eindruck haben; es giebt eine große Masse Unzufriedener u. dennoch kommt dies in der Presse nicht entfernt zum Ausdruck. Mich bekümmert diese Erfahrung sehr>>, schrieb Waldersee, «am meisten aber deswegen, weil die Armee von dieser Stimmung stark berührt ist.>>13 Er sprach erschrocken von der «steigenden Unzufrieden­ heit großer Bevölkerungskreise mit dem Kaiser>> und führte diese alar­ mierende Entwicklung darauf zurück, daß Wilhelm ziellos und lediglich aus Eigenliebe und Eitelkeit handele.14 Nach der «unsinnigen>> Düssel­ dorfer Rede, in der Wilhelm erklärte, er allein sei Herr im Reich, er dulde keinen anderen, kommentierte der General: «Leider ist es schon so weit, daß der Kaiser nicht mehr für Ernst genommen wird; man hat schon so viel wunderbare Reden von ihm gehört, daß man sich eigentlich nur noch darüber amüsirt.>>15 Der katholische General Walter Freiherr von Loe, der im Oktober I 890 anläßlich des Besuchs von König Leopold II. der Belgier nach Berlin gekommen war, war erstaunt, die Stimmung in der Hauptstadt in einem Jahr so verändert vorzufinden. «Nach seiner Meinung>>, hielt Waldersee in seinem Tagebuch fest, 16 Drei Jahre später schilderte Loe die Lage Deutschlands in den düstersten Tönen als .2° Kurz darauf sprach Waldersee mit Franz Fischer, dem Berliner Korrespondenten der nationalliberalen Köl­ nischen Zeitung, sowie mit einem nicht weiter identifizierten Bankier und einem General. «Bei allen 3 drehte sich das Gespräch bald um den Kaiser u. waren sie einmüthig darin, daß die Stimmung beharrlich schlechter wird. Sie vertreten völlig andere Kreise>>, hob der General hervorY Als er Anfang des nächsten Jahres auf der Jagd in Buckow mit Theobald von Bethmann Hollweg zusammentraf, bestätigte ihm der künftige Reichs­ kanzler, daß «die schlechte Stimmung in allen Kreisen» vorhanden war.22 Im Januar r 89 r war Waldersee entsetzt, wahrnehmen zu müssen, wie selbst in der einfachen Berliner Bevölkerung die kürzlich noch vorhan­ dene Begeisterung für den Kaiser verflogen war. Bei der Einweihung der Friedenskirche fiel ihm auf, «wie kühl sich das Publikum dem Kaiser gegenüber auf den Straßen verhielt; noch vor Vz Jahr würden alle Straßen zur Kirche dekorirt gewesen sein, diesmal sah man wenige Flaggen an den der Kirche zunächst liegenden Häusern u. höchstens einige r oo Menschen>>. Als der Generalstabschef dem Berliner Polizeipräsidenten von diesen Eindrücken sprach, sagte letzterer resignierend, es sei dies einfach «der Ausdruck der Stimmung>>.23 Ein Jahr darauf fiel Waldersee auf, daß diesmal bei dem Geburtstag des Kaisers die Illumination auf die Straße Unter den Linden und wenige andere Straßen beschränkt war, «wie überhaupt alle Berliner ein allmähliges Abnehmen des Kaiser-En­ thusiasmus wahrnehmen wollen>>.24 Nach eingehenden Gesprächen mit Berliner Beamten und Politikern mußte Waldersee bekümmert zur Er­ kenntnis gelangen: «Es ist fraglos die zunehmend schlechte Stimmung der Mittelpunkt aller Konversationen.»25 Nicht weniger vernichtend fiel das Urteil Holsteins aus, als er hilflos zusehen mußte, wie Wilhelm mit einem selbstherrlichen Spruch nach dem anderen das eigene Volk verprellte und die Zukunft der Monarchie in Frage stellte. Niedergeschlagen teilte er Philipp Eulenburg im Herbst r 8 9 r mit, daß man als Antwort auf die fatale Eintragung «suprema lex regis voluntas» in das Goldene Buch der Stadt München das «Heil Dir im Siegerkranz» öffentlich mit «Üho» niedergeschrien habe. «Das ist die

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Signatur der Zeit. Bismarcks Stellung ist viel größer als vor sechs Mona­ ten. Auch der Ruf ist auf dem Bahnhof ge­ hört worden>>, meldete er betroffen. «Der Kaiser steht mehr und mehr verlassen da. Heute merkt er's noch nicht, aber lassen Sie den Augen­ blick kommen, wo er die Anhänglichkeit des Volkes und sein Vertrauen in Anspruch zu nehmen hat - da wird er merken, was er angerichtet hat. Der Herr scheint prädestiniert, furchtbare Niederlagen zu erleiden; denn die Erfolge der Herrscher haben als erste Voraussetzung das Vertrauen und die Liebe der Gehorchenden. Den absoluten Staat kann eben heut­ zutage ein vernünftiger Mensch in Deutschland nicht wollen. Die Ver­ dachte gegen die geistige Gesundheit des Kaisers tauchen alle wieder auf wie giftige AbendnebeL [ . . . ] Überhaupt gehen die Dinge nicht schlecht - nur Se. Majestät! »26 Kaum hatte Holstein diesen Seufzer ausgestoßen, da hielt der Kaiser bei der Fahnenweihe eine Rede, die die Gerüchte über seine «geistige Gesundheit>> von neuem zirkulieren ließ, und zwar - wie er hervorhob - in allen ParteienY Als um diese Zeit im Berliner Lokalanzeiger eine anonyme Spottschrift erschien, erkannte Holstein darin ein trauriges Symptom der allgemeinen Stimmung der Bevölke­ rung, daß diese Ausgabe der Zeitung, die normalerweise einen Absatz von r 20 ooo Nummern hatte, so rasch ausverkauft war, daß man schließ­ lich bereit war, fünf Mark dafür zu zahlen. Er schickte das Blatt an Eulenburg mit der Bemerkung, die boshafte Karikatur sei deshalb so er­ folgreich, weil sie «dem Bilde entspricht, welches man sich von Sr. Maje­ stät macht>>. Bezeichnend sei, daß das Blatt vorwiegend an Offiziere ver­ kauft worden sei, denn daraus könne man ersehen, «wie die Stellung des Kaisers namentlich auch in der Armee untergraben>> sei, schrieb er. , fuhr Holstein fort. «Um diesen Dingen entgegen zu arbeiten, muß Se. Majestät Ernst zeigen. [ . . . ] Ich fange an, bei diesen Vorgängen müde zu werden.>>28 Der Publizist Dr. Franz Fischer, der als Berliner Korrespondent der offiziösen Kölnischen Zeitung sowohl zum Auswärtigen Amt als auch zu den rheinisch-westfälischen Industriellen gute Beziehungen unter­ hielt, urteilte elegisch im April r 89 1 in einem weitangelegten Überblick auf die öffentliche Meinung ein Jahr nach der Entlassung Bismarcks: «Als unser Kaiser zur Regierung gekommen war, atmete alles auf, die Herzen flogen ihm entgegen, neues Vertrauen, rege Unternehmungslust griff überall Platz; der Aufschwung unserer Industrie, die solange brach gelegen hatte, war unverkennbar. Heute ist das gerade Gegenteil wieder der Fall, die Unternehmungslust ist völlig brach gelegt, vor allem das Bauhandwerk liegt darnieder, das Verhältnis zwischen Arbeitern und Arbeitgebern steht im Stadium der gegenseitigen Mobilmachung, aller­ wärts herrscht offenkundiges Mißtrauen. Und was das Schlimmste ist, die Quelle des allgemeinen Mißtrauens und Unbehagens entspricht dem Bilde, das sich weite Kreise aller Berufsschichten, aus dem Heere, aus

Der vorausgeahnte Untergang

dem Beamtentum, aus der Gelehrtenwelt, vor allem aber aus dem Ge­ werbestand über Se.Maj estät unseren Kaiser mehr oder weniger künst­ lich zurecht gelegt haben. Unsere Regierung, vor allem der Reichskanz­ ler selbst, mag sich noch so sehr mühen, durch gute Gesetzvorlagen, durch vortreffliche Verwaltungsmaßregeln der vorhandenen Unzufrie­ denheit entgegenzuwirken, sie kommt nicht zum Ziel; denn immer wei­ ter frißt sich die Überzeugung Bahn, die sämtlichen Minister seien nicht selbständige Männer, die nach ihrem guten Glauben handeln, sondern mehr oder weniger Puppen, die blindlings den Winken und Launen ihres kaiserlichen Herrn folgen. Über den Kaiser aber sind so unglaubliche Legenden verbreitet - und was noch toller ist - sie haben selbst in den königstreuen Kreisen solchen Glauben gefunden, daß man das Eintreten der unmöglichsten Dinge, der merkwürdigsten Regierungsmaßregeln für leicht möglich und sehr wahrscheinlich hält. Das Geringste dabei ist, daß man allerwärts den Kaiser als einen Herrn schildert, der überaus sprung­ haft in seinen Gedanken, veränderlich in seinen Entschlüssen, unbeson­ nen in seinen Reden ist, unbeständig in seinen Neigungen, unfähig Wi­ derspruch zu ertragen. Private Versuche, diese falschen Anschauungen zu widerlegen, führen nicht zum Erfolg; im Gegenteil, die kleinsten Kleinigkeiten, so das häufige Alarmieren der Garnisonen, die der Kaiser besucht, oder neuerdings das Überführen des Torpedoboots nach Berlin, geben nur neuen Stoff, aus Mücken Elefanten zu machen. Immer wieder heißt es: Das und das würde der alte Kaiser nicht gemacht haben! ! »29 Der badische Gesandte schilderte die Volksstimmung in ähnlich dü­ steren Tönen, als er Ende r 89 r auf die Entwicklung seit dem Abgang Bismarcks zurückblickte. «Das Thema der war noch lange nicht erschöpft>>, schrieb er mit beißendem Spott, «als die Kunde von der Rede des Kaisers bei der Rekrutenvereidigung in Potsdam ins größere Publikum drang. Anfangs glaubte man an eine My­ stifikation oder böswillige Erfindung. Bald aber konnte man von Ohren­ zeugen hören, daß S.M. wirklich die Worte gebraucht hatte, die man ihm in den Mund legte. Der Kommandierende General des Gardekorps von Meerscheidt-Hüllessem erkannte sofort die gefährliche Tragweite der kaiserlichen Worte und hielt nach der Abfahrt S.M. an die versammelten Truppen eine kurze Ansprache, in der er es jedem Anwesenden zur Pflicht machte, nichts von den allerhöchsten Äußerungen in das Publi­ kum dringen zu lassen. Natürlich konnte dieser wohlgemeinte Befehl einer so großen Soldatenmenge gegenüber, unter welcher sich wahr­ scheinlich auch Sozialdemokraten befanden, keinen Erfolg haben. Die allerhöchsten Worte haben geradezu Panik bei den allerängstlichsten Gemütern erzeugt, und ich habe den Eindruck, daß die Worte von den Gegnern des Kaisers nachdrücklich ausgebeutet werden, um Angst und Unwillen zu erregen, - bei den Besitzenden, als ob der Kaiser voreilige, für Handel und Verkehr bedenkliche Entschlüsse fassen könnte, - bei

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Die «öffentliche Seele» und der Kaiser

den Arbeitern, als ob der Kaiser den Wunsch und das Bedürfnis habe, sie zu lassen.» Brauer zeichnete den jähen Wechsel in der Einstellung Wilhelms II. zu den Arbeitern in den Worten auf: «Mit der begeisterten hoffnungsfreudigen Hingabe an seinen hohen Beruf war der Kaiser zu Beginn seiner Regierung der frohen Zuversicht, daß er berufen sei, die soziale Frage zu lösen. Die große Popularität, die er an­ fangs unzweifelhaft besaß, verleitet ihn zu dem Glauben, daß es für ihn leicht sei, die Bebel, Liebknecht usw. bei den Arbeitermassen auszuste­ chen und deren Vertrauen zu gewinnen. Daher die große Energie, mit der er die internationale Arbeiterkonferenz betrieb, an der Arbeiterschutzge­ setzgebung persönlich tätigen Anteil nahm, dem Staatsrat anwohnte, das Sozialistengesetz beseitigte. Es fehlt nicht an Äußerungen S.M., die dar­ auf hinweisen, daß er sich von seinen Bestrebungen einen raschen Erfolg, einen plötzlichen völligen Umschwung in den Anschauungen der irre­ geleiteten Massen versprach, und eben deshalb mochte es ihn bitter be­ rühren, daß er in dieser Hinsicht nur Enttäuschungen erlebte: die Sozial­ demokratie nimmt stets an Bedeutung zu, und die Anfänge der Bildung einer kaiserlichen Arbeiterpartei, die er erhoffte, haben nichts Haltbares gezeigt. Bei dem Charakter S.M. ist es psychologisch sehr erklärlich, wenn diese Enttäuschungen einen völligen Umschwung der Anschauung hervorgerufen haben. Ich fürchte, der Kaiser hat jetzt die Überzeugung gewonnen, daß auf gütlichem Wege nichts auszurichten und daß die Arbeiterfrage nur mit Gewalt nach dem Grundsatz zu lösen ist. Daher bringt er seit einiger Zeit mit Vorliebe An­ deutungen von den , bis er jüngst geradezu vom sprach.>>30 Noch vor der Brandenburger Rede im Februar 1 892 hatte sich eine bedenkliche Stimmung gegen den Kaiser gebildet, die nicht weit davon entfernt war, die Form von Straßenprotesten anzunehmen. Die Kaiserin Friedrich zog es vor, sich in das Taunusgebirge oder auch nach England zurückzuziehen, doch als sie im Dezember 1 89 1 für die Saison widerwil­ lig nach Berlin zurückkehrte, mußte auch sie mit Kummer registrieren, daß ihr Sohn sei und daß seine «Öffentlichen Äußerungen [ . . . ] stark kritisiert>> würden.31 , schrieb sie.32 Die Feststellung der ver­ witweten Kaiserin wurde vollauf durch die Berichterstattung der in den deutschen Hauptstädten akkreditierten ausländischen Diplomaten bestä­ tigt. Der englische Gesandte in Dresden meldete beispielsweise im De­ zember 1 89 1 nach London: 33 Eine spöttische Charakterskizze Kaiser Wilhelms in der Londoner Zeitschrift

Der vorausgeahnte Untergang

Truth, die auch in Deutschland viel gekauft und besprochen wurde, ent­ hielt laut Waldersee (der sie ausgerechnet vom kaiserlichen Generaladju­ tanten von Wittich erhalten hatte) «unglaubliche Sachen über den Kaiser u. könne nur von Personen geschrieben sein, die ihn sowie den Prinzen von Wales, der am schlechtesten weg kommt, u. das Leben u. die Stim­ mung in der englischen Familie genau kennen». Der General mußte nach der Lektüre eingestehen, daß es ihn bekümmere, «wie so über den Kaiser Spott gehäuft werden kann; natürlich wird maaßlos übertrieben, leider sind Schwächen des Kaisers aber völlig richtig erkannt.>>34 Geradezu verheerend war sodann die Reaktion der deutschen und der ausländischen Öffentlichkeit auf die Rede Wilhelms II. vor dem Bran­ denburger Provinziallandtag am 24. Februar r 892. Da die Rede zeitlich nicht nur mit der allgemeinen Aufregung über das Volksschulgesetz, sondern auch mit dem zweiten Jahrestag der Entlassung Bismarcks so­ wie mit den ersten größeren Straßenprotesten der Arbeitslosen in Berlin zusammenfiel, gewannen seine autokratischen Äußerungen einen fast klassenkämpferischen Anstrich. Der Reichskanzler von Caprivi meinte zwar philosophisch, daß «die Straßen Krawalle [ . . . ] keine Bedeutung>> hätten. Es sei gut gewesen, daß der Kaiser «einmal ausritt, [ . . . ] um Herz zu zeigen. Eine Wiederholung der dabei vorgekommenen Flegeleien ist aber nicht zu wünschen; ohne eine Eskorte von Schutzleuten ist ihnen aber nicht vorzubeugen. Es war mir deshalb lieb, daß der Kaiser gestern die Idee, den Ritt zu wiederholen, aufgab.>>35 Der badische Gesandte be­ richtete jetzt, eine «pessimistische Nörglerstimmung>> habe «fast die Ge­ samtheit der Nation ergriffen [ . . . ] und unser öffentliches Leben vergif­ tet>>.36 Die Mutter des Kaisers begrüßte die Nachricht, daß Wilhelm sich nach Hubertusstock zurückgezogen habe, denn sonst hätte es wohl zum zweiten Jahrestag der Entlassung Bismarcks weitere Straßendemonstra­ tionen gegeben.37 Der britische Botschafter hob in seinem Bericht her­ vor, daß die Menge den Kaiser sogar umjubelt habe, als er durch die Stra­ ßen der Hauptstadt geritten sei. Dennoch werde die Rede allgemein und mit Recht heftig verurteilt. Kritiker meinten, daß Wilhelm damit seinem Volk den Fehdehandschuh des kaiserlichen Willens hingeworfen und ihm die Möglichkeit genommen habe, zu ihm als überparteiischen Herr­ scher hinaufzublicken. Selbst Wilhelms Anhänger bemängelten die Oberflächlichkeit seiner Ausführungen; sie warnten jedoch davor, zuviel in sie hineinzulesen, berichtete der Diplomat. Die anstößige Phrase von den Nörglern, die den deutschen Staub von ihren Pantoffeln abschütteln sollten, sei zum Beispiel nichts weiter als das Echo eines allegorischen Theaterstücks von Ernst von Wildenbruch, das der Kaiser jüngst bewun­ dert habe. Ähnlich habe der Passus (der in England besonders mißliebig aufgenommen worden sei), in dem der Kaiser den Allmächtigen als «un­ seren alten Verbündeten>> von Rossbach und Dennewitz dargestellt hatte, in Deutschland kaum Aufsehen erregt, da es sich dabei nur um ein all-

2.

Die «öffentliche Seele» und der Kaiser

gemein bekanntes Zitat des Feldmarschalls von Blücher gehandelt habe. Trotz all dieser Erklärungen und Entschuldigungen sei die Rede äußerst kritisch kommentiert worden, «und die Minister Seiner Majestät, für die sie eine vollkommene Überraschung war, werden sich zweifellos bemü­ hen, solch einem Vorfall in Zukunft vorzubeugen. Alle Kommentare in den Zeitungen sind Seiner Majestät vorgelegt worden», so schloß Malet seinen Bericht, «und man hofft, daß die allgemeine Verurteilung der Rede in englischen Zeitungen aller Schattierungen eine heilsame Wirkung ha­ ben wird.>>38 Nach Gesprächen mit Männern aus der nächsten kaiserli­ chen Umgebung wußte auch Verdy zu berichten, «Majestät hat in der letzten Zeit Alles gelesen, was über seine letzte Rede und das Schulgesetz in die Öffentlichkeit kam [ . . . ] und soll, für den Augenblick, wenigstens sehr deprimirt darüber sein.»39 Als einige Monate darauf der Militäratta­ che Leopold Swaine nach einer Abwesenheit von drei Jahren nach Berlin zurückkehrte, war er von der Wandlung, die sich in der öffentlichen Mei­ nung in der Zwischenzeit vollzogen hatte, allerdings erschüttert. «Was mir mehr als anderes auffällt, wenn ich die jetzige Situation mit der, die ich vor 3 Jahren zurückgelassen habe, vergleiche, ist die Art und Weise, in der der Kaiser von allen Gesellschaftsklassen beschimpft - öffentlich beschimpft - wird, selbst von der Armee. Das Land fühlt und weiß, daß dem Kaiser gute Berater fehlen. Die Leute sind beunruhigt und niemand weiß, was der nächste Schritt bringen wird.» Es sei ernsthaft zu befürch­ ten, warnte er, daß «die Dinge sich immer mehr verschlechtern, und alles Vertrauen in das jetzige Regime verrinnt schnelh>.40 Erstmals wurde der Kaiser auch im Parlament angegriffen, als der frei­ sinnige Parteiführer Eugen Richter im Mai I 892 im Preußischen Abge­ ordnetenhaus eine kritische Rede hielt, der sich alle Parteien anschlos­ sen. «Die Rede muß den Kaiser auf das Tiefste berühren», meinte Waldersee, denn «es ist eine scharfe Lection, die das Land dem Kaiser ertheilt und doch gar zu traurig, daß wir soweit schon gekommen sind.»41 Im folgenden Jahr waren es vor allem die kritischen Reden des Sozialdemokraten August Bebel, die in monarchischen Kreisen Furcht erregten. Waldersee fand es Art, in der die fremden Diplomaten in der deutschen Hauptstadt über den Kaiser und den Hohenzollernhof urteilten. «Sie kritisieren alles, verbrei­ ten die unglaublichsten Nachrichten über uns>>, schrieb er empört.45 Die Berichte aus Berlin, die um diese Zeit nach Paris und St. Petersburg ge­ langten, entwarfen in der Tat ein beunruhigendes Bild nicht nur von der politischen Lage in Deutschland, sondern auch vom Kaiser persönlich. Im März I 8 92 las Holstein einen geheimen Agentenbericht aus Paris, dem­ zufolge der französische Ministerpräsident und Außenminister Alexandre Ribot «auf Grund von Botschafter- und sonstigen Berichten unsern Kaiser für geistig krank» halte. Der Agent zog daraus den Schluß: «Die betref­ fende Botschaftermeldung muß dahin gelautet haben, daß die des Kaisers nach Hubenussrock wegen des geistigen Zustandes des Mon­ archen notwendig geworden sei; außerdem wird [ . . . ] von Berlin nach dem Quai d Ö rsay berichtet, daß die Ansicht, der Kaiser sei temporär unzu­ rechnungsfähig, auch in Berliner Kreisen und namentlich in den Kreisen der dortigen internationalen Diplomatie immer mehr an Terrain gewinnt. Ein Teil der Artikel der Pariser Presse, welche seit Monaten peri­ odisch regelmäßig wiederkehrend den Deutschen Kaiser für wahnsinnig ausgegeben, ist [ . . . ] von dem hiesigen [Pariser] Ministerium des Äußern inspiriert.>> 46 Philipp Eulenburg gegenüber kommentierte Holstein den Bericht aus Paris lapidar: Daß Zar Alexander 111. genauso denke, wisse man «Zwar nicht von Schweinitz, aber durch Petersburger Privatbriefe>>.47 Freilich, es bedurfte keiner Geheimberichte aus dem Ausland, um den Vertrauensschwund zur preußisch-deutschen Monarchie zu dokumen­ tieren, denn schon die nach dem allgemeinen gleichen und geheimen Wahlrecht für Männer abgehaltenen Reichstagswahlen sprachen eine allzu deutliche Sprache. Das für die Monarchie bereits katastrophale An­ wachsen der marxistisch-republikanischen Sozialdemokratie in der Reichstagswahl vom Februar I 89o erwies sich schon bei den Wahlen vom Sommer I 893 als der Anfang eines bis zum Weltkrieg unaufhalt­ samen Aufwärtstrends. Da das katholische Zentrum seinen Stimmenan­ teil ( I 9 % ) bis I 9 I 2 unvermindert behaupten konnte, schrumpfte das Re­ servoir der kaisenreuen Parteien - wie das von Balzac im Hinblick auf die Bourbonenmonarchie im postrevolutionären Frankreich geschilderte Chagrinleder - trotz der Verluste der unter sich gespaltenen Linkslibera-

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Die «öffentliche Seele» und der Kaiser

len immer weiter zusammen: 1 893 stimmten 4,3 5 Millionen Wähler für die Oppositionsparteien, die Bismarck noch als Reichsfeinde verurteilt hatte, gegen 2,48 Millionen für die früheren Kartellparteien, die als «staatstragend» oder «staatserhaltend» gegolten hatten. Fünf Jahre spä­ ter, in den Reichstagswahlen von r 898, setzte sich dieser Trend ununter­ brochen fort: 4,43 Millionen stimmten für die SPD, das Zentrum und die linksliberalen Parteien, während das ehemalige Kartell nur noch 2, 1 7 Millionen Stimmen auf sich vereinigen konnte.48 Wilhelms monarchistische Kritiker waren sich natürlich bewußt, daß dieser Rückgang nicht allein auf das Konto des Kaisers ging, vielmehr er­ kannten sie, daß die wachsende Kritik in der Öffentlichkeit Teil einer all­ gemeinen Demokratisierungsentwicklung war, die auch in anderen Staa­ ten beobachtet werden konnte. Dennoch schrieben sie ihm in ihren Ana­ lysen ausdrücklich eine erhebliche Schuld daran zu. Angesichts der ver­ worrenen Verhältnisse im lnnern erkannte Waldersee schon bald, daß die Hoffnungen, die er einst in die Hohenzollernmonarchie als Bollwerk ge­ gen die demokratischen Tendenzen der Zeit gesetzt hatte, unter Wilhelm II. nicht in Erfüllung gehen würden. Als der Kaiser an die Macht gelangt war, habe er, Waldersee, noch die Hoffnung gehabt, das Deutsche Reich würde sich zum «Stützpunkt» gegen die soziale Bewegung entwickeln, an dem sich alle anderen Staaten Europas festhalten könnten; «diese Hoffnung ist allerdings bitter getäuscht>>, seufzte er schon im September r 89o. 49 Nachdenklich schrieb er zwei Jahre später: «>50 Im Sommer r 894 machte der General eine weitere trost­ lose Bestandsaufnahme, in der er feststellte, daß es «in der Welt recht bunt>> aussehe: In vielen Ländern - in Ungarn, Italien, Frankreich, Eng­ land, Serbien und Bulgarien - seien Regierungskrisen zu verzeichnen. «Man sollte meinen, daß bei uns ideale Zustände herrschten; leider ist es aber nicht der Fall. Gott sei Dank haben wir noch kein parlamentari­ sches Regiment, sondern hängt das Kommen u. Gehen der Minister doch vorwiegend vom Souverän, j edenfalls nicht von den Kammern ab. Soviel kann man aber behaupten, daß es in der ganzen Welt brodelt u. braut u.

Der vorausgeahnte Untergang

möchte ich glauben, daß wir großen Umwälzungen entgegen gehen. Zu Lebzeiten Kaiser Wilhelms I. hatte man viel Vertrauen auf Deutschland u. sah in ihm eine fest fundirte gewaltige Macht, an die man sich in schlimmen Zeiten anlehnen konnte. Das ist nun leider anders geworden. Es fehlen noch wenig Tage an der 6 jährigen Regierungszeit des jetzigen Kaisers. Wie mag er wohl über seine Leistungen denken, wenn er sich die Zeit nimmt ruhig nachzudenken? Von den Illusionen der ersten Zeit ist wohl manche geschwunden. Er wollte Deutschland noch größer u. ge­ fürchteter u. im Inneren glücklich machen. Sind wir größer geworden? Nein, unser Ansehen ist zurückgegangen u. unsere Feinde überheben sich; Rußland glaubt die Welt jetzt zu beherrschen. Und wie steht es im Inne­ ren? Niemand ist wirklich zufrieden; unendlich viele sind verbittert u. verletzt; mit höhnischem Gefühl verkünden die Social Demokraten, daß ihre Weizen blühen. [ . . . ] Es mag ja sein, daß das Alte bei uns u. über­ haupt in Europa morsch geworden ist u. vergehen muß. Ich meine aber dennoch, daß thatkräftige Männer den Verhältnissen noch eine andere Richtung geben könnten.>>51 Immer wieder mußte Waldersee wahrneh­ men, daß sich der wachsende Unmut gegen den Kaiser persönlich rich­ tete. «Es sieht bei uns im lnnern keineswegs besser, sondern entschieden schlechter aus als vor einem Jahr, wo schon ein Rückschritt bemerkbar gewesen war», heißt es Ende 1 894 im Tagebuch. «Die Stimmung der Un­ zufriedenheit, des Mißmuthes u. der Schwarzseherei hat fraglos weitere Kreise erfaßt u. kommt lauter zum Ausdruck, namentlich in Süddeutsch­ land; auch richtet sie viel markanter die Spitze gegen den Kaiser. [ . . . ] Wirkliches Vertrauen hat nachgerade Niemand mehr zu ihm; es ist dies unaussprechlich traurig, aber leider wahr.>>52 Der Mißmut sei weit ver­ breitet und die Einsicht, daß der Kaiser die Schuld habe, breche sich überall Bahn. «Selten hat Jemand die Erwartungen so getäuscht wie er.>>53 Die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem autokrati­ schen Auftreten Wilhelms II. zeigte sich r 894 u. a. in dem Riesenerfolg des satirischen Pamphlets Caligula. Eine Studie über römischen Cäsa­ renwahnsinn, in dem der in München lebende linksliberale Historiker Ludwig Quidde im Gewand antiker Quellenanalyse ein unverkennbares und äußerst kritisches Porträt von Wilhelm II. zeichnete. Sein Ziel war es, wie er selbst sagte, «auf die Gefahren der schrankenlosen Auswir­ kung eines krankhaft veranlagten [ . . . ] Herrscherbewußtseins>> hinzuwei­ sen.54 Mit 34 Auflagen und Hunderttausenden von verkauften Exempla­ ren stellte Quiddes Caligula bei weitem die erfolgreichste politische Schrift des Kaiserreiches dar. Sie löste in den Zeitungen sämtlicher Parteifärbung einen - wenn auch gezwungenermaßen verschlüsselt ge­ führten - intensiven öffentlichen Diskurs über die Person und den Herr­ schaftsstil des jungen Kaisers aus. 55 Quidde hatte darauf bestanden, sei­ nen Namen als Verfasser anzugeben. Sein Kalkül, daß kein Staatsanwalt öffentlich würde zugeben können, bei der Lektüre dieser Abhandlung

2.

Die «öffentliche Seele» und der Kaiser

Tabelle 1 : Die zwischen 1 8 8 2 und 1 9 1 8 an deutschen Gerichten abgeurteilten Vergehen gg. Gesetze die Maj estätsbeleidigung betreffend (StGB §§ 94- 1 0 1 ) Jahr

Aburteilungen Verurteilungen

Jahr

Aburteilungen Verurteilungen

r 882

s s7

487

1 90 1

3 94

299

r 88 3

5 64

443

1 902

) 48

284

r 884

5 38

438

1 90 3

3 38

2 58

r 88 s

5 37

412

1 904

3 38

2 58

r 886

5 58

456

1 90 5

2!6

1 79

r 887

763

6r 5

1 906

23 5

193

r 888

820

654

1 907

I J2

1 07

r 889

750

5 57

1 908

so

34

r 89o

794

s8r

1 909

21

14

r 89 r

783

5 93

1910

21

17

r 892

788

s8r

191 1

24

14

r 893

922

670

I9I2

30

23

r 894

9 52

720

I9I3

21

19

! 89 5

8 58

644

1914

Sr

64

r 896

844

623

191 5

96

75

r 897

6o2

429

1916

71

55

r 898

6p

486

I9I7

42

29

r 899

545

402

1918

31

21

1 900

)85

) 00

Gesamt

I 5 743

! 2 063

über einen wahnsinnigen römischen Herrscher spontan an Kaiser Wil­ helm II. gedacht zu haben, ging nicht ganz auf: Zwar erhielt er nicht, wie sein Rechtsanwalt vorhergesagt hatte, eine Gefängnisstrafe von vier bis fünf Jahren, aber er mußte dennoch in Stadelheim drei Monate absit­ zen und ruinierte zudem seine Karriere als Historiker. 56 Quiddes Inhaftierung ereignete sich auf dem Höhepunkt der Verurtei­ lungen wegen Vergehens gegen die Majestätsbeleidigungsgesetze (StGB §§ 94- 1 0 1 ) . Nach den jährlich vom Kaiserlichen Amt für Statistik zusam­ mengefaßten Vorfällen gab es in den dreißig Regierungsjahren des letzten Deutschen Kaisers in allen deutschen Bundesstaaten insgesamt 1 2 196 Aburteilungen und nicht weniger als 92 1 2 Verurteilungen wegen Maje­ stätsbeleidigung, aber diese Fälle waren über die drei Dekaden recht ungleichmäßig verteilt (siehe Tabelle 1 ) Y Hielten sich die Anklagen in der letzten Bismarckzeit und auch in den ersten Jahren des N euen Kurses noch unter 8oo und die Zahl der Verurteilungen in der Regel unter 6oo im

Der vorausgeahnte Untergang

Abb: 2 8: Wilhelrn Il. und seine sechs Söhne ­ eine Variation der Kaiserverehrung.

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Die «öffentliche Seele» und der Kaiser

Jahr, so schnellten beide Zahlen seit I 892 krisenartig in die Höhe: Das Jahr I 893 brachte 922 Aburteilungen bei 670 Verurteilungen, I 894 9 5 2 Aburteilungen bei 720 Verurteilungen, I 89 5 8 5 8 Aburteilungen bei 644 Verurteilungen, und I 896 844 Aburteilungen bei 62 3 Verurteilungen. Da­ nach nahm die Anzahl der Majestätsbeleidigungsprozesse allerdings rapide ab: Die Zahl der Schuldsprüche sank um die Jahrhundertwende unter 3 00, und vor Kriegsausbruch waren es nur noch etwa zwanzig Per­ sonen im Jahr, die wegen dieses Delikts verurteilt wurden. Ein Grund für diesen frappierenden Rückgang ist in den Änderungen der statistischen Erhebungsmethode zu suchen. 58 Ein weiterer Grund lag in der wachsen­ den Einsicht des Kaisers und der Staatsbehörden, daß derartige aufsehen­ erregende Prozesse für das Ansehen der Monarchie geradezu schädlich sein konnten, zumal in Süddeutschland Verurteilungen kaum zu erzielen waren und selbst in Preußen die Richter zunehmend abgeneigt waren, das volle Strafmaß zu verhängen - im April r 893 wurde Maximilian Harden in einem Majestätsbeleidigungsprozeß von dem Landgerichtsdirektor Alexander Schmidt mit der Begründung freigesprochen, Ehrfurcht vor einem Fürsten zeige sich auch darin, daß man ihm gegenüber die Wahr­ heit hochhalte.59 Schließlich verkündete der Kaiser in einem Allerhöch­ sten Erlaß vom 27. Januar 1 907, daß Majestätsbeleidigungen, die aus Un­ verstand, Unbesonnenheit oder sonst ohne bösen Willen begangen wor­ den seien, künftighin straflos bleiben würden. 60 Daß der Rückgang der geahndeten Verstöße gegen die Maj estätsbeleidigungsgesetze nicht als In­ diz für eine wachsende Beliebtheit Wilhelms II. angesehen werden kann, das zeigen wieder einmal die Quellen. Noch im Jahr I 897 registrierte Waldersee, daß «die Stimmung gegen den Kaiser [ . . . ] leider in weiten Kreisen» bestehe; «wie hat sie sich doch ganz allmählig verschlechtert! »61 Wiederholt fiel Waldersee und anderen Kommentatoren allerdings auf, wie schonend der Kaiser von der liberalen und sozialdemokratischen Presse behandelt wurde; es sei daher kein Wunder, wenn er sich falsche Vorstellungen von seiner Popularität mache. Die Erklärung für dieses eigenartige Phänomen sei, so meinte der Chef des Generalstabes, daß die Presse und . Ahnungsvoll fügte Waldersee hinzu: «Worauf die Sache heraus will, ist mir noch nicht völlig klar, daß sie aber schlecht läuft, darüber bin ich nicht einen Augenblick im Zweifel. Wir gehen in der Achtung des Auslandes gradatim zurück, alle unsere Feinde fangen an sich zu fühlen, bei uns greift Pessimismus Platz.»62 Vier Jahre später meinte er: «Die Li­ beralen bis zu den Social Demokraten hinab haben die Ueberzeugung, daß er [Wilhelm II.] in ihrem Interesse arbeitet u. streuen ihm Weihrauch oder greifen ihn wenigstens nicht an. Seinen eigentlichen Kern von Hochmuth, voluntas regis etc. kennen sie ganz genau.»63

Der vorausgeahnte Untergang

Als die Reichstagswahlen I 893 ein Anwachsen der sozialdemokrati­ schen Stimmen um fast 2 5 % brachten, äußerte Waldersee die Ansicht, der Kaiser müsse eigentlich jetzt einsehen, «daß all seine Reform-Pläne u. all seine schönen Absichten gescheitert sind, u. daß seine Rathgeber a Ia Douglas, Hinzpeter, Helldorf u. Konsorten ihn schlecht berathen haben. Zu dem Geständniß, daß er selbst viel zur Entwicklung der Social Demokratie beigetragen, wird er schwerlich kommen, es ist aber [ . . . ] zweifellos der Fall.»64 Nach der Rede vom November I 89 3 , in wel­ cher der Kaiser den gerade vereidigten Rekruten der Berliner Garnison zugerufen hatte: «Ihr habt fortan keinen Willen mehr, es giebt für Euch nur einen Willen u. das ist mein Wille ! >> sagte Waldersee voraus, daß die Sozialdemokraten darüber frohlocken würden, denn «niemand schafft ihnen mehr Rekruten als der Kaiser>>.65 3 · Der Vertrauensverlust bei den «staatserhaltenden» Parteien

Fast noch alarmierender als das stete Anwachsen der sogenannten reichsfeindlichen Parteien war die zunehmende Unzufriedenheit in je­ nen Gesellschaftsschichten, auf die sich die Monarchie stützen mußte. Schon wenige Monate nach der Entlassung Bismarcks wirkte die fron­ dierende Bismarckbewegung nachhaltig vor allem im Süden und Westen des Reiches sowie unter den Studenten (der Führungselite der Zukunft) und stiftete Feindschaft zwischen einflußreichen Kreisen des nationalen Bürgertums und dem Kaiser; die antisemitische Hetzbewegung machte gerade in diesen Jahren Riesenfortschritte in der Landbevölkerung und veranlaßte I 892 die altehrwürdige konservative Partei, die Partei des grundbesitzenden preußischen Adels, dazu, den Antisemitismus in ihr offizielles Parteiprogramm aufzunehmen; der I 890 gegründete Alldeut­ sche Verband setzte die gemäßigte Außen- und Kolonialpolitik des Neuen Kurses zunehmend unter nationalistischen Druck; und schließ­ lich faßte der ebenfalls um diese Zeit gegründete Bund der Landwirte alle mißvergnügten Elemente auf dem flachen Land zu einer gefähr­ lichen Massenagitation gegen den gemäßigten Regierungskurs zusam­ men. Selbstredend wurden diese bedrohlichen Entwicklungen von allen politisch interessierten Betrachtern mit der größten Besorgnis registriert. Nach einer Unterredung mit dem rechtsgerichteten Zeitungsredakteur Arendt vom Deutschen Wochenblatt vermerkte Waldersee im Winter 1 89 1 , dieser sei «sehr schwarzseherisch», besonders in bezug auf das «Zurückgehen des monarchischen Ansehens namentlich in den bisher als gutgesinnt betrachteten Kreisen, sogar [ . . . ] bis in Beamten u. Offiziers­ kreise hinein>>.66 In Anbetracht der wachsenden Unzufriedenheit gerade bei den Parteien, die früher als reichstreu und staatserhaltend galten, also

J.

Der Vertrauensverlust bei den «staatserhaltenden» Parteien

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bei den Konservativen, Freikonservativen und Nationalliberalen, stieß der General verzweifelt aus, «allein der Kaiser selbst» sei an dieser Ent­ wicklung schuld, denn er arbeite «ohne es zu ahnen an der Zersetzung der gutgesinnten Partheien»Y Zum Jahreswechsel 1 89 I I92 stellte er be­ troffen fest, die Stimmung im ganzen Lande sei «eine durchaus trübe u. unbehagliche bei allen die sich zu den staatserhaltenden rechnen, also bei der Masse der Landbevölkerung, sei sie zum Bauernstande oder zum großen Grundbesitzstande gehörig, bei allen Beamten, in der Armee, bei den meisten Industriellen, in Gelehrtenkreisen, aber auch bei zahllosen kleinen Leuten, die au fond gute Patrioten sind. Die Grundursache ist ebenso bedauerlich als mir völlig klar; sie liegt allein im Kaiser selbst.»68 Zwei Jahre darauf hieß es in einer Tagebuchnotiz des erzkonservativen Generals: «In allen Kreisen mit denen ich Beziehungen habe, mit denen ich gleich denke u. zu denen ich nach meinen ganzen Verhältnissen ge­ höre, herrscht die ausgesprochenste Unzufriedenheit u. Verstimmung.» Diese «große Verstimmung gegen den Kaiser [ . . . ] dehnt sich aber auf viel weitere Kreise aus, ich möchte sogar sagen, sie ist eine allgemeine obwohl äußerlich dies nicht zu merken ist; es ist dies aber natürlich weil die Presse da höchst vorsichtig ist, dadurch ist es auch verständlich, daß der Kaiser wohl kaum etwas davon ahnt.»69 In Süddeutschland, wo der katholische Partikularismus weiterhin eine starke Strömung bildete und die Bismarckverehrung im nationalgesinn­ ten Bürgertum in alarmierendem Maße zunahm, war die Antikaiserstim­ mung allgegenwärtig. Ein bayerischer Graf warnte schon im März 1 89 1 vor der drastischen Abnahme des Reichsgedankens, die nach Bismarcks Sturz noch durch das «geschickt ausgestreute Mißtrauen in den Kaiser» verstärkt werde. «Voriges Frühjahr wurde von des Kaisers Narrheit ge­ sprochen bei Bier, Wein und Tee, heuer nur von seiner Nervosität, Über­ stürzung etc.>/0 In Stuttgart, so wußte Eulenburg nach Berlin zu berich­ ten, blieben schon zu diesem frühen Zeitpunkt viele sitzen, als auf einem Bismarck-Bankett der Toast auf den Kaiser ausgebracht wurde.71 Häufig war auch der Badener Arthur von Brauer gezwungen, darauf hinzuwei­ sen, daß es sich bei den Kundgebungen für Bismarck «um eine Demon­ stration gegen Wilhelm II. und nicht so sehr um eine Ehrung Bismarcks>> handele.72 «S.M. wird leider immer mehr von der Nation für alle unsere Mißstände verantwortlich gemacht, und so auch für die Bismarckskan­ dale ! >> berichtete er im Juli 1 892, nachdem es anläßlich der «Großdeut­ schen Rundreise>> Bismarcks zu Ovationen gekommen war. «Man will eben den Kaiser ins Unrecht setzen, und die tadelnden Worte, die gegen den früheren Kanzler wegen seines jetzigen Verhaltens fallen, erhalten fast immer den Nachsatz, daß [ . . . ] In Privatgesprächen der höheren Klassen wie des niederen Volks dringt aber überall ein tiefer Groll gegen S.M. durch, und es darf pflichtgemäß nicht verschwiegen

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werden, daß die Beliebtheit S.M. im Volke durch die neuesten Vor­ kommnisse wieder eine starke Einbuße erlitten hat.»73 Der Erbprinz Bernhard von Sachsen-Meiningen, der mit der Schwester Wilhelms II. verheiratet war, klagte r 894, daß in Süddeutschland der Partikularismus sogar von Offizieren zur Schau getragen werde. Auch in Gelehrtenkrei­ sen, zu denen der Schwager des Kaisers Zugang hatte, sei die Stimmung gegen den Kaiser «eine entsetzliche>>. So könne es nicht mehr lange weitergehen, hieße es von allen Seiten. «Er war der Ueberzeugung, der Kaiser habe auch jetzt noch nicht annähernd Kenntniß der wahren Stim­ mung», hielt Waldersee nach einem Gespräch mit dem Erbprinzen fest.74 Nicht weniger verärgert und verprellt war das großstädtische Bürger­ tum des Westens und Nordens. Bereits im Frühjahr r 892 verzeichnete Waldersee, daß die Arbeitgeber, namentlich die Großindustriellen, «in schweren Sorgen» seien; der Kaufmannsstand im weitesten Sinne sei ver­ unsichert; und selbst der Stand der Lehrer, der Literaten und zum Teil auch der Juristen sei «tief verletzt».75 r 894 sprach er als Kommandieren­ der General in Altona vertraulich mit einem «gutgesinnten und verstän­ digen» Hamburger, der ihm mitteilte, «in welchem Maaße der Kaiser unbeliebt geworden sei u. wie unverhohlen in höheren Ständen darüber gesprochen würde; obwohl mir das Alles bekannt ist», vermerkte Wal­ dersee, «hielt ich es doch für zweckmäßig, mein Erstaunen zu äußern.»76 Kurz zuvor stellte er nach einem Treffen mit dem Militärschriftsteller Major Johannes Scheiben in seinem Tagebuch fest, dieser «unbedingt zuverlässige, uneigennützige, treue Mann>> sei «tief erschüttert über die Zustände in Berlin» und habe «nur Spott u. Hohn [ . . . ] über den Kaiser». geäußert hatte, mit der Feststellung entgegen, die Loyalität der Konservativen zur Mon­ archie sei über allen Zweifel erhaben. Anschließend bemerkte Levetzow «ganz erschüttert>>, dieser Tag sei der traurigste seines Lebens; auch die anderen anwesenden Konservativen seien «tief betrübt>> von dem Treffen mit ihrem König fortgegangen.80 «Was hat der Kaiser in seiner unseligen Neigung in allen wichtigen Fragen als Wortführer aufzutreten sich und dem Ganzen schon geschadet! >> seufzte Waldersee.81 Mit bitterer Ironie nahm der General im folgenden Monat die Nachricht auf, der Kaiser habe dem «jämmerlichen>> Grafen Dönhoff, der doch «allein aus Furcht vor dem Kaiser>> für den russischen Handelsvertrag gestimmt hätte, ein Gratulationstelegramm mit dem Wortlaut geschickt: «Bravo ! Wie ein echter Edelmann gehandelt.>> «Das sind die Leute, die S.M. gern hat>>, schimpfte der General. «Kaiser Friedrich u. Kaiser Wilhelm 1., die wahr­ lich ein Gefühl dafür hatten, was sich für einen Edelmann ziemt, drehen sich im Grabe um. [ . . . ] Wenn man den Kaiser in seinen Äußerungen überhaupt noch ernst nehmen könnte, so würde es jetzt das Richtigste sein, den Adel niederzulegen.>>82 Es sei durchaus zu befürchten, «daß Deutschland seinen Höhepunkt bereits hinter sich>> hat, glaubte Walder­ see. «Als Kaiser Wilhelm II. auf den Thron kam, hatte ich mir die Ent­ wicklung allerdings anders gedacht>>, gestand er ein.83 Zunehmend sorgte sich der General über die immer schlechter wer­ dende Stimmung auch auf dem Land, eine Stimmung, die er mit derjeni­ gen in den Jahren I 8o8 bis I 8 I 2, als die preußische Geschichte ihren bis­ herigen Tiefpunkt erreichte, verglich. Er höre immer mehr Urteile aus Schlesien, der Mark Brandenburg und Sachsen, die von einer tiefen Ver­ stimmung, zum Teil sogar Mutlosigkeit in ländlichen Kreisen zeugten, notierte er im Spätherbst I 8 92. Selbst in diesen monarchisch gesinnten Familien habe sich die Überzeugung durchgesetzt, «daß der Schuldige an den verworrenen Zuständen im Lande, an der allgemeinen Unsicherheit, allein der Kaiser ist. Selbst in den Kreisen, die ich hier im Auge habe, geht das monarchische Gefühl zurück», stellte er fest. «Man fühlt sich verlassen u. sieht, wie der Kaiser den Umsturzpartheien in die Hände arbeitet.>>84 Nach einer Jagdreise nach Schlesien zeichnete er in j enem Winter auf: «Abfällige Urtheile über den Kaiser werden immer häufiger u. steigt ganz sichtlich damit das Andenken an den Großvater.>>85 Die Krise in dem Verhältnis Wilhelms II. zur konservativen Landbe­ völkerung Preußens vertiefte sich in dramatischer Weise im Winter I 893/ 94, als der Kaiser die industrie-, handels- und arbeiterfreundliche Zoll­ politik Caprivis unterstützte. Bestürzt sah Waldersee zu, wie Wilhelm die natürlichen Verbündeten der Krone vor den Kopf stieß. Der Kaiser

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sei «sehr aufgebracht gegen die Konservativen», und an unüberlegten Re­ den werde es auch weiterhin nicht fehlen, sagte er schon I 892 verbittert voraus.86 Auf liberaler Seite liebte man es immer schon, über die Junker herzuziehen, schimpfte der General, «jetzt ist man aber geradezu im Sie­ gestaumel, da auch der Kaiser sich gegen die Junker ausgesprochen hat. Oh hätten wir nur noch mehr von dieser Specialität. Daß hinter den Jun­ kern der ganze Bauernstand steht, davon liebt man nicht zu sprechen.>>87 Allmählich würden die altbewährten Stützen der Regierung, nämlich die Bauern und die kleinen Rittergutsbesitzer der alten Provinzen, in die äußerste Opposition getrieben. Der Kaiser sei jetzt überzeugt, «gleich seinen Vorfahren einen Kampf gegen die rebellischen Junker zu führen; derartige Schlagworte imponieren ihm stets», schrieb Waldersee Anfang I 894.88 Als der Kaiser sich in seiner Rede in Königsberg im September I 8 94 überraschend zum Schürzer des Adels und der Landwirtschaft pro­ klamierte, konnte Waldersee seinen Augen und Ohren nicht trauen. «Was hat der hohe Herr da wieder für ein Zeug zusammengeschwatzt», rief er aus. «Seine liberalen angeblichen Verehrer werden recht saure Ge­ sichter ziehen, daß er sich mit dem Adel identifizirt. [ . . . ] Was sollen die Leute aber dazu sagen, wenn er stolz behauptet, sein Wort, die Land­ wirthschaft zu schützen, gehalten zu haben, während er ihr doch durch die Handelsverträge die schwersten Schläge zugefügt hat.»89 In Wirklich­ keit seien es nicht die adligen Gutsbesitzer allein, die verstimmt seien, «sondern der ganze noch Millionen zählende Theil der Bevölkerung, der von der Landwirthschaft lebt». Bis vor wenigen Jahren, so urteilte der General, bildete der Bauernstand, oder wenigstens sein evangelischer Teil, «die zuverlässigsten konservativen Elemente, die man finden konnte»; in den alten preußischen Provinzen war dieser Stand «gut ho­ henzollernsch>> und in Mecklenburg, Holstein und Hannover immerhin noch «durchaus konservativ». Wenn seine Führer sich nun von der Re­ gierung einschüchtern ließen, warnte er, werde der ganze Bauernstand ins regierungsfeindliche Lager abschwenken und künftighin fortschritt­ lich-demokratisch, antisemitisch oder sozialistisch wählen.90 Immer wie­ der mußte Waldersee konstatieren, daß sich die böse Stimmung im Lande gegen den Kaiser richte. Es sei dies «wahrlich recht traurig, aber kein Wunder [ . . . ] bei seiner Neigung, überall persönlich hervorzutreten».91 Der Berliner Korrespondent der Kölnischen Zeitung zeichnete I 89 5 ein alarmierendes Bild von der Stimmung i m Reiche und vor allem unter den immer radikaler werdenden Kleinbauern, indem er schrieb: «Aus immer weiteren Kreisen kommen zuverlässige Nachrichten über eine wachsende Verstimmung gegen die Person Seiner Majestät unseres Kai­ sers; in Süddeutschland, wo in den letzten zwanzig Jahren der Haupt­ aufschwung des nationalen Gefühls sich vollzogen hatte, wachsen die radikalen Elemente in der bedenklichsten Weise; die Zahlen in Württem­ berg sind dafür ein redendes Zeugnis. In Norddeutschland hat der Bund



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der Landwirte eine Saat ausgesät, die die allergefährlichsten Früchte zei­ tigen muß. Augenblicklich glauben zwar noch die jetzigen konservativen Führer, die Bewegung in der Hand zu haben; aber daß sie darin im Irr­ tum sind, dafür treten schon genügende Anzeichen, in Bayern mit den Bauernbündlern, am Rhein in landwirtschaftlichen Zentrumskreisen, hervor. Die Konservativen haben es für notwendig gehalten, den kleinen Bauern als Vorspann zu gebrauchen. [ . . . ] Das kann kein gutes Ende neh­ men. [ . . . ] Man kann noch ein Jahr die jetzige Bewegung hinhalten; die Großgrundbesitzer mögen auch noch ein Jahr lang den Bund der Land­ wirte zügeln können. Dann aber werden unsere kleinen Bauern merken, daß ihre Führer sie an der Nase herumgezogen haben, und dann werden sie ebenso schlimm und gefährlich werden wie unsere jetzigen Umsturz­ parteien. Das Spiel, das die jetzige konservative Parteileitung spielt, ist für den Staat und die Monarchie im gleichen Maße gefährlich.>>92 4· Der Mißmut in der Armee

In seiner ursprünglichen Fassung bietet uns das Tagebuch Waldersees eine vorzügliche Quelle auch für die Stimmung in der Armee, die dem Chef des Generalstabs besonders am Herzen lag, sah er doch im Heer die natürliche und unerläßliche Stütze des Hohenzollernthrones. Unsere bisherige Untersuchung hat ergeben, wie sehr das vernichtende Urteil Waldersees von den anderen Hofmilitärs in der nächsten Umgebung des Kaisers geteilt wurde.93 Nicht nur sie aber, sondern auch die Komman­ dierenden Generäle der Armeekorps, der Generalstab, die hohen Offi­ ziere im Kriegsministerium und sogar jüngere Offiziere, die in den kom­ menden Jahren in die Führungspositionen nachrücken würden, äußerten sich schon bald nach Bismarcks Sturz in der drastischsten Weise über den jungen Kriegsherrn. Das Tagebuch Waldersees hält fest, wie die Kommandierenden Generäle beim Neujahrsempfang im Januar 1 892 vom Kaiser den schlechtesten Eindruck erhielten, als dieser eine von zahlreichen unter ihnen verlangte Uniformänderung einfach als ablehnte. Anschließend, so schreibt er, habe der Generaladjutant von Wirtich . Ausgerechnet der Kommandierende General des Gardekorps trat «besonders dreist>> hervor, vermerkte Wal­ dersee.96 Fünf Jahre nach dem Sturze Bismarcks bezeichnete er die Stim­ mung unter den höheren Offizieren als «muthlos>> und führte aus: «Hahnke ist in hohem Maaße verstimmt. [ . . . ] Auch General Winterfeld der große Komd. General des Garde Korps, ist sehr geknickt über den Kaiser, selbst Leute wie Bissing fangen an den Muth zu verlieren.>>97 Wiederholt monierte Waldersee schon in dieser frühen Zeit das byzantinische Verhalten der Hofmilitärs und der sonstigen Günstlinge, die der Kaiser um sich versammelt hatte. Geradezu symptomatisch für die korrumpierende Atmosphäre am Hohenzollernhof, die Wilhelm be­ vorzugt habe, fand er das Benehmen des Freiherrn Gustav von Meer­ scheidt-Hüllessem, seitdem er zum Kommandierenden General des Gar­ dekorps ernannt worden war. Hüllesem füge sich «völlig u. ohne Wider­ spruch in Alles, was der Kaiser mit dem Korps treibt, u. dies ist oft ge­ radezu unglaubliches>>, und bestärke den Kaiser sogar in dieser Gewohn­ heit. «Er ist sehr häufig in der Gesellschaft des Kaisers, namentlich bei den zahlreichen Essen im Offizierskorps u. bemüht sich da, den Kaiser mit Witzen, die stets einen rohen, meist obscönen Anstrich haben, zu un­ terhalten. Selbst junge Offiziere finden es unangemessen, wie er sich zum Spaßmacher herabwürdigt>>, kritisierte Waldersee. Allgemeines Kopf­ schütteln habe die Auszeichnung Hüllessems mit dem Schwarzen Adler­ Orden anläßlich der großen Parade am I 8 . August hervorgerufen, schrieb er. «Für eine Parade sind wir dies bisher nicht gewohnt gewesen u. wird es auch mehr aufgefaßt als Belohnung für unbedingte Fügsamkeit.» Da das Privatleben Hüllessems «recht anfechtbar>> sei - er lebe in wilder Ehe - nehme sich der hohe Orden auf seiner Brust «wahrhaftig nicht gut aus>>.98 Von Winterfeld, dem Nachfolger Meerscheidt-Hüllesems als Kommandierender General des Gardekorps, sei man in unterrichteten Kreisen entrüstet, stellte Waldersee fest, da er, «sobald der Kaiser nur am Horizont zu sehen [ist], grob [wird], augenscheinlich in der Hoffnung, dem hohen Herrn damit zu imponiren. [ . . . ] Er ist aber ganz der Mann, die Stellung um dem Kaiser angenehm zu sein>>, bemerkte Waldersee bis­ sig.99 Auch in späteren Jahren kritisierte Waldersee scharf die Haltung des Kaisers, die dazu führe, daß sich höhere Offiziere bei ihm durch Grobheiten gegen die Untergebenen Gunst zu erwerben hofften.100 Ein weiterer Grund für die wachsende Unruhe unter den Generälen bildete das persönliche Eingreifen Wilhelms II. in die Personalpolitik des Offizierskorps. Allgemein betroffen war man zum Beispiel von der Be­ förderung des Prinzen Friedrich von Hohenzollern-Sigmaringen, den Wilhelm früher unter dem Einfluß der Gräfin Wedel als «gefährlichen



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lntriguanten u. bösartigen Katholiken [ . . . ] haßte>>, zum Kommandieren­ den General des 111. Armeekorps im Herbst r 89 3 . Waldersee verurteilte die Bevorzugung dieses «indolenten>> Prinzen aufs schärfste, denn er sei «ein sehr unbedeutender Mann, ohne eine Spur von Passion für seinen Beruf, ohne Ehrgeiz, - nicht einmal persönlich schneidig, dabei auch mi­ litärisch höchst dürftig gebildet>>. Für den stolzen ehemaligen Chef des Generalstabes war es «wahrlich kein erhebendes Gefühl, mit einem sol­ chen traurigen General die gleiche Stellung zu bekleiden>>.101 Als Prinz Hohenzollern kurz darauf vom Kaiser auch noch zum Mitglied der Lan­ desverteidigungskommission ernannt wurde, bemerkte Waldersee bissig: «Wenn der Kaiser die Absicht gehabt haben sollte, die Bedeutung u. das Ansehen der Kommission in den Augen der Armee herunter zu setzen, so konnte er keine bessere Wahl treffen als diesen ebenso ungebildeten als unbedeutenden u. interesselosen General in die Kommission zu neh­ men. Die Ursache ist allein in derselben einen gefügigeren Mann mehr zu haben.>>102 Generell verurteilte Waldersee den Hang des Kaisers, «kleine Prinzen>> in der Armee zu bevorzugen. «>, schrieb er, «aber der Pz. Hohenzollern, Erbg[roß]h[er­ zog Friedrich] v. Baden u. [Erbgroßherzog Peter von] Oldenburg, Prinz Leopold [von Bayern] pp. sind ganz unbrauchbare höhere Truppenfüh­ rer.>> Überhaupt sei der Kaiser «ein sehr wenig befähigter Menschenken­ ner>> und gebe sich bei der Auswahl der höchsten Militärs «großen Täu­ schungen>> hin. 103 Die ungewöhnliche Beförderung des Generals Walter Freiherr von Loe zum Generalobersten während der Kaisermanöver im Herbst 1 893 hielt Waldersee an sich für berechtigt, doch bezeichnend war seine Un­ terstellung, daß hinter dieser Auszeichnung die Absicht des Kaisers lau­ erte, sich selbst bald den Feldmarschallsrang beizulegen.104 Auch wenn sich diese Vermutung noch lange nicht bewahrheitete - Wilhelm ließ sich zwar zum Feldmarschall in der britischen, der österreichisch-unga­ rischen und der bayerischen Armee ernennen, die Selbsternennung zum preußischen Feldmarschall erfolgte aber erst um die Jahrhundertwende ­ legt sie erneut Zeugnis ab für Waldersees Urteil über die Eitelkeit des Monarchen. Besonders erschütternd war für Waldersee die Feststellung, wie sehr sein Nachfolger als Chef des Generalstabes, Alfred Graf von Schlieffen, von dem Monarchen beherrscht wurde und sich von ihm sogar die stra­ tegischen Leitlinien für einen künftigen Krieg diktieren ließ.105 Im März r 892 äußerte sich der Kaiser im Tiergarten vor zahlreichen General­ stabsoffizieren so «abfällig>> über Schlieffen, daß dieser nach der Ein­ schätzung seines Vorgängers eigentlich den Abschied hätte verlangen müssen.106 Um Wilhelm von der verletzenden Angewohnheit abzubrin­ gen, Manöverkritik selbst im Generalstabsgebäude zu üben, brachte man

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ihm I 892 «ganz geschickt>> bei, dort grassierten die Masern! 107 In der Absicht, solche Peinlichkeiten künftighin zu vermeiden, entwickelten die Offiziere unter sich das System, wonach sich ein Flügeladjutant ver­ traulich im Generalstab nach der Lösung Schlieffens erkundigte und an­ schließend auf Grund dieser Kenntnis mit dem Kaiser die entsprechende Stellungnahme ausarbeitete. Bei der Manöverkritik konnte der Kaiser sodann demonstrieren, daß er genau die richtige Lösung getroffen hatte ! 108 Das «Traurige>> an der Manöverkritik des Kaisers sei ferner, so Waldersee, daß er «entweder von Vorunheilen oder von momentanen u. immer hastig gewonnenen Eindrücken geleitet>> sei; das sei auch die Ur­ sache dafür, daß die meisten Armeeführer «unsicher u. aufgeregt>> wur­ den, sobald der Kaiser in der Nähe war.109 «Er ahnt augenscheinlich gar­ nicht, was er sich u. dem Ganzen für einen Schaden damit thut>>, meinte der General besorgtY0 Auch in späteren Jahren handelte Wilhelm II. im militärischen Bereich nach Lust und Laune, und die höchsten Offiziere standen ihm zu Diensten. Als ihm Schlieffen im Frühjahr I 8 9 5 nach wochenlanger Vorarbeit über die bevorstehenden Manöver in der Ucker­ mark Vortrag hielt und dabei Prenzlau, den Ort, bei dem I 8o6 die preu­ ßische Armee vor den Franzosen kapituliert hatte, erwähnte, erklärte der Oberste Kriegsherr, «daß er in Anbetracht des traurigen Klanges dieses Namens dort keine Manöver haben wolle! Nun soll der arme Schlieffen seine wirklich mühevollen Vorarbeiten fortwerfen u. Alles von Neuern anfangen. Der Kaiser hat auch noch hinzugefügt>>, so schreibt Waldersee in sein Journal, «in der Uckermark schien nach der Karte das Terrain für Kavallerie nicht günstig, er habe aber die Absicht mit großen Kavallerie Massen selbst zu führen, auch möchte er die Manöver in Pommern haben.>> Kopfschüttelnd kommentierte der ehemalige Chef des General­ stabes diese Entscheidungen mit den Worten: «Ich hoffe, er ahnt nicht, welche Mühe u. Arbeit er durch solche Launen macht.»111 Das Eingreifen des Kaisers war auch der Hauptgrund für die «anar­ chischen» Zustände, die im preußischen Kriegsministerium herrschten. Nicht nur Waldersee, auch der ehemalige Kriegsminister General von Verdy urteilte I 892, daß alle dort tätigen Offiziere , daß die Armee mit dem Kaiser tief unzufrieden ist. «Es hat sich ein großes Mißtrauen entwickelt u. garkeine Zuneigung, es ist ein Gefühl der Kälte da u. des großen Mißmuthes; Alle beschleicht all­ mählig das Gefühl der Unsicherheit. [ . . . ] Vor Allem müßte der Kaiser die Armee an sich ketten, so etwas kann man nicht testamentarisch er­ werben, es muß erworben sein. Kaiser Wilhelm I. hatte dies gethan u. wie war auch das Verhältniß zwischen ihm u. Armee schön, wie entwik­ kelt war das Gefühl der Zusammengehörigkeit u. das der gegenseitigen Sicherheit! >>114 Schon bald nach Bismarcks Sturz zählte Waldersee in seinem Tagebuch die mannigfachen Gründe für die wachsende Unbe­ liebtheit Wilhelms II. in der Armee auf. Man nehme ihm seine «große Bevorzugung>> der Marine und der Garde und die damit einhergehende Vernachlässigung der Linie und besonders der Infanterie übel. Man be­ klage die «erheblich geringere Höflichkeit» des Kaisers «gegen höhere Offiziere, als man es beim Großvater gewohnt war», sowie die harte Be­ handlung einzelner Offiziere und das Fällen von harschen Urteilen, «die wohl meist unbedacht ausgesprochen sind u. die sogar an Rohheit strei­ fen>>. Überhaupt verursache die überstarke Willensmeinung des Kaisers «Über Dinge, die der Herr doch nicht recht beherrscht>>, also seine Über­ hebung über das Urteil erfahrener Leute, ferner die häufige Versetzung und auch Maßregelung der höheren Offiziere, die man «allein auf persönliche Empfindungen zurückführt>>, und nicht zuletzt sein «unge­ niertes Sprechen mit jungen Offizieren über den Vorgesetzten>> tiefe Un­ zufriedenheit unter den erfahrenen Offizieren. Schließlich habe der Kai­ ser auch durch seine «ausgesprochene Neigung zur Soldaten-Spielerei>>, die vor allem in den ständig von ihm angeordneten, gänzlich sinnlosen Alarmierungen der Truppen zum Ausdruck komme, das ihm anfänglich entgegengebrachte Vertrauen des Offizierskorps verspielt, registrierte der Generalstabschef. Überall sei ein Gefühl der Unsicherheit und Un­ zufriedenheit vor allem bei den höheren Offizieren zu vermerken, die offen von der «Taktlosigkeit>> des Kaisers und der «Rücksichtslosigkeit>> seines Militärkabinetts sprächen.115 Ein Jahr nach dem Sturz Bismarcks und kurz nach der eigenen Ver­ setzung nach Altona bemängelte Waldersee das stetige und schädliche Eingreifen des Kaisers in die Angelegenheiten der Armee. Wilhelm habe bereits «zahlreiche Neuerungen» anbefohlen, klagte er, «zumeist mit dem Anstrich der Spielerei>>, darunter auch «die unglückliche Lanzen Bewaffnung>> der Kavallerieregimenter. Er habe «sehr frühzeitig eine

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Sicherheit im Urtheil» an den Tag gelegt, «die nur verletzte und nirgend imponirte, weil sie aus Dilettantismus hervorging>>. Sein «Haschen nach der Gunst der großen Menge selbst auf Kosten der Armee, wie beson­ ders durch die Publikation der Erlasse über Offizier Ersatz pp.>>, habe das Offizierskorps tief verletzt. «Jetzt nach 3 Jahren ist das Ergebniß unbedingt, daß die Armee sich zum Kriegsherrn in einem wesentlich an­ deren Verhältniß fühlt u. natürlich in einem kühleren u. entfernteren als früher, u. daß keineswegs Vertrauen in der militärischen Begabung des Kaisers sich entwickelt hat, sondern im Gegentheil Mißtrauen zu seinen Fähigkeiten Platz gegriffen hat>>, schrieb der GeneralY6 Scharf kritisierte er auch das Verlangen des Kaisers, daß ihm die neuen Rekruten im Para­ demarsch vorgeführt werden sollten. Hätten sie dies nicht geübt, so fie­ len solche Paraden schlecht aus und der Kaiser sei unzufrieden; übten die Soldaten dahingegen den Parademarsch, um den Monarchen zufrieden­ zustellen, so gingen kostbare Wochen der Grundausbildung verloren, «also alle unsere Ausbildungsgrundsätze [werden] auf den Kopf gestellt. Oh was werden doch die Menschen mit aller Gewalt konfus gemacht und darauf hin gearbeitet, Karaktere zu vernichten>>, seufzte er.117 Als gut gemeinte aber doch «sehr unglückliche [ . . . ] Idee des Kaisers>> verurteilte Waldersee ferner den Antrieb zum Wettbewerb innerhalb der Armee durch die Schützenabzeichen und Kaiserpreise fürs Reiten, der viel «Neid, Zank, Schwindel, Betrug u. Unfrieden gezeitigt>> habe. Ausdrück­ lich hob der General hervor, daß diese «schon deutlich hervortretenden Mißstände>> an vielen Stellen der Armee Besorgnis erregtenY8 Selbst der Militarist Waldersee hatte für Wilhelms Lob für den Grenadier, der töd­ liche Schüsse auf Zivilisten abgefeuert hatte, kein Verständnis: Die Handlung des Kaisers werde «vielen Schaden anrichten u. zwar sehr nachhaltigen>>, sagte er voraus; es sei dies «wieder einmal ein Zeichen der völligen Unreife des Urtheils>>.119 Für «unglaublich u. unüberlegt>> hielten sämtliche Armeeführer auch die scharf ablehnende Haltung Wilhelms, als zahlreiche Offiziere I 8 9 3 beim Hasardspiel ertappt wurden, zu mal er in letzter Zeit das Glücksspiel auf den Hofj agden nicht nur zugelassen, sondern ihm selbst zugeschaut hatte.120 Noch im Sommer I 89 5 stellte Waldersee voller Sorge fest: 121 Zahlreiche Beobachter, darunter der Journalist Franz Fischer, der Diplo­ mat Philipp Eulenburg und die Kaiserin Friedrich, äußerten sich in ähn­ lichen Tönen über die wachsende Mißstimmung innerhalb der Armee.122 Besonders degoutierend fanden die höheren Offiziere den Hang Wil­ helms II., sich aus Anlaß der Manöver von den Massen umjubeln zu las­ sen, der bei den Kaisermanövern I 8 9 3 in den französischsprechenden Teilen Elsaß-Lothringens zum Beispiel dazu führte, daß die Frauen, Schulkinder und Dienstboten der deutschen Garnison zum Jubeln zu



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den Truppenparaden geführt werden mußten, und zwar in der Weise, daß der Kaiser sie am gleichen Tag mehrmals zu sehen bekam.123 Es sei dies «eine sehr gründliche officielle Mache» gewesen, schrieb Waldersee, in die die katholische Geistlichkeit «mit Geschick» eingestimmt habe.124 Die persönliche Manöverführung durch den Kaiser, die zum Sturze Wal­ dersees beitrug, wurde bei weitem nicht nur von dem Generalstabschef als gefährliche Farce empfunden. Der Satz, «der Kaiser siegt immer>>, wurde in der ganzen Armee kolportiert und bespöttelt und die Schieds­ richter geradezu daraufhin instruiert.125 Der Schwager des Kaisers, Erb­ prinz Bernhard von Sachsen-Meiningen, der 1 890 als Kommandeur der zweiten Garde-Infanterie-Division an den fatalen Herbstmanövern in Schlesien teilnahm, beklagte nicht nur den Schaden, der der Armee durch diese Unsitte entstand, sondern auch die Auswirkung auf den Kaiser selbst: Man verwöhne damit den «gnädigsten Herrn>> und tue ihm keinen Gefallen; «wer es wahrhaft gut mit ihm meint, sollte so etwas nicht thun>>, äußerte er.126 Nach dem soeben erwähnten Kavalleriemanö­ ver in Lothringen im Herbst 1 893 wurde die persönliche Leitung der Attacke durch den Kaiser von den Offizieren «einmüthig abfällig kriti­ siert» - allerdings nicht so, daß Wilhelm die Kritik mitbekam.127 In einem Gespräch mit Waldersee machte der Großherzog von Baden gel­ tend, sein Neffe habe die Versammlung der Truppen übereilt, deren Be­ wegung anbefohlen, ehe die Versammlung vollständig war, und sie so­ dann vorwärts bewegt, ohne genügend aufgeklärt zu haben. Die Folge sei gewesen, daß die berittenen Truppen auf dem einen Flügel in Sümpfe geraten seien, in denen zahlreiche Pferde steckenblieben. Zu guter Letzt habe Wilhelm die eigenen Truppen attackiert! Zunächst hätten die Gene­ räle gehofft, so erzählte der Großherzog weiter, Wilhelm würde aus die­ ser Erfahrung den Schluß ziehen, daß die Führung großer Kavallerie­ massen nicht so einfach sei, doch Waldersee mußte dem Onkel Wilhelms die Nachricht entgegenhalten, im ersten Moment sei der Kaiser zwar «völlig unter dem Eindruck des Mißerfolges gewesen, aber schon beim Nachhause Reiten haben elende Schmeichler ihm gesagt, er habe eigent­ lich sehr gut geführt u. ist dann die gute Laune gleich wieder gekom­ men>>.128 Nach einem gemeinsamen Kuraufenthalt in Karlsbad mit dem Reichskanzler von Caprivi wußte der General Viktor von Podbielski Waldersee mitzuteilen, der Kaiser habe sich während der Kaisermanöver in Lothringen «fast ausschließlich mit der Kavallerie beschäftigt u. sie zu unglaublicher Verwendung gebracht>>. Auch von mehreren höheren Kavallerieoffizieren habe er, Podbielski, Klagen «Über fortwährende Be­ fehle u. Gegenbefehle>> des Kaisers gehört; noch nie sei die Konfusion so groß gewesen. Die Attacke, die der Kaiser mit zwölf Regimentern gelei­ tet habe, sei im übrigen «nichts als eine Kopie einer gleichen Attacke, die General Krosigk dem Kaiser kurz vorher bei Salzwedel vorgeführt hat, nur mit dem Unterschied, daß die in Lothringen den Feind nicht

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getroffen>> habe, erzählten sich bestürzt die beiden Generäle.129 Wie we­ nig Wilhelm aus dieser Erfahrung gelernt hatte, zeigte sich ein Jahr spä­ ter, als er bei den Manövern in Ostpreußen wieder darauf bestand, ein Kavalleriekorps zu führen, und zwar mit ebenso unglücklichen Fol­ gen.B0 Und noch vor den Kaisermanövern im Frühherbst r 89 5 in Vor­ pommern - Wilhelm hatte sich dieses Gebiet persönlich in der Überzeu­ gung ausgesucht, es eigne sich besonders für Kavallerieattacken - schrieb Waldersee von der Furcht der daran teilnehmenden Offiziere vor der «Passion» des Kaisers, «große Kavallerie Massen zu führen», wobei er freilich bisher stets verunglückt sei. «Für einen Kavallerie Führer ist er viel zu hastig u. unerfahren.»131 «Die Führung der großen Kavallerie Körper ist eine unglückliche Leidenschaft des Kaisers; er hofft damit zu imponiren, erreicht aber das Gegentheil.»132 Außerdem machte der Ge­ neral sehr zu Recht geltend, daß es bei der «so ungeheuer gesteigerten Feuerwirkung» moderner Waffen doch «geradezu Thorheit» sei, so viel Gewicht auf die Kavallerie zu legen.133 War schon die persönliche Manöverführung des Kaisers in Friedens­ zeiten in den Augen aller Generäle äußerst schädlich, so wurden die dar­ über geäußerten Sorgen bei dem Gedanken an eine persönliche Führung des Monarchen in einem Kriege noch weit übertroffen. Zwar hatte Wal­ dersee Zweifel, ob Wilhelm trotz seiner blutrünstigen Redensarten in dem entscheidenden Augenblick, in dem es darum ging, «das Schwert zu ziehen u. den Knoten zu durchhauen», wirklich den Mut, einen Krieg zu beginnen, finden würde. Höhnisch stellte er im August r 89 r die Frage: «Und was spielt der Kaiser für eine Rolle ? Er, der Alles zertrümmern will, was sich ihm in den Weg stellt, der angeblich so thatkräftige, ener­ gische junge Fürst, fängt jetzt an ängstlich zu werden. Wo ist die so ge­ rühmte Entschlußfähigkeit? Jetzt scheint eine Zeit zu kommen, in der man zeigen kann, ob man mehr kann als Worte machen. Wird er sie gut bestehen ? Zu meiner Bekümmerniß muß ich die Besorgniß aussprechen, daß ich es nicht glaube. Er wird nicht schüchtern sein, andere für das Unglück verantwortlich zu machen; es wird die Welt es ihm aber nicht erlassen, daß er 3 Yz Jahr auf dem Throne sitzend uns nicht vorwärts son­ dern rückwärts gebracht hat.»134 Gleichwohl stand es für Waldersee wie für alle anderen Truppenführer außer Frage, daß Wilhelm II. als Ober­ ster Kriegsherr bei einem etwaigen Kriegsausbruch das Oberkommando über die Streitkräfte persönlich übernehmen würde. beim Ausbruch eines großen Krieges selbst die Führung übernehmen.137 «> schrieb Waldersee nach dem Lothringer Kaisermanöver vom Herbst I 893 .U8 Das einmütige Urteil innerhalb der Generalität sei, daß «der Kaiser selbst nicht der Mann für diese Aufgabe ist>>, schrieb er. Da auch die Österreichischen Generäle «nicht das geringste Vertrauen zu den Fähig­ keiten des Kaisers in Leitung großer Operationen>> hätten, sei bereits eine bedauerliche Distanzierung zwischen der Österreichischen und der deutschen Armee eingetreten, und auch durch die Erkenntnis, daß Schlieffen den Monarchen nicht führen könne, sei die Gefahr einer «lauen Kriegführung>> des Bundesgenossen erheblich gewachsen.139 Das äußerste, das Waldersee für sich selbst zu hoffen wagte, war, daß er im Kriegsfall ein Kommando gegen die Russen im Osten erhalten würde, wo er die Aufgaben selbständig zu lösen haben würde. «>, schrieb er im Juli I 894. «Er kann mit seiner Unüberlegtheit, mit seinem besser Wissen als jeder Andere u. durch seine Eitelkeit getrieben die größte Verwirrung anrichten, u. ist Schlieffen nicht der Mann, ihn zu leiten. Sollte nun auch Kanzler u. Kriegsminister u. wie Verdy von Hahnke er­ fahren hat, auch er [d. i. Hahnke] im großen Hauptquartier sein, so sehe ich sehr üble Zustände kommen.»140 Waldersees Wunsch, das Kom­ mando des Ostheeres zu erhalten, wurde übrigens kurzerhand vom Kai­ ser mit der Bemerkung abgelehnt: «Ich mag den König von Sachsen nicht im Westen haben, lassen Sie ihn nur im Osten kommandiren.>> «Also kleine persönliche Interessen geben den Ausschlag in einer Frage, von der vielleicht das Wohl des Vaterlandes abhängen könnte», seufzte der General verzweifelnd.141 Nicht Graf Schlieffen, sondern Kaiser Wilhelm II. bestimmte den Aufmarsch und die Strategie des preußisch-deutschen Heeres. Ein Jahr nach seiner eigenen Entlassung als Chef des Generalstabes registrierte Waldersee in seinem Tagebuch: 171 Im Oktober r 89 5 unterstützte der Bot­ schafter erneut die gefährlichen Illusionen Eulenburgs mit der süßlichen Beteuerung: «> schrieb er und fügte, auf Holstein anspielend, hinzu: «Die boshaften Zwerge fehlen nirgends, wo Helden walten.>>172 Selbst noch zu Beginn seiner Amtsperiode als Staatssekretär schrieb Bü­ low seinem Freunde in augenscheinlicher Verblendung und Verkennung der Wirklichkeit einen an Byzantinismus alles überbietenden Brief, von dem er wohl hoffte, daß er dem Kaiser vorgelegt werden würde. «Ich hänge mein Herz immer mehr an den Kaiser. Er ist so bedeutend ! ! Er ist mit dem großen König und dem großen Kurfürsten weitaus der bedeu­ tendste Hohenzoller, der je gelebt hat. Er verbindet in einer Weise, wie ich es nie gesehen habe, Genialität, echteste und ursprüngliche Geniali­ tät, mit dem klarsten bon sens. Er besitzt eine Phantasie, die mich mit Adlerschwingen über alle Kleinigkeiten emporhebt, und dabei den nüchternsten Blick für das Mögliche und Erreichbare. Und dabei welche Tatkraft! Welches Gedächtnis ! Welche Schnelligkeit und Sicherheit in der Auffassung! Heute morgen im Kronrat war ich geradezu überwäl-

Der vorausgeahnte Untergang

tigt! Er gab ein Expose über die so verwickelten Wasser-Fragen mit allem, was materiell und ressortmäßig drum und dran hängt, wie es kein Fach-Minister präziser und genauer hätte geben können, aber mit einer Frische, Anschaulichkeit, Großartigkeit des allgemeinen Überblicks, kurz: Genialität, wie sie kein Minister auch nur annähernd erreicht. Gott erhalte uns den großen Monarchen und edelsten Menschen! »173 Als Gegenzug zu der von Holstein, Marschall, Bronsart und Alexan­ der Hohenlohe erwogenen zwangsweisen Rückkehr zum Prinzip der Staatsvernunft entwickelten Philipp Eulenburg und Bernhard Bülow gemeinsam eine eigenartige, gänzlich irrationale politische Philosophie, deren Kern ihre schwärmerische Liebe zum Kaiser bildete: Weder der Staat noch das Volkswohl, sondern ihr «durch und durch monarchisch gerichteter Sinn» und vor allem ihre «persönliche Liebe und Dankbar­ keit für unseren Allergnädigsten Herrn» sollten die Richtschnur allen politischen Denkens und Handeins sein.174 Das zentrale Prinzip dieser Philosophie formulierte Eulenburg unverhohlen in einem Brief, den er am I 5 . Juni I 8 9 5 , dem siebenten Jahrestag der Thronbesteigung Wil­ helms II., an Kuno Moltke richtete, indem er erklärte, man könne als guter Preuße und Monarchist Für ihn persönlich sei dieser «ideale>> Standpunkt das Ergebnis nicht nur zerebraler Überlegung, sondern auch der innersten Gefühle gewesen, räumte Eulenburg ein, da «mein Herz und meine Empfindungen mich auf dieselbe Stelle führen, wohin mich meine Logik als Anhänger des monarchischen Prinzips und meines Königs führt.» 175 Die Folgen dieser Einstellung - auch das bekannte Eulenburg - seien weder dem Staatsge­ danken noch dem Wohl des deutschen Volkes besonders zuträglich, ganz im Gegenteil. An Bülow schrieb er im Sommer I 896: > klar erkannt habe, viel früher zum Bruch mit Caprivi bringen müssen; statt dessen habe er sich vorsichtig zurückge­ halten, «bis er vor einigen Monaten zur Offensive überging». Von ent­ scheidender Bedeutung sei auch gewesen, daß der Ministerpräsident in seinem Kampf gegen Caprivi mächtige Gegner hatte. Vor allem «die ganze Umgebung der Kaiserin [stand] auf Caprivi'scher Seite. [ . . . ] Sollte dem Kaiser etwa von irgend einer Seite gesagt worden sein, daß er sich ganz in Eulenburgischen Händen befände ?» fragte sich Waldersee, und gab als Antwort: «Es wäre möglich, daß dies von der Kaiserin geschehen ist.»137 Er selber konnte seine Freude über den Sturz Caprivis kaum ver­ bergen. Dieser «große u. doch so kleine Mann» sei «tief verbittert in die Versenkung gegangen» und habe «dies Ende wohl verdient», schrieb er an Verdy, und fügte hinzu: «Sanft ruhe seine Asche ! Ich hoffe von ihm nie wieder etwas zu hören oder zu sehen.» In ähnlicher Stimmung habe der Kaiser beim Sturze Caprivis ausgestoßen: «Gott sei Dank, daß ich diesen langweiligen Kerl los bin; es war mit ihm ja garnicht mehr aus­ zuhalten.»138 Caprivi wiederum zeigte seine Verbitterung über seine Be­ handlung, indem er dem Kaiser weder zum Neujahr noch zum Geburts­ tag gratulierte.139 Der österreichisch-ungarische Außenminister Graf Kilnoky hatte nicht den geringsten Zweifel, daß Caprivi das Opfer eines raffinierten Komplotts der Eulenburgs war, das weder der Kanzler noch der Kaiser durchschaut hätten. Als Philipp Eulenburg nach einer Abwesenheit von mehreren Monaten Mitte November r 894 auf seinen Wiener Botschaf­ terposten zurückkehrte und «im ausgedehntesteil Maße» erst dem Kaiser Franz Joseph und dann auch ihm, Kalnoky, den Hergang des «in Lie­ benberg veranstalteten Sturzes des Grafen Caprivi» darlegte, den der Außenminister als «Katastrophe» empfand, faßte dieser mit beißendem Spott die wesentlichen Einzelheiten der Mitteilungen Eulenburgs in einem Geheimbrief an den Österreichischen Botschafter in Berlin zusam­ men. Eulenburg, sagte er, habe die Geschichte der Entlassung «sehr aus­ führlich» und «ziemlich verworren», mit «zahllosen unwesentlichen Details>> angereichert und in «speziell Eulenburg'schen Umhüllungen» eingekleidet erzählt. Der Kaiser sei in Liebenberg in dem Glauben ein­ getroffen, daß sein letzter Aussöhnungsversuch gelungen wäre und Caprivi daher im Amt bleiben würde. «Erst in Liebenberg also, wo aus­ schließlich der Einfluß der Eulenburg'schen Clique den Kaiser umgab, kam der offenbar lange vorbereitete Complott zur Ausführung.» Dort

Caprivis Entlassung

habe man die Äußerungen Caprivis in der Presse , was auch in Erfüllung zu gehen schien.3 Die Briefe, die der Kaiser seiner Frau schrieb, sind nicht mehr vorhanden, aber ihre (wenn auch nur lückenhaft) überlieferten Antworten sprechen weiterhin von großer Liebe und Glück - und Klagen, daß er so oft verreisen mußte. «Ach es ist manchmal wirklich wie ein Traum ! >> schrieb sie ihm im Sommer I 892. «Wie viel Segen, wie viel Liebe v. meinem Herzblatt. Der Herr ist freilich wunderbar gnädig gegen uns gewesen! Er wird auch weiter helfen, er wird mir helfen Dir tapfer beizustehen in Deiner schwe­ ren Stellung! Wenn die Menschen noch so arg gegen Dich gehen u. ver­ suchen Dir das Leben schwer zu machen, uns bringen sie nicht aus ein­ ander. - Die Liebe kann doch unendlich viel.»4 «Ja mein Herzblatt die Sehnsucht bleibt wie immer», schrieb sie ihm während der Nordland­ reise I 892. > werde.28 «In einer Stadt mit so ausgesprochenem eleganten und schönen alten Stil muß man sich eng an denselben anlehnen>>, vermerkte er kritisch an den Rand eines Bauentwurfs. 29 Für das neue Kaiserliche Postamt in Magdeburg ordnete er 1 894 an: «Die Fa'>30 Einen anderen Entwurf lehnte er 1901 mit der Bemerkung ab, er sei «Zu kasernenartig! >>31 «Die Fassade hat absolut keinen erkennbaren Stil! >> schrieb er in einer typischen Randbemerkung auf den Entwurf eines anderen glücklosen Architekten, dessen Gefühle man sich gut vorstellen kann.32 Für größere Regierungsbauten bevorzugte der Kaiser den neugoti­ schen Stil und achtete wie ein strenger Oberlehrer darauf, daß alle Bau­ elemente auch stilgerecht nach seinen Anweisungen ausgeführt wurden. 1 89 5 begrüßte er den ihm vorgelegten neugotischen Entwurf für das Postamt in Straßburg, weil es seiner Meinung nach «eine sehr geeignete Unterbrechung in den Renaissancestil der andern Gebäude>> der Innen­ stadt bringen werde.33 In anderen Entwürfen kritisierte er die runden Fenster, die die Architekten für sonst im gotischen Stil gehaltene Bauten vorgesehen hatten. «Gerade Fensterverschlüsse sind gotisch richtiger, wenn kein Spitzbogen genommen wird>>, dozierte er auf einem Bauplan, «Zum gotischen Stil gehören gerade Fenster oder Bogenfenster, aber keine runden Bogen>>, auf einem anderen, «Runde Bogen gehören nicht in die Gotik», auf einem dritten.34 Für das neue Posthaus in Ülzen be­ stimmte er: 35 Den ersten Entwurf für ein Postamt in Hannover-Linden lehnte der Kaiser mit der Bemerkung ab: an, wobei ihm vor allem der «märkisch-gotische Backsteinbau der Zisterzienser, den der Kaiser liebte>>, als Vorbild diente.37 Bei der «vom Throne angeregten Kirchbaubewegung>> begann also laut Seidel «sowohl bei den Behörden als bei vielen Privatarchitek­ ten das Streben, in bezug auf die Stilfrage und die architektonische For­ mengebung bei ihren Entwürfen nicht mehr etwas Modernes, Neues schaffen zu wollen, sondern sich wieder an die mittelalterlichen goti­ schen Vorbilder anzulehnen>>. Ferner teilt uns Seidel mit, daß sich Wil­ helm um die Jahreswende I 8 8 9/90 intensiv mit den romanischen Bauten am Rhein beschäftigte. «Er ließ Sich eine große Zahl von Photographien der altberühmten romanischen Kirchen des Rheinlandes mit den Abbil­ dungen zahlreicher Details, namentlich der mannigfaltigen Ornamente, vorlegen.>> Besonderen Eindruck machten auf ihn dabei die Pfarrkirche und der Kaiserpalast in Gelnhausen, der Limburger Dom, das Kloster zu Maria-Laach in der Eifel, das Bonner Münster und die bekannten ro­ manischen Kirchen in Andernach, Sinzig und natürlich Köln. Später brachte er Photographien von seinen Reisen nach Norwegen und Italien mit und stellte auch diese den Architekten Max Spitta und Franz Schwechten zur Verfügung. Auf diese Weise gelangte Wilhelm zu der uns etwas paradox anmutenden Überzeugung, daß der romanische Bau­ stil «besonders [ . . . ] geeignet für den evangelischen Kirchenbau>> sei.38 Der Einfluß der mittelalterlichen Kirchen am Rhein zeigte sich bereits in dem Entwurf Spittas für die Gnadenkirche zum Gedächtnis der ver­ storbenen Kaiserin Augusta, für den sich Wilhelm I 890 entschied, sowie in dem romanischen Entwurf Schwechtens für die Kaiser-Wilhelm-Ge­ dächtniskirche, deren Grundsteinlegung der junge Kaiser für den 2 2. März I 89 I anordnete. Diese beiden Kirchen, die Seidel als bezeichnet, wurden in allen Einzelheiten - - von Wil­ helm II. persönlich gestaltet. Die Baumeister Spitta und Schwechten be­ stellte er «monatlich wenigstens einmal zum Vortrage, wo Er alles mit ihnen besprach. Er bevorzugte die strengere frühromanische Richtung bei der Gnadenkirche von Spitta und hat dementsprechend bei der Kai­ ser-Wilhelm-Gedächtniskirche öfter Änderungen veranlaßt. Für den Chor beider Kirchen wurde der Chor von Gelnhausen zugrunde gelegt. Die Stellung der Gnadenkirche im Invalidenpark ordnete der Kaiser selbst an, desgleichen die lange umstrittene Stellung der Kaiser-Wilhelm­ Gedächtniskirche, welche die Baubehörden in eine Achse der vorüber-

2.

Der Kaiser und die Baukunst

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führenden Hauptstraße zu verlegen wünschten. Dagegen bestimmte der Kaiser nach dem Vorbilde des Bonner Münsters die [ . . . ] schräge Stel­ lung. Während der Bauzeit der beiden Kirchen besuchte Er häufig die Bauplätze und die auf ihnen angelegten Ateliers der Bildhauer und hielt Beratungen mit den Baumeistern ab, Seine auf den Reisen und durch Studium gesammelten und sich stets erweiternden Kenntnisse verwer­ tend.>>39 In den nächsten Jahren entstanden wieder , sagte er den Bauleitern und Künstlern.58 Nach einer Visite im Atelier des Bildhauers Schott, der Modelle für die Engelfiguren, die die Kuppel umstellen sollten, anfertigte, gab der Kaiser die Anweisung, «daß an Stelle der Rokokoform die strengere Form der Renaissance zu wählen>> sei.59 In einer Pressenotiz zu diesem Besuch hieß es: «Der Kaiser ging auf alle Einzelheiten ein und er zeichnete mit kraftvollen Strichen eine Engelfigur im Renaissancestil und die Kuppel in das Skizzenbuch des Bildhauers.>>6° Für die Kuppelbemalung schlug Wil­ helm Landschaften mit biblischer Staffage statt figürlicher Szenen vor. Selbst so unscheinbare Details wie die Wetterfahne entgingen der kaiserlichen Aufmerksamkeit nicht.61 Voller Bewunderung für die «Ar­ beitslast>>, die der «Hohe Herr hier auf Sich genommen und durchge­ führt>> habe, hält Seidel, der sich auf die Sitzungsprotokolle der Kom­ mission sowie auf Künstlertagebücher berufen konnte, fest: «Schritt für Schritt gab er den Ausschlag für die Ausführung der Einzelheiten des [ . . . ] Projektes, sei es, daß es sich um die Wahl der Steinsorten handelte, [ . . . ] oder daß die Motive für die Malereien und Mosaiken von Ihm bestimmt oder die Modelle für den Skulpturenschmuck besichtigt und ge­ nehmigt werden mußten.>>62 Das ganz besondere Interesse des Kaisers galt der Gruftkirche, für die er bestimmte, sie solle für das Publikum möglichst zugänglich sein und «durch Denkmäler [ . . . ] und durch In-

3.

Der Bau des Berliner Doms

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schriften die Entwicklung des preußischen Königshauses und hiermit die des Brandenburg-Preußischen Staates in geschichtlicher Anordnung zum Verständnis der Beschauer bringen>>.63 Die Idee, daß er mit jedem solchen Eingriff Kontroverse und Kritik hervorrufen und die Monar­ chie dadurch exponieren mußte, trübte Wilhelms Bauenthusiasmus nur selten. Als die von ihm gezeichneten Figuren von der Dombauverwal­ tung abgelehnt wurden, wandte er sich in einem Telegramm sehr scharf gegen jegliche Kritik bei Bauelementen, die von ihm persönlich appro­ biert worden waren. 64 Im April I 893 teilte Wilhelm seiner Mutter den Abbruch des alten Baus mit. «Der alte Dom wird jetzt von RaschdorfE & seinen Myrmido­ nen in Angriff genommen & stürzt gewaltig zusammen. Das ganze Dach ist weg, und auch die beiden kleinen Türme; die Kuppel ist verschwun­ den & jetzt nehmen sie das Kreuz ab. In einem Monat wird nichts mehr von ihm übrig sein.>> 65 Die Versuche der Kaiserin Friedrich, im letzten Augenblick noch einige Änderungen zu erreichen, mußte Wilhelm aller­ dings zurückweisen. «Es tut mir sehr leid, wenn dies nicht Deinen Ideen entspricht! >> schrieb er ihr im Sommer I 894, «aber alle Wünsche, die Du in früheren Jahren zum Ausdruck gebracht hast, sind sofort an den Aus­ schuß, der den Bau überwacht, weitergeleitet worden, zum Vorteil Raschdorffs. Und so weit wie möglich, ohne die Pläne grundsätzlich zu ändern, hat er nach diesen Vorschlägen gehandelt. Aber auf der anderen Seite war es unmöglich, noch länger mit dem Beginn [des Baus] zu war­ ten, da das Parlament das Geld nicht bewilligt haben würde; & außer­ dem haben die Pläne Zeit genug gehabt, betreffs des Grundrisses & der allgemeinen Dimensionen ausgereift zu werden. Man muß bedenken, daß Papa mir noch gesagt hat, daß RaschdorfE unter seinen Anweisun­ gen die letzten I o oder I 5 Jahre an den Plänen gearbeitet hat & daß dies die Pläne sind, die ihm am besten gefielen. Die Größe war durch die sehr zahlreiche Domgemeinde vorgegeben, die so sehr groß geworden ist. Was die Details anbetrifft, ist noch nichts entschieden worden & ich wäre für j eden Ratschlag sehr dankbar, den Du mir, oder dem Ausschuß, oder Raschdorff selbst geben könntest.>>66 Am I 7. Juli I 894 konnte in Gegenwart des Kaiserpaares endlich der Grundstein gelegt werden, wo­ bei eine vom Kaiser verfaßte Urkunde eingemauert wurde.67 Ursprünglich hoffte man, den Dom bis zur Jahrhundertwende fertig­ stellen zu können, doch schon im Sommer I 896 kam es wegen einiger Streiks zu Verzögerungen. Auch dadurch, daß Anton von Werner dank des Vertrauens, das Wilhelm in ihn setzte, mehr und mehr Einfluß auf das Dombauprojekt gewann, kam es zu Änderungen in dem Domplan, wodurch weitere Verzögerungen entstanden.68 Schließlich dauerte der Bau insgesamt elf Jahre statt der geplanten sechs. Nachdem Finanzpro­ bleme bei der Innenausstattung durch einen Rückgriff auf staatliche Kunstfonds und sodann durch Spenden der Bürger gelöst werden konn-

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Der Kaiser und die Kunst

ten, gingen die Arbeiten nach 1 903 schnell voran. Noch während die letzten Arbeiten durchgeführt wurden, begann man mit den Vorberei­ tungen für die Einweihung, deren prunkvolles Begehen wie immer ein Hauptanliegen des Kaisers war. Da der Berliner Dom als «Zentralkirche für den gesamten deutschen Protestantismus» angesehen werden sollte, wurden alle evangelischen Bundesfürsten und Vertreter sämtlicher pro­ testantischen Kirchen im In- und Ausland zur Einweihungsfeier einge­ laden. Am 27. Februar 1 90 5 betrat dann der Hof, das (dessen 24. Hochzeitstag es war) an der Spitze, zur Einweihungszeremonie den Dom.69 Obgleich der Kaiser mit seinem Bauwerk recht zufrieden war und auch von vielen Seiten Lob zu hören bekam, wurde der Dom von man­ chen auch kritisch gesehen. Der Hofmarschall Graf Roben von Zedlitz­ Trützschler notierte in sein Tagebuch: >, die durch zwei Lehrer, die Marinemaler Carl Salzmann und Hans Bohrdt, gefördert wurde. Seidel versteigt sich sogar zu der Behauptung, daß bei der .87 Sowohl Salzmann als auch Bohrdt haben eindrucksvolle Schilderungen der kaiserlichen Maltätigkeit hinter­ lassen. Jener erinnerte sich: 88 Hans Bohrdt schildert seinerseits eine gemeinsame Nordlandreise mit dem Kaiser, bei der sich



Der Kaiser und die Malerei

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dieser mit dem Entwurf eines Gedenkblattes für die Marine beschäftigte. «Er entwickelte dabei denselben regen Eifer wie beim Malen im Schlosse, nur wurde die Arbeit häufig unterbrochen durch Anschauen von Naturschönheiten, welche die passierte. Dann war es für eine ganze Weile mit der Arbeit vorbei, der Kaiser fand Sich nach dem Naturgenusse schwer in den Entwurf zurück, manchmal legte er die Zeichnung für den ganzen Tag beiseite.»89 Die Leidenschaft Wilhelms II. für die Marinemalerei war natürlich Ausdruck seiner Marinepassion insgesamt, aber sie hatte direkte Folgen auch für die Malerei und das Kunstgewerbe. Als Oberster Kriegsherr gab er laut Salzmann persönlich die Erlaubnis, daß «Maler, die sich spe­ ziell in der Kriegsmarinemalerei vervollkommnen wollen, für längere Reisen auf Schulschiffen, wie auch zu den Seemanövern auf den großen Panzern mitgenommen werden dürfen. Auch die großen Gesellschaften der Handelsmarine gewähren des öfteren Malern in entgegenkommen­ der Weise vollständig freie Fahrten auf ihren großen Dampfern nach dem Norden wie auch nach den südlichen Ländern. Und so ist auch in­ folge des großen Interesses, das der Kaiser diesem Zweige der Kunst entgegenbringt, im Jahre 1 894 aus eigener Initiative des Kaisers die Er­ richtung eines Unterrichts in der See- und Schiffsmalerei an der König­ lichen Akademischen Hochschule für die bildenden Künste in Berlin entstanden.»90 Und so wie er alle Einzelheiten der Bauentwürfe für Re­ gierungsgebäude und Kirchen überprüfte und korrigierte, so bestimmte Wilhelm sogar die Inneneinrichtung der neuen Kriegsschiffe, die auf sein Drängen hin gebaut wurden. Dabei war er bemüht, wie Seidel schreibt, «die starren Notwendigkeiten der kriegerischen Zwecke mit einfacher, aber geschmackvoller Erscheinung zu verbinden. Über alle Einzelheiten dieser Wohnungen entscheidet und bestimmt der Hohe Herr persönlich, sei es, daß die Beschaffenheit der Wände, die Stoffe der Möbel oder die Porzellanservice für die Tafel in Frage kommen.»91 Die bekannteste, tausendfach vervielfältigte Zeichnung Wilhelms II. war jedoch nicht etwa die von einer Seeschlacht, sondern die bereits er­ wähnte und weiter oben abgebildete Skizze > verweisend, bestan­ den darauf, daß die Nationalgalerie ausschließlich der vaterländischen Kunst gewidmet sein sollte.108 Nachdem der Streit mit großer Heftigkeit auch wiederholt im Landtag diskutiert worden war, startete Kaiser Wilhelm am I 1. April I 899 in Begleitung von Kultusminister Dr. Bosse, Zivilkabinettschef von Lucanus und den Flügeladjutanten General Friedrich von Scholl und Kapitän zur See Oskar Graf von Platen zu Hallermund der Galerie einen Besuch ab, um den Gerüchten über die modernen Bilder nachzugehen. Zu Anton von Werner, der auch bestellt worden war, sagte der Kaiser beim Eintritt: «> Werner, des Kaisers Lieblingsmaler und Vorsitzender der Landes­ kunstkommission, hielt das Gespräch zwischen Wilhelm und Tschudi beim Rundgang in einer Aufzeichnung eindrucksvoll fest. «Herr von Tschudi erläuterte die Bilder. Zu Böcklin's Porträt mit dem Todrenge­ rippe [ . . . ] Se. M.: Er sähe lieber an Stelle des Gerippes einen Genius od. dgl. Se. M. verhehlte seine Abneigung gegen Böcklin nicht. Die Natur sähe nicht so aus, Er möge das Phantastische, Unwahre nicht. [ . . . ] Bei Ad[olf von] Menzel's Se. M. zu v. Tschudi: [ . . . ] Von [Max] Liebermann u. F[ritz] v. Uhde wollte Se. M. nichts wissen. [ . . . ] Bei Millet versuchte v. Tsch[udi] auf die Aufforderung Sr. M., Millet zu einer Art Rembrandt zu machen. Se. M.:

Auch die anderen, wie Fragiacomo, Segantini erregten bei Sr. M. Kopf­ schütteln u. Widerspruch.>>109 Der Referent des preußischen Kultusmini­ steriums, Ludwig Pallat, schob die Schuld für die feindselige Haltung Wilhelms Anton von Werner und den anderen Feinden Tschudis in die Schuhe, indem er behauptete: «Er verhehlte dabei nicht seine Ablehnung der modernen, insbesondere der französischen Kunst, scheint sich aber nicht besonders scharf geäußert zu haben. Dagegen verbreiteten die Tschudi feindlich gesinnten Künstler, an ihrer Spitze Anton von Werner, ablehnendere Äußerungen des Kaisers, mit der Französelei müsse ein Ende gemacht werden, die Franzosen müßten wieder aus der Galerie heraus und ähnliches. Wenn der Kaiser so vielleicht auch nicht gespro­ chen hat, so scheinen ihn jene Kreise doch in ihrem Sinne beeinflußt zu haben.>>110 Wie dem auch sei, vier Monate nach dem Galeriebesuch verkündete Wilhelm einen Erlaß, in dem er sich entschieden gegen Tschudi und die Impressionisten aussprach. «Ich habe bei einem Besuch der National­ Galerie im Frühjahr d.J. wahrgenommen, daß Gemälde, welche vermöge des Gegenstandes ihrer Darstellung besonders geeignet scheinen, einen bildenden Einfluß auf die Besucher auszuüben, und auch durch ihren künstlerischen Wert die nationale Kunst in hervorragender Weise reprä­ sentieren, von ihrem bevorzugten Platze beseitigt und durch Bildwerke der modernen Kunstrichtung ersetzt worden sind. Diese Veränderungen finden meinen Beifall nicht, und ich wünsche, daß die bezeichneten Werke wieder an ihre alte Stelle gebracht und die neueren Bilder an einer weniger hervorragenden Stelle untergebracht werden. Zugleich be­ stimme ich, daß künftig zu allen Erwerbungen für die National-Galerie, sei es durch Ankauf, sei es durch Schenkung, zunächst meine Genehmi­ gung eingeholt werde. Ich ersuche Sie hiernach das Weitere zu veranlas­ sen. Gez. Wilhelm R., Neues Palais, den 29. August 1 899.>>111 Tschudi mußte sich dem kaiserlichen Bescheid beugen, und noch vor Jahresende konnte Bosses Nachfolger als Kultusminister, Konrad Studt, dem Mon­ archen melden, daß die Umhängung der Impressionisten in den zweiten Stock erfolgt sei. Als noch viel drakonischer erwies sich allerdings das Verbot Wilhelms, die bisherige aufgeschlossene Ankauftätigkeit Tschudis fortzusetzen. 1 903 schilderte Alfred Lichtwark die paradoxe Lage, in der sich der Direktor der Nationalgalerie nun befand: «Ihm stehen die reich­ sten Privatmittel zur Verfügung, die in Europa ein Museum heranziehen kann, und er könnte damit im Handumdrehen eine Sammlung ersten Ranges machen, nur daß seine vorgesetzte Behörde nicht wagt, sie als

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Der Kaiser und die Kunst

Geschenk in Empfang zu nehmen oder ihre Annahme dem Kaiser zu empfehlen.»112 Mittels des «Königsmechanismus» hatte Wilhelm der alten Salonkunst der Historien- und Schlachtenmalerei die mächtige Protektion des Staats gewährt, aber um welchen Preis ! Die herrliche Pracht des deutschen Expressionismus, der heute noch in aller Welt als ein hell aufleuchtender «gash of fire [Flammenriß]» (Christos Joachimi­ des) in der Dunkelheit bestaunt wird, blieb draußen vor dem Tor; sie florierte nicht in der Reichshauptstadt, sondern in München und Dres­ den, Darmstadt und Dachau, Worpswede, Weimar und Wuppertal, Düs­ seldorf und Hagen.113 So wie sich Wilhelm in der Politik auf den Rat unberufener Günst­ linge wie Philipp Eulenburg verlassen mußte, um sich gegen die verfas­ sungsmäßigen Instanzen durchzusetzen, so hatte er auch in der Kunst­ politik seine , die ihm die Ausübung der persön­ lichen Herrschaft ermöglichte. Neben lhne, Raschdorff und Schwech­ ten, Salzmann und Bohrdt, Begas und Knackfuß hörte er vor allem auf den Rat Anton von Werners, der schon unter seinem Großvater und sei­ nen Eltern eine bedeutende Rolle als Hofmaler gespielt hatte, aber unter Wilhelm II. ohne Zweifel zum mächtigsten Mann der offiziellen Kunst­ politik avancierte. Der junge Kaiser überschüttete ihn nicht nur mit Auszeichnungen, sondern übergab ihm die wichtigsten Posten im Berli­ ner Kunstleben: Er wurde Akademiedirektor, Mitglied der preußischen Landeskunstkommission, Vorsitzender des Vereins der Berliner Künst­ ler, Vorsitzender der Mitgliedgenossenschaft der Akademie, Vorsitzen­ der der Lokalgenossenschaft Berlin und Hauptvorsitzender der Allge­ meinen Deutschen KunstgenossenschaftY4 Werners Feinde warfen ihm vor, noch kaiserlicher als der Kaiser zu sein.115 Wie in der Politik an sich beruhte das Verhältnis zwischen Wilhelm und seinem Günstling in der Künstlerwelt auf gegenseitiger Anhimmelung, wie die Tagebuchauf­ zeichnungen von Werner bezeugen. , lesen wir darin. Und an anderer Stelle: 116 Nicht nur an der Malerei, auch an der graphischen Kunst, an der Pho­ tographie und an dem neuen Medium Film zeigte der Kaiser ein reges Interesse und griff auch dort mit kaiserlichen Anweisungen ein. Voller Bewunderung schreibt Seidel von der Angewohnheit Wilhelms, die



Der Kaiser und die Malerei

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kleinsten Details der verschiedenen graphischen Reproduktionsverfah­ ren mit dem Direktor der Chalkographischen Abteilung der Reichs­ druckerei, Geheimrat Roese, zu besprechen. Hierbei habe sich gezeigt, «daß der Kaiser auf allen Gebieten der graphischen Künste, Druck- und Herstellungsverfahren, sowie mit allen modernen Wiedergaben vollstän­ dig vertraut und unterrichtet ist und jedesmal fachmännische Instruktio­ nen gab, wie der Auftrag ausgeführt werden sollte>>. Auf dem Gebiet der Photographie nahm der Kaiser lebhaften Anteil an der Lösung des Pro­ blems, Farbaufnahmen direkt nach der Natur zu machen. «Durch Vor­ träge der Fachleute, vor allem [ . . . ] von der technischen Hochschule in Charlottenburg, und durch Vorführung der betreffenden Versuche ist der Kaiser über die verschiedenen mehr oder weniger erfolgreichen Ar­ beiten auf diesem Gebiete völlig orientiert, und kein Fortschritt wird bekannt ohne daß der Kaiser Bericht darüber einfordert>>, teilt uns Seidel mit, der noch bewundernd aufführt, wie der Monarch bei einer der Au­ ßenaufnahmen «den grünen Jagdfrack mit schwarzen Eskarpins, das orange Band des Schwarzen Adlerordens über der weißen Weste und ein rotes Sträußchen im Knopfloch» trug.117 Erregte Wilhelm mit der ungewöhnlichen Intensität und Ubiquitär seiner persönlichen Eingriffe in den Bereich der Kunst oft Anstoß, so hat er sich in der herkömmlichen Rolle eines Fürsten als Mäzen und Sammler auch verdient gemacht. Er rühmte sich, es nicht zu machen «wie viele andere Fürsten, die teure Kunstwerke sammeln und in ihren Schlössern verbergen. [ . . . ] Ich gebe mein Geld aus, um für mein Volk etwas zu schaffen und Kunstwerke hinzustellen, an denen es seine Freude hat! »118 Ihm ist es zu verdanken, daß die Sammlungen der Ge­ mäldegalerie, der Skulpturenabteilung und des Kupferstichkabinetts in Berlin während seiner Regierungszeit internationalen Rang erlangten. Bereits im April r 8 89 gewährte Wilhelm der Gemäldegalerie Sonder­ mittel aus dem Allerhöchsten Dispositionsfonds, die den Ankauf einer umfangreichen Sammlung der frühen Werke Adolf von Menzels, seines ersten Lieblingsmalers, ermöglichten.119 Auch Sammlungen außereuro­ päischer Kunst, vor allem die islamische und ostasiatische Abteilung, wurden in dieser Zeit eingerichtet. Allein durch die persönliche Unter­ stützung des Kaisers kamen zudem mehrere sehr aufschlußreiche ar­ chäologische Expeditionen in die Türkei, Vorderasien und nach Ägypten zustande.120 Daß selbst bei so scheinbar uneigennützigem Mäzenatentum realpoli­ tischer Egoismus im Spiel sein konnte, zeigt der Fall der Galerie Schack, die der Kaiser r 894 in großzügiger Weise der Stadt München beließ. Dem Münchner Oberbürgermeister telegraphierte er: «>, führte er aus, und «ein kaiserliches Eigentum in München, gekennzeichnet durch Embleme pp., würde dazu beitra­ gen, die Reichsidee zu fördern.» Hinzu komme außerdem, urgierte Eu­ lenburg, daß damit «Über der Stadt stets das Damoklesschwert des Zu­ rückziehens der Wohltat» schweben würde, womit der Kaiser auf Bay­ ern einen gewissen Druck ausüben könne. Diese politischen Vorteile, die mit der Belassung der Schackgalerie in München verbunden sein würden, überwiegen seiner Ansicht nach den rein künstlerischen Nut­ zen der Sammlung bei einer Überführung nach Berlin.122 Kurz darauf konnte Eulenburg seinem Protege Bülow in Rom melden: «Die Affäre der Bildergalerie Schack verlief glänzend. S. M. war wahrhaftig großartig und kaufte ohne Augenzwinkern das Haus für 40o.ooo Mark. Nichts hat ihn im Süden populärer machen können als dieser Coup ! Die parti­ kularistisch-ultramontane Partei ist fassungslos über dieses Kaiserhaus in München.» 123 6. Die Siegesallee und die «Rinnsteinkunst>> Nicht nur, weil er sich als verfehlter Bildhauer vorkam - Seidel zufolge soll er gesagt haben, «daß Er, wenn Er nicht Kaiser wäre, am liebsten Bildhauer sein würde» -, sondern auch, weil er durch die Denkmalkunst am ehesten das gewöhnliche Volk zu erreichen glaubte, hatte sich Wil­ helm von Anfang an lebhaft für die Bildhauerei interessiert, zahlreiche Entwürfe (zum Beispiel für das Denkmal des Ersten Garderegiments zu Fuß auf dem Schlachtfelde von St. Privat sowie für das Nationaldenkmal in Memel) eigenhändig gezeichnet und den Standort von Monumental­ denkmälern (wie das Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. am Deutschen Eck bei Koblenz) persönlich bestimmt.124 Wie bei allen anderen Gattun­ gen der Kunst griff er in die kleinsten Details der Bildhauerei ein, zumal dann, wenn es um die vermeintliche pädagogische Wirkung auf die Bür-

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ger ging. Die ersten Entwürfe für den Berliner Märchenbrunnen zum Beispiel lehnte er ab und verkündete, «daß, wenn im Hinblick auf die große Zahl der in dem Hain spielenden Kinder deutsche Märchen als Motive für die Brunnenanlagen gewählt werden sollen, an die Entwürfe vor allem zwei Anforderungen gestellt werden müßten: einmal, daß die Darstellungen in einer für das kindliche Gemüt verständlichen und an­ sprechenden Weise ausgeführt werden, sodann, daß auch der poetische Hauch, welcher die deutsche Märchenwelt und ihre Personen umgibt, in den Bildwerken zum Ausdruck kommt. Nach beiden Richtungen ge­ nügten aber die vorgelegten Entwürfe nicht. Seine Majestät geben daher anheim, von den geplanten schweren architektonischen Anlagen abzuse­ hen, sie in mehrere kleine Gruppen aufzulösen, welche einzelne Episo­ den aus dem Märchen zur Anschauung bringen und mit den Entwürfen einen Bildhauer zu betrauen, der sich auf dem Gebiete gemütvoller Dar­ stellungen bereits bewährt hat.>>125 Zu seinem 3 5. Geburtstag im Januar I 894 stiftete Wilhelm II. den «Kaiserpreis zur Förderung des Studiums der Antike>>, der junge Künst­ ler zur Beschäftigung mit antiken Skulpturen ermuntern sollte. In einem Erlaß an den Kultusminister erklärte er: «Zur Förderung des Studiums der klassischen Kunst unter den Künstlern Deutschlands will Ich aus Meiner Schatulle einen Preis von Iooo Mark jährlich stiften. Diesen Preis werde Ich an Meinem jedesmaligen Geburtstage demjenigen Künstler verleihen, welcher aus einer von Mir ausgeschriebenen Kon­ kurrenz als Sieger hervorgehen wird. Sowohl die Stellung der Aufgabe als die Verleihung des Preises behalte Ich Mir Selbst vor. Als erste Auf­ gabe stelle Ich: die Restauration des in Meinem hiesigen Museum aufge­ stellten pergamenischen Frauenkopfes. Über Ausschreibung und Einrei­ chung der Konkurrenz erwarte Ich baldigst Ihre näheren Vorschläge.» 126 Dem Kaiserpreis war der Erfolg nicht beschieden: Trotz der Erhöhung des Preisgeldes auf 3 000 Mark meldeten sich nur wenige Bewerber, und da auch die Qualität der Eingaben enttäuschend ausfiel, sah sich der Monarch I 899 genötigt, die Ausschreibung einzustellen.127 Nicht zufällig war es auch auf dem Gebiet der Denkmalkunst wieder der Reichstag, der den historistisch-dynastischen nationalpädagogischen Vorstellungen des Kaisers Widerstand leistete. Die Reichstagskommis­ sion, die für das zu errichtende Denkmal für Kaiser Wilhelm I. vor dem Berliner Schloß verantwortlich war, hatte ursprünglich dem Monarchen zugestanden, sowohl den Standort als auch die Ausführung des Reiter­ standbildes für seinen Großvater zu bestimmen, doch im Januar I 894 unterzog sie den Entwurf, der Wilhelms völlige Billigung gefunden hatte, einer herben Kritik, was bei ihm Verbitterung hervorrief. «Die Zeit wo Alles schön ging u. man Alles ihm zu Gefallen that, ist vor­ üben, kommentierte Waldersee den Vorgang - allerdings in der Über­ zeugung, daß sich der Kaiser schließlich doch durchsetzen würde.128 Mit

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der Statuenreihe aller Hohenzollern vor dem neuen Reichstagsgebäude sollte Waldersees Vorhersage in Erfüllung gehen. Die I 89 5 begonnene und I 90 I fertiggestellte Siegesallee bildete das persönlichste Kunstproj ekt Kaiser Wilhelms II. Früh war der Gedanke des Monarchen zu erkennen, durch eine Art Skulpturenpark das Volk zu größerem Nationalstolz und zur Verehrung der Hohenzollerndynastie zu bewegen. In seinem Auftrage entstanden vor der Marineakademie in Kiel «eine Reihe von Denkmälern der Seehelden, die unsere Flotte unter den schwierigsten Verhältnissen geschaffen oder zu ihrem Ruhmes­ kranze den ersten Lorbeer erworben haben». Auch für diese Denkmäler fertigte der Kaiser die meisten Entwürfe selber an.129 Auf der Terrasse des Berliner Schlosses ließ er Denkmäler seiner oranischen Vorfahren aufstellen, für die er ebenfalls die Skizzen anfertigte.U0 Am 27. Januar I 89 5 , an seinem 3 6. Geburtstag also, ließ er in einer Extra-Ausgabe des Reichsanzeigers und Königlich Preußischen Staatsanzeigers verkünden: «Ein Vierteljahrhundert ist nahezu verflossen, seitdem das deutsche Volk, dem Ruf seiner Fürsten folgend, sich in Einmüthigkeit erhob, um fremden Angriff abzuwehren, und in glorreichen, wenn auch mit schwe­ ren Opfern erkämpften Siegen die Einheit des Vaterlandes und die Wie­ derbegründung des Reichs errang. Meine Haupt- und Residenzstadt Berlin hat an der Entwickelung, welche dem deutschen Städtewesen da­ durch beschieden ward, reichen Antheil genommen. [ . . . ] Als Zeichen Meiner Anerkennung für die Stadt und zur Erinnerung an die ruhmrei­ che Vergangenheit unseres Vaterlandes will Ich daher einen bleibenden Ehrenschmuck für Meine Haupt- und Residenzstadt Berlin stiften, wel­ cher die Entwickelung der vaterländischen Geschichte von der Begrün­ dung der Mark Brandenburg bis zur Wiederaufrichtung des Reiches dar­ stellen soll. Mein Plan geht dahin, in der Siegesallee die Marmor-Stand­ bilder der Fürsten Brandenburgs und Preußens, beginnend mit Albrecht dem Bären und schließend mit dem Kaiser und König Wilhelm 1., und neben ihnen die Bildwerke je eines, für seine Zeit besonders charakteri­ stischen Mannes, sei er Soldat, Staatsmann oder Bürger, in fortlaufender Reihe errichten zu lassen. Die Kosten der Gesammtausführung will Ich auf Meine Schatulle übernehmen. Indem Ich mir die weiteren Bestim­ mungen vorbehalte, freue Ich Mich, dem Magistrat und den Stadtver­ ordneten hiervon an Meinem heutigen Geburtstag Kenntniß zu ge­ ben.>>131 Die Überraschung war gelungen, denn das kaiserliche «Ge­ schenk» für Berlin kam für die Stadtväter völlig unerwartet. Wie Seidel hervorhebt, ging es Wilhelm darum, eine Bildergeschichte zu kreieren, die, wie die Herrschergruft im Berliner Dom, dem Volk anschaulich die Geschichte Brandenburg-Preußens anhand seiner Fürsten nahebringen sollte. Durch die Darstellung einer gradläufigen Entwicklung durch die Herrschergenerationen zum Deutschen Reich sollte die Hohenzollern­ monarchie stabilisiert und das preußisch-deutsche Kaiserreich geschieht-

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A bb. 4 8: Die Siegesallee.

lieh legitimiert werden. Das Ganze war, wie Uta Lehnert überzeugend argumentiert hat, eine großangelegte «Reclame Royale>>.132 An keinem anderen Bauprojekt war der Kaiser so direkt beteiligt wie an diesem. Dem Hofhistoriker Reinhold Koser übergab er die histori­ sche, seinem alten Favoriten Reinhold Begas die künstlerische Leitung. Auch bei der Auswahl der insgesamt 2 5 anderen Bildhauer hatte Wil­ helm das letzte Wort: Das Denkmal für den Markgrafen Ludwig II. übertrug er seinem Jugendfreund «Ern>> Görtz. Die Entscheidung, die Standbildergalerie in zwei Reihen, die sich vom Königsplatz bis zum Kernperplatz und zurück erstrecken sollten, anzusiedeln, ging auch ganz auf den Kaiser zurück.133 Selbst für die Ausführung der einzelnen Denk­ mäler gab Wilhelm genaue Vorschriften. Gemeinsam mit Begas legte er fest, daß die insgesamt 3 2 Standbilder in gleichmäßigen Abständen in historischer Reihenfolge aufgestellt werden sollten. Jedes Standbild sollte von einer halbrunden Bank umgeben sein, auf der die Büsten von jeweils zwei charakteristischen Zeitgenossen standen. Nach der Besichti­ gung eines ersten Modells befahl der Kaiser, die Nischen weiter in den Tiergarten zu rücken und die Stufen zu erhöhen.D4 Wilhelm bestimmte ferner die Maße der Figuren und wählte das Baumaterial aus, wobei er sich für Carrara-Marmor entschied. Nach seinen Vorgaben sollten die Statuen die Herrscher in ihren Jugendjahren zeigen, keine Angriffsfläche für Spott bieten und zudem historisch akkurat sein; jeder Uniform-

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knopf, sagte man, mußte stimmen.135 Unter Kosers Leitung wurden Hi­ storiker damit beauftragt, genaue Information über Aussehen, Kleidung, Charakter und historischen Hintergrund jeder Figur zu erstellen.136 Sobald die Vorarbeiten beendet waren, mußte erst ein kleines, dann ein großes Modell hergestellt werden, das dann schließlich, meist nicht von den Bildhauern selber, sondern von italienischen oder deutschen Steinmetzfirmen, in Stein gehauen wurde. Jedes der Modelle mußte vom Kaiser begutachtet werden, und selbst die ratenweise Auszahlung der Honorare war mit der kaiserlichen Billigung verbunden. Allein schon aus diesem Grunde wagten es die Künstler nicht, sich den kaiserlichen Bestimmungen zu widersetzen.137 Die Atelierbesuche zur Besichtigung der Modelle machte der Kaiser stets in größerer Begleitung; oft war seine Frau und fast immer Reinhold Begas dabei. Ein Bildhauer, der mit der Statue des Königs Friedrich Wilhelm IV. für die Siegesallee betraut worden war und den der Kaiser insgesamt zehnmal aufsuchte, hielt den feierlichen Charakter einer solchen Visite fest, indem er schilderte, wie «buntfarbige Teppiche und duftende Blumen [ . . . ] die Stätte ernster Ar­ beit in ein behagliches Interieur gewandelt» hätten.138 Auch hier hebt Seidel das technische Interesse des Kaisers hervor. «In jedem Stadium der Arbeit überzeugte der Hohe Herr Sich persönlich von den gemach­ ten Fortschritten und wurde nicht müde, mit Rat und Tat zu fördern und zu helfen. Manchen Nachmittag fuhr der Kaiser von Atelier zu Ate­ lier, und diese Arbeit mit den Künstlern gehörte zu seinen schönsten Er­ holungsstunden.»139 Nicht alle Künstler empfanden die kaiserlichen Be­ suche als Auszeichnung. Als Rudolf Siemering zum Beispiel im Frühjahr I 899 dem Kaiser die Fertigstellung seines Tonmodelles von Friedrich Wilhelm I. meldete, bat er gleichzeitig um rechtzeitige Ankündigung des Besuches, um sich darauf vorbereiten zu können; außerdem wolle er Herrn Begas nicht mehr bei sich sehen! 14° Fritz Schaper, den der Kaiser mit dem Denkmal für den Großen Kurfürsten beauftragt hatte, erlitt I 899 einen Nervenzusammenbruch und mußte mehrere Monate in ei­ nem Sanatorium zubringen.141 Die ersten drei Denkmäler wurden am 2 2. März I 898, dem Geburts­ tag des alten Kaisers Wilhelm, enthüllt. Auf Allerhöchsten Wunsch er­ folgte diese Feier in einfacher Form ohne Musik und Festreden. Der Aufwand der Enthüllungen hing von der historischen Bedeutung ab, die Wilhelm II. den j eweiligen Herrschern beimaß, doch war er stets sehr um ein stilechtes Ambiente bemüht. Er traf die Auswahl der Gäste und ließ dafür das Heroldsamt nach noch lebenden Nachkommen der im Denkmal dargestellten Figuren forschen. Er kleidete sich passend zu der j eweiligen Epoche, als ob es sich um eine persönliche Begegnung mit den in Marmor verewigten Fürsten handelte. Bei besonderen Zeremo­ nien grüßte er seine steinernen Ahnen sogar militärisch; vor Friedrich dem Großen soll er gar eine Minute lang salutiert haben.142 Am 30. März

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1 9 0 1 fand die feierliche Enthüllung der Denkmäler des Großen Kurfür­ sten, König Friedrich Wilhelms 111. und Kaiser Wilhelms I. statt. Tref­ fend bezeichnet Lehnert dieses Spektakel als «kaiserliche Truppen­ schau», durch die die «Überragende Bedeutung des Militärs als Stütze der Monarchie» demonstriert werden sollte. «Das künstlerische Anlie­ gen ging dagegen völlig unter.»143 Dieses spektakuläre Ereignis war ur­ sprünglich für den 22. März, den Geburtstag Wilhelms 1., geplant gewe­ sen, es mußte aber um acht Tage verschoben werden, weil Wilhelm II. am 6. März bei einem Attentat in Bremen verletzt worden war. Mit der Enthüllung der letzten der 3 2 Standbilder im Dezember 1 9 0 1 hatte Wilhelm II. seine großangelegte Idee verwirklicht, die volkspäd­ agogische Wirkung, die er sich davon versprochen hatte, blieb auch nicht völlig aus. Es wird berichtet, daß es durchaus beliebt war, die Siegesallee entlangzuspazieren und «heiteres Figurenraten» zu spielen. Aber unter den vielen Millionen, die in Berlin wohnten, empfanden manche die rückwärtsgewandte Selbstverherrlichung der Hohenzollerndynastie ge­ schmacklos und lächerlich, zumal sich unter den dargestellten Ahnen des Kaisers Figuren wie Heinrich das Kind oder Otto der Faule befan­ den, die förmlich zum Spott herausforderten. Im Volksmund wurde die Standbildgalerie bald Leichen- oder Puppenallee genannt, kleinere und größere Beschädigungen führten zu der Überlegung, wie die Denkmäler nachts am besten geschützt werden könnten. Die Arbeiter der Stadt, die in ihrer großen Mehrzahl sozialdemokratisch wählten, und die Landbe­ völkerung der umliegenden Provinzen kamen ohnehin nicht oder nur sehr selten in den Tiergarten. Unter den Gebildeten und erst recht unter den Künstlern und Kunstkritikern waren Empörung und Spott vorherr­ schend. Ernst Graf zu Reventlow sprach von «künstlerischem Byzanti­ nismus», Ferdinand Avenarius von «Scheinkunst, zu einem politischen Zweck, zur Verherrlichung der Dynastie», Karl Scheffler von geist- und inhaltsloser «Hofkunst».144 Mit Bitterkeit bezeichnete der Lyriker Wil­ helm Holzamer 1 902 die Siegesallee als das schwerste Hindernis, das der Kunst in den Weg gelegt worden sei. «Es war ein kaiserlicher Auftrag», schrieb er, aber «Mein Gott, was ist das nur, diese Allee von weißen Bänken mit kleinen Büsten darauf. [ . . . ] Eine breite Straße, links und rechts in je r 6 gleiche Teile abgesteckt [ . . . ] und die so abgesteckten 3 2 Plätze ausgefüllt mit dem gleichen Schema: Bank, Büsten, Postament, Herrscherfigur. [ . . . ] Das war die Direktive - und die Direktive war, daß diese Geschichte Brandenburgs keine Volksgeschichte, keine Geistesge­ schichte, keine Thatengeschichte, keine Kulturgeschichte zu sein habe, sondern die Geschichte einer Dynastie . . . , eine Familienrepräsentations­ allee in Marmor, in der ein Fürstenporträt schon Inhalt - und Inhalt ge­ nug war.»145 Nach einer der Enthüllungsfeiern in der Siegesallee seufzte Fritz Schaper: «Wie herabgekommen ist die deutsche Kunst.>>146 Max Liebermann ging noch weiter und nannte die Siegesallee ein Verbrechen

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wider den guten Geschmack, das er nur mit dunkler Brille ansehen könne.147 Und Heinrich Vogeler fragte sich nach dem Ersten Weltkrieg: «Sollen wir überhaupt die Lebensperiode unseres Volkes vor 1 9 1 4 mit Kultur bezeichnen, in der die Siegesallee entstand ?»148 Weit davon ent­ fernt, das deutsche Volk in einem Zeitalter der Millionenstädte, der Technik und der Industrialisierung mit der spätabsolutistischen Hohen­ zollernmonarchie Wilhelms II. zu versöhnen, gilt die Siegesallee heute als ein «groteskes>> und «absonderliches>> Symbol der Gegensätze und Illusionen, an denen das wilhelminische Deutschland zugrunde gehen sollte.149 Am r 8 . Dezember 1 9 0 1 lud der Kaiser sämtliche Künstler, die sich um die Siegesallee und auch um das Pergamonmuseum verdient gemacht hatten, zu einem Festmahl im Königlichen Schloß ein, bei dem Begas und Schaper mit Sitzplätzen neben dem Kaiser besonders ausgezeichnet wurden. Bei diesem Anlaß hielt Wilhelm seine als «Rinnsteinrede>> in die Geschichte eingegangene halbstündige Ansprache, in der er seine Be­ weggründe bei der Erstellung der Siegesallee erläuterte und der moder­ nen Kunst eine Absage erteilte. Er sagte: «Der heutige r 8 . Dezember ist in der Geschichte unserer heimischen Berliner Kunst insofern von Be­ deutung, als der hochselige Protektor der Museen, Mein verstorbener Herr Vater und seine künstlerisch hochbegabte Gattin, Meine verehrte Mutter, heute vor r 5 Jahren das Museum für Völkerkunde einweihten. Es war dies gewissermaßen die letzte große abschließende Tat, die Mein Vater nach dieser Richtung hin ausgeführt hat, und Ich betrachte es als ein besonderes Glück, daß gerade an diesem Jahrestage der Abschluß für die Arbeiten der Siegesallee hat gefunden werden können. Ich ergreife die Gelegenheit mit Freuden, um Ihnen allen erstens Meinen Glück­ wunsch, zweitens Meinen Dank auszusprechen für die Art und Weise, in der Sie Mir geholfen haben, Meinen ursprünglichen Plan zu verwirk­ lichen. Die Aufstellung des Programms für die Siegesallee hat eine Reihe von Jahren in Anspruch genommen, und der bewährte Historiograph meines Hauses, Prof. Dr. Koser, ist derjenige gewesen, der Mich in stand gesetzt hat, überhaupt den Herren greifbare Aufgaben zu stellen. War somit die historische Basis gefunden, so konnte nun weiter vorgeschrit­ ten werden, und nachdem die Persönlichkeiten der Fürsten festgestellt waren, konnten dann auch, auf historischer Forschung beruhend, die wichtigsten Helfer der Herren an ihrem Werke festgestellt werden. Auf diese Weise entstanden die Gruppen und, gewissermaßen durch die Historie bedingt, fand sich die Form der Gruppen. Nachdem dieser Teil des Programms fertig war, kam natürlich das Schwierigste, das war die Frage: Wird es möglich sein, wie Ich hoffte, in Berlin so viele Künstler zu finden, die imstande sind, einheitlich zu arbeiten, um dieses Pro­ gramm zu verwirklichen? Ich hatte, als Ich an die Lösung dieser Frage herantrat, im Auge, wenn es Mir gelingen sollte, der Welt zu zeigen, daß

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das Günstigste für die Lösung einer künstlerischen Aufgabe nicht in der Berufung von Kommissionen, nicht in der Ausschreibung von allen möglichen Preisgerichten und Konkurrenzen besteht, sondern daß nach altbewährter Art, wie es in der klassischen Zeit und so auch später im Mittelalter gewesen, der direkte Verkehr des Auftraggebers mit dem Künstler die Gewähr bietet für eine günstige Gestaltung des Werkes und für ein gutes Gelingen der Aufgabe. Ich bin deshalb dem Professor Reinhold Begas besonders zu Dank verpflichtet, daß, als Ich mit diesem Gedanken an ihn herantrat, er Mir ohne weiteres erklärte, es sei absolut kein Zweifel, daß in Berlin sich allemal Künstler genug finden würden, um eine solche Idee ohne Schwierigkeiten zum Austrag zu bringen, und mit seiner Hilfe und auf Grund der Bekanntschaften, die Ich in den hie­ sigen Bildhauerkreisen durch Besuche von Ausstellungen und Ateliers gewonnen hatte, ist es Mir in der Tat gelungen, den Stab zusammenzu­ finden, von dem Ich den größten Teil heute um Mich versammelt sehe, um mit ihm an diese Aufgabe heranzugehen. Ich glaube, Sie werden Mir das Zeugnis nicht versagen können, daß Ich im Hinblick auf das von Mir entwickelte Programm Ihnen die Behandlung desselben so leicht wie möglich gemacht habe, daß Ich Ihnen die Aufgabe im allgemeinen gestellt und begrenzt, im übrigen aber Ihnen die absolute Freiheit gege­ ben habe, nicht nur die Freiheit in der Kombination und Komposition, sondern gerade die Freiheit, das von sich hineinzulegen, was jeder Künstler tun muß, um erst dem Kunstwerk sein eigenes Gepräge zu ver­ leihen; denn ein jedes Kunstwerk birgt immer ein Körnchen vom eige­ nen Charakter des Künstlers in sich. Ich glaube, daß, wenn Ich es so nennen darf, dieses Experiment nun, wo die Siegesallee vollendet ist, als gelungen betrachtet werden darf. Es hat nur des Verkehrs benötigt zwi­ schen dem Auftraggeber und den ausführenden Künstlern, um j eden Zweifel zu beseitigen und j ede Frage zu beantworten, und es haben sich Schwierigkeiten größerer Art nicht gezeigt. Ich glaube daher, daß wir auf die Siegesallee von diesem Standpunkt aus mit Befriedigung allerseits zurückblicken können. Sie haben, ein jeder in seiner Art, Ihre Aufgabe so gelöst, wie Sie es konnten und Ich habe das Gefühl, daß Ich Ihnen dazu das vollste Maß der Freiheit und Muße überlassen habe, wie Ich es für den Künstler für notwendig halte. Ich bin nie in Details hineingegan­ gen, sondern habe Mich begnügt, einfach die Direktive, den Anstoß zu geben. Aber mit Stolz und mit Freude erfüllt Mich am heutigen Tage der Gedanke, daß Berlin vor der ganzen Welt dasteht mit einer Künstler­ schaft, die so Großartiges auszuführen vermag. Es zeigt sich, daß die Berliner Bildhauerschule auf einer Höhe steht, wie sie wohl kaum je in der Renaissancezeit schöner hätte sein können. Und Ich denke, jeder von Ihnen wird neidlos zugestehen, daß das werktätige Beispiel von Reinhold Begas und seine Auffassung, beruhend auf der Kenntnis der Antike, vielen von Ihnen ein Führer in der Lösung der großen Aufgabe

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gewesen ist. Auch hier könnte man eine Parallele ziehen zwischen den großen Kunstleistungen des Mittelalters und der Italiener, daß der Lan­ desherr und der kunstliebende Fürst, der den Künstlern die Aufgaben darbietet, zugleich die Meister gefunden hat, an die sich eine Menge jun­ ger Leute angeschlossen haben, so daß sich eine bestimmte Schule daraus entwickelte und Vortreffliches zu leisten vermochte. Nun, meine Her­ ren, am heutigen Tage ist auch zu gleicher Zeit in Berlin das Pergarnon­ Museum eröffnet worden. Auch das betrachte Ich als einen sehr wichti­ gen Abschnitt unserer Kunstgeschichte und als ein gutes Omen und ein glückliches Zusammentreffen. Was in diesen Räumen dem staunenden Beobachter dargeboten wird, das ist eine solche Fülle von Schönheiten, wie man sie sich gar nicht herrlicher vereint vorstellen kann. Wie ist es mit der Kunst überhaupt in der Welt ? Sie nimmt ihre Vor­ bilder und schöpft aus den Quellen der großen Mutter Natur, und diese, die Natur, trotz ihrer großen, scheinbar ungebundenen, grenzenlosen Freiheit, bewegt sich doch nach den ewigen Gesetzen, die der Schöpfer sich selbst gesetzt hat, und die nie ohne Gefahr für die Entwicklung der Welt überschritten und durchbrachen werden können. Ebenso ist's in der Kunst; und beim Anblick der herrlichen Überreste aus der alten klassischen Zeit überkommt einen auch wieder dasselbe Gefühl; hier herrscht auch ein ewiges, sich gleich bleibendes Gesetz: das Gesetz der Schönheit und der Harmonie, der Aesthetik. Dieses Gesetz ist durch die Alten in einer so überraschenden, überwältigenden Weise, in einer so vollendeten Form zum Ausdruck gebracht worden, daß wir in allen modernen Empfindungen und allem unserem Können stolz darauf sind, wenn gesagt wird bei einer besonders guten Leistung: - Aber beinahe! Unter diesem Eindruck möchte Ich Ihnen dringend ans Herz legen: noch ist die Bildhauerei zum größten Teil rein geblieben von den soge­ nannten modernen Richtungen und Strömungen, noch steht sie hoch und hehr da - erhalten Sie sie so, und lassen Sie sich nicht durch der Menschen Urteil und allerlei Windlehre dazu verleiten, diese großen Grundsätze aufzugeben, auf denen sie auferbaut ist! Eine Kunst, die sich über die von Mir bezeichneten Gesetze und Schranken hinweg­ setzt, ist keine Kunst mehr, sie ist Fabrikarbeit, ist Gewerbe, und das darf die Kunst nie werden. Mit dem viel mißbrauchten Wort und unter seiner Flagge verfällt man gar oft in die Grenzenlosigkeit, Schrankenlosigkeit und Selbstüberhebung. Wer sich aber von dem Ge­ setz der Schönheit und dem Gefühl für Ästhetik und Harmonie, die je­ des Menschen Brust fühlt, ob er sie auch nicht ausdrücken kann, loslöst und in Gedanken in einer besonderen Richtung, einer bestimmten Lö­ sung mehr technischer Aufgaben die Hauptsache erblickt, der versün­ digt sich an den Urquellen der Kunst. Aber noch mehr: Die Kunst soll mithelfen, erzieherisch auf das Volk einzuwirken, sie soll auch den un-

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teren Ständen nach harter Mühe und Arbeit die Möglichkeit geben, sich an den Idealen wieder aufzurichten. Uns, dem deutschen Volke, sind die großen Ideale zu dauernden Gütern geworden, während sie anderen Völkern mehr oder weniger verloren gegangen sind. Es bleibt nur noch das deutsche Volk übrig, das an erster Stelle berufen ist, diese großen Ideen zu hüten, zu pflegen, fortzusetzen, und zu diesen Idealen gehört, daß wir den arbeitenden, sich abmühenden Klassen die Möglichkeit ge­ ben, sich an dem Schönen zu erheben und sich aus ihren sonstigen Ge­ dankenkreisen heraus- und emporzuarbeiten. Wenn nun die Kunst, wie es jetzt vielfach geschieht, weiter nichts tut, als das Elend noch scheuß­ licher hinzustellen wie es schon ist, dann versündigt sie sich damit am deutschen Volke. Die Pflege der Ideale ist zugleich die größte Kultur­ arbeit, und wenn wir hierin den anderen Völkern ein Muster sein und bleiben wollen, so muß das ganze Volk daran mitarbeiten, und soll die Kultur ihre Aufgabe voll erfüllen, dann muß sie bis in die untersten Schichten des Volkes hindurchgedrungen sein. Das kann sie nur, wenn die Kunst die Hand dazu bietet, wenn sie erhebt, statt daß sie in den Rinnstein niedersteigt! Ich empfinde es als Landesherr manchmal recht bitter, daß die Kunst in ihren Meistern nicht energisch genug gegen solche Richtungen Front macht. Ich verkenne keinen Augenblick, daß mancher strebsame Charakter unter denj enigen Anhängern dieser Rich­ tungen ist, der vielleicht von den besten Absichten erfüllt ist; er befindet sich aber doch auf falschem Wege. Der rechte Künstler bedarf keiner Marktschreierei, keiner Presse, keiner Konnexionen. Ich glaube nicht, daß Ihre großen Vorbilder auf dem Gebiete der Wissenschaft weder im alten Griechenland, noch in Italien, noch in der Renaissancezeit je zu einer Reklame, wie sie jetzt durch die Presse vielfach geübt wird, gegrif­ fen haben, um ihre Ideen besonders in den Vordergrund zu rücken. Sie haben gewirkt, wie Gott es ihnen eingab, im übrigen haben sie die Leute reden lassen. Und so muß auch ein ehrlicher, rechter Künstler handeln. Die Kunst, die zur Reklame heruntersteigt, ist keine Kunst mehr, und mag sie hundert- und tausendmal gepriesen werden. Das Ge­ fühl für das, was häßlich oder schön ist, hat jeder Mensch, mag er noch so einfach sein, und dieses Gefühl weiter im Volke zu pflegen, dazu brauche Ich Sie alle, und daß Sie in der Siegesallee ein Stück solcher Ar­ beit geleistet haben, dafür danke Ich Ihnen ganz besonders. Das kann Ich Ihnen, meine Herren, jetzt schon mitteilen, der Eindruck, den die Siegesallee auf die Fremden macht, ist ein ganz überwältigender, überall macht sich ein ungeheurer Respekt für die deutsche Bildhauerei be­ merkbar. Mögen Sie auf dieser Höhe stets stehen bleiben, und mögen auch Meinen Enkeln und Urenkeln, wenn sie Mir dereinst erstehen wer­ den, die gleichen Meister zur Seite stehen! Dann, bin Ich überzeugt, wird unser Volk in der Lage sein, das Schöne zu lieben und die Ideale stets hoch zu halten.» 150

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Wenn sich der Kaiser auf die Bekämpfung der modernen Strömungen in der Kunst beschränkt hätte, wäre sein rückwärtsgewandter Einfluß zwar groß und vom ästhetischen Standpunkt aus gesehen bedauerlich gewesen, aber seine Aktivität in diesem Bereich wäre doch eine interne Angelegenheit geblieben, mit dem sich das eigene Volk hätte auseinan­ dersetzen müssen. Er warf aber nicht nur dem französischen Impres­ sionismus, dem Jugendstil, dem Expressionismus und der modernen Architektur den Fehdehandschuh hin, forderte nicht nur durch haar­ sträubende Reden und offene Depeschen die angeblichen «Reichs­ feinde» unter den deutschen Parteien immer wieder heraus, er trieb auch mit der neuen Weltpolitik und dem 1 897 begonnenen Schlachtflot­ tenbau die ozeanische Weltmacht Großbritannien in die Arme Frank­ reichs und Rußlands und leitete damit die fatale Selbsteinkreisung des Deutschen Reiches ein. Wie es zu dieser Entwicklung kam, die neben der Entlassung Bismarcks im März 1 890 und der Kriegsauslösung im Juli 1 9 1 4 unbezweifelbar zu den gravierendsten Fehlentscheidungen sei­ ner dreißigjährigen Regierung gezählt werden muß, wollen wir j etzt näher untersuchen.

Kapitel ; o

Herausforderung: Von der Kontinental- zur Weltpolitik

Der Durchbruch Kaiser Wilhelms II. zur vollen Entscheidungsmacht im Sommer 1 896 ereignete sich zur gleichen Zeit wie der Übergang zu einer ambitiösen, die behutsame Selbstbeschränkung der Bismarck- und Ca­ priviära weit hinter sich lassenden Außenpolitik, die das Ziel verfolgte, das Deutsche Reich neben den drei etablierten imperialen Mächten Großbritannien, Frankreich und Rußland und den beiden neuarrivierten außereuropäischen Weltreichen Amerika und Japan ebenfalls zu einer Weltmacht zu erheben. Die Triebkräfte für den Übergang Deutschlands von der Kontinental- zur Weltpolitik sind in den letzten Jahrzehnten wissenschaftlich genau untersucht und oft kontrovers diskutiert worden, und wenn auch die Gewichtung zwischen den einzelnen Beweggründen weiterhin unterschiedlich ausgelegt werden mag, so herrscht unter den Historikern doch Einmütigkeit darüber, daß sowohl ökonomische wie auch weltanschauliche und innenpolitische Kräfte am Werke waren, die zusammen eine expansive außenpolitische Neuorientierung wohl unauf­ haltsam machten.1 Wenn Wilhelm II. auf dem eindrucksvollen Festban­ kett im Weißen Saal des Berliner Schlosses zur Feier des fünfundzwan­ zigj ährigen Erinnerungstages der Reichsgründung am 1 8 . Januar 1 896 stolz verkündete, daß aus dem Deutschen Reich ein Weltreich geworden sei,2 spielte er nicht nur auf den enormen wirtschaftlichen Aufschwung und den eindrucksvollen Zuwachs der deutschen Bevölkerung an, durch die das Land zur führenden europäischen Industriemacht emporgestie­ gen war. Die Worte des Kaisers sollten auch in jenen Kreisen Anklang finden, die, von dem Einkreisungsalptraum eines Bismarck unbehelligt, ungeduldig die zurückhaltende kontinentale Sicherheitspolitik des Neuen Kurses abstreifen wollten, um kraftvoll in der ganzen Welt auf­ zutreten und endlich auch für Deutschland den ihm gebührenden «Platz an der Sonne>> einzunehmen. Wie wir oben bereits mehrfach sehen konnten, spielte bei diesem Übergang zur Weltpolitik außerdem die Er­ wartung mit, durch spektakuläre außenpolitische Erfolge das angeschla­ gene Ansehen der Monarchie wieder aufzurichten.3 Für j eden, der sich mit den reichhaltigen Quellen dieser Übergangs­ zeit auseinandersetzt, wird allerdings sofort klar, daß der Drang zur Ex­ pansion zwar von einem Teil der deutschen Bevölkerung begeistert un­ terstützt wurde, der eigentümliche Charakter der tatsächlich befolgten Außenpolitik aber nicht das Ergebnis eines unausweichlichen Druckes

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Von der Kontinental- zur Weltpolitik

von unten war, sondern vielmehr auf Regierungsentscheidungen be­ ruhte, bei denen der Kaiser und seine Umgebung eine ganz dominante Rolle spielten.4 Mit anderen Worten: Wäre Deutschland ein parlamenta­ risch regiertes Land gewesen, hätten jene expansiven Triebkräfte nicht ausgereicht, um die doch erheblichen Widerstände in der Bevölkerung gegen eine waghalsige Weltpolitik zu überwinden, die beispielsweise in dem Kassandraruf des ehemaligen bayerischen Mitarbeiters Fürst Ho­ henlohes, Otto Freiherr von Völderndorff-Waradein, vom November 1 897 zum Ausdruck kam, «daß es den Ruin Deutschlands und die schwierigsten politischen Komplikationen nach sich ziehen muß, wenn die Kolonial- und die Weltmachtpolitik nicht aufgegeben>> werde.5 Aber selbst wenn nur die verfassungsmäßig verantwortlichen Behörden in der Wilhelmstraße ihre frühere Macht behalten hätten, wäre mit Sicherheit eine behutsamere deutsche Außenpolitik die Folge gewesen als die, die unter dem Druck der Rastlosigkeit und Scharfmacherei Wilhelms II. tat­ sächlich praktiziert wurde. Wie Paul Kennedy sehr zu Recht bemerkt hat: «Selbst wenn man annimmt, daß Deutschland auch ohne Wilhelm in j edem Fall einen expansiven Kurs verfolgt hätte, bleibt sicher die Tatsa­ che, daß er dem ganzen Weltpolitikprogramm einen und den An­ schein von Dringlichkeit gab, besonders in Hinblick auf dessen weiteres Ziel, im kolonialen Bereich der zu werden.>>6 Und auch Thomas Nipperdey hebt nachdrücklich hervor, wie sehr die «durch Ziellosigkeit und hektische Unruhe, durch immer andere Pläne und Ideen>>, durch «Überall-dabeisein-wollen>> und «Hyperaktivität>> charakterisierte deutsche Weltpolitik von der «vom Kaiser forcierten Neigung zum Auftrumpfen und zum Prestigegewinn>> mitgeprägt wurde.7 In diesem Kapitel wollen wir anband der Quellen zeigen, in welch erschütterndem Ausmaß Wilhelm II. dafür verantwortlich war, daß das Deutsche Reich in kurzer Zeit in den Augen der übrigen Groß­ mächte als bösartiger Schurkenstaat erschienen ist, der nicht bereit war, die anerkannten Spielregeln der internationalen Staatengemeinschaft zu respektieren, sondern im Gegenteil darauf lauerte, bei jeder Gelegenheit die bestehende Weltordnung zum eigenen Vorteil umzustürzen. 1 . Wilhelm und die Weltpolitik Es wird nicht verwundern, daß die Etablierung des Systems der Persön­ lichen Monarchie außenpolitische Folgen hatte, die noch gravierender waren als diejenigen im lnnern. Auf dem Felde der internationalen Be­ ziehungen konnte Wilhelm unmittelbar und ohne bürokratischen - ge­ schweige denn parlamentarischen - Hemmschuh nach Belieben schalten und walten. Allein schon institutionell verhinderte sein Anspruch, alles persönlich zu entscheiden, die Bildung eines kollektiven Gremiums, in

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dem die verschiedenen dem Reiche zu Gebote stehenden außenpoliti­ schen Optionen sachlich diskutiert werden konnten. Aber auch psycho­ logisch waren die Auswirkungen der Dominanz des Kaisers über die «verantwortlichen>> Instanzen der Wilhelmstraße unermeßlich. Sehr richtig wies der britische Militärattache Oberstleutnant Sir J ames Grier­ son r 899 darauf hin, «daß Seine Majestät, mit der Doktrin des Gottes­ gnadentums und dem Zustand der kriecherischen Disziplin, zu der er alle um ihn herum reduziert hat, einen Zustand des entwickelt hat, in dem er unter Strafe seiner Unzufriedenheit erwartet, daß die Politik jedes anderen Staates geändert wird, um seinen Ansich­ ten - oder etwas sehr Ähnlichem - zu entsprechen.»8 Hielt sich auch Philipp Eulenburg in Anbetracht des schwindelerre­ genden Tempos der kaiserlichen Außenpolitik mehr und mehr zurück, so fehlte es nach wie vor nicht an Stimmen, die dem Kaiser weismach­ ten, er sei ein einzigartiges Genie oder gar ein Heiliger, dessen welthisto­ rische Mission es sei, Deutschland zur Weltherrschaft zu führen. Als der Kaiser im Dezember I 897 zur Einschiffung der deutschen Schutztrup­ pen, die das an der nordostchinesischen Küste gelegene Kiautschou ein­ nehmen sollten, nach Kiel kam, rief sein Bruder Prinz Heinrich, der das auslaufende Geschwader kommandierte, aus: «Mich lockt nicht Ruhm, mich lockt nicht Lorbeer, mich zieht nur eins: das Evangelium Ew. Ma­ jestät geheiligter Person im Auslande zu künden, zu predigen jedem, der es hören will und auch denen, die es nicht hören wollen.»9 «Es war ja, als zöge man in den Kreuzzug! » stöhnte Eulenburg,10 und die Baronin Spitzemberg meinte, es sei doch «etwas Schreckliches um diese Redewut und diese Prahlerei» .11 Der amerikanische Jugendfreund Wilhelms, der Schriftsteller Poultney Bigelow, gratulierte ihm zur Besitzergreifung Kiautschous und trieb ihn zu noch größeren Taten an: Ganz China müsse er reformieren und modernisieren, und «wenn Sie den chinesi­ schen Augiasstall gereinigt haben werden Sie ein größerer Mann sein, als es Napoleon jemals war. - Dann kommen Sie nach Amerika & werden Sie zum Kaiser von Yankeeland proklamiert. [ . . . ] Wir werden bald wie­ der einen Bürgerkrieg haben[,] und jeder Mann mit Geld in der Bank wird einen Diktator willkommen heißen - einen starken, reformieren­ den Mann», witzelte er.12 Der britische Südafrikapolitiker und Kraft­ mensch Cecil Rhodes schmeichelte ihm kurz vor Ausbruch des Buren­ krieges I 899 mit der Einflüsterung, Wilhelm und er seien beide einzig­ artige Heldengestalten. «>13 Zu den schlimmsten Anstiftern der kaiserlichen Weltmachtträume ge­ hörte der zurückgezogen in Bielefeld lebende Erzieher der beiden Ho­ henzollernbrüder, Dr. Hinzpeter. In einem Brief an Wilhelm II. äußerte

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er im Dezember r 897 sein Bedauern, durch Krankheit an der Einschif­ fung Prinz Heinrichs in Kiel verhindert gewesen zu sein, und fügte en­ thusiastisch hinzu: «Es wäre für mich ein erhabener Anblick gewesen, zu sehn, wie der Kaiser seine Flotte zu einer kühnen Fahrt und seinen Bruder zu einem glänzenden Abenteuer entläßt, zu dem ersten Schritt Deutschlands auf der Bahn eigentlicher Weltpolitik, nun in doppeltem Sinne unter der Führung der Hohenzollern.»14 Als ein Jahr darauf das Reich die Karolineninseln im Stillen Ozean erwarb, spürte Hinzpeter das Bedürfnis, seinem Kaiser mitzuteilen: «Den Werth des Objekts nach der Zahl der Quadratkilometer und der Einwohner zu berechnen, ist doch ein recht schwächlicher Versuch ihn zu denigriren. Deutschland ist ja leider in dem Anfangsstadium der Kolonialpolitik, wo es sich erst darum handelt, festen Fuß an den Punkten zu fassen, wo die Zukunft der Welt sich entscheiden wird. Und das geschieht doch durch die Ok­ kupation dieser Inselgruppen in so hervorragender Weise, daß es selbst dem Laien in die Augen springen muß. Es ist mir eine wahre Herzens­ freude, die Gestalt des Kaisers so mälig aber stetig höher und heller wer­ den zu sehn.>>15 Und zum vierzigsten Geburtstag seines kaiserlichen Schülers sandte der Erzieher seine Glückwünsche mit der treffsicher auf die inneren Beweggründe Wilhelms II. abgestimmten Bemerkung: «Möge es Eurer Majestät beschieden sein, dem Deutschen Reiche in der großen Welt eine ähnliche Stellung zu verschaffen, wie sie Eurer Maj e­ stät Großvater demselben in Europa schuf.>>16 Wilhelm hat die neue Weltpolitik nicht nur durch seine grandiose Gel­ tungssucht weitaus rasanter vorangetrieben, als die erfahrenen Beamten im Reichskanzlerpalais und im Auswärtigen Amt für ratsam hielten; durch seine sprunghaften und unberechenbaren Vorstöße auf der welt­ politischen Bühne wirkte er für die Regierungen der anderen Mächte äußerst irritierend und alarmierend. Immer wieder aufs neue an den Rand der Verzweiflung getrieben, glaubten die Staatsmänner in London, Paris und St. Petersburg, es nicht nur mit einem gefährlichen internatio­ nalen Rivalen zu tun zu haben, sondern auch mit einem übermächtigen und hyperaktiven Herrscher, der nicht ganz zurechnungsfähig zu sein schien. Nicht weniger beunruhigt waren die deutschen Diplomaten, die oft genug Anlaß hatten, angesichts der kaiserlichen Inkonsequenz die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen. Im November r 896 listete der Geheimrat von Holstein die sich widersprechenden Eingriffe Wil­ helms II. in die Große Politik der letzten Monate auf und fragte sich verzweifelt, wohin die Reise wohl ginge. «Am 30. August warnt der Kaiser [ . . . ] die Engländer vor den Russen. Am 2 5 . 0 ktober telegraphiert der Kaiser an den Kanzler, daß es nötig sei, uns mit Rußland und Frank­ reich zu verbinden, als Sicherheit für unsere Kolonien gegen drohenden englischen Angriff. Am r 2. November telegraphiert der Kaiser dem Reichskanzler, daß er den Großfürsten Wladimir [von Rußland] vor

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England gewarnt hat. Am 2 1. November sagt er dem englischen Bot­ schafter, daß er stets zu England halten wird und auch zur Anbahnung besseren Einvernehmens den größeren Teil der deutschen Kolonien ge­ gen eine Kohlenstation zu vertauschen bereit ist. Wie soll das enden?»17 Es liege doch auf der Hand, «daß auf solche Art ein großes Reich nicht zu leiten ist, ein großes Volk sich nicht leiten läßt», meinte er.18 Als der deutsche Botschafter in Petersburg, Hugo Fürst Radolin, der zehn Jahre zuvor als Graf von Radolinski der Oberhofmarschall Wilhelms gewesen war, Anfang r 897 darüber klagte, «wie bedenklich das persönliche Ein­ greifen» des Kaisers in die Außenpolitik doch sei,19 konnte Holstein nur antworten: «Daß S. M. durch sein Eingreifen uns die Arbeit unendlich erschwert, das sei Gott geklagt. Ich bin zwar zähe, aber allmählich werde ich mutlos. Die äußere politische Lage an sich ist für uns gar nicht ungünstig. [ . . . ] Aber um sie auszunutzen, muß man verstehen, abzuwar­ ten. Das versteht S. M. gar nicht.»20 Im Frühjahr r 897 klagte Holstein Philipp Eulenburg gegenüber, es liege «mancherlei Trauriges [ . . . ] in den Allerhöchsten Randvermerken zu dem [ . . . ] an Sie abgehenden Londoner Bericht Nr. 3 8, wo S. M. hervorhebt, daß es und . Das ist also das dritte auswärtig-politische Programm in 6 Monaten: erst Annäherung an Rußland und Frankreich zum Schutz unserer Kolonien gegen England; dann Abtretung unserer Kolonien mit alleiniger Ausnahme Ostafrikas an dasselbe England, jetzt nach dem Darmstädter Fiasko und nach der englischen Jubiläums­ absage sind beide, Rußland wie England, darunter durch, und wir sollen unser Heil mit den Galliern versuchen. Wir haben es eben mit einem sensitiven Naturell zu tun, welches persönliche Mißempfindungen in sachlichen Fragen zum Ausdruck bringt. Aber welches Material würden diese einem Bismarck für sein Ab­ schiedsgesuch geben! >>21 Der Reichskanzler Hohenlohe plädierte für Verständnis für die «Verstimmung>> des Geheimrats, der schließlich «aus der alten Schule Bismarcks [stamme], wo alles in dem düsteren Parterre­ Zimmer des Reichskanzlerpalais erwogen und entschieden wurde, und wo der Monarch sich hütete, die circulos Bismarcks zu stören. Nun kommt ein tatendurstiger Herr, der auch einmal mitreden will und durch den Verkehr mit den Botschaftern Verwirrung anrichtet, indem er Widersprüche zwischen seinen Äußerungen und denen des Auswärtigen Amts herbeiführt und mitunter sich selbst sogar in Widerspruch zu sei­ nen eigenen Äußerungen bei den verschiedenen Botschaftern setzt. Daran ist der Diplomat der alten Schule nicht gewöhnt. Auch kennt H[ olstein] S. M. nicht und steht nicht unter dem mildernden Einfluß der persönlichen, durch die Liebenswürdigkeit des hohen Herrn hervorge­ rufenen Sympathie.>>22 Für Holstein ging es freilich nicht um gekränkte

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Eitelkeit, sondern um Krieg und Frieden und die Zukunft des Deut­ schen Reiches. Immer wieder klagte er über die Eingriffe des Kaisers, die geeignet seien, Unruhe in die europäische Politik zu bringen und «das Mißtrauen der andern Großmächte auf Deutschland zu konzentrieren». In dem Entwurf zu einem Protestbrief des Reichskanzlers an den Kaiser, den Hohenlohe dann doch nicht abschickte, schrieb Holstein: «Abgese­ hen davon, daß es formell unvereinbar mit meiner Stellung als verant­ wortlicher Berater ist, wenn Ew.M. über Krieg und Frieden ohne mein Wissen entscheiden, werden Allerhöchstdieselben [ . . . ] erkennen, welche Unzuträglichkeiteil und selbst Gefahren die Erteilung direkter Rat­ schläge an fremde Botschafter zur Folge hat.»23 z.

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Das sich in diesen Angstrufen Holsteins spiegelnde Schwanken Wil­ helms II. zwischen Rußland, Frankreich und England zeigt mit bedrük­ kender Klarheit, welche Kriegsgefahr schon die unbedachte Kontinen­ talpolitik des Reiches heraufzubeschwören drohte, noch bevor es sich mit der Flottenpolitik auf hohe See und in die große weite Welt hinaus­ wagte. Was bezweckte der Kaiser mit seinen stets wechselnden Anbiede­ rungsversuchen den anderen europäischen Großmächten gegenüber? Lag dahinter ein Konzept, überhaupt eine erkennbare einheitliche Idee ? Fangen wir mit dem Verhältnis zu Rußland und der Hoffnung auf einen Zusammenschluß der Kontinentalmächte unter deutscher Führung an. Der Gedanke einer Kontinentalliga gegen England und/oder Amerika hatte, wie wir sehen konnten, von Anfang an faszinierend auf Wilhelm gewirkt.24 Schon 1 892 hatte er von der «Napoleonischen Suprematie» als sein eigentliches Ziel in Europa gesprochen,25 und nach seinem Besuch in St. Petersburg im Sommer 1 897 schrieb er beglückt an Eulenburg: «Die Kontinentalsperre gegen Amerika und eventuell England ist be­ schlossene Sache. Rußland hat sich verpflichtet, Frankreich dazu bon gre, mal gre mitzubringen. An Dir wird es liegen, Wien von London zu tren­ nen ! >>26 Noch 1 899 verglich er sich selbst ungeniert mit Lord Nelson und Napoleon, indem er seiner Mutter schrieb: «Soweit es Marinepolitik & Strategie betrifft, ist Nelson für mich & ich forme meine Marineideen & Pläne nach den Seinigen! Genauso wie ich die meisten meiner militärischen Prinzipien von Napoleon dem Ersten übernommen habe. Diese beiden großen Rivalen, zugleich Meister auf ihre eigene Art, sind meine Zuchtmeister! »27 Die Idee, die er im Kronrat vom 1 8 . Fe­ bruar r 894 bezüglich des deutsch-russischen Handelsvertrages geäußert hatte, daß nämlich die deutsche «Suprematie» in Europa nicht nur durch militärische Stärke, sondern auch durch eine zollpolitische Einigung al­ ler europäischen Staaten gegen Amerika zur Geltung kommen müsse,28

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nahm Wilhelm im Sommer I 896, nicht zuletzt in Folge der Verschlech­ terung der deutsch-britischen Beziehungen nach der Krüger-Depesche ­ er freute sich darauf, daß dann seine englischen «Onkels bald wieder vor mir herumkrabbeln» würden, schrieb er29 - sowie der Wahl des republi­ kanischen Schutzzöllners William McKinley zum Präsidenten der Verei­ nigten Staaten, wieder auf. Dem erstaunten Reichskanzler Hohenlohe teilte Zar Nikolaus II. Anfang September I 896 nach seiner Begegnung mit Wilhelm II. in Breslau mit, daß dieser ihm «von einem Zollbund ge­ genüber den Vereinigten Staaten gesprochen und ihn aufgefordert habe, dafür in Paris Stimmung zu machen>>.30 In dem festen Glauben, des Za­ ren «sicher» zu sein, meldete Wilhelm triumphierend seinem Intimus Eulenburg, Nikolaus werde sich bei seinem Besuch in Paris bereit erklä­ ren, «mit Frankreich Hand in Hand zur Verteidigung des europäischen Kontinents zu gehen». «Unser Programm ist: [ . . . ] Zusammenfassung von Europa zum Kampf gegen MacKinley [sie] und Amerika in gemein­ samem abwehrenden Zollbunde, sei es mit, sei es ohne England, je nach­ dem.»31 Und in einer bombastischen Rede in Görlitz am 7· September sagte er von Nikolaus II.: «Wir stehen noch alle unter dem Zauber der jugendfrischen Gestalt des ritterlichen Kaisers. [ . . . ] Er, der Kriegsherr über das gewaltigste Heer, will doch nur seine Truppen im Dienst der Kultur verwendet wissen und zum Schutz des Friedens. In völliger Übereinstimmung mit Mir geht sein Streben dahin, die gesamten Völker des europäischen Weltteils zusammenzuführen, um sie auf der Grund­ lage gemeinsamer Interessen zu sammeln zum Schutze unserer heiligsten Güter.»32 Da dieser überschwengliche Toast angeblich vom Zaren vorher gebilligt worden war, sahen Wilhelm und Eulenburg in ihm «den Aus­ gangspunkt [für] den europäischen Zusammenschluß» und «gewisserma­ ßen das Programm für die nächste Zukunft der europäischen Welt>>. Die «alte Freundschaft» zwischen Wilhelm und Nikolaus sei «wieder leben­ dig geworden», zeichnete Eulenburg nach seiner Ankunft im kaiser­ lichen Jagdschloß Hubertusstock am 4· Oktober I 896 auf. Der Zar sei «voller Offenheit>>, der Kaiser habe «das beste Zutrauen in ihn und meint, daß die Breslau-Görlitzer Tage gute Früchte bringen werden».33 Der «kontinentale Zusammenschluß gegen Amerika, eventuell auch ge­ gen England>> bildete laut Eulenburg, der es wissen mußte, ein bevor­ zugtes Ziel der Außenpolitik Wilhelms II. «Wie dankbar muß das deutsche Volk einem solchen Kaiser sein», schrieb er begeistert in An­ betracht der Freundschaft zwischen Wilhelm und dem Zaren.34 In Wirklichkeit erweckte die Kaiserbegegnung bei fast allen Kom­ mentatoren den Eindruck, als laufe Deutschland aus Angst vor der russi­ schen Macht dem Zaren nach. Nicht nur das: Wilhelms Versuche, die Weltreiche Rußland und England gegeneinander auszuspielen, verstärk­ ten nur die Entschlossenheit des Zaren, der Queen Victoria und Lord Salisburys, in künftigen Krisen auf gegenseitige Verständigung zu set-

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zen.35 Während seines Treffens mit dem englischen Premierminister im schottischen Baimoral am 27. September 1 896 äußerte sich der Zar, wie Salisbury in einer «streng geheimen» Aufzeichnung für die Mitglieder seines Kabinetts festhielt, recht abfällig über die Person des Deutschen Kaisers. «Er sagte, daß der Kaiser ein sehr nervöser Mann sei; er (der Kaiser von Rußland) sei ein ruhiger Mann, und er könnte nervöse Män­ ner nicht ausstehen. Er könnte eine lange Unterhaltung mit Kaiser Wil­ helm nicht ertragen, da er nie wüßte, was er tun oder sagen würde. [ . . . ] Die Manieren Kaiser Wilhelms seien schlecht; er stoße ihn in die Rippen und haue ihm wie einem Schuljungen auf den Rücken.»36 Diese Mittei­ lungen des Zaren werden nicht dazu beigetragen haben, Salisburys lange schon gehegten Sorgen um die geistige Gesundheit des Enkels der Queen Victoria zu zerstreuen.37 Auch in Paris klagte Nikolaus über die nervöse Unruhe Wilhelms II. «Der Kaiser Wilhelm [ . . . ] ist ein großer Schwätzer», sagte er dem Außenminister Gabriel Hanotaux, «es genügt, ihm zuzuhören, und das ist es, was ich getan habe. In dem Bestreben, mir zu gefallen und mich für ihn zu gewinnen, hat er mir alles Mögliche erzählt.» Ganz im Gegensatz zu den Erwartungen des Kaisers beteuerte der Zar in Paris seine Absicht, an dem Bündnis mit Frankreich festzu­ halten und sich nicht durch Wilhelm daran irremachen zu lassen. Öf­ fentlich sprach er sogar von einem «tiefen Gefühl der Waffenbrüderlich­ keit» zwischen den beiden Armeen. 38 Auch wenn an der Existenz einer regelrechten russisch-französischen Allianz jetzt kaum noch zu zweifeln war, versicherte der Kaiser dem Österreichischen Botschafter Szögyenyi, es bestehe «höchstens>> eine Militärkonvention, keinesfalls ein Bündnis­ vertrag zwischen den beiden Ländern.39 Die ganze Tragweite der franko-russischen Allianz als Grundlage einer gegen Deutschland und speziell gegen den Kaiser gerichteten, den Frieden sichernden Tripie En­ tente zeigte sich in der befriedigten Äußerung Salisburys, der Zweibund sei «eine entschiedene Bremse für den Kaiser Wilhelm welcher, wenn er Spielraum hätte, sicherlich für uns gefährlich werden würde. Familien­ zwiste haben ihn sehr gegen dieses Land erbittert, und ich bin immer froh, ihn zu sehen.>>40 Den weit verbreiteten Eindruck, daß Wilhelm dem jungen Zaren nachlaufe, machte der Kaiser im Oktober 1 896 durch seinen Beschluß um ein Vielfaches schlimmer, während des Aufenthaltes des russischen Herrscherpaares in Darmstadt auf mehrere Tage nach Wiesbaden zu rei­ sen in der Annahme, es werde sich dort eine erneute Begegnung mit Ni­ kolaus leicht herbeiführen lassen. Zutiefst schockiert waren sowohl Wil­ helm als auch Hohenlohe daher durch das Telegramm des Zaren, das die Anregung eines Treffens in Wiesbaden schlicht ablehnte. Nikolaus und Alexandra, die am 1 7. Oktober zur Einweihung der russischen Kapelle in Bad Homburg waren und die Kaiserin Friedrich im benachbarten Kronberg besuchten, waren nicht einmal bereit, am folgenden Tag zwei

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bis drei Stunden bis zur Ankunft Wilhelms in Wiesbaden zu warten.41 Auf Anraten des Reichskanzlers, der sich wegen des negativen Ein­ drucks auf das Ausland Sorgen machte, falls die beiden Kaiser sich gar nicht sehen sollten, sagte sich Wilhelm zu einem kurzen Besuch am 19. Oktober in Darmstadt an, den das Zarenpaar am folgenden Tag durch eine Stippvisite in Wiesbaden erwiderte.42 Beide Begegnungen stellten sich aber als diplomatisches Desaster heraus. In Darmstadt, wo sich außer Nikolaus und Alexandra noch die Geschwister der letzteren, Ella und Ernst Ludwig, sowie der russische Großfürst Sergius (Ellas Ehemann und Nikolaus' Onkel) aufhielten, bekam der Deutsche Kaiser, der nach seiner Ohrenoperation noch blaß und deprimiert wirkte, die kalte Geringschätzung der russisch-hessischen Verwandten zu spüren. Empört über die absichtliche Erniedrigung, die Wilhelm widerfuhr, be­ richtete Eulenburg an Bülow: «Die Elemente: Großherzog von Hessen und Großfürst Serge sind in Darmstadt die denkbar schlechtesten und wirken zweifelsohne auf die Anschauung der Dinge bei Kaiser Niko­ laus. [ . . . ] Serge haßt unsern Herrn, und der junge Großherzog würde mit Handkuß ein durch Baden vergrößertes Königreich Hessen von dem Zaren und seiner verbündeten Republik [Frankreich] annehmen. Man darf nicht vergessen, daß ein deutscher Fürst, der nicht national ist, wie dieser, immer eine gewisse Gefahr bedeutet.» 43 Der Gegenbesuch des Zarenpaares zusammen mit Ernst Ludwig in Wiesbaden am nächsten Tag fiel auffallend kurz aus und trug keineswegs zur Besserung der bei­ derseitigen Beziehungen bei. Die Denkschrift «On the need to form a politico-mercantile coalition of the European states agairrst the USA [Über die Notwendigkeit, eine politisch-merkantile Koalition der euro­ päischen Staaten gegen die USA zu bilden]», die Wilhelm dem Zaren in Wiesbaden persönlich überreichte, ließ Nikolaus monatelang liegen, ehe er sich auf Anraten seiner Minister entschloß, sie ad acta zu legen.44 Wie Eulenburg beobachten konnte, hatte diese Erfahrung mit Niko­ laus seinen kaiserlichen Freund Wilhelm «tief getroffen». «Den Grad des moralischen Eindruckes vermag ich auf den Zügen des geliebten Kaisers gerrau abzulesen. S. M. sah erschreckend aus, als ich Ihn nach der Wies­ badener Reise am 2 2. Oktober sah. Die Ablehnung des Zaren auf die Einladung nach Wiebaden war sehr schroff. Der darauf der Kaiserin [Alexandra] in Darmstadt abgestattete Besuch hat S. M. durch die Form verletzt, mit der man ihn aufnahm. Der Zar, die Kaiserin [Alexandra], der Großherzog [von Hessen] und Großfürst Serge mit ihren Frauen suchten sich Edelsteine aus, die sie aus Frankreich hatten kommen las­ sen. Unser Kaiser stand dabei - ein Siebenter nebenher. Nachher brachte der Besuch des Zaren in Wiesbaden keine Wärme. Er war auf die Minute bemessen. S. M. sprach mir ganz wenig davon. Ich fühlte, wie es Ihn quälte.>> 45 Unbegreiflich war Wilhelms unwürdiges Benehmen dem Za­ ren gegenüber für Waldersee, der tief beunruhigt nach einer Begegnung

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mit Wilhelm in Schwerin in sein Tagebuch eintrug: Korrespondenz unbekümmert fort. Das feindselige Verhalten des Zaren führte er auf den Einfluß seiner dänischen Mutter zurück. Die russische Außenpolitik, so schrieb er Anfang I 898 hämisch an Kaiser Franz Joseph, sei offenbar von dem Grundsatz geleitet «fiat voluntas - lmperatricae Matris - pereat mundus ! Der arme Kaiser [Ni­ kolaus] ist zu bedauern und hat es nicht leicht, aber doch traue ich ihm noch mehr als seinem Minister! >> 48 Andere, wie die Baronin Spitzem­ berg, sahen die Ursache für die Abweisung des Zaren eher in der Auf­ dringlichkeit Wilhelms II., die seinen Gegenspielern . 5° Schon im August I 896 hatte er in einer Randbemerkung zu einem Bericht Eulenburgs die

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Anweisung gegeben, Deutschland müsse dem französischen Außenmini­ ster Mut zur gegenseitigen Zusammenarbeit machen und «jeden Versuch der Anlehnung, den Hanotaux an uns zu machen fühlen läßt, mit war­ mem Entgegenkommen beantworten».51 Die Hoffnungen auf eine deutsch-französische Annäherung wurden durch Eulenburg genährt, der die besten Beziehungen zu seinem «alten Freund>> Raymond Lecomte von der französischen Botschaft unterhielt und ihn mit dem Kaiser zu­ sammenführte.52 Offenbar war Eulenburg bestrebt, durch solche Kon­ takte einen drohenden Weltkrieg zu verhindern. Zwar versuchte er den Kaiser Pranz J oseph, der sich besorgt über die französisch-russische Ver­ brüderung aussprach, mit der Versicherung zu beschwichtigen, «daß in Europa die Herrscher Deutschland und Österreich seien, und unser Bündnis den Wahnsinn der russisch-französischen Extravaganzen para­ lysiere>>. Der viele Jahre lang in St. Petersburg akkreditierte Österreichi­ sche Botschafter Graf Anton von Wolkenstein warnte Eulenburg jedoch, wie dieser Wilhelm mitteilte, daß Frankreich jetzt Rußland hinter sich haben würde, wenn es «losbräche>>. «Unhaltbare Zustände in Paris könnten den Ausweg eines Krieges suchen und schnell den Weltbrand entzünden; denn ein Duell zwischen Deutschland und Frankreich [al­ lein] gäbe es nicht mehr.>>53 Kurz nach dem Kaisereiltrevue in Breslau hatte sich Kaiser Wilhelm bereits dem englischen Militärattache Oberstleutnant Grierson gegen­ über beunruhigt über die Möglichkeit eines französischen Angriffs auf Deutschland geäußert, und zwar im Zusammenhang mit der erwarteten Auswirkung des Zarenbesuchs in Paris auf die dortigen monarchisti­ schen und borrapartistischen Bewegungen. Diese würden dem Zaren Ni­ kolaus «Vive L'Empereur>> zurufen und dabei von der Sehnsucht nach den alten «idees napoleoniennes>> ergriffen werden, meinte Wilhelm, «und die Wiedereinführung eines Empires oder einer Monarchie in Frankreich würde, so fürchtet er, Krieg mit Deutschland bedeuten, denn um die Dynastie zu festigen würde wahrscheinlich die erste Maßnahme der Versuch sein, das Elsaß und Lothringen wiederzugewinnen>>. 54 Als Wilhelm Anfang 1 897 durch Briefe und Randvermerke den Reichskanz­ ler erneut zu einem Annäherungsversuch an Frankreich drängte, mußte dieser ihm klarmachen, wie aussichtslos ein solches Unterfangen sein würde, solange Deutschland nicht zu einer Rückgabe Elsaß-Lothringens bereit wäre.55 Sarkastisch äußerte sich Holstein zu diesem neuen Einfall des Kaisers, indem er Eulenburg schrieb: «Der Augenblick, den S. M. schon nahen sieht, wo Frankreich sich um unser Bündnis als Ersatz für das russische bewerben würde - der liegt nach allgemein menschlicher Berechnung noch weit entfernt. Wir werden, ehe wir ihn sehen - wenn das überhaupt geschieht -, um mehrere scharfe Ecken herummüssen. Wenn S. M. jetzt schon von dieser Eventualität mit Politikern spricht, so schadet er sich damit nur selbst.>>56 Eulenburg, dessen Unterstützung

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Hohenlohe in dieser Situation anrief, versicherte diesem, daß die kaiser­ lichen Randbemerkungen nicht weiter ernst zu nehmen seien. «Eine En­ tente mit Frankreich ist häufig zwischen Sr. Majestät und mir bespro­ chen worden», räumte er ein, aber «immer als Zukunftsmusik, in weiter Ferne liegend und vielleicht niemals eine nützliche Eventualität. Aber natürlich trug die Unterhaltung selbst stets den Charakter der Aktivität, die Sr. Majestät eigentümlich ist. Diesen Charakter tragen auch die Randbemerkungen. Se. Majestät wird sich leicht überzeugen lassen. Und was hat schließlich die Unruhe Sr. Majestät geschadet ? In der großen Politik sind wir momentan stärker wie jemals ! >>57 In den nächsten Jahren kreisten die Gedanken Wilhelms immer wieder um eine deutsch-franzö­ sische Verständigung gegen Rußland, zumal dann, wenn das junge Za­ renpaar einer Begegnung mit ihm auszuweichen suchte oder russische Rüstungen an der Grenze ihm Angst machten.58 Im September r 899 sprach er mit dem elsässischen Politiker Hugo Freiherr Zorn von Bulach «von einem Zusammengehen mit Frankreich>>; das sei überhaupt «die einzige Rettung für Frankreich>>. Und er nannte bei dieser Gelegenheit die Russen ein «Lumpenpack>>. 59 3· Zukunftspolitik

Wie verhielten sich aber diese kontinentalpolitischen Ziele, die wohlbe­ merkt nie aufgegeben wurden, zu der neuen Überseepolitik, die nun im­ mer stärker in den Vordergrund rückte ? Von großer Aussagekraft ist in dieser Beziehung die Denkschrift , zugute kom­ men. Spätestens die nächste Generation Deutscher würde zu büßen ha­ ben, «daß wir Rußland in den Himmel wachsen ließen>>, schrieb er. «Nein>>, rief der Adjutant des Kaiserbruders aus, «um diesen Preis wol­ len wir lieber nicht Kolonialmacht werden.>> In einer erstaunlichen Kehrtwende, die für die allgemeine Zweideutigkeit der wilhelminischen Außenpolitik bis etwa 1 9 1 2 charakteristisch werden sollte, erwog Müller die Möglichkeit, daß Deutschland, statt gegen England, mit dem Insel­ reich zusammengehen könnte, um eine große Kolonial- und Weltmacht zu werden. Da England dasselbe Interesse an der Niederhaltung Ruß­ lands habe wie Deutschland, könne letzteres eventuell auf die Unterstüt­ zung Englands «bei außereuropäischen Gebietserwerbungen>> rechnen, meinte er. Durch ein glückliches Zusammentreffen sei England immer­ hin «durch die Rassengemeinschaft unser natürlicher Bundesgenosse>>, womit dem gemeinsamen wirtschaftlichen Kampf ein ideeller Zug, näm­ lich «das Hochhalten der germanischen Rasse im Gegensatz zu Slawen und Romanen>>, gewährleistet wäre. Zugegeben, wenn sich die beiden germanischen Länder in der Weltherrschaft teilen sollten, würde sich England dank seiner viel bedeutenderen Machtmittel wahrscheinlich schneller vergrößern als Deutschland, «aber auch das noch stärker ge­ wordene Großbritannien kann für uns nie zu einer solchen Gefahr wer­ den, wie es ein stärkeres Rußland sein würde>>, erklärte Müller. Reichs­ kanzler von Caprivi, so stellte er rückschauend fest, habe «an die Möglichkeit einer Weltmachtstellung für Deutschland überhaupt nicht geglaubt [ . . . ] und nur die Behauptung der Machtstellung auf dem euro­ päischen Kontinent im Auge gehabt>>. Diese «jetzt so geschmähte>> Poli­ tik Caprivis wäre glänzend gerechtfertigt gewesen, «wenn das deutsche Volk sich nicht zu einer ganz anderen Auffassung seiner Expansionsfä­ higkeit und Expansionspflicht aufschwänge>>, argumentierte der Marine­ offizier. Dieser Aufschwung zur Expansion entweder mit England gegen den russisch-französischen Zweibund oder aber als führende Macht in einer Kontinentalliga gegen England sei jedoch unabdingbar. Es hieße auch in diesem Fall «ganz oder gar nicht>>, argumentierte Müller. Entwe­ der 60 Die Denkschrift des damaligen Korvettenkapitäns Müller war gewiß kein amtlich verbindliches Dokument, doch die Gedanken, die mit einer geradezu schwindelerregenden Unbeschwertheit erwogen werden, sind durchaus bezeichnend für den «Griff nach der Weltmacht», zu dem das kaiserliche Deutschland noch vor der Jahrhundertwende ansetzte, und sollen deshalb zum besseren Verständnis ihrer Tragweite hier etwas nä­ her analysiert werden. Nehmen wir die erste von Müller erörterte Kom­ bination einer Kontinentalliga des Dreibunds und des Zweibunds gegen Großbritannien, so stellt sich sofort die Frage, weshalb sich die Welt­ mächte Frankreich und Rußland der deutschen Führung hätten unter­ werfen sollen. War nicht erst wenige Jahre zuvor der Zweibund gerade deswegen geschaffen worden, um durch gegenseitige Militärabmachun­ gen ihre Sicherheit und Souveränität gegen die stärkste Militärmacht der Welt zu schützen? Frankreich und Rußland waren bereits Riesenreiche geworden und ihre Expansionsmöglichkeiten - in Asien, im Nahen Osten und Afrika - waren noch nicht voll ausgeschöpft: Aus welchem Grund sollten sie also versucht sein, an einer mitzuwirken, die das Ziel hätte, das Deutsche Kaiser­ reich zur hegemonialen Weltmacht zu erheben? Nach dem Rußlands und seines westeuropäischen Allianz­ partners. Hätte die Errichtung einer zwischen den beiden «germani­ schen>> Weltreichen geteilten Weltherrschaft nicht ebenfalls einen Krieg gegen den Zweibund unabweislich gemacht, bei dem Deutschland die Vorherrschaft auf dem Festland naturgemäß zugefallen wäre ? Doch selbst wenn sich die deutsch-englische Kollaboration auf überseeische Erwerbungen beschränkt hätte, wie Müller sich das vorgestellt hat, war in diesem Szenario ein Ende der deutschen Machtausdehnung nicht ab­ zusehen. Wäre Berlin nach dem Erwerb eines riesenhaften Kolonialrei­ ches nicht der unwiderstehlichen Versuchung verfallen, seine schmale territoriale Machtbasis in Europa auf Kosten Frankreichs und Rußlands auszuweiten ? Und wie würde sich das Verhältnis zwischen den beiden «germanischen Weltreichen>> gestalten ? Müller selbst räumt ein, daß England und Deutschland «früher oder später mit zwingender Notwen­ digkeit die Entscheidung der Waffen darüber suchen>> könnten, «welches von beiden die Vormacht sein soll>>. Ganz ausgeschlossen sei es aller-

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dings nicht, «daß zwei in sich sozusagen gesättigte Kolonialstaaten [ . . . ] ruhig nebeneinander bestehen und die überschüssige politische Kraft im weiteren Kampf für die Vorherrschaft der germanischen Rasse verwer­ ten>> könnten. Und im übrigen sei es gar nicht so sicher, so fantasierte er, «daß das britische Weltreich der stärkere von den beiden germanischen Staaten sein wird, denn der Vorsprung, den Großbritannien jetzt vor uns voraus hat, stellt auch ungefähr das Zeitmaß dar, um welches es dem natürlichen Vorrang der Abbröckelung von Kolonien als selbständige Staaten näher ist». Man kann sehr gut verstehen, weshalb die Londoner Regierung ungern bereit war, «beim Zerfall fremder Reiche einen dem Expansionsbedürfnis Deutschlands entsprechenden Anteil>> zuzugeste­ hen.62 War aber sowohl der eine wie auch der andere hier angedeutete Weg zur Weltmacht und «Weltherrschaft» vermessen und nicht gangbar, so mußte die gleichzeitige Forcierung beider Tendenzen - die Schaffung ei­ ner Kontinentalliga gegen England und die Erzwingung eines deutsch­ englischen Bündnisses gegen Frankreich und Rußland - zwangsläufig in den Abgrund führen. Schon um die Jahrhundertwende geriet das Deut­ sche Reich durch seinen fatalen expansiven Zickzackkurs überall auf dem Erdball mit den Weltmächten England, Frankreich, Rußland, Japan und Amerika in Konflikt, die im Ersten Weltkrieg sämtlich zu seinen Feinden zählen sollten. 4· Armeniengreuel und Kretakrise

Auf was für eine eigenwillige, unkalkulierbare kaiserliche Gefühlspolitik die Wilhelmstraße und die Kabinette der etablierten Weltmächte sich nun gefaßt machen mußten, zeigte sich schon I 896/97 in den wütenden Eingriffen Wilhelms II. in die krisenhafte Situation im östlichen Mittel­ meer, wo das Deutsche Reich bisher eine Politik der strikten Zurückhal­ tung betrieben hatte. Die Greuel, bei denen im Sommer I 896 bis zu 8ooo christliche Armenier in Konstantinopel und Umgebung ermordet wurden, lösten in ganz Europa Entsetzen ausY Die Achtung, die der Kaiser seit dem Yildiz-Besuch im Herbst I 8 89 für Sultan Abdulha­ mid II. empfunden hatte, war angesichts der Massaker vorübergehend gänzlich geschwunden.64 Wiederholt verlangte er die Absetzung seines türkischen Kollegen, den er jetzt als einen «elenden Schurken» bezeich­ nete, der «nicht mehr Beachtung» verdiene.65 Die Beweggründe des Sul­ tans beim Genozid an den Armeniern glaubte Wilhelm als zynische Ab­ lenkungsstrategie durchschaut zu haben. Im September 1 896 schrieb er auf einem Bericht des Botschafters Baron Saurma aus Therapia, viel ern­ ster noch als die Armenische Frage an sich sei «die wachsende Unzufrie­ denheit der Muhamedaner in allen Kreisen zumal der Armee. Effendimis

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[der Sultan] weiß das ganz gut, und hat erst mit Verhaftungen und Er­ tränkungen gearbeitet. Da das aber nicht geholfen hat, läßt er die Muha­ medaner auf die Armenier als Christen los, um sich bei ihnen einzu­ schmeicheln. W.»66 Noch im Dezember I 896 schrieb er in einem Brief an Queen Victoria vom Sultan: «Möge ihn Allah bald dahin holen, wo es sehr heiß ist - [er] scheint darauf zu bestehen, sich auf Kosten der Mächte zu amüsieren, , wie er sie nennt.»67 Von Anfang an verhöhnte der Kaiser die Tatenlosigkeit der Groß­ mächte, ohne jedoch den wiederholten Bitten seines Auswärtigen Amtes nach der Entsendung wenigstens eines deutschen Kriegsschiffes zum Schutz der Europäer nachzugeben.68 Bereits Ende Juli I 896, als die Lage der Armenier in der Türkei bedrohlich wurde, hatte Wilhelm die Be­ fürchtung ausgesprochen, daß dort «alle Christen [ . . . ] totgeschlagen werden» könnten, und schimpfte über das Nichteingreifen der Mächte. «Und das sollen die Christlichen Mächte ruhig mit ansehn, und womög­ lich noch durch Blockade unterstützen! ! Schande über uns alle! »69 Doch als dann die Krise akut wurde, wies er die dringende Empfehlung Mar­ schalls, deutsche Kriegsschiffe ins östliche Mittelmeer zu beordern, kate­ gorisch zurück. «Nein. Die kämen unter allen Umständen zu spät und dürfen nicht durch die Dardanellen», schrieb er auf die chiffrierten De­ peschen des Staatssekretärs. «England und Frankreich sind ja da! » «Wenn bisher das ganze Englische und Französische sowie Russische, Italienische p. p. Mittelmeergeschwader nichts genutzt haben, wird ein Deutsches Schiff dort auch nichts nutzen.»70 Nur Monate später sollte sich Wilhelms Haltung dem Sultan und dem Osmanischen Reich gegen­ über wieder vollkommen ändern. Anfang I 8 97 flammten die Aufstände gegen die türkische Herrschaft auf Kreta erneut auf, die Anführer proklamierten die Union der Insel mit Griechenland, und ein Krieg zwischen Griechenland und der Türkei schien unausweichlich. Unter dem Druck der Öffentlichkeit entsandte die griechische Regierung am 6. Februar ein Kriegsschiff und ein Trans­ portschiff nach Kreta; wenige Tage darauf folgte die Mobilisierung der griechischen Flotte, und Prinz Georg von Griechenland, der zweite Sohn des Königs, setzte mit vier Torpedobooten nach Kreta über.71 Während dieser Krise ließ sich der Kaiser von starken anti-englischen und anti-griechischen Gefühlen leiten. Er mißtraute den britischen In­ tentionen und war der Überzeugung, daß England darauf bedacht sei, durch den Zusammenbruch des Osmanischen Reichs Gewinn zu zie­ hen.72 Als Hatzfeldt im Januar I 897 berichtete, daß Salisbury an einen Erfolg der zur Lösung der Krise in Konstantinopel tagenden Botschaf­ terkonferenz nicht recht glauben könne und daß er es für wahrschein­ lich hielt, daß schließlich Österreich gegen russisches Vorgehen würde einschreiten müssen, kommentierte der Kaiser diese Nachricht mit der fulminanten Randbemerkung: «Also richtig, wie ich es gedacht in Er-

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mangelung einer Armee muß Österreich für Englands Interessen Lands­ knechtsdienste thun, und ist das engagirt, dann muß der 3 Bund nach und dann hetzt Salisbury uns Gallien auf die Hacken! Dann vogue la galere und adieu Afrika für uns ? ! »73 Auf einem weiteren Bericht Hatz­ feldts, in dem der Vorschlag der internationalen Konferenz, einen ober­ sten Staatsrat in der Türkei einzurichten, dargelegt wurde, vermerkte der Kaiser seinen Verdacht, daß England damit nur versuche, «Rußland zum Einschreiten zu zwingen, um dann Oesterreich dagegen auszuspielen».74 Von tiefem Mißtrauen gegen Salisbury beseelt, versuchte er ständig, die eigentlichen Absichten der Engländer in der Krise «ZU demaskieren»?5 So vermutete er zum Beispiel, daß Salisbury Italien gegenüber Verspre­ chungen gemacht hatte, wie es auf Kosten Österreichs aus dem Zusam­ menbruch der Türkei profitieren könne.76 Noch im April r 897, als es aussah, als ob jegliche Aktion gegen Griechenland im Sande verlaufen würde, meinte Wilhelm verbittert: «England hat es erreicht daß Russ­ land ins Mauseloch kriecht, und Frankreich nicht mitmacht.»77 Gegen Griechenland, dem er ebenfalls zutiefst mißtraute, wollte Wilhelm mit den schärfsten Mitteln vorgehen. Im Gegensatz zu seiner Mutter, die den Sultan für eine «unmögliche Kreatur» hielt, «falsch, ver­ schlagen und verrückt»/8 nahm der Kaiser vom ersten Tag an eine stark anti-griechische Haltung ein. Am 14· Februar r 897 schrieb er an die Kaiserinwitwe: «Jeder ist hier sehr beschäftigt wegen der plötzlichen & unerwarteten Wendung, die die Dinge in Kreta genommen haben durch die ungünstige [Invasion?] der Griechen, die dabei sind, ganz Europa in Flammen zu setzen, wenn sie mit ihrer Unüberlegtheit fortfahren! Denn ich habe gerade die Nachricht bekommen, daß der König den Befehl ge­ geben hat, seine Armee zu mobilisieren! Wenn der Himmel nicht die Katastrophe verhindert, sind wir an der Schwelle zu sehr ernsten Ent­ wicklungen & könnten, noch bevor das Jahr viele Monate älter ist, in die schrecklichsten Streitigkeiten gestürzt werden! >>79 Entgegen den Wün­ schen des Kanzlers und des Auswärtigen Amts, die eine Intervention der Mächte vor Ort bevorzugten, schlug Wilhelm in direkten Gesprächen mit dem englischen, Österreichischen und russischen Botschafter in Ber­ lin eine gemeinsame Blockade des Piräus vor.80 Er wollte der Welt damit beweisen, schrieb er, daß es «auch ohne England>> gehe. «Der Continent muß endlich mal den Briten zeigen, daß sie denselben nicht zum Besten halten>> könnten.81 Den hektischen Alleingang des deutschen Monarchen schilderte Colonel Grierson am 2 0. Februar r 897 in einem Brief an Sir Arthur Bigge wie folgt: «Der Kaiser besucht dauernd die Botschafter [ . . . ] und versucht, die Mächte für seinen Vorschlag einer Blockade der griechischen Küste zu gewinnen. Neulich ging er morgens um 9 Uhr zur Österreichischen Botschaft und fand den Botschafter im Bett vor. Nach­ dem er ihn geweckt hatte, kam er zur britischen Botschaft, wo sich die gleiche Sache wiederholte. Von der öffentlichen Meinung in England ab-

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gesehen, erscheint es mir trotzdem, daß der Kaiser recht hat mit seiner Idee, die Gefahr für den Frieden Europas im Keim zu ersticken, aber ich kann nicht verstehen, warum Deutschland, dessen Interessen im Mittel­ meer im Vergleich mit denen der anderen Mächte winzig klein sind und das zur Zeit nicht ein einziges Schiff in kretischen oder griechischen Ge­ wässern hat (obwohl eins unterwegs ist), hierbei die Führung überneh­ men sollte. [ . . . ] Ich fürchte sehr, daß es nun zu einer neuen Welle der Beschimpfungen gegen britische Politik in den deutschen Zeitungen kommen wird.»82 Als das erwähnte deutsche Kriegsschiff Kaiserin Au­ gusta im östlichen Mittelmeer eintraf, forderte der Kaiser, daß der Kom­ mandant «dahin zu instruiren [sei], vor allem in Gemeinschaft mit dem Russischen und Gesterreichischen Admiral zu handeln, und die schärf­ sten Mittel - inclusive Scharf-Schießens - nicht zu scheuen, wenn dem Drohen seitens Griechenland nicht Gehör geschenkt wird>>.83 Die Ak­ tion zu Wasser werde nur dann einen Sinn haben, insistierte er, wenn «statt weniger Kanonenschüsse ein scharfes Seegefecht der Griechischen Flotte ein jähes Ende bereitet. Denn sie hat scharfe Torpedos an Bord und könnte in der Nacht zum Dank für mit wenigen Torpedos die Schiffe erledigen.>>84 Wie nach der Krüger-Depesche ein Jahr zuvor beklagte der Kaiser die Tatsache, daß Deutschlands Flotte für internationale Krisen nicht ausrei­ chend stark sei. «Man sieht wieder hieraus wie schwer Deutschland den Mangel einer starken Flotte empfindet, da es sich im Conzert nicht durchschlagend fühlbar machen kann. Hätten wir statt eines Schiffs eine starke Kreuzerdivision mit Panzerkreuzern bei Creta gehabt, so hätte Deutschland ungesäumt auf eigne Faust im Februar allein gleich Athen blockiren können, und dadurch die anderen Mächte nolens volens zum Mitthun fortgerissen und gezwungen. So ist schließlich nichts geschehen und derjenige der alle Pläne durchkreuzt, alle Thatkraft lähmt und auf den schließlich Rücksicht genommen wird ist England! Und warum? Weil es die stärkste Flotte hat! Uns helfen unsre r. ooo.ooo Grenadiere dabei nichts ! »85 In dieser Krise befand sich Kaiser Wilhelm im Gegensatz nicht nur zum eigenen Auswärtigen Amt und zur vereinbarten Politik der Groß­ mächte, sondern auch zu den leidenschaftlichen Gefühlen seiner Schwe­ ster Kronprinzessin Sophie von Griechenland und seiner Mutter und Großmutter. Seine Verachtung für die griechische Königsfamilie mit ih­ ren engen Verbindungen nach Kopenhagen, London und St. Petersburg spielte eine bestimmende Rolle in seiner feindseligen Haltung den grie­ chischen Aspirationen gegenüber. Von den Söhnen König Georgs I. sagte er, «das sind Lümmels ohne jede Erziehung», und von dem Einfluß der Kaiserin-Mutter Maria von Rußland, der Prinzessin Alexandra von Wales und der Damen des dänischen Hofes auf die griechische Frage meinte er: «Diese Unterröcke sollten doch die Finger von den Dingen

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lassen.>>86 Höhnisch lehnte er die humanitären Argumente seiner Schwe­ ster, der Mutter und der Großmutter ab, die von den Greueltaten der Türken gegen die kretanische Bevölkerung schockiert waren.87 Wieder einmal mußte die Kaiserin Friedrich die Herzenskälte ihres Sohnes als unbegreifliches Hindernis zu einem besseren Verhältnis hinnehmen. «Natürlich erwähne ich das Thema nicht Wilhelm gegenüber, dessen Aggressivität unvermindert andauert>>, schrieb sie der Queen Victoria.88 «> Natürlich war die größte Sorge der Kaiserin die Sicherheit ihrer Tochter Sophie: «Wenn diese schreckliche Blockade der griechischen Häfen durchgeführt wird>>, j ammerte sie in einem Brief an die eigene Mutter, «könnte das Schlimm­ ste passieren.>>89 Nach einem Besuch des Kaisers bei ihr im Taunus be­ richtete sie nach Windsor: « Wilhelm [ . . . ] verheimlichte nicht, daß seine Sympathien bei den Türken lagen. - Er glaubt alles, was gegen die Grie­ chen spricht.>>90 Trotz der von Wilhelm II. angeregten Blockade überschritten griechi­ sche Truppen am r o./ II. April r 897 die thessalische Grenze und began­ nen somit den Krieg gegen die Türkei.91 Spätestens jetzt, zumal die grie­ chische Armee eine Reihe von Niederlagen erlitt, wurden in allen euro­ päischen Hauptstädten Sorgen um eine Eskalation der Krise laut. Am 2 5 . April appellierte Queen Victoria an den Zaren - es war ein weiteres Anzeichen der Zusammenarbeit Englands mit dem russisch-französi­ schen Zweibund - «all Deinen großen Einfluß einzusetzen, um einen Waffenstillstand herbeizuführen und diesen schrecklichen Krieg zu be­ enden der, da bin ich sicher, Dich ebenso sorgen muß wie mich. Ich hoffe ernsthaft, daß Du Lord Salisburys Vorschlag für eine gemeinsame Aktion zwischen Dir und Frankreich zustimmen wirst.»92 Anfang Mai regten die Vertreter der russischen, englischen, französischen und italie­ nischen Regierungen in Konstantinopel einen Waffenstillstand zwischen Griechenland und der Türkei an, allerdings ohne die Bedingung zu stel­ len, daß Athen die Autonomie Kretas anerkenne und die griechischen Truppen von der Insel zurückrufe, beides Punkte, auf die Wilhelm II. als Vorbedingung bestanden hatte. Vielmehr wurde von den Botschaftern, wie Hohenlohe dem Kaiser mitteilte, «lediglich die Hoffnung ausge­ sprochen, daß die griechische Regierung aus Dankbarkeit für die er­ folgte Vermittlung jene Forderungen später bewilligen werde>>. In Anbe­ tracht dieser Tatsache riet der Kanzler dem Kaiser, «daß Allerhöchstdie­ selben im Interesse des europäischen Friedens auf Ihrem bisherigen Standpunkte feststehen bleiben und auch auf den österreichisch-ungari­ schen Botschafter in diesem Sinne einwirken. Denn es ist außer aller Frage, daß die griechische Regierung jene Forderungen der Mächte nicht anders als unter dem Druck der unmittelbaren Kriegsgefahr bewilligen

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wird.» Der Kaiser stimmte Hohenlohes Vorschlag rückhaltlos zu. 93 Dementsprechend wurden die Versuche der Queen, Wilhelm von der Notwendigkeit zu überzeugen, daß alle Mächte im Mai 1 897 so schnell wie möglich über einen Waffenstillstand verhandeln sollten,94 vom Kai­ ser abgelehnt. Als Antwort auf ein Telegramm der Königin schrieb er: «Die Mächte haben beschlossen, daß der Waffenstillstandsvorschlag von Griechenland erbeten werden muß, mit dem Versprechen von der glei­ chen Macht, daß sie bereit ist, sich ohne Konditionen den Entscheidun­ gen der Mächte zu unterwerfen und sofort ihre Truppen von Kreta, des­ sen Autonomität sie zu akzeptieren hat, abzurufen. Dies ist conditio sine qua non. Solange Griechenland nicht seinen Wunsch in dieser Weise aus­ gedrückt hat, ist eine Intervention außer Frage. Meiner Meinung nach ist die russische Regierung am geeignetsten, in dieser Sache die Führung zu übernehmen. Wilhelm I. R.>>95 Verblüfft schrieb die Königin in ihr Tage­ buch: «Erhielt ungezogenes Telegramm von Wilhelm, en clair, während mein Telegramm chiffriert gewesen war.>>96 Auch als ein Hilferuf seiner Schwester Sophie eintraf, Wilhelm möge «weiteres Blutvergießen>> ver­ hindern «und mir zuliebe die Mediation, welche von den Mächten vor­ geschlagen, beschleunigen>>,97 antwortete der Kaiser, daß er so lange nichts tun könne, wie Griechenland sich nicht den Mächten fügen und die Autonomie Kretas anerkennen wolle und durch «Zurückziehung der Truppen von dort das verletzte Recht wiederherzustellen>> bereit sei. Erst als sich Griechenland willens zeigte, diese Bedingungen anzuerken­ nen, wies der Kaiser die deutschen Diplomaten in Athen und Konstanti­ nopel an, «mit den Vertretern der anderen Mächte sich wegen Mediation zu besprechen>>, wie er seiner Schwester am 1 2. Mai antwortete.98 Wenige Tage später war Wilhelm sodann in der Lage, seiner Groß­ mutter triumphierend die gute Nachricht zu senden, daß Griechenland auf die von ihm genannten Bedingungen eingegangen sei. «Ich bin glücklich Dir mitteilen zu können, daß, nachdem der König und die Regierung durch Sophy um meine Intervention gebeten haben und nachdem sie meinen Ministern und mir, wieder durch Sophy, offiziell mitgeteilt haben, daß sie die Konditionen, die ich vorgeschlagen habe, bedingungslos akzeptieren, ich Baron v. Piessen befohlen habe, die not­ wendigen Schritte einzuleiten, um den Frieden in Zusammenarbeit mit den Vertretern der anderen Mächte wiederherzustellen. William I. R.» 99 Abermals notierte die Königin erstaunt in ihr Tagebuch: «Habe ein weiteres großsprecherisches Telegramm, wieder en clair, von William

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erhalten, in dem er sagt, Willy von Griechenland [König Georg der Hellenen] hätte durch Sophy um seine Intervention gebeten.»100 Noch stärker kam Wilhelms Selbstgefälligkeit in dem Telegramm zum Vor­ schein, das er am gleichen Tag an seine Mutter richtete: «Nachdem mich Sophie um Mediation gebeten hatte und mit meinen Bedingungen vertraut gemacht worden war, die sie an den König weitergab - hat die Regierung sie bedingungslos übernommen und ich habe meinen Ge­ sandten in Athen bedingungslos instruiert, den anderen Mächten beizu­ treten in der Arbeit, den Frieden wiederherzustellen. - Der Krieg ist j etzt zu Ende ! >> Die Kaiserin Friedrich schickte eine Kopie dieses «merkwürdigen Telegramms von ihm, im üblichen seltsamen bombasti­ schen Stil», an ihre Mutter und schrieb besorgt: «Was für eine merk­ würdige Art, Dinge zu tun - warum alles er selbst, anstatt seines Aus­ wärtigen Amtes ! ! >>101 Als die Friedensverhandlungen im September r 897 zum Abschluß ka­ men, gratulierte der Kanzler dem Kaiser zu seinem außenpolitischen Er­ folg. In seinem Antworttelegramm schrieb der Kaiser: «Wenn nach Eu­ rer Durchlaucht Ansicht meine feste Haltung dazu beigetragen hat, das Friedenswerk zu fördern, so ist der Erfolg doch wesentlich der Umsicht Eurer Durchlaucht und der Organe zu verdanken, welche es verstanden haben, meinen, mit Eurer Durchlaucht vereinbarten Ideen praktische Wirkung zu verschaffen.>>102 Nach seiner Selbsteinschätzung war seine eigene Rolle während der Krise freilich so entscheidend, daß nur er dem Reichstag darüber Erklärungen abgeben konnte und sollte. In einem Te­ legramm aus Hubertusstock beschwerte sich der Kaiser über Marschall, der dem Reichstag versprochen hatte, zu gegebener Zeit nähere Auf­ schlüsse über Deutschlands Kreta-Politik zu geben: «Dieses dürfte ohne Befehl meinerseits und ohne vorherige Anfrage bei mir ausgeschlossen sein.>> Der Kaiser selbst sei «der Einzige, der dem Reichstag darüber Aufklärung zu geben hat>>, und er habe Hohenlohe bereits befohlen, den Reichstag zu diesem Zweck ins Schloß berufen zu lassen. «Euere Durch­ laucht fanden die Idee in j eder Hinsicht richtig und billigten dieselbe, meinten jedoch, es sei noch zu früh, den Reichstag zu orientieren. Nun ist das ohne mein Vorwissen und Zustimmung trotzdem doch gesche­ hen, und ich muß darüber mein Erstaunen aussprechen.>> Von jetzt ab, so insistierte der Monarch, werde er dem Parlament selbst die Politik in der Krise erläutern. «Alle Interpellationen oder Verhandlungen betref­ fend Kreta, bei denen Orientierung des Reichstags erwünscht sind, sind mir zu melden unter Angabe der beabsichtigten Antwort. [ . . . ] Ich habe mit vollem Bewußtein den Schritt persönlich unternommen, der Europa den Frieden noch einmal erhalten soll, und ich bin fest entschlossen, per­ sönlich die Angelegenheit weiter zu leiten. [ . . . ] Ich hege keinen Zweifel, daß es mir mit Gottes Hülfe gelingen wird, womöglich einem Welten­ brand nochmal vorzubeugen.>> 103

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Im folgenden Jahr, als Wilhelm auf seiner spektakulären Orientreise den Sultan im Yildiz besuchte, kamen sowohl die dunkle Ranküne als auch das bauernschlaue machtpolitische Kalkül, die ihn in der Kretakrise bewegt hatten, in einem emotionsgeladenen Brief an den Zaren zum Ausdruck. Voller Haß gegen England, die «einmischungslüsterne Macht», die er für den Aufstand auf der Insel verantwortlich machte, teilte er Nikolaus II. mit, daß er seine Flotte in der Krise deshalb einge­ setzt habe, «weil ich fühlte und sah, daß eine gewisse Großmacht uns anderen alle zum Herausholen der Kastanien aus dem Feuer gebrauchen wollte, damit sie sich Kreta oder die Sudabai nimmt, und weil ich nicht zu den Helfershelfern gehören wollte, von denen man erwartet, daß sie mit Brot und Salz und obendrein den Schlüsseln von Kreta erscheinen und die erwähnte Großmacht bitten sollen, sie möchte sich freundliehst der Wohlfahrt der armen lieben Kreter annehmen, ! >> Falls es den Christen auf Kreta gelingen sollte, die Mohammedaner von der Insel zu vertreiben, wäre der Ein­ druck ein verheerender, meinte der Kaiser. 110 Obwohl ihm klar war, daß ein mit Deutschlands Hilfe ins Leben gerufener jüdischer Staat «die wucherisch­ stell Zinsen>> würde bezahlen müssen,111 bevorzugte Herzl den deutschen Weg zur Verwirklichung seiner weitreichenden Pläne. Nicht nur außen­ politisch, sondern auch in seiner inneren Struktur wollte er in Palästina eine aristokratische jüdische Republik gründen, für die das Kaiserreich Modell stehen sollte. «Unter dem Protektorat dieses starken, großen, sittlichen, prachtvoll verwalteten, stramm organisierten Deutschland zu stehen, kann nur die heilsamsten Wirkungen für den jüdischen Volkscha­ rakter haben>>, schrieb er in sein Tagebuch. «Mit einem Schlag kämen wir zu vollkommen geordneten inneren und äußeren Rechtszuständen.>> Und auch die Deutschen würden von dem Bündnis Gewinn erzielen, denn «durch den Zionismus wird es den Juden wieder möglich werden, dieses Deutschland zu lieben, an dem ja trotz allem unser Herz hing! >>112 Freilich, es war eine Sache, an den Kaiser zu appellieren, eine ganz andere, den Monarchen zu einer Audienz zu bewegen. Es war William H. Hechler, der exzentrische deutsch-britische Kaplan an der englischen Botschaft in Wien, der Herzl den Weg an den kaiserlichen Hof ebnete. Er schickte dem Großherzog von Baden drei Exemplare von Herzls Ju­ denstaat und brachte den Onkel des Kaisers dazu, den Autor am 2 2. April 1 896 in Karlsruhe zu empfangen.113 Mit der Zeit entpuppte

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sich Großherzog Friedrich als wohlwollender, wenn auch zaghafter Gönner der Zionisten. Wilhelm II. hatte bislang zwar wenig Interesse am Zionismus gezeigt, er war dennoch mit der zentralen Idee der Bewe­ gung vertraut und äußerte sich gelegentlich - wenn auch spöttisch - zu­ stimmend dazu. Im Mai I 89 I , als er von den amerikanisch-russischen Verhandlungen erfuhr, in denen es um Landerwerb in Argentinien für die verfolgten Juden Rußlands ging, bemerkte er: «Ach, wenn wir unsere doch auch dahin schicken könnten. >>114 Als der Großherzog und Hechler I 896 bei einem Besuch in Karlsruhe den Versuch unternahmen, Wil­ helms Aufmerksamkeit auf die Ideen Herzls zu lenken, rief der Kaiser dem Gast seines Onkels lachend zu: «Hechler, ich höre, Sie wollen Mi­ nister des jüdischen Staates werden.»115 Ein Jahr später, bei der Lektüre eines Berichtes über den ersten Zionisten-Kongreß, schrieb Wilhelm an den Rand: «Ich bin sehr dafür, daß die Mauschels nach Palästina gehen, je eher sie dorthin abrücken, desto besser. Ich werde ihnen keine Schwierigkeiten in den Weg legen.>>116 Das antisemitische Gekritzel des Allerhöchsten Herrn verdeutlicht immerhin, daß es zwischen Herzl und dem Kaiser gemeinsamen Boden gab. Wie der Zionistenführer bereits I 895 notiert hatte: «Die Antisemiten werden unsere verläßlichsten Freunde.»117 Als Herzl auf Anraten des Großherzogs den Kaiser brief­ lich um eine Audienz bat, erhielt er zur Antwort, der Monarch könne ihn nicht empfangen, er bäte aber um einen schriftlichen Bericht über den Zionisten-Kongreß. Am 1. Dezember I 897 schickte Herzl dem Kai­ ser seine Broschüre Der Baseler Kongress zuY8 Der erste Kontakt war hergestellt. Daß Wilhelm im Herbst I 898 dem zionistischen Traum für eine Weile mehr Sympathie entgegenbrachte, hatte seinen Grund in den Bemühun­ gen Hechlers, des Großherzogs von Baden und Philipp Eulenburgs. Hechler war von der Überzeugung durchdrungen, daß die Bundeslade, angefüllt mit den eigenhändig von Gott geschriebenen zehn Geboten und dem Originalmanuskript des von Moses verfaßten ersten Teils des Alten Testaments, ihrer Entdeckung auf dem Nebo-Berg im Ostj ordan­ land harrte. Kaiser Wilhelm sollte den Sultan dazu überreden, ihm das Heilige Land mit Transj ordanien abzutreten, drängte der Geistliche, um somit der Welt endlich zu beweisen, daß Gott und Moses diese jüdisch­ christlichen Urtexte höchstpersönlich verfaßt hätten.119 Am 2 8 . Juli I 898 schrieb Großherzog Friedrich nach wiederholten Bitten Hechlers und Herzls endlich an seinen kaiserlichen Neffen. Obwohl er Material über die zionistische Bewegung beilegte, befaßte sich sein Brief hauptsächlich mit der «Entdeckung>> Hechlers vom Aufbewahrungsort der Bundes­ lade. Der Großherzog drängte den Kaiser, auf seiner bevorstehenden Orientreise den Sultan dazu zu bringen, ihm das in Frage stehende Ge­ biet abzutreten, freilich ohne den wahren Grund dieser Bitte, die Bun­ deslade, preiszugeben.120



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Die Anwort des Kaisers fiel zurückhaltend aus: Das eingesandte zio­ nistische Material werde er an Eulenburg weiterleiten, der ihm einen mündlichen Bericht darüber erstatten würde.121 Trotzdem überstürzten sich nunmehr die Ereignisse. Am 2. September r 898 empfing der Groß­ herzog Hechler und Herzl zu einer zweistündigen Audienz auf der Insel Mainau. Der Zionistenführer war von der «grandiosen» Bereitschaft des Großherzogs verblüfft, mit ihm die «geheimsten deutschen politischen Angelegenheiten und [ . . . ] die Absichten des Kaisers» zu besprechen. Von Adolf Marschall von Bieberstein, der inzwischen als deutscher Bot­ schafter in Konstantinopel akkreditiert war, habe der Großherzog erfah­ ren, daß der Sultan der zionistischen Frage wohlwollend gegenüber­ stehe. Infolge der deutschen Unterstützung der Türkei in der Kretakrise genieße der Kaiser das uneingeschränkte Vertrauen Abdulhamids, fuhr Friedrich I. fort, und der deutsche Einfluß am Bosporus sei somit augen­ blicklich grenzenlos. «Wenn unser Kaiser dem Sultan gegenüber ein Wort fallen läßt, so wird man sich sicherlich danach richten>>, urteilte er. Der Großherzog enthüllte ferner, daß der Kaiser an der Bundeslade ein ausgesprochenes Interesse bekundet hatte, deren Auffinden eine Welt­ sensation sein würde. Friedrich fragte Herzl, ob er die Absicht habe, in Palästina einen Staat zu gründen, und riet ihm, die Oberhoheit des Sul­ tans doch vorläufig anzuerkennen; eine Generation später könne man dann weitersehen. Er mahnte Herzl jedoch zur Geduld. Die übrigen Mächte seien den deutschen Absichten in Palästina gegenüber plötzlich mißtrauisch geworden, und Herzl würde das Feuer nur schüren, wenn er auf eine Audienz mit dem Kaiser drängte.122 Am 8. September wandte sich Herzl an Eulenburg. Er sei gewillt, dem Kaiserfreund und Botschafter nähere Informationen über die Bewegung zukommen zu lassen, schrieb er und betonte, daß er noch vor der Orientreise den Kaiser sprechen müsse.123 Da sich dieser am 1 7. Septem­ ber zur Beisetzung der ermordeten Kaiserin Elisabeth in Wien aufhalten werde, hoffe er auf eine Audienz an diesem Tag.124 Die Begegnung Herzls mit Eulenburg fand am r 6. September in der deutschen Botschaft statt. Als er seine Pläne vor ihm ausbreitete, war Eulenburg «sichtlich fasziniert>>. Vor allem beeindruckte ihn die Andeutung Herzls, daß sich die Zionisten an England wenden müßten, wenn die deutsche Unterstüt­ zung ausbleiben sollte. Eindringlich schlug der Botschafter ein Treffen mit seinem Freund Bernhard von Bülow vor, der mit dem Kaiser nach Wien kommen werde.125 Im Anschluß an eine nichtssagende Unterredung mit dem neuen Staatssekretär fuhr Herzl nach Paris, Amsterdam und London, ohne den Kaiser getroffen zu haben. Von der französischen Hauptstadt aus schrieb er Eulenburg einen Brief, in dem er seine Hauptargumente nochmals zusammenfaßte. Er hob hervor, daß mit der Gründung einer jüdischen Heimstätte in Palästina «ein Element von deutscher Kultur>>

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ans östliche Ufer des Mittelmeers käme; daß ein zudem eine Kräftigung. Frankreich befände sich auf dem Höhepunkt der Dreyfus-Krise in Aufruhr und sei nicht in der Lage, sich einem deutschen Vorstoß zu widersetzen. Mit verstärkter Dringlichkeit bat Herzl Eulenburg erneut um eine Audienz mit dem Kaiser noch vor dessen Abreise nach Konstantinopel. «Ein Wort des Kaisers kann die größten Folgen zur Gestaltung der Situation im Orient bewirken. Seine Reise in das Heilige Land kann die Bedeutung einer Geschichtswende im Orient erlangen, wenn die Rückkehr der Juden eingeleitet wird», urgierte er.126 Eulenburg, der mit dem Kaiser in Rominten weilte, benutzte Herzls Brief in seinen Gesprächen mit Wilhelm offenbar als Gedankenstütze. Klar ist jedenfalls, daß der Monarch Herzls Argumente in dem Brief an den Großherzog von Baden aufnahm, den er am 29. September 1 898 verfaßte. Zunächst dankte er seinem Onkel darin für die Zusendung des Materials über den Zionismus, das er zusammen mit Eulenburg durch­ gearbeitet hatte. «Das Ergebnis meiner Untersuchungen ist nun Folgen­ des: [ . . . ] Der Grundgedanke [der Bewegung] hatte mich stets interessirt, ja sogar sympathisch berührt. Durch das Studium Deiner gnädigen Zu­ sendungen bin ich nun doch zu der Ueberzeugung gekommen, daß wir es hier mit einer Frage von der allerweitgehendsten Bedeutung zu thun haben. Ich habe daher in vorsichtiger Weise mit den Förderem dieser Idee Fühlung nehmen lassen und dabei konstatiren können, daß die Uebersiedelung der dazu bereiten Israeliten ins Land Palästina in her­ vorragender Weise vorbereitet und sogar finanziell in jeder Hinsicht völ­ lig fundirr ist. Ich habe daher auf eine Anfrage seitens der Zionisten, ob ich eine Abordnung von ihnen in Audienz empfangen wolle, erwidern lassen, ich sei gern bereit eine Deputation in Jerusalem zu empfangen an­ läßlich unserer Anwesenheit dortselbst.» Er sei der Überzeugung, fuhr der Kaiser fort, «daß die Besiedelung des Heiligen Landes durch das ka­ pitalkräftige und fleißige Volk Israel dem ersteren bald zu ungeahnter Blüthe und Segen gereichen wird» - und somit auch zu einer bedeuten­ den wirtschaftlichen Wiederbelebung der Türkei. «Dann wird der Türke wieder gesund, d.h. kriegt er auf natürliche Weise ohne zu pumpen Geld, dann ist er nicht mehr krank, baut sich seine Chausseen und Eisenbahnen selbst ohne fremde Gesellschaften und dann kann er nicht so leicht auf­ gerheilt werden. Q.e.d. ! Zudem würde die Energie, Schaffenskraft und Leistungsfähigkeit vom Stamme Sem auf würdigere Ziele als auf Aussau­ gen der Christen abgelenkt, und mancher die Opposition schürender, der



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Soz. Dem. anhängender Semit wird nach Osten abziehen wo sich loh­ nendere Arbeit zeigt. [ . . . ] Nun weiß ich wohl, daß neun-zehntel aller Deutschen mit Entsetzen mich meiden werden, wenn sie in späterer Zeit erfahren sollten, daß ich mit den Zionisten sympathisire oder gar eventl: wie ich es auch - wenn von ihnen angerufen - thun würde, sie unter mei­ nen Schutz stellen würde ! >> Aber Wilhelm hatte seine Entgegnung bereit: «Daß die Juden den Heiland umgebracht, das weiß der liebe Gott noch besser wie wir, und er hat sie demgemäß bestraft. Aber weder die Anti­ semiten, noch Andere noch ich sind von Ihm beauftragt und bevollmäch­ tigt diese Leute nun auch auf unsere Manier zu kujoniren in Majorern Dei Gloriam! >> Er erinnerte daran, daß man seine Feinde lieben solle. Und außerdem sei es «vom weltlichen, realpolitischen Standpunkt aus nicht außer acht zu lassen, daß bei der gewaltigen Macht, die das Interna­ tionale jüdische Kapital nun einmal in aller seiner Gefährlichkeit reprä­ sentirt, es doch für Deutschland eine ungeheure Errungenschaft wäre, wenn die Welt der Hebräer mit Dank zu ihm aufblickt? ! Ueberall erhebt die Hydra des rohesten, scheußlichsten Antisemitismus ihr greuliches Haupt, und angsterfüllt blicken die Juden - bereit die Länder wo ihnen Gefahr droht zu verlassen - nach einem Schützer! Nun wohlan die ins Heilige Land zurückgekehrten sollen sich Schutzes und Sicherheit er­ freuen und beim Sultan werde ich für sie interzediren.>> 127 Wie man gut verstehen kann, war Herzl förmlich überwältigt, als er am 1 . Oktober in Amsterdam durch einen Brief von Eulenburg erfuhr, daß der Kaiser bereit sei, das Protektorat über den jüdischen Staat zu übernehmen. Wilhelm habe «volles und tiefes Verständnis>> für die Be­ wegung gezeigt und sei gewillt, in «dringender Weise>> beim Sultan für seine Ziele einzutreten. Der Monarch wolle Herzl nicht vor seiner Ab­ fahrt nach Konstantinopel treffen, da man ein solches Treffen nicht ge­ heimhalten könne, aber er freue sich auf den Empfang einer zionisti­ schen Deputation in Palästina. In einer «ganz geheimen>> Nachschrift schlug Eulenburg vor, daß Herzl dennoch bereits am 1 7. Oktober in Konstantinopel eintreffen solle für den Fall, daß der Kaiser doch Anwei­ sungen für seine Unterredung mit dem Sultan benötige. Darüber hinaus bot der Botschafter Herzl an, ihn vor seiner Abreise auf seinem märki­ schen Gut zu empfangen.128 In Schloß Liebenberg wiederholte Eulenburg seine Überzeugung, daß Wilhelm sich ganz an den Gedanken eines Protektorats gewöhnt habe. Der Kaiser zweifele nicht, daß der Sultan seinen Vorschlag gut aufneh­ men würde. «Wunderbar, wunderbar! » schrieb Herzl entzückt. Als Eu­ lenburg davor warnte, daß Deutschland einen Krieg wegen der Zioni­ sten nicht führen würde, folgte eine Diskussion über die voraussichtliche Reaktion der Großmächte auf die deutsche Unterstützung eines jüdi­ schen Staates im Nahen Osten. Eulenburgs Ansicht war, daß, «da es sich um ein Protektorat handele, die Sache nicht lange verschwiegen werden

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könnte. Deshalb meinte er, es wäre besser, sofort und demonstrativ da­ mit herauszukommen.» Was Rußland anbetraf, so zeigte sich der Bot­ schafter optimistischer als der Zionist. «> in Palä­ stina niederlassen würden. «> Bülow trug zum antisemitischen Ton bei, indem er darüber klagte, «die Juden>> hätten sich dem Hause Hohenzollern gegenüber undankbar gezeigt und befänden sich neuerdings zum Teil sogar bei den Oppositi­ onsparteien. Sollte der Kaiser ein Protektorat in Palästina ausrufen,



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würde er erwarten, daß ihm die Juden ihre Dankbarkeit erwiesen. Trotz­ dem gelang es Herz!, seinen «gesamten Plan>> an den Mann zu bringen. «Alles, alles>>, notierte er mit Erleichterung. Der Kaiser «hörte mir prachtvoll zu>> und stimmte mit ihm überein, daß der Plan für eine jüdi­ sche Heimstätte «ganz natürlich>> sei. Und als Bülow Zweifel über die türkische Reaktion zum Ausdruck brachte, rief Wilhelm aus: «Es wird doch wohl einen Eindruck machen, wenn der Deutsche Kaiser sich darum kümmert, Interesse dafür zeigt. [ . . . ] Schließlich bin ich doch noch der einzige, der zum Sultan hält. Er gibt etwas auf mich.>> Er fragte Herz!, was er von dem Sultan fordern sollte, worauf Herz! antwortete: «Eine Chartered Company - unter deutschem Schutz.>>132 In dem Be­ wußtsein, «sich dem Höhepunkt seiner tragischen [sie !] Unternehmung zu nähern>>, reiste Herz! mit seinen Leuten nach Palästina weiter. Wir wissen nicht, bei welcher der Unterredungen mit dem Sultan die Frage eines deutschen Protektorats in Palästina angeschnitten wurde. Fest steht nur, daß Abdulhamid die Idee so schroff von sich wies, daß der kaiserliche Gast die Angelegenheit nicht weiter verfolgen konnte.133 Freilich, die türkische Regierung hatte sich dem Zionismus gegenüber längst auf eine durchdachte Politik geeinigt. Trotz Marschalls (nicht auf­ gefundenem) gegenteiligem Bericht schwankte der Sultan nie in seiner Opposition. Seiner Tochter zufolge erklärte er: «Ich kann selbst einen Fuß Land nicht verkaufen, denn es gehört nicht mir, sondern meinem Volk. Die Juden können sich ihre Millionen sparen. Wenn einst mein Reich geteilt ist, können sie Palästina vielleicht umsonst bekommen. Aber nur unser Leichnam kann zerlegt werden. Ich werde einer Vivisek­ tion nie zustimmen.>>134 Wie die Akten im Yildiz-Archiv zeigen, wurde die Haltung des Sultans einmütig von seinen Ratgebern geteilt. Alle wi­ dersetzten sich der Möglichkeit, dem Reich ein zusätzliches nationales beziehungsweise religiöses Problem aufzubürden, welches die europäi­ schen Großmächte nur für sich ausnutzen würden. Die Botschafter warnten alle, das wahre Ziel der Zionisten sei die Bildung eines unab­ hängigen jüdischen Staates, der sich nicht auf Palästina beschränken werde; solch ein Staat würde zudem den Mittelpunkt weltweiter jüdi­ scher Aktivitäten bilden. Sie waren sich auch klar, daß die Etablierung eines jüdischen Staates im Heiligen Land die «Arabische Erhebung» schüren würde, die das Osmanische Reich zerstören würde. Auf Befehl Abdulhamids hatte der Ministerrat ein Programm entwickelt, um der zionistischen Gefahr im lnnern wie im Ausland entgegenzuwirken.135 Vor diesem Hintergrund hätte die entschlossene Haltung des Sultans bei Wilhelm II. keine Überraschung hervorrufen dürfen.B6 Obwohl Herz! sich dessen noch nicht bewußt war, hatte sich Wil­ helms Einstellung zum Zionismus ohnehin schlagartig geändert. Plötz­ lich voller Bewunderung für den quasi-absoluten Sultan und die mono­ theistische Strenge des Islam, die in dem oben zitierten Brief vom

Von der Kontinental- zur Weltpolitik 20. Oktober an den Zaren zum Ausdruck kam,137 weit entfernt von dem Einfluß Eulenburgs und des Großherzogs von Baden, den zwingenden Regeln der Staatsvernunft zugänglich, die ihm von Bülow und Ali Tew­ fik, dem mitreisenden türkischen Botschafter in Berlin, dargelegt wur­ den, die darauf hinwiesen, daß England, Frankreich und Rußland nie­ mals einen deutschen Satellitenstaat im Nahen Osten dulden würden, fiel Wilhelm in die Rolle eines gleichgültigen, beinahe höhnischen Geg­ ners der zionistischen Idee zurück, die er bis zu seiner Bekehrung durch Eulenburg in Rominten drei Wochen zuvor vertreten hatte. Sein Inter­ esse am Zionismus erwies sich als flüchtig und oberflächlich. Von An­ fang an von antisemitischen Vorurteilen und egoistischem Kalkül moti­ viert, verlief seine Absicht, ein deutsches Protektorat über einen Juden­ staat in Palästina zu proklamieren, nach Abdulhamids Ablehnung schnell im Sande. Der Kaiser und seine Umgebung kamen am 2 5 . Oktober 1 89 8 vor Haifa an. Als Wilhelm nachmittags an Land ging, war es, wie der offi­ zielle Reisebericht verkündete, das erste Mal seit dem Besuch Fried­ richs II. von Hohenstaufen im Jahre 1 22 8 , daß ein deutscher Kaiser den Boden des Heiligen Landes betrat. Als sich die Reisegruppe auf die stau­ bige Fahrt nach Jaffa begab, waren zahlreiche Geistliche und über 5 00 weitere Teilnehmer hinzugestoßen, die mit vier Dampfschiffen ange­ kommen waren. Die Prozession benötigte nicht weniger als 2 3 0 Zelte, 1 20 Wagen, 1 3 00 Pferde und Maulesel, 1 00 Kutscher und 6oo Treiber, 1 2 Köche und 6o Kellner. Diese gewaltige Karawane wurde von einem Re­ giment der türkischen Armee beschützt, und die deutschen Kriegs­ schiffe, die die Reisenden vom Meer aus begleiteten, feuerten donnernde Salven ab, wo immer die Kaiserstandarte am Horizont auftauchte.138 Unterwegs hatte Wilhelm am Straßenrand eine kurze Begegnung mit Herzl, bevor er zum Hauptereignis der Reise - der Einweihung der Er­ löserkirche am 3 1 . Oktober - nach Jerusalem weiterfuhr.139 Als er am 2. November Herz! und seine vier Begleiter im Zeltlager vor Jerusalem empfing, die alle vorher vom Reverend Hechler gesegnet worden waren, äußerte sich Wilhelm nur in unverbindlichen Platitüden. «Das Land braucht [ . . . ] Wasser und Schatten», sagte er den Zionisten. «Die Ansiedlungen, die ich sah, sowohl die Deutschen wie Ihrer Lands­ leute, können als Muster dienen, was man aus dem Lande machen kann. Das Land hat Platz für alle. [ . . . ] Ihre Bewegung [ . . . ] enthält einen ge­ sunden Gedanken.>> Und als Herzl bemerkte, daß die Wasserversorgung durch die Eindämmung des Jordan sichergestellt werden könnte, ob­ wohl dies viel Geld kosten würde, antwortete der Kaiser in seinem be­ kannten Ton: 140 Obwohl Wilhelm sein Interesse an der zionistischen Sache verloren hatte, war Herzls Idee, ein deutsches Protektorat im Orient zu prokla­ mieren, zu verlockend, um ganz aufgegeben zu werden. Von Jerusalem fuhr der Kaiser über Beirut nach Damaskus, wo er am 8. November alle Welt mit der Verkündung in Erstaunen setzte, er betrachte sich als Be­ schützer aller Muslime der Welt. Begeistert von seinem Empfang in der syrischen Stadt erklärte sich Wilhelm «bewegt von dem Gedanken, an der Stelle zu stehen, wo einer der ritterlichsten Herrscher aller Zeiten, der große Sultan Saladin, geweilt hat». Der heutige Sultan Abdulhamid und «die 3 00 Millionen Mohammedaner, die, auf der Erde zerstreut le­ bend, in ihm ihren Khalifen verehren, [mögen] dessen versichert sein, daß zu allen Zeiten der deutsche Kaiser ihr Freund sein wird! >>141 Dem Großherzog von Baden telegraphierte er, Damaskus sei «eine Perle unter den Städten der Welt>>; sein Einzug in die Stadt sei «das Überwältigend­ ste was ich je an Enthusiasmus erlebt mit Ausnahme von Pest>>. Den be­ geisterten Empfang wertete er als , schrieb er seiner Mutter auf der Heimfahrt. «Der Mangel an Schatten und Wasser ist ent­ setzlich. [ . . . ] Jerusalem ist gänzlich verdorben durch die vielen ganz mo­ dernen Vororte [ . . . ] voller jüdischer Kolonisten. 6o.ooo von diesen Leu­ ten waren da, schmierig, erbärmlich, kriechend und verkommen, die nichts zu tun haben außer sich bei den Christen und Muselmanen glei­ chermaßen verhaßt zu machen, indem sie diesen Nachbarn j eden schwerverdienten Groschen abzuknöpfen versuchen. Lauter Shylocks allesamt.>>143 Mag das Projekt eines kaiserlichen Protektorats über eine jüdische Heimstätte in Palästina auch von Anfang an eine Illusion gewesen sein, für Wilhelm war die Orientreise ein unvergeßliches Schlüsselerlebnis, das auch in der Öffentlichkeit voll ausgenutzt werden mußte. Seine Schwester Charlotte konnte ihren Augen und Ohren nicht trauen, als sie von seiner Absicht erfuhr, festlich in Berlin Einzug zu halten, als hätte er einen Krieg gewonnen.144 Ein prachtvoll bebilderter Band, aber auch volkstümliche Werke und bunte Kinderbücher sorgten für die Verbrei­ tung des kaiserlichen Pilgermythos.145 Und in seiner nächsten Rede vor dem Brandenburgischen Provinziallandtag bemühte er sich, seinen ver­ meintlichen Erfolg in Palästina gegen die Reichsfeinde im lnnern auszu­ schlachten, indem er erklärte: «Von allen Eindrücken der erhabenste und

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Von der Kontinental- zur Weltpolitik

ergreifendste war doch [ . . . ] der, auf dem Ölberg zu stehen und die Stätte zu sehen am Fuße desselben, wo der gewaltigste Kampf, der je auf der Erde ausgefochten worden ist, der Kampf um die Erlösung der Mensch­ heit, von dem Einen ausgefochten wurde. Diese Tatsache hat Mich dazu bewogen, an dem Tage gewissermaßen noch von neuem Mir den Fah­ neneid zu schwören nach oben, nichts unversucht zu lassen, um Mein Volk in sich zu einigen und das, was es trennen könnte, zu beseitigen. Beim Verweilen aber in dem fremden Lande und an den verschiedenen Stätten, wo für uns Germanen der uns so teure Wald und das schöne Wasser mangelt, fielen Mir die märkischen Seen mit ihrer dunklen klaren Flut und die märkischen Eichen- und Kieferwälder ein, und da dachte Ich bei Mir, daß wir es noch, obwohl wir in Europa zuweilen über die Achsel angesehen werden, in der Mark weit besser haben, als in der Fremde. [ . . . ] Ja meine Herren! Der Baum, den wir wachsen sehen und für den wir sorgen müssen, ist die deutsche Reichseiche. [ . . . ] Auch die Reise an die gelobten Stätten und die geheiligten Orte wird Mir behilf­ lich sein, um diesen Baum zu beschützen, zu fördern und zu pflegen, wie ein guter Gärtner die Zweige zurückzuschneiden, die überflüssig sind, auf die Tiere zu sehen, die seine Wurzeln benagen wollen, und sie auszurotten. Ich hoffe, dann das Bild zu sehen, daß der Baum sich herr­ lich entwickelt, und vor ihm steht der deutsche Michel, die Hand am Schwertknauf, den Blick nach außen, um ihn zu beschirmen. Sicher ist der Friede, der hinter dem Schild und unter dem Schwerte des deutschen Michel steht. [ . . . ] Deswegen wollen wir trachten, daß wir Germanen wenigstens zusammenhalten, wie ein fester Block! An diesem des deutschen Volkes draußen weit über die Meere und bei uns zu Haus in Europa möge sich jede den Frieden bedräuende Welle brechen! »146 6. Die Annexion von Kiautschou Zwischen dem Abschluß der Friedensverhandlungen in der Kretakrise im September 1 897 und der Orientreise vom Herbst 1 898 hatte sich für Wilhelm II. noch eine andere Gelegenheit ergeben, seinem Betätigungs­ drang nachzugeben, die ihn weit hinaus in den Stillen Ozean, die Südsee - und in Gegensatz zu Rußland, China, Japan, Amerika und England führen sollte. Seit I 894 hatte er von der Notwendigkeit eines deutschen Flottenstützpunktes auf Formosa oder an der chinesischen Küste ge­ sprochen, und seit November 1 896 hatten er und die Marine die Kiaut­ schou-Bucht an der nordostchinesischen Schantung-Halbinsel als den geeignetsten Ausgangspunkt für ein deutsches Imperium in Ostasien identifiziert. Seitdem lauerte man in Berlin förmlich darauf, daß China durch Verletzung deutscher Rechte den Vorwand zur Besitzergreifung Kiautschous mit dem Hafenstädtchen Tsingtau liefern würde.147 Eifrig

6. Die Annexion von Kiautschou

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hatte Wilhelm bei seinem Besuch am Peterhof im August 1 897 den Wunsch nach diesem Hafen als Kohlenstation geäußert und den Ein­ druck gewonnen, daß Rußland mit einer deutschen «Mitbenutzung» Kiautschous prinzipiell einverstanden sein würde.148 Als am 6. Novem­ ber 1 897 in Berlin die Nachricht von der Ermordung von zwei deut­ schen Missionaren in Schantung eintraf, erblickte Wilhelm darin den lang ersehnten Vorwand, durch die Besetzung Kiautschous in China Fuß fassen zu können. Aufgeregt schrieb er an das Auswärtige Amt: «>149 Er ordnete an, dem Geschwaderchef Admiral Otto von Diederichs folgenden Befehl zu schicken: «Gehen Sie augenblicklich mit dem ganzen Geschwader [nach] Kiautschou, besetzen Sie geeignete Punkte und Ortschaften dortselbst und erzwingen Sie von dort aus in Ihnen geeignet erscheinender Weise vollkommene Sühne. Größte Ener­ gie geboten. Zielpunkt Ihrer Fahrt geheimhalten.»150 Der aggressive Eifer und die «vorwärtstreibende Energie» des Kaisers, durch die die Wilhelmstraße wieder einmal unter Zugzwang gesetzt wurde,151 zeigte sich auch in der Depesche, die er am 7· November an den noch in Rom weilenden Bernhard von Bülow richtete. «Unser Ge­ spräch, Kiautschou betreffend, [ . . . ] am Ende dessen Sie betonten, daß es die höchste Zeit sei, unsere schwankende und laue Politik in Ostasien energischer zu gestalten, hat eine schnelle Folge gehabt, schneller als wir es dachten. [ . . . ] Endlich haben uns die Chinesen den schon von Mar­ schall, Ihrem Vorgänger, so lang ersehnten Grund und ge­ boten. Ich beschloß, sofort zuzugreifen. [ . . . ] Aller Augen, sowohl der Asiaten als der dort wohnenden Europäer, sind auf uns gerichtet, und ein jeder fragt sich, ob wir uns das gefallen lassen werden oder nicht.»152 Wie der Bülow-Biograph Gerd Fesser hervorhebt, war der neuernannte Staatssekretär von der Aussicht, seine Amtszeit mit einem deutsch-russi­ schen Konflikt einzuleiten, wenig erbaut. «Er ging im fernen Rom [ . . . ] sozusagen auf Tauchstation und schwieg sich hartnäckig aus.»153 So lag es an Hohenlohe, den aufgebrachten Kaiser zu beruhigen und ihn vor verhängnisvollen Schritten zu bewahren. Zwar instruierte der Kanzler

Von der Kontinental- zur Weltpolitik

befehlsgemäß den deutschen Gesandten in China, scharfe Genugtuungs­ forderungen an die chinesische Regierung zu stellen, er warnte den Kai­ ser jedoch vor den gravierenden Folgen einer Auseinandersetzung mit Rußland wegen Kiautschous. «Falls Eure Majestät [ . . . ] dem Geschwa­ derchef Befehl zu sofortigem Vorgehen geben wollen, dürfte es nötig sein, einen andren Ort als Kiautschou zu wählen, da für die Besetzung von Kiautschou in Gemäßheit der zwischen Eurer Maj estät und dem Kaiser von Rußland in Peterhof getroffenen Vereinbarung das russische Einverständnis nachzusuchen sein würde.>>154 Immerhin erkundigte sich der Kaiser auf Hohenlohes Warnung hin abermals persönlich beim Zaren über dessen Haltung in der heiklen Frage. Die zweideutige Antwort, die er auf seine Anfrage erhielt - Niko­ laus telegraphierte: «Kann Deiner Entsendung eines deutschen Geschwa­ ders nach Kiautschou weder zustimmen noch ablehnen, da ich gerade erfahren habe, daß dieser Hafen nur temporär unserer war in 1 895-1 896>> -, legte Wilhelm unbekümmert als Billigung einer deutschen Besitzer­ greifung aus und forderte erneut rasche und energische Aktion. «Wir müssen diese vorzügliche Gelegenheit umgehend benutzen, ehe ein ande­ rer Grassstaat China noch aufreizt oder zu Hilfe kommt! Jetzt oder nie>>, schrieb er dem Reichskanzler.155 Bülow gegenüber rechtfertigte der Kai­ ser seine Bereitschaft, die Haltung Rußlands durch ein Telegramm an Ni­ kolaus zu klären, pharisäisch wie folgt: «So tief erniedrigend es auch ist, daß das Deutsche Reich sich in St. Petersburg quasi Erlaubnis holen muß, seine christlichen Schutzbefohlenen in China zu schützen und rä­ chen zu dürfen und dazu eines Punktes sich zu bedienen, den es aus über­ großer Bescheidenheit vor drei Jahren nicht besetzte, was ohne Anstand erfolgen konnte, so habe ich keinen Augenblick gezögert, für das Wohl meines Landes diesen Schritt zu tun.» Die Sorge des Zaren, «daß viel­ leicht harte Strafen im Osten Chinas einige Aufregung und Unsicherheit verursachen werden und die Kluft zwischen Chinesen und Christen er­ weitern>> könnte, teile er nicht, erklärte Wilhelm. Im Gegenteil: «Tau­ sende von deutschen Christen werden aufatmen, wenn sie des Deutschen Kaisers Schiffe in ihrer Nähe wissen werden, Hunderte von deutschen Kaufleuten werden aufjauchzen in dem Bewußtsein, daß endlich das Deutsche Reich festen Fuß in Asien gewonnen hat, Hunderttausende von Chinesen werden erzittern, wenn sie die eiserne Faust des Deutschen Reichs schwer in ihrem Nacken fühlen werden, und das ganze Deutsche Reich wird sich freuen, daß seine Regierung eine mannhafte Tat getan. [ . . . ] Möge die Welt aber aus diesem Vorfall ein für alle Mal die Moral ziehen, daß es bei mir heißt: Wilhelm I. R.>>156 Wie in vielen seiner Äußerungen aus dieser Zeit glaubt man, hier schon einen Entwurf der berüchtigten Hunnenrede von 1 900 vor sich zu haben. Die Besorgnis des Reichskanzlers und des Auswärtigen Amtes, daß der Kaiser sich mit seinem übereilten Befehl an Diederichs in gefähr-

6. Die Annexion von Kiautschou

Iiehern Maße über russische Vorbehalte hinweggesetzt hatte, bestätigten sich bereits am 9· November, als in Berlin bekannt wurde, daß Rußland zumindest auf sein Ankervorrecht ( «priorite de mouiller») in Kiautschou bestand.157 Wie der stellvertretende Staatssekretär des Auswärtigen Am­ tes, Rotenhan, dem Kaiser am r o. November auseinandersetzte, bedeu­ tete diese Erklärung des Außenministers Murawiew, «daß, wenn je der Hafen einer fremden Macht überlassen werden sollte, Rußland unter al­ len Umständen die Vorhand gesichert sei. Zur Wahrung dieses Rechts sei dem russischen Geschwaderchef in Ostasien Befehl erteilt worden, so­ bald deutsche Schiffe in den Hafen einlaufen, gleichfalls russische Schiffe dorthin zu senden.»158 Dem russischen Botschafter erklärte Hohenlohe betroffen: «Wir haben von Anfang an die Absicht gehabt, uns mit Ihnen zu verständigen und nichts zu tun, was Ihnen unangenehm. Wenn Ihr Kaiser von Anfang an uns hätte durchblicken lassen, daß ihm unser Vor­ gehen unangenehm, so [wäre ich mit] größter Entschiedenheit den Mari­ neplänen entgegengetreten. Der Inhalt des Telegramms des Kaisers [Ni­ kolaus] hat mich entwaffnet. Jetzt, wo unser Kaiser engagiert ist, habe ich vor allem die Würde des Kaisers und des Reichs zu berücksichtigen.»159 Die Gefahr eines deutsch-russischen Konflikts war besonders akut, da der aufgrund des kaiserlichen Befehls in See gestochene Diederichs tele­ graphisch nicht mehr zu erreichen war. «Das sieht ja sehr übel aus», stöhnte Hohenlohe am r o. November r 897. Er versuchte sich mit dem Gedanken zu trösten, «daß die Russen uns [nur] erschrecken wollen. Ich kann nicht glauben, daß der Kaiser von Rußland wegen der Kiautschou­ Bucht Krieg mit uns anfangen wird. Eine Gefahr liegt darin, daß S. M. sofort an den Zaren telegraphieren wird. Und was ?>>160 Holstein warnte Hohenlohe: «Die russische Erklärung ist von so brutaler Deutlichkeit, daß es kaum nötig scheint, dem Kaiser einen Rat zu geben. Er wird allein wissen, ob er Krieg mit Rußland will oder nicht. Sehr vorsichtig werden wir jetzt mit unserem Vorgehen in China sein müssen.>>161 Sogar Tirpitz hielt einen Krieg mit Rußland für möglich und riet zum Abbruch des «bedenklichen» Vorgehens.162 Dennoch ging der Kanzler einer Konfron­ tation mit Wilhelm aus dem Weg. 170 Der Kaiser schrieb an den Kopf des Schriftstückes: 171

6. Die Annexion von Kiautschou

Nicht nur die Haltung Rußlands, auch die der chinesischen Regierung auf die Annexion eines größeren Gebietes und der Entsendung mehrerer Kriegsschiffe unter dem Kommando des Kaiserbruders Prinz Heinrich blieb ungeklärt, doch Wilhelm setzte sich über die Bedenken sowohl der Wilhelmstraße als auch des Kriegsministers hinweg. Am 24. November r 897 schrieb er an das Auswärtige Amt: «Daß die Chinesen genau wis­ sen, was wir wollen, ist sicher, daß sie Krieg führen werden, höchst un­ wahrscheinlich, da sie weder Schiffe noch Geld haben und in Schantung keine größere Truppenmacht steht. Die Absendung von Heinrich mit der Bildung der zweiten Division muß natürlich [in einem Telegramm an China] Erwähnung finden, da sie allbekannt ist und beweist, daß das Kaiserhaus auch nicht einen Augenblick zaudert, für die Ehre Deutsch­ lands seine Mitglieder einzusetzen. Wilhelm I. R.»172 Zwei Tage später schrieb er an Hohenlohe: «> «Von der Absendung der Bat­ terien ist mir nichts bekannt>>, gestand der Reichskanzler hilflos ein. «Wie es scheint, ist das ganze Kriegsministerium in Unruhe. Die Mini­ ster sind der Ansicht, daß die Kiautschoufrage sehr ungünstig auf die Marinevorlage wirken werde. Nach den Äußerungen des Kriegsmini­ sters zu schließen, scheint die Stimmung in der Armee der chinesischen

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Unternehmung nicht günstig. Was werden die dazu sagen ? Wenn es in diesem Tempo fortgeht, kommen wir zu einem Krieg mit China. Dafür werden die Mächte schon sorgen.>>174 Erst mit der Besetzung Port Arthurs durch Rußland im Dezember 1 897 ge­ lang es Bülow, die deutsch-russische Krise zu entschärfen.175 Die «vorantreibende>> Rolle, die Kaiser Wilhelm II. persönlich manchmal in gespenstischer Vorwegnahme seiner fatalen Befehle zu Be­ ginn der Julikrise 1 9 1 4 - im November 1 897 bei der Besitzergreifung Kiautschous gespielt hat, ist unübersehbar. Vertrauend auf sein freund­ schaftliches Verhältnis zu Nikolaus II. setzte er sich wiederholt über die Unheil witternden Vorbehalte nicht nur des Reichskanzlers und des Auswärtigen Amts, sondern auch der Armee und der Marine hinweg und stellte diese erfahrenen Berater durch seine Scharfmacherischen Be­ fehle vor vollendete Tatsachen.176 Während des Boxeraufstandes von 1 900 gestand Hohenlohe rückblickend seinem Sohn, daß er die Okku­ pationspolitik des Kaisers in der Kiautschou-Episode nicht unterstützt, ihr aber auch nicht entschieden genug widersprochen habe. «Du hast ganz recht, wenn Du sagst, daß wir besser getan hätten, die Chinesen sich selbst zu überlassen. Die Besitznahme von Kiautschou hat jeden­ falls noch zur Exasperation der gelben Bestien beigetragen. Einen Nut­ zen hat jene von der Marine dem Kaiser inspirierte Okkupation nicht. Nachdem aber ( 1 897) Tirpitz und Bülow das Interesse S. M. erregt hat­ ten, konnte ich nichts mehr machen und wollte mich dem bekannten Vorwurf, daß ich nicht aussetzen. Ich habe aber doch unrecht gehabt und hätte mit dem Ministerium dagegen Einspra­ che erheben sollen.>>177 Wilhelm aber verbuchte die Besitzergreifung Kiautschous als Triumph seiner persönlichen Diplomatie, und sein Freund Eulenburg gratulierte ihm «aus tiefstem Herzen>> zu dem Er­ folg, «den wir ganz allein Euerer Majestät tatkräftiger Initiative verdan­ ken».178 Dem Österreichischen Kaiser schrieb Wilhelm am 8. Januar 1 89 8 : «Unsre Chinesische Angelegenheit ist gut verlaufen, dank der vor­ herigen Vereinbarung mit dem Kaiser [Nikolaus II.] persönlich und hat den bezopften Herren des Ostens gezeigt, daß die braven Missionare doch nicht lediglich als Wild im Treibjagen anzusehen seien»,179 worauf ihm Franz Joseph mit seinen Glückwünschen «zur neuen, aussichtsrei­ chen Weltstellung Deines Reiches>> antwortete.180 Und dem Zaren Ni­ kolaus II. gratulierte Wilhelm zur Besetzung Port Arthurs voller Hoff­ nung auf «christliche>> Zusammenarbeit mit den Worten: «Rußland und Deutschland am Eingang des Gelben Meeres können gesehen werden als repräsentiert durch St. Georg und St. Michael, die das Heilige Kreuz im Fernen Osten beschützen und die Tore zum Kontinent Asien bewa­ chen. Wenn Du nur Deine Pläne, die Du mir oft entwickelt hast, voll realisieren kannst; meine Sympathie und Hilfe sollen in Zeiten der Not nicht fehlen.>> 181



Prinz Heinrich von Preußen im Stillen Ozean

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Bei der Verabschiedung der für Kiautschou bestimmten Besatzungs­ truppen unter dem Kommando Prinz Heinrichs in Kiel am I 5 . Dezem­ ber I 897 rief der Kaiser seinem Bruder zu: «Sollte es [ . . . ] je irgend einer unternehmen, uns an unserem guten Recht zu kränken oder schädigen zu wollen, dann fahre darein mit gepanzerter Faust! und, so Gott will, flicht dir den Lorbeer um deine junge Stirn, den niemand im ganzen Deutschen Reiche dir neiden wird ! >>182 Heinrich mußte auf seine Lor­ beeren verzichten, denn am 4· Januar I 898 unterzeichnete China einen Pachtvertrag, wodurch das Deutsche Reich für 99 Jahre die Bucht von Kiautschou mit umliegendem Gebiet sowie Eisenbahn- und Bergbau­ konzessionen in der Provinz Schantung und Zollvergünstigungen für deutsche Waren erhielt. Ein Gebiet von I 5o.ooo Quadratkilometern mit mehr als 3 3 Millionen Einwohnern war in eine deutsche Einflußzone unter der Verwaltung des Reichsmarineamtes (nicht des Auswärtigen Amts) umgewandelt worden.183 Mit diesem Schritt war Deutschland j e­ doch latent in Konflikt geraten nicht nur wie bisher mit den übrigen europäischen Großmächten, sondern auch mit den aufstrebenden Welt­ mächten im Pazifik, mit Japan und Amerika. 7· Prinz Heinrich von Preußen im Stillen Ozean Die Briefe «Heinrichs des Seefahrers» (wie der Bruder des Kaisers im Auswärtigen Amt scherzhaft genannt wurde) aus dem Fernen Osten an Wilhelm und an seine Mutter in Kronberg vermitteln uns ein gutes Bild von dem geopolitischen Kampf im Stillen Ozean, an dem sich das Deut­ sche Reich nun auch beteiligen wollte. «Einmal im Fernen Osten ange­ kommen», erklärte der Prinz von Bord der in Hong Kong eingelaufenen Deutschland im April I 898, «sieht die Welt sehr viel anders aus in Berlin, London oder Friedrichshof! »184 Als Kommandant des ostasiatischen Ge­ schwaders machte sich Heinrich große Hoffnungen auf Deutschlands Zukunft in Ostasien und der Südsee. In einem Brief an die Mutter vom Februar I 899 meinte er: «Ich bezweifle nicht, daß Deutschlands Zukunft im Osten liegt.»185 Und an seinen Bruder schrieb er zur gleichen Zeit aus Amoy: «China an und für sich bietet dem Europäer wenig Genüsse und momentane Befriedigung, aber unsere Zukunft liegt doch wohl hier.» Die Mandschudynastie gehe offensichtlich ihrem Ende entgegen und es sei nicht ausgeschlossen, daß in diesem «Riesenreiche» dann «eine Re­ bellion über kurz oder lang entsteht und daß man versuchen wird einen Chinesen zum Herrscher auszurufen. - Was dann ? Wie werden sich die Großmächte zu dieser Frage stellen! An eine friedliche Aufteilung Chi­ na's glaube ich nicht, dazu ist die Eifersucht unter den einzelnen euro­ päischen Nationen zu groß ! England würde sicher das Yangtzegebiet beanspruchen und damit den Löwenantheil bis in das Herz von China

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gewinnen. Rußland rückt unter irgend einem Vorwand sicher nach Pe­ king. - Aus diesem Dilemma sehe ich immer nur denselben Weg heraus­ führen, bestehend in einem Bündniß zwischen England-Deutschland­ Rußland. Alle anderen Nationen, Japan und Amerika eingeschlossen, sind unbedingt unzuverlässig! » Besonders günstig schienen Prinz Hein­ rich die Aussichten auf den Erwerb der seit dem chinesisch-japanischen Krieg von Japan besetzten Insel Formosa zu sein. Er schlug vor, mit Ja­ pan über den Ankauf dieser «unendlich reichen» Insel in Verhandlungen einzutreten; das Geld dafür wäre durch den Verkauf von Konzessionen seitens der deutschen Regierung an deutsche Firmen für die Ausfuhr der Landesprodukte aufzubringen. > angesichts der jüngsten Entwicklung im Lande und, da sie

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Wilhelm und die «welterlösende Idee>>

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nunmehr nichts als «die Mutter meines armen William» sei, müsse sie hilflos zusehen, wie dieser «so oft verblendet & im Irrtum! ! » handele. «Nichts kann ich machen, nichts», jammerte sie. Das Grundübel er­ blickte sie nach wie vor in der Deformation des deutschen Geistes, die Bismarcks Reichsgründung und dessen langjährige autoritäre Herrschaft herbeigeführt habe. «Die Eitelkeit der Chauvinisten usw. ist vom Für­ sten Bismarck so geschmeichelt & kultiviert worden, daß sie nun das ganze Land wie ein schädliches Unkraut überwuchert.» Von der Außen­ politik des Neuesten Kurses meinte sie, es sei äußerst besorgniserre­ gend, von Berlin aus «eine systematisch unfreundliche Englandpolitik betreiben zu sehen, aber so ist es. [ . . . ] Ich nehme in Deutschland eine systematische Feindseligkeit gegen die Weltstellung des Britischen Rei­ ches wahr, und ein Bestreben, die gegenseitige Handelsrivalität zu nut­ zen, indem man alle Arten von politischen Wellen schlägt, um England zu schaden und schachmatt zu schlagen (vide Sansibar). [ . . . ] Anstelle der engsten Freundschaftsbanden von denen unsere - jetzt rasch verschwin­ dende - Generation schwärmerisch geträumt hat, & für die sie mit uner­ müdlicher Hingebung und Begeisterung gearbeitet & gelebt hat, sehe ich ein feindseliges System mit einem Ziel & Zweck.>> Die Kaiserinwitwe be­ stritt keineswegs, daß ihr Sohn in diesem System die führende Rolle spielte, doch sie erklärte sich seine gegen England gerichtete Politik als eine Art Mißverständnis ! «William bewundert England sehr und mag Dich sehr gern - & genießt es außerordentlich, in England zu sein -, aber er ist nicht beständig & besonnen und weitsichtig genug zu sehen, daß es einfach unsinnig ist, jeden Nerv Deutschlands anzuspannen, um England zu übertreffen - & ihm seine Vorherrschaft in der Welt zu ent­ ringen! Es ist eine lächerliche, phantastische und wilde Idee; - doch spricht sie seine Phantasie & seine Liebe für das Großartige, das Sensa­ tionelle & Übertriebene an! >> Dann warnte die Kaiserin-Mutter die Queen vor den uferlosen Flottenplänen, die Wilhelm II. gegen England hege. «> Sie, die Kaiserin, wünsche selbstverständ­ lich, daß Deutschland Vertrauen und Respekt in der Welt genieße, «und daß sein Volk frei, glücklich & reich [werde] und seine Freiheit & Kultur sich in jeder Hinsicht entwickeln kann - aber nicht, daß es jetzt, wo noch so viel daheim zu tun ist, sich auf abenteuerliche Unternehmungen einläßt, mit seinen besten Freunden streitet & sich allgemein unbeliebt macht.>>12 Ein Jahr darauf befand sich der ehemalige britische Militärattache Co­ lonel Sir Leopold Swaine, der einst dem Kaiser sehr nahegestanden hatte,

Der Kaiser und England

wieder einmal in Berlin und war frappiert von der anti-englischen Stim­ mung, die sich inzwischen - in erster Linie durch die Schuld Wil­ helms II., wie er meinte - in Deutschland breitgemacht hatte. «Das Ver­ hältnis zwischen den beiden Ländern ist seit einiger Zeit nicht das beste gewesen», stellte Swaine fest. «Koloniale Gegensätze wie auch Handels­ rivalitäten sind zum Teil dafür verantwortlich zu machen; doch der Hauptschuldige ist der Kaiser, der sich von seinem Ärger darüber, daß das genau das Gegenteil von dem bewirkt hat, was er erwartet hatte, noch nicht erholt hat.» Auch in jüngster Zeit gehe der Kaiser in seiner hauptsächlich gegen England gerichteten Politik weiter, als die deutsche öffentliche Meinung und das Auswärtige Amt es wünschten, beobachtete der Colonel. Angesichts der großen deutschen Empfindlichkeit und der allgemeinen Verehrung für den wohl im Sterben liegenden Bismarck wäre es ratsam, wenn Queen Victoria bald jemand mit ihrer Vertretung bei der Beisetzung des Reichsgründers beauftragen würde, meinte er. «Die Bismarckverehrung in Deutschland ist so groß wie immer und ist, wenn überhaupt, durch die Unordnung, in die die Dinge seit seinem Abschied geraten sind, nur verstärkt worden, wofür allein der Kaiser, ob nun zu Recht oder nicht, verantwortlich gemacht wird. Jede Ehrenbezeigung für den großen Staatsmann, die wir trotz der ärgerlichen Beschimpfungen, mit denen uns die deutsche Presse über­ häuft, machen können, wird ganz sicher eine heilsame Wirkung bei allen richtig-denkenden Menschen in Deutschland und bei denen, deren Mei­ nung wir schätzen, haben. Wir sind eine alte Nation und können es uns leisten, vis-a-vis einem Emporkömmling großzügig zu sein.»13 Es entbehrt nicht der Ironie, daß gerade zu dem Zeitpunkt, während in Deutschland eine Welle anglophober Haßgefühle aufbrandete, ein­ flußreiche Kreise in England Fühler nach einem Bündnis mit Deutsch­ land ausstreckten. Die Verhandlungen um eine deutsch-englische Alli­ anz, die im Frühjahr 1 898 und wieder 1901 hinter den Kulissen geführt wurden, sind Gegenstand einer bis heute nicht entschiedenen Histori­ kerkontroverse, in der die eine Seite die Bündnisgespräche als die große «verpaßte Chance>> der Vorkriegsdiplomatie interpretiert, die andere aber darin nichts als eine Reihe von Illusionen und Mißverständnissen erkennen kann.14 Wie verhielt sich Kaiser Wilhelm Il. in diesem mög­ licherweise welthistorischen Augenblick? Was, und auf welchen Wegen erfuhr er von den englischen Sondierungen, und wie stellte er sich zu der Möglichkeit eines Bündnisses mit dem Heimatland seiner Mutter, ehe sich diese Chance als Illusion erwies ? Die Korrespondenzen der königlichen Familie, die in der Regel von den Diplomatiehistorikern vernachlässigt worden sind, können dazu beitragen, etwas mehr Licht in diese wohlerforschte und dennoch umstrittene Frage zu bringen. Mitte Januar 1 898 nahm der Kaiser während eines Jagdausfluges in Buckow den britischen Militärattache Grierson beiseite und besprach

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Wilhelm und die «welterlösende Idee>>

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mit ihm den drohenden englisch-französischen Konflikt am Obernil so­ wie die deutsche Besitzergreifung von Kiautschou. Er ging sodann auf die deutsch-englischen Beziehungen über und sagte offenbar verärgert, wie Grierson nach London meldete, «daß er acht Jahre lang versucht hätte, mit uns befreundet und verbündet zu sein, aber daran gescheitert sei, und nun alleine weitermachen und deutsche Interessen fördern müsse. Nie wieder würden wir eine derartige Gelegenheit für einen Bündnispartner auf dem Kontinent haben, da nie wieder ein Enkel der englischen Königin auf dem deutschen Thron sein würde, und derglei­ chen mehr. Dann sagte er zu mir Also sagte ich, daß ich kein Politiker sei, aber es so verstehen würde, daß unsere Regierung weder dem Drei­ noch dem Zweibund beitreten würde, da der Beitritt des einen uns in Konflikt mit dem anderen bringen würde, und wir mit niemandem in Konflikt sein wollten. Wir seien stark genug, alleine gegen jede der bei­ den Gruppen anzukommen, und es sei unwahrscheinlich, daß sie sich zusammenschließen würden. Darauf sagte er: Dann fragte er mich, ob ich sein Bild im als Kaiser von China gesehen hätte, über das die Kaiserin wütend gewesen sei, das er selbst aber für einen recht guten Witz gehal­ ten habe. , sagte er, 15 Noch bevor Wilhelm diese Klage äußerte, hatte Queen Victoria von sich aus den Versuch unternommen, die Londoner Zeitungen zu einer positiveren Berichterstattung über den Kaiser und die Deutschen zu be­ wegen. Anfang 1 898 bat sie Sir Theodore Martin, mit den führenden Herausgebern Fühlung zu nehmen und sie zu einer freundlicheren und sachlicheren Berichterstattung über Deutschland zu bewegen. Am I 3. Januar teilte Martin der Königin mit, sämtliche Herausgeber, mit de­ nen er verhandelt hatte, und allen voran derjenige der einflußreichen Times, hätten die , die jetzt allgemein in Großbritannien vorherrschten, bedauert und wollten die Stimmung positiv beeinflussen. Selbst das Witzblatt Punch werde seinen Spott und seine Karikaturen mäßigen, versicherte Martin der Königin.16 Die Zurückhaltung der englischen Presse hatte bald eine merkliche Aus­ wirkung auf die deutschen Zeitungen, und in der Berliner Hofgesell­ schaft trug die englische Prinzessin Aribert von Anhalt, der man einen großen Einfluß auf Wilhelm II. nachsagte, erheblich zu einer Besserung

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in den deutsch-englischen Beziehungen bei. Zudem wurde der außeror­ dentlich warme Empfang, der dem Prinzen Heinrich auf seiner Seefahrt nach Ostasien in Gibraltar, Aden, Indien und Hongkong zuteil wurde, am Berliner Hof als willkommene Freundschaftsgeste geschätzt.17 Schließlich setzte sich der alte Herzog von Cambridge, der Vetter Queen Victorias, für eine deutsch-englische Annäherung ein. Bei einer Begeg­ nung mit dem Pariser Botschafter Graf Münster in Cannes bezeichnete der Herzog die Tatsache, daß es dem Prinzen von Wales eine Zeitlang gelungen war, die Königin gegen Deutschland einzunehmen, als ein Hindernis besserer Beziehungen der beiden Länder zueinander, «das habe aber nicht vorgehalten, und im Grunde liebe und bewundere in mancher Beziehung die greise Königin ihren Groß-Sohn sehr». Zorn wie Liebe hielten bekanntlich beim englischen Thronfolger nicht lange an, meldete Münster in einem Geheimbrief dem Reichskanzler, und deshalb sei es nicht ausgeschlossen, daß jetzt auch Albert Edward ein besseres Verhältnis mit Deutschland anstreben werde.18 So sind auf monarchi­ scher Ebene auf beiden Seiten der Nordsee verschiedene Freundschafts­ fühler ausgestreckt worden, noch bevor die Staatsmänner und Diploma­ ten im März 1 898 ihre tastenden politischen Gespräche aufnahmen. In der kaiserlichen Umgebung waren allerdings auch Kräfte am Werk, die das sich anbahnende bessere deutsch-englische Verhältnis sabotieren wollten. Grierson beklagte die Tatsache, daß es Männer um den Kaiser gebe, «die vor nichts halt machen, um England und alles Englische in des Kaisers Augen zu schädigen».19 Durch falsche und bösartige Gerüchte, die der Kaiser nur zu willig glaube, richteten diese unverantwortlichen Dunkelmänner großen Schaden an.20 Besonders unheilbringend wirkte in dieser Beziehung der Chef des Marinekabinetts Gustav Freiherr von Sen­ den-Bibran,21 der dem Kaiser nach einem Besuch in England mitteilte, er sei zwar von der Königin recht freundlich empfangen worden, der Prinz von Wales aber habe ihn mit bewußter Unhöflichkeit behandelt: Er habe ihn im Adjutantenzimmer empfangen, sei unfreundlich zu ihm gewesen und habe sich nicht einmal nach dem Wohlergehen des Kaisers und der Kaiserin erkundigt. Diese Behauptung Sendens hatte im Februar r 898 die Folge, daß der Kaiser «in höchst aufgeregtem Zustand>> den britischen Botschafter aufsuchte, um seine Wut über die schlechte Behandlung des Admirals auszulassen. «Seine Majestät sagte Sir Frank Lascelles, daß diese fortgesetzte Feindseligkeit des Prinzen von Wales ihm gegenüber ihn davon abhalten würde, nach Cowes zu kommen & möglicherweise sogar ernste Folgen für die Beziehung zwischen den beiden Ländern hätte.>>22 Der Botschafter meldete den Vorfall umgehend an Salisbury, der das Telegramm dem Prinzen von Wales vorlegte. Dieser richtete wie­ derum einen Brief an Lascelles, in dem er die Behauptungen Sendens zu­ rückwies und den unglücklichen Botschafter anwies, er möge dem Kaiser mitteilen, daß er, der britische Thronfolger, sich weigere, je wieder irgend

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etwas mit Senden zu tun zu haben.23 Wie nach dem Zwischenfall in Wien fast zehn Jahre zuvor, 24 wurde Prinz Christian von Schleswig-Holstein, der zu seiner Tochter Prinzessin Aribert nach Berlin reisen wollte, von der Queen gebeten, ein ernstes Wort mit Wilhelm über sein Verhältnis zum Prinzen von Wales zu reden.25 Als Lascelles am I 6. März I 89 8 den Auftrag des Prinzen von Wales ausführte, sprach der Kaiser sein Bedauern darüber aus, sagte dann aber, «daß er große Hoffnungen hege, daß bald eine Verbesserung in den Be­ ziehungen zwischen den zwei Höfen eintreten würde, da wichtige Per­ sönlichkeiten versuchten, eine Lösung herbeizuführen». Als treibende Kraft hinter der Initiative nannte Wilhelm seine Mutter. Zwei Tage spä­ ter, als die Mitglieder der Botschaft bei der Kaiserin Friedrich versam­ melt waren, sprach Lascelles mit ihr über die Äußerungen des Kaisers, worauf sich die Kaiserinwitwe darüber verwundert zeigte. Sie gab je­ doch zu erkennen, daß sie die Idee habe, «daß der Kaiser während seiner alljährlichen Nordlandreise nach Schottland hinübersegeln sollte, um dort der Queen in Baimoral einen Besuch abzustatten».26 Die Kaiserin Friedrich und andere Befürworter einer Wiederannähe­ rung zwischen Deutschland und England bedauerten, daß Wilhelm we­ gen des Senden-Zwischenfalls im Sommer I 898 nicht wie sonst nach Cowes reisen würde, sie setzten aber große Hoffnungen in die Wirkung des Besuchs des Kaisers in Ägypten, Malta und Gibraltar, den er im An­ schluß an seine Reise nach Konstantinopel, Palästina und Damaskus im Herbst I 898 geplant hatteY Mitglieder der britischen Botschaft in Ber­ lin waren erstaunt, daß der Kaiser nicht nur erfahren hatte, der bessere Ton in der Londoner Presse sei von Queen Victoria persönlich angeord­ net worden, sondern sogar wußte, welchen Mittelsmann sie dafür einge­ setzt hatte. «Er muß einige sehr gut informierte Korrespondenten bei uns zuhause haben», meinte Grierson, der immer wieder von der ausge­ suchten Freundlichkeit des Monarchen ihm gegenüber erstaunt war.28 Noch im Mai vernahm man Äußerungen der Bewunderung Wilhelms II. für die Taten der britischen Armee am oberen Nil sowie seinen Wunsch nach einem engeren Zusammenschluß der beiden Länder. Grierson ge­ genüber sprach er von den Erfolgen der «Yankees>> im Krieg gegen Spa­ nien und meinte, «daß Europa sich gegen sie zusammenschließen müsse». Dazu müßten aber auch England und Deutschland zusammen­ gehen, denn «wir können nichts gegen Amerika tun, wenn England nicht mit uns ist». «Er scheint nie frei zu sein von diesem Traum einer europäischen Koalition», stellte der Militärattache verwundert fest.29 Erst zu diesem Zeitpunkt schalteten sich die Politiker in die deutsch­ britischen Gespräche ein, die (wenn auch intermittierend) auf monarchi­ scher Ebene seit Jahresbeginn geführt wurden. Die deutsche Einnahme Kiautschous und die russische Besetzung Port Arthurs hatten in Lon­ don die Befürchtung einer allgemeinen Aufteilung Chinas verstärkt und

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zusammen mit dem Vordringen Frankreichs im Nigergebiet und am oberen Nil zu Erwägungen geführt, ob das Inselreich seine bisherige Isolationspolitik nicht besser aufgeben sollte. Am 2 5 . März 1 898 kam es zwischen Arthur Balfour, der während der Abwesenheit des erkrankten Salisbury das Foreign Office leitete, und dem Botschafter Hatzfeldt zu einem ersten Sondierungsgespräch.30 Vier Tage später traf der einfluß­ reiche Kolonialminister J oseph Chamberlain den Botschafter im Hause Alfred de Rothschilds und schlug zum Erstaunen Hatzfeldts ein voll­ wertiges Bündnis Großbritanniens mit dem Dreibund gegen Frankreich und Rußland vor. Als Salisbury durch seinen Neffen Balfour von dem nichtautorisierten diplomatischen Alleingang Chamberlains informiert wurde, äußerte sich der Premierminister herablassend nicht nur über seinen illoyalen Kabinettskollegen, sondern vor allem auch über Wil­ helm II., den er als größtes Hindernis für bessere Beziehungen zu Deutschland bezeichnete. «Seitdem der deutsche Kaiser auf dem Thron ist, hat er nur ein einziges Ziel gehabt, und zwar uns in einen Krieg mit Frankreich zu verwickeln», erklärte er rundheraus. Ein Bündnis mit Deutschland betrachte er, Salisbury, «mit einiger Bestürzung, da Deutschland uns aufs Schwerste erpressen wird>>.31 Trotz seines Miß­ trauens gegenüber Deutschland und speziell dem Kaiser ließ Salisbury aber nach seiner Rückkehr in die Downing Street in einem Gespräch mit dem österreichisch-ungarischen Botschafter in London, Graf Deym, durchblicken, daß die Zeit für England möglicherweise doch gekommen sei, um zur Sicherung seiner Interessen Allianzen einzugehen. Die eng­ lische Regierung befürchte allerdings, so meldete Hatzfeldt nach Berlin, daß Deutschland für seine Freundschaft «Zu hohe Bedingungen, na­ mentlich auch in kolonialer Hinsicht, stellen würde>>. Der Kaiser, dem die Depesche Hatzfeldts vorgelegt wurde, versah das Dokument wie üblich mit Randbemerkungen, die seine eigene Einstellung gegenüber der Idee einer deutsch-englischen Verständigung klar erkennen lassen. Zu der Erwägung Salisburys, ob England j etzt nicht doch vielleicht Al­ lianzen abschließen sollte, schrieb Wilhelm: «Hierin befindet er sich in direktem Widerspruch mit allen Mitteilungen, welche er uns darüber Ende der 8oer und Anfang der 9oer Jahre gemacht hat, als wir versuch­ ten, ihn zum Anschluß an den 3 Bund, bzw. an Italien zu bewegen! Also muß es jetzt England doch brenzelieh [sie] vorkommen! >> An der Stelle, an der der deutsche Preis für ein Bündnis mit England als wahr­ scheinlich zu hoch bezeichnet wurde, kommentierte der Kaiser: «Wir sind ja noch gar nicht ordentlich gefragt, oder aufgefordert worden! >> Neben der Abtretung englischer Besitzungen in Borneo müsse Deutsch­ land allerdings «wenn möglich>> noch «Samoa, [die] Karolinen und eine Philippinen-Insel» erhalten. Er begreife nicht, bemerkte Wilhelm zum Schluß, warum Salisbury solche Andeutungen an Deym «und nicht an Hatzfeldt oder mich durch Lascelles» gemacht habe.32

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Wenige Tage darauf erhielt Wilhelm von seiner jetzt an Krebs leiden­ den Mutter in Kronberg einen neunzehnseitigen Brief, den sie sofort zu verbrennen bat, in dem sie ihm eine deutsch-englische Allianz als die vielleicht letzte Chance für den Weltfrieden darstellte und ihren Sohn anflehte, auf das sicherlich demnächst eintreffende Bündnisangebot aus London einzugehen. «Ich weiß, daß in England ein Teil der Regierung ernstlich dazu neigt, ein echtes Bündnis mit Deutschland einzugehen, was noch nie vorher dagewesen ist, - und für mich, und r oo. ooo von Deutschen - das Segensreichste wäre, was geschehen könnte, nicht nur für die 2 Länder, sondern für die ganze Welt und Zivilisation! ! - Der Moment wird vielleicht nie wieder kommen - wie großartig wäre es, & wie weise - wenn Du die ausgestreckte Hand, die, wenn ich es richtig verstehe, Mr. Chamberlain ernst & ehrlich anbietet, ergreifen würdest! ! Für Dich, Deine eigene Position, Deine eigene Zukunft, für Deutschland könnte ich mir keine großartigere Gelegenheit vorstellen. Die Mißver­ ständnisse würden beiseite gefegt - und der Friede gesichert! Wir müs­ sen uns nicht vor den Russen oder den Franzosen fürchten - auch nicht vor beiden zusammen und können es uns leisten, in bestem Einverständ­ nis mit ihnen zu sein. Alle großen ausstehenden Fragen des Tages könn­ ten ruhig & freundlich gelöst werden & ohne Krieg! - Die Sicherheit & der Wohlstand Europas vermehrten sich enorm. - Daß Italien & Öster­ reich nur zu gerne beitreten würden, ist nicht zu bezweifeln, und diese Kombination würde so stark sein, daß man sich wegen Rußland & Frankreich nicht unwohl fühlen müßte, da die ihren Bund nun ungestört genießen könnten & dann gewiß niemanden angreifen wollten, denn die deutsche Armee und die englische Flotte vereint, wer sollte diese Her­ ausforderung annehmen?>> Sie, die sich sonst aus der Politik heraushalte, habe sich zu diesem Schritt entschieden, sagte die Kaiserin, weil weder Hohenlohe noch Bülow England kennen «und deswegen vielleicht nicht so unbedingt die immense Bedeutung einer Allianz zwischen den 2 gro­ ßen germanischen & protestantischen Nationen erkennen, welche 5 0 Jahre lang der Traum s o vieler echter Patrioten gewesen, aber durch das Auf und Ab kurzdauernder politischer Phasen verhindert worden ist! Alle Streitereien, alle Mißverständnisse verschwinden & schmelzen wie Schnee - was so ganz und gar natürlich & richtig scheint. Es scheint mir, daß Du diese reife, unschätzbar wertvolle Frucht in der hohlen Hand haben kannst, wenn Du sie nur ergreifst & nimmst! Die Zeit drängt und ich mache mir solche Sorgen, daß, wenn die englischen Staatsmänner se­ hen, daß Deutschland sich nicht darum schert, auf die Idee einzugehen, sie sich woanders umschauen müssen - - das wäre katastrophal, jetzt ist die Zeit & jetzt die Stunde ! » Offenbar in der Ahnung, daß Wilhelm doch einen engen nationalistischen Kurs steuern würde, setzte die Kaise­ rin-Mutter immer von neuem dazu an, ihm die Vorzüge eines Bündnis­ ses mit England, dem Japan und Amerika noch beitreten könnten, nicht

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nur für die Menschheit im allgemeinen, sondern auch für das Deutsche Reich klarzumachen. «Der Zeitpunkt ist gekommen ! >>, drängte sie. Die Gelegenheit sei weltbewegend, inhaltsschwer und segenverheißend, wenn man sie nur beim Schopfe packen könne. Das deutsch-englische Bündnis verkörpere «eine welterlösende Idee>>, die Wilhelm nicht nur zum Vorteil der Menschheit, des Christentums und der Zivilisation, son­ dern auch im deutschen Interesse aufgreifen müsse, denn durch sie würde der deutsche Einfluß in der Welt größer werden als je zuvor. Das neue Jahrhundert würde hoffnungsvoller beginnen, als je ein früheres Jahrhundert begonnen hätte. «Mein Vaters Traum & Dein Vaters Traum, und das, wofür sie gearbeitet & sich abgeplagt haben, würde in Erfül­ lung gehen, obwohl sie nicht mehr da sind! Für Dich wäre es die im­ menseste Genugtuung & auch für die liebe Großmama! Niemand würde mehr jubeln als Onkel Bertie & was mich betrifft, ich könnte singen» und getrost die Augen schließen.33 Niemand in Eng­ land wisse, daß sie in diese Pläne, die von Chamberlain ausgingen und möglicherweise von Salisbury gar nicht unterstützt würden, eingeweiht sei, verriet die Kaiserin ihrem Sohn, er müsse also absolutes Stillschwei­ gen darüber bewahren. 34 Wilhelms II. Reaktion auf diese «welterlösende» Gelegenheit war tri­ umphierend und angsterfüllt zugleich. Ohne mit dem Reichskanzler oder dem Auswärtigen Amt vorher Fühlung zu nehmen, schrieb er Zar Nikolaus II. noch am 30. Mai 1 898 einen Brief, in dem er von den «un­ geheuren Anerbietungen>> sprach, die die Engländer ihm zu machen be­ reit seien, und den Zaren dann fragte, ob er das englische Angebot nicht überbieten wolle ! «Liebster Nicky ! >>, schrieb er. «Mit einer für mich ganz unerwarteten Plötzlichkeit sehe ich mich vor eine Entscheidung gestellt, die von lebenswichtiger Bedeutung für mein Land ist und so weit reicht, daß ich die äußersten Konsequenzen nicht voraussehen kann. Die Traditionen, in denen ich von meinem geliebten Großvater gesegneten Angedenkens in bezug auf unsere beiden Häuser und Länder auferzogen wurde, sind, wie Du mir zugeben wirst, meinerseits stets als ein heiliges Vermächtnis von ihm aufrechterhalten worden, und meine Loyalität Dir und Deiner Familie gegenüber steht, wie ich mir schmeichle, über jeden Verdacht. Ich komme deshalb zu Dir als meinem Freund und , um Dir die Angelegenheit zu unterbreiten wie einer, der auf eine offene Frage eine offene und ehrliche Antwort erwar­ tet. [ . . . ] Um Ostern herum sandte ein berühmter Politiker [gemeint war Chamberlain] aus eigenem Antrieb plötzlich zu meinem Botschafter und bot ihm a brule-pourpoint einen Bündnisvertrag mit England an! Graf Hatzfeld [sie], äußerst verblüfft, sagte, er könne sich nicht erklären, wie das möglich sei nach allem, was sich seit 9 5 zwischen uns ereignet habe. Die Antwort lautete, das Angebot sei in vollem Ernst erfolgt und auf­ richtig gemeint. Mein Botschafter sagte, er werde berichten, aber er be-

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zweifle sehr, daß das Parlament je einen solchen Vertrag ratifizieren werde, da England bisher jedermann, der es hören wollte, nicht im Zweifel gelassen habe, daß es nie und unter keinen Umständen ein Bündnis mit einer Kontinentalmacht eingehen werde, wer es auch sei! Und zwar deshalb, weil es seine Handlungsfreiheit zu bewahren wün­ sche. [ . . . ] Die Antwort war, daß die Aussichten sich vollkommen geän­ dert hätten und dieses Angebot die Folgerung daraus sei. Nach Ostern wurde das Ersuchen dringend erneuert, aber auf meinen Befehl kühl und dilatorisch in farbloser Fassung beantwortet. Ich dachte, die Angelegen­ heit wäre zu Ende. Jetzt aber ist das Ersuchen zum drittenmal in so un­ mißverständlicher Weise wiederholt worden, wobei ein bestimmter kur­ zer Termin für meine endgültige Antwort gestellt und so ungeheure An­ erbietungen hinzugefügt wurden, die meinem Land eine weite und große Zukunft eröffnen, daß ich es für meine Pflicht gegen Deutschland halte, gehörig zu überlegen, bevor ich antworte. Ehe ich es aber tue, komme ich frei und offen zu Dir, mein geschätzter Freund und Vetter, um Dich davon zu unterrichten, da ich fühle, daß es sich um eine Frage sozusagen über Leben und Tod handelt. Wir beide haben dieselben An­ sichten, wir wünschen den Frieden, und wir haben ihn bis heute erhalten und bewahrt! Was die Tendenz dieses Bündnisses ist, wirst Du gut ver­ stehen, da ich unterrichtet bin, daß es sich um ein Bündnis mit der Tri­ pel-Allianz und mit Einschluß von Japan und Amerika handelt, mit de­ nen bereits Vorverhandlungen begonnen worden sind! Welche Chancen in der Ablehnung oder Annahme für uns liegen, magst Du selbst berech­ nen! Nun bitte ich Dich, als meinen alten und vertrauten Freund, mir zu sagen, was Du mir bieten kannst und tun willst, wenn ich ablehne. Be­ vor ich meine endgültige Entscheidung treffe und meine Antwort in die­ ser schwierigen Lage treffe, muß ich imstande sein, klarzusehen, und klar und offen und ohne Hintergedanken muß Dein Vorschlag sein, so daß ich urteilen und in meinem Sinne vor Gott, wie ich das muß, abwä­ gen kann, was dem Frieden meines Vaterlandes und der Welt zum Nut­ zen dient. Du brauchst keine Befürchtungen für Deinen Verbündeten zu hegen bei irgendeinem Vorschlag, den Du machst, falls er in eine von Dir gewünschte Kombination gebracht wird. Mit diesem Brief, liebster Nicky, setze ich mein volles Vertrauen auf Dein Stillschweigen und Deine Diskretion jedermann gegenüber. Und schreibe, wie in alten Zei­ ten mein Großvater an Deinen Großvater Nikolaus I. geschrieben haben würde. Möge Gott Dir helfen, die richtige Lösung und Entscheidung zu finden! [ . . . ] Aber die Zeit drängt, deshalb antworte bitte bald! Dein er­ gebener Freund Willy. P.S. Solltest Du mich irgendwo zur mündlichen Aussprache treffen wollen, so bin ich jeden Augenblick zur See oder zu Lande zu einer Zusammenkunft bereitl >>35 Auf den dramatischen Brief des Kaisers ließ der Zar mit ausgesuchter Gleichgültigkeit erwidern, die Engländer hätten auch ihm solche Verständigungsangebote gemacht!36

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Obwohl sie damit rechnen mußten, daß der Inhalt des Kaiserbriefes, den sie selbst erst nachträglich und noch dazu in einer ungenauen Fas­ sung zu sehen bekommen hatten, nach London gemeldet werden würde, nahmen die Diplomaten der alten Schule den Eingriff Wilhelms II. mit achselzuckender Resignation hin. Auf Anordnung des Staatssekretärs von Bülow wurde das kompromittierende Schriftstück stillschweigend zu den Geheimakten des Auswärtigen Amtes gelegt. Friedrich von Hol­ stein, der achtzehn Monate zuvor praktisch auf die Barrikaden gegen das Persönliche Regiment zu steigen bereit schien, mokierte sich jetzt nur noch über die übertriebenen Erwartungen des «erregten>> Kaisers sowie auch über dessen offenbare Angst vor einem Angriff der englischen Flotte, falls die Offerte der Engländer ausgeschlagen werden sollte. Die Furcht vor der englischen Feindschaft, so glaubte Holstein, habe sich in einer Aufzeichnung des Kaisers noch vom 3 r . Mai gezeigt, die gelautet habe: «Y Hatzfeldt schüt­ telte ebenfalls den Kopf über die kaiserlichen Erwartungen und Ängste. In London sah er keine Anzeichen für die «ungeheuren Anerbietungen>>, von denen der Kaiser träume. «Noch unwahrscheinlicher ist der befürch­ tete maritime Angriff, der nach menschlicher Berechnung nur kommen kann, wenn wir uns selbst erst feindlich stellen>>, schrieb der Botschafter, der damit wohl unbewußt die Schuldkomplexe Wilhelms II. angesichts seiner englandfeindlichen Flottenpläne angesprochen hatte. Aus einer Unterredung mit Salisbury gewann Hatzfeldt den Eindruck, daß die Londoner Regierung zwar gute Beziehungen zu Deutschland pflegen wollte, aber nicht daran dachte, eine formelle Verständigung anzuregen.38 Die ressentimentgeladene Antwort, die Wilhelm am r . Juni r 898 auf den Brief seiner Mutter verfaßte und die er anschließend abschriftlich zu den Akten des Auswärtigen Amts gab, stellt die wohl aussagekräftigste Bestandsaufnahme der deutsch-englischen Beziehungen aus seiner Sicht seit seiner Thronbesteigung dar. Er räumte darin ein, daß ihn die Mittei­ lungen der Kaiserinwitwe fasziniert hätten. «Die Idee einer Allianz der angelsächsischen Rasse ist nicht neu, aber der deutsche Beitritt zu ihr ist es schon, zumindest was die englische Regierung anbetrifft. Laß mich Dir eine kurze Skizze unserer Beziehungen machen. In den ersten 6 Jah­ ren meiner Herrschaft versuchte ich bis zum äußersten meiner Kräfte, [ . . . ] L[ord] S[alisbury] ein Wort der Zustimmung zu der Idee einer deutsch-britischen Kooperation zu entlocken. Aber dies blieb ohne das geringste Ergebnis, da er stets im gleichen Refrain endete: >

ment einen solchen Bund wohl nie ratifizieren würde & weil England es vorzieht, seine Handlungsfreiheit zu bewahren, daher kann ich Eure Wünsche nicht erfüllen.> ! ! Also habe ich die Sache fallen gelassen & schweren Herzens die Aufgabe, die nicht leicht, aber mir sehr lieb war, da ich doch nach den gleichen Richtlinien arbeitete, die der liebe Papa & Großpapa (Prinzgemahl) gelegt hatten, aufgegeben. In mehreren außen­ politischen Phasen, vor allem in der Siamesischen Imbroglio (unter der liberalen Regierung von L[ord] Rosebery), habe ich England treu zur Seite gestanden & freiwillig meine Hilfe angeboten, um die L[ord] Rose­ bery, mit Großmamas Zustimmung, r 894 [sie] so sehr gefleht hat! Doch anstelle von Dank oder Hilfe bei unseren kolonialen Unternehmungen habe ich nichts bekommen. Ich bin die letzten 3 Jahre beleidigt, mißhan­ delt & zum Ziel eines jedes Spotts geworden, den jeder beliebige Varie­ tesänger oder Fischhändler oder Zeitungsmann auf mich loszulassen sich bemüßigt fühlte ! - Trotzalledem habe ich vor zwei Jahren sehr versucht, L[ord] S[alisburys] Hilfe dafür zu gewinnen, damit wir eine Kohlestation in China erhalten, und er hat es glatt ausgeschlagen, in einer Sprache, die nur Hatzfeld [sie] so zu interpretieren wußte, so daß keine ernsthafte Aktion daraus entstanden ist! Von Großbritannien und seinem Premier­ minister so zurückgestoßen, mißhandelt & gereizt, habe ich an seiner Stelle von Rußland, in ein paar Unterhaltungen mit dem Kaiser, alles was ich wollte bekommen & sogar mehr als ich je erhofft hatte ! Dies als . Nun was Du in Bezug auf eine Allianz zwischen England-Amerika & Deutschland gesagt hast, hat mich sehr interessiert. Die Idee ist seit zwei Monaten in den Zeitungen gelüftet worden & ver­ schiedene Andeutungen & iffi Cfl.aralrter , age Vorschläge von Mr. Ch[amberlain] sind mit der gleichen Brise herübergeweht worden. Da sie jedoch nicht offiziell, als von der Regierung oder dem Premierminister kommend übermittelt worden sind, hat niemand sie sehr beachtet, da sie nur eine Wiederholung der Presseartikel zu sein schienen. Aus Deinem Brief ersehe ich nun zum ersten Mal, daß die Sache ernst gemeint war & vorgibt ein Auftakt zu sein, oder zumindest als solcher von Mr. Ch[am­ berlain] gedacht war. Wenn das der Fall ist & wenn, wie ich durchfühle, eine gewisse Schnelligkeit in der Behandlung dieser Frage gewünscht ist, warum, im Namen von allem diplomatisch Nützlichen & Sinnvollen, macht dann der Premierminister kein wirkliches Angebot ? Warum macht das Kabinett keine wirklichen Vorschläge, die als Basis für pourparlers dienen würden ? Wieso ermächtigt das Kabinett nicht L[ord] S[alisbury] oder L[ord] S[alisbury] Mr. Ch[amberlain] unter seiner Autorität, mir die Vertragsbedingungen zu erläutern? Private Unterhaltungen, sogar Aussa­ gen vor anderen sind alle gut und schön, sie sind aber nicht der richtige Weg zu einem Bündnisvertrag! Außerdem, wenn sogar Mr. Ch[amber­ lain] & wie es scheint ein Teil des Kabinetts es Ernst meinen & mit mir in der obigen informellen Art verhandeln, wer wird mich je vor einem

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plötzlichen desaveu des Premiers im Oberhaus, oder Balfours im Parla­ ment, schützen, wenn sich herausstellt, daß die öffentlichen Gefühle nicht ganz dem entsprechen, was sie erwartet hatten, solange L[ ord] S[ alisbury] auf so schlechtem Fuß mit Mr. Ch[amberlain] steht & sich nicht eindeutig für die Angelegenheit verpflichtet hat, indem er offiziell seine Minister autorisiert, in Verhandlungen zu treten? ! England würde nichts fühlen, aber ein verfehlter Versuch einer Allianz mit England wird Frankreich & Rußland am selben Tag über meinen Kopf & über die Grenze einfallen lassen! ? - Dies sind einige der Schwierigkeiten, die mir begegnet sind, seit ich Deinem Brief ernsthafte Aufmerksamkeit zugewendet habe, & sind die Folgen der Behandlung, die ich von seiten der britischen Regierung & namentlich L[ord] S[alisburys] zu erdulden hatte, und das Resultat der Erfahrung englischer Außenpolitik, die ich in den 10 Jahren meiner Regierung gemacht habe ! Wenn die Regierung wünscht, aus ihrer herauszukommen, und die Idee eines und die Bildung einer Allianz mir attraktiv machen will, dann soll der Pre­ mierminister offen & mannhaft sprechen, wie es offiziell >27 Nachdem die Vorgänge in Fernost ein derart schlagendes Beispiel für die Bedeutung der Seemacht geliefert hatten, wollte Wilhelm seine Flot­ tenbaupläne endlich entschieden voranbringen. Welche Schlüsse er aus der Überlegenheit der japanischen Kriegsplanung und -führung für die deutsche Rüstungspolitik zu ziehen bereit war, ersehen wir aus einem zweistündigen freien Vortrag, den er unter Heranziehung zahlreicher Zeichnungen und Tabellen am 8. Februar r 89 5 vor etwa 5 00 Offizieren in der Königlichen Kriegs-Akademie in Berlin hielt. Er sprach darin zu­ nächst seine Bewunderung für die umsichtige Weise aus, wie, über zehn Jahre hinweg, die Japaner «in ganz moderner Weise>> den Feldzug vorbe­ reitet hatten. Von entscheidender Bedeutung bewertete er die enge Zu­ sammenarbeit zwischen der Kriegsflotte, der Handelsmarine und dem

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Der Weg zum Schlachtflottenbau

Heer bei der Landung in Korea, die die japanischen Siege auf dem Fest­ land erst ermöglicht hätte. Mit Handelsdampfern waren in 1Vz Tagen 1 2-1 3 .000 Mann an Land geworfen worden. Der Kaiser hatte hohes Lob für die japanische Landungsoperation: «Hier haben zum ersten Mal große Transporte von Truppenmassen über See stattgefunden; eine Vor­ übung hierzu ist noch von keinem Staate vorher gemacht worden. Es ist erstaunlich, wie Japan in dieser Beziehung Alles gut durchgearbeitet und vorgesehen hat.» Das Hauptgewicht legte Wilhelm II. jedoch auf das entscheidende Seegefecht der beiden Kriegsflotten an der Yalu­ Mündung. Die japanische Flotte, hob er hervor, sei an Zahl kleiner, aber in der Qualität besser als die chinesische gewesen. Sie war «aus lauter modernen Panzerkreuzern zusammengesetzt», die in England, in Frank­ reich und zum Teil nach diesen Vorbildern auch in Japan selbst gebaut worden waren. Die chinesische Flotte hingegen habe aus zwei größeren und drei kleineren Panzerschiffen sowie fünf Kreuzern und einigen klei­ nen Schiffen bestanden, die alle durchweg veraltet und den japanischen Schiffen vor allem in der Geschwindigkeit unterlegen waren. Eine ganze Reihe weiterer Mängel belastete die chinesische Flotte: Für die chinesi­ schen Geschütze waren Sprenggranaten nicht in der nötigen Menge vor­ handen, die Erfahrung und taktische Ausbildung der Kommandanten ließ viel zu wünschen übrig, der Signalverkehr war nicht entwickelt, von einer einheitlichen Leitung der Flotte konnte nicht die Rede sein. An­ ders bei den Japanern, deren Admiral nach Ansicht Wilhelms «im All­ gemeinen nach denjenigen taktischen Grundsätzen verfuhr, die auch wir durch unsere Übungen als richtig erkannt haben». Doch vor allem das Schiffsmaterial habe den Ausschlag gegeben. Der Sieg der Japaner sei darauf zurückzuführen, «daß sie mit einer Reihe gut laufender Kreuzer versehen waren, die im Stande waren, die Geschwindigkeit bis 20 Kno­ ten zu steigern, während die Chinesen über 1 0 Knoten nicht hinauska­ men». Außerdem habe der «den Japanern im Gegensatz zu ihren Fein­ den innewohnende kriegerische Geist, [ . . . ] der uns ihr ganzes Verhalten in diesem Kriege so besonders sympathisch macht», ebenfalls zu ihrem Sieg beigetragen. Wilhelm zog aus dieser Analyse des fernöstlichen Kriegsgeschehens zwei bedeutsame Schlüsse: erstens, daß eine gute Flotte , und zweitens, .28 Beide Folgerungen waren dazu geeignet, den kai­ serlichen Wunsch nach einer Stärkung der deutschen Flotte zu begrün­ den. Aus verschiedenen Quellen der Zeit erfahren wir, daß Wilhelm bei zahlreichen Gelegenheiten im Winter r 894/9 5 seine Schiffstabellen vor­ zeigte, durch internationalen Vergleich der Schiffszahlen den Nachrü­ stungsbedarf der deutschen Flotte nachwies und seine Analyse der gro­ ßen Seeschlacht an der Yalu-Mündung vortrug. Ebenso deutlich geht aus seinen Äußerungen hervor, daß er zu diesem Zeitpunkt den Bau einer modernen Panzerkreuzerflotte forderte, die in einem hauptsächlich zu Lande geführten Krieg gegen Rußland, Frankreich und möglicherweise Dänemark die feindlichen Flotten vernichten würde und in der Lage wäre, die Handelswege über den Atlantik freizuhalten. Aber, und das ist wichtig festzuhalten, er war noch weit davon entfernt, mit einem Schlachtflottenbau dem englischen Weltreich den Fehdehandschuh hin­ werfen zu wollen.29 Zwar drängte er auf rasche Erweiterung der Marine, aber die für r 895 durch den Staatssekretär des Reichsmarineamtes einge­ brachte Forderung nach vier neuen Kreuzern war vergleichsweise mode­ rat.30 Eine weitere Begebenheit zeigt, wie sehr der Wunsch nach weltweiter Präsenz imponierender deutscher Kriegsschiffe bestand, also eine Presti­ gepolitik die Marinepläne des Kaisers dominierte. Am 3 r . Januar I 895 erschien er im Reichskanzlerpalais und verlangte die Zurückziehung des einzigen vor Samoa stationierten deutschen Kriegsschiffes aus dem Grunde, daß das dort vorhandene britische Schiff mehr als dreimal so groß war. «Wenn wir in Samoa den geschwundenen deutschen Einfluß heben wollten, müßten wir dort mit mehreren deutschen Schiffen auf­ treten; dies sei bei dem jetzigen Stand der Marine nicht möglich. S. M. will Samoa nicht aufgeben>>, vermerkte Hohenlohe, «hält aber das Ver­ bleiben des Schiffes jetzt dort nicht für ausreichend und deshalb für überflüssig.>>31 Wilhelm bemühte sich jetzt auch, den Reichstag in seinem Sinne für die Flotte zu begeistern. Er lud am 8 . Januar I 8 9 5 einige, vorwiegend der konservativen Partei angehörende Parlamentarier sowie den Bevoll­ mächtigten der Hansestädte im Bundesrat, Krüger, nach Potsdam ein. Der badische Gesandte Eugen von Jagemann berichtete nach Karlsruhe, daß der Kaiser auch vor diesem Auditorium einen «Zweistündigen freien Vortrag>> gehalten habe, der «von größter Sachkenntnis und Umsicht>> zeugte. Er habe «die deutschen Streitkräfte in ihrem Verhältnis gegen­ über den russischen und französischen dargelegt>> und sodann «den Stand der Marine mit Vorzeigung der wichtigeren deutschen und frem­ den Schiffstypen, oft mit eigenhändigen Zeichnungen>>, erläutert. Der naheliegende Zweck des Vortrags war, so berichtete Jagemann, Stim­ mung im Reichstag für die Bewilligung der geforderten Kreuzerkorvet-

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Der Weg zum Schlachtflottenbau

ten zu machen, denn nach Überzeugung des Kaisers sei die Zahl der Kreuzer für den auswärtigen Dienst und für den Schutz der Handelsma­ rine zu klein. In der letzten halben Stunde des Vortrags habe der Kaiser allerdings - «als Zukunftsperspektive - die Notwendigkeit der Anschaf­ fung weiterer Panzerschiffe dargelegt, in denen die Entscheidung der Seekämpfe liege».32 Wilhelm II. versuchte also, in Abkehr von seiner bisherigen Taktik, im Reichstag durch Überzeugung zu wirken; doch er machte dabei, so Jagemann, den Fehler, nur solche Abgeordneten einzu­ laden, die ohnehin keiner Bekehrung mehr bedurften. Der Kaiser wollte mehr Schiffe haben, aber was wollte er genau ? War der Hinweis auf eine Schlachtflotte, den seine Ausführungen enthielten, ein erster Wink für das, was dann kommen sollte ? Wir wissen aus den Erinnerungen von Tirpitz, daß dieser Hinweis auf einen Immediatvor­ trag zurückzuführen war, den er, der Admiral, am Tage zuvor gehalten hatte und der den Kaiser so beeindruckt hatte, daß er Elemente davon in seinen eigenen Vortrag übernahm.33 Nichtsdestotrotz wollte Wilhelm zu diesem Zeitpunkt vor allem eine Kreuzerflotte. Dies geht schlagend aus seinen bereits erwähnten beiden Vorträgen vom 8 . Januar und 8 . Februar 1 89 5 hervor, in denen er sich nicht nur mit der Seeschlacht an der Yalu­ Mündung beschäftigte, sondern auch mit den Schiffstypen der deutschen Marine. Der Kaiser bemängelte zunächst, daß Deutschland zwar die zweitgrößte Handelsflotte der Welt habe, aber keine adäquate Kreuzer­ flotte, die in der Lage wäre, die deutschen Interessen weltweit zu schüt­ zen. Da er seine Zuhörer für Landratten hielt, erläuterte er ihnen die Unterschiede zwischen den verschiedenen Kriegsschiffstypen zunächst historisch und ging dann zur aktuellen Baupolitik über. Mit Hilfe von Zeichnungen und Tabellen erklärte er feinsäuberlich den Unterschied zwischen Schlachtschiffen 1 . Klasse oder Linienschiffen einerseits und Panzerkreuzern beziehungsweise Panzerdeckskreuzern andererseits. Um den Herren Offizieren von der Kriegs-Akademie «Überhaupt einen Be­ griff zu geben», wie ein modernes Linienschiff aussah, führte der Kaiser eine Abbildung der im Bau befindlichen Ersatz Preußen vor, die er mit Salzmanns Hilfe gezeichnet hatte.34 Solche Linienschiffe fochten in gro­ ßen taktischen Verbänden in der Schlachtlinie, so Wilhelm II., und konnten nicht einzeln eingesetzt werden. Als Kontrast dazu stellte er den Panzerkreuzer Ersatz Leipzig vor, der zwar auch mit schwerer Ar­ tillerie bestückt werde und einen Gürtelpanzer habe, jedoch anders als das Linienschiff dazu bestimmt sei, «für sich allein den Kampf mit meh­ reren Gegnern aufzunehmen, sie zu verjagen, vermöge ihrer großen, weittragenden Artillerie ihnen möglichen Schaden anzuthun und den ih­ nen zugewiesenen Gebierstheil freizuhalten.>> Von diesem Schiffstypus besäßen die Franzosen 1 3 , die Russen 1 0, Italien 5> Amerika 3 und «Deutschland keine». Der Kaiser stellte fest: «Die Frage der Panzer­ kreuzer ist bei uns merkwürdigerweise sehr schwer in Fluß zu bringen,

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da die Leute im Reichstag ein geheimes Grauen bei dem Ausspruch die­ ses Namens befällt. Sie haben die Befürchtung, daß sie damit hinters Licht geführt werden, und daß damit ein ganz ungeheuerliches Instru­ ment gebaut werden soll.>> Auch bei leichteren geschützten Kreuzern mußte der Kaiser eine erdrückende Überlegenheit des russisch-französi­ schen Zweibunds über den Dreibund konstatieren.35 Rechne man alles zusammen, so Wilhelm weiter, dann hätten die Dreibundmächte 5 Pan­ zerkreuzer, 3 2 Panzerdeckskreuzer und 3 I ungeschützte Kreuzer (die im Kriege freilich nur eine sekundäre Rolle spielen konnten), während Frankreich, Rußland und Dänemark zusammengenommen 23 Panzer­ kreuzer, 46 Panzerdeckskreuzer und 4 I ungeschützte Kreuzer besäßen. «Somit stehen 68 Schlachteinheiten des Dreibundes gegen I IO von der anderen Seite.» Nehme man die großen Panzer- oder Linienschiffe noch hinzu, so stünden eine Gesamtzahl von I 3 3 «aller zum Gefecht brauch­ baren Schiffe [ . . . ] auf Seiten des Dreibundes gegen 20 I der anderen Trias.>> Aus diesen Zahlen könne man ersehen, «wie enorm sich die fran­ zösische und russische Kriegsflotte entwickelt» habe.36 Diese Ausführungen machten abermals zweifelsfrei deutlich, daß der Kaiser die Flotte als gegen den russisch-französischen Zweibund gerich­ tet ansah. Außerdem zeigt sich, daß er ein Schwergewicht auf die Kreu­ zerflotte legte, denn die Linienschiffe tauchten nur am Rande auf. Be­ sonders am Herzen lagen ihm die Panzerkreuzer. Den trostlosen Zu­ stand der deutschen Flotte beklagend, führte er aus, daß die deutschen Schiffe, mit Ausnahme der Irene, «vollkommen ungeeignet» seien, «ir­ gend ein ernsthaftes Gefecht aufzunehmen, und sollte es im Laufe des chinesisch-japanischen Krieges zu irgend welchen ernsten Auseinander­ setzungen kommen, bezw. zu Theilungsversuchen unter den europäi­ schen Staaten, dann wäre das Deutsche Reich absolut nicht im Stande, eine einzige Forderung durchzusetzen». Die drei Schiffe, die augenblick­ lich im Ausland das Deutsche Reich repräsentierten, seien noch mit vol­ ler Takelage versehen wie die alten Fregatten zur Zeit Nelsons und ohne Schnellfeuer-Artillerie und Panzerdeck, so daß sie gegen einen moder­ nen Kreuzer wehrlos seien. «Ein einziger japanischer Panzerkreuzer ge­ nügt, um unser ganzes deutsches Kreuzergeschwader in Grund und Bo­ den zu schießen», erklärte Wilhelm. Die Lage sei so schlimm, daß anzu­ nehmen sei, «daß im Jahre I 896 das Deutsche Reich überhaupt keine Schiffe mehr draußen auf der Welt schwimmen haben wird>>.37 Welche Folgerungen zog der Kaiser daraus ? Er verlangte, daß Kreuzer gebaut wurden, nämlich der Ersatz von 9 Panzerkreuzern I. Klasse, I 5 Kreuzern II. Klasse und I 2 Kreuzern IV. Klasse, 38 Nochmals die Frage: Was wollte der Kaiser? Er sprach von der ent­ scheidenden Seeschlacht und von Panzerschiffen, also von einer Schlachtflotte. Er sprach aber auch von Panzerkreuzern, geschützten und kleinen Kreuzern, die weltweit die Durchsetzung deutscher Interes­ sen ermöglichen sollten. Er verlangte mehrere Schiffstypen für unter­ schiedliche Verwendungszwecke auf hoher See. Von einer Festlegung auf eine Schlachtflotte konnte zu diesem Zeitpunkt also noch keine Rede sein; eher standen für ihn die Panzerkreuzer im Vordergrund. Wie, und gegen wen, sollten diese Schiffe nach seinen Vorstellungen in einem Krieg eingesetzt werden ? Wilhelms Zuhörerschaft in der Kriegsakademie bestand aus Offizieren der Armee, die in der Mehrzahl die kaiserliche Begeisterung für die Ma­ rine nicht teilten. Diese versuchte er mit Betrachtungen über «die Ver­ wendung der Flotte im Verhältnisse zum Landheer>> zu interessieren. Sinngemäß anknüpfend an seine Ausführungen zum chinesisch-japani­ schen Krieg, stellte er axiomatisch fest: «Nur derjenige, der das Meer beherrscht, ist im Stande, seinem Gegner empfindlich beizukommen und, von ihm ungestört, sich die Freiheit der militärischen Operationen zu bewahren, die er im anderen Falle sich nicht erlauben könnte.>> Sollte die der deutschen weitaus überlegene französische Flotte in einem künf­ tigen Krieg die wenigen deutschen Schiffe zurückwerfen oder vernich­ ten, die sich ihr entgegenstellen würden, könne sie die deutsche Küste blockieren, den Handel unterbinden und gar Truppenlandungen an der deutschen Küste ermöglichen. «Wenn wir uns das umgekehrte Verhält­ niß denken, wenn wir mit unserer Flotte so Frankreich gegenüber stün­ den, wie es uns gegenübersteht, so wäre es doch das Natürlichste, daß wir unsere Flotte benutzen würden zum Schlagen der französischen Flotte, wo sie sich zeigt, zum Blokiren der französischen Häfen, zum

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Transport eines größeren Theiles der Armee und zur raschen Landung desselben und zu schnellem Vormarsch auf Paris, der in wenigen Tagen das Heer in die Mauern der Hauptstadt führt, während der Feind hinter den dreimal versicherten Sperrforts den Angriff von Osten erwartet. Trotz ihrer Unterlegenheit, trotz des minderwerthigen Materials hat die deutsche Flotte beschlossen, diesem Gedanken, soweit er überhaupt aus­ führbar ist, dennoch Folge zu geben>>, versicherte der Kaiser in einem für ihn und die oberste Marineführung überhaupt typischen Anflug von Wunschdenken. «Es ist die Absicht, sämmtliche Schiffe zusammenzuzie­ hen, dem Feinde entgegenzuwerfen und ihn wo möglich zur Schlacht zu zwingen und, wenn uns Gott den Sieg giebt, auch den Sieg zu erringen.» Nicht nur auf diesen strategisch wichtigen Einsatz der Flotte im Fall ei­ nes Kontinentalkriegs hob der Kaiser ab, sondern auch auf dessen Be­ deutung für > angehören sollten.51 Die (eher taktisch begründe­ ten) Einwände seines «Oheims>> Hohenlohe gegen beide Forderungen wies der Kaiser in einem aufschlußreichen Schreiben vom 8. Januar r 896 zurück, in dem er erläuterte, «daß zu unterscheiden ist zwischen dem festen Erweiterungsplan für die Marine, wie er in Folge des Berichtes des Oberkommandos vom r. Dezember in Aussicht genommen ist, und mei­ nen durch Transvaal hervorgerufenen Absichten wie ich sie Dir mündlich auseinandergesetzt hatte. Beide Pläne ergänzen sich gegenseitig. Wäh­ rend aber der Erweiterungsplan langer Hand ausgearbeitet werden muß, um der allgemeinen Weltstellung des Reiches Rechnung zu tragen, soll der durch Transvaal entstandene Gedanke, getragen von den dringenden zeitigen Bedürfnissen eine schwere momentane Lücke ausfüllen. Auf vie­ len Teilen unserer Erde, auf der es immer bunter wird, ist das Reich zur Vertretung seiner sehr erheblichen Interessen zur Zeit ungenügend oder überhaupt nicht vertreten. Im Mittelmeer ist weder ein zur Vertretung unserer Interessen geeignetes Geschwader [ . . . ] noch sogar ein Schiff vor­ handen. Man hat zu einer Schulfregatte greifen müssen. In ganz Amerika Ost-Mittel-West ist nicht ein Kanonenboot zum Schutze von Hundert­ tausenden von Deutschen und Millionen unseres Kapitals; und in Vene­ zuela kann jeden Augenblick die Situation eine solche werden, daß die Flotte zum Schutze deutschen Eigenthums die Flagge zu vertreten [hat]. In Ostasien ist unsere einzige Kriegsdivision zur Verfolgung besonders lokaler Interessen fast ein Jahr lang festgebunden ohne Aussicht auf frei werden. Und nun kommt noch Transvaal hinzu, wobei es sich am deut­ lichsten gezeigt hat, daß die immer mehr zusammenschrumpfende Ma­ rine keine genügende Anzahl von Schiffen hat um irgend wie noch der Weltmachtstellung des Reichs gerecht zu werden. Ein so günstiger Zeit­ punkt um dem Lande klar zu machen, daß es so mit der Marine nicht weitergeht wird sich nie wieder finden umsomehr als die Bewegung, die durch unser Volk geht, eine tiefe ist, und der Reichstag, selbst wenn er zaudern sollte, nicht anders kann als der Stimmung Rechnung zu tragen! Mit jedem Tage, mit jeder Woche aber, die unbenutzt nach dem Zusam­ mentritt des Reichstages vorübergeht, verblaßt die gehobene Stimmung im Boden[,] der Reichstag versinkt im Schlamm von Antrag Kanitz, Stoecker, Hammerstein etc., die Parteien jetzt gehoben und einig im Hinblick auf den r 8ten Jan. [gemeint war Wilhelms Rede zum 2 5 . Jubi-

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läum der Reichsgründung] zerfallen, und wenn dann der arme Marine Etat durchberathen und gekaut wird ist solcher Zwiespalt und Unlust vorhanden, daß selbst die besseren Elemente im Reichstag von der Nothwendigkeit die Marine zu vermehren nicht zu überzeugen sind. Für das gegenwärtige Bedürfniß ist ein großer Plan nicht nöthig es be­ darf nur sofortigen Ersatzes, nicht durch Neubau in der Heimath son­ dern durch Ankauf schleunigster Art Panzerkreuzern und Kreuzern wo wir sie nur bekommen können. Daneben müßten dann in der Heimath Kreuzer aufgelegt werden, welche der Zahl nach von der Leistungsfähig­ keit unsrer heimischen Werften abhängt [sie] . Die ganzen Kreuzer wür­ den dann in Anrechnung zu bringen sein auf das noch in Ausarbeitung befindliche Programm welches im nächsten Jahre vorgelegt werden muß, und auf das hinzuweisen unabweisbar sein dürfe. Diese von mir kurz skizzirten Gedanken, sollen für Dich die Grundlage bilden, von der aus ich die Frage angesehen und behandelt wissen will. Ob der Reichstag Lust oder Enthusiasmus dafür hat ist Nebensache, unsere Pflicht ist es demselben die Situation völlig klar zu [machen] selbst auf die Gefahr einer Ablehnung hin. Wilhelm I. R.>>52 In diesem kaiserlichen Schreiben zeigte sich eines überdeutlich: Der ins Hysterische umschlagende Eifer des Kaisers, etwas für die Flotte tun zu wollen, überwog jede Erwägung über die politische Opportunität dieses Wunsches. So wollte er bedenkenlos die anglophobe Strömung der deutschen Öffentlichkeit für wahllose, für unsystematische Schiffs­ käufe ausnutzen und war nur panisch besorgt, dieser scheinbar günstige Moment könne ungenutzt verstreichen. Marschall von Bieberstein klagte am 8. Januar I 896: «S. M. will ein für Schiffs­ bauten vom Reichstag haben. Hohenlohe soll im Reichstag eine große Rede halten in Benutzung der gegenwärtigen Stimmung.>>53 Auch als der Außensekretär am I r . Januar lange mit dem Kaiser über seinen Brief­ wechsel mit Queen Victoria bezüglich der Transvaalkrise sprach, no­ tierte er anschließend, der «Refrain>> sei «stets Vermehrung der Flotte>> gewesen. 54 Holstein erklärte sich die «krankhafte Erregung>> des Kaisers wie folgt: «Das Trugbild, mit einem Schlage ein paar hundert Millionen - denn seine Reden variieren zwischen Ioo und 3 00 - zu erhalten, haben ihm ganz das ruhige Urteil genommen. [ . . . ] Alles macht einen unheim­ lichen, überhasteten Eindruck. Nie hat eine Versuchung die Nerven des Kaisers so erregt wie .>>55 Eulenburg tat sein Be­ stes, den Geheimrat mit dem Argument zu beruhigen, daß der Kaiser «trotz aller Nervosität>> mit seinen Flottenforderungen nur deswegen so weit vorwärts treibe, , versicherte er ihm.56 Im Auswärtigen Amt wurde die kaiserliche Umgebung verdächtigt, diese Flottenwünsche anzuheizen. Holstein machte den «kleinen Kayser», der ein selbständiges Reichs-

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kolonialamt anstrebe und dabei durch Hinzpeter auf den Monarchen einwirke, und Admiral Senden für dieses Aufflammen der kaiserlichen Marinebegeisterung verantwortlich. Wilhelm sei «geradezu krankhaft gereizt>> und fordere «wenigstens r oo Millionen sofort für Schiffsan­ schaffung», schrieb er. Nach Kuno Moltke sei jetzt auch Senden, der den Kaiser in seinen Flottenplänen in unverantwortlicher Weise bestärke, mit Marineplänen nach Friedrichsruh geschickt worden, und Bismarck habe seine Unterstützung zugesichert. Durch die antienglischen und an­ tiparlamentarischen Einflüsterungen seiner Umgebung wurde die ohne­ hin beträchtliche Abneigung des Kaisers, seine Flottenpläne dem Reichs­ tag mühsam abringen zu müssen, weiter angeheizt. 57 In der Situation des Jahres r 896 blieb Wilhelm freilich zunächst nichts anderes übrig, als auf seinen Kanzler zu vertrauen. Der greise Fürst Hohenlohe unterzog sich auch gegen seine eigene Auffassung der Aufgabe, im Reichstag die Stimmung für die kaiserliche Idee einer Flot­ tenanleihe zu ergründen. Das Ergebnis war, wie zu erwarten, nieder­ schmetternd. Die Führer des Zentrums, der Nationalliberalen und der Konservativen im Reichstag lehnten die kaiserlichen Anleihewünsche aus finanziellen und politischen Gründen entschieden ab. Hohenlohe teilte dem Monarchen am 14. Januar 1 896 das Ergebnis seiner Sondie­ rungen schriftlich mit. Fritzen, der Führer der Zentrumspartei, habe auf die Anfrage geantwortet, wenn die Fraktion der Anleihe zustimmte, würde sie bei den nächsten Wahlen in der Versenkung verschwinden, denn die Steuerlast bedrücke die Bevölkerung und es sei unmöglich, dem Lande noch zusätzliche Lasten aufzulegen. Der Führer der Konser­ vativen, Levetzow, habe erwidert, die Not der Landwirtschaft sei so groß, daß nicht eine Stimme in seiner Partei für eine außerordentliche Bewilligung für die Marine zu haben sei. Sowohl Fritzen als auch Le­ vetzow hätten außerdem geltend gemacht, daß eine derartige Forderung im jetzigen Augenblick im Volke als Kriegsvorbereitung gegen das briti­ sche Weltreich aufgefaßt und allein aus diesem Grund abgelehnt werden müßte. Allein Oberpräsident von Bennigsen, der Führer der National­ liberalen, habe sich bereit erklärt, seine Fraktionsgenossen zu befragen, ohne jedoch Hoffnung auf einen Erfolg zu haben. Aus diesen Sondie­ rungen habe er, Hohenlohe, die Überzeugung gewonnen, «daß im Reichstag von einem Enthusiasmus für Vergrößerung der Flotte selbst in diesem Augenblick keine Spur vorhanden» sei. Die Einbringung einer Anleihevorlage würde zwangsläufig zu einer großen Niederlage der Re­ gierung führen, die in den anderen Staaten Europas und namentlich in England mit Schadenfreude «als eine persönliche Niederlage E.M. be­ grüßt» werden würde.58 Zusammen mit Hollmann und Marschall ver­ trat Hohenlohe dem Kaiser gegenüber entschieden die Ansicht, daß man einen langfristigen «Flottengründungsplan» ausarbeiten müsse, der erst «im Lauf der Jahre» ausgeführt werden könne. 59 Er wollte Systema-

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tik in die Marineerweiterungspläne hineinbringen, die bislang fehlte, und damit dem allgemeinen Eindruck entgegenwirken, die Flotte sei nur ein imperialer Spleen. «> beabsichtigt seien, schrieb er Philipp Eulenburg am I4. Januar I 896.61 Wieder suchte der Botschafter, Wilhelm in Schutz zu nehmen, und wies darauf hin, daß er doch nur durch «Übertriebene drän­ gende Forderungen die größte mögliche Marinebewilligung>> erlangen wolle. Durch kräftiges Eintreten für die kaiserlichen Wünsche würde auch Marschall seine Stellung stärken können, was notwendig sei. 62 Als der Kaiser am nächsten Tag erfuhr, wie die Parteien des Reichstags zur Flottenvermehrung standen, reagierte er wütend und trotzig. Der Oberhof- und Hausmarschall Graf August Eulenburg fand ihn am Mor­ gen des I 5 . Januar «über die enttäuschte Marine-Hoffnung sehr depri­ miert und natürlich auf den Reichstag wenig gut zu sprechen>>.63 Wenn der Reichstag seinen Flottenplänen nicht zustimmte, dann solle er erle­ ben, wie es sei, ohne Flotte dazustehen, sagte er. Einen Tag später, am I 6. Januar I 896, befahl er, alle Kriegsschiffe aus China und der Delagoa­ Bai zurückzuziehen. Der Chef des Marinekabinetts gab dem Oberkom­ mando der Marine folgenden Befehl des Kaisers weiter: «Habe heute Freiherrn von Marschall mitgeteilt, daß, da der Reichstag so wenig Be­ griff von der Ehre unseres Vaterlandes im Auslande England gegenüber fühlt und niemand für die Marine sich erwärmt oder interessiert, Ich bei den unsicheren Frühjahrsaussichten Meine heimische Flotte nicht länger schwächen könne. Daher soll Kaiser nach Ausbesserung sofort zurück und ebenso das Kreuzergeschwader exklusive Arcona im nächsten Mo­ nat. Die Kreuzer von Lorenzo Marques seien nach Sansibar zu senden, da Ich nicht wolle, daß dieselben bei der Konzentration der Engländer anwesend seien. Das Ober-Kommando soll danach befehlen. Wil­ helm I. R.>>64 Nur mit Mühe gelang es Hohenlohe und Marschall, den kaiserlichen Befehl rückgängig zu machen.65 Die Wut Wilhelms über die Ablehnung des Flottenbaus schlug auch auf jene zurück, die seiner Ansicht nach seinen Plan nicht ausreichend

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unterstützt hatten. Allen voran war dies der Reichskanzler, in zweiter Linie der Staatssekretär des Reichsmarineamtes, Hollmann. Nach einem Aufenthalt in der Hauptstadt notierte Waldersee, der Kaiser sei «er­ grimmt» auf den Kanzler und führte aus: «Die Ursache des Zornes ge­ gen Hohenlohe liegt darin, daß der Kaiser eine große Anleihe für Ma­ rine Zwecke gewünscht hat - 3 00 Millionen - auch darauf hin schon mit dem [-Werft] in UTiterhandlungen getreten ist, u. Hohenlohe ihm erklärt hat, es ginge nicht; er habe mit Fritzen, Bennigsen u. Levet­ zow, also Führern des Centrums, der Nationalliberalen u. Konservativen konferirt u. haben diese ihm erklärt, es sei keine Möglichkeit, solche Vorlage durchzubringen.» Waldersee, der die besten Beziehungen zu den Konservativen unterhielt, war jedoch der Ansicht, daß Hohenlohe nicht ernsthaft mit den Parteiführern verhandelt habe, da er «natürlich persön­ lich keine Lust hat, eine so große Frage zu betreiben>>. Doch nun droh­ ten, so Waldersee weiter, politische Konsequenzen. Der Kaiser sei «au­ ßer sich» gewesen, schrieb er; seinen Äußerungen könne man entneh­ men, «der Entschluß zum Kanzlerwechsel sei feststehend». In seinem Unmut habe der Monarch gedroht, «alle Kreuzer zurück[zu]berufen, dann wird [man] in den Seestädten bald großen Lärm schlagen, u. alle Kolonialmänner werden sich anschließen». Nach Waldersees Meinung würde auch Admiral Hollmann als Staatssekretär des Reichsmarineam­ tes zurücktreten müssen, da er geäußert habe, «wir hätten nicht genug Mannschaft, um eine erheblich stärkere Flotte zu bemannen>>.66 Die An­ sicht, nun wolle der Kaiser sich von allen trennen, die ihn bei dem Flot­ tenplan im Stich gelassen hatten, wurde auch von Holstein geteilt. Er glaubte, Wilhelm werde die Frage der großen Mehrforderung für die Marine als Hebel zum Sturz Hohenlohes einsetzen, ähnlich wie er die Umsturzvorlage bei der Entlassung Caprivis benutzt habe.67 Die Zeichen äußerster kaiserlicher Ungnade ließen nicht lange auf sich warten. Als der alte Fürst-Reichskanzler den Kaiser bat, ihm gemeinsam mit Hollmann, Marschall und Admiral Knorr einen Immediatvortrag über Marineangelegenheiten halten zu dürfen, erhielt er tagelang keine Antwort. So fragte er denn Hollmann, «ob er etwas wisse». Der Admiral antwortete, er habe bei einem Bierabend bei Senden den Kaiser gespro­ chen, der gesagt habe, Hohenlohe und Hollmann «ließen ja den Kaiser im Stich und wollten nichts tun. Er müsse also warten. [ . . . ] Gleichzeitig äußerte sich der Kaiser in einer Weise, daß Hollmann die Überzeugung gewann, der Kaiser hoffe einen Reichskanzler zu finden, der große Ma­ rineforderungen stelle, den Reichstag eventuell auflösen und einen Staatsstreich machen werde.» Hohenlohe nahm diese Auskunft gelassen hin. «Das kann mir recht [sein] », notierte er in sein Journal. «Übrigens sehe ich noch nicht, wen der Kaiser zu diesem Experiment finden kann.»68 Abermals wandte sich Holstein in dieser kritischen Lage mit einem Alarmruf an Eulenburg in Wien. «Der Kaiser ist aufs äußerste er-

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regt. Er will eine ganz große Marineforderung, wenigstens 1 oo Millionen haben und glaubt, daß durch Auflösen des Reichstages ein gefügigeres Parlament zu erzielen sei.» Der Geheimrat hielt die kaiserlichen Pläne für undurchführbar und warnte: «Der nächste Reichstag wird scheuß­ lich, bewilligt gar nichts, und die deutschen Fürsten werden eine Reichs­ streich-Kampagne nicht mitmachen. Dann hat der Kaiser sein politisches Jena weg und wird sich davon ebenso wenig erholen wie Friedrich Wil­ helm IV. von seinem Umritt mit der Fahne am 20. März 1 848.>>69 Erst Anfang Februar kam es zwischen Kaiser und Kanzler in der Flot­ tenfrage zu einer Art Waffenstillstand, als Wilhelm II. Hohenlohe be­ suchte und der alte Fürst, anstatt zu werden, wie die «Aigrierten des Ministeriums» verlangten, ihm «nur nebenbei und in höflicher Form die Unhöflichkeit des Kaisers>>, die in der Nichtberücksichtigung seines Wunsches nach einem Immediatvortrag gelegen hatte, berührte. In die­ sem Gespräch unter vier Augen erklärte sich der Kaiser bereit, das Schiff Kaiser in China zu belassen. Er willigte auch darin ein, daß man dem Reichstag erkläre, es würden in der jetzigen Sitzungsperiode keine wei­ teren Flottenforderungen erhoben werden. Statt dessen müsse man, so meinte nun auch Wilhelm, systematisch vorgehen und neue Schiffe auf­ grund eines genau ausgearbeiteten Flottenplans bauen.70 Daß der Kaiser damit nur scheinbar seine weiterreichenden Flottenwünsche aufgegeben hatte, ahnte Waldersee, der am 9· Februar r 896 in seinem Tagebuch ver­ merkte, Wilhelm habe zwar seine Flottenbaupläne vorläufig bis zum Herbst zurückgestellt, «daß er von seinen Plänen aber ablassen sollte, halte ich für ausgeschlossen u. wird er es Hohenlohe, Marschall, Hall­ mann auch nicht vergessen, daß sie ihm hier Schwierigkeiten bereitet ha­ ben>>. Im ganzen liberalen Lager herrsche «eine heillose Angst», der Kai­ ser könne einen «schneidigen General>> zum Kanzler ernennen mit dem Ziel, im lnnern eine reaktionäre Wende herbeizuführen und in der Au­ ßenpolitik seine Flottenpläne durchzusetzen. «Nach ihren Äußerungen müßte der Kaiser von einer Anzahl gefährlicher lntriguanten umgeben sein, die ihn fortwährend in seinen Ideen bestärken, während die elen­ den Heuchler ganz genau wissen, daß der Kaiser selbst der Urheber u. Leiter der Bewegung ist.>/1 Natürlich war die Marinebegeisterung Wilhelms II. durch diese Rück­ schläge keineswegs getrübt. Auf einer Eisenbahnfahrt nach Genua am 23 ./24. März 1 896 redete der Kaiser, der in guter Stimmung war, «haupt­ sächlich Marine>>. Kiderlen-Wächter, der als Vertreter des Auswärtigen Amtes an der Mittelmeerreise teilnahm, berichtete nach Berlin, Wilhelm habe «soeben von einem Kapitän Diedrichs einen Plan zu einer neumo­ dischen Konstruktion eines Panzerschiffes erhalten - natürlich bestellte Arbeit! Ganz im Sinne S. M.'s mit besonders starker artilleristischer Ar­ mierung, was S. M.'s Steckenpferd, - da wird sich ja der Reichstag freuen und Hallmann noch mehr, der schon so viel Mühe hatte, S. M. sein letz-

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tes Projekt auszureden, das war nämlich sehr schön, nur konnte es nicht schwimmen.»72 Der Kaiser als Schiffskonstrukteur mag Gegenstand des heimlichen Spotts der Diplomaten gewesen sein, aber über seine See­ machtvorstellungen lachte niemand. Seine «uferlosen>> Flottenpläne er­ zeugten noch im März I 896 eine «etwas unheimliche Stimmung>> in Ber­ lin, zumal man weiterhin aus diesem Anlaß eine Auflösung des Reichs­ tags befürchtete. «Daß der Kaiser sein Ziel konsequent verfolgen wird, daran zweifle ich keinen Augenblick», schrieb Waldersee unterm 3 · März I 896. Selbst innerhalb des Marineoffizierskorps sei man «ge­ theilter Ansicht>>, da zahlreiche «angesehene Officiere eine so starke Ver­ mehrung für kaum ausführbar>> hielten.73 3 · Tirpitz ante portas

Somit waren im Frühjahr I 896 die Fronten abgesteckt. Der Kaiser wollte seine Flottenvermehrung, stieß dabei aber auf den direkten Wi­ derstand des Reichstags und den eher passiven seines Kanzlers, des Aus­ wärtigen Amtes und sogar des Staatssekretärs des Reichsmarineamtes, der, wie Holstein nach Wien meldete, offen sage, «die bisherige Art des Regierens gehe so nicht weiter>>.74 Anfang Juli r 896 eröffnete Hollmann dem Kaiser in Gegenwart von Senden und Piessen in einem mehrstündi­ gen Immediatvortrag in Wilhelmshöhe «alle Bedenken gegen die Vorlage eines auf Jahre hinaus berechneten Flottenplans an den Reichstag». Das Parlament, so betonte der Staatssekretär, werde einem solchen Plan nie zustimmen, die Vorlage würde zu wiederholten Auflösungen des Reichstags führen, doch ein Staatsstreich sei in einem Bundesstaat eine Unmöglichkeit. Hollmann schlug deshalb vor, «den Flottenplan ganz fallen zu lassen und sich darauf zu beschränken, das vom Reichstag zu verlangen, was jährlich nötig sei, um die Flotte zu erhalten und zu er­ neuern>>. Vom Kaiser nach ihrer Meinung gefragt, erklärte sich Piessen mit den Ansichten Hollmanns einverstanden, während Senden dessen Vorschlägen heftig widersprach. Überraschend erklärte der Kaiser zum Schluß, er sehe ein, daß Hollmann recht habe. «Es sei jetzt zu spät. Man hätte den Enthusiasmus des vergangenen Jahres, den Eindruck seiner Rede am I 8. Januar benützen müssen. [ . . . ] Nun müsse man auf den gro­ ßen Plan verzichten, ihn als Studie betrachten und beiseite legen und gar nicht mehr davon reden.>>75 Auch während der Nordlandreise I 896 ver­ sicherte er Philipp Eulenburg, offenbar für einen Moment durch den Widerstand von allen Seiten an seinem Vorhaben irre geworden, daß er natürlich «aus inneren und äußeren Rücksichten» nicht in der Lage sei, seinen «Plan» zu veröffentlichen. Seine Forderungen bestünden j edoch nur «in dem Gedanken des des bestehenden alten Materials mit neuem, wobei das alte Material in zweiter Linie noch als Aushilfe

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verwertet» werden könne. Wenn der Reichstag diese jährlich bewillige, so käme man mit der Zeit glatt an das Ziel, versicherte er. , so behauptete er, verlange . Es sei unlogisch, «energische, deutsche Politik an allen Enden der Welt zu verlangen und dabei die Flottenbedürfnisse zu verweigern>>. Das «pÖ­ belhafte Betragen Englands in der Transvaalfrage, in der ganz Deutsch­ land einig war, würde auch nicht eingetreten sein, wenn Deutschland in der Lage gewesen wäre, durch eine leidlich gute Flotte überhaupt nur ein Wort mitsprechen zu können>>. Mit seinen Vorstellungen einer Flot­ tenvergrößerung durch jährliche Forderungen hob sich der Kaiser ausdrücklich von den «ganz maßlosen und sehr unklaren» Mari­ newünschen Sendens ab, an dem Wilhelm «sehr harte Kritik» übte und dessen und völlige er bei die­ ser Gelegenheit scharf verurteilte.76 Allerdings waren diese Äußerungen Wilhelms II. nur aus dem Mo­ ment heraus zu erklären und entsprachen keinesfalls seinen längerfristi­ gen Intentionen. Schließlich war Hollmann mit seiner Erklärung hinter die Absprachen vom Februar zurückgegangen und hatte jede Flottenver­ größerung für praktisch unmöglich erklärt. Nun reifte beim Kaiser, wie Waldersee schon vermutet hatte, der Entschluß, seinen Flottenplan von anderen Persönlichkeiten in die Realität umsetzen zu lassen. Die Ablö­ sung der Verantwortlichen, vor allem Hollmanns, erfolgte nicht sofort, aber die Suche nach geeigneten Nachfolgern lief auf Hochtouren. Hier­ bei spielte vor allem Senden als Chef des Marinekabinetts eine wichtige Rolle. Dieser Flottenfanatiker bestärkte Wilhelm immer wieder in seinen Marineplänen und versuchte ihn für einen Personalwechsel zu gewin­ nen. In einer Eingabe an den Kaiser vom Frühjahr 1 896 argumentierte er, daß Hollmann als Staatssekretär des Reichsmarineamtes durch Kon­ teradmiral Alfred Tirpitz ersetzt werden müsse. Rollmann habe weder dem Reichstag noch dem Reichskanzler gegenüber Initiative gezeigt und damit demonstriert, daß er den weitreichenden Aufgaben, die in Zu­ kunft an sein Amt herantreten würden, nicht gewachsen sei. , schrieb der Marinekabinettschef. , mahnte er. Tirpitz sei «eine sehr energische, man kann sagen rabiate Na­ tur, die eher zu dämpfen ist, als vorwärts zu treiben. Er ist ehrgeizig, in den Mitteln nicht wählerisch, von sanguinischem Character: himmel­ hoch jauchzend, zum Tode betrübt, aber doch nie nachlassend in seiner schaffenden Thätigkeit, mag er sich auch noch so niedergeschlagen zei­ gen. [ . . . ] Eine Behandlung wie Adm[iral] H[ollmann] würde er nicht vertragen, dazu ist er zu selbst bewußt u. von seiner Güte überzeugt. Er ist kein hingebender Character, der eine Anschauung sofort hinnimmt wie sie ihm wird. Vielmehr erwägt er Alles sehr sorgfältig u. bringt seine Bedenken dann sehr klar und sachlich zum Ausdruck. Werden seine Be­ denken nicht bewilligt, dann nimmt er die Entscheidung hin u. fördert sie unentwegt im Sinne des Vorgesetzten. [ . . . ] Er ist in seiner Marine Car[r]iere sehr verwöhnt worden u. er hat unter den Chefs der Admira­ lität wohl nie einen Vorgesetzten gehabt, der ihm gewachsen war. [ . . . ] Seine Majestät werden der Tüchtigkeit von Tirpitz sehr viel Nachsicht entgegenbringen müssen, seinen Vorschlägen folgen, ihm freien Spiel­ raum lassen, soll ein Zusammenarbeiten ersprießlich sein.>> Trotz dieser Schwierigkeiten hielt der Marinekabinettschef Tirpitz für «den geeignet­ stell Mann, [ . . . ] um in dieser schwierigen Lage die Marine vorwärts zu bringen».78 Neben der Unterstützung Sendens ist bei der Ernennung von Tirpitz der Einfluß Prinz Heinrichs nicht zu unterschätzen, der den Admiral als seinen «Meister», sich selbst als dessen «Lehrling» und «treust und dankbarst ergebener Freund und Kamerad» bezeichnete. Sekundiert von seinem persönlichen Adjutanten Korvettenkapitän Georg Alexander Müller, der Sendens Nachfolger als Chef des Marinekabinetts werden sollte, setzte sich der Bruder des Kaisers seit r 896 entschieden nicht nur für Tirpitz, sondern auch für die von ihm geforderte Schaffung einer Schlachtflotte ein.79 Wie Tirpitz verurteilten Prinz Heinrich und Müller die Krüger-Depesche Wilhelms II. auf das schärfste und hielten die Rechtfertigungsversuche Sendens, demzufolge jeder gute Deutsche sich über das Telegramm freuen müsse, für «ziemlich thöricht». Sogar die Er­ wartung des Kaisers, die durch die Depesche erregte Stimmung in der Öffentlichkeit für eine Flottenvermehrung ausnutzen zu können, erach­ tete Heinrich als unbegründet, da «unser Mißerfolg [ . . . ] nicht genügend groß gewesen [sei], um dem großen Publikum zu beweisen, wie albern und unglaublich kurzsichtig es gewesen ist. Erwärmt sich überhaupt

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A bb. 5 1: Admiral Alfred von Tirpitz, Staatssekretär des Reichsmarineamtes I897-1 9 16.

Jemand für die Flottenfrage>>, schrieb der Prinz im Februar 1 896 an Tir­ pitz, «so spricht er von und sein Gewissen ist beruhigt! » Da­ bei liege es doch auf der Hand, «daß Kreuzer ohne einen starken Kern der heimischen Schlachtflotte ein Unsinn seien». Er, der Prinz, sprach die Hoffnung aus, daß Tirpitz endlich bald an HoBmanns Stelle käme und somit die «Kreuzergefahr» vermeiden könne. «Die Liebe des Mon­ archen für Seine Marine ist leider nicht immer zweckdienlich für die so­ lide Entwicklung derselben! » schrieb Wilhelms Bruder und fügte die Wahrnehmung hinzu: «An diesem Umstande sind aber auch Seeoffiziere Schuld.»80 Bereits im Dezember 1 89 5 hatte Senden Tirpitz während eines Ge­ sprächs in Kiel aufgefordert, für den Kaiser als Gegenstück zu einer Denkschrift, die das Oberkommando der Marine eingereicht hatte, seine Vorstellungen von der künftigen Entwicklung der Kriegsflotte auszuar­ beiten. Die Auffassungen von Tirpitz sind bekannt. Er war der Über­ zeugung, daß die deutsche Weltstellung nur durch eine große Schlacht­ flotte, nicht aber durch Kreuzer gesichert werden könnte, daß eine Schlachtflotte auch England gegenüber den Bündniswert des Reiches he­ ben würde, daß eine geschickte Propagandakampagne das gegenwärtig noch skeptische deutsche Volk für ein solches Flottenprogramm gewin-

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nen müsse und daß das Reichsmarineamt für dieses kühne und langfri­ stige Projekt - Tirpitz sprach zu dieser Zeit von zwölf Jahren - zur Zen­ tralbehörde für die Marine werden müsse. «Hätten wir eine absolute Monarchie, könnte der Kaiser nach freier Entschließung auf Grund der Vorschläge seiner Rathgeber bestimmen die Marine soll so u. so stark sein», argumentierte er im Februar 1 896 in einem Brief an Senden, so wäre die aktuelle Aufteilung der obersten Marinebehörden vielleicht noch sinnvoll. Tatsache sei aber, , und daher müßten sämtliche Seeinteressen in einer Behörde, dem Reichsmarineamt, konzentriert werden, das eine stärkere Position den übrigen Staatsbehörden, dem Bundesrat, dem Reichstag und überhaupt der Bevölkerung gegenüber gewinnen müsse.81 Dies sei um so erforderlicher, schrieb Tirpitz an seinen «Altmeister>> Ad­ miral von Stosch, denn: « Unserer Politik fehlt bis jetzt vollständig der Begriff der politischen Bedeutung der Seemacht. [ . . . ] Unsere Politik ver­ steht nicht, daß der Alliancewert Deutschlands selbst für europäische Staaten vielfach nicht in unserer Armee, sondern in der Flotte liegt. [ . . . ] Meiner Ansicht nach sinkt Deutschland im kommenden Jahrhundert schnell von seiner Großmachtstellung, wenn jetzt nicht energisch, ohne Zeitverlust und systematisch diese allgemeinen Seeinteressen vorwärts­ getrieben werden. Nicht zu geringem Grade auch deshalb, weil in der neuen großen nationalen Aufgabe und dem damit verbundenen Wirr­ schaftsgewinn ein starkes Palliativ gegen gebildete und ungebildete So­ zialdemokraten liegt.>>82 In seiner Denkschrift für den Kaiser brachte Tirpitz das entscheidende Argument, daß mit einer Flotte von siebzehn Schlachtschiffen selbst die größte europäische Seemacht - England - sich Deutschland gegenüber entgegenkommend zeigen würde, was mit Über­ seekreuzern niemals zu erreichen wäre. Ohne eine Schlachtflotte aber werde das deutsche Volk auf immer «dem Belieben der Angelsachsen ausgesetzt>> sein.83 Mit Recht hat Jonathan Steinberg schon 1965 darauf hingewiesen, was Volker Berghahn, Wilhelm Deist und Michael Epken­ hans dann einwandfrei belegt haben: «Dies war das Programm, das Tir­ pitz von diesem Tag an bis zum Kriegsausbruch 1 9 1 4 unablässig ver­ folgte.>> 84 Alfred Tirpitz war dem Kaiser kein Unbekannter. Wilhelm hatte ihn schon r 89 1 «für den künftigen Träger der Marine» erklärt.85 Wie schon die oben zitierten Bemerkungen des Prinzen Heinrich nahelegen, waren Wilhelm und Tirpitz aber durchaus nicht in allem einer Meinung. Der Kaiser wollte die Flotte an sich; lange Zeit hatte er, wie erwähnt, keine Stoßrichtung gegen England beabsichtigt. Tirpitz hingegen wollte seine Flotte gegen England bauen. Wilhelm wollte Panzerschiffe für die Hei­ matverteidigung, vor allem gegen den russisch-französischen Zweibund,

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und eine Kreuzerflotte für das weltweite Flaggezeigen und den Schutz der deutschen Interessen in Übersee, kurzum verschiedene Schiffstypen für verschiedene Aufgaben. Tirpitz dagegen lehnte die Kreuzerflotte ve­ hement ab. Diese schien ihm konzeptionell unbrauchbar, da sie immer vom Wohlwollen Englands abhängig wäre. In einem aber gingen beide, der Kaiser und der Admiral, konform: Deutschland brauche eine große Flotte, wolle es nicht in den kommenden Jahrzehnten als Großmacht abdanken. Tirpitz hatte keine andere Wahl, als mit dem Kaiser zusam­ menzuarbeiten, obwohl er aus seiner Geringschätzung für den Monar­ chen keinen Hehl machte. Und Wilhelm sah, nach seinen mehrfach fehl­ geschlagenen Anläufen, den leidenschaftlich von ihm gewünschten Flot­ tenbau in großem Stil in Gang zu bringen, I 896 keinen anderen Weg, als den ungeschickten und widerwilligen Hollmann abzulösen und die ener­ gischste Persönlichkeit der Marine mit dieser Aufgabe zu betrauen. Und das war, nach Aussage des Marinekabinetts und des eigenen Bruders, nun einmal mit weitem Abstand Tirpitz. Ende Januar I 896 arrangierte Senden eine Audienz für Tirpitz beim Kaiser, in deren Verlauf der Mon­ arch dem Admiral mitteilte, er werde in Bälde als Nachfolger Roll­ manns das Reichsmarineamt übernehmen können. Bei dieser Zusam­ menkunft präsentierte Tirpitz dem Kaiser recht selbstbewußt seine Pläne und Forderungen.86 Der Personalwechsel verzögerte sich aber noch, weil im März I 896 Marschall und Hollmann im Reichstag die Bewilligung von einigen we­ nigen Kreuzern durchsetzten und Hohenlohe aus parlamentarischen Gründen keinen Wechsel an der Spitze des Reichsmarineamtes wollte. Tirpitz sah dadurch den vom Kaiser bereits im Prinzip gebilligten Schlachtflottenplan gefährdet und schrieb am 20. März I 896 entmutigt an Senden: «Ungünstiger konnte sich unsere Vertretung im Reichstag u. die ganze Lage kaum gestalten. Der Staatssekretär d[es] A[uswärtigen] A[mtes] vertritt die Marinevorlage, bläst eine Kreuzerfanfare u. schießt mit Kanonen auf Spatzen. Was für Pulver soll denn später bei wirklich ernstlichen Forderungen noch Eindruck machen. Der Staatssekretär des R.M.A. schlägt sich an die Brust u. sagt solange ich hier stehe wird kein uferloser Plan eingebracht, d. h. also keine Panzerschiffe. Im April kommt dann der böse Onkel. Der Reichstag erkennt die Lage und gräbt [ . . . ] am besten künftigen Forderungen den Boden ab, indem sie [sie] diesmal die Paar Schiffe bewilligen. [ . . . ] Nach Leuten die die Reichstags­ verhältnisse kennen sind auf Jahre hinaus Panzerschiffsbewilligungen durch diese Art des Vorgehens fast unmöglich gemacht. [ . . . ] Das ist die Situation u. Sie werden ja am besten wissen ob es nicht am besten ist den jetzigen Staatssekretär noch einige Jahre im Amt zu lassen. Das Schlimmste ist, daß die ganze Nation vergiftet ist mit dem falschen Kreuzerrummel.» Und er fragte, offenbar irritiert, ob denn «die Ent­ scheidung Sr. Majest. in dem früher beabsichtigten Sinne dennoch fal-

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len» werdeY Der Kaiser ließ Tirpitz dennoch Hoffnung vermitteln. Von Bord der Hohenzollern aus wurde dem Admiral am 3 1 . März durch Senden mitgeteilt: «Seine Majestät theilen Ihre in dem Briefe vom 20/3 ausgesprochene Anschauung, daß ein neuer Staatssekretär, bei der ge­ genwärtigen Situation im Parlament Mißtrauen erregen würde. [ . . . ] Seine Majestät nehmen daher von einem Wechsel zunächst Abstand, las­ sen Ihnen aber ausdrücklich aussprechen, daß das was hinausgeschoben nicht aufgehoben sei und daß Seine Majestät es Sich angelegen sein las­ sen würde, in dem Sinne zu wirken, den Sie einerseits in Ihrem Bericht vom 3/r 96, andererseits in der Besprechung Ende Januar bekundet ha­ ben.>>88 Als der Kaiser am 29. April von seiner Mittelmeerreise nach Ber­ lin zurückkehrte, reiste Tirpitz gerade nach China ab, um das ostasiati­ sche Kreuzergeschwader zu übernehmen. Ob Tirpitz zu diesem Zeitpunkt wirklich glaubte, er werde mit seinen Plänen doch noch zum Zuge kommen, ist zweifelhaft. Seine Ernennung und sein großer Schlachtflottenbauplan waren aber in der Tat, wie der Kaiser gesagt hatte, nur aufgeschoben, zumal die Marineoffiziere und die kaiserliche Umgebung, vor allem Senden, unaufhörlich weiteragitier­ ten. Holstein schrieb, daß Wilhelm II. «von Senden und Kons[orten]» in der Meinung bestärkt werde, «daß nur die Schlappheit, Bösartigkeit oder Interesselosigkeit seiner Regierung daran schuld ist, wenn die Riesen­ flotte nicht schon bewilligt oder wenigstens die eingeleiteten Schritte der Bewilligung - als da ist Reichsstreich, Verfassungsänderung pp. - nicht schon in die Wege geleitet wurden. Daher Allerh[öchste] schlechte Laune gegen die Regierung, die sich in bissigen Randbemerkungen Luft macht.>>89 Nach einer Zusammenkunft mit dem Kaiser in Kiel und Tra­ vemünde konnte Waldersee Ende Juni r 896 notieren, Wilhelm sei «auf der See u. zwischen Marine Leuten doch augenscheinlich in der ihm an­ genehmsten Luft. [ . . . ] Daß der Kaiser an seinen großen Marine Plänen, die er im Januar schon angedeutet, festhält u. zum Herbst mit sehr gro­ ßen Forderungen kommen wird, darüber habe ich nun keine Zweifel mehr. Er wird natürlich von den Marine Officieren die ihm entsetzlich schmeicheln u. für die er fortdauernd die größten Freundlichkeiten hat, beharrlich angefeuert. Bedenklich ist mir bei der ganzen Sache, daß der Chef des Marine Kabinets Senden ein ungewöhnlich unbedeutender Mann ist.>>90 Zutiefst erschrocken war die Mutter des Kaisers, die im Oktober r 896 nach einem Besuch Wilhelms der Queen Victoria die alar­ mierende Nachricht übermittelte, dieser habe die Absicht, durch den Bau einer «Kriegsflotte, welche die Engländer besiegen wird>>, die bishe­ rige Hegemonialstellung des Inselreiches an sich zu reißen. «William be­ wundert England sehr und mag Dich sehr gern>>, schrieb sie, «aber er ist nicht beständig & besonnen und weitsichtig genug zu sehen, daß es ein­ fach unsinnig ist, jeden Nerv Deutschlands anzuspannen, um England zu übertreffen - & ihm seine Vorherrschaft in der Welt zu entringen! >>91

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In der kaiserlichen Umgebung wurde aber nicht nur über die Ablö­ sung Hallmanns nachgedacht, sondern auch die Stellung des Reichs­ kanzlers untergraben; und auch hier erwies sich der Chef des Marineka­ binetts als Vordenker. Im Sommer I 896 verkündete Senden bei einem Besuch in England, «der große Flottenplan müsse durchgeführt werden, und der Kaiser werde ihn durchführen. Hohenlohe sei aber für derglei­ chen zu alt, und der Kaiser spräche deshalb öfter davon, daß frisches Blut heran müsse>>. Seine Zuhörer vermuteten, daß er damit Bernhard von Bülow meinte.92 Ähnlich drückte sich der Kaiser Ende Januar I 897 in Kiel in einem längeren Gespräch unter vier Augen gegenüber Walder­ see aus. Nach den oben bereits geschilderten Ausführungen über die eventuelle Erforderlichkeit eines gewaltsamen Staatsstreichs malte Wil­ helm mit Buntstiften «eine graphische Darstellung des Anwachsens der französischen u. deutschen Marine, u. kam auch auf die Nothwendigkeit der Flotten Vermehrung bei uns. Schließlich gab er mir die Zeichnung u. empfahl mir das Studium>>, vermerkte Waldersee.93 Der General ahnte, daß der Monarch sowohl für die Gewaltpolitik im lnnern als auch für die expansive Flottenpolitik einen neuen Kanzler würde ernennen müs­ sen, und schrieb: «Daß der Kaiser mir die Zeichnung übergab u. stark betonte, daß für die Flotte bald Großes geschehen müsse, im Verein da­ mit, daß Hohenlohe den Marine Plänen Widerstand leistet, deutet mir darauf hin, daß an dieser Frage ein Kanzlerwechsel herbeigeführt wer­ den kann.>> Wenn man auch «bei diesem so lebendigen Herrn>> nie wis­ sen könne, was werde, so dürfe man ande­ rerseits auch «nicht außer Acht lassen, daß beim Kaiser die Entwicklun­ gen manchmal sehr schnell kommen u. weiß ich auch, daß er mehrfach in den letzten Wochen von der Absicht gesprochen hat, zum Frühjahr einen großen Wechsel vorzunehmen».94 Diese Quellen bezeugen ein­ drücklich, wie fest der Kaiser bereits vor der Ernennung von Tirpitz, die allgemein für den Herbst erwartet wurde,95 entschlossen war, einen «Riesenflottenplan>> um jeden Preis durchzuführen. Inzwischen zeichnete sich immer deutlicher ab, daß der Reichstag nicht zuletzt aus Opposition gegen Wilhelm II. die vergleichsweise moderate Flottenvermehrung, die die Regierung verlangte, ablehnte.96 HoBmann hatte im März I 897 seine letzte Chance und trat mit einem neuen Plan vor den Reichstag: Er forderte 40 Millionen Mark für Kreuzer, Torpedoboote und ein Panzerschiff. Die politische Stimmung war schlecht und die Hoff­ nung, daß der Staatssekretär seinen Etat bewilligt bekäme, gering. Hohen­ lohe schrieb bereits am 4· Februar an Eulenburg: «Der Kaiser trägt sich mit der Absicht, Ende des Jahres Rollmann gehen zu lassen, weil dieser für die Durchführung des Riesenflottenplans nicht geeignet sei. Ich kann Ihnen schon heute vorhersagen, daß jener Riesenflottenplan eine prakti­ sche Unmöglichkeit ist. Der heutige Reichstag wird sich nicht darauf ein­ lassen, am wenigsten so kurz vor den Wahlen; und wenn der Wähler auch

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nur ahnt, daß es sich um etwas derartiges handelt, wird der nächste Reichs­ tag noch schlechter werden als der j etzige.»97 Auch Holstein sorgte sich erneut, daß der Kaiser auf den «Reichsstreich>> zugehe, den die Bundesfür­ sten nicht mitmachen würden. Er hielt die «Riesenflotte>> für das «wirk­ liche Endziel [ . . . ], für dessen Erreichung der Kaiser die Ruhe, man könnte fast sagen den Bestand des Reiches aufs Spiel setzt>>.98 Diese Ansichten wa­ ren nicht aus der Luft gegriffen: Wilhelm ließ es an Drohungen und Ein­ schüchterungsversuchen nicht fehlen. Er stieß mit dem Reichskanzler und mit Hollmann zusammen, weil er ohne deren Einwilligung Immediatkom­ missionen in der Marinefrage berief.99 Er drohte mit militärischer Gewalt, sollten die Süddeutschen sich seinen Plänen widersetzen.100 Und am 5 . März meinte er zu Hohenlohe, er habe, wie seinerzeit sein Großvater im Zusammenhang mit der Armee, die Pflicht, dafür zu sorgen, daß die Marine stark genug sei, um ihre Aufgabe zu erfüllen.101 Sollten die Abge­ ordneten ihm die dafür benötigten Mittel verweigern, «so werde er doch fortbauen und dem Reichstag später die Rechnung vorlegen>>.102 Wie wir oben dargelegt haben, hat Wilhelm auch versucht, die Abge­ ordneten und vor allem das Zentrum, das für die parlamentarische Durchsetzung der Flottenpläne entscheidend war, durch Auflösungs­ und Staatsstreichdrohungen einzuschüchtern.103 Doch diese Aktion war kontraproduktiv und blieb ergebnislos. Hollmann gelang es nicht, vor dem Reichstag seine Forderungen durchzusetzen. Die ohnehin schon schlechte Stimmung hatte er dadurch weiter verstärkt, daß er einen Ver­ gleich der bestehenden Flotte mit den Plänen Stoschs von r 8 73 hatte verteilen lassen - sofort machte das Wort von der «uferlosen Flotte>> wieder die Runde.104 Aufgrund der vom Reichstag vorgenommenen dra­ stischen Kürzungen des Marineetats um 1 2 Millionen Mark verlangte Wilhelm von seinem glücklosen Staatssekretär, er solle die Kabinetts­ frage stellen - was, wie Hohenlohe dem Monarchen beschied, unstatt­ haft sei, denn nach der Reichsverfassung sei der Staatssekretär des Reichsmarineamtes Untergebener des Reichskanzlers, folglich müsse nicht Hollmann, sondern er, der Kanzler, die Kabinettsfrage stellen.105 Wilhelm II. raste. Als Waldersee Mitte März r 897 zur Einsegnung des jüngsten Sohnes des Prinzregenten von Braunschweig nach Berlin kam, fand er dort einen Zustand der «steigenden Verwirrung» vor. Der Kaiser kam sofort auf ihn zu und führte mit ihm ein lebhaftes Gespräch über die soeben abgelehnten Marineforderungen sowie über die Außenpolitik insgesamt. «Was sagen Sie zur Ablehnung der Schiffe in der Reichstags Kommission ?>> fragte ihn Wilhelm erregt. Waldersee schildert in seinem Tagebuch den Gang der Unterhaltung wie folgt: «Es entspann sich nun ein Gespräch, aus dem hervorging, daß der Kaiser außerordentlich ver­ bittert ist. Er erzählte mir, daß sowohl Hollmann als der Kanzler den Abschied eingereicht hätten, den von Hollmann würde er bewilligen, mit Hohenlohe wolle er es sich noch überlegen; er werde den Reichstag

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schließen, sobald der Etat berathen sei. Besonders scharf sprach er sich über das Centrum aus u. sagte: Leider kommt diese Erkenntniß ihm etwas spät. Ich fragte nun, wie er mit den Deutschen Fürsten stände, falls das Verhältniß zum Reichstag noch schlechter wer­ den sollte, u. erwiderte er mir, daß dem Prinz Regenten von Bayern gar nicht zu trauen sei. Ich sagte ihm, daß fraglos das Centrum vom bösen Geiste beseelt sei, es habe ihm mancherlei übel genommen u. hat nun diese Gelegenheit vom Zaune gebrochen, ihm seine Macht zu zeigen, und wüßte auch außerdem ganz genau, daß die Ablehnung von 2 Kreu­ zern u. einigen Torpedobooten nicht bedeutend genug sei, daß Er daraus eine Auflösung motivieren könne. [ . . . ] Aus der Unterhaltung u. aus dem, was ich sonst noch hören konnte, ging mir mit Sicherheit hervor, daß der Kaiser rathlos ist; er ist tief verletzt u. auch sehr unzufrieden sowohl mit Hohenlohe als mit Marschall, weiß aber noch nicht, wie er weiter operieren soll. Zu einem großen Schritt ist er augenscheinlich noch nicht entschlossen, rechnet aber doch damit, nach dem Reichstags­ schluß vielleicht einen Kanzlerwechsel eintreten zu lassen.>>106 Niemand bezweifelte, daß der Kaiser allein die treibende Kraft hinter der Flottenvermehrung war. Waldersee wußte am 19. März 1 897 zu be­ richten, Wilhelm habe sich die Ablehnung der beiden Kreuzer durch die Reichstagskommission «nicht gefallen lassen>> und habe Hohenlohe, Marschall und Hallmann «ins Gefecht geschickt>>, doch auch diesmal ohne Erfolg. «Was wird der Kaiser thun?>> fragte sich der General, als die Mehrforderungen für die Marine zum dritten Mal in der Kommis­ sion abgelehnt wurden. «Nach Allem, was vorhergegangen, müßte er et­ was energisches thun u. könnte Hohenlohe eigentlich nicht bleiben. Ich glaube aber, es wird nichts geschehen, u. Hohenlohe auch nicht fortge­ hen u. der bedenkliche Zustand noch weiter dauern. Sehr traurig ist es, wie unbefangen der Kaiser in die Reichstags Debatten gezogen wird; man sagt ganz ruhig, daß er allein die Marine Vermehrung betreibt, u. hat ja leider darin auch Recht.>>107 Die trotzige Ablehnung des Kaisers gegenüber dem Reichstag zeige sich auch in dem «wunderlichen>> Vor­ schlag, der «ganz ernsthaft besprochen>> worden sei, die Marineforde­ rungen vor den Preußischen Landtag zu bringen. «Ich habe mich daran gewöhnt, Alles für möglich zu halten», stieß Waldersee aus, «warum sollte also nicht solche Idee auch Vertreter finden?>>108 4· Das erste Flottengesetz

Wilhelm erwog nun in der Tat die haarsträubendsten Pläne, um mit sei­ nem Flottenplan aus der Sackgasse herauszukommen. Er wollte Hohen­ lohe entlassen, erinnerte an seinen Großvater und die Situation von

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1 8 6 1 , war andererseits auch des Feilschens mit dem Reichstag «um jeden Kahn und jeden Kessel>> leid.109 Den einzigen Ausweg eröffnete die Aus­ arbeitung eines neuen Plans, der eine fixe Präsenzstärke der Flotte vor­ sah, und diesen beschritt er jetzt, noch bevor Tirpitz das Reichsmarine­ amt übernahm.110 Er ließ einen Entwurf für ein «Marine-Präsenz-Ge­ setz» ausarbeiten mit der Vorgabe, die deutsche Flotte müsse halb so stark wie die vereinigte russisch-französische sein.111 Am 7· April r 897 fragte er beim Oberkommando der Marine, Admiral Eduard von Knorr, sowie bei dem interimsweisen Leiter des Reichsmarineamtes, Admiral Büchsel, nach, wie stark eine solche Flotte zu sein habe. Knorr, der auf entsprechende Ausarbeitungen seines ehemaligen Stabschefs Tirpitz zu­ rückgreifen konnte, legte einen Plan vor, der zwei Geschwader an Linienschiffen sowie 1 2 weitere Schiffe, also insgesamt 28 Linienschiffe, 7 große und 2 r kleine Kreuzer für nötig hielt. Hinzuzurechnen seien dann noch die vorhandenen 1 2 Küstenpanzerschiffe.112 Das Reichsmari­ neamt berechnete die dabei entstehenden, beträchtlichen Kosten dieses Bauvorhabens.113 In einer Konferenz am 1 9 . Mai 1 897 ließ Wilhelm die­ sen Plan erheblich modifizieren und vor allem die Kreuzerkomponente beträchtlich erhöhen. Ihm zufolge sollte der Bestand der Flotte gesetz­ mäßig festgelegt werden auf 25 Linienschiffe, 8 Kreuzer r . Klasse, 3 0 Kreuzer 2. Klasse, r 6 Kreuzer 4· Klasse, 5 Kanonenboote, 1 4 Torpedo­ Divisionsboote und 96 Torpedoboote. Das Ganze sollte bis zum r . April 1 9 1 0 fertiggestellt werden. Gleichzeitig war ein Ersatzprogramm für au­ ßer Dienst zu stellende Schiffe vorzusehen. Die Kosten sollten jährlich 54 Millionen Mark betragen, 8 3 3 Millionen Mark insgesamt bis 1 9 1 0. Freilich, es stellte sich erneut die alles entscheidende Frage, wie der Reichstag dazu gebracht werden könnte, dieses Gesetz zu akzeptieren.114 Auch jetzt noch bildete Kaiser Wilhelm II. selber das größte Hinder­ nis zur Bewilligung seiner als uferlos empfundenen Flottenforderungen. Noch im August 1 897 mußte Eulenburg seinem heißgeliebten kaiser­ lichen Freund mitteilen, daß die Stimmung in ganz Deutschland schlecht sei und daß der Reichstag sich gegen seine Marinepläne wappne. lassen wie Hollmann.116 Der so Gelobte war von sei­ nem Allerhöchsten Herrn weniger begeistert. Nach dem entscheidenden ersten Treffen in Wilhelmshöhe am I 8 ./19. August 1 897 notierte sich Tir­ pitz, der Kaiser Auf die Bitte des neuen Staatssekretärs, er möge den Widerstand gegen die neue Militärstrafprozeßordnung aufgeben, um den Reichstag in der Flotten­ frage willfähriger zu stimmen, ging der Monarch nicht ein, er genehmigte jedoch sämtliche Vorschläge des Admirals, die sich auf das Flottengesetz selbst bezogen.117 Demnach sollte die deutsche Flotte vorerst aus 2 1 Li­ nienschiffen, 8 (bereits vorhandenen) Küstenpanzern, 1 6 großen und 3 0 kleinen Kreuzern bestehen, also wesentlich kleiner sein, als der Kaiser nur wenige Wochen zuvor vorgesehen hatte.118 Auch Prinz Heinrich war von der Bescheidenheit der Flottenforderungen überrascht. Sie seien kön­ nen. «Er dachte an das politische England von I 869 u. versteht die ge­ waltige Position desselben I 897 nicht.>>122 Der Diplomat und Konter­ admiral Karl von Eisendecher stellte ebenfalls fest: «Wie ich den Fürsten [Bismarck] kenne, wundert seine etwas kühle u. in Roon'schen Ideen befangene Auffassung unserer Marine Bestrebungen mich nicht, er behandelte die Flotte von jeher etwas nebenbei u. vor Allem ohne Sach­ kennrniß, erwärmt hat er sich für die Entwicklung der Flotte nie.>>123 Allein der Großherzog von Baden, den Tirpitz bei der Kur in Bad Ems antraf, erklärte sich bereit, «lebhaft» für die Marinevorlage zu arbeiten.124 Bald erwies sich, daß Wilhelm II. mit seiner Ansicht, Tirpitz werde ganz anders mit den politischen Instanzen umgehen als Hollmann, recht behalten sollte. Zunächst gelang es ihm, systematisch Flottenbegeiste­ rung zu schüren und damit den Reichstag, gewissermaßen «von unten», unter Druck zu setzen. Im Juni I 897 entfesselte er eine Propagandakam­ pagne, für die es zwar Vorüberlegungen gegeben hatte, die aber doch ge­ nuin seine Leistung waren.125 Der Kaiser berichtete Eulenburg begeistert: «Tirpitz hat zunächst ein großes Bureau konstruiert, was [ . . . ] gegen I ooo-r 5 00 Zeitungen und Blätter mit Maritima versorgt. In den großen Universitätsstädten ist überall das sehr bereitwillig entgegenkommende Professorenelement gewonnen für Mitwirkung, durch Wort, Schrift und Lehre, das Verständnis für die Daseinsberechtigung einer Flotte zu stär­ ken.>>126 Dann überraschte der Staatssekretär die Mitglieder des Reichs­ tags durch seine klare Sprache und die Einsichtigkeit seiner Forderungen nach zwei Schlachtgeschwadern. Die Abgeordneten äußerten sich wohl­ wollend über den neuen Stil, mit dem sie behandelt würden. Tirpitz ge­ lang es, wie Volker Berghahn schreibt, die Parlamentarier mit einer Mischung aus Verschleierung seiner wahren Pläne, Druck, Überraschung mit Vernünftigkeit und Systematik, Klarheit in der Darlegung und zu­ nächst maßvollen Forderungen für sich einzunehmen. Da wurde nicht mehr, wie in der Ära Hollmann, ein Sammelsurium verschiedenartiger Schiffstypen verlangt, nach deren Zweck man vergeblich fragte, da wurde

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eine klare Konzeption vorgelegt, die auf die Heimatverteidigung mit Schlachtgeschwadern moderater Größe abzielte, und diesem Plan «aus einem Guß» wollten die Abgeordneten ihre Zustimmung nicht verwei­ gern.127 Wilhelm tat, was er konnte, um Tirpitz den Weg zu ebnen. Er half ihm gegen die marineinterne Opposition genauso wie gegen Mi­ quel.128 Das Flottengesetz, in dem erstmals der Präsenzbestand der deut­ schen Flotte festgelegt wurde, passierte Anfang 1 898 ohne größere Schwierigkeiten den Reichstag. Bülow erklärt diesen Erfolg nach so vie­ len Fehlschlägen wie folgt: «Die Vorlage schob die Flottenpolitik auf ein vollkommen neues Gleis. Bisher waren von Zeit zu Zeit einzelne Neu­ bauten gefordert und zum Teil bewilligt worden, aber das feste Funda­ ment, das die Armee im Sollbestand ihrer Formationen besaß, hatte der Kriegsmarine gefehlt. Erst durch die Festsetzung der Lebensdauer der Schiffe einerseits, des Bestandes an dienstfähigen Schiffen andererseits, wurde die Flotte ein fester Bestandteil unserer nationalen Wehr­ macht.>>129 Und Max Weber, 1 898 nach seiner Ansicht zum Flottengesetz gefragt, antwortete: «Für eine Vorlage, welche durch die unerwartete Geringfügigkeit ihrer Forderungen fast ebensosehr wie durch die kluge Sachlichkeit ihrer Vertretung die Gegner in offenbare Verlegenheit ver­ setzt hat, noch besonders einzutreten, scheint mir unnötig.»130 Nachdem am 2 8 . März 1 898 das Marinepräsenzgesetz mit 272: 1 39 Stimmen im Reichstag angenommen worden war und damit 408 Millio­ nen Mark für die Flotte zur Verfügung standen, feierte Wilhelm II. den Admiral, lud ihn zum Abendessen ein und ernannte ihn, wie wir gese­ hen haben, trotz erheblicher Widerstände seitens der übrigen Minister, zum preußischen Staatsminister mit Sitz und Stimme im Staatsministe­ rium - ein Amt, das ihm helfen sollte, seine Machtstellung auf Kosten der zivilen Reichsleitung zu stärken.131 Die staatsrechtlichen Bedenken gegen diese Ehrung wischte der Kaiser in einem Brief an Hohenlohe mit der Erklärung vom Tisch: «Gewiß steht die Marine nicht unter den preußischen Behörden wohl aber unter dem Könige von Preußen, der deutscher Kaiser ist. Auch ist sie wie die Armee ein vollauf gleichbe­ rechtigter, gleichwertiger Bestandteil unserer Landesvertheidigung, wes­ halb sie auch um Gehör in der illustren Versammlung des Staatsministe­ riums zu bitten sich erkühnen darf. Die großartige Entwicklung unseres Handels, dessen Rückwirkung auf unsere preußischen Verhältnisse, die Erschließung von großen Gebieten im Verkehr, Nationalökonomie usw. werden immer mehr auf Preußen als Vormacht wirken. Zudem hat der Admiral, kaum aus China heimgekehrt, trotz angegriffener Gesundheit, die ungeheure Aufgabe frischen Muts allein aufgenommen, ein ganzes Volk von 50 Millionen widerhariger, nicht informirter, übelgelaunter Deutscher zu orientiren und zu einer ganz gegenteiligen Ansicht zu be­ kehren und hat das allen unglaublich Dünkende in acht Monaten zu Wege gebracht. Warlieh ein gewaltiger Mann! Wer ein solches Riesen-

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werk gegen die Meinung auch der meisten Minister so herrlich durchge­ führt, der muß vollberechtigt in meinem Ministerium sein! Und es kann dieser hochgelehrten Körperschaft nur zur Ehre gereichen, einen sol­ chen Mann zu den Ihren zählen zu dürfen und durch ihn hoffentlich frischen Impuls und weite Gesichtspuncte zu energischer Arbeit zu er­ halten. [ . . . ] Dein treuer Neffe W.»132 Kaiser Wilhelm kam Tirpitz in der Zukunft noch mehrfach entgegen, so zum Beispiel bei der Ausschaltung des anderen Entscheidungszen­ trums der Marine. I 899 zerlegte er, wie wir oben gesehen haben, das Oberkommando der Marine in mehrere Immediatstellen mit der Be­ gründung, dies erleichtere ihm den direkten Zugriff in die Geschäfte. Dem Prinzen Heinrich gegenüber erklärte Wilhelm als «Hauptbeweg­ grund» der Reform, «daß die Marine empfinden solle, daß der Monarch thatsächlich, wie bei der Armee der Chef sei». Fassungslos setzte der Prinz seinem Bruder in einem Brief aus Shanghai auseinander, «daß ich bisher noch Keinen gesehen hätte, der an dem direkten Verhältniß des Monarchen zur Marine gezweifelt hätte, man Ihn jetzt aber leicht für Vieles verantwortlich machen würde wofür er keine Schuld trägt! Einer muß dem Kaiser reinen Wein einschänken! >> Sogar Tirpitz und Senden gegenüber hielt Prinz Heinrich mit seiner Meinung nicht zurück. Die neue Organisation sei ihm «unfaßlich»; er und seine Offiziere seien bei dem Empfang der Nachricht «sprachlos>> gewesen, zumal er sich vor sei­ ner Abreise aus Deutschland schriftlich für die Beibehaltung des Ober­ kommandos eingesetzt hatte. Er begreife nicht, schrieb er, wie ein Mensch die Verantwortung übernehmen könne, dem Kaiser gegenüber eine derartige Neuorganisation zu vertreten.133 5 . Der «Riesenflottenplan>> Zu den Zielen des Schlachtflottenbaus unter Wilhelm II.

Das von vielen als erstaunlich moderat empfundene Flottengesetz von I 898 scheint Tirpitz von Anfang an nur für die erste Stufe in einem groß­ angelegten Plan gehalten zu haben, der Deutschlands Weltmachtstellung neben England, Amerika und Rußland erringen und sicherstellen sollte.134 Noch vor seinem Treffen mit Wilhelm II. in Wilhelmshöhe im August I 897 hatte er dem Chef des Marinekabinetts gegenüber seine an­ fängliche Zurückhaltung mit dem Argument begründet, man brauche «jetzt nicht für Summen einzutreten, die erst in der Zukunft gefordert werden sollen>>.135 Bald nach der Annahme des Flottengesetzes sann er also über die nächste Etappe nach. Bereits im April I 898, als er die Zer­ schlagung des Oberkommandos der Marine und die Verlegung der ge­ samten Marineleitung in seine eigene Hand verlangte, argumentierte er, daß es «in dem wirtschaftlichen Kampf, den die Völker im nächsten Jahr-



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hundert führen müssen, [ . . . ] immer notwendiger werden [würde], die Seeinteressen Deutschlands mit militärischer Macht zu vertreten»; in die­ ser Lage bilde das Flottengesetz zwar eine «sichere Grundlage für die See­ macht des Reiches», die aber noch «auf die erforderliche Stärke» gebracht werden müsse.136 Mehr noch als in dem scheinbar bescheidenen Flotten­ gesetz von 1 898 wird in diesen zukunftsgerichteten Überlegungen die ver­ hängnisvolle Brisanz des «Tirpitz-Planes>> sichtbar. Es dauerte auch nicht lange, bis die Engländer aufgrund der von Tirpitz gebauten Schiffstypen die direkte Bedrohung ihrer ozeanischen Weltstellung an der empfindlich­ sten Stelle, nämlich in der Nordsee, erkannten und weitreichende strate­ gische und diplomatische Gegenmaßnahmen ergriffen. Der schreckliche «Weg in den Abgrund» (Lichnowsky) war vorgezeichnet. Wie Senden den Kaiser gewarnt hatte, erwies sich der neue Staatssekre­ tär des Reichsmarineamtes als eine äußerst schwierige Persönlichkeit. Charakterlich gewissermaßen das Gegenteil vom gleichzeitig mit ihm ernannten «aalglatten>> Bernhard von Bülow war Tirpitz entschlossen, seinen Willen durchzusetzen oder aber seinen Hut zu nehmen. Wieder­ holt setzte er schon in diesen frühen Jahren mit Rücktrittsgesuchen und -drohungen dem Kaiser die Pistole auf die Brust, um den Monarchen zum Nachgeben zu zwingen. Als der Reichskanzler im Oktober r 898 dem Kaiser mitteilte, daß Tirpitz sich mit Abgangsgedanken trage, meinte Wil­ helm, der Admiral sei ein «Neurastheniker>>, der nicht «gehorchen» könne.137 Wiederholt zwang der Staatssekretär durch solche Bismarck­ schen Methoden auch seine Anhänger, ihn händeringend um Ausharren zu bitten. «Sie sind uns unentbehrlich und unersetzlich ! >> beteuerte ihm Prinz Heinrich nach einer derartigen Rücktrittsdrohung. 138 Andererseits ist nicht zu verkennen, daß Tirpitz trotz seiner Kratz­ bürstigkeit bemüht war, auf die narzißtische Eitelkeit des Kaisers Rück­ sicht zu nehmen, um seine Ziele besser durchsetzen zu können. Vor j e­ dem Immediatvortrag machte er sich ausführliche Notizen nicht allein über den zu besprechenden Sachverhalt, sondern auch darüber, in welcher Form seine Wünsche am wirkungsvollsten dem Monarchen bei­ zubringen seien. Gern verwendete er dabei die Höflingsformel, die dem Kaiser das Gefühl suggerierte, er selber sei der Initiator der vorgeschla­ genen Maßnahme. , heißt eine typische Notiz, in diesem Fall für den Im-

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mediatvortrag am 2 8 . November 1 89 8 .139 In dieser Audienz überredete Tirpitz den Monarchen, die Entscheidungen, die er aufgrund ihrer gemeinsamen Erörterungen traf, als Allerhöchste Kabinettsordres fest­ zulegen, «damit davon nicht abgegangen werden kann, ohne sorgsames Durcharbeiten und eine neue Entscheidung Ew. Majestät».140 In einem Wort: Mit einem System kaiserlicher Befehle institutionalisierte Tirpitz die Persönliche Monarchie für seine Belange. Zur Begründung machte der Staatssekretär geltend, daß die künftige Flottenvermehrung durch «Planmäßigkeit» gesichert werden müsse. Die vergangenen Jahre hätten erwiesen, «wie sehr das Vorwärtskommen unserer Flotte darunter gelit­ ten hat, daß kein bestimmtes Ziel für einzelne Etappen u. demgemäßes systematisches Vorgehen» vorhanden gewesen sei.141 Die häufigen Immediatvorträge und Denkschriften, in denen Tirpitz dem Kaiser seine weitreichenden Ideen darlegte, lassen keinen Raum für Zweifel, daß Wilhelm II. mit den gegen England gerichteten Absichten des «Tirpitz-Plans>> vertraut war und diese auch vollauf teilte. Bereits in dem Berliner Immediatvortrag vom 2 8 . November 1 898 genehmigte der Kaiser den Vorschlag des Admirals, als nächste Etappe ein drittes Ge­ schwader «komplett mit Kreuzergruppen u. Torpedobootsdivisionen als Dispositionsgeschwader Ew. Majestät für ausländische Verwendung» zu fordern. Um den Flottenausbau möglichst rasch voranzutreiben, willigte der Kaiser in die Zurückstellung der Küstenbefestigungen ein, da Tirpitz ihm klargemacht hatte, daß man derartige Arbeiten nicht gleichzeitig mit der «schnellen Schaffung einer Flotte>> betreiben könne. «Für die politische Machtstellung Deutschlands, die leichtere Möglichkeit den Frieden zu erhalten u. die Abwendung der Gefahr schwerer politischer Demüthigung>> sowie «auch für die Kriegssituation>> sei es «ganz unver­ gleichlich wichtiger schnell eine Flotte zu beschaffen, als die Küstenbe­ festigung in die Höhe zu bringen», urgierte er.142 In einem weiteren Vor­ trag legte Tirpitz dem Kaiser dar, wie sehr seit 1 870 die Bedeutung der Marine für die Kriegführung verkannt worden sei. Keiner habe verstan­ den, daß das «erste Ziel [die] Seeherrschaft>> sein müsse, keiner habe die Konsequenz hieraus für Schiffstypen und Gliederung gezogen, «keiner hat begriffen, daß Küste, Kolonien, Handelsinteressen nur zu schützen sind durch [eine] einheitlich geführte u. gegliederte Schlachtflotte>>, kei­ ner habe gesehen, was das Geschichtsstudium beweise, nämlich «daß (Massirung) Schlacht alles entscheidet>>. Solange derartige alte Ideen fortbestünden, würde Britannien die Seeherrschaft genießen, argumen­ tierte er mit Hinweis auf Mahan. Also müsse Deutschland sich ganz auf die schnelle Schaffung einer Schlachtflotte konzentrieren. Der Kreuzer­ krieg, mit dem man bisher gerechnet habe, würde 143



A bb.

p:

Der «Riesenflottenplan>>

Wilhelm II. als A dmiral of the Fleet, 1899 .

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Der Weg zum Schlachtflottenbau

In einem entscheidenden Immediatvortrag im ostpreußischen Jagd­ schlößchen Rominten am 2 8 . September I 899 legte Tirpitz dem Kaiser sodann nahe, die nächste Etappe seines Schlachtflottenbauplans vorzu­ ziehen. Er betonte, daß es seine Absicht sei, schon in dem nächsten Flot­ tengesetz möglichst «alle unbequemen Forderungen» zu machen und das «Ziel der Entwickelung gleich vornherein zu sagen». Für die heimi­ sche Flotte sah er dabei die gesetzliche Fundierung für 40 Linienschiffe, 8 große Kreuzer, 24 kleine Kreuzer, 96 große Torpedoboote vor. Für die Auslandsflotte waren 5 Linienschiffe, I großer Kreuzer, 3 kleine Kreu­ zer, 4-6 Kanonenboote und I Torpedobootsflotille für Asien sowie 2-3 große Kreuzer, 3 kleine Kreuzer und I -2 Kanonenboote für Amerika geplant. Dieses Ziel sollte in zwei Etappen erreicht werden. In der ersten Etappe würde man sich auf das 111. Geschwader, die Auslandsschiffe und die Modernisierung des alten Materials konzentrieren, in der zwei­ ten würde man die Schiffe der Siegfriedklasse durch Linienschiffe erset­ zen. Dem flottenbegeisterten und geltungssüchtigen Wilhelm II. gau­ kelte der Staatssekretär eine verlockende, glorreiche und völlig illusori­ sche Zukunft vor. «Sobald [das] Ziel erreicht ist>>, versprach er, «haben Euer Majestät eine effektive Macht von 45 Linienschiffen nebst comple­ tem Zubehör. So gewaltige Macht, dass nur noch England überlegen. Aber auch England gegenüber durch geographische Lage, Wehrsystem, Mobilmachung, Torpedoboote, taktische Ausbildung, planmässiger or­ ganisatorischer Aufbau, einheitliche Führung durch den Monarchen ha­ ben wir zweifellos gute Chance. Abgesehen von den für uns durchaus nicht aussichtslosen Kampfverhältnissen wird England aus allgemein po­ litischen Gründen und von rein nüchternem Standpunkt des Geschäfts­ mannes aus, jede Neigung uns anzugreifen, verloren haben und infolge­ dessen Euer Majestät ein solches Maass von Seegeltung zugestehen und Euer Majestät ermöglichen, eine grosse überseeische Politik zu führen.» Den eigenen Notizen zufolge fuhr Tirpitz fort: «Falls Euer Majestät zu­ stimmen und befehlen, dass ich diesem Ziele entsprechend vorgehe, so verspreche ich Euer Majestät meine ganze Person einzusetzen. Möglich­ keit des Erfolges [sei aber] nur vorhanden, wenn alle Massnahmen der Marine diesem grossen Ziele angepasst und untergeordnet werden. [ . . . ] Die Schaffung einer leistungsfähigen Flotte [sei] für Deutschland eine so unbedingte Nothwendigkeit, dass ohne diese Deutschland dem Ruin entgegengehen würde. 4 Weltmächte. Russland, England, Amerika und Deutschland. Weil 2 dieser Weltmächte nur über See erreichbar, so Staatsmacht zur See in den Vordergrund. Ausspruch Salisbury: Die grossen Staaten werden grösser u. stärker, die kleinen kleiner und schwä­ cher, auch meine Ansicht», gestand Tirpitz und führte aus: «Da Deutschland in Bezug auf Seemacht besonders zurückgeblieben, so Le­ bensfrage für Deutschland als Weltmacht und grosser Kulturstaat, das Versäumte nachzuholen. Sowohl um die Seemacht im engeren Sinne

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(Flotte) schaffen und erhalten zu können, als auch weil es Macht an sich bedeutet, muss Deutschland seine Bevölkerung deutsch erhalten und sich weiter zum Weltindustrie- und Handelsstaat ausbilden. [ . . . ] Bei einer derartigen Handels- und industriellen Entwickelung wachsen die Berührungs- und Konfliktspunkte mit anderen Nationen, darum Macht, Seemacht, unerlässlich, wenn Deutschland nicht rasch niedergehen will.» Der Kaiser, so notierte der Staatssekretär zufrieden, erklärte sich mit dem dargelegten Standpunkt einverstanden und ermächtige ihn, in die­ sem Sinne vorzugehen. Die Frage habe er bereits mit Senden bespro­ chen, der ebenfalls damit einverstanden gewesen sei, aber befürchtet habe, die parlamentarische Durchbringung des Planes würde sich als schwierig erweisen. «Seine Majestät meinten», notierte Tirpitz, .153 Der Reichskanzler konnte nun nicht umhin, selber an die Regierungen sämtlicher Bundesstaaten sowie an den Statthalter von Elsaß-Lothringen zu schreiben, um ihnen die Notwendigkeit der Flottenverstärkung zu begründen und mitzuteilen, daß die Novelle demnächst eingebracht werde.154 Anders als Hohenlohe und Tirpitz, die mit Vorsicht und großem Ent­ gegenkommen eine parlamentarische Mehrheit für die Novelle zustande bringen wollten, ging der Kaiser weiterhin auf Konfrontationskurs mit dem «irdenen Topf», dem Reichstag. Der Vorschlag des Admirals, dem Zentrum als «Kompensation>> die Aufhebung des Jesuitengesetzes anzu­ bieten, erfülle ihn mit «Bedenken>>, erklärte er.155 Zumindest verbal war er nach wie vor entschlossen, notfalls auch den Reichstag aufzulösen. Die vollständige Verweigerung Wilhelms, in Kategorien parlamentari­ scher Machbarkeit zu denken und auf die Wünsche der ausschlaggeben­ den Parteien einzugehen, brachte den alten Reichskanzler an den Rand der Verzweiflung. Am 6. November r 899 machte er sich für eine bevor­ stehende Audienz mit dem Monarchen Notizen, die das Dilemma der

6. Die Flottennovelle von 1900

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Regierung auf den Punkt brachten. 156 Selbst Eulenburg, Bülow und Lucanus klagten jetzt über den sehr großen 162 Die Vorlage wurde dann am 2 5. Januar r 900 fertiggestellt. Erneut drängte der Kaiser und sorgte dafür, daß das Gesetz «unter Übersprin­ gen des preußischen Staatsministeriums>> direkt in den Bundesrat ging.163 Auch in der Öffentlichkeit machte er fleißig weiter Stimmung für die Flotte und sagte beispielsweise am 1 3 . Februar 1 900 beim Empfang sei­ nes aus Ostasien heimgekehrten Bruders, die «freudige und begeisterte>> Begrüßung Prinz Heinrichs seitens «aller Schichten Meiner Residenz­ stadt Berlin>> sei ein «unzweideutiger Fingerzeig dafür, wie groß das Ver­ ständnis für die Stärkung unserer Seegeltung in der Bevölkerung gewor­ den>> sei. «Das deutsche Volk ist mit seinen Fürsten und seinem Kaiser darüber willenseinig, daß es in seiner mächtigen Entwicklung einen neuen Markstein setzen will in der Schaffung einer großen, den Bedürf­ nissen entsprechenden Flotte. Wie Kaiser Wilhelm der Große uns die Waffe schuf, mit deren Hilfe wir wieder [sie !] Schwarz-Weiß-Rot ge­ worden sind, so schickt das deutsche Volk sich an, die Wehr sich zu schmieden, durch die es, so Gott will, in alle Ewigkeit Schwarz-Weiß­ Rot bleiben kann, im In- und Auslande.>>164 Infolge der geschickten Tak­ tik von Tirpitz, dem es gelang, dem Reichstag die Mehrforderungen un­ ter Verweis auf unvorhersehbare Entwicklungen der Waffentechnik plausibel zu machen und vor allem das Zentrum zu gewinnen, gelang es, die Novelle durchzubekommen.165 Getragen von einer Welle antibriti­ scher Emotionen stimmte der Reichstag am 1 2. Juni 1 900 für die No­ velle.166 Der deutsch-britische Gegensatz, der sich ansatzweise in den letzten Jahren bereits mehrfach gezeigt hatte, wurde damit zu einem un­ erbittlichen, ja gnadenlosen Dauerkonflikt, der nicht auf hoher See, son­ dern letztendlich unter Millionenopfern in den zermürbenden Stellungs­ kämpfen des Ersten Weltkriegs ausgefochten werden sollte.

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Der Weg zum Schlachtflottenbau

Die ungleiche und unbequeme Partnerschaft zwischen Wilhelm II. und seinem Tirpitz, die 1 89 5 begann und erst 1 9 1 6 ein zorniges Ende finden sollte, erwies sich als katastrophal für Deutschland und die Welt.167 Der forcierte Schlachtflottenbau beraubte die deutsche Außenpolitik ihrer Bewegungsfreiheit. Wie in Ketten gelegt mußten schon wenige Jahre nach der Flottennovelle die Diplomaten der Wil­ helmstraße hilflos die des Deutschen Reiches durch Großbritannien, Frankreich und Rußland hinnehmen, doch der Schlachtflottenbau, unaufhörlich vorangetrieben durch Tirpitz mit der Unterstützung Wilhelms II., wurde fortgesetzt, und weder die im­ mer lauter werdenden Alarmrufe der deutschen Botschafter in London, noch die Bemühungen um Ausgleich der Reichskanzler Bülow und Bethmann Hollweg, noch selbst die Opponenten des Tirpitz-Plans in­ nerhalb der Marine sowie in der Armee vermochten den Kaiser zum Einlenken zu bewegen. Wilhelms Flottenleidenschaft, gespeist aus Gel­ tungsdrang und dunklen Haßgefühlen dem Heimatland seiner Mutter gegenüber, hatte ihn wie einen Süchtigen in die Hände eines anderen Flottenfanatikers gebracht, der allein zu versprechen schien, den von ihm heißersehnten gegen Reichsregierung und Staatsministerium, gegen Reichstag und Volksmehrheit durchzuset­ zen.168 Indem er Tirpitz sein Vertrauen wieder entzog, hätte es Wilhelm j ederzeit in der Hand gehabt, das desaströse, gegen die Weltmachtstel­ lung Englands und das Mächtegleichgewicht in Europa gerichtete Schlachtflottenbauprogramm zu stoppen. Er tat es aber erst, als die Ei­ sernen Würfel gefallen waren.

Kapitel JJ

«Jung Deutschland, Dein Kaiser ! » oder Was fehlte Wilhelm II. ? r.

Das neue Jahrhundert

Der Anbruch eines neuen Jahrhunderts bot Anlaß, damals wie heute, zur Rückbesinnung auf das Vergangene und zu Mutmaßungen darüber, was die Zukunft Deutschland wohl bescheren würde, und bei allen die­ sen Überlegungen spielte Wilhelm li., der nunmehr auf dem Höhepunkt seiner Macht stand, sich aber bisweilen nicht in der Gewalt zu haben schien, naturgemäß eine gewichtige Rolle. Hier sollen einige Stimmen zeigen, wie unterschiedlich er um 1 900 eingeschätzt wurde und welche Hoffnungen oder Befürchtungen sich für die Zukunft daraus ergaben. Dem bewundernden Urteil des Erzherzogs Franz Ferdinand von Öster­ reich-Ungarn zufolge war er «doch der größte Mordskerl in Europa»,1 während in Rußland Tolstoi ihn als «einen der widerwärtigsten, um nicht zu sagen lächerlichsten, Vertreter des Kaisertums» perhorreszierte. 2 Zu seinen glühendsten Verehrern gehörte ein in Wien lebender Englän­ der, der sich begeistert zur deutschen Sprache und Kultur bekannte, Wagners Tochter heiraten sollte und 1 900 den Kaiser noch gar nicht per­ sönlich kannte: Erst im Winter 1 9 0 1 sollte Philipp Eulenburg den Ras­ sentheoretiker Houston Stewart Chamberlain in Liebenberg mit Wil­ helm li. zusammenbringen.3 In der Wochenzeitschrift Jugend sagte Chamberlain, der Verfasser der Grundlagen des 1 9 . Jahrhunderts, im Sommer 1 900 dem Deutschen Reich unter seinem tatkräftigen, jugendfri­ schen Kaiser eine glorreiche Zukunft voraus. «Die Regierung Wilhelms II. trägt den Charakter eines aufgehenden neuen Morgens», jubelte dieser «Evangelist des Rassismus», der dreiundzwanzig Jahre später Adolf Hit­ ler als den Retter Deutschlands in der Stunde seiner höchsten Not pries.4 Wilhelm li. sei, so Chamberlain, «Überhaupt der erste deutsche Kaiser». Er habe die welthistorische Mission verstanden, die Welt durch «die deut­ sche Wissenschaft, die deutsche Philosophie, die deutsche Kunst und - so Gott will - die deutsche Religion» zu «veredeln». «Nur ein Kaiser, der diese Aufgabe erfaßt, ist ein echter Kaiser der Deutschen>>, verkündete er. Wilhelm habe erkannt, daß die Verbreitung der «höheren>> deutschen Sprache und Kultur nur durch Macht zu erreichen sei und daß Macht vor allem Seemacht bedeute. «Ohne Flotte läßt sich nichts machen», erklärte Chamberlain, der Sohn eines englischen Admirals. Doch «mit einer gro-

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«]ung Deutschland, Dein Kaiser!»

ßen Flotte ausgerüstet, betritt Deutschland die Bahn, welche Cromwell England eröffnete, und kann und muß resolut darauf lossteuern, die er­ ste Macht der Welt zu werden. Es hat die moralische Berechtigung dazu und daher auch die Pflicht. Und zwar sind Eroberungen mit Waffenge­ walt durchaus nicht das ausschlaggebende; ist erst die Macht da, so stellt sich schon der Besitz ein.»5 Ganz ähnlich sollte das Bild ausfallen, das der militaristische Jungdeutschlandbund am Vorabend des Ersten Welt­ kriegs in seiner Propagandaschrift Jung Deutschland, Dein Kaiser! von Wilhelm II. entwarf. 6 Wesentlich nüchterner, j a sorgenvoller, fiel das Urteil des langjährigen Botschafters Österreich-Ungarns in Berlin, Ladislaus von Szögyenyi, über die Zukunftsaussichten des Deutschen Reiches aus. In einem Be­ richt vom 5. Februar r 900 wies auch er auf die Schlachtflottenpläne und Weltherrschaftsträume, die die Politik des kaiserlichen Deutschlands nunmehr bestimmten, hin, aber ohne dabei die ungeheuren Gefahren ei­ ner derartigen Herausforderung der etablierten Weltmächte zu verken­ nen. «Die leitenden deutschen Staatsmänner und allen voran Kaiser Wil­ helm haben den Blick in die ferne Zukunft geworfen und streben danach die in letzter Zeit mit grossen Schritten heranwachsende Stellung Deutschland's als Weltmacht zu einer dominierenden zu machen, und rechnen hiebei darauf, seinerzeit auf diesem Gebiete die lachenden Erben England's zu werden. Man ist sich aber in Berlin dessen wohl bewußt, daß Deutschland heute, und auch noch für lange Zeit hinaus, nicht in der Lage wäre diese Erbschaft anzutreten und aus diesem Grunde wäre hier ein baldiger Zusammenbruch der englischen Weltmacht durchaus nicht erwünscht, da man darüber vollkommen im Klaren ist, daß die weitrei­ chenden Pläne Deutschland's zunächst nur Zukunftsmusik sein können. - Nichtsdestoweniger bereitet sich Deutschland schon jetzt mit Eifer auf seine künftige, sich selbst gegebene Mission nach Kräften vor.>> In dieser Beziehung wies Szögyenyi vor allem «auf die unausgesetzte Sorge für die Vermehrung der deutschen Seestreitkräfte, sowie auf die sich stets wie­ derholenden auf das gleiche Ziel hinweisenden Äußerungen S. M. des deutschen Kaiser's und seiner leitenden Staatsmänner» hin. Diese Politik sei aber auf lange Sicht geplant. Daß sowohl Wilhelm als auch Bülow nicht gewillt seien, der augenblicklichen «populären Strömung» gegen England wegen des Burenkrieges nachzugeben, um sich jetzt schon «in einen zu schroffen Antagonismus England gegenüber>> zu stellen, sei auf deren praktische Erkenntnis zurückzuführen, daß der Antritt der Der Botschafter machte ferner geltend, daß das deutsche Weltmachtstreben nicht nur in England, son­ dern auch in Rußland Unruhe hervorgerufen habe und gar als tödliche Gefahr aufgefaßt werde. Es sei begreiflich, meinte er, daß Rußland «gerne der allzuraschen Verwirklichung dieses Bestrebens Deutschland's bei Zeiten einen Riegel vorschieben möchte», denn «es kann darüber kein Zweifel bestehen, welche grosse Gefahren es für Rußland bergen würde, wenn Deutschland nicht nur als mächtigste Landmacht in Central-Eu­ ropa, sondern auch in der ganzen Welt eine überwältigende Stellung ein­ nehmen würde.>> Die tatsächliche Entwicklung vorausahnend, wies Szö­ gyenyi auf die Möglichkeit einer russisch-englischen Verständigung in den vielen ungelösten Fragen hin, die die beiden Weltreiche trennten. «Das Phantom einer allgemeinen Coalition gegen Deutschland, welches Fürst Bismarck immer vor Augen hatte, hält auch heute noch die Geister hier befangen>>, berichtete er. «Es bedarf wohl nicht erst der Ausführung, welche Rolle England bei einer solchen Eventualität zufallen würde und schon aus diesem Grunde erscheint es ganz erklärlich, daß deutscherseits Alles aufgeboten wird, um ernstliche Trübungen in dem Verhältnis zwi­ schen den Cabineten von Berlin und London vorzubeugen.>/ Zu den erbittertsten Kritikern der wilhelminischen Weltpolitik ist si­ cherlich der Bismarckianer Maximilian Harden zu zählen, für den es als ganz axiomatisch galt, daß Wilhelm II. mit dem Liebenherger Kreis um Philipp Eulenburg, den der Kaiser zum 1. Januar I 900 in den Fürsten­ stand erhob, dafür die volle Verantwortung tragen müsse. «Der Kaiser ist sein eigener Reichskanzler>>, stellte er I 902 in der von ihm herausge­ gebenen Zeitschrift Die Zukunft fest. «Von ihm sind alle wichtigen poli­ tischen Entscheidungen der letzten zwölf Jahre ausgegangen.»8 Auch Harden bot die Jahrhundertwende und speziell die Rede, die «der kai­ serliche Kriegsherr>> am 27. Juli I 900 in Bremerhaven bei der Einschif­ fung der deutschen Truppen, die unter Waldersees Kommando den Bo­ xer-Aufstand in China niederschlagen sollten, Anlaß zu seinem bisher schärfsten Angriff auf Wilhelm: Sein Artikel «Der Kampf mit dem Dra­ chen>> wurde umgehend beschlagnahmt und Harden zu einer sechsmo­ natigen Festungshaft verurteilt.9 In der sogenannten hatte der Kaiser in Anrufung seines und des Großen Kurfürsten einige jener blutrünstig-militaristischen Wen­ dungen wiederholt, die wir aus seinen Randbemerkungen und früheren Ansprachen her kennen und die diesmal trotz der Bemühungen Bülows und der Flügeladjutanten, den wahren Wortlaut zu verheimlichen, in die Öffentlichkeit drangen und die Welt schockierten. Besonders in den bei­ den Weltkriegen, bisweilen sogar bis heute werden in allen englischspra­ chigen Ländern der Welt die Deutschen als beschimpft, weil ihr Kaiser I 900 seinen Truppen befohlen hatte, sich in China zu be­ tragen . «Pardon wird nicht gegeben, Gefangene nicht gemacht>>, rief er aus. «Wer Euch in die Hände fällt, sei in Eurer Hand.» Die Soldaten sollten «Beispiele abgeben von Manneszucht und Disciplin», von «alter deutscher Tüchtigkeit>>, wie sie es «aus unserer Kriegsgeschichte>> gelernt hätten; der «Segen Gottes>> werde dafür sor­ gen, «daß das Christenthum in j enem Lande seinen Eingang finde. Dafür steht Ihr Mir mit Eurem Fahneneid! >>10 Diese Rede, die man überall mit «banger Beklemmung>> aufgenom­ men habe, brachte Harden zu der Überzeugung, daß sich Deutschland durch die Persönliche Monarchie Wilhelms II. in einer «monarchischen Krisis>> befinde. In diesem System gebe es niemand, der «die weithin schweifende Phantasie>> des Kaisers «in die engen Grenzen gemeiner Wirklichkeit>> zwinge. «Niemand verscheucht holde Illusionen und warnt vor einer Ueberschätzung der kunstvoll, aber auch künstlich ge­ schaffenen ReichsherrlichkeiL Jeder bemüht sich, das schön Scheinende schöner zu tünchen. Deutschland ist unermeßlich reich; Deutschland ist berufen, unter den Industrie- und Handelsstaaten die erste Stelle einzu­ nehmen, und muß, um diesem Ziel näher zu kommen, seine sieghaften Feldzeichen über die Meere tragen; und der Kaiser der Deutschen muß, wie in den Tagen der Kreuzzüge die gekrönten Heroen, dem Evange­ lium die Welt zu erobern trachten. So umwispern Schwärmer und schlaue Spekulanten den Herrn. [ . . . ] In ruhiger Friedenszeit bleibt der Irrthum ungefährlich, stiftet er wenigstens noch kein ernstes Unheil; in jeder Epoche wirrer Verwickelungen kann er verhängnisvoll werden.>> Treffsicher erkannte Harden in dem dynastischen Hohenzollernkult Wilhelms II., dem seine Ahnen «stets nur in legendenhafter Verklärung gezeigt>> worden seien, einen wesentlichen Grund für die weltfremde Abgeschiedenheit und die wachsende Entfremdung zwischen dem Mon­ archen und seinem Volk, die - so warnte er ausdrücklich - zu Attentaten führen könne. «Der früh auf den Thron Erhöhte, der sich stolz der Sohn seiner Väter fühlt, blickt zurück und vergleicht. Wie gering war der Ah­ nen Vermögen und wie Gewaltiges haben sie dennoch erreicht! Soll ihm allein, dem reichen Erben gesammelter Kraft, keine von den Aufgaben zugewiesen sein, die das Monarchenleben erst lebenswerth machen und den roi faineant zum Mehrer des Reiches wandeln?» fragte der Publizist. «Aus solcher Stimmung mag der Grundton der Rache heischenden Re­ den entstanden sein>>, meinte er. Der Kaiser wäre wahrscheinlich sehr überrascht, wenn er erfahren sollte, wie anders sich die Welt und die Geschichte in den Köpfen der meisten Deutschen darstellten, wie wenig sie mit dem kaiserlichen « U eberschwang romantischer Kreuzfahrer­ schwärmerei» gemein hatten. Des «Reiches Herrlichkeit scheint ihnen nicht ungefährdet. Sie sehen es in schwieriger territorialer Lage, von

«]ung Deutschland, Dein Kaiser!»

A bb. 54 : Französische Karikatur auf die «Hunnenrede» Wilhelms !I.

Mißtrauen und Neid umlauert, im lnnern unfertig, nach außen auf un­ zuverlässige oder kraftlose Bundesgenossen gestützt, mit rasch wachsen­ dem Wohlstand, aber ohne den Reichthum, der ihm gestatten könnte, mit Großbritannien, Nordamerika, Rußland den Riesenkampf um Welt­ macht und Welthandelsherrschaft zu wagen.» In der Trennung des Emp­ findens zwischen einem zur Autokratie neigenden Monarchen und sei­ nem Volk liege die Gefahr der Mordversuche der Anarchisten, denn «wo der Glaube genährt wird, alles politische Handeln entspringe dem Haupt des Monarchen, da wird in irgend einem kranken oder überhitz­ ten Hirn sich immer wieder der Wahn festnisten, die gewaltsame Beseiti­ gung eines der armen Menge verhaßten Herrschers sei eine dem Volks­ wohl nützliche Heldenleistung.>> Und sehr richtig folgerte Harden aus dieser Erkenntnis, daß die monarchische Staatsform im 20. Jahrhundert nur tragbar sei, wenn sich die Krone auf ihre verfassungsmäßigen Reprä­ sentationsfunktionen beschränke. «Dem Gift der Schmeichler und dem Dolch der Mörder können Könige und Kaiser nur entgehen, wenn sie

2.

Eulenburg und die Entzauberung des Kaisertums

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sich mit der Rolle bescheiden, die ihnen seit den konstitutionellen Kämpfen unseres Jahrhunderts zugewiesen ist: der Rolle der des Tages­ gezänk entrückten, hinter goldenem Gitter durch besondere Gesetze ge­ schützten Repräsentanten der Volkheit, dessen sorgsam erwogenes Wort That ist, der Gutes wirken und für Uebles nie verantwortlich gemacht werden kann.»11 2.

Eulenburg und die Entzauberung des Kaisertums

Das als «preußisch>> verstandene System der Persönlichen Monarchie, so wie Wilhelm II. es praktizierte, stellte das gerade Gegenteil der konstitu­ tionellen monarchischen Staatsform dar. Um die Jahrhundertwende gab es kaum eine personal-, innen-, außen- oder militärpolitische Angelegen­ heit, die der Kaiser nicht selbst entschied, kaum einen öffentlichen An­ laß, den er ohne persönliche Ansprache vorüberziehen ließ, kaum ein Feld, auf dem er sich nicht berufen fühlte, mit seiner sehr ausgeprägten Meinung hervorzutreten, kaum einen «Kollegen» unter den Monarchen Europas, den er nicht mit Korrespondenzen und Besuchen bedrängte und mit burschikosen Rippenstößen kränkte, kaum einen diplomati­ schen Bericht, den er nicht mit drastischen Randbemerkungen versah. Es ist also nicht gerade verwunderlich, daß er selbst, und noch mehr diej e­ nigen, die mit ihm leben und arbeiten mußten, über die große Arbeits­ last zu klagen anfingen. Sein Leben sei , schrieb er 1 899 seiner Großmutter, und oft gebe es «Momente, wenn es mir so vorkommt, als daß die Anspannung zu groß und die Last zu schwer zum Tragen» sei.12 In jenem Winter, sagte er seinem Freund Philipp Eulenburg, habe er eine «schwere politische Zeit» gehabt, in der er ohne Bülow «in eine schreckliche Lage gekommen» wäre. «Was Du für ihn und für alle seiest, wisse er am besten», teilte Eulenburg Bülow als Äußerung Wilhelms mit.U Am 2 2. Juni 1 899 erhob der Kaiser Bülow in den Grafenstand. Mit der Ernennung Bülows zum Staatssekretär im Auswärtigen Amt im Sommer 1 897 (und sodann im Oktober 1 900 als Nachfolger Hohen­ lohes zum Reichskanzler und preußischen Ministerpräsidenten) hatte Eulenburg das Ziel erreicht, wonach er hinter den Kulissen und entge­ gen allen Unkenrufen aus der Wilhelmstraße durch unzählige Regie­ rungskrisen hindurch unermüdlich gestrebt hatte: die Etablierung der Persönlichen Monarchie Wilhelms II. Der Kaiser erkannte die loyalen Bemühungen seines engsten Freundes auch generös an. Am zehnten Jah­ restag seiner Thronbesteigung telegraphierte er dem Günstling in herz­ licher Weise seinen Dank für die Freundschaft und Unterstützung der vergangeneo Jahre.14 Dem Chef des Zivilkabinetts Hermann von Luca­ nus schrieb Eulenburg entzückt: «Der Kaiser hat mir ein so rührendes,

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«]ung Deutschland, Dein Kaiser!»

in so - ich muß sagen überschwenglichen Ausdrücken - gehaltenes dankbares Telegramm geschickt, daß ich ganz bewegt und weich gewor­ den bin. Es ist ja wohl richtig, daß ich mich r o Jahre für ihn sehr ge­ schunden habe und gequält habe. Aber [ . . . ] er ist eben ein einziger herr­ licher Herr - das wissen wir beide sehr genau! »15 Anfangs schien das neue System unter Bülows Schirmherrschaft auch bestens zu funktionieren. August Eulenburg meldete aus Berlin, daß sich seit dessen Amtsübernahme «alle Dinge rosig» ansähen, und sein Vetter Philipp jubelte nach dem Erfolg des ersten Flottengesetzes: «Kann man sich eine großartigere Wirkung von Konsequenz, Initiative und weitem Blick denken als diesen Ausgang der des armen lieben Herrn, der sprunghaft, inkonsequent, närrisch genannt wurde ?>> 16 Doch das Triumphgefühl der geheimen kaiserlichen Berater währte nicht lange. Für Eulenburg begann eine grausame Leidenszeit, die 1 902 zu seinem erpreßten Rücktritt von seinem Botschafterposten führen und vier Jahre später in den sensationellen Prozessen wegen Meineids und homosexueller Vergehen gipfeln sollte, die durch die (von Holstein unterstützten) Angriffe Hardens in der Zukunft gegen ihn und Kuno Graf von Moltke ausgelöst wurdenY Auf die Erpressung durch einen Wiener Bademeister im Frühjahr r 89618 folgten die skandalösen Ehescheidungen seines Bruders Friedrich und seines Intimfreundes Kuno Moltke, den der Kaiser kurz zuvor zum Militärattache an der Wiener Botschaft ernannt hatte. In beiden Fällen geriet «Phili>> Eulen­ burg selbst in Gefahr, entlarvt zu werden, doch in beiden Fällen zeigte sich Kaiser Wilhelm - anders als später in der schlimmen Prozeßzeit loyal. Mit Erleichterung konnte der Favorit während der gemeinsamen Zeit an Bord der Hohenzollern im Juli r 898 wahrnehmen, daß Wilhelm trotz der Zwangsentlassung Friedrich Eulenburgs aus der Armee «ganz in der alten Weise>> mit ihm gesprochen habe. «>, schrieb Eulenburg an Bülow.19 Und selbst als die desaströse Ehe Kuno Moltkes wegen der allzu intimen Beziehung des neuernannten Militärattaches zum Botschafter Eulenburg scheiterte, blieb das Freundschaftsverhältnis zwischen dem Kaiser und seinem be­ sten Freund intakt. Als ein dritter Freund, der württembergische Ge­ sandte Axel Freiherr von Varnbüler, durch Eulenburg von den Ehe­ schwierigkeiten Moltkes erfuhr, versicherte er diesem, daß der Kaiser alles verstehen und ihn schützen würde. Das «Liebchen>>, schrieb Varn­ büler, «ist Mannes genug mißgünstigem Klatsch Schweigen zu gebieten - und kennt und liebt Dich in Deiner Eigenart, um auch nur den Schatten einer Schuld auf Dich fallen zu lassen>>.20 Varnbülers Voraus­ sage sollte sich als richtig erweisen: Das gute Verhältnis zwischen Wil­ helm und Eulenburg blieb auch nach dieser Ehekatastrophe erhalten.21

2.

Eulenburg und die Entzauberung des Kaisertums

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Nicht der Kaiser verlor seinen Glauben an Eulenburg, sondern umge­ kehrt Eulenburg an den Kaiser. Noch im Sommer 1 897 hatte der Günstling von seinem «heißgelieb­ ten>> Kaiser wie ehedem an Bülow geschrieben: «>22 Mit «tiefer Rührung>> nahm er die selbstkritische Klage Wilhelms II. auf, er mache sich schwere Vorwürfe, daß er nichts empfinde, wenn er Offizieren oder Beamten den Abschied erteile. «Es fehlt etwas in mir, das andere haben. Alle Lyrik in mir ist tot - ertötet worden», habe ihm der Kaiser gebeichtet. «Erfahrungen und Experimente in seiner Jugend haben künstlich den Ausgleich in seiner Natur zurückgedämmt>>, erkannte der Freund voller Mitleid, aber damals noch in der Überzeugung, daß sich die Natur des Kaisers stärker als die Experimente erweisen würde.23 Bald sah Eulen­ burg sein «Liebchen» in einem anderen Lichte, als wäre es ihm wie Schuppen von den Augen gefallen. Seit dem Frühj ahr 1 89 8 meldete Eu­ lenburg leise Bedenken hinsichtlich der Auswirkung der kaiserlichen Persönlichkeit auf das Ausland an, die sich in den nächsten Monaten und Jahren zu einer panischen Angst verdichten sollten. Er warnte vor der wachsenden Abneigung gegen Wilhelm, die sich beim russischen Zarenpaar und an denjenigen deutschen Höfen, die wie Darmstadt und Coburg in naher Verwandtschaft zu England standen, festzusetzen drohte.24 «Wir müssen sehr vorsichtig sein>>, schrieb er an Bülow. «Be­ sonders auch unser geliebter Herr. Sein Wesen ärgert unbedeutende und schwächliche Naturen noch mehr, als es die zu Ihm in natürlicher Op­ position befindlichen aufregt. Schon sein starker Händedruck erweckt Unbehagen, und es bildet jene von Ihm selbst gemachte Darmstädter Verbindung [Nikolaus und Alexandra] eine gefährliche Brutstätte für hysterisch-moderne Bazillen, die überall da weiterfressen, wo man Siegfrieds Faust fürchtet oder sie findet.»25 Der neue Staatsse­ kretär bestätigte, daß äußerste Vorsicht geboten sei, denn , und dieser müsse alles vermeiden, um nicht 42 Die nächsten Monate brachten keine Besserung in der düsteren Stim­ mung des nunmehrigen Fürsten zu Eulenburg-Hertefeld. Dem Chef des Zivilkabinetts schrieb er sorgenvoll: 43 Wenig später schickte er Luca­ nus erneut einen «Stoßseufzer über die innere Lage in Deutschland>>. Er sei «nicht ohne Sorge wegen unseres geliebten Herrn. Seine Lage wird nach innen immer prekärer - und nach außen immer glänzender. Letz­ teres vermag aber doch nur eine Zeitlang als Gleichgewicht zu wir­ ken.>>44 «> mit. , meldete der Großherzog anschließend dem Reichskanzler. «Eulenburg sagte mir nun weiter, daß er mit Lucanus eingehend über diese ganze Angelegenheit sprach und ihn mahnte, den Kaiser mehr und mehr über die Schwierigkeiten seiner Lage der Öffentlichkeit gegenüber aufzuklären. Da erklärte Lucanus, er habe das getan. [ . . . ] Auch Graf Bü­ low hat mit Eulenburg in dem gleichen Sinne gesprochen und ernstlich geklagt, welchen Schwierigkeiten er ausgesetzt sei.>>46 Was müssen diese Männer empfunden haben, wenn sie an die endlosen Kanzler- und Mini­ sterkrisen der vergangenen zehn Jahre zurückdachten, in denen sie sich stets auf die Seite der Krone gegen die verantwortlichen Staatsmänner gestellt hatten! Die Wende zum neuen Jahrhundert brachte keine Besserung, eher das Gegenteil. Den Boxer-Aufstand und die Ermordung des deutschen Gesandten in China faßte Wilhelm, wie Eulenburg vermerkte, auf, für die er nehmen wollte.47 Dem entsetzten Bernhard Bülow telegraphierte er: 48 Als ihm klar wurde, daß die Truppen unter Waldersees Befehl für die Ein­ nahme Pekings zu spät kommen würden, geriet er laut Bülow - verhindern konnte.49 Die anschließende Nordlandfahrt war womöglich noch besorgniserregender als die des Vorjahres. In dem Versuch, den Kaiser nicht aufzuregen, bat Eulenburg alle Fahrtgenossen, «S. M. mit möglichst harmlosen Ge­ schichten zu regalieren u. die Politik zu vermeiden>>, und er selbst glitt «mit größter Unverfrorenheit» von der großen Politik «auf die alltäg­ lichsten u. trivialsten Dinge». Umsonst! Schon am r 5 . Juli 1 900 berich­ tete Eulenburg an Bülow, es habe am Vortag «ein heftiger Ausbruch» stattgefunden, der ihn «mit Sorge erfüllt>> habe. Er sei mit dem Kaiser und Georg Hülsen auf Deck spazierengegangen und habe harmlose Theatergeschichten erzählt, als plötzlich der Kaiser wütend auf die Ber­ liner Gesellschaft und speziell auf die Konservativen übergesprungen sei. «Die Heftigkeit war geradezu erschreckend>>, meldete der Intimus. «Ich kann nicht anders sagen, als daß ich in einen Abgrund von Haß und Erbitterung geblickt habe, der durch nichts eine Änderung erfahren kann. [ . . . ] S. M. hat sich nicht mehr in der Gewalt, wenn Ihn die Wut erfaßt. Gestern sah er nicht einmal, daß Matrosen in der Nähe standen, als Er tobte, die jede Silbe hören konnten. Hülsen war so entsetzt, daß er nachher krank wurde. [ . . . ] Ich halte den Zustand für sehr gefährlich, in dem wir uns befinden, und weiß keinen Rat. [ . . . ] Ich habe das Ge­ fühl, auf einem Pulverfaß zu sitzen.» Er sehe keine andere Möglichkeit, «als ruhig abzuwarten u. Gott zu bitten, daß nicht irgend komplizierte Dinge an S. M. herantreten. Denn mehr Szenen, so wie ich sie in Kiel hatte, würden zu irgend einer nervösen Krise führen, deren Form nicht vorauszusehen ist. [ . . . ] Diese Dinge gehen mir sehr nahe. Ich habe so viel Zutrauen in des Kaisers Begabung - und die Zeit gehabt! - Jetzt versagt beides und man sieht einen Menschen leiden, den man von Herzen lieb hat, ohne ihm helfen zu können! >>50 «Mir wird manchmal ganz bange, und ich sorge mich ernstlich. Ich sorge mich auch um Dich, mein liebster Bernhard», schrieb er an Bülow. Bülow müsse sich also «auf die langsame Veränderung des geistigen und see­ lischen Zustandes unseres lieben Herrn» einrichten. «Bitte Gott um Stärke>>, riet er dem Reichskanzler, «denn ohne seine Hilfe wirst Du fast verzagen.>> Er selbst, schrieb der Kaiserfreund, «fühle häufig die Tränen in mir aufsteigen, wenn ich den lieben, gütigen Herrn (dem ich trotz des vielen Leids, das er mir angetan, doch soviel danke, besonders seine Treue!) in maßlosen Ausfällen gegen allerhand Windmühlen höre und sein in Heftigkeit ganz entstelltes Gesicht sehe. Es gibt fast jeden Tag ein solches Gespräch, eine solche Erörterung. [ . . . ] Von einer Selbstbeherrschung ist nicht mehr die Rede. Bisweilen scheint er ganz die Disziplin über sich verloren zu haben.>>54 Immer wieder, so setzte Eulenburg in den nächsten Tagen seinen Bericht an Bülow fort, gebe es an Bord der Hohenzollern lustige Scherze und lustige Geschichten, die «S. M. zu Explosionen von Heiterkeit» veranlaßten, doch solche lichten Momente konnten nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Kaiser ernst­ haft erkrankt sei und sich nicht in der Gewalt habe. Mit einem «ganz verzerrten, [ . . . ] blassen, nervösen Gesicht» und «in größter Erregung gestikulierend>> spreche der Monarch von Krieg und Rache. «Der arme, -

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A bb. 55 : Phitipp Eulenburgs letzte Nordlandreise, Juli 1 9 03 .

arme Kaiser», seufzte sein engster Freund, «wie zerstört er alles um sich, was sein Halt, sein Stolz sein sollte ! >> Jeder der Fahrtgenossen sei «erschreckt über die immer mehr in Erscheinung tretende Tatsache, daß S. M. alle Dinge und alle Menschen lediglich von seinem persönlichen Standpunkt betrachtet und beurteilt. Die Obj ektivität ist völlig verlo­ ren, die Subjektivität reitet auf einem beißenden und stampfenden Rosse - der Widerspruch in seinen eigenen Äußerungen feiert täglich Triumphe.>> «Blaß, heftig perorierend, unruhig um sich blickend und Lüge auf Lüge häufend» machte Wilhelm auf Eulenburg und alle ande­ ren Teilnehmer an der Nordlandreise «einen so schrecklichen Eindruck, daß ich es [ . . . ] nicht verwinden kann! Ich konnte kaum die Nacht ein Auge zutun. - ist wohl die gelindeste Form eines Ur­ teils.» «Eine tiefe Trauer erfüllt mich», gestand Eulenburg. «Ich kann kaum die Stunde der Befreiung aus diesem königlichen Käfig erwarten. [ . . . ] Leuthold ist außer sich. Doch alle seine ärztlichen Absichten be­ trachtet er mehr oder minder als undurchführbar. So geschieht eben nichts. Es ist ein abscheuliches Abwarten irgend einer Krise. Und alle, die hier an Bord sind, warten mit ihm.»55 3 · Nervenschwäche, Geistesstörung, schlechtes Blut ­ Was fehlte Wilhelm II. ? Philipp Eulenburgs beklemmende Angstrufe aus den Jahren I 899, I 900 und I 903 sind erschütternd, aber sie geben, wenn auch vielleicht etwas dramatischer als üblich, eigentlich nur wieder, was andere Eingeweihte schon seit geraumer Zeit bejammerten. Durch seine Liebe zum Kaiser

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geblendet, erkannte der Intimus viel später als diese zahlreichen Kritiker das Kernproblem der Persönlichen Monarchie, das im Charakter Wil­ helms II. lag. Dem Leser wird es nicht entgangen sein, wie regelmäßig in allen Kreisen um den Kaiser, sei es in der eigenen Familie, der ferneren königlichen Verwandtschaft, der höfischen Umgebung, der Berliner Hofgesellschaft, dem Offizierskorps, der höheren Beamtenschaft, den politischen Parteien aller Schattierungen oder unter den ausländischen Diplomaten und Journalisten, seit Beginn seiner Regierung der Verdacht aufgekommen war, daß Wilhelm II. körperlich und geistig nicht ganz gesund sein könne. Schon bald nach seiner Thronbesteigung hatten sich Verwandte und sonstige Beobachter bekümmert über seine äußere Er­ scheinung ausgesprochen. Die I 822 geborene Großherzogin Augusta Caroline von Mecklenburg-Strelitz, eine Cousine der Queen Victoria, schrieb I 8 8 8 nach einem Besuch des jungen Kaisers: «Er sieht nicht sehr gesund aus, sehr bräunlich-gelb, abgespannt und irgendwie aufgedun­ sen.»56 Bei seiner Durchreise durch München wenige Wochen später be­ merkte man auch das schlechte Aussehen des KaisersY Ein Jahr später war Dr. Leuthold besorgt, daß sich der hektische Lebensstil Wilhelms schädlich auf dessen Gesundheit auswirken könne. Er räumte zwar ein, daß der Kaiser eine Grippe ohne die sonst üblichen nervösen Begleit­ erscheinungen überwunden habe, schrieb die Erkrankung jedoch den Anstrengungen zu, denen sich der Kaiser auf seinen ununterbrochenen Jagdreisen unterzogen habe. Er könne nicht verhehlen, erklärte der Leibarzt, daß Leutho1d habe ihm rundheraus erklärt, «so ginge es nicht weiter>>. Auch Eulenburg hatte das Gefühl, «daß S.M sich schadet und durchaus acht Stunden schlafen muß, wenn er länger durch­ halten will>>.60 Während der nächsten Nordlandfahrt im Juli I 89 I glitt der Kaiser auf nassem Deck aus und fiel auf den Rücken, wobei er sich das rechte Knie verletzte: Nach der Reposition der Kniescheibe mußte trotz Bluterguß und Schwellung ein Gipsverband angelegt werden.61 Für seine Mutter war dieser Unfall freilich nichts Neues. «Wilhelms Knie­ scheibe ist schon öfter herausgesprungen! >> teilte sie der Queen mit. «Er ist sehr x-beinig und als Kind hatte er keine kräftigen Knie Bänder. [ . . . ] Er hat kein Gleichgewicht - da die eine Seite leichter ist als die andere wegen des Arms, und das macht ihn unbeholfen auf den Beinen. [ . . . ] Er

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verstauchte sich das Bein einmal beim Fechten in Bonn (als ich ihn pflegte), einmal beim Tanzen & einmal beim Baden.»62 Im Winter 1 896/ 97, als die Erregung des Kaisers besonders bedenkliche Formen annahm, berichteten Diplomaten, er leide schwer an einem Karbunkel am Knie und sehe «sehr abgehärmt und dünn» aus. 63 Nicht nur seine physische Gesundheit, auch und vor allem der seeli­ sche Zustand des Kaisers gab früh schon Anlaß zur Sorge. Ganz im Gei­ ste der Zeit erklärten die Eingeweihten die beunruhigende Verfassung des Monarchen oft mit Begriffen wie «Nervosität» oder «Nervenschwä­ che>>.64 Als er ihn im August 1 89 1 in Kiel «etwas abgespannt>> vorfand, vermerkte Waldersee, Wilhelm schiene ihm, «als ob sich - was andere schon behauptet hatten - eine gewisse nervöse Depression geltend ma­ che>>.65 Wenig später schrieb er nach einem Zusammensein mit dem Kai­ serpaar: «Aufgefallen ist mir diesmal, daß der Kaiser nicht so frisch war als sonst; er klagte auch über Uebermüdung u. sagte die Kaiserin mir 2 Mal: Nun ist eigentlich kein rechter Grund, daß der Kaiser übermüdet sein sollte; ich fürchte es sind die Nerven, die anfangen nachzulassen.>>66 Im November 1 892 vermerkte Waldersee abermals in seinem Tagebuch: «Der Kaiser ist erkältet u. hat 2 Jagden abgesagt; es soll sich dabei auch um etwas morali­ sche Depression handeln wie das schon im vorigen Jahr einmal eintrat.>>67 Allmählich setzte sich die Meinung durch, daß das unruhige und auf­ fallende Benehmen des Kaisers nicht die Ursache, sondern das Symptom einer ernsten Gemütskrankheit sein könnte. Hinzpeter, der früher in ei­ ner «heilsamen Demütigung>> seines Zöglings die einzige Hoffnung für eine Besserung in seinem hochmütigen Charakter erblickt hatte, nahm seit der Thronbesteigung eine ganz andere Haltung ein: Nicht Unter­ drückung, sondern ein ständiges Animieren sollte dazu dienen, den Kaiser von einem stets drohenden Nervenzusammenbruch abzuhalten. In einem Gespräch mit Schottmüller im Januar 1 89 1 , in dem dieser be­ klagte, daß der Kaiser viel anfange, aber nichts zu Ende führe, soll Hinz­ peter behauptet haben: «Das ist auch garnicht wichtig; die Hauptsache ist, daß ich ihn immer in Athem halte; wenn nicht immer Neues kommt, so fällt er in Apathie.>> Waldersee, der diese Äußerung niederschrieb, fuhr fort: «Mit völligem Cynismus hat er [Hinzpeter] dann über das Ohren­ leiden des Kaisers gesprochen u. gesagt, es könne leicht zum Tode oder zu geistiger Störung führen u. müßte eigentlich der Prinz Heinrich in Berlin wohnen, um sich auf eine mögliche Regentschaft einzurichten.>>68 Als Waldersee im März 1 892 - es war die Zeit der Schulgesetzkrise, in der Caprivi das preußische Ministerpräsidentenamt niederlegte69 - von einem mehrtägigen Unwohlsein des Kaisers erfuhr, sah er darin den Be­ ginn des schon lange von ihm vorausgeahnten Nervenzusammenbruchs. Wilhelm sei nicht eigentlich krank, meinte er, «sondern nur sehr herun­ ter, abgespannt, mißvergnügt>>; er klage über zu viel Arbeit. «Wenn seine

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Nerven besser wären, so würde ich hoffen, es käme nun der Anfang zur Besserung, da sie aber notorisch schlecht sind, so fürchte ich wird es mit ihm bald so weit sein, daß er in Muthlosigkeit verfällt.>> Wilhelm II. sei mit dem großen Ziel angetreten, als «berühmter, von der ganzen Welt geachteter u. gefürchteter Herrscher>> anerkannt zu werden. «> Man müsse befürchten, meinte Waldersee, daß die «so leichtsinnig überreiz­ ten Nerven>> des Kaisers ihren Dienst versagen könnten. «Was nun wer­ den soll, wenn er noch mehr in Schwankung verfällt, was wenn wirklich Muthlosigkeit eintritt, ist mir nicht klar>>, schrieb er, «nur soviel weiß ich, daß wir noch mehr zurückgehen werden.>>70 «Er ist, zu meinem tief­ sten Bedauern muß ich es sagen, ein unzuverlässiger schwacher Karak­ ter.»71 Im Sommer r 892 konnte Waldersee die paradox klingende Hoff­ nung aussprechen, daß ein Nervenzusammenbruch des Monarchen das Reich möglicherweise vor dem sich sonst anbahnenden Untergang be­ wahren könnte. Tief besorgt schrieb er von Wilhelm 11. : «Es kann wohl sein, daß er das ganze Werk seines Großvaters wieder zu Grunde richtet; arbeitet er noch einige Jahre so fort wie bisher, so ist dies unausbleiblich. Vielleicht liegt unsere Rettung darin, daß seine Nerven zusammenbre­ chen u. er andere Leute heranläßt.»72 Nach der Kanzlerkrise im Oktober r 894, während der wieder «vielfach» von den schlechten Nerven des Kaisers gesprochen wurde, hielt Waldersee fest: «Daß er mit seinen Ner­ ven bald fertig sein würde, habe ich schon vor längerer Zeit als unab­ weislich hingestellt.>>73 Als Waldersee im Januar 1 896 zum 2 5 . Jahrestag der Reichsgründung und zum Kapitel des Schwarzen Adler-Ordens nach Berlin fuhr, stellte er nach mehreren Gesprächen mit dem Kaiser fest, dieser sei «innerlich tief verstimmt u. fangen seine Nerven an sich wieder zu melden>>. Als Gründe für die Gereiztheit nannte der General «die Angelegenheit des Prinzen [Friedrich] Leopold, in der er natürlich sich wieder sehr über­ eilt hat>>, die Wilhelm und auch die Kaiserin «sehr alterirt>> habe; hinzu seien dann der getreten, und schließlich hätten die Transvaalkrise und , schrieb er anschließend. «Vor Jahren habe ich es voraus­ gesagt, daß seine Nerven ihn bald im Stiche lassen würden; ich glaube wir stehen jetzt nahe vor diesem Augenblick. Zunächst ist seit der Nordlandsreise sein Ohr wieder in schlechterer Vedassung u. hat das er­ neute Auftreten dieses Leidens ihn sehr deprimirt. Dazu sind dann aller­ hand Aerger theils politischer, theils häuslicher Art getreten und haben sich mehrfach die Nerven gemeldet in melancholischer Stimmung, in mangelnder Frische, Anfälle von Rührung pp. Als Kampfmittel dagegen wird dann immer die Zerstreuung u. Rastlosigkeit gesucht, es liegt aber nahe, daß dies verkehrt ist u. eher zum Gegentheil wirkt. Sollten nun noch ernste Fragen z. B. gründliche politische Enttäuschungen, die sehr leicht kommen können, hinzutreten, so ist der Zusammenbruch da! Was ist aber dann? Dann kann es recht ernst werden mit diesem abgelebten Greis von Kanzler, mit diesen meist elenden Ministern, kläglichen Kabi­ netschef's u. schließlich dem weichlichen u. sichtlich unbedeutenden Prinzen Heinrich, der der gegebene Stellvertreter ist! »77 Ganz ähnlich äußerte sich wenige Tage später der Finanzminister Johannes von Mi­ quel, von dem Waldersee schrieb: >81 Früh spra­ chen Hinzpeter und andere von «Cäsarenwahnsinn>>, eine Diagnose, die dann durch die Caligula-Broschüre Ludwig Quiddes in aller Munde war.82 Wilhelms eigene Schwester Sophie, die Kronprinzessin von Grie­ chenland, äußerte sich, wie wir gesehen haben, «in wegwerfendster u. feindseligster Weise» in St. Petersburg über Wilhelm und fügte hinzu, «die ganze Familie hielte ihn für verrückt>>. In Berlin verdächtigte man die Kaiserin Friedrich und ihre Töchter, für die Verbreitung solcher Ge­ rüchte verantwortlich zu sein. 83 Großfürst Sergius von Rußland, der Mann der Prinzessin Ella von Hessen-Darmstadt, äußerte unverblümt die Überzeugung, daß der Kaiser «geisteskrank>> sei,84 während gleich­ zeitig das französische Außenministerium zum Ergebnis kam, Wilhelm sei «gemütskrank» und «temporär unzurechnungsfähig».85 Anfang r 89 r mußte Waldersee die «höchst traurige aber doch sehr be­ zeichnende>> Tatsache vermerken, «daß ernste patriotisch denkende Männer sich wirklich mit dem Gedanken beschäftigen, es bereite sich beim Kaiser ganz allmählig eine geistige Störung vor. Dies wäre nun allerdings und namentlich wenn die Entwicklung eine langsame wäre, das größte Unglück das dem Vaterlande zustoßen könnte. Gott wolle dies in Gnaden uns erlassen! >>86 Im Dezember jenes Jahres schrieb der General erneut in sein Tagebuch: «Ganz offen soll in weiten Kreisen u. besonders bei Aerzten die Frage besprochen werden, ob, vielleicht im Zusammenhang mit dem Ohrenleiden, eine geistige Störung sich lang­ sam entwickelt. Es wäre dies das Furchtbarste, was passiren könnte, zu­ nächst für den Kaiser selbst, [ . . . ] dann aber für das Vaterland. Was für Unglück bis dahin geschehen kann u. welches sich weiter daraus entwik­ keln kann, ist völlig unabsehbar.>>87 Nach der Entlassung Caprivis und Botho Eulenburgs, die in Schloß Liebenberg entschieden wurde, verdichteten sich derartige Befürchtun­ gen. Der Geschäftsträger an der britischen Botschaft, Gosselin, meldete

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im November 1 89 5 , kurz vor der Kulmination der Köller-Krise: «In Berlin kursieren eigentümliche Gerüchte über die Gesundheit des Kai­ sers: Graf Phi[lip]p Eulenburg [ . . . ] hat bekanntlich einen wunderlichen Einfluß auf Seine Majestät; & nicht selten wird das den Kräften des Mesmerismus zugeschrieben, die Seine Exzellenz erklärtermaßen auf den Herrscher anwendet.» Der Kaiser, so habe er außerdem gehört, leide unter Halluzinationen, welche z.B. in dem bekannten Bild über die «Gelbe Gefahr» ihren Ausdruck fänden. Der Diplomat fuhr sodann fort: «Gründen diese Gerüchte irgend auf Wahrheit, so ließe sich manches aufklären, was sonst ganz unerklärlich wäre: Es wird in der Tat zu einer sehr ernsten Angelegenheit, wenn ein Souverän, der eine beherrschende Stimme in der Außenpolitik des Reiches hat, Opfer von halluzinatori­ schen Einflüssen ist, die auf die Dauer seine Urteilskraft entstellen & Ihn jederzeit der Gefahr eines unvorhersehbaren Wechsels seiner Ansichten aussetzen, vor dem kein Mensch sich schützen kann.»88 In Deutschland stellte man häufig Vergleiche zwischen der «Leucht­ käfernatur>> Wilhelms II. und den umnachteten Königen Friedrich Wil­ helm IV. von Preußen und Ludwig II. von Bayern an.89 Der selbstbe­ wußte preußische Kriegsminister General Bronsart von Schellendorf meinte nach seinem bedenklichen Zusammenstoß mit dem Kaiser im Ja­ nuar I 896, wie wir gesehen haben, «daß es bei S. M. nicht ganz normal aussehe>> und daß man große Sorgen für die Zukunft hegen müsse.90 Nach der Brandenburger Rede vom Februar 1 897, in der er Bismarck und Moltke als Pygmäen und Handlanger seines heiligen Großvaters be­ zeichnete, und dem historischen Kostümfest zum hundertsten Geburts­ tag Wilhelms I. am 2 2. März wurden die Gerüchte, wonach Wilhelm II. geistesgestört sei, zum Allgemeingut.91 Die ostelbischen Führer der Deutsch-Konservativen Partei erklärten, daß sie den Kaiser für «nicht immer normal>> hielten, der König von Sachsen meinte, er sei offenbar «nicht stabil>>, und sein Onkel, Großherzog Friedrich von Baden, äußerte sich «in sehr bedenklicher Weise über die psychologische Seite der Sache, über die Entfremdung von der Wirklichkeit>>.92 Entsetzt berichtete Graf Monts aus München, daß man in Süddeutschland den Kaiser für «eigent­ lich nicht mehr zurechnungsfähig>> halte.93 Die Erbitterung gegen ihn un­ ter den Nationalgesinnten gehe viel tiefer als je zuvor, man sage sich heimlich, «S. M. sei geisteskrank>>, schrieb er.94 «Was hilft alles Arbeiten u. Bemühen. Niemand glaubt einem, wenn man ihm den Kaiser schildert, wie Er sich z. B. hier bei seinem Besuch gab, so einfach, verständig, klar, maßvoll und ruhig. - Es ist, als wenn zeitweise ein böser Geist über den Herrn käme, seinen Verstand umnachtete u. ihn zu Reden hinreißt, die die Nation aufs tiefste beleidigen.>>95 Bei der «Mäßigkeit>> des Kaisers sei es ausgeschlossen, so Monts weiter, «daß die Erregung eine andere als seelische sei>>; er sehe Wilhelm II. «dieselben Wege gehen [ . . . ] wie König Friedrich Wilhelm IV., der wie S. M. an seinen Worten sich erregt und

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berauscht habe, worauf dann ein Zustand der Niedergeschlagenheit zu folgen pflegte, der tagelanges Zurückziehen [ . . . ] zum Bedürfnis gemacht habe».96 Einem bayerischen Publizisten verriet Bismarck jetzt, er habe schon I 8 8 8 «die nichtnormale Geistesverfassung des Kaisers» erkannt und sich nur deswegen gegen seine Entlassung gesträubt, weil er eine na­ tionale Katastrophe befürchtet habe.97 Nach einem Treffen mit Philipp Eulenburg im April I 897 notierte Bülow, dieser habe ihm von der 113 Der britische Premier- und Außenminister entwickelte nicht nur eine starke persönliche Abneigung gegen den Kaiser; bald setzte sich in ihm

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auch die Überzeugung durch, daß Wilhelm nicht zu trauen und nicht zu glauben sei.114 Wiederholt fragte er sich auch, ob der Monarch wohl «ganz dicht>> sei; er hielt ihn für eine Gefahr für den Frieden und für «the most dangeraus enemy we had in Europe>>, da er «mad enough for anything» sei.115 Im Dezember 1 89 5 , nachdem er den Bericht Martin Gosselins über die angeblichen Halluzinationen des Kaisers und den hypnotischen Einfluß Philipp Eulenburgs auf ihn gelesen hatte, warnte Salisbury den neuen Botschafter in Berlin, Sir Frank Lascelles, vor der Gefahr, daß Wilhelm mit der Zeit «ganz verrückt werden>> könne.116 Wir werden gleich sehen, worauf sich solche Befürchtungen bezogen. Abgesehen von der «Nervenschwäche>> und der «Geistesstörung>> wurde die Absonderlichkeit Kaiser Wilhelms II. von zeitgenössischen Beobachtern auch einem erblichen beziehungsweise organischen Leiden zugeschrieben. Neben der Ohrenkrankheit, die sehr früh zu Befürch­ tungen von einem Durchbruch der Schädelwand und somit zur Hirn­ schädigung geführt hatte,117 war am Hohenzollernhof als mögliche Ur­ sache seines wundersamen Verhaltens eine zweite Erklärung im Um­ lauf: sein coburgisches oder welfisches «Blut>>. Im Oktober I 890 schrieb Waldersee, der Generaladjutant Adolf von Wittich habe sich «über den Kaiser, seinen Karakter u. seinen Rückgang genau so aus[ge­ sprochen] wie meine Ansichten sind u. schob Alles auf das koburgische Blut. Ich glaube, er hat hier das Richtige getroffen.>>118 «Üh dieses ver­ ruchte Koburgsche Blut, gemischt mit Welfischem, welches sich in Rücksichtslosigkeit so traurig auszeichnet! >> stieß Waldersee im Früh­ j ahr 1 892 ausY9 Zwei Jahre später hatte sich die Überzeugung bei ihm gefestigt, daß das «koburgsche Blut>> für die sonderbare Persönlichkeit des Kaisers, den er mit dessen Onkel Ernst Herzog von Sachsen-Co­ burg und Gotha verglich, verantwortlich war. Er schrieb: «Für mich der ich den Vorzug gehabt habe den Herzog Ernst v. Koburg zu ken­ nen u. die Zeit seines Aufstieges wie seines Niedergangs mit zu durch­ leben, tritt die Aehnlichkeit beider Karaktere immer mehr hervor; ich muß aber dabei anerkennen, daß ein viel edlerer Kern im Kaiser steckt, das ist der hohenzollernsche; zur Zeit kommen aus dem Koburger Blute aber recht bedenkliche Triebe zur Erscheinung.>>120 Als kurz dar­ auf die Caligula-Schrift von Quidde erschien, in der unverkennbar die größenwahnsinnige und gewaltliebende Persönlichkeit Wilhelms II. ge­ schildert wurde, erinnerte sich Waldersee an ähnliche Äußerungen, die Mitglieder der kaiserlichen Umgebung länger schon gemacht hatten. «Ich wurde bei Durchsicht daran erinnert>>, schrieb er, «daß General Wittich schon vor 4 Jahren auf Anlagen zum Cäsaren-Wahnsinn hin­ wies, u. auch die Behauptung aufstellte, daß es sichtlich einen angeneh­ men Nervenreiz auf den Kaiser ausübt, wenn er bei seinen kriegsge­ schichtlichen Vorträgen massenhafte Verluste erwähnt. Ich möchte nun, trotz der vielfachen wirklich frappanten Analogien, dennoch glauben,

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daß der Entwicklungsgang unseres Kaisers nicht zu einem traurigen Ende zu führen braucht; ich sehe ihn ja jetzt sehr selten, passe aber, wenn ich ihn sehe, scharf auf, u. bin ich nicht im Stande, etwas von wirklicher Störung wahrnehmen zu können. Sollten wirklich Besorgniß erregende Anlagen vorhanden sein, so würden sie sich in den nunmehr 6 Jahren schon mehr entwickelt haben. Was mich seit langem beunru­ higt, ist das augenscheinliche Ueberwiegen welfisch-koburgschen Blu­ tes, in welchem ja allerdings des Bedenklichen genug liegt.>>121 Anlaß zu weiteren pessimistischen Prognosen gab sodann die Nach­ richt, daß sich der Kaiser am 1 . Juni I 894 eine kleine Balggeschwulst an der Backe wegoperieren lassen mußte. Besorgt notierte Waldersee in sein Tagebuch: «Schon seit 3 Monaten ging das Gerücht, daß er eine Ge­ schwulst unter dem einen Ohr habe u. wurden daran sofort allerhand Gerüchte geknüpft. Nachdem, was ich in letzter Zeit hörte von Perso­ nen, die den Kaiser gesehen hatten, ist es richtig, daß eine deutlich sicht­ bare Geschwulst entstanden war. Daß dies zu ernsten Gedanken Veran­ lassung giebt, ist wohl kein Wunder. Was mag Gott mit uns vorha­ ben ?>>122 Auf dem Höhepunkt des Machtkampfes zwischen Kaiser und Kanzler im Sommer I 896, als Trautmann in Wilhelmshöhe die Radikaloperation am rechten Ohr des Kaisers durchführen mußte,123 erinnerte sich Fried­ rich von Holstein an die Aussage des in Deutschland geborenen, am englischen Hof praktizierenden Kehlkopfspezialisten Sir Felix Semon, der auch den Bismarcks nahestand. Vor etwa vier bis fünf Jahren habe Semon behauptet, so der Geheimrat, daß «die Unstetigkeit des jetzigen Kaisers [ . . . ] die genau bestimmbare Anfangsphase eines psychiatrischen Zustandes>> sei, der aber sei.124 Welche halb physiologi­ sche, halb psychiatrische Krankheit kann Semon damit gemeint haben? Mitte März 1 8 8 8, als der alte Kaiser Wilhelm I. gestorben war und sein todkranker Sohn Friedrich 111. mit der neuen Kaiserin, der ältesten Tochter der Queen Victoria, zur Übernahme seiner kurzlebigen Regie­ rung von San Remo nach Berlin reiste, erzählte Lord Salisbury seiner Tochter Gwendolen ein Staatsgeheimnis von solcher Tragweite, daß diese die zwei Seiten in ihrem Tagebuch, auf denen sie das Erschütternde zunächst festgehalten hatte, herausschnitt und das Geheimnis statt des­ sen in Ziffern niederschrieb. Über den Sinn dieser chiffrierten Eintra­ gung ist in jüngster Zeit viel spekuliert worden, doch bisher ist es nie­ mandem gelungen, das Rätsel zu lösen. Aus den wenigen Worten, die zwischen den Ziffergruppen stehen, geht jedoch deutlich die Salisburys aufgrund eines soeben stattge­ habten Gesprächs mit jemandem hervor, der in Lady Gwendolens Tage­ buch als 465 1 I 3 , 493 59 identifiziert wird. 125

Was für ein Geheimnis könnte so explosiv gewesen sein, um eine sol­ che unlösbare Chiffrierung in einem privaten Tagebuch zu rechtfertigen? An dem Kehlkopfkrebs und dem herannahenden Tod des Kaisers Fried­ rich 111. war seit dem vergangenen November nicht mehr zu zweifeln; dies kann also nicht der Gegenstand der geheimnisvollen Eintragung ge­ wesen sein. Selbst die Feststellung einer schlimmen Krankheit beim neuen deutschen Kronprinzen Wilhelm, der unmittelbar vor der Bestei­ gung des mächtigen preußisch-deutschen Throns stand, scheint uns als Begründung für so viel Geheimnistuerei in dem Tagebuch einer Englän­ derin nicht auszureichen - es sei denn, daß durch die Feststellung der Krankheit auch das britische Königshaus in Mitleidenschaft gezogen werden könnte. Wir möchten die Tagebucheintragung der Tochter Lord Salisburys vom März 1 8 8 8 mit einem bereits im ersten Band dieser Biographie an­ geführten Dokument in Verbindung bringen, das ein Gespräch festhält, welches Sir Schomberg McDonnell, der damalige Privatsekretär des Pre­ mierministers, genau um diese Zeit mit dem Surgeon-General John Erichsen geführt hat, dessen Inhalt McDonnell unmittelbar darauf mündlich an Salisbury weitergab. Wie sich der Privatsekretär später er­ innerte, kam Erichsen Mitte März 1 8 8 8 zu ihm, um dem Premiermini­ ster eine äußerst wichtige und erschütternde Mitteilung zu machen. Er sagte ihm, daß der Gesundheitszustand des nunmehrigen Kronprinzen Wilhelm «Anlaß zur erheblichen Sorge gegeben habe, als dieser 14 oder 1 6 war>>. Deutsche Ärzte hätten ihm, Erichsen, damals ausführliche No­ tizen über den Fall zugeschickt, die ihn zu der Überzeugung gebracht hätten, daß Wilhelm «kein normaler Mann sei und es niemals werden könne>>; daß er «immer für plötzliche Wutanfälle anfällig sein würde und daß er in einem solchen Zustand der Wut ganz unfähig [«incapable>>] sein würde, über eine Frage ein vernünftiges oder abgewogenes Urteil zu fällen>>; daß Wilhelm, «auch wenn es unwahrscheinlich sei, daß er tat­ sächlich geisteskrank>> werde, sich wohl doch wie jemand benehmen würde, der «geistig nicht ganz gesund» ist. Aus dieser Diagnose leitete Erichsen die Befürchtung ab, daß der künftige Kaiser Wilhelm II. «mög­ licherweise eine Gefahr für Europa>> werden könnte. Als McDonnell das Urteil Erichsens an Salisbury weiterleitete, sei der Premierminister «na­ türlich im höchsten Grade interessiert>> gewesen, erinnerte sich der Pri­ vatsekretär, der hinzufügte: 126 Die zeitliche, inhaltliche und teilweise auch wörtliche Übereinstim­ mung dieser Mitteilung John Erichsens macht es meines Erachtens sehr

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wahrscheinlich, daß sie den Gegenstand der geheimnisvollen Eintragung im Tagebuch der Tochter Salisburys bildete. Sie erklärt auch die Bedeu­ tung, die der Premierminister dem Bericht Gosselins über die «Hallu­ zinationen>> des Kaisers und den angeblich hypnotischen Einfluß Eulenburgs auf ihn beimaß, sowie seine Warnung an Lasedles vom Dezember 1 89 5 , daß Wilhelm mit der Zeit des Prinzen lasse ihn jeden Widerstand, den er bei der Verfolgung seiner leiden­ schaftlichen Wünsche erfahre, «als unberechtigte Kränkung empfinden, auf die er mit Ausbrüchen des Zornes>> reagiere. Symptomatisch sei fer­ ner die «geringe Nachhaltigkeit>> der gefaßten Entschließungen, eine «gewisse Haltlosigkeit gegenüber den Anreizen der Außenwelt und den impulsiven Trieben und Stimmungen>>. Hinzu träten «vasomotorische Störungen>> und ein «rascher Wechsel der Blutfülle des Gesichts>>. Der Gesamtzustand der «körperlichen und seelischen Regelwidrigkeiten>>, wie Gaupp in seinem Gutachten weiter urteilte, «weist auf eine ange­ borene abnorme Anlage hin>>.129 Hatten also beide, Vater und Sohn, wenn auch in unterschiedlichem Grade und natürlich zusätzlich zu allen sonstigen seelischen und körperlichen Belastungen, die königliche Erb­ krankheit Porphyrie von ihren welfischen Vorfahren geerbt ? Nach dem augenblicklichen Wissensstand ist diese Möglichkeit, die einiges erklären würde, nicht auszuschließen. Am englischen Hof war man jedenfalls dieser Überzeugung. Im November 1 908 meinte Lord Esher, ein Ver­ trauter König Edwards VII., von Kaiser Wilhelm 11. : «Ich bin sicher, er trägt den Makel Georges 111. in seinem Blut.>>130

Anhang

Anmerkungen Vorwort r John C. G. Röhl, Germany without Bismarck. The Crisis of Government in the Second Reich, I 89o--I 9oo, London I 9 67; übersetzt als Deutschland ohne Bismarck. Die Regierungskrise im Zweiten Kaiserreich, I 890-I 9oo, Tübingen I 969. 2 John C. G. Röhl, Hg., Philipp Eulenburgs Politische Korrespondenz, 3 Bde., Bop­ pard am Rhein I 9 76-8 3 . Siehe beispielsweise Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte I 8491 9 I 4, München I 9 9 5 , S. 1 o i 6-2o. 4 Siehe in diesem Zusammenhang die hagiographischen Spekulationen in Nicolaus Sombart, Wilhelm II. Sündenbock und Herr der Mitte, Berlin I 996, sowie die apo­ logetische neue Biographie von Giles MacDonogh, The Last Kaiser. William the Im­ petuous, London zooo. Geoff Eley, The View from the Throne: The Personal Rule of Kaiser Wilhelm Il, in The Historical Journal, 2 8 , 2 ( 1 9 8 ; ), S. 469-8 ; . 6 Siehe zum Beispiel Norman Rich, Friedrich von Holstein. Politics and Diplomacy in the Era of Bismarck and Wilhelm II, 2 Bde., Cambridge 1 9 6 ; ; Isabel V. Hull, The Entourage of Kaiser Wilhelm II, r 8 8 8- I 9 r 8 , Cambridge I 9 82; Isabel V. Hull, «Per­ sönliches Regiment», in John C. G. Röhl, Hg., Der Ort Kaiser Wilhelms Il. in der deutschen Geschichte, München I 99 I ; Paul Kennedy, The Kaiser and German Welt­ politik: reflexions on Wilhelm II 's place in the making of German foreign policy, in John C. G. Röhl und Nicolaus Sombart, Hg., Kaiser Wilhelm II - New Inter­ pretations, Cambridge I 9 82; Katharine A. Lerman, The Chancellor as Courtier. Bernhard von Bülow and the Governance of Germany, 1 90o-- I 909, Cambridge 1 990; Thomas A. Kohut, Wilhelm II and the Germans. A Study in Leadership, Oxford, New York I 99 1 ; Lamar Cecil, Wilhelm Il, 2 Bde., Chapel Hili, London I 9 8 9-96; Christopher Clark, Kaiser Wilhelm II, London 2ooo; Roderick R. McLean, Royalty and Diplomacy in Europe, r 890- I 9 I 4, Cambridge 2oo r ; Holger Afflerbach, Wil­ helm II as Supreme Warlord in the First World War, in War in History, ; ( I 998), s. 427-49· 7 Vgl. j edoch Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte I 866-1 9 I 8, 2 Bde., München 1 990-92, II, S. 475-8 ; . 8 Heinrich Otto Meisner, Hg., Denkwürdigkeiten des General-Feldmarschalls Alfred Grafen von Waldersee, Stuttgart, 3 Bde., Berlin I 922-2 3 .

Kapitel I Die Thronbesteigung I Preußen galt, trotz der beiden Krönungszeremonien vom I 8 . Januar 1 70 1 und Ok­ tober I 8 6 I , als krönungsloses Königreich. Siehe dazu j etzt Heinz Duchhardt, Der r 8 . Januar I 70 I und die europäische Monarchie, in Ernst Hinrichs, Hg., Die euro­ päische Monarchie: Struktur, Funktionen und Symbole eines Herrschaftssystems, Berlin 2002.

I J 86

Anmerkungen

2 Kaiser Wilhelm II., > Kaiser Wil­ helm II. an Kaiserin Friedrich, 1 4 . März 1 896, AdHH Schloß Fasanerie. I 57 Kaiser Wilhelm li. an die Mutter, ohne Datum [März I 896] und I 8. März I 896, ebenda; Hohenlohes Journal vom 1 6. März I 896, Hohenlohe, Denkwürdigkeiten der Reichskanzlerzeit, S. I 99· 1 5 8 Kaiserin Friedrich an Queen Victoria, 19., 24-, 26. und 28. März 1 896, AdHH Schloß Fasanerie. I 59 Kaiserin Friedrich an Queen Victoria, I 2. April ! 896, ebenda (a.d.Engl.). I 6o Waldersee, Tagebucheintragung vom 2 1 . Januar I 896, GStA Berlin, Nachlaß Walder­ see; vgl. Meisner, li, S. 3 6 5 f. 1 6 1 Hohenlohes Journal vom 5· März 1 896, Hohenlohe, Denkwürdigkeiten der Reichskanzlerzeit, S. 1 87. 1 62 Hohenlohe an Hatzfeldt, 4· März 1 896, Große Politik, XI, Nr. 2770. I 63 Marschall, Aufzeichnung vom 4· März 1 896, ebenda, Nr. 277 1 . 1 64 Hohenlohes Journal vom 7 · März 1 896, Hohenlohe, Denkwürdigkeiten der Reichs­ kanzlerzeit, S. 1 9 1 f. Siehe auch Hohenlohe an Holstein, 8. März I 896, ebenda, S. 1 92 f. 1 6 5 Kaiser Wilhelm II., Randbemerkung zum Bericht Hatzfeldes aus London vom I 2. März I 896, Große Politik, XI, S. 24 I ; Kiderlen-Wächter an Holstein, 2 5 . März I 896, Holstein, Geheime Papiere, III, Nr. 5 3 7· Die Herausgeber der Großen Politik der Europäischen Kabinette glaubten gleichfalls, daß die Anregung zu der britischen Dongalaexpedition «direkt auf Wilhelm II. zurückzuführen» sei. Große Politik, XI, s. 23 5 · I 66 Kaiser Wilhelm li., Randbemerkung zum Bericht Radolins aus Petersburg vom 2 1 . März I 896, ebenda, S. I 6 8 . I 67 Hohenlohes Journal vom I 6. März I 896 mit Anmerkung, Hohenlohe, Denkwürdig­ keiten der Reichskanzlerzeit, S. • 99· Zu den Beweggründen Salisburys bei dem Ent­ schluß zur Expedition nach dem Sudan siehe Große Politik, XI, Nr. 269 8 ff., sowie Holstein an Radolin, 22. März I 896, Holstein, Geheime Papiere, III, Nr. 5 3 6. I 68 Kaiser Wilhelm II., Randbemerkung zum Bericht Bülows aus Rom vom I 3 . Mai I 896, Große Politik, XI, S. 2 5 3 . 1 69 Die Rolle Wilhelms II. i n der Entscheidung für den Schlachtflottenbau wird im 3 2 · Kapitel eingehend untersucht. I 70 Kid erlen-Wächter an Holstein, 2 5. März I 896, Holstein, Geheime Papiere, III, Nr. 5 3 7· 1 7 1 Hatzfeldt an Holstein, 1 5 . März 1 896, ebenda, Nr. 5 3 2· 1 72 Aufzeichnung Marschalls vom 1 3 . März 1 896, Große Politik, XI, Nr. 2779.

Kapitel 27 Endspiel: Der Durchbruch zur unumschränkten Entscheidungsgewalt 1 Marschall, Tagebucheintragung vom 2 5 . Januar 1 896, zitiert in Eulenburgs Korre­ spondenz, III, S. 1 63 9 f. 2 Eulenburg an Kaiser Wilhelm II., 27. Februar I 896, ebenda, Nr. 1 I92. Eulenburg an Bülow, I 3 . März I 896, ebenda, Nr. I I 9 8 . Siehe Bülows Antwort vom 20. März r 896, ebenda, Nr. 1 2 0 1 .

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Anmerkungen

Holstein an Eulenburg, r. Mai 1 896, ebenda, Nr. 1 2 1 3 . Holstein an Eulenburg, 6 . Mai 1 896, ebenda, Nr. 1 2 1 9. Holstein an Eulenburg, 5 · Mai 1 896, Holstein, Geheime Papiere, III, Nr. 5 46. Hohenlohe an Kaiser Wilhelm II., 20. April I 896, Hohenlohe, Denkwürdigkeiten der Reichskanzlerzeit, S. 2 I 3 f. Kaiser Wilhelm II., Randbemerkungen vom 2 1 . April 1 896, GStA Berlin, Zivilkabi­ nett 2.2. 1 . Nr. 1 3 1 62/r . Victoria Prinzessin zu Schaumburg-Lippe an Kaiser Wilhelm II., 2 1 . Juli I 897, GStA Berlin, 2.2. 1 . Nr. 1 3 1 62/ r ; Charlotte Erbprinzessin von Sachsen-Meiningen an Ellen Freifrau von Heldburg, I 4. April I 89 5 , ThStaMgn, HA 342. Zu den Intrigen der Erbprinzessin in dem Lippesehen Erbfolgestreit siehe Röhl, Kaiser, Hof und Staat, S. 97 f. Kaiser Wilhelm II. an die Mutter, 5· April I 89 5 , AdHH Schloß Fasanerie. Hohenlohes Journal vom 22. April I 896, Hohenlohe, Denkwürdigkeiten der Reichskanzlerzeit, S. 2 1 4. Hohenlohe an Lucanus, 22. April I 896, GStA Berlin, Zi­ vilkabinett 2.2. 1 . Nr. 1 J I 62/ I . Hohenlohe an Kaiser Wilhelm II., 22. April 1 896, Hohenlohe, Denkwürdigkeiten der Reichskanzlerzeit, S. 2 1 4. Kaiser Wilhelm II. an Hohenlohe, 2 3 . April I 896, ebenda, S. 2 I 5 . Holstein an Eulenburg, 5 · Mai 1 896, Holstein, Geheime Papiere, III, Nr. 5 46. Hohenlohe an Kaiser Wilhelm II., 2 3· April I 896, GStA Berlin, Zivilkabinett 2.2. r . Nr. 1 3 1 62/ r . Teilweise gedruckt mit einer Randnotiz des Kanzlers i n Hohenlohe, Denkwürdigkeiten der Reichskanzlerzeit, S. 2 1 5 f. Hohenlohes Journal vom 4- Mai 1 896, ebenda, S. 2 1 5 f. Holstein an Eulenburg, 5· Mai I 896, Holstein, Geheime Papiere, III, Nr. 5 46. Holstein an Eulenburg, 5· Mai 1 896, ebenda. Kaiser Wilhelm II. an Lucanus, I 6. Juli r 896, GStA Berlin, Rep. 89, Nr. 1 3 I 62/r . Die Lippesehe Erbfolgefrage beschäftigte den Kaiser leidenschaftlich noch auf Mo­ nate hinaus und führte zu weiterem Streit mit dem Reichskanzler und dem König von Sachsen. Siehe «Aufzeichnung des Willens Seiner Maj estät des Kaisers und Königs in Bezug auf die Frage der Ebenbürtigkeit>>, 26. August 1 897, GStA Berlin, 2.2. 1 0 Nr. 2796; eigenhändige Denkschrift Kaiser Wilhelms II. >, i n Röhl, John C. G. und Sombart, Nicolaus, Hg., Kaiser Wilhelm II - New Interpretations, Cambridge 1 9 8 2 Hull, Isabel V. , , i n Röhl, John C. G., H g . , D e r Ort Kaiser Wilhelms Il. in der deutschen Geschichte, München 1 9 9 1 Hutten-Czapski, Bogdan Graf von, Sechzig Jahre Politik und Gesellschaft, 2 Bde., Ber­ lin 1 9 3 6 Jacks, William, The Life o f His Maj esty William the Second, German Emperor, with a Sketch of his Hohenzollern Ancestors, Glasgow 1 904 Jarchow, Margarete, Hofgeschenke. Wilhelm Il. zwischen Diplomatie und Dynastie 1 8 8 8- 1 9 1 4, Harnburg 1998 Jefferson, Margaret M., Lord Salisbury's Conversations with the Tsar in Balmoral, 27 and 29 September 1 896, Slavonic and East European Review, 3 9 ( 1 960-6 1 ) Jerussalimski, A . S . , Die Außenpolitik und die Diplomatie des deutschen Imperialismus Ende des 1 9 . Jahrhunderts, Berlin 1 9 5 4 Jonge, J. A . , Wilhelm Il., Amsterdam 1 9 8 6 Julier, Jürgen, Hg., Kaiserlicher Kunstbesitz. Aus dem holländischen Exil Haus Doorn, Berlin 1 9 9 1 Kanghi-Tschu, Deutschland, der Kaiser und Simplizissimus: aus den Berichten eines chinesischen Diplomaten, München 1 9 I I Kann, Robert A., Kaiser Wilhelm II. und Thronfolger Franz Ferdinand in ihrer Korrespondenz, in ders., Erzherzog Franz Ferdinand Studien, Wien 1 9 76, S. 46-8 5 Kautsky, Kar!, The Guilt of Wilhelm Hohenzollern, London 1 920 Kautzsch, W., Intimes des Berliner Hoflebens unter Wilhelm Il., Berlin 1 922 Keller, Mathilde Gräfin von, Vierzig Jahre im Dienst der Kaiserin. Ein Kulturbild aus den Jahren 1 8 8 1 - 1 9 2 1 , Leipzig 1 9 3 5

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Verzeichnis der benutzten Archivbestände I. Geheimes Staatsarchiv (GStA) Preußischer Kulturbesitz Berlin bzw. Merseburg:

Brandenburg-Preußisches Hausarchiv Akten des Geheimen Zivilkabinetts Kronratsprotokolle Protokolle des Preußischen Staatsministeriums Gerichtsakten Fall Kotze Nachlaß Rudolf Köge! Nachlaß Kar! Friedrich Nowak Nachlaß Adolf von Scholz Nachlaß Alfred Graf von Waldersee 2. Bundesarchiv (BA) Berlin (vormals Zentrales Staatsarchiv Potsdam):

Akten der Reichskanzlei Nachlaß Ernst Schwerringer 3· Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PA AA) Bonn bzw. Berlin: Asservat Nr. 4 Akten des Auswärtigen Amtes 4· Cambridge University Library: Nachlaß Sir Charles Bardinge 5. Churchill Archives Centre, Cambridge: Nachlaß Viscount Esher 6. Cumbria Record Office, Carlisle: Nachlaß Lord Lonsdale 7· Stadt- und Landesbibliothek Dortmund: Nachlaß Konrad Studt & . Archiv der Hessischen Hausstiftung (AdHH) Schloß Fasanerie: Nachlaß Victoria Kaiserin Friedrich 9· Bundesarchiv-Militärarchiv (BA-MA) Freiburg: Nachlaß Colmar Freiherr von der Goltz Nachlaß Hans von Piessen Nachlaß Gustav Freiherr von Senden-Bibran Nachlaß Alfred von Tirpitz r o. Bismarck-Archiv Schloß Friedrichsruh:

Nachlaß Otto Fürst von Bismarck Nachlaß Herbert Graf von Bismarck I r . Archiv des vormals regierenden preußischen Königshauses, Burg Hohenzollern:

Nachlaß Kaiser Wilhelm II. r 2 . Generallandesarchiv (GLA) Karlsruhe:

Nachlaß Max Freiherr von Holzing-Berstett

Verzeichnis der benutzten Archivbestände 1 3 . Bundesarchiv (BA) Koblenz: Akten des Preußischen Justizministeriums Nachlaß Otto Fürst von Bismarck Nachlaß Herben Graf von Bismarck Nachlaß Heinrich von Boetticher Nachlaß Robert Bosse Nachlaß Bernhard von Bülow Nachlaß Philipp Graf zu Eulenburg 1 4· Rothschild Archives London (RAL): Briefe Gersan Bleichröders I 5· Thüringisches Staatsarchiv Meinirrgen (ThStaMgn):

Hausarchiv der herzöglichen Familie von Sachsen-Meinirrgen 1 6. Hohenlohe-Zentralarchiv Schloß Neuenstein: Nachlaß Hermann Fürst zu Hohenlohe-Langenburg Nachlaß Ernst Prinz zu Hohenlohe-Langenburg I 7· Bodleian Library, Oxford:

Nachlaß Sir Eyre Crowe I 8 . Haus-, Hof- und Staatsarchiv (HHStA) Wien:

Kabinettsarchiv Geheimakten Botschafterberichte 1 9 . Royal Archives (RA) Windsor: Nachlaß Queen Victoria Nachlaß Prinz Albert Edward von Wales Nachlaß König George V. Nachlaß Prinz Christian von Schleswig-Holstein 20. Bestände im Privatbesitz:

Nachlaß Vize-Admiral Paul Hoffmann, St. Georgen/Schwarzwald Nachlaß Lord Lonsdale, Lowther/Cumbria Nachlaß Alice Gräfin zu Lynar geb. Gräfin Wedel, Bad Driburg Nachlaß Adolf Freiherr Marschall von Bieberstein, Oberkireh/Baden Nachlaß Friedrich Mewes, München Nachlaß Carl Graf von Wedel, Frankfurt a.M. Nachlaß Ernst Graf von Wedel, Bad Driburg

Verzeichnis der Bildquellen Artbur Addington Collection, Hertfordshire: Abb. 3 5 Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin: Abb . I , 26 von Bülow, Fürst, Bernhard, Denkwürdigkeiten, Band I , Ullstein, Berlin: Abb. 4 I Eulenburg, Fürst Philipp zu, Mit dem Kaiser als Staatsmann und Freund auf Nordlandsreisen, Carl Reissner Verlag, Dresden: Abb. 44, 5 5 Fischer-Sallstein, Conrad, Prinz Heinrich in Kiautschau. Reisen zu Wasser und zu Lande des Prinz-Admirals in Indien, China, Japan ( I 89 8- I 9oo), Berlin I 9oo: Abb. 49 Grand-Carteret, John, Les celebrites vues par l'image «Lui» devant l'obj ectif ca­ ricatural, Paris I 906: Abb. 54 Imperial War Museum, London: Abb. 9 Kaiser Wilhelm II. als Soldat und Seemann, hrsg. von Joseph Kürschner, Militärbuchhandlung C. A. Weller, Berlin (o. J.): Abb. 5 I Kasteel Huis Doorn: Abb . I 4, I 5 , 22, 3 8 , 3 9 Landesmedienzentrum Hamburg: Abb . 5 3 Otto-von-Bismarck-Stiftung, Friedrichsruh: A b b . I O, I I Paul Kittel Verlag, Berlin: Abb. I ] Radio Times Hulton Picture Library: Abb. 42 Snark International, Paris: 4 3 Stadtarchiv München, Zimelie I ] 6II: Abb. 2 5 Steinberg, Jonathan, Yesterday's Deterrent. Tirpitz and the Birth o f the German Battle Fleet, Macdonald, London I 9 6 5 : Abb . 6 The Royal Archives © 2oo i Her Maj esty Queen Elizabeth II: Frontispiz und Abb. 3 , � 5 , 2J , 24, 3 I , ] 2, 3 � 3 � 5 � 5 2 Ollstein Bilderdienst, Berlin: Abb. 3 3 , 3 6, 4 I Unser Kaiser. Fünfunzwanzig Jahre der Regierung Kaiser Wilhelms II. I 8 8 8I 9 I ] , Deutsches Verlagshaus Bong & Co., Berlin-Leipzig-Wien-Stuttgart I 9 I 3 : Abb. � 8 , I � I 7, I 8 , I � 2� 2 I , 40, 4� 47, 48 Viktoria Luise, Herzogin, Bilder der Kaiserzeit, Göttinger Verlagsanstalt I 969: Abb . 29 Im Privatbesitz des Verfassers: Abb. 2, I 2, 27, 28, 4 5

Personenregister Abdulhamid II., Sultan I 5 3 f., I 74, 26 I , I 042 f., I 0 5 I ff., I 0 5 5 , I 0 5 7 ff., I 096 Achenbach, Heinrich v., Oberpräsident 5 74, 5 9 2 Adler, Architekt 997 Adolf, Großherzog v. Luxemburg 603 Ahlwardt, Hermann, Abgeordneter 526 Albedyll, Emil v., Chef d e s Militärka­ binetts 5 7, I 3 7, I 8 6, I94 f., 202, 8o6, 969, I 2 2 I Anm. 4, I 22 3 Anm. 62, 63 Albert, Prinzgemahl von Königin Vic­ toria, Vater von Kaiserin Friedrich 8 5 , 4 I 3 , I 076, I 084, I 0 8 7, I I O I , I 2 6 I Anm. I 40, I 3 I 6 Anm. 2 2 3 , I 3 4 5 Anm. 2o Albert, König von Sachsen 24, 26, 3 0, 6 5 , I p, I 5 7, 289 f., 3 0 3 , 3 I 8, 4 3 8 , 47 I , 5 06, 5 4 I , 5 78 ff., 6 I 5 , 640, 662, 682, 684, 890, I 074 f., I I 94 Anm. 92 Albert, Prinz v. Sachsen-Altenburg 5 3 6 f., 727, 8 3 6 Albert, Prinz v. Schleswig-Holstein 697 Albert Edward (Bertie) s. Edward VII. Albert Victor (Eddy), ältester Sohn König Edwards VII. I 3 0, I 5 3 , I 5 5 , 73 0 f. Al brecht, Erzherzog v. Österreich I I I Albrecht der Bär, Kurfürst v. Branden­ burg I O I 8 Albrecht, Prinz v. Preußen, Regent von Braunschweig I 3 I f., I 5 7, 4 3 8 , 6 I 5 , 665 . 667 f., 742, I I 63 Albrecht Achilles, Markgraf v. Brandenburg 3 9 8 Alexander d e r Große 462, 5 5 8 Alexander II., Zar 5 6 Alexander III., Zar 29, 5 o f., 5 3-60, 64 f., 92, I oo, Io6 f., I I 5 , I 3 5 , I 3 8 f., I 5 6, I 64, I 69, 2 5 7-26 I , 3 4 I , 343, 3 5 1 , 3 8 I-3 84, 3 8 7, 3 90, 3 9 3 ff., 4 I 4 f., 48 5 f., 5 3 I , 5 3 5-540, 5 49 f., 5 64 f., 590, 622, 64 8, 6 5 7 f., 720, 72 5 > 732,

8 3 4, 846, I o 3 6, r r 9o Anm. I 2, I I 9 I Anm. 2 5 , I 2 3 I Anm. p, I 2 p Anm. I 44, I 2 5 7 Anm. 5 7, r 2 8 I Anm. 7 , I 4 , 1 2 8 2 Anm. 29, 1 2 8 3 Anm. 3 I , I 3 5 6 Anm. I I 2 Alexandra v. Dänemark, Gemahlin König Edwards VII . 6 3 , 8 I, 92, 97I O I , I o 6 f., I 09, I I 2, I 3 0, I 5 3 , 2 5 7, I 04 5 Alexandra (Alix) v. Hessen-Darmstadt, Gemahlin Zar Nikolaus' II. 5 62, 5 6 5 , 69 8, 703 , 724, 726, 8 3 4 f., 8 3 7, I 0 3 4 f., I I 6 I Alexis Alexandrowitsch, Großfürst v. Rußland 8 3 8 ff. Alfons XIII., König v. Spanien I 6o Alfred, Herzog v. Edinburgh u. Coburg-Gotha, Emder v. Kaiserin Friedrich I I 7, I 3 4, I 5 6, 7 I 5 , I 099 Alfred (Affie), Herzog v. Sachsen­ Coburg-Gotha 1 099 f. Alice, Gemahlin Ludwigs IV. v. Hes­ sen-Darmstadt, Schwester v. Kaise­ rin Friedrich q 6, 8 3 7 Alix (Alicky) s. Alexandra Alvensleben, Friedrich Johann Graf v. 3 7 1 , 3 74, 434, 6 5 7, 1 2 5 4 Anm. 63 Anastasia, Großherzogin v. Mecklen­ burg 709 Annekoff, russischer General 542, 1 2 8 3 Anm. 29 Aoki, j apanischer Gesandter 8 I 8 Arenberg, Franz Prinz, Abgeordneter 79 8 f. Arendt, Redakteur 628 Aribert, Prinz v. Anhalt 544 f., 727 ff., 74� 742, 74 5 , 747, 7 5 2, I 2 8 3 Anm. 3 6, 3 7 Armstrong, Sir W., englischer Indu­ strieller 406 Arnim, Hans v., Flügeladjutant Wil­ helms II. 1 3 I , 1 9 8 , 2 3 2 , 2 3 4 f., 5 5 7, 682, 796 f., 8 62, 8 8 3 , 1 3 I 9 Anm. 297

Personenregister Arnulf, Prinz v. Bayern 5 5 2 Arthur, Herzog von Connaught, Bru­ der der Kaiserin Friedrich I 04, I 09, 1 2 8, 4 I O, 5 44, 5 5 7, 73 7, 8 5 8-86 I , I 0 7 5 , I 09 3 , I 099 f., I 207 Anm. I02, I 3 77 Anm. 7 Arthur, Sohn Herzog Arthurs v. Connaught I 099 f. Aschenborn 6 5 o Asseburg, Gräfin v. 6o8 August Wilhelm (Auwi), Sohn Kaiser Wilhelms II. 74, 70 I Augusta v. Weimar, Gemahlin Kaiser Wilhelms I. 3 0, 3 8, 44, 50, 6o, 63 ff., 73 f., 77, 8 5 , 8 8 , 94, I o 8 , I 3 7, I 92, 266, 2 8 7, 292, 3 0 3 , 69 3 , 699, 70 3 , 996, I I 9 5 Anm. 1 6, 1 200 Anm. I I 2, I 2 2 I Anm. 4, I 229 Anm. 2 Augusta Caroline, Großherzogin v. Mecklenburg I 90, I I 70 Auguste Viktoria (Dona) v. Schleswig­ Holstein-Sonderburg-Augusten­ burg, Gemahlin Kaiser Wilhelms II. 24, 3 0, 44, 7 4, 78, 92, I2 r f., I 53 f., 1 5 8, I 68, I93, I99 f., 23 I , 239, 2 5 7, 2 6 I , 26� 270, 2 8 6, 29 I , 293, 3 2 8 , 3 67, 3 78, 402, 4 I O, 424, 4 5 4, 480, 496, 5 I3 f., 5 77, 5 80, 662, 668, 69 I , 693-702, 707-7 I 0, 7 I 2 f., 7 I 5 , 7 I 8 , 720 f., 726-73 I , 734-73 7, 744, 747, 7 5 � 7 5 2, 7 5 8 , 76 5 , 78 � 789, 840, 9 I � 9 5 8, 9 6 5 , 97 � 989, I OO� I 0 50, I 079, I I 77, I I 9 5 Anm. I 4, I I 99 Anm. 92, I 200 Anm. I 1 2, I 2 I 9 Anm. 70, 1 22 8 Anm. 7 8 , I 306 Anm. 3 , I 3 09 Anm. 79, I 3 I 5 Anm. 2 I 3 , I 3 5 7 Anm. I 3 9 Auwi s. August Wilhelm Avenarius, Ferdinand I O i o, I 02 I Baare, Kommerzienrat 3 5 5 Bachern, Julius, Herausgeber der Köl­ ner Volkszeitung 944 Baird, Admiral I 3 3 Balfour, Artbur James, englischer Staatsmann I 0 8 2, I o 8 8 , I 09 I , I 3 79 Anm. 3 9 Ballestrem, Franz Graf v., Reichstags­ präsident 9 3 8 , 979 Ballin, Albert, Reeder 775 f. Balzac, Honore de 622

Barnay, Ludwig, Regisseur 990 Barth, Theodor, Abgeordneter 9 8 2, I 2 I 4 Anm. I 29 Battenberg, Alexander v., Fürst v. Bul­ ganen 90, I 5o, 7 I 4 Battenberg, Franz-Joseph v. 742 Battenberg, Heinrich (Liko) v., Schwa­ ger König Edwards VII. I 3 0, 8 8 2 Battenberg, Viktoria v. 703 , 709 Beatrice, Gemahlin Heinrichs v. Bat­ tenberg I 3 o, 7 I O, 8 79, 8 8 3 , I I 6 I Beauclerk, Geschäftsträger i n Berlin I 62 Bebe!, August, Politiker 6 I 9, 62 I , 689, 789, 9 5 7 Beck, österreichischer Feldzeugmeister 846 Begas, Reinhold, Bildhauer I J 2, I 6 I , 429, 964 f., 989, I 00 5 , I O I4, I O I 9 f., I o22 f., I 3 67 Anm. I 49, I 50 Below, Gesandter beim Vatikan I 63 , I 2 I 5 Anm. I 4 I Benda, Robert, Abgeordneter 494, 497 Bennigsen, Rudolf v., Oberpräsident d. Provinz Hannover 3 9, I 8 I, 268 f., 49 3 , 49 5 , 5 00, 677, 763, I I 24, I I 26 Berchem, Maximilian Graf v., Unter­ staatssekretär 6 5 , I I 2, I 8 I , I 8 3 , 247, 2 5 � 3 04, 3 7 I , 3 7 3 , 3 7 5 , 3 8 � 3 8 8 , 4 8 6, 503 Berchtold, Leopold Graf v., öster­ reichischer Staatsmann 8 5 I Beresford, Lord Charles I 9o, 5 70, I 220 Anm. 9o Berg, Schwiegervater Kar! Heinrich v. Boettichers 2 5 6 Berger, Louis Ritter v. 74 I Berger, Sophie v. 7 4 I Bergbahn, Volker I I p, I qo, I I 4 8 Bergmann, Ernst v., Chirurg 76, I I 9 6 Anm. 29 Berlepsch, Hans Hermann Freiherr v., Minister 3 07, 3 I I, 3 3 2, 426, 5 I I , 68 � 79� 799 f., 8o8, 8 I I , I 244 Anm. 79 Bernhard, Erbherzog von Sachsen­ Meiningen, Schwager Kaiser Wil­ helms II. 209, 3 67, p 8 , po, 5 74, 63o, 63 5 , 639, 69 3 , 69 5 , 707 f., 7 I o ff., 724, 727, 7 5 4, 946, I J I O Anm. 8 8 Bertie s . König Edward VII.

Personenregister Bethmann Hollweg, Theobald v., Reichskanzler 6 I 6, 1 1 5 2 Beusing, Kapitän I 3 I Bigelow, Poultney, Jugendfreund Kai­ ser Wilhelms II. 4 3, 462, 5 5 8 f., I 029 Bigge, Sir Arthur I o44, I I 0 3 Bismarck, Herben Graf v., Staats­ sekretär 26, 3 2, 4 5 , 50, 5 2-5 6, 5 8 f., 6 I, 6 3 ff., 66, 68-72, 7 5 f., 78 ff., 84 f., 89, 9 5 , 97- I OO, I 06 f., I 09 ff., I I 4, 1 1 6 ff., 1 2 r f., I 24 f., I 27-I 3 2 , I 3 5 , I 3 8 , I 4o ff., I 44, I 46, I 5 7 f., I 62 ff., I 6 7 f., I 74 f., I 77 ff., I 8 I , I 8 3 f., I 9 I , I99 f., 2 I O, 2 I 2-2 I 8 , 220 f., 223-229, 23 I -243 , 24 5-2 59, 262, 264 ff., 268, 270, 273, 2 7 5 f., 278, 2 8 2-292, 294 f., 297, 3 04-3 08, 3 1 0, 3 I 5 f., 3 1 9, 3 24, 3 40, 3 42, 3 5 0, 3 69-3 78, 3 8 1 -3 8 7, 434, 44 5 > 4 6 1 , 464, 5 2 5 , 5 4 � 5 68 f., 5 7 8 , 5 89, 6o 5 , 6 I 5 , 66I-664, 666670, 674, 742, 794, 960, 964 f., 9 8 3 , 1 1 6 5 , I I 79, 1 1 8 2, 1 1 89 Anm. 4 , 1 1 9 1 Anm. 2 5 , I I 94 Anm. S r , I 202 Anm. I 3 2, I 207 Anm. I02, I 224 Anm. 92, I 2 2 5 Anm. I 8, 1 226 Anm. 2 5 . 34, I 227 Anm. 5 5 , I 229 Anm. 98, I 2 3 0 Anm. I 5, 3 5, I 2 3 I Anm. p, 5 3 , I 2 3 9 Anm. 90, I 243 Anm. 59, I 2 5 o Anm. I 23 , I 2 5 3 Anm. 48, I 3 5 7 Anm. I 3 I Bismarck, Otto Fürst v., Reichskanzler 2 I , 2 3 , 25 f., 29-) 2, 3 7, 3 9 ff., 43-47, 5 I ff., 6o, 63-66, 70-73, 7 5 f., 78 ff., 83 f., 8 6-92, 96, 98-I o i , I o6- I 09, I I I f., I I 4 f., I I 7, I I 9, I 2 I , I 2 3 , I 2 5 , I 2 7 f., I 3 5 , I 3 8, I 4 I f., J 44- I 47, I 49 f., I 5 4, I 6 I , I 63 f., I 66 ff., I 7 I­ I 8 I , I 84, I 9 r f., I 9 8-20 I , 20 5 , 20822 I , 223-228, 2 3 3 f., 2 3 6-2 5 8 , 260268, 270, 273-292, 294-3 6 5 , 3 68, 3 70 ff., 3 7 5-3 78, 3 8 I-3 9 I , 3 94, 398, 420-424, 426, 4 3 0, 434, 4 3 8 , 44 I , 443 , 4 5 0 f., 4 5 9, 464 f., 475 f., 479, 48 r f., 4 8 7, 49 I , 494, 497 f., 5 0 3 , 5 07, 5 1 4 f., p 8, 5 2 5 , p 8 f., 5 3 2 f., 5 3 6, 5 4 3 , 5 63 , 5 68, 5 70, 5 74> 5 76-5 79, 5 8 1 , 5 8 3 , 5 8 5 f., 5 89, 5 94, 6oo, 603 , 6o 5 ff., 6 I o ff., 6 q f., 6 r 7 f., 620, 622 f., 62 5 , 628 ff., 634, 66I-669, 672-675 > 6 8 6 f., 699, 7 I 3 , 7 I 7, 729, 76 I , 773, 780, 78 3-786, 790, 794,

So� 8o9, 8 2 1 , 8 3 4, 8 4 5 , 8 5 4, 8 5 � 8 64, 8 8o, 892 f., 900, 903 , 90 5 . 9 I 2, 9 I � 9 2 3 , 928, 943 , 948, 9 5 I , 9 5 3 , 960-967, 9 8 3 , 989, I 026 f., I 0 3 I , I 0 7 5 , I 077 f., 1 1 o8 f., I I 2 I , I I 24, I I 40, I I p , 1 1 5 6, 1 1 6 5 , I I 70, I I 74 ff., I 1 79, I I 8 2, u 8 8 Anm. 6 3 , I 1 90 Anm. 5 , 8 , 1 204 Anm. 4 9 , 1 207 Anm. 1 02, 1 2 1 1 Anm. 39, 4 1 , I 2 2 I Anm. 4 , I 2 2 5 Anm. I 2, I 8 , I 226 Anm. 3 0, I 2 3 0 Anm. I 5 , I 23 9 Anm. 90, I 244 Anm. 76, 79, I 24 5 Anm. 2 I , 2 5 , I 246 Anm. 3 0, 3 2, I 24 8 Anm. 8 7, I 249 Anm. I o4, I 0 5 , I 2 5 o Anm. I 23 , I 2 5 I A. I , 1 2 5 2 Anm. I o, I 6, 22, 1 26 1 Anm. I 5o, 1 264 Anm. p, 1 267 Anm. 1 09, 1 2 8 3 Anm. 3 I , I 3 03 Anm. 6 5 , 66, I 3 2 5 Anm. 24, I 3 5 6 Anm. I I 2 Bismarck, J ohanna v., Gemahlin Ottos v. Bismarck 2 I 3 , 266, 3 5 0, 662, 966 Bismarck, Marie v., Gemahlin Kunos v. Rantzau 2 1 3 , 662, 962 Bismarck, Sibylle v., Gemahlin Wil­ helms v. Bismarck 2 I 7 Bismarck, Wilhelm (Bill) v. 2 I 7, 2 3 22 3 7, 3 07, 3 I 9, 662, 664, 7 8 5 Bissing, Moritz Ferdinand Freiherr v., Flügeladjutant Kaiser Wilhelms II. 1 9 5 , 20 5 , 239, 634, 670, I I 8 6 Anm. I 5 Bleichröder, Gerson v., Bankier I 64 f., 248, 2 5 0-2 5 3 , 2 5 5 f., 263, 29 5 , 299, 3 3 3 , 3 3 9-342, 3 5 9 f., 3 70, 3 9 I , 5 42, I 249 Anm. I 04, I 2 5 0 Anm. 1 26, 1 2 8 3 Anm. 29 Blücher, Gebhard Leberecht, Fürst v. Wahlstatt, Feldmarschall 62 I Blumenthai v., Feldmarschall 97 Bluntschli, Friedrich, Architekt I003, I 00 5 Bode, Wilhelm v., Kunsthistoriker 9 9 5 Böcke!, Abgeordneter p6 Boehn, Oktavio v., General 200 Boetticher, Kar! Heinrich v., Staatssekretär, Minister 249, 2 5 2, 2 5 6, 278 ff., 289, 3 0 3 , 3 0 5 f., 3 0 8 , 3 1 6 f., 3 J 2 f., 3 49, 3 76 f., 426, 428, 4 6 I , 49 5 f., 5 04, 759, 76 I , 764 ff., 774-778 , 794, 8o8, 8 I I , 8 8 8 , 90 5 , 9 I 8 , 924,

Personenregister 9 3 2 ff., 9 3 6, 94 5 , 9 5 7, 968, r oo6 f., 1 243 Anm. 59, 1 3 49 Anm. r r 4 Bohrdt, Hans, Marinemaler r oo8, r o r 4 Boisdeffre, französischer General 3 9 5 f. Bosse, Dr. Roben, Minister 3 1 3 , 3 3 4, 5 0 5 , 5 r r, 689, 76 r , 79 1 , 8o8, 980, I005, I o 1 2 f., 1 243 Anm. 59 Bothmer, Ernst Freiherr v. 672 Bourke, Maurice Archibald, britischer Marineoffizier 71 5 ff., r 3 r r Anm. I I 3 Bracht, Eugen, Architekt I 003 f. Bramann, Arzt I 1 9 6 Anm. 29 Brandis v., Flügeladjutant Kaiser Wilhelms II. 4 I o Brandt, Maximilian v., Gesandter 8 3 2 Brauehirsch v., General 20 5 Brauer, Arthur v., badischer Staats­ mann 2 8o, 43 1 , 43 6, 4 5 3 , 5 0 5 , 5 2 1 , 5 24, 6o 8, 6 1 2, 6 r 8-62 I , 629, 676, 699, 7 5 1 , I 23 5 Anm. r p Brefeld, Ludwig, Minister 9 3 8 Brincken, Egon Freiherr von der 9 I 8, 924 Brockdorff, Therese Gräfin v., Oberhofmeisterin 1 9 3 , 4 I O, 70 1 Bronsart v. Schellendorf, Paul, Kriegs­ minister 73, I 44, r 8 6 f., 207 f., 794 Bronsart v. Schellendorf, Walter, Kriegsminister 642, 64 8 , 6 5 5 , 676, 772, 7 8 6, 794, 799, 8o2-8o8, 8 r o, 8 72, 8 8 8 ff., 897--908, 9 I O, 9 1 3 ff., 9 r 7 f., 920-93 ° , 9 3 5 , 9 5 3 , 968 f., 973, 9 8 2, 989, 1 1 3 9, I I 6 5 , I I 7 5 , 1 1 82, I 224 Anm. 92 Brühl, Hedwig Gräfin v., Hofdame 74 Brutus, Marcus Iunius 89 Büchse!, Admiral I 3 r, r I 3 8 Bülow, Adolf v., Flügeladjutant 1 3 1 , I 9 5 , 202, 290, 443 , 64 5 Bülow, Alfred v., Diplomat 2 2 5 . 64 5 Bülow, Bernhard Fürst v., Reichskanz­ ler 3 7, 1 47 f., 1 8 7, 3 5 4, 3 7 1 , 3 72, 4 1 6, 4 8 6, 5 77> 622, 642, 644-649, 6 5 766� 672, 674 f., 684, 686 f., 70 i f., 704, 727, 73 r f., 7 5 7, 780, 79 8 f., 8 I 3 , 8 2 1-8 24, 849, 8 5 6, 8 7o f., 8 8 8 , 902 ff., 909, 9 1 5 f., 9 1 8 f., 922 ff., 927, 9 3 3 , 9 5 3 , 960, 962 f., 9 6 5 , 968, 9 7 r f., 974 ff., 978 f., 9 8 r ff., I o r 6, 1 0 3 5 ,

1 0 50, 1 0 5 3 , r o 5 6 ff., r o 6 r f., r o66, r o68 f., 1 07 3 , r o 8 3 , I o 8 6, r o 89, 1 092, 1 096, 1 1 04, I I 0 8 , I I I O, I I 3 J , 1 1 4 1 , I I 4 3 , I I 49-I I 5 2, 1 1 54, I I 5 6, 1 1 5 9I I 63 , I I 6 5-I I 68 , I I 76, I 2 I I Anm. 4 5 , 1 2 5 4 Anm. 5 8 , I 3 4 8 Anm. 1 04 Bülow, Hans v., Flügeladjutant 1 226 Anm. 29 Bülow, J osefine v., Gemahlin Wilhelms v. Hahnke 1 223 Anm. 64 Bülow, Otto v., Gesandter r 2 r 5 Anm. 1 4 1 Buol-Berenberg, Rudolf Freiherr v., Abgeordneter 784 Caesar, Gaius Iulius 89 Calandrelli, Alexander, Bildhauer 9 8 9 Calma s . Caroline Mathilde Cambridge, Herzog v., Onkel v. Kaiserin F riedrich 5 5 2, 5 5 4, r o8o, r 202 Anm. 1 5 Campbell-Bannerman, Henry, engli­ scher Kriegsminister 5 5 2, 5 5 4 Canis, Konrad 4 1 4, 4 I 9 Caprivi, Georg Leo Graf v., Reichs­ kanzler 1 47, r 8 6 f., 204 f., 2 8 5 > 3 1 5 , 3 3 3 , 3 4 5 , 3 4 8 , 3 62, 3 6 5-3 7 I , 3 73 ff., 3 77> 3 8 1 , 3 8 5-3 90, 392 ff., 396, 3 9 8402, 404, 407 f., 4 I 6, 4 2 I -429, 4 3 3 f., 4 3 7, 439 ff., 443-449, 4 5 2, 4 5 4, 4 5 7 f., 460, 462, 466-470, 472 f., 476-479, 4 8 I-4 8 6, 490, 492, 49 5-5 00, 5 025 2 1 , 5 2 3 , 5 2 5-5 3 0, 5 3 2 ff., 5 4 1 , 5 4 3 , 5 5 � 5 6 � 5 73 , 5 76, 5 7� 5 8 � 594 f., 6o2, 6o4, 6o6 f., 620, 63 I , 639, 6 5 06 5 9, 662-66 5 , 667, 672, 674-677, 679-684, 686-692, 697, 723, 7 5 6 f., 7 5 9, 76 r , 766, 78o f., 78 5 , 797, 8 1 4, S r � 8 2 5 , 89� 9 1 7, 9 2 5 , 9 3 3 , 962, 989, 1 0 3 9 f., I I 26, I I 6 5 , I I 7 I , 1 1 74, 1 2 5 2 Anm. 22, 1 2 5 3 Anm. 29, 1 267 Anm. r r o, 1 279 Anm. I 3 5 , 1 2 8 3 Anm. 3 r Carl Alexander, Großherzog v. Sach­ sen-Weimar 1 272 Anm. 68 Carlos I., König v. Portugal I 5 2 Carnot, Sadi, französischer Staatspräsi­ dent 3 96, 5 66 f., 677 f. Carol I., König v. Rumänien 1 4 8 ff., 3 8 7, I 2 I I Anm. 4 5

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Personenregister

Carolath, Elisabeth v., geb . Hatzfeldt­ Trachenberg 2 I 7 Caroline Mathilde (Calma) v. Schles­ wig-Holstein, Gemahlin v. Herzog Friedrich Ferdinands v. Schleswig­ Holstein-Sonderburg-Glücksburg 694 f., 709, 7I 3, 734 Caserio, italienischer Anarchist 5 66 Cassini, Artur Pawlowitsch Graf v., Generalkonsul 242 f. Catargis, Lascar, mmänischer Premier­ minister I 4 8 Cecil, Lamar 1 269 Anm. 5 Chamberlain, Houston Stewart, Schriftsteller I I 5 3 Chamberlain, J oseph, englischer Kolo­ nialminister 8 72, I o 8 2 ff., I 0 8 7 ff., I 09 I , I I 02, I 3 79 Anm. 3 9 Charles Edward (Charlie, Kar! Eduard), Herzog v. Albany u. Sach­ sen-Coburg-Gotha I 099 f. Charlotte (Ditta) v. Preußen, Gemah­ lin Bernhards v. Sachsen-Meiningen, Schwester Kaiser Wilhelms I I. 26, 30, 78, 82, 94, 99, I O I , 5 62, 5 77, 69 3 , 69 5 , 697, 700, 703 , 707-7 I 7, 722, 72 5 , 727, 7 3 7, 74d., 747 f., 7 5 3 ff., 89 I , I 0 59, I I 76, I I 8 I , I 3 09 Anm. 79, I 3 I 9 Anm. 3 0 I , I 3 74 Anm. I 42 Chelius, Oskar v. 46, 229, 8 62 Christian IX., König v. Dänemark 6 5 , I 5 3 , 3 9 8 , 723 Christian, Prinz v. Schleswig-Hol­ stein -Sonderburg-A ugustenburg, Schwager König Edwards VII. 9 8 , I I 7-I 22, I 24, 1 2 6 f., I 3 0, 5 44, 728 f., 73 2 f., 74o f., 747, 7 5 3 , I 0 8 I , I 204 Anm. 49, I 2o 5 Anm. 6 5 , 1 206 Anm. 92, I 2o7 Anm. I O I , I 3 I 9 Anm. 297, I 3 5 7 Anm. I 3 9 Churchill, Familie 862 Churchill, Lord Randolph 5 70 Clarence, Herzog v. s. Albert Victor Cleveland, Grover, US-Präsident I 6o Connaught, Herzog v. s. Arthur Courcel, Baron de, Botschafter 8 I 9, 8 3 3 , 877 Crailsheim, Friedrich Krafft Freiherr v., Minister 224, 494, 5 2 3 Cramm, Burghard Freiherr v. I 6o

Crispi, Francesco, italienischer Ministerpräsident 68, 8 I 7 Cromer, Lord 8 5 9 Cromwell, 0I iver I I 5 4 Crowe, Eyre 876 Cullen, Michael I 00 5 Cumberland, Herzog v. s. Ernst Au­ gust, Herzog Cumberland, Herzogin v. s. Thyra Dacheux 9 3 4 Daller, Dr. Balthasar, Abgeordneter 4I9 Deines, Adolf v., Flügeladjutant Kaiser Wilhelms II. I I I , I 78 , 262, 474, 8 I 7, 846, I 3 5 4 Anm. 66 Deinhard, Admiral r 5 3 Deist, Wilhelm, Historiker I I Io, I I 3 2 Derenthall, Eduard v. I 002 Deym, Graf, österreichischer Bot­ schafter I 0 8 2 Diederichs, Otto v., Admiral I 3 I , I o 6 I ff., I I 27 Dietz, Amtmann 3 2 Dönhoff, August Graf 5 3 I , 6 3 I , 669, 78 5 Dönhoff, Marie Gräfin, Gemahlin Bernhards v. Bülow I 2 5 4 Anm. 5 8 Dohna, Alfred Graf zu I 3 I Dohna, Eberhard Graf 229, 742 Dohna, Richard Graf 229 Dorothea (Dora) v. Sachsen-Coburg­ Gotha, Gemahlin Ernst Günthers v. Schleswig-Holstein 69 5 , 73 6 f. Douglas, Hugo Graf, Abgeordneter 3 2-3 5 , 39, 42, I 3 6, I 3 9 f., I42, I 4 5 , 1 63 , 268-2 7 I , 3 07, 3 1 8 , 349, 628, I 2 3 6 Anm. 6, I 5 Dragomirow, mssischer General 8 4 I Dryander, Ernst v., Hofprediger 4 5 5 Dufferin, Lord, Vizekönig v. Indien 546 Eca de Queiros, Jose Maria de, Schriftsteller 6I I Eckardstein, Hermann Freiherr v. 873 Eddy s. Albert Victor Edward VII. (Albert Edward, Bertie), König v. England 5 5 f., 63, 78, 8 I , 9 r f., 94 f., 97- 1 2 8 , I 3 0 f., I 3 S , I 5 3 , I 59, I 6 5 , 3 78 , 4 1 0, 4 1 3 , 547 f., 5 5 1 -

Personenregister 5 5 4, 6o3 , 62o, 7 1 1 , 72 1 , 729 f., 8 5 8 f., 8 8o, 1 04 1 , 1 074 f., r o 8 o ff., r o 84, 1 097, 1 099 f., 1 1 90 Anm. 8 , 1 2 0 1 Anm. 1 22, 1 202 Anm. 1 5 , 1 20 5 Anm. 6 5 , I } I I Anm. r r 3 , 1 3 77 Anm. 7 Egloffstein, Heinrich Freiherr v. u. zu, Hofmarschall 682, 796 Eisendecher, Kar! v., Gesandter 247, 2 5 } , 8 62, 9 6 1 f., 1 1 40 Eissenstein-Lhotta, Artbur v. u. zu, österreichischer Geschäftsträger 3 8 , 4 1 , 1 } 9, 2 6 2 , 269 Elisabeth, Gemahlin Kaiser Franz Josephs I. r o p , 1 0 5 3 Elisabeth (Ella) v. Hessen-Darmstadt, Gemahlin d. Großfürsten Sergius 5 8 , 1 5 6, 5 62, 5 77, 69 8, 703 , 70 5 , 709, 72 5 ff., 8 3 4, 1 0 3 5 , 1 1 74 Elisabeth v. Mecklenburg, Gemahlin d. Großherzogs v . Oldenburg r 1 73 Elisabeth v. Wied, Gemahlin König Carols v. Rumänien 1 4 8 f., 7 1 0 Ella s. Elisabeth v. Hessen-Darmstadt Ellis, Arthur, Adjutant König Edwards VII. r o 2- I 0 5 Emanuel, Herzog v. Aosta 73 3 Emin Pascha s. Schnitzer Engelbrecht, Kar! v., Flügeladjutant Kaiser Wilhelms II. 65 5, 682, 8 r 6 f. 8 2 1 f., 8 24 Epkenhans, Michael I I 3 2 Erichsen, John, Arzt 1 3 4, 8 5 6, I I 8o f., 1 209 Anm. I43 Ernst II., Herzog v . Sachsen-Coburg­ Gotha I 5 6, 7 1 0, 727, 729, I I 78 Ernst August, Herzog v. Cumberland 5 5 , 63, 97- I OO, 1 06, I 5 7 Ernst Günther, Herzog v. Schleswig­ Holstein-Sonderburg-Augustenburg 4 I O, 5 78, 693 , 69 5 , 727-73 7, 74 I74 5 > 747, 7 5 I-754, 9 3 6, 9 6 5 , I 3 I 4 Anm. r 8 6, I 3 I 9 Anm. 297, 1 3 5 7 Anm. 1 3 9 Ernst Ludwig, Großherzog v. Hessen­ Darmstadt 5 5 5 , 5 62, 697, 727, 1 0 3 5 , 1 3 8 3 Anm. 9 7 Ernst, Jakob, Fischerjunge 2 2 1 Esebeck, Walter Freiherr v. 229 Esher, Lord I I 8 2 Eulenburg, August Graf zu, Oberhof-

und Hausmarschall 46, 1 4 3 , 2oo, 229, 29 r ff., 3 00, 3 1 7, 3 24, 3 7 8 ff., 40 5 , 4 I O, 4 5 5 , 478, 5 0 1 f., 5 04 f., 5 0 85 I I , 5 3 2, 5 4 5 , 5 9 8 , 6 p, 6 5 5 , 665669, 672, 682, 7oo, 73s, 7 5 1 , 7 5 s , 772, 775, 79 5 , 862, 9 3 I , 9 3 5 , 963 f., 9 8 3 , 1 0 5 0, 1 0 5 6, I l 2 5 , I I 60 Eulenburg, Botho Graf zu, Minister 46}, 5 04 f., 5 o 8 f., 5 3 3 , 5 9 8 , 665, 668, 672, 675 ff., 679--682, 684, 68 8-692, 7 5 6 f., 76 I , 765 f., 78 5 , 904, 909, 9 I 6, 9 1 9, 922 ff., I 1 74, I 3 0 5 Anm. I 0 8 , I 3 22 Anm. 5 8 Eulenburg, Friedrich Graf zu 64 5 , r r 6o Eulenburg u. Hertefeld, Philipp Fürst ZU 3 7, 6 1 , 1 2 8, 1 4 2 f., 1 4 5 , 1 5 7, 1 66, I 77, 1 9 5 , I 9 8 , 20 1 , 22 1-23 1 , 2 3 3 , 24 I , 24 � 248, 2 5 I f., 2 5 4 f., 26 � 2732 80, 2 8 2 f., 289-29 5 , 297-3 00, 302 f., 3 0 5 , 3 07-3 I 3 , po ff., 3 24-3 2 8 , 3 3 I3 3 6, 3 3 8 , 3 47 f., 3 6 5-3 68, 3 7o ff., 3 74, 3 78, 3 8 6, 3 9 I f., 40 I , 4 I 7 f., 427, 4 3 7, 443, 44 5 , 449 f., 4 5 3 , 46o, 463, 465 ff., 48 I, 484-48 7, 493 f., 496-5 o i , 5 0 3 , 5 07, 5 09, 5 I I ff., 5 I 5 f . , 5 20, 5 2 2 f., p6 ff., 5 3 r f., 5 3 7 f., 5 4 8 f., 5 5 8 , 5 66, 5 7 7 f., 5 90, 5 9 8 , 6oo f., 603-607, 6 I 6 f., 622, 629 f., 63 8 , 642-648 , 6 p ff., 6 s 6-66o, 662-666, 669, 67I677, 679 f., 682, 684-68 7, 69o f., 694, 697 f., 700-703 , 706, 7 1 4, 726 f., 73 I73 5 , 73 7 f., 74 5 , 749-7 5 3 , 1 s s ff., 764-769, 77 I , 779, 786, 7 8 8 ff., 792, 79 5-8oo, 8o2-8 I 3 , 8 I 6 f., 826 f., 8 29, 8 3 3 f., 8 3 7-84 I , 843 f., 846-849, 8 5 5 f., 8 59, 8 64, 8 70, 8 8 2, 8 8 8, 893 f., 896, 899-904, 906 ff., 9I I -9 3 I, 9 3 6 f., 9 3 9, 943 , 9 5 2 f., 9 5 8 , 9 6 I , 963, 9 6 5 , 969, 9 7 I , 976, 9 8 1 , 9 8 3 , I 007, I 0 1 4, I O I 6, I 029, I 0 3 I ff., I 0 3 5 ff., I 0 5 2I 0 5 6, I 0 5 8 , I o66, I 09o, r r o8, I I 2 I , I I 2 3 , I 1 2 5 f., I l 2 8 , I I 3 5 , I I 3 8 , I I 40, I I 49, I I 5 3 , I I 5 6, I I 5 9- I I 67, I I 69 f., I I 7 5 f., I I 78, I I 8 I f., I 2 I I Anm. 49, I 240 Anm. I OO, I 2 7 I Anm. s 6, I } O I Anm. I 5 , I 3 48 Anm. I 04 Faure, Felix 8 4 5 Feodora (Baby), Schwester d e r Kaise­ rin Auguste Viktoria 694 f.

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Personenregister

Ferdinand I., König v. Bulgarien 1 49, 847, I 096 Ferdinand I., König v. Rumänien I 5 0 Fesser, Gerd, Historiker 8 7 I , I 0 6 I Finck v. Finckenstein, Graf v. 9 8 I Fischer, Franz, Journalist 2 8o, 282, 29 � 3 0� 3 I � 3 2 I , 3 4 8 , 49 5 , 6 I 6 [, 632, 6 3 8 , I I 20 Förster, Stig I 249 Anm. I 0 5 Forckenbeck, Max v., Oberbürgermei­ ster v. Berlin I 6I f., 428 f., 4 5 4, 5 I 5 Foucauld, Comte de, französischer Mili tärattache 8 I 9 Fragiacomo, Pietro I O I 3 Franckenstein, Georg Arbogast Frei­ herr v., Abgeordneter 272, 274, 276 Franz Ferdinand, Erzherzog I I 5 3 , I I 62 Franz Joseph, Kaiser v. Österreich 49 f(, 6o, 65 f., I02, I 0 5- I 0 8 , I I Q­ I I 4, I 20, I 24, I 2 6 f., I 3 4, I 5 9, I 76, 2 5 8 , 2 6 r f., 3 5 0, 3 5 2 fE , 3 5 6, 3 6 I ff., 3 6 5 , 4 1 7 f., 4 7 1 , 476, 5 2 I , 5 6 r , 662, 69 1 , 8 5 I , 8 7 I , 9 6 1 , 1 03 6 f., I 066, I I 90 Anm. 4, I 20 I Anm. I 2 5 , I 2 5 8 Anm. 8 8 Frederic, Harold 43 Freud, Sigmund 7 5 5 Freyschlag, Ignaz Freiherr v., bayeri­ scher Generaladjutant 3 0 3 Freytag, Gustav 5 7 5 Friedberg, Heinrich v., Justizminister 7], 76, 84 ff. Friedmann, Fritz, Rechtsanwalt 749 Friedrich II. v. Hohenstaufen, Kaiser I058 Friedrich III. (I.), König v. Preußen 683 Friedrich II. d e r Große, König v. Preu­ ßen 3 I , 3 5 , 2 3 9 f., 5 3 2, 5 73 , 5 97, 602, 640, 7 3 8 , 79 3 , 8 24, 934, 9 5 8, 9 7 I , 978, 993, I 020, I 092, I 0 9 8 , I I 6 I Friedrich III., Deutscher Kaiser (= Friedrich Wilhelm, Kronprinz) 2I [, 28, 3 0, 3 4, 3 8 , 40, 42 ff., 4 8 [, 5 I -5 5 ' 5 9 , 7 1 , 73, 7 5 -9 3 , 9 5 -99, ro6 f., I I I , I I 8 , I 2 8, I 3 5- I 3 8 , I 6 I ff., I 67, I 9 5 f., 2 I 2, 2 I � 2 I � 224, 267, 2 7 I , 3 6 I , 3 6 5 , 4 I I , 44 I , 4 6 I , 464, 4 8 2, 5 74 f., 5 8 3 , 5 9 6, 63 I , 664, 69 5 , 722, 7 3 8 , 939, 944, 962, 967, 9 8 7, 999, I O I 4,

I 076, I 084, I 0 8 7, I I 79 f., I I 96 Anm. 29, I 2 I 4 Anm. I 29, I 3 68 Anm. I 5o, I 3 79 Anm. 3 9 Friedrich, Kaiserin, Gemahlin Kaiser Friedrichs III. (Victoria) 30, 3 2, 3 8, 4 3 , 5 2 f., 5 5 , 59, 70, 72-94, 97 f., I O I , I 0 8 ff., I I 5 , I I 7, I 2 I , I 24 f., I 3 2 f., I 3 5 ff., I 4 5 , I 5 2 f., I 6o, I 84, I 8 7, I 9 3 , I 9 5 f., 2 I 4, 2 I 6, 3 0 I , 3 I 9, 3 6 I , 3 67, 3 77, 3 79 f., 396 f., 407, 4 I 5 , 42 I , 4 3 0, 4 5 5 > 464, 476, 490, 5 00, 5 0 8 f., 5 24, 5 3 6, 5 3 8, 5 40, 5 69-5 77, 5 8 3 , 592, 5 9 5 , 6o i , 603 , 6oS , 6 I 9, 638, 642, 66 I , 69 3 , 69 5 , 697, 699 f., 703 f., 706 f[, 7 I O, 7 I 3-7 I 8, 720-728, 730 f., 73 3 , 73 7 ff., 742 f., 7 5 0, 7 8 6, 8 3 7, 8 5 4, S n, 8 8 2 f., 962, 966 f., 99o f., 999, I OO I , I 004, I 008, I O I 4, I 0 3 4, I 044 ff., I 048, I 067, I 070 f., I 073, I 0 7 5 ff., I o 8 I , Io83 f., I o 8 8-I o92, I 094, I 09 8 f., I I 04, I I 77, I I 79, I I 8 2, I I 9 I Anm. 2 5 , I I 9 8 Anm. 68, 76, I I 99 Anm. 92, I 200 Anm. I I 2, I 2 0 I Anm. I 22, 1 267 Anm. I 09, I 3 I I Anm. I I 3 , I 3 I 5 Anm. 2 I 3 , I 3 43 Anm. I 5 3 , I 3 74 Anm. I42 Friedrich I., Kurfürst v. Brandenburg 989 Friedrich I., Großherzog v. Baden 24, 30, 8 8 f., I 5 7, 247 f., 266, 278, 2 8o, 2 8 2, 2 8 7-290, 292, 294, 296 f., 303 f., 3 I 8, 3 3 3 , 3 3 5 f., 3 49 f., 3 66, 3 7 3 , 3 84, 4 3 4, 5 06, 5 1 9, 5 24, 5 67, 5 78 f., 6 I 5 , 63 5 , 639, 6 5 3 , 699, 7 5 I , 7 5 6 f., 765 f., 806, 9 5 3 , 976, I 0 5 I - I 0 5 4, I 0 5 6, I 0 5 8 f., I I 40, I I 66, I I 7 5 , I ] 20 Anm. I I , I 3 2 I Anm. 2 I Friedrich v. Hohenzollern-Sigma­ ringen, General 634 f., 7 I O, 746, 749 f. Friedrich, Herzog v. Anhalt 5 44, 740 Friedrich, Herzog v. Schleswig-Hol­ stein -Sonderburg-Au gustenburg, Fürst v. Noer 4 7 5 , 69 5 , 729 Friedrich v. Sachsen-Meiningen, Sohn Herzog Georgs II. 8 9 I Friedrich Ferdinand, Herzog von Schleswig-Holstein -Sonderburg­ Glücksburg 694 f. Friedrich Franz III., Großherzog v. Mecklenburg-Schwerin 846

Personenregister Friedrich Kar!, Prinz v. Preußen 97, 5 44 Friedrich Kar! (Fischy), Landgraf v. Hessen-Kassel 5 6 r , 69 5 , 697, 707, 727, 74 I-744 Friedrich Leopold, Prinz v. Preußen I 68, 694 f., 73 7-740, I I 63 Friedrich Wilhelm I., König v. Preußen I 6� 24 5 , 5 73 , 6 8 3 , 72 I , 793 , I02� I I IO Friedrich Wilhelm II., König v. Preu­ ßen 267, 597 Friedrich Wilhelm III., König v. Preu­ ßen 82, 2 5 2, 5 7 I , 590, 5 9 7, I 0 2 I Friedrich Wilhelm IV., König v. Preu­ ßen I92, 267, 4 5 5 , 5 7 I , 6o7, 7 5 0, 8 8 3 , I 020, I I 27, I I 7 5 Friedrich Wilhelm der Große, Kur­ fürst v. Brandenburg 43 5 , 5 3 2, 5 70, 6o� 6 I � 939, 9 5 8 , 97 I , 978, I02 I , I 092, I I 5 6, I I 63 Friedrich Wilhelm, Großherzog v. Mecklenburg- Strelitz 24 Fritzen, Bischof Dr. Alfons, Abgeord­ neter I I 24, I I 26 Fürstenberg, Dorothee v., geborene Talleyrand-Perigord 2 I 7 Fürstenberg, Kar! Egon Fürst zu 742, 765 Fusangel, Johann, Abgeordneter 4 I 9 Galimberti, Luigi, Kardinal I 6 5 Gall, Lothar I 2 4 5 Anm. 2 5 Galliera, Herzog v. I I 98 Anm. 76 Galliera, Herzogin v. 82, 3 97, I I 9 8 Anm. 76 Gallifet, Gaston-Alexandre-Auguste Marquis de, französischer General 396 Gaupp, Robert, Psychiater I I 8 2 Geffcken, Heinrich, Staatsrechder 76, 8 5 , 8 8 ff., 2 I 6 Georg I., König v. Griechenland 63, I O I , I p , 72 I , 72 5 , 8 2 8 , I 043 ff., I 048 Georg II., König v. Griechenland I 5 I, 723 Georg V., König von Hannover 63, 98, 5 44 Georg, König v. Sachsen 47, 4 7 I , 5 22, 6I 5

Georg II., Herzog v. Sachsen-Meinin­ gen 47 I , 5 78, 729, 89 I George III., König v. England I I 8 I f. George V., König v. England I 09, I 3 0, I 3 � I 4� I 5 3 , 546, 703 , 77� 8 5 7 f� 8 8o, I 0 7 5 , I ) I I Anm. I I 3 , I 3 77 Anm. 7, 20 Gerhardt, Kar!, Arzt 76, I I 96 Anm. 29 Gersdorff, Claire v., Hofdame I 9 3 , 4 I o Giers, Nikolai Karlowitsch v., russischer Außenminister 3 8 2, 3 8 6-3 89, 5 40, 543 Giese, Bürgermeister v. Altona 773 Gladstone, William Ewart, englischer Premierminister 5 44, 5 5 4, 5 5 8 Gleichen, Eddie Graf I O I Glinka, russischer General 5 7 Godet, Pasteur, Erzieher Kaiser Friedrichs III. 8 5 Goering, Karl 499, 5 29, 7 5 9 Görtz, Anna Gräfin 73 3 , 73 5 f. Görtz, Emil Graf 69 8 , 73 3 , 73 5 f., 840, 94 I , I O I 9, 1 2 p Anm. 9, I 3 07 Anm. 23 Goltz, Colmar von der, Feldmarschall 243 f., 5 1 7 Goltz, Kar! Friedrich Graf von der, Generaladjutant I 9 3 , 406, I 2 3 o Anm. 3 5 Goluchowski, Agenor Graf, österrei­ chischer Außenminister 847, 8 5 I Gosselin, Martin 8 q, 8 p, I I 74, I I 78 , I I8I Goßler, Gustav v., Kultusminister 274, 278, 3 06, 3 76 f., 430 f., 4 3 3 f., 4 5 6, 46o ff., 492, 5 68, 5 72, 7 8 5 , I I 8 8 Anm. 5 7, I 2 3 7 Anm. 44, I 3 5 0 Anm. I 5 I Goßler, Heinrich v., Kriegsminister 474 f., p 8 , 929 f., 94 5 , 968, I 0 6 5 Gowrko, russischer General 5 4 3 , 1 2 8 3 Anm. 3 I Grenfell, Francis, englischer General I 8 2 f., 8 6 I Grierson, Sir James, englischer Militär­ atrache I 029, I 0 3 7, I 044, I 078, I o 8 I , I 09 5 , I 09 8 ff., I I 02 f. Gröben, Graf von der 728 Groddeck, Georg, Psychiater 7 I 4 Grumme, Ferdinand v. I I 8 7 Anm. 3 4 Günther, Heinrich v. 760

Personenregister Gustav V., König v. Schweden 1 46, S27, S29 Gwendolen, Lady, Tochter Lord Salis­ burys 1 1 79 ff. Hänisch v., General 9 r 8 , 924, 929 Hagenauer, Frau 742 Hahnke, Wilhelm v., Chef des Militär­ kabinetts Kaiser Wilhelms II. r 3 r , 1 9 8 , 200, 202 f., 20 5 , 2 1 0, 2 5 S, 2 S4, 290, 294 f., 342 ff., 3 5 0, 3 74, 407, 4 1 0, 42} ff., 4 5 2, 46 5 , 472 f., 476 f., 4SO, 484, 4 S 6 f., 5 1 0 f., 5 S 2, 592, 634, 64 1 , 6 5 } f., 6 5 5 , 6S2, 686, 744 f., 747, 7 5 2, 772 f., 775 . 777, So2 ff., 8 o 5 , So7 f., S S 8 ff., 89S, 9 1 1 , 922, 928, 9 3 s, 972, 9 S 3 , 1 0 50, r r r r , 1 1 77, 1 22 3 Anm. 64, 1 3 2 8 Anm. 99 Hahnke, Gustav v. r 1 77 Hamann, Brigitte r 1 90 Anm. 7 Hamilton, Lord George 1 260 Anm. 1 1 2 Hammacher, Friedrich, Abgeordneter 94 5 , 9 5 0 Hammerstein-Gesmold, Wilhelm Frei­ herr v., Chefredakteur, Abgeordne­ ter 267, 27o f., 2 8 3 ff., 499, 1 1 22 Hammerstein-Loxten, Ernst Freiherr v., Landwirtschaftsminister 763 , 766, 776, 794, 8o8, 8 89, 977 Hanotaux, Gabriel, französischer Au­ ßenminister 8 3 3 , 1 0 3 4, 1 0 3 7 Harden, Maximilian 6o6, 627, 664, 7 5 5 , 963, 1 1 5 6 ff., I I 6o, 1 296 Anm. 59, 1 3 24 Anm. r Harewood, Lord 86 r Harrack, Auguste Gräfin S 2 Hatzfeldt-Trachenberg, Hermann Fürst v. 762 Hatzfeldt-Wildenburg, Paul Graf v., Botschafter in London 1 0 5 ff., I I 6 f., 1 22, 1 24- 1 27, I} I , 1 8 2, 2 1 } , 3 70 f., 3 77, 402, 4 1 0, 548 ff., 6 5 9, 8 r 8, S 5 3 f., S 6o ff., 8 67, S 7o, 872, 8 74 f., S n, 8 S 7, 1 043 f., 1 0 7 5 , r o 8 2 , r o S4, r o 8 7, r o9o ff., I 09 5 , 1 206 Anm. 8 S , I 207 Anm. I O I , I 3 I 4 Anm. I S 5 , I } So Anm. 49 Hechler, William H. I o p ff., I o 5 S Heeremann, Dr. Clemens Freiherr v., Abgeordneter 79 I

Heine, Th. Th. I o 5 o Heinrich VIII., König v. England 6 I 2 Heinrich das Kind, Markgraf v. Brandenburg ro2 I Heinrich v. Preußen, Bruder Kaiser Wilhelms II. 22, 3 8, 5 3 , 5 6 ff., 68-7 1 , 7 3 , 76, 7 8 , S 2 , 94, I 3 D- I 3 3 , 1 3 9, I 68 , I 8 5 f . , 1 90, 204, 2 I 7, 3 4 6 , 3 6 5 f., 407 f., 4 I } , 443 , 4 6 5 , 5 0 } , 5 } 8, 546 f., 5 62, 5 77, 5 9 1 , 6 5 6, 66 5 , 667 f., 69 } , 69 5 , 697, 7° 3-7° 8 , 72 5 , 73 6 f., 777, 796, 799, 8 34, 8 36 f., 846, 849, 894, 940 f., 943, 949 f., 963, 1 029 f., 1 0 3 8 , r o 6 5 , I o67- 1 0 7 1 , 1 074, I o 8o, I r o9, I I I I , I I } D-I I 3 3 , 1 1 } 9, I J 42 f., I I p , I I 7} , I r 76, I I 8 r , 1 1 94 Anm. S r , I 2 I 9 Anm. 79, 1 2 5 3 Anm. 29, I 3 08 Anm. 5 6, 1 3 09 Anm. 69, 72 Heinrich, Prinz v. Schönburg-Walden­ burg, Flügeladjutant Kaiser Wil­ helms II. 1 9 8 Heldburg, Ellen v., Gemahlin Herzog Georgs II. v. Sachsen-Meiningen 7 1 2, 7 5 4, I } I O Anm. r oo Helena (Lenchen), Gemahlin Chri­ stians v. Schleswig-Holstein, Schwe­ ster d. Kaiserin Friedrich 84 f., 1 3 0, 7 1 0, 740 f., 744 Helene v. Orleans 73 r ff. Helene, Prinzessin v. Mecklenburg­ Strelitz, Gemahlin Alberts v. Sach­ sen-Altenburg 5 3 6, 1 2 8 1 Anm. 8 Helldorff-Bedra, Otto Heinrich v., Abgeordneter 2 80, 299, 3 3 3 , 342 f., 473, 494 f., 497-502, 5 04 f., 6o4, 628, 792 Helmholtz, Hermann Ludwig v., Phy­ siker I 277 Anm. 96 Henckel v. Donnersmarck, Guido Graf, Abgeordneter 5 8 5, 670 ff., 794 Herbette, Jules Gabriel, französischer Botschafter 3 9 6, 8 1 9, 8 5 3 , 8 74 Herff, Pranz v., Generalkonsul 868, 871, 8 74 Herrfurth, Ludwig, Innenminister 4 3 0, 4 5 I , 4 5 8, 46� 499, 5 0 � 5 0 S f. Herz!, Theodor I o p- r o 5 8 Heuduck v., Hauptmann 740 Heydebrand, Dr. Georg v. 762 f., 766, 953

Personenregister Heyden, August v., Maler 307, 349, 3 89 Heyden-Cadow, Wilhelm v., Land­ wirtschaftsminister 427, 76 I ff. Hinzpeter, Dr. Georg Ernst 8 5 , I 3 6, I 42, 2 3 0, 24 5 , 266, 2 8 2-2 8 7, 292, 29 5 > 297> 3 00-3 0 3 , 307, 3 I O, 3 I 3 f., 3 I 8, 3 2 3 f., 3 46 f., 349, 3 5 1 , 3 5 4, 3 9 3 , 3 9 6, 43 r f., 4 3 7, 4 5 4 f., 4 5 9-463, 49 5 , 5 5 8, 5 66, 5 80, 6oo, 62 8 , 779, 792 f., 8 8 8, 9 3 8, 974, I 029 f., I I 24, I I 6 3 , I I 7 I , I I 74, I I 8 8 Anm. 5 8, 6 3 , I 229 Anm. 2, I 2 3 8 Anm. 5 5 , I 242 Anm. I 9, I 2 p Anm. 9, 1 269 Anm. I 7 I Hirsch, Baron I 6 5 Hitler, Adolf I I 5 3 Hobrecht, Arthur, Minister 4 3 7 Hoensbroech, Paul Graf 79 5 f., 8 0 3 , I p6 Anm. 64 Hoffmann, Paul, Vizeadmiral I 3 I , I 4 3 , I 5 3 f., I 5 8 , I 84 f., 3 66, 406 f. Hohenau, Charlotte (Lottka) Gräfin v. 74 I-74 5 , 7 5 2 f. Hohenau, Friedrich Graf v. I ) I , 74 I74 5 > 747, 7 5 2 Hohenau, Wilhelm v. 742 Hohenlohe-Langenburg, Adelheid zu, Gemahlin Herzog Friedrichs v. Schleswig-Holstein 69 5 Hohenlohe-Langenburg, Ernst zu I 22, I 2 5 > I 6 5 , I 8o, 2 5 7, 3 9 5 , 40 5 , 49 3 , 5 2 3 , 5 3 5 , 5 3 8 , 5 40, 547 ff., 5 5 4, 5 78 , 5 8 2, 7 I O, 7 I 4, 729, I I OO, I 204 Anm. 49, I 34 5 Anm. 22 Hohenlohe-Langenburg, Hermann Fürst zu I 8 I , 3 8 7, 4o2 ff., 5 2 3 , 5 5 4, 5 78, 7 I O, 7 I 4, 7 5 7, 765 f., 8 I 7 f., 8 64 f., 972, I 3 26 Anm. 64 Hohenlohe-Langenburg, Viktor zu I25 Hohenlohe-Ö bringen, Christian Krafft zu 5 9 8 , 747, 7 5 1 , 9 8 I f. Hohenlohe-Öhringen, Friedrich Karl zu 742 Hohenlohe-Schillingsfürst, Alexander zu 5 8 I , 648 , 76o ff., 766, 769, 78o f., 79 5 > 79 8, 8 I 5 , 8 I 9, 8 8 6, 902, 907, 90 � 9 I 3 , 928 f� 9 3 I f., 93 � 97� I 3 48 Anm. 8 2 Hohenlohe-Schillingsfürst, Chlodwig

Fürst zu, Reichskanzler I 47, I 6o, 3 66, 3 68 , 3 77, p o, 53 I, 5 8 0 f., 5 94 f., 5 9 7 f., 607, 666, 692, 729 f., 747, 7 5 2 f., 7 5 6-77 5 , 778 , 78 I -8oo, 8028 2 5 , 8 27, 8 29-8 3 4, 8 3 6-840, 843, 8 4 5 f., 848-8 p , 86r, 8 64 ff., 8 70, 872 f., 8 8o, 8 8 2 f., 8 8 4 ff., 8 8 8-894, 896, 898-9 I 5 , 9 I 7-94 3 , 945 f., 9 5 09 5 3 , 9 5 5 f� 96o f., 96� 96� 96� 9 7 I 9 8 3 , 9 8 7, I 02 8 , I 0 3 Q- I 0 3 4, I 0 3 6, I 0 3 8 , I 044, I 046 ff., I 0 5 6, I 0 6 I ­ r o66, I 080, I 0 8 3 f . , I 0 8 8 , I I OO, I I I 5 , I I 2 I - I I 29, I I ) 3 , I I 3 5 ff., I I 3 9 ff., I I 48 ff., I I 5 9, I I 63 , r r 66, I I 73 , I I 76, I 3 2 I Anm. 2 I , I 3 22 Anm. 5 8 , 1 3 24 Anm. r , r 3 26 Anm. 64, 1 3 29 Anm. r 3 r , I 3 3 I Anm. 2 5 , 1 3 42 Anm. 1 4 5 , I 3 4 5 Anm. 20 Hohenlohe-Schillingsfürst, Constantin zu, österreichischer Obersthof­ meister r 02, r I 2 ff., 760 Hohenlohe-Schillingsfürst, Gustav Adolf, Kardinal 67, 70, 730, 76o, 8 r 7, r r 6 3 , r 3 2 r Anm. 2 r Hohenlohe-Schillingsfürst, Karl zu 531 Hohenlohe-Schillingsfürst, Marie v., Gemahlin Fürst Chlodwigs 7 5 8 , 768 f., 9 3 ! Hohenlohe-Schillingsfürst, Moritz v. 769 Hohenlohe-Schillingsfürst, Stephanie V. 760 Hohenthal, Wilhelm Graf v., Gesand­ ter 3 I 5, 3 r 7, 5o 5 Hohenzollern, Haus 2 r , 3 3 ff., 3 7, 40, 42 f., 76, 78, I 9 I , 2 2 ) , 3 1 4, 3 29, 3 47, 3 6 r , 3 79 f., 43 5 f., 48 r , 5 2 8 , 5 3 3 , 5 68 , 5 8 8, 602, 6o8 , 6 r o, 6 r 4, 622, 63 3 , 692 f., 699, 703 , 70h 728, 73 1 , 740, 90 � 9 3 � 9 s s f., 9 s 8 , 96 s f., 9 7 r , 9 8 � 998, I o r 8 , I 0 5 6, 1 09 3 , r r 5 7, I r 78 Hohenzollern-Sigmaringen, Haus r 4 8 Hoiningen-Huene, Ernst Freiherr v., Militärattache 297, 4 3 7, 4 8 r , 8 r 6, r 226 Anm. 2 5 Holleben, Theodor v., Gesandter 8 r 6 Hollmann, Friedrich v., Admiral r 3 r , 407 f., 772, 77 5 , 799, 8 6 5 , 8 7z f., 8 76, 890, 9 3 2 f., I I I O, I I 2 I , 1 1 24, I I 26I I 3 I , I I ) 3 , I I 3 5 ff., I I ) 9 f.

Personenregister Holstein, Friedrich v. 5 8 , 67 f., I 3 8 ff., I42, I 62, I 77, I 9 I , I 9 5 , 20 I , 206, 2 I 2, 2 3 I , 244, 247 f., 2 p, 266, 274280, 2 8 2 f., 2 8 5 , 289 f., 295 ff., 3 00, 302, 3 04 f., 3 07, 3 09 f., 3 I 2, 3 20 ff., 3 24, 3 2 8 , 3 3 I-3 3 7, 347 f., 3 5 1 , 3 6 5 f., 3 6 8 , 3 7D-3 77> 3 8 ! , 3 8 5 f., 3 89 f., 400, 422, 427, 4 3 7, 443 , 445-448, 460, 467 f., 477, 479, 4 8 I f., 484 ff., 494, 497 ff., 5o3 f., p o, 5 1 5 f., 5 22, 5 2 7 f., 5 3 7, 5 40, 5 9 7, 5 99-6o 8 , 6 I 6 f., 622, 63o, 642, 647 f., 6 5 7 f., 66o ff., 664, 669-672, 674, 676, 679, 684, 7 5 2, 7 5 8 ff., 764 f., 767 ff., n r , 778 ff., 787, 79 5 > 797 ff., 8o6, 8o9, 8 1 2, 8 r 5 f., 8 r 9 f., 822, 8 24, 8 3 7, 843 f., 846, 848 ff., 8 5 4 ff., 8 6o, 8 7o, 8 72-8 7 5 , 8 77, 8 8 s , 8 8 7, 8 89 f., 892 f., 900-906, 9 1 r f., 9 I 4, 9 I 8-9 2 I , 924 ff., 9 3 r f., 9 3 8 , 942, 9 5 3 , 969, 979, 989, I 0 3 0 ff., I 0 3 7, I 063, I 0 8 6, I 092, I I I 2, I I 2 I , I I 2 3 , I I 2 5-I I 2 8, I I 3 4, I I 3 6, I I 60, I I 6 5 , I I 73 , I I 79, I I 8 2, I 2 2 I Anm. I 2, I 22 3 Anm. 62, I 246 Anm. J 2, I 2 7 I Anm. 5 6, I 27 5 Anm. 5 5 > I 3 46 Anm. 3 5 , I 3 48 Anm. 8 2 Holzamer, Wilhelm, Lyriker I 02 I Holzing-Berstett, Max Freiherr v., Flügeladjutant Kaiser Wilhelms II. I 59, I 9 8 Homolatsch, Anna 464, I 22 8 Anm. 8 6 Hompesch, Alfred Graf 5 3 2 Hornby, englischer Admiral I 8 8 Hoskins, Sir Anthony, englischer Admiral I 8 8 , I 90, I 220 Anm. 90 Hoyos, Marguerite Gräfin, Gemahlin Herberts v. Bismarck 662 Hülsen-Haeseler, Dietrich Graf v., Flügeladjutant Kaiser Wilhelms II. 4 I O, 643 , 682, 7 5 1 , 990 Hülsen, Georg v. 7 5 I, 9 5 9, I I 67 Huene, Kar! Freiherr v., Abgeordneter 274, 3 I 3 , 3 20, 5 2 3 , 6 5 3 Huene s . a . Hoiningen Humbert s. Umberto Hutten-Czapski, Bogdan Graf v. 8o6 f. Ihne, Ernst 9 6 5 , 989, 99 I , 994, I O I 4 Ilberg, Leibarzt 6 8 2 , I 0 5 0 lrene v. Hessen-Darmstadt, Gemahlin

Prinz Heinrichs V. Preußen n, 4 I 3 , 546 f., 5 62, 69 5 , 697, 699, 703-706, 709, I 074, I 3 o 8 Anm. 5 6 Jackson, Günstling König Karls I. v. Württemberg 24 Jacobi, Albano v., Flügeladjutant Kai­ ser Wilhelms II. 9 5 . 682, 8 I 6, 862 Jacobi, Hugo, Journalist 67 I f. Jagemann, Eugen v., Gesandter 7 5 6, I I I 5 f. Jagow, Kurt I 2 I 9 Anm. 84 Jameson, Leander Starr 8 67, 8 7 I - 8 7 5 , I 097, I I 2 I Jencke, Johann Friedrich, Industrieller 3 I 3 , 3 2 8 , 426 ff., 4 3 4 Jersey, Lord 8 6 I Joachim v. Preußen, Sohn Kaiser Wil­ helms II. 74, 7 I 8, I I 8 2 Joachimides, Christos I O I 4 Johann Albrecht, Herzog v. Mecklen­ burg 5 3 I , I I 2 5 Kalau vom Hofe, Marineattache 8 3 9 Kall v., Admiral I 3 I Kalnoky, Gustav Graf v., österreichi­ scher Außenminister I 02, I 04, I 0 8 , I I O, I I 3 f., I I 9, I 24, I 3 4, 397, 663 , 69 I , 8 I 4, 8 3 4, 846 f., u 89 Anm. 8 3 , I 20 5 Anm. 6 5 , I 207 Anm. I O I Kaltenborn-Stachau, Hans v., Kriegs­ minister I 9 8 , 42 5 f., 44o ff., 446, 472, 490, p i , 5 1 7 f., 6 3 6, 6 5 5 Kanitz, Hans Wilhelm Graf 4 5 7, 5 3 I , 668, I I 22 Kardorff, Wilhelm v., Abgeordneter 3 3 0, 5 2 5 , 944 Kar! der Große, Kaiser 892 Kar! 1., König v. England 5 69, 5 72, 607 Kar! 1., König v. Wi.irttemberg 6 5 , I 5 6 f., 2 2 I , 247, 469, 479 Kar! Ludwig, Erzherzog I Io, I I 4 Kayser, Dr. Paul 2 7 8 , 2 8o, 282, 3 07, 3 I o, 3 ! 2 f., J 2 I , 3 24, 3 2 7 f., 3 3 2 f., 3 3 6 f., 3 46, 3 4 8 , 4 5 9 , 462 f., 799, 8 I 7, 8 64 f., 8 7 r ff., 890, I I 2 3 , I I 2 5 , I 246 Anm. 3 2 Keller, Mathilde Gräfin, Hofdame I 9 3 Kennedy, englischer Botschafter 68 Kennedy, Paul I028, I I 09

Personenregister Kessel, Gustav v., Flügeladjutant 46, 5 3 , 78, 8 3 , r 3 r, 1 9 5 f., 229, 290, 293, 3 24, 4 1 0, 448, 5 89, 66 r f., 665 > 796 f., r o 5o, 1 226 Anm. 29 Keszyki, Heinrich v. 229 Kiderlen-Wächter, Alfred v., Diplomat 5 3 f., 5 6 ff., 62, 1 3 8 f., I 84, 2 5 4 f., 278, 3 7 5 . 3 89, 400, 407, 428, 4 3 7 f., 446, 468 f., 4 7 I , 477, 479, p o, 5 1 3 , 5 1 5 , p2 f., 5 49, 6o2, 6o 5 , 6 p , 6 5 7, 662, 669-672, 68o, 69 8 , 72 8 , 8 54, 8 58 ff., 94 1 , I I I 2, I 1 2 7 Kimberley, John Woodhouse Earl, englischer Kolonialminister 867 Klopp, Emilie (Miss Love) 2 3 1-23 7, 4 6 5 , 696, 9 3 6 Knackfuß, Hermann, Professor 8 4 0 f., 9 8 7, r oo9 f., r o r 4, 1 3 3 4 Anm. 9 3 , 1 3 62 Anm. r r Knesebeck, Bodo v. dem 4 1 0, 5 80 Knollys, Sir Francis, Privatsekretär Al­ bert Edwards, Prinz v. Wales I 1 7, I 2 3 , r 2 5 ff., 5 5 3 , ! 206 Anm. 8 8 Knorr, Ernst Wilhelm Eduard v., Admiral 77 5 , 8 3 r , 872 f., 890, I I 26, 1 138 Knorring, Ludwig Freiherr v. 742 Koch, Richard, Reichsbankdirektor 763 Köge!, Rudolf, Hofprediger 2 5 , 4 5 5 Köller, Ernst Matthias v. 7 5 6, 7 5 8 f., 76I ff., 766, 776, 782, 787 ff., 794 f., 799 f., 8 0 5 , 807-8 1 2, 8 7 1 , 8 8 8 f., 897, 89 � 902 f., 90� 9 I 0, 93 I , I I 7 5 Köller, Georg v., Abgeordneter 503 Koner, Max, Maler 6o 8 f. Konstantin I., König v. Griechenland I O I , r p f., 2 6 r , 69 5 , 697, 707, 72072 5 , 1 229 Anm. 5 Konstantin, russischer Großfürst r 5 r , 5 40 Konstantinowitsch, Gabriel r 5 r Konstantinowitsch, Johann r 5 r Kopp, Georg v., Erzbischof v. Breslau, Bischof v. Fulda 274, 79 8 , 1 3 26 Anm. 5 1 Koscielski, Joseph v., Abgeordneter 5 59 Koser, Reinhold, Historiker r o r 9 f., ! 022 Kotze, Leberecht v., Zeremonienmei-

ster 742, 744-7 5 5 , 772, 8 8 8 , 90 5 , 9 3 6, r 3 r 8 Anm. 2 6 3 , 276, 1 3 1 9 Anm. 284, 2 8 5 , 297, 1 3 20 Anm. 3 0 1 Kotze, Elisabeth v., Gemahlin Lebe­ rechts v. Kotze 742, 74 8 , 7 5 4 Kotze v., Oberstleutnant r 3 r Kraue!, Friedrich Richard, Diplomat r 8o, 6o2 Kropatschek, Wilhelm, Redakteur 462 Krosigk, General 639 Krüger, Paulus, südafrikanischer Staatsmann 868, 8 7 r , 8 74 ff., 878, 8 80, 8 8 2, 8 84, ! 0 3 3 , 1 074 f., 1 078, 1 097, I I 2 r f., I I 3 0 Krüger, Bevollmächtigter d. Hanse­ städte im Bundesrat r r I 5 Krupp, Friedrich Alfred, Industrieller 3 1 3 , 40 � 424, 426, 978, I 077 Kunze, Geheimrat 5 r 2 Kusserow, Heinrich v., Gesandter 242 Laetitia, Herzogin v. Aosta, geborene Bonaparte 73o f., 7 3 3 Lamsdorff, Wladimir Nikolaj ewitsch Graf, russischer Außenminister 59, 3 8 5, 3 8 8 Landgraf, Arzt r r 9 6 Anm. 29 Langen, Albert, Verleger 1 0 5 0 Lansdowne, Henry Charles Keith Marquess of, englischer Staatsmann 8 6o f. Lascelles, Sir Frank, Botschafter 8 5 6, 8 74 f., 8 8o, 8 8 4 ff., 9 3 5 , r o 8 o ff., r o 89, 1091 f., 1 094, 1 096 f., 1 099 f., I I 02I I 0 5 , 1 1 78, I I 8 I Launay, Eduard Graf de, Botschafter r 6o Lavisse, Ernest, französischer Historiker 43, 6 I o f., 6 q Leckert, Heinrich, Journalist 9 3 6 Lecomte, Raymond 1 0 3 7 Ledochowski, Mieczyslaw Graf v., Kardinal, Erzbischof v. Posen 276 Lehmann, Bürgermeister v. Harnburg 778 Lehndorff, Heinrich August Graf v., Generaladjutant Kaiser Wilhelms I . 1 9 3 , 77 1 , 1 2 2 1 Anm. I 2 Lehnert, Uta r o r9, r o 2 r Leist 6 5 6 Lenbach, Pranz v., Maler 665

Personenregister Leo XIII., Papst 68 ff., 1 46, r 6 3 , 4 1 8 Leopold II., König der Belgier 8 5 , r o7, 6r 5 Leopold, Bruder der Kaiserin Fried­ rich 706, 1 099 Leopold v. Bayern, Generalfeldmar­ schall 47, 468, p 2 f., 63 5 Lerchenfeld-Köfering, Hugo Graf, Gesandter 40, 4 5 f., 278 ff., 289, 3 0 3 , 3 1 5 ff., 3 42, 74 5 , 7 5 0, 8 7 3 , 894 Leszczynski, Paul v., General 66r Leuthold, Dr. Rudolf, Leibarzt 53, 59, 6}, 1 } 9, 1 4 } , 19}, 4 1 0, 501, 682, 8 62, 963, 1 0 50, I r68 ff., I 1 76 Levetzow, Albert Erdmann v., Reichstagspräsident 5 3 o f., 63 1 , 1 1 24, 1 1 26 Leyden, Casimir Graf v. 1 3 0, r p , 6 5 9 Lichnowsky, Kar! Max Prinz 1 1 43 Lichtwark, Alfred r o r 3 Liddell, Dean r r o 5 Liebenau, Eduard v., Oberhofmar­ schall }9, 4 1 , 7 1 , 8 5 , I } I, 1 99 f., 2 I I , 2 ! 6, 2 } 9, 270 f., 290-294, 3 78 ff., 464, 48 1 , 4 8 7, 5 68, 1 22 8 Anm. S r , 1 2 3 9 Anm. 9o Lieber, Dr. Ernst, Abgeordneter 4 1 9, 796, 79 8, 9 1 2 Liebermann, Max, Maler r o r 3 , r o 2 1 Liebermann v. Sonnenberg, Max, Ab­ geordneter 5 26 Lieben, Eduard v., Gouverneur v. Deutsch-Ostafrika 40 I f. Liebknecht, Wilhelm 6 r 9, 782, 940 Li Hung Tschang, chinesischer Vize­ kaiser 597 Limburg-Stirum, Friedrich Wilhelm Graf zu, Abgeordneter 3 72, 3 74, 979 f., I 2 5 4 Anm. 63 Lindau, Rudolf, Legationsrat 249 f., 296, 3 24, 477, 479 Lindenau, Kar! v. 92 5 Lippe v., Flügeladjutant Kaiser Wil­ helms II. 1 9 5 , 4 6 5 , p 2, 8 62, I 226 Anm. 29 Lippe-Biesterfeld, Ernst Graf zu 89o, 93 8 Lippe-Biesterfeld, Gräfin 8 9 1 Lippe-Detmold, Alexander Fürst v. 890 Lippe-Detmold, Woldemar Fürst v. 890

Lobanow-Rostowski, Alexei Fürst v., russischer Außenminister 8 20, 8 4 I , 849, I } } I Anm. 2 5 , 1 3 3 2 Anm. 67 Loe, Familie 2 1 7 Loe, Walter Freiherr v., General p r , 6 r 5 , 63 5 , 8o6, 898, I 299 Anm. 1 24 Löwenfeld, Flügeladjutant Kaiser Wil­ helms I I. I I 04 Lohmann, Christian Theodor 3 3 4 Loisinger, Johanna Maria, Gemahlin Alexanders v. Bartenberg r 5 0 Londonderry, Lord 8 6 r Lonsdale, Hugh Cecil Lowther Earl o f 682, 862 f., 8 8 3 , 9 8 5 , I 3 3 8 Anm. 5 3 , 5 6, 1 3 78 Anm. 2 8 , I 3 8o Anm. 49 Louise, Königin v. Preußen 70 I Louise, Herzogin v. Fife 1 3 0, 709 Love, Emilie s. Klapp Lucanus, Hermann v., Chef d. Zivilka­ binetts Kaiser Wilhelms I I. I 3 r, I 3 9, I 66 f., 200 ff., 2 1 0, 239, 249, 2 5 2, 270 f., 279, 290, 294, 3 44, 3 5 0, 4 I O, 427 f., 4 } 8 , 4 5 2, 4 5 5 f., 4 5 8 f., 462, 49 5 f., 5 0 } , 5 06, 5 09, p 2, 5 80, 592, 5 9 7, 6 5 o, 6p, 68 I f., 747, 759, 772 f., n8, 7 8 7 ff., 79 5 , 799 ff., 8o3, 8o7, 809, 8 I r f., 8 8 8 f., 8 9 I ff., 909, 9 I 5 f., 9 2 8 f., 9 3 8, 963, 9 8 3 , 990, 1 0 1 2, I 0 50, I I 49, I I 5 I , I I 5 9, I I 66, 1 } 29 Anm. I 29, 1 3 49 Anm. r r 4 Lucius v. Ballhausen, Roben Freiherr v., Minist er 7 3 , 3 76 f., 427, 4 5 4 Ludwig XIV., König v. Frankreich 5 69, 5 8 5 , 9 3 4 Ludwig XVI., König v. Frankreich 5 04 Ludwig II., König v. Bayern 1 3 0, I 9 8 , 2 2 I , 5 0 3 , 6o r , 6o4, 6o7, I I 7 5 Ludwig III., König v. Bayern 4 7 1 , 706, 8 r 8, 894 ff., r r 76, I 3 4 5 Anm. 22 Ludwig IV., Großherzog v. Hessen 7 1 , n, r 22, I 5 6, 5 74 f., 704, 724, 8 3 7, I 2 I 4 Anm. 1 29, I 29 5 Anm. 3 9 Ludwig I I . der Römer, Markgraf v. Brandenburg 1 0 1 9 Lützow, Polizeiagent 9 3 6 Luise, Königin v. Dänemark 6 3 , I 5 3 , 398, 837 Luise v. Preußen, Gemahlin Großher­ zogs Friedrich I. v. Baden 3 8, 8 5 , 8 8 , 2 8 7, 5 78 f., 970 Luise v. Sachsen-Coburg- Gotha 7 3 7

Personenregister Luise Auguste (Louise) v. Schleswig­ Holstein-Sonderburg-Augusten­ burg, Gemahlin Ariberts v. Anhalt 5 44 f., 727 f., 740-744, 7 5 2, I 079, I 0 8 I , 1 2 8 3 Anm. 3 6, 3 7 Luise Margarete v. Preußen, Gemahlin Herzog Arthurs v. Connaught I o4, 7 3 7, 8 59 Luise Sophie (Yaya) v. Schleswig-Hol­ stein-Sonderburg-Augustenburg I 68, 694 f., 709, 73 7-740, u 8 3 Anm. 3 7 Luitpold v. Bayern, Prinzregent 24, 26, 40, 65, I 6 6 f., 272, 3 0 3 , 474, 5 4 I , 662, 684 f., 894, I I 3 7 Luiz I . , König v. Portugal I 5 4 Luther, Martin 399 Lutz, Johann Freiherr v., bayerischer Ministerpräsident 29, I 6 3 , 224, 272 ff., 276-279, 3 0 3 , 3 20, 3 3 7 Lynar, Rochus Graf z u I 3 I Lyncker, Maximilian Freiherr v., Haus­ minister 5 3 , 78, I 9 3 , 200, 4 5 6, 682, 7o6, 7P Machtan, Lothar 9 6 5 Mackensen, August v., Generalfeld­ marschall 740, I 0 5 0 Mackenzie, Sir Morell, Arzt 76, 8 3 , I 62 Mac-Mahon, Maurice Comte de, französischer Staatspräsident 5 6 5 f. Magdeburg, Eduard 2 5 2 Mahan, Alfred Thayer I I I 3 , I I 44 Malet, Sir Edward, Botschafter 4 3 , 46, 9 5 f., 99 f., I 0 5 , I I 8 ff., u 8 , I 5 5 , 3 0 6 f., 3 I 6, 3 I 8 , 3 4 I , 3 62 ff., 3 70, 5 o 6 f., 5 46, 5 5 0, 62o f., 659, 8 5 8 f., 8 66, 8 68-8 7 I , I 3 3 7 Anm. 3 4 Malkowsky, Gerhart, Kunsthistoriker 987 Maltzahn-Gültz, Helmuth Freiherr v., Staatssekretär 6 5 o f. Mann, Heinrich 6 I 4 Manteuffel, Otto Freiherr v., Abgeord­ neter 494, 497, 5 2 7 f., 945 > 9 5 0, 9 5 2 f. Marchand, Jean-Baptiste I 09 3 , I 09 5 Margarethe (Mossy) v. Preußen, Ge­ mahlin Friedrich Karls v. Hessen­ Kassel 3 96, 56 I, 69 3 , 69 5 , 697, 707, 709, 7 I 7, 720, 722, 72 5 ff., 742 ff.

Maria, Gemahlin Herzog Alfreds v. Edinburgh, Coburg-Gotha 7I 5 , 7 I 7 Maria Anna, Gemahlin Friedrich Karls v. Preußen 92 Maria Feodorowna v. Dänemark, Ge­ mahlin Zar Alexanders III. 5 4, 5 6, 6 3 , I O I , I 69, 3 9 8 , 4 8 5 , 709 f., 726, 8 3 6, I 04 5 , I 3 3 3 Anm. 82 Marie v. Mecklenburg-Schwerin, Ge­ mahlin d. Großfürsten Wladimir 5 8, I OO, 726, I 0 3 6 Marie v. Orleans, Gemahlin Walde­ mars v. Dänemark 7 3 2 Marie v. Sachsen-Altenburg, Gemahlin Albrechts v. Braunschweig I 5 7 Marschall v. Bieberstein, Adolf Frei­ herr 248, 2 8 2, 2 8 5 , 289, 297, 3 04, 3 0 8 f., 3 2 I , 3 24, p 6 f., 3 3 2-3 3 8 , 3 4 8 , 3 66, 3 70, 3 72-3 7 5 , 3 8 I , 3 89, 400, 4 I O, 484, 494 f., 5 04, 5 0 8-p i , 5 1 9, 5 3 8, 5 99 f., 6o2 f., 6o 5 f., 642, 64 8, 6 5 5 ff., 662, 672, 674, 679 ff., 6 8 7, 7 5 4> 764 ff., no, 7 8 3 , 787 f., 790, 79 5-799, 8o3, 8o8, 8 I o f., 8 I 5 , 8 1 7, 848 ff., 8 p f., 8 68-8 7 5 , 878, 8 8 5 , 8 8 8 ff., 892, 900, 902-906, 908 f., 9I I ff., 9I 7-920, 922, 924 ff., 9 3 I , 9 3 3 f., 9 3 � 94� 968, 9 8 � I 04 3 , I 04 8 , I 0 5 3 , I 0 5 6 f., I 06 I , I 0 7 5 , I I I 3 , I I 23-I I 27, I I 3 3 , I I 3 7, I I 6 5 , I 244 Anm. 76, I 246 Anm. 3 2, I 27 5 Anm. 5 5 , I 3 2 8 Anm. 99, I 3 4 8 Anm. 82, I 3 49 Anm. I I 4, I 3 5 0 Anm. I 5 I Martin, Sir Theodore I 079 Mary (May) v. Teck, Gemahlin v. König George V. v. England 546, 730 Matcham, Kinderfrau 700 Mattachich-Keglevich, Leutnant 73 7 Max, Prinz v. Baden 727, 742 Maybach, Albert v., Minister 244, 2 5 2, 2 6 5 , 3 06, 3 I 2, 3 76 f., 427 McDonnell, Sir Schomberg I I So Meerscheidt-Hüllessem, Gustav Frei­ herr v., General 6 I 8, 634 Meinecke, ]. G. R., stellvertretender Fi­ nanzminister 2 5 0 Meisner, Heinrich Otto 1 2 5 0 Anm. I 2 3 Meissonier, Jean-Louis-Ernest, franzö­ sischer Maler 3 96, 602

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Personenregister

Menzel, Adolf v., Maler 9 5 9, r o 1 2, 101 5 Messe!, Alfred, Architekt 994 Mießner, Geheimrat 20 1 f., 296 Milan I. Obrenovic, König v. Serbien l 49 f., 1 79, 8 2 8 Millet, Jean-Franc;:ois 1 0 1 3 Miquel, Dr. Johannes, Oberbürgermei­ ster v. Frankfurt/Main, Finanzmini­ ster 2 80, 3 1 1 , 3 2 3 , p 8 , 409, 426429, 4 5 1 , 494 ff., 49 8 , 5 02, 5 04, p r , 5 2 5 , 5 29 f., 6o4, 6 5 o f., 6 5 4, 66 5 , 668, 675 f., 679 ff., 764, 794, 802, 8o8, 8 r o, 8 1 2, 9 3 2 f., 9 5 8, 963, 972 f., 977, 9 80, 990, 1 1 1 3 , 1 1 4 1 , 1 1 73 , 1 3 0 5 Anm. r o 8 , 1 3 62 Anm. 1 5 Mirbach, Ernst Freiherr v., Oberhof­ meister 1 9 3 , 200, 267, 4 1 0, 4 5 4 ff., 5 80, 69 8, 7 5 2, 9 3 6, 1 0 5 0, 1 22 3 Anm. 5 8 Mirbach, Kamilla Freifrau v. 293 Mirbach-Sorquitten, Julius Graf v., Abgeordneter 802 Miribel de, französischer General 1 72 Mischke, Albert v., General 8 5 Mohrenheim, Arthur Baron v., Botschafter 397, 540 Moltke, Helmuth Carl Bernhard Graf v., Generalfeldmarschall 2 3, 2 5 f., 3 0, 39, 206, 3 4 5 > 434, 4 5 9, 476, 479, 5 8 2, 943 , 9 5 3 , 1 1 7 5 , I I 8 6 Anm . I 5 Moltke, Helmuth v., Generaloberst 2 3 , 2 5 f., p o, 682, 774, 8 r o, 8 3 6, 843 f., 963, I oo9 f., I I 8 6 Anm. 1 5 Moltke, Kuno Graf v., Flügeladjutant Kaiser Wilhelms II. I 9 8 , 229, 3 24, 547, 5 5 7, 643 , 648 , 665 f., 672, 682, 764, 774, 7 8 6, 8 I o, 823, 9 5 8 f., 990, I I 2 I , I I 24, I I 6o, I 3 03 Anm. 64 Mommsen, Wolfgang J., Historiker 8I8 Monson, Sir Edmund, Botschafter 8 I 4, 86r Montagu, Victor, englischer Admiral 546 Montebello, Gustave Lannes Graf de, Botschafter I 6o Montebello, Gräfin, Gemahlin Gusta­ ves I 5 1 Montel, Johannes de 69 Monts, Anton Graf, Botschafter I 78,

3 5 2 f., 3 72, 659, 7 5 0, 8 8 2, 894, 943 , 9 5 3 , I O I I , I I 7 5 , I 3 4 2 Anm. I 4 5 Monts d e Mazin, Graf Alexander XVI . v., Vizeadmiral 2o4 f. Moretta s. Victoria Morier, Sir Robert, Botschafter 59, 77 Maser, Kar! Friedrich v., Gesandter I 3 0 I Anm. I 5 Mossolov, A. A., russischer General I I 77 Mossy s. Margarethe Müller, Georg Alexander, Chef d. Marinekabinetts Kaiser Wilhelms I I. 206, 2 1 0, I 0 3 8- I 04 I , I I 1 2, I I 3 0, I 342 Anm. 14 5 Münster, Georg Graf zu, Botschafter 78, 20 5 , 262 , 292, 3 7 1 , 3 9 3 , 3 9� 4 I 6, 4 8 I ff., 6o 8 , 73 I ff., 8 24, 8 77, I o 8o, I 3 4 I Anm. I 44 Murawiew, Michael Graf, russischer Außenminister I063, I093, I 2 3 I Anm. 5 2 Muthesius, Hermann 994 f. Napoleon I. Bonaparte, Kaiser d. Franzosen 5 5 , 6o, 4 I 6 f., 4 I 9, 5 69, 72 I , 9 5 4, I 0 3 2, I 3 69 Anm. I 7 Napoleon III., Kaiser d . Franzosen 4I I Nassr ed-din, Schah v. Persien I 3 5 , I 5 4 f., 248 Natzmer v., Hauptmann 6 5 5 f. Nelidow, Alexander v., russischer Bot­ schafter 244 Nelson, Lord I 90, I 0 3 2, I 0 7 I , I 09 8 , I I I 7, I 220 Anm. 9 0 , I 3 69 Anm. 27 Neumann-Cosel, Gustav v., Flügeladjutant Kaiser Wilhelms II. I 9 8 Nieberding, Arnold, Staatssekretär 763 Nietzsche, Friedrich 960 Nikolaus I., Kaiser v. Rußland I 0 8 5 Nikolaus II., Kaiser v. Rußland 54, 5 7, I 46, r p , I 69 f., 260, 3 8 1 , 5 3 8 f., 5 6 I ff., 5 6 5 , 647, 6 5 7, 706, 726 f., 767, 8 20, 8 2 3 , 8 3 4-84 5 > 849, 8 69, 872, 8 8 5 , 894, 90 I , 928, I 009, I 0 3 3 - I 0 3 7, 1 046, I 049, I 0 5 6, 1 0 5 8 , 1 062 ff., r o66, I o 8 4 f., I 09 1 , 1 09 3 , I I 02, I I 6 I , I 1 77, 1 2 8 2 Anm. 1 4, 1 3 3 I Anm. 2 5 Nipperdey, Thomas 3 89, 5 3 0, I 0 2 8 Normann, Karl v., Hofmarschall 8 5

Personenregister O'Conor, Sir Nicholas 8 6 I Oidtman v., Oberst 2 0 5 Olga, Königin v. Griechenland 7 I O, 72 5 Oppersdorff, Hans Graf v. 5 3 7 Orleans s. Helene, Marie Orterer, Georg Ritter v., Abgeordneter I 63 , 4 I 9, 1 2 I 5 Anm. I 3 8 Oskar II., König v. Schweden 6 I f., 6 5 , 7 3 , I 46, 222, 420, 8 2 5 , 8 27, 8 29 Oskar v. Preußen, Sohn Kaiser Wil­ helms II. 26, 6 1 f., 73, 70 I Osten-Sacken, Nikolai Graf v. der, Botschafter 8 3 9, 1 094 Otto, König v. Bayern 24 Otto der Faule, Markgraf v. Branden­ burg I02 I Paget, Sir August, englischer Botschaf­ ter I02, I 04- I 0 8 , I I O, I I 3 f., I 2 5 f. Pai'va, Elanehe Marquise de, Gemahlin Guidos v. Henckel-Donnersmarck 671 Pallat, Ludwig IOI 3 Pape, Alexander v., Gouverneur v. Berlin 746 Parlaghy, Vilma, Malerin 1 00 5 f. Parsefal v., General 5 22 Paul, Erzherzog 49 Paul, Bruno, Karikaturist 99 5 Pedro II., Kaiser v. Brasilien 1 47 Perier, Casimir, französischer Staatspräsident 8 I 9 Persius, Pastor 8 5 Peter der Große, Kaiser v. Rußland 72 1 Peter, Großherzog v. Oldenburg 63 5 Peters, Carl, Kolonialpolitiker I 8 I , 1 2 1 8 Anm. 6o Pflanze, Otto, Historiker 280 Pfuel, Kurt Wolf v., Flügeladjutant Kaiser Wilhelms II. I 9 5 , 2 I 7, 249, 1 208 Anm. I 29, 1 226 Anm. 29 Philipp, Herzog v. Sachsen- Coburg I 5 8, 73 6 f. Philipp, Prinz v. Württemberg 7 I 4 Planck, Gottlieb, Jurist 79 I Platen zu Hallermund, Oskar Graf 1012 Platen, Grafen v. I 63

1 4] 1

Plato, Detlev Freiherr v., Hofmarschall I 57 Pleß, Daisy 873 Pleß, Hans Heinrich XI. Fürst v. 3 I 3 , 4 I O, 9 8 r f. Plessen, Hans v., Generaladjutant 49 I , 5 5 6, 5 8 2, 6 s z, 67 I , 682, 706, 7 5 2, 774, 8o s-8o8, 8 3 6, 862, 898, 920, 946, 9 8 3 , 1 047, 1 0 5 0, I 1 2 8 , 1 269 Anm. I 7 I , I 3 2 8 Anm. 99 Plessen, Freiherr v., Marineattache 54 Pobjedonoszew, Konstantin, Ober­ prokurator des HI.Synods v. Ruß­ land I 6 5 Podbielski, Viktor v., General, Staats­ sekretär 639, 9 3 3 , 969 Polstorff, Wilhelm, Redakteur 670 Ponsonby, Sir Henry, Privatsekretär von Königin Victoria v. England 9 5 f., I 2 I , I 2 3 f., I 3 o, 5 5 2 f. Posadowsky-Wehner, Arthur Graf v. 6 5 0-6 5 3 , 676, 8 1 2, 9 I 6, 924, 9 3 3 , 9 5 6, 9 7 3 , 9 7 5 , 9 8 2 , I 3 0 I Anm. 4 Pourtales, Friedrich Graf v., Bot­ schaftssekretär 58 f., 3 p Prell, Hermann, Maler I O i o f. Preysing-Lichtenegg-Moos, Konrad Graf v., Reichsrat 894 Pritzelwitz, Flügeladjutant I o 5 o Pückler, Karl Graf v. I 99 f. Puhl, Glasmosaikhersteller 998 Puttkamer, Roben Viktor v., Minister 267, 5 7 5 Quidde, Ludwig, Historiker 624 f., I I 74, I I 78 Quistorp, Frau v. I 2 I I Anm. 49 Radolinski, Hugo Graf v., später Fürst Radolin, Oberhofmarschall, Bot­ schafter I 9 3 , 4 8 5 , 602, 8 I 6, 8 2 3 , 844, 849, 924, I03 I Radowitz, Joseph Maria v., Botschafter 244, 3 74, 9 3 9 Radziwill, Fürst Anton v., General­ adjutant Kaiser Wilhelms I. I 9 3 , 2I7 Radziwill, Maria Fürstin v., geborene Gräfin Branicki 2 I 7 Rampolla, Mariano, Kardinalstaats­ sekretär 69

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Personenregister

Rantzau, Kuno Graf zu, Diplomat 5 8 , 6 5 , I I I , 1 3 5 , 142, r 66, 2 1 3 , 2 1 5 f., 224-228, 2 p , 2 5 3 , 274, 277 ff., 662, 664 Rantzau, Marie Gräfin zu s. Bismarck Raschdau, Ludwig 66 f., 278, 3 8 6, 3 89 f., 477> 672 Raschdorff, Julius, Architekt 4 5 7, 999 ff., r oo6, r o r 4, 1 3 64 Anm. 6 5 , 66 Rathenau, Walter 6 r 4 Rauch, Rosalie v., Gemahlin Albrechts v. Preußen 7 42 Rauchhaupt, Wilhelm v., Abgeordneter 267 f., 4 3 4, 439, 4 5 6 f., 63o f. Recke, Eberhard Freiherr v. der, In­ nenminister 8 ! 2, 8 89, 977, 979 f. Reichensperger, August, Architekt r oo4, r oo6 Reischach, Hugo Freiherr v., Hofmar­ schall 74, 66r f., 7 1 8 , 742 f., 747 f., 7 5 0, 75 3 Rembrandt r o r 3 Reuß, Feodora Prinzessin, Tochter Charlottes v. Sachsen-Meiningen rr8r Reuß, Heinrich VII. Prinz, Botschafter ! 02, 1 04, I I I-I I4, I I 9 f., 1 2 5 ff., 1 49 f., 2 3 4, 248, 3 5 3 , 3 7 1 , 484 f., p o, 5 7 8 , 660, 662 f., 669 f., 7 8 5 , I 2 I I Anm. 49 Reuß, Heinrich XIX. 742 Reuß, Maria, geborene v. Sachsen-Wei­ mar-Eisenach, Gemahlin Heinrichs VII. Reuß 4 8 5 , 5 78 Reuß, Carolina 789 Reventlow, Ernst Graf zu r o2 r Rheinhaben, Georg Freiherr v., Minister 9 8 0 Rhodes, Cecil 8 67 ff., r o29, r o96 f., I I 0 5 > I 1 64 Ribot, Alexandre, französischer Mini­ sterpräsident 662 Richelieu, Herzog v., Kardinal 9 r 7 Richter, Eugen, Abgeordneter 40, 1 4 8 , 4 5 8 , 5 09, 5 29, 62 1 , 689, 944 f., I I 09 Richter, Begleiter Zar Alexanders III. 2 5 8 Richter, Feldpropst 5 So Richthofen, Bernhard Freiherr v., Poli­ zeipräsident v. Berlin 7 5 2

Richthofen, Oswald Freiherr v., Regie­ rungspräsident in Köln 8 ! 2, 1 3 29 Anm. r 3 r Rickert, Heinrich, Abgeordneter 1 4 8 , 4 5 8, 5 29, 9 8 2 Rintelen, Viktor, Abgeordneter 79 1 Ritter, Industrieller 3 I 3 Roeder v. Diersburg, Karl-August Freiherr v., Hofmarschall 7 I 2 f. Roese, Direktor d. Reichsdruckerei IOI4 Rößler, Konstantin, Publizist 27 1 , 296 Roggenbach, Pranz Freiherr v., Mini­ ster 76 f., 82, 89, r 1 9 8 Anm. 6 5 Romanow, Haus 260 Roon, Albrecht Graf v., Kriegsminister 44 1 , 1 1 40 Roosevelt, Theodore, US-Präsident 1 59 Rosebery, Archibald Earl of, englischer Staatsmann r oo, 5 44, 548 ff., 5 5 2 ff., 5 5 6, S p-8 5 5 , 8 6o, r o 8 7, 1 3 3 6 Anm7, 1 3 79 Anm. 3 9 Rotenhan, Wolfgang Freiherr v. r o63 Rothschild, Haus 248, 3 3 3 , 1 2 5 0 Anm. I 26 Rothschild, Alfred de r o 8 2 Rothschild, Gustave Baron de r 6 5 Rothschild, Nathaniel Mayer r 64 Rottenburg, Pranz Johannes v., Chef d. Reichskanzlei 32 f., 2 r 5, 2 p f., 2 5 6, 263, 268, 1 23 5 Anm. 1 5 2 Rudolf, Erzherzog, Kronprinz v. Österreich p f., 6o, 66, r o2, r o4 f., r o7, r 2 5 f., 1 5 8 , r r 9o Anm. 7 Russe!, Odo Lord (später Lord Ampthill), Botschafter 49 1 Saladin, Sultan 1 0 5 9 Salisbury, Robert Cecil Marquess of, englischer Staatsmann 5 r, 68, 92, 96, I OO, I 03-1 07, I I 6- I I 9 , I 2 I- I 24, 1 2 6 ff., 1 3 0 ff., 1 3 4, r 8 2 f., 1 90, 3 0 1 , 3 I 8, 3 5 2, 3 62, 3 6 5 , 402, 406, 4 1 I , 4 1 4, 5 4 3 f., 5 5 4, 5 5 8, 8 5 2-8 5 6, 8 69 f., 8 72, 8 74, 8 77, 8 8 r f., 88 5 ff., r o 3 3 f., 1 043 f., r o46, r o74 f., r oSa, r o 8 2, r o 8 6- I 09 I , I093-1096, 1 098-r 1 0 3 , I I 06 ff., I I 46 f., I I 77-I I 8 I , 1 203 Anm. 3 0, 1 209 Anm. 143, 1 220 Anm. 90, 1 247 Anm. 52, 1 2 5 9

Personenregister Anm. r o 8 , 1 3 44 Anm. r 67, 1 3 79 Anm. 3 9 Salisbury, Gwendolen, Tochter Salis­ burys r r 79 ff. Salzmann, Carl, Marinemaler r oo8 f., 1 0 14, I I I 6 Samwer, Kar! Friedrich 728 Saurma v. der Jeltsch, Anton Freiherr v., Diplomat 1 042 Saussin 8 3 6 Schack, Adolf Graf r o r 5 f. Schah v. Persien s. Nassr ed-din Schaper, Friedrich 9 8 9 f., r ozo f., 1 3 62 Anm. 1 3 Schaumburg-Lippe, Adolf Prinz zu 2 } 1 , 4 5 5 , 69 5 , 697, 707, 7 1 0, 7 1 47 1 7, 724, 890, 1 2 2 8 Anm. 78 Scheffler, Kar! r 02 r Scheibert, Johannes, Militärschrift­ steller 630 Schele, Friedrich Baron v., Gouverneur v. Deutsch-Ostafrika 6 5 5 , 8 r 7, 873 Schelling, Hermann, Justizminister 4 3 8 , s r r , 763 , 1 276 Anm. 79 Schillings, russischer Admiral 8 3 8 f. Schiller, Friedrich v. 1 4 3 , q 8 Schleinitz, Familie 2 1 7 Schleinitz, Alexander Graf 1 9 2 Schlieffen, Alfred Graf v. 9 5 , 1 9 8 , 203, 474, 49o f., p 8 , 5 67, 63 5 f., 64 r , 682, 747, r 1 90 Anm. 5 , 13 r o Anm. 88 Schlözer, Kurd v., Gesandter 69, r 6 5 , 3 67, 669 Schmidt, Alexander, Landgerichts­ direktor 627, 1 296 Anm. 5 9 Schneider, Louis, Hofrat 1 92, r 2 2 r Anm. 4 Schnitzer, Eduard (Emin Pascha), Afrikaforscher r 8 2, 402 ff., 1 2 5 9 Anm. r a r Schobert, Lakai 8 4 Schönaich-Carolath, Anton Fürst zu 671 Schönaich-Carolath, Heinrich Prinz ZU 671 Schönborn-Wiesentheid, Clemens Graf v. 760, 766 Schönstedt, Kar! Heinrich v., Minister 764, 766, 7 8 8 , 794, 8o7 Scholl, Friedrich v., Flügeladjutant Kaiser Wilhelms II. 1 9 5 f., 249, 4 1 0,

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4 8 2, 484, 5 5 7, 682, 744, I O I 2, 1 0 5 0, 1 226 Anm. 29 Scholz, Adolf v., Finanzminister 2 p , 3 7 6 f., 426 Schott, Bildhauer r ooo Schottmüller, Konrad 43 r f., 4 6 1 , I I 7 I Schrader, Alide v., geborene d e Villier 2 1 7, 742 Schrader, Kar! Freiherr v., Zeremo­ nienmeister 742, 74 5 ff., 749-7 5 3 , 1 3 1 9 Anm. 2 8 5 , 297 Schröder, Marineattache I 3 r Schulenburg-Beetzendorf, Graf v., Ab­ geordneter p 8 Schuler v. Senden, Max Freiherr v. 74 1 f. Schuler v. Senden, Paul Freiherr v. 74 r f. Schuwalow, Paul Graf, russischer Bot­ schafter r r i , I 70, 3 8 2-3 8 5 , 3 8 7 ff., 6 5 8, 8 I 8 f., I 2 3 I Anm. 5 3 , 1 2 5 2 Anm. 1 0 Schwabach, Paul v., Bankier 2 5 6, 3 3 9 Schwarzkoppen, Dr. Erich v., Legati­ onsrat 3 2 5 Schwechten, Franz, Architekt 996, 1 00 3 , 1 006, I O I 4 Schweinitz, Hans Lothar v., Botschaf­ ter 59, I p , 1 5 6, I 6 5 , 1 72, I 74, 3 66, 3 7 1 , 3 74, 3 8 7 ff., 394> 4 8 2 f., 48 5 , 5 } 6, 622, 6 5 7, 8o9, 1 2 5 2 Anm. r 6 Schweninger, Ernst, Arzt 2 1 3 , 7 1 4, 963 f., I 1 76, I 3 03 Anm. 64 Schweninger Magdalena, Gemahlin Ernsts I 3 03 Anm. 64 Schwerin, Detlef Graf v. 200 Seckendorff, Albert Freiherr v., Hof­ marschall 53 f., 8 5, 204, 44 3, 5 46 f., 704 Seckendorff, Götz Graf v., Oberhofmeister 74, 3 9 7 Seckendorff, Gustav Freiherr v. 443 Segantini, Giovanni I O I 3 Seidel, Paul 984, 996 ff., I ooo, I oo 8 f., r o i4, I o r 8 , r o2o Semon, Sir Felix 76, I 196 Anm. 3 2 Senden-Bibran, Gustav Freiherr v., Admiral, Chef des Marinekabinetts Kaiser Wilhelms II. 22, 6o, 63, 1 3 I , 1 4 3 , I 84, 204 ff., 407, 4 I o, S 9 8 , 6 5 6, 70 5 f., 772, 77 5 , 8 ) 2, 8 62, 872 f., 90 I ,

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Personenregister

94 � 9 5 3 · 9 5 9 . 962, 9 8 3 , r o sa, r o 8 o f� 1 1 1 9, I I 2 I , 1 1 24, 1 1 26, I I 2 8-I I 3 4• r r 42 f., 1 1 47, 1 3 43 Anm. 1 5 3 Sergius, russischer Großfürst 5 8 , I p , 704, 726 f� 8 3 � I 0 3 5 , I I 7� I 3 3 3 Anm. 8 2 Sermoneta, italienischer Außenmini­ ster 8 2 2 Seymour, Laura, Gemahlin Viktors zu Hohenlohe-Langenburg I o I Siemering, Rudolf I 020 Sigismund v. Preußen, Bruder Kaiser Wilhelms II. 8 I Sigismund v. Preußen, Sohn Prinz Heinrichs v. Preußen 949 Simon, Edouard 4 3 , I r 8 8 Anm. 6 3 , 1 2 3 8 Anm. 5 5 Simon, Jules, französischer Staatspräsi­ dent 3 9 6 Soden, Oskar Freiherr v., Gesandter I 56 Solms-Sonnenwalde, Eberhard Graf zu, Botschafter 276, 3 7 I f., 4 8 6, 6s 8 Sonnemann, Leopold 689 Sophie v. Preußen, Gemahlin König Konstantins I. v. Griechenland I O I , I p f., 2 6 I , 5 77. 69 5 . 697 f. . 70 5 , 707, 709 f., 7 I 7 f., 720-72 5 , 727, 739, I045-I04 8 , I I 74• I I 9 5 Anm. I 2, 1 229 Anm. 5 Soveral, Marquis de, Botschafter 820 Spitta, Max, Architekt 996 f. Spitzemberg, Hildegard Freifrau v., geborene Varnbüler 30, 44, 3 66, 73 3 , 746, s n . 9 6 5 , I oo2, I o29, I o 3 6 Spitzemberg, Johanna Freifrau v., Tochter Hildegards 7 3 3 f. Stambulow, Stefan, bulgarischer Pre­ mierminister 847 Steinberg, Jonathan I I 3 2 Steininger, Rudolf Freiherr v., österrei­ chischer Militärattache 262 Steinmann, Georg, Oberpräsident v. Schleswig-Holstein 77 5 , 777 Stephan, Heinrich v., Staatssekretär 775 . 969 Stephanie, Gemahlin Kronprinz Ru­ dolfs v. Österreich I 04, 73 7 Stepniak (= Sergei Kravchinski), Attentäter 5 5 8, 1 2 8 7 Anm. I 0 8

Stockmar, Bogumilla Freifrau v. 73, 77, 4 3 0, 57 I f., 5 7 5 , 707, 72 I , 723 Stockmar, Ernst Baron v. 8 5 f. Stoecker, Adolf, Hofprediger I 67, 242, 248, 267-270, 2 8 6, 3 47, 4 5 4 ff., 46o, 473, 496, 793 , 90 5 , I I 22, I I 87 Anm. 3 4, 1 24 1 Anm. I I Stolberg-Wernigerode, Hermann v. 742 Stolberg-Wernigerode, Otto Graf zu, Hausminister 3 8, I 9 2 f., 2 3 4, 3 26, 3 7 I , 3 7 5 , 74 5 f., 75 I, I 2 2 I Anm. 4, I 223 Anm. 62 Stosch, Albrecht v., General 8 r , 8 5 , 677, I I 3 2, I I 3 6 Strachey, englischer Diplomat 6 r 9 Strauß, Richard 960 Studt, Konrad, Kultusminister 3 49, 8 I 2, 9 8o, I O I 3 , I J 29 Anm. I J I Stumm, Ferdinand Freiherr v., Bot­ schafter 5 I I Stumm-Halberg, Kar! Ferdinand Freiherr v., Industrieller 3 7, 3 I 3 , 79 3 , 94 5 , 9 5 � 9 5 2 f., 1 246 Anm. 3 o Sturdee, Admiral Sir Doveton, briti­ scher Kommandant in Samoa I I 06 Sullivan, Sir Edward 8 5 5 f., I 3 7 8 Anm. 2 8 Swaine, Leopold, englischer Militär­ atrache 9 5 f., r o2 ff., I o6, I I 7, I 2 8 , I 5 5 · I 9 5 . 2 I O, s s r -5 5 5 . 62 I , 747. 8 5 3 . s s s . 8 s s . 8 67, 8 69 f., s 76, 8 8 8 , I 077, I 202 Anm. I 5 Szechenyi, Imre Graf v., Botschafter 24, 44-49, 5 3 , I 4 I , q 8 , I 9 2 ff., 2 I o f., 2 1 4, 2 r 6 f., 230, 2 3 8 , 4 8 8 , I 2 2 5 Anm. 1 04, I 2 3 I Anm. 5 3 Szögyenyi-Marich, Ladislaus v., Bot­ schafter 7 5 0, 847 f., S s o f., I 034, I I 54• I I 5 6 Taaffe, Edmund Graf, österreichischer Ministerpräsident 66 Tattenbach, Christian Graf v. 865 f. Tausch, Eugen v., Polizeikommissar 7 5 2 f., 9 3 6, 947 Tenniel, Sir John 6 I 2 Tessendorf, Hermann v. 76, 763 f., 766 Thielen, Kar! v., Minister 428, 5 I I ,

Personenregister 775, 777, 8o7 f., 8 89, 977, 1 3 0 5 Anm. r o 8 Thielmann, Max Freiherr v. 66o, 9 3 3 Thyra v. Dänemark, Gemahlin Ernst Augusts v. Cumberland 63, r a r , 3 9 8 , 485 Tiedemann, Christoph v., Abgeordneter 39, 494 Tino s. Konstantin v. Griechenland Tirpitz, Alfred v. 1 3 1 , 8 79, 93 2 f., 9 5 3 , 962 f., 968, 973, r o4o, r o63, r o66, I I 08 f., I I I 6, I I 29-I I 3 6, I I 3 8- I 1 44, r q6 ff., r r 5 o ff., 1 3 4 1 Anm. 1 40 Tolstoi, Lew Nikolaj ewitsch Graf I I 53 Trautmann, Dr. Moritz Ferdinand 9 2 3 , I 1 79 Treitschke, Heinrich v. 76, 5 7 5 , 6 r o, 989 Treskow 6o2 Tscherewin, Begleiter Kaiser Alexan­ ders III. 2 5 8 Tschudi, Hugo v. r o r 2 f. Tuaillon, Louis 1 3 67 Anm. 1 5 0 Uhde, Fritz v., Maler r o r 3 Uj est s. Hohenlohe-Oebringen Umberto I., König v. Italien 66, 68, 1 5 9 f., 2 5 8 , 2 6 1 , 3 9 3 , 4 1 8 , 6 5 8 ff., 8 r 6 f., 8 2 1 f., 8 24 Unruh, Graf v. 84 Usedom v., Kapitän I } I Varnbüler, Axel Freiherr v., 3 07, 3 24, 643 , 665, 67r f., 679, 73 3 ff., r r 6o, 1 3 0 1 Anm. r 5 Verdy du Vernois, Julius v., Kriegsmi­ nister 6o, 207 ff., 24 1 , 244, 249, 2 p , 2 5 8, 263 ff., 289, 297, 3 26, 3 3 4, 3 3 6, 3 40, 3 77, 423 ff., 4 3 9 f., 4 5 2, 466, 473 , 476 ff., 489 f., 492, 5 0 3 , 5 09, 5 1 7, 5 67, 5 8 2, 5 9 8 , 62 1 , 63 6, 64 1 , 69 1 , 769, 9 1 5 , 946, 9 5 1 , r r r r, 1 2 5 8 Anm. 82, r 263 Anm. 1 2, 1 5 Verne, Jules 5 70 Versen, Max v., Generaladjutant Kaiser Wilhelms II. 1 94 f., 202, 296, 4 3 8 , 4 7 1 , 4 8 8, 490, 5 1 8 , 5 6 8 , 5 8 r f. Victoria, Königin v. Großbritannien 4 3 , 5 I f., 5 5 f., 6o, 6 3 , 68, 70, 74, 778o, 8 2-86, 89-96, I OO f., 1 03-1 I O,

1 43 5

I I 5- I I 8 , 1 2 1 - 1 2 5 , 1 2 7 f., 1 3 0- 1 3 5 , 1 3 8, r p, 1 5 6, 1 5 8 , r 64, r 8 2, r 8 8 , 1 90, 2 0 2 , 2 6 r , 3 2 5 , 3 5 � 3 62, 3 64 f., 3 67, 3 77, 402, 40 5 f., 41 I ff., 4 1 6, 42 1 , p6, 5 3 8 , 5 40, 542 f., 544-548, 5 5 15 5 5 , 5 5 7, 5 6 r f., 5 70-5 7 5 , 69 3 , 699, 70 8, 7 1 4 ff., 7 1 7, 720 f., 72 5 , 730, 732, 7 3 7, 739 ff., 7 5 9, 8 3 7, 8 5 4, 8 5 6, 8 66, 8 79 f., 8 8 3 , 940, 1 0 3 3 f., 1 04 3 , 1 04 5 ff., 1 073 f . , r o76- r o 8 2 , r o 84, ! 0 8 7- 1 092, 1 094, 1 09 8 f., I I O I-I 1 0 8 , 1 1 2 3 , 1 1 3 4, 1 1 5 9, 1 1 70, 1 1 79, r r 8 r , 1 202 Anm. 1 27, r 206 Anm. 92, r 20 8 Anm. 1 29, 1 2 5 9 Anm. r o 8 , r 26o Anm. r r 2, 1 3 1 5 Anm. 2 r 3 , 1 3 3 6 Anm. 7, 29, 1 3 8 3 Anm. 97 Victoria, Gemahlin Kaiser Friedrichs III. s. Friedrich, Kaiserin Victoria (Moretta) v. Preußen, Gemah­ lin Adolfs zu Schaumburg-Lippe 74, 90 f., 1 97, 23 1 , 3 9 7, 4 5 5 , 4 6 5 , 5 4 5 , 5 73 , 5 77, 693 , 69 5 , 697, 707-7 1 0, 7 1 4 ff., 7 1 8 ff., 722, 724 f., 727 f., 8 9 1 , 1 22 8 Anm. 7 8 Viktoria v. Baden, Gemahlin d. schwe­ dischen Kronprinzen Gustav 6 r , 8 2 5 Viktoria Melitta v. Sachsen-Coburg­ Gotha, Gemahlin Ernst Ludwigs v. Hessen u. bei Rhein 5 62 Villaume, Kar! v., Militärattache r 3 8, 3 9 3 , 5 3 6, 8 3 6, 1 240 Anm. r 2 r , r 2 8 r Anm. 7 Virchow, Rudolf v., 40, q8, 429, 5 r 6, 1 277 Anm. 96 Völderndorff-Waradein, Otto Freiherr v., Staatsrat 9 3 3 f., ro2 8 Vogel v. Falckenstein, Eduard, General 598 Vogeler, Heinrich 1022 Volkovsky, Exilrusse 55 8 Wagner, Glasmosaikhersteller 998 Wagner, Cosima r 66 f., r r 5 3 Wagner, Richard 5 47, 5 70, 1 1 5 3 Waldemar, Prinz v. Dänemark 3 9 8 , 7 3 2 Waldemar v. Preußen, Bruder Kaiser Wilhelms I I. 8 r Waldemar, Sohn Heinrichs v. Preußen 706 Waldersee, Alfred Graf v., General­ stabschef 2 3 , 39, 44 f., 50, 6o, 66,

Personenregister 69 f., 9 5 , 1 1 7, 1 40 f., 1 44 f., 1 5 6 f., r 63 ff., r 68 , 1 70, 1 72-r S r , r 8 5 , r 8 7, 1 92-1 97, 1 99-203 , 206-209, 2 1 6220, 2 3 r f., 2 } 4, 2 3 6, 2 3 8-2 p, 2 5 4260, 262-267, 269-273, 275 ff., 28o ff., 2 8 5-292, 294-299, 3 0 1 , 304 f., 3 0 8 ff., 3 1 6, 3 22-3 3 1 , 3 3 5 f., 3 3 8 ff., 3 42-3 4 � 3 6 5 f., 3 68-3 7� 3 7 8 , 3 8 o f., 3 9 1 -3 9 6, 3 9 8-402, 408 ff., 4 I 4 f., 4 I 7, 42 I -4 3 0, 4 3 3 , 4 3 7 ff., 443 , 44 5 f., 449-4 8 1 , 4 8 7, 489-493 , 49 5 f., 499, 503 f., 5 09-5 1 2, p 6-p4, p6-5 3 I , 5 3 df., 5 4 1 , 5 4 3 , 5 5 0, 5 5 9 f., 5 63 ff., 5 67 f., 5 77, 5 79-6oo, 6o2-6o6, 6o S, 6 r o, 6 q ff., 62o f., 62 3 , 627-642, 6 5 0, 6 5 2, 6 5 4 ff., 66 I , 663 , 666 f., 670, 676 ff., 684, 689 ff., 694, 69 8 , 700, 7 1 0 f., 7 I 8, 728, 7 3 7, 740, 74 5 , 7477 5 0, 7 5 2, 7 5 5 , 760, 762, 768 ff., 773 , 775 ff., 779, 78 2-78 5, 79 r ff., 8o2 f., 8 o 5 , 809, 8 r i , 8 I 4, 8 r 6, 8 I 8 ff., 8 3 0, 8 3 3-8 3 7, 846, 8 5 0, 8 5 } , 8 5 5 , 8 5 8 , 8 62-8 6 5 . s 6 7 f., 8 7 r f., 8 77 H., 8 8 2, 8 84, 89� 90� 9 I 4 f., 9 1 9, 92� 930, 9 3 6, 9 3 8, 945-9 5 3 > 964, 969, 9 8 3 , 1 0 1 7, 1 0 3 5 , I I I I ff., I I 20, I I 26I I 29, I I }4-I I } 7, I J 5 6, I I 6 5 > I I 7 I , I I 77 ff., I I 8 2, I I 8 7 Anm. 3 4, I I 90 Anm. 5, I I 9 I Anm. 19, 1 1 92 Anm. 5 4, 1 2 0 1 Anm. 1 2 5 , 1 2 2 1 Anm. I 2, 1 224 Anm. 8 5 , 1 22 5 Anm. I 8, 1 229, Anm. 5 , 1 240 Anm. I oo, I 24 I Anm. I I , I 246 Anm. 3 0, 45, I 2 5 o Anm. I 2 3 , I 2 5 3 Anm. 48, I 2 5 8 Anm. 82, 1 267 Anm. I I O, I 270 Anm. 5, 1 3 1 8 Anm. 263, 1 3 3 8 Anm. 5 6 Wallot, Paul, Architekt 78o f., I 003r oo7, I 3 24 Anm. 7 Weber, Max I I 4 I Wedekind, Frank I 0 5 0 Wedel, Carl Graf, Flügeladjutant Kai­ ser Wilhelms II. I 9 5 f., I 99, 249, 29o f., 297, 3 5 2, 3 5 4, 3 72, 3 74 f., 3 79, 3 8 3 , 3 9 1 f., 394 f., 398, 400, 40 8 , 42 5 f., 429, 4 5 0, 4 5 2, 4 5 5 , 4 5 7 ff., 462-4 6 5 , 47I f., 475 f., 478-4 8 8 , 490, 5 6 8 , 5 78, 6o2, 659, 66 1 , 7 I � 722, 78 5 , 8 I 6, 8 2 3 , I 226 Anm. 29, I 2 } 2 Anm. 73 Wedel, Edgard v. 742

Wedel, Elisabeth Gräfin v. 464, 634 Wedel, Ernst v., Oberstallmeister 4 8 I , 682, I 0 50, I 272 Anm. 68 Wedell-Piesdorf, Wilhelm v., Hausmi­ nister 39, 84 ff., I 9 2 f., 4 5 6, 5 9 8 , 744, 747, 765 Werder, Bernhard v., Botschafter 48 5 f., 5 5 0, 602, 6 5 7 f., 8 1 6 Werder, Carl 1 4 3 , I 4 8 Werner, Anton v., Maler 2 5 , 30, 9 6 5 , 989, I OO I , I O I 2 ff. Wertheimer, J. v. I I 89 Anm. 3 Wesdehlen, Ludwig Graf v., Gesandter I 5 2, 2 2 5 ff. Wiehert, Ernst 990 Wied, Fürst zu 94 5 , 9 5 0, 9 5 2 f. Wilamowitz-Möllendorff, Oberpräsident d. Provinz Posen 6 5 o, 762 Wildenbruch, Ernst v. 6o i , 620, 9 5 9 Wilhelm I . , König v. Preußen, Deut­ scher Kaiser 2I f., 24, 28, 3 I, 3 3 , 3 550, 7 1 , 77 ff., 8 7, 1 3 4, 1 4 r f., 1 67, 1 8 5 > 1 9 2 ff., 1 96, I 99, 207, 2 J 4, 220, 2 3 2 , 2 3 5 , 298, 3 3 3 , 3 3 7, 3 5 J f., 3 6 1 , 3 63 f., 3 8 7, 4 I I , 44o ff., 4 5 5 , 4 6 I , 5 20, 5 3 3 , 5 3 5 > 5 74, 5 8 7, 5 89, 5 9 r f., 594, 5 96, 5 9 8 , 623 f., 63 I , 6 3 7, 640, 682 f., 72 I f., 77 I , 779, 786 f., 789, 824, 897, 907, 9 3 9, 942, 9 5 3-9 5 9> 96 I , 964, 966 f., 989, I O I 4, 1 0 1 6 ff., r o2o f., 1 0 3 1 , 1 084, 1 1 1 o f., 1 1 3 7, 1 1 p , 1 1 5 6, 1 1 74 f., 1 1 79, I I 9 5 Anm. 1 6, 1 2 5 2 Anm. I O Wilhelm II., König v. Württemberg 24, 1 5 7, 469, 5 1 9, 682, 684 f. Wilhelm v. Oranien 1 47 Wilhelm v. Preußen, Kronprinz, Sohn Kaiser Wilhelms II. 26, 30, 7 8 5 Wilhelm IV. , Großherzog v. Luxem­ burg 147 Wilhelm Ernst, Großherzog v. Sach­ sen-Weimar-Eisenach 727 Willisch, Hofrat 5 3 Wilmowski, Karl Freiherr v. 20 I , 77 I , 972, 9 7 5 Wilmowski, Kurt Freiherr v. 760, 8o8, 1 3 48 Anm. 8 2 Wimmer, Rudolf, Maler 4 I 2 Windthorst, Ludwig, Abgeordneter 1 4 8 , I 63 , 276, 2 8 3 ff., 3 3 6-342, 3 5 9 f., 429 f., 4 5 4, 1 264 Anm. 5 2

Personenregister Winterfeldt, Hugo v., Generaladjutant 8 3 , 9 5 ff., 634, 1 20 1 Anm. 1 26, 1 202 Anm. 1 27, 1 3 2 Wischniegradski, russischer Minister 543 Wißmann, Hermann v., Gouverneur v. Deutsch-Ostafrika r 8 I , I 8 3 , 40 I 404, 8 I 7 f. Wittich, Adolf v., Generaladjutant 5 3 , I } O f., 1 3 8 f., 1 42, 194 ff., 1 9 8 , 202, 20 5 , 2 1 0, 2 5 8 , 342 f., 4 1 0, 42 5 , 4 5 5 > 464, 4 7 1 , 476, 48 1 , 4 8 8 ff., 5 1 0 f., p 8 , 5 68, 5 8 1 , 620, 63 3 , 66 r , 1 1 6 5 , 1 1 78 , 1 226 Anm. 29 Wladimir, Alexandrowitsch, Groß­ fürst, Bruder Alexanders III. 5 2, 5 7 f., 99 ff., 726, 849> 1 030, 1 0 3 6, r 1 90 Anm. 1 2 Wölckern, Wilhelm v., General 5 22 Wohlgemuth, Polizeiagent 246 f., 2 8 7, 1 2 3 1 Anm. 5 3 Wolff-Metternich, Paul Graf v., Diplo­ mat 4 I o, 5 49

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Wolkenstein, Anton Graf v., Botschaf­ ter 1 0 3 7 Wolseley, Viscount, General 8 5 9 f. Woodcock, Günstling Karls I. v. Würt­ temberg 24 Woronzow, Begleiter Kaiser Alexan­ ders III. v. Rußland 2 5 8, 2 6 r York v. Wartenburg, Maximilian Graf 1 70, 248, 8 1 6 Zedlitz-Trützschler, Robert Graf v., Kultusminister 4 3 0, 4 3 3 , 492-496, 498, 5 00, 5 02-5 08, p I, 5 3 2 f., 594 f., 677, 749, I oo2, I 2 7 5 Anm. 63 Zelle, Robert, Oberbürgermeister v. Berlin 5 I 5 f., 9 8 9 f. Zimmerer, Gouverneur v. Kamerun 65 5 Zitzewitz, Cölestin v., Flügeladjutant Kaiser Wilhelms Il. 1 9 5 , 3 9 8 , 1 20 8 Anm. 1 29, I 226 Anm. 2 9 Zorn v. Bulach, Hugo Freiherr v. r o3 8

Zum Buch Mit der Thronbesteigung Wilhelms II. im Juni 1888 beginnt die für Deutschland unheilvolle Phase der Persönlichen Monarchie. Weitgehend ungetrübt von Sachkenntnis in diplomatischen Gepflogenheiten und von Nachdenklichkeit unangekränkelt, poltert der junge deutsche Kaiser über das sensible Feld der Außenpolitik. Ungeschicklichkeit im Umgang mit dem russischen Zaren und Grobheit gegenüber dem englischen Königshaus kennzeichnen die Anfänge des herrscherlichen Dilettantismus. So gering die Kompetenz, so groß war das Selbstbewußtsein des neuen Imperator Rex, der sich von Gott zur Herrschaft berufen glaubte und daher auch den Anspruch auf unbedingten Gehorsam seiner Minister, Generäle und Beamten vertrat. Die Folge dieser Haltung war der baldige Schwund von sachkundigen Ratgebern und starken Persönlichkeiten in der Reichsleitung. Unverkennbares Symptom dieser politisch-moralischen Führungskrise war der von Wilhelm II. provozierte Rücktritt Bismarcks – eine Schwächung, von der sich das Kaiserreich nie mehr erholen sollte. Von diesem Zeitpunkt an war das Rückgrat des Widerstands gegen Wilhelms Autokratismus gebrochen, der zumindest die schlimmsten Auswüchse hätte verhindern können. Fortan betrieb der Kaiser unbeirrt seine wankelmütige Geheimdiplomatie und seine Flottenbaupolitik, deren Bewegungsgesetz letztendlich der herrscherliche Narzißmus war. Der Sturz Bismarcks und die Unberechenbarkeit des Kaisers waren gleichermaßen wenig geeignet, das bei den anderen europäischen Mächten wachsende Mißtrauen gegenüber dem jungen Herrscher zu zerstreuen. Und exakt jene Charakterzüge, die seine Politik prägten, spiegelte auch die unduldsame und autoritäre Haltung Wilhelms gegenüber den Mitgliedern der eigenen Familie. Er stellte den kaiserlichen Machtanspruch über das Wohl seiner Mutter und über das Glück seiner Schwestern. So ließen Gefühlskälte, Großmannssucht und Allmachtsstreben des deutschen Kaisers weder seine Familie noch der Welt viel Gutes von ihm erwarten.

Über den Autor John C. G. Röhl lehrte bis zu seiner Emeritierung als Professor für Neuere europäische Geschichte an der Universität Sussex. Er hat mehrfach Lehrstuhlvertretungen in Deutschland wahrgenommen und war Stipendiat des Historischen Kollegs in München sowie mehrerer führender Forschungsinstitute in Amerika. Von demselben Autor sind im Verlag C.H. Beck lieferbar: Wilhelm II. Die Jugend des Kaisers (42017); Wilhelm II. Der Weg in den Abgrund. 1900–1941 (32017); Kaiser, Hof und Staat. Wilhelm II. und die deutsche Politik (bsr 1501, 22007), Wilhelm II. (Beck Wissen, 2013).