Wie erklärt sich der gegenwärtige Zustand der Genesis?: Skizze einer neuen Pentateuchhypothese [Aus: Studierstube Juli 1913, Reprint 2021 ed.] 9783112448885, 9783112448878


189 35 2MB

German Pages 20 [24] Year 1914

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Wie erklärt sich der gegenwärtige Zustand der Genesis?: Skizze einer neuen Pentateuchhypothese [Aus: Studierstube Juli 1913, Reprint 2021 ed.]
 9783112448885, 9783112448878

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Wie erklärt sich -er gegenwärtige Zustan-er Genesis? Skizze einer neuen Penlateuchhypothese von

Pfarrer Johannes Dahse Freirachdorf (Westerwald)

Sonderabdruck aus der „Sludierslube" Juli 1913

Giehen 1913 Verlag von Alfred Töpelmann (vormals I. Ricker)

Daß das erste Buch Mose, so wie es jetzt vorliegt, nicht aus einem Gusse ist, lehrt der erste Augenschein. Unmöglich kann ein und dieselbe Hand z. B. Gen. 35, 9, 10 nach der An­ kunft Jakobs in Bethel das erzählt haben, was sie schon vorher Gen. 32 beim Aufenthalt Jakobs am Jabbok berichtet hatte. Dort heißt es: „Da erschien Gott dem Jakob*) bei seiner Rück­ kunft aus Mesopotamien und segnete ihn. Und Gott sprach zu ihm: Du heißest Jakob, du sollst fortan nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel soll dein Name sein. Daher nennt man ihn Israel." Gen. 32, 28 f. steht aber schon zu lesen: „Da fragte er ihn: Wie heißest Du? Er antwortete: Jakob! Da sprach er: Du sollst künftig nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel, denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und bist Sieger geblieben." Bekanntlich hat der französische Arzt Astruc im Jahre 1753 die Schwierigkeiten, die sich aus solchen Wieder­ holungen ergeben, dadurch heben zu können gemeint, daß er an­ nahm, Moses habe sich älterer Schriftstücke bedient, die er nicht umgegossen, sondern nur zerlegt und in ihrer ursprünglichen Form ausgenommen habe. In der einen Reihe dieser von Moses be­ nutzten Schriftstücke (von Astruc A genannt) sei nun aber die Gottheit Elohim, in der andern (B) Jahweh genannt worden; die Stücke, in denen eine Bezeichnung Gottes nicht vorkommt, die Astruc also weder A noch B zuteilen konnte, verteilt er auf die weiteren Quellen C—M. Eine Weiterentwicklung der Astrucschen Hypothese hat dann durch Ilgen 1798, Hupfeld 1853, Böhmer 1862 statt gefunden; schließlich ward die quellenkritische ♦) über das „abermals" vgl. die letzte Seite.

2 Methode nach Greßmanns Wort in seinem neuen „Mose" von Julius Wellhausen „mit vollendeter Meisterschaft gehandhabt"; bis vor kurzem waren sämtliche Alttestamentler Deutschlands, mit Ausnahme von August Klostermann in Kiel, Anhänger der Wellhausenschen Quellenscheidung. Jeder, der anderer Ansicht war, wurde entweder ignoriert oder als unwissenschaftlich gebrandmarkt. Ganz in der Stille aber hat sich eine Gegenbewegung ent­ wickelt, die eine Grundlage jener Hypothese nach der andern einer sorgfältigen Prüfung unterzog, sich von der wissenschaft­ lichen Unhaltbarkeit jener Theorie in ihrer gegenwärtigen Aus­ prägung überzeugte, mehr und mehr Anhänger gewann imb jetzt an die Öffentlichkeit getreten ist. Zum ersten Mal machte sie

sich vor 10 Jahren bemerkbar, im Jahre 1903. Da veröffent­ lichte Johannes Lepsius in seinem „Reiche Christi" eine Reihe von Artikeln, in denen er die schärfsten Angriffe gegen die übliche Methode der Quellenscheidung richtete und ihr besonders vor­ warf, daß sie auf gänzlich unsicherer Basis operiere, indem sie den jetzigen hebräischen Text mit dem ursprünglichen Text des Pentateuchs verwechsele und garnicht die Veränderungen inbetracht ziehe, die nach der Fertigstellung des Pentateuchs noch mit dessen Text vorgegangen seien, und voll denen uns die Über­ setzungen Kunde geben, die zum Teil auf ältere hebräische Texte zurückgehen, als wir ihn jetzt in dem massoretischen besitzell. Zwei Punkte aus jenen Aufsätzen von Lepsius möchte ich hier besonders erwähnen. Er machte darailf aufmerksam, daß die Gottesnamen ein unsicheres Mittel zur Gewilinung der Quellen­ schriften seien, da sie variable Elemente des Textes wären, und vertrat die Anschauung, daß es sich beim sogenannten P nicht um eine selbständige Schrift, sondern um Marginalnoten zu der ursprünglichen Erzählung handele. Lepsills hatte mit seinem Angriff keinen Erfolg. Seit dem Jahre 1899 war ich zu ähnlichen Ergebnissen in betreff der Gottesnamen wie Johannes Lepsius gekommen, daß nämlich mit ihnen noch n a ch der Vollendung des Pentateuchs Ver­ änderungen vorgekommen sind und daß uns in dem heutigen hebräischen Text nicht die älteste für uns erreichbare Stufe im Gebrauch der Gottesnamen erhalten ist. Ich sandte eine Skizze meiner Anschauung im April 1900 an D. Oettli in Greifswald;

3

in seiner Beurteilung derselben lehnte er vorläufig ein weiteres Eingehen auf meine Ergebnisse, die ihm noch nicht genügend fundiert schienen, ab, ermunterte mich aber zur Fortsetzung meiner Studien, was ich dann in den folgenden Jahren tat. So war ich dann imstande, im Jahre 1903 Lepsins zur Seite zu springen in einem Aufsatz im Archiv für Religionswissenschaft, S. 305 bis 319 „Textkritische Bedenken gegen den Ausgangspunkt der heutigen Pentateuchkritik", in dem ich darauf aufmerksam machte, daß die alten Übersetzungen einen ganz anderen Gebrauch der Gottes­ namen zeigten als der jetzige hebräische Text, daß z. V. die arabische Übersetzung immer alluha (für Elohim und für Jahwch), umgekehrt die aramäischen Übersetzungen (die Targnme) sogar für alle drei Gottcsbezeichnnngen (Elohim, Jahweh, Adonaj) immer Jahweh hätten, daß also da offenbar Redaktionen vor­ gekommen wären; daß dann weiter die griechische Übersetzung, die LXX, allein in den Büchern Genesis bis Numeri nach der Ausgabe von Swete 180 Abweichungen vom jetzigen Hebräer habe, daß diese Abweichungen aber weder Abschreibern noch den Übersetzern zur Last fallen könnten, sondern Zeugnis von einem älteren Hebräer gäben, und daß diesem älteren Hebräer gegenüber der jetzige eine jahwistische Redaktion zeige und an manchen Stellen aus Rücksicht auf die Vorlesung im Gottesdienst geändert sei. Auch ich hatte mit diesem Angriff vorläufig keinen Erfolg, ja mir ging es noch schlechter als Lepsins, denn mährend mit ihm sich doch wenigstens einige Alttestamentier wie Meinhold und König auseinandersetzten, passierte mir das Unangenehmste, was einem wissenschaftlichen Aufsatz passieren kann, er blieb vor­ läufig vollständig unbekannt, sogar bei denen, die bald darauf mit ähnlichen Anschauungen an die Öffentlichkeit traten. Der erste von ihnen war der Londoner Pfarrer Dr. Redpath, einer der besten Kenner der LXX, über die er auch an der Universität Oxford Vorlesungen hielt. Er ließ im Jahre 1904 im American Journal ok Theology einen Aufsatz erscheinen: „Eine neue Hypothese über den Gebrauch der Gottesnamen im Pentateuch", in dem er ebenfalls die Ursprünglichkeit der Gottesnamen im jetzigen Hebräer bestritt. Auch dieser Angriff blieb erfolglos. Dann er­ fuhr ich im Jahre 1905 durch Prof. D. Eb. Nestle, den bekannten Herausgeber des jetzt überall gebräuchlichen griechischen Neuen

4 Testaments und berühmtesten Kenner der griechischen Übersetzung des Alten Testaments in Deutschland, den ich um eine Äußerung in dieser Frage bat, daß er im englischen Dictionary of the Bible auf die Nachlässigkeit aufmerksam gemacht habe, mit der auch die besten Kommentatoren wie z. B. Gunkel die Frage der Abweichungen des griechischen Textes von dem hebräischen inbezug auf die Gottesnamen behandelten, und wie in diesem Punkte die ungenauesten oder gar keine Angaben in den Kommen­ taren sich fänden. Das Jahr 1906 brachte unserer Auffassung dann den ersten kleinen Sieg in der Öffentlichkeit. Justus

Köberle, der junge Alttcstamentler von Rostock, veröffentlichte seine Aufsätze „Zum Kampf ums Alte Testament", uitb es fand sich darin die Anmerkung (2. Aufl. S. 26): „Nur an einem Beispiele möchte ich zeigen, wie auch Dinge, die scheinbar ab­ solut fest standen, neuerdings wieder anfangen, unsicher zu werden. Die Anschauung, daß in den 5 Büchern Mosis mehrere Quellenschriften zusammengearbeitet sind, ist bekanntlich zuerst auf­ gestellt worden auf Grund des eigentümlichen Wechsels der Gottesbezeichnung in den verschiedenen Abschnitten; das eine Mal das hebräische Wort Elohim, „Gott", das andere Mal das nomen proprium Jahwe, das Luther übersetzt „der HErr". Nun hat aber neuerdings I. Dahse in einem viel zu wenig beachteten Aufsatz gezeigt usw. . . . Summa, daß die Gottesnamen bei der Bestimmung der verschiedenen Quellenschriften gänzlich außer Betracht bleiben müssen." Auch Köberle's Stimme wurde wenig beachtet. Wie wenig bekannt mein Aufsatz von 1903 geworden, zeigt auch der Umstand, daß die hebräische Bibel mit tcxtkritischen Anmerkungen von R. Kittel, die 1905 erschien, in der Genesis allein noch zirka 30 Stellen, an denen LXX und Hebr. in den Gottesnamen von einander abweichen, ausließ. Nach D. Kittels jüngsten Äußerungen dürfen wir annehmeu, daß er, wenn ihm mein Artikel bei Herausgabe seiner Bibel schon bekannt gewesen wäre, noch manche dieser Stellen berücksichtigt hätte. Denn in seiner „Geschichte Israels I" 2. Aufl. 1912 erkennt er S. 255 f. die teilweise Richtigkeit meiner Ergebnisse, speziell für Gen. 1—10 an. Auch lautete auf seine Veranlassung die Preisausgabe der Leipziger theologischen Fakultät für 1911—12: „Die Gründe für die Verschiedenheit der Gottesbezeichnungen Jahve und Elohim

5 in manchen Büchern des Alten Testaments bedürfen einer neuen Untersuchung. Die Fakultät wünscht eine solche". Bei Abfassung meines Artikels: „Naht ein Umschwung in der Pentateuchkritik?" (Neue kirchl. Zeitschr. 1912. S. 748—756) war mir diese neuer­ liche Stellungnahme D. Kittels leider noch nicht bekannt. Im Jahre 1908 ist dann der Kampf von einer andern Seite eröffnet worden. Der Alttestamentler der holländischen Universität Leyden, B. Eerdmans, der Nachfolger des größten holländischen Alttestamentlers Kuenen, von dem Wellhausen be­ kennt am meisten gelernt zu haben, erklärte seinem Meister Well­ hausen, dem er bis dahin gefolgt war, den Krieg, schwenkte von der Wellhausenschen Hypothese ab, vor allem auf Grund seiner Studien über den Gebrauch der Gottesnamen. Seine Ansicht von der Komposition der Genesis ist nun die, daß es auf Grund des Wechsels von Jakob und Israel in der Josephgeschichte möglich sei, ein altes Jakobbuch (mit polytheistischen Anschau­ ungen) zu rekonstruieren, das später durch eine Jsraelrezension und nach ihr noch verschiedene Male erweitert worden wäre. Sein Jakobbuch aus der Königzeit umfaßt die Stücke 5,1—32. 6, 9-22. 7, 6—9, 17—22, 24. 8, 1—19. 9, 8—29. 11, 10 bis 26, 27—32. 12. 13, 1—13, 18. 15, 7—12, 17—21. 23. 25, 7-11, 19—34. 27. 28, 11—22. 32, 4—23. 33, 1-17. 35, 1—8, 16—20, 23—29. 36, 1—14. 37, 2, 25—27, 28b, 34, 35. 40. 41. 42. 45, 1-27. 46, 2b—7. 47, 6-12, 28. 49, la, 29—33. 50, 12—13. Aus vordeuteronomischer Zeit stammt die Jsraelrezension der Josephgeschichte und außerdem 2. 3. 4, 1—26a. 10. 22. 26, 34, 35. 27, 46. 28, 1—9. 29—32, 3, 24—33. 33, 18-34, 31. 35, 21, 22. Nachdeuteronomisch sind 6, 1—8. 7, 1—5, 16b. 8, 20-22. 11, 1—9. 16. 18. 19. 26; nachexilisch 1—2, 3. 9, 1—7. 17. 20. 22, 20-24. 24. 35, 9—15. 48, 3—6. 15, 1—6; Glossen 4, 26b. 7, 14—16. 13, 14—17. 46, 8—27 und anderes; unbekannter Zeit 25, 1—6. 25, 12—18. 36, 15—43. Während ich in meinen „Textkritischen Materialien zur Hexateuchfrage I" (Gießen 1912) Eerdmans inbezug auf die Wertlosigkeit der Gottesnamen für die Qucllenscheidung energisch zugestimmt und ihn gegen die oberflächliche Kritik Holzingers in der Zeitschr. für alttestamentl. Wissenschaft 1910 IV, 1911 I in Schutz genommen habe, muß

6 ich Eerdmans inbezug auf das Jakobbuch und die Jsraelrezension widersprechen. Die Namen Jakob und Israel sind ebenso wenig wie die Gottesbezcichnungen ein brauchbares Quelle uscheidungsmittel, siehe darüber unten S. 8. Abgesehen davon aber sind manche Einzelbemerkungen von Eerdmans für die kommende Penta­ teuchforschung von großem Werte. Als Eerdmans' Buch erschieiren war, schrieb ich unter Beilegung meiner Abhandlung von 1903 an Julius Wellhausen selbst mld bat ihn um seine Meinungsäußerung. In seiner Antwort gab er mir zu, daß ich mit jener Abhandlung den wunden Punkt der herrschenden Hypothese berührt habe, erklärte aber, daß er sich nicht mehr in eine Diskussion einlassen könne, da seine Neigungen jetzt anderen Studien gälten. Er gab mir aber 25. VII. 1912 die Erlaubnis, öffentlich von jener Äußerung von ihm Gebrauch zu machen. Während der Meister so Zugeständnisse macht, sind die Schüler unbelehrbar: Steuernagel in seiner neuen „Einleitung" und Bertholet in dem Artikel „Moscsbücher" in der neuen Enzyklopädie „Die Religion in Geschichte und Gegenwart" halten es nicht für nötig, irgendwie genauer auf die gemachten Einwände einzugehen. Dagegen werden sie nun eingehend berücksichtigt in den neuen katholischen Kommentaren und in England und Amerika. Auf katholischer Seite hatte man nämlich in der Pentateuch­ forschung zum Teil dieselben Wege eingeschlagen wie bei uns. In seinen „Apologetischen Vorträgen" (München-Gladbach 1912) redet z. B. Franz Meffert S. 22 unbefangen vom Jahvisten und Elohisten. Aber in immer steigendem Maße gewinnt dort eine andere Richtung an Einfluß, die man die textkritische nennen könnte, weil sie neben dem hebräischen auch den griechischen und lateinischen Text eingehend berücksichtigt. So machen es- die beiden Kommentare zur Genesis von dem Freiburger Professor Hoberg und von deni Jesuiten v. Hummelauer und der neue Exodus­ kommentar von dem Grazer Professor Weiß. Auch sie lehnen mit Recht die Gottesnamen als Quellenscheiduugsmittel ab; Humme­ lauer, Hoberg und mit ihnen der Wiener Alttestamentler Schlögl (Expository Times, Sept- 1909, S. 563) glauben überhaupt in der Genesis jedes Jahveh streichen zu könuen, vor Ex 6, 2 sei ein solches im Texte unmöglich. Solch eine gewaltsame Tilgung des Gottesnamens Jahveh widerspricht aber dem Befunde des

7 Textes; in dem für uns erreichbaren ältesten Texte findet viel­ mehr ein Wechsel von Jahveh und Elohim statt, der aber nichts mit Quellenschriften zu tun hat. Das ist auch die Ansicht dessen, dem wir in der englisch sprechenden Welt den schärfsten Angriff gegen die übliche Quellenscheidung und gegen die Wellhausensche Hypothese überhaupt verdanken: Harold M. Wiener. Als Jurist veröffentlichte er Studies in Biblical Law (Studien über die biblischen Gesetze), kam dadurch auf die verschiedenen Lesarten der Übersetzungen und merkte bei eindringenderem Studium,

daß nicht nur die Hauptquellenscheidungsmittel für diesen Zweck vollständig unbrauchbar sind, sondern auch daß die Texte, wenn man sie möglichst weit zurückverfolgt, auf ihrer ältesten Stufe viel weniger Widersprüche enthalten, als der jetzige hebräische Text, und daß man in Zukunft sein Augenmerk viel mehr als bisher auf Glossen im Texte richten müsse. Wiener hat seine vorher in verschiedenen Zeitschriften (besonders in der verbreitetsten amerikanischen theologischen Vierteljahrzeitschrift „Bibliotheca Sacra“) erschienenen Artikel in zwei Bänden gesammelt heraus­ gegeben: Essays in Pentateuchal Criticism 1910 und Pentateuchal Studies 1912. Ein populärer Auszug aus seinen Werken, der unter dem Titel Origin of the Pentateuch erschienen ist, wird von mir in deutscher Übertragung herausgegeben werden. Wiener

ist nun der erste gewesen, der darauf hingewiesen hat, daß uns ebenso unsicher wie die Gottesbezeichnungen auch die 9lntneii Jakob und Israel überliefert sind, daß auch in der Joseph­ geschichte sich bei genauerer textkritischer Erforschung kein doppelter Faden der Erzählung ergebe, daß es sich auch dort vielmehr um eine, allerdings durch viele Glossen erweiterte Erzählung handele. Wie wenig brauchbar als Quellenscheidungsmittel Jakob und Israel sind, zeigt folgende Übersicht über die Geschichte der Verwendung dieses Kriteriums, auf die ich in dem Septemberhest 1912 der Neuen kirchlichen Zeitschrift hingewiesen habe*): Zuerst war Israel Kennzeichen des 2. Elohisten, während Jakob vom Jahvisten und 1. Elohisten (— heutigem P) gebraucht sein sollte, so ist Ilgens Ansicht, de Wette behauptet aber, Israel sei *) Mit Bezug hierauf, schrieb mir einer der ersten Fachmänner: „Auch Jakob und Israel können wir gern preisgeben und nicht auf die Scheidung von J und E kommt es an, sondern auf die von P und JE".

8 Kennzeichen der Urschrift (— P). Bei Hupfeld ist dagegen gerade Jakob Kennzeichen der Urschrift, während beide: der Jahvist und der 2. Elohist Israel gebrauchen. Und heutzutage endlich gilt Israel als Kennzeichen des Jahvisten, Jakob als das von E und P. Das nennt man ein sicheres Kennzeichen einer Quelle!! Natürlich ist solch ein Merkmal vollständig wertlos, mußte doch auch jede der angeführten Anschauungen für eine große Zahl von Ausnahmen alle möglichen Gründe austüfteln! Ich unterlasse es, auf all die andern Quellenscheidungsmittel, durch die man die drei parallel berichtenden Quellenschriften J E und P in der Genesis glaubt nachweisen zu können, hier einzugehen; sie sind ja überhaupt nur sekundärer Art, und wende mich nun zu der Methode, die in Zukunft von der Pentateuchforschung wird ein­ geschlagen werden müssen, um zum Schlüsse dann meine Ansicht von der Komposition der Genesis kurz zu skizzieren. Für jeden, der weiß, wie es bei einer handschriftlichen Über­

lieferung einer Schrift zugeht, ist es selbstverständlich, daß der gegenwärtige Zustand der Genesis nicht der ist, in dem die Genesis die Hand ihres Verfassers resp, ihres letzten Bearbeiters verlassen hat. Zum Beweise dessen brauchen wir ja nur an die doppelt überlieferten Stücke des althebräischen Schrifttums zu denken: Ps. 18 im Vergleich mit 2. Sam. 22 zeigt, daß mit den Texten im Laufe der Zeit Veränderungen vorgegangen sind. Ist es aber so, dann haben wir, wenn wir dem ursprünglichen Texte nahe kommen wollen, die Pflicht, den jetzigen Text von etwaigen späteren Zusätzen zu reinigen und daraufhin alle anderen zur Zeit vorhandenen Textgestaltungen mit dem jetzigen hebräischen Text zu vergleichen. Bekanntlich sind die Abweichungen in unseren hebräischen Handschriften nur sehr gering. Man hat das damit erklären zu können gemeint, daß alle hebräischen Handschriften des Alten Testaments als Abschriften ein und des­ selben Musterkodex anzusehen wären. Nun haben wir aber die merkwürdige Erscheinung, daß sich unter den Varianten hebräischer Handschriften auch solche finden, von deren Vorhandensein wir aus Quellen wissen, die älter sind als der angenommene Muster­ kodex; auch finden wir manchmal in ein und derselben hebräischen Handschrift eine Reihe von solchen Abweichungen, die, wie wir nachweisen können, alle derselben andern Textgestalt an-

9 gehören. So stimmt z. B. der hebräische Kodex K 9 häufig mit der Vulgata. Eine andere Handschrift K 132 zeigt verschiedene Male Berührungen mit einer besonderen griechischen Textgestalt, die in den Handschriften der LXX e g j erhalten ist. Da dürfen wir doch wohl annehmen, daß K 9 in irgendeiner Beziehung zur hebräischen Vorlage der Vulgata, K 132 in irgendeinem Ver­ hältnis zur hebräischen Vorlage der griechischen Rezension egj steht. Und da es nun sicher ist, daß in alter Zeit verschiedene hebräische Textgestaltungen im Umlauf waren, so werden uns in jenen noch heute vorhandenen hebräischen vom MTabweichenden Handschriften die letzten Vertreter abweichender Rezensionen er­ halten sein, die im Laufe der Zeit durch die Arbeit der Massorethen und Abschreiber immer mehr dem üblichen Texte an­ geglichen sind, so daß sie jetzt nur wenige ihrer ursprünglichen Lesarten noch erhalten haben. Wären es Abschriften des an­ genommenen Musterkodex, so müßten sie ja nachträglich nach der Vulgata oder jenem Griechen, deren Lesarten dann zu dem Zwecke ins Hebräische zurückübersetzt sein müßten, korrigiert sein, was doch weniger wahrscheinlich ist. Die Feststellung des jetzigen hebräischen Textes hat nach der Zerstörung Jerusalems, etwa im 2. Jahrhundert nach Christi Geburt stattgefunden. Aber es hat noch mehrere Generationen gedauert, bis dieser Text die Oberherrschaft erlangt hat. Denn die drei griechischen Uebersetzer des Alten Testaments, die im 2. Jahrhundert lebten und die den griechischredenden Juden der da­ maligen Zeit eine wörtlichere Uebersetzung, als die LXX war, geben wollten, weichen noch an manchen Stellen von der Lesart des rezipierten Hebräers ab. Und unter diesen Abweichungen finden sich solche, die nicht unwichtig sind. Wenn von diesen Dreien z. B. Symmachus (ebenso die syrische und arabische Ueber­ setzung) Gen. 12,6 Mamre statt More liest, so geht das auch die modernen Quellenkritiker an. Denn nach diesen soll Mamre bei J in oder bei Hebron sein, nach P sei es gleich Hebron, und Gen. 14, 13, 24 soll damit der Besitzer der Bäume gemeint sein. Nun aber finden wir bei Symmachus an der sogenannten ^-Stelle 12, 6 den Baum Mamres erwähnt, umgekehrt lesen die griechischen Handschriften d p f (c o) 14, 13, 24 More, und Gen. 35,27

*) MT — massorethischer Text.

10 liest die LXX-Rezension, die durch die Zeugen ä n p § k k i» r re­ präsentiert wird, nicht „nach Mamre", sondern „nach der Stadt Mamres"; Also mit der Annahme, daß bei dem sogenannten P Mamre Ortsname für Hebron sei, ist es nichts! Und wenn Aquila, der andere jener 3 Uebersetzer, Gen. 30, 24 mit Symmachus und der LXX o tteo; für das Wort Jahveh liest, so zeigt das, daß selbst die Gottesnamen noch im 2. christlichen Jahrhundert in der hebräischen Vorlage des Aquila und Symmachus nicht überall mit dem jetzigen Hebräer stimmten. Dasselbe beweist Ex 4, 24. Da haben wir jetzt im Hebräer Jahveh, ebenso hier Symmachus und Theodotion; Aquila aber hat o LXX ayyeXog xvqlov und bloß ayyeXoc die griechische Rezension, die durch die Handschriften und Zeugen F M egj ly a2 b2 c2 B S hier wiedergegeben wird. Bei solchen Abweichungen in den Gottesnamen muß man wirklich den bodenlosen Leichtsinn und die Kühnheit derer bewundern, die den Mut haben, nur auf den: Grunde der Ueberlieferung der Gottesnamen im M T, die doch nicht die einzigste und an vielen Stellen nachweisbar nicht die ursprüngliche ist, weittragende Hypothesen aufzubauen. 0 Und um nun auch noch aus dem 3. jener Uebersetzer des 2. nach­ christlichen Jahrhunderts ein Beispiel anzuführen, das für die Auffassung einer ganzen Geschichte von Wichtigkeit ist, und das uns hernach sogar einen Schlüssel zur wirklichen Komposition der Genesis mit abgeben kann: Theodotion liest 37, 2 nicht wie der jetzige Hebräer: „Und es brachte Josef üble Nachrede wider sie zu ihrem Vater", sondern wie auch ein Teil der LXX-Handschriften „Und sie brachten ein böses Gerücht über Joseph zu ihrem Vater". Aus diesen Beispielen sehen wir, daß es nicht unwichtig ist, sich um die Lesarten von Aquila, Symmachus und Theodotion zu kümmern. Das wußte auch Origenes und des­ halb hatte er in seiner Hexapla diese Drei neben dem Hebräer und der LXX in parallelen Kolumnen herausgegeben. Leider sind uns heutzutage jene drei nur in sehr kleinen Fragmenten erhalten, sonst würden vielleicht noch auffallendere und viel zahlreichere *) Daß die von mir in meinen „Text. Mat." dargebotenen Unter­ suchungen über die Gottesnamen der Genesis „eine beschämende Lücke" aus­ füllen, erkennen jetzt fast alle Kritiker meines Buches an, z. B. Sellin, Greßmann, Herrmann, Baumgärtel.

11 Beweise für die Abweichungen ihrer hebräischen Vorlagen von dem jetzigen Hebräer zu Tage gefördert werden können. Aber nicht nur Aquila, Symmachus und Theodotion im 2. Jahrhundert nach Christus zeigen uns, daß es neben dem M T noch andere Hebräer gegeben hat, dasselbe beweist die hebräische Vorlage der Vulgata um die Wende des 4. und 5. nachchristlichen Jahrhunderts. Wer einmal einen Blick hineingeworfen hat in diese lateinische Genesis des Hieronymus, der verzichtet darauf, in der Genesis Quellenscheidungen vorzunehmen, ehe er sich an jeder einzelnen Stelle ein Urteil über den Verlauf der Geschichte des Textes gebildet hat. Wiederum mögen uns einige Beispiele zeigen, von welcher Wichtigkeit es ist, sich bei der „höheren Kritik" nicht bloß um den hebräischen Text, sondern auch um die andern Texteszeugen zu kümmern. Es ist allgemeine Annahme, daß Gen. 30, 27. 28 verschiedenen Quellen angehören müsse, denn „zweimal setzt Labans Rede ein wajo’mer 27 28" (Gunkel^, S. 336). Das gilt aber nicht von der Vulgata, ebensowenig von der LXX; beide lassen vielmehr dieses Wort Vers 28 aus; auf eine „überflüssige Wiederholung" kann sich also jedenfalls die Quellenscheidung nicht stützen; ähnlich ist es übrigens an Dutzen­ den von andern Stellen. Ein zweites Beispiel, bei dem die Vulgata anders liest. Gen. 29,1 wird seit Dillmann zu E gerechnet, weil als Reiseziel „das Land der Söhne Kedem" angegeben ist, während es bei J Harran, bei P Paddan Arom genannt wird (Gunkel 324). Was liest aber für „das Land der Söhne Kedem" Hieronymus? Venit in terram orientalem; ebenso LXX ei; yqv avaioXövl Auch hier liegt kein Grund vor wegen einer „andern Angabe über das Reiseziel" Quellenscheidung zu treiben. Der jetzige hebräische Text ist durch Hinzufügung von b’ne erweitert wie wir ähnliches z. B. auch Gen. 33, 19; 38, 12 haben. Und endlich noch ein Beispiel aus Gen. 35. Da liest der massorethische Text Vers 7: „und nannte die Stätte: Gott von Bethel". Gunkel erklärt uns S. 381: „Daß die Stätte den Namen el führt, ist in der alten Zeit nicht sonderbar"! Schlägt man aber die Vul­ gata auf und außerdem die griechische und syrische Übersetzung, so zeigen die uns, daß das el nicht ursprünglich ist: et appellavit nomen loci illius: domus dei. Ebenso ist es, wie ich in meinen „Textkr. Mat. z. Hexateuchfrage" 1, S. 7 nachgewiesen habe, an



12

der ähnlichen Stelle Gen. 33, 20.

-

Wir sehen, die Textkritik macht

sogar die Revision religionsgeschichtlicher Annahmen an manchen Stellen notwendig. Zwischen der Zeit der Vulgata und den vorhin genannten Übersetzern Aquila, Symmachus und Theodotion haben nun aber

die 3 Männer gelebt, die zu ihrer Zeit sich auf das eindringendste mit dem Texte des Alten Testaments beschäftigt haben und die die alte griechische Übersetzung (die LXX) mit den zu ihrer Zeit

umlaufenden hebräischen Textgestaltungen verglichen und darnach revidiert haben: das sind Origenes, Lucian und Hesychius. Wenden wir uns zuerst zu der Tätigkeit des ersteren. Wenn er bei seiner Vergleichnng des hebräischen und griechischen Textes fand, daß der Hebräer seiner Zeit ein plus gegenüber der alten LXX hatte, so fügte er möglichst aus der griechischen Übersetzung des Theodotion dieses plus mit Vorsetzung des Zeichens X zum alten Griechen hinzu. In gleicher Weise deutete er durch das Zeichen — in der alten griechischen Übersetzung an, daß die so gekennzeichneten Worte in dem Hebräer seiner Zeit sich nicht fanden. Aber nicht nur um die Zusätze und Weglassungen bekümmerte sich Origenes, er machte auch die Stellung der Worte in der griechischen lieber» setzung möglichst der Wortstellung seines Hebräers gleich. Nun sind uns in einigen mit Unzialbuchstaben geschriebenen Genesis­ handschriften (G und M) jene Zeichen des Origenes erhalten, außerdem besonders in der syrisch-hexaplarischen (S) und arme­ nischen Uebersetzung (A); aber auch eine ganze Reihe von Minuskel­ handschriften acmosxc2 haben uns, wie ich „Zeitschr. f. alttest. Miss." 1908, S. 12 f., 18 nachgewiesen habe, den Text des Origenes in der Genesis erhalten. Muß man sich nicht wundern, daß sämtliche Kommentatoren der Gegenwart alle jene Ver­ änderungen, von denen Origenes Zeugnis gibt, einfach ignoriert haben? 9 Daß das grobe Nachlässigkeit gewesen, geben sie selbst damit zu, daß die nach 1908 erschienenen Kommentare (von Skinner und Gunkel^) sich veranlaßt gefühlt haben, einiges aus meinen Untersuchungen von 1908 bei der Erklärung zu berück­ sichtigen. Aus den 3 Kapiteln Gen. 6, 16 und 20 führe ich nun ein paar Beispiele von des Origenes Tätigkeit an: T) Der soeben erschienene Kommentar von Procksch ist der erste, der die

verschiedenen Gestaltungen der LXX bei der Erklärung berücksichtigt.

13 Gen. 6, 1: „Gottessöhne", urspr. LXX: ayyeXoi, Orig, mot (nach S text) 3: — TovTotc (8), fehlt M T und I^XX-Hand­ schriften qu 6: X xai JieroqSt] er riq xagdia avrov (— und war tief bekümmert in -seinem Herzen M T) 7: xvgio? o Seos (statt Jahveh M T) nach Ausweis von A 8 und den Minuskelhandschriften cmoac2 qu ib? 1 t. (vgl. ähnlich Vers 13).

6, 16: hinter rryv Sogar X tt(C xißanov, was bei den Handschriften bwdpd2aoxk, den Uebersetzungen E und P und Chrysostomus fehlt. Stellung (— M T) ex nXayiior noiqaeis c2 A 8. 6, 17: oaa eav — ij S, nach dem Hebräischen getilgt.

Kap. 16, 2: „steh' doch" — idov +

8 s v b w (vid.) h I t.

4: „ihrer Herrin" — xvgia X atmjs aox ej. 6: Mr „in deinen Augen" hat die ursprüngliche Uebersetzung