Widerstand und Revolution: Ein Beitrag zur Unterscheidung der Tatbestände und ihrer Rechtsfolgen [1 ed.] 9783428401093, 9783428001095


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German Pages 122 Year 1964

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Widerstand und Revolution: Ein Beitrag zur Unterscheidung der Tatbestände und ihrer Rechtsfolgen [1 ed.]
 9783428401093, 9783428001095

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 17

Widerstand und Revolution Ein Beitrag zur Unterscheidung der Tatbestände und ihrer Rechtsfolgen

Von

Karl Friedrich Bertram

Duncker & Humblot · Berlin

Karl Friedrich

Bertram / Widerstand und Revolution

Schriften zum ö f f e n t l i c h e n Band 17

Recht

Widerstand und Revolution E i n Beitrag zur Unterscheidung der Tatbestände und i h r e r Rechtsfolgen

Von

Dr. Karl Friedrich Bertram

DUNCKER

& HUMBLOT /

BERLIN

Alle Rechte vorbehalten © 1964 Duncker & Humblot, Berlin Gedruckt 1964 bei Albert Sayffaerth, Berlin 61 Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

9

Schwierigkeiten der juristischen Betrachtung revolutionären Geschehens — Abgrenzung der Revolution v o m Widerstandsrecht.

Erster Teil

Widerstand gegen unrechtmäßige Ausübung der Staatsgewalt 1. Kapitel:

Kurze Darstellung Widerstandsrechts

a) Das kirchliche

der

geschichtlichen

Entwicklung

des 14

Widerstandsrecht

14

Ursprünglich passiver Widerstand — später aktiver Widerstand, der ein förmliches Verfahren voraussetzte—ging bis zur Absetzung des Königs. b) Das germanische Widerstandsrecht

16

Grundsatz gegenseitiger Treue — formloses Widerstandsrecht gegen Rechtsverletzungen des Herrschers — Befugnis zur Absetzung des Herrschers i n der Völkerwanderungszeit — Straßburger Eide — Sachsenspiegel — Übergang zum Widerstandsrecht nach förmlichem V e r fahren. c) Das Widerstandsrecht

im Ständestaat

19

Widerstandsrecht galt unbestritten — Recht zur Gewaltanwendung nach förmlichem Verfahren — theoretische naturrechtliche Begründungen Marsilius: v o n Padua, L u p o i d von Bebenburg, Manegold von L a u tenbach. d) Das Widerstandsrecht

im Zeitalter

der Reformation

22

Calvin — Monarchomachen: Hotman, Beza, Philippe du Plessis-Mornay, Buchanan — L u t h e r — Althusius — Ausschluß des Widerstandsrechts, soweit Rechtsschutz durch Gerichte gewährt werden konnte. e) Das Widerstandsrecht

im Zeitalter

des Absolutismus

und der Neuzeit

Verschwinden des Widerstandsrechts als Rechtseinrichtung aus dem Staatsrecht der Einzelstaaten — Weiterleben i n der Rechtswissenschaft und Erweiterung zu einem Recht zum Umsturz — Widerstandsrecht i n Verfassungsurkunden — Hannoverscher Verfassungskonflikt von 1837 — nicht anerkannt i m „Rechtsstaat" des 19. Jahrhunderts — i m 20. Jahrhundert n u r noch geschichtliches Interesse, bis es nach 1933 praktische Bedeutung erlangte.

27

6

Inhaltsverzeichnis

2. Kapitel:

Voraussetzungen und Inhalt des Widerstandsrechts

a) Ausschluß des Widerstandsrechts Rechtsbehelfe

als Selbsthilferecht

durch

32 andere 32

Widerstandsrecht n u r gegen staatliche Hoheitsakte gerichtet — Rechtsweg muß zuvor ausgeschöpft sein — Unterschied zur verfassungsmäßig erlaubten Berufung auf das Gewissen. b) Das Widerstandsrecht als staatsbürgerliches Recht jedes einzelnen Bürgers Einschränkungen des Kreises der Berechtigten stehen i m Widerspruch zu dem i n verschiedenen Länderverfassungen gewährten Recht zum Widerstand — als staatsbürgerliches Recht steht es jedermann zu — praktische Bedeutung politischer Parteien f ü r die Ausübung des Rechts. c) Das Ziel der Ausübung

des Widerstandsrechts

35

37

Verhinderung des Mißbrauchs der staatlichen Gewalt — gegen U m sturzversuche gerichtet — keine bloße Wahrnehmung r e i n persönlicher Interessen. d) Das Widerstandsrecht

als Notrecht

40

Objektive Erfolgsaussicht nicht nötig — A b w e h r w i l l e — nicht nötig, daß allgemeine Wende zum Besseren herbeigeführt w i r d . 3. Kapitel:

Die heutige Bedeutung des Widerstandsrechts

42

Es w i r k t einem Aufstand entgegen — Bestand der Staats- u n d Rechtsordnung w i r d nicht angetastet — Rechtfertigungsgrund f ü r strafbare Handlungen — A r t e n möglicher Widerstandshandlungen — Organisierbarkeit — keine Kollision m i t dem Parteienprivileg nach A r t . 21 GG — Gesichtspunkte f ü r eine Entschädigung.

Zweiter

Teil

Revolution 4. Kapitel:

Kurzer geschichtlicher Überblick über die Behandlung des Problems der Revolution in der Literatur

a) Im Mittelalter

48 48

Revolution als politischer Begriff erstmals i n der Renaissancezeit — Anlehnung an das Widerstandsrecht, u m sich bestehender Ordnung einzufügen — i m 16. u n d 17. Jahrhundert keine scharfe begriffliche Trennung von Widerstand u n d Revolution. b) Die Anhänger

der Lehre vom Staatsvertrag

50

John Locke — Thomas Hobbes. c) Rousseau, Kant und die Literatur der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Rousseau: Neben den Staatsgrundvertrag t r i t t ein einseitiger, jederzeit abänderbarer A k t der Regierungseinsetzung; damit besteht ein Recht

51

Inhaltsverzeichnis

7

zur Revolution — K a n t : Revolution widerstrebt der Vernunft, ist zerstörend; der Untertan muß jedoch aus Vernunftgründen sich der aus der Revolution hervorgegangenen Ordnung fügen — Friedrich Gentz. d) Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts Friedrich Julius Stahl: Revolution ist U m k e h r u n g der gottgewollten Ordnung — Josef Held: naturwissenschaftliche Betrachtungsweise, Revolution beweist die Schwäche der N a t i o n zu organischer E n t w i c k lung.

54

e) Hegel und seine Schüler; der Marxismus-Leninismus Hegel: Revolution ist eine Erscheinung der treibenden K r a f t der W e l t geschichte — Lorenz von Stein: Revolution ein K a m p f zur Auflösung von Widersprüchen zwischen der staatlichen u n d der gesellschaftlichen Entwicklung — K a r l M a r x : Revolution ist eine bedeutende, auffällige u n d stoßweise Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse — L e n i n : Revolution als Lösung sozialer Konflikte zwischen den Klassen.

56

f) Die Behandlung der Revolution von 1918 in der zeitgenössischen juristischen Literatur Legalisierung durch das Prinzip der Volkssouveränität — Legalisier u n g durch die normative K r a f t des Faktischen — Revolution löst den Staat auf (Waldecker) — reine Rechtslehre. 5. Kapitel:

Die Tatbestandsmerkmale der Revolution

62

66

a) Der Unterschied zu anderen staatsrechtlichen Tatbeständen Z u m Widerstand — zum Staatsstreich — zum Putsch — Revolution ist plötzliches, i n kurzer Zeit ablaufendes Geschehen.

66

b) Die Massenbewegung und ihre Entstehung Ursachen — B i l d u n g einer Masse aus Einzelpersonen — Bedeutung der F ü h r u n g — Besonderheiten einer revolutionären Masse — Gegenkräfte — Organisation der Masse — Gewalttätigkeiten.

68

c) Die Rechtswidrigkeit des Umsturzes Ansicht Emges von der Rechtmäßigkeit der die Revolution tragenden Handlungen — Ansichten v o n der „legalen Revolution" 1933 — Ansicht Laskis von der Revolution i n Übereinstimmung — Pseudolegalität.

72

d) Die Gleichwertigkeit aller Tatbestandsmerkmale Die Idee dient der Massenbildung — Idee k a n n auch zur Unterscheidung verschiedener A r t e n der Revolution dienen.

77

6. Kapitel: Das Wesen der Revolution 80 Die Revolution w i r f t die Frage der konkreten Gestaltung der Staatsu n d Rechtsordnung auf — Wesen des Staates: Ansichten von Jellinek, der reinen Rechtslehre, Seidler, Heller, Smend, Nawiasky — Wesen der Staatsgewalt — Revolution als Machtkampf u m die Staatsgewalt — Tendenz zur B i l d u n g einer neuen Staatsgewalt.

8 7. Kapitel:

Inhaltsverzeichnis Die staatsrechtlichen Folgen einer gelungenen Revolution . .

87

a) Das Inkrafttreten einer neuen Verfassung Bedeutung der technischen u n d soziologischen Geltung f ü r die V e r fassung — die Revolution berührt n u r die m i t der politischen Lebensform des Staates zusammenhängenden Teile der Rechtsordnung — I n k r a f t t r e t e n der neuen Verfassung ohne technische Inkraftsetzung n u r auf G r u n d soziologischer Geltung — Gebundenheit an das N a t u r recht — Unterschied zwischen Rechtsnorm u n d Ordnungsnorm — Weitergelten von Teilen der alten Verfassung als einfaches Recht — Anordnungen der Revolutionsmachthaber als Rechtsnormen.

87

b) Der Übergang von Rechten und Pflichten auf den nachrevolutionären Staat 92 Völkerrechtliche Identität zwischen v o r - u n d nachrevolutionärem Staat — i m Staatsrecht „Funktionsnachfolge" f ü r den Rechtsübergang entscheidend. 8. Kapitel:

Strafrechtliche Folgen des Unternehmens einer Revolution

a) Möglichkeiten einer Rechtfertigung des Umsturzes einer Unrechtsherrschaft vom Standpunkt der Ethik und des Christentums I m Regelfall rechtswidriger Hochverrat, auch bei sittlicher Berechtigung der Revolution — Revolution als letztes M i t t e l i m Unrechtsstaat ist v o m ethischen Standpunkt nicht verwerflich — katholische L e h r anschauung — evangelische Anschauungen: Künneth, Thielicke, K a r l Barth, Diem, Berggrav.

95

95

b) Möglichkeiten einer juristischen Rechtfertigung des Hochverrates in besonderen Ausnahmefällen 101 Vorliegen einer Gewalt- u n d Willkürherrschaft (Radbruchsche Formel) — zur Frage, ob der objektive Tatbestand des Hochverrats erfüllt sein k a n n — Rechtfertigungsgründe: nicht Widerstandsrecht, nicht Notwehr, w o h l übergesetzlicher Notstand — Voraussetzungen des übergesetzlichen Notstandes, angewandt auf den Umsturz einer Gewalt- u n d W i l l kürherrschaft. c) Möglichkeiten einer Rechtfertigung anderer mit einer Revolution sammenhängender Handlungen Z u m Landesverrat — zum Problem des „Tyrannenmordes".

zu109

d) Schlußbetrachtung 113 I m Ausnahmefall k a n n ein Staatsumsturz nicht rechtswidrig u n d gleichwohl eine Revolution sein. Literaturverzeichnis

115

Einleitung Deutschland hat nur wenige Revolutionen erlebt. Das deutsche Volk ist nicht umsturzfreudig; zudem verdankt der moderne deutsche Staat nicht einer durchgreifenden, alles erschütternden Revolution seine Entstehung. Deshalb fehlt in Deutschland das positive Erlebnis, welches mit einer Revolution verbunden sein kann und welches z. B. das französische Volk gehabt hat, das heute noch den Tag des Sturmes auf die Bastille als Nationalfeiertag begeht 1 . Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, daß nicht nur das Phänomen der Revolution an sich, sondern auch seine Bedeutung für die Rechts- und Staatsordnung der Rechtswissenschaft immer wieder große Schwierigkeiten gemacht hat und heute noch macht. Eine Revolution hat zwar erhebliche Rechtsfolgen, sie selbst ist aber kein rein juristischer, rein staatsrechtlicher Vorgang. Ihr entscheidender Teil, nämlich der Übergang des Massengehorsams auf die neuen Machthaber, spielt sich i m wesentlichen auf soziologischem Gebiet ab. Daraus folgt aber nicht, daß dieser Teil einer juristischen Beurteilung überhaupt nicht zugänglich wäre. Deshalb ist es zweifelhaft, ob die Selbstbescheidung richtig ist, die in der i n der Staatsrechtslehre weit verbreiteten Ansicht liegt, die Rechtswissenschaft habe die Revolution als eine besondere A r t der Rechtsentstehung einfach hinzunehmen 2 . Selbst wenn man aber von diesem Standpunkt ausgeht, bleibt es eine reizvolle juristische Aufgabe, zu untersuchen, wie denn diese besondere A r t der Rechtsentstehung mit den Prinzipien des Rechts überhaupt i n Einklang zu bringen ist. Ist es doch auf den ersten Blick höchst befremdlich, daß aus einer rechtswidrigen, strafbaren Handlung — das ist die Revolution mindestens im Normalfall — gültiges Recht, ja sogar eine gültige Verfassung entstehen soll! Außerdem ist es eine Aufgabe der Rechtswissenschaft, Tatbestandsmerkmale herauszuarbeiten, die die Feststellung ermöglichen, ob ein bestimmtes Ereignis eine Revolution ist und als besondere A r t der Rechtsentstehung überhaupt i n Betracht kommen kann. Dieser Aufgabe haben sich Rechtsprechung und Rechtslehre schon seit langem angenommen. Die Notwendigkeit dazu ergab sich insbesondere auch daraus, daß sich i n der ersten Hälfte dieses Jahr1

Vgl. Menzel, i n : Geschichte 1959/2. * s. dazu Laun, Allgem. Staatslehre i m Grundriß, 8. Aufl. 1961, S. 73.

10

Einleitung

hunderts in Deutschland gleich zwei gelungene Revolutionen i m Abstand von nicht einmal MV2 Jahren — 1918 und 1933 — und zwei gescheiterte — am 20. J u l i 1944 und am 17. Juni 1953 — ereigneten und zu diesen Ereignissen selbst wie auch zu deren praktischen Rechtsfolgen Stellung genommen werden mußte. Eine einmütige Auffassung über die Voraussetzungen einer Revolution, über ihre Tatbestandsmerkmale, hat sich bisher aber gleichwohl nicht gebildet. Eine Zeitlang war es sogar umstritten, ob die Vorgänge des Jahres 1933 als eine Revolution anzusehen waren oder nicht 8 . Später hat die Rechtsprechung einhellig den Revolutionscharakter bejaht 4 . Damit ist natürlich eine endgültige und sichere Festlegung der Voraussetzungen einer Revolution noch nicht erfolgt. Auch die vorliegende Arbeit w i r d hierzu nichts Endgültiges bringen können. Sie w i l l aber zusammenzufassen versuchen, welche Voraussetzungen für das Vorliegen einer Revolution gefordert worden sind und versuchen, diejenigen Punkte auszuscheiden, die mit dem Wesen der Revolution nicht recht vereinbar sind. Manche der praktischen Rechtsprobleme, die m i t einer Revolution zusammenhängen, wie z. B. die Frage des Übergangs der Rechte und Pflichten des vorrevolutionären Staates auf den nachrevolutionären, sind keine typischen Revolutionsprobleme. Sie tauchen nicht nur nach einer gelungenen Revolution auf, sondern auch nach einschneidenden staatlichen Veränderungen anderer Art. So erzeugte der totale staatliche Zusammenbruch des Jahres 1945 auf manchen Gebieten — besonders auf dem des Rechtsübergangs — ähnliche Rechtsprobleme wie eine Revolution. Die Ergebnisse, die i n der Rechtsprechung und der Rechtslehre bei der Lösung solcher Probleme nach 1945 erarbeitet worden sind, sind auch für die Lösung nachrevolutionärer Probleme brauchbar, sofern man sich dabei die Besonderheiten des staatlichen Zusammenbruchs von 1945 vor Augen hält. Jeder Umsturz und jeder staatliche Zusammenbruch hat seine Besonderheiten. Diese müssen jeweils berücksichtigt werden. Dadurch können i n jedem einzelnen Fall etwas abweichende Ergebnisse zustande kommen. Die Revolution ist eine rechtswidrige Handlung. Es kann aber sein, daß sie das einzige verbleibende M i t t e l ist, eine veraltete staatliche Ordnung den veränderten Lebensverhältnissen des Volkes anzupassen, wenn sich der bisherige Träger der Staatsgewalt beharrlich allen Reformen verschließt. Sie kann auch das einzige M i t t e l sein, um eine s

Bejahend: Thoma, i n : D R Z 1948/143 i n einer A n m e r k u n g zu einem U r t e i l des O L G Tübingen i n DRZ 1948/141; verneinend: A r n d t , i n : DRZ 1948/240; s. auch Maunz, Deutsches Staatsrecht, 6. Aufl. 1957, S. 39. Laun, a. a. O. S. 72, meint, es habe sich n u r u m einen Staatsstreich gehandelt, w e i l der Nationalsozialismus keine echte Massenbewegung gewesen sei. 4 BVerfGE 2/237 (249) u n d B G H Z 5/76 (96) ff.

Einleitung bestehende Gewalt- und Willkürherrschaft zu beseitigen und dem Hecht gemäße, menschenwürdige Zustände einzuführen. Revolutionen dieser A r t werden i n der Geschichte immer als eine befreiende, zu begrüßende und oft auch als sittlich gerechtfertigte Tat beurteilt werden. Man kann sie als „legitime Revolutionen" bezeichnen, als Revolutionen, die sich an überpositiven Wertvorstellungen und Ordnungsideen ausrichten 5 . Dieses Merkmal der Legitimität würde der Revolution i n besonderen Fällen zwar eine historische Rechtfertigung verleihen, würde aber noch nichts an ihrer Illegalität, an der Widerrechtlichkeit des Unternehmens ändern können. Allerdings widerstrebt es dem Rechtsgefühl, jede Revolution ohne Unterschied als rechtswidrige Handlung anzusehen. Wenn eine Gewalt- und Willkürherrschaft Recht und Gesetz nicht achtet und wenn in ihr nur nach selbstgesetzten willkürlichen Maßstäben regiert wird, so kann sich das Recht schlecht schützend vor dieses Regime stellen. Es ist sozusagen mit den Händen greifbar, daß eine i n einer solchen Situation unternommene Revolution nicht den strafbaren Handlungen gleichgestellt werden kann. Dieser Sonderfall einer Revolution ist eigentlich erst in der Zeit nationalsozialistischer Herrschaft i n den Bereich der Möglichkeiten gerückt. I n der staatsrechtlichen Literatur w i r d er — wenn überhaupt — meist nur am Rande erwähnt. Bei der Untersuchung dieses Sonderfalles i n der vorliegenden Arbeit w i r d sich herausstellen, daß in Ausnahmefällen auch eine nicht rechtswidrige Revolution denkbar ist mit der Folge, daß der Revolutionär dann keinen strafbaren Hochverrat begeht. Das kann natürlich nur für besondere Ausnahmefälle gelten, in denen der Handelnde sich i n einem echten Gewissenskonflikt befindet. Für den besonderen Fall des Kampfes gegen ein Unrechtsregime hat sich heute der Begriff des Widerstandes eingebürgert. Es w i r d mit Recht als eine sittlich-moralische Pflicht eines jeden Staatsbürgers angesehen, dem staatlichen Unrecht mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu widerstehen und ihm schon i n den Anfängen zu wehren. Alle Handlungen, die der einzelne i n Ausübung dieser sittlichen Pflicht vornimmt, sollen als „Widerstandshandlungen" rechtmäßig sein. Hier dient das Widerstandsrecht als Rechtfertigungs- oder Unrechtsausschließungsgrund. Dieses Widerstandsrecht ist dasselbe uralte Recht, welches in früheren Jahrhunderten einen Rechtsbehelf darstellte, ein M i t t e l zur Rechtsdurchsetzung, soweit der damals noch lückenhafte Rechtsschutz der Gerichte versagte. Zwar schien i n der Zeit des Positivismus diesem Recht durch den Ausbau der staatlichen Gerichtsbarkeit ein für allemal der Boden entzogen worden zu sein; die Zeit nach 1933 hat jedoch gezeigt, daß auch heute noch ein echtes Bedürfnis für die Anwendung des Widerstandsrechts vorhanden ist. 5

Menzel, i n : Geschichte 1959/16 ff.

12

Einleitung

Es liegt nahe, alle Handlungen, die zur Bekämpfung einer Gewaltund Willkürherrschaft vorgenommen werden, als durch dieses W i derstandsrecht gerechtfertigt anzusehen: Vom heimlichen und offenen Ungehorsam angefangen über den aktiven Widerstand, über Verstöße gegen Strafbestimmungen des Unrechtsstaates bis h i n zum gewaltsamen Staatsumsturz. Wenn man aber das Widerstandsrecht unterschiedslos zur Rechtfertigung aller Widerstandshandlungen, aller Kampfmaßnahmen gegen das Unrechtsregime heranzieht, so ergibt das mindestens ein ungenaues Bild. Ein großer Teil solcher denkbaren Handlungen ist ohnehin rechtmäßig. Bei ihnen kommt eine juristische Rechtfertigung überhaupt nicht i n Betracht. Bei einem weiteren Teil werden die Voraussetzungen der Notwehr oder des Notstandes gegeben sein; auch hier bedarf es der Heranziehung des Widerstandsrechts nicht. Es mag sein, daß für diese heute zu beobachtende zu häufige und zu weitgehende Anwendung des Widerstandsrechts der Sprachgebrauch und auch eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich der Voraussetzungen dieses Rechts verantwortlich zu machen ist. Bei der Bezeichnung „Widerstandshandlung" für alle Kampfhandlungen gegen den Unrechtsstaat, auch für solche, die eines Rechtfertigungsgrundes nicht bedürfen, mag es ruhig verbleiben, wenn man sich immer dabei bewußt bleibt, daß nicht jede dieser Handlungen lediglich erst auf Grund des Widerstandsrechts rechtmäßig ist. Ihre Zusammenfassung unter den Begriff des „Widerstandes" ist nicht einmal unzweckmäßig. Sie ermöglicht, dadurch auszudrücken, daß der Handelnde aus einer bestimmten geistigen Haltung heraus tätig geworden ist. Zum anderen kann dadurch auch gleichzeitig zum Ausdruck gebracht werden, daß für den Handelnden eine Entschädigung für die wegen seines Tuns erlittenen Nachteile i n Betracht kommen kann. Daß die Voraussetzungen und der Anwendungsbereich des Widerstandsrechts immer noch nicht ganz eindeutig geklärt sind, mag einfach daher kommen, daß der letzte Fall der praktischen Anwendung dieses Rechts schon sehr, sehr lange zurücklag und die Rechtswissenschaft nach 1933, eigentlich sogar erst nach 1945, dem Widerstandsrecht als einer nun wieder neuen Erscheinung gegenübergetreten ist. Wenn auch das Bestehen dieses Rechts heute nicht mehr i n Zweifel gezogen wird, und die bisherige Diskussion schon eine beachtliche Übereinstimmung über seine Voraussetzungen gebracht hat, so fehlt es doch noch an einer klaren Abgrenzung zwischen der Ausübung des Widerstandsrechts und dem gewaltsamen Staatsumsturz. Beides sind zwei grundverschiedene Tatbestände 6 . Leider w i r d häufig der Unterschied zwischen ihnen entweder nicht gesehen oder nicht beach• Vgl. dazu A r n d t , i n : N J W 1962/430.

Einleitung tet 7 . Das führt notwendigerweise gelegentlich zu Ergebnissen, die mit dem Rechtsgefühl nicht i n Einklang stehen. So w i r d manchmal auch das Unternehmen eines gewaltsamen Staatsumsturzes i n einem Unrechtsstaat als Ausübung des Widerstandsrechtes angesehen. Bei der Untersuchung der geschichtlichen Entwicklung und der Voraussetzungen des Widerstandsrechts i n der vorliegenden Abhandlung w i r d sich herausstellen, daß es seiner Natur nach heute nur eine A r t Selbsthilferecht ist, dessen praktische Bedeutung darin liegt, daß es — genau wie andere Rechte dieser A r t — für an sich gegen Rechtsvorschriften verstoßende Handlungen einen Rechtfertigungsgrund darstellt. Es ist nicht auf einen Staatsumsturz hin ausgerichtet und kann auch niemals als Rechtfertigungsgrund für ein solches Unternehmen dienen, und zwar auch dann nicht, wenn es sich um den gewaltsamen Umsturz einer Gewalt- und Willkürherrschaft handelt. Damit ist dann allerdings noch nicht gesagt, daß ein solcher Umsturz immer eine rechtswidrige Handlung, also ein strafbarer Hochverrat sein müßte. Vielmehr w i r d sich — wie schon angedeutet — zeigen, daß er auch ohne Anwendung des Widerstandsrechts i m Falle eines echten Pflichtenkonflikts gerechtfertigt sein kann, wenn und soweit die Voraussetzungen des übergesetzlichen Notstandes vorliegen.

7 Die Unterscheidung fehlt 1959/6 ff.

z. B. auch noch bei Schier, i n :

Geschichte

Erster

Teil

Widerstand gegen unrechtmäßige Ausübung der Staatsgewalt Erstes Kapitel

Kurze Darstellung der geschichtlichen Entwicklung des Widerstandsrechts a) Das kirchliche Widerstandsrecht Die christliche Lehre hat auf das mittelalterliche Widerstandsrecht großen Einfluß ausgeübt. Das Christentum ist als religiöse Minderheit inmitten einer i h m feindlichen Umwelt früh m i t den Problemen eines Widerstandes — und zwar eines Widerstandes um des Glaubens willen — i n Berührung gekommen. Der Kaiserkult des römischen Staates war ganz eindeutig Götzendienst. I h m mußte widerstanden werden nach den Bibelworten: „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist 1 " sowie: „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen 2 ." A u f der anderen Seite stehen aber die Worte des Apostels Paulus 3: „Jedermann sei Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über i h n hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott . . . Wer sich aber wider die Obrigkeit setzet, der widerstrebet Gottes Ordnung." Gott läßt auch das Böse zu und führt i n seiner unbegreiflichen Gnade den Sünder zum Heil. I h m allein kommt das Richteramt zu 4 . Aus diesen Grundsätzen ergab sich die Grenze altchristlichen Widerstandes: Es war passiver Widerstand durch den einzelnen, notfalls bis zur Hingabe des eigenen Lebens 5 . Passiver Widerstand 1

Markus 12,17. Apgesch. 5,29. • Römer 13, l u . 2 . 4 Matth. 7,1. 5 Spörl, Gedanken u m Widerstandsrecht u n d Tyrannenmord i m Mittelalter, i n : Pfister u. Hildmann, Widerstandsrecht u n d Grenzen der Staatsgewalt, Berl i n 1956, S. 14 f. 2

Darstellung der geschichtlichen Entwicklung des Widerstandsrechts

15

dieser A r t ist von den altchristlichen Märtyrern oft geleistet worden: Sie weigerten sich standhaft, am Kaiserkult teilzunehmen, ließen sich dann aber i m Namen desselben Kaisers, den sie nicht anbeteten, widerstandslos hinrichten. Als das Christentum nach dem Toleranzedikt des Kaisers Konstantin i m Jahre 313 zur Staatsreligion geworden war und damit eine A r t von Mitverantwortung für den Staat übernahm, begann sich auch die Frage eines aktiven Widerstandes zu stellen, eines Widerstandes nämlich gegenüber einer sündigen, ketzerischen Obrigkeit. I m Laufe der Zeit wurde aus dem für einen solchen Fall entwickelten Widerstandsrecht sogar eine Widerstandspflicht Diese bestand nicht nur dann, wenn der Herrscher Ketzerei trieb, sondern auch i n sonstigen Fällen, i n denen der Herrscher gegen Gottes Gebote und gegen elementare Naturrechtsregeln verstieß 6 . Der Grundgedanke, der zur Entwicklung einer Widerstandspflicht i n diesen Fällen geführt hatte, war der, daß der Herrscher sich durch solche Handlungen selbst richtete. Die Feststellung, daß ein Widerstandsfall vorlag, hatte also nur deklaratorischen Charakter. Diese Feststellung mußte durch eine ordnungsmäßige kirchliche richterliche Instanz getroffen werden, die zu einer solchen Feststellung i n Form eines auf Grund eines förmlichen Verfahrens zu fällenden Urteils befähigt war. Als Christ unterstand der Herrscher wie jeder andere auch der K i r chenzucht und damit der kirchlichen Strafgewalt. Streitig war nur lange Zeit hindurch, ob die geistliche Züchtigung des Herrschers auch staatsrechtliche, politische Folgen nach sich ziehen konnte. Der alten Märtyrerüberlieferung folgend wurde dies von der einen Richtung verneint; danach war auch ein tyrannischer Herrscher vom Schlage eines Nero für die christliche Lehre die rechtlich zuständige Obrigkeit. Die andere, eigentlich mittelalterlich kirchliche A n sicht begründete demgegenüber aus dem Auftrag aller, ein christliches Staatswesen zu errichten bzw. zu verwirklichen, die Pflicht, einen tyrannischen Herrscher unschädlich zu machen, indem i h m das naturrechtlich verwirkte Herrschaftsrecht auch positivrechtlich entzogen wurde. Der tyrannische Herrscher sollte nach dieser Auffassung aufgehört haben, Obrigkeit i m Sinne der Paulusworte i m 13. Kapitel des Römerbriefes zu sein, so daß er ohne Verstoß gegen diese Schriftstelle bekämpft werden konnte 7 . Ein solches förmliches Strafverfahren gegen einen tyrannischen Herrscher ist zuerst i n der fränkischen „Reichsordnung" von 817 aufgezeichnet worden. Schon einige Jahre später erlangte es unter L u d w i g dem Frommen praktische Bedeutung. I m Jahre 833 zog die kirchliche Bestrafung 6 7

Heyland, Das Widerstandsrecht des Volkes, 1950, S. 10 u. 11. Heyland, a. a. O., S. 11.

16

Widerstand gegen unrechtmäßige Ausübung der Staatsgewalt

dieses Herrschers nach damaliger Auffassung auch den Verlust seiner herrscherlichen Rechte nach sich. Bei dieser Gelegenheit amtierten die Bischöfe als Richter über den König. Diejenigen, die i h n gesalbt hatten, sollten ihn nach damaliger Auffassung durch ein förmliches Urteil auch wieder entthronen können. Erst nach der Erledigung der kirchlichen Buße wurde nach dieser Ansicht der Herrscher wieder regierungsfähig. Nicht nur L u d w i g der Fromme, sondern auch dessen Sohn K a r l der Kahle haben die Unterstellung unter die kirchliche Gerichtsbarkeit feierlich anerkannt. I n späterer Zeit, während des Investiturstreites, erlangte dieses kirchliche Widerstandsrecht besondere Bedeutung. Gregor V I I . brachte es erstmals fertig, den König für dauernd abzusetzen. Er entband die Untertanen feierlich von ihrer Gehorsamspflicht gegen den König. Auch dieses M a l hatte der päpstliche Spruch nur deklaratorische Bedeutung: Der König sollte durch eigene Sünde die Herrschaftsrechte verwirkt haben. A n dieser A r t Widerstandsrecht und an dem Grundsatz der Verantwortlichkeit der Herrscher gegenüber der Kirche hat diese i n den Jahrhunderten nach dem Investiturstreit unverändert festgehalten. Die kirchliche Lehre konnte sich gegenüber allen Anfechtungen auf die einleuchtende Tatsache berufen, daß der Fürst vor Gott auch Mensch ist m i t denselben Pflichten, die jedem Christen auferlegt sind 8 . Daß dieses kirchliche Widerstandsrecht i n der Praxis so große Bedeutung erlangte, liegt zu einem Teil daran, daß dem Germanentum der Gedanke eines Widerstandsrechts gegen Rechtsverletzungen seit altersher tief eingewurzelt war.

b) Das germanische Widerstandsrecht Nach germanischer Staatsauffassung stand dem Herrscher keine unumschränkte Macht zu. Seine Herrschergewalt beruhte auf dem Gewohnheitsrecht und war vom Recht abhängig, welches über dem Herrscher stand 9 . Das germanische Staatsrecht beruhte auf dem Grundgedanken der gegenseitigen Treue, die Herrscher und Untertanen sich schuldeten. Beide hatten Pflichten und Rechte. Z u denen des Herrschers gehörte es, das Recht der Väter zu erhalten und zu bewahren 10 . Es konnte auch i n späterer Zeit nur m i t Zustimmung der Getreuen, i n Übereinstimmung m i t der Rechtsüberzeugung der Ge8

Heyland, a. a. O., S. 13. • Tacitus, Germania, K a p 7. 10 Kern, Gottesgnadentum u n d Widerstandsrecht 2. Aufl. 1954, S. 123.

i m frühen

Mittelalter,

Darstellung der geschichtlichen Entwicklung des Widerstandsrechts

17

samtheit geändert werden. Noch 1231 bstimmte ein Reichsspruch, daß der Landesherr beim Erlaß neuer Rechtspflichten an die Zustimmung „meliorum et maiorum terrae" gebunden sei. Jeder Freie hatte das Recht, die Handlungen des Herrschers am Maßstab des überlieferten Rechts zu prüfen. Seine Stellung zum Herrscher richtete sich nach dem Ergebnis dieser Prüfung 1 1 . Die Verletzung der Rechtsordnung durch den Herrscher gab den Freien die Befugnis, sich des Herrschers zu entledigen. Dieser ging durch begangene Rechtsverletzungen seines Anspruchs auf Treue und Gehorsam ohne weiteres verlustig; das Volk konnte sich von ihm lossagen und einen neuen Herrscher wählen. Dabei hatte jeder einzelne selbst zu entscheiden, ob ein zum Widerstand berechtigender Fall einer Rechtsverletzung vorlag. Die Neuwahl eines Herrschers zeigte nach außen h i n das Ende der Herrschaft des alten Fürsten an. Sie fand ihre Berechtigung i m Widerstandsrecht. Eine besondere Form für dessen Geltendmachung gab es i n der ältesten Zeit nicht 1 2 . Da Rechtsschutz gegenüber Rechtsverletzungen nach unseren heutigen Begriffen wenn überhaupt, dann nur äußerst unvollkommen gewährt werden konnte, war das formlose Widerstandsrecht das einzige Mittel, sich gegen Rechtsverletzungen der Obrigkeit zur Wehr zu setzen. Von diesem Recht ist spätestens seit der Völkerwanderungszeit häufig Gebrauch gemacht worden. Zum Beispiel haben sich die Westgoten, Langobarden, Angelsachsen und auch Franken mit seiner H i l f e der Herrscher entledigt, die aus bestimmten Gründen nicht tauglich erschienen. Unter diesen Gründen ragt i n erster Linie die Verletzung der Gerechtsame der Freien, also der Rechtsordnung, hervor. A u f diesen Grund wurde nach und nach das Recht zum Widerstand beschränkt 13 . Aus fränkischer Zeit stammt auch die wohl älteste uns überlieferte Beurkundung eines Widerstandsrechts. Es handelt sich dabei u m die sogenannten Straßburger Eide aus dem Jahre 842. Weil damals zum ersten Mal i m Frankenreich Sprachschwierigkeiten auftauchten, leisteten K a r l der Kahle und Ludwig der Deutsche jeder den Eid i n der Sprache, die i m Reiche des anderen gesprochen wurde, um so sicherzustellen, daß die Anwesenden verstanden, was beschworen wurde. Der Anlaß für diese Eide war die Verbindung Karls des Kahlen und Ludwigs des Deutschen zum Kampf gegen ihren Bruder K a i ser Lothar. Jeder der beiden Herrscher beschwor die ordnungsmäßige Ausführung der vertraglich übernommenen Verpflichtungen und entband seine eigenen Untertanen, sein eigenes Heer von der Treue11

Kern, a. a. O., S. 156. Heyland, a.a.O., S.6; Spörl, a.a.O., S. 15; Planitz, Deutsche Rechtsgeschichte, 3. Aufl. 1944, S. 163. 13 Heyland, a. a. O., S. 6. 12

2

Bertram

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Widerstand gegen unrechtmäßige Ausübung der Staatsgewalt

pflicht für den Fall, daß er selbst den Vertrag verletzen und den übernommenen Verpflichtungen nicht nachkommen würde. Hieran ist auffällig, daß ein Widerstandsrecht gewährt w i r d nicht wegen eines Rechtsbruchs gegenüber den eigenen Untertanen, sondern wegen Nichterfüllung von Pflichten, die der eigene Herrscher anderen Herrschern gegenüber übernommen hat. W i r würden heute zwar sagen, es handele sich um ein Widerstandsrecht wegen Verstoßes gegen völkerrechtliche Pflichten. Immerhin fällt aber die Einreihung der Urkunde i n das übliche Schema des Widerstandsrechts dann nicht mehr schwer, wenn man sich vor Augen hält, daß das Frankenreich nach damaliger Auffassung noch ein einheitliches Reich war. Eine A b grenzung der Herrschaftsbereiche der karolingischen Brüder erfolgte erst ein Jahr später, i m Jahre 843, durch den Vertrag von Verdun. Bis dahin mochte jeder der Brüder auch noch i n der anderen Reichshälfte als Inhaber gewisser Herrscherbefugnisse angesehen werden, so daß i n Straßburg letzten Endes doch ein Vertrag über innerstaatliche Pflichten abgeschlossen worden ist. Später spielte das Widerstandsrecht bei den vielen Fehden und Aufständen der Lokalgewalten i n Deutschland ebenfalls eine Rolle. Diese Gewalten benutzten es für ihre oft selbstsüchtigen und zum Teil anarchischen Bestrebungen. Diesen verhalf es zur Durchsetzung, weil es nach damaliger allgemeiner Überzeugung jedem, der vom Herrscher i n seinen Rechten (wirklich oder vermeintlich) beeinträchtigt wurde, die Befugnis verlieh, sich selbst Genugtuung zu verschaffen 14 . Es konnte allerdings erst dort i n Betracht kommen, wo die Gerechtigkeit des Herrschers versagte, und dadurch die objektive Rechtsordnung erschüttert worden war. Dies ist der Rechtszustand, den Eike von Repgow i m Sachsenspiegel (III, 78) mitteilt. I n jener Zeit hatte sich aber i m staatsrechtlichen Bereich schon der Einfluß des kirchlichen Widerstandsrechts geltend gemacht. Es bildete sich allmählich der Grundsatz heraus, daß nicht mehr jeder einzelne zum Widerstand berechtigt war, der sich durch den Herrscher i n seinen Rechten verletzt fühlte, sondern daß das Widerstandsrecht nur von einer bestimmten Gruppe von Untertanen stellvertretend für die Gesamtheit ausgeübt werden könne. Außerdem entwickelte sich langsam die Überzeugung, daß über das Vorliegen einer zum Widerstand berechtigenden Rechtsverletzung und auch über eine etwaige Bestrafung des Herrschers i n einem förmlichen Verfahren entschieden werden müsse. Dieser Gedanke klingt schon i m Sachsenspiegel dadurch an, daß dort (III, 52) dem Pfalzgrafen bei Rhein das Richteramt über den König zuerkannt wird. 14

Kern, a. a. O., S. 158.

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Diese Lehre des Sachsenspiegels vom Richteramt des Pfalzgrafen ist zwar i n Deutschland niemals buchstäblich zur Anwendung gekommen. Immerhin hat aber das Kurfürstenkollegium zweimal tatsächlich ein Richteramt über den König ausgeübt und diesen abgesetzt, nämlich einmal 1298, als Adolf von Nassau auf dem Fürstentag i n Mainz abgesetzt und an seine Stelle Albrecht von Österreich zum König gewählt wurde, zum anderen i m Jahre 1400, als König Wenzel auf dem Fürstentag in Oberlahnstein abgesetzt und Ruprecht von der Pfalz zum König gewählt wurde. Dieser Neuwahl war eine Ladung Wenzels zu dem Fürstentag vorausgegangen, wo er sich gegen die i h m zur Last gelegten Vorwürfe rechtfertigen sollte, aber nicht erschienen war. Den Vorgängen lag die Vorstellung zugrunde, daß diejenigen, die den König gewählt haben, ihn auch wieder „abwählen" können 15 . Allerdings verschwand damals das alte formlose Widerstandsrecht noch nicht vollständig aus dem deutschen Bereich.

c) Das Widerstandsrecht im Ständestaat Vom 13. Jahrhundert ab traten i n Deutschland die mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestatteten Stände, zu denen der Adel, die Geistlichkeit und die aufblühenden größeren Städte gehörten, i m Staatsleben immer stärker hervor. Sie übernahmen allmählich nicht nur die Vertretung ihrer eigenen Interessen, sondern auch die staatsrechtliche Vertretung aller i m staatlichen Leben wirkenden Gesamtinteressen, soweit diese außerhalb der Person des Herrschers lagen. I n diesem Sinne bildeten sie eine Repräsentation des Volkes 16 . Der Ständestaat kannte keine einheitliche Staatsgewalt. Die daraus abgeleiteten Befugnisse waren zwischen dem Landesherrn und den Ständen aufgeteilt; jede dieser Gewalten erschien als selbständiger Träger öffentlicher Gewalt aus eigenem Recht. Wohl aber hatte der Ständestaat einen einheitlichen Zweck: Nämlich den Friedensschutz und die Bewahrung, die Verwirklichung des Rechts mit rechtmäßigen Mitteln. Herrscher und Stände waren nach damaliger Auffassung i n gleicher Weise dem Recht unterworfen 1 7 . Als Rechtsbehelf gegen die Verletzung der Landesfreiheiten, des überlieferten Rechts durch den Fürsten war das Widerstandsrecht i n jener Zeit unbestritten 18 . Dabei diente es nicht nur dem Schutz der eigenen rechtlichen und politischen Interessen der Stände vor Übergriffen des Herrschers, sondern auch 15

Heyland, a. a. O., S. 14. Vgl. Wolzendorff, Staatsrecht u n d Naturrecht i n der Lehre vom Widerstandsrecht des Volkes, 1916, S. 74 ff. 17 Heyland a. a. O., S. 20. 18 Planitz a. a. O., S. 189. 16

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dem Schutze dieser Interessen der Gesamtheit der Untertanen, die die Stände zu vertreten hatten. Das ergibt sich aus vielen aus jener Zeit stammenden Beurkundungen, i n denen das Widerstandsrecht sowohl den Ständen als auch gleichzeitig allen Untertanen zugesichert wird 1 9 . Das ist z. B. der Fall i n der sogenannten Joyeuse Entrée von Brabant aus dem Jahre 1354, einem bayerischen Freiheitsbrief aus dem Jahre 1311 und zahlreichen weiteren Urkunden 2 0 . Die Ausübung des Widerstandsrechts stand nun aber weder dem gesamten Volk noch den einzelnen Untertanen zu, sondern nur noch den Ständen. Dies war das Ergebnis einer folgerichtigen Entwicklung: Da die Stände Repräsentanten der gesamten Untertanen waren und sie deren Interessen wahrzunehmen hatten, so stand ihnen auch die Wahrnehmung des Rechtsschutzes der Gesamtheit gegenüber dem Herrscher zu. Eine gewisse Einschränkung erfuhr das altgermanische Widerstandsrecht i n dieser Zeit schließlich dadurch, daß es den Ständen i n der überwiegenden Zahl der Fälle nur noch für die Verletzung gewisser, allerdings fundamentaler staatsrechtlicher oder politischer Rechte verbrieft wurde. Dazu gehörten z. B. das Steuerbewilligungsrecht und eine gewisse Teilnahme an der Münzprägung, die Teilnahme an gewissen Zweigen der Verwaltung, das Recht auf unparteiischen und geordneten Rechtsgang 21 . Das Widerstandsrecht gab den Ständen die Befugnis, mit Waffengewalt, notfalls sogar tätlich gegen den Landesherren vorzugehen. Man ging jedoch nicht mehr so weit, daraus ein Recht zur Absetzung oder gar zur Tötung des Herrschers abzuleiten. Wenn sich diese Einschränkung auch i n keiner Beurkundung findet, so folgte ihr doch die staatliche Praxis der damaligen Zeit; sie mag also als selbstverständlich angesehen worden sein. Allerdings gab es einige Ausnahmen von dieser Regel. I n diesen Ausnahmefällen waren jedoch die weitergehenden Befugnisse der Stände ausdrücklich festgelegt worden: So waren z.B. i n Stargard, Rügen, Stendal, Soest — u m nur einige Fälle zu nennen — die Stände auf Grund des Widerstandsrechtes befugt, sich vom bisherigen Landesherrn abzuwenden und sich einem anderen zu unterstellen 22 . Das Widerstandsrecht konnte auch nicht mehr formlos ausgeübt werden, sondern es waren bestimmte Verfahrensvorschriften einzuhalten, insbesondere mußte zuvor die Abstellung des vom Herrscher begangenen Unrechts von diesem verlangt werden. Weit verbreitet 19 20 21 22

Wolzendorff a. a. O., S. 74 ff. Heyland, a. a. O., S. 23. Heyland, a. a. O., S. 24 f.; Wolzendorff, a. a. O., S. 56 ff. Heyland, a. a. O., S. 26.

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waren die Formen, die Schiller i n der Rütli-Szene des „Wilhelm Teil" schildert. Sie tauchen wohl erstmals urkundlich i n der englischen Magna Charta von 1215 auf und entsprechen sicherlich einem allgemeinen deutschen Rechtsgedanken 23 . I n dieser Urkunde ist bestimmt, daß sämtliche Barone des Landes aus ihrer Mitte 25 auszuwählen hatten, denen die Sorge für die Beachtung der Landesfreiheiten durch den Herrscher oblag. Wurde eine Freiheitsverletzung durch den Herrscher bekannt, so hatten vier dieser 25 Barone die Freiheitsverletzung beim König zu rügen und ihre Abstellung und Wiedergutmachung zu verlangen. Wurde diesem Verlangen nicht binnen 14 Tagen entsprochen, dann sollten nicht nur die ausgewählten 25 Barone, sondern die Gesamtheit des Landes den König zwingen und ihn auf alle mögliche A r t schädigen, bis dieser den Schaden wiedergutgemacht hatte. Danach schuldeten alle dem König wieder vollen Gehorsam 24 . I n der Zeit des Ständestaates erlebte das Widerstandsrecht seine weiteste Verbreitung. Es war zwar nicht i n allen Territorien verbrieft, war aber gleichwohl eine typische und charakteristische Erscheinung des ständischen Staatsrechts 25 . I n jener Zeit tauchten auch erstmals theoretische naturrechtliche Begründungen für das Widerstandsrecht auf. Nach dem „defensor pacis" des Marsilius von Padua sollte die Mehrheit der freien und erwachsenen Männer der eigentliche Herrscher i m Staate sein; den Fürsten bezeichnete er als „regierenden Bürger", also als ein Organ des eigentlichen Herrschers. Deshalb sollte der Fürst auch wegen Überschreitung der ihm übertragenen Befugnisse zur Verantwortung gezogen und seines Amtes enthoben werden können, und zwar durch weitere, besondere Organe 29 . Lupoid von Bebenburg 27 leitete ebenfalls aus den Gedanken einer Volkssouveränität ein Recht der Kurfürsten — als Repräsentanten der Gesamtheit — zur Absetzung des Herrschers her 2 8 . Andere, wie z. B. Nikolaus von Cues, lehnten sich mehr an die erstmals von dem Mönch Manegold von Lautenbach zwischen 1083 und 1085 entwikkelte Lehre vom Herrschaftsvertrag an. Bei Manegold diente dieser Vertrag nur zur Begründung der Einsetzung eines Herrschers, nicht zur Begründung des Staates überhaupt. Nach seiner Ansicht sollte das Volk vertraglich die oberste Herrschergewalt ganz oder teilweise auf den Fürsten übertragen haben unter der Bedingung, daß dieser „gerecht" regiert, also das geltende Recht achtet und niemanden i n 23 24 25 26 27 28

Wolzendorff, a. a. O., S. 68. Wagner, Magna Carta Libertatum, 1951, S. 39. Wolzendorff, a. a. O., S. 55; Heyland, a. a. O., S. 28. s. dazu Heyland, a. a. O., S. 28. s. dazu Wolf, Große Rechtsdenker, 3. Aufl. 1951, S. 27 ff. Heyland, a. a. O., S. 29.

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seinen Rechten schmälert. Erfüllte der Herrscher diese Bedingung nicht, so sollte das Volk von der Gehorsamspflicht frei sein und durch die Stände als seine Repräsentanten Widerstand leisten können. Diese Lehre vom Herrschaftsvertrag entsprach den damaligen tatsächlichen Verhältnissen i n weitem Maße; deshalb fand sie auch eine weite Verbreitung. Da sich i m Ständestaat Herrscher und Landstände als zwei selbständige Mächte gegenüberstanden, waren sie häufig auf gegenseitige Übereinkommen angewiesen. Oft wurde schon beim Regierungsant r i t t zwischen den Ständen und dem Herrscher ein Vertrag geschlossen, der die gegenseitigen Rechte und Pflichten näher festlegte. Solche Übereinkommen begegnen uns als sogenannte Wahlkapitulationen — noch i n späteren Jahrhunderten wurden mehrfach i m Reiche solche Kapitulationen zwischen dem Kurfürstenkollegium und dem Bewerber für die Kaiserkrone vereinbart — oder als sogenannte bedingte Huldigungen 29 .

d) Das Widerstandsrecht im Zeitalter der Reformation I m Reformationszeitalter sank die Macht der Stände. Dem Staate wurde kraft seines Wesens, nicht mehr kraft eines Vertrages, höchste Machtvollkommenheit beigelegt: 1577 erschienen Bodins „Six livres de la Republique"; i n Deutschland vertrat z.B. Reinking 30 die Theorie, daß die unumschränkte Gewalt kraft Übertragung vom Volke auf den Kaiser übergegangen sei und die Stände dem Kaiser deshalb unbedingten Gehorsam leisten müßten. M i t dieser mächtig gewordenen Staatsgewalt geriet die religiöse Bewegung besonders i n Frankreich, England und den Niederlanden beim Versuch, ihre Lehre durchzusetzen, i n heftige Kämpfe. Dabei fand sie i n der ständischen Opposition einen natürlichen Verbündeten. Für die Begründung des Kampfes gegen den Herrscher spielte das Widerstandsrecht naturgemäß eine bedeutsame Rolle; seine rechtstheoretische Begründung wurde nun den neuen Gegebenheiten angepaßt. Calvin lehrte i n seiner „Institutio religionis Christianae" aus dem Jahre 1559 kurz zusammengefaßt folgendes: Die einzelnen Untertanen hätten kein Recht zum Widerstand; wenn aber bestimmte Organe oder Behörden des Staates eingesetzt seien, um die fürstliche W i l l k ü r einzuschränken — das waren in der Praxis die Landstände — dann 29 Heyland, a.a.O., S.30f.; zur bedingten H u l d i g u n g eingehend Wolzendorff, a. a. O., S. 174 ff. 30 Tract. de regimine saeculari et eccles., 1619, s. darüber bei Zycha, Deutsche Rechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. 1949, S. 39/40 Fußnote.

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hätten diese Organe auch die Pflicht, Ausschreitungen des Herrschers entgegenzutreten 81 . Der Einführung einer neuen Ordnung diente dieses Widerstandsrecht aber nicht, sondern es wurde als Bestandteil des geltenden Rechts verstanden, welches nur zum Schutz der Untertanen gegen eine tyrannische Obrigkeit diente 32 . A u f diesen Grundgedanken Calvins fußte die Widerstandslehre der Monarchomachen, wenn diese auch darüber hinaus mehr oder weniger stark naturrechtliche Gedankengänge verarbeiteten. Als Begründer der monarchomachischen Lehre w i r d Hotman mit seiner 1573 erschienenen Schrift „Francogallia" angesehen. Er kam darin nach einer Würdigung der französischen staatlichen Verhältnisse zu dem Schluß, daß i n allen gut regierten Staaten den Landständen die Wahrung der Volksrechte gegenüber dem König zustehe. Ein König, der den Ständen diese Rechte nicht einräume, sei ein Tyrann, der der menschlichen Gemeinschaft nicht mehr teilhaftig sei. Hotman lehrte nicht ausdrücklich ein Widerstandsrecht der Stände; es folgte aber für die Landstände an sich ohne weiteres aus deren rechtlicher Stellung, wie er sie i n seiner Schrift darlegte. Diese an sich dem positiven Recht des Ständestaates entnommenen Lehren erschienen wieder bei Beza, einem Schüler Calvins. Beza verbot dem einzelnen, sich dem Fürsten zu widersetzen. Er legte aber gleichzeitig in der sogenannten Magdeburger Schrift den Ständen als Vertretern des Volkes das Recht und auch die Pflicht auf, Gewalt und Rechtsbeugung des Fürsten zu widerstehen 33 . Über diesen, auch dem positiven Recht bekannten Satz hinaus billigte er auch noch der „niederen Obrigkeit" ein Recht und eine Pflicht zum Widerstand gegen einen tyrannischen Herrscher zu 84 . I n der 1574 unter dem unmittelbaren Eindruck der Bartholomäusnacht entstandenen Schrift ,yVindiciae contra tyrannos" lehrte Philippe du Plessis-Mornay, daß nicht den einzelnen, sondern nur den Ständen ein Recht zum Widerstand zustehe, denen allein der Schutz des einzelnen obliege. Wenn die Stände gegen Rechtsverletzungen des Herrschers keinen Widerstand leisteten, so müsse das Volk grundsätzlich den tyrannischen Herrscher ertragen. Von diesem Grundsatz ließ er aber eine Ausnahme zu: Wenn die Stände selbst Tyrannei übten oder wenn sie die Obrigkeit von dem ihr zukommenden Teil der 81 Heyland, a. a. O., S. 31 f ; siehe auch Wolf, das Problem des Widerstandsrechts bei Calvin, i n : Pflster u n d Hildmann, a. a. O., S. 45 ff. 82 Griewank, Der neuzeitliche Revolutionsbegriff, 1955, S. 14 u n d 160 ff. 38 Göhring, Weg u n d Sieg der modernen Staatsidee i n Frankreich, 1946, S. 91. 84 Heyland, a. a. O., S. 33.

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Staatsgewalt fernhielten, dann dürften helfen und Widerstand leisten 85 .

die Untertanen sich selbst

Interessant ist, daß die Lehren der Monarchomachen i m allgemeinen dem i n vielen ständischen Staaten geltenden positiven Recht entsprechen und daß naturrechtliche Gedankengänge zwar herangezogen und verarbeitet werden, daß sie aber nicht den Kern der monarchomachischen Lehre vom Widerstandsrecht bilden 3 6 . Das gilt auch für den Schotten George Buchanan f wohl den berühmtesten der Monarchomachen. Er faßte i n der 1579 erschienenen Schrift „De iure Regni apud Scotos Dialogus" die Versprechungen des Herrschers beim Regierungsantritt i n Verbindung mit der Huldigung als einen „ Her rschaf tsver trag" auf, der durch eine Verletzung seitens des Herrschers hinfällig werde. Dadurch werde der Herrscher zum Volksfeind, gegen den Krieg zu führen erlaubt sei. Wer diesen zu führen hat, wurde nicht gesagt. Nach dem Gesamtbild seiner Auffassungen w i r d man aber wohl annehmen dürfen, daß er diese Ausübung des Widerstandes den Ständen zuerkennen w i l l 3 7 . Luther hat keine theologische Begründung eines Rechts zum Widerstand gegeben. Er hat i n dieser Frage geschwankt. Es mag sein, daß dies darauf zurückzuführen ist, daß das positive Recht nicht mit den Geboten des Evangeliums übereinstimmte 38 . Einem Recht zum aktiven Widerstand stand Luther ziemlich ablehnend gegenüber. Er hielt ursprünglich wohl ein Widerstandsrecht gegen den Kaiser auch dann für unzulässig, wenn die Sache des Evangeliums auf dem Spiel stand, und zwar deshalb, weil die Sache des Evangeliums der Hilfe der Menschen nicht bedürfe, es vielmehr Sache Gottes sei, zu seiner Zeit einzugreifen. Außerdem hat bei der Ablehnung des Widerstandsrechts auch der Gedanke eine Rolle gespielt, daß nach der Bibel jede Obrigkeit von Gott eingesetzt ist. I n späterer Zeit erkannte Luther dann ein Widerstandsrecht als weltliches Recht der Fürsten und Stände gegen den Kaiser an. Er meinte, daß der Christ Widerstand leisten dürfe, wenn das positive weltliche Recht Widerstand als eine A r t Rechtsbehelf gegen W i l l k ü r vorsähe 89 . Ein Recht zum Tyrannenmord gab es für ihn nicht; das Widerstandsrecht ging nur bis zur Absetzung des Kaisers 40 . 35

Wolzendorff, a. a. O., S. 105 ff. Wolzendorff, a. a. O., S. 123 ff. 37 Wolzendorff, a. a. O., S. 108 ff. 38 Heyland, a. a. O., S. 38. 39 Heckel, Die Stellungnahme der Kirche der Reformation — die L u t h e raner, i n : Pflster u n d Hildmann, a. a. O., S. 41. 40 Heyland, a. a. O., S. 38. 36

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Die berühmteste, eingehendste und einflußreichste Darstellung der Lehre vom Widerstandsrecht findet sich i n dem erstmals 1603 erschienenen Lehrbuch des Johannes Althusius (1557 - 1638) „Politica methodice digesta et exemplis sacris et profanis illustrata" 41. Er stellte neben den Herrschaftsvertrag, durch den der Herrscher i n seine Stellung eingesetzt wird, erstmals einen weiteren staatsbegründenden Vertrag, durch welchen sich die einzelnen zum Staat zusammenschließen. Er leitete so letztlich das Recht der staatlichen Gemeinschaft aus dem Recht des einzelnen Bürgers ab und kann deshalb als eigentlicher Schöpfer der Lehre von der Volkssouveränität gelten. Die Rechtsstellung des Herrschers, des „summus magistratus", besteht nach Althusius nur auf Grund des Herrschaftsvertrages und nur i n dem Umfang, wie dort die Übertragung der Rechte erfolgt ist. Aus der Unveräußerlichkeit der Rechte des Volkes folgt aber zugleich, daß die Übertragung nur unter der Bedingung ihrer gerechten Ausübung erfolgen kann und daß sie gegebenenfalls widerruflich ist. Neben dem Herrscher haben auch die Stände — Althusius nennt sie „Ephoren" — Anteil an der Regierung. Durch die Konstruktion eines Auftrages der Volksgesamtheit an die Stände hat Althusius deren der damaligen Staatsauffassung entsprechende Stellung als Vertreter des Volkes juristisch klarer herausgearbeitet und gleichzeitig bedeutsamer gestaltet, als dies i m positiven Staatsrecht jener Zeit der Fall war. Er ist also über das positive Recht seiner Zeit hinausgegangen und hat zur Begründung seiner Auffassung naturrechtliche Gedanken herangezogen 42 . Das A m t der Ephoren ist es insbesondere, i m Namen und i m Auftrage des Volkes dessen Rechte gegenüber dem Herrscher wahrzunehmen. Sie haben den Herrscher zu wählen, gegebenenfalls einen „Reichsverweser" zu bestimmen und bis zur Neuwahl eines Herrschers selbst die Regierung zu führen. Zu allen erheblichen Staatsgeschäften ist ihre Zustimmung erforderlich. Sie haben auch allgemein den Herrscher zu beraten, notfalls ihn zu ermahnen und die dem Volke vorbehaltenen Rechte gegen den Herrscher zu verteidigen. Handelt dieser pflichtwidrig, regiert er als Tyrann, so haben sie Widerstand zu leisten und notfalls den Herrscher abzusetzen48. Tyrannei übt der Herrscher dann, wenn er anstelle einer gerechten und rechtmäßigen Herrschaft entgegen der beschworenen Treue die Grundlagen des Staatswesens beharrlich und unheilbar aufhebt und beseitigt, wenn er Gebote des ius divinum und naturrechtliche Grundsätze bricht. Dafür zählt Althusius zwölf typische Fälle auf. Das W i 41

Neuausgabe von Carl Joachim Friedrich, Cambridge, 1932. Wolzendorff, a. a. O., S. 202. 43 Gierke, Johannes Althusius u n d die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien, 4. Aufl. 1929, S. 29 ff. 42

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derstandsrecht steht nicht den einzelnen, sondern nur den Ephoren zu, diesen aber nicht nur i n ihrer Gesamtheit, sondern auch jedem einzelnen von ihnen. Die Stände i n ihrer Gesamtheit haben die Befugnis, den Widerstand sämtlicher Untertanen aufzurufen. Die Untertanen müssen diesem Aufruf folgen, wollen sie sich nicht des Landesverrates schuldig machen. Die Stände sind wohl i m Widerstandsfalle zur Verteidigung der ihnen anvertrauten Untertanen verpflichtet, dürfen dafür aber nicht außerhalb des ihnen zugewiesenen Bezirks Widerstand leisten. Althusius stellte außerdem formelle Voraussetzungen für die Ausübung des Widerstandsrechts auf: Die Tyrannei muß notorisch sein; daß sie das ist, muß i n einem förmlichen Verfahren in einer Ständeversammlung festgestellt werden. Außerdem müssen die Stände von dem Herrscher die Abstellung der Beschwerden erfolglos verlangt haben, und alle anderen M i t t e l zur Beseitigung der Tyrannei müssen vorher versucht, aber erfolglos geblieben sein. I n diesen Voraussetzungen zeigt sich der Charakter des Widerstandsrechts als eines Rechtsbehelfs zum Schutze der Volksrechte gegenüber dem Herrscher ganz klar 4 4 . Widerstand war bei Althusius also nicht die Erlaubnis zum Aufruhr einzelner Unzufriedener, sondern ein Recht, welches i n legalem Rahmen von bestimmten Inhabern staatlicher Funktionen mit bestimmten Mitteln ausgeübt werden durfte. Dieses Widerstandsrecht war bei Althusius letzten Endes religiös begründet. Das Volk ist Gottes Volk und seine Regierung ist — selbst als heidnische Regierung — an Gottes Gesetz gebunden. Versagt oder entartet der vom Volke beauftragte Herrscher, so hat das Volk das politische Recht und als Gemeinde Gottes sogar die religiöse Pflicht, den von Gott gewollten Zustand wieder herzustellen. Das darf allerdings nicht willkürlich, sondern nur i n den erwähnten geordneten Bahnen geschehen45. Die Widerstandslehre der Monarchomachen und des Althusius hat auch noch i n späterer Zeit i n der Rechtswissenschaft nachgewirkt, stellte sie doch die erste gründliche theoretische Begründung des i m damaligen Staatsrecht vorhandenen Widerstandsrechts dar. Neue naturrechtliche Gedanken wie die Lehren von der Volkssouveränität und vom Herrschaftsvertrag wurden dabei m i t verwandt. Ihre Bedeutung und Verbreitung ist auch darauf zurückzuführen, daß sie der Staatspraxis allgemein ein Rechtsschutzmittel für den Kampf gegen fürstliche W i l l k ü r und für freie Religionsausübung auch i n denjenigen Territorien lieferte, wo das Widerstandsrecht nicht aus-

45

Vgl. Heyland, a. a. O., S. 41 ff. Vgl. Wolf, Große Rechtsdenker, S. 192.

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drücklich verbrieft war. Es sei nur daran erinnert, daß auch der Abfall der Niederlande von Spanien i n der Ausübung des i n der Brabanter „Joyeuse Entrée" verbrieften Rechts zum Widerstand seinen Ausgangspunkt gehabt hat 4 6 . Noch 1579 beriefen sich die niederländischen Stände auf das Widerstandsrecht. I n einem Bericht über eine i n jenem Jahre i n K ö l n tagende Konferenz einiger Staaten, die zwischen den Niederlanden und dem König von Spanien vermitteln wollten, kam deutlich die Ansicht der Gesandten zum Ausdruck, daß das i n der „Joyeuse Entrée" verbriefte Widerstandsrecht für den Fall der Verfassungsverletzung das Recht beinhalte, die bestehende Regierung abzusetzen und eine neue einzusetzen. Immerhin ließen die Generalstände i m Laufe der Zeit die ursprüngliche Berufung auf das Widerstandsrecht mehr und mehr fallen und begründeten ihre Loslösung vom König von Spanien bald nur noch mit allgemeinen naturrechtlichen Formeln 47 . I n jener Zeit erfuhr das Widerstandsrecht i m Zusammenhang mit dem allmählichen Ausbau der Gerichtsbarkeit auch zum ersten Mal eine Einschränkung. Es mußte als Befugnis zur Selbsthilfe gegen Rechtsverletzungen, als Rechtsbehelf logischerweise zurücktreten, soweit der Schutz gegen Rechtsverletzungen durch die Gerichte tatsächlich gewährt werden konnte. So enthielt z. B. schon der Mainzer Landfrieden von 1235 eine Bestimmung, die Fehdehandlungen vor Ausschöpfung des Rechtsweges verbot 48 . Seit dem Reformationszeitalter ist verschiedentlich das Widerstandsrecht so weit als überflüssig und mit dem Ewigen Landfrieden von 1495 unvereinbar bezeichnet worden, als das Reichskammergericht Schutz gegen Verletzungen der Landesfreiheiten, die an sich zum Widerstand berechtigt hätten, zu gewähren vermochte 49 .

e) Das Widerstandsrecht im Zeitalter des Absolutismus und in der Neuzeit Vom 17. Jahrhundert an, dem Beginn des Zeitalters des Absolutismus, verschwand das Widerstandsrecht i n Deutschland aus dem positiven Staatsrecht. Die i m Ständestaat zwischen Herrscher und Ständen geteilte Staatsgewalt erschien jetzt als eine einheitliche, unteilbare, i n der Person des Herrschers zusammengefaßte höchste Gewalt. Die alten ständischen Rechte wurden nach und nach beseitigt. 46 47 48 49

s. auch Griewank, a. a. O., S. 165 ff. Vgl. Wolzendorff, a. a. O., S. 279 ff. Heyland, a. a. O., S. 24. Zycha, a. a. O., S. 96.

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Der Herrscher erschien berechtigt, sich über das i m Staate geltende Recht, über Vereinbarungen mit den Ständen und über Privilegien aller A r t hinwegzusetzen, wenn dies aus Gründen der Staatsnotwendigkeit, über deren Vorliegen er allein entscheiden konnte, unumgänglich notwendig war. Der Untertan hatte dem Herrscher unbedingten Gehorsam zu leisten; diese Gehorsamspflicht war nicht mehr an die Bedingung der Beachtung des geltenden Rechts und der bestehenden Vereinbarungen gebunden. Gege?iüber einer solchen Staatsauffassung war ein Widerstandsrecht schon begrifflich ausgeschlossen. Wohl tauchten i m 17. und sogar noch i m 18. Jahrhundert hier und da Beurkundungen eines Widerstandsrechts der Stände — so z. B. 1655 i n Hessen-Kassel — auf. Dabei handelt es sich aber um Ausnahmen. I n der Regel bestand gar keine ständische Macht mehr, die diesem Widerstandsrecht eine praktische Bedeutung hätte geben können. Gegenüber dieser Entwicklung i n den einzelnen deutschen Territorialstaaten hinkte allerdings die Entwicklung des Reichsrechts, des Verhältnisses zwischen Kaiser und Reichsständen, lange Zeit nach. Hier bildeten die Stände noch eine reale Macht, und so blieb die Frage des Bestehens eines Widerstandsrechts der Reichsstände gegenüber dem Kaiser noch lange in der Schwebe 50 . I n der Rechtslehre der damaligen Zeit lebte das Widerstandsrecht, begründet auf naturrechtliche Gedankengänge, i n den Ansichten solcher Rechtslehrer fort, die als Gegner des fürstlichen Abolutismus anzusehen sind. So erkannte z. B. Pufendorf noch ein eng begrenztes Recht zum Widerstand an 51 . Bei Christian Wolff findet sich der Gedanke, daß der Herrscher, der seine rechtlichen Schranken überschreite, als Privatmann handele, dem gegenüber das Volk von seiner natürlichen Freiheit Gebrauch machen könne, m i t h i n auch Widerstand leisten kann 5 2 . I n jener Zeit der Aufklärung tauchen aber auch Lehren über das Recht zum Widerstand auf, welche inhaltlich viel weitergehende Befugnisse verleihen wollen, als sie mit dem Widerstandsrecht als einem Rechtsbehelf gegen unrechtmäßige Ausübung der Staatsgewalt vereinbar sind. Dazu gehört z. B. Rousseau, nach dessen i m „contrat social" geäußerter Ansicht das souveräne Volk seine Regierung durch einseitigen Rechtsakt einsetzt und auch die Befugnis hat, diesen Rechtsakt jederzeit einseitig abzuändern, also die Regierung absetzen und die Form der Regierung ändern kann. Hier handelt es sich tatsächlich nicht mehr um ein Recht zum Widerstand, sondern um eine Befugnis 50 51 52

Zycha, a. a. O., S. 61. Wolf, a. a. O., S. 353. Heyland, a. a. O., S. 52.

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zum Umsturz; darauf w i r d noch später i m 4. Kapitel i m Zusammenhang einzugehen sein. U m 1789 beginnt das Zeitalter echter Revolutionen. Diese ließen naturgemäß das Interesse an der alten Einrichtung des Widerstandsrechts, die ohnehin i m geltenden Staatsrecht verschwunden oder doch bedeutungslos geworden war, noch weiter zurücktreten. Die Einführung konstitutioneller Verfassungen i n den deutschen Staaten i n der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts brachte keine Wiederbelebung des Widerstandsrechts mit sich. Wohl war jetzt der Herrscher i n seiner Macht durch die auf dem Gewaltenteilungsprinzip beruhenden Verfassungen beschränkt i n dem Sinne, daß er bei der Ausübung der gesetzgebenden Gewalt an die Zustimmung des Parlaments, bei der Leitung der Verwaltung an die Gegenzeichnung der Minister gebunden war. Ein Widerstandsrecht wurde i n die Verfassungen nicht aufgenommen, obwohl es begrifflich an sich möglich gewesen wäre, und auch durchaus Vorbilder i n dieser Richtung vorhanden waren. So enthalten die Erklärungen der Menschen- und Bürgerrechte der amerikanischen Staaten Virginia (von 1776), Massachusetts (von 1780), Pennsylvanien (von 1776), Maryland (von 1776) und Vermont (von 1777) ausdrücklich ein Widerstandsrecht 53 . Von da war es i n Art. 2 der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 eingegangen und i n die Verfassungen vom 3. September 1791, 23. Juni 1793 sowie i n die Verfassung von 1848 aufgenommen worden. Außerdem galt es nach herrschender französischer Ansicht als Grundrecht auch später weiter, ohne daß es besonders i n die Verfassung aufgenommen zu werden brauchte 54 . I n der deutschen Staatsrechtslehre wurde i n den Verfassungskonflikten der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts aus dem Bedürfnis nach Schutz vor schweren Verfassungsbrüchen des Herrschers die Frage nach dem Bestehen eines Widerstandsrechtes noch einmal lebhaft erörtert. A m 26. Januar 1839 kam die Tübinger Juristenfakultät i n einem zum hannoverschen Verfassungskonflikt von 1837 erstatteten Gutachten zu dem Ergebnis, daß der staatsbürgerliche Gehorsam nicht unbedingt, sondern eine durch die Verfassung bedingte Pflicht sei. Die Untertanen eines verfassungsmäßigen Staates seien dem Herrscher gegenüber nicht schutzlos; sie seien vielmehr zum Widerstand berechtigt, wenn gegen die Verfassung oder gegen Gesetze gehandelt worden sei, durch welche die regierende Macht selbst ihre Bestimmung erhalte 55 . 53 54 55

Heyland, a. a. O., S. 59 u. 60. Heyland, a. a. O., S. 59. Heyland, a. a. O., S. 74.

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Widerstand gegen unrechtmäßige Ausübung der Staatsgewalt

Nach 1848 allerdings tauchte der Gedanke eines Rechts zum Widerstand nicht mehr auf. Es wurde als unvereinbar mit der Struktur und dem Wesen des Verfassungsstaats angesehen. Der Staat erschien als gänzlich auf sich selbst gestellte, nicht ableitbare höchste Herrschergewalt 56 . I n der Ausübung der Staatsgewalt hatte sich dieser Staat freiwillig an die Normen seines Rechts gebunden, welches auch dem einzelnen Bürger eine Freiheitssphäre sicherte. Der Staat hatte sich zum „Rechtsstaat" entwickelt 57 . Der Rechtsschutz war innerhalb der durch das staatliche Recht gezogenen Grenzen zum Monopol des Staates geworden. Wo der Staat ihn nicht selbst ausübte, ermächtigte er den Bürger ausdrücklich zur Selbsthilfe. Außerhalb dieser Ermächtigung war jede Selbsthilfe unzulässig. Die Anerkennung eines Widerstandsrechtes würde für die damals herrschende Auffassung bedeutet haben, daß der Staat den Bürger zur Selbsthilfe gegen sich selbst ermächtigt haben müßte, eine zu jener Zeit unmögliche und undenkbare Vorstellung, die der Anerkennung eines Rechts zur Vernichtung der Staatsgewalt, einer Zulassung der Selbstvernichtung des Staates gleichgekommen wäre 5 8 . Ein Widerstandsrecht schien auch überflüssig zu sein, weil der Verfassungsstaat selbst seinem Wesen nach als Hort und Beschützer der bürgerlichen Freiheiten erschien, dem einzelnen also ein besonderes Recht zum Selbstschutz dieser Rechte nicht mehr zuzustehen brauchte. Der Verfassungsstaat gewährte nicht nur durch die Rechtsprechung unabhängiger Gerichte dem Bürger Schutz gegen staatliche Übergriffe. Er ließ ihn auch i n weitem Umfange an der Ausübung der Staatsgewalt Anteil nehmen: Die Gesetzgebung lag i n den Händen des gewählten Parlaments, so daß der Bürger nur solchen Gesetzen unterworfen wurde, denen er selbst durch die Parlamentswahl — wenigstens der Idee nach — zugestimmt hatte. Außerdem nahm der einzelne an der kommunalen Selbstverwaltung und auch als Laienrichter an der Rechtspflege i n weitem Maße teil, so daß eigentlich kaum ein Teil der Staatsgewalt außerhalb der Kontrolle oder der M i t w i r k u n g der Staatsbürger verblieb. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde das Widerstandsrecht i n der Staatsrechtslehre höchstens noch als historisches Rechtsinstitut ohne Bedeutung für das geltende Recht erwähnt 5 9 . Als Einzelerscheinung tauchte es lediglich bei Ernst von Hippel auf: Er hielt ein Recht zum Widerstand dann für gegeben, wenn der Gesetzgeber sich über w

G. Jellinek, A l l g . Staatslehre, 2. Aufl. 1905, S. 180. O. v. Gierke, Grundbegriffe des Staatsrechts, 1915, S. 107. 68 s. Wolzendorff, a. a. O., S. 462. 59 Meyer-Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 7. Aufl. 1914—1919, S. 87; Stier-Somlo, Deutsches Reichs- u n d Landesstaatsrecht, 1924, Bd. I, S. 64. 67

Darstellung der geschichtlichen Entwicklung des Widerstandsrechts

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die Schranken hinwegsetzte, die i h m durch die Unterwerfung unter den Rechtsgedanken gesetzt seien 60 . Diese Ansicht von der Unterwerfung des Gesetzgebers unter den (naturrechtlichen) Rechtsgedanken, die die Grundlage für die erwähnte Anerkennung eines Widerstandsrechts bildete, war aber eine vereinzelte Meinung und stand i m Widerspruch zur herrschenden Auffassung, die nach einer Formulierung des Reichsgerichtes dahin ging, daß der Gesetzgeber selbstherrlich und nur an diejenigen Schranken gebunden sei, die er sich selbst i n der Verfassung und den Gesetzen gegeben habe 61 . Erst die Erfahrungen mit dem totalitären Staat brachten die Existenz eines Rechtes zum Widerstand gegen unrechtmäßige Ausübung der Staatsgewalt wieder i n Erinnerung. Heute ist das Bestehen eines solchen Rechtes allgemein anerkannt, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob es i n der Verfassung ausdrücklich niedergelegt ist — das ist z. B. i n A r t . 147 I der hessischen, A r t . 19 der Bremer und A r t . 23 I I der Berliner Landesverfassung geschehen — oder nicht 62 .

60 Ernst v. Hippel, Das richterliche Prüfungsrecht, i n : Handbuch des deutschen Staatsrechts, herausgegeben v o n Anschütz u n d Thoma, 1932, Bd. I I , S. 551. 61 RGZ 118/327. 62 Heyland, a. a. O., S. 115, u n d die Übersicht bei v. Winterfeld, NJW1956/1418.

Zweites Kapitel

Voraussetzungen und Inhalt des Widerstandsrechts a) Ausschluß des Widerstandsrechts als Selbsthilferecht durch andere Rechtsbehelfe Das Widerstandsrecht ist ein eigenartiges öffentliches Recht 1 . Es setzt eine staatliche Ordnung voraus und richtet sich nur gegen unrechtmäßige Ausübung der Staatsgewalt, also gegen hoheitliche Staatsakte. Dabei ist es gleichgültig, ob diese von den verfassungsmäßigen Organen des Staates oder von Personen ausgehen, die sich die Ausübung der Staatsgewalt rechtswidrig angemaßt haben 2 . Es kann sich um staatliche Akte jeder A r t handeln, also auch um rein tatsächliche Handlungen. Da das Widerstandsrecht aber ein öffentliches Recht ist, richtet es sich nicht gegen solche Handlungen, die der Staat i n privatrechtlicher Form, i n seiner Eigenschaft als „Fiskus", als Rechtssubjekt des Privatrechts, vornimmt; i n solchen Fällen liegt kein Staatsakt, keine Ausübung öffentlicher Gewalt vor. Das Widerstandsrecht, welches den Gegenstand dieser Untersuchung bildet, ist nur gegenüber unrechtmäßigen Staatsakten gegeben. Gegen sittlich verwerfliche, aber nicht unrechtmäßige Staatsakte mag es zwar ein sittliches Recht zum Widerstand geben 8 ; ein solches sittliches Recht bildet aber keinen Rechtfertigungs- und auch keinen Schuldausschließungsgrund und soll hier nicht näher untersucht werden. Die auf Grund des Widerstandsrechts vorgenommenen Handlungen sind rechtmäßig, selbst wenn sie an sich gegen bestehende gesetzliche Vorschriften verstoßen, vielleicht sogar strafbare Handlungen darstellen. Insofern bietet das Widerstandsrecht keine Besonderheiten gegenüber den sonstigen privaten und öffentlichen Rechten, die unrechtsausschließend wirken, wie z. B. das Selbsthilferecht des § 229 BGB mit den Unterfällen der Besitz wehr und Besitzkehr nach §§ 859 ff. BGB. Seiner ganzen geschichtlichen Entwicklung nach hat das W i derstandsrecht eine gewisse Ähnlichkeit m i t dem Selbsthilferecht. 1 2 3

J. v. Gierke, Widerstandsrecht u n d Obrigkeit, 1956, S. 23. Heyland, a. a. O., S. 88. Vgl. Heller, Staatslehre, 1934, S. 227; s. auch das folgende Kapitel.

Voraussetzungen und Inhalt des Widerstandsrechts

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Seine Verwandtschaft mit diesem Recht zeigt sich auch darin, daß Widerstand nur dort i n Betracht kommen kann, wo die dem Bürger gegen rechtswidrige Staatsakte zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe versagen. Der Rechtsweg muß vor Ausübung des Widerstandes erfolglos beschritten worden sein. Das gilt auch dann, wenn Verfassungsverletzungen i n Frage stehen. Nur bei schweren Verfassungsverletzungen i n Ausnahmesituationen, also bei Versagen des verfassungsmäßigen Rechtsschutzes, steht das Widerstandsrecht unmittelbar zur Verfügung 4 . Diese Meinung w i r d heute allgemein vertreten. So hält z. B. Heyland 5 das Recht zum Widerstand i m Falle eines einzelnen verfassungswidrigen Hoheitsaktes durch die verschiedenen, von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten und — wie man hinzufügen kann — durch A r t . 19 Abs. I V des Grundgesetzes sowie durch die Möglichkeit, eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einzureichen, lückenlosen Rechtsschutz gewährenden Rechtsbehelfe für ausgeschlossen. Der Bundesgerichtshof hat sich dieser Ansicht angeschlossen. Gegen einzelne rechtswidrige Hoheitsakte muß der Rechtsschutz durch die Gerichte angerufen werden; daneben gibt es keine Ausübung des Widerstandsrechts 8 . Das Bundesverfassungsgericht hat ebenfalls zu dieser Frage ausdrücklich Stellung genommen. Es hält das Widerstandsrecht für in Frage gestellt durch den weiten Ausbau der Gerichtsbarkeit, die ohnehin einen wirksamen Rechtsschutz biete gegen Verfassungsverstöße und auch gegen bloße Verfassungsverfälschungen. Wenn das Widerstandsrecht gleichwohl bestehen sollte, so kann es nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts erst dann ausgeübt werden, wenn die von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten Rechtsbehelfe keine Aussicht auf Abhilfe bieten und der Widerstand das letzte verbleibende M i t t e l ist 7 . V. Winterfeld hält das Widerstandsrecht ebenfalls nur dann für gegeben, wenn alle Rechtsbehelfe, die i m Normalfall, bei intakter staatlicher Ordnung, lückenlosen Rechtsschutz bieten, versagen und wenn nicht nur ein einzelner rechtswidriger Staatsakt vorliegt, sondern ein schwerer Verfassungsbruch gegeben ist und die Regierung eine Gewalt» und Willkürherrschaft ausübt 8 . 4 5 6 7 8

3

Vgl. dazu auch Tsatsos, i n : Staat 1962/158 (161 ff.). a. a. O., S. 99 u n d 100; s. dazu auch Heller, a. a. O., S. 227. N J W 1953/1639. BVerfGE 5/85 (376 ff.). N J W 1956/1418 ff.

Bertram

34

Widerstand gegen unrechtmäßige Ausübung der Staatsgewalt

Weinkauff drückt i m Ergebnis dasselbe aus. Er sieht i m Widerstandsrecht das äußerste und letzte M i t t e l gegen sonst nicht mehr zu bekämpfendes staatliches Unrecht 9 . Damit ist gleichzeitig gesagt, daß auf dieses Recht erst dann zurückgegriffen werden darf, wenn der verfassungsmäßige Rechtsschutz gegen rechtswidrige Hoheitsakte versagt. Dieselbe Ansicht kommt i m Ergebnis auch bei Rauschning 10 und bei Schneider 11 zum Ausdruck. Ersterer sieht Widerstand so lange als unzulässig an, wie es noch Garantien für die Wahrung der Grundrechte durch eine unabhängige Rechtsprechung gibt; letzterer hält ein Widerstandsrecht dort i ü r gegeben, wo für den Rechtsstaat ein Ausnahmezustand vorliegt, wo der Staat sich von der freiheitlichen Daseinsform bereits abgelöst hat. Lediglich Julius v. Gierke 12 vertritt i n diesem Punkte eine andere Meinung. Er zählt das Widerstandsrecht zu den Menschenrechten des A r t . 1 des Grundgesetzes und hält es bei allen, auch bei geringfügigen Verfassungsverletzungen für gegeben; es soll nicht nur durch Klage vor den daiür zuständigen Gerichten, sondern auch auf jede andere Weise geltend gemacht werden können. Diese Meinung ist — soweit ersichtlich — vereinzelt geblieben. Ihr kann auch nicht gefolgt werden. Sie führt i m Ergebnis zu einer unbeschränkten Zulassung der Selbsthilfe, auch i m öitentlichen Recht. Selbsthilfe ist aber schon i m Zivilrecht nur i n besonderen Ausnahmefällen zulässig und i m öffentlichen Recht gegen Hoheitsakte der Staatsgewalt nach herrschender Meinung überhaupt unzulässig 13 . Das von J. v. Gierke angeführte Beispiel, welches den konkreten Anlaß und den Hintergrund seiner Untersuchung bildet, zeigt auch, daß er eigentlich nicht das Widerstandsrecht gegen unrechtmäßige Ausübung der Staatsgewalt i m Auge hat. Der i m Sommer 1955 aus Protest gegen die beabsichtigte Ernennung Schlüters zum Niedersächsischen Kultusminister — gegen Schlüter bestanden wegen seiner früheren Tätigkeit als Verlags buchhändler und als Polizeikommissar Bedenken — erfolgte Rücktritt des Rektors und der Dekane der Universität Göttingen stellt rechtlich nichts anderes dar, als eine m i t besonderem Nachdruck vorgetragene Meinungsäußerung i n Gestalt von Protest und K r i t i k , die sich völlig i m Rahmen der durch 9

Die Militäropposition gegen H i t l e r u n d das Widerstandsrecht, 1954, S. 14.

10

Die heutige Position — staats- u n d rechtsphilosophisch, i n : Pflster und Hildmann, a. a. O., S. 132 ff., bes. S. 140. 11 Die heutige Position — staatsrechtlich, i n : Pflster u n d Hildmann, a. a. O., S. 143 ff., bes. S. 148 ff. 12 13

a.a.O., S. 19.

Vgl. z. B. Hatschek, Deutsches u n d Preußisches Staatsrecht, 1922, Band I, S. 220; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 6. Aufl. 1956, S. 442.

Voraussetzungen und Inhalt des Widerstandsrechts das Recht der freien Meinungsäußerung hat 1 4 .

gedeckten M i t t e l

35 gehalten

Solche Handlungen bedürfen aber der Heranziehung des Widerstandsrechts nicht, u m rechtmäßig zu sein. Wenn v. Gierke das Widerstandsrecht für ohnehin rechtmäßige Handlungen i n Anspruch nehmen w i l l , so kann es sich dabei nur um die sittlich-moralische Pflicht und das sittlich-moralische Recht handeln, gegen sittenwidrige Staatsakte und gegen jedes Anzeichen von Gewalt und W i l l k ü r zur Verteidigung der Freiheitsrechte von Anfang an vorzugehen, wie es mit Recht immer wieder gefordert worden ist 1 5 . Handlungen solcher A r t — das sei noch einmal wiederholt — bedürfen aber der Heranziehung des Widerstandsrechtes zu ihrer Rechtfertigung nicht. Noch ein weiterer Fall ist vom Widerstandsrecht zu unterscheiden: Wenn jemand einem Gesetzesbefehl unter Berufung auf sein Gewissen nicht Folge leistet, so handelt es sich i n den Fällen, i n denen eine solche Berufung ausdrücklich als Ausnahme i m Gesetz anerkannt ist, nicht um die Ausübung des Widerstandsrechts. Dies w i r d praktisch bei der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen nach Art. 4 Abs. I I I des Grundgesetzes. Der Kriegsdienstverweigerer macht hier nur Gebrauch von einem von der Verfassung gewährten Recht, sich auf das Gewissen zu berufen. Diese Berufung ist immer rechtmäßig, hat aber mit dem Widerstandsrecht nichts zu tun 1 6 .

b) Das Widerstandsrecht als staatsbürgerliches Recht jedes einzelnen Bürgers

Eine weitere Frage ist, wem das Widerstandsrecht zusteht, ob jedem Staatsbürger oder nur einzelnen bevorzugten. I n den Länderverfassungen von Berlin, Bremen und Hessen w i r d es ausdrücklich jedermann zugebilligt. Allerdings empfiehlt Heyland für das Widerstandsrecht aus A r t . 147 der hessischen Verfassung einschränkend, primär von einem „Notparlament" oder — falls ein solches nicht zusammentreten kann — auch nur von einigen angesehenen Männern des öffentlichen Lebens i m gegebenen Fall festlegen zu lassen, ob und m i t welchen Mitteln Widerstand zu leisten sei 17 . Eine solche Festlegung empfiehlt er gerade für den Fall, daß Widerstandshandlungen gegen 14

Vgl. auch Schneider, a. a. O., S. 146. Vgl. z. B. Dempf, Die heutige Position — staats- u n d rechtsphilosophisch, i n : Pflster u n d Hildmann, a. a. O., S. 110 u n d den Diskussionsbeitrag von R ü stow, i n : Pflster u n d Hildmann, a. a. O., S. 153. 18 Tsatsos, i n : Staat 1962/158 (160). 17 Heyland, a. a. O., S. 105 f. 15

36

Widerstand gegen unrechtmäßige Ausübung der Staatsgewalt

eine beginnende Gewalt- und Willkürherrschaft i n Frage kommen. Unabhängig davon hält er aber auch jeden einzelnen i n solch einem „äußersten" Fall für berechtigt, Widerstand i m Rahmen des Möglichen zu leisten. Nach J. v. Gierke steht ebenfalls jedem einzelnen das Recht zum Widerstand zu 18 . Weinkauff w i l l das Widerstandsrecht wohl generell jedermann zugestehen; praktisch ausüben können es — folgt man seiner Ansicht — aber nur sehr wenige. Er verlangt nämlich, daß nur derjenige Widerstand leisten dürfe, der sich zutrauen könne, darüber zu entscheiden, daß, warum und i n welchem Maße Widerstand erforderlich sei und daß nur derjenige handeln dürfe, der über diese Fragen ein klares und sicheres Urteil habe 19 . Eine solche Einschränkung des Kreises der zum Widerstand berechtigten steht i m Widerspruch zu der ausdrücklichen Regelung der hessischen, der Bremer und der Berliner Landesverfassung. Die Einschränkung ist aber auch dort nicht berechtigt, wo das Widerstandsrecht nicht ausdrücklich i n der Verfassung enthalten ist. Diese einschränkende Voraussetzung würden praktisch nur die Mitglieder der Staatsführung i m weiteren Sinne erfüllen können. Der Widerstand bedarf aber gerade i m modernen Staat der Unterstützung durch eine Masse einfacher Bürger. Wie sollten deren Widerstandshandlungen beurteilt werden? Sollten sie etwa allesamt rechtswidrig handeln? Eine solche Einschränkung läßt sich auch mit der geschichtlichen Entwicklung des Widerstandsrechts nicht i n Einklang bringen. Wie zuvor i m 1. Kapitel erörtert worden ist, war das Widerstandsrecht von A n fang an ein Teil der staatsbürgerlichen Rechte, gleichgültig, ob man es m i t der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 als eines der Grundrechte ansieht oder nicht. Wenn seine Ausübung auch i m Mittelalter zeitweise nur den Ständen zugestanden hat, so beruhte dies doch darauf, daß die Stände als Vertreter des gesamten Volkes dessen sämtliche staatsbürgerlichen Rechte einschließlich des Rechts zum Widerstand wahrnahmen. Da diese staatsbürgerlichen Rechte heute jedermann i n gleicher Weise zustehen, steht auch jedem einzelnen das Recht zum Widerstand zu. Dabei kommt es nicht darauf an, ob gerade der Widerstand Leistende durch die schwere Verfassungsverletzung i n seinen subjektiven Rechten beeinträchtigt ist oder nicht. Genauso wie i m Mittelalter alle Freien und die gesamten Stände i m Widerstandsfall zum Widerstand berechtigt waren ohne Rücksicht darauf, ob gerade die Handelnden i n ihren Rechten und Freiheiten verletzt waren, genauso steht heute das Widerstandsrecht allen Bürgern als eine A r t allgemeines Nothilferecht zu. 18 19

a.a.O., S. 19. Weinkauff, a. a. O., S. 21.

Voraussetzungen und Inhalt des Widerstandsrechts

37

Damit soll aber nicht gesagt sein, daß nur der einzelne rechtmäßig Widerstand leisten darf, daß sich nicht mehrere zu gemeinsamem Widerstand zusammenschließen dürften 2 0 . Insbesondere sind heute die politischen Parteien zur Ausübung des Widerstandsrechts berufen. Der einzelne nimmt über die Parteien am öffentlichen, politischen Leben teil. Seinen politischen Willen kann er praktisch nur auf dem Wege über die Parteien zur Geltung bringen. Dieser ihrer tatsächlichen Stellung hat das Grundgesetz — insofern über die Weimarer Reichsverfassung hinausgehend — dadurch Rechnung getragen, daß es i n A r t . 21 die Parteien ausdrücklich als bei der politischen Willensbildung mitwirkend anerkannt und ihnen eine feste Rechtsstellung eingeräumt hat 2 1 . Das geht so weit, daß sogar ein i n verfassungsfeindlicher Absicht begangenes politisches Handeln bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über das Verbot der betreffenden Partei rechtmäßig ist und daß auch die Parteimitglieder rechtmäßig handeln, soweit sie die Ziele der noch unverbotenen Partei m i t sonst allgemein erlaubten Mitteln fördern 22 . I n dieser ihrer politischen Funktion können die Parteien auch die das Widerstandsrecht ausübenden Staatsbürger zusammenfassen und den Widerstand politisch organisieren, soweit das praktisch überhaupt durchführbar ist, worauf noch i m nächsten Kapitel einzugehen sein wird.

c) Das Ziel der Ausübung des Widerstandsrechts Ziel der Ausübung des Widerstandsrechts ist nur die Erhaltung, Bewahrung oder Wiederherstellung der Rechtsordnung 23 . Das Widerstandsrecht ist nicht gegen die politische Gemeinschaft als solche oder gegen die konkrete Form der politischen Gemeinschaft gerichtet, sondern nur gegen den Mißbrauch der Gewalt, den staatliche Organe treiben. Es läßt die Rechtsordnung als solche unberührt. M i t „Rechtsordnung" ist i n diesem Zusammenhang die bisher i n dem betreffenden Staate bestehende Rechtsordnung gemeint. Das Widerstandsrecht kann nicht die Einführung einer neuen, besseren Ordnung rechtfertigen; es enthält also prinzipiell kein Recht zum Umsturz , zur Revolution, sondern ist gerade gegen einen Umsturz, auf die Beseitigung der Wirkungen einer i m Gange befindlichen Revolution gerichtet 24 . Dies ist ein entscheidender Gesichtspunkt. Dadurch unter20

Heyland, a. a. O., S. 87. Vgl. Heinemann, N J W 1962/889. 22 BVerfGE 12/296 = N J W 1961/723; s. auch BGH, N J W 1961/1315 u n d BVerfG, N J W 1964/539. 23 Heyland, a. a. O., S. 116; BVerfGE 5/85 (376 ff.). 24 Heyland, a. a. O., S. 117. 21

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Widerstand gegen unrechtmäßige Ausübung der Staatsgewalt

scheidet sich die Ausübung des Widerstandsrechts gegen unrechtmäßige Ausübung der Staatsgewalt von der Revolution, dem Umsturz. U m es noch einmal hervorzuheben: Während der Umsturz die Beseitigung mindestens von Teilen der bestehenden Rechtsordnung, insbesondere der bestehenden staatlichen Ordnung und die Einführung einer neuen Ordnung zum Ziele hat, dient der Widerstand nur zur Wahrung, zur Aufrechterhaltung der bestehenden Rechtsordnung 25 . Das ist keine neuzeitliche Einschränkung des W i derstandsrechts, sondern das Widerstandsrecht hatte schon i m M i t telalter nur diesen Inhalt: Nach den Darlegungen i m 1. Kapitel unter c) enthielt das Widerstandsrecht nach allgemeiner Meinung schon zur Zeit des Ständestaats i m Normalfall nicht die Befugnis, den Herrscher abzusetzen. Abweichende Rechte der Stände mußten ausdrücklich festgelegt sein. Eine neue Ordnung einzuführen, war nicht denkbar. Auch bei Calvin und den Monarchomachen diente das Widerstandsrecht nur dazu, Unrecht abzuwehren, nicht aber zur Einführung einer neuen Ordnung. Allerdings findet man seit dem Zeitalter der Aufklärung gelegentlich eine Vermischung des Widerstandsrechts mit der Revolution, indem von manchen Theoretikern durch die theoretische Begründung des Widerstandsrechts aus dem Prinzip der Volkssouveränität und aus der Lehre vom staatsbegründenden Gesellschaftsvertrag heraus eine so weitgehende Ausdehnung des alten Widerstandsrechts erfolgte, daß es der Sache nach ein Recht zum Umsturz war. M i t dem tatsächlich i m Staatsrecht jener Zeit anerkannten Widerstandsrecht standen derartige theoretische Versuche einer Ausweitung dieses Rechts aber nicht i n Einklang. Auch nach 1945 ist die Ausübung des Widerstandsrechts häufig nicht von der Revolution unterschieden worden 26 . Der Grund dafür dürfte der sein, daß man gern eine sittlich und moralisch gerechtfertigte Revolution auch juristisch als gerechtfertigt bezeichnen möchte. Dieser Wunsch ist zwar durchaus zu b i l l i gen. Widerstandsrecht und Revolution sind aber zwei Tatbestände von so grundverschiedener Zielrichtung, daß ersteres zur Rechtfertigung echter Umsturzhandlungen nicht herangezogen werden kann. Damit ist dann allerdings noch nichts darüber gesagt, ob nicht i n bestimmten Ausnahmefällen Umsturzhandlungen aus anderen Gründen juristisch gerechtfertigt sein können. Dies w i r d später noch zu untersuchen sein. Die Widerstandshandlungen müssen auch objektiv erkennen lassen, daß sie zur Durchsetzung oder Wiederherstellung des Rechts 15 26

s. auch v. Gierke, a. a. O., S. 6. s. dazu A r n d t , N J W 1962/430 ff.

Voraussetzungen und Inhalt des Widerstandsrechts

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unternommen worden sind. Dieses Ziel muß erkennbar mindestens einer der mit der Handlung verfolgten Zwecke sein. Handlungen, die nur eine Widersetzlichkeit bei der Wahrnehmung rein persönlicher Interessen darstellen oder die nur i m Rahmen eines Unfugs vorgenommen werden, vertragen sich nicht m i t der Zielrichtung des Widerstandsrechts und werden nicht durch dieses Recht gedeckt. Dies hat die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 27 zwar i n anderem Zusammenhang herausgearbeitet, nämlich bei der Entscheidung der Frage, wann ein Flüchtling die für seine Flucht ursächliche Zwangslage i m Sinne von § 3 des Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetzes zu vertreten hat mit der Folge, daß er von besonderen öffentlichen Förderungsmaßnahmen ausgeschlossen ist. Hierbei handelt es sich aber um Tatbestände, die der Ausübung des Widerstandsrechts mindestens weitgehend verwandt sind. Deshalb können die Ergebnisse dieser Rechtsprechung unter den sich aus der etwas anderslautenden Fragestellung ergebenden Einschränkungen auch für den Inhalt und den Umfang des Widerstandsrechts Bedeutung erlangen. Wenn das Bundesverwaltungsgericht 28 jedoch über die Ausscheidung der Unfughandlungen und der Handlungen, die rein persönlichen Interessen dienen, aus dem Kreis echter Widerstandshandlungen hinaus als Widerstand nur „ein der politischen Überzeugung des Täters entspringendes Verhalten" anerkennt, „das dazu bestimmt und — wenigstens i n der Vorstellung des Täters — auch dazu geeignet war, das abgelehnte Regime als solches über den Rahmen des Einzelfalles hinaus zu beeinträchtigen", so sind i n dieser Definition die Voraussetzungen des Widerstandsrechts gegen unrechtmäßige Ausübung der Staatsgewalt mindestens unklar und mißverständlich enthalten. Das zeigt die Folgerung, die Rosenthal i n einer Anmerkung zu dieser Entscheidung 29 daraus für Widerstandshandlungen gegen eine bestehende Unrechtsherrschaft zieht: Solche Handlungen sollen dann rechtmäßig sein, wenn sie nach den Zielen und Vorstellungen des Handelnden geeignet sind, zur Beseitigung oder Beeinträchtigung des Unrechtsregimes beizutragen. Hier ist wieder die Grenze zwischen Widerstand und Revolution nicht eindeutig gezogen. Handlungen, die zur Beseitigung der Willkürherrschaft beitragen, werden regelmäßig zur Einführung einer neuen Staats- und Verfassungsordnung, nicht aber zur Durchsetzung oder Wiederherstellung der bestehenden Rechtsordnung unternommen werden. Sie gehen dann aber gerade über den durch das Widerstandsrecht gedeckten Rahmen hinaus. 27 I n N J W 1962/1361 unter sprechung. 28 a.a.O. 29 I n ROW 1962/171.

Zusammenfassung

der

bisherigen

Recht-

40

Widerstand gegen unrechtmäßige Ausübung der Staatsgewalt d) Das Widerstandsrecht als Notrecht

Da das Widerstandsrecht ein Notrecht des einzelnen ist, ist Widerstand nicht nur dann rechtmäßig, wenn die Widerstandshandlung nach Beweggründen, Zielsetzungen und Erfolgsaussichten als ernsthafter und sinnvoller Versuch gewertet werden kann, den Unrechtszustand zu beseitigen und eine allgemeine Wende zum Besseren herbeizuführen, wie der Bundesgerichtshof meint 8 0 und wie es auch bei WeinkaufT 31 anklingt. Weder die für die Selbsthilfe- und Notrechte geltenden allgemeinen Regeln, noch die historische Entwicklung des Widerstandsrechts bieten eine Stütze für diese Ansicht. Diese Einschränkung des Widerstandsrechts auf objektiv erfolgversprechende Handlungen ist eine Folge der unterlassenen Trennung der grundverschiedenen Tatbestände „Widerstand" und „Umsturz", worauf bereits A r n d t 3 2 hingewiesen hat. Beide Tatbestände sind i n ihrer Zielrichtung verschieden und hinsichtlich ihrer Rechtfertigung an verschiedene Voraussetzungen geknüpft. Die Vermengung beider Tatbestände führt zu Ergebnissen, die dem Rechtsgefühl zuwiderlaufen. So ist es nicht verwunderlich, daß das erwähnte Urteil des Bundesgerichtshofs i m Schrifttum überwiegend auf Ablehnung gestoßen ist 3 8 . Eine objektive Erfolgsaussicht w i r d nirgends als Voraussetzung für die Ausübung von Rechten angesehen. Für Notrechte gilt insoweit nichts anderes: Jeder darf Notwehr üben, gleichgültig, ob seine Verteidigungshandlungen objektiv gesehen Erfolg versprechen oder von vornherein als erfolglos erscheinen. Auch bei der Besitzkehr nach § 859 BGB handelt nicht nur derjenige rechtmäßig, der objektiv geeignete Maßnahmen ergreift, sondern auch der, der m i t dem Willen zur Besitzkehr i n objektiv ungeeigneter Weise vorgeht. Für die Ausübung des Widerstandsrechts gilt insofern nichts Besonderes. Erforderlich ist nur der Wille des Handelnden, sich gegen die Rechtsverletzung zur Wehr zu setzen, sich dagegen aufzulehnen, u m dem Recht zur Durchsetzung zu verhelfen. Dabei handelt es sich um eine A r t „ A b wehr willen", wie er auch bei anderen Notrechten und Rechtfertigungsgründen i n unterschiedlicher Form vorhanden sein muß, wie z.B. i n Form des Verteidigungswillens bei der Notwehr 8 4 oder 30

N J W 1962/195 unter Berufung auf RzW 1958/183 u. 1959/386. a.a.O., S . U . 32 N J W 1962/430. 33 Z . B . Küster, RzW 1962/57; A r n d t , N J W 1962/430; Tsatsos, Staat 1962/168 Fußnote 26; Rosenthal, Deutsche Fragen 1962/81; Erdsiek, N J W 1962/192 stimmt der Ansicht des B G H unter Berufung auf Weinkauff zu, meint aber, dem passiven Widerstand könnten Erfolgschancen ohnehin nicht abgesprochen werden. 34 RGSt 60/262. 31

Voraussetzungen und Inhalt des Widerstandsrechts

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in Form des Willens, ein berechtigtes Interesse wahrzunehmen und nicht einen Dritten zu kränken i m Falle des § 193 StGB. Die Einfügung dieses subjektiven Elementes ergibt sich aus der Verwandtschaft des Widerstandsrechts mit den Notrechten. Diesem „ A b wehr willen" entspricht auch i n aller Hegel die Vorstellung des Handelnden, sein Tun sei geeignet, den erstrebten Erfolg herbeizuführen. Mehr ist i n dieser Hinsicht nicht notwendig. Weil das Widerstandsrecht ein staatsbürgerliches Notrecht des einzelnen ist, deshalb werden auch solche Handlungen von ihm gedeckt, die dem Recht lediglich i n einem einzigen Fall zur Durchsetzung verhelfen können und sollen. Es ist nicht notwendig, daß die Widerstandshandlungen dazu bestimmt und nach der Überzeugung des Handelnden auch geeignet sein müssen, eine Beeinträchtigung der Staatsgewalt über den Rahmen des Einzelfalles hinaus hervorzurufen. Ist ein Widerstandsfall gegeben, so erfordert der Schutz des Staatsbürgers gegen unrechtmäßige Ausübung der Staatsgewalt gerade auch dann eine Abhilfe, wenn dadurch nur einem einzelnen Bürger geholfen wird. Diese Abhilfe kann nach Lage der Dinge nur durch die Ausübung des Widerstandsrechts erfolgen. Es wäre auch mit dem Wesen dieses Rechts nicht vereinbar, wenn man von seiner Ausübung solche Fälle ausschließen wollte, die über den Rahmen des Einzelfalls hinaus keine Wirkungen hervorrufen können und sollen. Eine solche Einschränkung des Kreises der Widerstandshandlungen könnte aus der erwähnten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entnommen werden. Demgegenüber ist aber zu bedenken, daß das Bundesverwaltungsgericht lediglich die Frage zu entscheiden hatte, welche Handlungen eine Entschädigungspflicht des Staates nach den Vorschriften des Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetzes auszulösen vermögen. Wie schon erwähnt, können die Ergebnisse dieser Rechtsprechung nicht ohne weiteres für die Bestimmung des Inhalts und des Umfanges des Widerstandsrechtes herangezogen werden. Das zeigt sich hier besonders klar: Die Voraussetzungen für eine Entschädigung durch den Staat können selbstverständlich enger gezogen sein als die Voraussetzungen des Widerstandsrechts; nicht jede Widerstandshandlung muß unbedingt eine staatliche Entschädigung nach sich ziehen. Andererseits kann man von der Frage der Entschädigung her nicht allgemein den Umfang und die Voraussetzungen des Widerstandsrechts bestimmen. Das Widerstandsrecht geht jedenfalls weiter als die Voraussetzungen, an die das Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetz die Entschädigungspflicht des Staates geknüpft hat.

Drittes

Kapitel

Die heutige Bedeutung des Widerstandsrechts Nach den vorangegangenen Untersuchungen ist das Widerstandsrecht kein prinzipielles Recht zum Aufstand und zum Aufruhr, als welches es letzten Endes i n der Zeit des Positivismus angesehen wurde und worauf es beruht, daß ihm i n jener Zeit die Daseinsberechtigung abgesprochen wurde. Es w i r k t vielmehr in der Regel einem Aufstand entgegen und dient nur der Aufrechterhaltung und Sicherung der bestehenden Verfassung und Staatsordnung. Die Anerkennung des Widerstandsrechtes durch den Staat bedeutet deshalb auch nicht einen Verzicht auf einen Teil der staatlichen Hoheitsrechte oder einen Verzicht des Staates auf ein Stück seines Wesens, sondern man kann i m Gegenteil sagen, daß sich darin die Anerkennung einer besonderen Unterstützung zeigt, die dem Staat bei der Ausübung seiner Rechtsund Herrschermacht durch die Staatsbürger zuteil wird 1 . Da also durch das Widerstandsrecht der Bestand der bisherigen Rechtsordnung, der Bestand der Verfassung, nicht angetastet wird, hat die Ausübung dieses Rechts — anders als beim Umsturz — nicht das Außerkrafttreten von Rechtsvorschriften zur Folge. Was außer K r a f t treten kann, sind höchstens Vorschriften, die die auf unrechtmäßige Weise regierenden Machthaber erlassen haben und denen wegen der ihnen innewohnenden W i l l k ü r keine Rechtsqualität zukommt, die also reine Unrechtsmaßnahmen darstellen. Ebenso können durch die Ausübung des Widerstandsrechts allein auch keine Rechtsvorschriften in Kraft gesetzt werden. Als Rechtfertigungsgrund bietet das Widerstandsrecht auf strafrechtlichem Gebiet keine Besonderheit . gegenüber den sonstigen Rechtfertigungsgründen, wie z. B. der Notwehr (§ 53 StGB). Der Handelnde macht sich trotz formellen Gesetzesverstoßes insoweit nicht strafbar, als sein Handeln zur Ausübung des Widerstandsrechts notwendig war. Das gilt natürlich nur für das gegen unrechtmäßige Ausübung der Staatsgewalt gerichtete Widerstandsrecht. Für ein etwaiges sittliches Widerstandsrecht gegen sittlich verwerfliche Staatsakte 1

Heyland, a. a. O., S. 116 f.

Die heutige Bedeutung des Widerstandsrechts

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gelten andere Gesichtspunkte und Maßstäbe: Es würde keine der vorbezeichneten Rechtsfolgen des echten (juristischen) Widerstandsrechts gegen unrechtmäßige Ausübung der Staatsgewalt auslösen können, weil es sich um ein bloßes sittliches Recht handeln würde. Dieses würde nur auf sittlichem, nicht auf rechtlichem Gebiet Folgen haben können 2 . Wenn der moderne Rechtsstaat dem einzelnen Staatsbürger i m Ergebnis lückenlosen Rechtsschutz bietet, so ist dadurch das Widerstandsrecht doch nicht überflüssig geworden. Die praktische Erfahrung mit dem nationalsozialistischen Staat nach 1933 hat gezeigt, daß Verfassungsverletzungen mit schwersten Eingriffen i n die Freiheitsrechte des einzelnen Bürgers denkbar sind, gegen die der Rechtsschutz durch die Gerichte versagt. Ohne das Widerstandsrecht würde sich der einzelne gegen derartige Eingriffe nicht zur Wehr setzen dürfen. Allerdings ist heute eigentlich nur ein Fall denkbar, in welchem die Voraussetzungen der Ausübung des Widerstandsrechtes gegeben sein können: Nämlich dann, wenn eine beginnende Gewalt- und Willkürherrschaft unter Mißachtung der Verfassung regiert und gegen ihre Herrschaftsakte kein Rechtsschutz mehr gegeben ist, weil der verfassungsmäßige Rechtsschutz versagt 8 . I n einem solchen Falle kommen als Widerstandshandlungen Betätigungen aller A r t i n Betracht, gewaltlose und gewaltsame Handlungen, ohnehin rechtmäßige wie auch solche, die der Anwendung des Widerstandsrechts als Rechtfertigungsgrund bedürfen, um dadurch Rechtmäßigkeit zu erlangen. Es leuchtet ein, daß die Erfolgsaussichten eines solchen Widerstandes mindestens sehr zweifelhaft sind. I m Falle einer beginnenden Gewalt- und Willkürherrschaft werden große Teile der früheren, mit der Rechtsidee in Einklang befindlichen Gesetze noch in Kraft geblieben sein, die Machthaber werden sie lediglich entweder nicht anwenden oder sie willkürlich auslegen. Hier w i r d der Kern des Widerstandes darin bestehen müssen, daß der einzelne standhaft entsprechend seiner rechtlichen Gesinnung nach sauberen, menschlichen Grundsätzen bei der Gesetzesanwendung verfährt. Dabei ist zwar wichtig, daß jeder einzelne Staatsbürger Widerstand leistet; das ist eine Aufgabe aller gutwilligen Staatsbürger. Solange der einzelne aber mit seinem Widerstand allein bleibt, der Widerstand nicht durch eine politische Partei oder eine große Volksbewegung geleistet wird, werden die Verhältnisse 2

Ob ein solches sittliches Widerstandsrecht existiert, k a n n i m Rahmen dieser Abhandlung dahinstehen. Vgl. dazu Heller, a. a. O., S. 227, der es f ü r den F a l l echter tragischer Pflichtenkollision zwischen Rechtsgebot u n d sittlicher Forderung als gegeben erachtet, jedoch ausdrücklich betont, daß es weder einen Schuld- noch einen Strafausschließungsgrund zur Folge hat. 3 Heyland, a. a. O., S. 105; Menzel, i n : Geschichte 1959/13.

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Widerstand gegen unrechtmäßige Ausübung der Staatsgewalt

nicht gebessert werden können. Da die politischen Parteien diejenigen legitimen, auf längere Dauer berechneten Organisationen sind, die an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken haben, und man als zu ihrem Wesen gehörig die selbst gestellte Aufgabe bezeichnen kann, das Volk i n der Staatsführung politisch zu vertreten 4 , kann man die Organisierung und Ausübung des Widerstandsrechts i n dem hier gedachten Falle als eine der Aufgaben der politischen Parteien (oder: einer politischen Partei) bezeichnen. Darauf ist i m vorangegangenen Kapitel bereits hingewiesen worden. Rechtlich organisierbar ist die Ausübung des Widerstandsrechts wohl kaum. Karl Schmitt hat schon früher die Auffassung vertreten, das Widerstandsrecht sei als vor- und überstaatliches Menschen- und Freiheitsrecht juristisch nicht organisierbar und könne seiner Natur nach nicht i n ein bloßes staatlich zugelassenes Rechtsmittel umgeleitet werden 5 . Heyland bestreitet dies und hält die Ausübung des Widerstandsrechts einer rechtlichen Organisierung in dem Sinne für zugänglich, daß selbst i m Falle einer beginnenden Unrechtsherrschaft immer noch ein aus verfassungstreuen Männern gebildetes „Notparlament" oder notfalls sonstige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens rechtliche Anordnungen über die A r t und Weise, i n der jeweils Widerstand zu leisten ist, für alle Bürger verbindlich erlassen könnten 6 . Gewiß w i r d dies eine Möglichkeit sein, u m dem Widerstand gegen die Ausbreitung der Unrechtsherrschaft möglichst große Erfolgsaussichten zu verschaffen. Es ist aber sehr zweifelhaft, ob i n einem solchen Fall überhaupt noch ein „Notparlament" zusammentreten kann. Der Ausbreitung einer Gewalt- und Willkürherrschaft ist allein m i t rechtlichen Mitteln und rechtlicher Organisation nicht beizukommen; auch mit juristisch einwandfreier Festlegung der notwendigen Handlungen ist nicht viel geholfen. Viel wichtiger ist die Tatsache, daß überhaupt alle M i t t e l eingesetzt werden, u m Widerstand jeder A r t zu leisten. Wenn i n einer solchen Ausnahmesituation überhaupt noch etwas organisiert werden kann, dann handelt es sich nicht um eine rechtliche, sondern um eine politische Organisationsfrage. Hat sich die Gewalt- und Willkürherrschaft schon gefestigt, sind ihr die Machtmittel des Staates schon voll zugefallen, ist es m i t anderen Worten nicht gelungen, sie mit Hilfe von Widerstandshandlungen bereits i m Anfangsstadium wieder zu beseitigen, so werden die Erfolgsaussichten für den Widerstand immer schlechter. I n diesem 4 v. Mangoldt — Klein, Bonner Grundges., 2. Aufl. 1957, Anm. I I I , 2 zu A r t . 21; etwas abweichend, jedoch nicht grundsätzlich anders: Maunz — D ü rig, Grundgesetz, A n m . 10 zu A r t . 21. 5 C. Schmitt, Verfassungslehre, 1928, S. 164. • Heyland, a. a. O., S. 118 f.

Die heutige Bedeutung des Widerstandsrechts

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Stadium ist Widerstand letzten Endes nur dann aussichtsreich, wenn dadurch eine dauernde Besserung der Verhältnisse erreicht werden kann. Das wiederum w i r d nur dann der Fall sein, wenn die Gewaltund Willkürherrschaft durch andere, bessere staatliche Verhältnisse abgelöst wird; hier w i r d also i n der Regel nur die Möglichkeit eines gewaltsamen Umsturzes mit dem Ziele der Einführung einer neuen Staatsordnung bleiben. Ein solches Ziel geht aber begrifflich über die Ausübung des Widerstandsrechtes hinaus; die gewaltsame Einführung einer neuen Staatsordnung ist eine echte Revolution. Aber auch i n einer schon gefestigten Unrechtsherrschaft kann offener, gewaltloser Widerstand noch seinen guten Sinn haben, weil darin der geistige Kampf gegen das Unrecht am deutlichsten nach außen h i n sichtbar w i r d und der Widerstand so zum aufrüttelnden Zeichen für die gesamte Bevölkerung werden kann. Wer also z.B. gegenüber hohen Funktionären des Unrechtsstaates das Unrecht beim Namen nennt und die Machthaber als das bezeichnet, was sie sind, w i r d sicherlich gegen irgendeine Bestimmung verstoßen haben, die der Unrechtsstaat zu seinem und seiner Organe („Ehren-") Schutz erlassen hat. Er handelt rechtmäßig, wenn er i n Ausübung des Widerstandsrechts gehandelt hat. Daß ein solches Verhalten keinen greifbaren Erfolg haben w i r d und diese Erfolglosigkeit von vornherein erkennbar ist, schließt nach den Darlegungen des vorigen Kapitels die Anwendung des Widerstandsrechts nicht aus. Das Widerstandsrecht kann mit dem Parteienprivileg des A r t . 21 des Grundgesetzes nicht i n Kollision geraten. Wenn eine politische Partei die Errichtung einer Gewalt- und Willkürherrschaft erstrebt, so handelt sie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bis zu ihrem Verbot rechtmäßig i m Rahmen des A r t . 21, solange sie sich nicht allgemein verbotener M i t t e l zur Erreichung ihres Ziels bedient. Da das Parteienprivileg aber nur die auf das M i t w i r k e n bei der politischen Willensbildung gerichtete Tätigkeit der Parteien deckt 7 , liegt es auf einer anderen Ebene als die Ausübung des Widerstandsrechts. Dieses ist lediglich gegen unrechtmäßige staatliche Hoheitsakte gerichtet; Handlungen der Parteien sind aber keine staatlichen Hoheitsakte. Bleibt der Widerstand i m Endergebnis erfolglos, so nützt das Bestehen des Widerstandsrechts dem einzelnen Bürger, der Widerstand geleistet hat, zunächst nichts. Lassen sich die jeweiligen Machthaber schon derart schwere Verfassungsverletzungen zuschulden kommen, daß dagegen Widerstand berechtigt ist, so werden sie auch nicht geneigt sein, das Widerstandsrecht als Rechtfertigungsgrund anzuerkennen. Die Frage, ob eine Handlung durch das Widerstands7

BVerfGE 12/296.

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Widerstand gegen unrechtmäßige Ausübung der Staatsgewalt

recht gedeckt und damit rechtmäßig war oder nicht, kann nur i n zeitlichem oder örtlichem Abstand von der Tat geprüft werden, nämlich entweder nach Beendigung der Unrechtsherrschaft oder an einem Ort, der ihrer Macht entzogen ist. Gleichwohl ist die Prüfung dieser Frage nicht nur rein theoretischer Natur. Es ist z.B. nicht gleichgültig, ob eine früher begangene Handlung rechtmäßig oder rechtswidrig gewesen ist. War sie rechtmäßig, so müssen nach Beendigung der Unrechtsherrschaft alle Folgen einer etwaigen früheren, zur Zeit des Bestehens der Unrechtsherrschaft erfolgten Charakterisierung der Tat als rechtswidrige Handlung wieder beseitigt werden 8 . Demjenigen, der rechtmäßig handelte, steht i m wiederhergestellten Rechtsstaat Rechtsschutz gegen Anzweiflungen jeder A r t zu. Er kann nicht als vorbestraft gelten, mag er auch noch so lange i m Gefängnis gesessen haben. Außerdem kann es sein, daß ihm eine finanzielle Entschädigung gebührt zum Ausgleich für die Nachteile, die ihm während der Gewaltund Willkürherrschaft wegen des geleisteten Widerstandes erwachsen sind. I n Deutschland besteht heute eine solche Entschädigungspflicht des Staates9. A u f Einzelheiten der Entschädigungsleistung soll i n dieser Abhandlung nicht eingegangen werden; sie haben mit dem Thema der vorliegenden Untersuchung nur noch mittelbare Verbindung und würden angesichts ihres Umfanges den Rahmen der Abhandlung völlig sprengen. Einige grundsätzliche Bemerkungen dazu sind jedoch notwendig: Zunächst einmal w i r d man nicht sagen können, daß eine naturrechtliche, überpositive Rechtspflicht des Staates i n dem Sinne bestünde, daß naturnotwendig mit jeglicher Ausübung des Widerstandsrechts später ein materieller Ausgleich für i n Verbindung mit den Widerstandshandlungen erlittene Schäden verbunden sein müßte. Der wiederhergestellte Rechtsstaat w i r d allerdings moralisch zum Ausgleich solcher Schäden verpflichtet sein. Damit ist aber noch gänzlich offen, was denn später vom Staat alles entschädigt werden muß, welche Arten von Widerstandshandlungen m i t anderen Worten einen Rechtsanspruch auf Entschädigungsleistungen begründen sollen. Der Staat kann die Handlungen unterschiedlich bewerten und danach die zu gewährende Entschädigung bemessen. Allerdings darf für widerrechtliche Handlungen sicherlich keine Entschädigung gewährt werden. Wer also — ohne daß die Voraussetzungen des Widerstandsrechts vorlagen — den politischen Gegner, der Anhänger des Unrechtsregimes war, umbrachte und dafür bestraft wurde, kann für die erlittene Strafe keinen Ausgleich beanspruchen. Andererseits können nicht nur solche Handlungen entschädigt werden, die erst durch die Heranziehung des Widerstandsrechts gerechtfertigt sind, und 8

Tsatsos, i n : Staat 1962/158 (171). • s. dazu auch Schröcker, i n : DÖV 1963/455.

Die heutige Bedeutung des Widerstandsrechts

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ohnehin rechtmäßige Handlungen können nicht generell von der Entschädigungspflicht ausgenommen werden. Wenn schon eine Auswahl getroffen werden muß, dann darf sie nur nach anderen Gesichtspunkten erfolgen. Zum Beispiel dürfte nicht zu beanstanden sein, wenn die Handlungen je nach ihrem tatsächlichen Erfolg für die endgültige Beseitigung der Unrechtsherrschaft entschädigt würden. Schließlich kann dem Unrechtsstaat durch ohnehin rechtmäßige Handlungen mehr Abbruch getan worden sein als durch Handlungen, die nur deshalb rechtmäßig sind, weil sie i n Ausübung des Widerstandsrechts vorgenommen wurden. Das mag ein Beispiel verdeutlichen: Wenn ein leitender Beamter sich den Forderungen der vorgesetzten Stellen widersetzte, die überkommenen, noch mit dem Rechtsgedanken i n Einklang stehenden Gesetze i m Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung, also nach „gesundem Volksempfinden" und nach Rassengesichtspunkten anzuwenden, und wenn er sich weiterhin von Gerechtigkeit, Sauberkeit und Menschlichkeit leiten ließ, so kann ein solches ohnehin rechtmäßiges Verhalten sehr erfolgreich gewesen sein i n dem Sinne, daß dadurch — was i m Einzelfall allerdings nachzuprüfen wäre — vielen Mitbürgern das Leben erleichtert oder sogar das Leben gerettet worden sein kann. Man w i r d durchaus die Meinung vertreten können, daß ein solches Verhalten für die Allgemeinheit wertvoller gewesen ist als z.B. eine mit großem persönlichen M u t unternommene Befreiung eines unschuldig Inhaftierten, der vielleicht kurz darauf erneut festgenommen wurde und dann noch größere Leiden als vorher zu erdulden hatte. Das soll keine moralische Abwertung des einen oder anderen Verhaltens bedeuten; es soll vielmehr damit nur deutlich gemacht werden, daß man es nicht als von vornherein ungerecht bezeichnen könnte, wenn eine Entschädigungspflicht unter Berücksichtigung derartiger Erfolgsgesichtspunkte festgesetzt werden würde. Diese Hinweise mögen zur Andeutung der Probleme genügen.

Zweiter

Teil

Revolution

Viertes Kapitel

Kurzer geschichtlicher Überblick über die Behandlung des Problems der Revolution i n der Literatur a) I m M i t t e l a l t e r

Während das Widerstandsrecht eine alte Rechtseinrichtung darstellt, die bereits i n germanischer Zeit bekannt war, ist die Revolution als staatsrechtlicher Tatbestand ein K i n d der Neuzeit. Zwar kannte man auch früher schon den Begriff der „revolutio". Darunter verstand man aber i m Mittelalter ganz allgemein eine Umwälzung, eine Umdrehung, insbesondere die Umdrehungen der Himmelskörper. So hat z. B. Nikolaus Kopernikus (1473—1543) seine Entdeckung über die Bewegung der Erde um die Sonne i n einem Buche m i t dem Titel „de revolutionibus orbium coelestium" der Öffentlichkeit mitgeteilt. Als Ausdruck für einen politischen Tatbestand tauchte das Wort „Revolution" i n der Renaissancezeit i n den italienischen Stadtstaaten auf, und zwar besonders bei florentinischen Historikern. Damals verstand man darunter aber noch keinen Umsturz, keine bewußte, gewaltsame Verfassungsänderung, sondern es handelte sich nur um einen Ausdruck für unruhige Staatsverhältnisse, für innen- und außenpolitische Erschütterungen und Wirren 1 . Bis zum Ende des M i t telalters bzw. zum Beginn der Neuzeit fehlten die Voraussetzungen, unter denen eine Revolution unternommen werden kann: Das mittelalterliche Denken war Neuerungen wenig zugeneigt. Als Sinn und Zweck der irdischen Ordnung erschien die Bewahrung des Überkommenen, auch auf rechtlichem und staatlichem Gebiet. Erst nachdem sich hier ein grundlegender Wandel vollzogen hatte, war die Einführung von etwas Neuem, Besserem, auch gegen den Willen der 1

Näheres bei Griewank, a. a. O., S. 119 ff.

Die Behandlung des Problems der Revolution in der Literatur

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alten staatlichen Gewalten überhaupt denkbar. Erst seit jener Zeit treten Staatsumwälzungen gewaltsamer A r t auf oder wurden solche Umwälzungen versucht, die w i r heute als Revolutionen bezeichnen würden. Als Beispiele seien die Bauernaufstände zur Reformationszeit und auch der Abfall der Niederlande von Spanien genannt. I m merhin haftete diesen frühen Revolutionen und revolutionären Bewegungen i m Bewußtsein der Zeitgenossen noch nichts „Revolutionäres" an. Die Bewegungen selbst suchten sich auch noch nicht — wie es später für Revolutionen oft typisch geworden ist — bewußt gegen die bestehende Rechtsordnung zu stellen und ihre Gegnerschaft dazu zu betonen. Gerade der Abfall der Niederlande von Spanien zeigt i n besonders auffälliger Weise, daß man i n jener Zeit noch versuchte, unter möglichst enger Anlehnung an das Recht zum Widerstand gegen unrechtmäßige Ausübung der Staatsgewalt und unter Berufung auf dieses überkommene Recht sich entweder i n die bestehende politische Ordnung einzufügen oder doch — in späterer Zeit — mindestens sich darauf berief, ein göttlich gebotenes Recht herzustellen 2 . Bedingt durch den i n der Reformationszeit als der beginnenden Neuzeit sich durchsetzenden geistigen Wandel gegenüber dem mittelalterlichen Denken erschienen Aufstände gegen die bestehende staatliche Ordnung und auch Änderungen der bestehenden Ordnung nicht mehr so sehr als ein Verstoß gegen die göttliche Ordnung, sondern nur noch als ein Vergehen gegen die bestehende Obrigkeit, die sich allerdings hinsichtlich ihres Bestandes auf göttliche Einsetzung und göttliches Recht berief. Die Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts gewann eine Ahnung, daß für derartige Vorgänge die widerstandsrechtlichen Begriffe unzulänglich waren. Jetzt verstand man unter einer „Revolution" eine echte Änderung, eine gewaltsame Umwälzung des Staatswesens. Zunächst war damit allerdings noch die Vorstellung verbunden von einer Zurückführung der Verhältnisse auf einen besseren früheren Zustand oder von einer Abkehr von Entstellungen und Abwegen 3 . Eine scharfe begriffliche Unterscheidung der Revolution von der Ausübung des Widerstandsrechts fand noch nicht statt. Man zog widerstandsrechtliche Begriffe heran, um Revolutionen m i t bestimmten Zielen für erlaubt zu erklären. Häufig flössen auch die Begriffe „Widerstand" und „Revolution" ineinander über.

2 Wegen einiger Einzelheiten hinsichtlich des Abfalls der Niederlande vgl. i m 1. K a p i t e l unter d). 3

4

Griewank, a. a. O., S. 173 ff.

Bertram

Revolution

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b) Die Anhänger der Lehre vom Staatsvertrag Unter diesen Gesichtspunkten machte man sich allmählich — besonders unter dem Einfluß der Gedanken von der Volkssouveränität und von der Entstehung des Staates durch einen Vertrag — mit den Voraussetzungen einer gewaltsamen Staatsumwälzung theoretisch vertraut. Gerade die Lehre von der Volkssouveränität und die Vertragstheorie legten es nahe, dem Volke das Recht zur notfalls gewaltsamen Änderung der Staatsverfassung zuzugestehen. Beruht nämlich der Staat auf einem vertraglichen Zusammenschluß der einzelnen Bürger und steht die oberste Staatsgewalt der Gesamtheit des Volkes zu, so erscheint es folgerichtig, dem souveränen Volke das Recht zuzuerkennen, auf jede Weise, auch auf revolutionärem Wege, die Regierung abzusetzen und eine neue einzusetzen oder auch die Verfassung zu ändern. Ein solches Verhalten des Volkes ist dann rechtmäßig, und dieser A r t von Revolution haftet weder rechtlich noch moralisch ein Makel an. Z u diesem Ergebnis kam z. B. John Locke (1632—1704). Für ihn stand das souveräne Volk über dem Staatsrecht; es konnte, wenn i h m dies nötig erschien, nicht nur die Gesetzgebung den Händen des nach der Verfassung dafür zuständigen Organs entziehen, sondern es konnte auch durch Änderung der Staatsform die verfassungsmäßigen Zuständigkeiten überhaupt aufheben und durch andere ersetzen. Hierbei spielte der Gedanke der unveräußerlichen natürlichen Freiheit des Menschen eine Rolle. W i r d dasjenige Organ, welches zur Erklärung des Willens der Gesamtheit von dieser delegiert ist — also das Parlament — von seiner Tätigkeit ausgeschlossen, so t r i t t die natürliche Freiheit ein, und sowohl der einzelne wie das gesamte Volk sind berechtigt, selbst zu handeln 4 . Indessen nötigt die Bejahung der Lehre vom Staatsvertrag nicht unbedingt dazu, eine „revolutionsfreundliche" Haltung nach der geschilderten A r t einzunehmen. Es kommt vielmehr darauf an, wie der Staatsvertrag i m einzelnen gestaltet ist. Konstruiert man ihn so, daß die einzelnen Bürger i n diesem Vertrag ihre individuelle Freiheit und ihre sämtlichen Rechte für dauernd auf den Herrscher übertragen, wie dies i n dem 1651 erschienenen „Leviathan" des Thomas Hobbes geschah, so taucht das Problem einer Revolution überhaupt nicht auf. Wenn nämlich der Staat die unbedingte Herrschaft über die Untertanen auszuüben nicht mehr i n der Lage ist, oder anders ausgedrückt: wenn er seine Funktionen nicht mehr erfüllt, dann ist er rechtlich 4

s. dazu Vorländer, V o n Machiavelli bis Lenin, 1926, S. 87 f.; Wolzendorff, a. a. O., S. 267 f.

Die Behandlung des Problems der Revolution in der Literatur

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überhaupt nicht mehr vorhanden, es ist vielmehr der ursprüngliche Naturzustand eingetreten, der einen neuen Staatsvertrag erfordert®.

c) Rousseau, Kant und die Literatur der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Erst die große Französische Revolution von 1789 hat dann für den staatsrechtlichen Begriff der Revolution die entscheidende Wendung zu dem auch heute als Revolution bezeichneten Tatbestand h i n hervorgebracht. Die damalige gewaltsame Umwandlung der französischen Staatsverfassung geschah — für jeden erkennbar — unter Bruch des bestehenden Rechts. Die Vorgänge wurden auch von den Zeitgenossen so verstanden und auch von ihnen als eine Revolution bezeichnet®. Z u den geistigen Wegbereitern dieser ersten wirklichen Revolution gehört Jean Jacques Rousseau (1712—1778). Er lehnte i n seinem „contrat social" die dualistische Staatsgewalt des Ständestaats ab und setzte an deren Stelle seine Auffassung von der einheitlichen, unteilbaren Staatsgewalt, deren Träger entsprechend der Lehre von der Volkssouveränität allein das Volk war. Der Staat als solcher gründete sich nach Ansicht Rousseaus auf einen Gesellschaftsvertrag, durch den sich die von Natur aus freien einzelnen Bürger unter die Leitung des auf die Verwirklichung des Gemeinwohls gerichteten Willens der Gesamtheit stellten. Die Einsetzung der Regierung, des Herrschers, geschah nicht durch einen weiteren Vertrag, sondern durch einen einseitigen Rechtsakt. Der Herrscher war lediglich eine A r t Beamter, Beauftragter des Volkes, der einen Auftrag zu erfüllen hatte. Der Rechtsakt seiner Einsetzung stand immer zur freien Verfügung des Volkes. Dieses konnte ihn jederzeit ändern oder ihn zurücknehmen; es konnte den Herrscher absetzen oder die Regierungsform ändern. Diese Macht des Volkes veranlaßte Rousseau allerdings zu dem Ratschlag, es solle an der Regierungsform nur dann gerüttelt werden, wenn sie m i t dem Gemeinwohl unvereinbar geworden sei; eine Veränderung der Regierungsform sei stets gefährlich. Er weist aber auch darauf hin, daß dieser Rat nur eine Regel der Staatsklugheit sei, nicht eine Rechtsvorschrift 7 . Etwas später behandelte Kant das Problem einer Revolution. I h m war die echte Revolution, der gewaltsame Umsturz, aus dem Beispiel 5 s. dazu Schmitt, Der Leviathan i n der Staatslehre des Thomas Hobbes, 1938, S. 70; Vorländer, a. a. O., S. 59 ff. 8 Griewank, a. a. O., S. 230 ff. 7 contrat social, l i v r e I I I , chap. X V I — X V I I ; s. auch Wolzendorff, a. a. O., S.355 ff.



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Revolution

der Französischen Revolution bekannt. Immerhin ist auch bei i h m noch erkennbar, daß er vom Widerstandsrecht ausgeht. Als Ethiker verwarf Kant die Revolution, weil er die Vervollkommnung des staatlichen Lebens nur von einer Reform erwartete. I m wesentlichen finden sich seine Anschauungen zur Revolution i n seiner „Methaphysik der Sitten" 8 . Danach ist der Staat für ihn eine Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen9. Er ist um des Friedens w i l l e n da und hat die Aufgabe, an der Schaffung des Friedenszustandes mitzuwirken, den herzustellen der Endzweck des Rechtes überhaupt ist. Dieser Zustand kann aber nur i n kontinuierlicher Entwicklung erreicht werden, nicht durch einen sprunghaften Umsturz einer bestehenden, wenn auch fehlerhaften Verfassung 10 . Die Revolution würde die Wirklichkeit zerstören i n der Absicht, ein vollkommeneres Sein herzustellen. Das Dasein kann nach Kant aber nur durch Vernunft vervollkommnet werden. Zerstörung widerstrebt der Vernunft. Deshalb ist jede Verletzung von Staat und Recht verwerflich, auch dann, wenn sie um des Rechtes willen geschieht 11 . Außerdem gehört zum Staat wesensnotwendig eine oberste Autorität, ein oberster gesetzgebender Wille, eine einheitliche, unteilbare Staatsgewalt 12 . T r i t t bloße Gewalt an die Stelle dieser einheitlichen obersten Autorität, so haben Staat und Volk sich dadurch selbst zerstört 13 . Auch wenn die gesetzgebende Autorität auf einer noch fehlerhaften Verfassung beruht, ist das Volk nicht berechtigt, ihr Gewalt entgegenzusetzen. Das Volk würde sich dann ein Richteramt i n eigener Sache anmaßen, das mit dem Recht unvereinbar ist 1 4 . Entsprechend dieser Grundhaltung hat Kant übrigens auch kein Widerstandsrecht i m Sinne des I. Teils dieser Abhandlung anerkannt, obschon sich Ansätze dafür i n seinen Werken finden lassen 15 . Für i h n hatte nur das positive Recht reale Geltung. Ein Widerstandsrecht würde sowohl eine dualistische Staatsgewalt voraussetzen, als auch eine Stelle, die i n einem Streit zwischen Herrscher und Volk ( = den beiden dualistischen Staatsgewalten) zur Entscheidung befugt wäre. Da derartiges nicht existierte, gab es für Kant auch kein Widerstandsrecht 18 . 8 I n : Sämtliche Werke, herausgegeben v o n Vorländer, 1921, Phil. Bibliothek, Band 42 = M d S ; s. auch Haensel, Kants Lehre v o m Widerstandsrecht, 1926, S. 60 ff. • MdS, a. a. O., S. 135. 10 MdS, a. a. O., S. 185 ff. 11 MdS, a. a. O., S. 144. 12 Haensel, a. a. O., S. 70. 13 MdS, a. a. O., S. 207; Haensel, a. a. O., S. 63. 14 MdS, a. a. O., S. 100. 15 s. dazu Haensel, a. a. O., S. 58 ff. 16 Haensel, a. a. O., insbesondere S. 60 ff., 68 ff.

Die Behandlung des Problems der Revolution in der Literatur Wenn aber entgegen allen Regeln des Rechts und der Vernunft eine Revolution unternommen worden ist, diese Erfolg gehabt hat und auf gewaltsame Weise eine neue Verfassung eingeführt worden ist, so ist sie für die Staatsbürger i n vollem Umfange verbindlich. Kant meint, trotz der Unrechtmäßigkeit der revolutionären Handlung müßten die Untertanen sich der neuen Ordnung fügen, und sie hätten derjenigen Obrigkeit ehrlichen Herzens zu gehorchen, die nunmehr die Gewalt i m Staate ausübe 17 . So verblüffend diese Einstellung gegenüber einer vollendeten Revolution auf den ersten Blick erscheint, so folgerichtig ist sie: Die der Vernunft entspringende Pflicht, den Staat zu achten und ihn nicht zu zerstören, gilt unbeschränkt gegenüber jedem Staat, also auch gegenüber der durch eine Revolution hervorgebrachten Staatsordnung. Nach der großen Französischen Revolution war die Revolution als ein A k t gewaltsamer Staatsumwälzung ein fester staatsrechtlicher und politischer Begriff geworden, der bis auf den heutigen Tag eine bewußte, dem bisherigen Recht zuwiderlaufende gewaltsame Staatszerstörung zum Inhalt hat. I m 19. Jahrhundert sah man als das Ziel der Revolution weniger ein Abstellen eingerissener Übelstände an, als die Schaffung einer neuen Gemeinschaft und eines neuen Staates. Indem dieser aus der großen Französischen Revolution gewonnene Befund aus dem bloß historischen Bereich herausgehoben wurde, entwickelten sich allmählich Lehren, i n denen die Revolution einen festen Platz einnahm als ein M i t t e l oder auch w o h l als das einzige M i t t e l zur Verbesserung der Zustände. Es entstand der Typ des Berufsrevolutionärs, der überzeugt war, daß i n der Revolution als solcher eine ganz erhebliche, wohltätige K r a f t wirksam sei, daß nur durch diese Kraft die bestehende, grundsätzlich verdorbene politische Welt gebessert werden und daß eine Besserung nur auf gewaltsame Weise herbeigeführt werden könne. Dieser A r t von Revolution galt i n der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in der Zeit nach dem Wiener Kongreß, der Kampf der europäischen Regierungen. Diese damalige politische Wirklichkeit findet z.B. i n den Schriften von Friedrich Gentz ihren Niederschlag. Gentz war ursprünglich untergeordneter preußischer Beamter. U m 1800 wechselte er i n den österreichischen Staatsdienst über; seitdem ist sein Name eng mit dem Metternichs verknüpft und es ist nicht verwunderlich, daß er i n der Revolution ein außenpolitisches Problem sah, welches m i t der Frage des europäischen Gleichgewichts verbunden war. Er war der Überzeugung, daß der Staat eine gewisse Beständigkeit und Geregeltheit seiner Entwicklung notwendig habe und daß diese Entwicklung ohne 17

MdS., a. a. O., S. 142.

Revolution

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plötzliche, willkürliche Unterbrechung erfolgen müsse 18 . Eine Revolution — insbesondere die französische von 1789 — ist für ihn eine solche willkürliche Unterbrechung und gefährdet damit das europäische Gleichgewicht 19 .

d) Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts Grundsätzlich revolutionsfeindlich war auch Friedrich Julius Stahl (1802—1861) eingestellt. Sein theoretischer Standort ist umstritten 2 0 und seine Stellungnahme hatte zu seiner Zeit deshalb besonderes Gewicht i n der Politik, weil er nicht nur Theoretiker war, sondern aktiv i m politischen Leben seiner Zeit stand: Er war lange Jahre Führer der Konservativen i m preußischen Abgeordneten- und Herrenhaus. Stahl trat auf der Grundlage christlicher Prinzipien dem Gedanken der Volkssouveränität entgegen. Der Staat war für ihn von Gott eingesetzt, er beruht auf dem Plan Gottes für die Welt 2 1 . Die jeweilige tatsächliche Gestalt des Staates ist eine Folge der Sünde und stellt einen Mittelzustand dar zwischen dem regel- und ordnungslosen Zusammenleben der Menschen und der Vollkommenheit i n Gestalt des Reiches Gottes. Der Staat ist nie eine vollkommene Einrichtung, sondern er hat nur nach Vollkommenheit zu streben. Die christliche Offenbarung enthält nach Stahls Ansicht für die Ausgestaltung der staatlichen Ordnung nichts; sie bietet vielmehr nur eine Anleitung für das Verhalten des Menschen gegenüber dieser Ordnung. Wenn auch von Gott eingesetzt, so ist die staatliche Gewalt doch Gott gegenüber selbständig i n dem Sinne, daß sie die Möglichkeit hat, gegen die Gebote Gottes verstoßendes, bindendes Recht zu erlassen 22 . Die Verbindlichkeit solcher Gesetze ist aber nur eine formale: Moralischsittlich binden diese Gesetze den Untertanen nicht, vielmehr ist er verpflichtet, passiven Widerstand zu leisten, weil hier der Satz gilt: „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen", und der Mensch nicht nur dem Staate, sondern auch unmittelbar Gott Gehorsam schuldig ist 2 3 . Aus der Selbständigkeit des Staates gegenüber Gott folgt für Stahl weiter, daß die staatliche Gewalt immer dann rechtmäßig ist, wenn sie dem Gesetz gemäß zur Macht gelangt ist. Ob sie dem 18

Gentz, Staatsschriften u n d Briefe, 1921, Bd. 2, S. 267. Dazu Näheres bei Gurwitsch, Das Revolutionsproblem, Berliner Diss. 1934, S. 62 ff. 80 s. Volz, Christentum u n d Positivismus, 1951, S. 1. 21 Stahl, Philosophie des Rechts nach geschichtlicher Ansicht, Bd. 2, Christliche Rechts- u. Staatslehre, 5. Aufl. 1878, S. 27; s. auch bei Volz a. a. O., S. 95 f. 22 Vgl. Volz a. a. O., S. 101. 28 Stahl, a. a. O., S. 548. 19

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Recht gemäß herrscht, ist für ihre Rechtmäßigkeit ohne Bedeutung 24 . Empörung, Revolution gegenüber dieser rechtmäßigen Staatsgewalt ist nicht statthaft. Ein solches Verhalten würde eine Umkehrung der gottgewollten Ordnung bedeuten. Diese Umkehrung des Obrigkeitsverhältnisses ist nach Stahls Ansicht überhaupt das Prinzip der Revolution 25 . I n ihr würden sich die Untertanen als Richter über die Handlungen der Staatsgewalt aufspielen; tatsächlich hat die Staatsgewalt aber keine Richter über sich, ja, sie ist sogar Gottes Geboten gegenüber selbständig. Nach Stahls Ansicht gebietet auch die christliche Sitte, Unrecht zu leiden statt es abzuwehren, insbesondere dann, wenn die Abwehr nur auf ungesetzlichem Wege möglich ist2®. Unrechtmäßige Ausübung der Staatsgewalt ist für ihn eine göttliche Fügung, eine Züchtigung für die Sünden des betreffenden Volkes. Demnach ist eine Revolution also ein unrechtmäßiges Mittel, Gottes Gericht zu vereiteln und ihm vorzugreifen. Da das nicht geschehen darf, muß der Untertan sich der Obrigkeit unterwerfen, und zwar auch dann, wenn diese böse ist. Stahl verkannte aber andererseits nicht, daß Revolutionen geschichtliche Tatsachen sind, daß sie häufig vorkommen. Er sah darin genauso ein Werkzeug des göttlichen Willens, wie es seiner Ansicht nach die tyrannische Herrschaft gegenüber der Sünde des Volkes war. Diese Eigenschaft eines Werkzeuges Gottes rechtfertigt gleichwohl das Unternehmen einer Revolution niemals 27 . I n außergewöhnlichen Fällen allerdings kann die Revolution dem allgemeinen menschlichen Urteil entzogen und wenigstens sittlich erlaubt sein. Solche Fälle sah Stahl dann als gegeben an, wenn gewisse natürliche unentbehrliche Rechte — wie z.B. das Leben — oder die bestehende Rechtsordnung selbst gegen die Obrigkeit geschützt werden müssen. Hier kam Stahl also zu denselben praktischen Ergebnissen wie die alte christliche Naturrechtslehre 28 . I n der späteren Zeit entzog die zunehmende Liberalisierung insbesondere der deutschen Staaten den „Berufsrevolutionären", die die Revolution als einziges politisches Ziel auf die Fahnen geschrieben hatten, und ihrer politischen Wirksamkeit den Boden. Gleichzeitig wandte sich das Schrifttum mehr und mehr von den streng konservativen und revolutionsfeindlichen Anschauungen — insbesondere von denen Stahls — ab. Man hatte von dem Geschehen £er großen 24 25 28 27 28

Stahl, a. a. O., S. 543. Stahl, a. a. O., S. 550 f. Stahl, a. a. O., S. 544. Stahl, a. a. O., S. 547. Volz, a. a. O., S. 108 f.

Revolution

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Französischen Revolution allmählich Abstand gewonnen. Es handelte sich bei ihr nicht mehr um gegenwärtiges Geschehen und deshalb vermochte man sie nun auch hinsichtlich der erst jetzt voll übersehbaren politischen und staatsrechtlichen Auswirkungen leidenschaftslos und nüchtern zu beurteilen, wobei man i n naturwissenschaftlicher Manier analysierend vorging. Charakteristisch für diese A r t der Beurteilung der Revolution ist Josef Held. Für ihn lag dann eine Revolution vor, wenn etwas i n der Wirklichkeit rechtlich Bestehendes entgegen der vom Recht vorgesehenen Weise geändert wird, und zwar durch unmittelbares Vorgehen der der Rechtsordnung Unterworfenen gegen den Bestand dieser Rechtsordnung 29 . Er hielt die Revolution und auch ihren politischen Gegner, die Reaktion, für Produkte des mechanischen Gesetzes von Druck und Gegendruck 30 . Sie sei niemals rechtmäßig, so meinte er, auch dann nicht, wenn sie sittlich oder nach der Vernunft berechtigt sei. Immer sei sie ein bloßes Faktum, welches allerdings dann und insoweit zum Recht führen könne, als die i n ihr liegende Rechtsverletzung auf irgendeine Weise geheilt werde 31 . Diese Heilung kann aber nach Held nicht aus der Revolution selbst kommen, weil sie ihrer Natur nach nur zerstören kann; die Heilung könne erst nach dem Ende der Revolution beginnen 32 . Wohl hielt Held die Revolution für eine Kraftäußerung der Nation; er sah aber gleichzeitig darin einen Beweis für ihre Schwäche und Unfähigkeit zu einer organischen Entwicklung. I m Ergebnis war also auch noch bei Held die Revolution eine aus einer Schwäche hervorgegangene Störung der sinnvollen, organischen Entwicklung.

e) Hegel und seine Schüler; der Marxismus-Leninismus Eine revolutionsfreundliche, die Revolution bejahende Haltung nahmen i n jener Zeit Hegel und insbesondere seine Schüler ein. Deren Ansichten über die Revolution sind für uns heute noch bedeutsam, w e i l sie i n der Form des Marxismus-Leninismus unmittelbar i n das heutige politische Leben hineinwirken. Hegel selbst versuchte alles Wirkliche als einen einheitlichen Prozeß der Weltvernunft zu begründen. Er wollte nicht einen Staat oder eine Rechtsordnung konstruieren, wie sie sein sollte, sondern er suchte die historischen Gegebenheiten als etwas i n sich Vernünftiges zu be29 80 81 82

Held, Held, Held, Held,

Staat u n d Gesellschaft, 1863, Bd. 2, S. 701. a. a. O., 1861, Bd. 1., S. 704. a. a. O., Bd. 2, S. 704. a. a. O., Bd. 2, S. 709.

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greifen. I n seiner „Philosophie der Weltgeschichte" sah er die Französische Revolution von 1789 als eine Stufe an i n dem großen Gang der Menschheit zum Bewußtsein ihrer Freiheit und zur Verwirklichung des Geistes. Da bei ihm die Geschichte aus einem Kampf zwischen These und Antithese besteht, bei welchem letztere die Entwicklung zur Synthese vorwärtstreibt und die treibende Kraft die Negation ist — weitere Einzelheiten seines Systems sollen hier nicht erörtert werden — kann man die Geschichte auch als eine Folge immer neuer Negationen des Bestehenden und immer neuer Synthesen bezeichnen. Als Beispiel für diesen dialektischen Gang der Geschichte, wie Hegel ihn sieht, diene folgendes: Der mittelalterliche Dualismus zwischen diesseits ( = Sein) und Jenseits ( = Geist) wurde i n der Reformation dadurch zur Einheit, daß der Geist die diesseitige Welt durchdrang. Der Gehorsam gegenüber der staatlichen Ordnung, d.h. die Einordnung i n die diesseitige Wirklichkeit war eine notwendige Folge der Gemeinschaft i n Gott und hatte aus dem menschlichen Gewissen heraus zu geschehen33. Die Antithese hierzu war die Aufklärung, in der das Denken zum Gestaltungsprinzip wurde. Als das Denken zum Bewußtsein seiner selbst kam, erkannte es, daß dieses Bewußtsein das eigentliche Wesen und die Wirklichkeit der Welt sind. So erschien die Welt als Ergebnis des Willens aller einzelnen. Daraus folgte eine absolute Freiheit der Persönlichkeit, die der Aufklärung vorschwebte und die die Französische Revolution als nächste Stufe des Ganges der Geschichte hätte verwirklichen müssen. Sie hätte begrifflich die Überzeugung bringen müssen, daß Staat und Religion i n demselben Grunde wurzeln und daß ein einziges Gewissen Recht und Glauben gestaltet 34 . Damit hätte der Staat zu einem aus sich selbst heraus verbindlichen Wesen werden müssen. Obwohl die Französische Revolution diese Überzeugung nicht vermittelt hat 3 5 , hielt Hegel sie nicht für sinnlos, weil sie Anfänge einer Synthese i n sich enthielt, und weil überhaupt für ihn jede Revolution eine Erscheinung der treibenden K r a f t der Weltgeschichte ist. Da nach Hegels Auffassung zu seiner Zeit bereits die absolute Epoche der Weltgeschichte eingetreten war, bildete die Revolution für ihn kein Gegenwartsproblem mehr: „Die christliche Welt ist die Welt der Vollendung; das Prinzip ist erfüllt und damit das Ende der Tage voll geworden: Die Idee kann i m Christentum nichts Unbefriedigtes mehr sehen" 36 . Da keine Entwicklung des Geistes mehr möglich erschien, konnte für i h n eine neue Revolution keine treibende K r a f t mehr sein, sondern höchstens noch eine Störung bedeuten. 33 Philosophie der Weltgeschichte, Band 9 der sämtlichen Werke, herausgegeben von G. Lasson, 1923, S. 888. 34 a. a. O., S. 929. 35 Über die Gründe s. a. a. O., S. 930 ff. * a. a. O., S. 775.

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Lorenz von Stein (1815—1890) entwickelte Hegels Gedanken unter dem Einfluß frühsozialistischer Ideen weiter 3 7 . Für ihn war die geschichtliche Entwicklung noch nicht abgeschlossen, sondern er wandte die Hegeischen Gesetze vom dialektischen Gang der Geschichte auf Gegenwart und Zukunft an. Die Gegenwart stand für ihn unter der Hegeischen Gesetzlichkeit; sie war entweder These oder Antithese, die Synthese lag i n der Zukunft 3 8 . Die dialektischen Hauptfaktoren Staat und Gesellschaft hielt Stein für notwendig wegen des i m Menschen selbst verankerten Widerspruchs zwischen seiner eigentlichen Bestimmung und der Wirklichkeit, i n der sich das Leben abspielt 39 . Die Revolution ist der Kampf zwischen diesen beiden Faktoren. Da beide von verschiedenen Prinzipien beherrscht werden und die gesellschaftliche Entwicklung nie zum Stillstand kommt, müßte nach einer bestimmten Zeit die Rechtsordnung, die den früheren Gesellschaftszustand des Staates sanktionierte, mit dem i n Wirklichkeit bestehenden Gesellschaftszustand i n Widerspruch geraten 40 . Die dann notwendige Anpassung der Staatsverfassung an den wirklichen Zustand konnte nach Stein entweder friedlich durch Reform oder gewaltsam durch eine Revolution geschehen. Diese war damit nur einer der Wege, die zur Auflösung eines absoluten Widerspruchs der Rechtsidee führen konnten, den aufzulösen der Staat um seines Bestandes willen ohnehin bestrebt sein müßte. Erwähnt werden muß noch — darin zeigen sich die frühsozialistischen Ideen Steins — daß in der kapitalistischen Zeit der politischen Revolution nach Steins Meinung notwendigerweise noch eine soziale folgen mußte; diese hätte dem Proletariat dieselben Rechte zu verleihen gehabt, wie sie die kapitalbesitzenden Volksschichten zu Steins Zeit bereits in Besitz hatten. Die von Karl Marx entwickelte und später von Lenin i n die praktische Politik umgesetzte Lehre von der Revolution führt weit über Hegel hinaus, viel weiter, als dies bei den Ansichten Lorenz von Steins der Fall war. Für Marx war das Eindringen i n die wirtschaftlichen Zusammenhänge des Frühkapitalismus und sein „wissenschaftlicher Sozialismus" nicht Selbstzweck, sondern alles sollte dazu dienen, den „Proletarier" von allen früheren Bindungen an die Gemeinschaft frei zu machen und i h n an eine nur der materiellen Wirklichkeit verbundene neue Massenführung zu binden. Da die bestehenden Zustände nach seiner Erkenntnis nicht so waren, daß sie als gut, als 87

Über sein Lebensbild s. Rehm, i n : D Ö V 1961/241. Vgl. Vogel, Hegels Gesellschaftsbegrifl u n d seine geschichtliche F o r t b i l dung, 1925, S. 145. 89 Stein, Der Sozialismus u n d Communismus des heutigen Frankreichs, 2. Aufl., 1848, Bd. I, S. 16. 40 Stein, a. a. O., Bd. I , S. 29. 88

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„vernünftig" gelten konnten, deshalb waren auch die Zustände daran schuld, daß der Mensch nicht „gut" war. Die einzige Abhilfe sah Marx darin, daß die bestehenden Zustände durch Umsturz geändert würden. Hier zeigt sich deutlich eine der Wurzeln der Ideen von Marx (und auch der Ideen seines Freundes Friedrich Engels): Es kehrt der Fortschrittsglaube des Rationalismus des 18. Jahrhunderts wieder, der Glaube Rousseaus, daß der Mensch an sich gut sei, daß sich dies nach Herstellung einer bestimmten sozialen Ordnung erweisen und die Menschen alsdann wahrhaft glücklich werden könnten 41 . Kurz zusammengefaßt handelt es sich bei der von K a r l Marx entwickelten Revolutionslehre um folgendes: Sie setzt voraus, daß der Mensch die Gesetzmäßigkeiten der Welt erkennen und daß er die Welt entsprechend diesen Gesetzmäßigkeiten planmäßig gestalten kann. Hierfür übernahm Marx von Hegel das dialektische Entwicklungsschema, legte ihm aber anstelle der Entwicklung des Geistes eine Entwicklung der Gesellschaftsformen zugrunde. Jede Gesellschaftsform sollte einer bestimmten Struktur der Produktionsverhältnisse der Wirtschaft entsprechen. Die Weiterentwicklung dieser ökonomischen Grundlage sollte auch zur Entwicklung der Gesellschaftsverhältnisse führen, bis hin zur kommunistischen Gesellschaft 42 . Diese Entwicklung ist für Marx der Inhalt und das Ziel der Geschichte. Indem er den i n der frühkapitalistischen Industriegesellschaft seiner Zeit neu entstandenen Begriff der „Klassen" i n die Betrachtung der staatlichen und gesellschaftlichen Wandlungen der Vergangenheit einführte, kam er zu dem Ergebnis, daß „Geschichte aller bisherigen Gesellschaft die Geschichte von Klassenkämpfen" ist. „Unterdrücker und Unterdrückte standen in stetem Gegensatz zueinander, führten einen ununterbrochenen, bald versteckten, bald offenen Kampf, einen Kampf, der jedesmal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen" heißt es i m kommunistischen Manifest 48 . I n diesem Kampf waren die Revolutionen von entscheidender Bedeutung. Marx versteht unter Revolution eine bedeutende, auffällige und stoßweise Veränderung der Gesellschaftsverhältnisse. Für i h n bedingte die Revolutionierung der Produktionsmittel und -Verhältnisse die Revolutionierung der jeweiligen Gesellschaftsformen und des Staates; die Revolution war der notwendige Durchbruch des Neuen i m naturgesetzlichen Entwicklungsprozeß, ein 41 Ullmann, Der Weg des X I X . Jahrhunderts, 1949, S. 135 ff.; s. auch Griewank, a. a. O., S. 270. 42 Lenin, K a r l M a r x , 1946, S. 12 ff. 4S Abgedruckt bei Borkenau, K a r l M a r x , 1956, S. 98.

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stoßartiger und gewaltsamer Übergang von einer Produktions- und Gesellschaftsform zu einer anderen, höheren Form. Während früher nach der Ansicht von Marx Revolutionen vom Bürgertum als politische Revolutionen geführt wurden, müßte i n der vom Zeitpunkt des kommunistischen Manifests aus gesehen künftigen Revolution die Klasse des Proletariats nicht nur die bürgerliche Klasse stürzen, sondern auch die eigene Herrschaftsbegründung zu einer bestimmten, planmäßigen Umgestaltung der Produktions- und der damit verbundenen Gesellschaftsverhältnisse benutzen, um so die Entwicklung zur klassenlosen Gesellschaft voranzutreiben, i n der es keine Ausbeutung und keine Unterdrückung mehr geben soll 44 . Diese theoretische Lehre hat Lenin äußerst wirkungsvoll und auf die Bedürfnisse einer revolutionären Praxis zugeschnitten weitergebildet. Seine Lehre ist ganz bewußt eine praktische Anleitung zur Veränderung der Welt. Lenin übernahm viel von Marx (und auch von Engels), formte aber auch zahlreiche Gedanken völlig neu. Dabei kam es ihm auch darauf an, die von Marx angedeutete proletarische Klassendiktatur konkret auszugestalten. Die Leitung i n dieser Diktatur übertrug er der auf den von Marx entwickelten dialektischen Materialismus verpflichteten kommunistischen Partei 4 5 . Lenin wies den Revolutionen einmal die Aufgabe zu, das Bestehende zu zerstören, wie z. B. die alten Gesellschaftsverhältnisse zum Verschwinden zu bringen und die bürgerliche Staatsmaschine zu vernichten. Zum anderen erhielt aber auch die gesellschaftliche Entwicklung durch die Revolution eine entschiedene Beschleunigung in Richtung auf den Fortschritt, d. h. zur klassenlosen Gesellschaft, hin. Schon darin liegt eine Rechtfertigung der Revolution. Sie war aber für Lenin auch das einzige Mittel, herangereifte Fragen des gesellschaftlichen Lebens zu lösen. Für ihn waren Revolutionen soziale Revolutionen, d. h. es waren nicht nur politische Umwälzungen, die eine neue Staatsmacht errichteten, sondern sie lösten auch gleichzeitig den ökonomischen Konflikt zwischen den „neuen Produktivkräften" und den veralteten, überlebten Produktionsverhältnissen sowie den „sozialen Konflikt zwischen den Klassen" 46 . Die Ablösung des bürgerlichen Staates durch den proletarischen sei ohne gewaltsame Revolution unmöglich, erklärte Lenin 4 7 . Für diese, jetzt noch allein in Betracht kommende sozialistische Revolution arbeitete er seine Theorie und Taktik auf Grund der i m zaristischen Rußland vorhandenen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse aus. Er gab 44 45 48 47

So der Sinn des komm. Manifestes; vgl. auch Griewank, a. a. O., S. 272. Lenin, Staat u n d Revolution, 1947, S. 22; Griewank, a. a. O., S. 275. Grundlagen der marxistischen Philosophie, 1960, S. 551. Staat u n d Revolution, S. 19.

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i m einzelnen an, unter welchen Voraussetzungen die Situation für die Durchführung der Revolution günstig ist und arbeitete aus dem bisherigen Gang der Geschichte, betrachtet auf der Grundlage des „dialektischen Materialismus", Richtlinien für richtiges revolutionäres Handeln, Grundzüge und Gesetzmäßigkeiten für die Revolution aus, die zur D i k tatur des Proletariats führt. Diese Diktatur war i n seiner Lehre wiederum nur eine Entwicklungsstufe. Er meinte, der Staat werde „absterben", wenn die Gesellschaft erst gelernt habe, iselbst die Staatsregierung in die Hände zu nehmen, wenn die Notwendigkeit des „ Regierens" einem bloßen „Verwalten" gewichen sei 48 . Die weitere Entwicklung zu diesem Zustand solle aber nicht mehr durch Revolution, d.h. durch Neugestaltung von unten, von den Unterdrückten her erfolgen, sondern durch Lenkung von oben 49 . Nach leninistischer Lehre kann von einer bestimmten Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung an nur noch die „sozialistische" Revolution i n Betracht kommen. Etwaige gewaltsame Versuche, die Diktatur des Proletariats wieder zu beseitigen, können nach dieser Lehre nur Versuche sein, die naturgesetzliche Entwicklung zu stören und zu behindern. Gelangt eine überlebte Klasse gewaltsam wieder zur Herrschaft, so ist das keine Revolution, sondern — hier einen zuerst 1790 von Georg Forster für einen Gegenstoß gegen eine von unten kommende Revolutionsbewegung geprägten Begriff 50 anwendend — „Gegenrevolution" oder „Konterrevolution", für die das bisher Gesagte natürlich nicht gelten soll 51 . Da es für den Marxismus ein absolutes, allgemein gültiges und über dem Staat stehendes Recht nicht gibt, das Recht vielmehr nur „der zum Gesetz erhobene Wille der herrschenden Klasse" ist, „der m i t Hilfe der Zwangsgewalt des Staates durchgesetzt w i r d " 5 2 , so w i r f t die Revolution für diese Lehre keine Rechtsprobleme auf. Es kommt eben nur darauf an, ob eine nachrevolutionäre Norm dem Willen der neu zur Macht gekommenen, jetzt über die Machtmittel des Staates gebietenden Klasse entspricht. Ist das der Fall, so ist sie „Rechtsnorm" i m marxistischen Sinne. Es soll an dieser Stelle keine K r i t i k des Marxismus-Leninismus dargeboten werden. Es sei nur darauf hingewiesen, daß die Revolutionsanschauung dieser Lehre juristisch gesehen keine zutreffende Lösung des Problems der Revolution bildet. Der Revolutionsbegriff ist zu eng 48

Lenin, a. a. O., S. 16 u. 85 f ; Grundlagen der m a r x . Phil., S. 592. Griewank, a. a. O., S. 277. 50 Näheres bei Griewank, a. a. O., S. 241 f. 51 Grundlagen der m a r x . Phil., S. 551. 52 Grundlagen der marx. Phil., S. 482; s. auch Bilinsky, Die Entwicklung des Rechtsbegriffs i n der Sowjetunion, Jahrb. f. Ostrecht, Bd. I I I / l , S. 69 ff. 49

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Revolution

und zu einseitig. Das Einführen einer neuen sozialen Ordnung gehört nicht mehr wesensmäßig zur Revolution, wie die Geschichte vielfältig beweist. Revolution und Gegenrevolution sind für eine juristische Betrachtung gleiche Vorgänge, eine unterschiedliche Behandlung beider Tatbestände ist deshalb nicht gerechtfertigt. Es ist bekannt, welch großen Einfluß die Lehren von Marx — und zwar nicht nur i n der von Lenin weitergebildeten Form — seinerzeit auf die politische Wirklichkeit gehabt haben. Ursprünglich hatten die sozialistischen Parteien Westeuropas entsprechend den marxistischen Lehren ein mehr oder weniger revolutionäres Programm. Inzwischen haben die politischen und sozialen Umwälzungen zweier Weltkriege die sozialen Spannungen weithin vermindert, so daß heute i n Westeuropa auch in den sozialistischen Parteien überwiegend nicht mehr die Meinung vertreten wird, soziale Spannungen ließen sich nur auf revolutionärem Wege lösen.

f) Die Behandlung der Revolution von 1918 in der zeitgenössischen juristischen Literatur Ein Blick noch auf die Stellung, die die Zeit des Positivismus i n der Rechtswissenschaft der Revolution gegenüber einnahm: Der Positivismus sah als „Recht", d. h. als Maßstab, an dem bestimmte Gegebenheiten gemessen werden können, nur diejenigen Normen an, die vom Staat gesetzt, also „positiv" waren. Dieses positive Recht wurde als eine feststehende Ordnung fingiert, die nur auf Grund bestimmter feststehender Regeln verändert werden konnte. Vorgänge, die wie die Revolution den Bestand der Ordnung selbst antasten, mußten für eine solche Auffassung natürlich erhebliche Beurteilungsschwierigkeiten bringen, sofern man sie nicht lediglich als eine sich auf rein tatsächlichem Gebiet abspielende Rechtsveränderung ansehen wollte. Dieser zuletzt erwähnte Standpunkt wurde aber — an sich durchaus konsequent — weitaus überwiegend vertreten. Dementsprechend tauchte die Revolution eigentlich nur als Problem der außerrechtlich bedingten Außerkraftsetzung von Teilen des geltenden Rechts und der Entstehung neuen Rechts auf Grund eines rein tatsächlichen Vorgangs auf. Immerhin wurde die deutsche Rechtswissenschaft durch die Revolution des Jahres 1918 gezwungen, zur Revolution, zu ihrer rechtlichen Bedeutung und ihren Rechtsfolgen, Stellung zu nehmen. Die damals erschienenen zahlreichen Beiträge können i n dieser Arbeit nicht sämtlich gewürdigt werden. Man w i r d sie für einen kurzen Überblick — grob gesehen — i n zwei Gruppen einteilen können: Der eine Teil wollte die Anordnungen der Revolutionsgewalt durch Handlungen der Nationalversammlung nachträglich legalisieren lassen und ihnen dadurch rückwirkend

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von ihrem Erlaß an Rechtsqualität verleihen. Die rechtliche Befugnis der Nationalversammlung zu solchen Handlungen ergab sich dabei letztlich aus dem Prinzip der Volkssouveränität, auf dem auch die monarchische Staatsgewalt beruhte. Die Volkssouveränität diente also letzten Endes dazu, die Rechtskontinuität herzustellen und so die Schwierigkeiten zu umgehen, die an sich aus dem Rechtsbruch der Revolution folgen. I n diese Gruppe gehört z. B. Otto von Gierke 5*. Nach dessen A n sicht hatte die Tatsache, daß auf revolutionärem Wege neue Machthaber von der Staatsgewalt Besitz ergriffen hatten und daß diese sie ausübten, das alte Recht i n seiner Geltung nicht unterbrochen. Deshalb konnten seiner Meinung nach die Gesetze über die Haftung des Staates für seine Beamten auf die Handlungen der neuen Regierung und ihrer nachgeordneten Stellen nicht ohne weiteres angewandt werden. Der formell nicht aufgelöste Reichstag sollte vielmehr die neuen Machthaber legalisieren. Falls es dazu nicht kommen könnte, so sollte die spätere Nationalversammlung, die das Rechtsbewußtsein des Volkes i n sich verkörpern würde, die neue Regierung legalisieren und dadurch den Rechtsbruch durch die Revolution heilen. Wie Otto v. Gierke vertrat auch Zorn die Ansicht, daß die Revolution ein reiner Machtzustand sei, der erst durch den Zusammentritt der Nationalversammlung wieder i n einen Rechtszustand überführt würde 5 4 . Bemerkenswert ist, daß tatsächlich die Nationalversammlung i n dem Übergangsgesetz vom 4. März 1919 den Verordnungen der Revolutionsgewalt nachträglich Gesetzeskraft beigelegt hat, soweit die Verordnungen nicht aufgehoben wurden. Einen anderen Teil des damaligen Schrifttums könnte man als die A n hänger der Lehre von der „normativen Kraft des Faktischen" bezeichnen. Dieser Begriff stammt von Georg Jellinek. Jellinek stellte ein allgemeines menschliches Bestreben fest, alles Faktische zum Normativen zu erheben. Diese eigenartige Kraft des Faktischen sollte i n einer nicht weiter ableitbaren Eigenschaft der menschlichen Natur liegen, die das bereits Geübte leichter reproduzieren lasse als das Neue. So war nach Jellinek alles Recht zunächst nur faktische Übung. Die fortdauernde Übung sollte die Vorstellung der Normgemäßheit der Übung erzeugen. Schließlich sollte die Norm selbst als das autoritäre Gebot des Gemeinwesens, also als Rechtsnorm, erscheinen. K r a f t dieser Tendenz des Faktischen, sich i n Normen umzusetzen, sollte es i m ganzen Umfang des Rechtssystems die Voraussetzung erzeugen, daß der jeweils gegebene 63 54

Haftung für Plünderungsschäden, i n : D J Z 1919/8. Die Staatsumwälzung i m Deutschen Reiche, i n : DJZ 1919/126 ff.

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soziale Zustand der zu Recht bestehende sei. Die Umwandlung der zunächst nur rein faktischen Macht des Staates i n eine Rechtsmacht sollte auch erst durch die hinzutretende Feststellung erfolgen, daß das Faktische normativer A r t , das „Sein" also gleich einem „Sollen" sei 55 . Diese Auffassung wurde ausgebaut und auf die Verhältnisse nach der Revolution angewandt m i t dem Ergebnis, daß dem tatsächlichen Inhaber der Staatsgewalt auch die rechtliche Befugnis zu ihrer Ausübung zustehen sollte. Wie er i n den Besitz der Staatsgewalt gelangt war, war nicht von Bedeutung. Das auf diese Staatsgewalt zurückführbare Recht war geltendes, verbindliches Recht. Die Revolution erschien eben nur als eine besondere, gewaltsame A r t der Rechtsentstehung. Diese von Anschütz 1918 geäußerte Ansicht 5 6 kehrte wieder i m führenden Staatsrechtslehrbuch der Weimarer Republik von Meyer-Anschütz 57 und bei StierSomlo 58, ferner z. B. bei Giese i n einer Anmerkung zu einem Urteil des Oberlandesgerichts Kiel 5 9 . I h r schloß sich damals auch die Rechtsprechung an 60 . Etwas abseits von diesen beiden Gruppen standen i n jener Zeit zwei Aufsätze Ludwig Waldeckers. I n dem ersten Aufsatz aus dem Jahre 191861 unterschied er zwei Revolutionen, die gleichzeitig ausgebrochen seien, nämlich eine politische, deren Träger die Sozialdemokratische Partei war, und eine soziale, die die Arbeiter- und Soldatenräte führten. I n einem späteren Aufsatz 82 behielt er diese Unterscheidung bei. Nach seiner Ansicht schuf die Revolution nur insoweit Recht, als ihre Normen sich durchsetzten. Da generell erst später beurteilt werden kann, ob eine Norm sich durchgesetzt hat, sah er den Staat praktisch i n eine Welt der subjektiven Rechtsverhältnisse, der Verträge und des Faustrechts verwandelt. Das Bedeutsame an diesen beiden Aufsätzen ist, daß Waldecker damals i n der Revolution weniger ein Problem der Rechtsentstehung aus rein tatsächlichen Vorgängen, als ein Problem des Zerfalls der Staatsgewalt sah, und daß er zugleich auch die soziologischen Probleme einer Revolution i m Auge hatte. I n diesem Zusammenhang sei auch noch ein kurzer Blick auf den Versuch einer Lösung geworfen, die die von Hans Kelsen begründete „reine Rechtslehre" für unser Problem bietet. Diese Lehre w i l l für die Rechtswissenschaft nur eine rein normative Betrachtungsweise gelten lassen, 56

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58 59 60 61 08

G. Jellinek, allgem. Staatslehre, S. 330 ff. I n : J W 1918/751. Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1919, S. 11. a. a. O., S. 215. I n : J W 1920/790. Z . B . : RGZ 99/285; 100/25; 101/357; RGSt 53/65; 54/87; O L G K i e l a.a.O. Z u r augenblicklichen staatsrechtl. Lage, i n : JW 1918/745 ff. Z u r staatsrechtlichen Lage, i n : JW 1919/130 ff.

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alle soziologischen und sonstigen Elemente sollen ausgeschaltet bleiben. Für Kelsen ist der Staat eine Rechtsordnung, die zur Ergänzung und Vollziehung ihrer eigenen Normen gewisse arbeitsteilig funktionierende Organe eingesetzt und die eine gewisse Zentralisierung erreicht hat 6 5 . Nur durch das Maß der Zentralisierung unterscheidet sich der Staat von anderen Rechtsordnungen; sonstige prinzipiellen Unterschiede bestehen nicht. Der Staat hat die „Kompetenzhoheit", d. h. er kann sich ausdehnen; er ist aber keine souveräne Rechtsordnung, sondern eine unter dem Völkerrecht stehende, völkerrechtsunmittelbare Ordnung 6 4 . Rechtsordnimg ist für die reine Rechtslehre ein System von Rechtsnormen, d.h. von Normen, die ein hypothetisches Urteil enthalten, welches eine eigenartige Verknüpfung eines Tatbestandes ( = menschliches Verhalten) m i t einer Folge ( = staatlicher Zwangsakt) ausdrückt 6 5 . Die einzelnen Rechtsnormen werden dadurch zur Rechtsordnung zusammengefaßt, daß sie auf eine gemeinsame Grundnorm, also etwa eine Völkerrechtsnorm, zurückgeführt werden können 66 . Anders ausgedrückt ist die Rechtsordnung ein Stufensystem, i n welchem jede Stufe durch die höhere i n Geltung gesetzt wird. Eine Revolution bringt zwar vom Staat, von der staatlichen Rechtsordnung her betrachtet, einen Bruch. Da aber der Staat nur eine Teilordnung des Völkerrechts ist, kann dieser Bruch auch durch das Völkerrecht überbrückt werden. Die Revolution ist also nur ein relativer Rechtsbruch, ein Bruch der einzelstaatlichen Rechtsordnung; die Kontinuität der Staats- und damit Rechtsordnung w i r d letztlich durch die höhere Rechtsordnung, also das Völkerrecht, gewahrt 6 7 . Eine wirkliche Lösung des Problems bringt die reine Rechtslehre damit nicht, sie verschiebt es nur auf die höhere Ebene des Völkerrechts, worauf Verdroß schon 1923 hingewiesen hat 6 8 . Das Völkerrecht ist aber wie jede andere Rechtsregel auch selbst Veränderungen unterworfen. Würde eine solche Veränderung z. B. die Regel von der Identität des nachrevolutionären m i t dem vorrevolutionären Staat aufheben und das Gegenteil festlegen, so müßte die reine Rechtslehre versagen. Hinzu kommen außerdem noch die sonstigen grundsätzlichen Einwendungen gegen die Methodik dieser Lehre, auf die hier aber nicht näher eingegangen werden soll. « Kelsen, Reine Rechtslehre, 1934, S. 117. Kelsen, a. a. O., S. 119. 66 Kelsen, a. a. O., S. 22 fl. 68 Kelsen, a. a. O., S. 62. 67 Kelsen, allgem. Staatslehre, 1925, S. 128. 68 Einheit des rechtlichen Weltbildes, 1923, S. 142 ff. Er wendet sich dort gegen Sander, das F a k t u m der Revolution u n d die K o n t i n u i t ä t der Rechtsordnung, österr. Zeitschr. f. öff. Recht, Wien, Bd. 1, S. 132 ff. Sander ist Schüler Kelsens. 84

5

Bertram

Fünftes Kapitel

Die Tatbestandsmerkmale der Revolution

a) D e r Unterschied z u anderen staatsrechtlichen Tatbeständen

Die Französische Revolution von 1789, die späteren französischen Revolutionen sowie auch die deutsche Revolution von 1918 haben — historisch gesehen — ein einheitliches äußeres Erscheinungsbild: Sie führten eine stoßweise, gewaltsame Umwälzung der bestehenden Staatsverfassung herbei. Neben diesen auch juristisch bedeutsamen Teil des Geschehens trat noch ein soziologisches Element, das i n Gruppen- und Massenbewegungen, i n offenen Gewaltakten i n Erscheinung trat, gesteuert von Ideen oder Ideologien, die bestimmte Ziele i m Sinne einer Erneuerung oder Weiterentwicklung der staatlichen Gesellschaft aufstellten 1 . Für die historische Betrachtung dieses Geschehens geht es wesentlich u m die Erfassung der Ursachen und der Wirkungen des gewaltsamen Umsturzes. Deshalb vermag der Historiker alles das als eine Revolution zu bezeichnen, was einen grundsätzlichen historischen Wandel gebracht hat. Die juristische Betrachtung muß zwar auch bei dem äußeren Tatbestand der historischen Revolution ansetzen, um die Revolution von anderen staatsrechtlichen Tatbeständen genau abgrenzen zu können. Für die Rechtswissenschaft kommt es aber wesentlich darauf an, das Ende der alten und den Beginn der neuen staatlichen Ordnung festzustellen, um daraus die notwendigen rechtlichen Folgerungen zu ziehen. Aus diesen verschiedenen Betrachtungsweisen folgt schon, daß i m juristischen Sinne nicht jeder Vorgang eine Revolution sein muß, den die Geschichtswissenschaft als Revolution bezeichnet2. Für die Abgrenzung der Revolution von anderen Tatbeständen sei noch einmal wiederholt: Der Umsturz, die Revolution ist vom Widerstand gegen unrechtmäßige Ausübung der Staatsgewalt zu unterscheiden. Der Widerstand hat die Erhaltung der bestehenden Rechtsordnung zum Ziele, während die Revolution einen gewaltsamen Umsturz der staatlichen Ordnung, der Verfassung, erstrebt. Sie w i r d außerhalb der von der 1

Vgl. Griewank, a. a. O., S. 7.

2

Menzel, i n : Geschichte 1959/2 f.

Die Tatbestandsmerkmale der Revolution

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Rechtsordnung zur Verfügung gestellten Regeln von einer Masse unternommen, die nicht Träger der staatlichen Gewalt ist 8 . Das Ziel und die A r t und Weise der Durchführung — nämlich entgegen den von der Rechtsordnung für die Erreichung solcher Ziele aufgestellten Regeln — hat die Revolution mit dem Putsch und dem Staatsstreich gemeinsam. Sie unterscheidet sich von den beiden letztgenannten Tatbeständen dadurch, daß i n der Revolution letztlich das ganze Volk — mindestens in repräsentativen Teilen — ergreifende Massenbewegungen ihre Ziele zu erreichen suchen, während Putsch und Staatsstreich nur von einzelnen, vielleicht auch mehreren, unternommen werden 4 . Der Staatsstreich w i r d auch als eine „Revolution von oben" bezeichnet; er ist ein Umsturz, den der Inhaber der Staatsgewalt selbst unternimmt: Es handelt ein Machthaber, der sich Macht entgegen dem geltenden Recht anmaßt 5 . Der Putsch unterscheidet sich von der Revolution insbesondere darin, daß er von einer beschränkten Teilnehmerzahl unternommen w i r d oder daß es sich um eine örtlich beschränkte A k t i o n handelt 6 . Für das Staatsrecht haben diese Unterscheidungen zwischen den verschiedenen Umsturztatbeständen keine große praktische Bedeutung. I m Laufe der vorliegenden Untersuchung soll deshalb auf Putsch und Staatsstreich auch nicht näher eingegangen werden. Eine Revolution ist immer ein plötzlicher Wechsel, eine innerhalb eines kurzen Zeitraums sich vollziehende Umwälzung 7 . Natürlich ist der Begriff „plötzlich" oder „kurzer Zeitraum" nicht absolut zu bestimmen. Von Fall zu Fall werden hierfür je nach den Verhältnissen andere Maßstäbe anzulegen sein, so daß sowohl einige Monate wie auch einige Jahre durchaus noch als „kurzer Zeitraum" bezeichnet werden können. M i t Sicherheit ausscheiden müssen aber die langen historischen Entwicklungsprozesse i m Leben der Völker. Veränderungen, die sich über lange Zeiträume, über Jahrhunderte hinziehen, sind keine Revolutionen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um gewaltsame Veränderungen handelt oder nicht. Solche Prozesse mögen zwar auch ungeheure staatliche Umwälzungen und völlige Veränderungen der gesellschaftlichen Struktur bringen sowie mit Rechtsbrüchen einhergehen können; sie sind 8 Ä h n l i c h z.B. Stier-Somlo, a.a.O., S.49ff.; Küchenhoff, Allgem. Staatslehre, 2. Aufl. 1951, S. 184 f. 4 Vgl. Stier-Somlo i m Handwörterbuch der Rechtswissenschaft unter „Putsch u n d Staatsstreich"; ferner Albrecht, Das Recht der Revolution, 1934, S. 7. 5 Vgl. Menzel, i n : Geschichte 1959/5; Beling, Revolution u n d Recht, 1923, S. 11 sieht auch darin eine echte Revolution. 8 Ä h n l i c h Menzel, i n : Geschichte 1959/5. 7 Brinkmann, Soziologische Theorie der Revolution, 1948, S. 28; Sorokin, Soziologie der Revolution, 1928, S. 54.

Revolution

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aber gleichwohl eine langsame historische Entwicklung, keine plötzlichen, gewaltsamen Staatsumstürze. Deshalb sind die langen Epochen der abendländischen Geschichte, die zur Entstehung der Staaten und zur Prägung der verschiedenen Völker geführt haben, juristisch gesehen keine Revolutionen. Ob sie vom historischen Standpunkt aus als solche bezeichnet werden können, wie Rosenstock-Huessy dies i n seiner großartigen Deutung des Geschichtsablaufs tut 8 , mag hier dahinstehen.

b) Die Massenbewegung und ihre Entstehung Wie kommt es nun zu solchen plötzlichen, gewaltsamen und rechtswidrigen Verfassungsänderungen, was sind m i t anderen Worten die Ursasachen für eine Revolution? Hierüber haben insbesondere nahmhafte Soziologen eingehende Untersuchungen angestellt 9 . A n dieser Stelle sollen nicht die Ergebnisse dieser Untersuchungen dargestellt werden, sondern es soll nur auf die wesentlichsten Punkte hingewiesen werden: Allgemein anerkannt ist, daß die Ursachen einer Revolution i n der w i r k lichen oder vermeintlichen Unterdrückung von Zeitströmungen durch die jeweiligen Machthaber zu suchen sind, i n dem Zwiespalt zwischen einer veralteten Staats- und Rechtsordnung und den Forderungen des Lebensdranges der jeweiligen menschlichen Gesellschaft als der tragenden Substanz des Staates. I m Laufe der Entwicklung können tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen eintreten, deren sich die Gesellschaft bewußt w i r d und die nach politischem Ausdruck suchen. Trägt die staatliche Wirklichkeit dieser gesellschaftlichen Entwicklung und den sie tragenden geistig-sittlichen Ideen zu wenig Rechnung, so erscheint die Revolution als letzter Ausweg, wenn der Weg der Reform durch den Staat verschlossen ist 10 . Neben solchen Veränderungen i n der staatstragenden gesellschaftlichen Substanz kommen besonders i n neuerer Zeit als weitere Ursachen für eine Revolution tiefgreifende Bewußtseinsspaltungen der Gesellschaft i n Betracht 11 . Die Entwicklung w i r d i n solchen Fällen normalerweise immer mehr von einem Miteinander, einem gemeinsamen Weg der verschiedenen politischen Kräfte, die i n der Gesellschaft wirksam sind, und die i n diesem 8

1951. 9

I n : Die europäischen Revolutionen u n d der Charakter der Nationen,

Vgl. Brinkmann, a. a. O., S. 29. Sorokin, Die Soziologie der Revolution, 1928, S. 312 ff.; Gerland, D J Z 1935/1065; vergl. auch Srbik, Metternich, Bd. I I , S.270; Engels u n d M a r x , Revolution u n d Konterrevolution, 1949, S. 14; Hartmann, Das Problem des geistigen Seins, 1933, S. 239. 11 Vgl. Dombois, Strukturelle Staatslehre, 1952, S. 41. 10

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Miteinander eine Reform der staatlichen Verhältnisse herbeiführen könnten, zu einem Gegeneinander, einem gegenseitigen Bekämpfen hinführen. I n diesem letztgenannten Zustand erscheinen die Motive und Ziele der revolutionären Bewegung immer als leicht einprägsame Schlagworte. Diese sind ein wichtiger Faktor für die Bildung der revolutionären Massenbewegung. Unter der i n der Revolution handelnden Masse iist eine aus einer unbestimmten Anzahl von Einzelpersonen zusammengesetzte Menschenansammlung zu verstehen, die zu gemeinsamer A k t i o n bereit ist 1 2 . Aus den vielen Einzelpersonen w i r d nur dann eine Masse, wenn sie für die Bildung einer solchen Erscheinung disponiert sind, oder konkret ausgedrückt: wenn sie irgendeiner Autorität folgen, sich einer Führung unterordnen, die ihr Vertrauen genießt. Diese Führung ist der Massentechnik wegen naturnotwendig. Selbst die fähigsten Menschen bedürfen ihrer, sobald sie i n einer Masse beisammen sind. Zwischen Einzelmenschen gibt es zwar brauchbare Mittel, mit deren Hilfe man den Weg bereiten kann zum Zusammenschluß und zur gemeinsamen Tat. Diese Mittel versagen aber in einer großen Masse. Rede und Gegenrede — wichtige Elemente der Überzeugungsbildung unter Einzelpersonen — gibt es in der Masse nicht; es bleibt nur das M i t t e l der Führung. Deren Funktion in der Masse ist das Vorangehen, das Anleiten, während die Masse nachfolgt. Wieser 13 hat die Funktion der Führung gegenüber der Masse treffend an einem Bilde erläutert: Die Führung ist der Sämann, der das K o r n der Ideen aussät, während die Masse die Erde darstellt, die das K o r n aufnimmt und es aufgehen läßt 14 . Die Nachfolge der Masse kann eine Nachfolge aus Überzeugung sein. Eine solche Überzeugung setzt eine Prüfung der Ziele der Führung und eine Überlegung des Für und Wider durch den einzelnen voraus. Eine Überzeugung w i r d sich insbesondere dann bilden, wenn hohe sittliche Ideale die einzelnen zur Masse zusammenführen und das Ziel der Bewegung ist, die bestehenden — auch objektiv gesehen — schlechten Zustände den Idealen entsprechend zu bessern. Dieser Idealfall w i r d aber nicht allzu oft gegeben sein. Der Vorgang der Massenbildung kann auch ebensogut mit einem Ablegen der eigenen Persönlichkeit verbunden sein. Dann kommt dem einzelnen die Fähigkeit und die Möglichkeit abwägender Überlegung mehr oder weniger abhanden; er vermag nicht mehr an ihn herangetragene Ziele, Wünsche und Forderungen an einem als allgemein verbindlich anerkannten Wertmaßstab zu prüfen. Es bildet sich eine fast passiv zu nennende 12 18 14

Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 1950, S. 88. Gesetz der Macht, 1926, S. 65. Z u r Notwendigkeit der F ü h r i m g s. Wieser, a. a. O., S. 48 ff.

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Masse, die nur noch zur blinden Nachfolge fähig ist. Sie vermag unter Umständen den Idealen der Führung geistig nicht einmal mehr zu folgen und kann den wirklichen Gehalt der Ideen der Führung i m Innersten nicht begreifen. Deshalb folgt sie dann mehr ihrer nächsten Umgebung als der Führung nach 15 . Diese A r t von Masse ist gefährlich: Einmal neigt sie dazu, jede an hohen Idealen ausgerichtete Bewegung ins Sinnlose zu übertreiben und dann ins Gegenteil zu verkehren. Dadurch gefährdet sie den Erfolg jeder Bewegung 16 . Zum anderen ist sie i n besonderer Weise dafür prädestiniert, irgendeiner beliebigen Autorität zu folgen, sofern diese sich nur auffällig genug als Autorität herauszustellen vermag. Als solche — wirkliche oder vermeintliche — Autorität kann z. B. auch die „öffentliche Meinung" in Betracht kommen (oder das, was man gerade dafür hält). Damit kann unter Umständen der Suggestion durch Schlagworte Tür und Tor geöffnet sein. Dafür geeignete Schlagworte entstehen am leichtesten aus allgemeinen Ideen, die auf einen sichtbaren Gegner hinweisen und es leicht machen, aus reinem Gefühl heraus zu handeln 17 . Die Masse, die einen Umsturz unternimmt, müßte allerdings i n besonderer Weise gefestigt, müßte eine „verschworene Gemeinschaft" sein. Es genügt noch nicht, daß sie den Idealen und Zielen der Führung aus Überzeugung folgt. Sie müßte darüber hinaus in der Lage sein, sich i n gewissem Umfange den jeweils gegebenen Umständen anzupassen. Sie müßte ferner i n der Lage sein, eine gewisse, wenn auch geringe, Selbständigkeit des Handelns an den Tag zu legen. Der Entschluß, eine mit allen staatlichen Machtmitteln ausgerüstete und oft i n unbestrittener Rechtmäßigkeit bestehende Ordnung gewaltsam zu beseitigen und dafür die der eigenen Vorstellung gemäße politische Ordnung als Staatsordnung einzusetzen, setzt eine Übereinstimmung der Handelnden auf Leben und Tod voraus, wenn die Bewegung nur einigermaßen Aussicht auf Erfolg haben soll. Die Gemeinschaft w i r d u m so fester sein, wenn die einzelnen sich ihr anschließen i m vollen Bewußtsein der Tragweite dieses Entschlusses, i m Gehorsam gegenüber Gott oder gegenüber dem Gesetz in der eigenen Brust. Eine solche Massenbewegung umfaßt dann die ganze Persönlichkeit und lebt i n den Seelen der einzelnen. Man könnte sie als i m modernen Sinne „existentiell" bezeichnen 18 . Gegen die Bildung einer Massenbewegung der geschilderten A r t w i r d i n der Regel äußerer Gegendruck zu erwarten sein. Insbesondere 15 18 17 18

Wieser, a. a. O., S. 61. Vgl. Wieser, a. a. O., S. 61. Ullmann, a. a. O., S. 22 f. Wieser, a. a. O., S. 61 f., bes. S. 77; Dombois, a. a. O., S. 11 f.

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w i r d der Staat seine Machtmittel einsetzen, um ihre Bildung zu verhindern. Dieser der Massenbildung entgegenwirkende Zwang w i r d i n totalitären Staaten besonders wirksam sein und je nach seiner Stärke einen nach außen hin sichtbaren Zusammenschluß der vielen einzelnen verhindern können. Ein nach außen h i n sichtbarer Zusammenschluß gehört aber nicht notwendig zur Bildung einer Massenbewegung. Sie kann auch ohne einen solchen vorhanden sein. Jedenfalls ist es nicht notwendig, daß die Bewegung schon i m Vorstadium des Umsturzes nach außen hin sichtbar wird. Allerdings ist i n gewissem Umfange eine Organisation erforderlich, eine gewisse tatsächlich befolgte Ordnung. Dabei braucht es sich nicht um eine rechtliche oder eine juristisch fixierbare Ordnung zu handeln. Sie beruht jedenfalls auf der gegebenen Verteilung der gesellschaftlichen Kräfte i n der Masse; ihr Inhalt ist, die Machtverteilung zwischen Führung und Masse vorzunehmen 19 . Aus der Notwendigkeit der Führung folgt aber nicht, daß diese tatsächliche Ordnung der Masse immer und überall dieselbe sein müßte. Ihr jeweiliger Inhalt hängt vielmehr von der A r t der Führung ab. Diese kann mehr oder weniger hierarchisch, ihr Einfluß kann größer oder geringer sein. Sie w i r d auch wohl immer straffer, nahezu militärisch werden, je näher der Zeitpunkt des eigentlichen Handelns, der Zeitpunkt des Umsturzes heranrückt. Der Umsturz w i r d nur dann Erfolg haben, wenn die revolutionäre Massenbewegung eine feste Organisation hat. Da ihr Gegner immer die staatliche Ordnung mit ihren i m modernen Staat besonders umfangreichen und wirksamen Machtmitteln ist, muß sie i n der Lage sein, diesen Machtmitteln nicht nur zu widerstehen, sondern sie auch außer Gefecht zu setzen. Man w i r d allerdings auch nicht sagen können, daß die Organisation der revolutionären Massenbewegung desto stärker sein müsse, je stärker die Machtmittel des Staates sind. Es kommt dabei vielmehr insbesondere auf den Schwung an, den die Massenbewegung entwickelt sowie darauf, inwieweit die staatlichen Machtmittel solchem Schwung zu widerstehen vermögen. Es kommt ferner entscheidend auf die geistige Vorbereitung der Revolution durch die Massenbewegung, auf die Anziehungskraft ihrer Ziele und Ideen an. Diese vorstehend skizzierte, mehr oder weniger straff organisierte Massenbewegung ist ein weiteres wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwischen dem Umsturz, der Revolution und der Ausübung des Widerstandsrechts. Letztere braucht nicht notwendig von einer Massenbewegung getragen zu sein. Leistet eine Vielzahl von Personen Widerstand, so braucht es sich dabei nicht unbedingt um eine Massenbewegung der soeben geschilderten A r t zu handeln. Die Ausübung des Widerstands19

Wieser, a. a. O., S. 48.

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rechts ist i m Recht und i n der Sitte vorgezeichnet. Das bedeutet, daß der einzelne in der Lage ist, selbst den Rechts- und Sittenregeln Folge zu leisten. Für die Revolution ist demgegenüber eine Massenbewegung notwendig; ohne sie liegt keine Revolution vor. Da i n der Revolution anders als bei der Ausübung des Widerstandsrechts etwas Neues, Rechtswidriges geplant ist, welches gerade nicht in den bekannten Bahnen des Rechts und der Sitte ablaufen kann, ist eine Führung und auch eine mehr oder weniger feste Organisation notwendig. Dieser Führung fällt zunächst die Aufgabe zu, die von ihr als richtig erkannten Ziele zu den allgemeinen Zielen zu machen und so den eigentlichen Anstoß zur Massenbildung zu geben. Ist eine Massenbewegung vorhanden, so hat die Führung während des eigentlichen Umsturzes die Aufgabe, die Masse für die Ideen und Ziele der Führung arbeiten zu lassen, den Umsturz zu leiten und ihn möglichst zu dem erstrebten Erfolge zu führen. Zum Bilde der Revolution gehören immer Massenhandlungen gewalttätiger A r t 2 0 . Die Masse neigt schon ihrer Natur nach zu Gewaltakten. Oft stehen diese gewaltsamen Handlungen i n krassem Widerspruch zu den sonstigen Anschauungen und Überzeugungen des einzelnen Teilnehmers, der gleichwohl nichts dabei findet, i n der Masse mitzutun. „Er macht viele Dinge mit, vor denen ihm bei klarem Bewußtsein schaudert 21 ". Nach den Untersuchungen Sorokins 22 ist es für jede Revolution typisch, daß sie i m Laufe des Geschehens mehr und mehr zu einer Verwilderung des Verhaltens der an dem Umsturz beteiligten Personen führt. Das soll daher rühren, daß die die niedrigen Triebe der Menschen normalerweise hemmenden Gewalten und Gewohnheiten mehr oder weniger vernichtet oder entmachtet werden. Entsprechend können die primitiven Instinkte sich zu voller Ausdehnung entwickeln. Man kann deshalb durchaus alles Handeln während des ersten Teiles des Umsturzes, das heißt während der Zerstörung der bestehenden Ordnung, als Ansturm, Erregung und auch als mit gewaltiger Energie durchsetzte Wut bezeichnen 23 . c) Die Rechtswidrigkeit des Umsturzes Weiterhin gehört zur Revolution, daß der Umsturz außerhalb der von der Rechtsordnung für Rechtsänderungen vorgesehenen Regeln, genauer: entgegen diesen Regeln unternommen und durchgeführt wird. Das heißt mit anderen Worten, daß die Revolution rechtswidrig ist und 20 21 22 23

B r i n k m a n n , a. a. O., S. 71. Ullmann, a. a. O., S. 22. Die Soziologie der Revolution, 1928. Sorokin, a. a. O., S. 57.

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die Handlungen der Revolutionäre Unrecht sind 24 . Ein „Recht zur Revolution" gibt es nicht. Schon ihrem Wesen nach kann keine Verfassung und keine Rechtsordnung ihre gewaltsame Beseitigung zulassen 25 . Deshalb erfüllt das Unternehmen einer Revolution den strafrechtlichen Tatbestand des Hochverrats. Dieser Tatbestand schützt die materielle Staatsverfassung i n der jeweiligen konkreten Gestalt 26 , mag sie ihrem Inhalt nach gut oder schlecht sein. Zwar hat Emge für die deutsche Revolution von 1918 die Meinung vertreten 27 , alle diejenigen Handlungen, welche die Revolution tragen (Gegensatz: die bei Gelegenheit der Revolution begangenen Handlungen), seien nicht rechtswidrig, weil die Revolution eine naturrechtlich legitime A r t der Entstehung neuen Rechts sei. Diese Meinung ist aber vereinzelt geblieben und i n der von Emge vertretenen A l l gemeinheit für den Normalfall einer Revolution nicht richtig 2 8 . Selbst wenn man unterstellt, daß die Revolution eine legitime A r t der Rechtsentstehung ist, so bestimmt sich doch die Rechtswidrigkeit der Revolution und der ihr zugrunde liegenden Handlungen genau wie bei Handlungen anderer Straftatbestände grundsätzlich nach dem Recht, welches zur Zeit der Tat gilt 2 9 . Die noch nicht vorhandene Rechtsordnung, die durch die Revolution eingeführt werden soll, kann nicht der Maßstab sein, an dem ihre Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit gemessen werden kann. Das Unternehmen einer Revolution ist also normalerweise strafbarer Hochverrat. Nach einer gelungenen Revolution werden allerdings die Hochverräter, die die neue Staats- und Rechtsordnung aus der Taufe gehoben haben, nicht bestraft; sie werden vielmehr für eine gute Tat gefeiert und geehrt werden 30 . Das ändert aber nichts an der Rechtswidrigkeit des revolutionären Handelns. Man kann deshalb auch den Hochverrat wohl nicht als „relatives Verbrechen" bezeichnen, als eine Handlung, die nur dann Verbrechen ist, wenn sie nicht zum erstrebten Erfolg geführt hat und die zur „nationalen Tat" wird, wenn sie das beabsich24 Herrfahrdt, Revolution u n d Rechtswissenschaft, 1930, S. 50; Laun, A l l gemeine Staatslehre i m Grundriß, 8. Aufl. 1961, S. 71. 25 Beling, a. a. O., S. 34; vgl. auch Menzel, i n : Geschichte 1959/8 f. 26 Leipziger K o m m e n t a r zum Strafgesetzbuch, 8. Aufl. 1957, A n m . 2 zu § 80 StGB, dort auch Nachweise f ü r früher geltende Vorschriften. 27 D J Z 1919/260. 28 Vgl. auch Herrfahrdt, a. a. O., S. 52 f.; über die Beurteilung einer denkbaren Ausnahme w i r d i m 8. K a p i t e l dieser A b h a n d l u n g noch Näheres auszuführen sein. 29 Insofern enthalten A r t . 103 I I GG u n d §2 StGB einen allgemeinen Rechtsgrundsatz. 30 Beling, a.a.O., S. 13; ähnlich Emge, a.a.O.; vgl. zu dem Problem auch Hartmann, Problem des geistigen Seins, 1933, S. 239.

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tigte Ziel erreicht 31 . Eine solche unterschiedliche Behandlung entspricht zwar der Erfahrung, sie ist aber kein Problem der Rechtswidrigkeit. Es handelt sich vielmehr einfach um ein Problem der Strafverfolgung 32 . Da diese allein dem Staat zusteht, kann er auch von ihr absehen, sei es auf Grund einer Amnestie, sei es einfach unter Bruch des Legalitätsprinzips. Nach 1933 wurden i m deutschen juristischen Schrifttum Versuche unternommen, Hitlers These von seiner legalen Machtergreifung mit dem ebenfalls erhobenen Anspruch, bei dieser Machtergreifung habe es sich um eine „nationale Revolution" gehandelt, juristisch i n Einklang zu bringen. Zu diesem Zweck bezeichnete man die Vorgänge als „legale Revolution"* 3. Dabei tauchte auch die Behauptung auf, eine Revolution könne ganz generell ihre Ziele auch auf verfassungsmäßigem Wege durchsetzen. Das sei dann keine Reform, sondern eine echte Revolution. Solche legalen Revolutionen seien zwar selten, aber immerhin möglich, wie die geschichtlichen Beispiele der englischen ,Glorious Revolution' von 1688/89 und die nationalsozialistische Revolution von 1933 bewiesen 34 . Diese angeführten historischen Beispiele sind aber beide als Beweismittel für die Richtigkeit dieser These denkbar ungeeignet. Wohl war Hitler auf verfassungsmäßige Weise Reichskanzler geworden, nämlich durch Ernennung durch den Reichspräsidenten nach A r t . 53 der Weimarer Reichsverfassung. Ob er sich aber danach noch an die Verfassung hielt, ist schon für die ersten Regierungshandlungen, wie z. B. das Einbringen des sogenannten Ermächtigungsgesetzes vom 24. März 1933, äußerst fraglich. Die damals für Verfassungsänderungen maßgebende Vorschrift des A r t . 76 der Weimarer Reichsverfassung bestimmte lediglich die für eine Verfassungsänderung notwendige Stimmenmehrheit, besagte aber nichts über den zulässigen Inhalt einer Verfassungsänderung. I n folgerichtiger Anlehnung an den in A r t . 1 der Weimarer Verfassung niedergelegten Grundsatz der Volkssouveränität, bedingt wohl auch durch die allgemeine Ablehnung naturrechtlicher, überpositiver Rechtssätze, stellte die damals herrschende Meinung die gesamte Verfassung zur Disposition der Legislative: Art. 76 sollte Verfassungsänderungen jeder A r t decken 35 . Diese Meinung war nicht unbestrit81

So Brunner, J Z 1952/697. Vgl. auch Dombois, a. a. O., S. 12. 33 Laun, a. a. O., S. 72; C. Schmitt, Staat, Bewegung, V o l k — Die Dreiglieder u n g der politischen Einheit, S. 7 ff., zit. bei Hofer, der Nationalsozialismus, S. 374 Nr. 19. 34 s. z.B. Albrecht, a.a.O., S.3; Diller, Die Legalität der nationalsozialistischen Revolution, Erlanger Diss. 1935, S. 15. 35 Anschütz, Verfassung des Deutschen Reiches, 13. Aufl. 1930, S. 350; Ehmke, Grenzen der Verfassungsänderung, 1953, S. 19 ff. 32

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ten 36 . Selbst wenn man aber von der damals herrschenden Meinung ausgeht, so war bei Erlaß des Ermächtigungsgesetzes die Form des Art. 76 nur nach außen hin gewahrt, i n Wirklichkeit kam die erforderliche Zweidrittelmehrheit nur durch unverhüllte Drohung m i t Gewalt zustande, wie heute allgemein bekannt ist 3 7 . Man w i r d deshalb wohl schon hierin einen rechtswidrigen Verfassungsbruch sehen müssen 38 . Jedenfalls häuften sich i n der nachfolgenden Zeit solche Akte. So w u r den nach der Regierungsumbildung i m Sommer 1933 Gesetze weiterhin ohne M i t w i r k u n g des Reichstages erlassen, obwohl die i m Gesetz vom 24. März 1933 enthaltene Ermächtigung nach dessen A r t i k e l 5 an den Bestand der Regierung geknüpft war 3 9 . Nachdem sich die Regierung Hitlers i m Gesetz über den Neuaufbau des Reiches vom 30. Januar 1934 selbst zum Inkraftsetzen neuen Verfassungsrechts ermächtigt hatte und durch weitere Regierungsgesetze des Jahres 1934 den Reichsrat aufgelöst und das A m t des Reichspräsidenten mit dem des Reichskanzlers i n einer Person vereinigt hatte, gingen i m Laufe der Jahre die Gesetzgebungsbefugnisse tatsächlich mehr und mehr auf Hitler allein über. Dieser übte sie i n Form von „FührerVerordnungen" und „Führererlassen" aus, und zwar so unbeschränkt und weitgehend, daß er sich nicht scheute, mit dem Erlaß vom 10. Mai 1943 die ursprünglich durch das Ermächtigungsgesetz der Regierung erteilten Gesetzgebungsbefugnisse auf unbestimmte Zeit zu verlängern 40 . Dieses ganze dem Ermächtigungsgesetz folgende Geschehen war mit der Weimarer Reichsverfassung unvereinbar. Von einem legalen, verfassungsmäßigen Verhalten der Regierung Hitlers kann deshalb nicht gesprochen werden. Es lag also auch keine legale Revolution vor; bestenfalls handelte es sich um eine Scheinlegalität, mit deren Hilfe Hitler die Verfassung außer Kraft setzte. Auch die englische „Glorious Revolution" ist kein Beweis für die Möglichkeit einer legalen Revolution. Der seit 1685 i n England regierende katholische König Jakob II. versuchte, i n seinem Königreich eine unumschränkte Königsgewalt und den Katholizismus wieder durchzusetzen, was den heftigen Widerstand des Parlaments hervorrief. Die parlamentarische Opposition hielt sich zunächst i m Rahmen des bestehenden Rechts. Man sah die Bestrebungen des Königs für eine 38 a . A . z.B. damals C. Schmitt, Legalität u n d Legitimität, 1932, S.48ff.; ders., Verfassungslehre, 1928, S. 99,102 ff.; s. Ehmke, a. a. O., S. 33 ff. 37 Vgl. Göhring, Bismarcks Erben, 1958, S. 224 ff.; Diller, a.a.O., S. 55 zitiert i n diesem Zusammenhang die Worte Hitlers: „ W i r appellieren i n dieser Stunde an den deutschen Reichstag, uns zu genehmigen, was w i r ohnedem hätten nehmen können." 38 Thoma, DRZ 1948/141. 39 Vgl. BVerfGE 2/237, 249. 40 Vgl. B G H Z 5/76, 96 ff.

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vorübergehende Angelegenheit an, weil seine 2 Töchter aus erster Ehe protestantisch erzogen und m i t protestantischen Prinzen verheiratet waren, und weil die zweite Ehe des schon betagten Königs bis dahin kinderlos geblieben war. Als dann wider Erwarten aus der zweiten Ehe doch noch ein Sohn hervorging, nahmen die protestantischen Stände Verbindung zu Wilhelm von Oranien auf, dem Gemahl von Jakobs ältester Tochter Anna. Das Ziel dieser Verbindung war von Anfang an, König Jakob II. zu vertreiben. Daraufhin landete Wilhelm von Oranien 1688 i n England. Nach schwachen Versuchen, i h n zurückzuschlagen, ging Jakob II. nach Frankreich, und die englischen Stände, das Parlament, übertrugen die Krone an Wilhelm und seine Gemahlin gemeinsam. Hier konnte allerhöchstens die Übertragung der Krone an Anna und Wilhelm von Oranien legal sein, wenn man mit dem englischen Parlament davon ausgeht, daß Jakob II. mit dem Verlassen seines Landes auch stillschweigend für sich und seinen Sohn abgedankt hatte. Das Anknüpfen der Beziehungen zu Wilhelm von Oranien zum Zwecke der Vertreibung des Königs ging weit über die den Ständen nach der Magna Charta, der Petition of Rights von 1628 und der B i l l of Rights von 1639 zustehenden Rechte zum Widerstand gegen unrechtmäßige Ausübung der Staatsgewalt hinaus. M i t h i n handelten die Stände widerrechtlich; ein Beispiel für die Möglichkeit einer legalen Revolution sind auch diese Vorgänge nicht. Die These von der legalen Revolution ist aber nicht nur i n Deutschland im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Staatsumwälzung des Jahres 1933 verfochten worden. I n etwas anderem Gewände tauchte sie auch i n den Arbeiten des 1950 verstorbenen langjährigen ersten Vorsitzenden der britischen Labour Party, Harold J. Laski , auf. Seine Revolutionsauffassung war offenbar durch die Anschauungen von K a r l Marx beeinflußt. Laski verstand unter einer Revolution eine tiefgreifende, wohl auch i n kurzer Zeit vor sich gehende soziale Umwälzung, die Ablösung einer sozialen Ordnung durch eine andere 41 . Diese soziale Umwälzung sollte auch m i t Hilfe der konstitutionellen Methode, also durch Mehrheitsbeschlüsse des Parlaments durchgeführt werden können, wenn die geschichtlichen Gegebenheiten einen solchen Weg erlaubten, wie dies nach Laskis Meinung in Großbritannien nach 1945 der Fall war. Eine solche — sicherlich rechtmäßige — Umwälzung nennt Laski eine Revolution „ i n Übereinstimmung" 4 2 . Bezeichnet man so die bloße plötzliche Ablösung einer sozialen Ordnung durch eine andere als eine Revolution, dann kann es allerdings eine legale, rechtmäßige Revolution geben. Nur ist das, was Laski „Revolution i n Über41 42

Laski, Die Gewerkschaften i n der neuen Gesellschaft, 1952, S. 140 f. Laski, Das geheime Bataillon, 1947, S. 26.

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einstimmung" nennt, i m juristischen Sinne eben keine Revolution, sondern eine Verfassungsreform, eine auf legale Weise vorgenommene Verfassungsänderung. Etwas anderes ist es, wenn der nationalsozialistischen Revolution und anderen, i h r ähnlichen Geschehensabläufen die Bezeichnung einer „pseudo-legalen Revolution" gegeben wird. Dadurch w i r d zum Ausdruck gebracht, daß sich eine solche Revolution zu Beginn eines legalen verfassungsmäßigen Aktes der Machtübertragung auf die Revolutionäre bedient, u m dann den weiteren Staatsumsturz m i t getarnter Gewaltanwendung, m i t der bloßen Bürgerkriegsdrohung zu betreiben und zum Erfolge zu führen. M a n w i r d sicherlich sagen können, daß diese Form der Revolution i n einer Zeit des Kampfes verschiedener Ideologien gegeneinander aller Voraussicht nach die Revolutionsform der Z u k u n f t sein w i r d 4 3 . Auch diese Revolutionsform stellt eine echte, rechtswidrige Revolution dar. Für sie gelten keine Besonderheiten gegenüber dem klassischen F a l l einer Revolution. Die Schwierigkeit liegt nur darin, die Pseudolegalität des Vorganges zu erkennen, u m i h n dann sicher als eine Revolution qualifizieren zu können.

d) Die Gleichwertigkeit aller Tatbestandsmerkmale

M a n findet i m Schrifttum die Meinung, daß ein Geschehen, welches die eben i m einzelnen aufgeführten Merkmale erfüllt, nur dann eine Revolution m i t den diesem Tatbestand eigenen besonderen Rechtsfolgen sei, wenn sich durch den gewaltsamen Umsturz eine neue, geläuterte Idee durchsetze. So spricht z. B. Koellreutter 44 von einer neuen Staatsidee, Arndt 45 von einer geläuterten Rechtsansicht, die zum Durchbruch kommen müsse. Sei das nicht der Fall, so liege auch keine Revolution vor. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, welche Rolle den Ideen, Motiven und Zielen der Revolution bei der Bildung der Massenbewegung zukommt, die die treibende K r a f t der Revolution darstellt und ohne die es keine Revolution gibt. Ob diese Ideen und Ziele „geläutert" sind oder nicht, w i r d sich schwer beurteilen lassen. Sicher ist, daß sie immer neu sind i n dem Sinne, daß sie von dem Bestehenden abweichen. Die Revolutionäre selbst sind immer der Überzeugung, für einen neuen, besseren Zustand zu kämpfen. Ob diese subjektive Meinung richtig oder falsch ist, w i r d sich oft schwer sagen lassen. Häufig w i r d erst die Geschichte darüber ein U r t e i l fällen können und es 43 44

«

Vgl. Menzel, i n : Geschichte 1959/6 f. Grundriß der allgem. Staatslehre, 1933, S. 69; ähnlich Diller, a. a. O. I n : DRZ 1948/240.

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kann sein, daß der erweiterten und besseren Einsicht späterer Generationen der durch die Revolution hervorgebrachte neue Zustand als ein erheblicher Rückschritt erscheint. N u r i n diesem Sinne gehört eine neue „Idee" zum Tatbestand einer Revolution. Daß sie unstreitig oder doch für jeden unbefangenen Beurteiler „geläutert", besser als das Bestehende erscheinen müßte, gehört jedoch nicht wesensnotwendig dazu. Nur dann liegt eine Revolution vor, wenn alle zuvor erläuterten Tatbestandsmerkmale gegeben sind. Von diesen Merkmalen ist nicht das eine oder andere dominierend i n dem Sinne, daß es auf das Vorhandensein der übrigen nicht mehr ankommen würde. Wenn man nicht alle Tatbestandsmerkmale als gleichwertig ansehen w i l l , dann kann man allerdings je nach Betonung des einen oder des anderen Merkmals alle diejenigen Erscheinungen ausscheiden, mit anderen Worten sie nicht als Revolution bezeichnen, die man aus diesen oder jenen Gründen — z. B. weil man ihnen nicht die Rechtsfolgen einer Revolution zubilligen möchte — nicht als eine Revolution ansehen will. Umgekehrt kann man dann auch Vorgänge unter den Begriff „Revolution" einordnen, die an sich keine Revolutionen sind 48 . Besonders einfach ist eine solche A r t von Auslese dann, wenn entschei•

7

dender Wert auf das Vorliegen einer neuen „Idee" gelegt w i r d und diese Idee außerdem einen bestimmten Inhalt haben muß. Man kann dann das entscheidende Merkmal auch allein i n dem Bruch mit dem früheren Rechtszustand und dem Eintritt von etwas gänzlich Neuem sehen47. Faßt man den Revolutionsbegriff so, dann braucht es logischerweise auf die A r t und Weise der Durchsetzung der neuen Idee nicht mehr anzukommen, und es könnte sowohl eine Verfassungsreform wie auch eine langdauernde historische Entwicklung als eine Revolution bezeichnet werden. Das mag aus historischer Sicht gesehen richtig sein, weil die Geschichtswissenschaft von einem anderen, weiter gefaßten Revolutionsbegriff ausgeht, als er i n der Rechtswissenschaft verwendet wird. Darauf ist schon zu Anfang dieses Kapitels hingewiesen worden. Der weite historische Revolutionsbegriff ist aber für die juristische Fragestellung unbrauchbar, weil er keine sichere, klare Abgrenzung ermöglicht. Deshalb kann er auch einer juristischen Betrachtungsweise der Revolution nicht zugrunde gelegt werden 48 . Z u einem ähnlichen Ergebnis führt auch die besondere Betonung des Inhaltes der i n der Revolution wirksamen Idee nach marxistisch48

s. dazu Wurzbacher, i n : Geschichte 1958/521 ff. So Rosenstock-Huessy, a. a. O., S. 24. 48 Vgl. dazu auch Menzel, i n : Geschichte 1959/1 ff. und Vittinghoff, i n : Geschichte 1958/457 ff., bes. S. 468 f. 47

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leninistischer Lehre. M i t Hilfe der Idee w i r d dort allen denjenigen gewaltsamen Verfassungsänderungen der Revolutionscharakter abgesprochen, durch die eine einmal zur Macht gelangte „Diktatur des Proletariats" wieder beseitigt wird. Solche Ereignisse sollen lediglich die naturgesetzliche Entwicklung störende und deshalb auf jeden Fall zu verhindernde Handlungen sein, die als „Konterrevolutionen" bezeichnet werden. Nähere Einzelheiten sind bereits i m 4. Kapitel erörtert worden. Darauf kann hier verwiesen werden. Der Durchsetzung der neuen Idee und dem Inhalt dieser Idee kommt aber eine solche überragende Bedeutung nicht zu, soweit es sich darum handelt, festzustellen, ob überhaupt eine Revolution vorliegt und welche juristischen Folgen sie nach sich zieht. Allerdings w i r d es auf diese Idee immer dann entscheidend ankommen können, wenn die Beurteilung des historischen Wertes (oder auch Unwertes) einer Revolution i n Betracht kommt. Es w i r d sich auch an Hand der „Idee", des erstrebten Zieles der Revolution, eine Einteilung der verschiedenen Revolutionen i n bestimmte Gruppen vornehmen lassen. So unterscheidet z. B. Dombois 49 zwischen einer substantiellen, ideologischen Revolution auf der einen und einer politischen Revolution auf der anderen Seite. Während erstere sich gegen den Souverän richten und damit die Ersetzung des höchsten Leitwertes des Staates durch einen anderen zum Ziele haben soll, soll das Ziel der politischen Revolution begrenzter sein: Sie soll nur eine Neuintegration des Willensverbandes erstreben, die bestehende Souveränität aber unangetastet lassen. Ob dies die einzigen Arten von Revolutionen sind, ob man nicht vielmehr weitere oder auch andere Arten unterscheiden kann und welchem Zweck eine solche Unterscheidung dienen könnte, braucht i m Rahmen der vorliegenden Abhandlung nicht näher untersucht zu werden, weil es sich darin nur um die Beantwortung der solcher historischen Beurteilung und Unterscheidung vorangehenden Frage handelt, ob ein Geschehen eine Revolution ist oder nicht. Dafür ist die „Idee" i m Sinne der vorstehenden Ausführungen nur eine Hilfstatsache, die lediglich für die Beurteilung eines bestimmten Tatbestandsmerkmals der Revolution (nämlich: ob eine Massenbewegung vorliegt oder nicht) von Bedeutung sein kann.

49

a. a. O., S. 43 f.

Sechstes Kapitel

Das Wesen der Revolution Die Durchsetzung der revolutionären Ziele auf gewaltsame, rechtswidrige A r t bringt gleichzeitig eine Erschütterung, unter Umständen sogar eine Vernichtung der bisherigen staatlichen Ordnung zum Zwecke der Einführung einer neuen m i t sich. Das gehört zum Wesen jeder Revolution 1 . Irgendeine staatliche Ordnung, irgendein Verhältnis von Befehl und Gehorsam gehört wesensmäßig zur heutigen menschlichen Gesellschaft. Ohne eine irgendwie geartete staatliche Ordnung ist das moderne gesellschaftliche Leben nicht denkbar. Deshalb kann es zwar theoretisch eine Revolution geben, die die Beseitigung jeglicher staatlicher Ordnung zum Ziele hat. Sie kann aber als bloße utopische Möglichkeit bei der vorliegenden Untersuchung außerhalb der Betrachtung bleiben. Man kann also sagen, daß die Revolution nicht das Wesen und die Existenz des Staates und des Rechts als solchen i n Frage stellt, sondern daß sie nur die Frage der konkreten Gestaltung der Staats- und Rechtsordnung aufwirft 2 . Der Staat ist ein eigentümliches gesellschaftliches Gebilde, welches ganz allgemein i n umfassender Weise der Ordnung des menschlichen Zusammenlebens dient. Von einer bestimmten Kulturstufe an w i r d man ihn zu den durch die K u l t u r verwirklichten geistigen Werten rechnen dürfen 8 . Diese gesellschaftliche Realität des Staates w i r d heute i n der Staatslehre überwiegend als der maßgebende Anknüpfungspunkt für die Betrachtung des Wesens des Staates angesehen. Bahnbrechend war dafür Georg Jellinek. Für i h n war der Staat genauso wie alle anderen sozialen Erscheinungen eine Summe von Beziehungen zwischen den einzelnen Menschen, und zwar ein besonders geartetes Verhältnis der Unterordnung, des Befehlens und Gehorchens 4. Dieses UnterordnungsVerhältnis jedes einzelnen Menschen soll seinem Wesen 1

B r i n k m a n n , a. a. O., S. 27. Gerland, D J Z 1933/1065; Coing, a. a. O., S. 239; s. aber v. Hippel, Krise des Staatsgedankens, 1950, S. 27 f. 8 Füßlein, Die unwandelbaren Fundamente des Staates, 1947, S. 27 ff.; s. auch Horneffer, Die Entstehung des Staates, 1933, S. 122 ff. 4 Jellinek, Allgem. Staatslehre, 2. Aufl. 1905, S. 167 ff. 2

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nach mit dem Unterordnungsverhältnis aller übrigen Menschen inhaltsgleich sein. Diese Identität ermöglichte es Jellinek, alle Verhältnisse zu einer Einheit zusammenzufassen. Diese verfolgt einen bestimmten Zweck — nämlich die Ordnung der Gesellschaft — durch eine bestimmte Organisation. Die so zusammengefaßte Einheit nennt Jellinek „Verbandseinheit". Da sie juristisch betrachtet den Charakter eines Rechtssubjekts hat, bezeichnet er sie als „Körperschaft". Eine solche Körperschaft ist dann ein Staat, wenn ihr eine ursprüngliche, nicht weiter abgeleitete Herrschermacht zukommt. Daraus ist dann die juristische Definition des Staates herzuleiten: Er ist eine m i t ursprünglicher Herrschermacht ausgerüstete Körperschaft eines seßhaften Volkes 5 . Aus dieser Definition ergibt sich auch, daß dem Staat dem Wesen nach 3 Merkmale zugehören, nämlich: Gebiet, Volk und Herrschaft. Diese drei Merkmale sind durchweg auch heute noch i n der Staatslehre die bestimmenden Merkmale für den Staat 8 . Allerdings hat es auch Bestrebungen gegeben und es gibt auch heute noch i n der Staatslehre Bestrebungen, die die Auffassungen Jellineks nach der einen oder anderen Richtung weiterzuentwickeln suchen. Ausgegangen w i r d dabei i n aller Regel von den erwähnten drei Merkmalen. A u f Einzelheiten der Fortentwicklung der Jellinekschen Staatsauffassung i n der Staatslehre der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts soll hier nicht eingegangen werden. Es seien nur einige kurze Hinweise erlaubt, die dem Versuch dienen sollen, einen kurzen Uberblick zu ermöglichen: Die Weiterentwicklung der erwähnten Staatsauffassung geschah i m großen und ganzen nach zwei Richtungen hin. Die eine Richtung war die reine Rechtslehre. Diese leugnete die soziologische Struktur des Staates zwar nicht, verbannte sie aber doch gänzlich aus der juristischen Betrachtungsweise. Eine solche Methode ist unbefriedigend. Wenn der Staat eine soziologische Grundlage hat, so ist es nicht recht einzusehen, weshalb diese auf sich beruhen und nicht i n die Betrachtung einbezogen werden soll. Dem angeblichen Vorteil der Methodenreinheit steht i n der reinen Rechtslehre der erhebliche Nachteil gegenüber, daß wesentliche Teile der Erscheinung des Staates unberücksichtigt bleiben und nur ein Teil der Wirklichkeit erfaßt wird. Die andere Richtung verlagerte das Hauptgewicht der Betrachtung ganz auf die soziologische und politische Erscheinungsform. Das ist folgerichtig, wenn man bedenkt, daß sich m i t dem Begriff des Staates 5 6

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Jellinek, a. a. O., S. 176. Laun, a. a. O., S. 35 f.; Thoma, Grundriß der allg. Staatslehre, 1948, S. 8.

Bertram

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i m wesentlichen Zusammenhänge aus dem politischen und soziologischen Bereich verbinden, die ihrerseits i n das rechtliche Gebiet ausstrahlen. Diese Ausstrahlungen (und nur diese) sind dann einer rein juristischen Betrachtung zugänglich. I n diese Gruppe gehörte z. B. Seidler. Er behielt dem Sinne nach die drei Merkmale Volk, Gebiet und Herrschaft bei. Der Staat war für i h n „diejenige Entwicklungsstufe der sozialen Lebensform der Menschen, auf welcher ein seßhaftes Volk sich als Hoheitssubjekt mit Personal», Gebiets- und Organhoheit offenbart" 7 . Die juristische Betrachtung dieser Entwicklungsstufe der sozialen Lebensform sollte erst bei gewissen staatlichen Grunderscheinungen einsetzen, die rechtlicher Natur sind, wie z.B. bei der Souveränität und den juristischen Formulierungen der Staatsstruktur, also der Verfassung. Ähnlich war auch die Ansicht Hellers. Organe, Staatsvolk und Staatsgebiet besaßen für ihn nur i n ihrer gegenseitigen Bezogenheit aufeinander eine Wirklichkeit. Er ließ den Staat nicht i n Regierende und Regierte zerfallen, sondern diese beiden Schichten wurden für ihn durch eine bestimmte Ordnung zu einer Verbundenheit zusammengefaßt, für die er den Begriff „Wirkungseinheit" prägte. Diese ließ er dadurch zustande kommen, daß Staatsbürger und Staatsorgane auf Grund einer Ordnung zu einem einheitlichen Effekt zusammenwirken. Nach seiner Ansicht soll der Staat letztlich nur aus menschlichen Leistungen bestehen und sich von Gebietsherrschaftsverbänden anderer A r t nur durch das Merkmal der Souveränität unterscheiden, das allein dem Staate zukommen soll. Die staatliche Organisation bringt nach Ansicht Hellers eine Steigerung der Leistung, die über die bloße Summierung der Leistungen der einzelnen, i n der Organisation zusammengefaßten Bürger hinausgeht. Darin soll das Eigenleben und die Eigenpersönlichkeit des Staates bestehen. Die staatliche Einheit ist danach nicht eine Willenseinheit, wohl aber eine Handlungs-, eine Wirkungseinheit; sie beruht, wie jede andere Einheit auch, auf einer psychologischen Willenseinigung 8 . Einen besonderen Weg, der seinen Ausgangspunkt fast allein i n der soziologischen Erscheinungsform des Staates hatte, ging Smend m i t seiner Integrationslehre. Er ging davon aus, daß bei allen soziologischen Tatbeständen die einzelnen Beteiligten durch das Bewußtsein ihrer Zusammengehörigkeit, ihrer sozialen Verschränkung zusammengefaßt werden. Beim Staat sollte diese Zusammenfassung durch das besondere gemeinsame Staatserlebnis erfolgen, das durch eine Reihe bestimmter Faktoren, auf die hier einzugehen nicht notwendig ist, näher bestimmt 7 8

Seidler, Grundzüge des allgem. Staatsrechts, 1929, S. 62. Heller, Staatslehre, 1934, S. 230 ff.

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wird®. Das Staatserlebnis sollte existent werden i m Prozeß der notwendigerweise dauernden Bildung eines auf bestimmte gemeinsame Werte bezogenen politischen Willens, i n einer beständigen Erneuerung des Staates als „Integration". Einzelne Teile dieses Integrationsprozesses sind rechtlich normiert, und zwar i n der Verfassung 10 . Es mag richtig sein, wenn man der Integrationslehre vorwirft, sie führe zu einer unzulässigen Vereinfachung komplizierter politischer Lebensvorgänge; der Staat könne nicht als ein irgendwie i n sich selbst ruhendes Sinnsystem der Integration verstanden werden, das dauernd seinen Sinn erfülle und vom Verfassungsrecht nur an einzelnen Punkten normiert werden 11 . Immerhin ist aber sicher, daß i n irgendeiner Form ein gemeinsames Bewußtsein, ein Bewußtsein der Zusammengehörigkeit der Staatsbürger vorhanden ist 1 2 . Eine solche Vereinfachung der komplizierten politischen Vorgänge, die man Smend vielleicht vorwerfen kann, vermeidet i n neuerer Zeit Nawiasky. Er kommt auf etwas anderem Wege zur Zusammenfassung der Einzelmenschen zum soziologischem Gebilde „Staat". Er geht von der Tatsache aus, daß die einzelnen Menschen bestimmte Vorstellungen über die räumliche und organisatorische Zusammengehörigkeit und über den umfassenden Zweck des Staates haben. Dazu gehört auch die Vorstellung von der höchsten Gewalt, die dem Staat zukommt. Alle diese Vorstellungen sollen sich auf einer mittleren Linie zu einer allen gemeinsamen Vorstellung zusammenfassen lassen, die Nawiasky „Staatsidee" nennt. Diese ist i n den Gliedern des Staates lebendig und auf ihr beruht die soziale Einheit des Staates 18 . Soziologisch gesehen besteht der Staat dann aus den Sachverhalten, welche die „Idee" des Staates ausmachen. Faßt man diese Sachverhalte i n einem Satz zusammen, so ergibt sich daraus folgende Definition des soziologischen Staatsbegriffes: Der Staat ist ein über individualpersönliche Beziehungen hinausreichender, nach außen abgegrenzter Kreis von Menschen, die durch die Vorstellung von der Zugehörigkeit zu einer souveränen Gemeinschaft mit umfassenden weltlichen Zwecken verbunden sind. Wie jede andere Personenvielheit, die einen gemeinsamen Willen bildet und diesen durch Organe betätigt, ist auch der Staat eine juristische Person m i t Rechten und Pflichten desjenigen, der der juristischen Person angehört. Eine der verschiedenen Teilfunktionen des soeben beschriebenen Staates liegt auf rechtlichem Gebiet: Er ist Träger der Rechtsordnung i n dem Sinne, daß das positive Recht wenn nicht ganz, so doch • Smend, Verfassung u n d Verfassungsrecht, 1928, S. 13 ff. Smend, a. a. O., 17 ff., 78, 80. 11 s. dazu Ehmke, Grenzen der Verfassungsänderung, 1953, S. 60 f. 12 Laun, a. a. O., S. 39 ff., nennt es „Staatsbewußtsein". 18 Nawiasky, Allgem. Staatslehre, T e i l I, 1945, S. 39.

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i n weitem Maße von i h m erlassen und durchgesetzt wird. M i t dieser seiner Teilfunktion und auch m i t seinem staatlichen Verwaltungsapparat steht der Staat i m rechtlichen Bereich 14 und würde somit juristisch als der Inbegriff der Organisation eines weltlichen Verbandes, der Träger einer Rechtsordnung ist, zu bezeichnen sein 15 . Staatsgebiet und Staatsvolk führt Nawiasky nicht mehr als eigene Begriffsmerkmale des Staates an, sondern er bezeichnet sie als i n anderer Form i m Begriff der Staatsgewalt enthalten, nämlich als räumliche Kompetenz (Gebiet) und als Rechtsbeziehung zu den Untertanen i m Gegensatz zum bloßen Machtverhältnis (Staatsvolk) 16 . A u f das Für und Wider der angedeuteten verschiedenen Auffassungen kommt es für die vorliegende Untersuchung nicht an. Wie man den Staat auch definiert und welche Merkmale ihm auch i m einzelnen seinem Wesen nach zugehören mögen, er w i r k t jedenfalls nach außen h i n durch seine Herrschaftsmacht, durch die Staatsgewalt. Dieser Staatsgewalt liegt ein gewisser K e r n zugrunde, der auf der politischen Solidarität der staatstragenden Gruppe beruht. Dieser K e r n muß sich mindestens gegen Widerstrebende durchsetzen, und zwar entweder durch Zwang oder durch Überzeugung und Überredung. Daneben wirken i m Staate auch noch weitere außen- wie innenpolitische Kräfte mit. Man w i r d die Staatsgewalt also nicht einfach als die Summe der i n den Staat einbezogenen Kräfte bezeichnen können, sondern als das, was als einheitliche Kraft, was als „Wirkungseinheit" 1 7 von den verschiedenen, durchaus nicht gleichlaufenden Bestrebungen und Kräften innerhalb des Staates übrigbleibt. I m modernen Staat ist die Staatsgewalt rechtlich organisierte politische Macht. Während Sitte und Moral i n ihrer Durchsetzung i m gesellschaftlichen Leben vom Staate und der Staatsgewalt ihrer Natur nach unabhängig sind, ist die Rechtsdurchsetzung und auch die Setzung positiven Rechts der Staatsgewalt übertragen, deren Organisation wiederum auf Rechtsvorschriften, nämlich der Verfassung, beruht 1 8 . I n der Revolution erfährt das Verhältnis der politischen Solidarität zwischen der staatstragenden Gruppe und den Widerstrebenden eine grundlegende Veränderung. Der wesentliche Teil des revolutionären Geschehens besteht i n dem Kampf der Widerstrebenden um die Macht i m Staate. Es handelt sich dabei u m die Umgestaltung der Staatsgewalt entsprechend den Vorstellungen und Zielen der revolutionären, bis14 15 16 17 18

a. a. O., S. 56. a. a. O., S. 58. a. a. O., S. 150 ff. So Heller, a. a. O., S. 240 ff. Vgl. Heller, a. a. O., S. 242 ff.

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lang als Widerstrebende zu kennzeichnenden Gruppe. Diese versucht, die bisherige staatstragende Gruppe zu entmachten und sich selbst als neue staatstragende Gruppe an deren Stelle zu setzen. Die Revolution ist also juristisch betrachtet ein Kampf um die Staatsgewalt, oder anders ausgedrückt: um diejenige Teilfunktion des Staates, die rechtlich organisiert ist oder — wie man es ausdrücken könnte — die auf rechtlich erfaßbarem Gebiet liegt. Der revolutionäre Kampf um die Staatsgewalt selbst ist rechtlich nicht organisierbar. Er läuft nicht nach Rechtsregeln ab; es handelt sich um einen reinen Machtkampf. Während dieses Kampfes heben sich die verschiedenen i m Staate wirksamen Kräfte, von denen oben die Rede war, ganz oder doch nahezu ganz auf. Dadurch w i r d die tatsächliche Macht der Staatsgewalt gleich N u l l ; die Organisationsform des Staates, der staatliche Machtapparat, w i r d ganz oder mindestens teilweise zerstört. Damit w i r d auch die Beschränkung beseitigt, die die bloße Macht bisher durch die Rechtsordnung erfahren hatte und die staatliche Ordnung zerfällt i n sich selbst 19 . Die Folge ist, daß der Staat so lange nicht mehr iin der Lage ist, das Recht durchzusetzen und seine Rechtssetzungsfunktionen zu erfüllen, bis sich die neue Staatsgewalt gebildet hat. Das gilt für jede Revolution, auch für solche, die von vornherein mit eng begrenzten Zielen — wie z. B. der Abtrennung eines Teiles des Staatsgebietes — unternommen werden. Sofern eine Revolution nicht das gänzlich utopische Ziel der Beseitigung jeder A r t von staatlicher Ordnung verfolgt, liegt die Tendenz der Bildung einer neuen Staatsgewalt i n ihrem Wesen begründet 20 . Es braucht sich dabei nicht immer um eine völlig neue Staatsgewalt zu handeln; als „neu" ist i n diesem Zusammenhang auch schon eine durch eine Kräfteumschichtung erneuerte Staatsgewalt anzusehen. Wenn die Revolution keine neue Staatsgewalt hervorbringen könnte, würde sie als andauernder rechtloser reiner Machtzustand den Untergang des gesellschaftlichen Lebens bringen, das ohne den Staat und seine Funktionen heute auf die Dauer gesehen nicht mehr möglich ist 2 1 . Der ganze revolutionäre Kampf läßt sich einleuchtend erklären, wenn man die oben kurz angedeuteten Anschauungen Nawiaskys zugrunde legt: Die Zerstörung der Staatsgewalt ist dann eine Folge des der ursprünglichen gemeinsamen Vorstellung vom Staat. Die same geistige Schicht der Staatsbürger ist zerbrochen; sie kann nahmefällen — wie z. B. nach der bolschewistischen Revolution 19 20 21

Waldecker, J W 1919/133. Vgl. Gerland, D J Z 1933/1065. Vgl. Sorokin, a. a. O., S. 59.

Zerfalls gemeini n Ausi n Ruß-

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land — ganz ausgerottet sein". I n der Revolution unternimmt es die revolutionäre Masse, eine andere, ihren Zielen entsprechende neue Staatsidee gegenüber der früheren durchzusetzen. Diese neue Staatsidee enthält Vorstellungen von der erstrebten Funktionsverteilung und der Organisationsform der Gemeinschaft, die von den entsprechenden, der früheren Staatsidee zugrunde liegenden Vorstellungen abweichen. Diese gewaltsame Zerstörung des Inhaltes der früheren gemeinsamen Vorstellung vom Staat zerstört auch gleichzeitig die soziologische Einheit des Staates. Während des revolutionären Kampfes fehlt eine hinreichend übereinstimmende Staatsvorstellung (gemeinsame Staatsidee i m Sinne Nawiaskys). Solange ist also auch die staatliche Einheit noch nicht wiederhergestellt und die Staatsgewalt kann ihre Funktionen nicht ausüben. U m die soziologische Einheit wiederherzustellen, müssen die Revolutionäre nicht nur ihre Gegner niederzwingen, sondern auch von dem unentschlossenen, parteilosen Teil des Volkes eine für sie günstige Entscheidung erlangen. Anders ausgedrückt müssen sie erreichen, daß die Volksgesamtheit die revolutionären Vorstellungen vom zukünftigen Staat bejaht. Man w i r d dabei wohl nicht ein Bejahen i m Sinne einer Anerkennung aus innerster Überzeugung, einer Billigung, fordern können; es w i r d genügen, daß der neuen Vorstellung kein Widerstand mehr entgegengebracht, daß sie hingenommen wird 2 8 . Haben die Revolutionäre dies erreicht, so ist die Gemeinsamkeit der Staatsidee i n hinreichendem Maße wieder vorhanden und die soziale Einheit des Staates wiederhergestellt. Diese soziale Realität entspricht dann der neuen, durch die Revolution zur Anerkennung gelangten Vorstellung von der Funktionsverteilung und der Organisation des Staates. Juristisch gesehen hat dann der Staat durch die Revolution eine neue, geänderte Verfassung bekommen. Funktioniert diese, dann ist endlich der Ausgangspunkt, der Zustand der Ruhe wieder erreicht. I n diesem Zustand w i r d die während des revolutionären Kampfes unbeschränkte Macht wieder durch die Rechtsordnung beschränkt.

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Brinkmann, a. a. O., S. 53; Dombois, a. a. O., S. 24. s. dazu auch Laun, a. a. O., S. 73.

Siebtes Kapitel

Die staatsrechtlichen Folgen einer gelungenen Revolution a) Das I n k r a f t t r e t e n einer neuen Verfassung

Normalerweise können Rechtsnormen nur durch einen besonderen förmlichen Rechtssetzungsakt technisch i n Kraft gesetzt werden. Bei Gesetzen ist dieser Rechtssetzungsakt z. B. die Verkündung nach verfassungsmäßigem Zustandekommen. Da bei der aus der Revolution hervorgegangenen Verfassung ein solcher A k t fehlt, ist die Rechtsentstehung auf Grund der Revolution schlecht in das übliche juristische Schema der verschiedenen Arten der Rechtsentstehung einzuordnen. Man muß jedoch davon ausgehen, daß der Rechtssetzungsakt keine unbedingt notwendige Voraussetzung für die Geltung einer Norm als Rechtsnorm ist. Das ergibt sich aus dem Bestehen des Gewohnheitsrechts. Dieses kennt keinen Rechtssetzungakt, keine technische Inkraftsetzung; es entsteht allein durch längere Übung mit dem Bewußtsein der B i l l i gung als Rechtsnorm 1 und hat denselben Rang wie technisch i n Kraft gesetztes positives Recht. Es ist anerkannt, daß bestehende Rechtsvorschriften durch Gewohnheitsrecht außer K r a f t treten und durch Gewohnheitsrecht neue Rechtsnormen zur Geltung kommen können. Gleichwohl entsteht die neue Verfassung in der Revolution nicht auf gewohnheitsrechtlichem Wege. Dafür fehlt es an der für die Gewohnheitsrechtsbildung notwendigen längeren Übung. Wohl aber kann man ihre Entstehung auf eine der Gewohnheitsrechtsbildung ähnliche Weise erklären. Die rein technische Geltung der Rechtsnorm allein reicht noch nicht aus, um sie als i n Kraft befindlich, als „geltend" ansehen zu können. Neben die technische Geltung t r i t t noch die sogenannte soziologische Geltung der Rechtsnorm 1 . I n diesem Sinne „ g i l t " eine Rechtsnorm erst dann, wenn die große Masse der Rechtsunterworfenen auf Grund der i n ihnen lebenden Anschauungen den Inhalt der Norm als für sich ver1

Dahm, Deutsches Recht, 1951, S. 50. BVerfGE 3/58 (119); Radbruch, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1922, S. 180; ähnlich auch Stammler, A r t . „Recht" i m Handwörterbuch der Rechtswissenschaft; Coing, a. a. O., S. 237 ff.; Nawiasky, Allgem. Rechtslehre, 1948, S. 85. 2

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bindlich betrachtet und die Norm befolgt. Dieser soziologische Gehorsam gegenüber den Rechtsnormen braucht nicht unbedingt auf der einheitlichen inneren Überzeugung aller Rechtsunterworfenen von der inhaltlichen Richtigkeit der Norm zu beruhen. Es genügt ein Hinnehmen, z.B. auf Grund der physischen Macht der öffentlichen Meinung oder auf Grund der moralischen Macht, die von der Überzeugung der Mehrheit der Rechtsunterworfenen ausgeht 3 . Auch eine Verfassung bedarf der soziologischen Geltung. Die Verfassung enthält i m wesentlichen die Normen über die staatliche Organisation, die Funktionsverteilung usw. Sie w i r d dann als verbindlich betrachtet und gilt folglich soziologisch dann, wenn die i n ihr enthaltene Funktionsverteilung und Organisationsform der gemeinsamen Vorstellung vom Staat und seiner Organisation, der „Staatsidee" i m Sinne der i m vorhergehenden Kapitel erörterten Anschauungen Nawiaskys, hinreichend entspricht. Wenn sich infolge der Revolution die staatliche Organisation geändert hat, die i n der alten Verfassung niedergelegten Organisationsformen den tatsächlichen Zuständen und der tatsächlichen Machtverteilung i m Staat überhaupt nicht mehr entsprechen, sie mit anderen Worten für das tatsächliche staatliche Leben unerträglich geworden sind, vielleicht sogar die alte „Staatsidee" bereits durch eine neue abgelöst und die gesellschaftliche Einheit des Staates schon wiederhergestellt ist, dann w i r d dadurch der alten Verfassung die soziologische Geltung entzogen. Sie erfüllt dann keine Ordnungsfunktion mehr, es steht keine Macht mehr hinter ihr, u m sie durchzusetzen, und in der Überzeugung der Rechtsgenossen lebt sie nicht mehr als verbindliche Ordnung. Dadurch ist sie außer K r a f t getreten 4 . Dieses Schicksal trifft die Verfassung als Ganzes. Sie stellt einen einheitlichen Ausdruck des früheren politischen Lebens, der früheren Organisation dar und ist m i t dieser durch die Revolution beseitigten politischen Lebensform untrennbar verknüpft 5 . Andere Rechtsnormen, die der jeweiligen politischen Lebensform des Staates unabhängig gegenüberstehen, werden durch die Revolution i n ihrer Geltung nicht berührt. Hierbei w i r d es sich vorwiegend u m das Privatrecht und auch weite Teile des Verfahrensrechts handeln. Eine genaue, allgemeingültige Aufstellung der von der Revolution unberührten Teile der Rechtsordnung läßt sich jedoch nicht geben; es kommt hier alles auf den einzelnen Fall an. Man w i r d jedoch sagen können, daß alle diejenigen Teile der Rechtsordnung außer K r a f t treten, die m i t der neuen Staats- und Gesellschaftsordnung nicht mehr verein5

Coing, a. a. O., S. 237; Dahm, a. a. O., S. 45; Walz, Gerechtigkeit u n d Recht, (in: Gerechtigkeit i n biblischer Sicht, 1955) S. 22. 4

Maunz, Deutsches Staatsrecht, 1957, S. 39.

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Vgl. Dahm, a. a. O., S. 208 u. 215.

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bar sind und deren ordnende K r a f t durch die Revolutionsereignisse als endgültig erschöpft anzusehen ist 6 . Solange die soziale Einheit des Staates i m Sinne der Ausführungen des vorigen Kapitels noch nicht wiederhergestellt ist, kann unter Umständen eine gewisse Zeit juristisch gesehen ein verfassungsloser Zustand bestehen. Die neue, durch die Revolution eingeführte Organisationsform kann erst dann der neuen „Staatsidee" i m Sinne Nawiaskys entsprechen, wenn diese sich i n der Vorstellung der Staatsbürger hinreichend übereinstimmend durchgesetzt und das gesamte Staatsleben sich i n gewisser Weise wieder konsolidiert hat. Dann kann die durch die Revolution eingeführte Staatsordnung, die neue staatliche Organisationsform, dieser neuen Staatsidee entsprechen. Wenn das der F a l l ist, g i l t die neue Organisationsform als Verfassung i m soziologischen Sinne. Natürlich braucht diese soziologisch geltende Verfassung nicht schon unbedingt i n einer Urkunde niedergelegt, m i t anderen Worten: nicht schon unbedingt eine geschriebene Verfassung zu sein, wie überhaupt die Schriftform für das Bestehen einer Verfassung nicht wesentlich ist. I n diesem besonderen Falle haben die soziologisch geltenden Organisationsnormen die Qualität von Rechtsnormen. Normalerweise hat das Erfordernis soziologischer Geltung für die Rechtsnormen die Bedeutung, daß ohne sie geltendes Recht nicht vorhanden ist. Die Anerkennung oder Billigung, die zur soziologischen Geltung des Rechts führt, vermag den technischen Rechtssetzungsakt nicht zu ersetzen. Der F a l l der Verfassungsentstehung aus der Revolution bildet insoweit eine Ausnahme. Die nachrevolutionäre Verfassung ist schon m i t ihrer soziologischen Geltung i n K r a f t . Anders ausgedrückt: Es ist für diesen Ausnahmefall nicht erforderlich, daß eine längere Übung m i t dem Bewußtsein der B i l l i g u n g als Rechtsnorm vorliegt, wie es sonst bei Gewohnheitsrechtssätzen der F a l l sein muß, wenn sie i n K r a f t treten sollen. F ü r diesen Sonderfall genügt also das bloße Bewußtsein der B i l l i g u n g und die tatsächliche Wirksamkeit i m Sinne einer Übereinstimmung m i t der neuen „Staatsidee". Eine weitere Voraussetzung muß allerdings hinzukommen. Jede Norm, auch eine durch die Revolution i n K r a f t gesetzte Verfassungsnorm, hat n u r dann Rechtsqualität, wenn sie inhaltlich m i t den überpositiven Normen übereinstimmt, die dem positiven Recht übergeordnet sind. A u f die Bezeichnung u n d nähere Begründung dieser überpositiven Normen als „Naturrecht", als „Rechtsidee" (so Kant), als „richtiges

• s. dazu Herrfahrdt, a. a. O., S. 85; Horneffer, Die Entstehung des Staates, 1933, S. 150; Scheuner, i n : Nawiasky-Festschrift S . 9 f . ; Coing, a.a.O., S.240.

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Recht" 7 kommt es i m Rahmen dieser Untersuchung ebensowenig an, wie auf Einzelheiten des Inhalts dieser Normen. Es genügt die Feststellung, daß Rechtsnormen einer inhaltlichen Übereinstimmung mit überpositiven Regeln, einer Gründung auf absolute Werte und sittliche Ideen bedürfen. Das ist heute allgemein anerkannt 8 . Rechtsnormen dürfen nicht dem Prinzip der Gerechtigkeit entgegenstehen, sondern müssen es verwirklichen oder wenigstens zu verwirklichen trachten. Neben der Verwirklichung der Gerechtigkeit kommt dem Recht aber auch noch eine Ordnungsfunktion zu. Es gibt in der modernen Massengesellschaft bestimmte Lebensgebiete, deren Regelung mit der Gerechtigkeit nur insofern zu t u n hat, als aus Gründen der Ordnung und Sicherheit einfach eine für alle gleichermaßen geltende Regelung da sein muß, der Inhalt dieser Regelung aber für das Prinzip der Gerechtigkeit gleichgültig ist 9 . Ein besonders deutliches Beispiel hierfür bilden die Regeln des Straßenverkehrs: Er muß geregelt ablaufen; es hat aber mit der Gerechtigkeit nichts zu tun, ob rechts oder links gefahren w i r d oder ob der von rechts oder der von links Kommende vorfahrtberechtigt ist. Für die Rechtsnormen, die sich mit der Einrichtung und Ausgestaltung einer Organisation befassen, gilt dasselbe. Auch die Ausgestaltung der staatlichen Organisation in der Verfassung dient überwiegend nur durch ihr Vorhandensein, nicht durch ihren Inhalt der Gerechtigkeit. Es ist zum Beispiel für die Gerechtigkeit gleichgültig, ob die Regierung nach dem Kollegialsystem oder dem Premierministersystem arbeitet, ob das Staatsoberhaupt — wie z. B. nach Art. 54 des Bonner Grundgesetzes — i n mittelbarer oder — so nach Art. 41 der Weimarer Reichsverfassung — i n unmittelbarer Wahl gewählt w i r d usw. Man könnte diese A r t der Rechtsnormen, die also inhaltlich mit der Gerechtigkeit nichts zu tun haben, auch „Ordnungsnormen" nennen 10 , muß sich dabei aber immer bewußt bleiben, daß sie Rechtsnormen sind und genauso befolgt werden müssen wie diejenigen Normen, die inhaltlich das Prinzip der Gerechtigkeit verwirklichen, wie das z. B. i n der Verfassung bei den Grundrechten der Fall ist. Für die allgemeine tägliche Praxis ist die erwähnte Unterscheidung also belanglos. Aus dem Erfordernis der Übereinstimmung m i t den überpositiven Normen folgt, daß die Bestimmungen der durch die Revolution eingeführten und auf die eben beschriebene Weise i n Kraft getretenen Verfassung nicht m i t dem Prinzip der Gerechtigkeit i n unerträglichem 7 Stammler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1928, S. 167; Dahm, a. a. O., S. 27 ff. 8 Vgl. z. B. Radbruch, SJZ 1949/106; Mezger, Recht u n d Gnade, i n : Gerechte Ordnung, 1948, S. 46. 9 Dahm, a. a. O., S. 47; s. auch Walz, a. a. O., S. 15 u n d 33. 10 So Herrfahrdt, a. a. O., S. 46 ff.; vgl. auch Dahm, a. a. O., S. 47.

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Widerspruch stehen dürfen. Die Gerechtigkeit ist ein absoluter Wert, der inhaltlich von dem Willen staatlicher Machthaber unabhängig ist und der deshalb durch revolutionäre Macht und Gewalt inhaltlich nicht verändert werden kann. Diejenigen Teile der Verfassung, die das Prinzip der Gerechtigkeit verwirklichen, können i n ihrer Substanz durch die Revolution nicht angetastet werden, wenn für eine rechtliche Regelung dieser Materie nach der Revolution noch ein Bedürfnis besteht. I n einem solchen Fall kann dem überposativen Gedanken, der der Regelung in der Verfassung zugrunde Hegt, gleichsam nur eine andere Fassung gegeben und diese neue Fassung an die Stelle der alten gesetzt werden. Beachten die Revolutionäre dies nicht, so entfernt sich ihre Schöpfung vom Boden des Rechts; ihrer neuen staatlichen Ordnung kommt keine Rechtsqualität zu, sondern es handelt sich dann um eine durch bloße Macht in Kraft gesetzte und aufrechterhaltene W i l l k ü r herrschaft. U m es noch einmal zusammenzufassen: Die durch die Revolution in Kraft getretene Verfassung, die der neu geschaffenen staatlichen Ordnung entspricht, kann ohne technische Inkraftsetzung schon allein dadurch als Rechtsnorm i n K r a f t treten, daß sie soziologisch „gilt". Hierbei handelt es sich um einen nur für die Revolution und auch nur für die neue staatliche Ordnung, für die nachrevolutionäre Verfassung, gültigen Sonderfall. Wenn auch — wie oben erwähnt — durch die Revolution der alten Verfassung als Ganzes die Geltung entzogen w i r d und sie dadurch als Verfassung außer Kraft tritt, so können i n ihr doch Regelungen für bestimmte Gebiete des Lebens enthalten sein, die inhaltlich den Prinzipien der nachrevolutionären Ordnung entsprechen und die auch in der nachrevolutionären Gesellschaft noch einer rechtlichen Regelung bedürfen. Die Frage ist, ob solche Teile der Verfassung i n K r a f t bleiben oder nicht. Dazu w i r d man sagen können, daß die Verfassung, der die soziologische Geltung entzogen worden und die deshalb außer Kraft getreten ist, nicht ohne weiteres i n einzelnen Bestimmungen als Verfassung wieder aufleben kann. Solche Bestimmungen können nur dann Verfassungsqualität wiedererlangen, wenn sie ausdrücklich i n eine neue Verfassung übernommen werden. Sie können aber als einfaches Recht weitergelten, und zwar als Gewohnheitsrecht. So galt z.B. nach jetzt wohl herrschender Auffassung Art. 153 der Weimarer Reichsverfassung nach 1933 nicht als Verfassungs-, wohl aber als einfacher Rechtssatz weiter 1 1 . 11 BVerfGE 2/237 (248ff.); Scheuner, i n : Nawiasky-Festschrift, S. 18; a . A . w a r der Bundesgerichtshof gewesen (BGHZ 6/270), der davon ausging, diese Vorschrift sei nie außer K r a f t getreten, sondern n u r durch die Gesetzgebung des Nationalsozialismus widerrechtlich vielfach durchbrochen u n d eingeengt worden; ebenso B G H Z 6/208 f ü r A r t . 128 der Weim. Verf.

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Fraglich ist, was mit den Anordnungen geschieht, die die revolutionären Machthaber i n der verfassungslosen Übergangszeit erlassen. Handelt es sich dabei schon um Rechtsnormen? Diese Frage hat nach der deutschen Revolution von 1918 eine praktische Rolle gespielt. Die Antwort war damals umstritten 1 2 . Man w i r d die gestellte Frage aber verneinen müssen, denn i n dieser Zeit fehlt es einfach an der Möglichkeit, Rechtsnormen i n Kraft setzen zu können. Von einer Anerkennung oder Billigung, die die Grundlage für eine soziologische Geltung bilden könnte, kann zu dieser Zeit des revolutionären Kampfes noch keine Rede sein. Abgesehen davon könnte auch die soziologische Geltung allein den Anordnungen noch keine Rechtsqualität verschaffen. Die oben für das Inkrafttreten der Verfassung angeführten Grundsätze gelten für diese Anordnungen — wie schon angedeutet — nicht. Das schließt nicht aus, daß die Anordnungen der Revolutionsmachthaber dringend notwendig und auch inhaltlich durchaus dem Recht entsprechend sein können. Daraus folgt aber noch nicht, daß es sich bei ihnen auch um Rechtsnormen handelt. Es ist vielmehr nötig, daß sie entweder nachträglich noch als Rechtsnormen technisch i n Kraft gesetzt werden — das ist in Deutschland durch das Übergangsgesetz vom 4. März 1919 geschehen — oder daß sie i m Wege der Gewohnheitsrechtsbildung Rechtsqualität bekommen. Dazu müssen dann aber die oben erwähnten Voraussetzungen der Gewohnheitsrechtsbildung sämtlich gegeben sein. b) Der Übergang von Rechten und Pflichten auf den nachrevolutionären Staat Da die Revolution die bisherige Staatsgewalt auf von der Rechtsordnung nicht vorgesehenen Wegen beseitigt und durch eine neue ersetzt, ergibt sich die Frage, ob die neue Gewalt an die dem bisherigen Staat obliegenden Pflichten gebunden ist und ob sie dessen Rechte ausüben kann. Für die Beziehungen der Staaten untereinander besteht i m Interesse der Rechtssicherheit das Bedürfnis, die staatlichen Rechtspflichten über innerstaatliche Veränderungen hinweg unverändert aufrechtzuerhalten. Diesem Bedürfnis w i r d die i m Völkerrecht herrschende Auffassung von der Identität des nachrevolutionären mit dem vorrevolutionären Staat gerecht. Dieser Identität entspricht i m Völkerrecht die Kontinuität der Rechtsverhältnisse. Sie w i r d begründet mit der tatsächlichen Kontinuität des materiellen Elementes des Staates, nämlich der auf bestimmtem Gebiet seßhaften Bevölkerung 13 . "

Vgl. dazu Herrfahrdt, a. a. O., S. 76 ff. Anzilotti, Völkerrecht, 1929, S. 133; Nawiasky, Allgemeine Staatslehre, T e i l 3,1956, S. 138; Herrfahrdt, a. a. O., S. 99. 18

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Diese völkerrechtliche Identität muß aber nicht zwingend eine innerstaatliche, staatsrechtliche Identität zur Folge haben, weil bei der Beurteilung dieser Frage für beide Rechtsordnungen verschiedene Gesichtspunkte maßgebend sind. Zwar ist i m deutschen Staatsrecht nach 1918 die Auffassung von der staatsrechtlichen Identität der nachrevolutionären Republik mit dem vorrevolutionären Kaiserreich herrschend gewesen, überwiegend mit der Begründung, der Staat sei als eine Gebietskörperschaft i n der Revolution erhalten geblieben 14 . Den tatsächlichen Vorgängen i n der Revolution w i r d diese Auffassung aber wenig gerecht. Die Revolution greift wesentlich tiefer und nachhaltiger i n das gesamte staatliche Leben, i n die staatliche Organisation und Struktur ein als alle anderen Tatbestände des Staatsrechts. Daß Staatsvolk und Staatsgebiet i n der Regel unverändert bleiben, hat i n diesem Zusammenhang kaum Bedeutung. Deshalb w i r d die auch schon nach der Revolution von 1918 vertretene Auffassung, vorrevolutionärer und nachrevolutionärer Staat seien nicht identisch, dem Wesen der Revolution eher gerecht 15 . Für die Frage, welche Rechte und Pflichten des früheren Staates auf den nachrevolutionären übergehen, ist damit allerdings noch nicht viel gewonnen. Aus den schablonenhaften Begriffen „Identität" und „Rechtsnachfolge" allein lassen sich noch keine Rechtswirkungen herleiten 16 . Von Bedeutung ist vielmehr, daß große Teile der früheren Rechtsordnung i n ihrem Bestände nicht berührt werden; nur hieraus lassen sich Schlüsse ziehen, i n welchem Umfange Rechte und Pflichten des früheren Staates auf den neuen übergehen. Hinsichtlich der Einzelheiten lassen sich allerdings kaum für alle denkbaren Fälle gültige Regeln angeben. Man kann hier jedoch sehr gut auf die Ergebnisse zurückgreifen, die von der Rechtswissenschaft und der Rechtsprechung i n der Zeit nach 1918 gewonnen worden sind 17 . Nach 1945 befand sich die deutsche Rechtswissenschaft i n einer ähnlichen Lage, als es darum ging, den Übergang vor allem der Verpflichtungen des Deutschen Reiches auf die Bundesrepublik und auf die Länder zu klären. Das Problem war dasselbe, nur daß es noch dadurch verschärft wurde, daß der totale staatliche Zusammenbruch des Jahres 1945 praktisch mit einem „Staatsbankrott" zusammengefallen war 1 8 . Als Ergebnis der Erörte14 Anschütz, a.a.O., S.2f., 8—11; Herrfahrdt, a.a.O., S.93; Sawusch, Die juristische W ü r d i g u n g der Revolution als Tatsache, Göttinger Diss. 1927, S. 50. 15 Stier-Somlo, a.a.O., S.50; Herrfahrdt, a.a.O., S.94; Dombois, a.a.O., S. 24; i m Ergebnis auch BVerfGE 3/58. 16 BVerfG, U r t e i l v o m 14.11.1962 zum allg. Kriegsfolgengesetz, N J W 1963/32. 17 Vgl. dazu Herrfahrdt, a. a. O., S. 91 ff. 18 BVerfG, N J W 1963/32.

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rungen dieses Problems w i r d man folgendes festhalten können: Es bleiben solche Rechtsbeziehungen auch über Staatsumwälzungen hinweg bestehen, deren Träger innerhalb der öffentlichen Institutionen ihrer Substanz nach, also nach Organisation, Aufgaben und Zweck dieselben geblieben sind. Aber selbst dann, wenn Rechtsbeziehungen hiernach bestehengeblieben sind, können sich noch erhebliche Einschränkungen daraus ergeben, daß die Staatsumwälzung eine derart tiefgreifende gewesen ist, daß ihrem Wesen nach eine volle Übernahme der an sich bestehengebliebenen früheren staatlichen Verpflichtung ausgeschlossen ist. Dem übergreifenden Gedanken der Staatsumwälzung sind auch die über die Umwälzung hinaus bestehengebliebenen Rechtsbeziehungen unterworfen 1 9 ; die neue Staatsgewalt hat für die Befriedigung von Rechten, die sich aus bestehengebliebenen Rechtsbeziehungen herleiten lassen, eine freiere Stellung als die früherere Staatsgewalt sie hatte 20 . Eine volle Gestaltungsfreiheit besteht aber nicht. Alle bestehengebliebenen Rechte sind nach Maßgabe des jeweils Möglichen zu erfüllen. Was möglich ist, ist i m wesentlichen eine politische Frage; jedoch dürfen dabei unabdingbare Rechtsgrundsätze, wie z. B. der Gleichheitssatz, nicht verletzt werden 21 .

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Scheuner, a. a. O., S. 43. Herrfahrdt, a. a. O., S. 120. 21 BVerfG, N J W 1963/32; vgl. auch Reinhardt, Identität u n d Rechtsnachfolge, N J W 1952/411; siehe ferner Scheuner a. a. O. 20

Achtes Kapitel

Strafrechtliche Folgen des Unternehmens einer Revolution a) Möglichkeiten einer Rechtfertigung des Umsturzes einer Unrechtsherrschaft vom Standpunkt der Ethik und der christlichen Lehre Die Frage nach einer Bestrafung der Revolutionäre stellt sich immer nur nach einem mißlungenen Umsturz. Der angegriffene Staat w i r d i n solchen Fällen i n der Regel um seiner Selbsterhaltung willen die ganze Schärfe der Strafvorschriften zur Anwendung bringen müssen. Zuvor i m 5. Kapitel ist schon darauf hingewiesen worden, daß die Revolutionäre nach einer gelungenen Revolution keine Strafverfolgung zu befürchten haben. Das ändert jedoch nichts daran, daß sie gleichwohl an sich den strafrechtlichen Tatbestand des Hochverrats erfüllt haben. Daneben können die Revolutionäre auch noch weitere, an sich strafbare Handlungen begangen haben, wie z. B. Sachbeschädigungen, K ö r perverletzungen, ja sogar Tötungen können begangen worden sein. Auch solche Delikte werden normalerweise nicht verfolgt werden, wenn die Revolution dauernden Erfolg hat. Hier zeigt sich ein etwas befremdliches Bild: Obschon das Unternehmen einer Revolution immer eine strafbare Handlung darstellt, also Unrecht ist, entsteht daraus eine neue, rechtswirksame Verfassung! Das gilt grundsätzlich für alle Fälle einer Revolution, also auch dann, wenn durch die Revolution bessere staatliche und soziale Verhältnisse eingeführt worden sind, die Revolution m i t h i n an sich als ein Fortschritt zu begrüßen und vielleicht als „legitim" zu bezeichnen ist 1 . I n einem solchen Fall mag die Revolution auch sittlich berechtigt sein. Daraus folgt aber noch nicht, daß sie auch rechtlich erlaubt ist. Auch i n den Fällen, i n denen sie eine inhaltlich schlechte Rechtsordnung bekämpft und sie diese beseitigen w i l l , gefährdet sie Ordnung und Rechtssicherheit. Die Betonung der Rechtswidrigkeit der Revolution bedeutet für diese Fälle also praktisch einen Appell an das Verantwortungsbewußtsein der Handelnden zu einer gewissenhaften Abwägung des Für und Wider 2 . 1 2

Vgl. dazu die Einleitung dieser Abhandlung. Siehe dazu Herrfahrdt, a. a. O., S. 50 ff., insbes. 53 u. 54.

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Ordnung und Rechtssicherheit werden allerdings i n einem Staatswesen, i n welchem die gesellschaftlichen und politischen Spannungen zu einer gewaltsamen Lösung, also zu einer Revolution drängen, normalerweise nur noch der Konservierung ungerechter Bestimmungen und Entscheidungen der Staatsgewalt dienen. Dann w i r d man ihnen einen schutzwürdigen Wert nicht mehr zusprechen können 3 . Solange sich aber eine Staatsgewalt bei ihren Handlungen noch an eine technische Rechtsförmigkeit hält, bewirkt diese bloße äußere Rechtsform auch bei der Anwendung ungerechter Gesetze doch noch eine gewisse Bindung der Macht und eine gewisse Beschränkung reiner Willkür. Dadurch erfährt der Staatsbürger gleichzeitig einen bescheidenen Schutz gegen schrankenlose W i l l k ü r 4 , den ihm zu nehmen nur dann berechtigt ist, wenn die Verhältnisse gleichzeitig derart gebessert werden, daß der einzelne dieses schwachen Schutzes nicht mehr bedarf. Wenn aber eine Ausnahmesituation i n dem Sinne vorliegt, daß der Staat derart zum Unrechtsstaat entartet ist, daß er sich nicht einmal mehr an die bescheidensten Beschränkungen gegen völlige W i l l k ü r gebunden hält 5 , dann muß auch das Unternehmen einer Revolution m i t einem anderen Maßstab gemessen werden. Wenn ein Umsturz unternommen wird, u m eine solche reine Willkürherrschaft zu beseitigen und an deren Stelle eine dem Recht, den überpositiven Wertvorstellungen gemäße Verfassungsordnung eingeführt worden ist, so kann diese Revolution schlecht m i t einer rechtswidrigen und strafbaren Handlung gleichgesetzt werden. Eine solche Gleichsetzung würde dem Rechtsgefühl und auch ethischen und religiösen Grundsätzen zuwiderlaufen. Wenn aber eine rechtliche Folge dem Rechtsgefühl und allgemein anerkannten Regeln der Ethik zuwiderläuft, so ist das ein Signal dafür, daß das gefundene Ergebnis nicht richtig, nicht „rechtens" sein kann. Es sei deshalb an dieser Stelle noch einmal überprüft, ob nicht i n dem eben erwähnten Ausnahmefall die Revolution keine rechtswidrige und an sich strafbare Handlung darstellt 6 . Die moderne Ethik — sofern sie sich zu immer gültigen, absoluten ethischen Werten bekennt und zu diesen Werten auch das Recht zählt— kennt für alle Staatsbürger nicht nur das Recht, sondern sogar eine Pflicht zum alle M i t t e l umfassenden Widerstand gegen den Staat, wenn • Tsatsos, i n : Staat 1962/157 (167). Heller, a. a. O., S. 196 f. « s. dazu A r n d t , i n : N J W 1962/430. 8 Daß i n außergewöhnlichen Fällen der vorstehend erörterten A r t die Rechtswidrigkeit einer Revolution ausgeschlossen sein kann, hat schon H e r r fahrdt, a.a.O., S.52ff. unter Hinweis auf entsprechende Auffassungen von Emge u n d W i l h e l m Sauer anerkannt, ohne jedoch den Gedanken i n den Einzelheiten auszuführen u n d näher zu begründen. 4

Strafrechtliche Folgen des Unternehmens einer R e v o l u t i o n 9 7 dieser so entartet ist, daß er das Recht selbst nicht mehr respektiert, sondern eindeutig und offen zum reinen Unrechtsstaat geworden ist 7 . Wenn i n solcher Situation geistiger, gewaltloser Widerstand erfolglos geblieben ist und deshalb ein gewaltsamer Staatsumsturz, eine Revolution, als allerletztes M i t t e l der Abhilfe unternommen wird, so ist dieses Unternehmen vom ethischen Standpunkt niemals verwerflich; es kann vielmehr ethisch sogar geboten sein. Die christliche Auffassung ist ähnlich. Ungehorsam, also passiver Widerstand, kann i m Ausnahmefall, wie er i m Unrechtsstaat vorliegt, Pflicht des Christen sein. Zwar gibt es grundsätzlich kein Recht zum gewaltsamen Staatsumsturz, zur Revolution 8 . Immerhin kann aber i n Ausnahmefällen ein solches Unternehmen gerechtfertigt oder doch wenigstens nicht zu verwerfen sein. Die katholische Lehre hat zu diesem Problem eindeutige Richtlinien entwickelt. Danach kann folgendes als gesicherte katholische Anschauung gelten: Aktiver Widerstand, das heißt eine gewaltsame Erhebung gegen eine i m ganzen ungerecht regierende Staatsgewalt ist dann berechtigt, wenn sie unter notwehrähnlichen Voraussetzungen erfolgt. Dabei sieht man den für die Notwehr erforderlichen gegenwärtigen Angriff der Staatsgewalt i n den ungerechten Handlungen der Staatsorgane, wenn diese Handlungen einen besonders schweren Mißbrauch staatlicher Gewalt darstellen. Dieser Mißbrauch muß für jedermann erkennbar und ohne jeden Zweifel vorliegen. Bevor der Umsturz unternommen wird, müssen alle verfassungsmäßigen M i t t e l zur Abwendung solchen Mißbrauchs erschöpft sein oder sie müssen von vornherein als aussichtslos erscheinen. Außerdem muß der Umsturz so vorbereitet sein, daß vernünftigerweise mit seinem Erfolg gerechnet werden kann. A u f den tatsächlichen späteren Erfolg kommt es dabei aber nicht an, sondern nur auf die verantwortungsbewußte Vorbereitung durch die Handelnden; sie müssen i n dem Bewußtsein zur Tat schreiten, daß sie i m Sinne und i m stillschweigenden Auftrag der qualitativ besseren Mehrheit des Volkes handeln. Ziel dieses Umsturzes darf schließlich nicht lediglich die Wiederherstellung früherer Herrschaftsverhältnisse oder die bloße Änderung der Staatsform sein®. 7 Dempf, Die heutige Position — staats- u n d rechtsphilosophisch, i n : Pflster — Hildmann, a. a. O., S. 109; ferner der Diskussionsbeitrag von v. d. Gablentz, i n : Pflster — H i l d m a n n , a. a. O., S. 118 f. 8 Dibelius, Grenzen des Staates, 1949, S. 80; Bonhoeffer, Ethik, 1953, S. 273; sinngemäß genauso: Angermair, Die Tötung eines Tyrannen nach k a t h o l i scher Lehranschauung, i n : Pflster — Hildmann, a. a. O., S. 125. 9 Angermair, a.a.O., S. 122ff.; derselbe, Moraltheologisches Gutachten über das Widerstandsrecht nach katholischer Lehre, i n : Kraus, Braunschweiger Remerprozeß, 1953, S. 29 ff.; Beckel, Christliche Staatslehre, 1960, S.45ff.; Mausbach, Katholische Moraltheologie, 9. Aufl. 1953, Bd. I I I , T e i l 2, S.49 u. 145.

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I n den evangelischen Kirchen gibt es keine allgemeinverbindliche Lehrautorität und deshalb auch keine i n den Einzelheiten einheitliche Auffassung und keine offizielle Lehrmeinung über ein Recht zum Widerstand sowie über die Berechtigung eines Staatsumsturzes 10 . Schon die Reformatoren und ihre unmittelbaren Nachfolger haben diese Frage verschieden beantwortet. Hierauf soll i m Rahmen dieser Arbeit nicht weiter eingegangen werden 11 . Immerhin w i r d man es als überwiegende Auffassung der heutigen evangelischen Theologie —, und zwar sowohl der mehr von Luther als auch der mehr von Calvin her bestimmten Theologie — bezeichnen können, daß unter bestimmten Voraussetzungen aktiver Widerstand gegen die Staatsgewalt, also auch gewaltsamer Staatsumsturz, als letztes M i t t e l einer Abwehr berechtigt ist. I n den näheren Einzelheiten bestehen allerdings gewisse Unterschiede, die zu einem nicht unerheblichen Teil aus den verschiedenen Ausgangspunkten zu erklären sind, von denen auch die heutige Theologie noch ausgeht und die die Lehrunterschiede zwischen Luther und Calvin teilweise auch heute noch sichtbar werden läßt. Da die vorliegende Arbeit keine theologische Abhandlung sein kann, können die i n der evangelischen Theologie heute bestehenden unterschiedlichen Auffassungen zu unserem Problem nicht i n den Einzelheiten erläutert werden. Als Beispiele für diese Unterschiede seien jedoch einige Meinungen führender moderner Theologen i n kurz zusammengefaßter Form angeführt: So bejaht z. B. Künneth 12 grundsätzlich die Möglichkeit eines gewaltsamen Widerstandes mit dem Ziel der Beseitigung der bisherigen Staatsgewalt und der Aufrichtung und Wiederherstellung einer „besseren" staatlichen Ordnung. Darin könne u. U. ein Gehorsamsakt gegenüber der Erhaltungsordnung Gottes gesehen werden. Das könne aber nur dann gelten, wenn die zu bekämpfende staatliche Gewalt eine Perversion dieser Ordnung darstelle, und zwar i n einem solchen Maße, daß sie sowohl staatspolitisch als auch sittlich-religös nicht mehr tragbar erscheine. Künneth vermag allerdings nicht eindeutig die Frage zu beantworten, wann denn dieser Zeitpunkt erreicht ist; er sieht dies als eine in jedem Fall problematische Frage an. Solcher Umsturz dürfe 10 I w a n d u n d Wolf, E n t w u r f eines Gutachtens zur Frage des Widerstandsrechts nach evangelischer Lehre, i n : Kraus, a. a. O., S. 9. 11 Vgl. z. B. über die Auffassung Luthers: Hillerdahl, Gehorsam gegen Gott u n d Menschen, 1955, S. 95 ff., bes. 117—119; I w a n d u n d Wolf, a. a. O., S. 12 bis 14; Heckel, Stellungnahme der Kirche der Reformation — Die Lutheraner, i n : Pfister — Hildmann, a.a.O., S. 32 ff.; über die Auffassung Calvins: I w a n d u n d Wolf, a. a. O., S. 11 f.; Wolf, Problem des Widerstandsrechts bei Calvin, i n : Pfister — Hildmann, a. a. O., S. 45 ff. 12 Die heutige Position — theologisch, i n : Pfister — Hildmann, a.a.O., S. 96 f.

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auch nur aus einer tiefen ethischen Vollmacht heraus unternommen werden; seine praktische Zweckmäßigkeit sowie seine realen Erfolgsaussichten müßten von den Handelnden unter besonderer ethischer Verantwortung erwogen werden, damit unüberlegte Einzelaktionen ausgeschlossen blieben. Gewaltsamer Umsturz bleibt für K ü n n e t h i m mer ein Wagnis: Die verschiedenen Umstände, die dabei zu beachten sind, werden immer verschiedene Deutungen zulassen; deshalb hält K ü n n e t h weder eine ethisch-moralische Sicherung der Handelnden noch eine ethische Rechtfertigung für möglich. Die Entscheidung führe i n die Sphäre der Gewissensspannungen und schließe deshalb notwendigerweise ein „Schuldigwerden" ein; sie führe aber andererseits zur christlichen, biblischen Rechtfertigung aus göttlicher Gnade hin 1 3 . N u r auf dieser Ebene kann also nach K ü n n e t h eine Rechtfertigung erfolgen; sie ist aber nicht ausgeschlossen. Ähnlich hält es Thielicke ebenfalls grundsätzlich für möglich, daß unter ganz bestimmten Voraussetzungen eine Revolution erlaubt sein kann. Das könne allerdings n u r i n äußersten Ernstfällen i n Betracht kommen, w e i l jede Revolution wegen der vielen m i t i h r verbundenen negativen Erscheinungen, w i e z. B. der Aushöhlung jeder Autorität, der Gefahr der Anarchie, ohnehin äußerst fragwürdig sei. W a n n ein solcher äußerster Ernstfall vorliegt, ist auch nach Thielickes Ansicht n u r sehr schwer festzustellen. Wenn er vorliegt, so könne der Umsturz n u r dann als eine erlaubte Handlung angesehen werden, w e n n außerdem noch folgende Voraussetzungen erfüllt seien: Damit kein Chaos entstehe, müsse potentiell schon eine neue Obrigkeit vorhanden sein; die Revolution müsse also durch eine verantwortliche Führung geleitet werden. Dies hält Thielicke für eine politische Aufgabe, die niemals der Kirche selbst zufallen könne. Außerdem müsse die geschichtliche Situation zum Handeln reif sein und das Verhalten der Revolutionäre müsse deutlich u n d eindeutig eine Ausführimg des Willens der Gesamtheit des Volkes darstellen 1 4 . Die Erlaubtheit einer solchen Revolution ist allerdings — wie Thielicke am Beispiel des Tyrannenmordes ausführt — so zu verstehen, daß die Schuld f ü r dieses T u n verantwortlich durch einen „wagenden Entschluß des Einzelgewissens" übernommen w i r d 1 5 . Diese Übernahme der Schuld entbindet nicht von der Verantwortung, w o h l aber kann sie die Vergebung Gottes erhoffen. Weiter geht die Meinung von Karl Barth. Nach dessen Auffassung ist der Staat eine v o n Gott aufgerichtete relative Ordnung f ü r die nicht 13 14 15

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a. a. O., S. 100. Theologische Ethik, Bd. I I T e i l 2,1958, S. 423—431. Thielicke a. a. O., S. 418 f.

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erlöste Welt. Die Christengemeinde — also die Kirche — ist für diese relative Ordnung mitverantwortlich; der christliche Glaube bedingt zu den weltlichen Dingen eine ganz bestimmte Stellungnahme 16 . Da das Bekenntnis des christlichen Glaubens i m menschlichen Alltag vollzogen werden muß, muß die Christengemeinde i m Bereich staatlicher Entscheidungen immer diejenigen unterstützen, die inhaltlich eine Analogie des Inhalts ihres eigenen Bekenntnisses und ihrer eigenen Botschaft erkennen lassen 17 . Aus einer solchen christlichen Mitverantwortung kann eine „bewaffnete Erhebung gegen ein bestimmtes, unrechtmäßig gewordenes, seiner Aufgabe nicht mehr würdiges und gewachsenes Regiment" nicht nur gutgeheißen werden und zu unterstützen sein, sondern es muß nach der Ansicht Barths vielleicht sogar von der Christengemeinde angeregt werden. Das soll aber nur dann gelten, wenn sich eine solche gewaltsame Lösung als i m Augenblick letzte, unvermeidliche Möglichkeit aufdrängt 18 . Dieser Ansicht K a r l Barths angenähert ist die Auffassung von Diem. Da die christliche Gemeinde für den Staat mitverantwortlich ist, billigt er ihr dann ein Widerstandsrecht zu, wenn der Glaube eine staatliche Maßnahme als Unrecht beurteilen muß. Dieser Widerstand kann und muß sich sogar notfalls auch illegaler Mittel bedienen; er kann i m äußersten Falle bis zur gewaltsamen Entfernung der Staatsgewalt gehen. Zu solchem Verhalten sei der Christ aber nur dann legitimiert, wenn er durch den Umsturz den Staat selbst vor der Verleugnung seines göttlichen Mandats gegenüber den Menschen schützen wolle. Zur Durchsetzung privater oder kirchlicher Interessen sei ein solches Handeln nicht erlaubt 19 . Als Beispiel aus der außerdeutschen evangelischen Theologie sei noch die Ansicht des verstorbenen norwegischen Bischofs Eivind Berggrav angeführt. Dieser hält i n Ausnahmesituationen den gewaltsamen Staatsumsturz für eindeutig erlaubt. Er meint, wenn Paulus i m 13. K a pitel des Römerbriefes dem Christen Gehorsam gegenüber der Obrigkeit anbefohlen habe, so habe für i h n zwischen dem Bürger und der Obrigkeit als entscheidende Instanz das Recht gestanden. Der christliche Gehorsam gegenüber der Staatsgewalt folge aus dem Recht. Wo die Machthaber aber Gottes Ordnung und das Recht mit Füßen träten und die Lebensrechte der Mitmenschen von Grund aus bedrohten, müsse der Christ — wenn nötig — auch zum Aufruhr schreiten 20 . Dabei genüge nicht, daß eine Gewalt- und Willkürherrschaft vorhanden sei, 16

Barth, Dogmatik i m Grundriß, 1947, S. 40. Barth, Christengemeinde u n d Bürgergemeinde, 1947, S. 30. Barth, a. a. O., S. 39 f. 19 Diem, Die heutige Position — theologisch, i n : Pflster — Hildmann, a. a. O., S. 100 ff, 20 Berggrav, Der Staat u n d der Mensch, 1946, S. 276 ff., insbes. S. 285. 17

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die es zu bekämpfen gelte. Als treibende K r a f t für diese Bekämpfung habe das Gewissen des einzelnen darüber hinaus eine Kontrollwirkung i n dem Sinne zu übernehmen, daß es sich bei dem Aufruhr Gottes Urteil zu unterwerfen habe. Eine Not der Gemeinschaft könne für den einzelnen dadurch zur Sache Gottes werden, daß Gott den Menschen berufe, eine die Allgemeinheit angehende Sache auf sich zu nehmen. Habe das Gewissen auf diese Weise seinen Ruf empfangen und sei es bereit, für die Sache Gottes Opfer zu bringen, dann sei es mit Gott verbunden, oder anders ausgedrückt: Gott habe mit ihm einen Bund geschlossen. I n solch einem Falle sei der Aufruhr, der gewaltsame Staatsumsturz eine durch den christlichen Glauben gebotene Tat. Erwähnt sei noch, daß die Ansichten von K a r l Barth und Berggrav sicherlich unmittelbar aus den Eindrücken erwachsen sind, die beide unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gewonnen hatten. Die Schrift, aus der hier die Ansicht Barths entnommen ist, gibt einen Vortrag wieder, den er kurz nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus i n verschiedenen Städten gehalten hat und der als Konsequenz seiner systematischen Gedankengänge anerkannt ist 21 . Berggrav hat die Schrift während seiner Inhaftierung zur Zeit der deutschen Besetzung Norwegens verfaßt und das Manuskript heimlich aus seiner Zelle hinausgeschmuggelt 22 . Es soll hier nicht untersucht werden, ob man vielleicht den beiden sehr weitgehenden Auffassungen von Barth und Berggrav deshalb kritisch gegenüberstehen müßte, weil sie noch sehr unter dem unmittelbaren Eindruck der Gewaltherrschaft entstanden sind und möglicherweise das Ergebnis beider Schriften bei einer eingehenden Durchleuchtung des ganzen Problems in sogenannten ruhigen Zeiten einer gewissen Korrektur bedürfte. Selbst wenn das der Fall wäre, müßte man doch noch als allen evangelischen Theologen gemeinsame Auffassung festhalten, daß in bestimmten Ausnahmefällen die Durchführung eines gewaltsamen Staatsumsturzes als eine A r t Notstandsmaßnahme mindestens als nicht verworfen und nicht verwerflich betrachtet werden kann 2 3 . b) Möglichkeiten einer juristischen Rechtfertigung des Hochverrates in besonderen Ausnahmefällen Diesen ethischen und religiösen Forderungen kann sich die Rechtswissenschaft nicht verschließen. Das Recht kann nicht verbieten, was die als richtig anerkannte Ethik vom einzelnen fordert 24 . 21 22 23 24

Siehe dazu Hillerdahl, a. a. O., S. 227. Vgl. Berggrav, a. a. O., S. 7 f. Vgl. auch Trillhaas, Ethik, 1959, S. 391. A r n d t , N J W 1962/430.

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Es ist allerdings sehr schwer zu entscheiden, wann eine solche Ausnahmesituation gegeben ist, wie sie sowohl von der katholischen Lehranschauung wie auch von den Auffassungen der evangelischen Theologen aus als Voraussetzung für die Berechtigung eines gewaltsamen Umsturzes angesehen wird. Eine einigermaßen brauchbare juristische Definition dieser Situation des Unrechtsstaates, der Gewaltund Willkürherrschaft, läßt sich anhand von treffenden Ausführungen geben, die Radbruch nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus über die inhaltliche Unterscheidung der Rechtsnormen vom Unrecht gemacht hat 2 5 . Seine diesbezüglichen Ausführungen haben allgemein Anerkennung gefunden und die Rechtsprechung hat die von i h m verwandte Definition übernommen 28 . Diese ist außerdem auch geeignet, einer klaren Abgrenzung des Rechtsstaates von einer Gewalt- und W i l l kürherrschaft zu dienen. Danach wäre der Staat dann zu einer reinen Gewalt- und Willkürherrschaft geworden, wenn er i n seinen Handlungen nicht mehr vom Recht her bestimmt und begrenzt wird, wenn seine Anordnungen und Gesetze sowie seine Verwaltung nicht mehr nach der Verwirklichung der Gerechtigkeit streben und wenn die Gleichheit aller, die den Kern der Gerechtigkeit ausmacht, vom Staat bewußt verleugnet wird. Kurz zusammengefaßt kann man auch sagen: Der Staat ist dann ein Unrechtsstaat, wenn W i l l k ü r und Unrecht generell zur Richtschnur des staatlichen Handelns geworden sind. Für die Qualifizierung des Staates als Rechtsstaat oder als Unrechtsstaat kommt es also nicht darauf an, welches Selbstverständnis der betreffende Staat von sich bzw. von seiner Verfassung und Rechtsordnung hat, sondern für diese Beurteilung sind allein seine Taten, seine Handlungen maßgebend. Der gewaltsame Umsturz einer Unrechtsherrschaft der eben erwähnten A r t kann nicht rechtswidrig sein. Man w i r d schon zweifeln müssen, ob i n einem solchen Fall überhaupt der Tatbestand des Hochverrats verwirklicht werden kann. Gewiß ist bisher überwiegend anerkannt, daß die Hochverratsbestimmungen die materielle Staatsverfassung i n der jeweiligen konkreten Gestalt schützen wollen 2 7 . Es erscheint aber sehr fraglich, ob ein Unrechtsstaat, dessen Handlungen nicht mehr vom Recht, sondern nur noch von reiner W i l l k ü r bestimmt werden, überhaupt rechtlichen Schutzes fähig ist. Die Rechtsordnung ist nicht dazu da, das Unrecht zu schützen. Zudem enthält § 80 StGB i n der zur Zeit geltenden Fassung einen Wertakzent, nämlich die freiheitlichdemokratische Grundordnung, auf der der Staat beruht. Ist diese nicht 25

SJZ 1946/106 ff. z. B. B G H Z 3/94 (107); B G H S t 2/234 (238). 27 Weinkauff, a. a. O., S. 8 f.; Leipziger Kommentar zum StGB, 8. Aufl. 1957, Anmerk. 2 zu § 80. 26

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mehr vorhanden und der Staat zum Unrechtsstaat geworden, so müßte auch der Schutz des § 80 StGB für die Staatsordnung entfallen. Andererseits müssen Straftatbestände um der Rechtssicherheit willen klar und eindeutig sein. Sollten die Hochverratsbestimmungen beim Umsturz eines Unrechtsstaates nicht zu erfüllen sein, so würde die Beantwortung der Frage, wann der Staat derart zum Unrechtsstaat geworden ist, daß er rechtlichen Schutzes nicht mehr fähig wäre, eine beträchtliche Unsicherheit i n den Straftatbestand hineinbringen 28 . Eine endgültige theoretische Entscheidung der Frage, ob der objektive Tatbestand des Hochverrats in einem solchen Falle erfüllt ist, führt i m Ergebnis jedoch nicht wesentlich weiter. Denn selbst wenn ein i n den geschilderten Ausnahmesituationen unternommener Umsturz den objektiven Tatbestand der jetzt und der früher gültigen Hochverratstatbestände nicht erfüllt, so ist damit noch nicht jede Strafbarkeit ausgeschlossen und ein solches Unternehmen ist noch nicht ohne weiteres rechtmäßig. Straftatbestände sind wandelbar und jeder Staat kann leicht solche Tatbestände schaffen, die seine jeweilige konkrete Ausgestaltung i n allen denkbaren Fällen schützen. Bei jeder an sich tatbestandsmäßigen Handlung kann aber die Rechtswidrigkeit durch Unrechtsausschließungsgründe ausgeschlossen sein. Wenn also in dem Ausnahmefall des Unternehmens einer Revolution i n einem Unrechtsstaat den Revolutionären ein solcher Unrechtsausschließungs- oder Rechtfertigungsgrund (welcher Ausdruck der richtige ist, kann hier dahinstehen) zur Seite steht, ist i h r Verhalten nicht rechtswidrig und damit keine strafbare Handlung, gleichgültig, ob an sich der Tatbestand des Hochverrats oder ein anderer Tatbestand erfüllt ist. Das Widerstandsrecht kann als ein solcher Rechtfertigungsgrund nicht i n Betracht kommen; das ergibt sich aus den Untersuchungen des ersten Teils dieser Abhandlung. Verschiedentlich sind die Bestimmungen über die Notwehr zur Rechtfertigung des Unternehmens eines gewaltsamen Umsturzes i n einem Unrechtsstaat herangezogen worden 29 . Die Notwehr kann aber nicht generell zur Rechtfertigung eines solchen Unternehmens dienen. Sie bezweckt die Verteidigung persönlicher Rechtsgüter gegen unmittelbare, gegenwärtige Angriffe; Notwehr kann nicht zur Rechtfertigung einer allgemeinen Unrechts- oder Verbrechensverhinderung führen 30 . Der Staat und die Allgemeinheit sind zwar auch Träger notwehrfähiger Güter: So kann z.B. jedermann die Beschädigung von Gegenständen 28 29 80

Siehe dazu auch Schier, i n : Geschichte 1959/602 ff. So i n neuerer Zeit noch v o n Schier, i n : Geschichte 1959/612 f. Jagusch i m Leipziger K o m m , zum StGB, 8. Aufl. 1957, A n m . 2 c) zu § 53.

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verhindern, die i n öffentlichem Eigentum stehen. Sehr zweifelhaft ist jedoch die Frage, ob Notwehr zugunsten der hoheitlichen Stellung des Staates möglich ist. Damit hängt die weitere Frage zusammen, ob nicht der Nothelfer dem Träger des Rechtsgutes gleichgestellt sein muß, ein Privatmann also nicht Notwehr zugunsten hoheitlicher Funktionen des Staates üben kann 3 1 . Das Reichsgericht hat die Möglichkeit zugelassen, daß einzelne Staatsbürger gegenüber einem rechtswidrigen A n griff auf die Lebensinteressen des bestehenden Staates Notwehr üben 32 . Dagegen ist z. B. eingewandt worden, daß eine solche Nothilfe zugunsten der (hoheitlichen) Funktionen des Staates leicht zu einem Recht zu einer allgemeinen Deliktsverhinderung werden könne 33 . Es kann auch nicht übersehen werden, daß i n solchen Fällen äußerst komplexe Verhältnisse zu beurteilen sind, die eine Sachkunde erfordern, wie sie nur wenige besitzen. Die Notwehr muß zudem immer an das Vorliegen enger Voraussetzungen gebunden sein, weil der Selbstbehauptung innerhalb einer jeden Gemeinschaft naturnotwendig enge Grenzen gesetzt sein müssen. Diese Voraussetzungen müssen zugleich für jedermann leicht überschaubar und einfach zu verstehen sein. Die i n der Regel äußerst komplizierten Handlungen, die zur Abwehr von Angriffen auf staatliche Lebensinteressen erforderlich sind, sprengen einfach den Rahmen, innerhalb dessen eine Beurteilung nach Notwehrmaßstäben möglich ist. Man w i r d i n solchen Fällen sicherlich den der Notwehr fremden Gedanken der Güterabwägung berücksichtigen müssen 34 . Deshalb w i r d von der überwiegenden Meinung die Frage der Rechtfertigung solcher Handlungen mit Recht nicht als Fall der Notwehr betrachtet 3 5 . Der entscheidende Gesichtspunkt, weshalb die Notwehr hier zur Rechtfertigung nicht herangezogen werden kann, dürfte folgender sein: Als notwehrfähiges Schutzobjekt können immer nur die Interessen des jeweiligen Staates, der bestehenden Staatsordnung in Betracht kommen. Für die Beseitigung einer Staatsordnung gibt es kein Notwehrrecht 36 . Man kann die Notwehr auch nicht gleichsam erweitern zu einem „natürlichen Not wehr recht des Volkes", welches nur gegen eine Gewalt« und Willkürherrschaft gegeben sein soll 87 . Hierdurch würden 81 Vgl. zu diesen Fragen: Jagusch i m Leipz. K o m m , z u m StGB, A n m . 4 zu § 53; Mayer, Strafrecht, allgem. Teil, 1953, S. 203; B G H S t 5/245 (247). 32 RGSt 63/215. 33 Boldt, Staatsnotwehr u n d Staatsnotstand, ZStW Bd. 56/183 ff. 34 Jagusch i m Leipziger Komm., A n m . 4 zu § 53 StGB. 35 Welzel, Das deutsche Strafrecht, 5. Aufl. 1956, S. 73; Maurach, Deutsches Straf recht, A l l g . Teil, 2. Aufl. 1958, S. 252; Mezger, Strafrecht, Allg. Teil, 7. Aufl. 1957, S. 118. 36 s. auch Mayer, a. a. O., S. 182. 37 K i p p , Mensch, Recht u n d Staat, 1947, S. 93.

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die einfachen und überschaubaren Notwehrvoraussetzungen ins Uferlose ausgeweitet; da es hier darum geht, die Rechtmäßigkeit von Handlungen einzelner zu beurteilen, müßten die Voraussetzungen für dieses „Notwehrrecht des Volkes" schon dieselben bleiben, wie sie auch sonst für die Notwehr allgemein anerkannt sind. Das schließt natürlich nicht aus, daß die Voraussetzungen der Notwehr für gewisse Teilhandlungen, die i m Verlaufe des Umsturzes begangen werden, i m Einzelfall vorliegen können. Ein Beispiel dafür könnte der vom Oberlandesgericht Bamberg entschiedene und als Notwehrmaßnahme für gerechtfertigt angesehene Fall des Ungehorsams gegen Bewirtschaftungsbestimmungen der nationalsozialistischen Herrschaft bilden 3 8 ; Handlungen dieser A r t sind auch als Teil- oder Vorbereitungshandlungen eines Umsturzes denkbar. Das Unternehmen eines gewaltsamen Umsturzes i n einer Gewaltund Willkürherrschaft führt wie kein anderer Tatbestand mitten hinein in den Konflikt zwischen dem Recht, der Rechtsidee und dem positiven staatlichen Gesetz, zwischen ethischen und sittlichen Forderungen und positiven staatlichen Geboten. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Handlung, die i n einer solchen Konfliktslage begangen wird, gibt es seit langem einen Maßstab i n Gestalt des üb er gesetzlichen Notstandes. Dieser Maßstab gibt eine sachliche Richtlinie, die die Entscheidung i n solch einem Fall gemäß dem Rechtsempfinden und dem sittlichen Denken, zugunsten des Rechts i m Sinne von materieller Gerechtigkeit ermöglicht 59 . Dieser Rechtfertigungsgrund ist nicht nur für Handlungen gegeben, die eine Verletzung von Rechtsgütern der Einzelperson abwehren sollen. Seine Reichweite ist vielmehr unbegrenzt; notstandsfähig sind auch Rechtsgüter der Allgemeinheit 4 0 . Dies ist in der Rechtsprechung schon seit dem Jahre 1928 anerkannt, als das Reichsgericht 41 einen Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften dann als gerechtfertigt durch übergesetzlichen Notstand ansah, wenn ohne diesen Verstoß der Wirtschaft eines bestimmten Gebietes die auf andere A r t nicht abwendbare Gefahr des Erliegens oder einer schweren dauerhaften Schädigung drohen würde. Diese Gedanken hat das Reichsgericht einige Jahre später mit eingehender Begründung dahin erweitert, daß unter besonderen Umständen, wenn z.B. der Staat am rechtzeitigen und umfassenden Eingreifen zugunsten der Bedrohten behindert ist, zugunsten eines bestimmten Volksteiles ein übergesetzliches Notstandsrecht gegenüber 38 39 40 41

N J W 1962/457. Eberh. Schmidt, SJZ 1949/559 ff. (566). Jagusch i m Leipz. Komm., A n m . 9 zu § 54 StGB. RGSt 62/35 (46 ff.).

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der gegenwärtigen Gefahr der Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und des Fortbestehens des betreifenden Volksteiles anerkannt werden müsse 42 . Wenn nun schon eine Handlung gerechtfertigt ist, die der Abwehr der Gefahr einer schweren Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Volksteiles dient, so muß auch ein Umsturz dann gerechtfertigt sein, wenn andere M i t t e l nicht mehr vorhanden sind, schwerem staatlichem Unrecht zu wehren, wenn der Staat z. B. derart zum Unrechtsstaat entartet ist, daß er selbst die Auslöschung und w i l l kürliche Verfolgung ganzer Volksteile aus rassischen, religiösen oder politischen Gründen befiehlt und durchführt. Nun hat schon Boldt vor Jahren Bedenken geäußert gegen eine Übertragung der Notstandssituation des übergesetzlichen Notstands aus der Sphäre der privaten Rechtsgüter in die Sphäre der Rechtsgüter der Allgemeinheit, des Staates und des Volkes 43 . A u f solchen Bedenken beruht auch wohl die Einführung eines besonderen Rechtfertigungsgrundes der „Staatsnothilfe" durch Welzel 44, i n welchem Gesichtspunkte der Notwehr und die Proportionalität des übergesetzlichen Notstandes vereinigt sind. Boldt 4 5 konstruiert ebenfalls einen besonderen Rechtfertigungsgrund für die Fälle, in denen eine erhebliche Gefahr für lebenswichtige Güter des Volkes besteht, die ordentlichen staatlichen M i t t e l zur Abwendung dieser Gefahr versagen und i n dieser Situation der einzelne eigenverantwortlich zum Schutze der bedrohten Lebensinteressen des Volkes handelt. Dieser Rechtfertigungsgrund soll dem einzelnen auf Grund seiner Stellung als Glied der Volksgemeinschaft zustehen. Er soll gegeben sein, wenn jemand zur Abwendung einer echten Gefahr für lebenswichtige Güter der Gemeinschaft das nach der Lage des Falles und nach sorgfältiger Beurteilung der gesamten Umstände Erforderliche tut, sofern obrigkeitliche Hilfe nicht zu erlangen ist. Diese Voraussetzungen zeigen also — genau wie die der Staatsnothilfe Welzels — keine tiefgreifenden Unterschiede zum übergesetzlichen Notstand. Deshalb ist es auch nicht notwendig, den ohnehin eine A r t „Auffangtatbestand" darstellenden übergesetzlichen Notstand nochmals zu unterteilen und einen besonderen Rechtfertigungsgrund zu schaffen für Fälle der Gefahrenabwendung von Rechtsgütern der Allgemeinheit. Der Oberste Gerichtshof für die britische Zone hat die Grundsätze des übergesetzlichen Notstandes bei solchen Handlungen für unanwendbar angesehen, die als Ausweg aus Situationen begangen worden sind, 42 43 44 45

J W 1932/2810. ZStW Bd. 56/183 ff. Welzel, a. a. O., S. 73. Boldt, a . a . O .

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die eine Folge verbrecherischen Verhaltens des Staates selbst darstellen 46 . Ein solches Handeln soll nicht gerechtfertigt sein. Ein Grund für eine solche Einschränkung der Anwendungsmöglichkeiten des übergesetzlichen Notstands ist aber nicht einzusehen. M i t Recht hat Mayer 47 betont, daß eine „außerordentliche Nothilfe" sehr häufig gerade bei staatlicher Unordnung, gegen verbrecherische Handlungen des Staates, besonders dringlich sein wird. Der Oberste Gerichtshof ist denn auch mit seiner Ansicht insoweit allein geblieben. Eberhard Schmidt 48 und Welzel 49 sind ihr mit überzeugenden Argumenten gegenübergetreten; die spätere Rechtsprechung hat sich der Ansicht des Obersten Gerichtshofes nicht angeschlossen. Selbstverständlich kann das Unternehmen des Umsturzes nur dann gerechtfertigt sein, wenn sämtliche Voraussetzungen des übergesetzlichen Notstandes vorliegen, die von der Rechtsprechung und der Rechtslehre herausgearbeitet worden sind. Sie sollen hier nicht noch einmal i n allen Einzelheiten dargestellt werden 50 , vielmehr mögen folgende kurze Hinweise genügen: Das bedrohte und zu rettende Rechtsgut muß gegenüber dem zum Zweck der Rettung des bedrohten Gutes zu verletzenden höherwertig sein 51 . Verletzt der Staat bewußt die Menschenwürde und die Gleichheit aller vor dem Gesetz und werden bei seinen Handlungen elementare Forderungen der Gerechtigkeit bewußt außer acht gelassen — w i r d mit anderen Worten nur willkürlich regiert — so kann das Ergebnis dieser Güterabwägung nicht zweifelhaft sein. Die Einführung einer dem Recht gemäßen Staatsordnung, einer materielle Gerechtigkeit erstrebenden und die Menschenwürde achtenden Verfassung steht von einem bestimmten Grade der Gewalt- und Willkürherrschaft ab sicherlich über der durch den Bestand des Willkürregimes sichergestellten Ordnung und Sicherheit. Außerdem muß der gewaltsame Umsturz immer das allerletzte , außergewöhnliche Mittel zur Besserung der Zustände bleiben. Er darf erst dann unternommen werden, wenn ein anderer Ausweg aus der Unrechtssituation nicht mehr möglich ist und wenn andere, weniger einschneidende M i t t e l keine Aussicht auf Erfolg versprechen 52 . Außer46

OGHSt 1/321. a. a. O., S. 183. 48 SJZ 1949/559 ff. 49 M D R 1949/373 ff.; auch: Z u m Notstandsproblem, i n : ZStW Bd. 63 S. 47 ff. 50 Vgl. dazu z. B. Maurach, a. a. O., S. 260 ff.; ferner die Übersichten i n den Kommentaren zum StGB. 51 RGSt 61/242; B G H S t 2/242. 52 Vgl. B G H S t 3/7. 47

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dem muß das zu rettende Rechtsgut sich i n gegenwärtiger Gefahr befinden 53 . Gegenwärtig ist eine Gefahr dann, wenn eine Schädigung so unmittelbar bevorsteht, daß die Gefahr gerade jetzt abgewehrt werden muß, soll es nicht zur Abwehr überhaupt zu spät sein 54 . Diese letztgenannte Voraussetzung w i r d stets dann erfüllt sein, wenn eine Gewalt- und Willkürherrschaft sich einmal i n den Besitz der Staatsgewalt gesetzt hat. Dies dürften die Erfahrungen gelehrt haben, die man in Deutschland zur Zeit des Nationalsozialismus gesammelt hat 5 5 . Schließlich muß eine gewissenhafte Abwägung des Für und Wider durch die Handelnden vorausgegangen sein 56 . Die Abwägung muß objektiv, das heißt vom Standpunkt der Rechtsgemeinschaft, nicht subjektiv vom Standpunkt des einzelnen her erfolgen 57 . Die Abwehr des Unrechts, welches von der Gewalt- und Willkürherrschaft droht, darf schuldlose Dritte nicht oder doch wenigstens nicht mehr als unvermeidlich i n Mitleidenschaft ziehen. Der Umsturz darf nicht zu einer Gefahr für das Leben des Volkes werden, zu dessen Nutzen er gerade unternommen wird 5 8 . Die Revolutionäre werden ihr Vorhaben eingehend und gewissenhaft an den sittlich-ethischen Maßstäben prüfen müssen, wie sie i n diesem Kapitel zuvor angedeutet und wie sie zum Beispiel von Weinkauff 5 9 als einschränkende Voraussetzung des Widerstandsrechts angeführt sind 60 . Dabei werden die Anforderungen, die zu stellen sind, immer wieder verschieden sein. Es w i r d darauf ankommen, welche Kenntnisse und Fähigkeiten der einzelne hat. Es w i r d weiter darauf ankommen, wie es mit der Möglichkeit bestellt ist, sich einen mehr oder weniger umfassenden Überblick über die Gesamtsituation zu verschaffen. So w i r d man von dem hohen militärischen oder politischen Führer mehr Einsicht und Überlegung verlangen müssen als von dem einfachen Mann des Volkes. Sicherlich sind nicht immer umfangreiche wissenschaftliche Überlegungen oder Beratungen der Handelnden untereinander erforderlich. Dazu w i r d der Unrechtsstaat weder Zeit noch Gelegenheit bieten. Der Handelnde muß sich aber aus tiefem, ethischem Verantwortungsbewußtsein heraus zur Tat entschließen. Leichtfertige Aktionen sind niemals gerechtfertigt. Was i m einzelnen Fall alles in 58

RGSt 61/242 (255). Kohlrausch — Lange, StGB, 39. u n d 40. Aufl. 1950, A n m . I V zu § 53 StGB. 55 Vgl. A r n d t , N J W 1962/430, Fußnote 2. M RGSt 62/137; OGHSt 3/11. 57 O L G Tübingen, N J W 1948/700. 58 A r n d t a. a. O.; Mayer, a. a. O., S. 183. 59 a. a. O., S. 20 ff. 60 Vgl. dazu A r n d t , a. a. O.; Mezger i m Leipz. Kom. zum StGB, Vorbem. 101 vor § 51 StGB. 54

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den Kreis der Erwägungen einbezogen sein muß, läßt sich nicht abschließend aufzählen. Sicher ist jedenfalls, daß die beiden zuvor erwähnten Notstandsvoraussetzungen gewissenhaft überlegt und geprüft sein müssen. Auch muß die Gefahr gesehen werden, daß der Umsturz eine Vielzahl Unschuldiger schädigen kann, daß er letzten Endes die Leiden des Volkes noch vergrößern und der Unrechtsherrschaft dadurch Vorschub leisten kann, daß sie den beginnenden Umsturz als willkommenen Anlaß für weitere Unrechtsmaßnahmen benutzt. Zwar hängt die Rechtmäßigkeit des Umsturzes nicht davon ab, ob er tatsächlich Erfolg hat oder nicht. „Die Rechtfertigung des Handelns hängt von den sittlichen Maßstäben unserer K u l t u r , nicht von seinem Nutzeffekt", seinem Erfolg, ab 81 . Die m i t einem Mißerfolg zusammenhängenden Gefahren müssen aber gesehen und voll i n den Kreis der Überlegungen einbezogen worden sein. Außerdem kann auch die Erwägung i n Betracht kommen, was nach dem Umsturz geschehen soll. Unter Umständen müssen also diejenigen, die nach ihren Kenntnissen und Fähigkeiten dazu i n der Lage sind, auch die Zukunft verantwortungsbewußt soweit als tunlich vorbereiten, damit nicht nach erfolgreicher Beseitigung der Gewalt- und Willkürherrschaft ein Chaos eintritt, i n welchem wiederum die schuldlose Bevölkerung unendliche Opfer zu erbringen und große Leiden zu erdulden haben würde.

c) Möglichkeiten einer Rechtfertigung anderer mit einer Revolution zusammenhängender Handlungen Nur wenn alle diese strengen Voraussetzungen erfüllt sind, kann der gewaltsame Staatsumsturz ausnahmsweise nicht ein rechtswidriger Hochverrat, sondern eine durch übergesetzlichen Notstand gerechtfertigte Handlung sein. Selbst wenn aber i n diesem Fall kein rechtswidriger Hochverrat vorliegt, so ist doch damit noch nichts Endgültiges über die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit anderer Handlungen gesagt, die m i t dem gewaltsamen Staatsumsturz häufig begangen zu werden pflegen, ohne die der Umsturz i m Einzelfall vielleicht nicht möglich ist. Es ist bekannt, daß i m Laufe des Kampfes gegen die nationalsozialistische Herrschaft von deutschen Stellen militärische Geheimnisse an Staaten weitergegeben worden sind, mit denen sich das Deutsche Reich damals i m Kriege befand 62 . K a n n auch solcher Landesverrat durch übergesetzlichen Notstand gerechtfertigt sein? Darf auch ein Mord begangen werden, wenn die Beseitigung des Unrechtsregimes anders nicht möglich ist? 61

Kohlrausch — Lange, a. a. O., System. Vorbem. I I I , 2 vor § 1 StGB. Vgl. Rothfels, Die deutsche Opposition gegen Hitler, 1960, S. 17, 90 und A n m . 84 auf S. 195/196. 82

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Für den Landesverrat gilt i m Ergebnis dasselbe, was oben für die Hochverratsbestimmungen ausgeführt worden ist. Landesverrat schützt den jeweiligen Staat i n seiner konkreten Ausgestaltung nach außen hin. Es mag zweifelhaft sein, ob in bestimmten Ausnahmesituationen, i n der sich z.B. das deutsche Volk während des letzten Krieges befand, die Kontaktaufnahme mit dem Kriegsgegner und die Preisgabe m i l i tärischer Geheimnisse überhaupt noch den objektiven Tatbestand des Landesverrats verwirklicht, ob es nicht vielmehr bei objektiver Betrachtung i n einem höheren Sinne zum Wohle des Volkes und Staates diente, wenn einsichtsvolle Männer derartige Handlungen vornahmen. M i t dieser Begründung ist gelegentlich die Auffassung vertreten worden, die damals Handelnden hätten nicht einmal den Tatbestand des Landesverrats erfüllt 6 8 . Auch hier mag letzten Endes dahinstehen, ob diese Auffassung richtig ist oder nicht. Da jeder Staat die speziell ihn schützenden Strafvorschriften erlassen kann, kann er sie auch so formulieren, daß auch i n einem solchen Falle eine dem heute als Landesverrat bezeichneten Tatbestand ähnliche Strafvorschrift verletzt wird. Eine generelle Straflosigkeit derjenigen, die das Unrechtsregime zu beseitigen trachten, läßt sich auf diese Weise nicht begründen. Vielmehr kann eine solche A r t von Landesverrat nur unter denselben Voraussetzungen wie der Hochverrat auf Grund übergesetzlichen Notstandes gerechtfertigt sein. Es ist selbstverständlich, daß auch hier an eine Rechtfertigung nur zu denken ist, wenn alle zuvor erwähnten Notstandsvoraussetzungen vorliegen, inbesondere also, wenn solcher Verrat wirklich das letzte, einzig noch verbleibende M i t t e l zur Besserung der Verhältnisse darstellt und der Umsturz ohne eine solche Handlung sich nicht durchführen läßt. I m Kriegsfall w i r d allerdings eine besonders sorgfältige Prüfung des Für und Wider stattfinden müssen, weil dann immer die Gefahr besteht, daß durch einen solchen Verrat eine große Zahl Unschuldiger das Leben lassen muß, ohne daß eine Besserung der Lage eintritt. I m Ergebnis w i r d also Landesverrat noch seltener durch übergesetzlichen Notstand gerechtfertigt sein, als dies bei Hochverrat der Fall sein kann. Das Problem des „Tyrannenmordes" ist demgegenüber noch vielschichtiger. Auszuscheiden ist dabei von vornherein der Sonderfall, daß durch das unmittelbare persönliche Handeln des „Tyrannen" Menschen i n die Gefahr der Tötung gebracht werden. I n diesem Fall würde wohl ein rechtswidriger, gegenwärtiger Angriff vorliegen und die Tötung des „Tyrannen" würde durch Notwehr gerechtfertigt sein, wenn dies zur Abwehr des Angriffs erforderlich wäre. I n den anderen Fällen würde an sich die Anwendung des übergesetzlichen Notstandes nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Zu bedenken ist aber, daß M

So Schier, i n : Geschichte 1959/611 f.

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das menschliche Leben grundsätzlich das höchste Gut ist, welches jede Rechtsordnung zu schützen hat. Es geht nicht, das Leben des einen an dem des anderen Menschen zu messen und das eine oder das andere Leben für höherwertig zu erklären 64 . Das muß unbedingt gelten, auch für das Leben eines „Tyrannen". Selbst wenn also das Leben vieler Menschen gefährdet sein würde, wenn der „Tyrann" weiterlebt, oder anders: wenn erst sein Tod dem gewaltsamen Umsturz zum sicheren Erfolg verhelfen kann, so kann auch i n einem solchen Fall die Rechtsordnung den „Tyrannenmord" nicht für gerechtfertigt erklären. Man kann ihn nicht mit dem sogenannten „Bergsteigerfall" vergleichen, i n welchem nur die Wahl bleibt zwischen der Rettung des Lebens des einen auf Kosten des Lebens des anderen Menschen und dem Unterlassen jeder Rettungshandlung mit der sicheren Folge des Todes beider Menschen. Hier w i r d derjenige, der sich zum Handeln gemäß der ersten Alternative entschließt, als durch übergesetzlichen Notstand gerechtfertigt angesehen65. Beim „Tyrannenmord" geht es nicht darum, zu handeln und so wenigstens einen der zwei sonst, beim Unterlassen des Eingreifens, dem sicheren Tode preisgegebenen Menschen zu retten, sondern es geht darum, einen Menschen zu töten, weil er seinerseits Unrecht getan hat. Wenn die Tötung dieses Menschen gerechtfertigt sein soll, so ist damit die Anerkennung eines allgemeinen Rechtes zur Unrechts- und Verbrechensbekämpfung i n eine bedrohliche Nähe gerückt. Wie bereits erwähnt, ist es aber ganz sicher, daß es ein solches Recht nicht gibt. I m übrigen kann nur derjenige Täter gerechtfertigt sein, der einem eindeutigen Sittengesetz folgend handelt 66 . Ein solches eindeutiges Sittengesetz, welches die Tötung eines „Tyrannen" befiehlt, gibt es nicht 67 . Es ist zwar seit dem Mittelalter gelegentlich für besondere Situationen betont worden, die Tötung eines „Tyrannen" sei erlaubt, ja sogar geboten 68 . Heute w i r d aber kaum noch die Meinung vertreten, eine solche Handlung sei eindeutig erlaubt. K a r l Barth z. B. hält es für möglich, daß ein Mensch i m extremen Fall, wenn alle anderen Mittel zur Besserung der Verhältnisse versagen, einen klaren, kategorischen Befehl Gottes empfindet, einen Gewalthaber zu töten, der wegen seiner Unrechts- und Willkürherrschaft das ganze Staatswesen und alle Staatsbürger i n ein nicht mehr gutzumachendes Verderben 84 B G H i n : N J W 1953/513 = Lindenmaier — M ö h r i n g Nr. 19 zu § 211 StGB; s. auch Gallas i n : Mezger-Festschrift, S. 327; anders f ü r den F a l l der Tötung Hitlers, allerdings m i t recht summarischen Erwägungen, Schier, i n : Geschichte 1959/614 f. 65 Schönke-Schröder, 10. Aufl., Vorbem. I I I , 10 vor § 51 StGB. 66 OGHSt 2/117. 87 s. dazu Trillhaas, a. a. O., S. 392. 88 Näheres bei Spörl, Gedanken u m Widerstandsrecht u n d Tyrannenmord i m Mittelalter, i n : Pflster u. Hildmann, a. a. O., S. 21 fl.

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stürzt. I n einer solchen Situation kann die Tötung des „Tyrannen" ein A k t des Gehorsams gegen Gottes Gebot sein und dadurch auch zur Rechtfertigung vor Gott führen 89 . Wo dieser klare Befehl aber nicht empfunden wird, ist solches T u n nicht erlaubt. Ein eindeutiges Sittengesetz, wonach der „Tyrannenmord" i n jedem Falle erlaubt wäre, liegt deshalb auch nach dieser Ansicht nicht vor. Ähnliches kommt bei Thielicke dadurch zum Ausdruck, daß er i n einem Attentat auf den „Tyrannen" eine Notstandsmaßnahme sieht, für die der Handelnde durch einen wagenden Gewissensentschluß die Schuld verantwortlich übernehmen muß, für die er aber Gottes Vergebung erhoffen darf 7 0 . Es gibt aber gewichtige Stimmen, die zu allen Zeiten ein Recht zum „Tyrannenmord" i n vollem Umfange verneint haben. Dazu gehört auch die neuere katholische Lehranschauung, die bestimmte Regeln für einen solchen Fall entwickelt hat: Sie unterscheidet zwei Arten von „Tyrannen", nämlich denjenigen, der sich i m Gegensatz zur bestehenden Staatsgewalt mit Waffengewalt i n den Besitz der Macht i m Staate zu setzen trachtet, und den formell ordnungsgemäß i n den Besitz der Macht gelangten Herrscher, der aber seine Macht verbrecherisch ausnützt. Gegen ersteren darf der Staat und das Volk sich mit den gleichen Mitteln wehren, mit denen es angegriffen wird. Die zweite A r t stellt die A r t des „Tyrannen" dar, um die es bei der Frage nach der Erlaubtheit des„Tyrannenmordes" geht. Die Tötung dieser A r t von „Tyrannen" ist nach der katholischen Lehre nicht erlaubt, es sei denn, es lägen i m konkreten Fall die Voraussetzungen der Notwehr vor 7 1 . Liegt aber Notwehr vor, so stellt sich die Frage einer Rechtfertigung durch übergesetzlichen Notstand nicht mehr. Wenn somit kein eindeutiges Sittengesetz vorliegt, welches den „Tyrannenmord" erlaubt, so muß es für die Rechtswissenschaft bei dem anfangs angeführten Grundsatz verbleiben, daß der übergesetzliche Notstand nicht zur Rechtfertigung der Tötung eines „Tyrannen" herangezogen werden kann, der „Tyrannenmord" also immer eine rechtswidrige Tötung darstellt. Es braucht hier nicht mehr näher untersucht zu werden, ob in einem solchen Falle die strafrechtliche Schuld des Täters auf andere Weise ausgeschlossen sein könnte 7 2 , sei es i m Einzelfall vielleicht auch durch einen beim Täter vorliegenden Verbotsirrtum oder einen sonstigen Schuldausschließungsgrund 73 . Das würde an der Rechtswidrigkeit der Tötung nichts ändern. Der Täter müßte dann den Mitmenschen w

Barth, Kirchliche Dogmatik, Bd. I I I T e i l 4,1951, S. 513 ff. a. a. O., Bd. I I T e i l 2, S. 416—419. 71 Angermair, i n : Pflster u. Hildmann, a. a. O., S. 122 ff. 72 I n Weiterentwicklung der v o m O G H i n OGHSt 1/321 u. 2/117 herangezogenen Grundsätze. 75 s. Welzel, i n : M D R 1949/373 ff. 70

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gegenüber das Odium rechtswidrigen Handelns auf sich nehmen. Unter Umständen kann es sich hier also um einen echten Pflichtenkonflikt handeln, der für die menschliche Rechtsordnung nicht lösbar ist und wo der Täter allein auf seinen Glauben und die Rechtfertigung vor Gott angewiesen sein kann.

d) Schlußbetrachtung

Da i m 5. Kapitel als besonderes Merkmal der Revolution die Rechtswidrigkeit des revolutionären Handelns herausgestellt worden ist und i n dem i m vorliegenden Kapitel geschilderten Ausnahmefall kein rechtswidriger Hochverrat i n dem Unternehmen des gewaltsamen Umsturzes gesehen werden kann, so ergibt sich die Frage, ob denn i n einem solchen Falle überhaupt eine Revolution vorliegt, ob es nicht vielmehr an einem wesentlichen Tatbestandsmerkmal einer Revolution fehlt und dieser Ausnahmefall einen anderen staatsrechtlichen Tatbestand darstellt. Damit würde dann gleichzeitig wieder die Frage gestellt werden müssen, ob diese A r t von Revolution richtigerweise nicht doch als ein Fall der Ausübung des Widerstandsrechts anzusehen ist. Diese letztere Frage muß verneint werden. Man darf nicht übersehen, daß auch dieser Ausnahmefall des Staatsumsturzes ohne jeden Zweifel dieselben staatsrechtlichen Folgen wie jede andere, rechtswidrige Revolution hat. I n beiden Fällen ist auch das Ziel und der Ablauf des Geschehens derselbe: Die bestehende Staatsordnung w i r d auf gewaltsame Weise und entgegen den für Verfassungsänderungen bestehenden Regeln beseitigt und eine neue Ordnung w i r d eingeführt. M i t dem Widerstandsrecht würde dieser Ausnahmefall der Revolution nur die Tatsache der Unrechtsbekämpfung gemeinsam haben, während die Ziele beider Tatbestände einander unvereinbar gegenüberstehen. Deshalb geht der Umsturz einer Gewalt- und Willkürherrschaft — wie schon mehrfach betont — über die Ausübung des Widerstandsrechts hinaus. Das alles rechtfertigt es, einen Umsturz dieser A r t nicht zu den Fällen der Ausübung des Widerstandes zu zählen und dafür auch nicht noch einen neuen staatsrechtlichen Begriff zu bilden, sondern in dem Geschehen eine Revolution — wenn auch eine solche besonderer A r t — zu sehen. Das Ergebnis ist dann also, daß es in einem Ausnahmefall doch einmal eine nicht rechtswidrige Revolution geben kann, nämlich dann, wenn es sich um einen gewaltsamen Umsturz einer reinen Gewalt- und Willkürherrschaft und die Einführung einer dem Recht gemäßen Staats- und Verfassungsordnung handelt. Die Tatsache der ausnahmsweisen Rechtfertigung dieses Umsturzes w i r d allerdings — genau wie beim Widerstand gegen unrechtmäßige Ausübung der Staatsgewalt — erst nach Beendigung der Gewalt- und 8

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Willkürherrschaft praktische Bedeutung erlangen. Der Unrechtsstaat selbst w i r d eine mißlungene Revolution immer als strafbaren Hochverrat ansehen und die Revolutionäre zu bestrafen und unschädlich zu machen wissen. Sind aber wieder rechtsstaatliche, menschenwürdige Verhältnisse eingetreten, so ist es nicht gleichgültig, ob diejenigen, die aus hoher ethischer Verantwortung heraus einen erfolglos gebliebenen gewaltsamen Umsturz der Willkürherrschaft unternommen haben, als strafbare Hochverräter oder als nicht nur ethisch, sondern auch j u r i stisch Gerechtfertigte dastehen. Die Situation entspricht insofern derjenigen nach Ausübung des Widerstandsrechts, so daß hier zur Abrundung des Bildes auf die Ausführungen des 3. Kapitels dieser Abhandlung verwiesen werden kann.

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Zeitschriften

und deren

Abkürzung

DJZ DRZ

Deutsche Juristenzeitung, Berlin, Deutsche Rechtszeitschrift, Tübingen Deutsche Fragen (Informationen u n d Berichte aus Mitteldeutschland als Beitrag zur Wiedervereinigung), Berlin

DÖV

Die öffentliche Verwaltung, Zeitschrift f ü r V e r w a l tungsrecht u n d Verwaltungspolitik, Stuttgart Geschichte i n Wissenschaft u n d Unterricht, Zeitschrift des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands, Offenburg Juristische Wochenschrift, Leipzig Juristenzeitung, Tübingen

Geschichte

JW JZ MDR NJW

Monatsschrift f ü r deutsches Recht, H a m b u r g Neue Juristische Wochenschrift, München, Berlin, Frankfurt/M. Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht, M ü n chen, Berlin, F r a n k f u r t / M .

RzW

Recht i n Ost u n d West, Zeitschrift f ü r Rechtsvergleichung u n d interzonale Rechtsprobleme, B e r l i n Der Staat, Zeitschrift f ü r Staatslehre, öffentliches Recht u n d Verfassungsgeschichte, B e r l i n Zeitschrift f ü r die gesamte Strafrechtswissenschaft, Berlin

ROW Staat ZStW

Die amtlichen

BVerfGE BGHZ BGHSt RGZ RGSt OGHSt

= = = = = =

Sammlungen der Entscheidungen folgender Gerichte:

des Bundesverfassungsgerichts des Bundesgerichtshofs i n Zivilsachen des Bundesgerichtshofs i n Strafsachen des Reichsgerichts i n Zivilsachen des Reichsgerichts i n Strafsachen des Obersten Gerichtshofs f ü r die britische Zone i n Strafsachen