Werkruinen, Lebenstrümmer: Literarische Spuren der 'verlorenen Generation' des Dritten Reiches. 9783484321274, 348432127X, 9783110919165

This book recalls young writers who made their debut in the Third Reich or experienced their literary breakthrough in th

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German Pages 261 [264] Year 2006

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Werkruinen, Lebenstrümmer: Literarische Spuren der 'verlorenen Generation' des Dritten Reiches.
 9783484321274, 348432127X, 9783110919165

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Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte Band 127

Hans Orlowski: Ohne Titel

Horst Denkler

Werkruinen, Lebenstrümmer Literarische Spuren der >verlorenen Generation< des Dritten Reiches

Max Niemeyer Verlag Tübingen 2006

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.cle abrufbar. ISBN-13: 978-3-484-32127-4 ISBN-10: 3-484-32127-X

I S S N 0083-4564

© M a x Niemeyer Verlag G m b H , Tübingen 2006 http://www.niemeyer.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz: Dr. Gabriele Herbst, Mössingen Druck: L a u p p & Göbel, Nehren Einband: Industriebuchbinderei Nädele, Nehren

Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung

IX

Einleitung: Literaturarchäologische Erkundungen

ι

Verstecken, suchen, lesen

ι

Auflistung der O p f e r

3

>Verlorene Generation
Drittes Reich< am io. 7. 1939 zurückzog, wird er aus pragmatischen Gründen (und in weitgehender Ubereinstimmung mit der Forschungsliteratur) auch für die Restzeit bis zum 8.5.1945 verwendet. Für ein oft gebrauchtes Stichwort, zwei oft erwähnte Archive, eine oft herangezogene Zeitschrift und zwei oft zitierte Quellenwerke gelten die folgenden Abkürzungen: -

Fundort: F; Bundesarchiv Berlin, ehemaliges Berlin Document Center: BArch (ehem. B D C ) , Akten der dort aufbewahrten Reichsschrifttumskammer in der Reichskulturkammer: R K / R S K (bei anderen Ämtern die für diese vorgeschriebenen Buchstabenkombinationen);

-

Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar: D L A ; Das Innere Reich. Zeitschrift für Dichtung, Kunst und deutsches Leben 1 - 1 1 (1934-1944/45): D I R ;

-

Eugen Ciaassen: In Büchern denken. Briefwechsel mit Autoren und Ubersetzern. Herausgegeben von Hilde Ciaassen. Hamburg, Düsseldorf 1970: B w Ciaassen; X

-

Jochen Klepper: Unter dem Schatten deiner Flügel. A u s den Tagebüchern der Jahre 1932-1942. Herausgegeben v o n Hildegard Klepper. Auswahl, Anmerkungen und N a c h w o r t v o n Benno Mascher. 16.-25. Tausend. Stuttgart 1957: T b Klepper.

Es wäre naiv, nicht vorauszusehen, daß sich über die angeführten konzeptionellen Vorentscheidungen und ihre praktische Umsetzung streiten läßt, und es muß zugegeben werden: Die nun folgenden Kapitel sind angreifbar. D o c h w e n n sie das nicht wären, hätten sie nicht geschrieben zu werden brauchen. Ihren Mutwillen, in vermintem Gelände v o n vorgezeichneten Bahnen

abzuweichen

und

dem

eigenen

Gutdünken

zu

folgen,

rechtfertigen sie im Anschluß an A r n o Schmidt, der es nicht auf den L o h n und das Echo einer Arbeit ankommen lassen wollte, sondern darauf, daß man sie macht. Was mich wiederum bestimmt, es mit Wilhelm Raabe zu halten. N a h m er sich doch heraus, Unzeitgemäßes zu versuchen, o b w o h l der Zeitgeist dagegen sprach. Berlin, im Juli 2005

H . D.

XI

Einleitung Literaturarchäologische Erkundungen

Verstecken, suchen, lesen Im April 1945 näherten sich amerikanische Angriffsspitzen meiner Heimatstadt. Damals nahm meine Mutter eine Handvoll Bücher aus unserem Bücherschrank und verbarg sie im Holzstall; denn sie konnte nicht wegwerfen, was Geld gekostet hatte. Darunter befand sich Hans Zöberleins nationalsozialistisches Frontvermächtnis Der Glaube an Deutschland (1931), ein blauer Leinenband mit Goldprägung, dessen schwülstiger Titel meinem kindlichen Pathosbedürfnis entsprach und deshalb in meinem Langzeitgedächtnis haften blieb. Welche Bücher sonst noch versteckt wurden, kann ich mir zwar denken, weiß ich aber nicht. Denn obwohl der verborgene >Bücherschatz< meine abenteuerdurstige Jungenphantasie erregte, vermochte ich es nicht mehr herauszufinden, da wir bald danach umgezogen sind und mit Haus und Hof auch die Bücher im Holzstall zurückgelassen haben. Doch gerade weil sich meine Erinnerung mit dem Ungefähren zufrieden geben mußte und ich nie herausbekam, was das Bücherversteck enthält, vergaß ich es nie. Allerdings wäre es übertrieben zu behaupten, ich hätte mir das Verlorene in das imaginäre Museum meines Kopfes zurückholen und dort wieder aneignen wollen, als ich begann, Literatur aus dem Dritten Reich zu lesen. Zutreffender ist, daß ich dem Geheimnis der versteckten Bücher auf die Spur zu kommen hoffte und zu erfahren wünschte, ob sie verdienten, in den Bücherschrank aufgenommen, aus ihm entfernt und zwischen dem Brennholz versteckt zu werden. Obwohl ich auf grobe Enttäuschungen gefaßt war, spornte mich Entdeckerlust zu umfassender Lektüre an: Ich mußte zwar mit der vorausgesagten Erkenntnis rechnen, daß manche, viele oder alle Bücher des Dritten Reiches in den Holzstall und das heißt auf den Müllhaufen der Geschichte gehören; solche Hemmungen überwand jedoch meine Prospektoren-Erwartung, im Holzstall Schätze heben zu können, die als lesenswerte Bücher vorzuzeigen sind. Dabei erübrigt sich die Frage, ob diese Suche nach dem Lesenswerten jene Bücher miterfaßt hat, die meine Mutter verschwinden ließ; zu fragen 1

bleibt dagegen nach dem Wertbestand meiner Lesefrüchte, mit denen ich Informationslücken der stillschweigend vorausgesetzten literaturwissenschaftlichen Forschung schließen und das allgemeine Lektürespektrum erweitern möchte. Ob sich das von mir Gelesene wiederzulesen lohnt, sollen und müssen freilich diejenigen entscheiden, die meinen Lesehinweisen folgen wollen und sich nicht zu schade sind, zu verschollenen Büchern zu greifen, mit denen sich weithin vergessene Autorinnen und Autoren auf dem politisch gelenkten und kontrollierten Buchmarkt der nationalsozialistischen Diktatur mit seinen geduldeten oder übersehenen Nischen zu behaupten suchten. Ich führe nur zu Büchern und Menschen hin, die das literarhistorische Epochenpanorama vervollständigen, welches die Forschung abgesteckt hat: Franz Schonauer mit seiner bahnbrechenden Annäherung, Horst Denkler und Karl Prümm mit ihrer Bestandsaufnahme, Hans Dieter Schäfer mit seiner Standortbestimmung, Jan-Pieter Barbian mit seiner Bedingungsregistratur, Uwe-Karsten Ketelsen mit seinem Strukturierungsversuch, Ralf Schnell mit seinem Geschichtsabriß, Heidrun Ehrke-Rotermund und Erwin Rotermund sowie Sebastian Graeb-Könneker mit ihren Literaturübersichten und viele andere mit konkretisierenden und vertiefenden Einzelstudien. 1 Nun ließe sich allerdings leicht einwenden, daß es nicht allem im Geschichtsverlauf Verschütteten bekommt, wenn es freigelegt und der mildtätige Mantel des Vergessens weggezogen wird. Und es wäre noch hinzuzufügen, daß solche Ausgrabungen oft genug auch die Ausgräber ernüchtern, verstören oder entsetzen. Doch solchen Einwänden ist ebenso leicht mit Gegenmeinungen zu begegnen, die sich auf Sigmund Freuds 1

Franz Schonauer: Deutsche Literatur im Dritten Reich. Versuch einer Darstellung m polemisch-didaktischer Absicht. Ölten, Freiburg 1. Br. 1961. — Horst Denkler und Karl Prümm (Hrsg.): Die deutsche Literatur im Dritten Reich. Themen - Traditionen - Wirkungen. Stuttgart 1976; ergänzend dazu: Denkler: Was war und was bleibt? Zur deutschen Literatur im Dritten Reich. Neuere Aufsätze. Frankfurt am Main 2004. - Hans Dieter Schäfer: Das gespaltene Bewußtsein. Uber deutsche Kultur und Lebenswirklichkeit 1 9 3 3 - 1 9 4 5 . München, Wien 1981. - Jan-Pieter Barbian: Literaturpolitik im »Dritten Reich«. Institutionen, Kompetenzen, Betätigungsfelder. München 1995. — U w e - K . Ketelsen: Literatur und Drittes Reich. Schernfeld 1992. - Ralf Schnell: Dichtung in finsteren Zeiten. Deutsche Literatur und Faschismus. Reinbek 1998. - Heidrun Ehrke-Rotermund und Erwin Rotermund: Zwischenreiche und Gegenwelten. Texte und Vorstudien zur >Verdeckten Schreibweise< im »Dritten Reich«. München 1999. - Sebastian Graeb-Könneker: Literatur im Dritten Reich. Dokumente und Texte. Stuttgart 2001. - Ergänzend und zu kontrapunktischer Lektüre empfohlen, weil in radikalem Widerspruch zu den meisten der Genannten, insbesondere zu mir und damit auch zum Vorliegenden: Günter Scholdt: Kein Freispruch zweiter Klasse. Zur Bewertung nichtnazistischer Literatur im »Dritten ReichHalbjüdin< und Ruth Hoffmann als Gattin eines (1943 in Auschwitz umgebrachten) Juden betroffen; zum Rückzug aus der literarischen Öffentlichkeit wurden Martha Saalfeld (1933-1945) und Gottfried Benn (1938-1945) gezwungen; Legion sind schließlich die Autorinnen und Autoren, die wie Walter Bauer, Paula Ludwig, Bastian Müller, August Scholtis, Eduard Zak mit den nationalsozialistischen Kontrollinstanzen in Konflikt gerieten und infolgedessen die Akten der (schriftstellerische Berufserlaubnisse und Berufsverbote erteilenden) Reichsschrifttumskammer anschwellen ließen. Diese Opferliste verlängert sich ins kaum noch Meßbare, wenn die (auf dreißig- bis vierzigtausend Personen geschätzten) Geistesschaffenden hinzugezählt werden, die (im Strom von drei- bis vierhunderttausend Exilanten) Deutschland verlassen mußten: Als »zersetzende Mächte« geschmäht und als »kommunistische Ideologen«, »bürgerliche Intellektualisten«, »unverbesserliche Rückwärtsschauer«, verlogene >HumanitätsphilisterZivilisationsliteratenKulturbolschewisten< und schmarotzende »jüdische Literaille« abgetan, waren sie den oft beschworenen Höllen des Exils ausgesetzt, die nur höchst selten zu Paradiesen mutierten. 4 Und die Opferliste verliert sich ins Unabsehbare, sucht man zu erfassen, wen der von den Nationalsozialisten entfesselte Rassen-, National- und Weltanschauungskrieg mit seinen Vorgefechten und seiner Nachgeschichte zerbrach und verschlang.

Die Stunde der Dichtung. In: Der Bücherwurm 18 (Ende April 1933) 5, S. 89. Der 30. Januar. In: Widerstand 9 (1934) 2, S. 62. - Friedrich Hedler: Die deutsche Dichterakademie. In: Die Neue Literatur 34 (1933), S. 260; Will Vesper zu: Hanns Heinz Ewers: Horst Wessel. Ebd. S . 2 2 1 ; Unsere Meinung. Ebd. 36 (1935), S. 297; Hjalmar Kutzleb zu: Johan Huizinga: Im Schatten des Morgen. Ebd. 37 (1936), S.481.

4

Doch während die Lebensspuren und das Lebenswerk der meisten verjagten, gequälten, ausgebeuteten und ermordeten Opfer des nationalsozialistischen Terrorregimes als manchmal lange verzögerte Sühne- und Wiedergutmachungsleistung biobibliographisch gesichert und ins verpflichtende deutsche Kulturerbe eingebracht worden sind, so daß nur noch wenige Lücken zu füllen bleiben, verfielen viele der freiwillig oder unfreiwillig an den deutschen Fronten eingesetzten Kriegsteilnehmer dem kollektiven Vergessen, insbesondere aber die Vermißten oder Gefallenen, die sich nicht mehr um ihre Nachwirkung kümmern konnten. Dagegen erhielten die »verdorbenen Reste einer verheizten Generation«, die als »Geschlagene« gerade >noch einmal davongekommen< waren,5 ihre zweite Chance. Für sie öffneten sich nach der Zerschlagung des Dritten Reiches verschiedene Perspektiven. Anders als die Repräsentanten der älteren Generation wie Gottfried Benn und Ernst Jünger oder Reinhold Schneider und Ernst Wiechert, denen ihre ästhetische bzw. moralische Vorreiterrolle bereits in den dreißiger Jahren zugewachsen war und nun nach kurzer Quarantäne bzw. ohne Verzug wieder zugebilligt wurde, fanden sich die meisten Jüngeren genötigt, ihre Anfänge hinter sich zu lassen und neue Wege einzuschlagen. Am weitesten kamen dabei Autorinnen und Autoren, welche sich wie Gertrud Fussenegger, Franz Turnier, Gerd Gaiser, Franz Fühmann zu radikaler Umkehr gezwungen sahen, wie Günter Eich, Peter Hüchel, Marie Luise Kaschnitz, Wolfgang Koeppen längst vorbereitete Neuanläufe versuchten oder wie Elisabeth Langgässer und Hans Erich Nossack unterdrücktes und verborgenes Neues aus den Privatschubladen ziehen konnten und damit die Ausgangsbasis für ihre großen Nachkriegskarrieren legten. Schlechter erging es denjenigen, die wie Horst Lange über den Krieg nicht hinwegkamen oder wie August Scholtis durch die Vertreibung aus den deutschen Ostgebieten ihre Motiv-, Stoff- und Themenwelt verloren. Und ausgebrannt, mißachtet und beiseite geschoben fühlten sich Autoren wie Walter Bauer, den die Vergangenheit des Dritten Reiches nicht losließ, weil sie ihn gebrochen und um seine vielversprechenden Anfänge gebracht hatte. Auf literarische Nebengeleise wie das Jugendbuch oder ins literarische Asyl eigener Verlagsgründungen retteten sich unrehabilitierbare Nationalsozialisten wie Hans Baumann bzw. Gerhard Schumann, die nicht belletristisch verstummen wollten wie der Blut-undBoden-Dichter Walther Stanietz. Und ganz auf der Strecke blieben die Vermißten und Gefallenen, wenn sie nicht wie Felix Hartlaub in seiner

5

Erhard Eppler und Martin Gregor-Dellin, zit. in: Rolf Schörken: Jugend 1945. Politisches Denken und Lebensgeschichte. Frankfurt am Main 1994. S. 3of.

5

Schwester Geno oder Friedo Lampe in Johannes Pfeiffer einflußreiche literarische Fürsprecher fanden, die tradierfähige Werke in die Nachkriegszeit überführten: Wie das Beispiel zeigt, mußten engagierte, aber unprofessionelle Kriegerwitwen wie die Ehefrauen von H. G. Rexroth, Görge Spervogel oder Johannes Linke daran scheitern.

>Verlorene Generation< Den Toten des Zweiten Weltkriegs wurde nämlich nicht gehalten, was die nationalsozialistische Propaganda versprochen hatte. Ihnen blieben »Dankgefühl«, »Ehrfurcht« und Nachruhm ebenso versagt wie dauernde Nachlaßpflege und Werkbetreuung:6 Von wenigen Ausnahmen abgesehen, sind ihre Schriften nicht >am Leben gehalten< worden, haben sie sich nicht »der Mit- und Nachwelt ins Gedächtnis« geschrieben, wuchsen sie nicht im »Seelenraum« von Volk und Reich »geheimnisvoll weiter«.7 Ganz im Gegenteil: Die »unselige Generation« der Kriegstoten blieb im »Vorhof« ihrer »wahren Möglichkeiten« und mußte den »Abbruch« ihres »Anfanges« hinnehmen, weil der Krieg ihrer »künstlerischen Arbeit« ein »gewaltsames Ende« setzte.8 Und was sie hinterließ, waren biographische Lebenstrümmer und Werkruinen,9 die in den Sog der Niederlage und des Zusammenbruchs gerieten, dem Vergessen anheimgegeben wurden und mittlerweile ferner gerückt erscheinen als vereinsamte Soldatenfriedhöfe, denen zwar die trauernden Hinterbliebenen allmählich abhanden kommen, die Friedhofsgärtner und Gedenkredner aber treugeblieben sind. Daher meine ich nicht zu übertreiben, wenn ich ein 1946 eingebrachtes Stichwort von Bastian Müller aufgreife 10 und für die vernachlässigten, 6

7

8

9

10

Joachim von der Goltz: Hoffnung. In: D I R 9 (April 1 9 4 2 ) 1 , 8 . 21. - Josef Leitgeb (O): A m Rande des Krieges IV. Ebd. 9 (Oktober/November 1942) 7/8, S. 422. Paul Alverdes: Rückblick auf eine Ausstellung. Ebd. S. 356. - Rolf Meckler: Tat und Opfer. Ebd. 9 (Dezember/Januar 1942/43) 9/10, S. 554. - Gottfried FischerGravelius: Erinnerungen an Martin Raschke. Ebd. 10 (März 1944) 4, S. 3 50. Hans Georg Brenner: Brief vom 1 7 . 9 . 1 9 4 4 an Eugen Ciaassen. In: B w Ciaassen. S. 99. - Gerhard F. Hering: Brief vom 1 3 . 1 0 . 1 9 4 4 an Ciaassen. Ebd. S. 208. - Bastian Müller: Nachwort. In: Görge Spervogel: Der Hechtkönig und andere Erzählungen. Düsseldorf 1948. S. 199. - Alverdes (Anm. 7). S. 347. Den Begriff >Werkruinen< verdanke ich Michael Rutschky, der mir erlaubt hat, ihn in den Titel dieses Buches aufzunehmen. Rutschky spricht von »WerkRuinen« mit Bezug auf die hinterlassenen Schriften von Eugen Gottlob Winkler, Felix Hartlaub und Wolfgang Borchert in einer Rezension über Friedo Lampe, den er in diese Autorengruppe einreiht: Puppenstubenenge eines Hochbegabten. In: Frankfurter Rundschau ( 2 7 . 1 1 . 2 0 0 2 ) , Literatur, S. 2. Bastian Müller: Die »verlorene Generation< und wir. In: Welt und Wort 1 (1946), S. 1 7 3 - 1 7 5 . 6

übersehenen, vergessenen, verschollenen gefallenen u n d v e r m i ß t e n Schriftsteller die vorgeprägte u n d vorbelastete B e z e i c h n u n g der >verlorenen G e n e r a t i o n verwende, die ursprünglich f ü r die aus dem Ersten W e l t k r i e g heimgekehrten desillusionierten amerikanischen A u t o r e n eingeführt w u r de: V e r l o r e n e r als die v o m Z w e i t e n W e l t k r i e g Verschlungenen, denen sich versprengte u n d v e r s c h w u n d e n e Zivilisten aus den V o r k r i e g s j a h r e n u n d der Kriegs- u n d N a c h k r i e g s z e i t anreihen lassen, dürften w e n i g e Altersgruppen gewesen sein! U m sie der Vergessenheit z u entreißen u n d in ihrem literarischen U m feld z u erfassen, m ö c h t e ich im f o l g e n d e n die v e r w e h t e n Spuren freilegen, die diese /verlorene Generation< p h y s i s c h u n d psychisch aufgeriebener A n h ä n g e r , Verächter u n d G e g n e r des Nationalsozialismus

hinterlassen

hat: w e n i g e r als Friedhofsgärtner u n d G e d e n k r e d n e r denn als A r c h ä o l o ge, der Verschüttetes ausgräbt, das die W i e d e r e n t d e c k u n g aus historischen und/oder ästhetischen G r ü n d e n lohnt.

T h e m e n f e l d e r und Fallbeispiele D a b e i liegt es mir fern, an die nach dem Ersten W e l t k r i e g a u f g e k o m m e n e u n d im Dritten Reich z u m E x z e ß getriebene Tradition des schwülstigpathetischen Totenkultes anzuschließen, der das a n o n y m e Massensterben z u m sinnstiftenden heroischen O p f e r t o d f ü r V o l k u n d Vaterland stilisierte u n d T o t e u n d L e b e n d i g e z u r stets bereiten K a m p f f r o n t z u m Schutze u n d T r u t z e des immer bedrohten Reiches z u s a m m e n s c h w e i ß e n wollte. M i r geht es w e d e r u m den (von O t t o Brües 1924 versuchten) heldenverehrenden »Totendienst« n o c h u m die (von W o l f g a n g S c h w a r z 1943 angestrebte) Errichtung eines virtuellen literarischen »Tempels« f ü r die »auf dem K a m p f f e l d « gebliebenen »Frühbekränzten« z u deren » R u h m , D a n k u n d Verklärung«, w i e die H e f t r e i h e Das Gedicht

1942 titelte. 1 1 In U b e r -

einstimmung mit Ernst Jünger, daß solches T o t e n g e d e n k e n nach dem Z w e i t e n W e l t k r i e g (und d e m aus den angeführten Zitaten sprechenden M i ß b r a u c h durch die Nationalsozialisten u n d ihre Gesinnungsgenossen) »unmöglich« g e w o r d e n ist, 1 1 will ich kein T o t e n b u c h vorlegen, sondern 11

12

Otto Brües: Ver Sacrum: Den Gefallenen! In: Junge Mannschaft. Eine Symphonie jüngster Dichtung. Hrsg. von Martin Rockenbach. Leipzig und Köln 1924. S. 19. - Wolfgang Schwarz: Nachwort. In: Die Frühbekränzten. Worte gefallener deutscher Dichter von Einst und Heut. Planegg: Müllersche Verlagshandlung 1943. S 20jf. - Den Helden Ruhm, Dank und Verklärung. Das Gedicht. Blätter für die Dichtung 8 (März 1942) 6. Ernst Jünger: Siebzig verweht II. Stuttgart 1981. S.608. 7

die Literaturgeschichtsschreibung ergänzen: um Werke und Biographien spurlos verschwundener, abgetauchter, fortgedrängter, an irgendwelchen Frontabschnitten verscharrter oder verschollener Autoren, die bei aller Verschiedenheit das gemeinsame Wirkungsgeschick vereint. Aufgrund ihres früh abgerissenen oder lange beeinträchtigten Lebens und ihres fragmentarisch-torsohaften Werkes haben die meisten von ihnen wenig Wider- und Nachhall gefunden. Genauer gesagt: Fast alle sind so unbekannt geblieben, daß sie im Dritten Reich weder Bestsellerehren erwerben noch die Aufmerksamkeit der Schriftsteller-Registratoren Franz Lennartz und Hellmuth Langenbucher erringen konnten13 und in der Nachkriegszeit weder in die kanonbildenden neueren Anthologien 14 noch in die einschlägigen biographischen Lexika 15 einzudringen vermochten,16 sieht man von den traurigsten Nachschlagewerken, den auch nicht lückenlosen Kürschnerschen Nekrolog-Bänden, ab. 17 13

Tobias Schneider: Bestseller im Dritten Reich. Ermittlung und Analyse der meistverkauften Romane in Deutschland 193 3-1944. In: Viertel]ahreshefte für Zeitgeschichte 52 (Januar 2004) 1, S. 77-97. - Franz Lennartz: Die Dichter unserer Zeit. Einzeldarstellungen zur deutschen Dichtung der Gegenwart. 4. Aufl. Stuttgart 1941 (von den in meinen Fallbeschreibungen herausgestellten Autoren berücksichtigte Lennartz Carl von Bremen, Jochen Klepper, Johannes Linke und Martin Raschke). - Hellmuth Langenbucher: Volkhafte Dichtung der Zeit. 5. Aufl. Berlin 1940 (Langenbucher erwähnte von Bremen, Sepp Keller, Linke und Raschke).

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Literatur unterm Hakenkreuz. Das Dritte Reich und seine Dichtung. Eine Dokumentation. Hrsg. von Ernst L o e w y . Frankfurt am Main und Hamburg 1969 (keine Erwähnungen). - A m Rande der Nacht. Moderne Klassik im Dritten Reich. Hrsg. von Hans Dieter Schäfer. Frankfurt am Main, Wien 1984 (berücksichtigt ist Friedo Lampe). - Phantom der Angst. 33 Erzählungen aus Deutschland und Osterreich 1 9 3 3 - 1 9 4 5 . Hrsg. von Fritz Hofmann. 2 Bde. Berlin 1987 (aufgenommen ist Klepper). — Literatur im Dritten Reich. Hrsg. von Sebastian Graeb-Könneker (Anm. 1; berücksichtigt sind Klepper und Lampe, beiläufig erwähnt Keller und Raschke). - Zwischenreiche und Gegenwelten. Hrsg. von Heidrun Ehrke-Rotermund und Erwin Rotermund (Anm. 1; häufige Erwähnung: Klepper; beiläufig: Otto Karsten und Keller).

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Jürgen Hillesheim, Elisabeth Michael: Lexikon nationalsozialistischer Dichter. Biographien - Analysen - Bibliographien. Würzburg 1993 (berücksichtigt ist Linke). — Hermann Weiß (Hrsg.): Biographisches Lexikon zum Dritten Reich. Frankfurt am Main 1998 (berücksichtigt sind Klepper und Kleo Pleyer). - Hans Sarkowicz, Alf Mentzer: Literatur in Nazi-Deutschland. Ein biografisches Lexikon. Hamburg, Wien 2002 (berücksichtigt sind Klepper, Lampe und Raschke). Von 22 Autoren, für die hier Fallbeschreibungen vorgesehen sind, wurden in den erwähnten Nachschlagewerken und Anthologien also nur sieben ausführlicher berücksichtigt: vor 1945: von Bremen, Keller, Klepper, Linke, Raschke; nach 1945: Klepper, Lampe, Linke, Pleyer, Raschke. Kürschners Deutscher Literatur-Kalender: Nekrolog 1936-1970. Hrsg. von Werner Schuder. Berlin, N e w Y o r k 1973; Nekrolog 1 9 7 1 - 1 9 9 8 . Redaktion: Andreas Klimt. München, Leipzig 1999.

16

17

8

Zu diesen Verlorengegangenen gehören Zivilisten wie der in der Flüchtlingsanonymität versunkene Heinrich Dachs, der in provinzieller Enge auf sich und seine Skrupel zurückgeworfene Heinrich Jacobi sowie der ins ungewisse Ausland getriebene und dort spurlos verschwundene Johann Rabener, mit denen ich beginnen will, weil sie literarische Traditionen der Weimarer Republik aufgriffen und auf hochindividuelle Weise skandalisierend ins Dritte Reich überführten. Themenfeldern, die im nationalsozialistischen Deutschland bevorzugt wurden, blieben dagegen die folgenden, ebenso entschwundenen Kriegs- und Friedenstoten verpflichtet. Ins Abseitige führten Kilian Kerst, Kurt Hancke und Jens Heimreich, ins Ferne und Fremde des Exotischen und Extravaganten Werner Benndorf und Otto Nebelthau./^gewi/ stimulierte Fritz A. Mende, Görge Spervogel und Hans Löscher, Heimat Johannes Linke, Sepp Keller, Carl von Bremen, Josef Wiessalla und (den bis heute gelesenen) Friedo Lampe, Krieg Werner Siegel, Otto Karsten, Kleo Pley er, Martin Raschke und H. G. Rexroth und der sonst gern gemiedene Staat (den bis heute unvergessenen) Jochen Klepper. Und jeder Stoffkomplex fand in den dafür Genannten bemerkens- und erwähnenswerte Gestalter, die von vielen Mitstrebenden umgeben waren und deshalb auch als Glieder dieser historisch gewachsenen Generationsgemeinschaft betrachtet werden sollen. Denn ihre Stärken und Schwächen erklären sich nicht nur aus ihren individuellen Bildungsreserven und Begabungspotenzen, sondern auch aus dem Erfahrungsschatz, den sie mit ihren Generationsgefährten teilten. Daher möchte ich den Querschnittsdarstellungen generationstypischer Themenverarbeitung und den Fallbeschreibungen bemerkenswerter Einzelautoren und Einzelwerke eine Profilskizze der soweit umrissenen ^verlorenen Generation< voranstellen, um das Gemeinsame der vom Dritten Reich Eingeholten, Mobilisierten und Aufgeopferten zu bestimmen, von dem sich das Besondere der Einzelfälle konturgewinnend abhebt.

9

Erstes Kapitel Generationsprofil

Junge Generation im Dritten Reich Die Schriftstellergeneration, die den Preis für Nationalsozialismus und Krieg mit Leib und Leben bezahlte und - wie Wilhelm Hoffmann bereits 1948 feststellte - ihr literarisches Werk ins Verborgene versickern lassen mußte,1 bestand nicht nur aus jungen Frauen und Männern, war in den meisten Fällen aber jung genug, um freiwilligen oder unfreiwilligen Kriegsdienst im Zweiten Weltkrieg leisten zu können. Mit Ausnahme einiger (mit und neben ihr debütierender) Alterer, die ich ihr zuordnen möchte, setzte sie sich aus den seit der Jahrhundertwende geborenen Jahrgängen zusammen. Diese hatten den Ersten Weltkrieg im Schützengraben, in der Etappe oder an der Heimatfront erlebt, waren in der Inflationszeit und danach zum sozialen Existenzkampf angetreten und machten die (von der radikalen Rechten wie Linken abgelehnte) Weimarer Republik spätestens unter dem Eindruck der 1929 ausbrechenden Weltwirtschaftskrise dafür haftbar, daß sie sich um ihre gesellschaftlichen und beruflichen Selbstverwirklichungschancen gebracht sahen und »enterbt« fühlten:2 »So ganz ins Leere gestellt wie diese junge Generation war noch keine.«, meinte 1932 die Schriftleitung der Literarischen Welt-, sie sei in ein »großes Chaos« geraten, versicherte Otto Heuscheie 1933; das »Labyrinth« kakophonischer »Widersprüche« habe sie in tiefe »Ratlosigkeit« gestürzt, bekannte Gustav Hocke in einem offenen Brief an Alfred Döblin 1931 Obwohl diese Orientierungskrise Generationsgefährten wie Hans Hartmann, Frank Matzke, E. Günther Gründel u.a. veranlaßte, mit rich1

2

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Wilhelm Hoffmann: Deutsche Buchausstellung 1 9 3 3 - 1 9 4 5 . In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel. Frankfurter Ausgabe. Neue Folge 4 (1948) 8, S. 163. Leopold Dingräve (d.i. Ernst Wilhelm Eschmann): Wo steht die junge Generation? Jena: Eugen Diederichs 1 9 3 1 . S. 38. Einleitung zu dieser Nummer. In: Die literarische Welt 8 (1932) 1 5 / 1 6 , S. 1. Otto Heuscheie: E m Brief als Nachwort. In: Jugend in Front vor dem Leben. Hrsg. von Erich O. Funk. Wiesbaden: Verlag Der Weg 1933. S. 239. - Gustav [Rene] Hocke: Brief an Alfred Döblin. In: Alfred Döblin: Wissen und Verändern! Offene Briefe an einen jungen Menschen. Berlin: S. Fischer 1 9 3 1 . S . 1 4 , 1 3 und 15.

10

tungweisenden, Arbeit, Leistung, Kameradschaftsgeist und

Gemein-

schaftssinn einfordernden Programmschriften konkrete Zukunftsperspektiven zu eröffnen, 4 wurden die meisten parteipolitisch uneingeweihten und uneingebundenen Angehörigen der jungen Generation von der 1933 vollzogenen Machtokkupation der straff organisierten Nationalsozialisten überrumpelt, die - wie Joseph Goebbels im gleichen Jahre versprach und Karl August Kutzbach 1940 bekräftigte - als junge »Träger« einer »jungen Zeit« ein »jugendstarkes nationalsozialistisches Deutschland« heraufführen wollten.* Den »Geschehnissen der politischen Umwälzung« und den »sich überstürzenden Tagesereignissen« im Verlauf der messianisch gedeuteten oder apokalyptisch empfundenen deutschen >NotSchicksalsLebensDenkWeltJahrgang I902< und seine Aufgaben. In: Die Literatur 36 (1933/34), S. 1390. - Paul Fechter: V o m Ich zum Wir. In: Kindermann (Anm. 14). S. 146. Hans Diebow: Volksliteratur. In: Der deutsche Schriftsteller 1 (Januar 1936) 1, S.3. Zu Kindermann. In: Forum der Jugend (Anm. 16). S.46. - Haupt (Anm. 15). S.12. Franz Schauwecker: Ein Dichter und die Zukunft. In: Kindermann (Anm. 14). S. 226. - St. (d.i. Stapel): Deutsche Intelligenz heute. In: Deutsches Volkstum 17 (1935) 1, S. 8; Hans Wolfgang Hillers: Die 60 Thesen gegen das Elend der Literatur in Deutschland. Appell an die Dichter zwischen gestern und morgen. Berlin: Volkschaft-Verlag 1935. S. 42. Max Reuschle: Der Sinn des Gedichtes in unserer Zeit. In: Kindermann (Anm. 14). S. 226. - Haupt (Anm. 15). S. 31. - Hans Pels-Leusden: U m die Zukunft der deutschen Kunst. In: Kunst der Nation 2 (August 1934) 16, S. 1. Adolf Hitler, zit. von Will Vesper: V o m Sinn der Buchwoche. In: Die Neue Literatur 36 (1935), S. 643.

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Diesem Wirrwarr gegensätzlicher und letzthin nur durch Führerentscheid zu gewichtender Vorgaben gewannen die jungen Schriftstellerinnen und Schriftsteller genauso wie ihre älteren Kolleginnen und Kollegen jene »verheißungsvollen Möglichkeiten« ab, welche Ernst Niekisch 1932 mit hellseherischem Sarkasmus vorausgesehen hatte. 21 Unter Berufung auf kontrastierende Leitvorstellungen und mit Duldung oder Förderung divergierender Lenkungs- und Uberwachungsinstanzen konnten die Autorinnen und Autoren auf dem Spannungsbogen zwischen den oft beschworenen Gegensatzpolen von Innerlichkeit und Macht subjektive Standpunkte eigener Wahl beziehen, die sich von höherer Warte aus zur Einheit in der Vielheit zusammenführen ließen. Bei strikter Beachtung des (gefährlich dehnbaren) Verbots antifaschistischen, philosemitischen, >kulturbolschewistischen< und >entarteten< Schreibens durften sie sich auf die Seite der für das »Neue, Junge« Kämpfenden oder der altbewährten Traditionalisten schlagen, welche »die ewigen Werte des Menschseins in der Stille bergen« - von oben wurden sie als leistungsfähige und leistungsbereite »Erwachsene« zusammengesehen. 21 Sie mochten sich zu den »Stillen im Lande« hingezogen fühlen oder mit den »Ergriffenen und Gesegneten der Zeit« den »Faustkampf des Geistes« führen wollen - aus offizieller Sicht bildeten sie gemeinsam die nach innen wie außen wirkende Phalanx der »Künder deutscher Art« und Kultur. 23 So konnten sich junge Schriftstellerinnen und Schriftsteller im Verein mit den älteren leisten, verschiedene Arbeitsfelder und Wirkungsbereiche zu wählen, die zwar unterschiedlicher offizieller Wertschätzung unterlagen, aber gleichermaßen offiziell vereinnahmt wurden, sofern sie nicht dem offiziellen Verdikt verfielen: -

die mit Ämtern, Preisen, Stipendien usw. belohnte nationalsozialistische Kampf-, Marsch-, Feier- und Zeitliteratur als Artikulationsorgan »staatlichen Willens und gemeinschaftsbildender Bewegung«, 24 deren

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Niekisch (Anm. 12). Unser Erzählerpreis für 1938. In: die neue linie 9 (März 1938) 7, S. 64. - Rauch: Schluß mit >junger Generation^ Leipzig: Wolfgang Richard Lindner 1933. S. 60. - Fechter: Das Ende der Generationen. In: Deutsche Rundschau 64 (Dezember 1937), S. 1 7 1 . Richard Euringer: Revolutionäre Reihe? In: Wille und Macht 1 ( 1 . 1 2 . 1 9 3 3 ) 23, S. 21 f. — Hans Hmkel: Zum Geleit! In: Kmdermann (Anm. 14). S. 5; ders.: Zum Geleit. In: Handbuch der Reichsschrifttumskammer. Hrsg. von dems. Berlin 1937. S. 1 1 ; vgl. Goebbels: [Geleitwort]. In: Weimarer Blätter. O.O.: Reichsschrifttumsstelle 1938. S. 3. Deutsche Akademie der Dichtung. In: Der Bücherwurm 18 (August 1933) 8/9, S.161.

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Modernitätsanspruch durch den Zwang zu mobilisierender Kameradschaftlichkeit und volkstümlicher Massenwirkung nivelliert wurde; -

die (offiziell weitgehend unbelohnt bleibende, aber durch Leserzuspruch ermutigte) abseitig-stille Literatur im »Zwischenreich« 15 zwischen Regimebejahung und Regimeverneinung, deren Mittelkurs politische und ästhetische Kursausschläge gleichermaßen erschwerte und beschränkte;

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die ständig umdrohte, Werk und Autor gefährdende Literatur des verhüllt-enthüllten Mißvergnügens, Unbehagens, Widerspruchs, die mit der Anschuldigung völkisch-nationaler Zersetzung rechnen und ästhetische Wagnisse meiden mußte, um nicht aufzufallen.

Dementsprechend pegelten sich alle literarischen Lager auf eine mittlere Stillage ein und tendierten zur Produktion von »mittlerem Schrifttum« zwischen Höhenkamm- und Unterhaltungsliteratur, die nur wenige (und dann meist geringe) Abweichungen von der »gesunden Mitte« aufwies und deshalb neben beschwichtigender Zustimmung auch gelegentliche Unmutsäußerungen über das weitausgedehnte »Hügelland der ununterscheidbaren Mittelmäßigkeit« hinnehmen mußte.26 Literaturrevolutionäre >Ismen< konnten so nicht entstehen; im Gegenteil: Es bildete sich - wie Paul Fechter 1936 bilanzierte - »in der Literatur eine gewisse Einheitlichkeit des Niveaus wie der Thematik« heraus, »eine Art Durchschnittsliteratur mit gemeinsamen Zügen und gemeinsamer Technik«. 27 In diesem (bei allen Divergenzen homogenisierten) Breitenspektrum vermochten sich die im Dritten Reich debütierenden oder zu sich selbst findenden älteren, jungen und jüngsten Schriftstellerinnen und Schriftsteller mehr oder weniger bequem anzusiedeln und einzurichten: Ohne mit den verpönten Werken der exilierten oder zum Schweigen gebrachten Autorinnen und Autoren konkurrieren und sich an ihnen messen lassen zu müssen und schon bald mit vielem >Uberwundenem< nicht mehr vertraut, folgten sie Günter Eichs Losung: »Die Welt ist nirgends als hier.« 28 und stellten sich im Spannungsfeld des beschriebenen Kon-

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Jan-Pieter Barbian: Literaturpolitik im »Dritten Reich verhalf ihm zur Publikation seines opulent ausgestatteten Lyrikbandes Schaffend Herz (1936) und beförderte sein Gedicht

Arbeitshände

in die Anthologie Das Lied der Arbeit (1935) von Hans Mühle, die das »vom Klassenhaß befreite, für Deutschland hingegebene Arbeitserlebnis« unter dem Nationalsozialismus feiern sollte/ 5 Daß das bald darauf erscheinende Gedichtbuch des Autors neben diesem (Stolz auf körperliche Arbeitsleistung vermittelnden) Text auch Verse enthält, die von Lebensnot, Arbeitsqual, »schwarzen Zweifeln« (27) und tagsüber »drohnden Dingen« (52) sprechen, konnte Mühle noch nicht wissen; und wer sein Beiträger wirklich war, dürfte ihm - nach Maßgabe der abgedruckten Personenbeschreibung - wohl entgangen sein. 16 Der am 2 5 . 2 . 1 8 9 3 in Eßlingen geborene Arbeiterdichter Heinrich Edmund Dachs, der zwar konventionell reimte, aber zugleich originelle Sprachbilder für die Arbeitswelt fand und seine »Rhythmen« wie mit dem »Hammer« schlug/ 7 war nämlich nicht nur ein kriegsbeschädigter, zum Einkaufsingenieur aufgestiegener Maschinenschlosser. Wie Dachs der Reichsschrifttumskammer freimütig mitteilte, besaß er dazu eine hochbrisante politische Vergangenheit. Er hatte nämlich von 1919 bis 1929 der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) angehört, war von 1923 bis 1924 und 1925 bis 1931 als Techniker an der Handelsvertretung der Sowjetunion in Berlin beschäftigt und arbeitete von 1931 bis 1933 als Ingenieur beim Hauptamt für Werkmaschinenimport in Moskau. Nach seiner Rückkehr aus der Sowjetunion empfing ihn in Deutschland die Arbeitslosigkeit, die er mit ertragloser literarischer Betätigung zu kompensieren suchte. Wovon und wie er gelebt hat, bleibt ebenso dunkel wie der Beweggrund für seinen 1939 umgesetzten Entschluß, sich dem Nationalsozialistischen Kraftfahr-Korps ( N S K K ) anzuschließen; ab 1941 verlieren sich seine literarischen Spuren/ 8 Uber Dachs' persönlichen Verbleib vermelden die Einwohnerämter, daß er sich zunächst in Berlin aufhielt, in 15

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Dachs: A m Tor der Kindheit. Ebd. S. 42f. und: Der Schmied. In: Almanach der Dame. Zweite Folge auserwählter Gedichte. Berlin: Propyläen 1935. S. 80. Ders.: Schaffend Herz. Gedichte. Berlin: Holle o.J. (1936). — Ders.: Arbeitshände. In: Das Lied der Arbeit. Selbstzeugnisse der Schaffenden. Ein Querschnitt durch die Arbeitsdichtung der Gegenwart, in Zusammenarbeit der Deutschen Arbeitsfront mit dem Reichsnährstand, dem Reichsstande des Deutschen Handwerks und dem Arbeitsdienst hrsg. von Hans Mühle. Gotha: Leopold Klotz 1935. S. 2 1 0 und 169. - Mühle: Einführung. Ebd. S. 8. Das Lied der Arbeit (Anm. 15). S. 264. L. E. R. (d.i. Ludwig Emanuel Reindl) zu: Dachs: Schaffend Herz. In: Die Dame 63 (1936) 10, S. 40. Angaben nach den Akten der Reichsschrifttumskammer. F: B A r c h (ehem. B D C ) , R K / R S K , Dachs, Heinrich, 25. 2.1893; keine weiteren Informationen.

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den vierziger Jahren in Magdeburg wohnte und am 2. 2.1950 nach Augsburg umzog. Dort ist Heinrich Dachs am 10. 8.1969 gestorben. 2) Ein weniger bewegtes, aber wirkungsgeschichtlich genauso versikkerndes Leben hat HEINRICH JACOBI geführt. Am 2 1 . 1 1 . 1 8 9 2 in Darmstadt geboren und dort am 3 . 1 1 . 1 9 5 4 gestorben, verwundeter, beförderter und mehrfach ausgezeichneter Kriegsfreiwilliger des Ersten Weltkriegs und seit 1938 aus Altersgründen in den Landsturm überführt, promovierter Hauptschriftleiter der Eisleber Zeitung und als solcher seit November 1937 Mitglied der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP; Mitgliedsnummer 3.995.568),19 verfaßte Jacobi in der abgeschiedenen provinziellen Industriestadt Eisleben als nichtverwöhnte »kleine Schreiberseele« in »mehr als trüber«, »halbseidener Zeit« sein erstes und letztes belletristisches Buch, den Reeder-Roman Der Großmast (1943). 10 Mit diesem Prosawerk suchte der Verfasser sein Versprechen einzulösen, »von dem Echten für die zu sprechen, die selbst vielleicht zu stumm sind, um hier überzeugend den Mund aufzutun«. 2I An Thomas Manns Buddenbrooks (1901) erinnernd, vermittelt Jacobis Geschichte vom allmählichen Niedergang einer männergeführten »Firma« (99) in der immer unheimlicher, unordentlicher, unsolider und maßloser ausfallenden Entwicklungsperiode von der Segel- zur Dampfschiffahrt zwischen der Jahrhundertmitte des 19. und den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts, wie »Frauen ihre Geschichte« schreiben, die »nicht geringer als die der Männer« gerät (105). Denn in einer »Welt«, wo »vieles [...] nicht so war, wie es hätte sein sollen« (243), sorgen sie einerseits dafür, daß das Leben nicht abreißt (237). Andererseits zeigen sie wie die als Mutter, Firmenretterin und Arbeitsbeschafferin exemplarisch herausgestellte Mittelpunktfigur Christine Larsen, daß sie mit pflichtbewußter Arbeitsbereitschaft, »hartem Willen«, »unbestechlichem Verstand« und »aufopfernder Hingabe« (237) auch im ernsten, schweren, verantwortungsvollen Berufsleben (380) >ihren Mann zu stehen< vermögen. Als Repräsentantin »großer starker Frauen« (369) befand sich diese unbrechbare Kämpferin (256) in der zeitgenössischen Literaturlandschaft nicht allein, sondern am Ende einer ganzen Reihe: Vorausgegangen waren und mitgelaufen sind Jochen Kleppers tatkräftiges Schiffermädchen im Kahn der fröhlichen Leute (1933), Hans E. Oelrichs entsagend-pflichtbesorgte Ersatzmutter in der Schaukel (1943), Walter Bauers unehelich und 19 20

21

Angaben nach: F: BArch (ehem. B D C ) , R K / R S K , J a c o b i , Heinrich, 2 1 . 1 1 . 1 8 9 2 . Heinrich Jacobi: Briefe vom 9.8.1937 und 1 3 . 1 . 1 9 4 2 an Jochen Klepper. F: D L A , A: Klepper. - Ders.: Der Großmast. Roman. Hamburg: H. Goverts 1943. Jacobi: Brief vom 9. 8.1937 (Anm. 20).

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ehelich gebärende, ihren Mutterinstinkten gehorchende Familiengründerin und Familienhüterin im Herz der Erde (1933), Ruth Hoffmanns aufopferungsvoll-herzensgute, umsichtig-fleißige Kleinbürgerwitwe in Pauline aus Kreuzburg (1935), die sinnlich-lebenstüchtigen Sozialanarchistinnen in Josef Wiessallas Udyta (1940), August Scholtis' Baba und ihre Kinder (1934) und A. Artur Kuhnerts Großer Mutter vom Main (1935), welche als hellsichtige Hexen, gewiefte Uberlebenskünstlerinnen oder säkularisierte Fruchtbarkeitsgöttinnen ihre Kraft als >unbändige Weiber< beweisen.22 Gleichsam die Summe daraus ziehend, verbindet Jacobis Großmast das Lebensgesetz sippenfortpflanzender Sexualität mit dem Pflichtgebot entsagungsvoller Arbeit, ohne dabei an die subversiven Uberlebensstrategien anzuknüpfen, mit denen die erwähnten Romane von Wiessalla und Scholtis aufwarten. Jacobis Buch will vielmehr die unbefleckte und ungetrübte Hoffnung ausdrücken, daß die »Macht« des »Wahren, Schönen und Rechten« das »Unwahre, Böse und Gemeine« bezwingen werde (173), eine Botschaft, wie sie 1943 nicht erwünschter sein konnte. Daß der spannend erzählte Roman trotz seiner humanitären Grundtendenz im Nachkriegsdeutschland keine Neuauflage erlebte, mag auf den darwinistischen Ballast zurückzuführen sein, den er (neben einigen angeflogenen und hingeworfenen regimeverbundenen Begriffs- und Formulierungsklischees) mitschleppte. Die »kleine graue Stimme«, die der Autor mit eindrucksvoller Kraft erhoben hatte,23 verklang und wurde vergessen. 3) Nicht minder vergessen ist ein Autor, der als Verfasser »überhitzt« und »fiebrig« gescholtener Romanprosa24 zu den Verschollensten der Verschollenen zählt: JOHANN RABENER. Wahrscheinlich 1909 in Breslau geboren, wohl in verschiedenen Berufen tätig, nachweislich 1932/33 mit zwei Prosatexten in der Zeitschrift Uhu vertreten, ging er vermutlich 1935 ins Exil, wo nur noch der (von Geoffrey Dunlop aus dem Deutschen ins Englische übersetzte) Roman Please don't smile (London 1936) von ihm erschienen ist und sich alle weiteren Spuren verloren haben.25 Mit zwei »dostojewskihaften« Künstlerromanen suchte Rabener 1933 und 1935 »Bitternis«, »Verzweiflung und Skepsis« der nach dem Ersten

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Josef Wiessalla: Udyta. Roman. Berlin: Hans von Hugo 1940. S. 119. - Zu den anderen genannten Romanen: Kapitel 5 und 6. Jacobi: Brief vom 9. 8.1937 (Anm. 20). W. K. (d.i. Werner Klau): Krampf und neue Schlichtheit. In: Die Tat 25 (März 1934) 12, S. 992. Nach Renate Heuer, Archiv Bibliographia Judaica, Frankfurt am Main, 4 . 1 1 . 2004; keine Angaben im Β Arch (ehem. B D C ) . 28

Weltkrieg in Arbeits-, Sitten- und Aussichtslosigkeit entlassenen »Jugend ohne Väter und Lehrer« als Lebens-»Not aller deutscher Jugend« darzustellen.26 Bei den Nationalsozialisten und ihren Mitläufern, die Kinder und Jugendliche auf Partei und Staat auszurichten begannen, mußten seine beiden Bücher zwangsläufig als Verfallsprodukte einer überwundenen »alten Welt« empören,zumal sie dem Judentum durch verständnisinnige Würdigung von jüdischem Herz und Verstand wie durch unvoreingenommene Charakterdifferenzierung nach Wassermannschem Vorbild gerecht zu werden suchen und im Anschluß an den (mit fokussierendem Scharfblick aufdeckenden) Verismus der >Neuen Sachlichkeit fast gar nichts auslassen, was von offizieller Seite für >entartet< erklärt worden ist. So entfaltet der Erstling Verurteilt zum Leben (1933) 28 ein von Geldund Geschlechtsgier bestimmtes Kräftefeld, in dem sich ein schwacher junger Musiker - kein »Jungsiegfried«, kein »Eroberer« (60), kein »Ubermenschentyp« (201) - dem »würgenden Griff der unerbittlichen Realität« (163) zu entwinden und im brodelnden »Schlamm« (488) des »mörderischen Lebens« (474) zu behaupten sucht. Konfrontiert mit Ehekrieg, Ehebruch und Ehekatastrophe der Eltern, umgeben von Promiskuität, Prostitution, Exhibitionismus, Perversion, verwickelt in Blutschande mit der dirnenhaften Mutter und versinkend im sozialen Elend einer mittellosen Liebesehe, durchmißt Fedor Feuerstein seinen egomanen (Lieblosigkeit, Armut, Mißerfolg, Vergehen und Verbrechen einschließenden) Leidensweg durch die krisengeschüttelte, zynisch-brutale deutsche Nachkriegswelt, um ihn mit Muttermord und Doppelselbstmord abrupt abzubrechen. Auf ein glücklicheres, aber ebenfalls desillusionierendes Ende steuert der ähnlich strukturierte Folgeroman Denn ich bin ein Mensch gewesen (193 5)2' zu, in dem der junge (und erneut unheldisch-ohnmächtige) Schriftsteller Joachim Ruderer im gemeinen Höllenbabel der vom »Geldkampf« beherrschten verrohten »Nachkriegszeit« (48) einen ernüchternden Lernprozeß durchläuft. Nachdem ihm ein durch eigenes Leiden beglaubigtes Selbsterfahrungs- und Bekenntnisbuch keinen ökonomischen Gewinn gebracht, eine poetisch ambitionierte Erzählung keinen Kritikerbeifall erworben und ein erfolgreiches Machwerk den Selbstvorwurf eingetragen hat, zum »geistigen Selbsttöter« (441) herabgekommen zu sein, 26

Johann Rabener: Verurteilt zum Leben. Roman. Berlin: Rowohlt 1933. S. 500, 34, 164; ders.: Denn ich bin ein Mensch gewesen. Roman. Berlin: Rowohlt 1935. S. 1 1 8 . - W. K. (Klau; Anm. 24). S. 991. - Rabener: Leben. S. 500. 2 7 W. K. (Klau; Anm. 24). S. 991. 28 Rabener: Leben (Anm. 26). 29 Rabener: Mensch (Anm. 26).

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genügt es ihm schließlich, den halbwüchsigen Kindern seines Vermieters, eines unrentabel arbeitenden Friseurs im Berliner Arbeiterviertel Wedding, >richtige< und das heißt wirklichkeitsgetreue Geschichten ohne künstlerischen Anspruch zu erzählen (533). Obwohl diese resignierte Einsicht als Erkenntnisfortschritt zu deuten war, dürfte die darin gespiegelte Entschärfung des nihilistischen Radikalismus durch ein (für die Nationalsozialisten unerhörtes und verdammenswertes) Skandalon gestört worden sein: Ein hochsympathisch gezeichneter Frauenarzt, der unter der Unvereinbarkeit seiner Bindung an das angestammte Judentum und seiner unerwidert bleibenden Liebe zum deutschen Vaterlande leidet (394L), treibt aus Mitleid und Fürsorge das (väterlicherseits gewünschte, mütterlicherseits verschmähte) Kind der nichtjüdischen Geliebten des Schriftstellers ab, die an dem Eingriff stirbt. Daß der Gesetzesbrecher auch noch einen mitfühlenden Richter findet, dürfte dem schockierenden Einfall im Jahr des Erlasses der antisemitischen >Nürnberger Gesetze< die Krone aufgesetzt haben. Mit dem explizit ausformulierten Anspruch von Rabeners Romanen, das Leben »in der Mitte der Welt« (und nicht an ihrem »Rande«) aufzusuchen, »Wahrheitsforschung« statt »Belletristik« anzustreben, »genaue Rechenschaft« von allem >Menschlich-Fesselnden< mit Einbezug des Banalen und Kolportagehaften zu leisten; 3 " mit ihrem wortgewaltig eingelösten Vorsatz, Mitgefühl für die Leidenden in einer »Humanität«, »Erbarmen« und »Gerechtigkeit« mißachtenden Epoche zu erwecken; 3 : mit ihrer (Seitenaspekte und Nebenhandlungen souverän bündelnden) Erzählstrategie, einen auktorialen Wir-Erzähler mit der demonstrativ aufzeigenden Inszenierung der zeitgenössischen Lebensmisere zu betrauen; kurz, mit solchen Absichten, Tendenzen und Verfahrensweisen lesen sich Rabeners Romane wie ein letzter Abgesang auf die sozial engagierte, formästhetisch experimentelle Literatur der Weimarer Republik, die offizieller Verfemung verfallen war. Doch dabei ist es nicht geblieben; denn in Rabeners Leidensgeschichten war offensichtlich genug Anregungspotential enthalten, um andere Autoren zu ermuntern, sie in direktem Anschluß oder vermittelt über Dostojewski fortzuschreiben.

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Rabener: Leben (Anm. 26). S. 293, 105, 84, 1 1 2 . - Ders.: Mensch (Anm. 26). S.387. Rabener: Leben (Anm. 26). S. 494. 3°

Wege ins Dunkel Dabei ist weniger an Paul Gurk zu denken, der mit seinem stoffverwandten Passionsroman Berlin (i934) 31 den Leidensweg eines Büchertrödlers bis zum Freitod mit dem Strick darstellte und seinem toten Antihelden durch diesen Abgang den Triumph bescherte, dem »verfluchten, geliebten Berlin« die Zunge herauszustrecken (363): Nach glaubwürdiger, durch das spätexpressionistische Schreib- und Strukturierungsverfahren verbürgter Angabe des Autors zwischen 1923 und 1925 entstanden (6), handelt es sich wohl eher um einen Vorläufertext, dem Rabeners späterer, neusachlich geprägter Roman Verurteilt zum Leben zuvorkommen konnte, weil er früher einen Verleger gefunden hatte. Größere Nähe zu Rabener zeigten dagegen die beiden Hamburger Schriftsteller Martin Beheim-Schwarzbach und Joachim Maass, die ästhetisch zuspitzten und politisch radikalisierten, was von ihrem Vorgänger vorgegeben war. Im Gegensatz zu ihm sind sie und ihre Werke aber nicht ganz vergessen worden. Denn obwohl auch Maass und Beheim-Schwarzbach bei Kriegsausbruch das Exil wählten und eine »durch Hitlerzeit, Krieg und Nachkrieg gebrochene Wirkung« hinnehmen mußten,33 vermochten sich die beiden als (zeitweise bzw. für immer) nach Deutschland Zurückkehrende zumindest kurzfristig wieder in Erinnerung zu bringen. Ihren Oppositionsgeist hatten Beheim-Schwarzbach und Maass bereits 1934 mit ihrer Programmschrift Wesen und Aufgabe der Dichtung^ bewiesen. In dieser literarischen Standortbestimmung deuteten sie »Dichtung« als »geistig-ästhetische Uberwindung der Welt durch das Wort« (15) und schlossen daraus (mit unerwähnt bleibendem Bezug auf die repressive Literaturpolitik der Nationalsozialisten), daß die »Konflikte in der realen Welt« (13) mit Hilfe dichterischer »Gleichnisse« (12) in die »Wunschwelt« (13) der Dichtung übertragen und dort gelöst werden können. Dieses verhüllend-enthüllende Verfahren wendeten die beiden Autoren in ihren umdüsterten epischen Hamburg-Panoramen an: Das Leiden am Bösen und seine Uberwindung vergegenwärtigend, sind BeheimSchwarzbachs Roman Die Verstoßene (i938)3S und Maass' Roman Ein

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Paul Gurk: Berlin. Berlin: Holle 1934. Joachim Maass: Brief an Eugen Ciaassen vom 1 3 . 8 . 1 9 4 9 . In: B w Ciaassen. S - 3 57-

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Martin Beheim-Schwarzbach, Joachim Maass: Wesen und Aufgabe der Dichtung. Beilage zur Zeitschrift für Bücherfreunde (1934). Unveränderter Nachdruck: Hamburg 1948. Beheim-Schwarzbach: Die Verstoßene. Roman. Hamburg: H. Goverts 1938.

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Testament (1939) 36 von ihrem Verleger Eugen Ciaassen spürsinnig neben Horst Langes Schwarze

Weide (1937) gestellt worden,37 einen genauso

verfinsterten Bericht über Aufstieg und Fall des Bösen in einer niederschlesischen Sumpfregion, der später im Zusammenhang der Heimat-Diskussion eingehender betrachtet werden soll. Bei Beheim-Schwarzbach wie bei Maass liefert ein Mordfall den Anlaß für die Aufdeckung der verruchten »Welt des Leidens« gepeinigter Menschen, die nach dem »Guten und Rechten« dürsten. 38 Nachdem Luise Conradi, die Verstoßene in Beheim-Schwarzbachs Roman, von ihrem Vater mißbraucht, gequält, entwürdigt und zur (glücklicherweise mißlingenden) Selbsthinrichtung getrieben worden ist, retten sie die Zuwendung gesellschaftlicher Außenseiter und die Zuneigung eines jungen, durch schlechten Umgang unter die Räder gekommenen Abenteurers, der das vielversprechendste Abenteuer in der Vereinbarung von A r beit und Liebe erkennen lernt. Und nachdem in Maass' Testament die polizeilichen Verhöre zur Aufklärung der Ermordung des heruntergekommenen und verhaßten Familienvaters Ernst-Albert Tüllmann alle Familienmitglieder gezwungen haben, sich selbst zu prüfen und zur Rechenschaft zu ziehen, müssen sich Ehefrau und Kinder trotz erwiesener Unschuld Gedankenmord vorwerfen, der sich nur durch die bedingungslose Hingabe an das Gute, Schöne und Wahre sühnen läßt gemäß der zusammenfassenden Leitformel, die schon das Motto zu Maass' Kindheitsroman Die unwiederbringliche

Zeit (1935) bereitgestellt hatte: »Denken, was wahr ist; /

Fühlen, was schön ist; / Wollen, was gut ist.« 39 Doch gleichzeitig geben Die Verstoßene und Ein Testament zu bedenken, daß die Entscheidung zum Guten nicht ungefährlich ist, wenn die »Macht des Bösen« allenthalben und immerfort Angst verbreitet 40 - wobei mit der leitmotivischen Erwähnung einer unerbittlichen, metallischen, mißtönenden Lautsprecherstimme 41 oder mit verstreuten Bemerkungen über »die großen Übeltäter und Betrüger in der Geschichte«, über den triumphierenden »Wider- und Ohnegeist«, über die Siege des »Pöbels« usw. immer wieder Assoziationsangebote für die Beantwortung der Frage geliefert werden, wer mit den Bösen gemeint sein könnte, welche die >schwarzen Fahnen< der Angst 36 37

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J. Maass: Ein Testament. Roman. Hamburg: H . Goverts 1939. Ciaassen: Brief vom 1 9 . 8 . 1 9 3 8 an Horst Lange. F: D L A , A: Ciaassen Verlag, Lange. J. Maass (Anm. 36). S. 484. - Beheim-Schwarzbach (Anm. 35). S. 361. J. Maass: Die unwiederbringliche Zeit. Roman. Berlin: S. Fischer 1935. S. 6; vgl. ders. (Anm. 36). S. 485. J. Maass (Anm. 36). S. 366. - Beheim-Schwarzbach (Anm. 35). S. 328. Beheim-Schwarzbach (Anm. 3 5). S. 216, 245, 255. 32

aufgezogen haben. 42 Damit ermunterten beide Bücher ihre Leserinnen und Leser, die dargestellte Familienmisere als Allegorie auf die Gewaltherrschaft und Leidenswirklichkeit im Dritten Reich zu lesen, auch wenn dieser Zeitbezug durch leichte Zeitverschiebungen getarnt worden ist: Eugen Ciaassen wußte genau, warum er es 1940 nicht für klug hielt, »Details« über das »ganze Bände« füllende »konkrete Echo« des Testaments an den (in den Vereinigten Staaten weilenden) Autor brieflich weiterzugeben und damit der Auslandspost-Zensur zu verraten.« Leitete sich der Reiz der düsteren Bücher von Beheim-Schwarzbach und Maass bei ihrem Erscheinen aus ihrer politisch motivierten Doppelbödigkeit her, schwand das Gespür dafür nach dem Untergang des Dritten Reiches, so daß nur die schwer erträgliche Düsternis blieb. Wiederbelebungen vereitelnd, stieß sie nun genauso ab, wie sie zuvor manche Zeitgenossen fasziniert und andere verstört hatte. Man wollte in lichtere Gefilde entkommen, ein Verlangen, das sich schon in den dreißiger und vierziger Jahren als Sehnsucht zu artikulieren begann. Diesem Begehren suchte die Literatur auf verschiedenen Wegen zu genügen, die von ungezählten Autorinnen und Autoren eingeschlagen und begangen wurden. Manche unter ihnen kamen ans Ziel, etliche blieben auf der Strecke, die meisten sind vergessen, besonders jene, die der Zweite Weltkrieg oder andere Gewaltaktionen für immer aus ihrem schriftstellerischen Schaffen gerissen haben. Auf bemerkenswerte Einzelfälle aus dem größeren Kreis dieser Verschollenen und Verlorenen soll im folgenden hingewiesen werden.

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J. Maass (Anm. 36). S. 483, 508, 147, 3 53. Ciaassen: Brief vom 1 0 . 5 . 1 9 4 0 an J . Maass. In: B w Ciaassen. S. 342. 33

Paul Dietrich: Melancholie

Drittes Kapitel Einkehr ins Abseitige

L o b des Bescheidenen, Einfachen, Stillen Im November 1939 druckte die Zeitschrift Das Innere Reich den Holzschnitt Melancholie von Paul Dietrich ab.1 Er zeigt einen einsamen Menschen mit verhüllendem Umhang in Rückenansicht, der eine abgrenzende Mauer und einen verdorrten Baumstumpf hinter sich gelassen hat und in den aufgerissenen Himmel starrt, aus dem große schwarze Vögel auf ihn zufliegen. Obwohl der Titel den Bildinhalt festlegt, läßt die Graphik eine weitergefaßte Ausdeutung zu: Sie versinnbildlich den (von vielen zeitgenössischen Malern und Dichtern gewählten) »Gang« ins stille >Abseits< fern von Lärm, Gewühl und Tumult, wo »die großen und einfachen Dinge« sich ereignen, »der Blick sich nach innen« kehrt und »die innere Welt anfängt«.2 Bezeichnenderweise wurde dieser Rückzug in den »Innenraum der Welt«, der den Mut zu »tapferer Einsamkeit« im umdrohten »Winkel« verlangte, nicht nur von regimeabgekehrten >inneren Emigranten< wie Hermann Kasack, Ernst Wiechert und Jochen Klepper als defensive Notwehr vollzogen.3 Den Marsch »in das Innerste« traten auf der Gegenseite auch die Nationalsozialisten an, die ihn als offensiven »Aufbruch« verstehen wollten:4 Sie befolgten Befehle wie die (von Curt Langenbeck ausgege1 2

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Paul Dietrich: Melancholie. In: D I R 6 (November 1939) 8, S. 816. Hermann Kasack: Gang ins Innere (1934). In: Das ewige Dasein. Gedichte. Berlin: Suhrkamp 1943. S. 190; Oskar Loerke: Selbstgericht (Nachlaß). In: Die Gedichte. Frankfurt am Main 1984. S. 589; Kasack: Tagebuch-Notizen vom 23. 8.1935 und 1 3 . 6 . 1 9 3 6 u.a. In: Tagebücher. F: D L A , A: Kasack, Verschiedenes, Autobiographisches. - Hellmut Schlien zu: Max Frisch: Jürg Reinhart. In: Die Literatur 37 (1934/35), S.44. - Kasack: Tagebuch-Notiz vom 1 3 . 5 . 1 9 3 5 (s.o.); vgl. Jochen Klepper: Tagebuch-Notiz vom 24.3.1940. In: T b Klepper. S. 864. — Ludwig Friedrich Barthel: V o n der schöneren Weisheit. In: Dem inneren Vaterlande. Tübingen: Rainer Wunderlich 1933. S. 13. Kasack: Tagebuch-Notiz vom 1 0 . 1 0 . 1 9 3 5 . In: Tagebücher (Anm. 2). - Ernst Wiechert: Der Dichter und die Jugend. Mainz-Kastel: Hanns Marxen 1937. Unpaginiert. - Klepper: Tagebuch-Notizen vom 7 . 8 . 1 9 3 3 und 29.7.1940. In: Tb Klepper. S. 94 und 910. - Kasack: Tagebuch-Notiz vom 13. 7.1940 (s.o.). Ernst Egermann(O): Deutschland. In: D I R 5 (Dezember 1938) 9,S. 1020. - H e i n 37

benen) Losungen »Ruhig vorwärts! Menschlich ins Innere! Hart bis zum Äußersten! «s und suchten wie Baidur von Schirach, Heinrich Anacker und Eberhard Wolfgang Möller in »gewaltiger Zeit« den »Blick nach innen« zu lenken und mit solcher Sammlung auf innerste Kraftzentren zur »Revolutionierung der Gesinnungen« beizutragen; 6 denn: »Unsere Kunst, dem Inneren verhaftet, kann nur aus dem Inneren heraus wirken.«, meinte Bruno Brehm, der wie seine Parteigänger die Leitthese von Josef Magnus Wehner bejahte: »Ohne Innerlichkeit keine Macht.« 7 Diese Berufung auf das Abseitige, Stille, Innere, die bei gleichem Vokabular gegensätzliche Stoßrichtungen verfolgte, blieb freilich nicht unwidersprochen. Nationalsozialisten fühlten sich »nicht in eine Stille, sondern in eine Sturmzeit« geboren und wollten sie als »Nichtstille im Lande« kämpferisch bestehen. 8 In kulturwahrenden, mit der >Inneren Emigration sympathisierenden Zeitschriften wie der Neuen

Rundschau

wurde davor gewarnt, an der Gegenwart vorbeizuschreiben. 9 Und der oppositionelle Widerstand

nannte es ein volksschädigendes »Verbrechen«,

sich »dem Genuß eines >Innerlichkeit< genannten Opiums« hinzugeben. 10 Damit zeigt sich, daß Bejahung wie Verneinung des »Hangs« zur »Innerlichkeit« mit seiner Ausrichtung auf das »Beschränkte, Gemütliche und Kleine« 11 in der ganzen ideologischen Bandbreite von den Nationalsozialisten bis zu den Nichtnationalsozialisten geäußert wurden. Aus allen Lagern kamen daher auch die Texte, welche (den erwähnten Skrurich Anacker (S): Der lebendige Ring. In: Der Aufbau. Gedichte. München: Zentralverlag der N S D A P . , Franz Eher Nachf. 1936. S. 80. 5 Curt Langenbeck, zit. von Hermann Christian Mettin: Der Dramatiker Curt Langenbeck. In: D I R 3 (April 1936) 1, S. 1 2 1 . 6 Baidur von Schirach: In uns ist das Schweigen ... In: Die Fahne der Verfolgten (1932). 100. T. Berlin: Zeitgeschichte-Verlag 1943. S. 1 1 . - Anacker: Blick nach innen (Kapitelüberschrift). In: Der Aufbau (Anm. 4). S. 79. - Junges Schrifttum: Eberhard Wolfgang Möller. In: Das deutsche Wort (Die literarische Welt Neue Folge) 1 1 ( 1 3 . 2 . 1 9 3 5) 7, S. 6. 7 Bruno Brehm (O): Die ewige Wunde. In: D I R 1 (Mai 1934) 2, S . 2 7 1 . - Josef Magnus Wehner: Der Dichter und sein Volk. In: Heinz Kindermann (O; Hrsg.): Des deutschen Dichters Sendung in der Gegenwart. Leipzig: Philipp Reclam jun. 1933. S.235. 8 Hans Friedrich Blunck: Deutsche Kulturpolitik. In: D I R 1 (April 1934) 1, S. 127. — Richard Eurmger: Revolutionäre Reihe? In: Wille und Macht 1 ( 1 . 1 2 . 1 9 3 3 ) 23, S. 2 1 . 9 Wolf gang Müller: Die Wirklichkeit und die Zeit. In: Die neue Rundschau 52 (1941), S. 60. 10 Otto Nickel: Politische Existenz. In: Widerstand 9 (1934), S. 355. Vgl. dazu: Friedrich Georg Jünger: Die Innerlichkeit. Ebd. 7 (1932), S. 3ft2t. und Friedrich Gregorius: Kritik der Innerlichkeit. Ebd. 9 (1934), S. 419-425. 11 Friedrich Georg Jünger (Anm. 10). S. 362.

38

peln zum Trotz) den Weg ins Abseits des Einfachen, Stillen, Innerlichen eingeschlagen haben. Weit in der Uberzahl blieben dabei allerdings die Schriften der Regimeabgewandten und Regimegegner, die ihre Richtungsentscheidung aus politischer Not trafen, als ästhetischen Rettungsakt verstanden und nicht als Anlauf für ausgreifende Aggressionen mißbrauchen wollten. Und deutlich bestätigt sich das Qualitätsgefälle zwischen regimeabgekehrter und regimezugewandter Literatur, das von Jochen Klepper 1940 beobachtet worden ist12 und auch die Textauswahl für die folgende, an literarisch bemerkenswerten Beispielen interessierte Ubersicht beeinflußt hat.

Flucht aus der Welt Mit dem Titel von Ernst Wiecherts Erfolgsroman Das einfache Leben (1939), der Rückzug und Verzicht mit der Erlösungsperspektive sinnstiftender Arbeit verbindet, und mit der Uberschrift von Heinrich Ringlebs Entsagungsgeschichte Das kleine Leben (1941), die große Träume in der stillen »Verrichtung des Alltäglichen« (42) aufsteigen und wehmütig versinken läßt, ist die literarische Grundrichtung vorgegeben:1' -

-

-

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in die »Stille«, »die das Kleine groß macht und das Einfache erhaben« (33), wie in dem anbiedernden Monatsbilder-Buch Das Jahr (1938) des nach Deutschland zurückdrängenden Exilanten Ernst Glaeser;14 zu den »ganz einfachen positiven Dingen« im »Wunderlauf« des Lebens auf dem »lieben, schönen«, aber auch Schauder erweckenden »Planeten« Erde wie in den lakonischen Lob-, Preis-, Dank- und Trostgedichten des regimeabgewandten Parteianwärters Paul Appel; 1 ' in die als »Mitte aller Ferne« genossene Geborgenheit des »Gewohnten und Bewohnten«, wo sich »Kleines« aus dem großen Lebensfluß herausheben läßt, wie in den - zunächst unter dem Namen des Steiermärkers Hans Vlasics eingeführten - Haussprüchen (1940) Thomas Klepper: Tagebuch-Notiz vom 22.4.1940. In: T b Klepper. S. 873. Ernst Wiechert: Das einfache Leben. Roman. München: Albert Langen/Georg Müller 1939. — Heinrich Ringleb: Das kleine Leben. In: Das kleine Leben. Erzählungen. Berlin: Wolfgang Krüger 1941. S. 5-60. Ernst Glaeser: Das Jahr. Zürich: Weltwoche-Verlag 1938. Friedo Lampe: Brief vom 2 3 . 1 0 . 1 9 3 9 an Eugen Ciaassen. In: B w Ciaassen. S. 270. - Paul Appel: Zum Ende. In: Neue Gedichte. Hamburg: H. Goverts o.J. (1945). S. 48. - Ders.: Danksprechen. In: Gedichte. München: Albert Langen/ Georg Müller 1935. S . 6 1 . - B A r c h (ehem. B D C ) , R K / R S K , Appel, Paul Ludwig, 1 2 . 6 . 1 8 9 6 . 39

Glahns, hinter dem sich der Schweizer Robert-Walser-Förderer Carl Seelig verbarg; 16 -

zu den alltäglichen Wundern des Kleinsten und Unscheinbarsten »in nächster Nähe«, wie sie Herbert Fritsche in Pan vor den Toren (1938) aufzuspüren lehrte. 17

Auf solchen Wegen fanden viele Autorinnen und Autoren biographisch wie literarisch zu sich selbst. Während Hermann Lenz in der 1947 veröffentlichten Nachkriegsversion seiner Erzählung Das stille HauslS

den am eigenen Leibe miterlebten

Geschichtsverlauf reflektierte und seinen rückblickenden Ich-Erzähler befähigte, aus dem »lebensuntauglichen« (155) »Seelentheater« (134) herausund in die praktische >Lebensschule< (173) hineinzufinden, erlaubte er ihm in der 1938 erschienenen politikverdrossen-gegenwartsflüchtigen Erstund Kurzfassung, 1 9 rückhaltlos in »die schmerzliche Atmosphäre« seiner »Kindheit« (459) abzutauchen, in der die »Neigung zum Träumen« (455) den Zwang zum Handeln aussticht. Obwohl Familie und Staat zu zerbrechen drohen, retten sich zwei Jugendliche in abgesonderte Nischen, wo sie Leben nach Wunsch fingieren und sich so in sich versenken können, »als wär' man krank« (458). Hilft hier die Weltflucht, dem bedrängenden Alltagsleben zu entkommen, erweckt sie bei Max Frisch und Richard Grande den Willen, es zu bestehen. Sowohl in Frischs ambitionierter Antwort aus der Stille (1937) als auch in Grandes trivialeren Umwegen

des

Herzens

(1938) stärken Bergbesteigungen als Ausbrüche aus verzweifelten Lebenssituationen den »Mut zur offenen Einsicht, zur wirklichen Wandlung«: 20 Durch die Naturgewalten extrem herausgefordert, lernen die Romanpersonen, Traumerfüllung in der Wirklichkeit und Lebenssinn in der Daseinsbewältigung zu suchen. 21

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Thomas Glahn (d.i. der Schweizer Carl Seelig, von dem zehn »Hausmschriften« unter dem Namen von Hans Vlasics in der »Neuen Rundschau« [49,1938, II, 48501 abgedruckt wurden): Für mein Haus. In: Haussprüche. Hamburg: H . G o verts 1940. S. 5. - Ders.: Ein altes Familienhaus. Ebd. S. 9. - Ders.: Die Hütte des Anglers. Ebd. S. 3 1 . Herbert Fritsche: Pan vor den Toren. Berlin: Die Rabenpresse 1938. S. 240. Hermann Lenz: Das stille Haus. Roman. (1947). Frankfurt am Main 1982. Lenz: Das stille Haus. Erzählung. In: Die neue Rundschau 49 (1938) II, S. 450469. Max Frisch (S): Antwort aus der Stille. Eine Erzählung aus den Bergen. Stuttgart, Berlin: Deutsche Verlags-Anstalt 1937. - Richard Grande: Umwege des Herzens. Roman. Berlin: Die Rabenpresse 1938. - Frisch (s.o.). S. 3 5. Grande (Anm. 20). S. 247. - Frisch (Anm. 20). S. 129.

40

Wenngleich die Rückzüge auf das (in der Stille des Abseitigen zu sich selbst kommende) Ich bei Lenz einerseits und bei Frisch wie Grande andererseits gegensätzliche Perspektiven öffnen, bestätigen sie doch gemeinsam, was Emil Barth 1938 in preziöse Verse gebracht hat: die Gewißheit, »daß das Schicksal-Gestaltende / Nicht von außen dich prägt«; die Zuversicht, daß die »stillenden Wege nach Innen« zu »tiefem Besinnen« führen; das Vertrauen, daß »der Einzelne« groß ist und »irdischer Flüchtigkeit« trotzt, wenn er sich auf sich selbst stellt.22 In eine Zeit hineingeboren, die - nach Walter Bauer - »vor Erschütterungen bebt und alle Kräfte in das technische Kräftespiel preßt«,23 suchte dieses (im Abseits stillen Seelenfrieden erwartende) Ich Zuflucht bei der Natur und im Reich des Schönen, des Spiels und des Traums, angezogen von ihrer »Magie«, vorangetrieben durch die eigene »Phantasie«, zwei Bestimmungsfaktoren, ohne die Dichtung nach Ernst Schnabel nicht auszukommen vermag.24

Janusköpfige Natur So verwundert es nicht, daß Linus Kefer seinem lyrischen Ansprechpartner 1943 riet: »[...] wollest in die Wiese flüchten, / in die grüne Sonnenwoge / und dein Herz der Mutter bringen.«2' Denn er hatte im »Abseits« der mütterlichen Natur jene weltferne Geborgenheit gefunden, in der die Zeit »schläft« und »alle Macht« in »die Herzen« gelegt ist.26 Andere Autoren und Autorinnen trieben die Verschmelzung mit der Natur noch weiter. Aufbegehrend gegen den »reizlos gewordenen Alltag« (94) und die »tödliche Zeit« (70), lassen die handelnden Personen in Heinz Flügels Novellensammlung Verzauberte Welt ( 1 9 3 j f 7 »sagenhafte Urlandschaften« (92), ernste »Fabelgebirge« (93), »unwirkliche Rätselwelten« (133) auf sich wirken, die von »Mächten und Wesen« animistisch »belebt« sind (12) und magische Verwandlungskräfte besitzen. In der Erzählung Ladidel (1934) 22

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Emil Barth: Zuspruch. In: Gedichte. Mainz: Werkstatt für Buchdruck - Albert Eggebrecht-Presse 1938. S.26. - Ders.: Feldweg. Ebd. S . u . - Ders.: Stadt in Flandern. Ebd. S. 59. Walter Bauer zu: Friedrich Schnack: Sibylle und die Feldblumen. In: Die Literatur 40 (1937/38), S. 178. Ernst Schnabel: Briefe vom 2 5 . 1 . und 15. 3.1945 an Eugen Ciaassen. In: B w Ciaassen. S. 45of. Linus Kefer (O): Die Wiese. In: Die Nacht des Hirten. Gedichte. Jena: Eugen Diederichs 1943. S. 13. Kefer: Abseits. Ebd. S. 15. Heinz Flügel: Verzauberte Welt. Novellen. Berlin: Die Rabenpresse o.J. (1937).

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des mittlerweile völlig verschollenen »jungen Dichters« Klaus Lambrecht, dem sein Verleger einst zutraute, daß ihm »die Zukunft« gehöre,28 schöpft der Titelheld neue Lebenskraft aus der Berührung der Erde, dem Genuß liegengebliebener Feldfrüchte, dem Umgang mit Gräsern, Büschen und Bäumen, dem Erlebnis der Himmelserscheinungen und Wetterverläufe: Natur wird von Ladidel als harmoniestiftendes »Märchen« (35) erfahren, das ihn mit sich selbst und der bösen Alltagswirklichkeit versöhnt, ohne ihm zu ersparen, es immer wieder mit ihr aufzunehmen. Solche Vereinigung mit der Natur in knappe lyrische Formeln fassend, verkündete Oda Schaefer: »Ich geh in dich, du grünes Land«, pries Wilhelm Lehmann den »Blätterschwall« als trostspendenden »Grünen Zauberer« für alle Röchelnden und Schreienden, verriet Karl Krolow: »Ich träume grün.«29 Damit waren Grenzüberschreitungen vollzogen, die es erlaubten, die Natur durch Vermenschlichung zu verharmlosen oder durch Dämonisierung ins Unheimliche zu steigern. So belebt sich in Fritz Knöllers (Georg Britting gewidmetem) Roman Männle (1934) 30 die Schreibmaschine, sprechen die Tiere, greifen See und Sonne helfend ein und werden vom Titelhelden, einem vaterlos aufwachsenden Jungen, verstanden, wobei der auktoriale Ich-Erzähler jede Erklärung schuldig bleibt und nur seinen »lieben Lesern« versichert, »daß dem, was mir berichtet wurde, so war« (46f.). Und auch Hellmut von Cube ging in seinem Tierskizzenbüchlein (1935) auf dem »Weg nach innen [...] durch das sichtbar Alltägliche hindurch«:31 Tiere, die es nicht gibt, »von denen wir kaum etwas wissen« (20) und die wir genau zu kennen meinen, werden zum hohen oder niederen »Bild« wie zum grausamen oder freundlichen »Gesetz« (103) für den empfänglichen Menschen gemäß der Botschaft, daß »im Paradies der Erde« (48) »das Größte und das Kleinste [...] vom nämlichen Wunder und vom nämlichen Geschick« (58) zeugen. Dabei liefert die Plauderei über die Seemuscheln insofern eine instruktive Pointe, als sie auf die Selbsteinschätzung der hier versammelten Autorengruppe anzuspielen

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Klaus Lambrecht: Ladidel. Berlin: Die Rabenpresse 1934. Umschlag-Text. Oda Schaefer: A n Dich. In: Die Windharfe. Balladen und Gedichte. Berlin: Die Rabenpresse 1939. S. 1 1 . - Wilhelm Lehmann: Der Holzweg. (1938). In: Gesammelte Werke. Bd. 1: Sämtliche Gedichte. Hrsg. von Hans Dieter Schäfer. Stuttgart 1982. S.94; ders.: Trost der Blätter. (1940). Ebd. S. 109. - Karl Krolow: Traum von einem Wald. In: Das Gedicht 9 (Januar 1943) 4, S. 10. Fritz Knöller: Männle. Ein Roman von Kindern, Greisen und Tieren. Berlin: Holle 1934. Hellmut von Cube: Tierskizzenbüchlem. 6.-9. Aufl. Berlin: S. Fischer 1935. — Karl Rauch zu: von Cube: Tierskizzenbüchlein. In: Das deutsche Wort (Die literarische Welt - Neue Folge) 1 1 (26. 5.193 5 ) 2 1 , 8 . 1 1 .

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scheint: »Verschlossen zu leben ist ihr Gesetz.« (66); doch wenn man die Schalentiere ungestört gewähren läßt, erschaffen sie in ihrem Binnenraum beseligende »Schönheit« (68). Dagegen ist Natur in Kurt Loups Gedichtband Die Wildnis (1940) als »Bedrohung« aufgefaßt, weil sie - wie Karl Krolow feststellte - »sich uns im letzten entzieht und uns auf gefährliche und verlockende Weise fremd bleibt«:31 Un- und gegengeschichtlich wuchernd, >umwittert< wogende Wildnis (32) - laut Klappentext - die selbstzerstörerische Menschenwelt, bleibt jedwede »Hürde« vom »Wolf umkreist«, suchen Bussard und Schlange ihre Beute auch im Frieden (56). Und in Rene Schwachhofers (an Georg Trakls Textmustern geschultem) Lyrikbuch Dämmerung (1937) 33 läßt Natur alle »Träume [...] im schrillen Diskant« enden (26): »Berge kehren sich um«, »Sonnen und Winde« verrußen, »tödlicher Regen« fällt (26) auf das Land, in dem auch das »Stillere« angekettet ist (29) und »Traum und Gesicht« hinter »Mauern« wachsen (30). Die dadurch erzeugte Angst, die sich »wie ein riesiges, dunkles, unzerreißbares Spinnennetz« um ihre Opfer legen und sie würgen kann, schlägt in den Kurzgeschichten der Sammelbände Die Nacht des Gefangenen (1939) und Das Haus mit den drei Bäumen (1944) von Ernst Kreuder durch:34 »Draußen« in der Welt, aber auch ganz an ihrem »Rande«, der »ein Abgrund« sein kann oder »eine Verdammnis«, droht ständig »Gefahr« mit katastrophaler Wirkung. 3 ' Auswege weisen allein die Bücher als Sammelbegriff für alles »Schöne«, weil sie anregen, »auf Gedankenstraßen« fortzulaufen »in Bezirke, in denen nur die Wünsche und Träume wie verklungene, schwermütige Lieder ein nie erhörtes Dasein führen«.36

Phantastische Spiele Der damit angebahnten Neigung zum schönen, aber auch verblüffenden und verstörenden Phantasiespiel sind nicht wenige Autorinnen und Autoren gefolgt. In »dieser großen Zeit«, in der sich der »Einzelne« auf »Sich!« 31

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Kurt Loup: Die Wildnis. Gedichte. Berlin: Die Rabenpresse 1940. - Karl Krolow: Das Wirkliche. In: D I R 10 (Dezember 1943) 3, S. 333. Rene Schwachhofer (d.i. Reinhard Schwachhofer): Dämmerung. Gedichte. Leipzig: Wilhelm Härtung 1937. Ernst Kreuder: Die Nacht des Gefangenen. Erzählungen. Darmstadt: L. C. Wittich 1939. - Ders.: Das Haus mit den drei Bäumen. Erzählungen. GelnhausenGettenbach: Pfister & Schwab 1944. S. 187; vgl. S. 229. Kreuder: Haus (Anm. 34). S. 199. - Ders.: Nacht (Anm. 34). S. 38. Kreuder: Haus (Anm. 34). S. 140, 166 und 129. - Ebd. S. 196. 43

besinnen (145) und mit tarnkappenhafter »Mimikry« dem bösen Blick der Späher entziehen mußte (151), legte Peter Gan in seinem Lyrikband Die Windrose (193 j) 37 neben anderem »Besinnlichen« (97) und »Lässigen« (123) formschöne Preislieder auf ein Staubkorn (27L), eine Zikade (14), das Wolfsmilchgewächs Euphorbie (12), seine Petroleumlampe (11) oder eine Seifenblase (9) vor. Dabei trifft für alle im allgemeinen und für das zuletzt genannte im besonderen zu, was Ernst Jünger 1992 für Seifenblasen geltend gemacht hat: »Höchst vergänglich, doch wunderbar. Sehr dicht am Nichts.«38 Mit solcher anmutigen Leichtigkeit suchte Gan jenen Zustand des »Freien Schwebens« zwischen »Nehmen« und »Geben« zu erreichen (59), der zu »Weltüberwindung« befähigt, wie Otto Karsten bewundernd festgestellt hat.39 Wollte Gan »die Angst mit Bildern« beschwichtigen (125), nutzte Ernst Jünger die Bildphantasie, um Angst mit Heiterkeit auszutarieren. In der Zweitfassung seiner Skizzensammlung Das abenteuerliche Herz (1938), dem - nach Friedo Lampe -»besten erzählenden Prosabuch« der damaligen Zeit,40 überraschte Jünger mit den »nächtlichen Scherzen« seiner »Capriccios« (8), die in gestochen scharf gezeichneten »Vexierbildern« (132-142) die »verborgene Korrespondenz« (136) zwischen dem Schönen und dem Schrecklichen aufscheinen und in den lesend Betrachtenden jähes Entsetzen, aber auch die »herrliche Erschütterung« (138) heiter stimmenden Durchblickens aufkommen lassen. Hinter solcher »erlauchten Heiterkeit« bleibt die Wirkung der ebenso skurrilen wie absurden, humoristischen, grotesk-komischen und satirischen »Zauberstücke und Phantasiespiele« zurück,41 mit denen Kurt Kusenberg in La Botella (1940) und Der blaue Traum (1942) aufwartete:41 Von ihm selbst >seltsam< und >sonderbar< genannt, »oszillieren« sie »zwischen Erfahrung und Erfindung, zwischen Wirklichkeit und Unwirklichkeit« und gewinnen dabei die ästhetische Qualität von »Seifenblasen«, die 37

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Peter Gan (d.i. Richard Möring; auch: Moering): Die Windrose. Gedichte. Berlin, Zürich: Atlantis 1935. Ernst Jünger: Siebzig verweht V. Stuttgart 1997. S. 73. Otto Karsten zu: Gan: Von Gott und der Welt. In: Die Literatur 37 (1934/35), S. 521. Ernst Jünger: Das abenteuerliche Herz. Figuren und Capriccios. Zweite Fassung. Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt 1938. - Friedo Lampe: Brief vom 1 5 . 3 . 1 9 4 4 an Eugen Ciaassen. In: B w Ciaassen. S. 278. Jünger (Anm. 40). S. 130. - Hellmut von Cube zu: Kurt Kusenberg: L a Botella. In: Die Dame 67 (1940) 26, S. 65. Kurt Kusenberg: L a Botella und andere seltsame Geschichten. Stuttgart, Berlin: Rowohlt 1940. - Ders.: Der blaue Traum und andere sonderbare Geschichten. Stuttgart, Berlin: Rowohlt 1942.

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über die (von ihnen gespiegelte) »Tageswirklichkeit« hinwegschweben und mit ihrem (alle Lebensängste zerstreuenden) »Glanz« erfreuen möchten, aber nicht durch tiefere Bedeutung beeindrucken wollen. 43 Das ist beispielhaft in den Texten Der Türke und Eine ernste Geschichte gelungen.44 Im ersten stockt der dichtende Ich-Erzähler bei der Beschreibung seines Titelhelden, bis dieser eintritt und wieder fortgeht, ohne ihm weitergeholfen zu haben; im zweiten verfaßt ein Schriftsteller das im Titel benannte Werk, das jeden Hörenden und Lesenden »in tiefen Schlummer« versenkt (146) und daher niemanden bis ans unbekannt bleibende Ende kommen läßt. Beide Texte erschöpfen sich im amüsanten selbstreferentiellen Leerlauf, der in anderen Geschichten des (trotz gebotener Rücksichtnahme auf seine rassegesetzwidrige Ehe) durchaus aufmüpfigen und übermütigen Autors mit zeitkritischen Anspielungen gegen Willkür und Gewalt, Schönfärberei, Einschüchterung und Schnüffelei aufgeladen ist.45 »Gedankenspiele zwischen Traum und Wirklichkeit«, 46 verbinden Kusenbergs Geschichten, was Wolfheinrich von der Mülbes Märchen Rasierzeug

(1937) und Paula Ludwigs Traumlandschaft

vom

(1936) trennt. 47

Während von der Mülbe in seiner >ganz einmaligen und besonderem Travestie des ritterlichen Aventiuren-Romans mit vielen »ironischen, schwebend-spöttischen« Anachronismen auf die Realitäten des Dritten Reiches anspielte,48 fing Ludwig die Wirklichkeit unter dem Nationalsozialismus in hermetischen Traumprotokollen auf, die »Wahrheit« im »Traumgesicht« vermitteln (16), ohne sie explizit auszusprechen. So gelangt von der Mülbes Ritter Kunibert bei seinen Ausritten in Länder, in denen statt Recht das Schwert herrscht (257), Kriege als gegenseitige Totschlägerei geführt werden (370), »das Volk in Haß und Furcht« lebt (153) und eine Hexe ihr Weihnachtsbier aus jenem »tausendjährigen Schweigen« braut (355), das sie wohl nur im tausendjährigen Reich< vorgefunden haben kann. Erkaufte sich der Autor seinen Mut zu solchen Nadelstichen mit der textimmanenten Versicherung, daß die berichteten 43

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von Cube (Anm. 41). S. 65. - E. Kurt Fischer zu: Kusenberg: L a Botella. In: Atlantis 13 (Februar 1 9 4 1 ) 2, S. X I I . Kusenberg: Der Türke. In: L a Botella (Anm. 42). S. 82-90. - Ders.: Eine ernste Geschichte. Ebd. S. 1 4 4 - 1 4 7 . Β Arch (ehem. B D C ) , R K / R S K , Kusenberg, Kurt, 24.6.1904. - Kusenberg: Traum (Anm. 42). S. 228, 220, 235. - Ders.: L a Botella (Anm. 42). S. 91-97. Fischer (Anm. 43). S. I X . Wolfheinrich von der Mülbe: Das Märchen vom Rasierzeug oder Die Zauberlaterne. Ein phantastischer Roman. Stuttgart, Berlin: Deutsche Verlags-Anstalt 1937. - Paula Ludwig (O): Traumlandschaft. Berlin: Waldemar H o f f m a n n 1935. Raimund Pretzel zu: von der Mülbe: Das Märchen vom Rasierzeug. In: Die Dame 65 (1938) 1 1 , S.76. 45

Abenteuer nicht zu glauben seien (420), blieben Ludwigs Traumtexte durch die Traumhermetik geschützt: etwa in den Traumsequenzen von den Fahrgästen auf einem Karussell, die unentwegt weiterfahren müssen, wollen sie nicht vom unter ihnen auf sie wartenden Wolf gefressen werden (34); oder von dem Singvogel, der noch singt, während ein Raubvogel ihn packt und zerreißt (4if.); oder von der Passagierin, die mitten im Krieg auf einem neutralen Schiff zwischen den blutüberströmten Fronten an den beiden Flußufern hindurchfährt und sich erschreckt fragt, warum und wie lange sie wohl »unberührt davon« bleiben und vorankommen werde (73). In der »Phantasiewelt«, die Heinrich Goertz mit seinem Roman Johannes Geisterseher (1942) nach Angabe des (von Friedo Lampe verfaßten) Klappentextes »hinzauberte«, spielten dagegen »Traum und Wirklichkeit« wieder zusammen. 49 Im »Zwielicht« zwischen »Schatten und Ding und Phantom und Gedanke« (9), von »Einbildung« und Realitätserfahrung (203) erfüllt sich der Lebens- und Todestanz des Titelhelden: Von Zeitgenossen als »Parodie auf den germanischen Herrenmenschen« gedeutet,50 ist der (von Tod und Teufel flankierte) Fluchtweg eines lebensschwachen Aussteigers beschrieben, der über eine beschämende Impotenzerfahrung in Krankheit und Tod führt, während das sündige, hartleibige und dickfellige Leben hemmungslose Orgien feiert. Von Ε. T. A . Hoffmann inspiriert und in eine Periode voll von »Gewalttätigkeiten und Teufelsgelächter« (265) versetzt, hinterläßt dieses neoromantische Phantasiespiel einen zwiespältigen Lektüreeindruck. Einerseits stellt es den Auszug ins Ländliche, Naturverbliebene, Abseitige, Innerliche, Schöne, Phantastische als Schwäche bloß und zeigt, wie die Absicht, »das Weite zu suchen« (25), in die Enge führen kann; andererseits dokumentiert es am eigenen Beispiel, daß sich der Grundsatz des Titelhelden »Spielen und spielen lassen!« (184) mit der Verhaltensregel des Autors deckt, sich »rauszuhalten«.' 1 Die Rückzugs- und Ausstiegsstrategie fällt der Kritik anheim, während sie befolgt und vollstreckt wird.

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Heinrich Goertz: Johannes Geisterseher. Roman. Berlin: Karl Heinz Henssel 1942. Zum Klappentext: ders.: Lachen und Heulen. Roman. München 1982. S.298. Goertz: Lachen (Anm. 49). S. 299. Ebd. S. 336.

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Drei Fallbeispiele: Kilian Kerst, Kurt Hancke und Jens Heimreich Dem soweit skizzierten, vom Einfachen, Unscheinbaren, Stillen über das Natürliche bis zu Traum und Phantasiespiel reichenden Spektrum sind drei Autoren zuzuordnen, die zu den Verschollensten der >verlorenen Generation< gehören: Kilian Kerst, Kurt Hancke und Jens Heimreich. Bezeichnenderweise sind die meisten ihrer literarischen Werke im »Verlag Die Rabenpresse« erschienen, der auch die bereits erwähnten Bücher von Fritsche, Grande, Flügel, Lambrecht, Schaefer und Loup herausgebracht hat und im Rufe stand, poetischen »Widerhall vom Rande oder aus der stillen Mitte unserer Tage« hören zu lassen. 52 Mit der zwischen 1932 und 1934 veröffentlichten Zeitschrift Der weiße Rabe hatte der Verlagsgründer V. O. (Victor Otto) Stomps »geistige Einsiedler« um sich gesammelt:53 Ahnlich wie der Mitarbeiterstamm der Dresdener Kolonne

(1930-

1933) fühlten sie sich einem >magischen Realismus< verpflichtet, der - nach Horst Lange - das »Geheimnis« des Kräftespiels »zwischen der Natur und dem menschlichen Herzen« heraufbeschwören wollte. 54 Diese Hinwendung zu den magischen »Quellen unseres inneren Kosmos« wurde nicht als Abkehr von der Welt, sondern als Vorstoß »nach der Seite des Natürlichen und Einfachen«, »Unwandelbaren« und Urtümlichen, Innerseelischen und »Unbegreiflichen« verstanden. 55 Unter dem Druck der vom Nationalsozialismus ausgelösten »Erschütterungen und Bewegungen« fand sich der Stoßtrupp allerdings bald auf »verlorenem Posten«, dem es oblag, die literarische »Front« gegen politische Konjunkturritter und geschäftstüchtige Buchmarktspekulanten zu halten.56 Das sollte mit Büchern bewirkt werden, denen - wie ein 1939 gedrucktes Poetisches

Tascbenbeft

der (nach dem Bankrott des Verlags-

gründers V. O. Stomps im Jahre 1937 von Dr. Ernst Winkler übernommenen) »Rabenpresse« stolz mitteilte57 -

Pressestimmen zubilligten,

»zeitlos und erdennah«, formstreng und »eigenartig« geschrieben zu 51

53

54

55

56 57

W. G. H. (d.i. Walther Georg Hartmann) zu Gedichtbüchern. In: die neue linie 8 (Dezember 1936) 4, S. 12. Gustav Leuteritz: Die geheime Kulturgemeinschaft. In: Der weiße Rabe 1 ( 1 5 . 1 0 . 1 9 3 2 ) 1, S. 2. Horst Lange: Landschaftliche Dichtung. Ebd. 2 (Juni/Juli 1933) 5/6, S.21. Ders.: Bemerkungen zum Inhalt dieses Heftes. Ebd. S. 1. V[ictor], 0|tto|. Stomps: Vagabunden-Dichtung. Ebd. 2 (August/September 1933) 7/8, S. 53. - Lange zu: Stanislaw Reymont: Die polnischen Bauern. Ebd. 3 ( 1 . 3 . 1 9 3 4 ) 1, S. 41. - Ders.: Landschaftliche Dichtung (Anm. 54). S. 23. - Gerhard Menzel: Der Dichter Richard Billinger. Ebd. 2 ( 1 . 2 . 1 9 3 3 ) 1/2, S. 3. Lange und Stomps: [Vorbemerkung]. Ebd. 3 (1. 3 . 1 9 3 4 ) 1, S. 1. Verlag Die Rabenpresse: Poetisches Taschenheft. Berlin 1939.

47

sein.s8 So konnte es Druckwerken der »Rabenpresse« gelingen, unter den Nationalsozialisten Verwirrung zu stiften, ohne Verbote herauszufordern. Denn während einerseits viele Verlagsprodukte in die Listen der »Nicht zu fördernden Bücher« des Amtes Rosenberg gerieten, das im Auftrag der N S D A P den Büchermarkt überwachte,59 kam andererseits der parteioffizielle Münchner Völkische Beobachter nicht umhin, die folgenden anerkennenden Worte über die verlegerische Leistung zu verlieren: »Stille Bücher, die zu den tiefsten Quellen menschlichen Empfindens sprechen, erscheinen zu lassen, ist von jeher das Verdienst des Verlages Die Rabenpresse.«6° i) In dieser Zwischenzone, in der sich offizielle Ablehnung und Anerkennung neutralisierten, konnte sich ein einsamer, aber professionell handelnder Einzelgänger entfalten, der das Pseudonym KILIAN KERST gewählt hatte. Dafür zeugt schon sein (zwischen dem 24.4. und dem 1 1 . 5.1937 von der renommierten Frankfurter Zeitung in Fortsetzungen veröffentlichter und daraufhin am 29.5.1937 von der »Rabenpresse« für den Buchdruck übernommener) Bucherstling Bann (1937), nach Aussage der Verlagswerbung kein »lautes, schreiendes«, sondern ein »zartes, behutsames«, »Spannung ganz nach innen« verlegendes Werk:61 Vom Amt Rosenberg nicht für förderungs würdig gehalten, nötigte die Novelle dem Hamburger Anzeiger das achtungsvolle Eingeständnis ab, »daß man sich den Namen« des Verfassers Kilian Kerst »wird merken müssen«.62 Wie der Titel ankündigt, gerät ein Student in den Bann eines (wohl in der Rhön gelegenen) Berges mit einem kleinen Bauernhof und seinen Bewohnern, den Geschwistern Emmerenz, Regina und Peter. Im Gegensatz zu den Leserinnen und Lesern, die vom Erzähler in den Ablauf der Geschehnisse eingeweiht werden, durchschaut er das »unentrinnbare 58 59

60 61

61

Ebd. S. 17. - Ebd. Umschlag, Innenseite vorn. Gutachtenanzeiger. Beilage zu: Bücherkunde. Amtliches Organ der Dienststelle des Beauftragten des Führers für die gesamte geistige und weltanschauliche Erziehung der NSDAP, und der Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums. Als nicht förderungswürdig galten laut Gutachtenanzeiger aus der Verlagsproduktion der »Rabenpresse« (1937-1942): Kilian Kerst: Bann; Herbert Fritsche: Pan vor den Toren; Alexander von Bernus: M y t h o s der Menschheit; Johannes Baptist Waas: Johannes und Michael; Kurt Hancke: Zwielicht; Werner Bergengruen: Die Ostergnade; Oda Schaefer: Die Windharfe; Victor Meyer-Eckhardt: Menschen im Feuer. Poetisches Taschenheft (Anm. 57). Umschlag, Innenseite vorn. Kilian Kerst (d.i. Wilhelm Fath): Bann. Novelle. Berlin: Die Rabenpresse o.J. ( Γ 937)· ~~ Verlagsanzeige auf der Rückseite des Buchumschlags von Fritsche: Pan (Anm. 17). Gutachtenanzeiger (Anm. 59) 4 (1938), S. 3. - Hamburger Anzeiger, zit. in: Poetisches Taschenheft (Anm. 57). S. 11. 48

Schicksal« nicht, das ihn »mit einer rätselhaften Macht« (93) an das bescheidene Bauernhaus mit den einfachen Bauernmädchen bindet und ihm fremde Schuld aufbürdet, eigene Schuld abfordert und zu guter Letzt die Kraft beschert, beides abzuschütteln. Er wird nämlich für die Mordtat an einem Kurgast bestraft, welche die wilde Emmerenz begangen hat, um den Unfalltod eines (von ihr verehrten) Kutschers zu rächen, den sie ihrem Opfer anlastet. Nach der Entlassung aus der Haft wegen erwiesener Unschuld rettet der Student die sanfte Regina aus dem brennenden Bauernhaus. Es ist von Emmerenz angesteckt worden, die damit einen doppelten Zweck verfolgte und erreichte: das Gehöft dem habgierigen Zugriff der künftigen Ehefrau ihres Bruders Peter zu entziehen und ihr unaufgedecktes Kapitalverbrechen mit dem Feuertod zu sühnen. Von seiner Rettungstat erregt und zur Besänftigung des verstörten Gemüts der Geretteten, verspricht der Student Regina die Ehe und bricht sein Versprechen sofort, um sich von dem Bann zu lösen, der ihn an den Berg, das Haus und die beiden Frauen gefesselt hat: Den Preis für die Sühnetat der Schwester und den Befreiungsakt des Studenten zahlt die unschuldig und ahnungslos zurückbleibende Regina mit ihrem Unglück; seine Abstandnahme von allem Geschehenen beweist der abwandernde Student mit der Vernichtung des Schuldeingeständnisses, das ihm Emmerenz zukommen ließ: Ihre Mordtat bleibt unaufgeklärt. Diese bei aller Dramatik höchst verhalten und äußerst konzentriert erzählte Geschichte, die laut Angabe des Autors »untergründige, im Triebhaften und Ahnungsreichen wurzelnde Verstrickungen« aufdecken soll, 63 lebt von dem unüberbrückbaren Zwiespalt, der zwischen ländlicher Idylle und angsterregend-erschreckendem Fühlen, Tun und Lassen aufbricht: In den >entzückenden< Landstrich mit seinen »idyllisch verstreuten«, »im tiefsten Frieden« glühenden Bauernhöfen (72), w o die Einheimischen »still, gewohnt und im breiten Rhythmus ihres wurzelfesten Lebens« das täglich Notwendige verrichten (15) und die »Einfachheit« ihres »Daseins« (54) das Zusammenleben bestimmt, dringt das Böse ein und zeugt nun fortzeugendes Böses. Bei klarster Witterung breitet sich »Zwielicht« (58) aus und weckt das Verlangen, »aus allem Irdischen hinauszuwandern, im Namenlosen unterzugehen« (88); denn letzthin bleibt den Leid erduldenden, Leid zufügenden Menschen in dieser Leidenswelt nur, was Regina beschieden ist: im feindlichen Leben vorliebzunehmen mit dem »Gaukelspiel« des »Traumes« (109), aus dem man nur allzu schnell erwacht.

63

Wilhelm Fath: Vorschlag für den Klappentext vom 8 . 6 . 1 9 3 7 . Privatarchiv Fath/Kerst (Matthias M. Baltz, Bad Kreuznach); vorgesehen für D L A .

49

Solche gestörte Idylle vermittelt auch die (früher verfaßte und 1934 in der Frankfurter Zeitung vorabgedruckte) Parallelerzählung Der Pfau (1938), die - wie die unveröffentlichte Korrespondenz des Verfassers belegt - von Verlegern, Redakteuren und Kritikern am meisten geschätzt wurde.64 Ergänzt um die schön durchgereimte, aber häßlich verlaufende Ballade vom treuen, aber kranken Hund, den sein (von ihm geliebter und ihn liebender, aber Ansteckungsgefahren fürchtender) Herr erschießen muß, berichtet dieser gut durchgestaltete, aber böse endende Prosatext von einem weiteren Tiergeschick mit schlimmen Folgen für alle Beteiligten. Beim Einfangen des (vom Gutsherrn gehegten und gepflegten) Pfaus stürzt sich ein Knecht zu Tode; eine Magd, die Mutter seines Kindes, enthauptet daraufhin den Pfau; zur Strafe dafür jagt sie der Gutsherr vom stillen und wohlbestellten Hof, von dem jetzt »etwas Drückendes« ausgeht (19), das »einen Bannkreis« um ihn schlägt (20). Erneut ist das Leben vom Tode umfangen, das Glück mit dem Unglück verschwistert, das Schöne und Sanfte dem Blutrünstigen und Gewalttätigen ausgeliefert: Die heile Welt trägt ihr Unheil in sich. Diesen Seinszustand brachte Kerst in dem (Vorabdrucke aus Aer Frankfurter Zeitung vereinenden) Sammelband Tumult des Herzens (i94i) 6s auf die Formel, daß sich »Streit und Widerstreit« die »Waage« hielten (144). Deshalb kann in den dort abgedruckten neun Erzählungen ein Hoffnungsloser im Haus einen Sarg, im Dorf einen Friedhof sehen (29), eine pflegende Hand zum Faustschlag ins Gesicht der Pflegerin reizen (118), der Tod eines als »Antichrist« verdächtigten Mannes aus kindlicher Sicht beruhigen und beunruhigen, weil sein Sterben ihn als Mensch ausweist und zugleich vermuten läßt, daß der unsterbliche Gegenspieler Jesu Christi in anderer Gestalt fortlebt (188, 212). Zwangsläufig erzeugt die daraus resultierende existentielle Verunsicherung dauernde Angst vor dem jederzeit Möglichen (167), die entscheidungshemmend wirkt, schwermütig stimmt und müde, matt und krank macht. In einem Staatswesen, in dem Hanns Johst als Präsident der Reichsschrifttumskammer verkünden konnte: »Das Gesunde ist heroischer Befehl!«,66 mußte Kersts literarische Befehlsverweigerung als dekadente Provokation wirken, zumal sich der Autor jeder Heroisierung 64

65 66

Kerst: Der Pfau. Eine Erzählung. / Der Hund. Eine Ballade. Berlin: Die Rabenpresse 1938 (Die Kunst des Wortes, 2). - F: Privatarchiv Fath/Kerst (Anm.63). Kerst: Tumult des Herzens. Erzählungen. Berlin: Die Rabenpresse 1941. Hanns Johst: Kundgebung anläßlich der X I . Olympischen Spiele. In: Der deutsche Schriftsteller 1 (August 1936) 8, S. 169. 5°

verweigerte, sei es bei der Beschreibung einer Feuerwehruniform, die als »halb heroische Montur [...] kläglich« an einem »verkrüppelten, gedrungenen Körper« haftet und »Wehleidigkeit« aufkommen läßt (54), sei es in einem z u m Anschluß Österreichs im Inneren

Reich abgedruckten Ge-

dicht, in dem Soldaten einmarschieren, als kämen sie »aus Feindesländern«. 67 O h n e sich damit abzufinden, wie »es eben einmal so geht auf dieser Welt«, 68 stellte Kerst den Weltlauf dar, in den nur die Kräfte des Herzens eingreifen können, die wiederum dem Weltlauf anheimgegeben sind: Kein Widerständler, verließ sich Kerst auf die Stärke der Schwäche, mit der er dem Nationalsozialismus Paroli bot. W e r aber war dieser Kilian Kerst? W i e Kürschners Deutscher Literatur-Kalender

aus dem Jahre 1943 und

die A k t e n der Reichsschrifttumskammer ausweisen, verbarg sich der (in »ländlicher Stille« schaffende) Schriftsteller Wilhelm Philipp Fath aus Hanau (bzw. ab 1936 aus Steinheim) hinter diesem Pseudonym, das ihn v o n der namensverwandten Konkurrentin Aenne Fath-Kaiser unterschied und befürchtete Anspielungen auf das abwertende Eigenschaftswort >fad< ausschloß. 69

Als

Sohn

eines

Fabrikarbeiters

und

einer

Köchin

am

26. 8.1901 in Hanau geboren, durchlief Fath nach dem Besuch der katholischen Volksschule eine Kaufmannslehre in einer Hanauer Silberwarenfabrik, die er 1918 mit Auszeichnung der dortigen Handelskammer abschloß. Die begleitende Kaufmannsfortbildungsschule vermittelte ihm so gute Englisch- und Französisch-Kenntnisse, daß er später als Schriftsteller wie in seinem zunächst ausgeübten Brotberuf als kaufmännischer A n g e stellter darauf zurückgreifen konnte. Eine 1923 überstandene Kopfgrippe hinterließ schwere psychische und psychosomatische Störungen; seine (durch weitere Krankheiten beeinträchtigte) Arbeitsfähigkeit blieb seither eingeschränkt; Wehruntauglichkeit wurde ihm 1941 bescheinigt. A b 1927 publizierte Fath als freier Mitarbeiter in regionalen und überregionalen Zeitungen und Zeitschriften; 1937 nannte er u.a. die Frankfur67 68

69

Kerst: D e r Einmarsch. In: D I R 5 (April 1938) 1, S. 66. Kerst: D e r Trambahn-Schmidt. In: Im Lauf der Zeit. Arbeiten eines Feuilletons. Hrsg. v o n M a x v o n Brück. Frankfurt am Main: Societäts-Verlag 1940. S.362. Kürschners Deutscher Literatur-Kalender 1943. Berlin: Walter de G r u y t e r 1943. Sp. 542 und 252. - F: B A r c h (ehem. B D C ) , R K / R S K , Fath, Wilhelm Philipp, 26. 8.1901. - Matthias M . Baltz: V i t a Wilhelm Philipp Fath (Typoskript); Erich Pfeiffer-Belli: Brief v o m 6. 3.1936 an Fath. F: Privatarchiv Fath/Kerst ( A n m . 63). - Joachim Seng: »Gestern w a r Sommer, doch Gestern ist weit.« Kilian Kerst — ein vergessener Hanauer Dichter. In: Steinheimer Jahrbuch für G e schichte und Kultur. Bd. 4/5. Hrsg. v o n Michael Maaser. Hanau-Steinheim 1998. S. 1 3 1 - 1 5 6 . S. 131.

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ter Leitung, das Berliner Tageblatt, die Kölnische Zeitung sowie Das Innere Reich, Das Wort in der Zeit, Die neue Rundschau. Im gleichen Jahr, in dem ihn »Die Rabenpresse« als Verlagsautor gewann und sein erstes Buch druckte, gab Fath im Fragebogen der Reichsschrifttumskammer als Hauptberuf Schriftsteller an. Dort aufgelistete Fragen nach seiner politischen Betätigung und Organisierung beantwortete er ohne Wortgebrauch mit einem einzigen dicken Federstrich. Wie Rezensionen und Korrespondenzen aus seinem Nachlaß belegen, brauchte er über mangelnde literarische Anerkennung nicht zu klagen. Einflußreiche Redakteure wie Rudolf Geck, Wilhelm Hausenstein, Max von Brück, Walter Dirks, Wolfgang Weyrauch, Erich Pfeiffer-Belli, Wilmont Haacke, Paul Fechter, Paul Alverdes beachteten ihn, obwohl seine »reiche« literarische »Produktion« nicht immer auf Zustimmung stieß, weil sie - bestimmt vom »leidigen Schreiben ums Brot« - auch Kritik herausforderte.70 Manches fand man zu handlungsarm, »zu abseitig«, »zu preziös«, zu »verschnörkelt«, zu »künstlich«, »zu seltsam«, zu düster, »zu umflort und in seiner Aussage zu verschleiert« und gab es zurück.?1 Doch die wiederholten Bitten um Manuskripte und deren Annahme und Abdruck beweisen, »wie sehr« man Faths »Produktion schätzen« gelernt hatte und von seinem »Können [...] überzeugt« war, so daß er - nach Aussage seines Verlegers Winkler - zu den Autoren gezählt werden durfte, von denen »man heute spricht«,72 auch wenn der Verkauf seiner Bücher zu wünschen übrig ließ und sein schriftstellerisches Einkommen bescheiden ausfiel. Diese Popularität in den Grenzen literarischer Kennerschaft blieb Fath jedoch nicht erhalten. Wie widrige »Zeitumstände« und das heißt die Kulturpolitik der Nationalsozialisten die Aufführung seiner (vom Bühnenvertrieb des S. Fischer Verlags vermittelten, ungedruckten) Boxerballade vereitelten,73 lähmte der Zweite Weltkrieg seine Schaffenskraft. Dienstverpflichtet als »schlecht besoldeter Kriegsaushilfsangestellter« bei der Kreisverwaltung des Landkreises Hanau, zunehmend entnervt durch die »Unruhe und Anspannung« nächtlichen Fliegeralarms und ständig in Sorge um seine 1938 gegründete, bald mit drei Kindern gesegnete Familie,

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Walter Dirks: Brief vom 5 . 1 . 1 9 4 0 an Fath. F: Privatarchiv Fath/Kerst (Anm. 63). - Fath: Brief vom 3 1 . 5.1938 an Dr. Ernst Winkler (Die Rabenpresse). Ebd. Briefe an Fath von Pfeiffer-Belli (17. 2.1936), Wolfgang Weyrauch ( 7 . 4 . 1 9 3 6 und undatiert), Rudolf Geck ( 1 . 9 . 1 9 3 3 ) , Wilhelm Hausenstein ( 2 1 . 3 . 1 9 3 9 ) , Dirks (3. 5.1939), von Brück ( 1 4 . 1 . 1 9 4 3 ) . Ebd. Briefe an Fath von Dirks (3. 5.1939) und Winkler ( 1 5 . 8 . 1 9 4 0 , 28.6.1943). Ebd. Fath: Brief vom 9 . 6 . 1 9 3 7 an Winkler. Ebd.

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bekam Fath »die literarische Arbeit satt«:74 Romanpläne, u.a. für einen Kindheitsroman, blieben im Fragmentarischen stecken; für den Sammelband Tumult des Herzens stellte er nur ältere, bereits gedruckte Erzählungen zusammen, ohne Neues vorzulegen, wonach sein Verleger dringlich verlangte.75 Nach Kriegsende besserten sich die arbeitshemmenden Mißstände nicht. Um seine Familie ernähren zu können, arbeitete Fath ab 1945 als Dolmetscher bei der amerikanischen Militärverwaltung in Hanau und von 1950 bis zur Verrentung 1966 als Archivar im Hanauer Schul- und Kulturamt; seine nebenher weiterbetriebenen schriftstellerischen Aktivitäten blieben vom Pech verfolgt, obwohl er in Walter Schmiele einen Förderer gefunden hatte, der seine Prosatexte 1947 »hoch« über alles stellte, »was noch Literatur heisst«.7verlorene Generation^ daß es sich lohnt, daran zu erinnern. 2) Mit der Erzählung Zwielicht (1938) legte KURT HANCKE nach Meinung der Zeitschrift Die Literatur das »ungewöhnlichste Debutantenstück seit Jahren« vor, was wiederum dem Gutachtenanzeiger des Amtes Rosenberg genügte, ihm die Förderungswürdigkeit abzusprechen.81 Für Irritationen dürfte schon gesorgt haben, daß der Text Schreibintentionen folgte, welche Hermann Stahls Empfehlung »Hege den dunkeln Sinn!« ebenso beherzigten wie sie Wolf von Niebelschütz' Aufforderung genügten, »dunklen Sinn geheimnisvoll« zu erhellen.8' Das belegt bereits die Fabel. Ein Er-Erzähler taucht in die »unlotbare Tiefe« der bis ins »Bodenlose« des Nichts zurücktastenden »Erinnerung« hinab (γί.) und schildert einer (auf die heilende Wirkung unbeschönigter Bekenntnisse vertrauenden) Zuhörerin, was er als lebensschwach-weltflüchtiger Ich-Erzähler in einer glücklosen, im »schwebenden Gewese« (24) verharrenden Liebesbeziehung mit einer Frau erlebt hat, die sich schließlich einem zupackenden Abenteurer zuwendet, der sie umbringt und sich entleibt. Ins »Zwielicht« (10) unausgelebter Vergangenheit führend, wo sich Wunschtraum, Gedankenspiel und tatsächliches Handeln und Fühlen durchdringen und vermischen, erschließt diese Selbsterkundung »Trümmerhalden« (10) und »Traumwüsten« (134): Der Ich-Erzähler fördert sie zu Tage und setzt sie

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Faths Biographie im An.sc Muß an: B A r c h (Anm. 69). — Privatarchiv Fath/Kerst (Anm. 63) mit großem Dank an Matthias M. Baltz. - Seng (Anm. 69). - Anna Christa Bruder: Erinnerungen an den Dichter Kilian Kerst. In: Steinheimer Jahrbuch (Anm. 69). S. 1 5 7 - 1 7 0 . Andreas Wolff (S. Fischer Verlag): Brief vom 2 7 . 5 . 1 9 4 9 an Fath. F: Privatarchiv Fath/Kerst (Anm. 63). Kurt Hancke: Zwielicht. Erzählung. Berlin: Die Rabenpresse 1938. - Poetisches Taschenheft (Anm. 57). S. 16. - Gutachtenanzeiger (Anm. 59) 5 (1939), S. 9. Hermann Stahl: Die Fischer. In: Uberfahrt. Gedichte. Jena: Eugen Diederichs 1940. S. 75. - Wolf von Niebelschütz: Die Leyer. In: Preis der Gnaden. Berlin: S. Fischer 1939. S. 36. 54

als (in der Gegenwart angekommener) Er-Erzähler der gleißenden Helle aus, die seine Zuhörerin von draußen hereingeholt hat und in alle Winkel fallen läßt (ijof.). Auch wenn der ambitionierte, mit surrealen Bildern verblüffende (28, 49f., 70), in Maximen schwelgende und immer wieder zu gestelzt-preziösen Wendungen neigende, offen experimentierende und sich damit dem Dekadenzverdacht ausliefernde Text manches verrätselt und anderes »im Vagen« läßt,84 fallen doch Stellen auf, an denen Verstörendes außerordentlich präzise ausformuliert ist: etwa die Gesprächsäußerung, daß man »die Spitze jeder Barbarei auf sich zu lenken wissen« müsse (23), oder die Beschreibung des »radierten Aquarells« (61) eines gerüsteten Helden, der sich einem Heer anschließt, das »im Verband des Ordens« die »Adel« stiftende, »Zucht« heiligende »Macht« bewahrend übt (62). Wie stimmen solche Gedankengänge mit der Nischenexistenz eines Lebensschwachen und seinen Ausflügen ins Zwielichtige überein, die das Buch heraufbeschwört? Wer war Kurt Hancke, den offenbar beides faszinierte? Die vorliegenden Literaturgeschichten und Literaturlexika verraten das nicht; und wenn sich nicht Hanckes handschriftliche Signatur angefunden hätte, fiele es schwer, seine Identität zweifelsfrei nachzuweisen. Hanckes Namenszug ist nämlich in sehr unterschiedlichen Quellen überliefert, die sich nicht aufeinander beziehen: in den Personalakten der Schutzstaffel (SS), wo seine Erzählung Zwielicht

unerwähnt bleibt, und

im Poetischen Taschenheft des Verlags »Die Rabenpresse«, das von seiner (seit dem 1 5 . 1 0 . 1 9 3 7 ausgeübten) hauptamtlichen Tätigkeit im Reichssicherheitshauptamt nichts weiß oder preisgibt. 85 Offensichtlich wollte Hancke den Literaten bei der SS und den SS- und SD-Funktionär in der Literaturszene verschweigen. Daß ihm allerdings seine politische Laufbahn rasch wichtiger wurde als seine literarische Karriere, verraten die Akten und seine weiteren Publikationen. Sie zeichnen das folgende Persönlichkeitsprofil. Kurt Hancke wurde am 3 1 . 7 . 1 9 1 1 als Sohn eines Ingenieurs in Hagen geboren, studierte in Tübingen, München und Berlin Philosophie und Germanistik und erwarb 1935 den Doktortitel mit einer Dissertation über die Auffassung des Schicksals im deutschen Irrationalismus des 18. Jahrhunderts. Im Mai 1935 verlor er beide Eltern; seither war er nach eigener Angabe »ganz auf sich allein gestellt«. Hancke diente vom 1 . 1 1 . 1 9 3 5 bis 84

Adolf Georg Bartels: Wo denn ... In: Gedichte. Berlin: Die Rabenpresse 1935. S.41. 8 s F: B A r c h (ehem. B D C ) , SSO/SS, Hancke, Kurt, 3 1 . 7 . 1 9 1 1 . - Poetisches Taschenheft (Anm. 57). S. 16.

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zum ι. ίο. 1936 im Reichsheer bei der Kavallerie und begann nach seiner Entlassung aus der Armee im Rang eines Gefreiten und Offiziersanwärters, sich in Freiburg auf eine Habilitation vorzubereiten. Offenkundig in radikalisierter Parallelversion zum Werdegang von Hans Schneider/ Schwerte, 86 Schloß sich Hancke am 1 9 . 1 0 . 1 9 3 7 der SS an (Mitgliedsnummer 307.888), nachdem er vier Tage vorher Abteilungsleiter beim Sicherheitsdienst (SD) im Reichssicherheitshauptamt in Berlin geworden war. Dort lernte er den Ressortchef, Universitätsprofessor und SS-Führer Franz Alfred Six kennen, der ihn zum Chefassistenten am Deutschen Auslandswissenschaftlichen Institut der Berliner Universität ernannte und seinen Plan unterstützte, sich mit einer Entstehungsgeschichte des deutschen Liberalismus zu habilitieren. A m 4 . 1 2 . 1 9 3 9 wurde Hancke zum Wehrdienst einberufen, am 2 5 . 6 . 1 9 4 1 ist er - mittlerweile SS-Hauptsturmführer und Leutnant der Wehrmacht - als kommandierender Offizier des Spähtrupps einer Panzeraufklärungs-Abteilung an der Ostfront vor Sobotniki gefallen. 87 Noch zu Lebzeiten veröffentlichte Hancke in einer Buchreihe seines Instituts die Studie Deutscher Aufstand gegen den Westen (1940). 88 In der Verfahrensweise Schloß er dabei an seine voraufgegangene, aber unerwähnt gelassene Erzählung Zwielicht an, wenn er als Absicht angab, »zerstreute Bestände der Erinnerung zu sammeln, sie aus der Dämmerung des alltäglichen Halbschlafs heraufzuholen und in das Licht eines aktiven Bewußtseins zu rücken« (12). Was dabei herausgekommen ist, bestätigt aber nur die geisteswissenschaftliche Praxiserfahrung, daß die Prämissen bestimmen, welche Argumentationsschritte vollzogen und welche Ergebnisse erzielt werden: Ausgehend von seiner »Verankerung im weltanschaulichen Bereich des Nationalsozialismus«, die laut Personalakte »gefestigt« war, 8 ' beschrieb Hancke das ewige deutsche Ringen um die »große Ordnung« des Reiches (27) als ständigen Kampf gegen liberalisti86

Vgl. Ludwig Jäger: Seitenwechsel. Der Fall Schneider/Schwerte und die Diskretion der Germanistik. München 1998. - Claus Leggewie: Von Schneider zu Schwerte. Das ungewöhnliche Leben eines Mannes, der aus der Geschichte lernen wollte. München 1998. - Hans Ernst Schneider: Deutschland. In: Ewiges Deutschland. Hrsg. vom Winterhilfswerk des Deutschen Volkes. Braunschweig, Berlin, Hamburg: Georg Westermann 1940. S. 345 (das Gedicht ist der letzte Textbeitrag des Sammelbandes). 87 Nach: B A r c h (Anm. 85); Franz Alfred Six: Kurt Hancke zum Gedächtnis. In: Hancke: Beiträge zur Entstehungsgeschichte des europäischen Liberalismus. Berlin: Junker und Dünnhaupt 1942. S. 7-9. 88 Hancke: Deutscher Aufstand gegen den Westen. Eine geistesgeschichtliche Auseinandersetzung. Berlin: Junker und Dünnhaupt 1940. 8 ? Six (Anm. 87). S. 7. - B A r c h (Anm. 8 5).

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sehe »Verwestlichung« (153), den der »völkische Sozialismus« endgültig gewonnen habe (172). Das dafür erarbeitete Argumentationsmaterial und die daraus gezogenen Schlußfolgerungen stellte Six aus Hanckes Nachlaß in dem (in der gleichen Reihe postum veröffentlichten) Sammelband Beiträge zur Entstehungsgeschichte des europäischen Liberalismus (1942) zusammen.'0 Er enthält sechs umfangreiche Aufsätze, welche die rassischvölkische Substanz des autoritären, totalen Staates gegen aufklärerische, humanistische, demokratische Aufweichung und Zersetzung verteidigen wollen und damit - laut Six - »Leitbilder deutschen Denkens« vorgezeichnet haben.!'1 Daß diese nicht in die Zukunft wiesen, sondern mit ihrem Autor schon bald in den Orkus der Geschichte gerissen werden sollten, dürfte Six' Ahnungs- und Fassungsvermögen überstiegen haben: Der Literat Hancke, der sich in den Nationalsozialismus geflüchtet hatte, kam mit diesem um. 3) Das genaue Gegenbild dazu lieferte das Lebens- und Wirkungsschicksal von JENS HEIMREICH:91 Seinem antifaschistischen Engagement ist zu danken, daß sich biographische und dichterische Spurenelemente dieses Literaten in einschlägigen Anthologien wie De profundis (1946), verboten und verbrannt (1947) oder An den Wind geschrieben (i960, 1982) gehalten haben.« Heimreichs früheste Lebensphase gleicht den Anfängen Kurt Hanckes. Er ist am 1 3 . 6 . 1 9 1 2 als Sohn eines leitenden Bankangestellten in Hamburg geboren, studierte in München und Berlin Philosophie, Germanistik und Geschichte und wurde 1936 mit einer Dissertation über Das Komische bei Heinrich von Kleist promoviert, die der ins Exil getriebene jüdische Literaturwissenschaftler Richard Samuel angeregt hatte. Daneben und danach arbeitete Heimreich als (außerordentlich wenig verdienender) freier Schriftsteller in Berlin, bis ihm ein festes Einkommen durch Lektorat und Leitung der Antwerpener Außenstelle der Münchner »Deutschen Akademie« beschert wurde, die sich der Vermittlung deutscher Kultur und Sprache im Ausland widmete. Anders als Hancke gehörte Heimreich keiner nationalsozialistischen Parteigliederung an, soll er Hancke: Beiträge (Anm. 87). s» Six (Anm. 87). S. 9. Nach: F: Β Arch (ehem. B D C ) , R K / R S K , Heimreich, Jens, 1 3 . 6 . 1 9 1 2 . De profundis. Deutsche Lyrik m dieser Zeit. Eine Anthologie aus zwölf Jahren. Hrsg. von Gunter Groll. München 1946. S. 1 5 7 - 1 6 5 . - verboten und verbrannt. Deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt. Hrsg. von Richard Drews und Alfred Kantorowicz. Berlin, München 1947. S. i93f. — A n den Wind geschrieben. L y rik der Freiheit. Gedichte der Jahre 1933-1945. Hrsg. von Manfred Schlösser. 4. Aufl. Berlin 1982. S. 67, 214, 339f. 57

in einer Berliner Widerstandszelle tätig gewesen sein.94 Im Mai 1941 als Gefreiter eingezogen und bald danach an der Ostfront eingesetzt, wurde er im Februar 1943 verwundet; seit 1944 gilt Jens Heimreich als vermißt. Postum veröffentlichte Gedichte aus dem (in die Nachkriegszeit hinübergeretteten) Nachlaß sprechen von seiner politischen und literarischen Vereinsamung in der »würdelosen Zeit« des Dritten Reiches, die ihm zumutete, »namenlos« unter »Larven und Dämonen« zu »wohnen«, und ihn zwang, »tiefer ins Gestein« zu steigen.95 Im Dritten Reich publizierte Texte bevorzugen dagegen ambivalentere Schreibweisen wie z.B. das 1943 im Inneren Reich abgedruckte Gedicht Die Herren der Erde, das zwar die Nationalsozialisten als Verursacher des »Chaos« der »gequälten Zeit« gemeint haben dürfte, sie aber aus Sicherheitsgründen nicht benennt und verallgemeinerbar bleibt.'6 Dabei zeigt sich, daß die hermetischere Lyrik sich anspielungsreicher vorwagen konnte als die expliziter erzählende Prosa. Wie Hanckes Zwielicht ins Verlagsprogramm der »Rabenpresse« aufgenommen, strotzen die nach Atlantis, Hellas und ins attische Sizilien ausweichenden oder auf zeitlose Sonderzonen menschlicher Existenz eingepegelten Gedichte der Lyrikbücher Ufer der Frühzeit (1937) und Die Koren (1939)97 von politischen Anzüglichkeiten im ostentativ unpolitischen Textrahmen. Im zuerst genannten Bändchen hebt der Frevel seine Flügel: »Drohende Schwingen der Untat, Aasgeierflug und Hyänen« (7); ungeduldig wird gefragt, wann »die Schande enden« werde (17); »Verfehmte [sie!] aus verlornen Ländern« fassen Mut zum Widerstand und wollen die armgewordene »Welt [...] verändern« (19); Melancholie soll von Tatbereitschaft abgelöst werden (24); der Weg durch die »Höllen« führt zu den »Gärten Gottes« und ist abzuschreiten, auch wenn das Verhängnis bestimmt, vor ihnen »zu verenden« (44). Und in den (einfacher und zugleich sibyllinischer ausformulierten) Koren ergänzt eine dieser todbringenden mythischen Mädchenfiguren, daß Wahrheit sich »vor der Menge« erweisen müsse und den Märtyrern des Geistes »Paradiese« offenstehen, um die sie die »Verderber« nur beneiden können (18). Alle 94

95

97

Die von Groll, Drews/Kantorowicz, Schlösser behauptete Widerstandstätigkeit Heimreichs konnte von der Berliner »Gedenkstätte Deutscher Widerstand« (Dr. Johannes Tuchel) nicht verifiziert werden. Jens Heimreich: Der Derwisch in der Wüste. In: A n den Wmd geschrieben (Anm. 93). S . 2 1 4 . - Ders.: Der Höhlenbewohner. In: De profundis (Anm. 93). S. 160. Heimreich: Die Herren der Erde. In: D I R 10 (Juni 1943) 1, S. 75. Heimreich: Ufer der Frühzeit. Berlin: Die Rabenpresse o.J. (1937). - Ders.: Die Koren. Berlin: Die Rabenpresse 1939.

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diese Zitate entfalten ihre subversive Wirkung allerdings nur, wenn sie aus dem poetischen Kontext gelöst und auf den politischen Kontext ihrer Entstehungszeit bezogen werden, ein Verfahren, das den zeitgenössischen Leserinnen und Lesern vertraut war und auf das sich der Autor bei Gleichgesinnten verlassen konnte, während es Andersdenkenden verschlossen blieb oder sie verunsichern, verärgern und (wegen seiner Unangreifbarkeit) auch empören mochte. Anders ging Heimreich in seinem (nicht mehr von der »Rabenpresse« verlegten) Roman Die Teufelsbrücke

(1943) vor, von dem nur 800 Exem-

plare den Bombenkrieg überlebten und eine Nachkriegsauflage in den Strudeln der Währungsreform unterging.' 8 Hier setzte der Autor seinen »Traum« um, die »Möglichkeiten des Vorstellbaren« bis an die »äußersten Horizonte unserer Phantasie« zu treiben, 9 ' und bezeigte dabei dem herrschenden nationalsozialistischen Regime seine Verachtung, indem er sich völlig von ihm abkehrte, seine Existenz ignorierte und in Fiktionsbereiche ausstieg, welche die literarische Tradition bereitstellte. Daß sich die (aus Ekel über die Diktatur und unter ihrem Druck gegenwarts- und wirklichkeitsflüchtig gewordene) Phantasie versteigen und -

»zuviel«

geworden (273) - »wie Scheherezade« verplaudern konnte (277), bezeugt Heimreichs ausschweifender Roman. Aus ähnlichen romantischen Inspirationsquellen gespeist wie Heinrich Goertz' Johannes

Geisterseher,

entbindet Heimreichs »höchst seltsame

und verworrene« Geschichte (369) »eine Reihe von merkwürdigen Abenteuern« (108), die von Tag-, Nacht-, Alp- und Fieberträumen begleitet und durchschossen sind. Franz Lindheim begibt sich auf die Spur eines mutmaßlichen Doppelgängers, der allem Anschein nach abschöpft, was ihm zukommen könnte, und ins Böse verkehrt, was er an Rechtem tun will und tut (283). Lindheim findet ihn schließlich in dem geheimnisvollen, unmoralisch-egozentrischen Arzt Dr. Leander, hält ihn für den Teufel, auf den der Text mit zahlreichen Sprichwörtern, Redewendungen und Benennungen anspielt, und sieht seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt, ohne die Identität des Satans trotz verstörender Indizien eindeutig und widerspruchsfrei festgestellt zu haben: Dr. Leander treibt ihn in den Tod und entführt die lebenslustige Anna, die von Lindheim vergeblich

"

Heimreich: Die Teufelsbrücke. Roman. (1943). 6—10. T. Wiesbaden: Der Greif 1946. In der Erstausgabe, die sich im Deutschen Literaturarchiv ( D L A ) erhalten hat, befindet sich der mit einem Verlagsstempel beglaubigte Vermerk: »5000 printed / 4200 burnt«. Vgl. Heimreich: Mythos und Märchen. In: Die neue Rundschau 51 (Mai 1940), S.255. 59

umworben worden ist. Von der Gegenwart der nationalsozialistischen Diktatur hat sich der Text abgekoppelt, auch wenn die Zeitgenossen versucht gewesen sein mochten, im freien, losgelösten Gedankenspiel den teuflischen Verführer auf den Nationalsozialismus und die von ihm Mitgerissenen oder Geschädigten und Gepeinigten auf Mitläufer oder Opfer zu beziehen. Doch ergiebiger war es wohl, auf versprengte Einzelformulierungen zu achten, die von furchtbar und ungewiß Drohendem hinter einer schwarzen Maske sprechen (222), davor warnen, »die Welt auf den Kopf stellen« zu wollen (ιγί.), und versichern: »Wer heutzutage nicht seinen Verstand verliert, ist nicht wert, jemals welchen besessen zu haben.« (319) Doch indem der Erzähltext solche Aussagen engstens an den Handlungsverlauf anschloß und sie nahtlos in ihn einband, vermied er es mit Bedacht und Geschick, die nationalsozialistischen Uberwachungsinstanzen aufzustören, zeigte er sich bemüht, den (durch die angeführten Leseindizien beglaubigten) politischen Widerständler Heimreich literarisch zu tarnen. Unverhohlen zeitgemäß und unverkennbar zeittypisch dürfte nur die Artikulation von zwei gegensätzlichen Wunschperspektiven gewirkt haben: einerseits das (von Lindheim, dem vorliegenden Buch und dem Autor befolgte) Bedürfnis, sich zu »verkriechen« und sich in die »Bücher« und »Bilder« zu »versenken« (107; 22, 1 0 1 , 103); andererseits die (von den gleichen gespürte) Neigung zur »Flucht aus der Hölle« (360), die Anna sich erfüllt, indem sie - fatalerweise mit Dr. Leander davonläuft, »irgendwohin, wo das Leben anders ist« (304). Wie sich erwiesen hat, standen die Personen und der Verfasser mit ihrer Suche nach der Nische nicht allein. Im folgenden wird sich zeigen, daß auch die (im letzten Zitat mitartikulierte) gegenläufige Alternative Anklang fand: der Drang in die »lockende Fremde« (212) exotischer Länder oder extravaganter Gesellschaftskreise, der sich nur selten verwirklichen ließ und oft genug enttäuscht wurde.

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Hans Orlowski: Der Hirte

Viertes Kapitel Ausflug ins Fremde, Ferne und andere

Sehnsucht und Auftrag Wollte man das zeitgenössische Fernweh und Ausstiegsbedürfnis bildlich vergegenwärtigen, böte sich ein Holzschnitt von Georg Sluyterman von Langeweyde an: 1940 im Inneren Reich abgedruckt, zeigt er in niederdeutscher Urlandschaft einen startbereiten Wanderer mit nordischem Gesichtsprofil, Knotenstock und Felleisen, der - den begleitenden Volksliedzeilen gemäß - seinem »Heimatland [...] ade« sagt und »zum fremden Strand« aufbricht.1 Doch dieses romantische Klischeebild träfe die Stimmungslage der dreißiger und frühen vierziger Jahre wohl weniger als der 1942/43 in der gleichen Zeitschrift wiedergegebene Holzschnitt Der Hirte von Hans Orlowski.2 Denn obwohl der abgebildete Schweinehirt in antiker Ruinenlandschaft keinen Ausbruchstrieb erkennen läßt, verbinden ihn doch seine Träume mit den Wander-, Reise- und Abenteuerlustigen: Worauf sich diese Wunschvorstellungen auch richten mögen, auf Essen und Trinken, auf Lust und Liebe, auf Nahes und Fernes, letzthin dürften sie zum anderen und Fremden ausschweifen, welches das Gewohnte auf unbekannte Weise zu ergänzen oder zu ersetzen verspricht. Solche »Sehnsucht in die Weite« bis »ins Grenzenlose«, die sich - wie Manfred Hausmann unterstrich - »über das geringe Leben« erhebt,3 wurde in der zeitgenössischen Lyrik vielstimmig und variantenreich artikuliert. Hermann Stahl sprach 1940 von der »Lockung ferner Dinge«; »Nie / Waren wir so vorm Sprung / Wie heute.«, behauptete Werner Helwig 1935; »Jetzt will ich fort, ο laßt mich los [...]«, rief Erika Mitterers Wandernde 1935; »Bleib ich hier? Ach, wär ich dort!« wiederholte Georg von der Vring 1942 refrainartig in seinem Gedicht Die Freiheit der

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Georg Sluyterman von Langeweyde: Holzschnitt. In: D I R 7 (August 1940) 5, S.2 66. Hans Orlowski: Der Hirte. Ebd. 9 (Dezember 1942/Januar 1943) 9/10, S. 490. Manfred Hausmann: Alte Musik. In: Alte Musik. Gedichte. Berlin: S. Fischer 1941. S. 8. - Ders.: Weisung. Ebd. S. 71.

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Welt.4 Diesem (vielerlei einschließenden) »Ferntraum« und diesem (durch vielerlei bewirkten) »Fernsog« suchten die zeitgenössischen Dichterinnen und Dichter - wie Walter Bauer 1943 dargestellt hat - in Gedankenreisen und im Gedankenflug zu entsprechen:' »Und auf ihren dunkel schönen Schwingen / Will ich ewig in die Ferne dringen.«, verkündete Marie Luise Kaschnitz 1938. 6 Doch während der Nationalsozialist Gerhard Schumann befahl: »Kühn hinaus in die brausende Ferne!« und sein Gesinnungsgenosse Herybert Menzel im »Aufbruch« zur kriegerischen Eroberung der »Ferne« Mannespflicht sehen wollte, 7 sprach der (vom Regime streng überwachte und kleinlich schikanierte) Walter Bauer wohl für viele Nichtnationalsozialisten, wenn er betonte, daß seine Lebensreise ins Ferne und Fremde Mauern überwinden und ins Freie führen solle.8 Welche Irritation und welche Faszination vom anderen des Fremden und Fernen ausging, werden zwei Untersuchungsreihen zeigen, die den Einbruch des Fremden und den Ausbruch in die Fremde verfolgen.

E i n b r u c h des F r e m d e n Wie sich am Muster der 1940 unter dem Titel Das Kugelspiel erschienenen (und im Schlußkapitel eingehender betrachteten) Erzählungen von Johannes Moy 9 stellvertretend für viele andere Textbeispiele beobachten läßt, konnte sich der Einbruch des Fremden in die umfriedete, aber nicht 4

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Hermann Stahl: Lockung ferner Dinge. In: Überfahrt. Gedichte. Jena: Eugen Diederichs 1940. S. 8. - Werner Helwig: Sechste Hymne. In: Nordsüdliche Hymnen. Berlin: Die Rabenpresse o.J. (193 5). S. 23. - Erika Mitterer (O): Gesang der Wandernden. In: Gesang der Wandernden. Neue Gedichte. Leipzig: L. Staackmann 193 5. S. 7. - Georg von der Vring: Die Freiheit der Welt. In: O k toberrose. Gesammelte Gedichte. München: R. Piper 1942. S. 90. Hans Leip: Der Abenteurer. In: Die kleine Hafenorgel. Gedichte und Zeichnungen. Hamburg: Christian Wegner 1942. S. 16. - Arnold Krieger: Nächtlicher A n ruf. In: Das schlagende Herz. Gedichte. Potsdam: Rütten & Loening 1944. S. 1 1 6 . - Walter Bauer: Die Reise. In: Gast auf Erden. Gedichte. Dessau: Karl Rauch 1943. S. 43; ders.: Gast auf Erden. Ebd. S. 94. Marie Luise Kaschnitz: Meinem Kinde (1938). In: Gedichte. Hamburg: Ciaassen & Goverts 1947. S. 122. Gerhard Schumann: Ausfahrt. In: Gesetz wird zu Gesang. Gedichte. Berlin, Wien, Leipzig: Karl H. Bischoff 1943. S. 55. - Herybert Menzel: Anders kehren wir wieder. In: Anders kehren wir wieder. Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt 1943. S. 13. Bauer: Gast (Anm. 5.). S. 94. - Ders.: Ein Morgenlied. Ebd. S. 97. Johannes M o y (O): Das Kugelspiel. Erzählungen. Leipzig: Insel 1940. Neudruck unter gleichem Titel mit veränderter Textauswahl: Frankfurt am Main: Insel 1988.

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immer befriedete Enge in vielen Varianten ereignen: als Zufall (Erstausgabe 78/Neudruck 68), Gefahr (9/12), Schicksalsschlag (45/41), Naturkatastrophe ( n f f . / n f f . ) usw. Da bei Berücksichtigung aller dieser Aspekte das Untersuchungsspektrum aber extrem überdehnt würde, soll es auf solche Fälle eingeengt werden, in denen das Fremde personifiziert ist und als Fremder oder seltener als Fremde in das Handlungsgeschehen eingreift. Einige wenige, aber aufgrund ihrer literarischen Qualität bemerkenswerte Beispiele mögen genügen. Der »Fremde« (5) in Alma Holgersens Roman Der Wundertäter (1936) 10 bringt mit seinen religiösen Schwärmereien die Bewohner eines abgelegenen Alpendorfs »in Bewegung« (190), treibt sie in abergläubische Massen-»Hysterie« (180) und macht »alle verruckt [sie!]« (103), bis eine Naturkatastrophe sie »zur Besinnung« bringt (200): Sie retten ihr Leben, »nichts anderes« (200), wenden sich wieder »der wirklichen Wirklichkeit« zu (215), erkennen den besten Gottesdienst erneut in einem rechtschaffenen Arbeitsleben (145) und gewinnen auch dem (im frömmlerischen Wahn erlittenen) Bergtod des Fremden das Beste mit dem Tröste ab, dadurch sei der Abgestürzte vor dem »Irrenhaus« (244) bewahrt worden. Der Fremde hat das Dorf aufgewühlt; doch die Instinkte der Dörfler waren stark genug, nach heftigem Fieber die Infektion abzuwehren, die von draußen gekommen war. In Hermann Stahls Westerwald-Romanen Traum der Erde (1936) und Die Orgel der Wälder (1939) 11 stören zwei Fremde, eine junge Frau bzw. ein junger Maler aus der Stadt, das (vom Kreislauf der biologischen Lebensphasen und vom Gleichmaß der alltäglichen Arbeitsprozesse geprägte) dörfliche Gemeinschaftsleben zwar gemeinschaftsgefährdend auf; »alle Dinge und jeder Baum, die Acker, die Menschen« behaupten jedoch ihre »große Ubermacht« und überwältigen die beiden Eindringlinge.12 Von einem Dorfburschen geschwängert, findet die Fremde ihre »Ordnung« in der »Geborgenheit der Heimat, der Herkunft« wie in der »Erfüllung des Gesetzes«, welches das »kommende Leben« ihr vorschreibt.13 In anonymisierter geschlechtlicher Vereinigung mit einem vitalen Dorfmädchen naturmagisch verschmelzend und durch einen mutigen Rettungsversuch und eine großherzige Versöhnungstat ausgewiesen, wird der Fremde in 10 11

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Alma Holgersen (Ö): Der Wundertäter. Leipzig: L. Staackmann 1936. Hermann Stahl: Traum der Erde. Roman. Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt 1936. - Ders.: Die Orgel der Wälder. Roman. (1939). 1 1 . - 1 5 . T. Jena: Eugen Diederichs 1941. Stahl: Traum (Anm. 1 1 ) . S. 84. Ebd. S. 457 und 460.

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das »Dorfleben« integriert, das ihm hilft, »endlich Wurzeln« zu schlagen und Kräfte zu sammeln für die künftigen Kämpfe um seine Kunst in der Stadt.14 Demgegenüber mißlingt in Josef Leitgebs Roman Christian und Brigitte (1936) 1 ' die Stadtflucht eines jungen Lehrers ins Dorf-»Idyll« (141), wo »Verwurzelung«, »Brauch und Vätersitte« dahingeschwunden sind und »schwere Arbeit« die Bauern abgestumpft hat (140). Der Fremde weiß sich »außerhalb dieser schweratmenden und arbeitswarmen Wirklichkeit« (99), die ihn anzieht und abstößt, und bekommt erst Boden unter die Füße, als er übernimmt, was ihm aufgetragen ist: die Sorge für sein unehelich geborenes Kind und dessen Mutter, die außerhalb des Dorflebens stand und durch ihre Schwangerschaft in die Dorfgemeinschaft hineingewachsen ist. Schlimmer ergeht es dem fremden kleinen Mohren in Gertrud Fusseneggers Mohrenlegende (1937), einer ins Zeitalter der Kreuzzüge verlegten Leidensgeschichte, die sich auf das Schicksal der in Deutschland lebenden Juden beziehen ließ und wohl deshalb vom Amt Rosenberg für nicht förderungswürdig gehalten wurde: 16 Als »fremdes Ungeheuer« (15) beargwöhnt und zum »lebenden Satan« verteufelt (16), erfährt der Mohr vor seinem Tod durch Erfrieren die Genugtuung, daß einer der heiligen drei Könige genauso dunkle Haut hatte wie er und dennoch »kein Ausgestoßner, kein rechtloser Fremdling« war (52). Dagegen fällt dem Fremden in Fusseneggers nationalsozialistisch eingefärbter Tendenzgeschichte Das Bildnis (1943) 17 die Rolle des kurzzeitig erlösenden Heilers zu. Die Liebe eines fremden deutschen Fliegerleutnants hilft einer jungen Deutschstämmigen aus dem Generalgouvernement Böhmen und Mähren, für einen flüchtigen Glücksmoment den Zwiespalt zwischen ihrem patriotischen Gewissen und der versäumten Pflicht zur aktiven Beteiligung am »völkischen Kampf« (49) der Deutschen in der Tschechoslowakei zu überwinden. Doch die Schuld, die sie mit ihrer Unterlassung auf sich geladen zu haben meint, ist nach ihrer Einschätzung nicht dauerhaft zu tilgen, auch nicht durch den Beistand der Liebe. Ausgestoßene, Leidende, Genesende und Erlösende sind schließlich die Fremden in Elisabeth Langgässers Roman Der Gang durch das Ried

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Stahl: Orgel (Anm. 1 1 ) . S. 3 4 6 f . Josef Leitgeb (O): Christian und Brigitte. Roman. Berlin: Bruno Cassirer 1936. Gertrud Fussenegger (d.i. Gertrud Dietz) (O): Mohrenlegende. Potsdam: Rütten & Loening 1937. - Gutachtenanzeiger. Beilage zu: Bücherkunde 4 (1938), S. 12. Fussenegger: Das Bildnis. In: Eggebrecht. Erzählungen. Jena: Eugen Diederichs 1943. S.42-55. 66

(1936), einer mit Grenze: Teufels

Besetztes

Gebiet

(1932) und Triptychon

(1932) vorbereiteten, sprachlich-erzähltechnischen,

des

zeit- und

gesellschaftskritischen Spitzenleistung, welche die nationalsozialistischen Rassisten bezeichnenderweise mit Publikationsverbot für die >halbjüdische< Autorin vergalten/ 8 Im Spätherbst 1930 am Altrhein zwischen Griesheim und Gernsheim bei Darmstadt spielend, wird von zwei »Lükkenbüßern« (157) erzählt, die in das (von der abgezogenen französischen Besatzung verwüstete, durch die Putschpläne und Verschwörungsaktionen politisch irregeführter, notgeplagter rheinhessischer Bauern unterminierte) Ried geworfen sind: ein aus dem Irrenhaus entlassener, psychisch gestörter Mann mit diffusem Schuldkomplex, verlorenem Gedächtnis und falschem französischem Paß sowie ein abgeschobener und herumgestoßener Junge als Sproß einer deutschen Ehebrecherin und eines französischen Besatzungssoldaten. Auf der Suche nach seiner Identität wächst dem Mann die Rolle des Wahrheiten sagenden und Unwahrheiten hinterfragenden Narren zu; auf der Suche nach Zuneigung, Heimat und Geborgenheit stiftet der Junge familiären Frieden und Zusammenhalt: In der »Satanskirche« (16) dieser Welt, in der die Erbsünde jeden zur Versündigung treibt und mit Schuld belädt, setzen die beiden dem Bösen das Gute entgegen, ohne den »Sündenfall« (207) aufheben zu können. Der Mann findet in der Erinnerung zwar wieder zu seiner deutschen Herkunft zurück, nimmt aber den Namen eines französischen Übeltäters an, um damit die Schuld aller auf sich zu laden, »die Unrecht taten« (310); der Junge steigt hinab in die Hölle seines eherechtlich legitimen, aber nicht leiblichen Vaters, wo er das »Unglück« bannen soll (269): Beide bewähren sich als Erlöser, wobei offen bleibt, ob ihre Erlösungstaten gelingen oder ins Leere laufen. Gleichwohl geben sie als Fremde im Heimatland ein moralisch wie politisch unübersehbares Beispiel: Geistig behindert bzw. sozial entrechtet und verachtet, sind sie die einzigen Gesunden und Anständigen unter den sogenannten Normalen, die alle krank geworden sind und verrückt spielen.

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Elisabeth Langgässer: Der Gang durch das Ried. Ein Roman. Leipzig: Jakob Hegner 1936. - Dies.: Grenze: Besetztes Gebiet. Ballade eines Landes. Berlin: Morgenland-Verlag 1932. - Dies.: Triptychon des Teufels. (1932). In: Gesammelte Werke. Erzählungen. Hamburg 1964. S. 135-228.

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Ausbruch in die Ferne Den Irritationen, welche die Fremden bei den Einheimischen erregten, entsprach die Faszination, die vom erträumten oder bestandenen »Abenteuer der Ferne« und dem damit verbundenen »Welterleben« ausging.1' Dabei wuchs die Anziehungskraft des Exotischen parallel zu seiner (unterschiedlich veranschlagten) Andersartigkeit. So wird in dem (mit einem eingeschmuggelten Motto aus den unterdrückten Schriften des rassisch diskriminierten Hofmannsthal auftrumpfenden) Roman Die geflügelte Orchidee (1941) von Sophie Dorothee Podewils20 der unerschrockene Mörder als Verkörperung des »weder Tod noch Teufel« fürchtenden »Bösen« in den exotischen »Fernen Osten« geschickt (283, 247), wo sein aggressiver Tatendrang einer gefährlichen Expedition zugute kommen soll. Dagegen bleibt ähnlich wie in Langgässers Gang durch das Ried oder Ilse Molzahns Nymphen und Hirten tanzen nicht mehr (193s) 11 ein geistig behinderter »Narr« zu Hause, um dort mit instinktiver »Erfindungskraft« dem Guten und Rechten aufzuhelfen und beizustehen (177). Der Roman Die Allerheiligen Bucht (1942) von Marianne Langewiesche22 ruft die Erinnerung an einen lange zurückliegenden Zusammenprall zwischen konventioneller Ordnung, moderner Zivilisationskultur und exotischer Triebanarchie in der »verkleinerten Welt« (60) einer griechischen Ödlandschaft herauf: Von der mit »Brrrrrr!« abgespeisten »Politik« nicht zu steuern (70), verbreitet ein Seeräuber als Inkarnation der Wildnis zwar panische »Angst« (88), schenkt als »nackter Gott, der doch ein Sünder war« (209L), aber auch unvergeßliches erotisch-sexuelles Liebesglück. In Werner Helwigs Aussteigerromanen Raubfischer in Hellas (1939) und Im Dickicht des Pelion (1941) 23 suchen die Ich-Erzähler auf ihrem Weg in die (gegen alle Drohungen zivilisatorischer Ausbeutung aufbegehrende) urweltliche Naturwildnis des modernen Griechenland »Unsicherheit, Not,

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Theodor Heinz Köhler: In der Südsee. In: D I R 9 (Oktober/November 1942) 7/8, S. 448. - Edgar Lajtha: Welterleben. Menschen, Inseln, Ozeane. Ein Reisebuch. Berlin: Rowohlt 1937. Sophie Dorothee |Gräfin| Podewils|-Juncker|: Die geflügelte Orchidee. Berlin: S. Fischer 1941. Hofmannsthal-Motto: S. 135. Ilse Molzahn: Nymphen und Hirten tanzen nicht mehr. Roman. Berlin: Rowohlt 1938. Marianne Langewiesche: Die Allerheiligen Bucht. Roman. Berlin: Hans von H u g o 1942. Werner Helwig: Raubfischer in Hellas. Roman. Leipzig: Johannes Asmus 1939. Ders.: Im Dickicht des Pelion. Roman. Leipzig: Johannes Asmus 1941. 68

Kampf«, um ihre natürlichen, mit Tier und Pflanze verbindenden Instinkte wiederzufinden, die sie ertüchtigen, kämpfend und arbeitend »Verantwortung« zu tragen und »Pflichten« zu erfüllen.24 In Günther Weisenborns »Roman aus der Wildnis« Die Furie (193z) 15 lehrt die wilde, im ungebändigten Kampf ums Dasein befangene südamerikanische Urwaldnatur (66) den Ich-Erzähler, einen Arzt und Schmerzforscher, »den Schmerz zu reiten [...] wie ein Pferd« (169): Er bemüht sich nicht länger um »physiologische Feststellungen« (168), sondern gewinnt dem Schmerz in wollüstiger Liebe und mörderischem Krieg die Kraft zur Selbstbefreiung ab, die ihm als fingiertem Autor in Traum und Tarantel (1938)26 erlaubt, das »Glück« mit »Bitternis« bestrafende »Gesetz der Wildnis« (5) als wohlfeilen Preis für das große Abenteuer gelebter Freiheit darzustellen. In einem »Zeitalter«, in dem nach Erwin Wickert die »Furcht« regierte und damit auch den Drang zum »Abenteuerlich-Wunderbaren« hemmte und beschnitt,27 mußte der Aufbruch ins Abenteuer der Fremde politische Dimensionen annehmen. So verwundert es nicht, daß - wie Walter Bauer schon 1932 vorformuliert hatte und 1940 unter Berufung auf den Vogelflug bekräftigte - »notwendige Reisen« unternommen und beschrieben wurden.28 Bauers 1932 erschienene antifaschistische Notwendige Reise1'' hatte noch aus der nationalistischen Staatenwelt heraus- und zur Erde als »Vaterland der Menschen« hingeführt, das gemeinschaftlicher »Werkwille« zur »großen Heimat« aller umgestalten sollte (253, 258). Dagegen verließen Gustav Rene Hocke mit seinem Reiseroman Das verschwundene Gesicht (1939) und Egon Vietta mit seiner Reise-Dichtung Romantische Cyrenaika (1941) das nationalsozialistische Deutschland und beschieden sich, mit der von ihnen in Italien bzw. im italienisch kolonisierten Libyen aufgespürten Versöhnung von Tradition und Moderne durch die »Synthese« von Antike und Faschismus ein Vor-, Muster- und Gegenbild für die Herrschaftsideologie und Η errs chafts Wirklichkeit des Dritten Reichs zu zeichnen.30 24

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Helwig: Raubfischer (Anm. 23). S. 48 und 92f. - Ders.: Dickicht (Anm. 23). S. 295. Günther Weisenborn: Die Furie. Roman aus der Wildnis. Berlin: Rowohlt 1937. Christian Münk (d.i. Weisenborn): Traum und Tarantel. Buch von der unruhigen Kreatur. Dresden: Wilhelm Heyne 1938. Erwin Wickert: Fata Morgana über den Straßen. (1938). Leipzig: Der Jugendbuchring o.J. S. yf. Walter Bauer: Die notwendige Reise. Berlin: Bruno Cassirer 1932. - Ders.: Die Reise eines jeden Tages. Recklinghausen: Bitter o.J. (1940). S. 71 und 73. Bauer: Die notwendige Reise (Anm. 28). Gustav R[ene]. Hocke: Das verschwundene Gesicht. Ein Abenteuer in Italien. Leipzig-Markkleeberg: Karl Rauch 1939. S. 214. - Egon Vietta (d.i. Egon Fritz): 69

Daß Ilse Langner in ihrem Peking-Roman Die purpurne Stadt (1937)31 dem »Rassenproblem« (418) zwischen den Gelben und den Weißen handlungsbestimmende und strukturprägende Bedeutung einräumte, entspricht der besorgt-beflissenen ideologischen Anpassungsbereitschaft der Autorin, mit der sie 1933 bei ihrer vorbereitenden Ostasien-Reise nach Deutschland zurückblickte und - wieder heimgekehrt - zur regimekonformen Niederschrift des Buches schritt: Was sich dabei trotz aller Aufgeschlossenheit für das Fremde an rassistischen Vorurteilen niederschlug, ließ sich auch in der zusammengestrichenen Nachkriegsauflage von 1952 32 nicht mehr spurlos tilgen und bruchlos entnazifizieren. Und daß Marie Luise Kaschnitz in Liebe

beginnt,33

der »Geschichte einer Reise«

(7) in das »unbekannte Land« (18) des staatlich »neu gefestigten«, dem »Fortschritt« verpflichteten >neuen< Italien (178L), ihre Ich-Erzählerin und deren älteren Lebenspartner in ein Streitgespräch über den italienischen Faschismus verwickeln konnte, das zustimmende und ablehnende Beurteilungen zuläßt, zeugt für die liberale Meinungsfreiheit zur Entstehungszeit des Buches im Vorfeld des Dritten Reiches: Während sich die junge Frau von den gemeinschaftsfördernden Urbanisierungsprojekten, den massenbewegenden Mobilisierungsanstrengungen, den »großen Worten« der italienischen Faschisten beeindruckt zeigt (86-93; 91)» rechnet ihr der skeptische Mann die Kosten vor, beklagt er die Unterwerfung des einzelnen im Dienste des Staates, verspottet er das hohle Pathos der Verlautbarungen, stellt er resigniert fest: »Bei uns [...] wird alles bald ebenso sein wie hier. Ich kann da nicht mitmachen.« (92)

Abgerückter M y t h o s , entlegene Geschichte, exotische Welt Solche ergebnisoffenen Diskussionen, die politische Toleranz voraussetzen, konnte sich Marie Luise Kaschnitz in ihrem nächsten, 1937 veröffentlichten Roman Elissa 34 nicht mehr erlauben. Wie Emil Barth in sei-

31

32

33 34

Romantische Cyrenaika. Dichtung einer Reise. Hamburg: Broschek 1941. S.258. Ilse Langner (d.i. Ilse Siebert): Die purpurne Stadt. Roman. Berlin: S. Fischer 1937. Ausführlich zum Rassismus in diesem Roman: Denkler: Rassenprobleme in Peking. In: »Wenn Freunde aus der Ferne kommen«. Eine west-östliche Freundschaftsgabe für Zhang Yushu. Hrsg. von Naoji Kimura und Horst Thome. Bern 2005. S. 55-65. Langner: Die purpurne Stadt. Roman. Neue von der Autorin bearbeitete Ausgabe. Stuttgart: J. G . Cotta 1952. Marie Luise Kaschnitz: Liebe beginnt. (1933)· Roman. Berlin: Universitas o.J. Kaschnitz: Elissa. Roman. Berlin: Universitas 1937. 70

nem 1943 erschienenen Roman Das Lorbeerufer

35

versetzte sie nun alt-

überliefertes Mythengeschehen in eine historisch wie geographisch unbestimmte Umwelt, in der die explizite politische Aussage durch sprechende, aber deutungsoffene Gleichnishandlungen ersetzt ist. Kaschnitz griff den Mythos v o n Dido und Aeneas auf, um weibliche wie männliche Freiheitssehnsucht zu beschwören (27L, 217), die sich - wie sie in der schichte des Bellerophontes

Ge-

beschrieben hat 36 - mit den »Flügeln« des

»Pegasos« über Mauern und Grenzen hinwegschwingt und die »Freiheit des Geistes« gegenüber den »furchtbaren nächtlichen Dingen« auf der schönen, aber von Menschen verheerten Erde behauptet. 37 U n d Barth fand in der »Vergangenheit« des Sappho-Mythos einen »kostbaren Schatz«, der »die Seele« nährt (17): Seine Heldin vollzieht den größten Selbstbefreiungsakt, indem sie den Freitod wählt und im Triumph des Geistes über ihre Körperlichkeit zur »Leier« (240) und das heißt zum alle Erdenqualen überwindenden Gedicht ihrer selbst wird. Im Vergleich mit solchen Fluchten in zeitlose Mythenwelten wurde Marianne Langewiesche bei ihrer Reise in die politische Geschichte der Republik Venedig deutlicher. Rhapsodisch durchrhythmisiert und aphoristisch ausgefeilt, läßt sich der Lebensweg der Königin

der Meere

(1940) 38

von der Kindheit über die Reifezeit bis zum T o d nämlich als scharfe A b rechnung mit dem Dritten Reich lesen. Während Venedigs Blütezeit mit ihrer nüchternen Friedenspolitik der »klugen Beschränkung« (56) zum wechselseitigen Vorteil aller ein beneidenswertes Gegenbild zur aggressiven Maßlosigkeit der Nationalsozialisten zeichnet, wird ihnen mit Blick auf die aufgehetzten, verblendeten, räuberischen und mörderischen Kreuzfahrer (58-70) und am Beispiel der Verfallsgeschichte des (zum Terrorregime verkommenden) Stadtstaates ein wahrheitsgetreuer Spiegel vorgehalten: »Venedig [... ] will Schrecken verbreiten und Furcht in der Welt und im Staate v o r sich«, obwohl »Schreien keine Schwäche überschreit« und »Schrecken und Furcht, Dunkelheit und Peinigungen einen Staat nicht retten« (252). Daß Ausflüge in die Exotik des Fremden, Fernen, historisch Abgerückten und mythisch Entrückten auch mit nationalsozialistischem Reisegepäck unternommen wurden, zeigen die nächsten beiden Romanbeispiele.

35 36

Emil Barth: Das Lorbeerufer. (1943). Hamburg: Ciaassen & Goverts 1946. Kaschnitz: Griechische Mythen. (1944). Hamburg: Ciaassen & Goverts 1946. S. 67-79; S. 73· ^

37 38

Ebd. S. 73. - Dies.: Elissa (Anm. 34). S. 157. Marianne Langewiesche: Königin der Meere. Roman einer Stadt. (1940). Berlin: Büchergilde Gutenberg o.J.

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Ähnlich wie Langners (in der Gegenwart spielender) Peking-Roman Die purpurne

Stadt zeugt auch der (in die Vergangenheit der englisch-

indischen Kolonialkonflikte zwischen 1773 und 1858 hinabtauchende) dokumentarische Roman Die roten Lotosblüten

(1941) von Christoph

Erik Ganter 3 ' für das ideologische Assimilierungsbedürfnis des Verfassers. Wie bereits erwähnt, verbarg sich hinter diesem Pseudonym aus der Welt der Gänse der Radio- und Theatermann Curt Elwenspoek, der seit 1938 als (zu besonderer Linientreue genötigter) Berufsschriftsteller ohne feste Anstellung arbeitete. Seine (durch wenige regimekritische Spöttereien eher beglaubigte als entkräftete) politische Zuverlässigkeit unterstreichend, werden »Blut, Rasse, Volk« (229) als durchschlagende Bestimmungskategorien eingeführt, steuert der »Rasseinstinkt« (399) politische Entscheidungen und Handlungen. Die antienglische deutsche Kriegspropaganda flankierend, wird die »hunnenhafte Mordraserei der Engländer« (393) gebrandmarkt, mit der die >vertiertenselbstverständlich< (68) wie die individualisierte partnerschaftliche Liebe, geht es doch stets um die höchste Steigerung des Glücksempfindens im Liebesakt. Daß dieses schönste der Gefühle ohne Zögern genossen werden muß, weil es rasch vergleitet und die Liebenden wieder auf sich selbst zurückfallen läßt, unterstreicht Benndorfs Erzählung Eine andalusische Nacht (1940)» schon mit dem Motto von Miguel de Unamuno, das der Liebe das Schicksal zumißt, »das Glück nicht zu überleben« (7). Dementsprechend verläuft das Handlungsgeschehen. Ein »unverkennbarer Deutscher«'4 erfährt die maurisch geprägte und mit »Deutschland« unvergleichbare Stadt Murcia in Andalusien (98) als Materialisation von »Liebe und Fleisch« (61), womit ihn denn auch die schöne, ihren Spottnamen >Die Häßliche< Lügen strafende Zurrapa verwöhnt. Nach einer ausführlich ausgemalten verzehrenden Liebesnacht, die beide trotz höchster Exaltation einsamer und fremder macht als sie vorher waren, verläßt er 50

51 52 53 54

Ch.: Die Seele Andalusiens. In: Das X X . Jahrhundert 2 ( 1 9 4 1 ) 1 1 , S. 508. - Paul Rilla zu: Werner Benndorf: Eine andalusische Nacht. In: Die Dame 67 (1940) 25, S. 87. - Gutachtenanzeiger. Beilage zu: Bücherkunde 7 (1940), S. 12. Werner Benndorf: Die schlesische Koppel. Plauen: Günther Wolff 1935. — Ders.: Arabische Glut. Leipzig: Esche Verlag 1936. Benndorf: Prolog. In: Das Mittelmeer-Buch. Hrsg. von dems. Leipzig: Α. H. Payne 1940. S. 7. Benndorf: Eine andalusische Nacht. Erzählung. Leipzig: A. H . Payne 1940. Ch.: Die Seele Andalusiens (Anm. 50). 75

sie, ohne zu wissen und wissen zu wollen, was in ihr vorgeht. Doch die Flucht mißlingt. Er möchte zwar die empfangenen Lebenslehren beherzigen: »Liebe dich selbst und bleibe dir treu! Tu, was dich straft, tu, was dich belohnt! Tu alles, denn du mußt zu allem fähig sein. [...] Alles was du tust aber wirf ins Meer. [...] Vergiß!« (2Öf.) Doch dazu fehlt ihm die Kraft: Die Erinnerung an Zurrapa lenkt seine Schritte »zurück in die Stadt« (131) - ob er dort sein Triebziel erreichen wird, bleibt offen. Mit diesem fröhlichen Orgasmus-Kult, der sich von der Erbsünde befreit fühlt, kein Gut oder Böse kennen will und nur dem irdischen Lebenstrieb frönt, wagte sich Benndorf weiter vor als die übrige literarische Konkurrenz. So führte Hans Georg Brenner in seinen Drei Abenteuern Don Juans (1941)" den alten, ausgebrannten, unfruchtbar gewordenen Lebemann vor, den »die Angst, ein Unwiederbringliches zu versäumen« (82), durchs Leben peitscht: Nur »sich selber oder die Liebe« liebend (69), trifft ihn Leporellos Grundsatzurteil: »[...] wer zu ewigem Lieben verurteilt ist, höhlt sich zu einer tauben Nuß ...« (99f.). Und im erotischen Konfliktfall, den die (in auffallend großer Anzahl veröffentlichten) zeitgenössischen Dreiecksgeschichten heraufbeschwören, wird die Entschärfung gern im edlen Verzicht gesucht, den nicht selten der Selbstmord besiegeln muß. In Heinrich Ringlebs Erzählung Der Junker von Warrenthin (1942)' 6 opfert sich die Ehefrau, um ihren Geliebten und ihren Ehemann zu tätigem Weiterleben zu verpflichten. In Hedwig Rohdes Frühling im Oktober (194t)57 wird der leidenschaftlich genossene, vom »großen herrlichen Drange« göttlichen Ursprungs erfüllte (108), parallel vollzogene Ehebruch beider Ehepartner durch den Freitod der hochangesehenen Geliebten und die Entlassung des unstandesgemäßen Geliebten bereinigt. In Gert von Klass' Roman Die Liebe des Leutnants Wartenstein (194ο)'8 suchen Bräutigam und Geliebter den Tod in der Schlacht und hinterlassen der zurückbleibenden Frau neben erhebenden Erinnerungen nur das Vermächtnis, ihren Lebenssinn in uneigennütziger Pflichterfüllung zu suchen. Und in Martin Raschkes Erzählung Der Pomeranzenzweig (194ο)59 führt die Verweigerung, zu der sich der Geliebte aus kameradschaftlicher Verbundenheit mit dem Kriegsdienst leistenden Ehemann durchgerungen hat, das tragische Ende des unseligen Liebespaares herauf: Der Verzichtende schießt auf die

^

56

s8

Hans Georg Brenner: Drei Abenteuer D o n Juans. Berlin: Universitas 1941. Heinrich Ringleb: Der Junker von Warrenthin. Berlin: Wolf gang Krüger 1942. Hedwig Rolide: Frühling im Oktober. Hamburg: H . Goverts 1941. Gert von Klass: Die Liebe des Leutnants Wartenstein. Roman. Berlin: Propyläen 1940. ~y) Martin Raschke: Der Pomeranzenzweig. Erzählung. Leipzig: Paul List 1940.

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vermeintlichen Halluzinationen seines unterdrückten erotischen Begehrens, trifft die herannahende Geliebte und richtet sich selbst. Doch es ging auch anders (und weniger blutrünstig). In Günther Weisenborns Roman Das Mädchen von Fanö (193 5)60 siegt die ehebrecherische Liebe über Ehe-, Eltern- und Freundespflicht: Unzufrieden mit der »genügsamen Biographie« (213) eines entsagungsvollen Alltagslebens, gehorchen die Mutigen den starken Instinkten des Fleisches und der Erde, um »dem großen Schicksal der Liebenden« zu verfallen (227). Solche großen, in fremde oder archaische Welten verlegten Liebesschicksale konnten aber auch im sozialen Binnenraum angesiedelt werden, der in den Sonderzonen des produzierenden oder reproduzierenden Künstlertums besondere Spielräume für erotisch-sexuelle Freiheiten zuließ. Dafür lieferte Otto Nebelthau ein herausragendes Romanbeispiel, das zugleich zur Fallbeschreibung eines bemerkenswerten Schriftstellerschicksals der >verlorenen Generation< einlädt.

Das Fallbeispiel Otto Nebelthau Anders als Benndorf dem Leitsatz folgend »Wir empfangen nur, / was wir geben.« (6), beschreibt der Roman Die Schauspielerin (1939)61 von OTTO NEBELTHAU das Liebesverhältnis zwischen der einunddreißigjährigen Vollblutschauspielerin Ursula Keller und dem einundzwanzigjährigen Jungdramatiker und Schauspieleleven Woldemar Hoffmann vor und nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Als freie Beziehung ohne Trauschein und aufgrund des Altersgefälles von der reifen Frau zum Jüngling als »Unrecht« (144) empfunden, das »die Regeln des Herkömmlichen« verletzt (124), behauptet diese Liebe ihr Recht auf die Loslösung von »aller Gewöhnlichkeit« (144), weil sie die Liebespartner befähigt, sich das Äußerste abzuverlangen und allen Widerständen zum Trotz der eigenen Bestimmung zu folgen. Die skandalumwitterte, von der Alltagsroutine des konventionellen Bühnenbetriebs eingeholte Schauspielerin bricht auf Drängen des Jünglings ihren knebelnden Vertrag mit dem Königlichen Theater in der Stadt am Strom und folgt der Einladung des berühmten Intendanten und Regisseurs an das weltbekannte Berliner Goethe-Theater, wo sie zur »gefeiertsten« Künstlerin »Deutschlands« aufsteigt (269). Der Jüngling entdeckt mit ihrer Hilfe die »Heilkraft« seiner Hände (181), beginnt Medi60

61

Günther Weisenborn: Das Mädchen von Fanö. Roman. Berlin: Gustav Kiepenheuer 193 5. Otto Nebelthau: Die Schauspielerin. Roman. Stuttgart, Berlin: Rowohlt 1939.

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zin zu studieren, erwirbt dabei die Menschenkenntnis zum Dramenschreiben, wird als Sanitätssoldat eingezogen, vollendet an der Front sein erstes Theaterstück und fällt in Flandern. Auf Wunsch der hinterbliebenen Geliebten wird sein Drama an ihrem Theater zur Uraufführung angenommen. Wie eindeutige Texthinweise belegen und der Lebenslauf des Verfassers bestätigt, spiegelt sich in den Bühnenerfahrungen der beiden die deutsche Theatergeschichte von der Wiener Moderne bis zum Expressionismus, Kunstrichtungen, die mittlerweile dem rassistischen, ideologischen und ästhetischen Verdikt der Nationalsozialisten verfallen waren und deshalb nur beschrieben und nicht benannt werden. Die Karriere der Ursula Keller deckt sich mit dem Aufstieg Hermine Körners, der 1915 vom Hoftheater Dresden zu dem (eingehend porträtierten, aber ebenfalls unbenannt bleibenden jüdischen) Theaterleiter Max Reinhardt ans Deutsche Theater in Berlin führte. Die Theaterpraxis und das Medizinstudium teilt Woldemar Hoffmann mit dem Autor, sein jähes Lebensende mit vielen, die wie er erkannt haben, daß der Krieg längst aus wäre, wenn alle ertragen müßten, was an der Front geschieht (273). Daß der Verfasser darüber hinaus mit seiner Kritik an der Streichung von Stücken feindlicher Ausländer aus den deutschen Spielplänen (85) oder an der deutsch-germanischen Aneignung und Einverleibung Shakespeares (149) vorwegnahm, was nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs erneut geschehen sollte, konnte er bei Vorlage seines Buches noch nicht ahnen; doch daß das Verschweigen der Namen von hochpositiv eingeschätzten und trauernd vermißten Bewegungen und Personen (ioof.) eine laute Sprache sprach, wußte er genau. Wahrscheinlich durfte sich der Autor solche Wagnisse leisten, weil er sich längst unabhängig gemacht hatte, soweit es irgend ging.

Am

10.4.1894 in eine Bremer Senatorenfamilie hineingeboren, übte sich Otto Wilhelm Nebelthau 1 9 1 3 an der Volks- und Residenzbühne Wien und 1 9 1 4 / 1 5 am Hoftheater Dresden als Schauspieler. Dort - in der Stadt am Elb-Strom - lernte er Hermine Körner kennen. Vom Sommer 1915 bis zum Oktober 1916 studierte er Medizin in Berlin. Nachdem er im August 1914 wegen gerade überstandener Lungenentzündung vom Wehrdienst befreit worden war, zu dem er sich freiwillig gemeldet hatte, wurde er 1916 eingezogen und 1 9 1 7 in den Flandernschlachten eingesetzt, in deren Verlauf er eine Armverwundung erlitt. Bei Kriegsende als Sanitätsvizefeldwebel entlassen, übernahm Nebelthau im Frühjahr 1919 zusammen mit Hermine Körner die Direktion des Münchner Schauspielhauses, der späteren >Kammerspielenur< eine Tochter zur Welt; seine vornehmen Schwiegereltern und seine künstlerisch dilettierende Schwägerin demütigen ihn, bemitleiden seine Frau und wollen die >verwilderte< Katherina domestizierend und dressierend »das Stillsitzen« lehren (141). Seine Ernte verdirbt und seine Schulden zwingen zur Pfändung aller beweglichen Habe und zum Verkauf des Gutes, das abgerissen wird, um einer Eisenbahntrasse und einer Straße zu weichen. Und zu schlechter Letzt muß ihm seine Familie in die Großstadt folgen, wo sie alle ein ungewisses Schicksal erwartet. In das familiäre Unheils geschehen unheilabwehrend und unheilstiftend verwickelt, beginnt die Ich-Erzählerin zu ahnen, was sie noch nicht durchschauen kann. Sich stetig beschleunigend, ist dieser unaufhaltsame Erkenntnisprozeß durch die leitmotivisch herbeizitierten Störche veranschaulicht. Den weißen Störchen wird nicht länger geglaubt, daß sie die Kinder bringen und die Mütter ins Bein beißen; der schwarze Storch, lebendig zur Identifikation mit seiner Wildheit einladend und ausgestopft als unglückbescherender Spukvogel gefürchtet, verwandelt sich am Schluß in ein imaginiertes Symboltier, das in die Freiheit entfliegt und so das »Herz« des unbehausten Mädchens erleichtert (247), weil es sich dadurch zur eigenen Selbstbefreiung ermutigt fühlt.

Junge Liebe Bezogen sich die bislang angeführten Erzähltexte auf Kindheitserlebnisse, vermitteln die folgenden Beispiele Jugenderfahrungen bei der erotischsexuellen Orientierungssuche. In Josef Mühlbergers Erzählung Die Knaben und der Fluß (1934) 31 siegt die Freundschaft über die Liebe. An einem Dorfteich zu Freunden zusammengewachsen, die einander nie mit anderen betrügen wollen (80), 31

Josef Mühlberger (A): Die Knaben und der Fluß. Erzählung. Leipzig: Insel 1934. 93

bewährt sich die eifersüchtig gehütete innige Verbundenheit zweier Jungen auf tragische Weise am großen Strom. Ihre Liebe zum gleichen Mädchen verstört sie zwar und läßt sie unter der Empfindung leiden, »schon lange Zeit nicht mehr so allein beisammen gewesen« zu sein (136); ihre unverbrüchliche Freundschaft treibt jedoch beide zum Verzicht: Um dem Freunde nicht im Wege zu sein, sucht der eine den Freitod im Fluß; um dem Toten die gebührende Ehre zu erweisen, wählt der andere das Leben, ohne das Mädchen weiter zu beachten. Homo- und heterosexuelle Neigungen hinnehmend und respektierend, hält die Erzählung alle erotischen Entwicklungsmöglichkeiten offen, plädiert sie - ähnlich wie Bernhard Jülgs (in die Mythenwelt der griechischen Antike verlegter) Roman Narziß (1941) oder Richard Grandes (aus der Gegenwart berichtender) Roman Umwege des Herzens (1938)3Z - für die große, sexuelle Neigungsvarianten duldende Freiheit in den Beziehungen der Geschlechter. Günter Eichs Erzählung Katbarina (1936)" deckt die Unwägbarkeiten jugendlicher Liebe auf. Die unerfüllt bleibende Liebe des sechzehnjährigen Ich-Erzählers zur zwanzigjährigen Titelheldin kann nicht verhindern, daß die Angebetete aus enttäuschter Liebe zu einem anderen Mann in den Fluß geht und ertrinkt. Die »Welt des Herzens« (274) erweist sich als »brüchige Welt« (250) und scheint jene »Verzweiflung über die Tage« bzw. »an der Zeit« widerzuspiegeln, die Hermann Kasack am 1 7 . 1 1 . 1 9 3 8 bei dem vielbeschäftigten Eich wahrzunehmen meinte.34 Otto Karstens Roman Sommer, Hunger und Johanna (1933) 35 ist noch von der anarchischen Stimmung der späten Weimarer Republik getragen. Der arbeitslos herumstromernde jugendliche Ich-Erzähler berichtet von seiner befristeten Sommer-Liebe, die ihn als »Platzhalter« (159) mit der im Titel genannten, aus dem grobmaschigen sozialen Netz herausgefallenen Ehefrau eines (wegen politischen Aufruhrs inhaftierten) Zuchthäuslers bis zu dessen Entlassung verbindet. Aller Verzweiflung zum Trotz, freut er sich ihres und seines Lebens, ohne mit der »Roten Front« (107) oder den »Heil!«-Schreiern (110) revolutionäre Veränderungen herbeiführen zu wollen: »Ich bin da, und du bist auch da. Was will ich mehr!« (79). Abgesehen von der politischen Aussage und Tendenz, die schon im 32

33

34

35

Bernhard Jülg (O): Narziß. Ein Roman aus der Antike. 13.—17. T. München: R . P i p e r 1941. - Richard Grande: Umwege des Herzens. Roman. Berlin: Die Rabenpresse 1938. Günter Eich: Katharina. (1936). In: Gesammelte Werke. Bd. 4. Frankfurt am Main 1991. S. 226-274. Textgleich mit: Leipzig: Paul List 1936. Hermann Kasack: Tagebuch-Notizen vom 1 7 . 1 1 . 1 9 3 8 und 7. 2.1939. In: Tagebücher. F: D L A , A: Kasack, Verschiedenes, Autobiographisches. Otto Karsten: Sommer, Hunger und Johanna. Roman. Berlin: S. Fischer 1933.

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Erscheinungsjahr des Buches unerwünscht waren und unzulässig wurden, lassen vergleichbare Erzähltexte aus späterer Zeit die Vagabundenseligkeit mit ihrem unerschütterlichen »Vollgefühl von Freiheit« ( 1 4 1 ) vermissen. Ganz im Gegenteil: Die Freiheit der Liebeswahl mitsamt der daraus abgeleiteten Selbstverpflichtung zu ehelicher Treue und elterlicher Fürsorge werden in Wolf von Niebelschütz' Erzählung Verschneite

Tiefen

(1940) 36 mit gewaltsamer Trennung, Folter und Einkerkerung des Liebesund Ehepaares bestraft und mit der Erblindung und Umnachtung der jungen Frau, der Abweisung und Verbannung des zum Ausbruch und in die Flucht getriebenen jungen Mannes und der Entführung und dem Unfalltod ihres Kindes bezahlt: Unter Berufung auf die Ge- und Verbote von »Zucht« (65), »Gehorsam« (134), »Pflicht« (61), »Gesetz« (55) und »Ordnung« (61) zerschlägt grausame Gewalt den mit dem »Trotz der Jugend und ihrem Mut« (21) eingeforderten und gelebten Freiheitstraum. Ins »finstere Mittelalter« versetzt, »das uns Heutigen so gegenstandslos geworden ist« (140), läßt doch aufhorchen, wie diese Erzählung von den Zeitgenossen gelesen wurde: W. E. Süskind rühmte 1940 die »Kühnheit« der »Stoffwahl« und Ernst Johann meinte 1941, »Gefühlsmächte der Gegenwart« seien »in die Zeit des Mittelalters zurückversetzt« worden, um »auf behutsame Art den Zug der Gnadenlosigkeit und Härte im Antlitz der Gegenwart« aufzudecken. 37 Offenbar wurden die

Verschneiten

Tiefen als »Gleichnis« (12) verstanden, das zeitgenössisches Leben unter den herrschenden Diktaturbedingungen im allgemeinen, aber auch mit Bezug auf rasse- und gesundheitsrechtlich geregelte Einschränkungen der Partnerwahl im besonderen spiegelte. Die für viele »junge Leben« geltende »Problematik unserer Zeit« wollte Ernst Johann auch in der Erzählprosa von Bastian Müller wiederfinden,38 obwohl sie zu unbestimmten Zeitpunkten nach dem Ersten Weltkrieg einsetzt und sich nur anspielungsweise auf die weitgehend ausgeblendete Wirklichkeit des Dritten Reiches bezieht. Bei ihrer Lektüre zeigt sich, daß der Autor die (allem nationalsozialistischem Zweckoptimismus zuwiderlaufende) nihilistische Grundtendenz seiner Texte von Buch zu Buch verschärft hat, um sie schließlich ironisch abzufangen und durch den dabei bezeugten Unernst zu bestätigen.

36 37

38

Wolf von Niebelschütz: Verschneite Tiefen. Erzählung. Berlin: S. Fischer 1940. Süskind zu: Niebelschütz: Verschneite Tiefen. In: Die Literatur 42 (1939/40), S.343. — Ernst Johann: Die jüngeren Schriftsteller. In: Kölnische Zeitung (6. 3 . 1 9 4 1 ) , N r . 120. Johann: Schriftsteller (Fortsetzung). Ebd. (15. 3 . 1 9 4 1 ) , N r . 137. 95

In Müllers Erstling Die Eulen (1939),39 der bei seinem Erscheinen Aufsehen erregte und bis heute Beachtung verdient, ist der Grundton bereits angeschlagen. Der Ich-Erzähler bekennt, daß ihn »gerade das Nichts, die völlige Leere« zum Schreiben bewogen habe (43): »das große graue Elend am Rande der Jugend« (44), das aus der »Jauche der Erfahrung« und dem »Ekel des Wissens« gespeist ist (51) und - um »Glauben und Hoffnung« gebracht - nur noch »das Heute ohne Morgen« kennt (44). »Auf allen Stationen« seines »Lebens« den titelgebenden Eulen begegnend (59) und den »Tierschreien« (51) der >Totenvögel< (21) ausgesetzt, lehren sie das Kind, den Lehrling und den jungen Erwachsenen aber nicht nur »das Leid der Welt«, sondern »auch das Andere: das kleine und doch unendliche Glück des Lebens« (67): »Halt« zu suchen in der »Wirklichkeit« (59), »jetzt« zu leben, »jetzt gleich« (69). Diesen weiten und beschwerlichen Weg mitten ins Leben sucht der Traumwandler Nikolas Sakuth, ein achtzehnjähriger arbeitsloser Maurer und späterer Maurermeister, in Müllers nächstem Buch, um schließlich nach vielen Abstürzen, Ausfluchten, Rückfällen, Seitensprüngen, Bummelschritten zu einem Leben ohne Traum zu finden, wie die Uberschrift des 1940 vorgelegten Romans verspricht.40 Eine »Jugend ohne Hoffnung« (242), »die Ausweglosigkeit eines leeren Berufes« (242), ein trostloses Dasein ohne »Sinn« (225) in der durch »Raubbau« (282) unterhöhlten denaturierten Industrielandschaft am Niederrhein um Duisburg herum lassen Sakuth wünschen und treiben ihn immer wieder dazu, »sich von allem hier frei zu machen« (342), »alles hinter sich« zu lassen (132), rauszukommen (544) und »irgendwo allein« zu beginnen (132). Wechselnde Liebesbeziehungen, Arbeitsverhältnisse, Ausbildungschancen, die ihn in höhere Gesellschaftsklassen und bis nach Paris und Nizza führen, werfen ihn zurück und bringen ihn voran. Mit seinen Generationsgefährtinnen und Generationsgefährten, die sein Schicksal teilen, verbindet ihn die Generationserfahrung: »Wir sind verdammt, in einer verlorenen Zeit zu leben.« (340). So verwundert es nicht, daß Sakuth von seiner langen >Bildungsreise< außer der Toleranz gegenüber Homosexuellen beiderlei Geschlechts (336, 358), der Ablehnung von Rassenschranken (455), der Mißbilligung des Krieges (527) nichts anderes mitbringt als Realitätssinn, Arbeitswillen und »eine große Sehnsucht nach Liebe und Frieden« (572); und so ist es nur angemessen, daß er dafür nichts anderes empfängt als

39

40

Bastian (d.i. Robert Friedrich Wilhelm) Müller: Die Eulen. (1939). In: Zwei Erzählungen. Berlin: W. und E. Krüger 1948. S. 5-70. B. Müller: Leben ohne Traum. Roman. Berlin: Wolfgang Krüger 1940. 96

den Beistand der Eltern und das »unendlich vertrauende Lächeln« (572) der so oft enttäuschten und enttäuschenden Geliebten. Ob und wie lange beides trägt und der gute Wille des Heimkehrers anhält, bleibt freilich offen. Diese ungewisse Schlußperspektive wird in dem 1943 folgenden Roman Christine41 weiter verunsichert. Nationalsozialistische Wertvorstellungen höchsten Ranges wie Mutterschaft, Bauerntum, Industriekultur am Beispiel seiner Titelheldin destruierend, verfolgte der Autor ihr trostloses, niederdrückendes Lebensschicksal vom vierzehnten Lebensjahr bis zur unehelichen Geburt eines toten Kindes. Nachdem sie trotz äußerster Arbeitsenergie und gewissenhaftester Triebkontrolle verwahrlost ist und alles verloren hat, kehrt sie am Schluß zu ihrer verwitweten Mutter mit jener »Hoffnung« zurück, die diese »zu Grabe getragen« hat (284): Das Unglück der Mutter scheint sich an der Tochter wiederholen zu wollen. Solche Verdüsterung konnte auch der leichtgewichtige Geschichtenzyklus nicht mehr aufhellen, den Müller 1944 unter dem (von Helmina von Chezy geborgten und aus ihrem Thüringer Volkslied stammenden) Titel Ach, wie ist's möglich dann42 erscheinen ließ. Die dort in der Rahmenhandlung geäußerte Absicht, »endlich was Erfreuliches« zu erzählen (7), dürfte die nationalsozialistischen Uberwachungsbehörden nicht mehr getäuscht haben, die - laut Aktenaussage - bereits 1941 die »politische Zuverlässigkeit« des Autors anzweifelten, weil er keiner Parteigliederung angehöre, politische Veranstaltungen ignoriere, »den deutschen Gruss« vermeide und auch in »fachlicher Hinsicht« ungünstig beurteilt worden sei.43

Schule des Lebens Mit mehr offizieller Zustimmung konnten dagegen Erzähltexte rechnen, die positive Entwicklungen zu anerkannten Zielen aufzeigten, was freilich nicht immer vor >Schwierigkeiten< schützte. Wenig Beifall dürfte Erik Graf Wickenburgs Florian (1940)44 bei den nationalsozialistischen Lenkungs- und Uberwachungsstellen erregt haben. Denn obwohl dem Titelhelden »Haltung«, »Verantwortung« (172) und

41 41 43

44

B. Müller: Christine. Roman. Berlin: Wolfgang Krüger 1943. B. Müller: Ach, wie ist's möglich dann. Berlin: Wolfgang Krüger 1944. F: B A r c h (ehem. B D C ) , R K / R S K , Müller, Robert Friedrich Wilhelm, 28.8.1912. Erik Graf Wickenburg (O): Florian. Taggleichen einer Jugend. Frankfurt am Main: Societäts-Verlag 1940. 97

Geduld als Verhaltensnormen anempfohlen werden und er verspricht, sich auf die »Welt« einzulassen und sich an ihr zu messen (242), bescheidet er sich im Verlauf seiner »Taggleichen einer Jugend«, die »bitteren Rätsel« dieser Lebensphase »am eigenen Leib zu lösen« (241). Dabei entwickelt sich Florian vom ständig errötenden, alles Peinliche und jedes »Fiasko« (60) verlegen und befangen auf sich selbst beziehenden Schüchternen zum skeptisch-fatalistischen Blasierten, der sogar bei den »Ekstasen« der Liebe neben sich steht: »[...] sein Blut rauschte, aber er hörte ihm dabei zu« (208) und gab sich ihm nicht hin. Ob die am Schluß des Romans angetretene Reise in ein »neugerichtetes Leben« den Egomanen ändern wird, bleibt zweifelhaft und wird vom Autor selbst bezweifelt, der dem »Schicksal« größere Kraft zutraut als allem guten Willen (236). Im Gegensatz zum Schwächling Florian zeigen die Liebenden in dem (oben bereits erwähnten) Roman Draußen ist Wind (1936) von H . Schulz von der Marek 4 ' jene Stärke, die im Dritten Reich durchaus gefragt war: V o m »Wind« der Liebesleidenschaft aufs »Meer« des Lebens gerissen (256), finden sie zwar kein »Glück«, bilden sie aber ihre »Charaktere« aus (274). Doch diese Erziehung zur Härte ist durch Nebenaspekte belastet, die veranlaßt haben dürften, daß das Buch und seine Autorin totgeschwiegen wurden und rasch vom Buchmarkt verschwanden: Die außereheliche Liebe zwischen Ungleichaltrigen mochte ja noch hinzunehmen sein, das Vertrauen in die Psychoanalyse und die Verehrung einer kommunistischen Emigrantin gingen aber zu weit und waren nicht mehr >tragbarBlümeranz< der Mutter und das heißt gegen die Willkür unkontrollierter, duckmäuserisch hingenommener »Autorität« (160) zu treffen: Seine Selbstschutzstrategie läuft auf die »Kunst« hinaus, »nicht aufzufallen« (15) und auf die »ständig lauernden Gefahren« (58) wohlvorbereitet zu sein. Das dabei entwickelte System, allen Unwägbarkeiten mit einem »geordneten Dasein« (81) zu begegnen und in steter »Wachsamkeit« alles »ordnungsweise« zu registrieren (212), überträgt Conrad auf »das Leben« im allgemeinen (67), was wiederum im besonderen seine Karriere begünstigt. Doch diese »Dogmatisierung einer sozusagen verkehrten Welt« (141) wird durch einen Kriminalfall in Frage gestellt. Denn bei der Fahndung nach dem mutmaßlichen Mörder seiner Schwägerin erfährt Conrad, daß er selbst mit einem schlechten (in Graf Wickenburgs Florian6'' wiederaufgegriffenen) Scherz Beihilfe zu dem Verbrechen geleistet hat, das er aufklären will. Der Schrecken, den er auf Betreiben anderer einer im Nachbarabteil des Eisenbahnwaggons mitreisenden Unbekannten mit einem Totenkopf einjagen wollte, ist nicht folgenlos geblieben, wie ihm weisgemacht worden war. Eine Zufallsbegegnung bei seinen fehlgehenden Recherchen erbringt vielmehr, daß er dadurch den Unfalltod der Entsetzten herbeiführte, der wiederum den Diebstahl ihrer Juwelen durch die Anstifter ermöglichte. Conrad erkennt, daß nicht seine geordnete Existenz, sondern sein Leben als Mittäter »sein wirkliches« ist (430): Auf der Suche nach der »vermeintlichen Schuld eines anderen« (437) hat er seine eigene und damit sich selbst (420) und die »Freiheit« (437) jenseits aller Ordnungen gefunden. Der Mord, »den jeder begeht«, ist folglich - juristisch gesprochen - nicht die Körperverletzung mit Todesfolge< im Eisenbahnzug, sondern die Selbststrangulierung im Dienste selbstgesetzter und aufoktroyierter höherer Ordnungen, aus welchen den Ordnungsfanatiker Conrad Castiletz erst sein Verbrechen als irreparable Abweichung von der Ordnung befreit und ihn in ein selbstbestimmtes, selbstverantwortetes Leben entläßt. Aber dabei beließ es der Autor nicht. Um den pathetischen Schluß zu ironisieren, der das Buch mit vielen anderen zeitgenössischen Entwicklungsroma65

Graf Wickenburg: Florian (Anm. 44). S. 1 1 3 .

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nen verbinden würde, schickte er seinen Verbrecher wider Willen in einen absurden Explosionstod, mit dem alles »Unbegreifliche und Unheimliche« (446) zerstiebt und letztendlich zurückbleibt, was den deutschen Alltag zur Entstehungszeit des Romans bestimmte: die Unberechenbarkeit autoritärer Gewalt, die noch durch Reflexionen über inquisitorische »Geheimpolizei« (243) illustriert wird; die Uberlebensstrategien des »autoritätsgläubigen« Mitläufertums (313), das sich einfügt und wegduckt; die Freiheit, welche sich nur dem gewährt, der Grenzüberschreitungen wagt und »Unglaubliches tut« (313), um machen zu können, »was man will« (29). Dabei gehört zur überwältigenden Ehrlichkeit des Buches, daß es den Freiheitsgewinn nicht auf den freien Willen, sondern auf den Zwang der Umstände zurückführt: Wie er im Fiktionszusammenhang seines Romans verlauten läßt, wollte der Autor als »reiner Prosaschriftsteller« die »Welt so [...] sehen, wie sie ist« und nicht »wie sie sein soll«; denn es gäbe für ihn »nur eine einzige Wirklichkeit und keine zweite, in die man flüchten könnte« (280). Heimito von Doderers literarisches Gewissen war nicht zu korrumpieren, auch nicht durch seine Mitgliedschaft in der NSDAP (seit 1933; Mitgliedsnummer 1.526.987).

Drei Fallbeispiele: Fritz A . Mende, Görge Spervogel und Hans Löscher In der Umgebung der soweit skizzierten Bücher mit Kindheits- und Jugendthematik, die von Langgässers Proserpina, Molzahns Schwarzem Storch, Müllers Eulen und Heimito von Doderers Mord überglänzt werden, sind die folgenden drei Fallbeschreibungen zu verorten, mit denen an bemerkenswerte Autoren der >verlorenen Generation< erinnert werden soll. 1) Eine »beachtliche Talentprobe, im Formalen einstweilen noch interessanter als im Substanziellen [sie!]« wollte Raimund Pretzel 1937 in der »zweistimmigen Erzählung« Der Streit mit dem Schatten (1936) von FRITZ A. MENDE sehen.66 Vom Untertitel bekräftigt, läßt diese formale Qualität eine Wirkungsabsicht ahnen, die es erlauben würde, den aufgespaltenen Verfassernamen anders zu verfugen und >Am Ende< zu lesen. Dem witzigen Autor hätte das wohl gefallen; denn obgleich sein Erzähltext mit der Modewelle der Kindheits- und Jugendprosa mitschwamm, trug er zu deren Verebben bei, indem er sich über sie lustig machte. 66

Fritz A. Mende: Der Streit mit dem Schatten. Eine zweistimmige Erzählung. Berlin: Rowohlt 1936. Dazu: Raimund Pretzel: Bücher für den Weihnachtstisch. In: Die Dame 64 (1937) 26, S. 74. 105

Mende stellte nämlich den Schriftsteller Johann Peter Reuschel vor, der die Kindheits- und Jugendgeschichte Jakob Mittmanns von der Geburt bis zur sexuellen Initiation erzählt und dabei eigene Erlebnisse verarbeitet, Wunschträumen folgt, Schreckperspektiven eröffnet und divergierende Handlungsvarianten erwägt und durchspielt. Sich selbst bespiegelnd, erhält sein erfundener Mittelpunktheld Mittmann einen negativen Zug, der ihn zum »Außenseiter« stempelt; doch der aus dem Spiegel heraustretende Mittmann will ein positiv denkender »Innenseiter« sein und erhebt Einspruch (134). Daraus entwickelt sich ein Streit, der zum Handgemenge ausartet: Der fiktive Schriftsteller Reuschel schlägt zu und trifft den Spiegel, mit dem auch sein fiktiver Held Mittmann zersplittert. So wie sich Mittmann selbst »ein paar in die Fresse hauen« wollte (60), hat sich Reuschel selbst gestraft, als er seiner autobiographischen Spiegelung den zerstörenden Faustschlag versetzte und sein dichterisches Geschöpf austilgte. Denn ihm war entgangen, daß der »Mist« der erfundenen Person sein »eigener Mist« ist (132). Damit verspottete Mende die Zirkelschlußstrategie der meisten seiner Konkurrenten und Konkurrentinnen, die ihre autobiographischen Kindheits- und Jugenderfahrungen in die literarische Fiktion einfließen ließen und das Selbsterlebte wie das Hinzugedichtete zu rückblickend-vorwärtsschauender Sinnstiftung für sich und ihre Leserschaft nutzten. Der übermütigen Frechheit, mit der Mende den Knockout der autobiographischen Selbstbespiegelungsdichtung durch den konsternierten Dichter herbeiführte und das veralberte Genre in die Ausgangslage als Stand literarischer Unschuld zurückversetzte, entsprach die politische Unbekümmertheit des Autors: Er ignorierte nicht nur den Nationalsozialismus auf dem Schauplatz Deutschland und griff unbeirrt auf >entartete< expressionistische Naturmetaphorik zurück (82f., 119), sondern verlegte darüber hinaus die sexuelle Erweckung des erdichteten Jünglings nach Paris und ließ ihn dort Zuflucht in einem »Judentempel« suchen (109), der ihm nur wegen fehlender Kopfbedeckung versperrt bleibt. Die gleiche Keckheit bestimmte Mendes anspruchslosen Lyrikband Balladen - aber heiter (1940), in dem ein Gedicht die Thematik des Streits mit dem Schatten variiert: 67 Eine Malerin und ein Maler malen sich aus Liebe; ihre Liebe schwindet während des Malens dahin und geht in den Bildern auf, die im Gegensatz zu ihren ernüchterten Schöpfern wenigstens zur Geisterstunde aus dem Rahmen fallen. Die Lust am munteren

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Mende: Ballade von der ausgleichenden Gerechtigkeit. In: Balladen - aber heiter. 6.-8. T. Berlin: Brunnen-Verlag Willi Bischoff o.J. (1940). S. frei< geradezu schreit. Ei-

nem ungereimten Schicksal ausgeliefert, ist der frustrierte Dichter am 24. 7 . 1 9 4 1 im Rang eines Gefreiten gefallen. Geboren am 2 6 . 1 2 . 1 9 1 0 in Landeshut (Schlesien) als Sohn eines Fabrikdirektors, hat Fritz Adolf Mende Sprachen, Psychologie und Philosophie in Berlin, Paris und München studiert. Seine geplante Doktorarbeit über das menschliche Lachen brach er ab, weil ihm - laut Lebenslauf - nach dreimaligem Umarbeiten die Lust am Lachen wie an der Wissenschaft vergangen war. Seit 1933/34 arbeitete Mende als freier Schriftsteller, zunächst in München, danach in Breitbrunn am Ammersee. Einer nationalsozialistischen Organisation gehörte er nicht an. Die Geheime Staatspolizei fand allerdings heraus, daß er sich »anlässlich der Astawahl an der Universität in München im N o v e m b e r 1932 in kommunistischem Sinne betätigt« habe; seither sei aber nichts »Nachteiliges« bekannt geworden. Gegen seine »politische Zuverlässigkeit« bestanden daher bei den Parteidienststellen keine Bedenken. 1937 bekannte sich Fritz A . Mende zu literarischen Plänen, »bei denen der A u t o r vor lauter Jugend selbst noch nicht weiss, was herauskommt«; 1941 beendete der Krieg seine literarische Karriere, die zu kurz war, um im Gedächtnis zu bleiben. 6 !' 2) Länger währte die Nachwirkung von Erich Franz Paul Schargorodsky, der den (oben bereits erläuterten) Schriftstellernamen GÖRGE SPERVOGEL gewählt hatte und mit ihm auch signierte, wie überlieferte Widmungsexemplare seiner Bücher bezeugen. Denn obwohl ein Lektoratsgutachten von Hermann Kasack bereits im Todesjahr des 1942 Gefallenen Bedenken gegen die Veröffentlichung seines vollständigen erzählerischen Nachlasses äußerte, weil manches wie zum Beispiel die Schilderung von Kriegserlebnissen aus dem ersten Kriegsjahr v o m aktuellen Kriegsgeschehen überholt worden sei, 70 konnte 1948 noch ein Sammelband mit einundzwanzig Erzählungen und einem Gedicht (ohne kriegsbezogene Texte) erscheinen, der - wie Bastian Müller in seinem N a c h w o r t unterstrich - den »Abbruch« eines literarischen »Anfanges« markierte. 71 68

Mende: Nachtmarsch. In: Ewiges Deutschland. Ein deutsches Hausbuch. Hrsg. vom Winterhilfswerk des Deutschen Volkes. Braunschweig, Berlin, Hamburg: Georg Westermann 1941. S. 272. Gottgläubige< oder Atheisten auch als folkloristisch ausgeschmückte Verbildlichung der >Vorsehung< oder noch abstrakterer Wirkungsmächte deuten: »Eine [Sing-] Weise rauscht aus Wald und Hecken / Und im Ganzen hat der Teil Gewinn. - / Fröhlich tönt mein Herz, daß ich inmitten bin.«, bedichtete Hermann Sendelbach 1935 solche Heimat, die er zeitgemäß zur Deutschen Landschaft ausweitete.5 Entsprechende Aktualisierungen lassen sich auch in der Bildenden Kunst finden. Vielleicht am auffallendsten bei Werner Peiner. Wählte er für seine gebirgigen, hügeligen oder flachen Bauernlandschaften vor 1933 noch Titel wie Feldarbeit (1931), Einsames Feld (1932) oder Eggender Bauer (1932), nannte er 1933 ein Ölgemälde mit dem zuletzt erwähnten Sujet Deutsche Erde, wobei noch hinzuzufügen ist, daß die Egge 1932 von zwei Kühen auf schmalem Acker und 1933 von zwei Pferden auf weitem Feld gezogen wird.6 Damit folgte Peiner nur jenen Tendenzen, denen Karl Rauch ab 1933 auf exemplarische Weise Stimme geliehen hat: daß die Heimat im Zuge der nationalsozialistischen Erweckung »zu sich selber« erwache, daß sie als »Stätte lebendiger Ordnung« der »großen Gesetzlichkeit des Lebens« entspreche und daß sie - äußerlich wie innerlich erneuert - die notwendige »Geborgenheit« für »beseligtes Schöpfertum« gewähre.7 Die Zeitgenossen >überfallendGroßdeutsche< und schließlich sogar ins Europäische wachsenden geopolitischen Dimensionen überführt werden, was wiederum den »schaffenden Dienst« von »Natur«, »Erde«, »Menschen« an Staat und Nation einschloß. 10 Diese Uberdehnung des Heimatlichen ins Imperiale suchten nationalsozialistische Ideologen durch die Bindung an rassereine Sippen und Stämme auszubalancieren, die zur Volksgemeinschaft zusammenwachsen sollten. 11 Mit der Behauptung der »unlösbaren volkhaften Verknüpfung aus Boden, Blut, Schicksal, Sprache und Wort« bahnte sich die Aufblähung der Heimat zu jenem »Blut- und Bodenwesen« an, 1 1 das sich im Sinne der nationalsozialistischen Parteidoktrin rasseideologisch definierte; unter Ausklammerung der rasseideologischen Tendenzen war dieses völkisch geerdete, vaterländisch aufgeladene Heimatverständnis aber auch für Nichtnationalsozialisten hinnehmbar, soweit es sich auf Sippe, Brauchtum, Erde, Landschaft, Tages- und Jahreslauf als organisch-mythischen Quellgrund berief. 13

Introversion und Expansion Je mehr aber die Heimat ins politische Machtkalkül gezogen und öffentlich diskutiert wurde, um so häufiger wurde sie von Kunst und Literatur thematisiert, zumal Kurt Karl Eberlein mit seiner 1934 ausgesprochenen Meinung nicht allein stand, daß alle ästhetischen Äußerungen als Selbstbekenntnisse des »Innenlebens« im »Boden der Heimat« verwurzelt seien

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Graf K. von Dürckheim-Montmartin: Bildung und Heimat. In: Forum der Jugend 1 (Oktober 1933) 2, S. 55 und 58. Adolf Beiß: Heimat. In: D I R 5 (Juni 1938) 3, S. 246. - Kulturpolitische Aufgabe des Rundfunks. In: Forum der Jugend 1 (Oktober 1933) 2, S. 86. - Vorwort. In: Heimat (Anm. 1). S. jf. - Kulturpolitische Aufgabe (s.o.). Vgl. R[ichard]. Walther Darre: Neuadel aus Blut und Boden. München: J . F. Lehmann 1930. S. 84^ Rauch: Deutsches Wort. In: Das deutsche Wort (Die literarische Welt - Neue Folge) 10 (6.4.1934) 15, S. 1. — Karl Benno von Mechow: Das Unvergeßliche. In: D I R 2 (Mai 1935) 2, S. 246. Hans Jürgen Baden: Erkenntnis und Dichtung. In: Eckart 13 (Oktober 1937) 10, S. 448h

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und ihm entwüchsen. 14 Wie die Literatur mit dem Heimatkomplex umging, läßt sich am leichtesten und schnellsten aus der Lyrik ablesen, die die herrschenden Ausdruckstendenzen am knappsten ausformuliert hat. Regimeabgewandte Autorinnen und Autoren wie Erika Mitterer, Gotthard de Beauclair und Paul Appel würdigten als »Gnade der Heimat«, mit ihren Gaben in der »Seele« beglückenden »Innenschein« zu entzünden.15 Und regimeverbundene Schriftsteller wie Herybert Menzel und Heinrich Anacker erwarteten der »Heimat Segen« von der Befreiung deutscher »Heimaterde« im Zuge revolutionärer Machtergreifung mit anschließender politischer Säuberung bzw. von der Stiftung neuer deutscher Heimat durch Eroberung und Aneignung fremden »Raums« im »Osten«. 16 Wenige Beispiele unter vielen, verdeutlichen diese lyrischen Stellen, daß sich Introversionsneigungen und Expansionsbestrebungen unter dem Dach des Heimatbegriffs herauszubilden vermochten. Wie weit sich das damit aufscheinende weltanschauliche Breitenspektrum auffächern konnte, soll die Erzählprosa zeigen, die im verbindenden vaterländischen Rahmen unterschiedliche geographische Schwerpunkte setzte. Deutschland als größere Heimat diesseits und jenseits der Reichsgrenzen suchend, wo immer Deutsche gelebt haben, leben und leben sollten, fand sie die engere Heimat in jeder deutsch besiedelten Region, wobei sich freilich Präferenzen wie zum Beispiel für die Nord- und Ostseeküste, die Alpenländer, die Mittelgebirge, die Flußlandschaften, die schlesische bzw. ostpreußische Grenzprovinz sowie auslandsdeutsche Enklaven und Wohngebiete abzeichneten und Dorf und Kleinstadt vor den großen Ballungszentren bevorzugt wurden.

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Kurt Karl Eberlein: Was ist Deutsch in der Deutschen Kunst? Leipzig: Seemann 1934. S. 13. Erika Mitterer (O): Gnade der Heimat (Kapitelüberschrift). In: Gesang der Wandernden. Neue Gedichte. Leipzig: L. Staackmann 1935. S. 5. - Gotthard de Beauclair: Heimat der Seele. In: Der Sonnenbogen. Gedichte. LeipzigMarkkleeberg: Karl Rauch 1939. S. 15. - Paul Appel: Spruch für die Heimat. In: Gedichte. München: Albert Langen/Georg Müller 193 5. S. 66. Herybert Menzel: Der Heimgekehrte. In: Alles Lebendige leuchtet. Gedichte eines Jahrzehnts. Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt o.J. (1938). S. 69. Heinrich Anacker (S): Es ist nicht Zeit zum Lräumen, Kameraden! In: Der Aufbau. Gedichte. München: Zentralverlag der N S D A P . , Franz Eher Nachf. 1936. S. 63. - Menzel: Die Gesänge der weiten Ebene IX. In: Anders kehren wir wieder. Gedichte. Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt 1943. S. 43.

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Heimatstiftung, Heimatbindung, Heimatverlust Wo und wie Heimat erworben, gestiftet und gewahrt worden ist, vermitteln die folgenden Prosatexte. In beiden, divergierend ausformulierten Fassungen von Linus Kefers Erzählung Der Sturz des Blinden (1938; 1952) schlägt die nationalsozialistische Gesinnung des österreichischen Verfassers im scheinbar unpolitischen Kontext einer düsteren Dorfgeschichte aus den Alpen durch.17 Den als Kleinkind geraubten Sohn und seinen seither kinderlos weiterlebenden Vater treibt ihr »Blut« zusammen (132/117; 143/128), das zugleich bestimmt, wo beider »Heimat« liegt (144/129); und väterliche Blutschuld bewirkt, daß sich Vater und Sohn wieder trennen und die angestammte Heimat für immer verlieren. Wie bereits in anderem Zusammenhang dargestellt, fördern Blutsbande, die durch geschlechtliche Vereinigung entstanden sind, auch in Hermann Stahls Westerwald-Romanen Traum der Erde (1936) und Die Orgel der Wälder (1941) die heimatliche Verankerung.18 Demgegenüber wird Heimat in den folgenden Beispielen nicht biologisch, sondern ethisch begründet. In Hans Georg Brenners Roman Fahrt über den See (1934) 19 reist der Mittelpunktheld in seine masurische Heimat zurück, um auf schmerzliche Weise zu erfahren, daß ihm dort nur noch »ein Heimatrecht auf ein Grab« zusteht (244), und mit steigender Zuversicht zu begreifen, daß sich neue »Heimat« finden läßt, »wo immer wir sind« und die gestellten »Verpflichtungen [...] erfüllen« (276): Er ist »nach Hause gekommen [...], um wieder fortzugehen« (104) und zu tun, was Ehe und Beruf ihm abverlangen. Führt ihn dieser Weg nach Holland, findet der Titelheld von Adam Kuckhoffs Der Deutsche von Bayeneourt (1937)20 sein heimatspendendes Bewährungsfeld in Frankreich. Als »deutschstämmiger Wahlfranzose« (121) wird er zwar nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs zwischen der durch Geburt ererbten und durch Arbeit erworbenen Heimat zermahlen. 17

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Linus Kefer (Ö): Der Sturz des Blinden. Erzählung. Jena: Eugen Diederichs 1938; veränderte Fassung: Sonderausgabe. Mit 1 1 Illustrationen von Alfred K u bin. Wien: Eduard Wancura 1952. - Zum nationalsozialistischen Engagement des Österreichers Kefer: Franz Turnier: Tagebuch-Notiz vom 1 5 . 1 . 1 9 4 1 . In: Tagebücher. F: D L A , A: Turnier. Hermann Stahl: Traum der Erde. Roman. Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt 1936. - Ders.: Die Orgel der Wälder. Roman. Jena: Eugen Diederichs 1939. Hans Georg Brenner: Fahrt über den See. Roman. Berlin: Bruno Cassirer 1934. Adam Kuckhoff: Der Deutsche von Bayeneourt. Roman. Berlin: Rowohlt I

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Was im Streit von Herz und Vernunft aber letzthin zählt, ist seine Pflichterfüllung, die ihn (wie den anonymen Soldaten der Schlußpassage) das Christus-Schicksal erleiden (417) und auf Heimat jenseits aller Frontlinien hoffen läßt. Wie sich bei dem regimeabgekehrten und regimeverdrossenen Brenner andeutet und bei dem (am 5.8.1943 wegen Hochverrats hingerichteten) Regimegegner Kuckhoff bestätigt, wurde solche ideelle Heimat vor allem von jenen gesucht, die sich mit dem nationalsozialistischen Deutschland nicht abfinden wollten: in Werner Helwigs Roman Im Dickicht des Pelion (1941) im »Mythen-Binnensee« griechischer Uberlieferung; in Ernst Kreuders Erzählungen aus dem Sammelband Das Haus mit den drei Bäumen (1944) im trostspendenden Erbe der Dichtung.21 Doch unabhängig von der politischen Ausrichtung, verschmähten andere Autorinnen und Autoren diese Flucht ins Abstrakte, um Heimat konkret zu verankern. Richtungweisend wirkte der Roman Sinnlose Stadt (1934) von Guido Zernatto,22 der als österreichischer Bundesminister und Generalsekretär der antinationalsozialistischen Vaterländischen Front am 1 1 . 3 . 1 9 3 8 vor den einmarschierenden reichsdeutschen Truppen ins Exil flüchten mußte.23 Der auktoriale Erzähler schickt einen naturverwurzelten »Landmenschen« (268), welcher ein »möglichst gutes Leben« führen und deshalb »Städter« werden wollte (252), wieder in die freie Natur seines Heimatortes, des Gebirgsdorfes St. Margarethen, zurück. Er läßt mit der abschließenden Argumentation des geistlichen Freundes des Land- und Stadtflüchtigen aber auch die Stadt Steinz als »durch den Menschengeist wiedergeschaffene Natur« gelten (269), die den »Stadtleuten« (268) Heimat bietet. Bei dieser Bindung der Heimat an die natürliche Herkunft mit der Zustimmung des »Herzens« ohne Rücksicht auf die »Vernunft« (271) beließ es die zeitgenössische Literatur aber nicht. In der Erzählung Der Kampf im Forst (1940)24 des jungen Germanisten Hans August Vowinckel, der am 1 . 7 . 1 9 4 1 als Kriegsberichter auf Feindflug über Smolensk abgeschossen wurde, gelingt die Heimatstiftung in »Bollhausen im nördlichen Odenwald« (6) durch den Sieg über »Un21

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Werner Helwig: Im Dickicht des Pelion. Roman. Leipzig: Johannes Asmus 1941. S.98 und 285. - Ernst Kreuder: Das Haus mit den drei Bäumen. Erzählungen. Gelnhausen-Gettenbach: Pfister & Schwab 1944. S. 129 und 24. Guido Zernatto (O): Sinnlose Stadt. Roman eines einfachen Menschen. Leipzig: L. Staackmann 1934. Zu Zernattos politischem Standpunkt: ders.: Die Wahrheit über Osterreich. N e w Y o r k , Toronto: Longmans, Green 1938. Hans August Vowinckel: Der Kampf im Forst. Stuttgart: J. Engelhorns Nachf. Adolf Spemann 1940. 124

Ordnung u n d Auflehnung« (76) und die (Aufbauarbeit erlaubende und Kindersegen begünstigende) Schaffung neuer »Ordnung« (9). Der (am 2 4 . 1 1 . 1 9 4 3 als Kriegsberichter an der O s t f r o n t gefallene) Martin Raschke ließ den Titelhelden seiner Langerzählung Der Erbe (193 5) 2 ' in »2.« (Zittau) im erzgebirgischen Grenzland »südöstlich von D.« (Dresden) heimatliche Wurzeln schlagen (17, 9), wo die Blutbahnen der Sippe zusammenlaufen (142), Arbeits- und Familienpflichten im »engen Kreise« erfüllt werden (60), das »Große« im »Gewände« des »Kleinen« auftritt (110) und sich so »Heimat [...] zur Welt« (224) weitet. U n d in den fünf Büchern des Romans Der Herr Kortüm

(1938) von Kurt Kluge, 26 der am

26. 7. 1940 bei einer offiziell arrangierten >Dichterfahrt< an die Westfront gestorben ist, gründet die Titelfigur als »L'allemand eternel« (745) in der »Mitte« Deutschlands (264) an der » H o h e n Straße« von der Biskaya nach Taschkent (7) bei Esperstedt am Kyffhäuser-Gebirge regional verankerte und überregional ausstrahlende Heimat, in der sich deutsches Blut und deutscher Geist verbinden (457), um von diesem Kraftzentrum aus »deutsches Wesen« (528) ins Volksganze >einzuformenewig bedrückte» Armen in dem (außerhalb der deutschen Reichsgrenzen verlegten) Geschichtenzyklus Rettung am Rhein (1938) tiefer Resignation gewichen.29 Denn die rassistisch bedrängte und gepeinigte >halbjüdische< Verfasserin, die in Deutschland mit Publikationsverbot belegt war, hatte in der Zwischenzeit erfahren müssen, wie ungebrochen sich das Unrecht fortpflanzen kann, wenn die »Besatzung« durch »eine andere Macht in des Satans Sold« abgelöst wird 30 und die Unterdrückung der Heimat andauert. In Horst Langes Erzählung Der Sohn der Hauptmannswitwe (1939) wird die oberschlesische Heimat im Umraum von Cosel vom Bürgerkrieg zwischen polnischen Insurgenten und deutschen Freischärlern zerrissen, an dem »die schuldlosen Einwohner« leiden und die Jugend sich verblutet;31 in Carl von Bremens Roman Der deutsche Berg im Osten (1938) wird deutsches Heimatrecht gegen die »verjudeten Bolschewiken der Weltrevolution« und gegen den Nationalismus des »Freistaats Estland« verteidigt.32 In beiden Fällen, auf die weiter unten ausführlicher einzugehen ist, stärken politische Herausforderungen das Heimatgefühl, definiert sich Heimat politisch. Zu welchen argumentativen Verrenkungen sich die Autorinnen und Autoren genötigt sahen, wenn das eigene politische Lager den Heimatverzicht verlangte, zeigen die folgenden Beispiele. Politisch problemlos war noch die Beschreibung von Heimatverlust und Heimatgewinn in Friedrich Bischoffs Roman Der Wassermann (1937). 33 Das gefährliche Frühlingshochwasser des Queilflusses (Queis) im niederschlesischen Isergebirge veranlaßt am Ende des 19. Jahrhunderts zum Talsperrenbau, der die Verlegung des Dorfes Himmelsgrund aus dem Tal auf einen angrenzenden Berg erzwingt. Die behördlich durchgesetzte Aufgabe von Haus und Hof erzeugt zwar bei den Betroffenen mentale Verwirrungen, soziale Verwerfungen, rebellische Widerspenstigkeiten oder (bis ins Verbrecherische ausartende) Verweigerungen, läßt aber spätestens die Kinder der entschädigten und geförderten Umgesiedelten in Neu-Himmelsgrund unangezweifelte Heimat finden. Daß der 19

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Langgässer: Rettung am Rhein. Drei Schicksalsläufe. Salzburg, Leipzig: Otto Müller 1938 (vor dem Anschluß Österreichs ms Verlagsprogramm genommen; danach Vertriebserlaubnis für das Deutsche Reich). Ebd. S. 124. Horst Lange: Der Sohn der Hauptmannswitwe. In: Auf dem östlichen Ufer. Berlin: Frundsberg-Verlag 1939. S. 47. Carl von Bremen: Der deutsche Berg im Osten. Ein Volksdeutscher Roman. Stuttgart: J . Engelhorns Nachf. Adolf Spemann 1938. S. 90 und 218. Friedrich Bischoff: Der Wassermann. Roman. Berlin: Propyläen 1937. 126

Autor mit der Beschreibung von »Austreibung« (225) und Abzug »auf Nimmerwiedersehen« (259) vorwegnahm, was die deutschen Schlesier nach Kriegsende erleiden sollten, konnte er zur Entstehungszeit seines Buches noch nicht wissen. Komplizierter wurde es, wenn Heimatgefühl und politische Gefolgschaftstreue in Konflikt gerieten. Gertrud Fussenegger, Sudetendeutsche und Tirolerin, die mit

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brecht (1943) eine tragischer verlaufende Parallelversion zu Bischoffs Wassermann vorlegte, vergegenwärtigte in der historischen Langerzählung Die Leute auf Falbeson (1940) 34 den Entscheidungskampf zwischen Heimatbindung und religiösem Gewissenszwang am Beispiel eines protestantischen Bauerngeschlechts auf einem (für Katholiken vorbehaltenen) Einödhof in den österreichischen Alpen. Während eine eingeborenerdverwurzelte Magd Land und Hof über Glauben und Gesinnung stellt (63, 71), entschließt sich der Hoferbe, dem »Bekenntnis« höheren Wert als der Heimat beizumessen (157) und nach Deutschland auszuwandern. Wie zeitgenössische Buchbetrachter erkannten, war Fusseneggers Text zwar »ohne jede Beziehung auf die Gegenwart erzählt«, aber als »Versuch« gedacht, »ein zeitgeschichtliches Erleben ohne billige Lösung metaphysisch zu deuten«: 3 ' Die Widmung der Verfasserin für die »deutschen Rückwanderer« (5) gibt die Deutungsrichtung an; der mit ihrem vollen Namen gezeichnete Waschzettel spricht Klartext, indem er auf die Auslandsdeutschen in Südtirol, Wolhynien, Bessarabien, der Bukowina und den baltischen Ländern verweist, die sich mit einer Mehrheit von gut vier Fünfteln der Befragten zum »Verlassen der Heimat« und zur Heimkehr ins Deutsche Reich entschlossen hätten, um ihre deutsche Identität und Sprache bewahren und an ihre Kinder weitergeben zu können. Indem die Autorin die bodenständige Magd im Volk, in der Natur, im Mythos verschwinden ließ, dem Auswanderer aber zubilligte, ein lange blühendes Geschlecht im Westen Deutschlands begründet zu haben (164), offenbarte sie ihre eigenen Entscheidungsprioritäten, auch wenn sie im Klappentext versicherte, ihr Buch sei im »Gedenken jener« geschrieben, »die gehen, aber auch jener, die bleiben oder in den Stunden der Sehnsucht glauben, daß sie hätten bleiben sollen«.

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Gertrud Fussenegger (Ö): Eggebrecht. In: Eggebrecht. Erzählungen. Jena: Eugen Diederichs 1943. S. 3 - 4 1 . - Dies.: Die Leute auf Falbeson. Jena: Eugen Diederichs 1940. fl: Weihnachtsbücherschau. In: Hochland 38 (1940/41), S. 136. - Karl A[ugust|. Kutzbach zu: Fussenegger: Die Leute auf Falbeson. In: Die Neue Literatur 42 (1941), S. 202.

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Schwerer tat sich der aus Südtirol stammende, im vornazistischen Osterreich wegen nationalsozialistischer Aktivitäten gemaßregelte und bis in die Kriegsjahre hinein an Hitler glaubende, der »Führung« vertrauende und sich um emotionale wie rationale Identifikation mit dem Nationalsozialismus bemühende Franz Turnier. 36 Denn einerseits verargte er wie sein ungedrucktes Tagebuch verrät - dem (politische »Größe« zugestandenen) Führer und seinen Erfüllungsgehilfen die endgültige Preisgabe Südtirols an das verbündete faschistische Italien. 37 Andererseits wollte er am 22. 6. 1941 auch in bezug auf das »Südtirolproblem« nicht glauben, »daß die Politik Hitlers falsch ist«, nannte er sie erst am 20. 7. 1944 verächtlichen »Verrat«. 38 Diese Zwiespältigkeit spiegelt sich in Turniers literarischer Produktion. In seinem Aufsehen erregenden Erstling Das Tal von Lausa und Duron (193 j) 3 9 beschrieb er, wie eine (zwischen die österreichischen und italienischen Fronten geratene) ladinische Volksgruppe vom Ersten Weltkrieg aus ihrer bäuerlichen Heimat vertrieben wird und nach langer Odyssee bei Kriegsende in ihr zerstörtes und mittlerweile industriell erschlossenes altes Wohngebiet zurückkehrt. Dort ist die österreichische Verwaltungshoheit vom »fremden Staate« des faschistischen Italien abgelöst worden (83), der unausgesprochen droht, die »Einheimischen« im zuströmenden fremden Volkstum untergehen zu lassen (85). Die von einzelnen bewiesene Heimattreue muß mit dem Tod bezahlt werden: Er schürt zwar Auferstehungshoffnungen in Erwartung einer neuen, höheren Heimat (86); die Vertröstung auf den Himmel kann aber die Sehnsucht nach der alten, untergegangenen Heimat nicht auslöschen (75, 5). Diesen melancholischen Abschied von der verlorenen Heimat verwandelte Turnier in seinen nationalsozialistischen Propagandaschriften in eine emphatische Begrüßung der größeren Heimat »Deutschland!«, das alle »umfangen« werde, die um seinetwillen altangestammte Heimat verlassen (wie die Südtiroler) oder gegen Fremdrassige behaupten (wie die Sudetendeutschen): 40 In Österreich ist ein Land des Deutschen

Reiches

(1940) wird der alle Deutschen verbindende Heimatsinn an das gemein-

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40

Franz Turnier (Ö): Tagebuch-Notizen vom 1. 2., 10.2. und 16. 5.1940; deutliche Abstandnahme ab 17.-20. 7.1944. In: Tagebücher. F: D L A , A: Turnier. Turnier: Tagebuch-Notizen vom 9.2. und 1 1 . 1 . 1 9 4 0 . Ebd. Turnier: Tagebuch-Notizen vom 2 2 . 6 . 1 9 4 1 und 17.-20. 7.1944. Ebd. Tumler: Das Tal von Lausa und Duron. München: Albert Langen/Georg Müller 193 5. Tumler: Osterreich ist ein Land des Deutschen Reiches. Berlin: Zentralverlag der N S D A P . , Franz Eher Nachf. 1940. S. 8. 128

same Deutschtum angeschlossen;41 in Im Jahre jS{ 1939) rückt neben das deutsche »Volkstum« die »neue Weltanschauung« des Nationalsozialismus als heimatstiftende Kraft; 42 in dem Aufsatz Über Heimat und Herkunft (1940) ist Heimat in der von beiden gewährleisteten großen »Volkseinheit der Deutschen in Europa« erreicht.43 Die Südtiroler hatten das Glück, daß die Geschichte des Zweiten Weltkriegs über ihr Mehrheitsvotum für die Umsiedlung ins deutsche Reichsgebiet hinwegging und sie bleiben durften, wo sie waren (bzw. bei voreiliger Auswanderung dorthin zurückkehren konnten, woher sie stammten). Den Wolhynien-Deutschen dagegen wurde nach dem Abschluß des >Hitler-Stalin-Paktes< am 23.8.1939 und des Grenz- und Freundschaftsabkommens zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion am 28.9.1939 nicht erspart, ihren seit 1816 in mehreren Einwanderungsschüben kolonisierten Siedlungsraum im polnisch-ukrainischen Grenzgebiet aufzugeben und im Treck in den deutschen Machtbereich abzurücken. Zur literarischen Bewältigung ihres Heimatverlusts und seiner patriotischen Glorifizierung bot sich die gleiche Kompensationsstrategie an, in die sich Turnier rettete. Das aufhetzend-aufpeitschende Romanfragment Wolhyniendeutsches Schicksal (1942) des (am 28.6.1941 an der wolhynischen Front gefallenen) Oberschlesiers Bernhard Schwarz44 feiert den Auszug der WolhynienDeutschen aus dem heimatlichen »Zuhause« (9) als »Heimkehr« (12) ins »Reich« (9) des nationalsozialistischen »Deutschland« (11), zu der sie Adolf Hitler aufgerufen habe, um ihnen die Wiedervereinigung mit dem deutschen »Volk« und »Vaterland« zu ermöglichen (12): Stets umdrohte, bestrittene, vernichtete und wiederaufgebaute >falsche< Heimat wird durch die >richtigeWelteroberer< mit seinem verachteten »Lügenzeug« (104) praktische Feldarbeit zuzuweisen. N u n weiß Jodok, daß er wieder zu Hause ist, und braucht das nicht mehr in seinem »Einschreibebuch« (471) zu notieren; denn seine Leserinnen und Leser merken das auch ohne weitere Worte. »Ohne seine Heimatlandschaft, die zugleich ein seelischer Raum mit besonderen magischen Kräften ist«, dürfte auch Horst Langes

Schwarze

Weide (1937) »nicht zu verstehen sein«, meinte Karl Korn 1938 in der Neuen RundschauDieser

»große Roman« führt - wie Ernst Jünger im

gleichen Jahre bewundernd feststellte - in eine »gefährliche Sumpflandschaft« in der schlesischen Oderebene, wo - nach Werner Bergengruen die »Macht« der »Natur« die Menschen überwältigt und »ihre Handlungen und Leiden« zu »Naturgeschehnissen« steigert.56 Aber während die Natur »unfähig« ist, »Gutes oder Böses zu tun«, weil sie »bar jeder Empfindung« den Lebensprozeß von »Gebären und Sterben« vorantreibt (166), besitzt der Mensch - so mahnt der Romantext die Fähigkeit, »das Gute wie das Böse« zu erkennen (474). Entledigt er sich dieses »Unterscheidungsvermögens« (474) und folgt er wie so mancher tote oder lebende Bewohner der »verpesteten Gegenden« (452) des verluderten Dorfes Kaltwasser am »Unheil« bringenden Bach Schwarze Weide (509) aus Bosheit, Niedertracht, Hartherzigkeit, Brutalität, Habsucht, Geilheit, Haß oder Mordlust seinen tierischen Trieben, fällt er dem Bösen anheim und lädt er mit seinen »Versündigungen« ( 1 4 1 ) Schuld auf sich, für deren Sühnung nur noch biblische Strafen ausreichen. Denn da »im Bösen« ende, was »im Bösen angefangen worden ist« (264), muß das (von dem herbeizitierten schlesischen Barockdichter Johann Christian Günther verfluchte) »Angsthaus« (477) des Leibes gesprengt, die von Menschen erzeugte Hölle auf Erden vom Hochwasser der »Sintflut« (141; 481) gereinigt und eine Lebenswelt geschaffen werden, in der »Gerechtig55

Lange: Schwarze Weide. Roman. Hamburg, Leipzig: H . Goverts 1937. - Karl Korn: Erstlinge. In: Die neue Rundschau 49 (1938) I, S. 4 1 1 . Korn (Anm. 55). — Ernst Jünger: Brief vom 6.4.1938 an Henry Goverts. F: D L A , A: Ciaassen Verlag, Lange. - Werner Bergengruen: Schwarze Weide. In: Deutsche Rundschau 64 (Januar 1938) 1, S. 71. 132

keit und guter Wille« herrschen (452) und »mit unablässiger Arbeit« (141) und Pflichterfüllung in »Frieden« (290) zu leben ist. Die »geheime Bedeutung« hinter dem »Anschaubaren« und das »Wichtige zwischen den Zeilen oder in Relativsätzen«, worauf Werner Bergengruen verwies,57 verlieh diesem Höllenpanorama mit seiner apokalyptischen Erlösungsvision jedoch politische Brisanz. Denn indem der Autor die nationalsozialistische Wirkungsstrategie übernahm, in der engeren Heimat die größere aufscheinen zu lassen und in der Vergangenheit die Gegenwart zu spiegeln, gelang es ihm, im schlesischen Sumpf nach dem Ersten Weltkrieg den deutschen Sumpf unter der nationalsozialistischen Diktatur zu vergegenwärtigen, zumal er sich nicht scheute, Assoziationsangebote für den Direktbezug zu liefern: am deutlichsten in der Darstellung eines »Roßtäuschers« (266), »Rattenfängers« (386), »falschen [...] Propheten« (437), »Handlangers des Bösen« (266), »Zutreibers der Hölle« (266), der von seiner »Sekte« mit einer »unermeßlichen Machtbefugnis über die Seelen der Leute« ausgestattet wurde und mit seiner »Geschichte von Weltuntergang, Vergeltung und Vernichtung« (384) die Massen in Furcht und Rage versetzt. Denn der skrupellose Demagoge versteht es, die »Gehirne der Männer« zu lähmen und in den Frauen die »Sucht nach maßloser Selbstaufgabe« zu wecken (384). Im Rückblick auf diesen Steckbrief mitsamt dem damit verknüpften Sündenregister konnte sich Langes Verleger Henry Goverts am 24.9.1946 mit gutem Recht über die private und veröffentlichte Meinung freuen, daß die Schwarze Weide mittlerweile als »prophetisches Werk« gewürdigt werde, »in dem ein junger deutscher Dichter das europäische Schicksal mit seiner Sintflut« vorausgesehen habe,58 zumal von ihm sogar der schmähliche Selbstmord des Volksverführers vorweggenommen worden war (444). Eine vergleichbare Nah- und Weitsicht ist von der 1934 vorgelegten Erzählung Der Main von Wolfgang Weyrauch59 aufgrund ihres frühen Erscheinungstermins nicht zu erwarten, auch wenn der (vom Untertitel bestärkte) Klappentext mit seiner Ankündigung zu denken gibt, daß dieses »Buch von deutscher Landschaft und Seele« eine »Legende der Gegenwart« anbiete. Anders als in A. Artur Kuhnerts Parallelroman Die große Mutter vom Main (1935), wo die Titelheldin mit dem großen, wilden, fröhlichen, sorglosen, lebendigen Strom zur Inkarnation fruchtbarer Le57 58

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Bergengruen (Anm. 56). Henry Goverts: Brief vom 24.9.1946 an Eugen Ciaassen. F: D L A , A : Ciaassen, Neuzugang 1988. Wolfgang Weyrauch: Der Main. Eine Legende. Berlin: Rowohlt 1934. 133

bensfreude verschmilzt,60 erlebt der erkrankende Main-Wanderer bei Weyrauch den Fluß als »Teufel«, der die »Landschaft und ihre Bewohner« mit dem »Bösen« infiziert (76; 40), das freilich ohne das Gute nicht auskommen kann. Denn: »Zu Weiß muß sich Schwarz gesellen, anders Weiß eingeht.« (39). Unter einem ohnmächtig schweigenden Himmel, der das Gute nicht belohnt und das Böse nicht bestraft (78), bleibt die »Entscheidung« zwischen beidem den Menschen überlassen (65). Deckungsgleich mit der Thesenführung in der Schwarzen Weide, ließ sich diese Argumentation als politische Warnung lesen, zumal die kathartische Peripetie der Erzählung, das Sterben einer Schwangeren bei der Geburt ihres Kindes, auch allegorisch als Sinnbild für den 1933 vollzogenen politischen Systemwechsel verstanden werden mochte: Das »Fest des Todes« (116), dem der Kranke beiwohnt, kündigt möglicherweise jene »zweite Sintflut, Flut der Sünden« an (109), welche die »Bewohner der Flußlandschaften« als »unerbittliche Fügung« hellseherisch vorauszuahnen meinen (115).

Fünf Fallbeispiele: Friedo Lampe, Johannes Linke, Sepp Keller, Carlo/Carl von Bremen und Josef Wiessalla In diesen nostalgisch, politisch und kritisch determinierten Bezugsrahmen für die Heimaterfahrung und Heimatgestaltung, für den Zernattos Sinnlose Stadt, Turniers Tal von Lausa und Duron, Freumbichlers Auszug und Heimkehr des Jodok Fink und Langes Schwarze Weide bis heute einzustehen vermögen, lassen sich die folgenden fünf Fallbeschreibungen von Leben und Werk repräsentativer Autoren der >verlorenen Generation einfügen. 1) Am lebendigsten ist wohl die Erinnerung an FRIEDO LAMPE geblieben. Kurz vor Kriegsschluß, am 2. 5.1945, in Kleinmachnow bei Berlin von zwei sowjetischen Soldaten erschossen, die den hochgewachsenen (und wegen einer Gehbehinderung vom Wehrdienst befreiten) Zivilisten für einen verkleideten Angehörigen der Waffen-SS gehalten haben mochten, sollte sich die Inschrift seines hölzernen Grabkreuzes bewahrheiten: »Du bist nicht einsam.«61 Auch wenn sie ursprünglich wohl nur auf die Trauergemeinde bezogen war, gilt sie mittlerweile für einen weiten Leserkreis. 60

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A[dolf|. Artur Kuhnert: Die große Mutter vom Main. Roman. Leipzig: Paul List 1935. S.48 und 35. Elisabeth Emter und Johannes Graf: Friedo Lampe. 1899-1945. Ausstellungskatalog. Bremen o.J. (1995). S. 70. 134

Denn nicht genug damit, daß Lampes Hausverlage Rowohlt und Goverts/Claassen auch nach seinem Tode zu ihm standen und daß er in Johannes Pfeiffer einen Freund besaß, der 1949 und 1955 postume Werkausgaben besorgen half.62 Mit seiner Erzählprosa, die »volkstümlich und schlicht und doch neu in der Form sein« wollte,63 traf er vielmehr einen Lesergeschmack, der sich erst unter den Nachgeborenen in breiterer Front auszubilden begann. Sein Erzählverfahren, Parallelhandlungen in szenische Sequenzen und Miniaturen aufzulösen und ineinander vergleiten zu lassen, kommt dem modernen filmisch geschulten Blick entgegen; sein Mut, Tabuthemen aufzugreifen und ohne Übertreibung sanft abzufangen, fesselt das Leserinteresse bis heute. Seine Strategie, die handelnden Personen in »ekelhafter Zeit« abwarten und zusehen zu lassen, »wie das Schiff langsam untergeht«, ohne ihnen zu ersparen, die »Musik dazu« zu »machen«,64 befriedigt das aktuelle Verlangen nach distanziert-objektivierten Einblicken in die geschilderte Vergangenheit. Seine Neigung, als »Bremer und Humanist« das >Niederdeutsche< und das >Griechisch-Deutsche< zu verbinden,65 sichert seinen Geschichten Bodenhaftung und Tiefgang und hält beides in anmutiger Schwebe; sein Vertrauen in das Ambivalente, bei dem »nichts stimmt, nichts [...] richtig« ist und doch alles zusammenpaßt,66 aktiviert die Leserphantasie. Als neuromantischer Klassizist mit Modernitätsanspruch »aus dem Konkreten heraus« schreibend,67 war Lampe mit diesem unverwechselbaren Personalstil bereits in seiner Langerzählung Am Rande der Nacht (1934) hervorgetreten, die - wie zwei handschriftliche Widmungen des Autors verraten - als »etwas ungezogenes / Kind« im Dritten Reich »nicht atmen« konnte und vier Wochen nach Erscheinen verboten wurde.68 Denn der politisch naive Lampe hatte es gewagt, am Beispiel von homosexuellem Sadismus und Masochismus die sadomasochistische Grundbefindlichkeit des zeitgenössischen Totalitarismus aufzudecken und »Quälerei« (96) und »Menschenschinderei« (116) als Epochensigna-

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Friedo Lampe: Ratten und Schwäne. Hamburg: Rowohlt 1949; ders.: Das Gesamtwerk. Ebd. 1955; beide mit Nachworten von Johannes Pfeiffer. Lampe: Brief vom 23. 3.1943 an Eugen Ciaassen. In: B w Ciaassen. S. 275. Lampe: A m dunklen Fluß. In: ders.: Das Gesamtwerk. Mit einem Nachwort von Jürgen Dierking und Johann-Günther König. Hamburg 1986. S. 324^ Ciaassen: Brief vom 1 7 . 7 . 1 9 4 4 an Dolf Sternberger. In: B w Ciaassen. S. 488. Lampe: Fluß (Anm. 64). S. 337. Lampe: Brief vom 2 8 . 1 2 . 1 9 4 3 an Ciaassen. In: B w Ciaassen. S. 276. Lampe: A m Rande der Nacht. Berlin: Rowohlt 1934. - Ders.: Widmungen an seine Eltern und an Anneliese Voigt-Hermann. In: Emter/Graf (Anm. 61). S. 81 (Nr. 60) und 82 (Nr. 65). r35

tur für die bestehende »rohe Welt« (96) auszuweisen, deren Abartigkeit nur durch den Takt, das Mitleid, die Sehnsucht, die Zuneigung, die Fürsorge und das heißt die humane Gesinnung sensibler einzelner aus allen Gesellschaftsklassen ausbalanciert wird. Brennpunktartig konzentriert auf das Bremer Hafenviertel mit der angrenzenden Wallanlage, stellt sich Heimat als Lebensgefängnis dar, dem ebensowenig zu entkommen ist wie dem Gefängnis der Leiber, in das der schwule Ringer, die empfindsame Prostituierte, der brutale Hypnotiseur, der traurige Conferencier, die untreue Ehefrau, der träumende Geographielehrer, der gepeinigte Steward, der zarte Flötist, die bekümmerte Gattin des Sterbenden, der desillusionierte Zollinspektor und alle anderen einschließlich der Kinder und Jugendlichen gesteckt sind. Wer hier überleben will, darf »nie allzu genau hinsehen« (86), damit ihm »nicht eines Tages die Augen« aufgehen (36). Eine »zum Weinen« traurige »Stimmung« breitet sich aus (135), weil nicht nur für den gequälten Sprecher, sondern letzthin für jeden »alles so aussichtslos« ist (166). Die alles umschwebende Melancholie wird nur von »sanft, klar und friedlich« klingenden (112), »nicht eigentlich froh, nicht eigentlich traurig« stimmenden Flötentönen aufgehellt, in die sich freilich der hypnotisch erzwungene Gesang eines ausgebeuteten Kindes mischt, der zum Himmel schreit. Beschwört Am Rande der Nacht die Ausweglosigkeit menschlicher Existenz, vergegenwärtigt die Langerzählung Septembergewitter (1937) die zerbrochene »Idylle« einer (ins »Landschaftliche« eingebundenen) »ganz kleinen Welt«, die wieder in einer (an Bremen erinnernden) »alten Stadt am norddeutschen Strom« verortet ist und sicherheitshalber an die Kaiserzeit vor dem Ersten Weltkrieg gebunden bleibt.69 Aus dem Hängekorb eines (in der Fassung von 1937 nach Dover und in der Fassung von 1944/45 kriegsbedingt nach Fanö fliegenden) Luftballons meint eine junge Mitreisende in der unter ihr vorbeigleitenden deutschen Stadt einen friedlichen Ort zu erkennen, wo man idyllisch wohnen könne. Doch ihr erfahrener Vater widerspricht: »Das sieht wohl nur von oben so aus.« (8) und behält damit recht. Denn die dumpfe, muffige, enge Stadt, in der »nichts passiert« (45), ist durch die Ermordung einer jungen, strengen und harten, »ins Kühle und Klare« drängenden Frau (130) aufge69

Lampe: Septembergewitter. Berlin: R o w o h l t 1937. Leicht veränderte Fassung in: ders.: V o n T ü r zu Tür. Zehn Geschichten und eine. Hamburg: Ciaassen & Goverts 1946 (Titelauflage der 1945 ausgedruckten Ausgabe: Hamburg: G o verts 1944). S. 1 5 1 - 2 5 9 . - Z u r Erstauflage: Harald Eschenburg in: D e r Bücherw u r m 23 (Mai 1938) 9, S. 252; Raimund Pretzel in: D i e D a m e 65 (1938) 7, S. 67; ders. in: Koralle. N e u e Folge 6 (1938) 5, S. 169. - Klappentext. 136

stört worden. Diese Mordtat wird im Verlauf eines reinigenden Gewitters aufgeklärt, liefert den überführten Eifersuchtstäter, einen im emotional überhitzten Kunstgenuß schwelgenden Organisten, den polizeilichen Verfolgungsorganen aus und treibt seinen verzweifelten Nebenbuhler, einen asketischen Leutnant, zur Schutztruppe nach Kamerun, w o er seinen Schmerz über den Verlust der Geliebten in Kolonialkämpfen zu betäuben hofft, die ihm den ersehnten, allen »vermotteten Plunder« wegfegenden großen Krieg ersetzen sollen (45). Auch wenn es verwegen wäre und tolpatschig wirkte, diesen (von mehreren Nebenhandlungen umschlungenen) Handlungsstrang allegorisch zu deuten und in der strengen, kühlen Frau die rationale Weimarer Republik, im schwülstig-pathetischen, seiner Strafe nicht entgehenden Mörder den irrationalen Nationalsozialismus und im aufbegehrenden Emigranten den trotzigen Spanienkämpfer zu entdecken, läßt sich ohne Ubertreibung feststellen, daß es dem im Klappentext gerühmten »Wirklichkeitssinn« des Verfassers gelungen ist, die aus der Ferne gesichtete >heile Welt< bei näherer Betrachtung zu entzaubern und dabei zu enthüllen, wie sehr der Schein des Intakten trügt und wie kaputt deutsche Heimat sein kann. Das war jedoch ein Politikum ersten Ranges. Denn wer wollte die zeitgenössische Leserschaft daran hindern, auf das Dritte Reich zu übertragen, was am wilhelminischen Deutschland veranschaulicht worden ist, zumal Nebenhandlungen wie die elitäre Rekrutierungsgeschichte des jugendrevolutionären Nachwuchses mit Mutproben, Treueschwüren, Kampfspielen usw. direkt auf die nationalsozialistische Mobilisierung der Jugend verweisen. Was aus der Vogelperspektive friedlich erscheint, enthüllt sich bei näherem Hinsehen als Mördergrube, die durch ein reinigendes Gewitter gesäubert werden muß: Konnte man provozierender schreiben, ohne dabei die Attitüde des naiven Fabulierens zu verletzen? Was Wunder, daß Joachim Maass am 2 1 . 4 . 1 9 4 6 klagte: »Das Ende unseres armen Friedo Lampe ist mir sehr zu Herzen gegangen [...]. Was für ein Verlust, menschlich und auch literarisch! «7° Und politisch, bleibt hinzuzufügen. Denn die mit dem Nationalsozialismus heraufgekommene »neue Zeit« 71 nötigte den politisch unerfahrenen und unbeteiligten Lampe zu steter politischer Wachsamkeit und raschen politischen Reaktionen, womit in seinen jungen Jahren freilich noch nicht zu rechnen war.

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Joachim Maass: Brief vom 2 1 . 4 . 1 9 4 6 an Ciaassen. In: B w Ciaassen. S. 350. Lampe: Stellungnahme vom 30.9.1933 zu »Am Rande der Nacht«. F: B A r c h (ehem. B D C ) , R K / R S K , Lampe, Friedo, 4 . 1 2 . 1 8 9 9 . 137

Moritz Christian Friedrich Lampe, zunächst Friedel und später Friedo genannt, wurde am 4.12. 1899 in Bremen als Sohn eines Kaufmanns geboren. Er litt als Kind unter Knochentuberkulose, die eine lebenslange Gehbehinderung hinterließ; sein Militärdienst von 1917 bis 1919 beschränkte sich daher auf den Einsatz in der Küchenverwaltung. Lampe studierte von 1920 bis 1928 Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte und Philosophie in Heidelberg, München und Freiburg und erwarb dort 1928 den Doktortitel mit einer Dissertation über Leopold Friedrich Günther von Goeckingks Lieder zweier Liebenden (1777). Nach der Mitarbeit an einem Bremer Verlag und journalistischer Tätigkeit ließ sich Lampe in Stettin zum Volksbibliothekar ausbilden; diesen Brotberuf übte er von 1932 bis 1937 in Hamburg aus. Danach arbeitete er in Berlin als angestellter und freier Lektor für die Privatverlage Rowohlt, H. Goverts, Eugen Diederichs und Karl Heinz Henssel. 1943 verlor Lampe bei einem Bombenangriff seine große Bibliothek. Aufgrund seiner Gehbehinderung nur beschränkt wehrdiensttauglich, wurde er Ende 1944 dienstverpflichtet, für das Auswärtige Amt Verlautbarungen von >Feindsendungen< zu redigieren. Seit Ende der zwanziger Jahre schrieb Lampe nebenher, aber nicht beiläufig seine literarischen Texte; seinen (auch in der Erzählprosa immer wieder durchschlagenden) humanistischen Neigungen folgte er 1940 mit der Anthologie Das Land der Griechen,71 in der laut Klappentext »die Eroberung und Einschmelzung der griechischen Welt« durch deutsche Dichter von Winckelmann bis Nietzsche an ausgesuchten Textbeispielen dokumentiert ist; seine (in Zeitungen vorabgedruckten) kurzen Erzählungen, die er außer den beiden skizzierten »Miniaturromanen«'' verfaßte, sind in der Buchform des Sammelbandes Von Tür zu Tür (Erscheinungsjahr-Angabe 1944; Fertigstellung 1945) erst nach seinem Tod ausgeliefert worden. Diese Literatenexistenz wurde durch den Nationalsozialismus auf vielfache Weise herausgefordert. Der Volksbibliothekar fand sich genötigt, am 1.5.1933 der N S D A P (Mitgliedsnummer 3.030.274) beizutreten, in der er durch keine politischen Aktivitäten auffiel; der Verfasser eines verbotenen Buches und der Lektor in mißtrauisch beobachteten Privatverlagen war zu politischer Vorsicht gezwungen. Der Homosexuelle, der 1943 in eine Erpressungsaffäre verwickelt wurde, mußte mit lebensgefährdender Verfolgung durch die nationalsozialistischen Sittenwächter

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Lampe (Hrsg.): Das Land der Griechen. Antike Stücke deutscher Dichter. Berlin: Die Wage (sic!) Karl H . Silomon o.J. (1940). Klappentext. Pretzel, in: Die Dame (Anm. 69). 138

rechnen; der vom Kriegsdienst freigestellte Gehbehinderte blieb ständigem Simulationsverdacht an der argwöhnisch überwachten Heimatfront ausgesetzt. Wie zuwider ihm alles Politische auch sein mochte, seine soweit auf gelisteten >Schwachpunkte< zwangen ihn zu sorgfältiger Beachtung der politischen Gegebenheiten und der von ihnen ausgehenden Bedrohungen, was auch auf seine Schriften abfärbte, ob er wollte oder nicht. Um so fataler wirkte sich die Ironie der Geschichte aus, daß er am ersehnten Ende des Dritten Reiches die so lange geübte politische Wachsamkeit fahren ließ und zwei Rotarmisten in die Hände lief, die ihn verkannten und erschossen. Sein Tod hat wohl - wie die Rezeptionsgeschichte nahelegt - die tiefste Lücke in die Reihen der /verlorenen Generation< gerissen.74 Anders als Lampe, der sich auf den Nationalsozialismus nur aus Angst, Not und Sorge einstellte, bekannten sich die folgenden drei Angehörigen der >verlorenen Generation< zur nationalsozialistischen Bewegung mit höchster Einsatz- und Opferbereitschaft: der in den bayerischen Böhmerwald gezogene Sachse Johannes Linke, der Steirer Sepp Keller und der Baltendeutsche Carl von Bremen, die dem Thema Heimat bemerkenswerte Seiten abgewonnen haben. 2) JOHANNES LINKE fühlte sich durch den Böhmerwald »erwählt«, von ihm mit seinen »Wäldern und Wäldlern« als »Heimat« zu zeugen.75 Zunächst konzentriert auf die »rein katholische Umwelt und die vielfach aufleuchtende heidnische Naturbeseelung«, nahm er im Zuge des »nationalen Aufbruches« einen strikt nationalsozialistischen Standpunkt ein,76 der sich auf echte »Volks- und Heimatverbundenheit« berief und dazu ermutigte, mit redseligen Gedichtkreisen den linientreuen Bogen vom heimatlichen Baum (1934) über die Waldheimat (1935) bis zur vaterländischen Heimat des deutschen Reiches (1938) zu (über-)spannen.77 In diese Entwicklungskurve eingebunden, fällt aus ihr ein Roman aufgrund seiner literarischen Qualität heraus. Sein Manuskript, überschrieben Hölzerne Dörfer oder Das hölzerne Dorf, war 1933 vom Insel Verlag über Albert Langen/Georg Müller und Eugen Diederichs bis zu L. Staackmann

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Nach: D i e r k m g / K ö m g : N a c h w o r t . In: Lampe: Das Gesamtwerk ( A n m . 64). S. 3 5 1 - 3 8 9 ; Emter/Graf (Anm. 61); F: Β A r c h (Anm. 71). Johannes Linke: Waldheimat. In: Das deutsche Wort (Die literarische Welt N e u e Folge) 1 1 ( 2 1 . 4 . 1 9 3 5) 16, S. 7. Linke: Brief v o m 7 . 1 . 1 9 3 3 an Will Vesper. F: D L A , A : Vesper. Linke: Brief v o m 9 . 3 . 1 9 3 3 an Vesper. Ebd. — Ders.: D e r Baum. E m Gedichtkreis. Leipzig: L . Staackmann 1934. - Ders.: Waldheimat (Anm. 75). - Ders.: Das Reich. Gesänge. Leipzig: L . Staackmann 1938. r

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gewandert/8 der es schließlich für den Druck annahm und 1934 unter dem Titel Ein Jahr rollt übers Gebirg herausbrachte.79 Diese »Dorfchronik« erzielte nach Mitteilung des Verlags einen schlagartigen Erfolg, obwohl oder weil - wie die neue linie feststellte - das Porträt der Landschaft, des Ortes und der Bewohner »sehr eindringlich, doch sehr grau in grau gemalt« war: »Vielleicht aber«, ergänzte die Zeitschrift, »ist dies schwere Grau einmal notwendig als echtes Gegengewicht gegen das falsche Rosenrot vieler bäuerlicher Konjunkturromane.«80 Daß sie damit den Nagel auf den Kopf getroffen hatte, unterstreicht der Text. Wie schon im Titel anklingt, fällt die Hauptrolle dem »Jahr« zu: »[...] mit seinem Schnee und seinen Stürmen, mit Sonnenbrand und Regenfluten, mit Aussaat und Ernte, mit Festen und Mühsal, mit harter Arbeit und härterem Arbeitsmangel, mit seinen berauschenden Hoffnungen und den bitteren Enttäuschungen.« (418). Und das Jahr setzt sich aus Tagen zusammen, angefüllt mit »Arbeit und Bier, Gefahr und Beistand, Fragen und Bericht, Wehtum und Lust, Lärmen und ein paar stillen, einsamen Blicken ins Leben« (133). Konkretisiert wird dieser bäuerliche Jahresablauf mit dem täglichen Gleichmaß seiner »bauernmäßigen« Alltagsroutine (375) und der immerwährenden Kreisbewegung von Geburt, Zeugung und Tod in einem armen Wäldlerdorf der Bergregion von Bayern- und Böhmerwald vor Anbrach der ersehnten »anderen Zeiten« (419), die auf das Schwinden von Not, Elend und Sorge hoffen lassen (und wohl 1933 begonnen haben, was aber unausgesprochen bleibt). Diese Waldheimat ist nicht idyllisiert oder harmonisierend beschönigt: Bezogen auf die Handlungsspindel von Ankunft, Aufenthalt und Abzug der (aus bäuerlicher Schläue, Habgier, Engherzigkeit und Gefühlsroheit) betrogenen, alleingelassenen, ausgenutzten, abgewiesenen und in den Bankrott getriebenen ortsfremden Gastwirtsfamilie Krail, wird eine Fülle von anekdotischen Ereignissen und Handlungssegmenten gereiht, die zeigen, wie schwer es den Dörflern fällt, aus ihren Fehlern zu lernen. Abergläubisch, vertrauensselig, engstirnig, leichtsinnig, zänkisch, zerstritten, grob und roh, aber auch gutmütig, lebensfroh und gefühlsstark, neigen sie dazu, ihren vitalen Trieben gegen alle Vernunft und Selbstverantwortung nachzugeben; dem Siegeszug der modernen Technik ausgesetzt, halten sie am überholten Alten fest und verschmähen sie das bewahrens78

79 80

Linke: Briefe vom 3. 2., 5.2., 30. 3., 7 . 9 . 1 9 3 3 an Vesper (Anm. 76); die Titelangaben variieren. Linke: Ein Jahr rollt übers Gebirg. Leipzig: L. Staackmann 1934. Erfolgsnachricht des Verlags auf der Rückseite des Schutzumschlags (Anm. 79). L. zu: Linke: Ein Jahr rollt übers Gebirg. In: die neue linie 5 (Juni 1934) 10, S. 49.

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werte Alte, ohne die Kosten von beidem zu bedenken. So wird ein verheißungsvolles Genossenschaftsprojekt zunächst als Ausgeburt der »Sozialdemokratie« und des »Kommunismus« verdächtigt (156) und schließlich fallen gelassen, als sich die Aussicht auf Goldgräberei auftut, die natürlich fehlschlägt. So hält das Gerücht von einer bevorstehenden Erbschaft des Gastwirts alle zum Narren und verführt manchen zu Arbeitsleistungen und Geldausgaben, die ihn beim Platzen der Seifenblase »in die Tiefe« reißen (387). So wird ein solides altes Haus mit bewährtem Hausrat abgebrochen und durch ein neues, in moderner Leichtbauweise hochgezogenes und mit modernen Industriemöbeln ausgestattetes ersetzt (3 i9ff.). Und so lassen sich die Dörfler von »neumodischen Maschinen«, welche die Arbeit erleichtern sollen, »in die Not« treiben (220), weil sie rechtzeitige Umschulungsmaßnahmen versäumen oder vorschnell modernisieren, ohne über das dafür erforderliche Kapital zu verfügen. Erst als alle leeren Hoffnungen enttäuscht sind, erkennen sie ihren Lebenssinn in solidarischer Zusammenarbeit, Nachbarschaftshilfe und Pflichterfüllung, was aber nicht deklamatorisch verkündet, sondern am lebendigen Einzelbeispiel bewiesen wird. Dieses Darstellungsverfahren zeichnet jedoch das ganze Buch aus: Spannend erzählte Ereignisse, prägnant formulierte Dialoge, scharf gezeichnete Charaktere vermitteln den Verlauf des harten Dorflebens im Jahreskreis, wobei dessen dunkle (Vergewaltigung und Totschlag, Diebstahl und Betrug, Hausbrand und Ernteschäden, Krankheit und Unglück einschließende) Seiten immer wieder durch Mutterwitz, Lebensfreude, Lust an Festen und Bräuchen, Vergnügen an Fopperei und Schabernack aufgehellt werden. Dabei läßt sich nicht übersehen, daß die strukturstiftende Gesamtkonzeption der (Naturabläufe, Lebensphasen, Arbeitsprozesse verknüpfenden) Heimatchronik einem Fühlen und Denken entsprach, das im Organischen das »natürliche Leben« suchte 81 und sich mit der nationalsozialistischen Gesinnung des Verfassers bruchlos vereinbaren ließ. Explizit schlug sich diese jedoch nur rudimentär in verstreuten Seitenhieben auf den (zur Entstehungszeit des Buches wohl tatsächlich noch existenten) »Holzjuden« (120) oder gelegentlichen Sympathieerklärungen für (sicherlich nicht nur erfundene) aufrechte »Heiden« (83) in gutkatholischer Umwelt durch. Und von den Blut-und-Boden-Schwärmereien wirklichkeitsfremder Agrarromantiker rückte der Roman ebenso ab wie sein Verfasser, der

81

Johannes und Käte Linke: Wälder und Wäldler. Ein Bilderbuch aus dem Bayern· und Böhmerwald. Leipzig: L. Staackmann 1936. S. 46.

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in Wälder und Wäldler (1936),82 einer Text- und Bildmonographie über Land und Leute des »Bayern- und Böhmerwaldes«, solchen Lobrednern des Landlebens ins Stammbuch schrieb: »Mögen sie heraufkommen zu den Bergbauern der Winterseite [des Gebirges] und ein schweres, fast unendliches Jahr lang alle Arbeit auf den elendigen Ackern und dürftigen Wiesen mittun, fasten und darben in der strengen Einsamkeit der Höhe: wenn sie dieses Jahr der Prüfung bestanden haben, dann mögen sie Bauerntum und Erdsegen rühmen, dann wird ihr Wort wahr und ihr Lob zwingend sein. Aber wer wird dieses eine Jahr ertragen?« (51). Eben diese Bewährungsprobe hatte Linke bestanden. Am 8.1.1900 in Dresden geboren, genügte dem »neunjährigen Großstadtbuben« und Beamtensohn eine Sommerfrische, um ein unverlierbares »Stück Heimat« im Bayern- und Böhmerwald zu finden. 8 ' Als einundzwanzigjähriger Kriegsheimkehrer, Student, Gelegenheitsarbeiter zog Linke sich dorthin zurück, um zunächst bei den Bauern auszuhelfen, daraufhin das Schreinerhandwerk zu erlernen, schließlich durch den Erwerb von Haus und Grundbesitz ansässig zu werden. Von 1927/28 bis 1929 studierte er Pädagogik in Leipzig; danach arbeitete er als Volksschullehrer in Eichigt (Vogtland). Von dort gelang es ihm, sich mit Frau und drei Kindern über Eckersdorf bei Bayreuth nach Lichteneck/Rimbach bei Kötzting im Böhmerwald versetzen zu lassen. Bis zur nationalsozialistischen Machtübernahme mit großer Emsigkeit seinem literarischen Ehrgeiz folgend, zu dem ihn sein außergewöhnliches Fabuliertalent berechtigte, verwendete Linke danach - wie er selbst mitgeteilt hat - viel Fleiß auf »Parteiarbeit«, so daß sich der »Eremit« schließlich »mit Parteiämtern behängt« fand »wie ein Narr mit Schellen«.84 Die politischen Aktivitäten wurden zwar mit Ehrungen und Förderungsmaßnahmen belohnt, färbten aber seine (weiterhin schreibfreudig vorangetriebene) literarische Produktion ein und minderten ihren ästhetischen Wert, weil sich in ihr - wie zum Beispiel in den bereits erwähnten Gedichtkreisen und dem (Heldengedenken betreibenden) Geschichtenzyklus Das Totenbrünnel (1940) - eben jene »Kluft zwischen Gesinnung und Gestaltung« auftat, die Linke an Heinrich Anackers Parteilyrik kritisierte.8' Bei Kriegsbeginn 1939 einberufen und mit Unterbrechungen Soldat, der den Waffendienst für Führer und Vaterland literarisch verherrlichte 81

Wie Anm. 81. 3 Ebd. S. 1 1 3 . 84 Linke: Brief vom 8 . 1 2 . 1 9 3 5 an Vesper (Anm. 76). 85 Linke: Das Totenbrünnel. Die Geschichten der Sonnwendnacht. L. Staackmann 1940. — Ders.: Brief vom 8 . 1 2 . 1 9 3 5 (Anm. 84). 8

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Leipzig:

und mit Leib und Seele versah, ist Johannes Linke (wie sein ältester Sohn Eckart) »seit Februar 1945 [...] im Osten verschollen«; 86 und auch als Schriftsteller blieb er - wie seine Gattin 1950 bedauernd feststellte - seither »unsichtbar«, während »die früheren Bekannten alle wieder auftauchen«. 87 Treffender läßt sich das Autorenschicksal der >verlorenen Generation wohl kaum beschreiben. 3) Nichts anderes gilt für Linkes Bruder im Geist, den Landwirt, Parteiarbeiter, Schriftsteller und Soldaten SEPP KELLER aus Aigen am Putterersee im Ennstal unterhalb des Grimming in der Steiermark. Er wurde am 9. 8 . 1 9 1 2 als Sohn eines Gutsbesitzers geboren und auf den Namen Josef getauft, besuchte nach der Dorfschule die Landesoberrealschule in Graz und studierte von 1931 bis 1934 an der Hochschule für Bodenkultur in Wien. A m 1 8 . 1 0 . 1 9 3 0 , ein Dreivierteljahr vor Ablegung der Reifeprüfung, trat Keller als Schüler der N S D A P bei (Mitgliedsnummer 301.400); im Herbst 1931 Schloß er sich dem NS-Studentenbund an und wurde dort Schulungsleiter; seit März 1932 gehörte er der Sturmabteilung (SA) an. Anfang Juli 1934 in Aigen aus politischen Gründen verhaftet, befreiten ihn nationalsozialistische Aufständische drei Wochen später im Verlauf des Juli-Putsches

gegen die antinationalsozialistische

österreichische

Regierung Dollfuß aus dem Untersuchungsgefängnis des Bezirksgerichts in Irdning. Keller beteiligte sich am Aufstand und floh nach dessen Niederschlagung über Wien, Preßburg, Brünn und Prag nach Deutschland, w o er einen >Hitler-Urlaub< auf einem niederschlesischen Gut verbrachte, ein Stipendium des Flüchtlingshilfswerks der N S D A P empfing und zu schreiben begann: 1935 bis 1937 in Berlin, München, Mittenwald und danach auf dem Hof des Schriftstellerkollegen und Gesinnungsgenossen Edwin Erich Dwinger in Seeg im Allgäu. Nach einem Praktikum am Forstamt Bischofswiesen bei Berchtesgaden kehrte der (in Abwesenheit vom Landgericht Leoben wegen Hochverrats verurteilte und damit vorbestrafte) Österreich-Flüchtling am 1 3 . 3 . 1 9 3 8 in die nunmehr angeschlossene >Ostmark< nach Aigen zurück, um dort als (strafrechtlich rehabilitierter) »Tuer [...] am irdischen Leben der Menschen, Tiere und Dinge« das »>Dichter und Bauer Sein< zu vereinen«. 88 Politische Gesinnung und schriftstellerische Tätigkeit verbanden ihn mit Franz Tumler,

86

87 88

Linke: Führers Geburtstag im Vorfeld. In: Luise Linke: Brief vom 2 6 . 1 . 1 9 5 0 an Vesper Luise Linke: ebd. Sepp Keller (O) in: Dichter schreiben über Diederichs 1940. S. 52. - Ders.: Lebenslauf. Keller, Josef (Sepp), 9. 8 . 1 9 1 2 .

D I R 7 (Juli 1940) 4, S. 197-200. (Anm. 76). sich selbst. 21.-40. T. Jena: Eugen F: B A r c h (ehem. B D C ) , R K / R S K ,

143

der ihn als »nächsten und liebsten Freund« 1939 zu seinem Trauzeugen bestimmte.89 Nach Kriegsbeginn zum Militärdienst eingerückt, ist Sepp Keller am 19.12.1944 bei einem Autounfall im besetzten Italien umgekommen. Von seinem literarischen Werk ist nichts im Gedächtnis geblieben.»0 In Anbetracht dieses Lebenslaufes eines reichsdeutsch empfindenden österreichischen Nationalsozialisten der frühen Stunde drängt sich zwangsläufig der Verdacht auf, daß es nicht schade darum sein mag. Doch diese Annahme trügt, auch wenn sie sich mit Kellers Erstling zu bestätigen scheint, der bezeichnenderweise als sein zweites Buch gedruckt und ausgeliefert wurde. Denn Kellers autobiographisch fundierter Romanbericht Zwischen Nacht und Tag (1938)' 1 über Kampf, Verbot, Erhebung, Verfolgung und Endziel der österreichischen Nationalsozialisten gehört nicht nur zu den radikalsten, sondern auch zu den gefährlichsten faschistisch-antisemitischen Agitations- und Propagandaschriften der damaligen (an solchem Textmaterial nicht armen) Zeit. Aus der Opferperspektive mit aggressivem Angriffs- und Eroberungswillen flüssig, spannend und emotionalisierend erzählt, dürfte das Buch nämlich genügend Mobilisierungskraft besessen haben, um anfällige Leserinnen und Leser zu politischer Gefolgschaft begeistern zu können. Der nationalsozialistischen Programmatik entsprechend, wird der Kampf für die »Heimat« (11) im Jahre 1934 als »Ringen der Ostmark« (34) um »das große, das ersehnte, einige Reich« aller Deutschen dargestellt, »die gleichen Blutes und gleicher Seele sind« (10): Er richtet sich gegen die »krämerisch-rührige« (164) >schwarze< österreichische Regierung, welche »von Juden und dem Vatikan« beherrscht werde (45), wirbt für die reichsdeutsche »Gemeinschaft des ganzen Volkes« (53) samt seiner Arbeits-, Volksgesundheits-, Bauernschutz-, Rassen- und Wehrgesetzgebung und erstrebt die Heimkehr der >Ostmark< in die »große Heimat« (10) des Dritten Reiches, das »durch einen einzigen Mann« (191), den langersehnten erlösenden »Führer« (89), geeint und auf seinen »jungen Weg« gebracht worden sei (191). Bei diesem »Ringen um das Volk« (206) läßt »die Gewalt der Tat« (44) den Kampf »hart und grausam und roh« werden (45): Die »Macht« der »Gewehre« bricht Recht und Gesetz (106). Doch das höhere Ziel, die Verknüpfung der »Gliedkette« von »Stamm zu 89

Turnier: Brief vom 1 4 . 1 . 1 9 4 5 an den Verlag Langen/Müller (Anm. 36). — Ders.: Tagebuch-Notiz vom 2. 2. 1939 (Anm. 36). 9° Nach: F: B A r c h (Anm. 88). 91 Keller: Zwischen Nacht und Tag. Jena: Eugen Diederichs 1938. 144

Stamm« zur »Blutsgemeinschaft« aller Deutschen (21 3L), rechtfertigt alle Mittel, die nicht zuletzt die verächtlich gemachten, eingeschüchterten, verhöhnten, geschädigten, geschlagenen und mit der Vertreibung aus Amtern, Würden und Besitzständen bedrohten Juden treffen sollen (40, 44-46, 49, 55). So ist es wohl kein Zufall, daß der kulturkonservative, aber literarisch qualitätsbewußte Eugen Diederichs Verlag diese 1935 verfaßten »Aufzeichnungen« (5) erst im Anschlußjahr 1938 herausbrachte und Kellers 1936/37 geschriebenes zweites Buch voranschickte, mit dem sich der Autor als bis heute beachtenswerter Schriftsteller ausgewiesen hat. Vergleichbar mit Linkes Ein Jahr rollt übers Gebirg, aber in Erzählweise, Strukturform und Aussagetendenz moderner, schilderte Keller in seinem Roman Das ewige Leben (1937) 92 das jahreszeitlich bestimmte »Gleichmaß« (218) des unspektakulären bäuerlichen Arbeitslebens in dem (seinem Heimatort Aigen nachempfundenen) Bauerndorf Aiglarn im Ennstal zwischen 1924 und 1934. Mit Linke verbindet Keller die organische Verschmelzung von Natur-, Lebens- und Arbeitskreislauf, in dem »jedes Tun« seine durch Gewohnheit gesicherte »Bestimmung« besitzt (87). Doch anders als der zu den Waldbauern hingezogene Volksschullehrer Linke ließ der ortsansässige praktizierende Landwirt Keller, der kein »Asthetenbauer« sein wollte,93 das »ewige Leben auf irdischer Bahn« (7) mit erfahrungsgewohnter Nüchternheit vorbeigleiten, die sein Erzählverfahren durchgängig prägt. So verzichtete der Autor bewußt auf handlungstragende Mittelpunktfiguren unter seinen auf- und abtretenden, in »Tagewerk und Zeitlauf«94 eingebundenen Dorfbewohnern, versagte er sich pointierte Aufgipfelungen in der endlos fortlaufenden Reihe lose verknüpfter Episoden, gab er strukturierten Handlungsaufbau für strukturlose Mosaikbildung auf, unterließ er die Reinigung der Schriftsprache vom »heimatgebundenen Wortschatz« (373). Dabei ist - wie Willi Steinborn 1938 mit gutem Recht jubelte - »bäuerliche Welt« unverfälscht sichtbar geworden: »[...] ohne Kunst wirklich, ohne Universalität ganz, ohne Idealisierung vollkommen, ohne Ästhetisierung wunderbar, ohne Sentimentalität tief, ohne Moral gesund, ohne Philosophie wahr, ohne Dogma voll Glaube.«95

Keller: Das ewige Leben. Roman. (1937)· 5.-8. T. Jena: Eugen Diederichs 1941. Vgl. Gunther Haupt: Was erwarten wir von der kommenden Dichtung? Tübingen: Rainer Wunderlich 1934. S. 17. »4 Keller (Anm. 88). 95 Willi Steinborn: Bäuerliche Wirklichkeit. In: D I R 4 (März 1938) 12, S. 1472. 93

r

45

Diese nüchterne, aber nicht unpoetische Realitätsvermittlung reicht bis ins Detail des Romangeschehens. Genauso wie Geburt, Liebe, Krankheit, T o d und die »überall« (216) und »immerfort« (221) zu verrichtende strenge Arbeit mit ihrem »Dies und das« (362) bei wechselnden Wettern in der heimatlichen Natur- und Nutzlandschaft präzise erfaßt sind und private Feiern wie öffentliche Feste nicht zu kurz kommen, werden auch die Gemeinheiten, Verfehlungen, Untaten mancher Dörfler aufgedeckt und die »Sorgen«, die »Unruhe« und die »Not« (289) der meisten Bauern veranschaulicht, Heimsuchungen, die durch Behördenarroganz, Preisverfall, Steuern und Zinsen entstehen (335) und zu dem Stoßseufzer nötigen: »Zeitweis stimmt es nicht.« (368). Dazu trägt auch der Einbruch der städtischen Moderne in das Dorfleben bei, der die Alten verstört und die Jungen verführt. Das gilt sowohl f ü r die Lockerung der Sitten durch die Sommerfrischler als auch f ü r den Siegeszug der Maschine, die sich nicht aufhalten lassen und je nach Interessenlage gern oder ungern hingenommen werden. Dabei findet sich das Dorf am schnellsten mit dem technischen Fortschritt ab: Steinkohle, Kunstdünger und Dynamit werden genutzt, Radio und Wasserleitung genossen, Motorrad, Auto, Bus gefahren, Raupenschlepper, Straßenwalze, Dreschmaschine eingesetzt. Widerstand regt sich nur, wenn die Moderne bäuerliche Rechte mißachtet und zum Beispiel frischkultiviertes Uferland f ü r einen Militärflugplatz enteignet (29if., 361-370). D o c h von solchen (aus staatlichem Blickwinkel notwendigen, aus dörflicher Perspektive beklagenswerten) Ungerechtigkeiten abgesehen, war sich der A u t o r mit seinen Bauernkollegen einig: »das Neue« gehört »in das Bergtal«, wie es in der 1943 veröffentlichten Erzählung Am Feierabend

zugespitzt heißt.' 6 Denn nichts anderes ließ

sich von einem A u t o r erwarten, von dem der Besucher Franz Turnier am 1 . 1 0 . 1 9 4 0 zu berichten wußte, daß er mit dem Traktor den A c k e r eggte. 97 Als Landwirt war Sepp Keller offensichtlich genauso modern wie als Verfasser des Romans Das ewige

Leben.

4) Z u solcher literarischen Modernität wäre auch CARLO VON BREMEN fähig gewesen, der 1930 neben Walter Bauer, Marie Luise Kaschnitz, Josef Wiessalla und anderen in M a x Taus und Wolfgang von Einsiedels bahnbrechender Anthologie Vorstoss98

mit drei Kurzgeschichten debütierte.

G a n z auf der H ö h e der Zeit, greifen sie mit ihrer - von den Herausgebern 96

97 98

Keller: A m Feierabend. In: V o m alten und neuen Weg. Erzählungen. 1 1 . - 3 5 . T. Jena: Eugen Diederichs 1943. S. 29. Turnier: Tagebuch-Notiz vom 1 . 1 0 . 1 9 4 0 (Anm. 36). Vorstoss. Prosa der Ungedruckten. Hrsg. von Max Tau und Wolfgang von Einsiedel. Berlin: Bruno Cassirer 1930.

146

gerühmten - spröden Kargheit, verhaltenen Scham, unverbrämten Schonungslosigkeit und verdeckten ethischen Anteilnahme (9f.) bestürzende Skandalfälle menschlicher Verelendung auf: -

-

-

in Landstreicher Wimm (173-185) die trostlose Vereinsamung des vom Freund verlassenen, den Naturmächten ausgesetzten und der menschlichen Gewalt ausgelieferten Vagabunden, der unter die Räder kommt, wobei ihm die »Knochen [...] kaput« geknackt werden (180); in Die Hunde klagen an (166-172) die verzweifelte Gewissensnot eines russischen Soldaten, der eine sterbende Krankenschwester bestohlen hat, um sich Schnaps kaufen zu können, und sich nun von imaginierten Hunden als sühneheischenden Erinnyen angeheult findet; in Der Tröster (155-165) die hinterlistige Falschheit eines im Parteiauftrag handelnden Informanten, den der Ausspionierte mit Verachtung straft.

Mit welchem literarischen Ehrgeiz solche Geschichten geschrieben waren, beweist das Selbstbewußtsein, mit dem der Verfasser am 1.7.1929 die (allem Anschein nach verloren gegangenen, laut Titel vielversprechenden) Erzählungen Die Kralle und Vom Rande des Lebens bei Wilhelm von Scholz für den Kleistpreis eingereicht hat." Ermöglicht im Verlag des Juden Bruno Cassirer vom Juden Max Tau und vom nichtjüdischen NaziGegner Wolfgang von Einsiedel, die später allesamt emigrieren mußten, wurde dieses bemerkenswerte Debüt von Carlo von Bremen preisgegeben, indem er sein schriftstellerisches Talent an seine politische Gesinnung verriet, seine verheißungsvollen literarischen Anfänge verschwieg und das (an den Vornamen angehängte) bohemehafte Schluß->o< fallen ließ. Denn spätestens im Zuge des Anschwellens der N S D A P zur Massenpartei nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 besann sich (der ursprünglich mit dem Vornamen Karl bedachte) CARL VON BREMEN wieder auf seine frühe Bindung an den Nationalsozialismus. Am 8.5.1905 als Baltendeutscher in Wosel (Estland) geboren und im November 1918 von bolschewistischen Revolutionären zur Flucht nach Deutschland getrieben, schloß er sich als Münchner Schüler dem Sturmbataillon Teja im Bund Oberland an, nahm er am 9 . 1 1 . 1 9 2 3 als >Oberländer< am HitlerPutsch in München teil. Danach absolvierte von Bremen eine Landwirtschaftslehre, ertüchtigte er sich in Segelboot- und Segelflugkursen, begann 99

Carlo von Bremen: Brief vom 1. 7.1929 an Wilhelm von Scholz. F: D L A , A: von Scholz.

147

er zu schreiben. Als Mitbeteiligter an Hitlers Marsch auf die Münchner Feldherrnhalle >BlutordensträgerHitler-Stalin-Paktes< (1939) in Estland nicht mehr realisieren ließen und schließlich auf die neueroberten Ostgebiete in Polen übertragen werden mußten,102 bestätigte der deutsche Uberfall auf die Sowjetunion den vorgeschlagenen antibolschewistisch-antisemitischen Kurs: So abstoßend Carl von Bremens Tendenzroman mit seinen geballten Diffamierungsklischees inzwischen auch wirken mag, so genau scheint er den aggressiven Schwarz-Weiß-Vorstellungen fanatischer Nationalsozialisten entsprochen zu haben. Weniger agitatorisch und propagandistisch, aber nicht minder tendenziös und linientreu ist Carl von Bremens »niederdeutscher Heimat- und Seefahrerroman« Die Schifferwiege (193 5)103 ausgefallen, der auf die wachsende Konkurrenz anderer zeitgenössischer Fischer- und Schifferromane aus verschiedenen Küstenregionen stieß und sich an solchen Texten messen läßt. Im Buchtitel ist das Möbelstück genannt, aus dem sich die Sippe Hunke zwischen 1727 und 1862 von Generation zu Generation regeneriert. 1728 in die angestammte Heimat nach Wiek, dem heutigen Wustrow, auf 102

103

Carl von Bremen: Brief vom 4. 7.1940 an seine Tochter Hallgerd. In: Füchslein (Anm. 100). S. 62; Gerda von Bremen: ebd. S. 83. Carl von Bremen: Die Schifferwiege. Niederdeutscher Heimat- und Seefahrer-Roman. (1935). München: Zentralverlag der N S D A P . , Franz Eher Nachf. 1940.

149

Fischland zurückgekehrt, nutzt sie die Gunst der geographischen Lage: Die N a c h k o m m e n eines Dragoners, Sattlers, Bauern, Fischers werden Küstenschiffer, Bootsbauer, Hochseefahrer, Schiffsherren und

steigen

schließlich zu »Führern der deutschen Schiffahrt« auf ( n j f . ) . Diesen »geraden Kurs« (164) nach oben halten die Hunkes durch, weil sie sich auf Eigeninitiative, Selbsthilfe, Mannschaftsgeist, Gemeinschaftssinn verlassen und Tugenden weitervererben, die >Kerle< (148) haben müssen: Trotz, Mut, Zähigkeit, Härte, Pflichtbewußtsein, Freiheitsdrang, Todesbereitschaft, Siegeswillen usw. Ihren Halt finden sie in der kinderreichen Großfamilie: »Hielten die Fischlandmänner draußen zusammen im ständigen Kampf mit dem Element der See, flogen ihre Gedanken immer kühner und höher, die Herren der Meere zu werden - so hüteten die Frauen das H e i m und die Nachkommen, umsorgten ihre Kinder.« (197). Traditionspflege, Rassehygiene, Heimatbindung, Vaterlandsliebe, gleichberechtigte Anerkennung aller Stände, klassenüberwindender Zusammenschluß zur Volksgemeinschaft helfen dazu, »deutsche Seegeltung« auf allen Meeren zu beanspruchen, zu erobern und z u behaupten (215). Die Hunkes und der v o n ihnen zusammengeschweißte »Kampftrupp« (158) einer »stahlharten Mannschaft« (213) denken, reden und handeln, als hätten sie das Parteiprogramm der N S D A P gelesen, Schulungskurse der Partei besucht und >Führer-Reden< gehört, zumal sie in historischer Entscheidungssituation v o n einem weitsichtigen, redegewandten, führungsstarken, kriegserfahrenen Schulmeister und Volkserzieher aufgerufen und angeleitet werden, der als »Utlänner« (Ausländer) und mit seinem Beinamen »Trommler« an den genauso genannten Österreicher Hitler erinnert (74). D e r nationalsozialistischen Ideologie entsprechend, >wächst< denn auch die »Heimat« aller Fischländer im Verlauf der (vom »Staatsmann O t t o v o n Bismarck« beschleunigten) Geschichte über alle kleinstaatlichen Territorialgrenzen hinweg »weiter in das große deutsche Heimatland!« (214). So verwundert es nicht, daß dieser simpel erzählte, holzschnittartig angelegte, schlagwortreich aufgeladene Roman im »Zentralverlag der N S D A P . « erschienen ist, der im Druckbild des Buches absatztrennende Sternchen (*) durch winzige Hakenkreuze ersetzte. Im Schatten seiner beiden Tendenzromane hat Carl v o n Bremen die faszinierenden Anfänge Carlos verschwinden lassen und selbst verloren gegeben, was mit ihm als Angehörigem der >verlorenen Generation< verloren gegangen ist. Wie weit er mit seiner Schifferwiege

hinter den damals

möglichen literarästhetischen Entwicklungsstand der Heimatromane mit Fischer- und Schiffer-Thematik zurückfiel und dabei zurückblieb, zeigt der Vergleich. 150

Der Erfolgsgeschichte deutschen Fleißes, Wagemuts und Kampfeswillens des Nationalsozialisten Carl von Bremen am nächsten kommt Waldemar Augustinys Roman Die Fischer von Jarsholm (193 5),104 der nach Erstem Weltkrieg und Inflation in einem schleswig-holsteinischen Fischerdorf an der Schlei spielt. Durch Geldentwertung, Uberschuldung und Preisdrückerei in Not geraten, lernen die Titelhelden, individuelle Isolierung und Privatkapitalismus durch genossenschaftlichen Zusammenschluß zu überwinden. Diese allmählich reifende Einsicht vermittelt ihnen ein aus dem Dorfe stammender Heimatloser, den falscher Verdacht in die Fremde getrieben und unwiderstehliches Heimweh zurückgeführt hat, weil sich die Heimat »für den Menschen wichtiger« erwies »als Brot und Wasser« (219): Sein »Recht an der Heimat« (227) verdient er sich mit seinem Anschluß an die Gemeinschaft und seinem Einsatz, seiner Spende und seiner Aufopferung für sie. Daß »alle an einem Strang« ziehen sollen (222), Gemeinnutz vor Eigennutz geht, die Hingabe des eigenen Lebens zur Rettung anderer Ehre erwirbt und die Heimat das höchste Gut bleibt, paßte durchaus in den nationalsozialistischen Wertekanon. Mit ihm kaum oder gar nicht vereinbar waren jedoch das Vertrauen auf Gott, der Glaube an den Erfolg basisdemokratischer amerikanischer Verfahrenspraxis (227), die Scham über die Jagd auf Menschen (220); und verstörend mußte der Hinweis auf den Abtransport in ein - freilich kanadisches - »Konzentrationslager« (169) und seine Begleitumstände und Folgen wirken, über die sich »das Eigentliche« nicht sagen ließ (170): Wer mochte sich bei der Erwähnung dieses (im literarischen Kontext sonst weithin gemiedenen) >Unworts< nicht an die Verfolgungs- und Unterdrückungsmaßnahmen des nationalsozialistischen totalen Staates erinnert fühlen? Sind Carl von Bremens und Waldemar Augustinys Fischer- und Schiffer-Bücher bestenfalls als zeittypische Quellenzeugnisse erwähnenswert, werden sie von zwei themenverwandten Erzählwerken überragt, deren literarhistorischer Rang sich nicht abgeschliffen hat: Der Strom ohne Ende (1937) von Oscar Walter Cisek und Die Fischer von Fissau (1939) von Willy Kramp. 105 Beide Romane decken ein entfesseltes Triebchaos in einer Heimat auf, die sich als Hölle erweist. Doch obwohl sie damit jener Emanzipation der Instinkte zu entsprechen scheinen, mit der der Nationalsozialismus die Herrschaft der Ratio erschüttern wollte, schütteten 104

105

Waldemar Augustiny: Die Fischer von Jarsholm. (1935). Hamburg: Deutsche Hausbücherei o.J. Oscar Walter Cisek (A): Der Strom ohne Ende. Roman. Berlin: S. Fischer 1937. Willy Kramp: Die Fischer von Lissau. Roman. Berlin: Hans von Hugo 1939.

!5I

sich die Texte gegen die nationalsozialistische Weltanschauung ab: Das tobende Triebleben, von dem sie zeugen, bestätigt und vollstreckt kein ideologisch-parteipolitisches Programm, sondern vollzieht sich in anarchischer Ursprünglichkeit, die sich humanisieren und damit zähmen und läutern läßt. Das »Weltall« (231) in der Störjäger-Siedlung Valcov im Schwemmland des rumänischen Donaudeltas umfassend und als undatierte Gegenwart darstellend, vermittelte Cisek in seinem wortmächtigen, handlungsstarken Prosaepos ähnlich wie schon Linke und Keller das »Auf und Ab des Daseins« (427) armer ausgesetzter Naturmenschen im Wandel der Jahreszeiten unter wechselnden Wettern vom froststarrenden Winter mit anschließender Überschwemmungsgefahr in der Tauperiode über die arbeitsintensive Fischsaison von Frühling und Sommer bis in den neblig-trüben Spätherbst hinein. Wie der große Fluß ohne »Anfang noch Ende« (593) dahinströmt, verläuft das Arbeits-, Empfindungs- und Zusammenleben der Männer und Frauen, die - von Angst, Sorge, Not und Elend geplagt ihrem »Leib« verhaftet bleiben (298; 573), ihrem »Körper« nicht entrinnen können (205) und »in der eigenen Haut« eingesperrt sind (191). Unter ihnen wüten daher »Gier und Gewalt« (535): Suff, Brunst, Hurerei, Vergewaltigung, Lustmord und andere Tötungsdelikte erschüttern die (durch Arbeit und sexuelles Begehren zusammengetriebene und zusammengepferchte) »Gemeinschaft« (385), deren dumpfe Existenz durch Habsucht, Machthunger und Haß weiter getrübt und nur durch die selbstlose, fürsorgliche, demütige, einfältige, geduldige, opferbereite und hingebungsvolle Liebe einzelner Außenseiter und Außenseiterinnen (wie z.B. eines Aussätzigen, einer geistig Verwirrten, eines sozial Abgesonderten und einiger bedrängt-verfolgter Frauen) aufgehellt wird. Als Analphabeten allein gelassen von den feigen, raffgierigen, starrsinnigen Religionsverwaltern der orthodoxen Priesterschaft, finden diese Liebenden zur »Wärme und Gnade einer immer schon in ihnen wach gewesenen Frömmigkeit« (585), weil ihre Liebe sie aus dem »Gewucher« (203) hemmungsloser Leidenschaften befreit, zum Miteinander erlöst und in den Kreislauf der Natur eingebunden hat: nicht mehr als Opfer oder Widersacher, sondern mit ihr vereint im Gefühl, »das rege Herz des breiten Geströmes« der Donau als Inbegriff erlebter Natur unter den »eigenen Rippen« zu tragen (593). Diesem weltfrommen Heidentum setzte Willy Kramp die Erlösungsbotschaft des evangelischen Christentums entgegen, ohne in predigende Frömmelei zu verfallen. Angesiedelt am Frischen Haff bei Königsberg vor und nach 1899, vergegenwärtigt sein bildkräftig geschriebener, spannend zu lesender Roman Die Fischer von Lissau den schweren Wand152

lungsprozeß »vom halbtierischen Hinludern zur Menschenexistenz« 106 unter dem Anruf Gottes, des verleugneten, verschmähten, ungehörten, unbeachteten und gleichwohl barmherzigen, der die Ungehorsamen und die Sünder »zu sich [...] in seinen reinen Frieden« zieht (404), wenn sie es nur wollen. Was sich zunächst darbietet, ist »ein elendes, von Gott und der Welt verlassenes Leben« (33) voll »Not und Jammer« (81), »Jammer und Finsternis« ( 1 2 1 ) in dürftig-kärglicher, stürm- und flutgefährdeter Ostseeheimat: Da die dort Hineingeborenen, arme »Narren« und närrische »Arme« (i29f.), der »Gewalt irdischer Begierden« (397) gehorchen und sich »wohl und wehe« tun, wie es sie treibt (193), werden Krankheit, Zwietracht, Angst, Mißmut, Unzucht und Unordnung (83) nur selten durch sporadische Glücksmomente durchbrochen, gedeihen Laster wie »Zorn, Eitelkeit, Hurerei, Ehebruch, Trunksucht, Totschlag« (52) auf Kosten von Ehe-, Familien- und Gemeinschaftstugenden, geht bei gedeihlichem Wachstum »Unkraut« auf »zwischen den Menschen« (115), die - zu unglücklicher, verbotener oder mißlingender Paarung geneigt es schwer haben, »beieinander zu bleiben«, und es sich leicht machen, »sich für immer zu verlieren« (113). Doch der »Strahl des göttlichen Lichts« trifft auch »in das dunkle Herz der Welt« (402): Der größte Sünder erwirbt die Glaubwürdigkeit für seine Lehre, den »Frieden« Gottes zu suchen »und nicht die Ruhe der Welt« (404); die verlorenste Frau erfährt, daß die Liebe allen Schmutz ab- und »von allem Vergangenen« reinwäscht (199); das zornigste Herz besänftigt sich und findet Vergebung, weil es selber vergibt (428). So kommt eine »neue Zeit« mit »neuem Leben« in Lissau herauf (431). Mit der säuberlichen Trennung von Gut und Böse, der Festigung der partnerschaftlichen Beziehungen, der Pflege der nachbarschaftlichen Solidarität, der Achtung der individuellen und kollektiven Menschenwürde nach Gottes Gebot und Gesetz ziehen Frieden und »kindlicher Frohsinn« (430) in Lissau ein, die ein »erneuertes, freudigeres und helleres Dasein« versprechen, mag es »auch noch in einer fernen Zukunft liegen« (43 if.). Als staatsferner Privatschullehrer und regimefeindlicher »Bekenntniskirchenmann« 107 hätte sich Kramp wohl nicht gewehrt, wenn seine Leserinnen und Leser diese Vision auch auf die Transformation oder besser noch: auf ein schnelles Ende des Dritten Reiches übertragen hätten. Ob-

106

107

Joachim Günther: Viereck des deutschen Romans. In: Europäische Revue 16 (1940), S.237. Jochen Klepper: Tagebuch-Notiz vom 19. 7.1942. In: Tb Klepper. S. 1084. r53

wohl sein Buch weder Anspielungen auf die nationalsozialistische Diktatur noch Invektiven gegen sie enthält, wagte er sich mit dem Angebot seines christlichen Gegenmodells weit vor - weiter als Cisek, dem es als auslandsdeutschem Rumänen genügte, ostentativ Distanz zu wahren. Immerhin bestätigen die Romane beider Autoren Kramps Behauptung, »daß in den Nazijahren das Schreiben eines Gedichtes über einen Baum eine politische Aktion gewesen sei«. 108 Während Cisek und Kramp solche literarischen Bäume pflanzten und Augustiny sich mit vorsichtiger Baumpflege zufriedengab, schnitt von Bremen den zarten Trieb seiner literarischen Begabung ab, um den Wildwuchs nationalsozialistischer Tendenzschriftstellerei wuchern zu lassen. Das brachte ihm zwar den Lohn postumer Heldenverehrung durch Partei und Staat ein, verurteilte sein Werk aber dazu, mit ihnen unterzugehen. 5) Neben der auffallenden Menge von Heimat-Romanen und HeimatErzählungen aus der Fischer- und Schifferregion deutscher und ausländischer Küstenlandschaften verblüfft die reichhaltige

Heimatliteratur-

Produktion aus der schlesischen Grenzlandprovinz, die den Leipziger Paul List Verlag 1935 ermutigte, Schlesien als »das deutsche Land der Dichter« zu preisen. 109 Dafür sind viele Gründe angeführt worden. Der schlagendste ist wohl im kulturellen, politischen und militärischen Kampf um Schlesien zwischen Polen und Deutschen nach dem Ersten Weltkrieg zu suchen, der nicht wenige deutschsprachige schlesische Schriftstellerinnen und Schriftsteller zur Erforschung der nationalen Identität, zur Bestimmung des politischen Standpunkts, zur Vorlage von Selbstbehauptungs-

und

Befriedungsvorschlägen

Abwehr-,

herausforderte:

Die

schlesische »Heimat, oft verraten, nie verloren«, wie Friedrich Bischoff 1936 dichtete, 110 hatte 1919 das Hultschiner Ländchen an der Südwestgrenze an die Tschechoslowakei abtreten müssen und 1922 Ostoberschlesien nach heftigen Scharmützeln zwischen polnischen Aufständischen und deutschen Selbstschutzverbänden sowie umstrittenen Kommissionsentscheiden der alliierten Siegermächte an Polen verloren. Das lieferte Stoff, den freilich die (davon nur mittelbar belangten) Niederschlesier 108

109

110

Walter Bauer: Brief vom 1 2 . 1 0 . 1 9 6 5 an Erich Müller-Kamp. In: Liebe zu Deutschland heißt Leiden an Deutschland. Briefe aus Kanada 1962-1976. Hrsg. von Otto Röders. Gifkendorf 1983. S. 77. Daß diese Aussage auch für regimeverbundene Autoren galt, hat Johannes Linke mit seinem Gedichtkreis »Der Baum« (Anm. 77) bewiesen. Uberschrift der Anzeigenseite des Verlags im Anschluß an: Ruth Hoffmann: Pauline aus Kreuzburg. Leipzig: Paul List 1935. S. 344. Friedrich Bischoff: Abgesang. In: Schlesischer Psalter. Ein Dank- und Lobgesang. (1936). 5. Aufl. Berlin: Propyläen 1943. S. 105.

154

anders verarbeiteten als die (davon unmittelbar betroffenen) Oberschlesier, zumal sich das soziale Konfliktpotential auf der schlesischen NordSüd-Schiene verschärfte. Denn während das bäuerlich-dörfliche und bürgerlich-städtische Niederschlesien von homogenerer, vorherrschend deutscher Bevölkerungsstruktur, geringeren Klassengegensätzen und breiter gestreuter Prosperität profitierte, litt die Stadt- und landproletarisch geprägte oberschlesische Industrieregion unter deutsch-polnisch-tschechischen

Volkstumsspan-

nungen, nationalistisch aufgeladenem Verteilungsstreit und den erwähnten Grenzverschiebungen, die Familienbande und Wirtschaftsverflechtungen zerrissen. Diese sozialpolitischen Unterschiede färbten auf die zeitgenössische Literatur aus und über Schlesien ab. Während sich die in Niederschlesien angesiedelte Heimatdichtung ihrer deutschen Wurzeln zu vergewissern suchte und zur mystisch-magischen Harmonisierung von Mensch und Landschaft, Natur, Sage und Mythos neigte, strich die oberschlesische Grenzlandliteratur die nationalen, politischen und sozialen Widersprüche heraus und eroberte sich damit einen Relevanzvorsprung, der ihr die »Führungsrolle« im literarischen Kräftespiel sicherte. 111 Was sich dabei ergeben hat, sollen die folgenden Querschnitte und die fünfte Fallbeschreibung darstellen, die an einen völlig vergessenen und verschollenen, aber denkwürdigen Vertreter der /verlorenen Generation^ den Oberschlesier JOSEF WiESSALLA, erinnert. Um den Rang seines literarischen Werks zu verdeutlichen, lohnt sich der Seitenblick auf die zeitgenössische nieder- und oberschlesische Konkurrenz. In der niederschlesischen Berglandschaft des Riesengebirges lokalisiert, beschwört der Bauernroman Das tägliche Brot (1940) von Walther Stanietz die verpflichtende Verbindung von Sippe, Arbeit und Acker, sucht Friedrich Bischoffs Dorfroman Die goldenen Schlösser (1935) das sagengespeiste Wunder in der not- und sorgenvollen Alltagswirklichkeit. 112 Bezogen auf die niederschlesische Heide- und Sumpfebene, auf die deutschgeprägten Bürgerstädte im Umkreis von Breslau und auf diese multinational herangewachsene, ethnisch durchmischte und letzthin doch preußisch-deutsch bestimmte Provinzmetropole selbst, läßt Horst Langes bereits gewürdigter Katastrophenroman Schwarze

Weide (1937) die

»Angst aller Kreatur« vor Natur und Mensch aufleben, stellt Ruth H o f f manns Romanbiographie Pauline aus Kreuzburg

111 112

(1935) den schlesischen

Arno Lubos: Geschichte der Literatur Schlesiens. Bd. 2. München 1967. S. 139. Walther Stanietz: Das tägliche Brot. Roman. Berlin: S. Fischer 1940. - Bischoff: Die goldenen Schlösser. Roman. (1935). 31.-40. T. Berlin: Propyläen 1943.

155

Städteverbund als durch Arbeit, Pflichtbewußtsein und Aufopferungsbereitschaft gesicherten familiären Lebensraum dar, vergegenwärtigt Ilse Molzahns Gesellschaftsroman Nymphen und Hirten tanzen nicht mehr (1938) die Zerstörung ideologisch beargwöhnter Idyllen und die Austreibung politisch ungewollter Mythen durch das verhetzt-verblendete gesunde Volksbewußtsein." 3 Daneben taucht in diesen Büchern nur beiläufig auf und zeigt sich von anderem überschattet, was die Grenzlandromane der oberschlesischen Autoren vorrangig beschäftigte. So bleibt die Nationalitätenproblematik weitgehend auf das Peripher-Anekdotische beschränkt, das sich in Randbemerkungen und Nebenhandlungen äußert: bei Stanietz im Bekenntnis zum Luthertum, das einen einheimischen Gott anbiete, zu dem sich deutsch beten lasse; bei Bischoff im Bedauern, daß deutsche Minderheiten außerhalb der Reichsgrenzen >danklos< wohnen müßten und erst dann mit den Binnendeutschen vereint werden könnten, wenn die werwölfische deutsche Zwietracht überwunden wäre; bei Lange im Hinweis auf die Erschöpfung der kriegsmüden Völker, welche die Schulden der Vergangenheit durch unablässige Aufbauarbeit zu tilgen haben; bei Hoffmann im alltäglichen Umgang mit polnischen Mägden, polnischen Speisen, polnischer Sprache in Stadt und Land; bei Molzahn in der Mischung des »wilden, lustigen Bluts der Polen« und des »dunklen und schweren« der Deutschen und in der Enthüllung der polnisch, böhmisch, preußisch geprägten Physiognomie Wratislawia-Breslaus.114 Zur Uberwindung von sozialen Konflikten bieten alle genannten Romane mit unterschiedlicher Gewichtung Pflichterfüllung, Arbeitsleistung, Gerechtigkeit, Nachbarschaftshilfe und Nächstenliebe an und beweisen dabei fast ausnahmslos bemerkenswerten Mut vor den nationalsozialistischen Machthabern. Der an die regimekonforme Mythisierung des Ackerbodens und des Bauernstandes anschließende Stanietz und der als Radiopionier der Weimarer Republik beargwöhnte und deshalb vorsichtige Bischoff hielten sich zwar mit politischen Anspielungen zurück; die anderen Genannten wagten sich aber weit vor, indem sie Widerborstiges zwischen den Zeilen aufscheinen und unterschwellig mitschwingen ließen. Lange entlarvte Demagogie und Massenhysterie, Molzahn verteidigte das bedrohte Lebensrecht der geistig Behinderten wie der nomadischen Zigeuner und Hoffmann ließ nicht nur ordnungswidrige Notwehr gegen den 113

114

Lange: Weide (Anm. 55). S. 108. - Hoffmann: Pauline (Anm. 109). - Ilse Molzahn: Nymphen und Hirten tanzen nicht mehr. Roman. Berlin: Rowohlt 1938. Stanietz: Brot (Anm. 112). S. i43f. - Bischoff: Schlösser (Anm. 112). S. 346-348. Lange: Weide (Anm. 55). S. 142. - Hoffmann: Pauline (Anm. 109). S. 3 1 7 . Molzahn: Nymphen (Anm. 1 1 3 ) . S. 69 und 51. 156

Krieg und seine Folgen gelten, sondern bezeugte darüber hinaus die vorbehaltlose Zustimmung der hochsympathisch gezeichneten Titelheldin zur Gattenwahl der Verfasserin, 11 ' d i e - w i e ihre Lebensgeschichte verrät einem Juden galt, der in Auschwitz umkommen sollte. Die Brücke zwischen der zurückhaltenderen niederschlesischen und der radikaleren oberschlesischen Erzählliteratur schlug Horst Lange mit dem (oben bereits erwähnten) Prosatext Der Sohn der Hauptmannsivitive (1939), der wohl in Cosel angesiedelt ist. 116 Wie bei den oberschlesischen Autoren häufig, treffen hier polnische Insurgenten und deutsche Freischärler nach dem Ersten Weltkrieg aufeinander. Doch der im Titel genannte Junge zielt und schießt nicht auf den konkreten Feind, sondern »will ins Schwarze dieser Zeit treffen, in das Zentrum aller unbegreiflichen Verfinsterungen, welche das Leben bedrohen« (27); und er fällt schließlich eben dieser Zeit zum Opfer, »die wahllos diesen und jenen einforderte und zunichte machte, um unbestimmter Ziele willen und ohne irgend eine heimliche Ordnung, die das Zukünftige meinte« (49). Oberschlesischen Mustern folgt der Zugriff auf den politischen Realkonflikt; niederschlesischen Verfahrenspraktiken entspricht dessen ontologische Überhöhung und existentialistische Verallgemeinerung; überregionale Widerspenstigkeit artikuliert sich in dem Mutwillen, dem Nationalsozialismus den erwünschten jugendlichen Helden zu versagen und ihm die Sinngebung des nationalen Abwehrkampfes vorzuenthalten. Gerade am damit aufgeworfenen Beispiel der 1919 bis 1921 gewaltsam ausgetragenen Nationalitätenkonflikte läßt sich die Radikalisierung der realistischen Seh- und Schreibweise verdeutlichen, zu der die bedrängende Alltagsrealität die oberschlesischen Grenzlandautoren genötigt hat. Als Niederschlesier konnte der Breslauer Arnold Ulitz ein Familientreffen zerstrittener Brüder in dem (von Deutschland abgetrennten und Polen zugeschlagenen) Dorf Dombrowka noch mit ironisch distanzierendem, aber durchaus nicht unparteiischem Amüsement darstellen: »Einer schimpfte auf Polen, der andere hielt ihm das verwegene Maul zu, der dritte sang das Lied der polnischen Aufständischen, der vierte sagte in gebrochenem Deutsch einen Spruch aus deutschen Wirtshäusern: >Sauft euch voll, freßt euch dick, haltet's Maul von Politik!verknotendenLandarbeit< als Raub und die verflachende Einebnung aller Widersprüche sowie die glättende Abschleifung aller Widerborstigkeiten als Mord zu verstehen waren. Denn die stilisierte Einfalt des Stanietzschen Bauernlebens konnte Wiessalla nicht gefallen, wußte er doch, daß die dichterische Einbildungskraft eine Fiktionswirklichkeit schafft, mit der gerechnet werden muß. 132 Deshalb wurde er nicht müde, die Umwelt, das Leben und die Empörung seiner Romanhelden und Romanheldinnen als »Beispiel«, »Symbol« und »Gleichnis« auszuweisen,133 in denen sich seine deutsch-polnisch-mährischen Landsleute wiederfinden durften und sollten: als mündig-autonome Oberschlesier mit aufrechtem Gang, erhobenem Haupt, trotziger Stirn und offenem Blick. Damit wehrte sich Wiessalla gegen das (noch von Will-Erich Peuckert 1940 verbreitete) Klischeebild vom labilen, zwischen Ja und Nein unentschieden lavierenden Schlesier, in dem sich deutsches und slawisches Blut wechselseitig schwächen;134 damit schrieb er gegen den deutschen und polnischen Nationalismus an, deren Wortführer und Nachschwätzer wie sich in Anlehnung an einen 1938 erhobenen Vorwurf von August Scholtis formulieren läßt - den Oberschlesier als »schlechtgemachten Polen« oder umgekehrt als mutterlandsverräterischen »Renegaten« zu diffamieren suchten. 1 " Was Wiessalla vorschwebte und wofür er literarisch plädierte, war die Selbstbefreiung der Oberschlesier und Oberschlesierinnen aus nationalistischer Umklammerung, war ihre Selbstbestimmung in selbstverwalteten Lebensräumen, war ihre Selbstbehauptung auf selbstbestelltem Land und in selbstbewirtschaftetem Betrieb. Diese Vision erzwang ein verändertes Heimatbild. Während Ruth Hoffmann das »Heimatland« als »allerletzte, innigste Geborgenheit am Herzen der Erde« pries und Gerhart Baron (in einem Wiessalla gewidmeten) Gedicht Lebens-»Kraft« von der »trostreichen Erde« erwartete, die

131 132 133 134

135

Wiessalla: Udyta (Anm. 126). S. 40. Wiessalla: Der Orpheusbecher. Roman. Berlin: Hans von H u g o 1943. S. 10. Wiessalla: Empörer (Anm. 121). S. 104 und 365 sowie: Udyta (Anm. 126). S. 258. Will-Erich Peuckert: Schwarzer Adler unterm Silbermond. Biographie der Landschaft Schlesien. Hamburg: H . Goverts 1940. S. 82. Scholtis: Petr Bezruc. In: Deutsche Rundschau 64 (Januar 1938), S. 32 (bezogen auf deutsche bzw. polnische Fehleinschätzungen der Verfasser oberschlesischer Grenzlanddichtung). 163

ihm »Heimat« war, 1 3 6 stimmte Wiessalla mit August Scholtis überein, der gegen »Heimatschwulst und Landschaftskram« anschrieb und

kein

»Heimatmärchen« vom »ländlichen Idyll« dulden wollte: 137 Bei Wiessalla kann Heimat »Lebensglück« zerschlagen, »teuer gezahlt« sein, verloren gehen, 1 ' 8 wenn sie nicht im Kampf gegen die Widerstände von Natur und Gesellschaft erworben wird. Diese Lektion hatte der Autor selber lernen müssen. Josef Wiessalla war am 1 5 . 1 2 . 1898 im oberschlesischen Beuthen in die Familie eines Bahnwärters mit acht Kindern hineingeboren worden und mußte sich ohne den gewünschten Besuch einer höheren Lehranstalt zum Buchhalter ausbilden lassen und als Frontsoldat, Heimatschutzkämpfer, Gelegenheitsarbeiter, Reporter, Arbeitsloser durchbringen. 1928 begann er in der Zeitschrift Der Oberschlesier

zu publizieren; um 1930 wurde er von dem (gleichfalls aus

Beuthen stammenden) Lektor Max Tau für den ebenso anspruchsvollen wie wagemutigen Berliner Verlag von Bruno Cassirer entdeckt. Wohnhaft in Oppeln, war Wiessalla - nach Erkenntnissen der Geheimen Staatspolizei vom 1 2 . 2 . 1 9 3 8 - dort 1932 als Leiter der Ortsgruppe des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller sowie als Mitglied der Unterbezirksleitung und Hauptjugendleiter der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) politisch aktiv; in eigenen Angaben vom 5.4.1938 schwächte Wiessalla diese Informationen ab, indem er mitteilte, er sei nur als Arbeitsloser - »erbittert, vollkommen abgerissen und verelendet« - in die Parteiversammlungen der K P D mitgeschleppt worden und habe nur der genannten »linken Schriftstellervereinigung« vom Frühjahr bis zum Oktober 1932 in einer »Zufallsmitgliedschaft« angehört, die er aufkündigte, als man dort Hermann Stehr »bekrittelte«. »Man kennt mich in der Heimat als aufrechten, geraden und ehrlichen Menschen, der vor der Zeit aus seinem roten Herzen keine Lügengrube gemacht hat. Nach dem Umbruch habe ich mich freilich zurückgehalten, wie es sich für einen ziemt, der eines Besseren belehrt worden war.«, ergänzte Wiessalla treuherzig; und das Reichspropaganda-Amt Schlesien in Breslau bestätigte am 9.9.1938: »Wiessalla war vor der Machtübernahme marxistisch eingestellt. Für die Anständigkeit seines Charakters spricht, daß er daraus, wenn er gefragt wird, auch kein Hehl macht.« Außerdem wußte

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Hoffmann: Pauline (Anm. 109). S. 163. - Gerhart Baron: Die Wiedergeburt. In: D I R j (April 1938) i , S . 99. Scholtis: Jas der Flieger. Roman. Berlin: Bruno Cassirer 1935. S. 1 8 1 . — Ders.: Baba (Anm. 119). S. 32 und 64. Wiessalla: Halarenda (Anm. 123). S. 174. - Ders.: Empörer (Anm. 121). S. 242. Ders.: Die Dostals (Anm. 122). S. 291.

164

die Geheime Staatspolizei zu vermelden, daß er lediglich der NS-Volkswohlfahrt seit 1937 angehöre und sich an keinen politischen Veranstaltungen beteilige. Obwohl Wiessalla mit seinen literarischen Schriften zu »den stärksten Begabungen der oberschlesischen Jugend« gezählt und als »toller Bursche« begrüßt wurde/ 39 hatte er mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen, die 1938/39 durch Zahlungen aus der Schiller-Stiftung abgemildert werden sollten: Mit einer arbeitsunfähigen gemütskranken Frau verheiratet, mußten zwei Kinder in Pflege gegeben werden; die (nur in Bühnenmanuskript-Form vertriebene) dramatische Produktion Wiessallas wurde durch die nationalsozialistische Zensur abgewürgt; politisch aufgenötigter Verlagswechsel verringerte die Einnahmen. Nach der 1937 (unter dem antisemitischen Druck von Partei und Staat) vollzogenen Auflösung der Verlagsfirma des Juden Bruno Cassirer, in deren Verlauf Wiessalla seinem jüdischen »Entdecker und Landsmann Max Tau« unverhohlen die Treue hielt,140 wanderten die Buchblöcke seines EmpörerRomans und das Manuskript seiner Erzählung Die Front unter Tage zum Leipziger Paul List Verlag, wurde Weiteres wie Udyta und Zwischen Tag und Traum (1942) 141 von dem jungen, regimekritischen (und schließlich als Angehöriger eines Strafbataillons gefallenen) Verleger Hans von Hugo 142 herausgebracht, erschien das Letzte mit Niemands Land und Die Schlacht von Himmelwitz (1943) 143 versprengt bei Philipp Reclam jun. (Leipzig) und Erich Schmidt (Berlin). Nach Kriegsausbruch zweimal zum Militärdienst eingezogen und aus Gesundheitsgründen wieder entlassen, bei der Heimatpolizei eingesetzt und im Januar 1945 in eine Versprengtenkompanie zur Verteidigung Breslaus eingegliedert, soll Josef Wiessalla dort im März 1945 gefallen sein.

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Wolfgang v o n Einsiedel: August Scholtis: Ostwind. In: D i e Kolonne 3 ( 1 9 3 2 ) 3, Kritisches Beiheft, S. 46. - Hellmut v o n C u b e in: Die D a m e 67 (1940) 1 , S. 37. M a x Tau: Das L a n d das ich verlassen mußte. H a m b u r g 1 9 6 1 . S. 1 8 6 - 1 8 8 , 2 4 0 243. A u c h nachdem Tau 1935 aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen worden w a r und damit Berufsverbot erhalten hatte, stand Wiessalla zu ihm, wie eine handschriftliche Widmung beweist, die ich in einem Exemplar seines R o mans »Die E m p ö r e r « ( A n m . 1 2 1 ) gefunden habe. Sie lautet: » D e m Dichter / Hans Franck / mit herzlichen |sic!| D a n k / (auch f ü r die Freundschaft, die Sie meinem Entdecker und Landsmann M a x Tau bezeugen) / in aufrichtiger V e r e h r u n g / J W i e s s a l l a / Oktober 1935.« Wiessalla: Zwischen Tag und Traum. R o m a n . Berlin: H a n s v o n H u g o 1942 (erste A u f l a g e von: D e r Orpheusbecher, A n m . 132). Tau: L a n d ( A n m . 140). S. 258. Wiessalla: Die Schlacht v o n Himmelwitz. Erzählungen. Berlin: Erich Schmidt :

943· 165

Seither ist er genauso verschollen wie sein Werk, das nach 1945 nicht wieder aufgelegt wurde, sieht man von dem schmalen, vor dem Originaltitel zurückscheuenden Reclam-Bändchen Unter Tage ab, das 1961 erschien und bald wieder aus dem Verlagsprogramm herausfiel.144 Ohne es zu wollen, war Josef Wiessalla145 beschieden, was die nationalsozialistische Kriegspropaganda verlangte: das Reden und Schreiben über die Heimat mit ihrer Verteidigung unter Einsatz des Lebens und Hinnahme des Todes »an den Fronten« zu beglaubigen.146 Heimat, die es zu schützen galt, wurde so mit dem Krieg kurzgeschlossen; von der Heimat bis zum Krieg war es auch literarisch nicht weit.

144

Wiessalla: Unter Tage. Mit einem Nachwort von Walter Schmähling. Stuttgart 1961 (Reclams U B , 8645); Nachdruck von: Die Front unter Tage (Anm. 118). Der 1967 in Stuttgart erschienene Verlagskatalog von Reclams UniversalBibliothek verzeichnet das Bändchen (S. 276), der 1984 ebendort veröffentlichte listet es nicht mehr auf. 14 5 Biographie nach: F: BArch (ehem. B D C ) , R K / R S K , Wiessalla, Josef, 1 5 . 1 2 . 1 8 9 8 ; Schmählmg: Nachwort (Anm. 144). 14,5 Werner Gröpler: Unter dem Gestirn des Krieges. In: D I R 9 (September 1942) 6, S.339. 166

Karl Rössing: Der Tod auf dem Schlachtfeld sitzend

Siebentes Kapitel Generationserfahrung Krieg

Kriegsbejahung und Kriegsverneinung A m Leitthema Krieg entzündete sich zwangsläufig die Bildphantasie, wie sich besonders eindrücklich an Illustrationen der Zeitschrift Das

Innere

Reich veranschaulichen läßt. Dabei bestimmte die politische Situationseinschätzung die graphische Aussagetendenz. Während Ernst von Dombrowski 1937 das Totengedenken für die im Ersten Weltkrieg Gefallenen mit einer Darstellung ihres kameradschaftlichen Opferganges beschwor, ließ Josua L. Gampp 1942/43 in einer Bildvignette junge Triebe aus dem stahlhelmgekrönten Grabkreuz eines Kriegstoten sprießen: 1 Verpflichtete das Opfer der Weltkriegsgeneration zur Opferbereitschaft der Nachgeborenen, sollte das frisch ausgetriebene Grün Hoffnung auf die Zukunft wecken, die aus den Gräbern der Gefallenen wächst. Der Kriegswirklichkeit näher kam Karl Rössing. Nach dem deutschen Einfall in die Sowjetunion veröffentlichte er 1941 einen Blitze schleudernden Reichsadler, dessen schwarzer Schlagschatten auf friedliches Land fällt; und 1934 ließ er den hier abgebildeten Holzschnitt Der Tod auf dem Schlachtfeld

sit-

zend abdrucken, der vor den Folgen des Krieges warnt, zu dem sich der (Frieden versprechende) Kriegstreiber Hitler rüstete. 1 Indem Rössing wie Sigmund Graff 1936 formulierte - den Tod als »Triumphator« des Krieges darstellte, der »den Sieger wie den Besiegten« schlägt und keineswegs »sinngebend für das Leben wird«, wie es der nationalsozialistische Opferkult zu suggerieren suchte,3 präludierte der Graphiker mit seinen Mitteln die einleitenden Sätze von Willy Peter Reeses (angeblich 1944 niedergeschriebenen) Russischen Abenteuern, 1

2

3

auf die noch zurück-

Ernst von Dombrowski: Holzschnitt. In: D I R 4 (August 1937) 5, S. 523. - Josua L. Gampp: Holzschnitt. Ebd. 9 (Dezember 1942/Januar 1943) 9/10, S.492. Karl Rössing: Holzstich. Ebd. 8 (August 1941) 5, S. 260. - Ders.: Der Tod auf dem Schlachtfeld sitzend. Holzschnitt. Ebd. 1 (September 1934) 6, S. 704. Sigmund Graff: Unvergeßhcher Krieg. Ein Buch vom deutschen Schicksal. Leipzig: Breitkopf & Härtel 1936. S. 146. - Norbert Langer: Dichtung der jungen Mannschaft. In: Europäische Revue 12 (1936), S. 606. - Bernt von Heiseler: Das Opfer. In: D I R 1 (Januar 1935) 10, S. 1289-1292.

169

z u k o m m e n ist: »Der T o d [...] nahm die Maske v o n seinem Antlitz, nackt grinste sein Knochengesicht. Wahnsinn und Schmerzen meißelten um seine Züge.«, heißt es dort. 4 Bestimmt v o m Vernichtungskrieg an der O s t front, unterscheidet sich Reeses Bildvorstellung grundsätzlich v o n der Kriegsverherrlichung, mit der die Kriegsbefürworter seit dem verlorenen Ersten Weltkrieg das Kriegsgeschehen zu rechtfertigen suchten. V o n Kurt Ziesel 1940 »in seiner Naturnotwendigkeit im Daseinskampf der Welt« als »wahrer Vater der Dinge« bejaht, wurde der Krieg als heroischer Opfergang für Frau und Kind, Sippe und V o l k , Heimat und Vaterland, Nation und Reich beschrieben, zu dem sich jede Generation bereithalten und bereit finden müsse. 5 Diese Einsatzbereitschaft zu bewahren, galt als Vermächtnis des Ersten Weltkriegs: »Wir kommen alle v o m Kriege her«, versicherte Werner Beumelburg 1933; v o m Versailler Friedensdiktat bedingt, dauere der Krieg immer noch an, behauptete Karl Rauch 1934; das O p f e r des »ewigen Soldaten« bilde »das Fundament des neuen Deutschlands«, betonte Bruno E. Werner 1933; im »soldatischen Menschen hat der Deutsche z u sich heimgefunden«, wußte Werner Picht 1940.6 N a c h Kriegsbeginn 1939, zu dem sich »zwei Generationen [...]: die Jugend und die Väter« die »Hand« reichten, wurden »dem großen deutschen A u f b r u c h « zum

»großen deutschen Freiheitskriege«

konkrete

Propagandaziele gesetzt: 7 gegen die »Urheber« und den »Geist v o n Versailles«, gegen »Plutokratien« und »Bolschewismus«; 8 für den »Neuaufbau des im Innern veralteten und zerfallenen Europa durch das jugendstarke Großdeutsche Reich«, für den Sieg der nationalsozialistischen 4

W i l l y Peter Reese: Russische Abenteuer. Ein Bekenntnis aus dem großen Kriege. Veröffentlicht unter dem Titel: Mir selber seltsam fremd. D i e U n m e n s c h lichkeit des Krieges. Russland 1941-44. Hrsg. v o n Stefan Schmitz. 2. A u f l . O . O . (München) 2003. S. 23.

s

Kurt Ziesel (O): V o m schöpferischen Krieg. In: K r i e g und Dichtung. Soldaten w e r d e n Dichter - Dichter w e r d e n Soldaten. Ein V o l k s b u c h . Wien, Leipzig: A d o l f Luser 1940. S. 464. - G r a f f ( A n m . 3). S. 100.

6

Werner Beumelburg: W i r k o m m e n alle v o m Kriege her. In: Ziesel: Krieg ( A n m . 5). S. 48. - Karl Rauch: Z w a n z i g Jahre K r i e g 1914-1934. In: D a s deutsche W o r t (Die literarische Welt - N e u e Folge) 10 (3. 8.1934) 32, S. 2f. - B . E . W , (d.i. B r u n o E. Werner): D a s D r a m a im neuen Deutschland. In: die neue linie 4 (Juni 1933) 10, S. 13. - Werner Picht: D e r soldatische Mensch. In: D i e neue R u n d schau 51 (1940), S. 374.

7

Ziesel: V o m schöpferischen Krieg ( A n m . 5). S.466. - Lyrikpreis der D a m e 1941: D a s Urteil der Preisrichter. In: D i e D a m e 68 (1941) 23, S. 8. — Lyrikpreis der D a m e 1940: Ausschreibung. Ebd. 67 (1940) 14, S. 6.

8

Hans Heinrich Schaeder: Deutsche Wirklichkeit. In: D i e neue Rundschau 50 (1939) II, S. 317. - Ulrich Sander: D a s natürliche Grundgesetz als Lehre des Krieges. In: Ziesel: Krieg ( A n m . 5). S. 324. - Eberhard T e r - N e d d e n zu: G e r d Gaiser: Reiter am H i m m e l . In: D i e N e u e Literatur 42 (1941), S. 227.

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Weltanschauung im »Entscheidungskampf zwischen Adolf Hitlers Werk >Mein Kampf< und des Juden Marx-Mardochai zerstörendem Elaborat >Das Kapital·«. 9 Wie sich mit dieser zuletzt zitierten ungenießbaren Kostprobe aus der literarischen Giftküche des Ministerialdirektors Hans Hinkel andeutet, wurde die Literatur »in die geistige Kriegführung eingeordnet«: 10 Dichter seien »kriegswichtig«, unterstrich Hans Egon Holthusen 1941; »Die Schreibmaschine ist eine wichtige Waffe politischer Bewegungen.«, erklärte Hans Baumann im gleichen Jahre; die Schärfung der Literatur zur geistigen Waffe forderte Hanns Johst 1940; »Geist ist Tat« und »Kunst ist Dienst«, bestimmte Hans Künkel 1940. 1 1 Gegen solche literarische Aufrüstung und Mobilmachung erhoben sich freilich auch verhaltene, aber deutliche Stimmen. Josef Pieper hatte bereits 1935/36 im Anschluß an Gertrud von Le Fort vor Kriegskatastrophen gewarnt, die keineswegs »>im blitzhaften Glanz transzendenter Engelgewitterganzen Größelosigkeit erbärmlichen Vernichtens und VernichtetwerdensHorst-Wessel-Lied< die Nationalhymne des Dritten Reiches bildete). 24 Beschönigendem Hurra-Patriotismus abhold, verwendete Georg von der Vring 1939 fröhliche dreihebige Jamben, um die Kriegserwartungen eines M.G.-Schützen

auf die niederdrückende Formel zu bringen:

»Ich fresse meine Grütze / Und sterbe wie ein Floh.« 2S Und Wilhelm Lehmann beschwor 1941 Natur und inneren Gesang, die dauern, während das Tuten der Signale nach dem Abschuß von Torpedos verhallt und »Granaten und Schrapnells verzischen«. 26 Mit solchen abgewogenen lyrischen Äußerungen der weltkriegserfahrenen älteren Generation, die den Krieg würdigte, ohne ihm zu huldigen, mußten sich die jüngeren Dichter messen. In konventionellen Bahnen verharrend, vermochte Bodo Schütt als Kriegsdichter seinem

Anruf·.

»Keiner durchschreite die Glut / ohne Verwandlung!« zwar nicht gerecht 23

24

25

16

Friedrich Georg Jünger: Widerspruch. In: Der Taurus. Gedichte. Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt 1937. S.97. - Ders.: Der Krieg. In: Gedichte. Berlin: Widerstands-Verlag 1935. S. 42. - Ders.: Der Mohn. Ebd. S. 60-63. Georg Britting: Die freiwilligen Knaben. In: D I R 6 (Oktober 1939) 7, S. 742f.; dazu: Marbacher Magazin 26 (1983), S. 44 und 46. Georg von der Vring: Der M.G.-Schütze. [M.G.: Maschinen-Gewehr]. In: Dumpfe Trommel, schlag an! Soldatenlieder. Hamburg: H. Goverts 1939.

S.17. Wilhelm Lehmann: Signale (1941). In: Gesammelte Werke. Bd. 1. Sämtliche Gedichte. Hrsg. von Hans Dieter Schäfer. Stuttgart 1982. S. n 6 f .

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zu werden;2? anderen Generationsgefährten hat das Kriegserlebnis aber geholfen, diese Mahnung ästhetisch zu beherzigen. Dem heroischen Stoizismus Friedrich Georg Jüngers scheinen die folgenden Autoren mit exemplarischen Gedichten eigene Töne abgewonnen zu haben: -

Franz Fühmann mit den gereimten Langversen seines Griechischen Auszugs (1942), der Niederlage und Schiffbruch eines tapferen, von den Göttern verlassenen hellenischen Heeres mit klaglosem Lakonismus beschreibt;28 - Hans Gstettner mit den ungereimten Alexandrinern seines Zuges der Krieger (1944), die bei ihrem Marsch durch das tempellose Land in den gewaltsamen Tod der modernen Materialschlacht nicht mehr mit der Gnade der vertriebenen, mißachteten und verleugneten Götter rechnen können; 2 ' - Gerd Gaiser mit den freien Rhythmen seiner Ausfahrt (1941) der Kriegsgeneration, die pflichtgetreu zu den Helmen greift und ihr Leben für die (zu gleichem Opfer im permanenten Selbstbehauptungskrieg bestimmten) Nachgeborenen in die Schanze schlägt.30 Doch um solchem heroischen Stoizismus die letzte Steigerungspointe abzugewinnen, ließ Gaiser in dem (ebenfalls in freien Rhythmen geschriebenen) Gedicht Die unerbittliche Wahl (1943) 31 einen einsamen Funker Verfängliches fragen, womit sich unversehens Wahrheit in die pathetische Rede einschleicht: Der Funker findet zwar die gebotene Antwort, indem er sein deutsches Soldatenschicksal als verpflichtendes Vermächtnis der Gefallenen in freier Wahl annimmt und schultert; doch zuvor hat er die richtigen Fragen gestellt: warum »wir immer aufbrechen, immer / Im Felde liegen« und »Allen Schlachten stehen« müssen (562), warum wir uns »ins Maßlose« treiben, »die Angeln der Welt« aufbürden und zum Bestehen des »Unerhörten« aneifern lassen (561), warum wir »nichts sein« sollen »oder alles, der Welt / Adel oder die Räude der

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28

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30

31

Bodo Schütt: Anruf. In: Gestirn des Krieges. Gedichte. Jena: Eugen Diederichs 1941. S. 42. Franz Fühmann: Griechischer Auszug. In: Das Gedicht 8 (Februar 1942) 5, S.nf. Hans Gstettner: Zug der Krieger. In: Die Getrennten. Gedichte. Berlin: Suhrkamp 1944. S. 14. Gerd Gaiser: Ausfahrt. In: Reiter am Himmel. Gedichte. München: Albert Langen/Georg Müller 1941. S. 52-54. Gaiser: Die unerbittliche Wahl. In: D I R 9 (Februar/März 1943) 1 1 / 1 2 , S. j 6 i f . Zu Gaisers politischem Standpunkt: B A r c h (ehem. B D C ) , R K / R S K , Gaiser, Gerd (Gerhard), 15.9.1908. r

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Welt« (562). Vertreibt solche Zweifel bei dem überzeugten Nationalsozialisten Gaiser die »Zuversicht« (562), vermögen andere dichtende Frontsoldaten ihr verstörendes Unbehagen trotz allen proklamierten Durchhaltewillens nicht zu unterdrücken. Das dokumentieren ihre Gedichte bereits in den einfachen, Pathos abrüstenden Formen, für die Britting und von der Vring die Vorbilder geliefert haben mochten. So vermitteln volksliedhafte Strophen von Karl Fromm den Schrecken der Witterung und des angreifenden Gegners an der Ostfront: Die Helme müssen fester geschnallt werden, wenn unter »dunklen Wolken« bei »eisigem Wind« der »Hades« die »Hunde« losläßt. 32 So genügen Hermann Eduard Lenz und Gerhard Hensel ebenso unprätentiöse Verse, um angesichts der offenen »Wunden« der »Totenerde« das »Herz vor dem Grauen« zu bergen. 33 Und so stellen simple vierhebige Paarreime von Günter Werner »das arme Ding« einer »Pusteblume« über »Schlacht und Schlägerei«. 34 A m konzentriertesten aber faßte Hannes Bobrowski im März 1944 seine Bestürzung über den Krieg in acht (mit einer Ausnahme ungereimten) kurzen Gedichten zusammen: Durch »Gesetz und Auftrag« an die Ostfront verbracht, muß das lyrische Ich sein Herz festhalten, um den »in der Zerstörung« bereiteten »Frieden« zu erkennen und zu benennen. 35

Ein Fallbeispiel: Werner Siegel Was sich bis hierhin im Querschnitt angedeutet hat, soll nunmehr mit einer Fallbeschreibung eines bedeutenden Vertreters der /verlorenen Generation abgerundet werden, zu der zwei Parallelfälle von Schicksalsgefährten als Kontrastbeispiele hinführen sollen. Dabei offenbart sich die Ähnlichkeit der Persönlichkeitsprofile der beiden Letztgenannten. Der nach Osterreich ausgewanderte Egerländer Ernst Egermann, geboren am 2 5 . 1 . 1 9 1 0 in Buchers bei Kaplitz im (1918 an die Tschechoslowakei gefallenen) Böhmerwald, und der Westfale Martin Simon, geboren am 5.9.1909 in Barmen, waren beide als Lehrer und Dichter glühende 32

33

34 35

Karl Fromm: Es dunkelt. In: Die junge Front. Gedichte junger Soldaten. Hrsg. von Georg von der Vring. 1 1 . - 2 0 . T. München: R. Piper 1943. S. 23. - Ders.: Sie kommen! Ebd. S. 18. Hermann Eduard (später: Hermann) Lenz: Russischer Herbst. Ebd. S. 50. Gerhard Hensel: Bruder, bist du's? Ebd. S. 2 j f . Günter Werner: Die Pusteblume. Ebd. S. 86. Hannes (später: Johannes) Bobrowski: Wind. In: D I R 10 (März 1944) 4, S. 3 52. Ders.: Pleskau. Ebd. S. 351. - Ders.: Anruf. Ebd. S. 353.

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Gefolgsleute ihres Führers, der sie zu den Waffen rief und an die Ostfront schickte, w o der eine am 2 7 . 9 . 1 9 4 2 vor Stalingrad und der andere am 3 1 . 8 . 1942 bei Rschew gefallen ist. Z u m lyrischen Vortrag ihrer Gesinnung bevorzugten sie kurzzeilige freie Rhythmen, Reimsprüche oder Volksliedstrophen. »Gläubige« des »Bunds«, den Hitler gestiftet hatte, verherrlichten sie seinen (im N a m e n von V o l k und Land ausgesprochenen) »Befehl«, dem sie fraglos gehorchten. 36 Egermann, der 1934 als »Auslandsdeutscher« im »großen Heer« aller deutschen »Brüder« stehen wollte, fand sich 1942 als Kompanieführer der Sechsten Armee zur »Bewährung des Herzens [...] oder der Gesinnung« in der »Wildnis von Stein und Feuer« des »brennenden Stalingrad« und löste dort das Versprechen eines seiner Spruchgedichte von 1941 ein, mit dem eigenen Blutzoll das vergossene Blut der vor ihm Gefallenen zu vergelten. 37 Simon, auf Geheiß des »großen Täters« Hitler »zum Leben« und »zum Sterben« für die »Mutter« Deutschland bereit, ging 1942 nach kurzem Heimaturlaub »stumm ins Graun zurück«, um mit seinen Kameraden »im Gnadenlosen / russischen Eises« die deutsche Heimat zu decken mit den »Leibern«. 38 Egermann und Simon wirken aus gegenwärtiger Sicht unglaubwürdig, weil sie platte nationalsozialistische Argumentationsklischees in hochgestelzter lyrischer Sprache verbreiteten, und dürfen doch Glaubwürdigkeit beanspruchen, weil sie ihren (heute nicht mehr vermittelbaren) Glauben lebten und f ü r ihre (heute nicht mehr nachvollziehbaren) politischen Uberzeugungen mit ihrer Existenz einstanden. Ohne die weltanschauliche Glaubensgewißheit der beiden Autoren zu teilen und anders disponiert, erbrachte auch WERNER SIEGEL diesen Nachweis mit seinen Ostf r o n t · Gedichten, die solcher Beglaubigung aufgrund ihrer politischen Eigenwilligkeit und ihrer poetischen Eigenständigkeit nicht bedürfen, wie die folgende Fallbeschreibung zeigen soll. O b w o h l nur ein einziges nachweisbares Gedicht von Siegel zu seinen Lebzeiten im Mai 1942 gedruckt worden ist, zwölf weitere im Januar 1943 postum erschienen sind und sich nicht mehr erhalten hat, war ihr Verfasser nicht unentdeckt geblieben, wie Briefe im S. Fischer-Bestand des Deut36

37

38

Ernst Egermann (Ö): Der Führer. Ebd. 1 (August 1934) 5, S. 642. - Martin Simon: Der Befehl. Ebd. 7 (Juni 1940) 3, S. 120. Egermann: Der Auslandsdeutsche. Ebd. 1 (August 1934) 5, S. 641. - Ders.: Aus einem Kriegstagebuch. Tagebuch-Notizen vom 19.8. und 23.9.1942. Ebd. 10 (Dezember 1943) 3, S. 207 und }o6i. - Ders.: Keiner sage nun: genug! Ebd. 7 (Januar 1941) 10, S. 572. Simon: Schicksalsland. Vier Gedichtsätze. In: Das Gedicht 6 (Mai 1940) 8, S. 13 und 1 1 . - Ders.: Urlaub. In: D I R 9 (Oktober/November 1942) 7/8, S. 357. Ders.: Heimat. Ebd. S. 359. r

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sehen Literaturarchivs in Marbach belegen.39 1943 wollte Georg von der Vring Siegels lyrisches Werk für den Münchner Piper-Verlag erwerben; doch er mußte enttäuscht feststellen, daß ihm Peter Suhrkamp 1942 zuvorgekommen war und plante, in seinem Verlag »einen sehr schönen Band von etwa 25 bis 30 Gedichten« zu veröffentlichen. Uber deren poetischen Wert waren sich beide einig. Georg von der Vring nannte Siegel »sehr gut«, hielt ihn für den »vielleicht besten Dichter dieser jungen Generation« und nahm fünf Gedichte von ihm in seine Anthologie Die junge Front (1943) auf, die »Verse« junger »Dichter-Soldaten« enthält.40 Peter Suhrkamp zeigte sich angetan von der Merkwürdigkeit der Siegeischen Lyrik mit ihrer einheitlichen, an Trakl erinnernden Bildlichkeit, fand die Texte »ganz ungewöhnlich« und hoffte, die Veröffentlichung des geplanten Gedichtbuchs gegen den Widerstand der nationalsozialistischen Kontrollinstanzen durchzusetzen, die Anstoß am Vorabdruck von acht Gedichten in der Januar-Ausgabe 1943 der Neuen Rundschau41 genommen hatten. Doch da sich Suhrkamps Publikationsplan zerschlug, die Lyriksammlung unveröffentlicht blieb und die Druckvorlage verloren gegangen ist, wurde nur überliefert, was in der Neuen Rundschau und ergänzend dazu im Mai-Heft 1942 und im Januar-Heft 1943 der neuen linie42 erschienen war (und in Auswahl in Georg von der Vrings erwähnter Anthologie wiederkehrte). Den Abdruck der zwölf Gedichte in den Januar-Ausgaben der beiden Zeitschriften begleiteten emphatische Kommentare. In der neuen linie meinte ein unbezeichneter Redakteur, hinter dem wohl der Herausgeber Bruno E. Werner zu suchen ist, daß Siegels Gedichte »zu jenen Versen zu gehören scheinen, aus denen spätere Geschlechter die dichterische Stimme des zweiten Weltkrieges vernehmen werden«.43 Und in der Neuen Rundschau versicherte der Nachrufverfasser Otto Karsten, daß Siegel als Lyriker zu einer eigenen literarischen Zeichensprache, »zugleich archaisch wie utopisch, jedenfalls kühn, groß und exklusiv«, gefunden und versprochen

39

40 41 42

43

Denkler: Nachlaß eines Verschollenen. Werner Siegels Gedichte. In: Jahrbuch der deutschen Schiller-Gesellschaft 46 (2002), S. 4 1 - 5 2 . - F: D L A , A: S. Fischer Verlag, Briefwechsel zwischen Georg von der Vring (2. und 1 1 . 4 . 1 9 4 3 ) und Peter Suhrkamp (6.4.1943), Hermann Kasack ( 1 5 . 4 . 1 9 4 3 ) ; dazu: Briefwechsel zwischen Otto Karsten (25.10., 1 7 . 1 1 . 1 9 4 2 ) und Suhrkamp ( 2 . 1 1 . 1 9 4 2 ) . Werner Siegel: 5 Gedichte. In: Die junge Front (Anm. 32). S. 70-75. Siegel: 8 Gedichte. In: Die neue Rundschau 54 (1943), S. 64-66. Siegel: 5 Gedichte. In: die neue linie 13 (Mai 1942) 9, S. 4 und 14 (Januar 1943) 5, S. 26. Soldaten dichten. Ebd. 14 (Januar 1943) 5, S. 26. 178

habe, »ein wahrhaft orphischer Sänger« des »Urkriegs« an der Ostfront zu werden. 44 Auch wenn dieses übersteigerte Pathos mittlerweile kontraproduktiv wirkt und eher gegen den Dichter zu sprechen scheint als für ihn einnimmt, zeugt es doch von einer Wertschätzung, der die besten der wenigen überlieferten Gedichte gerecht werden. Denn die Hermetik der düster-verfinsterten Bilder aus den Wortfeldern von Verfall, Verwesung und Tod, die sinnverweigernden dissonanten Abbräche ohne erhebende Botschaft und der stoisch-pessimistische Heroismus ohne hehres Ziel und glänzenden Lohn entfernten sich deutlich von der Masse der oben skizzierten aufrufend-befehlenden, bekennend-gelobenden nationalsozialistischen Kriegslyrik, wenngleich auch Siegels Texte nicht verkennen lassen, welcher dunklen Epoche und welchen trostlosen Umständen sie entstammen. Wohl sämtlich während des Rußlandfeldzuges verfaßt, vermitteln sie Ostfront-Erfahrungen in gereimten, aber häufig ungleichlangen und meistens unregelmäßig durchrhythmisierten Versen. 45 Unter dem »schwer versteinten // Blick des Gottes« (53) »drückt das Fleisch« (56) die Soldaten, denen das »Spiegelbild« fremd geworden ist »von den Tagen ohne eigne Wege« (53). »Wagen«, »eisern bereift«, warten auf sie (52) für den Vorstoß zu den »nackten Hügeln [...] unter dem Blitze« (58), w o der stählerne Speer »Blind nach dem Herzen [...] sticht« (54). Blutend und liebend, bleibt ihnen Brunnen und Frau versagt, dauern die Schlachten an, sind Lebensdrang und Todesdrohung »Nimmer zu beenden.« (56), stellt sich »bei zertretenen Feuern« die Frage: »Verlachen / Leise donnernd die Götter uns? Zerreibt // Uns das eigene Herz wie nasses Gras?« (58). Der durchschauten Sinnlosigkeit des Kriegsgeschehens entsprechend, sind die Strophen und Verse in erratisch-hermetische Einzelbilder zerfallen; dem beharrlichen Erkenntnisdrang des Autors unterworfen, haben sich diese Bildsegmente jedoch zu Leitmotivsequenzen verbunden, die von Text zu Text verfolgt und Gedichte überbrückend zusammengelesen und zusammengefaßt werden können: Was als Krieg »Nirgends beendigt.« (56) ist, findet sein nihilistisch-zynisches Ende im »klaglos« hingenommenen »Tod« (58,57). Diesem ist Siegel nicht entgangen. 44

45

Otto Karsten: Werner Siegel zum Gedächtnis. In: Die neue Rundschau (Anm. 41). S. 62-64. Zitiert nach dem Neudruck aller aufgefundenen Gedichte Siegels: Jahrbuch der deutschen Schiller-Gesellschaft (Anm. 39). S. 52-58; in der Reihenfolge der Zitate: Abendländisches Liebesgedicht (53), Nach einem Feldzuge (56), Frühherbstnacht im Felde (53), Im östlichen Morgen (52), Auf den Hügeln des Ostens (58), V o r den Gefechten (54), Nach einem Feldzuge (56), Auf den H ü geln des Ostens (58), Bitter rinnt ... (56), Manchmal versuchest du wohl (57). r

79

A m 1 6 . 2 . 1 9 1 4 in Markgröningen als Sohn eines Oberstudienrats geboren und dort sowie in Kirchheim unter Teck aufgewachsen, erwarb Werner Wolfgang Siegel an evangelischen Lehranstalten in Schöntal/Jagst und Urach die Hochschulreife. Er studierte Germanistik, Geschichte, Kunst- und Musikgeschichte sowie Zeitungswissenschaften in Tübingen, Königsberg und München; Promotionsvorhaben bei Paul Hankamer und später bei Hans Heinrich Borcherdt brach er ab; ohne Studienabschluß auf Gelegenheitsarbeiten angewiesen, volontierte er schließlich an einer Göppinger Kreiszeitung, die ihn als Schriftleiter übernahm. Im Sommer 1932 gehörte Siegel in Tübingen der »Roten Studentengruppe« an; Mitte der dreißiger Jahre bekam er politische Schwierigkeiten mit dem Stuttgarter Volksbildungswerk und der NS-Gemeinschaft >Kraft durch Freudeuntragbar< erklärten; im Mai 1937 trat er in die N S D A P (Mitgliedsnummer 4.808.828) ein, ohne erkennen zu lassen, ob er damit seine suspekt gewordene kommunistische Vergangenheit verdrängen, seine journalistischen Berufschancen verbessern oder einen fundamentalen Gesinnungswechsel bekunden wollte. Bei Kriegsausbruch zur Infanterie eingezogen, wurde Siegel seiner beruflichen Qualifikation entsprechend als Kriegsberichter in einer Propaganda-Kompanie eingesetzt. Er erwarb als Sonderführer den Rang eines Feldwebels und empfing »wegen Tapferkeit vor dem Feinde« das Eiserne Kreuz erster und zweiter Klasse sowie das Sturmabzeichen. Als Begleiter einer Panzereinheit ist Werner Siegel am 29.9.1942 südöstlich vom IImensee gefallen und bei Koslowo in der Nähe von Staraja-Russa begraben worden. 46 Sein literarisches Werk »sollte in späteren Zeiten nicht so unbekannt bleiben wie es sein Grab schon ist«, notierte Siegels Studienfreund Herbert Wiegandt am 18.4.1943 in seinem Tagebuch; 4 ? doch wie bei allen Angehörigen der ^verlorenen Generation< hat sich dieser Wunsch nicht erfüllt - zum Schaden der deutschen Literaturgeschichte, die von literarästhetisch-kulturpolitischen Leistungen profitieren würde, wie sie Siegels Gedichte erbracht haben: Seine lyrischen Texte stellten sich der Kriegsgegenwart, unterliefen deren ideologische Verklärung und überwanden beides mit den autonomen Mitteln künstlerischer Inspiration.

46

47

Nach: Denkler (Anm. 39); F: B A r c h (ehem. B D C ) , NSDAP-Zentralkartei; weitere Informationen von Günther und Dieter Siegel (Pfullingen) und Herbert Wiegandt (Stuttgart). Ich danke ihnen für ihre Hilfsbereitschaft. Herbert Wiegandt: Privatinformation; nicht in: Inselexistenz. Vorkrieg und Krieg 1935—1945. Weissenhorn 2002. 180

Epische Verherrlichung und Entzauberung des Zweiten Weltkriegs Solche literarischen Qualitäten sind nicht nur in der Lyrik, sondern auch in der Erzählliteratur des Dritten Reiches selten anzutreffen. Vieles liest sich als mehr oder weniger spannend aufbereitete Rechtfertigungsprosa. In Franz Turniers Aufzeichnung

(1944) hat ein in Rußland gefallener

Rittmeister im Krieg seine »Ordnung« gefunden, ohne sie über eigene Nachkommen weitergeben zu können. 48 In den 1937 veröffentlichten »Geschichten um den Krieg« von Kilian Koll, hinter dessen so benanntem Pseudonym sich der abgestürzte, gefangengenommene, entflohene, erneut eingerückte und im Mai 1945 vermißte Fliegeroffizier und Tendenzschriftsteller Walter Julius Bloem verbarg, treibt der Krieg deutsche Tugenden hervor, welche die märchenhafte »Anständigkeit unseres Volkes« beweisen. 49 In Curt Hohoffs 1942 vorgelegten »Erzählungen aus dem Kriege« stillt der Krieg den Durst »nach Ruhm, Ehre, Orden«, was - wie Erich Pfeiffer-Belli 1941 mit ironischer Anteilnahme beobachtete - die erotische Attraktivität der »Helden« stärkt. 50 Die daraus erwachsenden Triebgefahren bändigt der Krieg wiederum durch die Charakterschulung, die er gewährt und besonders in Treuekonflikten wirksam werden läßt: etwa mit Liebesverzicht aus Kameradschaftsgeist wie in Martin Raschkes Erzählung Der Pomeranzenzweig

(1940) oder mit dem ebenso großmüti-

gen wie tapferen entsagenden Opfergang in die vernichtende Schlacht wie in Gert von Klass' Roman Die Liebe des Leutnants Wartenstein (194ο).' 1 Und wenn ein Buch wie Rudolf Schneider-Scheldes Offenes

Fenster

(1944) dem sexuellen Lebenstrieb mehr Stärke zubilligt als der moralischen Verpflichtung zur Treue und »glückliche Tage« in Dreiecksbeziehungen beschreibt, dann mußte es verboten werden,' 2 weil der Frontsol48

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51

52

Franz Turnier: Aufzeichnung. In: Ländliche Erzählungen. Graz: Leykam 1944. S. 14. Kilian Koll (d.i. Walter Julius Bloem): Urlaub auf Ehrenwort. Geschichten um den Krieg. (1937). 21.-30. T. München o.J. (1938). S. 14. Curt Hohoff: Die Schwarzen. In: Der Hopfentreter. Erzählungen aus dem Kriege. Potsdam: Rütten & Loening 1942. S. 7 1 . - Erich Pfeiffer-Belli: Die Dame und der Soldat. In: Die Reise nach Chur. Zwölf Erzählungen. Frankfurt am Main: Societäts-Verlag 1941. S. 276. Martin Raschke: Der Pomeranzenzweig. Erzählung. Leipzig: Paul List 1940. — Gert von Klass: Die Liebe des Leutnants Wartenstein. Roman. Berlin: Propyläen 1940. Rudolf Schneider-Scheide: Offenes Fenster. Berlin: Wolfgang Krüger 1944. S. 198. Verbot nach: Württembergische Bibliotheksgesellschaft: Deutsche Bücher 1 9 3 3 - 1 9 4 5 . Eine kritische Auswahl. Stuttgart o.J. (1949). S. 1 1 3 . 181

dat sein Vertrauen in die weibliche Heimatfront nicht verlieren durfte. Denn laut Wolfgang Weyrauch hatten sich Soldatenkameradschaft und Liebestreue zu ergänzen, um das partnerschaftliche »Leben, das ja im Krieg ein zweigeteiltes ist«, 53 zusammenzuhalten und ihm die Kraft zur Erringung des Siegfriedens zu bescheren: Krieg - so war vielerorts zu lesen - schickt Männer wie Frauen in die Bewährung, die sie läutert, verwandelt und zu Größtem befähigt, was immer sich mit diesem Superlativ auch verbinden mochte. Auf ähnlichem Allgemeinheitsniveau konnte sich aber auch (in Rede und Handlung vorgetragene) Kriegskritik artikulieren. Wenn im Frieden mit der Todesstrafe bestraft wird, worum sich im Krieg »kein Mensch gekümmert hätte«, ist wie in Heimito von Doderers historischem Roman Ein Umweg (1940) 54 aufgewiesen, daß der Krieg Verbrechen legitimiert und als legitimiertes Verbrechen zu gelten hat. Daher verprügelt eine Mutter in Hans Georg Brenners historischer Erzählung Der

Hundertgul-

dentanz (1939) ihren vorwitzigen Sohn, der »Soldat werden will«. 55 Denn sie weiß wie der Stegreif-Erzähler Wilhelm Dieß, daß es im Krieg keine »Gerechtigkeit« gibt und man sich mit Tapferkeit den Tod holen kann, während allerlei Untugenden mit Beförderungen und Auszeichnungen belohnt werden und zum Beispiel der Generalsrang nicht vor wehrkraftzersetzenden Käsernenhofmarotten schützt. 56 Lehren aus der Geschichte tun ein übriges. Walter Bauer sinnierte 1940 auf dem antiken Schlachtfeld von Segesta über die Vergänglichkeit militärischer Siege, über die bald das Gras wächst. 57 Ernst Penzoldt fragte zur gleichen Zeit im Anschluß an eine Anekdote aus den Befreiungskriegen, »ob wir alle nicht zu wenig lieben für das kurze Leben« und dem Tod »zu viel Ehre antun«.58 Und August Scholtis beschrieb in zwei Erzählungen aus seinem Sehlesisehen Totentanz

(1938), wie der Erste Weltkrieg als Männervernichter und

Frauenverderber in den Familien gewütet hat.59 53

54

55

56

57 58

59

Wolfgang Weyrauch: Zwiegespräch. In: Das Liebespaar. Leipzig: Α. H. Payne 1943. S.93. Heimito von Doderer (O): Ein Umweg. Roman. München: C. H. Beck 1940. S.6. Hans Georg Brenner: Der Hundertguldentanz. Erzählung. Leipzig: Paul List 1939. S.40. Wilhelm Dieß: Stegreif-Geschichten. (1936). 7. Aufl. München: Ernst Heimeran o.J. S. 124, n j f . und 1 2 9 - 1 3 3 . Walter Bauer: Wanderer im Süden. Recklinghausen: Bitter o.J. (1940). S. 100. Ernst Penzoldt: Korporal Mombour. Eine Soldatenromanze. Berlin: S. Fischer 1941. S. 48. August Scholtis: Die Väter. In: Schlesischer Totentanz. Erzählungen. Leipzig: Schwarzhäupter-Verlag 1938. S. 39-46. - Ders.: Josephina. Ebd. S. 47-62. 182

Obwohl nur im »Manöver-Krieg« vor dem Ersten Weltkrieg spielend, wagte sich Horst Langes Ulanenpatrouille (1940)60 mit ihrer Kriegskritik besonders weit vor, so daß der Roman - nach Mitteilung des Verlegers Eugen Ciaassen - »es bei den offiziellen Stellen von Anfang an schwer gehabt« habe, weil man dort zu dem Schluß gekommen sei, die von ihm behandelten »Probleme« paßten nicht »in die heutige Zeit«.61 Der Argwohn, der sich hinter solchen Einwänden verbarg, unterstreicht jedoch nur, wie empfindlich der Nerv der deutschen Gegenwart von Langes historischem Roman getroffen wurde, was sich auch aus der bis Februar 1943 erreichten Auflagenhöhe von 29.200 Buchexemplaren ablesen läßt,62 deren weitere Steigerung nur durch staatliche Papierverweigerung unterbunden werden konnte. Das dargestellte »preußische Kriegsspiel« (79) im schlesischen Manövergelände nahm nämlich die Desillusionierung vorweg, die der ein Jahr später ausbrechende >Große Krieg< mit »unerbittlichem Ernst« (7) bewirken sollte: Als »ein unausdenkbares Abenteuer, die größte aller Leidenschaften« (16) herbeigesehnt, wird der Krieg »in einem gewaltigen Feuer« alle und alles überwältigen und umschmelzen (19), wie sich bereits unter Manöverbedingungen ankündigt. Ohne die kausalen Zusammenhänge zu durchschauen, tappt der junge Ulanen-Leutnant von G. in eine erotische Falle, aus der ihn nur der Ritt in einen elenden Tod rettet. Wie ein impotenter Drahtzieher den ahnungslosen Offizier erniedrigt, für ihn Nachwuchs zu zeugen, wird die militärische Führung im Hinterland die Befehlsempfänger an der Front mißbrauchen, für sie Schlachten zu schlagen, wobei das eine so blutig ausgeht wie das andere: An den Namen des einen Toten sollten sich schon bald viele andere reihen »wie eine große, traurige Litanei« (278), schließt das Buch. Einen Vorgeschmack davon vermittelt das geschilderte Manöver. Dem Leutnant kommt seine Reitertruppe wie eine »Kavalkade gespenstischer Toter« vor, »deren mürbe Knochen durch die schweren Mäntel und das straff gespannte Riemenzeug notdürftig zusammengehalten« werden (49) und so mißmutig, erschöpft, abgestumpft, schwerfällig, heruntergekommen, verbraucht, wie er seine Soldaten sieht, dürften sie sich auch gefühlt haben. Diesem Defätismus entsprechen die bösen Vorahnungen der Zivilisten. Denn sie müssen sich darauf einstellen, daß »das Militär [...] in allen Fällen ein Vorrecht gegenüber dem Zivilen zu beanspruchen« pflegt (80), 60 61

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Horst Lange: Ulanenpatrouille. Hamburg: H. Goverts 1940. Eugen Ciaassen: Briefe vom 18. 2. und 10. 3.1943 an Lange. F: D L A , A: Ciaassen Verlag, Lange. Ciaassen: Brief vom 1 8 . 2 . 1 9 4 3 (Anm. 61). 183

und wissen aus Erfahrung, daß die Soldaten »ihnen mit dem Krieg auch noch Raub und Notzucht ins Land« zu bringen drohen (78). Zu Kriegszeiten erschienen, beweist Langes Ulanenpatrouille die Charakterstärke des Autors, mit der er seinen 1937 wie 1942 geäußerten Vorsätzen treu blieb, sich den »berüchtigten Forderungen der Zeitverlorenen Generation< liefert. Aufgrund seines literarischen Ranges im bislang dargestellten Spektrum erzählender Kriegsliteratur nur mit Lange zu messen, entschied sich Karsten in seiner Auseinandersetzung mit dem Kriegsgeschehen für ein Darstellungsverfahren, das von Langes Eindeutigkeit abrückte: Sein Roman Hauptmann Thodde (194t)65 bemüht sich vielmehr um Ambivalenz, die den Lesenden die selbständige Beurteilung überläßt. Im siegreichen Polenfeldzug (1939) schwer verwundet, durchlebt der Titelheld im Fiebertraum sein verrinnendes Leben bis zum Tod, den er »auf eine zwiefältige Weise« erleidet (247), indem er auf dem Schlachtfeld zu fallen glaubt, während er im Lazarettbett stirbt. Diese Vergegenwärtigung des Vergangenen enthüllt den generationstypischen Lebenslauf des nationalistisch gesinnten Offiziers vom Ersten Weltkrieg über die Beteiligung an Freikorpskämpfen, den Rückzug in die Landwirtschaft, die Mitwirkung an Wehrübungen, die Meldung zum Kriegsdienst bis zum Fronteinsatz, der als »Marsch, Kampf, Rausch und Fall« (192) erfahren wird. Dementsprechend gestaltet sich Thoddes Kriegsbild : Kein »stumpfsinniges Chaos« und »nicht das blöde Toben eines bösen Prinzipes«, sondern »voll eigner Ordnung und hohen Sinns« (40), erneuere der Krieg »in jedem 63

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Lange: Brief v o m 7 . 1 . 1 9 3 7 und 2 . 2 . 1 9 4 2 an Ciaassen. Ebd. und in: B w Ciaassen. S. 292. Ciaassen: Brief v o m 10. 3.1943 (Anm. 61). Otto Karsten: Hauptmann Thodde. Roman. Hamburg: H . Goverts 1 9 4 1 .

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die verschüttete Beziehung zu den ewigen Urgesetzen alles Seins« (41), helfe er, »Ordnung, Sinn und Verstand« auch in den privaten »Erdenwandel« zu bringen (195) und private Intimverstrickungen zu lösen, wie sie zum Beispiel Thoddes Liebesglück bei einer (an Nebelthaus Titelheldin66 erinnernden) Schauspielerin heraufbeschwört, die sein Sohn begehrt. Muß sich Thodde stellvertretend für alle gleichgesinnten Männer sagen lassen, daß er »den Krieg, die Schlacht, das Blut« dürstend liebe, darf die erwähnte Schauspielerin stellvertretend für alle gleichempfindenden Frauen bekennen, wie sehr sie eben das fürchte und verabscheue (244). Wer auch immer auf weiblicher Seite das Wort ergreift, konfrontiert ihn mit der (ohne Namensnennung zitierten) Tucholsky-Sentenz »>Soldaten sind Mörderverlorenen Generation^ sollte sich diese Erwartung nicht erfüllen: Hauptmann Tbodde wurde nicht wieder aufgelegt und ist heute genauso vergessen wie sein Autor. Der verschollene Otto Hans Wilhelm Karsten war am 13.7 1904 in Magdeburg als Sohn eines Regierungsrechnungsrevisors geboren worden. Er besuchte dort das humanistische Gymnasium und studierte ohne Abschluß Germanistik, Geschichte, Theater- und Zeitungswissenschaft in Tübingen, München und Leipzig. 1926 begann er, als freier Mitarbeiter für Zeitungen und Zeitschriften zu schreiben. Seit 1929 verheiratet und 66

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Otto Nebelthau: Die Schauspielerin. Roman. Berlin: Rowohlt 1939; siehe Kapitel 4. Erbprinz Heinrich X L V . Reuss: Geistige Ernte 1942. In: die neue lmie 14 (Dezember 1942) 4, S. 29. Ciaassen: Brief vom 27. 8.1947 an Henry Goverts. F: D L A , A: Ciaassen, N e u zugang 1988. 185

seit 1937 verwitwet, wechselte der Vater einer Tochter häufig die Wohnorte: Von München über Berlin, Köln, Herrsching, München zog er 1940 in seine Vaterstadt Magdeburg zurück. Seinen literarischen Erstling, den oben vorgestellten Vagabundenroman Sommer, Hunger und Jobanna (1933), brachte der Nationalsozialismus aus ideologischen Gründen so nachhaltig und unversöhnlich um die Wirkung, daß der S. Fischer Verlag noch im Kriegsjahr 1942 trotz gewachsener Büchernachfrage von der Auslieferung der Restauflage absah.6' Neuhagen (1935), Karstens idealistische Reportage vom Freiwilligen Arbeitsdienst, wurde rasch durch die brutale Wirklichkeit überholt, die mit der Arbeitsdienstpflicht einher kam. Der Roman Die dunkle Fährte (1938) erschien nur in der Kölnischen Zeitung;70 materielle Not zwang zu journalistischer Anpassung; erst mit Hauptmann Thodde gelang der literarische Durchbruch. Sich selbst gegenüber der Reichsschrifttumskammer schönfärberisch deutschnationale Gesinnung bescheinigend, gehörte Karsten keiner nationalsozialistischen Organisation an. Er wurde nach Kriegsausbruch zum Wehrdienst eingezogen und zur Ostfront abkommandiert, wo er als Kriegsberichter im Rang eines Gefreiten neben Werner Siegel diente und Ende 1942 dessen Nachruf für die Neue Rundschau schrieb.71 Zwischen dem 20. und dem 30. 4.1945 ist Otto Karsten als Feldwebel in der verlustreichen Kesselschlacht von Halbe bei Märkisch Buchholz (Brandenburg) gefallen/ 2 Welch ein Verlust das war, haben W. E. Süskind, Henry Goverts und Eugen Ciaassen zwischen 1945 und 1947 noch gewußt.73

Vernichtungskrieg im Osten Von den binnendeutschen Kriegsbüchern, die in der ersten Kriegsphase entstanden sind und wie Karstens Hauptmann Thodde den raschen Sieg nach dem Muster des Blitzkrieges gegen Polen einkalkuliert haben, trennt 69

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Karsten: Brief vom 2 5 . 1 0 . 1 9 4 2 an Peter Suhrkamp und dessen Antwort vom 2 . 1 1 . 1 9 4 2 . F: D L A , A: S. Fischer Verlag. Karsten: Die dunkle Fährte. Roman. In: Kölnische Zeitung (1938), ab N r . 203. Vgl. Klaus-Dieter Oelze: Das Feuilleton der Kölnischen Zeitung im Dritten Reich. Frankfurt am Main 1990. S. 474. Karsten (Anm. 44). Nach: F: BArch (ehem. B D C ) , R K / R S K , Karsten, Otto, 1 3 . 7 . 1 9 0 4 ; Denkler (Anm. 39). S. 46. W. E. Süskind: Brief vom 6 . 1 1 . 1 9 4 5 an Ciaassen. In: B w Ciaassen. S.619. Goverts: Brief vom 2 3 . 1 2 . 1 9 4 6 an Ciaassen. F: D L A , A: Ciaassen, Neuzugang 1988. - Ciaassen: Brief vom 27. 8.1947 (Anm. 68). 186

die Ostfront-Literatur eine tiefe Zäsur. Geschrieben im Zuge des am 22.6.1941 beginnenden Uberfalls auf die Sowjetunion, mußte sie nach kurzer Euphorie über den schnellen Vormarsch bald auf Niederlagen reagieren, die der Widerstandswille der Verteidiger, die Ausdehnung des Landes, die Härte des Klimas den deutschen Eindringlingen zufügten. Wie schnell sich die Kluft zwischen überholter Westfront- und aktueller Ostfrontliteratur weitete, bezeugt ein Lektoratsgutachten von Hermann Kasack, der am 14.12.1942 eine Schilderung des 1939/40 stattgefundenen Stellungskrieges an der Saar von dem gefallenen Verlagsautor Görge Spervogel mit der Bemerkung ablehnte: »Es wirkt stofflich unendlich ferngerückt, erdrückt vom Ostfeldzug.«74 Was Kasack damit meinte, belegen zwei Buchpaare. In seinen Tagebuchblättern aus Frankreich (194t) 75 notierte Walter Bauer, daß ihn der alles verwandelnde Krieg lehre, »noch inniger des Hierseins bewußt zu werden, noch froher, noch tiefer zu atmen auf dieser Erde« (68): »ich bin Soldat, und ich sehe die Dinge um mich mit einer tiefen, schmerzlichen Freude.« (20). An dieser (bei aller Melancholie doch recht optimistischen) Sicht hielt Bauer auch in seinen Tagebuchblättern aus dem Osten (1944)76 fest; doch die »neue Weltergriffenheit« (85) erwächst nun aus der soldatischen Erfahrung »des apokalyptischen Sturmes« (115), der das Leben »auf der sehr schmalen Scheide zwischen Tod und Dasein entblößt« (129): Der »Härte«, der »Nähe des Dunklen« im »Osten« ausgesetzt (14), »lernten« wir »in die Abgründe sehen« (62), versichert der Text. Von ähnlichen Kontrasterlebnissen zehren zwei Reportage-Bände mit »Westeindrücken« und »Osteindrücken« von Guido K. Brand, der als Kriegsberichter der (Befestigungsanlagen, Nachschubstraßen und ähnliches >Kriegswichtiges< bauenden) Organisation Todt< (OT) reiste und schrieb. Aus dem »Osten« mit dem »Grauen eines asiatischen Winters« und der Drohung der »sowjetischen Gigantomanie« (9) nach Frankreich beordert, beschrieb er in Zwischen Domen und Bunkern (1944)77 sein Wohlbehagen als Besatzer im befriedeten Land, wo ihn die Versöhnung der »Natur mit der Technik« im Bunkerbau am >Atlantikwall< ästhetisch erfreute (jji.) und die zögerliche »Collaboration« der Franzosen mit dem nationalsozialistischen Deutschland politisch verstimmte (259). Vom Un74

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Hermann Kasack: Lektoratsgutachten vom 1 4 . 1 2 . 1 9 4 2 . F: D L A , A: Kasack, Verschiedenes, Lektoratsgutachten. Walter Bauer: Tagebuchblätter aus Frankreich. 6. Aufl. Dessau: Karl Rauch 1941. Bauer: Tagebuchblätter aus dem Osten. Dessau: Karl Rauch 1944. Guido K. Brand: Zwischen Domen und Bunkern. Westeindrücke eines O T Kriegsberichters. Amsterdam, Berlin, Prag, Wien: Volk und Reich 1944. 187

behagen des Eroberers in feindlicher Umwelt geprägt, sprechen dagegen aus Brands Ostfront-Buch Ein Winter ohne Gnade (1943)78 schwere Sorgen, die größerer Worte bedurften: Der »Dämonie« des »Ostens« (10), materialisiert in der »Grausamkeit der Erde« (68) und des »satanischen Bolschewismus« (25) mit seinem »teuflischen Regime« (50) und seiner haßerfüllt-bestialischen Vernichtungsstrategie (129; 25), müsse die deutsche Oberste Heeresleitung begegnen, indem sie »diese Dämonie« auf die »Bolschewisten« zurückschlagen lasse (67). Der (nach dem Verbot seiner 1933 vorgelegten Literaturgeschichte Werden und Wandlung zum radikalen Fürsprecher des Nationalsozialismus bekehrte) Brand setzte zwar voraus, daß sich im »gigantischen Kampf der Rassen und Weltanschauungen« die »sittlich germanischen Lebensformen« des nationalsozialistischen Deutschland gegen »westliche Demokratie« und »östlichasiatischen Bolschewismus« siegreich durchzusetzen vermöchten.79 Doch schon an der massiven Verstärkung der rhetorischen Schimpfkanonaden bei der Schilderung der »Osteindrücke« läßt sich ablesen, welchen Schrecken ihm der Winterkrieg in Rußland eingejagt hatte, obwohl er nur im Kraftwagen hinter den Frontlinien mit bewaffneter Eskorte herumgefahren worden war. Von »Grauen« und »Entsetzen« (225) über den Sowjetterror wie über die Feindlichkeit von Land und Leuten (179) berichten auch die »Tagebuchblätter« Die Kraniche der Nogaia (1942)80 von Josef Martin Bauer, der im Unterschied zu Brand bei der kämpfenden Truppe erlebte, was Feindberührung an der Ostfront bedeutete. Weil sich der Krieg dort »zu grausamer Härte« steigerte (181), konnte er folgern, was allgemein empfunden wurde: »So war der Krieg noch nie.« (184). Diese Erfahrung meinten manche Schriftsteller mit konventionellen literarischen Mitteln bewältigen zu können; doch andere begannen zu begreifen, daß die Verschärfung des Rußland-Feldzugs zum entfesselten Vernichtungskrieg die Radikalisierung der literarischen Vermittlungsformen und Darstellungsweisen verlangte, damit sich fassen ließ, was nicht zu fassen war. 1943 war Horst Mönnich mit dem Lyrikband Die Zwillingsfähre21 hervorgetreten, der Texte von ihm und seinem (kurz vor Kriegsbeginn bei

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Brand: Ein Winter ohne Gnade. Osteindrücke eines OT-Kriegsberichters. Prag, Amsterdam, Berlin, Wien: Volk und Reich 1943. Brand: Zwischen Domen (Anm. 77). S. 255 und 254. Josef Martin Bauer: Die Kraniche der Nogaia. Tagebuchblätter aus dem Feldzug im Osten. 31.—42. T. München: R. Piper 1942. Günther und Horst Mönnich: Die Zwillingsfähre. Gedichte. 8.-10. T. Wolfenbüttel, Berlin: Georg Kallmeyer 1943. 188

einem Truppenmanöver tödlich verunglückten) Zwillingsbruder Günther enthält: neben Gedichten mit traditioneller Natur-, Kindheits-, Heimatund Kriegsthematik vor allem Hitler-Jugend-Lyrik im Stil des Mentors Herybert Menzel, der in seinem Geleitwort den »Brudergesang« der beiden würdigte, die als »junge Soldaten und Dichter [...] rein und begnadet für ihr Deutschland kämpfen und singen« (7). Dem »heiligen Mut«, der »gläubigen Bereitschaft« der »Herzen«, dem »unbändigen« Stolz auf den »Führer« und damit dem »Sturmschritt« der Generation der Hitler-Jugend (zif.) blieb auch Horst Mönnichs »Tagebuch« Russischer Sommer (1944) 82 verpflichtet, wenngleich der Verfasser einräumen mußte, daß die drakonische Strafaktion und der mitleidlose Vernichtungsfeldzug gegen den mörderischen Bolschewismus (3 of.; 109) an »Furchtbarkeit« weitaus übertreffen (32), was Wehrübungen und Wehrertüchtigungsprogramme ahnen ließen. Mönnichs »Heldenchronik« (29) vom »Heldengang« ( i n ) der deutschen Jugend in Sowjetrußland litt allerdings an einem unvorhergesehenen Geburtsfehler, der ihre Glaubwürdigkeit beeinträchtigt und die Verbreitung der Auflage von 5.000 Buchexemplaren behindert haben dürfte. Sie schildert nämlich aus der Froschperspektive des (als kradfahrender Zugführer bei der Artillerie eingesetzten) Autors den siegreichen Vormarsch der deutschen Truppen vom Empfang des Angriffsbefehls aus dem Führerhauptquartier am 22.6. 1941 bis zur Eroberung von Smolensk im Juli/August des gleichen Jahres, ist aber erst im Mai 1944 erschienen, als die deutschen Eroberer längst in die Defensive gedrängt worden waren und sich auf dem Rückzug befanden. In Anbetracht der völlig veränderten Kriegslage mußte daher die vom »Kriegsglück« (99) beflügelte, unablässig bekundete Siegeszuversicht hohl klingen, mußten die gehässigen Ausfälle gegen bolschewistische Unmenschen (59f.) und »das Volk Israels« (233) Furcht vor Vergeltung einflößen, mußten die Beschwörungen des Durchhaltewillens (215) und der Verteidigungsbereitschaft in unverbrüchlicher Treue zur Fahne (223) einschüchternd und beängstigend wirken. A m überzeugendsten war Mönnich immer dort, w o ihm der Krieg die propagandistisch-agitatorische Sprache verschlug und er sich einzugestehen hatte, den unbeschreiblichen nicht beschreiben zu können (37, 192, 197). Die gleiche Unfähigkeit bewies der Leutnant und Zugführer Wolfdietrich Kopelke in seinem Parallelbuch Das Jahr

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im Osten (1943), 83 das

Horst Mönnich: Russischer Sommer. Tagebuch eines jungen Soldaten. Riga: Aufbau-Verlag 1944. Wolfdietrich Kopelke: Das Jahr im Osten. Berlin: Suhrkamp 1943. 189

ebenfalls mit dem Angriffsbefehl des Führers einsetzt und den Winterfeldzug 1941/42 mit einbezieht. In der Tendenz stimmte Kopelke mit Mönnich überein, auch wenn er dessen jugendliche Begeisterung durch männliche Schicksalsbejahung ersetzte: Weil »er zum Leben gehört« (63), wird der Krieg als Notwendigkeit erfahren und als Lebensbereicherung lustvoll genossen; da es scheint, »als stünden alle Mächte der Unterwelt gegen uns auf« (56), verbietet sich »Ritterlichkeit«, zumal in Sowjetrußland der »Begriff des Ritters« unbekannt sei (28); »die Vernichtung des feindlichen Elements ist eine taktische Frage, keine moralische« (50) und schließt daher das »Gefühl des Mitleides« (69) aus. Diese nationalsozialistische Glaubensgewißheit und Handlungsermächtigung müssen sich allerdings damit abfinden, daß im Krieg »kein Mensch« absehen kann, »was kommen wird« (7), eine Einsicht, die der Verfasser am eigenen Leibe zu spüren bekam. Denn die Ironie der Geschichte spielte Kopelke einen bösen Streich. Hatten die deutschen Anfangserfolge ihn zu der Voraussage verleitet, daß die Deutschen nach dem Endsieg in Rußland bleiben würden (83f.), bewahrheitete sich diese Absichtserklärung für ihn durch die deutsche Niederlage: Kopelke wurde als Kriegsgefangener in der Sowjetunion festgehalten (und hat nach seiner Entlassung auch dazu ein - freilich kleinlauter ausgefallenes - Buch veröffentlicht). 84 Die beschränkte Einsicht in das weiträumig-weitläufige Kriegsgeschehen, mit der sich die Zugführer Mönnich und Kopelke bei aller ideologischen Richtungsgewißheit abfinden mußten, wollte Artur Müller nicht teilen: Er begleitete lieber einen General und verbreitete 1942, was dieser von höherer Warte an Wegweisendem und Sinndeutendem zu sagen wußte. 85 Doch offenbar hatte der Befehlshaber dieselben Propagandareden gehört und dieselben Agitationsschriften gelesen wie die Befehlsempfänger. Denn die »Worte des Generals« (59) laufen darauf hinaus, daß der Krieg »gegen den Bolschewismus und seine hemmungslosen asiatischen Horden« (58) auf den »Schlachtfeldern Rußlands« (5) als Selbstbehauptungskampf »Europas gegen Asien« (51) notwendig sei und zur Wiederherstellung des »Friedens [...] auf der Welt« (23) geführt werden müsse: Der »Waffensieg« (17) solle in »Aufbau, Ordnung, Gerechtigkeit, Gesetz« (60) als Gemeinschaftswerk des - in dieser Reihenfolge aufgezählten Bauern, Arbeiters, Technikers, Fliegers, Wirtschaftlers, Dichters, Baumeisters, Gelehrten, Bildners und Politikers (6of.) übergeleitet werden. Trotz

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Kopelke (Hrsg.): Zeugnisse einer Gefangenschaft. Ein Beitrag zur deutschen Kriegsgefangenengeschichte. Bad Godesberg: Verlag Der Heimkehrer 1962. Artur Müller: Ich begleite einen General. Dresden: Wilhelm Heyne 1942.

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dieser selbstsicher vorgetragenen Zielprojektion bleibt jedoch Unbehagen angesichts des »Ungewissen«, des »schier Unendlichen« (57) der kriegerisch-kolonialistischen Kraftanstrengung zurück, zumal der General es nur mit Phrasen und Schlagwörtern zu beschwichtigen weiß: Ob der (von 1930 bis 1933 als KPD-Funktionär aktive) Autor eigene Zweifel anklingen lassen wollte oder ob sie sich unversehens einschlichen und unabweisbar artikulierten, läßt der Text offen. Retteten sich Mönnich, Kopelke und Müllers General vor dem Grauen des Vernichtungskrieges in die »großen Worte« (117), verschmähte sie der verwundete Soldat Kerstan in Siegfried Wolfs Lazarettroman Flammen und Lichter (1941), 86 um statt dessen in sich hinein »nach Bildern zu schauen« (104) und den Schrecken der Schlachten zu ästhetisieren: Geschosse verlieren zwar nicht ihre mörderische Kraft, wenn sie zu »Feuertropfen« zerspritzen oder die Erde zu einer »dunklen Blume« aufblühen lassen (nf.); ihr Bedrohungspotential wird jedoch durch die Schönheit des Zerstörerischen verklärt und abgefangen. Dieses Rezept übernahm Günter Böhmer in Pan am Fenster (1943)87 für die poetische Bewältigung seiner Ostfronterfahrungen. Bestürzt von der »Barbarenwut des Gegners« (27) in der »von Krieg und Mord überwehten Landschaft« (8), kompensieren Böhmers »Erzählungen aus dem Osten« das (durch entmenschte Horden bewirkte) »Ungemach« (18), indem sie das Unerträgliche durch schöne Bilder erträglich machen und wie Obstesser verfahren, von denen es heißt, daß sie die bitteren Kerne der Früchte ausspeien und »nur das schöne, süße Fleisch« zu sich nehmen (33). Dementsprechend werden die »Unterschlupfe« der »Roten« mit »Wespennestern« verglichen, welche die deutschen Angreifer »mit der ruhigen Geste eines Bienenvaters« ausheben, der die »blindlings um sich« stechenden Insekten gelassen abwehrt (20-22); demgemäß erholt sich der Erzähler von »Gewalt und Tod« (80) gern mit Friedensillusionen schürenden »Genrestücklein« (31): Treuherzige Vergleiche und versöhnliche Anekdoten sollen helfen, das Verstörende des soldatischen Alltags an der Ostfront abzumildern. Ob dieses Verfahren der Selbsttherapie des Autors dienen, die Leserschaft beruhigen oder beides bewirken wollte, läßt sich nicht klären; ob es erfolgreich gewesen ist, darf bezweifelt werden. Daher verwundert es nicht, daß sich einige andere Autoren anschickten, rhetorische Vernebelung und ästhetische Verbrämung durch Klartext 86

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Siegfried Wolf: Flammen und Lichter. Aus den Aufzeichnungen des Soldaten Kerstan. Stuttgart, Berlin: Rowohlt 1941. Günter Böhmer: Pan am Fenster. Erzählungen aus dem Osten. Berlin: Suhrkamp 1943. 191

zu ersetzen. Wie weit sie dabei gekommen sind, zeigen die folgenden drei Fallbeschreibungen, mit denen abgerundet werden soll, was mit Werner Siegel begann und mit Otto Karsten fortgesetzt wurde.

Drei Fallbeispiele: Kleo Pleyer, Martin Raschke und H . G . Rexroth i) Zu Kontrastzwecken sei zunächst ein auflagenstarkes Buch herangezogen, das 1943 mit dem >Volkspreis der deutschen Gemeinden und Gemeindeverbände< ausgezeichnet und von den Reichsleitern Alfred Rosenberg und Philipp Bouhler ausersehen wurde, Adolf Hitler zum 55. Geburtstag verehrt zu werden: Volk im Feld (1943) von KLEO PLEYER.88 Binnen kurzem das (hier zugrundegelegte) 62. Tausend erreichend, will die (allem Anschein nach mehr verteilte als verkaufte) Druckschrift von einem »neuen Kapitel deutscher Literaturgeschichte« zeugen, in dem der Krieg »Wort und Tat wieder in eins« setze (5). Als so verstandenes »Schrifttum der Tat« überschreitet das Buch die Gattungsgrenzen der darstellenden und erörternden Prosa und vereinigt »die Erzählung des Kriegstagebuches mit Betrachtungen über Krieg, großdeutsches Kriegertum und Sinn des Krieges« (5). Obwohl der Verfasser zwischen den »Feldzügen« im »Westen« und im »Osten« unterschieden hat, indem er sie als Kriege zwischen Nationen bzw. Weltanschauungen und Rassen beschrieb, arbeitete er zugleich das Verbindende heraus, das sich in der ideologisch begründeten, vom »Gedanken des Reiches«, von der »Idee einer neuen Weltordnung« und vom »Inbild eines neuen Lebens« (49) beherrschten nationalsozialistischen Aggressions- und Vernichtungsstrategie äußert. Sie ohne beschönigende Umschreibung und irgendwelche humanitären Skrupel bloßgelegt zu haben, macht den Quellenwert dieser fanatischen Erlebnis- und Bekenntnisschrift aus, die unverhohlen ausspricht, was nach Kriegsende gern verdrängt und verschwiegen worden ist. Zusammenfassend wird der begeistert begrüßte, glühend bejahte und ergriffen gefeierte Zweite Weltkrieg als »Freiheitskrieg des Großdeutschen Reiches«, »Entscheidungskampf gegen das Weltjudentum«, »Hauptkampf gegen den Kapitalismus und den Bolschewismus« ausgewiesen (243), den Deutschland um die Führerschaft in Europa (und damit in der Welt), um den Gewinn neuen Lebensraums und um die globale Durch88

Kleo Pleyer: Volk im Feld. 62. T. Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt 1943. Hanna Leitgeb: Der ausgezeichnete Autor. Städtische Literaturpreise und Kulturpolitik m Deutschland 1926—1971. Berlin, N e w Y o r k 1994. S. 227t.

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Setzung der nationalsozialistischen »Ordnungsidee« (235) führe. »Politik mit allen Mitteln« (29), Kampf um »Sein oder Nichtsein« (32) und daher grundsätzlich die »physische Vernichtung« des Gegners bezweckend (194), werde dieser Krieg um alles oder nichts mit besonderer »Leidenschaft und Erbitterung« auf dem östlichen Kriegsschauplatz ausgetragen (194); denn da dort »arische Weltrevolution gegen jüdisch-bolschewistische Weltrevolution« stehe, wisse »jeder der beiden kämpfenden Teile«, »daß er entweder den anderen austilgen muß oder selber ausgetilgt wird« (194). Die »größte Ostlandfahrt des deutschen Volkes« (150), das aus seiner rassischen, sittlichen und kulturellen Überlegenheit die Kraft zum Sieg beziehe, steigere sich daher zum »Weltgericht« (143) über das jüdisch-bolschewistische »Gegenreich« (150) des »roten Rußland« (143): Zum »Urkampf mit Halbtieren und Wilden« angetreten (198), die »durch fanatische Kommissare, durch eine haßtriefende Judenschaft« vorgepeitscht würden (194), habe der Krieg gegen das Böse, Chaotische, Zerstörerische (180) des bolschewistischen Untermenschentums (168) »den deutschen Soldaten hart gemacht, noch härter als er schon war, so hart, daß er den härtesten Widersacher zusammenhauen wird« (198). Wie dem »bolschewistischen Ungeheuer« die »Beine zerbrochen«, wie seine »Gurgel zusammengepreßt« und wie der »Hauptstoß gegen sein Herz geführt« werden (193), wußte der Autor detailliert zu erzählen, wobei sich seine militärisch gedrängte, lakonisch-apodiktische Sprache zunehmend brutalisierte und Unwörter wie >umlegen< oder >niederknallen< keineswegs scheute. Pleyer leugnete nicht, sondern bekräftigte, daß »Furchtbares geschieht« (244): Es wird »Rache« genommen (186), »rücksichtslos gesäubert« (192), der bolschewistische Kommissar kurzerhand erschossen (154; 190), die jüdische Rasse rigoros ausgerottet (159; 195), ganz zu schweigen von der entwürdigend-demütigenden Behandlung »des rassischen und völkischen Mischmasch« (196) der Zivilbevölkerung, der die deutschen Eroberer »Ordnung und Erziehung« vermitteln, »Arbeitsfreude und Arbeitskultur« beibringen wollen ( 1 5 1 ) , um aus »Untermenschen« und »Ubertieren« (168) Menschen zu machen, die sich dem nationalsozialistischen Ordnungswillen fügen. Überzeugt, daß »wir die beste Sache der Welt verfechten« (180), verschmähte der Autor, den Vernichtungskrieg der deutschen Eroberer auf dem östlichen Kriegsschauplatz im Berichtsjahr 1941 zu verschleiern und zu verbrämen - das Furchtbare benennend, beschreibend und billigend, trägt seine furchtbare Propagandaschrift zur Dokumentation der furchtbaren Wahrheit der nationalsozialistischen Vernichtungsstrategie bei, die vor Kriegsverbrechen und Völkermord nicht zurückschreckte. 193

Zu diesem unerbittlichen Fanatismus war Pleyer im Verlauf seines politischen Werdegangs gelangt. Am 19.11.1898 in Eisenhammer bei Kralowitz im Sudetenland als Sohn eines Hammerschmieds und älterer Bruder des völkisch-nationalsozialistischen Schriftstellers Wilhelm Pleyer geboren, wurde er als siebzehnjähriger Kriegsfreiwilliger im Ersten Weltkrieg verwundet. Ab 1920 betätigte er sich - wie Hermann Weiß detailliert aufgelistet hat 8 ' - als Jugendführer, Parteiredner, Zeitungsgründer, Propagandadichter in der »Deutschen Nationalsozialistischen Arbeiterpartei der Tschechoslowakei«, für die er das Parteilied Wir sind das Heer vom Hakenkreuz schrieb, mit dessen erster Strophe Gottfried Feder das 1927 gedruckte Parteiprogramm der N S D A P enden ließ.90 Aufgrund antisemitischer und nationalsozialistischer Umtriebe zu raschem Universitätswechsel von Prag nach München und von dort nach Tübingen gezwungen, wo er wegen Landfriedensbruchs angeklagt wurde, gelang dem Studenten der Slawistik, Germanistik, Philosophie und Geschichte 1925 die Promotion, der 1934 die Habilitation in Berlin folgte. 1930 gründete Pleyer die Sudetendeutsche Kulturgemeinschaft, die er 1937 in Konrad Henleins nationalsozialistische Sudetendeutsche Partei überführte. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann in Berlin am Institut für Grenzlandfragen und führte über die Deutsche Hochschule für Politik (1930-1935) an die Berliner Universität (1934) und das Reichsinstitut für die Geschichte des neuen Deutschlands (1935). 1937 wurde Pleyer als Professor für mittlere und neue Geschichte an die Universität Königsberg berufen, 1939 folgte er einem Ruf an die Universität Innsbruck. Bei Kriegsausbruch meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst; am 26. 3.1942 ist Kleo Pleyer als (mit dem Eisernen Kreuz erster und zweiter Klasse sowie anderen Orden und Ehrenzeichen dekorierter) Oberleutnant und Kompaniechef bei einem Sturmangriff am Ilmensee gefallen. Sein kurzer postumer Ruhm, mit Volk im Feld - wie Bouhler meinte - das »bisher beste Buch dieses Krieges« geschrieben zu haben,91 setzte sich wohl nur in Parteikreisen durch und löste sich mit ihnen auf. Zumindest ließen sich davon diejenigen Schriftsteller nicht beeindrucken, die ihren Kunstverstand nicht an die Politik verraten wollten. Was sie dabei erreichten, zeigen die beiden folgenden Fallbeispiele. 89

90

91

Hermann Weiß: Reich. Frankfurt Gottfried Feder: Grundgedanken. S.64.

Pleyer, Kleo. In: ders.: Biographisches Lexikon zum Dritten am Main 1998. S. 352F Das Programm der N.S.D.A.P. und seine weltanschaulichen (1927). 326.-350. T. München: Verlag Frz. Eher Nachf. 1932.

Weiß (Anm. 89). S. 353.

194

2) Der Fall MARTIN RASCHKE ist mittlerweile so breit belegt und so differenziert aufgearbeitet worden, 92 daß er hier nur gestreift zu werden braucht. Dabei soll sich der Blick auf ein Umdenken mit Wendemanöver richten, welches vom Zweiten Weltkrieg angebahnt und vorangetrieben wurde. Geboren am 4 . 1 1 . 1 9 0 5 in Dresden als Sohn eines Oberverwaltungsinspektors, avancierte Martin Gerhard Raschke nach einem abgebrochenen Studium der Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte und Philosophie an den Universitäten in Leipzig und Berlin zum literarischen >Trendsetter< seiner Generation. Sozialanarchistisch, gefühlskommunistisch, spätexpressionistisch, neusachlich beginnend, setzte er sich an die Spitze der Entwicklungsschübe der jungen Literatur der dreißiger Jahre. Als Mitherausgeber der Dresdener Zeitschrift Die Kolonne

(1930-1933)

verhalf er dem >magischen Realismus< zum Durchbruch. Als Koautor von 75 Sendefolgen der Monatsbilder

vom Königswusterhäuser

Landboten

(1933-1940) warb er für deutsche Volks- und Alltagskultur, die »die Natur, die Erde und Menschen im schaffenden Dienst an der Nation« zeigen sollte.93 Und als Prosa-Erzähler vollzog er vorauseilend den Schwenk zu einem Ordnung, Maß und Mitte feiernden Neoklassizismus, der sich als Heimkehr zu Stifter und Goethe verstand und - wie oben bereits deutlich geworden ist - die zeittypische Wendung zum Abseitigen, zu Kindheit und Heimat mit anbahnte und mit ausführte und im Kriege seine Bewährungsprobe bestehen mußte. Parteilos, aber vom Regime beachtet und sogar >geehrtGuernicaA farewell to armsHitlerStalin-Pakts< schließen lassen (341). U m so nachvollziehbarer ist dagegen Horst Langes Begeisterung über das Buch, das er am 2. 7.1944 zu den 198

besten zählte, die er über den Winterfeldzug (und damit wohl auch über den Krieg schlechthin) gelesen habe.106 Die deutsche Ubersetzung von Nissers Roman war zwar zu spät herausgekommen, um Lange bei der Niederschrift seiner eigenen, 1942/43 entstandenen Ostfront-Prosa beeinflussen zu können; sie erschien aber rechtzeitig genug, um ihn in seiner literarischen Auseinandersetzung mit dem Krieg zu bestärken und zu bestätigen. Denn obwohl Leutnant Nisser ein kriegsfreiwilliger Söldner gewesen ist und obgleich der zum Kriegsdienst eingezogene, mit dem Eisernen Kreuz zweiter Klasse dekorierte, durch den Verlust eines Auges behinderte und durch das Ausbleiben seines vermißten Stiefsohns erschütterte Pionier-Unteroffizier Lange seiner Wehrpflicht nur widerwillig und aufmüpfig genügte, stimmten beide in der künstlerischen Absicht überein, Kriegsbücher »ohne jeden Heroismus« schreiben und tendenziöse Verfälschungen meiden zu wollen. 107 Was Lange damit versprach, löste die (von Eugen Ciaassen am 29.9.1943 gebührend gewürdigte) »große Leistung« seiner OstfrontErzählungen Auf den Hügeln von Moskau und Die Leuchtkugeln ein:108 Geschrieben 1942 bzw. in einem »Vierteljahr« bis zum 28. 7.1943 und vereint in einem Sammelband, waren sie am 24.1.1945 in einer Startauflage von 14.000 Exemplaren ausgedruckt, um nun inmitten der »apokalyptischen Bedrängnisse« der letzten Kriegsmonate mit der Erscheinungsjahrangabe 1944 ausgeliefert zu werden.109 Bereits am 25.1.1945 rühmte Ernst Schnabel die »große innere Wachheit und Lauterkeit«, die Auf den Hügeln von Moskau auszeichne. 00 Mit gutem Recht; denn in Langes Erzählung erinnert sich ein bettlägeriger deutscher Verwundeter an die Evakuierung einer russischen Großfamilie aus einem wohlgebauten Holzhaus auf einer Bodenwelle im Kampfgebiet zur Winterzeit: Zum Rückzug gezwungene deutsche Pioniere vertreiben die Bewohner, weil deutsches Sperrfeuer für das Gelände angekündigt ist; doch russische Granaten kommen den deutschen zuvor und ereilen die 106

107

108

110

Horst Lange: Brief vom 2. 7.1944 an Eugen Ciaassen. F: D L A , A: Ciaassen Verlag, Lange. Lange: Briefe vom 1 8 . 1 . 1 9 4 2 und 1. 3.1943 an Ciaassen. In: B w Claasen. S. 290 und: F: D L A (Anm. 106). - Ciaassen: Brief vom 1 1 . 1 1 . 1 9 4 2 an Lange. Ebd. Ciaassen: Brief vom 29.9.1943 an Lange. Ebd. - Lange: Auf den Hügeln von Moskau. In: Die Leuchtkugeln. Drei Erzählungen. Hamburg: H . Goverts 1944 (richtig: 1945). S. 49-76. - Ders.: Die Leuchtkugeln. Ebd. S. 77-256. Lange: Tagebuch-Notiz vom 29.7.1943. In: Tagebücher aus dem Zweiten Weltkrieg. Hrsg. von Hans Dieter Schäfer. Mainz 1979. S. 1 1 5 . — Ciaassen: Briefe vom 8. 8.1944 und 2 4 . 1 . 1 9 4 5 an Lange. F: D L A (Anm. 106). - Lange: Tagebuch-Notiz vom 2 9 . 1 . 1 9 4 5 . In: Tagebücher (s.o.). S. 190. Ernst Schnabel: Brief vom 2 5 . 1 . 1 9 4 5 an Ciaassen. In: B w Ciaassen. S. 450. 199

obdachlos gewordenen Zivilisten, zerstören das von ihnen verlassene Haus. Ausgesetzt der »schrecklichen Energie des Mechanischen, gegen die das Fleisch machtlos ist«, und mit einem »Ubermaß an Vernichtung« konfrontiert, gegen die sich »nichts [...] machen« läßt (66), imaginiert der IchErzähler die Begegnung mit einem gefallenen Kameraden: Seine Klage, »es nicht ertragen« zu können (75), beantwortet der Tote mit dem fatalistischen Bescheid: »Du wirst es doch nicht ändern. Du nicht...« (75). Um »die ganze Wahrheit« mitzuteilen (59), wagte sich Lange weit vor. Er zeigte deutsche Truppen auf dem verlustreichen Rückzug, veranschaulichte das Leiden der russischen Zivilbevölkerung und enthüllte den Vernichtungskrieg der >verbrannten ErdeDokument< der /verlorenen Generation< scheint die Authentizität verloren gegangen zu sein. Wie authentisch der 1948 veröffentlichte Erstdruck des im November 1943 geschriebenen Berichts Der Untergang von Hans Erich Nossack 1st,137 kann offen bleiben. Denn wie der Urtext dieser Beschreibung der Bombenangriffe auf Hamburg (24.7.-3.8.1943) und ihrer Folgen auch ausgesehen haben mag, ist mit ihm ein Schlußstrich gezogen, der das bevorstehende Ende des Krieges markiert: Was »man Macht oder Staat nennt« (230), erinnerte sich der Erzähler, schwand dahin, weil sich die Ausgebombten nicht mehr darum kümmerten und - auf sich selbst zurückgeworfen - den »Absprang ins Nichts« (217) wagen mußten. Staat und Macht hatten ihr Gesicht verloren. Ob sie in der Literatur der /verlorenen Generation eins gehabt haben und wie es gegebenenfalls ausgesehen hat, fragt das Schlußkapitel.

137

Hans Erich Nossack: Der Untergang. In: Dorothea. Berichte. Hamburg: Wolfgang Krüger 1948. S. 2 0 1 - 2 5 7 .

209

Karl Rössing: Der Posten am Ende der Welt

Schlußkapitel Nachdenken über Staatsmacht und Regierungsgewalt

Randthema Staat Daß der nationalsozialistische Staat sein Volk bis an die Grenze des Nichts führen würde, haben seine Gegner von Anfang an vorausgesehen. Ihnen wollte das regimefreundliche Innere Reich wohl kaum beipflichten, als es der List der Geschichte erlag und im September 1934 den hier wiedergegebenen Holzschnitt von Karl Rössing aus dem Jahre 1931 abdruckte, der immerhin noch einen Wächter an der Schwelle zum Nichts zeigt, mit dem beim Zerfall des Dritten Reiches niemand mehr rechnen konnte.1 Wenn das Innere Reich den Staat und seine optische Repräsentanz in Symbolbildern vergegenwärtigen wollte, war die Bildvorstellung der Redaktion wahrscheinlich eher von jenen wohlbekannten >Hoheitszeichen< bestimmt, wie sie Kurt Schmid-Ehmen in vielfach variierter Form geschaffen und die Zeitschrift mehrfach abgebildet hat:2 als Flügel spreizenden Reichsadler mit kleinem schnabelbewehrtem Kopf, der mit seinen spitzen Krallenfüßen auf einem vielblättrigen Eichenlaub kränz strammsteht, in den »das Sonnenrad, das Hakenkreuz, das Symbol des wieder erwachenden Lebens«3 eingelassen ist. Mit dem Adler die Reichsidee, mit dem Eichenlaubkranz den Tatenruhm der Nation, mit dem Hakenkreuz die nationalsozialistische Weltanschauung zusammenbindend, versinnbildlichte dieses >Hoheitszeichen< das (seit dem Hochmittelalter des Joachim von Fiore als erlösende Endzeitwirklichkeit chiliastisch herbeigesehnte und nun auf den NS-Staat projizierte) >Dritte ReichGroßdeutschen Reich< mauserte 1

2

3

Karl Rössing: Der Posten am Ende der Welt. In: D I R 1 (September 1934) 6, S. 701. Kurt Schmid-Ehmen: Adler in der Luitpoldarena in Nürnberg. Ebd. 5 (August 1938) 5, neben S. 577; ders.: Hoheitszeichen vom Führerhaus auf dem Königlichen Platz m München. Ebd. 6 (April 1939) 1, neben S. 17. Gottfried Feder: Das Programm der N.S.D.A.P. und seine weltanschaulichen Grundgedanken. (1927). 326.-350. T. München: Verlag Frz. Eher Nachf. 1932. S.64. 213

und im Sprachgebrauch der SS sogar als >Großgermanisches Reich< ausgewiesen wurde. Dem »Willen der Nation« entsprechend, so betonten zeitgenössische Kommentatoren, gebe sich das neue, nationalsozialistische Reich die Form des »absoluten«, »autoritären«, »totalen« Staates:4 Als ständisch gegliederter, hierarchisch geordneter, antidemokratisch-antiparlamentarischer Führerstaat mit dogmatisch festgelegter »Einheitlichkeit der Weltanschauung« wollte er - wie Hermann Heller 1933 erkannte - »auf dem Umweg über [...] die autoritäre Rassengemeinschaft die einheitliche Kulturgemeinschaft [...] verwirklichen«.5 Dieser »Totalität des Staates« als einem (vom Führerwillen erfüllten und geprägten) organischen Ganzen6 sollten auch die Schriftsteller dienen: Der Dichter - forderte Ludwig Friedrich Barthel 1941 - »muß den Staat [...] fühlen« und ihn in sich »leben« lassen, damit »der neue Staat« und »die Dichtung des neuen Staates« in »Schicksalsgemeinschaft« wachsen könnten.7 Gab Carl Schmitt dem (mit der Gesellschaft und ihrer Kultur identischen) totalen Staat als einer »societas perfecta der diesseitigen Welt« definitorischen Glanz; verlieh Ernst Jünger ihm mit der Forderung nach »autoritärer Durchbildung« schneidige Schärfe; verhalf Gottfried Benn ihm als »höchstgezüchtetem Exekutivbegriff« strahlende Verklärung8 - so verblaßten solche (aus dem radikalen Meinungsstreit der zwanziger Jahre geborenen) Elogen auf den totalen Staat und die von ihm bewirkte Zusammenfassung von »Saturn und Neptun« oder »Macht und Geist«9 an4

s

6

7

8

9

Chr. Tr. (Christian Tränckner?): Unsere Meinung. In: Die Neue Literatur 41 (1940), S. 316. - W.V. (d.i. Will Vesper). Ebd. 40 (1940), S. 32. - St. (d.i. Wilhelm Stapel) zu: Ernst Forsthoff: Der totale Staat. In: Deutsches Volkstum 15 (September 1933), S. 750. Ebd. - Stapel: Zwiesprache. Ebd. 16 (Januar 1934), S. 43f. - Hans Frank: Zum Geleit. In: Süddeutsche Monatshefte 31 (Februar 1934) 5, S.257. - Hermann Heller: Autoritärer Liberalismus? In: Die neue Rundschau 44 (1933) I, S. 294. Hanns Johst: Zum Geleit. In: Der deutsche Schriftsteller 1 (Januar 1936) 1, S. 1. Hans Diebow: Volksliteratur. Ebd. S. 3. Ludwig Friedrich Barthel: Wesen und Würde politischer Dichtung. In: V o m Eigentum der Seele. Jena: Eugen Diederichs 1941. S. 164^ Carl Schmitt: Weiterentwicklung des totalen Staats in Deutschland (Januar 1933). In: Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar — Genf — Versailles 1923-1939. (1940). Berlin 1988. S. 186; vgl. ders.: Der Begriff des Politischen. (1932). Berlin 1991. S. 24. — Ernst Jünger: Untergang oder neue Ordnung. In: Deutsches Volkstum 15 (Mai 1933) 10, S.418. - Gottfried Benn: Züchtung. (1933). In: Essays und Reden in der Fassung der Erstdrucke. Hrsg. von Bruno Hillebrand. Frankfurt am Main 1989. S. 237. Gustav Rene Hocke: Auflösung und Bindung. In: Das deutsche Wort (Die literarische Welt - Neue Folge) 1 1 (29.9.1935) 39, S. 4. - Benn (Anm. 7). 214

gesichts der Herrschaftspraxis der nationalsozialistischen Diktatur und ihrer Satrapen, unter denen nur Hitler als staatsverkörpernde Inkarnationsfigur aufgrund des ihm eigenen Charismas und des ihm gewidmeten Führerkults längerfristigen Respekt genoß. Während die literarische Verherrlichung des Führers eskalierte, verlor der Staat als positiv besetztes Thema seine literarische Attraktion, zumal sich das Darstellungsrepertoire der nationalsozialistisch gesinnten Autoren weitgehend in der diffusen Willenserklärung erschöpfte, den »herrlich herben Staat« als »neues Reich« hämmern, bauen, wachsen lassen zu wollen. 10 So verwundert es nicht, daß viele zeitgenössische Autorinnen und Autoren den totalen Staat als unausweichlich vorgegeben und deshalb nicht mehr diskussionsbedürftig hinnahmen oder daß sie sich ostentativ von ihm abkehrten, um - wie die Regimeverächter Oskar Loerke und Theodor Haecker angaben - »frei« zu »sein vom Politischen«, »private Dinge« ernst zu nehmen und sich anderen literarischen Themen zuzuwenden. 11 Statt »Zeitromane großen Stils« zu schreiben, zu denen auch und besonders der Staatsroman gehören würde, weiche man in die Ferne oder ins Zeitlose aus, monierte Die Dame 1938; der »Griff nach dem großen Zeitund Gesellschaftsroman« und damit nach dem Staatsroman werde nur höchst selten gewagt, stellte-Die Literatur 1939/40 fest. 12 Verglichen mit der Büchermenge, die sich mit Schwerpunktthemen wie Kindheit, Heimat oder Krieg befaßte, sind daher nur wenige literarische Werke aus der binnendeutschen Literaturproduktion zum Thema Staat vorzufinden: Texte, die den bestehenden Staat des Dritten Reiches bejahten, erübrigten sich nach kurzer Zeit, weil er sich etabliert und gefestigt hatte und nun nach altüberkommener heilsgeschichtlicher Erwartung mindestens >tausend Jahre< währen sollte; die wenigen staatskritischen Texte, die sich bis an die Verbotsgrenze vorwagten und sie mit angemessenem Geschick auch überschritten, haben damals größte Aufmerksamkeit erregt und sind in der Nachkriegszeit als Oppositions- und 10

11

12

Martin Simon: Schicksalsland. Vier Gedichtsätze. In: Das Gedicht 6 (Mai 1940) 8, S. 12. — Gerhard Schumann: Die Reinheit des Reichs. In: Deutsche Wende. Das Lied der Jungen. Hrsg. von Heinz Kindermann (O). Leipzig: Philipp Reclam jun. 1937 (Reclams U B , 7320). S. 16. - Hans Baumann: Wir bau'n das Reich. Ebd. S. 19. - Schumann (s.o.). S. 17. Oskar Loerke: Tagebuch-Notiz vom 1 . 1 1 . 1 9 3 3 . In: Tagebücher 1903-1939. Hrsg. von Hermann Kasack. Heidelberg, Darmstadt 1955. S. 284. - Theodor Haecker: Notiz vom 1 1 . 1 2 . 1 9 4 0 . In: Tag- und Nachtbücher 1939-1945. Hrsg. von Heinrich Wild. München 1947. S. 179. Raimund Pretzel: Neue deutsche Romane. In: Die Dame 65 (1938) 19, S. 52. W. E. Süskind zu Artur Müller: A m Rande der Nacht. In: Die Literatur 42 (1939/40), S. 293. 215

Widerstandsbelege so exklusiv herausgestellt und so breit erörtert worden, daß sie hier nur noch gestreift zu werden brauchen, um das Umfeld für die letzte abschließende Fallbeschreibung zu markieren.

Kritische A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n mit d e m nationalsozialistischen H e r r s c h a f t s s y s t e m Wie bekannt, wurde die Kritik am totalen Staat besonders bei Autoren laut, die seine nationalsozialistische Ausprägung an christlichen Humanitätsgeboten oder konservativen Wertprinzipien maßen. Dazu bedienten sie sich mit politischem Vorbedacht und unter taktischer Berücksichtigung der Zensurbedingungen historischer Modellsituationen, in denen sich die real existierende Tatsachenwirklichkeit des totalen Staates der Nationalsozialisten spiegeln ließ. Werner Bergengruens Roman Der Großtyrann und das Gericht ( Σ 93 5)IJ nutzt die fehllaufende Aufklärung eines Mordfalles in einem fiktiv ersonnenen, tyrannisch regierten italienischen Stadtstaat der Renaissance, um die (von Versuchung, Verdacht und Verrat gespeiste) menschliche Verwahrlosung unter dem Druck des autoritären Polizeistaates aufzudecken. Stefan Andres' Erzählung El Greco malt den Großinquisitor (1936)14 führt ins inquisitorisch gepeinigte Spanien des (vom Tod Philipps II. überschatteten) Jahres 1598 und nimmt die in der Uberschrift benannte Arbeitsbegegnung zum Anlaß, um das Vernichtungswerk der Despotie bloßzulegen. Reinhold Schneiders Las Casas vor Karl V. (i938) IS greift die historisch belegte, aber mit weiteren Daten kurzgeschlossene Disputation zwischen den beiden Titelhelden in der spanischen »Konquistadorenzeit« des mittleren 16. Jahrhunderts auf, um die rassistisch begründete Ausbeutung und Vernichtung diskriminierter Minderheiten durch die autokratische Staatsmacht anzuprangern. Alle drei Texte verbindet nicht nur die Strategie, durch die Blume historischer Verfremdung sprechend politische Gegenwartskritik zu üben; gemeinsam ist ihnen auch das (im christlichen Glauben ihrer Verfasser gründende) Bestreben, den Regierenden wie den Regierten die dringend herbeigesehnte Bewährungschance zur Selbstläuterung und Wandlung zu gewähren. 13

14 15

Werner Bergengruen: Der Großtyrann und das Gericht. Hamburg: Hanseatische Verlags-Anstalt 1935. Stefan Andres: El Greco malt den Großinquisitor. Leipzig: Paul List 1936. Reinhold Schneider: Las Casas vor Karl V. Szenen aus der Konquistadorenzeit. Leipzig: Insel 1938. 216

Solche Erlösungshoffnungen teilte weder der altkonservativ-monarchistische »Parvenü« Fritz Reck-Malleczewen, den Haß und Wut auf den »Kleineleutemachiavellismus« der parvenühaften Nationalsozialisten hellsichtig und scharfzüngig machten,16 noch der modernistische Nationalrevolutionär Ernst Jünger, dessen elitärem Rechtsradikalismus das vulgärbrutale Plebejertum der nationalsozialistischen Führung und Gefolgschaft zuwider war: Beide wußten, daß sich Diktatoren nicht umstimmen, sondern nur besiegen lassen. Beim Studium der Quellenberichte über das »Wiedertäuferreich« von Münster (1534/35) hatte Reck-Malleczewen erkannt, daß dieser herätische »Banditenstaat« bis in die »lächerlichsten Einzelheiten« vorwegnahm, was »Nazideutschland« aus der »zivilisierten Welt« ausscheiden ließ und aussperrte:17 In Bockelson (1937), 18 seiner nach dem Wiedertäuferkönig benannten Darstellung des (auf tausend Jahre veranschlagten) Münsterschen »Gottesstaates« (305; 71), spiegelte er die Staatswirklichkeit des Dritten Reiches, indem er byzantinischen Führerkult (24ff.), diktatorische Gewaltausübung (53), terroristische Unterdrückungspraxis (53), militanten Aggressions - und Expansionsdrang (20) vergegenwärtigte. Daß der Autor darüber hinaus »Hitler und seinen Trabanten« das »unausbleibliche« schmählich-fatale »Ende« der Wiedertäuferhäuptlinge wünschte, vertraute er 1936 seinem Tagebuch an;19 doch es blieb ihm versagt, diesen Triumph zu erleben: Ende 1944 verhaftet und am 9.1.1945 ins Konzentrationslager Dachau eingeliefert, ist er dort am 16.2.1945 an Flecktyphus gestorben. Was in Reck-Malleczewens historischem Bockelsort-Koman nach Meinung des Mithäftlings Nico Rost »ohne Tiefe« blieb,10 mündete in Ernst Jüngers apokalyptischem Roman Auf den Marmor-Klippen (1939) laut Hochland »in das tiefe Meer des Unsagbaren, unter unermeßlich weiten Horizonten«: 21 Leidenschaftlich zur Ausdeutung des Ungesagt-Mitgeteilten, Verhüllt-Entlarvten auffordernd und zugleich davor warnend, erregt das Buch nach Gustav Steinbömer und W. E. Süskind die Schaudern

16

17 18

19 20 21

Friedrich Reck (auch: Fritz Reck-Malleczewen): Tagebuch-Notiz aus dem Jahr 1936 oder 1937. In: Tagebuch eines Verzweifelten. Mit einem biographischen Essay von Christine Zeile. Frankfurt am Main 1994. S. 26. - Zeile, ebd. S. 294. Reck: Tagebuch-Notiz vom 1 1 . 8.1936. Ebd. S. i9f. Fritz Reck-Malleczewen: Bockelson. Geschichte eines Massenwahns. Berlin: Schützen-Verlag 1937. Reck: Tagebuch-Notiz vom 1 1 . 8.1936 (Anm. 16). S. 21. N i c o Rost: Goethe in Dachau, zit. von Zeile (Anm. 16). S. 297. Ernst Jünger: Auf den Marmor-Klippen. Hamburg: Hanseatische VerlagsAnstalt 1939. - S. (Franz Josef Schöningh?): Auf den Marmorklippen. In: Hochland 37 (1939/40), S. 245.

217

erweckende Empfindung jenes unmittelbaren Betroffenseins, das sich in der lateinischen Sentenz »tua res agitur« ausdrückt. 22 Denn die beiden scharfsinnigen Kritiker hatten erkannt, daß die »Wissens- und Anspielungskünste« des Romans von dem »durchaus bösartigsten Jünger« der Jüngerschen Wirkungsgeschichte entbunden worden waren, um »verfängliche Einreden der Wirklichkeit« aufzufangen, auszuwerten und als subversives Assoziationsangebot weiterzugeben. 2 ' Seiner ästhetisch begründeten und politisch aufgenötigten These entsprechend, daß »geschliffene Dunkelheit« ein »Kennzeichen höchsten Stiles« sei,24 berichtete der Autor in anspielungsreichen allegorischen »Sinnbildern« (140) mit »geheimer Bilderschrift« (63) vom Einbruch vernichtender, unzivilisiert-tyrannischer Gewalt in eine friedlich erschlaffte Kulturwelt. Zeitlosigkeit vortäuschend, drängte sich der Gegenwartsbezug auf, ohne durch zu weit getriebene Konkretion verifizierbar zu sein; archaisierend und exemplarisch typisierend, wurden positiv und negativ besetzte Handlungsabläufe, -orte und -träger aus der jüngsten Geschichte des Dritten Reiches eingebracht und kenntlich gemacht, ohne definitiv identifiziert werden zu können. Die planmäßige Herbeiführung anarchischer Zustände, um das Volksverlangen nach einer ordnungsstiftenden »Tyrannis« zu wecken (40, 44, 52), und die Aufrichtung der »TyrannenMacht« (76), die ihrer Schreckensherrschaft die »Maske der Ordnung« verleiht (53), gemahnten durchaus an die Machterschleichung und den Machtmißbrauch des nationalsozialistischen Terrorregimes. Zugleich ließ sich aber bestreiten, daß mit dem »Oberförster« (51) der Diktator Hitler, mit der »Schinder-Hütte« (135) auf dem »Köppels-Bleek« (94) die nationalsozialistischen Konzentrationslager, mit der Hundemeute (131£.) die indoktrinierten Sturmtruppen und Kampfverbände von Partei und Staat gemeint waren. Doch Jünger begnügte sich nicht mit solchen Spiegelungen des tyrannischen Schreckens, sondern er ließ auch anklingen, wie er zu bestehen und zu überwinden ist: Standhalten und widerstreben, ohne sich korrumpieren zu lassen, lautete die unausgesprochene, aber allenthalben suggerierte Devise dieses ermutigenden »Breviers für das Leben unter der Diktatur«. 2 ' 22

23 24

25

Gustav Stembömer: Pilgerfahrt zu Ernst Jüngers »Auf den Marmor-Klippen«. In: Europäische Revue 16 (1940), S. 53. - W. E. Süskind: Zwei schwarze Ritter. In: Die Literatur 42 (1939/40), S. 100. Süskind (Anm. 22). S. 99. - Steinbömer (Anm. 22). Jünger: Epigrammatischer Anhang. In: Blätter und Steine. Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt 1934. S . 2 2 1 . Paul Weinreich (Lektor der Hanseatischen Verlags-Anstalt) am 20. 5 . 1 9 7 3 , zit. in: Jünger: Siebzig verweht III. Stuttgart 1993. S. 237. 218

Staatstragende T e n d e n z r o m a n e und eine staatsflüchtige Resignationsgeschichte Von solchen Losungen waren jüngere Autoren, die wie Franz Turnier oder Artur Müller die Staatsthematik aus nationalsozialistischem Blickwinkel anpeilten, weit entfernt. Nachdem Tumler in seinem Roman Der Ausführende

(1937) 26 gezeigt

hatte, wie sich »ein einzelner Mann« ( 1 1 ) durch die »unsichere und mehr getriebene als selber treibende Führung« des österreichischen Kaiserstaates (9) zu eigenmächtigem Handeln im Dienste des Staatsinteresses genötigt sieht, stellte der Autor in seiner Erzählung Der Soldateneid

(1939) 27

die Bewährungsproben dar, welche die Staatsregierungen ihrem Staatsvolk auferlegen können. Aktuellen Anlaß dafür bot der Loyalitätskonflikt, in den österreichische Soldaten durch den (im März 1938 vollzogenen) >Anschluß< Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich gebracht wurden. Für sie bot sich nach Darstellung des Romans nur die folgende Alternative: Wollten sie ihrem Eid treu bleiben, mußten sie sich gegen Deutschland mobilisieren lassen; entschieden sie sich für das g r ö ßere deutsche Vaterland< (ι6γί.),

waren sie zum Eidbruch gezwungen.

Um diesem Dilemma zu entkommen, flüchten sich zwar einzelne Romanpersonen in den Selbstmord, in den Abschied aus dem Militärdienst oder in die Gehorsam erzwingende Kasernenhofdisziplin; doch als zukunftsträchtige Lösungsperspektive wird letzthin nur die Eingliederung der österreichischen Truppen in die deutsche Wehrmacht angeboten, wozu der Roman fleißig Argumente sammelt und liefert. Den Volkswillen zur >Heimkehr ins Reich< voraussetzend, wird verkündet: »Volksrecht bricht Staatsrecht« (8); um den notwendigen Eidbruch wettzumachen, gilt danach, sich für die deutsche »Sache« besonders aufopferungsvoll einzusetzen (134) und den neugeschworenen Eid auf den »Führer des Deutschen Reiches und Volkes« und »Obersten Befehlshaber der Wehrmacht« Adolf Hitler besonders treu zu halten (i8of.). Daß hier alles solange zurechtgebogen wurde, bis es politisch paßte, erkannte Tumler wohl selbst, als er am 7. 2.1940 in seinem Tagebuch notierte: »Der >Soldateneid< wird nicht Bestand haben: er ist im letzten nicht untadelig.«28 Denn offensichtlich bestätigte sich Turniers Erwartung 16

27

28

Franz Tumler (Ö): Der Ausführende. Roman. München: Albert Langen/Georg Müller 1937. Tumler: Der Soldateneid. Eine Erzählung. München: Albert Langen/Georg Müller 1939. Tumler: Tagebuch-Notiz vom 7. 2.1940. In: Tagebücher. F: D L A , A: Tumler.

219

nicht, besser zu schreiben, wenn er sich »im Herzen eins fühlen« könne »mit dem Nationalsozialismus«: 29 Was dabei herauskam, war nichts als sprachlich gewandte Tendenzschriftstellerei. Von seiner politischen Verblendung und seiner literarischen Verirrung heilte den Autor erst die »Zuchthaus- und Strafenanstalt« des in seinem Roman so emphatisch begrüßten deutschen Militärs, 30 in die sich der offiziell Zurückgestellte 1941 freiwillig hineinbegeben hatte: Ihren Schikanen ausgesetzt, durchlief (der trotz allem vom Gefreiten zum Fähnrich avancierende) Tumler einen leidvollen Lernprozeß, der ihm half, die »teuflisch-angemaßte gedankenlose Willkürherrschaft« des Nationalsozialismus und seiner militärischen Erfüllungsgehilfen zu durchschauen, 31 mit beiden zu brechen und damit die Kraft zur literarischen Selbstbefreiung zu gewinnen. Wurde Tumler die nationalsozialistische Gesinnung mit der Gewalt des Kasernenhofs ausgetrieben, zwang die Gewalt des Konzentrationslagers und der Gefängniszelle Artur Müller, sich literarisch zum Nationalsozialismus zu bekehren. Von 1931 bis 1933 Straßenzellen-, Stadtteil- und Agitationsleiter der Kommunistischen Partei Deutschlands ( K P D ) in München, wurde Müller am 1 . 3 . 1 9 3 3 ins Konzentrationslager Dachau verschleppt und nach rechtskräftiger Verurteilung wegen Beleidigung und Beihilfe zur Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens in die Gefangenenanstalt Landsberg am Lech eingewiesen, w o er seine achtmonatige Gefängnisstrafe vom 1 6 . 1 0 . 1 9 3 3 bis zum 16. 6.1934 verbüßte. Dort schenkten ihm - wie er in seiner Reichsschrifttumskammer-Akte angab die »nationalsozialistische Bewegung und Revolution« die »Kraft zu innerer Wandlung«. Diese Umkehr, die in Parteikreisen immer wieder angezweifelt wurde, suchte Müller durch seinen Eintritt in die N S D A P am 1 . 5 . 1 9 3 7 (Mitglieds-Nummer 5.134.796), seine Betätigung als Ortswart der NS-Gemeinschaft >Kraft durch FreudeKlerikalismus< witternde) Amt Rosenberg nicht abnahm. 33 Offensichtlich 29 30 31 32 33

Tumler: Tagebuch-Notiz vom 1. 2.1940. Ebd. Tumler: Tagebuch-Notiz vom 9. 8.1944. Ebd. Tumler: Tagebuch-Notiz vom 17.-20. 7.1944. Ebd. Nach: F: B A r c h (ehem. B D C ) , R K / R S K , Müller, Artur, 26.10.1909. Artur Müller: Das östliche Fenster. Roman. München: Josef Kösel & Friedrich

220

hatte M ü l l e r seinem eigenen Schicksal Sinn geben wollen: In den G r e u e l n der bolschewistischen C h r i s t e n v e r f o l g u n g ringt sich die religiöse Leitidee durch, daß die Liebe G o t t e s L e i d e n verhängt, die z u Läuterung, Besserung u n d B e w ä h r u n g herausfordern (43): »Was uns E n d e dünkt, kann uns A n f a n g werden.« (218). Dieser K a m p f z w i s c h e n (wortreich verdammter)

bolschewistischer

Menschheitsbeglückungs-Ideologie u n d (mystisch beschworener) christlicher G l a u b e n s b o t s c h a f t u n d G l a u b e n s g e w i ß h e i t w i r d im 1938 f o l g e n d e n historischen R o m a n

Traumherz^4

z u m politischen » K a m p f

zwischen

E n g e l n u n d N ä c h t i g e n « (327) säkularisiert: D u r c h eine V e r s c h w ö r u n g bedroht, sieht sich der (von »Versöhnung, K l ä r u n g , G e w i n n u n g , Vereinigung« träumende) T h r o n f o l g e r des ermordeten K ö n i g s H e i n r i c h I V . v o n Frankreich g e z w u n g e n , gegen »Untergang, Brand, Zerfall, U n z u c h t , V e r rat« einzuschreiten (293), die Frondeure töten oder verhaften z u lassen u n d als L u d w i g X I I I . ( 1 6 1 0 - 1 6 4 3 ) die »Alleinherrschaft« (326) anzutreten. D e n n : »Es geht u m die Macht!« (123); das L a n d braucht »Die Einheit, die O r d n u n g , ein Ziel!« (236); d a z u kann ihm »nur immer einer« verhelfen (236); dieser m u ß z w i s c h e n Freund u n d Feind unterscheiden k ö n n e n u n d den M u t z u r A u s s c h a l t u n g seiner Widersacher aufbringen, gilt doch: »Er oder sie; ihr Blut oder das seine; A u f s t i e g oder U n t e r g a n g ! « (293). A l s »Gleichnis« gelesen, w i e es der R o m a n selbst suggeriert (315), enthüllt sich diese H a u p t - u n d Staatsaktion j e d o c h als Rechtfertigungsschrift f ü r die mörderische N i e d e r s c h l a g u n g des (behaupteten, aber nicht nachgewiesenen) >Röhm-Putsches< am 30.6.1934, mit der Hitler seine diktatorische Führermacht endgültig konsolidierte: W i e L u d w i g sich bei der Erteilung seines M o r d b e f e h l s auf höhere »Gesetze« als das geltende Recht

beruft (314) u n d

beschwichtigend

beteuert,

was

heute

noch

» M o r d « sei, heiße m o r g e n »Gericht« (315), nahm sich H i t l e r heraus, »im A u g e n b l i c k der G e f a h r « - so assistierte ihm C a r l Schmitt - »kraft seines Führertums als oberster Gerichtsher[r] unmittelbar Recht« z u schaffen u n d diesen G e w a l t a k t als V o l l s t r e c k u n g »höchsten Rechts« durch ein nachträglich erlassenes Reichsgesetz legitimieren z u lassen. 35 D o c h dabei blieb es nicht. Rechtzeitig z u m Kriegsbeginn ließ Müller den R o m a n Am

34 35 36

Rande

einer Nacht

(1940) 36 erscheinen, der sich den

Pustet 1936. - SD-Leitabschnitt München, Stellungnahme vom 31.8.1943. BArch (Anm. 32). - Gutachtenanzeiger. Beilage zu: Bücherkunde 5 (1939), S. 6. A. Müller: Traumherz. Ein Roman. Berlin: Rowohlt 1938. Schmitt: Der Führer schützt das Recht. (1934). In: Positionen (Anm. 8). S. 200. A. Müller: A m Rande einer Nacht. Roman. 6.-10. T. Dresden: Wilhelm Heyne 1940. 221

Ausbruch des Ersten Weltkriegs zum Beispiel nimmt, um damit die nationalsozialistische Sprachreglung für den Zweiten Weltkrieg zu flankieren: Die Kriegsschuld klerikalen, kurialen, ultramontanen, jüdischen, freimaurerischen, plutokratischen, sozialdemokratischen und Sozialrevolutionären Verschwörern zuweisend, verpflichtet der Text alle aufrechten Deutschen, das ihnen aufgezwungene »eherne Schicksal« (305) anzunehmen und zu »kämpfen« (299), damit das »Volk [...] leben« kann (306). Der ehemalige Agitationsleiter der K P D machte sich um die nationalsozialistische Propaganda verdient und durfte deshalb nach seiner Einberufung zum Kriegsdienst am 29. 3.1940 den oben bereits vorgestellten General begleiten, der für »Frieden«, »Volk« und »Welt« gegen die bolschewistischen »Horden« zu Felde gezogen war. 37 Für den binnendeutschen Buchmarkt bestimmt, sprachen Müllers Bücher aus den dreißiger und frühen vierziger Jahren eine eindeutige Sprache - und die war nationalsozialistisch. Ist sie deshalb so plakativ ausgefallen, weil der Autor mit seiner kommunistischen Vergangenheit gegen den nie ganz erlöschenden Argwohn der Parteiinstanzen anschreiben mußte? Oder war alles nur Camouflage, wofür die nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches von anderen und von ihm verbreiteten Hintergrundinformationen zu sprechen scheinen, daß er sich 1934/35

an

der

Herausgabe von drei in Karlsbad (Tschechoslowakei) veröffentlichten antifaschistischen Exilpublikationen beteiligt habe und daß er im April 1945 als Mitglied der Widerstandsgruppe »Freiheits-Aktion Bayern« in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden sei?38 War er ein radikaler nationalsozialistischer Konvertit, ein bis zur Unkenntlichkeit getarnter Antifaschist, ein zum Schweigen verdammter Doppelagent oder ein überaus beweglicher Opportunist? Doch w o Müller damals auch gestanden und wie er damals auch laviert haben mag - für die zeitgenössischen Leserinnen und Leser seiner Bücher aus den dreißiger und frühen vierziger Jahren war er nur als Nationalsozialist erkennbar, der sich ehrgeizig bemühte, sein ideologisches Soll überzuerfüllen. 37

38

A. Müller: Ich begleite einen General. Dresden: Wilhelm Heyne 1942. S. 23, 24f. und 58. Literaturangaben in: Gero von Wilpert und Adolf Gühring: Erstausgaben deutscher Dichtung. 2. Aufl. Stuttgart 1992. S. 1106; davon abweichend: Wilhelm Sternfeld, Eva Tiedemann: Deutsche Exil-Literatur 1 9 3 3 - 1 9 4 5 . Eine BioBibliographie. Heidelberg 1970. S. 360 (sie benennen als Herausgeber einen A r thur Müller, der nach Südamerika emigriert ist). - Wer ist wer? Hrsg. von Walter Habel. 2. Aufl. Berlin-Grunewald 1951. S.440 (Eintrag üblicherweise nach Angaben des m das Nachschlagewerk Aufgenommenen). Die hier gelieferten Basisinformationen sind ohne weitere Erläuterung von Lexikon zu Lexikon weitertransportiert worden.

222

Schrieben Turnier aus Leidenschaft und Müller aus Berechnung staatstragend, setzte Heinrich Schirmbeck auf die »autonome Verantwortlichkeit« des einzelnen, die dieser ganz allein und je für sich gegen den Staat behaupten muß.39 In einer Erzählung seines 1944 erschienenen Bandes Die Fechtbrüder wird bereits vor einer Welt gewarnt, die sich in ein »großes Puppentheater« verwandelt, unter dessen Dach irdische Menschheitsbeglückungs-Ideologien »blutberauschte Marionetten« lenken, die »Herrschaft« über die Seelen gewinnen.40 Dieser Warnung folgend und den >Röhm-Putsch< wie den Staatsstreichversuch vom 20. Juli 1944 verarbeitend, werden in den nach Kriegsschluß veröffentlichten Gefährlichen Täuschungen (1947) die Kosten konträrer Staatsmodelle und Herrschaftsformen am Leibe eines Frontenwechslers durchgerechnet.41 Von der (durch Christus angebahnten) Aussöhnung der »staatlichen Welt der Macht mit der individuellen der Freiheit und der Sittlichkeit« träumend (110), genießt und erleidet ein junger Leutnant im Zeitalter Zar Nikolais I. (1825-1855) die »autokratische Staatsordnung« des »kaiserlichen Selbstherrschertums« (120), die »phantastischste Freiheit« (182) bei den »freibürtigen«, »unabhängigen« Tscherkessen (21 if.) und die Tyrannei des republikanischen Radikalismus (zif.), um schließlich als Häftling auf dem Schub nach Sibirien zu erkennen, daß er nun den »Weg zu sich selbst« (256) angetreten hat, auf dem er seine Identität finden wird. Als >gebranntes Kind< mußte er erfahren, daß »in der politischen Welt« alles Tun »einen ekelhaften politischen Anstrich« bekommt (121); als Ausgestoßener gewinnt er die Freiheit, allem politischen Treiben den Rücken zu kehren und nur noch für sich selbst verantwortlich zu sein. Dieser Rückzug auf sich selbst, der die Gefahr der Selbstauslieferung an höhere Mächte in sich birgt, ist nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches von vielen Deutschen gewählt worden, die sich politisch beschmutzt und besudelt hatten; ihm versagte sich ein Autor, der dem nationalsozialistischen Unrechtsstaat das Gegenbild eines Recht, Gesetz und Gericht achtenden »wohlgeordneten Staatswesens«42 entgegensetzte: Jochen Klepper, dem die letzte Fallbeschreibung gelten soll, obwohl und weil sie eine Ausnahme von der Regel aufgreift und auf eine Sonderfallbeschreibung hinausläuft. 39

40

41 41

Heinrich Schirmbeck: Gefährliche Täuschungen. Erzählung. Berlin: Suhrkamp 1947. S. 246. Schirmbeck: Rot und Schwarz. In: Die Fechtbrüder. Erzählungen. Berlin: Suhrkamp 1944. S. 314. Schirmbeck: Täuschungen (Anm. 39). S. 73, 9of., 108, i 5 6 f . Jochen Klepper: Der Vater. Der Roman des Soldatenkönigs. 2 Teile. 66.-85. T. Stuttgart, Berlin: Deutsche Verlags-Anstalt 1937. Teil 1, S. 391. 223

Ein (Sonder-)Fallbeispiel: Jochen Klepper Mit seinem Romanporträt des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I. (1688-1740; Regierungszeit: 1 7 1 3 - 1 7 4 0 ) , überschrieben mit dem doppelsinnig gemeinten Titel Der Vater (1937), vergegenwärtigte JOCHEN KLEPPER ein evangelisches »Königsleben«, das - so betonte Harald von Koenigswald 1938 - den zeitgenössischen Leserinnen und Lesern »als Mahnung und Trost« dienen konnte. 43 »Täter und Beter, Rechtswahrer und Ordner«, 44 taugte der Landesvater und Vater Friedrichs II. des Großen (und zwölf weiterer lebender bzw. toter Kinder) schon von sich aus als Kontrastfigur zur Führerclique des Dritten Reiches: Pflichtbewußt, fleißig, nüchtern, bieder, fromm, diente er - wie Rudolf Thiel 1936 in seinem (von offizieller Seite angefochtenen und unterdrückten) Gedenkaufsatz über den großen Sohn feststellte - in seinem »patriarchalischen Musterland« dem »Gemeinwohl« als gerechter Sachwalter Gottes auf Erden. 4 ' Dieses Charakterbild verschärfte Klepper mit erkennbarem, aber nirgendwo ausgesprochenem Gegenwartsbezug. Der »Bettelkönig« (Teil II/ Seite 16) im »Bettellande« (II/17) konsolidiert den Staatshaushalt durch eiserne Sparsamkeit, strenge Arbeitsverpflichtung und unermüdliche Gewerbeförderung. Der undiplomatische, fürsorgliche Landesvater, der alles Politische »ins Menschliche« verkehrt (II/27), muß gegen »Intrige« und »Kabale« (I/338), »Ranküne, Politik, Partei« (II/15 6) ankämpfen und in ständigen Neuanläufen das »Neuere und Schwerere« (II/391) versuchen (II/391), um »ein Land der Stärke, des Wohlstands, der Ordnung« mitten im zerfallenden deutschen Reich und im sich selbst zerreißenden Europa zu begründen (II/56). Der absolutistische Alleinherrscher begreift sich als »erster Diener seines Staates« (I/392) und erfüllt seinen »Dienst an den Menschen und der Erde« (I/425), wie er Erde und Mensch aktiviert, dem Ganzen zu dienen. Der Patriarch (II/39) mit der Neigung zu raschen Gewaltlösungen setzt sich selbst Grenzen durch Verfassungsordnung, unabhängige Gerichtsbarkeit und Rechenschaftspflicht gegenüber der höchsten göttlichen Instanz, die ihm mit der Königswürde »ein Amt von grenzenloser Weite und Schwere« (II/5 07) aufgebürdet hat. Der Irrende, der sein

43

44

45

Klepper (Anm. 42). - Harald von Koenigswald: Sinn und Rechtfertigung des historischen Romans. In: D I R 5 (April 1938) 1, S. 106. Reinhold Schneider: Friedrich Wilhelms Wiederkehr. In: Die Literatur 39 (1936/37), S. 402. Rudolf Thiel: Friedrich der Große. In: D I R 3 (August 1936) 5, S. 563^ Dazu: Marbacher Magazin 26 (1983), S. 3 1 - 3 8 .

224

Land in eine »Galeere« zu verwandeln droht (II/198) und seinem Volk ein graues, unfreies, schweres Leben zumutet, ist klugem Rat zugänglich und bleibt lebenslang lernfähig. Der »Soldatenkönig« (II/28), der mit der Einführung der Wehrpflicht wie der Reformierung des Rüstungswesens, des Exerzierreglements, der Soldatenversorgung usw. ein »marschbereites und schlagfertiges Heer« für sein »Land mit offenen Grenzen« aufstellt (II/464), bewährt sich als Friedensstifter und Reichspatriot, dem die »Wohlfahrt des deutschen Vaterlandes« wichtiger ist als der »Vorteil des eigenen Hauses« (II/381). Der bigott gescholtene, als Frömmler verspottete »Oberste Bischof seines Landes« (II/550) und »Büßerkönig« (II/524), dem die Krone zur »Dornenkrone« und das Zepter zum »Kreuz« gerät (II/290), verteidigt religiöse »Gewissensfreiheit« (II/523) und begünstigt die Aussöhnung der christlichen Konfessionen. Der grobe Verächter scholastischer Gelehrsamkeit mit der Marotte, Intellektuelle zu närrischen >lustigen Räten< herabzuwürdigen, läßt sich zum Förderer der »preußischen Wissenschaften« heranbilden, der als »Professorenkönig« (II/436) zum »großen Erzieher seines Volkes« aufwächst (H/489). Der »erste aller Hausväter« (II/482) im Königreich Preußen bringt sich um die Liebe seiner Nächsten, weil er - immer »im Dienst« (II/471) - dem Staatsinteresse absoluten Vorrang vor allen privaten Neigungen und Bedürfnissen einräumt. Der »Hüter der heiligen Ordnung Gottes« (I/377), der Gottes Willen vollstrecken will (II/554), verzweifelt an seiner Unfähigkeit, ihn zu erkennen (II/465); der Herrscher »von Gottes Gnaden« (II/573), der kraft seines Amtes »mehr zu leiden und schwerer zu sündigen« hat »als andere Menschen«, weiß sich »am tiefsten gebeugt unter Gottes Gericht« (1/379); der Knecht Gottes durchschaut die »Vergänglichkeit, Entbehrlichkeit und Vergeblichkeit« (II/472) seines Handelns; der erschöpfte, todkranke Dulder erfährt sich in tiefster Not als »Gottes Kind« (II/579). Dieses Königsbild, bewährt im Konflikt mit Spöttern, Saboteuren und Widerstrebenden, mit Schwindlern, Hochstaplern, Verrätern, Betrügern und Dummköpfen, mit feindlichen Mächten, untreuen Beamten, aufbegehrenden Verwandten und dem (auf der Suche nach sich selbst ausbrechenden und im Staatsinteresse wieder eingefangenen und umerzogenen) Königssohn, stieß in der hellhörig-argwöhnischen regimeverbundenen Neuen

Literatur

bezeichnenderweise auf schärfste »Ablehnung«, weil

Klepper dem Lesepublikum versage, sich durch die monumentale »Größe« des historischen Vorbilds »zu eigener Größe bilden zu lassen«.46 46

Gerhardt Schmidt: Anmerkungen zum historischen Roman. In: Die Neue Literatur 41 (1940), S. 133. 225

Doch eben dieser Mangel gereicht dem Buch zur Tugend. Falscher Heroisierung abhold, 47 wird kein pathetisches Heldenlied auf den Soldatenkönig angestimmt, sondern ein fehlbarer Gottesknecht gezeigt, der nie vergißt, daß er zu »Amt und Dienst« (II/5 3 7) von Gott berufen wurde und daß er Gott für Amtsführung und Diensterfüllung rechenschaftspflichtig bleibt. Diese demütige Unterwerfung unter das Gericht des Höchsten unterscheidet sich strikt von den blasphemischen Berufungen der nationalsozialistischen Rhetorik auf die >Vorsehung< oder den entkonfessionalisierten >HerrgottGott mit uns< eingefordert wurde. Doch nicht genug damit. Auch in anderen Charakterzügen sticht Kleppers Herrscherbildnis von den Herrschaftskarikaturen ab, welche die nationalsozialistischen Leitfiguren lieferten. Sein »starker, rastlos schaffender, stetig ordnender, wachsam hütender, treu wahrender, unablässig mahnender, gründender, pflanzender, bauender« König 48 spart einen Staatsschatz zusammen und plündert ihn nicht aus, setzt Menschlichkeit über ideologische Winkelzüge und politische Machtspiele, will patriarchalisch dienen und nicht diktatorisch führen, begrenzt seine Macht durch das Recht, ist lernbereit und glaubt nicht alles besser zu wissen, rüstet auf zum Schutz des Friedens, übt Toleranz und läßt sich nicht zu totalitärem Fanatismus hinreißen, ist sündenbewußt und frei von allem selbstgerechten Größenwahn; kurzum: Er ist ein strenger Vater, der sein privates Glück dem Staatswohl opfert und niemanden strenger behandelt als sich selbst. So ist es wohl nicht zufällig, daß der König mit Bezug auf die in den Sumpf gesetzte Residenzstadt Potsdam selbstkritisch fragt: »Was an ihr war Wille zur Tat, Bereitschaft zum Dienst, Erkenntnis des Auftrags? Was war Lüge, Maske, Eitelkeit, Vermessenheit, Willkür?« (11/88). Denn dieselben Fragen ließen sich auch im Hinblick auf die nationalsozialistische Herrschaftspraxis stellen. Und so folgen nicht von ungefähr schadenfrohe Nebenbemerkungen über den Schlüsselroman, der es erlaubt, von der Buchwelt zu reden und die Wirklichkeit zu meinen (II/8 9). In seinen (postum in gekürzter Fassung veröffentlichten) Tagebüchern hat Klepper zwar Rezensionen seines Buches abgewiesen, in denen törichte »Parallelen zu heute« gezogen wurden. 49 Doch damit dürften in Anbetracht von Zensur und Selbstzensur nur apologetische Vergleiche mit dem 47 48

49

Klepper: Tagebuch-Notiz vom 2 8 . 1 0 . 1 9 3 6 . In: Tb Klepper. S. 386. Klepper: Vorwort. In: In tormentis pinxit. Briefe und Bilder des Soldatenkönigs. Hrsg. von Klepper. Stuttgart, Berlin: Deutsche Verlags-Anstalt 1938. S. 13. Klepper: Tagebuch-Notiz vom 30. 3 . 1 9 3 8 . In: T b Klepper. S. 571. 226

nationalsozialistischen Führer- und Kriegerstaat gemeint gewesen sein; denn Klepper war sich des »wahrhaft zeitgemäßen StoffesAnekdote< bei M o y und seinem Wiederentdecker Handke den Argwohn erregt haben, daß sie beim heutigen Lesepublikum auf Unverständnis und Ablehnung stoßen könnte, weil sich die historische Einschätzung der Räterepublik gewandelt hat und Antikommunismus in der tonangebenden liberalen Literaturszene anstößig geworden ist. Denn Autor und Vorwortschreiber durften nicht mehr mit einem Leseverhalten rechnen, wie es sich für die Zeitgenossen anbot: die dargestellten Gewaltmaßnahmen auf die schlimmer vorgehenden Nationalsozialisten zu übertragen, die - wie etwa die Prozesse vor dem >Volksgerichtshof< bewiesen - eben jene Entwürdigungspraxis anwandten, der sich Moys General zu entziehen vermag. Ähnliche Bedenken dürften zur Umwandlung der politisch harmlos anmutenden Kurzgeschichte In der Tiefe (97-103) in die unpolitische Rahmen-Novelle Das Vermächtnis

(83-107) geführt haben. In beiden

Textversionen erinnert sich der Ich-Erzähler an einen Ertrinkenden: In der Neufassung hat er ihn aus Übermut ins Wasser geworfen und trotz 232

größter Anstrengung nicht retten können; in der Urfassung rettet er ihn, obwohl er ihn um des eigenen Uberlebens willen immer wieder zurückstößt. Die Neufassung gestaltet den »Unglücksfall« (83) als Peripetie einer lebenslaufbestimmenden Privattragödie, die ihre Schlüssigkeit in sich selbst besitzt und deshalb auch nicht über sich selbst hinausweist. Die ins Gleichnishafte drängende und am moralischen Exempel interessierte Urfassung beläßt es dabei, das »schreckliche Erlebnis« (98) als Erfahrung menschlichen Versagens zu registrieren, dessen sich der zerknirschte Erzähler schämt. Begnügt sich die Lektüre mit diesem Bericht, bleibt das geschilderte Geschehen historisch belanglos; erfaßt sie seine Doppelbödigkeit, erhält es politische Brisanz. Denn dann spiegelt sich in der angsterfüllten Abwehr des Hilfebedürftigen die Verweigerungshaltung der meisten Deutschen, den Verfolgten des Naziregimes zu helfen. Am schlüssigsten offenbart sich diese Doppeldeutigkeit in dem Kurzbericht Die Maus (146-148), der ausdrücklich »die großen Entscheidungen des Lebens« im »Kleinwerk unserer täglichen Gedanken und Entschlüsse« wiederfinden will (146). Auch ihm ist der Neudruck verwehrt geblieben; denn seine Ambivalenz hat allem Anschein nach Befürchtungen geschürt, er könnte mittlerweile mißverstanden werden und gegen seinen Autor ausschlagen. Berichtet wird von einer Maus, die den Berichterstatter beim Nachtschlaf stört. Obwohl er erkennt, daß sie »nichts Böses« will (147), erschlägt er sie, weil er sich dazu durch das Bündnis der »Menschen des Hauses« (148) verpflichtet fühlt, welche die (Lebensmittel anfressenden, Ruhe störenden) Mäuse »mit Fallen, Gift und Katzen« (146) bekämpfen: »Ich empfand dabei keinen Haß, keine Wut; es war mir, als sei ich einen Augenblick über mich selbst hinaus gehoben.« (148). Daß sich über die nationalsozialistische Judenverfolgung und Judenvernichtung schreiben ließ, ohne sie zu erwähnen, bezeugt der Text, wenn er als Parabel gelesen wird: Mit der Ermordung der Maus als Repräsentantin ihrer Rasse ist nicht nur auf das Sündenbock-Schicksal der Opfer angespielt; in der Selbstrechtfertigung des Täters scheint darüber hinaus sogar die berüchtigte Beteuerung Heinrich Himmlers vorweggenommen zu sein, seine SS-Schergen seien bei ihrer Mordarbeit »anständig« geblieben.6? In der 1947 erschienenen Nachkriegsausgabe von Moys Erzählungen68 war noch enthalten, was später weggelassen und umgestaltet wurde. Da67

68

Heinrich Himmler: Rede auf der SS-Gruppenführertagung in Posen am 4 . 1 0 . 1 9 4 3 . Zit. m: Josef Ackermann: Heinrich Himmler — >Reichsführer-SSverlorenen Generation ausgesetzt: In Bejahung, Abkehr oder Verneinung auf das Dritte Reich eingestellt, müssen die literarischen Texte in dessen Bezugsrahmen wahrgenommen werden, sollen sich ihr ästhetischer Rang und ihre politische Bedeutung ungeschmälert offenbaren. Dabei stellen sich zwangsläufig Pauschalvorwürfe ein, wie sie die Nazismus-Gegner und Nazismus-Opfer Thomas Mann, Günther Weisenborn und Elisabeth Langgässer gleich nach Kriegsende geäußert haben: daß den zwischen 1933 und 1945 in Deutschland gedruckten Büchern ein »Geruch von Blut und Schande« anhafte; daß sie bewußt oder unbewußt »das Gelichter der Raub- und Hordenwörter [...], den Trabantenwirrwarr der geschwollenen Metafern« der Diktatur mitschleppten; daß sie sich in wirklichkeitsflüchtige »Esoterik und das Spiel mit sechserlei Bällen« abdrängen ließen, wenn sie sich dem Regime verweigern wollten. 69 Doch ebensowenig wie sich die Kollektivschuldthese für das deutsche Volk halten läßt, gilt sie für die deutsche Literatur, die im Dritten Reich geschrieben und gedruckt worden ist. Wie Ernst Jünger am 23. 2.1943 festgestellt hat, wirkt zwar »jede der großen Katastrophen [...] auch auf den Bestand von Büchern und stößt Legionen von ihnen in die Vergessenheit«, in der sie für immer verschwinden. 70 Wenig später, nämlich am 4. 3.1943, ergänzte er jedoch, auch für Bücher gäbe es die Gnade des »Fegfeuers«, aus dem sie auferstehen können, wenn sie genügend Substanz besitzen und alles weggebrannt 69

70

Thomas Mann: Offener Brief für Deutschland. In: Thomas Mann, Frank Thieß, Walter von Molo: Ein Streitgespräch über die äußere und die innere Emigration. Dortmund o.J. (1946). S. 4. - Günther Weisenborn: Tod und Hoffnung. In: Ost und West 1 (Oktober 1947) 4, S. 30. - Elisabeth Langgässer: Schriftsteller unter der Hitler-Diktatur. Ebd. S. 39. E. Jünger: Tagebuch-Notiz vom 2 3 . 2 . 1 9 4 3 . In: Strahlungen. Tübingen 1949. S.275. 234

ist, was das Substantielle beeinträchtigt und verdeckt. 71 Mit Bezug auf Schriften aus dem Dritten Reich dürfte sich Jüngers Erwartung aber kaum erfüllen, daß damit alles »Zeitliche« an ihnen vergehe. 72 Denn ob sie den Nationalsozialismus bejahten, sich von ihm abkehrten oder gegen ihn aufbegehrten, sind sie von den zwölf Jahren der nationalsozialistischen Diktatur irreversibel geprägt worden: Ihre Form, ihr Inhalt und ihr Schicksal erklären sich aus den Zeitumständen der dreißiger und frühen vierziger Jahre, wie alle Querschnittsdarstellungen angedeutet und alle Fallbeschreibungen bestätigt haben. Diese Befindlichkeit ist von Hans Orlowski 1943 in einem unbetitelten Holzschnitt veranschaulicht worden, der geeignet ist, dem hier Ausgeführten als Frontispiz zu dienen:73 Ein Fisch, eine Schlange oder ein Lurch befindet sich in der Klaue der Gewalt, der das Beutetier erliegt oder mit schweren Verletzungen entkommt. Werden nun Jüngers und Orlowskis Bildvorstellungen miteinander verknüpft, läßt sich daraus folgern: Durch das Jüngersche »Fegfeuer« und aus dem Orlowskischen Klauengriff gelangen nur solche Bücher aus der Periode der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, die sich trotz des (mit Brandspuren und Krallenwunden bezeugten) Zeitballasts behaupten und nicht darauf verlassen, daß er sich allmählich abschleift und verflüchtigt. Sehen wir von den Namenkolonnen der Querschnittsdarstellungen ab und blicken wir zurück auf die Fallbeispiele der /verlorenen Generation^ haben Klepper und Lampe diese Probe bestanden; für Kerst, Löscher, Rexroth, Siegel, Spervogel und Wiessalla bleibt es zu hoffen; bei Jacobi, Karsten, Keller, Linke, Nebelthau und Rabener läßt es sich trotz hoher politischer oder ästhetischer Hemmschwelle vorstellen; bei Benndorf, Dachs, Heimreich, Mende und Raschke ist es aus stilkritischen Erwägungen zu bezweifeln und bei von Bremen, Hancke und Pleyer schließt es sich aus ideologischen und qualitativen Gründen aus. Ob zu retten oder nicht, tragen jedoch alle Genannten zu ein paar banalen und elementaren, aber unverächtlichen Einsichten bei. Die tradierfähige Ausbeute aus der literarischen Hinterlassenschaft der >verlorenen Generation fällt reicher aus und besitzt mehr politisch-ästhetische Eigenpotenz, als gängige Pauschalmeinungen vermuten lassen. Literarische Qualifikation und Qualität hängen nicht von der politischen Gesinnung und Standpunktwahl ab, können aber durch sie korrumpiert, an sie verra-

71 71 73

E. Jünger: Tagebuch-Notiz vom 4. 3.1943. Ebd. S. 278. Ebd. Hans Orlowski: Holzschnitt. In: D I R 10 (Juni 1943) 1, S. 74. 2

35

ten und für sie geopfert werden. Böse Bücher sagen manchmal die Wahrheit, gutgemeinte sind nicht davor gefeit, sie zu verfehlen. Politische Repression fördert in der Literatur wie im Leben sadistische, masochistische, eskapistische und quietistische Tendenzen, provoziert aber auch zum Widerstand und kann den Drang zu politisch-literarischer Selbstbefreiung nicht aufhalten, der am ungestümsten durchbricht, wenn die Not am größten ist und der angstbesetzte Geduldsfaden endlich reißt. Literatur ist nicht nur Text, sondern Menschenwerk, das mit Lebensgeschichte bezahlt wird. Wie hoch dieser Preis sein kann, hat die /verlorene Generation< zu spüren bekommen. Ihr literarisches Werk verdient, dem Ausleseprozeß des Jüngerschen »Fegfeuers« überantwortet zu werden, damit sich prüfen läßt, ob und in welchem Zustand die Orlowskische Klaue ihre umkrallte Beute freigibt. Dazu müssen die Bücher herbeigeschafft und bereitgestellt werden, die für die Feuerprobe bestimmt sind und sie als Kraftprobe bestehen sollen. Im Vorfeld von Theoriebildung und Thesenfabrikation kann das literaturgeschichtliche Kärrnerarbeit besorgen, wenn sie es nicht an Respekt für die schriftstellerische Leistung als notwendige Voraussetzung für kritisches Lesen und Verstehen fehlen läßt. Sie sammelt, registriert und beschreibt, was es auf dem literarischen Markt gab und gibt, und ist wohlberaten, wenn sie Friedrich Hebbels Warnung beherzigt und sich vor der Versuchung hütet, »>die Luft reinigen

2

39

Bergengruen, Werner V I I , 48, 132, 133, 216, 230

Bernus, Alexander von 48 Beumelburg, Werner 170 Birkenfeld, Günther V I , 99 Bischoff, Friedrich V I , 126, 127, 154, 1 5 ! 5 6 Bistram, Roderich von 99 Bloem, Walter 22 Bloem, Walter Julius (siehe Koll, Kilian) 22, 181 Blunck, Hans Friedrich 38 Bobrowski, Hannes (d.i. Johannes Bobrowski) 176 Böhmer, Günter V I I , 191 Bohn, Hans 201 Bongs, Rolf 230 Borcherdt, Hans Heinrich 180 Borchert, Wolfgang 6 Böttcher, Alfred V I , 109, 1 1 0 Böttner, Karl (d.i. Karl Jakob Hirsch)

V, 23,24 Bouhler, Philipp 192, 194 Bräker, Ulrich 1 1 3 Brand, Guido Κ. V I I , 187, 188 Brehm, Bruno 38 Bremen, Carlo/Carl von V I I , 8 , 9 , 1 2 6 , 134,139,146-150,151,154,235,239 Bremen, Gerda von 148, 149, 239 Brenner, Hans Georg (siehe auch Grabe, Reinhold Th.) V , V I , V I I , 6, 23, 76, 88, 100, 123, 124, 182, 206 Britting, Georg 42, 173, 174, 176 Brockmeier, Wolfram 4, 195 Bronnen, Arnolt (d.i. Arnold Bronner; siehe auch Schelle-Noetzel, A . H . ) 2 3 243

Bruder, Anna Christa 54 Brück, Max von 51, 52 Brües, Otto 7 Buchheim, Lothar-Günther VI, 102,103

Eggers, Kurt V I , 72, 73, 87 Ehrke-Rotermund, Heidrun 2, 8 Eich, Günter V I , 5, 16, 94, 195, 197, 241 Einsiedel, Wolfgang von 146, 147, 165,

Carossa, Hans 87 Cassirer, Bruno 147, 164, 165 Charlet, Emil 197 Chezy, Helmina von 97 Chodziesner, Gertrud (siehe Kolmar, Gertrud) V , 3, 24 Cisek, Oscar Walter V I , 1 5 1 , 152, 154 Ciaassen, Eugen X , 23, 32, 33, 183, 184, 185, 186, 199, 201, 203, 206 Ciaassen, Hilde X , 202, 203 Coubier, Heinz (d.i. Heinz Kuhbier) V , 22 Cube, Hellmut von V , V I , 42, 43, 44, 45> 92>

239, M i Elwenspoek, Curt (siehe Ganter, Christoph Erik) V , 22, 23, 72 Emter, Elisabeth 1 3 4 , 1 3 5 , 1 3 9 Eppler, Ehrhard 5 Eschenburg, Harald 136 Eschmann, Ernst Wilhelm (siehe auch Dingräve, Leopold) V , 10, 22 Euringer, Richard 1 5 , 3 8 Fath, Wilhelm Philipp (siehe Kerst, Kilian) V , 22, 47, 48-54, 1 7 1 , 235, 240 Fath-Kaiser, Aenne 51 Fechter, Paul 14, 15, 16, 52

Dachs, Heinrich V , 9, 25-27, 235, 239

Feder, Gottfried 1 3 , 1 9 4 , 2 1 3

Darre, R. Walther 1 2 1 Denkler, Horst 2, 70, 102, 1 1 2 , 178,

Fischer, E. Kurt 45

180, 186, 241 Deubel, Werner 1 1 , 1 1 9 Dhünen, Felix (d.i. Franz Sondinger) 110 Diebow, Hans 1 4 , 2 1 4 Dierking, Jürgen 135, 139, 240 Dieß, Wilhelm V I , V I I , 130, 1 3 1 , 182 Dietrich, Paul 35, 37, 83, 85, 237 Dmgräve, Leopold (siehe Eschmann, Ernst Wilhelm) V , 10, 22 Dirks, Walter 52 Döblin, Alfred 10 Doderer, Heimito von V I , V I I , 103— 105, 182 Dombrowski, Ernst von 169 Dostojewski, Fedor 28, 30 Drews, Richard 5 7, 5 8 Dürckheim-Montmartm, Graf K. von 120, 1 2 1 Dwinger, Edwin Erich 143 Eberlem, Kurt Karl 1 2 1 , 122 Eckert, Gerd 16 Egermann, Ernst V I I , 37, 176, 177

244

Fischer-Gravelius, Gottfried 6, 195, 196, 197 Floren, Elisabeth 173 Flügel, Heinz V , 4 1 , 47 Frank, Hans 214 Freud, Sigmund 2, 3, 198 Freumbichler, Johannes V I , 1 3 1 , 132, :

34 Frisch, Max V , V I , 40, 4 1 , 100, 101 Fritsche, Herbert V , 40, 47, 48 Fritz, Egon (siehe Vietta, Egon) V , V I , 22, 69 Fromm, Karl 176 Fühmann, Franz 5 , 1 7 5 Funk, Erich O. 10 Fussenegger, Gertrud V , V I , 5, 22, 66, 127» 197 Gaiser, Gerd (d.i. Gerhard Gaiser) 5, 170, 175, 176, 197, 229 Gampp, Josua L. 169 Gan, Peter (d.i. Richard Möring; auch: Moering) V , 22, 43, 44 Ganter, Christoph Erik (d.i. Curt Elwenspoek) V , V I , 22, 23, 72

Gass, Karl Eugen 172 Geck, Rudolf 52 Geucke, Kurt 195 Gilles, Werner 19, 2 1 , 237 Glaeser, Ernst V , 39, 88, 89 Glahn, Thomas (d.i. Carl Seelig) V , 39, 40 Goebbels, Joseph

11,15,74

Goertz, Heinrich V , 46, 59 Goethe, Johann Wolfgang 195 Göll, Iwan (siehe auch Thor, Johannes) V , 23 Gollub, Wilhelm 205 Goltz, Joachim von der 6 Goverts, Henry

133,186,200,201

Grabe, Reinhold Th. (siehe auch Brenner, Hans Georg) 23 Graeb-Könneker, Sebastian 2, 8 Graf, Johannes 134, 135, 139 G r a f f , Sigmund 1 6 9 , 1 7 0 Grande, Richard V , 40, 4 1 , 47, 94 Grau, Franz (siehe Gurk, Paul) V , 22, 31

Gregor-Dellin, Martin 5 Gregorius, Friedrich 38 Griebitzsch, Herbert 1 1 Groll, Gunter 57, 58, 230 Gröpler, Werner 166 Gründel, E. Günther 1 0 , 1 1 Gstettner, Hans 175 Guardini, Romano V I I I Gührmg, Adolf 222 Günther, Albrecht Erich 1 1 Günther, Joachim 153 Günther, Johann Christian 132 Gurk, Paul (siehe auch Grau, Franz) V , 22, 31

Hartlaub, Geno (d.i. Genoveva Hartlaub) 5, 6, 103, 206, 207 Hartmann, Hans 1 0 , 1 1 Hartmann, Walther Georg 47 Hatzfeld, Adolf von V I , 73 Haupt, Gunther 14, 145 Hausenstem, Wilhelm 52 Haushofer, Albrecht 3 Hausmann, Manfred 63, 89 Hebbel, Friedrich 236 Hedler, Friedrich 4 Heidegger, Hermann 13 Heidegger, Martin 13 Heimreich, Jens V I , 9, 47, 54, 56-60, 2

35,239

Heiseier, Berat von 169 Heidt, Werner 21 Heller, Hermann 214 Helwig, Werner V I , 63, 64, 68, 69, 124 Henlem, Konrad 194 Hensel, Gerhard 176 Hentzen, Alfred 21 Hering, Gerhard F. 6 Heuer, Renate 28 Heuscheie, Otto 10 Hillebrand, Bruno 214 Hillers, Hans Wolf gang 14 Hillesheim, Jürgen 8 Himmler, Heinrich 233 Hinkel, Hans 1 5 , 1 7 1 Hirsch, Karl Jakob (siehe auch Böttner, Karl) 23, 24 Hitler, Adolf 14, 85, 128, 129, 147, 149, 150, 169, 1 7 1 , 177, 189, 192, 198, 207, 2 1 5 , 2 1 7 , 218, 219, 2 2 1 , 227 Hocke, Gustav Rene V I , 10, 12, 69, 214

Haacke, Wilmont 52, 231 Habel, Walter 222 Haecker, Theodor 2 1 5 Haefs, Wilhelm 195, 197 Hancke, Kurt V I , 9, 47, 48, 54-57, 235, 239

Hoffmann von Fallersleben, August

Handke, Peter 2 5 , 2 3 1 , 2 3 2 Hankamer, Paul 180 Hartlaub, Felix 5, 6, 206-208, 229

163, 164 Hoffmann, Wilhelm 1 ο Hofmann, Fritz 8

Heinrich 174 Hoffmann, Dieter 197 Hoffmann, Ε. Τ. A. (Ernst Theodor Amadeus) 46 Hoffmann, Ruth 4 , 2 8 , 1 5 4 , 1 5 5 , 1 5 6 ,

2

45

Hofmannsthal, H u g o von 68 H o h o f f , Curt V I I , 181 Hölderlin, Friedrich 1 1 3 Holgersen, Alma VI, 65, 89 Holthusen, Hans Egon 1 7 1 Hotzel, Curt 1 7 Hüchel, Peter 5 Hübinger, Paul Egon 172 Hugo, Hans von 165

Klass, Gert von V I , V I I , 76, 181 Klau, Werner 16, 28, 29 Klepper, Hildegard X I , 240 Klepper, Jochen V I I , X I , 3, 4, 8, 9, 27, 37, 39, 1 1 2 , 153, 172, 223, 224-229, 235,240 Klimt, Andreas 8 Khngemann, Ernst August Friedrich 100 Klipstein, Editha 1 7

Ihlenfeld, Kurt 1 7 1

Kloepfer, Hans 130

Jacobi, Heinrich V , 9, 25, 27, 28, 235,

Kluge, Kurt V I , 125 Knöller, Fritz 42

2

39

Jäger, Ludwig 5 6 Joachim von Fiore 2 1 3 Johann, Ernst 95 Johst, Hanns 50, 130, 1 7 1 , 197, 214 Jülg, Bernhard 94 Jünger, Ernst 3, 5, 7, 44, 73, 132, 1 7 1 , 214, 2 1 7 , 218, 219, 234, 235, 236 Jünger, Friedrich Georg 38, 174, 175 Jung, Edgar J . 1 1 Jung-Stilling, Johann Heinrich 1 1 3 Kaiser, Herbert 173 Kantorowicz, Alfred 5 7, 5 8 Karsten, Otto V I , V I I , 3, 8, 9, 44, 87, 94, 95, 99, 178, 179, 184-186, 192, 2

35> 2 3 9

Kasack, Hermann 4, 12, 13, 24, 37, 94, 107, 173, 178, 187, 208, 2 1 5 , 229, 2

3! Kaschnitz, Marie Luise V I , 5, 64, 70, 7 1 , 74, 86, 87, 146 Kefer, Linus V I , 4 1 , 123 Keller, Sepp V I I , 8, 9, 134, 139, 143— 146, 152, 235, 239 Kerckhoff, Susanne V I , 80, 81, 101 Kern, Hans 1 1 9 Kerst, Kilian (d.i. Wilhelm Philipp Fath) V , V I , 9, 22, 47, 48-54, 1 7 1 , 2

35> 2 3 9 Kessel, Martin V I , 80 Ketelsen, Uwe-Karsten 2 Kimura, Naoji 70 Kmdermann, Heinz

246

13,14,15,38,215

Koenigswald, Harald von 224 Koeppen, Wolf gang V I , 5, 74 Köhler, Theodor Heinz 68 Koll, Kilian (d.i. Walter Julius Bloem) V , V I I , 22, i 8 I Kolmar, Gertrud (d.i. Gertrud Chodziesner) V , 3, 24 Kölwel, Gottfried 87 König, Johann-Günther 1 3 5 , 1 3 9 , 2 4 0 Kopelke, Wolfdietrich 189, 190, 191 Korn, Karl 132 Körner, Hermine 78 Kramp, Willy V I , 17, 1 5 1 , 1 5 2 - 1 5 4 Kreuder, Ernst V , V I , 43, 124 Krieger, Arnold 64, 85 Krolow, Karl 42, 43 Kubin, Alfred 123 Kuckhoff, Adam 3, 123, 124 Kuhnert, A. Artur V I , 28, 133, 134 Künkel, Hans 1 7 1 Kusenberg, Kurt V , 44, 45 Kutzbach, Karl August 1 1 , 127 Kutzleb, Hjalmar 4 Lachmann, Volkmar V I I , 208 Lajtha, Edgar 68 Lambrecht, Klaus V , 4 1 , 42, 47 Lampe, Friedo V I I , 4, 6, 8, 9, 39, 44, 46, 1 3 4 - 1 3 9 , 229, 235, 240 Lange, Horst V I , V I I , 5, 32, 47, 89, 1 1 9 , 126, 132, 133, 134, 155, 156, 157, 183, 184, 1 9 8 - 2 0 1 , 202, 203, 229,230 Langenbeck, Curt 37, 38

Langenbucher, Hellmuth 8, 1 7 , 1 7 2

Mascher, Benno X I , 228, 240

Langer, N o r b e r t

Matthies, K u r t 1 3 0

169

Langewiesche, Marianne V , V I , 22, 68, Langgässer, Elisabeth V I , 4, 5, 24, 66, 6y, 68, 89, 90, 92, 105, 1 2 5 , 126, 230, 2

Matzke, Frank

10,11

Mazurkiewicz, M a r y l a R. (d.i. M a r y l a

71

34

Langner, Ilse V , V I , 22, 70, 72 Laotse 205 L e Fort, Gertrud v o n

171

Leggewie, Claus 56 Lehmann, Wilhelm 42, 1 2 1 Leip, Hans 64 Leitgeb, H a n n a 192 Leitgeb, Josef 6, 66 Lennartz, Franz 8 L e n z , H e r m a n n Eduard (d.i. H e r m a n n Lenz) V , 40, 4 1 , 176

Reifenberg) V , V I , 22, 102 M e c h o w , Karl B e n n o v o n

121

Meckler, Rolf 6 Mende, Fritz A . (d.i. Fritz Adolf M e n de) V I , 9, 1 0 5 - 1 0 7 , 235, 240 Mentzer, Alf 8 Menzel, Gerhard

13,47

Menzel, Herybert 64, 1 2 2 , 1 7 3 , 189 Mettin, Christian Hermann 3 8 Meyer-Eckhardt, Victor 48 Michael, Elisabeth 8 Miegel, Agnes

172

Milch, Werner 23 Mitterer, E r i k a V , 22, 63, 64, 86, 1 2 2

Lersch, Heinrich 1 7 2

Möller, Eberhard Wolfgang 38

Leuteritz, Gustav 47

M o l o , Walter v o n 234

Liebermann, M a x 80

Molzahn, Ilse V I , 68, 85, 87, 92, 93,

Linke, Johannes V I I , 6, 8, 9, 1 1 9 , 134, I

3 9 ~ I 4 3 » M 5 . !5 2 > J 54> 2 35> 2 37>

105, 156, 1 5 7 Mönnich, Günter

188,189

Mönnich, H o r s t 188, 189, 190, 1 9 1

240 Linke, Käte

141,240

Möring, Richard (auch Moering; siehe G a n , Peter) V , 22, 44

Linke, Luise 143 Loerke, Oskar 4, 37, 1 7 3 , 2 1 5

Moritz, Karl Philipp

L o e w y , Ernst 8

M o y , Johannes (d.i. Johannes Graf v o n

Löns, Hermann

172

113

M o y ) V , V I , V I I , 25, 64, 2 3 1 - 2 3 4

L o o s , Irma V I , 1 0 1

Mühlberger, Josef V I , 93, 94

Löscher, H a n s (d.i. Gustav Robert

Mühle, Hans 26

Löscher) V I , 9, 105, 1 1 1 - 1 1 6 , 235,

Mülbe, Wolfheinrich v o n der V , 45, 46

240

Müller, A r t h u r 222

L o u p , K u r t V , 43, 47 Lubos, Arno

Müller, Artur 190, 1 9 1 , 2 1 5 , 2 1 9 , 2 2 0 222, 223

155

L u d w i g , Paula V , V I , 4, 23, 45, 46, 9 1 , 92 L ü t z k e n d o r f , Felix V I , 129, 1 3 0 L y n e n , Friedrich 16

Müller, Bastian (d.i. Robert Friedrich Wilhelm Müller) 4, 6, 95-97, 105, 107, 108, 241 Müller, Wolfgang 3 8 , 2 3 1 Müller-Oelrichs, Hans Erich (siehe

Maaser, Michael 51 Maass, Edgar 89 Maass, J o a c h i m J

Oelrichs, Hans Ε . ) V I , 27, 1 0 1 M ü n k , Christian (siehe Weisenborn,

12,31-33,88,89,91,

37

Mann, Thomas 27, 234 Marg, V o l k w i n 3 Martin-Amorbach, O s k a r 162

Günther) V , 22, 69 Nebelthau, Otto V I , 9, 77-80, 185, 235, 240, 241 Nickel, Otto 38

247

Niebelschütz, Wolf von V I , 54, 86, 95 Niekisch, Ernst 12, 13, 15 Nietzsche, Friedrich 138 Nisser, Peter V I I , 1 9 7 - 1 9 9 , 203 Nolde, Emil V I I I , 109 Nossack, Hans Erich V I I , 5, 209 N o w a k , Hans 2 5 Oelrichs, Hans E. (d.i. Hans Erich Müller-Oelrichs) V I , 27, 101 Oelze, Klaus-Dieter 186 Orlowski, Hans II, 61, 63, 235, 236, 2

37

Paust, Otto 195 Peiner, Werner 120 Pels-Leusden, Hans 14 Penzoldt, Ernst V I I , 17, 182 Peschanel, Dolf 120 Peuckert, Will-Erich 163 Pfeiffer, Johannes 6, 25, 135, 2 3 1 , 240 Pfeiffer-Belli, Erich V I I , 51, 52, 181 Picht, Werner 170 Pieper, Josef 1 7 1 Pleyer, Kleo V I I , 8, 9, 192-194, 241 Pleyer, Wilhelm 194 Podewils, Sophie Dorothee (d.i. Sophie Dorothee Gräfin PodewilsJuncker) V I , 68 Pongs, Hermann 17 Pretzel, Raimund 45, 87, 105, 136, 138, 215 Pruggmayer, Egon Prümm, Karl 2

117,119,120,237

Raabe, Wilhelm X I Rabener, Johann V , 9, 25, 28-30, 3 1 , 2

3 5> Z4I

Raschke, Martin V I , V I I , 8, 9, 76, 77, 81, 89, 120, 125, 1 8 1 , 192, 1 9 5 - 1 9 7 , 2 35> 2 4 i Rauch, Karl 1 1 , 14, 15, 42, 120, 1 2 1 , 170 Reck, Friedrich (auch Fritz ReckMalleczewen) V I I , 3, 2 1 7 , 229 Reese, Willy Peter V I I , 169, 170, 208, 209

248

Reifenberg, Maryla (siehe Mazurkiewicz, Maryla R.) V , V I , 22, 102 Reindl, Ludwig Emanuel 26 Reinhardt, Max 78 Reuschle, Max 14 Reuss, Erbprinz Heinrich X L V . 185 Rexroth, H. G . (Hermann-Georg) VII, 6, 9, 192, 197, 201-206, 235, 241 Rexroth-Kern, Irmgard 2 0 1 - 2 0 3 , 2 0 6 Rezori, Gregor von (d.i. Gregor von Rezzori) V I , 80, 81 Rilla, Paul 75, 1 3 1 Ringleb, Heinrich V , V I , 39, 76 Rinser-Schnell, Luise (d.i. Luise Rinser) V I , 4, 99 Rockenbach, Martin 7 Röders, Otto 1 5 4 , 2 3 0 Roedl, Urban (d.i. Bruno Adler) V , 24 Roether, Eduard 5 3 Rohde, Hedwig V I , 76 Rosenberg, Alfred ( auch Amt Rosenberg) 48, 54, 66, 75, 192, 220 Rössing, Karl 167, 169, 2 1 1 , 2 1 3 , 237 Rost, N i c o 2 1 7 Rotermund, Erwin 2, 8 Rüb, Otto Heinz 1 7 1 Rutschky, Michael 6 Rüttenauer, Isabella 102 Saalfeld, Martha 4 Samuel, Richard 57 Sander, Ulrich 170 Sarkowicz, Hans 8 Sauerlandt, Max 14 Schaeder, Hans Heinrich 170 Schaefer, Oda V , 42, 47, 48, 230 Schäfer, Hans Dieter 2, 8, 42, 174, 199, 230 Schaffner, Jakob 14 Schargorodsky, Erich Franz Paul (siehe Spervogel, Gorge) V , 22, 105, 1 0 7 III Schauwecker, Franz 14 Schelle-Noetzel, Α. H . (d.i. Arnold Bronner/Arnolt Bronnen) V , 23 Schenk, Herta (siehe Schulz-von der Marek, H.) 2 4 , 2 5 , 9 8

Schicken, Werner 14 Schirach, Baidur von 3 8 , 8 6 , 1 7 2 , 1 7 3 Schirmbeck, Heinrich V I I , V I I I , 223, 229,230 Schlien, Hellmut 37 Schlösser, Manfred 57, 58 Schmähling, Walter 166, 241 Schmid-Ehmen, Kurt 2 1 3 Schmidt, Arno X I Schmidt, Gerhardt 225 Schmiele, Walter 5 3 Schmitt, Carl 214, 221 Schmitz, Stefan 170 Schmitz, Walter 195 Schnabel, Ernst V I , 4 1 , 73, 109, 199, 200, 206 Schneider, Hans Ernst (1945 Namenswechsel zu Hans Schwerte) 56 Schneider, Reinhold 5, 216, 224 Schneider, Tobias 8 Schneider-Scheide, Rudolf V I I , 1 8 1 , 182 Schnell, Ralf 2 Scholdt, Günter 2 Scholtis, August V I , V I I , 4, 5, 28, 1 5 7 159, 163, 164, 165, 182 Scholz, Wilhelm von 147 Schonauer, Franz 2 Schöningh, Franz Josef 2 1 7 Schörken, Rolf 5 Schröder, Rudolf Alexander 172 Schuder, Werner 8 Schult, Friedrich V I , 1 3 1 Schulz-von der Marek, H . (d.i. Herta Schenk) V , V I , 24, 25,98 Schumann, Gerhard 5, 1 1 , 64, 172, 173, 2 I

5

Schütt, Bodo 1 7 4 , 1 7 5 Schwachhofer, Rene (d.i. Reinhard Schwachhofer) V , 43 Schwarz, Bernhard 1 2 9 , 1 3 0 Schwarz, Wolfgang 7 Schwerte, Hans (siehe auch Schneider, Hans Ernst) 56 Seidel, Ina 24, 87 Seiffert, Konrad 120 Sendelbach, Hermann 120

Seng,Joachim

51,53,54

Siegel, Dieter 180 Siegel, Günther 180 Siegel, Werner V I I , 9, 176-180, 186, 192,235,241 Simon, Martin V I I , 1 1 9 , 176, 177, 2 1 5 Six, Franz Alfred 56, 57 Sluyterman von Langeweyde, Georg 63 Smelser, Ronald 233 Sommer, Johannes 120 Sondinger, Franz (siehe Dhünen, Felix) 110 Spervogel, Gorge (d.i. Erich Franz Paul Schargorodsky) V , V I , 6, 9, 22, 105, 1 0 7 — i n , 1 1 6 , 187, 235, 241 Stahl, Hermann V I , 54, 63, 64, 65, 66, 1 1 0 , 123 Stanietz, Walther V , V I , 5, 25, 155, 156, 162, 163 Stapel, Wilhelm 12, 14, 214 Stehr, Hermann 164 Stein, Johanna (d.i. Johanna Klepper) 227 Steinbömer, Gustav 2 1 7 , 2 1 8 Steinborn, Willi 88, 145 Sternfeld, Wilhelm 222 Stifter, Adalbert 24, 195 Stomps, V. O. (d.i. Victor Otto Stomps) 47 Suhrkamp, Peter 4, 88, 178, 229, 230 Süskind, W. E. (d.i. Wilhelm Emanuel Süskind) 17, 88, 89, 95, 186, 2 1 5 , 2 1 7 , 218 Tau, Max 146, 147, 164, 165, 239, 241 Taube, Otto von 1 1 4 Ter-Nedden, Eberhard 1 7 0 , 2 2 9 Thiel, Rudolf 224 Thieß, Frank 234 Thome, Horst 70 Thor, Johannes (siehe Göll, Iwan) V , 2

3

Tideman, Wilhelm 230 Tiedemann, Eva 222 Trakl, Georg 43, 178 Tränckner, Christian 214

249

Tuchel, Johannes 58 Tucholsky, Kurt 185 Turnier, Franz V I , V I I , 5, 17, 98, 1 0 1 , 123, 128, 129, 134, 143, 144, 146, 173, 1 8 1 , 197, 219, 220, 223 Ulitz, Arnold V I , 1 5 7 Unamuno, Miguel de 75 Vesper, Will 4, 14, 172, 214, 229 Vietta, Egon (d.i. Egon Fritz) V , V I , 22, 69 Vlasics, Hans 39, 40 Vowinckel, Hans August V I , 124, 125 Vring, Georg von der 63, 64, 174, 176, 178 Waas, Johannes Baptist 48 Wassermann, Jakob 29 Wehner, Josef Magnus 3 8 , 1 7 1 Weinheber, Josef 4,86 Weinreich, Paul 218 Weippert, Georg 1 1 Weisenborn, Günther (siehe auch Münk, Christian) V , V I , 4, 22, 69, 77. 88, 89, 234 Weiß, Hansgerhard 89 Weiß, Hermann 8, 194

250

Weitzel, Hanns V I , 1 0 1 , 102 Werner, Bruno E. (d.i. Bruno Erich Werner) 1 1 , 1 7 , 1 7 0 , 1 7 8 , 2 3 1 Werner, Günter 176 Weyrauch, Wolfgang V I , V I I , 17, 52, 88, 99, 100, 133, 134, 182 Wickenburg, Erik Graf V I , 97, 98, 104 Wickert, Erwin 69 Wiechert, Ernst V , 4, 5, 37, 39, 87 Wiegandt, Herbert 180 Wiessalla, Josef V I I , 9, 28, 134, 146, 1 5 5 - 1 6 6 , 235, 241 Wild, Heinrich 2 1 5 Wilpert, Gero von 222 Winckelmann, Johann Joachim 138 Winkler, Ernst 47, 52, 53, 1 7 1 , 172 Winkler, Eugen Gottlob 3, 6, 16 Wirth, Günter 1 1 2 , 2 4 0 Wolf, Siegfried V I I , 191 Wolff, Andreas 54 Zak, Eduard 4 Zeile, Christine 2 1 7 Zernatto, Guido V I , 124, 134 Ziesel, Kurt 72, 170, 1 7 1 Zitelmann, Rainer 233 Zöberlem, Hans 1 Zuckmayer, Carl 200